Vom Völkerrecht zum Weltrecht [1 ed.] 9783428524174, 9783428124176

Vorgestellt wird eine Weltrechtslehre. Sie knüpft an die allgemeinen Ideale in Art. 1 Allgemeine Menschenrechtserklärung

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Vom Völkerrecht zum Weltrecht [1 ed.]
 9783428524174, 9783428124176

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Rechtsfragen der Globalisierung Band 13

Vom Völkerrecht zum Weltrecht Von

Angelika Emmerich-Fritsche

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ANGELIKA EMMERICH-FRITSCHE

Vom Völkerrecht zum Weltrecht

Rechtsfragen der Globalisierung Herausgegeben von Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, Erlangen-Nürnberg

Band 13

Vom Völkerrecht zum Weltrecht Von

Angelika Emmerich-Fritsche

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Habilitationsschrift angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1619-0890 ISBN 978-3-428-12417-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Ihr kennt kein Völkerrecht ohne ein Volksrecht und kein Volksrecht ohne ein Menschenrecht. Pestalozzi

Vorwort Das vorliegende Werk „Vom Völkerrecht zum Weltrecht“ ist im Wintersemester 2006 von der Juristischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Habilitationsschrift angenommen worden. Es versteht sich als Beitrag in der Diskussion um die Frage nach dem Recht im Zeitalter der Globalisierung. Die Anregung dazu gab Professor Dr. iur. Karl Albrecht Schachtschneider. Etwa zur gleichen Zeit ist die Idee zu der Reihe „Rechtsfragen der Globalisierung“ entwickelt worden, in der diese Schrift nun erscheint. Für all die Jahre unseres nicht immer gleichgerichteten, aber stets freundschaftlichen Ringens um die Erkenntnis des Rechts sowie für die Erstellung des Erstgutachtens bin ich ihm herzlich verbunden. Herrn Professor Dr. Bernd Grzeszick, LL.M., schulde ich aufrichtigen Dank für die Bereitschaft, das Zweitgutachten zu erstellen, und für die damit verbundenen Mühen. Dem Verlag Duncker & Humblot, vor allem Herrn Professor Dr. jur. h. c. Norbert Simon und Herrn Dr. Florian Simon, LL.M., danke ich für die zügige, entgegenkommende Drucklegung und für die gute Zusammenarbeit. Eine besondere Freude ist es mir, daß die Stiftung Apfelbaum, welche die Erforschung von Integrationsprozessen unterstützt, mit einer Förderung auf mich zugekommen ist. Für die wertvolle Hilfe bei den Korrekturarbeiten und manchen nützlichen Hinweis bin ich meinem lieben Mann, Christian Fritsche, sowie Daniela Mattern besonders verbunden. Für ihre freundliche technische Unterstützung möchte ich mich bei Else Hirschmann herzlich bedanken. Meinen Eltern, meiner Familie, vor allem unseren Töchtern, danke ich für ihr fortwährendes Verständnis. Fürth, im Januar 2007

Angelika Emmerich-Fritsche

Inhaltsübersicht Einführung

41

A. Frage des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

B. Struktur der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

1. Teil Staatliche Ordnung und Globalisierung der Lebensverhältnisse

51

A. Klassische Begriffe vom Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

B. Wirkung der Internationalisierung und Globalisierung auf die staatliche Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

2. Teil Grundlagen und Typik des Völkerrechts A. Begründung der Geltung des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90 90

B. Typik des traditionellen Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 C. Grundprinzipien des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

3. Teil Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

188

A. Annäherung an den Begriff „Weltrecht“ und seine Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . 188 B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 D. Grundprinzipien des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 E. Weltrechtliche Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht . . . . . . . 435

8

Inhaltsübersicht 4. Teil Weltrecht als Menschheitsrecht – zur Menschheitsverfassung

459

A. Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 B. Zur Materie des Weltbürgerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561

5. Teil Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

573

A. Staatsorganisation im Weltkontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 B. Pluralistische Weltordnungsmodelle ohne Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung . . . . . 616

6. Teil Analyse der Entwicklungen vom traditionellen Völkerrecht zum Weltrecht in Lehre und Praxis

686

A. Von der Koexistenz zur Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 B. Vom Zwischenstaatenrecht zum Völkerrecht der Staatengemeinschaft . . . . . . . 697 C. Konstitutionalisierung des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703 D. Konstitutionalisierung in „supranationalen“ Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . 814 E. Völkerrecht der Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851 F.

Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 913

G. Von den Vereinten Nationen zur Weltcivitas? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020 H. Gesamtbewertung des feststellbaren Paradigmenwechsels in der Rechtspraxis 1033

7. Teil Ergebnisse

1036

A. Was ist Weltrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1036 B. Wie kann Weltrecht begründet werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1038

Inhaltsübersicht

9

C. Wie unterscheidet sich Weltrecht vom Völkerrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1046 D. Modelle der Weltrechtsordnung und kosmopolitische Demokratie . . . . . . . . . . .1051 E. Analyse der Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht in der Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1058

Kurzzusammenfassung

1070

Short-Summary

1072

Literaturverzeichnis

1074

Stichwortverzeichnis

1178

Inhaltsverzeichnis Einführung

41

A. Frage des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

B. Struktur der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

1. Teil Staatliche Ordnung und Globalisierung der Lebensverhältnisse A. Klassische Begriffe vom Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Staat als territorialer Herrschaftsverband und positiv-rechtliche Zwangsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staat als Integrationsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nationalstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Staat als civitas (Republik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Staat im engeren und im weiteren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Völkerrechtlicher Staatsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Wirkung der Internationalisierung und Globalisierung auf die staatliche Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entgrenzungsprozesse und Globalisierung der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . III. Fragmentierungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Auflösung des Staatsbegriffs der Drei-Elemente-Lehre? . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entstaatlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entsozialisierung der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Primat des Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verlust staatlicher Rechtssicherung durch Privatisierung . . . . . . . e) Übertragung von Staatsaufgaben auf Internationale Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Demokratie-Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51 51 52 53 54 57 59 59 61 62 62 64 68 69 70 70 71 73 74 75 77 78

12

Inhaltsverzeichnis

V.

a) Funktionaler Verlust der Staatsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Globale Kommunikationsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entstaatlichung des Rechts durch Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . 3. Staatsvolk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verlust der Einheit des Staatsvolkes mit dem Staatsgebiet und der Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Globalisierung der Menschenrechtszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Staatsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Kooperationsoffener Verfassungsstaat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterscheidung von existentieller und funktionaler Staatlichkeit . . .

78 81 82 82 82 84 86 86 87 88

2. Teil Grundlagen und Typik des Völkerrechts

90

A. Begründung der Geltung des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 I. Geltung von Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Verdrängung der Natur- und Vernunftrechtslehren durch den Positivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 III. Monistisch-positivistische Begründung aus einer „Grundnorm“ . . . . . . . 92 IV. Einzelstaatswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Monistische Lehre mit Primat des Staatsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Selbstverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3. Umgekehrter Monismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 V. Gemeinsamer Wille der Staaten/Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Vereinbarungslehren, Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Völkerrechtliche Konsenslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 VI. Stellungnahme und eigene Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 B. Typik des traditionellen Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Völkerrechtssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Staat als Subjekt und „Herr“ des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . 2. Internationale Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Andere Völkerrechtssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mediatisierung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Völkerrecht als zwischenstaatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Völkerrecht als Koordinationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geringer Institutionalisierungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsquellen, keine institutionalisierte öffentliche Gesetzgebungsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104 104 104 106 106 107 110 111 111 112

Inhaltsverzeichnis 3. Interpretation, Vollzug und Durchsetzung des Völkerrechts durch die Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Völkerrecht als „primitives“ Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Genossenschaftliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Intergouvernementales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schuldrechtlichkeit des Vertragsvölkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verträge als Hauptrechtsetzungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ius dispositivum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Relativität völkerrechtlicher Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Rechtsdurchsetzung von Amts wegen/Selbsthilfe . . . . . . . . . . V. Innerstaatliche Geltung und Rang des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzlich keine unmittelbare Geltung des Völkerrechts . . . . . . . a) Keine allgemeine Regel des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Praktizierter Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritik und monistische Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätzlich keine unmittelbare Anwendbarkeit des Völkerrechts in den Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbare Anwendbarkeit aus dualistischer Sicht . . . . . . . . . . c) Unmittelbare Anwendbarkeit aus monistischer Sicht . . . . . . . . . . 3. Rang des Völkerrechts gegenüber dem Recht der Staaten . . . . . . . . . a) Rangbestimmung des Völkerrechts durch die Staaten . . . . . . . . . b) Rangdilemma des Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lösungen des Monismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Recht mit ungesicherter Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden . . . . . . . . . . . . . . . 2. Relativierte Durchsetzbarkeit des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenhang von Durchsetzbarkeit und Verbindlichkeit . . . . . . . . 4. Traditionelle Mittel der Rechtsdurchsetzung zwischen den Staaten . a) Diplomatische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Selbsthilfemaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Internationale Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Internationale Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Internationaler Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Weiterentwicklungen in der internationalen Jurisdiktion . . . VII. Neutralität des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Fehlendes Allgemeininteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Pluralität und mangelnde Kohärenz des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . X. Ergebnis: Rechtliche Unvollkommenheit des Völkerrechts . . . . . . . . . . . .

13

113 114 114 115 116 117 117 118 119 119 119 119 120 121 123 123 124 125 126 126 126 127 128 128 129 132 133 134 134 136 137 137 138 142 142 145 145 148

14

Inhaltsverzeichnis

C. Grundprinzipien des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Souveränität der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Souveränität als Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Souveränität als Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Völkerrechtlich gebundene Souveränität auf der Basis der Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gleichheit der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Staatenkonsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Effektivitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Pacta sunt servanda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Reziprozitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Bona fides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Kollektivhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Nichteinmischung (Interventionsverbot) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Ius ad bellum und zwischenstaatliches Gewaltverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ius ad bellum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewaltverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Begriff und Umfang des Gewaltverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausnahmen vom Gewaltverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anerkennung im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjekt des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150 150 151 155 156 158 160 162 163 163 164 165 166 167 171 174 174 175 178 180 183 183 184 187

3. Teil Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts A. Annäherung an den Begriff „Weltrecht“ und seine Aspekte . . . . . . . . . . . . . I. Weltrecht als Menschheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weltrecht als „Weltstaatsrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Weltrecht als Benennung des Paradigmenwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Funktionales Welt(-staats)recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gesetztes Weltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Weltrecht als Funktion der Einzelstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ziviles Weltrecht – Weltrecht als Recht der Weltgesellschaft . . . . . . . . . .

188 188 188 190 191 193 193 194 194

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. Grundsätzliche Möglichkeiten der Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Inhaltsverzeichnis II. III.

IV.

V. VI.

Klassischer und naturrechtlicher Kosmopolitismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertragslehren, Vernunftrecht und Diskursethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Recht und Freiheit als ursprüngliche Begriffe der Vernunft . . . . b) Menschenbild, Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bürgerliche Freiheit und Selbstgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Diskurs- und Konsenslehre (Habermas, Apel) . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rousseaus Ansätze zu einem europäischen contrat social . . . . . . . . . 3. Kants Universalismus und sein Entwurf einer Weltfriedensordnung a) Kants universelle Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Naturzustand des Krieges zwischen den Staaten . . . . . . . . . . . . . . c) Vorbedingungen für den Frieden: Die Präliminarartikel . . . . . . . d) Weltrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kants Einwände gegen die Idee einer Weltrepublik . . . . . . . . . . . f) Normative Grundlagen einer friedlichen Weltordnung auf der Grundlage eines Völkerbundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) „Natürliche“ Sicherungen der von Kant vorgeschlagenen Weltfriedensordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Weltbürgerrecht als originäres Weltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Einordnung der Position Kants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Thesen zur Eignung der kantischen Lehre für eine Weltrechtsbegründung heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Höffe: Transzendentale Wechselseitigkeit und Weltrepublik . . . . . . . 5. Anglosächsischer Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) John Rawls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Charles Beitz/Thomas W. Pogge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wolfgang Kersting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschiedene monistische Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Weltrecht aus dem Rechtsgedanken (Rudolf Stammler) . . . . . . . . . . . 2. Psychologische Weltrechtsbegründung (Hugo Krabbe) . . . . . . . . . . . . 3. Soziologische Weltrechtsbegründung (Léon Duguit, Georges Scelle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Positivistische Weltrechtsbegründung (Hans Kelsen) . . . . . . . . . . . . . 5. Gemäßigter Monismus (Alfred Verdross) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kollektive Naturrechtsauffassung (Albert Bleckmann) . . . . . . . . . . . . 7. Lehre vom umgekehrten Monismus (Karl Albrecht Schachtschneider), Weltrecht als Funktion staatlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pluralistische Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellungnahme zur Begründung des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zu einer machtorientierten, empirisch-soziologischen Rechtsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 197 206 206 207 209 210 213 216 217 217 220 220 222 226 229 236 238 241 244 245 246 246 250 251 253 253 253 255 256 259 261 262 264 265 265

16

Inhaltsverzeichnis 2. 3. 4. 5.

Grenzen einer pluralistischen Rechtsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . Zur rein positivistischen Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Recht, Moral und Sittlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kein Werteimperialismus durch eine freiheitliche Rechtsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Selbstbestimmung als universelle Rechtsbegründung, ursprüngliches Weltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zur Universalisierbarkeit des Diskurs- und Konsensprinzips als Grundlage der Weltrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Gegner und Kritiker des Völkerrechts- und des Weltrechtsgedankens . . 1. Staat und Weltgeist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Thesen von Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschlossener Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Thesen von Fichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Völkerrechtliche Schule des Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Thesen der Realisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Relativismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Thesen der Relativisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kommunitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Thesen der Kommunitaristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bedrohung durch einen „Clash of Civilizations“? . . . . . . . . . . . . . . . . a) Thesen von Samuel Huntington . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überwindung durch die Lehre vom Weltethos (Hans Küng)? . . c) Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Stellungnahme zur Notwendigkeit einer verfaßten öffentlichen Weltrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unzulänglichkeit der bisherigen staatlichen und internationalen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendigkeit einer öffentlichen Weltrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . 3. Zu einer Weltverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Weltverfassung als Postulat praktischer Vernunft . . . . . . . . . . . . . b) Begriff und Möglichkeit einer Weltverfassung . . . . . . . . . . . . . . . c) Mehrgliedrige Verfassung der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Recht auf Institutionalisierung einer weltbürgerlichen Verfassung aus dem Weltbürgerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Organisationsgrundsätze der Weltverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . .

267 267 270 273 277 281 282 282 282 284 284 284 286 286 286 289 290 290 291 291 292 294 295 295 296 296 299 299 305 306 306 307 312 315 320

Inhaltsverzeichnis IX.

17

Zivilverfassung und privatautonomes Weltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Globale Privatrechtsetzung, Beispiel: Lex mercatoria . . . . . . . . . . . . . 2. Private Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Private Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Staatliche Rahmenordnung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Weiterentwicklung globaler Privatrechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . 6. Grenzen privater Lebensbewältigung und Stellungnahme . . . . . . . . .

323 324 331 332 333 335 336

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Globalität des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ende der ausschließlichen Staatenbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtssubjektivität des Menschen im Weltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staaten als Subjekte des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beendigung der Mediatisierung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfolgung von Menschheitsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Weltrecht als unabdingbares, allgemeinverbindliches Recht . . . . . . . . . . . V. Weltrecht als Maßstab für den Staat und für innerstaatliches Recht . . . . VI. Geltung und Rang des Weltrechts in den staatlichen Ordnungen und gegenüber dem Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmittelbare Geltung des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmittelbare Anwendbarkeit des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorrang des Weltrechts vor dem nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis des Weltrechts zum Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Rechtseinheit als Prinzipienordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Institutionalisierung von Weltrecht als öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . IX. Durchsetzbarkeit des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erzwingbarkeit des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weltgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Weltgerichtsbarkeit als Voraussetzung einer Weltrechtsordnung b) Defizite der internationalen Gerichtsbarkeit und weltrechtliche Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Zusammenfassung der Merkmale des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

338 338 338 338 339 339 340 341 341

D. Grundprinzipien des Weltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prinzip der Selbstrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Primat des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Recht und Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Legalitätsprinzip versus Reziprozitätseinwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsprinzip versus bona fides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

362 362 362 363 365 366

347 347 348 349 350 351 351 354 354 357 357 358 359 360 361

18

Inhaltsverzeichnis III.

IV. V. VI.

VII. VIII. IX.

X. XI. XII. XIII.

Prinzip der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begründung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjekte des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzen des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungen an die Staatsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenmenschliches und zwischenstaatliches Gewaltverbot . . . . . . . . . Prinzip der Einmischung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interventionsverbot, Gewaltverbot versus Prinzip der Einmischung 2. Einmischung durch einzelne Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erga omnes-Geltung von Menschenrechten: völkerrechtlich anerkannter Mindeststandard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Recht auf Kritik und friedliche Einmischung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewaltverbot, Willkürverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vertragliche Interventionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Nothilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Intervention der Weltgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Individualhaftung neben Kollektivhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Individuelle Verantwortlichkeit versus Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzip offener Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prinzip und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Exkurs: Inwieweit ist Deutschland eine offene Republik? . . . . . . . . . a) Verwirklichung und Durchsetzung des Weltrechts als Aufgabe . . b) Öffnungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unmittelbare Geltung universeller Rechtssätze . . . . . . . . . . . . . . . d) Effektivierung der Menschenwürde und der Menschenrechte . . e) Völkerrechtskonforme Auslegung und Radbruchsche Formel . . f) Verwirklichung des Weltbürgerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Exterritoriale Bezüge im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Abweichung vom Territorial- und Personalprinzip zugunsten des Weltrechtsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Auslieferung Deutscher an Staaten der Europäischen Union und an internationale Strafgerichtshöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Berücksichtigung internationaler Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Anwendung der Methode rechtsvergleichender Auslegung . . . . . l) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrheitsprinzip, Konsensprinzip und Mehrheitsregel . . . . . . . . . . . . . . . Prinzip der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassende Gegenüberstellung der typischen Prinzipien . . . . . . .

366 366 369 371 372 375 378 380 380 382 382 383 385 389 389 391 391 392 395 395 398 398 399 401 404 409 412 418 419 422 427 428 428 429 430 431 434

Inhaltsverzeichnis E. Weltrechtliche Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht . . . I. Verpflichtungen erga omnes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ius cogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prinzip des gemeinsamen Erbes der Menschheit, Menschheitsbesitz . . . IV. Paradigmenwechsel in der Völkerrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Universelles Vertragsrecht, Weltverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewohnheitsrecht der Weltgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Allgemeine (Welt-)Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konsens der Weltgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 435 435 442 445 447 448 451 455 457 458

4. Teil Weltrecht als Menschheitsrecht – zur Menschheitsverfassung A. Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff universeller Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begründungsmöglichkeiten der Geltung der Menschenrechte . . . . . . . . . . 1. Positive Grundlagen der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlen eines Menschheitsverfassungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsgrundlagen im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Menschenrechtsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Allgemeine Menschenrechtserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Menschenrechtsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Subjektive Rechte, Geltung und Wirkung völkerrechtlicher Menschenrechtsverpflichtungen in den Staaten . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unverzichtbarkeit einer Grundlage der Menschenrechte jenseits des Positivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einige Vernunft- und naturrechtliche Begründungen der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stoa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Locke: Leben, Freiheit und Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kant: Ableitung von Menschenrechten aus dem ursprünglichen Recht der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Recht auf eine Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

459 459 459 462 463 463 463 464 465 466 469 472 473 475 478 478 479 479 480 481 481

20

Inhaltsverzeichnis

IV.

V.

VI.

b) Aus der Freiheit abgeleitete Vernunftprinzipien: Freiheit – Gleichheit – Selbständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Höffe: „soziotranszendentale Interessen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Menschenrechte als Voraussetzung des Konsensprinzips und Gegenstand des Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rawls: Gerechtigkeit als Fairneß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltung der Menschenrechte als ursprüngliches Weltrecht in ihrem Menschenwürdegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Menschenwürde als menschliche Grundverfassung . . . . . . . . . . . b) Menschenwürde als verbindlicher, judiziabler Menschenrechtskern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Recht auf Durchsetzbarkeit der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . d) Drittwirkung der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitlosigkeit und Universalität der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . 3. Gemeinsame Unrechtserfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtlich-juridischer Charakter „geborener“ Menschenrechte? . . . . a) Ethische und rechtliche Qualität der Menschenrechte . . . . . . . . . b) Unterscheidung von Tugendpflichten und Rechtspflichten . . . . . c) Rechtscharakter der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Menschenrechte als subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Kritik am Konzept universeller Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Menschenrechte als westlicher Import oder Erbe der Menschheit . . a) Keine Usurpation der Menschenrechte durch einen Kulturkreis b) Aufklärung und Unrechtserfahrungen als Auslöser für das Menschenrechtsbewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Universeller Menschenrechtsdiskurs und interkulturelle Lerngemeinschaft im Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kulturunabhängigkeit und Konsensfähigkeit der Menschenwürde – Menschenwürde in verschiedenen Kulturkreisen . . . . . . e) Weltkultur und Multikultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Kulturspezifisch materialisierbarer Bereich der Menschenrechte g) Kulturkritische Komponente der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . aa) Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gewissens- und Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Körperliche Integrität und Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . 2. Menschenrechtlicher Individualismus versus traditionelle Gemeinschaftsbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte Einzelfragen zur Materie der Menschenrechte . . . . . . . . . . 1. Menschenrecht auf politische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

482 485 485 486 487 490 490 490 493 497 498 501 504 505 505 506 507 509 509 510 512 514 517 521 529 530 531 531 532 533 535 539 539

Inhaltsverzeichnis

21

2. Prinzip der Solidarität und soziale Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . a) Menschheitliche Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Soziale Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Menschenrechtsqualität, Verbindlichkeit, Judiziabilität . . . . bb) Soziale Gruppenrechte, insbesondere das Recht auf Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

542 542 548 548

Materie des Weltbürgerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Recht auf globalen Menschenrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Recht auf globale Kontaktaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Recht, einer Rechtsgemeinschaft anzugehören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weltbürgerrecht als Gastrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Recht auf einen Bürgerstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung des Weltbürgerrechts im derzeitigen internationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

561 562 562 563 564 567

B. Zur I. II. III. IV. V. VI.

555

568 572

5. Teil Konzeptionen der verfaßten Weltordnung A. Staatsorganisation im Weltkontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Weltordnung in völkerrechtlichen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völker- oder Staatenbund, Internationale Organisationen . . . . . . . . . 2. Regionalisierung der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weltstaatsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völkerstaat, Minimalstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bürgerlich verfaßter Weltbundesstaat, Sozialstaat . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weltzentralstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einstweilige Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zum völkerrechtlichen Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zu den Weltstaatsmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Weltverfassungskonzeptionen, die staatsrechtliche Kategorien vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Globaler Konstitutionalismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Kosmopolitische Demokratie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zur Frage der Institutionalisierung einer Weltpolizei . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abwendung der Gefahren einer Weltdespotie durch Funktionenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwangsgewalt gegenüber Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwangsgewalt gegenüber Privaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

573 573 574 574 576 577 577 581 583 583 583 585 591 591 592 595 597 597 599 602

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Inhaltsverzeichnis

B. Pluralistische Weltordnungsmodelle ohne Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Politische Dimension der Verfassung der Zivilgemeinschaft . . . . . . . . . . II. Pluralistisches Weltordnungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Globale Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Global Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Koordinierung der Zivilverfassung mit der öffentlichen Verfassung . . . .

604 604 606 607 608 612

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung . . I. Idee der Selbstbestimmung als Kern des Demokratieprinzips . . . . . . . . . 1. Autonomie des Willens, Selbstbestimmung der Betroffenen . . . . . . . 2. Volonté générale mondiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatsgebundener Demokratiebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatsvolk als Träger der Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nationale Homogenität als Voraussetzung der Demokratie? . . . . . . . 3. Demokratische Legitimation internationalen Handelns . . . . . . . . . . . 4. Defizite und Stärkungsmöglichkeiten des nationalen Demokratiekonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Grenzen des nationalen Demokratiebegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zu den Grundlagen kosmopolitischer Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklungsoffenheit des Demokratie- und Volksbegriffs . . . . . . . . 2. Recht auf und Pflicht zur Nationalstaatlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Civitas statt Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Civitas als Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Frage nach materiellen Homogenitäts- oder Solidaritätsmerkmalen als Demokratie- und Integrationsvoraussetzungen . . c) Weltcivitas als Voraussetzung einer volonté générale mondiale 4. Weltcivitas als Weltbürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Weltvolk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weltparlament(e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Doppelte Civitas – Zweifache Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Probleme und Gefahren eines Weltparlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Völkercivitas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Weltöffentlichkeit und Weltkommunikationsgesellschaft als Voraussetzungen globaler Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Zur demokratischen Legitimation der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Prinzip der kleinen Einheit als Voraussetzung der Demokratie . . . . 11. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Dezentrale Konzeptionen der Selbstbestimmung jenseits des staatlich geprägten Demokratieverständnisses im Rahmen der Global Governance 1. Global governance und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

616 617 617 619 620 621 623 625 627 628 629 629 629 630 631 631 632 640 641 641 642 643 644 644 645 650 652 654 654 655

Inhaltsverzeichnis a) Global governance als funktional-sektorale Selbstregierung . . . . b) Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip . . . . . . . . . c) Funktionale Selbstverwaltung und global governance . . . . . . . . . 2. Global governance und die Modelle der Verhandlungsdemokratie und der deliberativen Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhandlungsdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Partizipatorische, deliberative Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pluralistisches Demokratieverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sozialverfassungen (Teubner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zivilgesellschaft als Demos ( Müller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit zur Möglichkeit von globaler Demokratie jenseits des staatlichen Kontextes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriffsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auflösung des Paradoxes: Einheit von Gebietshoheit und freiheitlicher Legalität als Demokratievoraussetzung und Ablehnung eines Weltterritorialstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Neue Begriffe der kleinen Einheit und der dezentralen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Möglichkeiten dezentraler Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zum Modell der deliberativen Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Inwieweit bedürfen Akteure der Zivilgesellschaft einer (demokratischen) Legitimation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Legitimation und Legalität der Handlungen der Akteure der Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zivilgesellschaft als Demos? Unterscheidung von Voraussetzungen und Kern des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . dd) Paternalismus und volonté générale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Bestimmung der Kriterien der Mitwirkung und die Auswahl der Partizipierenden (Nichtregierungsorganisationen), Sicherung von Beteiligungsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Qualifizierte Mitwirkung an der öffentlichrechtlichen Rechtsetzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Schlußbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 655 656 657 658 658 660 665 665 666 667 667

667 669 671 672 674 674 675 677 680

682 684 685

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Inhaltsverzeichnis 6. Teil Analyse der Entwicklungen vom traditionellen Völkerrecht zum Weltrecht in Lehre und Praxis

686

A. Von der Koexistenz zur Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Völkerrecht der Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kooperation in Internationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gründung Internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Typik der Internationalen Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ambivalenz der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

687 687 689 689 692 693

B. Vom I. II. III. IV. V.

Zwischenstaatenrecht zum Völkerrecht der Staatengemeinschaft . . . Internationale Staatengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Völkergemeinschaft und Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturunabhängiger Basiskonsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Völkerrechtliche Schicksals-, Verantwortungs- und Wertegemeinschaft . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Konstitutionalisierung des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kennzeichen der Völkerrechtsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weltrechtsstatus der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. UN-Charta als Weltverfassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Universelle Geltung des UN-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorrang des UN-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. (Sekundäre) Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsdurchsetzungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Sanktionen gegen UN-Rechtsverstöße . . . . . . . . . . . . b) Ausschließliche Zuständigkeit des UN-Sicherheitsrats . . . . . . . . . c) Fungiert der UN-Sicherheitsrat als Weltpolizei zur Durchsetzung der Friedenspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unmittelbare Wirkung von Sanktionen für Einzelpersonen . . . . 6. Bewertung des staatlichen/republikanischen Charakters der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zum rechtsstaatlichen Defizit fehlenden Rechtsschutzes im UNSystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlende Kontrolle gegenüber UN-Organen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlender individueller Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abschließende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konstitutionelle Entwicklungen in der Weltwirtschaftsordnung . . . . . . . . 1. Welthandelsrecht zwischen Völkerrecht und Weltrecht . . . . . . . . . . . a) Klassisch-völkerrechtliche Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

IV.

V.

b) Elemente der Kooperation und der Konstitutionalisierung . . . . . aa) Vorbehaltsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Modifizierung des Konsensprinzips durch die Mehrheitsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Obligatorisches, gerichtsförmiges Streitbeilegungsverfahren dd) Bindungswirkung und Durchsetzung der Entscheidungen . . ee) Zum Vorrang des WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zur unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts . . . . . . c) Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Legitimationsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklungsstand der Weltwirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Scheitern der Weltwirtschaftsorganisation und der „Neuen Weltwirtschaftsordnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen einer Weltwirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . c) Einseitigkeit der Weltwirtschaftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fehlen der menschenrechtlich-sozialen Dimension im Welthandelsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Berücksichtigung des Rechts auf Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . ILO-Verfassung und ihr Beitrag zur Verwirklichung der Weltwirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dreigliedrige Organisationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. ILO-Standards als Materialisierung des menschheitlichen Sozialprinzips und als Verfassungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. ILO-Übereinkommen: Sekundärrechtsetzung oder völkerrechtliche Verträge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. ILO als Vorbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Durchsetzbarkeit der ILO-Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Möglichkeiten der Verbindung der Teilverfassungen zu einer Weltwirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Institutionelle Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Direkte Anwendung einschlägiger Abkommen zum Schutz der Umwelt und sozialer Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Harmonische Auslegung im Rahmen der WTO-Streitbeilegungsinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Heranziehung von Schutzabkommen zur Auslegung . . . . . . . . . . b) Zur Einbeziehung anderer Verfassungsprinzipien über Art. XX GATT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Problematik der Einbeziehung von Herstellungsstandards . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis VI.

Zur Notwendigkeit eines Weltkartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811

D. Konstitutionalisierung in „supranationalen“ Organisationen . . . . . . . . . . . . I. „Supranationalität“ versus „Souveränität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Typik der Supranationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Europäische Union auf dem Weg zum Bundesstaat und Wegbereiter einer globalen Weltordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zu den Merkmalen der „Supranationalität“ des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umfassende Sekundärrechtsetzung durch die Organe . . . . . . . . . c) Zur „Autonomie“ des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit, Vorrang des Gemeinschaftsrechts und verfassungsrechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . e) Mehrheitsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Obligatorische gerichtliche Überprüfung des sekundären Gemeinschaftsrechts/Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Legalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Dauerhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Fortschreitende Finanzautonomie der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . 2. Zur Rechtsnatur der Europäischen Union/Gemeinschaft . . . . . . . . . . a) Völkerrechtliche Deutungen/Internationale Organisation/Staatenbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vom Zweckverband zum Integrationsverband . . . . . . . . . . . . . . . . c) Neuer „Herrschaftstypus“, Supranationale Union . . . . . . . . . . . . . d) Gemeinschaft (sui generis), Staatenverbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gefahr einer Universalbürokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mangel an Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Völkerrecht der Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Recht der Globalisierung . . . II. Wachsende Rolle nicht-staatlicher Akteure als Subjekte des Rechts der Globalisierung und der Global Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nichtregierungsorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einfluß auf die internationale Meinungsbildung . . . . . . . . . . . . . . c) Erweiterung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . d) Beteiligung an Rechtserkennung und Rechtsetzung . . . . . . . . . . .

814 814 816 818 819 819 822 823 827 830 830 831 831 832 832 833 833 834 835 835 836 839 842 842 848 851 851 851 853 853 853 856 856 857

Inhaltsverzeichnis

III.

e) Kontrolle und Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) „Rechtsprechung“ als Publizitätsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Transnationale Unternehmen: Vom Subjekt der Globalisierung zum Subjekt globalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtlicher und faktischer Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Internationalisierte Verträge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verantwortung und Durchsetzung durch die Staaten . . . . . . bb) Zur Menschenrechtsverantwortung transnationaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Selbstverpflichtung der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Normen der Vereinten Nationen für die Menschenrechtsverantwortlichkeiten transnationaler Unternehmen . . . . . . . . ee) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Indigene Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutzbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom internationalen Umweltrecht zum globalen Umweltrecht . . . . . . . . . 1. Umweltrecht als globale Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Internationales Umweltschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prinzipien, Pflichten des internationalen Umweltschutzes . . . . . . . . . a) Von der Verschmutzungsfreiheit zum Verbot schädigender und umweltgefährdender Aktivitäten und zum Prinzip der Haftung . . b) Gleichberechtigte, faire Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Warnungs-, Informations- und Konsultationspflichten . . . . . . . . . 4. Prinzipien des globalen Umweltvölkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umweltverpflichtungen erga omnes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prinzip der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorsorgeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeit, Solidaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gemeinsames Erbe der Menschheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsetzung im globalen Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rahmenkonventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Regelungen des globalen Umweltvölkerrechts . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis aa) Soft Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Völkerrechtlich bindende Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Durchsetzbarkeit des globalen Umweltvölkerrechts . . . . . . . . . . . . . . 7. Forderung nach institutionellen Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Prinzipien des Völkerrechts der Globalisierung . .

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F. Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Stärkung der Rechtsposition des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Durchsetzung der Menschenrechte in der Völker- und Weltrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Durchsetzung auf staatlicher oder globaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . a) Durchsetzung durch die Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchsetzung durch die Bürger mit Hilfe des Widerstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Pflicht zu subsidiären Schutzverfahren auf internationaler und globaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkerrechtliche Institutionen und Verfahren zur Durchsetzung der Menschenrechte gegenüber den Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Promotion und Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nicht gerichtsförmige Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gerichtliche Kontrolle ohne subjektiven Rechtsschutz . . . . . . . . d) Garantie und subjektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weltrechtliche Bewertung des völkerrechtlichen Schutzes der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Votum für die Schaffung eines Menschengerichtshofs . . . . . . . . . . . . III. Paradigmenwechsel im Bereich humanitärer Interventionen? . . . . . . . . . . 1. Entwicklung eines unilateralen Rechts auf humanitäre Intervention? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Humanitäres Interventionsrecht der NATO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Neue Strategische Konzepte der NATO als Krisenmanager . . . . b) Vorgaben der UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zur Unrechtmäßigkeit der Intervention der NATO im KosovoKonflikt – kein neues Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 3. Humanitäre Interventionen der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . a) Ermächtigung des Sicherheitsrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Auslegung des Friedensbegriffs in Art. 39 UN-Charta . . . . 4. Abschließende Beurteilung der humanitären Intervention unter weltrechtlichen Gesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Änderung des Innen-Außenschemas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anspruch auf/Pflicht zur Intervention des Sicherheitsrates? . . . . IV. Vom zwischenstaatlichen Gewaltverbot zum weltrechtlichen Gewaltverbot am Beispiel des globalen Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

913 914

IV.

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Inhaltsverzeichnis

V.

29

1. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 957 2. Verstoß des Taliban-Regimes gegen das Gewaltverbot . . . . . . . . . . . . 958 3. Terroristische Gewalt als einem Staat oder de facto-Regime zurechenbarer bewaffneter Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 959 4. Keine Autorisierung durch den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 965 5. Bewaffnete Angriffe durch terroristische Organisationen . . . . . . . . . . 966 a) Erweiterung der Adressaten des Gewaltverbots – Bindung nicht-staatlicher Akteure an das Gewaltverbot der UN-Charta . . 966 b) Nicht-staatliche Gewalt als bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 969 c) Gegenwärtigkeit des Angriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972 d) Adressaten und Umfang der zulässigen Selbstverteidigung . . . . 973 aa) Verteidigungshandlungen gegen die nicht-staatliche Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 973 bb) Verteidigungshandlungen gegen das Taliban-Regime . . . . . . 974 cc) Verteidigungshandlungen gegen das afghanische Volk? . . . 974 e) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 975 6. Globale Bekämpfung des Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 976 Vom internationalen Strafrecht zum Weltstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 977 1. Begriffe „Völkerstrafrecht“ und „Weltstrafrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 978 2. Weltrechtsprinzip im Strafrecht der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 980 3. Zur Entwicklung der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit Einzelner im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 983 a) Kriegsverbrecherprozesse in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . 983 b) Nürnberger Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 985 c) Rückwirkungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 987 d) Rechtssicherung durch Positivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990 4. Entwicklungen einer Weltstrafgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 991 a) Problematik der Ad-hoc-Tribunale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 992 b) Entstehung des Internationalen Strafgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . 995 c) Institution des Internationalen Strafgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . 997 aa) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 997 bb) Gerichtsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1001 cc) Strafprozeßordnung, Verfahrenseinleitung . . . . . . . . . . . . . . .1001 dd) Zusammenarbeit mit den Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1002 d) Legitimation des Weltstrafgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1003 5. Entwicklung eines materiellen Weltstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1005 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1005 b) Einzelne Straftatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1006 aa) Völkermord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1006

30

Inhaltsverzeichnis

VI.

bb) Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007 cc) Terrorismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . 1009 dd) Kriegsverbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1012 ee) Verbrechen der Aggression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017 c) Strafe und Strafzumessung, Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . 1018 6. Stellungnahme: Römisches Statut als Weltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 1018 Ergebnis zur Entwicklung des Menschheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1019

G. Von den Vereinten Nationen zur Weltcivitas? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020 I. Vorschläge zu Reform und Ausbau des UN-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020 1. Streitschlichtungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1022 2. Weltgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1022 3. Generalversammlung als Staatenkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1022 4. Senat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1023 5. Weltbürgerversammlung (Weltparlament) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1024 6. Menschenrechtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1025 7. Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1027 a) Erweiterung des Sicherheitsrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1028 b) Vetorecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1029 c) Verbesserung der Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1030 d) Präzisierung der Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1031 8. Freiheitliche Verfassung der Staaten als Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der UN? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1032 II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1033 H. Gesamtbewertung des feststellbaren Paradigmenwechsels in der Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1033

7. Teil Ergebnisse

1036

A. Was ist Weltrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1036 B. Wie I. II. III.

kann Weltrecht begründet werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1038 Allgemeine Grundlagen einer Weltrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1038 Begründung des Weltrechts als Menschheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1038 Begründung einer Weltverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1043

C. Wie I. II. III.

unterscheidet sich Weltrecht vom Völkerrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1046 Typikabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1046 Paradigmenwechsel in den Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1047 Gegenüberstellung von Typik und Grundprinzipien des Völkerrechts einerseits und des Weltrechts andererseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1049

Inhaltsverzeichnis IV.

31

Paradigmenwechsel in der Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1050

D. Modelle der Weltrechtsordnung und kosmopolitische Demokratie . . . . . . .1051 I. Republik offener Republiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1051 II. Institutionalisierung und Konstitutionalisierung funktionaler Weltstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1053 III. Weltrepublik, kosmopolitische Demokratie und ihre Grenzen . . . . . . . . .1054 IV. Weltrechtsordnung und Selbstbestimmung jenseits der Kategorie „Staat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1057 E. Analyse der Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht in der Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1058 I. Von der internationalen zur globalen Rechtsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . .1059 II. Institutionell-verfahrensrechtliche Konstitutionalisierungsprozesse im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1059 III. Völkerrecht der Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1062 IV. Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1064 V. Institutionell-weltstaatliche Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1066 Kurzzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1070 Short-Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1072 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1074 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1178

Abkürzungsverzeichnis A a. A. ABl. Abs. ADIH a. E. AEMR a. F. AfCRMV Aids AJIL AktG All.ER allg. AMRK Anl.HLKO AöR Arch. phil. droit A/Res ARIEL ARSP Art. ASEAN AsylVfG AU AufenthG Ausg. AusYIL AVR AW AZP B BAGE BayOLG BayVBl.

erste Auflage der Schriften Kants mit Originalpaginierung andere Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Académie de Droit International de la Haye am Ende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte alte Fassung Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker Acquired Immune Deficiency Syndrome The American Journal of International Law Aktiengesetz All England Law Reports allgemein Amerikanische Konvention der Menschenrechte Anlage zur Haager Landkriegsordnung Archiv des öffentlichen Rechts Archives de philosophie de droit Resolution der UN-Generalversammlung Austrian Review of International and European Law Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Association of South-East Asian Nations Asylverfahrensgesetz Afrikanische Union Aufenthaltsgesetz Ausgabe Australian Year Book of International Law Archiv des Völkerrechts Aussenwirtschaft. Schweizerische Zeitschrift für internationale Wirtschaftsbeziehungen Allgemeine Zeitschrift für Philosophie zweite Auflage der Schriften Kants mit Orginalpaginierung Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichtes Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter

Abkürzungsverzeichnis BayVerf. BayVGH Bd. BDGV BFHE BFSP BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BR-Drs. BStBl. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BYIL ca. CAMDUN cap. CCPR CESCR CIBEDO Cin.L.Rev CMLRev. D.C.Cir. DDR ders. DGVR d.h. d.i. disp. Diss. DJB Doc.

33

Bayerische Verfassung Bayerischer Verfassungsgerichtshof Band Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs British and Foreign State Papers Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesrats-Drucksache Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts British Yearbook of International Law circa Campaign for more Democratic United Nations capitulum Covenant on Civil and Political Rights Committee on Economic, Social and Cultural Rights International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights Christlich-islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle University of Cincinnati Law Review Common Market Law Review US Court of Appeals Deutsche Demokratische Republik derselbe Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht das heißt das ist disputatio Dissertation Deutscher Juristinnenbund document

34 DÖV DSU DSWR dt. EA EAGV ECOSOC ed. EG EGMR EGMR-VerfO EGStGB EJIL EMRK endg. engl. EPIL ETS EU EuG EuGH EuGRZ EuR EUV EuZW EWS E+Z f. FamRZ FAO FAZ ff. Fn. FPJ FriZ Fs. Ga.J.Int’l & Comp.L. GA Res GATS GATT GeschO GewArch

Abkürzungsverzeichnis Die Öffentliche Verwaltung Dispute Settlement Understanding Datenverarbeitung – Steuer – Wirtschaft – Recht (Zeitschrift) deutsch Europaarchiv Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft Economic and Social Council editor Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Verfahrensordnung Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch European Journal of International Law Europäische Konvention der Menschenrechte endgültig englisch Encyclopedia of Public International Law European Treaty Series Europäische Union Europäisches Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte Zeitschrift Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Entwicklung und Zusammenarbeit folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Food and Agricultural Organization Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende Fußnote Forum Politicum Jenense Zeitschrift für Friedenspolitik Festschrift Georgia Journal of International and Comparative Law Resolution of the United Nations General Assembly General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade Geschäftsordnung Gewerbearchiv

Abkürzungsverzeichnis GFK GG griech. Gs GUS GYIL Harv. ILJ HFR HILJ HLKO h. M. HRC HRQ Hrsg. hrsg. v. HStR HVerfR IAEO ICANN ICC ICISS ICJ Rep. ICTR ICTY i. d. F. i. d. S. i. E. i. e. S. IGH IJGLS ILC ILM ILO ILR Incoterms INFUSA inkl. insbes. IOSCO IPbpR

35

Genfer Flüchtlingskonvention Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland griechisch Gedächtnisschrift Gemeinschaft unabhängiger Staaten German Yearbook of International Law Harvard International Law Journal Humboldt Forum Recht Health Information and Libraries Journal IV. Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (sog. Haager Landkriegsordnung) herrschende Meinung Human Rights Committee Human Rights Quarterly Herausgeber herausgegeben von Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland Internationale Atomenergie-Organisation Internet Corporation for the Assigned Numbers and Names International Criminal Court Commission on Intervention and State Sovereignty International Court of Justice, Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders International Criminal Tribunal for Ruanda International Criminal Tribunal For the Former Yugoslavia in der Fassung in dem Sinn im Erscheinen im engeren Sinn Internationaler Gerichtshof Indiana Journal of Global Legal Studies International Law Commission International Legal Materials International Labour Organization/Office International Law Reports official ICC rules for the interpretation of trade terms International Network for a United Nations 2nd Assembly inklusive insbesondere International Organization of Securities Commissions Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

36 IPrax IPwskR IRG i. S. d. IStGH i.V. m. IWF i. w. S. JA JDI JuS JZ Kap. Kom krit. KritV lat. lib. lit. MAI MEA Mercosur m. N. MRM NAFTA NATO NGO NILR NJW No. Nr. NRGT NStZ NVwZ NVwZ-RR NZZ OAS OASC OASTS OAU OAUC

Abkürzungsverzeichnis Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen im Sinne des Internationaler Strafgerichtshof in Verbindung mit Internationaler Währungsfonds im weiteren Sinn Juristische Arbeitsblätter Journal du Droit International Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Kommission kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft lateinisch liber littera Multilaterales Abkommen über Investitionen Multilateral Environmental Agreement Mercado Comúm del Sur mit Nachweisen MenschenRechtsMagazin North American Free Trade Agreement North Atlantic Treaty Organization Non-governmental Organization Netherlands International Law Review Neue Juristische Wochenschrift number Nummer Nouveau recueil général des traités Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Rechtsprechungsreport Neue Züricher Zeitung Organization of American States Charter of the Organization of American States Organization of American States Treaty Series Organization of African Unity Charter of the Organization of African Unity

Abkürzungsverzeichnis OECD OEEC OIT o. J. OLG OSCE OVG OWZE p. para. PCF PCIJ Prél. RbEuHb RdC Rep. Res RGBl. RIW RJ Rn. Rs s. a. SARS SdNRT Sec. Ser. S+F SJZ Slg. s. o. sog. S/Res SRÜ StAG StGB StIGH StPO St. Rspr. Supp. SZ

37

Organization of Economic Cooperation and Development Organization of European Economic Cooperation Organisation Internationale du Travail ohne Jahresangabe Oberlandesgericht Organization for Security and Co-operation in Europe Oberverwaltungsgericht Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung page paragraph Prototype Carbon Fund Permanent Court of International Justice Préliminaire Rahmenbeschluß des Rates über den Europäischen Haftbefehl Recueil des Cours. Académie de Droit International. Collected Courses of the Hague Academy of International Law Report Resolution Reichsgesetzblatt Recht der internationalen Wirtschaft Rechtshistorisches Journal Randnummer Rechtssache siehe auch Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom Societé des Nations Recueil des Traités Sectio Series Sicherheit und Frieden Süddeutsche Juristenzeitung (bis 1950) Entscheidungssammlung des Europäischen Gerichtshofs siehe oben sogenannte Resolution des UN-Sicherheitsrates Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen Staatsangehörigkeitsgesetz Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof Strafprozeßordnung Ständige Rechtsprechung Supplement Süddeutsche Zeitung

38 Teilbd. T.I.A.S. TRIPS TVG u. a. Übers. UN UNCITRAL UNDP UNEP UNIDROIT UNO UNTS UNYB u. ö. URL Urt. U.S. USA U.S.C. u. U. UVPG UWG v. v. Chr. Verf. VerfO VerwArch vgl. vgl. a. VJIL vol. vs. VStGB VV VVDStRL WCD WCPA WHO WIPO

Abkürzungsverzeichnis Teilband Treaties and other International Acts Series Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum Tarifvertragsgesetz unter anderem/und andere Übersetzung United Nations United Nations Commission on International Trade Law United Nations Development Programme United Nations Environment Programme Institut International Pour L’Unification du Droit Privé Internationales Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts United Nations Organization United Nations Treaty Series United Nations Year Book und öfter Uniform Resource Locator Urteil United States United States of America United States Code unter Umständen Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb von, vom vor Christi Geburt Verfassung Verfahrensordnung Verwaltungsarchiv vergleiche vergleiche auch Virginia Journal of International Law volume versus Völkerstrafgesetzbuch Vertrag über eine Verfassung für Europa Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer World Commission on Dams World Constitution and Parliament Association World Health Organization World Intellectual Property Organization

Abkürzungsverzeichnis WKÜ WT/Min WTO WTOÜ WVK YILC YUN ZaöRV z. B. ZfP ZfphilF ZfSH/SGB ZfU ZIB Ziff. ZöR ZP ZP I ZP II ZRP ZRph ZStW z. T.

39

Wiener Konsularrechtsübereinkommen Erklärung der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation World Trade Organization, Welthandelsorganisation Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation Wiener Vertragsrechtskonvention Yearbook of the International Law Commission United Nations Yearbook Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Politik Zeitschrift für philosophische Forschung Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht Zeitschrift für Internationale Beziehungen Ziffer Zeitschrift für öffentliches Recht Zusatzprotokoll Erstes Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen Zweites Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Rechtsphilosophie Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil

Einführung A. Frage des Weltrechts Der Gedanke einer Weltordnung1 ist nicht neu, sondern älter als die Nationalstaaten.2 Davon zeugen einige bekannte Beispiele. Im antiken Griechenland 1 Siehe einschließlich der Pläne für einen europäischen Staat: Augustinus, De civitate Dei/Der Gottesstaat (413–425), dt. hrsg. v. W. Thimme, 1955 Kap. XX, XXVII; beschränkt auf Katholiken: P. Dubois, De recuperatione terrae sanctae/Die Wiedergewinnung des Heiligen Landes (1306), Quellenauszug in: H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, S. 62 ff.; ähnlich: G. v. Podebrad, Plan eines ewigen Friedensbündnisses (1462), Quellenauszug in: H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, 1953, S. 66 ff.; Dante Alighieri, Über die Monarchie („De monarchia“, 1310), ed. O. Hubatsch, 1872, S. 34; vgl. auch I. Fetscher, Modelle der Friedenssicherung, 1972, S. 13 ff.; Duc de Sully, Mémoires (1617–1635), Quellenauszug in: H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, S. 76 ff.; W. Penn, Ein Essay zum gegenwärtigen und zukünftigen Frieden von Europa durch Schaffung eines europäischen Reichstags, Parlaments oder Staatenhauses (1693), in: K. v. Raumer (Hrsg.), Ewiger Friede, 1953, S. 321 (323 ff.); J. Bellers, Some Reasons for An European State 1710; Ch. I. C. de Saint Pierre, Projet pour rendre la paix perpétuelle en Europe (1713), Quellenauszug in: H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, S. 86 ff.; Rousseau, Auszug aus dem Plan des Ewigen Friedens des Herrn Abbé de Saint-Pierre (1756/1761) mit ders., Urteil über den ewigen Frieden (1756/1782), in: K. v. Raumer (Hrsg.), Ewiger Friede, S. 343 ff.; J. Bentham, Grundsätze für Völkerrecht und Frieden (1786/89), in: K. v. Raumer (Hrsg.), Ewiger Friede, S. 379 ff.; J.-B.( Anacharsis) Cloots, La République universelle, 1792; Kant, Zum ewigen Frieden (A 1795, B 1796), hrsg. von W. Weischedel, insbes. S. 195 ff., insbes. S. 213 ff.; C. J. Hochheim (pseudonym: Justus Sincerus Veridicus), Von der europäischen Republik, 1796, insbes. S. 85 ff., 178 ff.); J. Görres, Der allgemeine Frieden, ein Ideal (1796), in: Z. Batscha/R. Saage (Hrsg.), Friedensutopien, 1979, S. 126 (135 ff.); J. B. Sartorius, Organon des vollkommenen Friedens, 1837, insbes. S. 229 ff., 245, 249; W. Ladd, An Essay on a Congress of Nations for the adjustment of international disputes without resort to arms (1840), Quellenauszug in: H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, S. 130 ff.; V. Hugo, Eröffnungsansprache auf dem II. Internationalen Friedenskongreß in Paris am 22.8.1849, Quellenauszug in: H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, S. 136; J. C. Bluntschli, Lehre vom modernen Staat, Bd. 1, Allgemeine Staatslehre, 1886, S. 25 ff.; E. Reves, Die Anatomie des Friedens, 1947, S. 265 ff.; W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, 1952, insbes. S. 57 ff.; H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), 1 (8 ff.); G. Clark/L. B. Sohn, World Peace through World Law (1958), dt. Ausgabe der 2. Aufl.: Frieden durch ein neues Weltrecht, 1961; E. Jünger, Der Weltstaat, 1960, S. 25, 31, 33, 73 ff.; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Teilband., 1970, S. 1198 ff.; vgl. den chronologischen Überblick bei K. v. Raumer, Ewiger Friede, S. 1 ff. und den systematischen bei D. Archibugi, Models of International Organization in Perpetual Peace Projects, Review of International Studies, 18 (1992), S. 295, insbes. S. 300 ff.; siehe auch H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, S. 9 ff.; E. Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und

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Einführung

sicherten Isopolitieverträge Bürgern anderer Stadtstaaten einen durch spezielle Beamte gesicherten Rechtsstatus, der weitgehend demjenigen der Bürger der Polis entsprach.3 Damit war der Idee nach bereits in der hellenistischen Welt kosmopolitisches Recht verwirklicht. Das römische und das persische Reich schufen Weltimperien, denen alle eroberten Gebiete unterworfen waren.4 Während zweier Jahrtausende war China kulturelles Zentrum der Welt.5 Im Mittelalter herrschte die Vorstellung eines allgemeinen, für Fürsten, Stadtrepubliken und Menschen gleichermaßen verbindlichen Rechts, das aus dem göttlichen Gesetz abgeleitet wurde.6 Der römische Kaiser deutscher Nation sah sich als Wahrer von Recht und Frieden auf dem gesamten bekannten Erdkreis.7 Als sich zentral organisierte Flächenstaaten gebildet hatten, entfaltete sich der Gedanke der Territorialhoheit, wonach die auf dem Gebiet des Staates lebenden Menschen nur der staatlichen Ordnung und Gewalt als suprema potestas unterworfen sind, während das Völkerrecht lediglich die Staaten untereinander verpflichtet.8 Im Zeitalter der Aufklärung lebte neben der Idee des modernen Verfassungsstaates eine kosmopolitische Geisteshaltung fort.9 Heute hat die Frage nach dem Weltrecht und einer Weltordnung aufgrund der wahrnehmbar gewordenen Globalisierung der Lebensverhältnisse und ihrer Wirkungen auf die staatliche und zwischenstaatliche Ordnung Aktualität erhalten. Die Internationalität (Zwischenstaatlichkeit) des Völkerrechts allein wird der Globalität regelungsbedürftiger Sachverhalte nicht mehr gerecht. So wie die vergangene Phase der Internationalisierung10 durch das kooperative Völkerrecht Assoziation, 1969, S. 13 ff.; H. Mosler, The International Society as a Legal Community, 1980, S. 5: „The trend of history is towards relative sovereignty. International law as it has developed historically may one day disappear if these trends bring about a world State“; vgl. auch den Überblick bei M. Brauer, Weltföderation, 1995, S. 13 ff., zur durch die Stoa beeinflußten katholischen Soziallehre, S. 159 ff., 340; Papst Johannes XXIII, Enzyklika Pacem in terris, 1963, 1., 2., 3., 4. Teil; K. Baltz, Eine Welt, 1998, S. 13 ff.; A. J. Merkl, Völkerbund und Weltstaat, in: D. Mayer-Maly/H. Schambeck/W.-D. (Hrsg.), Adolf Julius Merkl. Gesammelte Schriften, Bd. 2, 2002, S. 599 ff. 2 Vgl. zur Geschichte: B. Paradisi, Civitas maxima, Bd. I, 1974, S. 24 ff.; P. Coulmas, Weltbürger, 1990, S. 21 ff. 3 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 2000, S. 31 f. 4 B. Paradisi, Civitas maxima I, 1974, S. 217, 323; A. Verdross, Völkerrecht, 1964, S. 36 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, S. 19. 5 K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 19, Rn. 7. 6 Vgl. K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 19 f., Rn. 9 ff. 7 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 36. 8 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 18 ff., 39. 9 Vgl. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784), hrsg. v. W. Weischedel, S. 44 (A 402, 403), 47 (A 407); ders., Zum ewigen Frieden, hrsg. v. W. Weischedel, S. 191 ff.; Schiller, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (1790), hrsg. v. F. Schneider, 1953, S. 21. 10 Zu diesem Begriff M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, 2004, S. 26 f., 61 ff.

A. Frage des Weltrechts

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begleitet worden ist, bedarf die Ära der Globalisierung11 einer globalen Rechtsdogmatik. Martin Nettesheim konstatiert: „Der Prozeß der Materialisierung und Institutionalisierung des Völkerrechts ist angesichts der Erscheinungen von Globalisierung, Herausbildung gesamtmenschheitlicher Probleme sowie der Entwicklung einer Weltgemeinschaftsidee alternativlos“. Es wird eine der großen Aufgaben der Völkerrechtswissenschaft des 21. Jahrhunderts sein, diesen Prozeß zu begleiten.“12

Die paradigmatische Entwicklung vom Völkerrecht zum Weltrecht ist kein akademisches Glasperlenspiel.13 Krieg und Frieden, grenzüberschreitender Terrorismus, das Überleben der Menschheit und der Erde14 sowie Verletzungen der Menschenrechte, aber auch die sich entsozialisierende Wirtschaft, sind drängende globale Fragen, die alle angehen. Ob diese Themen in den herkömmlichen Strukturen der Nationalstaaten und des Völkerrechts bewältigt werden können, wird bezweifelt. Robert Uerpmann sieht das traditionelle Konzept des geschlossenen Nationalstaates als überholt an.15 Karl Albrecht Schachtschneider hat bemerkt: „Die große Epoche des Modernen Staates geht zu Ende. Die europäische Integration dürfte nur eine befristete Etappe zur notwendigen Integration der Welt sein. Weltrechtliche Prinzipien sind längst in Kraft, die Menschenrechte und bestimmte Ordnungselemente der Wirtschaft. Die ökonomischen und ökologischen Gegebenheiten sind gebieterisch.“16

Die Utopie eines Weltstaates als Weltherrschaft17 im Sinne der genannten historischen Beispiele kann sehr schnell real werden, wenn sie sich aus der tatsächlichen Vorrangstellung einer Großmacht entwickelt, nachdem das Machtgleichgewicht zwischen den ständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat der weitgehenden Vorherrschaft der USA gewichen ist.18 Mit dem Anspruch der USA, die Probleme des globalen Terrorismus nationalstaatlich-hegemonial, eine Legitimität außerhalb der Legalität beanspruchend, im Wege von Präventivkrie-

11 Dazu auch unter 6. Teil, E; M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 54 ff. 12 M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 578. 13 Vgl. aber M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, 2002, S. 412. 14 D. Archibugi, International Organizations in perpetual peace projects, Review of International Studies, 18 (1992), S. 295 (317). 15 R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 565 (567). 16 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71, 1997, S. 153 (167). 17 In dem Sinn aber A. J. Merkl, Völkerbund und Weltstaat, S. 599 ff.; vgl. kritisch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 15, 131 ff. 18 Dazu H. Neuhold, Strukturelle Veränderungen im internationalen System, in: W. Hummer u. a. (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht, 2002, S. 22 ff.

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Einführung

gen zu lösen19, droht ein Rückfall hinter die Aufklärung und das Völkerrecht des 20. Jahrhunderts.20 So hielt etwa Francisco Vitoria (1480–1546) den Krieg über die reine Verteidigung hinaus zur Bestrafung zugefügten Unrechts für rechtmäßig.21 Der ehemalige amerikanische Präsident George Bush Senior hat das Schlagwort von der „Neuen Weltordnung“ während des ersten Golfkrieges (1990/91) im problematischen Sinne eines hegemonialen Ordnungskonzeptes in die internationale Diskussion gebracht.22 Die Weltherrschaft einer Supermacht würde mit dem völkerrechtlichen Fundamentalprinzip der souveränen Gleichheit der Staaten oder des Selbstbestimmungsrechts der Völker brechen. Vor allem wäre eine solche ein Rückschritt zum Recht des Stärkeren23, also zum Naturzustand. Jedenfalls würde die Wiedereinführung des ius ad bellum drohen. Das Gewaltverbot würde ausgehöhlt, welches am Ende der beiden Weltkriege in der Satzung der Vereinten Nationen seinen Niederschlag gefunden hat.24 Thomas Hobbes hat den Naturzustand als einen rechtlosen Zustand, im dem der Krieg aller gegen alle herrscht, gekennzeichnet. Frieden und Recht entstehen erst durch die Vereinigung zu einer politischen Gemeinschaft, in der Streitigkeiten verbindlich auf der Grundlage allgemeiner Gesetze entschieden werden.25 Erst die Einbindung in eine Weltverfassung hebt den auch in der Völkerrechtsordnung verbleibenden Rest an Naturzustand zwischen den Staaten26 endgültig auf. Nach Immanuel Kant gebietet die Vernunft, 19 I. d. S. R. Kagan, Macht und Ohnmacht, 2004 (engl: Paradise and Power, 2003), S. 148, 167 ff.; J. J. Darby, Self Defense in Public International Law, in: Fs. G. Ress, 2005, S. 29 ff. 20 D. Murswiek, Die amerikanische Präventivkriegstrategie und das Völkerrecht, NJW 2003, 1014 (1019 f.); kritisch auch Th. Bruha, Irak-Krieg und Vereinte Nationen, AVR 41 (2003), S. 295 ff. 21 F. Vitoria, De iure belli, III, 4. 22 Rede des amerikanischen Präsidenten G. Bush senior zur „Neuen Weltordnung“ vom 13.4.1991, in Übersetzung auszugsweise abgedruckt in: EA 46 (1991), S. 254 ff.; O. Kimminich, Neue solidarische Weltordnung, in: Fs. V. Zsifkovits, 1993, S. 9 ff.; im Ergebnis verneinend: R. Cooper, Gibt es eine neue Weltordnung?, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 102 (115 f.). 23 Dazu D. S. Lutz, Der „Friede als Ernstfall“ oder das „Recht des Stärkeren“, in: ders./H. J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, S. 17 (21 ff.); G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 480 ff. 24 O. Kimminich, Neue solidarische Weltordnung, S. 9; D. S. Lutz, Der „Friede als Ernstfall“ oder das „Recht des Stärkeren“, S. 22 f.; R. Merkel, Amerikas Recht auf die Welt, in: D. S. Lutz/H. J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, S. 37 (40 ff.). 25 Hobbes, Leviathan (1651), hrsg. v. M. Diesselhorst, II, Vom Staat, 17. Kap. (S. 155); Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1689), II, §§ 21, 87, hrsg. v. W. Euchner, 1977, S. 213, 253 f.; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, (A 1797, B 1798), hrsg, v. W. Weischedel, 1983, Bd. 7, S. 365 (AB 73) f.; ders., Zum ewigen Frieden, hrsg, v. W. Weischedel, Bd. 9, S. 203 (BA 18); vgl. auch schon Aristoteles, Politik (350 v. Chr.), hrsg. v. F. Schwarz, 1989, 1. Buch, S. 79, 1253a. 26 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, II, § 14, S. 208.

A. Frage des Weltrechts

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„aus dem gesetzlosen Zustande der Wilden hinaus zu gehen, und in einen Völkerbund zu treten; wo jeder, auch der kleinste Staat seine Sicherheit und Rechte, nicht von eigener Macht, oder eigener rechtlicher Beurteilung, sondern allein von diesem großen Völkerbunde (Foedus Amphictyonum), von einer vereinigten Macht, und von der Entscheidung nach Gesetzen des vereinigten Willens, erwarten könnte.“27

In diesem Sinne formuliert Otfried Höffe: „Erst im Gedanken einer Weltrepublik erfüllt sich ein moralisches Gebot, dessen die Menschen einander schulden, das universale Rechtsgebot. Die Herrschaft von Recht, Gerechtigkeit und Demokratie auch auf globaler Ebene, die subsidiäre und föderale Weltrepublik, ist die Meßlatte, an der sich die künftige Weltordnung messen lassen muß.“28

In welchem Umfang Weltrecht auch weltstaatlicher Strukturen bedarf29, soweit diese unter Rechtsgesichtspunkten überhaupt legitimierbar sind, ist die brisanteste Frage in der Weltrechtsdiskussion. Aus Furcht vor einer „Universalmonarchie“30, die mit einem seelenlosen Despotismus verbunden sei31, hat schon Kant in seiner Schrift ,Zum ewigen Frieden‘ die aus dem Rechtsgedanken fließende Konsequenz eines Menschheitsstaates durch das „negative Surrogat“ eines Völkerbundes ersetzt.32 Das negative Surrogat des Völkerrechts ist den Weltproblemen jedoch nicht mehr gewachsen. Es geht darum, aus dem von Anne-Marie Slaughter herausgestellten Paradox der Globalisierung „needing more government and fearing it“33 zu entkommen. In dieser Arbeit, die sich als Beitrag zum Diskurs in der Weltrechtsfrage versteht, wird versucht, eine Weltrechtsbegründung zu konzipieren, die eine Weltrechtsordnung ermöglicht, welche die Gefahren einer Weltherrschaft umgeht. Der Gegenbegriff zu Herrschaft ist Selbstbestimmung oder Freiheit als Autonomie. Eine nicht herrschaftliche Rechtsbegründung setzt voraus, daß Recht nicht 27 Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784), hrsg. v. W. Weischedel, 1983, Bd. 9, S. 42 (A 399, 400). 28 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 429; siehe schon J. C. Bluntschli, Lehre vom modernen Staat, Bd. 1, S. 27: „Der Weltstaat oder das Weltreich ist das Ideal der fortschreitenden Menschheit.“; vgl. auch W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, S. 57 ff.; A. J. Merkl, Völkerbund und Weltstaat, S. 599 ff. 29 Dazu H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), S. 1 (8 ff.); A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HStR, Bd. II, 2004, § 17, S. 143, Rn. 6 m. N. 30 Zum Modell einer Universalmonarchie vgl. Dante Alighieri, Über die Monarchie („De monarchia“), 1559; hrsg. v. O. Hubatsch, 1872, 1. Buch, 14. Kap.; zit. auch, in: I. Fetscher, Modelle der Friedenssicherung, S. 13 ff.; vgl. zu Dantes Modell auch M. Brauer, Weltföderation, S. 24 ff. 31 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 225; vgl. auch Fichte, Reden an die deutsche Nation (1846), Gesamtausgabe Bayerische Akademie der Wissenschaften, 2005, Bd. 10, insbes. 4., 5., 7., 8. Rede, der insbesondere den Verlust der nationalen Eigentümlichkeiten fürchtet. 32 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 208 (BA 28) ff. 33 A.-M. Slaughter, A new world order, 2004, S. 8 ff.

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lediglich als beliebige, durchsetzbare, positive Ordnung menschlichen Zusammenlebens, sondern als Ordnung friedlichen menschlichen Zusammenlebens auf der Grundlage und zum Zwecke der Freiheit aller verstanden wird.34 Kant hat in seiner ,Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht‘ gezeigt, daß die Konsequenz eines freiheitlichen Rechtsbegriffs „eine vollkommene bürgerliche Vereinigung in der Menschengattung“35, d. h. eine Art „Weltgesellschaftsvertrag“36 ist. Soweit es von der Menschheit als idealer Zweck des Rechts anerkannt wird, Frieden und Freiheit zwischen den Menschen zu sichern37, kann Recht nur universell gedacht werden. Dafür sprechen die Bekenntnisse der Völker in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, in zahlreichen Menschenrechtsverträgen, in der UN-Charta und im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Georg Geismann hat in diesem Sinne treffend formuliert: „Rechtslehre (als Lehre von einer möglichen Gemeinschaft freier Wesen) ist (Rechts-)Friedenslehre und in ihrer systematisch geschlossenen Summe allgemeine (Welt-)Friedenslehre.“38

In diesem Sinn will diese Abhandlung eine Rechtslehre als Weltfriedenslehre konzipieren und eine entsprechende Weltrechtsdogmatik erarbeiten. Weltrecht ist keine Utopie39, sondern weil es den universellen Rechtsgedanken im regelungsbedürftigen globalen Lebenszusammenhang verwirklicht, eine „realistische Vision“.40 Es ist zu bedenken, daß das Unmögliche von heute das Mögliche von morgen sein kann.41 Kants Völkerbund war für seine Zeitgenos34 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 153 ff., 519 ff., 567, 819 f., 996, 998; siehe auch H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), S. 1 (4 ff.). 35 Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 47 (A 407); vgl. auch S. 44 (A 402, 403). 36 R. A. Lorz, Die dauerhafte Aktualität des ewigen Friedens, Der Staat, 37 (1998), 85. 37 W. Maihofer, Prinzipien der freiheitlichen Demokratie, in: E. Benda/W. Maihofer/ H.-J. Vogel (Hrsg.), HVerfR, 1994, S. 427 (453 ff.); K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 8 ff., 573 ff., 575. 38 G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 363 (363). 39 Zum Begriff der Utopie K. Baltz, Eine Welt, S. 20 ff.; siehe Kant, Zum ewigen Frieden, S. 231 (B 75/A 69, 70); R. Wittmann, Kants Friedensentwurf – Antizipation oder Utopie?, in: R. Merkel/ders. (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 142 ff.; kritisch D. R. Griffin, Global Government: Objections Considered, in: E. E. Harris/J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 61; vgl. dazu auch W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, S. 97 ff.; M. Koskenniemi, From Apology to Utopia, 1989, S. 1 ff., 16 ff., 516 ff.; ders., The Gentle Civilizer of Nations, S. 411 f. 40 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 429 ff.; ders., Vision: föderale Weltrepublik, 2000, S. 11; D. Archibugi, International Organization in Perpetual Peace Projects, Review of International Studies, 18 (1992), S. 295 ff., 316; auch schon Kant, Über den Gemeinspruch (Völkerrecht), S. 172 (A 284).

A. Frage des Weltrechts

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sen gleichermaßen undenkbar. In Gestalt der Vereinten Nationen ist er für uns zur Realität geworden. Mit den Zwangsbefugnissen des Sicherheitsrates (Kap. VII UN-Charta) und in den über die reine Friedenssicherung hinausreichenden Zielen der „Förderung des sozialen Fortschritts und besserer Lebensbedingungen bei größerer Freiheit“ (Präambel der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) geht die UNO konzeptionell sogar darüber hinaus.42 Daß scheinbar Unmögliches sehr schnell möglich werden kann, zeigen die deutsche Wiedervereinigung sowie das Ende des Kalten Krieges. Diese Ereignisse schufen die Voraussetzung dafür, die Frage des Weltfriedens nicht mehr im Geiste von Hobbes durch Abschreckung, sondern im kantianischen Sinn rechtlich bewältigen zu können.43 Nach Otfried Höffe ist zumindest komplementäre Weltstaatlichkeit ein Gebot der Rechtsvernunft.44 Eine Weltordnung verliert furchteinflößende Assoziationen, soweit es gelingt, Staatlichkeit jenseits des territorialen Nationalstaates zu denken. Eine Weltrechtsordnung entwickelt sich nicht auf einmal, sondern in einzelnen Schritten.45 Sie ist, den Lauf der Geschichte betrachtend, nicht etwas, das die Staaten „durchaus nicht wollen“ (Kant)46, sondern eine Idee des Rechtsfortschritts, der sich die Menschheit mit dem Wandel des Völkerrechts allmählich annähert.47 Eine Utopie ist Weltrecht insbesondere auch deshalb nicht, weil unter dem Deckmantel des Völkerrechts die Entwicklung einer Weltrechtslehre bereits in vollem Gang ist.48 Die Existenz von Weltrecht setzt nicht notwendig eine vollendete Weltrechtsordnung oder gar einen Weltstaat voraus49, sondern entfaltet sich zunehmend als paradigmatischer Wechsel in einzelnen Prinzipien, Merkmalen und Instrumenten in der internationalen und globalen Rechtspraxis, welche ein weltrechtliches Paradigma erkennen lassen.50 Thomas S. Kuhn51, der den 41 Vgl. zur Möglichkeit einer Weltrepublik K. Graf Ballestrem, Auf dem Weg zur Weltrepublik?, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 516 ff.; M. Brauer, Weltföderation, S. 60 ff. 42 Vgl. O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: D. Hüning/B. Tuschling/O. Asbach (Hrsg.), Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant, 1998, S. 235 f. 43 D. Held, Democracy and the Global Order, 1995, S. 285. 44 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 220 ff.; ders., Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 296 ff. 45 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 281; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 293; ders., Vision: föderale Weltrepublik, S. 21. 46 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 212 (BA 37, 38). 47 Vgl. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 41 (A 398); O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: D. Hüning u. a. (Hrsg.), S. 244. 48 Dazu insbesondere 6. Teil. 49 So auch J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, in: Gs J. Sonnenschein, 2003, S. 793 ff.; a. A. R. J. Glossop, World Federation?, 1993, S. 46 ff.

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Begriff Paradigmenwechsel geprägt hat, beschreibt diesen zunächst als Krise, die dadurch ausgelöst wird, daß in einer Wissenschaft Abweichungen auftreten, welche nicht mehr durch das allgemeinhin geltende wissenschaftliche Denkmuster (Paradigma), innerhalb dessen die bisherige wissenschaftliche Entwicklung stattfand, erklärt werden können. Zunächst ist man bestrebt, die anormalen Entdeckungen mit dem alten Paradigma zu vereinbaren. Wenn dies über einen längeren Zeitraum hinweg nicht gelingt, beginnt die Zeit der wissenschaftlichen Revolution. Es werden neue (sich unter Umständen widersprechende) Theorien ersonnen. Diese allgemeinen, wissenschaftstheoretischen Überlegungen Kuhns zeigen sich heute in der Völkerrechtslehre. Meist wird noch versucht, das Weltrecht begrifflich in das Völkerrecht zu integrieren. So hat sich die Meinung etabliert, daß das Völkerrecht nicht mehr nur die internationalen Beziehungen regle, sondern auch den Rahmen für eine „internationale öffentliche Ordnung“ darstelle.52 Hermann Mosler beschreibt den derzeitigen Zustand der Völkerrechtsordnung als Weiterentwicklung der alten Rechtsordnung unter dem Einfluß neuer Faktoren. Zu diesen zählt er die Ausdehnung des Kreises der Völkerrechtssubjekte, die institutionalisierte Zusammenarbeit der Internationalen Organisationen, die zunehmende Interdependenz und „das Wiederauftauchen der Einzelperson und der menschlichen Werte im Völkerrecht“.53 Otto Kimminich und Stephan Hobe überschreiben in ihrem Lehrbuch „Einführung in das Völkerrecht“ die gegenwärtige Phase dagegen schon als „Völkerrecht im Umbruch“.54 Auch Juliane Kokott diagnostiziert, daß „wir uns in einer Umbruchphase des Völkerrechts befinden“ und, daß wir auf dem Weg zu einer „Weltverfassung“ seien.55 Obwohl sich das Weltrecht teilweise als Forführung des Völkerrechts darstellt, folgt die herkömmliche Lehre des Völkerrechts unter Umständen einem anderen Paradigma als eine weltrechtliche Dogmatik, weil sich Völkerrecht und Weltrecht in ihrem Charakter, in ihren Subjekten und in ihrer Zielsetzung unterscheiden. So denkt Martin Nettesheim darüber nach, ob das Völkerrecht inzwischen „gar als Weltgemeinschaftsrecht, als Recht einer internationalen menschlichen Gemeinschaft“ bezeichnet werden müsse.56

50 Vgl. W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 275 ff. 51 Dazu Th. S. Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, 1962. 52 H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 1 ff., 15 f.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 1997, S. 308. 53 H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 11. 54 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 61 ff. 55 J. Kokott, Naturrecht und Positivismus im Völkerrecht – sind wir auf dem Weg zu einer Weltverfassung?, in: Ch. J. Meier-Schatz/R. J. Schweizer (Hrsg.), Recht und Internationalisierung, 2000, S. 3 ff. (4, 21); siehe auch I. Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constitutionalism, in: Fs. C. Tomuschat, 2006, S. 973 ff. 56 M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 570.

B. Struktur der Untersuchung

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Ziel dieser Arbeit ist es, eine Weltrechtslehre im Unterschied zur traditionellen Völkerrechtslehre zu entwickeln. Daß sie nicht unwidersprochen bleiben wird, ist typischer Teil des Paradigmenwechsels. Hierbei stellen sich folgende Fragen: Was ist Weltrecht? Wie kann Weltrecht begründet werden? Warum und in welchem Umfang benötigen wir eine Weltverfassung? Wie wirkt die Globalisierung auf die Rechtsentwicklung? Wie unterscheidet sich Weltrecht vom Völkerrecht? Brauchen wir eine Weltrepublik? Ist kosmopolitische Demokratie möglich? Zeigen sich bereits Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht in Lehre und Praxis, welche Rückschlüsse auf einen Paradigmenwechsel erlauben? Welche Wege zum Weltrecht eröffnen sich dabei?

B. Struktur der Untersuchung Die Struktur der Arbeit läßt sich folgendermaßen skizzieren: Die Wirkungen der Globalisierung auf die staatliche Ordnung und die daraus folgende Frage nach einem globalen Recht werden im ersten Teil vorgestellt. Um festzustellen, wie sich Völkerrecht von Weltrecht begrifflich und inhaltlich unterscheidet, erscheint es zunächst sinnvoll, in typisierender Betrachtungsweise vom Paradigma des traditionellen Völkerrechts auszugehen (zweiter Teil), um diesem eine Begrifflichkeit und Dogmatik des Weltrechts gegenüberzustellen (dritter Teil). Philosophisches Fundament der Begründung des Weltrechts ist ein kantianischer Kontraktualismus und dessen Fortentwicklung in der Diskursethik, weil er die Gefahren einseitiger Weltherrschaft zugunsten einer Weltverfassung umgeht. Auf dieser Grundlage werden die Begrifflichkeit und die Dogmatik des Weltrechts erarbeitet, welche die Geltung, Subjekte, Merkmale, Prinzipien und Instrumente des Weltrechts im Unterschied zum Völkerrecht aufzeigen. Mit der ursprünglichen Materie des geborenen Weltrechts, nämlich dem Weltbürgerrecht und den Menschenrechten, befaßt sich gesondert der vierte Teil. Im Abschnitt A werden spezifisch die Frage der Begründung und der Universalität der Menschenrechte untersucht und mit den hiergegen teilweise vorgebrachten Bedenken in Form eines Dialoges konfrontiert. Unter Abschnitt B werden Inhalt und Umfang des Weltbürgerrechts näher bestimmt. Wie eine Weltordnung zur Sicherung der Durchsetzung des Weltrechts nicht als Universalmonarchie, sondern freiheitlich konzipiert werden kann, ist Gegenstand des fünften Teils. Zu diesem Zweck werden verschiedene Modelle vorgestellt und bewertet, welche sich innerhalb und außerhalb der traditionellen Staatskonzeptionen bewegen. Im sechsten Teil geht es erstens darum, die praktische Wirksamkeit von Weltrecht zu analysieren, d. h. zu prüfen, inwieweit in Praxis und Lehre ein Wechsel von völkerrechtlichen zu weltrechtlichen Kategorien stattgefunden hat oder noch stattfindet. Zweitens soll der Stand der Entstehung einer Weltrechtsordnung

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Einführung

oder der Grad der Öffnung des Völkerrechts für das Weltrecht festgestellt werden. Die Entwicklung vom Völkerrecht der Koexistenz und der Kooperation bis hin zum aktuellen Völkerrecht der Globalisierung mit seinen konstitutionellen und universalstaatlichen Elementen wird in verschiedenen, ausgewählten Bereichen analysiert. Der siebte Teil faßt die Ergebnisse der gesamten Untersuchung als Antworten auf die oben gestellten Fragen zusammen.

