'Welt' als Thema der Philosophie: Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff 9783787320189

Noch bis in das 19. Jahrhundert hinein wurde die Philosophie als Weltweisheit bezeichnet, und noch vor wenigen Jahrzehnt

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'Welt' als Thema der Philosophie: Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff
 9783787320189

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Christian Bermes ›Welt‹ als Thema der Philosophie

PHÄNOMENOLOGISCHE FORSCHUNGEN

Phenomenological Studies Recherches Phénoménologiques

Im Auftrage der Deutschen Gesellschaft für phänomenologische Forschung herausgegeben von

ernst wolfgang orth und

karl-heinz lembeck

Beiheft 1

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Christian Bermes

›Welt‹ als Thema der Philosophie Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Gedruckt mit der Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. www. meiner.de / PhaeFo © Felix Meiner Verlag, Hamburg 2004. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Film, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

INHALT

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff . . . . . . . . . .

15

1. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Weltbegriffs . . . . . . . a) ›Welt‹ als Metapher – die Wirklichkeit der Ansprüche . . . . . . b) ›Welt‹ als Kosmos – der Anspruch der Wirklichkeit . . . . . . . . c) ›Welt‹ und ›welten‹ – zwischen dem Anspruch der Wirklichkeit und der Wirklichkeit der Ansprüche . . . . . . . . . 2. Welterkenntnis und Weltkenntnis im 18. Jahrhundert . . . . . . . . a) Die ›Cosmologia generalis‹ und die metaphysische Welterkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Welterkenntnis und Weltkenntnis – die ›Philosophie dem Weltbegriffe nach‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Frage nach den Voraussetzungen der Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verweltlichung ohne ›Welt‹ im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . a) ›Kosmos‹ und ›Mikrokosmos‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) ›Lebenswelt‹, ›Lebenwelt‹ und ›Lebewelt‹ . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der ›natürliche Weltbegriff‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) ›Weltanschauung‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 16 20

66 70 80 92 114 128

III. Der Anspruch von ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls . .

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1. Phänomenologie als Kritik des Anspruchs von ›Welt‹ . . . . . . . . 2. Die ›Welt‹ der Phänomenologie in der Interpretation . . . . . . . . 3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹ . . . . . . . a) Die ›eine Welt‹ – Einheit und Einstimmigkeit . . . . . . . . . . . . b) Die ›natürliche Einstellung‹ als notwendiges Provisorium . . c) ›Welt‹ als Horizont und die transzendentale Empiriographie d) Die ›werdende Welt‹ und der Horizont der Geschichte . . . . e) Die anderen Anfänge der Phänomenologie als Topographien des Weltlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

148 154 166 168 172 183 194

27 32 36 51

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VI

Inhalt

IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie des Weltlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reduktion von ›Welt‹ als Simulation des ›weltens‹ . . . . . . . . . . . 2. Das ›Ichleben‹ – das Bewußtsein als Funktion und die funktionale Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. ›Lebenswelt‹ und ›Weltleben‹ – utopische Möglichkeiten in topischen Wirklichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

241

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VORWORT

Noch bis in das 19. Jahrhundert hinein wurde die Philosophie im Gefolge einer alten Tradition, die sie von der Gottesgelehrtheit unterschied, als Weltweisheit bezeichnet, und noch vor wenigen Jahrzehnten war häufig unklar, ob Philosophie mit Weltanschauung oder Weltanschauungslehre zusammenfällt. Mit ›der Welt‹ hat die Philosophie eine Aufgabe zur Klärung übernommen, um die man sie gerade in neuerer Zeit nicht beneiden möchte, scheint der Weltbegriff doch im Laufe der Jahre nur noch als universaler Platzhalter für letzte Definitionen zu fungieren und scheinen die Naturwissenschaften fortwährend neue Patente auf ›Weltformeln‹ anzumelden. Daß in dem täglichen Gebrauch des Allerweltsausdrucks ›Welt‹ in seiner nominalen Form der Bedeutungsgehalt kaum noch gefaßt werden kann, belegen nicht nur die vielfältigen Möglichkeiten der Anwendung; auch die zwischenzeitlich populär gewordene Suche nach Steigerungen läßt die Frage nach ›Welt‹ kaum noch als sinnvoll erscheinen. Schließlich denken nicht wenige, daß bereits die Frageund Problemstellung in einer Zeit, in der im Zuge einer ›Globalisierung‹, der sich sicher noch eine ›Kosmologisierung‹ anschließen wird, überflüssig geworden ist. Nicht wenige Hoffnungen, die mittels ›Welt‹ zum Ausdruck gebracht werden, gründen in den Äquivokationen, die der Gebrauch des Terminus zuläßt und dem Konzept eine Aura zwischen absolutem Verständnis und absoluter Unnahbarkeit verleiht. Im Wirklichen scheint ›Welt‹ alles umfassen zu können, im Möglichen alles Wünschbare zu begreifen. Nicht verwundern kann es dann, wenn gegenüber einer philosophischen Klärung von ›Welt‹ Mißverständnisse auftreten. Diese beruhen nicht zuletzt auf einer Erwartungshaltung gegenüber der Philosophie, die sie jedoch zumeist nicht erfüllen kann. Der Philosophie geht es nicht darum, ›die Welt neu zu erfinden‹, ebensowenig sollte man ihr die Ehre angedeihen lassen, ›die Welt zu verändern‹, wie man den Philosophen auch Unrecht damit tut, ihnen die Kompetenz zuzusprechen, ›Welten zu erobern‹. All dies setzt etwas voraus, was zu ergründen allein die philosophische Aufgabe sein kann: Weltverständnisse, auch verdeckte, in ihren unterschiedlichen Artikulationen zu ergründen, um darin ›Welt‹ als ein spezifisches Thema menschlicher, subjektiver Ansprüche zu begreifen. Allein, das Unterfangen, Weltverständnisse zu sondern, um die Weltthematik zu fassen, wurde angesichts der Popularität des Allerweltsausdrucks ›Welt‹ besonders im Laufe des 19. Jahrhunderts und im Übergang zum

VIII

Vorwort

20. Jahrhundert mehr und mehr gefährdet. ›Welt‹ geriet zwischen die Mühlen verschiedenster Interessen und Absichten; auch die Philosophie schien diesen Begriff nicht mehr adäquat fassen zu können, so daß neue Wege der Vergewisserung nötig wurden, wie sie u.a. die Vertreter des Positivismus, des Neukantianismus oder der Lebensphilosophie vorstellen. Auf den ersten Blick reihen sich auch die Untersuchungen der Phänomenologie Edmund Husserls ohne weiteres in die Bemühungen des frühen 20. Jahrhunderts ein; die Phänomenologie scheint in jenen Tagen ein Angebot, wenngleich, wie sich schnell herauskristallisierte, ein sehr populäres, unter vielen Angeboten zu offerieren, mit ›Welt‹ umzugehen, auf ›Welt‹ zurückzukommen und ›Welt‹ zu beschreiben. Doch wie diese Offerte im einzelnen aussieht und wie sie sich in die teils komplexe, teils verdeckte und verstellte Geschichte des Weltbegriffs einreiht, ist bis heute umstritten. Aus diesem Grund beginnt die historische Darstellung, die nachfolgend in einem ersten Schritt durchgeführt wird, mit der, wie sich zeigen wird, nicht einfachen Einführung des deutschen Ausdrucks ›Welt‹ in die metaphysische Systematik bei Christian Wolff. Die Untersuchung läßt sich von der Verwendung dieses Ausdrucks die Probleme und Fragen vorzeichnen, ohne die mit der Konzeptualisierung verbundenen Fragestellungen zu vereinheitlichen oder sie voreilig mit Traditionen zu belasten, die ihnen nicht, oder nicht mehr gerecht werden. Von der Einführung und Fixierung des Ausdrucks in der Philosophie Christian Wolffs bis hin zu den philosophischen Bemühungen der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts soll eine Entwicklung nachgezeichnet werden, die mit einer Bestandssicherung und Inventarisierung des Ausdrucks für die Philosophie und Metaphysik beginnt und zu einer Redynamisierung des Ausdrucks und der Probleme in der Folge führt. Husserls Philosophie wird in diesem Kontext als vorläufiger Endpunkt einer ausufernden Entwicklung wie deren Sanierung gedeutet. Husserl durchbricht mit seiner Phänomenologie die populär gewordenen Dogmen des 19. Jahrhunderts, er deutet ›Welt‹ als Anspruch einer leistenden Subjektivität, der es in ihrem Einstellen in Welt um ›Welt‹ als ein Thema ihrer selbst geht; mit diesem Vorhaben beschreibt und begrenzt er zugleich dasjenige, was als natürlicher Weltbegriff bezeichnet werden kann. Die Untersuchung versucht zu zeigen, wie eine Geschichte des ›Weltbegriffs‹ möglich werden kann, wie komplex sich die Diskussionslage um die Einführung und Sicherung von ›Welt‹ als einem philosophischen Terminus im 18. Jahrhundert darstellt und wie es schließlich im 19. Jahrhundert zu einer ›Explosion‹ des Weltbegriffs kommt, die mit den klassischen Kategorien der Philosophie nur noch schwer zu fassen ist. Die Husserlsche Systematik wird vor diesem historischen Hintergrund im Stile einer ›utopischen Topographie des Weltlichen‹ verständlich, worin es weniger um den einen und einzigen Weltbegriff in seiner Endgestalt geht, als darum, ›Welt‹ in den Orientierun-

Vorwort

IX

gen und Einstellungen thematisch werden zu lassen, um das Phänomen der Welt allererst wieder für die philosophische Reflexion zugänglich zu machen – und zwar jenseits der geläufigen Reduktionismen, in Korrelation zu einer leistenden Subjektivität und im Ausgang von dem verbalen und dynamischen ›welten‹ als einem ursprünglichen Befund der Intentionalität.

* Ohne die Unterstützung vieler Kollegen wäre die Arbeit nicht zustande gekommen. Ihnen allen gilt mein Dank. Ernst Wolfgang Orth, der mit einem sicheren Gespür für die stets aktuellen Fragen der Philosophiegeschichte den Blick auch auf verborgene Traditionen lenkte, danke ich für die kritische und anregende Durchsicht des Typoskripts und für die Arbeitsmöglichkeit in einer inspirierenden Atmosphäre. Karl-Heinz Lembeck gilt nicht nur für die präzise Auseinandersetzung mit den historischen Entwicklungslinien und die detaillierten Hinweise zum Verhältnis von Methode und Gehalt der Phänomenologie mein Dank. Winfried Müller, der mit förderlicher Skepsis die Sprache der Phänomenologie als Sprache der Philosophie zu verstehen suchte, hat mit wichtigen Anregungen hinsichtlich der methodischen Fassung phänomenologischer Einsichten zur Fertigstellung der Arbeit beigetragen. Werner Stark danke ich für die Einsicht in noch nicht veröffentlichte Vorlesungsmitschriften der Kantischen Geographie. Michael Albrecht hat mit philologischem und historischem Sachverstand die Ausführungen zu Wolff und zur Philosophie des 18. Jahrhunderts kritisch begleitet. Ralf Becker, der gewissenhaft die erste Fassung der Arbeit studierte, ist nicht nur für die geduldige Lektüre, sondern auch für die wiederholte Diskussion ganzer Abschnitte zu danken. Na Young Shin schließlich möchte ich für die mühevolle Endredaktion der Schrift danken. Zahlreiche weitere Diskussionen haben natürlich ihren Niederschlag in der Arbeit gefunden, wenn auch zumeist in einer anderen als der ursprünglichen Form – doch nicht nur dafür trägt der Autor die Verantwortung. Die Drucklegung der Arbeit, die von der Universität Trier als Habilitationsschrift angenommen wurde, wurde durch die großzügige Unterstützung der VG Wort ermöglicht. Für diese Unterstützung gilt der Institution ein besonderer Dank. Dem Meiner Verlag ist für die Aufnahme der Arbeit in das Verlagsprogramm und die gute Zusammenarbeit Dank auszusprechen.

Zur Zitation: Von Beginn der Untersuchung an werden die Literaturangaben in den Anmerkungen in Kurzform angegeben, wobei – wenn nötig – neben der Jahresangabe der zitierten Ausgabe auch die Jahresangabe der Erstpublikation der leichteren und besseren historischen Orientierung wegen mit angegeben wird. Die vollständigen bibliographischen Angaben können am

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Vorwort

Schluß der Arbeit nachgeschlagen werden. Einzig die Verweise auf die Werke Edmund Husserls werden, soweit sie in den gesammelten Werken Husserliana publiziert sind, mit Abkürzung (›Hua‹, Band- und Seitenangabe) in den Fußnoten nachgewiesen; Husserls Schriften sind in der Bibliographie eigens aufgeführt und dort nach den benutzten Siglen geordnet. Die Druckschriften Kants werden nach der zehnbändigen Werkausgabe von W. Weischedel und der dort angeführten Originalpaginierung zitiert (mit gleichzeitigen Verweisen auf die einschlägige Akademie-Ausgabe und die Originalpaginierung resp., wenn nicht vorhanden, auf die Seitenzahlen), die weiteren Schriften Kants (Briefe, Vorlesungsmitschriften, etc.) werden nach der Akademie-Ausgabe zitiert. Zitate und Zitatbestandteile, die im Original gesperrt gedruckt sind, werden in der vorliegenden Untersuchung kursiv wiedergegeben; nur direkte Zitate und Ausdrücke, die aus direkten Zitaten stammen, werden mit » « gekennzeichnet, ansonsten werden durchweg ›‹ benutzt. Titel und Überschriften werden, sofern sie im fortlaufenden Text auftreten, flektiert und mittels Kursivierung kenntlich gemacht.

I. EINLEITUNG Und wer Sterne entdecken will, lerne Brillen schleifen. Hebbel, Tagebücher, Nr. 1202 Die Welt ist schon rund, aber jeder muß sie von neuem umsegeln, und wenige kommen herum. Hebbel, Tagebücher, Nr. 5758

In-der-Welt-sein, Weltoffenheit, être-au-monde oder auch Lebenswelt sind einige der Schlagworte, mit denen die Phänomenologie im 20. Jahrhundert die philosophische Diskussion über das Weltproblem zu großen Teilen bestimmt und vielleicht sogar dominiert hat; die phänomenologische Begrifflichkeit reicht darüber hinaus auch weit in die einzelwissenschaftliche Diskussion hinein, etwa die der (Wissens-)Soziologie, wie sie ebenso im feuilletonistischen und umgangssprachlichen Reden schnell ihren Platz finden konnte und dort zuweilen Hoffnungen weckte resp. Illusionen begründete, die jedoch nie zum Bestand der Phänomenologie gehörten. Heidegger, Scheler oder auch Merleau-Ponty,1 die nicht unwesentlich zur Vertiefung und auch Popularisierung des phänomenologischen Nachdenkens über dasjenige, was man ›Welt‹ nennen kann, beigetragen haben, zehren bei ihren Analysen von einem Reservoir phänomenologischen Denkens, das im Verlauf einer geradezu euphorischen Rezeption dieser zweiten und dritten Phänomenologengeneration mehr und mehr in den Hintergrund geriet resp. auf einzelne Topoi reduziert wurde. Hieraus resultiert die Situation, daß Edmund Husserl als der Auslöser dieser vielfältigen phänomenologischen Bemühungen, ›Welt‹ jenseits des nominalen Ausdrucks als ein Thema philosophisch neu zu fassen, zumeist eingeschränkt wird auf seine vorwiegend in den letzten Lebensjahren in Angriff 1

In diesen Kontext gehören freilich auch die Überlegungen Eugen Finks, die sich jedoch mehr und mehr von dem intentionalanalytischen Paradigma der Husserlschen Phänomenologie entfernt haben und mittels einer »kosmologischen Differenz« zwischen »Binnenweltlichem« und »Welt selbst« das Wesen der letzteren im »Raumgeben und Zeitlassen«, einer Neudeutung der »Weltoffenheit«, sehen. Fink ist wahrscheinlich der Phänomenologe, der sich am radikalsten auf das ›Weltproblem‹ in einer kosmologisch-metaphysischen Hinsicht eingelassen und sich dabei aber auch am stärksten von Husserl distanziert hat; vgl. zu einer ersten Orientierung: E. Fink, Einleitung in die Philosophie, 1985; ders., Zur ontologischen Frühgeschichte von Raum – Zeit – Bewegung, 1957; ders., Die verkehrte Welt, 1972. Vgl. auch die Fink gewidmete Arbeit von F.-W. v. Herrmann, Bewußtsein, Zeit und Weltverständnis, 1972.

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I. Einleitung

genommenen Untersuchungen zur ›Lebenswelt‹ und aus der Perspektive seiner Nachfolger gedeutet wird. Daß Husserl einerseits direkt und indirekt auf essentielle und immer noch wichtige Problemstellungen des 19. Jahrhunderts reagiert und andererseits nicht weniges vorwegnimmt, was allein seinen Sukzessoren zugeschrieben wird, gerät dabei leicht in Vergessenheit. Husserls Untersuchungen in der Krisis der europäischen Wissenschaften, so scheint es auf den ersten Blick, sind noch am besten mit Ansätzen in Einklang zu bringen, die die Philosophie oder das philosophierende Subjekt ›verweltlichen‹ wollen. Problematisch ist diese einseitige Sicht auf die ›Lebenswelt‹ aber auch deshalb, weil dem Husserlschen Ansatz, das philosophische Weltproblem als Weltthema phänomenologisch allererst aufzuweisen und freizulegen, in seiner historischen Bedeutung kaum mehr Beachtung geschenkt wird. Husserls Ansatz reicht weiter und tiefer als die einseitige Sicht auf eine ›Lebenswelt‹ als bloße ›Umwelt‹. Aus diesem Grund ist es unumgänglich, neben der methodischen und systematischen Explikation auch den historischen Kontext zu beleuchten, aus dem heraus eine phänomenologische Neubesinnung des Weltproblems erforderlich wurde. Denn ›Welt als Begriff der Philosophie‹ bedeutet nicht nur den ›Weltbegriff‹ im Sinne eines Terminus technicus in der Philosophie als einer Wissenschaft; mit der Formulierung wird immer auch der Begriff der Philosophie im Hinblick auf ›Welt‹ als einem außerphilosophischen, vorwissenschaftlichen ›Thema‹ angezeigt – nicht umsonst kennt das 18. Jahrhundert noch eine ›Philosophie dem Weltbegriffe nach‹.

* Die Neologismen und Komposita, die Heidegger, Merleau-Ponty und auch Scheler mit dem Ausdruck ›Welt‹ bilden, verweisen jedoch auf einen Zusammenhang, in dem die Phänomenologie das Weltproblem denkt – die Intentionalität.2 Diesen Zusammenhang stellt Husserl her, er diskutiert ihn ausgiebig, und das Paradigma der Intentionalität ist auch das Kriterium, das Husserls ›Philosophie der Welt‹ von zeitgenössischen wie historischen Ansätzen unterscheidet. Husserls Frage nach der Weltlichkeit der Welt,3 dem phänome-

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Es ist nicht unwichtig, daran zu erinnern, daß der § 84 der Ideen I überschrieben ist mit Die Intentionalität als phänomenologisches Hauptthema; Hua III/1, S. 187ff. 3 Heidegger ist es bekanntlich, der in Sein und Zeit dem 3. Kapitel des 1. Teils die Überschrift gibt Die Weltlichkeit der Welt; Heidegger, Sein und Zeit (1927), 161986, S. 63ff. Doch diese Titelei ist keine originäre Erfindung Heideggers, sie liegt sprichwörtlich im Wesen phänomenologischer Fragestellungen, die im eidetischen Zugang beispielsweise nicht den Gegenstand, sondern das Gegenständliche, nicht die Natur, sondern das Natürliche im Blick hat; und dies gilt ebenfalls von ›Welt‹. Gleichwohl ist darauf zu verweisen, daß bei Husserl der Ausdruck ›weltlich‹ nicht einheitlich gebraucht wird: ›weltlich‹ wird häufig mit ›bloß natürlich‹ (Hua III/1, S. 109) identifiziert oder auch im Kontext der ›natürlichen Einstellung‹ benutzt, wo aber zugleich auch der positive, für die Phänomenologie bedeutsame

I. Einleitung

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nologischen Einstieg das Weltthema anzugehen, zeichnet sich dadurch aus, daß die Intentionalität als ein unbezweifelbarer Ausgangspunkt feststeht, an dem sich die Weltlichkeit der Welt als Problem einer ›weltenden‹4 Subjektivität aufzeigen läßt. Einzig vom Standpunkt eines als grundlegend und rechtmäßig ausgewiesenen intentionalen Geschehens – das von einer vorschnellen Einengung auf ein ›Bewußtsein‹, ›Ego‹ oder ›transzendentales Ich‹ strikt fernzuhalten ist – können Husserls Analysen zu ›Welt‹, wie sie sich im Projekt einer transzendentalen Phänomenologie dokumentieren, verständlich werden. Die Unabweisbarkeit der Intentionalität gestattet es Husserl, das Weltproblem jenseits traditioneller Kategorisierungen und ontischer Festschreibungen aus einem Zwischenreich der ›weltenden Subjektivität‹ heraus thematisch zu eröffnen, ›Welt‹ als ›Horizont‹ zu formulieren und die intentionalen Modifikationen, die sich darin konstituieren und immer schon konstituierten – wie z. B. ›Umwelt‹ oder ›Lebenswelt‹ – zu analysieren.5 Daß es sinnvoll ist, von der Intentionalität als dem Ausgangspunkt der Husserlschen Untersuchungen zu sprechen und nicht einseitig von einem in einem substanzmetaphysischen Sinne stillgestellten Bewußtsein, zeigen u. a. folgende Bemerkungen: »Der Welt entspricht für uns die universale Synthesis zusammenstimmender Synthesen, zu ihr gehörig eine universale Glaubensgewißheit.«6 Wie ›Welt‹ zuvörderst als ein Strukturgeflecht intentionaler Synthesen greifbar wird, so kann auch die »transzendentale Subjektivität« nur als seiend »in der ihr notwendigen Form der Weltlichkeit« verstanden werden, einer Weltlichkeit als »Menschheit, die sich und damit ihre Welt zu einer wahren, ›widerspruchslosen‹ Welt gestalten will«7. Von der Intentionalität aus

Sinn zum Tragen kommt. Schließlich differenziert Husserl in einem Fragment aus dem Jahre 1932 ›Welt‹ und ›Weltlichkeit‹, indem transzendentale und menschliche Einstellung unterschieden werden: »So übersteigt die transzendentale Einstellung die menschliche und weltliche Existenz, und zuschauend, kennen lernend nicht die Welt, sondern die ›Weltlichkeit‹, nicht den Menschen in seinem psychophysischen natürlichen Sein und nicht den Menschen als Person im personalen Dasein, sondern das Sich-als-Mensch-Apperzipieren, Sich-als-für-sich-als-Mensch-geltend-Zwecke-Haben etc.« (Hua XXXIV, S. 395). 4 Die Reformulierung von ›Welt‹ als ›welten‹ kann und muß sich natürlich auf Heideggers geglückte Einführung dieses Wortes berufen. Allerdings wird im folgenden der Ausdruck nicht als Begriff der Heideggerschen Philosophie benutzt, sondern in systematischer Variation als Schlüssel für die Geschichte des ›Weltbegriffs‹ in Anwendung gebracht und in diesem Sinne auch auf das Husserlsche Denken bezogen; vgl. hierzu auch die Ausführungen unten S. 27ff. 5 Daß Husserls Verständnis von ›Welt‹ wesentlich von dem intentionalanalytischen Prinzip geprägt wird, zeigen ex negativo Finks kritische Bemerkungen. Fink nimmt gerade das Husserlsche Prinzip der Intentionalität zum Anlaß, sich von Husserl zu distanzieren; vgl. Fink, Die verkehrte Welt, 1972, bes. S. 47f. 6 Hua XI, S. 101. 7 Hua XV, S. 378.

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I. Einleitung

werden ›Welt‹ als eine Ganzheit von Seiendem und ›transzendentales Ich‹ als eine leistende und funktionale Subjektivität im Prozeß einer transzendentalphänomenologischen Besinnung als Termini ad quem verständlich; zwischen diesen Polen bewegen sich die intentionalen Analysen Husserls.8 Es handelt sich im Fall der Weltlichkeit der Welt wie im Fall anderer phänomenologischer Analysen darum, »die Intentionalität als einen umfassenden Titel durchgehender phänomenologischer Strukturen zu erörtern«9. Anders und mit Bezug auf Husserls späte Überlegungen ausgedrückt: Die ›Lebenswelt‹ ist nicht so sehr ein Ort, an dem sich etwas im Seienden abspielt – etwa das bloße vortheoretische Leben in einer starren ›Umwelt‹ – als vielmehr die Erlebniswelt, die auf ihre intentionale Verfaßtheit freigelegt und auf die Praxis einer Subjektivität als Person bezogen wird. Der Titel ›Welt‹, so zeigen bereits diese ersten Andeutungen, wird von Husserl zur Anzeige eines bestimmten Sachverhalts benutzt: Mit ›Welt‹ als einem Sinngebilde wird dasjenige bezeichnet, was im Stile einer intentionalen Leistung erkannt und verstanden wird. ›Welt‹ ist demgemäß ein Leistungsbegriff, und er wird von der Intentionalität als einem Terminus a quo zugänglich. So kann Husserl auch ca. 1924 in dem mit die Idee der vollen Ontologie betitelten Manuskript zu seinem ›transzendentalen Idealismus‹ ausführen, daß dieser »nicht eine metaphysische ›Deutung‹ ›der‹ Welt« anstrebe, »sondern die Strukturform, die zu jeder Welt als Welt möglicher Erfahrung und Erkenntnis und als Welt möglicher Wertung und Praxis gehört. […] Transzendentaler Idealismus als Weltinterpretation […] ist keine spekulative Substruktion, sondern einfach Erkenntnis, daß die Welt als Welt von dem Sinn einer Welt als solcher nicht abirren kann, so wenig ein faktisches Dreieck vom Sinn geometrisches Dreieck«10. Nicht wenige Leser verstört gerade dieser vermeintlich überbordende Rationalismus.11 Doch wenngleich Husserl von der »Phänomenologie der Vernunft« sagt, daß das Gemeinte oder Ausgesagte sich »›begründen‹, ›ausweisen‹ direkt ›sehen‹ oder mittelbar ›einsehen‹ lassen« müsse, und daß »›wahrhaft-‹

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Dem widerspricht nicht die ausgezeichnete Stellung, die Husserl dem Bewußtsein in seinen Untersuchungen einräumt. So wie vermittels der Intentionalität ein Zugang zu Weltlichem gefunden wird, so ist das Bewußtsein als intentionales der erstgegebene (nicht der einzige) Ort, an dem sich dieses Geschehen verfolgen läßt. 9 Hua III/1, S. 188. 10 Hua VIII, S. 215f. 11 So urteilt beispielsweise F. J. Wetz, Wider den Absolutismus der Welt, 1991, S. 299, daß der Husserlschen Phänomenologie nicht »wieder aufzuhelfen« sei, da »die transzendentale Phänomenologie nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung als Fundamental- und Universalphilosophie sich als überzogener Anspruch herausgestellt hat«. Zur Husserl-Interpretation von Wetz vgl. C. Bermes, Was hat die Phänomenologie noch zu sagen?, 1997, bes. S. 142ff.

I. Einleitung

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oder ›wirklich-sein‹ und ›vernünftig ausweisbar sein‹ in Korrelation«12 stehen müssen, ja daß dasjenige, »was im Eidos statthat, für das Faktum als absolut unübersteigliche Norm fungiert«13, so bedeutet dies nicht einen das Faktum überflügelnden, die natürliche Welt vergessenden Rationalismus oder Idealismus, sondern das genaue Gegenteil. Erst im Durchgang durch das Eidos kann die Weltlichkeit der Welt in ihrer vollen Konkretion gewonnen werden: »Der Mensch im Stande der Weltlichkeit lebt in der Vorgegebenheit seiner und der Welt, und das ist, er lebt horizonthaft, lebt im Bewußtsein der Endlichkeit in eine unendliche Welt hinein.«14 Husserls Philosophie läßt sich demgemäß nicht so leicht auf einen leerlaufenden Idealismus reduzieren. Sein Philosophieren trägt letztlich eine Ambiguität aus, die im Faktum der menschlichen Orientierung ›in und über Welt‹ gründet. Die vorliegende Zweideutigkeit, die selbst eine Wesenseinsicht ist, hat Oskar Becker bereits 1927 auf den Punkt zu bringen versucht: »Das Phänomen ›Welt‹ ist seinem eignen Sinne nach Kosmos und nicht Chaos. Aber, daß eine Welt wirklich existiert, das ist von dem Gesichtspunkt phänomenologischer Konstitution aus ›zufällig‹.«15 Man würde sowohl Becker als auch Husserl falsch verstehen, wenn die ›zufällige Wirklichkeit‹ die Irrelevanz der Realität bedeuten soll; beide meinen demgegenüber, daß die sich durch eine Sinnanalyse von ›Welt‹ erschließende Gliederung derselben in einem recht verstandenen Sinne unabhängig ist von einer voreiligen Einengung, wodurch ›Welt‹ ausschließlich als eine Ganzheit von Seiendem zu fassen wäre. Würde ausschließlich letzteres zum Prinzip erklärt, so bliebe der Sinn von ›Welt‹ als einem gegliederten ›Kosmos‹ verschlossen. Freilich nutzt Husserl in seinen – spätestens in den Ideen I zum Durchbruch kommenden und später in genetischer Hinsicht erweiterten – transzendentalen Analysen eine Wesenseigentümlichkeit der Intentionalität, die sich im Theorieaufbau als fortwährender Ausformulierungsversuch bereits vorhandener, jedoch nur impliziter und anonymer Formulierungen bekundet. Husserl postuliert dementsprechend keine neuen ›Welten‹, er wiederholt auch nicht einfach historisch vorliegende Deutungen von ›Welt‹, wenngleich er sie sehr wohl aufgreift – Husserl legt in seiner Phänomenologie vielmehr eine Ausformulierung eines stumm gebliebenen, intentionalen Geschehens vor: »Der Anfang ist die reine und sozusagen noch stumme Erfahrung, die nun erst zur reinen Aussprache ihres eigenen Sinnes zu bringen ist. Die wirklich erste Aussprache ist aber die Cartesianische des ego cogito, z. B.: Ich nehme wahr – dieses Haus wahr, ich erinnere mich – eines gewissen Straßenauf12 13 14 15

Hua III/1, S. 314. Hua III/1, S. 335. Hua XV, S. 389. O. Becker, Mathematische Existenz, 1927, S. 767.

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I. Einleitung

laufs usw.; und das erste Allgemeine der Beschreibung ist die Scheidung zwischen cogito und cogitatum qua cogitatum.«16 Die Ausformulierung eines intentionalen Geschehens, das sich stets schon als solches, wenngleich aber noch ›stummes‹ bekundet, dies ist die Aufgabe der Phänomenologie. Von diesem Punkt aus läßt sich vor dem Weltbegriff ein thematisches Begreifen von ›Welt‹ ausweisen, indem der zum Teil noch anonymen intentionalen Praxis nachgegangen wird. Damit wird auch die Einzigkeit von ›Welt‹, Husserls früheste Weltauffassung, transzendentalphänomenologisch fundiert. Gegen Auffassungen, die eine Pluralität von existierenden ›Welten‹ annehmen oder postulieren, wendet sich Husserl bereits 1894 in einem Manuskript mit dem Titel Intentionale Gegenstände: »Die unklare Rede von verschiedenen Existenzgebieten, von verschiedenen ›Welten‹ (universes of discourse), die über Existenz und Nichtexistenz desselben Objekts verschieden disponieren, werden wir also nicht billigen. Die ›Welt‹ des Mythus, die Welt der Poesie, die Welt der Geometrie, die wirkliche Welt, das sind nicht gleichberechtigte ›Welten‹. Es gibt nur eine Wahrheit und eine Welt, aber vielfache Vorstellungen […]«.17 ›Welten‹ im Sinne von normierenden, subjektunabhängigen Existenzregionen sind, so Husserls durchgängige Argumentation, fundiert in der ›einen Welt‹ als einheitlichen Welterfahrung. Letztere jedoch bezeichnet keinen ontisch bestimmten (empirischen oder idealen) Raum, sondern die eine Welt aus Husserls frühem, an der Logik orientierten Denken ist später der fundierende intentionale Strukturzusammenhang selbst. Daß Erfolg und Mißerfolg der phänomenologischen Überlegungen zu ›Welt‹ mit der Intentionalität verbunden sind, dies zeigt nicht nur die nach und mit Husserl einsetzende Introversion des Ausdrucks ›Welt‹ in das intentionale Geschehen – ›In-der-Welt-sein‹, ›être-au-monde‹ und ›Weltoffenheit‹ sind hierfür nur Beispiele –, auch die sich langsam vollziehende Abkehr von der Intentionalität im phänomenologischen Denken, wie sie sich am deutlichsten beim späten Heidegger und bei Eugen Fink nachweisen läßt, zeigen ex negativo diesen Befund an. Im folgenden soll jedoch die intentional fundierte Aufklärung von ›Welt‹ im Vordergrund stehen und gezeigt werden, 16

Hua I, S. 77. Es ist Merleau-Ponty, der dieses Zitat geradezu zum Leitspruch seines phänomenologischen Philosophierens wählt und in der Phänomenologie der Wahrnehmung direkt im Anschluß und mit Blick auf die phänomenologische Auffassung von ›Welt‹ ausführt: »Wir haben Erfahrung von einer Welt nicht im Sinne eines Systems von Beziehungen, die jedes Vorkommnis in ihr vollständig determinieren, sondern im Sinne einer offenen Totalität, deren Synthese unvollendbar bleibt.« M. Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung (1945), 1966, S. 257; zu weiteren Anführungen des Husserl-Zitats bei Merleau-Ponty vgl. M. Merleau-Ponty, Abenteuer der Dialektik (1955), 1968, S. 166 Anm.; ders., Das Sichtbare und das Unsichtbare (1964), 21994, S. 171. 17 Hua XXII, S. 328f.

I. Einleitung

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inwieweit es Husserl unter geänderten philosophischen und historischen Rahmenbedingungen gelingt, einerseits ›Welt‹ als ein ›Thema‹ in einem neuen Sinne zu begreifen und andererseits dem grundlegenden Phänomen der ›weltenden Subjektivität‹ im Stile einer ›utopischen Topographie des Weltlichen‹ gerecht zu werden. Thematisch wird Welt in der Phänomenologie Husserls einerseits in dem Sinne, daß vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung die philosophische Frage nach ›Welt‹ vom Begriff und Gegenstand auf den intentionalen Sinn umgestellt wird, und andererseits im Ausgang von durchaus unterschiedlichen Thesen und Setzungen, in denen ein ›Ergreifen‹ bzw. ›Erfassen‹ stattfindet, der Blick auf die Synthesen und deren Fortgang und Zusammenhang gelenkt wird.18 Denn die Thesen bilden keine für sich bestehenden Stücke, sondern konstituieren ein Ganzes, worin ein Thema – und schließlich die »universale Thematik«19 Welt – zum Vorschein kommt. Derart präsentiert sich das Husserlsche Unterfangen auch als eine Topographie in dem Sinne, daß ›Welteinstellungen‹ als Konkretionen der Intentionalität beschrieben und ausgelegt werden; die utopische Dimension dieses Projekts artikuliert sich nicht zuletzt darin, daß zum einen diese Welteinstellungen in der Phänomenologie Husserls nicht allein von dem ›Standpunkt‹ des Seienden aus zugänglich werden können und zum anderen eine funktionale Subjektivität zum Aufweis kommt, der es in ihrem Einstellen in Welt um ›Welt‹ als einem Thema ihrer selbst geht. Diese Systematik der Husserlschen Überlegungen sichert einerseits dem Weltproblem als Weltthema innerhalb der Philosophie seinen ausgezeichneten Platz, sie verweist jedoch auch auf die historischen Diskussionen, die um ›Welt‹ geführt wurden, indem mit diesem Vorhaben ein ›natürlicher Weltbegriff‹ restituiert und beschrieben wird. Aus diesem Grund bedarf es einer historischen Rekapitulation der Weltproblematik in der philosophischen und einzelwissenschaftlichen Reflexion, um die Bedeutung der Husserlschen Analysen abschätzen und einordnen zu können. Erst vor diesem Hintergrund kann die Fragestellung der Philosophie und speziell diejenige Husserls bezüglich ›Welt‹ genauer erfaßt werden, ohne daß unausgewiesene Vorurteile die systematische Darstellung versperren.

* Insbesondere diese zusätzliche Aufgabe, die historische Einordnung, benötigt eine eigene, hier nur vorgreifend angedeutete Begründung. Die vorliegenden philosophiegeschichtlichen Untersuchungen zu einem ›Weltproblem‹ 18

Vgl. zum »Titel ›Thema‹«, das in diesem Sinne »ein wichtiges Thema der phänomenologischen Analysen ausmacht« Hua III/1, S. 281–283; vgl. weiterhin: Hua VIII, S. 102ff.; Erfahrung und Urteil, S. 250ff. 19 Vgl. hierzu z. B. die Ausführungen in Hua VI., S. 149.

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unterstellen nicht selten eine Tradition des (philosophischen) Weltbegriffs, die zumindest lückenhaft, wenn nicht einseitig ist. Es ist auch gerade in diesem Zusammenhang nicht als ein Verdienst Husserls anzusehen, wenn er – was selten genug vorkommt – sich und damit auch die Phänomenologie philosophiehistorisch einzig in einer Geschichte der ›Großdenker‹ präsentiert, die mit Platon/Sokrates beginnt, über Descartes führt, um dann vorläufig bei Kant zu enden. Jedoch zeigt besonders die Entwicklung des Weltbegriffs in den philosophischen Bemühungen des 19. Jahrhunderts, daß die im 18. Jahrhundert mit Wolffs Erfindung der Cosmologia generalis einsetzende Bestimmung des deutschen Ausdrucks ›Welt‹ als Terminus technicus mit der Kantischen transzendentalen Umformulierung noch keineswegs einen Abschluß gefunden hat. Es ist bezeichnend, daß in der Mitte des 19. Jahrhunderts der zwischenzeitlich unzeitgemäß gewordene Ausdruck ›Kosmos‹ von Alexander von Humboldt rehabilitiert werden mußte, um die Einheitlichkeit von ›Welt‹ als subjektrelative Gegebenheit unter geänderten historischen Vorzeichen neu zu reflektieren. Daß ›Weltanschauung‹ gleichzeitig ein funktionaler Begriff der Geisteswissenschaften werden konnte, zugleich aber auch mit der Philosophie selbst identifiziert wurde, ist dann ebensowenig verwunderlich, wie die spätestens im 20. Jahrhundert einsetzende Diskreditierung dieses Begriffs. Wenn Fritz Mauthner in seinem Wörterbuch der Philosophie von 1910/11 ausführt, daß von den mit dem Ausdruck Welt gebildeten Komposita »gegenwärtig keines so im Schwange« ist wie »Weltanschauung«, dann schildert er nicht nur den herrschenden philosophischen und auch geisteswissenschaftlichen Sprachgebrauch seiner Zeit – mit spitzer Feder wertet er ihn darüber hinaus: »Der müßte schon ein ganz armseliger Tropf sein, wer heutzutage nicht seine eigene Weltanschauung hätte.«20 Daß dieses, wie Viktor Klemperer es über vier Jahrzehnte später ausdrückt »Klüngelwort der Jahrhundertwende zum Pfeilerwort«21 eines Regimes im 20. Jahrhundert verkommen konnte, liegt vielleicht auch daran, daß, wie Klemperer weiter ausführt, der Ausdruck ›Welt‹ insbesondere seit dem frühen 20. Jahrhundert »überall Dienst« tut, und zwar nicht nur als »superlatives Präfix«22.

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F. Mauthner, Wörterbuch der Philosophie, 1910/11, Bd. II, S. 579. Ähnlich urteilt auch der Kieler Botaniker Johannes Reinke, der bereits 1899 mit Blick auf die Auseinandersetzungen um den Darwinismus und die seit nunmehr fast vierzig Jahren andauernden ›Weltanschauungskämpfe‹ um denselben von dem »gefährlichen Wort« »Weltanschauung« spricht – »gefährlich besonders darum, weil jedermann überzeugt ist, eine richtige Weltanschauung zu besitzen, und daher diejenige des Nächsten für verkehrt hält. So viel Geister, so viele Weltanschauungen«; vgl. J. Reinke, Die Welt als Tat (1899), 41905, S. 96. 21 V. Klemperer, LTI (1947), 141996, S. 153. Eine ähnliche Diagnose findet sich bei F. Dornseiff, Weltanschauung, 1945/46, S. 1087, wo zu lesen ist, daß die »Weltanschauung […] die braune Uniform für die Seele des Parteigenossen« war. 22 V. Klemperer, LTI (1947), 141996, S. 234. In welchem Ausmaß der Ausdruck ›Welt-

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Mauthners Verlegenheit hinsichtlich einer adäquaten Qualifizierung des Ausdrucks ›Weltanschauung‹ und Klemperers Vermutung bezüglich der exzessiven Verwendung des Ausdrucks ›Welt‹ verweisen auf eine Schwierigkeit, mit der sich derjenige auseinandersetzen muß, der nicht nur den Ausdruck ›Weltanschauung‹ im besonderen, sondern auch den Ausdruck ›Welt‹ im allgemeinen als einen philosophischen Terminus zu fixieren sucht. Die Denker des ausgehenden 19. Jahrhunderts und erst recht die Philosophen des beginnenden 20. Jahrhunderts ringen um die Rückgewinnung und Sicherung eines philosophischen Themas, dessen Evidenz nicht bezweifelt werden kann, dessen theoretische Fassung jedoch mehr und mehr problematisch wurde. Nicht so sehr die Frage nach ›der Welt‹ ist das treibende Motiv der Untersuchungen, es handelt sich vielmehr um das Begreifen eines Phänomens, das verständlich werden kann als die Suche nach einer verbalen Form von ›Welt‹ resp. dem Fassen von ›Welt‹ in statu nascendi. ›Welt‹ ist hier weniger ein statisches Gebilde und bloßes Gegenstück zum Subjekt, ›Welt‹ entwickelt sich vielmehr und findetet seinen Platz an den Rändern (inter-)subjektiver Leistungen und Einstellungen. Dies führt zu den bekannten Kompositionen mit ›Welt‹, und dies führt auch zu der ›Explosion‹ des Substantivs und seiner exzessiven Verwendung. Ein Indiz für die sich vollziehende Freistellung des Weltbegriffs aus dem Horizont des klassischen Fragekanons der Philosophie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts findet sich bei Nietzsche in dem nur vereinzelt vorkommenden Begriff der ›Kosmodicee‹.23 Hier deutet sich eine Frage- und Problemstellung an, die auf einer Verunsicherung beruht, denn zwischenzeitlich kann auch in der Philosophie vieles unter ›Kosmos‹ oder ›Welt‹ verstanden werden. Zudem stellt sich die Frage, vor wem ›der Kosmos‹ oder ›die Welt‹ gerechtfertigt werden soll – vor Gott, den aufstrebenden Naturwissenschaften, vielleicht auch vor der Philosophie oder gar vor dem Menschen selbst? Weiterhin ist fraglich, angesichts welcher Umstände ›der Kosmos‹ anschauung‹ sich zu einer politischen Kampfvokabel auch in der Philosophie entwickeln konnte, dies wird ersichtlich, wenn man etwa die Schriften von Hermann Schwarz aus jener Zeit liest; vgl. H. Schwarz, Nationalsozialistische Weltanschauung, 1933 (bes. das 1. Kapitel: ›Deutsches Wesen und deutsche Weltanschauung‹, S. 11–35). – Mit ›Weltanschauung‹ als philosophischem Problemtitel, der nun alles andere als eine dogmatische inhaltliche Festlegung von politischen Forderungen bedeutet, hat dieser ›pathologische‹ Gebrauch freilich wenig zu tun; vgl. dazu E.W. Orth, Ideologie und Weltanschauung, 1989. 23 Vgl. Erwin Rohdes Brief vom 6. Februar 1872 an Nietzsche in: F. Nietzsche, Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, II/2, S. 534. Nietzsche greift diesen Ausdruck in einer Antwort an Rohde auf; vgl. F. Nietzsche Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, II/1, S. 294. Zu dem spärlichen Vorkommen des Ausdrucks »Kosmodicee« in Nietzsches Werk vgl. F. Nietzsche, Kritische Studienausgabe, Bd. 1, S. 197 (›Unzeitgemässe Betrachtungen‹), S. 825 (›Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen‹); Bd. 7, S. 597 (›Nachgelassene Fragmente‹).

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überhaupt einer Rechtfertigung bedarf. Diese und ähnliche Fragen werden im 19. Jahrhundert virulent – die schlichte Rede von einer sich in jener Zeit abzeichnenden ›Subjektivierung der Welt‹ verkennt die weitreichenden und grundlegenden Probleme, die hier aufbrechen. Denn mit der sich abzeichnenden Reformulierung von ›Welt‹ geht nicht nur eine Umformulierung des Subjekts einher, die es allererst aufzuklären gilt; die historischen Analysen zeigen zugleich, daß es schwierig ist, den Anfangspunkt – also einen ›objektiven Weltbegriff‹ – festzustellen, von dem aus die Geschichte einer Subjektivierung überhaupt erst sinnvoll ihren Anfang nehmen kann.24 Im Verlauf der historischen Diskussionen um den oder einen Weltbegriff handelt es sich derart weniger um die schlichte Favorisierung des Subjektiven vor dem Objektiven oder umgekehrt; zur Disposition steht vielmehr beides – und dies auf je unterschiedliche Art und Weise. Nietzsches Vorschlag, die ›Kosmodicee‹ aufzulösen, ist weniger interessant als die Motivation, die ihn dazu bewegt, seine Lösungen zu formulieren.25 Diese findet sich in Nietzsches Auseinandersetzung mit dem 1882 erschienenen Buch Die wirkliche und die scheinbare Welt von Gustav Teichmüller, der zeitweise Nietzsches Kollege in Basel war. Teichmüllers Betonung der Perspektivität der Weltauffassung und der dadurch notwendige Rückgang auf das Ich als wahre und einzig fixe Substanz26 fordert Nietzsche heraus, eine Geschichte des Weltbegriffs zu skizzieren, in der sich die »wahre Welt« im Laufe der abendländischen Geistesentwicklung zu einer »Fabel« entwickelte.27 Vgl. hierzu: C. Bermes› ›Monde‹ et ›monde vécu‹ dans la philosophie au XIXe siècle et dans la philosophie husserlienne, 2003. 25 Seinen Lösungsvorschlag formuliert er mit gewohnter Eindringlichkeit: »Und wißt ihr auch, was mir ›die Welt‹ ist? Soll ich sie euch in meinem Spiegel zeigen? Diese Welt: ein Ungeheuer von Kraft, ohne Anfang, ohne Ende, eine feste, eherne Größe von Kraft, welche nicht größer, nicht kleiner wird, die sich nicht verbraucht[,] sondern nur verwandelt […] – wollt ihr einen Namen für diese Welt? Eine Lösung für alle ihre Räthsel? […] – Diese Welt ist der Wille zur Macht – und nichts außerdem! Und auch ihr selbst seid dieser Wille zur Macht – und nichts außerdem!«; F. Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1884–1885, Kritische Studienausgabe, Bd. 11, S. 610f. 26 G. Teichmüller, Die wirkliche und die scheinbare Welt, 1882, S. 183: »Die Welt, wie sie für das Auge erscheint, ist immer und überall perspektivisch geordnet, und weder Mikroskop noch Teleskop kann uns die Ordnung der Verhältnisse zeigen, welche wir für die wirkliche halten. Die Wirklichkeit wird also nur durch das Denken festgestellt, wie ja schon dieser Begriff der Wirklichkeit im Gegensatz zum Schein nicht der Sinnlichkeit, sondern dem Denken angehört.« Und auf S. 73 versucht Teichmüller die »wahre Welt« als diejenige des Ichs zu erweisen: »Wir schliessen auf das Sein aller Dinge; unseres eigenen Seins allein sind wir uns unmittelbar bewusst und gerade dieses Wissen von uns selbst und von unseren Thätigkeiten und eben ihrem Inhalt ist alles, was wir unter Sein verstehen, und es giebt keine andere Quelle der Erkenntnis für diesen Begriff.« Vgl. hierzu besonders F. Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1884–1885, Kritische Studienausgabe, Bd. 11, S. 644. 27 Vgl. den Abschnitt Wie die ›wahre Welt‹ endlich zur Fabel wurde. Geschichte eines Irr24

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Nietzsche möchte die Genese der Weltinterpretationen nachzeichnen, die von Platon über die Kirchenväter bis hin zu Kant reicht. Den Abschluß, das »Ende des längsten Schattens« sieht er gekommen mit den Worten: »Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt blieb übrig? die scheinbare vielleicht? … Aber nein! mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft!«28 Nietzsches Angriff richtet sich u. a. gegen den metaphysischen Weltbegriff und die dogmatische Trennung des Mundus sensibilis vom Mundus intelligibilis. Hier artikuliert sich eine geradezu typische Forderung, die immer wieder mit dem Weltproblem verbunden wird und sich in dem Dualismus von eigentlicher oder wahrer und uneigentlicher oder scheinbarer Welt(interpretation) niederschlägt und im Übergang zum 20. Jahrhundert auch mit der Suche nach einem ›natürlichen Weltbegriff‹ in Verbindung gebracht werden kann. Freilich zeigen Nietzsches Überlegungen noch mehr. Denn der Begriff der ›Kosmodicee‹ als solcher zeigt bereits an, daß überhaupt eine neue Rechtfertigung von ›Welt‹ angesichts der vielfältigen Ansprüche, ›Welt‹ begriffen, erkannt oder erklärt zu haben, nötig wurde. ›Welt‹ nämlich kann – sieht man an dieser Stelle im einzelnen von dem Positivismus ab – zwischenzeitlich auch in der Philosophie für vieles stehen, unter anderem auch für eher literarische Wünsche, deren philosophischer Gehalt mehr auf Suggestion als auf Rationalität beruht. Als Beispiel dafür mag der Satz Philipp Mainländers in seiner 1876 erschienenen Philosophie der Erlösung stehen: »Gott ist gestorben und sein Tod war das Leben der Welt.«29 Diese Feststellung wurde nicht zuletzt möglich vor dem Hintergrund einer populären und auch populistischen wissenschaftlichen Mode, die in jenen Tagen von besonderer philosophischer Relevanz war – dem Monismus. ›Welt‹ wird gleichsam universalistisch verstanden, positivistisch auf Seiendes resp. Materie reduziert und monistisch ausgelegt; d. h. ›Welt‹ kann und darf nur thums in Nietzsches Götzen-Dämmerung oder: Wie man mit dem Hammer philosophiert; F. Nietzsche, Kritische Studienausgabe, Bd. 6, S. 80f. 28 F. Nietzsche, Kritische Studienausgabe, Bd. 6, S. 81. Vgl. dazu auch die Überlegungen Nietzsches, die im Umkreis zu diesem Gedankengang entstanden sind: F. Nietzsche, Kritische Studienausgabe, Bd. 13, S. 336–339, 350–355, 370–376, S. 281: »Es ist von kardinaler Wichtigkeit, daß man die wahre Welt abschafft. Sie ist die große Anzweiflerin und Werthverminderung der Welt, die wir sind: Sie war bisher unser gefährlichstes Attentat auf das Leben.« 29 Vgl. Ph. Mainländer, Philosophie der Erlösung, 1876, S. 108. Mainländer schließt diese Betrachtungen, die er in seinem Kapitel zur Physik formuliert, mit den Worten: »Ich sehe es voraus […]: die vollzogene Trennung Gottes von der Welt und der Welt von Gott wird von der segenreichsten Wirkung auf den Entwicklungsgang der Menschheit sein. Sie war nur auf dem Boden des ächten transcendentalen Idealismus zu bewerkstelligen: der richtige Schnitt durch das Ideale und Reale mußte vorhergehen. Ich sehe die Morgenröthe eines schönen Tags« (ebd., S. 111).

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eins bezeichnen, in dem alles aufgehoben ist, mit dem alles erklärt wird. Nicht umsonst findet sich gerade die Charakterisierung Mainländers wieder in einem eher esoterischen Werk des Monismus zu Anfang des 20. Jahrhunderts: »Eine Welteinheitsanschauung ist es, die wir suchen müssen. Alle Erlösung liegt in ihr […]«30. Es ist diese hier nur angedeutete verwickelte Lage, die noch unübersichtlicher wird, wenn man die Ergebnisse und Forschungen anderer populärer Wissenschaften wie Geographie und Biologie in Betracht zieht, vor deren Hintergrund Husserls Philosophie – mittels direkter wie indirekter Einflüsse und Abgrenzungen – verständlich werden kann. Der Weltbegriff steht im Übergang zum 20. Jahrhundert frei zwischen den philosophischen Disziplinen und den Kontroversen der Schulen und Wissenschaften; ›Welt‹ ist auch philosophisch zum Allerweltswort geworden. Und es ist fast eine logische Konsequenz, daß Joseph Petzoldt am Anfang des 20. Jahrhunderts mit einem gewissen Recht die Aufgabe dieses Ausdrucks empfiehlt, indem er »die Geschichte des Nachdenkens über die Welt als eine sinnvolle Geschichte von Irrtümern psychologisch verständlich zu machen« 31 sucht.

* Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzungen um den Weltbegriff, die über die Grenzen der Philosophie hinausreichen und einen Einblick in die Kultur- und Mentalitätsgeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts gestatten,32 wird ersichtlich, daß die historische Rekonstruktion einen eigenen Wert besitzt, wenn die Problemlinien deutlich werden, die von einem metaphysischen zu einem natürlichen Weltbegriff führen. In diesem Horizont entfalten sich die Überlegungen, die in dem folgenden Kapitel (II) vorgestellt werden und die Entwicklungsgeschichte in der Philosophie des 18. und 19. Jahrhunderts skizzieren. In einem ersten methodischen Abschnitt (II.1) werden die gegenläufigen Interpretationsvorschläge Blumenbergs (II.1.a) und Löwiths (II.1.b) diskutiert, um die Fragestellung zu präzisieren und einen Ausgangspunkt zu gewinnen. Sowohl ein metaphorologischer als auch ein kosmologischer Ansatz können zu Verkürzungen der Problemstellung führen, wenn sie zur alleinigen Grundlage für eine Geschichte des Weltbegriffs 30

J. Hart, Zukunftsland, 2. Bd., 1902, S. 26; zu Mainländer vgl. S. 187ff. J. Petzoldt, Das Weltproblem (1906), 21912, S. V. 32 H. Lübbe, Bewußtsein in Geschichten, 1972, S. 11, hat bereits darauf hingewiesen, daß diese »aus dem Raume der Universität« verdrängte und »aus ihrer rationalen Disziplin« entlassene metaphysische Besinnung »in der Vorweltkriegszeit in zahlreichen Sekten, Zirkeln, Bünden und Vereinen ein üppiges, wucherndes Leben« entfaltete. Und er fährt zurecht fort, daß es sich »hierbei um einen erstaunlichen, historischen noch gar nicht genügend untersuchten Vorgang von außerordentlicher Breitenwirkung und weitreichenden geschichtlichen Folgen« handelte. 31

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erklärt werden. Wird jedoch zwischen der sich in Metaphern bekundenden Wirklichkeit subjektiver Ansprüche und dem Anspruch der Wirklichkeit, der sich in einem subjektunabhängigen, natürlichen Kosmos dokumentiert, eine Sphäre freigelegt, die beides umgreift (II.1.c), so können sich neue historische und systematische Fragestellungen eröffnen, die im Anschluß behandelt werden (II.2–3). In dem folgenden Abschnitt (II.2.a) werden demgemäß anhand der Überlegungen Christian Wolffs und der Schulphilosophie diejenigen Gedankengänge nachgezeichnet, die zu einer begrifflichen Fixierung von ›Welt‹ in der Cosmologia generalis, einem neugeschaffenen Systemteil der Metaphysik, führen. Dabei zeigt sich, daß es bei der Einführung des deutschen Ausdrucks ›Welt‹ in die philosophisch-metaphysische Systematik nicht so sehr um eine bloße Übersetzung eines alten Theoriebestands in eine neue Form handelt, sondern vielmehr um eine Art Synchronisierung unterschiedlicher Interessen. Die begriffliche und systematische Fixierung von ›Welt‹, die Wolff leistet, darf dabei nicht unterschätzt werden, gestattet sie doch, von nun an das Weltproblem als ein Wissen von der Welt und als ein eigenständiges Problem innerhalb der Philosophie zu behandeln. Dem hier erarbeiteten Weltbegriff, den Kant in seinen kritischen Schriften auf ein neues Fundament stellt und eine neue Gestalt gibt, korrespondiert allerdings eine ›Weltkenntnis‹, die als ›Philosophie dem Weltbegriffe nach‹ bezeichnet und von Kant u. a. in der Geographie und Anthropologie diskutiert wird. Das Wechselspiel von Weltkenntnis und Welterkenntnis wird in dem an Wolff anschließenden und Kant gewidmeten Abschnitt diskutiert (II.2.b), um nach einem Exkurs zur Husserlschen Kantinterpretation (II.2.c) die verschiedenen, sich zuweilen kreuzenden Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts paradigmatisch vorzustellen (II.3). Am Beispiel der Diskussionen um die Begriffe ›Kosmos‹ (II.3.a), ›Lebenswelt‹ (II.3.b) ›Weltanschauung‹ (II.3.d) und anhand des positivistischen Versuchs, einen ›natürlichen Weltbegriff‹ (II.3.c) zu erarbeiten, soll einerseits gezeigt werden, wie das im 18. Jahrhundert so genannte Projekt der ›Weltkenntnis‹ im 19. Jahrhundert auf je verschiedene Art und Weise kultiviert wird, und wie andererseits Welteinstellungen ›auf Kosten‹ eines umfassenden Weltbegriffs beschrieben werden. Die den historischen Analysen nachfolgenden Kapitel widmen sich der Husserlschen Phänomenologie in ihren Gehalten (III) und ihrem methodischen Vorgehen (IV) vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung und hinsichtlich der Möglichkeit, die Phänomenologie im Stile einer utopischen Topographie des Weltlichen zu fassen (III.1), worin eine Subjektivität zum Aufweis kommt, der es in ihrem Einstellen in Welt um ›Welt‹ als ein Thema ihrer selbst geht. Nach der Diskussion der Literatur (III.2) wird die Entfaltung der ›Weltthematik‹ innerhalb der Phänomenologie Husserls und in den unterschiedlichen in Husserls Werk vorliegenden Gestalten und Aus-

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drucksformen diskutiert (III.3). Hierzu gehören u. a. die Frage nach der einen Welt im Verhältnis zur Pluralität von Welten (III.3.a), das Problem der natürlichen Einstellung (III.3.b) oder die Historizität von Welt (III.3.d). Daran anschließend wird in einem eigenen Kapitel (IV) die Methode der Phänomenologie vor dem Hintergrund der gewonnenen Ergebnisse diskutiert und als utopische Topographie des Weltlichen aufgefaßt und ausgelegt. Im einzelnen werden die Reduktion (IV.1), die Rolle der Subjektivität (III.2) und der Rückgang auf die ›Lebenswelt‹ (IV.3) systematisch besprochen. Im abschließenden Kapitel der Arbeit (V) wird neben einem Rückblick auf den Gedankengang ein Ausblick auf systematische Fragestellungen der Philosophischen Anthropologie und Kulturphilosophie eröffnet.

II. VOM METAPHYSISCHEN ZUM NATÜRLICHEN WELTBEGRIFF Wieviel, o wieviel Welt. Wieviel Wege. Celan, …Rauscht der Brunnen, Niemandsrose 1963

1. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Weltbegriffs Die Geschichte des Weltbegriffs, und hier ist die Geschichte des deutschen Ausdrucks ›Welt‹ gemeint, ist noch nicht geschrieben. Angesichts des umfangreichen Sinnanspruchs, den der Ausdruck mit sich führt, ist dies nicht weiter verwunderlich, so daß auch die Autoren des Grimmschen Wörterbuchs in ihrem ausgreifenden und stattlichen Artikel zu dem Ausdruck ›Welt‹, wie sie eingestehen müssen, »nur die wichtigsten von welt umfaszten bereiche andeuten« können, wenngleich sie die Bedeutung und die Bedeutungswandlungen dieses Ausdrucks geradezu als Manifestation der abendländischen Kulturgeschichte begreifen: »so spiegelt die geschichte des wortes welt gleichsam symbolhaft den gang der abendländisch-deutschen kulturwelt wider, die auf christlich-antikem grunde ersteht, durch äuszere einflüsse und inneres wachstum sich zu immer gröszerer mannigfaltigkeit entwickelt.«1 Die gleichzeitig beobachtbare »schillernde vieldeutigkeit«2, die sich speziell in der Literatur im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert aufzeigen läßt, verschont auch nicht die Philosophie und den philosophischen Weltbegriff, wie mit einer gewissen Verzögerung die zahlreichen Untersuchungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts belegen, in denen ›Welt‹ als universaler Titelbegriff fungiert. Die Vieldeutigkeit und die sich abzeichnende ›Explosion‹ der Verwendung des Ausdrucks geht in jenen Tagen einher mit philosophischen Bemühungen, den Ausdruck jenseits der klassischen Disziplineneinteilung der Philosophie zu fassen. Die eine und einheitliche Sachfrage nach dem Wesen der Welt, der Anspruch, den Terminus als solchen zu sichern, so scheint es vordergründig, geht verloren, einzig der Ausdruck als Symbol oder Metapher bleibt bestehen.

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J. Grimm, W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 28, 1955, Sp. 1459. Ebd.

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

a) ›Welt‹ als Metapher – die Wirklichkeit der Ansprüche Aus dieser Perspektive könnte man geneigt sein, Blumenbergs begriffshistorischem Ansatz zuzustimmen, der aus dem Nachteil der unübersichtlichen historischen Mannigfaltigkeit der Verwendungen dieses Ausdrucks in seinen Paradigmen zu einer Metaphorologie eine Tugend macht: »Eine Frage wie ›Was ist die Welt‹ ist ja in ihrem ebenso ungenauen wie hypertrophen Anspruch kein Ausgang für einen theoretischen Diskurs.«3 Denn »was die Welt eigentlich sei« ist für Blumenberg die »am wenigsten entscheidbare Frage« und »doch zugleich die nie unentscheidbare«; genau aus diesem Grund ist und bleibt sie die daher »immer entschiedene Frage«4, die auf einem Absolutismus von ›Welt‹ gründet. Dieser, so Blumenberg, sei jedoch direkt nicht zu begreifen, sondern nur indirekt. Nur ein absolutes Medium, das in seiner Funktion jedoch indirekt bleibt, könne den absoluten Anspruch anzeigen. Einzig als Metapher, und zwar als ›absolute Metapher‹ – die in Anlehnung an Kants Symbolbegriff als »Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz andern Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direkt korrespondieren kann«,5 aufzufassen ist –, kann nach Blumenberg einem derart komplexen Phänomen wie dem in Frage stehenden indirekt-metaphorologisch nachgegangen werden. Metaphern als absolut zu bezeichnen, bedeutet in diesem Kontext, »daß sie sich gegenüber dem terminologischen Anspruch als resistent erweisen, nicht in Begrifflichkeit aufgelöst werden können, nicht aber, daß nicht eine Metapher durch eine andere ersetzt bzw. vertreten oder durch eine genauere korrigiert werden kann«6. Der Reiz der ›absoluten Metapher‹ besteht philosophisch darin, daß sie eine »Antwort« geben will auf »prinzipiell unbeantwortbare Fragen, deren Relevanz ganz einfach darin liegt, daß sie nicht eliminierbar sind, weil wir sie nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellte vorfinden«7. Blumenberg praktiziert dementsprechend ein Philosophieren, das sich speziell mit Blick auf den Weltbegriff an den Ausdrucksvarianten und den darin sich manifestierenden Ansprüchen orientiert und eingesteht bzw. voraussetzt, daß die Frage selbst ›unbeantwortbar‹ bleibt. ›Welt‹ dokumentiert sich in und durch die Ansprüche, die sich in Metaphern bekunden. Ungeachtet der Fülle an Material, die Blumenberg unter diesem Gesichtspunkt insbeson3

H. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960), 1998, S. 25. Ebd., S. 26. 5 Ebd., S. 12; der kursive Text ist ein direktes Zitat aus Kants Kritik der Urteilskraft und der dort vollzogenen Bestimmung des Symbolbegriffs, den Blumenberg bekanntlich seinen Analysen zugrunde legt; vgl. I. Kant, Kritik der Urteilskraft, 11790, 21793, WeischedelAusg., Bd. 8, Akad-Ausg., Bd. 5, B 257. 6 H. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960), 1998, S. 12f. 7 Ebd., S. 23. 4

1. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Weltbegriffs

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dere in der Genesis der kopernikanischen Welt8 zusammengetragen hat, und ungeachtet der mittels seiner Metaphorologie eröffneten Möglichkeit, resistente Sinngehalte über kulturelle und wissenschaftliche Brüche hinweg aufzuweisen, bleiben jedoch aus philosophischer Sicht systematische Probleme bestehen und historische Fragestellungen offen. Eine Metaphorologie bietet im recht verstandenen Sinne eine Wissenschaft des stillschweigend Ausgeschlossenen, das gerade durch die variablen Ausund Abblendungen seine indirekte Präsenz wahrt; es wird dasjenige beleuchtet, was vor und außerhalb der wissenschaftlich fixierten Terminologie sprachlich wirksam ist und untergründig auch die Philosophie prägen kann. Diese begriffshistorische Disziplin, die weniger das Zentrum der Sache als die Ränder des Sinnes markiert, offeriert eine kulturelle, geschichtlich sich generierende Transformationssemantik sprachlicher Phänomene, die Kontinuitäten und Mentalitätstraditionen aufweisen kann, welche zuweilen von den philosophischen oder wissenschaftlichen Diskursen ignoriert oder unreflektiert tradiert werden.9 Sie kann freilich nicht bis zur philosophischen Problemexposition und Problemkritik, also dem Grund der metaphorologischen Verständigung, reichen, da mit der eingeforderten Blickwendung ein orientierendes Koordinatensystem verlorengeht: von ›der Welt‹ als einem Anspruch einer wie auch immer gearteten eigenständigen Wirklichkeit (deren ontologischer Status ja erst aufzuklären wäre) auf ›Welt‹ als eine Wirklichkeit von Ansprüchen. Es ist durchaus fraglich, ob gemäß dem antisokratischen Programm Blumenbergs Philosophie mit Metaphorologie gleichgesetzt werden kann,10 eine

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H. Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt (1975), 31996. – Mit Blick auf die wissenschaftlichen Neuerungen im Ausgang vom 16. Jahrhundert vgl. auch A. N. Whitehead, Wissenschaft und moderne Welt (1925), 1988, und A. Koyré, Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum (1957), 1980. – Zur Literaturgeschichte vgl. K.S. Guthke, Der Mythos der Neuzeit, 1983. 9 Das geradezu paradigmatische Beispiel hierfür ist der Topos von der ›Welt als Buch‹. Neben den Schriften und Analysen Blumenbergs vgl. hierzu auch: D. Böhler, Naturverstehen und Sinnverstehen, 1981; E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (1948), 81973, S. 306–352. – Hier wird zugleich ersichtlich, daß es eine Metaphorologie ihrem Anspruch nach nie mit dem Problemfall ›der Welt‹ zu tun haben kann, wie Blumenberg dies auch ausführt, sondern mit Komposita und Ergänzungen wie ›Welt als Maschine‹ ›Welt als Uhr‹ ›Welt als Organismus‹, ›Weltbrand‹, ›Weltseele‹ etc. – Hinsichtlich der Geschichte des Topos der ›Weltseele‹ und dem Versuch einer modernen Interpretation mit Blick auf die Ökologie vgl. die materialreiche Untersuchung von H. R. Schlette, Weltseele, 1993. 10 H. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960), 1998, S. 111: Hier betont Blumenberg, daß die Metaphorologie als eine »Hilfsdisziplin« aufzufassen ist. Zugleich aber scheint er doch das Ziel der Metaphorologie darin zu sehen, mehr als eine »Hilfswissenschaft« zu offerieren: »Metaphysik erwies sich uns oft als beim Wort genom-

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

philosophische Grundlegung als wissenschaftliche Metaphernexplikation aber ist dem Geist der Metaphorologie auch nicht angemessen – es handelt sich dann nämlich nicht mehr um Metaphern, sondern um fixierte und gesicherte Begriffsbestände, die unabhängig von einer vorgängigen, metaphorischen ›Vergangenheit‹ diskutiert werden können und müssen.11 Dieses aber ist das Geschäft der Philosophie, wenn sie sich dem Wissenschafts- resp. Begründungsprinzip verpflichtet weiß. Und insoweit kann eine Metaphorologie auch die Phänomenologie nicht überbieten, da, um es mit Scheler zu sagen, diese explizit eine »Entsymbolisierung« anstrebt – und dies angesichts des Befunds von Metaphern und Symbolen als notwendigen Medien eines sich orientierenden, perspektivisch sich situierenden Subjekts: »Selbstgegeben«, so führt Scheler aus, »kann nur das sein, was nicht mehr bloß durch irgendeine Art von Symbol gegeben ist, d.h. so, daß es als bloße ›Erfüllung‹ eines Zeichens ›gemeint‹ ist, das vorher irgendwie definiert ist. In diesem Sinne ist die phänomenologische Philosophie eine fortwährende Entsymbolisierung der Welt.«12 Neben den offenen Fragen, die die Metaphorologie bewußt im Raum stehen und dadurch auch wieder diskussionswürdig werden läßt, ergeben sich im Detail auch historische Interpretationsschwierigkeiten, wenn Blumenberg beispielsweise den zunehmenden Gebrauch des Lebensweltbegriffs in Husserls Philosophie – ebenfalls als ›absolute Metapher‹ – mittels der Konfrontation Husserls mit Heideggers Sein und Zeit erklärt: »Nur wenig Zweifel kann es daran geben, daß die Wiederkehr der ›Lebenswelt‹ in Husserls Sprache, spätestens 1928, aus der Nötigung zu einer benennbaren Position gegenüber dem Werk seines Amtsnachfolgers hervorging.«13 Der gleichzeitig von Blumenberg der ›Lebenswelt‹ zugesprochene Mangel »an immanenter Bestimmtheit«14 ist nicht unbedingt ein Mangel, der der Gründerphänomenologie anhaftet, wie Blumenberg vermutet, sondern drückt eher ein grundlegendes Problem aus. Die Reduktion einer Philosophie auf einen Ausdruck muß immer mißlingen, wenn das diesen Ausdruck als Begriff tragende Philosophieren in seiner Gänze im Hintergrund verbleibt. Der »Begriffskentaur«15 ›Lebenswelt‹ ist nicht so sehr – wie noch gezeigt wird – ein Fabelwesen, wie mene Metaphorik; der Schwund der Metaphysik ruft die Metaphorik wieder an ihren Platz.« (S. 193). 11 Der naheliegende Einwand, daß doch eigentlich alles Metapher sei, ist, wenn er nicht sorgsam abgesichert und damit auch relativiert wird, unsinnig und widersprüchlich zugleich; denn wenn jeder sprachliche Ausdruck als Metapher gedeutet wird, schwindet die explikative Funktion des Metaphorischen. 12 M. Scheler, Phänomenologie und Erkenntnistheorie (1913/1914), 21957, S. 384. 13 H. Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit, 1986, S. 17. 14 Ebd. 15 Ebd., S. 19.

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es der Phänomenologie auch nicht an Bestimmtheit mangelt. Es ist nämlich gerade das metaphorologische Programm Husserls seit den Logischen Untersuchungen, mit »unbemerkte[n] Äquivokationen«16 und Symbolisierungen zu rechnen, um den sachlich phänomenologischen Gehalt derselben aufzuweisen.17 ›Lebenswelt‹ kann durchaus metaphorisch benutzt werden, dies zeigt z. B. in großen Teilen die Verwendung dieses Begriffs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts; zu einer ›absoluten Metapher‹ wird der Ausdruck jedoch nur, wenn der Sinngehalt nicht auf die sie tragenden und konstituierenden Leistungen zurückführt und die Geschichte dieses Ausdrucks verkürzt dargestellt wird. Und insofern drückt ›die Lebenswelt‹ in Husserls Philosophie auch unabhängig von Heideggers Denken ein Spezifikum aus, das gerade übersehen wird, wenn es vorschnell mit dessen Analysen verglichen wird. Die positiven Ergebnisse und verdeckten philosophiehistorischen Entwicklungslinien, die Blumenberg aufzeigen kann, sind nicht zu unterschätzen, bringen sie doch eine Problematik auf den Punkt, die gerade bei der Problematisierung von ›Welt‹ von besonders augenscheinlicher Virulenz ist: die überbordende Wirklichkeit subjektiver Sinnansprüche. Doch die Frage bleibt berechtigt, ob dieser Lösungsvorschlag ausreicht, das Phänomen selbst zu fassen. Liegt nicht gerade in den Ansprüchen als Welteinstellungen mehr als nur Variables verborgen? Und kann nicht eine Frage, die als ›gestellte‹ immer fraglich bleibt, auch andere Antworten als diejenigen Blumenbergs fordern? Dies aber würde im Ausgang von Blumenberg und gleichzeitig darüber hinausgehend bedeuten, ›Welt‹ als einheitliches Thema nicht jenseits der Ansprüche zu suchen, sondern diesseits derselben. Verharrt aber die Analyse auf der Ebene metaphorischer Rede, so kommt es zu einer Überbewertung von Symbolisierungsleistungen und zu einer Unterbewertung von Sachfragen und Problemkonstellationen.18 Und der Anspruch einer absoluten Wirklichkeit – die ja sehr wohl noch gedacht wird – wird aufgelöst in die Wirklichkeit relativer Sinnansprüche.

16

Hua XIX/1, S. 9. Zum Begriff des Symbols bei Husserl vgl. C. Bermes, Ernst Cassirers und Edmund Husserls Frage nach dem Sinn, 1998, S. 194ff. 18 Vgl. hierzu auch den Abschnitt zu A. v. Humboldts Kosmos in H. Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt (1975), 31996, S. 111–117. Hier geht es nicht etwa um den Gehalt oder die innovative Methode der Forschungen v. Humboldts, es geht Blumenberg auch nicht um die Bedeutung, die man allein diesem Werk zusprechen muß, weil es den Begriff des ›Kosmos‹ wieder in die Diskussion einführt, Blumenberg zielt einzig auf die metaphorisch bedeutsame Tatsache, daß v. Humboldt die Metapher von der ›Natur als Buch‹ umkehrt, so daß das Buch selbst zu einer Natur wird. 17

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b) Welt als Kosmos – der Anspruch der Wirklichkeit Mag die Frage nach ›der Welt‹ hypertroph klingen, sie ist auch zu Blumenbergs Zeiten nicht verstummt, wie die zeitgleich entstandenen Untersuchungen von Karl Löwith zeigen, die im wesentlichen in Mensch und Menschenwelt und Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik von Descartes bis zu Nietzsche nachzulesen sind.19 Geradezu beschwörend skizziert Löwith die Situation der Philosophie des 20. Jahrhunderts, die nach seiner Interpretation im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Gottesidee der Metaphysica specialis säkularisiert hat und den Menschen als einzigen Bezugspunkt einer historischen und damit endlichen, aber unendlich umgestaltbaren ›Welt‹ gelten läßt: »Wir existieren und denken heute alle im Horizont der Geschichte und ihrer Geschicke, wir leben aber nicht mehr im Umkreis der natürlichen Welt. Wir wissen ferner um vielerlei geschichtliche Welten, während unsere eigene, alteuropäische zerfällt. Es fehlt uns die eine Welt, die älter und bleibender ist als der Mensch. Diese vor- und übermenschliche Welt des Himmels und der Erde, die ganz und gar auf sich selber steht und sich selbst erhält, übertrifft unendlich die Welt, die mit dem Menschen steht und fällt. Welt und Menschenwelt sind nicht einander gleichgestellt. Die physische Welt läßt sich ohne eine ihr wesentliche Beziehung zum Dasein von Menschen denken, aber kein Mensch ist denkbar ohne Welt. Wir kommen zur Welt und wir scheiden aus ihr; sie gehört nicht uns, sondern wir gehören zu ihr. Diese Welt ist nicht nur eine kosmologische ›Idee‹ (Kant) oder ein bloßer ›Total-Horizont‹ (Husserl) oder ein Welt-›Entwurf‹ (Heidegger), sondern sie selbst, absolut selbständig: id quod substat. Entwerfen lassen sich nur verschiedene Weltbilder, aber nicht die Welt selbst.«20 Anders als Blumenberg stellt Löwith in der Tat auf radikale und direkte Weise die Frage nach ›der Welt‹. Er sieht es als eine Degeneration insbesondere der Philosophie des 20. Jahrhunderts an, diese Frage übergangen resp. aufgelöst zu haben. Im Rückgang auf den antiken, vorchristlichen Begriff des kÒsmoj versucht Löwith, eine philosophische Tradition zu reanimieren, die ›die Welt‹ nicht als Objekt der Veränderung und Bearbeitung betrachtet, sondern »rein um der Einsicht willen« in »einem absichtslosen Hinsehen« ›der

19

Vgl. K. Löwith, Mensch und Menschenwelt (1960), 1981; ders., Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik von Descartes bis zu Nietzsche (1967), 1986; vgl. auch ders., Natur und Humanität des Menschen (1957), 1981. – Nach Löwiths eigenem Bekunden schließt sich mit diesen Untersuchungen der Kreis seiner philosophischen Bemühungen. Die Suche nach einem positiven Gehalt seiner negativen geschichtstheoretischen Werke führte ihn »schließlich zur Frage nach der Welt überhaupt, innerhalb derer es den Menschen und seine Geschichte gibt«; K. Löwith, Curriculum vitae (1959), 1981, S. 461. 20 K. Löwith, Mensch und Menschenwelt (1960), 1981, S. 295.

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Welt‹ gewahr wird.21 Abgesehen davon, daß es mehr als zweifelhaft ist, ob diese Kosmosschau dem griechischen Denken je allein zugrunde gelegen hat – Löwiths Verweise sind hier alles andere als überzeugend22 – und unabhängig von der bei Löwith nicht vollständig diskutierten Identifikation von ›Natur‹ mit ›Welt‹23 bleiben auch seine Deutungen der neuzeitlichen Philosophie einseitig. Es verhält sich nicht derart, auch wenn dies immer wieder so zu lesen ist, daß Kant nur in der Kritik der reinen Vernunft ›Welt‹ behandelt und sie einzig als ›Idee‹ bestimmt hat. Die Anthropologie, insbesondere die Anthropologievorlesungen (im Verbund mit Kants Physischer Geographie) zeigen ein anderes Bild. Auch ist es nicht so, daß Husserl, ›die Welt‹ einzig als 21

Ebd., S. 315. Löwith beschränkt sich zumeist auf das Fragment B 30 (Diels) von Heraklit (kÒsmon tÒnde, tÕn aÙtÕn ¡p£ntwn, oÜte tij qeîn oÜte ¢nqrèpwn ™po…hsen, ¢ll' h‘ n ¢eˆ kaˆ œstin kaˆ œstai pàr ¢e…zwon, ¡ptÒmenon mštra kaˆ ¢posbennÚmenon mštra / Die gegebene Ordnung, dieselbe in allem, ist weder von einem der Götter noch von einem Menschen geschaffen worden, sondern sie war immer, ist und wird sein: ewig lebendes Feuer, nach Maßen erglimmend und nach Maßen erlöschend) – er übergeht dabei allerdings die ebenfalls einschlägigen Fragmente B 89 und B 124 (Diels). Daneben ist es eine Bemerkung Platons aus den Nomoi (903b) und die Eingangspassage der pseudoaristotelischen Schrift perˆ kÒsmou, die Löwith heranzieht; vgl. K. Löwith, Mensch und Menschenwelt (1960), 1981, S. 302 ff.; ders., Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik von Descartes bis zu Nietzsche (1967), 1986, S. 6 ff. – Die von Löwith ebenfalls konsultierte und immer noch aufgrund ihres Datenmaterials wegweisende Studie von W. Kranz, Kosmos, 1958, zeichnet jedoch ein komplizierteres Bild als Löwith zuzugestehen bereit ist: Es ist unumgänglich, den vorphilosophischen Gebrauch des Verbs kosme‹n zu analysieren, bevor der elaborierte philosophische Begriff kÒsmoj verstanden werden kann (S. 9); dies auch insbesondere deshalb, weil die verbale Form eine unmittelbaren Subjektrelation als ›ordnen‹, ›anordnen‹, ›herrichten‹, ›zurichten‹, ›zieren‹, ›schmücken‹ mit Bezug auf einen Zweck in sich trägt (S. 15, 27, 50). Dies führt u. a. auch dazu, daß Kranz, der Heideggers Untersuchungen in Vom Wesen des Grundes ansonsten sehr skeptisch gegenübersteht, diesem doch genau in dem fraglichen Punkt der Subjektrelativität beipflichtet. Wenn Heidegger ausführt, daß »Welt« oder »Kosmos« »eher ein Wie des Seins des Seienden als dieses selbst« meint (vgl. M. Heidegger, Vom Wesen des Grundes (1929), 1976, S. 143), so fügt Kranz hinzu: »Diesem Satz pflichten wir bei, freilich nur in der Form, daß wir sagen: Kosmos meint beides als ein Untrennbares zugleich.« (S. 243). Dies meint auch Heidegger, jedoch nicht Löwith, der eine allzu enge Sicht auf die griechische Philosophie hat. – Da jedoch kÒsmoj und das griechische Philosophieren nicht direktes Thema dieser Arbeit sind, sondern ›Welt‹ und die Einführung und Bestimmung dieses Begriffs im Ausgang vom neuzeitlichen Philosophieren, so kann der angedeutete Gedankenweg nicht weiter verfolgt werden. Doch bedeutsam bleibt die spannungsgeladene Interdependenz von kosme‹n und kÒsmoj. Hinzuweisen ist neben der Arbeit von Kranz und den einschlägigen Artikeln im Historischen Wörterbuch der Philosophie auf weitere umsichtige Untersuchungen, die das Bild vervollständigen und die Löwithsche Sicht eher relativieren als stützen: H. Diller, Der vorphilosophische Gebrauch von kÒsmoj und kosme‹n (1956), 1971; C. Haebler, Kosmos, 1967; J. Kerschensteiner, Kosmos, 1962. 23 Vgl. K. Löwith, Natur und Humanität des Menschen (1957), 1981, S. 268 Anm. 11. 22

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geschlossenen Totalhorizont qualifiziert und damit zugleich in den Einzugsund Herrschaftsbereich eines transzendentalen Ichs gestellt hat.24 Und schließlich vergißt Löwith in seinem Gipfelsprung von Descartes zu Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Marx, Nietzsche, Husserl und Heidegger Denker wie Herder oder Alexander von Humboldt – von anderen ganz zu schweigen –, die in den Zwischenräumen der von ihm diagnostizierten Entwicklung wirken, eine besondere Popularität erfuhren und das genaue Gegenteil von dem zeigen, was Löwith der Geschichtsentwicklung im 19. Jahrhundert unterstellt.25 Ein Grundproblem, das in Löwiths Untersuchungen nicht systematisch behandelt wird, liegt in der vorausgesetzten Identifikation der Subjektrelativität von ›Welt‹ mit ›der Welt‹ als Gegenstand eines teleologischen, mundane Ziele verfolgenden Handelns im Sinne eines ›Beherrschens‹ verborgen. So spricht Löwith zum einen davon, daß »der heutige, europäisch geprägte Mensch keinerlei Scheu mehr hat vor den kosmischen Gewalten der Naturwelt und keine Ehrfurcht mehr kennt von [sic] den alltäglichen Phänomenen des Entstehens und Vergehens«26; zum anderen führt er dies auf den Einbruch des Christentums in die Philosophie zurück: »Historisch hat die Philosophie im frühen Griechentum mit der Erfahrung der Welt als eines physischen Kosmos begonnen, um dann durch die christliche Gottes- und Schöpfungslehre in den Schatten gestellt zu werden und schließlich, in der Neuzeit, das Ganze des Seienden aus dem Selbstbewußtsein des Menschen aufzubauen und die ›Substanz‹ als ›Subjekt‹ zu begreifen.«27 Ohne große Umwege führt dieser Ansatz zu dem von Löwith beanstandeten Grundbefund schlechthin – der ›Vermenschlichung der Welt‹: »Die Welt wird zu unserer Welt. Der übermenschliche physische Kosmos gerät in Vergessenheit, und die Welt wird von Grund aus [sic] vermenschlicht.«28 24

K. Löwith, Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik von Descartes bis zu Nietzsche (1967), 1986, S. 32f. 25 Vgl. J. G. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784ff.); A.v. Humboldt, Kosmos (1845ff.). – Verwiesen sei hier einerseits auf die Einteilung des Humboldtschen Kosmos, der den »tellurischen Teil« der Natur erst behandelt, nachdem der »uranologische Teil« vorgestellt wurde, und andererseits auf die Aufgabe und Methode der physischen Weltbeschreibung, die »nicht mit der sogenannten Enzyklopädie der Naturwissenschaften (ein weitschichtiger Name für eine schlecht umgrenzte Disziplin) verwechselt werden« darf; vielmehr gilt: »In der Lehre vom Kosmos wird das Einzelne nur in seinem Verhältnis zum Ganzen als Teil der Welterscheinungen betrachtet […]«; vgl. A.v. Humboldt, Kosmos, Bd. 1 (1845), 1993, S. 42. 26 K. Löwith, Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik von Descartes bis zu Nietzsche (1967), 1986, S. 404. 27 K. Löwith, Mensch und Menschenwelt (1960), 1981, S. 326f. 28 Ebd., S. 302; vgl. K. Löwith, Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik von Descartes bis zu Nietzsche (1967), 1986, S. 49.

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Diese These ist freilich nicht neu. Bereits 1937 wird sie von Heinz Heimsoeth, dem Kenner der metaphysischen Tradition des 18. Jahrhunderts und ausgewiesenen Kantforscher, in der Auseinandersetzung mit der Lebensphilosophie und in direktem Anschluß an die Diskussion von Schelers Stellung des Menschen im Kosmos vorgebracht: »Nun aber ist dies eine bedenkliche Tendenz der Lebensphilosophie in allen ihren Richtungen: dies Thema Mensch zum alleinigen und jedenfalls zum alles bestimmenden Zentrum der Philosophie zu machen. Das heißt vor allem: den alten großen Teilbereich der klassischen Metaphysik, die ›Kosmologie‹ fallenzulassen oder denn in das Menschliche einzubeziehen. Dem Eigenthema ›Welt‹, den Fragen nach dem All des Wirklichen, darin der Mensch unter vielen anderen steht und sich vorfindet, wird die Lebensphilosophie nirgend gerecht.«29 Die These der Vermenschlichung der Welt ist jedoch problematisch, da sie insinuiert, daß es einen Gegenstandsbereich geben könne, der vorgängig und absolut unabhängig vom Menschen Bestand hat und der durch die Philosophie – und hier speziell die Lebens- oder Existenzphilosophie – in das Menschliche schlicht einbezogen würde. Zudem liegt dieser Ansicht zumindest implizit die Vermutung zugrunde, daß der Mensch nicht ein Teil der Welt sei (wie immer dies noch im einzelnen zu bestimmen ist), sondern sich jenseits derselben situiere. In einer derartigen Argumentation wird dann die erkenntnistheoretisch gefaßte Subjektrelativität von ›Welt‹ als einem Sinngebilde verwechselt mit der praktisch möglichen, aber eben nicht notwendigen Beherrschung eines seienden Gegenstandsbereichs durch ein Subjekt; und gleichzeitig wird die Positionalität des menschlichen Subjekts in dem Augenblick übersprungen, in dem der Kosmos erkannt wird. Der Kosmos umfaßt dann schließlich alles – bis auf den Menschen. Die angegriffenen Philosophen, so ist Löwith und Heimsoeth zu begegnen, verstehen sich jedoch nicht in dem diagnostizierten Sinne. Sie wollen nicht als Kolumbus des Universums verstanden werden, sondern vielmehr im Sinne eines Kosmographen von Welteinstellungen – dazu genügt ein Blick in die Schriften jener Autoren. An dieser Stelle sei nur auf den Aufsatz von Bernhard Groethuysen Das Leben und die Weltanschauung verwiesen, der genau diesen Sachverhalt zum Problem macht, indem der Anspruch eines kosmologischen Weltbegriffs nicht etwa beiseite geschoben, abgelehnt oder gar in das Menschliche einbezogen wird, sondern als eine Möglichkeit bestehen

29

H. Heimsoeth, Lebensphilosophie und Metaphysik (1937), 1961, S. 45. – Ähnlich kritisch bereits der Kantkenner P. Menzer, Weltanschauungsfragen, 1918, S. 63: »Das Lebensideal hat im 19. Jahrhundert viel mehr den Charakter der Diesseitigkeit angenommen. Im 18. Jahrhundert herrscht noch durchaus der Gedanke an ein Jenseits, in dem die im Diesseits ungelösten Fragen zum Austrag gelangen […].«; vgl. auch P. Menzer, Deutsche Metaphysik der Gegenwart, 1931, S. 64 ff.

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bleibt, um die »Stellung des Menschen zu [!] der Welt« in den Blick zu bekommen.30 Auch Löwiths philosophiegeschichtliche These, daß »sich die Metaphysik, die bislang das dreieinige Verhältnis von Gott, Mensch und Welt betraf, auf den Bezug von Mensch und Welt reduziert hat«31, bleibt trotz ihrer vordergründigen Plausibilität problematisch. Es stellt sich die Frage, ob die im Übergang zum 20. Jahrhundert sich einstellende Dualität von ›Mensch‹ und ›Welt‹ einer »Reduktion« entspringt, der die Metaphysica specialis zugrunde liegt, oder ob nicht vielmehr anderes zum Problem wird, was immer schon neben und außerhalb der offiziellen metaphysischen Dreiteilung diskutiert wurde. ›Mensch‹ und ›Welt‹ wurden bekanntlich nicht nur in der Metaphysik philosophisch behandelt, sondern auch in den populären, im 18. Jahrhundert auch philosophischen Disziplinen der Anthropologie, Biologie und Geographie – mit einem Wort: in ›der Philosophie dem Weltbegriffe nach‹. Die vermeintliche Reduktion – dies wird in den folgenden Kapiteln eingehender behandelt – muß dementsprechend nicht immer die Bestandteile der Metaphysik betreffen, es ist auch möglich, daß sich eine Blickwendung innerhalb verschiedener, nebeneinander existierender Diskurse der Philosophie vollzieht. Löwith benutzt in diesem Kontext gern ›Reduktion‹ und ›Säkularisierung‹ synonym: »Auf dem Boden der christlichen Überlieferung bewegt sich auch alle Verweltlichung der entweltlichten Welt der Neuzeit. Die Säkularisierung bleibt eine solche des christlichen saeculum.«32 Nicht abgewiesen werden kann und soll die Verknüpfung von ›Welt‹ mit ›saeculum‹, wie Löwith sie zur Begründung seiner These anführt. Als Ergänzung zu Löwiths spärlichen historischen Quellen kann etwa auch auf die sogenannte Mainauer Naturlehre aus dem 14. Jahrhundert verwiesen werden; hier wird eine der ursprünglichsten Bedeutungen des Ausdrucks ›Welt‹ zur Bezeichnung eines Zeitabschnitts paradigmatisch ausgedrückt: »hundert iar heisset seculum dc [dasz] ist ein welt.«33 Diese Bedeutung findet im Sachsenspiegel in Anlehnung an die ›aetates mundi‹ ebenfalls ihre Manifestation: »Orienes wîssagede hîr bevoren, daz

30

B. Groethuysen, Das Leben und die Weltanschauung, 1911, S. 71. K. Löwith, Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik von Descartes bis zu Nietzsche (1967), 1986, S. 3. 32 K. Löwith, Mensch und Menschenwelt (1960), 1981, S. 306. – Zur literaturgeschichtlichen Behandlung dieses Themas vgl. K. S. Guthke, Die Mythologie der entgötterten Welt, 1971. 33 H.R. Plant, M. Rowlands, R. Burkhart (Hg.), Die sogenannte ›Mainauer Naturlehre‹, 1972, S. 12/24. – Zur begriffsgeschichtlichen Entwicklung von ›saeculum‹ und zu der erst spät sich ausbildenden Verwendung dieses Begriffs zur Bezeichnung eines geschichtlichen Jahrhunderts vgl. G. Stadtmüller, Saeculum, 1951; zu der frühen Komposition ›Weltgeschichte‹ vgl. P.E. Geiger, Das Wort ›Geschichte‹ und seine Zusammensetzungen, 1908. 31

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secs werilde solden wesen, die werilt bî dûsent jâren op genomen.«34 Welt und ›saeculum‹ verweisen dergestalt zurück auf das Griechische a„èn, wie es in christlicher Bedeutung z. B. im ersten Brief von Paulus an die Korinther gebraucht wird: Sof…an de\ laloàmen ™n to‹j tele…sij, sof…an de\ oÙ toà a„înoj toÚtou oÙd\e tîn ¢rcÒntwn toà a„înoj toÚtou tîn katargoumšnwn. (1 Kor 2,6)35 ›Welt‹ und ›saeculum‹ als Bezeichnungen einerseits für einen Zeitabschnitt und andererseits im Sinne der zeitlich-vergänglichen Existenz im Gegensatz zu einer unzeitlich-ewigen sind tatsächlich nur schwer zu trennen. Freilich ist die Bedeutung als Bezeichnung eines Zeitabschnitts am Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr aktuell, wie die Lexikographen dieser Zeit übereinstimmend feststellen. Adelung beispielsweise referiert in seinem Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart aus dem Jahre 1801 nur noch die Bedeutung von ›Welt‹ als Zeitabschnitt: »Die Zeit und ein Theil derselben, ein Zeitalter, wie das Lat. saeculum; wo nicht die erste, doch eine der ältesten Bedeutungen« – er fügt jedoch unmißverständlich hinzu: »Doch in dieser ganzen Bedeutung ist es veraltet.«36 Ähnlich urteilt auch Campe in seinem Wörterbuch der Deutschen Sprache: »Dieses Wort […] bezeichnete ehemals [!] auch die Zeit und einen Zeitraum, ein Zeitalter.«37

34

K.A. Eckhardt (Hg.), Sachsenspiegel, 1966, I.3 §1 (S. 17). Zu der alles andere als homogenen Entwicklungsgeschichte und der unterschiedlichen Deutung der ›Aetates mundi‹ vgl. R. Schmidt, Aetates mundi, 1955/1956. 35 In der lateinischen Bibelübertragung lautet die entsprechende Stelle: Sapientiam autem loquimur inter perfectos, sapientiam vero non huius saeculi neque principum huius saeculi, qui destruuntur. Luther, Deutsche Bibel, Bd. 7, 1931, S. 92, übersetzt: »Da wir aber von reden, das ist ein weißheit die den volkomenen eigenet, und nicht ein weißheit diser welt, auch nicht der obirsten diser welt, wilche zu letzt auffhoren mussen.« – ›Saeculum‹ und ›mundus‹ spiegeln im Lateinischen die griechische Differenz von a„èn und kÒsmoj; beide werden im Deutschen zumeist mit ›Welt‹ übersetzt; vgl. auch Joh 1,9–12; 1 Kor 1,20–21. – G. Stadtmüller, Saeculum, 1951, S. 151, macht in seiner kundigen Arbeit darauf aufmerksam, daß die Pluralbildung ›saecula‹ im Mittelalter explizit einen Zeitabschnitt meint. Luther übersetzt eine solche Form jedoch auch noch mit ›Welt‹ vgl. 1 Kor 2,7 im Griechischen, Lateinischen und nachfolgend der Lutherschen Übersetzung: P ëëN laloàmen qeoà sof…an ™n musthr…wÄ , t¾n ¢pokekrummšnhn, ¼n proèrisen Ð qeÒj prÒ tîn a„ènwn e„j dÒxan ¹ mîn / sed loquimur Dei sapientiam in mysterio, quae abscondita est, quam praedestinavit Deus ante saecula in gloriam nostram / »Sondern wir reden von der gotlichen weißheit, die ihm geheimnis ist, unnd verporgen ligt, wilche Got verordenet hat fur der welt zu unser herlickeit«. Erst die sogenannte Einheitsübersetzung schreibt hier anstelle von ›Welt‹ ›Zeit‹: »Vielmehr verkündigen wir das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung.« 36 J. C. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, 4. Bd. (1801), 1970, Sp.1479. 37 J.H. Campe, Wörterbuch der Deutschen Sprache, Bd. 5 (1811), 1970, S. 669.

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Daraus läßt sich zwar nicht direkt der Schluß ziehen, es läßt sich jedoch mit guten Gründen vermuten, daß dasjenige, was im 19. Jahrhundert als ›Säkularisierung‹, ›Vermenschlichung‹ oder ›Verzeitlichung‹, um mit den Worten Löwiths zu sprechen, auftritt, andere Wurzeln hat als dasjenige, was Löwith annimmt. Die ›Verweltlichung‹ im 19. Jahrhundert betrifft nur am Rand das ›saeculum‹, sie ist im strengen Sinne auch keine ›Säkularisierung‹, sie muß vielmehr als Ausdruck einer Sprachschwierigkeit begriffen werden, ein Problem- und Themenfeld neu zu umgrenzen und zu bestimmen, das außerhalb resp. vor der Metaphysica specialis liegt – das ›Philosophieren dem Weltbegriffe nach‹. Die Disziplinen, die diesem Philosophieren zugrunde liegen, wie z. B. Geographie, Geschichte, aber auch z.T. Biologie, streben nämlich nicht nur nach dem Status einer ›Wissenschaft‹ und fordern damit eine neue philosophische Grundlegung, sie offerieren auch Möglichkeiten der ›Beschreibung‹ von Welteinstellungen, die der Metaphysik fremd geblieben sind, ohne daß sie jedoch gänzlich übersehen worden wären, wie Kant dies exemplarisch vorführt. Und in diesem Sinn erscheint es zum einen problematisch, von einer Reduktion zu sprechen, die sich innerhalb der Metaphysica specialis abspielt, wie zum andern Löwiths Großkategorie der Säkularisierung derartigen Phänomenen kaum Rechnung tragen kann. Anstelle einer Reduktion, die sich innerhalb der Metaphysik vollzogen hat, zeigt sich eher eine Blickwendung zu demjenigen, was immer schon die klassisch-metaphysische Analyse begleitete – eine Thematisierung der Philosophie dem Weltbegriffe nach als Ausdruck der Weltstellung des Menschen. Im Gegensatz zu Blumenberg aber ist es der Anspruch, die eine Wirklichkeit als absolut seiende, ›natürlich-naturale Welt‹ aufzuweisen, dem Löwith sich verpflichtet weiß. Übersehen werden von ihm jedoch die historischen Nuancen, die sich nicht nur in den sprachlichen Wirklichkeiten niederschlagen, den Ausdruck ›Welt‹ neu zu fassen, sondern – damit einhergehend – auch die Verschiebungen, die sich innerhalb der philosophischen Systematik ergeben können und die bereits in der Differenz von theoretischer und pragmatischer Philosophie resp. ›Philosophie dem Schulbegriffe nach‹ und ›Philosophie dem Weltbegriffe nach‹ in nuce beschlossen liegen. Der Anspruch der ›einen Wirklichkeit‹, wie er in einer einzelnen philosophischen Disziplin thematisch werden kann, wird von Löwith unterderhand universalisiert. Zugleich wird die Wirklichkeit subjektiver Sinnansprüche relativiert und kein systematischer Unterschied mehr gemacht zwischen ›Welt‹ als einem Sinngebilde und ›Welt‹ als einer Ganzheit bzw. Allheit von Seiendem.

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c) ›Welt‹ und ›welten‹ – zwischen dem Anspruch der Wirklichkeit und der Wirklichkeit der Ansprüche Die Untersuchungen von Löwith und Blumenberg dokumentieren Glanz und Elend der Geschichte resp. der Systematik des Weltbegriffs. Zwischen dem Anspruch der ›einen Welt‹, des einen und absoluten Weltbegriffs und den unüberschaubaren Wirklichkeiten der sich in Metaphern artikulierenden Weltverständnisse scheint eine unüberbrückbare Kluft zu liegen.38 Diese Differenz läßt sich nicht überwinden, wenn nur einer der genannten Standpunkte eingenommen wird. Eine bloße Ausdrucksanalyse von ›Welt‹ in den diversen Kontexten und Wortkompositionen wird schnell zu dem Ergebnis kommen, wie es bereits von Jacob Grimm festgestellt wurde – nämlich daß sich in der geschichtlichen Entwicklung »die vorstellungen zeit, zeitalter, welt, erdkreis, erde, licht, luft, wasser mannigfach mischen.«39 Eine reine Gegenstandsanalyse steht vor dem Problem, angesichts dieser Möglichkeiten den einen und richtigen Standpunkt, die wahre oder eigentliche Bedeutung benennen zu können, um ›die Welt‹ zu behandeln. Auch bleibt es fraglich, ob allein eine intensionale oder eine extensionale Begriffsbestimmung von Wert sein kann, ›Welt‹ philosophisch adäquat zu verstehen, um dann darauf eine Geschichte des Weltbegriffs zu gründen.40 Allein das Aufsammeln von Inhalten einer Klasse beruht auf einem 38

Dies zeigt sich paradigmatisch auch in der materialreichen Untersuchung von F. J. Wetz, Lebenswelt und Weltall, 1994, in der der Autor den Versuch auch auf »das Risiko des Scheiterns hin« unternimmt, nach dem zu fragen, was »als das Ganze im letzten der naturalen Weltwirklichkeit, das Ganze im letzten der geschichtlichen Sinnwirklichkeit und das Ganze im letzten der je eigenen Lebenswirklichkeit« (S. 14) zu gelten hat. Hierbei versucht Wetz zu zeigen, daß der »Kern dieser Abschlußdeutung« in der These besteht: »Das physische Weltall ist das Ganze im letzten.« (S. 18). Wie Absicht und These selbst vergleichsweise offen interpretiert werden können, so orientieren sich auch die zahlreichen Quellen, die Wetz seinen Untersuchungen zugrunde legt, an der verständlichen, jedoch in dieser Form zumindest problematischen bzw. erläuterungswürdigen Differenz von ›Mensch‹ und ›Welt‹; diese wird historisch nicht eigens ausgewiesen oder systematisch begründet und spezifiziert. Daß Wetz am Ende seiner Bemühungen einen schicksalsträchtigen Stoizismus empfehlen kann, scheint vor diesem Hintergrund unausweichlich. 39 J. Grimm, Deutsche Mythologie (1835), 2. Band, 1953, S. 663; vgl. auch C. D. Buck, Words for World, Earth and Land, Sun, 1929. 40 Dazu gehört beispielsweise die letztendlich wenig aufschlußreiche Bemerkung von F. Krafft zum Begriff ›Kosmos‹, mit der er die Frage beantworten will, ob sich das Verständnis des Ausdrucks innerhalb der Kosmologie gewandelt habe. Was diese Frage betrifft, so Krafft, »wandeln sich zwar die Auffassungen von Kosmos, nicht aber das, was man zu erklären versucht. Nur der Bereich dessen, was in eine Kosmologie mit einzubeziehen sei, ist einmal größer und umfangreicher, das andere Mal beschränkter«; vgl. F. Krafft, Geschichte der Naturwissenschaft, Bd. 1, 1971, S. 66. – Zur intensionalen oder extensionalen Begriffsbestimmung von ›Kosmos‹ und ›Kosmologie‹ vgl. auch B. Kanitscheider, Kosmo-

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falsch verstandenen Positivismus;41 die schlichte Begriffsbegrenzung jenseits eines materialen Untergrunds behält den faden Beigeschmack der Nichtigkeit. Eine Untersuchung, die oberflächlich am Substantiv ›Welt‹ und den mit demselben gebildeten Komposita kleben bleibt, wird genau das nicht erklären können, was insbesondere die Geschichte des Weltbegriffs im 19. Jahrhundert prägt und was Systematik und Historie dieses Begriffs derart erschweren. Zwischen Intension und Extension geht es in der Auseinandersetzung mit neu sich etablierenden Wissenschaften um die adäquate Fassung von Weltbegriffen im Kontext von (inter-)subjektiven Intentionen jenseits der metaphysischen Tradition. Angesichts derartiger Bemühungen, die sich auch nicht mit Schlagworten wie ›Historismus‹ oder ›Positivismus‹ erledigen lassen, scheint der passende deutsche Ausdruck jedoch nicht bereitzustehen – zumindest nicht offiziell. Die verbale Form von ›Welt‹ scheint – wenngleich auch nur implizit – Ziel- und Angelpunkt derjenigen Philosophen zu sein, die es mit der ›Weltanschauung‹ halten, die eine ›natürliche Welt‹ beschreiben wollen oder denen es um das Begreifen von ›Weltstellungen‹ geht. Denn im Schatten der Tradition des 18. Jahrhunderts wird ›Welt‹ spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts am Rand populärer, sich zu Wissenschaften erhebender Disziplinen auf eine neue Art und Weise fraglich und problematisch, während zugleich die Vernunft, wenn sie sich nicht gerade in einigen Aphorismensammlungen verabschiedet, neue Ausdrücke der Artikulation dessen sucht, was ›Welt‹ meint. Angesichts einer derartigen Umorientierung und Gewichtsverlagerung kommt es zu neuen Weltbegriffen, die zum einen nicht einfach nur ein explizites Wissen von ›der Welt‹ vorstellen wollen und zum anderen auch nicht ›die Welt‹ zu bezeichnen versuchen. Problematisch wird vielmehr der adäquate Ausdruck von ›Weltkenntnissen‹ und ›Welteinstellungen‹, wie sie im 18. Jahrhundert z. B. in der ›Philosophie dem Weltbegriffe nach‹ erfolgte. Anders können die philosophischen Bemühungen angesichts der fortschreitenden Dynamisierung der Weltbegriffe und der mit der Ausdrucksverwendung einhergehenden Funktionalisierung kaum gefaßt werden. Dazu seien an dieser Stelle nur einige Titel genannt, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts und mit Bezug auf das 19. Jahrhundert typischerweise auftauchen und die ›Explosion‹ des Begriffs unterhalb der Metaphysik belegen: Das Weltproblem (1906); Weltanschauungen und Welterkenntnis (1911); Seele und Welt logie, 21991, S. 17 ff.; ders., Philosophisch-historische Grundlagen der physikalischen Kosmologie, 1974, S. 15ff. 41 Ein kurioser, gleichwohl aber paradigmatischer (Fehl-)Versuch, die ›eine Welt‹ in dem Aufsammeln der empirischen Gegebenheiten zu suchen, findet sich in H. Hellmund, Das Wesen der Welt, 1927, worin der Autor auf immerhin 1324 Seiten eine Zusammenfassung »des menschlichen Wissens von der Welt auf allen Gebieten des Seins und des Geschehens« (S. 9) beabsichtigt.

1. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Weltbegriffs

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(1912); Weltbegriff und Erkenntnisbegriff (1912); Das Weltstreben (1913); Das Begreifen der Welt (1913); Mensch und Welt (1918); Das Wesen der Welt (1927); Welterlebnis (1928); Der Mensch und die Welt (1928).42 Hier geht es nicht mehr um den Weltbegriff einer philosophischen Disziplin, hier artikulieren sich Versuche, ›Welt‹ in einer neuen Dimension sprachlich faßbar zu machen und einen philosophischen Ort zu umgrenzen, wo dieses noch nicht fixierte Phänomen verhandelt werden kann. Heideggers 1919 entwickeltes Aperçu des »es weltet«43 bringt die Dynamisierung von ›Welt‹, die sich im Übergang zum 20. Jahrhundert auch in der Philosophie vollzieht, auf den Begriff. Heidegger hat, als er in einer frühen Vorlesung diesen Befund zum Thema machte, in erster Linie eine systematische Fragestellung im Auge, wenn er von der verbalen Form des ›weltens‹ ausgeht und entgegen der Fixierung auf ›Welt‹ als einen Komplex von ›Seiendem‹ den Sinn von ›Welt‹ in einem intentional strukturierten und sich konkret dokumentierenden Geschehen darzustellen versucht. Nicht Mensch und Welt oder Mensch vs. Welt werden hier diskutiert, sondern das Ereignis der Welt- und Selbstkonstitution auf dem Fundament der Intentionalität. Hier, diesseits der Polarität von Subjekt und Objekt, erschließt sich das Thema der Welt als in unterschiedlichen Einstellungen gegeben und getragen von synthetisch verlaufenden, intentionalen Auf- und Rückgriffen. Diese systematische Kategorie des ›weltens‹ kann auch in Anlehnung an Heideggers engere Fragestellung dazu benutzt werden, die Geschichte ›des Weltbegriffs‹ zugänglich werden zu lassen. Denn es handelt sich nicht erst in der Phänomenologie Heideggers darum, Probleme und Problementwicklungen »flüssig zu machen«44; dies kann vielmehr als Überschrift für große Teile der Philosophie und der Wissenschaften des 19. Jahrhunderts angesehen werden.45 In 42

J. Petzoldt, Das Weltproblem vom Standpunkte des relativistischen Positivismus aus historisch-kritisch dargestellt (1906), 21912; Berthold Kern, Weltanschauungen und Welterkenntnis, 1911; K. Joël, Seele und Welt, 1912; V. Kraft, Weltbegriff und Erkenntnisbegriff, 1912; L. Candidus, Das Weltstreben, 1913; E. Lasker, Das Begreifen der Welt, 1913; R. Eucken, Mensch und Welt, 1918; H. Hellmund, Das Wesen der Welt, 1927; R.M. Holzapfel, Welterlebnis, 2 Bde., 1928; Hans Driesch, Der Mensch und die Welt, Leipzig 1928. – Wollte man zum einen den klandestinen Hinter- und Untergrund, wie er sich in eher trivialphilosophischen Schriften dokumentiert, und zum anderen die in den Titel auftauchenden Begriffe ›Erde‹, ›Weltall‹ etc. berücksichtigen, so fände die Aufzählung kein Ende; verwiesen sei hier einerseits nur auf: B.H. Bürgel, Weltall und Weltgefühl, 1925; ders., Du und das Weltall 1927; R.H. Francé, Welt, Erde und Menschheit, 1928; und andereseits z. B. auf L. Klages, Mensch und Erde, 1920. 43 M. Heidegger, Die Idee der Philosophie (1919), 1987, S. 73. 44 M. Heidegger, Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus (1915), 1978, S. 204. 45 E.W. Orth, Über den Philosophiebegriff des 19. Jahrhunderts, 1999, S. 214: »Diese erneute Entsubstantivierung und Verbalisierung der Philosophie im 19. Jahrhundert deutet

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

einem besonderen Sinne gilt dies für ›Welt‹ als einen Terminus der Philosophie, wenn einerseits der zunehmende Gebrauch des bloßen Ausdrucks und andererseits die Erfindung neuer Variationen berücksichtigt und als Anzeige einer Verflüssigung des Phänomens gedeutet werden. Diesseits der Sprachwirklichkeit der substantivierten Weltausdrücke und jenseits des Anspruchs der ›einen Welt‹ als absoluter Realität oder ›universitas rerum‹ lassen sich derart im Rückblick – ohne allzu schnell die Kategorien Subjektivierung oder Objektivierung, resp. Verweltlichung oder Vermenschlichung benutzen zu müssen – große Teile der rationalisierenden Bemühungen des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts im Zwichenraum der klassischen Disziplinen der Philosophie und in der Auseinandersetzung mit neu aufstrebenden Wissenschaften als Ansätze verstehen, den Weltbegriff in statu nascendi neu zu formulieren. ›Welt‹ zeigt gemäß diesem Ansatz keine Abschlußdeutung an, sondern ein Artikulationsfeld von Einstellungen. In diesen bislang wenig beachteten Zwischenräumen – in denen Welteinstellungen selbst fokussiert werden, weniger Überbrückungen zwischen ›Mensch‹ und ›Welt‹ – geht es darum, den substantivierten Ausdruck ›Welt‹ ›flüssig zu machen‹, ihn in gewandelter wissenschaftlicher und kultureller Umgebung dadurch auch erst wieder greifbar zu machen.46 ›Kosmos‹, ›Lebenswelt‹, ›natürliche Welt‹ oder ›Weltanschauung‹ können als Beispiele für dieses Vorhaben herangezogen werden, ›Welt‹ auf ein ›welten‹ hin zu durchbrechen, um ›Welt‹ als Thema der Philosophie neu zu begreifen. Doch diese Entwicklung wurde in den Überlegungen des 19. Jahrhunderts in ihrer Radikalität nicht ausgeführt. Letztlich kam es immer wieder zu dogmatischen Festschreibungen, in denen der sich abzeichnende Sinngehalt von ›Welt‹ als ›welten‹ wieder im Seienden verlorenging. Denn problematisch ist nicht zuletzt das Subjekt des ›weltens‹, das immer wieder im Seienden gesucht wurde – im psychologisch zugänglichen, empirischen Bewußtsein, in der organischen Materie, in der menschlichen Geschichte oder in der Abstammungsgeschichte. Die Dynamisierung und Funktionalisierung des Ausdrucks, die hier mit dem Heideggerschen Topos ›es weltet‹ angedeutet wurde, darf in diesem Kontext nicht als schlicht eine der Phänomenologie entlehnte Kategorie versich durch die Erfindung und Forcierung neuer Disziplinen an, die gleichermaßen philosophisch sein und den Einzelwissenschaften dienen wollen, sowie sich methodologisch mit der Arbeit der Einzelwissenschaften zu verknüpfen suchen.« 46 Die vorliegenden Versuche, eine Geschichte des Weltbegriffs zu schildern, übersehen häufig diese Zwischenräume. Zumeist wird eine Bedeutung absolut gesetzt und einzig die Philosophie in ihren Hauptgestalten als Unterlage dieser Geschichte benutzt. Vgl. beispielsweise F. Nietzsche, Götzen-Dämmerung oder: Wie man mit dem Hammer philosophiert (1888/89), Kritische Studienausgabe, Bd. 6, S. 80 f.; M. Heidegger, Vom Wesen des Grundes (1929), 1976; E. Fink, Einleitung in die Philosophie, 1985, S. 65–120.

1. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Weltbegriffs

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standen werden, die flächendeckend auf die Begriffsentwicklung angewandt wird, um sich nachträglich selbst zu erfüllen. Es handelt sich demgegenüber vielmehr um eine, wie man es mit Merleau-Ponty ausdrücken kann, schleichende »Inthronisierung«47 eines Sinnes, die u. a. durch die Neuschöpfung von Weltbegriffen resp. die erneuten Rückgriffe auf unzeitgemäß gewordene Termini ersichtlich werden kann. Daß die Phänomenologie in einem spezifischen Sinne darauf reagieren kann und muß, widerlegt nicht den Befund, er wird vielmehr bestätigt. Im Horizont der Diskussionen des 19. Jahrhunderts werden demgemäß Fragen virulent und Antworten möglich, die nicht damit zu klären sind, daß auf eine durch das Christentum verdeckte Tradition verwiesen wird, die aber auch nicht sichtbar werden, wenn die Ausdrücke nur noch als Metaphern fungieren sollen. Diesseits der Sprachwirklichkeit und jenseits des absoluten Anspruchs von ›Welt‹ geht es um ein sich artikulierendes Verständnis, das nicht mehr nur auf einen oder den einen Weltbegriff zurückgreift, sondern ›Welt‹ in statu nascendi zu fassen beabsichtigt, um so den recht verstandenen ›Ursprung‹ von ›Welt‹ dem Sinne nach freizulegen. Diese Dimension der Geschichte des Weltbegriffs, die bislang nicht beachtet wurde, soll in den folgenden Abschnitten aufgewiesen und erläutert werden. Hier kann natürlich nicht die Geschichte des Weltbegriffs im Sinne einer vollständigen Auflistung aller Ausdrucksverwendungen vorgelegt werden – dazu bedürfte es weiterer Analysen, die auch die Literatur einbeziehen müßten; jedoch wird eine Traditionslinie benannt und verfolgt, die gerade mit Blick auf die Phänomenologie und das Verständnis derselben eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Vollständigkeit kann in einem derartigen historischen Durchgang nicht versprochen werden, wenn damit gemeint ist, alles, was je ›mit Welt‹ verbunden und ›zu Welt‹ gesagt wurde, zu referieren. Dieses Ansinnen wäre ebenso illusorisch wie die Erwartung, alle impliziten oder expliziten Quer- und Rückverweise angeben zu wollen. Das vollständige Referat der geschichtlichen Grundlage muß angesichts des Umfangs an Material notwendig sekundär bleiben, das Prinzip der Geschlossenheit der Darstellung, das hier primär ist, ist deshalb aber nicht gefährdet. Wenn es jedoch darum geht, speziell die aufbrechenden Entwicklungen des 19. Jahrhunderts zu verfolgen, so kann nicht von dem 18. Jahrhundert abgesehen werden. In diesem Jahrhundert, das nicht zuletzt eine sprachphilosophisch relevante Übergangsperiode vom Lateinischen zum Deutschen bezeichnet, findet sich bekanntlich nicht nur die Einführung des deutschen Ausdrucks ›Welt‹ in die Philosophie, es werden der Philosophie darüber hin47

Vgl. dazu Merleau-Pontys Diskussion der Weberschen ›Idealtypen‹ als adäquate historische Kategorien; Merleau-Ponty, Die Abenteuer der Dialektik (1955), 1968, S. 13–38, hier: S. 23.

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

aus auch mit ›Welt‹ verschiedene Aufgaben gestellt, deren Differenzierung später schwieriger werden soll. Doch auch in jenen Tagen werden bereits Abgrenzungsnöte sichtbar, und es zeigen sich Konnotationen und Verwendungsmöglichkeiten des Ausdrucks ›Welt‹, die, wenn sie übersehen werden, weder eine adäquate Interpretation der rationalistischen noch der kritizistischen Philosophie gestatten.

2. Welterkenntnis und Weltkenntnis im 18. Jahrhundert Die Bemerkung Eugen Finks, daß sich in der Kantischen Philosophie »der Höhepunkt der philosophischen Frage nach der Welt in der gesamten Tradition der abendländischen Metaphysik«48 findet, läßt sich schwerlich von der Hand weisen, wenngleich der Nachweis nicht leicht zu erbringen ist. Denn die Deutung, die man diesem Höhepunkt beimißt, hat in Rechnung zu stellen, daß einerseits ›Welt‹ bei Kant kein univokes Konzept ist, das einen sicheren Platz allein und einzig in der Metaphysik oder der transzendental aufgeklärten Erkenntnistheorie beansprucht, und daß andererseits der Königsberger in einer philosophischen Tradition des 18. Jahrhunderts steht, der man allzu leicht nicht Rechnung trägt oder die man voreilig etikettiert. Der vorkantischen Schulphilosophie im Anschluß an Christian Wolff aber ist das Verdienst zuzusprechen, daß sie ›Welt‹ überhaupt erst innerhalb der Metaphysik sicher verortet und explizit zu einem Verhandlungsgegenstand metaphysischer Besinnung erklärt hat. Inmitten der daran anschließenden Gemengelage metaphysischer Konstruktionen und mit Blick auf Kant einen oder den Begriff ›der Welt‹ zu extrahieren, ist dementsprechend schon kein leichtes Unterfangen; außerdem aber müssen noch die popularphilosophischen Reflexionen um ›Welt‹ – resp. die Abgrenzungen davon – berücksichtigt werden, wenn ein abgewogenes Urteil möglich werden soll. Bislang nämlich fußen Kritik wie produktive Aufnahme des Kantischen ›Weltbegriffs‹ nicht immer auf den selben Fundamenten.49

48

E. Fink, Einleitung in die Philosophie, 1985, S. 81. Wenn bis in das 20. Jahrhundert hinein Kant wegen seines Weltbegriffs in der Kritik stand, so wurde paradoxerweise genau nicht der Kantische Weltbegriff, sondern die Kantische ›Weltanschauung‹ kritisiert, die meist mehr oder weniger auf den Grenzfall des ›Ding an sich‹ und den Vorwurf eines leerlaufenden Idealismus verkürzt wurde; verwiesen sei hier etwa auf T. Pesch, Das Weltphänomen, 1881. – Daß der Kantische ›Weltbegriff‹ zum Thema werden konnte, dies setzt verstärkt in und mit der Wiederentdeckung der Metaphysik in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts und mit der Zuwendung zur Geschichte und Systematik der ›Dialektik‹ in der Kritik der reinen Vernunft ein. Einen Rezeptionsschnitt dieser Art markiert bezeichnenderweise ein Kenner der Wolffschen Philosophie: M. Wundt, Kant als Metaphysiker, 1924. – Auch die Untersuchungen zur Kantischen Anthropologie 49

2. Welterkenntnis und Weltkenntnis im 18. Jahrhundert

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Die Grundlage Kantischer Überlegungen hinsichtlich eines Weltbegriffs kann nun nicht allein in seinen kritischen Schriften gesucht werden, auch bleibt eine einseitige Isolierung der nicht-kritisch dargestellten Gehalte von Geographie und Anthropologie ungenügend. Der philosophische Reiz, die Herausforderung dieser Philosophie besteht vielmehr darin, daß sie als ein Ganzes auftritt. Kant verflüssigt nicht nur das Wissen von ›der Welt‹ zu einer Idee von ›Welt‹, die als Aufgabenstellung auf einem erfahrungswissenschaftlichen, transzendental aufgeklärten Fundament gründet; er bedenkt ebenso – vorwiegend in seinen Lehrveranstaltungen zur Geographie und Anthropologie – die Kenntnis von ›Welt‹, wie sie außerhalb der Metaphysik resp. der Erkenntnistheorie aufgeklärt werden kann. Obgleich die Inhalte, die Methoden und die Ergebnisse bezüglich des Wissens einerseits und der Kenntnis andererseits in unterschiedlicher Weise präsentiert, und verschiedene Aufgabenstellungen unterschieden werden, so sind doch die beiden Pole zugleich in Betracht zu ziehen, um der Kantischen Philosophie bezüglich ›Welt‹ gerecht zu werden. Bekannt ist die Differenz, die Kant in seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht benennt und auf die auch Heidegger zu sprechen kommt: »Noch sind die Ausdrücke: die Welt kennen und Welt haben in ihrer Bedeutung ziemlich weit auseinander; indem der eine nur das Spiel versteht, dem er zugesehen hat, der andere aber mitgespielt hat.«50 Heidegger macht mit Recht darauf aufmerksam, daß die vorliegende Kantische Bemerkung, aber auch ähnlich lautende andere Äußerungen, im Verbund mit der theoretischen Philosophie und den naturkundlichen Untersuchungen nicht in dem Sinne interpretiert werden könne, daß ein Dualismus zwischen einer ›Naturwelt‹ und einer ›Menschenwelt‹ statuiert werde; die Geschichte des Weltbegriffs zeige vielmehr, daß ›Welt‹ im Bezug zum Dasein als das einheitlich Seiende aufgefaßt werde: »Es ist daher gleich irrig, den Ausdruck Welt entweder als Bezeichnung der Allheit der Naturdinge (naturaler Weltbegriff) oder als Titel für die Gemeinschaft der Menschen (personaler Weltbegriff) in Anspruch zu nehmen. Vielmehr liegt das metaphysisch Wesentliche der mehr oder minder klar abgehobenen Bedeutung von kÒsmoj, mundus, Welt darin, daß sie auf die Auslegung des menschlichen Daseins in seinem Bezug zum Seienden im Ganzen abzielt.«51

resp. Geographie und die Zuwendung zu dem hier von Kant besprochenen Phänomen der ›Weltkenntnis‹ sind neueren Datums und setzen zu Anfang des 20. Jahrhunderts ein. 50 I. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (11798, 21800), Weischedel-Ausg., Bd. 10, BA VII, Akad.-Ausg., Bd. VII, S. 120. 51 M. Heidegger, Vom Wesen des Grundes (1929), 1976, S. 155f. Vgl. weiterhin die zu diesen Ausführungen gehörigen Abschnitte Was heißt Welt? und Kants Weltbegriff in: M. Heidegger, Einleitung in die Philosophie (1928/29), 1996, S. 239–304.

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

Heideggers Interpretation des Weltbegriffs der Tradition, der als ›Bezugssinn des Daseins‹ zum Seienden verstanden und in dieser Form ohne weitere Diskussionen der geschichtlichen Entwicklung zugrunde gelegt wird, ist jedoch historisch problematisch. Abgesehen davon, daß sich nicht so leicht eine Identifikation von ›kÒsmoj‹, ›mundus‹ und ›Welt‹ nachweisen läßt, überdeckt die Deutung offensichtliche Differenzierungen, auf die die schulmetaphysische Tradition vor Kant großen Wert gelegt hat, indem Weltverständnisse gesondert und insbesondere der Weltbegriff der Cosmologia transcendentalis mit Blick auf konkurrierende und populäre Auffassungen als Wesensbegriff gesichert wurde. Damit zeigt sich – was auch Heidegger immer wieder als seine Entdeckung herauszustellen sucht –, daß bereits bei der Einführung des Ausdrucks nicht so sehr ›Welt‹ als Seiendes zum Problem wurde, sondern ›Welt‹ als Ausdruck eines Sinngehalts. Im weiteren ist es auch weniger der Bezug eines ›Daseins‹, der in Rede steht – diese Schwierigkeit wurde erst im 19. Jahrhundert virulent; es sind die Erkenntnismodi selbst, in denen ›Welt‹ dem Sinne nach thematisch werden kann, die diskutiert werden. Zwar liegt es auf den ersten Blick nahe, einen Dualismus zwischen einem ›naturalen‹ und einem ›personalen‹ Weltbegriff im 18. Jahrhundert zu konstatieren,52 jedoch ist die hier sich andeutende Grenze keine, die zwischen Begriffen als Bezeichnung für ontische Seinsregionen statuiert wird; im Gegensatz dazu handelt es sich um die Differenz zwischen einem Wesensbegriff von ›Welt‹ und den Verständnissen, die mit ›Welt‹ verbunden werden. Dies bedeutet, daß nicht die ›Menschenwelt‹ der ›Naturwelt‹ gegenübergestellt und beide voneinander als isolierte Reiche des Seienden abgegrenzt werden, sondern daß ein Weltbegriff in Anlehnung an die Methoden und Begründungstheoreme von Physik und Mathematik für das Feld naturaler Wirklichkeiten im Horizont der metaphysischen Frage nach Gott und dem Problem 52

Ein derartiger Eindruck könnte sich aufdrängen, schaut man sich z. B. auch später entstandene Wörterbücher an. Adelung beispielsweise unterscheidet 13 Bedeutungen von Welt, wovon allein sieben die Menschenwelt betreffen: »Die zu gleicher Zeit lebenden Menschen […]«; »Eine Menge von Menschen […]«; »Menschen überhaupt […]«; »Menschen von einer gewissen Classe«; »Practische Kenntniß der feineren Welt und ihrer Sitten«; »Die bürgerliche Welt im Gegensatz zur kirchlichen.«; »Irdisch oder sinnlich gesinnte Menschen.« Daneben führt er die veraltete Bedeutung des Ausdrucks zur Bezeichnung der Zeit resp. eines Zeitalters sowie ›Welt‹ als »verstärkender Ausdruck« und weitere vier Varianten an, die ›Erde‹, d. h. Geographie, und ›Universum‹, d.h. Astronomie, betreffen; vgl. J.C. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Bd. 4 (1801), 1970, Sp. 1478 ff. Eine ähnliche Gewichtung findet sich auch bei J. H. Campe, Wörterbuch der Deutschen Sprache, Bd. 5 (1811), 1970, S. 668. – Freilich handelt es sich hier um Wörterbücher, die einen Sprachgebrauch wiederzugeben versuchen, indem bereits Begriffenes unterschieden wird, es handelt sich nicht um eine philosophische Aufklärung der Frage nach ›Welt‹. Eine ontische Scheidung, die allererst philosophisch auszuweisen wäre, ist mit der Gewichtung nicht verbunden.

2. Welterkenntnis und Weltkenntnis im 18. Jahrhundert

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des Seienden herausgestellt wird, der aber zugleich mit den populären Weltverständnissen in Korrelation zu setzen ist. Genau dies deutet sich bereits in der schulphilosophischen Tradition an, wird aber von Kant genauer reflektiert – insbesondere in seinen parallel zu dem kritischen Geschäft fortgeführten Schriften und Vorlesungen zur Anthropologie und Geographie. Und demgemäß findet sich bei Kant, wie Heidegger andeutet und Fink explizit herausstellt, nicht einzig der Höhepunkt der metaphysischen Frage nach ›der Welt‹, sondern der Kulminationspunkt der Frage nach dem wissenschaftlichmetaphysischen Wesensbegriff und dem vortheoretisch-prozessualen Verständnis von ›Welt‹. Nicht Weltbegriffe stehen einander gegenüber, sondern das wissenschaftlich-metaphysische Wissen von ›der Welt‹ wird auf einen Weltbegriff als Wesensbegriff gebracht und im Kontext der Kenntnis von ›Welt‹ diskutiert. Bereits der fehlende Artikel – ›Welt kennen‹ und von ›der Welt wissen‹ – kann darauf aufmerksam machen und kann zu bedenken geben, daß hier keine Scheidung von Seiendem, sondern eine Differenz im Erkennen vorliegt. Das Bedürfnis, ›Welt‹ absolut zu setzen, gründet ebenso auf späteren philosophischen Fragestellungen, methodischen Problemkonstellationen und auch wissenschaftlichen Interessen wie das Anliegen, ›Welt‹ auf Seiendes zu reduzieren. Die Interpretation der Kantischen Philosophie aus dieser Perspektive kann den Analysen des Transzendentalphilosophen betreffs ›Welt‹ daher nicht gerecht werden. Eher schon kann man mit Schneiders die Bedeutung der Aufklärungsphilosophie darin sehen, »daß sie aus der Perspektive der autonomen Vernunft, die Welt im Ganzen reflektierter gemacht hat«53. Daß im speziellen und insbesondere im Ausgang von der Wolffschen Philosophie ›Welt‹ ›reflektierter gemacht wurde‹, liegt nicht zuletzt daran, daß dieser in seinen systematisierenden Werken allererst einen Ort bestimmte, wo ›Welt‹ als Begriff wissenschaftlich-philosophisch behandelt werden kann: die Cosmologia generalis vel transcendentalis. Zwar wurde Wolff bereits zu Lebzeiten, besonders aber später – abgesehen von dem Lob Kants: »der Urheber

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W. Schneiders, Akademische Weltweisheit, 1985, S. 43; Schneiders fährt fort, indem er zwischen der deutschen und der französischen Philosophie des 18. Jahrhunderts unterscheidet: »Dabei lag die Stärke der französischen Philosophie schon damals in ihrer konkreten Weltoffenheit und Weltgestaltung, die der deutschen in der Intensität prinzipieller Problematisierung und Abstraktion (die nicht selten die Folge mangelnder Möglichkeiten in der Welt war).« – Mit diesem Befund und in der Auseinandersetzung mit der Popularphilosophie vertritt Schneiders an anderer Stelle die weiterreichende These, daß es in jenem Jahrhundert zu einer ›Verweltlichung‹ der Philosophie gekommen sei. Dieses Konzept verdeckt wiederum mehr als es klärt. Mit einer ›Verweltlichung‹, wie man den Begriff aus dem 19. Jahrhundert kennt, hat das 18. Jahrhundert nichts zu tun; es geht eher um die Korrelation von Wissen und Kennen ›der Welt‹; vgl. W. Schneiders, Zwischen Welt und Weisheit, 1983; ders., Deus est philosophus absolute summus, 1983.

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

des bisher noch nicht erloschenen Geistes der Gründlichkeit in Deutschland«54 zu sein – viel Häme entgegengebracht,55 doch die Sicherung von ›Welt‹ innerhalb der Metaphysik ist allein ihm zuzuschreiben. Daß freilich hier besonders ›Welt‹ im Verbund eines Ganzen und nicht so sehr ›die Welt im Ganzen‹ behandelt wird und daß hier eine vernünftige Autonomie von Weltbetrachtungen zum Thema wird und weniger eine ›autonome Vernunft‹, ist entgegen Schneiders Thesen jedoch eher zu vermuten. Legt man die im 18. Jahrhundert vorliegenden Differenzierungen zugrunde und deutet sie voreilig als ontische Seinsregionen, so liegt der später allerorten im 20. Jahrhundert erhobene Vorwurf nahe, Wolff, Baumgarten oder Kant hätten in ihren analytischen Überlegungen Fundamente übersehen, die die Systematik erst ermöglichten. Eine derartige Kritik übersieht jedoch – wenn nicht gar die Quellen – etwas, was man ebenfalls in Rechnung stellen und bedenken sollte: daß es nämlich ein derartiges Problem der Fundierung in der historisch späteren Form des 20. Jahrhunderts im 18. Jahrhundert noch nicht gegeben hat. Zudem überfliegt diese Kritik allzu schnell die positiven Leistungen, die aus heutiger Perspektive trivial erscheinen mögen, jedoch immer noch nicht selbstverständlich sind und die Philosophie beschäftigen: die Bestimmung des philosophischen Ortes, innerhalb dessen ›Welt‹ thematisch wird, und der Versuch, ›Welt‹ als Terminus technicus und Wesensbegriff einer wissenschaftlich-rationalen Philosophie zu umgrenzen.

a) Die ›Cosmologia generalis‹ und die metaphysische Welterkenntnis Christian Wolffs Philosophie und die sich an sein Denken anschließenden Philosophen sind hinsichtlich einer Geschichte des Weltbegriffs aus diesen Gesichtspunkten von besonderem Interesse, da hier der philosophische Terminus ›Welt‹ im Horizont von Weltverständnissen bedacht wird und auf eine paradigmatische Weise innerhalb einer neuen metaphysischen Teildisziplin integriert werden soll. Zum einen handelt es sich also darum, die Cosmologia transcendentalis oder Cosmologia generalis als Disziplin der Metaphysica specialis, wo ›Welt‹ sinnvoller- und dies heißt vernünftigerweise im Kontext der Philosophie behandelt wird, zu begründen; und zum anderen geht es darum,

54

I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 335, B XXXVI. 55 Vgl. beispielsweise Hegels nicht gänzlich von der Hand zu weisende Charakterisierung, daß Wolffs »Barbarei des Pedantismus oder dieser Pedantismus der Barbarei« »notwendig sich selbst allen Kredit genommen«, d.h. in der Folge sich auch selbst im Weg gestanden hat; vgl. G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, Werke, Bd. 20, 21993, S. 263.

2. Welterkenntnis und Weltkenntnis im 18. Jahrhundert

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den deutschen Ausdruck ›Welt‹ als Konzept der Metaphysik allererst zu fixieren und zu bestimmen – und dies in Auseinandersetzung mit vorliegenden Verständnisweisen von ›Welt‹, die sich bereits in eben dem zeitgemäß unzeitgemäßen deutschen Ausdruck sedimentiert hatten. Allein der philosophische Sprachwechsel vom Lateinischen zum Deutschen bereitet hier schon nicht wenige Probleme. Wenn Alexander von Humboldt in seinem Exkurs zur Geschichte des Ausdrucks ›Kosmos‹ den Übergang vom griechischen ›kÒsmoj‹ zum lateinischen ›mundus‹ als einen Prozeß bezeichnet, in dem der eine Ausdruck in den anderen schlicht »umgestempelt«56 wird, so gilt dies keineswegs für die Einführung des deutschen Ausdrucks ›Welt‹ in die Philosophie. Das bloße ›Umstempeln‹ ist sicherlich nicht im Übergang vom Lateinischen zum Deutschen als einer Begriffssprache in statu nascendi zu beobachten – dies gilt allgemein für die philosophische Terminologie, und dies gilt im besonderen für den Ausdruck ›Welt‹.57 Es ließe sich vielmehr angesichts der Unwägbarkeiten, denen sich die Schulphilosophen des 18. Jahrhunderts bewußt waren und denen sie vorzubeugen suchten, im Gegensatz zu einer schlichten Übersetzung besser von einer Synchronisierung, einer Sprachangleichung von differenten Horizonten sprechen, die sich zugleich auf unterschiedlichen Ebenen abspielt. Wolff und seine Nachfolger standen vor der ›paradoxen‹, heute kaum mehr verständlichen Situation, von dem philosophisch allzu bekannten ›mundus‹ einen Übergang zu dem allzu verständlichen Ausdruck ›Welt‹ zu finden, wobei die Geläufigkeit von ›mundus‹ innerhalb der philosophischen Tradition eine andere Dignität aufweist als die Verständlichkeit von ›Welt‹ im populären Sprachgebrauch. Auch hier also mußte ›Welt‹ gleichsam erst wieder flüssig gemacht, der Ausdruck in seiner semantischen Dimensionalität erkannt werden, um ihn dann im Kontext einer Metaphysik mit den Ansprüchen der Tradition und den Stimmen bzw. Herausforderungen der Gegenwart zu synchronisieren. ›Welt‹ konnte ja nicht einfach erfunden werden, ›Welt‹ und Weltverständnisse waren bekannt, und es galt, einen Weg einzuschlagen, der dem umgangssprachlichen Ausdruck seine kosmologisch metaphysische Tradition in Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache als einer Umgangssprache sicherte. Synchronisiert wurde also durchaus Unterschiedliches – die Ausdrücke verschiedener Sprachen untereinander, wissenschaftliche und

56

A.v. Humboldt, Kosmos, Bd. 1 (1845), 1993, S. 55. – Zum Übergang vom Griechischen zum Lateinischen mit Blick auf den Weltbegriff vgl. W. Kranz, Kosmos, 1958, S. 115 ff. 57 Vgl. zu den Umbrüchen innerhalb der philosophischen Begriffssprache und den essentiell damit verbundenen philosophischen Fragestellungen und Äquivokationen, die teilweise bis zur Gegenwart fortdauern, N. Hinske, Kants neue Theorie der Sinnlichkeit und ihre Sprachregelungen, 1996, sowie N. Hinske, Aufklärung, 1985.

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

populäre Verständnisse und Erkenntnisse miteinander und die mit dem Ausdruck aufgegebenen Aufgaben einer philosophischen Untersuchung gegeneinander. Nicht wieder aufgenommen oder in den Chor der Begriffe und Stimmen einbezogen wurde in diesem Übergang allerdings ein Ausdruck, der erst später, 1845, mit Alexander v. Humboldt eine beispiellose Renaissance erfahren sollte: ›Kosmos‹. Zwar findet sich der Ausdruck im 18. Jahrhundert in Wortkompositionen wie ›Cosmographie‹ und ›Cosmologie‹, auch wird er attributiv gebraucht, nicht jedoch tritt er als eigenstädiges Substantiv auf.58 ›Weltall‹ und ›Weltgebäude‹ gelten im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts als adäquate deutsche Ausdrücke, um dasjenige zu bezeichnen, was ›Kosmos‹ meinte und wofür auch ›mundus‹ oder ›universum‹ stand.59 In dieser Situation einer Begriffssprache in statu nascendi nimmt es nicht wunder, daß Wolff in seiner deutschen Metaphysik, den Vernünfftigen Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, ein Register beifügt, »[d]arinnen einige Kunst-Wörter Lateinisch gegeben werden«, und ›Welt‹ als ›Universum‹ qualifiziert.60 ›Welt‹ war, so zeigt allein die Not des Registers, verständlich, doch keineswegs bereits im

58

Vgl. J. H. Campe, Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke, Bd. 1, 1801, S. 270, worin ›Cosmogonie‹, ›Cosmograph‹, ›Cosmographie‹, ›Cosmologie‹, ›cosmologisch‹, ›Cosmopolit‹, ›Cosmopolitismus‹, ›cosmopolitisch‹, ›cosmopolitisiren‹ und ›Cosmotheologie‹ registriert werden. Vgl. auch J.H. Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste (1733), Bd. 6, 1961, wo ›Cosmographia‹ und ›Cosmotheoria‹, nicht jedoch ›Cosmos‹ verzeichnet sind. Weiterhin wird in diesem Nachschlagewerk in dem Artikel zu ›Welt‹ nur das lateinische ›mundus‹ und das französische ›monde‹ als Äquivalent zum deutschen Ausdruck ›Welt‹ angeführt: J. H. Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste (1747), Bd. 54, 1962. Vgl. zusätzlich die nicht vorhandene Registrierung von ›Cosmos‹ als einer latinisierten Form in: K. Aso, M. Kurosaki, T. Otabe, S. Yamauchi (Hg.), Onomasticon philosophicum latinoteutonicum et teutonicolatinum, 1989. 59 Einen Grund für die Nichtbeachtung des Ausdrucks ›Kosmos‹ anzuführen, fällt nicht leicht. Ein Motiv ist sicherlich in der starken Verbreitung des Französischen und den mit dem Ausdruck ›monde‹ verbundenen Konnotationen zu suchen. – Zu beachten ist freilich darüber hinaus, daß der Übergang von kÒsmoj zu ›mundus‹ einige Jahrhunderte früher – und zwar vollständig – stattgefunden hat, ohne daß mit dem Ausdruck auch ein Gehalt verloren gegangen wäre; vgl. W. Kranz, Kosmos, 1958, S. 136. In diesem Fall kann man mit v. Humboldt tatsächlich von einem ›Umstempeln‹ sprechen. 60 C. Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen 1 ( 1720, 111751), 1983, S. 677. – Vgl. auch den Abschnitt Von der Schreib-Art, der sich Hr. Wolff in seinen Schrifften bedienet hat in C.G. Ludovici, Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, 2. Theil (1737), 1977, §§ 328ff., wo sich in § 329 ein deutsch-lateinisches und in § 330 ein lateinisch-deutsches Register der Wolffschen ›Kunst-Wörter‹ befindet. Im ersten Register wird ›Welt‹ und auch ›Weltgebäude‹ – wie bei Wolff – mit ›universum‹ verständlich gemacht.

2. Welterkenntnis und Weltkenntnis im 18. Jahrhundert

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Sinne der Metaphysik begriffen. Und ähnlich erläutert resp. synchronisiert Baumgarten umgekehrt in seiner lateinischen Metaphysica ›mundus‹ einerseits mit dem deutschen Ausdruck »die ganze Welt« und andererseits mit den Bezeichnungen »universum, pan«61. Diese sprachliche Einblendung von Untertiteln, wie man sie typischerweise im 18. Jahrhundert bis hin zu Kant findet, ist kein bloßes Kuriosum, sie gründet auch nicht in einer philosophischen Affektiertheit, vielmehr werden damit Kontinuitäten philosophischer Problemstellungen gesichert und Vergleichsmöglichkeiten, die zuvor verborgen waren und implizit blieben, eröffnet. Die Erhebung des Allerweltsausdrucks ›Welt‹ zu einem ›Kunst-Wort‹ der Metaphysik spiegelt so das Werden einer Begriffssprache in Auseinandersetzung mit den semantischen Dimensionen der populären Sprachwirklichkeit dieses Ausdrucks sowie den damit einhergehenden impliziten Verständnissen einerseits und andererseits dem Versuch, philosophische Traditionen zu wahren und mit Blick auf die Entwicklung der Naturwissenschaften neu zu bestimmen. Daß in diesem Prozeß eine bislang nicht existente philosophischmetaphysische Disziplin, die Cosmologia transcendentalis bzw. Cosmologia generalis, von Wolff begründet wurde, ja erfunden werden mußte, resultiert nicht zuletzt aus eben dieser doppelten Problemkonstellation – ›Welt‹ populär zu umgreifen und rational zu begreifen resp. zu explizieren. Auch Johann Christoph Gottsched sieht sich demgemäß in einem Anhang zu seinen Ersten Gründen der gesammten Weltweisheit, der den Beweis, daß diese Welt unter allen die beste sey, zum Gegenstand hat, gezwungen, »eine gute Erklärung von dem Worte Welt zu geben; damit niemand durch die Zweydeutigkeit desselben, in Verwirrung gesetzet werde«62. Weder möchte Gottsched unter ›Welt‹ »das menschliche Geschlecht; noch, wie die Schrift zu reden pflegt, bloß den lasterhaften Theil desselben« verstehen. Auch ist der Ausdruck »nicht in dem gemeinen Verstande, da man die Erdkugel mit allem, was darauf befindlich ist, die Welt nennet«, zu nehmen. Die letztere Bedeutung kann Gottsched zufolge »eine physikalische genennet werden«, von der er »eine noch weitläufigere, metaphysische« unterscheidet, worunter er »den ganzen Zusammenhang aller großen und kleinen Weltkörper; die unzählbare Menge aller erschaffenen sichtbaren und unsichtbaren Dinge«63 faßt. 61

A. G. Baumgarten, Metaphysica (11739, 41757), 1926, § 354; anzumerken ist, daß Baumgarten erst ab der 4. Auflage die Übersetzungshilfen angibt. – Und in der Meierschen Übersetzung der Baumgartenschen Metaphysik ist umgekehrt wieder zu lesen: »Die Welt, das große All (mundus, universum)«; vgl. A.G. Baumgarten, Metaphysik (1776), 1783, § 55. 62 J.C. Gottsched, Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (11733/1734, 71762), Bd. 2, 1983, S. 462. 63 Ebd., S. 462f.

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

Und auch Georg Friedrich Meier sieht in seiner ausladenden Metaphysik, die nicht zuletzt deshalb alle anderen an Umfang übertrifft, weil sie die Unwägbarkeiten der deutschen Sprache in Rechnung stellt, die immensen Probleme, die dem Ausdruck ›Welt‹ anhaften, wenn er als philosophischer Terminus fixiert werden soll. Anders als Gottsched jedoch verweist er nicht nur auf ›Welt‹ als Natur und ›Welt‹ als Menschengemeinschaft, er differenziert zwischen weiteren Bedeutungen: »Man kan nicht genung sagen, wie vielem Widerspruche manche der wichtigsten Wahrheiten blos deswegen unterworfen sind, weil das Wort, Welt, in einer so vielfachen Bedeutung gebraucht wird. So gar brauchen, die Weltweisen, dieses Wort nicht insgesamt in einerley Bedeutung. Um nun allen Schwierigkeiten, die etwa aus dem unbestimten Gebrauche dieses Worts entstehen könnten, aufs möglichste vorzubeugen, wollen wir gleich im Anfange diejenigen Bedeutungen bemerken, welche wir in der Cosmologie mit dem Worte, Welt, nicht verbinden. Und hieher kan, eine sechsfache Bedeutung, gerechnet werden. Erstlich ist es sehr gewöhnlich, daß man durch die Welt ein Planetensystem versteht, als welches sonderlich in der Astronomie geschieht. […] Zum andern versteht man durch die Welt manchmal unsern Erdboden, und einen iedweden Planeten, der dem Erdboden ähnlich ist, und der Einwohner hat, wie unser Erdboden. […] Ja, im gemeinen Leben, versteht man durch diese Welt mehrentheils nur den Erdboden, indem man eben deswegen sich einbildet, daß wir, wenn wir sterben, aus der Welt wegkommen. Ja manchmal versteht man, durch die Welt, nur einen Theil des Erdbodens, daher man America die neue Welt, und die drey übrigen Theile des Erdbodens die alte Welt zu nennen pflegt. Zum dritten wird durch die Welt manchmal das menschliche Geschlecht verstanden, als wenn in der Bibel gesagt wird, Christus sey in die Welt gekommen, als welches eben so viel heißt, als daß er ein Mensch geworden. Man sagt auch, man lerne die Welt kennen, wenn man die Menschen kennen lernt. Zum vierten heissen manchmal, die auf einander folgenden Geschlechter der Menschen, die Welt, als wenn man sagt: die Vorwelt und Nachwelt. […] Zum fünften wird, durch die Welt, sehr ofte derjenige Theil des menschlichen Geschlechts verstanden, welcher in einem grössern moralischen Verderben liegt, als der übrige Theil; oder der Haufe der rohen unbekehrten Menschen, welche Sclaven ihrer viehischen Leidenschaften und Laster sind. […] Doch, wenn ehe würde ich ein Ende finden, wenn ich alle die verschiedenen Bedeutungen anführen wolte, in denen das Wort gebraucht wird? Um diese Sache kurz zu fassen, so will ich noch sechstens bemerken, daß eine iedwede Vielheit, eine iedwede Menge solcher Dinge, die eine grössere und merklichere Aehnlichkeit haben, und die auf eine nähere Art mit einander dergestalt verbunden sind, daß man sie zusammen genommen sich als ein und eben dasselbe Ganze vorstellen kan, mit dem

2. Welterkenntnis und Weltkenntnis im 18. Jahrhundert

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Namen einer Welt belegt werden kan. Daher sagt man: die Körperwelt und die Geisterwelt, die moralische Welt, die Welt der Wahrheiten, die Fabelwelt, der Mensch wird die kleine Welt genannt, und was dergleichen Redensarten mehr sind.«64 Meiers Ansinnen, die sich bereits als Weltbegriffe artikulierenden Weltverständnisse zu sondern resp. aufzubrechen, findet sein Motiv darin, »sich nicht etwa einen zu kleinen« Begriff von ›der Welt‹ zu bilden. Der Metaphysiker nämlich handelt nicht »von derjenigen Einrichtung, die dieser würklichen Welt, von welcher wir Theile sind, allein [!] eigen ist«; »der metaphysische Weltbeschauer« geht »viel weiter, und untersucht die Natur und das Wesen der Welt überhaupt«65. In Auseinandersetzung mit den Weltverständnissen, die auf einem Orientiert-sein ›in Welt‹ als einem Komplex von Seiendem gründen, kommt in der Metaphysik ein Weltbegriff als Wesens- und Sinnbegriff zur Sprache, der diese Orientierungen reflektiert. Nur der ›kleine Weltbegriff‹ bezieht sich allein und direkt auf das All des Seienden (universitas rerum), der Weltbegriff der Metaphysik thematisiert als Wesenbegriff den Sinn von ›Welt‹, in der der Mensch und die Dinge als Teil einer Struktur (›der Welt überhaupt‹) auftreten.

*

Daß eine Philosophie, die mit Wolff »als Wissenschaft des Möglichen, insofern es sein kann«66, auftritt, den Satz des Widerspruchs und die Frage nach dem Grund als Wesensfrage des Wirklichen betrachtet und somit das Wirkliche dem Möglichen nach- wenn nicht gar unterordnet, angesichts der Weltverständnisse sich zuvörderst des Sinnes von ›Welt‹ versichert, ist nicht weiter erstaunlich. Wenn auch die Tradition den systematischen Rahmen der Verhandlung dieses Sinnes vorgibt, der philosophische Ort der Untersuchung war keineswegs als solcher benannt. So steht der Begriff von »der ganzen Welt«67 oder der »Welt überhaupt«68 natürlich in der Tradition Leibnizens und entwickelt sich im Horizont der Theodizee-Diskussion der besten aller möglichen Welten.69 Wolffs Definition ›der Welt überhaupt‹ als Reihe in seiner Cosmologia generalis, wo ›Welt‹ nicht nur die aktuale Wirklichkeit umfaßt, sondern auch die Möglichkeit von Verknüpfungen im Kontinuum einer Reihe umgreift, bringt dies deutlich zum 64

G.F. Meier, Metaphysik, 2. Teil: Die Cosmologie (11756), 21765, § 291. Ebd., § 282. 66 C. Wolff, Discursus praeliminaris de philosophia in genere (11728, 41740), 1996, § 29. 67 G.F. Meier, Metaphysik, 2. Teil: Die Cosmologie (11756), 21765, § 283. 68 J. C. Gottsched, Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (11733/1734, 71762), Bd. 1, § 215. 69 Vgl. W. Hübener, Sinn und Grenzen des metaphysischen Optimismus (1978), 1985, bes. S. 143 f.; T. Ramelow, Gott, Freiheit, Weltenwahl, 1997; vgl. mit Blick auf den Übergang zu Kant auch R. Spaemann, Leibniz’ Begriff der möglichen Welten, 1987. 65

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

Ausdruck: »Series entium finitorum tam simultaneorum, quam successivorum inter se connexorum dicitur Mundus, sive etiam Universum.«70 Diese Definition schließt sich als Systematisierung an Leibnizens Gebrauch des Weltbegriffs in der Theodizee an, wo es heißt: »J’appelle monde toute la suite et toute la collection de toutes les choses existantes, afin qu’on ne dise point que plusieurs mondes pouvaient exister en différents temps et différents lieux.«71 Im Gefolge des Leibnizschen Ansatzes und mit der Wolffschen Weltbestimmung vergleichbare, in Nuancen freilich abweichende Definitionen von ›Welt‹ als einer Reihe durchziehen die deutsche Schulphilosophie72 bis hin zu

70

C. Wolff, Cosmologia generalis (11731, 21737), 1964, § 48. 71 G.W. Leibniz, Essais de théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal (1710), Philosophische Schriften, Bd. 2.1, Première Partie, § 8, S. 218f.; vgl. ebd., Seconde Partie, § 195, S. 548. – Daß Leibniz selbst von diesem Begriff der ›Welt‹ innerhalb einer geschlossenen philosophisch-metaphysischen Diskussion den deutschen Ausdruck ›Welt‹ wohl zu scheiden wußte, erhellt aus einer Bemerkung in seinen Unvorgreiflichen Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache. Unmittelbar nach der Bemerkung, daß sich »auch täglich bey uns selbst in der Sprache allerhand erläuterungswürdige Dinge und Anmerkungen« finden, die »Gelegenheit zu sonderlichen Nachdenken geben«, kommt er – und dies dürfte gerade hinsichtlich dieser Einleitung kein Zufall sein – auf den ›erläuterungswürdigen‹ und bedenkenswerten deutschen Ausdruck ›Welt‹ zu sprechen; die von Leibniz onomatopoetisch begründete Etymologie greift freilich zu kurz und ist falsch: »Zum Exempel, wenn man fraget, was Welt im Teutschen sagen wolle, so muß man betrachten, daß die Vorfahren gesaget Werelt, wie sichs noch in alten Büchern und Ländern findet, daraus erscheinet, daß es nichts anders sey, als Umkreiß der Erden oder Orbis terrarum. Denn Wirren, Werre, (Wire bey den Engländern, Gyrus bei [!] den Griechen) bedeutet, was in die Runde herum sich ziehet. Und scheinet die Wurtzel stecke im Buchstaben W, der eine Bewegung mit sich bringet, so ab- und zugehet, auch wohl umgehet, als bey wehen, Wind, Waage […]«; vgl., G.W. Leibniz, Unvorgreifliche Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache (1697/1698), Philosophische Werke, Bd. 2, S. 672–712, hier: § 48 und § 49, S. 690. 72 C. Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen 1 ( 1720, 111751), 1983, § 544: »[…] daß die Welt eine Reihe veränderlicher Dinge sey, die neben einander sind, und auf einander folgen, insgesamt aber mit einander verknüpfet sind.«; vgl. die gleichlautenden Formulierungen in: C. Wolff, Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schriften (11726, 21733), 1973, § 47; C. Wolff, Der Vernünfftigen Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, anderer Theil bestehend in ausführlichen Anmerkungen (11724, 21727, 31733, 41740), 1983, § 174. – In sehr enger sprachlicher und systematischer Anlehnung an Wolffs Definition bleiben die Wolffianer F. C. Baumeister, Institutiones metaphysicae (1738), 1988, § 396; G. B. Bülfinger, Dilucidationes philosophicae (1725), 1982, § 139; vgl. hierzu auch: H.A Meissner, Philosophisches Lexicon (1737), 1970, S. 710–714. – Vgl. weiterhin, insbesondere mit Blick auf mögliche logische Konfusionen (das Problem der Klasse aller Klassen) resp. eine zu enge Auslegung des Wolffschen Ansatzes, wie sie u. a. von Lange gegen Wolff geltend gemacht wurde (s. u. S. 47, Anm. 93), die Variationen von J. C. Gottsched, Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (11733/1734, 71762), 1983, Bd. 1, § 327: »Es ist nämlich die-

2. Welterkenntnis und Weltkenntnis im 18. Jahrhundert

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Kant, der in seiner Inauguraldissertation De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis bezeichnenderweise damit beginnt, dem Reihenbegriff spezifizierende, auf zukünftige Änderungen hinweisende Charakteristika beizufügen,73 die letztendlich auch das Antinomienkapitel der Kritik der reinen Vernunft bestimmen werden, wo von der »Weltreihe«74 die Rede sein wird. Die Reihe wird nun nicht mehr nur von Kant mit Blick auf eine Progression betrachtet; unterschieden wird nunmehr hiervon die Regression.75 Auch dies rüttelt bereits an der weiteren Wolffschen Weltbestimmung, daß nämlich ›die Welt‹ in ihrer Totalität, sofern in ihr als Reihe in Raum und Zeit »alles mit einander verknüpfet« ist, »als ein Ding«76 oder ein »Ens unum«77 angesehen werden könne: »Wie die Zergliederung«, so führt Kant 1770 aus, »beim substantiellen Zusammengesetzten nur in dem Teil ihre Grenze findet, der kein Ganzes ist, d. i. dem Einfachen: so die Verbindung nur in dem Ganzen, das kein Teil ist, d. i. der Welt.«78

* selbe [die Welt überhaupt] ein Inbegriff vieler veränderlichen Dinge, die dem Raume und der Zeit nach mit einander verknüpfet sind; aber zusammen genommen keines andern Dinges Theil abgeben.« A.G. Baumgarten, Metaphysica (11739, 41757), 1926, § 354: »Mundus (universum, pan) est series (multitudo, totum) actualium finitorum, quae non est pars alterius.« A. G. Baumgarten, Metaphysik (1776), 1783, § 255: »Die Welt, das große All (mundus universum), ist eine Reihe (Menge, ein Inbegriff oder Ganzes) endlicher wirklicher Dinge, welche kein Theil einer andern Reihe ist.«; G. F. Meier, Metaphysik, 2. Teil: Die Cosmologie (11756), 21765, § 292: Die Welt »ist die Reihe, oder der Inbegriff aller würklichen endlichen Dinge, die zusammengenommen ein Ganzes ausmachen, welches kein Theil einer noch grössern Reihe endlicher Dinge ist.« 73 Zur Geschichte und Systematik der ›Beweise aus Reihen‹ und den von Kant eingeführten Änderungen vgl. auch J. Benediek, Über den Gebrauch von Reihen in den Gottesbeweisen, 1963/66. 74 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 522, B 550; vgl. ebd. A 518, B 546 Anm. 75 Zu dem Kantischen Verständnis von ›Regression‹ und ›Progression‹ in der Kritik der reinen Vernunft, das ein eigenes Untersuchungsfeld darstellen würde vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 409 ff., B 436ff. 76 C. Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen 1 ( 1720, 111751), 1983, § 549. 77 Vgl. z. B. C. Wolff, Der Vernünfftigen Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, anderer Theil bestehend in ausführlichen Anmerkungen (11724, 21727, 31733, 41740), 1983, §174. – Zu ›der Welt‹ als Ganzes, die selbst kein Teil eines anderen ist, vgl. auch Baumgartens Definition s. o. S. 42, Anm. 72. 78 I. Kant, Von der Form der Sinnen- und Verstandeswelt und ihren Gründen (1770), Weischedel-Ausg., Bd. 5, A 1, § 1, vgl. ebd. A 6 f, § 2 III, Akad.-Ausg., Bd. 2, S. 387; vgl. ebd. S. 392f. – Vgl. hierzu auch die Arbeit des Respondenten der Kantischen Disputation M. Herz, Betrachtungen aus der spekulativen Weltweisheit (1771), 1990, S. 13 f., wo die Verbindung zur Tradition resp. die einsetzende Umgestaltung – hier abgesehen von Herzens eigenem Interpretationsansatz – ebenso ersichtlich wird.

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

Die sich mit den vorliegenden Definitionsversuchen etablierenden Problemhorizonte einer neuen metaphysischen Teildisziplin sind jedoch gerade mit Blick auf die weitere Entwicklung nicht weniger interessant als die vollzogene Begriffsbestimmung von ›Welt‹ als Reihe oder Inbegriff im Ganzen der Metaphysik und in Anlehnung an die Naturwissenschaften. Denn ineins mit dem Weltbegriff wird einer neuen – um mit den Worten Wolffs zu sprechen: »bisher ungewöhnlichen«79 – Disziplin der Weg bereitet. So bemerkt Wolff im Discursus praeliminaris: »Die allgemeine Kosmologie war bisher den Philosophen unbekannt, obwohl sie immer wieder an verstreuten Stellen das behandelt haben, was dahin gehört. Ich hielt es für angebracht, diese Wissenschaft zu begründen, weil die Psychologie, die natürliche Theologie und die Physik Grundsätze daraus entnehmen und anderswo nicht angemessen gelehrt wird, was zu ihr gehört.«80 Nicht nur die weiteren Teile der Metaphysica specialis (Psychologia rationalis und Theologia naturalis), auch die Physik, gründen auf der Cosmologia transcendentalis, da letztere die »notiones directrices«81 für die folgenden Disziplinen der speziellen Metaphysik und die physikalischen Wissenschaften bereitstellt. Bereits die Kennzeichnung dieser Disziplin als ›Cosmologia transcendentalis‹ verleiht ihr ein besonderes Gewicht, sie verhält sich nämlich gemäß dem Wolffschen Verständnis zur Physik wie die Ontologie zur Philosophie im allgemeinen.82 Als solche bezeich-

79

C. Wolff, Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schriften (11726, 21733), 1973,

§ 80. 80

C. Wolff, Discursus praeliminaris de philosophia in genere (11728, 41740), 1996, § 78 nota. – Zu Wolff als Begründer der metaphysischen Kosmologie vgl. J. C. Gottsched, Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (11733/1734, 71762), Bd. 1, § 218: »Der Freyherr von Wolf ist der erste, der die Weltweisheit mit dieser so nöthigen als nützlichen Wissenschaft bereichert hat; deren Theile sonst stückweise hier und da zerstreuet lagen.« – Zu dem Fehlen der Kosmologie in den vorwolffschen metaphysischen Systemen vgl. auch die Gliederungen in: J.S. Freedman, Deutsche Schulphilosophie im Reformationszeitalter, 1984, und die Ausführungen in M. Wundt, Die deutsche Schulphilosophie des 17. Jahrhunderts, 1939; ders., die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung (1945), 1964. – Zu dem Platz der Kosmologie nach der Ontologie und vor Psychologie und Theologie vgl. J. École, Des différents parties de la métaphysique selon Wolff, 1983. – Nur am Rand sei hier daran erinnert, daß Wolff in seiner Deutschen Metaphysik, die empirische Psychologie der Ontologie folgen läßt, also vor der Kosmologie plaziert, um dieser dann die rationale Psychologie und die natürliche Theologie anzuschließen. Im lateinischen Werk aber steht die Kosmologie vor empirischer und rationaler Psychologie. 81 C. Wolff, Cosmologia generalis (11731, 21737), 1964, S. 13 (Praefatio). 82 Ebd., § 1 nota: »Quamobrem & transcendentalem appellare soleo, quia nonnisi talia de mundo hic demonstrantur, quae ipsi tanquam enti composito & modificabili conveniunt, ut adeo eodem modo se habeat ad Physicam, quo Ontologia seu philosophia prima ad philosophiam universam.« – Vgl. die Untersuchungen zur Historie und Bedeutung dieser Kennzeichnung für die Begriffsgeschichte von ›transzendental‹ bei K. Bärthlein, Von der ›Transzendentalphilosophie der Alten‹ zu der Kants, 1976; N. Hinske, Die historischen

2. Welterkenntnis und Weltkenntnis im 18. Jahrhundert

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net sie nicht nur den philosophischen Ort, an dem zum einen der Sinn von ›Welt‹ in Abgrenzung von den Weltverständnissen verhandelt wird und ein Weltbegriff bestimmt wird; in der Cosmologia transcendentalis werden darüber hinaus die Begriffe thematisch, die es gestatten das ›Wie‹ von ›Welt‹ zu diskutieren. Die Cosmologia transcendentalis – oder wie sie auch genannt wird: Cosmologia generalis83 – ist in diesem Sinne keine einfache philosophische naturale Kosmologie klassischer Prägung, die sich z.T. nur marginal von der Astronomie unterscheidet oder zuweilen auch mit der Geographie als ›Cosmographia‹84 verwechselt werden kann. Nicht umsonst nämlich findet sich in der Schrift Christiani Wolffii Philosophia rationalis sive Logica von J. N. Frobesius im Index rerum, verborum atque auctorum eine pointierte Trennung zwischen »Cosmologia seu physica coelestis« und »Cosmologia generalis seu transcendetalis« – erstere erläutert Frobesius mit »Weltbeschauung«, letztere jedoch mit »allgemeine Weltbetrachtung«85. Eine vergleichbare Differenzierung – allerdings in methodischer Hinsicht – trifft Wolff in seiner Systematik, wenn er zwischen der Cosmologia Vorlagen der Kantischen Transzendentalphilosophie, 1968; ders., Transzendental, das Transzendentale; Transzendentalien, Transzendentalphilosophie, 1998. 83 Es findet sich auch, jedoch nur vereinzelt, der Ausdruck ›Cosmologia universalis‹; vgl. C. G. Ludovici, Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, 2. Theil (1737), 1977, §§ 330ff. – Wolff selbst spricht von der ›Cosmologia generalis‹ als einer »Lehre von der Welt«; vgl. C. Wolff, Des weyland Reichs-Freyherrn von Wolff übrigen Theils noch gefundene Kleine Schriften (1755), 1983, S. 287. – Im Verlauf des 18. Jahrhunderts läßt sich beobachten, daß sich eine Spezifizierung hin zu ›Weltwissenschaft‹ einstellt; so beschreibt Gottsched diese Disziplin als ›Weltbetrachtung‹; vgl. J.C. Gottsched, Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (11733/1734, 71762), 1983, Bd. 1, § 215. Baumgarten wird präziser, indem nun, im Unterschied zu nur beschreibenden Wissenschaften, die ›Cosmologia generalis‹ als ›Welt-Wissenschaft‹ qualifiziert wird; vgl. A.G. Baumgarten, Acroasis Logica in Christianum L. B. de Wolff (1761), 1973, § 7. Kant spricht dann in der Kritik der reinen Vernunft von der ›Weltwissenschaft‹, erläutert dies jedoch mit ›cosmologia rationalis‹; vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg. Bde. 3/4, Akad.-Ausg. Bde. 3/4, A 335, B 392f. Vgl. auch den Ausdruck ›Weltwissenschaft‹ bei Kant zur Bezeichnung astronomischer Untersuchungen im Gefolge Newtons in I. Kant, Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels (1755), Weischedel-Ausg. Bd. 1, A XXXV, A I, Akad-Ausg. Bd. 1, S. 230, S. 243. – Lambert greift ebenfalls auf die ›Cosmologia transcendentalis‹ zurück, er stellt jedoch eine gegenüber der traditionellen Einteilung der Metaphysik abweichende und selbständige Gliederung vor; vgl. J.H. Lambert, Über die Methode, die Metaphysik, Theologie und Moral richtiger zu beweisen (1761/1762), 1918, §§ 87ff. 84 Vgl. hierzu etwa S. Münster, Cosmographey (1588), 1977, S. [5], der ›Cosmographey‹ mit ›Weltbeschreibung‹ erläutert: »das ist / beschreibung der Welt oder / Geographiam / beschreibung des Erdtrichs«. 85 J. N. Frobesius, Christiani Wolffii Philosophia rationalis sive Logica (1746), 1980, S. 245.

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

generalis als einer wissenschaftlichen, eidetischen Disziplin, die ihren Platz nach der Ontologie und vor den weiteren speziellen metaphysischen Disziplinen findet, und einer empirischen Kosmologie unterscheidet: »Datur adeo Cosmologia duplex: altera scientifica, altera experimentalis. Cosmologia generalis scientifica est, quae theoriam generalem de mundo ex Ontologiae principiis demonstrat: Contra experimentalis est, quae theoriam in scientifica stabilitam vel stabiliendam ex observationibus elicit.«86 In der Diktion Meiers heißt dies: »Man kan, die Betrachtung über die Welt, auf eine doppelte Weise anstellen. Einmal wenn man blos auf die Erfahrung geht, und eine solche Cosmologie heißt die empirische Cosmologie. In dieser Wissenschaft sucht man dasjenige, was uns die Erfahrung von dieser Welt an die Hand gibt, deutlich zu erkennen, und man leitet daraus auf eine nähere Art, durch kürzere Beweise, alles her, was wir daraus herleiten können. […] Die vernünftige Cosmologie aber ist diejenige Wissenschaft, welche ihre Betrachtungen über die Welt aus dem Begriffe von der Welt, auf eine deutliche Art herleitet.« Einem möglichen Mißverständnis aber, daß zwischen beiden ›Kosmologien‹ ein absoluter Bruch und ein Dualismus bestehe, beugt Meier sogleich mit dem unmittelbar folgenden Satz vor: »Beyde Cosmologien müssen mit einander verbunden werden.«87 Meier geht hier z.T. über Wolff hinaus, da Wolff vorsichtiger davon spricht, daß die empirische Kosmologie die ›notiones directrices‹ der ›Cosmologia transcendentalis‹ aposteriorisch bestätigt.88 Gleichwohl jedoch kann auch bei Wolff von einem Korrelationsverhältnis von empirischer und rationaler Kosmologie gesprochen werden, das allein schon Wolffs Rede vom »connubium rationis et experientiae«89 bezeugt. Und derart ist der 86

C. Wolff, Cosmologia generalis (11731, 21737), 1964, § 4. G. F. Meier, Metaphysik, 2. Teil: Die Cosmologie (11756), 21765, § 284; und im weiteren Verlauf dieser Ausführungen wird Meier noch deutlicher: »Es würde, viele Unbequemlichkeit, und manche unnöthige Weitläufigkeit, verursachen; wenn wir erst die ganze empirische Cosmologie, und hernach die vernünftige, als zwey von einander abgesonderte Wissenschaften, abhandeln wolten. Wir wollen sie daher unter einander mengen, und bald eine Wahrheit vortragen, die zu der ersten, bald eine die zu der andern Cosmologie gehört.« 88 C. Wolff, Cosmologia generalis (11731, 21737), 1964, § 3. Vgl. auch A.G. Baumgarten, Metaphysica (11739, 41757), 1926, § 251: »Cosmologia generalis est scientia praedicatorum mundi generalium, eaque vel ex experientia propius, empirica, vel ex notione mundi, rationalis«; A. G. Baumgarten, Metaphysik (1776), 1783, § 252. Zur näheren Diskussion dieser Korrelationsverhältnisse vgl. A. Bissinger, Die Struktur der Gotteserkenntnis, 1970, S. 183ff., und E. Kohlmeyer, Kosmos und Kosmonomie bei Christian Wolff, 1911, S. 20ff. 89 C. Wolff, Philosophia rationalis sive Logica (11728, 21732, 31740), 1983, Pars III § 985 nota. Zu weiteren Belegstellen vgl. H.W. Arndt, Rationalismus und Empirismus in der Erkenntnislehre Christian Wolffs, 1983, S. 42 Anm. 1. – Vgl. ebenso C. Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Absichten der natürlichen Dinge (11724, 21726), 1980, S. [XVIII]: »Es ist dieselbe [!] Welt-Beschreibung, die ich durch die Gründe der Vernunft erhärtet und durch die Erfahrung dieser Welt gemäß zu seyn bestätiget, darinnen wir uns befinden […].« 87

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›mundus adspectabilis‹90 vom Weltbegriff der Cosmologia generalis nicht strikt zu scheiden – der letztere Weltbegriff leitet in formaler Hinsicht die Studien der empirischen Kosmologie oder Physik, während er sich zugleich als Weltbegriff der Cosmologia rationalis im ›mundus adspectabilis‹ bewährt. Mit anderen Worten: Die Cosmologia transcendentalis diskutiert den Sinn des Seienden in der Art, wie das Seiende als Seiendes in der Cosmologia experimentalis erfahren wird. Dementsprechend kann Wolff auch in der Cosmologia rationalis den ›mundus adspectabilis‹ auf dieselbe Art definieren wie den Weltbegriff überhaupt: »Mundus adspectabilis est series rerum finitarum simultanearum & successivarum, inter se connexarum.«91 Eine einseitig rationalistische Philosophie auf Kosten empirischer Erfahrungsgehalte ist demgemäß bei Wolff nicht zu finden; auch wird hier kein ›mundus intelligibilis‹92 jenseits eines ›mundus adspectabilis‹ oder ›sensibilis‹ bloß postuliert oder in einer metaphysischen Hinterwelt lokalisiert. Gleichwohl, und dies ist ebenso in Rechnung zu stellen, präsentiert Wolff keine ›materiale Ontologie‹, da die Wolffsche Philosophia prima sive Ontologia im Sinne der allgemeinen Metaphysik immer noch der Metaphysica specialis zumindest vor-, wenn nicht gar übergeordnet bleibt. In diesen Hinsichten kann auch nicht Joachim Langes Kritik treffen, der übersieht, daß es Wolff um den Sinn von ›Welt‹ geht, und geltend macht, daß man mittels der Wolffschen Definition ›der Welt‹ gar nicht wissen könne, wovon die Rede sei und man nur raten könne, was Wolff mit seiner Weltdefinition gemeint habe. Wegen der »Weite und Breite« der Definition komme man schließlich doch beispielsweise viel leichter »auf einen mit lauter Häuslein erfülleten Bienen-Korb« oder »das gesamte Geläute vieler Glocken in einem Thurm«93 als auf ›die Welt‹. Zudem, so Lange, liege in der Definition ein Spinozismus, daß auch »kein Atheist Bedencken« trage, »sie zu admittiren«.94 Wolff beteuert demgegenüber stets, daß einzig die Erkenntnis von ›Welt‹, so wie sie die Cosmologia transcendentalis als Wesenserkenntnis vorstellt, auf 90

C. Wolff, Cosmologia generalis (11731, 21737), 1964, § 49. Ebd., § 55. 92 Zur Mehrdeutigkeit des ›mundus intelligibilis‹ in der Tradition und speziell mit Blick auf Kant vgl. K. Kawamura, Spontaneität und Willkür, 1996, S. 105f. 93 J. Lange, Bescheidene und ausführliche Entdeckung der falschen und schädlichen Philosophie in dem Wolffianischen Systemate Metaphysico (1724), 1999, S. 58. – Im übrigen könnte man gegen Lange anführen, daß es sich gemäß seiner Darstellung genauso verhält und es sich somit nicht um ein Gegenargument handelt; derartiges wird ja zuweilen tatsächlich als eine ›Welt‹ beschrieben. – Freilich fügte die Schulphilosophie im Anschluß an Wolffs Definition und angesichts der vorgebrachten Einwände die weitere Charakterisierung hinzu, daß ›die Welt‹ kein Teil eines anderen Ganzen sein könne; vgl. oben S. 42, Anm. 72. 94 J. Lange, Bescheidene und ausführliche Entdeckung der falschen und schädlichen Philosophie in dem Wolffianischen Systemate Metaphysico (1724), 1999, S. 60. 91

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die Gotteserkenntnis hinweisen könne und daß eben diese Cosmologia transcendentalis wie überhaupt die Metaphysik kein Selbstzweck, daß sie im Gegenteil nützlich und unentbehrlich für die auf sie folgenden Disziplinen sei, da sie deren Leitbegriffe bereitstelle resp. diskutiere. Denn ›Welt‹ in der Cosmologia transcendentalis bringt auf der Ebene des Sinnes dasjenige im Stil einer Reihendefinition zum Ausdruck, was in den Weltverständnissen als Bezüge zum und im Seienden verborgen liegt. Genau diese Absicht, sich des Sinnes von ›Welt‹ zu vergewissern, verteidigt Wolff gegenüber seinen Gegnern in einer eher schlicht daherkommenden Bemerkung, die man vielleicht als eine Selbstverständlichkeit betrachten könnte, die jedoch keine ist: »Da meine Widersacher bisher die Welt-Lehre wie ich sie abgehandelt und auf GOTT appliciret, aller dargegen gemachten Einwendung ungeachtet ohne Aufhören gelästert; so hat sich doch noch keiner unterstanden dergleichen Arbeit zu geben […].«95

* Dies auch ist gegenüber der dornigen Definitions- und Grundlegungsarbeit in der Metaphysik der Hinweis auf die herausragende Stellung der Wolffschen Philosophie, die ihr in der Geschichte des philosophischen Weltbegriffs zukommt. Und insofern trifft die Polemik eines zeitgenössischen Kritikers der Wolffschen Philosophie durchaus: »Das Wort Welt ist […] des großen Wolffs Scherwentzel«96. Doch er »spielt« nicht damit, »wie er selber will«97, sondern eröffnet eine Diskussion, die weitreichende Folgen haben wird. Die heute meist unreflektiert und implizit bleibende Diskussion von ›Welt‹ hat im 18. Jahrhundert mit Wolff eine Selbstverständlichkeit errungen, die alles andere als selbstverständlich war. Explizit wird ›Welt‹ nicht mehr als ein im Hintergrund befindliches Anliegen der Philosophie oder der Metaphysik begriffen; es wird vielmehr versucht, in ausdrücklicher Beziehung zu ›Welt‹ als einem fragwürdigen oder bemerkenswerten Befund eine Stellung zu beziehen, die traditionellen Fragen und Probleme zu bündeln bzw. zu konzentrieren sowie das Wesen von ›Welt‹ zu begreifen, ohne daß ›Welt‹ auf Außenwelt, Realität oder Wirklichkeit verkürzt resp. in Astronomie oder Geographie aufgelöst würde. Mit der Etablierung der Cosmologia transcendentalis wird gleichsam die Frage nach ›der Welt‹ auf eigene Füße gestellt; ›Welt‹ wird als eigenständiges Wesensproblem begriffen, das auch nicht ausschließlich von den Naturwissenschaften traktiert werden kann, da ›Welt‹ in dieser Form kein direkter Gegenstand dieser Wissenschaften ist. 95

C. Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Absichten der natürlichen Dinge (11724, 1980, S. [XX] Anm. (a). J.C. Edelmann, Moses mit aufgedecktem Angesichte (1740), 1972, S. 127. Ebd.

21726), 96 97

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Freilich kann man gegenüber Wolff den Vorwurf erheben, er habe ein spezifisches Erklärungsschema, nämlich das rationalistische Ideal der Wissenschaften seiner Zeit unbedacht universalisiert;98 auch kann man ihm vorwerfen, seine Weltbetrachtung orientiere sich untergründig einzig an den »großen Weltkörpern«99 und werde leichtfertig und ohne weitere Prüfung resp. einschränkende Erläuterung auf andere Bereiche übertragen.100 Eine derartige Kritik ist nicht immer von der Hand zu weisen, sie kann jedoch nicht das Wolffsche und auch schulphilosophische Unterfangen als eine originäre Leistung mindern, überhaupt erst einen Platz gesichert zu haben, wo ›Welt‹ als Wesensbegriff in der Philosophie verhandelt werden kann. Denn mit der Einführung der Cosmologia generalis wurde nicht einfach eine neue Disziplin in den Kanon der Metaphysik aufgenommen, es wurde vielmehr der Philosophie ein völlig neues Gepräge gegeben. Mit ›Welt‹ wird nicht etwa wieder, sondern erst jetzt ein eigenes Projekt vorstellig, das auf einem Wesensbegriff von ›Welt‹ gründet. Im Ganzen von Ontologie, Psychologie und Theologie einerseits und im Verbund mit der Physik andererseits wird ›Welt‹ in der Cosmologia generalis als ein Sinnanspruch sui generis thematisch. Reduktionismen aller Art, wie z. B. ›Welt als Außenwelt‹, ›Welt als Universum‹, ›Welt als Menschenwelt‹ können derart erst fraglich werden und fordern ihre vernünftige Ausweisung. Die Folge, die sich freilich erst später einstellen wird, ist vorgezeichnet: ›Welt‹ wandelt sich zu einem Erkenntnisbegriff mit unterschiedlichen Funktionen, die das Erkennen selbst betreffen. Im historischen Rückblick werden der Metaphysik nach Wolff zwei Aufgaben mitgegeben: Erstens wird die Metaphysik um eine Fragestellung erweitert, welche die Arbeit an dem ›Begriff der Welt‹ als sicheres ›Wissen von der Welt‹ erfordert, zweitens aber bergen diese Untersuchungen das Potential, auf die Grenzen der Metaphysik als ›Wissenschaft‹ aufmerksam zu machen, indem noch nicht wissenschaftlich aufgearbeitete Weltkenntnisse

98

Dies ließe sich z. B. gegenüber der Wolffschen Erklärung von ›Welt‹ als einer Maschine anführen, obwohl dies eigentlich nicht mehr besagt, als daß die Verknüpfungen innerhalb ›der Welt‹ als Reihe zu deuten sind und auf Gründen beruhen; vgl. C. Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen (11720, 111751), 1983, §§ 1037 ff. 99 Vgl. z. B. C. Wolff, Der Vernünfftigen Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, anderer Theil bestehend in ausführlichen Anmerkungen (11724, 21727, 31733, 41740), 1983, § 174. 100 Vgl. hierzu etwa Wolffs Bemerkung in seiner Physiologie, wo der menschliche Leib analog den Methoden der Welterkenntnis betrachtet wird: »Und in diesem allen kommet der Leib des Menschen mit der gantzen Welt überein / daß man ihn mit Recht eine kleine Welt nennet / in dem die allgemeine Erkäntnis einer Welt so wohl von ihm / als von der gantzen Welt insgesammt genommen werden kan […]«; C. Wolff, Vernünfftige Gedancken von dem Gebrauche der Theile in Menschen, Thieren und Pflanzen (1725), 1980, S. [XIX].

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bedacht werden können und müssen. Im Verbund damit steht zugleich die Frage an, jenseits eines starren, auf ›Gründe‹ fixierten Denkens Möglichkeiten eines auf Beschreibungen ruhenden Kennens als Grundlage einer philosophischen Reflexion zu erweisen. Gerade letzteres deutet im Gefolge der Wolffschen Cosmologia transcendentalis auf eine Blickwendung, die man nicht vorschnell als eine Abwendung von der Theologie, als eine Reduktion auf den Menschen oder als eine Subjektivierung von ›Welt‹ begreifen kann, sondern vielmehr als eine Aufklärung neuen Typs ansehen sollte – eine direkte Aufklärung der Orientierungsleistungen des Menschen im Sinne von Weltkenntnissen. Kant wird diese Aufgaben angehen oder zumindest anreißen; denn nicht nur wird er die Seriendefinition von ›Welt‹ in der Kritik der reinen Vernunft zurechtrücken, indem ›Welt‹ ›nur‹ noch als ›Idee‹ gefaßt werden kann, und er wird nicht nur zu erweisen suchen, daß »der stolze Name einer Ontologie […] dem bescheidenen einer bloßen Analytik des reinen Verstandes Platz machen«101 muß. Kant schneidet zugleich die Frage an, was es heißen könne, einen Begriff von ›der Welt‹ als Erkenntnisbegriff zu bilden und Kenntnisse von ›Welt‹ zu haben. Die Frage nach dem Wesen, wie Wolff sie stellt, führt auf diese Weise zu der Frage nach den Grenzen des metaphysischen Begriffs von ›Welt‹ und im Anschluß daran zu den Grenzen der Metaphysik sowie denen der Wissenschaften. Der Philosoph für die Welt, wie Johann Jakob Engel seinen popularphilosophisches Magazin bezeichnenderweise überschreibt, war Wolff sicherlich nicht; hierzu genügt ein Blick auf die Rechtfertigung der Titelei bei Engel: »Was sich die Verfasser dieser Schrift bei der Wahl des Titels gedacht haben, das wird sich durch die Schrift selbst am besten zeigen. – Unter einem Philosophen, scheinen sie überhaupt einen Mann zu verstehen, der irgend eine zur Philosophie gehörige oder philosophisch behandelte Wahrheit vorträgt: gleichviel welche? oder in welcher Gestalt? und unter der Welt, das ganze gemengte Publicum, wo der eine mehr für diese, der Andre mehr für jene Gegenstände ist, der Eine mehr diesen, der Andre mehr jenen Ton liebt.«102 Wolff geht es nicht um diesen oder jenen ›Ton‹ des Vortrags, von ›irgendeiner‹ Philosophie oder Wahrheit handelt er beileibe nicht. In Auseinandersetzung mit den Kenntnissen ist es in erster Linie die Sicherung von ›Welt‹ als einem Wesensbegriff der Philosophie, die Wolff und seine Anhänger zum Problem machen. 101

I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 247, B 303. 102 J. J. Engel, der Philosoph für die Welt (11775 ff., 21801), 1971, Bd. 1, S. 365. – Zu dem Projekt Engels’, an dem zeitweilig auch Kant beteiligt wurde, vgl. H. Holzhey, Der Philosoph für die Welt – eine Chimäre der Aufklärung?, 1977; vgl. ebenso die Ausführungen in C. Böhr, Philosophie für die Welt, 2003, S. 67–80.

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b) Welterkenntnis und Weltkenntnis – die ›Philosophie dem Weltbegriffe nach‹ Für den heutigen Leser der Kritik der reinen Vernunft hat es den Anschein, daß Kant den Terminus ›Welt‹ operational verwendet hat; denn in der Transzendentalen Dialektik findet sich eine Begriffsbestimmung, die ohne Kenntnis der schulphilosophischen Tradition rein immanent interpretiert werden könnte: »Ich nenne alle transzendentale Ideen, so fern sie die absolute Totalität in der Synthesis der Erscheinungen betreffen, Weltbegriffe, teils wegen eben dieser unbedingten Totalität, worauf auch der Begriff des Weltganzen beruht, der selbst nur eine Idee ist, teils weil sie lediglich auf die Synthesis der Erscheinungen, mithin die empirische gehen […].«103 Die Begriffe, die eine Totalität der Erscheinungen zu begreifen suchen, können demgemäß, so folgert Kant, »ganz schicklich Weltbegriffe« oder auch »kosmologische Ideen«104 genannt werden. Als Vernunftbegriffe sind sie im Gegensatz zu den Verstandesbegriffen »nicht bloß reflektierte, sondern geschlossene Begriffe«105, die eine Erkenntnis zum Gegenstand haben, von der die empirisch gegründete und transzendental reflektierte Verstandeserkenntnis nur einen Teil ausmacht. Insoweit umgreifen oder umschließen die Vernunftbegriffe dasjenige, was in und mit der Erfahrung verstanden wird – oder, wie es bei Kant plakativ heißt: »Vernunftbegriffe dienen zum Begreifen, wie Verstandesbegriffe zum Verstehen (der Wahrnehmungen).«106 Freilich benutzt Kant an anderen Stellen auch den Ausdruck ›Welt‹ umgangssprachlich, in der Antinomienlehre jedoch bezieht er sich auf die Tradition der Schulphilosophie. Weltbegriffe bzw. kosmologische Ideen – letzteres ist eine terminologische Neuschöpfung Kants – können eben genau deshalb so heißen, weil die Tradition den Weltbegriff als Reihe in einer Totalität – die selbst kein Teil eines anderen Ganzen ist – und mit Blick auf den ›mundus adspectabilis‹ faßte. Die Idee der Totalität nämlich, so betont Kant, betrifft im Antinomienkapitel nichts anderes »als die Exposition der Erscheinungen« und »mithin nicht den reinen Verstandesbegriff von einem Ganzen der Dinge überhaupt«107. 103

I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 407f., B 434. 104 Ebd., A 419 f., B 447 f. – Vgl. I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können (1783), Weischedel-Ausg., Bd. 5, A 142, Akad.-Ausg., Bd. 4, S. 338, § 50: »Ich nenne diese Idee deswegen kosmologisch, weil sie ihr Objekt jederzeit nur in der Sinnenwelt nimmt […].« 105 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 309, B 366. 106 Ebd., A 311, B 367. 107 Ebd., A 416, B 443.

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In Anlehnung an die Einteilung der Kategorien und mit Blick auf die nun anstehenden Probleme diskutiert Kant die absolute Vollständigkeit 1. »der Zusammensetzung des gegebenen Ganzen aller Erscheinungen« in Raum und Zeit, 2. »der Teilung eines gegebenen Ganzen in der Erscheinung«, 3. »der Entstehung einer Erscheinung überhaupt« und 4. »der Abhängigkeit des Daseins des Veränderlichen in der Erscheinung«108. Die sich an diese Ideen anschließenden Antinomien behandeln die Fragen, ob 1. ›die Welt‹ einen Anfang und eine Grenze im Raum habe, ob es 2. irgendwo eine letzte Einheit gebe oder nicht vielmehr die Teilung unendlich fortgeschrieben werden könne, ob es 3. Freiheit gebe oder alles determiniert sei und ob es schließlich 4. eine oberste Weltursache gebe. Alle diese Fragen spielt der Königsberger bekanntlich in einem dialektischen Verfahren aus, indem These und Antithese jeweils vollständig bewiesen werden, um anschließend mit einem archäologischen Blick durch die Argumentationen das identische Fundament derselben als ein falsches zu erweisen. »Denn alle diese Fragen betreffen einen Gegenstand, der nirgend anders als in unseren Gedanken gegeben werden kann, nämlich die schlechthin unbedingte Totalität der Synthesis der Erscheinungen.«109 Der vermeintliche Gegenstand, den die Vernunft sich unausgewiesen und in einem Spiel ihrer mit sich selbst vorgaukelt, so überspitzt Kant in der Auseinandersetzung mit dogmatischen Positionen, »ist bloß in eurem Gehirne und kann außer demselben gar nicht gegeben werden«110. Doch ›Welt‹ ist in der Kritik der reinen Vernunft nicht Nichts, denn der Ausgangspunkt der Überlegungen und der Einstieg in die Diskussion des Problems bildet die Reihe der Bedingungen einer Erscheinung; und mit Bezug auf eine solche Reihe sowie im Ausgang von der Erscheinung ist und bleibt ›Welt‹ sinnvoll. Näherhin kann aus diesem Grund das in Rede stehende Vernunftkonzept in empirischer Anwendung kein konstitutives, sondern nur ein »regulatives Prinzip« darstellen, dessen Referenz nicht ein Ding ist, sondern dessen Bedeutung sich in einer Regel ausdrückt, »welche in der Reihe der Bedingungen gegebener Erscheinungen einen Regressus [von der Erscheinung als Bedingtem zu den Bedingungen] gebietet, dem es niemals erlaubt ist, bei einem Schlechthinunbedingten stehen zu bleiben«111. »Aufgegeben«, nicht »gegeben« ist das »Maximum der Reihe von Bedingungen in der Sinnenwelt«112, d. h. ›Welt‹. Worüber Kant hier spricht, ist also nichts anderes als ›die Welt‹ im Sinne einer Reihe von Bedingungen im regressiven Fortgang von einer Erscheinung,

108 109 110 111 112

Ebd., A 415, B 443. Ebd., A 481, B 509. Ebd., A 484, B 512. Ebd., A 508f., B 537 f. Ebd., A 507, B 535.

2. Welterkenntnis und Weltkenntnis im 18. Jahrhundert

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wobei die »Erscheinungen in der Welt« bedingt sind, »die Welt aber selbst weder bedingt, noch auf unbedingte Art begrenzt«113 ist. Um die körperliche Natur, wie Kant an anderer Stelle ausführt, ihrer Möglichkeit nach zu denken, »bedürfen wir keiner Idee, d.i. einer die Erfahrung übersteigenden Vorstellung«, weil die »sinnliche Anschauung« zur Leitung und Analyse der Natur ausreicht; jedoch wenn von der »Natur überhaupt« und der Vollständigkeit der Bedingungen in derselben die Rede ist, so bilden die Bedingungen eine Reihe (oder einen Inbegriff), welche in ihrer Totalität nur als Idee gefaßt werden kann, »die zwar im empirischen Gebrauche der Vernunft niemals völlig zu Stande kommen kann, aber doch zur Regel dient, wie wir in Ansehung derselben verfahren sollen, nämlich in der Erklärung gegebener Erscheinungen […] so, als ob die Reihe an sich unendlich wäre«114. Obgleich, wie gerade gesehen, ›Welt‹ und ›Natur‹ bei Kant nicht immer terminologisch unterschieden werden, differenziert er doch zu Anfang der Antinomiendiskussion zwischen dem Weltbegriff schlechthin, der die Totalität der regressiven Bedingungsreihe der Sinnenwelt zum Thema hat,115 und dem Weltbegriff in einem engeren Sinne, den er als ›Natur‹ bezeichnet und der über die Sinnenwelt hinaus auf einen intelligiblen Bestandteil der Reihe verweist: »Wir haben zwei Ausdrücke: Welt und Natur, welche bisweilen ineinander laufen. Das erste bedeutet das mathematische Ganze aller Erscheinungen und die Totalität ihrer Synthesis, im Großen sowohl als im Kleinen, d. i. sowohl in dem Fortschritt derselben durch Zusammensetzung, als durch Teilung. Eben dieselbe Welt wird aber Natur genannt, so fern sie als ein dynamisches Ganzes betrachtet wird, und man nicht auf die Aggregation im

113

Ebd., A 522, B 550. Ebd., A 684f, B 712f. 115 Kants Unterscheidung zwischen einer regressiven und einer progressiven Reihe geht bis auf seine Inauguraldissertation De mundi sensibilis atque intelligiblis forma et principiis zurück; vgl. oben S. 43. – In der Kritik der reinen Vernunft beschränkt sich Kant nach eigenem Bekunden auf die Diskussion regressiver Reihen, die bei der Erscheinung einsetzen und zu den Bedingungen derselben zurückgehen und sie umschließen; die progressive Reihe bleibt außer Betracht, »weil wir zur vollständigen Begreiflichkeit dessen, was in der Erscheinung gegeben ist, wohl der Gründe, nicht aber der Folgen bedürfen«; vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 411, B 438; vgl. ebd., A 336f., B 393f. Ob Kant jedoch diese Trennung strikt durchgehalten hat, und ob er nicht vielmehr stillschweigend die progressiven Reihen im Rahmen der Diskussion der dynamischen Reihen behandelt, ist ein eigenständiges Problem, das hier nur angezeigt, jedoch nicht diskutiert werden kann. – Zu den ›mathematischen‹ und ›dynamischen Reihen‹ vgl. des weiteren I. Kant, Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat? (1804), Weischedel-Ausg., Bd. 5, Akad.-Ausg., Bd. 20; I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können (1783), Weischedel-Ausg., Bd. 5 A 150ff., § 53, Akad.-Ausg., Bd. 4, S. 343ff. 114

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Raume oder der Zeit, um sie als Größe zu Stande zu bringen, sondern auf die Einheit im Dasein der Erscheinungen siehet.«116 Diese durchaus prägnante Unterscheidung bezieht sich im vorliegenden Fall darauf, daß die ersten beiden Reihen – diejenige der Zusammensetzung des gegebenen Ganzen aller Erscheinungen und diejenige der Teilung eines gegebenen Ganzen in der Erscheinung – ›mathematisch‹ genannt werden können, weil sich hier die Verknüpfung innerhalb der Reihe allein auf Gleichartiges richtet. Die beiden dynamischen Reihen – diejenige der Entstehung einer Erscheinung überhaupt und diejenige der Abhängigkeit des Daseins des Veränderlichen in der Erscheinung – stellen demgegenüber eine Verknüpfung vor, welche auch eine ungleichartige Bedingung – wie etwa diejenige der Kausalität – beinhaltet. Die Weltreihe im engeren Sinne beinhaltet nur gleichartige, sinnliche Bestandteile, die Verknüpfung der Naturreihe führt darüber hinaus letztlich zu einer Bedingung, die nicht sinnlich, sondern intelligibel ist. Beide Reihen können im allgemeinen mittels des Weltbegriffs gefaßt werden, weil dieser sich auf Reihen schlechthin stützt und mit einer sinnlichen Erscheinung anheben muß; die dynamische Reihe führt jedoch im Regressus der Bedingungen über die Sinnenwelt hinaus. Und derart kann zwischen einem ›engeren Weltbegriff‹ – »der Welt im Großen und Kleinen« – und einem ›transzendenten Naturbegriff‹ – ›der Welt‹ in ihrer ›Einheit im Dasein‹ – unterschieden werden.117 Für den Durchgang durch die Antinomien spielt diese Differenzierung jedoch noch keine Rolle; für beide Begriffe gilt, daß sie jeweils kein Ding bezeichnen, sondern eine Regel ausdrücken, die nicht konstitutiv mißdeutet werden darf. Die Scheidung kommt jedoch zum Tragen, wenn Kant im Anschluß an die vierte Antinomie gleichsam von selbst – um nicht zu sagen: aus Vernunftgründen118 – dazu gedrängt wird, einen weiteren Schritt »außer der Sinnenwelt«119 zu wagen. Waren die Ideen zwar »transzendental, aber doch kosmologisch«120, d. h. regulativ bezogen auf die Sinnenwelt und den Inbegriff der Bedingungen einer Erscheinung, so ist das »Ideal«, nämlich Gott, von der objektiven Realität noch weiter entfernt als es die Ideen im Vergleich zu den Kategorien bereits waren.121 Man könnte hier sogar in Anlehnung an Wolff davon sprechen, daß auch bei Kant die Diskussion der »Kosmologie« und des damit verbundenen Weltbegriffs die ›notiones directrices‹ für die

116

I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 418f., B 446f. 117 Ebd., A 420, B 448. 118 Ebd., A 337, B 394. 119 Ebd., A 566, B 594. 120 Ebd., A 565, B 593. 121 Ebd., A 567f., B 595 f.

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Theologie bereitstellt, kommt doch auch der Königsberger »vermittelst« der »Welterkenntnis«122 zu einer transzendental geläuterten Theologie. Ungeachtet dieser Anlehnung an die Schulphilosophie, ohne die die Kantische Antinomienlehre nur schwer verständlich wird, bleibt doch gegenüber der Tradition in Kants transzendentalem Geschäft nur wenig beim alten. Denn die Ontologie hat bekanntlich mit Kant nicht nur ein völlig anderes Gewand erhalten, sie wurde schlicht durch die Analytik des Verstandes ersetzt. Es ist zwar einsichtig, daß die Antinomienlehre ihren Gehalten nach nur auf »vorkritischer Ebene überhaupt denkbar«123 ist; auch ist es offensichtlich, daß nicht wenige der von Kant in diesem Horizont besprochenen Problemstellungen erst verständlich werden, wenn sie als von Wolff der Metaphysik aufgetragene Fragestellung aufgefaßt werden; doch dies kann nicht heißen, daß die Dialektik unabhängig von der Ästhetik und der Analytik innerhalb der Kritik der reinen Vernunft verstanden werden kann. Denn die spezifisch Kantische Auflösung der Antinomien kann nur gelingen, wenn die transzendental gewendete Ontologie als kritische Erkenntnistheorie durchkonjugiert wird. Erst wenn das Seiende im Verstehen desselben aufgehoben wird, kann auch ›Welt‹ als Limes des Begreifens in einer Idee ihren Begriff finden. Doch mit Blick auf die weitere Entwicklung des philosophischen Weltbegriffs, wie sie sich im 19. Jahrhundert darstellen wird, ist noch weiteres von Interesse. Kant erfüllt in der Tat die von Wolff inaugurierte Aufgabe, den Weltbegriff zu bestimmen, indem er den Begriff selbst als Aufgabenstellung interpretiert – ›Welt‹ ist nicht gegeben, sie ist aufgegeben, und sie drückt sich als Regel des Regressus in einer Reihe von Verknüpfungen im Ausgang von einer Erscheinung aus. Doch hier zeigt sich zugleich ein Hinweis, der über das kritische Geschäft hinausreicht; denn so stichhaltig die von Kant durchgeführten Analysen auch sind, so prägnant die Äquivokationen formuliert und destruiert werden, sie spielen in einem Raum, der sein Gepräge durch die transzendentale Aufklärung naturwissenschaftlichen Wissens erhalten hat. In diesem Sinne wurde ›Welt‹ von Kant ontisch freigestellt, um jedoch um so stärker erkenntniskritisch gebunden und gesichert zu werden. Es ist nicht falsch zu behaupten, daß mit und nach der Kritik der reinen Vernunft nunmehr »die Welt kein Seiendes, kein Ding ist, daß jeder Versuch, sie dinghaft zu denken […], die menschliche Vernunft in einen unauflöslichen Widerspruch verwickelt«124; doch diese Behauptung ist unvollständig, wenn nicht zugleich darauf verwiesen wird, daß die nun nicht mehr ontisch bezeichnete ›Welt‹ epistemologisch verankert ist in einem Wissen von den Erscheinungen ›in der 122 123 124

Ebd., A 337, B 394. – Vgl. hierzu auch R. Theis, Gott, 1994. J. Schmucker, Das Weltproblem in Kants Kritik der reinen Vernunft, 1990, S. 217. E. Fink, Einleitung in die Philosophie, 1985, S. 81.

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Welt‹ und der Reihe der Verknüpfungen der Bedingungen ›zu einer Welt‹. Andernfalls müßte man Kant zum Nihilisten erklären, was jedoch schwerlich gelingen wird. Diesem Wissen nachzugehen, bedeutet nun wiederum nichts anderes, als daß ›Welt‹ tatsächlich als Idee ›geschlossen‹ wird, weil nämlich die Erscheinungen ›in der Welt‹ von Kant mittels der Verstandesbegriffe buchstabiert werden, »um sie als Erfahrung lesen zu können«125, und zugleich von den Erscheinungen ›Weltbegriffe‹ als Reihen formuliert werden, um sie in einem Fortgang des Erschließens als »Weltidee«126 begreifen zu können – »so, als ob die Reihe an sich unendlich wäre«127. Derart ist es der Begriff von ›der Welt‹, den Kant für die Philosophie vor jeder dogmatischen Verkürzung bewahrt, indem ›Welt‹ nicht mehr nur als Wesensbegriff diskutiert, sondern zudem als Aufgabe interpretiert wird. Diese ›Aufgabe‹ aber kann auf unterschiedlichen Fundamenten gründen – einem an und mit den ›Wissenschaften‹ erschlossenen ›Wissen‹ und einem verborgenen, vorwissenschaftlichen ›Kennen‹. Auch dasjenige ›Wissen‹, das sich methodisch noch nicht ein Vorbild an der Mathematik oder der Physik genommen hat, wird bei Kant thematisch – als Kenntnis. Mit der Thematisierung der Weltkenntnis, die noch keine »eigentliche Wissenschaft« in dem Sinne ist, »als Mathematik in ihr angewandt werden kann«128, die mit einem Wort ›nur‹ Kenntnis ist, eine Kenntnis von demjenigen, was stets schon, wenn auch nicht auf transparente Art, als bekannt vorausgesetzt werden darf, handelt Kant von ›Welt‹ als einem Thema natürlicher Orientierungsleistungen. Die Ausführungen dazu finden sich nicht explizit in den kritischen Schriften; die Problematik wurde von Kant jedoch auch nicht übersehen oder vernachlässigt – das genaue Gegenteil ist der Fall. Die Vermittlung von ›Weltkenntnis‹ gehört zum essentiellen Bestandteil der Kantischen Lehrtätigkeit. ›Weltkenntnis‹ wird von Kant in den Vorlesungen zur Physischen Geographie und zur Anthropologie, die er alternierend im Studienjahr anbot, nicht nur dem Publikum schlicht mitgeteilt, es wird ebenso Sinn und Bedeutung dieser durchaus eigenständigen, vortheoretischen und populären Disziplin problematisiert.

* Am Ende der Vorrede der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht verweist Kant darauf, daß er neben dem ihm »anfänglich frei übernommenen, später125

I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können (1783), Weischedel-Ausg., Bd. 5, A 101, § 30, Akad.-Ausg., Bd. 4, S. 312; vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.Ausg., Bde. 3/4, A 314, B 370f. 126 Ebd., A 489, B 517. 127 Ebd., A 685, B 713. 128 I. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786), WeischedelAusg., Bd. 8, A VIIIf., Akad.-Ausg., Bd. 4, S. 470.

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hin […] als Lehramt aufgetragenen Geschäfte der reinen Philosophie« »einige dreißig Jahre hindurch zwei auf Weltkenntnis abzweckende Vorlesungen: nämlich (im Winter-) Anthropologie und im (Sommerhalbenjahre) physische Geographie gehalten habe; welchen als populären Vorträgen beizuwohnen auch andere Stände geraten fanden«129. Und in einer Vorlesungsankündigung zur physischen Geographie von 1775 – die bezeichnenderweise leicht geändert im zweiten Teil der popularphilosophischen Sammlung Johann Jakob Engels, Der Philosoph für die Welt,130 1777 noch abgedruckt, jedoch in der Neuauflage 1801 gestrichen wurde – nimmt Kant ebenfalls zur ›Weltkenntnis‹ Stellung, wobei der folgende Abschnitt in der Version für den Engelschen Band fehlt: »Die physische Geographie, die ich hiedurch ankündige, gehört zu einer Idee, welche ich mir von einem nützlichen akademischen Unterricht mache, den ich: die Vorübung in der Kenntnis der Welt nennen kann. Diese Weltkenntnis ist es, welche dazu dient, allen sonst erworbenen Wissenschaften und Geschicklichkeiten das Pragmatische zu verschaffen, dadurch sie nicht bloß vor [für] die Schule, sondern vor [für] das Leben brauchbar werden, und wodurch der fertig gewordene Lehrling auf den Schauplatz seiner Bestimmung nämlich in die Welt eingeführet wird. Hier liegt ein zwiefaches Feld vor ihm, wovon er einen vorläufigen Abriß nötig hat, um alle künftige Erfahrungen darin nach Regeln ordnen zu können: nämlich die Natur und der Mensch. Beide Stücke aber müssen darin kosmologisch erwogen werden, nämlich nicht nach demjenigen, was ihre Gegenstände im einzelnen Merkwürdiges enthalten, (Physik und empirische Seelenlehre), sondern was ihr Verhältnis im Ganzen, worin sie stehen und darin ein jeder selbst seine Stelle einnimmt, uns anzumerken gibt. Die erste Unterweisung nenne ich physische Geographie und habe sie zur Sommervorlesung bestimmt, die zweite, Anthropologie die ich vor [für] den Winter aufbehalte.«131 Und zur Anthropologie, die zusammen mit der Geographie die beiden Teile der ›Weltkenntnis‹ bildet, schreibt Kant gegen Ende 1773 an Herz: »Ich lese in diesem Winter zum zweyten mal ein collegium privatum der Anthropologie welches ich ietzt zu einer ordentlichen academischen disciplin zu machen gedenke. […] Die Absicht die ich habe ist durch dieselbe die Quellen aller Wissenschaften die der Sitten der Geschicklichkeit des Umganges der Me-

129

I. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (11798, 21800), WeischedelAusg., Bd. 10, BA XIIIf., Akad.-Ausg., Bd. VII, S. 122. 130 Vgl. oben S. 50, Anm. 102. 131 I. Kant, Von den verschiedenen Racen der Menschen zur Ankündigung der Vorlesungen der physischen Geographie im Sommerhalbenjahre 1775, Weischedel-Ausg., Bd. 9, A 12, Akad.-Ausg., Bd. 2, S. 443.

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thode Menschen zu bilden u. zu regiren mithin alles Practischen zu eröfnen. […] Ich arbeite in Zwischenzeiten daran, aus dieser in meinen Augen sehr angenehmen Beobachtungslehre eine Vorübung der Geschiklichkeit der Klugheit und selbst Weisheit vor [für] die academische Jugend zu machen welche nebst der physischen geographie von aller andern Unterweisung unterschieden ist und die Kentnis der Welt heissen kan.«132 Daß Kant selbst seinen populären Vorlesungen, die vielleicht heute antiquiert wirken mögen, ein großes Gewicht beimißt, erhellt allein aus dem Umstand, daß er diese orientierenden Einführungen der ›Weltkenntnis‹ parallel zu seinen theoretischen Untersuchungen weiterführt.133 Obgleich jedoch der Königsberger noch selbst seine Anthropologie als eigenes Werk herausbrachte, blieb der Schrift doch eine gründliche philosophische Rezeption versagt. Nicht anders erging es der Geographie, die Kant nicht mehr selbst publizieren konnte und die 1802 von Rink unter Zugrundelegung der Abschriften des Kantischen Diktattextes herausgegeben wurde.134 Wenn auch

132

I. Kant, Brief an Marcus Herz (Ende 1773), Akad.-Ausg., Bd. 10, Nr. 79, hier: S. 145f. – Speziell zur Geographie vgl. auch die Bemerkung Kants in seiner Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre, von 1765–1766: »Als ich gleich zu Anfange meiner akademischen Unterweisung erkannte: daß eine große Vernachlässigung der studierenden Jugend vornehmlich darin bestehe, daß sie frühe vernünfteln lernet, ohne gnugsame historische Kenntnisse, welche die Stelle der Erfahrenheit vertreten können, zu besitzen: so faßte ich den Anschlag, die Historie von dem jetzigen Zustande der Erde, oder die Geographie im weitesten Verstande zu einem angenehmen und leichten Inbegriff desjenigen zu machen, was sie zu einer praktischen Vernunft vorbereiten und dienen könnte, die Lust rege zu machen, die darinnen angefangene Kenntnisse immer mehr auszubreiten. Ich nannte eine solche Disziplin, von demjenigen Teile, worauf damals mein vornehmstes Augenmerk gerichtet war: physische Geographie«; vgl. I. Kant, Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre, von 1765–1766, Weischedel-Ausg., Bd. 2, A 14, Akad.-Ausg., Bd. 2, S. 312; vgl. auch I. Kant, Entwurf und Ankündigung eines Collegii der physischen Geographie (1757), Akad.-Ausg., Bd. 2, S. 3 f., 9f. 133 Zur Diskussion um die ›Popularität‹ der Kantischen Philosophie vgl. C. Böhr, Philosophie für die Welt, 2003, S. 88–102; vgl. ebd., S. 171–202 die Ausführungen zu dem Kantischen Projekt der ›Weltkenntnis‹. 134 Über die Verwicklungen, die sich um die Herausgabe der Physischen Geographie ergaben, und über die problematische Überlieferungsgeschichte orientiert neben der Anmerkung von P. Gedan im Bd. 9 der Akad.-Ausg. E. Adickes, Untersuchungen zu Kants physischer Geographie, 1911. – An dieser Stelle sei auch auf die Einleitung von W. Stark im künftig erscheinenden Bd. 26 der Akademie-Ausg. verwiesen, der die bis heute schwierige Problem- und Literaturlage darstellen wird. – Da die Zuverlässigkeit der Rinkschen Edition aus philologischer Perspektive mit Recht in Zweifel gezogen werden kann, zugleich aber auch nicht an dieser Stelle auf die diffizilen Diskussionen der Kantphilologie im einzelnen eingegangen werden kann, wird im folgenden direkt auf die Vorlesungsmitschriften zur Geographie zurückgegriffen. Werner Stark und der Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ist besonders für die Bereitstellung dieser Schriften zu danken. Die Physische

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die philosophische Diskussion in großen Teilen ausblieb und auch die Authentizität der Vorlesungsmitschriften resp. Diktatabschriften heute mit Augenmaß bewertet werden muß, so zeigt sich doch im Verbund mit weiteren Äußerungen Kants, daß seine Philosophie mehr bietet, zumindest aber in Aussicht stellt, als dasjenige, was die kritischen Schriften an transzendentaler Grundlegungsarbeit zeigen. Denn erst wenn die theoretischen Arbeiten zur Philosophie mit den Überlegungen zur ›Weltkenntnis‹ in ein Ganzes gestellt werden, kann das entstehen, was Kant mit einem alten Wort »Weltweisheit« nennt: »die Wissenschaft zur Beförderung der wesentlichen Weisheit«135. Dasjenige, was Kant unter ›Weltkenntnis‹ versteht, bleibt dabei in einem gewissen Sinne unabhängig von der transzendentalen Aufklärung theoretischer Wissensbestände. Doch diese Unabhängigkeit beruht weniger darauf, daß es sich in dem einen Fall um eine erkenntniskritische Analyse handelt, die in dem andern Fall (noch) nicht vorliegt, sie gründet eher in den unterschiedlichen und faktisch vorliegenden Weisen des Wissens und Kennens, wie sie sich auch in den Wissenschaftstypen der Zeit spiegeln. Derart sind es Beobachtungen (Anthropologie), Beschreibungen (Geographie als Naturbeschreibung) oder Erzählungen (historische Geographie als Naturgeschichte), die das Gegenstandsfeld von Physischer Geographie oder Pragmatischer Anthropologie methodisch umgrenzen; mittels dieser Formen der Erfahrung wird das Material der ›Kenntnis‹ strukturiert, und in erster Linie hierauf – und erst in zweiter Linie auf ›Mensch‹ oder ›Erde‹ als Typen des Seienden – bezieht sich auch dasjenige, was Kant ›Weltkenntnis‹ nennt. ›Weltkenntnis‹ meint demnach eine natürliche, interpretierende und strukturierende Erfahrung, die den mathematisch geprägten ›Wissenschaften‹ vorausgeht, sich einer theoretischen und methodischen Analyse jedoch nicht versperrt. Denn auch bei der Diskussion der ›Weltkenntnis‹ geht es Kant darum, ein ›System‹ vorzustellen, das es erlaubt, das Ganze dieser Erfahrungen in den Blick zu bekommen. Und so präsentiert auch die Physische Geographie »eine Idee von der Kenntniß der Welt«, worin man »einen architectonischen Begrif, welches ein Begrif ist, worin das Mannigfaltige aus dem Gantzen gezogen wird«136, bilden muß.

Geographie Kants wird demgemäß im folgenden nach der Originalpaginierung der Manuskripte zitiert und in den Anmerkungen angegeben mit beispielsweise: I. Kant, Physische Geographie, Ms. Kaehler, S. – Mit der Edition des Bd. 25 der Akad.-Ausg. liegen die Vorlesungsmitschriften zur Anthropologie vor und gewährleisten einen halbwegs sicheren Zugang zum Kantischen Verständnis der Anthropologie als ›Weltkenntnis‹. Zur historischen Einordnung der Anthropologie, die Kant im Ausgang von Baumgartens Psychologia empirica in dessen Metaphysica konzipierte, und zum systematischen Anspruch dieses Unterfangens vgl. N. Hinske, Kants Idee der Anthropologie, 1966; vgl. weiterhin N. Hinske, Lebenserfahrung und Philosophie, 1986, S. 22–40. 135 I. Kant, Vorlesungen über Logik, Akad.-Ausg., Bd. 24.1, S. 323. 136 I. Kant, Physische Geographie, Ms. Kaehler, S. 6.

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Daß ›Weltkenntnis‹ nicht eine neue oder eigenständige Seinsregion thematisiert, wird des weiteren ersichtlich anhand der fortwährenden Bemerkungen, daß in dieser Disziplin nicht nur ein Horizont interpretierter Erfahrungen aufgezeigt und begrenzt wird, sondern daß sie auch dazu dient, die genuin theoretischen Erkenntnisse überhaupt erst anzuwenden, ihnen ihren Platz ›in der Welt‹ anzuweisen: »Die Kentniß, die Wissenschaften gehörig anzuwenden, ist die Weltkenntniß. Diese Weltkentniß besteht, in der Kentniß des Menschen, wie wir ihnen gefällig werden können etc. Die Weltkentniß verhütet also daß aus Gelehrsamkeit nicht Pedantery wird. Die Kentniße der Merkwürdigkeiten der Natur, wird auch zur Weltkentniß mitgerechnet. Die physische Geographie und Anthropologie machen also die Weltkentniß aus.«137 Anthropologie und Geographie, die beide in pragmatischer Absicht verfaßt sind, restrukturieren demnach Kenntnisse einer vortheoretischen Erfahrung, und sie öffnen den Rahmen, in dem theoretische Erkenntnisse zur Anwendung kommen. ›Weltkenntnis‹ wird demgemäß auch nicht nur gelehrt, als interpretierendes Erfahren bildet sie ein Konstitutivum der menschlichen Orientierung. Und darum kann eine derartige Kenntnis, wie es explizit heißt, auch eine »natürliche Kenntnis« genannt werden, die »bey iedem Menschen zum Grunde liegt«138. Daß Kant hier stets den Ausdruck ›Welt‹ benutzt und das Kompositum ›Weltkenntnis‹ bildet, kann verwirren. Doch meint ›Welt‹ hier den »Innbegrif aller Verhältniße, in die der Mensch kommen kann, wo er seine Einsichten und Geschicklichkeiten ausüben kann«139 – ›Welt‹ meint hier dasjenige, wovon der Mensch als Teil eines strukturierten Sinnganzen eine natürliche Kenntnis hat und wozu er sich verhält, wenn es um die Applikation von Wissen geht: Denn jede »Geschicklichkeit, die man besitzt, erfordert am Ende eine Kenntnis von der Art, wie wir davon Gebrauch machen sollen«.140 Darum auch kann Kant die Untersuchungen zu ›Mensch‹ und ›Natur‹ unter einer »kosmologischen« Perspektive betreiben, denn sie betreffen das »Verhältnis im Ganzen«, worin die Menschen »stehen und darin ein jeder selbst seine Stelle einnimmt«141. Zwar betont Kant in den Anthropologie- wie auch in den Geographievorlesungen, daß »die Kenntnis der Welt« eine »Kenntnis des Schauplat-

137

I. Kant, Vorlesungen zur Anthropologie, Akad.-Ausg., Bd. 25.1., S. 9; vgl. I. Kant, Physische Geographie, Ms. Kaehler, S. 2. 138 I. Kant, Vorlesungen zur Anthropologie, Akad.-Ausg., Bd. 25.1., S. 471. 139 Ebd., S. 469. 140 Ebd. 141 I. Kant, Von den verschiedenen Racen der Menschen zur Ankündigung der Vorlesungen der physischen Geographie im Sommerhalbenjahre 1775, Weischedel-Ausg., Bd. 9, A 12, Akad.-Ausg., Bd. 2, S. 443.