1. Teil

Staatliche Ordnung und Globalisierung der Lebensverhältnisse Weil sich die Frage nach dem Staat in der globalisierten Welt neu stellt und sich Wesen und Funktion des Staates gegebenenfalls verändert und weil Staatlichkeit ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Überlegungen zu einer Weltrechtsordnung ist, sollen zunächst verschiedene Begriffe des Staates vorgestellt werden. Sodann werden die Globalisierung der Lebensverhältnisse sowie ihre Wirkung auf den Staatsbegriff gezeigt, exemplifiziert an der herrschenden DreiElemente-Lehre.

A. Klassische Begriffe vom Staat In der Neuzeit wurde das viele Völker vereinigende Imperium, wie es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation oder im Russischen und Osmanischen Reich fortexistierte, von einer Vielzahl souveräner Territorialstaaten abgelöst. Entstanden zunächst aus Königreichen, hat sich der Staat später unter dem Einfluß des französischen Vorbilds zum Nationalstaat ausgebildet.1 Der „moderne“ Staat war Voraussetzung für die Völkerrechtsordnung und bildet ihren prägenden Kern. Hermann Heller hat sogar die Behauptung aufgestellt: „Juristische Denknotwendigkeit besitzt der Staat, nicht aber das Völkerrecht.“2 Erst recht würde dies für das Weltrecht gelten. Ob diese Äußerung richtig ist, hängt letztlich vom Staatsbegriff ab.

1 J. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität (1990), in: ders., Faktizität und Geltung, 1998, S. 632 (634); vgl. auch ders., Der europäische Nationalstaat (1996), in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 128 ff; zur Entwicklung des modernen Staates S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998, S. 38 ff.; D. Held, Democracy and the Global Order, S. 31 ff.; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 1999, S. 31 ff., 440 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2003, S. 61 ff. 2 H. Heller, Die Souveränität, 1927, S. 118.

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

I. Staat als territorialer Herrschaftsverband und positiv-rechtliche Zwangsordnung Nach Hobbes setzt der Staat als Souverän und nicht eine transzendentale Ordnung das Recht.3 Die rechtliche Ordnung muß ihm zufolge, wenn nicht von Bürgern, von einem Herrn geschaffen werden, um das gemeinsame Leben zu ermöglichen.4 Mit Beginn der Neuzeit war der Wandel von der vorgegebenen zur aufgegebenen Normativität eingeleitet5 und das Fundament für den Rechtspositivismus6 gelegt worden. Der positivistische Rechtsbegriff7, der keinen apriorischen Maßstab für das Recht kennt, stellt auf die Ordnungsfunktion des Staates ab.8 Der Staat wird als „umfassendste rechtliche und politische Organisation“9 oder als organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit10 beschrieben. Georg Jellinek und mit ihm seither die überwiegende deutsche Staatsrechtslehre sehen das bestimmende Merkmal des Staates in der Ausübung von öffentlicher Gewalt als Herrschaft.11 Diese Sichtweise wiederholt sich auch in der, im Völkerrecht angewandten, auf Jellinek zurückgehenden „Drei-ElementeLehre“.12 Danach setzt sich der Staat aus den drei Elementen Volk, Gebiet und 3 Hobbes, Leviathan, II, 18. Kap., S. 160; dazu vgl. S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 105 ff. 4 Hobbes, Leviathan, I, 14. Kap., S. 118 ff., insbes. S. 184 f., S. 151 ff. (160 f.), auch S. 196 ff. 5 S. König, Zur Begründung der Menschenrechte: Hobbes – Locke – Kant, 1994, S. 84 f.; A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Frieden durch Recht, 2000, S. 151 (154 ff.). 6 Zur Kategorisierung der positivistischen Rechtsbegriffe siehe R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 2002, S. 31 ff. 7 Ein früher Verteidiger des Rechtspositivismus gegen die Lehrer der distributiven Gerechtigkeit Platon und Aristoteles war Karneades, den Cicero, in De re publica (54– 51 v. Chr.), hrsg. v. K. Büchner, 1979, S. 257 ff. (III, Rn. 6 ff., 20), unwiderlegt sprechen läßt; siehe zum Rechtspositivismus H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, 1920, S. 85 ff.; zur Kategorisierung der positivistischen Rechtsbegriffe siehe R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 31 ff.; zur Entwicklung des positiven Rechts Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, 2004, S. 80 ff.; kritisch S. 39 ff.; zum Rechtspositivismus im Völkerrecht A. Verdross, Völkerrecht, 1964, S. 103 f. 8 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 154, 289 ff.; M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1976, S. 17. 9 P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 1986, S. 84; vgl. auch O. Höffe, Politische Gerechtigkeit. Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat, 1987, S. 423 ff. 10 H. Heller, Staatslehre, 1961, S. 228 ff. 11 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1914, Neudruck 1960, S. 180 f.; W. Henke, Recht und Staat, 1988, S. 251 ff., 299, 387 ff., 399, 610; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 58 ff.; BVerfGE 2, 1 (12 f.); 83, 37 (52); 83, 60 (73); kritisch dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 71 ff.; ders., Freiheit in der Republik, 2006, S. 115 ff.

A. Klassische Begriffe vom Staat

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Gewalt zusammen. Recht ist nach dieser Definition anders als für Kelsen nicht existenzbestimmend für den Staat13, sondern ist ein Mittel der staatlichen Hoheitsgewalt und Herrschaftsausübung.14 Er sei „das in besonderem Maße rechtlich durchnormierte, durchorganisierte und mit oberster Zwangsgewalt sanktionierte System der verbindlichen politischen Entscheidung und Rechtsdurchsetzung“.15 II. Staat als Integrationsordnung Der Staat gewinnt erst Realität, wenn es gelingt, die im wirklichen Leben bestehende Vielheit der Individuen, Verhaltensweisen und Interessen zu einem einheitlichen Handeln zu verbinden.16 Der Staat ist folglich Integrationsordnung.17 Worauf diese Integration beruht, ist damit noch nicht gesagt. Für JeanJacques Rousseau ist der Gesellschaftsvertrag der Sozialisationsgrund. Durch ihn wird „ein Volk zum Volk“.18 Es bildet einen „Gemeinwillen“ (volonté générale), dem sich der einzelne Bürger unterwirft und der sich von der Summe der Einzelwillen unterscheidet.19 Für Rudolf Smend gilt die Verfassung als „integrierende Wirklichkeit“.20 Das ist auch das Konzept der europäischen Integration.21 Die für die politische Einheit22 notwendige Integration oder Identitätsbil12 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 174 ff., 394 ff.; vgl. auch A. Verdross/ B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 201 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 2000, S. 74 f.; kritisch R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 1994, S. 121 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 145 f. 13 P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 17; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 418, der Unrechtsstaaten als Nicht-Staaten qualifiziert. 14 W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1999, S. 98; vgl. auch BVerfGE 95, 267 (291) im Altschuldenurteil, in dem die DDR als Staat und deren Ordnung als „Recht“ bezeichnet wird; vgl. kritisch K. A. Schachtschneider, Sozialistische Schulden nach der Revolution. Ein Beitrag zur Lehre von Recht und Unrecht, 1996, S. 45 ff. 15 P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, S. 80; vgl. auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2003, S. 58 ff. 16 Dazu R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 121, 127 f.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1995, S. 5 ff. 17 R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 138. 18 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts (1762), hrsg. v. H. Brockhardt, 1986, I, 5. Kap. a. E., 6. Kap., S. 16 ff. 19 Rousseau, Gesellschaftsvertrag, I, 6. Kap., S. 16; 7. Kap., S. 20 f. 20 R. Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 192 f.; vgl. auch C. Walter, Der Einfluß der Globalisierung auf die europäische Verfassungsdiskussion, DVBl. 2000, S. 1 (5, 10 ff.). 21 Vgl. H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 66 ff.; A. EmmerichFritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EGRechtsetzung, 2000, S. 203 f.; dazu auch unter 6. Teil, D, III, 2., S. 834. 22 Dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 5 ff.

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dung23 kann auf verschiedene Weise entstehen: Entweder führen kulturelle Gemeinsamkeiten zu einer politisch staatlichen Gemeinschaft oder gemeinsames politisches Handeln verbindet verschiedene kulturelle und ethnische Einheiten zu einer neuen kulturellen Einheit oder aber zu ethnisch-kultureller Vielfalt.24 Für jede Möglichkeit der Staatsbildung gibt es historische Beispiele.25 III. Nationalstaat Der Begriff „Nation“ reflektiert die Entstehung des Nationalstaats als geschichtliches Phänomen.26 Natio bezog sich wie gens und populus im Gegensatz zu civitas auf Völker im ethnisch-soziologischen Sinn.27 Nach diesem Sprachgebrauch sind „Nationen“ Abstammungsgemeinschaften, die geographisch durch Siedlung und Nachbarschaft sowie kulturell durch die Gemeinsamkeit von Sprache, Sitte, Überlieferung (Kulturnation), nicht durch politische oder staatliche Organisation integriert sind.28 So differenziert Kant: Die Staatsbürger heißen cives.29 Unter dem Wort Volk im Sinne von populus versteht Kant „die in einem Landstrich vereinigte Menge Menschen, in so fern sie ein Ganzes ausmacht. Diejenige Menge oder auch der Teil derselben, welcher sich durch gemeinschaftliche Abstammung für vereinigt zu einem bürgerlichen Ganzen erkennt, heißt Nation (gens)“.30

Die Französische Revolution entmachtete den Adel zugunsten der Nation. Die Nation wird zum Ursprung der staatlichen Souveränität.31 Die Nation im Sinne der Französischen Revolution versteht sich nicht mehr als ethnisch-kulturelle Gemeinschaft, sondern als civitas, die unter gemeinsamen Gesetzen lebt (Staatsnation).32 Konsequenterweise gewährte Art. 4 der Revolutionsverfassung 23

Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, 2000, S. 144 ff. H. Schneider, EU als Staatenverbund oder als multinationale „Civitas Europea“, in: A. Randelzhofer/R. Scholz/D. Wilke, Gs E. Grabitz, 1996, S. 677 (702 f.). 25 Vgl. H. Schneider, EU als Staatenverbund oder als multinationale „Civitas Europea“, S. 704 ff.; z. B. Schweiz einerseits, Deutschland andererseits. 26 Vgl. dazu F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 1908, S. 1, 20 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 1 ff.; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 31 ff., 440 ff. 27 Bei den Römern war natio die Göttin der Geburt und der Herkunft. 28 J. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, S. 635; ders., Der europäische Nationalstaat, S. 131, 133; vgl. auch zum Begriff der Nation J.-Chr. Merle, Mill über die Nation und die heutige Debatte über die Globalisierung, ARSP 88 (2002), S. 178 ff. 29 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 432 (166 B 196). 30 Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, hrsg. v. Weischedel, Bd. 10, S. 658 (B 296, A 298). 31 Dazu D. Held, Democracy and the Global Order, S. 74 ff.; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 440 ff. 24

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von 1793, der „Vom Stand der Bürger“ handelt, jedem erwachsenen Ausländer, der ein Jahr in Frankreich ansässig war, die Staatsangehörigkeit, einschließlich der aktiven Staatsbürgerrechte. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts verschränken sich der ethnische und der politische Nationenbegriff.33 Martin Kriele sieht die Nation besonders durch ein Zusammengehörigkeitsbewußtsein, durch den Willen zu politischer Einheit gekennzeichnet.34 Die Nation ist Ausdruck einer Besonderung, die sich nach außen durch Abgrenzung und im Inneren durch Homogenisierungstendenzen realisiert.35 Sie ist mit einer sozialen Integration verbunden, deren Begründungen unterschiedlicher Art und historisch mehr oder weniger zufällig sein können.36 Der ethnisch geprägte Begriff „Nation“ ist mithin nicht mit dem Staatsvolk identisch. Oft aber sind aus Nationen Staaten entstanden – Nationalstaaten. Meist werden Nationalstaaten durch ihre Grenzen definiert, durch die Abgrenzung des Fremden vom Eigenen37, die bis zu der zweifelhaften FreundFeind-Logik, die Carl Schmitt38 zur Definition des Politischen heranzieht, reicht.39 Schmitt stellt die These auf: „Die politische Einheit setzt die reale Möglichkeit des Feindes und damit eine andere, koexistierende, politische Einheit voraus. Es gibt deshalb auf der Erde, solange es überhaupt einen Staat gibt, immer mehrere Staaten und kann keinen, die ganze Erde und die ganze Menschheit umfassenden Welt„staat“ geben. . . . Die poli32 Emmanuel Sieyès gibt in seiner Flugschrift vom Januar 1789 als Antwort auf die Frage „Qu’est-ce qu’une nation?“ zur Antwort: „(U)n corps d’associés vivant sous une loi commune et représentés par la même législature“. E.-J. Sieyès, Qu’est-ce que le Tiers Etat, S. 31; vgl. auch J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 777 (783). 33 J. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, S. 635. 34 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 73. 35 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 174; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 440; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1177 ff.; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 137 ff. 36 M. Hättich, Politische Aspekte globaler Geltungen, in: W. Lütterfelds/Th. Mohrs (Hrsg.), Eine Welt – Eine Moral?, 1997, S. 165 (169); J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, S. 135 ff. 37 Fichte, Reden an die deutsche Nation, insbes. 4., 5., 7., 8. Rede; F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 1 ff.; H. v. Treitschke, Fichte und die nationale Idee, in: Der Schatzgräber Nr. 122, 1928, S. 15 ff.; U. Haltern, Internationales Verfassungsrecht? Anmerkungen zu einer kopernikanischen Wende, AöR 128 (2003), S. 511 (542 ff.); J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, S. 133; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 174; U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, S. 133 f.; ders., Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001, S. 52 ff.; K.-P. Sommermann, Der entgrenzte Verfassungsstaat, in: D. Merten (Hrsg.), 1998, S. 19 (25 ff.). 38 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1927), in: ders., Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles, 1923–1939, 1988, S. 67 (69 ff.). 39 E. Altvater, Sustainability Failures, in: Fs. M. Jänicke, 1997, S. 42.

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse tische Einheit kann ihrem Wesen nach nicht universal sein. Sind die verschiedenen Völker- und Menschengruppen der Erde alle so geeint, daß ein Kampf zwischen ihnen real unmöglich wird, hört also die Unterscheidung zwischen Freund und Feind auch der bloßen Eventualität nach auf, so gibt es nur noch Wirtschaft, Moral, Recht, Kunst usw., aber keine Politik und keinen Staat mehr.“40

Schmitt leitet aus dem Begriff der politischen Einheit der Staaten deren Recht zum Krieg ab.41 Er ist somit nicht nur ein Gegner der Weltstaatsidee, sondern auch des Friedenszwecks des Völkerrechts.42 Gegen Schmitts These ist einzuwenden: Auch wenn das Element der Abgrenzung eines Volkes von anderen Völkern ein Wesensmerkmal des Nationalstaates ist, das sich insbesondere in seiner Territorialität zeigt, so erfaßt sie doch nicht den Begriff des Politischen oder der Staatlichkeit schlechthin.43 Kern der Staatlichkeit unter normativen Gesichtspunkten44 ist die Verwirklichung der Rechtsidee durch Schaffung einer von Menschen verfaßten öffentlichen Gewalt.45 Das Rechtsprinzip und damit der Zweck des Staates soll die Freund-Feind-Logik, die dem Naturzustand zwischen den Staaten entspricht, überwinden und nicht zementieren.46 In diesem Sinn steht der Begriff der politischen Einheit einer Weltordnung nicht entgegen, sondern erfordert sie.47 Dem Bedürfnis nach Abgrenzung entspricht die von den Nationen beanspruchte Territorialität48 und Souveränität49. Es zeigt sich im aktuellen und andauernden Kampf verschiedener Völker oder ethnischer Einheiten um einen eigenen Staat oder um nationale Ziele, etwa der Serben, Kroaten, Bosnier, Armenier, Aserbaidschaner, Abkhazianer, Georgier, Sikhs, Kurden und Palästinenser. Die Verwirklichung des Gemeinwohls bezieht sich im nationalen System auf 40

C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 72 f. C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 69 ff. 42 Dazu vgl. kritisch J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, in: ders. (Hrsg.), Der gespaltene Westen, 2004, S. 113 (187 ff.). 43 Kritisch auch K. Graf Ballestrem, Auf dem Weg zur Weltrepublik?, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, S. 518; A. Wellmer, Menschenrechte und Demokratie, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 265 (285, 289 ff.). 44 Vgl. dazu auch kritisch U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001, S. 123 ff. 45 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 429 (A 161, 162/B 191, 192), 431 (A 165/B 195); vgl. auch zur Rechtsidee A. Verdross, Völkerrecht, S. 13 ff. 46 Ähnlich kritisch auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1047 f. 47 So auch O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 302. 48 K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 205, Rn. 65, 66; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 1997, S. 113 f.; U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, S. 134. 49 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 31 ff.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 64 ff., 94; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 66, Rn. 100. 41

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das gute Leben der Nation.50 Weltweite Anliegen betrachtet die nationale Politik aus der Perspektive des nationalen Interesses. Dies erzeugt eine Spannung zu universellen Achtungsgeboten.51 IV. Staat als civitas (Republik) Der klassische und aufklärerische Begriff des Staates ist der der civitas, d. h. der Bürgerschaft oder der Republik.52 Er setzt als solcher keine Kulturnation voraus. „Quid est enim civitas nisi iuris societas civium?“ „Was ist denn der Staat“, schreibt Cicero, „wenn nicht die Rechtsgemeinschaft der Bürger?“53 Die Vertragslehren erklären die Entstehung des Staates aus dem Willen der in ihm vereinigten Menschen, der Bürger. Der gemeinsame Wille kommt in (hypothetischen) Gesellschaftsverträgen und (tatsächlich) in einer Verfassung zum Ausdruck.54 Wesentlicher Zweck des Staates ist die Sicherung des Friedens unter den Bürgern.55 Hobbes hat die Friedensfunktion besonders hervorgehoben und den Staat definiert als „Person, deren Handlungen eine große Menschenkraft der gegenseitigen Verträge eines jeden mit einem jeden als ihre eigenen ansehen, auf daß diese nach ihrem Gutdünken die Macht aller zum Frieden und zur gemeinschaftlichen Verteidigung anwende.“56

Auch Görg Haverkate versteht den Staat, der auf der Einigung der Bürger beruht, als „Gegenseitigkeitsordnung“.57 Rousseau sieht den Staat als „öffentliche Person, die aus dem Zusammenschluß aller zustande kommt“.58 Alle Men50

M. Hättich, Politische Aspekte globaler Geltungen, S. 165. M. Hättich, Politische Aspekte globaler Geltungen, S. 170. 52 Aristoteles, Politik, 2. Buch, S. 159 (1276 b); Cicero, De re publica, 1. Buch, S. 130 f., Rn. 25, S. 144 f., Rn. 32; „(P)opulus autem non omnis hominum coetus quoque modo congregatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione societatus“, Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 431 (A 165/B 195)ff.; ders., Zum ewigen Frieden, S. 204 (BA 20, 21, 22) ff.; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, ARSP Beiheft Nr. 15, 1981, 32 ff.; ders., Prinzipien der freiheitlichen Demokratie, HVerfR, 1994, S. 427 (449); K. A. Schachtschneider, Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft Nr. 71, 1997, 175; vgl. auch ders., Res publica res populi, S. 35, 94, 174, 651 ff. 53 Cicero, De re publica, I, 49, S. 144/145. 54 Hobbes, Leviathan, II, 17. Kap., S. 155 f.; Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, II, §§ 14, 22, 89, 95 ff., S. 208, 213, 254, 260 ff.; Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 6. Kap., S. 16 ff. 55 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, II, §§ 95 ff., S. 260 ff.; siehe auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 8 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, in: W. Blomeyer/ders. (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 75 (81). 56 Leviathan, II, 17. Kap. (S. 155 f.). 57 Dazu vgl. G. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, S. 38 ff. 51

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schen, die aufeinander einwirken können, sind nach Kant um des allgemeinen Friedens willen verpflichtet, miteinander eine Gemeinschaft des Rechts, eine civitas zu bilden, um aus dem Zustand der Rechtlosigkeit herauszutreten.59 Kant definiert den Staat rein rechtlich, nicht als Herrschaftssubjekt, auch nicht als Territorial- oder Nationalstaat, sondern als civitas. „Der Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“60 durch eine Verfassung61, welche den „Probierstein der Rechtmäßigkeit“ darstellt, der als Maßstab für die Gesetzgebung dient.62 Kant versteht den Staat als freiheitlichen Verfassungsstaat mit funktionenteiliger Struktur. Mit der herrschenden staatsrechtlichen und gängigen völkerrechtlichen Definition des Staates63 ist die civitas nicht identisch, wenngleich Kants Gedanke der civitas zum Teil aufgegriffen wird. In Abkehr von Kants transzendentaler Verankerung des Rechts und in der Beschränkung des Rechtsgedankens auf den Rechtspositivismus hat Hans Kelsen in seiner ,Reinen Rechtslehre‘ den Staat als eine Funktion von Recht dargestellt64 und mit der Rechtsordnung gleichgesetzt.65 Karl Albrecht Schachtschneider bezeichnet hingegen den Staat kantianisch-aristotelisch als „Einrichtung von Menschen für die Verwirklichung des guten Lebens in allgemeiner Freiheit“66, als res publica oder Republik.67 Er begrenzt diesen allerdings auf ein bestimmtes Territorium.68 Kants Begriff der civitas ist indes nicht auf den des territorialen Nationalstaates verengt.69 Die civitas, die Bürgerschaft, ist der republikanische Begriff des Volkes70 und zugleich des Staates.71

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Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 6. Kap., S. 18 f. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 430 f.; K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft Nr. 71, 1997, 174. 60 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 431 (A 165/B 195). 61 Vgl. A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, 2000, S. 250 ff. 62 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 153 (A 250). 63 A. Verdross, Völkerrecht, S. 191 ff.; ders./B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 223 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 74 ff.; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 55 f.; K. Doehring, Völkerrecht, 1999, S. 46 ff.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 204 ff., Rn. 63 ff.; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2002, S. 17 ff. 64 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1960, S. 154, 289 ff.; im Anschluß an Kelsen auch A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, 1923, S. 2. 65 H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 14 f., 16 ff. 66 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 16 f., vgl. auch S. 161 ff., 350 ff., 1046 ff. 67 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 11 ff. 68 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, 2006, S. 58 ff.; vgl. im Anschluß daran auch D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, 2003, S. 173 ff. 69 Vgl. M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, in: Brunkhorst, Hauke (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 384 mit Kritik an der Begriffswahl Kerstings. 59

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V. Staat im engeren und im weiteren Sinn Anknüpfend an den republikanischen Staatsbegriff72, läßt sich der Staat im engeren von dem im weiteren Sinn unterscheiden. Der Staat im engeren (institutionellen) Sinn ist der Staat der Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Ämter sowie der Gerichte und der Rechtsprechung.73 Im weiteren Sinn ist der Staat mit der verfaßten Bürgerschaft gleichzusetzen, von der die Staatsgewalt ausgeht.74 VI. Völkerrechtlicher Staatsbegriff In der völkerrechtlichen Praxis und Lehre wird entsprechend der auch im Staatsrecht überwiegend vertretenen Drei-Elemente-Lehre75 ein Staat als Völkerrechtssubjekt anerkannt, wenn effektive Staatsgewalt über ein Volk auf einem bestimmten Gebiet ausgeübt wird.76 Dabei ist die Anerkennung als Staat nicht konstitutiv für die völkerrechtliche Qualifizierung als „Staat“, was aber unterschiedlich beurteilt wird.77 Die Drei-Elemente-Lehre, wonach Staatsge70 J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 777 (779); U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 134; vgl. auch H. Krüger, Staatslehre, 1966, S. 247; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, ARSP Beiheft Nr. 15, 1981, S. 32 ff.; ders., Prinzipien der freiheitlichen Demokratie, HVerfR, S. 425 ff., Rn. 48 ff. 71 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1 ff. 72 Cicero, De re publica, I, 25 ff. (S. 130 ff.); Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, II, 6. Kap. (S. 41); Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 (BA 20, 21, 22); K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 11 ff. 73 J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, HStR, Bd. III, 1988, § 57, S. 3 (6 ff.); ders., Staat und Verfassung, HStR, Bd. II, 2004, § 15, S. 33, Rn. 152; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1048 f. 74 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1049 ff.; vgl. auch J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, HStR, Bd. III, S. 6, der die Gesellschaft, die er von der Bürgerschaft trennt, mit einbezieht. 75 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1914, S. 396 ff.; siehe auch 1. Teil, A, VI. 76 Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 191 ff.; ders./B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 223 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 74 ff.; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 55 f.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 46 ff.; vgl. auch Art. 1 der Interamerikanischen „Montevideo-Konvention“ vom 26.12.1933 über die Rechte und Pflichten der Staaten, Leage of Nations Treaty Series Bd. CLXV, 25: „The State as a person of international law should posses the following qualifications: a) a permanent population; b) a defined territory; c) government, and d) capacity to enter into relations with the other States.“; H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 331 (332 ff.); BVerfGE 2, 266 (277); 3, 58 (88 f.); 36, 1 (16 f.); 89, 155 (190). 77 Dazu Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (1821), hrsg. v. E. Moldenhauer/K. M. Michel, 1989, § 331; Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 233 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 76 ff.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

biet78, Staatsvolk79 und Staatsgewalt80 eine konstitutive Einheit bilden, repräsentiert im Gegensatz zur civitas keinen normativ-rechtlichen, sondern einen faktisch-empirischen Staatsbegriff, weil an die rechtliche Verfaßtheit des Staates keine Anforderungen gestellt werden. Unter Staatsgebiet wird ein durch Grenzen gesicherter geographischer Raum verstanden, in dem ein Volk unter einer gemeinsamen effektiven politischen Ordnung lebt.81 Die Staatsgewalt bezieht sich auf die Fähigkeit, eine Ordnung auf dem Staatsgebiet zu organisieren (sogenannte innere Souveränität) und – im Rahmen des Völkerrechts – nach außen unabhängig von anderen Staaten zu handeln (sogenannte äußere Souveränität).82 Nach traditionellem Verständnis ist die Legitimation oder Rechtlichkeit der Staatsgewalt nicht Voraussetzung für die Anerkennung als Völkerrechtssubjekt. Entscheidend ist nicht die Legitimität, sondern die Effizienz der Staatsgewalt.83 Eine allgemein anerkannte Pflicht zum demokratischen Verfassungsstaat gibt es im Völkerrecht nicht.84 Auch Despotien gelten, wenn sie die tatsächlichen Voraussetzungen von Gebiet, Volk und Herrschaft über beides erfüllen, im völkerrechtlichen Sinn als Staaten.85 Das universelle Völkerrecht setzt einen pragmatischen, nicht einen normativ-materiellen Staatsbegriff voraus86, weil es, auf der Basis der Gleichheit der Staaten, Republiken, Monarchien und Despotien gleichermaßen an das Völkerrecht bindet.87 Dies gilt auch für die Vereinten Nationen, welche ausweislich Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta die Gleichheit und Souveränität88 aller ihrer Mitglieder achten. Martin Kriele meint, die Entleerung des Staatsbegriffs von Inhalten, die sich auf die Legitimität, die machtpolitische Un(Hrsg.), Völkerrecht, S. 227 ff.; vgl. auch BVerfGE (Urteil zum Grundlagenvertrag) 36, 1 (22). 78 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 394, 398. 79 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 406. 80 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 429. 81 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 224; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 55 f. 82 V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 56, Rn. 6; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 225; A. Bleckmann, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 7 ff.; A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HStR, Bd. II, § 17, S. 143, Rn. 25 ff. 83 J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 424; H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, in: Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 1983, Bd. I, S. 11, Rn. 58. 84 I. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. II, § 15, S. 3, Rn. 58 f. 85 Auch wenn sie nach den normativen Maßstäben, zu denen insbesondere auch der Schutz der Menschenrechte gehört (dazu 4. Teil), „gescheitert“ sind. Vgl. D. Thürer, Der „zerfallene Staat“ und das Völkerrecht, Die Friedenswarte, 1999/3, S. 275 (276). 86 Vgl. K. Doehring, Völkerrecht, S. 25 f., Rn. 46 ff.; J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. II, S. 33, Rn. 47 ff. 87 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 58, 60 f. 88 Dazu A. Bleckmann, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 6.

A. Klassische Begriffe vom Staat

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abhängigkeit und die Nation beziehen, sei eine Voraussetzung für die Sicherung des Weltfriedens; denn der Weltfriede hänge wesentlich von der universalen Geltung des Völkerrechts ab, vor allem von den Prinzipien der Gleichheit aller Staaten und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Solange ein politisches Gebilde nicht als Staat anerkannt sei, werde die Geltung dieser Prinzipien grundsätzlich in Frage gestellt.89 Ist ein System völkerrechtlich kein „Staat“, gelten die völkerrechtlich anerkannten Staatenrechte (Interventionsverbot, Gleichheitsprinzip usw.) nicht. Allerdings finden für sogenannte de factoRegime, welche die Staatskriterien der Drei-Elemente-Lehre nur unvollständig erfüllen, zumindest das Gewaltverbot und das humanitäre Völkerrecht Anwendung.90 VII. Ergebnis Nach dem bisherigen Ergebnis wird der Staat begriffen als Herrschaftsverband, Zwangsordnung, Territorialstaat im Sinne der Einheit von Staatsgebiet Staatsgewalt und Staatsvolk (Drei-Elemente-Lehre), als Nationalstaat, als civitas (Republik), als Funktion des (positiven) Rechts und als Völkerrechtssubjekt entsprechend der Drei-Elemente-Lehre (völkerrechtlicher Staatsbegriff). Diese Begriffe schließen sich nicht alle gegenseitig aus, soweit sie in unterschiedlichen Funktionen Anwendung finden.91 Das zeigt sich etwa im Falle des völkerrechtlichen Staatsbegriffs, der nicht mit dem staatsrechtlichen Staatsbegriff übereinstimmen muß. Ziel des Völkerrechts ist es, um des weltweiten Friedens willen möglichst alle politischen Ordnungen einzubinden. Das Verständnis des Staates als Integrationsordnung, die Unterscheidung eines engeren und weiteren Staatsbegriffs sowie eines funktionalen Staatsverständnisses, sind neben anderen Staatsdefinitionen anwendbar. Allerdings steht die Idee des Staates als civitas als rein normativer Begriff in einem Spannungsverhältnis zum herrschaftlichen und klassisch völkerrechtlichen Staatsbegriff, welche den Aspekt der Ordnung und nicht den des Rechts in den Vordergrund stellen. Die Ablehnung des Prinzips Herrschaft führt nicht unausweichlich dazu, eine Zwangsordnung als staatliche Funktion abzulehnen. Sie kann „als Wirklichkeit des Rechts durch freiheitliche Staatlichkeit“ oder als Gesetzlichkeit92 aufgefaßt werden. 89

M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 58. Dazu J. A. Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, 1968; O. Kimminich/ S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 163 ff.; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 89, Rn. 13. 91 Vgl. M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 57 ff.; U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 575 (589 ff.). 92 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 329 f., 484, 519 ff., 545 ff.; vgl. auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, S. 265 ff., 271; J. Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 324 ff.; O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 423 ff., 441 ff., 448 f. 90

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

Definiert sich die Nation durch Abgrenzung, steht der Nationalstaat möglicherweise in Gegensatz zum weltrechtlichen Denken.93 Dieser Konflikt tritt weniger auf, wenn die Nation nicht im Sinne Carl Schmitts, sondern über die gemeinsame Kooperationsbereitschaft und politische Integration begriffen wird, die Faktoren eines Universalisierungsprozesses sein können.94

B. Wirkung der Internationalisierung und Globalisierung auf die staatliche Ordnung Nicht nur vernunftrechtlich, bereits aus der Sicht eines wirklichkeitsorientierten, erfahrungswissenschaftlichen Ansatzes95, der dem „pragmatic approach“96 des Völkerrechts und dem „legal realism“ des amerikanischen Rechtsdenkens97 Tribut zollt, erfordern die Globalisierung der Lebenswirklichkeit und deren Wirkungen auf den Staat ein Überdenken der bisherigen Begriffe vom Staat und ferner die Konzeption eines globalen Rechts. I. Begriff der Globalisierung „Globalisierung“ ist von „Internationalisierung“ zu unterscheiden98, obwohl beide Begriffe in einem weiteren (unscharfen) Sprachgebrauch ähnlich verwandt werden.99 Zentrale Akteure der Internationalisierung sind die Staaten, die bestimmte Aufgaben gemeinsam erfüllen, auch in Internationalen Organisationen. Der Phase der Internationalisierung entspricht das (zwischenstaatliche) Kooperationsvölkerrecht (6. Teil, A, I). Im Unterschied dazu knüpft „Globalisierung“ nicht bei den Staaten, sondern an den vielfältigen menschlichen Lebensbeziehungen an. Streng genommen beschreibt der Terminus nicht die zwi-

93 Siehe den radikalen Nationalstaatskritiker E. Reves, Die Anatomie des Friedens, 1945; vgl. auch J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, S. 138 ff. zur Spannung zwischen Republikanismus und Nationalismus; S. Oeter, Demokratieprinzip und Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 329 (356 ff.) 94 J.-Chr. Merle, Mill über die Nation und die heutige Debatte über die Globalisierung, ARSP 88 (2002), S. 180. 95 M. Kotzur, Wechselwirkungen zwischen Europäischer Verfassungs- und Völkerrechtslehre, in: Liber amicorum P. Häberle, 2004, S. 289 (295 f.). 96 A. Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, 1982, S. 12 ff. 97 Dazu G. Casper, Juristischer Realismus und politische Theorie im amerikanischen Rechtsdenken, 1967, S. 13 ff. 98 Dazu U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, 2001, S. 106 ff. 99 Vgl. etwa J. Delbrück, Das Staatsbild im Zeitalter wirtschaftsrechtlicher Globalisierung, 2002, S. 11 ff.

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

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schenstaatlichen Verhältnisse, sondern die sich aus dem nationalstaatlichen Rahmen lösenden vielfältigen zwischenmenschlichen Beziehungen.100 Neben dem Fortbestehen und der Neubildung von Nationalstaaten regionalisieren und globalisieren sich die Lebensverhältnisse.101 „Globalisierung“ ist zunächst verstanden in räumlichem Sinn „die Zunahme der Intensität und der Reichweite grenzüberschreitender Austauschund Interaktionsbeziehungen . . ., seien es wirtschaftliche Transaktionen, kulturelle und informationelle Austauschprozesse oder der grenzüberschreitende Austausch von Umweltschadstoffen“102.

Nach Jost Delbrück handelt es sich um Phänomene, die den Rahmen der (bisherigen) staatlichen Ordnung transzendieren.103 Anthony Giddens hat „Globalisierung“ als die Verdichtung weltweiter Beziehungen bezeichnet, welche die gegenseitige Einwirkung lokaler und weit entfernter Ereignisse zur Folge haben.104 Der Mensch zeigt sich in diesen Beziehungen nicht mehr nur als Angehöriger einer Familie, Gruppe, Nation, sondern auch „als globales Wesen“ als Mitglied der (heterogenen) Weltgesellschaft.105 Globalisierung wird auch definiert als „process of denationalization of clusters of political, economic and social activities“ und „process of denationalization of markets, laws and politics in the sense of interlacing people and individuals for the sake of the common good“.106 Sie ist ein Prozeß der Entgrenzung der Staatenwelt107, d. h. der „zu100 Vgl. U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 106 ff. 101 Vgl. dazu E. Richter, Zerfall der Welteinheit, 1992; H. Clement/V. Vincentz, Globalisierung und Osteuropa, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44–45/97, S. 27 ff.; W. Schäfer, Globalisierung, in: H. Berg (Hrsg.), Globalisierung der Wirtschaft 1999, S. 9 ff.; W. Weidenfeld, in: O. Kimminich/A. Klose/L. Neuhold (Hrsg.), Abschied von der alten Ordnung, Europa im Umbruch, in: Fs. V. Zsifkovits, 1993, S. 31 f.; W. Bonß, Globalisierung unter soziologischen Perspektiven, in: R. Voigt (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 39 ff. 102 R. Voigt, Ende der Innenpolitik?, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29–30/98, S. 3 (6); vgl. auch J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, in: ders., Die postnationale Konstellation, 1998, S. 91 (101 f.); vgl. ausführlich zum Begriff der Globalisierung und mit einer Übersicht über die verschiedenen Definitionen U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 20 ff., 70 ff. 103 J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98, S. 66 (67). 104 A. Giddens, The Consequences of Modernity, 1990, S. 64. 105 Dazu N. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2002; Th. Wobbe, Weltgesellschaft, 2000, S. 9 ff.; R. Stichweh, Die Weltgesellschaft, 2000, S. 7 ff. 106 J. Delbrück, Globalization of Law, in: Indiana Journal of Global Legal Studies 1/1993, S. 11; ähnlich auch U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 97. 107 L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB 2 (1995), S. 259 ff.; M. Hättich, Politische Aspekte globaler Geltungen, S. 165; S. Hobe, Die Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 256; M. Albert, Entgren-

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

nehmende(n) Inkongruenz politischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Räume“108. Globalisierung ist einerseits ein tatsächlicher und polyzentrischer109 Prozeß, insoweit er die sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen, ökologischen Austauschbeziehungen in unterschiedlichen Lebensbereichen betrifft.110 Andererseits ist Globalisierung aber auch im Rahmen der von den Staaten ausgehenden Internationalisierung politisch und rechtlich gewollt.111 Die staatliche Ordnung ermöglicht die organisierte Vergemeinschaftung in privaten Organisationen (privaten Vereinen).112 Die Elemente der Globalisierung lassen sich wie folgt zusammenfassen113: – Globale Vernetzung verschiedener Lebensbereiche, – Zunahme nicht-staatlicher Akteure mit grenzüberschreitender politischer und wirtschaftlicher Verhandlungsmacht, – tiefgreifende Wandlungen sozialer und politischer Integration. Daraus folgen globale Handlungsanforderungen jenseits staatlicher und auch intergouvernementaler Regelungsmöglichkeiten. II. Entgrenzungsprozesse und Globalisierung der Wirtschaft Neben der Globalisierung der vielfältigen Lebensverhältnisse, namentlich der Kommunikation, der Umweltprobleme, der Ausbreitung von Krankheiten (z. B. Aids, SARS, Grippe)114, der Sicherheit sowie kultureller, sozialer und sonstiger

zung und Globalisierung des Rechts, in: R. Voigt (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 115 (116 ff.); U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, S. 10, 15 ff. 108 L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB 2 (1995), S. 259. 109 G. Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 63 (2003), S. 1 (11). 110 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 342. 111 So auch U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 97; O. Höffe, Eine föderale Weltrepublik?, 2000, S. 1; K. A. Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, in: H. Neuhaus (Hrsg.), Der Mensch in der globalisierten Welt, 2004, S. 9 ff.; eingehend W. Bonß, Globalisierung unter soziologischen Perspektiven, S. 47 ff. 112 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 100 ff. 113 Vgl. S. Hobe, Die Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung AVR 37 (1999), S. 256; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 88. 114 SARS verbreitete sich innerhalb von drei Monaten auf 30 Länder, erfaßte mehr als 8000 Menschen und forderte fast 700 Todesopfer. Die Grippeepidemie von 1919 forderte in einem Zeitraum von weniger als einem Jahr 100 Millionen Men-

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

65

allgemeinmenschlicher Prozesse115, hat sich die wirtschaftliche Globalisierung116 als besonders einschneidend für Veränderungen in Funktion und Stellung des Staates erwiesen. Schon Kant sprach von der vereinigenden Wirkung des Handelsgeistes.117 Vor allem die wirtschaftlichen Austauschprozesse, sowohl der Handel mit Gütern und Dienstleistungen als auch der Transfer von Einsatzfaktoren, insbesondere Kapital, tendieren zum Weltmarkt, der die staatlichen Grenzen überwindet.118 Der Handel ist kein „Völkermonopol“.119 Eine regelrechte Vermassung des grenzüberschreitenden Verkehrs von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital wurde erst möglich, nachdem die Transaktions- und Opportunitätskosten von Mobilität radikal gesunken waren.120 Erleichtert durch die geringeren Transaktionskosten, suchen sich die wirtschaftlichen Akteure ihre Standorte überall in der Welt, wo sie für sich günstige Bedingungen vorfinden.121 Durch die Staaten, die auf sie wirtschaftlich angewiesen sind, werden sie daran zumeist nicht mehr gehindert. Nach Gunther Teubner globalisiert sich die Gesellschaft nicht unter der Führung der internationalen Politik, vielmehr zeigen sich „fragmentierte Globalisierungsprozesse der Zivilgesellschaft in relativer Unabhängigkeit von der Politik“, die von einzelnen Teilsystemen der Gesellschaft vorangetrieben werden.122 Dem ist nur teilweise zuzustimmen. Insbesondere die wirtschaftliche Globalisierung ist kein „Naturphänomen“, sondern Ergebnis politischen Willens.123 Dabei

schenleben. Bericht der Hochrangigen Gruppe, Eine sicherere Welt, 2004, S. 21 f., Rn. 19. 115 Dazu U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 20 ff.; W. Bonß, Globalisierung unter soziologischen Perspektiven, S. 53 ff.; H. Wiesenthal, Globalisierung, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 21 ff. 116 Dazu W. Bonß, Globalisierung unter soziologischen Perspektiven, S. 50 ff.; H. Wiesenthal, Globalisierung, S. 28 ff.; D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 148 ff. 117 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 226 (B 65, 66/A 64, 65). 118 Vgl. S. Hobe, Die Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 254; K. A. Schachtschneider, Demokratie versus Kapitalismus, ZeitFragen, 10.6.2002, S. 2. 119 K. A. J. Hochheim (Justus Sincerus Veridicus), Von der europäischen Republik, 1796, S. 53; vgl. J. Görres, Der allgemeine Frieden, ein Ideal (1796), in: Z. Batscha/ R. Saage (Hrsg.), Friedensutopien, 1979, S. 126 (159 ff.); F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, 1945, S. 272. 120 G.-P. Calliess, Globale Kommunikation – staatenloses Recht, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit und Steuerungsfähigkeit des Rechts, ARSP Beiheft Nr. 79, 2001, 61 (63). 121 Ch. E. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft und ordoliberales Rechtsdenken, Rechtstheorie 21 (1990), S. 374 (386). 122 G. Teubner, Globale Bukowina, 1996, S. 6. 123 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 18; K. A. Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, S. 9 ff.

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

genügt es, die Menschen/Völker nicht am Verkehr miteinander zu hindern. Die Wege und Kontakte öffnen sich dann von selbst.124 Ermöglicht worden ist dies durch die anfangs insbesondere von den USA geförderte internationale Tendenz zur außenwirtschaftlichen Liberalisierung und Deregulierung, durch den Abbau von Schutzwällen, etwa in Form von Zöllen, mengenmäßigen Importbeschränkungen und der Zulassung weitgehender Kapitalverkehrsfreiheit.125 Während nach dem System des Bretton Woods (1944) Devisen nur getauscht wurden, um damit Handel und Investitionen zu finanzieren, ist die heutige „Mondialisierung“ insbesondere eine „mondiale Monetarisierung“.126 1971 bezogen sich noch 90 % der internationalen Finanzgeschäfte auf reales und 10 % auf spekulatives Kapital. Im Jahr 2000 war schon etwa 98 % der täglich global fließenden Kapitalmenge Spekulationskapital, das der mehr oder weniger kurzfristigen Rendite dient.127 Liberalisierung war und ist nach wie vor das Hauptziel der Organisation für europäische und wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC, 1948, später OECD, 1960)128, des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT 1947) sowie der Welthandelsorganisation (WTO 1994)129 und der Europäischen Gemeinschaft (EG)130, der wichtigsten Säule der Europäischen Union (EU), aber auch der anderen regionalen Wirtschaftsorganisationen: North American Free Trade Agreement (NAFTA), Association of South-East Asian Nations (ASEAN), Mercado Común del Sur (Mercosur). Der außenwirtschaftlichen Liberalisierung, die nur einen geringen Implementationsaufwand erfordert, wird von der Freihandelslehre eine wohlfahrtssteigernde Wirkung für die Volkswirtschaften zugesprochen.131 Betont wird dabei aber auch, daß internationaler Friede nur durch eine faire, gerechte Verteilung der Güter erzielt und erhalten werden könne.132 Daß dies im Wege einseitiger Handels- und Kapitalverkehrsliberalisierung gelingen würde, bezweifeln hingegen Kritiker. Vor allem würden 124

K. A. J. Hochheim (Justus Sincerus Veridicus), Von der europäischen Republik,

S. 53. 125 B. v. Plate, Grundelemente der Globalisierung, Informationen zur politischen Bildung, 263, 2. Quartal 1999, 3; P. Behrens, Wirtschaftsverfassung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 19 (2000) S. 5 (13 ff.); kritisch dazu K. A. Schachtschneider, Demokratie versus Kapitalismus, Zeit-Fragen, 10.6.2002, S. 2; ders., Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in: ders. (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 253 ff.; F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, 2003, S. 61 ff. 126 Kritisch F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 62 ff. 127 Kritisch F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 62 ff. 128 Dazu Th. Oppermann, Europarecht, 1999, S. 59 ff. 129 Dazu D. I. Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 47 ff.; dies., Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 28 ff., 104 ff., 148 ff. 130 Dazu Th. Oppermann, Europarecht, S. 349 ff., Rn. 926 ff.; R. Streinz, Europarecht, 2003, S. 14 ff., Rn. 35 ff.; 279 ff., Rn. 652 ff. 131 B. S. Frey, Globalisierung ohne Weltregierung, Analyse & Kritik 25/2003, S. 121 (122 ff.); vgl. P. Schenkel, Der Weltunion entgegen, 2000, S. 41 f.; vgl. auch Art. 4 Abs. 1, Art. 98 S. 2, Art. 105 Abs. 1 S. 2 EGV.

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

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Entwicklungsländer nicht oder nur unzureichend von den Segnungen der Globalisierung profitieren133, insbesondere weil deren Güter (oft landwirtschaftliche Erzeugnisse) häufig von den Liberalisierungen ausgeschlossen sind. Außerdem wird die Liberalisierung des Kapitals, des Handels und der Dienstleistung, abgesehen von den Regelungen der Europäischen Union, nicht durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit134 ergänzt. Den Arbeitnehmern fehlt daher im Gegensatz zu den arbeitgebenden Unternehmen (ungeachtet ihrer Bereitschaft) die Möglichkeit, ihren Standort weltweit von den besten Lohn- und Arbeitsbedingungen abhängig zu machen. Die wirtschaftliche Globalisierung bleibt somit im Faktor Arbeit unvollständig. Die in der Geschichte bisher beispiellose Welle von Fusionen und Unternehmensübernahmen in der westlichen Welt, die das praktizierte nationale und europäische Wettbewerbsrecht nicht verhindert, hat die Machtverflechtung der Wirtschaft zusätzlich erhöht.135 Viele Vertreter der Wirtschaft sehen die Funktion der Gesetze nur darin, die Konkurrenzfähigkeit der nationalen Unternehmen im internationalen Wettbewerb zu stärken. Das positive Recht in den Staaten wird von den Unternehmen nur als Faktor ihrer Standortentscheidung verstanden und nicht ohne weiteres hingenommen. Standortbedingte Kosten- und Gewinnvorteile aufgrund von Unterschieden u. a. im Arbeits-, Steuer-, Umwelt-, Wettbewerbs-, und Verwaltungsrecht sowie bewußt durch Staaten gewährte Vergünstigungen werden von den Firmen länderübergreifend verglichen und beeinflussen die Standort- und Vertriebsentscheidungen derselben.136 Dies erzeugt einen erheblichen Liberalisierungdruck auf die staatlichen Ordnungen, aber auch auf die Tarifpartner.137 Staaten und Regionen bemühen sich in einem sogenann132 Vgl. A. Smith, Der Wohlstand der Nationen, 1974 (Original: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776), insbes. S. 347 ff.; D. Ricardo, Über die Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung, 1994 (Original: Principles of Political Economy and Taxation, 1817) S. 270. Zu den Einwänden gegenüber dieser Lehre vgl. die Übersicht bei M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, 1999, S. 56 f. 133 Vgl. U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 25 f.; F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 63 ff. 134 Das Recht auf Arbeit in Art. 6 IPwskR könnte in diesem Sinn im Recht der Globalisierung transnational ausgelegt werden, im Rahmen des Völkerrechts aber wohl nur auf der Grundlage der Reziprozität. Dazu Ch. Tomuschat, An Optional Protocol for the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 815 (825 f.). 135 Ch. E. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft, Rechtstheorie 21 (1990), 382. 136 Ch. E. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft, Rechtstheorie 21 (1990), 385. 137 G.-P. Calliess, Globale Kommunikation – staatenloses Recht, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 64 f.

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

ten Systemwettbewerb138 als Konkurrenten um die Gunst der Unternehmen.139 Das führt zu der zu beobachtenden Tendenz in der staatlichen Gesetzgebung, von der Wirtschaft nicht favorisierte Rechtsgüter, die wie das menschenrechtliche Sozial- und Schutzprinzip dem Wettbewerb nicht untergeordnet werden können140, zu nivellieren.141 Ein Systemwettbewerb ist nur dann für das Leben aller Menschen förderlich, wenn er fair ist, d. h. dem Prinzip der Chancengleichheit folgt.142 Dieses gilt es, durch das Recht zu sichern. III. Fragmentierungsprozesse Das Bemühen um völkerrechtliche Regelungen in den Bereichen Globalisierung geschieht mit politischer, wirtschaftlicher und sozialer Fragmentierung143, die sich in voneinander getrennten, funktional-sektorialen Regimen, etwa des internationalen Handels-, Arbeits-, Umwelt- und Strafrechts zeigt.144 Konstitutionalisierungsprozesse können dem entgegenwirken. Neben und trotz der Entgrenzung der Staaten sind zudem nach Beendigung des Kalten Krieges, alte ethnische Konflikte wieder aufgebrochen und lassen sich Abgrenzungs- und Identitätsfindungsprozesse mit der Neubildung von Nationalstaaten beobachten.145 Diese betreffen einerseits ganze Regionen, wie z. B. 138 Dazu W. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 17 (1998), S. 199 ff.; P. Behrens, Wirtschaftsverfassung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 19 (2000) S. 14 f.; D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 151 ff. 139 Ch. E. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft, Rechtstheorie 21 (1990), S. 385; B. v. Plate, Grundelemente der Globalisierung, Informationen zur politischen Bildung, Nr. 263, 2. Quartal 1999, S. 6; K. M. Meessen, Souveränität im Wettbewerb der Systeme, in: V. Götz/P. Selmer/R. Wolfrum (Hrsg.), S. 667 ff.; R. Voigt, Globalisierung des Rechts. Entstehung einer „dritten Rechtsordnung“?, in: ders. (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 13 (16 f.); dazu W. Kerber, Erfordern Globalisierung und Standortwettbewerb einen Paradigmenwechsel in der Theorie der Wirtschaftspolitik?, in: ORDO, 49 (1998), S. 253 ff. 140 Kritisch zur „sozialwidrigen Ideologisierung des Wettbewerbs“ K. A. Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, in: H. Neuhaus (Hrsg.), Der Mensch in der globalisierten Welt, S. 28 ff. 141 Vgl. S. Kadelbach, Ethik des Völkerrechts unter Bedingungen der Globalisierung, ZaöRV 64 (2004), S. 1 (6 ff.). 142 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 226; K. A. Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, S. 29 ff. 143 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 109 ff.; S. Kadelbach, Ethik des Völkerrechts unter Bedingungen der Globalisierung, ZaöRV 64 (2004), S. 8 ff. 144 A. Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 535 (545). 145 L. Brock/M Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB 2 (1995), S. 262; dazu auch U. Menzel, Globalisierung versus Fragmentierung, 1998, S. 45 ff.; U. Hingst,

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

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Afrika, aber auch bestimmte soziale Schichten in den reicheren Ländern, die durch den Druck des globalen Wettbewerbs und durch den damit verbundenen Abbau von Sozialstandards marginalisiert werden.146 Die zunehmende Entgrenzung kann sogar Ängste vor „Überfremdung“147 erzeugen oder nach Samuel Huntington zu einem clash of civilizations148 führen. Konstitutionalisierungsund Integrationsbemühungen können diesen Konflikt noch verschärfen. Das Dilemma zwischen Globalisierungs- und Fragmentierungsprozessen verlangt nach einer Lösung, die sowohl in der Einheit der Menschheit als auch in der Vielfalt der Menschen zu suchen ist. IV. Auflösung des Staatsbegriffs der Drei-Elemente-Lehre? Ob der schon zitierte Satz von Hermann Heller „Juristische Denknotwendigkeit besitzt der Staat, nicht aber das Völkerrecht“149 jemals richtig war, ist angesichts der Universalität des Rechtsprinzips zu bezweifeln. Heute jedenfalls ist Hellers Position schon erfahrungswissenschaftlich ein Anachronismus150 Gidon Gottlieb konstatiert, daß der Staat die Erwartungen, die in seine Funktionen gesetzt worden sind, nicht erfüllt hat: „We are witnessing the end of a phase of history in which ideologies of the right and of the left idealized the state as the preferred instrument of progress. Communists and fascists expected the state to be the vehicle of economic growth, of modernity, and of social justice. The failure of these ideologies and the inability of governments to provide what was expected of them coincide with the failure of the market to remedy social inequities“151

Der Nationalstaat, wie er sich entwickelt hat, ist eine (zufällige) historische Existenz152, die noch im 19. Jahrhundert in Europa nicht die Regel war.153 Er Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 109 f. 146 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, S. 337 f. 147 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 111; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 166 ff.; A. Pizani, Demokratisierung als Aufgabe, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33–34/2000, 35; M. R. Lucas, Nationalism, Sovereignty and Supranational Organizations, 1999, 7 ff. 148 S. P. Huntington, „Clash of Civilizations“, in: Foreign Affairs, Vol. 72, Summer 1993, 22 ff. 149 H. Heller, Die Souveränität, S. 118. 150 P. Saladin, Wozu noch Staaten?, S. 30 f. 151 G. Gottlieb, Nation Against State, 1993, S. 6. 152 Dazu J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 128 ff.; auch D. Archibugi, From The United Nations to Cosmopolitan Democracy, in: ders./D. Held, Cosmopolitan Democracy, 1995, S. 121 (132). 153 H. Schneider, EU als Staatenverbund oder als multinationale „Civitas Europea“, S. 677 (703 ff.).

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

hat sich effektiv durchgesetzt, ist aber kein unabdingbares normatives Sollen und eventuell vernunftrechtlich nicht notwendig.154 Staat und Völkerrechtsordnung stehen zueinander in Wechselwirkung. Ändert sich das Staatsverständnis, muß sich auch die Völkerrechtsordnung ändern. Umgekehrt hat die Veränderung der internationalen Beziehungen Einfluß auf das Staatsverständnis. Die politische Aufteilung der Welt in über 190 Nationalstaaten muß sich heute mit der Wirklichkeit der Globalisierung und der globalen Vernetzung auseinandersetzen.155 Teilweise wird sogar der Untergang des souveränen Territorialstaats, „vor allem in der Form des Nationalstaats, die ihm das 19. Jahrhundert gegeben hat“, prognostiziert oder konstatiert.156 Die Konturen des völkerrechtlichen Staatsbegriffs von Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk157 verwischen.158 Im folgenden soll dies für die einzelnen Elemente untersucht werden. 1. Staatsgewalt a) Entstaatlichung Der Staat verfügt in der internationalisierten und entgrenzten Welt angesichts seiner Einbindung in Internationale Organisationen und der Macht mancher nicht-staatlicher Akteure nicht mehr über ausschließliche Staatsgewalt auf seinem Territorium.159 Die Rede ist von „Entstaatlichung“160 der Nationalstaaten154 In dem Sinn A. Pizani, Demokratisierung als Aufgabe, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33–34/2000, S. 36; V. Gerhardt, Immanuel Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“, 1995, S. 95. 155 M. Hättich, Politische Aspekte globaler Geltungen, S. 174. 156 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 96; M. van Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, dt. Übersetzung, 1999, S. 372; H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 331 ff.; vgl. auch zu den Traditionslinien des Staatsnihilismus und Staatsskeptizismus H. Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. 1, 1970, S. 11 ff.; zu jüngeren Tendenzen: K.-P. Sommermann, Der entgrenzte Verfassungsstaat, S. 22 ff. 157 Dazu G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1914, S. 144 ff., 394 ff.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 204 ff.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 113 f.; K. Doehring, Völkerrecht, 1999, S. 26 ff. 158 P. Saladin, Wozu noch Staaten?, S. 14, S. 18 ff.; P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre, 1996, S. 38 ff.; U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 93 ff.; S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat (37), 1998, S. 521, 530 ff. 159 J. Delbrück, Das Staatsbild im Zeitalter wirtschaftsrechtlicher Globalisierung, S. 5 ff., 16 ff.; K. D. Wolf, Die Neue Staatsräson, S. 55 ff. 160 J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 16 (1998) 2, S. 66 (67); ders., Das Staatsbild im Zeitalter wirtschaftsrechtlicher Globalisierung, S. 6 ff.; B. v. Plate, Grundelemente der Globalisierung, Informationen zur politischen Bildung, Nr. 263, 2. Quartal 1999, S. 3 (7); vgl. auch U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 5 ff.; P. Schenkel, Der Weltunion entgegen, 2000, S. 32 ff.; U. Hingst,

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

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ordnung, von Verlust oder Relativierung der Souveränität der Staaten.161 Freilich wird dem jeweiligen Volk die Staatsgewalt nicht völlig genommen, solange den Staaten das Letztentscheidungsrecht, in Staatenverbünden das Austrittsrecht, verbleibt.162 Dennoch bewirken zum einen die von den Staaten organisierte Internationalisierung und die von potenten Privatsubjekten, insbesondere der Wirtschaft, initiierte „zeitgenössische Globalisierung“163 einen zunehmenden Verlust von Einzelstaatlichkeit, der in ein Demokratie-Dilemma [dazu f)] mündet. Gefördert wird diese Entwicklung durch die allgegenwärtige Dominanz der Wirtschaft in Politik und Gesellschaft. b) Entsozialisierung der Wirtschaft Im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung, der Entstehung einer Weltwirtschaftsgesellschaft entsozialisiert sich die Wirtschaft und verliert ihren Charakter als „Volkswirtschaft“.164 Sie entzieht sich zunehmend rechtlicher, staatlicher und damit, weil diese traditionell an die Nationalstaaten gebunden ist, auch demokratischer Kontrolle165 sowie dem Volksvermögen166. Beides ist aber Voraussetzung für Sozialstaatlichkeit.167 „Wo die Geltung des Rechts territorial Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 35 ff., 97; P. Kirchhof, Die Zukunft der Demokratie im Verfassungsstaat, JZ 2004, 981 ff. 161 Dazu U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 55 ff.; R. Knieper, Nationale Souveränität, 1991, S. 88 ff.; M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 361 ff.; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 525 ff.; H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 332, 341 ff. 162 U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 122 ff.; J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 421; H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 331 ff. 163 Begriff O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 23. 164 U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, S. 15, 20 ff. 165 B. P. Priddat, Globalisierung und Politikkoordination, in: N. Bolz/F. Kittler/R. Zons (Hrsg.), Weltbürgertum und Globalisierung, 2000, S. 169 ff.; J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 119 f.; K. A. Schachtschneider, Demokratie versus Kapitalismus, Zeit-Fragen, 10.6.2002, S. 2; ders., Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 308 ff.; vgl. auch U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 8; ausführlicher dazu: A. Pizani, Demokratisierung als Aufgabe, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33–34/2000, 32 (33 ff.). 166 B. v. Plate, Grundelemente der Globalisierung, Informationen zur politischen Bildung, 263, 2. Quartal 1999, S. 7; L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB 2 (1995), 261: die Fähigkeit, „Nationalökonomie“ oder Volkswirtschaft zu betreiben schwindet. B. P. Priddat, Globalisierung und Politikkoordination, in: N. Bolz/F. Kittler/R. Zons (Hrsg.), Weltbürgertum und Globalisierung, S. 162; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 40 f.

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

durch die Grenzen der Nation eingeengt ist, aber die Wirtschaft diese zu überschreiten fast ohne Schwierigkeiten in der Lage ist, muß die Machtverschiebung zwischen Wirtschaft und Staat langfristig unvermeidbar erscheinen“, bemerkt Christoph Hauschka.168 Die faktische Bedeutung der Staaten nimmt gegenüber ihrer rechtlichen Stellung als Völkerrechtssubjekte ab. Hinzu kommt, daß der Staat sich ein Stück weit selbst entstaatlicht, wenn er sich im System- und Standortwettbewerb entgegen dem Demokratieprinzip und dem Willkürverbot169 unternehmerischen privaten Maximen unterordnet.170 Die institutionell privaten multinationalen Unternehmen ihrerseits beanspruchen als global players politische, funktionell staatliche Lenkungsmacht, die sie durch Sanktionen, wie die „Nichtgewährung von Vorteilen“, durchzusetzen vermögen.171 Oftmals durch die Androhung eines empfindlichen Übels, nämlich von Standortverlagerungen an kostengünstigere Orte, nehmen sie äußerst wirkungsvoll auf die politischen/rechtlichen Bedingungen in den Staaten und auf die weltwirtschaftliche Entwicklung Einfluß.172 Unter diesem wirtschaftlichen Zwang sieht sich die classa politica häufig genötigt, soziale Interessen zurückzustellen.173 Indem die Staaten und die Europäische Gemeinschaft den global handelnden Unternehmen und internationalen Finanzströmen, insbesondere durch die Kapitalverkehrsfreiheit174, den Weg ebnen, begeben sie sich ein Stück weit ihrer Handlungsfähigkeit und schwächen selbst ihre wirtschafts- und finanzpolitischen Steuerungsinstrumente, wie Steuern und Zinsen.175 Die nationale Politik nimmt für das Ziel internationaler Wettbewerbsfähigkeit eine hohe Dauerarbeitslosigkeit und den Abbau der Sozialstaatlichkeit in Kauf.176 167 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman, Frieden machen, 1996, S. 7 (14); K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 289 ff. 168 Ch. E. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft, Rechtstheorie 21 (1990), S. 376. 169 Dazu K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 281 ff.; 322 ff. 170 B. P. Priddat, Globalisierung und Politikkoordination, in: N. Bolz/F. Kittler/R. Zons (Hrsg.), Weltbürgertum und Globalisierung, S. 163; P. Kirchhof, Die Zukunft der Demokratie im Verfassungsstaat, JZ 2004, 985 f. 171 Vgl. D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 155 ff.; U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, S. 45. 172 Dazu J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung/Globalization and Its Discontents, 2002. 173 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 66 ff.; vgl. J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 106. 174 Dazu kritisch K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 253 ff.; ders., Demokratie versus Kapitalismus, Zeit-Fragen, 10.6.2002, S. 2. 175 B. v. Plate, Grundelemente der Globalisierung, Informationen zur politischen Bildung, 263, 2. Quartal 1999, S. 7; J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 106, 120.; R. Knieper, Nationale Souveränität, 1991, S. 97.

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

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c) Primat des Marktes Im Zuge der weltweiten wirtschaftlichen Liberalisierung und teilweise auch aufgrund bestimmter Liberalisierungspflichten in Verträgen177 zeigt sich eine Tendenz zur Privatisierung, teilweise auch traditionell staatlicher Aufgaben.178 Rechtsförmlich geschieht dies durch formelle und auch materielle Privatisierung oder auch durch Beleihung privater Institutionen mit Hoheitsgewalt. Teilweise erledigen auch sogenannte public private partnerships öffentliche Aufgaben.179 Staatlich-private Mischformen sind demokratierechtlich problematisch.180 Kenichi Ohmae hat sogar behauptet, daß der Nationalstaat in einer grenzenlosen Welt zu einer unnatürlichen und dysfunktionalen Einheit für die Organisation menschlicher Handlungen geworden sei.181 Seine Vision zielt auf die Umwandlung der Staatenordnung in eine Welt von Marktplätzen. Damit würde das politische Prinzip durch das Prinzip des Marktes ideologisch überhöht und das Rechtsprinzip nur noch in die Funktion der Wirtschaft gestellt.182 In einem solchen System spielt es keine Rolle, wer die Normen setzt – das könnten auch die Unternehmen sein – solange sie Transparenz und Verläßlichkeit vermitteln. Damit würde das Recht des Stärkeren, also der von Hobbes beschriebene Naturzustand wieder hergestellt werden, in dem sich die Individuen nach den Imperativen der Selbsterhaltung zueinander verhalten.183 Die Weltordnung würde nicht politisch gesteuert, sondern durch den Wunsch der Kunden nach maximaler Bedürfnisbefriedigung. Kenichi Ohmae nimmt die Bürger nur als Verbraucher wahr. Staatliche Funktionen würden weitestgehend privatisiert.184 Die Autonomie der Bürger als citoyen würde der Komponente der politischen bürgerlichen Selbstbestimmung beraubt und auf die Privatautonomie des bourgeois reduziert. Die auf diese Weise entleerte Hülse des Demo176 K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 297 ff.; J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 128 (148 f.). 177 Zur Privatisierungstendenz der Grundfreiheiten des EG-Vertrages A. EmmerichFritsche, Das Privatheitsprinzip des Binnenmarktes, EWS 2001, 365 ff. 178 Dazu etwa W. Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, 2002; A. Emmerich-Fritsche, Privatisierung der Wasserversorgung in Bayern und kommunale Aufgabenverantwortung, BayVBl. 2007, 1 ff. 179 J. Delbrück, Das Staatsbild im Zeitalter wirtschaftsrechtlicher Globalisierung, S. 10; allgemein zu Public-Private-Partnerships: R. Stober, in: H. J. Wolff/O. Bachof/ ders., Verwaltungsrecht Bd. 3, 2004, § 92, S. 609 ff. 180 Dazu J. Oppenheim Esq./Th. MacGregor, Democracy and public-private partnerships, ILO-working paper 213. 181 K. Ohmae, The Rise of the Region State, Foreign Affairs 72/2 (1993), S. 78 ff.; vgl. auch U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 5 ff. 182 Vgl. U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, S. 20 ff. 183 J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, S. 150 f. 184 K. Ohmae, The Rise of the Region State, Foreign Affairs 72/2 (1993), 78 ff.

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

kratieprinzips würde mit den wohlstandsfördernden Wirkungen des Freihandels und der weltweiten Kommunikationsmöglichkeiten gefüllt.185 Ob dadurch das Demokratiedefizit, d. h. der Verlust politischer Selbstbestimmung, kaschiert werden könnte, ist mehr als zweifelhaft.186 d) Verlust staatlicher Rechtssicherung durch Privatisierung Kennzeichnend für die Globalisierung ist, daß allgemeine, globale Interessen nicht durch staatliche Instanzen, sondern polyzentrisch durch private Organisationen187, Netzwerke, Initiativen, Kodices, Verträge, Verfahrensregeln, öffentlich-privater Zusammenarbeit usw. in der „Zivilgesellschaft“ einer Lösung zugeführt werden.188 Unter den Rahmenordnungen und den Bedingungen der bestehenden Staatlichkeit entsteht eine globale Rechtsordnung durch private Initiative und Verfahren jenseits institutioneller Staatlichkeit189, die auch dem Begriff global governance zugeordnet wird (dazu 5. Teil, C, IV, S. 655 ff.). Multinationale Unternehmen, einschließlich großer Privatbanken, aber auch sonstige nicht-staatliche Akteure, insbesondere die sogenannten, grenzüberschreitend tätigen rund 20000 Nichtregierungsorganisationen (z. B. Greenpeace, Amnesty International, Terre des Hommes, Médecins sans Frontières) sowie Handelskammern nehmen Einfluß auf die Rechtsetzung der Staaten und in den globalen Beziehungen (dazu 6. Teil, E II).190 Insgesamt bewirkt dies eine Auf185 Enquête-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“, Schlußbericht, BT-Drs. 14/9200, 12.6.2002, Minderheitsvotum, S. 461 ff.; J. F. Helliwell, Empirical Linkages between Democracy and Economic Growth, British Journal of Political Science 24 (1994), 225 ff.; vgl. A. v. Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts, ZaöRV 63 (2003), S. 863 f. 186 Vgl. A. v. Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts, ZaöRV 63 (2003), S. 866. 187 Vgl. F. W. Stoecker, NGOs und die UNO, 2000, S. 60 ff. 188 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 44 ff. 189 Vgl. Ch. Möllers, Globalisierte Jurisprudenz, in: M. Anderheiden/S. Huster/ S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 41 (51 ff.). 190 S. Hobe, Die Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 262 f.; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 40 ff.; dazu ausführlich R. Wedgwood, Legal Personality and the Role of Non-Governmental Organizations and Non-State Political Entities in the United Nations System, in: R. Hofmann (Hrsg.), Non State Actors as New Subjects of International Law, 1999, S. 20 ff.; D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations and Transnational Enterprises in International Law and the Changing Role of the State, in: R. Hofmann/N. Geissler (Hrsg.), Non-State Actors as New Subjects of International Law, 1999, S. 37 ff.; D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 350.

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

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wertung des Privatrechts gegenüber dem öffentlichen Recht.191 Weil privates Handeln zwar legal sein muß, aber nicht an den Gesetzesvorbehalt der Verwaltung gebunden ist, unterliegen diese Handlungsformen nur eingeschränkt gerichtlicher Gesetzmäßigkeitskontrolle.192 Dies bedeutet einen Verlust staatlicher Rechtssicherung. e) Übertragung von Staatsaufgaben auf Internationale Organisationen Die „Entstaatlichung“ wird nicht nur passiv von den Staaten zugelassen, sondern wird auch (allerdings oft gedrängt durch Globalisierungszwänge) aktiv durch die Staaten betrieben. Öffentliche Aufgaben, die früher die einzelnen Staaten allein wahrgenommen haben, werden durch völkerrechtliche Verträge auf internationale oder gar „supranationale“ Wirkungseinheiten, von denen insgesamt ca. 300 existieren, übertragen.193 Hierdurch entstehen neue Formen funktionaler Staatlichkeit, in deren Rahmen Staatsgewalt nicht mehr nationalstaatlich, sondern gemeinschaftlich wahrgenommen wird.194 Die Zollhoheit wird weitgehend durch die Regelungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT)195, in dessen Rahmen Zölle ausgehandelt und festgelegt werden, bestimmt. Bisherige „äußere“ werden zu (gemeinschaftlichen) „inneren“ Angelegenheiten196. Die für die Eigenständigkeit der Staaten wesentliche Grenze zwischen Innen- und Außenpolitik verschwimmt.197 Selbst die nationale Armee, als prägnantester Ausdruck staatlicher Souveränität, ist wegen ihrer Einbindung in supranationale Militärbündnisse wie die NATO198 kaum mehr allein handlungsfähig und wird funktionell durch diese 191

M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 364. Kritisch M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 364 ff. 193 J. Delbrück, Das Staatsbild im Zeitalter wirtschaftsrechtlicher Globalisierung, S. 11 ff.; kritisch K.-P. Sommermann, Der entgrenzte Verfassungsstaat, in: D. Merten (Hrsg.), 1998, S. 30 ff.; zu internationalen und supranationalen Organisationen 6. Teil, A und D, S. 687 ff., 814 ff. 194 L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB, 2 (1995), 259; M. Albert, Entgrenzung und Globalisierung des Rechts, in: R. Voigt (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, S. 116 ff.; S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 521 ff.; vgl. auch J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, in: ders., Die inbeziehung des Anderen, S. 150 ff.; vgl. auch zur Internationalisierung des Verwaltungshandelns Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 116 ff., 662 ff.; H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 341 ff. 195 GATT v. 30.10.1947 i. d. F. v. 1.3.1969, UNTS 55, p. 94; BGBl. 1951 II, S. 173. 196 M. R. Lucas, Nationalism, Sovereignty and Supranational Organizations, S. 11 f. 197 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman, Frieden machen, S. 14. 198 Dazu H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 978 ff., Rn. 39 ff. 192

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

bestimmt.199 Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen sollen die Angriffsfähigkeit eines Staates beschränken.200 Der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa201 verpflichtet die teilnehmenden Staaten, den Standort ihrer schweren Waffen, die ohnehin durch den Vertrag begrenzt werden, anzugeben und Verdachtinspektionen zu dulden. Auch das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen sieht Kontrollen und Verifikationen der Durchführung dieses Abkommens durch die Organisation dieses Abkommens vor.202 Zur Kontrolle des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen203 beauftragen die Vertragsparteien die Internationale AtomenergieOrganisation mit Inspektionen, die diese z. T. ohne vorherige Anmeldung durchführt.204 Auf regionaler, internationaler und globaler Ebene sind „Regime“ entstanden, in denen Staaten, Internationale und Supranationale Organisationen, aber auch nicht-staatliche Vereinigungen mehr oder weniger gut zusammenarbeiten.205 Sie kompensieren den Verlust an nationaler Handlungsfähigkeit in einigen Funktionsbereichen zumindest teilweise.206 Hier sind insbesondere der Internationale Währungsfonds (IWF 1944) und die Weltbank (1944), die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD 1960/61), die aus dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1947) hervorgegangene Welthandelsorganisation (WTO 1994), die Weltgesundheitsorganisation (1946), die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO 1957) oder die special agencies der UNO, beispielsweise für die weltweite Koordination der Zivil199 Unter Führung der USA versucht die NATO auch Einfluß zu nehmen auf die Höhe der Militärausgaben in den Staaten, auf die Ausstattung der Streitkräfte und unter Effizienzgesichtspunkten sogar auf die Verlagerung der Entscheidung über Krieg und Frieden vom Parlament zur Regierung, um schneller sogenannte Präventivschläge im Rahmen ihrer neuen Strategie durchführen zu können. Vgl. dazu R. Beste/A. Szandar, DER SPIEGEL, Nr. 45 v. 4.11.02, S. 136; vgl. auch H. Sauer, Die NATO und das Verfassungsrecht: neues Konzept – alte Fragen, ZaöRV 61 (2002), S. 317 ff. 200 Vgl. allgemein dazu M. Bothe, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 616 ff. 201 Vom 19.11.1990, BGBl. 1991 II, S. 1155, vgl. Art. XIV, XV. 202 BGBl. 1994 II, S. 807, in Kraft getreten am 29.4.1997, vgl. Art. VIII, IX und den Verifikationsanhang. 203 Vom 1.7.1968, BGBl. 1974 II, S. 785, siehe Art. III. 204 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1000, Rn. 32. In einem Musterzusatzprotokoll, das allerdings bisher nur von einem Drittel der Vertragsstaaten ratifiziert ist, sind strengere Inspektionsregeln vorgesehen. Sie könnten künftig als Standard für Sicherungsmaßnahmen dienen. Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, 2004, S. 47, Rn. 129. 205 Vgl. M. R. Lucas, Nationalism, Sovereignty and Supranational Organizations, S. 12 ff. 206 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 108 f.; vgl. auch D. Held, Democracy and the Global Order, S. 99 ff.

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luftfahrt, zu nennen. Der IWF ist gegründet worden, um sich der globalen Regulierung von Geld- und Währungsbeziehungen zu widmen (Art. 1 IWFÜbereinkommen207). Sein Hauptzweck in jüngerer Zeit war es, technische Unterstützung, ökonomische Leitlinien und Darlehen insbesondere an Entwicklungsländer zu vergeben. Aufgrund der Ermächtigung in Art. IV des IWF-Übereinkommens kann er über die Wechselkurspolitik in die staatliche Politik eingreifen und diese überwachen. Außerdem nimmt der IWF weitreichenden Einfluß auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik, indem er die Bedingungen der Gewährung von finanzieller Hilfe einseitig diktiert, häufig, ohne den betroffenen Völkern, vertreten durch ihre Regierungen und Parlamente, ausreichend Zeit für Beratungen zu lassen.208 So schreibt er z. B. vor, daß eine Regierung Kreditaufnahmen beschränkt, Haushaltskürzungen vornimmt, seine Währung abwertet oder Sozialprogramme reduziert. Noch weitgehender sind die staatlichen Kontrollverluste durch die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion.209 Stephan Hobe stellt dazu fest: „Es ist für das im Wandel begriffene Staatsverständnis bezeichnend, daß diese tiefgreifenden Verschiebungen dem BVerfG im Maastricht-Urteil keine besonders grundlegenden Erwägungen zur Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland wert waren, vielmehr sozusagen en passant gebilligt wurden.“210

f) Demokratie-Dilemma Mit Zunahme internationaler Rechtsetzung und des Einflusses nicht-staatlicher, mächtiger Akteure auf diese wird die Gesetzgebung materiell entdemokratisiert. Die Mechanismen der Legitimation sowie die demokratischen Entscheidungsregeln greifen nicht mehr unmittelbar, insbesondere werden die zentralen politischen Entscheidungen nicht mehr in den Parlamenten, sondern von regierungsgesteuerten Exekutivorganen getroffen.211 Es entsteht ein „Demokratie-Dilemma“, wie Ulrich Beck festgestellt hat:

207 Vom 22.7.1944 BGBl. 1944, II, S. 638; Neufassung v. 30.4.1976, BGBl. 1978 II, S. 13; dritte Änderung vom 28.6.1990, BGBl. 1991 II, S. 814. 208 Vgl. Factsheet, www.imf.org/external/np/exr/facts/surv.htm (12.6.2005); kritisch und eingehend J. Stiglitz, Globalization and Its Discontents/Die Schatten der Globalisierung, 2002; kritisch auch F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 67. 209 Dazu BVerfGE 89, 155 (160 ff., 167, 201 ff.); kritisch K. A. Schachtschneider: in: W. Hankel/W. Nölling/ders. (Hrsg.), Die Euro-Illusion, 2001, S. 25 ff., 271 ff.; ders., in: dieselben (Hrsg.), Die Euro-Klage, 1998, S. 192 ff. 210 S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 541. 211 Dazu P. Kirchhof, Die Zukunft der Demokratie im Verfassungsstaat, JZ 2004, 984 ff.; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 235 ff.

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse „Während im Rahmen der demokratisch legitimierten, nationalstaatlichen Politik zunehmend Nicht-Entscheidungen politisch legitimiert werden, werden im transnationalen Rahmen der ,Nicht-Politik‘ nicht demokratisch legitimierte Entscheidungen von transnationaler Reichweite und Durchschlagskraft getroffen.“212

Die Mehrheit der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages zur Globalisierung hat die Erosion des auf demokratischer Willensbildung fußenden Staates festgestellt.213 Sie reduziert sich auf eine „formale Demokratie“214, welche die staatsbürgerliche (politische) Freiheit relativiert. 2. Staatsgebiet a) Funktionaler Verlust der Staatsgrenzen Anders als im durch personengebundene und verflochtene Herrschaftsstrukturen geprägten Mittelalter, ist das Territorialprinzip ab der Neuzeit bestimmend für die politische Gliederung der Welt.215 Alle Staaten sind Territorialstaaten. Der moderne Staat ist vom Prinzip der Gebietshoheit geprägt.216 Dazu gehört auch die Sicherung und Wahrung der Staatsgrenzen. Es ist festzustellen, daß die Staatsgrenzen ihre gebietsabschließenden Funktionen mehr und mehr verlieren.217 Dies zeigt sich insbesondere – in der grenzüberschreitenden Wirkung von nationalstaatlichem Handeln, – im Bedeutungsverlust des Territoriums im Rahmen supranationaler funktionaler Staatlichkeit, – an dem transnationalen Handeln Privater und der zugleich begrenzten staatliche Jurisdiktion, – in der Entgrenzung infolge einer globalen Kommunikationsgesellschaft,

212 U. Beck, Wie wird Demokratie im Zeitalter der Globalisierung möglich?, in: ders. (Hrsg.), Politik der Globalisierung, 1999, S. 32; M. Kettner/M.-L. Schneider, Öffentlichkeit und entgrenzter politischer Handlungsraum, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 369 (377 ff.). 213 Enquête-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“, Schlußbericht, BT-Drs. 14/9200, 12. Juni 2002, 49 (56). 214 Dazu Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 235 ff. 215 J. Delbrück, Das Staatsbild im Zeitalter wirtschaftsrechtlicher Globalisierung, S. 16 f.; U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, S. 52 f. 216 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 60 ff. 217 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 75; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 36 ff.; U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, S. 54 ff.; H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 340 f.; M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 284 ff.

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

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– an der Entstehung funktionell-sektoraler, transnationaler, öffentlich-privater Politiknetzwerke, – in der exterritorialen Rechtsanwendung im Rahmen des internationalen Privatrechts. Weil sich das positive Recht zunehmend internationalisiert, supranationalisiert und globalisiert, ist das einzelne Staatsgebiet immer weniger Bezugsfläche für eine spezifische Rechtsordnung.218 Zwischen der globalisierten Lebenswirklichkeit und der gebietlichen Begrenzung der staatlichen Rechtsordnungen zeigt sich eine gewisse Diskongruenz. Oft und zunehmend entfalten aber auch staatliche Politiken, die als nationale Angelegenheit behandelt werden, erhebliche grenzüberschreitende Wirkungen: die Wechselkurs- und Haushaltspolitik der großen Industrienationen wirken sich weltweit auf die Zinsentwicklungen und Wachstumschancen aus. Umweltpolitische Unterlassungen, die verschwenderische Energiepolitik der Industriestaaten führen auch jenseits der Staatsgrenzen zu Umweltbeeinträchtigungen. Nationale Einwanderungs- und Flüchtlingspolitiken können Migrationsbewegungen in andere Staaten umlenken.219 Gebietshoheit wird auch auf die ausschließliche Staatsgewalt im Staatsgebiet bezogen. Teile der Staatsgewalt werden heute gemeinsam mit anderen Völkern ausgeübt, insbesondere in der Europäischen Union.220 Diese gemeinschaftlich ausgeübte, funktionale Staatsgewalt ist nicht mehr auf das Gebiet eines Staates beschränkt. Die Territorialität als Ordnungsprinzip wird zunehmend durch funktionale Erfordernisse221 und den Typus funktionaler Staatlichkeit abgelöst.222 Dies bedeutet nicht den Abbau, sondern nur den Wandel der Staatlichkeit.223 Ihre Funktion ist weniger die Exklusion als die Kooperation.224 In der Politikund Sozialwissenschaft hat sich schon längst eine Integrationslehre etabliert, welche sich mit der politischen Aufgabenbewältigung jenseits des Territorialstaates befaßt.225 In der Europäischen Union hat dieser Wandel bereits stattgefunden.226 218

P. Saladin, Wozu noch Staaten?, S. 18. D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, S. 342 f. 220 Vgl. O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 76. 221 Vgl. D. Mitrany, The Process of International Government, 1933, insbes. S. 97 ff.; E. B. Haas, Beyond the Nation State, 1964, insbes. S. 26 ff.; R. O. Keohane/ J. S. Nye, Power and Interdependence, 1977, S. 210. 222 L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB 2 (1995), 267; D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations and Transnational Enterprises in International Law and the Changing Role of the State, S. 58; zum Begriff funktionaler Staatlichkeit siehe auch 1. Teil, B, V, 2, S. 87 ff. 223 L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB, 2 (1995), 267. 224 Vgl. L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB 2 (1995), 270. 225 D. Mitrany, The Process of International Government, 1933, insbes. S. 97 ff.; E. B. Haas, Beyond the Nation State, 1964, insbes. S. 26 ff.; R. O. Keohane/J. S. Nye, 219

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

Im Rahmen der WTO führt das GATT zu einem kontinuierlichen Abbau des Zoll- und Grenzschutzes.227 Die EU-Binnengrenzen (nicht allerdings die Außengrenzen) haben ihre Bedeutung verloren. Das manifestiert sich in den längst beseitigten Zollgrenzen (Art. 23 Abs. 1 EGV), in der Verwirklichung der grenzüberschreitenden Personen-, Waren- und Kapitalfreizügigkeit228, in der allgemeinen Freizügigkeit der Unionsbürger (Art. 18 EGV) sowie in der zwischen den Partnern229 des Schengener Abkommens230 vereinbarten grundsätzlichen Abschaffung der Grenzkontrollen.231 Staatsgrenzen werden systematisch durch transnationale Unternehmen übersprungen, häufig zu dem Zweck, sich den, die Gewinnmaximierung hemmenden, Regeln der im Idealfall demokratisch bestimmten Rechtsordnung (partiell) zu entziehen232 und von den für ihre Ziele günstigeren Gesetzen anderer Staaten zu profitieren. Gewinnorientiertes Handeln ist per se kein Unrecht, soweit es nicht Rechte Dritter verletzt.233 Problematisch ist, daß sich multinationale Unternehmen der Unrechtsbewertung eines Staates entziehen können oder dieser eine solche nicht vornimmt.

Power and Interdependence, S. 210; zurückhaltender: K. W. Deutsch, Die Analyse internationaler Beziehungen, 1968, S. 272 ff, 289; R. Knieper, Nationale Souveränität, S. 194 ff.; vgl. auch E. Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, S. 160 ff. 226 Dazu 6. Teil, D, III, S. 818 ff. 227 Dazu 6. Teil, C, III, S. 738 ff. 228 Vgl. Art. 14, 28 ff., 39 ff., 43 ff., 49 ff., 56 ff. EGV 229 Derzeit Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Finnland, Griechenland, Italien, Island, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Zypern. Großbritannien und Irland sind keine Parteien des Schengener Abkommens; sie können den Schengen-Acquis mit Billigung des EU-Rates ganz oder teilweise übernehmen und sich an seiner Weiterentwicklung beteiligen. 230 Schengener Abkommen v. 14.6.1985, Durchführungsabkommen v. 19.6.1990, Sartorius II, Nr. 280 i.V. m. Dubliner Übereinkommen v. 15.6.1990, Sartorius II, Nr. 285, Schlußakte, Erklärungen und Protokolle Sartorius II Nr. 280 a, b, c, 281. Mit dem Amsterdamer Vertrag ist der „Schengen-Besitzstand“ in den Rahmen der Europäischen Union einbezogen worden. Protokoll Nr. B 1, ABl. 1997 Nr. C 340/93. Durch das Schengen-Protokoll zum Amsterdamer Vertrag vom 2.10.1997 wurde die Schengen-Zusammenarbeit mit Wirkung vom 1.05.1999 in die EU einbezogen. Der Schengen-Acquis (Schengener Abkommen und die auf dieser Grundlage erlassenen Regelungen). 231 Vgl. S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 538. 232 K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, Gutachten für die Enquete-Kommission, „Globalisierung der Weltwirtschaft“, 2001, S. 5 f. 233 Vgl. M. Forschner, Marktpreis und Würde, in: H. Neuhaus (Hrsg.), Ethische Grenzen einer globalisierten Wirtschaft, 2003, S. 15 (34).

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

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Außerdem ist festgestellt worden, daß ein Zusammenhang zwischen dem Grad an Globalisierung und der Tendenz der Staaten besteht, ihre Jurisdiktion zu extraterritorialisieren.234 Ein Erklärungsansatz dafür ist, daß das Staatsgebiet als Bezugsrahmen für globalisierte Sachverhalte an Bedeutung verliert.235 Extraterritoriale Jurisdiktion greift in den Wirkungsbereich anderer Staaten ohne deren Zustimmung ein und zwingt diese gegebenenfalls zur Anpassung.236 Geht es um Interessen, die alle Staaten angehen (z. B. globaler Umweltschutz, Terrorismus) schwingt sich ein potenter Staat unter Umständen zum Sachwalter für alle auf, was die Souveränität der anderen Staaten in Frage stellt. Einer einseitigen Regelung ist daher grundsätzlich eine gemeinschaftliche Lösung überlegen, der die betroffenen Staaten zugestimmt haben.237 b) Globale Kommunikationsgesellschaft Ein weiteres Beispiel der Entterritorialisierung ist das Internet, das sich aufgrund seiner technischen Möglichkeiten den Staatsgrenzen und damit staatlicher Regelung weitgehend entzieht.238 Die moderne elektronische Medientechnologie schafft eine von jeder Territorialität unabhängige globale Kommunikationsgesellschaft.239 Sie ist die Essentiale einer Weltgesellschaft.240 Die Kommunikationstechnik hat nicht nur die Mobilität von Personen und Gütern erhöht, sondern auch die blitzschnelle (unkontrollierbare) Transaktion riesiger Kapitalströme über die Staatsgrenzen hinweg möglich gemacht.241 Diese Finanztransaktionen 234 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 125 f. 235 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 126. 236 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 134. 237 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 135; vgl. i. d. S. auch United States – Import Prohibitions of Certain Shrimp and Shrimp Products, Report of the WTO Appellate Body, WT/DS58/AB/R, para. 761, abgedruckt in 38 ILM (1999), S. 118 ff. 238 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 47. 239 G. Schweigler, Globalisierung – eine Folge der Weltinformationsgesellschaft, Informationen zur politischen Bildung, Nr. 263, 2. Quartal 1999, S. 21 ff.; Ch. E. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft, Rechtstheorie 21 (1990), S. 381 f.; B. v. Plate, Grundelemente der Globalisierung, Informationen zur politischen Bildung, 263, 2. Quartal 1999, S. 3; N. Bolz, Die Zeit der Weltkommunikation, in: N. Bolz/F. Kittler/ R. Zons (Hrsg.), Weltbürgertum und Globalisierung, 2000, S. 81 ff.; S. Hobe, Die Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 253 (254); J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, S. 145 f. 240 N. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1970, S. 150; siehe auch ders., Ethik in internationalen Beziehungen, Soziale Welt 50 (1999), 247 (249); R. Stichweh, Die Weltgesellschaft, S. 33, 220 ff. 241 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 18 f.

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

haben sich von den Welthandelsströmen gelöst.242 Die tatsächlichen Auswirkungen dieser Entwicklung sind so umfassend, daß das Territorium und dessen Exklusivität243 als Wesenselement der nationalen Staatlichkeit in den weltweiten Beziehungen faktisch zunehmend an Bedeutung verliert.244 Die enormen und unregulierten Geldströme um den gesamten Globus können sich nicht nur auf die Volkswirtschaften erheblich auswirken, sondern auf die Weltwirtschaft insgesamt.245 c) Entstaatlichung des Rechts durch Privatisierung Unter dem territorialen Aspekt pluralisiert und entstaatlicht sich die Rechtsordnung jenseits staatlicher Grenzen.246 Ein anderer Weg der Entterritorialisierung des Rechts führt über das Internationale Privatrecht und die Rechtswahlklausel, welche den Wettbewerb der Rechtsordnungen ermöglichen.247 3. Staatsvolk a) Verlust der Einheit des Staatsvolkes mit dem Staatsgebiet und der Staatsgewalt Das Staatsvolk ist die Gesamtheit der Staatsangehörigen.248 Es ist nicht identisch mit den infolge der Gebietshoheit der Staatsgewalt unterworfenen Perso242 Ch. E. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft, Rechtstheorie 21 (1990), 380 f.; vgl. a. B. v. Plate, Grundelemente der Globalisierung, Informationen zur politischen Bildung, Nr. 263, 2. Quartal 1999, S. 3; F. Franzmeyer, Welthandel und internationale Arbeitsteilung, Informationen zur politischen Bildung, Nr. 263, 2. Quartal 1999, S. 17. 243 L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB 2 (1995), S. 260. 244 F. Kratochwil, Of Systems, Boundaries, and Territoriality, World Politics 39 (1986), 1, S. 27 ff.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 1997, S. 97; Ch. E. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft, Rechtstheorie 21 (1990), S. 381; vgl. auch G. Gottlieb, Nation Against State, S. 6 ff., 24 ff.; L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB 2 (1995), S. 260 ff., 267; S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 537 f.; D. Thürer, The Emergence of NonGovernmental Organizations and Transnational Enterprises in International Law and the Changing Role of the State, S. 58. 245 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 262. 246 J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, in: Liber amicorum, J. Sonnenschein, 2003, S. 793 (804). 247 R. Voigt, Globalisierung des Rechts. Entstehung einer „dritten Rechtsordnung“?, in: ders. (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 16 (27 f.); vgl. auch H.-P. Schwintowski, Verteilungsdefizite, Staatswissenschaften und Staatspraxis, 6 (1995), S. 21 ff. zum Wettbewerb der Rechtsordnungen. 248 Dazu S. Hobe, Das Staatsvolk nach dem Grundgesetz, JZ 1994, 191 ff.; R. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, HStR, Bd. II, 2004, S. 107, Rn. 20, Rn. 5 ff.

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

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nen249, zu denen insbesondere die Bevölkerung gehört. Die Bevölkerung sind die Menschen, die ihren Wohnsitz in dem betreffenden Staat haben.250 Der Begriff des Staates setzt die grundsätzliche Einheit von Staatsvolk und den der Staatsgewalt auf einem Gebiet unterworfenen Menschen voraus.251 In demokratischen Staaten geht die Staatsgewalt vom Volk aus (vgl. Art. 20 Abs. 2 GG).252 Politik entsteht allerdings immer weniger in den Staaten aufgrund allgemeiner Gesetzgebung der parlamentarischen Volksvertretung, sondern wird auf internationaler Ebene durch die Staatsführer ausgehandelt, was zur „Herrschaft der verhandelnden Exekutiven“ führt.253 Auf diese Weise nimmt die identitätsstiftende Einheit von Volk, Staat und politischen Entscheidungen (Staatsgewalt) im Staat ab.254 Die Internationalisierung des Rechts bewirkt letztlich eine Loslösung von der volonté générale, vom allgemeingesetzgebenden Willen des Volkes.255 Durch die Parteienherrschaft256, die in vielen Staaten, auch in Deutschland, das politische Leben bestimmt, wird dies zusätzlich gefördert. Vor allem entflechtet die Migration257 die klassische Zuordnung von Territorium und Volk258 und führt zu einer „Permeabilität des Staatsvolks“259 und einem hohen Ausländeranteil in der Bevölkerung der Staaten. Weil der National249

M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 70 f. M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 72 a. E. 251 Vgl. BVerfGE 83, 37 (52); K. A. Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, S. 13 ff. 252 R. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, HStR, Bd. II, § 16, S. 107, Rn. 6, 30 ff. 253 U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 8, 105; vgl. auch F. W. Scharpf, Versuch über Demokratie im verhandelnden Staat, in: R. Czada/M. G. Schmidt. (Hrsg.), Verhandlungsdemokratie – Interessenvermittlung – Regierbarkeit, 1993, S. 25 ff. 254 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 37. 255 D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman, Frieden durch Recht, 1996, S. 220 (226 f.); K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 308 ff.; U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 8 f., 97 ff. 256 Zur Unvereinbarkeit von Parteien mit der volonté générale Rousseau, Gesellschaftsvertrag, II, 3. Kap. (S. 31); siehe die Grundsatzkritik von K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1045 ff.; vgl. auch U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 97 ff., 105. 257 Dazu M. Wöhlcke, Transnationale Migration als globale Herausforderung, in: S. Schorlemmer (Hrsg.) Praxishandbuch UNO, 2003, S. 283 ff. 258 L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB 2 (1995), S. 269; S. Benhabib, Global.com oder Weltrepublik? NZZ v. 6.8.2001 Nr. 179, S. 23; vgl. auch P. Saladin, Wozu noch Staaten. S, 23 f. und J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 777 (782); H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 339 f. 259 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 76; vgl. auch L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB 2 ( 1995), 261. 250

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

staat seine Handlungsformen territorial organisiert, „besteht in der independenten Weltgesellschaft immer seltener eine Kongruenz zwischen Beteiligten und Betroffenen“.260 Zusätzlich stellt die Multikulturalität der Gesellschaften infolge der „Durchmischung“ der Völker, Ethnien und Kulturen261 den Homogenitäts- und Integrationsanspruch des Nationalstaats in Frage262 und verleiht dem Verständnis des Staates als civitas neue Aktualität.263 Die Globalisierung der Lebensverhältnisse ist deshalb nicht durch Protektionismus und Renationalisierung zu bewältigen.264 Besonders deutlich ist die Exklusionsverminderung des Staatsvolkes im Geltungsbereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Hier verlieren Bürgerrechte wegen der Unionsbürgerschaft, den Grundfreiheiten und dem allgemeinen Verbot, aufgrund der Staatsangehörigkeit zu diskriminieren, ihre Relevanz.265 Teilweise gilt dies auch für politische Bürgerrechte. Dies erweist das kommunale Wahlrecht für Unionsbürger (Art. 19 EGV), welches den Volksbegriff des Grundgesetzes mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts partiell verändert hat (vgl. Art. 28 Abs. 1 GG)266 und Staatsangehörige anderer Staaten jedenfalls im kommunalen Bereich an der Staatsgewalt beteiligt267. All dies stellt den Begriff des Staatsvolks in der Rechtslehre auf den Prüfstand.268 b) Globalisierung der Menschenrechtszuständigkeit Ehemalige Bürgerrechte gewinnen zunehmend als Menschenrechte an Bedeutung.269 Im Rahmen der internationalen Verträge und Organisationen wurde zu260 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 108; vgl. auch U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 38; H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 338 ff. 261 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 119 ff. 262 Dazu M. R. Lucas, Nationalism, Sovereignty and Supranational Organizations, S. 16 ff. 263 Dazu 1. Teil, S. 57 f., 5. Teil, S. 631 ff. 264 Vgl. auch J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 124. 265 H. G. Schermers, The Bond between Man and State, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 187 (197 f.). 266 Dazu S. Hobe., Das Staatsvolk nach dem Grundgesetz, JZ 1994, 191 (193 ff.); davor allerdings BVerfGE 83, 37 (59) obiter dictum. 267 S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 541; dazu ders., Das Staatsvolk nach dem Grundgesetz, JZ 1994, 191. 268 Dazu etwa J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, S. 777 ff.; A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, 2000, S. 29 ff. 269 E. Altvater, Sustainability Failures, in: Fs. M. Jänicke, 1997, S. 42 (45).

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

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nächst die Universalität der Menschenrechte hervorgehoben und die Internationalisierung des Schutzes der Menschenrechte begonnen.270 Dies zeigen etwa die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN-Generalversammlung vom 10. Dezember 1948, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, jeweils vom 19. Dezember 1966.271 Völkerrechtliche Menschenrechtsnormen verpflichten die Staaten, bestimmte Menschenrechte für die ihrer Jurisdiktion unterstellten Menschen im Wege ihrer nationalen Rechtsetzung zu gewährleisten.272 Seitdem und soweit die Menschenrechte als Teil des Völkerrechts begriffen werden, ist die Frage der Einhaltung dieser Rechte aus dem Bereich der inneren Angelegenheiten, der domestic jurisdiction der Staaten genommen worden.273 Zugleich macht aber der auf den Schutz des Individuums zielende Universalitätsanspruch der Menschenrechte den Staaten ihre Position als alleinige Garanten des Grund- und Menschenrechtsschutzes streitig. Außerdem nimmt er den Staaten die Befugnis, ihr Verhalten gegenüber den ihrer Gebiets- und Personalhoheit unterliegenden Menschen nach ihrem Belieben zu gestalten.274 Die Weltgemeinschaft verliert ihre herkömmliche Indifferenz gegenüber der innerstaatlichen Ordnung und setzt die republikanischen Prinzipien der Menschenrechte und der Demokratie zunehmend als Maßstäbe für die Beurteilung von Staaten ein.275 Auch damit kündigt sich, wie schon Josef Isensee festgestellt hat, „eine Evolution des völkerrechtlichen Staatsbegriffs an: von der Drei-Elemente-Lehre, die nur auf die äußere Gestalt des modernen Staates abstellt, ein inhaltsleeres Organisationsschema, zum Konzept des Verfassungsstaates, das auch vornehmlich die innerstaatliche Verfassung des Gemeinwesens betrifft.“276 Noch bleibt nach der überwiegenden Meinung die Durchsetzung der Menschenrechte Aufgabe der Staaten, sei es unmittelbar, sei es mittelbar über die Organe der zwischenstaatlichen Überwachungsinstitutionen.277 Neben diesen hat sich aber ein grenzüberschreitendes Netz weltweit agierender privater Orga270 Vgl. K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 239 ff.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 335 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 820 ff.; K. Ipsen, Völkerrecht, S. 668 ff. 271 G. Gottlieb, Nation Against State, S. 31. 272 Siehe z. B. Art. 2 IPbpR: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen zu gewährleisten“; S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 223. 273 J. Delbrück, Die Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S + F 2/98, S. 98. 274 K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, S. 627; S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 221; ders., Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 536 f. 275 Vgl. Implemention of the United Nations Millenim Declaration, UN Doc. A/57/ 270 v. 31.7.2002, V, paras. 82 ff. 276 J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 421.

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1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

nisationen, sogenannter nicht-staatlicher Internationaler Organisationen278 gebildet. Viele von ihnen bemühen sich um die Durchsetzung der Menschenrechte und sonstiger globaler Schutzinteressen, wie z. B. Amnesty International, Human Rights Watch oder Greenpeace und verstehen sich als Anwälte eines übernationalen, globalen öffentlichen Interesses der Menschheit.279 Hierdurch formen sich transnationale Gemeinschaften.280 4. Ergebnis Der völkerrechtliche (und herrschende staatsrechtliche), streng formalistische Staatsbegriff gibt nur noch eine grobe Orientierung. Die Einheit von „Staatsgewalt“, „Staatsgebiet“ und „Staatsvolk“ ist in der entgrenzten und internationalisierten Welt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durchbrochen und gerät zunehmend zur Fiktion. Die organisatorische Absonderung und Abgrenzung der Völker voneinander in Einzelstaaten wird fragwürdig. Nahe liegt insoweit die Idee einer Weltcivitas. Ob allerdings die Auflösung der Staaten und die Schaffung eines Weltstaates die vernünftige Antwort auf diese Diskongruenz ist, darf bezweifelt werden (dazu 5. Teil, A). Hinzu kommt, daß das moderne Völkerrecht mehr und mehr verbindliche Vorgaben an die Staaten macht, die nicht nur deren zwischenstaatliches Verhältnis, sondern ihre innerstaatliche Verfassung betreffen. Das gilt insbesondere für die Menschenrechte, die im Völkerrecht zunehmend Anerkennung und Durchsetzung finden. Die Entgrenzung des Zusammenlebens und der politischen Entscheidungsprozesse sowie die zunehmende Funktionslosigkeit der Drei-Elemente-Lehre provozieren neue oder zumindest ergänzende Begriffe vom Staat, jedenfalls eine veränderte Dogmatik der Staatlichkeit. Zum Rechtsbegriff des modernen Staates muß notwendig die Einbeziehung des Anderen jenseits der Staatsgrenzen gehören.281 V. Neue Staatsbegriffe Die Lehre vom „offenen Staat“ sowie die dogmatische Unterscheidung funktionaler und existentieller Staatlichkeit tragen der Internationalisierung und Globalisierung nur teilweise Rechnung:

277 J. Delbrück, Die Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S + F 16 (1998) 2, S. 98. 278 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 193 ff. 279 J. Delbrück, Die Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S + F 2/98, S. 98. 280 Vgl. L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB, 2 (1995), 261, 277. 281 H. Brunkhorst, Solidarität, 2002, S. 147 f.

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

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1. „Kooperationsoffener Verfassungsstaat“ Aufgrund der Globalisierung der Lebensverhältnisse unterliegt der Staat „kooperationsbedingten internationalen Vorgaben“ und wird nicht mehr als geschlossener Nationalstaat, sondern als „kooperationsoffener Verfassungsstaat“282, „offene Republik“283 oder „offener Staat“284 begriffen. Elemente des Territoriums und des Volkes werden durch einen weiteren Begriff der funktionalen Staatsgewalt ergänzt, welcher internationale, kooperative Formen von Organisations- und Integrationsgewalt einschließt.285 Der souveräne Nationalstaat ist zum rechtlich gebundenen Mitgliedstaat geworden.286 Stephan Hobe hat folgende Merkmale des „kooperationsoffenen Verfassungsstaates“ funktionsorientiert herausgearbeitet287, mit denen der Begriff vorgestellt werden soll: – Erstens ist der Staat nicht mehr prima potestas, sondern vielfältig in das internationale System eingebunden. – Zweitens erfüllt der Staat seine Kooperationsverpflichtungen nicht mehr nur durch den Abschluß gegenseitiger völkerrechtlicher Abkommen, sondern überträgt auch Aufgaben auf internationale oder Weltorganisationen. – Dabei ist er dafür verantwortlich und kontrolliert, daß die verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien gewahrt werden (vgl. Art. 23, 20, 38, 79 Abs. 3 GG). – Drittens verfügt der Staat aufgrund seiner Gebietshoheit grundsätzlich über die Befugnis, sowohl das nationale als auch das inter- und supranationale Recht mit Zwang durchzusetzen (Vollstreckungsfunktion). – Viertens können innere und äußere Staatlichkeit, inneres und äußeres Recht nicht mehr durch die Staatsgrenzen voneinander geschieden werden.

282

S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 542. J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 777 (778). 284 K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964; K.-P. Sommermann, Der entgrenzte Verfassungsstaat, in: D. Merten (Hrsg.), 1998, S. 19 (25 ff.); U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, insbes. S. 5 ff., 132 ff.; ders., Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, S. 33 ff.; S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 1998; D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 170 ff.; vgl. auch P. Häberle, Der kooperative Verfassungsstaat, in: ders. (Hrsg.), Verfassung als öffentlicher Prozeß, 1978, S. 407 ff.; BVerfGE 89, 155 (183). 285 S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 546. 286 C. Walter, Folgen der Globalisierung für die europäische Verfassungsdiskussion, DVBl. 2000, 1 (12). 287 S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 542 ff. 283

88

1. Teil: Staatliche Ordnung der Lebensverhältnisse

2. Unterscheidung von existentieller und funktionaler Staatlichkeit Staaten bilden heute „eine kooperative Interpretations- und Durchsetzungsgemeinschaft“ internationalisierter, europäisierter und „entnationalisierter Rechtsnormen“.288 Ein Volk kann seine Staatlichkeit gemeinschaftlich mit anderen Völkern ausüben, indem es insbesondere durch völkerrechtliche Verträge (für die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage und in den Grenzen der Art. 23 und 24 GG) Aufgaben und Befugnisse auf Internationale Organisationen und Staatengemeinschaften überträgt.289 Zum Teil wird angenommen, daß mit dieser Übertragung ein eigenständiges Herrschaftsgebilde entstehe, das über „autonome“ Gewalt verfüge.290 Eine solche Dogmatik ist weder mit dem völkerrechtlichen Souveränitätsanspruch noch mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und dem staatsrechtlichen Demokratieprinzip vereinbar, wonach sich das Volk seiner Staatsgewalt nicht begeben kann (vgl. Art. 20 Abs. 2 GG).291 Solange keine Weltcivitas verfaßt wird292, darf die existentielle Staatlichkeit durch völkerrechtliche Verträge oder die Bildung von Staatenbünden und Internationalen Organisationen nicht angegriffen werden.293 Nur Funktionen der Staatsgewalt (funktionale Staatlichkeit)294 als Vertretungsbefugnisse295 können rechtens auf Internationale Organisationen und Staatengemeinschaften übertragen werden.296 Dabei muß aus demokratierechtlichen Gründen das Prinzip der begrenzten Ermächtigung, d. h. die Ausnahmehaftigkeit der übertragenen Befugnisse, 288

H. Brunkhorst, Solidarität, S. 143. Dazu K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 87 ff., 94; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil I, DSWR 1999, 12 (20). 290 In diesem Sinn EuGH, Rs 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251 (1269 ff.); BVerfGE 22, 293 (295 f.); 89, 155 (175); E. Grabitz, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, 1966, 56; H. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 232; vgl. auch Th. Oppermann, Europarecht, S. 336. 291 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 76 f., 87, 92 ff.; ders.,Die Staatlichkeit der europäischen Gemeinschaft, in: M. Vollkommer (Hrsg.), Auf dem Weg in ein vereintes Europa, 1994, S. 81 f.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, 2005, S. 291 ff.; vgl. auch A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 122 ff. 292 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 103. 293 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 87, 92 ff. 294 Vgl. zum Funktionalismus E. Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, 1969, S. 13 ff. 295 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 95. 296 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 87 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, 2006, S. 66 ff.; vgl. auch BVerfGE 89, 155 (182 f.); S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 545. 289

B. Wirkung der Globalisierung auf die staatliche Ordnung

89

beachtet werden (vgl. Art. 5 Abs. 1 EGV), weil sonst die nationalen Parlamente, die der Übertragung zustimmen, die Politik des Mitgliedstaates nicht mehr verantworten würden.297 Ein weitgehender Verlust der funktionalen Staatlichkeit führt zur Aushöhlung der existentiellen Staatlichkeit.298

297 Dazu BVerfGE 89, 155 (181, 191 ff.); K. A. Schachtschneider, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 28/93, S. 6; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 96. 298 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 87 ff.

2. Teil

Grundlagen und Typik des Völkerrechts Voraussetzung für die Untersuchung eines Paradigmenwechsels vom Völkerrecht zum Weltrecht ist es zu analysieren, wie sich Völkerrecht von Weltrecht paradigmatisch unterscheidet. Hierfür muß zunächst das Paradigma des Völkerrechts dargestellt werden. Das Wort Paradigma kommt aus dem Griechischen und bedeutet Beispiel, Vorbild, Muster oder Abgrenzung. Als erkenntnistheoretischer Begriff im Sinne Thomas S. Kuhns beschreibt der Begriff „Paradigma“ vorherrschende wissenschaftliche Denkweisen in einer bestimmten Zeit, die gewisse Annahmen und Modellvorstellungen widerspiegeln.1 Hier soll es um die Typik des Völkerrechts in Bezug auf Begründung, Dogmatik, Prinzipien und Instrumente gehen.

A. Begründung der Geltung des Völkerrechts I. Geltung von Normen „Daß eine sich auf das Verhalten eines Menschen beziehende Norm ,gilt‘, bedeutet“ nach Hans Kelsen, „daß sie verbindlich ist, daß sich der Mensch in der von der Norm bestimmten Weise verhalten soll.“2 Zur Geltung des Rechts3, dem als gemeinsamer Nenner eine Sollensordnung zugrunde liegt, werden verschiedene Lehren vertreten. Die überwiegend vertretene juristisch4 oder normativ5 positivistische Geltungslehre sieht jede in einer Rechtsordnung von einer dafür zuständigen Autorität, nach einem dort vorgesehenen Verfahren gesetzte Norm als Recht an. Anders als der realistisch-soziologische oder empirische Positivismus lehnt sie die

1

Dazu Th. S. Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, 1962. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1960, S. 196. 3 Vgl. zum Problem der Rechtsgeltung etwa G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 104 ff.; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 179 ff.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 39 ff.; Th. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 1994. 4 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 49. 5 Th. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 160. 2

A. Begründung der Geltung des Völkerrechts

91

Deduktion von Recht aus einem „Sein“ ab.6 Letztlich wird die Geltung von Rechtsnormen von einer höherrangigen Grundnorm oder Verfassung abgeleitet.7 Die Frage nach dem Ursprung der Grundnorm wird entweder überhaupt nicht gestellt8 oder als außerhalb des geltenden Rechts liegende, z. B. ethische oder soziologische Begründung des Rechts angesehen. Das positive Recht ist, abgesehen davon, daß es „willentlich gesetzt“ ist, außerdem dadurch gekennzeichnet, daß es durch äußeren Zwang durchgesetzt werden kann.9 Oft wird das Völkerrecht als Konsensrecht verstanden.10 Die Konsenslehren stellen den zwischen den Staaten/Völkern erzeugten Konsens als Rechts- und Legitimationsgrund in den Vordergrund.11 Verbindlichkeit des Völkerrechts, d. h. Entstehung, Geltungskraft und die rechtlichen Möglichkeiten der Beendigung seiner Verbindlichkeit gründen danach auf dem Konsensprinzip.12 Das empirische oder realistisch-soziologische Konzept der Rechtsgeltung, welches die soziale Natur des Menschen zugrundelegt, leitet die Verbindlichkeit des Rechts aus der faktischen Geltung ab, d. h. aus der regelmäßigen Anerkennung, Befolgung, Durchsetzbarkeit und praktischen Wirksamkeit (Effektivität) einer Rechtsnorm in einer Gesellschaft.13 6

F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 188 ff. Th. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 161. 8 Th. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 160 f. 9 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 188. 10 C. Eagleton, International Government, 1948, S. 45 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 12, 16, 35, 77; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 167; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, 2000, S. 24, Rn. 56; K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 15 f., Rn. 42 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insbesondere im Welthandelsrecht, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 123 (132); F. Orrego-Vicuña, Law Making in a Global Society, in: Fs. G. Ress, 2005, S. 191 ff. 11 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 167; S. Kadelbach, Ethik des Völkerrechts unter Bedingungen der Globalisierung, ZaöRV 64 (2004), S. 16; F. Orrego-Vicuña, Law Making in a Global Society, S. 199. 12 K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 16, Rn. 48; vgl. auch ders., S. 12 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 167. Die kritische Schule und dekonstruktivistische Ansätze greifen den Konsens als Rechtsgrund an, weil dieser unmöglich sei. Ihrerseits bieten sie aber keine normative Basis für das Recht an. Nach der im anglo-sächsischen Raum vertretenen common consent-Lehre genügt die ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung der ganz überwiegenden Mehrheit der Staatengemeinschaft für die Begründung von Völkerrecht. Vgl. K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 9. Rn. 23. 13 F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Teilbd. 1970, S. 948: „Das Recht ist von Effektivität getragen.“ Vgl. F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 188 f.; Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 433; vgl. auch W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 43; R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 2002, S. 139 ff. 7

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

II. Verdrängung der Natur- und Vernunftrechtslehren durch den Positivismus Im modernen Völkerrecht sind die Natur- und Vernunftrechtslehren, welche die Freiheit oder bestimmte geborene Rechte als Grundlage des Rechts ansehen, weitgehend durch den Positivismus verdrängt worden.14 Danach ist Völkerrecht verbindlich, weil es gesetzt ist.15 III. Monistisch-positivistische Begründung aus einer „Grundnorm“ Ausgehend von der Einheit von Völker- und nationalem Recht (Monismus), hat Hans Kelsen die Bindungswirkung des Völkerrechts entweder durch Ableitung aus einer Grundnorm des über den Staaten stehenden Völkerrechts oder aus einer Grundnorm des über dem Völkerrecht stehenden Staatsrechts für möglich erachtet.16 Die Grundnorm ist eine Annahme, die die Frage nach der Letztbegründung des Rechts im Sinne seiner „reinen“, d. h. positivistischen Rechtslehre erübrigen soll. Kelsen hat sich für eine im Völkerrecht wurzelnde Grundnorm entschieden, aus der sich die staatlichen Ordnungen ableiten. Nur wenn das Völkerrecht „objektiv“, also vom Willen der Staaten unabhängig gilt, ist aus seiner Sicht eine die Staaten zu einer Gemeinschaft verbindende Völkerrechtsordnung möglich.17 Diese Position, wie auch andere monistische Auffassungen mit Primat des Völkerrechts (dazu 3. Teil, B, IV) haben das praktizierte Völkerrecht nicht wesentlich geprägt. Sie sind nicht „völkerrechtstypisch“, weil sie keine zwischenstaatliche, sondern eine universelle Rechtsordnung konzipieren. Die klassisch monistischen Lehren sollen daher genauer in der Typik des Weltrechts erörtert werden.

14 S. Kadelbach, Ethik des Völkerrechts unter Bedingungen der Globalisierung, ZaöRV 64 (2004), S. 1 (14 f.). 15 A. Verdross, Völkerrecht, 1964, S. 103; K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 7, Rn. 18; vgl. W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, in: Ch. Chwaszcza/ W. Kersting (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 153 (157); dazu R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 31 ff.; A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, in: H. Brunkhorst/M. Kettner, Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 151 (154 ff.); H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, 1994, § 24 I, II, S. 248 ff. 16 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 332 ff.; ders., Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, ZaöRV 19 (1958), S. 234 ff. 17 H. Kelsen, Das Problem der Souveränität, 1920, S. 204 ff.; ders., Reine Rechtslehre, S. 221 ff.; offengelassen aber in: Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, ZaöRV 19 (1958), S. 234 ff.

A. Begründung der Geltung des Völkerrechts

93

IV. Einzelstaatswille Voluntaristisch ist der Wille der jeweiligen rechtsetzungsbefugten Subjekte entscheidend.18 Im Völkerrecht ist dies in der Regel der Wille der Staaten, oft deren Führer, nicht notwendig derjenige der Völker.19 Nach den Souveränitätslehren setzen die Staaten aufgrund ihrer Souveränität das Völkerrecht.20 1. Monistische Lehre mit Primat des Staatsrechts Geltungsgrund des Völkerrechts ist nach der Lehre des älteren Monismus21 der jeweilige einzelstaatliche Wille. Das Völkerrecht wird als Teil des nationalen Rechts verstanden.22 Die Souveränität des Staates zugrundelegend, hat Hegel das Völkerrecht als Außenstaatsrecht definiert23. Auch Hans Kelsen hat, obwohl er ihr nicht anhing und wie gesagt einen Monismus mit Primat des Völkerrechts vertrat, diese Lehre im 20. Jahrhundert fortentwickelt24. Gemäß der Lehre vom Außenstaatsrecht, wonach die Regeln des Völkerrechts jeweils innerstaatliches Recht der Staaten sind, also mit diesem eine einheitliche Rechtsordnung bilden, kann das Völkerrecht nur im innerstaatlichen Willensbildungsprozeß entstehen25. Das Völkerrecht beruht nach Hegel nicht auf einem gemeinschaftlichen Vertrag der Völker und auf deren gemeinsamen Willen, sondern auf „unterschiedenen souveränen Willen“26, auf den jeweils gegeneinanderstehenden „besonderen Willen“27 der Staaten, auf der Selbständigkeit der Völker, welche sich in ihrem 18 Vgl. O. Kimminich/S. Hobe, Völkerrecht, 2000, S. 167; J. M. Mössner, Einführung in das Völkerrecht, 1977, S. 9 f. 19 M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 570. 20 K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 7, Rn. 18; A. Bleckmann, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 14. 21 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (1821), hrsg. v. E. Moldenhauer/K. M. Michel, 1989, Bd. 7, § 333; daran anschließend K. T. Püttner, Die Staatslehre oder – Souveränität als Princip des practischen Europäischen Völkerrechts, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 6, 1850, 299 ff.; Überblick über die Lehren zum staatsrechtlichen Monismus bei Ch. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, 2003, S. 245 ff. 22 G. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge, 1880, S. 7. 23 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 330 ff.; vgl. K. Ipsen, Völkerrecht, S. 1073. 24 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 333 ff. 25 M. Wenzel, Juristische Grundprobleme, I, Der Begriff des Gesetzes, 1920, S. 387; A. Zorn, Grundzüge des Völkerrechts, 1903, S. 300 ff.; vgl. a. O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 261 f.; A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 111. 26 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 333. 27 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 336.

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

Verhältnis zueinander nicht in einem rechtlichen, sondern im Naturzustand befinden28. Hegel meint, das „Volk als Staat“ habe die „absolute Macht auf Erden“ und sei folglich gegenüber anderen Staaten in souveräner Selbständigkeit.29 Deshalb wird das Völkerrecht als „äußeres Staatsrecht“30 behandelt, das sich die Staaten im eigenen Interesse geben mögen, genauso gut aber auch wieder verwerfen können.31 Daraus folgt nach dieser Lehre die Unverbindlichkeit des Völkerrechts, jedenfalls der Vorrang des nationalen Rechts.32 Konsequent hat Max Wenzel den Vorrang des nationalen Rechts vor dem Völkerrecht, das er „Untergesetzesrecht“ nennt, begründet.33 Ihm zufolge haben die Völkerrechtsvorschriften so viele Geltungsgründe als Staaten, deren Gesetzessysteme die Möglichkeit von Staatenverträgen vorsehen.34 Wenzel vertritt die These, daß der Grundsatz pacta sunt servanda die staatliche Handlungsfreiheit nicht einschränken kann.35 Ist die Geltung des Völkerrechts vom Willen der einzelnen Staaten in dem Sinn abhängig, daß es allein in deren Belieben gestellt ist, insbesondere jederzeit wieder rückgängig gemacht werden kann, entfaltet es keine Bindungswirkung im rechtlichen Sinn, weil Rechtsverbindlichkeit voraussetzt, daß die Normadressaten dem Recht unterworfen sind.36 Die klassische Außenstaatslehre vermag die Verbindlichkeit und Rechtlichkeit des Völkerrechts nicht zu begründen. 2. Selbstverpflichtung Georg Jellinek versteht „Souveränität“ als „die Eigenschaft eines Staates, kraft welcher er nur durch eigenen Willen rechtlich gebunden werden kann“.37 28 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 333; so auch A. Lasson, Princip und Zukunft des Völkerrechts, S. 22, der aufgrund der Souveränität der Staaten annahm, der Zustand zwischen diesen sei ein „vollkommen rechtloser“. 29 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 331. 30 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 330; siehe in neuerer Zeit B. Paradisi, Civitas maxima II, 1974, S. 580: „il diritto internazionale resto pertanto un po’sempre un diritto interno che si riversa al di fuori“. 31 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 330, 333. 32 H. Kelsen, Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, ZaöRV 19 (1958), S. 244 f. sieht darin einen Mißbrauch der Lehre vom Primat des Staatsrechts als Geltungsgrund. 33 M. Wenzel, Juristische Grundprobleme, S. 387, 405 f. 34 M. Wenzel, Juristische Grundprobleme, S. 386 f.; kritisch dazu A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf Grundlage der Völkerrechtsverfassung, 1923, S. 55 ff. 35 M. Wenzel, Juristische Grundprobleme, S. 508 ff. 36 Vgl. schon F. Gentz, Über den ewigen Frieden (1800), in: Raumer, Ewiger Friede, S. 461 (478); K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 7 f., Rn. 19, S. 9, Rn. 24; vgl. dazu auch kritisch A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 422 f.; ders., Völkerrecht, 2001, S. 12, Rn. 35, S. 139, Rn. 409; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, S. 54, § 72.

A. Begründung der Geltung des Völkerrechts

95

Nach Jellinek gründet, von einem positivistischen Ansatz ausgehend, das Völkerrecht wie jedes Gesetz auf einer Selbstverpflichtung38, auf einer Selbstbeschränkung des Staatswillens39, durch den der Staat seine Äußerung als verbindlich erachtet.40 Art, Umfang und Zeitdauer der Geltung des Völkerrechts sind von dem sie tragenden Staatswillen abhängig, durch den die kontrahierenden Staaten das objektive Recht des Staatsvertrages anerkennen.41 Anders als Hegel ist Jellinek bestrebt, die Staatswillenslehre mit der „objektiven Natur der Staatenbeziehungen“42 in der Staatengemeinschaft43 und der daraus folgenden Notwendigkeit der Vertragstreue in Einklang zu bringen.44 Weil jedoch eine übergeordnete Autorität fehlt, bleibt für Jellinek das Völkerrecht „archaisches Recht“ zwischen Koordinierten.45 3. Umgekehrter Monismus Eine gewisse Belebung hat die in der Völkerrechtspraxis nicht mehr bedeutsame Außenstaatskonzeption durch die republikanische Lehre vom umgekehrten Monismus gefunden. Danach gründet die Verbindlichkeit des Völkerrechts im jeweiligen Willen „der als Staaten verfaßten Völker, auf deren Verfassung also“.46 Damit ruht das Völkerrecht auf derselben Grundlage wie das innerstaatliche Recht. Nach Schachtschneider „unterscheiden sich Völkerrecht und Staatsrecht nicht wesentlich voneinander, wenn die Staatlichkeit des gemeinsamen Lebens republikanisch verfaßt wird, weil das Recht unabhängig von seiner Materie und seinem Wirkungsbereich auf der Freiheit der Bürger47, auf dem Willen des Volkes beruht. Die Völker selbst sichern die Verbindlichkeit des Rechts unter den Völkern, wenn sie sich zu Republiken, d. h. als freiheitliches Gemeinwesen verfaßt haben. Das Völkerrecht ist nicht minder der Wille der Völker als das Staatsrecht. Das Wesen der Republik ist die Verwirk37

G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, 1882, S. 34. G. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge, S. 17. 39 G. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge, S. 27. 40 G. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge, S. 6, 17. 41 G. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge, S. 2 f., 51. 42 G. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge, S. 48. 43 G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, S. 92 f.; ders., System der subjektiven öffentlichen Rechte (1905), S. 320. 44 G. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge, S. 57; vgl. auch Ch. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus, S. 249 f. 45 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1905, S. 368. 46 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, in: W. Blomeyer/ders. (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 75 (103); vgl. auch die ältere Auffassung von A. Verdross, Zur Konstruktion des Völkerrechts, Zeitschrift für Völkerrecht, 8 (1914), S. 329 (339 ff.). 47 Vgl. zum republikanischen Bürger K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 207 ff. 38

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts lichung der Freiheit durch die Rechtlichkeit unter den Menschen. Wenn allerdings dem Staat die eigenständige vom Volk unabhängige Existenz zuerkannt wird . . ., wenn also der Staat als Herrschaftsgebilde konzipiert wird, sind Staatsrecht und Völkerrecht wesensverschieden.“48

Die Verbindlichkeit des Völkerrechts sieht er darin, daß jedes Volk „innerstaatlich“ verpflichtet sei, das Völkerrecht als „Teil der eigenen Rechtsordnung zu verwirklichen“.49 Die Lehre ist „umgekehrt monistisch“, weil sie nicht wie der Monismus mit Primat des Völkerrechts das staatliche Recht als Teil des Völkerrechts50, sondern das Völkerrecht wie die Außenstaatsrechtslehren jeweils als Teil der Rechtsordnungen der Staaten ansieht. Von den Außenstaatslehren unterscheidet sich die Lehre vom umgekehrten Monismus dadurch, daß sie nicht positivistisch an der Souveränität des Staates, sondern vernunftrechtlich an der Autonomie des Menschen als Bürger51 ansetzt. Der Bürger muß demzufolge „immer als gesetzgebendes Glied betrachtet werden“52. Vom Volk als verfaßte Bürgerschaft geht alle Staatsgewalt aus (vgl. Art. 20 Abs. 2 GG).53 In diesem Sinne wird auch das in Art. 1 Ziff. 2 und Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta verankerte Selbstbestimmungsrecht der Völker verstanden.54 Die verfaßte Vielheit der Bürger ist der Staat im weiteren Sinne, der existentielle Staat oder das Volk.55 Der Staat im engeren Sinn ist in funktioneller Betrachtung der „Staat der Ämter“.56 Wird die mit dem Menschen geborene politische Freiheit, seine Selbstzweckhaftigkeit, akzeptiert, muß die Staatlichkeit des gemeinsamen Lebens bürgerlich, republikanisch verfaßt sein, wie das Immanuel Kant in seinem Ersten Definitivartikel ,Zum ewigen Frieden‘ gefordert hat57. Das Völkerrecht ist dann nicht minder der allgemeine Wille der verfaßten 48 K. A. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, in: M. Vollkommer (Hrsg.), Auf dem Weg in ein vereintes Europa, 1994, S. 81; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 88 f. 49 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 105; auch D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, 2003, S. 178 ff.; 250 ff. 50 Siehe unter 3. Teil, B, IV. 51 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 275 ff.; ders., Freiheit in der Republik, 2006, S. 274 ff. 52 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, (1797/1798), hrsg. v. W. Weischedel, 1983, Bd. 7, S. 469 (A 220/B 250). 53 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 64 ff. 54 Zur Geschichte W. Heidelmeyer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, 1973, S. 9 ff.; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, ARSPBeiheft 71 (1997), S. 161 ff. 55 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, 2006, S. 58 f., 60; vgl. auch ders., Res publica res populi, S. 1049 ff. 56 Vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1049 ff.; dazu auch 1. Teil, A.

A. Begründung der Geltung des Völkerrechts

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Völker als das innerstaatliche Recht jeweils der gemeinsame Wille der Vielheit der Bürger, des einzelnen verfaßten Volkes ist. Geltungsgrund des Völkerrechts ist also wie der des innerstaatlichen Rechts „ausschließlich der Wille der Bürger (umgekehrter Monismus)“.58 Hierauf gründet die Einheit von Staats- und Völkerrecht: „Wenn Staatlichkeit als Gesetzlichkeit und der Staat als die Einrichtung zur Verwirklichung des Rechts durch Gesetze, also als Republik, verstanden wird, ist die Entgegensetzung von Staatsrecht und Völkerrecht für die Dogmatisierung von Verbindlichkeiten unter Völkern, insbesondere der Verbindlichkeit einer gemeinschaftlichen Rechtsordnung von Völkern hinfällig. Das Recht beruht unabhängig von seiner Materie und von seinem Wirkungsbereich auf der Freiheit der Bürger, d. h. auf dem Willen des jeweiligen Volkes.“59

Jedoch legitimiert sich nach dieser Lehre das Völkerrecht nur dann aus der Autonomie des Bürgers, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: – Das innerstaatliche System ist freiheitlich demokratisch. – Die vom Staatenbund zu erfüllenden Aufgaben und Befugnisse bleiben bestimmt und begrenzt, d. h. für die nationalen Parlamente verantwortbar.60 – Es gilt grundsätzlich das Einstimmigkeitsprinzip. – Gewohnheitsrecht kann nur dann für alle Staaten verbindlich sein, wenn eine Rechtsüberzeugung und Übung (gegebenenfalls auch konkludent) ausnahmslos aller Völker festgestellt werden kann. Wenn die Bindung an das Völkerrecht dem Willen des Volkes nicht mehr entspricht, kann dieses sich nach dieser Lehre davon lossagen. Das widerspricht wesentlichen Grundsätzen des Völkerrechts, insbesondere pacta sunt servanda, die zu negieren heißt, das Völkerrecht und dessen Verbindlichkeit selbst in Frage zu stellen.61 Schachtschneider bejaht die Geltung des Grundsatzes pacta

57 Kant, Zum ewigen Frieden, (1795/1796), hrsg. v. W. Weischedel, 1983, Bd. 9, S. 204 (BA 20, 21, 22) ff. 58 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 159 f., 163 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 88 f.; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, DSWR 1999, 17 (19). 59 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil 1, DSWR 1999, 19; s. a. ders., Res publica res populi, S. 325 ff., 520 ff., 560 ff., 617 ff., 637 ff., 707 ff., ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 75 ff., 88 ff.; ders., Die Republik der Völker Europas, ARSP 71 (1997), S. 159 f., 163 ff. 60 Vgl. K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Europäische Union, in: I. Winkelmann (Hrsg.), Das Maastrichturteil des Bundesverfassungsgerichts, 1994, S. 115 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 71 ff. 61 Kritisch auch A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 423.

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

sunt servanda aus dem Rechtsprinzip nur, wenn die Verträge der Wille der jeweiligen Völker sind.62 V. Gemeinsamer Wille der Staaten/Völker Bedenken gegen die unsichere Begründung des Völkerrechts aus dem Einzelstaatswillen haben zu dem Versuch geführt, den Geltungsgrund des Völkerrechts vom Einzelstaatswillen zu lösen und diesen an einen übergeordneten Gemeinwillen oder Konsens, der einen gemeinsamen Geltungsgrund im Sinne einer Gegenseitigkeitsordnung63 schafft, zu binden. 1. Vereinbarungslehren, Dualismus Nach der Auffassung Heinrich Triepels64, der eine rechtliche Bindung aus reiner Selbstverpflichtung für ein „logisches Unding“ hält65, beruht die Verbindlichkeit des Völkerrechts darauf, daß sich die Staaten aufgrund ihrer Souveränität in einem Gesamtakt, einer Vereinbarung66, unabhängig von den Rechten und Pflichten eines völkerrechtlichen Vertrages rechtlich gebunden haben.67 Die Vereinbarung soll auch konkludent erklärt werden können, was die Grundlage für das Völkergewohnheitsrecht bildet.68 Nicht überzeugend erklärbar ist die Geltung der Allgemeinen Rechtsgrundsätze.69 Ein allgemeines, alle Staaten umschließendes Völkerrecht kann es nach Auffassung von Triepel nicht geben, nur partikuläres Völkerrecht, dem alle Staaten zugestimmt haben.70 Die Vereinbarung schafft einen von der Vielheit der Einzelstaatswillen verschiedenen71 und überlegenen „Gemein-Willen“, dem sich die beteiligten Staaten nicht einseitig entziehen können72. Damit erkennt Triepel das Völkerrecht als „Recht höherer Ordnung“73, d. h. den Primat des Völkerrechts, an. Geltungs62

K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 61, 125. Dazu G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 104 ff. 64 C. C. H. Triepel Völkerrecht und Landesrecht, 1899, S. 63 ff. 65 C. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 77. 66 C. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 15. 67 C. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 52 f. 68 C. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 95; dazu kritisch A. Verdross, Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 106 ff. 69 A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 106 ff.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 12, Rn. 37; vgl. auch kritisch K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 8 f., Rn. 22. 70 C. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 83 ff. 71 C. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 57. 72 C. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 29, 32, 46, 88. 73 C. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 266 ff. 63

A. Begründung der Geltung des Völkerrechts

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grund und Rechtsquelle des Völkerrechts ist nach dieser Lehre nicht der einzelne Staatswille, sondern der durch Vereinbarung zwischen Staaten entstandene „Gemein-Wille“74, welcher objektives Recht schafft, wenn die Staaten eine dauerhafte Regelung wollen75. Die Verbindlichkeit der Vereinbarung beschränkt sich jedoch lediglich auf ein „Gefühl der Gebundenheit“ der Staaten.76 Das schafft eine nur schwache rechtliche Verbindlichkeit. Dionisio Anzilotti zieht als Grundnorm für die Verbindlichkeit des Völkerrechts den Grundsatz pacta sunt servanda heran.77 Eine Lehre vom „Gemein-Willen“ der Staaten setzt in Analogie zum Individuum voraus, daß der Staat eine eigene Persönlichkeit, einen eigenen Willen habe.78 Bürger und Staat sind danach verschiedene Legitimationssubjekte, woraus Heinrich Triepel und Dionisio Anzilotti einen Dualismus zwischen Völkerund staatlichem Recht folgern. Demzufolge bilden Völkerrecht und nationales Recht zwei verschiedene, voneinander getrennte Rechtsordnungen.79 Diese Lehre wird daher die dualistische80 Konzeption genannt. Völkerrecht und staatliches Recht seien in „doppelter Hinsicht“81 gegensätzlich. Es bestehe sowohl ein „Gegensatz der normierten Lebensverhältnisse“ als auch ein „Gegensatz der Rechtsquellen“ zwischen beiden Rechtsordnungen.82 Das Völkerrecht regelt danach das Handeln von Völkerrechtssubjekten, zu denen Individuen nicht zählen, untereinander. Hingegen normiert das innerstaatliche Recht die Beziehungen der ihm unterstellten natürlichen und juristischen Personen lediglich im Rahmen seiner eigenen Rechtsordnung.83 74 C. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landrecht, S. 8; vgl. K. Ipsen, Völkerrecht, S. 8, Rn. 22; Ch. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, S. 88 ff.; kritisch zur Begründung rechtlicher Verbindlichkeit aus Selbstverpflichtung K. Doehring, Völkerrecht, 1999, S. 4 ff. 75 C. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 70. 76 C. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 81 f. 77 D. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, 1929, S. 32; M. Schweitzer, Ius cogens im Völkerrecht, AVR 15 (1971/72), S. 197 (217 ff.); zunächst auch H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 175. Kelsen hat diesen Grundsatz als Grundnorm des Völkerrechts abgelehnt, weil es fiktiv sei, die Staatengewohnheit als stillschweigenden Vertrag anzusehen. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 223, Fußnote. 78 Kant, Über den Gemeinspruch, hrsg. v. W. Weischedel, 1983, Bd. 9, S. 171 (A 282, 283); W. Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, S. 41, Rn. 63. 79 C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 8 ff., 11 ff.; D. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, 1929, S. 36 ff.; vgl. a. BVerfGE 22, 293 (296); 29, 198 (210); 37, 271 (277 f.); kritisch dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 113. 80 P. Fischer/H. F. Köck, Allgemeines Völkerrecht, 1994, S. 13. 81 C. H. Triepel, Völkerrecht und Landrecht, S. 9. 82 C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 9; vgl. auch D. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 33, 37, 39, der von unterschiedlichen „Grundnormen“ (Verfassungsnorm und Grundsatz pacta sunt servanda) für staatliches Recht und Völkerrecht ausging; vgl. auch Vgl. P. Fischer/H. F. Köck, Allgemeines Völkerrecht, S. 13.

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

2. Völkerrechtliche Konsenslehren Alfred Verdross und Bruno Simma, die einen gemäßigten Monismus vertreten, sehen die Grundnormen des Völkerrechts in den von den Staaten ursprünglich durch Konsens erzeugten und seitdem vorausgesetzten Rechtssätzen.84 Der Konsens ist der Verbindlichkeitsgrund für das (positive) Recht.85 Vernunftrechtliche Voraussetzung für diese Annahme sind der selbstgesetzgebende (autonome) Wille86 und die Vertragskonzeptionen87, bezogen auf die Gemeinschaft der Bürger in den Nationalstaaten, welche durch die Diskurs- und Konsenslehren88 weiterentwickelt worden sind. Unter der Annahme einer Analogie von Individuum und Staat wird der Konsensgedanke auch auf das Verhältnis zwischen Staaten angewendet. Der maßgebliche Konsens im Völkerrecht ist nicht ein Konsens von Menschen, sondern ein Konsens der Staaten, die zwar nicht wie Menschen autonom, aber im völkerrechtlichen Sinn „souverän“ sind (dazu 2. Teil, C, I). Im klassischen Völkerrecht dient der Konsens nur der Wahrung der Souveränität der Staaten.89 Für ein Völkerrecht i. e. S., das in Analogie zur Autonomie von Menschen, dem Selbstbestimmungsrecht der Völker entspricht, müßte es allerdings auf den Konsens der Völker ankommen. Zwischen demokratisch regierten Staaten ist dieser zwar möglich, die Zustimmung des Volkes oder seiner demokratischen Vertretung ist aber vom bisherigen Völkerrecht nicht als Bedingung für die Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge vorausgesetzt.90

83 Kritisch dazu K. Vogel, Keine Bindung an völkervertragswidrige Gesetze im offenen Verfassungsstaat, in: Liber Amicorum P. Häberle, 2004, S. 481 (482 ff.). 84 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 60, Fn. 5. 85 Vgl. BVerfGE 89, 155 (188); A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 58 ff., 18 ff.; K. Ipsen, Völkerrecht, S. 15 f.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 526 ff., 560 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 124; H. Mosler, The International Society as a Legal Community, 1980, S. 16; vgl. dazu auch A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 417 ff.; grundlegend zur Konsensethik K.-O. Apel, Die Transformation der Philosophie, (1973), 1984, S. 220 ff., 358 ff., 405 ff., 415 ff., 426. 86 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 337 (A 33/B 33, 34); dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 275 ff. 87 Hobbes, Leviathan (1651), hrsg. v. M. Diesselhorst, 1970, II, 16. Kap. (S. 151 ff.); Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung 1689), hrsg. v. W. Euchner, 1977, II, §§ 95 ff., S. 260 ff.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts (1762), hrsg. v. H. Brockardt, 1986, I, 6. Kap., II, 1., 3., Kap.; vgl. dazu auch A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 415 ff. 88 J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, 1991, S. 25, 32; K.-O. Apel, Die Transformation der Philosophie, S. 220 ff., 358 ff., 405 ff., 415 ff.; siehe auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 561 ff. 89 M. Koskenniemi, The Politics of International Law, EJIL, 1 (1990), S. 4 (14 ff.). 90 Siehe Art. 7 ff. i.V. m. 2 Abs. 1, lit. b, c WVK.

A. Begründung der Geltung des Völkerrechts

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Der Konsens manifestiert nicht nur eine Willensübereinstimmung der Parteien, sondern eine übereinstimmende Erkennung des Rechts. Daraus läßt sich erklären, daß der völkerrechtliche Vertrag selbst Rechtsquelle ist (vgl. Art. 38 IGH-Statut) und objektives Recht setzt, nicht nur subjektive Rechte zwischen den Parteien.91 Auch die Verbindlichkeit des Gewohnheitsrechts und der allgemeinen Rechtsgrundsätze folgt letztlich aus der gemeinsamen, übereinstimmenden Rechtsüberzeugung der Völker/Staaten. Damit muß der Konsens nicht notwendig in Form eines Vertrages erklärt sein. Nach heute vorwiegender Ansicht bildet sich Völkergewohnheitsrecht durch eine gleichförmige Übung aller (oder zumindest der ganz überwiegenden Mehrheit der Staaten), die auf allgemeiner (eventuell allmählich hinzutretender) Rechtsüberzeugung beruht.92 Grundlage des Gewohnheitsrechts ist der auf diese Weise zum Ausdruck kommende Konsens der Staaten/Völker, übereinstimmend in den zwischenstaatlichen Beziehungen eine Gewohnheit für Recht zu erkennen.93 Der Konsens wird für das Gewohnheitsrecht also nicht erklärt, sondern deduziert. Daß auch das Gewohnheitsrecht Konsensrecht ist, zeigt sich darin, daß es nicht für diejenigen Staaten gilt, die einer Praxis ausdrücklich widersprochen haben.94 Allgemeine Rechtsgrundsätze (vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut) sind allgemeine Prinzipien95, die im jeweiligen nationalen Recht der Staaten verschiedener Rechtskulturen verankert sind und deren weltweite Kohärenz auch ohne eine spezifische Kodifikation auf die Existenz allgemeiner Rechtsprinzipien schließen läßt.96 Hier bezieht sich der Konsens auf das, was die Staaten innerstaatlich übereinstimmend als Recht betrachten.97 Wenn die Geltung des einmal erzeugten Völkerrechts auf Konsens beruht, 91

O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 173. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 347 und ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, S. 84 f.; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 23 ff.; grundlegend: IGH, Continental Shelf, ICJ Rep.1969, 28, 41, 44, 46; BVerfGE 92, 277 (320); 95, 96 (129). 93 Vgl. zum Gewohnheitsrecht als Konsensrecht im nationalen Recht K. A. Schachtschneider, Das Sittengesetz und die guten Sitten, in: Fs. W. Thieme, 1993, S. 195 (208, 223). 94 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 24, Rn. 56. 95 Die Begriffe „Prinzipien“ und „Grundsätze“ werden jedenfalls im internationalen Bereich synonym gebraucht und bezeichnen allgemein für eine Rechtsordnung grundlegende rechtliche Leitentscheidungen. A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 96 ff.; F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, 1988, S. 121 und passim; zum Prinzipienbegriff mit unterschiedlicher Stoßrichtung im einzelnen: R. Dworkin, Bürgerrechte ernst genommen, 1984, S. 56 f.; (Taking Rights Seriously, 1977) „allgemeine Präferenzen“; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 71 ff. „Optimierungsgebote“. 96 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Allgemeine Völkerrecht, S. 185. 97 Vgl. dazu A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 120 ff. 92

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

dann ist auch die Beendigung seiner Geltung an den Konsens aller an seiner Entstehung Beteiligten gebunden. Demnach kann die einseitige Lösung von einer Völkerrechtsverbindlichkeit grundsätzlich nur aufgrund von Völkerrechtsnormen erfolgen, die ihrerseits auf Konsens beruhen (z. B. Wiener Vertragsrechtskonvention)98, es sei denn, es ist dem etwa im Vertrag zum Ausdruck kommenden gemeinsamen Willen der Staaten etwas anderes zu entnehmen. VI. Stellungnahme und eigene Position Als voluntaristischer Geltungsgrund völkerrechtlicher Normen überzeugt nur der gemeinsame Wille der Völker und nicht der jeweilige Einzelstaatswille. Zu Recht wird gegen Georg Jellinek vorgebracht, daß einseitige Selbstbindung des Staates keine (notwendig gegenseitige) Rechtsbindung gegenüber anderen Staaten erzeugen kann und daher ein Zirkelschluß ist.99 Dem Völkerrecht als zwischenstaatlichem Recht entspricht es, an den gemeinsamen Willen der Völker anzuknüpfen.100 Durch Verträge, gewohnheitsrechtlich oder aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze erkennen die Völker allgemeine Rechtsregeln an, welche ein friedliches Zusammenleben sichern sollen. Die Individuen können grundsätzlich als partielle Völkerrechtssubjekte angesehen werden.101 Der umgekehrte Monismus verfolgt eine republikanische Begründung der Geltung von Völkerrecht als Staatsrecht und versucht auf diese Weise den Bürger als vollständiges Rechtssubjekt des Völkerrechts zu konzipieren. Preis dafür ist jedoch notwendig eine Einzelstaatsperspektive, welche die Internationalität des Völkerrechts aus den Augen verliert. Mit dem republikanischen Maßstab wird der völkerrechtliche Grundsatz der formalen Gleichheit der Staaten (dazu 2. Teil, S. 158 ff.) teilweise zurückgewiesen. Gleichheit könnten demnach nur Staaten beanspruchen, welche republikanisch verfaßt sind. Weil das Völkerrecht nach dieser Lehre nur für Republiken Geltung erlangen kann, gelangt diese in ein Dilemma. Sie müßte konsequenterweise der Zustimmung eines Diktators zu einem völkerrechtlichen Vertrag die Verbindlichkeit versagen. Dies entspricht nicht der Völkerrechtspraxis102 und erscheint vor allem gegenüber dem Ziel des Völkerrechts, möglichst viele Staaten, auch Nicht-Republiken, zumindest in eine zwischenstaatliche Friedensordnung einzubinden, kontraproduktiv und mithin letztlich dem Rechtsprinzip abträglich. Die Verbindlichkeit völkerrechtlicher

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K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 16, Rn. 47. G. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, S. 103 f. 100 Vgl. auch Kant, Über den Gemeinspruch, S. 170 (A 280, 281); G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 368 f. 101 K. Vogel, Keine Bindung an völkervertragswidrige Gesetze im offenen Verfassungsstaat, in: Liber Amicorum P. Häberle, 2004, S. 481 (484). 102 Vgl. dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 160 ff. 99

A. Begründung der Geltung des Völkerrechts

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Verträge mit Nicht-Republiken ist zumindest als Annäherung an einen Rechtszustand anzuerkennen, ist doch das Prinzip der Freiheit nirgends Realität, sondern eben eine Idee103. In den Staaten, in denen völkerrechtliche Verträge grundsätzlich der Zustimmung durch das Parlament oder das Volk bedürfen, lassen sie sich innerstaatlich auf die Willensautonomie der Bürger dieses Staates zurückverfolgen. Kommt der Wille eines Volkes nicht zum Tragen, führt dies nicht zur völkerrechtlichen Unverbindlichkeit des Vertrages, der von einem diktatorischen Regime geschlossenen worden ist, wenn dieser Vertrag aus Gründen bestmöglicher friedlicher Beziehungen zwischen den Staaten rechtlich geboten ist. Das folgt aus dem zwischenstaatlichen Charakter des Völkerrechts, welches die innerstaatliche Verfassung grundsätzlich unberührt läßt (dazu 2. Teil, B, S. 143 f.). Aus Gründen der Rechtssicherheit vermutet das Völkerrecht im Außenverhältnis, daß das Staatsoberhaupt die Vertretungsmacht für seinen Staat hat, ob er vom Volk zur Vertretung im freiheitlichen Sinn legitimiert ist oder nicht (vgl. Art. 7 WVK). Trotz des fragmentarischen, ergänzungsbedürftigen Charakters des Völkerrechts (dazu 2. Teil, B, S. 149 f.) bleibt sein Geltungsgrund das Rechtsprinzip, aufgrund dessen die Völker voneinander die Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln erwarten können.104 Davon unabhängig ist, ob das Rechtsprinzip innerstaatlich verwirklicht ist oder nicht. Vernunftrechtlich mag das Rechtsprinzip zwar auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zwischen allen Menschen zielen105, es wirkt aber auch dann, wenn („nur“) der Frieden zwischen Staaten und damit ein Stück weit auch der Menschen gesichert wird. Der Friede zwischen den Staaten ist nicht der einzige, aber ein wesentlicher Aspekt der (äußeren) Freiheit.106 Letztbegründung eines zwischenstaatlichen Konsenses im Völkerrecht und des Grundsatzes pacta sunt servanda ist somit der mit dem Rechtsprinzip und dem Zweck des Völkerrechts verbundene Rechtsfrieden zwischen Völkern/Staaten.107

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Vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 63 (BA 70) f. Vgl. U. Sollte, Völkerrecht und Weltgesellschaft aus systemtheoretischer Sicht, ARSP 2003, 519 ff. 105 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1 ff. 106 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 196 (BA 5, 6) ff. 107 Vgl. auch zur Friedensfunktion B. Grzeszick, Staat und Terrorismus, in: J. Isensee (Hrsg.), Der Terror, der Staat und das Recht, 2004, S. 55 (60 ff.). 104

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

B. Typik des traditionellen Völkerrechts Völkerrecht regelt das Verhalten von Völkerrechtssubjekten.108 I. Völkerrechtssubjekte 1. Der Staat als Subjekt und „Herr“ des Völkerrechts Einen Weltstaat schließt das Völkerrecht begrifflich aus; denn es basiert auf der Existenz und den Beziehungen verschiedener Staaten109, die sich als gleich achten (vgl. Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta). Die ursprünglichen Subjekte des Völkerrechts sind die Staaten.110 Sie gelten als „originäre“, „geborene“ oder „primäre“ Völkerrechtssubjekte.111 Zunächst waren es die Fürsten (Souveräne), die sich gegenseitig als höchste, unabhängige und gleichberechtigte Herrscher, als „souverän“ anerkannten.112 Das Motto des Absolutismus „L’Etat c’est moi“ identifizierte die Person des Herrschers mit dem Staat. Die Aufklärung seit Aristoteles bis Kant hat demgegenüber den Staat als civitas, als verfaßte Gemeinschaft der Bürger erkannt.113 Dennoch existiert die Vorstellung vom Staat als eigenständige „Persönlichkeit“114 und von der Gesellschaft getrenntes Herrschaftsgebilde weiter.115 Hobbes hat den Staat als „Vereinigung in einer Person“, als „Person“ angesehen, dem eine Menge von Menschen auf der Basis der Gegenseitigkeit116, aufgrund ihres gemeinsamen Willens ihr Recht auf 108 H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, in: Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 1983, Bd. 1, S. 2, Rn. 4. 109 A. Verdross, Völkerrecht, S. 6. 110 A. Verdross, Völkerrecht, S. 189 ff.; dazu Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 1 f.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 6, Rn. 14; K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 3 ff.; eingehend zur Völkerrechtssubjektivität der Staaten: H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 38 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 71 ff. 111 A. Verdross, Völkerrecht, S. 189; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 189, Rn. 8, 204; H. Steiger, Frieden durch Institution, in: M. LutzBachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 140 (166). 112 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 64; G. Gottlieb, Nation Against State, 1993, S. 21. 113 Aristoteles, Politik, S. 197, 1276b 1; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 431 (A 165/B 195) ff. 114 F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 1908, S. 7 f. 115 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 182 ff.; BVerfGE 2, 1 (12 f.); 83, 37 (52); 83, 60 (72); K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1984, S. 592 ff., 962; E.-W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973, S. 32 f. u. ö. 116 Zum Staat und zur Verfassung als Gegenseitigkeitsordnung G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 38 ff., 54 ff., 113 ff., 144 ff.

B. Typik des traditionellen Völkerrechts

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Selbstbestimmung übergeben hat.117 Kant hat den Staat als „moralische Person“ betrachtet.118 Eine nahezu biologische Personifizierung fand der Staat in der organischen Lehre als „leiblich-geistige Einheit“.119 Die entmenschlichte Personifizierung des Staates äußert sich schließlich darin, daß er als Gebietskörperschaft juristische Person des öffentlichen Rechts ist.120 Keine grundsätzliche Bedeutung hat das, soweit dieser Status als rechtstechnische Notwendigkeit angesehen wird.121 Im Völkerrecht hat die Völkerrechtssubjektivität der Staaten jedoch nicht nur eine rechtstechnische, sondern eine für das Völkerrecht existentielle Funktion. Völkerrechtssubjektivität i. e. S. beinhaltet nicht nur, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, was einem weiteren Völkerrechtssubjektbegriff entspricht122, sondern auch die Fähigkeit, Recht zu setzen123. Nur wer für sich selbst zweckbestimmend sein kann, ist Subjekt. Wer von Rechtsvorschriften nur begünstigt oder verpflichtet wird, ohne sie selbst mit hervorgebracht zu haben, bleibt ihr Objekt. Die Staaten gelten als die Erzeuger und „Herren“ des Völkerrechts.124 Darüber hinaus werden als Materialisierung der Völkerrechtssubjektivität häufig bestimmte „Rechte“ oder „Grundrechte“ der Staaten beschrieben.125 Dazu werden gezählt: das Recht auf Existenz, die Souveränität und die staatliche Identität, die rechtliche Gleichheit, das Gewaltverbot, aber auch sogenannte Freiheitsrechte126, insbesondere die „allgemeine Handlungsfreiheit“127, sowie Nutzungsrechte.128 Auch Teilhaberechte, wie ein „Recht auf Entwicklung“ strukturschwacher Staaten werden geltend gemacht.129 117

Hobbes, Leviathan, II, 17. Kap. (S. 155 f.). Kant, Zum ewigen Frieden, S. 197 (BA 7, 8); dazu K. Ipsen, Ius gentium – ius pacis?, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 290 (299 ff.). 119 O. v. Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände, 1954, S. 11, 26 f.; dazu E.-W. Böckenförde, Der Staat als Organismus, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 263 ff.; M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, 2002, S. 80 ff. 120 Zur Entwicklung der Personenhaftigkeit des Staates F. Fardella, Le dogme de la souveraineté de l’État, Arch. phil. droit 41 (1947), S. 115 (118 ff.); Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, 2004, S. 89 ff. 121 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 89; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2003, S. 102 ff.; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 90 ff. 122 I. d. S. M. Hempel, Die Völkerrechtssubjektivität internationaler nichtstaatlicher Organisationen, 1999, S. 57; A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 472. 123 F. W. Stoecker, NGOs und die UNO, 2000, S. 90. 124 W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 9, 15 f. 125 Dazu kritisch H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 218 ff.; J. M. Mössner, Einführung in das Völkerrecht, S. 183 ff.; A. Verdross, Völkerrecht, S. 225 ff.; S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 210–255. 126 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 251 ff. 118

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

2. Internationale Organisationen Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich trotz erheblicher rechtsdogmatischer Einwände die Anerkennung der Internationalen Organisationen als (funktionell beschränkte) Völkerrechtssubjekte neben der Völkerrechtssubjektivität der Staaten durchgesetzt.130 Damit war die bis dato ausschließliche Völkerrechtssubjektivität der Staaten relativiert. Die Rechtssubjektivität Internationaler Organisationen ist funktional beschränkt und wird von den Staaten abgeleitet, indem diese ihnen in völkerrechtlichen Verträgen Rechtssubjektivität verleihen und sie mit begrenzten Rechtssetzungsbefugnissen ausstatten.131 Noch im Jahre 1949 hatte der Internationale Gerichtshof in seinem Gutachten „Reparations for Injuries Suffered in the Service of the United Nations“132 Schwierigkeiten, die Völkerrechtssubjektivität Internationaler Organisationen zu begründen. Er wies darauf hin, daß diese Akteure faktisch mit Staaten in einer Weise kooperieren würden, und so auf eine gleiche Stufe mit Staaten zu stellen wären. Rechtlich stellte der Internationale Gerichtshof sodann fest, daß ein eigenes Dienstherrenrecht Internationaler Organisationen, etwa der Vereinten Nationen, und das eigene Vertragsschlußrecht dieser Organisationen sie zu ebenbürtigen Partnern des Staates – eben zu Völkerrechtssubjekten – gemacht hätten. 3. Andere Völkerrechtssubjekte Traditionell gelten der Heilige Stuhl, das Internationale Komitee zum Roten Kreuz und der Malteserorden als Völkerrechtssubjekte.133 127 A. Bleckmann, in: B. Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 16. 128 Exklusive Nutzungsrechte an der hohen See oder am Weltraum sind, weil sie zum patrimoine commun gehören, abzulehnen. S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 252. 129 G. Abi-Saab, The Legal Foundation of a Right to Development, ADIH-Colloque 1979, S. 85 (168); Ch. Tomuschat, Das Recht auf Entwicklung, GYIL 25 (1982), S. 88; Ch. Tietje, Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 783 ff. 130 J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98, S. 66; H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 49 f.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 123; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 190, Rn. 12; E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 309 ff.; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 2; K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 3 f. Rn. 9. 131 Dazu O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 123; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 189, Rn. 9; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 71 f., Rn. 3. 132 IGH, Gutachten vom 11.4.1949, ICJ Rep. 1949, 174. 133 K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.) Völkerrecht, S. 5, Rn. 14; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 143 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 116 f., Rn. 267 ff.