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zes«142 ist, auf dem die menschlichen Handlungen ihre Anwendung finden, daß die ›Welt‹ das »substratum« sei, wo »das Spiel unserer Geschiklichkeit vorgeht«, ja daß sie als dieser »Schauplatz« eines »Spiels« gar »der Boden« ist, »wo unsere Erkenntniße erworben und angewendet werden«143; doch der Schauplatz ist, wie gezeigt, nicht bloß ontisch ausgezeichnet, er ist epistemologisch gekennzeichnet durch eine Kenntnis eines Sinnganzen, das je schon als spezifische, natürliche Erfahrung erworben ist und in dieser Form auch kultiviert werden kann – so daß der Verstand auch wirklich »extendiren«144 kann. Die fortwährende Absetzung Kants gegenüber spekulativen oder physiologischen Anthropologien seiner Zeit sowie die Betonung, daß die Geographie bislang »mangelhaft«145 geblieben ist, beruht zum einen auf dem bereits genannten Anspruch, mit der ›Weltkenntnis‹ eine Disziplin in pragmatischer Hinsicht vorzustellen, zum anderen aber auch darauf, daß den Kenntnissen als natürlichen Kenntnissen nicht Rechnung getragen wurde. In diesem Sinne fehlt es immer noch an »Unterweisung«, »alle Erkenntniße die man erworben hat, in Ausübung zu bringen und einen seinem Verstande und dem Verhältniße gemäß worin man in der Welt steht nützlichen Gebrauch zu machen, oder unsern Erkenntnißen das practische zu geben« – denn dieses »ist die Kenntniß der Welt«146. Wenn Heidegger vermutet, daß Kant in diesen Kontexten mit ›Welt‹ »die Existenz des Menschen im geschichtlichen Miteinander« meint, daß ›Welt‹ »in all dem die Bezeichnung für das menschliche Dasein im Kern seines Wesens« bedeute und demgemäß »vollkommen dem existenziellen« Weltbegriff Augustinus’ entspreche, »nur daß die spezifisch christliche Wertung des ›weltlichen‹ Daseins, der amatores mundi«, weggefallen sei und jetzt »positiv die ›Mitspieler‹ im Spiel des Lebens« gemeint seien,147 so reduziert er den Kantischen Ansatz auf eine anthropologische Perspektive des 20. Jahrhunderts, die der Aufklärer jedoch nicht im Sinn hat. Heidegger ließ sich hauptsächlich von den Äußerungen zur Anthropologie leiten, die Geographie hat er nicht weiter erwähnt. Nicht übersehen werden darf jedoch, daß zwischen Anthropologie und Geographie von Kant kein Unterschied hinsichtlich der ›Weltkenntnis‹ gemacht wird und daß auch die Geographie einen unabdingbaren Bestandteil der ›Weltkenntnis‹ darstellt. Im Gegensatz zu Heidegger, der eine fundamentalontologisch gewendete Weltanalyse anstrebt, 142

I. Kant, Vorlesungen zur Anthropologie, Akad.-Ausg., Bd. 25.1., S. 469. I. Kant, Physische Geographie, Ms. Kaehler, S. 5; vgl. ebenso die Formulierungen zur Physischen Geographie in: Ms. Busolt, S. 5; Ms. Messina, S. 2; Ms. Werner, S. 6. 144 I. Kant, Physische Geographie, Ms. Kaehler, S. 17. 145 Ebd. 146 Ebd., S. 4 f. 147 M. Heidegger, Vom Wesen des Grundes (1929), 1976, S. 153f. 143

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ist es das Verdienst Kants, auch im Bereich der ›Weltkenntnis‹ eine Blickwendung vollzogen zu haben, indem nämlich vom Menschen als schlicht Seiendem und von ›Welt‹ als bloß Seiendem abgesehen wird, um die natürlichen Kenntnisse von ›Mensch‹, ›Natur‹, ›Welt‹, wie sie sich in einem ersten Systematisierungsversuch in Anthropologie und Geographie darstellen, zu fokussieren. Was Kant mit ›Weltkenntnis‹ erschließt, ist ein epistemologischer, natürlicher Sinnhorizont, weniger eine Daseinssphäre. »Existenziell«, was im Heideggerschen Verständnis »eine ontische ›Angelegenheit‹ des Daseins«148 ist, kann man die Kantischen Überlegungen aus diesem Grund nicht nennen. Wenn man in der Heideggerschen Terminologie verbleiben wollte, so müßte man die Kantischen Untersuchungen geradezu als ›existenzial‹ bezeichnen, also als Untersuchungen, die am Seienden den Sinn desselben enthüllen. Natürlich legt Kant keinen methodischen Traktat vor, wie er dies in der Kritik der reinen Vernunft mit Blick auf die theoretischen Fragestellungen der Philosophie getan hat, aber er öffnet einen Raum, der mit anderen methodischen Instrumentarien ausgemessen werden kann, die jedoch nur angedeutet werden. Zu verweisen ist auf die Anthropologie als »Beobachtungslehre«149, die Geographie als »Naturbeschreibung« und einer darauf folgenden, auf »Erzählung« gründenden »Naturgeschichte«150. Diese Kenntnisse sind es, die Orientierungen bieten können und dem Handeln zum Grunde liegen. Denn der Boden der Praxis ist nicht ein Seiendes, eine Wirklichkeit an sich, sondern die Kenntnis dieser Wirklichkeiten, mit denen man durch Erzählung, Beschreibung und Beobachtung bekannt ist.

* Der Übergang von diesen Untersuchungen hinsichtlich der ›Weltkenntnis‹ zum kritischen Geschäft ist nicht leicht zu bestimmen, doch liegt er verborgen in der Unterscheidung zwischen der ›Philosophie dem Schulbegriffe‹ und der ›Philosophie dem Weltbegriffe‹ nach. Auch diese Differenz bezeichnet bei Kant keinen Unterschied im Seienden, sie verweist auf Unterschiede im Erkennen, Wissen und Lernen. »Philosophie ist also das System der philosophischen Erkenntnisse oder der Vernunfterkenntnisse aus Begriffen. Das ist der Schulbegriff von dieser Wissenschaft. Nach dem Weltbegriff ist sie die Wissenschaft von den letzten Zwecken der menschlichen Vernunft.«151

148 149 150 151

A 23.

M. Heidegger, Sein und Zeit (1927), 161986, S. 12. I. Kant, Brief an Marcus Herz (Ende 1773), Akad.-Ausg., Bd. 10, Nr. 79, hier: S. 146. I. Kant, Physische Geographie, Ms. Kaehler, Anhang Nr. 2, S. 9ff. I. Kant, Logik (›Jäsche-Logik‹, 1800), Weischedel.-Ausg., Bd. 5, Akad.-Ausg., Bd. 9,

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Den Schulbegriff der Philosophie charakterisiert Kant näherhin dadurch, daß sie Vernunfterkenntnis »aus principiis a priori« gewinnt, und in ihrem Vortrag »scholastisch«152 auftritt, d.h. »Vorschriften und Methoden« enthält, die der »didactischen Form« nach »Mittel zum Lehren und Lernen« bereitstellt. Zudem »gewöhnt sich« die »scholastische Methode« »an gewisse Peinlichkeiten z. B. terminos technicos, demonstrationen, definitionen – die einem Dilettanten nicht angemessen sind«153. Sie ist, wie es in der Kritik der reinen Vernunft heißt, ein Begriff »von einem System der Erkenntnis, die nur als Wissenschaft gesucht wird, ohne etwas mehr als die systematische Einheit dieses Wissens, mithin die logische Vollkommenheit der Erkenntnis zum Zwecke zu haben«154. Die ›Philosophie dem Weltbegriffe nach‹ – oder »die Philosophie in sensu cosmico«155 – ist »die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft (teleologia rationis humanae)«156, wobei ihre Darstellung keine scholastische, sondern eine populäre ist: »Die popularitaet besteht in der accomodation einer Wissenschaft zur Faßungskraft und zum Geschmack des gemeinen Wesens.«157 Dergestalt kann es in der Kritik der reinen Vernunft heißen, daß der Philosoph dem Weltbegriffe nach kein »Vernunftkünstler, sondern der Gesetzgeber der menschlichen Vernunft«158 ist, denn der hier vorliegende »Weltbegriff« betrifft dasjenige, »was jedermann notwendig interessiert«159. Allein, dieser Anspruch ist selbst eine »Idee«, doch wiederum eine Idee, die nicht Nichts, sondern aufgegeben ist. Kant betont stets den methodischen Anspruch und den systematischen Vorrang der Schule vor den populären Überlegungen, »denn erst müssen alle Wissenschaften schulgerecht; hernach können sie auch populär seyn«160. Er warnt jedoch zugleich vor einer leerlaufenden »Philodoxie«, einer »Vernunftkünsteley«161 der Schule, die ihres Fundaments enthoben auch nicht mehr den Rahmen ihrer Anwendung erkennt. Darum auch sind die auf ›Welt-

152

I. Kant, Vorlesungen über Logik, Akad.-Ausg., Bd. 24.2, S. 798. Ebd., S. 820. 154 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 838, B 866. 155 I. Kant, Vorlesungen über Logik, Akad.-Ausg., Bd. 24.2, S. 799. 156 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 839, B 867. 157 I. Kant, Vorlesungen über Logik, Akad.-Ausg., Bd. 24.2, S. 820. 158 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 839, B 867. 159 Ebd., A 839, B 867 Anm. 160 I. Kant, Vorlesungen zur Anthropologie, Akad.-Ausg., Bd. 25.2, S. 853. 161 I. Kant, Vorlesungen über Logik, Akad.-Ausg., Bd. 24.2, S. 798f. 153

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kenntnis‹ abzielenden populären Übungen nicht einfach nebensächlich, in ihnen terminiert auch letztlich die theoretische Philosophie. In der sogenannten Jäsche-Logik finden sich bekanntlich die berühmten vier Fragen: »1) Was kann ich wissen? 2) Was soll ich tun? 3) Was darf ich hoffen? 4) Was ist der Mensch?« Metaphysik, Moral, Religion und Anthropologie, so führt Kant aus, beantworten die Fragen. Hinzugefügt wird jedoch, daß man »im Grunde« »aber alles dieses zur Anthropologie rechnen« könne, »weil sich die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen«162. Während in der Kritik der reinen Vernunft nur die drei ersten Fragen genannt werden,163 so werden in einem Brief an Stäudlin vom 4. Mai 1793 von Kant wieder alle vier Fragen aufgelistet: »Mein schon seit geraumer Zeit gemachter Plan der mir obliegenden Bearbeitung des Feldes der reinen Philosophie ging auf die Auflösung der drei Aufgaben: 1) Was kann ich wissen? (Metaphysik) 2) Was soll ich thun? (Moral) 3) Was darf ich hoffen? (Religion); welcher zuletzt die vierte folgen sollte: Was ist der Mensch? (Anthropologie; über die ich schon seit mehr als 20 Jahren jährlich ein Collegium gelesen habe).«164 Die Frage, die sich insbesondere aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts stellt, betrifft die Art der Beziehung der vierten Frage auf die drei vorangehenden. Natürlich scheint Kant an dieser Stelle etwas anzudeuten, was im Übergang zum 20. Jahrhundert dringlich geworden ist: die Gründung der Philosophie auf Anthropologie. Doch man kann mit Recht bezweifeln, daß Kant hier eine Anthropologie meint, wie Scheler, Plessner oder Gehlen sie später formulieren werden. Was Kant im Sinn gehabt haben könnte, wird eher dadurch angedeutet, daß in der Jäsche-Logik die Fragen eingeleitet und verortet werden mittels des Hinweises, daß es sich nunmehr um die »Philosophie in dieser weltbürgerlichen Bedeutung« handelt, daß die drei angeführten Fragen der theoretischen Philosophie im methodischen Ansatz der Anthropologie die Philosophie dem Weltbegriffe nach auf den Punkt bringen. Stellt man dies in Rechnung, und vergegenwärtigt man sich die Qualifizierungen wie auch den Inhalt der Philosophie dem Weltbegriffe nach, so heißt dies, daß die angeführten Fragen so beantwortet werden, daß sie nicht nur den Anforderungen der Schule entsprechen, sondern auch selbstverständlich werden in dem Sinne, wie die ›Weltkenntnis‹ eine natürliche Verständlichkeit sui generis besitzt. Und dies kann auch erläutern, warum sich die drei ersten Fragen auf die vierte – ›Was ist der Mensch?‹ – beziehen können. Die Anthropologie als ein

162

I. Kant, Logik (›Jäsche-Logik‹, 1800), Weischedel.-Ausg., Bd. 5, A 25, Akad.-Ausg., Bd. 9, S. 25. 163 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 804, B 832. 164 I. Kant, Brief an Carl Friedrich Stäudlin (4. Mai 1773), Akad.-Ausg., Bd. 11, Nr. 574, hier: S. 429.

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Teil der ›Weltkenntnis‹ ist neben der Geographie das Paradigma einer sich selbst vernünftig aufklärenden und auch natürlichen Selbstverständlichkeit. Der Bezug auf die vierte Frage, die die Anthropologie beantwortet, meint demgemäß weniger eine Reduktion auf den Menschen, sie bedeutet vielmehr eine Gründung auf ›Weltkenntnis‹, die jedoch schulgerecht durchkonjugiert werden muß. Was darüber hinaus von zusätzlichem Interesse sein wird, ja, was gleichsam die vielfältige Verwendung des Ausdrucks ›Welt‹ im 19. Jahrhundert erklären kann, liegt in der den Nachfolgern mitgegebenen Aufgabenstellung der Kantischen Philosophie verborgen. Ist es die Philosophie dem Schulbegriffe nach, die im 18. Jahrhundert tatsächlich einen ›Weltbegriff‹ als Wesensbegriff formuliert und zu einer essentiellen Aufgabe der Metaphysik erklärt hat, so ist es die Philosophie dem Weltbegriffe nach, die (noch) keinen elaborierten Begriff von ›Welt‹ herausgestellt hat. Das Kantische Verdienst liegt nun nicht etwa nur in der wegweisenden Erkenntnis, daß der wissenschaftlichen Betrachtung nach ›Welt‹ nichts anderes als eine aufgegebene Idee sein kann, sondern auch darin, mit dem Konzept der ›Weltkenntnis‹ einen Horizont umgrenzt zu haben, innerhalb dessen sich Weltbegriffe der natürlichen Orientierung philosophisch-wissenschaftlich erarbeiten lassen. Und so sind es im 19. Jahrhundert auch die noch immer populären Wissenschaften der Geographie, der Geschichte oder auch der Biologie, innerhalb deren sich immer neue Weltkonzepte bilden und die auch methodisch – man denke nur an den Beschreibungsbegriff – wegweisend für die philosophische Diskussion werden. Hat Kant den dogmatischen Weltbegriff der Schule entzaubert, die Vernunft angesichts der uneinholbaren Totalität eines Wissens von ›der Welt‹ in ihre Schranken verwiesen und ›Welt‹ epistemologisch an den Prozeß der ›Weltgewinnung‹ gebunden, so hat er zugleich das philosophische Projekt der ›Weltkenntnis‹ formiert, indem ›Weltkenntnis‹ nicht mehr jenseits der Schule, im Schatten der Vernunft, sondern im Verbund mit der Schule, im Licht der Vernunft betrachtet werden kann. Nicht jenseits oder diesseits des Weltbegriffs der Schule ist die ›Weltkenntnis‹ zu lokalisieren, sie drückt das natürliche Phänomen der Orientierung aus, worin ›Welt‹ als gegliedertes Sinnganzes in statu nascendi greifbar wird und kultiviert werden kann und worin der Mensch selbst als ein Weltthema auftritt.165 165

Es ist die Kritik der Urteilskraft, die in Ansätzen und für bestimmte Bereiche eine derartige Aufarbeitung bietet, indem sie die Zweckmäßigkeit der Natur als transzendentales Prinzip der Urteilskraft zum Thema macht und in Ästhetik und Naturwissenschaft durchspielt. Allein, so bedenkenswert die Äußerungen besonders hinsichtlich der lebenden Natur sind, die Kant hier vorstellt, sie wurden erstens im 19. Jahrhundert in der Biologie bis auf wenige Ausnahmen – wie z. B. Schleiden – kaum beachtet; und zweitens kann die Diskussion der Zweckmäßigkeit der ›Natur‹ nur einen Teil der Kantischen Überlegungen abdecken, die ›Welt‹ betreffen. Vgl. hierzu die Untersuchungen von K. Düsing, Die Teleo-

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

c) Die Frage nach den Voraussetzungen der Transzendentalphilosophie Husserl überschreibt den Paragraphen 28 der Krisis der europäischen Wissenschaften mit den vielsagenden, aber auch leicht mißverständlichen Worten: Die unausgesprochene ›Voraussetzung‹ Kants: die selbstverständlich geltende Lebensumwelt. Kant, so argumentiert Husserl, habe »keine Vorstellung davon, daß er in seinem Philosophieren auf unbefragten Voraussetzungen fußt und daß die zweifellos großen Entdeckungen, die in seinen Theorien liegen, nur verhüllt in diesen liegen«166. Im Ausgang von dieser auf die Kritik der reinen Vernunft bezogenen Unterstellung beginnt der Phänomenologe dann selbst »mit der Aufweisung, daß die Kantischen Fragestellungen der Vernunftkritik einen unbefragten Boden von Voraussetzungen haben, die den Sinn seiner Fragen mitbestimmen«167. Es sind die »Selbstverständlichkeiten«168 der Sinnlichkeit eines in Raum und Zeit inkarnierten Leibes und die Selbstverständlichkeiten einer intersubjektiv gegründeten, kulturellen (Vor-)Orientierung, denen Husserl nachspürt und die er in dem Kantischen Denken nicht explizit behandelt findet. Im Kern geht es Husserl jedoch bei diesem Unterfangen darum, die »alltägliche Lebensumwelt«169 nicht einfach als seiende hingestellt sein zu lassen, sondern sie so in den Blick zu rücken, daß nicht mehr die bloß seiende Umwelt allein bestimmend wird, sondern die spezifische Geltung derselben darin mitbedacht werden kann. Die Geltung einer Kenntnis, die nicht nur explizite Erkenntnis, sondern auch unthematische Praxis und vorwissenschaftliches Verständnis ist, sollen so als Grundlage menschlicher Orientierungsleistungen, wissenschaftlicher wie nicht-wissenschaftlicher, aufgewiesen werden: »Also wie immer Welt als universaler Horizont, als einheitliches Universum der seienden Objekte bewußt ist, wir, je Ich der Mensch und wir miteinander, gehören als miteinander in der Welt Lebende eben zur Welt, die eben in diesem ›Miteinander-Leben‹ unsere, die uns bewußtseinsmäßig seiend-geltende Welt ist.«170 Es ist die als ›seiend-geltende‹ Umwelt, die im Sinne einer Selbstverständlichkeit in den Blick des Phänomenologen kommt, ohne daß sie allein auf ihren Status als Seiende oder ihre Geltung reduziert werden könnte.

logie in Kants Weltbegriff, 1968; ders., Teleologie und natürlicher Weltbegriff, 1981. – Gewarnt sei allerdings vor voreiligen Vergleichen mit Husserls ›Lebenswelt‹, die nicht gerechtfertigt erscheinen. 166 Hua VI, S. 105. 167 Hua VI, S. 106. 168 Hua VI, S. 113. 169 Hua VI, S. 106. 170 Hua VI, S. 110.

2. Welterkenntnis und Weltkenntnis im 18. Jahrhundert

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Der Vorwurf Husserls, Kant habe den Komplex vorthematischen, vorwissenschaftlichen oder vorphilosophischen Lebens nicht gesehen, er habe die »Bewährungen des natürlichen Interessenlebens«171 nicht überblickt oder bedacht, kann nach dem Durchgang durch die Kantische Philosophie nicht aufrechterhalten werden. Mit den Überlegungen zur ›Weltkenntnis‹ hat Kant durchaus derartige Ansätze in seinen Systementwurf integriert, und er hat sie sogar auf die Stufe von ›Kenntnissen‹ gehoben. Weder eine ›Welt‹ als bloß seiende noch die schlichte Geltung der Kenntnisse, sondern die epistemologische Ausweisung und praktische Bewährung von ›Weltkenntnissen‹ stehen bei Kant im Mittelpunkt seiner Bemühungen um eine Grundlegung der Anthropologie bzw. Geographie. Husserls Kritik an Kant ist jedoch nicht gänzlich von der Hand zu weisen; sie zeigt aber eher, in welchem Sinne Husserls Lebensweltanalysen selbst gelesen werden müssen, als daß sie zu einer Destruktion der Kantischen Transzendentalphilosophie führt. Denn der phänomenologische Ansatz – zumindest seit den Ideen zu einer reinen Phänomenologie – steht nicht im Dienst einer endgültigen Abkehr von Kantischem Gedankengut, er verweist im Gegenteil auf eine Radikalisierung und Ausführung desselben; und die Husserlsche Kritik betrifft nicht in erster Linie Kant selbst, sondern das Vergessen »einer großen Entdeckung«, die Husserl jedoch im Sinne einer »bloßen Vorentdeckung«172 deutet. In phänomenologischer Lesart ist die Frage nach der Lebenswelt nämlich selbst ein genuines Thema der Transzendentalphilosophie, insofern sie die transzendentale Subjektivität als eine notwendig und stets ›fungierende‹ intentionalanalytisch zum Aufweis bringt. Damit offeriert Husserl mit seinen Untersuchungen zur Lebenswelt weniger eine Destruktion des Kantischen Systems; er bietet vielmehr eine »Präzisierung des Sinns von Transzendentalphilosophie«173. Im Rückblick auf das Philosophieren des 18. Jahrhunderts, wie es mit Wolff anhebt, zeigt sich, auf welche Art ›Welt‹ in der Auseinandersetzung mit Weltverständnissen formuliert und reformuliert wird. Die Aufgabe, einen Weltbegriff innnerhalb einer neuen metaphysischen Disziplin zu bestimmen, die Wolff der Schulphilosophie mit auf den Weg gibt, wird von dieser übernommen und später von Kant überschritten. In dem mit Wolff beginnenden Formulierungsversuch von ›Welt‹ werden nicht nur die unterschiedlichsten Perspektiven mit- und untereinander synchronisiert, es kommt zugleich zu einem Aufbrechen des Begriffs selbst, da alltägliche Verständnisse mit philosophischen Interessen in Kollision zu geraten drohen. Vorläufig entwickelt 171 172 173

S. 113.

Hua VI, S. 108. Hua VI, S. 106. E.W. Orth, Edmund Husserls ›Krisis der europäischen Wissenschaften‹, 1999,

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

sich der prominente Weltbegriff der Metaphysik als Reihenbegriff, der als letzte Totalität noch dinglich zu fassen ist. Kant ist es, der diesen neu etablierten Weltbegriff wieder in den Schatten der großen Vernunfttradition rückt, indem ›Welt‹ nicht mehr als ein im weitesten Sinne ontisches Phänomen betrachtet werden kann, sondern als Idee vernünftigen Erschließens erkenntniskritisch in das Wissen um die Erscheinungen zurückverwiesen wird. Doch so wie Kant den dogmatischen Weltbegriff abschattet, rückt er den populären Weltbegriff in seiner Form als Weltkenntnis näher an die Ränder der Vernunft heran. Nicht, wie Engel typischerweise erläutert, geht es bei diesem Weltbegriff darum, »irgend eine zur Philosophie gehörige oder philosophisch behandelte Wahrheit« vorzutragen, noch ist die Form der Darstellung unerheblich, und ebenso richtet sich der Vortrag nicht an »das ganze gemengte Publicum, wo der eine mehr für diese, der Andre mehr für jene Gegenstände ist, der Eine mehr diesen, der Andre mehr jenen Ton liebt«174. Kant hebt den populären Weltbegriff auf die Stufe der ›Weltkenntnis‹ und formuliert eine natürliche Art der Orientierung, die als Philosophie dasjenige vorstellt, »was jedermann notwendig interessiert«175 – ja, interessieren muß. Und hier nähert er sich auch den primären sinnlichen Orientierungen, wie er auch die intersubjektive Rückbindung als Praxis resp. Pragmatik bedenkt. Ohne Heideggers Originalität in Frage stellen zu müssen, kann durchaus darauf verwiesen werden, daß es hier um dasjenige geht, was als ›welten‹ bezeichnet werden kann: die Aufklärung der natürlichen Weltorientierung diesseits übereilter Festschreibungen und Reduktionismen, um von dem Projekt der Wissenschaften bzw. dem Unterfangen einer wissenschaftlichen Philosophie einen »nützlichen Gebrauch zu machen«176. Es ist dieses natürliche Sinnphänomen, dem Kant hier nachspürt und dessen philosophischer Beschreibung er durchaus Raum bereitet. Denn »echte Naivität, das ist das Paradoxe, läßt sich erst in der höchst inneren philosophischen Intuition gewinnen«177; und diese zeigt auch bei Kant eine praktische Verankerung in und zu ›Welt‹ als ›Weltkenntnis‹. Zu verständlich erscheint Kant noch die ›Weltkenntnis‹, als daß ein eigener Weltbegriff definiert würde, wie er korrelativ in der Cosmologia transcendentalis erstmalig und einzig formuliert wurde. Doch diese Selbstverständlichkeit ging zum Teil im 19. Jahrhundert verloren, als Geographie, Geschichte, Biologie und die weiteren zu ›Wissenschaften‹ sich aufschwingenden populären Disziplinen in einem fort neue Weltausdrücke generierten. Damit wurden die

174

Vgl. oben S. 50. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 839, B 867 Anm. 176 I. Kant, Physische Geographie, Ms Kaehler, S. 5. 177 M. Heidegger, Die Idee der Philosophie (1919), 1987, S. 92. 175

2. Welterkenntnis und Weltkenntnis im 18. Jahrhundert

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methodischen Instrumentarien wie Beschreibung oder Erzählung derart fraglich und problematisch, daß sie einer neuen ›Kritik der Weltkenntnis‹ bedurften. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts tritt das ein, was man einen neuen Dogmatismus nennen könnte: den Dogmatismus der Weltkenntnis. Wurde am Anfang des 18. Jahrhunderts ein dogmatischer Weltbegriff der Schule formuliert und mit Kant endgültig durchbrochen, so kommt es im 19. Jahrhundert zu einem Studium des ›weltens‹ als eines primären Orientierungsphänomens und zugleich zu einer dogmatischen Verfestigung von Weltbegriffen, die dasjenige auf Seiendes reduzieren, was Kant ›nur‹ ›Weltkenntnis‹ nannte und in der ›Philosophie dem Weltbegriffe nach‹ abgehandelt hat. Diesen neuen Dogmatismus mußte Kant noch nicht einer expliziten Kritik unterziehen;178 Husserl ist es, der ihn ins Visier nimmt und spätestens in der Krisis der europäischen Wissenschaften explizit begrenzt – und zwar unter einem positiven Rückgriff auf das transzendentale Philosophieren, jedoch ohne die Explikation, daß es im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einer Horizontverschiebung hin zu einer positivistisch-wissenschaftlichen Aufarbeitung von ›Weltkenntnissen‹ gekommen ist. Husserls Verweis auf die Natur des ›doppelt fungierenden Verstandes‹ bei Kant in der Kritik der reinen Vernunft, »der in expliziter Selbstbesinnung sich in normativen Gesetzen auslegende, und andererseits der verborgen waltende Verstand, nämlich waltend als konstituierender Verstand für die ständig gewordene und beweglich fortwerdende Sinngestalt ›anschauliche Umwelt‹«179 bildet hier den Leitfaden, einer neuen Vernunftkritik der ›Weltkenntnis‹, die erst aus dem 19. Jahrhundert verständlich wird, da es hier an den unterschiedlichsten philosophischen, wissenschaftlichen und kulturellen Orten zu Aufbrüchen und gleichzeitig auch zu Dogmatismen kommt. Damit auch gewinnt Husserls Rekurs auf Kant eine andere Dignität als die der rein destruktiven Kritik. Nicht geht es Husserl darum, Kant in Bausch und Bogen 178

Wobei es für eine solche Kritik bei Kant schon Hinweise gibt, wie beispielsweise seine Auseinandersetzung mit Herders erstem Teil der Ideen belegt. Dort vermutet Kant eine unausgewiesene Vermischung von Naturgeschichte und Naturbeschreibung, wie sie im 19. Jahrhundert geradezu typisch werden wird, und er gibt Herder für den Fortgang der Arbeit die Warnung mit auf den Weg, daß die Philosophie auch hier eher im »Beschneiden als Treiben üppiger Sprößlinge« bestehe; vgl. I. Kant, Rezension zu Johann Gottfried Herders Ideen (1785), Weischedel-Ausg., Bd. 10, A 22, Akad.-Ausg., Bd. 8, S. 55; zum systematischen Fundierungsverhältnis von primärer Naturbeschreibung und sekundärer Naturgeschichte vgl. I. Kant, Physische Geographie, Ms. Kaehler, S. 11ff. 179 Hua VI, S. 106. – Zum ›doppelt fungierenden Verstand‹ bei Kant vgl. die Untersuchungen zur gleichursprünglichen ›Synthesis‹ und ›Analysis‹ und der ›synthetischen Einheit der transzendentalen Apperzeption‹ in: I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, B 130ff. – Zu Husserls Bezug auf Kant, sowie zum Krisis-Werk im allgemeinen vgl. die Darstellung von E.W. Orth, Edmund Husserls ›Krisis der europäischen Wissenschaften‹, 1999, hier: S. 112ff.

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

bloßzustellen, so als habe er schlicht etwas übersprungen. Husserl erkennt im Kantischen Vorgehen im Gegenteil einen, ja den Leitfaden vernünftigen Philosophierens, der nur noch nicht radikal genug ausgeführt wurde. Derart kann Husserls Selbstverständnis mit dem Topos erläutert werden, den Kant selbst am Ende der Kritik der reinen Vernunft formuliert: »Der kritische Weg ist allein noch offen.«180 Kant nämlich war es, der auch die ›Weltkenntnis‹ so weit an die philosophische Systematik heranführte, daß sie einer möglichen transzendentalphilosophischen Betrachtung zugeführt werden kann. Und Husserl wird diese ›Weltkenntnis‹ transzendentalphänomenologisch mit dem ihr angemessenen Instrumentarium vermessen. Zuvor aber erfolgen die neuen Aufbrüche und auch Verfestigungen der ›Weltkenntnis‹ durch vorläufige Weltbegriffe, wie sie mit ›Weltanschauung‹, ›natürliche Welt‹ aber auch ›Lebenswelt‹ im 19. Jahrhundert populär werden und das Philosophieren – wenn nicht der popularphilosophische Ansatz in einen trivialphilosophischen degenerierte – vor neue Aufgaben stellten.

3. Verweltlichung ohne ›Welt‹ im 19. Jahrhundert In einer der ersten Untersuchungen, die im Anschluß an die phänomenologischen Studien Husserls zur ›natürlichen Welt‹ entstanden sind, kommt Jan Patocka in einem historischen Rekurs auch auf den nachkantischen Idealismus zu sprechen. Einen »Grundgedanken«, der das Philosophieren im An schluß an Kant prägt, erkennt Patocka darin, »daß die einzelne Erfahrung die Ganzheit der Welt voraussetzt«. Jedoch hätten sich, so der Phänomenologe, die Vertreter des Idealismus nicht »mit der Spekulation über den Weltbegriff« befaßt – »jedenfalls nicht als einem der wichtigsten Themen des spekulativen Denkens«181. Wenngleich auch Eugen Fink dieser Sicht der Dinge nicht zustimmen könnte, da er in den Systemen der Spekulation eine Weiterarbeit am »Welt-

180

I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 856, B 884.  181 J. Patocka, Die natürliche Welt als philosophisches Problem (1936/1937), 1990, S. 105. – Vgl. beispielsweise G.W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, dritter Teil: Die Philosophie des Geistes (1830), Werke, Bd. 10, 31995, S. 29, wo dieser Gedanke zum Ausdruck gebracht wird: »Das Offenbaren, welches als das Offenbaren der abstrakten Idee unmittelbarer Übergang, Werden der Natur ist, ist als Offenbaren des Geistes, der frei ist, Setzen der Natur als seiner Welt; ein Setzen, das als Reflexion zugleich Voraussetzen der Welt als selbständiger Natur ist.« – Vgl. ebenso die Auslegung der Hegelschen Enzyklopädie bei L. Landgrebe, Von der Unmittelbarkeit der Erfahrung, 1959, S. 238 ff. – Mit Blick auf die Romantik vgl. K. Köchy, Perspektiven der Welt, 1996, bes. S. 322.

3. Verweltlichung ohne ›Welt‹ im 19. Jahrhundert

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problem«182 erkennt, so schließen sich die Sichtweisen der beiden Phänomenologen dennoch nicht aus. Denn eine Analyse des ›Weltbegriffs‹, wie sie die Philosophen des 18. Jahrhunderts bis zu Kant hin vorgeführt und zu einem Projekt der Philosophie erklärt haben, findet sich in dieser Form nicht bei Schelling und erst recht nicht in Hegels System.183 Es handelt sich vielmehr darum, das Bewußtsein in der Auseinandersetzung mit ›Weltlichem‹, ›Natürlichem‹ oder ›Wirklichem‹ – die Begriffe können hier bezeichnenderweise nicht mehr genau differenziert werden – zu begreifen, um in einem fortwährenden Prozeß der Vergewisserung als Ver- und Entwirklichung – »auf Kosten der Welt«184 als einem Komplex von Seiendem – den Geist als letzte und absolute Wirklichkeit zu erweisen. In diesem Philosophieren innerhalb von ›Welt‹ im Sinne einer vorausgesetzten und verständlichen Ganzheit und in Differenz zu ›Welt‹ als einem Bezirk des Seienden werden (Bewußtseins-)Strukturen erarbeitet, die dann später, nachdem ›Welt‹ als ein Thema der Philosophie auch wieder mit phänomenologischem Instrumentarium stärker konturiert wurde, aufgegriffen werden konnten – dies zeigen implizit nicht wenige der Husserlschen und explizit die meisten der Finkschen Überlegungen. So ist es aus historischer Sicht auch weniger der deutsche Idealismus selbst, der unmittelbar wegweisend für die Entwicklung eines philosophischen Weltbegriffs im 19. Jahrhundert werden konnte. Die Suche nach neuen Ausdrücken und der Rückgriff auf ältere Weltkonzepte finden in erster Linie außerhalb der originär spekulativen Systeme, aber auch jenseits resp. am Rand des genuin philosophischen Denkens statt. Unverkennbar ist jedoch in nicht wenigen Gedankengängen die Bezugnahme auf ›Welt‹ als vorausgesetzte und verständliche Ganzheit. Im Überblick bestätigt dies in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Geläufigkeit des Ausdrucks ›Welt‹, die ihn auch in seiner philosophischen Anwendung unproblematisch werden ließ. Der Problemtitel ›Welt‹ wie er noch im 18. Jahrhundert im Horizont einer eigenen metaphysischen Disziplin traktiert und diskutiert wurde, wandelt sich zu einem operativen Bezugspunkt mit variabler semantischer Dichte. Innerhalb einer vorausgesetzten, nicht bloß seienden Ganzheit, die als solche auch nicht bezweifelbar ist, werden nunmehr subjektive Orientierungsleistungen und Einstellungen analysiert und bestimmt – die beeindruckende Karriere des Ausdrucks ›Weltanschauungen‹ in der Pluralform und als operativer Begriff ist hierfür ein Beispiel. Denn ›Weltanschauungen‹ referieren nicht auf ›Welt‹, mit

182

E. Fink, Einleitung in die Philosophie, 1985, S. 81. Vgl. hierzu z. B. W.R. Beyer, Auf der Suche nach Hegels Weltbegriff, 1982, worin ex negativo deutlich wird, daß Hegels Philosophieren sich in einem Weltverständnis ohne ausformulierten Weltbegriff bewegt. 184 G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes (1807), Werke, Bd. 3, 51996, S. 178. 183

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

ihrer Hilfe werden bereits natürlich erschlossene Orientierungsfelder als Ausdruck einer erschließenden, ›weltenden‹ Subjektivität betrachtet.

* Doch spätestens in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sollte die Ganzheit als Selbstverständlichkeit in zunehmendem Maße fraglich werden. Zwar wagt im Jahre 1842 Immanuel Hermann Fichte in seiner Antrittsvorlesung an der Universität Tübingen noch eine umfassende, an die idealistische Tradition anknüpfende Bestimmung der Philosophie – wonach es die Aufgabe des Philosophen ist, »alles Gegebene und Erfahrene in jene Einheit, in die des Universums, der begriffsmässig geschlossenen, aber verwirklichten Vernunfteinheit zusammenzufassen«185. Doch zugleich beweist Fichte Weitblick, wenn er angesichts der zeitgenössischen Lage philosophischer Bemühungen darüber hinaus ausführt, daß zukünftig die »Ueberlieferung nicht in einem einzigen Systeme, sondern in mehreren, rivalisierenden, sich fortsetzen wird«186. Die ›verwirklichte Vernunfteinheit‹ zu wahren, die ›begriffsmäßige Geschlossenheit des Universums‹ darzutun, all dies sollte tatsächlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angesichts der Pluralisierung von wissenschaftlichen Vernunftansprüchen und dem damit verbundenen Aufbrechen von Weltkonzepten in der Philosophie nur noch mühsam einzulösen sein. Die Selbstverständlichkeit der idealen Ganzheit ist nun eigens zu erweisen, und die Einheit und Geschlossenheit des als seiend Erkannten rückt in den Mittelpunkt der Diskussion. ›Monismus‹, aber auch ›Weltanschauungslehre‹ sowie ›natürliche Welt‹ sind einige der neuen Topoi, die darauf hindeuten, der ›Vernunfteinheit‹ ihre Möglichkeit zu sichern sowie ihren Wirklichkeitsanspruch zu wahren. Zugleich jedoch waren derartige Konzepte ständig gefährdet, als dogmatische Realitätsbegriffe verklärt zu werden resp. in einem Relativismus von ›Welten‹ aufzugehen. Denn ›Welt‹ wird in dem Übergang von der selbstverständlichen Ganzheit zur problematisch gewordenen Einheit des Seienden erstens zunehmend mit ›Wirklichkeit‹ und ›Realität‹ gleichgesetzt, ohne daß aber die ontische Tragfähigkeit des Weltbegriffs noch eigens zum Problem gemacht wird; und zweitens wird auf ›Welt‹ mehr und mehr ›zurückgegangen‹, ohne daß jedoch das Fundament des Rückgangs oder auch die Art und Weise des Rückgangs selbst immer gesichert wäre. So vertritt Fichte in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit seinem Theismus im Verbund mit z. B. Hermann Ulrici187 eine nicht wenige Jahre später als

185 186 187

I. H. Fichte, Über den gegenwärtigen Standpunkt der Philosophie, 1843, S. 4. Ebd., S. 9f. Vgl. z. B. H. Ulrici, Gott und die Natur (1866), 31875.

3. Verweltlichung ohne ›Welt‹ im 19. Jahrhundert

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»verpönt«188 bezeichnete philosophische Position. Er steht nunmehr inmitten der ›rivalisierenden Systeme‹, die sich für ihn freilich in nur zwei Gruppen einteilen lassen – die theistischen und die monistischen Philosophien. Nicht daß Fichte oder auch Ulrici sich jenseits der Erfahrung stellten, im Gegenteil: »auf dem festen Boden des Wirklichen«189 hat sich die Philosophie zu bewegen; jedoch könne der Mensch als die »höchste Weltthatsache« nicht verwechselt werden mit Gott als der »höchsten Weltursache«.190 Im Ausgangspunkt von der »Kosmosophie« müsse das Ziel des Theismus in einer »Theosophie«191 liegen. Ein derartiger Aufbruch postulierter Einheitlichkeit ist nach theistischer Sicht zusätzlich durch die originäre »Weltstellung des Menschen«192 belegt, da sich im Menschen ›Natürliches‹ und ›Geistiges‹ manifestieren, beide Dimensionen aber zu ›Natur‹ und ›Geist‹ hin transzendiert werden können. Für Fichte wie für Ulrici sind die Gegner früh bekannt. Es handelt sich um alle Spielarten des Monismus, ob sie nun materialistischer, positivistischer, spiritualistischer oder pantheistischer Natur sind. In diesem Sinne ist es auch der Pantheismus Fechners, der ›Welt‹ nur noch im Sinne eines ›verwirklichten‹ Korrelationsverhältnisses von Geistigem und Seiendem betrachtet: »Der Begriff der Welt theilt die Mehrdeutigkeit des Begriffes Gottes, indem er den Wendungen desselben folgt. Wo im weitesten Sinn, das ganze Gebiet der geistigen und materiellen Existenz, ohne trennende Abstraction, zu Gott gerechnet wird, fällt der Weltbegriff mit dem Gottesbegriff zusammen, und wir erhalten die pantheistische Weltansicht im vollsten Wortsinne.«193 Fechners Pantheismus jedoch könnte man insbesondere mit Blick auf die weitere Entwicklung der Philosophie noch geradezu als klassisch bezeichnen. Ist sein Philosophieren doch von dem Bedürfnis getragen, ›Welt‹ als Seiendes zumindest in Korrelation zu ›Gott‹ als einem Platzhalter des Idealen zu bestimmen – von beiden freilich gibt es bei Fechner keinen genuinen Begriff mehr. Sein Unterfangen trägt aber zumindest noch der metaphysischen Tradition Rechnung, die Fichte und Ulrici nicht nur stärker betonten, sondern geradezu retten wollten. Die ›rivalisierenden Systeme‹ sollten indes spätestens nach der Mitte des 19. Jahrhunderts etwas bewirken, was die Theisten vielleicht geahnt haben, Fechner und die frühen idealistischen Pantheisten jedoch sicherlich nicht befürworten konnten und das sich leicht mit dem

188

I.H. Fichte, Die theistische Weltansicht und ihre Berechtigung, 1873, S. VIII. I.H. Fichte, Über den gegenwärtigen Standpunkt der Philosophie, 1843, S. 4. 190 I.H. Fichte, Die theistische Weltansicht und ihre Berechtigung, 1873, S. VIII. 191 Ebd., S. 146. 192 I.H. Fichte, Die Seelenfortdauer und die Weltstellung des Menschen, 1867, S. 277. 193 G. T. Fechner, Zend-Avesta oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits (1851ff.), Erster Teil, 1951, S. 333. 189

74

II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

Schlagwort der Säkularisierung bezeichnen ließe. Allein, es handelt sich nicht um eine Säkularisierung, in der sich eine Reduktion auf ›Mensch‹ und ›Welt‹ unter der Prämisse vollzieht, daß ›Welt‹ oder gar ›Mensch‹ klar definiert wären. Es scheint demgegenüber sinnvoll, von einer ›Verweltlichung‹ in dem Sinne zu sprechen, daß das Thema ›Welt‹ im Vorlauf zu einer begrifflichen Fixierung problematisch wird. Die Diskussionen zeigen derart einen Prozeß der Verweltlichung ohne ›Welt‹, eine ›Verweltlichung‹ also, worin ›Welt‹ nicht einen Begriff bezeichnet, sondern ein thematisches Feld der Selbstverständigung anzeigt. Aus diesem Blickwinkel erscheint die Verweltlichung als ein Ausgangsdatum, das es allererst richtig zu begreifen gilt. Säkularisierung oder Verweltlichung deuten in diesem Sinne eher einen Problemtitel als einen Lösungsvorschlag an. Denn ›Welt‹ wird zu einem Problem und Thema derjenigen Disziplinen, die klassischerweise der ›Philosophie dem Weltbegriffe nach‹ zugerechnet wurden. Diese philosophische Fragestellung, die bereits latent den Idealismus fundiert, bricht insbesondere nach der Jahrhundertmitte auf, und hier werden Horizonte neuer Fragestellungen geöffnet, die bis weit in das 20. Jahrhundert hinein diskutiert werden.

* Die Kategorie der ›Verweltlichung‹, die häufig zur Charakterisierung moderner philosophischer Strömungen herangezogen wird, ist also vor diesem Hintergrund richtig zu verstehen. Mit ihr wird die Stellung des Menschen als ein sich orientierendes, Kenntnisse erwerbendes und tradierendes Wesen diskutiert, ohne daß diesen Überlegungen immer ein elaborierter Weltbegriff zugrundegelegt wird. Die semantische Dichte des Weltbegriffs ist das Problem, nicht die Lösung; und die ›Verweltlichung‹ meint weniger den Rekurs auf einen statischen Referenzpunkt als das neuerliche Aufbrechen des Sinnes von ›Welt‹. Der prägnanteste Beleg für das Schlagwort der ›Verweltlichung‹ als historischer Kategorie für das 19. Jahrhundert findet sich wohl in den resümierenden Bemerkungen Joëls in den Wandlungen der Weltanschauung. Eine Philosophiegeschichte als Geschichtsphilosophie: »Es ist nun einmal unbestreitbar, daß das 19. Jahrhundert aus dem Weltsinn geboren ist, aus Napoelons Weltreich, Hegels Weltgeist, Spinozas Weltgottheit, Comtes Weltwissenschaft, positivistischer Welternüchterung, mechanistischer Weltbindung, romantischer Weltliebe […] Alles wurde welthaft in diesem Jahrhundert, Geist, Leben, Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Markt. Eigentlich war es der volle Durchbruch der herrlichen Renaissance, die letzte Befreiung aus dem Mittelalter, der Sieg der Verweltlichung, der sich im 19. Jahrhundert als dem weltlichsten aller Jahrhunderte vollendet.«194 194

K. Joël, Wandlungen der Weltanschauung, 2. Bd., 1934, S. 747f. – Vergleichbare For-

3. Verweltlichung ohne ›Welt‹ im 19. Jahrhundert

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Wenngleich man vermuten kann und dies auch in Rechnung zu stellen hat, daß hier ein Autor über das 19. Jahrhundert urteilt, der selbst ein Interesse an einer förderlichen Auslegung seiner unmittelbaren Vorzeit hat, so kann diese Sicht der Geschichte doch nicht gänzlich verworfen werden. Ist es schließlich auch Marx, der bereits 1841 in seiner Dissertation zur Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie mit Pathos das Ziel formuliert, was Joël später als Diagnose eines ganzen Zeitalters feststellt – »daß das Philosophisch-werden der Welt zugleich ein Weltlich-werden der Philosophie« bedeute, womit zugleich die klassische Philosophie aufgehoben werde, denn »ihre Verwirklichung« führe endlich zu ihrem »Verlust«195. Doch auch andere Zeugnisse sprechen für das Phänomen der ›Verweltlichung‹. Der Neuthomistiker und Naturphilosoph Tilmann Pesch spricht mit Recht im Ausgang des 19. Jahrhunderts skeptisch davon, daß »alle modernen Systeme« »sich als monistisch« einführen, »d.h. als möglichst große Vereinfachung der Welterklärung«196. Das Patent, den Ausdruck ›Welt‹ zu popularisieren – besonders aber auch zu trivialisieren –, beanspruchten tatsächlich in jener Zeit all diejenigen, die es mit dem Monismus hielten und ihn propagierten; und dementsprechend werden ›monistisch‹, ›wirklich‹ und ›weltlich‹ im Übergang zum 20. Jahrhundert zu Synonymen, die jedoch in den philosophischen Auseinandersetzungen leerzulaufen drohten.197 Hinweisen kann man

mulierungen und Belege finden sich auch schon bei Dilthey, wenn er das 19. Jahrhundert unter dem »Prinzip der Diesseitigkeit des Lebensideals« zu schildern und zu beschreiben sucht; W. Dilthey, System der Ethik (1890), 31970, S. 13 ff.; W. Dilthey, Die späten Vorlesungen zur Systematik der Philosophie (1899-1903), 1990, S. 235f. 195 K. Marx, Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie nebst einem Anhange (1841), 1975, S. 68. 196 T. Pesch, Die grossen Welträtsel, 2. Band (1892), 31907, S. 3. 197 Daß der Monismus mit dem Aufkommen des Darwinismus eher von Naturwissenschaftlern als von Philosophen getragen wird und mit Haeckels philosophischen Versuchungen im Übergang zum 20. Jahrhundert neue Schwungkraft erfahren hat, kann hier nur angedeutet werden. Zur Bedeutung dieses ›üppig, wuchernden Lebens‹ für die Philosophie der Jahrhundertwende vgl. die Bemerkungen von H. Lübbe, Bewußtsein in Geschichten, 1972, S. 11. Zur philosophischen Vorgeschichte dieser Entwicklung vgl. A. Arndt, Ontologischer Monismus und Dualismus, 2000. – Spätestens in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts ist die Bezeichnung ›Monismus‹ zu einer Kampfvokabel im ›Kampf der Weltanschauungen‹ verkommen, mit der schlechterdings alles bezeichnet werden konnte. Da zu dieser wichtigen Entwicklung mit Blick auf die Funktionalisierung von ›Welt‹ noch keine eigene Untersuchung vorliegt, sei nur auf A. Drews (Hg.), Der Monismus, 1908, verwiesen, wo sich im ersten Band der vieldeutige Ausspruch findet: »dem monistischen Gedanken gehört die Welt« (S. 46). – Es ist tatsächlich die Auseinandersetzung um den Monismus, die den Ausdruck ›Welt‹ mit einer ungeheuren Macht an Medienpräsenz – auch dieses Faktum ist bisher noch nicht gewürdigt worden – im Übergang zum 20. Jahrhundert zur Trivialität verkommen läßt. Hunderte Titel, meist kleinere Broschüren, ließen sich anführen, in denen es mit, um und gegen Haeckel um ›die Welt‹ geht. Zur Auswahl mögen genügen:

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

beispielsweise auf Radenhausens Isis. Der Mensch und die Welt, worin ›Welt‹ als ›Erde‹ verstanden und als an sich »einheitlich und unendlich«198 deklariert wird. Denken kann man darüber hinaus etwa an Dührings »Wirklichkeitsphilosophie«, die »die künstlichen und naturwidrigen Erdichtungen beseitigt und zum ersten Mal den Begriff der Wirklichkeit zum Maass aller ideellen Conceptionen macht«199. Anführen läßt sich neben Vogts Welt- und Lebensanschauung für das Volk200 auch Büchners Der Mensch und seine Stellung in der Natur, worin der Autor mit seinem Materialismus den Versuch wagt, »die ideale Welt in uns an die Stelle der idealen Welt außer uns« zu setzen »und dieselbe ihrer Verwirklichung entgegen zu führen« 201. ›Welt‹ freilich gilt Büchner, wie er in Kraft und Stoff ausführt, jedoch nur noch als »ein Complex von Dingen und Thatsachen«, »den wir erkennen müssen, wie er ist, nicht wie ihn unsere Phantasie gern ersinnen möchte«202. Materialistisch oder monistisch, so Strecker in Welt und Menschheit vom Standpunkte des Materialismus, sind derartige Ansichten gegenüber anderen Auffassungen, da alles »Sein und alle Vorgänge in der Welt auf den Stoff und die dem Stoffe anhaftenden Kräfte zurückgeführt und das Dasein und die Wirksamkeit einer außerhalb der Natur stehenden Gewalt«203 geleugnet werden. Freilich wird auch hier eine ›Verweltlichung‹ ohne gesichertes Fundament betrieben, und der Materialismus gleitet stets in einen Spiritualismus ab, wenn es darum geht, seine Grundlagen zu sichern. Denn auch »der Materialismus glaubt« nach eigenem Bekunden eigentlich an mehr, als er leistet – »an die objective Giltigkeit unserer Begriffe von Zeit und Raum; er glaubt an das Atom; er vertraut auf die unwandelbare Wirksamkeit des Kausalitäts-Gesetzes«204.

S. Arrhenius, Das Werden der Welten (1907), 31908; J. Hart, Zukunftsland. Im Kampf um eine Weltanschauung, 2. Bd.: Die neue Welterkenntnis, 1902; J. Riem, Unsere Weltinsel, ihr Werden und Vergehen (1898), 21911; auch die in diesem Kontext entstehenden Zeitschriftentitel sprechen für sich: Kosmos. Zeitschrift für eine einheitliche Weltanschauung auf Grund der Entwicklungslehre in Verbindung mit Charles Darwin und Ernst Haeckel (1877–1886); Der Monismus. Zeitschrift für eine einheitliche Weltanschauung und Kulturpolitik (1908–1912); Das monistische Jahrhundert. Zeitschrift für wissenschaftliche Weltanschauung und Kulturpolitik (1912–1915); und das Organ der Gegenbewegung zum Monistenbund, der Keplerbund, ist überschrieben: Unsere Welt. Illustrierte Monatsschrift für Naturwissenschaft und Weltanschauung (1909–1941). 198 C. Radenhausen, Isis. Der Mensch und die Welt (1863), 4. Bd., 21872, S. 464 ff. 199 E. Dühring, Cursus der Philosophie als streng wissenschaftlicher Weltanschauung und Lebensgestaltung, 1875, S. 13. 200 J.G. Vogt, Eine Welt- und Lebensanschauung für das Volk, 3 Bde, 1892f. 201 L. Büchner, Der Mensch und seine Stellung in der Natur (1869), 21872, S. 254. 202 L. Büchner, Kraft und Stoff (1855), 151883, S. XXI. 203 W. Strecker, Welt und Menschheit vom Standpunkte des Materialismus, 1892, S. 13. 204 Ebd., S. 14.

3. Verweltlichung ohne ›Welt‹ im 19. Jahrhundert

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Hätte man nur diese unter dem Mantel eines ›Monismus‹ resp. einer ›Wirklichkeitsphilosophie‹ auftretenden materialistischen Philosophien im Sinn, so läge es nahe, das Konzept von ›Welt, wie es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts behandelt wird, einzig auf ›Stoff‹ und ›Kraft‹ zu reduzieren und unter Verweltlichung einen Rückgang auf ›Erde‹ und ›Mensch‹ als seiende Komplexe von Tatsachen in naturwissenschaftlich-kausaler Betrachtung zu verstehen. Die Sachlage ist jedoch nicht ganz so einfach. Zum einen geht dies aus den Philosophien Büchners, Dührings oder Vogts selbst hervor, und zum anderen dominieren diese nicht allein das Feld der philosophischen Diskussion. Wird in Rechnung gestellt, daß der Monismus weniger eine akademische Philosophie als eine populäre Volksbewegung mit politischen Implikationen darstellt, und wird zugleich beachtet, daß mit Alexander von Humboldts Kosmos, Lotzes Mikrokosmus oder Baumanns Philosophie als Orientierung über die Welt Philosophen an die Öffentlichkeit treten, die dem Materialismus wirkmächtig und auch im guten Wortsinne popularphilosophisch widersprechen, so gewinnt das Konzept der ›Verweltlichung‹ erst einen Sinn – wenn auch nur einen wesentlich vorläufigen. Denn das bloß typisierende Schlagwort ›Verweltlichung‹ besagt wenig, wenn nicht angegeben werden kann, was verweltlicht wird, und wenn nicht ausgeführt wird, was es denn heißen könne, etwas ›weltlich zu machen‹. Ein genauerer Blick auf die historische Situation verrät jedoch, daß sich die Diskussionen in einem Bereich bewegen, der jenseits der traditionellen Metaphysica specialis und generalis liegt – die Untersuchungen betreffen zuvörderst die ›Weltkenntnisse‹ als primäre und natürliche Orientierung, weniger das objektivierte ›Weltwissen‹. In diesem Forschungshorizont – überblickt man ihn als eine geschlossene historische Diskussion – geht es darum, dem Subjekt sowohl einen möglichen Standpunkt ›in Welt‹ als einem Komplex von ›Seiendem‹ zuzuweisen als auch ›Welt‹ als Anzeige einer Sinnkategorie für eine leistende Subjektivität zu sichern.

*

›Verweltlichung‹ als Topos für große Teile des 19. Jahrhunderts ist dementsprechend nicht gänzlich falsch gewählt – das Schlagwort aber bezeichnet aus der historischen Rückschau weniger ein eindeutiges Ziel oder gar eine klare Lösungsstrategie als vielmehr einen sich mehr und mehr öffnenden Problemhorizont, der nach den Wirklichkeiten des seienden Subjekts und nach den Möglichkeiten einer leistenden Subjektivität ausgeschritten wird. Aufs neue werden subjektive Orientierungsleistungen als ›Weltkenntnisse‹ fraglich, da die Disziplinen der ›Weltkenntnis‹ aus dem 18. Jahrhundert sich im 19. Jahrhundert zu positiven ›Wissenschaften‹ entwickeln. In Auseinandersetzung mit diesen Erklärungsversuchen steht implizit ein Weltbegriff der ›Weltkenntnis‹ zur Diskussion, der zugleich das Subjekt als Teil des Seienden und ›Welt‹ als Sinngestalt für eine leistende Subjektivität ausweisen kann. Für die

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

Geschichte des philosophischen Weltbegriffs bedeutet dies, daß er im Zuge einer derartigen ›Verweltlichung‹ auf einem neuen Grund erst wieder geschöpft resp. gestiftet werden muß. Und hier auch ließe sich Nietzsches Begriff der ›Kosmodicee‹205 als Ausdruck einer historischen Situation einführen und sinnvoll anwenden. Es geht nicht um eine Rechtfertigung antiker Lehrmeinungen zum kÒsmoj, sondern es handelt sich um die – freilich noch ausstehende, erst von Husserl explizit aufgegriffene – Rechtfertigung von ›Welt‹ als Anspruch einer leistenden und seienden Subjektivität im Horizont von ›Weltkenntnissen‹ als natürlichen Orientierungen, wie sie sich jenseits der neuen ›Wissenschaften‹ – der Biologie, Geographie oder auch der Psychologie – artikulieren. ›Verweltlichung‹ vollzieht sich demgemäß in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts gerade ohne ›Welt‹ als ausformulierten Begriff; geöffnet werden jedoch Fragehorizonte, in denen ›Welt‹ der Wirklichkeit nach neu diskutiert wird und der Möglichkeit nach eine Begrenzung einfordert. Dies auch wird noch einmal durch ein philosophisches Unterfangen bestätigt, welches als eine Provokation angesehen werden könnte, was jedoch zugleich belegen kann, daß es sich in jenen Tagen um eine neu sich entwickelnde Problembeschreibung handelt, für die eine ›Kritik der Weltkenntnis‹ erst noch zu schreiben ist. Joseph Petzoldt, den man als das populäre Sprachrohr des Empiriokritizismus zu Anfang des 20. Jahrhunderts bezeichnen könnte, ist es, der in seinen Schriften über Avenarius hinausgeht und angesichts der ›Explosion‹ von ›Welt‹ in den unterschiedlichen Kontexten der Philosophie und Wissenschaften die Elimination des Weltbegriffs fordert: »Die Welt als Ganzes, die Gesamtheit des Vorgefundenen, das ursprünglich oder unmittelbar Gegebene ist weder innen noch außen, weder Erscheinung noch Ding, weder Vorstellung noch Gegenstand, weder bewußt noch unbewußt, weder psychisch noch physisch, weder Ich noch Nicht-Ich. Was die Welt als Ganzes ist, danach zu fragen ist überhaupt unlogisch. Denn für den Begriff, der ihr Wesen zu bezeichnen hätte, würde der Gegenbegriff fehlen müssen, da es sich ja um die Kennzeichnung der Gesamtheit des Gegebenen handeln sollte. Haben wir aber eingesehen, daß das Weltproblem gar kein Problem ist, dann kümmert es uns ebensowenig wie die Quadratur des Zirkels.«206 Und Petzoldt führt weiter aus: »Wir können die Welt immer nur von dem Standpunkt aus denken, auf dem wir wirklich stehen, nicht von einem Standpunkte aus, auf dem wir überhaupt uns gar nicht stehend denken können, oder von gar keinem Standpunkt aus. Es gibt keinen absoluten Standpunkt

205

Vgl. oben S. 9f. J. Petzoldt, Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung, Bd. 2, 1904, S. 305. 206

3. Verweltlichung ohne ›Welt‹ im 19. Jahrhundert

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und es gibt keine Standpunktslosigkeit, es gibt allein relative Standpunkte, diese aber auch stets.«207 Petzoldt verweist mit seinen Reflexionen indirekt darauf, daß ›Welt‹ allein im Ausgang von der Perspektivität der Standpunkte gefaßt werden muß. Die Forderung nach der Aufgabe des einen Weltbegriffs ist aber weniger eine Provokation als eine Herausforderung, etwas ernstlich in Angriff zu nehmen, was bisher noch nicht durchgeführt wurde – die Bedingungen der Möglichkeit der ›Weltkenntnis‹ zu formulieren, den Weltbegriff der philosophischen Tradition als ein offenes Thema einer situierten Subjektivität zu begreifen.

* Stellt man dies alles in Rechnung, so handelt es sich bei den philosophischen Versuchen nach Kant, besonders denjenigen nach 1845 weniger darum, ›Welt‹ zu subjektivieren, Gott zu ›säkularisieren‹ oder innerhalb der Metaphysica specialis von ›Mensch‹ auf ›Welt‹ zu reduzieren. Es geht darum, den Bereich der ›Weltkenntnis‹ philosophisch auszuloten, da er durch die Wissenschaftsentwicklung in einem neuen Sinne fraglich wurde. Freilich kommt es in nicht wenigen Fällen zu dogmatischen Verkürzungen, die darin gründen, das Thema ›Welt‹ einseitig als Realitätsbegriff (universitas rerum) verstehen zu wollen. In diesem Laboratorium der philosophischen Versuche, das im wesentlichen als eine philosophische Experimentierstube für das 20. Jahrhundert aufgefaßt werden muß, vollzieht sich auf einem anderen Gebiet etwas Ähnliches, was das 18. Jahrhundert für den Weltbegriff der Cosmologia generalis durchgespielt hat – der Weg zu der Sicherung von ›Welt‹ als Anzeige für einen Sinnhorizont einer leistenden Subjektivität, die sich immer auch als seiende artikuliert und in diesen Artikulationen orientiert. Doch dieser Weg ist dorniger und verwickelter als der des 18. Jahrhunderts. Die ›rivalisierenden Systeme‹ sind nicht allein philosophischen Ursprungs, und die Wissenschaftsentwicklung ist nicht mehr als eine einheitliche darzustellen. Aus diesem Grund läßt sich ein Blick auf die Verweltlichung ohne ›Welt‹ im 19. Jahrhundert nur noch topographisch durchführen, indem die verschiedenen Ausdrucksvariationen von ›Welt‹ als Leitfäden dienen, das Thema ›Welt‹ von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Auch dies, daß nunmehr neue Ausdrücke benötigt werden, daß in einem gewissen Sinne das Globalisierungsprojekt der Welterkenntnis, wie es im 18. Jahrhundert als Cosmologia generalis auftritt, zugunsten einer Regionalisierung von thematischen Zugängen in den Hintergrund tritt, ist ein weiterer Beleg für das dasjenige, was mit Verweltlichung ohne ›Welt‹ angezeigt ist. Hinsichtlich der besonderen Popularität und bezüglich des paradigmatischen Anspruchs der Geographie als einer beschreibenden Sicherung von 207

J. Petzoldt, Das Weltproblem (1906), 21912, S. 186.

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

›Weltkenntnis‹ ist dergestalt auf den ›neuen‹ Kosmosbegriff Alexander v. Humboldts und dessen Umdeutungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts einzugehen, wie besonders mit Blick auf die Phänomenologie ›Lebenswelt‹, ›Weltanschauung‹ und der ›natürliche Weltbegriff‹ des Empiriokritizismus einer historischen und systematischen Sondierung im Kontext der Wissenschafts- und Kulturgeschichte unterzogen werden müssen.

a) ›Kosmos‹ und ›Mikrokosmos‹ Theos, nicht Kosmos! 208 – mit dieser Streitschrift begegnet der Berliner Protestant Karl Friedrich Eusebius Trahndorff der stetig wachsenden Popularität des Humboldtschen Kosmos-Werks, dessen erster Band 1845 erschien und das als Gesamtwerk mit vier weiteren Bänden in den Jahren 1847, 1850, 1858 und 1862 abgeschlossen wurde. Daß »der Kosmos des Herrn von Humboldt an der Tagesordnung«209 war, zeigen nicht nur die immensen Auflagenzahlen und die lang anhaltende, auch literarische Rezeption,210 sondern auch die Implementierung dieses nunmehr wieder zeitgemäß gewordenen Begriffs in die Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Dort nämlich taucht der Ausdruck ›Kosmos‹ im Gegensatz zum 18. Jahrhundert wieder lexikographisch als eigenständiger Begriff auf und wird – in Abhebung von dem »Spuk metaphysischer Phantasien und träumerischer Speculationen« und nur mit einem kurzen Verweis auf die Antike – fast vollständig auf das »wissenschaftliche Kosmoswerk« Alexander v. Humboldts bezogen.211 Trahndorff ist es, der v. Humboldts Kosmos als »Entgegengesetztes gegen die Bibel«212 begreift und eine Polemik ohnegleichen dagegen führt. Humboldt selbst hatte freilich derartiges überhaupt nicht im Sinn, sein Werk richtet sich weder gegen die Theologie noch will er die Philosophie explizit ersetzen – von letzterer versteht er es, sich vornehm und vorsichtig abzugrenzen.213 Schon

208

K.F.E. Trahndorff, Theos, nicht Kosmos! (1859), 21860. 209 Ebd., S. 28. 210 Vgl. beispielsweise M.L. v. Eberstein, Die Einheit der Welt-Regung nach kosmischer Auffassung, 1883; zu der euphorischen Rezeption des Kosmos vgl. im Überblick H. Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt (1975), 31996, S. 111–117. 211 J. Loewenberg, Kosmos (1886), 1984, S. 159ff. 212 K.F.E. Trahndorff, Theos, nicht Kosmos! (1859), 21860, S. 28. 213 A.v. Humboldt, Kosmos, Bd. 1 (1845), 1993, S. 59: »Der Inbegriff von Erfahrungskenntnissen und eine in allen ihren Teilen ausgebildete Philosophie der Natur (falls eine solche Ausbildung je zu erreichen ist) können nicht in Widerspruch treten, wenn die Philosophie der Natur, ihrem Versprechen gemäß, das vernunftmäßige Begreifen der wirklichen Erscheinungen im Weltall ist. Wo der Widerspruch sich zeigt, liegt die Schuld entweder in der Hohlheit der Spekulation oder in der Anmaßung der Empirie, welche mehr

3. Verweltlichung ohne ›Welt‹ im 19. Jahrhundert

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der »unvorsichtige« Titel bereitet v. Humboldt Unbehagen, spricht er doch davon, daß bereits die Überschrift selbst »kühner als das Unternehmen«214 ist. Doch die Rechtfertigung des zeitgemäß unzeitgemäßen Ausdrucks ›Kosmos‹ fällt v. Humboldt dennoch nicht schwer, denn seine Geographie soll keine physische Erdbeschreibung bleiben, sondern in eine physische Weltbeschreibung übergehen. Als »Weltbeschreibung oder Lehre vom Kosmos« ist sie »nicht etwa ein enzyklopädischer Inbegriff der allgemeinsten und wichtigsten Resultate, die man einzelnen naturhistorischen, physikalischen und astronomischen Schriften entlehnt«, sie »darf daher nicht mit der sogenannten Enzyklopädie der Naturwissenschaften (ein weitschichtiger Name für eine schlecht umgrenzte Disziplin) verwechselt werden«, in der »Lehre vom Kosmos« wird vielmehr »das Einzelne nur in seinem Verhältnis zum Ganzen als Teil der Welterscheinungen betrachtet«215. Nicht nur hier argumentiert v. Humboldt methodisch ganz im Sinne Kants, der in seiner Physischen Geographie fordert, daß wir »auch im Gantzen die Gegenstände unserer Erfahrung kennen lernen, so daß unsere Erkenntniße kein Aggregat sondern ein system ausmachen, denn im system ist das Gantze ehe als die Theile, im Aggregat sind aber die Theile eher«, denn so »ist es mit allen Wißenschaften beschafen die uns eine Verknüpfung vorbringen zE. die Encyclopedie, wo das Gantze erst im Zusammenhang erscheint« 216. Obwohl leicht zu vermuten, ist mit ›Kosmos‹ nicht schlicht und einfach ›Alles‹ gemeint, was »das Auge« als »das Organ der Weltanschauung«217 wahrnehmen kann und was v. Humboldt auf seinen Forschungsreisen untersucht und registriert hat. Dies würde auf eine Trennung von abschilderbarer Natur und rubrizierendem Denken hinauslaufen, die jedoch nicht in v. Humboldts Sinn ist, denn »Wissenschaft fängt erst an, wo der Geist sich des Stoffes bemächtigt, wo versucht wird, die Masse der Erfahrungen einer Vernunfterkenntnis zu unterwerfen; sie ist der Geist, zugewandt zu der Natur«218. Das Auge als das ›Organ der Weltanschauung‹ ist in diesem Sinne in der Welt,

durch die Erfahrung erwiesen glaubt, als durch dieselbe begründet wurde.« – Zu Humboldts Zwitterstellung zwischen den Naturwissenschaften und der Philosophie vgl. auch B. Sticker, Humboldts Kosmos, 1959. 214 A.v. Humboldt, Kosmos, Bd. 1 (1845), 1993, S. 43, 52; vgl. A.v. Humboldt, Kosmos, Bd. 2 (1847), 1993, S. 12. 215 A.v. Humboldt, Kosmos, Bd. 1 (1845), 1993, S. 41 f. 216 I. Kant, Physische Geographie, Ms. Kaehler, S. 5, vgl. oben S. 58f. Anm. 134. – Zu dem Verhältnis der Humboldtschen Geographie zu der Kantischen und zu dem untergründigen und schwer rekonstruierbaren Einfluß Kants auf v. Humboldt sowie zu der Forschungsliteratur vgl. K. Hoheisel, Immanuel Kant und die Konzeption der Geographie am Ende des 18. Jahrhunderts, 1979; K. Hoheisel, Kant – Herder – Ritter, 1980. 217 A.v. Humboldt, Kosmos, Bd. 1 (1845), 1993, S. 65. 218 Ebd., S. 59.

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

die Welt wird nicht einfach aufgenommen, so daß sie nur noch als Objekt des Verstandes und des Wissens aufgefaßt werden könnte. Auch bleibt v. Humboldts ›Lehre vom Kosmos‹ als ›physische Weltbeschreibung‹ nicht schlicht auf eine Beschreibung des Physischen beschränkt, wie ebenso mit ›Kosmos‹ nicht die bloße Erweiterung der Erdbeschreibung um eine Beschreibung des Himmels bzw. des Universums angezeigt wird. Wiewohl v. Humboldt großes Gewicht auf die Vorordnung des »astrognostischen Teils« der Weltbeschreibung vor den »tellurischen« Teil derselben legt,219 und obgleich er auch davon spricht, daß »diese Erweiterung des Inhalts«220 es nötig erscheinen läßt, einen neuen Ausdruck einzuführen, so ist es doch nicht die Inhaltserweiterung selbst, die dieses Werk – auch dem Titel nach – über alle anderen seiner Zeit stellt. ›Kosmos‹ nämlich meint bei v. Humboldt über die oberflächliche Umfangserweiterung hinaus ein Zugleich – oder besser: ein In-Eins – von Beschreibung und Inhalt, das allererst einen Zugang zu dem ›Walten der Naturkräfte‹221 eröffnet und das die ›Natur‹ erst zu einem ›Kosmos‹ werden läßt. Aus diesem Grund auch verdient das Konzept der Gleichzeitigkeit, das v. Humboldt neben dem der Allgemeinheit stets betont, eine besondere Beachtung. Bereits äußerlich bekundet sich eine Gleichzeitigkeit eigentümlicher Art im Textbau des Werks, das absichtlich aus zwei Teilen im Verhältnis eins zu zwei aufgebaut ist: den Anmerkungen und dem Haupttext. Humboldt selbst erläutert an versteckter Stelle, daß »der Zweck der Anmerkungen zum ›Kosmos‹« nicht etwa nur darin besteht, »bloß bibliographische Quellen aus verschiedenen Literaturen zur Erläuterung desselben darzubieten«; er habe vielmehr »in diesen Anmerkungen, die eine freiere Bewegung gestatten, auch einen reichhaltigen Stoff des Nachdenkens niederlegen wollen«, so wie er »ihn aus langen literarischen Studien habe schöpfen können«222. Dergestalt ist es auch nicht allein »die Betrachtung alles Geschaffenen, alles Seienden im Raum (der Naturdinge und Naturkräfte) als eines gleichzeitig bestehenden Naturganzen«223, das v. Humboldt wiederum im Geist der Kantischen Geo219

Ebd., S. 50. Ebd., S. 52. 221 Nur um Mißverständnissen vorzubeugen, sei darauf verwiesen, daß ›walten‹ etymologisch und auch sachlich von ›Welt‹ unabhängig ist. Die Grundbedeutung von ›walten‹ ist in ›regieren‹, ›leiten‹, ›Gewalt über etwas haben‹ zu suchen; der Ausdruck kann jedoch auch bedeuten, und darauf ist besonders in diesen Überlegungen zu achten: ›zur Geltung bringen‹ oder ›erkennen lassen‹; vgl. J. Grimm, W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 27, 1922, Sp. 1370–1396. 222 A. v. Humboldt, Kosmos, Bd. 2 (1847), 1993, S. 126 f. Anm. 59. – Daß diese Anmerkungsanmerkung selbst eine Anmerkung in und zu einer Anmerkung ist, darf als ein geglücktes Spiel angesehen werden, das die Ebenenverschmelzung von Inhalt und Beschreibung noch einmal verdeutlicht. 223 A. v. Humboldt, Kosmos, Bd. 1 (1845), 1993, S. 43, vgl. S. 55. 220

3. Verweltlichung ohne ›Welt‹ im 19. Jahrhundert

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graphie als »Beschreibung deßen[,] was im Raum zu gleicher Zeit«224 vorgeht, begreift. Die Beschreibung umfaßt nunmehr auch ihr eigenes Medium, wie es sich in dichterischen und literarischen Naturschilderungen, der Landschaftsmalerei sowie der Pflanzengeographie als Wissenschaft zeigt. All dies – im Verbund mit der »Geschichte der physischen Weltanschauung«225 – ergänzt nicht die bloße Beobachtung des Kosmos, sondern konstituiert allererst den Kosmos, denn: »Um die Natur in ihrer ganzen erhabenen Größe zu schildern, darf man nicht bei den äußeren Erscheinungen allein verweilen; die Natur muß auch dargestellt werden, wie sie sich im Inneren des Menschen abspiegelt.«226 Unter der Spiegelung ist jedoch keine Abbildung zu verstehen, sondern ein Begreifen als vermitteltes Umgreifen, das es überhaupt erst ermöglicht, von ›Welt‹ resp. ›Kosmos‹ zu sprechen.227 Aus dieser Perspektive kann auch erst verständlich werden, was v. Humboldt das »Walten«228 nennt. Der v. Humboldtsche ›Kosmos‹ ist nicht das All der an sich seienden Natur mit besonderer Berücksichtigung des Universums, der ›Kosmos‹ ist ebenfalls nicht eine durch Naturgesetze bestimmte Einheit des Seienden, der ›Kosmos‹ ist vielmehr die durch die Medien der Beschreibung gebrochene Naturerfahrung, wie sie sich literarisch, künstlerisch und auch wissenschaftlich-geographisch darstellt. Erst in und durch die Darstellungsformen wird aus der Naturerfahrung ein Begreifen als Umgreifen und damit ›Kosmos‹; und erst in und mit den Medien der Beschreibung kön224

I. Kant, Physische Geographie, Ms. Kaehler, S. 12, vgl. oben S. 58f. Anm. 134. Der zweite Band des Kosmos gliedert sich dementsprechend in einen ersten Teil, der mit Anregungsmittel zum Naturstudium überschrieben ist und neben Naturbeschreibung und Landschaftsmalerei auch die Pflanzengeographie beinhaltet, und einen zweiten Teil, der die Geschichte der physischen Weltanschauung zum Thema hat. 226 A.v. Humboldt, Kosmos, Bd. 2 (1847), 1993, S. 4. 227 Als Randbemerkung sei darauf verwiesen, daß die Untersuchungen Cassirers zu den Kantischen Elementen in Wilhelm von Humboldts Sprachphilosophie sich auch mit Blick auf Alexander v. Humboldts Kosmos durchführen ließen. Die ›Kantischen Elemente in Alexander von Humboldts Geographie‹ lassen sich zudem – denkt man an die Naturerfassung als dichterische Naturschilderung, die Landschaftsmalerei und die wissenschaftliche Pflanzengeographie – den symbolischen Funktionen Cassirers (›Ausdruck‹, ›Darstellung‹, ›reine Bedeutung‹) zuordnen; vgl. E. Cassirer, Die Kantischen Elemente in Wilhelm von Humboldts Sprachphilosophie (1923), 1993. 228 A.v. Humboldt, Kosmos, Bd. 1 (1845), 1993, S. 56f.: »Die Vielheit der Erscheinungen des Kosmos in der Einheit des Gedankens, in der Form eines rein rationalen Zusammenhangs zu umfassen, kann meiner Einsicht nach beim jetzigen Zustand unseres empirischen Wissens nicht erlangt werden. Erfahrungswissenschaften sind nie vollendet, die Fülle sinnlicher Wahrnehmungen ist nicht zu erschöpfen; keine Generation wird je sich rühmen können, die Totalität der Erscheinungen zu übersehen. Nur da, wo man die Erscheinungen gruppenweise sondert, erkennt man in einzelnen gleichartigen Gruppen das Walten großer und einfacher Naturgesetze. Je mehr die physikalischen Wissenschaften sich ausbilden, desto mehr erweitern sich auch die Kreise dieses Waltens«; vgl. auch ebd. S. 61. 225

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

nen ›waltende‹ Naturgesetze zur Erscheinung und zur Geltung kommen. Und in diesem Sinne bedeutet die neuerliche Aufnahme des alten Ausdrucks ›Kosmos‹ mehr als eine bloße Erinnerung. Er steht für den Befund eines Eingestellt-seins in ›Welt‹, das sich in seinen eigenen und je unterschiedlichen Darstellungsformen dokumentiert und artikuliert. Daß hier der Sprache als einem weltbildenden Medium ein besonderes Gewicht zukommt, versteht sich von selbst;229 und v. Humboldt ist es, der diesem Anspruch in einem besonderen, vielleicht heute auch dem Stil nach befremdlichen Ausmaß Rechnung trägt. Der Kosmos v. Humboldts ist jedoch keine singuläre Erscheinung. Am Rand der etablierten Philosophie artikuliert sich vielmehr ein noch populäres geographisches Denken, das auf dem Sprung zu einer positiven Wissenschaft ist und in diesem Prozeß die eigenen Methoden prüft.230 Hierzu gehören ebenso die erdkundlichen Arbeiten Carl Ritters aus den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts wie die zunehmende Ausdifferenzierung geographischer Studien – erinnert sei an die Etablierung der Pflanzengeographie,231 die Entwicklung einer einheitlichen Tiergeographie232 und die Neuschöpfung bzw. Neudefinition der Anthropogeographie,233 die ihre Vorläufer in der älteren politischen Geographie hat. Nicht umsonst werden im Umfeld dieser Untersuchungen die bis heute populären Begriffe der ›Ökologie‹, der ›Lebenswelt‹234 oder auch der ›Umwelt‹ geprägt resp. diskutiert. Der Beschluß einer ersten Etappe dieser Entwicklung, die im Idealismus wurzelt, denselben gleichwohl aber erfahrungswirklich zu fundieren sucht, 229

Vgl. hierzu auch den Verweis Alexander von Humboldts auf die sprachphilosophischen Untersuchungen seines Bruders, die es ihm erlauben, in der Sprache ein Fundament und auch eine Grenze der Geographie zu sehen; A.v. Humboldt, Kosmos, Bd. 1 (1845), 1993, S. 320–327. 230 So spricht Lotze nicht unmotiviert von dem »Fortschritte der geographischen Kenntniß«; vgl. R. H. Lotze, Mikrokosmus, 1. Bd. (1856), 41884, S. XI. – Und es ist auch nicht unerheblich, daß 1860 in einer Schrift zu den Grundzügen der philosophischen Kosmologie von der Geologie – der »Mode-Wissenschaft der Gegenwart« – als Teil der Geographie gesprochen wird; vgl. G. E. Otto, Grundzüge einer philosophischen Kosmologie, 1860, S. 3. – Leider haben es die Philosophiehistoriker und Wissenschaftstheoretiker bisher versäumt, die Geographie des 19. Jahrhunderts von der erkenntnistheoretischen Perspektive aus zu sehen. Auch Cassirer, der im vierten Band seines Erkenntnisproblems neben der Physik und der Geschichtswissenschaft ebenso auf die fundamentale Bedeutung der Biologie im 19. Jahrhundert aufmerksam gemacht hat, versäumte es, einen Blick auf die Geographen zu wagen; vgl. E. Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. 4 (1950), 1994. 231 A.v. Humboldt, Ideen zu einer Geographie der Pflanzen (1807), 1989. 232 L.K. Schmarda, Die geographische Verbreitung der Thiere, 1853; bes. mit Blick auf die Methode vgl. R. Hesse, Tiergeographie auf ökologischer Grundlage, 1924. 233 F. Ratzel, Anthropogeographie, 2 Bde. (1882, 1891), 21912, 41921. 234 Vgl. hierzu das folgende Kapitel.

3. Verweltlichung ohne ›Welt‹ im 19. Jahrhundert

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kann tatsächlich in das Jahr 1845 gelegt werden. Denn in diesem Jahr erschien nicht nur der Eröffnungsband des Kosmos, sondern auch die erste Philosophie der Erdkunde235 von Ernst Kapp, die sich »als Philosophie unserer jüngsten Wissenschaft [!], der Erdkunde« anschließt, da diese »in neuester Zeit in mehrfache Berührung mit der Philosophie gekommen«236 ist. Noch ganz im Geiste Hegels und im Rückgriff auf Ritters monumentale Erdkunde237 zeigt die »philosophische Erdkunde«, »in welcher Weise bisher die Völker unbewußt durch die geographische Lage und überhaupt durch die Natur ihres Landes auf die Bahn ihrer Entwickelung geführt worden sind«; darüber hinaus soll der Mensch »bewußt die Vortheile der Weltstellung seines Landes benutzen und deren Nachtheile ausgleichen und vermeiden lernen«238. Wenngleich Kapp auch ›nur‹ von der Erde und nicht vom ›Kosmos‹ spricht und obgleich seine Philosophie der Erdkunde nicht die Medien des Begreifens derart ausgiebig diskutiert wie dies v. Humboldt vorführt, so ist es doch ein Medium sui generis, das Kapp in das Zentrum stellt – der Mensch. Wie bei v. Humboldt kein Dualismus zwischen Geist und Natur und dementsprechend auch keine Kluft zwischen Mensch und Geist postuliert wird, so betont dies auch Kapp: »Der Mensch hat nicht blos Geist, sondern ist Geist.« Und aus diesem Grund ist die Geographie ein philosophisches Unterfangen mit besonderem Wert, da sie »anthropologisch« ist.239 In der Geographie wird der Mensch als weltliches Wesen begriffen, und am Menschen wird ›Welt‹ im Zuge der Beschreibung allererst erkannt.

* Eine Geographie als Beschreibung der Medien, innerhalb derer sich der Mensch bewegt, und eine anthropologische Geographie, die den Menschen selbst als Medium sui generis auffaßt – diese Versuche brechen nicht mit dem Jahre 1845 ab. Zunehmend aber geraten derartige Beschreibungen von ›Welt‹ als Inbegriff der medialen Orientierungen des Menschen unter Rechtferti235

E. Kapp, Philosophische oder vergleichende allgemeine Erdkunde, 2 Bde., 1845. Der erste Band dieses zweibändigen Werks erschien getrennt im selben Jahr noch einmal als Philosophie der Erdkunde. – Auch Gustav Biedermann sieht sich 1849 gezwungen, den Weltbegriff der Philosophie mit der Weltkenntnis der Geographie zu vermitteln. Im Gegensatz zu Kapp bezieht sich Biedermann jedoch auf den Kosmos v. Humboldts; vgl. G. Biedermann, Die speculative Idee in Humboldt’s Kosmos, 1849. 236 E. Kapp, Philosophische oder vergleichende allgemeine Erdkunde, 1. Bd., 1845, S. V. 237 C. Ritter, Die Erdkunde im Verhältniß zur Natur und zur Geschichte des Menschen, Berlin 1816 ff. 238 E. Kapp, Philosophische oder vergleichende allgemeine Erdkunde, 2. Bd., 1845, S. 193. 239 E. Kapp, Philosophische oder vergleichende allgemeine Erdkunde, 1. Bd., 1845, S. 89, vgl. S. VIII: »Die Geographie aber, als mit und unter der Geschichte werdend, ist anthropologisch. Als solche geht sie natürlich den Menschen sehr nahe an.«

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II. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff

gungsdruck. Mehr und mehr breitet sich auch ein ›wissenschaftliches‹ Verständnis der Geographie aus, worin ›Welt‹ auf Seiendes reduziert wird. Lotzes Mikrokosmus und Baumanns Philosophie als Orientierung über die Welt entstehen bereits in der Auseinandersetzung mit dem Materialismus, und sie versuchen, diesem seine Grenzen zu zeigen – auch bezüglich des Zugangs zu ›Welt‹. Rudolf Hermann Lotze greift mit seinem dreibändigen Mikrokosmus. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit, der im Untertitel bezeichnenderweise Versuch einer Anthropologie genannt wird, auf v. Humboldt und die popularphilosophische Tradition im Anschluß an Herder zurück.240 Mit Blick auf v. Humboldt ergeben sich durchaus Berührungs- und Ansatzpunkte. Wiederum ist es der vom reinen Denken unterschiedene Geist, der in anderen Formen als das Denken den »wesentlichen Sinn alles Seins und Wirkens« »erlebt«241. Und wieder ist der Mensch als Mikrokosmos nicht dasjenige, was vorgefunden wird. In den Medien seines praktischen wie intellektuellen Tuns konstituiert sich der ›Mensch‹ als Mensch und die ›Welt‹ als Welt. Freilich mußte Lotze bereits sein Unternehmen gegen die neu aufstrebenden, und materialistisch begründeten Wissenschaften verteidigen. So spricht er im Mikrokosmus davon, daß »das weitere Vordringen der mechanischen Wissenschaft auch die kleinere Welt, den Mikrokosmos des menschlichen Wesens, […] mit Zersetzung bedrohe«; und er denkt »hierbei an die überhandnehmende Verbreitung materialistischer Auffassungen, die alles geistige Leben auf das blinde Wirken eines körperlichen Mechanismus zurückführen möch-

240

So berichtet Lotze seinem Verleger Hirzel 1854 brieflich, daß er »Humboldts Kosmos von neuem zu lesen begonnen« habe; er finde aber bei ihm letztlich »keine Hilfe«. Und er fügt hinzu, daß er selbst »gar Manches im Kosmos nicht« verstehe und »das Verständliche nicht immer interessant« finde. Weiter führt Lotze aus: »Wie ich Ihnen schon sagte, würde mein Buch seinen Vorgänger an Herders Ideen haben, und ebenso hat es dem Inhalte nach seine Ergänzung und Voraussetzung am Kosmos«; zitiert nach R. Pester, Hermann Lotze, 1997, S. 203. Neben dieser äußerst kundigen Arbeit zu Lotzes Lebensweg, die zudem trefflich in die Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts einführt, vgl. auch mit Blick auf die Entwicklung der Anthropologie im Anschluß an Lotze E.W. Orth, Rudolf Hermann Lotze, 1986. – Zum Begriff des ›Microcosmus‹ bei Herder vgl. J. G. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Erster Teil (1784), 1887, S. 23: »[…] bis endlich nach allen die Krone der Organisation unsrer Erde, der Mensch, auftrat, Microcosmus. Er, der Sohn aller Elemente und Wesen, ihr erlesenster Inbegriff und gleichsam die Blüthe der Erdenschöpfung konnte nicht anders, als das letzte Schooskind der Natur seyn, zu dessen Bildung und Empfang viele Entwickelungen und Revolutionen vorhergegangen seyn musten.« – Zum antiken Gebrauch von ›Mikrokosmos‹ als Menschenkörper resp. -haupt im Vergleich zum ›Makrokosmos‹ vgl. H. Hommel, Mikrokosmos, 1944; über die Begriffsgeschichte orientiert neben den einschlägigen Ausführungen im Historischen Wörterbuch der Philosophie weiterhin W. Kranz, Kosmos, 1958. 241 R. H. Lotze, Mikrokosmus, 3. Bd. (1864), 41888, S. 244.

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ten«242. Es ist die Rettung des Idealismus vor sich selbst – und dies heißt letztlich auch vor dem Materialismus –, die bereits v. Humboldts Arbeiten motivierte, Lotzes Philosophieren aber letztlich antreibt. ›Welt‹ ist die verständliche und vorausgesetzte Ganzheit, in der sich diese Philosophien bewegen, ohne daß aber das Ganze als an sich Bestehendes einfach registriert werden könnte. Das Ganze ist, indem es als Verständliches verstanden wird. Lotze formuliert dies in dem von Husserl gern aufgegriffenen243 letzen Abschnitt des dritten Bandes seiner Logik: »Ueber diese Versuche [Hegels Einheitsstreben], welche Deutschland einst begeisterten, ist die Gegenwart sehr nüchtern zur Tagesordnung übergegangen, zu der unablässigen empirischen Forschung, deren Unvollkommenheit den gewagten Flug dieses Idealismus lähmte; auch hatte er darin ohne Zweifel Unrecht, für vollendet und vollendbar anzusehen, was wir nur als das letzte Ziel einer der Vollendung sich nähernden Erkenntniß betrachten können. Aber im Angesicht der allgemeinen Vergötterung, die man jetzt der Erfahrung um so wohlfeiler und sicherer erweist, je weniger es noch Jemanden gibt, der ihre Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit nicht begriffe, im Angesicht dieser Thatsache will ich wenigstens mit dem Bekenntniß, daß ich eben jene vielgeschmähte Form der speculativen Anschauung für das höchste und nicht schlechthin unerreichbare Ziel der Wissenschaft halte, und mit der Hoffnung schließen, daß mit mehr Maß und Zurückhaltung, aber mit gleicher Begeisterung sich doch die deutsche Philosophie zu dem Versuche immer wiedererheben werde, den Weltlauf zu verstehen, und ihn nicht blos zu berechnen.«244 Zuvörderst geht es Lotze – und in einem gewissen Sinne auch Kant in seiner ›Weltkenntnis‹, sicher aber v. Humboldt in seinem Kosmos – um ein Verständnis dessen, was naturwissenschaftlich, mittels Gesetzesaussagen nicht eingeholt werden kann, das sich aber gleichwohl dem Verstehen nicht entzieht. Denn nur dasjenige kann verstanden werden, was als Ganzes selbstverständlich ist – ›Welt‹ als konstituierte Sinnganzheit, in die der Mensch in unterschiedliche Weise eingestellt ist. Ähnlich, jedoch nun mit einem explizit systematischen Unterbau, geht auch Julius Baumann, der Schüler Lotzes, in seiner Philosophie als Orientierung über die Welt vor.245 Zwar spricht Baumann nicht vom ›Kosmos‹, doch methodisch steht er mit v. Humboldt auf derselben Stufe. Diese bis heute viel zu wenig gewürdigte Schrift läßt sich geradezu als systematisch-philosophische Grundlegung des popularphilosophischen Mikrokosmus lesen; und bereits hier brechen sich phänomenologische Argumentationen Bahn. 242

R.H. Lotze, Mikrokosmus, 1. Bd. (1856), 41884, S. 244. Vgl. z. B. Hua XVII, S. 19 244 R.H. Lotze, Logik (1843), Drittes Buch (1874), 1989, S. 134. 245 Natürlich fehlt auch hier nicht der Verweis auf v. Humboldts Kosmos; vgl. J. Baumann, Philosophie als Orientierung über die Welt, 1872, S. 21. 243

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Der Titel des Werks ist freilich nicht ganz richtig gewählt, denn Baumann handelt zuerst von dem »wild wachsenden Philosophiren«, der »natürlichen Philosophie« des Menschen ›in Welt‹ als einem Orientierungsraum, um dann die Wissenschaften und die etablierte Philosophie als ein Denken resp. Philosophieren ›über die Welt‹ einer bereits konstituierten, regional gegliederten Sinnganzheit zu charakterisieren: »Es wird eben in der Stille viel mehr philosophirt, als die Philosophen vom Fach sich träumen lassen, und dies wild wachsende Philosophiren ist nichts anderes als ein sich durch Nachdenken in der Welt orientiren wollen.«246 Nach diesem Verständnis der Philosophie bleibt Baumann demgemäß »nichts übrig, als ganz von vorne anzufangen«247. Dieser Anfang ist jedoch ein doppelter, ein stummer und ein sprechender, wie Baumann es plastisch mit Blick auf Kant ausdrückt: »Das Ich denke braucht nicht immer schreiend sich vernehmlich zu machen, dass es da ist; aber da ist es, wenn man sich die Sache näher ansieht.«248 Und so baut die »wissenschaftliche Philosophie« als eine »höhere Ausbildung«249 auf dem natürlichen und noch stummen Philosophieren ›in Welt‹ als einer Konstitution von regionalen Orientierungen auf, um über dieselben ein Wissen zu bieten: »Soviel mag hinreichen, um die allgemeine Verbreitung der Philosophie zu bezeugen, wenn man damit meint das Bestreben der Menschen, sich durch Nachdenken in der Welt und über dieselbe zu orientiren.«250 Das ›Über-die-Welt-sich-orientieren‹ gründet in dem natürlichen und stetigen sich Orientieren ›in Welt‹. Letzteres können die Wissenschaften nicht als Ganzheit fassen, da sie nach Baumann nur einzelne Prinzipien voraussetzen und diesen folgen können.251 Die Philosophie aber, die jenseits der Wissenschaften steht und sich mit allen Prinzipien befaßt, zugleich aber diesseits der Wissenschaften in den natürlichen Orientierungen gründet, vermag ›in der Welt‹ ›über die Welt‹ zu sprechen. Es sind die primären, noch stummen Kenntnisse, denen Baumann Rechnung trägt und die auch als letzte Begründungsinstanz für die Wissenschaften fungieren müssen. ›Welt‹ ist jedoch nicht das, was als seiend aufgefaßt wird, sondern das, was sich in den Orientierungen als verständliche und vorausgesetzte Ganzheit erschließt. Denn auch das natürliche ›In-der-Welt-sein‹ ist eine Leistung, eine Orientierungsleistung auf vorwissenschaftlichem Niveau. Als »Wissen des Wissens«252 erhebt sich die Philosophie über das ›natürliche Philosophieren‹, um selbst jedoch ›nur‹ Orientierung zu bleiben – eine 246 247 248 249 250 251 252

Ebd., S. 9; zum Begriff der natürlichen Philosophie vgl. ebd. S. 14. Ebd., S. 44. Ebd., S. 111. Ebd., S. 12. Ebd., S. 11. Ebd., S. 18. Ebd., S. 37.

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Orientierung über ›Welt‹, als nun sprechendes Wissen von ›Welt‹.253 Im Zuge dieser Dialektik des Anfangs, die auch die Einzelwissenschaften auf ihren vorwissenschaftlichen Ursprung zurückführt, ist es nicht mehr verwunderlich, daß Baumann bereits 1894 in der Schrift Die grundlegenden Thatsachen zu einer wissenschaftlichen Welt- und Lebensansicht, die bezeichnenderweise mit Ein Boden der Gemeinsamkeit im Streit der Weltanschauungen untertitelt ist, ein geradezu Husserlsches Argument gegenüber dem Geltungsanspruch der Naturwissenschaften formuliert: »[…] trotzdem wir unsere Planetenwelt kopernikanisch wissen, sehen wir sie nach wie vor ptolemäisch«254.

* Doch v. Humboldts Konzept von ›Welt‹ als einem durch und in Beschreibungen medial sich erschließenden ›Kosmos‹, Lotzes Begriff der ›Welt‹ als Inszenierung des aktiv sich ›in Welt‹ orientierenden Menschen und Baumanns Grundlegung der Wissenschaften im natürlichen Orientieren resp. ›wilden Philosophieren‹, sollten – legt man die Vehemenz des öffentlichen Auftritts zugrunde – von einem anderen Verständnis von ›Kosmos‹ abgelöst werden. Die verständlich gewordene Selbstverständlichkeit von ›Welt‹ als Produkt einer rekonstituierenden Konstitution oder von ›Kosmos‹ als einer Ganzheit, die sich nur in den Medien des Beschreibens erfassen läßt, wird durch den Beweis von der Geschlossenheit des Seienden nach Naturgesetzen abgelöst. Das ›weltende Subjekt‹ bei v. Humboldt, Lotze oder Baumann, das stets als seiend und konstituierend, als eingestellt und einstellend gedacht wird, wird im Monismus sozusagen als ›beweltigt‹ begriffen, da es von ›Welt‹ als einem kausal geschlossenen Entwicklungsgesetz des Seienden regiert wird. 1890 veröffentlicht bezeichnenderweise der Leipziger Privatdozent Hermann Wolff seinen zweibändigen Kosmos. Die Weltentwicklung nach monistischpsychologischen Prinzipien. Auf Grundlage der exakten Naturforschung255. Es 253

Vgl. hierzu auch E.W. Orth, Orientierung über Orientierung, 1996. J. Baumann, Die grundlegenden Thatsachen zu einer wissenschaftlichen Welt- und Lebensansicht, 1894, S. 22. – Vgl. hierzu das berühmte Fragment Husserls aus dem Jahre 1934 Grundlegende Untersuchungen zum phänomenologischen Ursprung der Räumlichkeit der Natur, wo ebenfalls ›der Kopernikaner‹ gegen ›den Ptolemäer‹ ausgespielt wird: »Solange ich keine Vorstellung habe von einem neuen Boden, als einem solchen, von wo aus die Erde im zusammenhängenden und in sich zurückführenden Gehen als ein geschlossener Körper in Bewegung und Ruhe Sinn haben kann, und solange ich keine Vorstellung gewinne von einem Austausch der Böden und einem dadurch zum Körper Werden beider Böden, solange ist eben die Erde selbst Boden, aber kein Körper. Die Erde bewegt sich nicht […]«; E. Husserl, Ursprung der Räumlichkeit, S. 313. 255 H. Wolff, Kosmos, 2 Bde., 1890. – Zu Person und Werk vgl. M. Brasch, Leipziger Philosophen, 1894, S. 315–351, der, S. 350, folgendes zum Titel des Wolffschen Werkes ausführt: »Was den Titel des Wolff‹schen Buches ›Kosmos‹ betrifft, so erinnert er ja an das weltberühmte Werk Alexanders von Humboldts, welches im Grunde nur eine physische 254

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ist die »Zeit der Anarchie, der Krisis, des Suchens nach etwas Neuem«256, die Wolff dazu führen, in der empirischen, positiven Psychologie auf physiologischer Grundlage den einzig möglichen Ansatzpunkt einer wissenschaftlichen Philosophie zu erkennen. Doch die einzelnen Ausführungen Wolffs sind weniger interessant im Vergleich zu der Funktion, die dem Ausdruck ›Kosmos‹ fast ein halbes Jahrhundert nach v. Humboldt zugedacht wird. ›Kosmos‹ ist nicht mehr dasjenige, was vermittels der Medien der Beschreibung als erschlossene Ganzheit zugänglich wird, ›Kosmos‹ ist nun die Einheit der Naturgesetze des Seienden unter der absoluten Leitung des einen Gesetzes, des Entwicklungsgesetzes Darwinscher Provenienz. Nicht anders formuliert dies auch Haeckel, der 1904 in seinen Thesen zur Organisation des Monismus den »festen Grund« »allein in den wissenschaftlichen Erkenntnissen« gegeben sieht, und seinen »kosmologischen Monismus« folgendermaßen deklariert: »Die ganze Welt ist durch die moderne Wissenschaft als einheitliches großes Ganzes erkannt worden, als ein Kosmos, der durch feste Naturgesetze regiert wird.«257 Und im Prospekt des ersten Jahrgangs des Kosmos. Zeitschrift für eine einheitliche Weltanschauung auf Grund der Entwicklungslehre ist zu lesen, daß mit dem »reformatorischen Auftreten der Schule, die sich unter dem Banner Darwin’s schaart, ein neuer Tag« anbricht, »sofern erst jetzt jene harmonische Gliederung der Theile des Kosmos, welche Humboldt und so viele Denker vergangener Zeiten geahnt und bewundert haben, ihrem ursächlichen Zusammenhange nach verständlich wurde.«258 ›Kosmos‹ meint nun nicht mehr das durch die Beschreibungsarten sichtbar werdende Ganze der Natur vermittels verschiedener, sich ergänzender Erfahrungsarten, die zu dem ›Walten‹, dem ›Gelten‹ der Naturgesetze erst hinführen und dieses gleichzeitig fundieren; ›Kosmos‹ ist jetzt die Einheit der Naturgesetze unter dem Primat des einen ›kosmologischen‹ Gesetzes der Entwicklung von Seiendem. Abgesehen davon, daß v. Humboldt und die angeführten Denker die »harmonische Gliederung der Theile des Kosmos« nicht etwa bloß »geahnt« haben, sie dieselbe vielmehr im Aufbrechen des kÒsmoj, durch ein implizit gebliebenes kosme‹n als einem subjektiven Einund Anordnen verständlich werden ließen, fungiert der Ausdruck im Übergang zum 20. Jahrhundert nicht mehr als ein Titel, der noch eigens gerechtNaturbeschreibung des Universums war. Aber Wolffs Werk gibt in seiner Zweiteilung nicht zwar ein ›Gemälde‹ des Alls, als vielmehr den Versuch einer wissenschaftlichen Erklärung desselben. Zugleich jedoch ist jener Name ›Kosmos‹ völlig dadurch gerechtfertigt, dass zu diesem Welterklärungsversuch die geistigen Wissenschaften nicht minder als die Naturwissenschaften ihr Kontingent beigetragen haben.« 256 H. Wolff, Kosmos, 1. Bd., 1890, S. VII. 257 E. Haeckel, Der Monistenbund (1904), 1924, S. 481f. 258 Kosmos, Zeitschrift für eine einheitliche Weltanschauung auf Grund der Entwicklungslehre, 1 (1877), S. 1

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fertigt werden müßte. Er findet als Schlagwort zur Bezeichnung der Geschlossenheit der Naturgesetze auf dem Grund des einen und allumfassenden Entwicklungsgesetzes des Seienden Eingang in die lang anhaltenden, öffentlichen Diskussion um Sinn und Unsinn des monistischen Philosophierens.

* Doch so populär v. Humboldts Kosmos auch war, und so populistisch ›Kosmos‹ in den monistischen Philosophien gebraucht und teilweise instrumentalisiert wurde, der Ausdruck selbst ist keineswegs der einzige oder der gültige ›Weltbegriff‹ des 19. Jahrhunderts. Denn bereits die mediale Präsenz der monistischen Strömung, die im Übergang zum 20. Jahrhundert bekanntlich am stärksten von Biologen, Botanikern und Paläontologen getragen wird, läßt erkennen, daß sich nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung ein Wechsel derjenigen Wissenschaftstypen vollzogen hat, die Orientierung versprechen können. Es ist nicht mehr nur die Physik, die mit ihren Forschungen und Methoden zu öffentlichen Auseinandersetzungen Anlaß gibt, es ist die Biologie, die neben und im Verbund mit der Geographie, ihre Methoden neu bedenkt, zu neuen Forschungsergebnissen kommt und diese auch zu Markte trägt.259 Daß dies nicht unerheblich für die Diskussion von ›Welt‹ bleiben konnte, versteht sich von selbst. Bereits 1848 macht Matthias Schleiden, der wohl ungewöhnlichste Biologie und Botaniker des 19. Jahrhunderts,260 auf den Rahmenwechsel der Leitwissenschaften aufmerksam: »Wie Galilei, Kepler, 259

Dies nutzt auch Scheler zur genaueren Charakteristik des 19. Jahrhunderts, wenn er in seiner Vorlesung zur Philosophie des 19. Jahrhunderts aus dem Jahre 1920 auf etwas »Neuartiges« hinweist: »Obzwar das Ideal einer mechanischen Naturerklärung für die tote Welt – bis zur Relativitätstheorie von A. Einstein – weithin in Geltung bleibt, fällt doch das Ideal einer an Mathematik und Mechanik abstrahierten einheitlichen Methode alles Wissens und Forschens dahin. Das liegt daran, daß die Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts weit stärker an den Geisteswissenschaften und der Biologie orientiert ist als an Mathematik und Mechanik«; M. Scheler, Vorlesung: Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts (1920), 1997, S. 51. 260 Cassirer ist mit Recht der Auffassung, daß Schleiden »als wissenschaftlicher Denker eine eigenartige Erscheinung« ist; vgl. E. Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. 4 (1950), 1994, S. 161. Schleiden nämlich wirkte weniger durch seine expliziten Forschungen zur Biologie, wenngleich er auch hier nicht wenig zur Erforschung des Zellkerns beitrug, als durch seine strengen wissenschaftstheoretischen Überlegungen zur Grundlegung der Biologie und Botanik. In scharfem Kontrast zu Hegel und Schelling und in dem durch Fries vermittelten Rückgriff auf Kant entwickelt er eine neue Wissenschaftskritik der Botanik auf dem Grund einer induktiven Wissenschaft. Daß Schleiden zugleich ein aufmerksamer Beobachter aller philosophischen und wissenschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit war, macht seine Schriften zu einer Fundgrube scharfsinniger Bemerkungen und Analysen des Zeitgeschehens. – Neben den Ausführungen Cassirers zu Schleiden vgl. auch die Einführung von U. Charpa, in: M. Schleiden, Wissenschaftsphilosophische Schriften, 1989, S. 10–43.