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„Stabilisierten de facto-Regimen“, die nicht alle Merkmale eines Staates im völkerrechtlichen Sinn besitzen, wird nach neuerer Völkerrechtslehre entsprechend dem Effektivitätsgrundsatz (dazu 2. Teil, C, IV) partielle Völkerrechtssubjektivität zugestanden.134 Beziehungen zwischen etablierten Staaten und de facto-Regimen gelten als Rechtsbeziehungen.135 Die Anerkennung eines „stabilisierten de facto-Regimes“ knüpft an die effektive Beherrschung eines Territoriums durch eine für den Gesamtstaat nicht allgemein als Staatsgewalt anerkannte Organisation an.136 Für „stabilisierte de facto-Regime“ sollen zumindest das Gewaltverbot und die Regeln über die Staatenverantwortlichkeit verbindlich sein.137 4. Mediatisierung des Menschen Das eigentliche Subjekt des Rechts, der Mensch138, fungiert traditionell nicht als Völkerrechtssubjekt i. e. S.139 Seine Subjektivität wird, der Natur des internationalen Rechts entsprechend, durch die Staaten „mediatisiert“. Das klassische Völkerrecht ignorierte das Individuum vollständig.140 Regelungsgegenstand des Völkerrechts waren nur die Beziehungen zwischen „Staat und Staat als solchem“.141 In bestimmten Situationen konnten Einzelne allenfalls durch Rechtsreflexe, etwa durch den diplomatischen Schutz ihres Heimatstaates, begünstigt sein.142 Einzelne Menschen wurden im klassischen Völkerrecht nur als Staatsangehörige wahrgenommen.143 Der jeweilige Staat macht insoweit nach außen 134 Dazu J. A. Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, 1968; O. Kimminich/ S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 163 ff.; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 89, Rn. 13; K. Doehring, Völkerrecht, S. 114 f., Rn. 258 ff. 135 K. Doehring, Völkerrecht, S. 114 f., Rn. 260. 136 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 240, § 405. 137 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 240 f., § 406; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 189. 138 So auch O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 155; K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 670, Rn. 3. 139 C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 13 ff.; A. Verdross, Völkerrecht, S. 127 f., 360; kritisch H. Lauterpacht, International Law and Human Rights, 1950, S. 6; a. A. W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 275 (276). 140 H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, in: Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 7, Rn. 36; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 155. 141 C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 18. 142 E. Strauß, Die Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, MRM, Dezember 1997, S. 13; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 255, § 423. 143 J. M. Mössner, Einführung in das Völkerrecht, S. 95 f.

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staatliche Rechte auf den Schutz seiner Bürger geltend, insbesondere als diplomatischen Schutz.144 Einzelne Menschen spielten in den internationalen Beziehungen zunächst überhaupt keine eigenständige Rolle145, sondern wurden als „Objekt“ dieser Rechtsordnung betrachtet.146 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gewann die Subjektivität des Individuums über die Naturrechtslehren sowie die vermehrte Anerkennung der Menschenwürde in der Völkerrechtsordnung gewissen Einfluß, und der Mensch wurde als Ausgangspunkt auch des Völkerrechts erkannt.147 Dennoch bestehen die Objektlehre und die Mediatisierung des Menschen im gegenwärtigen Völkerrecht fort.148 Aus der Sicht der Lehre von der Trennung zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht (Dualismus), die für eine den Einzelnen betreffende völkerrechtliche Regelung die Transformation in das innerstaatliche Recht fordert149, kann die Mediatisierung der Individuen nicht grundsätzlich aufgehoben werden, weil diese aus der apriorischen Definition des Völkerrechts als Koordinationsrecht150 zwischen Staaten gefolgert wird.151 Aufgrund der praktizierten Dualität von Völkerrecht und nationalem Recht152 wird dem Bürger das „politische Mandat“, also die politische Freiheit, im Bereich des Völkerrechts abgesprochen.153 Die Funktionsfähigkeit der Völkerrechtsordnung mit rund 200 144 A. Verdross, Völkerrecht, S. 127; H. Neuhold, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 7, Rn. 36. 145 F. Ermacora, Völkerrecht, in: I. Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts, 1985, S. 66 ff.; E. Strauß, Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, MRM, Dezember 1997, S. 13; J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98, S. 66. 146 V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 80, Rn. 1; K. Doehring, Völkerrecht, S. 413, Rn. 967. 147 E. Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 9; W. Bausback, 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, BayVBl. 1999, 705 (707 f.); K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 670, Rn. 3; K. Doehring, Völkerrecht, S. 415 f., Rn. 972; W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 275 (276). 148 A. Verdross, Völkerrecht, S. 127; ders./B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 39; W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 377; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 80, Rn. 1; vgl. auch R. Wahl, Der einzelne in der Welt jenseits des Staates, Der Staat 40 (2001), S. 45 (57 ff.). 149 V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 80, Rn. 1; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 6 f., Rn. 14 ff.; anders A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 255 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 155 f. 150 C. Hillgruber, Der Nationalstaat in übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, 2004, § 32, S. 929. 151 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 255, § 423; vgl. auch A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 7, Rn. 15. 152 Dazu kritisch K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 88. 153 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 7, Rn. 16.

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Staaten und 300 Internationalen Organisationen verlange, die Zahl der am Willensbildungsprozeß Beteiligten möglichst klein zu halten.154 Heute noch wird in der Lehre und Praxis davon ausgegangen, daß das Völkerrecht grundsätzlich keine subjektiven Rechte und Pflichten Einzelner statuiert.155 Ob einzelne Begünstigungen bereits den Status eines (partiellen) Völkerrechtssubjekts begründen156, ist fraglich. Rechtsreflexe genügen jedenfalls nicht. Von einer völkerrechtlichen Berechtigung einzelner Personen i. S. eines subjektiven Rechts wird nur dann gesprochen, wenn die Völkerrechtsnorm dem Berechtigten ausnahmsweise unmittelbar die Möglichkeit gewährt, von einem Staat in einem völkerrechtlichen Verfahren ein bestimmtes Verhalten zu fordern157; denn das subjektive Recht setzt voraus, daß es für den Begünstigten durchsetzbar ist.158 Trotz ihrer eventuellen wirtschaftlichen Potenz und faktischen Einflußmöglichkeiten auf die Staaten als global players können nach der Praxis Unternehmen nicht die Einhaltung der für die Weltwirtschaftsordnung überaus bedeutsamen WTO-Regeln einklagen, welche ihren transnationalen Handelsinteressen dienen (dazu 6. Teil, C, S. 751 ff.). Einzelpersonen haben in der Regel aus dem Völkerrecht keine einklagbaren Rechte auf Einhaltung des Völkerrechts.159 Wenige völkerrechtliche Verträge geben Individuen einen Anspruch160 in Form eines Petitionsrechts (vgl. z. B. der Angehörigen von Treuhandgebieten nach Art. 87 lit. b UN-Charta)161 oder Klage- oder Beschwerderechts (Art. 34 EMRK).162 Die Voraussetzung eines subjektiven Rechts ist nur im Falle eines Klage- oder Beschwerderechts, mit dem ein Recht auf eine verbindliche Entscheidung verbunden ist, erfüllt.163 Ein Petitionsrecht verleiht kei154

A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 7, Rn. 15. R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2002, S. 176; B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), S. 312 ff.; vgl. auch BVerfGE 40, 141 (164); 43, 203 (209); BGH v. 2.6.2006, ZR 190/05, Pressemitteilung Nr. 151/2006 (http://juris.bundesgerichtshof.de/): geschädigte Personen haben keine Wiedergutmachungsansprüche im Falle von Verletzungen des Kriegsvölkerrechts; zum Paradigmenwechsel insoweit 6. Teil, F, I, S. 914 ff. 156 In dem Sinn K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg), Völkerrecht, S. 265, Rn. 220 ff.; N. Weiß, Transnationale Unternehmen – weltweite Standards, MRM 2/ 2002, 82 (85); J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, in: Fs. J. Sonnenschein, S. 798 f. 157 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 256, § 424. 158 W. Henke, Das subjektive Recht, DÖV 1980, 621 (626); A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 321 ff. (326). 159 K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 4, Rn. 10, 5 f., Rn. 14; dazu 4. Teil, A, S. 475 ff.; 6. Teil, F, S. 919 ff. 160 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 255 ff. 161 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 258, § 427; R. Geiger, Art. 87, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Rn. 9 ff. 162 Dazu 6. Teil, F, S. 931 ff. 155

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nen individuellen Anspruch auf Durchführung eines Verfahrens. Weiter fortgeschritten ist der völkerrechtliche Status Einzelner in deren Pflichten164, insbesondere auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts (6. Teil, F, S. 977 ff.). Aktives, rechtsetzendes Subjekt des Völkerrechts ist der einzelne Mensch jedenfalls nicht.165 Er ist nicht Partner der völkerrechtlichen Verträge. Deren Regelungsgegenstand ist das Verhalten der dem Menschenrechtsschutz verpflichteten Völkerrechtssubjekte.166 Die Aufwertung von Einzelpersonen im Völkerrecht wird im völkerrechtlichen Paradigma als ein fragmentarischer Vorgang wahrgenommen, der noch nicht zu einer echten Völkerrechtssubjektivität des Menschen geführt hat.167

II. Völkerrecht als zwischenstaatliches Recht Seinem Wesen nach setzt das Völkerrecht einzelne, voneinander unabhängige Staaten voraus.168 Dem entspricht der Begriff „internationales (öffentliches) Recht“ im angelsächsischen und romanischen Sprachraum.169 Es wird auch „Zwischensouveränitätsrecht“ genannt.170 Das Völkerrecht regelt in erster Linie die Beziehungen zwischen (souveränen) Staaten und wird zwischen Staaten begründet.171 Es ist vor allem Vertragsrecht.172 Rechte und Pflichten gelten grundsätzlich nur zwischen den Vertragsparteien.173 Als „zwischenstaatliches“ 163 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, in: Philosophie der internationalen Beziehungen, S. 162; vgl. auch A. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, S. 244 f.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2002, § 8 Rn. 2. 164 Zur Unterscheidung völkerrechtlicher Rechte und Pflichten A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 256 ff., § 424 ff., S. 260 ff., § 430 ff. 165 So auch R. Wahl, Der einzelne in der Welt jenseits des Staates, Der Staat 40 (2001), S. 58; a. A. O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 156 „partielle Völkerrechtssubjektivität“. 166 K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 669, Rn. 2. 167 R. Wahl, Der einzelne in der Welt jenseits des Staates, Der Staat 40 (2001), S. 53 (57); O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 155 ff. 168 Vgl. A. Verdross, Völkerrecht, S. 2. 169 A. Verdross, Völkerrecht, S. 1; K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 2, Rn. 2. 170 Erwähnt bei P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 259. 171 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 3, Rn. 6, 7; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 7, Rn. 16; vgl. dazu auch A. Verdross, Völkerrecht, S. 1 ff. 172 Vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 432 ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.) Völkerrecht, S. 34, Rn. 47, 73 ff.; Art. 38 Abs. 1 lit. a IGHStatut. 173 W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 35, Rn. 48.

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Recht174 entsteht und wirkt es im außenpolitischen Bereich des Staates. Die Bezeichnung „internationales Recht“ ist treffender als der in Anlehnung an das römische ius gentium175 gewählte Begriff Völkerrecht. Es handelt sich dabei herkömmlich nämlich nicht, wie der Begriff „Völkerrecht“ assoziieren könnte, um ein Recht der Völker, das die Staatsordnungen bestimmt.176 Das Völkerrecht enthält keine Vorschriften darüber, wie die Staaten ihre verfassungsgesetzliche Ordnung gestalten oder ihre Staatsangehörigen behandeln sollen. Wie sie die völkerrechtlichen Verpflichtungen, etwa auch die Menschenrechtsverträge, erfüllen, bleibt den Staaten überlassen.177 III. Völkerrecht als Koordinationsrecht 1. Geringer Institutionalisierungsgrad Das Völkerrecht ist durch eine geringe institutionelle Verfestigung und einen schwachen Organisationsgrad gekennzeichnet.178 Die Staaten sind keiner höheren Autorität untergeordnet. Insbesondere fehlen dem Völkerrecht weithin gerichtliche und vollziehende Instanzen.179 Nach Hugo Grotius gilt das Völkerrecht „unter denen, die keinen gemeinsamen Richter haben“ („qui iudicem communem nullum habent“).180 Um den Kriegszustand zwischen den Staaten zu beenden, hat Kant ausgeführt: „. . . daß ein Völkerbund, nach der Idee eines ursprünglichen gesellschaftlichen Vertrages, notwendig ist, sich zwar einander nicht in die einheimische Mißhelligkeiten derselben zu mischen, aber doch gegen Angriffe der äußeren zu schützen;“

174 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 106; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott, H. G Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 1 f. 175 Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 1 f.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 53 f. Das römische ius gentium war kein Völkerrecht im Sinne eines zwischenstaatlichen Rechts. Seine Geltung leitete sich ausschließlich aus dem imperium romanum ab. Es regelte nicht die Rechtsbeziehungen zwischen Staaten, sondern zwischen römischen Bürgern und Fremden (peregrini) auf dem Gebiet des römischen Imperiums und war damit der Vorläufer für das Internationale Privatrecht, vgl. auch O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 236 ff. 176 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 54, 64; vgl. auch K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 3, Rn. 5. 177 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 106. 178 W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 33, Rn. 45, S. 34, Rn. 47; M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 578; dazu auch A. EmmerichFritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 134 ff. 179 A. Verdross, Völkerrecht, S. 122 f.; Ph. Kunig, Völkerrecht als öffentliches Recht, in: Gs E. Grabitz, 1995, S. 325 (328); Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/ H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 8 ff.; vgl. A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 141 ff. 180 H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens (De iure belli ac pacis), 1625, hrsg. u. übersetzt v. W. Schätzel 1950, 2. Buch, 23. Kap., VIII, S. 392.

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zum anderen, „daß die Verbindung doch keine souveräne Gewalt (wie in einer bürgerlichen Verfassung), sondern nur eine Genossenschaft (Föderalität) enthalten müsse; eine Verbündung, die zu aller Zeit aufgekündigt werden kann, mithin von Zeit zu Zeit erneuert werden muß, – ein Recht, in subsidium eines anderen und ursprünglichen Rechts, den Verfall in den Zustand des wirklichen Krieges derselben untereinander von sich abzuwehren (foedus Amphictyonum).“181

2. Rechtsquellen, keine institutionalisierte öffentliche Gesetzgebungsgewalt Das Völkerrecht kennt grundsätzlich keine Rechtsetzungsgewalt internationaler Organe.182 Bis heute entsteht positives Völkerrecht weitgehend durch zwischenstaatliche Verträge.183 Mangels Weltlegislative erfüllen hauptsächlich völkerrechtliche Verträge die friedenstiftende Funktion. Der Vertragsgedanke ist der Ursprung des Rechts.184 Ein Vertrag kann einen rechtlichen Zustand zwischen zwei oder mehr Parteien schaffen, unabhängig davon, ob sich diese in einer politischen Gemeinschaft zusammengeschlossen und einer gemeinsamen Gesetzgebung unterworfen haben. Deshalb werden völkerrechtliche Verträge nicht nur als Rechtsgeschäft, sondern auch als „Rechtsquelle“ im Sinne von rechtsetzendem Handeln verstanden.185 Weitere Völkerrechtsquellen sind das, an der tatsächlichen Praxis und Rechtsüberzeugung der Staaten orientierte, Gewohnheitsrecht sowie allgemeine Rechtsgrundsätze186, denen kein Vertrag im instrumentellen Sinn, aber der Vertragsgedanke im hypothetischen Sinn als Konsens zugrunde liegt. Auch innerhalb Internationaler Organisationen bestimmen allein die Staaten „als Herren der Verträge“ den Inhalt des Völkerrechts.187 Meist haben die Organe Internationaler Organisationen keine Befugnis, verbindliches Recht zu setzen. Allerdings gibt es Ausnahmen. So kann die Internationale Zivilluftfahrtorganisation mit verpflichtenden Beschlüssen den Luftverkehr über der Hohen See regeln.188 Der Sicherheitsrat kann bindende Resolutionen erlassen (Art. 25 UN-Charta). Soweit die Internationalen Organisationen Beschlüsse fassen können, welche die Mitgliedstaaten binden, werden diese Entscheidungen in neue181

Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 467 (A 217/B 247, 248). H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 8, Rn. 40. 183 J. Delbrück, Eine internationale Friedensordnung, in: ders. (Hrsg.), Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 254 (258 f.). 184 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 383, 386 ff., 629 f. 185 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 212 ff. 186 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 334 ff.; W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 92 ff.; 180 ff. 187 Vgl. dazu BVerfGE 89, 155 (190); K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 101 f. 182

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rer Zeit als weitere Quelle des Völkerrechts bezeichnet.189 Letztlich lassen sich aber auch die Beschlüsse Internationaler Organisationen, die nur aufgrund hinreichend bestimmter, vertraglich eingeräumter Befugnisse rechtsverbindlich ergehen können,190 auf die Mitgliedstaaten zurückführen. 3. Interpretation, Vollzug und Durchsetzung des Völkerrechts durch die Staaten Dem Völkerrecht fehlt eine zentrale Zwangsgewalt, die das Völkerrecht regelmäßig durchsetzt, weil dies dem Prinzip der Souveränität entgegenstehen würde.191 Das Völkerrechtssubjekt „Staat“ wird traditionell aufgrund seiner „Souveränität“192 als nach außen geschlossene Einheit betrachtet, deren Inneres dem Zugriff des Völkerrechts entzogen ist.193 Dies führt nicht dazu, daß das Völkerrecht undurchsetzbar ist, sondern dazu, daß alle Vorschriften des Völkerrechts, deren Adressaten die Staaten sind, durch das staatliche Recht und die staatlichen Organe selbst ausgelegt194, durchgeführt und innerstaatlich durchgesetzt werden.195 Das allgemeine Völkerrecht enthält keine Regelung über die Art und Weise, wie Staaten die von ihnen eingegangenen Vertragspflichten zu erfüllen haben.196 Verträge können bestimmte Kontrollmechanismen, wie die Einrichtung von Behörden und Verfahren, Beschwerderechte der Begünstigten, internationale Inspektionen an Ort und Stelle (insbesondere in den Verträgen über Waffenkontrolle und Abrüstung197), vorschreiben.198 Im übrigen hängt die 188 Siehe Art. 12 Satz 3, Art. 54 lit. l, Art. 90 Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt vom 7.12.1944, BGBl. 1956 II, S. 411; zuletzt geändert durch Protokoll vom 26.10.1990, BGBl. 1996 II, S. 2498, 2501. 189 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 85, Rn. 225. 190 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 255, Rn. 802. 191 J. Delbrück, Eine internationale Friedensordnung, S. 256 f. 192 Dazu A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HStR, Bd. II, 2004, § 17, S. 144 ff. und hier Teil 2, C, I. 193 Ch. Tomuschat, Verwirrung über die Kinderrechte-Konvention der Vereinten Nationen. Zur innerstaatlichen Geltungskraft völkerrechtlicher Verträge, in: Fs. H. F. Zacher, 1998, S. 1143 (1145). 194 C. Hillgruber, Der Nationalstaat in übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, § 32, S. 929, Rn. 64. 195 H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, in: Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 2, Rn. 5, S. 9, Rn. 44; eingehend A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 134 ff. 196 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 540. 197 Vgl. dazu H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 994 ff. 198 Dazu R. Wolfrum, Obligations Under Public International Law to Implement International Rules: Mechanisms to Monitor such Implemention, in: B. v. Maydell/A. Nußberger (ed.), Social Protection by Way of international Law, 1996, S. 87 (96 ff.);

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Durchsetzung des Völkerrechts vom Ermessen und guten Willen der Staaten und faktisch letztlich davon ab, ob es ihrem nationalen Interesse dient.199 Weil das Völkerrecht den Vollzug seiner Vorschriften grundsätzlich nicht selbst festlegt, muß es in der Regel durch staatliches Recht ergänzt werden.200 4. Völkerrecht als „primitives“ Recht? Der Rechtscharakter des Völkerrechts wurde teilweise geleugnet201; denn das Völkerrecht verfügt anders als das nationale Staatsrecht über keine zentrale Gesetzgebungsinstanz, kein gemeinsames Exekutivorgan, keine vom Willen der Staaten unabhängige Gerichtsbarkeit und Sanktionsgewalt. Es ist vom Grundsatz der Selbsthilfe202 gekennzeichnet. Zumindest ist es deshalb als „primitives“ Recht203 oder als eine „Rechtsordnung in der Entwicklung“ bezeichnet worden.204 5. Genossenschaftliches Recht Es ist jedoch auf der Grundlage der Souveränität der Staaten nicht möglich, das Völkerrecht am Maßstab des Staatsrechts zu messen.205 Herkömmlich wird die koordinationsrechtliche, horizontale Ordnung der internationalen Beziehungen unterschieden von einer vertikalen Zwangsordnung, wie sie innerstaatlich angenommen wird.206 Der fehlende staatliche Zwangscharakter nimmt ihm jedoch nicht seine Qualität als Recht.207 In der Regel berechtigt und verpflichtet

vgl. Art. 41 ff. TRIPS, welche die Mitglieder zur Einrichtung bestimmter Verfahren zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums verpflichten. 199 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 7, Rn. 17; M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 569 (570). 200 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 539 f., § 848; A. EmmerichFritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 134 f. 201 Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 107 ff. 202 A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 144 ff. 203 P. Guggenheim, Traité de Droit international public, Bd. I, 1967, S. 22 ff.; vgl. auch M. Barkun, Law without Sanctions, 1968, insbes. S. 32 ff.; L. Gross, States als Organs of International Law and the Problem of Autointerpretation, in: Fs. H. Kelsen, 1953, S. 59 (66); vgl. dazu auch A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 128 ff. 204 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 380 f. 205 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 33 f.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 5, Rn. 9; vgl. auch A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 130 f. 206 W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 33 f., Rn. 45. 207 U. Sollte, Völkerrecht und Weltgesellschaft aus systemtheoretischer Sicht, ARSP 2003, 523 ff.; dazu eingehender A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 123 ff.

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das Völkerrecht bereits bestehende, selbständige Rechtsgemeinschaften mit vollständiger Selbstregierung und Selbstgesetzgebung. Die Staaten bilden das Völkerrecht aus und setzen es durch.208 Seine Existenz und sein Wesen sind geprägt durch das Zusammenwirken dieser Rechtsgemeinschaften. Es ist zum großen Teil „Koordinationsrecht“ oder auch „genossenschaftliches Recht“.209 Der Internationale Gerichtshof hat im „Lotus-Fall“ von 1927210 das Koordinationsvölkerrecht wie folgt charakterisiert: „International law governs relations between independent States. The rules of law binding upon States therefore emanate from their own free will as expressed in conventions or by usages generally accepted as expressing principles of law and established in order to regulate the relations between these co-existing independent communities or with a view to the achievement of common aims. Restrictions upon the independence of States cannot therefore be presumed.“

Neben dem Koordinationsvölkerrecht entwickelt sich zwar das Völkerrecht wie etwa im Recht der Vereinten Nationen auch zu einem Kooperationsvölkerrecht und gewinnt darüber hinaus konstitutionell-öffentlichrechtliche Züge (dazu eingehend 6. Teil, C, S. 703 ff.). Doch auch das Recht der Vereinten Nationen gründet zunächst auf Koordinationsvölkerrecht; denn ihm liegt gemäß Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta das Prinzip der „souveränen Gleichheit“ aller Mitglieder (dazu 2. Teil, C, S. 158 ff.) zugrunde. Verfahrensrechtlich zeigt sich dies darin, daß einstimmige Beschlußfassung, welche ein genossenschaftliches Zusammenwirken sichert, die Regel ist.211 6. Intergouvernementales Recht Völkerrecht wird, insbesondere in Form von Verträgen, durch die in den Staatsverfassungen dazu ermächtigten Organe der Staaten ausgehandelt, d. h. materiell bestimmt und geschlossen.212 Typischerweise sind dies Staatsoberhäupter und Regierungen oder ihre Vertreter, was auch an Art. 7 Abs. 2 WVK 208 W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 34, Rn. 47; Th. Buergenthal/ K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 8 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 134 f. 209 A. Verdross, Völkerrecht, S. 122; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 40, S. 33 f.; W. Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus in der Neuen Welthandelsordnung, in: M. Klein/W. Meng/R. Rode (Hrsg.), Die Neue Welthandelsordnung der WTO, 1998, S. 19 (21); R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 565 (568); A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 7, Rn. 15; C. Hillgruber, Der Nationalstaat in übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, § 32, S. 929, Rn. 62; zum Völkerrecht als Kooperationsrecht hier 6. Teil, A, S. 687 ff.; vgl. auch A. EmmerichFritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 130 f. 210 StIGH, PCIJ Series A, No. 10 (1927). 211 W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 34, Rn. 45. 212 W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 103, Rn. 1; allgemein zum Abschlußverfahren, S. 103 ff.

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deutlich wird, der für diese eine Verhandlungs- und Abschlußbefugnis vermutet.213 Für Parlamente gilt das nicht. Bisher verfügen die Parlamente nur über ein Zustimmungsrecht zu internationalen Verträgen214. Eine gestaltende Rolle nehmen sie in der Regel215 nicht wahr. Auch die Organe der Internationalen Organisationen setzen sich typischerweise aus Vertretern der Regierungen zusammen. Internationales Recht entgleitet vermehrt der parlamentarischen Kontrolle, obgleich es immer mehr an Bedeutung gewinnt.216 Es ist im wesentlichen gouvernementale Rechtsetzung.217 Albert Bleckmann beschreibt das Völkerrecht als intergouvernementales Recht: „Das Völkerrecht wird von der an der Spitze des Staates stehenden Regierung, also vom Souverän entwickelt, der die staatliche Einheit repräsentiert; der Staat tritt nach außen zu anderen Staaten in seiner diese Einheit repräsentierenden Regierung entgegen, der Willensbildungsprozeß im Staat ist vom Willensbildungsprozeß im Völkerrechtsraum völlig getrennt. Das Völkerrecht und fremde Staaten können nur mit der die Einheit des Staates repräsentierenden Staatsspitze, nicht aber mit den untergeordneten Beamten und Gerichten in Kontakt treten.“218

An diesem Zitat läßt sich ablesen, daß das Völkerrecht auch heute noch nicht wirklich als Recht der Völker, sondern als Recht derjenigen verstanden wird, welche die Völker beherrschen.219 IV. Schuldrechtlichkeit des Vertragsvölkerrechts Obwohl es auch „droit international public“ oder „international public law“ genannt wird, werden dem Völkerrecht im Naturzustand220 und als Koordinationsrecht zwischen einzelnen Staaten zivilrechtliche Züge zugeschrieben.221 213 Dazu W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 103, Rn. 3 ff.; vgl. Art. 59 Abs. 1 GG. 214 Vgl. Art. 59 Abs. 2 GG. 215 Für das Europarecht gibt Art. 23 Abs. 3 GG dem Bundestag ausnahmsweise ein Recht zur Stellungnahme. 216 Kritisch dazu K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 1993, 751 (755); K. D. Wolf, Die Neue Staatsräson, 2000, S. 33 ff.; ders., Globalisierung, Global Governance und Demokratie, Gutachten für die Enquete-Kommission, „Globalisierung der Weltwirtschaft“, 2001, www.bundestag.de/gremien/welt/gutachten/vg10.pdf, S. 6, 9, 13 (zuletzt geprüft 3.8.2005). 217 Dazu A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000. 218 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 503. 219 R. Knieper, Nationale Souveränität, 1991, S. 72. 220 H. Steiger, Frieden durch Institution, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 145. 221 Dazu allgemein P. Kunig, Völkerrecht als öffentliches Recht, S. 325 (328 ff.); siehe auch B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht, 2002, S. 45 (46).

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Diese Charakterisierung ist insofern irreführend, weil Völkerrecht kein Privatrecht i. e. S. von „Recht der Privaten“ ist; denn Staaten sind als res publica substantieller Privatheit nicht fähig.222 Gemeint ist die Schuldrechtlichkeit des Vertragsvölkerrechts. 1. Verträge als Hauptrechtsetzungsinstrument Weil das Hauptrechtsetzungsinstrument des Völkerrechts Verträge sind, ist das Völkerrecht überwiegend schuldrechtlich geprägt.223 Das zeigt sich im Grundsatz der Gegenseitigkeit, der dem überwiegend synallagmatischen Wesen des Völkervertragsrechts entspricht,224 sowie in der aus dem bona fides-Prinzip (dazu 2. Teil, C, S. 166 f.) abgeleiteten225 clausula rebus sic stantibus (vgl. Art. 62 WVK).226 Ähnliche Grundsätze gibt es auch im nationalen Schuldrecht (vgl. §§ 320 ff., 240 BGB). Für Verträge, welche viele oder alle Staaten erfassen (multilaterale Verträge), wie die UN-Charta, sieht die Wiener Vertragsrechtskonvention Sonderregelungen vor, welche dem eingeschränkten Synallagma Rechnung tragen, nimmt sie jedoch nicht völlig aus von den schuldrechtlichen Regelungen über die Einhaltung und Anwendung von Verträgen (vgl. Art. 40, 41, 58 WVK). 2. Ius dispositivum Die meisten Völkerrechtsnormen sind unter den Vertragsparteien abdingbar, gehören also dem ius dispositivum an.227 Sie gelten nur, falls die Vertragspartner nichts Abweichendes vereinbaren. Eine Ausnahme gilt für Verträge, die gegen zwingendes Recht (ius cogens) verstoßen. Sie sind nichtig (Art. 53 WVK).228

222 Dazu K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986, S. 253 ff.; ders., Res publica res populi, S. 279 ff., 494 ff., 519 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, 2005, S. 188 ff. 223 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, 376; W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 92 ff. 224 Dazu O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 298 ff.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 84, Rn. 222. 225 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 62; W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 177, Rn. 102. 226 Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 178 ff.; W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 175 ff. 227 W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 157, Rn. 36. 228 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 169; ausführlich zum ius cogens im Völkervertragsrecht W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 156 ff.

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Als einseitige Möglichkeit eines Partners, bestimmte Vertragsbestimmungen für den eigenen Staat in ihrer Wirkung auszusetzen oder zu relativieren, kennt das Völkerrecht die Möglichkeit des Vorbehalts (vgl. Art. 19 ff. WVK).229 Voraussetzung für seine Wirksamkeit ist allerdings, daß die/der Vertragspartner ihn annehmen und der Vorbehalt mit dem Wortlaut oder auch dem Zweck des Vertrages vereinbar ist (Art. 19 WVK). Ein Vorbehalt ist nach der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK „. . . eine wie auch immer formulierte oder bezeichnete, von einem Staat bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrages oder bei dem Beitritt zu einem Vertrag abgegebene einseitige Erklärung, durch die der Staat bezweckt, die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat (oder das andere Völkerrechtssubjekt) auszuschließen oder zu ändern.“

3. Relativität völkerrechtlicher Pflichten Völkerrechtliche Rechte und Pflichten bestehen grundsätzlich nur zwischen einzelnen Staaten (inter partes).230 Dies entspricht dem bilateralen, schuldrechtlichen Charakter des traditionellen Völkerrechts.231 Deutlich wird dieser auch in der Relativität völkervertraglicher Verpflichtungen. Dritte Staaten werden durch einen Vertrag grundsätzlich nicht ohne weiteres berechtigt oder verpflichtet (pacta tertiis nec nocet nec prosunt, vgl. Art. 34 ff. WVK).232 Das bedeutet, daß die Staaten in der Regel nicht generell zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet sind, sondern nur gegenüber einzelnen Staaten (Vertragspartnern oder unter Verletzung von Gewohnheitsrecht oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen geschädigten Staaten). Nur der verletzte Staat kann Wiedergutmachung verlangen.233 Er kann allerdings auch auf sein Recht verzichten, ohne daß dritte Staaten dagegen Einspruch erheben können. Darin zeigt sich die Relativität völkerrechtlicher Pflichten.234 Ihr entspricht das Gegenseitigkeits- oder Reziprozitätsprinzip (dazu 2. Teil, C, S. 164 ff.). 229 Dazu A. Verdross/B. Simma, Völkerrecht, S. 466 ff.; W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 139 ff. 230 A. Verdross, Völkerrecht, S. 126; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 40. 231 B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, S. 46. 232 Zu den Ausnahmen vgl. Art. 35 ff. WVK und zu den Veränderungen dieser Regel im Zuge der Globalisierung U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 177 ff., 298 ff. 233 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 423 ff., 1233 ff.; R. Wolfrum, Obligations Under Public International Law to Implement International Rules, S. 102. 234 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 40; P. Weil, Towards Relative Normativity in International Law, AJIL 77 (1983), 413 ff.

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Nur ausnahmsweise sind Völkerrechtsnormen anerkannt, die nicht nur zwischen den betroffenen Staaten oder Vertragspartnern, sondern zwischen allen Staaten Geltung haben. Sie wirken nicht relativ, sondern erga omnes und zwar unabhängig von der reziproken Verpflichtung der anderen Staaten.235 4. Keine Rechtsdurchsetzung von Amts wegen/Selbsthilfe Allgemein wird das Völkerrecht anders als das öffentliche, staatliche Recht nicht von Amts wegen durchgesetzt, sondern die Rechtsdurchsetzung liegt in der Hand der jeweils betroffenen oder interessierten Völkerrechtssubjekte im Wege der Selbsthilfe.236 V. Innerstaatliche Geltung und Rang des Völkerrechts 1. Grundsätzlich keine unmittelbare Geltung des Völkerrechts a) Keine allgemeine Regel des Völkerrechts Die innerstaatliche Geltung einer völkerrechtlichen Norm heißt, daß sie im innerstaatlichen Bereich Bindungswirkung entfaltet.237 Völkerrechtliche Verträge werden unmittelbar geltend genannt, wenn sie ohne Transformationsakt unmittelbar mit dem völkerrechtlichen Inkrafttreten eines Vertrages Bestandteil der nationalen Rechtsordnung und innerstaatlich wirksam sind.238 Eine allgemeine Regel des Völkerrechts, welche die automatische Geltung des internationalen Rechts in den Staaten anordnet, existiert nicht.239 Die klassische monistische Lehre240, die von der Einheit von Völker- und Landesrecht mit Primat des Völkerrechts ausgeht, bejaht die unmittelbare Geltung aus dem Geltungsgrund des Völkerrechts, wird aber in der Praxis in keinem Land streng vertreten.241 235 IGH v. 5. 2. 1970, Barcelona Traction, Light and Power Company, Second Phase, ICJ Rep. 1970, 3 (32); vgl. J. A. Frowein, Die Verpflichtungen erga omnes im Völkerrecht und ihre Durchsetzung, in: Fs. H. Mosler, 1983, S. 241 ff.; J. Delbrück, „Laws in the Public Interest“, in: Liber amicorum G. Jaenicke, 1998, S. 17 (18). 236 A. Verdross, Völkerrecht, S. 424; R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 568; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 144 ff. 237 R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 159; A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, 2002, S. 79. 238 Vgl. K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil 1, DSWR 1999, 17; EuGH, Rs 106/77 Simmenthal II, Slg. 1978, 629 (Rn. 14/16, 17 f.). 239 A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), 2000, S. 151 (156). 240 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 332 ff.; vgl. auch A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 139, Rn. 409; K. Doehring, Völkerrecht, S. 295.

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Ein enger Monismus hat sich nicht durchsetzten können, weil er Typik, Prinzipien und Wirklichkeit des Völkerrechts, insbesondere der Staatensouveränität widerspricht.242 Die Staatenpraxis und die ganz überwiegende Lehre gehen davon aus, daß das allgemeine Völkerrecht keinen monistischen Ansatz vorschreibe. Vielmehr sei es den souveränen Staaten überlassen, wie sie das Völkerrecht befolgen und innerstaatlich zur Geltung bringen wollen.243 b) Praktizierter Dualismus Sollen völkerrechtliche Normen innerstaatliche Wirkungen entfalten, wird in der Staatenpraxis generell in irgendeiner Weise eine Anweisung des nationalen Rechts gefordert.244 In den einzelnen Staaten werden verschiedene Mechanismen verwendet, um völkerrechtliche Vorschriften innerstaatlich zur Geltung zu bringen.245 Aus der vielerorts und auch in Deutschland praktizierten246, auf Heinrich Triepel und Dionisio Anzilotti zurückgehenden247, dualistischen Lehre248, welche Völkerrecht und Einzelstaatsrecht trennt, folgt die Notwendig241 Dazu A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 138 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 295; vgl. aber die monistische Inkorporationspraxis mancher Staaten. In Frankreich, Belgien und Luxemburg wirkt das Völkerrecht grundsätzlich ohne Transformation in den Staaten, bedarf aber einer Zustimmung des Parlaments und Veröffentlichung im Amtsblatt. R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 158; vgl. auch Art. VI § 2 der Verfassung der USA, wonach die Verfassung, die Gesetze und die Verträge der USA das „supreme law of the Land“ sind. Verträge, die sich nach ihrem Inhalt für die innerstaatliche Anwendung eignen (self-executing treaties), sind nach dem Recht der USA ohne weitere Transformation und ohne spezifischen Rechtsanwendungsbefehl zu beachten. 242 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 139 f., Rn. 410. 243 A. Verdross, Völkerrecht, S. 117; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 539 f., § 848; vgl. auch BVerfGE 73, 339 (375); K. Doehring, Völkerrecht, S. 296, 298; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 215 ff.; M. Hilf, The Role of International Courts in International Trade Relations, in: E.-U. Petersmann (ed.), International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, 1997, S. 561 (566); R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 157 f. 244 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 540, § 848. 245 Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 119 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 540 ff.; Ph. Kunig, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 121 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 302 f.; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 157 ff. 246 Vgl. den Überblick bei A. Bleckmann, Europarecht, 1997, S. 363 ff.; Ch. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, S. 319 ff. 247 C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 8, 9, 111; D. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, 1929, S. 36 ff., der einen gemäßigteren Dualismus vertrat. 248 BVerfGE 22, 293 (296); 29, 198 (210); 37, 271 (277 f.); K. J. Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht, 1964, S. 19 ff., 156 ff. auch als pluralistisches Konzept bezeichnet P. Fischer/H. F. Köck, Allgemeines Völkerrecht,

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keit, daß völkerrechtliche Verträge in das nationale Recht entweder durch einen Transformationsakt, durch einen Rechtsanwendungsbefehl oder „kraft einer allgemeinen staatlichen Norm“ (Vollzugslehren) in die innerstaatliche Rechtsordnung integriert werden müssen, um innerstaatlich Geltung zu erlangen.249 Die deutsche Praxis sieht diese Funktion in dem Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG.250 Völker- und staatliches Recht hätten nicht nur abweichende Normerzeugungsquellen, sondern auch unterschiedliche Normadressaten.251 Während das Völkerrecht als „Koordinationsrecht“ bezeichnet wird, gilt das innerstaatliche Recht als „Subordinationsrecht“.252 c) Kritik und monistische Sicht Die gängige Begrifflichkeit zeigt die mit dem Dualismus einhergehende, kritikwürdige positivistisch-konstitutionalistische Dogmatik, die noch heute die Staats- und Völkerrechtslehre dominiert.253 Sie erkennt dem Staat eine vom Volk unabhängige Existenz als Herrschaftsgebilde zu.254 In einer herrschaftlichliberalistischen Staatskonzeption255 ist die Trennung von Staat und Gesellschaft256 Voraussetzung für die Existenz von Freiheit, die als Freiheit vom Staat 1994, S. 13; Ch. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, S. 80 ff., 319 ff. 249 Dazu K. Doehring, Völkerrecht, S. 299 f.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 215 f.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil 1, DSWR 1999, 18 f.; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 158 f.; zur deutschen Praxis S. 171 ff.; siehe auch BVerfGE 46, 342 (363). 250 BVerfGE 73, 339 (367); R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 170 ff. 251 P. Fischer/H. F. Köck, Allgemeines Völkerrecht, S. 13. 252 M. Schweitzer, Staatsrecht III, 1997, S. 12, Rn. 31; vgl. I. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 1997, S. 118. 253 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 135 ff. 254 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 57, 258, 260, S. 243; E. W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973, S. 32 f.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Rn. 45 ff. zu Art. 20 Abs. 1 GG; Rn. 21 zu Art. 20 Abs. 2 GG; BVerfGE 20, 56 (99); 44, 125 (139 ff.); dazu kritisch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 159 ff. (insbes. S. 167 ff.), 175 ff.; vgl. auch P. Badura, Die parlamentarische Demokratie, HStR, Bd. II, 2004, § 25, S. 497, Rn. 42. 255 Dazu kritisch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 159 ff. 256 Dazu E.-W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973; J. Isensee, Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, in: E.-W. Böckenförde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, 1976, S. 317 (323 f.); H. H. Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, HStR, Bd. II, 2004, § 31, S. 879 ff.; siehe auch Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 181, 256; kritisch: K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 115 ff.; auch H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961; K. Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, DÖV 1975, 437 ff.

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verstanden wird.257 Daraus folgt konsequent die Unterschiedlichkeit der Rechtssubjekte im Staats- und im Völkerrecht. Werden hingegen Rechtsetzende und Rechtsunterworfene als identisch aufgefaßt258, ergibt sich sowohl im Völkerrecht wie auch im nationalen Recht nur einer Unterordnung unter das Recht.259 Aus monistischer Sicht könnte sich das Volk auch an das Völkerrecht binden, indem es seinen Willen erklärt – in Deutschland aufgrund des Zustimmungsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 GG.260 Eines weiteren Transformationsaktes oder Anwendungsbefehls bedarf es nicht.261 Die unmittelbare Geltung des Völkerrechts folgt dann aus der verbindlichen Geltung des Völkerrechts für den Staat. Weil dieser nichts anderes als die Vielheit der Bürger ist, von denen die Staatsgewalt ausgeht.262 Die verfaßte Gemeinschaft der Bürger hat keine vom Staat verschiedene Persönlichkeit und Willensfähigkeit. Die Rechtssubjektivität des Staates als juristische Personen ist nur rein technischer Natur.263 Für das Verhältnis Völkerrecht – Europarecht schreibt der EG-Vertrag in Art. 300 Abs. 7 EGV die unmittelbare Geltung vor, nämlich die Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge „für die Organe der Gemeinschaft“ und „für die Mitgliedstaaten“.264 In einer Entschließung hat das Europäische Parlament265 allerdings eine Lösung des Verhältnisses zwischen Gemeinschaftsrecht und Völkerrecht im EG-Vertrag verlangt, welche die Gemeinschaft den Nationalstaaten (in ihrer dualistischen Praxis) gleichstellt, d. h. „daß das Völkerrecht nicht unmittelbar gilt, sondern nur nach der Erklärung seiner Anwendbarkeit durch einen in-

257 E. W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit; H. H. Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, HStR, Bd. II, § 31, S. 879 ff.; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 150 ff. 258 Dazu 5. Teil, C, S. 617 ff. 259 Vgl. E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HStR, Bd. II, 2004, § 24, S. 429, Rn. 2 ff., 52 ff., 74 ff.; M. Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, VVDStRL 29 (1971), S. 49 ff., 81. 260 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 99. 261 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil 1, DSWR 1999, 19. 262 K. A. Schachtschneider, Freiberufliche Selbstverwaltung, S. 151 ff.; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil 1, DSWR 1999, 19. 263 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 89. 264 Dazu A. Epiney, Zur Stellung des Völkerrechts in der EU, EuZW 1999, 5 ff.; siehe auch 6. Teil, C, S. 751 ff.; D. I. Siebold, Der Fall Bananenmarktordnung, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 212 (243 ff.); A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 159 f. 265 Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Beziehungen zwischen dem Völkerrecht, dem Gemeinschaftsrecht und dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten, ABl. C 325 v. 27.10.1997, abgedruckt in: EuZW 1998, 165.

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neren Rechtsakt der EG oder nach der Transformation seines Inhalts in Rechtssatzformen des EG-Rechts“. In den Vertrag über die Unionsverfassung ist diese Forderung allerdings nicht übernommen worden. 2. Grundsätzlich keine unmittelbare Anwendbarkeit des Völkerrechts in den Staaten a) Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit Eine Norm des Völkerrechts ist unmittelbar anwendbar oder self-executing, wenn sie ohne weitere Materialisierung mittels Durchführungsvorschriften subsumierbar und justiziabel ist.266 Nationale Behörden und Gerichte sind von Amts wegen verpflichtet, die Bestimmung auf den Einzelfall anzuwenden.267 Einzelne können sie vor innerstaatlichen Behörden und Instanzen geltend machen.268 Damit entspricht die unmittelbare Anwendbarkeit einem weiten Begriff des subjektiven Rechts269 im Sinne der Rechtssubjektivität des Menschen. Die Anhänger der in Deutschland praktizierten Schutzzwecklehre unterscheiden notwendig unmittelbare Anwendbarkeit von der Frage subjektiver Rechte.270 Sie folgen einem engen Begriff des subjektiven Rechts und lehnen deshalb einen Anspruch des einzelnen Menschen, das (ihn betreffende) objektive Recht einzuklagen, weitgehend ab.271

266 Vgl. R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 159; A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, 2002, S. 79. 267 R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 160; vgl. EuGH, Rs 103/88 Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839, Rn. 31; Rs C-312/93 Peterbroek, Slg. 1995 I-4599 (Rn. 20). 268 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil 1, DSWR 1999, 17. 269 A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 319 ff.; A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 88, 177 f. bezeichnet das subjektive Recht als „stärkste Form“ der unmittelbaren Anwendbarkeit; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 380 f.; W. Henke, Das subjektive Recht, DÖV 1980, 621 (626); M. Zuleeg, Hat das subjektive öffentliche Recht noch eine Daseinsberechtigung?, DVBl. 1976, 509 (515). 270 R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 160; dazu A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 98 ff. mit im Ergebnis zutreffender Kritik an Geiger. Dieser argumentiere widersprüchlich; denn wer sich auf eine Völkerrechtsnorm „berufen“ könne, habe bereits ein subjektives Recht. 271 Siehe BVerwGE 1, 83 (83 f.); 33, 129 (132); 75, 285 (286 ff.); 77, 70 (73); 78, 40 (41 ff.); H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 152 f.

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b) Unmittelbare Anwendbarkeit aus dualistischer Sicht Grundsätzlich sind völkerrechtliche Regelungen nicht unmittelbar anwendbar.272 Das allgemeine Völkerrecht enthält keinen Grundsatz, wonach hinreichend materiell bestimmtes Völkerrecht unmittelbar anwendbar wäre.273 Dies entspricht der Zwischenstaatlichkeit des Völkerrechts, als dessen Rechtssubjekte nur die Staaten, nicht aber einzelne Menschen angesehen werden. Abweichendes gilt nur, wenn sich die unmittelbare Anwendbarkeit explizit oder implizit274 aus einem völkerrechtlichen Vertrag ergibt.275 Sie kann allerdings durch einzelstaatlichen Vorbehalt ausgeschlossen werden276. Läßt sich die unmittelbare Anwendbarkeit nicht ausnahmsweise aus einem völkerrechtlichen Vertrag ableiten, entscheiden jeweils die Staaten darüber, inwiefern Völkerrechtsregeln in ihrem Rechtsraum unmittelbar anwendbar (selfexecuting277) und damit einklagbar sein sollen278 sowie Rechte oder Pflichten für einzelne Personen begründen.279 Nach der deutschen Rechtsprechung führt die „Transformation“ eines völkerrechtlichen Vertrags zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer Vertragsvorschrift, wenn diese nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet und hinreichend bestimmt ist, ohne weitere Ausfüllung rechtliche Wirkung für einzelne Personen zu entfalten.280 Ob eine Vertragsbestimmung unmittelbar anwendbar ist, wird mithin von den nationalen Gerichten anhand bestimmter Kriterien erkannt.281 Voraussetzung ist insbesondere, daß das Völkerrecht den jeweiligen Vertragsinhalt hinreichend bestimmt und präzise regelt. 272 Vgl. dazu A. Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge, 1970; ders., Völkerrecht, S. 145, Rn. 431 f.; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 3, Rn. 8; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 173 ff. 273 A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), S. 160; A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 87. 274 Vgl. für den EG-Vertrag unter 6. Teil, D, S. 827 ff. 275 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 145, Rn. 432; W. Meng, Frage unmittelbarer Anwendung von WTO-Recht in der EG, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 1063 (1068). 276 Dazu R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 175 f. 277 Zum Verhältnis der Begriffe „self-executing“ und „unmittelbar anwendbar“ A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 88 ff. m. N. 278 Vgl. K. Doehring, Völkerrecht, S. 296, 298; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 215 ff.; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 4 f.; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 157; M. Hilf, The Role of International Courts in International Trade Relations, S. 566. 279 K. Doehring, Völkerrecht, S. 299. 280 BVerfGE 29, 348 (360); BVerwGE 86, 99 (181); 88, 254 (257); BVerwG, Urt. v. 28.5.1991 (1 C 20.89), ZaöRV 53 (1993), S. 389 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.5.1987 (18 A 2811/84), ZaöRV 48 (1988), S. 729. 281 Ch. Tomuschat, Verwirrung über die Kinderrechte-Konvention, S. 1151.

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Wenn dieser, wie in vielen Fällen keine strikte Rechtsverbindlichkeit begründet, sondern die Vertragsparteien lediglich gehalten sein sollen, bestimmte Ziele nach besten Kräften anzustreben, wenden die Gerichte den Vertrag nicht unmittelbar an und erkennen daraus keine bestimmten subjektiven Rechte. Dies wird z. B. für die Europäische Sozialcharta oder für den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte angenommen.282 In der Regel können sich private Rechtssubjekte in den Staaten, selbst wenn die völkerrechtlichen Vorschriften entsprechend der dualistischen Lehre in nationales Recht transformiert worden sind, nicht auf die Einhaltung völkerrechtlicher Normen berufen und diese nicht einklagen. Nur manche völkerrechtlichen Bestimmungen werden nach erfolgter innerstaatlicher Durchführung als unmittelbar anwendbar angesehen.283 Eine Vermutung für die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge wird daher abgelehnt.284 c) Unmittelbare Anwendbarkeit aus monistischer Sicht Bejaht man die Einheit von Völker- und staatlichem Recht und ein Recht auf Einhaltung des Völkerrechts285, werden die Bürger unmittelbar durch das Völkerrecht berechtigt und verpflichtet und können sich grundsätzlich unmittelbar auf das Völkerrecht berufen.286 Allerdings steht die unmittelbare Anwendbarkeit im völkerrechtlichen Paradigma unter dem Vorbehalt des Reziprozitätsprinzips.287 Etwas anderes ergibt sich dann, wenn das völkerrechtliche Reziprozitätsprinzip zugunsten eines weltrechtlichen Legalitätsprinzips abgelöst wird (dazu 3. Teil, S. 362 ff.).

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BVerwG v. 18.12.1992, DVBl. 1993, 787 (788). A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 256, § 423; der Ständige Internationale Gerichtshof führt in seinem Gutachten über die Jurisdiction of the Courts of Danzig (1928) aus: „(O)n ne saurait contester que l’objet même d’un accord international, dans l’intention des Parties contractantes, puisse être l’adoption, par les Parties, des règles déterminées, créant des droits et obligations pour des individus, et susceptibles d’être appliquées par les tribunaux nationaux.“ Série B, No. 15, S. 17 f.; siehe auch dazu R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 173 ff. 284 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 145, Rn. 432. 285 Vgl. K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil 1, DSWR 1999, 19. 286 Vgl. D. I. Siebold, Der Fall Bananenmarktordnung, S. 244 ff.; dies., Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 250 ff. 287 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 127; ihm folgend D. I. Siebold, Der Fall Bananenmarktordnung, S. 211 (248 ff.); vgl. auch EuGH, Rs C-149/ 96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395 (Rn. 45 f.); kritisch A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 159 ff. 283

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3. Rang des Völkerrechts gegenüber dem Recht der Staaten a) Rangbestimmung des Völkerrechts durch die Staaten Obwohl sich nach Art. 27 WVK eine Vertragspartei „nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen“ kann, „um die Nichterfüllung eines Vertrages zu rechtfertigen, verlangen die Staaten voneinander „nur“ die Einhaltung des Völkerrechts (pacta sunt servanda). Die innerstaatliche Rangbestimmung bleibt mangels allgemeiner Regel des Völkerrechts288 grundsätzlich den Staaten überlassen, jedenfalls wenn der völkerrechtliche Vertrag (wie meist) keine Rangbestimmung enthält.289 Trotz der ihm zugestandenen effektiven Wirkung, genießt das Völkerrecht noch immer in vielen Staaten keinen Vorrang vor den nationalen Gesetzen.290 Nach dualistischer Logik erfaßt das Völkerrecht nicht dessen innerstaatlichen Geltungsvorrang.291 Es hängt also von den jeweiligen Staaten ab, ob das Völkerrecht Vorrang genießt oder nicht. Eine einheitliche Geltung des Völkerrechts ist damit nicht sichergestellt. b) Rangdilemma des Dualismus In Deutschland genießen lediglich die allgemeinen Regeln des Völkerrechts nach Art. 25 GG einen übergesetzlichen, aber keinen Verfassungsrang.292 Zu diesen zählen das universell geltende Völkergewohnheitsrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze, aber nicht völkerrechtliche Verträge.293 Wenn die innerstaatliche Geltung eines Vertrages auf einem einfachen Gesetz beruht (Zustimmungsgesetz, Art. 58 Abs. 2 GG)294, dann muß, so schlußfolgert die dualisti288 Vgl. allgemein kritisch zu einer Rangordnung im internationalen Recht M. Koskenniemi, Hierarchy in International Law, EJIL 8 (1997), S. 566 ff. 289 A. Verdross, Völkerrecht, S. 116 f.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 547; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 158, 176 f.; N. Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht, 1999, S. 91. 290 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott, H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 6; z. B. Andorra, Deutschland, Finnland, Island, Italien, Liechtenstein, Litauen, Österreich, San Marino, Schweden, Ukraine, Weißrußland; K. Vogel, Keine Bindung an völkervertragswidrige Gesetze im offenen Verfassungsstaat, in: Liber Amicorum P. Häberle, 2004, S. 481 (489 ff.), weist dagegen auf die wachsende Zahl der Staaten hin, in denen das Völkervertragsrecht den nationalen Gesetzen vorgeht: z. B. Frankreich, Griechenland, Spanien, Japan, Kroatien, Bulgarien, Mazedonien, Slowenien, Estland, Russische Föderation, Armenien, Georgien, Aserbeidschan, Polen, Albanien, Tschechien, Lettland, Ungarn. 291 Ph. Kunig, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 120, Rn. 33; dazu kritisch K. Vogel, Keine Bindung an völkervertragswidrige Gesetze im offenen Verfassungsstaat, S. 481 ff. 292 Dazu R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 167 ff. 293 BVerfGE 95, 96 (129); vgl. auch BVerfGE 15, 25 (32 f., 34 f.); 16, 27 (33); 23, 288 (317).

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sche Sicht einschließlich der Vollzugslehre295, der Inhalt des völkerrechtlichen Vertrages ebenfalls den Rang eines einfachen Gesetzes in der innerstaatlichen Rechtsordnung erhalten.296 Als Folge dieser Dogmatik hat ein späteres Gesetz nach der lex posterior-Regel grundsätzlich Vorrang vor der früher umgesetzten Völkerrechtsnorm.297 Dadurch wird die Bindung an das Völkerrecht letztlich innerstaatlich unterlaufen. Das Verfassungsgebot der „völkerrechtsfreundlichen Auslegung“298 vermag diese Konsequenz nur abzumildern.299 Wenn der Staat aufgrund eines späteren Gesetzes infolge der lex posteriorRegel völkervertraglichen Verpflichtungen nicht entspricht, haftet er nach der dualistischen Sicht nur auf der „Ebene des Völkerrechts“.300 Der praktizierte Dualismus führt zu einer widersinnigen Trennung von internationalem und innerstaatlichem Rang. Einerseits darf sich ein Staat nicht auf sein innerstaatliches Recht einschließlich dem Verfassungsrecht berufen, um die Nichterfüllung völkerrechtlicher Pflichten zu rechtfertigen (Art. 27, 46 WVK). Andererseits meint die dualistische Praxis, daß innerstaatlich nationale Regelungen Vorrang vor dem Völkerrecht beanspruchen könnten.301 c) Lösungen des Monismus Monistische Lehren vermeiden rechtslogisch widersprüchliche Ergebnisse für ein und denselben Rechtsfall. Der umgekehrte Monismus akzeptiert zwar den grundsätzlichen Vorrang des Völkerrechts, wenn und soweit die Völker dies wollen. Grenzen des Vorrangs ergeben sich allerdings aus der existentiellen Staatlichkeit, d. h. aus dem nationalen Verfassungsrecht.302

294 BVerfGE 73, 339 (367); dazu kritisch K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil 1, DSWR 1999, 18. 295 R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 158 f.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 304, Rn. 720. 296 K. Doehring, Völkerrecht, S. 303 f., Rn. 720; R. Streinz, Art. 59, Rn. 65, in: M. Sachs (Hrsg.), Kommentar, 2003; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 176 f. 297 K. Doehring, Völkerrecht, S. 304, Rn. 721; BGHZ 26, 200 (/202); A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 75 ff.; C. Hillgruber, Der Nationalstaat in übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, § 32, S. 929, Rn. 123 f. 298 P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 26; BVerfGE 74, 358 (370); 111, 200 (201 ff.). 299 Vgl. R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 177. 300 K. Doehring, Völkerrecht, S. 304, Rn. 723. 301 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 6; kritisch K. Vogel, Keine Bindung an völkervertragswidrige Gesetze im offenen Verfassungsstaat, S. 481 ff.

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Nach dem strengen Monismus mit Primat des Völkerrechts bestimmt das Völkerrecht seinen (Vor-)Rang in den Staaten selbst.303 Ein strenger Monismus läßt sich jedoch mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht vereinbaren. Staaten, die einer (gemäßigten) monistischen Konzeption folgen, welche zwar die Verschiedenheit von Völkerrecht und staatlichem Recht anerkennt, beide aber in einem einheitlichen Rechtssystem verbunden sieht,304 befürworten (unter dem Vorbehalt der Reziprozität) meist einen übergesetzlichen Rang des Völkerrechts.305 Nach Art. 55 der französischen Verfassung gehen „ordnungsgemäß ratifizierte oder gebilligte Verträge und Abkommen vom Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung an im Rang den Gesetzen (vor) . . ., vorbehaltlich der Anwendung des betroffenen Abkommens oder Vertrags durch die andere Partei.“306 Jedenfalls sind die Staaten völkerrechtlich verpflichtet, die von ihnen erlassenen völkerrechtswidrigen Vorschriften wieder aufzuheben, was letztlich den Vorrang des Völkerrechts sichert.307 VI. Recht mit ungesicherter Verbindlichkeit Das Maß der Rechtlichkeit des Völkerrechts308 hängt nicht nur ab von dessen grundsätzlicher Geltung (dazu 2. Teil, A), sondern auch von dessen Verbindlichkeitsgrad, d. h. von dessen Durchsetzbarkeit.309 1. Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden Der Rechtsbegriff ist auf die Durchsetzung des Rechts auch durch Zwang angelegt310, weil die Moralität der Menschen wegen deren empirischen Leiden302 Vgl. K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, DSWR 1999, Teil 3, 116 (117 f.); ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 103; ders., Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 153 (168, 172). 303 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 332 ff.; vgl. auch A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 139, Rn. 409; K. Doehring, Völkerrecht, S. 295. 304 Vgl. A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 138 f., Rn. 407; einen gemäßigten oder gegliederten Monismus vertreten in der deutschen Lehre z. B. A. Verdross, Völkerrecht, S. 113 ff.; A. Verdross/B. Simma, Völkerrecht, S. 54, §§ 73 ff. 305 Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 120. 306 Vgl. dazu Conseil d’Etat, Décision du 20 octobre 1989, No. 108243 – Affaire Nicolo, deutsche Übersetzung und Schlußanträge des Regierungskommissars P. Frydmann, abgedruckt in: EuGRZ 1990, 99. 307 A. Verdross, Völkerrecht, S. 115. 308 Dazu genauer A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 128 ff. 309 A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 123 ff. 310 Vgl. N. Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 1, 1972, S. 106 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 545 ff.; J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtig-

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schaften und Begierden311 allein die Legalität nicht sichert.312 Kant versteht den Zwang mit dem Satz des Widerspruchs als „Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit“, woraus er folgert, daß „das Recht mit der Befugnis zu zwingen verbunden“ sei.313 Zwang ist ein Übel, das demjenigen, der gegen Rechtspflichten verstößt oder verstoßen hat, zugefügt wird, um ein rechtskonformes Verhalten durchzusetzen.314 Zwang ist jedenfalls als ultima ratio körperliche Gewalt.315 Damit ist nicht das sogenannte Recht des Stärkeren gemeint, weil Macht und Stärke, der Zwang als solcher, kein Recht erzeugen.316 Entscheidend unter normativen Gesichtspunkten ist, die Befugnis zu zwingen.317 Die Zwangsbefugnis läßt sich als ein Begriffsmerkmal des Rechts konzipieren.318 Allerdings erschöpft sich, das, was „Recht“ ist, nicht in potestas und auctoritas, sondern die Zwangsbefugnis folgt dem Recht.319 2. Relativierte Durchsetzbarkeit des Völkerrechts Gehört die Befugnis zu zwingen zum Wesen des Rechts, ja macht diese im Sinne realistischer Rechtsgeltung den Rechtscharakter aus, müßte daraus gekeit, 1979, S. 266 f.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, 1994, S. 45 ff; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 40 f.; a. A. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 192; dazu auch A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 123 ff. 311 Hobbes, Leviathan, Vom Staat II, Kap. 17, S. 151. 312 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, in: ARSP-Beiheft 71, S. 153 (175); ders., Res publica res populi, S. 555. 313 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 339 (AB 36); vgl. auch K. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf der Grundlage der Kantischen Rechtslehre, 2005, S. 33 ff. 314 Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 34 ff.; siehe auch D. Merten, Konstruktionsprinzipien staatlicher Gewalt im Verfassungsstaat der Bundesrepublik, in: A. Randelzhofer/W. Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, 1986, S. 324 ff. 315 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 555, der den Zwangsbegriff hierauf beschränkt; D. Merten, Konstitutionsprinzipien staatlicher Gewalt im Verfassungsstaat der Bundesrepublik, in: A. Randelzhofer/W. Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt: 35 Jahre Grundgesetz, 1986, S. 324 ff. 316 Dazu Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, 3. u. 4 Kap., S. 9 ff.; vgl. auch O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 40; vgl. auch dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 107 ff. 317 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 338 f. (A 34, 35, AB 36); K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 553 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 124; s. a. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 35. 318 H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, in: Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 2, Rn. 5; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 554 ff.; siehe auch ders., Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, in: M. Vollkommer, Auf dem Weg in ein vereintes Europa, 1994, S. 81 (84 ff.); O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 40; dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 1984, S. 29 ff. 319 Vgl. M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 10 ff.

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schlossen werden, daß nicht erzwingbare Handlungsmaximen nur sittlich verbindlich sind, selbst wenn sie gesetzlich oder vertraglich festgelegt sind und ein Gericht die Kompetenz hat, sie zu klären.320 Das Völkerrecht wird nicht durch eine Weltpolizei durchgesetzt. Ist es deshalb unverbindlich?321 Die Durchsetzung des Völkerrechts obliegt den Staaten.322 Zwangsbefugnisse verbleiben den verfaßten Völkern, welche die existentiellen Staaten sind.323 Die Durchsetzbarkeit des in den Staaten geltenden Völkerrechts als Teil des öffentlichen Rechts ist in den Staaten gesichert, wenn und soweit die Staaten Rechtsstaaten sind und die rule of law324 befolgen. Das entspricht dem Wesen des öffentlichen Rechts, das auch innerstaatlich (abgesehen vom Widerstandsrecht) gegenüber dem Staat nur durchsetzbar ist, wenn rechtsstaatliche Verfahren die Rechtsdurchsetzung garantieren sowie die Bereitschaft der Staatsorgane vorhanden ist, entsprechende Entscheidungen zu befolgen.325 Der Rechtscharakter des Völkerrechts hängt danach wesentlich vom Rechts- und Zwangscharakter des innerstaatlichen Rechts ab. Kant hat, obwohl er den Rechtsbegriff mit der Zwangsbefugnis verbindet, jede Anwendung von Zwangsgewalt zwischen Staaten abgelehnt.326 Wären alle Staaten Republiken (d. h. Rechtsstaaten), wie Kant fordert, wären Zwangsmittel zur Durchsetzung des Völkerrechts ihnen gegenüber nicht erforderlich. Deshalb hat Kant im Ersten Definitivartikel ,Zum ewigen Frieden‘ gefordert: „Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein.“327 Republikanisch in diesem Sinn ist jeder freiheitlich-demokratische Rechtsstaat oder, wie Rousseau formuliert hat, „jede Regierung, die vom Gemeinwillen geleitet wird, der das Gesetz ist“.328 Selbst eine (konstitutionelle) Monarchie kann in diesem 320 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 554; vgl. auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 10 ff. 321 Bejahend W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, 1952, S. 57 ff.; vgl. auch O. Höffe, Völkerbund oder Weltrepublik?, in: ders. (Hrsg.), Zum ewigen Frieden, 1995, S. 109 (121); M. Brauer, Weltföderation, S. 71; vgl. auch schon die zeitgenössische Kritik an Kants Völkerbund F. Gentz, Über den ewigen Frieden (1800), in: K. Raumer (Hrsg.), Ewiger Friede, S. 461 (478). 322 H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, in: Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 2, Rn. 5. 323 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 94. 324 Vgl. J. Delbrück, Peacekeeping by the United Nations and the Rule of Law, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 293 (294 ff.); A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 115, 178 f.; zum Legalitätsprinzip vgl. K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 152 ff.; zum Unterschied von rule of law und Rechtsstaatsprinzip M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 287 ff. 325 Vgl. auch G. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge, S. 37. 326 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 211 (BA 35, 36); dazu kritisch R. Merkel, „Lauter leidige Tröster“?, in: ders./R. Wittmann (Hrsg.), 1996, S. 309 ff. 327 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 (BA 20, 21, 22).

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Sinne republikanisch sein. Oft fehlt aber sogar Staaten, die sich als Rechtsstaaten verstehen, der Wille, das Recht einzuhalten, auch in ihren äußeren Beziehungen. Deshalb329 kennt die Völkerrechtspraxis Mittel zur Durchsetzung gegenüber Staaten.330 Die Durchsetzbarkeit des Völkerrechts gegenüber den einzelnen Staaten kann seinen Rechtsgrund im Willen der jeweiligen Völker331 oder nach der hier vertretenen Ansicht im gemeinsamen Willen der Völker (s. o. S. 100 ff.) finden, ist also nicht losgelöst vom Willen der Staaten. Zwangsbefugnisse gegenüber Staaten können im Völkergewohnheitsrecht oder in Verträgen festgelegt sein. Körperliche Gewalt als vis absoluta ist gegen Staaten ultima ratio nur mit militärischen Mitteln möglich. Hiergegen spricht grundsätzlich das schon von Kant ausgesprochene332 und in der UN-Charta geregelte Gewaltverbot (Art. 2 Ziff. 4), welches nur in eng begrenzten Fällen Ausnahmen zuläßt.333 Daraus muß nicht gefolgert werden, Völkerrecht sei, weil Zwang nur als physische Gewalt denkbar sei, nicht mit Zwangsbefugnissen verbunden und daher nicht rechtlich verbindlich334 oder nur ein Durchgangsstadium335 zum Recht.336 Aus und wegen der Illegitimität des Krieges337 kann nicht geschlossen werden, daß das Völkerrecht des Rechtscharakters entbehrt; denn Zweck allen Rechts ist die Vermeidung von Krieg.338 Zwangsmittel können auch mildere Mittel als vis absoluta sein.339

328 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, II, 6. Kap. S. 41 m. Fn.; vgl. auch zu verschiedenen Formen von Republiken Bodin, Les six livres des la république (1586) II, hrsg. v. M. Serres, 1986, 1. Kap. ff. 329 K. A. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, in: M. Vollkommer (Hrsg.), S. 85; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, DSWR 1999, 17 (19). 330 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 134 ff., 139 ff.; A. Verdross, Völkerrecht, S. 425 ff.; M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 555 ff., 571 ff.; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 64 ff., 227 ff. 331 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, in: M. Vollkommer (Hrsg.), S. 85. 332 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 211 (BA 35, 36) f. 333 Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 427 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 318 ff.; A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 36; weiter dagegen B. Grzeszick, Staatsgewalt in der UN-Charta zwischen Gewaltverbot und Selbstverteidigung, AVR 41 (2003), S. 484 (487 ff.). 334 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 554 f. 335 O. Höffe, Völkerbund oder Weltrepublik?, in: ders. (Hrsg.), Zum ewigen Frieden, 1995, S. 109 (121). 336 Dazu auch A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 128 ff. 337 Zum Begriff des Krieges A. Verdross, Völkerrecht, S. 432 ff. 338 Hobbes, Leviathan, II, 17. Kap. (S. 151 ff.); Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203 (BA 18), 205 (BA 23, 24); K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 484.

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Das allgemeine Verbot von vis absoluta zwischen Staaten schließt Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten gegenüber den Staaten unterhalb dieser Schwelle nicht aus. Schon Francisco Suárez nahm an, daß der Krieg kein notwendiges Mittel der Streiterledigung darstellt. Die Staaten könnten ebenso gut die Schlichtung ihrer Streitigkeiten einem unabhängigen dritten Staat oder einem Schiedsgericht mit Zwangsgewalt (arbitro cum potestate coactiva) übertragen.340 Generell möglich im Wege der Selbsthilfe sind nicht-militärische Repressionen und Retorsionen.341 Grenzen ergeben sich aber auch hier aus dem völkerrechtlichen Interventionsverbot.342 Im Völkerrecht der Kooperation343, das anders als noch das Völkerrecht der Koordination344 verschiedene Aufgaben durch völkervertraglich gegründete gemeinschaftliche Organe zu bewältigen sucht, kann die Zwangseinwirkung auf die Staaten auch von Organen Internationaler Organisationen, insbesondere vom Sicherheitsrat ausgehen, nicht notwendig, aber erforderlichenfalls auch als vis absoluta (vgl. Art. 42 UNCharta).345 Völkerrecht ist also rechtlich verbindlich.346 Es gibt allerdings Abstufungen der effektiven Verbindlichkeit.347 3. Zusammenhang von Durchsetzbarkeit und Verbindlichkeit Der Grad der effektiven Verbindlichkeit des Rechts zwischen den Staaten hängt nicht nur vom übereinstimmenden Bindungswillen der Betroffenen ab,

339 So auch V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, 2000, S. 69; Überblick über die Sanktionsmittel im Völkerrecht bei M. Schröder, Sanktionen, in: W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 571 ff. 340 F. Suárez, Tractatus de legibus et deo legislatore II, (1612), Nachdruck 1967, cap. XIX, 8. 341 Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 425 f.; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 229 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 228 ff. 342 A. Pauer, Die humanitäre Intervention, 1985, S. 9 ff.; H. Rumpf, Der internationale Schutz der Menschenrechte und das Interventionsverbot, 1981, S. 51. 343 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 41, § 53, S. 310 ff. 344 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 33 f., § 40. 345 Dazu J. A. Frowein, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 42, Rn. 20 ff. 346 Vgl. dazu auch A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 128 ff.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 11 ff.; a. A. W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, S. 57 ff., der Gewalt nur von „übergeordneten Instanzen“ als Zwang definiert, S. 59. 347 H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, in: Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 3, Rn. 7.

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sondern auch vom Umfang der Befugnis, das Recht zu erzwingen.348 Felix Oppenheim hat für die internationalen Beziehungen folgende Formen der Beeinflussung unterschieden: die Überredung, die Entmutigung und die Konditionierung sowie die physische Gewalt, die gesetzmäßige Behinderung und die Androhung schwerwiegender Sanktionen.349 Von der Überredung geht noch keine Zwangs- und Bindungswirkung aus. Selbsthilferechte350, wie sie für das Völkerrecht charakteristisch sind, gibt es (in den Grenzen der Ausnahmen zum Gewaltverbot) bis zur Stufe physischer Gewalt. Es sind typischerweise provisorische Rechte351, die nur solange wirksam sind, als eine gemeinsame öffentliche Rechtsordnung nicht in der Lage ist, das Hindernis der Freiheit selbst zu beseitigen.352 Die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen durch die Internationalen Organisationen, die den provisorischen Rechtszustand der Selbsthilfe teilweise überlagern, bleiben zumeist auf der unteren Stufe der Rechtsdurchsetzung und des Rechtsschutzes stehen, insbesondere sind sie in der Regel nicht einklagbar und überprüfbar. Deshalb besteht die Gefahr, daß sie von willkürlich operierenden Mächten mißbraucht werden.353 Die Verbindlichkeit des Völkerrechts ist also nur relativ gesichert.354 Das Recht der Staatengemeinschaft wandelt sich um so mehr in striktes Recht, als die Staaten „sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen“ und gemeinsame Organisationen zu ihrer Sicherung und Durchsetzung oder in Kants Worten einen „Völkerstaat (civitas gentium)“355 schaffen. 4. Traditionelle Mittel der Rechtsdurchsetzung zwischen den Staaten Eine zentrale Instanz, welche neben der Befugnis auch die Pflicht zur Rechtsdurchsetzung hat, ist dem Völkerrecht nicht eigen.356 Entsprechend haben Einzelpersonen im zwischenstaatlichen Völkerrecht grundsätzlich keine subjektiven Rechte zur Durchsetzung des Völkerrechts, weder vor internationa348 Vgl. schon C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 105 ff.; siehe auch A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 138. 349 F. Oppenheim, Dimensioni della libertà, 1964, S. 31 ff. 350 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 901 ff. 351 Vgl. H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 251 (255). 352 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 474 (A 227, 228; B 257, 258). 353 H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S. 255 f. 354 Vgl. M. Brauer, Weltföderation, S. 192 ff.; H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S. 256. 355 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 212 (BA 37, 38). 356 L. Gross, States als Organs of International Law and the Problem of Autointerpretation, in: Fs. H. Kelsen, 1953, S. 59 (63 ff.); R. Wolfrum, Obligations Under Public International Law to Implement, S. 98.

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len noch vor den nationalen Gerichten. Die Bürger werden durch ihre Staaten typischerweise „mediatisiert“.357 Die klassische Völkerrechtslehre unterscheidet als Mittel der Durchsetzung zwischen den Staaten358 diplomatische Verfahren, internationale Schiedsgerichtsbarkeit, internationale Gerichtsbarkeit und Selbsthilfemaßnahmen. Nur diejenigen Zwangsmittel sind erlaubt, die praktisch vernünftig sind.359 a) Diplomatische Verfahren Als diplomatische Verfahren zur friedlichen Streitbeilegung nennt Art. 33 UN-Charta: Verhandlungen, Gute Dienste und Vermittlung, Untersuchungs- und Vergleichsverfahren.360 Sie sind keine Rechts- und Zwangsmittel i. e. S., weil sie die Parteien nicht rechtlich binden.361 b) Selbsthilfemaßnahmen Zu den erlaubten Selbsthilfemaßnahmen zählen insbesondere die reaktiven Mittel der Notwehr und Nothilfe gegen militärische Angriffe362, zu den aktiven Mitteln die Retorsion, die Repressalie, das Rücktrittsrecht und die Verweigerung der eigenen Leistungen363 aus einem völkerrechtlichen Vertrag.364 357 H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, in: Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 7, Rn. 36; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 39, § 47; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 155 ff.; M. Hilf, The Role of National Courts In International Trade Relations, in: E. U. Petersmann (Hrsg.), International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, 1997, Nachdruck 1999, S. 561 (570 f.). 358 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 490 ff.; M. Schröder, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 555 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 442 ff.; R. Wolfrum, Obligations Under Public International Law to Implement International Rules, S. 100 ff.; vgl. auch Art. 42 ff. des Entwurfs der ILC zur Staatenverantwortlichkeit, November 2001, fifty-third session; Text des Entwurfs in: Report of the International Law Commission, General Assembly Official Records, fifty-sixth session, Supp. No. 10, A56/10. 359 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 69. 360 Dazu K. Doehring, Völkerrecht, S. 458 ff.; M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 556 ff. 361 Vgl. K. Doehring, Völkerrecht, S. 460, Rn. 1063; M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 55 f., Rn. 60. 362 Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 427 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 318 ff. 363 Gegen (erhebliche) Vertragsverletzungen sind die Verweigerung der eigenen Vertragsleistung, die Suspendierung des Vertrages und ultima ratio das Rücktrittsrecht des verletzten Staates als Mittel, die aus einer schuldrechtlichen Beziehung erwachsen, zulässig (vgl. Art. 60 WVK). Vgl. dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 902, § 1334; W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 168 ff., Rn. 77 ff.

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Nur im Falle eines gegenwärtigen bewaffneten Angriffs auf einen Staat sind gewaltsame Selbstverteidigungsmaßnahmen als Ausnahme vom Gewaltverbot gegen den Angreifer (Art. 2 Ziff. 4, Art. 51 UN-Charta) erlaubt.365 Über die jeweilige Vertragsbeziehung hinaus stehen den Staaten unter der Schwelle des Einsatzes bewaffneter Gewalt Retorsionen und Repressalien als Selbsthilfemaßnahmen zur Verfügung (vgl. Art. 2 Ziff. 3 UN-Charta).366 Während das sogenannte klassische Völkerrecht auch Repressalien mit militärischer Gewalt anerkannte367, werden diese heute durch Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta von der überwiegenden Meinung als verboten angesehen.368 In Streitfragen des internationalen Handels werden Retorsionen und Repressalien vor allem in Form von Handelsembargos369 eingesetzt oder angedroht370. Gegenüber der Retorsion ist die Repressalie das stärkere Mittel. Die Rechtsverletzung muß nicht aus einer bestimmten schuldrechtlichen Beziehung resultieren, sondern kann sich auf jede völkerrechtliche Pflicht beziehen.371 Nur gegenüber völkerrechtswidrigen Akten ist eine Repressalie zulässig.372 Weil Repressalien Abweichungen von den Geboten des Völkerrechts erlauben373, beeinträchtigt ihre Anwendung das Rechtsprinzip und die Rechtseinheit.374 Sie werden daher nur selektiv eingesetzt.375 Im Gegensatz zu Repressalien sind Retorsionen den völkerrechtlichen Regeln entsprechende, unfreundliche Akte, die bezwecken, einen anderen Staat zur Beendigung eines unfreundlichen oder völkerrechtswidrigen Akts zu bewegen (z. B. Abbruch diplomatischer Beziehungen, Nichtgewährung nicht vertraglich 364 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 901 ff.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 493 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 442 ff. 365 A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 44; weiter dagegen: B. Grzeszick, Die Staatsgewalt in der UN-Charta zwischen Gewaltverbot und Selbstverteidigung, AVR 41 (2003), S. 487 ff. 366 Ch. Tomuschat, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 3, Rn. 23 ff. 367 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 228. 368 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 955, Rn. 49. 369 Dazu Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 593, Rn. 7 ff. 370 Repressalien und Retorsionen müssen angekündigt werden. 371 W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 168 f., Rn. 77. 372 A. Verdross, Völkerrecht, S. 426; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 228; eingehender M. Krugmann, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, 2004, S. 15 ff., 67 ff. 373 Unter einer Repressalie versteht das Völkerrecht „einen Rechtseingriff eines in seinen völkerrechtlichen Rechten verletzten Staates in einzelne Rechtsgüter jenes Staates, der ihm gegenüber den Unrechtstatbestand gesetzt hat, um ihn zur Wiedergutmachung des Unrechts zu bewegen.“ A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 907, § 1342; A. Verdross, Völkerrecht, S. 425; Ch. Tomuschat, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 2 Ziff. 3, Rn. 28. 374 Vgl. Ch. Tomuschat, in: B. Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 3, Rn. 28. 375 Vgl. Ph. Kunig, Völkerrecht als öffentliches Recht, S. 332.

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versprochener Entwicklungshilfe).376 Sie sind einzustellen, sobald ihr Zweck erreicht ist, weil sie dann nicht mehr vom Prinzip der Gegenseitigkeit und dem der Verhältnismäßigkeit gedeckt sind.377 Die Effektivität von Repressalien ist unterschiedlich und daher relativiert. Sie hängt davon ab, in welchem Umfang ein Staat auf die Rechtstreue des anderen angewiesen ist.378 c) Internationale Schiedsgerichtsbarkeit Internationale Schiedsgerichtsbarkeit hat die Regelung internationaler Streitigkeiten zum Gegenstand.379 Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung findet seine Grundlage insbesondere in der UN-Charta (vgl. Art. 33), im I. Haager Abkommen380 sowie im Gewohnheitsrecht.381 Anders als die diplomatischen Verfahren endet das internationale Schiedsverfahren (Internationaler Schiedshof in Den Haag382) mit einer verbindlichen Entscheidung für die Parteien.383 Sie richtet sich an die Staaten als Rechtssubjekte und besitzt grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung im innerstaatlichen Rechtsraum.384 Auch Schiedsgerichte, die ad hoc oder vorab für bestimmte Fälle durch Vereinbarung errichtet werden können385, haben, obwohl sie nicht als ständiger Gerichtshof institutionalisiert sind, justiziellen Charakter. Sie sprechen Recht.386 Beachtet eine Streitpartei die Entscheidung des Schiedsgerichts nicht, ist die andere Partei befugt, Sanktionen des allgemeinen Völkerrechts anzuwenden.387 Das Schiedsgericht leitet seine 376

A. Verdross, Völkerrecht, S. 425. O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 496; vgl. dazu auch B. Graefrath, Völkerrechtliche Aspekte der Irak-Sanktionen, in: D. S. Lutz/H. J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, S. 89 ff.; zur Verhältnismäßigkeit M. Krugmann, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, 2004, S. 15 ff., 67 ff. 378 W. Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus der Neuen Welthandelsordnung, in: M. Klein/W. Meng/R. Rode (Hrsg.), Die Neue Welthandelsordnung der WTO, S. 21. 379 H. Mosler, Das Grundgesetz und die internationale Streitschlichtung, HStR, Bd. VII, 1992, § 179, Rn. 9; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1021 f. 380 Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle (I. Haager Abkommen) v. 18.10.1907, RGBl. 1910 II, S. 5. 381 A. Kopke, Rechtsbeachtung und -durchsetzung in GATT und WTO, 1997, S. 60; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1015, Rn. 2. 382 Dazu Art. 41 ff. I. Haager Abkommen. 383 Art. 81 des I. Haager Abkommens; K. Doehring, Völkerrecht, S. 460, Rn. 1063; M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 561, Rn. 75. 384 H. Mosler, Das Grundgesetz und die internationale Streitschlichtung, HStR, Bd. VII, § 179, Rn. 9. 385 Dazu M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 560, Rn. 72. 386 H. Mosler, Das Grundgesetz und die internationale Streitschlichtung, HStR, Bd. VII, § 179, Rn. 16; vgl. auch Art. 37 Satz 1 Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle v. 18.10.1907, RGBl. 1910 II, S. 5. 377

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Jurisdiktion vom Willen der Parteien ab.388 Wesentliche Elemente des Schiedsverfahrens, wie seine Rechtsgrundlage, die Zusammensetzung des Gerichts, die Auswahl des anwendbaren Rechts und die Ordnung des Verfahrens verbleiben der Entscheidung der streitenden Parteien.389 Der verpflichtete Staat kann die Art und Weise, in welcher er dem Schiedsspruch nachkommt, selbst bestimmen. Die Zwangswirkung, die von einem Schiedsverfahren ausgeht, ist hierdurch relativiert. d) Internationale Gerichtsbarkeit aa) Bedeutung Internationale Gerichtsbarkeit entscheidet über Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten, wenn diese sich ihr unterwerfen. Die Streitparteien haben keinen unmittelbaren Einfluß auf die Zusammensetzung des Spruchkörpers und auf das Verfahren.390 Im Gegensatz zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit sind bei der internationalen Gerichtsbarkeit die Besetzung des Gerichts, das anzuwendende Recht und die Verfahrensregeln völkervertraglich von vornherein festgelegt.391 Das internationale Gericht ist also für alle Parteien des völkerrechtlichen Statuts, also nicht nur für die jeweiligen Streitparteien als „ständiges Gericht“ institutionalisiert.392 Eine derartige Einrichtung kennzeichnet eine sich verdichtende internationale Organisationsstruktur.393 Kant hielt in seiner Zeit eine internationale Gerichtsbarkeit zwar für wünschenswert394, aber für nicht erreichbar. Die Art, wie Staaten ihr Recht verfolgen, könne nie, wie bei einem äußeren Gerichtshofe, der Prozeß, sondern nur der Krieg sein.395 In der Tat ist die Möglichkeit, vor einem Gericht Rechtsschutz zu suchen, welches verbindlich Recht sprechen kann, insbesondere das 387 K. Doehring, Völkerrecht, S. 462, Rn. 1068; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1026, Rn. 34. 388 H. Mosler, Das Grundgesetz und die internationale Streitschlichtung, HStR, Bd. VII, § 179, Rn. 9. 389 Art. 44, 45, 51 ff. I. Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle; H.-J. Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation, 1999, S. 104 ff.; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1021, Rn. 20; M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 559 ff. 390 H. Mosler, Das Grundgesetz und die internationale Streitschlichtung HStR, Bd. VII, § 179, Rn. 17. 391 Dazu K. Doehring, Völkerrecht, S. 467 ff.; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1026 ff. 392 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 428; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1026, Rn. 35. 393 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 428. 394 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 475 (A 229 B 259). 395 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 210 (BA 33, 34) f.

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Recht klärt,396 das klassische öffentlich-rechtliche Mittel, Recht durchzusetzen.397 Eine funktionierende Gerichtsbarkeit, ein prozessuales Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten, ist der Garant des Rechts schlechthin und realisiert die „Idee eines zu errichtenden öffentlichen Rechts der Völker“398. Zumindest gegenüber Rechtsstaaten kann es grundsätzlich als hinreichendes Durchsetzungsmittel angesehen werden, wenn deren ausführende Organe an die Gerichtsurteile gebunden sind, die regelmäßig als Feststellungsurteile ohne weitere Vollstreckungsmöglichkeiten ergehen.399 bb) Internationaler Gerichtshof Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist ein für die Klärung des Völkerrechts besonders bedeutsames internationales Gericht. Nach Art. 7 der UN-Charta ist er ein Hauptorgan der Vereinten Nationen. Es ist das einzige internationale Gericht, welches potentiell allen Staaten der Vereinten Nationen, aber auch solchen, die nicht Mitglied der Vereinten Nationen sind, offensteht (Art. 93 UNCharta). Damit ist ihm globale Bedeutung zugewiesen.400 Gemäß seinem Statut ist der Internationale Gerichtshof für Streitfälle zuständig oder er erstellt Rechtsgutachten. Die Wahl der 15 Richter durch die Generalversammlung und den Sicherheitsrat (Art. 4, 8 IGH-Statut) soll so geschehen, daß die Richter in ihrer Gesamtheit die großen Kulturkreise und die hauptsächlichen Rechtssysteme der Welt vertreten (Art. 9 IGH-Statut).401 Ihre persönliche und sachliche Unabhängigkeit wird durch das IGH-Statut geschützt.402 Entsprechend der Grundregel des Völkerrechts, wonach Individuen keinen Zugang zu internationalen Gerichten haben, sind nur Staaten gemäß Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut parteifähig.403 Dies wird im Zeitalter der Globalisierung, in dem auch andere (nicht-staatliche) Akteure die internationalen Beziehungen mitgestalten, als unbefriedigend kritisiert.404 Der genossenschaftlichen Struktur des Völkerrechts entsprechend, ist der Gerichtshof nicht automatisch für alle Mitglieder der Vereinten Nationen zustän-

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Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 872 ff., 911 ff., 1137 ff. K. Doehring, Völkerrecht, S. 21, Rn. 39. 398 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 475 (A 229 B 259). 399 K. Doehring, Völkerrecht, S. 454, Rn. 1051, S. 483 f., Rn. 1135 ff. 400 H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 108. 401 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1028, Rn. 40 f. 402 Vgl. nur Art. 20 Abs. 1, 16, 17, 18, 19, 32 IGH-Statut sowie M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 567. 403 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 430; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1030, dazu auch IGH, Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia, ICJ Rep. 1993, 12 ff. 404 R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 568. 397

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dig. Vielmehr muß seine persönliche und sachliche Jurisdiktion von den jeweiligen Parteien anerkannt sein.405 Hierzu gibt es vier Möglichkeiten406: Zum einen können Staaten die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs für einen zwischen ihnen schwebenden Streit ad hoc vereinbaren. Möglich ist aber auch, daß eine Partei einem von einer Partei gegen sie eingeleiteten Verfahren später zustimmt, gegebenenfalls auch stillschweigend. Die Anerkennung kann sich auch aus der Zustimmung zu anderen völkerrechtlichen Verträgen ergeben, wenn diese eine sogenannte kommissarische Klausel enthalten, welche die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs festlegt. So begründet Art. IX der Völkermordkonvention der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 1948 die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs.407 Nach Art. 1 des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten vom 24. April 1954 haben sich mehrere europäische Staaten der Gerichtsbarkeit des internationalen Gerichtshofs unterworfen.408 Viertens können Staaten auch nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut eine Erklärung abgeben, mit der sie die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs für die dort genannten Gegenstände ohne besondere Übereinkunft gegenüber jedem Staat anerkennen, der dieselbe Verpflichtung eingeht (sogenannte Fakultativklausel).409 Von den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats hat sich nur Großbritannien der grundsätzlichen Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs unterstellt.410 Eine allgemeine völkerrechtliche Pflicht, ein gerichtliches Verfahren, den Internationalen Gerichtshof und das anschließende Urteil anzuerkennen, gibt es nicht.411 Das ist eine Durchsetzungslücke, welche die Verbindlichkeit der Urteile erheblich relativiert. Gerade die rechtlich und politisch brisanten Fälle werden dem Internationalen Gerichtshof demzufolge vorenthalten. So weigerten sich die USA nach einer Klage Nicaraguas wegen kontinuierlicher Kriegsführung der Vereinigten Staaten gegen das zentralamerikanische Land, die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs anzuerkennen und an den Verhandlun405 H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 9, Rn. 43; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 428. 406 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1030, Rn. 44; vgl. auch O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 429. 407 Vgl. auch IGH v. 11.9.1992, El Salvador vs. Honduras, ICJ Rep. 1992, 390 f. 408 BGBl. 1961 II, S. 82. 409 Diese sogenannte Fakultativklausel kann nach Art. 36 Abs. 3 IGH-Statut mit Vorbehalten versehen werden, was zu erheblichen Einschränkungen führen kann. Dazu H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1030 ff.; vgl. auch O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 432 ff. 410 E.-U. Petersmann, The Dispute Settlement System of the World Trade Organization and the Evolution of the GATT Dispute Settlement System since 1948, CMLRev. 1994, 1157 (1168). 411 H. Mosler, Das Grundgesetz und die internationale Streitschlichtung, HStR, Bd. VII, § 179, Rn. 16.

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gen teilzunehmen. Ebenso verhielt sich Frankreich nach einer Klage Australiens und Neuseelands wegen französischer Atomtests.412 Ein Beispiel aus jüngerer Zeit sind die Klagen Jugoslawiens gegen die NATO-Staaten wegen Verstoß gegen das Gewaltverbot und andere völkerrechtliche Verpflichtungen.413 Gegenüber den USA und Spanien, welche sich der Jurisdiktion des Gerichtshofs nicht unterworfen haben, mußte der Internationale Gerichtshof die Klagen wegen Unzulässigkeit abweisen.414 Ist die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag von den Parteien anerkannt, erstreckt sie sich nach Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut prinzipiell auf alle Streitigkeiten der Vereinten Nationen sowie auf solche aus völkerrechtlichen Verträgen. Der Internationale Gerichtshof entscheidet gemäß Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut nach dem Völkerrecht, d. h. nach den völkerrechtlichen Verträgen, dem Gewohnheitsrecht, den von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen, inter partes wirkenden eigenen Entscheidungen und auch unter Zuhilfenahme der Lehrmeinungen anerkannter Völkerrechtler. Das Gericht ist in seiner Zuständigkeit nicht auf ein bestimmtes Sachgebiet oder Vertragssystem beschränkt. Damit hat der Internationale Gerichtshof besonderen Einfluß auf die Fortentwicklung des Völkerrechts.415 Ausgenommen sind demnach Entscheidungen, welche die inneren Angelegenheiten eines Staates betreffen. Dies ergibt sich außer aus Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut zudem aus dem Nichteinmischungsverbot, das gemäß Art. 2 Ziff. 7 der UN-Charta für die Organe der Vereinten Nationen gilt, also auch für den Internationalen Gerichtshof.416 Der Verfahrensablauf ist justizförmig ausgestaltet.417 Im kontradiktorischen Verfahren sind die Streitparteien gemäß Art. 59 IGH-Statut und Art. 94 Abs. 1 UN-Charta an die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs gebunden.418 Sie ist unanfechtbar. Es gibt also keine zweite Instanz. Haben sich die Streitparteien der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs unterworfen, sind sie zwar inter partes verpflichtet, dessen Entscheidung zu beachten und nach Treu und Glauben umzusetzen. Jedoch erlangt die obsiegende Partei kein Recht, das Urteil zwangsweise durchzusetzen. Eine 412 Siehe D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 337 (352). 413 R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 568; zum Verfahrensstand www.icj-cij.org/icjwww/idecisions.htm. 414 www.icj-cij.org/icjwww/idocket/iyus/iyusframe.htm. 415 H.-J. Letzel, Streitbeilegung, 1999, S. 108 f. 416 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 432. 417 Auf der Grundlage des Art. 30 Abs. 1 Satz 2 IGH-Statut hat sich der IGH eine Verfahrensordnung gegeben, welche in seinen Teilen III und IV einer modernen Prozeßordnung entspricht. 418 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1033, Rn. 48.

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Weltzwangsgewalt, welche die Urteile regelmäßig vollstreckt, gibt es nicht. Nach Art. 94 Abs. 2 UN-Charta kann der Sicherheitsrat auf Antrag (nach seinem Ermessen) Maßnahmen zur Vollstreckung von Urteilen des Internationalen Gerichtshofs treffen.419 Hierzu ist es bisher noch nie gekommen.420 Militärische Maßnahmen dürfen wegen der begrenzten Befugnisse des Sicherheitsrates (Art. 42 UN-Charta) jedenfalls nur im Falle einer Friedensbedrohung ergriffen werden. In der Praxis kann das Urteil kaum zwangsweise durchgesetzt werden, weil das Vetorecht im Sicherheitsrat, der allenfalls (im Rahmen seiner Befugnisse) als Durchsetzungsorgan in Frage käme, dies de facto verhindert. Falls der verurteilte Staat das Urteil nicht umsetzt, stehen der betreffenden Partei nur die allgemeinen völkerrechtlichen Selbsthilfemittel, welche gewaltsame Maßnahmen ausschließen, zur Verfügung.421 Die Bereitschaft der Staaten, den Internationalen Gerichtshof anzurufen, ist mäßig, obwohl sie seit Ende des kalten Krieges angestiegen ist.422 Durchschnittlich entscheidet das Gericht einen Fall pro Jahr.423 Häufig werden seine Urteile mißachtet. Eine allgemeine obligatorische Internationale Gerichtsbarkeit lehnt die Staatengemeinschaft noch weitgehend ab424, weil der völkerrechtliche Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten einer generellen Pflicht, sich einer obligatorischen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen, widerstrebt.425 Die Initiative müßte deshalb von den Staaten selbst ausgehen. Würde sich die Mehrzahl der Staaten im Wege der Fakultativklausel des Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut generell der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs unterwerfen, würde dies das Völkerrecht verrechtlichen und dessen Verbindlichkeit erhöhen, was ein wesentlicher Schritt zu einer öffentlichen Ordnung zwischen den Staaten bedeuteten würde. Nur in wenigen Bereichen hat sich bisher eine obligatorische Gerichtsbarkeit entwickelt.

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K. Doehring, Völkerrecht, S. 455, Rn. 1051, S. 484, Rn. 1137. R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 569. 421 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1033, Rn. 48. 422 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 434. 423 A. Kopke, Rechtsbeachtung und -durchsetzung in GATT und WTO, S. 64; H.-J. Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation, S. 114 f. 424 B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, S. 52; im Rudolf-Hess-Fall hat das Bundesverfassungsgericht in einem obiter dictum geäußert: „Der gegenwärtigen Völkerrechtsordnung gebricht es weithin an institutionellen Vorkehrungen etwa einer obligatorischen Internationalen Gerichtsbarkeit, vermittels deren die Richtigkeit von Rechtsauffassungen im Streitfall verbindlich festgestellt werden könnten.“ BVerfGE 55, 349 (367). 425 Vgl. O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 431. 420

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cc) Weiterentwicklungen in der internationalen Jurisdiktion In bestimmten Regimen sind in der internationalen Jurisdiktion Paradigmenwechsel zu verzeichnen. In der Welthandelsordnung ist mit dem WTO-Abkommen ein quasi-obligatorisches Streitbeilegungsverfahren zwischen Staaten etabliert worden, das weitgehend gerichtsförmig ausgestaltet ist.426 Ein weiteres internationales Gericht stellt der Internationale Seegerichtshof dar.427 Seine Zuständigkeit ist zum Teil obligatorisch.428 Ein obligatorisches Gericht auf regionaler Ebene ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der die Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention überwacht und der nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs entgegen dem völkerrechtlichen Paradigma der Mediatisierung des Individuums sogar mit der Individualbeschwerde angerufen werden kann.429 Weil der Europäische Menschengerichtshof Menschenrechtsverletzungen durch Staaten feststellt, wirkt hier insofern nicht das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Der Gerichtshof der Europäischen Union ist ebenfalls ein obligatorisches Gericht, der in bestimmten Umfang auch Individualrechtsschutz gibt (Art. 220 ff. EGV). Der Internationale Strafgerichtshof430, vor dem sich Individuen für Menschheitsverbrechen verantworten müssen, ist im Rahmen seiner Zuständigkeit (vgl. Art. 5, 12 Römisches Statut) eine obligatorische Gerichtsbarkeit, weil er nicht nur auf Initiative eines Vertragsstaates und des Sicherheitsrates, sondern auch von Amts wegen judizieren kann (Art. 13). VII. Neutralität des Völkerrechts Kennzeichnend für das Völkerrecht ist, daß es meist nur gewisse Verhaltensregeln zwischen den Staaten festlegt.431 Das moderne Völkerrecht ist mit materialer Rechtlichkeit zurückhaltend.432 Insbesondere der völkerrechtliche Staatsbegriff (1. Teil, A, S. 59 ff.) sowie wichtige Prinzipien, wie die souveräne Gleichheit der Staaten oder der Grundsatz pacta sunt servanda, belegen dies. Wegen seiner materiellen Offenheit ist das Völkerrecht neutral gegenüber der Ordnung in den Staaten. Für das klassische Völkerrecht trifft dies weniger zu 426 Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten im Rahmen der WTO v. 15.4.1994, ILM 33 (1994), 114; BGBl. 1994 II, S. 1749; dazu A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 176 ff., 185 ff. 427 Dazu H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1035 ff. 428 Dazu K. Doehring, Völkerrecht, S. 463, Rn. 1075. 429 Vgl. Art. 34, 35 EMRK. 430 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs v. 17.7.1998, ILM 37 (1998), 1002; BGBl. 2000 II, S. 1394. 431 Vgl. M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 570; B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, S. 59 f. 432 M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 571.

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als für das moderne Völkerrecht, weil immanente Grundlage des klassischen Völkerrechts die Werte des christlichen Abendlands waren.433 Das universelle Völkerrecht ist in diesem Sinne „wertneutraler“, weil es trotz eines grundsätzlichen Bekenntnisses zu den Menschenrechten (dazu 4. Teil, A, S. 463 ff.) der Pluralität der staatlichen sowie wirtschaftlichen Ordnungen und Kulturen weitgehend Rechnung tragen will.434 Eine Pflicht, ein freiheitliches, demokratisches und soziales Gemeinwesen zu errichten, kennt das überwiegend gelehrte und praktizierte Völkerrecht nicht.435 Die Verpflichtung auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ist keine völkerrechtliche Voraussetzung für die Anerkennung als Staat oder als Völkerrechtssubjekt.436 Begründet wird dieser Mangel an materialer Rechtlichkeit im Völkerrecht damit, daß eine universelle Völkerrechtsordnung auf der Basis gleicher Souveränität der Staaten anders nicht möglich wäre.437 Auch die Menschenrechtspakte, die durchaus materielle Bestimmungen enthalten (dazu 4. Teil, A, S. 466 ff.), legen den Staaten keine engen Verpflichtungen auf, die ihre innere Verfassung betreffen oder deren Erfüllung gar Voraussetzung für die Aufnahme in die Vereinten Nationen sind.438 Neben den Gründungsmitgliedern (Art. 3 UN-Charta) können nach Art. 4 Abs. 1 UN-Charta Mitglieder der UN „alle sonstigen friedliebenden Staaten werden, welche die Verpflichtungen aus dieser Charta übernehmen und nach dem Urteil dieser Organisation fähig und willens sind, diese Verpflichtungen zu erfüllen“. Obwohl zu den Zielen der UN-Charta auch die Beachtung der „Grundsätze der Gerechtigkeit“ (Art. 1 Nr. 1), die Achtung von Menschenrechten (Art. 1 Nr. 3, Art. 55 lit. c) gehören, wird Art. 4 Abs. 1 in der Praxis entsprechend einem rein negativen Friedensbegriff ausgelegt. Der Aufnahmestaat soll sich lediglich den allgemeinen völkerrechtlichen „Spielregeln“ unterwerfen.439 Die Charta der Vereinten Nationen stellt nach dieser Auslegung, die ihre Bestätigung insbesondere in der Entstehungsgeschichte findet, keine Voraussetzungen an die Republikanität ihrer Mitglieder.440 Die 433 H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 1 ff.; O. Kimminich, Neue solidarische Weltordnung, in: Fs. V. Zsifkovits, 1993, S. 11; vgl. auch A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 7 f., Rn. 18 f. 434 Vgl. dazu K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 11; dazu auch unter 6. Teil, B. 435 O. Kimminich, Neue solidarische Weltordnung, S. 11; M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 572; A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, S. 157. 436 H. Steiger, Frieden durch Institution, S. 166; A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, S. 158. 437 H. Steiger, Frieden durch Institution, S. 166 f. 438 F. Kambartel, Kants Entwurf und das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Staatsangelegenheiten, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 244; zu republikanischen Mindeststandards im geltenden Völkerrecht: P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 180 ff. 439 Ch. Hillgruber, Das Völkerrecht als Brücke zwischen den Rechtskulturen, AVR 40 (2002), S. 1 (6).

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Forderung, daß die UN-Mitgliedstaaten freiheitlich demokratisch verfaßt sein müßten, war während der Ausarbeitung der Charta in San Francisco als Einmischung in innere Angelegenheiten verworfen worden.441 Höhere Maßstäbe im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte werden für die Aufnahme in die Vereinten Nationen nicht verlangt.442 Über die Tatbestandsmerkmale „friedliebend“, die „Verpflichtungen aus dieser Charta“ und die Fähigkeit und den Willen, die Verpflichtungen der Charta zu erfüllen, könnte der pragmatische völkerrechtliche Staatsbegriff (dazu 1. Teil, A, S. 59 ff.) im Rahmen der Vereinten Nationen jedoch weltverfassungsrechtlich ausgelegt werden. Die Völkerrechtspraxis tut dies in der Regel nicht443, um eine möglichst universelle Geltung der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts nicht zu behindern.444 Zwar verpflichten die Menschenrechtspakte auf die Einhaltung bestimmter Menschenrechte, aber grundsätzlich nur diejenigen Staaten, die diesen Verträgen zugestimmt haben. Regelmäßige, obligatorische Sanktionen gegenüber den Staaten als Folge der Verletzung von Menschenrechten sehen diese Verträge nicht vor (dazu 6. Teil, F, S. 924 ff.). Insbesondere weil das Völkerrecht über keine allgemeine öffentlich-rechtliche Durchsetzungsgewalt verfügt, wird die Neutralität des Völkerrechts als Basis für friedliche Beziehungen zwischen den Staaten angesehen.445 Dem entsprach das Motto des völkerrechtlichen Koexistenzrechts.446 Inwieweit das im modernen Völkerrecht entwickelte ius cogens sowie Verpflichtungen erga omnes die materiellrechtliche Zurückhaltung und die Neutralität des Völkerrechts durchbrechen oder sogar zu einem paradigmatischen Wechsel führen, bleibt zu untersuchen (dazu 3. Teil, E, S. 435 ff.).

440 F. Kambartel, Kants Entwurf und das Prinzip der Nichteinmischung, S. 244; zu republikanischen Mindeststandards im geltenden Völkerrecht: P. Saladin, Wozu noch Staaten?, S. 180 ff. 441 H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 374, Rn. 5. 442 K. Ginther, in: B. Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 4, Rn. 21; H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 374, Rn. 5; Ch. Hillgruber, Das Völkerrecht als Brücke zwischen den Rechtskulturen, AVR 40 (2002), S. 6 f. 443 Vgl. dazu K. Ginther, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 4, Rn. 13 ff.; eine Ausnahme bildet die Resolution A/Res/39/1 der UN-Generalversammlung v. 12.12.1946, UNYB 1946/47, S. 129 f., die eine Zulassungsverweigerung gegenüber Spanien bis freie Wahlen durchgeführt werden, beinhaltete. Sie wird als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gewertet. Vgl. Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 331, Rn 11. 444 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 53 ff. 445 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 56. 446 H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 3.

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VIII. Fehlendes Allgemeininteresse Albert Bleckmann sieht die Schaffung einer Weltrechtsordnung dadurch behindert, daß sich das Völkerrecht wesentlich aus dem Willen der einzelnen Staaten ableite und ein den staatlichen Interessen übergeordnetes, von den Staaten getrenntes Allgemeininteresse der Völkerrechtsgemeinschaft sowie die Ausformung deren eigenständiger innerer Souveränität gegenüber den Staaten noch nicht hinreichend anerkannt seien.447 Ihrer Zweckbestimmung entsprechend verfolgen Staaten das Interesse ihres Volkes, wie etwa Frieden, Sicherheit448 und Wohlfahrt.449 Ob dies anderen Völkern nützt oder gar schadet, steht nicht im Vordergrund; denn Solidarität ist im Völkerrecht noch wenig entwickelt.450 Bezeichnend ist zum Beispiel, daß das allgemeine Wirtschaftsvölkerrecht außerhalb der vertraglichen Regelungen, wie z. B im GATT/WTO-Recht, keinen allgemeinen Grundsatz der wirtschaftlichen Nichtdiskriminierung zwischen den Staaten kennt.451 Oft nur, soweit die Staaten davon ausgehen, daß ihren Interessen besser in internationaler Zusammenarbeit gedient werden kann, schließen sie völkerrechtliche Verträge, treten Internationalen Organisationen bei452 und verabreden darin gewisse Zugeständnisse, meist weil diese ihnen aufgrund des Reziprozitätsprinzips selbst zugute kommen. Die Instrumente der Vertragsverhandlungen und die Abstimmungsverfahren in den Internationalen Organisationen ermöglichen es ihnen, ihr spezifisches nationales Interesse einzubringen, zu verteidigen und im Ausgleich mit dem Interesse anderer Staaten durchzusetzen. Menschheitsinteressen, die nicht dem Gegenseitigkeitsvorbehalt unterliegen dürfen, wie z. B. Menschenrechte, weltweiter Frieden, Umweltschutz, verfolgen viele Staaten nur nach Maßgabe oder unter dem Vorbehalt einzelstaatlicher anderer Interessen (Religion, wirtschaftliche und soziale Entwicklung). Davon zeugen die zahlreichen Vorbehalte und Formelkompromisse, die auf diesen Gebieten gemacht werden. IX. Pluralität und mangelnde Kohärenz des Völkerrechts Die dualistische Lehre (dazu 2. Teil, A, S. 98 ff.), welche das Völkerrecht und das jeweilige staatliche Recht als verschiedene Rechtskreise ansieht, geht schon im Begründungsansatz von einer Pluralität staatlicher und völkerrechtlicher 447

A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 497 f. Hobbes, Leviathan, II, Vom Staat, 17. Kap., S. 151 ff. 449 Aristoteles, Politik, 1282a 12, S. 180: Das „staatsbürgerliche Gut ist das Gerechte, dies aber ist das für die Gemeinschaft Nützliche.“; gutes Leben und Glückseligkeit als Zweck der besten Staatsverfassung, ders., 1324a 2, S. 323; dazu auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 350 f. 450 A. Verdross, Völkerrecht, S. 128. 451 Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 593, Rn. 6. 452 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 5, Rn. 10. 448

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Rechtsordnungen aus. Die Außenstaatslehren sowie der umgekehrte Monismus bemühen sich zwar um Rechtseinheit in den Staaten, führen aber zu einer pluralen Völkerrechtsordnung, weil diese in so viele Rechtsordnungen zerfällt, wie es Staaten gibt.453 Aber selbst wenn die Geltung des Völkerrechts aus dem allgemeinen Willen oder Konsens der Staaten/Völker einheitlich und monistisch begründet würde, gäbe es keine an gemeinsamen Prinzipien orientierte, materiell abgestimmte Weltordnung, kein geschlossenes, nur dem Allgemeininteresse verpflichtetes öffentliches Weltrecht.454 Die in Jahrzehnten, ja Jahrhunderten aus dem kompromißhaften Konsens der jeweils beteiligten Staaten schwerfällig errungenen, den tatsächlichen, asymmetrischen nationalen Interessen und Einflußmöglichkeiten unterworfenen, unterschiedlichen multi- und bilateralen Verträge und Vertragssysteme stehen zueinander in Konkurrenz oder widersprechen sich.455 Sie sind, selbst im Rahmen der Vereinten Nationen (auch wegen eines fragmentierten Expertenwesens) nicht aufeinander abgestimmt und „sozusagen entfesselt“ (Wahl).456 In einem anderen Vertragssystem entfaltet Vertragsrecht ohne Annahme durch diese Ordnung oder falls es nicht (auch) gewohnheitsrechtlich oder aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze gilt, regelmäßig keine rechtliche Wirkung.457 Dies folgt, jedenfalls dann, wenn die Vertragsparteien nicht identisch sind, aus der auch auf Gründungsverträge anwendbaren pacta tertiis-Regel (Art. 5 i.V. m. Art. 34 WVK).458 Aber auch für den Fall, daß die jeweiligen Vertragsparteien an dieselben Verträge übereinstimmend gebunden sind, fehlen, abgesehen von den allgemeinen Konflikt- und Rangregeln459 (lex specialis derogat legi generalis460, lex posterior derogat legi priori461), Rechtseinheit stiftende Regeln zwischen verschiedenen Vertragssystemen sowie eine verbindlich streitentscheidende Instanz (Weltgerichtshof) oder andere Koordinationsorgane. Deshalb bilden die verschiedenen vertraglichen Ordnungen kein kohärentes 453

M. Wenzel, Juristische Grundprobleme I, S. 396, vgl. auch S. 390 ff., 410. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 83 ff.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 8, Rn. 22; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 115 f. 455 Vgl. S. Oeter, Chancen und Defizite internationaler Verrechtlichung, in: B. Zangl/M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 46 (54 ff.). 456 K. Hilpert, Hehre Theorie – entmutigende Praxis, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 125 (129 f.); R. Wahl, Der einzelne in der Welt jenseits des Staates, Der Staat 40 (2001), S. 45 (50 f.); B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, S. 61 ff. 457 J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, 2002, S. 65 ff. 458 J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts, S. 66. 459 Dazu J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, S. 59 ff. 460 Dazu F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 465. 461 Dazu F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 572 ff. 454

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Rechtsgefüge im Sinne einer materiellen Verfassung der internationalen Beziehungen, in dem Prinzipienkonflikte nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz462 gelöst würden. Beispiele sind die Konflikte zwischen Handel und Umweltschutz, zwischen Handel und Gesundheit, zwischen Handel und Arbeitnehmerrechten, zwischen Handel und Menschenrechten, zwischen Handel und geistigem Eigentum, zwischen Handel und Entwicklung.463 Die klassische lex posterior-Regel (Art. 30 Abs. 3 WVK) führt in solchen Konkurrenzsituationen nicht zu befriedigenden Ergebnissen.464 Auch die lex specialis-Regel als allgemeiner Rechtsgrundsatz465, welcher die lex posterior-Regel verdrängt, kommt im Falle, daß verschiedene Prinzipien widerstreiten, zu keiner Lösung; denn jedes Abkommen beansprucht, weil es den Fall einseitig aus der Sicht seiner Regelungsmaterie betrachtet, lex specialis zu sein. Die meisten völkerrechtlichen Verträge sind weitgehend „blind“ oder verschlossen für Materien und Prinzipien außerhalb der eigenen Regelungen. Dies führt abgesehen von der unterschiedlichen Regelungsdichte zu rechtlicher Unausgewogenheit.466 Zu Recht wird deshalb eine „Koordination der Kooperation“ im Sinne praktischer Konkordanz gefordert.467 Manche Verträge enthalten zumindest Ansätze für eine harmonische ganzheitliche Auslegung.468 So berücksichtigt das GATT etwa in Gestalt von Ausnahmebestimmungen (z. B. Art. XX, XXI GATT, Art. 2. 2 Übereinkommen über technische Handelshemmnisse, Art. XIV GATS) auch 462 Dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, S. 28, Rn. 72, S. 142 f., Rn. 317 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 250 f. 463 Dazu W. Leirer, Rechtliche Grundfragen des Verhältnisses internationaler Umweltschutzabkommen zum GATT, 1998, S. 147 ff.; P.-T. Stoll, How to Overcome the Dichotomy between WTO Rules and MEAs, ZaöRV 63 (2003), S. 439 ff.; J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, S. 37 ff., 112 ff.; W. Meng, Wirtschaftssanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen – Probleme im WTO-Recht, in: Fs. G. Ress, 2005, S. 165 ff.; vgl. aber auch die Erklärung der 4. WTO-Ministerkonferenz 2001 über das Verhältnis von TRIPS und den nationalen Gesundheitspolitiken (WT/MIN(01)7Dec/W/2. Weiter ist die Koordination von WTO, IWF und Weltbank durch Kooperationsabkommen entwickelt. Dazu J. Neumann, S. 42, 104 ff. 464 H. Hohmann, Der Konflikt zwischen freiem Handel und Umweltschutz in WTO und EG, RIW 2000, 89; J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, S. 86 ff.; vgl. auch M. Hilf, Freiheit des Welthandels contra Umweltschutz?, NZV 2000, 483 f. 465 Dazu H. Hohmann, Der Konflikt zwischen freiem Handel und Umweltschutz in WTO und EG, RIW 2000, 96 f. 466 So auch B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, S. 61 ff. 467 J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, S. 35; zu den verschiedenen Arten und Techniken der Koordination, S. 95 ff. 468 H. Hohmann, Der Konflikt zwischen freiem Handel und Umweltschutz in WTO und EG, RIW 2000, 96 ff.

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Prinzipien, die völkerrechtlich nicht oder in anderen Abkommen geregelt sind. Insoweit kommt die allgemeine völkerrechtliche Regel für die Auslegung von Verträgen zum Zuge, wonach jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz zu berücksichtigen ist (vgl. auch Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK). Diese Berücksichtigung führt jedoch nicht zu praktischer Konkordanz, wenn den Regelungen des zugrundegelegten Vertragswerks grundsätzlich Vorrang vor anderen völkerrechtlichen Rechtssätzen zugestanden wird.469 Gemäß Art. 30 Abs. 2 WVK kann ein Vertrag anderen Verträgen den Vorrang einräumen.470 Umgekehrt beanspruchen Verträge, die Interessen der ganzen Menschheit verbindlich regeln (Weltverträge), Vorrang vor gewöhnlichen völkerrechtlichen Verträgen.471 Praktische Konkordanz ist nur möglich, wenn Gleichrangigkeit zwischen verschiedenen Vertragsordnungen besteht.472 X. Ergebnis: Rechtliche Unvollkommenheit des Völkerrechts Wie sich aus der dargelegten Charakteristik ergibt, ist das Völkerrecht zwischenstaatliches, genossenschaftliches und als solches verbindliches Recht. Was seine Entstehung, seine Aufgaben, seinen Wirkungsbereich, seine Organe und seine Durchsetzbarkeit (Verbindlichkeit) angeht, ist es wesensgemäß unvollkommen und unausgereift.473 Es dient nicht der vollständigen und systematischen Verwirklichung des Rechtsprinzips, sondern lediglich notdürftig dem zwischenstaatlichen, äußeren Frieden. H. L. A. Hart nennt die Regeln des Völkerrechts ein „set of rules“ in Abgenzung zu einem „system of rules“.474 Ihre Verbind469 Vgl. H. Hohmann, Der Konflikt zwischen freiem Handel und Umweltschutz in WTO und EG, RIW 2000, 88 ff.; M. Hilf, Freiheit des Welthandels contra Umweltschutz?, NJW 2000, 481 ff.; vgl. unter dem Aspekt praktischer Konkordanz auch kritisch zum Regel-Ausnahme-Prinzip im EG-Recht A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 225 f., 438 ff., 230 f. 470 So gewährt Art. 104 NAFTA bestimmten multilateralen Umweltverträgen Vorrang gegenüber den NAFTA-Bestimmungen. Das Sekretariat des Washingtoner Artenschutzabkommens interpretiert Art. XX GATT als vorrangbestimmende Klausel i. S. d. Art. 30 Abs. 2 WVK zugunsten von multilateralen Umweltübereinkommen. WT/CTE/ W/165 vom 13.10.2000. Dies wird aber von den WTO-Mitgliedern nicht unterstützt. 471 Vgl. z. B. Vorrang der UN-Charta nach deren Art. 103; Vorrang des Seerechtsübereinkommens nach dessen Art. 311 Abs. 2; dazu J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, S. 74 ff. 472 Vgl. letzte und drittletzte Erwägung der Präambel des Biosicherheitsprotokolls (Cartagena-Protokoll, ILM 39 (2000), 1027, in Kraft getreten am 11.9.2003, siehe unter: www.biodiv.org/biosafety), aus der sich die Anordnung der Gleichrangigkeit und gegenseitigen Unterstützung der beiden Vertragssysteme ergibt. Es ist das erste völkerrechtlich bindende Übereinkommen über den grenzüberschreitenden Transport, die Handhabung und den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen. Dazu J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, S. 78 f., 413 ff. 473 S. Oeter, Chancen und Defizite internationaler Verrechtlichung, S. 54.

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lichkeit hänge aus realistischer Sicht davon ab, ob die Praxis ihre Anerkennung erweist.475 In Menschheitsbelangen (z. B. Umweltschutz) bleibt es oft kompromißhaft, materiell offen und ungenau.476 Seine Geltung hängt, weil die Selbstbestimmung des Menschen im Völkerrecht zwar deklariert (vgl. Art. 1 AEMR), aber keine allgemeine völkerrechtliche Prämisse ist, nicht von einer freiheitlichen Rechtsetzung ab. Seine Verbindlichkeit ist auch materiell ungesichert. Insgesamt mangelt es, wie Wolfgang Graf Vitzthum feststellt, der Völkerrechtsordnung weitgehend an „Regeln, Institutionen und Verfahren, mittels derer das internationale Gemeinwohl – also das, was Frieden und Gerechtigkeit im Kreise der Rechtsgenossen gewährleistet, . . . definiert, normativ fixiert und durchgesetzt werden kann“.477 Im dualistischen Konzept von Völkerrecht und nationalem Recht bleibt die Völkerrechtsordnung auch deshalb unvollkommen, weil sie der Transformation in das innerstaatliche Recht oder zumindest eines Vollzugsbefehls durch einen innerstaatlichen Rechtsakt bedarf.478 Es kann nur auf der Basis des guten Willens der Staaten oder der Staatengemeinschaft und oft nur im Wege der Selbsthilfe durchgesetzt werden. Die effektive rechtliche Bindungswirkung des Völkerrechts bleibt damit weit gegenüber der des staatlichen Rechts zurück. Weil die Staaten selbst keine vollkommenen Rechtsordnungen, also vollendete Rechtsstaaten sind und als solche nach innen und außen handeln, also das Recht beachten, beseitigt das genossenschaftliche Völkerrecht den Naturzustand zwischen den Staaten nur begrenzt. „Denn nicht jeder Vertrag beendet den Naturzustand unter den Menschen, sondern nur jener, in dem sie gegenseitig übereinkommen, eine Gemeinschaft einzugehen und einen politischen Körper zu bilden.“ (Locke)479 Den durch das Versagen staatlicher Ordnungen verursachten Naturzustand kann und will das auf der gleichen Souveränität der Staaten basierende Völkerrecht nicht aufheben. Im übrigen kann mit den Mitteln der Außenpolitik (namentlich durch Verträge), mit der das Völkerrecht vorangebracht wird, keine auf der Selbstbestimmung der Menschen gründende Weltinnenpolitik480 betrieben werden. Dafür müßte die Legitimationsbasis erweitert und eine weltbürgerliche Verfassung geschaffen werden. Dem steht aber entgegen, daß das Völkerrecht seinem Wesen nach nicht darauf ange474

H. L. A. Hart, Concept of law, 1961, S. 231. H. L. A. Hart, Concept of law, S. 229. 476 Vgl. S. Oeter, Chancen und Defizite internationaler Verrechtlichung, S. 61. 477 W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 33, Rn. 45. 478 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 215 f.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil 1, DSWR 1999, 18 f. 479 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, II, § 14, S. 208; vgl. auch Hobbes, Leviathan, II, 17. Kap. (S. 151). 480 Zu diesem Begriff C. F. von Weizsäcker, Das ethische Problem der modernen Strategie, in: EA (1969), 191; zu den Inhalten D. Senghaas, Weltinnenpolitik, EA 47 (1992), S. 643 ff.; U. Bartosch, Weltinnenpolitik, 1995, S. 17 ff. 475

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

legt ist, den Primat der Subjektstellung der Staaten zugunsten der Rechtssubjektivität des Individuums und eines Weltbürgerstatus zu verbessern. Insoweit verbleibt zwischen Völker- und staatlichem Recht eine rechtlich nicht oder nur schwach gesicherte Lücke. Um das Rechtsprinzip zu verwirklichen, bedarf das Völkerrecht der Ergänzung481, jedenfalls durch die staatlichen Ordnungen, gegebenenfalls auch durch ein Weltrecht.

C. Grundprinzipien des Völkerrechts Den unter A erörterten Merkmalen entsprechen als normatives Substrat die folgenden Grundprinzipien des Völkerrechts: • Prinzipien der souveränen Gleichheit der Staaten • Effektivitätsprinzip • Prinzip der Selbsthilfe • Prinzip pacta sunt servanda • Vertragsfreiheit • Reziprozitätsprinzip • bona fides-Prinzip • Prinzip der Kollektivhaftung • Prinzip der Nichteinmischung • Prinzip der Staatenimmunität • Gewaltverbot • Selbstbestimmungsrecht der Völker I. Souveränität der Staaten Das Völkerrecht basiert, ausgehend von der Idee des nationalen Territorialstaates und vom völkerrechtlichen Staatsbegriff (dazu 1. Teil, A), auf dem Prinzip der Souveränität der Staaten482, das untrennbar mit dem Prinzip der Gleichheit der Staaten verbunden ist. Auch in Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta ist die 481 A. Verdross, Völkerrecht, S. 125 f.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 37 f.; W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 377, 380. 482 Dazu H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), S. 1 ff.; H. Quaritsch, Souveränität, 1986, S. 13 ff.; A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HStR, Bd. II, 2004, § 17, S. 144 ff.; G. Mairet, Le principe de souveraineté, 1996; A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 4 ff.; ders., Völkerrecht, S. 6 ff.; F. Fardella, Le dogme de la souveraineté de l’État, Arch.phil.droit 41 (1997), S. 115 ff.; vgl. auch D. Held, Democracy and the Global Order, 1995, S. 74 ff.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 49 ff.

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„souveräne Gleichheit der Staaten“ verankert.483 Nahezu alle völkerrechtlichen Grundsätze und Rechtssätze lassen sich daraus ableiten.484 Nur souveräne Staaten besitzen die umfassende völkerrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit.485 Je nach Denkansatz kann der Begriff der Souveränität als geschichtlichsoziologischer oder als juristisch-normativer486, als formaler oder materialer, als absoluter oder relativer Begriff aufgefaßt werden.487 Im Begriff der Souveränität spiegelt sich das Verhältnis von Sein und Sollen, von Interesse und Recht.488 1. Souveränität als Herrschaft Die Staatensouveränität, welche dem Staat eine eigene Rechtspersönlichkeit zumißt, ist aus der Souveränität des Fürsten entstanden.489 Erst im Mittelalter, im Kampf der Landesfürsten gegen den Anspruch Karls des Großen auf Weltherrschaft durch ein erneuertes Römisches Reich begann ihre Entwicklung.490 Der Vertrag über den Westfälischen Frieden von 1648 ist das erste völkerrechtliche Dokument, in dem die Staatensouveränität, die sich im 19. Jahrhundert vollendet hat, schriftlich bestätigt wird.491 Entscheidend geprägt haben die Vorstellung von der Souveränität des Staates Bodin492 und Hobbes493. Bodin definiert die Souveränität als absolute und ewige Macht des Staates, die sich in der Befugnis ausdrückt, für die Rechts483 A. Bleckmann, in: B. Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 1 ff. 484 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 51, Rn. 147; ders., in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 10 ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 33, Rn. 45. 485 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 159 ff., S. 223, § 378; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 106 ff.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 206, Rn. 69. 486 Dazu M. Baldus, Zur Relevanz des Souveränitätsproblems, Der Staat 36 (1997), 381 ff. 487 P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 259 (265). 488 P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 266. 489 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 275; H. Quaritsch, Souveränität, S. 14 ff.; J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/ 98, S. 66; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 26 ff., § 31 ff.; O. Kimminich, Völkerrecht, S. 64. 490 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 25 f., § 31 f.; vgl. auch H. Quaritsch, Souveränität, S. 34 ff., 49 ff. 491 Abgedruckt in: K. Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 1913, Nr. 197; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 64; G. Gottlieb, Nation Against State, S. 24. 492 Bodin, Les six livres de la république (1576), 1986, I, 8. Kap.; vgl. dazu H. Quaritsch, Souveränität, S. 39 ff., R. Knieper, Nationale Souveränität, 1991, S. 64 ff. 493 Hobbes, Leviathan, II, 16., 17. Kap.

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unterworfenen ohne deren Zustimmung Recht zu setzen, allerdings beschränkt durch die göttlichen Gebote, die natürlichen Gesetze und „plusieurs loix humaines communes à tous peuples“.494 Die Souveränität schloß nicht die Bindung an das Naturrecht und an völkerrechtliche Verträge aus.495 Bodin war der Ansicht, das Souveränitätsrecht könne es im strengen Sinn nur in einer Monarchie geben; denn nur ein einziger könne im Staat souverän sein.496 Unter dem Mantel der Souveränität entfaltete sich der Absolutismus gegen Reich, Stände und Kirchen und begründete damit die „Einheit des Staates“.497 Nach Francisco Suarez und Hugo Grotius ist ein Staat, wenn er auch dem Recht untersteht, solange souverän, als er sein eigener Richter ist, also keine überstaatliche Entscheidungsmacht existiert.498 Hegel hat den souveränen National- und Territorialstaat als „die Wirklichkeit der sittlichen Idee“499, als die Entfaltung des Weltgeistes gefeiert.500 Völkerrechtliche Verträge könnten aus seiner Sicht den souveränen Staat nicht rechtlich binden.501 Bis heute wird das Prinzip der Souveränität, das vom Positivismus übernommen worden ist502, mit einem „Zuhöchstsein“503, jedenfalls mit dem Herrschaftsdenken verbunden504. Die juristische Person Staat, die den Monarchen ersetzt505, soll über Personen und über ein Territorium herrschen506. Carl Schmitt hat die Hobbessche Stellvertretung zur Repräsentation eines Staates 494

Bodin, Les six livres de la république, I, 8. Kap. Bodin, Les six livres de la république, I, 8. Kap.; dazu H. Quaritsch, Souveränität, S. 51 ff. 496 Bodin, Les six livres de la république, VI, 4. Kap.; vgl. auch Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 279. 497 P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92, S. 265; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2003, S. 68 ff.; H. Quaritsch, Souveränität, S. 58 ff., 92 ff., 108 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 851 ff. 498 F. Suárez, De triplici virtute theologali, 1622, III, De bello, § 2.; H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, 1. Buch, 3. Kap. VII. 1. 499 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 257. 500 Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), Ausgabe 1986, Bd. 10, Werke 10, 3. Teil, Die Philosophie des Geistes, 2. Abteilung C.c., S. 330 ff.; Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 257 ff. 501 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 330, 333. 502 A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 28 f. P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92, S. 265. 503 H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), 22; A. Bleckmann, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 12; P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 262 weist darauf hin, daß sich dieses Verständnis auf dem Rückzug befinde. 504 W. v. Simson, Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart, 1965, S. 19; vgl. auch Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, in: H. Brunkhorst/M. Kettner, Globalisierung und Demokratie, S. 131 (137 ff.); kritisch dazu P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 277; allg. kritisch zum Herrschaftsdenken K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 71 ff. 505 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 1999, S. 60. 495

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verändert, welcher nicht lediglich die Vereinigung von Menschen, sondern das Volk als eine „politische Einheit“, unabhängig von den einzelnen Bürgern, sei. Die Repräsentanten eines solchen Volkes sind Herrscher über das Volk als Bürgerschaft. „Das Persönliche des Staates liegt nicht im Staatsbegriff, sondern in der Repräsentation“ (Carl Schmitt)507. Auch Hans Kelsen meint508, der Staat sei als „anonyme Person . . . Subjekt der Herrschaft“. Richtig erkennt Kelsen den ideologischen Charakter der Staatspersonifizierung, der „das dem demokratischen Empfinden unerträgliche Faktum einer Herrschaft von Mensch über Mensch“ verschleiern soll.509 In „verräumlichender, das Recht als menschliche Ordnung vernachlässigender Denkweise“510, wird zwischen „subordinationsrechtlicher“511, „innerer“ und koordinationsrechtlicher, „äußerer“ Souveränität unterschieden.512 Das Prinzip der inneren Souveränität verlange, daß die Gesellschaft so strukturiert ist, daß der Wille des Souveräns sich gegen alle Widerstände durchsetzt und damit die Einheit der staatlichen Ordnung gewährleistet.513 Emeric de Vattel hat den Grundsatz der Souveränität für das Völkerrecht geformt.514 Er hat drei Merkmale der völkerrechtsrelevanten Souveränität herausgearbeitet: Selbstregierung, Unabhängigkeit von anderen Staaten und Völkerrechtsunmittelbarkeit, d. h. die Berechtigung einer Nation, unmittelbar in der Staatengemeinschaft mitzuwirken, wofür wiederum die Fähigkeit zur Selbstregierung vorausgesetzt wird.515 Die internationale Anerkennung als „gleiches“ und „unabhängiges“ Mitglied des Staatensystems beruht einerseits auf der Fä506 Vgl. G. Gottlieb, Nation Against State, S. 14 f.; kritisch zur praktizierten Vermengung der Begriffe von Souveränität als höchster Rechtsautorität und Handlungsfreiheit des Staates H. Kelsen, Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, ZaöRV 19 (1958), S. 234 (245 f.); W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1999, S. 95 f. 507 C. Schmitt, Verfassungslehre, (1928), 1993, S. 214, unter Berufung auf Hobbes, dessen Lehre Schmitt nicht gerecht wird; dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 735 ff., auch S. 100 ff., 139 ff. 508 H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1929, S. 11; ders., Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 325 („Personifikation des Staates“). 509 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 11 f.; vgl. auch ders., Allgemeine Staatslehre, S. 325. 510 Kritisch P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 266. 511 Hierzu kritisch P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 268. 512 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 278, 321 ff.; A. Bleckmann, in: B. Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 11 ff.; ders., Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 502; vgl. C. Hillgruber, Der Nationalstaat in übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, 2004, § 32, S. 929, Rn. 53 ff. 513 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 502. Kritisch zu dem subordinationsrechtlichen Ansatz P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 262 ff. 514 E. de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle (1758) 1916, livre I, Kap. I, I, § 4; vgl. dazu H. Quaritsch, Souveränität, S. 103 ff.

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higkeit zur Rechtsdurchsetzung nach innen (sogenannte innere Souveränität) und andererseits auf der Kapazität, sich in der anarchischen Machtkonkurrenz der Staaten untereinander zu behaupten und voneinander unabhängig, also nicht fremder Staatsgewalt unterworfen, zu sein (sogenannte äußere Souveränität).516 Aus dem Recht der Unverletzlichkeit des Territoriums und der politischen Unabhängigkeit folgt das Recht auf Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta) gegen Angriffe auf die staatliche Integrität.517 Das Prinzip der äußeren Souveränität geht vom Pluralismus der politischen Einheiten aus. Erst als es verschiedene souveräne Staaten gab, die sich als gleich achteten, konnte sich das Völkerrecht als internationales Recht entwickeln.518 Die Verbindlichkeit des Völkerrechts hängt vom „Bindungswillen der Staaten“ und somit von ihrer (äußeren) Souveränität ab.519 Haben die Staaten keinen Bindungswillen, ist das Prinzip äußerer Souveränität extrem verwirklicht und die Staaten sind durch keinerlei gemeinsame Rechtsordnung verbunden. Die Staaten stehen dann nicht nur in dem von den Gesellschaftsvertragslehren vorausgesetzten hypothetischen520, sondern in einem realen „Naturzustand“.521 In diesem besteht die Gefahr des Krieges aller gegen aller.522 Seinen Wurzeln in der Fürstensouveränität entsprechend, ist das völkerrechtliche Prinzip der Souveränität mit der Vorstellung einer „Persönlichkeit“, ja sogar einer „Ehre“, die der Staat innehaben soll, verbunden523, obwohl diese ausschließlich Eigenheiten des Einzelmenschen sind524. Das Völkerrecht achtet die 515

E. de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, livre I, Kap. I,

§ 4. 516 J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 131 f.; J. Delbrück, Souveränität und Nationalstaat im Wandel, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, S. 192 ff.; vgl. auch Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 331; H. Quaritsch, Souveränität, S. 62 ff. 517 Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 332, Rn. 13. 518 H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 3 f. 519 J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98, S. 66; dazu auch A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 60 ff. 520 Vgl. für das Verhältnis der Einzelnen Hobbes, Leviathan, 2. Teil, 17. Kap., S. 151. 521 H. Steiger, Frieden durch Institution, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, S. 145. 522 Hobbes, Leviathan, 17. Kap., S. 151 ff.; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 466 (A 215/B 245) ff.; vgl. aber auch Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, S. 201 ff., § 4 ff., S. 209 ff., § 16 ff., 209 ff., der zwischen Natur- und Kriegszustand differenziert; vgl. auch A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 504. 523 Vgl. dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 274 ff.; Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 332, Rn 14. 524 Vgl. K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986, S. 17 ff., 261 ff., 275 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 89; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 282.

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staatlichen Befugnisse und die Integrationsinteressen am Gebiet, an den Staatsangehörigen und an der staatlichen Organisation. Sie verbietet die Herrschaft eines Staates oder einer Internationalen Organisation über einen anderen Staat.525 Aus der Staatensouveränität ist der liberalistische, den Staatswillen als wichtigste Grundlage der Völkerrechtsordnung betonende Grundsatz der Handlungsfreiheit der Staaten geschlossen worden.526 Aufgrund ihrer Souveränität dürfen die Staaten z. B. allein darüber entscheiden, mit wem sie Handel zulassen wollen und zu welchen Bedingungen. Derzeit kennt das geltende Völkergewohnheitsrecht keinen Anspruch auf Handelsbeziehungen oder gar ein Recht auf Handelsfreiheit.527 2. Souveränität als Selbstbestimmung Seit Locke528, Rousseau529, der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (1776) und der Französischen Revolution (1789) beanspruchte die Volkssouveränität530, die Selbstbestimmung des Volkes, die Fürsten- und die daraus entwickelte Staatssouveränität abzulösen. In der britischen Doktrin ist von der „sovereignty of Parliament“ die Rede.531 Somit zeigt sich die Souveränität als geschichtlicher, sich fortentwickelnder Begriff.532 Bisher entspricht die Identifizierung von Volkssouveränität und Staatssouveränität nicht dem Völkerrecht, weil der völkerrechtliche Souveränitätsbegriff nicht die Selbstbestimmung des Volkes, sondern nur die positivrechtliche Existenz der Staatsgewalt verlangt.533 Die in Art. 2 UN-Charta vorausgesetzte for-

525

A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 96. Vgl. Lotus-Urteil des StIGH im Jahre 1927, PCIJ a, No 10, Ausg. i. dt. Übers., Bd. V, 1928, 73 (89 ff.); W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 35 f., Rn. 49 f.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 61 f. 527 Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 592 f., Rn. 5; M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Wirtschaftsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 19 (2000), 48 (50). A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 61 f. Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 592 f., Rn. 5; Ein allgemeines Recht auf Marktzugang regelt auch das GATT nicht. Dazu S. Puth, WTO und Umwelt, 2003, S. 228 f. 528 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, II, §§ 134, 149, S. 283, 293. 529 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 1. Kap., S. 27. 530 Vgl. dazu W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 292 ff.; U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001, S. 90 f.; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 132 ff. 531 Dazu vgl. P. Close, The Legacy of Supranationalism, 2000, S. 48 f.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 178 m. Fn. 638. 532 J. Delbrück, Souveränität und Nationalstaat im Wandel, S. 193 ff.; vgl. auch P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 268 ff. 526

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male Gleichheit „ihrer Mitglieder“ in ihrer Souveränität betrifft nur die äußere, nicht aber auch die innerstaatliche Selbstbestimmung (der Bürger). Art. 1 Ziff. 2 UN-Charta nennt die „Selbstbestimmung der Völker“ zwar als Ziel, identifiziert Selbstbestimmung und Souveränität aber offensichtlich nicht und macht souveräne Gleichheit der Staaten auch nicht von der Erfüllung des Selbstbestimmungsrechts abhängig. Der völkerrechtliche Souveränitätsbegriff ist wesentlich gebietsbezogen534 und machtorientiert.535 Entsprechend dem zwischenstaatlichen Charakter des Völkerrechts verpflichtet das Prinzip der Souveränität die Staaten lediglich untereinander, ihre territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit zu achten. 3. Völkerrechtlich gebundene Souveränität auf der Basis der Freiwilligkeit Ob der von der Volkssouveränität losgelöste völkerrechtliche Souveränitätsbegriff der für die Rechtswissenschaft existentiellen und unverzichtbaren Forderung nach Freiheit und Recht536 gerecht werden kann, ist fraglich. Jedenfalls hat auch im Völkerrecht, zumal im Zeitalter internationaler, ja globaler Verflechtungen und der Kooperation in Internationalen Organisationen, ein von der Bindung an das (Völker-)Recht losgelöster Souveränitätsbegriff, wonach der Souverän unbeschränkt über das Recht verfügen kann537, keine Bestandsberechtigung.538 Deshalb wurde der absolute Souveränitätsbegriff zunehmend durch einen relativen, (immanent) völkerrechtlich und funktional begrenzten Begriff der Souveränität ersetzt539, wie ihn auch bereits Bodin vertreten hat540. Souve533 U. Fink, Legalität und Legitimität von Staatsgewalt im Lichte neuerer Entwicklungen im Völkerrecht, JZ 1998, S. 333 f. 534 Anders G. Gottlieb, Nation Against State, S. 24 ff. der sich für eine vom Territorium unabhängige Souveränität der Nationen ausspricht, die neben derjenigen der Territorialstaaten bestehen könne. 535 Vgl. dazu G. Schwarzenberger, Power Politics, 1964, S. 130 ff. 536 P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 278; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1 ff. 537 W. v. Simson, Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart, 1965, S. 70: Souveränität als rechtsformender, selbst aber nicht rechtlich gebundener Wille, siehe auch S. 52, 67; vgl. auch E. E. Harris, Global Governance or World Government?, in: ders./J. A. Yunker (ed.), Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 69 (70 ff.), der deshalb die Souveränität der Staaten mit dem Weltrecht für unvereinbar hält. 538 Vgl. P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 263; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2003, S. 73 ff.; M. Baldus, Zur Relevanz des Souveränitätsproblems, Der Staat 36 (1997), S. 388 ff.; Ch. Schreuer, State sovereignty and the Duty of States to Cooperate, in: J. Delbrück (Hrsg.), International Law of cooperation and State Sovereignty, 2002, S. 163 ff. 539 A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 35; ders., Völkerrecht, S. 8; P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 267, 268; M. Kriele,

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ränität als „Handlungsfreiheit“ und „Selbstbestimmung“ ist im modernen Völkerrecht kein Recht zur Beliebigkeit und Willkür, weil sie durch die gleiche Souveränität jedes anderen Staates begrenzt ist.541 Das ergibt sich auch aus Art. II Ziff. 1 OAUC542. Dieser Artikel enthält einerseits ein auf die „Personalität“ und „Handlungsfreiheit“ des einzelnen Staates bezogenes Prinzip, zu welchem insbesondere die Unverletzlichkeit der territorialen Integrität und der politischen Unabhängigkeit gehören. Andererseits weist er eine Begrenzung auf, die darin begründet ist, daß jeder andere Staat diese selbe Qualität hat.543 Die Souveränitätsgrenzen sind durch die völkerrechtlichen Grundsätze materialisiert544, in erster Linie durch den Grundsatz pacta sunt servanda sowie durch das grundsätzliche Kriegsführungsverbot.545 Weil die Staaten aufgrund der gegebenen internationalen Verpflichtungen nicht mehr in allen Bereichen, insbesondere auch nicht im militärischen, allein, sondern gemeinschaftlich mit anderen Staaten zuständig sind, mildert sich das starre „Innen-Außen-Schema“.546 Einzelstaatliche Alleinentscheidung wird zunehmend durch gemeinschaftliche Entscheidungen in Staatenverbünden und Internationalen Organisationen modifiziert.547 Als Prinzip wird die Souveränität der Staaten u. a. als Fähigkeit, sich völkerrechtlich zu binden548, gleichwohl aufrechterhalten.549, weil die Mitgliedschaft in Internationalen Organisationen auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht und Einführung in die Staatslehre, S. 50 ff.; A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HStR, Bd. II, 2004, § 17, 143, Rn. 23; C. Hillgruber, Der Nationalstaat in übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, § 32, S. 929, Rn. 46 ff.; U. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 1991, S. 244 ff.; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 58 ff.; J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, 2004, S. 75 ff.; vgl. auch W. v. Simson, Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart, S. 18, 262 f., bei dem der Begriff aber „theoretisch“ unbegrenzt bleibt, so daß er doch nichtrechtlicher Natur ist. Dazu kritisch auch A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 49 ff. 540 Dazu A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 13 ff.; R. Knieper, Nationale Souveränität, S 70. 541 Vgl. z. B. zum Umweltrecht W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 909 ff. 542 Charter of the Organization of African Unity v. 25.5.1963, UNTS 479, p. 39. 543 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 216. 544 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 275, § 454. 545 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 50 ff.; J. Rawls, Das Völkerrecht, in: S. Shute/S. Hurley (Hrsg.), Die Idee der Menschenrechte, 1993, S. 53 (60). 546 P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 269. 547 P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 286; J. Delbrück, Souveränität und Nationalstaat im Wandel, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, S. 194 ff.; vgl. auch W. v. Simson, Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart, 86; vgl. aber K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 87 ff., der auch in der internationalen Zusammenarbeit konzeptionell am Prinzip der staatlichen Alleinbestimmung festhält; vgl. auch BVerfGE 89, 155 ff.

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grundsätzlich widerruflich ist.550 Im Zeitalter der Globalisierung vermag die zwischenstaatliche Kooperation die Souveränität der Staaten gegenüber potenten nicht-staatlichen Akteuren sogar abzusichern551. II. Gleichheit der Staaten Mit der Souveränität der Staaten ist logisch die Gleichheit der Staaten verbunden.552 Die Staaten können nur unabhängig vom Willen anderer Staaten, also souverän sein, wenn sie sich ungeachtet ihrer wirtschaftlichen oder politischen Macht untereinander rechtlich als gleich (souverän) achten. Kein Staat hat deshalb das Recht, einen anderen Staat ohne dessen Zustimmung seiner Gewalt zu unterwerfen. Die „souveräne Gleichheit“ der Staaten, wie Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta formuliert, wird als essentielles Prinzip des Völkerrechts betrachtet553, wie das Begriffspaar der „souveränen Gleichheit“ zeigt.554 Das Völkerrecht versteht sich als Recht unter Gleichen.555 Auch Art. 7 OASC556, Art. 4 Abs. 1 der Konvention von Montevideo nennt die souveräne Gleichheit der Staaten als Hauptgrundsatz.557 Das völkerrechtliche Gleichheitsprinzip verbietet, zwischen Monarchien und Republiken oder zwischen Demokratien und Diktaturen zu unterscheiden oder eine bestimmte Form zu begünstigen oder zu benachteiligen.558 Aus der völkerrechtlichen Gleichheit der Staaten folgt die Stimmengleichheit unabhängig von Bedeutung und Größe des Staates bei Beschlüssen von Gremien Internationaler Organisationen.559 So hat in der UN-Generalversammlung jeder Staat nur eine Stimme (Art. 18 Abs. 1 UN-Charta). 548 StIGH, Case of the S.S. Wimledon, Series, A.1 (1923); Case National Decrees in Tunis and Morocco, Series B.5 (1923). 549 G. Gottlieb, Nation Against State, S. 19; dazu auch M. Baldus, Zur Relevanz des Souveränitätsproblems, Der Staat 36 (1997), 381 ff.; M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 173 f. 550 W. Karl, Das humanitäre Völkerrecht auf dem Weg vom Zwischenstaats- zum Weltrecht, in: Fs. K. Ginther, 1999, S. 577 (578). 551 Dazu K. D. Wolf, Die Neue Staatsräson, S. 61 ff. 552 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 288 ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 33 f., Rn. 45 f. 553 E. Vattel, Droit des gens ou principes de la loi naturelle, prél. 18, livre II, S. 161; G. Leibholz, Die Gleichheit der Staaten, AVR 10 (1962/63), S. 69 ff.; Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 328 ff.; Überblick bei W. Schaumann, Die Gleichheit der Staaten, 1957, S. 2 ff. 554 Dazu A. Bleckmann, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 1, Rn. 43 f. 555 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 292. 556 Charter of the Organization of American States v. 25.5.1963, UNTS 119, p. 3. 557 Vgl. dazu S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 224. 558 Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 331, Rn. 11.

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Die Völkerrechtspraxis kennt allerdings einige bedeutende Beschränkungen des in Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta anerkannten Grundsatzes der Gleichheit aller Mitglieder. Zusammensetzung und Status der Mitglieder im Sicherheitsrat weichen erheblich vom völkerrechtlichen Paradigma der Staatengleichheit ab, schon deshalb, weil nicht jedes Mitglied der Vereinten Nationen als Mitglied im Sicherheitsrat vertreten ist, sondern nur 15 Mitglieder (Art. 23 UN-Charta). Ungleich ist außerdem die Rechtsstellung der Sicherheitsratsmitglieder. Fünf Großmächte sind ständige Mitglieder, zehn werden unter Berücksichtigung ihres Beitrags für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit und die sonstigen Ziele der Vereinten Nationen für zwei Jahre gewählt. (Art. 23 Abs. 1 und 2 UN-Charta).560 Die ständigen Mitglieder sind privilegiert, weil ihnen ein Vetorecht eingeräumt wird.561 Nicht-verfahrensrechtliche Entscheidungen, insbesondere die in der Charta vorgesehenen Maßnahmen der friedlichen Streiterledigung und der kollektiven Sicherheit, dürfen nicht gegen die Stimme der im Sicherheitsrat vertretenen Großmächte ergehen (Art. 27 Abs. 3 UN-Charta).562 Die Differenzierung zwischen ständigen Mitgliedern mit Vetorecht und nicht ständigen Mitgliedern ohne Vetorecht ist eine erhebliche Durchbrechung des Prinzips der Staatengleichheit, die nur mit tatsächlichen, hegemonialen, machtpolitischen, mit Effektivitäts-, nicht aber mit rechtlichen Erwägungen gerechtfertigt wird.563 Ähnlich motiviert sind die Ausnahmen vom Gleichheitsprinzip im Übereinkommen des Internationalen Währungsfonds (Art. XII Abschnitt 5)564 und im Weltbank-Übereinkommen (Art. V Abschnitt 3)565 entsprechend der Finanzeinlage sowie die Vorzugstellung der zehn wichtigsten Industrienationen in Art. 7 der Satzung der Internationalen Arbeitsorganisation. Die Unterscheidung in Teil IV des GATT 1947 zwischen entwickelten und weniger entwickelten Ländern (vgl. Art. XXXVII f.) weicht von der formalen Staatengleichheit ab, findet ihre Rechtfertigung jedoch in der tatsächlichen Ungleichheit dieser Staaten und im Gedanken der Entwicklungsförderung. Die Stimmengewichtungen im EG-Vertrag für den Rat (Art. 205 Abs. 2 EGV) und in Art. 26 der Satzung des Europarates richten sich nach der Bevölkerungszahl; denn diese Organisationen haben nicht nur die Staaten, sondern auch den Bürger als Sub559 Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 329 f., Rn. 9; O. Kimminich/ S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 294; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 207, Rn. 74. 560 Dazu R. Geiger, Art. 23, in: B. Simma (Hrsg.), Rn. 7 ff. 561 K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 207, Rn. 74; K. Doehring, Völkerrecht, S. 192, Rn. 446. 562 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 103 ff.; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 423 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 192 f., Rn. 446 f. 563 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 293. 564 BGBl. 1952 II, S. 638. 565 BGBl. 1952 II, S. 664.

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jekt anerkannt (dazu 6. Teil, D, S. 816 ff.). Das macht eine Vermittlung zwischen der Gleichheit der Staaten und der Gleichheit der Bürger erforderlich, so daß keines der Prinzipien voll verwirklicht werden kann. III. Staatenkonsens Dem Prinzip der souveränen Gleichheit entspricht der Diskurs zwischen den Staaten sowie der Konsens der Staaten566; denn die rechtliche Gleichheit der Staaten impliziert, daß in der internationalen Willensbildung grundsätzlich kein Staat übergangen oder von anderen Staaten beherrscht wird.567 Könnten einzelne Staaten gegen ihren Willen überstimmt werden, würde dies ihre souveräne Gleichheit verletzen, weil sie nicht selbstbestimmt, sondern fremdbestimmt gebunden würden. Alle völkerrechtlichen Normen beruhen letztlich auf der Zustimmung der betroffenen Staaten.568 Insbesondere die Weiterentwicklung der völkerrechtlichen Regeln ist nur durch den Konsens der jeweiligen Staaten möglich.569. Beschlüsse auf internationalen Konferenzen und in den Gremien der Internationalen Organisationen sind, wenn nichts anderes vereinbart ist, nur dann verbindlich, wenn sie einstimmig ergangen sind.570 In der Praxis der Vereinten Nationen hat sich das sogenannte Consensus-Verfahren durchgesetzt.571 Anstelle einer förmlichen Abstimmung tritt die (zumeist durch informelle Verhandlungen außerhalb der öffentlichen Sitzungen vorbereitete) Feststellung, daß für einen bestimmten Antrag ein Consensus in dem Sinn erreicht ist, als kein förmlicher Widerspruch dagegen erhoben wird. Es sichert einerseits den Konsens der Beteiligten und führt andererseits zur Vereinfachung und Verkürzung des Verfahrens.

566 G. Gottlieb, Nation Against State, S. 20; D. Held, Democracy and the Global Order, S. 84; Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 331, Rn. 12; C. Hillgruber, Der Nationalstaat in übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, § 32, S. 929, Rn. 56 ff.; B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organsiation der Vereinten Nationen, in: S. 46; vgl. auch O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 293. 567 Vgl. S. Oeter, Chancen und Defizite internationaler Verrechtlichung, S. 62. 568 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 9, § 12; Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 331, Rn 12; S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 217; S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 227. 569 H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 16, 67. 570 Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 331, Rn 12; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 257, Rn. 810 f. 571 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 90, § 122; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 164 ff.; Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 108, Rn. 12.