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Newton, Herschel uns in eine unendliche Welt der grossen Massen einführten, wie Columbus, Magelhaens und seine Nachfolger uns die ganze eine Hälfte der Erde erst entdeckten, so hat in neuester Zeit Ehrenberg durch seinen rastlosen Fleiß uns eine wunderbare Welt des organischen Lebens erschlossen, welches in seinen Individuen unscheinbar klein, auch dem schärfsten unbewaffneten Auge unsichtbar, doch durch die unerschöpfliche Thätigkeit des Bildens, durch die unaussprechlich großen Zahlen der Einzelwesen Massen anhäuft, vor denen selbst der Mensch als ohnmächtiges Wesen erscheint.«261 Der Blick »in eine ganz neue lebensvolle Welt« ist es, der den Ausdruck ›Lebenswelt‹ populär macht, und die Entdeckung, wie »auf höchst merkwürdige Weise das Entstehen nicht unbeträchtlicher Theile der festen Rinde unseres Planeten in ihrer eigenthümlichen Form an das Leben ganz kleiner[,] dem bloßen Auge unsichtbarer Tiere geknüpft«262 ist, offenbart ein erstes Eröffnungsszenario, das mit dem Ausdruck ›Lebenswelt‹ verknüpft wird. Denn die Kolumbustat des 19. Jahrhunderts ist mit der Entdeckung und Diskussion der ›Lebenswelt‹ gegeben, und auch diese Begriffsentwicklung läßt das 19. Jahrhundert als ein Jahrhundert der Verweltlichung ohne ›Welt‹ erscheinen.

b) ›Lebenswelt‹, ›Lebenwelt‹ und ›Lebewelt‹ 263 Die Geschichte des Ausdrucks ›Lebenswelt‹ ist in erster Linie eine Geschichte fortlaufender Eröffnungsinszenierungen neuer und unbekannter Spähren des Lebens, die eine Einheit darstellen resp. versprechen. Zuvor unerkannte Regionen werden sichtbar, und die Beschreibung des gerade Entdeckten steht immer wieder neu in Frage. Die Geschichte nimmt ihren Anfang zu Beginn des 19. Jahrhunderts, zur Jahrhundertmitte findet die Entwicklung sozusagen unter dem Mikroskop ihre sichtbare Präsenz und ihren sprachlichen Ausdruck, und im Übergang zum 20. Jahrhundert dringt sie mehr und mehr in die Philosophie ein, um dann an die Grenze der Phänomenologie zu führen und am Rand derselben fortzuwirken. Der bis heute wirksamste Bruch dieser Geschichte, der sie zu einer verdeckten werden ließ, wurde wahrscheinlich durch die Phänomenologie selbst bewirkt. Denn nicht selten wurde in deren Gefolge die Philosophie- resp. Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts nur noch in ihren Großgestalten rezipiert. Damit auch konnte der Weg für eine vermeintlich neue, vom 19. Jahrhundert abgekoppelte Karriere des Aus261

M. J. Schleiden, Die Pflanze und ihr Leben, 1848, S. 32. Ebd., S. 31. 263 Die hier vorgetragenen Überlegungen werden von einer anderen Perspektive beleuchtet in C. Bermes, Lebenswelt (1836–1936), 2002; vgl. ebenfalls zur historischen Einordnung des Phänomes der Lebenswelt C. Bermes, ›Monde‹ et ›monde vécu‹ dans la philosophie au XIXe siècle et dans la philosophie husserlienne, 2003. 262

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drucks ›Lebenswelt‹ im 20. Jahrhundert bereitet werden – ohne diesen historischen ›Ballast‹ entstand der Eindruck, ›Lebenswelt‹ sei eine Erfindung des 20. Jahrhunderts und markiere in der philosophischen Reflexion einen Einschnitt besonderer Art. Sicherlich, der Einschnitt ist nicht zu leugnen; doch fraglich ist, wo die Schnittlinie historisch lokalisiert werden kann und wie sie genau zu interpretieren ist.264

*

Blumenberg spricht mit Blick auf die ›Lebenswelt‹ und hinsichtlich der Phänomenologie von dem ›Lebensweltmißverständnis‹. Er versteht darunter »nicht nur eine Sache der anderen und der Späteren, die sich erst wieder ›einüben‹ mußten und müssen in Phänomenologie«; er begreift demgegenüber das ›Lebensweltmißverständnis‹ vielmehr als »konstitutiv für die Entstehungsbedingungen von Begriff und Thematik«265. Doch selbst Blumenberg kann der Falle des Ausdrucks ›Lebenswelt‹ nicht entraten, da er ›Lebenswelt‹ nur im Anschluß an die Phänomenologie und als Metapher begreift. Metaphorisch aber wurde der Ausdruck weniger durch Husserl als durch die fehlende Rückbindung an die historische Tradition, aus deren Sprach- und Verständnishorizont heraus auch Husserl gewirkt hat. Zwar hat man frühzeitig bemerkt, daß die Phänomenologie Husserls mit Blick auf den ›natürlichen Weltbegriff‹ nicht unerheblich von dem Positivismus Machs resp. Avenarius’ geprägt ist, doch bezüglich der ›Lebenswelt‹ liegt bis heute keine befriedigende historische Darstellung vor. Übersehen wird, daß ›Lebenswelt‹ in der Zeit des Husserlschen Wirkens nicht nur ein durchaus gebräuchlicher Terminus war, sondern ein wissenschaftliches Grundlagenproblem anzeigte, das weite Teile der Biologie, Zoologie, Botanik, Paläontologie, aber auch die Geographie bewegte – in Frage standen jeweils im allgemeinen wissenschaftstheoretische Konzeptionen und im besonderen die ontische Auszeichnung des Lebens, die adäquate Beschreibung des Lebendigen und das richtige Verständnis der Einheit des Lebendigen im Kontext zeitlicher und räumlicher Bedingungen. Es verwundert angesichts des Bruchs mit der Tradition – den Husserl selbst ja immer wieder propagierte und der lange Zeit in der Phänomenologie 264

Daß hier durchaus Potential für problematische Deutungen verborgen liegt, belegt auch ein neuerer Lexikonartikel zu ›Lebenswelt‹, T. Rolf, Lebenswelt, 1999, S. 758; das Phänomen der ›Lebenswelt‹ wird hier auf »die menschliche Welt in ihrer vorwissenschaftlichen Selbstverständlichkeit und intersubjektiv erfahrbaren Bedeutsamkeit« bezogen; der Ausdruck ›Lebenswelt‹ habe jedoch aufgrund »seiner Künstlichkeit« »keinen Eingang in die moderne Alltagssprache gefunden«; und der »Fachterminus« habe »sich begriffsgeschichtlich zuerst in der Philosophie, später in den Geisteswissenschaften« durchgesetzt. Abgesehen davon, daß die Bemerkung, ›Lebenswelt‹ habe sich nicht in der Alltagssprache festgesetzt, sicherlich zu prüfen ist, ist die Behauptung, daß der »Fachterminus« sich zuerst in der Philosophie durchgesetzt habe, wie sich zeigen wird, nicht haltbar. 265 H. Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit, 1986, S. 17.

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wirksam blieb – nicht weiter, daß in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts im Rahmen der neu einsetzenden Rezeption der Krisis der europäischen Wissenschaften266 die Vermutung aufkam, Husserl habe den Ausdruck ›Lebenswelt‹ geprägt.267 1977 bemerkt Ludwig Landgrebe, daß mit dem Husserlschen Krisis-Werk »nicht nur der Titel ›Lebenswelt‹ in die Diskussion eingeführt« wurde, »sondern auch die Explikation des damit genannten Problems und seiner Bedeutung für die Geschichte der europäischen Wissenschaften«268. In den achtziger Jahren begegnet Ferdinand Fellmann in seinen historischen Studien zur Gelebten Philosophie in Deutschland dem Ausdruck ›Lebenswelt‹ auch bei Rudolf Eucken, Hugo v. Hofmannsthal und Hans Freyer. Die Auseinandersetzung mit diesen Denkern, veranlaßt ihn dazu, den Ursprung des Begriffs in »der konservativ orientierten idealistischen Kulturphilosophie des beginnenden 20. Jahrhunderts« zu vermuten. Der Begriff markiere, so Fellmann, »die sowohl antipositivistische als auch antirationalistische Stoßrichtung der deutschen Kultursoziologie, die sich nicht an Max Weber, sondern an Ferdinand Tönnies orientierte«; dementsprechend stehe »Lebenswelt für die ›realistische Wendung‹ des spezifisch deutschen Philosophierens, das sich ideologisch als Gegenbewegung zum westeuropäischen Intellektualismus empfand«269. Erst kürzlich hat Fellmann diese pointierte These wiederholt: »Die geistesgeschichtliche Verortung des Begriffs ›Lebenswelt‹« sei seines Erachtens zwar »noch nicht befriedigend gelöst«, aber seinen »eigenen Forschungen zufolge« entstamme »der Begriff dem deutschen Kulturprotestantismus, wo er dieselbe systematische Stelle ausfüllt, die er in Husserls Spätphänomenologie innehat«270. Unter Hinweis auf die Studie von Rüdiger Welter zum Begriff der Lebenswelt,271 worin u. a. auf Fellmanns Untersuchungen verwiesen wird, bemerkt 266

Hua VI, der Krisis-Band der Husserl-Gesamtausgabe, wurde bekanntlich 1954 (1962 in zweiter Auflage) veröffentlicht und hat einer ersten Phase der Diskussion um Husserls Spätphilosophie die, wenn auch spärliche, Textgrundlage geboten; vgl. dazu auch E.W. Orth, Edmund Husserls ›Krisis der europäischen Wissenschaften‹, 1999, S. 9–28, wo treffend von der Krisis als einem »imaginären Buch« die Rede ist; hinzufügen könnte man, daß auch einige – nicht alle – Diskussionen um ›Lebenswelt‹ als Diskussionen um einen ›imaginären Ausdruck‹ und ein ›imaginäres Problem‹ geführt wurden. 267 Vgl. z. B. H. Hohl, Lebenswelt und Geschichte, 1962, S. 25. 268 L. Landgrebe, Lebenswelt und Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins, 1977, S. 13 f. 269 F. Fellmann, Gelebte Philosophie in Deutschland, 1983, S. 24; vgl. S. 119ff. 270 F. Fellmann, Sechzig Jahre danach – Was ist geblieben?, 1998, S. 85 Anm. 17. 271 R. Welter, Der Begriff der Lebenswelt, 1986. – Als eine begriffsgeschichtliche Untersuchung kann diese Arbeit nicht angesehen werden. Welter versucht zu belegen, wie zuvor auch schon Löwith u. a., daß der Deutsche Idealismus den Grundstein gelegt habe für die ›Subjektivierung des Weltbegriffs‹. Mit Verweisen auf Kant, Schopenhauer, Nietzsche, Dilthey, Avenarius, Petzoldt und Scheler versucht er dies exemplarisch zu zeigen. Freilich

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Bernhard Waldenfels, daß die »Herkunft des Begriffs der Lebenswelt« »inzwischen hinreichend erforscht« sei, und dies gelte auch »für die teils offene, teils geheime Wirkungsgeschichte«272. Daß diese verborgenen Denkwege noch manche Überraschung bergen, zeigen im Ansatz die Untersuchungen von Ernst Wolfgang Orth, der der Mythologisierung, die sich heute leicht mit dem Gebrauch von ›Lebenswelt‹ einschleicht, einen Riegel vorschiebt und auf die operative Verwendung des Ausdrucks bei Georg Simmel, Karl Diener, Walter Rathenau und Ernst Troeltsch aufmerksam macht. »Welt und Leben«, so Orth, »sind Themen jeder möglichen Philosophie. Die Frage ist, welchen Grad von Vieldeutigkeit diese Leitbegriffe mit sich führen und wie sie bei aller offenkundigen Metaphorizität trotzdem Orientierungswert erlangen können.«273 Orth selbst verweist auf die kurze Andeutung im Grimmschen Wörterbuch, das dem Ausdruck bereits eine Funktion im 19. Jahrhundert zubilligt und das auf die Verwendung des Ausdrucks im Jahre 1847 verweist.274 Diese Angabe jedoch dokumentiert nicht den erstmaligen Gebrauch von ›Lebenswelt‹, denn bereits elf Jahre früher läßt sich die Vokabel nachweisen. 1836 veröffentlichte Heinrich Heine in dem Morgenblatt für gebildete Stände die Florentinischen Nächte als mehrteilige Artikelserie. Dort fällt in einem Gespräch über ein Bildnis von Paganini und dessen außergewöhnliche Physiognomie der Ausdruck ›Lebenswelt‹: »Nur in grell schwarzen, flüchtigen Strichen konnten jene fabelhaften Züge erfaßt werden, die mehr dem schweflichten Schattenreich, als der sonnigen Lebenswelt zu gehören scheinen.«275 Doch es ist nicht diese literarische Vorlage, die für die Karriere von ›Lebenswelt‹ im 19. Jahrhundert verantwortlich gemacht werden kann. Stellte Heine der mysteriösen

bleibt unklar, was der Topos der ›Subjektivierung der Welt oder des Weltbegriffs‹ im einzelnen besagen soll. Mehrere gewichtige Fragen wären hier zu klären: erstens, was ist genau eine ›Welt‹, die ›subjektiviert‹ wird?; zweitens, was ist eigentlich eine nicht-subjektive Welt, die ›subjektiviert‹ werden soll; und drittens, in welchem Sinne ist das Schlagwort der ›Subjektivierung‹ zu verstehen? Die Kategorie der ›Subjektivierung von Welt‹ erscheint nicht zuletzt aus diesen Gründen als unhandlich bzw. problematisch. Bezüglich der Diskussionen des 19. Jahrhunderts ist es nicht möglich, mit ihrer Hilfe alle Problemhorizonte begreifen zu können. 272 B. Waldenfels, Sinnesschwellen, 1999, S. 179. 273 E.W. Orth, Edmund Husserls ›Krisis der europäischen Wissenschaften‹, 1999, S. 134. 274 J. Grimm, W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 12, 1885, Sp. 457; unter dem Stichwort ›Lebenswelt‹ findet sich folgender Kurzeintrag: »Ehrenberg, der hauptpförtner unserer kenntnis der kleinsten lebenswelt« und der Verweis auf das Morgenblatt für gebildete Leser 1847, S. 367. – Es ist nicht unwichtig, darauf aufmerksam zu machen, daß dieser Band des Wörterbuchs erstmals 1885 erschienen ist und daß – so wird sich zeigen – mit diesem Hinweis zu jener Zeit mehr gesagt wurde, als man heute vermutet. 275 H. Heine, Florentinische Nächte (1836), 1979, S. 21.

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und unheimlichen Gestalt Paganinis die ›Lebenswelt‹ als luzide und transparente Wirklichkeit des Lebendigen entgegen, so ist es in der Biologie, Paläontologie und Zoologie gerade umgekehrt: ›Lebenswelt‹ bezeichnet in den Diskussionen dieser Wissenschaften das bislang verdeckte, noch nicht untersuchte organische Leben. Und derart ist tatsächlich der Hinweis aus dem Grimmschen Wörterbuch, der auf das Jahr 1847 verweist, für die spätere Verwendung einschlägig. Verfolgt man nämlich die dort angedeutete Verwendung im einzelnen und rückt den Gebrauch des Ausdrucks in das wissenschaftshistorische Umfeld, so zeigt sich, daß ›Lebenswelt‹ erstens im Übergang zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur operativ benutzt wird, sondern – synonym mit ›Lebewelt‹ und ›Lebenwelt‹ – einen festen, wenn auch zu Diskussionen Anlaß gebenden Platz in den wissenschaftlichen und populären Auseinandersetzungen der Biologie, Botanik, Zoologie, Paläontologie und Geographie beanspruchen kann. Zweitens läßt sich verdeutlichen, daß mit der Einführung von ›Lebenswelt‹ eine Blickwendung in den Wissenschaften vom Leben (Biologie, Zoologie, Botanik etc.) angezeigt wird, wodurch das Linnésche logische Einteilungsprinzip auf das, wie Kant es nennt, »Systema naturae«276 in einem neuen Sinne gegründet wird; das organische Leben selbst generiert seine Klassifikationen und damit auch ›Welt‹. Drittens zeigt sich – insbesondere in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts –, daß in den Diskussionen eines monistisch fundierten Darwinismus ›Lebenswelt‹ explizit einen zeitlichen Horizont eröffnet und eine Einheit der Lebensentwicklung sui generis anzeigt. Und viertens findet schließlich an der Schnittstelle zum Monismus diese umgeprägte und neu funktionalisierte Vokabel Eingang in die Philosophie. Mit diesem ausdrücklich wissenschaftlichen Gebrauch ist ›Lebenswelt‹ vor allem in Verbindung mit den Naturforschern Ehrenberg und Darwin in aller Munde, so daß bereits vor Husserl – wenn man ihn denn als ›Entdecker der Lebenswelt‹ bezeichnen möchte – ›Lebenswelt‹ bereits zweimal entdeckt wurde. Das Verdienst Husserls scheint nicht zuletzt vor diesem historischen Hintergrund weniger darin zu liegen, auf ›Lebenswelt‹ aufmerksam gemacht zu haben, die Leistung des Phänomenologen ist eher darin zu suchen, ›Lebenswelt‹ vor geläufigen Dogmatismen zu schützen, das Phänomen intentionalhistorisch auszulegen und in das phänomenologische Projekt zu integrieren. Dann auch kann ein doppelter Witz als unmittelbarer Ausdruck der ›Krise der Wissenschaften‹ im Gebrauch von ›Lebenswelt‹ bei Husserl festgestellt werden. Der Rückgang auf die ›Lebenswelt‹, wie Husserl ihn zur Sanierung der Wissenschaftsentwicklung empfiehlt, wurde selbst schon von den Wissenschaften vollzogen, aber gründlich mißverstanden. Im Zusammenhang mit dem Problemtitel ›Welt‹ zeigt sich zudem, daß die ›Inthronisierung‹ des 276

I. Kant, Physische Geographie, Ms. Kaehler, S. 9ff., vgl. oben S. 58f., Anm. 134.

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Ausdrucks ›Lebenswelt‹ geradezu typisch ist für die Verwendung von ›Welt‹ im 19. Jahrhundert. Die ›Verweltlichung‹ zeigt Richtungen oder Blickwendungen an, es werden Eröffnungen der ›Weltkenntnis‹ inszeniert, ohne daß aber ein gesicherter Begriff von ›Welt‹ gegeben wäre, der philosophisch analysiert werden könnte.

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Das Grimmsche Wörterbuch verweist unter dem Stichwort ›Lebenswelt‹ auf einen unscheinbar wirkenden Artikel in dem Morgenblatt für gebildete Leser aus dem Jahr 1847.277 Der Artikel, anonym verfaßt, erstreckt sich als Artikelserie von zwei Hauptteilen mit jeweils vier und drei Unterteilen über sieben Ausgaben der populären Zeitschrift im April 1847 und ist bezeichnenderweise überschrieben mit Die Welt des kleinsten Lebens.278 In der gegenwärtigen Zeit, so beginnt der Beitrag, die »der sinnlichen und positiv wissenschaftlichen Erkenntnis der Natur und ihrer Kräfte […] so ganz und gar zugewandt« ist, liege man »gleichsam fortwährend auf der Lauer«, »um in jeder Erscheinung den Weg zu einer Entdeckung, zu einem wissenschaftlichen oder praktischen Fortschritt zu erspähen«279. Doch die Klasse der Erscheinungen habe sich mit den Instrumenten des Betrachtens gewandelt, so wie auch eine neue Sphäre von Erscheinungen durch die Erfindung und den Gebrauch des Fernrohrs allererst sichtbar geworden sei. Neben dem Teleskop, das in der Vergangenheit einen neuen Zugang zum Universum ermöglicht habe, sei es nun in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts das Mikroskop, das eine neue Welt sichtbar werden läßt – die Lebenswelt: »[…] eben so erlitt durch jene Erfindungen [die des Fernrohrs], also im Grunde durch ein Stückchen linsenförmig geschliffenes Glas, die Vorstellung vom Universum eine gewaltige Revolution. Die Unendlichkeit, die der menschliche Geist bisher nur in seinen eigenen Tiefen gefunden, in die er sich träumend und weltvergessen versenkt hatte, lag nun mit einem Male als ein wirkliches unermeßliches All vor seinen staunenden Blicken, und die Erde, die ihm bisher dieses All gewe-

277

Es handelt sich im übrigen um die Nachfolge des Morgenblatts für gebildete Stände, in dem 1836 Heines Florentinische Nächte erschienen sind; vgl. oben S. 95 Anm. 275. – Ein früherer Nachweis des Ausdrucks ›Lebenswelt‹ im Kontext biologischer oder zoologischer Untersuchungen konnte im Verlauf der eigenen Studien nicht ermittelt werden. Sehr wohl aber wurde bereits zuvor der Sinn von ›Lebenswelt‹, wie noch gezeigt wird, mit Umschreibungen angezeigt. 278 Die Welt des kleinsten Lebens, Erster Teil (I, II, III, IV), in: Morgenblatt für gebildete Leser 41 (1847), Nr. 91: 16. April 1847, S. 361-362; Nr. 92: 17. April 1847, S. 366–368; Nr. 93: 19. April 1847, S. 369–370; Nr. 94: 20. April 1847, S. 374–375. – Die Welt des kleinsten Lebens, Zweiter Teil (I, II, III), in Morgenblatt für gebildete Leser 41 (1847), Nr. 97: 23. April 1847, S. 385–386; Nr. 98: 24. April 1847, S. 390–391; Nr. 99: 26. April 1847, S. 393–394. – Im folgenden abgekürzt: Die Welt des kleinsten Lebens, 1847, Seitenzahl. 279 Die Welt des kleinsten Lebens, 1847, S. 361.

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sen, um das sich die Gestirne des Himmels nur als die Lichter für die irdischen Bedürfnisse herumgeschwungen, schrumpfte einerseits zum Sonnenstäubchen zusammen, während sie andererseits dennoch wieder selbst zu einer wahrhaft unendlichen Lebenswelt wurde, die ihm in jedem Tropfen ein Walten und Weben aufschloß, unabsehbar und unzählig wie die Sterne der Milchstraße.«280 An dieser ersten von drei Stellen, wo ›Lebenswelt‹ in dem fraglichen Beitrag zur Anwendung kommt, wird dasjenige geschildert, was auch Schleiden als das Charakteristikum seiner Zeit hervorhebt.281 Durch den Gebrauch des Mikroskops hat sich eine Blickwendung vom überwältigend Großen zum unscheinbar, bislang verdeckten Kleinen, vom ›Makrokosmos‹ zum ›Mikrokosmos‹282 vollzogen. Doch die Eröffnung dieser Sphäre ist nun beunruhigender als die Betrachtung des Sternenhimmels, denn dasjenige, was sich im Mikroskop zeigt, ist keine bloß anorganische Materie, sondern, wie Ehrenberg versucht zu beweisen, die lebende oder abgestorbene Tierwelt der Infusorien – aus diesem Grund wird Ehrenberg der ›Hauptpförtner der Lebenswelt‹ genannt: »Um den innern Bau dieser winzigen, in manchen Körpertheilen fast farblos durchsichtigen Thiere [die ›Räderthierchen‹] zu erkennen, hat Ehrenberg, 280

Ebd., S. 361 f. – Vgl. hierzu die Äußerung zu Antoni van Leeuwenhoek, dem Entdecker der Infusorien in C. G. Ehrenberg, Das unsichtbar wirkende organische Leben, 1842, S. 6: »Wie der Astronom Galilei sogleich das Teleskop zur Durchdringung des Weltgebäudes benutzt hatte, so hatten auch die Aerzte und Botaniker sich sogleich des Mikroskops für die Betrachtung und Erspähung des feinsten Organismus der Menschen, Thiere und Pflanzen bemächtigt, allein weit später als für den Mechanismus und die Detailkenntniß des Weltraums fand sich der Galilei für das Organische der Erde.« – Nur hingewiesen sei auf den Topos vom ›Newton des Grashalms‹, den Kant in der Kritik der Urteilskraft benutzt, um einem voreiligen Reduktionismus auf kausale Erklärungsmuster bezüglich der belebten Natur zu begegnen; kausale und (kritisch gewendete) teleologische Erklärungsansätze müssen sich vielmehr ergänzen, wenn eine objektive Erkenntnis der belebten Natur erzielt werden soll; in diesem Sinne sei es »ungereimt« zu hoffen, daß »dereinst ein Newton aufstehen könne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde«; I. Kant, Kritik der Urteilskraft (11790, 21793), Weischedel-Ausg., Bd. 8, Akad.-Ausg., Bd. 5, B 337f. – Später wird Darwin von Haeckel als der ›Newton der organischen Natur‹ gefeiert werden; vgl. E. Haeckel, Die Welträtsel (1899), 1924, S. 267. 281 Vgl. oben S. 91f. 282 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Gebrauch des Ausdrucks ›Mikrokosmos‹ in den Naturwissenschaften in M. Schleiden, Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik (Methodologische Einleitung) (11842, 41861), 1989, S. 102. In Kantischer Manier warnt Schleiden vor einem falschen Verständnis von ›Mikrokosmos‹, der sich auf eine doppelte Art und Weise auswirkt: »Man übertrug nämlich von der individuellen Selbständigkeit des ganzen Weltgebäudes die Ansicht von individueller Selbständigkeit auch auf den Organismus und suchte die Gründe für sein Entstehen und Vergehen nur in ihm selbst. Das ist aber für beide tatsächlich falsch […]. Eine vollendete Welt als selbständiges Individuum kennen wir in der Wissenschaft gar nicht, sondern nur in der Idee.«

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der Hauptpförtner unserer Kenntniß dieser kleinsten Lebenswelt, das sinnreiche Mittel angewandt, sie mit farbigen Stoffen, z. B. mit Indigo und Carmin, zu füttern.«283 Die Frage, die Ehrenberg mit der Erforschung der ›Lebenswelt‹ der Infusorien eröffnet, ist jedoch keine nebensächliche, ansonsten würde ihm auch keine ›Story‹ in einer populären Zeitschrift gewidmet. Die Problematik reicht tief in das Verständnis von ›Leben‹ und dementsprechend in das Selbstverständnis des Menschen hinein.284 Wenn große Teile der Erde nicht aus anorganischem Material bestehen, sondern aus lebenden Wesen, die absterben und selbst ihre Umgebung – wie ebenso die ›Umwelt‹ des Menschen – bilden, dann wird zum einen der Begriff des Lebens relativ auf das Leben der Infusorien und deren Verhalten und zum anderen wird die klassische Dreiteilung von erstens anorganischer Materie, zweitens den Pflanzen und Tieren und drittens dem Menschen fraglich; die Erde als »ein ungeheures Gebäude von lauter Leichnamen«285 ist nicht mehr bloße Materie, und das Lebendige entfaltet sich auch im Jenseits der bisher bekannten und erforschten Regionen: »Sind schon alle diese Eigenthümlichkeiten der Infusorien, diese Lebensverhältnisse, welchen allen dem unbewaffneten Auge zugänglichen Lebensformen kaum etwas Aehnliches an die Seite zu stellen haben, sehr geeignet unsere Theilnahme und unser wissenschaftliches Interesse zu erregen, so gewinnt doch diese kleinste Lebenswelt noch eine bei weitem größere Wichtigkeit durch die große Rolle, die sie im gesamten Haushalt der irdischen Natur spielt.«286 283

Die Welt des kleinsten Lebens, 1847, S. 367f. Ebd., S. 362: »Eine doppelte Unendlichkeit also hat uns das Vergrößerungsglas aufgeschlossen, die nach entgegengesetzten Seiten hin liegt und in deren Mitte wir gestellt sind, selbst wieder unendlich, weil befähigt, das unendliche All begreifend in uns aufzunehmen und seine Größe und Schönheit in Wort und Klang harmonisch widerzuspiegeln.« 285 Ebd., S. 390. – Zur Aktualität dieser Gedankengänge, zur Verflüssigung der Kategorien von ›Leben‹ und ›Tod‹ sowie zu der damit einhergehenden Metaphorik, vgl. auch G.W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, zweiter Teil: Die Naturphilosophie (1830), Werke, Bd. 3, 31996, S. 365, wo einerseits von dem organischen Leben des Meeres die Rede ist in dem Sinne, daß »jeder Tropfen« als »ein lebendiger Erdball von Infusionstierchen« aufzufassen ist, während das Land »als der Riesenleichnam des vorher immanenten, nun entflohenen Lebens« verstanden wird. 286 Die Welt des kleinsten Lebens, 1847, S. 375. – Zur Bedeutung dieser Entdeckung Ehrenbergs, die die Grenzen zwischen Pflanzen- und Tierreich fraglich werden ließ, vgl. die folgende Bemerkung Haeckels aus dem Jahr 1878: »Tief unten auf der niedersten Stufe des organischen Lebens, mitten inne zwischen den Grenzen des Tier- und Pflanzenreichs und beide großen Reiche auf das engste verbindend, lebt und webt jene wunderbare Welt von mikroskopischen, dem bloßen Auge unsichtbaren Organismen […] Die große Mehrzahl dieser Protisten bleibt zeitlebens auf der Formstufe einer einzigen einfachen Zelle stehen, und dennoch besitzt diese Zelle unstreitig sowohl Empfindung wie willkürliche Bewegung. Bei den lebhaften Wimpertierchen (Ziliaten) äußern sich diese Seelentätigkei284

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›Lebenswelt‹ steht hier gleich für vier beunruhigende Entdeckungen, die zukünftige Forschungsperspektiven eröffnen: Erstens zeigt die ›Lebenswelt‹ eine neue Dimension an, die durch das Mikroskop eröffnet wird – eine ›neue Welt des Kleinen und Unscheinbaren‹; zweitens ist diese ›neue Welt‹ dadurch charakterisiert, daß sie nicht leblose Dinge zum Inhalt hat, sondern lebende Wesen, die Umgebungen und ›Welt‹ unabhängig vom Menschen bilden; drittens kann von dem aktuell toten Leben auf früheres Leben geschlossen werden,287 und viertens bricht die Frage der Beschreibung dieser ›neuen Welt‹ auf: denn welche Maßverhältnisse und Kriterien können Anwendung finden, die Infusorien als lebendige, weltschaffende Wesen zu klassifizieren? – die der sichtbaren Gestalt, die der Zellanalyse oder sind es gar neue Maße, die in den Entdeckungen selbst liegen? In dem vorliegenden Artikel wird diese Frage eindeutig beantwortet: »Den einzig richtigen Maßstab trägt jedes Ding an sich selbst.«288 Obgleich Ehrenberg wahrscheinlich nicht selbst den Ausdruck ›Lebenswelt‹ in die Diskussion eingeführt hat,289 so finden sich doch bereits deutliche Hinweise in Form von Umschreibungen, die den Ausdruck nahelegen, wenn auch nicht fordern. Nicht umsonst stellt Ehrenberg bereits seiner Dissertation aus dem Jahre 1818 das Motto voran, das zugleich als Überschrift für sein Lebenswerk dienen kann: »Der Welten Kleines auch ist wunderbar und gross / Und aus dem Kleinen bauen sich die Welten.«290 Es liegt zudem in dem morphologischen Ansatz Ehrenbergs begründet, den Ausdruck ›Lebenswelt‹ ten sogar in so auffallendem Maße, daß der berühmte Infusorienforscher Ehrenberg mit der größten Bestimmtheit unerschütterlich behauptete, auch hier müßten Nerven und Muskeln, Gehirn und Sinnesorgane vorhanden sein«; E. Haeckel, Zellseelen und Seelenzellen (1878), 1924, S. 191. 287 C.G. Ehrenberg, Über jetzt noch zahlreich lebende Thierarten der Kreidebildung, 1841, S. 164: »So giebt es denn also ein, wenn auch im Einzelnen mikroskopisches, doch in der Masse starkes Band, welches das organische Leben entfernter Erdalter verbindet und beweist, dass nicht immer das Kleinere oder Tiefergeschichtete die Basis und der Typus des Grösseren und Oberflächlichen auf unserer Erde ist, dass auch die Morgendämmerung der mit uns lebenden organischen Natur viel tiefer in die Geschichte der Erde reicht als es bisher den Anschein hatte.« 288 Die Welt des kleinsten Lebens, 1847, S. 367. 289 Soweit die Schriften Ehrenbergs zugänglich gemacht werden konnten, ist der Ausdruck ›Lebenswelt‹ bei Ehrenberg nicht nachzuweisen. Folgende Schriften wurden geprüft: Sylvae mycologicae berolinensis, 1818; Ueber das Entstehen des Organischen aus einfacher sichtbarer Materie, 1832; Zur Erkenntniss der Organisation in der Richtung des kleinsten Raumes, 1832; Über die Entwicklung und Lebensdauer der Infusionsthiere, 1831; Beiträge zur physiologischen Kenntniss der Corallenthiere, 1834; Über die Natur und Bildung der Corallenbänke des rothen Meeres, 1834; Über die Bildung der Kreidefelsen, 1839; Über jetzt noch zahlreich lebende Thierarten der Kreidebildung, 1841; Das unsichtbar wirkende organische Leben, 1842; Mikrogeologische Studien über das kleinste Leben, 1873. 290 C.G. Ehrenberg, Sylvae mycologicae berolinensis, 1818, S. 2.

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anzuzeigen, da er sich vehement gegen die Zellanalyse wendet und in der Gestalt der Infusorien eine eigene, abgeschlossene, sich selbst genügende und generierende ›Welt‹ in Raum und Zeit entdeckt.291 Daß die Sphäre des mikroskopisch Kleinen, die nach Ehrenberg selbst eine ›Welt des Lebens‹ und ein ›Leben der Welt‹ ist, im Diskurs der ›scientific community‹ geradezu erkämpft werden mußte, belegen die zahlreichen, in fast allen seinen Schriften anzutreffenden Rechtfertigungen des Mikroskopierens.292 Neben Ehrenberg ist es Matthias Schleiden, der sich bis zur Jahrhundertmitte genötigt sieht – wiederum unter Verweis auf Ehrenberg – das Mikroskopieren als ›wissenschaftliches‹ Tun zu rechtfertigen: »[…] so eröffnen uns Ehrenbergs microscopische Forschungen hier einen Blick in eine ganz neue lebensvolle Welt [!]. Wir finden auf höchst merkwürdige Weise das Entstehen nicht unbeträchtlicher Theile der festen Rinde unseres Planeten in ihrer eigenthümlichen Form an das Leben ganz kleiner dem bloßen Auge unsichtbarer Thiere geknüpft […].«293 Doch es ist nicht nur die ›neue Welt des Kleinen und Unscheinbaren‹, die Ehrenberg entdeckt und die den Ausdruck ›Lebenswelt‹ nahelegt. Zugleich mit den neuen Forschungsergebnissen wandelt sich auch die Methode der Klassifikation. Nicht mehr wird ein logisches System erarbeitet, das nach

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C.G. Ehrenberg, Das unsichtbar wirkende organische Leben, 1842, S. 35: »So giebt denn das Mikroskop die ohne dasselbe nothwendig unentschieden bleibende Thatsache, daß das thierisch-organische Leben im kleinsten mit Hülfe der besten Sehkraft erkennbaren Punkte schon die volle Summe der höchsten Entwicklung nur, wie es bei den größern Thieren sichtbar genug ist, in weniger harmonischer Abgleichung hat, indem offenbar Ernährung und maßlose und endzweckartige Fruchtbildung überwiegen. Hierdurch ist nun die Ansicht beseitigt und fallen zu lassen, daß es vom Menschen abwärts eine Abstufung nach immer einfacheren Lebenszuständen gäbe, die in einer einfachen Zelle ihren Endpunkt und Anfang habe.« 292 Es ist aus heutiger Sicht nicht unwichtig, darauf zu verweisen, daß die Erfindung des Mikroskops zwar bereits Ende des 16. Jahrhunderts erfolgte, die wissenschaftstheoretische Rechtfertigung der Mikroskopie in der Biologie sich aber erst in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts mit Ehrenbergs Untersuchungen der Infusorien vollzog. 293 M.J. Schleiden, Die Pflanze und ihr Leben, 1848, S. 31. – Zur Rechtfertigung der Mikroskopie vgl. des weiteren, M. J. Schleiden, Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik (11842,41861), 1989, S. 116–196; M. J. Schleiden, Die Physiologie der Pflanzen und Thiere, 1850. – Vgl. weiterhin zur Entdeckung der ›neuen Welt‹ durch die Mikroskopie und die auftretenden philosophischen Probleme J. Sachs, Geschichte der Botanik vom 16. Jahrhundert bis 1860, 1875, S. 197: »So war schon die ernste Beschäftigung mit der Mikroskopie eine der Ursachen, welche die hervorragenden Mikroskopiker ganz auf das Gebiet und auf die Eigenartigkeit der inductiven Forschung hinführten; als sich aber nach wenigen Jahren die thatsächlichen Resultate dieser Forschung zeigten, als sich eine ganz neue Welt, besonders in den Kryptogamen den Botanikern eröffnete, da handelte es sich um Fragen, welche vorher nicht aufgeworfen waren, an denen die dogmatische Philosophie ihre alte Kraft noch nicht versucht hatte.«

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Klassen und Gattungen die regna rubriziert, es werden der Aufbau, die Funktionen und die Verhaltensweisen studiert, um die Tierwelt und die Pflanzenwelt zu begreifen. Es ist kein Zufall, daß im Laufe der ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts der Ausdruck ›Reich‹ zunehmend durch den Ausdruck ›Welt‹ in ›Tierreich‹ und ›Pflanzenreich‹ ersetzt wird.294 Und wenn Kant in seiner Geographie bemerkt, daß »eigentlich« »noch kein systema naturae« vorliege und »in den jetzigen systemen« »nur die Dinge zusammen gefliehen und geordnet«295 sind, so ist mit dem neuen Aufbruch der Geographie und mit den Forschungen der Biologie in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts genau dies die diskussionswürdige Fragestellung: die logische Einteilung nach ›Reichen‹ wird durch die Naturschilderung resp. Naturbeschreibung von sich generierenden ›Welten‹ abgelöst. Daß mit dieser Abkehr vom strengen Linnéschen Klassifikationismus zugleich das große Problem der Beschreibung der ›Welten‹ auftritt, liegt nahe. Und auch hier beginnt mit und im Umfeld von Ehrenberg der große Fragehorizont neu aufzubrechen, da Ehrenberg der Beschreibung der Gestalt der Infusorien den Vorrang gegenüber der Zellanalyse einräumt.296 Allein, dieses Aufblitzen des Problems der Kriterien zur Beschreibung der ›Lebenswelt‹ wird in der Folge überlagert von der Entwicklungslehre, wie sie als gesetzlich geregelte Deszendenztheorie mit Darwin populär wurde. Nun wird die Deutung und Beschreibung des Befunds aufgelöst in die Erklärung, wie es zu dem Befund selbst gekommen ist. Ehrenberg aber gilt, wie die zahlreichen Belege zeigen, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als der erste ›Entdecker der Lebenswelt‹.297 Selbst Haeckel dürfte noch 1899 in seinen Welträtseln an die Diskussionen um Ehrenberg gedacht haben, wenn er, ohne einen Nachweis anzugeben, von der Entdeckung der ›unsichtbaren Lebenswelt‹ zu Anfang des 19. Jahrhunderts spricht: »Die 294

1872 sieht sich deshalb auch Julius Carus in seiner Geschichte der Zoologie veranlaßt, noch einmal auf die Einteilung und Geschichte der Naturreiche zu verweisen; vgl. J. V. Carus, Geschichte der Zoologie, 1872, S. 449. 295 I. Kant, Physische Geographie, Ms. Kaehler, S. 11, vgl. oben S. 58f. Anm. 134. 296 Ehrenberg führt eine Art Mikrokosmographie vor, vermittels er die Infusorien als kleinste, hoch organisierte Lebewesen mit Darm, Zähnen, Stirn, Nacken etc. beschrieben werden; vgl. beispielsweise C.G. Ehrenberg, Zur Erkenntniss der Organisation in der Richtung des kleinsten Raumes, 1832; C. G. Ehrenberg, Über die Entwicklung und Lebensdauer der Infusionsthiere, 1831; vgl. auch oben S. 101 Anm. 291. – Bereits zu Ehrenbergs Lebzeiten konkurrierte diese Art der Morphologie mit den Analysen von Theodor Schwann resp. Matthias Schleiden zum Zellkern; vgl. Th. Schwann, Mikroskopische Untersuchungen über die Übereinstimmung in der Struktur und dem Wachstume der Tiere und Pflanzen (1839), 1910. 297 Vgl. etwa K.A. v. Zittel, Geschichte der Geologie und Paläontologie bis Ende des 19. Jahrhunderts, 1899, S. 728, wo von der Erschließung einer »neue[n] Welt« durch Ehrenberg im Sinne einer »epochemachende[n] Bedeutung« gesprochen wird; vgl. auch oben S. 99 Anm. 286.

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verbesserten Methoden der mikroskopischen und biologischen Untersuchungen haben uns nicht nur überall im Reiche der einzelligen Protisten eine ›unsichtbare Lebenswelt‹ voll unendlichen Formenreichtums offenbart, sondern auch in der winzigen kleinen Zelle den gemeinsamen ›Elementarorganismus‹ kennen gelehrt, aus dessen sozialen Zellverbänden, den Geweben, der Körper aller vielzelligen Pflanzen und Tiere ebenso wie der des Menschen zusammengesetzt ist.«298

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Doch wenn auch Ehrenberg als der ›erste Entdecker der Lebenswelt‹ gefeiert wurde und sich so seinen sicheren und ausgezeichneten Platz in der ›scientific community‹ des 19. Jahrhunderts sichern konnte, so bleibt er doch nicht der eigentliche Erforscher der ›Lebenswelt‹. Denn der »wahre Lichtträger für Untersuchungen über organische Körper«299 wurde bereits früh nicht mehr in der Beschreibung dessen, was sich zeigt, gesehen, sondern in der Entwicklungsgeschichte vermutet. Darwins Untersuchungen stießen dergestalt bezüglich des Deszendenzgedankens auf fruchtbaren Boden, sein Entwicklungsgesetz der natürlichen Auswahl, die Selektionstheorie, gab dem Ansatz seine von nun an als ›wissenschaftlich‹ gefeierte Gestalt.300 So ist es nun auch Darwin, der nach Ehrenbergs erster Eröffnungsinszenierung der ›Lebenswelt‹ als der eigentliche ›Erforscher der Lebenswelt‹ gefeiert werden kann: »Ueberall und unablässig umfasst sein [Darwins] Blick die Totalität der Lebewelt und die tausend Wechselwirkungen, welche aus dem Zusammenleben einer ungeheuren Mannigfaltigkeit von Organismen aller Art auf einer und derselben Bühne entstehen.«301 Und in Haeckels Natürlicher Schöpfungsgeschichte ist zu lesen: »Erst dem umfassenden und vorurteilsfreien Genius von Charles Darwin war es vorbehalten, diesen Zwiespalt [die Annahme ver298

E. Haeckel, Die Welträtsel (1899), 1924, S. 8. – Vgl. auch hierzu Haeckels Bemerkung in seiner Natürlichen Schöpfungsgeschichte aus dem Jahr 1868: »Durch die ausgedehnten mikroskopischen Untersuchungen des letzten halben Jahrhunderts sind wir mit einer wunderbaren Welt des sogenannten ›unsichtbaren Lebens‹ bekannt geworden. Das verbesserte Mikroskop hat uns viele Tausende von Arten kleinster Lebewesen kennen gelehrt, welche dem unbewaffneten Auge verborgen waren. […] Die erste umfassende Darstellung derselben gab 1838 der berühmte Berliner Mikrologe Gottfried Ehrenberg […]«; E. Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte, Zweiter Teil (1868), 1924, S. 46. 299 K.E. v. Baer, Über Entwicklungsgeschichte der Thiere, 1828, S. 231. 300 »Was frühere Anhänger derselben [der Entwicklung] nur unbestimmt andeuten oder ohne Erfolg aussprachen […], das ist durch das epochemachende Werk von Charles Darwin unveräußerliches Erbgut der menschlichen Erkenntnis und die erste Grundlage geworden, auf der alle wahre Wissenschaft in Zukunft weiter aufbauen wird. ›Entwicklung‹ heißt von jetzt an das Zauberwort, durch das wir alle uns umgebenden Rätsel lösen, oder wenigstens auf den Weg ihrer Lösung gelangen können«; E. Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte, Erster Teil (1868), 1924, S. 3f. 301 L. Rütimeyer, Charles Darwin (1882), 1898, S. 375.

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schiedener und unabhängiger ›Schöpfungen‹ von Tieren und Pflanzen] völlig zu beseitigen. Er bewies klar, daß auch die Lebewelt der Erde eine ebenso kontinuierlich zusammenhängende Geschichte hat wie die anorganische Rinde der Erde; daß auch die Tiere und Pflanzen ebenso allmählich durch die Umwandlung auseinander hervorgegangen sind wie die wechselnden Formen der Erdrinde […].«302 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist es durchaus üblich von ›Lebewelt‹, ›Lebenwelt‹ und ›Lebenswelt‹ im Sinne von Synonymen zu sprechen. Der Schweizer Geograph und Botaniker Rütimeyer benutzt beispielsweise in seinen Schriften ›Lebenswelt‹ und ›Lebewelt‹ ohne Sinnverschiebungen, wie die folgenden Äußerungen belegen: »Die Thierwelt des Landes und der Luft ist es demnach allein, deren Kenntniss einigermassen mit dem Fortschritt der Botanik Schritt gehalten hat. In den unter wissenschaftlicher Aufsicht stehenden Theilen von Europa und Nordamerika ist man auch so weit, dass man, wie in der Botanik, erhebliche Veränderungen der Lebewelt oft bald bemerkt […].«303 Und an anderer Stelle heißt es: »[…] ja wer sagt uns, ob nicht die grosse Mutterlauge aller Lebenswelt, das Meer, schon lange reichliche Thierwelt geboren hatte, bevor nur Festland und hiemit Vegetation in grösserem Umfang möglich war […]«304 Es ist hierbei wiederum zu beachten, daß ›Lebenswelt‹ nicht nur funktional benutzt wird; als Ausdruck einer neuen Wissenschaftsidee steht das Konzept vielmehr für eine neue Blickwendung betreffs des angezeigten Problemfeldes des organischen Lebens. ›Lebenswelt‹ zeigt erstens nicht mehr nur die kleinste Welt der Infusorien an, sondern umfaßt alle lebenden Produkte – und später auch den Menschen –; und zweitens dient ›Lebenswelt‹ nicht mehr ausschließlich als Eingangspforte zu einem bislang unbekannten Raum – wie noch hauptsächlich bei Ehrenberg –, der Ausdruck dient nun vielmehr als Schlüssel zur bislang unbekannten und verborgenen Zeit – der Entwicklungsgeschichte. Damit ist die zweite Eröffnungsinszenierung, die mit dem Ausdruck ›Lebenswelt‹ verbunden wird, umgrenzt – ›Lebenswelt‹ als bislang unerkannte (Stammes-)Geschichte des einen organischen Lebens. Bereits in den deutschen Übersetzungen von Darwins On the Origin of Species findet demgemäß auch der Ausdruck ›Lebenswelt‹ resp. ›Lebenwelt‹ gleichsam selbstverständlich, wenn auch nur spärlich Anwendung.305 Während die Übersetzung von ›branches of life‹ mit ›Zweige der Lebenwelt‹ resp. ›Zweige der belebten Welt‹ eher in einem funktionalen Sinn verstanden werden kann, so liegt doch der Übersetzung von ›productions‹ mit ›Lebenwelt‹ 302 303 304 305

E. Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte, Erster Teil (1868), 1924, S. 136. L. Rütimeyer, Ueber die Herkunft unserer Thierwelt (1867), 1898, S. 144. L. Rütimeyer, Die Grenzen der Thierwelt (1868), 1898, S. 240. Vgl. hierzu den Anhang in C. Bermes, Lebenswelt (1836–1936), 2002.

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resp. ›Lebenswelt‹ der Sinn zugrunde, mit dem dieser Ausdruck auch zukünftig verknüpft werden soll. ›Lebenswelt‹ meint hier die Geschichte alles organischen Lebens in der Art, wie es sich hervorbringt und produziert; zudem ist diese Art der Geschichte eine, sie umgreift in ihrer Genese die Ganzheit des Lebens. In ihr kommt nach monistischer Lesart das eine Entwicklungsgesetz der natürlichen Auswahl zum Ausdruck. Natürlich wird nie klar – und hierüber wurden bereits früh nicht wenige Diskussionen geführt –, ob das Entwicklungsgesetz, das selbst eine Manifestation der Geschichte sein soll, im Sinne einer Gesetzesaussage nicht die Geschichte, aus der es sich entwickelt, allererst konstituiert. Jedoch wäre es völlig verfehlt, wollte man den Ausdruck ›Lebenswelt‹ in den Theorien eines auf Darwin gegründeten Monismus nur hinsichtlich seiner räumlichen Extensionen qualifizieren. Es ist nicht nur das Ganze des aktual Lebendigen, das hier zum Thema wird, auch besteht das angezeigte Charakteristikum nicht allein in der Einordnung des Menschen in die ›Welt des Lebens‹; es ist wesentlich die entwicklungsgeschichtliche Einheit des Lebens selbst, die vermittels des Ausdrucks ›Lebenswelt‹ zur Diskussion steht und die Grenzen zwischen den Reichen der anorganischen Natur sowie der Tiere und Pflanzen, aber auch der ›Welt‹ des Menschen aufhebt.306 Daß der Ausdruck schon in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts mehr als populär war und genau in dem Kontext einer Applikation des Darwinschen Programms Anwendung fand, zeigt auch Büchners Schrift Sechs Vorlesungen ueber die Darwin’sche Theorie von der Verwandlung der Arten und die erste Entstehung der Organismenwelt,307 die 1868 erstmals erschien, jedoch 1876, mit der vierten Auflage, einen griffigeren Titel erhielt: Die Darwin’sche Theorie von der Entstehung und Umwandlung der Lebe-Welt. Allein der Untertitel besagt, wofür ›Lebewelt‹ bei Büchner mit Bezug auf Darwins Lehre steht: Ihre Anwendung auf den Menschen, ihr Verhältniß zur Lehre vom Fortschritt und ihr Zusammenhang mit der materialistischen oder Einheitsphilosophie der Vergangenheit und Gegenwart.308 In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts war der Ausdruck somit titelfähig geworden, und er zeigt ein Programm an, das ei306

»Insbesondere betonen wir […] die grundsätzliche Einheit der anorganischen und organischen Natur, von denen ja die letztere erst verhältnismäßig spät aus der ersteren sich entwickelt hat. Ebensowenig als eine scharfe Grenze zwischen diesen beiden Hauptgebieten der Natur zu ziehen ist, ebensowenig können wir auch einen absoluten Unterschied zwischen Pflanzenreich und Tierreich anerkennen, ebenso auch nicht zwischen Tierwelt und Menschenwelt«; E. Haeckel, Der Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft (1892), 1924, S. 408. 307 L. Büchner, Sechs Vorlesungen ueber die Darwin’sche Theorie von der Verwandlung der Arten und die erste Entstehung der Organismenwelt, 1868. 308 L. Büchner, Die Darwin’sche Theorie von der Entstehung und Umwandlung der Lebe-Welt, 41876. Zu den vollständigen Titeln vgl. die Bibliographie.

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nerseits die vollständige Einordnung des Menschen in die stammesgeschichtliche Entwicklung der ›Lebenswelt‹ zum Ziel hat309 und andererseits die Zeit im Sinne der Entwicklungsgeschichte als den Rahmen herausstellt, in dem die naturwissenschaftlichen Gesetze wirken. Diese Verwendung des Ausdrucks reicht bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein und läßt sich auch in Johann Gustav Vogts Der absolute Monismus nachweisen. Hier bezeichnet ›Lebewelt‹ als Anzeige der Stammesgeschichtlichkeit des Seienden im Gegensatz zu ›Welt‹ als Anzeige der bloßen Räumlichkeit explizit die Genese der Pflanzen und Tiere, aus der heraus sich der Mensch entwickelt hat.310 Aus der Tradition des monistisch geprägten, z.T. mit einem materialistischen Überbau versehenen Darwinismus heraus erfuhr der Ausdruck somit seine Popularität und Verbreitung; hier steht er programmatisch für die Einheit des Lebens in seiner stammesgeschichtlichen Entwicklung.311

* Es sind nicht wenige Vertreter der Biologie, Zoologie und Paläontologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die einer Ausweitung des Darwinschen Programms auf den Menschen im Sinne eines stammesgeschichtlichen Mechanismus des Lebens das Wort reden, ›Lebenswelt‹ populär und geläufig machen, den ›Mechanismus‹ der Naturentwicklung des Seienden mit der Selektionstheorie gegeben sehen und damit auch die außerwissenschaftliche, populäre Debatte lange Zeit dominieren. Aber darüber hinaus taucht ›Lebenswelt‹ resp. ›Lebewelt‹ auch in spezifischen Problemkonstellationen und im Kontext von ›Lebensgeographien‹ auf. Freilich bleibt das monistische resp. Darwinistische Paradigma stets spürbar.312

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»[…] so vollständig klar ist man jetzt wissenschaftlicher Seits darüber, daß die erhabene Gestalt des Menschen nur einem allmähligen, langsamen Hervorgang aus der ihm zunächst stehenden Thierwelt ihre Entstehung verdanken könne, und daß die Anfänge und Anlagen zu allen seinen hohen körperlichen, wie geistigen Vorzügen und Fähigkeiten in der unter ihm stehenden Lebewelt deutlich vorhanden sind«; L. Büchner, Kraft und Stoff (1855), 151883, S. 265. 310 Vgl. J.G. Vogt, Der absolute Monismus, 1912, S. 15, 281, 326, 415 u. ö. 311 Vgl. hierzu folgende Belege, die verdeutlichen, wie eng der Bedeutungshorizont des Ausdrucks mit dem Sprachspiel der Monisten und Darwinisten verbunden ist: A. Koelsch, Das Erleben, 1919, S. 3; R.H. Francé, Die Welt als Erleben, 1923, S. 97f.; H. Hörbiger, Glacial-Kosmogonie, 1913, S. 382, 508. 312 Auf eine wichtige Gegenentwicklung innerhalb der Biologie, die den Ausdruck ›Umwelt‹ im Gegensatz zu ›Lebenswelt‹ betrifft, kann hier nur am Rand hingewiesen werden: Eine radikale Abkehr von der Entwicklungsgeschichte, eine Untersuchung, Analyse und Deutung des ›umweltlichen‹ Verhaltens der Tiere wird von Jakob von Uexküll in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vollzogen. Es ist nach Uexküll der Bauplan des Tieres, der die Umwelt desselben schafft. Nicht mehr ist es die stammesgeschichtliche Entwicklung der ›Lebenswelt‹, die eine natürliche Ordnung generiert. Der funktionale

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Bezogen auf die Geographie als Wissenschaft bewegen sich diese neuen Versuche ab den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts im Rahmen dessen, was Kant bereits skeptisch als eine »continuirte Geographie« oder eine ›Naturgeschichte‹ im Gegensatz zu einer ›Naturbeschreibung‹ bezeichnet hatte.313 Nun aber werden diese Forschungsdimensionen der Naturbeschreibung und Naturgeschichte nicht mehr sonderlich unterschieden, sie gehen ineinander auf. Als besonders prägnantes Beispiel hierfür lassen sich die biogeographischen und anthropogeographischen Arbeiten Friedrich Ratzels anführen. Jenseits aller chauvinistischen Bemerkungen, die sich in Ratzels Schriften auch finden lassen und die von ihm mit der These begründet werden, daß der ›Kampf ums Leben‹ sich nur verstehen lasse als ›Kampf um Raum‹, kommt auch hier dem Ausdruck ›Lebewelt‹ eine programmatische Funktion im Sinne eines Lebensmonismus im Rahmen einer Biogeographie zu. Ein derartiges Unterfangen sei, so Ratzels Vermutung, bislang noch nicht in Angriff genommen worden: »Warum denn ist es nicht ebenso mit der Biogeographie [im Sinne eines einheitlichen Wissensgebietes]? Die wissenschaftliche Entwicklung ist hier von zwei verschiedenen Punkten als Pflanzengeographie und Tiergeographie ausgegangen und bis heute sind diese noch nicht zusammengetroffen. Pflicht der Geographie ist es aber auch hier, zusammenzufassen und ihrerseits mit der Schaffung einer Biogeographie voranzugehen, welche die Verbreitung alles Lebens über die Erde in seinen gemeinsamen Grundzügen behandelt. Das Leben, welches die Erde veredelt und verschönt, ist ein ganzes, dessen weit verschiedene Formen die Äußerung einer Entwicklung Zusammenhang von ›Merk-› und ›Wirkwelten‹ zu ›Umwelten‹ konstituiert die Ordnungssysteme – oder wie Uexküll des öfteren ausführt: die ›große Planmäßigkeit‹ – der Natur. ›Umwelt‹, so kann man sagen, steht hier gegen ›Lebenswelt‹. Nicht mehr wird wie bei der Darstellung der ›Lebenswelt‹ das Werden der Organismen und Tiere erforscht, es ist das funktionale Sein derselben, das Uexküll aufzuweisen sucht. Dasselbe wird nicht ontisch verkürzt, da das Sein sich in Funktionen manifestiert: »Der einzige unwandelbare Faktor, der dies wirre Weltgewebe trägt und formt, ist der Funktionskreis. […] Das gesamte Universum, das aus lauter Umwelten besteht, wird durch die Funktionskreise zusammengehalten und nach einem Gesamtplan zu einer Einheit verbunden, die wir die Natur nennen«; J. v. Uexküll, Theoretische Biologie (11920, 21928), 1973, S. 324; vgl. weiterhin J. v. Uexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere (1909), 1921; J. v. Uexküll, Der Organismus und die Umwelt, 1931. – Zur Diskussion dieses biologischen Begriffs der ›Umwelt‹, der wiederum bis weit hinein in angrenzende Wissenschaften reicht und mit Bezug auf Uexküll vgl. H. Weber, Der Umweltbegriff der Biologie und seine Anwendung, 1939; H. Weber, Zur Fassung und Gliederung eines allgemeinen biologischen Umweltbegriffes, 1939; K. Friederichs, Über den Begriff ›Umwelt‹ in der Biologie, 1943; K. Friederichs, Umwelt als Stufenbegriff und als Wirklichkeit, 1950; A. Bacmeister, Beiträge zum allgemeinen ökologischen Begriffsapparat, 1943. – Mit Blick auf einen Vergleich zwischen Schelers Gebrauch von ›Umwelt‹ und Uexkülls Umwelttheorie vgl. bereits P.K. Eberhardt, Umweltgebundenheit und Weltoffenheit, 1953. 313 I. Kant, Physische Geographie, Ms. Kaehler, S. 12; vgl oben S. 58f. Anm. 134.

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sind. Wie die Erde, auf deren Oberfläche es sich entwickelt, eine ist, ist auch dieses Leben eines […]«314 Wenn Ratzel dementsprechend von ›Lebewelt‹ spricht – und dies geschieht mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit im Sinne der historischen Einheit und räumlichen Verbreitung des Lebens315 – dann bezeichnet dieses Wort nicht nur die Klasse des Organischen, des Lebendigen, es steht vielmehr wiederum für ein Forschungsprogramm. Die ›Lebewelt‹ – und dazugehört auch in der Anthropogeographie der Mensch – ist der Schlüssel zur Stammesgeschichte – zum Leben, wie es sich zeitlich entwickelt und zugleich räumlich entfaltet hat. Der Ausdruck ›Lebewelt‹ wird hier nicht mehr allein auf die Entwicklung als Stammesgeschichte bezogen, sondern im Rahmen der Biogeographie auch auf die räumliche Verbreitung und die räumliche Verfaßtheit des Lebens angewandt. Diese Bedeutungserweiterung resp. Verschmelzung von Geographie und Stammesentwicklung wirkt sich bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts aus. Als vorläufigen Höhepunkt kann man Richard Hesses 1924 erschienene Tiergeographie auf ökologischer Grundlage ansehen. Jetzt kommt es zu einer expliziten terminologischen Fixierung der Begriffe ›Ökologie‹, ›Biotop‹, ›Biocönose‹ etc. im Rahmen der Diskussion des ›Lebensraums‹ in Korrelation zu der ›Lebewelt‹.316 Der summarische Exkurs in die Biologie, Botanik, Paläontologie, Bio-, Anthropo- und Tiergeographie zeigt bereits, daß die im 19. Jahrhundert gebräuchlichen Synonyme ›Lebenswelt‹, ›Lebenwelt‹ und ›Lebewelt‹ am Rand der Philosophie, inmitten publikumswirksamer Diskussionen geläufig waren, daß sie darüber hinaus für programmatische wissenschaftliche Ansprüche standen und z.T. äußerst umstrittene Forschungsprogramme zum Ausdruck 314

F. Ratzel, Anthropogeographie, 2. Bd.: Die geographische Verbreitung des Menschen (1891), 21912, S. XIX. 315 Zu verweisen ist beispielsweise auf: F. Ratzel, Anthropogeographie, 1. Bd., Grundzüge der Anwendung der Erdkunde auf die Geschichte (1882), 41921, S. 4, 6, 150; F. Ratzel, Der Lebensraum (1901), 1966, S. 5, 8, 33; F. Ratzel, Die Erde und das Leben, 1901, S. 50, 351-368. 316 »Die Gesamtheit der Lebensgebiete ordnet sich also vom Standpunkt der ökologischen Tiergeographie folgendermaßen: Der Lebensraum (Biosphäre) umfaßt die drei großen Lebenskreise (Biocyklen) Meer, Binnengewässer und Land; in diesen werden, nach der Ähnlichkeit des Habitus, Lebensbezirke (Biochoren) unterschieden, die zu Hauptbezirken vereinigt oder in Unterbezirke gespalten werden können, und ihnen werden Gebiete mit einheitlichen äußeren Lebensbedingungen (Standortsfaktoren) als Lebensstätten (Biotope) unterschieden, deren Abstufungen als Facies benannt werden sollen. Die Bevölkerung dieser Gebiete stuft sich in ähnlichem Maß ab. Dem Lebensraum entspricht die ganze Lebewelt, Pflanzen- und Tierreich«; R. Hesse, Tiergeographie auf ökologischer Grundlage, 1924, S. 142 f; zum weiteren Gebrauch von ›Lebewelt‹, der auch hier mit ›Lebenswelt‹ zusammenfällt vgl. S. 28, 99-126.

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brachten. Versucht man sich die damalige Aktualität des Ausdrucks zu verdeutlichen, so drängt sich der Vergleich zu heute gebräuchlichen, häufig feuilletonistischen Schlagworten auf. Wenn beispielsweise auf Schritt und Tritt von ›Globalisierung‹ gesprochen wird, so ist damit die zunehmende Verknüpfung ökonomischer Prozesse gemeint, die alte Ordnungsschemata, wie etwa die des Religiösen oder die des Politischen als obsolet erscheinen lassen. Für strukturell Vergleichbares steht auch der Ausdruck ›Lebenswelt‹ im Übergang zum 20. Jahrhundert. Es sind nicht mehr die alten Klassifikationen der Biologie, die die ›regna‹ des Lebens zu unterscheiden helfen, es ist die ›Lebenswelt‹, die aus ihrer historischen Entwicklung heraus selbständig ihre natürlichen Ordnungen im Sinne eines Prozesses generiert. Und ähnlich wie ›Globalisierung‹ heute in aller Munde ist, so war es auch ›Lebenswelt‹ – wenngleich zuerst außerhalb des akademischen Philosophierens. Die Entedeckung und Erforschung der ›Lebenswelt‹, wie sie die Biologie und Paläontologie vorstellt, könnte vor diesem Hintergrund geradezu als die Globalisierung des 19. Jahrhunderts gekennzeichnet werden.

* Der Übergang in den philosophischen Diskurs – die nach Ehrenberg und Darwin nun dritte Eröffnungsinszenierung, die mit dem Ausdruck ›Lebenswelt‹ verbunden wird – gestaltet sich an der Schnittstelle zum Monismus. Der naheliegende Eindruck, daß bei den Monisten nur ›die Welt des organischen Lebens‹, die ›Organismenwelt‹, die ›Tierwelt‹ oder ›Pflanzenwelt‹ diskutiert wird, während in der Philosophie ein völlig neuer, absolut anders gearteter Begriff der ›Lebenswelt‹ gestiftet oder erfunden wird, täuscht. Denn es steht nicht etwa ein biologischer Lebensweltbegriff getrennt neben einem philosophischen; der Ursprung des philosophischen ist vielmehr mit dem naturwissenschaftlichen Begriff der Monisten gegeben und entwickelt sich aus den damit verbundenen Diskussionen. Denn unklar blieb bei allen euphorischen Äußerungen der materialistisch gesinnten Monisten – paradigmatisch ist hier natürlich Büchner, aber auch Haeckels ›kosmologischer Monismus‹ –, inwieweit die ›Lebenswelt‹ als organische Materie gefaßt werden kann, welchen erkenntnistheoretischen Status das Selektionsgesetz innerhalb der Entwicklungstheorie besitzt, inwieweit sich ›Leben‹ ›mechanisch‹ erklären läßt und was ›Leben‹, besonders hinsichtlich des menschlichen Erlebens eigentlich bedeuten kann.317 Wiederum ist es Karl Joël, der 1912 in seiner Schrift Seele und Welt die philosophische Aufnahme dieser Probleme mit ausdrücklichem Bezug auf den 317

Hier auch können sich Anknüpfungspunkte an Diltheys Gedankengänge ergeben, die ebenfalls nichts anderes als den Aufweis der »Lebenseinheit« in historischer Perspektive zum Ziel haben; vgl. W. Dilthey, Das Wesen der Philosophie (1907), 81990, S. 341.

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Ausdruck ›Lebewelt‹ fordert. Denn die Einheit des organischen Lebens in der geschichtlichen Entwicklung ist, so Joël, nicht nur eine wichtige Entdeckung der Wissenschaften, sie fordert auch eine neue philosophische Analyse von ›Welt‹ und ›Leben‹. Die vorliegenden monistischen Deutungen aber bleiben nach Joël in ihrer materialistischen Ausrichtung und ontischen Verklärung der Genese unzureichend: »Es ist an der Zeit, die Konsequenz des 19. Jahrhunderts zu ziehen, das man das historische benennen darf und das die Evolution bis an die Grenzen der ›organischen‹ Natur getragen. Es ist an der Zeit, nicht nur die Menschenwelt, nicht nur die Lebewelt, nein auch die Welt als Geschichte zu begreifen. […] Die Lebewelt im engeren Sinne aber zeigt sich als Einheit ja nicht bloß in der Einheit des Stammbaums, kraft deren ›alle lebende Substanz unter sich aufs engste verwandt‹, ja nur verschiedener ›Ausdruck der Lebenssubstanz‹ unter verschiedenen ›Bedingungen‹ ist. Doch die Lebewesen wachsen nicht nur auseinander, sie leben auch immer wieder ineinander.«318 Der Bezug auf den Darwinismus resp. Monismus ist nicht zu übersehen, wenn Joël fordert, die Konsequenz aus dem 19. Jahrhundert zu ziehen. ›Lebewelt‹ ist der Ausdruck jener Denker, die in der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Einheit des Lebens als seiendem und im Seienden nachgehen. Nun, so Joël, muß die philosophische Reflexion und Kritik beginnen. Die in der Biologie, Botanik und Paläontologie herausgestellte Einheit dürfe nicht naturalistisch verklärt werden, ebenfalls solle man sie nicht mit ›Naturgesetzen‹ verdecken oder sie ›mechanisch‹ zu erklären suchen. Das Leitbild, das Joël sich aus den stammesgeschichtlichen Untersuchungen vorgeben läßt, ist eindeutig benannt – der »Ineinanderklang von Gegensätzen«319; und auch der Ort dieser neuen ›Lebewelt‹ wird von ihm vorgestellt – die ›Seele‹ als Ort des ›Erlebens‹, denn die »Seele erlebt sich nur an einer Welt«320. Worum es Joël philosophisch geht, ist nicht der Rückgang auf eine unbeschadete ›heile Welt‹, sondern die erkenntniskritische Aufarbeitung des Anspruchs, den die Monisten mit der ›Lebenswelt‹ öffentlich gemacht haben. Es geht um die Sicherung des Begriffs von ›Leben‹ als einer Kategorie, die eben nicht mehr nur ontisch gekennzeichnet wird, sondern epistemologisch aufzuweisen ist. Joëls Rede von dem »Zwischenreich«321 als genau die318

K. Joël, Seele und Welt, 1912, S. 369f. – Und auch bei H. Keyserling zeigt sich, daß genau dann von ›Lebewelt‹ in der Philosophie gesprochen wird, wenn es um die Problematik monistischen Denkens und das Programm der Einheit des Lebens in seiner stammesgeschichtlichen Entwicklung geht; vgl. H. Keyserling, Das Gefüge der Welt (1905), 21920, S. 42f. Anm. 1; vgl. weiterhin den Gebrauch von »Lebewelt« in T. K. Österreich, Das Weltbild der Gegenwart (1920), 21925, S. 78. 319 K. Joël, Seele und Welt, 1912, S. 121. 320 Ebd., S. 137. 321 Ebd., S. 88ff.

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ser Sphäre, in der die Gegensätze von Dasein und Leben als Einheit – eben als ›Lebewelt‹ – begriffen werden, verdeutlicht die Argumentationsrichtung. Der ›Rückgang auf die Lebenswelt‹ ist dergestalt nicht ein Rückgang in ein weltliches Paradies, das Anliegen drückt vielmehr das Bemühen aus, die ontischen Verklärungen der Monisten aufzuheben, und eine Sphäre zwischen schlicht seiender Natur und bloß seiendem Leben zu suchen, die auch in aktualer und historischer Perspektive ›Einheit‹ stiftet. Damit ist die dritte, nun die philosophische Eröffnungsinszenierung vorbereitet und nimmt ihren Lauf. ›Lebewelt‹ und ›Lebenswelt‹ bezeichnen die Sphäre des Lebens, aus der als einer aktualen wie historischen Einheit sich Gegensätzliches entwickelt. Diese Einheit ist nicht mehr ontisch festgeschrieben oder ›mechanisch‹ erklärt, sie ist vielmehr hinsichtlich des Seienden neutral. Die methodische Sicherung dieser neuen ›Lebenswelt‹ jenseits des Seienden ist jedoch noch fraglich, und sie beschäftigt nicht nur das Philosophieren Joëls. Denn das Unterfangen, das Joël im Ausgang vom Monismus und mit Blick auf den Terminus ›Lebewelt‹ inszeniert, fundiert ebenso das Euckensche Philosophieren. Wenn Haeckels Kollege in Jena, Rudolf Eucken, ebenfalls auf den Monismus als Gegenpart rekurriert,322 zwischen der »Eigenwelt« sowie der »Daseinswelt« des Menschen unterscheidet, so ist das Vinculum bei ihm die »Lebenswelt«, die »jenseit [sic] des bloßen Menschentums mit seiner Zerstreuung und seinen Gegensätzen« nicht liegt, sondern ein Schaffen erst ermöglicht.323 Die Euckensche ›Lebenswelt‹ ist keine produktive Tätigkeit im Dasein, jenseits dessen fundiert sie allererst als ›Welt des Erlebens‹ Tätigkeiten im Dasein. Versucht man die terminologischen Verquickungen in Euckens Schriften aufzulösen, so zeigt sich die Charakterisierung Fellmanns bestätigt. Wenn Fellmann bemerkt, daß bei Eucken die »Frage der Wiederherstellung einer verlorengegangenen Einheit von Mensch und Welt expliziert wird«324, so ist dem zuzustimmen. Ergänzend wäre hinzuzufügen, daß diese Einheit keine Einheit im Dasein, sondern eine provisorische Einheit im Leben als Erleben ist. Eucken geht es gerade um die Entzauberung eines falschen Paradieses, das sich in den Einheitsphantasien Haeckels artikulierte. 322

R. Eucken, Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt (1896), 41921, S. 18: »Was sich heute mit besonderem Nachdruck Monismus nennt, wird so rasch fertig nur, weil es außer der sinnlichen Natur lediglich ein an die Individuen verstreutes und ihrer Erhaltung dienstbares Seelenleben kennt, weder eine Gemeinschaft geistigen Lebens noch eine Entfaltung geistiger Arbeit in der Geschichte. Bei Preisgebung so bedeutender Stücke der Wirklichkeit ist eine Einheit des Ganzen mühelos erreichbar. Es fragt sich nur, ob diese Einheit mehr als Einbildung ist.« – Auch hier findet sich wieder die Betonung der Einheit, die freilich neu gedacht werden muß und von ontischen Verklärungen freizuhalten ist. 323 R. Eucken, Mensch und Welt, 1918, S. 345f. 324 F. Fellmann, Gelebte Philosophie in Deutschland, 1983, S. 73.

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Der Euckensche Rückgang auf die ›Lebenswelt‹ ähnelt demgemäß – wie auch bei Joël – einer Destruktion der wissenschaftlichen Erklärungen und Dogmatisierungen des organischen Lebens. Demgemäß kann und muß Eucken auch schreiben, daß die »Lebenswelt‹ »zugleich im Menschen und über dem Menschen«325 liegt – sie ist nämlich nicht das, was schlicht da ist.326 In diesem Sinne empfehlen weder Joël noch Eucken den Rückgang auf ein übersehenes Biotop, in das der Mensch flüchten könne; sie diskutieren vielmehr den Begriff des Lebens im Zwischenreich des Erlebens an etwas; und beide verwenden bereits in Ansätzen und implizit eine Methode, die Husserl später auf den Begriff bringt – die Reduktion. Jedoch bleiben sowohl Joël als auch Eucken nicht in der ›reduzierten Einstellung‹, da immer wieder ontische Charakteristika des ›Erlebens‹ vorgenommen werden, wie beide ebenso nicht die Strukturform des Erlebens, die Intentionalität, zum Aufweis bringen können. Die sich bei Joël und Eucken ankündigende dritte Eröffnungsinszenierung, die mit dem Ausdruck ›Lebenswelt‹ verbunden wird, wendet sich gegen die Dogmatisierung von ›Lebenswelt‹, wie sie insbesondere mit Haeckels Gedankengängen in Verbindung zu bringen ist. Freilich fehlen Eucken wie Joël die geschliffenen Instrumente, positiv ›Lebenswelt‹ zu kennzeichnen. Hier wird Husserls Phänomenologie mit ihren ausführlichen Methodenanalysen einen Ausweg suchen,327 indem die vermittels der Reduktion adäquat verstandene ›Lebenswelt‹ mit und in dem ›Leben einer funktionalen Subjektivität‹ gegeben ist, die in ihrer historischen Entwicklung – wie in allen Funktionen, in denen sie auftritt – eine Einheit, jedoch eine intentional verfaßte, garantiert. Zwar wird man Husserl keinen Mikroskopiker der ›Lebenswelt‹ nennen können in dem Sinne, wie Ehrenberg es einer war, auch wird man Husserl schwerlich als einen Paläontologen oder Paläzoologen bezeichnen 325

R. Eucken, Mensch und Welt, 1918, S. 346. Ebd., S. 393f. – In einem ähnlichen Sinne, mit Blick auf die Trennung von ›Daseinswelt‹ und ›Lebenswelt‹, benutzt übrigens auch Simmel in seiner Schrift über Die Religion den Ausdruck ›Lebenswelt‹. Simmel diagnostiziert eine gleichsam wesensmäßige Pathologie des Religiösen, die darin besteht, daß das Religiöse sich nicht als eine »autonome Lebenswelt‹ verwirklichen kann, sondern stets mit anderen Dogmen und »Welten« – im Sinne von Realitäten – in Konflikt gerät. Simmel grenzt in diesem Kontext die »autonome Lebenswelt« explizit von »realistischen« Behauptungen ab, die jedoch notwendigerweise das Religiöse korrumpieren; vgl. G. Simmel, Die Religion (11906, 21912), 1995, S. 45f. 327 Husserl meidet freilich eine unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Monismus Haeckelscher Provenienz; daraus aber zu schließen, die zeitgenössischen Diskussionen seien ihm gänzlich unbekannt, ist falsch. So verweist Husserl gerade in der Programmschrift Philosophie als strenge Wissenschaft auf Haeckel, der als »Naturalist lehrt, predigt, moralisiert, reformiert« (Hua XXV, S. 10). Husserl aber knüpft seine »kritischen Analysen natürlich nicht an die mehr populären Reflexionen philosophierender Naturforscher an«, er beschäftigt sich »mit der in wirklich wissenschaftlichem Rüstzeug auftretenden gelehrten Philosophie« (Hua XXV, S. 12). 326

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wollen,328 wie er ebenso nicht eine Anthropogeographie im Stile Ratzels verfaßt hat. Gleichwohl werden aber bereits vor Husserl Konnotationen in der wissenschaftlichen und philosophischen Semantik des Ausdrucks ›Lebenswelt‹ sichtbar, die auch der Phänomenologe mit dem fraglichen Ausdruck verknüpft. Hierzu gehört der Topos von der ›verdeckten Lebenswelt‹, die es erst aufzudecken gilt – in Ehrenbergs Fall bezogen auf den kleinen, unsichtbaren Raum, bei Darwin und Haeckel mit Blick auf die verdeckte Stammesgeschichte, in Euckens Denken hinsichtlich des Lebens als Erlebens. Weiterhin implizierte bereits vor Husserl die Rede vom ›Rückgang auf die Lebenswelt‹ ein Durchbrechen der Wirklichkeit auf die Genese des Wirklichen. Und schon bei Joël und Eucken kommt ein Rückgang vor die Wissenschaften ins Spiel, jedoch nicht ein Rückgang ins Dasein, sondern zum Erleben desselben. Schließlich war bereits den Monisten die ›Lebenswelt‹ die letzte und sicherste Invariante im Sinne eines Lebensmonismus. Doch es gilt, noch auf ein weiteres aufmerksam zu machen. Die Verbindung von ›Krisis‹ und ›Lebenswelt‹, wie sie von Husserl in der Krisis der europäischen Wissenschaften unter dem mehrdeutigen Schlagwort vom notwendigen ›Rückgang auf die Lebenswelt‹ vollzogen wird, ist ebenfalls bereits vor Husserl, wenn auch nur implizit gegenwärtig. So sind es einerseits die Monisten selbst, die die ›Krise‹ der sich auseinander entwickelnden Wissenschaften mit ihrem Einheitsdenken im Ausgang von der ›Lebenswelt‹ sanieren wollen, wie zugleich im Anschluß an die Propaganda der Monisten die Gegner desselben eine ›Krise‹ beschwören, die der Monismus mit seinen unausgewiesenen Reduktionsimen hervorruft.329 Husserls Philosophie läßt sich gleichsam inmitten dieser Auseinandersetzungen plazieren. Mit der Verwendung von ›Lebenswelt‹ wird ein wissenschaftliches Schlagwort des 19. Jahrhunderts aufgegriffen und sozusagen gegen die Wissenschaften gestellt, indem es in einem neuen Sinne interpretiert wird – als Phänomen einer funktionalen, sich jedoch personal manifestierenden Subjektivität auf der Grundlage der Intentionalität.330 Damit wird ein weiterer Begriff von ›Welt‹, wie er sich im 19. Jahrhundert in dem Bereich entwickelt hat, der zuvor als ›Welt328

Obgleich Husserl um den Gebrauch des Terminus ›Lebewelt‹ in diesen Diskussionen wußte; in den Ideen beispielsweise spricht Husserl von »hypothetischen Zeichnungen, die der Paläontologe von dahingegangenen Lebewelten auf Grund dürftiger Data entwerfe« (Hua III, S. 129). Zu der problematischen Konjektur dieses Ausdrucks in ›Lebewesen‹, die Schuhmann anläßlich der Neuedition der Ideen vorschlägt, vgl. E.W. Orth, Edmund Husserls ›Krisis der europäischen Wissenschaften‹, 1999, S. 134. 329 Vgl. z. B. H. Wolff, Kosmos, 1. Bd., 1890, S. VII; G. Spicker, Der Kampf zweier Weltanschauungen, 1898, S. 1 ff; E. Adickes, Kant contra Haeckel (1901), 21906; R. Eucken, Mensch und Welt, 1918, S. V. 330 Vgl. hierzu die Ausführungen zur ›Lebenswelt‹ bei Husserl am Ende der Arbeit in dem Abschnitt ›Lebenswelt‹ und ›Weltleben‹, S. 226ff.

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kenntnis‹ bekannt war, zum einen hinsichtlich seiner positiven, wissenschaftlichen Ergebnisse aufgegriffen, zum anderen aber mit Blick auf die verborgenen Dogmatismen wieder ›verflüssigt‹ und auf die (subjektiven) Leistungen hin aufgebrochen, die ›Welt‹ dem Sinne nach ermöglichen. Die historischen Belege zum Ausdruck ›Lebenswelt‹ können derart die bisherigen Deutungen mit Blick auf die Phänomenologie ergänzen. Der Ausdruck ›Lebenswelt‹ zeigt tiefreichende Probleme an, die sich zwischen der Philosophie und den Wissenschaften vom Leben im Übergang zum 20. Jahrhundert ergeben haben. Der hiermit eröffnete philosophische Fragehorizont ist mit dem Begriff des ›Lebens‹ und der ›Einheit des Lebens‹ als und in einer ›Welt‹ gegeben. Es handelt sich u. a. um die Frage, wie die aktuale Lebenswirklichkeit des Lebens und Erlebens adäquat aufgewiesen werden kann; es handelt sich des weiteren um das Problem, wie die historische Genese des Lebens und Erlebens als einheitliches zu umgreifen ist; schließlich ist es der Begriff von ›Welt‹ der aus einer neuen Perspektive problematisch wurde. Bereits vor Husserl steht also die ›Lebenswelt‹ auf dem Prüfstand der Philosophie und der Wissenschaften. Aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht ist es tatsächlich ein Verdienst Husserls, daß er ›Lebenswelt‹ zum Thema macht; aber aus methodischer Sicht bleibt zu beachten, wie und mit welchen Methoden er ein öffentlich diskutiertes Grundlagenproblem phänomenologisch angeht.

c) Der ›natürliche Weltbegriff‹ Bereits der Ausdruck ›Lebenswelt‹ zeigt in seiner historischen Entwicklung, daß er auch im Sinne einer ›natürlichen Welt‹ verstanden werden kann. ›Lebenswelt‹ als ›natürliche Welt‹ läßt sich einerseits, wie z. B. im Falle Haeckels, auf ›die Natur‹ beziehen; andererseits jedoch kann der Ausdruck, wie beispielsweise bei Eucken, auch als etwas ›Natürliches‹ in expliziter Kontraposition zur gegenständlichen ›Natur‹ begriffen werden. Von der Analyse eines philosophisch einschlägigen ›natürlichen Weltbegriffs‹ als eines einheitlichen Verständnisbegriffs von ›Welt‹, auf dem wissenschaftliche wie philosophische Projekte gründen, aus dem sie sich entwickeln und der als Prüfstein für dieselben fungiert, kann in diesem Kontext jedoch noch nicht gesprochen werden. Wenngleich Heidegger in Sein und Zeit davon spricht, daß »die Ausarbeitung der Idee eines ›natürlichen Weltbegriffes‹« bislang ein »Desiderat« der Philosophie bezeichne, das diese zwar »seit langem« »beunruhigt«, »bei dessen Erfüllung sie aber immer wieder versagt«331, so versäumt er es doch, auf Avenarius und seine Schriften auch nur aufmerksam zu machen. Denn be331

M. Heidegger, Sein und Zeit (1927), 161986, S. 52; vgl. auch unten S. 115, Anm. 333.

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sonders im Horizont monistischen Philosophierens begleitet die Rede von ›Welt‹ resp. ›Lebenswelt‹ eine Konnotation, die mit den Untersuchungen zum ›natürlichen Weltbegriff‹, wie sie von Richard Avenarius vorgestellt werden, explizit gemacht wird: in Frage steht die über alle Objekte gültige Seinsthese, die gesetzt wird, wenn ›Welt‹ bezeichnet wird. Damit reflektiert Avenarius in wissenschaftskritischer Manier den Monismus aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und er formuliert einen bislang latenten Gedanken ausdrücklich: ›Welt‹ ist zuvörderst eine einheitliche Realität, und mit ›Welt‹ wird ›Bewußtsein‹, ›Subjekt‹, ›Mensch‹, ›Ding‹ oder ›Sachverhalt‹ als ›Vorgefundenes‹ auf derselben Ebene als seiend gesetzt. Mit diesen Untersuchungen aber sprengt Avenarius zugleich das naiv positivistische Gewand, in das man ihn gern stecken möchte. Will man seinen Schriften und Ausführungen auch nur im Ansatz gerecht werden,332 so ist es unumgänglich, ihn geradezu als einen Fundamentalpositivisten zu begreifen, der aus dem Diesseits des Seienden die generell gültige Seinsthese zu extrahieren sucht, die dem Vorgefundenen als Seiendem zugesprochen wird.333 Damit erringen die Ausführungen von Avenarius eine außergewöhnliche Stellung in der Geschichte des philosophischen Weltbegriffs. In ihnen findet sich eine Kritik von ›Welt‹ angedeutet, indem der Empiriokritizist ›Welt‹ als Setzung beschreibt, wodurch das Subjekt sich als Seiendes in Seiendes einstellt. Erbringt damit einerseits dasjenige direkt zum Ausdruck, was die monistischen Wissenschaften im Übergang zum 20. Jahrhundert z. T. nicht explizit machen – die ›Einstellung‹ des Menschen in ›Welt‹ als einen Komplex von Seiendem; gleichzeitig aber eröffnen die Untersuchungen eine neue Perspektive, diesen dogmatischen, auf eine Seinsregion beschränkten Begriff von ›Welt‹ aufzubrechen, indem die Setzungen als von einem Subjekt vollzogene Thesen thematisch werden können. Daneben belegen Avenarius‹ Ausführungen zum ›natürlichen‹ bzw. ›menschlichen Weltbegriff‹ noch ein weiteres: Daß hier überhaupt ein ›Weltbegriff‹ zur Disposition steht, spricht nicht gegen die

332

Im folgenden kann nur ein Bruchteil dessen angedeutet werden, was Avenarius an philosophischen Ergebnissen zutage fördert. Eine vollständige Auslegung der schon (unnötigerweise) sprachlich sperrigen Philosophie des Empiriokritizisten kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden. Mit Blick auf die Geschichte des Weltbegriffs und hinsichtlich der Problementfaltung innerhalb der Phänomenologie wird die Darstellung sich einschränken müssen. 333 Vgl. hierzu auch die Bemerkung Husserls vom 31. Dezember 1931 in D. Cairns, Conversations with Husserl and Fink, 1976, S. 63, wo Husserl auf die Abhängigkeit der Phänomenologie von Avenarius aufmerksam macht und Heidegger vorwirft, diesen gemeinsamen Ursprung zu verleugnen: »Husserl objected that Heidegger did not mention either Avenarius or Husserl when speaking of the natural world-picture, but treated it as a matter of common knowledge rather than something developed by these two philosophers. Husserl acknowledges his own debt to Avenarius.«

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These von der Verweltlichung ohne ›Welt‹, wie sie für das 19. Jahrhundert als Interpretationsrahmen vorgeschlagen wurde, sie belegt sie vielmehr. Denn nur vor diesem Hintergrund kann der Versuch von Avenarius verstanden werden, ›Welt‹ wieder als einen Begriff für die Philosophie zu sichern. Daß damit zwar ein Begriff von ›Welt‹ fixiert werden konnte, jedoch auf Kosten eines weiterreichenden philosophischen Themas, das ebenso mit ›Welt‹ verbunden werden muß, dies wird besonders in Husserls phänomenologischer Kritik an Avenarius deutlich werden. Freilich stellt allein die Rede von dem ›natürlichen Weltbegriff‹ auch eine Verführung dar, der sich in den ersten Dezennien des 20. Jahrhunderts nur wenige Philosophen entziehen konnten.334 Insinuiert doch nun ›das Natürliche‹ zugleich das sachlich ›Richtige‹, und meint man mit dem ›Natürlichen‹ ineins das ›Selbstverständliche‹ und damit das einzig dem Gehalt nach ›Wahre‹ getroffen zu haben. Besonders mit der weiteren Ausdifferenzierung der Einzelwissenschaften im ausgehenden 19. Jahrhundert und ihren unterschiedlichen ›Weltbildern‹ schien so das ›natürliche Verständnis‹ von ›Welt‹ Halt und einen festen Ausgangspunkt zu versprechen. Nicht zufällig aber spricht Avenarius im Menschlichen Weltbegriff vom »Standpunkt des (›philosophisch‹ unbeeinflussten) psychophysiologischen Experimentators oder des Psychiaters«, den es einzunehmen gilt, um gegen jedwede idealistische Versuchung, »den natürlichen Ausgangspunkt aller wissenschaftlichen Untersuchung«335 zu gewinnen. Die von Avenarius eingeforderte Ausnahmestellung ist nötig, um den Kern seines ›Weltbegriffs‹ zu erfassen. Abzusehen ist von den subjektiven ›Verunreinigungen‹ der reinen Erfahrung, um den unvermeidlichen, allumfassenden Restbestandteil zu erblicken, der stets und notwendigerweise den letzten und ersten Inhalt des Weltbegriffs ausmacht – die einheitliche Seinsthese.

334

Rückgänge auf eine ›natürliche Welt‹ resp. Ausgänge von einem ›natürlichen Weltbegriff‹ finden sich in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bei den verschiedensten Autoren; dabei werden Analysen von ›natürlichen Weltauffassungen‹, ›natürlichen Weltbildern‹ und ›natürlichen Weltanschauungen‹ im Gegensatz zu ›wissenschaftlichen Weltbildern‹ ebenso populär, wie die systematische Klärung der Begriffe oft unklar bleibt; insbesondere die Identifikation von ›natürlichem Weltbegriff‹ mit ›natürlicher Weltanschauung‹ bereitet nicht unerhebliche Schwierigkeiten; vgl. zu dem unterschiedlichen Gebrauch und der zunehmenden Vermischung der Begriffe etwa: H. Dingler, Der Glaube an die Weltmaschine und seine Überwindung, 1932, S. 17f.: »In dieser natürlichen Weltauffassung ist alles wirklich da: die Dinge, die Welt, die Menschen in ihrer ganzen natürlichen Gegebenheit«; H. Driesch, Der Mensch und die Welt, 1928, S. 1ff.: Kapitel: ›Das natürliche Weltbild‹; M. Frischeisen-Köhler, Wissenschaft und Wirklichkeit, 1912, S. 49ff: zur Reflexivität innerhalb des ›natürlichen Weltbildes‹; G. Misch, Der Weg in die Philosophie, 1926, S. 13ff.: Kapitel ›Der Durchbruch durch die natürliche Einstellung‹. 335 R. Avenarius, Der menschliche Weltbegriff (1891), 41927, S. VIf.

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Avenarius interessieren deshalb auch nicht collagierte Inhalte der ›menschlichen‹ oder der ›natürlichen Erfahrung‹; es ist nicht die Beschreibung einer ›natürlichen Welt‹ dem Gehalt nach, die der Empiriokritizist sich vornimmt. Thematisch wird letztendlich ›nur‹ die Ausschaltung eines ungerechtfertigten Dualismus von Seiendem, der die Seinseinheit des ›natürlichen Weltbegriffs‹ transzendiert, ohne sie zuvor erfaßt zu haben. Damit auch verliert die Rede von einer ›natürlichen Welt‹ – zumindest wenn man sich auf Avenarius beruft – den Charme, den man ihr allzu gern zugestehen möchte; denn das Thema ist nicht eine ›natürliche Welt‹, wie sie sich in den alltäglichen, wechselnden und spezifischen Erfahrungsinhalten niederschlägt; Avenarius’ Sache wird demgegenüber »nur der allgemeine Inhalt der Erfahrung – des Vorgefundenen sein«: »Der allgemeine Inhalt des Vorgefundenen, welcher uns zu beschäftigen hat, wird also ein Begriff von denkbar grösster Setzbarkeit sein: der philosophische Weltbegriff im Gegensatz zum naturwissenschaftlichen. Nicht mit der Welt, – sofern sie – gleichgültig hier mit welchem Recht – als ein Einzelding gedacht wird; sondern mit der Welt, sofern sie Inhalt eines Begriffs zu sein scheint – nicht auf die Lösung des ›Weltproblems‹, sondern auf die Lösung des ›Welträtsels‹ wird sich unsere Betrachtung beziehen.«336 Dieser ›philosophische Weltbegriff‹ antwortet auf die Frage ›Was ist alles?‹; und die einzig sinnvolle Antwort, die gegeben werden kann, lautet: ›Alles ist dies‹.337 Der Weltbegriff, so das Ergebnis von Avenarius, trifft immer zu, da er die universal gültige, wenn auch inhaltsleere Seinsthese zum Ausdruck bringt. Im Rückgang auf den ›natürlichen Weltbegriff‹ – und korrelativ im Ausgang von einem ›anfänglichen Weltbegriff‹ – versucht Avenarius genau dies zu erweisen:338 Der Weltbegriff drückt die unvorgreifliche und zugleich unvermeidliche Seinseinheit des Seienden vermittels einer Setzung aus. Der Blick des ›philosophischen Psychiaters‹, wie ihn der Empiriokritizismus propagiert, richtet sich dabei nicht auf die ›natürliche Welt‹, er richtet sich vielmehr zuerst in einem ›anfänglichen‹ Verständnis von ›Vorgefundenem‹ ein. Bereits die Möglichkeit dieser Blickumstellung, die jedoch von Avenarius nicht eigens ausgewiesen wird, garantiert in nuce den Erfolg – die Gleichschaltung aller Objekte in der Art des ›Vorgefundenen‹. Nicht im Gegensatz zu einer ›natürlichen Welt‹ beginnt Avenarius zu philosophieren, das 336

Ebd., Nr. 5, S. 2 f. – In der Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmasses heißt es: »Der philosophische Begriff enthält die Welt nur in der abstrakten Form des Gemeinsamen aller Einzeldinge, die Naturwissenschaft aber als Einzelding selbst«; R. Avenarius, Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes (1876), 21903, Nr. 46, S. 33. 337 Vgl. R. Avenarius, Der menschliche Weltbegriff (1891), 41927, Nr. 193 Abs. 5, S. 112f., Nr. 198, S. 114. 338 Ebd., Nr. 200, S. 115: »Der natürliche Weltbegriff dürfte demnach als der reine Universalbegriff anzunehmen sein.«

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Subjekt stellt sich vielmehr in einem ersten Schritt der Beschreibung als gleichartig mit anderen Vorkommnissen dar. Aus einer Umgebungsperspektive unter Ausschaltung subjektiver (Zusatz-)Leistungen im Sinne von geistigen Formungen oder seelischen Deutungen – die Avenarius mit dem Ausdruck ›Introjektion‹ bezeichnet339 – zeigt sich der ›natürliche Weltbegriff‹ als ein einheitlicher. Nicht Typen von Seiendem stehen sich unverbunden gegenüber, die Vorkommnisse werden in einem einheitlichen Horizont gleichgestellter Objekte erfahren. Daß subjektive Deutungen ausgeschlossen werden müssen, ist aus der Sicht von Avenarius evident. Deutungen müssen sich auf ›Etwas‹ richten; doch Substanzialitäten in der Form eines bloßen ›Etwas‹ können nicht vorgefunden werden. Und insofern ist die Rede von ›Deutungen‹ oder ›Beseelungen‹ zumindest problematisch, wenn nicht gar widersinnig.340 Der ›anfängliche Weltbegriff‹, der sich »noch in der Form mit der lebendigen Anschauung«341 deckt, stellt sich derart als ›Umgebung‹ dar, in der schlichte Koordinationsverhältnisse herrschen resp. horizontale Beziehungen zu konstatieren sind; nicht jedoch zeigen sich hier dem unbelasteten Blick vertikale ›Introjektionen‹, die Dualismen von Seiendem konstruieren oder bereits getrennte Gebiete des Seienden zu überbrücken suchen: »Ich mit all meinen Gedanken und Gefühlen fand mich inmitten einer Umgebung. Diese Umgebung war aus mannigfaltigen Bestandteilen zusammengesetzt, welche untereinander in mannigfaltigen Verhältnissen der Abhängigkeit standen. Der Umgebung gehörten auch Mitmenschen an mit mannigfaltigen Aussagen; und was sie sagten, stand zumeist wieder in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Umgebung. Im übrigen redeten und handelten die Mitmenschen wie ich: sie antworteten auf meine Fragen wie ich auf die ihren; sie suchten die verschiedenen Bestandteile der Umgebung auf oder vermieden sie […] Alles, wie ich selbst auch: und so dachte ich nicht anders, als dass Mitmenschen Wesen seien wie ich – ich selbst ein Wesen wie sie.«342 Was Avenarius hier unter dem Stichwort des ›anfänglichen Weltbegriffs‹ vorstellt, kann und darf keineswegs mit einer Reduktion einer vermeintlich subjektunabhängigen ›Welt‹ auf eine subjektive ›Umgebung‹ identifiziert werden. Das Ansinnen Avenarius‹ präsentiert sich als ein radikaleres und mündet in dem genauen Gegenteil – der fast vollständigen Gleichschaltung 339

Ebd., Nr. 40ff., S. 26ff. Aus diesem Grund wird die ›Substanz‹ durch die ›Empfindung‹ ersetzt: »Das Seiende war anerkannt worden als mit Empfindung begabte Substanz; die Substanz fällt weg, es bleibt die Empfindung: das Seiende wird demnach als Empfindung zu denken sein, welcher nichts Empfindungsloses mehr zu Grunde liegt«; R. Avenarius, Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes (1876), 21903, Nr. 116, S. 65. 341 R. Avenarius, Der menschliche Weltbegriff (1891), 41927, Nr. 7, S. 5. 342 Ebd., Nr. 6, S. 4f. 340

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von ›Ich‹ und ›Umgebung‹. Denn erst wenn gezeigt werden kann, daß andere Weltbegriffe (wie etwa mythische, religiöse oder metaphysische) Variationen des ›anfänglichen Weltbegriffs‹ sind, und auch erst dann, wenn aufgewiesen wird, daß derartige Variationen nachträgliche Konstruktionen darstellen, zeigt sich der ›anfängliche Weltbegriff‹ als ›natürlicher Weltbegriff‹. Dieser ›natürliche Weltbegriff‹ zeichnet sich dadurch aus, daß in ihm nicht mehr ein ›Ich‹ konstruktive Leistungen in einem Jenseits des Seienden vollzieht, sondern das als ›Ich-Bezeichnete‹343 nur noch in Koordinationen mit ›Vorgefundenem‹ auftritt – das Ich ist vorgefunden, wie die Dinge mit ihm vorgefunden sind. Eine Subjektivierung kann man demgemäß Avenarius nicht unterstellen; am besten spricht man von einer subjektiven Freisetzung des Weltbegriffs in ontischer Absicht, so daß ›Ich‹ und ›Vorgefundenes‹ als Weltinhalte gleichgestellt werden und bezüglich ihrer ontologischen Verfaßtheit nicht variieren. In einem ersten Schritt versucht demnach Avenarius zu zeigen, daß die »Introjektion« (die ›Beilegung‹, ›Einlegung‹ oder ›Beseelung‹) den ›anfänglichen Weltbegriff‹ variiert, da durch dieselbe »die natürliche Einheit der empirischen Welt nach zwei Richtungen gespalten« wird: »in eine Außenwelt und eine Innenwelt, in das Objekt und das Subjekt«344. Diese »Urverdopplung«, die ein System fortlaufender Verdopplungen nach sich ziehen und zu zwei unabhängigen Seinsarten im Sinne eines Dualismus führen kann,345 läßt sich sanieren oder therapieren, wenn die ›Introjektion‹ ausgeschaltet und durch die ›empiriokritische Prinzipialkoordination‹ ersetzt wird. Diese ist es, die den ›anfänglichen Weltbegriff‹ vorurteilslos der Struktur nach umschreiben kann: »Diese Zusammengehörigkeit und Unzertrennlichkeit der Ich-Erfahrung mit der Umgebungserfahrung in jeder Erfahrung, welche sich verwirklicht; diese prinzipielle Zuordnung und Gleichwertigkeit beider Erfahrungswerte, indem beides: Ich und Umgebung zu jeder Erfahrung, und zwar im selben Sinne gehören; mit Einem Wort: diese aller Erfahrung eigentümliche 343

Die provokante Rede vom ›Ich‹ als ›Ich-Bezeichneten‹ – also die sprachliche Fassung der These, daß dem ›Ich‹ keine eigenständige Substanz entspricht – hat bereits bei den Anhängern von Avenarius Irritationen ausgelöst; vgl. W. Schuppe, Die Bestätigung des naiven Realismus. Offener Brief an Herrn Prof. Dr. Richard Avenarius (1893), in: R. Avenarius, Der menschliche Weltbegriff, 41927, S. 135–177. – Avenarius‹ Position ist eindeutig; in seiner Antwort auf den Offenen Brief Schuppes ist zu lesen: »Auf die Frage: ›Was ist das Ich?‹ vermöchte ich auch heute nur zu antworten: Das ›Ich‹ ist ein sprachlicher Ersatz einer hinzeigenden Geste – ein Wort«; R. Avenarius, Der menschliche Weltbegriff, 21927, S. 174–177, hier: S. 175. In diese Diskussion zwischen Schuppe und Avenarius griff auch Rudolf Willy ein, der Avenarius‹ Position verteidigt und Schuppe polemisch unterstellt, daß dieser sich wohl selbst »in einer geistigen Krisis« befinde, da er sich nicht zwischen einer ›Ich-Philosophie‹ und dem Positivismus entscheiden könne; vgl. R. Willy, Das erkenntnistheoretische Ich und der natürliche Weltbegriff, 1894, S. 3. 344 R. Avenarius, Der menschliche Weltbegriff (1891), 41927, Nr. 47, S. 29. 345 Ebd., Nr. 77, S. 41.

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Koordination, in welcher das ›Ich‹-Bezeichnete das eine (relativ) konstante Glied, ein Umgebungsbestandteil – z. B. das ›Baum‹- oder ›Mitmensch‹- Bezeichnete – das andere relativ wechselnde Glied bildet, bezeichne ich als die empiriokritische Prinzipialkoordination.«346 Im Gegensatz zur ›Introjektion‹, die mindestens eine Verdopplung von Seinsarten bewirkt und damit den ›anfänglichen Weltbegriff‹ variiert, meint Avenarius mit der ›empiriokritischen Prinzipialkoordination‹ denjenigen Begriff gefunden zu haben, der die ursprünglichen Phänomene adäquat beschreibt, ohne zu einer Duplizität von ›Welten‹ im Sinne von abgetrennten Gebieten des Seienden zu führen. Denn die Bezüge von einem als Substanz gedachten Ich auf ebenfalls substantialisierte Objekte lassen sich nach Avenarius auflösen in eine ontisch gleichgeschaltete, seinsmonistische Beschreibung von Koordinationsverhältnissen. Indes, ein Glied dieser Koordination trägt auch bei Avenarius explosive Ladung – das ›Ich‹ resp. das als ›Ich-Bezeichnete‹. Diesen Umstand stellt der Empiriokritizist in Rechnung, er macht sich den Befund sogar zu nutze, indem er das als ›Ich-Bezeichnete‹ als ein ›Zentralglied‹ der ›Koordination‹ herausstellt: »›Ich‹ und ›Umgebung‹ sind nicht nur beide im selben Sinn ein Vorgefundenes, sondern auch beide immer ein Zusammen-Vorgefundenes; keine vollständige Beschreibung von Vorgefundenem […] kann ein ›Ich‹ enthalten, ohne dass sie auch eine ›Umgebung‹ dieses ›Ich‹ enthielte – keine vollständige Beschreibung von Vorgefundenem kann eine ›Umgebung‹ enthalten, ohne ein ›Ich‹, dessen ›Umgebung‹ sie wäre, mindestens doch desjenigen der das Vorgefundene beschreibt. Diese prinzipielle Koordination, deren Gegenglieder das ›Ich‹-Bezeichnete und die ›Umgebung‹ sind, ist als empiriokritische Prinzipialkoordination bezeichnet worden – das als ›Ich‹ bezeichnete Glied derselben als Zentralglied, die Bestandteile der zugehörigen ›Umgebung‹ als Gegenglieder.«347 Doch so sehr Avenarius jede Art »wilde Philosophie«348 – d.h. eine Philosophie, die einen zügellosen Rückgang auf ein allbeherrschendes ›Ich‹ jenseits des Seienden empfiehlt – ablehnt, so mehrdeutig bleiben nicht wenige seiner Formulierungen. Wenn Avenarius beispielsweise versucht, das zuletzt eingeführte ›Zentralglied‹ mit einem Beispiel zu verdeutlichen, so fällt es schwer, der eingeforderten Gleichschaltung des ›Ich‹ noch Folge zu leisten – die horizontale ›Koordination‹ scheint unterderhand durch eine vertikale ›Konstitution‹ ersetzt worden zu sein: »Man kann sich wohl eine ›Gegend‹ denken, ›welche noch kein menschlicher Fuß betrat‹ – aber um eine solche Umgebung 346

Ebd., Nr. 148, S. 83f. R. Avenarius, Bemerkungen zum Begriff des Gegenstandes der Psychologie (1894/1895), in: ders., Der menschliche Weltbegriff, 41927, S. 191. 348 Ebd., S. 256. 347

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denken zu können, bedarf es doch eines ›Ich‹-Bezeichneten, dessen ›Gedanke‹ sie wäre.«349

*

Natürlich konnte das Projekt von Avenarius nicht ohne Widerspruch bleiben. Ein Problem, das sich hier andeutet, wurde von Frischeisen-Köhler explizit zum Ausdruck gebracht: »Die reine Erfahrung ist in keiner Erfahrung gegeben.«350 Obgleich diese Bemerkung zutrifft, sie kann die Leistung von Avenarius nicht schmälern, ja, der Empiriokritizist könnte als Fundamentalpositivist Frischeisen-Köhler sogar zustimmen. Denn die fundamentalpositivistischen Untersuchungen wirken darauf hin, einen Standpunkt jenseits subjektivistischer Engführungen zu artikulieren, von wo aus erst verständlich werden kann, daß ›Subjekt‹ und ›Objekt‹ gleichermaßen als seiende begriffen werden können. Beide sind gleichursprünglich vorgefunden; und beide werden mittels des Weltbegriffs als seiende gesetzt. Insofern ist die reine Erfahrung in allen Erfahrungen gegeben, wie sie zugleich selbst keine einzelne Erfahrung sein kann. Es ist Manfred Sommer zuzustimmen, wenn er die Untersuchungen von Avenarius phänomenologisch liest und das folgende, an Husserl erinnernde, dazu ausführt: »Der Weltbegriff trifft immer zu, aber er sagt nichts aus. Das aber heißt: er ist das universale Vorurteil […] das unausrottbare Vorurteil: er entsteht ja gerade durch die Reinigung der Erfahrung von allen Vorurteilen; das unbestimmbare Vorurteil: nichts von dem, was man wissen kann, kann sein Inhalt sein. Der Weltbegriff ist das absolute Vorurteil.«351 – Denn er bringt die Seinsthesis zum direkten Ausdruck. Diese zeichnet als universale und allgemein gültige die ›natürliche Einstellung‹ im Sinne einer Einordnung

349

Ebd., S. 191 Anm. M. Frischeisen-Köhler, Wissenschaft und Wirklichkeit, 1912, S. 51. 351 M. Sommer, Husserl und der frühe Positivismus, 1985, S. 42. – Vgl. hierzu Husserls Äußerung aus dem Jahre 1924, Hua VIII, S. 461, worin sowohl die Aufnahme des Empiriokritizismus als auch die phänomenologische Ausführung aus diesem Projekt angedeutet werden: »Die Totalität aller wirklichen und noch zu begründenden positiven Wissenschaften ist bezogen auf die Welt […] Sie sind also alle Zweige der einen naiven Weltwissenschaft, deren Naivität wir auch dahin beschreiben können, daß sie in allen ihren Zweigen, in allen ihren Erkenntnissen und Erkenntnisstufen, in allen ihren noch so exakten Theorien auf einem universalen ›Vorurteil‹ ruht – einem vorprädikativen, prädikativ nie ausgesprochenen, aus der Naivität natürlicher Erfahrung geschöpften Erfahrungsglauben, dessen Geltung – als Geltung des jeweiligen Inhalts oder Sinnes – nie nach seinem Ursprung befragt worden ist. D. h.: Es ist nie das erfahrende Leben danach befragt worden, wie in ihm selbst der Seinssinn ›Welt‹ nach Inhalt und Geltung zustande kommt, wie das universale Leben überhaupt aussieht, durch das für mich und uns Welt, Universum von Realitäten des und des individuellen Sinnes und der und der Formstrukturen ist […] Die Welt ist, das ergibt die phänomenologische Umstellung, das universale Vorurteil der Positivität […]«. 350

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in ›Welt‹ als einen Komplex von Seiendem aus; und insofern ist sie zugleich der (problematische) Inhalt des philosophischen Weltbegriffs. Genau an diesem Punkt aber scheiden sich die Geister. Joseph Petzoldt, der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts mit seinen Schriften352 nicht nur die Philosophie von Avenarius faßlicher darstellen wollte, sondern sie auch in einem populären Mix mit anderen positivistischen Strömungen zu harmonisieren suchte, wirft dem 1896 verstorbenen Empiriokritizisten vor, daß dessen ›natürlicher Weltbegriff‹ aufgrund des vermeintlich fehlenden Inhalts sinnlos sei und derselbe auch von keinem Subjekt gefaßt werden könne. Auf der anderen Seite würdigt Edmund Husserl das Ergebnis von Avenarius, indem er die ›Generalthesis der natürlichen Einstellung‹ der Phänomenologie zugrunde legt. Zum Nukleus phänomenologischen Philosophierens erklärt er jedoch den ›psychiatrischen Blick‹ von Avenarius als ›phänomenologische Einstellung‹. Der utopische Standpunkt, von dem die Seinsthese als These erst verständlich werden kann, der jedoch bei Avenarius nicht eigens geklärt wurde, gewinnt seit den Ideen in der transzendentalen Phänomenologie im Rückgang auf die sich vollziehenden, die ›lebendigen‹ intentionalen Erlebnisse einen Anhalt an einer funktionalen Subjektivität. Aus diesem Grund kann Husserl auch, wie er es in einem Fragment ausführt, die ›Lebenswelt‹ im Sinne eines intentionalen Vollzugs von Subjektivierungen und Objektivierungen als die (eigentliche) ›natürliche Welt‹ kennzeichnen.353 Petzoldt, so sehr er an Avenarius anknüpft, weicht mit Blick auf die Thesen zum Weltbegriff radikal von seinem Vorbild ab. Mit nicht zu übertreffender Deutlichkeit kritisiert er die Erörterungen von Avenarius bezüglich des ›natürlichen Weltbegriffs‹.354 Leicht wird ersichtlich, daß Petzoldt in Avena352

Anzuführen sind hier insbesondere die zweibändige Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung (1900/1904) und das mehrfach aufgelegte Werk Das Weltproblem vom Standpunkte des relativistischen Positivismus (11906, 21912, 31921, 41924). 353 Hua IV, S. 375: »Die Lebenswelt ist die natürliche Welt – in der Einstellung des natürlichen Dahinlebens sind wir lebendig fungierende Subjekte in eins mit dem offenen Kreis anderer fungierender Subjekte. Alles Objektive der Lebenswelt ist subjektive Gegebenheit, unsere Habe, meine, Anderer und in eins allgemeinsamste aller.« 354 Petzoldt, der 1907/1908 auch die Neuauflage der Kritik der reinen Erfahrung besorgt hat, bezieht sich demgemäß vorwiegend auf diese Schrift seines Lehrmeisters. In dem von ihm verfaßten Vorwort zur Kritik der reinen Erfahrung ist unschwer zu erkennen, daß er für den Menschlichen Weltbegriff nur wenig Verständnis findet: »Endlich, das Interesse der besonders philosophisch veranlagten Geister wird heute noch in erster Linie durch das Weltproblem gefesselt. Die sonderbare Frage nach der Realität der Außenwelt drängt alle anderen zurück. Was Wunder, daß man sich da viel eingehender mit einem Buche befaßt, das in der unerträglichen Lage, in die die Philosophie geraten ist, wenigstens Erleichterung verspricht! Und was Wunder, daß, wenn man sich von diesem Buche, dem ›Menschlichen Weltbegriff‹, nun doch nicht erheblich gefördert fühlt, daß man dann den Mut zum Studium der Kr.d.r.Erf. nicht aufzubringen vermag«; J. Petzoldt in: R. Avenarius, Kritik der reinen Erfahrung (1888/1890), 1. Bd., 21907, S. XIf.

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rius’ Philosophieren nicht die metaphysischen Motive und ontologischen Resultate zu erkennen vermag, die letztlich diesen Positivismus als einen Fundamentalpositivismus sui generis auszeichnen: »Es gibt keinen Weltbegriff und kann keinen geben. Und darum gibt es auch in dieser Hinsicht kein Weltproblem oder Welträtsel oder wie man sagen will. Die Frage: was ist alles? ist unlogisch gestellt. Avenarius irrt, wenn er meint, er könne ermitteln, ›was aller Anschauung der Gesamtheit des Vorgefundenen gemeinsam ist‹ […].«355 Das vermeintlich ›Unlogische‹ an dem Verfahren, das Petzoldt bei Avenarius entdeckt, gründet u. a. in dem Fehlen des Gegenglieds, mit dem der postulierte universale Weltbegriff koordiniert werden könnte.356 Demgemäß sei es »gleich verkehrt, von dem All, dem Ganzen, der Welt, von allem ohne Ausnahme irgend etwas oder sein Gegenteil auszusagen« – ›Welt‹ oder ›Gott‹, »das sind nur Namen und Schall und Rauch«357. Muß man Avenarius aus der Perspektive lesen, daß er den Positivismus in den Dienst eines ontologischen Grundlagenproblems stellte, so ist es Petzoldt, der den Positivismus nur noch im Sinne einer Wissenschaftstheorie der empirischen Psychologie verstehen möchte.358 Von dem Weltbegriff zu sprechen, verbietet sich, wenn das Ziel tatsächlich nur noch im Konstatieren von relativen Beziehungen zwischen ›Subjekten‹ und ›Objekten‹ bestehen soll. Natürlich weist Petzoldt mit seiner Kritik auf eine systematische Schwierigkeit bei Avenarius hin. Auch bei Avenarius geht es um Beziehungen resp. Koordinationen, dies zeigt in aller Deutlichkeit die Einführung der ›empiriokritischen Prinzipialkoordination‹. Der ›natürliche Weltbegriff‹ aber wird von Avenarius gleichsam ›unkoordiniert‹ aufgewiesen. Hierauf lenkt Petzoldt die Aufmerksamkeit, wenn er darauf beharrt, daß es »keinen absoluten Standpunkt« geben könne und allein »relative Standpunkte« philosophisch interessant seien: »Wir können die Welt immer nur von dem Standpunkt aus denken, auf dem wir wirklich stehen, nicht von einem Standpunkte aus, auf dem 355

J. Petzoldt, Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung, 2. Bd., 1904, S. 329. »Was die Welt als Ganzes ist, danach zu fragen ist überhaupt unlogisch. Denn für den Begriff, der ihr Wesen zu bezeichnen hätte, würde der Gegenbegriff fehlen müssen, da es sich ja um die Kennzeichnung der Gesamtheit des Gegebenen handeln sollte«; J. Petzoldt, Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung, 2. Bd., 1904, S. 329. 357 J. Petzoldt, Das Weltproblem (1906), 21912, S. 112, 113. – An prominenter Stelle, in Schlicks Allgemeiner Erkenntnislehre, wird übrigens wohlwollend auf dieses Petzoldtsche Argument verwiesen; vgl. M. Schlick, Allgemeine Erkenntnislehre (1918), 1979, S. 370. – Ansonsten begegnet man Petzoldts Thesen auch an anderen, weniger einschlägigen Orten; vgl. z. B. R.H. Francé, Die Welt als Erleben, 1923, S. 116: »›Die Welt ist ein Scheinproblem. Wohl aber existiert ›unsere Welt‹, nämlich der Bios.« 358 »Für uns kann es keine Erkenntnistheorie im Kantischen Sinne geben. Wir kennen Erkenntnistheorie nur in dem engeren Sinne von Erkenntnispsychologie und in dem weiteren einer Theorie, eines systematischen Aufbaues der menschlichen Erkenntnisse überhaupt«; J. Petzoldt, Das Weltproblem (1906), 21912, S. 175. 356

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wir überhaupt uns gar nicht stehend denken können, oder von gar keinem Standpunkt aus.«359 Wer nach dem ›An sich‹ der Welt frage, nehme »eine Stellung zu ihr ein und hebt diese Stellung mit demselben Atemzuge wieder auf, weiß nicht, was er tut, spottet seiner selbst«360. Liegt das Verdienst von Avenarius darin, zusätzlich zu dem Koordinationsgedanken die ›Generalthese‹ über alle Koordinationen hinweg explizit gemacht zu haben, so motiviert das Petzoldtsche Philosophieren allein das Koordinationsapriori. Die subjektive Freistellung von ›Welt‹, die Avenarius vornehmen mußte, um die universal gültige Seinsthese überhaupt erst erkennen zu können, wird von Petzoldt rückgängig gemacht. Ebenso kann der Nachfolger von Avenarius die Radikalität des ›psychiatrischen Blicks‹ nicht einschätzen. Dieser sollte ja keine Inhalte zutage fördern, sondern eine Unvermeidlichkeit, ein ontologisches Urphänomen, ja vielleicht sogar ein anthropologisches Radikal vorstellen – die Einordnung des Menschen in ›Welt‹ als einen Komplex von Seiendem. Petzoldt zufolge aber kann ›Welt‹ nur noch ein Wort sein, dem einzig eine anzeigende Wirkung zukommt. Ihm geht es um wirkliche Inhalte, und nicht mehr um die unhintergehbare Weltthese. Damit versetzt er den einen Weltbegriff, den Avenarius überhaupt erst wieder gewinnen wollte, in die Beliebigkeit zurück, gegen die Avenarius argumentierte. Gemäß Petzoldt kann sinnvollerweise nicht mehr von dem Weltbegriff gesprochen werden, sondern nur noch von subjektiven, perspektivisch bedingten Weltbegriffen. Und in diesem Sinne ist es auch kein Zufall, ja es ist bezeichnend, daß Petzoldt den ›natürlichen Weltbegriff‹ von Avenarius ersetzt sehen will durch die »natürliche Weltanschauung oder Weltauffassung oder dgl.«361 Damit aber hat er den fundamentalpositivistischen Ansatz von Avenarius zu Grabe getragen und ihm bezüglich der Rezeption einen Bärendienst erwiesen.362

*

Ist es Petzoldt, der Avenarius‹ Philosophie einseitig zu einem Vulgärpositivismus rückentwickelt, so ist es Edmund Husserl, der die Spannung, die sich in dem Philosophieren von Avenarius artikuliert, zur Gänze austrägt – und

359

J. Petzoldt, Das Weltproblem (1906), 21912, S. 186, vgl. S. 198: »Wir haben nur einzusehen, daß wir selbst mitten in dieser Welt stehen, ein Teil von ihr sind und nur von diesem Standpunkt aus unsere Fragen stellen können […].« 360 Ebd., S. 186, vgl. S. 199. – In diesem Sinne ›spottet‹ nicht nur Avenarius seiner selbst, sondern auch Husserl, dessen ›Reduktionen‹ getrieben werden von dem ›Stellung nehmen‹ und ›Stellung aufheben‹. 361 J. Petzoldt, Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung, 2. Bd., 1904, S. 329. 362 Husserl spricht in der Philosophie als strenger Wissenschaft, von der »Flutwelle des Positivismus und des ihn im Relativismus überbietenden Pragmatismus« (Hua XXV, S. 10). Diese Bemerkung läßt sich durchaus auf den relativistischen Positivismus Petzoldts beziehen.

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zuweilen auch daran verzweifelt. Besonders die Phänomenologie repräsentiert den eigenen Selbstvergewisserungen zufolge diejenige philosophische Schule, die jenseits aller ›Standpunkte‹, ›standpunktlos‹,363 im utopischen Zwischenreich der Intentionalität das ›Standpunktnehmen‹, die topischen Anhalte beschreibt und analysiert. Husserl knüpft als ›echter Positivist‹364 an das Programm von Avenarius an, das er als Phänomenologe während seines ganzen Schaffens nicht aus den Augen verloren hat. Seine Hochschätzung der Philosophie von Avenarius reicht von den Prolegomena bis hin zur Krisis, also fast vier Jahrzehnte; und es ist nicht zu übersehen, wie der Phänomenologe sich am Empiriokritizismus abarbeitet, um innerhalb dieser Philosophie einen Ansatzpunkt zu finden, dieselbe (transzendental-)phänomenologisch zu überbieten365 – denn »der Anfang ist bei Avenarius gut, aber er bleibt stecken«366. Ein geheimer Dogmatismus nämlich fundiert aus phänomenologischer Perspektive die Untersuchungen von Avenarius; er äußert sich aber weniger in dem Primat des Seienden, das der ›natürliche Weltbegriff‹ zum Ausdruck 363

Vgl. hierzu Husserls programmatische Erklärung in den Ideen I, wo gegenüber den »Standpunktsphilosophen« darauf hingewiesen wird, daß die Phänomenologie ihren »Ausgang« nimmt »von dem, was vor allen Standpunkten liegt« (Hua III/1, S. 45). – Vgl. ebenfalls die einschlägigen Äußerungen Heideggers zur phänomenologischen Abgrenzung gegenüber ›Standpunkten‹ in M. Heidegger, Sein und Zeit (1927), 161986, S. 27. 364 Hua III/1, S. 45. 365 In den Prolegomena zur reinen Logik scheinen Husserl »in diesen denkökonomischen Theorien [von Mach und Avenarius] wohlberechtigte und in passender Beschränkung sehr fruchtbare Gedanken zu liegen« (Hua XVIII, S. 196); und in der Krisis spricht Husserl von Avenarius’ und Schuppe als »sehr viel ernstlicher gemeinte[n] Versuche[n] einer wesentlich vom englischen Empirismus her bestimmten Transzendentalphilosophie« (Hua VI, S. 198). – In seiner Vorlesung zu den Grundproblemen der Phänomenologie (mit Beilagen, Hua XIII, S. 111–235) aus dem Wintersemester 1910/11, die Husserl selbst auch als »Vorlesungen über den natürlichen Weltbegriff« bezeichnet hat (Hua XIII, S. XXXVI), kommt es in einem Durchgang durch den Positivismus zu einer Überwindung desselben, wie er dann auch kurz darauf in analoger Weise in den Ideen anzutreffen ist. Vgl. auch Husserls Bemerkung aus dem Jahr 1931 oben S. 115 Anm. 333. – Zu Husserls Auseinandersetzung mit Mach und Avenarius sowie der Forschungslage vgl. die anregende Studie von M. Sommer, Husserl und der frühe Positivismus, 1985. 366 Hua XIII, S. 199. – Freilich ist die Rede vom ›Anfang‹ hier mehrdeutig und vermischt sich mit dem ›Ausgangspunkt‹ der phänomenologischen Analysen; der phänomenologische Anfang bekundet sich im Rückgang auf die reduzierten Erlebnisse, den ›Ausgang‹ dafür findet Husserl in dem ›vorgegebenen Seinsboden‹; dieser aber entspricht dem ›Resultat‹ des empiriokritischen Vorgehens von Avenarius; vgl. hierzu die Äußerung Husserls in seinem 1930 veröffentlichten Nachwort zu seinen Ideen: »Selbstverständlich ist der notwendige Ausgang […] der von der natürlich-naiven Einstellung, welche als ›selbstverständlich‹ vorgegebenen Seinsboden (als nie nach diesem Sein befragten die Welt der Erfahrung hat«; und zuvor bemerkt Husserl zum ›Anfang‹, daß dieser »nur werden kann in dem sich selbst besinnenden Anfänger«; Hua V, S. 148f.

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bringt, er manifestiert sich vielmehr in der nicht in radikaler Vorurteilslosigkeit gefaßten Seinsthese, die nur dann wirksam werden kann, wenn sie vollzogen wird. Anders als Petzoldt beginnt Husserl jedoch nicht mit einem ›Subjekt‹, das die These vollzieht, ganz positivistisch und doch streng transzendentalphilosophisch ist es die These selbst, die Thema der Phänomenologie wird. Hieraus entwickeln sich dann erst in einem intentionalanalytischen Verfahren ›Subjekte‹ und ›Objekte‹. Angesichts des historischen Umfelds kann man gleichsam von einer glücklichen Begriffsverwirrung sprechen, wenn Husserl in einer Beilage, die in den Kontext der Ideen II gehört, den Ausdruck ›Lebenswelt‹ mit dem Topos der ›natürlichen Welt‹ korreliert.367 Indem Husserl an dieser Stelle Natur- und Geisteswissenschaft differenziert und in diesen Wissenschaften zwei Strukturmomente unterschiedlicher Dignität unterscheidet – einmal die ›Kausalität‹ im Kontext naturwissenschaftlicher Theoriebildung und einmal die ›Motivation‹ im Gebiet der Geisteswissenschaften –, wagt er doch zugleich einen Blick auf den gemeinsamen Ursprung, der sich bei genauerem Hinsehen als met£basij e„j ¥llo gšnoj unterschiedlicher philosophischer resp. wissenschaftlicher Ansprüche entpuppt: »Die Lebenswelt ist die natürliche Welt – in der Einstellung des natürlichen Dahinlebens sind wir lebendig fungierende Subjekte in eins mit dem offenen Kreis anderer fungierender Subjekte. Alles Objektive der Lebenswelt ist subjektive Gegebenheit.«368 Die Dimensionen und Verwicklungen von ›natürlicher Welt‹ und ›Lebenswelt‹, die Husserl in dem fraglichen Fragment andeutet, bleiben auch für das späte Verständnis der Phänomenologie grundlegend und problematisch. Als objektivierte ›Lebenswirklichkeit‹ kann der Ausdruck ›Lebenswelt‹ – unter Einschluß aller seienden Objekte und Subjekte – die ›natürliche Welt‹ der ›Weltwissenschaften‹ bilden; in diesem Sinne können etwa ›Umwelten‹ untersucht werden. Als ›lebendige Subjektivität‹ resp. Intentionalität aber bezeichnet ›Lebenswelt‹ das nicht-seiende, intentionale Erleben, an dem Beschreibungen und Analysen von Wirklichkeiten vollzogen und dabei auch generiert werden. Es würde ein Mißverständnis der Husserlschen Phänomenologie bezeugen, wenn man die schlichte Trennung beider Dimensionen forderte; auch bliebe man auf einer vorphänomenologischen Stufe stehen, wenn man Husserl entweder auf eine transzendentale oder eine positivistische Beschreibung

367

Es handelt sich um die Beilage XIII in Hua IV, S. 372–377. – Zur problematischen Datierung dieses Schriftstücks, das frühestens 1917 verfaßt sein kann und in dem, soweit bekannt, Husserl erstmals den Ausdruck ›Lebenswelt‹ benutzt, sowie zum frühen Gebrauch von ›Lebenswelt‹ bei Husserl, vgl. G.v. Kerckhoven, Zur Genese des Begriffs ›Lebenswelt‹ bei Edmund Husserl, 1985, hier: S. 184-188. 368 Hua IV, S. 375; eigene Hervorhebung im Zitat.

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von Wirklichkeiten reduzieren wollte.369 Husserls Anliegen reicht tiefer, da das phänomenologische Projekt gleichsam eine Unmöglichkeit auszuhalten sucht: das Denken im Zwischenreich der nicht-seienden Intentionalität, das sich als Intentionalität gleichwohl nur an Seiendem unterschiedlicher Art manifestieren kann. Von einer ähnlichen ›Gleichzeitigkeit‹ sagt Merleau-Ponty einmal, daß sie ein »Geheimnis« sei, »mit dem die Psychologen umgehen wie ein Kind mit Sprengstoff«.370 Wenn auch Husserl in dem fraglichen Fragment nicht explizit von einer Gleichzeitigkeit spricht, so ist sie doch untergründig präsent: »Der natürliche Weltbegriff als ein solcher notwendiger Gültigkeit und als Feld aller möglichen Weltwissenschaften. Und da kehrt auch wieder die menschliche Subjektivität als umweltliche, als leiblich-körperliche naturwissenschaftlich zu erforschen, als leib-seelische psychophysisch, als rein subjektiv doch auch diejenige, die als ›lebendig‹ fungierende Subjekt der Lebenswelt ist [!] und somit auch wieder die Beschreibung dieser [!].«371 Mit dem schlichten Satz ›Die Lebenswelt ist die natürliche Welt‹ verweist Husserl dergestalt auf zwei Forschungsperspektiven, die auch später in Husserls Denken immer wieder zu Äquivokationen führen können.372 Husserl räumt zum einen die Möglichkeit einer positiv-empirischen Deskription ein, die sich auf eine ›Lebenswelt‹ als ›natürliche Welt‹ in dem Sinne richtet, wie sie etwa Soziologie oder Völkerpsychologie zum Thema haben, d.h. wie ›Weltwissenschaften‹ sich auf eine ›natürliche Welt‹ des einheitlich Seienden beziehen. Zum anderen ist es eine ›apriorische Deskription‹, wie sie sich aus der ›Lebenswelt‹ als einer lebendigen Subjektivität selbst entwickelt, die sich im Rahmen einer ›phänomenologischen Fundamentalbetrachtung‹373 aufzeigen läßt – die ›Lebenswelt‹ als ›Welt des Erlebens‹. Derjenige, der diese Gleichzeitigkeit, die Husserl u. a. in der Krisis der europäischen Wissenschaften die ›Paradoxie der menschlichen Subjektivität‹374 nennen wird, angedeutet, jedoch nicht radikal genug gedacht hat, und der demgemäß mit dem Phänomen zuweilen umgeht, ›wie das Kind mit Spreng-

369

Mit Blick auf Husserls Schriften bedeutet dies, daß die Ideen I nur hinsichtlich der Ideen II verständlich werden können und daß die in den Ideen II durchgeführten Untersuchungen nur evident sein können im Rückblick auf die Ideen I. 370 M. Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist (1961), 1984, S. 313. 371 Hua IV, S. 376. 372 Vgl. hierzu U. Claesges, Zweideutigkeiten in Husserls Lebenswelt-Begriff, 1972, S. 89, 97. – Vgl auch die wegweisende und kenntnisreiche Untersuchung von K. Schuhmann, Die Fundamentalbetrachtung der Phänomenologie, 1971, worin der Autor die sich hier andeutende ›Krise‹ innerhalb der Phänomenologie selbst zum expliziten Austrag bringt. 373 Hua III/1, S. 56ff. 374 Vgl. den §53 in der Krisis: ›Die Paradoxie der menschlichen Subjektivität: das Subjektsein für die Welt und zugleich Objektsein in der Welt‹ (Hua VI, S. 182–185.).

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stoff‹, ist Richard Avenarius. Husserl trägt diesen Widerspruch aus, ohne ihn wie beispielsweise Petzold zu leugnen, indem er dort einsetzt, wo Avenarius aufhört: bei dem Vollzug der ›Seinsthese‹ resp. dem Erleben der ›Weltthese‹ selbst. Insoweit steigt der Phänomenologe in den Positivismus hinein bzw. hinab, um ihn dennoch zu überbieten, so daß Husserls »Ergebnis« letztendlich »die totale Umkehrung der Lehre von Avenarius«375 vorstellen wird. Die ›natürliche Welt‹ des Empiriokritizisten kann Husserls Analysen zufolge nur denkbar sein im Sinne eines »natürlichen Weltlebens«376 – d.h. im Vollzug der Weltthese. Nicht kann bei dem ›natürlichen Weltbegriff‹ stehen geblieben werden, nicht soll man wie Avenarius darin ›stecken bleiben‹; der Positivismus ist durchzuspielen, er ist gleichsam zu simulieren, d.h. zu erleben, um dann zur (transzendentalen) Subjektivität zu kommen.

d) ›Weltanschauung‹ Es ist zugleich ungewöhnlich und bezeichnend, daß Heinrich Gomperz im Jahre 1905 eine »Kosmotheorie« – ein Unterfangen, das hinsichtlich der Systematik an die Metaphysik des 18. Jahrhunderts erinnert, – unter dem Titel einer Weltanschauungslehre vorstellt. Diese ist nicht nur im Übergang zum 20. Jahrhundert äußerst umstritten, sie thematisiert gemeinhin auch andere als traditionell metaphysische Fragestellungen.377 Einerseits strebt Gomperz im Ausgang von dem Befund vorliegender ›Weltanschauungen‹ eine systematische, auf Wahrheit abzielende Prüfung derjenigen Grundlagen an, die es gestatten von ›Welt‹ zu sprechen, andererseits aber bezeichnet er dieses Unterfangen selbst als eine ›Weltanschauungslehre‹, deren Ziel es sei, eine ›Weltanschauung‹ zu begründen. Gomperz, der nicht ohne Grund von Avenarius sagt, daß dieser »als die bedeutendste philosophische Erscheinung seit Hegel anerkannt«378 werden müsse, präsentiert eine »kritische und dogmatische Disziplin«379, die im Gegensatz zu vergleichenden oder beschreibenden Untersuchungen eine Weltanschauungslehre als »Wissenschaft« – und im Gefolge: eine wissenschaftlich gesicherte ›Weltanschauung‹ – zu begründen sucht. In Abgrenzung von zeitgenössischen Bemühungen, worin nach Gomperz die Bedingungen gegebener ›Weltanschauungen‹ bloß festgestellt werden, handelt die Weltanschauungslehre im projektierten Sinne von den »Tatsachen«, insofern sie als

375 376 377 378 379

Hua IX, S. 474. Ebd. H. Gomperz, Weltanschauungslehre, 1. Bd., 1905, S. 1. Ebd., S. 36. Ebd., S. 4.

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Ereignisse objektiv stattfinden.380 Doch nicht direkt werden diese ›Tatsachen‹ zum Problem. Gomperz bespricht dieselben in dem Sinne, wie sie gegeben sind: als begriffliche oder gedankliche »Tatsachennachbildungen«, wie sie die Wissenschaften, aber auch das »praktische Leben« immer schon vollzogen haben. Unter dieser Prämisse ist die ›Weltanschauungslehre‹ oder ›Kosmotheorie‹ »sekundär«, »und das sie beherrschende Interesse kann nur ein solches sein, welches das Vorhandensein anderer, primärer Wissenschaften schon voraussetzt«381. In geradezu schulphilosophischer Manier behandelt Gomperz unter diesen Rahmenbedingungen – oder besser: unter der Voraussetzung bestehender ›Weltanschauungen‹ – ›Substanz‹, ›Identität‹, ›Relation‹ und ›Form‹, als diejenigen Begriffe, die einer ›Kosmotheorie‹ zugrunde liegen und die als solche dem Ziel dienen, »einen widerspruchslosen Zusammenhang aller jener Gedanken herzustellen, die von den Einzelwissenschaften sowie vom praktischen Leben zur Nachbildung der Tatsachen verwendet werden«382. Ohne daß an dieser Stelle die spezifische – von Gomperz als »pathempirisch«383 bezeichnete – Methode im einzelnen ausgeführt werden muß, zeigt sich, daß ein Projekt unter dem Namen einer ›Weltanschauungslehre‹ vorstellig wird, das hinsichtlich des Aufbaus demjenigen der traditionellen Schulphilosophie durchaus ähnelt. Bezeichnenderweise aber gründet das Unterfangen auf einem anderen Fundament, wie die Gliederung eine charakteristische Abwandlung erfährt. Eine erfahrungswissenschaftliche Psychologie fungiert nunmehr als Grundlagendisziplin im Sinne der Metaphysica generalis, der sich dann die ›Noologie‹, die ›Ontologie‹ und die ›Kosmologie‹ im Horizont einer Metaphysica specialis anschließen.384 Unter dem Stichwort der Kosmotheorie geht es Gomperz vermittels einer psychologischen Betrachtung um die Sicherung derjenigen Begriffe, die es ermöglichen, von ›Welt‹ zu sprechen. Die vorliegenden Perspektiven, wie sie in den Wissenschaften als gedankliche Nachbildungen von Tatsachen präsent sind, versucht Gomperz auf ihre Funktionen zu zentrieren, mit denjenigen des ›praktischen Lebens‹ zu synchronisieren, indem die grundlegenden Begriffe selbst als psychologische Tatsachen thematisch werden. Lassen sich die Untersuchungen von Avenarius zum ›natürlichen Weltbegriff‹ als eine Kritik von ›Welt‹ im Kontext der Wissenschaftsentwicklung des 19. Jahrhunderts begreifen, so daß ein dogmatischer Weltbegriff auf seine 380

Ebd., S. 4 f. Ebd., S. 14. 382 Ebd., S. 17. 383 Vgl. ebd., S. 305ff. 384 Ebd., S. 408 ff.; im Jahre 1908 veröffentlicht Gomperz noch den ersten Teil seiner Noologie; das vollständige Projekt unter Einschluß der Ontologie und Kosmologie kam jedoch nicht zu einem Abschluß. 381

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universale Realitätsthese hin erst freigelegt wird, und kann man Gomperz’ Untersuchungen als ein Projekt deuten, diese Wissenschaftsentwicklung auf ihre grundlegenden, psychologisch geläuterten Begriffe zu bringen, so verbinden sich über diese beiden Projekte hinaus im Übergang zum 20. Jahrhundert mit dem Ausdruck ›Weltanschauung‹ philosophische Ansprüche, worin ›Welt‹ als ›Weltanschauung‹ insbesondere den subjektiven und natürlichen Kenntnissen nach erfaßt wird. Neben dem ›natürlichen Weltbegriff‹, vermittels dessen eine einheitliche Realität über alle Objekte hinweg gesetzt wird, und neben einer ›kosmotheoretischen Untersuchung‹ im Gomperzschen Sinne, worin eine metaphysische Fundamentalbetrachtung der grundlegenden Begriffe auf dem Boden der Psychologie in Angriff genommen wird, artikulieren sich vermittels der ›Weltanschauungen‹ mögliche Strukturen von ›Welt‹ als immer schon subjektiv konstituierte Regionen natürlicher Erfahrung. Es ist aber gerade die Disziplinierung der ›Weltanschauung‹ resp. der ›Weltanschauungen‹ im Rahmen einer eigenständigen philosophischen (Grund-)Lehre, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nicht wenige Probleme hervorrief; u. a. handelte es sich um die Frage, die mit Blick auf Husserls Phänomenologie von Interesse ist, und die auch den Empiriokritizismus begleitet: Wie können ›mögliche‹ und je verschiedene Perspektiven in einer Disziplin analysiert werden, die aufgrund ihres Vorgehens keinen gesicherten Standpunkt für ihren eigenen Ansatz ausweisen kann? Bricht bei Avenarius die Paradoxie auf, den unhintergehbaren wirklichen Standpunkt aus einer nicht gesicherten möglichen Perspektive zu untersuchen, so zeigt sich in den Diskussionen um die ›Weltanschauungen‹ die Schwierigkeit, die möglichen Perspektiven vermittels eines als irrelativ ausgewiesenen Standpunkts abzusichern.385 Dies ist das Problem der mit dem Schlagwort des Relativismus belegten ›Weltanschauungslehre‹, wie sie sich besonders im Ausgang von Diltheys Untersuchungen und im Übergang zum 20. Jahrhundert entwickelt. In den Kontroversen um eine derartige Philosophie – worin es weniger um ›Welt‹ als einen Begriff der Philosophie, sondern um ein Philosophieren im Begreifen von ›Welt‹ als Erschließen von Sinndimensionen geht – geriet jedoch zuweilen der systematische Stellenwert von ›Weltanschauung‹ als eines philosophischen Grundlagenbegriffs ins Abseits. Angesichts des inflationären Gebrauchs von ›Weltanschauung‹, wie er sich spätestens ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts einstellt, liegt die

385

In diesem letztgenannten Verständnis steht ›Weltanschauung‹ dem ›natürlichen Weltbegriff‹ von Avenarius entgegen. Insofern muß die Ersetzung des ›natürlichen Weltbegriffs‹ durch ›Weltanschauung‹, die Petzoldt als Weiterführung des Programms von Avenarius vorschlägt, wenn nicht als eine Aufhebung, so doch zumindest als eine Neuinterpretation des genuin empiriokrititischen Anliegens angesehen werden; vgl. oben S. 123f.

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Deutung nahe, daß es den Denkern dieser Epoche – und auch nicht wenigen Philosophen der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts – nicht so sehr um einen philosophischen Weltbegriff als vielmehr um eine ›Weltanschauung‹ im Sinne einer neuen Versicherung der offensichtlich mit der Wissenschaftsentwicklung verlorengegangenen ›Weltkenntnis‹ ging. Dies wird auch dadurch belegt, daß die Begriffsgeschichte von ›Weltanschauung‹ mehr noch als diejenige von ›Welt‹ unmittelbar eingebettet ist in die Diskussionen des kulturellen Lebens und Schaffens und deren reflexive Selbstbehauptung und Selbstversicherung – bis schließlich die ›Weltanschauungslehre‹ ›Kultur‹ selbst zum Thema macht, während sich zugleich der Terminus technicus ›Weltanschauung‹ zum methodischen Instrument einer Kulturphilosophie wandelt. Gerade weil ›Weltanschauung‹ dergestalt nicht einen Begriff von ›Welt‹ ersetzt, ›Welt‹ vielmehr als variable Fragestellung herausgestellt wird, belegen auch in diesem Fall die philosophische Entwicklung des Ausdrucks und die Umdeutungen resp. Einordnungen, die der Terminus im Laufe der Zeit erfahren hat, die These von einer Verweltlichung ohne ›Welt‹ – d.h. einer Ausdeutung von ›Welt‹ als Anzeige von Sinnstrukturen mit unterschiedlicher semantischer Dichte und hinsichtlich primärer Orientierungsleistungen, jedoch ohne terminierenden Endpunkt. Auffassungen, Perspektiven, Blickwinkel werden – häufig jenseits der Wissenschaften und zumeist diesseits natürlicher, primärer Kenntnisse – zum Thema und eröffnen zukünftige Forschungshorizonte, worin eingedenk des Rechts eines ›natürlichen Weltbegriffs‹ – als einer Einordnung des Menschen in Seiendes – ›Welt‹ den subjektiven Möglichkeiten und Sinngliederungen nach einer Kritik unterzogen werden kann. Dieses letztgenannte Projekt ist jedoch selbst nur eine Perspektive; es findet sich im 19. Jahrhundert nur angedeutet bzw. angelegt, Husserls Phänomenologie wird es systematisch in Angriff nehmen.

* Alfred Götze beschließt 1924 – sozusagen auf dem Kulminationspunkt der sogenannten ›Weltanschauungsphilosophie‹ – seinen immer noch einschlägigen und lehrreichen Abriß der Geschichte des Ausdrucks ›Weltanschauung‹ mit den verheißungsvollen Worten, daß »durch nun schon mehr als dreizehn Jahrzehnte die philosophische Fachsprache wie das gebildete Deutsch weiter Kreise aus der Kantischen Wortschöpfung in der Umprägung durch romantische Philosophen und Dichter gleicherweise bedeutsamen Gewinn gezogen« haben; und zuversichtlich fügt er hinzu, daß das »glücklich gebildete, eine merkwürdige Lücke sachgemäß füllende Wort […] in der Geschichte des deutschen Geisteslebens seinen wichtigen Platz behalten«386 werde. Die 386

A. Götze, Weltanschauung, 1924, S. 50. – Zur Geschichte des Ausdrucks ›Weltanschauung‹ vgl. weiterhin E.W. Orth, Ideologie und Weltanschauung, 1989; Hinweise auf die

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quantitative Verbreitung des fraglichen Ausdrucks im 19. Jahrhundert sprengt zwar alle numerischen Maße, und ›Weltanschauung‹ macht besonders in operativer Anwendung eine unvergleichliche Karriere; dennoch war die Vokabel bereits frühzeitig umstritten, wie auch die Hoffnung Götzes, der Ausdruck möge ›seinen wichtigen Platz‹ in der philosophischen Terminologie behalten, sich aus heutiger Perspektive wohl nicht erfüllt hat. Bereits 1851 spricht Friedrich Hebbel von dem »Wort Welt-Anschauung« als einem Ausdruck, der im »aesthetischen Katechismus« »viel Unheil angerichtet« hat; und der Dichter wehrt sich schon zu jener Zeit vehement gegen den Vorwurf, er sei mit seinen Schriften »der albernen Jagd auf eine Welt-Anschauung«387 verfallen. Freilich knüpft die von Hebbel diagnostizierte ›alberne Jagd‹ nach einer ›Weltanschauung‹ nur noch rudimentär an die Bedeutung von ›Weltanschauung‹ an, in der Kant den Ausdruck erstmals gebraucht hat und in der er noch bei Alexander von Humboldt eine selbstverständliche Anwendung findet, wenn dieser in einer im weiteren Sinne ästhetischen Feststellung konstatiert: »Das Auge ist das Organ der Weltanschauung.«388 Mit dieser Auskunft stellt v. Humboldt sich in die Tradition des Kantischen Gebrauchs von ›Weltanschauung‹.389 Kant hat durchaus ähnliches im Sinn, wenn er in der Kritik der Urteilskraft die Anschauung eines ›mundus visibilis‹ in dem Abschnitt zur Grössenschätzung der Naturdinge, die zur Idee des Erhabenen erforderlich ist, zum Thema macht.390 Der Transzendentalphilosoph unterscheidet in diesem Exkurs zur Ästhetik des Erhabenen die Größenschätzung durch Zahlbegriffe, die mathematischer Natur ist, von derjenigen »in der bloßen Anschauung (nach dem Augenmaße)«391, die genuin ästhetischen Kriterien folgt. Die Größenbestimmung der Mathematik kennt kein Größtes, da die Zahlenreihe »ins Unendliche« geht, »aber für die ästhetische Größenschätzung gibt es allerdings ein Größtes«; und von diesem sagt Kant »daß, wenn es als absolutes Maß, über das kein größeres subjektiv (dem beurteilenden Subjekt) möglich sei, beurteilt wird, es die Idee des Erhabenen bei sich führe, und diejenige Rührung, welche keine mathemati-

Wortgeschichte, finden sich ebenfalls in W. Gent, Weltanschauung, 1931, und M. Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie (1927), 1975, S. 5–14. 387 F. Hebbel, Abfertigung eines aesthetischen Kannegießers (1851), 1970, S. 405. 388 A. v. Humboldt, Kosmos, Bd. 1 (1845), 1993, S. 65. 389 Strenggenommen kann man bei Kant noch nicht von einem ›Gebrauch‹ des Terminus sprechen, da er den Ausdruck – so weit bekannt – nur einmal benutzt hat; aber dennoch lassen sich die Grenzen des übergeordneten ›Sprachspiels‹ erkennen; vgl. auch unten S. 133, Anm. 396. 390 I. Kant, Kritik der Urteilskraft (11790, 21793), Weischedel-Ausg., Bd. 8, Akad.Ausg., Bd. 5, A 84ff., B 85ff. 391 Ebd., A 84 f., B 85f.; eigene Hervorhebung.

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sche Schätzung der Größen durch Zahlen […] bewirken kann, hervorbringe«392. Kant verweist als Beispiel auf den erhabenen Eindruck, den der Anblick einer Pyramide begleiten kann. Hier wird deutlich, daß die visuelle Größenschätzung und die mit ihr verbundene ästhetische Qualifikation von der Stellung des erfahrenden Subjekts zum sinnlich aufgefaßten Objekt abhängt. Ein adäquates Gleichgewicht zwischen »Auffassung (apprehensio) und Zusammenfassung (comprehensio aesthetica)« ist nötig, anschaulich »ein Quantum in die Einbildungskraft aufzunehmen, um es zum Maße, oder, als Einheit, zur Größenschätzung durch Zahlen brauchen zu können«393. Eine mathematische Beurteilung der Größenverhältnisse kann nicht die ›Erhabenheit‹ der Anschauung gewährleisten; sie kann zwar zu einer mittelfristig stabilen »comprehensio logica in einem Zahlbegriff« führen, nicht jedoch die ›comprehensio aesthetica‹ im Sinne einer die Erhabenheit fundierenden Ganzheit konstituieren.394 Es ist ein besonderes Vermögen des Gemüts anzunehmen, welches zu der ›Weltanschauung‹ als einer sinnlichen Anschauung hinzutritt, und das es gestattet, das Unendliche der Sinnenwelt als Ganzes und dergestalt auch Erhabenes denken zu können: »Das gegebene Unendliche aber dennoch ohne Widerspruch auch nur denken zu können, dazu wird ein Vermögen, das selbst übersinnlich ist, im menschlichen Gemüte erfordert. Denn nur durch dieses und dessen Idee eines Noumenons, welches selbst keine Anschauung verstattet, aber doch der Weltanschauung [!], als bloßer Erscheinung, zum Substrat untergelegt wird, wird das Unendliche der Sinnenwelt, in der reinen intellektuellen Größenschätzung, unter einem Begriffe ganz zusammengefaßt, obzwar es in der mathematischen durch Zahlenbegriffe nie ganz gedacht werden kann«395. ›Weltanschauung‹, so zeigen diese Ausführungen, ist mit ›Weltsicht‹ resp. ›Weltbetrachtung‹ verwandt.396 Unter dem Titel ›Weltanschauung‹ handelt Kant von der sinnlichen Anschauung eines komplexen Gegenstandes, der in

392

Ebd., A 85 f., B 86f. Ebd., A 86, B 87. 394 Ebd., A 90, B 91. 395 Ebd., A 91 f., B 92f. 396 Unter Berücksichtigung dieses semantischen Horizonts kann man Kant zwar die Wortprägung von ›Weltanschauung‹ zuschreiben, jedoch wird mit dem Ausdruck kein gänzlich neuer Sinn gestiftet; als auf der Sinnlichkeit fundiertes Nomen actionis, wie es noch in diesem Kontext bei Kant auftaucht, verweist ›Weltanschauung‹ u. a. auf den Ausdruck ›Weltbetrachtung‹. Vgl. z. B. I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788), Weischedel-Ausg., Bd. 6, Akad.-Ausg., Bd. 5, A 290. »Die Weltbetrachtung fing von dem herrlichsten Anblicke an, den menschliche Sinne nur immer vorlegen […]«; vgl. weiterhin die noch älteren Verweise zu ›Weltbetrachtung‹ in J. Grimm, W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 28, 1955, Sp. 1549ff. 393

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einer (abschließbaren) Reihe von sinnlichen Eindrücken erfaßt wird – ›Weltanschauung‹ betrifft demnach nichts dergleichen wie ›die ganze Welt‹, auch ist hier natürlich nicht eine rein intellektuelle oder geistige Anschauung von ›der Welt‹ am Werk.397 Gleichwohl aber erscheint es sinnvoll, wenn Kant im Kontext des 18. Jahrhunderts auch an dieser Stelle von ›Welt‹ spricht, handelt es sich doch um die Reihe der sinnlichen Erscheinungen in der ästhetischen Erfahrung, die in ihrer Zusammengehörigkeit begriffen wird und somit einen Abschluß findet.398

*

Diese aus historischer Perspektive plausible und auch naheliegende Verwendung des Ausdrucks bei Kant ändert sich mit dem Aufkommen des Deutschen Idealismus und mit der Romantik.399 Im Durchgang durch den Deutschen Idealismus ist es nicht mehr in erster Linie die Sinnlichkeit, die den Zugang zu ›Weltlichem‹ als einer erfahrbaren, komplexen Realität gewährt, ›Weltanschauung‹ steht nun für eine geistig fundierte Perspektive im Sinne eines ausgedrückten Verständnishorizonts. Ein derart interpretierender gei397

Der Neukantianer Jonas Cohn kommt zu Anfang des 20. Jahrhunderts noch einmal indirekt auf diesen Gebrauch von ›Weltanschauung‹ zurück, wobei jedoch auch Konnotationen, wie sie im Deutschen Idealismus mit ›Weltanschauung‹ verbunden werden, zu erkennen sind. 1908 warnt Cohn in seinen Voraussetzungen und Zielen des Erkennens davor, unter ›Weltanschauung‹ »eine einheitliche Anschauung der Welt« zu verstehen, denn damit würde »ein Ideal zu Idealem« gesetzt, das dem diskursiven Denken jedoch nicht mehr zugänglich sei. »Weltanschauung kann immer nur eine Art des Anschauens bedeuten, und zwar eine Art des Anschauens, die die einzelnen Realitäten intuitiv als Teile einer ›Welt‹, eines einheitlichen Kosmos erfaßt«; J. Cohn, Voraussetzungen und Ziele des Erkennens, 1908, S. 504; vgl. weiterhin J. Cohn, Der Sinn der gegenwärtigen Kultur, 1914, S. 228; vgl. ebenso die Äußerung von H. Rickert, System der Philosophie, 1. Teil, 1921, S. 25: »Man pflegt in der Beschäftigung mit der Philosophie auch das Suchen nach dem zu sehen, was man eine Weltanschauung nennt. Der Ausdruck scheint seinem Wortlaut nach als ›Anschauung der Welt‹ wenig bezeichnend«; vgl. auch H. Rickert, Grundprobleme der Philosophie, 1934, S. 2 ff. – Wenn in neueren Lexikonartikeln, z. B. T. Mies, Weltanschauung, 1999, S. 1734, davon die Rede ist, daß mit ›Weltanschauung‹ »ein totalisierendes Wissen oder Meinen […] über die Welt in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen und Aspekte« bezeichnet wird, so liegt dieser Definition ein einseitiger Sinn von ›Weltanschauung‹ zugrunde, der sich mehr von einem metaphorisch begründeten Vorurteil als von dem philosophischen Gebrauch des Ausdrucks leiten läßt. Es kann, wie die Belege zeigen, bezweifelt werden, daß mit ›Weltanschauung‹ in seinem philosophischen Verständnis durchweg ein ›totalisierendes Wissen‹ gemeint ist. Denn es ist weniger der thematische oder auch der operative Begriff der ›Weltanschauung‹, der derartiges impliziert (dieser scheint vielmehr regionale Gliederungen nahezulgen); es ist die ›Weltanschauungslehre‹ oder die ›Weltanschauungsphilosophie‹, mit der sich – und dies auch nur teilweise, etwa bei den Monisten (vgl. unten S. 137 Anm. 407) – eine solche Kennzeichnung verbinden läßt. 398 Zu der Reihendefinition von Welt im 18. Jahrhundert vgl. oben S. 41ff. 399 Vgl. dazu P. Menzer, Weltanschauungsfragen, 1918, S. 4ff.; A. Götze, Weltanschauung, 1924, S. 44 f.; E.W. Orth, Ideologie und Weltanschauung, 1989.

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stiger Blick richtet sich in ›Welt‹ als einer fraglosen, noch stummen Ganzheit ein, drückt sich als ›Weltanschauung‹ im Sinne eines ausgesprochenen Verständniskomplexes aus, er bezieht sich jedoch nicht auf eine ›Welt‹ von sinnlichen Objekten. Zugleich wird nicht mehr wie noch bei Kant ›Weltanschauung‹ als vorläufiger Problemfall der ästhetischen Größenschätzung betrachtet; ›Weltanschauung‹ artikuliert nun eine geistige Sicht,400 welche als direkter Ausdruck einer vorprädikativen Konstitution natürlicher Orientierungsleistungen aufzufassen ist. Dergestalt ist es nicht der erkenntniskritisch gebundene Ausdruck ›Welt‹ dem Reihenbegriff nach, der in der Komposition von ›Welt‹ und ›Anschauung‹ thematisch wird, es handelt sich hier um ›Welt‹ im Sinne eines geistigen Horizonts miteinander verknüpfter resp. aufeinander verweisender Bedeutungen. Diese Umdeutung läßt sich anhand der Äußerungen Schellings nachvollziehen. In seinem Ersten Entwurf eines Systems der Naturphilosophie aus dem Jahre 1799 ist der Bezug von ›Weltanschauung‹ auf die Sinnlichkeit noch präsent, wenn Schelling ausführt, »daß unsere Weltanschauung bestimmt ist durch unsere ursprüngliche Beschränktheit, ohne daß wir erklären können, warum wir gerade so beschränkt, warum unsere Weltanschauung gerade diese ist und keine andere«401. Doch bereits in der im selben Jahr verfaßten Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie kann Schelling »die Intelligenz« ihrem Wesen nach auf eine »doppelte Art« bestimmen: »entweder blind und bewußtlos, oder frei und mit Bewußtseyn produktiv; bewußtlos produktiv in der Weltanschauung, mit Bewußtseyn in dem Erschaffen einer ideellen Welt«402. Anklänge an die Sinnlichkeit sind zwar immer noch spürbar, sie treten jedoch mehr und mehr zugunsten einer noch passiven ›Intelligenz‹ in den Hintergrund, um dann 1803 in der Auseinandersetzung mit Dantes Poesie fast gänzlich zu verschwinden und in einer jetzt bewußt geistigen und aktiven Produktivität zu münden: »Wenn die Verbindung der Philosophie und Poesie auch nur in ihrer untergeordnetsten Synthese als Lehrgedicht aufgefaßt wird, so ist […] nothwendig, daß die Absicht (zu lehren) in ihm selbst wieder aufgehoben und in eine Absolutheit verwandelt ist, so daß es um seiner selbst willen zu seyn scheinen könne. Dies ist aber nur denkbar, wenn das Wissen als Bild des Universums und in der vollkommenen Eintracht mit demselben, als der ursprünglichsten und schönsten Poesie, an und für sich selbst schon poetisch ist. Dantes Gedicht ist eine viel höhere Durchdringung der Wissenschaft und der Poesie, und um so viel mehr muß seine

400

P. Menzer, Weltanschauungsfragen, 1918, S. 6. F.W. J. Schelling, Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1799), in: Werke, 2. Hauptbd., 1927, S. 182. 402 F.W. J. Schelling, Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1799), in: Werke, 2. Hauptbd., 1927, S. 271. 401

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Form, auch in der freieren Selbständigkeit, dem allgemeinen Typus der Weltanschauung angemessen seyn.«403 Nicht zufällig findet der Ausdruck ›Weltanschauung‹ bei Schelling in der Auseinandersetzung mit der Literatur seinen Platz; in den Diskussionen um dieses Kulturprodukt – aber auch in der Kunstkritik, der Geschichtsschreibung sowie der Theologie – fungiert ›Weltanschauung‹ nunmehr als operativer Ausdruck, der in populärer Anwendung seinen Siegeszug an der Schnittstelle zwischen philosophischer Reflexion und kultureller Artikulation antreten kann.404 ›Weltanschauung‹ bedeutet aber nicht nur ein Kulturprodukt, eingeschlossen ist auch die (geistige) Produktion desselben. Durch diese doppeldeutige Verfassung von ›Weltanschauung‹ wird zugleich der Pluralisierung, besonders aber der Regionalisierung von ›Weltanschauungen‹ hinsichtlich der unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen der Weg gebahnt, wie ebenso der attributiven Bestimmung von ›Weltanschauungen‹ Tür und Tor geöffnet ist. Im Durchgang durch den Deutschen Idealismus wird demgemäß ›Weltanschauung‹ als eine Ausformulierung von ›Welt‹ begriffen, innerhalb derer latente Verständnisse von künstlerischen, literarischen oder auch wissenschaftlichen Produktionen explizit artikuliert werden. Die hier begründete Tradition eines gleichsam wilden Gebrauchs von ›Weltanschauung‹ an der Grenze zur Philosophie und im Zentrum der kulturellen Selbstverständigung wird nicht abbrechen, problematisch aber wird die Disziplinierung derartig artikulierter ›Weltanschauungen‹ in einer eigenständigen philosophischen Untersuchung, die unter den Titeln ›Weltanschauungsphilosophie‹, ›Weltanschauungslehre‹ oder auch ›Kulturphilosophie‹ in der Folge geführt wird.

* Im Übergang zum 20. Jahrhundert nehmen die kritischen Bemerkungen zum Ausdruck ›Weltanschauung‹ zu, und sie gründen auf einer erweiterten Begriffsverwendung. Nunmehr geht es im wesentlichen um diejenigen Philosophien, die einerseits mit dem Schlagwort der ›Weltanschauung‹ ihre Systematik als die (einzig) richtige empfehlen – zu denken ist an den Monismus – und andererseits um diejenigen Untersuchungen, die eine Philosophie als Lehre von und über ›Weltanschauungen‹ vorstellen – hier sind insbesondere Dilthey und seine Schule zu nennen. Vor dem Hintergrund derartiger Projekte, die nicht immer scharf getrennt werden, da beide zugleich den Anspruch erhe-

403

F.W. J. Schelling, Ueber Dante in philosophischer Beziehung (1803), in: Werke, 3. Hauptbd., 1927, S. 577. 404 Götzes Urteil über diese Entwicklung, die er plausibel darstellt, ist eindeutig: »Auf breiten Straßen in die Laienwelt getragen, ist hier das scharfgeprägte Wort stark abgegriffen und verbraucht worden«; A. Götze, Weltanschauung, 1924, S. 49.

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ben, ›wissenschaftliche‹ Systematiken zu präsentieren,405 gewinnen die Klagen, die den Ausdruck begleiten, eine neue Dignität. Die Auseinandersetzungen konzentrieren sich zu großen Teilen auf das Problem der Philosophie als einer ›Weltanschauungslehre‹ bzw. auf die Reduktionismen, die mit einer als ›wissenschaftlichen Weltanschauung‹ auftretenden Philosophie gegeben sind. Zwar konnte Frischeisen-Köhler noch im Jahre 1911 einen Sammelband unter dem schlichten Titel Weltanschauung veröffentlichen, wozu u. a. Dilthey, Misch, Driesch, Natorp, Troeltsch u. a. bedeutende Beiträge beisteuerten; 1927 aber trug bezeichnenderweise der von Rothacker besorgte Folgeband den Titel Probleme der Weltanschauungslehre.406 Es dokumentiert sich hier die problematische Einordnung von ›Weltanschauung‹ resp. ›Weltanschauungen‹ in eine ›Weltanschaungslehre‹ als Philosophie – und diese, weniger der Ausdruck ›Weltanschauung‹ selbst steht im Kreuzfeuer der Kritik. Hieran knüpfen die neuen Zweifel, wie sie von den unterschiedlichsten Autoren zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorgebracht wurden. Bereits 1899 kann Johannes Reinke mit Bezug auf die eher polemische Verwendung des Ausdrucks ›Weltanschauung‹ im Sinne eines Synonyms zu ›Monismus‹, wie dies bezeichnenderweise bei Haeckel der Fall ist,407 von dem »gefährliche[n] Wort« Weltanschauung sprechen – »gefährlich besonders darum, weil jedermann überzeugt ist, eine richtige ›Weltanschauung‹ zu besitzen, und daher diejenige des Nächsten für verkehrt hält«408. Instrumentalisieren Haeckel und mit ihm die materialistischen ›Weltanschauungsphilosophen‹ den Ausdruck absichtlich im Sinne einer einheitlichen und abgeschlossenen Gesamtdeutung des Seienden,409 so verweisen andere Autoren auf die noch ausste-

405

Vgl. W. Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften (1883), 1933, S.14ff. M. Frischeisen-Köhler (Hg.), Weltanschauung, 1911; E. Rothacker, Probleme der Weltanschauungslehre, 1927. – Bezeichnend sind auch die unterschiedlichen Eintrittsszenarien, die Frischeisen-Köhler und Rothacker skizzieren. Während Frischeisen-Köhler die Intention des 1911 publizierten Sammelbandes dahingehend beschreibt, daß die »in diesem Bande vereinigten Aufsätze […] dem Bemühen unserer Zeit um eine einheitliche Welt- und Lebensbetrachtung dienen« (S. IX) wollen, die Philosophie also selbst eine ›Weltanschauung‹ generiert, übt Rothacker 16 Jahre später Zurückhaltung, wenn er ausführt: »Weltanschauung ist nicht Philosophie, sondern die Philosophie bringt eine schon vorhandene Weltanschauung in einer besonderen Weise zum Ausdruck« (S. 5). 407 »Die Einheit der Weltanschauung (oder der ›Monismus‹), zu welcher uns die neue Entwicklungslehre demgemäß hinführt, löst den Gegensatz auf, welcher bisher zwischen den verschiedenen dualistischen Weltsystemen bestand«; E. Haeckel, Über die heutige Entwicklungslehre im Verhältnisse zur Gesamtwissenschaft (1877), 1924, S. 155. 408 J. Reinke, Die Welt als Tat (1899), 41905, S. 95. – Vgl. auch Mauthners ähnlich lautende Bemerkung aus dem Jahre 1911 oben Anm. S. 8. 409 Auch im Neukantianismus kommt ›Weltanschauung‹ (in naher Verwandtschaft zu Philosophie schlechthin) u. a. der Sinn einer Gesamtdeutung zu. ›Weltanschauung‹ nimmt hier den Platz ein, der im 18. Jahrhundert von ›Weltweisheit‹ besetzt wurde. Im Gegensatz 406

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hende Klärung des Ausdrucks, wenn er im Kontext einer philosophischen Besinnung über relative ›Weltanschauungen‹ benutzt wird.410 ›Weltanschauung‹ steht in diesen Auseinandersetzungen und inmitten der auftretenden Fraglichkeiten weniger für einen Fachterminus der Philosophie, er hat ebenso die Dimensionen der literarischen oder ästhetischen Qualifikation überschritten, wie zugleich seine vorläufige Fassung als Anschauung eines ›mundus visibilis‹ in den Hintergrund getreten ist. ›Weltanschauung‹ fungiert jetzt als Schlagwort der philosophischen Selbstbesinnung und Neuorientierung in einem unzeitgemäß zeitgemäßen Verständnis. Unzeitgemäß ist diese Reflexion hinsichtlich einer philosophischen Disziplin – wie die der Kantischen ›Weltkenntnis‹ –, worin natürliche, subjektive Kenntnisse reorganisiert und verständlich gemacht werden. Denn diejenigen ›Wissenschaften‹, die einem solchen Unterfangen Halt geben könnten, haben zwischenzeitlich den Grund der ›Kenntnisse‹ verlassen und sich zu positiven Wissenschaften des nach Gesetzen Seienden entwickelt. Zeitgemäß jedoch handelt es sich um eine Vergewisserung des kulturellen Bodens, wie er im Vorfeld der Wissenschaften besonders in historischen Untersuchungen thematisch werden kann. Es geht somit um die Verortung des ›Philosophischen‹ in der Auseinandersetzung mit dem ›Wissenschaftlichen‹ und den weiteren kulturellen Erscheinungsformen hinsichtlich einer neu zu stiftenden Disziplin, die als ›Weltkenntnis‹ neuen Typs natürliche Orientierungen aufgreift, um gleichzeitig über dieselben zu orientieren. Dergestalt ist es die ›Weltanschauungslehre‹, mittels derer Orientierungen für das praktische Handeln im Horizont der

zum Monismus, und ähnlich wie Dilthey betonen die Autoren jedoch die Idealität eines derartigen Projekts, resp. seine teleologische Funktion; neben den Ausführungen Jonas Cohns, s. oben S. 134, Anm. 397, vgl. auch die klärenden Stellungnahmen Rickerts in dem Abschnitt zu Philosophie und Weltanschauung in seinem System der Philosophie und die Abschnitte zu Weltanschauung und Philosophie als Wissenschaft und Philosophie als Ganzheitswissenschaft und als Weltanschauungslehre in den Grundproblemen der Philosophie; H. Rickert, System der Philosophie, 1. Teil, 1921, S. 24–36; H. Rickert, Grundprobleme der Philosophie, 1934, S. 1–18. 410 Im Anschluß an diese Diskussionen wird ›Weltanschauung‹ besonders in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts fraglich. 1927 ist z. B. zu lesen: »Und was gar die ›Weltanschauung‹ betrifft, so versagen überhaupt alle Worte, um diesen Wust von Unsinn und Desorientierung zu bezeichnen«; H. Hellmund, Das Wesen der Welt, 1927, S. 1181. Jaspers spricht – nachdem er 1919 immerhin seine Psychologie der Weltanschauungen veröffentlicht hat – in dem ersten Band seiner Philosophie aus dem Jahre 1931 vorsichtig und zurückhaltend von dem »eigentümlich deutsche[n] Wort«, das »im Gebrauch des Alltäglichen abgestumpft« ist; K. Jaspers, Philosophie, 1. Bd. (1919), 1994, S. 241. Und schließlich findet sich zwei Jahre später, im Jahre 1933, die Bemerkung, daß durch die »Schuld des früheren Berliner Philosophen Dilthey« das »Wort ›Weltanschauung‹ heute vielfach mißbraucht« werde, da man es »im Gegensatz zu ›Wissenschaft‹« verwende; J. F. Thöne, ›Die sieben Welträtsel‹, 1933, S. 3f.

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Kultur gesucht werden.411 Diese Funktion des Ausdrucks manifestiert sich u. a. in der Äußerung Joëls, wenn er 1928 den Unterschied des 19. zum 20. Jahrhundert in kultureller Hinsicht zu bestimmen sucht und ›Weltanschauung‹ mit ›Orientierung‹ korreliert: »Damals gab es Weltanschauung – Heute tappen wir im lärmenden Nebel und rufen nach Orientierung.«412

* Um den problematischen Übergang von der ›Weltanschauung‹ zu der den Ausdruck disziplinierenden ›Weltanschauungslehre‹ adäquat begreifen zu können, empfiehlt es sich, zwischen mehreren Bedeutungen von ›Weltanschauung‹ zu unterscheiden, die im Übergang zum 20. Jahrhundert auftreten: erstens fungiert der Ausdruck in pluraler Form als Anzeige derjenigen Gehalte, wie sie sich innerhalb der Kultur immer schon in Literatur, Religion oder auch den Wissenschaften manifestiert haben und manifestieren; zweitens kann ›Weltanschauung‹ im Singular und in einem zumeist polemischen Gebrauch eine Erkenntnismethode oder einen spezifischen Inhalt als universal gültig resp. ›wahr‹ postulieren; und drittens steht ›Weltanschauung‹ – ebenfalls im Singular – für einen Fachbegriff der Philosophie, der auf das Phänomen verweist, daß alle Erkenntnisse über ›Welt‹ als einem Wissen von Seiendem auf dem Fundament der Kenntnisse von ›Welt‹ als interpretierten Erfahrungen gründen. Mit ›Weltanschauung‹ kann demnach die Kultur – auch unter Einschluß der Philosophie – und ihre Entwicklung in einem neutralen Sinne gemeint sein, der Ausdruck kann darüber hinaus eine einzelne Wissenschaft mit 411

Vgl. E.W. Orth, Orientierung über Orientierung, 1996; es sind die ›Weltanschauungen‹, die Orientierungen im Sinne eines sich stetig vollziehenden Orientierens generieren, und es ist die Philosophie im Sinne einer ›Weltanschauungslehre‹, die diese Orientierungen ihrerseits in einen Orientierungsprozeß einbettet. 412 K. Joël, Wandlungen der Weltanschauung, 1. Bd., 1928, S. 1. – Hinsichtlich der Religion, jedoch mit ähnlicher Intention äußerte sich Leisegang bereits 1922 folgendermaßen: »Daß wir heute in einem Weltanschauungskampfe stehen, in dem gerade die Religion umstritten wird, erklärt sich aus dem ganzen Charakter unserer Zeit, die sich wohl als die schwerste geistige ›Krisis‹ darstellt, die über die abendländische Kultur jemals hereingebrochen ist«; H. Leisegang, Die Religion im Weltanschauungskampf der Gegenwart, 1922, S. 19. – Zur fehlenden ›Weltanschauung‹, die in der politischen wie sozialen Krisenlage nach dem Ersten Weltkrieg als Orientierungsverlust empfunden wurde, vgl. auch die Bemerkung von P. Menzer, Weltanschauungsfragen, 1918, S. 2: »In diesem Schlagworte der Gegenwart drückt sich wie in anderen seiner Art weniger ein Besitz als die Sehnsucht einer Zeit aus.« – Doch bereits im ›Weltanschauungskampf‹ um die Vorherrschaft der Wissenschaften wurden zu Anfang des Jahrhunderts ähnliche Töne angeschlagen. So publiziert William Stern 1915 seine im Jahre 1901 niedergeschriebenen Vorgedanken zur Weltanschauung, worin er feststellt, daß »unsere Zeit« das »neue Wort [!] als Sehnsuchtswort« schuf: »Fragt man nun nach dem Gedankengehalt, der mit dem Wort verbunden wird, so zeigt sich sofort, daß dem Begriff trotz mannigfachen Gebrauchs die klare Umschreibung noch fehlt«; W. Stern, Vorgedanken zur Weltanschauung, 1915, S. 1, 3.

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ihren Ergebnissen und Methoden als universal gültige und richtige bezeichnen, und schließlich präsentiert sich das Konzept als ein Terminus technicus, vermittels dessen ein methodischer Zugang zur ›Weltstellung‹ des Menschen im Sinne der Analyse möglicher Orientierungsleistungen bereitet wird. Die beiden erstgenannten Bedeutungen sind es, die zum öffentlichen Streitthema der Philosophie über die Philosophie werden und von denen sich Husserl in seiner Philosophie als strenger Wissenschaft und in der Folge auch Heidegger413 kritisch absetzen. Nicht jedoch ist es die zuletzt angeführte Bedeutung von ›Weltanschauung‹ und das damit angezeigte Phänomen, von dem sich die beiden genannten Phänomenologen distanzieren. Daß besonders in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhundert unter dem Titel ›Weltanschauung‹ eine Philosophie oder ein Wissenschaftstyp als die eine und richtige Erkenntnis ausgezeichnet werden konnte, zeigen nicht zuletzt die Werke monistischer und materialistischer Philosophen und die Auseinandersetzungen, die um den Anspruch einer ›wissenschaftlichen Weltanschauung‹ geführt wurden.414 Leitlinien zum praktischen Handeln wie zum theoretischen Begründen stehen auch hier in Frage resp. werden zum 413

Vgl. hierzu die im Vorspiel zu Sein und Zeit stets wiederkehrende Kritik der ›Weltanschauungsphilosophie‹, wie Heidegger sie in seinen Freiburger und Marburger Vorlesungen, zum Ausdruck bringt, und worin zugleich die Trennung der philosophischen Disziplin ›Weltanschauungslehre‹ von dem Ausdruck ›Weltanschauung‹ vollzogen wird: »Philosophie kann und muß vielleicht unter vielem anderen zeigen, daß zum Wesen des Daseins so etwas wie Weltanschauung gehört. Philosophie kann und muß umgrenzen, was die Struktur einer Weltanschauung überhaupt ausmacht. Sie kann aber nie eine bestimmte Weltanschauung als diese und jene ausbilden und setzen. Philosophie ist ihrem Wesen nach nicht Weltanschauungsbildung […]«; M. Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie (1927), 1975, S. 13; vgl. weiterhin M. Heidegger, Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks (1920), 1993, S. 9-12. 414 So konnte W. Wundt, Ueber die Aufgabe der Philosophie in der Gegenwart, 1874, S. 14, feststellen: »Aber der Zug unserer wissenschaftlichen Entwickelung im Ganzen geht auf eine einheitliche, monistische Weltanschauung.« Zum Monismus und Materialismus hinsichtlich einer ›Weltanschauung‹ vgl. beispielsweise auf der einen Seite: E. Dühring, Cursus der Philosophie als streng wissenschaftlicher Weltanschauung und Lebensgestaltung, 1875; J.G. Vogt, Eine Welt- und Lebensanschauung für das Volk mit besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen, 3. Bde., 1892/1893; und auf der anderen Seite: J. Baumann, Die grundlegenden Tatsachen zu einer wissenschaftlichen Welt- und Lebensansicht, 1894; G. Spicker, Der Kampf zweier Weltanschauungen, 1898. – Hinsichtlich der Auseinandersetzung um die Haeckelsche ›Weltanschauung‹ als Philosophie und den daraus sich entwickelnden ›Kampf um die Weltanschauung‹ mögen aus der unermeßlichen Vielzahl der Pamphlete nur folgende Beispiele angeführt werden: E.L. Fischer, Der Triumph der Christlichen Philosophie gegenüber der antichristlichen Weltanschauung, 1900; J. Hart, Zukunftsland. Im Kampf um eine Weltanschauung, 1902; M. Apel, Die Weltanschauung Haeckels, 1908 – Für weitere, von diesen speziellen Diskussionen unabhängige Identifikationen von ›Weltanschauung‹ mit Philosophie vgl. W. Koppelmann, Weltanschauungsfragen, 1920; V. Engelhardt, Weltbild und Weltanschauung vom

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Problem, und sie sollen im Sinne eines Reduktionismus auf das ›wissenschaftliche‹ Grundaxiom des Mechanismus in naturalistischer Einstellung erklärt werden. Dies ist die erste, freilich weitere Bedeutung von ›Weltanschauungsphilosophie‹, mit der sich Husserl 1911 in der Philosophie als strenger Wissenschaft unter dem Stichwort der ›naturalistischen Philosophie‹ auseinandersetzt.415 Husserl spricht in seiner Programmschrift von dem »Aufkommen der neuen ›Weltanschauungsphilosophie‹«416 oder der »bloßen Weltanschauungsphilosophie«417, und er meint damit in einem engeren Sinne die Lehren Diltheys; der Phänomenologe handelt jedoch auch von der »philosophische[n] Scheinliteratur«418, die sich als Naturalismus im Übergang zum 20. Jahrhundert mit dem Deckmantel der ›Weltanschauung‹ tarnt. In gewissenhafter Distanz zu den Monisten und Naturalisten, die eine ›wissenschaftliche Weltanschauung‹ propagieren – der »Naturalist lehrt, predigt, moralisiert, reformiert«419 – entwickelt Husserl die Grundaxiome der Phänomenologie. In Differenz dazu handelt er von dem eigenständigen Recht der Philosophie im Sinne einer Wissenschaft sui generis; d. h. einer Wissenschaft, die nie einer empirisch-naturalistischen ›Weltanschauung‹ beigeordnet werden kann, weil sie die idealen Strukturen derselben diskutiert. Der zweite Ansatzpunkt der Husserlschen Kritik betrifft die Philosophie als Besinnung über ›Weltanschauungen‹, die ein Konglomerat vorliegender resp. historisch gewachsener Verständnisse auseinanderlegt, um den kulturellen Boden festzustellen. Richtete sich die erste Argumentationslinie Hus-

Altertum bis zur Gegenwart, 1921; V. Engelhardt, Weltanschauung und Technik, 1922; O. Gramzow, Weltanschauungen der Gegenwart, 1925. 415 Hua XXV, S. 8–41. – Damit greift Husserl in laufende Diskussionen ein, die die Frage behandeln, ob ›Wissenschaften‹ überhaupt eine ›Weltanschauung‹ bieten können; vgl. hierzu: V. Kraft, Weltbegriff und Erkenntnisbegriff, 1912, S. 12: » Aber es gibt keine Weltanschauung der Naturwissenschaft; es gibt nur eine Weltanschauung der Philosophie.« R. Eucken, Mensch und Welt, 1918, S. 403: »Aber mit all dem werden sie [die ›Einzelwissenschaften‹] noch keine Philosophie, noch keine Weltanschauung, es ist daher verkehrt, von einer naturwissenschaftlichen Weltanschauung zu sprechen, da der Naturforscher als solcher, wenn er Naturforscher bleibt und nicht unversehens Philosoph wird, überhaupt keine Weltanschauung hat«; die hier in Frage stehenden Probleme lassen sich freilich nicht auf den Ausdruck ›Weltanschauung‹ reduzieren, sie gehören in das große Diskussionsforum der sich etablierenden ›Geisteswissenschaften‹ und deren Verhältnis zu den ›Naturwissenschaften‹. 416 Hua XXV, S. 7. 417 Hua XXV, S. 8. 418 Hua XXV, S. 40. 419 Hua XXV, S. 10. – Diese Feststellung Husserls muß direkt auf Haeckel bezogen werden, der mit religiösem Eifer den Monismus auch als Grundlage für die Politik aufbereiten wollte.

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serls gegen eine Verabsolutierung einer spezifischen, nicht eigens ausgewiesenen Wissenschaftsdoktrin unter dem Deckmantel einer ›Weltanschauung‹, so bezieht sich Husserl unter dem Stichwort Historizismus und Weltanschauungsphilosophie auf eine Relativierung von ›Wissenschaft‹ in der philosophischen Schule, die im Anschluß an Dilthey als ›Weltanschauungslehre‹ auftritt.420 Auch hier setzt Husserl auf den phänomenologisch geläuterten Begriff der Wissenschaft, der allein eine gesicherte Perspektive auf die auftretenden psychologischen Relativismen des Seelenlebens verbürgen kann.421 Das Projekt einer absoluten Erkenntnis kann nur eingelöst werden, wenn die in den ›Weltanschauungsphilosophien‹ eingenommenen psychologisch gedeuteten möglichen ›Standpunkte‹ überwunden werden422 und »die Weltanschauungsphilosophie selbst in voller Ehrlichkeit auf den Anspruch, Wissenschaft zu sein, verzichtet und damit zugleich aufhört […], die Geister zu verwirren und den Fortschritt wissenschaftlicher Philosophie zu hemmen«423. Es ist ersichtlich, daß Husserl dasjenige zurückweist, was als ›Weltanschauungsphilosophie‹ im Sinne einer ›weltanschaulich‹ verfaßten Wissenschaftsdoktrin oder als ›weltanschauliche‹ Besinnung über ›Weltanschauungen‹ auftritt. Die Kritik betrifft einerseits die empirisch-naturalistische und andererseits die empirisch-psychologische Verfaßtheit der Methoden und der damit verbundenen Ansprüche; nicht aber richtet sie sich auf das Faktum von

420

Den Ausführungen Diltheys, wie etwa diejenige über den ›Wesensbegriff der Philosophie‹, konnte Husserl freilich nicht folgen, da sie implizit zu einer Gleichstellung der Philosophie mit den ›Weltanschauungen‹ führen; vgl. W. Dilthey, Das Wesen der Philosophie (1907), 81990, S. 371. 421 »Weltanschauungen können streiten, nur Wissenschaft kann entscheiden, und ihre Entscheidung trägt den Stempel Ewigkeit«; Hua XXV, S. 57. – Diese ›Ewigkeit‹ freilich ist an dieser Stelle bei Husserl keine zeitliche, sondern eine zeitlose und steht damit im Gegensatz zu Diltheys Position. Deutlich wird dies, wenn Dilthey z. B. auf die Frage nach der Philosophie antwortet, daß dies eine Frage sei, »die nicht nach dem Geschmack des einzelnen beantwortet werden kann, sondern ihre Funktion« »nur aus der Geschichte empirisch ersehen werden« könne; diese »Geschichte muß dann freilich aus der geistigen Lebendigkeit verstanden werden, aus der wir auch heute noch hervorgehen, Philosophie in uns zu erleben«; W. Dilthey, Was Philosophie sei (1896/1897), 1931, S. 189. – Husserls Abgrenzung gegenüber Dilthey gerät jedoch nicht zuletzt mittels der in den Cartesianischen Meditationen vollzogenen Umdeutung der Überzeitlichkeit in eine Allzeitlichkeit ins Schwanken. Husserl handelt hier von dem transzendentalen Problem der »idealen Gegenständlichkeiten«, deren »Überzeitlichkeit« sich als »Allzeitlichkeit« erweise, »als Korrelat einer beliebigen Erzeugbarkeit und Wiedererzeugbarkeit an jeder beliebigen Zeitstelle« – diese Erzeugbarkeit ist jedoch ohne Anhalte an der Wirklichkeit (vielleicht gerade einer historischen Wirklichkeit) kaum denkbar; Hua I, S. 155f.; dazu vgl. ebenso den Abschnitt Allzeitlichkeit statt Überzeitlichkeit. Ein neuer Begriff des Apriori in E.W. Orth, Edmund Husserls ›Krisis der europäischen Wissenschaften‹, 1999, S. 88–90. 422 Hua XXV, S. 5. 423 Hua XXV, S. 58.

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›Weltanschauungen‹, und auch wird das mit ›Weltanschauung‹ bezeichnete Phänomen, wie es insbesondere bei Dilthey in Rede steht, nicht zurückgewiesen.424 Nicht zuletzt aus diesem Grund ist Husserls Einschätzung der Philosophie Diltheys schwankend. Stellt Husserl anhand der Diltheyschen Position in der Philosophie als strenger Wissenschaft den Relativismus heraus, der in einem Philosophieren verborgen liegt, das aus dem Konglomerat und der Genese von psychologisch fundierten ›Weltanschauungen‹ eine Systematik entwickeln möchte, so spart Husserl an anderer Stelle nicht mit Lob. Er spricht ebenso von Dilthey als einem »Mann genialer Intuition«, der sich »unvergängliche Verdienste erworben«425 hat. Dieses Lob aber betrifft nicht etwa anderes als die bei Dilthey zu findenden Relativismen, es betrifft sie selbst – nicht aber aufgehoben in einer psychologisch gegründeten ›Weltanschauungslehre‹, sondern in einer Philosophie, die den primären Erlebnissen nicht empirisch nachfolgt, sondern deren idealen Strukturen auf der Spur ist. Denn die mit ›Weltanschauung‹ zum Thema gewordene Problematik wird von Husserl nicht abgelehnt, sie wird akzeptiert und phänomenologisch durchkonjugiert. Mehr noch, der Wechsel von ›Einstellungen‹, die Unterscheidung von ›Perspektiven‹ – oder um mit Diltheys Worten zu sprechen: der Ausgang von den »Interpretationen der Wirklichkeit«426 – dies alles wird in der Husserlschen Phänomenologie auf die Spitze getrieben,427 um dann jedoch in den Relativitäten von ›Weltanschauungen‹ einen Standpunkt zu sichern, der diesen ihr psychologisch relatives Recht hinsichtlich eines intrinsischen idealen Absolutums einräumt. Im Durchgang durch die ›Weltanschauungen‹, vermittels der Möglichkeit dieselben zu rechtfertigen, wird das bislang verschwiegene Fundament in der ›Weltanschauungslehre‹ phänomenologisch zum Sprechen gebracht – die nicht-psychologischen Funktionen der Intentionalität.428 Gegen ›Weltanschauung‹ und ›Weltanschauungen‹ als Befund und Problemfall kann aus phänomenologischer Sicht demnach nichts eingewendet werden. Freilich ist nun von ›Weltanschauung‹ in einem Sinne die Rede, der 424

In der Philosophie als strenger Wissenschaft findet sich so auch keine Diskussion der formalen Tragweite die dem Ausdruck ›Weltanschauung‹ zugesprochen wird. Husserl diskutiert den Ausdruck gleichsam im globalen Haushalt einer philosophischen Ökologie philosophischer Entwürfe. 425 Hua IV, S. 172f. 426 W. Dilthey, Das Wesen der Philosophie (1907), 81990, S. 379. 427 Vgl. beispielsweise die Äußerungen in den Ideen II, wo Husserl zustimmend von den »subjektiven Welten« spricht, von denen es »so viele als Mensch-Individuen in der ›Natur‹« gibt; und es sei »also zweifellos richtig zu sagen: die erfahrenen Dinge mit ihren Erfahrungsabhängigkeiten existieren nur relativ«; Hua IV, S. 170f. 428 Vgl. Hua VI, S. 115f.

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sich fast gänzlich von der Tradition abgesetzt hat. Denn es geht weder um die Auffassung eines ›mundus visibilis‹, noch handelt es sich um das Konstatieren inhaltlich bestimmter ›Weltanschauungen‹ im Sinne von Kulturprodukten. Wiewohl derartige Bedeutungen untergründig weiterwirken und nicht wenig zur stetig wachsenden Begriffsverwirrung beitragen, so dient doch nun der Ausdruck ›Weltanschauung‹ als philosophischer Terminus dazu, einen Problemhorizont anzuzeigen, in dem zweierlei zugleich gegeben, aber auch zugleich fraglich ist: subjektive Sinnleistungen und objektive Seinsansprüche.429 Dieser Befund, der sich in den Diskussionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts herauskristallisiert, wird von Husserl als Problemfall auf die verborgene, in und durch die eidetische Betrachtung aufweisbare intentionale Struktur hin befragt und ausgelegt.

*

Für die Geschichte des philosophischen Weltbegriffs heißt dies, daß im Durchgang durch die ›Weltanschauungslehre‹ eine Fragestellung vorbereitet wurde, worin ›Welt‹ gemäß der natürlichen Erfahrung, jedoch als Anzeige einer subjektiven Konstitution von Sinn thematisch werden kann. Die mit der ›Weltanschauung‹ verbundene Diskussion von ›Welt‹ jenseits einer Reduktion auf einen Komplex von Seiendem führt zu einer neuen Fragwürdigkeit von ›Welt‹ im Stil der ›Weltkenntnis‹. Jenseits der klassischen Metaphysik, aber diesseits der Kantischen ›Weltkenntnis‹ richtet sich das erkenntnistheoretische Augenmerk auf eine neu zu etablierende Philosophie als Kritik von ›Welt‹ im Horizont natürlicher Kenntnisse. Blickt man auf Avenarius zurück, und schaut man voraus auf die Phänomenologie, so wird die Frage virulent, wie auf dem Grund des nicht hintergehbaren ›natürlichen Weltbegriffs‹ als einer Einordnung des Subjekts in Seiendes, subjektive Sinnkonstitutionen von ›Welt‹ jenseits der geläufigen Reduktionismen behandelt werden können. Im Abschreiten des von Dilthey ausgewiesenen Terrains und im Ausgang von dem ›natürlichen Weltbegriff‹ des Empiriokritizismus ist es Husserl, der die Explikation von ›Welt‹ als einem Thema der Philosophie gemäß dem doppelten Anspruch der Subjektivität – dem Sinn- und Seinsanspruch – diskutiert. Problematisch wird nun das Subjekt, dem es in seinem Einstellen in Welt um ›Welt‹ als ein Thema seiner selbst geht. Und dieses Projekt kann vor dem Hintergrund dessen verständlich werden, was man mit Kant als ›Weltkenntnis‹ bezeichnen könnte, jedoch nun in der Form einer intentional fundierten und transzendentalphänomenologisch aufgeklärten ›Weltkenntnis‹. 429

Diese doppelte Verunsicherung wird von nicht wenigen Zeitgenossen konstatiert; sie wird jedoch zumeist nicht ausgetragen oder ausgehalten, sondern aufgelöst; vgl. beispielsweise H. Rickert, Vom Begriff der Philosophie (1910/11), 1999, S. 4 ff.; B. Groethuysen, Das Leben und die Weltanschauung, 1911, S. 61 ff. Richard Müller-Freienfels, Persönlichkeit und Weltanschauung (1919), 21923, S. 5ff.; W. Stern, Vorgedanken zur Weltanschauung, 1915, S. 3f.

III. DER ANSPRUCH VON ›WELT‹ IN DER PHÄNOMENOLOGIE HUSSERLS Alles unser Wissen ist ein Darlehn der Welt und der Vorwelt. Der thätige Mensch trägt es an die Mitwelt und Nachwelt ab; der unthätige stirbt mit einer unbezahlten Schuld. Friedrich Schiller, Stammbuchblätter: Für Johannes Gross, 22. Sept. 1790, Schiller Nationalausg., Bd. 1.

»Jedenfalls ist unser heutiger Begriff der Welt so erweitert, dass auch die Philosophie ihm folgen muß«1; diese Worte – 1904 von Gustav Portig, einem Schüler Christian Hermann Weißes, im ›Weltanschauungskampf‹ um den Monismus geäußert – drücken einerseits eine Verlegenheit aus, wie sie andererseits ein zeittypisches Anliegen artikulieren. Offensichtlich wird zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf ein Neues das Bedürfnis einer grundlegenden, philosophischen Klärung von ›Welt‹ virulent.2 Zugleich aber besteht die Verlegenheit darin, einem philosophischen Begriff von ›Welt‹ angesichts des ›Weltgeredes‹ überhaupt noch ein eigenständiges Recht sichern zu können. Einerseits sind es die positiven Wissenschaften, die ›Weltbegriffe‹ bereitstellen, popularisieren oder auch ›realisieren‹, und andererseits scheint ›Welt‹ in und mit den ›Weltanschauungen‹ verlorengegangen zu sein. Die Forderung Carl Stumpfs aus dem Jahre 1906 ist in diesem Kontext – und nicht nur mit Bezug auf die erkenntnistheoretischen Überlegungen der Neukantianer – mehr als eine Floskel: »Nicht blos [sic] eine Wissenstheorie, sondern in der Tat eine Welttheorie ist es, die trotz alles Widerspruches der Erkenntniskritiker unabweislich gefordert werden muß. Sie ist nicht ein aus Mißverständnis des Erkenntnisbegriffes und der Erkenntnisbedingungen hervorgegangenes Phantom, sondern prinzipiell genau so möglich und berechtigt wie jede sonstige Erkenntnis.«3 Doch auch Stumpfs Forderung einer ›Welttheorie‹, die sich seiner Ansicht nach aus dem Methodenmix der Wissenschaften herauskristallisieren soll, steht ganz und gar im Bann der Zeit. Nicht im Ausgang von einem ursprünglichen Phänomen, sondern im Durchgang durch die Wissenschaften und ihre Methoden – im Neukantianismus: vermittels einer kulturphiloso-

1

G. Portig, Das Weltgesetz des kleinsten Kraftaufwandes in den Reichen der Natur, 1904, S. 8. 2 Vgl. zu den vielfältigen, freilich auch unterschiedlichen Versuchen, soweit sie im vorigen Kapitel nicht besprochen wurden, auch oben S. 28f. 3 C. Stumpf, Zur Einteilung der Wissenschaften, 1906, S. 43.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

phisch eingebundenen Wissenschaftskritik – wird eine Lösung angestrebt. Doch dieser Ansatz bleibt sekundär, da die Frage selbst und der Ort ihrer Verhandlung nicht bedacht werden. Die primäre Frage der Philosophie hat früher anzusetzen, da der systematische Rahmen, innerhalb dessen eine Klärung von ›Welt‹ angestrebt werden könnte, allererst wieder zu vermessen ist. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts steht nicht mehr eine Cosmologia generalis bereit, die im Verbund eines metaphysischen Schemas der Frage und der Fragestellung einen Ort zuweisen könnte.4 Auch ist zwischenzeitlich die Kantische Scheidung zwischen einer erkenntniskritisch geläuterten Untersuchung des Wissens von ›Welt‹ und einer selbstverständlichen, vorwissenschaftlich-populären Aufklärung von ›Weltkenntnissen‹ durchbrochen worden, da neben der Geographie und der Biologie auch andere Disziplinen, z. B. die Psychologie, zumindest der Absicht nach den Gang einer sicheren, d. h. positiv-empirischen Wissenschaft beschritten haben. Und im Gegenzug sind es auch diese ›Wissenschaften‹, die nach der zutreffenden Diagnose Rickerts in dogmatischer Manier ihren partiellen, methodisch gesicherten Wirklichkeitsbezug mit einem Begriff von ›Welt‹ verwechseln.5 Derart konnte das 19. Jahrhundert auch nur noch vermittels einer Topographie unterschiedlicher Weltkonzepte, die sich bezeichnenderweise in einem oftmals ungesicherten Terrain zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit entwickelten, erschlossen werden. Diese Topographie zeigte in dem im vordergründig paradox anmutenden Prozeß der dargelegten Verweltlichung ohne ›Welt‹ eine ›Explosion‹ des Ausdrucks auf der Oberfläche der wissenschaftlichen, kulturellen und philosophischen Diskussionen. Zugleich – und im Rückblick auf z. B. die die ›Welt‹ betreffenden und einigenden Untersuchungen in einer Cosmologia generalis – vollzieht sich eine Freistellung des philosophischen Begriffs im Sinne einer Allgegenwart des Ausdrucks mit variabler semantischer Dichte. Der durch v. Humboldt reanimierte ›Kosmos‹, die fortlaufenden Eröffnungsinszenierungen von ›Lebenswelten‹, der Rückgang auf eine ›natürliche Welt‹ sowie die Karriere der ›Weltanschauungen‹

4

Zu der klassisch metaphysischen Gliederung äußert sich Husserl dementsprechend in den Ideen III skeptisch; und er warnt vor einer unreflektierten Wiederaufnahme dieses Schemas, wenn er ausführt, daß »in einer Zeit großer Umwendungen« die rationale Ontologie und rationale Psychologie – sowie die »vielgeschmähten und scheinbar für immer abgetanen Disziplinen« »rationale Kosmologie und Theologie« – wiederbelebt werden könnten. »Doch es wäre schlimm, wenn die Toten wieder erweckt werden sollten, sie, die nur als sachlich unzureichende Überzeugungen lebendig waren und dahingehen mußten, weil, was sie als Wahrheit hinstellten, im Reich der Wahrheit, des ewigen Lebens, keinen Platz hatte.« (Hua V, S. 70f.). 5 H. Rickert, System der Philosophie, 1.Teil: Allgemeine Grundlegung der Philosophie, 1921, S. 166.

Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

147

dokumentieren auf je unterschiedliche Weise, inwieweit ›Welt‹ als Platzhalter fungieren konnte. Zwar kann eine philosophische Besinnung, die jenseits aller reduktionistischen Versuchungen all diese Stimmen zu synchronisieren versucht, kaum im 19. Jahrhundert gefunden werden; doch es kann – wagt man einen Überblick – ebenfalls nicht geleugnet werden, daß der Terminus ›Welt‹ in den diversen Diskussionsforen aufgebrochen und für eine Neubestimmung freigestellt wurde. Denn mit den terminologischen Ausdifferenzierungen treten die Dimensionen eines ›Weltproblems‹ im neuen Gewand einer thematischen Exposition von ›Welt‹ auch erst wieder zutage. Die Variable ›Welt‹ ist jedoch in all den Kontexten funktional gebunden; sie vertritt die Ansprüche einer leistend-konstituierenden und funktional-situierten Subjektivität auf durchaus unterschiedlichen Ebenen. Es sind dies u. a. die Ansprüche, sich innerhalb eines medial vermittelten ›Kosmos‹ zu orientieren, sich auf dem Boden einer ›natürlichen Welt‹ gleichgeordnet mit den Dingen als seiend zu plazieren, sich in einer ›Lebenswelt‹ als Schauplatz einer anonymen Geschichte resp. eines verdeckten, jedoch erlebten Schauspiels zu lokalisieren sowie sich in und über ›Weltanschauungen‹ als partiale Orientierungsräume vor dem Hintergrund einer undiskutierten Ganzheit zu begreifen. Zugrunde liegt hier wie dort eine Subjektivität, die als ›weltende‹, als im doppeldeutigen Sinne einstellend-eingestellte, begriffen wird, deren Charakteristik im einzelnen jedoch noch aussteht. In diesem Sinne ist es ein funktional gebundenes Subjekt, das sich ›in Welt‹ als einer geschaffenen, medial vermittelten ›Natur‹ und ›Kultur‹ orientiert, es ist ein Subjekt in Funktionen, das sich im Seienden einordnet und mit Seiendem gleichstellt, das sich ›aus Welt‹ im Sinne einer Geschichte versteht sowie sich ›zu Welt‹ als einer offenen Ganzheit verhält. Husserls Phänomenologie diskutiert genau diese Phänomene. Er durchbricht damit das starre Konzept ›Welt‹ auf ein funktional sich artikulierendes ›welten‹, indem die Statik der begrifflichen und sachlichen Fixierung der Dynamik von Einstellungen weicht. Dergestalt eröffnet er der Philosophie das ›Thema Welt‹ in einem neuen Sinne. Denn als Thema, so Husserls These, kann ›Welt‹ nicht aus oder in ›Welt‹ verstanden werden. Das Thema ›Welt‹ ist allererst herauszustellen, da in denjenigen Einstellungen, worin ›Welt‹ immer schon fixiert ist resp. als Fundament dient, nicht dasjenige direkt aufgewiesen werden kann, was ›Welt‹ als ›Welt‹ auszeichnet. Der Grundbefund liegt darin, daß ›Welt‹ im Eingestellt-sein unthematisch bleibt, thematisch wird ›Welt‹ im Blick auf die aktiven Einstellungen. Husserls systematische These, von ›der Welt‹ abzusehen, um das ursprüngliche Phänomen zu fokussieren, kann in diesem Sinne vor dem geschilderten historischen Hintergrund auch kulturphilosophisch interpretiert werden. Vermittels der Abkehr von dem ›Weltgerede‹ wird ein Weg eingeschlagen, der jenseits reduktionistischer Fixierungen, aber diesseits des Erlebens von Einstellungen, das Thema philoso-

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

phisch eröffnet, indem ›Welt‹ als Wesensanspruch des Subjekts begriffen wird und die sich einstellende Subjektivität in und mit ›Welt‹ ein Thema ihrer selbst erkennt.

1. Phänomenologie als Kritik des Anspruchs von ›Welt‹ Es ist nicht zu übersehen, daß Husserls ausschweifender, dem heutigen Leser auch unbekümmert erscheinender Gebrauch von ›Welt‹ in der komplexen (Sprach-)Tradition des 19. Jahrhunderts wurzelt.6 Aber es ist nicht nur der Gebrauch des Ausdrucks, der auf dieses Jahrhundert verweist. Husserls Phänomenologie betreffs ›Welt‹ läßt sich im historischen Rückblick als ein Versuch verstehen, die diversen Ansprüche, die im 19. Jahrhundert angedeutet wurden, explizit als Leistungsgebilde zu artikulieren und ›Welt‹ in dieser Hinsicht, als Anspruch einer funktionalen Subjektivität zu umgrenzen.7 Denn »sowie wir Modernen das Wort ›Welt‹ gebrauchen (und nicht schon eine wissenschaftliche Konstruktion unterschieben)«, liegt doch immer »schon eine Idealisierung erster Stufe hinter uns«, »aus der historischen Tradition übernommen mit einer Sinnesform, welche die Struktur der Welt der ursprünglichen Gegebenheitsweise sozusagen überspringt«8. Steht Husserl einerseits auf den Schultern des 19. Jahrhunderts, wenn auf Schritt und Tritt von ›Welt‹ die Rede ist, so distanziert er sich doch andererseits systematisch auf radikale Weise mittels der ›Epoché‹ von ersten resp. letzten Weltobjektivierungen, um in subtilen Gedankengängen den ›Gebrauchswert‹ von ›Welt‹ zu klären, die Nominalisierungen von ›Welt‹ auf vorgängige Verbalisierungen eines ›Weltvermögens‹ zurückzuführen, um vermittels der »Umstellung auf das Thema ›Welt‹« der Philosophie wieder ein neues Terrain zu bereiten, sinnvoll das Problem zu behandeln.9 In diesem Sinne 6

Vgl. zu den vielfältigen Ausdrucksvarianten und den damit verbundenen Problemen bei Husserl auch R. Bernet, Le monde (Husserl) (1989), 1994, S. 93ff.; vgl. weiterhin S. Strasser, Welt im Widerspruch, 1991, S. 29ff. 7 Vgl. z. B. Hua I, S.136, wo Husserl ausführt, daß sein Thema nicht eine objektive bzw. objektivierte ›Welt‹ ist, problematisch wird der Phänomenologie vielmehr, die Erfahrung eines derartigen Gebildes »selbst zu befragen und die Weise ihrer Sinngebung intentional zu enthüllen«. Denn die »objektive Welt ist für mich immerfort schon fertig da, Gegebenheit meiner lebendig fortlaufenden objektiven Erfahrung, und auch nach dem Nicht-mehrerfahren in habitueller Fortgeltung«. Deshalb handelt es sich darum zu verstehen, »wie sie als Erfahrung auftreten und sich bewähren kann als Evidenz für wirklich Seiendes eines explizierbaren eigenen Wesens, das nicht mein eigenes ist, oder sich meinem eigenen nicht als Bestandsstück einfügt, während es doch Sinn und Bewährung nur in dem meinen gewinnen kann.« 8 Hua XXIX, S. 140f. 9 So heißt es paradigmatisch in einer Beilage zum § 36 der Krisis aus dem Jahre 1936:

1. Phänomenologie als Kritik des Anspruchs von ›Welt‹

149

verwundert es dann auch nicht, wenn Husserl ›Welt‹ nicht mehr ausschließlich gegenständlich deutet, sondern das Substantiv im Sinne einer Disposition verflüssigt: »Welt bezeichnet ein Vermögen [!], systematisch erfahren und auf Wegen des Erfahrens identischen Seinssinn bewähren zu können, dabei Unstimmiges ausscheiden, statt dessen das Richtige einfügen.«10 Husserl geht bekanntlich – oft zum Leidwesen seiner Leser – nicht sparsam oder gar zaghaft mit ›Welt‹ und den mit dem Ausdruck gebildeten Komposita um. Neben dem Gebrauch der in der Folge vieldiskutierten Topoi ›Lebenswelt‹, ›Umwelt‹, ›Alltagswelt‹, ›Heimwelt‹ oder ›Fremdwelt‹ und der im Kontext der Reduktionsproblematik nicht wenige Irritationen hervorrufenden Ausdrücke ›Weltentsagung‹, ›Weltvernichtung‹ oder ›Welteinklammerung‹ zeigt Husserl sich auch, und besonders im Übergang zu den 30er Jahren, als Erfinder neuer Ausdrucksvarianten – erinnert sei etwa an die miteinander verwandten Termini ›Weltzielung‹11, ›Weltzeitigung‹12 und ›Weltigung‹13. Ebenso spricht Husserl gern und häufig von der Subjektivität als einer ›Welt‹, aber auch von den ›weltlichen‹ resp. ›mundanen‹ Erlebnissen, welche wiederum im Gegensatz zur eidetisch und transzendental aufgeklärten Intentionalität als ›Innenwelt‹ stehen. Vor diesem Hintergrund den einen phänomenologischen Weltbegriff bei Husserl auf der Oberfläche der Ausdrücke und ihrer Verwendung zu bestimmen, dürfte ebenso schwer fallen, wie dem Phänomenologen jedwede Absicht bezüglich der Analyse von ›Welt‹ absprechen zu wollen. Auch der Versuch, Husserl einer nominalistischen Reinigung zu unterziehen, derart, daß beispielsweise die Ausdrücke ›Lebenswelt‹, ›Heimwelt‹ oder ›Naturwelt‹ sich

»Die universale Epoché und Umstellung auf das Thema ›Welt‹ verwandeln alle im natürlichen Leben jemals wirklichen und möglichen Erfahrungen in Komponenten der universalen, der Welterfahrung« (Hua XXIX, S. 218f., eigene Hervorhebung). 10 Hua XV, S. 621. – Zwischen Schelers ›Weltoffenheit‹ als anthropologischem Radikal und der Feststellung eines ›Weltvermögens‹ bei Husserl aus dem Jahre 1933 liegt dann auch keine unüberbrückbare Kluft mehr. Wenngleich beiderseits eine menschliche Disposition, ein anthropologischer Grundbefund, zum Ausdruck kommt, so darf jedoch nicht übersehen werden, daß Schelers ›Weltoffenheit‹ eher im Sinne eines Nomen qualitatis interpretiert werden muß, während das ›Weltvermögen‹ bei Husserl ein Nomen actionis zum Ausdruck bringt.; vgl. M. Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos (1928), 21995, S. 33: »Der Mensch ist das X, das sich in unbegrenztem Maße ›weltoffen‹ verhalten kann.« – Auch aus dem soeben genannten Grund distanziert sich Husserl bis zuletzt von Schelers Erkenntnistheorie als bloß ›ontologischem Idealismus‹, der jedwede »Rückwendung zur transzendentalen Subjektivität« ausschließt und in den Logischen Untersuchungen nur »einen Freibrief für eine naive Metaphysik sieht, anstatt der inneren Tendenz der subjektiv gerichteten konstitutiven Untersuchungen zu folgen« (Hua XXVII, S.180). 11 Hua XXVII, S. 234. 12 Hua XV, S. 487. 13 Hua XXIX, S. 334.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

doch auf ›Leben‹, ›Heimat‹ oder ›Natur‹ ohne Sinnverlust reduzieren ließen, verkennt die Absicht des Autors. Denn es handelt sich in seiner Phänomenologie gerade um die Gewinnung und Explikation des Sinnes von ›Welt‹ als einem Thema subjektiver Leistungen und Einstellungen in unterschiedlichen, regional gegliederten Kontexten. ›Welt‹ wird dergestalt aufgewiesen als ein nicht zu unterlaufender Anspruch subjektiver Leistungen, die einerseits je schon, und auch auf unterschiedliche Art und Weise vollzogen sind – derart daß eine oder die ›Welt ist‹ –, und die andererseits immer wieder neu gestiftet werden, ohne sich aber letztlich und endgültig zu erfüllen – dergestalt, daß ›Welt‹ einen offenen Horizont von Möglichkeiten darstellt.14 Das allseits bekannte und von Husserl immer wieder durchkonjugierte Paradebeispiel für das selbstvergessene Überspringen des ›weltens‹ hin zur ›Welt‹ ist neben der ›natürlichen Einstellung‹ insbesondere die sogenannte ›naturalistische Einstellung‹. Vermittels ihrer Terminierung in ›Natur‹ – Husserl benutzt in diesem Kontext auch den Ausdruck ›Welt‹ – ist die ›naturalistische Einstellung‹ alles andere als eine ›Einstellung‹ im Sinne eines aktiven Einstellens, weil sie ihrem eigenen Anspruch zum Opfer fällt und letztlich zu der gewagten Konstruktion einer Objektivität als ›Natur‹ resp. ›Welt‹ ohne Subjekt führt. Doch diese Einstellung mag als Anspruch gleichsam die totalitärste sein, sie wird dennoch von Husserl auf ihren Leistungscharakter befragt – und sie bleibt zudem nicht die einzige Einstellung, die der Phänomenologe analysiert. ›Umwelt‹ oder ›Lebenswelt‹, aber auch die Geschichte als eine ›Welt‹ bekunden ebenfalls Ansprüche, diejenigen personaler Subjekte, die gemäß ihrem ›Weltvermögen‹ ›Welt‹ konstituieren. Mit diesem Unterfangen und im Rückblick auf die historische Tradition bricht Husserl mit seiner Phänomenologie die Weltkonzepte des 19. Jahrhunderts auf, indem er – zumeist auf eigene Rechnung, d.h. ohne sich genau um die Herkunft der Ausdrücke resp. das Umfeld der Ausdrucksverwendung zu sorgen – die Ansprüche auf den Leistungscharakter einer funktionalen Subjektivität gründet, ohne daß aber das Eigensein von Welt verlorenginge.15 Wenn Husserl in der Krisis bemerkt, daß zwar jeder Philosoph »in allen weiteren historischen Zeiten« wirke und sie beeinflusse, aber nicht jeder »einer historischen Zeitreihe Einheit und eventuell Abschluß eines Entwicklungssinnes«16 gebe, so ist er es doch selbst, der mit Blick auf die philosophischen Ansprüche von ›Welt‹ die Zeitreihe des 19. Jahrhunderts zur Aussprache ihrer stumm gebliebenen subjektiven Leistungen führt. Zwar erfindet

14

»Statt schlechthin seiend, das ist uns in natürlicher Weise im Seinsglauben der Erfahrung geltend, ist sie [die seiende Welt] uns nur noch ein bloßer Seinsanspruch« (Hua I, S. 7, 58). 15 Hua I, S. 136. 16 Hua VI, S. 194.

1. Phänomenologie als Kritik des Anspruchs von ›Welt‹

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Husserl – insbesondere ab Mitte der zwanziger Jahre – eine eher mit stumpfem Stift gezeichnete Philosophiegeschichte, die letztendlich auf einen unverstandenen Widerstreit von Objektivismus vs. Transzendentalismus hinausläuft,17 um der Phänomenologie einen letzten und ausgezeichneten Platz im abendländischen Denken einzuräumen. Aber die stumme Erbschaft Husserls aus dem 19. Jahrhundert drückt sich hier nicht aus, sie dokumentiert sich vielmehr indirekt in dem ausschweifenden Gebrauch von ›Welt‹ in der Phänomenologie, und sie wird kenntlich in dem Vorgehen, die Variable ›Welt‹ zu bestimmen, indem der leistenden und ›weltend‹ fungierenden Subjektivität ihr verborgenes Recht zugestanden wird, um ›Welt‹ dem Anspruch nach zu begrenzen.

*

Das Schlagwort der ›Subjektivierung von Welt‹ kann dieses Unternehmen nicht adäquat bezeichnen. Husserl geht es um die Aufklärung von Ansprüchen und um die Analyse der vergessenen und verdeckten Leistungen ›weltender‹ Subjekte, die in einem ersten Schritt in einer intentionalen Korrelationsforschung zum Vorschein kommen.18 Eine Subjektivierung bliebe nur das unverstandene Pendant einer gleichgültigen Objektivierung. Im Gegensatz zu dem Schlagwort der Subjektivierung, das immer mit einem Reduktionismus verbunden wird, geht es letztlich um anderes: die Eröffnung des Themas ›Welt‹, wie es sich in den intentionalen Bewegungen in Subjektivierungen und Objektivierungen vollzieht. Freilich erschöpft sich die Phänomenologie, insbesondere die transzendentalgenetisch begründete und begründende nicht mit dem bloßen Konstatieren von Korrelationen.19 ›Welt‹ läßt sich durchaus auch bei Husserl als ein »Schauplatz«, ein »Wirkungsfeld«20 oder eine Bühne begreifen. Es gilt jedoch 17

Vgl. beispielsweise Hua VI, S. 212: »Die ganze neuzeitliche Philosophie, im ursprünglichen Sinne als universale, letztbegründete Wissenschaft, ist nach unserer Schilderung, mindestens seit Kant und Hume, ein einziges Ringen zwischen zwei Wissenschaftsideen: der Idee einer objektivistischen Philosophie auf dem Boden der vorgegebenen Welt und derjenigen einer Philosophie auf dem Boden der absoluten, transzendentalen Subjektivität […]«; vgl. die fast gleichlautenden Formulierungen in Hua XXIX, S.121. 18 Vgl. hierzu die paradigmatische Erklärung in Hua VI, S. 210f. (mit eigener Hervorhebung): »Wir könnten hinweisen auf das Verhältnis von Ideenwelt und Erfahrungswelt oder auf das Verhältnis der ›Welt‹ des reinen, phänomenologisch reduzierten Bewußtseins zur Welt der in ihm konstituierten transzendenten Einheiten; oder der Welt der Dinge als Erscheinungen […] und der Welt der physikalischen Dinge. Alle solchen Unterschiede hängen mit kardinalen Unterschieden der ›Einstellung‹, mit grundverschiedenen Auffassungs- bzw. Erfahrungsarten zusammen, und die korrelativen Gegenständlichkeiten, so grundverschieden sie sind, sind doch durch Sinnesbeziehungen vermittelt.« 19 Vgl. hierzu besonders das einschlägige Korrelationsschema von M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik (1913/1916), 61980, S. 157 f. Anm. 1. 20 Hua XIV, S. 456.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

aus phänomenologischer Sicht kenntlich zu machen, daß das menschliche Subjekt nicht als Schauspieler in einem fertig arrangierten Bühnenbild auftritt, sondern die Bühne erst durch den Schauspieler zur Bühne werden kann, wie der Akteur erst auf der Bühne als solcher zu erkennen ist. Daß ein und dasselbe Subjekt auch mehrere Rollen auf einer Bühne spielen kann, daß es als ›fungierendes Subjekt‹ zudem im Auftreten stets eine Handlung improvisiert, deren Stil ihm aber bereits zuvor ›bekannt‹ war und daß außerdem dieses Subjekt eine Geschichte in einen offenen Horizont von Möglichkeiten fortschreibt, um aber mit dem Abtritt von der Bühne nicht etwa ein Ende zu bestimmen, sondern weitere Möglichkeiten zu eröffnen, dies macht Husserls Untersuchungen komplexer, als man zu vermuten geneigt ist. Denn es ist besonders die transzendental fundierte Phänomenologie, die neben der Aufdeckung von Korrelationen ›Welt‹ als eine Inszenzierung begreift, worin sich ein ›Stil‹ ausdrückt, der wesentlich von dem – wie Husserl es nennt – Auf- und Abtritt einer Subjektivität geprägt ist.21 Im »faktischen Strom des welterfahrenden Lebens«, so Husserl, liegt »eine Unendlichkeit von Präsumptionen« »immerzu intentional beschlossen in der universalen Horizontpräsumption der seienden, der mir fortgesetzt geltenden Welt, die von Moment zu Moment sich abwandelnd, den Stil behält, der jeweils enthüllbar ist als apriorischer Stil der Konstitution«.22 In diesem vielfältigen Sinne ist es Husserl, der das Bedürfnis, einen philosophischen Weltbegriff zu explizieren, am Beginn des 20. Jahrhunderts aufgreift. Es ist aber nicht der eine Weltbegriff, den Husserl vorstellt. Es handelt sich um die Explikation von ›Welt‹ als einem vielschichtigen Thema der Philosophie in durchaus unterschiedlichen Kontexten. Husserl schreitet sozusagen im historischen Rückblick das Feld der durch das 19. Jahrhundert eröffneten Wirklichkeiten ab, er umgreift diese hinsichtlich ihrer korrelativen subjektiven Einstellungen, um ›Welt‹ als ein Thema im Kontext der Intersubjektivität, des Seienden, der Wissenschaften oder auch der Zeitlichkeit resp. Geschichtlichkeit zu erweisen. Zugleich ist es die Phänomenologie, die der Verlegenheit, den Weltbegriff im Herrschaftsbereich der Einzelwissenschaften zu suchen, entgeht, indem sie seit ihrer Gründung mit den Logischen Untersuchungen ein Fundamentalverfahren anstrebt, das jenseits der Ergebnisse der positiven Wissenschaften und diesseits des natürlichen Erfahrens angesiedelt ist. Husserls Vorgehen ist demnach positiv und negativ zugleich. Es geht ihm positiv um eine Topographie des Weltlichen, indem ›Welt‹ im Ausgang von einzelnen, intentionalen Erfahrungen dem Anspruch eines Subjekts nach freigelegt wird. ›Welt‹ wird sodann dem Sinne nach am Rand der konstitutiven und intentional verfaßten Erlebnisse beschrieben, so daß eine regionale, nach 21 22

Hua IV, S. 103f. Hua VIII, S. 434.