C. Grundprinzipien des Völkerrechts

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Allerdings trifft das Konsensprinzip gerade bei großen Versammlungen und in Internationalen Organisationen auf Grenzen der Funktionsfähigkeit und der Praktikabilität572. Es muß daher durch Entscheidungsregeln, welche auch (gegebenenfalls) qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zulassen, ergänzt werden.573 Die Mehrheitsregel verstößt nicht gegen das Konsensprinzip, wenn sie vertraglich vereinbart ist und somit ihrerseits auf dem Konsensprinzip beruht.574 Der Mehrheitsentscheid bleibt ausnahmehaft.575 Sogar Beschlüsse des Rates der Europäischen Gemeinschaft, für die der EG-Vertrag ausdrücklich Mehrheitsbeschlüsse vorsieht, werden nach einem gentlemen agreement (Luxemburger Vereinbarung vom 29.1.1966) in wesentlichen Fragen, die nicht gegen die Ablehnung eines Mitgliedstaates beschlossen werden sollen576, faktisch in Einstimmigkeitsentscheidungen umgewandelt. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Praxis sogar ein Rechtsprinzip erkannt.577 Anders als die Völkerbundversammlung, die abgesehen von Verfahrensfragen, nur einstimmig entscheiden konnte578, werden die normalen Beschlüsse der UN-Generalversammlung mit einfacher Mehrheit der anwesenden und abstimmenden Mitglieder gefaßt (Art. 18 Abs. 3 UN-Charta). Beschlüsse über wichtige Fragen, wie z. B. solche der Erhaltung des Weltfriedens, bedürfen dagegen einer Zweidrittelmehrheit (Art. 18 Abs. 2 UN-Charta).579 Allerdings kann die Generalversammlung kein verbindliches Recht setzen, sondern nur Empfehlungen abgeben (vgl. Art. 10– 14, 18 Abs. 2 UN-Charta), die in Form von Resolutionen ergehen.580 Durch mit Mehrheit beschlossene Resolutionen der Generalversammlung wird also kein Staat gegen seinen Willen rechtlich verpflichtet.581 Allgemein gilt im UN-Sicherheitsrat, der bindende Beschlüsse fassen kann (Art. 25 UN-Charta), die Mehrheitsregel (Art. 27 Abs. 2 und 3 UN-Charta). Für die ständigen Mitglieder bleibt es jedoch beim Einstimmigkeitsprinzip (Art. 27 Abs. 3 UN-Charta).582

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Vgl. O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 293. Vgl. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 107 f., Rn. 10 ff., der allerdings vom „Mehrheitsprinzip“ spricht. 574 Vgl. allgemein zur Zulässigkeit der Mehrheitsregel J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, S. 392 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 119 ff. 575 W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 34, Rn. 45. 576 Dazu Th. Oppermann, Europarecht, 1999, S. 15 f., Rn. 29 f.; R. Streinz, Europarecht, 2003, S. 103 f., Rn. 264 ff. 577 BVerfGE 89, 155 (184); vgl. auch K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 106 f., 124 ff. 578 A. Verdross, Völkerrecht, S. 508. 579 Dazu V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 418 f., Rn. 33; R. Wolfrum, in: B. Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 18, Rn. 17 ff. 580 V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 420 f., Rn. 38; O. Kimminich/ S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 293. 581 Vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 409 f., § 637. 573

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

IV. Effektivitätsprinzip Unter der Effektivität des Völkerrechts versteht man dessen regelmäßige Wirksamkeit.583 Weil nur sachlich und empirisch Richtiges nach dem Wahrheitsgrundsatz Grundlage eines Rechtssatzes sein darf, sind Rechtssätze der Wirklichkeit verpflichtet.584 In jeder Rechtsordnung besteht andererseits eine Divergenz zwischen Sein und Sollen, zwischen Verfassungswirklichkeit und Verfassungsgesetz.585 Je verbindlicher, d. h. je effektiver die Durchsetzbarkeit der Rechtssätze ist, desto größer darf diese Divergenz unter Effektivitätsgesichtspunkten in einer Rechtsordnung sein. Weil die Durchsetzungsfähigkeit des Völkerrechts schwächer ist, knüpfen die Vorschriften des Völkerrechts mehr als staatliche Gesetze an erreichten Tatsachen als an materiellrechtlichen Maßstäben an.586 So wird eine Rechtsgemeinschaft völkerrechtlich nur dann als Staat akzeptiert, wenn sie ihre Ordnung regelmäßig durchgesetzt hat.587 Der Aspekt der Gerechtigkeit, die Strukturprinzipien der Freiheit, Gleichheit, Solidarität, das Rechtsprinzip treten im Völkerrecht hinter dem Effektivitätsprinzip zurück588, weil das Völkerrecht Wirklichkeit, welche gegen diese Grundsätze verstößt, toleriert. Soll das Völkerrecht sich nicht selbst als Recht aufheben, dürfen die materiell-rechtlichen Maßstäbe durch die Effektivität der Tatsachen jedoch nicht gänzlich verdrängt werden, darf das Effektivitätsprinzip nicht Oberprinzip aller rechtlichen Ordnung sein.589

582 Dazu O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 293; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 103 ff.; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 423 ff. 583 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 51; K. Ipsen, Völkerrecht, S. 46 ff. 584 Dazu K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“ im Atom- und Immissionsschutzrecht, in: W. Thieme (Hrsg.), Umweltschutz, 1988, S. 81 (106 f.); A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 60 f. 585 Vgl. dazu O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 25 ff. 586 A. Verdross, Völkerrecht, S. 133; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 83 f., Rn. 221; dazu H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 11. 587 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 51 § 69, dazu §§ 379 ff.; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 16; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 116 ff. 588 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 8, Rn. 20; vgl. auch S. 6, Rn. 12. 589 A. Verdross, Völkerrecht, S. 133; allgemein kritisch zum Effizienzprinzip unter rechtlichen Gesichtspunkten W. Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, in: Recht und Staat, 402/403 (1971), S. 58 ff.; kritisch auch A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 205 ff.

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V. Pacta sunt servanda Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ gehört zu den wichtigsten Grundsätzen des Völkerrechts.590 Teilweise wird er als Geltungsgrund des Völkerrechts überhaupt angesehen.591 Er gilt gewohnheitsrechtlich592 und ist in Art. 36 WVK positiviert: „Ist ein Vertrag in Kraft, so bindet er die Vertragsparteien und ist von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen“. Bereits in den Hauptverträgen zum Westfälischen Frieden wurde er proklamiert.593 Das Vertragsprinzip verwirklicht das Rechtsprinzip.594 Recht ist nach Kant „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“595. Weil die jeweils Betroffenen zustimmen, wird es möglich, daß die Willkür des einen mit der Willkür des anderen unter einem übereinstimmenden Willen in Einklang gebracht wird. Mithin schafft diese Übereinstimmung des Willens für die Beteiligten Recht und ist als solches verbindlich. Damit ist der Grundsatz der Vertragsbindung (pacta sunt servanda) Voraussetzung dafür, daß Verträge rechtserzeugende Wirkung haben.596 Im Völkerrecht kommt es dabei ausschließlich auf den Willen von Staaten und Internationalen Organisationen an. Nur sie können Partner völkerrechtlicher Verträge sein. VI. Vertragsfreiheit Im Völkerrecht gilt grundsätzlich Vertragsfreiheit.597 Den Partnern eines völkerrechtlichen Vertrages ist es unbenommen, diesen zu ändern (vgl. Art. 39 WVK), zu beenden (vgl. Art. 54 ff. WVK) oder einen neuen Vertrag zu vereinbaren.598 Verfahrensmäßige Begrenzungen stellen dieses Recht nicht grundsätz590 Dazu Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (ILC), ILC Report 1966, AJIL 61 (1967), S. 248 (334); M. Lachs, Pacta Sunt Servanda, in: Encyclopedia of Public International Law, Bd. III, 1997, 847 ff.; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 99 f., Rn. 210. 591 G. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatsverträge, 1880, S. 2 ff., 45; C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 88; vgl. dazu auch K. Doehring, Völkerrecht, S. 5 f., Rn. 7; dazu auch 2. Teil, A, S. 99. 592 A. Verdross Universelles Völkerrecht, S. 365, § 578. 593 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 13, Rn. 29. 594 Vgl. dazu 2. Teil, B, S. 98 ff.; 3. Teil, B, S. 206 ff., 323 ff.; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 596 ff. 595 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 337 (A 33/B 33, 34). 596 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 177. 597 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 201; vgl. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 102 ff. 598 Dazu W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 102 ff., 135 ff., 165 ff.

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

lich in Frage.599 Vertragsfreiheit verlangt auch, daß nicht freiheitlich zustande gekommene Verträge nichtig oder anfechtbar sind. Durch Zwang herbeigeführte Verträge sind nichtig (Art. 51 WVK). Irrtum oder Betrug berechtigen zur Anfechtung (Art. 48, 49 WVK). Grenzen der Vertragsfreiheit ergeben sich daraus, daß Verträge wegen des Rechtsprinzips gelten, diesem aber nicht übergeordnet sind.600 Im Völkerrecht begrenzt zugunsten der Wahrung des Rechts in gewissem, aber nicht vollständigen Umfang das sogenannte zwingende Völkerrecht (ius cogens) die Vertragsfreiheit und damit die Willkür der Staaten.601 Art. 53 Satz 2 WVK definiert zwingendes Völkerrecht als „eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Natur geändert werden kann.“ Verträge, welche gegen zwingendes Völkerrecht verstoßen, sind gemäß Art. 53 Satz 1 WVK nichtig. Entsteht neues ius cogens, so wird jeder dazu in Widerspruch stehende Vertrag nichtig und erlischt (Art. 64 WVK). VII. Reziprozitätsprinzip Im generellen Sinn begründet das Gegenseitigkeitsprinzip die Geltung von Recht, wenn dieses nicht als einseitige Anordnung, also als Herrschaft602, verstanden wird.603 Für das Völkerrecht als Koordinationsrecht ist das unstrittig. Dort bezieht sich das Prinzip der Reziprozität (Gegenseitigkeit) auf das Verhältnis zwischen den Staaten.604 Es beruht auch auf der Einsicht, daß den Interessen aller im Verhältnis souveräner Gleichheit kooperierender Staaten am besten gedient ist, wenn die Regeln des Völkerrechts, die ja auf dem Willen aller beruhen, zumindest zum Zwecke des wechselseitigen Eigennutzes605, eingehalten werden, weil die Befolgung der Regeln mehr Nutzen bringt, als die Nichtbefolgung.606 Schon die Entstehung völkerrechtlicher Normen, insbesondere durch völkerrechtliche Verträge, ist von 599

Vgl. R. Streinz, Europarecht, S. 58, Rn. 123. Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 404 ff. 601 Dazu W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 156 ff.; s. a. 3. Teil, E, S. 442 ff. 602 Vgl. zum Herrschaftsbegriff M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28, 605 f.; J. Neyer, Postnationale und politische Herrschaft, 2004, S. 25 ff. 603 Dazu G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 38 ff., 54 ff., 113 ff., 144 ff. 604 Dazu B. Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, 1972; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 48 ff., § 64 ff.; zum Reziprozitätsprinzip im WTO/GATT-Recht D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 91 f., 203 ff. 605 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 226 (A 180). 600

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diesem Grundsatz bestimmt, d. h. von der Erwartung positiver Gegenleistungen und dem Bewußtsein der (schuldrechtlichen) wechselseitigen Bedingtheit vertraglicher Leistungen. (vgl. Art. 60 Abs. 1–3 WVK).607 Der Grundsatz der Gegenseitigkeit entspricht den synallagmatischen (völker-)vertraglichen Beziehungen.608 Weil eine öffentlich-rechtliche Zwangsordnung im Völkerrecht fehlt (dazu 2. Teil, B, S. 111 ff., 129 ff.), kommt dem Reziprozitätsprinzip für die subjektive Durchsetzbarkeit völkervertraglicher Rechte und Pflichten entscheidende Bedeutung zu.609 Dementsprechend beruht die erlaubte Selbsthilfe in Form von Repressalien und Repressionen ebenfalls auf dem Reziprozitätsgedanken. Vielfach macht die Erwartung gegenseitiger Vorteile den Einsatz von Zwang, um völkerrechtliche Normen durchzusetzen, überflüssig, wenn die Einhaltung völkerrechtlicher Gebote und Verbote davon abhängig gemacht wird, ob die andere Vertragsseite diese Vorschriften befolgt.610 Der Reziprozitätsgrundsatz trägt mithin zur Effektivität611 des Völkerrechts bei.612 Effektivität als relative Wirksamkeit ist mit der Durchsetzung des Völkerrechts nicht deckungsgleich. So kann die Berufung auf den Reziprozitätsgrundsatz der Durchsetzung des objektiven Völkerrechts entgegenwirken, wenn ein Staat, weil ein Vertragspartner seiner Ansicht nach völkerrechtliche Pflichten vernachlässigt, seinerseits die Einhaltung oder Durchsetzung von Völkerrecht verweigert.613 Dann verwirklicht keine Seite das Völkerrecht und es wird nicht wirksam. VIII. Bona fides Weil das Völkerrecht als „genossenschaftliches Recht“ nicht über eine institutionalisierte Staatsgewalt verfügt, welche zur Durchsetzung des Rechts befugt 606 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 226 (A 180); H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 9 ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 37, Rn. 52; D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 204 f. 607 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 49, § 64; K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 45, Rn. 11. 608 Dazu O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 298 ff.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 84, Rn. 222; vgl. auch Art. 320 ff. BGB. 609 In bezug auf das GATT: D. I. Siebold, Der Fall Bananenmarktordnung, S. 250; dies., Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 203 ff. 610 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 48 ff., §§ 64 ff., S. 511 ff. 611 Zum Effektivitätsgrundsatz H. Neuhold, Abgrenzungen, Strukturmerkmale und Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 11; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 51 f., § 68 ff. 612 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 49, § 65. 613 Siehe dazu D. I. Siebold, Der Fall Bananenmarktordnung, S. 247 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 167 ff.

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

ist, können die völkerrechtlichen Normen nur wirksam werden, wenn die Staaten die übernommenen Verpflichtungen nach Treu und Glauben erfüllen (vgl. Art. 2 Ziff. 2 UN-Charta, Art. 26 WVK).614 Auch im Zeitalter der organisierten internationalen Gemeinschaft basiert die Wirksamkeit des Völkerrechts noch immer wesentlich auf dem bona fides-Prinzip, d. h. auf dem einvernehmlichen Zusammenwirken der Staaten und deren guten Willen, das Recht zu achten.615 Die Bestimmungen der UN-Charta, wie z. B. das Ziel des Menschenrechtsschutzes nach Art. 56, können nur erfüllt werden, wenn die Mitglieder der UNO nach Treu und Glauben zusammenarbeiten.616 Ausnahmsweise gibt es aber auch strikte Verbindlichkeiten, die unabhängig vom guten Willen eines Staates durchsetzbar sind: So ist der UN-Sicherheitsrat befugt, gegen einen Staat Zwangsmaßnahmen zu verhängen, der den Weltfrieden bedroht, eine Angriffshandlung oder einen anderen Friedensbruch begangen hat (Art. 39 ff. UN-Charta).617 Die Erfüllung der Friedenspflicht hängt somit nicht mehr allein vom guten Willen der Staaten ab.618 Sie ist eine Rechtspflicht i. e. S.619 Ihre Verbindlichkeit wird allerdings durch das Vetorecht der Mitglieder des Sicherheitsrates (Art. 27 Abs. 2 und 3 UN-Charta) eingeschränkt, weil das Einschreiten des Sicherheitsrates nicht erzwungen werden kann. Er soll lediglich bona fides vorgehen.620 IX. Kollektivhaftung Die Vorschriften des Friedensvölkerrechts berechtigen und verpflichten nur „souveräne Rechtsgemeinschaften“621, nicht deren Organe oder sonstige Angehörige. Völkerrechtliches Unrecht verantwortet nach dem Grundsatz der Kollektivhaftung das gesamte Volk einschließlich seiner Organe.622 Der Gedanke, Staaten für bestimmtes, von ihnen begangenes Unrecht international zur Verant614 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 60 ff., S. 46 ff.; J. P. Müller, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 2, Rn. 1 ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 33 f., Rn. 45; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 90 ff.; IGH, Australia vs. France, (nuclear tests) ICJ Rep. 1974, 268 (473); vgl. auch IGH, Continental Shelf, ICJ Rep. 1969, 47. 615 Vgl. dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 131 f.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 90 f. 616 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 47. 617 Dazu 6. Teil, C, S. 717 ff. 618 A. Verdross, Völkerrecht, S. 131. 619 Vgl. dazu A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 122 ff. 620 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 47. 621 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 35. 622 Vgl. schon H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, 3. Buch, 2. Kap., II/1, S. 434; dazu H. Kelsen, Unrecht und Unrechtsfolge im Völkerrecht, ZöR 12 (1932), 481 ff.; A. Verdross, Völkerrecht, S. 123 ff.

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wortung zu ziehen, ist in Teil I, Art. 19 der Draft Articles on State Responsibility623 aufgegriffen worden.624 Das Völkerrecht rechnet dem Volk die Taten seiner Regierung zu, unabhängig davon, ob diese tatsächlich durch das Volk legitimiert ist und ihre Handlungen auf dem Willen des Volkes beruhen.625 Wirksam wird der Grundsatz der Kollektivhaftung etwa, wenn sich ein Staat gegenüber einem anderen selbst verteidigt oder zulässige wirtschaftliche Repressalien verhängt. Solche Maßnahmen greifen direkt oder indirekt in das Leben oder das Vermögen der Staatsangehörigen ein. Zum anderen trifft Kollektivhaftung auf wirtschaftliche und militärische Sanktionen des UN-Sicherheitsrates gemäß 41 und 42 der Charta zu; denn Adressat dieser Maßnahmen ist in der Regel der Staat oder das staatlich organisierte Volk.626 Eine indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Individuen kennt das Friedensvölkerrecht, indem es die Staaten verpflichtet, jene als staatliche Organe handelnden Personen nach ihrem eigenen staatlichen Recht zur Verantwortung zu ziehen, die durch ihr völkerrechtswidriges Verhalten einen fremden Staat geschädigt haben.627 Eine individuelle Haftung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit sieht dagegen das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vor, was als weltrechtliche Entwicklung vorgestellt wird (dazu 6. Teil, F, S. 983 ff.). X. Nichteinmischung (Interventionsverbot) Aus den Prinzipien der Souveränität und der formalen Gleichheit der Staaten folgt der völkerrechtliche Grundsatz der Nichteinmischung in die Willensbildung oder in die (inneren) Angelegenheiten eines Staates.628 Einmischungen 623 Zu Stand und Inhalt der Kodifikationsentwürfe zum Recht der Staatenverantwortung; Resolution der UN-Generalversammlung A/Res/56/83 v. 12.12.2001; Ch. J. Tams, All’s Well That Ends Well. Comments on the ILC’s Articles on State Responsibility, ZaöRV 62 (2002), S. 759 ff. 624 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 132. 625 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 74 f.; vgl. auch A. Verdross, Völkerrecht, S. 124 f. 626 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 36. 627 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 37, genauer S. 260 ff. 628 Dazu H. Mosler, Die Intervention, 1937, S. 11; H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), S. 20 ff.; Ph. Kunig, Das völkerrechtliche Nichteinmischungsprinzip, 1981; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 300, Rn. 490; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 183 ff.; J. Berstermann, Das Einmischungsverbot im Völkerrecht, 1991; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch kollektive Zwangsmaßnahmen der Staatengemeinschaft, 2000, S. 22 ff.; Ch. Hillgruber, Friedenssicherung durch Einmischung?, in: H. Neuhaus (Hrsg.), Sicherheit in der Welt heute, 2001, S. 27 (32 ff.).

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

von Drittstaaten in die inneren Angelegenheiten eines Staates sind grundsätzlich ausgeschlossen (Interventionsverbot).629 Einmischung oder Intervention im weiteren Sinn kann als Verhalten verstanden werden, durch das auf einen anderen Staat, insbesondere auf dessen Gebiet, (ohne dessen Zustimmung) Einfluß gewonnen werden soll, um diesen zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen.630 Im engsten Sinn reduziert sich der Begriff der Intervention auf physischen Zwang oder Androhung desselben.631 Ebenfalls dem engeren Interventionsbegriff zugeordnet wird jedes „empfindliche Übel, das dazu bestimmt und geeignet ist, den Willen des betroffenen Staates zu beugen oder zu brechen“.632 Im Sinne eines weiteren Interventionsbegriffs versteht die Völkerrechtspraxis633 unter Intervention – über die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt hinaus – auch andere Formen nötigender Beeinflussung634, namentlich wirtschaftliche und politische Pressionen (z. B. Handelsembargos). Der Internationale Gerichtshof hat im Nicaragua-Fall formuliert: „The principle of non-intervention forbids all States to intervene directly or indirectly in the internal or external affairs of other States“.635 Oft wird die Intervention als nicht gerechtfertigter Eingriff eines Staates in die Rechte eines anderen Staates definiert.636 Maßstäbe für die Staats- oder Regierungsform stellt das Völkerrecht wegen der souveränen Gleichheit der Staaten und dem daraus gefolgerten Nichteinmischungsverbot nicht auf.637 Das Nichteinmischungsprinzip schützt nach der 629 A. Pauer, Die humanitäre Intervention, 1985, S. 9 ff.; H. Rumpf, Der internationale Schutz der Menschenrechte und das Interventionsverbot, 1981, S. 51; Th. Oppermann, Stichwort: Intervention, Encyclopedia of Public International Law, 1995, S. 1436; eingehend zum Interventionsverbot K. Ebock, Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 79 ff. 630 G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 36; H.-J. Blanke, Menschenrechte als Interventionstitel, AVR 36 (1998), S. 258; A. Pauer, Die humanitäre Intervention, S. 23; vgl. zum Interventionsbegriff auch K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch kollektive Zwangsmaßnahmen der Staatengemeinschaft, S. 44 ff.; J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 423 ff. 631 J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 423. 632 J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 425; zu den verschiedenen Inhalten des Begriffs auch Th. Schilling, Zur Rechtfertigung der einseitigen gewaltsamen humanitären Intervention als Repressalie oder Nothilfe, AVR 35 (1997), S. 430 ff. 633 Sie bleibt bei J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, S. 421 ff. unberücksichtigt. 634 Vgl. IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 14 para. 205; IGH, Certain Expenses of the United Nations (Article 17, paragraph 2 of the Charter), Advisory Opinion, ICJ Rep. 1962, 151, 164–165; ausführlich zum Interventionsbegriff K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 34 ff., 44 ff.; vgl. allgemein zum Zwang im Völkerrecht A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 139 ff. 635 IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 169 ff. 636 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 295. 637 H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 373 f. (Rn. 4 f.); IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 133: „adherence by a State to any particular doctrine

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Völkerrechtspraxis selbst Regierungen vor Nichteinmischung, welche die Menschenrechte gegenüber ihrer Bevölkerung verletzen.638 Dokumentieren läßt sich die Geltung des Nichteinmischungsprinzips anhand von Resolutionen der Generalversammlung639. Die Helsinki-Schlußakte vom 1.8.1975 beginnt mit der gegenseitigen Versicherung der Achtung souveräner Gleichheit, territorialer Integrität, der Freiheit und politischen Unabhängigkeit jedes Teilnehmerstaates. Korb 1, Kapitel VI der Akte bekräftigt ausdrücklich das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten der Teilnehmerstaaten. Sogar in der Präambel des Internationalen Strafgerichtshofs (8. Erwägung), der institutionalisiert wurde, weil jedenfalls Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht als innere Angelegenheit angesehen werden, wird das Nichteinmischungsprinzip hervorgehoben. Auch die Vereinten Nationen als Organisation sind gemäß Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta gegenüber den Einzelstaaten grundsätzlich an das Interventionsverbot gebunden. Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta verbietet den Vereinten Nationen, „in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“, einzugreifen.640 Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn der Sicherheitsrat eine Bedrohung des internationalen Friedens festgestellt hat und Kapitel VII der UN-Charta es ihm ermöglicht, Zwangsmaßnahmen zu ergreifen. Nach Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta wird „die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII . . . durch diesen Grundsatz nicht berührt“. Der Tatbestand der Intervention wandelt sich dann ausnahmsweise zu einer Maßnahme kollektiver Sicherheit. Eine generelle Befugnis Internationaler Organisationen oder der Staatengemeinschaft, sich in innere Angelegenheiten der Staaten einzumischen, würde die Souveränität der Staaten verletzen und das koordinationsrechtliche Völkerrecht in ein öffentliches (Subordinations-)Recht verwandeln. Eine grundsätzliche kollektive Einmischungsbefugnis würde nicht nur ein allgemeines Interesse der Staatengemeinschaft an der Einhaltung des Rechts voraussetzen641, sondern auch einen Weltstaat schaffen.

does not constitute a violation of customary international law; to hold otherwise would make nonsense of the fundamental principle of State sovereignty, on which the whole international law rests, and the freedom of choice of the political, social, economic and cultural system of a State“. 638 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 343. 639 A/Res/2131, XX vom 21.12.1965 („Declaration on the Inadmissibility of Intervention in the Domestic Affaires of States and the Protection of their Independences and Sovereignty“), abgedruckt bei: F. Knipping/v. Mangoldt/Rittberger, Das System der Vereinten Nationen und seine Vorläufer, Bd. I/1, 1995, Doc. 11; A/Res/2625, XXV, vom 24.10.1970 („Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Cooperation among States“, abgedruckt ebenda, Doc. 13; A/Res/3281, XXIX vom 12.12.1974 („Charta of Economic Rights and Duties of States“). 640 G. Gottlieb, Nation Against State, S. 90. 641 E. Strauß, Die Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, MRM, Dezember 1997, S. 16.

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

Manche Autoren befürworten in weiter Auslegung des Friedensbegriffs ein Eingreifen der Vereinten Nationen aus verschiedenen existentiellen Nöten, insbesondere, um bei Naturkatastrophen, bewaffneten Konflikten, schweren Bedrohungen für die Umwelt, der Verhütung von Völkermord, der Bekämpfung von Massenvernichtungsmitteln zu helfen.642 Solche Ansätze, welche nicht mehr strikt am Grundsatz der Nichteinmischung festhalten oder den Begriff der „inneren Angelegenheiten“ enger definieren, zeigen sich auch in der Praxis der Vereinten Nationen.643 So haben die Vereinten Nationen eine aktive Rolle bei der Organisation nationaler Wahlen in Nicaragua und in Namibia eingenommen. Früher wäre dies als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückgewiesen worden.644 Nicht immer lassen sich innere von äußeren Angelegenheiten klar trennen, nämlich dann, wenn sich die Innenpolitik eines Staates auf Verhältnisse in anderen Staaten auswirkt und damit dessen Souveränitätsinteressen berührt. Wenn in einem Staat A ein Kernkraftwerk in der Nähe der Grenze zu Staat B genehmigt wird, das den Sicherheitsstandards des Staates B nicht entspricht, darf sich die Regierung von Staat B dazu berufen fühlen, sich mit der Regierung von Staat A ins Benehmen zu setzen und ihre Zweifel an der Sicherheit des Unternehmens kundzutun. Wegen des Grundsatzes der Nichteinmischung ist die Regierung von Staat B aber nicht befugt, die Entscheidung der Behörde des Staates A aufzuheben, anzufechten oder die eigenen Standards vorzuschreiben. Sie kann jedoch einen Diskurs und Verhandlungen über den einzuhaltenden Stand von Wissenschaft und Technik initiieren und fordern, der über die Staatsgrenzen hinausreicht. Wenn die nationale Prozeßordnung des Anlagenstandorts es zuläßt, können Betroffene aus Nachbarstaaten gegen den Anlagenstaat auf Unterlassung klagen.645 Eine Pflicht der Staaten, solche Klagen zu gestatten, kennt das allgemeine Völkerrecht bisher nicht; weil sich subjektive Rechtspositionen in der Regel nicht unmittelbar aus dem Völkerrecht, sondern erst vermittelt durch die staatlichen Rechtsordnungen ergeben (2. Teil, B, S. 119 ff.). Aus dem Prinzip der Souveränität und der Nichteinmischung folgt das Territorialprinzip. Dieses „wird von der Vorstellung beherrscht, daß die Bestimmungen des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht über die Landesgrenzen des rechtsetzenden Staates hinauswirken.“646 Sie dienen nur dem Wohl der eigenen 642 G. Gottlieb, Nation Against State, S. 91; vgl. zur Lehre von der humanitären Intervention 6. Teil, F, S. 935 ff. 643 Dazu ausführlich unter 6. Teil, F, S. 947 ff. 644 G. Gottlieb, Nation Against State, S. 18. 645 Dazu U. Beyerlin, Klagebefugnis von Ausländern gegen grenzüberschreitende Umweltbelastungen: Anmerkung zu Tribunal administratif Strasbourg 27.7.1983, ZaöRV 44 (1984), S. 336 ff.; BVerwGE 75, 285 ff. 646 BGHZ 31, 367 (371).

C. Grundprinzipien des Völkerrechts

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Bürger.647 Anders als die Zwangsgewalt kann die sachliche Regelungsbefugnis der Staaten in Abkehr vom Territorialprinzip über das staatliche Gebiet hinaus gehen, wenn es hierfür einen sachlichen Grund gibt. Nur wenn ein sachlicher Grund fehlt, verstößt die völkerrechtliche Regelung gegen das völkerrechtliche Mißbrauchsverbot und das Nichteinmischungsprinzip.648 Meist wird für die Ausdehnung der Regelungsbefugnis über die Staatsgrenzen hinweg eine hinreichende Verbindung zum Inland oder ein (anderer) sinnvoller Anknüpfungspunkt gefordert.649 Ein sinnvoller Anknüpfungspunkt wird nicht nur bejaht für Sachverhalte auf dem eigenen Staatsgebiet (Territorialprinzip), sondern auch wenn es um den Schutz der eigenen Bürger geht (Schutzprinzip), oder wenn sich ein ausländischer Sachverhalt wesentlich auf das Inland (Auswirkungsprinzip) auswirkt.650 Besonders im Bereich des Außenwirtschafts-, Wettbewerbs- und Kartellrechts erstreckt die Staatenpraxis häufig die Wirkung nationaler Regelungen auf Vorgänge im Ausland.651

XI. Staatenimmunität Der völkergewohnheitsrechtliche652 Grundsatz der Staatenimmunität verwirklicht das völkerrechtliche Interventionsverbot im internationalen Prozeßrecht und verbietet gerichtliche Übergriffe auf die inneren Angelegenheiten anderer Staaten.653 Staatsvertreter (z. B. Staatsoberhäupter) und bestimmte Rechtsobjekte (z. B. Truppen, Kriegsschiffe) fremder Staaten sind der Gerichtsbarkeit eines dritten Staates entzogen, genießen also Immunität.654 Der Gedanke der Immunität stammt ursprünglich aus dem Absolutismus (l’Ètat c’est moi), als der 647

G. Kegel, Internationales Privatrecht, 1995, S. 715. Vgl. IGH, 7.9.1927, Ser. A Nr. 10 (Lotus); BVerfGE 63, 343 (369); A. Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992, S. 108 ff.; enger dagegen: P. T. Muchlinski, Multinational Enterprises and the Law, 1995, S. 123. 649 BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 977, 979; vgl. auch BVerfGE 92, 277 (320 f.). 650 A. Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, S. 109. 651 Dazu U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 109 ff. 652 O. Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, AVR 41 (2003), 201 (203). 653 Dazu M. Albert, Völkerrechtliche Immunität ausländischer Staaten gegen Gerichtszwang, 1984; O. Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, AVR 41 (2003), 204 f. 654 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 219, Rn. 461, 225 f.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 207 f., Rn. 75; U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes durch weltweite Strafverfolgung, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 369 (390 ff.); vgl. Institut de Droit international, Treizième Commission, Rapporteur. J. Verhoeven, Résolution adoptée lors de la Session de Vancouver, Août 2001, in: AVR 40 (2002), S. 350 ff. 648

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

Fürst keiner Gerichtsbarkeit unterworfen werden konnte.655 Nach der absolutistischen Periode wurde die Immunität auf den Staat selbst sowie auf seine Amtsträger übertragen.656 Gefolgert wird die Immunität der Staaten657, genauer seiner Repräsentanten, heute aus der rechtlichen (souveränen) Gleichheit der Staaten.658 Weil kein Staat dem anderen übergeordnet ist, kann kein Staat sich zum Richter über einen anderen Staat erheben und ist daher vor den Gerichten anderer Staaten immun (par in parem non habet iudicationem).659 Der Schutz des fremden Staates und seiner Organe vor ausländischen Gerichten gewährleistet den Vorrang völkerrechtlicher, d. h. einvernehmlicher oder diplomatischer Streitbeilegung vor einem kontradiktorischen Verfahren.660 Allerdings kann der Staat auf seine Immunität verzichten, etwa indem er sich auf ein Verfahren einläßt.661 Weil die Staaten weltweit nicht nur hoheitlich, sondern (unter Rechtsgesichtspunkten problematisch) auch fiskalisch tätig werden662, wurde es notwendig zu unterscheiden zwischen iure imperii, die der Immunität unterliegen und iure gestionis, die grundsätzlich judiziabel sind.663 Das Prinzip der Staatenimmunität steht in Konflikt zum Prinzip individueller Verantwortlichkeit, welches dem Völkerstrafrecht und auch insbesondere dem nationalen Strafrecht zugrunde liegt.664 Am Beispiel eines Falles läßt sich dieser Gegensatz zeigen: Belgien wollte den früheren Außenminister von Kongo, 655 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 461. 656 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 179, Rn. 533. 657 Dazu R. Geiger, Staatenimmunität, NJW 1987, 1124 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 296; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 219 ff.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 207 ff.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 179 ff.; O. Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, AVR 41 (2003), 201 ff. 658 O. Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, AVR 41 (2003), 202. 659 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 179, Rn. 533.; Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 330, Rn. 10; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 207 f., Rn. 75. 660 B. Heß, Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen, in: Fs. R. A. Schütze, 1999, S. 269 (280 f.). 661 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 182, Rn. 542; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 222, Rn. 466. 662 Eingehend zur Fiskuskritik K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986, S. 5 ff., 10 ff., 17 ff., 253 ff., 261 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 190 ff. 663 Dazu Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 222 f., Rn. 466 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, Rn. 658 ff.; W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 696 (702); kritisch zum privatistischen Handeln des Staates K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986. 664 Dazu W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 696 ff.

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Abdulaye Yerodia Ndombasi, für die von ihm in seiner Amtszeit begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, vor allem schwere Verletzungen der Genfer Rotkreuzabkommen, nach dem Weltrechtsprinzip665 seiner nationalen Strafjustiz unterstellen.666 Es hat deshalb einen internationalen Haftbefehl gegen den Minister in absentia erlassen, als dieser noch im Amt war. Kongo sah darin eine Verletzung geltenden Völkerrechts. Die Immunität seines Außenministers sei verletzt. Das von Belgien beanspruchte Universalitätsprinzip reiche nicht so weit. Kongo klagte gegen Belgien auf Aufhebung des Haftbefehls und auf Wiedergutmachung. Belgien ist vom Internationalen Gerichtshof wegen Verletzung des im Interesse einer effektiven Amtsausübung während der Amtsdauer gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsatzes der Immunität, die auch für Außenminister gelte, verurteilt worden, den Haftbefehl aufzuheben.667 Die Immunität gelte auch für frühere und private Handlungen.668 Eine neue gewohnheitsrechtliche Regel, wonach die Immunität amtierender Außenminister bei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die als Verstöße gegen zwingendes Völkerrecht anzusehen seien, begrenzt sei, wollte das Gericht nicht erkennen. Nach der bisherigen Staatenpraxis relativiert selbst der Vorwurf von Verletzungen von Menschenrechten, die ius cogens darstellen, die aktiven fremden Staatsoberhäuptern traditionell zugestandene absolute Immunität (die ihrerseits nicht als ius cogens gilt669) nicht.670 Diese Staatenpraxis ist mit der rule of law nicht vereinbar. Anderes ergibt sich aus Art. 27 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Die Immunitätsbeschränkungen in den Statuten der Internationalen Gerichtshöfe gelten jedoch nach Auffassung des Internationalen Gerichtshofs nur für diese und seien keine Grundlage für eine gewohnheitsrechtliche Erstrekkung auf Verfahren vor nationalen Gerichten.671 Die in manchen völkerrechtlichen Abkommen enthaltene Verpflichtung, bestimmte Taten zu bestrafen, enthalte keine Aussage über eine Beschränkung von Immunitäten. 665

Dazu grundlegend: K. F. Gärditz, Weltrechtspflege, 2006, S. 23 ff. Zum Hintergrund dieses Falls und den damaligen Regelungen des belgischen Völkerstrafgesetzbuches Urteilsanmerkung von N. Schultz, Ist Lotus verblüht?, ZaöRV 62 (2002), S. 703 (706 ff.). 667 IGH, Urteil v. 14.2.2002, Kongo vs. Belgium, ILM 41 (2002), 536 ff.; vgl. insbes. Ziff. 51, 53, 54 des Urteils; dazu W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 696 ff.; N. Schultz, Ist Lotus verblüht?, ZaöRV 62 (2002), S. 703 ff., zu den Sondervoten und abweichenden Meinungen S. 716 ff.; S. Zeichen/J. Hebenstreit, Kongo vs. Belgien. Sind Außenminister vor Strafverfolgung wegen völkerstrafrechtlicher Verbrechen immun?, AVR 41 (2003), 182 ff. 668 Ziff. 55 des Urteils. 669 N. Schultz, Ist Lotus verblüht?, ZaöRV 62 (2002), S. 745. 670 Dazu Ch. Tangermann, Die völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern, 2002, S. 213; N. Schultz, Ist Lotus verblüht?, ZaöRV 62/3 (2002),S. 735 ff., kritisch 740 ff. 671 Ziff. 58, 59 des Urteils. 666

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

Allerdings hat das Gericht auch darauf hingewiesen, daß die Immunität eine prozeßrechtliche Frage sei, welche die individuelle, materielle strafrechtliche Verantwortlichkeit der von der Immunität geschützten Person nicht ausschließe672, sondern nur deren Verfolgbarkeit. In vier Fallgruppen soll nach der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs die Immunität die Verfolgung nicht hindern: – Das im Heimatland des Staatenvertreters geltenden Recht kann die Verfolgung regeln. – Der repräsentierte Staat kann dem verfolgten Staat gegenüber auf die Immunität verzichten. – Anklagen für Handlungen vor und nach der Amtszeit sind möglich, nicht aber für Amtshandlungen während der Amtszeit, wohl aber für private Handlungen während dieser Zeit. – Vor internationalen Gerichten können frühere oder amtierende Außenminister (und Staats- und Regierungschefs)673 jederzeit angeklagt werden.674 Der Internationale Gerichtshof hat zwar keinen generellen Vorrang der Immunität vor der persönlichen rechtlichen Verantwortlichkeit festgestellt, wohl aber vor der nationalen Strafverfolgbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und damit eine Chance zur Weiterentwicklung des Völkerrechts in Richtung Weltrecht vertan.675 In welcher Weise der Konflikt zwischen Staatenimmunität (Souveränitätsprinzip) und individueller Verantwortlichkeit (Rechtsprinzip) auf längere Sicht entschieden wird, hängt davon ab inwieweit sich das praktizierte Völkerrecht zum Weltrecht entwickelt. XII. Ius ad bellum und zwischenstaatliches Gewaltverbot 1. Ius ad bellum Das zentrale Attribut des souveränen Staates in der Völkerrechtslehre war über Jahrhunderte das ius ad bellum und die Entscheidung über Krieg und Frieden.676 Die Anwendung von Gewalt durch die souveränen Staaten als Mittel, 672

Ziff. 60 des Urteils. W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 698. 674 Ziff. 61 des Urteils; N. Schultz, Ist Lotus verblüht?, ZaöRV 62 (2002), S. 715. 675 Vgl. kritisch W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, 704; N. Schultz, Ist Lotus verblüht?, ZaöRV 62/3 (2002), S. 753 ff. 676 Hobbes, Leviathan, II, Vom Staat, Kap. 18 (S. 162); Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, X. Buch, Kap. 2 ff. (S. 200 ff.; zum gerechten Krieg H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, 1. Buch, 2. Kap., S. 58 ff., S. 25., 4. Buch, 26. Kap., S. 404 ff.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 363 ff.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 65; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 932, Rn. 2. 673

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ihre Interessen durchzusetzen, galt als legitim und legal, weil dies aus ihrer Souveränität gefolgert wurde677, zumindest dann, wenn sie hierfür einen Kriegsgrund hatten.678 Kant schreibt: „Im natürlichen Zustand der Staaten ist das Recht zum Kriege (zu Hostilitäten) die erlaubte Art, wodurch ein Staat sein Recht gegen einen anderen Staat verfolgt, nämlich, wenn er von diesem sich lädiert glaubt, durch eigene Gewalt.“679 Hobbes geht davon aus, daß die Staaten („Persons of Sovereigns authority“) untereinander noch in einem vorsozialen Stadium des potentiellen oder aktuellen Krieges leben (bellum omnium contra omnes).680 Weil die Staaten keiner überstaatlichen Gewalt unterworfen seien, gelte zwischen ihnen lediglich das nicht erzwingbare, nur dem Gerichtshof des Gewissens unterliegende law of nature, das allgemeine Vernunft und Gerechtigkeitsregeln enthalte.681 Sincerus Veridictus bemerkt dazu kritisch: „Ist es nicht unbegreiflich inconsequent, daß man den Mörder des Einzelnen aufs Rad legt, und dem Mörder von Tausenden Monumente baut. . . . und scheint es nicht, als ob die Menschen in die Staatsgesellschaften getreten seien, die dem Morden en detail Einhalt thun, um en gros morden zu können?“682

2. Gewaltverbot 683 In seiner Schrift ,Zum ewigen Frieden‘ hat Kant ein striktes und umfassendes Gewaltverbot684 und einen Friedensbund685 zwischen den Staaten gefordert. Durch den Sieg in einem Krieg werde das Recht nicht entschieden.686 Die Vernunft verdamme vom Throne der höchsten moralischen gesetzgebenden Gewalt 677 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 324, 334; C. Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff (1938), 1988; vgl. H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 932, Rn. 2. 678 Dazu H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, 1. Buch, 5. Kap., 2. Buch, 1. Kap., S. 130 ff. 679 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 469 (A 220/B 250). 680 Leviathan, I, Kap. 13 (S. 117); siehe auch Leviathan II., 17. Kap., S. 152, 18. Kap. S. 162, 28. Kap.; auch Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 467 (A 217/ B 247, 248). 681 Hobbes, Leviathan, I, Vom Menschen, Kap. 14, 15. 682 K. A. J. Hochheim (Justus Sincerus Veridicus), Von der europäischen Republik, 1796, S. 327 f.; vgl. auch Augustinus, De civitate dei/ Vom Gottesstaat (398), hrsg. v. W. Thimme, 1955, IV, 4. 683 Das Gewaltverbot ist zwar grundlegend für das Völkerrecht, aber kein Prinzip i. S. Alexys, sondern eine Regel. Prinzipien sind nach R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 75 f. Optimierungsgebote, d. h. sie verlangen, „daß etwas relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten in möglichst hohem Maße realisiert wird.“ Regeln sind demgegenüber Normen, die stets nur entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden können. S. 76. 684 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 199 (BA 11, 12), 211 (BA 35, 36). 685 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 467 (A 217/B 247, 248). 686 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 210 (BA 33, 34) f.

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herab den Krieg als Rechtsgang schlechterdings, den Friedenszustand mache sie dagegen zur unmittelbaren Pflicht, welcher doch ohne einen Vertrag der Völker unter sich nicht gestiftet oder gesichert werden könne. „So muß es einen Bund von besonderer Art geben, den man den Friedensbund (foedus pacificum) nennen kann, der vom Friedensvertrag (pactum pacis) darin unterschieden sein würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zu endigen suche.“687

Aus der internationalen Friedenspflicht ergibt sich nicht nur ein Gebot zur friedlichen Streitbeilegung, sondern auch die Pflicht jedes Staates, seine innere Ordnung so zu erhalten, daß unfriedliche Kräfte im Inneren den äußeren Frieden nicht gefährden können.688 Kant postuliert eine internationale Rechtsordnung. „Völkerrecht“ soll demnach heißen, daß das Verhältnis zwischen den Staaten nicht mehr der Naturzustand des bellum omnium, sondern rechtsförmig sein soll.689 Wesentlich gekennzeichnet ist die rechtliche Beziehung der Staaten durch das Gewaltverbot, welches der Friedensbund sichern soll. Daraus folgt auch, daß sich „kein Staat . . . in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewalttätig einmischen“ soll.690 Im modernen Völkerrecht ist das Gebot der gleichen Freiheit des Menschen, „die Freiheit von eines anderen nötigender Willkür“ auf die Staaten, welche als Subjekte des Völkerrechts angesehen werden, übertragen worden. Damit wurde der welthistorische Schritt vom „Recht zum Krieg“ im klassischen Völkerrecht691 zum Gewaltverbot zwischen Staaten im modernen Völkerrecht vollzogen.692 Es steht an erster Stelle in der Liste der sieben Prinzipien, die gemäß der „Friendly-Relations“-Deklaration der UN-Generalversammlung vom 24. Oktober 1970693, die Grundlage der Beziehungen der Mitglieder der Vereinten Nationen sein sollen. Während das Kriegsverbot, das ebenfalls im Gewaltverbot enthalten ist, bereits vor Inkrafttreten der UNO-Charta zum allgemeinen Völ-

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Kant, Zum ewigen Frieden, S. 211 (BA 35, 36). O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 91. 689 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 466 (A 215, 216/B 245, 246). 690 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 199 (BA 11, 12). 691 Hobbes, Leviathan, II. Vom Staat, 18. Kap. S. 162; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, X, 1. Kap., S. 200 ff.; H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, 1. Buch, 5. Kap., S. 130 ff. 692 IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 100; Ch. Tomuschat, Gewalt und Gewaltverbot als Bestimmungsfaktoren der Weltordnung, EA 36 (1981), 325 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 75 § 96; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 252 f.; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 943 f., Rn. 27; zur Entwicklung des Gewaltverbotes im Völkerrecht vgl. H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 932 ff.; vgl. aber zum Fehlen von Gewohnheitsrecht oder einem eingeschränkten Gewaltverbot A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 367 f., Rn. 1130 f. 693 A/Res/2625 (XXV), abgedruckt in Sartorius II, Nr. 4. 688

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kerrecht zählte694, ist das umfassendere Gewaltverbot erst im Rahmen der Vereinten Nationen durch die UN-Charta (Art. 2 Abs. 4 UN-Charta) als deren Kernstück eingeführt worden.695 Unabhängig davon, gilt es heute unstreitig als zwingender Grundsatz des allgemeinen Völkerrechts.696 Das Gewaltverbot setzt der Souveränität der Staaten Grenzen697, rüttelt aber nicht am Prinzip der „souveränen Gleichheit“ der Staaten (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta), sondern sichert diese. Spätestens seit den Terroranschlägen auf das World Trade Center vom 11. September 2001 wird ein ius ad bellum von der einzigen verbleibenden Supermacht, den USA, aber auch von anderen Staaten, wieder beansprucht, mit dem Ziel, entgegen den wesentlichen Prinzipien des Völkerrechts, dem Gewaltverbot und der souveränen Gleichheit der Staaten, eine pax americana zu errichten.698 Auch wenn dies aufgrund tatsächlicher Machtausübung teilweise gelingt, stößt ihre Praxis auf den Widerstand der Mehrheit der Staaten, der Weltöffentlichkeit und der überwiegenden Völkerrechtslehre.699 Entsprechendes völkerrechtliches Gewohnheitsrecht hat sich daher bisher nicht gebildet. Die bloße Macht des Stärkeren vermag Herrschaft, aber kein Recht zu begründen.700

694 Briand-Kellog-Pakt von 1928 (RGBl. 1929 II, S. 97); O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 52 ff. 695 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 52 ff., 252; zum Kriegs- und Gewaltverbot vgl. H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 929 ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 37 f., 49 f.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 285 ff. 696 IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 100; Ch. Tomuschat, Gewalt und Gewaltverbot als Bestimmungsfaktoren der Weltordnung, EA 36 (1981), S. 325 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 75 § 96; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 54, 253; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 943 f., Rn. 27; zur Entwicklung des Gewaltverbotes im Völkerrecht vgl. H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 932 ff.; vgl. aber zum Fehlen von Gewohnheitsrecht oder einem eingeschränkten Gewaltverbot A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 367 f., Rn. 1130 f. 697 H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 344. 698 „Bush-Doktrin“, erstmal verkündet durch den amerikanischen Präsidenten am 1.6.2002 in seiner Rede vor der Militärakademie West Point, www.whitehouse.gov/ news/releases/2002/06/20020601-3.html; The National Security Strategy of the United States of America, September 2002, www.whitehouse.gov/nsc/nss.pdf (zuletzt geprüft 2.7.2005); R. Kagan, Power and Weakness, Policy Review 113/2002. 699 Vgl. D. Murswiek, Die amerikanische Präventivstrategie und das Völkerrecht, NJW 2003, 1014 ff.; R. Merkel, Amerikas Recht auf die Welt, in: D. S. Lutz/H. J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, S. 40 ff.; Bericht der hochrangigen Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 61, Rn. 186. 700 Vgl. H-J. Gießmann, Alles was Recht ist?, in: D. S. Lutz/ders. (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, S. 9 ff.

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3. Begriff und Umfang des Gewaltverbots Das Gewaltverbot701 zwischen Staaten in Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta lautet: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt“702.

Damit ist also sowohl die Anwendung als auch die bloße Androhung von Gewalt verboten.703 „Gewalt“ im Sinne dieser Vorschrift ist jedenfalls jede Art von Waffengewalt durch einen Staat gegen das Hoheitsgebiet oder die Streitkräfte eines anderen Staates704 und darüber hinaus jede physische Kraftanwendung.705 Sonach war der militärische Angriff der USA auf den Irak im März 2003 vom Gewaltverbot erfaßt.706 Wenn man die „Freiheit von eines anderen nötigender Willkür“ (Kant) auf die Beziehungen zwischen Staaten überträgt,707 wäre politischer und wirtschaftlicher Zwang, wie z. B. Beschränkungen von In- und Exporten, Kontoblockierung, Nationalisierungsmaßnahmen, die Vorenthaltung von Entwicklungshilfe als Maßnahmen gleicher Wirkung, unter das Gewaltverbot zu subsumieren. Von der Praxis und überwiegenden Lehre wird, kritisiert von den Entwicklungsländern708, das Gewaltverbot jedoch nur auf Anwendungsfälle von vis absoluta und nicht auf jede Form von Zwang bezogen.709 In den übrigen Fällen

701 Zum Kriegs- und Gewaltverbot H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 929 ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 37 f., 49 f.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 52 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 285 ff.; A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 1 ff.; für ein aus Effizienzgründen nur relatives Gewaltverbot B. Grzeszick, Staatsgewalt in der UN-Charta zwischen Gewaltverbot und Selbstverteidigung, AVR 41 (2003), S. 487 ff. 702 Dazu A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 368 f., Rn. 1136; zur Auslegung auch B. Grzeszick, Die Staatsgewalt in der UN-Charta zwischen Gewaltverbot und Selbstverteidigung, AVR 41 (2003), S. 488 ff. 703 Dazu H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 938 f., Rn. 19. 704 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 936, Rn. 12. 705 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 368, Rn. 1136. 706 D. Murswiek, Die amerikanische Präventivstrategie und das Völkerrecht, NJW 2003, 1015; K. Ambos/J. Arnold/U. Krauß/K. Thun, Eine deutsche Beteiligung am Krieg gegen Irak ist rechtswidrig, in: K. Ambos/J. Arnold, Der Irak-Krieg und das Völkerrecht, 2004, S. 113 ff.; vgl. dazu auch M. Bothe, Der Irak-Krieg und das völkerrechtliche Gewaltverbot, AVR 41 (2003), S. 255 ff.; A. Zielcke, Krieg im Irak, in: K. Ambos/J. Arnold (Hrsg.), Der Irak-Krieg und das Völkerrecht, 2004, S. 61 ff.; H. P. Hestermeyer, Die völkerrechtliche Beurteilung des Irakkriegs im Lichte transatlantischer Rechtskulturunterschiede, ZaöRV 64 (2004), S. 315 (326 ff.). 707 Vgl. in diesem Sinn O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 253 f. 708 Vgl. A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 368, Rn. 1132 f.; A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 16.

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wird das allgemeine Interventionsverbot (dazu 2. Teil, S. 168 ff.) angewandt, das sich ebenfalls gegen „fremde Willkür“ richtet. Der Internationale Gerichtshof hat im Nicaragua-Fall wirtschaftliche Sanktionen der Vereinigten Staaten, namentlich die Unterbrechung wirtschaftlicher Hilfe, die Beschränkung der Import-Zuckerquote für Produkte aus Nicaragua sowie ein Handelsembargo, nicht unter dem Tatbestand des Gewaltverbots geprüft.710 Gegen einen weiten Gewaltbegriff wird auch die Präambel der UN-Charta angeführt. In ihr ist lediglich davon die Rede, daß „armed force“ nicht benutzt werden soll.711 Gemäß Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta muß die Gewaltanwendung jedenfalls geeignet sein, „die territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit“ eines Staates zu bedrohen oder zu verletzen. Dies ist im Einzelfall auch möglich, wenn durch wirtschaftliche Sanktionen die Handlungsfreiheit und die Regierungsfähigkeit des betroffenen Staates völlig blockiert werden oder das Volk in eine Hungersnot stürzt.712 Übereinstimmend mit dem Charakter des Völkerrechts als zwischenstaatliches Recht (dazu 2. Teil, B, S. 110 f.), wird das Gewaltverbot in Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta auf zwischenstaatliche Gewalt begrenzt. Dafür spricht der Wortlaut: Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta ist an die „Mitglieder“ der Vereinten Nationen adressiert, die „in ihren Beziehungen“ jede mit der Charta unvereinbare Androhung oder Ausübung von Gewalt unterlassen. Private Gewalt, wie die von terroristischen Vereinigungen, ist grundsätzlich keine zwischenstaatliche Gewalt in diesem Sinn.713 Schon im römischen Recht galten Räuber und Piraten, mit denen nicht öffentlich erklärter Krieg geführt wurde, nicht als Feinde Roms, sondern als Feinde der Menschheit, als Verbrecher.714 Private Gewalt kann einem Staat nach völkerrechtlicher Sichtweise aber als von ihm ausgehende „indirekte Gewalt“715 zugerechnet werden, wenn der Staat diese Gewalt zu verantworten hat.716 Unter das Gewaltverbot fallen danach die mit Waffengewalt durchgeführten Handlungen bewaffneter Banden, Gruppen von Freischärlern oder Söld709 IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 116; A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 15 ff.; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 936, Rn. 12, 14.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 255. 710 ICJ Rep. 1986, 116. 711 So auch A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 29 § 476. 712 Vgl. dazu B. Graefrath, Völkerrechtliche Aspekte der Irak-Sanktionen, in: D. S. Lutz/H. J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, S. 89 ff. 713 Vgl. dazu D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 737 ff. 714 A. Demandt, Der Idealstaat, 2000, S. 260 f. 715 A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 21 ff. 716 Dazu IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 103 ff.; A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 4 Rn. 21 ff.

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nern, die ein Staat in einen anderen Staat entsandt hat717 oder unmittelbar unterstützt.718 Die gewaltsame Durchsetzung der Gebietshoheit, z. B. Abwehrmaßnahmen gegen eindringende Flugzeuge, sogar willkürliche Verhaftungen fremder Staatsangehöriger, untersagt das völkerrechtliche Gewaltverbot nicht.719 Nach Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta ist nur die Gewaltanwendung der Staaten „in ihren internationalen Beziehungen“ verboten. Daraus wird geschlossen, daß die Gewaltanwendung innerhalb der Grenzen eines Staates nicht durch das völkerrechtliche Gewaltverbot untersagt sei.720 Allerdings kann die Beteiligung dritter Staaten an den innerstaatlichen Auseinandersetzungen und Befreiungskriegen gegen das Gewaltverbot verstoßen.721

4. Ausnahmen vom Gewaltverbot Für folgende Maßnahmen sieht die UN-Charta Ausnahmen vom Gewaltverbot vor: – Zur Wahrung oder Wiederherstellung des Friedens kann der Sicherheitsrat nach Kapitel VII der UN-Charta neben nicht-militärischen Sanktionen (Art. 41 UN-Charta) auch militärische Maßnahmen ergreifen (Art. 42 UNCharta).722 – Auch aufgrund regionaler Abmachungen und durch regionale Einrichtungen dürfen nach Kapitel VIII UN-Charta (Art. 52 ff. UN-Charta) im Einklang mit der Charta gewaltsame Mittel ergriffen werden.723 – Bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, bleibt nach Art. 51 UN-Charta das Recht zu kollektiver und individueller Selbstverteidigung gegen einen „bewaffneten Angriff“ unberührt.724 Es steht allerdings unter dem Vorbehalt, daß der Sicherheitsrat nicht eingreift, und schränkt insoweit Sou717 IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 104; Deklaration über die Grundsätze des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Staaten in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen (Friendly Relations Declaration) vom 24.10.1970, Res 2625 (XXV) der Generalversammlung, abgedruckt in: Sartorius II, Nr. 4 dazu H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 945 f. 718 Vgl. IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 104; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 936, Rn. 12. 719 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 939, Rn. 20. 720 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 937, Rn. 16; vgl. dazu weitergehend A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 369, Rn. 1137. 721 Dazu H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 937 f., Rn. 16 ff., S. 940 f., Rn. 21, S. 942 f., Rn. 26. 722 Dazu 6. Teil, C, S. 716 ff. 723 Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 653 f.

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veränitätsansprüche ein.725 Voraussetzung ist weiterhin, daß die Selbstverteidigungsmaßnahme unmittelbar an den bewaffneten Angriff anschließt und verhältnismäßig ist.726 – Art. 53 Abs. 2 und Art. 107 UN-Charta erlauben ein militärisches Tätigwerden gegen sogenannte ehemalige Feindstaaten, d. h. solche, die während des Zweiten Weltkrieges Feind eines Unterzeichners der UN-Charta waren.727 Art. 53 Abs. 2 und Art. 107 UN-Charta schränken das Gewaltverbot ein, weil sie den potentiell kriegerischen Zustand zu den ehemaligen „Feinden“ aufrechterhalten. Außerdem widersprechen diese Vorschriften den Grundsätzen der UNCharta, die als allgemeine Prinzipien des Völkerrechts auch gegenüber den ehemaligen Feindstaaten gelten, selbst falls sie nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind, nämlich dem Gewaltverbot, dem Interventionsverbot und der Gleichheit der Staaten.728 Weil die Aufnahme in die Vereinten Nationen gemäß Art. 4 Abs. 1 UN-Charta voraussetzt, daß der aufzunehmende Staat „friedliebend“ ist, wird den Feindstaatsklauseln heute allerdings kaum mehr praktische Relevanz zugebilligt.729 Ob die Aufzählung der Ausnahmen vom Gewaltverbot in der Charta abschließend ist, ist strittig.730 Obwohl Art. 51 UN-Charta von einem „naturgegebenen Recht“ der Selbstverteidigung spricht, wird überwiegend vertreten, daß es jedenfalls über die materiellen Voraussetzungen des Art. 51 hinaus kein weitergehendes allgemeines Selbstverteidigungsrecht mehr gibt.731 Außerhalb der Befugnisse der Charta sei „jede Gewaltanwendung zur Durchsetzung eines bestehenden Rechts oder zu dem Zweck, einen anderen Staat von einem völkerrechtswidrigen Verhalten abzubringen, . . . unzulässig.“732 Jede offensive zwi724 Dazu A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 51, Rn. 4 ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 37 f., Rn. 52 ff.; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 944 ff., Rn. 28 ff. 725 H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 344. 726 Dazu H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 949 ff., Rn. 38 ff.; vgl. auch A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 371. 727 Dazu G. Ress, in: B. Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 53, Rn. 10 ff.; ders., Art. 107, Rn. 1 ff.; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 416, Rn. 27 ff. 728 V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 417, Rn. 29. 729 V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 417, Rn. 29. 730 Für ein Selbstverteidigungsrecht jenseits der Grenzen des Art. 51 UN-Charta: Dissenting Opinion von Richter Schwebel in der Nicaragua-Entscheidung des IGH, ICJ Rep. 1986, 347 f.; vgl. dazu auch S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 230 ff. m. N.; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nichtstaatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 183 (186 f.); A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 373. 731 A. Randelzhofer, Art. 51, in: B. Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, Rn. 9 ff.; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 952 f., Rn. 43.

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

schenstaatliche Selbsthilfe ist damit ausgeschlossen.733 Das Recht auf Selbstverteidigung versteht die Charta zwar als „naturgegebenes Recht“, aber nicht mehr als eigenständiges Recht zum Krieg, sondern lediglich als ein Notwehrrecht.734 Dieses dürfen die Staaten nur soweit und solange ausüben, als der Sicherheitsrat zur Wahrung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens nicht die erforderlichen Maßnahmen trifft.735 Art. 51 UN-Charta muß als Ausnahmebestimmung zu Art. 2 Ziff. 4 UNCharta736 wegen des fundamentalen Grundsatzes des Gewaltverbotes eng ausgelegt werden.737 Daher kann das Recht auf Selbstverteidigung aus Art. 51 UNCharta nur gegen einen bewaffneten Angriff ausgeübt werden.738 Andere Gewaltanwendungen, etwa zu dem Zweck, andere Staaten von einem völkerrechtswidrigen Verhalten abzubringen, sind nicht vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt.739 Dagegen bejaht eine Auffassung, insbesondere in der amerikanischen Völkerrechtslehre, durch weite Auslegung des Art. 51 UN-Charta oder unter Berufung auf entsprechendes Gewohnheitsrecht ein Recht auf Präventivverteidigung.740 Die USA nehmen ein solches Recht nach der sog. Bush-Doktrin gegen die von ihr identifizierten Schurkenstaaten (z. B. Irak) in Anspruch.741 Ein 732 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 239; A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Kommentar UN-Charta, Art. 51, Rn. 9 ff., m.w. N. 733 A. Verdross, Völkerrecht, S. 649; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 239. 734 Vgl. dazu aber mit das Gewaltverbot einengender Tendenz A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 371. 735 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 186; J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98, S. 67; zur Subsidiarität des Selbstverteidigungsrechts, die in der Praxis nicht gegeben sei A. Randelzhofer, in: B. Simma (ed.), The Charter of the United Nations, 2002, Art. 51, Fn. 8, Rn. 36; vgl. auch kritisch K. Doehring, Völkerrecht, S. 245, Rn. 578. 736 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 285 ff.; H. Fischer, in: K. Ipsen, Völkerrecht, S. 935, Rn. 10. 737 Ch. Schaller, Massenvernichtungswaffen und Präventivkrieg, ZaöRV 62 (2002), S. 641 (557 f.). 738 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 289 f., § 472; A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, Art. 51, Rn. 14. 739 A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, Art. 51, Rn. 14; a. A. B. Grzeszick, Die Staatsgewalt in der UN-Charta zwischen Gewaltverbot und Selbstverteidigung, AVR 41 (2003), S. 495 ff. wegen der eingeschränkten Effizienz des UN-Sicherheitssystems. 740 Siehe D. M. Ackermann, Preemptive Military Attacks Under Customary International Law; J. J. Darby, Self Defense in Public International Law, in: Fs. G. Ress, 2005, S. 29 ff. 741 Dazu M. Bothe, Der Irak-Krieg und das völkerrechtliche Gewaltverbot, AVR 41 (2003), S. 256 ff., 261 f.; H. P. Hestermeyer, Die völkerrechtliche Beurteilung des Irakkriegs im Lichte transatlantischer Rechtskulturunterschiede, ZaöRV 64 (2004), S. 326 ff.

C. Grundprinzipien des Völkerrechts

183

Recht auf Präventivverteidigung ist im Völkerrecht überwiegend nicht, allenfalls als Recht zu „präemptiver“ Verteidigung anerkannt.742 Präemptive Verteidigung setzt einen unmittelbar bevorstehenden Angriff voraus und ist insoweit vom unstreitig illegitimen Präventivkrieg, der ein Angriffskrieg ist, zu unterscheiden.743 Daß ein solcher Angriff seitens des Iraks auf die USA unmittelbar bevorstand, hat die USA nicht dargelegt. Der (nicht belegte) Besitz von Massenvernichtungsmitteln ist als solcher noch kein unmittelbar bevorstehender Angriff.744 Auch die Verletzung der bindenden UN-Resolutionen über die Unzulässigkeit von Massenvernichtungswaffen und über Waffeninspektionen745 rechtfertigt keine andere Bewertung, wenn nicht bewiesen werden kann, daß Saddam Hussein, der damalige Staatschef des Iraks, im Begriff war, Massenvernichtungswaffen gegen die USA einzusetzen.746 XIII. Selbstbestimmungsrecht 1. Anerkennung im Völkerrecht Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist im Völkerrecht gewohnheitsrechtlich und in verschiedenen Texten anerkannt.747 Die Charta der Vereinten Natio742 IGH, Corfu Channel, ICJ Rep. 1949, 35; D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 737 f.; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 945, Rn. 29 ff.; Ch. Schaller, Massenvernichtungswaffen und Präventivkrieg, ZaöRV 62 (2002), S. 641 (656 ff.); A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 51, Rn. 39 m.w. N.; Th. Bruha, Irak-Krieg und Vereinte Nationen, AVR 41 (2003), S. 295 (297); R. Merkel, Amerikas Recht auf die Welt, in: D. S. Lutz/H. J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, S. 37 ff.; M. E. O’Connell, Pre-emption and Exception, in: D. S. Lutz/H. J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, S. 148 ff.; G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 475 ff.; vgl. auch D. Thürer, Irak-Krise: Anstoß zu einem Neuüberdenken der völkerrechtlichen Quellenlehre?, AVR 41 (2003), S. 314 ff.; K. Ambos/J. Arnold/U. Krauß/K. Thun, Eine deutsche Beteiligung am Krieg gegen Irak ist rechtswidrig, S. 113 ff.; Ch. Eick, „Präemption“, „Prävention“ und die Weiterentwicklung des Völkerrechts, ZRP 2004, 200 ff. 743 Vgl. dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 287 ff., § 470 ff.; J. A. Frowein, Der Terrorismus als Herausforderung für das Völkerrecht, ZaöRV 62 (2002), S. 879 (889 ff.); D. Murswiek, Die amerikanische Präventivstrategie und das Völkerrecht, NJW 2003, 1016 ff.; G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 475 f.; Ch. Eick, „Präemption“, „Prävention“, ZRP 2004, 201. 744 Dazu Ch. Schaller, Massenvernichtungswaffen und Präventivkrieg, ZaöRV 62 (2002), S. 641 (661 f.). 745 Die wichtigsten Irak-Resolutionen finden sich in deutscher Übersetzung unter www.un.org/Depts/german/sr/fs_sr_Reshtml (2.2.2006). 746 D. Murswiek, Die amerikanische Präventivstrategie und das Völkerrecht, NJW 2003, 1017; J. A. Frowein, Der Terrorismus als Herausforderung für das Völkerrecht, ZaöRV 62 (2002), S. 879 (889 ff.); Ch. Schaller, Massenvernichtungswaffen und Präventivkrieg, ZaöRV 62 (2002), S. 641 (644 ff., 661 f.).

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

nen proklamiert in Art. 1 Ziff. 2 das Ziel, „freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln“ (vgl. auch Art. 55 UN-Charta sowie die Kapitel XI, XII und XIII).748 Die 1976 in Kraft getretenen Pakte über bürgerliche und politische sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte stellen jeweils in Art. 1 Abs. 1 fest: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“

In Art. 1 Abs. 3 beider Pakte werden die Vertragsstaaten verpflichtet, „entsprechend den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.“ Während noch in den 70er Jahren das Selbstbestimmungsrecht nur als moralisch-politisches, aber nicht als verbindliches Rechtsprinzip anerkannt war, ist seine grundsätzliche Anerkennung in der heutigen Völkerrechtslehre und -praxis unstreitig.749 In seiner Nicaragua-Entscheidung konstatierte der Internationale Gerichtshof ausdrücklich die gewohnheitsrechtliche Geltung des Selbstbestimmungsrechts.750 Im Osttimor-Fall erkannte das Gericht: „The principle of selfdetermination . . . is one of the essential principles of contemporary international law.“751 Unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht zerfiel das völkerrechtswidrige Kolonialsystem und erhöhte sich seit 1945 die Anzahl der Staaten von 50 auf über 190, wurde die deutsche Vereinigung erreicht, fanden Annexionen wie die der baltischen Staaten und Eritreas ein Ende, zerbrachen durch Zwang künstlich zusammengehaltene Gebilde wie die Sowjetunion und Jugoslawien.752 2. Subjekt des Selbstbestimmungsrechts Im Völkerrecht ist unklar, wer Subjekt des Selbstbestimmungsrechts ist. Teil der Lehre sieht das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, wie es in genannten Bestimmungen bezeichnet wird, als Selbstbestimmungsrecht Staaten an.753 Andere stellen das Selbstbestimmungsrecht der Völker oder

Ein den der Na-

747 Dazu D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 113 ff., 125 ff.; K. Doehring, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, nach Art. 1, Rn. 1 ff.; zur Geschichte: W. Heidelmeyer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, 1973. 748 Vgl. dazu D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 118 f. 749 H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hsg.), Völkerrecht, S. 343 f., Rn. 6 ff. 750 IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 14 ff. 751 IGH, East Timor, ICJ Rep. 1995, 102. 752 P. Schenkel, Der Weltunion entgegen, 2000, S. 28 ff.

C. Grundprinzipien des Völkerrechts

185

tionen in den Vordergrund.754 Die Präambel der UN-Charta weist die „Völker der Vereinten Nationen“ als Träger des in der Charta vereinigten Willens aus. Außerdem unterscheidet die Charta, allerdings ohne diese Begriffe zu definieren, zwischen Volk und Nation. Das könnte textlich für ein vom Selbstbestimmungsrecht der Staaten unabhängiges Selbstbestimmungsrecht der Völker sprechen.755 Nach der „Friendly Relations“-Deklaration756 hat jeder Staat die Pflicht, gewaltsame Handlungen zu unterlassen, die den Völkern das Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit nehmen. In Befreiungskriegen sollen die Völker nach der Deklaration das Recht haben, Unterstützung für den Befreiungskampf in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der UNCharta zu suchen und zu erhalten.757 In der Deklaration wird eine Unterscheidung von Staaten und „Völkern“ deutlich. Die Frage, wer Träger des Selbstbestimmungsrechts ist, hängt von der Definition der Begriffe „Volk“ und „Nation“ sowie deren Verhältnis zueinander ab.758 Die Tradition der Staaten ist insoweit uneinheitlich. Der klassische französische Nationenbegriff ist ein politischer, der sich auf den Träger der Staatsgewalt bezieht. „Volk“ wird dementsprechend als Gemeinschaft gleicher und freier Bürger verstanden.759 Im deutschen Sprachgebrauch760 wurde zunächst der Begriff des Volkes im Sinne einer politischen Einheit, der Begriff der „Nation“ anders als in der französischen Tradition als ethnische, territorial gebundene oder von einem Territorium unabhängige Einheit verstanden (Kulturnation).761 Insbesondere der deutsche Nationalismus762 des 19. Jahrhunderts verschob (mit späteren schwerwiegenden Folgen) den freiheitlich-politischen 753 G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 368 m. Fn. 19; dazu Ch. Gusy, Selbstbestimmung im Wandel, AVR 39 (1992), S. 390 ff.; kritisch G. Dördelmann, Dürfen Völker sezedieren?, in: M. Anderheiden/S. Huster/ S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 147 ff. 754 D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 113 ff.; G. Gidon, Nation Against State, 1993; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 40 f.; H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hsg.), Völkerrecht, S. 354 ff.; E. Chadwick, Self-Determination Terrorism and the International Humanitarian Law of Armed Conflict, 1996, S. 30 ff. 755 In diesem Sinn A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 310 ff., § 512 f.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 114 ff. 756 Deklaration über die Grundsätze des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Staaten in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen (Friendly Relations Declaration) v. 24.10.1970, A/Res/2625 (XXV) der Generalversammlung, abgedruckt in: Sartorius II, Nr. 4. 757 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 940, Rn. 21. 758 Dazu F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 1. Teilbd., 1970, S. 58 ff. 759 B. R. Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, 2000, S. 42. 760 Vgl. zum Sprachgebrauch der Begriffe Volk und Nation in verschiedenen Sprachen: B. R. Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, S. 24 ff. 761 F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 1908, S. 2 ff.; B. R. Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, S. 30; dazu auch K. A. Schachtschneider, Res

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2. Teil: Grundlagen des Völkerrechts

Akzent des Volksbegriffs und damit des Selbstbestimmungsrechts unter dem Einfluß der Romantik und in Abgrenzung zur französischen nation zugunsten einer ethnisch-kulturell aufgefaßten Identität.763 Im heutigen französischen Sprachgebrauch gibt es ebenfalls einen ethnischen Volksbegriff.764 Innerhalb der Vereinten Nationen ist eine verbindliche Klärung der Begriffe Volk und Nation bisher nicht gelungen.765 Das Staatsvolk wird im Völkerrecht gesehen als „ein auf Dauer angelegter Verbund von Menschen, über den der Staat die Hoheitsgewalt im Sinne der Gebietshoheit und bei Aufenthalt außerhalb des Hoheitsgebiets die Personalhoheit innehat.“766 Entsprechend der Neutralität des Völkerrechts spielen Homogenitätsmerkmale wie Rasse, Kultur, Sprache und Religion keine Rolle.767 Insgesamt geht die Völkerrechtspraxis dahin, einen vorwiegend ethnisch bestimmten Volksbegriff768 und damit ein ethnisch motiviertes Selbstbestimmungsrecht sowie hieraus begründete Sezessionen von Gruppen innerhalb eines Staatsvolkes, die sich aus Homogenitätserwägungen als Volk begreifen, nicht anzuerkennen.769 Im Völkervertragsrecht sieht Art. 27 IPBPR nur ein kulturelles, jedoch kein politisches Selbstbestimmungsrecht der Angehörigen von Minderheiten vor.770 Vom Selbstbestimmungsrecht publica res populi, S. 1186 ff.; J. Habermas, Was ist ein Volk?, in: ders., Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, 1998, S. 13 ff. (20 ff.). 762 Vgl. zum Nationalismus M. R. Lucas, Nationalism, Sovereignty and Supranational Organizations, 1999, S. 26 ff. 763 K. Rabl, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, 1963, S. 4 ff.; D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 116, 127; B. R. Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, 30 ff.; J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 777 (780); G. Dördelmann, Dürfen Völker sezedieren?, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 145 (147 f.); die deutsche Romantik neigte aber auch der Auffassung zu, daß die nationalen Eigentümlichkeiten einem umfassenden Menschheitscharakter in einer Weltrepublik weichen müßten. Siehe F. Schlegel, Versuch über den Begriff des Republikanismus (1796), in: Z. Batscha/R. Saage (Hrsg.), Friedensutopien, 1979, S. 93 ff. 764 Dazu B. R. Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, S. 27 f. 765 Dazu B. R. Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, S. 94 ff. 766 V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 56, Rn. 5; siehe auch zum Personalprinzip 3. Teil, D, S. 419 ff. 767 V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 56, Rn. 5. 768 Vgl. aber H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 357 f., Rn. 8 f. 769 R. Emerson, Self-determination, AJIL 65 (1971), S. 464 f.; H. Gros Espiell, Self-Determination and Jus Cogens, in: A. Cassese (Hrsg.), U.N. Law – Fundamental Rights, 1979, S. 13 f.; s. a. G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 368; differenzierend K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), S. 215; G. Gottlieb, Nation Against State, Introduction, S. xiii; dazu auch B. R. Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, S. 157 ff.; 172 f.; 183 ff., 194 f., 239 ff., 264 f., 275, 283 ff., 290 ff.; J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, S. 794; vgl. auch J. Habermas, Inklusion – Einbeziehen oder Einschließen?, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 171. 770 Dazu vgl. G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 368 m. Fn. 19; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 384 ff.

C. Grundprinzipien des Völkerrechts

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sollten nur die unter kolonialer Herrschaft stehenden (meist multi-ethnischen) Menschengruppen erfaßt werden, auch wenn diese noch kein Staatsvolk gebildet hatten.771 Mit Erreichung staatlicher Unabhängigkeit galt es überwiegend als vollendet und konsumiert.772 XIV. Ergebnis Die Prinzipien des Völkerrechts dienen der Souveränität und formellen Gleichheit der Staaten sowie der Effektivität der zwischenstaatlichen Beziehungen. Begünstigte sind die Staaten und deren Institutionen. Sie beschränken sich auf das Ziel der Vermeidung von Konflikten zwischen den Staaten, auf die Wahrung des negativen Friedens. Das gegenwärtige Völkerrecht bekennt sich ungeachtet der Versuche, das Selbstverteidigungsrecht auszudehnen, zu einem klaren grundsätzlichen Gewaltverbot und nicht zu einem ius ad bellum. Auf die Verwirklichung von positivem Frieden oder Freiheit zwischen den Menschen und in den Staaten sind die völkerrechtlichen Prinzipien trotz der Bekenntnisse der UN-Charta und der Allgemeinen Menschenrechtserklärung nur sekundär gerichtet. Immerhin gibt es einen Konsens der Staaten über die rechtliche Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung neben dem Prinzip der Souveränität.

771 B. R. Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, S. 115 ff.; D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 117, 120 f., 128 f.; J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, S. 793. 772 S. Oeter, Demokratieprinzip und Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 329 (335 f.) mit zahlreichen Nachweisen.

3. Teil

Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts Dieser Teil widmet sich der Weltrechtsbegründung und dem weltrechtlichen Paradigma, insbesondere dem Begriff, der Begründung sowie der dogmatischen Herausarbeitung der Typik, der Prinzipien und der Instrumente des Weltrechts.