1. Phänomenologie als Kritik des Anspruchs von ›Welt‹

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Einstellungsarten differenzierte Gliederung von ›Welt‹ ersichtlich werden kann. Negativ bleibt dieses Verfahren derart, daß die leistende Subjektivität selbst nicht auf ›Welt‹ reduziert werden kann, daß sie sich zwar in ihren Funktionen ›in Welt‹ verwirklicht, ohne jedoch darin bloß als Teil derselben zu enden. Husserl offeriert demgemäß kein neues Projekt unter dem Titel einer Cosmologia generalis, wenngleich er auf den ersten Blick ähnlich wie etwa Wolff eine Synchronisierung – allerdings im Stile einer Inszenierung – der vorliegenden Weltkonzepte in Angriff nimmt; er beschränkt sich ebenso nicht auf eine schlichte Schilderung populärer ›Welterfahrungen‹, obgleich materiale Ontologien ihrer eidetischen Struktur nach sehr wohl vorgestellt werden; und Husserl reformuliert auch nicht die transzendentale Dialektik der Kritik der reinen Vernunft, obwohl er in transzendentaler Manier jedweden Dogmatismus der Wirklichkeit bekämpft. Husserl durchbricht vielmehr die finiten Strukturen von ›Welt‹, wie sie sich in fast allen Einstellungen in ›Welt‹ kundtun, auf ihre unterschiedlichen infiniten Möglichkeiten. Ist es das Kantische Verdienst, am Ende des 18. Jahrhunderts den Weltbegriff als Idee ontisch entgrenzt und erkenntniskritisch begrenzt zu haben, um die dogmatische Metaphysik seiner Zeit erkenntnistheoretisch in ihre Schranken zu weisen, so ist es das Husserlsche Verdienst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ›Welt‹ im Sinne von Leistungen und Einstellungen topographisch abzuschreiten, ohne jedoch selbst dem Topos ›Welt‹ zu verfallen. In diesem Sinne offeriert die Husserlsche Phänomenologie eine Kritik des Anspruchs von ›Welt‹. »In der natürlichen Naivität ist für uns die Welt in der jeweiligen erlebnismäßigen Umweltlichkeit unberedet, fraglos unbeachtet eben die Welt seiender, wirklicher Boden für alle unsere Akte; mit was immer wir beschäftigt sind, es ist ein einzelnes, dieses Ding, dieser Baum usw., inmitten der Welt, ein Etwas in seiner unthematischen, aber mitseienden Umgebung, die selbst wieder ihre Umgebung hat, eben schließlich Welt. Die Epoché vollziehen heißt, diese unthematische Vorgeltung, den Geltungsboden für alle thematische Vollzüge und ihre Geltungen, inhibieren. Die immer noch erscheinende Welt verwandelt sich, total als Welt, in ein bloßes Phänomen, in ein Erscheinendes des Erscheinens, Geltendes des Geltens, reines Korrelat dieser Korrelation, wobei das Ich aufhört, als Mensch in der Welt schlicht ›da‹ zu sein. Es ist verwandelt in das Ego, das frei über allen Geltungen, über dem Geltungsuniversum, über der totalen naiv seienden Welt steht.«23 Dieser Blick der Phänomenologie auf die Ursprünge einer stets nachträglichen Subjektivität24 bekundet sich in der durchgeführten phänomenologi23

Hua XXVII, S. 218f. Vgl. hierzu K. Schuhmann, Die Fundamentalbetrachtung der Phänomenologie, 1971, S. XXXVIII. 24

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

schen Systematik und hinsichtlich der Entfaltung des Themas ›Welt‹ als eine ›utopische Topographie des Weltlichen‹.25 Kommt das Subjekt zu seiner ursprünglichen Subjektivität gleichsam stets zu spät, weil es sich immer schon als ›weltendes‹ im voraus ›verweltlicht‹ hat, so bleibt ineins der Zugang zu ›Welt‹ als notwendigem Boden der Subjektivität stets unvorgreiflich, weil ihm ›nur‹ eine nachträgliche Begründungsfunktion zugesprochen werden kann – all dies aber gilt, gerade weil Husserl von der ›Bodengeltung‹ ›der Welt‹ spricht. Als eine Topographie präsentieren sich Husserls Analysen vor diesem Hintergrund in einem doppelten Sinne. Husserl beschreibt zum einen die Orte als ›Welt‹, worin das intentional verfaßte Subjekt sich einstellt; zum anderen sind es die Einstellungen selbst, innerhalb derer eine topographische Struktur von Korrelationen zum Thema wird. Daß Husserls Verfahren jedoch nur dann adäquat begriffen werden kann, wenn es als eine ›utopische Topographie‹ charakterisiert wird, meint nicht, daß der Phänomenologe ein absolut unzugängliches ›Ego‹ postuliert; ebensowenig wird hier auf einen absoluten Standpunkt hingewiesen, von dem aus Husserl sich den Fragestellungen annimmt. Hingewiesen wird vielmehr darauf, daß erstens die phänomenologische Art der Betrachtung sich jenseits der vollzogenen Einstellungen ›in Welt‹ auf das Phänomen des ›weltens‹ konzentriert und daß zweitens eine Form der Subjektivität zum Aufweis kommt, die sich nicht nur in ›Welt‹ einstellt, sondern sich auf dem Grund von ›Welt‹ über ihr Eingestellt-sein und Einstellen, und damit über ›Welt‹ orientiert. Um diese Zusammenhänge detailliert darzulegen und in ihren unterschiedlichen Manifestationen mit Blick auf das Weltthema zu erfassen, genügt es nicht, nur eine Schrift Husserls zu konsultieren oder nur eine besonders prägnante Formulierung herauszugreifen. Die Entfaltung der ›Weltthematik‹ im Stile einer utopischen Topographie des Weltlichen beginnt nicht mit der Krisis-Schrift (sie endet übrigens dort auch nicht); die Systematik ist nur im Ausgang von der dargelegten Geschichte des Ausdrucks ›Welt‹ und im Durchgang durch das Werk Husserls zu begreifen.

2. Die ›Welt‹ der Phänomenologie in der Interpretation Es ist nicht nur das Verdienst Husserls, der Philosophie neue Wege gebahnt zu haben, es gehört ebenso zu seinen ›Erfolgen‹, den Zugang zur Phänomenologie sowohl der Methode als auch dem Stil nach zuweilen als ein Mysteri25

Vgl. hierzu das folgende Kapitel IV, wo die angeführte Systematik ausgelegt wird. Vgl. weiterhin die Anmerkungen Gerhard Funkes zu dem Verhältnis ›topisch-utopisch‹ mit Blick auf die Phänomenologie und den Status ihrer Methode, G. Funke, Phänomenolo-

2. Die ›Welt‹ der Phänomenologie in der Interpretation

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um erscheinen zu lassen. Dergestalt präsentieren sich fast notwendig die Interpretationen bezüglich ›der Welt‹ in der Husserlschen Phänomenologie, und nur um diese soll es im folgenden gehen, alles andere als einheitlich. Beklagt wird neben der scheinbaren Introversion von ›Welt‹ in ein Bewußtsein26 ebenso der vermeintliche Verlust von ›Welt‹ durch die Epoché als ›Weltvernichtung‹. Korrelativ liegt dann die Vermutung nahe, in der ›transzendentalen Subjektivität‹ die ungezügelte, weltflüchtige Herrschaft eines autistischen ›Egos‹ erblicken zu dürfen.27 Sozusagen als späte Versöhnung, aber wiederum doch nicht vereinbar mit Husserls idealistischem Vorgehen seiner sich an Descartes abarbeitenden, gleichzeitig den »Goldgehalt« der Kantischen Philosophie herausschmelzenden28 Phänomenologie in den Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, den Cartesianischen Meditationen und der Formalen und transzendentalen Logik kommen die späten Untersuchungen zur ›Lebenswelt‹ in der Krisis – sie scheinen ein Versprechen einzulösen: das der universal gültigen Auszeichnung der ›einen und

gie – Metaphysik oder Methode, 21972, S. 34, 53, 136 ff. Vgl. weiterhin K.-H. Lembeck, Seinsformen, 1999. 26 Vgl. z. B. die häufig auch für das allgemeine Verständnis von Husserls Phänomenologie typischen Aussagen von H. Kessler, Die Lebenswelt Husserls und das Geistesleben, 1998, S. 267: »Die Welt wird vom Weltbewußtsein gleichsam eingemeindet. Was nicht ins Bewußtsein gelangt, existiert für Husserl nicht. Die Wirklichkeit ist also um das Unbewußte und Unterbewußte vermindert, selbst um unbewußte Geistesregungen, vom Psychischen und Physischen ganz zu schweigen.« – Abgesehen davon, daß die Rede von der ›Eingemeindung‹ ›der Welt‹ durch das Bewußtsein mit Kategorien der transzendenten Wirklichkeit arbeitet und dadurch einem Kategorienfehler sehr nahe kommt, übersieht eine derartige Auslegung, daß die Erfahrung bei Husserl »kein Loch in einem Bewußtseinsraume« ist, »in das eine vor aller Erfahrung seiende Welt hineinscheint« (Hua XVII, S. 239); zudem übergeht die Aussage, Husserl habe das ›Unbewußte‹ resp. ›Unterbewußte‹ nicht registriert, die programmatische Umschreibung der Phänomenologie als diejenige Disziplin, worin »die reine und sozusagen noch stumme Erfahrung […] zur reinen Aussprache ihres eigenen Sinnes zu bringen ist« (Hua I, S. 67). 27 F.J. Wetz, Wider den Absolutismus der Welt, 1991, S. 291: »In der transzendentalen Phänomenologie schlägt der Absolutismus der Welt in den Absolutismus der Subjektivität um.« – Derartige Pointierungen lassen sich durchaus mit Äußerungen Husserls belegen, doch als letztes Wort genommen lassen sie auch die Beute für den Schatten fallen; die komplexere Struktur der Husserlschen Argumentation, die zwar ›Reduktion übt‹, jedoch den ›Reduktionismus‹ zu umgehen sucht, bringen Schuhmanns konzise Ausführungen zur ›absoluten Relativität‹ von ›Welt‹ zum Vorschein: »Welt ist absolut relativ. Und die Absolutheit des Weltseins schließt dieses Sein dergestalt gegen alles andere Sein ab, daß Welt von sich her ihr Sein mit nichts anderem teilt. Vielmehr ist sie einzig in ihrem Sein: Welt ist in ihrer Relativität absolut«; K. Schuhmann, Die Fundamentalbetrachtung der Phänomenologie, 1977, S. 145. 28 Hua XXV, S. 206: »Kants Werk ist überreich an Goldgehalt. Aber man muß es zerbrechen und im Feuer radikaler Kritik schmelzen, um diesen Gehalt herauszubekommen.«

156

III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

einzigen Welt‹ als faktischer und konkreter ›Lebenswelt‹, das Husserl zwar angedeutet hat, jedoch nicht im Sinne eines Reduktionismus.29 So uneinheitlich in der Literatur auch die Qualifikation dessen ist, was Husserl mit ›der Welt‹ im Schilde führt und worauf seine Untersuchungen letztendlich abzielen, so klar ist andererseits doch, daß kein Weg an Husserl vorbeiführen kann, wenn ›Welt‹ zum Problem der Philosophie geworden ist. »Jede künftige Klärung des Begriffs der Welt«, so Landgrebe, »ist […] darauf angewiesen, eine Übersicht über die Ergebnisse Husserls, über ihre Voraussetzungen und ihre Grenzen zu gewinnen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.«30 Das Problem bricht jedoch auf, wenn es um die Resultate bzw. die Absicht der Husserlschen Untersuchungen betreffs ›Welt‹ geht. Strasser betont, daß, wie aus Husserls Schriften »deutlich« hervorgehe, die »Frage nach dem Wesen der Welt« das »Zentralproblem der Phänomenologie Edmund Husserls«31 sei. Doch es ist in Rechnung zu stellen, daß man bei der Suche

29

Vgl. u. a. die in den 50er und 70er Jahren entstandenen Arbeiten Brands zur ›Lebenswelt‹; G. Brand, Welt, Ich und Zeit, 1955; G. Brand, Die Lebenswelt, 1971; G. Brand, Welt, Geschichte, Mythos und Politik, 1978. – Zur Kritik an Brand vgl. auch F.-W. v. Herrmann, Lebenswelt und In-der-Welt-sein, 1972, S. 141 Anm. 37. – Die These, Husserl habe mit der Krisis und mit dem Rückgang auf die ›Lebenswelt‹ seinen vorherigen Cartesianismus verabschiedet, ist nicht unüblich; vgl. z. B. in diesem Sinne J.P. Kerz, Lebenswelt und Sprache, 1981; W. Marx, Vernunft und Welt, 1970, S. 62, stellt fest, daß Husserl zwar bis zuletzt »nur der Vernunft und dem Geist dienen« wollte, er aber dennoch »sich von den Bestrebungen seiner Zeit, die Vernunft in Frage zu stellen, nicht ganz freimachen« konnte. Demgegenüber kann man jedoch auch die These vertreten, daß Husserl schon mit dem Projekt der Ideen II, und natürlich verstärkt in den 20er Jahren, neue Wege sucht, einen Einstieg in die transzendentale Phänomenologie zu gewinnen; dies bedeutet aber nicht, daß die in den Ideen I vorgeführten phänomenologischen Analysen des Bewußtseins überflüssig oder gar falsch wären, sie bleiben ihrem Gehalt nach unberührt. Denn Husserl kritisiert weniger die Untersuchungen selbst als das nur in den Ideen I angedeutete und nicht ausgeschrittene Einstiegsszenario; vgl. z. B. Hua XXIX, S. 425 f: »Diese Welt, die uns selbstverständlich seiende und altvertraute in ihrer allgemeinen Form und in ihrer aus unserem Leben uns vertraut gewordenen Typik, wurde in den Ideen nur in rohesten Zügen umschrieben, obschon ausdrücklich hervorgehoben wurde, daß die Aufgabe einer systematischen Analyse und Deskription dieser Heraklitisch-beweglichen Welt ein großes und schwieriges Problem sei [vgl. Hua III/I, S. 61]. Damit war ich zwar schon jahrelang vorher beschäftigt, aber ich war noch nicht weit genug, es in seiner Universalität zu durchdringen.« – Zu Husserls Cartesianismus und der Funktion, die Descartes in der Phänomenologie übernimmt und übernehmen kann vgl. E.W. Orth, Die unerfüllte Rolle Descartes‹ in der Phänomenologie, 2000. 30 L. Landgrebe, Welt als phänomenologisches Problem (1940), 1963, S. 41. 31 S. Strasser, Der Begriff der Welt in der phänomenologischen Philosophie, 1976. – Die Studie Strassers gehört zu den wenigen Arbeiten, die Husserls Gebrauch von ›Welt‹ und seine Analysen zur ›Welt‹ in einen größeren historischen Zusammenhang stellen. Eine einführende Explikation der phänomenologischen Systematik offeriert ebenso K. Held, Husserls neue Einführung in die Philosophie: der Begriff der Lebenswelt, 1991. – Andere

2. Die ›Welt‹ der Phänomenologie in der Interpretation

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nach der Eidetik von ›Welt‹32 in Husserls Werken und Fragmenten durchaus Unterschiedliches und zuweilen auch Widersprüchliches findet. Ist es Landgrebe, der in Husserls Ausführungen die notwendigen Präliminarien zu einer Begriffsklärung von ›Welt‹ erblickt, und ist es Strasser, der Husserl einräumt, das ›Wesen‹ von ›Welt‹ zum Problem gemacht zu haben, so formuliert Fink – mit Husserls Einverständnis –, eine ›Grundfrage‹ mit Bezug auf ›Welt‹, die die Phänomenologie in Angriff nehme: »Die Grundfrage der Phänomenologie, zu der sie von vielen, an traditionelle Probleme anknüpfenden Einsätzen her unterwegs ist und in der sich ihr radikaler Gegensatz zum Kritizismus offenbart, läßt sich formulieren als die Frage nach dem Ursprung der Welt.«33 Fink präzisiert diesen durchaus aus nicht-phänomenologischer Perspektive mißverständlichen34 Gedanken dahingehend, daß »das Untersuchungen fokussieren meist nur das Alterswerk Husserls oder einen Ausschnitt aus Husserls Denken. So kritisiert M. Köppel, Zur Analyse von Husserls Welt-Begriff, 1977, S. 234, Husserl beispielsweise dahingehend, daß dieser »nur eine Welt in reflexiver Vergegenwärtigung vorstellt, nicht die Welt, wie sie in unmittelbarer Wahrnehmung gegenwärtig ist«. Es wäre allerdings darauf zu verweisen, daß Husserls Analytik der Welt im Sinne eines Horizonts in den Wahrnehmungsanalysen, wenngleich auch ›nur‹ am Rand der Wahrnehmung selbst, aufbricht. Vgl. auch die Darlegungen von J.-K. Lee, Welt und Erfahrung, 1991, der die Ausführungen Husserls in den Ideen I nicht eigens thematisiert. 32 Zur »Welteidetik« vgl. Hua IX, S. 460. 33 E. Fink, Die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls in der gegenwärtigen Kritik (1933), 1966, S. 101. – Bekanntlich schreibt Husserl in seinem Vorwort zu der von Fink in den Kant-Studien veröffentlichten Arbeit, »daß in derselben kein Satz ist, den ich mir nicht vollkommen zueigne, den ich nicht ausdrücklich als meine eigene Überzeugung anerkennen könnte« (Hua XXVII, S. 183). 34 Mißverständlich ist die Formulierung insbesondere deshalb, weil das Problem des ›Ursprungs‹, das ebenso ein zentrales Problem des Neukantianismus markiert, Husserl besonderes Kopfzerbrechen im Übergang zu den 20er Jahren und im Zusammenhang der Etablierung einer ›genetischen Phänomenologie‹ bereitete; doch bereits früher, in den Prolegomena, handelt Husserl vom ›Ursprung‹ – vom »logischen Ursprung« (in der zweiten Auflage dann vom »phänomenologischen Ursprung«) der logischen Kategorien –, um jedoch sogleich »die unpassende und aus Unklarheit erwachsene Rede vom Ursprung zu beseitigen« (Hua XVIII, S. 246). Denn es kann nicht heißen, auch nicht in seinem späteren Schaffen, daß Husserl eine neue Kosmogonie im Sinne einer naturalen Schöpfungsgeschichte vorstellt (vgl. hierzu die aus philosophischer Perspektive immer noch wegweisende Aufklärung klassischer Kosmogonien von R. Hönigswald, Vom erkenntnistheoretischen Gehalt alter Schöpfungserzählungen (1938), 1957); auch geht es Husserl nicht um eine Deduktion oder Ableitung von ›Welt‹ aus einem transzendentalen Ego, denn es »ist natürlich ein lächerliches, obschon leider gewöhnliches Mißverständnis, die transzendentale Phänomenologie als ›Cartesianismus‹ bekämpfen zu wollen, als ob ihr ›ego cogito‹ eine Prämisse oder Prämissensphäre wäre, um aus ihr die übrigen Erkenntnisse […] in absoluter ›Sicherung‹ zu deduzieren« (Hua VI, S. 193); vgl. weiterhin das Manuskript Die phänomenologischen Ursprungsprobleme, Hua XIII, S. 346–357, wo Husserl deutlich macht, daß ihm die Frage nach dem Ursprung gleichbedeutend ist mit dem Abbau der Phänomene als ›Gegenstände im Wie‹ in subjektiver Hinsicht; dieser Abbau von Geleistetem hin auf Leistungen

158

III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

wahre Thema der Phänomenologie« nicht darin erblickt werden dürfe, ein transzendentales Subjekt ›der Welt‹ schlicht gegenüberzustellen, so daß aus jenem diese deduziert werden könnte; Aufgabe der Phänomenologie sei es demgegenüber vielmehr, »das Werden der Welt in der Konstitution der transzendentalen Subjektivität«35 zu entfalten.

* Obgleich Landgrebe, Fink und Strasser Husserls Philosophie nicht auf einen Topos reduzieren, sie im Gegenteil die Frage nach ›Welt‹ in Husserls Philosophie als Generalanliegen zu betrachten suchen, so zeigt doch die Rezeptionsgeschichte, daß im wesentlichen ein Thema die Diskussionen beherrscht hat – die ›Lebenswelt‹.36 Ohne daß an dieser Stelle sämtliche Kritikpunkte zur ›Lebenswelt‹ bzw. alle positiven Weiter- und Ausführungen dieses Themas en détail angeführt werden können,37 seien doch einige typische Fragen skizziert, um die prinzipiellen Schwierigkeiten der Auslegung vorzustellen. In einem gewissen Sinne sind die Auseinandersetzungen um die ›Lebenswelt‹ symptomatisch auch für die Probleme, die ›Welt‹ im allgemeinen in der resp. Konstitutionen kann auf unterschiedlichen Ebenen vollzogen werden (auch in der Psychologie), und er kann in einer statischen und einer genetischen Hinsicht vollzogen werden. 35 E. Fink, Die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls in der gegenwärtigen Kritik (1933), 1966, S. 139. 36 Zum Überblick vgl. A.F. Aguirre, Die Phänomenologie Husserls im Licht ihrer gegenwärtigen Interpretation und Kritik, Darmstadt 1982, S. 86–149. 37 Neben den Arbeiten von Brand (vgl. oben Anm. S. 156 Anm. 29), Fellmann (vgl. oben S. 94, Anm. 269, 270) und Welter (vgl. oben S. 94, Anm. 271), auf die bereits hingewiesen wurde, sei zusätzlich aufmerksam gemacht auf H.-G. Gadamer, Die Wissenschaft von der Lebenswelt (1972), 1999, S. 158, der die »revolutionäre Brisanz« des Themas ›Lebenswelt‹ darin erblickt, die »vorgängige, praktisch-politische Begrenzung des MonopolAnspruchs der Wissenschaft« und »ein kritisches Bewußtsein in bezug auf die ›Wissenschaftlichkeit‹ der Philosophie selber« in Gang gebracht zu haben. – Zur (wissens-)soziologischen Applikation von ›Lebenswelt‹ wie sie u. a. bei A. Gurwitsch, Die mitmenschlichen Begegnungen in der Milieuwelt (1931), 1977, besonders aber bei A. Schütz/Th. Luckmann, Strukturen der Lebenswelt (1975), 1979, und P. L. Berger/Th. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (1966), 1998, zu finden ist, vgl. W. Lippitz, Der phänomenologische Begriff der ›Lebenswelt‹, 1978. – Daß der Rückgang auf die ›Lebenswelt‹ in den letzten Jahren ebenfalls für die Etablierung einer interkulturellen Verständigung genutzt wurde, belegen die Überlegungen von T. Ogawa, Die Hausverwaltung der Welt und die Umweltkrise, 1995; in diesem Horizont bewegen sich auch die neueren Studien Helds, vgl. K. Held, Welt, Leere, Natur, 1995; K. Held, Horizont und Gewohnheit, 1998; K. Held, Sky and Earth as Invariants of the Natural Life-World, 1998; K. Held, Lebenswelt und Natur, 1999; zu diesem Komplex vgl. im Ganzen den Sammelband, E.W. Orth/C.F. Cheung (Hg.), Phenomenology of Interculturality and Life-world, 1998. – Zu weiteren Studien zur ›Lebenswelt‹ vgl. ebenso die bibliographischen Angaben in K. Held, Lebenswelt, 1990, S. 599f.

2. Die ›Welt‹ der Phänomenologie in der Interpretation

159

Phänomenologie Husserls betreffen. Es handelt sich beispielsweise um die literarische Darstellung eines phänomenologischen Sachverhalts, um die Geschlossenheit und Einheit der Husserlschen Argumente, aber auch um die Fixierung eines Textes als den maßgeblichen und für das Problem einschlägigen. Daß mit ›Welt‹ bzw. ›Lebenswelt‹ ein thematisches Feld eröffnet wird, das auf seine unterschiedlichen subjektiven Leistungen hin zu befragen, auszulegen und auch transzendentalphänomenologisch zu begrenzen ist, gerät allzu leicht aus dem Blickfeld, wenn Husserl eingeschränkt wird auf eine Fragestellung, ein Problem, einen Text, ein Argument oder eine Antwort. Husserls Phänomenologie präsentiert sich den Schriften und den Inhalten nach durchaus als ein mehrstimmiger Chor – der allerdings von einer Melodie getragen wird. Er offeriert in diesem Rahmen mit den unter ›Welt‹ oder auch ›Lebenswelt‹ auftretenden Untersuchungen weniger effektive Lösungen als daß vielmehr offene Problemkonstellationen vorstellig werden, die, wie Husserl selbst betont, »verschiedene, obschon wesensmäßig aufeinander bezogene wissenschaftliche Aufgabenstellungen«38 verlangen. Eindeutige Antworten kann man nicht erwarten, wenn das Problem seinen vielfältigen Schichten nach abgetragen, seiner doppeldeutigen Struktur nach aufgewiesen und hinsichtlich seines philosophischen Gehalts erst freigelegt werden soll. Die fehlende Eindeutigkeit wird Husserl jedoch häufig vorgeworfen. Auch verwirrt beispielsweise Husserls literarische Strategie, ›Lebenswelt‹ abgrenzend und negativ zu bestimmen. Im Gegensatz zum Wissenschaftstyp seiner Zeit, in Differenz zum Positivismus, in Kontraposition zu einer falsch verstandenen Psychologie kommt Husserl in der Krisis auf ›Lebenswelt‹ zu sprechen, so daß der Ausdruck von Held geradezu notwendig als »Kontrastbegriff«39 verstanden wird. Es ist sicherlich dem Befund zuzustimmen, daß die 38

Hua VI, S. 127. K. Held, Heraklit, Parmenides und der Anfang von Philosophie und Wissenschaft, 1980, S. 55: »›Lebenswelt‹ ist ein Kontrastbegriff. Husserl hat diesen Terminus eingeführt als Gegenbegriff zu der radikal entperspektivierten, entsubjektivierten Welt, die Gegenstand neuzeitlicher Wissenschaft ist, und als Gegenbegriff zur relativ entperspektivierten Welt von Wissenschaft überhaupt«. – Ähnlich, mit Bezug auf die Kontrastierung des Lebensweltlichen als Natürlichem resp. Historischem im Gegensatz zum objektiv Seienden argumentieren H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode (1960), 1999, S. 251f. und G. Funke, Phänomenologie – Metaphysik oder Methode? (1966), 21972, S. 141ff. – Die Kontraposition der ›Lebenswelt‹ zur Wissenschaft ist ebenso Thema bei J.P. Kerz, Lebenswelt und Sprache, 1981, S. 32, der daran anschließend auf die »schwierige Lage« der Phänomenologie zu sprechen kommt, daß »sie nicht auf die fertige Gestalt der Lebenswelt zurückgreifen kann, da sie als solche nicht vorliegt. Der Begriff einer Lebenswelt wird erst möglich nach der Kritik an der alles erklärenden Wissenschaft.« – Zu diesem Themenkomplex vgl. auch die Sammelbände C. F. Gethmann (Hg.), Lebenswelt und Wissenschaft, 1991, und E. Ströker (Hg.), Lebenswelt und Wissenschaft in der Philosophie Edmund Husserls, 1979. 39

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

Freistellung der ›Lebenswelt‹ von Husserl im Kontrast zu positivistischen Wissenschaftsidealen durchgeführt wird; doch problematisch bleibt die Folgerung, daß es keine ›Wissenschaft von der Lebenswelt‹ geben könne, resp. daß ›Lebenswelt‹ dem Gehalt nach immer nur so mächtig sein könne, wie es die dargestellte positive Wissenschaft ist.40 Denn erstens ist Husserl der Ansicht, daß man »das Problem der Seinsweise der Lebenswelt an und für sich«41 vorlegen könne und zweitens eine ›Wissenschaft der Lebenswelt‹ wohl möglich sei. Allerdings ist die geforderte »Wissenschaftlichkeit, die diese Lebenswelt als solche und in ihrer Universalität fordert, eine eigentümliche, eine eben nicht objektiv-logische, aber als die letztbegründende nicht die mindere[,] sondern die dem Werte nach höhere«42. Im letzten und höchsten Sinne erscheint dann die Phänomenologie als eine recht verstandene Bewußtseinsphilosophie im Sinne einer Wissenschaft von der Lebenswelt, da sie nicht ›eine Welt‹ ihren objektiven Gehalten nach abschreitet, sondern die Strukturen der ›lebendigen Intentionalität‹ als ›Lebenswelt‹ aufdeckt, die sich in ›Lebenswelt‹ als einer personal-intersubjektiven ›Welt‹ kundtun. Damit ist zugleich eine weitere, sich aufdrängende Hypothese in ihre Grenzen gewiesen – Husserls Existentialismus und die in der Krisis sich andeutende Relativierung der transzendentalen Phänomenologie, wie sie in den Ideen I vorstellig wird.43 Wenn Husserl den Rückgang auf ›die Lebenswelt‹

40

K. Held, Heraklit, Parmenides und der Anfang von Philosophie und Wissenschaft, 1980, S. 62: »Wenn […] Lebenswelt als Kontrastbegriff zur wissenschaftlichen Welt verstanden werden muß, dann gibt es keine Lebensweltforschung, die beliebig mal hier mal dort in die Geschichte oder gar Urgeschichte hineinleuchtet, sondern dann kann eine methodisch gesicherte Theorie der Lebenswelt nur geschichtlich regressiv von unserer gegenwärtigen Lebenswelt und dann von der frühgriechischen Lebenswelt aus zurückfragend entwickelt werden.« – Ähnlich, ohne allerdings einen positiven Anhalt an der Geschichte zu finden, argumentiert auch Blumenberg, der neben der metaphorischen Deutung der ›Lebenswelt‹, den Ausdruck zuweilen auch als »Grenzbegriff« bezeichnet und ausführt, daß die »Lebenswelttheorie«, »so ruppig sich dies ausnehmen mag, nicht dem Verständnis der Lebenswelt« diene; H. Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit, 1986, S. 63, 22, vgl. auch S. 66ff.; vgl. weiterhin H. Blumenberg, Lebenswelt und Technisierung unter Aspekten der Phänomenologie (1963), 1996, bes. S. 24f.; vgl. ebenso die durchaus gelungene, in feuilletonistischer Manier verfaßte Parabel, worin Blumenberg den Versuch parodiert, ›Lebenswelt‹ ihren mundanen Inhalten nach zu schildern in: H. Blumenberg, Begriffe in Geschichten, 1998, S. 120. 41 Hua VI, S. 125f.: »Also man kann das Problem der Seinsweise der Lebenswelt an und für sich vorlegen, man kann sich ganz auf den Boden dieser schlicht anschaulichen Welt stellen, alle objektiv-wissenschaftlichen Meinungen, Erkenntnisse außer Spiel lassen, um dann allgemein zu erwägen, was für ›wissenschaftliche‹, also allgemeingültig zu entscheidende Aufgaben sich hinsichtlich ihrer eigenen Seinsweise ergeben. Könnte das nicht ein großes Arbeitsthema abgeben?« 42 Hua VI, S. 127; vgl. Hua VI, S. 399. 43 Vgl. J. Kraft, Von Husserl zu Heidegger (1932), 21957, S. 120, der die »subtilen Kon-

2. Die ›Welt‹ der Phänomenologie in der Interpretation

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fordert, er die ›Bodengeltung der Lebenswelt‹ in Anspruch nimmt, die Auslegung der ›Lebenswelt‹ zum Programm erhoben und das Projekt einer ›Ontologie der Lebenswelt‹44 zu einem ureigenen Unterfangen der Phänomenologie erklärt wird, so bedeutet dies im Falle Husserls keine existentielle Analyse des Daseins, die die transzendentale Phänomenologie und Bewußtseinsanalytik desavouieren würde. Denn – wie es apodiktisch, aber auch klärend heißt – mit der Frage nach dem »Apriori« der ›Lebenswelt‹ »kommen wir in die transzendentale Betrachtung der Lebenswelt, und anders ist ein Apriori nicht zu gewinnen«, wie überhaupt »das alles« Fragen sind, »die an den Transzendentalphilosophen gestellt sind«45 – und, so möchte man hinzufügen: in einem Existentialismus gar nicht erst in Angriff genommen werden. Auch ist sich Husserl der Schwierigkeiten bewußt, wenn er von einer ›Ontologie der Lebenswelt‹ spricht; dem Wortsinne nach, ist dies nämlich, wie er selbst zu Bedenken gibt, »eine widersinnige Ausdrucksweise«46, da ein ›Sein‹ schlechthin in der Phänomenologie nicht zum Thema werden kann, »sondern alle Ontologie überhaupt in einer universalen Phänomenologie der Subjektivität impliziert ist«47. Wenn demnach Carr ausführt, daß »those who regard the Crisis as a kind of deathbed conversion to existentialism and a renunciation of his earlier efforts have simply not read the text«48, so wird man ihm zustimmen müssen. Demgegenüber, so Carr, seien es nicht die Untersuchungen zur ›Lebenswelt‹ selbst, die die Krisis auszeichneten, es sei der Weg zu ihnen – »nameley, not struktionen des ›reinen Ich‹ oder später sogar einer ›transzendentalen Subjektivität‹« nicht mehr mit dem Lebensweltthema in Verbindung zu bringen vermag und in der Ausarbeitung von Letzterem eine ›anti-intellektualistische‹ Kehre Husserls vermutet. 44 Hua VI, S. 176ff. 45 Hua XXIX, S. 326, 327; vgl. S. 324: »Das Apriori der Lebenswelt liegt nicht auf der Hand als eine direkt zu ergreifende Evidenz […].« 46 Hua XXIX, S. 173, Anm. 2; vgl. ebenso die Bemerkung in Hua VI., S. 177. 47 Hua XXIX, S. 133. – Es ist nicht unwichtig, daß Husserl seit Beginn der phänomenologischen Arbeit ein eigenes, vielleicht auch eigentümliches Verständnis von Ontologie ausbildet. Einerseits leugnet Husserl nicht, »daß es neben und über den nur relativen Seinswissenschaften eine endgültige Seinswissenschaft geben muß, die erst unsere höchsten und letzten Seinsinteressen zu befriedigen , die zu erforschen hat, was im letzten und endgültigen Sinn als das Wirkliche zu gelten hat« (Hua XXIV, S. 99); doch der »Phänomenologe urteilt nicht ontologisch, wenn er einen ontologischen Begriff oder Satz als Index [!] für konstitutive Wesenszusammenhänge erkennt, wenn er in ihm einen Leitfaden sieht für intuitive Aufweisungen, die ihr Recht und ihre Geltung rein in sich selbst tragen« (Hua III, S. 379f.). Und in diesem Sinne kann es gleichsam eine nicht-ontische »Ontophänomenologie« geben, in der nicht »die Existenz des Wahrgenommenen und irgendeine reale Existenz überhaupt« »in Frage« steht, sondern »das Wesen der Wahrnehmung, das Wesen des Urteils, das Wesen der Evidenz« (Hua XVI, S. 140); vgl. zu Husserls Ontologiebegriffen besonders K.-H. Lembeck, Seinsformen, 1999. 48 D. Carr, Husserl’s Crisis and the Problem of History (1974), 1987, S. 72.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

through the phenomenological reduction alone but through the historical reduction«49. Abgesehen davon, daß ›Lebenswelt‹ einerseits im 19. Jahrhundert im Kontext nicht bloß monistischer Diskussionen immer nur historisch zugänglich werden konnte, die Untersuchung der ›Lebenswelt‹ andererseits zugleich als die Eingangspforte zur Geschichtlichkeit des Menschen und des Lebens schlechthin angesehen wurde,50 ist darauf aufmerksam zu machen, daß in der Phänomenologie weder eine Deszendenztheorie noch die Geschichte allein die transzendentale Analytik des Bewußtseins ersetzen können. Denn Husserl selbst sieht, daß »diese Lebenswelt (allzeitlich genommen) nichts anderes ist als die historische Welt«,51 als ›allzeitliche‹ ist und bleibt sie eine intentionale Rekonstruktion intentionaler Erlebnisse, die die Geschichtlichkeit des Daseins in der Zeitlichkeit des Erlebens eines Bewußtseins gründen läßt. Eine grundlegende – jedoch aus phänomenologischer Sicht geradezu notwendige – Äquivokation, die der Ausdruck ›Lebenswelt‹ in der Husserlschen Phänomenologie stiftet, wurde von Claesges auf seinen zweideutigen Gebrauch zurückgeführt, der den Ausdruck in letzter Konsequenz zu einem »ontologisch-transzendentale[n] Zwitterbegriff«52 werden läßt. Einmal nämlich scheint ein in passiver Habe vorfindlicher und naiv zugänglicher Rahmen damit gemeint zu sein, der seinen ontischen Inhalten nach schlicht abgeschildert werden könnte, und ein anderes Mal scheint der Ausdruck ein transzendentalphilosophisch konstituiertes Reflexionsprodukt zu bezeichnen, das sich auch nur in reduktiver Einstellung erfassen läßt.53 Diese Feststellung einer Äquivokation kann mit gutem Recht hinsichtlich der phänomenologischen Methode schlechthin getroffen werden, so daß prominente Analysen – hingewiesen sei etwa auch auf den methodisch verwandten Befund des ›Leibkörpers‹ – als eine Zwittergestalt zwischen Ontologismus und Transzendentalismus zu betrachten sind. Dies zeigt z. B. auch Husserls Analyse der Sprache. So kann zum einen die Sprache in der Phänomenologie ihren semantischen Funktionen nach schlicht beschrieben und ausgelegt werden, während die Sprache zugleich als Konstitutionsgebilde eine intentionale Ana-

49

Ebd., S. 90; vgl. hierzu auch die Ausführungen in D. Carr, Phenomenology and the Problem of History, 1974. – Ähnlich argumentiert auch L. Landgrebe, Das Problem der transzendentalen Wissenschaft vom lebensweltlichen Apriori (1963), 1967, S. 158: »der Horizont der Lebenswelt ist nichts anderes als der Horizont der Weltgeschichte«; vgl. auch L. Landgrebe, Lebenswelt und Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins, 1977. 50 Vgl. oben S. 92–114. 51 Hua XXIX, S. 426; zur ›Allzeitlichkeit‹ bei Husserl vgl. auch oben S. 142 Anm. 421. 52 U. Claesges, Zweideutigkeiten in Husserls Lebenswelt-Begriff, 1972, S. 97. 53 Vgl. hierzu auch die Diskussion in K. Held, Heraklit, Parmenides und der Anfang von Philosophie und Wissenschaft, 1980, S. 56ff., wo die sinnverwandte Frage verhandelt wird, ob ›Lebenswelt‹ das Resultat einer aktiven oder passiven Genesis sei.

2. Die ›Welt‹ der Phänomenologie in der Interpretation

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lyse des Sprechens als Sprache in statu nascendi fordert. Ja selbst Husserls Terminologie ist vor derartigen Problemen nicht gefeit; und er gesteht dies auch in seinen Bemerkungen zur phänomenologischen Rede ein: diese nämlich bewegt sich grundsätzlich in einem »Zickzack« zwischen ontologischer Anzeige und transzendentaler Formalisierung.54 Allerdings würde die Diagnose zu kurz greifen, wenn man sie als letztes Wort im Sinne eines Entweder-Oder deutet; es kommt vielmehr darauf an, die von Husserl positiv aufgenommene Zweideutigkeit als Sowohl-als-auch zu begreifen und sie als Triebfeder der Analysen und Beschreibungen zu betrachten.55 Von diesem Punkt aus kann auch die Charakterisierung der Untersuchungen zur Weltthematik als utopischer Topographie des Weltlichen verständlich werden, so daß topographische Beschreibungen von Einstellungen utopischen Charakterisierungen von Leistungen nicht widersprechen, sondern beide Aspekte dasjenige beleuchten, was sich als Konkretes darstellt.

* Hier wie dort relativieren sich zumindest die Probleme, wenn erstens in Rechnung gestellt wird, daß Husserl keine ›Welt‹ vorstellt oder postuliert, sondern das Thema ›Welt‹ den unterschiedlichen Ansprüchen nach entfaltet, analysiert und umgrenzt, zweitens dieses Thema nicht etwa in Husserls Ausführungen zur ›Lebenswelt‹ kulminiert und drittens ›Welt‹ nicht an einem einzigen, ausgezeichneten Ort behandelt wird, sondern gleichsam am Rande fast aller phänomenologischen Analysen seit den Logischen Untersuchungen auftritt. Erinnert sei auch daran, daß die entscheidenden Passagen zum Phänomen ›Welt‹ in der ursprünglich vorliegenden Krisis-Schrift (auch in der Form, wie sie in der Husserliana, Bd. VI, veröffentlicht wurden) nicht zu finden sind. Dasjenige, was Husserl in der publizierten Krisis zu diesem Thema ausführt, bildet letztlich nur ein Vorspiel dazu, die verschiedenen Schichten des Weltbewußtseins56 in einem eigenen, nur fragmentarisch überlieferten Abschnitt zu erarbeiten.57 54

Vgl. hierzu Hua XIX/1, S. 22, die Ausführungen zur phänomenologischen Terminologie in Hua III, S. 206 f., sowie Hua XVII, S. 130; vgl. E.W. Orth, Die Äquivokation des Sprachbegriffs, 1989, sowie mit Blick auf die Sprachphilosophie C. Bermes, Philosophie der Bedeutung, 1997, S. 97–104. 55 Diesem Anliegen folgt K. Schuhmann, Die Fundamentalbetrachtung der Phänomenologie, 1971, S. XXII, denn die »behauptete Widersprüchlichkeit der Phänomenologie« hat »den genauen Sinn«: »die Phänomenologie ist dialektischer Natur«. – Bekanntlich gründet Merleau-Ponty ebenfalls seine Philosophie auf diese ›Wesenseinsicht‹ der Ambiguität; M. Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung (1945), 1974, S. 342–346; vgl. dazu C. Bermes, Maurice Merleau-Ponty zur Einführung, 1998, S. 66ff. 56 So der vom Herausgeber des Textes gewählte Titel für ein Fragment Husserls, das dieser mit Blick auf die weitere Ausführung der Krisis verfaßte; vgl. Hua XXIX, S. 247–271. 57 Zu der verwirrenden Publikationsgeschichte der Krisis-Abhandlung, welche Orth

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

Man würde geradezu einer optischen Täuschung erliegen, wollte man Husserls Phänomenologie auf seine Ausführungen zur ›Lebenswelt‹ reduzieren; und Welton verweist neuerdings angesichts der überschwenglichen Bewertung, die dieses Phänomen in der philosophischen und außerphilosophischen Rezeption erfahren hat, mit Recht darauf, daß ›Lebenswelt‹ in der Krisis nur verständlich werden kann, wenn zugleich die Behandlung von ›Welt‹ in der Phänomenologie bedacht wird: »Of all the basic ideas that phenomenology developed, perhaps none is better known or more widely appropriated across a number of disciplines than the concept of the lifeworld (Lebenswelt). What is not generally recognized, however, is that the notion of the lifeworld is itself derived from the problematics of a prior notion, that of the world.«58 ›Welt‹ jedoch ist nicht ein singuläres, isoliertes Problem in Husserls Denken. ›Welt‹ erschließt sich in der Phänomenologie in pluralen Zugängen und parallel verlaufenden methodischen Überlegungen. Demgemäß kann der Zugang zum ›Thema Welt‹ in der Phänomenologie Husserls keinen Anhalt an einem einzigen Text finden. Husserl hat weder eine Abhandlung über ›die Welt‹ verfaßt, noch hat er je den Ausdruck auf eine eindeutige Weise ›definiert‹, so daß er in dieser Definition in allen seinen Überlegungen auftauchen würde. Aus diesen Gründen erscheint es nicht sinnvoll, sich auf die Krisis zu beschränken oder die Phänomenologie gegen Husserl selbst auszuspielen, indem man dem oft widersprüchlichen Wortlaut direkt folgt und Äquivokationen auf der Ebene des Ausgesagten entdeckt; allerdings scheint es auch problematisch, mit Fink in einem Jenseits der Texte ein ›eigentliches‹ ›Weltproblem‹ zu suchen, zu dem Husserl allenfalls hinführt, das er selbst jedoch nicht behandelt. Bereits 1933 stellt Fink fest, daß »in den publizierten Schriften Husserls« – »im Sinne der Ausformuliertheit des phänomenologischen Philosophiebegriffs« – »die Idee der Phänomenologie nicht vollständig ausgebaut«59 sei und man notwendig in die Situation komme, »den Sinn der Phänomenologie gegen den Wortlaut des Textes verteidigen zu müssen«60. Schließlich könne, so Fink dann 1939, »das Problem« der Phänomenologie, ohne daß es eigens formuliert sei, »vor seiner reflektiven Absetzung in allen besonderen Fragen sich auswirken, hinter allen einzelnen Gedankenmotiven als das Treibende stehen«61. Verweist Fink in den 30er Jahren darauf, daß Husserls als »imaginäres Buch« bezeichnet, vgl. E.W. Orth, Edmund Husserls ›Krisis der europäischen Wissenschaft und die transzendentale Phänomenologie‹, 1999, S. 9–28, sowie die Einleitung des Herausgebers von R. N. Smid in Hua XXIX. 58 D. Welton, World, 1997, S. 736. 59 E. Fink, Die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls in der gegenwärtigen Kritik (1933), 1966, S. 137. 60 Ebd., S. 152. 61 E. Fink, Das Problem der Phänomenologie Edmund Husserls (1939), 1966, S. 179;

2. Die ›Welt‹ der Phänomenologie in der Interpretation

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Parole ›Zu den Sachen selbst‹ nicht durch die schlichte Lektüre der Schriften ersetzt werden kann, daß die Untersuchungen darüber hinaus auch aktiv (mit)vollzogen werden müssen, um die Reichweite der Phänomenologie zu ermessen, so pointiert er später einen isolierbaren Problembestand, den Husserl gemäß der Finkschen Auslegung nicht nur nicht genau gesehen hat, sondern auch aus seinen Untersuchungen auszuschließen scheint – das in der Naivität ersichtliche ›Sein der Welt‹. Es verwundert angesichts dieses Ansatzes dann nicht, wenn Fink schließlich in seiner Philosophie der Nachkriegsjahre von Husserls Schriften abrückt und ›das Weltproblem‹ bei ihm nicht mehr formuliert oder explizit diskutiert findet. Es ist nunmehr nicht wie noch in den 30er Jahren die Frage nach dem transzendentalphänomenologischen ›Ursprung der Welt‹, die Fink zu erläutern versucht, es ist »die Trivialität der Welt«, die für Fink »ein großes Rätsel« und »eine Grundfrage der Philosophie« darstellt. In Husserls Phänomenologie erscheine dies aber nur am Rande, er lasse »die Frage stehen«. Fink selbst aber nimmt »sie ausdrücklich auf«: »Wir stellen das Weltproblem.«62 Es ist sicherlich richtig, daß Husserl nicht das eine Weltproblem gestellt hat, doch dies muß nicht Husserls Analysen schmälern, denn er kannte nicht nur ein Problem sondern deren viele, und Husserl geht es weniger in einem direkten, unverstellten Sinne um das Weltproblem in einem emphatischen Sinne als um die Ansprüche, die indirekt mit ›Welt‹ gegeben oder vorgegeben sind – dazu gehört letztlich auch das oder ein sogenanntes ›Weltproblem‹. Mit Fink aber muß man angesichts der heterogenen Zusammensetzung der Husserlschen Schriften und der gleichzeitig von Husserl immer wieder betonten Einheit des phänomenologischen Philosophierens argumentieren, daß der Begründer der Phänomenologie durchaus, aber vermittelt von ›der Welt‹ handelt – im Sinne eines philosophischen Themas. Versucht man die Zugangsart Husserls zu diesem Thema zu klären, so drängt sich ein Vergleich mit Wittgensteins Philosophieren auf. Denn Husserl übersieht oder überspringt nicht etwa die Welt, doch er schreibt darüber in der Weise, wie etwa Wittgenstein von der Sprache spricht. Ein Problemfeld ›der Sprache‹ – und nicht nur dieser – wird im ›Sprachspiel‹ vorstellig und artikuliert; in Husserls Fall werden Schwierigkeiten ›der Welt‹ behandelt, indem sie vermittels der ›Welteinstellungen‹ präsentiert werden. Das Fragefeld wird

vgl. auch die ähnlich lautenden Ausführungen in E. Fink, Was will die Phänomenologie Edmund Husserls? (1934), 1966, S. 157. 62 E. Fink, Philosophie als Überwindung der ›Naivität‹ (1948), 1976, S. 106; die genau gleichlautende Formulierung findet sich bereits in der Vorlesung Finks aus dem Jahre 1946: E. Fink, Einleitung in die Philosophie, 1985, S. 34; ähnlich formuliert er auch später in E. Fink, Bewußtseinsanalytik und Weltproblem (1969), 1976, S. 297: »Für uns sind die offenen Fragen in Husserls Phänomenologie Hinweisungen auf das Weltproblem.«

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

umgrenzt, aus unterschiedlichen Perspektiven beschrieben, und das eigentliche Problem wird indirekt aufgewiesen und begrenzt. Im weiteren ist es die Oberflächengrammatik der unterschiedlichen Weltbegriffe, die auf die Tiefenstruktur des ›weltens‹ als dem eigentlichen Thema der Phänomenologie verweist. Dieses versucht Husserl aufzudecken und anzuzeigen, indem Einstellungen topographisch beschrieben und auf Leistungen zurückgeführt werden. Insoweit ist auch bei Husserl von ›der Welt‹ die Rede, jedoch nicht in einem ontisch-ontologischen oder kosmologischen Sinne, sondern im Stil eines durchgängigen Themas intentionaler Strukturen, in denen sich alle Perspektiven oder Einstellungen ausprägen und auswirken.

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹ Die Interpretation der Husserlschen Phänomenologie bezüglich der Weltthematik muß dergestalt einen Weg einschlagen, der zwischen der einseitigen Reduktion auf ein Werk resp. ein Schlagwort und der völligen Trennung vom Schrifttum durch die Genese des phänomenologisch artikulierten, literarisch verfaßten Denkens führt. Husserl philosophierte nicht seriell, sein Schreiben orientiert sich nicht an der Gedankenfolge des Lesers, und in seinen außerhalb der publizierten Werke fragmentarisch überlieferten Denkübungen zeigen sich zudem manche Experimente, die nur ex negativo auf die Gestalt der Phänomenologie verweisen können.63 Vielleicht bis auf die konzeptionell durchstrukturierten Logischen Untersuchungen folgen die Schriften, Entwürfe und Fragmente einer Komposition, die an der Durchdringung einzelner Fragestellungen, der Destruktion voreiliger Antworten, der archäologischen Entzifferung einzelner Funde, nicht aber an der didaktischen Aufbereitung des Ganzen orientiert ist. Husserl philosophiert gleichsam parallel; und die zumeist unausgewiesene Gleichzeitigkeit der Vorgehensweise betrifft die philosophischen Inhalte, die historischen Lehrmeinungen, die verschiedenen systematischen Perspektiven und mehr und mehr auch das Phänomenologische der Phänomenologie selbst. Ein derartiger philosophischer Entwurf kann, besonders mit Blick auf Funktion und Vorkommen von ›Welt‹, demnach auch nur anhand eines kontextuellen und parallelen Studiums der Schriften er63

Vgl. hierzu die klärenden Bemerkungen Iso Kerns bezüglich der unterschiedlichen in den Husserliana vereinigten Textgattungen in der Einleitung des Herausgebers zu Hua XIII, S. XVIII ff., und die Feststellung: »Was Husserl so meditierend schrieb, war weniger das, was er wusste, als vielmehr, was er nicht wusste« (Hua XIII, S. XIX). Diese Bemerkung ist jedoch zu ergänzen durch den Hinweis darauf, daß dasjenige, was hier als Nicht-Gewußtes vorstellig wird, sich aus dem Horizont eines bereits Verstandenen allererst ergeben kann und somit als Schatten dasjenige wieder zu pointieren vermag, was den Schatten hervorgerufen hat.

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

167

sichtlich werden, wobei durch Rückblicke und Ausblicke erschlossen werden kann, was Husserls Philosophieren betreffs ›Welt‹ erreichen will und kann. Wenn Husserls Phänomenologie im Sinne einer utopischen Topographie des Weltlichen der Systematik nach erschlossen werden soll, so sind in einem ersten Schritt paradigmatische Entwicklungen der Ausdrucksverwendung von ›Welt‹ sowie der Problementfaltung des Themas ›Welt‹ in der Phänomenologie nachzuzeichnen. Denn nur so kann die Auslegung der Gefahr entgehen, griffige Formulierungen als letzte Imperative mißzuverstehen oder als erste Einsichten zu überhöhen.64 Gleichzeitig kann diese im Vorgriff auf die Systematik durchgeführte, sich selbst als ein Topographie darstellende Analyse eine geschlossene Auslegung der Phänomenologie betreffs des philosophischen ›Weltthemas‹ fundieren. Denn implizit zeigen die Ausführungen und Überlegungen Husserls zu den einzelnen Problemkonstellationen, in denen ›Welt‹ problematisch wird, weniger gravierende Brüche, als daß vielmehr ein Gesamtprojekt vorstellig wird, in dem es um Ausformulierungen, Ausarbeitungen, Vertiefungen und Erweiterungen des ›Themas Welt‹ geht. Dabei bleibt das Koordinatensystem, worin dieses Projekt ab spätestens 1913, also mit der Publikation der Ideen I, eingezeichnet wird, relativ konstant. An einer Achse messen sich die Resultate eines ›transzendentalen Idealismus‹, der »als Weltinterpretation« keine »spekulative Substruktion« vorstellt, sondern die Erkenntnis ans Licht befördert, »daß die Welt als Welt von dem Sinn einer Welt als solcher nicht abirren kann, so wenig ein faktisches Dreieck vom Sinn geometrisches Dreieck«65. An der zweiten Achse orientiert sich »die radikale Weltbetrachtung« als »systematische und reine Innenbetrachtung, der sich selbst im ›Außen‹ äußernden Subjektivität«66. Fraglich und strittig bleibt jedoch, ob Husserl je eine geschlossen Linie gezogen hat, indem er in dieses Koordinatensystem die Funktion der Phänomenologie einzeichnete: die Funktion der »transzendentale[n] Subjektivität« als konstituierend und »seiend in der ihr notwendigen Form der Weltlichkeit«67.

64

Auch diejenigen Interpretationen, die im Kontext der Lebensweltproblematik wohlweislich auf die nicht zu leugnende, jedoch oft übersehene Genese dieses Gedankens bei Husserl abstellen, laufen Gefahr, eine einseitige Teleologie mit reduktionistischen Zügen zu unterstellen, so daß es Husserl letztendlich doch nur um die Untersuchung und Analyse der ›Lebenswelt‹ gehen konnte. Der Weg zur ›Lebenswelt‹ verläuft jedoch mit guten Gründen auf Umwegen, und diese Umwege gestatten es auch erst, den Befund der ›Lebenswelt‹ vor Reduktionismen zu schützen. Zu diesen Fragestellungen vgl. u. a. L. Landgrebe, Husserls Abschied vom Cartesianismus, 1963; L. Landgrebe, Das Problem der transzendentalen Wissenschaft vom lebensweltlichen Apriori (1963), 1967, S. 148 ff.; K. Held, Husserls neue Einführung in die Philosophie: Der Begriff der Lebenswelt, 1991. 65 Hua VIII, S. 216. 66 Hua VI, S. 116. 67 Hua XV, S. 378.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

a) Die ›eine Welt‹ – Einheit und Einstimmigkeit In einem Entwurf aus dem Jahre 1894 mit dem Titel Intentionale Gegenstände bemerkt Husserl, daß er die »unklare Rede von verschiedenen Existenzgebieten, von verschiedenen ›Welten‹ (universes of discourse), die über Existenz und Nichtexistenz desselben Objekts verschieden disponieren«, »nicht billigen« kann. »Die ›Welt‹ des Mythus, die Welt der Poesie, die Welt der Geometrie, die wirkliche Welt, das sind nicht gleichberechtigte ›Welten‹. Es gibt nur eine Wahrheit und eine Welt, aber vielfache Vorstellungen«68. Die Rede von ›Welten‹ könne nur als eine Verkürzung eines komplexeren Sachverhalts verstanden werden, denn eigentlich, so führt Husserl weiter aus, müßte die Formulierung der jeweiligen ›Welt‹ als Hypothese dargestellt werden, der dann ein ›Existentialurteil‹ folgen kann.69 Dieser Gedankengang richtet sich auch, ohne daß dies explizit ausgeführt wird, gegen die mögliche Identifikation einer ›Weltanschauung‹ mit ›Welt‹. Das Recht der Wahrheit geht verloren, wenn Wahrheiten relativ werden zu voneinander isolierten ›Weltanschauungen‹; und die elliptische Rede von ›Welten‹ – später wird Husserl von ›Weltaspekten‹70 reden – kann einzig in hypothetischer Form sinnvoll sein, da nur eine Aussage auf der Ebene der Sinngebung vollzogen wird, über das Ausgesagte selbst und dessen Rechtmäßigkeit aber kein abschließendes Urteil gefällt wird. Auch in den Prolegomena zur reinen Logik aus dem Jahre 1900 findet sich im Kontext der Kritik des anthropologistisch fundierten Relativismus dieser Gedankengang hinsichtlich der ›einen Welt‹: »Die Relativität der Wahrheit zieht die Relativität der Weltexistenz nach sich. Denn die Welt ist nichts an-

68

Hua XXII, S. 329. – Zu einer früheren und in dieser speziellen Form singulären Überlegung aus dem Jahre 1892/93 bezüglich ›Welt‹ als ›Weltreihe‹, als »letzte und allumfassende Einheit« der Dinge im »Weltraum«, dem »Raum der Räume«, von dem das »natürliche Bewußtsein« fälschlicherweise glaubt, »eine Anschauung zu besitzen, vgl. Hua XXI, S. 276f.; interessant sind diese Ausführungen nicht zuletzt deshalb, weil Husserl eine psychologische Bedeutung von ›Welt‹ zugrunde legt, die sich implizit an die Reihendefinition des 18. Jahrhunderts anlehnt; daran anknüpfend kritisiert er in klassischer Manier einen Weltbegriff, mittels dessen unreflektiert ein Glied der Reihe selbst als absoluter Anfang oder absolutes Ende gesetzt wird, um ein Ganzes zu konstituieren. Geht es Husserl in diesen Überlegungen tatsächlich noch um einen Begriff von ›Welt‹ als Inbegriff einer Reihe, so zeichnen sich die späteren, die phänomenologischen Untersuchungen dadurch aus, daß von dem Begriff radikal auf das Thema ›Welt‹ umgestellt wird. 69 Husserl handelt, um mögliche Mißverständnisse zu vermeiden, an dieser Stelle nicht über mundane, dingliche Realitäten, sondern von »mathematischer Existenz und Nichtexistenz« als »hypothetische Setzung der bezüglichen Grundlagen: Die Existentialsätze sind wie alle mathematischen Lehrsätze insgesamt unvollständig, sind bloße Nachsätze hypothetischer Sätze mit immer gleichem Vordersatz« (Hua XXII, S. 328). 70 Vgl. Hua XIII, S. 425.

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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deres als die gesamte gegenständliche Einheit, welche dem idealen System aller Tatsachenwahrheit entspricht und von ihm untrennbar ist. Man kann nicht die Wahrheit subjektivieren und ihren Gegenstand (der nur ist, wenn die Wahrheit besteht) als absolut (an sich) seiend gelten lassen. Es gäbe also keine Welt an sich, sondern nur eine Welt für uns oder für irgendeine andere zufällige Spezies von Wesen. Das wird nun manchem trefflich passen; aber bedenklich mag er wohl werden, wenn wir darauf aufmerksam machen, daß zur Welt auch das Ich und seine Bewußtseinsinhalte gehören. Auch das ›Ich bin‹ und ›Ich erlebe dies und jenes‹ wäre eventuell falsch; gesetzt nämlich, daß ich so konstituiert wäre, diese Sätze auf Grund meiner spezifischen Konstitution verneinen zu müssen. Und es gäbe nicht bloß für diesen oder jenen, sondern schlechthin keine Welt, wenn keine in der Welt faktische Spezies urteilender Wesen so glücklich konstituiert wäre, eine Welt (und darunter sich selbst) anerkennen zu müssen.«71 Husserl, dem es in den Prolegomena »nicht um das Werden und die Veränderung der Weltvorstellung« geht, sondern um »das objektive Recht«, »mit dem sich die Weltvorstellung der Wissenschaft jeder anderen gegenüberstellt, mit dem sie ihre Welt als die objektiv-wahre behauptet«72, verfällt nicht etwa einer Korrespondenztheorie der Wahrheit, derart daß die eine Wahrheit sich nur auf die eine Welt als absolute Realität beziehen würde. Was Husserl hier ausdrücken möchte, beruht auf keiner Korrespondenz, es verweist auf eine Kohärenz des idealen Systems wissenschaftlicher Aussageninhalte. Dieses durchstrukturierte, vermittels Begründungen ausgewiesene und intersubjektiv zugängliche Ganze der Aussageninhalte ist ›die wahre Welt‹; und ›Wissenschaft‹ ist für Husserl nichts anderes als die begründende Artikulation einer objektiven, idealen Einheit von Inhalten, die als überzeitliche einerseits immer schon Geltung beanspruchen, die andererseits aber durch die Wissenschaft zum Ausdruck ihrer selbst gebracht werden: »Das Gebiet einer Wissenschaft ist eine objektiv geschlossene Einheit; es liegt nicht in unserer Willkür, wo und wie wir Wahrheitsgebiete abgrenzen. Objektiv gliedert sich das Reich der Wahrheit in Gebiete; nach diesen objektiven Einheiten müssen sich die Forschungen richten und sich zu Wissenschaften zusammenordnen.«73

* In den Ideen I, 1913, findet sich der Gedanke der ›einen Welt‹ wieder, jedoch in einer charakteristischen Modifikation. Husserl führt aus, daß »die formallogische Möglichkeit von Realitäten außerhalb der Welt, der einen räumlichzeitlichen Welt, die durch unsere aktuelle Erfahrung fixiert ist, sachlich als 71 72 73

Hua XVIII, S. 128. Hua XVIII, S. 209. Hua XVIII, S. 21.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

Widersinn« zu deuten sei. »Gibt es überhaupt Welten, reale Dinge, so müssen die sie konstituierenden Erfahrungsmotivationen in meine und in eines jeden Ich Erfahrung hineinreichen können.«74 Handeln die Prolegomena von der ›einen Welt‹ als der in der Idealität gegebenen Einheit wissenschaftlicher Aussagen ihrem Gehalt nach, so spricht Husserl in den Ideen I von der ›einen Welt‹ im Sinne der konstituierten ›einen Erfahrung‹ als einem potentiell einstimmigen Erfahrungsvollzug. Derart ist ›eine Welt‹ ausgewiesen, indem Erfahrungen notwendig miteinander in Beziehung treten, wenn sie von einem Subjekt vollzogen werden können. In Konsequenz davon kann die ›eine Welt‹ nicht mehr direkt und ausschließlich mit den Inhalten der Wissenschaften gegeben sein. Über dieselbe spricht der Transzendentalphänomenologe jetzt im Ausgang von der Intentionalität, die sich in einem ›Horizont‹ von ›Welt‹ als ›bestimmbarer Unbestimmtheit‹ vollzieht.75 Der Fokus der Untersuchung hat sich nun gegenüber den Prolegomena in mehrfacher Hinsicht erweitert. Denn nicht mehr nur in den Wissenschaften, sondern auch »in den Sphären des außertheoretischen Lebens waltet der Verstand normgebend, nach Recht fragend oder Unrecht erweisend«76. Und wird in den Prolegomena unabhängig von variablen Vorstellungen in wissenschaftstheoretischer Manier die ›eine Welt‹ bezogen auf die ideale, kohärente Einheit der wissenschaftlichen Gehalte, so zeigen die in den Ideen I formulierten Überlegungen, daß Husserl ein neues Fundament sucht, das auch der ›räumlich-zeitlichen Welt‹ gerecht werden kann. ›Eine Welt‹ ist in diesem Sinne nicht gegeben, wenn die idealen Gehalte miteinander in Kohärenz stehen; die ›eine Welt‹ bekundet sich als Horizont der Intentionen, wenn unter einer transzendentalphilosophischen Perspektive ein ›Ichpol‹ als Sammlungspunkt möglicher Erfahrungsakte ausgewiesen werden kann.

* 1921 fragt Husserl dann explizit: »Welches sind sie Bedingungen der Möglichkeit dafür, dass nun doch von einer wahren ›objektiven‹ Welt soll gesprochen werden können, mag sie auch aussehen, wie sie will; sich ›normal‹ als ›wahre Welt‹ für dieses Einzelsubjekt nicht nur, sondern diese einzelne Subjektsspezies so, für eine andere anders «77? Der Übergang von der ›Wahrheit‹ zur ›Normalität‹, der sich in den Jahren zwischen der Publikation 74

Hua III, S. 114, vgl. S. 121. Hua III, S. 112f. 76 Hua XXX, S. 4. 77 Hua XIV, S. 135, vgl. S. 102: »Wir haben also nebeneinander denkbar vielerlei gleich mögliche Welten mit getrennten Gruppen von den ihr zugehörigen oder fehlenden Ichsubjekten. Aber a priori sind solche Welten […] miteinander nicht kompossibel. Es kann nur eine Welt geben, nur eine Zeit, nur einen Raum mit einer Natur und einer Mannigfaltigkeit animalischer Wesen.« 75

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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der Logischen Untersuchungen und der Veröffentlichung der Ideen I andeutet und in den 20er und 30er Jahren mehr und mehr zum Tragen kommt,78 ist bezeichnend. Nicht steht hier die wissenschaftliche ›Wahrheit‹ zur Disposition, auch rückt Husserl nicht von dem Recht wissenschaftlicher Aussagen ab; das sich intersubjektiv ausweisende ›Normale‹ aber gründet jetzt das ›Wahre‹, jenes normiert dieses. Der wahre Erfahrungsinhalt der Aussagen kann nämlich nur dann Geltung beanspruchen, wenn der normale Erfahrungsvollzug intersubjektiv gewährleistet ist. Im zweiten Band der Ideen werden schließlich ›Normalität‹ und ›Wahrheit‹ miteinander korreliert und auf ›Welt‹ als Einheit bereits vollzogenen Sinns und sich vollziehender Sinngebung appliziert: »Es gibt die eine normal konstituierte Welt als die wahre Welt, als ›Norm‹ der Wahrheit.«79 Eine weitere Spezifikation der ›einen Welt‹ ergibt sich mit dem Aufkommen genetischer Überlegungen, wie sie im Übergang zu den 20er Jahren in Husserls Projekt Eingang finden. Die eine ›Welt‹ ist nicht mehr ein statisches Gebilde von ›wahren Aussagen‹, sie ist als ›Horizont‹ ebenso nicht mehr allein zugänglich durch die Analyse eines sich in normaler Konstanz bekundenden Bewußtseins, sie konstituiert sich nun in einem zeitlichen, subjektivintersubjektiven Prozeß der Einstimmigkeitsbewährung und -gewinnung; dieser Vorgang kann sich sowohl in Passivität als auch in Aktivität vollziehen: »[…] ich habe eine und dieselbe uns gemeinsam bekannt werdende und in der Gemeinsamkeit sich korrigierende Welt, zu der immer alles Seiende gehört als für mich und uns sich in die allgemeine Einstimmigkeit einfügend.«80 Und in diesem Kontext der genetisch intersubjektiven Einstimmigkeitsbewährung spricht Husserl später dann auch von ›der Lebenswelt‹ im Sinne einer »einzig wahre[n] Welt«, »die als die eine wirklich seiende im Wandel ihrer Relativitäten und Jeweiligkeiten zur Geltung kommt«81. Ein unmittelbarer, direkter Zugang zu dieser ›einen Welt‹ kann jedoch auch hier nicht möglich sein, da sie nicht in der Art seiend ist »wie Seiendes, wie ein Objekt«, sondern in einer Einzigkeit, für die der Plural sinnlos ist« – nämlich als ›Horizont‹ personaler Akte.82

*

78

Vgl. auch Hua IV, S. 89, und zum späten Gebrauch z. B. Hua XXIX, S. 325: »Vorausgesetzt ist, daß Welt schon erfahren ist, daß die Apperzeption der Leiblichkeit nicht etwa dieses Wissens, nicht der Erfahrung der inneren Struktur bedarf, daß Welt schon durch die ›oberflächliche‹ Gegebenheitsweise sich in Geltung gesetzt und in ständiger Selbstbewährung bewährt hat – als das Normale.« 79 Hua IV, S. 73. 80 Hua VI, S. 349; vgl. Hua XI, S. 107. – Es ist allerdings darauf zu verweisen, daß der »einstimmige Weltbegriff« seine Wurzeln hat in Überlegungen zur Intersubjektivität, wie Husserl sie im Anschluß an Avenarius durchspielt; vgl. Hua XIII, S. 135. 81 Hua XXIX, S. 140. 82 Hua VI, S. 146.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

Wenngleich der Topos der ›einen Welt‹ mit zu den frühesten Problemstellungen Husserls gehört, so stellt er doch weniger eine Lösung als eine fortdauernde Beunruhigung dar, der sich Husserl auf unterschiedliche Weise stellt.83 Denn Husserl arbeitet sich nicht etwa unmittelbar an der ›einen Welt‹ ab, er diskutiert diesen Befund als einen notwendigen, sich in der Faktizität der Wissenschaften, der Subjektivität und Intersubjektivität bekundenden Anspruch einer funktional eingebundenen Subjektivität. Der Anspruch der ›einen Welt‹ kann nicht unterlaufen werden, wenn die Phänomenologie als eine Wissenschaft auftritt, die in transzendentaler Manier das Recht der Erfahrung sowohl dem Inhalt als auch dem Vollzug nach begrenzen will; inwiefern aber die ›eine Welt‹ nicht bloßes Konstrukt der Philosophie bleibt, sondern eine Wesenseinsicht zum Ausdruck bringt, ist damit noch nicht gesagt. Dementsprechend geht es Husserl bei genauerem Hinsehen auch nicht um ›die eine Welt‹, sondern um die grundlegendere Frage nach der Einheit von Erfahrungen, die in ›einer Welt‹ terminiert. Husserl spricht zwar schon in den 90er Jahren von der ›einen Welt‹, er begrenzt diesen Anspruch jedoch, indem er die ›Einheit von Welt‹ in unterschiedlichen Kontexten und auf verschiedenen philosophischen Ebenen zum Problem macht. »Natürlich«, so bemerkt Husserl dann auch beiläufig, »operiere ich hier mit der Einheit der Welt.«84 So ist es in den Prolegomena die Einheit wissenschaftlicher Aussageninhalte in Begründungszusammenhängen, in den Ideen die Einheit möglicher Bewußtseinsvollzüge und später die intersubjektive Einstimmigkeit als retentional und protentional sich vollziehende Erfahrungs- resp. Bewährungseinheit, die ›eine Welt‹ konstituieren.

b) Die ›natürliche Einstellung‹ als notwendiges Provisorium Gebraucht Husserl den Ausdruck ›Welt‹ in den Prolegomena bzw. den Logischen Untersuchungen nur spärlich, und ist diese Begriffsverwendung in seinen wissenschaftstheoretischen Untersuchungen auf das Phänomen der ›einen‹ resp. ›wahren Welt‹ im Sinne der Kohärenz idealer und überzeitlich gültiger Inhalte beschränkt, so kommt er in den Ideen I auf ›Welt‹ in einem neuen Problemzusammenhang zu sprechen. Mit der Rede von der ›natür83

Problematisch ist nicht zuletzt aus diesem Grund die Bemerkung Bernhard Rangs, dem Herausgeber der Hua XXII, zu dem Topos der ›einen Welt‹ bei Husserl aus dem Jahre 1894. Rang verknüpft diese frühe Andeutung Husserls direkt mit der ›Lebenswelt‹ als ›einer Welt‹ (Hua XXII, S. XLI, Anm. 3); doch zwischen 1894 und 1935 liegen Um- und Ausformulierungen der Phänomenologie, und diese betreffen wesentlich die Qualifikation der ›einen Welt‹, die sich von der Einheit wissenschaftlicher Inhalte zur Einstimmigkeit der Erfahrung wandelt. 84 Hua XIII, S. 13.

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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lichen Einstellung‹ und ›der Welt‹, auf die diese sich ›bezieht‹, eröffnet Husserl eine Fragestellung, die sich einerseits mit dem Problem der ›einen Welt‹ kreuzt und die andererseits das Einstiegsszenario der Phänomenologie neu definiert und ihn aus diesem Grund in verschiedenen Modifikationen bis hin zu seinem Tod beschäftigen wird. Denn als ›Eingangspforte‹ in die Phänomenologie bezeichnet sie zugleich den Ort, auf den eine Philosophie, die den Anfang und das Anfangen zum Kernproblem erklärt, immer wieder zurückkommen muß. Mit der ›natürlichen Einstellung‹ bzw. dem ›natürlichen Weltbegriff‹ kommt Husserl zudem einer Forderung nach, die besonders im Hinblick auf die bis 1913 öffentlich zugängliche Phänomenologie in der Luft lag. Trotz der unterschiedlichen phänomenologischen Methoden ist es Max Scheler, der fast zeitgleich mit der Publikation der Ideen I in dem 1913/14 entstandenen Manuskript Phänomenologie und Erkenntnistheorie explizit die bislang offene Fragestellung zum Problem erhebt: »Aber gleichwohl ist es unerläßlich«, konstatiert Scheler, »daß die Phänomenologie nun auch zeige, wie es zu den Problemen und den Erkenntniszielen der positiven Wissenschaften kommt: Ich muß ehrlich gestehen: An der Lösung dieser Aufgabe hat es die Phänomenologie bisher durchaus fehlen lassen.«85 Bereits wenige Jahre zuvor, in dem 1911/12 verfaßten Manuskript die Lehre von den drei Tatsachen, legt Scheler zur Behebung dieses ›Mißstands‹ eine – heute vielleicht barock klingende – Charakteristik der ›natürlichen Welt‹ vor. Der Sache nach aber könnte diese Schilderung auch als Teil einer ›phänomenologischen Fundamentalbetrachtung‹ bezeichnet werden und in diesem Sinne bei Husserl in den Ideen I vorkommen. Angedeutet werden außerdem bei Scheler bereits zu jener Zeit spezielle Fragestellungen, an die sich Husserl erst später – etwa 1934 in dem Fragment Grundlegende Untersuchung zum phänomenologischen Ursprung der Räumlichkeit der Natur – wagen wird: »Habe man Theorien, welche immer – man kehrt in diese ›natürliche Welt‹ wieder zurück. Urwüchsig, unzerstörbar durch Gedanken, kehrt sie wie automatisch immer wieder zurück, wenn wir uns denkend die Sachen anders anzusehen suchten. Sie ist das Medium, in dem wir leben und unsere Geschäfte betreiben. Noch heute geht in ihr die Sonne auf und unter, ist bald rot, bald weiß – und trotz Kopernikus ist unter uns als der feste, unbewegliche Boden, auf dem wir schreiten, eine mannigfach gekrümmte Fläche, die ›Erde‹ mit einem gewissen Horizont; und über uns leuchten in der Nacht die Sterne, und der Mond ist bald voll, bald eine Sichel. Diese Welt ist ›wirklich‹ […].«86 Was Scheler hier im Sinne 85

M. Scheler, Phänomenologie und Erkenntnistheorie (1913/1914), 21957, S. 419. M. Scheler, Lehre von den drei Tatsachen (1911/1912), 21957, S. 451. – Vgl. hierzu die Ausführungen in E. Husserl, Ursprung der Räumlichkeit, S. 308f., 312f. Obgleich die Schelerschen Ausführungen aus den Jahren 1911/12 mit Husserls späteren Darlegungen 86

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

einer Rückkehr schildert, ist bei Husserl in den Ideen I zuerst ein Ausgangspunkt – ein Ausgangspunkt, der als Provisorium begriffen wird, jedoch trotz seiner Vorläufigkeit notwendig ist. Husserls Rede von einer ›natürlichen Einstellung‹, von einer ›natürlichen Welt‹ oder von einem ›natürlichen Weltbegriff‹, die hier einsetzen kann, ist allerdings problematisch, da sich mit dem Gebrauch dieser Schlagworte mehrere Interessen kreuzen, die das Recht resp. Unrecht sowohl des Empiriokritizismus als auch verschiedener innerphänomenologischer Fragestellungen betreffen. Husserl thematisiert in den Ideen I das damit angezeigte Problemfeld, um erstens – wie auch Scheler fordert – wissenschaftliche Ansprüche rück- resp. einzubinden an eine außerwissenschaftliche Erfahrung,87 um zweitens diese Erfahrung ihrem z. T. verdeckten Potential nach zu untersuchen und auszuschöpfen (dies geschieht vorwiegend in den Ideen II) und um drittens die Grenzen aufzuzeigen, die mit der ›natürlichen Einstellung‹ notwendig gegeben sind, da sie durch dieselbe gesetzt werden. Bereits der Beginn der Ideen I bringt diese Vielfältigkeit der ›natürlichen Einstellung‹ im Projekt Husserls zum Ausdruck: »Natürliche Erkenntnis hebt an mit der Erfahrung und verbleibt in der Erfahrung. In der theoretischen Einstellung, die wir die ›natürliche‹ nennen, ist also der Gesamthorizont möglicher Forschungen mit einem Wort bezeichnet: es ist die Welt. Die Wissenschaften dieser ursprünglichen Einstellung sind demnach insgesamt Wissenschaften von der Welt, und solange sie die ausschließlich herrschende ist, decken sich die Begriffe ›wahrhaftes Sein‹, ›wirkliches Sein‹, d.i. reales Sein, und – da alles Reale sich zur Einheit der Welt zusammenschließt – ›Sein in der Welt‹.«88 Husserl aber stellt nicht etwa ein ›natürliches Subjekt‹ einer ›natürlichen Welt‹ schlicht gegenüber,89 aufgewiesen wird vielmehr ein sich generierender inhaltlich und systematisch durchaus in Verbindung gebracht werden können, und wiewohl man einen unmittelbaren Zusammenhang vermuten könnte, da Husserls Fragment ca. 1934 entstanden ist und die Ausführungen Schelers bereits 1933 in einem ersten, von Maria Scheler besorgten Nachlaßband publiziert wurden, so kann von einer direkten Einflußnahme wohl nicht gesprochen werden, da der Schelersche Nachlaßband nicht in Husserls Bibliothek registriert ist. 87 »Es ist auch zu beachten, dass der natürliche Weltbegriff nicht derjenige ist, den die Menschen sich vor der Wissenschaft herausgebildet haben, sondern der Weltbegriff, der den Sinn der natürlichen Einstellung vor und nach der Wissenschaft ausmacht« (Hua XIII, S. 136 Anm. 1). 88 Hua III/1, S. 10. 89 Obwohl diese Ausdrucksweise bei Husserl auch zu finden ist (vgl. etwa Hua III/1, S. 5), kann sie doch nicht zur Erhellung des Sachverhalts beitragen, den Husserl letztlich aufzeigen möchte. So heißt es etwa in den Cartesianischen Meditationen: »In der natürlichen Einstellung der Weltlichkeit finde ich unterschieden und in der Form des Gegenüber: mich und die Anderen« (Hua I, S. 125). Doch dieses Gegenüber ist nur gegeben, weil in der ›natürlichen Einstellung‹ ›Welt‹ einem Strukturmonismus nach gesetzt wird; darin werden

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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Strukturmonismus besonderer Art, der im kritischen Anschluß an Avenarius – und dies heißt in Anlehnung und Überbietung des Empiriokritizismus – aufgedeckt wird und der sich auch unter dem Titel einer ›Welteinordnung‹90 beschreiben läßt. Das Subjekt in seinem natürlichen Tun, Handeln und Erkennen – in seinem »Hineinerfahren, Hineindenken, Hineinwerten, Hineinhandeln«91 – richtet sich ›in Welt‹ ein, indem es sich ohne Rangunterschied in einen gleichartig seienden Zusammenhang einordnet – nicht umsonst spricht Husserl später in seiner Ersten Philosophie auch von der notwendigen »Welthingabe« und »Weltverlorenheit«92. ›Welt‹ resp. ›Weltliches‹ meint in diesem Kontext durchaus Realität von Transzendentem, jedoch in einem sekundären Sinne. In einem primären Sinne handelt Husserl nicht von der Transzendenz direkt und unmittelbar, sondern von dem Anspruch, den diese Transzendenz unter dem Titel ›Welt‹ als eine Setzung von ›Welt‹ erhebt, und der stets gegeben ist, wenn subjektives Tun zur Disposition steht, wenn Subjekte sich ›verweltlichen‹, sich in Welt einstellen.93

* Die ›natürliche Einstellung‹ bezeichnet dabei weniger einen statischen, ›naturalen‹ Zustand, als daß sie eine – latente oder patente – Aktivität anzeigt. So kann sie zwar einerseits als ›Einstellung‹ anonym bleiben, andererseits aber drückt sie sich stets als differenzierende Aktivität aus – als ein strukturierendes Tun in einer Selbstverständlichkeit sui generis. Das ›Hineinerfahren‹, ›Hineindenken‹, ›Hineinwerten‹, ›Hineinhandeln‹ ›terminiert‹94 in seiner natürlichen Form nicht einfach in ›Welt‹ als Transzendenz von Realitäten oder schlichter ›Natur‹;95 im Sinne eines Vollzugs, wie Husserl diese Erfahrungen

Differenzen möglich, doch Differenzen eines Seinstyps; vgl. dazu auch die Anmerkung Husserls, Hua I, S. 244. 90 Husserl selbst spricht an einer Stelle von der »›Welt‹einordnung« des Menschen durch den Leib; vgl. Hua XIV, S. 80. 91 Hua I, S. 36 (eigene Hervorhebung). 92 Hua VIII, S. 121: »Das natürliche Leben vollzieht sich als eine ursprüngliche, als eine anfangs durchaus notwendige Welthingabe, Weltverlorenheit.« 93 Hua XIV, S. 93: »Erfahrung ist Verwirklichung eines Seienden in der Erkenntnis eines Subjekts, und Seiendes ist intentionaler Pol, Pol einer ›wirklichen‹ Intentionalität […]«. – In seinen späten Überlegungen greift Husserl zur Beschreibung dieses Sachverhalts auch auf die Heideggersche Terminologie zurück; so spricht er z. B. von dem »In-der-Welt-leben« (Hua XXIX, S. 50, S. 74). 94 In diesem Sinne spricht Husserl in der Krisis, Hua VI, S. 180, von ›Welt‹ als »Horizont der ›Termini‹«. 95 Dies unterscheidet die ›natürliche Einstellung‹ von der ›naturalistischen Einstellung‹; in den Ideen II sieht Husserl die ›natürliche Einstellung‹ mit der ›personalen Einstellung‹ gegeben und führt zur Erläuterung der grundlegenden Unterscheidung aus: »Im natürlichen Ichleben sehen wir die Welt also nicht immer, ja nichts weniger als vorwiegend natu-

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

stets deutet und auslegt, zeigt sich zugleich eine Fundamentalstruktur von ›Welt‹ an: der Mensch als ›Beziehungszentrum‹ oder, um es mit Avenarius zu sagen, als ›Prinzipialglied‹ in einer Welt als ›Prinzipialkoordination‹ von Seiendem.96 Aus diesem Grund auch hat »die natürliche Weltauffassung« »nichts an Korrektur notwendig, der Korrektur bedarf nur die Philosophie als unklare Reflexion über die Welt in ihrer Relativität zum Subjekt«97. Der Fehler, so Husserls pauschaler Vorwurf gegenüber ›der Philosophie‹ aber auch ›den Wissenschaften‹, liege darin begründet, die selbstverständliche Strukturierung aufgebrochen, sie hinsichtlich der Strukturmomente ›zerstückt‹ und damit zum Stillstand gebracht zu haben, um jeweils einen Teil als Absolutum zu setzen und wechselseitig jeweils (subjektiv) Seiendes gegen (objektiv) Seiendes auszuspielen. Dem genannten Mißgriff sucht Husserl zu entgehen. Insbesondere Die phänomenologische Fundamentalbetrachtung, die er in den Ideen I in Angriff nimmt, zeigt dies deutlich: »Ich bin mir einer Welt bewußt, endlos ausgebreitet im Raum, endlos werdend und geworden in der Zeit. Ich bin mir ihrer bewußt, das sagt vor allem: ich finde sie unmittelbar anschaulich vor, ich erfahre sie.«98 Im Erfahren wird Vorgefundenes, Daseiendes unterschiedlicher Art auf einer Ebene des Seienden gesetzt, das erfahrende Subjekt ordnet sich als Vorgefundenes unter Vorgefundenem ein, aber im Erfahrungsvollzug bekundet sich eine natürliche, sich generierende Relativität von Subjektivem und Objektivem.99 Es handelt sich um »die Welt, in der ich mich finde und die zugleich meine Umwelt ist«100. ralistisch an […] Selbst für den Zoologen und naturalistischen Psychologen ist das nicht immer der Fall; nur daß er die feste Gewohnheit angenommen hat, […] daß er, sobald er überhaupt wissenschaftliche Einstellung annimmt, dies unweigerlich in der Form naturalistischer […] Einstellung tut. Er hat habituelle Scheuklappen. Als Forscher sieht er nur ›Natur‹. Aber als Person lebt er wie jeder andere und ›weiß‹ sich beständig als Subjekt seiner ›Umwelt‹. Als Person leben ist sich selbst als Person setzen, sich zu einer ›Umwelt‹ in bewußtseinsmäßigen Verhältnissen finden und in Verhältnisse bringen« (Hua IV, S. 183). 96 Hua VIII, S. 182: »Schon auf dem Boden der natürlichen Einstellung lehrt mich Reflexion, daß die Welt, daß jederlei Seiendes, von dem ich je etwas wissen, von dem ich sinnvoll je reden kann, eben Gewußtes meines Wissens, Erfahrenes meines Erfahrens, Gedachtes meines Denkens, kurzum, Bewußtes meines Wissens ist.« 97 Hua XIV, S. 278. – Diese Bemerkung aus den Jahren 1920/21 findet sich bekanntlich schon in den Ideen I, Hua III, S. 135, wo es heißt: »Der Widersinn erwächst erst, wenn man philosophiert und, über den Sinn der Welt letzte Auskunft suchend, gar nicht merkt, daß die Welt selbst ihr ganzes Sein als einen gewissen ›Sinn‹ hat.« 98 Hua III/1, S. 56. 99 Hiermit ist einer von mehreren Ansatzpunkten für die spätere Rede von der ›Lebenswelt‹ gegeben; vgl. Hua VI, S. 127; vgl. ebenso Hua XV, S. 563: »Natürliche Einstellung: Dahinleben in der Lebenswelt.« 100 Hua III/1, S. 58. – Allerdings, und dies bereitet dem Leser nicht wenige Probleme,

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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Später wird Husserl die Struktur, die sich zwar innerhalb der ›natürlichen Einstellung‹ manifestiert, die auf dieser Ebene ihrem Anspruch nach jedoch nicht philosophisch geklärt werden kann, die ›Paradoxie der Subjektivität‹ nennen: der Mensch als Subjekt für die Welt und als Objekt in der Welt.101 Fundamental jedoch bleibt das aufgewiesene Faktum der ›natürlichen Einstellung‹ für Husserl stets, und dies aus einem zweifachen Grund: Mittels der ›natürlichen Einstellung‹ bekundet sich eine Notwendigkeit, der auch die Phänomenologie gerecht werden muß – das sich ›in Welt‹ einstellende, sich ›in Welt‹ voraussetzende und damit ›Welt‹ setzende Subjekt; Recht aber kann der ›natürlichen Einstellung‹ nur widerfahren, wenn von ihrem eigenen Anspruch abgesehen wird, das Einstellen mit ›Welt‹ zu identifizieren – und insofern bleibt sie notwendig und provisorisch zugleich.102

* Zwar präsentiert Husserl in den Ideen I zum ersten Mal seinen neuen Einstieg in die nun transzendental begründete Phänomenologie in Form einer systematischen Publikation, doch die Beschäftigung mit der ›natürlichen Einstellung‹ und dem ›natürlichen Weltbegriff‹ setzt bereits früher ein. Beide Titel werden zeitgleich ab ca. 1905 mit der Entdeckung der Epoché Bestandteil der Phänomenologie. Zum eigentlichen Durchbruch gelangen sie kurz dar-

bleibt die ›natürliche Einstellung‹ als solche stumm. Einzig der Phänomenologe kann sie zum Sprechen bringen, dazu aber bedarf er jedoch der ›Epoché‹ als eines methodischen Sprachrohrs. Mittels der ›Epoché‹ wird die ›natürliche Einstellung‹ als ein ›Einstellen‹ sozusagen simuliert und zur Sprache gebracht. 101 Hua VI, S. 182–185. – Die ›Paradoxie der Subjektivität‹ bildet ein durchgängiges Motiv in Husserls Philosophieren, seitdem Husserl die ›natürliche Einstellung‹ in die Phänomenologie aufnimmt. Die Paradoxie bricht in der ›natürlichen Einstellung‹ auf, und die Phänomenologie strebt eine ›Auflösung‹ der Paradoxie an (Hua VI, S. 185f.), indem sie eine Blickwendung vom Seienden hin zum intentional geleisteten und leistenden Seinssinn vollzieht. Die ›Auflösung‹ aber besteht nicht darin, daß die Paradoxie zum Verschwinden gebracht wird; sie besteht vielmehr darin, daß sie in einer radikalen Weise in ihrer ursprünglichen Form zum Verständnis gebracht wird. Vgl. Hua I, S. 115: »Das Problem erwächst in der natürlichen Einstellung und wird auch [in der philosophischen Tradition und positivistisch-wissenschaftlichen Systematik] weiter in ihr behandelt. Ich finde mich vor als Mensch in der Welt, und zugleich als sie erfahrend und sie, mich eingeschlossen, wissenschaftlich erkennend«; vgl. weiterhin Hua VII, S. 278; Hua IX, S. 144–150, S. 471; Hua XIV, S. 74; Hua XXIX, S. 152, vgl. bes. S. 193. 102 In Anlehnung an Descartes’ morale par provison könnte man geradezu von dem Befund einer monde par provision sprechen. Der ›natürliche Weltbegriff‹ bezeichnet auch hier dasjenige, was im Vorfeld des methodischen Zweifels bzw. der phänomenologischen Reduktion als notwendiges, jedoch begrenztes Provisorium den Zweifel sichert und trägt. Und ähnlich doppeldeutig erscheint der ›natürliche Weltbegriff‹ im Vergleich zur morale par provision, wenn letztere im Sinne eines Vorrats oder einer Vorausleistung begriffen wird.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

auf, in den Jahren nach 1906. So heißt es in Ding und Raum, einer Vorlesung aus dem Jahre 1907, daß in »der natürlichen Geisteshaltung« »uns eine seiende Welt vor Augen« steht, »eine Welt, die sich endlos im Raum ausbreitet, jetzt ist und vorher gewesen ist und künftig sein wird; sie besteht aus einer unerschöpflichen Fülle von Dingen, die bald dauern und bald sich verändern, sich miteinander verknüpfen und sich wieder trennen, aufeinander Wirkungen üben und solche voneinander leiden.« Das menschliche Subjekt ordnet sich in diese Welt ein und findet sich in ihr vor, doch kommt ihm zugleich eine »ausgezeichnete Stellung« zu: »Wir finden uns vor als ein Beziehungszentrum zu der übrigen Welt als unserer Umgebung.«103 Als ›Beziehungszentrum‹ ist das Subjekt immer auch Teil der ›Welt‹ – oder wie es in den Ideen I heißt: »Mitglied«104 der ›Welt‹ – und kann auf dieser Stufe ›vorphilosophisch‹, ohne phänomenologische Reduktion zu üben, ›Weltliches‹, darunter auch sich selbst als ›Weltliches‹, beschreiben und Bezüge (einer Prinzipialkoordination) herstellen.105 In der Einleitung in die Logik und Erkenntnistheorie, einer Vorlesung aus dem Wintersemester 1906/07, schreibt Husserl über den »natürlichen Menschen« und dessen »natürliche Weltbetrachtung« Vergleichbares: »Da bin ich und außer mir sind Dinge, und diese Dinge sind in Raum und Zeit, haben darin ihre bald dauernden, bald wechselnden Eigenschaften und Relationen.«106 Weiterhin findet sich in beiden Vorlesungen der Gedanke der notwendigen Gründung der Wissenschaften in der ›Welt‹ der ›natürlichen Einstellung‹. So heißt es 1906/07, daß, wie »immer nun die wissenschaftliche Erkenntnis über die Auffassungen und Bestimmungen der natürlich-naiven Weltauffassung hinausgeht, wie viel sie als Schein verwirft, was diese für bare Wahrheit annimmt, so behält sie doch immerfort mit ihr einen gemeinsamen Boden«107. 1907 wird Husserl noch deutlicher, wobei bereits wichtige Gedanken der Krisis – hier die problematische Idealisierung sekundärer Qualitäten – angedeutet werden: »Mag die Weltauffassung der Wissenschaft sich noch so sehr entfernen von derjenigen des vorwissenschaftlichen Erfahrens, mag sie auch

103

Hua XVI, S. 4. Hua III/1, S. 58. 105 Dementsprechend kommentiert Husserl den Anfang des § 27 in den Ideen I, worin die Welt der natürlichen Einstellung zum Thema gemacht wird, mit den Worten: »Wir stehen jetzt nicht in einer eidetischen Einstellung, sondern jeder für sich sage Ich und sage aus mit mir, was er ganz individuell vorfindet«; Hua III/2, S. 483, vgl. Hua III/1, S. 60. – Diese Perspektivenvergewisserung ist typisch, und zuweilen muß sich Husserl selbst zur Disziplin rufen, die ›Einstellungen‹ zu trennen; vgl. etwa die Selbstkommentierung in Hua IV, S. 421: »Da habe ich mich mißverstanden. Stehe ich in der ›natürlichen Einstellung‹, also bin ich Weltforscher, so habe ich natürlich konkrete Menschen als Realitäten in der Welt.« 106 Hua XXIV, S. 96f. 107 Hua XXIV, S. 96. 104

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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lehren, die Sinnesqualitäten haben keine so unmittelbare objektive Bedeutung, wie die natürliche Erfahrung ihnen zumißt; es bleibt doch dabei, daß die schlichte Erfahrung, die unmittelbare Wahrnehmung, Erinnerung usw. ihr die Dinge gibt, die sie nur abweichend von der gewöhnlichen Denkweise theoretisch bestimmt.«108 Denn, wie Husserl in der Phänomenologischen Psychologie aus dem Jahre 1925 ausführt, wäre »die Welt nicht ursprünglich durch Erfahrung vorgegeben, so könnte keine der Weltwissenschaften anfangen, sie hätten kein Substrat für ihre Denktätigkeiten«109.

* Husserl, der diese Beschreibungen auf dem »natürlichen Boden« durchführt, der versucht, der »mundane[n] Erfahrung«110 die ihr eigene Sprache (wieder) zu geben, referiert damit zugleich wesentliche Bestandteile des Empiriokritizismus von Avenarius, der somit seinen prominenten Platz in der Phänomenologie erhält. So könnte etwa die Bemerkung, daß alle »Wirklichkeitsurteile, die der Naturwissenschaftler begründet«, »auf schlichte Wahrnehmungen Erinnerungen« zurückgehen und sich »auf die Welt« beziehen, »die in schlichter Erfahrung zu einer ersten Gegebenheit kommt«111, auch bei Avenarius stehen.112 Und ebenso verweist die bereits angeführte Bemerkung, daß dem Subjekt eine ausgezeichnete Stellung als »Beziehungszentrum«113 zukommt, unmittelbar auf die Qualifikation des Menschen bei Avenarius als ›Prinzipialglied‹ innerhalb einer ›Prinzipialkoordination‹.114 Explizit ausgetragen wird das Verhältnis der Phänomenologie zum Empiriokritizismus jedoch erst einige Jahre später in der für die Genese der Husserlschen Phänomenologie einschlägigen, im Wintersemester 1910/11 gehaltenen Vorlesung Grundprobleme der Phänomenologie.115 Husserl selbst kommt bezeichnen-

108

Hua XVI, S. 6. – Vgl. hierzu die kritische Äußerung 30 Jahre später: »Was wir im vorwissenschaftlichen Leben als Farben, Töne, Wärme, als Schwere an den Dingen selbst erfahren, kausal als Wärmestrahlung eines Körpers, der die umgebenden Körper warm macht und dergleichen, das zeigt natürlich ›physikalisch‹ an: Tonschwingungen, Wärmeschwingungen, also reine Vorkommnisse der Gestaltenwelt. Diese universale Indikation wird also heute wie eine Selbstverständlichkeit behandelt«; Hua VI, S. 35. 109 Hua IX, S. 56. 110 Hua VIII, S. 66. 111 Hua XVI, S. 6. 112 Vgl. oben S. 114ff. 113 Vgl. oben S. 178 Anm. 103. 114 Immer wieder finden sich wichtige Anklänge an den Empiriokritizimus, insbesondere dort, wo es um die Beschreibung des Subjekts im Vorfeld der Transzendentalphilosophie, ›auf dem Boden‹ der ›natürlichen Einstellung‹ geht; vgl. dazu Hua XIII, S. 425; Hua IV, S. 110; Hua VII, S. 203. 115 Hua XIII, S. 111–194.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

derweise später auf diese Vorlesung unter dem Titel Vorlesungen über den natürlichen Weltbegriff zurück.116 Husserl spricht nun nicht mehr von einem bloßen Subjekt, das sich in ›Welt‹ einordnet und sich so mit dem Seienden gleichstellt. Er gibt dem bei Avenarius bloß als ›Ich Bezeichnetem‹ Phänomen einen Namen – das ›Ich‹. Husserl spricht explizit von dem »Ich« der ›natürlichen Einstellung‹ »als Mittelpunkt, sozusagen als Nullpunkt des Koordinatensystems«, »von dem aus es alle Dinge der Welt, die schon erkannten oder nicht erkannten, betrachtet und ordnet und erkennt«117. Zugleich macht er darauf aufmerksam, daß die mögliche Rede von einem »Vorfinden« der Welt innerhalb der ›natürlichen Einstellung‹ nicht etwa ›Welt‹ und ›Subjekt‹ als zwei Seinsbereiche trennt; denn was »da unter dem Titel ›vorfinden‹ bezeichnet wurde, […] ist nichts anderes als was auch im prägnanten Sinn erfahren heißt«. Aber erläuternd führt Husserl weiter aus: »Das Ich erfährt sich selbst und macht Erfahrung über Dinge, über Leiber und fremde Ich. Diese Einstellung der Erfahrung ist die natürliche, sofern sie die ausschließliche ist des Tieres und des vorwissenschaftlichen Menschen.«118 Was Husserl kurz darauf in den Ideen I die ›Generalthesis der natürlichen Einstellung‹119 nennen wird, heißt in der hier angesprochenen Vorlesung noch »Erfahrungsthesis«120 und bezeichnet genau den Umstand, daß sich das Subjekt im Erfahren in ›Welt‹ als Seiendes einordnet und andere Seiende auf sich als Seiendes bezieht. Daß Husserl wie Avenarius auf dieser Argumentationsebene nicht Subjektivität gegen Objektivität ausspielen, beide im Gegenteil einem Strukturmonismus das Wort reden, erhellt auch aus der Formulierung, daß der »Blick« auf die natürliche Einstellung selbst die natürliche Einstellung »ist«.121 Aber ähnlich wie in den Ideen I, geht es Husserl auch in der Vorlesung von 1910/11 nicht um eine vollständige Beschreibung dessen, was sich unter dem Titel ›natürliche Einstellung‹ dem Inhalt nach aufzeigen läßt.122 Denn ein an116

Hua XIII, S. XXXVI. Hua XIII, S. 116. 118 Hua XIII, S. 120. 119 Hua III, S. 62ff. 120 Hua XIII, S. 121. 121 Hua XIII, S. 138. 122 So heißt es 1910/11: »Wir brechen ab. Offenbar liesse sich die angefangene Beschreibung nach allen bezeichneten Linien sehr viel weiter führen und wohl auch erheblich um neue Linien bereichern. Es würde sich auch zeigen lassen, dass philosophische Interessen höchster Dignität eine vollständige und allseitige Beschreibung des sogenannten natürlichen Weltbegriffs, desjenigen der natürlichen Einstellung, fordern«; Hua XIII, S. 124 f. Und in den Ideen I schreibt Husserl sinngemäß: »Wir stellen uns jetzt aber nicht die Aufgabe, die reine Beschreibung [des natürlichen Weltbegriffs] fortzusetzen […] Eine solche Aufgabe kann und muß – als wissenschaftliche – fixiert werden, und sie ist eine außeror117

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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deres interessiert ihn – dasjenige, was im Empiriokritizismus verschwiegen wird: »Müssen wir nicht das reine Ich unterscheiden vom Ich-Mensch als Gegenstand, als Vorgefundenes, und ist im Vorgefundenen das vorfindende Bewußtsein mit seinem Ich vorgefunden? Das Ich als Objekt, als Vorgefundenes, ist ferner keineswegs ganz so vorgefunden, nur mit einem etwas anderen Gehalt, wie ein vorgefundenes Ding.«123 Husserl folgt Avenarius auf Schritt und Tritt; er rekapituliert die Überlegungen des Empiriokritizisten hinsichtlich der ›empiriokritischen Prinzipialkoordination‹ und des Menschen als ›Prinzipialglieds‹ – allerdings zieht Husserl im Anschluß daran auch die Konsequenzen: »Und binden wir uns nicht an Avenarius, denken wir konsequent zu Ende!«124 ›Vorgefunden‹ ist in der ›natürlichen Einstellung‹ alles und jedes auf einer Ebene des Seienden, doch das Vorfinden selbst kann aus dieser terminierenden Perspektive nicht ins Blickfeld geraten: »Ich-Mensch bin der Denkende, Fühlende, Wollende, aber dass ich denke, das finde ich eigentlich nicht vor so wie ich bei einem Ding das ›es bewegt sich‹ vorfinde, das Vorfinden ist ein Erfassen in der ›Reflexion‹.«125 Und später heißt es in impliziter Anlehnung an Avenarius in den Ideen II, daß es »also zweifellos richtig [ist] zu sagen: die erfahrenen Dinge mit ihren sinnlich-anschaulichen Erfahrungseigenschaften und ihren Erfahrungsabhängigkeiten existieren nur relativ, sie sind voneinander in ihren Seinsbeständen abhängig«; doch diese Auffassung setzt eine leistende Subjektivität voraus, die niemals in einen bloßen »Index« der Natur verwandelt werden kann – »eine Subjektivität, die nicht mehr Natur ist«126. Wenngleich Husserl hier darauf besteht, daß zwischen dem Subjekt, das sich in Seiendes einordnet, und der leistenden Subjektivität, die nicht als Seiendes charakterisiert werden kann, ein kardinaler Unterschied besteht, so muß doch zugleich vor einer Fehldeutung gewarnt werden. Denn die methodische Scheidung führt nicht zu dem Ergebnis, daß eine transzendentale Subjektivität vom menschlichen Subjekt, das sich in ›Welt‹ einstellt, der Sache nach geschieden wird; sie führt demgegenüber zu dem Grundbefund, daß die leistende Subjektivität selbst durch ein fundamentales ›Interesse‹ ausgezeichnet

dentlich wichtige, obschon bisher kaum gesehene. Hier ist sie nicht die unsere«; Hua III/1, S. 61. – Nicht unwichtig ist eine Randbemerkung Husserls zu den letztzitierten Zeilen, die aus den Jahren 1928/29 stammen dürfte: »Heidegger sagt das Gegenteil«; Hua III/2, S. 484. ›Gegenteil‹ kann sich hier auf zweierlei beziehen; zum ersten auf die ›Wissenschaftlichkeit‹ mit der Husserl der ›natürlichen Einstellung‹ begegnen möchte, und zweitens auf die für Husserl zu jener Zeit, vielleicht nicht jedoch für Heidegger, ausreichend kurze Andeutung dessen, was mit ›natürlicher Einstellung‹ gemeint ist. 123 Hua XIII, S. 198. 124 Hua XIII, S. 197 Anm.1. 125 Hua XIII, S. 198. 126 Hua IV, S. 171f.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

ist – dem ›Interesse‹ daran, ›Welt‹ aufgrund der nicht zu unterlaufenden ›Weltseinstellung‹ zu einem ›Thema‹ ihrer selbst zu machen; erst mit diesem Befund ist der ›natürliche Weltbegriff‹ als solcher gesichert.

* Die Epoché ist es, die einen Blick auf diese Subjektivität, die ›Welt‹ zu einem Thema ihrer selbst macht, eröffnet; und Husserl widmet bekanntlich den größten Teil der Ideen I der Struktur der intentional verfaßten Subjektivität. Später kritisiert er den plötzlichen Einstieg und den ebenso plötzlichen Ausstieg aus der Schilderung der ›natürlichen Einstellung‹, wie er in den Ideen I vollzogen wurde. Er spricht von dem »große[n] Fehler, daß von der natürlichen Welt (ohne sie als Welt zu charakterisieren) ausgegangen wird und sogleich übergegangen [wird] zum Eidos – als ob man nun schon ohne weiteres zu den exakten Wissenschaften käme. Die Idealisierung ist verschwiegen.«127 Betont Husserl immer wieder, daß mit der Epoché nichts verlorengehe, so hat er es doch in den Ideen I versäumt zu zeigen, daß all das, was er in transzendentaler Perspektive an Strukturen der intentionalen Subjektivität aufweist, notwendig seinen Anhalt in der ›natürlichen Einstellung‹ hat. Diesen gleichsam ungesättigten Übergang füllt Husserl in den folgenden Jahren mit ausführlichen Detailuntersuchungen, die das leibliche Verhalten oder die intersubjektive Verständigung betreffen, und die in genetischer resp. historischer Perspektive neue Formulierungen finden.128 Dabei steht allerdings nur der Übergang in Frage, nicht wird damit das ganze Projekt einer Charakteristik der intentional verfaßten, sich in Leistungen ausdrückenden Subjektivität fraglich. Ebenso findet Husserl in den 20er Jahren neue Ausdrücke, die ›natürliche Einstellung‹ zu umschreiben. Als ›Weltkinder‹ lebe man in der ›natürlichen Einstellung‹ »in ›die‹ Welt« hinein,129 als ›Weltkind‹ stehe man »auf dem Boden der Welt«, sei man »selbstverständlich« »in der Welt«130. Auch das Natürliche der ›natürlichen Einstellung‹ wird im Sinne des ›Interesses‹ deutlicher pointiert und konturiert: »Im natürlichen Weltleben« sei »die Welt das universale absolute Feld aller meiner Interessen, meiner habituellen und im Fortgang des Lebens neu gestifteten Interessen«131. Schließlich heißt es dann 1925 in der Phänomenologischen Psychologie: Im »natürlichen Leben« »geht das Interesse auf das objektiv Seiende. Das ist, wir leben im Glauben an die 127

Hua III/2, S. 584f.; vgl. dazu auch Hua XXIX, S. 399, S. 425f. Vgl. hierzu die ungleich umfangreicheren Beschreibungen der ›natürlichen Einstellung‹, wie sie besonders in der Ersten Philosophie (Hua VIII, S. 66) und der Phänomenologischen Psychologie (Hua IX, S. 62f., 74) von Husserl gegeben werden. 129 Hua IX, S. 239. 130 Hua IX, S. 462, vgl. S. 472 Anm. 1; vgl. weiterhin Hua VIII, S. 123. 131 Hua XV, S. 530. 128

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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Objektivität: wie ganz gewöhnlich und immerzu, wo für uns eine objektive Welt ganz selbstverständlich und im voraus ist. In diesem Glauben leben oder an der uns darin gewiß seienden Welt ›interessiert‹ sein, das ist strebend und tätig auf doxische Verwirklichung des Objektiven, des in der Doxa im voraus und immerzu Geltenden, in fortschreitenden Wahrnehmungen gerichtet sein.«132 Doch gleichwohl gilt wie schon in den Ideen I, daß innerhalb der ›natürlichen Einstellung‹ dieselbe nicht zum Ausdruck ihres eigenen Sinnes gebracht werden kann, daß erst eine Blickwendung auf den Vollzug der ›natürlichen Einstellung‹ diese ihrem notwendigen und vorläufigen Anspruch nach aufzuklären vermag. Wäre dies nicht möglich, dann bliebe die ›Paradoxie der Subjektivität‹ eine bloße Zustandsbeschreibung ohne weitere Folgen. Der absolute Seinsglaube, die selbstverständliche Gewißheit der Realität oder die unbezweifelbare Vorausgeltung von ›Welt‹ wären keine ausweisbaren und notwendigen Ansprüche einer sich äußernden Subjektivität, die sich ›Welt‹ als ihres originären Fundaments versicherte, sie blieben bloße Dogmen. Erst der Vollzug einer Blickwendung, die den dogmatischen Glauben, die Gewißheit oder die Geltung als notwendige Leistungen qualifiziert und absichert, kann dasjenige ersichtlich werden lassen, was ›Welt‹ in diesem Kontext bedeutet: Es handelt sich um die Auszeichnung einer leistenden Subjektivität, der es in ihren Vollzügen um ›Welt‹ als ein Thema ihrer selbst – und damit um den natürlichen Weltbegriff – geht. So heißt es dann auch nicht ohne Pathos (und durchaus einseitig) in der Ersten Philosophie aus den Jahren 1923/24: »Wer Phänomenologe werden will, muß sich systematisch von der natürlichen Weltkindschaft befreien und an allen Typen weltkindlichen Erfahrens, Vorstellens, Denkens und Lebens überhaupt und allen korrelativen Typen weltlich-natürlichen Daseins die phänomenologische Reduktion üben; also jene systematische ™poc», durch die alles Weltliche in die reine Subjektivität hinaufgehoben, transzendental vergeistigt wird. Zugleich wandelt sich das natürliche Kind, das Weltkind, in das phänomenologische Kind, das Kind im Reiche des reinen Geistes.«133

c) ›Welt‹ als Horizont und die transzendentale Empiriographie Bereits die Untersuchung, Auslegung und Darstellung der ›natürlichen Einstellung‹ zeigt, daß Husserl mit der Entdeckung der Epoché und der darauf aufbauenden Etablierung einer transzendentalen Phänomenologie die einzel132

Hua IX, S. 190. Hua VIII, S. 123. – Auch in der Krisis bringt Husserl dies unmißverständlich zum Ausdruck: »Das die Weltgeltung des natürlichen Weltleben leistende Leben läßt sich nicht in der Einstellung des natürlichen Weltlebens studieren«; Hua VI, S. 151. 133

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

ne ›Dingerfahrung‹ mit einer universalen ›Welterfahrung‹ korreliert.134 Mit dem Erfahren von Seiendem vollzieht sich zugleich eine Ordnung in Koordinationen, wobei die ›empiriokritische Prinzipialkoordination‹ von Subjekt und Objekt sozusagen das erste Muster- und Vorbild von ›Welt‹ bereitstellt. Terminiert auch die koordinierende Einstellung notwendig in ›Welt‹ als ein Geflecht von gleichrangigen Bezügen, so vollzieht sich das (intentionale) Einstellen resp. das (intentionale) Koordinieren auf einer anderen Ebene – der ›Welt‹ als ›Horizont‹ im Sinne eins fortwährenden Vollzugs von Intentionen. Diese ›Horizonte‹ läßt Husserl nach der Publikation der Ideen I ebenfalls thematisch werden. Er formuliert ›Welt‹ in diesem Sinne als Thema eines Subjekts, das sich in seinem koordinierenden ›Welteinstellen‹ in ›Horizonten‹ als Orientierungsräumen begreift; zugleich ist es das Ziel Husserls, diese ›Horizonte‹ ihrem Anspruch nach zu begrenzen, indem die Formen der korrelativen Subjektivität zum Ausdruck kommen.