A. Annäherung an den Begriff „Weltrecht“ und seine Aspekte In der philosophischen, politologischen, soziologischen sowie in der rechtswissenschaftlichen Literatur tauchen die Begriffe „Weltrecht“1 oder ähnliche Termini, wie „transnationales Recht“2 „Weltinnenrecht“3, „law of humanity“4 auf. Der Begriff „Weltrecht“ hat verschiedene Aspekte, die sich ergänzen als geborenes und positives Recht, als (funktionales) Welt(-staats)recht sowie als Bezeichnung und Ergebnis eines paradigmatischen Wechsels. I. Weltrecht als Menschheitsrecht Dante schreibt in seinem Werk „Über die Monarchie“: „Recht ist das sachliche und persönliche Maßverhältnis von Mensch zu Mensch“.5 Otto Kimminich hat darauf hingewiesen, wie auch der 2. Teil gezeigt hat, daß das praktische Völkerrecht ungeachtet aller Fortschritte „etatozentrisch“ ge1 R. Voigt, Globalisierung des Rechts, in: ders. (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 16 (21). 2 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 253 (279); B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, in: dies. (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 12 ff. 3 J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“? (1993), in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 318 ff.; ders., Perspektiven für ein Weltinnenrecht?, in: Fs. J. Sonnenschein, 2003, S. 793; I. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. II, 2004, S. 3, Rn. 58; K. Dicke/S. Hobe u. a. (Hrsg.), Liber amicorum J. Delbrück, Weltinnenrecht, 2005 . 4 R. Falk, The World Order between Inter-State Law and the Law of Humanity, in: D. Archibugi/D. Held, Cosmopolitan Democracy, 1995, S. 163 ff. 5 Dante, Über die Monarchie, 2. Buch, 5. Kap. am Anfang.

A. Annäherung an den Begriff „Weltrecht‘‘ und seine Aspekte

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blieben ist. Trotz der neuesten menschenrechtlichen Entwicklungen6 ist der Einzelne nicht Träger von Rechten, sondern nur Begünstigter von Rechtsnormen.7 Kimminich sieht einen Ausweg in der Zurückdrängung nationaler Souveränität zugunsten der Entwicklung eines „Rechts der Menschheit“8. Er verwendet den Begriff der „solidarischen Weltordnung“9, obwohl, wie er selbst einräumt, jede Rechtsordnung solidarisch ist.10 Damit betont er aber besonders die Solidarität der einzelnen Menschen, Gruppen von Einzelnen untereinander sowie mit notleidenden Völkern oder Volksgruppen, im Unterschied zur Solidarität der Staaten, welche die Völkerrechtsordnung heute noch prägt.11 Wie ähnlich Peter Häberle hat Kimminich die Hoffnung geäußert, „daß das Völkerrecht durch die Bestrebungen unserer Zeit aus einem Recht der souveränen Staaten zu einem Recht der gesamten Menschheit verwandelt wird“.12 Grundlage des Weltrechts als Menschheitsrecht ist die in Art. 1 AEMR enthaltene Prämisse, daß alle Menschen frei geboren und gleich mit Vernunft ausgestattet sind. In seiner Kritik der praktischen Vernunft hat Kant formuliert: „Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein. In der ganzen Schöpfung kann alles was man will, und worüber man etwas vermag, auch bloß als Mittel gebraucht werden; nur der Mensch, und mit ihm jedes vernünftige Geschöpf, ist Zweck an sich selbst. Er ist nämlich das Subjekt des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermöge der Autonomie seiner Freiheit.“13

Die in Art. 1 AEMR deklarierten Grundsätze der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit könnten als Formulierung der Menschheitsverfassung verstanden werden.14 Karl Albrecht Schachtschneider hat in der Einleitung zu seiner Republiklehre vermerkt: 6 Vgl. O. Kimminich, Menschenrechte im Völkerrecht und die Möglichkeit ihrer Durchsetzung, in: Menschenrechte in Ost und West, hrsg. v. R. Uertz, 1989, S. 149 ff. 7 O. Kimminich, Neue solidarische Weltordnung, in: Fs. V. Zsifkovits, 1993, S. 9 (12); ders., Der internationale Schutz des Einzelnen, AVR 15 (1972), S. 402 ff. 8 O. Kimminich, Neue solidarische Weltordnung, S. 14; ders., Der internationale Rechtsstatus des Flüchtlings, 1962, S. 128. 9 O. Kimminich, Neue solidarische Weltordnung, S. 9 ff.; die reale Solidarität bleibt allerdings hinter der normativen zurück. In dem Sinn auch kritisch B. Simma, Responses to Violations erga omnes, in: J. Delbrück (Hrsg.), The International Law Enforcement, 1993, S. 125 (145 f.), der deshalb eine auf Solidarität basierende Weltrechtsordnung zu fernab von der politischen Realität sieht. 10 O. Kimminich, Neue solidarische Weltordnung, S. 12. 11 O. Kimminich, Neue solidarische Weltordnung, S. 12 ff. 12 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 1997, S. 98; P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 28 ff. 13 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 210 (A 156). 14 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. XII; ders., Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff, 1995, S. 418 (420); ders., Freiheit in der Republik, 2006, S. 19 ff.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

„Dieser Text formuliert das weltrechtliche Rechtsprinzip schlechthin. Die Rechtswissenschaft, die ihn entfaltet, bietet eine Lehre des Rechts für die Welt.“15

Weltrecht im menschheitlichen Sinn kann als mit dem Menschen ursprünglich verbundenes16 oder geborenes Weltrecht (dazu 4. Teil, A, S. 490 ff.) bezeichnet werden. Weil es unmittelbar aus der äußeren Freiheit folgt und erzwingbar ist (dazu 3. Teil, B, S. 265 ff.), versteht es sich als Recht und nicht nur als Weltethos.17 Es gilt, weil es mit dem Menschen geboren ist, muß also als solches nur erkannt werden. II. Weltrecht als „Weltstaatsrecht“ Otfried Höffe hat die Frage gestellt, ob eine Weltordnung ohne Weltstaat möglich ist.18 Die Weltföderalisten halten Weltrecht ohne Weltregierung für unmöglich.19 In der Geschichte der Menschheit sind zahlreiche Modelle einer weltstaatlichen Ordnung entwickelt worden.20 Schon im 18. Jahrhundert entstanden aus dem Gedanken der Brüderlichkeit Pläne für eine globale oder europäische Republik als Verfassungsstaat, der die Menschenrechte achtet und dem Wohl der Menschheit und einem ewigen Frieden dient. Er sollte etwa mit folgenden Organen ausgestattet sein: Völkerkongreß, ständiger Rat, Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt.21 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Weltstaatsidee wiederbelebt.22 Diese Ansichten übertragen die Idee des modernen Staates auf eine weltweite Gebietskörperschaft, die in der Lage ist, aufgrund ihrer Gebietshoheit und des damit verbundenen „Gewaltmonopols“ Zwang auszuüben.23 In einem rein positiven Sinn ist Weltrecht Weltstaatsrecht24 und setzt einen mehr

15

K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. XII. Zum Begriff des Ursprünglichen J. Hruschka, Kants Rechtsphilosophie, JZ 2004, 1090 f. 17 I. d. S. aber wohl S. Kadelbach, Ethik des Völkerrechts unter Bedingungen der Globalisierung, ZaöRV 64 (2004), S. 1 ff. 18 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 267 ff. 19 Vgl. dazu R. J. Glossop, World Federation?, 1993, S. 31 ff., 46 ff. 20 Siehe die Hinweise in Fn. 1 (Einführung); vgl. auch die Überblicke bei C. Eagleton, Internationale Government, 1948, S. 473 ff.; Wissenschaftler der Universität Chicago erarbeiteten einen „Vorentwurf für eine Weltverfassung“, Text bei E. Mann Borgese: A Constitution for the World, 1965, S. 25 ff.; M. Brauer, Weltföderation, 1995, S. 19 ff.; K.-M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, 1999, S. 62 ff.; vgl. auch P. Frankl, Weltregierung, 1948, S. 107 ff. 21 Siehe etwa K. A. J. Hochheim (Justus Sincerus Veridicus), Von der europäischen Republik, 1796, insbes. S. 7, 68 f., 85 ff., 98, 145, 178 ff., 237 ff.; J.-B. Cloots, La république universelle, 1792. 22 R. Juchhoff, Weltverfassung, 1948, S. 7. 23 E. F. Sauer, Staatsphilosophie, 1965, S. 313. 24 A. Verdross, Völkerrecht, 1964, S. 5. 16

A. Annäherung an den Begriff „Weltrecht‘‘ und seine Aspekte

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oder weniger umfassenden Weltstaat, welcher das Weltrecht schafft, und eine Weltzwangsgewalt, die es durchsetzt, voraus.25 Solange es keine Weltorgane gibt, die positives Weltrecht in entsprechenden Verfahren setzen, existiert Weltrecht als Weltstaatsrecht nicht. Weltstaatsrecht ist Gegenstand einer mehr oder weniger realistischen Utopie. Ernst Jünger allerdings hat den Weltstaat nicht nur als quasi natürliche Notwendigkeit, sondern als wahrscheinlich vorgestellt.26 Wegen der zu verzeichnenden Paradigmenwechsel im praktizierten Völkerrecht27 erfaßt die Gleichsetzung von Weltstaatsrecht und Weltrecht die tatsächliche Rechtsevolution, welche sich in der zunehmenden Verrechtlichung des Völkerrechts zeigt, nicht. Sowohl die Völkerrechtsgemeinschaft als auch eine Weltgemeinschaft formen keine feststehenden Typen, sondern entwickeln sich in einem ständigen Prozeß. Es können sich deshalb vielfältige Formen zwischen den Polen internationaler Zusammenarbeit selbstbestimmter Staaten einerseits und einem Weltstaat andererseits herausbilden, die mehr dem einen oder mehr dem anderen Typus ähneln (dazu 6. Teil).28 III. Weltrecht als Benennung des Paradigmenwechsels Cosmopolitan democratic law unterscheidet sich nach David Held sowohl vom staatlichen als auch vom internationalen Recht.29 Jost Delbrück verneint ausdrücklich, daß „Weltinnenrecht“ begriffslogisch eine verfaßte Einheit, einen Weltstaat, voraussetzt.30 Er versteht „Weltinnenrecht“ als Recht, das „den Begriff des ausschließlich zwischenstaatlichen Rechts transzendiert“.31 Als Merkmal dafür nennt er zum einen, daß es in seiner Reichweite, Geltung und Anwendung sowohl staatliche als auch nicht staatliche Akteure und Sachverhalte erfaßt.32 Zum anderen unterscheidet er Weltrecht vom koordinationsrechtlichen 25 So die Weltföderalisten, etwa R. J. Glossop, World Federation?, 1993, S. 46 ff.; vgl. auch J. C. Bluntschli, Allgemeine Staatslehre, 1886, S. 25 ff.; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Teilbd., 1970, S. 1198 ff.; A. J. Merkl, Völkerbund und Weltstaat, in: D. Mayer-Maly (Hrsg.), Gesammelte Schriften, Bd. 2, 2002, S. 599 ff.; siehe auch dogmatisch W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, 1952, S. 57 ff. 26 Siehe E. Jünger, Der Weltstaat, 1960, S. 25, 31, 33, 73 ff. 27 Vgl. dazu J. H. Jackson, Changing Fundamentals of International Law and International Economic Law, AVR 41 (2003), S. 435 ff. 28 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, § 41, S. 34. 29 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 227; ders., Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohmann (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 220 (229). 30 J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, in: Fs. J. Sonnenschein, 2003, S. 793. 31 J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, S. 794. 32 J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, S. 794.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Völkerrecht durch seine „hierarchisch strukturierte Ordnung“, in der die Staaten ihre Souveränität einer übergeordneten Rechtsdurchsetzungsgewalt unterworfen hätten.33 Jedoch verlieren die Unterscheidungsmerkmale der „Gleichordnung“ (Koordination) und der „Unterordnung“ (Subordination, vertikale Zwangsordnung) im Zeitalter demokratischer Verfassungsstaatlichkeit, in dem der Bürger nicht Untertan, sondern Träger der Staatsgewalt ist, und der Existenz sogenannter supranationaler Gemeinschaften wie der Europäischen Union an Bedeutung.34 Albert Bleckmann stellt fest, daß sich das allgemeine Völkerrecht allmählich auf den Grundsatz der „inneren Souveränität“ ausrichte und mehr und mehr die Strukturen staatlichen Rechts übernehme: „Sollte es sich hierbei aber nicht mehr um Völkerrecht handeln, müßte man für diese Rechtsmasse . . . einen neuen Terminus finden“.35 Wichtig ist, daß sich der Begriff deutlich von der Sprechweise des Völkerrechts und des internationalen Rechts abgrenzt und zugleich das neue Paradigma veranschaulicht. Als solcher bietet sich „Weltrecht“ an. Weltrecht ist u. a. dadurch gekennzeichnet, daß es aufgrund von Institutionalisierungs- und Konstitutionalisierungsprozessen einen höheren Grad an Rechtsverbindlichkeit erreicht als das Völkerrecht. Soweit das Völkerrecht seine typischen Merkmale zwischenstaatlichen Rechts verliert und weltrechtliche Elemente gewinnt, d. h. ein paradigmatischer Wechsel stattfindet, ist es angezeigt, nicht mehr von einem „wirksameren Völkerrecht“36, sondern um der begrifflichen Deutlichkeit willen von entstehendem „Weltrecht“ zu sprechen.37 Teilweise wird der Prozeß der Verrechtlichung, der sich in rechtsförmigeren Verfahren der Regelsetzung, der Regelauslegung und der Regeldurchsetzung zeigt38, auch mit dem Ausdruck der global governance umschrieben. Genauer betrachtet stellt dieser Terminus jedoch mehr auf das Funktions-, Steuerungs- und Ordnungssystem als auf den Rechtsbegriff selbst ab.39 Die Paradigmenwechsel können sich sowohl in der Institutionalisierung und Konstitutionalisierung einer Weltordnung40 als auch in der Entwicklung von funktionalem Weltrecht aus

33 J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“?, in: K. Dicke/S. Hobe/K.-U. Meyn/E. Riedel/H.-J. Schütz (Hrsg.), Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung. 1996, S. 319 (346 f.). 34 Vgl. auch J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 421 (422). 35 A. Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 6, Rn. 11. 36 Vgl. J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht?“, S. 318 ff., insbes. 346 ff. 37 Vgl. auch W. Karl, Das humanitäre Völkerrecht auf dem Weg vom Zwischenstaats- zum Weltrecht, in: Fs. K. Ginther, 1999, S. 577 ff. 38 B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, in: dies. (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 21. 39 Vgl. dazu B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 12 ff. 40 Dazu H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV1 (1957), 1 (8 ff.); I. Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constitutionalism, in: Fs. C. Tomuschat, 2006, S. 973 ff.

A. Annäherung an den Begriff „Weltrecht‘‘ und seine Aspekte

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dem Völkerrecht zeigen.41 In letzter Konsequenz wird sogar die Frage gestellt, ob das Zeitalter der Globalisierung das Ende der Nationalstaaten und des Völkerrechts ankündigt.42 IV. Funktionales Welt(-staats)recht Auch ohne Weltstaat im institutionellen Sinn kann man die Durchsetzung des Weltrechts durch Internationale Organisationen und Weltorgane, denen hierzu von den Staaten aufgrund völkerrechtlicher Verträge begrenzte Befugnisse übertragen worden sind, als funktionales Welt(-staats)recht begreifen. Reinhold Zippelius hält es in diesem Sinn für „vorstellbar, daß mit einer fortschreitenden Organisierung der Völkergemeinschaft völkerrechtliche Bindungen zunehmend die Effektivität gewinnen, sich gegen widersprechendes innerstaatliches Recht durchzusetzen. . . . Damit wäre eine Übergangsstufe erreicht, die aus dem Dualismus von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht heraus- und zu einer effektiven, homogenen, überstaatlichen Rechtsordnung hinführt. Im Zusammenhang damit kann ein Teil legitimer Gewalt auf die internationale Gemeinschaft übergehen, wenn diese nicht nur den völkerrechtlichen Auftrag, sondern auch die Durchsetzungsmacht gewinnt, effektiv gegen zwischenstaatliche Aggressionen, Bürgerkriege und internationales Verbrechertum vorzugehen. Ob man dies als einen Schritt zur ,Staatlichkeit‘ der Völkergemeinschaft bezeichnen möchte, steht im terminologischen Ermessen. Der Weg dorthin könnte über ein begrenztes ,Gewaltkartell‘ von Staaten und Verteidigungsgemeinschaften führen: Es ist denkbar, daß diese sich unter Einsatz oder Androhung physischer Gewalt wirksam zu befriedenden Maßnahmen oder auch zur Verbrechensbekämpfung zusammenschließen.“43

V. Gesetztes Weltrecht Das mit dem Menschen geborene Weltrecht als Menschheitsverfassung beinhaltet de iure lata nur grundlegende Prinzipien. Es bedarf de lege ferenda näherer Materialisierung und Verwirklichung durch gesetztes (positives) Weltrecht. Das bedingt keinen Weltstaat, aber neben dem privaten Weltrecht eine zu schaffende öffentliche Weltrechtsordnung. Die öffentliche Weltrechtsetzung kann grundsätzlich institutionell oder funktional weltstaatlich durch eine Weltlegislative oder völkerrechtlich erfolgen. Auch Verträge verwirklichen das universelle Rechtsprinzip. Multilaterale Verträge, welche Weltrecht verbindlich positivieren, sind Weltverträge (dazu 3. Teil, E, S. 449 ff.). 41 Vgl. dazu J. H. Jackson, Changing Fundamentals of International Law and International Economic Law, AVR 41 (2003), S. 435 ff. 42 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR, 1999, 257. 43 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 1999, S. 68.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

VI. Weltrecht als Funktion der Einzelstaaten Weltrecht kann überdies als eine Funktion des Rechts der Einzelstaaten verstanden werden, wenn sich diese nicht nur auf ihre nationalen Belange beschränken, sondern sich für Anliegen der Menschheit öffnen. Man kann in diesem Sinne auch das innerstaatliche Recht als funktionales Weltrecht betrachten. Schon Grotius hat das innerstaatliche Recht als eine Funktion des „menschlichen Rechts“ gesehen.44 VII. Ziviles Weltrecht – Weltrecht als Recht der Weltgesellschaft Im Gegensatz zu staatsorientierten Ansätzen konzipieren manche Autoren das Weltrecht als ziviles Weltrecht45 oder „weltgesellschaftliches Gewohnheitsrecht“46. Jenseits staatsförmlicher Prozesse entwickelt sich privates Weltrecht über transnationale private Rechtsetzungsverfahren, insbesondere Vertragsordnungen, aber auch über soft law47 (z. B. im Kartellrecht48) und freiwillige Verhaltensnormen (z. B. für transnationale Unternehmen)49. Die Rede ist vom „Weltrecht ohne Staat“50, von einer lex humana und „weltgesellschaftlichem Gewohnheitsrecht“51, von der globalen „Privatrechtsgesellschaft“52, insbesondere als globaler „Privatwirtschaftsgesellschaft“ oder „Privatunternehmensgesellschaft“53. René-Jean Dupuy geht davon aus, daß nicht mehr die Staaten als solche, sondern die Menschheit Träger der internationalen Gemeinschaft seien: „la communauté internationale ne rassemble pas que des gouvernements mais avant tout

44 H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, dt. Ausgabe 1950 (De iure belli ac pacis, 1625), S. 53, XIV. 45 G. Teubner, Global Law without a State, 1977; ders., Globale Bukowina, 1996, S. 3 ff.; ders., Globale Zivilverfassungen: Alternativen zur staatszentrierten Verfassungstheorie, ZaöRV 63 (2003), S. 1 (5 ff.). 46 A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 717 (751). 47 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 540 ff. m. N.; U. Ehricke, „Soft Law“, NJW 1989, 1906 ff.; A. Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 86 f. 48 R. Voigt, Ende der Innenpolitik?, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29–30/98, S. 7; U. Ehricke, „Soft Law“, NJW 1989, 1906 ff. 49 Dazu 6. Teil, E, S. 864 ff. 50 G. Teubner, Globale Bukowina, S. 4. 51 A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 751. 52 F. Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, in: E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Freiheit und Ordnung in der Marktwirtschaft, 1980, S. 105. 53 C. E. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft, Rechtstheorie 21 (1990), S. 389.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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des hommes groupés dans des systèmes socio-culturels“.54 In der (globalen) „Zivilgesellschaft“55 oder Zivilgemeinschaft, sollen alle Menschen – unabhängig von den Staatsgrenzen – als moralische Wesen und Inhaber der fundamentalen Menschenrechte verbunden sein. Als spontane soziale Ordnung56 formulieren sie im freiwilligen Rechtsdiskurs, wenn man so will, in Anlehnung an die lex mercatoria eine lex humana.57 Mervin Frost hat behauptet, diese Zivilgemeinschaft sei der Hintergrund für alle anderen sozialen Institutionen.58 Für Niklas Luhmann hat die Weltgesellschaft auch ohne zentrale Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit eine Rechtsordnung.59 Er definiert diese als „wirtschaftsbürgerliche Gesellschaft ohne korrespondierenden Staat“.60 Unter dem Stichwort global governance61 werden vornehmlich Weltordnungsmodelle erörtert, die weniger eine institutionalisierte Weltstaatlichkeit, aber wohl ein maßgeblich von der Zivilgemeinschaft beeinflußtes Weltrecht voraussetzen, das Maßstab der governance ist und diese anhand menschenrechtlicher Prinzipien leitet.62

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts I. Grundsätzliche Möglichkeiten der Begründung Die Frage, warum Recht überhaupt gilt, stellt sich für das Weltrecht grundsätzlich nicht anders als für jede Rechtsordnung.63 Vertreten werden natur- und 54 R.-J. Dupuy, La communauté internationale entre le mythe et l’histoire, 1986, S. 180. 55 Vgl. zu diesem Begriff die Essay-Sammlung von J. Keane (Hrsg.), Civil Society and the State, 1988; kritisch zu diesem Begriff O. Höffe, Wirtschaftsbürger, Staatsbürger, Weltbürger, 2004, S. 90 ff., der den Terminus „Bürgergesellschaft“ vorzieht; siehe auch 5. Teil, B, S. 604 ff. 56 Vgl. dazu schon F. A. v. Hayek, Law, Legislation und Liberty, Bd. I, 1973, S. 35 ff. 57 A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 751. 58 M. Frost, „Global Society: Taking Rights Seriously“, 1996, S. 4. 59 N. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1997, S. 574. 60 N. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 574, Fn. 41. 61 J. N. Rosenau, Governance, order, and change in world politics, in: ders./E.-O. Czempiel, Governance without government, 1992, S. 1 ff.; J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S + F 2/98, S. 67; Kommission für Weltordnungspolitik: Nachbarn in Einer Welt, Bericht 1995, S. 4 f.; B. v. Plate, Grundelemente der Globalisierung, Informationen zur politischen Bildung, 263, 2. Quartal 1999, S. 4; D. Held, Democracy and the Global Order, 1995, S. 91 f.; etwa P. Zumbansen, Spiegelungen von Staat und Gesellschaft, in: M. Anderheiden/S. Huster/ S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 13 (35 ff.). 62 G. Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 63 (2003), S. 1 (20 ff.). 63 K. Doehring, Völkerrecht, 1999, S. 3; vgl. O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 205 f., 239, 278; K. Ipsen, Völkerrecht, 1999, S. 7 ff.; K. A. Schacht-

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

vernunftrechtliche, soziologisch-empirische und voluntaristisch-positivistische Lehren.64 Der Weltrechtsgedanke findet sich in den unterschiedlichen Begründungsansätzen und in diversen Rechtstraditionen. Ein rein positiver Rechtsbegriff kann nur die Geltung von gesetztem Weltrecht begründen und verlangt für die Verbindlichkeit von Weltrecht einen bestehenden Weltstaat, zumindest eine Weltrechtsordnung. Bedingt die Existenz von Weltrecht begrifflich einen Weltstaat, würde sich die Erörterung über die Begründung des Weltrechts in den Bereich der Utopie begeben und in rechtspolitischer Institutionenlehre erschöpfen. Der rein positivistische Weltrechtsbegriff65 gibt auf die Frage nach dem Gegenstand und der Begründung des Weltrechts keine erschöpfende Antwort. Während die positivistischen Lehren, wie diejenige Kelsens, eine Trennung von Recht und seiner (sittlichen, ethischen) Begründung und folglich auch eine Unterscheidung von Begründung und Geltung postulieren66, folgt nach naturrechtlichem Rechtsverständnis die Geltung des Rechts unmittelbar aus seiner Begründung. Nach Aristoteles hat das Naturrecht, welches als Teil des Polisrechts vom Gesetzesrecht zu unterscheiden ist, „überall dieselbe Kraft der Geltung und ist unabhängig von Zustimmung oder Nichtzustimmung (der Menschen)“.67 Man spricht insoweit auch von ethischen Geltungslehren.68 Die mit unterschiedlichen philosophischen oder religiösen Rechtsbegründungsansätzen verbundenen Naturrechtslehren69, welche den klassischen Kosmopolitismus prägen, begründen das Recht und seine Geltung aus der Natur des menschlichen Seins, einer Weltvernunft oder natürlichen/göttlichen Gesetzen. Die Vertragsrechtslehren antizipieren die mit menschlicher Vernunftbegabung verbundene Freiheit/Autonomie des Menschen als „angeborenes Recht“ und leiten daraus Voraussetzungen und Maßstäbe für die Rechtsetzung, aber nicht das gesamte materielle Recht ab. Die aus Rousseaus und Kants Gedankengut hervorgegangene Diskursethik prozeduralisiert die Freiheit im Diskurs und in seinen Regeln. Nach der Verstaatlichung und Positivierung des Rechts70 haben metaphysische Begründungen des Rechts sowie die ursprüngliche Einheit von Völkerschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden, 1996, S. 1 ff., 29 ff., 134 ff.; zur methodologischen Bedeutung des Rechtsbegriffs F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 179 ff. 64 Dazu F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 179 ff.; siehe auch 2. Teil, A, S. 90 ff. 65 Vgl. zum Begriff der Rechtspositivität H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, 1920, S. 85 ff. 66 Dazu F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 177 ff. 67 Aristoteles, Nikomachische Ethik, hrsg. v. F. Dirlmeier, 1983, 1134 b (S. 138). 68 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 49. 69 Vgl. A. Verdross, Völkerrecht, S. 102 f.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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und Staatsrecht allgemein an Einfluß verloren.71 Heute erzwingt die Entgrenzung der Lebensverhältnisse, die über den staatlich regelbaren Bereich hinausreicht, jedoch erneut ein Nachdenken über eine einheitliche Betrachtung des Rechts. Außerdem gewinnt die Rechtsbegründung jenseits staatlicher Rechtsetzung neue Bedeutung. Mehr noch als das Völkerrecht und notwendig anknüpfend an dieses, hat Weltrecht eine Friedensfunktion. In einer Zeit, in der die Furcht vor einem Zusammenprall der Zivilisationen, einen „Dialog“ der Kulturen erforderlich macht, ist es sachlich geboten, Recht im Zusammenhang mit seinen ethischen/philosophischen Grundlagen zu diskutieren. Andernfalls läßt sich ein substanzieller Konsens über das geltende Recht nicht herstellen. Dieser ist aber erforderlich, wenn man das Zwangsmoment des Weltrechts zur Vermeidung einer Universalmonarchie möglichst gering halten will. Im folgenden sollen verschiedene Ansätze zur Begründung von Weltrecht erörtert und die eigene Position aufgebaut werden. II. Klassischer und naturrechtlicher Kosmopolitismus Die Betrachtung früherer kosmopolitischer Ansätze soll zunächst zeigen, daß der Weltrechtsgedanke eine lange, kulturübergreifende Tradition hat, die älter als das Völkerrecht ist und die bis in die Entwicklung des modernen Völkerrechts hineinreichte. Der stoische Kosmopolitismus bereitet Kants universelle Rechtskonzeption vor, welche eine wesentliche Grundlage für die hier vertretene Weltrechtslehre bildet. Das Wort Kosmos bedeutet Ordnung und im weiterentwickelten Sinn auch geordnete Welt.72 Kosmopolitismus ist die darauf gerichtete Geisteshaltung.73 Platon zufolge erklärte Hippias aus Elis, „daß wir alle verwandt, befreundet und Mitbürger sind: von Natur aus, nicht durch das Gesetz“.74 Bei Euripides findet sich der Satz: „Überall in der Luft ist der Adler zu Hause; auf der ganzen Erde hat der edle Mann sein Vaterland.“75 Alle drei großen hellenistischen Philosophenschulen, die Kyniker, die Stoiker und die Epikureer bekennen sich zum

70 Dazu Th. Hobbes, Leviathan (1651), hrsg. v. M. Diesselhorst, 1970, II, 17. Kap. ff.; C. Schmitt, Legalität und Legitimität, 1968, S. 21 f.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 147 ff., 217 ff. 71 Ch. Möllers, Globalisierte Jurisprudenz, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit und Steuerungsfähigkeit des Rechts, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 41 f., 43 ff. 72 P. Frankl, Weltregierung, S. 211 f. 73 Vgl. P. Frankl, Weltregierung, S. 212 ff.; P. Coulmas, Weltbürger, 1990, S. 28 ff. 74 Platon, Protagoras, hrsg. v. O. Apelt/K. Hildebrandt, Bd. 1, 337 c. 75 Euripides, hrsg. v. G. A. Seeck, 1981, Fragment 1034.

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Ideal des Kosmopolitismus: patria est ubique est bene.76 Die bestehende Ordnung der Stadtstaaten sollte damit nicht in Frage gestellt werden.77 Der Begriff Kosmopolit geht zurück auf Diogenes78, den Begründer der Kynischen Philosophie.79 Auf die Frage, woher er käme, antwortete Diogenes: „Ich bin Bürger der Welt.“ In seiner verlorenen Schrift über die Politea soll er als einzig richtige Verfassung die kosmische, die einem Naturgesetz folgt, bezeichnet haben.80 Von ihm ist der Satz überliefert: „Die einzige richtige Staatsordnung ist die Weltordnung.“81 Klassenzugehörigkeit, Rang, Status, nationale Herkunft und Ortszugehörigkeit, auch das Geschlecht sind für die Kyniker zweitrangige und moralisch irrelevante Eigenschaften. Entscheidend für den Bürger ist die Verbundenheit mit der vernunftgemäßen Humanität, aus der sich weitere Ziele ableiten.82 Zurückgreifend auf vorsokratisches Denken, insbesondere auf Heraklit, ist die Stoa an einem vernünftig und teleologisch geordneten Kosmos orientiert.83 Anknüpfungspunkt menschlicher Gemeinschaft und Gesetzlichkeit ist nicht mehr die Polis, sondern die Kosmopolis.84 Die stoische Auffassung eines allgemeinmenschlichen universalen Weltrechts wird uns von Cicero85 und Seneca überliefert.86 Cicero nennt die Kosmopolis societas humana, die sich von der Familie ausgehend zur allmenschlichen Gemeinschaft ausdehnt.87 Seneca stellt zwei Formen der res publica nebeneinander: „das eine groß und wirklich allgemein, 76

A. Demandt, Der Idealstaat, 2000, S. 168. M. Brauer, Weltföderation, S. 21. 78 Diogenes Laertios, Leben und Lehre der Philosophen, hrsg. v. F. Jürß, 1998, 6. Buch, 63. 79 A. Demandt, Der Idealstaat, S. 168. 80 Diogenes, Leben und Lehre der Philosophen, 6. Buch, 72, 71; vgl. A. Demandt, Der Idealstaat, S. 170. 81 Zitiert nach W. Nestle, Die Sokratiker, 1922, S. 103. 82 Vgl. M. C. Nussbaum, Kant und stoisches Weltbürgertum, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 45 (51). 83 Vgl. Cicero, De natura deorum/Vom Wesen der Götter, hrsg. v. U. Blank-Sangmeister, 1995, II, S. 182 ff. (73 ff.); S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 78 f. 84 Vgl. S. König, Zur Begründung der Menschenrechte, 1994, S. 78, 80; P. Coulmas, Weltbürger, S. 113 ff. 85 Cicero, De legibus/Über die Rechtlichkeit, hrsg. v. K. Büchner, 1989, I (7), n. 23; (8), n. 24., I, 18 f.; ders., De re publica, Vom Gemeinwesen, hrsg. v. K. Büchner, 1979, III, 33, S. 281. 86 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 131; D. M. Johnston, in: Ronald St. J. Macdonald/D. M. Johnston (Hrsg.), Structure and Process, 1983, S. 179 (182) sieht in den Stoikern die ersten „to advance the theory of world order“; M. C. Nussbaum, Kant und stoisches Weltbürgertum, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 45 (49). 87 Cicero, De officiis, Vom pflichtgemäßen Handeln, hrsg. v. H. Gunermann, 1992, I, S. 48 (Nr. 51). 77

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das Götter und Menschen umfaßt, darin wir nicht auf diesen Winkel achten oder jenen, sondern die Grenzen unseres Staates mit der Sonne ausmessen; das andere, dem uns als Bürger zugeordnet hat die Bedingung der Geburt . . ., das nicht allen Menschen zugehört, sondern bestimmten.“88 Seneca teilt die stoischkosmopolitische Überzeugung: „Nicht bin ich für einen einzigen Winkel geboren, mein Vaterland ist diese ganze Welt“.89 Das stoische Denken sieht die gesamte Menschheit als eine im Naturrecht begründete moralisch-rechtliche Einheit.90 In der Stoa weitet sich das Naturrecht auf die gesamte Menschheit aus.91 Die Natur erscheint als harmonischer, deterministisch geordneter Kosmos.92 Als der Sittlichkeit und der Urteilskraft fähiges Vernunftwesen hat der Mensch am Weltlogos Anteil und folglich Einsicht in die Richtschnur für Recht und Unrecht.93 Die Vernunft wird als evidentes Naturgesetz und Teil des Göttlichen in jedem Menschen verstanden.94 Für die Stoiker ist Vernunft die Fähigkeit zur rationalen Wahl und damit zur Selbstbestimmung. Die gemeinsame Vernunft macht die Menschen nach Ansicht der Stoiker zu Weltbürgern.95 Mann und Frau, Sklave oder Freier, König oder Bauer sind alle gleich in ihrem moralischen Wert.96 Die menschliche Gesetzgebung wird nur insoweit als Recht angesehen, als sie mit dem Naturgesetz übereinstimmt.97 Chrysipp, der zweite Gründer der Stoa, der sich kosmogenés nannte98, ist der Ansicht, der Kosmos sei die gemeinsame Polis aller Menschen sowie der Götter.99 Polis in diesem Sinn ist kein rechtlich geordnetes Gemeinwesen mit glo88

Seneca, De otio (Über die Muße), III, IV. 1, hrsg. v. M. Rosenbach, 1995, S. 87. Seneca, Ad Lucilium. Epistulae morales (Briefe über Ethik), 3. Buch, 28, 4, hrsg. v. Rosenbach, 1995, Bd. 3, (S. 239). 90 Dazu A. Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, 1958, S. 47 ff. 91 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 80. 92 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 79. 93 Vgl. Seneca, Ad Lucilium epistulae morales, 15. Buch, 95, 54 ff., hrsg. v. M. Rosenbach, 1995, Bd. 4, S. 495 ff.; Cicero, De officiis, Liber primus, 11; S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 79 f.; M. Forschner, Die stoische Ethik, 1981, S. 110; vgl. auch O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 234 f. 94 Cicero, De officiis, III, S. 240 (23); vgl. auch M. C. Nussbaum, Kant und stoisches Weltbürgertum, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman, Frieden durch Recht, S. 52; S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 78 f. 95 M. C. Nussbaum, Kant und stoisches Weltbürgertum, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman, Frieden durch Recht, S. 52; H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, 1953, S. 11. 96 K. Baltz, Eine Welt, 1998, S. 13. 97 Vgl. dazu M. E. Reesor, The Political Theory of the Old and Middle Stoa, 1951, S. 10 f.; s. a. S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 81. 98 A. Demandt, Der Idealstaat, S. 172. 99 Stoicorum veterum fragmenta II, 32; 328; vgl. später Cicero, De natura deorum II, S. 133; Seneca, De otio, 3 IV, 1 (S. 87). 89

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

balen Institutionen, sondern ein gemeinsamer Lebensraum. Dagegen entwirft Zenon von Kition (ca. 340–262 v. Chr.), der erste Gründer der Stoa eine Kosmopolis in Form eines homogenen Weltstaates. Im Unterschied zum apolitischen Kosmopolitismus soll es eine einzige Lebensweise und Ordnung geben, so daß die Menschen nicht nur eine gemeinsame Natur, sondern auch ein gemeinsames Recht verbindet.100 „Wir sollten nicht in Staaten und Bevölkerungen getrennt leben, die je ihr besonderes Recht haben, sondern glauben, daß alle Menschen unsere Volksgenossen und Mitbürger seien; es sollte nur Eine Lebensform und nur Eine Staatsordnung geben, gleich wie eine zusammenweidende Herde nach gemeinsamen Gesetz aufgezogen wird“.101

Standes-, Geschlechts- und Rassenschranken sollen beseitigt werden, weil alle Menschen von Natur aus zueinander gehören. Plutarch schreibt: „Die so bewunderte Republik Zenons ist auf das Hauptziel hin ausgerichtet, daß alle Bewohner der Welt ihr tägliches Leben nicht um die Stadt oder das Volk organisieren sollen, das abgetrennt ist von anderen durch lokale Schemata des Rechts, sondern wir sollen alle menschlichen Individuen so betrachten, als gehörten sie einem Volk an und als seien sie unsere Mitbürger. Es sollte nur eine Lebensart geben und nur eine Ordnung, gerade so wie eine Herde, die sich gemeinsam ernährt und sich eine gemeinsame Natur und ein gemeinsames Recht teilt.“102

Kaiser Marc Aurel, der zur späteren Stoa gerechnet wird, und der tatsächlicher Herrscher eines Weltstaates im damaligen Sinn war, reflektiert in seinen Selbstbetrachtungen die kosmopolitische Ausrichtung auf das Weltganze und den Weltstaat:103 „Haben wir das Denkvermögen miteinander gemein, so ist uns auch die Vernunft gemeinsam, kraft der wir vernünftige Wesen sind; ist dem so, so ist uns auch die Stimme gemein, die uns vorschreibt, was wir tun und nicht tun sollen; ist dem so, so haben wir auch alle ein gemeinschaftliches Gesetz; ist dem so, so sind wir Mitbürger untereinander und leben unter der selben Regierung; ist dem so, so ist die Welt gleichsam unsere Stadt; denn welchen anderen gemeinsamen Staat könnte jemand nennen, in dem das ganze Menschengeschlecht dieselben Gesetze hätte?“104

100 Stoicorum veterum fragmenta I, 54, 60 f., 133, 262; vgl. auch O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 236; A. Demandt, Der Idealstaat, S. 172. 101 Zitiert nach W. Nestle, Die Nachsokratiker II, 1923, S. 2 f. 102 Plutarch, Über das Schicksal des Alexander, zitiert und übersetzt nach Plutarch’s Moralia in fifteen Volumes, Bd. IV, 1962, S. 396 f. 103 Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, hrsg. v. A. Wittstock, 1949, 4. Buch, 4 (S. 43 f.); vgl. E. F. Sauer, Staatsphilosophie, S. 317 f.; H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, 1953, S. 11. 104 Marc Aurel, Wege zu sich selbst, hrsg. v. W. Theiler, 1984, S. 77.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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In seinen Selbstbetrachtungen sagt er: „Nichts ist geeigneter, uns erhaben über alles Irdische zu machen, als die Fähigkeit, jeden Gegenstand, . . . richtig und vernunftgemäß zu untersuchen und ihn stets auf solche Art zu betrachten, daß es uns zugleich klar wird, in welchem Zusammenhange er steht, welchen Nutzen er gewähre, welchen Wert er für das Ganze, welchen für den einzelnen Menschen habe, als Bürger jenes höchsten Staates, worin die übrigen Staaten gleichsam nur wie Häuser anzusehen sind.“105

Der „oberste Staat“ war für Marc Aurel das Römische Reich. Die Weltbürgerlichkeit bedeutet nach stoischer Auffassung nicht den Verlust der Identität kleinerer Einheiten. Hirocles, ein Stoiker des ersten Jahrhunderts nach Christus, benutzt eine Metapher des von verschiedenen konzentrischen Kreisen umgebenen Individuums, die sich in Ciceros ,De officiis‘ wiederfindet.106 Der erste Kreis wird um das Ich gezogen; der nächste schließt die unmittelbare Familie ein; dann folgt die weitere Familie sowie die Nachbarn oder örtlichen Gruppen, die Mitbürger der Stadt, die Einwohner des Landes. Der größte Kreis ist die Humanität, welche die gesamte Menschheit umfaßt. Unsere Aufgabe als Bürger dieser Welt ist es, die „Kreise irgendwie um ein gemeinsames Zentrum zu zeichnen“, wobei wir alle Menschen zu Mitbürgern werden lassen.107 In seinen Werken ,De re publica‘ und ,De officiis‘ greift Cicero den Gedanken des Weltbürgertums von Zenon auf:108 „Und es ist dies die am weitesten ausgreifende Gesellschaft der Menschen untereinander: die aller mit allen. In ihr ist die gemeinschaftliche Verfügung über alle Erzeugnisse, die die Natur zu gemeinschaftlicher Nutznießung durch die Menschen hervorgebracht hat, zu wahren.“

Er begreift die Menschheit als „Schicksalsgemeinschaft“109, die nicht nur dazu verpflichtet, sich nicht gegenseitig zu verletzen, sondern auch eine gewisse Pflicht zur Hilfeleistung beinhaltet: Während die Klugheit an den eigenen Vorteil denkt, schriebt die Gerechtigkeit vor, „alle zu schonen, für das Menschengeschlecht zu sorgen, einem jeden das Seine zu geben, Heiliges, Staatliches, Fremdes nicht anzurühren.“110 „Und ebenso ist es mehr der Natur gemäß, für die Rettung und Unterstützung aller Völker, wenn das möglich ist, die größ-

105

Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, übers. v. A. Wittstock, 1949, 3. Buch, Nr. 11,

S. 38. 106

Cicero, De officiis, I, S. 50 ff. Hirokles-Fragment in: A. A. Long/D. Sedley, The Hellenistic Philosophers, 1987, S. 349; M. C. Nussbaum, Kant und stoisches Weltbürgertum, in: M. Lutz-Bachmann/ J. Bohman, Frieden durch Recht, S. 55 f. 108 Cicero, De officiis, I, 51, S. 48. 109 Cicero, De officiis, III, 26, S. 242. 110 Cicero, De re publica, III, 24, S. 273; ders., De officiis, I, 99, S. 88. 107

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

ten Mühsale und Beschwernisse auf sich zu nehmen . . .“.111 Auch wenn die Pflicht zur Solidarität112 unter den Menschen mit dem Grad der Verbundenheit steigt113, gibt es doch auch Verpflichtungen und Rechte aller Menschen untereinander.114 Das Naturgesetz, welches Cicero mit dem ius gentium gleichsetzt115, hindert uns daran, den anderen zu verletzen (neminem laedere)116: „Wenn die Natur dies vorschreibt, daß der Mensch will, es sei für den Mitmenschen – wer es auch immer sei, nur aus dem Grundes, weil er ein Mensch ist – gesorgt, so ist es notwendig gemäß derselben Natur, daß der Nutzen aller Gemeininteresse sei. Wenn dem so ist, dann stehen wir alle unter ein und demselben Gesetz der Natur, und wenn ebendies so ist, dann werden wir sicherlich durch das Gesetz der Natur gehindert, den Nächsten zu verletzen . . . Wer aber sagt, man müsse Rücksicht nehmen auf seine Mitbürger, nicht aber auf Ausländer, der hebt die alle umfassende Gemeinschaft der Menschheit auf. Ist diese beseitigt, dann werden Wohltätigkeit, Freigiebigkeit, Redlichkeit und Gerechtigkeit von Grund her aufgehoben.“117

Aus dem Weltbürgergedanken leitet Cicero auch ein Aufenthaltsrecht ab: „Übel handelt ferner, wer Fremde am Aufenthalt in Städten hindert und außer Landes weist, . . . Denn daß einer, der nicht Bürger ist, nicht als Bürger gelten darf, das ist rechtens . . . Am Aufenthalt in der Stadt aber Fremde zu hindern, das ist recht unmenschlich.“118

Auf dieser Grundlage entwickelt er Ansätze eines Weltrechts, das für alle Staaten und Menschen Gültigkeit haben soll. Cicero unterscheidet das ius civile, das positive Recht, wie es nach Völkern und Zeiten jeweils unterschiedlich ist und darüberstehend als Leitbild das ewige und unveränderliche ius naturale, das unabhängig davon gilt, ob es jemals verwirklicht oder mit Füßen getreten wird. In ,De re publica‘ läßt Cicero Laelius sagen: „Es ist aber das wahre Gesetz die richtige Vernunft, die mit der Natur in Einklang steht, sich in alle ergießt, in sich konsequent, ewig ist, . . . Wir können aber auch nicht durch den Senat oder das Volk von diesem Gesetz gelöst werden, . . . noch wird in Rom ein anderes Gesetz sein, ein anderes in Athen, ein anderes später, sondern alle Völker und zu aller Zeit wird’s ein einziges, ewiges und unveränderliches Gesetz beherrschen . . .“119

111

Cicero, De officiis, III, 25, S. 240 f. Zum Begriff K. Bayertz, Begriff und Problem der Solidarität, in: ders. (Hrsg.), Solidarität, 1998, S. 11 ff., zur Solidarität als universelle Brüderlichkeit S. 15 ff. 113 Cicero, De officiis, I, 50, 46 f.; 53, S. 50 ff. 114 Cicero, De officiis, I, 149, S. 130. „Wir sind verpflichtet, die unterschiedslose Vereinigung und Verbindung der ganzen Menschheit zu berücksichtigen, zu wahren und zu achten.“ 115 Cicero, De officiis, III, 23, S. 240. 116 Cicero, De officiis, I, S. 88; III, 21 ff., S. 239 f. 117 Cicero, De officiis, III, 27, 28, S. 243 f. 118 Cicero, De officiis, III, 47, S. 261. 112

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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Die Sätze des Naturrechts sind wie die Regeln der Geometrie nicht aus der Erfahrung abgeleitet, sondern erschließen sich nur der sorgfältigen Selbstprüfung der Vernunft.120 Jedes Vernunftwesen besitzt nach Cicero ein angeborenes Gefühl für Recht und Billigkeit, das entwickelt werden kann. Dem Einwand der Positivisten und Skeptiker, das Naturrecht würde es nicht geben, begegnet er mit der Evidenz der Vernunft, die zumindest die Vernunftfähigkeit des Menschen belegt.121 Die Fähigkeit des Menschen, positive Rechtsnormen zu beurteilen und weiter zu entwickeln, wird als Beweis für das ius naturale gesehen.122 Das Naturgesetz selbst enthält keine äußeren Zwangsmittel. Vielmehr sehen die Gesetze der „Volks-Gemeinschaften“ Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Naturgesetze vor.123 Nicht nur die abendländische Klassik kennt den Kosmopolitismus. Im Kernpunkt der Lehre des Konfuzius steht das (universelle) Sittengesetz, das Wesen des Menschen und aller Erscheinungsformen (Li) als kosmische Ordnung und Maßstab für das Handeln.124 Es gilt als Voraussetzung für den Erfolg jeglicher gesellschaftlicher Ordnung.125 Die traditionelle islamische Weltanschauung ist kosmopolitisch; denn in ihrem Mittelpunkt steht nicht der Staat, sondern Gott.126 Das klassische islamische Recht127 ist, wenn es auch koordinationsrechtliche Regelungen für die Übergangszeit kennt128, auf ein Universalgemeinwesen ausgerichtet, dem im 119

Cicero, De re publica, III, 33, S. 281. A. Demandt, Der Idealstaat, S. 238. 121 A. Demandt, Der Idealstaat, S. 239; Cicero, De officiis I, 108, S. 95: „. . . weil wir alle teilhaftig sind der Vernunft und des Vorzugs, durch den wir uns auszeichnen vor den Tieren, . . . und von der aus der Weg zur Auffindung des pflichtgemäßen Handelns gesucht wird.“ Ders., De re publica, III, 38, S. 285, I 41, S. 133: „Denn gäbe es im Menschen nicht zur Gerechtigkeit bestimmte Samen sozusagen, würde man weder irgendeine Entwicklung der übrigen Tugenden noch des Gemeinwesens selbst finden.“ 122 A. Demandt, Der Idealstaat, S. 239. 123 Cicero, De officiis, III, 23, S. 240. 124 H. v. Ess, Der Konfuzianismus, 2003, S. 80; allgemein zum Terminus „Li“ S. 78 ff. 125 Konfuzius, in: O. H. Stange, Weisheit, 1964, S. 16 ff., 42 ff. 126 Dazu Ch. A. Stumpf, Völkerrecht unter Kreuz und Halbmond, AVR 41 (2003), S. 83 (85 ff.). 127 Den Menschen wurde das göttliche Gesetz offenbart. Es wird als ranghöchstes Recht für die Menschen angesehen. Die Offenbarung geschah nach islamischen Glauben entweder durch die im Koran niedergelegten Offenbarungen des Propheten Mohammed oder durch die Sunna, in deren Regeln das Beispiel des Propheten und seiner Jünger dargelegt sind, oder, wenn die beiden vorgenannten Quellen nichts sagen, durch einhellige Übereinkunft der (unter göttlicher Eingebung) handelnden Rechtsgelehrten. Dazu I. K. Salem, Islam und Völkerrecht, S. 141 ff.; Ch. A. Stumpf, Völkerrecht unter Kreuz und Halbmond, AVR 41 (2003), S. 86 ff. 128 Dazu I. K. Salem, Islam und Völkerrecht, S. 141 ff.; Ch. A. Stumpf, Völkerrecht unter Kreuz und Halbmond, AVR 41 (2003), 86 ff. 120

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Laufe der Zeit alle Staaten und Völker einzugliedern sind. Es beansprucht also Universalität und zielt auf einen muslimischen Weltstaat129, welcher durch den „Heiligen Krieg“ (Gˇ iha¯d)130 erreicht werden soll. Die islamische Shari’a, welche das Recht der Muslime in ihrer Gesamtheit regelt, kennt keine Unterscheidung und keinen Konflikt zwischen staatlichem und internationalem Recht, weil allem Recht der muslimische Glaube zugrunde liegt.131 Daraus folgt die Umma. Sie ist die politische Einheit aller Muslime ohne Unterscheidung einzelner Völker.132 Die Idee des Gottesstaates kennt auch das Christentum. In der Scholastik geht Augustinus (354–430 n. Chr.)133, geprägt von Aristoteles, von der grundsätzlichen Einheit des Menschengeschlechts aus. Alles Denken, alles Streben, alles Leben soll ausschließlich auf Gott und damit auf das Jenseits gerichtet sein.134 In seiner Schrift ,Vom Gottesstaat‘, entwarf er einen Völker überspannenden Gottesstaat, in dem alle Menschen vereint sein sollen, die nach Gottes Gebot ihr Leben führen.135 Grundlage der Lehren auch von Thomas von Aquin136, Francisco de Vitoria137, Francisco Suarez138, Hugo Grotius139, Samuel Pufendorf140, Christian 129 I. K. Salem, Islam und Völkerrecht, S. 95 ff., 98; P. Coulmas, Weltbürger, S. 187 f.; Ch. A. Stumpf, Völkerrecht unter Kreuz und Halbmond, AVR 41 (2003), S. 86 ff. 130 Dazu I. K. Salem, Islam und Völkerrecht, S. 103 ff. 131 I. K. Salem, Islam und Völkerrecht, S. 97. 132 W. Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, 1997, S. 56, Rn. 84; Ch. A. Stumpf, Völkerrecht unter Kreuz und Halbmond, AVR 41 (2003), S. 85 f. 133 Augustinus, De genesi ad litteram, hrsg. v. J. Zycha, VIII, n. 30; ders., De libero arbitro, I, hrsg. v. J.-P. Migne, cap. VI, n. 19. 134 Augustinus, Vom Gottesstaat, XIV, 28, XIX, 17. 135 Augustinus, Vom Gottesstaat, XIX, 17: „Während also dieser himmlische Staat auf Erden pilgert, beruft er aus allen Völkern seine Bürger und sammelt aus allen Zungen seine Pilgergemeinde. Er fragt nichts nach Unterschieden in Sitten Gesetzen und Einrichtungen, wodurch der irdische Friede begründet oder aufrechterhalten wird, lehnt oder schafft nichts davon ab, bewahrt und befolgt es vielmehr, mag es auch in den verschiedenen Völkern verschieden sein, da alles ein und demselben Ziele irdischen Friedens dient. Nur darf es die Religion, die den einen höchsten und wahren Gott zu verehren lehrt, nicht hindern.“ Vgl. dazu P. Coulmas, Weltbürger, S. 183 ff.; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 1. Teilbd., 1970, S. 76 ff. 136 Thomas von Aquin, Summa theologica, hrsg. v. Katholischen Akademikerverband, 1934, I, q. 22, Art. 1.2 und I–II, q. 91, Art. 1, 2. 137 F. Vitoria, De Indis recenter inventis et de iure belli Hispanorum in Barbaros (1539), hrsg. v. W. Schätzel, 1952, III, 5.4; ders., Über die staatliche Gewalt (De potestate civili, 1532), 13, 21, eingeleitet und übersetzt von R. Schnepf 1992. 138 F. Suárez, Tractatus de legibus et deo legislatore (1612), Nachdruck 1967, II, cap. XIX, 9. 139 Vgl. H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, Vorrede, §§ 3, 23 ff. 140 S. Pufendorf, De jure naturae et gentium (1672), übers. v. J. N. Hertii, J. Barbeyrac, Vom Natur- und Völkerrechte, 1711, 2 Bände.

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Wolff141 und Emeric Vattel142 bleibt die Annahme einer Einheit des Menschengeschlechts143, verbunden durch eine göttlichen Vernunft oder ein göttliches Gesetz (lex aeterna)144 sowie einer einheitlichen Weltordnung (una republica145, civitas maxima146). Gleichzeitig betonen diese Autoren aber auch die Notwendigkeit positiver Rechtsetzung147, welche sich allerdings am Naturrecht messen lassen muß.148 Durch seine praktische Vernunft hat der Mensch an der lex aeterna teil.149 Universal verpflichtende Regeln können entstehen, wenn ihnen die Mehrheit des Menschengeschlechtes zustimmt (orbis totius consensu)150, oder auf der Grundlage eines Konsenses oder auch von Mehrheitsbeschlüssen der Staaten151. Das Ziel des Völkerrechts der damaligen Zeit bestand nicht nur im zwischenstaatlichen Interessenausgleich, sondern im allgemeinen Wohl der Menschheit (bonum commune generis humani).152

141 Ch. Wolff, Jus gentium, Prolegomena, §§ 10–20; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 13 f., § 17. 142 E. Vattel, Droits des gens ou principes de la loi naturelle (1758). 143 F. Vitoria, De iure belli, I; ders., De potestate civili, n. 21; F. Suárez, Tractatus de legibus et deo legislatore (1612), Nachdruck 1967, II, cap. XIX, 9; H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, Vorrede, § 23. 144 H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, Vorrede, 8 ff.; S. Pufendorf, Vom Natur- und Völkerrechte, 2. Buch, 3. Kap.; vgl. dazu Ch. A. Stumpf, Völkerrecht unter Kreuz und Halbmond, AVR 41 (2003), S. 83 ff.; T. Nagel, Erst der Muslim ist ein freier Mensch!, in: G. Nolte, H.-L. Schreiber (Hrsg.), Der Mensch und seine Rechte, 2004, S. 121 ff. (124 ff.). 145 F. Vitoria, De Indis recenter inventis et de iure belli Hispanorum in Barbaros III, 5.4; ders., Über die staatliche Gewalt (De potestate civili, 1532), 13, 21, eingeleitet und übersetzt von R. Schnepf 1992. 146 Ch. Wolff, Institutiones iuris naturae et gentium (1754), § 1090: „Cum gentes conjunctis viribus se statumque suum perficere obligentur; ipsa natura societatem quandam inter gentes instituit, in quam ob obligationis naturalis indepensabilem necessitatem consentire tenentur, ut quasi pacto contracta videatur. Atque haec societas communis salutis causa inter gentes institua Civitas maxima vocatur; cuius membra, feu veluti cives, sunt singulae gentes“. Wegen der Gleichheit der Staaten hat sie keine zentralen Organe. 147 Thomas von Aquin, Summa theologica I–II, q. 96 Art. 4; F. Suárez, Tractatus de legibus et deo legislatore, II, cap. XIX, 9; S. Pufendorf, Vom Natur- und Völkerrechte, 7. Buch, 1. Kap. 148 F. Suárez, Tractatus de legibus et deo legislatore, II, cap. XIX, 8. Suárez gibt die Einheit von Recht und Naturrecht grundsätzlich auf: Grundlegende Prinzipien, wie der Satz pacta sunt servanda, sollen allerdings dem Naturrecht angehören; S. Pufendorf, Vom Natur- und Völkerrechte, 7. Buch, 6., 9. Kap.; Ch. Wolff, Institutiones iuris naturae et gentium, § 1090: „Quemadmodum vero lex naturae praestat consensum in civitatem maximam“; ders., Jus gentium, Prolegomena, §§ 12, 20; Vattel, Droits des gens ou principes de la loi naturelle, Prél., sec. 9. 149 Thomas von Aquin, Summa theologica I, II q. 90 a 2; S. Pufendorf, Vom Naturund Völkerrechte, 1. Buch, 1. Kap. § II, 3. Kap. 150 F. Vitoria, De iure belli, I. 151 H. Grotius, Vorrede, 17; Ch. Wolff, Jus gentium, Prolegomena, §§ 8, 10–20.

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Mit dem Alleinanspruch des Papstes als Stellvertreter Gottes auf Erden und Herrscher der Menschheit, dem auch Kaiser und Könige unterstehen sollten153, begründete Thomas von Aquin eine Universalmonarchie154. Nach Vitoria verfügt der totus orbis, nach Christian Wolff die civitas maxima über legislative Gewalt.155 Zwischen den Völkern dienen nach Pufendorf Bündnisse dem Frieden.156 Grotius entwickelt zwar eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit, lehnt aber eine Weltzentralinstanz ab; denn ein derartiger Weltstaat sei wie ein Schiff, das sich nicht steuern läßt: er sei unregierbar.157 Emeric Vattel, der sich als Schüler Wolffs bezeichnet158, lehnt die Idee einer auf hypothetischem Zusammenschluß ruhenden Völkerrechtsgemeinschaft ab. Hiergegen setzt er die société des nations (Staatengesellschaft), einen losen Zusammenhalt souveräner und gleicher Staaten.159 Ein Recht zum Kriege wird nicht grundsätzlich ausgeschlossen.160 III. Vertragslehren, Vernunftrecht und Diskursethik 1. Grundlagen Hobbes, Lockes, Rousseaus und Kants Lehren und die von diesen Denkern geprägten, neueren Vertrags- und diskursiven Konsenslehren unterstellen nicht eine vorgegebene göttliche Ordnung, sondern gehen vom Vernunftrecht aus, auf das sie eine (zu schaffende) öffentliche Rechtsordnung stützen. Kant, der auf dem stoischen Gedankengut aufbaut, und seine Nachfolger erkennen die Rechtsgrundlage allen Rechts in der (transzendentalen) Freiheit des Menschen.161

152 F. Suárez, De triplici virtute theologica, tractatus III: de charitate, disp. 13: de bello, 5; H. Grotius, Vorrede, 17; Ch. Wolff, Jus gentium, Prolegomena, § 8. 153 Thomas von Aquin, Über die Herrschaft des Fürsten (De regimine principum), hrsg. v. F. Schreyvogl, I, Kap. XI; P. Coulmas, Weltbürger, S. 212 ff.; vgl. auch zur Staatsauffassung von Thomas v. Aquin F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 1. Teilbd., S. 78 ff. 154 Zum Begriff W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 1999, S. 43 f. 155 F. Vitoria, De potestate civili, n. 21; Ch. Wolff, Institutiones iuris naturae et gentium, § 1090: „civitas quoque maxima leges habere debet“. 156 S. Pufendorf, Vom Natur- und Völkerrechte, 8. Buch, 9. Kap. 157 H. Grotius, II, 22. Kap., XIII (S. 386). 158 E. Vattel, Droits des gens ou principes de la loi naturelle (1758), Préface, S. 6. 159 E. Vattel, Droits des gens, Prél., sec. 10 ff. 160 Dazu S. Pufendorf, Vom Natur- und Völkerrechte, 8. Buch, 6. Kap. 161 Vgl. Th. S. Hoffmann, Über Freiheit als Ursprung des Rechts, ZRph 2003, 16 ff.

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a) Recht und Freiheit als ursprüngliche Begriffe der Vernunft Hobbes beschränkt das natürliche Recht des Menschen auf sein Recht auf Selbsterhaltung, allein bezogen auf die physische Existenz.162 Als subjektive natürliche Rechte, die über den staatlichen Gesetzen stehen, erkennt er somit nur Rechte zur unmittelbaren Aufrechterhaltung des Daseins, wie das Recht auf Leben, die Luft zum Atmen, die Bewegungsfreiheit und die Freizügigkeit.163 Meinungs- und Gedankenfreiheit lehnt Hobbes dagegen als Bedrohung des inneren Friedens ab.164 Nach Hobbes sind die Begriffe von Recht und Unrecht, von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit im Naturzustand, in dem es „ein Recht auf alles“ gibt, nicht existent165, sondern können sinnvoll nur verwendet werden, wenn staatliche Zwangsgewalt die Einhaltung von Gesetzen erzwingen kann.166 Recht gibt es danach nur im und durch den Staat. Eine Weltstaatskonzeption hat Hobbes nicht. Der Naturzustand ist für Locke ein Zustand „vollkommener Freiheit“ sowie der Gleichheit und Wechselseitigkeit167, in dem allerdings anders als nach Hobbes ein „natürliches Gesetz“ herrscht, das jeden verpflichtet. „Die Vernunft, der dieses Gesetz entspricht, lehrt die Menschheit, wenn sie sie nur befragen will, daß niemand einem anderen, da alle gleich und unabhängig sind, an seinem Leben und Besitz, seiner Gesundheit und Freiheit Schaden zufügen soll.“168

Zur Vollstreckung des natürlichen Gesetzes, „das den Frieden und die Erhaltung der ganzen Menschheit verlangt“, ist jeder verantwortlich.169 Als Folge der Verteidigung gegen Angriffe auf die natürliche Freiheit und auf das natürliche Gesetz kommt es zum Kriegszustand.170 Wie Rousseau, der den Freiheitsbegriff allerdings auf verschiedene geschichtliche Entwicklungen des Menschen bezieht171, geht Kant von der Idee (angeborener) gleicher menschlicher Freiheit aus.172 Insoweit ist seine Lehre trans162 Dazu M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, S. 8 ff., 51 ff. 163 Hobbes, Leviathan I, 15. Kap.; vgl. dazu auch S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 105 ff. 164 Vgl. Hobbes, Leviathan II, 18. Kap., S. 161. 165 Hobbes, Leviathan I, 13. Kap., S. 115 f.; dazu M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, S. 52 ff. 166 Hobbes, Leviathan II, 17., 18. Kap.; vgl. auch M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, S. 10 ff. 167 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1689), dt. hrsg. v. W. Euchner, 1977, II, 2. Kap, § 4. 168 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, II, 2. Kap., § 6. 169 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, II, 2. Kap., § 7. 170 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, II, 3. Kap., § 16. 171 M. Forschner, Gesetz und Freiheit, 1974, S. 104 f. 172 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 354 (AB 45) f.

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zendental oder „naturrechtlich“. In der Einleitung zu seiner Rechtslehre schreibt Kant unter der Überschrift: „Das angeborene Recht ist nur ein einziges“. „Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinem Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht.“173 Danach genießen alle Menschen das gleiche Recht auf Freiheit und Gleichheit in der Freiheit174. Daraus ergibt sich das Postulat allgemeiner Freiheit.175 Kant begreift Freiheit als Idee der Vernunft und nicht als objektive Realität.176 Die äußere Freiheit ist nach Kant „die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“.177 Die innere Freiheit ist zum einen die Unabhängigkeit des Handelns von sinnlichen Antrieben und zum anderen „das Vermögen der reinen Vernunft für sich selbst praktisch zu sein“, d. h. die Möglichkeit, daß reine Vernunft das Handeln bestimmt178, was auch Sittlichkeit genannt wird179. Das vernünftige Wesen muß sich jederzeit als gesetzgebend in einem durch Freiheit des Willens möglichen Reiche der Zwecke betrachten“.180 Damit verbunden ist der Imperativ, den anderen in seiner Würde zu achten.181 Recht ist nach Kant „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinem Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“182

Bereits vor Eingehung einer bürgerlichen Verfassung gibt es für Kant ein aus Prinzipien der Freiheit a priori abgeleitetes Naturrecht183 und provisorische184 Rechte. Der Naturzustand ist nicht deshalb defizitär, weil dort überhaupt keine 173

Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). Dazu M. Kriele, Freiheit und Gleichheit (1983), in: ders. (Hrsg.), Recht, Vernunft, Wirklichkeit, 1990, S. 143; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 4, 34, 40; ders., Freiheit in der Republik, 2006, S. 34 ff. 175 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 299. 176 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 92 (BA 114, 115) f., 96 (BA 120/121); dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 19 ff., 34 ff.; vgl. auch M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, S. 56. 177 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45); dazu J. Hruschka, Kants Rechtsphilosophie als Philosophie des subjektiven Rechts, JZ 2004, 1085 f. 178 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67 (BA 76, 77). 179 Dazu K. A. Schachtschneider, Sittlichkeit und Moralität, Aufklärung und Kritik 2/2004, S. 7 (9). 180 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67 (BA 76, 77). 181 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, S. 61 (BA 67), auch S. 66 (BA 74, 75) ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 210 (A 156). 182 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 337 (A 33/B 33, 34); dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 34 ff. 183 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 184 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 366 (AB 74) f.; M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, S. 66 f. 174

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Rechtsbeziehungen existieren, sondern weil diesen die öffentlich-rechtliche Anerkennung, Ausgestaltung und Gewährleistung fehlt.185 Die zur Verteidigung dieser Rechte eingesetzte Gewalt hat den Charakter von Selbsthilfe. Sie antizipiert aber bereits die Struktur des öffentlich-rechtlichen Zustands, nämlich die wechselseitige Anerkennung von Rechtsgenossen auf der Basis gleicher Freiheit186, wenn derjenige, der den Zwang vollzieht, damit einen anderen nötigen will, „mit ihm zusammen in eine bürgerliche Verfassung zu treten“.187 Durch die bürgerliche Verfassung wird das Recht nach Kant nur materialisiert und gesichert, nicht begründet.188 b) Menschenbild, Menschenwürde Hobbes betrachtet den Menschen nicht aristotelisch als Zoon politikon189, sondern vielmehr als von Natur aus egoistisches Individuum, welches aber um der Selbsterhaltung Willen den Krieg aller gegen alle vermeiden muß und damit des Staates bedarf.190 Anders als Hobbes erkennen Rousseau und Kant den Menschen nicht nur als Natur-, sondern auch als vernünftiges Gemeinschaftswesen, das zur Moralität, zum sittlichen Handeln und zur Selbstgesetzgebung fähig ist.191 Nach Kant ist „die Menschheit in der Person des Menschen das Objekt der Achtung, die er von jedem Menschen fordern kann und auf der seine Würde, sein absoluter innerer Wert, beruht. „. . . das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Wert, d. i. einen Preis, sondern einen inneren Wert, d. i. Würde.“192

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Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203 (BA 18, 19). H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 160 f.; dazu auch J. Hruschka, Kants Rechtsphilosophie, JZ 2004, 1088. 187 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 366 (AB 74); ders., Zum ewigen Frieden, S. 203 (BA 18, 19). 188 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 366 (AB 74). 189 Aristoteles, Politik, hrsg. v. F. Schwarz, 1253a (S. 78). 190 Hobbes, Leviathan, I, 13. Kap. (S. 113 ff.). 191 Rousseau, Emile (1762), 4. Buch, hrsg. v. M. Rang, 1963, S. 485 ff., 586 ff.; dazu M. Forschner, Gesetz und Freiheit, S. 99 f., 211; Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 20 (BA 5) ff.; ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 74 (BA 87); vgl. auch K. A. J. Hochheim (pseudonym: Justus Sincerus Veridicus), Von der europäischen Republik:, S. 154; dazu K. A. Schachtschneider, Die Würde des Menschen, in: Mut zur Ethik, 1997, S. 277 (278); M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, S. 56 ff.; F. Kaulbach, Immanuel Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, 1996, S. 82 ff., 91 ff., 100 ff., 131 f.; 207 ff. 192 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 68 (BA 78). 186

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Grund der menschlichen Würde ist für Kant die „Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens“. Das ist die angenomme Fähigkeit des vernünftigen Wesens zur (Selbst-)Gesetzgebung unter der Bedingung der Moralität.193 Deshalb darf „der Mensch . . . von keinem Menschen (weder von anderen noch so gar von sich selbst) bloß als Mittel, sondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden und darin besteht eben seine Würde (die Persönlichkeit) . . .“194

Während Rousseau den Menschen als einheitliche, wenn auch geschichtlichen Bewegungen unterworfene, Natur nicht verläßt195, unterscheidet Kant das Idealbild des Menschen als Vernunftwesen (homo noumenon) vom tatsächlichen, seinen Trieben und Neigungen folgenden, determinierten Menschen (homo phaenomenon).196 Weil er ein intelligentes Wesen ist, denkt sich der Mensch „dem Willen nach als frei“.197 Obgleich auch der Sinnenwelt zugehörig, unterwirft er sich dennoch der Autonomie des Willens, den Gesetzen der Vernunft, „die in der Idee der Freiheit das Gesetz derselben enthält“198. Er sieht die Gesetze der Verstandeswelt für sich als Imperative und die diesem Prinzip gemäßen Handlungen als Pflichten an.199 Eigentlich ist das moralische Sollen eigenes notwendiges Wollen als Glied einer intelligiblen Welt. Als Sollen wird es nur insofern betrachtet, als sich der Mensch zugleich als sinnliches Wesen betrachtet.200 Zur Überwindung der Kluft zwischen dem empirischen und dem vernünftigen Menschen fordert Kant den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“201. c) Bürgerliche Freiheit und Selbstgesetzgebung Hobbes202, Locke203 und Rousseau204 und Kant205 haben gezeigt, daß wegen der tatsächlichen Natur des Menschen, nach seinem Vorteil zu streben, die Idee allgemeiner und damit gleicher bürgerlicher Freiheit für die aufgrund eines Gesellschaftsvertrages in verfaßter Gemeinschaft lebenden Menschen vernünftig 193 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 63 (BA 70) ff., S. 82 (BA 99, 100) f., 95 f.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 141 (A 55, 56) f.; 162 (A 83); ders., Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 326 (AB 18). 194 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 600 (A 140). 195 Etwa Rousseau, Emile, 4. Buch; dazu M. Forschner, Gesetz und Freiheit, S. 107. 196 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 89 (BA 110) ff.; dazu M. Forschner, Gesetz und Freiheit, S. 106 ff. 197 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 91 (BA 113). 198 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 90 (BA 111, 112). 199 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 90 (BA 111, 112). 200 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 91 (BA 113). 201 Kant, Was ist Aufklärung?, hrsg. v. W. Weischedel, Bd. 9, S. 53 (A 481, 482); dazu M. Forschner, Gesetz und Freiheit, S. 13 f. 202 Hobbes, Leviathan II, 17. und 18. Kap., S. 151 ff., insbes. S. 160.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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ist. Die vernünftige Ordnung verwirklicht sich nicht von selbst, sondern muß gestiftet werden206: „Der Friedenszustand unter Menschen, die neben einander leben, ist kein Naturzustand (status naturalis), der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d. i. wenn gleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwährende Bedrohung mit denselben. Er muß also gestiftet werden; denn die Unterlassung der letzteren ist noch nicht Sicherheit dafür, und, ohne daß sie einem Nachbar von dem anderen geleistet wird (welches aber nur in einem gesetzlichen Zustande geschehen kann), kann jener diesen, welchen er dazu aufgefordert hat, als einen Feind behandeln.“ (Kant)207

Die Verwirklichung des Rechts bedingt also eine auf einer bürgerlichen Verfassung ruhende Rechtsordnung zwischen allen Menschen, die aufeinander wechselseitig einwirken können.208 Um den „Krieg aller gegen alle zu vermeiden“, bedarf es nach Hobbes eines Vertrages, durch den „mein Recht, mich selbst zu beherrschen“, unter der Bedingung der Gegenseitigkeit an die Gesellschaft freiwillig abgegeben wird.209 Ist die positive Freiheit zur Selbstgesetzgebung übertragen, bleibt nur eine negative Freiheit als Freiheit vom Staat übrig: „Ein Staat wird durch Verträge, die ein jeder mit einem jeden schließt, errichtet; folglich behält der Bürger seine Freiheit bezüglich all dessen, worauf er sein Recht weder durch einen Vertrag einem andern übertragen noch er selbst diesem entsagen kann.“210 Zweck des Gesellschaftsvertrages ist es auch für Locke und Rousseau die Freiheit zu sichern211, wobei die bedrohte natürliche Freiheit durch Abschluß des Gesellschaftsvertrages in der gesellschaftlichen Freiheit aufgeht.212 Die na203 Hobbes, Leviathan, II, 13. Kap., S. 115; 14. Kap., S. 118 ff.; 17. Kap., S. 151 ff.; Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1690), hrsg. v. W. Euchner, 1977, Bd. II, 7. Kap., §§ 87 ff., 8. Kap. §§ 95 ff. 204 Rousseau, Gesellschaftsvertrag (1762), dt. hrsg. v. H. Brockard, 1986, 1. Buch, 5., 6. Kap. 205 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67 (BA 76, 77), 73 (BA 85, 86) f., 81 (BA 97, 98) ff., 96 (BA 120, 121); ders., Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 336 (Ab 31, 32) ff.; ders., Zum ewigen Frieden, S. 224 (B 61, 62/A 60, 61); dazu M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, 1988, S. 10 ff. 206 Dazu K. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf der Grundlage der Kantischen Rechtslehre, 2005, S. 71 ff. 207 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203 (BA 18/BA 19). 208 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 365 (AB 73) f.; ders., Zum ewigen Frieden, S. 203; dazu M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, S. 65 ff.; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 44 ff. 209 Hobbes, Leviathan, II, 17. Kap., S. 155; 21. Kap., S. 193. 210 Hobbes, Leviathan, II, 21. Kap., S. 193. 211 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, Bd. II, 9. Kap., § 131; Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, 8. Kap., 2. Buch, 3. Kap.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

türliche Freiheit besteht für Locke darin, „von jeder höheren Gewalt auf Erden frei zu sein, nicht dem Willen oder der gesetzgebenden Gewalt eines Menschen unterworfen zu sein, sondern lediglich das Gesetz der Natur zu seinem Rechtsgrundsatz zu erheben.“213 Demgegenüber ist die gesellschaftliche Freiheit die Freiheit unter dem auf der gesellschaftlichen Übereinkunft und der Bindung an den ,trust‘ zwischen civil society und government214 beruhenden Gesetz. Anders als bei Rousseau verwandelt sich der Mensch jedoch mit Eintritt in den Gesellschaftsvertrag nicht zum selbstgesetzgebenden citoyen. Während sich nach Hobbes die Selbstgesetzgebung darin beschränkt, daß sie freiwillig dem Leviathan übertragen worden ist, ist es das Anliegen der Lehren von Rousseau und Kant, Freiheit als Selbstgesetzgebung in jedem und durch jedes Gesetz zu verwirklichen. Allgemeine, d. h. gleiche Freiheit, wird durch Selbstgesetzgebung in Form allgemeiner, öffentlicher, erzwingbarer Rechtsgesetze ermöglicht.215 Rousseau verknüpft den freien Willen des Menschen mit der Idee der volonté générale.216 „Die bürgerliche Freiheit“ ist „durch den Gemeinwillen begrenzt“. „Zum Erwerb des bürgerlichen Standes“ gehört „die sittliche Freiheit“, „die allein den Menschen zum wirklichen Herrn seiner selbst macht.“ Die Idee der Sittlichkeit zeigt sich auch inzident und prozeduralisiert in den Voraussetzungen für die Bildung des Allgemeinwillens.217 Rousseau definiert Freiheit explizit als Selbstgesetzgebung: „Der Gehorsam gegen das selbstgegebene Gesetz ist Freiheit.“218 Kants Rechtsphilosophie ist stark von Rousseau beeinflußt.219 Kant bezeichnet den Menschen als

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E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 141. Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, Bd. II, 4. Kap., § 22. 214 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, 4. Kap., § 22; 9. Kap. § 131; dazu E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 142, 162. 215 Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, 8. Kap., 2. Buch, 3. Kap.; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 429 (A 161, 162/B 191, 192); 423 (A 166/B 196); dazu auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 279 ff., 332 ff., 519 ff., 978 ff.; vgl. dazu auch B. Tuschling, Die Idee des Rechts: Hobbes und Kant, in: D. Hüning/B. Tuschling (Hrsg.), Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant, 1998, S. 85 (93 ff.). 216 Rousseau, Gesellschaftsvertrag, I, 6. Kap. S. 18, 7. Kap., S. 21, 8. Kap. S. 23; vgl. abgrenzend zu Kants Regel des allgemeinen Willens M. Forschner, Gesetz und Freiheit, S. 102 ff.; dazu auch M. G. Schmidt, Demokratietheorien, 2000, S. 93 ff., 100 ff. 217 Rousseau, Gesellschaftsvertrag, II, 3. Kap. S. 31. 218 Vom Gesellschaftsvertrag, I, 8, S. 22 f.; dazu I. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, 1988, S. 134 ff. 219 M. Forschner, Gesetz und Freiheit, S. 115; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 34 ff. 213

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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„gesetzgebend im Reiche der Zwecke, in Ansehung aller Naturgesetze als frei, nur denjenigen allein gehorchend, die er sich selbst gibt und nach welchen seine Maximen zu einer allgemeinen Gesetzgebung (der er sich zugleich selbst unterwirft) gehören können.“220

Während die Maxime des Handelns als Gegenstand der Tugendlehre dem Gerichtshof des Gewissens unterliegt221, also innerlich-monologisch erkannt wird222, wird die Freiheitlichkeit des Handelns, welche der Rechtslehre zugeordnet ist, durch allgemeine Gesetzlichkeit, die auf dem vereinigten Willen der Glieder der Rechtsgemeinschaft (des Volkes, d. h. seiner Vertreter)223 und damit auf dem Konsensprinzip224 ruht, verwirklicht. Rechts- und Tugendlehre werden unterscheiden. Liegen die Maximen der Handlungen in der Willkür des Menschen, müssen nach Kant, weil alle Handlungen des Menschen Wirkung auf alle haben können, die Maximen derart sein, daß das Leben nach diesen Maximen niemanden verletzt.225 Daraus folgt der Satz: Volenti non fit iniuria.226 Die selbst gegebenen Gesetze herrschen nicht als äußere Macht über den Bürgern, sondern verwirklichen deren Freiheit und Würde.227 d) Diskurs- und Konsenslehre (Habermas, Apel) In Kants Tradition vertreten Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas in moderner Zeit eine diskursive Konsenslehre, die auch der Letztbegründung von Rechtsnormen dient.228 Die Diskursethik orientiert sich am Leitbild der „herrschaftsfreien Verständigung“, die allein den „Zwang des besseren Arguments“ (Habermas) gelten läßt.229 Schon für die Griechen hieß „politisch zu sein“, „alle Angelegenheiten vermittels der Worte, die überzeugen können“, zu regeln, „nicht durch Zwang oder Gewalt“; „Bürger sein: Miteinander-Sprechen“ (Hannah Arendt).230 Ebenso setzt die Diskursethik sachliche Argumentationen und 220

Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 69 (BA 79, 80). Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 572 (A 98, 99) ff. 222 M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, S. 57 f. 223 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 432 (A 166/B 196). 224 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 560 ff. 225 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 27, 51; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 125; ders., Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 331 f.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 30 ff. 226 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 432 (A 166/B 196); Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 1134b 13 f.; Hobbes, Leviathan, II, 21. Kap. (S. 193); Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, II, 6. Kap. (S. 39 ff.). 227 M. Forschner, Gesetz und Freiheit, S. 211. 228 Dazu K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung, 1988; ders., Diskursethik als Verantwortungsethik, 1996, S. 326 ff.; J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, 1991, S. 12 ff. 229 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 127, 133, 187 ff., 206, 339, 349 ff.; vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 498 ff. 221

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

nicht strategische Verhandlungen oder gar Gewaltandrohungen zwischen verschiedenen Teilnehmern231 sowie den Konsens aller Betroffenen voraus.232 Apel formuliert eine dem kategorischen Imperativ Kants ähnliche Handlungsmaxime: „Handle nur nach einer Maxime, von der du, aufgrund realer Verständigung mit den Betroffenen bzw. ihren Anwälten oder – ersatzweise – aufgrund eines entsprechenden Gedankenexperiments, unterstellen kannst, daß die Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen jedes einzelnen Betroffenen voraussichtlich ergeben, in einem realen Diskurs von allen Betroffenen zwanglos akzeptiert werden können.“233

Mit „realem Diskurs“ meint Apel hier einen Diskurs unter idealen Kommunikationsbedingungen.234 Die Diskursethik prozeduralisiert die transzendentale Idee der Freiheit.235 Allerdings soll das Apriori der Freiheit, der problematische Begriff der Sittlichkeit, dessen Gesetz der kategorische Imperativ ist236, durch das Diskurs- und Konsensprinzip sowie in realen Diskursen, welchen der ideale, herrschaftsfreie Diskurs als Leitbild dient237, zwischen allen Betroffenen transformiert werden und den platonisch-kantischen Dualismus zwischen der idealen und der wirklichen Welt („Zwei-Reiche-Lehre“238) auflösen.239 Der Rechtsdiskurs ist ein Fall des allgemeinen praktischen Diskurses.240

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H. Arendt, Vita Activa, 1999, S. 30 f. K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung, S. 254 ff.; J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 13 f.; A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S. 232 f.; vgl. jedoch auch das Ergänzungsprinzip in der Lehre Apels, das eine Brücke vom Diskursprinzip zur realen strategischen Interessenverfolgung etwa in den internationalen Beziehungen schlägt K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung, S. 270 ff.; kritisch dazu J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 195 ff. 232 J. Habermas, Diskursethik, in: ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 1991, S. 53 (76). 233 K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung, S. 123. 234 A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 325 f. 235 J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 12; vgl. auch S. 119 ff., 127, 164, u. ö.; ders., Faktizität und Geltung, 1998, S. 109 ff., insbes. S. 151 ff., 324 ff., 349 ff., 516 ff.; ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 119 ff., 277 ff. (287), 312. 236 Dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, 2006, S. 67 ff. 237 Dazu und zur Begrifflichkeit A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S. 218 ff. 238 Vgl. M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, S. 56. 239 Dazu K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung, 1988, S. 70 ff., 110 ff.; ders., Diskursethik als Verantwortungsethik, in: G. Schönrich/Y. Kato (Hrsg.), Kant in der Diskussion der Moderne, 1996, S. 336, 340 ff.; ders., The Response of Discourse Ethics, 1999, S. 45 ff., 53 ff.; J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 11 ff., 54 ff. 240 R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1990, S. 32, 38, 261 ff.; vgl. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 156. 231

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Diskurs und Konsens erschöpfen sich aber nicht in einem Verfahren und der positiven Feststellung eines Ergebnisses, das dann als verbindliches Recht betrachtet wird. Vielmehr sind sie deshalb rechtsbegründend, weil der Mensch nicht nur als rational-egoistisches, strategisches, sondern auch als freies, gleichberechtigtes, vernünftiges, verantwortliches, selbstrechtsetzendes, diskurs- und konsensfähiges241 oder als der Sittlichkeit fähiges Subjekt „transzendentalpragmatisch“242 vorausgesetzt wird:243 „Das evidente Faktum der Vernunft liegt eben darin, daß wir als Argumentierende zugleich mit der kommunikativen Vernunft qua Diskursrationalität immer schon die Gültigkeit des Sittengesetzes in Gestalt des ethischen Diskursprinzips anerkannt haben.“ (Apel)244

In diesem Sinn werden „ideale, universal gültige Normen“ vorausgesetzt. Dies sind bei Apel die Prinzipien der „Mitverantwortung“ und der „Gleichberechtigung aller Kommunikationspartner“.245 Habermas will anders als Apel auf eine transzendentalpragmatische Letztbegründung des Rechts verzichten und sich auf den Grundsatz der Verallgemeinerungsfähigkeit oder den Universalisierungsgrundsatz beschränken, der in praktischen Diskursen die Rolle einer Argumentationsregel übernehmen soll.246 Gültig sind nach dem diskursethischen Universalisierungsgrundsatz alle Rechtsnormen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen können.247 „Betroffen“ in diesem Sinn nennt Habermas jeden, „der von den voraussichtlich eintretenden Folgen einer durch Normen geregelten allgemeinen Praxis in seinen Interessen berührt wird.“248 Wie der Universalisierungsgrundsatz zeigt, ist die Diskurs- und Konsenslehre grundsätzlich universell249: Habermas hat dazu geäußert: „Bei moralischen Fragestellungen bildet die Menschheit bzw. eine unterstellte Republik von Weltbürgern das

241 K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung, S. 114 ff.; ders., The Response of Discourse Ethics, S. 48; J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 13 f.; vgl. A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 233 f. 242 K.-O. Apel, Praktische Philosophie als Diskurs- und Verantwortungsethik, in: ders./V. Hösle/R. Simon-Schäfer, 1998, S. 49 (54 ff.); ders., Diskursethik als Verantwortungsethik, S. 329 ff. 243 Vgl. auch A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 222 ff. 244 K.-O. Apel, Diskursethik als Verantwortungsethik, S. 336. 245 K.-O. Apel, Diskursethik als Verantwortungsethik, S. 335 f. 246 J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 12. 247 J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 12; ders., Faktizität und Geltung, S. 138; vgl. auch. K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung, S. 256. 248 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 138. 249 Vgl. zum Universalisierungsgrundsatz J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 12, 116; ders., Diskursethik, in: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 74 ff.; K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung, S. 12, 177 f., 198 ff., 203.