* Die Erfahrungen innerhalb der ›natürlichen Einstellung‹ zeigen sich Husserl kat' e\ xoc»n als Stellungnahmen, in denen vermittels des Einzelnen als ›Ding‹ gleichursprünglich das Allgemeine als ›Welt‹ mitgesetzt wird. Dabei bezeichnet ›Welt‹ als im Gegenständlichen terminierte Form der Intentionalität den subjektiv vollzogenen Anspruch, Wirklichkeit als raum-zeitliche und endliche Existenz zu begreifen und das Einzelne in dieser Seinsform zu erfassen.135 Doch dieser Realitätsanspruch gründet auf einem Sinn von ›Welt‹, der nicht identisch ist mit der sich erst etablierenden Seinsweise der Dinge. ›Der Welt‹ als Sinngebilde von Intentionen kann nicht im gleichen Sinne ›Sein‹ zugesprochen werden, wie dies für das Einzelne möglich ist. Denn am Rand des Erfahrens, im Hof der sich vollziehenden Intentionen, im Kontext sich intersubjektiv verschränkender Stellungnahmen läßt sich ›Welt‹ nur mehr als ›Horizont‹ aufzeigen und auslegen. In dieser Hinsicht, unter dem Blickwin-

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In den Logischen Untersuchungen konnte dieses Thema noch nicht in Betracht gezogen werden, da Husserl eine streng intrinsische Analyse des im Aktleben direkt und evident Ersichtlichen anstrebte. So ist die Phänomenologie jener Zeit »mit dem Gegenständlichen beschäftigt«, wenn ein Akt vollzogen wird, und der »Sachverhalt steht uns […] nicht bloß vermeintlich, sondern wirklich vor Augen und in ihm der Gegenstand selbst, als das, was er ist« (Hua XVIII, S. 232). Später dann ist auch ›Welt‹ für Husserl »Ausdruck gewisser solcher intentionaler Gegenständlichkeiten«, jedoch in der spezifischen Form eines intentionalen Grenzphänomens – nämlich als ›Horizont‹ (Hua XXV, S. 181). 135 In diesem Sinne heißt es in den Ideen I: »›Die‹ Welt ist als Wirklichkeit immer da, sie ist höchstens hier oder dort ›anders‹ als ich vermeinte« (Hua III/1, S. 61); und in der bereits genannten Vorlesung aus den Jahren 1910/11 heißt es: »In der Welt kann nicht etwas sein, was den Sinn der Rede von Welt aufhebt, weil es ihn eben als Sinn (als Wesen) voraussetzt« (Hua XIII, S. 137).

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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kel sich vollziehender Intentionen kann ›Welt‹ nicht als ›Ding‹ seiend sein, da ›Welt‹ sich nur in den Horizonten der sich generierenden Dingerfahrungen enthüllen und begreifen läßt. Mit diesen Überlegungen erschließt sich Husserl ein weiteres Bedeutungsfeld der ›Welt‹ als ›Weltthema‹. Thematisch nämlich wird ›Welt‹ nunmehr als Orientierungsraum fortwährenden intentionalen Einstellens und damit als Gebilde einer konkreten Subjektivität, die sich orientierend in Welthorizonten einstellt und das Feld ihrer eigenen Erfahrungen, wie es Husserl ausdrückt, »weitet«.136 Die Korrelation von Ding- und Welterfahrung wird in den Ideen I jedoch von Husserl eher stiefmütterlich behandelt. Die Evidenz dieses Sachverhalts scheint ihm zu jenem Zeitpunkt unmittelbar ersichtlich, so daß die systematische Fragestellung nicht direkt zum Problem gemacht wird. An dieser Unterlassung aber wird Husserl Kritik üben. Die »umständliche und schwierige Untersuchung«, die damit verbunden ist, wenn die Frage nach der Erfahrung von ›Welt‹ im Sinne eines Orientierens eigens thematisch wird, ist nach Husserls späterer Selbstdiagnose in dem 1913 veröffentlichten Werk »noch nicht befriedigend durchgeführt«137. Zum einen nämlich fehlen detaillierte Untersuchungen zur ›Welt‹ als Horizont verschiedener Intentionen wie auch das Problem, den ›Horizont‹ explizit zu einem ›gegenständlichen‹ Thema zu machen, nicht ausgiebig diskutiert wird; und zum anderen geht Husserl in den Ideen I nicht eigens der Frage nach, wie sich Erfahrungen in ›Welten‹ als Orientierungsräumen der Intentionalität bekunden.138 All diese Überlegungen setzen jedoch bereits kurz nach 1913 ein, und sie rücken in den 20er Jahren mehr und mehr in den Mittelpunkt des Husserlschen Interesses. Verwiesen sei neben den Fragmenten zur Intersubjektivität u. a. auf die Ausführungen in den Ideen II, der Phänomenologischen Psychologie und der Ersten Philosophie. Hier werden zudem die Grundsteine für das Projekt einer – wie Husserl es dann Anfang der 30er Jahre formuliert – »tran136

Hua III/2, S. 599. Hua III/2, S. 600; diese Aussage bezieht sich u. a. auf den Sachverhalt, den Husserl, mit folgenden Worten beschriebt: »Weltwahrnehmung vollzieht sich doch nur in einer Weise und wesensmäßig, in der mir nur einzelne Dinge in einem beschränkten Dingfeld als Wahrnehmungsfeld wirklich wahrnehmungsmäßig gegeben sind. Daß Welt mehr ist als dieses strömend wechselnde Feld, verweist mich auf den ›Horizont‹, der es weitet, und daß er in seiner wahrnehmungsmäßig unerfüllten Leere Dinghorizont ist, verweist seinerseits auf meine Möglichkeiten (auf mein Können), in diesen Horizont ›einzudringen‹« (ebd., S. 599). 138 Natürlich finden sich bereits in den Ideen I Ansätze zur Interpretation des ›Horizonts‹; vgl. etwa die Ausführungen zum ›Horizont‹ der ›natürlichen Einstellung‹ (Hua III/1, S. 57f.) oder die Analyse der Dingwahrnehmung, die nur vollzogen werden kann in einem »Horizont bestimmbarer Unbestimmtheit« (Hua III/1, S. 92). Die Frage aber, inwieweit ›Welt‹ selbst als ›Horizont‹ untersucht werden kann, wurde nicht systematisch in Angriff genommen. 137

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

szendentalen ›Empiriographie‹« gelegt, »die eine allmenschheitliche Erfahrungs- und Erfahrungsweltstruktur entwirft, die als Norm der Kritik der relativ einstimmigen Erfahrungswelten und Meinungswelten zu dienen hat«139.

* Die ›transzendentale Empiriographie‹ nimmt eine Zwitterstellung ein, da sie weder einem bloßen Positivismus noch einer reinen Transzendentalphilosophie verpflichtet ist. Innnerhalb dieser Untersuchungen geht es darum, die unterschiedlichen, intentional verfaßten Strukturierungsleistungen, wie sie sich in den Einstellungen ›in Welt‹ immer schon dokumentiert und ausgedrückt haben, in dem Sinne zu beschreiben, daß das fortwährende konkrete Einstellen in seinen Vollzügen selbst thematisch wird. Zum Problem werden also Horizonte als Orientierungsräume einer sich einstellenden Subjektivität. Man könnte in diesem Kontext auch von einer Analyse subjektiver ›Welteinspielungen‹ sprechen, worin die ›Einstellungen‹ im Sinne eines ›Einstellens‹ zur Aussprache ihres eigenen Sinnes als Orientierungssinnes in Horizonten gebracht werden. Relativ einstimmig, wie Husserl betont, bleibt die Analyse dieser Art des ›weltens‹, weil sie nur durch eine ›normierende‹ Strukturgesetzlichkeit verständlich werden kann, die sich in allen Einstellungen äußert und diese trägt. Das Projekt einer ›transzendentalen Empiriographie‹, worin eine normierende ›Erfahrungsweltstruktur‹ zum Aufweis gebracht werden soll, indem zugleich die ›Meinungswelten‹ beschrieben werden, entspringt jedoch nicht einer einzigen, früh feststehenden Absicht Husserls. Mehrere, teilweise getrennt durchgeführte Ansätze münden in diesem Vorhaben, vermittels dessen schließlich die Strukturen der transzendentalen Subjektivität empiriographisch in dem natürlichen Leben aufgewiesen werden sollen. Auf dem Weg zu diesem Unterfangen – womit gleichzeitig ein anderer Anfang der Phänomenologie als der des cartesischen Philosophierens der Ideen I zum Ausdruck

139

Hua XV, S. 235 (eigene Hervorhebungen); und weiter führt Husserl aus: »Zur empiriographischen (transzendental-ästhetischen) Sphäre gehören die Menschen selbst und ihr Bewusstseinsleben, ihre vermeinten Umwelten als solche und die ständige Lebensbewegung, in welcher die bewegliche Lebensumwelt der Allgemeinschaften, der Heimgenossenschaften stehend-strömend sich wandelnde ist und ihre Einheitlichkeit und innere Typik relativ erhält […] Sofern aber die Aufgabe eine transzendentale ist, sind die Menschen zwar transzendentale, also absolute Subjekte geworden, und zwar Subjekte, die in sich transzendental eine vermeinte und relativ auf sie einstimmige ›Welt‹ konstituiert haben. Zugleich sind sie aber in Frage als konstituierende Mitsubjekte für die Welt.« – Das Projekt einer transzendentalen Empiriographie verfolgt Husserl dann auch in der Krisis, wenn er ausführt, »daß doch diese Lebenswelt in allen ihren Relativitäten ihre allgemeine Struktur hat. Diese allgemeine Struktur, an die alles relativ Seiende gebunden ist, ist nicht selbst relativ« (Hua VI, S. 142).

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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gebracht werden soll – kann es nicht selten auf seiten des Lesers zu Mißverständnissen kommen. Husserls Denkübungen dokumentieren z.T. eigenwillige und auch schwer nachvollziehbare Verschränkungen von Diskussionsebenen. So scheint die Phänomenologie als Transzendentalphilosophie zuweilen gänzlich in einer empiriographischen Wissenschafts- oder Kulturtheorie ›natürlicher Einstellungen‹ aufzugehen, wiewohl Husserl im Gegensatz dazu immer wieder die Doppeldeutigkeit einfordert und die transzendentale Dimension dieses empiriographischen Projekts betont.140 Im Kontext dieser Gedankenbewegungen verdichten sich auch in den 20er Jahren die Überlegungen Husserls zur ›Welt‹ als ›Horizont‹ und zu der Möglichkeit, diesen als eine (phänomenologische) Gegenständlichkeit sui generis ins Visier zu nehmen. Denn die sich entwickelnde ›transzendentale Empiriographie‹ als Aufweis einer durchgängigen, normierenden Weltstruktur setzt die Möglichkeit voraus, ›der Welt‹ als Horizont der Intentionen gewahr zu werden. Empiriographisch ist dieser Ansatz nicht zuletzt deshalb, weil Husserl die These vertritt, ›Welt‹ gegenständlich und an der intentionalen Gegenstandserfahrung selbst erfassen und beschreiben zu können; kritisch, um nicht zu sagen kritizistisch tritt dieses Unterfangen in dem Sinne auf, daß die aufgewiesene Gegenständlichkeit ›Welt‹ als ›Horizont‹ begrenzt wird. Für Husserl sind genau in diesem Sinne, wie er dann Mitte der 20er Jahre ausführt, »reale Einzelheiten erfahren, aber auch die Welt erfahren, und beides ist sogar untrennbar«141. Wenn Einzelnes erfaßt wird, ist »es in der Welt erfaßt«, ohne daß aber das »erfassende Interesse«, das direkt dem Einzelnen zugewandt ist, ›Welt‹ zum Thema hätte.142 Nur indirekt läßt sich demgemäß ›Welt‹ als im Schatten derjenigen Interessen, die in der Dingerfahrung terminieren, in einem »Enthüllungsprozeß«143 am Rand der Intentionalität in statu nascendi freilegen. Daß ›Welt‹ tatsächlich, wenn auch vermittelt über die interessierte Einzelerfahrung zugänglich sein muß, begründet Husserl z. T. mit Argumenten, die bereits aus den Ideen I bekannt sind. So ist stets die Möglichkeit gegeben, die noch unbestimmten, jedoch

140

Ersichtlich ist diese Schwierigkeit auch in der Krisis, wenn Husserl davon spricht, daß »Psychologie und Transzendentalphilosophie in eigentümlicher und untrennbarer Weise miteinander verschwistert« (Hua VI, S. 209) sind, er aber dennoch die transzendentale Phänomenologie vor der Psychologie zu retten sucht (Hua VI, S. 259). – Dies liegt nicht zuletzt daran, daß die deskriptive Psychologie – interpretiert man sie in dem Husserlschen Sinne – in der Krisis dasjenige als Einzelwissenschaft durchführt, was Husserl philosophisch als Empiriographie bezeichnet; vgl. z. B. Hua VI, S. 247. Zu dem Verhältnis von Phänomenologie und Psychologie in der Krisis vgl. besonders E. Ströker, Husserls letzter Weg zur Transzendentalphilosophie im Krisis-Werk (1981), 1987. 141 Hua IX, S. 95. 142 Hua IX, S. 96. 143 Hua IX, S. 96.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

bestimmbaren Ränder der Dingerfahrung – z. B. in der Wahrnehmung – reflexiv zu erfassen, sie als zu dem jeweiligen Ding gehörig auszuweisen und einen Hof von Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, in dem sich weitere, das Einzelne betreffende Erfahrungen realisieren lassen. Würde unter dieser Voraussetzung geleugnet werden, »daß die Welt als Welt erfahrbar sei«, so führt Husserl den Gedankengang der Ideen I 1925 fort, »dann müßten wir eben dasselbe für jedes einzelne Ding leugnen. Denn seinerseits ist es zwar jeweils wahrgenommen, aber abgesehen von seiner weltlichen Umgebung immer nur mit Horizonten der Unbekanntheit. Jede Erfahrung läßt es offen, daß von ihm, demselben Realen, noch Neues erfahrbar würde.«144 Außerdem »wäre Welt für mich kein Wort mit Sinn und keine Welt-Aussage Aussage mit zu rechtfertigendem Seinssinn«, wenn »keine Welterfahrung, keine ursprüngliche Weltwahrnehmung, in der mir Welt als ›kontinuierlich‹ lebendige Gegenwart gegeben wäre,«145 zur Evidenz gebracht werden könnte. »Es ist klar, daß wir damit eine höchst bedeutsame, und zwar die universalste Strukturerkenntnis für das Reich möglicher Erfahrungsgegenständlichkeiten gewonnen haben. Jedes objektiv Erfahrbare und in einstimmiger Erfahrung als objektiv Daseiende, also intersubjektiv Ausweisbare, ist nur denkbar als seiend in einer Welt, es steht im Rahmen einer möglichen universalen Erfahrung, deren universaler Gegenstand die Welt ist. Oder auch: was uns Erfahrung als Reales faktisch gibt, in einer faktisch wie immer erfahrenen Weltumgebung, ist nur denkbar als Reales in einer Welt, in seiner näher zu erfahrenden Welt.«146

* Diesem Begriff von ›Welt‹, der sich als ›Horizont‹ jedes intentionalen Geschehens im Sinne der Möglichkeit fortschreitenden Erfahrens aufweisen läßt, korrespondieren Binnenhorizonte als regional gegliederte Orientierungsräume, die als Erfahrungswirklichkeiten immer schon vorliegen und in die das Subjekt sich ›einstellt‹: ›Natur‹, ›Umwelt‹, ›Heimwelt‹, teilweise aber auch ›Lebenswelt‹ bezeichnen bei Husserl diese Regionen, worin sich die Intentionalität immer schon verwirklicht hat und stets verwirklichen muß. Von diesen Orientierungsräumen aus sucht Husserl in den 20er Jahren Einstiege in die Phänomenologie, um damit den Übergang von der ›natürlichen Einstellung‹ zur ›transzendentalphänomenologischen Einstellung‹, wie er in den Ideen I allzu plötzlich vollzogen wurde, verständlicher werden zu lassen. Denn methodisch, so räumt Husserl in der Phänomenologischen Psychologie ein, »ergibt sich […] aus der Priorität der einzelrealen Erfahrung vor der Welterfahrung, daß jede empirisch-deskriptive (und erst recht nachher jede 144 145 146

Hua IX, S. 97. Hua III, S. 399. Hua IX, S. 97.

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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eidetische) Analyse der allweltlichen Strukturen von der Betrachtung der exemplarischen realen Einzelheiten ausgehen muß, natürlich unter beständigem überschauendem Reflektieren über die eröffneten oder zu eröffnenden Horizonte, also die gesamte Welt«147. Die in diesen Überlegungen häufig anzutreffende Rede von dem Singular ›Welt‹ und der Pluralität von ›Welten‹ bezeichnet demgemäß keine Differenz im Seienden. ›Welt‹ zeigt sich der Möglichkeit nach als ›Horizont‹ der Intentionen in statu nascendi; Intentionen aber artikulieren sich ihrem eigenen Ausdruck nach in unterschiedlichen ›Welten‹ als Orientierungsräumen eines Subjekts. ›Wirklichkeit‹ oder ›Realität‹ kommt diesen Orientierungsräumen zu, weil sich die bereits subjektiv aber auch intersubjektiv vollzogenen Intentionen ›bewährt‹148 haben und ein Fundament für künftige Erfahrungen bereitstellen. Dergestalt spricht Husserl auch bereits in den Ideen I von der ›Umwelt‹ als der ›Welt‹ der ›natürlichen Einstellung‹149; und er charakterisiert diese ›Umwelt‹ als »Welt ›realer Wirklichkeit‹«150, worin das Subjekt sich selbst vorfindet. Es handelt sich also nicht nur um Seiendes, das hier von Husserl unter dem Titel ›Umwelt‹ angesprochen wird, es handelt sich ebenso um einen strukturierten Orientierungsraum, der thematisch wird. Erst die Ideen II klären, was Husserl in diesem zuletzt genannten Sinne genau mit ›Umwelt‹ meint. Denn insbesondere in diesem zu Husserls Lebzeiten nicht nur unveröffentlicht gebliebenen, sondern auch von mehreren seiner Schüler immer wieder redigierten Werk findet sich ein Einstieg in die Art von Untersuchung, die später zu dem Projekt einer ›transzendentalen Empiriographie‹ führen wird. ›Welt‹ wird in den Ideen II nicht schlechthin zum Problem, ›Welten‹ werden als Horizonte resp. Orientierungsräume thematisch. ›Natur‹ und ›Umwelt‹ resp. ›geistige Welt‹ bespricht Husserl in diesem unvollendeten Werkentwurf als Orientierungsräume unterschiedlichen Typs. Sie werden von ihm unter der – nicht explizit genannten – Perspektive einer transzendental geläuterten Empiriographie in Angriff genommen, d. h. im Ausgang von den relativen Meinungswelten, wie sie als intentional sedimentierte vorliegen, und im Ausblick auf eine Subjektivität, die sich als funktionale fassen läßt. Das implizit bleibende Ziel der Untersuchung, die normierende Erfahrungsstruktur von ›Welt‹ aufzudecken, wird jedoch in den Ideen II bereits angedeutet; es handelt sich darum, einen Zugang zu einer fungierenden Subjektivität zu eröffnen, die als natürliche zugleich die Wissenschaften fundiert. Dies bedeutet, daß ›Natur‹ und ›Umwelt‹ als »relativ einstimmige Erfah147 148 149 150

Hua IX, S. 98. Hua III/1, S. 324, S. 344ff. Hua III/1, S. 58f. Hua III/1, S. 59.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

rungswelten und Meinungswelten«151 in einem recht zu verstehenden ›empiriographischen‹ Verfahren ihrem Vorkommen nach aufgegriffen und ihrem Anspruch nach ausgelegt werden, um sie auf natürliche, intentionale Leistungen zurückzubeziehen. Anhand dieser subjektiven Rückkopplung, die nicht im Stile einer reinen Analytik des cartesischen Cogito aber auch nicht als bloße Tatsachenwissenschaft durchgeführt wird,152 deutet sich bereits in den Ideen II eine durchgängige und normierende Weltstruktur an – die der personalen Subjektivität in ihrer geistigen Umwelt resp. die der ›Person‹ in ihrer ›Lebenswelt‹.153 Husserl eröffnet in diesem Sinne seine Darstellung in den Ideen II mit der »Natur, und zwar als dem Gegenstand der Naturwissenschaften«154. Die ›Natur‹ der Naturwissenschaften kann nur aufgeklärt werden, wenn »wir die Art der Einstellung des naturwissenschaftlich anschauenden und denkenden Sub151

Vgl. oben S. 186 Anm. 139. Die Zwitterstellung der Ideen II zwischen Transzendentalismus und Empirismus erschwert zwar zuweilen die Lektüre, sie deutet aber zugleich auch dasjenige an, was Husserl dann später mit der ›transzendentalen Empiriographie‹ zum Ausdruck bringen möchte. Man kann sich hier nicht entscheiden für das eine oder das andere, beides zugleich ist in Angriff zu nehmen resp. in Rechnung zu stellen: die transzendentalphilosophische Aufklärung der ›natürlichen Einstellung‹ und die natürliche Fundierung der transzendentalen Subjektivität. – Zu den Ausführungen der Ideen II, die eine rein empiriographische Untersuchungshaltung durchbrechen vgl. z. B. Hua IV, S. 179ff. 153 Vgl. hierzu die anregende Untersuchung von M. Sommer, Husserls Göttinger Lebenswelt, 1984, der das Augenmerk darauf lenkt, daß Husserl in den Ideen II, besonders im letzten Abschnitt, »eine erste Phänomenologie der Lebenswelt« (S. IX) vorstellt. – In einem strengen Sinne, so wäre noch zu ergänzen, wird in den Ideen II noch keine endgültige ›Phänomenologie der Lebenswelt‹ vorgestellt, sondern ›nur‹ ein Teilprojekt derselben – dasjenige, was Husserl in der Krisis eine ›Ontologie der Lebenswelt‹ nennt, die »außerhalb des [rein] transzendentalen Interessenhorizonts« durchgeführt werden kann und auf das natürliche Leben bezogen ist: »Die Welt des Lebens, die alle praktischen Gebilde (sogar der objektiven Wissenschaften als Kulturtatsachen, bei Enthaltung von der Teilnahme an ihren Interessen) ohne weiteres in sich aufnimmt, ist freilich in stetem Wandel der Relativitäten auf Subjektivität bezogen. Aber wie immer sie sich wandelt und wie immer sie korrigiert wird, sie hält ihre wesensgesetzliche Typik ein, an der alles Leben und so alle Wissenschaft, deren ›Boden‹ sie ist, gebunden bleibt. So hat sie auch eine aus reiner Evidenz zu schöpfende Ontologie« (Hua VI, S. 176). Stellt man in Rechnung, daß Husserls Ontologie im Sinne einer subjektrelativen Wesensanalytik durchgeführt wird, so bieten die Ideen II tatsächlich den inhaltlich wie systematisch einschlägigen Ansatz einer ›Ontologie der Lebenswelt‹ auf der Grundlage der personal leistenden Subjektivität. – Vgl. hierzu auch die Anmerkung Heideggers in Sein und Zeit. Heidegger waren bereits vor 1927 die Untersuchungen Husserls in den Ideen II bekannt, und er führt aus, daß Husserls »Untersuchungen über die ›Personalität‹« »bisher nicht veröffentlicht« seien, die Philosophie als strenge Wissenschaft zwar bereits eine erste Orientierung biete, aber erst im zweiten Teil der Ideen die Darstellung der Personalität »weitgehend gefördert« werde; M. Heidegger, Sein und Zeit (1927), 161986, S. 47, Anm. 1. 154 Hua IV, S. 1. 152

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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jekts genauer betrachten«155. Dann nämlich wird ›Natur‹ als eine ›Meinungswelt‹ thematisch, die ihrem Anspruch nach auf ein sich einstellendes Subjekt untersucht wird. Einzig aus dieser Perspektive kann nach Husserl ersichtlich werden, wie eine »Sphäre ›bloßer Sachen‹«156 als ein Komplex schlichter Kausalitäten behandelt werden kann. Abgesehen von den wissenschaftstheoretischen Einzeluntersuchungen, die u. a. das Wesen der Materialität oder das der Ausdehnung betreffen, kommt Husserl schließlich zu dem grundlegenden, die Wissenschaften fundierenden Ergebnis, daß »die Natur« »eine intersubjektive Wirklichkeit« ist, und zwar »eine Wirklichkeit nicht nur für mich und meine zufälligen Mitmenschen, sondern für uns und alle, die sollen mit uns in Verkehr treten und sich mit uns über Sachen und Menschen verständigen können«157. Und in den Ideen III heißt es noch deutlicher, daß »der Naturforscher […] in der Naturerkenntnis« »natürlich mit Leib und Seele dabei« sei – also als Person –, »und nicht nur der vereinzelte Naturforscher«158. Intersubjektivität und Leiblichkeit konstituieren letztendlich ›Natur‹, und ebenso die menschliche ›Welt‹ als ›animalische‹ und wissenschaftlich zugängliche ›Umwelt‹. Über das leibliche Erfahren werden erste Zugänge zur naturalen, dinglichen wie animalischen Wirklichkeit geschaffen, die intersubjektive Verständigung gewährleistet das objektive Recht der naturwissenschaftlichen Kategorien.159 Aber Intersubjektivität und Leiblichkeit als letzte Grundlagen der ›naturalistischen‹ resp. ›naturalen Einstellung‹ terminieren nicht notwendig oder ausschließlich in der ›Natur‹ der Naturwissenschaften. Denn das naturalistisch eingestellte Subjekt ist als intersubjektiv handelndes und leiblich verankertes zugleich und immer schon Person. »Als Person leben[,] ist sich selbst als Person setzen, sich zu einer ›Umwelt‹ in bewußtseinsmäßigen Verhältnissen finden und in Verhältnisse bringen.«160 Beide Einstellungen, die naturalistische wie die personale, sind jedoch nicht gleichgeordnet. Husserl versucht zu zeigen, »daß die naturalistische Einstellung sich der personalistischen unterordnet«. Der geläufige Primat ›der Natur‹ kann nur »eine gewisse Selbständigkeit« gewinnen, wenn »durch eine Abstraktion oder vielmehr durch eine Art Selbstvergessenheit des per155

Hua IV, S. 2. Hua IV, S. 25. 157 Hua IV, S. 86. 158 Hua V, S. 2. 159 Verwiesen sei hier etwa auf Husserls Ausführungen zur Konstitution des materiellen Dinges über das leibliche »Dingschema« (Hua IV, S. 35ff.), die Begründung der Realität in den Naturwissenschaften durch einen intersubjektiv hergestellten Begriff der Kausalität (Hua IV, S. 41ff.) und die Qualifikation eines Dings als eines »leere[n], identische[n] Etwas« (Hua IV, S. 88). 160 Hua IV, S. 183. 156

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

sonalen Ich« dessen natürliche Leistungen übersprungen werden.161 Dies aber ist de facto nie möglich, da auch der Naturwissenschaftler seinem theoretischen Geschäft praktisch nachgehen muß – und dies geschieht in der Form der Personalität. Ansonsten fehlten ihm alle Grundlagen zur Kategorisierung der Natur – zuvörderst diejenigen Fundamente, die vermittels der Leiblichkeit und der Intersubjektivität konstituiert werden. Husserls Empiriographie der Ideen II entdeckt demnach Intersubjektivität und Leiblichkeit als die Grundlagen der ›objektiven‹, ›wahren‹ Naturerkenntnis. Absolut aber wird diese ›Natur‹ durch die Abstraktion von einem ›Ich‹ das sich als nicht-naturales im natürlichen Verhalten, alltäglichen Tun, intersubjektiven Handeln und sinnlichen Wahrnehmen als Person bekundet und sich in seiner ›geistigen‹ oder ›personalen Umwelt‹ verwirklicht. Dieser Orientierungsraum bleibt jedoch primär, da hier Erfahrungen in einer Form vollzogen werden, die prinzipiell nicht von den Wissenschaften bezweifelt werden können. Denn das Geschäft der Naturwissenschaften kann als Theorie nur dann gelingen, wenn mit Subjekten gerechnet wird, die aufgrund ihrer Konstitution als Person wissenschaftliche Projekte praktisch bestätigen oder verwerfen. »Als Person bin ich, was ich bin (und ist jede andere Person, was sie ist) als Subjekt einer Umwelt. Die Begriffe Ich und Umwelt sind untrennbar aufeinander bezogen. Dabei gehört zu jeder Person ihre Umwelt, während zugleich mehrere miteinander kommunizierende Personen eine gemeinsame Umwelt haben. Die Umwelt ist die von der Person in ihren Akten wahrgenommene, erinnerte, denkmäßig gefaßte, nach dem und jenem vermutete oder erschlossene Welt, die Welt, deren dieses personale Ich bewußt ist, die für die es da ist, zu der es sich so oder so verhält, z. B. thematisch erfahrend und theoretisierend in Beziehung auf die ihm erscheinenden Dinge oder fühlend, wertschätzend, handelnd, technisch gestaltend usw.«162 Husserl legt in den Ideen II die Strukturen dieser Person-Umwelt-Beziehungen aus; er extrahiert in einem empiriographischen Zugang Kategorien, die als nicht-naturwissenschaftliche der nun – im Vergleich zum ersten Band der Ideen – personal gegebenen ›natürlichen Einstellung‹ gerecht werden. Hierzu zählen u. a. die »Motivationsbeziehungen zwischen Personen und Dingen«163 im Gegensatz zur Kausalität und die Kommunikations- und Praxisformen, die sich zwischen Personen als »Genossen«164 aufzeigen lassen. Nicht verwundern kann es im Verlauf dieses Gedankengangs, wenn Husserl ganz im Stile der Krisis beim Vergleich zwischen der ›naturalistischen‹ und ›natürlichen Einstellung‹ feststellen kann, daß nicht die Natur der Naturwis161 162 163 164

Hua IV, S. 183f. Hua IV, S. 185. Hua IV, S. 189, vgl. S. 215 ff. Hua IV, S. 194.

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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senschaften, sondern »die Welt als Alltagswelt« »vorgegeben« sei und die Erforschung des Menschen in dieser Alltagswelt mit einem »Ichsubjekt« zu beginnen habe, das als »individuell faktisches«165 Person ist. Die später in der Krisis-Schrift behandelte Problematik der ›Lebenswelt‹ als Fundament der Naturwissenschaften beginnt demgemäß spätestens mit diesen in den Ideen II von Husserl durchgeführten empiriographischen Untersuchungen. Man kann sogar die These wagen, daß in diesen frühen Ansätzen die Fragestellung – zumindest einer Hinsicht nach – erschöpfender behandelt wird. Denn es ist nicht ausschließlich von einer mehr oder weniger unqualifiziert eingeführten ›Lebenswelt‹ die Rede, sondern von der ›Person‹,166 die sich ihre ›Umwelt‹ (oder ›Lebenswelt‹) in alltäglichen, praktischen Verhaltungen unterschiedlichster Art erschließt.167 Doch vor Verkürzungen ist an dieser Stelle zu warnen. Auch wenn insbesondere im Nachlaß Husserls zahlreiche und umfangreiche Einzelanalysen empiriographischen Stils aus den 20er und 30er Jahren zu finden sind, worin ›Welt‹ als Horizont und demgemäß Orientierungsraum thematisch wird, so können diese doch nur einen, wenn auch wichtigen Aspekt beleuchten. Denn das Husserlsche Projekt ist nicht einseitig empiriographisch orientiert, es zielt vielmehr auf eine transzendentalphilosophische Aufklärung und Rückkopplung der empiriographischen Befunde. Husserl wird dergestalt bis zum Ende seines Schaffens eine Blickwendung empfehlen, die den interessierten Einstellungen entsagt,168 um den Blick auf eine Subjektivität zu richten, die als ausgezeichnete alle diese Einstellungen zur Aussprache ihres eigenen Sin-

165

Hua IV, S. 208. Vgl. auch die Anmerkung Nr. 1, Hua IV, S. 288, die von Landgrebe als Beilage dem Textkorpus hinzugefügt wurde: »Dabei aber finden wir uns beständig, findet sich auch der Naturforscher, selbst wo er Natur erforscht, beständig als Person lebend in der personalen Welt, seiner Lebenswelt: nur daß er theoretisch gerichtet ist ausschließlich auf die physische oder zoologische Natur etc.« 167 Im Übergang zu den 30er Jahren zeigt sich zudem, wie Husserl mehr und mehr die Ausdrücke ›Umwelt‹ und ›Lebenswelt‹ im Kontext der Phänomenologie als Empiriographie des natürlichen Lebens als Synonyme benutzt. Hierzu, sowie zu der Qualifikation der ›Lebenswelt‹ resp. ›Umwelt‹ als ›personaler Welt‹ vgl. folgende Äußerungen: »Die konkrete ›Umwelt‹ ist danach durchaus ›bedeutsame‹, den personalen Interessen gemäss gegliederte und typisierte, also Korrelat der Person selbst« (Hua XV, S. 56); »Die Gliederung der Umwelt, die uns beschäftigt hat, betraf (wie das Wort Umwelt als Korrelatwort für Personen in Einzelheit und Gemeinschaft schon besagt) […]« (Hua XV, S. 58); »Lebenswelt als Individualform« (Hua XV, S. 146); »die ganze Umwelt als unsere gemeinschaftliche Lebenswelt« (Hua XV, S. 213); »Umwelt, die nun nicht mehr die Welt überhaupt heisst: im gewöhnlichen Menschensinn (Lebenswelt)« (Hua XV, S. 215); vgl. ebenso Hua VI, S. 50, S. 296ff. – Zu ›Umwelt‹ als ›Heimwelt‹ resp. ›Heimat‹, wie Husserl die Fragestellung ebenfalls empiriographisch in den 30er Jahren durchspielt, vgl. u. a. Hua XV, S. 205ff., S. 221ff. 168 Vgl. Hua VI, S. 141, Anm. 1. 166

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

nes zu bringen vermag. Diese Blickwendung bringt eine Subjektivität zum Vorschein, die als leistende sowenig in ›Welt‹ als einem Komplex von Seiendem zu finden ist, wie sie auch nicht letztgültig in ›Welt‹ als einem einzigen Orientierungsraum auftritt. Sie ist es vielmehr, die überhaupt eine Besinnung auf ›Welt‹ als einem wesentlichen Thema ihrer selbst ermöglicht. »Die objektive Welt ist für mich immerfort schon fertig da, Gegebenheit meiner lebendig fortlaufenden objektiven Erfahrung, und auch nach dem Nicht-mehr-erfahren in habitueller Fortgeltung. Es handelt sich darum, diese Erfahrung selbst zu befragen und die Weise ihrer Sinngebung intentional zu entüllen, die Weise, wie sie als Erfahrung auftreten und sich bewähren kann als Evidenz für wirklich Seiendes eines explizierbaren eigenen Wesens, das nicht mein eigenes ist, oder sich meinem eigenen nicht als Bestandstück einfügt, während es doch Sinn und Bewährung nur in dem meinen gewinnen kann.«169

d) Die ›werdende Welt‹ und der Horizont der Geschichte Husserls Projekt einer ›transzendentalen Empiriographie‹ läßt sich ebenso als eine »Phänomenologie der Leitfäden«170 umschreiben. Das Schlagwort des ›Leitfadens‹ findet sich immer wieder in Husserls Schriften. Es drückt einerseits, in sozusagen naiver Hinsicht, die notwendige Bindung der rein transzendentalen Betrachtungsweise an die ›weltlichen‹ Gehalte aus; andererseits aber steht die Floskel selbst für einen transzendentalphänomenologischen Befund besonderer Dignität: daß nämlich vermittels einer radikal durchgeführten Transzendentalphilosophie die ›natürliche Einstellung‹ als ›Leitfaden‹ für Analysen des reinen Bewußtseins in Betracht zu ziehen ist.171 169

Hua I, S. 136. Hua XIV, S. 41. – An dieser Stelle kann nur auf die Ausführungen Kants in der Kritik der reinen Vernunft mit Blick auf den Topos des ›Leitfadens‹ aufmerksam gemacht werden. Einschlägig sind natürlich die Darlegungen, die unter der Überschrift Von dem Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe zu finden sind; I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787), Weischedel-Ausg., Bde. 3/4, Akad.-Ausg., Bde. 3/4, A 66 ff., B 91 ff. Obwohl eine systematische Diskussion, die das Kantische mit dem Husserlschen Vorgehen unter dem Blickwinkel des ›Leitfadens‹ in Relation setzt, durchaus erfolgversprechend scheint, so kann sie hier aus einsichtigen Gründen nicht geleistet werden; am Rand sei jedoch auf folgende Nachlaßreflexion Kants hingewiesen: »Nach einem Leitfaden fortzugehen, gehört nur Fleis und Achtsamkeit. Aber den Leitfaden selbst und die abgerissenen Stücke desselben zu finden, wird der Einfall erfordert, der eben dasselbe im Denken ist, was der Glücksfall in Begebenheiten«; I. Kant, Reflexion Nr. 4997, Akad.-Ausg., Bd. 18, S. 55f. 171 Husserls Rede von der Phänomenologie als einer »Wissenschaft der ›radices‹« (Hua XXV, S. 202) bringt diesen Sachverhalt zum Ausdruck. Ebenso läßt sich die Äußerung Husserls aus dem Jahre 1935 verstehen, die natürlich eine besondere Dignität erhält, wenn 170

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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Der bloß operativ angewandte Terminus ›Leitfaden‹ drückt dergestalt zwei Ansätze der einen und einheitlichen phänomenologischen Betrachtungsweise aus. Husserls Phänomenologie postuliert keine Dualismen, so daß etwa wechselseitig zwischen der philosophischen Methode als einem Vermessen, dem objektiv gegebenen Maßstab und dem auszumessenden Gegenstand strikt geschieden werden könnte; er intendiert vielmehr eine gleichursprüngliche Interpretation der ›natürlichen Einstellung‹ in dem doppelten Sinne des Erarbeitens derselben als Leitfaden aus der phänomenologischen Besinnung heraus und der Bindung der phänomenologischen Analysen an den so gewonnenen Index. Unter dieser zweideutigen Perspektive mißt sich die transzendentale Phänomenologie zum einen an dem ›Leitfaden‹ der ›natürlichen Einstellung‹ als Maßstab, zum anderen aber kann erst eine in radikaler Weise durchgeführte – und dies kann auch bedeuten: eine sich als Empiriographie bekundende – Transzendentalphilosophie den ›Leitfaden‹ als solchen ermessen, generieren und aufweisen.172 Dergestalt zeigt die empiriographisch zum phänomenologischen Thema gewordene ›Welt‹ als Horizont von Orientierungsräumen in ihren unterschiedlichen Formen die Leitfäden an, woran das »Sein der transzendentalen Allsubjektivität« enthüllt werden kann.173 Im Durchgang durch die Aufbe-

zusätzlich nicht nur das philosophisch-phänomenologische Umfeld in Rechnung gestellt wird, sondern ebenso die politische Situation berücksichtigt wird: »Es möchte mir scheinen, daß ich, der vermeintliche Reaktionär, weit radikaler bin und weit mehr revolutionär als die sich heutzutage in Worten so radikal Gebärdenden« (Hua VI, S. 337). Vgl. schließlich in diesem Sinne die Äußerung in der Krisis, wo Husserl ausführt, daß »eine Transzendentalphilosophie um so echter ist, um so mehr ihren Beruf als Philosophie erfüllt, je radikaler sie ist« (Hua VI, S. 102). 172 Husserls Begriff der ›Konstitution‹ steht gleichsam inmitten dieser Zweideutigkeit. Zum einen nämlich konstituiert sich ein Gegenstand, indem er sich schlicht als Bewußtseinsgegenstand bekundet. Die Formen dieses Bekundens können intentionalanalytisch in noetischer und noematischer Hinsicht ausgelegt werden. Zum anderen aber gründet die sich bekundende ›Gegenständlichkeit‹ immer schon auf Leistungen als subjektiven ›Kreationen‹. Diese Leistungen lassen sich ihren Stufen und Schichten nach am Gegenstand abtragen, isolieren und untersuchen. – Vgl. hierzu auch E. Fink, Die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls in der gegenwärtigen Kritik (1933), 1966, S. 141, der »auf die Schwierigkeiten einer definitiven Bestimmung des Wesens der ›Konstitution‹ aufmerksam« macht. Die Erläuterung des doppeldeutigen Begriffs anhand idealistisch-spekulativer Gedankengänge, wie Fink dies in den 50er Jahren in Angriff nimmt, erscheint plausibel und erfolgversprechend; vgl. dazu E. Fink, Die intentionale Analyse und das Problem des spekulativen Denkens (1952), 1976, S. 154. 173 Hua XV, S. 390. – In diesem vielfältigen Sinne spricht Husserl auch in der Krisis von der ›Lebenswelt‹ als einem ›Leitfaden‹: »Das Erste ist die schlicht gegebene Lebenswelt, und zwar vorerst [!] so, wie sie als ›normale‹, schlicht, bruchlos in purer Seinsgewißheit (also zweifellos) daseiende sich wahrnehmungsmäßig gibt. Mit der Etablierung der neuen Interessenrichtung und somit in ihrer strengen Epoché wird sie ein erster [!] intentionaler

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

reitung subjektiver Einstellungen ›in Welten‹ als Orientierungsräumen und im Anhalt an den sich daraus ergebenden Leitfaden einer durchgängig subjektrelativen Weltstruktur kann die transzendentale Subjektivität als Norm thematisch werden – jedoch in der spezifischen Form der Personalität, d. h. »des sich personal sozusagen deklinierenden Ich«174.

* Dieses Forschungsvorhaben wird von Husserl im Fortgang seiner Studien um eine – wie man es in Anlehnung an den Titel der ›Empiriographie‹ nennen könnte – transzendentale Empiriohistographie erweitert. In diesem Projekt wird die transzendentale Subjektivität als eine sich historisch zeitigende aufweisbar – und zwar inkarniert in der personalen Kultur und ihrer Vernunftgeschichte.175 Auch die Geschichte läßt sich dann als ›Leitfaden‹ in dem bereits ausgelegten doppelten Sinne deuten: als Leitfaden, der durch das sich zeitigende Bewußtsein ermessen wird; und als Leitfaden, an dem das Subjekt immer schon seine zeitlichen Orientierungen gefunden hat. Verbunden ist das angeführte Projekt nicht zuletzt mit Diskussionen um eine ›statische‹ resp. ›genetische‹ Betrachtungsweise innerhalb der Phänomenologie als reiner Methodenlehre.176 Neben die statische Auslegung des aktuell Gegebenen in der ›natürlichen Einstellung‹, welches mit Blick auf seine Identität noetisch resp. noematisch analysiert werden kann, tritt – ebenfalls im Übergang zu den 20er Jahren – eine Auslegung der »Urgesetze der Genesis« innerhalb der ›natürlichen Einstellung‹, worin »die Gesetze des ursprünglichen Zeitbewußtseins, die Urgesetze der Reproduktion und dann der Assoziation und assoziativen Erwartung«177 problematisch werden. Hiermit erschließt sich Husserl im Fortgang seiner Studien eine weitere und fundamentale Dimension: es handelt sich um die Geschichte als Horizont des intersubjektiven Erlebens und, damit verbunden, um die Auslegung der Titel, Index, Leitfaden für die Rückfrage nach den Mannigfaltigkeiten der Erscheinungsweisen und ihren intentionalen Strukturen« (Hua VI, S. 175). – Zum ›natürlichen Weltbegriff‹ als ›Leitfaden‹ vgl. Hua XI, S. 344f. 174 Hua VI, S. 417. 175 Verwiesen sei hier auf die programmatischen Äußerungen Husserls in den sogenannten Kaizo-Artikeln aus dem ersten Drittel der 20er Jahre (Hua XXVII, S. 3–94), worin bezeichnenderweise eine Kulturgeschichte im Sinne einer intersubjektiv inkarnierten Vernunftgeschichte in Angriff genommen wird: »Unter Kultur verstehen wir ja nichts anderes als den Inbegriff der Leistungen, die in den fortlaufenden Tätigkeiten vergemeinschafteter Menschen zustande kommen und die in der Einheit des Gemeinschaftsbewußtseins und seiner forterhaltendenen Tradition ihr bleibendes geistiges Dasein haben« (Hua XXVII, S. 21). 176 Zu Husserls Diskussion der sogenannten ›genetischen‹ und ›statischen‹ Phänomenologie vgl. u. a. Hua XIII, S. 346 ff.; Hua XIV, S. 34ff., S. 478ff.; Hua XVII, S. 316ff. 177 Hua XI, S. 344.

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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transzendentalen Subjektivität als einer sich historisch generierenden und in konkreten Zeitverhältnissen artikulierenden.178 Innerhalb dieses Problemhorizonts kommt es dann letztendlich zu einer nun auch zeitlichen Dynamisierung der finiten ›Welt‹ als einem historischen Orientierungsgefüge. Thematisch wird eine zeitlich infinite, jedoch durchaus strukturierte Offenheit von ›Welt‹ als einem Thema fortlaufender, intentionaler Verankerungen in der geschichtlichen Entwicklung, wobei sowohl der intersubjektive Aufgriff der Vergangenheit als auch die Fortschreibung dieser Geschichte in die Zukunft hinein bedacht werden. Damit erweist sich nicht nur, daß die durch Einstimmigkeit der Erfahrungen hergestellte Wahrheit eine Wahrheit »ist und bleibt«, die »ewig auf dem Marsche« 179 ist, auch die Frage nach ›Welt‹ öffnet sich zum phänomenologischen Thema der ›werdenden Welt‹ als einem intersubjektiven Leistungsgebilde – der Geschichte. Und insoweit generiert die Phänomenologie als Empiriographie nicht mehr nur einen statisch-aktualen ›Leitfaden‹, sie wird um eine Empiriohistographie erweitert, die den Leitfaden der Geschichtlichkeit aufweist, um auch daran die transzendentale Subjektivität als zeitlich sich generierende orientieren zu können.180 Husserl umschreibt 178

Die Zeitthematik als philosophisches Problem hat Husserl in ausgiebiger Form bekanntlich weit früher behandelt; vgl. bes. die 1928 von Heidegger herausgegebenen Vorlesungen über das innere Zeitbewußtsein aus den Jahren 1904/05 bis 1917 (Hua X, S. 1–134). Die Einbindung dieses Themas als konstitutiven Bestandteil der phänomenologischen Methode selbst vollzieht sich Schritt für Schritt bis zu der Publikation der Ideen I; doch auch in diesem Werk kommt es noch zu keiner befriedigenden Integration des sich zeitigenden Bewußsteins in die phänomenologische Vorgehensweise. Zwar spricht Husserl in den Ideen I von der »Seinsordnung in der Folge der Zeit« und dem »zeitlichen Horizont« (Hua III/1, S. 57 f.) als Charakteristika der ›natürlichen Einstellung‹, doch die Behandlung dieses Themas spart er in diesem Werk explizit aus: »Zeit ist übrigens, wie aus den später nachfolgenden Untersuchungen hervorgehen wird, ein Titel für eine völlig abgeschlossene Problemsphäre und eine solche von ausnehmender Schwierigkeit. Es wird sich zeigen, daß unsere bisherige Darstellung gewissermaßen eine ganze Dimension verschwiegen hat und notwendig verschweigen mußte […] Das transzendentale ›Absolute‹, das wir uns durch die Reduktionen herauspräpariert haben [d. i. in den Ideen I das reine Bewußtsein], ist in Wahrheit nicht das Letzte, es ist etwas, das sich selbst in einem gewissen tiefliegenden und völlig eigenartigen Sinn konstituiert und seine Urquelle in einem letzten und wahrhaft Absoluten hat«, nämlich der phänomenologischen Zeit als sich zeitigendem Bewußtsein (Hua III/1, S. 181 f.). – Der eigentliche Ausbruch der Zeitproblematik aus der rein bewußtseinstheoretischen Dimension in die der ›natürlichen Einstellung‹ vollzieht sich wiederum in den 20er Jahren, wenn Husserl der Zeitlichkeit empiriohistographisch auf der Spur ist. – Dazu, und zur Konstitution des persönlichen ›Ichs‹ in einer »den Erlebnisstrom durchwaltenden Genesis« sowie zur ›Welt‹ als »immerfort im Werden« begriffenen können auch die Ideen II angeführt werden, vgl. Hua IV, S. 251f., S. 186. 179 Hua VIII, S. 47. 180 Dies führt im übrigen in letzter Konsequenz zu Husserls gewagter These, die er 1936 in Auseinandersetzung mit Heideggers Philosophie vorstellt, daß nämlich »das transzendentale urtümliche Leben« »unsterblich« sei, weil es »nicht aus dem Nichts werden

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

in seinen späten Reflexionen genau diesen Prozeß der sich ›in Zeit‹ als Geschichte oder ›werdender Welt‹ einstellenden Subjektivität mit Ausdrücken, die z.T. befremdlich klingen, die jedoch die Problematik zumindest andeuten können – verwiesen sei hier etwa auf »Weltzielung«, »Weltigung« und »Weltzeitigung«181.

*

Den systematischen Grundstein für diese komplexen Überlegungen – die Husserl nicht in geschlossener Form vorgelegt hat, sondern sich nur aus unterschiedlichen Schriften und Fragmenten extrahieren und nachträglich zusammenfügen lassen182 – legt er jedoch wieder mit der Analyse der Dingerfahrung: »Jede Wahrnehmung ist als Dingwahrnehmung durch und durch Antizipation, und das gilt […] auch von der universalen Weltwahrnehmung, und zwar so, daß sie in jedem Augenblick, und bewußtseinsmäßig, die Antizipation eines künftig einstimmigen oder durch eventuelle Korrekturen zur Einstimmigkeit zu bringenden Verlaufs in sich trägt. Der Wahrnehmende selbst erwartet beständig die Bestätigung seiner aktuellen in die Zukunft gerichteten Erwartungen, und zudem ist er sich dessen bewußt, den Wahrnehmungsverlauf nach vielen anderen Dimensionen in Freiheit dirigieren und in anderen Verlaufsreihen der sich eröffnenden Erwartungshorizonte andere Mitmeinungen in eigentlich selbstgebende Anschauung verwandeln zu können. Er ist sich ferner bewußt der Möglichkeit der Nichtbestätigung seiner Antizipationen, aber auch der jeweiligen praktischen Möglichkeit der Korrektur, und somit der schließlichen Wiederherstellung der Einstimmigkeit durchgängiger Selbstbestätigung innerhalb der Gesamtwahrnehmung. Ein bloßes Korrelat davon ist: er sieht in eine immerfort seiende Welt hinein, in eine identische, im ungebrochenen Gesamtglauben für ihn daseiende Welt: nicht bloß eine im Jetzt daseiende, sondern zugleich von der Vergangenheit her in eine offene Zukunft hinein werdende .«183 Innerhalb der ›natürlichen Einstellung‹ wird nicht nur vermittels der Dingwahrnehmung mit ›Welt‹ als einem aktuellen Horizont des ›bestimmbar Unbestimmten‹ gerechnet – der Horizont, und damit ›Welt‹, besitzt zugleich eine zeitliche Dimension. Das in natürlicher Einstellung handelnde Subjekt folgt einem Wahrnehmungsstil, der auf vergangenen Wahrnehmungen grünund [nicht] ins Nichts übergehen« kann. – Zur Phänomenologie als einer ›Geschichtswissenschaftstheorie‹, einem Thema, das aus diesen Überlegungen erwächst, hier jedoch nicht en détail diskutiert, sondern nur angedeutet werden kann, vgl. besonders K.-H. Lembeck, Gegenstand Geschichte, 1988. 181 Hua XXVII, S. 234; Hua XXIX, S. 334; Hua XV, S. 487. 182 Neben den Analysen zur passiven Synthesis und den Ausführungen zur Intersubjektivität sind in diesem Kontext die Erste Philosophie, die Krisis sowie die Fragmente, die im Umfeld der Krisis entstanden sind, einschlägig. 183 Hua VIII, S. 51; vgl. die analog durchgeführte Analyse in Hua XXIX, S. 314.

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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det und zukünftige motiviert bzw. antizipiert.184 Zwar kann und muß der Wahrnehmungsstil aufgrund nicht erfüllter Erwartungen korrigiert werden, die Strukturen des Wahrnehmungsstils selbst sind jedoch nicht zu unterlaufen.185 Doch Husserl beschränkt diesen Ansatz nicht auf die subjektive Wahrnehmungsgeschichte, in vergleichbarer Weise vollzieht sich für ihn die intersubjektive Konstitution der ›werdenden Welt‹ als Kulturgeschichte im Stil einer »Humanisierung der Welt«. Mit diesem leicht mißverständlichen Ausdruck meint Husserl jedoch keine Beherrschung ›der Welt‹ oder dgl.; er verweist vielmehr einerseits auf die notwendige Einrichtung subjektiver Leistungen in einen bereits intersubjektiv konstituierten geschichtlichen Verlauf und andererseits auf die stete Reorganisation diverser Ansprüche in Richtung auf eine relative Einstimmigkeit. Mit dem Schlagwort der Humanisierung ist somit das Phänomen angesprochen, daß die Geschichte als ›werdende Welt‹ zu einem Thema derjenigen Subjektivität wird, die sich historisch artikuliert und in Traditionen etabliert – einer Subjektivität also, der es in ihrer historischen und intersubjektiven Verfaßtheit um eine ›werdende Welt‹ als ein Thema ihrer selbst geht. »Das Menschentum ist korrelativ in Selbstentwicklung und in Humanisierung der Welt. Denn der Mensch ist, indem er sich seelisch, und sich dabei als Person, fortgesetzt entwickelt. Das vollzieht sich aber korrelativ dadurch, dass er fortgesetzt in Aktivitäten lebt, aktive Gebilde einzeln und vergemeinschaftet erzeugt, dass die fortgesetzten Erzeugnisse der einzelnen und Gemeinschaften selbst bewusstseinsmäßig konstituiert sind als seiend und so das menschliche Dasein immerfort eine allbefassende Welt hat, die alle seine Gebilde, seine Werke, seine Gemeinschaften in sich aufgenommen hat und weiterhin aufnimmt […] Humanisierung ist der ständige Prozess des menschlichen Daseins, Selbsthumanisierung, Sein in beständiger Genesis der Selbstgestaltung, und Humanisierung der Umwelt. Als schon humanisierte drückt sie beständig ihre frühere Genesis aus. Menschliches Dasein, Sein der menschlichen Welt – der Welt, die für die Menschen seiende ist – ist Sein in beständig lebendiger Geschichte und Sein in sedimentierter Geschichte, die als das ihr immer neues historisches Gesicht hat, dem die Genesis anzusehen ist, dem sie abzufragen ist.«186

184

Hua IX, S. 70: »Wir können nicht anders, dem eigenen Sinneszug der Erfahrung folgend, als die unbestimmte künftige Welt im allgemeinen Stil der vergangenen zu entwerfen.« 185 Vgl. Hua XXIX, S. 314f. 186 Hua XV, S. 391.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

In diesem historischen Prozeß fortlaufender Harmonisierungen, mittels der stets notwendigen Wiederherstellung relativer Einstimmigkeiten »erwächst die Idee einer wirklich und endgültig wahren Welt«, »die in einer endgültigen und idealiter herzustellenden Einstimmigkeit erfahren« werden könnte und als solche »keiner Korrektur mehr bedürfte«187. Doch auch diese letzte Wahrheit kann Husserl zufolge auf dem Boden der intentional sich artikulierenden Intersubjektivität nur relativ bleiben, da erstens Einstimmigkeiten immer neu herzustellen sind, sie also nur mittelfristige Gültigkeit beanspruchen können, und zweitens eine verwirklichte Idee ein ›Faktum‹ ist und somit korrigierbar wird. »Man kann sagen, im allgemeinen Erfahrungsstil beschlossen ist die Idee einer endgültigen Welt der Erfahrung, für welche die jeweilige tatsächlich erfahrene Welt, die immerfort einzelne Korrekturen offenläßt, eine wandelbare Abschlagszahlung ist, mit manchen unechten Münzen, nur als solchen noch nicht erkannt, das ist, wie gesagt, eine Idee und nicht bloße Erfahrung.«188 Die historisch sich generierende Erfahrung einer ›wahr werdenden Welt‹ kann nach Husserl nicht geleugnet werden, denn regressiv fundiert sie den intersubjektiven und zur Einstimmigkeit strebenden Verständigungsstil. Doch die Idee einer ›letzen, wahren Welt‹ kann zukünftig nicht verwirklicht werden, einzig als eine »Horizontpräsumtion« wirkt sie gleichsam an den Rändern der Verständigungspraxis. In Anlehnung an ein Argument aus der Formalen und Transzendentalen Logik läßt sich dieser Gedanke Husserls auch in anderer Form ausdrücken. Wie man in der Logik vorgeben kann, ›die Unendlichkeit‹ durch die »Grundform des ›Und so weiter‹« einzuholen, so läßt sich in der Geschichtstheorie die Idee präsumieren, die ›wahre‹ oder ›letzte Welt‹ durch die Form des ›Und so weiter‹ im historischen Verlauf einzufangen. Doch dies ist und bleibt in beiden Fällen »eine offenbare Idealisierung«, welche faktisch nicht durchzuführen ist, die aber als Idealisierung ihr Recht behält. Denn bezogen auf die Unendlichkeit, die in einem ›Und so weiter‹ zugänglich werden soll, bemerkt Husserl, daß »de facto niemand immer wieder kann«189; und bezogen auf die ›wahre Welt‹, die als Idee in der Form des ›Und so weiter‹ historisch abstrahiert werden könnte, kann in Analogie festgestellt werden, daß de facto auch in der Geschichtstheorie ›niemand immer wieder kann‹ – die Idee also nur mittels Idealisierungen zu fassen ist. Steht die ›werdende Welt‹ als eine sich generierende Erfahrungspraxis in Rede, so kann sie einzig als werdend im Stile einer historischen ›Horizonterweiterung‹ begriffen werden. Denn der Horizont bleibt auch dann noch Horizont, wenn man sich ihm zu nähern versucht, während sich zugleich 187 188 189

Hua VIII, S. 47. Hua IX, S. 63f.; eigene Hervorhebung. Hua XVII, S. 196; vgl. allerdings ebenso Hua XXXIV, S. 436.

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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jedwede Praxis in der Region niederschlagen muß, die durch den Horizont begrenzt wird. Im letztgenannten Sinne fungiert der zeitlich-historische Horizont als ein Orientierungsraum, worin sich die vermeintlich bloß aktuelle Erfahrungspraxis niederschlägt. Aber auch hier ist es der Anspruch eines Subjekts, das diese ›Welt‹ als eine ›Welt‹ kennzeichnet. Denn die Geschichte liegt nicht schlicht vor, auch entwickelt sich die Geschichte als eine ›werdende Welt‹ nicht unabhängig von dem sich ›in Welt‹ einstellenden Subjekt, es ist dieses Subjekt selbst, das in dem Einstellen die Integration der Vergangenheit in eine bestimmbar unbestimmte Zukunft hinein vollzieht.190

* Diese Überlegungen, wie auch die weiteren Studien Husserls aus den 30er Jahren, dokumentieren eine Präferenz, die Probleme der Geschichte resp. der Geschichtsphilosophie phänomenologisch in Angriff zu nehmen. Dies gründet u. a. auf Husserls Zusammenführung von statischer und genetischer Phänomenologie, da ihm zusehends die künstliche Trennung beider Forschungsperspektiven problematisch wird. Denn »unwillkürlich spricht man in der konstitutiven [statischen] Auslegung in der Sprache der Genesis, obschon, wenn die Welt als immerzu vorgegebene Welt ausgelegt und die Seinsordnung, die darin als konstitutiv vorgebildete hergestellt wird, zunächst nicht von einer ernstlichen Genesis die Rede ist und sein kann. Aber jede intentionale Modifikation verweist auf eine Genesis, trägt in sich selbst den Sinn einer solchen«191. Und zusätzlich wird Husserls Geschichtsphänomenologie motiviert durch die immer mehr in den Vordergrund tretende Frage, wie das leistende Subjekt sich zeitigend situiert und engagiert, es sich also in Geschichte als einen Orientierungsraum einstellt und ›Welt‹ sozusagen fortschreibt. Zwar betont Husserl, daß er dem Terminus technicus ›Genesis‹ innerhalb der rein methodischen Untersuchungen »nicht einen weltlichen Sinn einer 190

Merleau-Pontys Gedanken in den Abenteuern der Dialektik zum Prozeß der historischen Entwicklung weichen von dieser Grundvorstellung Husserls kaum ab: »Der Sinn der Geschichte läuft also bei jedem Schritt Gefahr, vom Weg abzukommen und muß unaufhörlich neu integriert werden. Der Hauptstrom ist niemals ohne Gegenströmungen oder Wirbel. Er ist keineswegs als Tatsache gegeben. Er offenbart sich nur über Mißverhältnisse, durchs Überleben, durch Ablenkungen und Regressionen; er ist dem Sinn wahrgenommener Dinge vergleichbar, Reliefs, die nur von einem bestimmten Gesichtspunkt aus Gestalt annehmen und niemals andere Sichtweisen absolut ausschließen. Es gibt weniger einen Sinn der Geschichte als eine Beseitigung des Unsinns«; M. Merleau-Ponty, Die Abenteuer der Dialektik (1955), 1968, S. 50. 191 Hua XV, S. 491. – Vgl. ebenso Hua IX, S. 286: »Überall führt schließlich diese ›statische‹ Wesensdeskription zu Problemen der Genesis und zu einer universalen nach eidetischen Gesetzen das ganze Leben und die Entwicklung des personalen Ich durchherrschenden Genesis.«

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

weltlichen Kausalität« zuschreiben möchte. ›Genesis‹ zeige schließlich den transzendentalphilosophisch zu klärenden Befund an, wie ›Bewußtsein aus Bewußtsein‹192 entsteht. Doch gleichwohl müssen gemäß dem Programm der Phänomenologie die Kategorien der ›Genesis‹ – z. B. ›Motivation‹ oder ›Antizipation‹ – auch in der ›natürlichen Einstellung‹ aufgewiesen und gleichsam ›dingfest‹ gemacht werden können. Denn die entscheidende Frage für die Phänomenologie – und zwar auch für die Phänomenologie als Methode – ist letztendlich, »wie diese transzendentale Genesis sich in der menschlichen und tierischen Genesis und in der psychologischen und gesellschaftlichen (pädagogischen) Genesis ›spiegelt‹«193. Doch Husserls Zuwendung zu den Problemen der Geschichte bedeutet keine Abwendung von der Phänomenologie als einer strengen Wissenschaft.194 Wie auch im Falle der Phänomenologie als Empiriographie, so muß auch in dem hier besprochenen Kontext vor Kurzschlüssen gewarnt werden. Husserls Betonung der Geschichte ist kein Selbstzweck, sie steht im Dienst seiner Transzendentalphilosophie als vernünftig wissenschaftlicher Aufklärung der nun zeitlich zugänglichen, subjektiven ›Welteinstellungen‹. Unterstellt man Husserl einen blinden Historismus, so spricht man nicht mehr über seine Philosophie. Der Geschichte kann man sich nur dann sinnvoll zuwenden, wenn überhaupt das Recht und die Ursprünge einer historischen Betrachtung ausgewiesen sind – dies aber ist nach Husserls Einschätzung nur im Rahmen einer Transzendentalphilosophie möglich. »Die Welt kann nur sein, wenn sie sich konstitutiv entwickelt, wenn die absolute Subjektivität sich entwickelt, wenn sie selbst die Welt sich entwickelt, so dass sie sich zum Selbstbewusstsein in Form von menschlichem entwickelt, und sich dann weiter zum wissenschaftlichen entwickelt. Ohne Tendenz auf Wahrheit ist keine Wahrheit, ohne Entwicklung zur Erkenntnis ist kein wahres Sein.«195 192

Hua XIV, S. 41: »Indem die Phänomenologie der Genesis dem ursprünglichen Werden im Zeitstrom, das selbst ein ursprünglich konstituierendes Werden ist, und den genetisch fungierenden sogenannten ›Motivationen‹ nachgeht, zeigt sie, wie Bewusstsein aus Bewusstsein wird, wie dabei im Werden sich immerfort auch konstitutive Leistung vollzieht, so der Bedingtheitszusammenhang zwischen Motivanten und Motivaten oder der notwendige Übergang von Impression in Retention, in dem das Bewusstsein eben dieses Werdens und korrelativ des Sich-wandelns des Jetzt in soeben vergangenes Jetzt konstituiert.« 193 Hua XV, S. 491 Anm. 1; vgl. dazu ebenfalls Hua XI, S. 339. – Zum ›Spiegeln‹ der Transzendentalität in der Mundanität vgl. auch Hua XV, S. 392. 194 Zu der oft mißverstandenen Äußerung Husserls aus dem Jahre 1935: »Philosophie als Wissenschaft, als ernstliche, strenge, ja apodiktisch strenge Wissenschaft – der Traum ist ausgeträumt« (Hua VI, S. 508) vgl. die umsichtige Deutung von E.W. Orth, Edmund Husserls ›Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie‹, 1999, S. 29ff. 195 Hua XIV, S. 136. – Dies betrifft auch Husserls späte Reflexionen. Wenn er bei-

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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e) Die anderen Anfänge der Phänomenologie als Topographien des Weltlichen Bereits der erste Durchgang durch Husserls Schriften und Werke zeigt, in welch unterschiedlichen Kontexten ›Welt‹ in der Phänomenologie zum Problem wird. Die klassisch-philosophische Frage nach der ›einen Welt‹ wird in wissenschaftskritischen Untersuchungen, aber auch logischen und erkenntnistheoretischen Analysen im Ausgang von der Einheit von Aussageinhalten in Angriff genommen, auf die ›Einheit einer Welt‹ zentriert und an den subjektiven und intersubjektiven Einstimmigkeitsbewährungen von Erfahrungen adjustiert. Husserls abwägende Integration des ›natürlichen Weltbegriffs‹ von Avenarius vollzieht sich mittels ausführlicher empiriographischer Untersuchungen, in denen jedoch der Empiriokritizismus nicht schlicht übernommen, sondern vielmehr zu Ende gedacht und in diesem Sinne auch überboten wird. Das Subjekt reiht sich nicht nur ›in Welt‹ ein, wobei es sich als seiendes Beziehungsglied neben anderem Seienden plaziert. Das Einstellen selbst kann zum Thema gemacht und gezeigt werden, wie sich das Subjekt in unterschiedliche ›Welten‹ als Orientierungsräume einstellt und wie es diese im Einstellen intentional konstituiert. Im weiteren Verlauf der Husserlschen Überlegungen kommt es dann nicht nur zu einer Erweiterung des empiriographischen Programms, worin ebenso kulturphilosophische Fragestellungen aufgegriffen und besprochen werden; in Analogie zu einem aktualen ›natürlichen Weltbegriff‹ wird zudem ein – wie man es nennen könnte – ›historischer Weltbegriff‹ im Sinne einer intersubjektiv-geschichtlich ›werdenden Welt‹ thematisch. Weiterhin zeigen Husserls Ausführungen zur Wahrnehmung, daß stets in und vermittels der Dingwahrnehmung, mit ›Welt‹ als einem ›Horizont‹ gerechnet wird, worin sich vergangene Wahrnehmungsstrukturen immer schon sedimentiert haben, einen Wahrnehmungsstil etablieren und zukünftige Perzeptionen motivieren resp. antizipieren. Wie die systematischen Kontexte, wenn sie als voneinander abgetrennte und isolierte betrachtet werden, nicht einen sicheren Halt bieten können, ›den Weltbegriff‹ der Phänomenologie zu bestimmen, so kann auch nicht ein einzelner, mehr oder weniger willkürlich ausgewählter Ausdruck herausgegriffen werden, um Husserls Vorgehen bezüglich ›Welt‹ aufzuklären. Die Schlagworte des ›natürlichen Weltbegriffs‹, der ›Umwelt‹, ›Heimwelt‹ oder auch ›Lebenswelt‹ können nur verständlich werden, wenn das phänomenologische Projekt mit Blick auf ›Welt‹ als einem philosophischen Thema geklärt spielsweise 1937 ausführt, daß er nunmehr im Gegensatz zu den Ideen »den geschichtlichen Weg […] für prinzipieller und systematischer« ansieht, so bezieht sich diese Feststellung wieder auf die »Einleitung der Ideen«, nicht jedoch auf die im Anschluß durchzuführenden transzendentalphänomenologischen Analysen.

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III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

ist. Husserl nämlich geht es nicht um einen traditionellen Weltbegriff, sondern um eine prozessuale Reformulierung von ›Welt‹ als einem notwendigen Topos, in den das Subjekt sich auf unterschiedliche Art und Weise einstellt. Von diesem Fundament aus erst eröffnet Husserl ein einheitliches (Welt-)Thema, worin ›Welt‹ als ein besonderer Anspruch aufgewiesen werden kann – als ein Anspruch derjenigen Subjektivität, der es aufgrund ihres Einstellens in Welt um Welt als ein Thema ihrer selbst geht.196 Kann die Phänomenologie Husserls mit Blick auf ›Welt‹ nur im Durchgang durch die diversen Zugänge verständlich werden, müssen gleichsam die philosophischen Orte aufgesucht werden, wo ›Welt‹ thematisch wird, so spiegelt sich in diesem topographischen Zugang zugleich die Methode der Phänomenologie selbst. Der Weg der Phänomenologie ist sozusagen umwegig: ›Welten‹ als Wirklichkeitsansprüche unterschiedlich bestimmter Erfahrungen bekunden sich vermittels einer intentional strukturierten, sich in ›Welten‹ im Sinne von Orientierungsräumen einrichtenden Subjektivität. Diese ›Welten‹ werden von Husserl bezüglich der vorliegenden Ansprüche aufgegriffen, als Ansprüche einer Subjektivität topographisch abgeschritten und im Sinne ihrer ›Weltlichkeit‹ – d. h. ihrer subjektrelativen Verfaßtheit – analysiert; im Durchgang durch diese Topographie einer ›Welt‹ als Landschaft fixierter und regional abgegrenzter Erfahrungen wird indirekt eine Subjektivität präsent, die selbst nicht an diesen oder jenen Standpunkt gebunden bleibt, wiewohl sie sich zugleich in Standpunkten dokumentiert. Den ›einen Weltbegriff‹ der Phänomenologie Husserls bloß festzustellen bzw. denselben schlicht festzuschreiben, erscheint vor diesem Hintergrund als einseitig. Zwar ist Husserl nach der Publikation der Ideen I immer wieder bemüht, seine fragmentarischen Besinnungen, die sich hauptsächlich »in systematischen konkreten Untersuchungen«197 ausdrücken, zusammenzufassen. Eine Systemphilosophie aber strebte Husserl nicht an, da die »Phänome196

Dieses Vorgehen kann auch aus dem historischen Umfeld heraus verständlich werden. Eingedenk der vielfältigen Ansprüche, die, wie gesehen, besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit ›Welt‹ verbunden werden, fungiert Husserls Phänomenologie sozusagen als ein kritisches Unterfangen, in dem leerlaufende Weltideen als relative Weltansprüche eines Subjekts beschrieben werden. Der Phänomenologe übernimmt in sozusagen kultur- und wissenschaftskritischer Manier die Aufgabe, die vorliegenden, definiten und reduktionistischen Erklärungen zu ›Welt‹ »transzendental verständlich« (Hua VI, S. 193) zu machen, d. h. sie auf ihre Relativität hin thematisch freizustellen. Diese kulturkritische Dimension stellt Husserl, abgesehen von den Kaizo-Artikeln, erst in seinem Spätwerk explizit heraus, ohne daß sie jedoch direkt mit der Entwicklung im 19. Jahrhundert in Verbindung gebracht wird. Doch eine derartige historische Interpretation kann, entgegen Husserls eigenen Befürchtungen, die Phänomenologie nur befördern. Eine Historisierung der Husserlschen Philosophie ist damit nicht verbunden, bleibt doch das als Aufgabe formulierte Unterfangen ein Projekt, das immer wieder neu durchzuführen ist. 197 Hua IX, S. 253.

3. Die phänomenologische Entfaltung des Themas ›Welt‹

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nologie nichts weniger als eine Systemphilosophie traditionellen Stiles« sein möchte. Er überbietet gleichsam diesen Ansatz, wenn er die Aufgabe formuliert, den Konkretionen des Vernünftigen als intentionalen Äußerungen einer fungierenden Subjektivität systematisch gewahr zu werden. Mittels der Auslegung von ›Welteinstellungen‹ des leiblich verankerten, interpersonal handelnden und historisch sich zeitigenden Subjekts reformuliert die Phänomenologie das Weltproblem oder den Weltbegriff als ein Thema, das den unterschiedlichen Ansprüchen nach beschrieben werden kann. ›Horizont‹, ›Einstimmigkeit‹, ›Bewährung‹, ›Normalität‹ etc. sind derart die Kategorien, die den wissenschaftlichen, aber auch den klassisch philosophischen Charakteristika von ›Totalität‹, ›Ordnung‹, ›Endgültigkeit‹ oder ›Realität‹ gegenübergestellt werden. Ist nicht zuletzt durch die phänomenologische Systematik der direkte Zugang zu dem Husserlschen Weltbegriff verstellt, so bedeutet dies nicht, daß der systematischen Behandlung von ›Welt‹ ein Rahmen abgesprochen werden könnte. Wenn Husserl nach der Publikation der Ideen I auf der Suche nach den anderen Anfängen seiner Phänomenologie ist, er im Ausgang von der Psychologie, der Geschichte, der Intersubjektivität, der alltäglichen Praxis und Kommunikation fortlaufend neue Anfänge der Phänomenologie generiert, so dokumentiert sich in diesem Vorgehen eine philosophische Einsicht besonderer Art. Nicht wird damit die transzendentale Phänomenologie verworfen, sie wird im Gegenteil Schritt für Schritt bestätigt. Denn die Anfänge »können eben nur werden« »in dem sich selbst besinnenden Anfänger«198. Der Anfang ist nicht, er liegt nicht schlechthin vor, er wird geschaffen, konstituiert.199 Gleichzeitig heißt dies aber, daß ›der Anfang‹ als elaboriertes Fundament des bereits Erkannten mit Blick auf die Genese des Erkennens relativ bleiben muß, so daß Husserl gleichzeitig feststellen kann: »Der Anfang ist kein Ende«200. Denn im Rückgang auf die subjektiven Leistungen kann erst der anfangende Anfang thematisch werden – als Intentionalität in statu nascendi.201 198

Hua V, S. 148. In geradezu programmatischer Hinsicht nimmt Husserl in der Ersten Philosophie – »Wir stehen vor der großen Frage des Anfangs.« (Hua VIII, S. 26) – eine »Meditation« in Angriff, »die den Anfang selbst schaffen soll« (Hua VIII, S. 40)! – Die Erste Philosophie ist demnach als eine Phänomenologie relativer Anfänge zu lesen, deren Relativität erst verständlich werden kann, wenn sie auf das Anfangen als subjektive Leistung selbst bezogen wird. In diesem Sinne führt Husserls bereits 1906/07 zur Phänomenologie als ›Ersten Philosophie‹ aus, daß sie als »Wissenschaft der letzten Rechtfertigung und Sinngebung« (Hua XXIX, S. 165) zu verstehen sei. 200 Hua XXVII, S. 176. 201 Aus diesem Grund verbietet es sich auch, Husserls Rede von den neuen ›Wegen‹, die in die Phänomenologie führen (beispielsweise der historische), überzubewerten. Die Wege werden zu verhängnisvollen Sackgassen und nicht zu produktiven Umwegen, wenn 199

206

III. Der Anspruch der ›Welt‹ in der Phänomenologie Husserls

In Anlehnung daran und mit Blick auf die Behandlung von ›Welt‹ belegen gerade die Untersuchungen, die Husserl in den Jahren nach 1913 durchführt, eine verwickelte Ausführung der phänomenologischen Konzeption der Ideen I. Anfänge der sich ›in Welt‹ einstellenden Subjektivität werden topographisch beschrieben und als solche generiert, um sie zugleich auf Leistungen zurückzubeziehen, die jene erst ermöglichen. Als Topographie erweisen sich diese Überlegungen, da sie nicht ›die Welt‹ zum Problem machen, sondern den relativen, regional gebundenen Ansprüchen von ›Welt‹ – im Ausgang von den ›Einstellungen‹ – beschreibend nachgehen. In einem positiven Sinne präsentieren die Untersuchungen aber ebenso eine notwendige Utopie. Zum einen nämlich wird über das Eingestellt-sein das Einstellen als eine Standpunktsuche und ein Standpunktgenerieren zum Problem; und zum anderen kommt darin eine Subjektivität zur Sprache, die im Einstellen ›in Welt‹ das Thema ›Welt‹ überhaupt erst entfalten kann – der es, mit anderen Worten, um ›Welt‹ als einem Thema ihrer selbst geht. »Es steht in dieser Hinsicht nichts im Wege, zunächst ganz konkret mit unserer menschlichen Lebensumwelt und mit dem Menschen selbst als wesensmäßig auf diese Umwelt bezogenen anzufangen und eben rein intuitiv das überaus reichhaltige und nie herausgestellte Apriori einer solchen Umwelt zu erforschen […] Aber was da geradehin gewonnen wird, obschon ein System des Apriori, wird erst ein philosophisch verständliches […], wenn eben die konstitutive Problematik als die der spezifisch philosophischen Stufe eröffnet, wenn damit der natürliche Erkenntnisboden mit dem transzendentalen vertauscht wird.«202

nicht ihre Relativität hinsichtlich der wegbereitenden Leistungen in Rechnung gestellt wird – und diese sind keine anderen als die der Ideen I; zu Husserls Behandlung der ›Wege‹, die in die Phänomenologie führen, vgl. beispielsweise, Hua V, S. 148 f.; Hua IX, S. 225ff.; Hua XIX, S. 399ff. 202 Hua I, S. 165.

IV. HUSSERLS PHÄNOMENOLOGIE DER WELT ALS UTOPISCHE TOPOGRAPHIE DES WELTLICHEN Und wenn Du gar zu lesen d’rin verstündest, Ein Buch, das Du im Leben nicht ergründest. Hugo von Hofmannsthal, Was ist die Welt? (1890), Sämtliche Werke I, Gedichte I. Die Erschaffung der Welt hat nicht am Anfang stattgefunden, sie findet alle Tage statt. Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. 6, Frankfurt/M. 1957, S. 395.

»Übergang aus dem Ideellen zum Wirklichen durch Topographieen.«1 – Dieser Gedanke Goethes, den er in einem Aufsatzentwurf nur kurz skizziert, um eine Kategorie in der Geschichte der Landschaftsmalerei zu fixieren, kann zugleich Husserls Arbeit an ›Welt‹ nach 1913 verständlich werden lassen. Verweist Goethe darauf, daß die unübersichtlichen Strukturen der Wirklichkeit vermittels der Topographien als übersichtliche in einem Gemälde allererst zum Ausdruck gebracht werden können, daß sich zudem und besonders die Perspektive des Malers in der Landschaftsdarstellung ausdrücken kann, so zeigen Husserls Analysen, daß mittels der topographischen Beschreibung regionaler ›Welteinstellungen‹ und ›Welteinordnungen‹, die noch stummen Strukturen von ›Welt‹ zur Aussprache ihres eigenen Sinnes als ›Weltthema‹ zu bringen sind. Dabei geht es Husserl wie Goethe weniger in einem geläufigen Sinne um einen ›Übergang‹ von der Idealität zur Realität, wie beide ebensowenig eine Brücke suchen, die in umgekehrter Richtung von der Realität zur Idealität führt – derartige Vorhaben gründen auf einer bloß postulierten, unausgewiesenen Zwei-Welten-Lehre, die in dieser Form aber weder Goethe noch Husserl unterstützen. In einer Topographie münden Husserls philosophische Bemühungen hinsichtlich ›Welt‹ in den Jahren nach der Publikation des ersten Bandes der Ideen zu einer reinen Phänomenologie unter mehreren Gesichtspunkten. Husserl schreitet nach 1913 die szientifischen sowie vor- resp. nebenwissenschaftlichen Regionen sich verwirklichender Welteinstellungen ab und karto-

1

J.W. v. Goethe, Landschaftliche Malerei, in: ders., Hamburger Ausgabe, Bd. 12: Schriften zur Kunst und Literatur. Maximen und Reflexionen, S. 216–223, hier: S. 219. – Hinsichtlich des Versuchs, die Husserlsche Phänomenologie mit dem Begriffspaar topisch-utopisch zu qualifizieren vgl. auch die auf die methodischen Fragen konzentrierten Untersuchungen von G. Funke, Phänomenologie – Metaphysik oder Methode? (1966), 21972.

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

graphiert die Befunde hinsichtlich ihrer subjektrelativen Verfaßtheit. ›Umwelt‹, ›Natur‹ ›Geschichte‹, ›Kultur‹ werden in diesem Sinne behandelt und hinsichtlich ihres Anspruchs, ›Welt‹ zu sein, freigelegt. Damit wandelt sich ›Welt‹ als seiende, objektivierte Endgestalt bereits vollzogener Intentionen zu einem ›Anspruch‹2 der bislang stummen Subjektivität und in der Folge zu einem offenen ›Thema‹ der Phänomenologie und Philosophie.3 Nicht der eine philosophische oder wissenschaftliche ›Weltbegriff‹ klassischer Prägung steht somit in der Phänomenologie zur Disposition, Husserl wendet sich vielmehr dem Eingestellt-sein zu, um ›Welt‹ als Anspruch eines Subjekts zu beschreiben und das Einstellen selbst auszulegen. Das vordem unthematische Sein von ›Welt‹ wird nunmehr thematisch als ein Anspruch, ›Welt‹ zu sein. Dieses Unterfangen kann auch kulturphilosophisch gedeutet werden. Auch wenn Husserl darauf nicht explizit zu sprechen kommt, so versammelt er doch in einem gewissen Sinne die zügellose Rede von ›Welt‹, wie sie sich im Übergang zum 20. Jahrhundert in und neben der Philosophie eingestellt hat. Er durchbricht den Alltopos ›Welt‹ auf seinen Anspruch, ›Welt‹ zu sein, um dann im Ausgang von dem nun offenen thematischen Feld den unterschiedlichen Konstitutionsleistungen gerecht werden zu können. Damit wendet er sich zum einen gegen den trivialen, jedoch äußerst populären Zeitgeist des materialistischen Monismus, wie zum anderen die fruchtbaren Reformulierungen von ›Welt‹, die sich im 19. Jahrhundert außerhalb der Erkenntnistheorie resp. Metaphysik artikulieren – zu denken ist beispielsweise an geschichtstheoretische, psychologische oder soziologische Untersuchungen –, ihrem Anspruch nach begrenzt werden. Im Anschluß an die Ideen I, worin Husserl eine, vielleicht auch in einigen Formulierungen überstürzte, Totalreduktion von ›der Welt‹ vorführt, er dieselbe gleichwohl auf diese Art und Weise als einen notwendig provisorischen Seinsanspruch entlarvt, folgt er besonders in den 20er Jahren den regionalen Gliederungen des ›natürlichen Einstellens‹ und übt mit Blick auf diese begrenzte Reduktionen.4 Damit wird keineswegs die Reduktion als phänome-

2

Vgl. dazu paradigmatisch Hua I, S. 7, S. 58. Vgl. hierzu Husserls Rede von der »Umstellung zur Thematik ›Welt‹«; Hua XV, S. 564; vgl. weiterhin die Ausführungen zu dem »Titel ›Thema‹« und dem »thematischen Griff« in den Ideen I, Hua III, S. 300–302, sowie den Abschnitt Thema und Epoché in Hua XV, S. 538–540. 4 Vgl. hierzu die Kritik Husserls aus dem Jahre 1927 zur Einstiegsproblematik der Ideen I, Hua III/2, S. 584 f.; zu Husserls Denken in Regionen vgl. Hua III/1, S. 23 ff., S. 344ff. – Zur Problematik der ›Totalreduktion‹ vgl. Hua XV, S. 73. – Zur Reduktion, die auf eine »morphologisch geordnete Welt« führt, vgl. die Ideen I, Hua III/1, S. 124: »Die Reduktion der natürlichen Welt auf das Bewußtseinsabsolute ergibt faktische Zusammenhänge von Bewußtseinserlebnissen, in denen sich, als intentionales Korrelat, eine in der Sphäre der empirischen Anschauung morphologisch geordnete Welt konstituiert, d.i. eine 3

IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

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nologisches Werkzeug, wie sie in den Ideen I paradigmatisch erläutert wird, in Frage gestellt; sie wird jedoch von Husserl behutsamer gehandhabt, so daß die Strukturen der ›natürlichen Einstellung‹ nicht verschüttet werden, sondern offenbar werden können.5 Denkt man an Wittgenstein, so sind es nicht ›Sprachspiele‹, sondern ›Weltspiele‹, die Husserl in diesem Sinne aufzeigt. Und findet sich bei Wittgenstein keine direkte Analyse der Sprache, sondern ein Freilegen eines thematischen Feldes Sprache, so trifft man bei Husserl nicht auf einen unmittelbaren Zugang zu der Welt, sondern ein Aufweisen des thematischen Feldes Welt – fraglich ist in dem einen Fall die Grammatik der Sprachspiele und in dem anderen die Grammatik der ›weltenden Subjektivität‹.6 Präsentieren sich die Husserlschen Untersuchungen bereits in diesem Sinne als Topographie, so ist es noch ein weiteres, das die Phänomenologie mit der topographischen Methode teilt. In keinem Fall ist Realität als bloße Realität von Interesse. Dies heißt nicht, daß das Seiende geleugnet würde; die Realität als solche aber kann kein Maßstab sein, den die angeführten Projekte in Betracht zu ziehen hätten. Problematisch werden in dem einen Fall die räumlichen Beziehungen der Gegenstände zueinander, in dem anderen die strukturellen Verflechtungen, wie sie sich in den Zwischenräumen von Subjektivem und Objektivem aufgrund von Setzungen bzw. intentionalen Zusammenhängen bekunden. Hinsichtlich der Frage nach der Realität nimmt die Phänomenologie demgemäß einen neutralen Standpunkt ein; die Wirklichkeit als solche wird weder geleugnet noch bewiesen. Husserls Phänomenologie aber erschöpft sich nicht in einer philosophierenden Landschaftsmalerei, seine Philosophie reduziert sich nicht auf eine

Welt, für die es klassifizierende und beschreibende Wissenschaften geben kann.« Vgl. hierzu auch Hua V, S. 27: »Da aber die reale Wirklichkeit kein Chaos[,] sondern ein regional geordnetes Ganzes ist, so braucht es, um das Ding kennen zu lernen, nicht wirklicher Unendlichkeiten von Begriffen«. 5 Vgl. hierzu die nochmalige Selbstrückfrage, Hua III/2, S. 584: »Kann ich wissen, daß alles Seiende überhaupt sich in eine solche regionale Aufteilung einfügt, daß Wissenschaften darauf zu gründen sind? Sind nicht die Regionen die universalen Weltstrukturen, während doch der Begriff der Weltstruktur, da nicht die Welt als einheitliches Universum vorangestellt ist, überhaupt nicht zur Erörterung kommt?« 6 Vgl. beispielsweise die von Wittgenstein überlieferte Aussage: »Die Schwierigkeiten, auf die wir stoßen, sind von der Art, wie wir sie mit der Geographie eines Landes hätten, für das wir keine Karte haben, oder nur eine Karte isolierter Teilstücke. Das Land, von dem hier die Rede ist, ist die Sprache, und die Geographie ist ihre Grammatik. Wir können ohne weiteres in dem Lande herumgehen, doch wenn wir gezwungen sind, eine Karte anzufertigen, geraten wir auf Irrwege«; L. Wittgenstein, Vorlesungen 1930–1935, 1989, S. 199. – Mittels der Reduktion (vgl. hierzu auch den folgenden Abschnitt) simuliert Husserl sozusagen den Zustand, daß keine Karte von ›Welt‹ vorhanden ist; dann schreitet er die freigelegte Region ab, um anschließend eine Karte neuen Typs anzufertigen, in der das sich orientierende Abschreiten repräsentiert wird – und damit die Struktur von ›Welt‹.

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

schlichte Darstellung von Weltregionen, die in einer Karte eingetragen werden, worin die Höhenlinien sozusagen die Subjektrelativität repräsentieren. Kann die Topographie als objektive Wissenschaft den Maßstab der Karten schlicht bestimmen, so kann die phänomenologische Philosophie mit keinem festen, objektiv vorliegenden Maß rechnen, da das Objekt des Vermessens erst am und mit dem messenden Subjekt zum Vorschein kommt. In diesem Sinne hat die Phänomenologie keinen Standpunkt, sie verfährt utopisch, indem sie sich den Vollzügen selbst zuwendet. Irrational aber ist deshalb das Husserlsche Vorgehen nicht; denn das utopische Projekt des Ermessens von Maßen ohne objektiven, vorliegenden Maßstab repräsentiert das Vermögen des faktischen – freilich, wie Husserl immer hinzufügt: vernünftigen – Subjekts, sich regional zu orientieren, Seinssetzungen zu vollziehen, Einstellungen thematisch werden zu lassen und darüber – also aufgrund des Befunds, daß es diesem Subjekt in seinen Einstellungen um Welt als ein Thema seiner selbst geht – Rechenschaft abzulegen.7 Aus diesem Grund ist Husserls utopische Topographie des Weltlichen nicht mit leichter Hand gezeichnet. Das Projekt gründet vielmehr in dem Wesen eines Subjekts, das sich in Welteinstellungen artikuliert und aufgrund dieser Einstellungen eine ›thematische Umstellung‹ vollziehen kann. Die Phänomenologie rechnet dergestalt mit einer Subjektivität,8 die sich bereits als personal-weltliche in Umwelten objektiviert hat, die sich aber als aktive Subjektivität zugleich stets neu artikuliert, immer wieder neu gründet und in diesen Fundierungsversuchen über ihr eigenes Tun Rechenschaft ablegt. In diesem Vollzug, bei dieser Standpunktsuche bleiben ›das Subjekt‹ und ›die Welt‹ als fixierte Endgestalten gleichsam in der Schwebe – sie bilden, wie Husserl es immer wieder gern nennt, bloße ›Pole‹ der Untersuchung. Im Zugang zu einem nicht in Standpunkten fixierten – und damit utopischen – Vermögen, ›Welt‹ zu thematiseren, geht es Husserl um mögliche Orientierungsleistungen, die als wirkliches Orientiert-sein immer schon ihren kulturellen Niederschlag gefunden haben, aber nur aufgrund der steten Neuorientierung zur Geltung kommen können. In diesem Sinne spricht Husserl 7

So heißt es dann zum Abschluß der Ideen I hinsichtlich der Korrelation von Wirklichkeit und Vernunft, Hua III/1, S. 314: »Spricht man von Gegenständen schlechtweg, so meint man normalerweise wirkliche, wahrhaft seiende Gegenstände der Seinskategorie. Was immer man dann von den Gegenständen ausspricht – spricht man vernünftig – so muß sich das dabei wie Gemeinte so Ausgesagte ›begründen‹, ›ausweisen‹, direkt ›sehen‹ oder mittelbar ›einsehen‹ lassen. Prinzipiell stehen in der logischen Sphäre, in derjenigen der Aussage, ›wahrhaft-‹ oder ›wirklich-sein‹ und ›vernünftig ausweisbar sein‹ in Korrelation«. 8 Husserl trennt nicht scharf zwischen ›Subjektivität‹ und ›Subjekt‹; jedoch ist nicht selten entgegen dem Wortlaut zwischen der ›Subjektivität‹ als einer intentionalen Leistung und einem Subjekt, das sich aufgrund dieser Leistung als Subjekt resp. Objekt setzt, zu scheiden. Das ›transzendentale Subjekt‹ ist in diesem Sinne ›nur‹ der letzte Fluchtpunkt einer funktionalen, durch die Intentionalität ausgezeichneten Subjektivität.

1. Reduktion von ›Welt‹ als Simulation des ›weltens‹

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dann auch in der Krisis nicht nur von der transzendentalen Phänomenologie als einer ›bodenlosen‹ Philosophie, sondern ebenso von dem sich orientierenden Subjekt als einem ›bodenschaffenden‹. Die Phänomenologie müsse, so Husserl, »zunächst bodenlos anfangen«, gewinne aber alsbald »die Möglichkeit«, »sich aus eigener Kraft selbst einen Boden zu schaffen, nämlich indem sie sich in originaler Selbstbesinnung der in ein Phänomen bzw. ein Universum von Phänomenen verwandelten naiven Welt bemächtigt«9. Derart präsentiert sich Husserls Projekt als eine Philosophie, die sich als utopische zwischen den Polen eines als personal, und damit weltlich, objektivierten Subjekts und eines objektivierten Objekts einrichtet; sie macht in diesem Zwischenraum den Prozess des Orientierens – das Subjektivieren resp. Objektivieren – wieder flüssig, sie erklärt diesen Prozeß zum Gegenstand der Untersuchung, um schließlich eine funktionale Subjektivität als irrelativen Anhalt der Untersuchung gewinnen zu können. Diese bekundet sich zwar notwendig als ›Person‹ in ihrer Umwelt, sie ist jedoch als utopische dadurch ausgezeichnet, daß sie ›Welt‹ überhaupt erst zu einem Thema ihrer selbst machen kann. Wurde in den letzten Abschnitten und im Durchgang durch Husserls Schriften eine Topographie angedeutet, worin die regionalen Verwirklichungen der Subjektivität thematisch werden, und wurde bereits auf eine Grammatik besonderen Typs hingewiesen, die des personal sich in seiner Umwelt ständig neu orientierenden Subjekts, so ist nun die Methodik der Phänomenologie auf ihre utopische Perspektive hin freizulegen. ›Reduktion‹, ›Intentionalität‹ sowie die funktionale Subjektivität werden in dem Sinne dargestellt, daß sie das bisher Ausgeführte methodisch begründen. Ein kurzer Blick auf Husserls späte Überlegungen zeigt abschließend, wie er eine Zwischenwelt zu skizzieren sucht, worin sich das Utopische und das Topische gleichsam treffen, ohne jedoch ineinander aufzugehen – die ›Lebenswelt‹.

1. Reduktion von ›Welt‹ als Simulation des ›weltens‹ Wenn Husserl von der Reduktion spricht, kennt er keine Grenzen.10 Es müsse, wie er in der Idee der Phänomenologie ausführt, am »Anfang der Erkenntniskritik« »die ganze Welt, die physische und psychische Natur, schließlich

9

Hua VI, S. 185. Im folgenden wird zwischen ›Epoché‹ und ›Reduktion‹ kein Unterschied gemacht. Mit Blick auf die Probleme, die ›Welt‹ betreffen, ist dies nicht nötig, da Husserl die beiden Termini in diesem Kontext synonym benutzt. Gleichwohl kann hinsichtlich einer anthropologischen Fundierung der Phänomenologie zwischen der Epoché als einer Urteilsenthaltung, einer pauschalen »reservatio mentalis«, und der Reduktion als einer aus dieser 10

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

auch das eigene menschliche Ich mitsamt allen Wissenschaften« »mit dem Index der Fraglichkeit«11 versehen werden. Die »Transzendenzen« seien als solche »erkenntnistheoretisch Null«12 und die phänomenologische Reduktion bewirke, daß »alles Transzendente (mir nicht immanent Gegebene)« »mit dem Index der Nullität« versehe werde, »d.h. seine Existenz, seine Geltung ist nicht als solche anzusetzen, sondern höchstens als Geltungsphänomen«13. In der Einleitung in die Logik und Erkenntnistheorie spricht Husserl von der ›absoluten Epoché‹, »die keine Vorgegebenheit anerkennt und aller natürlichen Erkenntnis ihr non liquet als reine Urteilsenthaltung gegenübersetzt«14; und wieder ist es »die ganze Welt mit der objektiven Zeit und dem objektiven Raum«, die nun ›suspendiert‹ wird.15 An Dramatik lassen es auch die Ideen I nicht fehlen; immerhin spricht Husserl hier von der »Weltvernichtung«16 und von der Epoché als einer Einklammerung der Welt, »die beständig ›für uns da‹, ›vorhanden‹ ist, und die immerfort dableiben wird als bewußtseinsmäßige ›Wirklichkeit‹, wenn es uns auch beliebt, sie einzuklammern«17. Später nennt Husserl die Reduktion eine »konsequente Weltentsagung«18, und es sei die »Weltepoché«, die »die gesamte Welterfahrung«19 außer Kraft setze. Husserls berüchtigte, wenn auch nicht gerade neue Feststellung, daß man durch die Epoché »die Welt« erst verlieren müsse, »um sie in universaler Selbstbesinnung wiederzugewinnen«20, kann denjenigen nicht mehr erschüttern, der Haltung folgenden »methodische[n] Untersuchungsweise« unterschieden werden; vgl. zu dieser Differenzierung und der sich daran anschließenden Interpretation der Phänomenologie, E.W. Orth, Edmund Husserls ›Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie‹, 1999, S. 118–122. – Zu Husserls fortwährendem Versuchen, sich Klarheit über Sinn und Reichweite der Reduktion zu verschaffen vgl. auch den Nachlaßband Zur phänomenologischen Reduktion, Hua XXXIV. Nicht zuletzt diese Überlegungen bestätigen auch Merleau-Pontys Einschätzung der Reduktion: Sie besteht nicht in einem »Vorwort oder Vorspiel«, das ein für allemal behandelt werden könnte, sondern die Probleme der Reduktion »sind in gewisser Hinsicht das Ganze«, und sie ergeben sich aus der Notwendigkeit, die Reduktion als eine Aufgabenstellung zu begreifen; M. MerleauPonty, Der Philosoph und sein Schatten (1959), 2003, S. 246. 11 Hua II, S. 29. 12 Hua II, S. 44. 13 Hua II, S. 6. 14 Hua XXIV, S. 187. 15 Hua XXIV, S. 213. 16 Hua III/1, S. 103ff. 17 Hua III/1, S. 65. 18 Hua XXVII, S. 170. 19 Hua XXVII, S. 170. 20 Hua I, S. 183, vgl. S. 39; vgl. dazu folgende, sinnverwandte Äußerung, Hua VIII, S. 457: »Für die Welt ist die transzendentale Forschung nicht eine Methode, sie preiszugeben oder ihres natürlichen oder vielmehr eigentlichen Sinnes zu berauben, sondern eine Methode, so zu ihr zu kommen, daß sie – eben die Welt des natürlichen Lebens und der in ihm sich etablierenden positiven Wissenschaft – ihren Sinn allererst enthüllt.«

1. Reduktion von ›Welt‹ als Simulation des ›weltens‹

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bereits mit dem »erkenntniskritischen Weltuntergang«21 aus der Ersten Philosophie vertraut ist. Ohne Zweifel eröffnen diese Thesen nicht nur einigen Interpretationsspielraum, sie können in dieser plakativen Form auch zu Mißverständnissen führen. Verbindet man sie schließlich kommentarlos mit anderen Aussagen Husserls, welche die Reduktion auf das Bewußtsein im Sinne eines Reduktionismus auszudrücken scheinen, dann mag eine konsistente Deutung möglich werden – ob diese allerdings dem ganzen phänomenologischen Projekt gerecht wird, ist eine andere Frage. So spricht Husserl beispielsweise nicht weniger euphorisch davon, daß die »transzendentale Subjektivität in einer besonderen, ganz eigenartigen Weise das reale Weltall, bzw. alle möglichen realen Welten und alle Welten jedes erweiterten Sinnes ›in sich trägt‹«22 und daß die Phänomenologie als Wissenschaft dieser Subjektivität schließlich »die ganze natürliche Welt und alle die idealen Welten, die sie ausschaltet«23, umspanne. Und schließlich findet sich bei Husserl auch der Hinweis, daß die »[u]niversale Epoché« eine »Subjektivierung«24 von ›Welt‹ in Gang setze. Nach diesen Ausführungen dürfte auch der geneigte Leser auf Husserls rhetorische Frage – »Aber ist das nicht eine tolle Zumutung, daß die Welt selbst aus meiner Leistung sei?«25 – nicht um eine Antwort verlegen sein. So vorsichtig Husserl in seinen detaillierten Einzeluntersuchungen zu Werke geht, so plakativ formuliert er, wenn die Programmatik der Phänomenologie zur Disposition steht. Daß diese Aussagen freilich alles andere als eine ›Weltzerschlagung‹ zugunsten eines Bewußtseinsdiktats bedeuten, wird nicht nur ersichtlich, wenn man sich die zeitgenössische Situation vor Augen führt, von deren Weltgerede Husserl sich radikal distanziert.26 Die Unterstellung eines idealistischen Egoismus würde außerdem im Gegensatz zu den Untersuchungen stehen, die Husserl als Empiriograph resp. Topograph durchführt. Nun mag die taktische Abgrenzung von dem Allerweltsausdruck ›Welt‹ zwar den Ton des Aufritts der Phänomenologie zu Anfang des

21

Hua VIII, S. 75. Hua III/2, S. 591. 23 Hua III/1, S. 336 f.; vgl. auch Hua XXV, S. 176: »Statt daß die Welt mich umspannt, umspanne ich die Welt.« 24 Hua XXVII, S. 153. 25 Hua XXVII, S. 175. 26 In diesem Sinne darf man auch beispielsweise die Äußerungen in den Ideen II deuten, wo Husserl in der Auseinandersetzung mit den Wissenschaften auf »das Erlösende« und »das Erzieherische« der Reduktion aufmerksam macht; Hua IV, S. 179f., vgl. dazu auch Hua XXXIV, S. 399. Vgl. weiterhin die Krisis, Hua VI, S. 140, wo Husserl nicht ohne Pathos die Reduktion mit einer »religiösen Umkehrung« vergleicht, »die aber darüber hinaus die Bedeutung der größten existenziellen Wandlung in sich birgt, die der Menschheit als Menschheit aufgegeben ist.« 22

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

20. Jahrhunderts rechtfertigen; bestehen bleibt dennoch das systematische Problem, was Husserl im Kontext der Reduktionsproblematik mit ›Welt‹ meint und worauf seine Ausführungen zielen. Ein erster Hinweis bieten Husserls immer wiederkehrende Versicherungen, daß mit der Reduktion erstens nichts verlorenginge27 und zweitens die Phänomenologie keineswegs die Realität leugne. Nicht möchte er als »Sophist« »diese ›Welt‹« negieren, wie er ebenso nicht als »Skeptiker« beabsichtigt, »ihr Dasein«28 zu bezweifeln; schließlich kann – greift man auf einen anderen Gedanken in den Ideen II zurück – die Reduktion doch nicht als eine Abstraktion begriffen werden, so »daß wir einen Massenmord der Menschen und Tiere unserer Umwelt veranstalteten«29. »Daß die Welt existiert«, so erklärt Husserl dann 1930 beschwichtigend in seinem Nachwort zu den ›Ideen‹, »daß sie in der kontinuierlichen immerfort zu universaler Einstimmigkeit zusammengehenden Erfahrung als seiendes Universum gegeben ist, ist vollkommen zweifellos.«30 Und bereits einige Jahre zuvor, in der Ersten Philosophie, macht Husserl eindringlich auf den Umstand aufmerksam, daß die Realität als solche nicht in Frage stehen kann: »Natürlich darf unseren Ergebnissen kein verkehrter Sinn untergeschoben werden, als ob wir etwa gesagt hätten, es gehe hervor, daß die Welt, die wir erfahren, ›vielleicht‹ nicht sei, ›vielleicht‹ im gewöhnlichen Sinne des ›sehr-wohl-möglich‹ und wo nicht gar ›vermutlich‹. Oder als ob wir darauf gefaßt sein müßten, daß es mit der Welt ein Ende haben könnte, ein Weltuntergang so gut möglich wäre, als klarer Himmel sich in ein Wolkengewand verhüllen ›kann‹ u. dgl. Wir aber sagen vielmehr: die Existenz der Welt ist völlig zweifellos, und diese Zweifellosigkeit liegt in der Weltwahrnehmung, in der wir kontinuierlich leben, selbst beschlossen. Wer, durch skeptische Argumente verwirrt, urteilt und glaubt, die Welt sei in Wahrheit nicht, oder auch nur urteilt, man müsse dessen ständig gewärtig sein, der folgt der Motivation der theoretischen, und dann wohl verbal-begrifflichen Argumente, und sieht nicht hin auf den Sinnesgehalt der Welterfahrung und den trotz all solcher Argumente in ihr liegenden unzerbrechlichen Weltglauben; es ist ein Glaube, der nicht die leiseste Vermutung und reale Möglichkeit des Andersseins neben und in sich duldet. Nichts spricht dafür, daß die Welt nicht sei, und alles dafür, daß sie sei […]«31. Dieses »merkwürdige Ergebnis«, so Husserl einige Zeilen darauf, »soll uns wichtig werden«. Denn es ist ein Ergebnis der Phänomenologie, daß ›Welt‹ als

27

Vgl. z. B. Hua III/1, S. 106f.; Hua XV, S. 366; Hua VI, S. 155. Hua III/1, S. 65. 29 Hua IV, S. 81. 30 Hua V, S. 152; vgl. ebenso Hua VI, S. 410, wo Husserl darauf verweist, daß in diesem Sinne die Reduktion »nicht eine Entscheidung für Sein oder Nichtsein ist«. 31 Hua VIII, S. 54; vgl. Hua III/1, S. 98f. 28

1. Reduktion von ›Welt‹ als Simulation des ›weltens‹

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Weltglaube weder bewiesen noch bezweifelt werden kann – einzig von dem Gegenstand des Glaubens kann abgesehen werden. Mit Husserls radikalen Ausführungen zur Reduktion, die dennoch einen Zweifel an ›der Welt‹ nahezulegen scheinen, sind diese Aussagen sehr wohl verträglich. Denn ›die Welt‹, von der Husserl reduzieren möchte, ist nicht ›die Welt‹, von der etwa die ›Antipoden‹32 der Husserlschen Phänomenologie sprechen.

* Die grundsätzliche – nicht nur didaktische, sondern auch systematische – Schwierigkeit besteht darin, daß Husserls Rede von der Reduktion in einem wesentlichen Sinne sekundär ist. Wird vermittels der Reduktion ›die Welt‹ phänomenologisch eingeklammert, so macht Husserl sozusagen den zweiten Schritt vor dem ersten. Denn er handelt im Rahmen der Reduktion nicht von der Realität als bloßer Realität, er traktiert nicht eine als bloße ›Außenwelt‹ verstandene ›Welt‹; Husserl reduziert vielmehr von einem Konstitutionsgebilde, dessen Konstitutionsprozeß im Produkt verlorengegangen ist. In diesem Sinne wird mittels der Reduktion der »erste Seinsbegriff der Vorhandenheit der Welt zu einem bloß relativen«33. Der ›erste Seinsbegriff der Welt‹ liegt aber nicht vor, derart, daß ›Welt‹ schlicht da wäre. ›Welt‹ ist vielmehr bereits und immer schon durch eine Einstellung als ›seiende‹ ausgewiesen. Und dergestalt wird bei genauerem Blick nicht von ›der Welt‹ reduziert, es wird die ›Generalthesis der natürlichen Einstellung‹ als fundamentale ›Weltthese‹ ›außer Aktion gesetzt‹ und ›Welt‹ als eine Sphäre des Seienden eingeklammert.34 Wenn Husserl in den Ideen I, genauer in der Phänomenologischen Fundamentalbetrachtung, zu einer Besinnung auf die ›natürliche Einstellung‹ auffordert,35 er in dieser Beschreibung auf das ›Dasein‹ des sinnlich Gegebenen zu 32

Vgl. dazu Husserls scharfzüngige Bemerkung in einem seiner letzten Fragmente, Hua VI, S. 439, Anm. 1: »Letztlich sind, wie ich sicher bin sagen zu dürfen, alle Einwände gegen die phänomenologische Reduktion Antipoden-Einwände« – gemeint sind hier natürlich Scheler und Heidegger; zu diesem Vorwurf Husserls gegenüber Scheler und Heidegger vgl. weiterhin die gleichlautende Äußerung in K. Schuhmann, Husserl-Chronik, 1977, S. 379. 33 Hua VIII, S. 263. 34 Hua III/1, S. 64f.: »Genau besehen, paßt übrigens das Bild von der Einklammerung von vornherein besser auf die Gegenstandssphäre, ebenso wie die Rede vom ›Außer-Aktion-setzen‹ besser auf die Akt- bzw. Bewußtseinssphähre paßt. […] Die zum Wesen der natürlichen Einstellung gehörige Generalthesis setzen wir außer Aktion, alles und jedes, was sie in ontischer Hinsicht umspannt, setzten wir in einem Schlage in Klammern: also diese ganze natürliche Welt, die beständig ›für uns da‹, ›vorhanden‹ ist, und die immerfort dableiben wird als bewußtseinsmäßige ›Wirklichkeit‹, wenn es uns auch beliebt, sie einzuklammern.« 35 Hua III/2, S. 483: »Wir stehen jetzt nicht in einer eidetischen Einstellung, sondern jeder für sich sage Ich und sage aus mit mir, was er ganz individuell vorfindet.«

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

sprechen kommt und die ›Vorhandenheit‹ der ›animalischen Wesen und Mitmenschen‹ zur Darstellung bringt sowie die ›Wirklichkeiten‹ der ›Sachen-‹, ›Werte-‹, und ›Güterwelt‹ hervorhebt,36 so simuliert er damit einen Prozeß, der ohne die Simulation nicht zum Ausdruck kommt, gleichwohl aber als ›natürlich‹ anzusehen ist: Das Subjekt ist, indem es sich ›in Welt‹ als einer Region des Seienden einordnet. Im gleichen Atemzug aber zeigt die simulierende Besinnung, die bei Husserl nicht in einer Mimesis endet, die Grenzen der angeführten Feststellung auf. Denn als Simulation vollzieht die Darstellung sich an der Schnittstelle zwischen dem schlichten Faktum der ›Welteinordnung‹ des Subjekts als einem Seienden unter Seienden und der in dieser Darstellung zum Ausdruck kommenden Ausordnung einer verschwiegenen Subjektivität, die in ihren Vermögen und Leistungen selbst nicht Seiendes sein kann. Daß Husserl diese Ausführungen als Fundamentalbetrachtung bezeichnet, kann nur dann einsichtig werden, wenn diese verwickelte Argumentationsstruktur als einheitliche aufgefaßt wird. Es geht Husserl nicht in erster Linie um die Darstellung der einen ›natürlichen Welt‹ als der richtigen oder eigentlichen, auch handelt er nicht von der schlichten Realität, die es zu verwerfen gilt; er richtet vielmehr den Blick auf die ›natürliche Einstellung‹, um sie als Fundament für alle darauf aufbauenden Reflexionen anzuzeigen, gerade weil eine notwendige Relativität hinsichtlich eines sich einstellenden Subjekts zum Aufweis kommt. Der Blick auf die ›natürliche Einstellung‹ ist in nuce die phänomenologische Blickwendung selbst, denn in ihr wird dasjenige simuliert – und dies heißt auch gleichzeitig unterbrochen – was Husserl als Charakteristikum der ›natürlichen Einstellung‹ bezeichnet und mit den Ausdrücken der ›Erfahrungsthesis‹, ›Generalthesis‹ oder des ›Weltsatzes‹ umschreibt.37 Husserls Rückgang auf die ›natürliche Einstellung‹ ist demgemäß keine Flucht in eine verklärte Natürlichkeit, wie die Epoché auch nicht einseitig eine ›Weltvernichtung‹ bezeichnet – beides bringt demgegenüber etwas völlig anderes zum Ausdruck. Nur als Simulation kann man der ›natürlichen Einstellung‹ gewahr werden; im Sinne einer Simulation aber bleibt die ›natür36

Hua III/1, S. 56–60. Hua III/1, S. 61: »Ich finde beständig vorhanden als mein Gegenüber die eine räumlich-zeitliche Wirklichkeit, der ich selbst zugehöre, wie alle anderen in ihr vorfindlichen und auf sie in gleicher Weise bezogenen Menschen. Die ›Wirklichkeit‹, das sagt schon das Wort, finde ich als waches Ich in nie abbrechender zusammenhängender Erfahrung als daseiende vor und nehme sie, wie sie sich mir gibt, auch als daseiende hin. Alle Bezweiflung und Verwerfung von Gegebenheiten der natürlichen Welt ändert nichts an der Generalthesis der natürlichen Einstellung. ›Die‹ Welt ist als Wirklichkeit immer da, sie ist höchstens hier oder dort ›anders‹ als ich vermeinte«. – Vgl. dazu ebenso die Formulierung der ›Erfahrungsthesis‹ aus den Jahre 1910/11, Hua XIII, S. 120f., sowie die Ausführungen aus dem Jahre 1930, Hua XV, S. 72, wo es heißt, daß die »Weltepoché« »ein allgemeiner Enthaltungssatz« sei, welche die »Enthaltung vom ›Satz‹ des Seins der Welt« ermögliche. 37

1. Reduktion von ›Welt‹ als Simulation des ›weltens‹

217

liche Einstellung‹ relativ auf eine subjektive Leistung, die eigens zu untersuchen ist.

*

Baut demnach die Reduktion bereits auf einer Konstitution auf, ist die einzuklammernde ›Welt‹ also schon ein Konstitutionsgebilde, so liegt die Frage nahe, warum Husserl nicht die Konstitution vor der Reduktion schildert. Wäre es nicht sinnvoll gewesen, den zweiten Schritt vor dem ersten durchzuführen, würde damit das Husserlsche Projekt nicht verständlicher werden? Diese Möglichkeit scheitert jedoch daran, daß sich die ›natürliche Einstellung‹ – so paradox dies klingen mag – nicht als ein offensichtliches, sondern als ein verborgenes Phänomen präsentiert; sie fungiert zuvörderst als ein ›Eingestelltsein‹ und damit als Grundlage und Fundament. Als eine unter anderen ›Einstellungen‹ wäre sie alles andere als selbstverständlich und grundlegend – in diesem Sinne wird sie aber von Husserl aufgefaßt und nur so kann sie als ein ›Boden‹ fungieren.38 Wenn Husserl von der Reduktion als einem »Springpunkt aller echten philosophischen Probleme«39 spricht, so meint er also zweierlei. Zum einen wird durch das Reduzieren die ›Welt‹ der ›natürlichen Einstellung‹ als Fundament aufgewiesen, zum anderen aber kommt in diesem Prozeß ihre Relativität zum Ausdruck. Diese Relativität freilich ist eine andere als die eines vorausgesetzten Subjekts, des Menschen, zu ›der Welt‹ der ›natürlichen Einstellung‹; es ist die Relativität als solche, die thematisch wird. Nicht umsonst beharrt Husserl darauf, daß die Reduktion radikal durchgeführt werden müsse, daß sie sowohl den seienden Menschen als auch die seienden Objekte betreffe und sich überhaupt auf all dasjenige erstrecke, das als seiend angesehen werden kann, also

38

E. Fink, Einleitung in die Philosophie, 1985, S. 25f., deutet in Anlehnung an Motive Heideggerschen Philosophierens diesen Gedankengang mit anderen Worten an: »Das philosophische Problem erscheint in der Anfangsgestalt der Aufgabe einer Auslegung der Natürlichen Einstellung. Was ist diese Natürliche Einstellung? Ist sie überhaupt eine Einstellung, die wir jeweils wählen können, die wir einnehmen und die wir wieder verlassen können? Eine ›natürliche‹? Eine solche die uns leicht fällt, die uns gemäß ist, die keine Anstrengung fordert? Sie ist weder eine Einstellung, noch eine natürliche – im Gegensinne gegen eine mühsamere, anstrengendere. Sie ist vielmehr […] das uns umfangende Ganze, in dem wir befangen sind […]; sie ist der Boden, der im voraus schon alle unsere möglichen Einstellungen und ihren Wandel trägt: sie ist das Reich der fraglosen Selbstverständlichkeit der uns gegebenen Welt. Die Aufgabe der Auslegung der Natürlichen Einstellung ist gar nicht auf ihrem Boden möglich, sondern erst im Ausbruch aus ihr. […] Mit anderen Worten, die Natürliche Einstellung ist ein philosophischer und kein natürlich-naiver Begriff. Es ist jene Grundstellung des Menschen inmitten des Seienden, in der er, dem Seienden hingegeben, nicht fragt, was dieses als Seiendes sei.« – Vgl. hierzu ebenso Husserls Bemerkung, Hua IX, S. 493, daß der ›natürliche Weltbegriff‹ ein »reiner Wesensbegriff« sei. 39 Hua XIII, S. 150.

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

etwa auch die objektiven, seelischen Erlebnisse.40 Thematisch nämlich wird durch das Reduzieren, vermittels der Unterbrechung der ›Generalthesis‹, die Intentionalität als »Medium«41 resp. als »Feld meines reinen Lebens«42. ›Die Welt‹ simulierend findet Husserl so den Weg zu dem ›welten‹ als einer prozessualen Leistung, worin sich ein ›Ich‹ ausdrücken kann, das dann schließlich in diesen Grenzen selbst zu einem Objekt der Phänomenologie werden kann.43

*

Von der fixierten, terminierten Endgestalt ›Welt‹ führt die Reduktion in einem ersten Schritt zu dem Feld, das sich durchaus auch in Anlehnung an Heidegger als ›welten‹ beschreiben läßt. Wenn Heidegger 1919 in seiner zwischenzeitlich berühmt gewordenen Beschreibung des ›Kathedererlebnisses‹ ausführt, daß »das Bedeutsame« – und nicht die Realität – das »Primäre« sei, daß »in einer Umwelt lebend« bedeute, daß alles »welthaft« sei, daß »es weltet«,44 so kann diese Schilderung auch als Illustration des Husserlschen Grundtheorems der Phänomenologie begriffen werden. Und aus dieser Perspektive erscheint es nicht mehr als ein Zufall, daß eine ebenfalls aus dem Jahre 1919 stammende Bemerkung Husserls, ein ›Livréerlebnis‹ diskutiert, das der Heideggerschen Beschreibung des ›Kathedererlebnisses‹ sehr nahe kommt. Es ist dann auch nicht mehr verwunderlich, wenn Husserl hier, zu einem für ihn frühen Zeitpunkt, explizit von der »ursprünglichen Lebenswelt« und deren Gliederung spricht. »Wir finden in unserer Umwelt«, so Husserl, »und wir sagen geradezu, wir sehen Soldaten, Geheimräte, Diener usw. Sie werden apperzipiert sozusagen in ihrer dauernden geistigen Livree, in dem Dauerbestand der mehr oder minder klar vorstelligen Bedeutungsprädikate.

40

Hua V, S. 76: »Wir erinnern uns auch, daß die ausschaltende ™poc» zwei Richtungen haben kann: es kann ein Transzendentes (also alles, was nicht selbst Erlebnis oder Erlebniskorrelat ist) gesetzt und dann die Setzung jederlei Stellungnahme eingeklammert sein; es kann aber auch die Reflexion sich auf das Erlebnis selbst und das erlebende Ich richten, in dieser Hinsicht psychische Zustände und psychisches Subjekt und Seele finden: natürlich wird auch da Reduktion vollzogen.« 41 Hua IX, S. 188. 42 Hua XIV, S. 437. 43 Hua XV, S. 538: »Die Welt als universales thematisches Feld haben, das ist: natürlich in der Welt leben. Eben das aber, was eigentlich das In-der-Welt-Leben ausmacht als das Bewusstseinsleisten, worin die Welt für mich ist, worin ich selbst als Mensch in Tun und Leiden bin, ist dabei unthematisch. Eben dieses Leben als intentionales, als die intentionalen Synthesen vollziehendes, wird, und in radikaler Universalität thematisch, und damit korrelativ als darin konstituiertes und sich fortlaufend weiter konstituierendes System von Geltungspolen – Polen der einstimmigen Identifizierung – die Welt.« – Zu Gebrauch und Funktion des Lebensbegriffs bei Husserl vgl. besonders E.W. Orth, Die ›Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie‹, 1999, S. 157–160. 44 M. Heidegger, Die Idee der Philosophie (1919), 1987, S. 73f.

1. Reduktion von ›Welt‹ als Simulation des ›weltens‹

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Ihre physische Livree ist natürlich dabei selbst als solche charakterisiert durch Bedeutungsprädikate der anderen Gruppe, die aber dieselben prinzipiellen Quellen hat.«45 Allerdings besteht ein entscheidender Unterschied zwischen Husserl und Heidegger; dies zeigen nicht nur die weiteren Ausführungen Husserls im Anschluß an das soeben Zitierte.46 Nicht ›es weltet‹, so versucht Husserl klarzustellen; letztendlich heißt es, jedoch mit der gebührenden Vorsicht gegenüber dem Personalpronomen als Anzeige einer noch stummen und sich in Funktionen artikulierenden Subjektivität: ›ich welte‹. Husserl macht bis zuletzt darauf aufmerksam, daß das »transzendentale Leben« nicht das »Leben des Menschen« sei, »sondern Leben des ego, worin der Mensch und sein Leben in der Welt, und diese in ihrer Universalität selbst, sein Sein konstituiert «47. Husserls Pointe besteht gerade darin, daß der Aufweis von ›Welt‹ immer eine Simulation bleiben muß, daß die ›natürliche Einstellung‹ ihre Dignität als ›welten‹ durch eine Subjektivität gewinnt, die sich darin äußert und ›Welt‹ zu einem Thema ihrer selbst werden läßt. Denn »es ist klar: Das neue Leben, das ich ins Spiel setze, indem ich der ›Weltkindschaft entsage‹, Epoché übe und Thematik der reinen Subjektivität übe, gehört selbst, obschon es zunächst wieder naiv gelebtes Leben ist, zur reinen Subjektivität,

45

Hua XXV, S. 326f. Husserl nämlich schränkt die Relevanz solcher Untersuchungen ein, Hua XXV, S. 328: »Da wir von der Umwelt sprechen, so ist das ein bloßes Konstatieren dessen, was wir in ihr vorgegeben finden, und mehr darf es nicht sein wollen.« Denn: »Wichtig ist, daß, so wie jedes einzelne Subjekt durch seine bloß spezifische Subjekttätigkeit, durch sein Denken, Fühlen, realisierendes Wollen usw. wesensmäßig leistendes Subjekt ist und seine Leistung einen Niederschlag von umweltlichen Prädikaten besagt«. 47 Hua XV, S. 539. Diese Äußerung aus dem Jahre 1933 ist unmittelbar, wie der Kontext und der Sprachgebrauch zeigen, gegen Heidegger gerichtet. – Vgl. auch Hua XXVII, S. 218 f., wo Husserl mit klaren Worten darauf aufmerksam macht, daß mit der Reduktion »das Ich aufhört, als Mensch in der Welt schlicht ›da‹ zu sein«, es sich vielmehr in »das Ego« verwandle, das frei über der seienden Welt stehe. – Allerdings ist auch darauf zu verweisen, daß Heidegger nicht ganz vom ›Ich‹ absehen möchte und kann, wenn er davon spricht, daß ›es weltet‹; vgl. dazu M. Heidegger, Die Idee der Philosophie (1919), 1987, S. 73 f. Man könnte sagen, daß Heidegger darauf abzielt, dieses ›Ich‹ gleichsam klein zu schreiben, es im Erleben eines Selbst aufgehen zu lassen, ohne den Ansatzpunkt zu diesem Vorgehen als einen ›theoretischen‹ ausweisen zu müssen. Dies macht u. a. Husserl in einem Fragment aus dem Jahre 1931 – »Das ist gegen Heidegger« – gegen ihn geltend: »Wenn damit angefangen wird, wie ich es tue, einen natürlichen Weltbegriff transzendental-ästhetisch herauszustellen, so bezeichnet dies, wie ich trotz Heidegger noch immer meine, ein notwendiges und an sich erstes Aufgabensystem, dass ich den Gang der abstraktiven theoretischen Betrachtung nur anders, aber in gewisser Weise primitiver gewählt habe, als es die heideggersche ist. […] Es gehören besondere Motive dazu, um theoretische Einstellung möglich zu machen« (Hua XXXIV, S. 260). 46

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

oder gehört zu mir, dem identischen reinen Ichpol, der der eine in allem meinen naiven und reflektierenden ist.«48

2. Das ›Ichleben‹ – das Bewußtsein als Funktion und die funktionale Subjektivität Bleiben Husserls Ausführungen zur ›Reduktion‹ mißverständlich, wenn den Ausdrücken – besonders ›Welt‹ – ein beliebiger Sinn zugesprochen wird, so kann auch Husserls Rede vom Bewußtsein letztlich nur verständlich werden, wenn dasselbe als ›Funktion‹ begriffen wird.49 Husserls Terminologie, die meist ungelenk den verbal-funktionalen Aspekt des Bewußtseins mit sprachlichen Nominalisierungen verdeckt, wirkt dieser Auffassung nicht selten entgegen. Gleichwohl aber bezeichnet ›das Bewußtsein‹ in der transzendentalen Phänomenologie nicht einen privaten Gegenstand, der Ausdruck referiert nicht auf ein statisches ›Ichding‹ und erst recht wird kein objektiv-psychisches Gebilde damit angezeigt. Das Bewußtsein als Phänomen präsentiert sich bei Husserl vielmehr als Funktion einer Subjektivität, die selbst auch nur als funktionale in Betracht gezogen werden kann. In diesem Sinne ist das transzendentalphänomenologische ›reine Ich‹ nur vermittels der intentionalen Funktionalität des Bewußtseins, und die transzendentale Subjektivität kann auch nur als funktionale, ›lebendige‹ offensichtlich werden.50 Im Zugang mit dem Befund des ›weltens‹ erschließt sich die transzendentale Subjektivität in der Simulation der ›natürlichen Einstellung‹ als ein utopisches, nicht standpunktgebundenes ›Ichleben‹ in aktiven Vollzügen.51 Die trans48

Hua XIV, S. 466. Es muß an dieser Stelle nicht eigens betont werden, daß Husserls Begriff ›des Bewußtseins‹ seit den Logischen Untersuchungen einige Metamorphosen durchgemacht hat und daß zudem in der Phänomenologie, wie Husserl selbst immer wieder betont, zwischen verschiedenen Begriffen des Bewußtseins differenziert werden muß. Diese Problematik ist hier aus ersichtlichen Gründen auszublenden; es kann einzig darum gehen, Husserls Begriff eines Bewußtseins wie er in den Ideen I als ›Residuum‹ freigestellt wird, zu erläutern und gegen einseitige Deutungen, die direkt mit dem Weltthema in Korrelation stehen, abzusichern. – Mit Blick auf das ›fungierende‹ und ›lebendige Ich‹ vgl. besonders K. Held, Lebendige Gegenwart, 1966. 50 Vgl. Hua IV, S. 97. 51 Hua IV, S. 99 (eigene Hervorhebung): »In den Akten des vielgestaltigen vereinzelten oder durch es verknüpften cogito übt das reine Ich seine ›Funktionen‹, und insofern möchten wir die Akte selbst in übertragenem Sinn als Funktionen bezeichnen. Hierbei ist das reine Ich einerseits zwar als das in ihnen funktionierende, sich durch sie hindurch auf Objekte beziehende von den Akten selbst zu unterscheiden; andererseits doch nur abstraktiv zu unterscheiden. Abstraktiv, sofern es als etwas von diesen Erlebnissen, als etwas von seinem ›Leben‹ Getrenntes nicht gedacht werden kann – ebenso wie umgekehrt diese Erlebnisse nicht denkbar sind, es sei denn als Medium des Ichlebens.« 49

2. Das ›Ichleben‹ – das Bewußtsein als Funktion

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zendentale Subjektivität ist nicht deshalb als eine utopische zu kennzeichnen, weil sie von Husserl in einem absoluten Jenseits lokalisiert würde. Dies würde dem Befund der funktionalen Einbindung widersprechen. Die transzendentale Subjektivität kann demgegenüber jedoch in einem anderen Sinne als utopisch qualifiziert werden. Sie ist es nämlich, die sich in dem funktionalen Einstellen in ›Welt‹ ausdrückt und in diesem Prozeß ›Welt‹ zu einem Thema ihrer selbst machen kann. Das transzendentale Subjekt ist dasjenige Subjekt, dem es in seinem Einstellen in Welt um Welt als einem Thema seiner selbst geht. Wird dieser ›Ichpol‹ fokussiert, dann kann – jedoch auch nur dann, wenn das ›reine Ich‹ als eine ›fungierende‹ Subjektivität gedeutet wird – die Sinnstruktur von ›Welt‹ als eine subjektive Strukturierung verständlich werden.52 Dies jedoch ist nur möglich, weil Husserl die ›transzendentale Subjektivität‹ als in Aktion und Funktion stehend deutet; sie zeigt nicht einen statischen Befund an, sie bezeichnet nicht einen isolierten ›Ichgegenstand‹.53 Wäre dem anders, würde das Bewußtsein nicht eine Funktion anzeigen und würde die transzendentale Subjektivität nicht selbst als ›in Funktion stehend‹ in Betracht gezogen, so blieben diejenigen Interpretationen im Recht, die Husserl einen unverständlichen Bewußtseinsabsolutismus unterstellen.

* Husserls Rede ist jedoch nicht immer eindeutig. Spricht er beispielsweise 1907 davon, daß ›die Welt‹ »gleichsam vom Bewußtsein« »getragen« werde, »aber das Bewußtsein selbst« »keinen Träger« brauche,54 und entdeckt er in den Ideen I das »absolute Bewußtsein als Residuum der Weltvernichtung«55, so liegt die Vermutung nahe, hier werde im Gegensatz zu der Realität ›das Bewußtsein‹ im Sinne eines, wenn auch ausgezeichneten privaten und statischen Ichraums charakterisiert. Gestützt wird diese Annahme auch dadurch, daß Husserl von diesem Bewußtsein beispielsweise als einer »absoluten Seinsregion« spricht. Hieran anschließend liegt die Interpretation nahe, daß Seiendes

52

Insbesondere in der III., IV. und V. Cartesianischen Meditation geht Husserl diesen Weg. Freilich ist noch einmal zu betonen, daß Husserl nicht aus einer transzendentalen Egologie ›die Welt‹ deduziert (vgl. oben S. 157 Anm. 34); es handelt sich vielmehr darum, das immer schon Geleistete vom Subjektpol her als Leistung aufzuklären. 53 Dies schließt freilich nicht aus, daß das ›reine Ich‹ als solches in den (phänomenologischen) Blick kommen könnte. Doch geschieht dies, so ist der Befund eher ernüchternd; Hua IV, S. 105: »Als reines Ich birgt es keine verborgenen inneren Reichtümer, es ist absolut einfach, liegt alsbald zutage, aller Reichtum liegt im cogito und der darin adäquat erfaßbaren Weise der Funktion.« 54 Hua XVI, S. 40. 55 Hua III/1, S. 103–106.

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

neben Seiendem – wenn auch absolut getrennt – seinen Platz findet.56 Doch ebensowenig wie der Neukantianer Rickert, der sich gegen vergleichbare Mißverständnisse zur Wehr setzen mußte, meint Husserl mit der Fokussierung des Bewußtseins ein »›kleines‹ Subjekt«, das »dem großen Weltall mit seinen Sonnensystemen« gegenübergestellt wird »und dann während einer begrenzten Zeit dauert« – »denn die Anwendung des Begriffes der räumlichen oder zeitlichen Größe ist hier von vorneherein sinnlos«57. Zwar macht Husserl in den Ideen I darauf aufmerksam, daß »Bewußtsein (Erlebnis) und reales Sein nichts weniger als gleichgeordnete Seinsarten sind, die friedlich nebeneinander wohnen, sich gelegentlich aufeinander ›beziehen‹ oder miteinander ›verknüpfen‹«, daß in diesem Sinne zwischen Bewußtsein und Realität ein »wahrer Abgrund des Sinnes«58 bestehe, doch der Kern dieses Sinnesunterschieds kommt oft nur implizit zum Ausdruck. Husserl selbst hat dies erkannt, denn in einem kritischen Rückblick aus der Mitte der 20er Jahre führt er aus, daß neben der »Rede von phänomenologischem ›Residuum‹«, auch diejenige von der ›Ausschaltung der Welt‹ zunächst »besser zu meiden« sei. »Sie verführt leicht dazu, zu meinen, daß die Welt nunmehr aus dem phänomenologischen Thema herausfällt und stattdessen nur die ›subjektiven‹ Akte, Erscheinungsweisen etc., die sich auf die Welt beziehen, Thema wären.«59 Genau das Gegenteil aber ist der Fall, da dem ›welten‹ Rechnung getragen wird und darin eine Subjektivität zum Aufweis kommt, der es allererst um ›Welt‹ als einem Thema, und zwar einem Thema ihrer selbst, gehen kann. Zudem, so fährt Husserl fort, könnte die Vermutung aufkommen, daß »die als ›Residuum‹ durch die Reduktion gewonnene Subjektivität meine eigene, des phänomenologiesierenden Ich ›reine‹ Subjektivität sei«60. Die durch die Reduktion

56

Nur am Rande sei darauf verwiesen, daß Husserl gern einen äußerst problematischen Unterschied zwischen ›Innen‹ und ›Außen‹ aufstellt, um seine Position zu verdeutlichen. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, daß es aus der phänomenologischen Perspektive kein ›Innen‹ als Seiendes gibt, das einem ›Außen‹ als Seiendem gegenübergestellt werden könnte. Eine Position, die derartiges vertritt, sieht Husserl mit der empirischen Psychologie seiner Zeit gegeben; von dieser aber sucht er sich radikal zu distanzieren. Die Kategorien, die auf das ›Außen‹ angewandt werden, können nach Husserl prinzipiell nicht auf das ›Innen‹ appliziert werden; die Metaphorik von ›Innen‹ und ›Außen‹ richtet aus diesem Grund, und weil sie zudem alltäglich auf Räume bezogen wird, zuweilen mehr Unheil an, als daß sie zur Erklärung beitragen könnte. 57 H. Rickert, Der Gegenstand der Erkenntnis (1892), 4,51921, S. 30. 58 Hua III/1, S. 105f.; vgl. auch Hua XVIII, S. 80. 59 Hua VIII, S. 432. 60 Ebd., S. 432. – Vgl. hierzu ebenso Husserls Klarstellung in der Krisis, die er in Abgrenzung zur Cartesischen Seelenauffassung vollzieht, Hua VI, S. 81: »Das ego ist nicht ein Residuum der Welt, sondern die absolut apodiktische Setzung, die nur durch die Epoché, nur durch die ›Einklammerung‹ der gesamten Weltgeltung, und als einzige ermöglicht wird. Die Seele aber ist das Residuum einer vorgängigen Abstraktion des puren Körpers«.

2. Das ›Ichleben‹ – das Bewußtsein als Funktion

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gewonnene Sphäre des ›weltens‹, die sich mit 61 Bewußt-sein abspielt und als Bewußt-sein zugänglich wird, bezeichnet demgegenüber aber weder eine in ›natürlicher Einstellung‹ gegebene, physiologisch verfaßte Ichlichkeit, sondern ein ›Ichleben‹62 als funktionalen Zusammenhang von Intentionen.63 Bereits in den Ideen I verweist Husserl auf diesen Aspekt, wenn er pointiert von den »funktionellen Problemen« als den »allergrößte[n] Probleme[n]« in der Phänomenologie spricht. Denn sie »betreffen die Art, wie z. B. hinsichtlich der Natur, Noesen, das Stoffliche beseelend und sich zu mannigfaltig-einheitlichen Kontinuen und Synthesen verflechtend, Bewußtsein von Etwas so zustande bringen, daß objektive Einheit der Gegenständlichkeit sich darin einstimmig ›bekunden‹, ›ausweisen‹ und ›vernünftig‹ bestimmen lassen«64. Schließlich betont er, daß der »Gesichtspunkt der Funktion« »der zentrale der Phänomenologie« sei, und die »von ihm ausstrahlenden Untersuchungen« »so ziemlich die ganze phänomenologische Sphäre« umgreifen.65 Das »Bewußtseinsleben« als das »Worin und Wodurch«66 der weltlichen und ichlichen Bekundungen, so heißt es dann in dem 1917 entstandenen, jedoch zu Husserls Lebzeiten nicht publizierten Aufsatzentwurf Phänomenologie und Erkenntnistheorie, kann nur als Funktion verstanden werden: »Bewußtsein ist seinem Wesen nach Bewußtsein von, seinem Wesen nach ›Funktion‹, und Funktion hat funktionelle Zusammenhänge, die ihre geordnete immanente Teleologie haben. Bewußtsein als Funktion sehen und in das Funktionieren hineinsehen, die verschiedenen Richtlinien möglicher reiner Reflexion scheiden und die in allen diesen Richtungen liegenden noetischen und noematischen Gegebenheiten und ihre wechselseitigen Verflechtungen erschauen – das muß man, wiederhole ich, mühsam lernen«67. Husserl, der

61

Man könnte freilich, wie Husserl dies ab und an vorführt, auch die Formulierung ›im Bewußtsein‹ wagen, wenn von jedweder räumlichen oder naturalistischen Bedeutung abgesehen wird. 62 Vgl. Hua VI, S. 248. – Man muß Husserls Rede vom ›Leben‹ durchaus ernstnehmen. Der sozusagen bevorzugte Platz des ›Lebens‹ in der Phänomenologie Husserls ist das intentionale Bewußtsein. Hier artikuliert sich eine ›Lebendigkeit‹ eigenen Typs, die des ›reinen Ichs‹ als einem ersten Statthalter der Vernunft. Vgl. dazu ebenfalls E.W. Orth, Die ›Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie‹, 1999, S. 157–160. 63 Vgl. hierzu Husserls Anmerkung in der Krisis, Hua VI, S. 188, worin Husserl das grundsätzliche Dilemma formuliert. Das durch die Epoché gewonnene ›Ich‹ heißt »eigentlich nur durch Äquivokation« ›Ich‹, »obschon es eine wesensmäßige Äquivokation ist, da, wenn ich es reflektierend benenne, ich nicht anders sagen kann als: ich bin es, ich der Epoché-Übende«. 64 Hua III/1, S. 196f. 65 Hua III/1, S. 196. 66 Hua XXV, S. 100. 67 Hua XXV, S. 188, vgl. S. 182.

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

diesen Aufsatz konzipierte, um möglichen Mißverständnissen entgegenzuwirken, hat sicherlich mit Blick auf die Rezipienten, die seiner Methode ungewogen gegenüberstanden, eine einfachere Ausdrucksweise gewählt, die zudem auf Bekanntem aufbauen konnte;68 damit aber wird das Ausgesagte nicht weniger gewichtig. Bereitet die Reduktion als eine Simulation der ›natürlichen Einstellung‹ u. a. den Weg, das subjektrelative ›welten‹ als ein Einstellen in Orientierungsräume in den Blickpunkt der Philosophie zu bringen, so zeigen die hieran anschließenden Analysen zu einer ›funktionalen Subjektivität‹, daß ›Welt‹ überhaupt zu einem Thema werden kann. Ist ›die Welt‹ mittels der Reduktion nicht verloren gegangen, meint die Epoché »nicht überhaupt Enthaltung hinsichtlich des Seins der Welt und jedes Urteils über sie«69, so versammelt das funktionale Bewußtsein die Korrelationsmöglichkeiten, die sich durch und in dem ›welten‹ als ›lebendigen‹ Vollzügen ergeben. Damit ist ›Welt‹ nicht verloren gegangen, sondern als Anspruch, Welt zu sein, in Korrelation zu einem aktiven resp. zur Aktivität fähigen70 Subjekt aufgewiesen. »Das aber muß richtig verstanden werden. Was ich will, das ist, meine erfahrende Subjektivität, die denkende und wertend-wollende, in ihrer Intentionalität rein zum Thema machen und die Welt nur als was sie darin gegeben, genau, wie sie vermeinte, geglaubte, gewertete, als was sie das ist und in welchen subjektiven Bewußtseinsmodis sie es ist.«71 In Korrelation zu einem Subjekt vollzieht sich das von der Realität freigestellte ›welten‹, durch das Bewußtsein wird dieses Phänomen zugänglich und in den Bewußtseinsvollzügen artikuliert sich eine Subjektivität, die jenseits des Seienden als utopische zum Aufweis gebracht werden kann, die sich aber in Horizonten als Sinnregionen unterschiedlichster Art manifestiert – der es somit um ›Welt‹ als ihr eigenes Thema gehen muß. Aus dieser Perspektive wird das ›transzendentale Ich‹ in der Phänomenologie nicht in einem räumlichen Nirgendwo lokalisiert, es repräsentiert ebensowenig ein souveränes ›Ego‹; das »Ich ist ein Funktionszentrum, das jederzeit Funktionszentrum einer Funktion sein kann, die dasselbe Ich, ›sich selbst‹, 68

Die Interpretation des Bewußtseins als einer Funktion ist keineswegs eine Husserlsche Erfindung; sie steht vielmehr im Zentrum der Untersuchungen des Neukantianismus; vgl. hierzu beispielsweise, P. Natorp, Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode, 1888, S. 3–42; P. Natorp, Allgemeine Psychologie nach kritischer Methode, 1912, S. 54; H. Rickert, Der Gegenstand der Erkenntnis (1892), 4,51921, S. 27–31; E. Cassirer, Substanzbegriff und Funktionsbegriff (1910), 71994, S. 410 ff.; hinzuweisen ist besonders auf die exemplarischen Ausführungen zum Bewußtseinsbegriff als dem ›eigentlichen Proteus der Philosophie‹ in E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 3, Phänomenologie der Erkenntnis (1929), 91990, S. 57ff. 69 Hua XV, S. 366. 70 Vgl. Hua IV, S. 107f. 71 Hua IX, S. 462.

2. Das ›Ichleben‹ – das Bewußtsein als Funktion

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als so und so fungierendes oder fungiert habendes Zentrum thematisch machen kann und so für sich selbst da ist«72. Als ein solches »Zentrum mannigfaltiger Funktionen« kann es zudem auch »nur ursprünglich nachkommend erfasst werden«73 – nämlich im Durchgang durch die Dimension, welche die Reduktion eröffnet. Denn weder ist in einem objektiven Sinne das ›reine Ich‹ noch ist es nicht74 – es steht vielmehr in Funktion, oder es funktioniert nicht. Husserl umschreibt diesen Sachverhalt der Funktionalität zuweilen auch mit dem Bild des Auf- bzw. Abtretens: »Zum reinen Ich gehört also statt des Entstehens und Vergehens nur die Wesenseigentümlichkeit, daß es seinen Auftritt hat und seinen Abgang, daß es aktuell zu funktionieren, zu walten anfängt und aufhört. ›Es tritt auf‹ und ›Akte im spezifischen Sinn des cogito werden im Bewußtseinsstrom Ereignis‹ sagt dasselbe, da eben das Wesen solcher Akte darin besteht, vom reinen Ich ›vollzogen‹, intentionales Erlebnis zu sein.«75 Diese Aussagen aber besagen nicht nur, daß das ›reine Ich‹ als ein schlichtes und bloßes Funktionszentrum innerhalb einer Egologie anzusehen ist; das transzendentale Subjekt repräsentiert diejenige Instanz, die als funktional gebundene ihre Funktionalität zur Darstellung bringt. Das aber sagt zugleich, daß das ›transzendentale Subjekt‹ dasjenige Subjekt darstellt, das ›Welt‹ zu einem ›Thema‹ seiner selbst machen kann – nämlich als ein Thema, das sich eröffnet, wenn das funktionale Einstellen in ›Welt‹ zur Aussprache kommt. Ohne daß an dieser Stelle alle Ausführungen Husserls zum transzendentalen ›Ich‹ wiederholt resp. dargestellt werden können oder müssen, so zeigen diese Bemerkungen, daß hier keine isolierte Immanenz postuliert wird, von der aus eine Transzendenz deduziert werden könnte.76 Husserls Rede von Immanenz und Transzendenz ist kein Problem, das so oder so zu entscheiden 72

Hua XIV, S. 29. Hua XIV, S. 30. – Vgl. dazu ebenfalls die Hinweise K. Schuhmanns, Die Fundamentalbetrachtung der Phänomenologie 1971. 74 Vgl. hierzu ebenso Husserls Bemerkung zur Gegebenheit des immanenten Seins, Hua III/2, S. 624: »Man könnte sagen: auch das immanente Sein ist für die Erkenntnis gegeben nur als Idee, da es eines Prozesses der ›Annäherung‹ bedarf. Die adäquate Gegebenheit ist eine Idee, die den Charakter einer Grenze hat, der man sich beliebig annähern kann.« – Hinzuzufügen ist nur, daß dieses ›Man‹ wiederum ein ›Ich‹ ist. 75 Hua IV, S. 103f. (eigene Hervorhebung); einige Zeilen zuvor führt Husserl aus: »Jedes cogito mit allen seinen Bestandstücken entsteht oder vergeht im Fluß der Erlebnisse. Aber das reine Subjekt entsteht nicht und vergeht nicht, obwohl es in seiner Art ›auftritt‹ und wieder ›abtritt‹. Es tritt in Aktion und tritt wieder außer Aktion.« – Zu diesem Bild vgl. ebenso Hua IV, S. 325. 76 Einschlägig ist hier natürlich das Schlagwort der ›Transzendenz in der Immanenz‹, wobei einerseits die transzendente Realität, andererseits jedoch auch das ›Ich‹ als ein in der Immanenz Transzendentes zum Aufweis kommen kann; vgl. Hua III, S. 111; Hua XIII, S. 163, S. 167; Hua IX, S. 475. 73

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

wäre, derart daß ein Pol dieses Kontinuums zu fixieren sei; es handelt sich vielmehr um einen funktionalen Zusammenhang, der die Charakterisierung der Intentionalität als ›Bewußtsein von …‹ konturiert. Denn wird die Intentionalität funktional als ›Bewußtsein eines Bewußtseins von Etwas‹ definiert, so steht hier nicht eine statische Immanenz einer ebenso statischen Transzendenz gegenüber, das Bewußt-sein in seiner Funktion als Bewußt-sein ist intentional, d.h. mit und an dem phänomenologischen Befund des einheitlichen Erlebnisses vollzieht sich immer ein intentionales Geschehen. Und derart kann Husserl auch kurz und prägnant feststellen: »Denn das Wunder des Bewußtseins ist das Wunder der sogenannten Intentionalität.«77 Husserl kann, blickt man auf diese Ausführungen zurück, in einem wohlverstandenen Sinne tatsächlich als ein Lebensphilosoph gekennzeichnet werden. Die Metaphorik der ›Lebendigkeit‹, des ›Ichlebens‹ oder des ›Bewußtseinslebens‹ steht aber bei Husserl nicht für einen Irrationalismus oder eine blinde Vitalität, sie charakterisiert vielmehr die ›transzendentale Subjektivität‹ als eine solche, der es in ihrem lebendigen Einstellen um ›Welt‹ als einem Thema ihrer selbst geht. Zwar droht stets, und zwar besonders in den positiven Wissenschaften, daß die Funktionalität resp. ›Lebendigkeit‹ im ›Einstellen‹ in ›Welt‹ als Seiendem verlorengeht, daß sie gleichsam abgestellt, funktionslos wird; gleichwohl aber artikuliert sich das ›Ichleben‹ stets auch auf einer anderen Ebene – als ›Lebenswelt‹ und in ›Lebenswelt‹.

3. ›Lebenswelt‹ und ›Weltleben‹ – utopische Möglichkeiten in topischen Wirklichkeiten In einem gewissen Sinne verdichten sich in dem Ausdruck ›Lebenswelt‹78 Husserls phänomenologische Bemühungen, ›Welt‹ als ein philosophisches ›Thema‹ zu behandeln, das ›Thema Welt‹ in den ›Griff‹79 einer funktionalen Subjektivität zu bringen und ›die Welt selbst‹ im Sinne einer Ausformulierung des ›weltens‹ freizusetzen. Doch die Tendenz auf eine Verdichtung birgt stets die Gefahr des Reduktionismus. Die Schwierigkeit liegt unter anderem darin begründet, daß die ›Lebenswelt‹ als Phänomen nicht ausschließlich auf einen objektiven und statischen Zustand des Seienden bzw. eines Seienden (›des Menschen‹) im Seienden (›der Welt‹ oder ›Umwelt‹) reduziert werden

77

Hua XXX, S. 341. Zu der Begriffs- und Problemgeschichte des Ausdrucks ›Lebenswelt‹ und zu den unterschiedlichen Interpretationen vgl. oben S. 92–114, S. 158 ff. – Vor dem Hintergrund dieser Geschichte kann auch die kulturphilosophische und wissenschaftstheoretische Bedeutung der Husserlschen Überlegungen ermessen werden. 79 Vgl. oben S. 208 Anm. 3. 78

3. ›Lebenswelt‹ und ›Weltleben‹ – utopische Möglichkeiten

227

kann.80 Der Ausdruck dient, obgleich seine nominale Form etwas anderes suggeriert, stets auch als Anzeige für einen Konstitutionsprozeß. Dieser terminiert zwar ›in Welt‹ als Setzung von Seiendem, er artikuliert sich auch an einem besonderen ›Ort‹ im Seienden – der Person und ihrer Umwelt; die Konstitution als Vollzug aber findet sich ebensowenig im Seienden, wie der ›Ursprung‹ dieser Leistung ›in der Welt‹ gesucht werden kann. Beides bleibt utopisch – die setzenden und strukturierenden Leistungen vollziehen sich in einem Zwischenraum zwischen dem Subjekt und dem Objekt, und der Leistungspol entzieht sich durch seine Funktionalität einer letzten Festschreibung im Seienden.81 Beide Dimensionen – die ›Lebenswelt‹ als ›Umwelt‹ und die ›Lebenswelt‹ als Anzeige einer Konstitutionsleistung – greifen stets ineinander und begründen eine Ambiguität, die nicht unterlaufen oder festgeschrieben werden kann. Aus diesem Grund auch kann Husserl keine ›Lebenswelt‹ im Sinne eines mundanen Heilsversprechens präsentieren. Die möglichen Interpretationen: Husserl zolle mit dem ›Rückgang auf die Lebenswelt‹ der populären Lebensphilosophie der 20er Jahre seinen Tribut; er bewege sich mit diesem Schlagwort nahe am Abgrund des Irrationalismus und jenseits seiner ›wissenschaftlichen‹ Transzendentalphilosophie, können 80

Natürlich benutzt Husserl den Ausdruck ›Lebenswelt‹ auch in diesem Sinne. Er steht dann in einer Reihe mit z. B. ›Umwelt‹ oder dem ebenso gebräulichen Ausdruck ›Lebensumwelt‹. Wenn Husserl die »Lebenswelt der Primitiven« (Hua XXVII, S. 225) oder die »Lebenswelt eines Inselvölkchens« (Hua, XV, S. 232) zum Thema macht, so gehört dies offensichtlich in den genannten Themenkreis der ›Lebenswelt‹ als ›Umwelt‹. – Dieser Begriff der ›Lebenswelt‹ bleibt für die Phänomenologie aber in einem recht verstandenen Sinne sekundär, denn sie hat in der angeführten Form »von uns her geistigen Sinn« (Hua XV, S. 433). Das primäre Interesse richtet sich auf das Aufbrechen der ›Umwelt‹ auf eine, wie es dann später etwas genauer heißt, »strömende Lebensweltlichkeit«, Hua XXIX, S. 313, vgl. auch Hua VI, S. 223. – Sprachlich macht Husserl keinen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen Phänomen, beide werden mit ›Lebenswelt‹ benannt; sachlich erscheint diese Identifikation dadurch gerechtfertigt, daß die ›Umwelt‹ als objektivierter ›Niederschlag‹ der ›strömenden Lebensweltlichkeit‹ zu deuten ist, daß jene also nur aufgrund dieser in ihrem Recht ausgewiesen werden kann. – Heideggers Projekt entspricht hinsichtlich der angeführten Problemstellung durchaus dem Husserlschen. Denn, wie Heidegger ausführt, die »ontisch triviale Rede vom ›Haben einer Umwelt‹ ist ontologisch ein Problem«; M. Heidegger, Sein und Zeit (1927), 161986, S. 58. Im Unterschied zu Heidegger aber ist für Husserl das ›ontologische Problem‹ nur im Stile einer Transzendentalphilosophie lösbar, d.h. im Bezug auf eine funktionale Subjektivität. 81 Von hier aus lassen sich durchaus Parallelen zu Joëls Begriff der ›Seele‹ als einer ›Lebewelt‹ (vgl. oben S. 109 ff.) und zu Euckens ›Lebenswelt‹ als einer ›schaffenden Erlebniswelt‹ (vgl. oben S. 111f.) herstellen, jedoch bestehen auch Unterschiede: Denn wenngleich sich beide Denker wie auch Husserl mit ihrer ›Lebenswelt‹ jenseits des Daseienden zu situieren suchen, sie ebenfalls die Aktivität resp. ›Lebendigkeit‹ betonen, so bleibt doch aus transzendentalphänomenologischer Sicht dieses Jenseits letztlich immer nur ein Diesseits, weil es auf einem objektiv-naturalen Erlebnis- resp. Seelenbegriff der empirischen Psychologie aufbaut oder darin endet.

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

nicht dem wesentlich doppeldeutigen Anliegen des Phänomens gerecht werden, und sie lassen sich auch nicht mit Husserls Charakteristik des Philosophen als einem »Stratege[n] im Kampf gegen die Unvernunft«82 vereinbaren. In seinem zweiten Kaizo-Artikel aus dem Jahre 1924 über die Methode der Wesensforschung findet sich die wahrscheinlich deutlichste Absage an solche Gedanken; es gibt keinen Grund für die Annahme, daß diese Feststellungen in den 30er Jahren ihre Gültigkeit verloren hätten: »Ziehen wir zu näherer Betrachtung dieser Vernunftideale und der darauf bezogenen praktischen Idee des ethischen Menschen die Lebensform des paradiesischen Menschen heran, also die der ›paradiesischen Unschuld‹. Sie bezeichnet (wenn wir sie gar auf alle Aktarten beziehen wollen) eine kaum zu voller Klarheit zu bringende, also ihrer Möglichkeit nach kaum zu erweisende Lebensform. Bestenfalls wäre es ein idealer Grenzfall aus einer Unendlichkeit anderer solcher Möglichkeiten und jedenfalls ein solcher, den wir keineswegs als das Vollkommenheitsideal, geschweige denn als das praktische Ideal ansehen könnten. […] Der paradiesische Mensch wäre sozusagen unfehlbar. Aber nicht wäre es die göttliche Unfehlbarkeit, die aus absoluter Vernunft, sondern eine blinde, zufällige Unfehlbarkeit, da ein solcher Mensch von Vernunft, von kritischer Evidenz und Rechtfertigung keine Ahnung hätte. In seiner reflexionslosen Naivität wäre er eben nur ein durch blinde Instinkte an zufällig stabile Verhältnisse ideal angepaßtes Tier. Der Mensch aber ist kein bloßes, wenn auch in seiner Art vollkommenes und konstant befriedigtes Tier. Er hat […] ›Selbstbewußtsein‹. In seiner reflexiven Bezogenheit auf sich selbst lebt er nicht bloß naiv dahin und in seine äußere Umwelt hinein. Sondern sich selbst und die (zu seinem Wesen gehörigen) Möglichkeiten des Erzielens und Verfehlens, des Befriedigt- und Unbefriedigt-, des Selig- und Unseligwerdens bedenkend, übt er […] beurteilende Selbstwertung und praktische Selbstbestimmung. […] Hier liegt auch das einzig denkmögliche praktische Menschenideal und zugleich die absolut notwendige Form für alle sonst noch unterscheidbaren positiven Wertstufen […] Dieses a priori in ihm ruhende Ideal schöpft er also in ursprünglichster Gestalt aus sich selbst, als sein ›wahres‹ und ›besseres Ich‹.83 Bleibt man – dies aber auch nur vorläufig und als Hinweis auf Husserls Intentionen – in der Bildlichkeit des Christentums, so ist es im Gegensatz zu einer ›paradiesischen Existenz‹ das genaue Gegenteil, was Husserl letztendlich mit dem ›Rückgang auf die Lebenswelt‹ anzeigen möchte. Hier wird keine naive Unschuld thematisch; es ist im Gegensatz dazu die stete und notwendige Selbstvertreibung des Menschen aus selbstgeschaffenen Dogmen und Paradiesen aller Art, die Husserl gleichsam als personales Radikal auf82 83

Hua XXVIII, S. 202. Hua XXVII, S. 34f.

3. ›Lebenswelt‹ und ›Weltleben‹ – utopische Möglichkeiten

229

deckt und ans Licht zu bringen versucht. In diesem Sinne fungiert der ›Rückgang auf die Lebenswelt‹ als Aufweis der personalen Existenz, die sich notwendig ›in Welt‹ ›einstellt‹ und sich mit ›Welt‹ als Seiendem gleichstellt. Jedoch in diesem Tun kann die Person als eine ›in Welt‹ fungierende Subjektivität ihres eigenen, funktionalen ›Ichlebens‹ als einer Vernunft in statu nascendi gewahr werden, ›Welt‹ auf diese ›Lebendigkeit‹ hin begreifen und als Thema ihrer selbst fassen. Erst wenn der Bezug zu einer funktionalen Subjektivität aufgedeckt ist, so Husserls These, kann ›die Vernunft‹ vermittels ihrer Ausdrucksformen zur Aussprache ihres eigenen Sinnes gebracht werden.84 Als Wirklichkeit bezeichnet derart ›Lebenswelt‹ die topische ›Welteinstellung‹ des personalen Subjekts, als Möglichkeit deckt Husserl in und aufgrund der ›Lebenswelt‹ ein ›Ichleben‹ auf, das sich als utopisches in Einstellungen orientiert und damit den Kern der Vernünftigkeit als einen Ausweis von subjektrelativen Weltansprüchen anzeigt. Diese anthropologische und kulturphilosophische Dimension liegt nicht jenseits der Phänomenologie als einer Fundamentalphilosophie; sie gehört vielmehr – offensichtlich zumindest seit der Fortentwicklung der Phänomenologie zu einer radikalen Transzendentalphilosophie – zu den erkenntnistheoretischen Überlegungen Husserls als einer Wesensmöglichkeit. Zwar dokumentieren die Fragmente der 20er Jahre auf den ersten Blick eine Hinwendung zu kulturtheoretischen, z. T. auch ›soziologischen‹ Fragestellungen; doch dies bedeutet keine Abwendung von der Phänomenologie als einer ›strengen Wissenschaft‹. Als ›strenge Wissenschaft‹ hat Husserl seit Anbeginn die ›vorwissenschaftlichen‹, nicht psychologischen, jedoch durchaus subjektiven Vollzüge zum Thema gemacht; in den 20er Jahren werden diese im Ausgang von einem ›natürlichen Weltbegriff‹ und im Durchgang durch die ›natürliche Einstellung‹ ›im Stile‹ regionaler Strukturierungsleistungen von ›Welt‹ beschrieben, als Horizonte aufgewiesen und topographisch erfaßt. Aus diesem Grund scheint es auch kein Zufall, wenn Husserl ebenfalls im Jahre 1924, in seinem Vortrag Kant und die Idee der Transzendentalphilosophie, den bis zu diesem Zeitpunkt zurückgelegten Weg der Phänomenologie anspricht und implizit die ›Entdeckung der Lebenswelt‹ als Charakteristikum auch der frühen, ja der Phänomenologie schlechthin ausmacht. Es ist zudem nicht unerheblich, daß hier der Ausdruck ›Lebenswelt‹ in dem Sinne vorkommt, wie er zum einen als Terminus in statu nascendi immer schon – z. B. als recht verstandene »Lebenswirklichkeit«85 – in der Phänomenologie be-

84

Auch in der Krisis, Hua VI, S. 13, verweist Husserl auf diese Absicht, die »latente Vernunft zum Selbstverständnis ihrer Möglichkeiten zu bringen«. 85 Vgl. dazu auch folgende Ausführungen in der Philosophie als strenger Wissenschaft aus dem Jahre 1911, die Husserls Thesen aus der Krisis bezüglich der ›Interessenwelten‹ resp. ›Berufswelten‹ innerhalb der ›Lebenswelt‹ vorwegnehmen, Hua XXV, S. 53 f.: »Von vorn-

230

IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

schlossen lag, und wie er zum anderen von Husserl später immer wieder als Ausgangspunkt seiner Untersuchungen benutzt wird: »Die Phänomenologie fing an mit unermüdlichen Aufweisungen all solcher subjektiver ›Phänomene‹, zu denen natürlich auch alle Geltungsphänomene, die Phänomene der Evidenz und Bewährung und ihre Korrelate Wahrheit, wahres Sein, Richtigkeit usw. jeder Art und Gestalt gehörten. Die Natur als anschauliche Natur, genau so, wie sie jeweils wahrgenommen ist, mit allen subjektiven Charakteren, in denen sie gegeben ist (und nicht nur in den von den Naturforschern methodisch als ›bloß subjektiv‹ ausgeschalteten); das ward alsbald ein großes Thema phänomenologischer Beschreibungen. Die Welt gewann eine unendliche Weite, sobald die wirkliche Lebenswelt, die Welt im Wie der Erlebnisgegebenheit betrachtet war.«86

*

Nun belegen die Husserlschen Gedankengänge, die im Anschluß an die Ideen I entstanden sind, wie im einzelnen ›die Welt im Wie der Erlebnisgegebenheit‹ thematisch werden kann. Als Topograph schreitet Husserl die Regionen der ›natürlichen Einstellung‹ ab, deutet ›Welt‹ als Anspruch eines sich einstellenden Subjekts und präsentiert die Korrelationen, die sich im ›welten‹ kundtun. ›Lebenswelt‹ oder ›Lebenswirklichkeit‹ meint in diesem Sinne die Sphäre der intentionalen Vollzüge, wie sie sich in einem Zwischenreich zwischen objektiviertem Subjekt und objektiviertem Objekt als Bewußtseinsleistungen fassen und redynamisieren lassen sowie in Synthesen87 vereint sind. herein sei zugestanden, daß vom Standpunkt der philosophierenden Individuen aus eine allgemeingültige praktische Entscheidung für die eine und andere Art des Philosophierens nicht gegeben werden kann. Die einen sind vorwiegend theoretische Menschen, von Natur aus geneigt, ihren Beruf in streng wissenschaftlicher Forschung zu suchen, wofern nur das sie anziehende Gebiet solcher Forschung Aussichten darbietet. Dabei mag es sein, daß das Interesse, sogar leidenschaftliche Interesse für dieses Gebiet aus Gemütsbedürfnissen, etwa Weltanschauungsbedürfnissen stammt. Hingegen für ästhetische und praktische Naturen (für Künstler, Theologen, Juristen usw.) verhält es sich anders. Ihren Beruf sehen sie in der Realisierung ästhetischer oder praktischer Ideale, also von Idealen einer außertheoretischen Sphäre. Hierher rechnen wir auch theologische, juristische, im weitesten Sinne technische Forscher und Schriftsteller, sofern sie durch ihre Schriften nicht die reine Theorie fördern, sondern primär die Praxis beeinflussen wollen. Freilich ganz rein ist, in der Lebenswirklichkeit selbst, die Scheidung nicht.« 86 Hua VII, S. 231f. (eigene Hervorhebung). 87 An dieser Stelle kann auf die im Kontext der Intersubjektivitätsproblematik aufbrechende Schwierigkeit bezüglich der »Synthesis von Lebenswelten«, Hua XV, S. 207, nur verwiesen werden. Hier diskutiert Husserl die ›Lebenswelt‹ im Sinne bereits sedimentierter Akte in den Regionen ›Umwelt‹, ›Heimwelt‹, ›Kulturwelt‹ etc. hinsichtlich ihres soziologischen Auf- bzw. Abbaus. – Von dieser sekundären Form der Konstitution bleibt die ursprüngliche Form der Synthesis, wie sie direkt und unmittelbar durch die ›Lebenswelt‹ gegeben ist, unberührt. – Die u. a. hieran anschließende Schwierigkeit, ›die Lebenswelt‹ im Singular mit ›den Lebenswelten‹ im Plural in Einklang zu setzen, kann aufgelöst werden,

3. ›Lebenswelt‹ und ›Weltleben‹ – utopische Möglichkeiten

231

Als Sinnformen und Sinnformungen, nicht als Seindes werden die Kategorien dieses Gebietes von Husserl beschrieben.88 Daß ›Lebenswelt‹ in dieser Form keinen isolierten ›Ort‹ im Seienden benennt, sondern immer auch die Sphäre der Intentionalität umgrenzt,89 bedeutet zugleich, daß eine Blickwendung nötig und möglich ist, sie als solche zu erkennen. Dann kann verständlich werden, was Husserl mit der These auszudrücken versucht, daß die »Lebenswelt in allen ihren Relativitäten ihre allgemeine Struktur« habe, an die »alles relativ Seiende gebunden ist«90, die als allgemeine jedoch nicht relativ sein kann. Die allgemeine Struktur ist die intentionale Verfaßtheit des Bewußtseins, die sich auch im alltäglichen, personalen Handeln ausdrückt und an der alles relativ Seiende gebunden bleibt, die jedoch als solche irrelativ ist gegenüber ihren Äußerungen.91 Es ist auch nicht unerheblich, daß Husserl bereits früh und gerade im Anschluß an Avenarius von der ›natürlichen Welt‹ als der ›Lebenswelt‹ spricht. Denn die ›natürliche Welt‹ ist nicht nur, weil sie von einer lebendigen Subjektivität gesetzt wird, sie wird auch vermittels dieser Praxis strukturiert.92 Endet der Empiriokritizismus von Avenarius in der monistischen Seinsapotheose von Seiendem, um so jedwedem Dualismus von Subjektivem und Objektivem, von ›Innen‹ und ›Außen‹, von Psychischem und Physischem ausweichen zu können, so stößt Husserl in dem detaillierten Nachvollzug des Empiriokritizismus neben der monistischen Seinssetzung auf das für ihn bedeutsam werdende Phänomen der Strukturierung von ›Welt‹ als einer Konstitution von bereits Konstituiertem. Die Phänomenologische Fundamentalbetrachtung der Ideen I zeichnet sich ja nicht nur dadurch aus, daß die ›Generalthesis der natürlichen Einstellung‹ zur Sprache kommt, es wird bereits hier, in der Simulation der ›natürlichen Einstellung‹, eine Sinntypik von ›Welt‹ aufgedeckt,

wenn von jeder ontischen Setzung abgesehen und ›Lebenswelt‹ aktanalytisch interpretiert wird. 88 Daß bereits an diesem Punkt Verständnisprobleme auftauchen können, die nicht leicht zu beheben sind, gesteht Husserl indirekt ein. In der Krisis, Hua VI, S. 142 f., verweist er auf den für die Phänomenologie typischen Umstand, daß das »Kategoriale der Lebenswelt« »die gleichen Namen« habe, wie das der objektiven Wissenschaft. Spricht er z. B. vom ›Ding‹ so meint er, obgleich derselbe Name auftaucht, eben nicht das objektive, reale Ding, sondern die Sinngestalt ›Ding‹. – Im Gegensatz zu Heidegger, der nicht zuletzt, aus diesem Grund eine gänzlich neue, ›formal anzeigende‹ Sprache schafft, läßt sich bei Husserl ab und an, jedoch wiederum nur implizit, eine andere und problematischere Strategie feststellen; diese beruht darauf, von ›Dinglichkeit‹, ›Räumlichkeit‹ etc., also von resubstantivierten Adjektiven, zu sprechen. 89 Vgl. hierzu auch Hua VI, S. 236. 90 Hua VI, S. 142. 91 Vgl. dazu auch Hua VI, S. 208. 92 Hua IV, S. 375. – Zur Interpretation dieser Stelle vgl. oben S. 126ff.

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

die später, etwa in den Ideen II, ausgearbeitet und entfaltet wird. So unterscheidet sich vermittels des ›Einstellens‹ Räumliches von Zeitlichem; Animalisches, Menschliches und Naturales werden voneinander differenziert; und Sachen, Werte, Güter, Gebrauchsobjekte erschließen sich in der ›Umwelt‹ als einer ›praktischen Welt‹. Erschließen aber, und dies zeigt wieder die zweite Seite der Medaille an, läßt sich nur eine immer schon von einem Subjekt her »erschlossene Welt«: »Die Umwelt ist die von der Person in ihren Akten wahrgenommene, erinnerte, denkmäßig gefaßte, nach dem und jenem vermutete oder erschlossene Welt.«93

*

Die Ambiguität innerhalb der Beschreibung der ›natürlichen Einstellung‹ – einmal als Hinweis auf die ›Generalthesis‹ und einmal als Anzeige der aktuellen wie vergangenen subjektiven Strukturierungsleistungen – dokumentiert sich nach 1913 in einem Husserlschen Wortspiel besonderer Art. Benutzt Husserl nicht selten die Ausdrücke ›natürliche Welt‹, ›natürlicher Weltbegriff‹ und ›Umwelt‹ synonym, so ergänzt in der Folge mehr und mehr ein anderes Wortpaar dieses Begriffsfeld, bis es schließlich die ursprünglichen Ausdrücke völlig zu verdecken droht – es handelt sich um die beiden Komposita ›Weltleben‹ und ›Lebenswelt‹. Auch diese beiden Ausdrücke werden von Husserl teilweise synonym gebraucht, zuweilen aber zeigen sie einen Unterschied in der Art der Betrachtung an. So heißt es beispielsweise in den Pariser Vorträgen, daß in den »cogitationes«, das »ganze Weltleben« verlaufe, daß jedoch die Enthaltung »jedes Vollzuges irgendeines Seinsglaubens, der geradehin Welt als seiend nimmt«, den Blick »auf dieses Leben selbst als Bewußtsein von der Welt« öffne, um so schließlich »das reine ego mit dem reinen Strom meiner cogitationes«94 zu gewinnen. An einer anderen Stelle aus dem Jahre 1928 spricht Husserl von dem ›weltlebenden Ich‹, das »als Geltungsfundament für all und jede Erkenntnis« »die universale naturale Erfahrung« habe, während erst nach der Reduktion das »Eigenleben« zum Vorschein komme.95 Schließlich bemerkt Husserl in der Krisis, daß es in »der naiven Einstellung des Weltlebens« »eben nur Weltliches gebe«96; und er spricht auch davon, daß das »leistende Leben« »sich nicht in der Einstellung des natürlichen Weltlebens studieren«97 lasse. ›Weltleben‹ zeigt, so darf man aus diesen Bemerkungen schließen, das Phänomen einer sich ›in Welt‹ als einem Ganzen von Seiendem eingesetzten und damit eingeordneten Subjektivität an; von diesem ›Welt93

Hua IV, S. 185. – Auf Heidegger und dessen Ausdeutung von ›erschließen‹ und ›erschlossen‹ kann hier nur am Rande verwiesen werden, M. Heidegger, Sein und Zeit (1927), 161986, S. 75f. 94 Hua I, S. 8. 95 Hua IX, S. 442f. 96 Hua VI, S. 213. 97 Hua VI, S. 151; vgl. auch Hua XXIX, S. 128.

3. ›Lebenswelt‹ und ›Weltleben‹ – utopische Möglichkeiten

233

leben‹ aus wird – verbleibt man in dem Sprachbild Husserls – auf die intentional strukturierte ›Lebenswelt‹ im Sinne einer »umwertenden Vorzeichenänderung«98 reduziert. Zwar kann man die beiden Ausdrücke in Husserls Phänomenologie nicht auf die sprachphilosophische Waagschale legen,99 doch im Gegensatz zu ›Lebenswelt‹ kommt mit ›Weltleben‹ eine unterschiedliche, für die Phänomenologie bedeutsame Akzentuierung zum Ausdruck, die darüber hinaus auch die Systematik betrifft. ›Weltleben‹ steht für den Befund der ›natürlichen Einstellung‹ als einer ›Stellung‹ im Seienden. ›Lebenswelt‹ hingegen steht für den phänomenologischen Befund des ›natürlichen Einstellens‹ als einer ›lebendigen‹ Strukturierung von immer schon erschlossenen Weltregionen. Mit ›Weltleben‹ und ›Lebenswelt‹ wird demgemäß das Potential der ›natürlichen Einstellung‹ erschlossen und in je unterschiedlicher Perspektive zur Aussprache gebracht – beides aber drückt sich in der doppeldeutigen Struktur des Phänomens der ›Lebenswelt‹ selbst aus.100 Wenn Husserl in der Krisis von der ›Lebenswelt‹ handelt, so meint er nicht nur das ›Weltleben‹, sondern die aktiven personalen Orientierungs- resp. Konstitutionsleistungen. Husserl baut mit anderen Worten direkt auf der 98

Hua III/1, S. 159. Daß kein strenger terminologischer Unterschied zwischen den beiden Ausdrücken besteht, die Differenz sich also nicht eindeutig in der Husserlschen Terminologie niedergeschlagen hat, mag folgende Stelle aus der Krisis belegen; hier nämlich wird ›Lebenswelt‹ synonym mit ›Weltleben‹ benutzt, Hua VI, 175: »Das Erste ist die schlicht gegebene Lebenswelt, und zwar vorerst so, wie sie als ›normale‹, schlicht, bruchlos in purer Seinsgewißheit (also zweifellos) daseiende sich wahrnehmungsmäßig gibt.« – Vgl. außerdem Husserls späten Differenzierungsansatz zwischen der ›Lebenswelt‹ als einer »historischen Entwicklung der Weltvorstellung« und des ›Weltlebens‹ als eines »Interessenlebens«; Hua XXIX, S. 269. Würde man hinzufügen, daß hier von dem »Interessenleben« als einem ›Interesse‹ an Seiendem die Rede ist, während ›Lebenswelt‹ ein intersubjektives, sich zeitlich vollziehendes Generieren von Intentionen vorstellt, so könnte man diese Andeutungen mit der oben vorgenommenen Unterscheidung harmonisieren; doch dafür bleiben die Ausführungen an dieser Stelle zu fragmentarisch. 100 Die hier angedeutete systematische Ambiguität, die das Phänomen der Lebenswelt, schwierig zu fassen, gleichwohl aber erst fruchtbar werden läßt, dokumentiert sich ebenso an anderen Stellen der Husserlschen Phänomenologie – etwa in der Rede vom ›Leibkörper‹. Es bedürfte jedoch einer eigenen Untersuchung, die zweideutige Struktur von ›Lebenswelt‹ und ›Leibkörper‹ genauer zu analysieren. Hingewiesen sei aber am Rande auf eine Charakterisierung des ›Leibkörpers‹, die Husserl unter der Überschrift Eigentümlichkeit der Erscheinungsmannigfaltigkeiten des Leibes in den Ideen II vorstellt: »Derselbe Leib, der mir als Mittel meiner Wahrnehmung dient, steht mir bei der Wahrnehmung seiner selbst im Wege und ist ein merkwürdig unvollkommen konstituiertes Ding« (Hua IV, S. 159). In Analogie zur Lebenswelt könnte man von der ›Eigentümlichkeit der Erscheinungsmannigfaltigkeit der Lebenswelt‹ sprechen und sagen: Dieselbe Lebenswelt, die mir als der Ort meiner Orientierungen dient, steht mir bei der Orientierung über dieselbe selbst im Weg – und auch die Lebenswelt ist ein ›merkwürdig unvollkommen konstituiertes Ding‹. 99

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

Subjektivitätsform auf, die er beispielsweise in den Ideen II erst mühselig als ›Person‹ ans Licht zu bringen versuchte; er stellt sie aber nun direkt, wenn er sie überhaupt nennt, im Vorlauf zu seiner Transzendentalphilosophie dar. Weder beginnt Husserl in der Krisis seine Untersuchungen mit einer streng systematischen Darstellung der ›Generalthesis‹ und einer daran anschließenden und detaillierten Explikation der notwendig erscheinenden ›Reduktion‹, noch schildert er schlicht die objektiven Vorkommnisse in der menschlichen Umwelt. Husserl beginnt – in methodischer Hinsicht – gegenüber seinen früheren Publikationen gleichsam in einer Mitte, die, will man sie an den Werken festmachen, zwischen den theoretischen Untersuchungen der Ideen I und der Applikation der Methode in den Ideen II zu suchen ist. Er beschreibt die aktiven Welteinstellungen, wie sie sich in einer personalen Praxis generieren – in der Praxis der Geschichtlichkeit, in der Praxis des ›Miteinander-Lebens‹, des Handelns und Sprechens, aber auch in der Praxis der Wissenschaften, der Natur- und Geisteswissenschaften. In diesen Formen des aktiven Tuns ist es das personale Subjekt, an dem die Leistungen des ›transzendentalen Ichs‹ in statu nascendi zum Ausdruck kommen; es ist ein ›Ichleben‹, das die Praxis sozusagen in Gang hält, das statische Gebilde ›Welt‹ zu einer ›Lebenswelt‹ hin aufbricht und das dynamische ›welten‹ austrägt. Wenn Husserl dementsprechend den ›notwendigen Rückgang auf die Lebenswelt‹ empfiehlt, so meint er damit nicht einen Rückgang auf einen vorwissenschaftlichen ›Zustand‹, er meint damit stets den notwendigen Rückgang auf eine Subjektivität, die bereits in der ›natürlichen Einstellung‹ als eine aktive vorstellig wird, die sich als solche stets neu orientiert und sich in diesem Tun auf ihren Leistungspol zentrieren kann.101 Die Vorrangstellung der ›Lebenswelt‹ gegenüber den objektiven Wissenschaften liegt in diesem Sinne weniger darin begründet, daß hier ›eine Welt‹ zum Problem wird, die durch besonders anmutungungshafte Gehalte gekennzeichnet ist, die Auszeichnung ist vielmehr darin zu suchen, daß bereits in der ›natürlichen Einstellung‹ als einer ›Lebenswelt‹ die Person als Statthalter der leistenden, transzendentalen Subjektivität auftritt.102 Und so kann Husserl zum einen von

101

Aus diesem Grund auch ist es mißverständlich wenn darauf verwiesen wird, die ›Lebenswelt‹ in der Krisis sei nichts anderes als die ›natürliche Einstellung‹ in den Ideen I. Ganz falsch ist diese These nicht; sie ist jedoch auch nicht ganz richtig, wenn man den Aufbau der Werke in Rechnung stellt. Nutzt Husserl die Analyse der ›natürlichen Einstellung‹ in den Ideen I in erster Linie dazu, ein Eingestellt-sein aufzuweisen, um dieses dann aufzubrechen; so dokumentiert die ›Lebenswelt‹ ein sich stets vollziehendes Einstellen, das sich immer wieder in Einstellungen niederschlägt. In den Ideen I simuliert sozusagen das ›transzendentale Ich‹ direkt die ›natürliche Einstellung‹; in der Krisis zeigt Husserl, daß die Personalität sich dadurch auszeichnet, daß durch sie die ›natürliche Einstellung‹ immer wieder neu simuliert werden kann. 102 Es soll hier natürlich nicht geleugnet werden, daß Husserl beispielsweise in seinen

3. ›Lebenswelt‹ und ›Weltleben‹ – utopische Möglichkeiten

235

dem »sich personal sozusagen deklinierenden Ich«103 sprechen, was für ihn umgekehrt aber auch immer bedeutet, die sich ›ichlich deklinierende Person‹ zur Aussprache ihrer Leistungen und damit zu ihrer Vernunft zu bringen. Das einschlägige Schlagwort der ›Subjektivierung von Welt‹ verfehlt u. a. aus diesem Grund die Absichten Husserls. Mittels der ›Lebenswelt‹ wird in der Phänomenologie nicht etwas subjektiviert, wie ebenfalls nichts objektiviert wird. All diese Kategorien scheinen das Phänomen zu verkürzen. Husserl positioniert deshalb seine Untersuchungen von vornherein in einem Zwischenreich, von dem aus Objektivität und Subjektivität, als Objektivierungen resp. Subjektivierungen erst verständlich werden können. Wenngleich dieses Zwischenreich der rein transzendentalphänomenologischen Dimension nach ohne letzten Träger ›in der Welt‹ bleibt, da es keinen Zustand, sondern einen Prozeß anzeigt, so dokumentiert es sich doch in einem ausgezeichneten Sinne an der Person und ihren praktischen Verhaltungen in einer Umwelt.104 Diese ist es, die sich fortwährend in ihrem Tun eine praktische Welt erschließt, und sich ebenso auf ihren ›Ichpol‹ zu zentrieren vermag. Die Person ist es, in der sich die Subjektivität als Wirklichkeit topisch artikuliert, während von der Person aus die Subjektivität als eine leistende in einem utopischen Sinne, jenseits der Welteinstellungen zugänglich wird. Wenn überhaupt im Kontext der ›Lebenswelt‹ von einer ›Subjektivierung von Welt‹ gesprochen werden kann, so ist dieses Schlagwort – zumindest in Husserls Fall – zu ergänzen durch eine sich ebenfalls vermittels der ›Lebenswelt‹ andeutende und wiederum richtig zu verstehende ›Entsubjektivierung von Welt‹. Die ›Lebenswelt‹ als ein Phänomen steht bei Husserl nicht bloß für einen notwendigen Bezug der ›Umwelt‹ zur Person, ›lebensweltlich‹ kommt immer auch der notwendige Entzug des Subjekts aus dogmatischen (Welt-)Einstellungen zur Aussprache. »Und in der Tat«, so Husserl dann auch gegen Ende der Krisis, »ist dies im Sinne unserer ganzen Darstellung der Hauptpunkt, dessen man sich erst ganz versichern muß, um überhaupt anfangen zu können. Erst durch die universale Epoché sieht man als ein eigenes thematisches Feld, was reines Ichleben eigentlich ist: als ein intentionales Leben, in dessen Intentionalität Affiziertsein von den in diesem intentionalen Leben erscheinend geltenden intentionalen Gegenständen, auf sie in mannigfachen Weisen Gerichtetsein, mit ihnen Beschäftigtsein. Alle ›Womit‹ dieser besonders wertvollen Wahrnehmungsanalysen der ›außerwissenschaftlichen Einstellung‹ andere Strukturen aufdecken kann als diejenigen, die in der wissenschaftlichen Einstellung zum Vorschein kommen. Dies aber kann nicht eine besondere Auszeichnung begründen, ansonsten würde Husserl einen naiven Reduktionismus vorstellen. Das Charakteristische und Auszeichnende der ›Lebenswelt‹ ist demgegenüber nicht eine Einstellung mit ihren spezifischen Gehalten, sondern der notwendige Einstellungswandel. 103 Hua VI, S. 417. 104 Vgl. z. B. Hua XV, S. 63f.

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IV. Husserls Phänomenologie der Welt als utopische Topographie

Beschäftigung gehören zur reinen Immanenz und müssen in ihren rein subjektiven Modis deskriptiv erfaßt werden, in ihren Implikationen mit allen darin liegenden intentionalen Mittelbarkeiten.«105 Nur durch den Rückgang auf das ›intentionale Leben‹ können die utopischen Leistungen an einem Subjektpol, dem es in diesem Leben um ›Welt‹ als einem Thema überhaupt erst geht, studiert werden. Das transzendentalphilosophische Geschäft der Phänomenologie als einer strengen Wissenschaft der Subjektivität in Funktionen wird damit nicht etwa verworfen, es ist allerdings auf eine andere Art und Weise zugänglich geworden.

*

Letztendlich, und dies dokumentieren sowohl die Ideen zu einer reinen Phänomenologie, die Untersuchungen in den 20er Jahren als auch die Analysen der Krisis, lassen sich Husserls Überlegungen nur in einseitiger Verkürzung mit den geläufigen Schlagworten fassen. Husserl betreibt weder eine ›Weltvernichtung‹; noch geht es ihm um eine ›Subjektivierung von Welt‹ oder gar um die Explikation eines mundanen Heilsversprechens. Im Gegensatz dazu lichtet er das Weltgerede, wie es im Übergang zum 20. Jahrhundert populär wurde, stellt ›Welt‹ als Anspruch subjektiver Leistungen dar, um so schließlich einen natürlichen Weltbegriff zu restituieren und der verlorengegangenen Frage nach der ›Welt‹ überhaupt wieder einen sicheren Platz in der Philosophie zu sichern – als ein Thema, welches das funktionale Subjekt um seiner selbst willen betrifft.

105

Hua VI, S. 248.

V. RÜCKBLICK

»Wieviel Verrücktheit ist verträglich mit der Existenz der Welt?«1 – Husserls Frage aus dem Jahre 1921, die sich in dieser Form auf die asymmetrischen Korrelationen von menschlichen resp. ›animalischen‹ Konstitutionsleistungen gegenüber einem absoluten Seinsanspruch von ›Welt‹ beschränkt, kann jedoch auch in einer freien Variation und auf dem Fundament der Geschichte des Ausdrucks im Sinne einer kulturphilosophischen und wissenschaftskritischen Fragestellung interpretiert werden. Denn Husserls Denken entwickelt sich im Übergang zum 20. Jahrhundert in einem historischen Horizont, worin das Reden von ›Welt‹, z. T. auch das philosophische, in einem Weltgerede unterzugehen drohte, ›Welt‹ als Schlagwort gleichsam in und neben den positiven Wissenschaften explodierte und der Terminus hinsichtlich seiner philosophischen Semantik nur noch schwer zu fassen war. Daß Nietzsches Schlagwort der ›Kosmodicee‹ im 19. Jahrhundert möglich werden konnte, kann als Beleg herangezogen werden und muß unter diesen Umständen nicht weiter verwundern. Eine ›Kosmodicee‹ angesichts der unterschiedlichsten wissenschaftlichen und kulturellen Ansprüche, ›Welt‹ erklären zu wollen, bietet auch Husserl – freilich eine philosophische Rechtfertigung im Sinnes der Restitution eines natürlichen Weltbegriffs und als Aufgabenstellung einer Subjektivität, der es in ihrem Einstellen in Welt um ›Welt‹ als ein Thema ihrer selbst geht.

*

In diesem historischen Umfeld stellen Husserls phänomenologische Bemühungen um ›Welt‹ – versucht man sie als ein Ganzes zu begreifen – ein Unterfangen dar, das mit Schlagworten nur unzureichend begriffen werden kann. Husserls Philosophieren bezweckt nicht, die Herrschaft eines spekulativ-transzendentalen ›Ichs‹ zu postulieren; ›Welt‹ wird ebensowenig von einem Bewußtsein verschlungen, wie die späteren Analysen zur ›Lebenswelt‹ auch kein Heilsversprechen bieten wollen. Husserls Philosophieren bezüglich ›Welt‹ hat es weniger mit ›der Welt‹ in einem isolierten – und dies heißt auch immer: reduzierten – Sinne zu tun, noch wird hier ein traditioneller Weltbegriff der Philosophie bloß variiert. Nicht umsonst beharrt Husserl immer wieder darauf, seine Einsichten im Sinne einer ›bloßen‹ Methode vorzu1

Hua XIV, S. 124; vgl. ebenso das Fragment Verrücktwerden und Tod als Aufhören der Konstitution einer gemeinsamen Welt, Hua XIII, S. 398.

238

V. Rückblick

stellen; als solche kann auch sein Philosophieren hinsichtlich ›Welt‹ verständlich werden. Im Stile einer ›utopischen Topographie des Weltlichen‹ geht es ihm darum, die versteckten Dogmatismen, die mit ›Welt‹ verbunden werden, als verborgene Ansprüche aufzuweisen und ›Welt‹ auf diese hin abzumessen. Die ›Weltansprüche‹ schreitet Husserl topographisch ab, indem er die bislang noch stummen Strukturen jenseits der klassischen Kategorien von ›Subjekt‹ und ›Objekt‹ zur Aussprache ihres eigenen Sinnes zu bringen versucht. Positivistische oder auch naturalistische Versuche, ›Welt‹ als ein wie auch immer geartetes Konglomerat von bloß Seiendem zu deuten, werden in ihrem Anspruch beschränkt und im Rahmen der ›weltvermögenden‹ Leistungen einer dann als Person fungierenden Subjektivität neu diskutiert. In diesem Rahmen und gegenüber hypertropher Wissenschaftsansprüche kann Husserl u. a. ›Welt‹ als ›Horizont‹ eines intentionalen Geschehens aufweisen, die Einzigkeit von ›Welt‹ als Einheit der ›Welterfahrung‹ ihrem subjektiven und intersubjektiven ›Erfahrungsstil‹ nach fassen und in einem historischen ›Bewährungsprozeß‹ situieren. Methodisch ist es das Aufbrechen des finiten ›Welt-seienden‹ hin auf das infinite, dynamische ›welten‹ als eines intentionalen Geschehens, das Husserl vorstellt und analysiert. Jenseits der geschlossenen Kategorien des Seienden werden im ›welten‹ die offenen Sinnkategorien zur Darstellung gebracht, wie sie sich in der Intentionalität generieren, durch das Bewußtsein zugänglich werden und wiederum als Wirklichkeitsansprüche ausdrücken. Doch die Methode führt zur Sache. Daß Husserl keine ›Weltanschauung‹ oder gar eine ›Weltanschauungslehre‹ präsentiert, ist evident. Verbietet diese, ›Welt‹ überhaupt zu einem eigenständigen ›Thema‹ werden zu lassen, so besteht Husserl darauf, ›Welt‹ als ›Thema‹ allererst wieder zugänglich zu machen und den Sachverhalt in einem recht verstandenen Sinne in einer Korrelationsstruktur vorzustellen. Daß dieses Verfahren nicht im Stile einer deskriptiven Soziologie oder einer bloß beschreibenden Psychologie vorgetragen, sondern aus der Perspektive einer utopischen Topographie verständlich gemacht wird, deutet auf ein Faktum besonderer Art, auf das Husserl aufmerksam macht und das sich u. a. in der sogenannten ›Paradoxie der Subjektivität‹, aber auch im Befund der Intentionalität selbst artikuliert. Der Mensch ist dadurch ausgezeichnet, als Objekt ›in der Welt‹ als einem Ganzen von Seiendem zu stehen bzw. sich darin einzuordnen und zugleich als ein Subjekt zu fungieren, für das ›Welt‹ erst ein Thema werden kann. Dieser Doppelstellung des Menschen wird Husserls zweiwertiges Philosophieren gerecht, indem vermittels der simulierenden Beschreibung der subjektiven ›Welteinordnung‹ in ein Ganzes von Seiendem, die Konstitutionsleistungen als regionale Strukturierungen zum Aufweis gebracht werden. Diese lassen sich nicht auf eine bloße Seinssetzung reduzieren, sondern zeigen zugleich eine regionale Konstitution und Rekonstitution von Weltlichem an, denen un-

V. Rückblick

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terschiedliche Einstellungen entsprechen. Als utopische, nicht letztgültig in Einstellungen fixierte Subjektivität kommen die Leistungen zur Sprache, durch welche ›Welt‹ überhaupt erst ein Thema werden kann. Doch auch hier zeigt sich, daß die Untersuchungen nicht in einer Spekulation enden. Die transzendentale Subjektivität ist keine leerlaufende philosophische Konstruktion; sie wird von Husserl als ›in Funktion stehende‹, ›lebendige‹ beschrieben, und in der Personalität des Menschen zum Aufweis gebracht. Husserls Methode gründet also nicht in einem Jenseits, sondern in der Wirklichkeit selbst – in der ›Lebenswelt‹ der personalen Praxis als der ›Lebenswelt‹ einer Subjektivität, die ›Welt‹ als ihr eigenes Thema begreift.

* Daß die Darstellung der Husserlschen Überlegungen im Stile einer ›utopischen Topographie des Weltlichen‹ zu einem fruchtbaren Fundament werden kann, andere, neben und nach Husserl entstandene Konzeptionen mit derselben produktiv zu konfrontieren, scheint möglich und nötig. Abgesehen von den Überlegungen Heideggers, die unter dieser Perspektive noch einmal diskutiert werden können, ist ebenso auf Schelers ›Weltoffenheit‹ bzw. MerleauPontys ›être-au-monde‹ als zwar eigenständige, jedoch durchaus motivierte Ausformulierungen der Husserlschen Phänomenologie zu verweisen. Doch darüber hinaus eröffnet der Ansatz, Husserls Phänomenologie als eine ›utopische Topographie des Weltlichen‹ zu deuten, nicht nur die Möglichkeit, bei der Phänomenologie stehen zu bleiben, er bietet zugleich die Chance, weitere Ansätze – z. B. anthropologische und kulturphilosophische – mit der Phänomenologie in eine systematische Diskussion zu bringen. Hingewiesen sei an dieser Stelle nur auf Helmuth Plessner und seine Thesen zur ›exzentrischen Positionalität‹ und zum ›utopischen Standort‹. Doch all dies kann an dieser Stelle nur eine Andeutung bleiben, der eigens nachzugehen ist.

* Denn daß überhaupt Husserls Philosophieren mit Blick auf ›Welt‹ zu einem Verständnis gebracht werden kann, setzt auch die historische Genese und Applikation von ›Welt‹ in der Geschichte der Philosophie und der Wissenschaften voraus. Bereits die Mühen, mit denen der deutsche Ausdruck ›Welt‹ in die Philosophie überhaupt erst eingeführt werden konnte – zu erinnern ist an die Synchronisierung unterschiedlicher Interessen und Vorstellungen von ›Welt‹ in dem philosophischen Konzept als einem Wesensbegriff der neu zu erfindenden Cosmologia generalis –, machen deutlich, auf welch verschlungenen Pfaden sich die Frage nach der Welt in der Geschichte entwickelt. So wird etwa die Sicherung des philosophischen ›Weltbegriffs‹ im 18. Jahrhundert im Sinne eines ›Wissens von Welt‹ von der ›Philosophie dem Weltbegriffe nach‹ als einer ›Weltkenntnis‹ eigenen und grundlegenden Typs begleitet. Und der

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V. Rückblick

Blick auf die Kritik der reinen Vernunft und die dort zu findende Neujustierung der Wolffschen Weltdefinition als Idee und Aufgabe bleibt vorläufig, wenn nicht die Kantische Anthropologie und Geographie zum Thema werden. Denn insbesondere die nachkantische Entwicklung belegt, wie innerhalb der Sphäre der ›Weltkenntnis‹ ›Weltbegriffe‹ unterschiedlichster Art generiert werden. Daß ›der Weltbegriff‹ derart im 19. Jahrhundert schließlich eine eigene und neue Dynamik entwickelt, zeigt sich nicht nur daran, daß nunmehr, etwa bei Alexander v. Humboldt, wieder auf klassische, zwischenzeitlich verlorengegangene Konzepte zurückgegriffen wird, sondern auch an dem Phänomen, das vermittels der ›Verweltlichung ohne ›Welt‹‹ angezeigt wurde. Auf der Oberfläche der wissenschaftlichen und kulturellen Forschungen, innerhalb der ›weltkenntlichen Untersuchungen‹ von Geographie, Biologie oder Geschichtswissenschaft kommt es zu einer Explosion des Ausdrucks, ohne daß aber klar werden könnte, welche Bedeutung ›Welt‹ eigentlich noch zuzuschreiben ist. Auch die dargelegte Geschichte des Ausdrucks ›Lebenswelt‹, aber auch die Ausweitung der Bedeutung von ›Weltanschauung‹ belegen dieses Phänomen. Ohne Seitenblicke auf diejenigen Disziplinen, die sich im Anschluß an das 18. Jahrhundert auf den Weg gemacht haben, positive Wissenschaften zu werden – zu erinnern ist hier an die Biologie und die Geographie –, bleibt es unverständlich, welche Dynamik der Weltbegriff im 19. Jahrhundert entfalten konnte.2 Schließlich erscheinen unter diesem Gesichtspunkt auch Rückgriffe auf die Antike als sinnvoll und für weitere Untersuchungen fruchtbar. Diese dürfen jedoch nicht bei einem klaren und sinnfälligen kÒ smoj Halt machen; es ist vielmehr das ursprünglichere, jedoch verdeckte Phänomen des kosme‹n als eines intentional verfaßten Ein-, Zu- und Herrichtens wieder zu einem neuen Verständnis bringen. Denn hier können die Strukturen zur Darstellung gebracht werden, die auch Husserl in seiner Phänomenologie aufzuweisen versuchte und die das Phänomen eines natürlichen Weltbegriffs betreffen.

2

Auch hier kann etwa auf Plessner verwiesen werden, der eingedenk dieses Umstands dem einen klassischen Weltbegriff der Philosophie mit Skepsis begegnet; H. Plessner, Die Frage nach der Conditio humana (1961), 1983, S. 161f.

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SACHREGISTER

Register deutscher Begriffe Alltagswelt 149, 193 Anthropologie 21, 24, 32 f. 33, 56–62, 64, 85, 229, 239 Bedeutung 30, 41, 49, 77, 87, 131, 144, 148, 150, 151, 171, 184, 194, 221, 227 Bewährung 67, 171, 172, 194, 203, 205, 238 Bewußtsein 3, 115, 135, 155, 195, 202, 213, 220, 221, 223, 226, 238 Biologie 24, 26, 65, 68, 78, 106–109 Daseinswelt 111, 112 Ding 43, 55, 184, 188, 198 Ego s. Ich Eidos 5, 46, 182 Eigenwelt 111 Einstellung 84, 115, 143, 147, 150, 153, 154, 165 f., 180, 186, 191, 203, 205, 206, 210, 215, 217, 230 Einstellung, naturalistische 150, 175, 191f. Einstellung, natürliche 121, 122, 150, 172–183, 175, 187 f., 194 f., 196, 202, 208f., 215f., 220, 232 Einstellung, personale 175 Einstellung, transzendentale 188 Empiriographie 183–194, 195, 202, 203 Empiriohistographie 196ff. Epoché s. Reduktion Erde 20, 27, 29, 34, 58, 76, 85, 89, 92, 97, 99, 104, 107, 173 Fremdwelt 149 Funktion 147, 148, 172, 220–226, 229

Generalthesis 122, 180, 216, 218, 232, 234 Geographie 21, 24, 26, 33, 34, 56–62, 65, 68, 78, 80–85, 106–108 Geschichte 20, 26, 61, 65, 68, 74, 110f., 114, 142, 148, 152, 159, 162, 196f., 199, 201, 208, 234, 237 Heimwelt 149, 188, 193, 203, 230 Horizont 5, 20, 135, 170, 171, 174, 183ff., 187ff., 195, 197, 198, 200, 203, 205, 238 Ich 3, 5, 22, 78, 88, 119, 120f., 153, 54, 161, 170, 175, 180, 197, 218, 219, 220–226, 234, 237 Ideal 54, 134 Idee 21, 50, 51, 54, 65, 240 Idee, kosmologische 20, 51 In-der-Welt-sein 1, 6, 88 Intentionalität 2–6, 67, 112, 113, 122, 125ff., 143, 144, 148, 151, 160, 162f., 166, 170, 175, 182, 184, 187, 189, 194, 200, 205, 208, 226, 231, 235f., 238 Intersubjektivität 152, 160, 171, 172, 191f., 197, 200, 205, 230 Introjektion 118ff. Konstitution 135, 144, 147, 162, 195, 208, 215, 217, 227, 237 Kosmodizee 9f., 78, 237 Kosmogonie 3, 157 Kosmographie 38, 45, 102 Kosmologie 23, 27f., 38, 40, 44, 46, 54, 129, 146 Kosmopolit 38 Kosmos 5, 8, 9, 13, 19, 27f., 30, 37, 38, 77, 80–85, 86, 89ff., 146

268

Sachregister

Kosmosophie 73 Kosmotheologie 38 Kosmotheorie 38, 128 f. Kultur 131, 136, 138 f., 144, 145 f., 147, 187, 196, 199, 203, 208, 229, 230, 237, 239 Leben 11, 61, 66, 95–113, 120, 122, 160, 175 f., 190, 218, 223 f., 226, 229 Lebensumwelt 66 Lebenswelt 1f., 4, 13, 14, 18f., 30, 66, 67–70, 92–113, 122, 126 ff., 146, 147, 149, 150, 156, 158–163, 164, 167, 171, 172, 176, 186, 188, 190, 193, 195, 203, 218, 226–237, 239, 240 Lebenwelt 92, 96, 104 Lebewelt 92, 96, 104, 105, 106, 107f., 110, 111 Leib 49, 66, 162, 171, 180, 191f., 205, 232 Leistung 4, 148, 150, 151, 183, 197, 206 Leitfaden 70, 79, 194 f., 196 f. Makrokosmos 86, 98 Materialismus 76, 86, 109, 137 Medium 16, 18, 82, 84, 86, 89f., 218 Metapher 12f., 15, 16–19, 27, 93 Metaphysik 17f., 23, 24, 28, 32, 33, 48, 55, 64, 65, 68, 128 f., 144, 146 Mikrokosmos 77, 80, 86ff., 98, 102 Monismus 11, 72, 75, 76, 77, 90, 105, 109, 110, 134, 136f., 140, 231 Natur 21, 26, 40, 53 ff., 57, 65, 81, 83, 114, 147, 159, 173, 175, 181, 188f., 190ff., 208, 230 Normalität 170 f., 205 Ontologie 44, 47, 50, 55, 129, 161, 190 Orientierung 41, 56, 62, 66, 68, 71, 77, 85, 87 ff., 89, 135, 138 f., 147, 185, 188f., 190, 195, 203, 204, 210, 233 Paradoxie der Subjektivität 183

127, 177,

Person 3, 160, 190, 191ff., 197, 211, 227, 232, 234f., 239 Prinzipialkoordination 119, 176, 179, 181, 184 Reduktion 148, 153, 155, 177, 183, 208, 211–220, 224, 234 Reduktion, 148, 149, 153, 155, 177, 183, 208, 211–220, 224, 234 Reihe 41ff., 43, 51ff., 56, 68, 132, 134, 135, 168 Saeculum 24ff. Säkularisierung 24ff., 26, 74ff. Sinn s. Bedeutung Subjekt, Subjektivität 14, 50, 67, 77ff., 89, 113, 115, 118, 122–128, 147f., 150, 151, 154, 155, 167, 172, 174f., 181, 183, 186, 189, 193, 195, 196, 201, 204, 208, 210, 211, 213, 216, 231 Symbol 15, 16, 18, 19, 83 Synthese 3, 7, 51f., 69 Thema 2, 7, 9, 13, 30, 144, 147f., 154, 163, 164f., 183, 185, 204, 207, 210, 219, 221, 222, 226, 236, 237, 238 Theodizee 41f. Theosophie 73 Topographie 146, 153, 154, 166, 204, 206, 207 Topographie, utopische 7, 13, 154, 163, 167, 207, 210, 226–237, 238, 239 Umwelt 2, 4, 69, 84, 99, 106f., 149, 150, 176, 188f., 192f., 203, 208, 211, 218, 227, 230, 232 Universum 34, 38, 39, 42, 43, 49, 66 72, 82, 90, 97, 107, 121, 135, 209, 214 Verweltlichung 2, 30, 70, 74ff., 79, 97, 131, 174, 240 Wahrheit 41, 50, 68, 169ff., 178, 197, 202, 230 Walten 82, 83, 90, 98, 224 Welt, natürliche 30, 70, 72, 122, 126, 146, 174, 231

Sachregister Weltall 27, 29, 38, 80, 213, 222 Weltanschauung 8f., 13, 23, 30, 70, 71 f., 75, 81, 83, 89, 128–144, 146, 168, 238, 240 Weltaspekt 168 Weltbegriff, natürlicher 7, 13, 80, 93, 114–128, 129, 131, 144, 173 f., 180, 196, 203 Weltbeschauung 45 Weltbeschreibung 22, 45, 81 f. Weltbetrachtung 45, 133, 167, 178 Welteinordnung 175, 207, 216 Welten, die 6, 102, 120, 168, 185, 186, 189, 203, 204 ›welten‹ 3, 7, 27–32, 68, 72, 89, 147, 150, 151, 166, 209, 211–220, 222, 224, 226, 230, 234, 238 Weltentsagung 149, 212 Weltgebäude 38, 98 Weltglaube 214f. Welthingabe 175 Weltidee 56

269

Weltigung 149, 198 Weltkenntnis 13, 32–36, 56–65, 68, 69, 70, 77, 79, 85, 87, 97, 131, 138, 144, 146, 239 Weltkind 182f., 219 Weltleben 182, 226–237 Weltoffenheit 1, 6, 149, 239 Weltsinn 74 Weltstellung 26, 28, 73, 85, 140 Welttatsache 73 Weltverlorenheit 175 Weltvernichtung 149, 212, 221 Weltweisheit 59, 137 Weltwissenschaft 45, 74, 121, 127, 179 Weltzeitigung 149 Weltzielung 149, 198 Wesen 35, 41, 47, 48f., 56, 156f., 228 Zur-Welt-sein (être-au-monde) 239

1, 6,

Register lateinischer und griechischer Begriffe Aetates mundi ákþí 25

24f.

Cosmologia experimentalis 46 f. Cosmologia generalis 8, 13, 35, 36–50, 79, 146, 153, 239 Cosmologia rationalis 45, 47 Cosmologia transcendentalis 34, 35, 36, 39, 44–48, 50, 68 Cosmologia universalis 45 êüóìïò 240

20ff., 25, 33 f., 37, 38, 78, 90,

êïóìåsí

21, 90, 240

Metaphysica generalis 77, 129 Metaphysica specialis 20, 24, 26, 36, 44, 47, 77, 79, 129 Mundus 33f., 37, 38, 39, 42 Mundus adspectabilis 47, 51 Mundus intelligibilis 11, 47 Mundus sensibilis 11, 47 Mundus visibilis 132, 138, 144 Notiones directrices

44, 46, 54

PERSONENREGISTER

Adelung, Johann Christoph 25, 34 Adickes, Erich 58, 113 Aguirre, Antonio F. 158 Apel, Max 140 Arndt, Hans Werner 46 Arndt, Andreas 75 Arrhenius, Svante 76 Aso, Ken 38 Avenarius, Richard 78, 93, 94, 114–128, 130, 144, 175 ff., 179ff., 231

Candidus, L. 28f. Carr, David 161f. Carus, Julius Victor 102 Cassirer, Ernst 83, 84, 91, 224 Charpa, Ulrich 91 Cheung, Chan-Fai 158 Claesges, Ulrich 127, 162 Cohn, Jonas 134 Comte, Auguste 74 Curtius, Ernst Robert 17

Bacmeister, Arno 106 Baer, Karl Ernst v. 103 Bärthlein, Karl 44 Baumann, Julius 77, 87 ff., 140 Baumeister, Friedrich Christian 42 Baumgarten, Alexander Gottlieb 36, 39, 43, 45, 46, 59 Becker, Oskar 5 Benediek, Johannes 43 Berger, Peter L. 158 Bermes, Christian 4, 10, 19, 92, 104, 163 Bernet, Rudolf 148 Beyer, Wilhelm Raimund 71 Biedermann, Gustav 85 Bissinger, Anton 46 Blumenberg, Hans 12, 16–19, 26, 27, 80, 93, 160 Böhler, Dietrich 17 Böhr, Christoph 50, 58 Brand, Gerd 156, 158 Brasch, Moritz 89f. Büchner, Ludwig 76 f., 105 f. Buck, Carl Darling 27 Bülfinger, Georg Bernhard 42 Bürgel, Bruno H. 29 Burkhart, Rolf 24

Darwin, Charles 76, 90, 96, 98, 103ff., 113 Descartes, René 5, 8, 20, 22, 155, 177 Diener, Karl 95 Diller, Hans 21 Dilthey, Wilhelm 75, 94, 109, 136f., 138, 141ff. Dingler, Hugo 116 Dornseiff, Franz 8 Drews, Arthur 75 Driesch, Hans 28f., 116, 137 Dühring, Eugen 76f., 140 Düsing, Klaus 65f.

Campe, Joachim Heinrich

25, 34, 38

Eberhardt, Paul Karl 106 Eberstein, Moritz Lebrecht v. 80 Eckhardt, Karl August 25 École, Jean 44 Edelmann, Johann Christian 48 Ehrenberg, Christian Gottfried 92, 95, 96, 97–103, 112 Engel, Johann Jakob 50, 57, 68 Engelhardt, Viktor 140f. Eucken, Rudolf 28f., 94, 111ff., 113, 141, 227 Fechner, Gustav Theodor 73f. Fellmann, Ferdinand 94, 111, 158 Fichte, Immanuel Hermann 72f.

272

Personenregister

Fichte, Johann Gottlieb 22 Fink, Eugen 1, 3, 6, 30, 32, 35, 55, 70 f., 157 f., 164f., 195, 217 Fischer, Engelbert Lorenz 140 Francé, Raoul H. 29, 106, 123 Freedman, Joseph S. 44 Freyer, Hans 94 Friederichs, Karl 106 Fries, Jakob Friedrich 91 Frischeisen-Köhler, Max 116, 129, 137 Frobesius, Carl Gunther 45 Funke, Gerhard 154 f., 159, 207 Gadamer, Hans-Georg 158, 159 Gedan, Paul 58 Gehlen, Arnold 64 Geiger, Paul E. 24 Gent, Werner 132 Gethmann, Carl Friedrich 159 Goethe, Johann Wolfgang v. 207 Gomperz, Heinrich 128ff. Gottsched, Johann Christoph 39f., 42 f., 44, 45 Götze, Alfred 131f., 134, 136 Gramzow, Otto 141 Grimm, Jacob 14, 27, 82, 95, 133 Grimm, Wilhelm 14, 82, 95, 133 Groethuysen, Bernhard 23 f., 144 Gurwitsch, Aron 158 Guthke, Karl S. 17, 24 Haebler, Claus 21, Haeckel, Ernst 75, 76, 90, 98, 99f., 102ff., 109, 111, 112f., 137, 140, 141 Hart, Julius 12, 76, 140 Hebbel, Friedrich 132 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 22, 36, 70, 71, 74, 85, 87, 99, 128 Heidegger, Martin 1, 2 f., 6, 18 f., 20, 21, 22, 27–32, 33 ff., 61f., 68 f., 114f., 125, 132, 140, 175, 181, 190, 197, 217, 218f., 227, 231, 232, 239 Heimsoeth, Heinz 23 Heine, Heinrich 95 f., 97 Held, Klaus 156 f., 158, 159f., 162, 167, 220 Hellmund, Heinrich 28f., 138

Heraklit 21 Herder, Johann Gottfried 22, 86 Herrmann, Friedrich-Wilhelm v. 1, 156 Herz, Marcus 43, 57f., 58 Hesse, Richard 84, 108 Hinske, Norbert 37, 44f., 59 Hofmannsthal, Hugo v. 94 Hoheisel, Karl 81 Hohl, Hubert 94 Holzapfel, Rudolf Maria 28f. Holzhey, Helmut 50 Hommel, Hildebrecht 86 Hönigswald, Richard 157 Hörbiger, Hanns 106 Hübener, Wolfgang 41 Humboldt, Alexander v. 8, 19, 22, 37f., 77, 80–85, 86, 87, 89, 90, 132, 146, 240 Humboldt, Wilhelm v. 84 Hume, David 151 Husserl, Edmund 1–7, 12, 13f., 18f., 20, 21f., 22, 66–70, 71, 87, 89, 93–97, 112ff., 115, 121, 124–128, 140–144, 145–236, 237ff. Jaspers, Karl 138 Joël, Karl 28f., 74f., 109ff., 112, 139, 227 Kanitscheider, Bernulf 27f. Kant, Immanuel 8, 11, 13, 16, 21, 22, 32–36, 39, 43, 50, 51–65, 66–70, 71, 79, 81, 83, 94, 96, 98, 102, 107, 132f., 135, 146, 151, 151, 155, 194, 240 Kapp, Ernst 85 Kawamura, Katsutoshi 47 Kerckhoven, Guy van 126 Kern, Berthold 28f. Kern, Iso 166 Kerschensteiner, Jula 21 Kerz, Joachim Philipp 156, 159 Kessler, Herbert 155 Keyserling, Graf Hermann 110 Klages, Ludwig 29 Klemperer, Viktor 8f. Köchy, Kristian 70

Personenregister Koelsch, Adolf 106 Kohlmeyer, Ernst 46 Köppel, Marius 157 Koppelmann, Wilhelm 140 Koyré, Alexandre 17 Krafft, Fritz 27 Kraft, Julius 160f. Kraft, Viktor 28f., 141 Kranz, Walther 21, 37, 38, 86 Kurosaki, Masao 38 Lambert, Johann Heinrich 45 Landgrebe, Ludwig 70, 94, 156 ff., 162, 167, 193 Lange, Joachim 42, 47 Lasker, Emanuel 28f. Lee, Jong-Kwan 157 Leeuwenhoek, Antoni van 98 Leibniz, Gottfried Wilhelm 41 f. Leisegang, Hans 139 Lembeck, Karl-Heinz 155, 161, 198 Linné, Carl v. 96, 102 Lippitz, Wilfried 158 Loewenberg, Julius 80 Löwith, Karl 12, 20–26, 27, 94 Lotze, Rudolf Hermann 77, 84, 85 ff., 89 Lübbe, Hermann 12, 75 Luckmann, Thomas 158 Ludovici, Carl Gunther 38, 45 Luther, Martin 25 Mach, Ernst 93, 125 Mainländer, Philipp 11 f., 12 Marx, Karl 22, 75 Marx, Werner 156 Mauthner, Fritz 8f. Meier, Georg Friedrich 40f., 43, 46 Meissner, Heinrich Adam 42 Menzer, Paul 23, 134, 135, 139 Merleau-Ponty, Maurice 1, 2, 6, 31, 127, 163, 201, 212, 239 Mies, Thomas 134 Misch, Georg 116, 137 Müller-Freienfels, Richard 144 Münster, Sebastian 45

273

Natorp, Paul 137, 224 Nietzsche, Friedrich 9–11, 20, 22, 30, 78, 237 Ogawa, Tadashi 158 Orth, Ernst Wolfgang 9, 29f., 67, 69, 86, 89, 94f., 113, 131, 134, 139, 142, 156, 158, 163f., 202, 212, 218, 223 Österreich, Traugott Konstantin 110 Otabe, Tanehisa 38 Otto, Georg Ernst 84 

Patocka, Jan 70 Pesch, Tilmann 32, 75 Pester, Rudolf 86 Petzoldt, Joseph 12, 28f., 78f., 94, 122ff., 128, 130 Plant, Helmut R. 24 Platon 8, 11, 21 Plessner, Helmuth 64, 239, 240 Portig, Gustav 145 Radenhausen, Christian 76 Ramelow, Tilman 41 Rang, Bernhard 172. Rathenau, Walter 95 Ratzel, Friedrich 84, 107ff., 113 Reinke, Johannes 8, 137 Rickert, Heinrich 134, 144, 146 Riem, Johannes 76 Rink, Friedrich Theodor 58 Ritter, Carl 84f. Rolf, Thomas 93 Rothacker, Erich 137 Rowlands, Marie 24 Rütimeyer, Ludwig 103ff. Sachs, Julius 101 Scheler, Max 1, 2, 18, 23, 64, 91, 94, 149, 151, 173f., 239 Schelling, Friedrich Wilhelm 22, 71, 135f. Schleiden, Matthias 91f., 98, 101, 102 Schlette, Heinz Robert 17 Schlick, Moritz 123 Schmarda, Ludwig K. 84 Schmidt, Roderich 25

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Personenregister

Schmucker, Josef 55 Schneiders, Werner 35 Schopenhauer, Arthur 94 Schuhmann, Karl 127, 153, 155, 163, 215, 225 Schuppe, Wilhelm 119 Schütz, Alfred 158 Schwann, Theodor 102 Schwarz, Hermann 9 Simmel, Georg 95, 112 Smid, Reinhold N. 164 Sommer, Manfred 121, 125 Spaemann, Robert 41 Spicker, Gideon 113, 140 Spinoza, Baruch de 74 Stadtmüller, Georg 24, 25 Stark, Werner 58 Stäudlin, Carl Friedrich 64 Stern, William 139, 144 Sticker, Bernhard 81 Strasser, Stephan 148, 156, 158 Strecker, Wilhelm 76 Ströker, Elisabeth 159, 187 Stumpf, Carl 145 Teichmüller, Gustav 10 Theis, Robert 55 Thöne, Johannes Franz 138 Tönnies, Ferdinand 94

Trahndorff, Karl Friedrich Eusebius 80 Troeltsch, Ernst 95, 137 Uexküll, Jakob v. 106f. Ulrici, Hermann 72f. Vogt, Johann Gustav

76f., 106, 140

Waldenfels, Bernhard 94f. Weber, Hermann 107 Weber, Max 31, 94 Weiße, Christian Hermann 145 Welter, Rüdiger 94, 158 Welton, Donn 164 Wetz, Franz Josef 4, 27, 155 Whitehead, Alfred North 17 Willy, Rudolf 119 Wittgenstein, Ludwig 165f., 209 Wolff, Christian 8, 13, 32–36, 36–50, 55, 67f., 153, 240 Wolff, Hermann 89f., 113 Wundt, Max 32, 44 Wundt, Wilhelm 140 Yamauchi, Shiro 38 Zedler, Johann Heinrich 38 Zittel, Karl Alfred v. 102