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Bezugssystem für die Begründung von Regelungen, die im gleichmäßigen Interesse aller liegen“.250 Aber auch die Habermassche Diskursethik ist ohne die Idee der Freiheit nicht erklärbar. Wenn nämlich der Konsens aller Betroffenen aufgrund eines herrschaftsfreien Diskurses als rechtsbegründend angesehen wird, ist die Idee der Autonomie des Willens und der Selbstgesetzgebung implizit vorausgesetzt.251 Das Postulat praktischer Vernunft zeigt sich in den für den rechtfertigenden Konsens erforderlichen idealen Kommunikationsbedingungen Gutwilligkeit, Sprachkundigkeit, Normalsinnigkeit und Vernünftigkeit sowie in den Anforderungen an eine ideale Sprechsituation, die durch die vier universalen Geltungsansprüche (Verständlichkeit, Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit) ermöglicht werden soll.252 2. Rousseaus Ansätze zu einem europäischen contrat social Rousseau (1712–1778) hat seine Auffassungen zum Völker- und Weltrecht nie systematisch entwickelt, obwohl er die Notwendigkeit einer solchen Erörterung erkannt hatte.253 Der Sekretär des französischen Bevollmächtigten auf dem Utrechter Friedenskongreß, Abbé Castel de Saint-Pierre, hat ein Projet pour rendre la paix perpétuelle en Europe (I–II: 1713, III: 1717) vorgelegt. Darin schlägt er einen strukturell supranationalen europäischen Staatenbund als Gebot menschlicher Vernunft vor, der freiwillig und einstimmig eingegangen werden soll. Ein ständiger Kongreß von Delegierten und ein mit Zwangsgewalt ausgestatteter oberster Gerichtshof sollen den Frieden sichern, gegebenenfalls Streitigkeiten zwischen den Staaten schlichten und eventuelle Völkerrechtsverletzungen durch die vereinigten Kräfte der anderen Mitgliedstaaten verfolgen.254 Rousseaus Ansätze werden in der Erörterung, Ergänzung und Beurteilung der Arbeiten des Abbé de Saint-Pierre deutlich.255 Der Abbé hat sich in der Frage der Friedenssicherung auf einen Bund zwischen Fürsten beschränkt und an de250 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 139; ders., Diskursethik, in: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 76; vgl. auch K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung, S. 203; vgl. ebenfalls die legitimatorisch-individualistische Perspektive von A. Pizani, Demokratisierung als Aufgabe. Lässt sich Globalisierung demokratisch gestalten?, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33–34/2000, 36. 251 Vgl. J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 72. 252 Dazu J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 1991, S. 147. 253 Vgl. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, IV, 9. Kap. (Schluß), S. 153; O. Asbach, Internationaler Naturzustand und ewiger Friede, in: D. Hüning/B. Tuschling, Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant, 1998, S. 201 (206 ff.). 254 Vgl. Rousseau, Auszug aus dem Plan des Ewigen Friedens des Herrn Abbé de Saint-Pierre (1756/1761), in: K. v. Raumer, 1953, S. 354 ff.; vgl. dazu auch M. Brauer, Weltföderation, S. 32 ff., 38 ff.; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 215 f.

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ren guten Willen und ihr wohlverstandenes Eigeninteresse appelliert. Demgegenüber erkennt Rousseau einen Zusammenhang zwischen Despotismus und einer auf Krieg und Eroberung ausgerichteten Politik. Seine Gedanken richten sich daher auch auf die Beseitigung des Despotismus. Der rechtlose internationale Zustand solle durch einen europäischen contrat social mit konföderativer Gesetzgebungsinstanz, welche zugleich über eine Zwangsgewalt, Regierung und Gerichtshof verfügen soll, beseitigt werden. Dem Vorwurf, er verfolge ein bloßes Hirngespinst, entgegnet er damit, daß sich trotz fehlender gemeinsamer politischer Institutionen in Europa schon längst eine société réelle gebildet hätte.256 Rousseau befürwortet nicht die Idee eines Weltzentralstaates, sondern eine Konföderation vieler Kleinstaaten, weil nur in kleinen Staaten die Einheit von Regierenden und Regierten möglich sei.257 Als gewisses Vorbild in diesem Sinne erachtete Rousseau die Verfassung des alten Deutschen Reiches.258 3. Kants Universalismus und sein Entwurf einer Weltfriedensordnung a) Kants universelle Rechtslehre In der Tradition der Stoa hat Kant (1724–1804) eine universelle Rechtslehre konzipiert. Universeller, transzendentaler Geltungsgrund des Rechts ist für Kant die Freiheit, die mit dem Menschen geboren ist.259 Dies ist auch Ausgangspunkt der Doktrin der französischen Revolution260, der dieser Freiheitsbegriff261 zugrunde liegt. Kants universeller Freiheitsbegriff ist formal; denn „die Rechtslehre hatte es bloß mit der formalen Bedingung der äußeren Freiheit (durch die Zusammenstimmung mit sich selbst, wenn ihre Maxime zum allgemeinen Gesetz gemacht wurde), d. i. mit dem Recht zu tun“.262 Der prinzipiellen Vernunftbegabt-

255 Rousseau, Auszug aus dem Plan des Ewigen Friedens des Herrn Abbé de SaintPierre, in: K. v. Raumer, S, 343 ff.; ders., Urteil über den ewigen Frieden (1756/1782, in: K. v. Raumer, S. 369 ff. 256 Vgl. dazu O. Asbach, Internationaler Naturzustand, S. 213 ff. 257 Rousseau, Gesellschaftsvertrag, III, 1. Kapitel (S. 64). 258 Dazu O. Asbach, Internationaler Naturzustand, S. 217 ff. 259 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 260 Vgl. A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, 1923, S. 44 f. 261 Dazu E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 143; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 275 ff.; ders., Freiheit in der Republik, 19 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 159 f.; Th. S. Hoffmann, Über Freiheit als Ursprung des Rechts, ZRph 2003, 16 ff.

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heit des Menschen und der Idee der Freiheit folgend, knüpft er an die Person jedes Menschen an.263 Maßstab ist die praktische Vernunft, welche Lebenswirklichkeit, praktische Klugheit und Urteilskraft impliziert264. Regel der praktischen Vernunft ist der kategorische Imperativ „handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“.265 Er ist ebenfalls formal. In der ,Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht‘ (1784), im dritten Abschnitt der Abhandlung ,Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis‘ (1793), insbesondere in seiner Schrift ,Zum ewigen Frieden‘ (1795), aber auch in der ,Metaphysik der Sitten‘ (1797) entwirft Kant seine Konzeption einer friedlichen Weltordnung. Inspiriert von den Gedanken der Stoiker zu den grundlegenden Überlegungen zu Würde und Vernunft des Menschen, zum Sittengesetz sowie insbesondere zum Weltbürgerrecht266 greift der „Weltphilosoph“267 die Gedanken des Abbé de Saint-Pierre und von Rousseau auf.268 Kant schlägt nicht einfach ein weiteres Modell für ein gemeinsames Ordnungssystem der Staaten vor, sondern zielt auf einen globalen und universalen Friedenszustand durch Rechtsordnung.269 Die Idee eines Völkerbundes als dauerhafter Friedensbund unterscheidet sich von sonstigen Friedensverträgen, durch die nur jeweils ein Krieg beendet wird.270 Kant legt seinen Schriften nicht nur einen negativen (Abwesenheit von Krieg), sondern einen positiven Friedensbegriff, im Sinne universeller Rechtlichkeit zugrunde. Seine Lehre bringt, die stoische Tradition aufnehmend, einen Kosmopolitismus zum Ausdruck, der sich über alle sprachlichen 262 Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 509 (A 3, 4); dazu F. Kaulbach, Studien, 1982, S. 135 ff., 151 ff., S. 169 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica, S. 325 ff., 356 ff.; ders., Freiheit in der Republik, 49 ff. 263 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 82 (BA 99, 100), 88 (BA 108, 109), 92 (BA 114, 115): „Daher ist Freiheit nur eine Idee der Vernunft, deren objektive Realität an sich zweifelhaft ist, Natur aber ein Verstandesbegriff, der seine Realität an Beispielen der Erfahrung beweiset und notwendig beweisen muß.“ 264 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 57. 265 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 51 (BA 52). 266 Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden im einzelnen M. C. Nussbaum, Kant und stoisches Weltbürgertum, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman, Frieden durch Recht, S. 45 ff., 60 ff. 267 R. Brandt, Vom Weltbürgerrecht, in: O. Höffe (Hrsg.), Immanuel Kant – Zum ewigen Frieden, S. 133. 268 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 42 (A 399, 400); R. A. Lorz, Die dauerhafte Aktualität des ewigen Friedens, Der Staat, 37 (1998), 75 (76). 269 R. A. Lorz, Die dauerhafte Aktualität des ewigen Friedens, Der Staat, 37 (1998), 76 f.; O. Asbach, Internationaler Naturzustand und ewiger Friede, S. 226 ff.; vgl. auch O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: G. Schönrich/Y. Kato (Hrsg.), Kant in der Diskussion der Moderne, 1996, S. 489 ff. 270 R. A. Lorz., Die dauerhafte Aktualität des ewigen Friedens, Der Staat, 37 (1998), 96 f.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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und kulturellen Grenzen hinwegsetzt.271 Nach seiner Zeit wurde Kants Entwurf zugunsten der Nationalstaatsidee und der Hegelschen Konzeption staatlicher Herrschaft272 weitgehend verdrängt.273 Hegel sah in der „substantiellen Einheit“ des Staates als „Wirklichkeit der sittlichen Idee“274, als „wirklichen Gott“275 dessen Selbstzweck. Gegen den Friedensentwurf Kants setzte er die Notwendigkeit des Krieges zur Bewahrung der „sittlichen Gesundheit der Völker . . . vor der Fäulnis“.276 Erst nach den Weltkriegen hat Kants Entwurf eine Renaissance erfahren und wird seit seinem Erscheinen277 bis heute diskutiert. Die Literatur dazu ist enorm und kann in dieser Arbeit nicht umfassend rezipiert werden.278 Interpretiert und ergänzt im Lichte der bis in unsere Zeit gemachten Erfahrungen, ist sein Werk die wohl bedeutendste Grundlage für die Entwicklung des modernen Völkerrechts279 sowie des Weltrechts280. 271

R. A. Lorz, Die dauerhafte Aktualität des ewigen Friedens, Der Staat, 37 (1998),

80. 272 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, hrsg. von E. Moldenhauer/K. M. Michel, §§ 257 ff., 279 ff.; dazu H. Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland (1921), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, 1971, S. 21 (83 ff.); G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 88 ff. 273 Dazu R. A. Lorz, Die dauerhafte Aktualität des ewigen Friedens, Der Staat, 37 (1998), 80 f. 274 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 257, 258. 275 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 258, Zusatz. 276 Hegel, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften (1802/03), in: ders., Werke, 1970, Bd. 2, S. 434 (481 f.); vgl. auch ders., Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 324, Zusatz. 277 Vgl. die zeitgenössischen Rezensionen von Fichte, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf von Immanuel Kant, in: Z. Batscha/R. Saage (Hrsg.), Friedensutopien, 1979, S. 83 ff. und F. Schlegel, Versuch über den Begriff des Republikanismus, in: Z. Batscha/R. Saage (Hrsg.), S. 93 ff. 278 Dazu V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, 2000, S. 221 ff. mit umfangreicher Auswertung des Schrifttums; siehe etwa auch G. Patzig, Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“, in: R. Merkel/R. Wittmann, S. 12 ff.; A. Wood, Kants Entwurf für einen ewigen Frieden, in: R. Merkel/R. Wittmann, S. 67 ff.; R. Wittmann, Kants Friedensentwurf – Antizipation oder Utopie, in: R. Merkel/R. Wittmann, 1996, S. 142 ff. 279 Zum Einfluß der Friedensschrift auf die völkerrechtliche Literatur: V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 127 ff., 138 ff., 162 ff., 175 ff., 182 ff., 189 ff., 199 ff., 221 ff., 231 ff. 280 Siehe etwa die Schriften von O. Höffe, Völkerbund oder Weltrepublik?, in: ders., Zum ewigen Frieden, 1995, 109 ff.; ders., Eine Weltrepublik als Minimalstaat, in: R. Merkel/R. Wittmann, „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 154 ff.; J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman, 1996, S. 7 ff., 17 ff.; M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, in: ders./J. Bohman, 1996, S. 25 ff.; W. Kersting, Weltfriedensordnung, in: R. Merkel/R. Wittmann, 1996, S. 172 ff.; ders., Philosophische Friedenstheorie und internationale Friedensordnung, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting, 1998, S. 523 (535 ff.); K. Baltz, Eine Welt, S. 28 ff., 32.

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b) Naturzustand des Krieges zwischen den Staaten Ähnlich wie die Menschen befinden sich nach Auffassung von Kant auch die Staaten (als Willenseinheiten) von Natur miteinander in einem nicht-rechtlichen Zustand ohne gemeinsamen kompetenten Richter, d. h. im juridischen Zustand des Krieges. Kant meint sogar (wie ähnlich vor ihm schon Hobbes, der dies allerdings als berechtigte Notwendigkeit ansah281): „Die menschliche Natur erscheint nirgend weniger liebenswürdig, als im Verhältnisse ganzer Völker gegen einander.“282 Demnach ist und bleibt im äußeren Verhältnis der Staaten zueinander das Recht der Menschen solange unsicher und eine bloße Idee, bis nicht auch dieses Verhältnis öffentlich geregelt ist283, was eine gewaltlose Verarbeitung von Konflikten ermöglicht.284 Deshalb soll ein Staat vom anderen verlangen können, einem „gemeinschaftlich-gesetzlichen Zustande“285, dem Völkerrecht (ius gentium), anzugehören.286 c) Vorbedingungen für den Frieden: Die Präliminarartikel Im ersten Abschnitt seiner Schrift zum ewigen Frieden, die wie ein Friedensvertrag aufgebaut ist, nennt Kant in sechs Präliminarartikeln die negativen Voraussetzungen für die Staaten, die beachtet werden müssen (und in der Realität bis heute überwiegend nicht befolgt werden), damit Friede zwischen den Staaten geschaffen werden kann.287 Sie verbieten bestimmte, in der Politik praktizierte Handlungen. – Dauerhafter Friede288 In Abgrenzung zum Waffenstillstand oder dem Aufschub der Feindseligkeiten ist Kants Friedensbegriff auf „das Ende aller Hostilitäten“ gerichtet.289 281 282 283

Hobbes, Leviathan, II. 17. Kap. (S. 152). Kant, Über den Gemeinspruch, Völkerrecht, S. 171 (A 282, 283). G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 363

(366). 284

V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 50. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203. 286 Vgl. dazu O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: G. Schönrich u. a. (Hrsg.), S. 492 ff., der in zweifelhafter Wortwahl von einem „Menschenrecht der Staaten“ spricht. 287 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 196 (BA 5, 6) ff.; zu den Präliminarartikeln V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 28 ff.; M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, S. 28 ff.; W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 197 (202 ff.). 288 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 196 (BA 5, 6). Der erste Präliminarartikel ist überschrieben: „Es soll kein Friedensschluß für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Kriege gemacht worden.“ 289 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 196 (BA 5, 6). 285

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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Diesem Ziel (wenn auch oft erfolglos) widmen sich heute die Vereinten Nationen (dazu 6. Teil, C, S. 709 ff.). – Gleiche Souveränität der Staaten, Selbstbestimmungsrecht Der zweite Präliminarartikel „Es soll kein für sich bestehender Staat (klein oder groß, das gilt hier gleich viel) von einem anderen Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung erworben werden können“290 sichert die gleiche Souveränität sowie das Selbstbestimmungsrecht der Staaten als verfaßte Bürgerschaften.291. Gleichzeitig macht Kant deutlich, daß das Staatsgebiet nicht frei verfügbares Eigentum des Inhabers der Staatsgewalt ist.292 – Abrüstung Der dritte Präliminarartikel plädiert für Abrüstung und gegen das Wettrüsten.293 Der Aufrüstung stellt er die Anhäufung von Schätzen, die zum Kriegführen verwendet werden können, gleich.294 Während Kant Söldnerheere als menschenunwürdig einstuft, hat er nichts gegen freiwillige militärische Übungen der Staatsbürger zur Verteidigung des Staates.295 – Keine Staatsschulden für militärische Aufrüstung Außer für Maßnahmen, die von unmittelbarem Nutzen für die Volkswirtschaft sind, lehnt Kant jede Aufnahme von Krediten durch Staaten ab, weil diese einerseits zum Kriegführen verwendet werden, andererseits zum Staatsbankrott führen könnten.296 – Gewaltverbot Der fünfte Präliminarartikel enthält entgegen der zu seiner Zeit vertretenen und praktizierten Lehre vom ius ad bellum ein striktes Gewaltverbot: „Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewalttätig einmischen.“297 Gemeint ist nur die gewaltsame Einmischung, zu der 290

Kant, Zum ewigen Frieden, S. 196 (BA 5, 6). Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 431 (A 165 B 195). 292 D. Archibugi, Models of international organization in perpetual peace projects, Review of International Studies, 18 (1992), S. 295 (310). 293 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 197 (BA 7, 8). „,Stehende Heere (miles perpetuus) sollen mit der Zeit ganz aufhören‘. Denn sie bedrohen andere Staaten unaufhörlich mit Krieg, durch die Bereitschaft, immer dazu gerüstet zu erscheinen; reizen diese an, sich einander in Menge der Gerüsteten, die keine Grenzen kennt, zu übertreffen, und indem durch die darauf verwandten Kosten der Friede endlich noch drückender wird als ein kurzer Krieg, so sind sie selbst Ursache von Angriffskriegen, um diese Last loszuwerden.“; siehe auch O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, in: ders. (Hrsg.), Zum ewigen Frieden, 1995, S. 245 (246). 294 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 198 (BA 9, 10). 295 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 198 (BA 9, 10). 296 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 198 (BA 9, 10) f. 297 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 199 (BA 11, 12). 291

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

u. U. auch wirtschaftlicher Druck zählen kann, wenn dieser die Entscheidungsfähigkeit des Staates in Frage stellt.298. Öffentliche Kritik an der Staatsordnung, etwa an der Menschenrechtspraxis, ist danach nicht ausgeschlossen.299 – Humanitäres Völkerrecht Der sechste Präliminarartikel weist auf das Vernunftrecht, das auch im rechtswidrigen Zustand des Krieges300 noch beachtet werden soll.301 Teilweise verwirklicht ist diese Idee heute im humanitären Völkerrecht.302 d) Weltrepublik Soll die Freiheit als „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“303, gesichert werden, verlangt dies nach dem allgemeinen Gesetz der Freiheit eine öffentlich-gesetzliche, dauerhafte Regelung über Mein und Dein, also über das Eigentum.304 Deshalb fordert Kant, alle Menschen, die aufeinander wechselseitig einwirken können, sollen „zu irgendeiner bürgerlichen Verfassung gehören“.305 Nachdem sich alle Menschen vermöge ihres gemeinsamen Besitzes an der Erde gegenseitig (auch nötigend) beeinflussen306 und sich nicht endgültig aus dem Weg gehen können, fordert die Logik der allgemeinen Freiheit eine Rechtsordnung zwischen allen vernunftfähigen Wesen. Weil Einzelstaatsgründungen nur „Partialverrechtlichungen“ und „selbst noch ein halbes Rechtsprovisorium“307 sind308, ist aus dem Freiheits- und Rechtsprinzip in letzter Konsequenz die Idee einer Weltverfassung und einer Weltrepublik entwickelt wor-

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V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 41. V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 41. 300 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 200 (BA 13, 14). „Es soll sich kein Staat im Kriege mit einem anderen solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen . . .“. 301 Zu diesem Dilemma M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, S. 32 ff. 302 Dazu K. Ambos, Zur Bestrafung von Verbrechen im internationalen, nicht-internationalen und internen Konflikt, in: J. Hasse/E. Müller/P. Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, 2001, S. 325; G. Werle, Völkerstrafrecht, 2003, S. 295 ff. 303 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345. 304 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 357 (A 62/B 61, 62) ff., 431 (A 165/B 195); dazu J. Hruschka, Kants Rechtsphilosophie, JZ 2004, 1088 ff.; so schon Hobbes, Leviathan, II, 18. Kap., S. 161 f. 305 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 429 (A 161, 162/B 191, 192); ders., Zum ewigen Frieden, S. 203, Anmerkung (BA 19). 306 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 360 (AB 66), S. 476 (A 230, 231/B 260, 261). 307 W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 205. 308 W. Kersting, Weltfriedensordnung und globale Verteilungsgerechtigkeit, S. 181. 299

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den.309 Die Staatsvölker sollen sich gemeinschaftlich in einen öffentlich-recht-lichen Zustand begeben, darin jedes Volk frei sein kann; also in einen Zustand, in welchem die Freiheit des einen Volkes mit der Freiheit jedes anderen Volkes zusammen bestehen kann.310 Mittel zum Frieden ist das Recht. Im Naturzustand kann dieses die Kriegsgefahr nicht abwenden, weil es nicht gesichert ist.311 Der „Friedenszustand ist allein der unter Gesetzen gesicherte Zustand“312 und das Gegenteil des Naturzustands313. Kants Friedensbegriff ist somit positiv314 und entspricht auf staatlicher Ebene dem der Freiheit zwischen den Menschen. Dementsprechend konzipiert er den weltweiten allgemeinen Friedenszustand analog zu den innerstaatlichen Verhältnissen als rechtliche Vereinigung sämtlicher Staaten der Erde zu einem einzigen „weltbürgerlichen gemeinen Wesen“, einem „Völkerbund als Weltrepublik“315 als einen „allgemeinen Völkerstaat“ mit gemeinsamen öffentlichen Zwangsgesetzen316, d. h. mit Legislative, Exekutive317 und Judikative. Die Vernunft gebietet, „aus dem gesetzlosen Zustande der Wilden hinaus zu gehen, und in einen Völkerbund zu treten; wo jeder, auch der kleinste Staat seine Sicherheit und Rechte, nicht von eigener Macht, oder eigener rechtlicher Beurteilung, sondern allein von diesem großen Völkerbunde (Foedus Amphictyonum), von einer vereinigten Macht, und von der Entscheidung nach Gesetzen des vereinigten Willens, erwarten könnte.“318 309 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 101; B. Tuschling, Die Idee des Rechts: Hobbes und Kant, in: D. Hüning/B. Tuschling (Hrsg.), Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant, 1998, S. 85 (108 ff.); W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, HVerfR 1994, S. 427 (533, Rn. 185 ff.); W. Kersting, Globale Rechtsordnung und weltweite Verteilungsgerechtigkeit, Politisches Denken, 1995/96, S. 207 f.; Ch. Horn, Philosophische Argumente für einen Weltstaat, Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 21 (1996), S. 229 ff.; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, in: ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 153 (174 ff.). 310 G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 367. 311 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 47. 312 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 479 (A 235/B 265, 266); vgl. ders., Zum ewigen Frieden, S. 203 (BA 18); ders., Über den Gemeinspruch, S. 169 (A 278, 279) ff.; auch ders., Streit der Fakultäten, S. 364 (A 155, 156). 313 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 47. 314 W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 204. 315 Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 1. Stück III, S. 683; siehe auch V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 77 f.; dazu M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, S. 39, 43 f.; W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 172 (180 ff.); dazu auch V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 76 ff.; vgl. auch R. Brandt, Vom Weltbürgerrecht, in: O. Höffe (Hrsg.), Zum ewigen Frieden, S. 134; a. A. S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 208 (218 ff.). 316 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 169 (A 278, 279) f., S. 171 (A 282, 283); vgl. auch distanzierend ders., Zum ewigen Frieden, S. 209 (BA 31, 32); ders., Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 474 (A 227, 228/B 257, 258) f. 317 H. Steiger, Frieden durch Institution, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, S. 140 (146).

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Als Weltrepublik ist der Völkerbund also eine Vereinigung unter Zwangsgesetzen mit öffentlich gesetzgebender und ausführender Gewalt.319 Der Vergleich zu Amphiktyonie, einem Bund griechischer Stadtstaaten, zeigt, daß im Gemeinspruch eine Ordnung mit gerichtlich durchsetzbaren, also Zwangsgesetzen, gemeint war.320 „Nun ist hierwider kein anderes Mittel, als ein auf öffentliche mit Macht begleitete Gesetze, denen sich jeder Staat unterwerfen müßte, gegründetes Völkerrecht (nach der Analogie eines bürgerlichen oder Staatsrechts einzelner Menschen) möglich . . .“.321

Wie verhalten sich die Begriffe der civitas gentium, des „Völkerstaats“ zu denen des „Menschenstaats“322 und der „weltbürgerlichen Verfassung“323, die Kant als andere Formen der Weltrepublik in seinen Schriften erwähnt, und wer sind jeweils die Bürger? Die civitas gentium oder der Völkerstaat ist eine Weltrepublik als Republik der Völker mit Zwangsgewalt gegenüber den Staaten. Kant meinte, daß die civitas gentium, deren „cives“ die einzelnen Staaten sind, letztlich dazu führt, daß „viele Völker . . . in einem Staate nur ein Volk ausmachen würden“324. Damit stellt sich die Frage, ob die Zwangsgesetze des Völkerstaates nicht durch das Volk der Weltrepublik legitimiert werden müssen, was schließlich eine weltbürgerliche Verfassung verlangt. Dies würde zwar, worauf Kant hinweist325, dem völkerrechtlichen Paradigma, nicht aber notwendig dem vernunftrechtlichen Ideal einer Weltverfassung widersprechen326. Kant sieht den allgemeinen Willen (die volonté générale) sowohl im staatlichen Binnenverhältnis als auch im Außenverhältnis zwischen den Staaten als das, das Recht allein bestimmende, Prinzip. „Da heißt es denn: ,trachtet allererst nach dem Reiche der reinen praktischen Vernunft und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch euer Zweck (die Wohltat des ewigen Friedens) von selbst zufallen.‘ Denn es sei „der a priori gegebene allgemeine Wille (in einem Volk, oder im Verhältnis verschiedener Völker untereinander) . . ., der allein, was unter Menschen Rechtens ist, bestimmt“.327 318 Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 42 (A 399, 400). 319 H. Steiger, Frieden durch Institution, S. 146. 320 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 76. 321 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 171 (A 282, 283); kritisch zu dieser Analogie O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 204 (221). 322 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203 (BA 18), Anmerkung (BA 19). 323 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 169 (A 278, 279) f. 324 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 209 (BA 31, 32). 325 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 209 (BA 31, 32). 326 So auch D. Archibugi, International organization in perpetual peace projects, Review of International Studies 18 (1992), S. 295 (312).

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Das Rechtsprinzip soll erstens verwirklicht werden durch „eine nach reinen Rechtsprinzipien eingerichtete innere Verfassung des Staats“, zweitens durch „die der Vereinigung derselben mit anderen benachbarten oder auch entfernten Staaten zu einer (einem allgemeinen Staat analogischen) gesetzlichen Ausgleichung ihrer Streitigkeiten“328 und drittens durch eine „ius cosmopoliticum“ in einem „Menschenstaat“, in dem die wechselseitigen Beziehungen zwischen Bürgern und Staaten und Bürgern verschiedener Völker öffentlich-rechtlich geregelt werden sollen.329 Kant faßt unter den Begriff des öffentlichen Rechts nicht nur das Staats-, sondern auch das Völkerrecht (ius gentium), „welches dann, weil der Erdboden eine nicht grenzenlose, sondern sich selbst schließende Fläche ist, beides zusammen zu der Idee eines Völkerstaatsrechts (ius gentium) oder des Weltbürgerrechts (ius cosmopoliticum) unumgänglich hinleitet: so, daß, wenn unter diesen drei möglichen Formen des rechtlichen Zustandes es nur einer an dem die äußere Freiheit durch Gesetze einschränkenden Prinzip fehlt, das Gebäude aller übrigen unvermeidlich untergraben werden, und endlich einstürzen muß.“330

Zwei Jahre nach seiner Schrift ,Zum ewigen Frieden‘ vertritt er in der Rechtslehre (Metaphysik der Sitten) ein Recht der Staaten „einander zu nötigen, aus diesem Kriegszustand herauszugehen, mithin eine dem beharrlichen Frieden gründende Verfassung“ als Aufgabe des Völkerrechts.331 Er gesteht Staaten und Einzelpersonen, die er gleichermaßen (wohl das Weltbürgerrecht einbeziehend) als Rechtssubjekte in rechtlichen Beziehungen zueinander erkennt332, das Recht zu, die Friedensverfassung untereinander zu erzwingen. Danach ist die Eingehung des Friedensbunds nicht freiwillig, sondern (erzwingbare) Rechtspflicht.333 Weil Kant hier nicht im völkerrechtlichen, sondern im weltrechtlichen Paradigma, in dem die Souveränitätsansprüche der Staaten der vernunftrechtlichen Begründung nicht entgegenstehen, argumentiert, kommt er zu einem rein nach der Vernunft bestimmten Ergebnis in der Zwangsfrage. Nach dem Prinzip der angeborenen Freiheit und des damit verbundenen Rechts auf eine bürgerliche Verfassung erscheint dies konsequent; denn die Annahme, daß Staaten bereits bürgerlich verfaßt sind, ändert allein noch nichts an dem ungesicherten Zustand zwischen den Staaten sowie zwischen Individuen verschiedener Staaten und Individuen und Staaten, deren Staatsangehörigkeit sie

327

Kant, Zum ewigen Frieden, S. 240 f. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 241 (B 92, 93/A86, 87) f. 329 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203, Anmerkung (BA 19). 330 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 429 (A 161, 162/B 191, 192), Hervorheb. d. Verf. 331 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 466 (A 215, 216/B 245, 246). 332 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 466 (A 215, 216/B 245, 246). 333 Vgl. dazu auch M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 389 f. 328

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nicht besitzen. Die rechtliche Verfassung der Staaten läßt diese externen Beziehungen weitgehend unberührt. e) Kants Einwände gegen die Idee einer Weltrepublik Kant betrachtet die Idee einer „Weltrepublik“, also eine Vereinigung unter Zwangsgesetzen, zwar, wie gesagt, als die von der Vernunft gebotene Form des Zusammenlebens von Völkern, sieht aber hierfür Hindernisse durch die Praxis und das Paradigma des Völkerrechts, die das ursprünglich aus der Vernunft gewonnene Ergebnis relativieren.334 • Widerspruch zum völkerrechtlichen Paradigma Ein Weltstaat würde, wie Kant folgert, einen obersten Gesetzgeber verlangen, dessen Gesetze gegenüber den Völkern als Staaten gesichert und damit erzwingbar wären. Damit würden sie aber zu einem Volk und würden ihre bisherige Staatlichkeit aufgeben.335 In einem Völkerstaat336 hätten die einzelnen Völker, weil sie zu einem einzigen Volk zusammengeschmolzen wären, keine völkerrechtlichen Rechte mehr gegeneinander. Ein Völkerstaat widerspräche deshalb der Grundlage des Völkerrechts, welches, weil es das „Recht der Völker gegeneinander“ zum Gegenstand hat, also zwischenstaatliches Recht ist, die Existenz verschiedener Völker voraussetzt.337 Es wäre Welt(-staats)recht. Dies ist jedoch (unter der Voraussetzung, daß alle Staaten an der Weltrepublik teilnehmen würden) nur ein Widerspruch zur Annahme des Völkerrechts338, ein Paradigmawechsel, den Kant in letzter Konsequenz (mit Ausnahme des Weltbürgerrechts) nicht gehen wollte. Hierzu ist anzumerken, daß die Weltrepublik nicht als Einheitsstaat gedacht werden muß339, so daß die Staaten nicht gezwungen sind, ihre Staatlichkeit völlig aufzugeben340.

334 Dazu kritisch O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: G. Schönrich u. a. (Hrsg.), S. 494 ff.; Ch. Horn, Philosophische Argumente für einen Weltstaat, Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 21 (1996), S. 229 ff. 335 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 208 f. 336 Dazu O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, S. 496 ff. 337 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 209 (BA 31, 32). 338 So auch M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, S. 40; O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, S. 497 ff. 339 So auch M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, S. 40. 340 Vgl. O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: D. Hüning u. a. (Hrsg.), S. 238 ff.; vgl. hier auch unter 5. Teil, A.

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• Souveränitätsstreben und Widerstand der existierenden Staaten Auch das Modell einer Völkerrepublik verwirft Kant.341 Obwohl er einen „Völkerstaat (civitas gentium)“ nach der Vernunft „in thesi“ für richtig hält342, erschien zu seiner Zeit ein solcher noch entfernter als im Zeitalter der internationalen Kooperation und der Globalisierung, in dem die Staaten große Teile ihrer früheren Alleinzuständigkeiten eingebüßt haben (dazu 6. Teil). Obwohl es die Vernunft erwarten ließe, daß „gesittete Völker“ danach trachten würden, den menschenunwürdigen, rohen Naturzustand, der zwischen ihnen herrscht, zu verlassen, um sich allgemeinen, öffentlichen Zwangsgesetzen zu unterwerfen, sehe im Gegenteil jeder Staat seine „Majestät“ gerade darin, „gar keinem äußeren Zwange unterworfen zu sein“343. Insbesondere, daß sich Staaten freiwillig einer Gerichtsbarkeit unterwerfen, erschien Kant damals völlig unrealistisch: „Ein Staat, der einmal im Besitz ist, unter keinen äußeren Gesetzen zu stehen, wird sich in Ansehung der Art, wie er gegen andere Staaten sein Recht suchen soll, nicht von ihrem Richterstuhl abhängig machen, . . .; und so zerrinnen alle Pläne der Theorie, für das Staats-, Völker- und Weltbürgerrecht, in sachleere unausführbare Ideale.“344

Von der normativ-vernunftrechtlichen Ebene wechselt Kant hier zu einer empirisch-historischen Argumentation345, die kein Widerspruch zur normativen Idee der Weltrepublik ist, diese aber unrealistisch erscheinen läßt.346 Sie kann nur empirisch-historisch und nicht normativ widerlegt werden. Die Zwangsbefugnisse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die Wirklichkeit des Internationalen Gerichtshofs, des Europäischen Gerichtshofs, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der WTO-Streitbeilegungsgremien, des Seegerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs, die Entwicklungen zu einer Europäischen Verfassung zeigen, daß die Staaten/Völker durchaus bereit sind, schrittweise Teile ihrer alleinigen Zuständigkeit an internationale und sogenannte supranationale Institutionen zu übertragen und Urteile internationaler Gerichte anzuerkennen. Insoweit haben sich die Verhältnisse verändert, so daß diese These jedenfalls teilweise empirisch überholt ist.347 Julian Nida-Rümelin ist deshalb zu ihrer Aussage, Kant sei es nicht gelungen, zu zei-

341

W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 209. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 212 (BA 37, 38). 343 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 209 (BA 31, 32). 344 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 231 (B 75/A 69, 70); kritisch zu Kants Argumentation M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 375 ff. 345 O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, S. 240 f. 346 Vgl. M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 375 ff.; W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 209 f. 347 Vgl. dazu auch kritisch P. Koller, Frieden und Gerechtigkeit in einer geteilten Welt, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 220 ff. 342

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

gen, warum Staaten nicht einem Zwangsrecht unterworfen werden könnten, im Ergebnis Recht zu geben.348 • Gefahr einer Weltdespotie Der Einwand der Gefahr einer Weltdespotie greift auch unter dem weltrechtlichen Paradigma. Denn der Versuch einen Weltstaat zu schaffen, könnte das Gegenteil des Gewollten und Gesollten bewirken, nämlich anstatt einer Weltrepublik eine Welttyrannis.349 Die Weltrepublik, jedenfalls in zentralstaatlich organisierter Form, stößt auf natürliche, räumliche Grenzen. Diese sind normativ erheblich, wenn sie die Verwirklichung des Freiheitsprinzips von vornherein unmöglich erscheinen lassen. Den Grund sieht Kant darin, daß mit dem erweiterten Geltungsbereich der Gesetze deren Bindungswirkung abnehme und diese dann durch Zwang kompensiert werden müsse, zumal angesichts der „Verschiedenheit der Sprachen und Religionen“350, was letztlich zu despotischen oder anarchischen Verhältnissen führen könne. „Die Idee des Völkerrechts setzt die Absonderung vieler von einander unabhängiger benachbarter Staaten voraus, und, obgleich ein solcher Zustand an sich schon ein Zustand des Krieges ist (wenn nicht eine föderative Vereinigung derselben den Ausbruch der Feindseligkeiten vorbeugt); so ist doch selbst dieser, nach der Vernunftidee, besser als die Zusammenschmelzung derselben, durch eine die andere überwachende, und in eine Universalmonarchie übergehende Macht; weil die Gesetze mit dem vergrößerten Umfange der Regierung immer mehr an ihrem Nachdruck einbüßen, und ein seelenloser Despotism, nachdem er die Keime des Guten ausgerottet hat, zuletzt doch in Anarchie verfällt. Indessen ist dieses das Verlangen jedes Staats (oder seines Oberhaupts), auf diese Art sich in den dauernden Friedenszustand zu versetzen, daß er, wo möglich, die ganze Welt beherrscht.“351

Hinter diesen Einwänden352 steht die schon bei Rousseau zu findende Denkweise der kleinen Einheit353, wonach das Konzept der volonté générale am besten in kleineren, bereits integrierten, homogenen Gemeinschaften funktioniert. Die einzige Alternative dazu ist der staatliche Zwang:354

348 J. Nida-Rümelin, Ewiger Friede zwischen Moralismus und Hobbesianismus, in: R. Merkel/R. Wittmann, (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 239 (247). 349 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, Erster Zusatz, S. 225 (B 63, 64/A 62, 63); ders., Über den Gemeinspruch, S. 169 (A 278, 279). 350 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 225 (B 63, 64/A 62, 63). 351 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 225 (B 63, 64/A 62, 63). 352 Vgl. auch H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), 1 (8 ff., 25). 353 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 4. Kap., S. 73, 15. Kap., S. 103, 105; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, in: ARSPBeiheft 71 (1997), S. 173 f. 354 Kritisch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 132 f.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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„Je weniger nun die Sonderwillen in Beziehung zum Gemeinwillen stehen, d. h. die Sitten auf die Gesetze, um so mehr muß die zügelnde Kraft wachsen. Die Regierung muß also, um gut zu sein, im gleichen Verhältnis stärker sein, wie das Volk zahlreicher ist. Woraus folgt, daß die Freiheit in dem Maß abnimmt, wie der Staat sich vergrößert.“355

Die Gefahr einer Weltherrschaft oder Universalhegemonie, die von mächtigen Staaten sowie von manchen internationalen und Supranationalen Organisationen ausgeht, ist nicht zu leugnen und durch die Wirklichkeit bestätigt.356 Sie wird im 5. Teil, Konzepte einer Weltrechtsordnung, erneut aufgegriffen und erörtert. • Unmöglichkeit der Rechtssicherung auf zu großem Gebiet Kant fürchtet, daß das Ziel der Weltcivitas, nämlich weltweite Rechtssicherung, bei zu großer Ausdehnung eines Völkerstaates für eine Regierung unmöglich wäre und somit der „ewige Friede“ (die Freiheit) eine „unausführbare Idee“ sei. Dies veranlaßt ihn jedoch nicht, diese Ziele völlig aufzugeben, sondern an einer „kontinuierlichen Annäherung“ zu arbeiten.357 Ergebnis Insgesamt ist festzustellen, daß zumindest die Einwände Kants der Gefahren einer Weltdespotie weiterhin ernst zu nehmen sind. f) Normative Grundlagen einer friedlichen Weltordnung auf der Grundlage eines Völkerbundes Die Definitivartikel enthalten die allgemeinen Prinzipien und positiven Rechtsbedingungen, auf die sich Kants Friedenskonzept normativ stützt.358

355

Rousseau, Gesellschaftsvertrag, III, 1. Kapitel (S. 64). Vgl. schon für das Römische Reich Montesquieu, Über den Geist der Gesetze, hrsg. v. K. Weigand, 1965, XI, 19. Kap., S. 246 ff. über die Regierungsführung in den römischen Provinzen; in Bezug auf den UN-Sicherheitsrat siehe S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, S. 208 ff., 229 ff. 357 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 474 (A 227, 228/B 257, 258). 358 M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, S. 31 f.; W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 204 ff. 356

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

• Republikanität der Staaten (Erster Definitivartikel) Kant, der davon ausgeht, daß eine Verfassung, die auf der Freiheit der Menschen gründet, am besten geeignet ist, den Frieden unter den Menschen zu sichern359, fordert als erste Voraussetzung für den ewigen Frieden: „Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein. Die erstlich nach Prinzipien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen); zweitens nach Grundsätzen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Untertanen); und drittens, die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung – die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegründet sein muß – ist die republikanische. Diese ist also, was das Recht betrifft, an sich selbst diejenige, welche allen Arten der bürgerlichen Konstitution ursprünglich zum Grunde liegt.“360

Die Republik im Sinne Kants ist nicht einfach als Nichtmonarchie gekennzeichnet.361 Entscheidend ist für Kant nicht die Staatsform, die er in Autokratie (Fürstengewalt), Aristokratie (Adelsgewalt) und Demokratie (Volksgewalt) einteilt362, sondern die Regierungsform, die republikanisch sein soll und nicht despotisch.363 Die Republik im Sinne Kants entspricht den Voraussetzungen eines gewaltteiligen, freiheitlich (repräsentativ-)demokratischen364 Verfassungs- und Rechtsstaates, welcher die Menschenrechte achtet.365 Kant konzipiert das Völkerrecht als „öffentliches Recht“. Der freiwillige zwischenstaatliche Bund, der über keinerlei Zwangsgewalt verfügt, schafft allein kein öffentliches (erzwingbares) Recht. Teil des öffentlichen Rechts ist das Völkerrecht nur, weil es an den rechtlichen Zustand in den Staaten anknüpft.366 Die 359

Kant, Zum ewigen Frieden, S. 209 BA 31, 32) f. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 (BA 20, 21, 22). 361 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 11 ff.; R. Gröschner, Die Republik, HStR, Bd. II, 2004, § 23, S. 369, Rn. 13 ff.; so aber G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1914, S. 710 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 575 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, 1991, S. 373. 362 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 206 (BA 25). 363 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 206 (BA 25) f.; dazu kritisch F. Schlegel, Versuch über den Begriff des Republikanismus (1796), in: Z. Batscha/R. Saage (Hrsg.), Friedensutopien, 1979, S. 93 ff. 364 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 206 (BA 25) ff., lehnt die unmittelbare Demokratie als despotisch ab, weil diese kein gewaltenteiliges System und Mehrheitsherrschaft ermögliche, was dem allgemeinen Willen und der allgemeinen Freiheit widerspreche; dazu kritisch F. Schlegel, Versuch über den Begriff des Republikanismus, S. 100. 365 Zu den Voraussetzungen einer Republik im kantianischen Sinne eingehend K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1 ff.; ders., Freiheit in der Republik, vor allem S. 34 ff.; vgl. auch F. Schlegel, Versuch über den Begriff des Republikanismus, S. 94 ff.; H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, 1953, S. 27; O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 246. 366 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 246 (B 102, 103/A 96, 97) f. 360

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Durchsetzbarkeit des Völkerbundrechts ist nur gesichert, wenn die Staaten des Völkerbunds Rechtsstaaten sind, also das Recht von sich aus achten. • Völkerbund als „negatives Surrogat“ (Zweiter Definitivartikel) Der zweite Definitivartikel betrifft die Ausgestaltung des zwischenstaatlichen (internationalen) Rechts. Grotius, Pufendorf, Vattel, auf die sich die Staaten zur Rechtfertigung ihrer Kriege stützten, bezeichnet er als „leidige Tröster“, weil ihr Kodex „philosophisch oder diplomatisch abgefaßt, nicht die mindeste gesetzliche Kraft hat, oder auch nur haben kann (weil Staaten als solche nicht unter einem gemeinschaftlichen äußeren Zwange stehen)“.367 Die Art, wie Staaten ihr Recht verfolgen, könne nie, wie bei einem äußeren Gerichtshofe, der Prozeß, sondern nur der Krieg sein. Durch den Sieg werde das Recht aber nicht entschieden.368 Die Idee eines Völkerstaats sieht Kant zwar im Gegensatz zu einer Universalmonarchie als richtig und von der Vernunft geboten, aber für nicht realisierbar an. „Für Staaten, im Verhältnisse unter einander, kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie, eben so wie einzelne Menschen, ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen, und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat (civitas gentium), der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde, bilden. Da sie dies aber nach ihrer Idee vom Völkerrecht durchaus nicht wollen, mithin, was in thesi richtig ist, in hypothesi verwerfen, so kann an die Stelle der positiven Idee einer Weltrepublik (wenn nicht alles verloren werden soll) nur das negative Surrogat eines den Krieg abwehrenden, bestehenden, und sich immer ausbreitenden Bundes den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Neigung aufhalten, doch mit ständiger Gefahr ihres Ausbruchs.“369

Weil die Staaten ihre Staatlichkeit nicht aufgeben wollen, was im Rahmen der Geltung eines zwischenstaatlichen Völkerrechts, welches ihre Souveränität bedingt, auch vorausgesetzt ist370, schlägt er als mildere, aber (wie er selbst zum Ausdruck bringt) weniger effektive Lösung vor: „Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein.“371

367 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 210; vgl. zur Abgrenzung Kants von der naturrechtlichen Völkerrechtslehre, welche die damalige Staatenpraxis beherrschte H. Steiger, Frieden durch Institution, S. 149 ff. 368 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 210 (BA 33, 34) f. 369 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 212 (BA 37, 38). 370 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 209 (BA 31, 32); vgl. auch A. Verdross, Völkerrecht, S. 28; M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 375 ff. 371 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 208 (BA 28, 29, 30).

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Dennoch hat Kant die einzelstaatliche Souveränität nicht als rechtlich unangreifbar gekennzeichnet372; denn Kant hält nach wie vor an einer „weltbürgerliche Verfassung“ als Lösung der Vernunft fest.373 Allerdings fürchtet er die tatsächlichen Gefahren eines Weltstaates für die Freiheit: „Oder ist ein solcher Zustand eines allgemeinen Friedens (wie es mit übergroßen Staaten wohl auch mehrmalen gegangen ist) auf einer anderen Seite der Freiheit noch gefährlicher, indem der den schrecklichsten Despotismus herbei führt, so muß sie diese Not doch zu einem Zustande zwingen, der zwar kein weltbürgerliches gemeines Wesen unter einem Oberhaupt, aber doch ein rechtlicher Zustand der Föderation nach einem gemeinschaftlich verabredeten Völkerrecht ist“.374

Ist die „unmittelbare“ Pflicht, den Friedenszustand herbeizuführen, unter dem völkerrechtlichen Paradigma nicht mit öffentlichen Zwangsgesetzen und einer bürgerlichen Verfassung, die unauflöslich ist375, möglich376, so bleibt als Minus dazu nur ein dauerhafter Friedensbund ohne Zwangsgesetze auf der Basis der Freiwilligkeit.377 „Indessen daß doch die Vernunft, vom Throne der höchsten moralischen gesetzgebenden Gewalt herab, den Krieg als Rechtsgang schlechterdings verdammt, den Friedenszustand dagegen zur unmittelbaren Pflicht macht, welcher doch ohne einen Vertrag der Völker unter sich, nicht gestiftet oder gesichert werden kann: – so muß es einen Bund von besonderer Art geben, den man den Friedensbund (foedus pacificum) nennen kann, der vom Friedensvertrag (pactum pacis) darin unterschieden sein würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zu endigen suche.“378

Analog zu der zwischen den Individuen gebotenen bürgerlichen und weltbürgerlichen Verfassung begründet Kant die Notwendigkeit eines Völkerbunds, damit daß die Möglichkeit besteht, sich gegenseitig zu lädieren: „Völker als Staaten, können wie einzelne Menschen beurteilt werden, die sich in ihrem Naturzustande (d. i. in der Unabhängigkeit von äußeren Grenzen) schon durch ihr Nebeneinandersein lädieren, und deren jeder, um seiner Sicherheit willen, von dem anderen fordern kann und soll, mit ihm in eine, der bürgerlichen ähnliche Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann. Dies wäre ein Völkerbund, der aber gleichwohl kein Völkerstaat sein müßte.“379

372

A. A. M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 379 ff., 382. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 169 (A 278, 279) f. 374 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 169 (A 278, 279) f. 375 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 475 (A 229/B 259). 376 Vgl. D. Archibugi, International organization in perpetual peace projects, Review of International Studies 18 (1992), S. 295 (312). 377 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 475 (A 229/B 259). 378 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 211 (BA 35, 34); vgl. dazu O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: G. Schönrich u. a. (Hrsg.), S. 491. 373

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Als erster Schritt auf dem Weg zum Weltfrieden ist der Völkerbund nur ein wechselseitiger Nichtangriffs- und Verteidigungspakt. Er beinhaltet keine darüber hinausgehende Vergemeinschaftung der Staatlichkeit, etwa durch gemeinsame Gesetzgebung, keinen gemeinsamen Richter und keine Sanktionsgewalt. Er wehrt nur negativ Bedrohungen des Friedens durch Kriege zwischen den Staaten ab. Er ist nicht wie die Weltrepublik auf eine umfassende Sicherung des Rechts gerichtet.380 Grundlage des Friedensbunds ist keine (welt-)bürgerliche Verfassung381, sondern ein „Vertrag der Völker unter sich“.382 Der „Vertrag der Völker“ ist, insbesondere weil sich der Friedensbund von gewöhnlichen Friedensverträgen unterscheiden soll, auch eine Art Gesellschaftsvertrag, eine Verfassung zwischen Völkern.383 Seine Geltung speist das Recht des Völkerbundes nicht aus den Einzelwillen der Staaten, sondern aus dem vereinigten Willen der Staatsvölker.384 In den tatsächlichen Kategorien und Handlungsformen des Völkerrechts allerdings, das Kant mit seinem Vorschlag des Friedensbunds als negatives Surrogat zu einer Weltrepublik bewußt nicht verlassen wollte, muß der Friedensbund als tatsächlicher völkerrechtlicher Vertrag geschlossen werden.385 Anders als eine Staatsverfassung ist der Friedensbund, obwohl auf Dauer angelegt, freiwillig, also nicht erzwingbar und jederzeit auflösbar.386 Die Form des völkerrechtlichen Vertrages hindert nicht, in ihm materiell eine Art Verfassung der Völker mit Vorschriften zwingenden Charakters (Gewaltverbot) und organisationsrechtlich die Institutionalisierung eines mehr oder weniger engen Staatenbunds zu sehen (dazu 6. Teil, C, D). Im Unterschied zu den Menschen, die die bürgerliche Verfassung erzwingen dürfen387, haben die Staaten unter der Geltung des Völkerrechts kein Recht zur zwangsweisen Durchsetzung eines Völkerbunds.388 Die Staaten sind ihrem Be379 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 208 f.; vgl. dazu O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: G. Schönrich u. a. (Hrsg.), S. 492 ff.; W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 209 ff. 380 Vgl. H. Steiger, Frieden durch Institution, S. 147. 381 H. Steiger, Frieden durch Institution, S. 147. 382 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 211 (BA 35, 36). 383 K. Ipsen, Ius gentium – ius pacis, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), 1996, S. 290 (S. 294 ff.). 384 Vgl. G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 368 f. 385 Vgl. W. Röd, Die Rolle transzendentaler Prinzipien in Moral und Politik, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 125 (138); a. A. K. Ipsen, Ius gentium – ius pacis, S. 294 ff. 386 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 475 (A 229/B 259); ders., Zum ewigen Frieden, S. 247 (B 101, 105/A 98, 99); anders K. Ipsen, Ius gentium – ius pacis, S. 296 f., der aus der Dauerhaftigkeit des Friedensbundes auf dessen Unkündbarkeit schließt. 387 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 365 f.

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griff nach jedenfalls im Innenverhältnis zu den Bürgern Wirklichkeit von Recht. Nach völkerrechtlichen Grundsätzen (insbesondere dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten) könne von Staaten nicht das gelten, „was von Menschen im gesetzlichen Zustande nach dem Naturrecht gilt, „aus diesem Zustande herausgehen zu sollen“ (weil sie, als Staaten, innerlich schon eine rechtliche Verfassung haben, und also dem Zwange anderer, sie nach ihren Rechtsbegriffen unter eine erweiterte gesetzliche Verfassung zu bringen, entwachsen sind).“389

Das völkerrechtliche Paradigma schließt jede Zwangsbefugnis zwischen Staaten aus. Die Analogie ist also insoweit unter der Prämisse des Völkerrechts unvollständig. Kant nimmt dies jedoch hin; denn die Verweigerung einer Vereinigung mit bestimmten anderen Staaten sei nicht mit der schlechthin rechtswidrigen Weigerung gleichzusetzen, überhaupt in einen gesetzlichen Zustand miteinander zu treten. Im übrigen muß die Tragfähigkeit dieser Analogie relativiert werden, weil Staaten anders als Menschen nicht autonom sind, also keinen Selbstzweck haben.390 Die Analogie von Individuum und Staat ist nur zu akzeptieren, weil die primäre Rechtssubjektivität des Menschen und die Ableitung der Rechtssubjektivität des Staates aus derjenigen der Gemeinschaft der Bürger391 nicht geleugnet wird.392 In diesem Sinn treffen die Völker, vertreten durch die Staatsorgane, als „Kollektivsubjekte“393 Entscheidungen. Auch die Einhaltung des durch den Völkerbund erreichten öffentlich-rechtlichen Zustands zwischen den Staaten kann in Kants Modell von einem Friedensbund „freier Staaten“ in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ nicht erzwungen werden, sondern beruht auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit.394 „Dieser Bund geht auf keinen Erwerb irgend einer Macht des Staats, sondern lediglich auf Erhaltung und Sicherung der Freiheit eines Staats, für sich selbst und zugleich anderer verbündeter Staaten, ohne daß diese doch sich deshalb (wie Men-

388 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 211 (BA 35, 36); H. Steiger, Frieden durch Institution, S. 146; W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 209. 389 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 211 (BA 35, 36). 390 Dazu P. Koller, Frieden und Gerechtigkeit in einer geteilten Welt, in: R. Merkel/ R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, S. 218 ff. 391 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 174; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 282 f.; vgl. auch Ch. Beitz, Political theory and international relations, 1979, S. 181 f. 392 Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 304, 324 f.; vgl. auch M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, S. 42. 393 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 208. 394 Ch. Covell, Kant, die liberale Theorie der Gerechtigkeit und die Weltordnung, Der Staat (37) 1998, S. 361 (366); vgl. dazu auch V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 64 ff., 87.

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schen im Naturzustande) öffentlichen Gesetzen, und einem Zwange unter denselben, unterwerfen dürfen.“395

Damit würde zwar das Recht der Völker nicht mehr nur diplomatisch oder philosophisch, sondern allgemein-gesetzlich bestimmt, aber weil sich die Staaten keinem Zwang unterwerfen, nach wie vor nicht gesichert.396 Unter der von Kant im ersten Definitivartikel aufgestellten Voraussetzung einer republikanischen Verfassung in jedem Staat, könnte allerdings eine Sicherung durch Zwang entbehrlich sein397, weil Republiken als Rechtsstaaten von sich aus das Recht achten. Dies müßte auch für das Völkerrecht als Teil des öffentlichen Rechts gelten, selbst dann, wenn dessen Anwendung Interessen der eigenen Bürger beeinträchtigt. Auf diese Weise scheint die Durchsetzung des Weltfriedensrechts und damit die Rechtlichkeit zumindest von der Idee her gesichert.398 Zwar ist die Republik ein Gebilde des Rechts, aber dieses Recht muß von Menschen verwirklicht werden. Weil der homo phaenomenon nicht immer dem Recht, sondern häufig seinen Neigungen folgt, muß es eine Organisation und Verfahren geben, welche diese Neigungen neutralisiert.399 Im Außenverhältnis zwischen den Staaten gilt insoweit grundsätzlich nichts anderes.400 Kant ist deshalb verschiedentlich vorgeworfen worden, die Konzeption sei widersprüchlich.401 Offensichtlich hat Kant die Sittlichkeit der Organe der Republik höher eingeschätzt als die der Bürger, wohl davon ausgehend, daß in der echten Republik nur „die Besten“, die nur ihrem Gewissen folgen, als Volksvertreter gewählt werden.402 Allerdings will die Idealisierung der einzelstaatlichen Republik nicht so recht zu den überwiegend empirischen und weniger vernunftrechtlichen Bedenken403 passen, die Kant gegen die Weltrepublik vorbringt. Als negatives Surrogat ist der Völkerbund keine rein vernunftrechtliche Idee wie die Weltrepublik404, die Kant für unausführbar hält405, sondern das realistische Mittel zur Annäherung an die Grundsätze einer Weltfriedensordnung, 395

Kant, Zum ewigen Frieden, S. 211 (BA 35, 34). G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 382. 397 Vgl. dazu auch V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 72 ff. 398 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 123 ff., 128 ff. 399 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 224 (B 61, 62/A 60, 61). 400 Vgl. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 171 (A 282, 283). 401 Vgl. J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 196 f., 208 ff.; M. LutzBachmann, Kants Friedensidee, S. 38 f. 402 Dazu Aristoteles, Politik, S. 143 f., 1292 a 7 ff., S. 227 1325 b 10 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 122, 662 ff. 403 So auch S. Axinn, Kant on World Government, in: G. Funke/Th. M. Seebohm (Hrsg.), Proceedings of the Sixth International Kant Congress, 1989, Bd. II, 2, S. 243 (244); O. Höffe, Der Revolution noch eine Zukunft?, Reformatio 38 (1989), S. 210 (216); V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 78. 396

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durch das „die Idee eines zu errichtenden öffentlichen Rechts der Völker, ihre – Streitigkeiten auf zivile Art, gleichsam durch einen Prozeß, nicht auf barbarische . . ., nämlich durch Krieg zu entscheiden, realisiert werden kann.“406 g) „Natürliche“ Sicherungen der von Kant vorgeschlagenen Weltfriedensordnung • Friedliche Natur der Republiken „Außer der Lauterkeit ihres Ursprungs, aus dem reinen Quell des Rechtsbegriffs entsprungen zu sein“, begünstige die republikanische Verfassung nach Kants Ansicht „den ewigen Frieden“407, weil die Staatsbürger, welche in der Republik politisch selbstbestimmt sind408, angesichts der „Drangsale des Krieges“ keine Zustimmung zu einem solchen geben würden.409 Die prinzipielle Annahme, daß Republiken untereinander keine Kriege führen, wird bestritten, kann aber durch die Wirklichkeit nicht eindeutig widerlegt werden.410 Tatsächlich läßt sich nur feststellen, daß Staaten mit tendenziell freiheitlich-demokratischer Verfassung kaum Kriege untereinander führen, wohl aber gegenüber Staaten mit anderen Systemen.411 Der empirische Einwand, Republiken seien nicht friedfertiger, greift ohnedies nicht gegenüber dem normativen Ideal der Republik, zumal wenn dieses mit den bestehenden Demokratien gleichgesetzt wird. Demokratie ist ein Blankettbegriff geworden, auf den sich heute nahezu alle Staaten berufen, gleichgültig, wie sie verfaßt sind, oft auch 404 A. A. S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, S. 213 ff., 235 ff. 405 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 474 (A 227, 228/B 257, 258). 406 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 475 (A 229/B 259); vgl. J. Bohmann, Die Öffentlichkeit des Weltbürgers, in: M. Lutz-Bachmann/ders., Frieden durch Recht, 1996, S. 87 (88). 407 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 205; vgl. auch Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 193, 204 ff. der meint, es läge in der Natur von Monarchien, ihre Macht auszudehnen und sich zu vergrößern, nicht aber in der von Republiken. 408 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145 (A 235, 236) ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 432 (A 166/B 196) f. 409 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 ff.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 170 (A 280, 281). 410 Vgl. dazu den Überblick über die Diskussion meist auf „Demokratien“ bezogen, bei V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 214 ff.; J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 192 (199 f.); kritisch O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 282 ff.; E.-O. Czempiel, Kants Theorem und die zeitgenössische Theorie der internationalen Beziehungen, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 300 ff. 411 D. Archibugi/D. Held, Cosmopolitan Democracy, 1995, Introduction, S. 10 f.; E.-O. Czempiel, Kants Theorem, S. 303.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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zutiefst menschenverachtende Systeme, in denen Demokratie nur Akklamation bedeutet. Nicht jede Demokratie ist eine Republik im Sinne Kants, der heute freiheitlich-demokratischer Verfassungsstaat genannt werden könnte. Die Republik verlangt die tatsächliche politische Selbstbestimmung der Bürger und deren Aufgeklärtheit oder Emanzipation von ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit, nicht nur Akklamation des Volkes. Demokratien, in denen die Selbstbestimmung der Bürger durch die Herrschaft von Führern, Parteien und/oder anderer Gruppierungen ersetzt worden ist, sind keine Republiken i. e. S.412 Jedenfalls bleibt die Republik im Sinne Kants nicht national selbstbezogen, was wie die Erfahrung zeigt, durchaus kriegsfördernd sein kann413, sondern fußt auf dem universellen Gedanken der Achtung gegenüber allen Menschen. • Einfluß des Handelsgeists Schon Kant wußte, daß der Handelsgeist die Ausbildung einer globalen Gesellschaft fördert.414 Der „wechselseitige Eigennutz“ als Prinzip des Handels erzeugt in Verbindung mit der Verschiedenheit der Sprachen und Religionen jene „ungesellige Geselligkeit“, welche schon innerstaatlich zur Friedensstiftung im Rahmen einer republikanischen Verfassung veranlaßt.415 „Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volks bemächtigt. . . . Auf die Art garantiert die Natur, durch den Mechanism in den menschlichen Neigungen selbst, den ewigen Frieden . . .“.416

Der wechselseitige Eigennutz und der Handelsgeist haben den Weltmarkt und die wirtschaftliche Globalisierung hervorgebracht. In Zusammenschlüssen wie der OECD, aber insbesondere der WTO, und nicht zuletzt der wesentlich aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erwachsenen Europäischen Union, deren Existenz auch mit dem Frieden unter den Völkern in Zusammenhang gebracht wird, zeigen sich durchaus friedenstiftende Wirkungen. Andererseits bringt der Weltmarkt auch Probleme für die Einhaltung der republikanischen Prinzipien, etwa der Menschenrechte, der lebenswichtigen Ressourcen, der demokratischen Selbstbestimmung oder der Sozialstaatlichkeit mit sich417, von de-

412 Vgl. dazu K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, 1988, insbes. S. 129 ff., 138 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, insbes. S. 71 ff., 159 ff., 637 ff., 1045 ff. 413 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 200. 414 O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 248. 415 Vgl. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 37 (A 392); vgl. auch schon Cicero, De re publica I 39 (S. 131); dazu R. Brandt, Vom Weltbürgerrecht, in: O. Höffe (Hrsg.), Immanuel Kant – Zum ewigen Frieden, 1995, S. 133 (146). 416 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 226 (B 65, 66/A 64, 65).

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

nen oft durch, dem Frieden zusätzlich abträglichen, außenpolitischen Maßnahmen abgelenkt wird.418 Wenn er sich ohne Rücksicht auf andere Interessen entfalten kann, ist der Handelsgeist nicht nur friedenstiftend, weil der ungebremste Kapitalismus zwischen arm und reich polarisiert.419 • Publizität – Absicherung des Völkerbunds durch die kontrollierende Funktion der Weltöffentlichkeit Obwohl andere Durchsetzungsmittel ausscheiden, bejaht Kant den öffentlichrechtlichen Charakter des Völkerrechts aufgrund der kontrollierenden Wirkung der Öffentlichkeit (Publizität), der die Politik, auch die globale ausgesetzt ist, um sie auf ihre Rechtlichkeit hin zu überprüfen.420 Damit antizipiert er die Weltöffentlichkeit. „Nur unter Voraussetzung irgend eines rechtlichen Zustandes (d. i. derjenigen äußeren Bedingung, unter der dem Menschen ein Recht wirklich zu Teil werden kann) kann von einem Völkerrecht die Rede sein; weil es, als ein öffentliches Recht, die Publikation seines jedem das Seine bestimmenden, allgemeinen Willens schon in seinem Begriffe enthält, und dieser status iuridicus muß aus irgend einem Vertrag hervorgehen, der nicht eben (gleich dem, woraus ein Staat entspringt) auf Zwangsgesetze gegründet sein darf, sondern allenfalls auf einer fortwährend-freien Assoziation sein kann.“421

Jeder Rechtsanspruch muß die Fähigkeit zur Publizität haben.422 Ein anderes transzendentales Prinzip des öffentlichen Rechts (auch des Völkerrechts) lautet daher nach Kant: „Alle Maximen, die der Publizität bedürfen (um ihren Zweck nicht zu verfehlen), stimmen mit Recht und Politik vereinigt zusammen.“423 h) Weltbürgerrecht als originäres Weltrecht Das Weltbürgerrecht entwickelt Kant im Dritten Definitivartikel seiner Schrift ,Zum ewigen Frieden‘ als eigene Kategorie aus der Vernunft. Er beschreibt es 417 Dazu K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in: ders., S. 253 (289 ff.). 418 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 192 (202 f.). 419 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 201 ff.; vgl. auch ders., Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, in: ders. (Hrsg.), Der gespaltene Westen, 2004, S. 113 (143). 420 Dazu Kant, Zum ewigen Frieden, S. 244 (B 98, 99/A 92, 93) ff.; M. Forschner, Marktpreis und Würde, in: H. Neuhaus (Hrsg.), Grenzen einer globalisierten Wirtschaft, 2003, S. 15 (38). 421 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 246 f. (B 102, 103/A 96, 97). 422 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 244 (B 98, 99/A 92, 93). 423 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 250 (B 110, 11/A 103, 104).

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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als subjektives zwangsbewehrtes Recht mit originärem weltrechtlichem Charakter, das den Keim der Entwicklung einer weltbürgerlichen Verfassung424 in sich trägt, diesen aber nicht voraussetzt425. Es erschließt sich nicht aus den üblichen völkerrechtlichen Quellen426, welche vom Willen der Staaten abhängen (dazu 2. Teil, A). Vielmehr folgt es unmittelbar aus der für alle Menschen und Völker ursprünglichen Gemeinschaft des physischen Besitzes427 an der endlichen Erdoberfläche und der damit verbundenen Möglichkeit der wechselseitigen Einwirkung. Indiz für die Geltung eines „Weltbürgerrechts“ ist, daß „es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhand genommenen . . . Gemeinschaft so weit gekommen ist, daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex, sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt, und so zum ewigen Frieden.“428

Grund des Weltbürgerrechts ist damit nicht ein Sein, der physische Besitz der Erdoberfläche, sondern das aus der Freiheit des Einzelnen erwachsende Gebot praktischer Vernunft, welches aus diesem gemeinsamen Besitz, um Läsionen der Menschen, die sich im grenzüberschreitenden Verkehr begegnen, untereinander zu vermeiden, eine menschheitliche Vereinigung im Weltbürgerrecht verlangt.429 Das Weltbürgerrecht bezieht sich auf die transnationalen Kontakte zwischen Menschen oder Gruppen von Menschen sowie zwischen Bürgern und Staaten, die weder den internationalen (zwischenstaatlichen) noch dem innerstaatlichen Beziehungen, sondern dem globalen Kontext zuzuordnen sind. Die Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft hat nach Jürgen Habermas diesen „Einbettungskontext“, den Kant seinerzeit erörtert hatte, zu einer „postnationalen Konstellation“ verdichtet.430 Kant hat das Weltbürgerrecht als eigene, weltrechtliche Kategorie und als Recht i. e. S.431 neben das Staatsrecht und die völkerrechtliche Konzeption des

424

Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203 mit Fußnote (BA 18/BA 19). Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 475 (A 229/B 259) ff.; dazu näher 4. Teil, B. 426 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, 2000, S. 92, 93. 427 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 360 (AB 66), S. 476 (A 230, 231/B 260, 261). 428 Kant, Zum ewigen Frieden, Dritter Definitivartikel, S. 216 (BA 44, 45, 46) f. 429 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 92; R. Brandt, Vom Weltbürgerrecht, in: O. Höffe, Zum ewigen Frieden, 1995, S. 133 (142 f.) 430 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 174 ff. 431 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 97. 425

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Friedensbundes gestellt.432 Das subjektive Weltbürgerrecht ist das Recht aller als Bürger dieser Welt gedachten Menschen, nach bestimmten allgemeinen Gesetzen (des objektiven Weltbürgerrechts) miteinander in Verkehr zu treten.433 Es entspricht dem Wunsch Emeric Crucés: „Was für eine Freude wär’s, die Menschen allenthalben frei und ungehindert reisen und ohne ängstliche Rücksichtnahmen auf Herkunft, Sitten und ähnliche Unterschiede miteinander verkehren zu sehen, so als wär die Erde – was sie denn in Wahrheit auch ist – eine allen gemeinsame – Stadt.“434

Nach Kant soll das „Weltbürgerrecht . . . auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein“.435 „Hospitalität (Wirtbarkeit) (ist) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines anderen wegen nicht feindselig behandelt zu werden. . . . Es ist kein Gastrecht, worauf dieser Anspruch machen kann (wozu ein besonderer wohltätiger Vertrag erfordert werden würde, ihn auf eine gewisse Zeit zum Hausgenossen zu machen), sondern ein Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht“.436

Damit verwirft Kant ein aus einem Gastrecht ableitbares Recht auf Kolonialisierung, wie es Francisco de Vitoria befürwortet hat.437 Vitoria erkennt zwar die Indianer als (vernunftbegabte) Menschen sowie als Rechtssubjekte und schließt deren Versklavung aus.438 Dennoch führt er ein Weltbürgerrecht (aufgrund des gemeinsamen Besitzes der Erde) als subjektives Recht an, das den Spaniern gegenüber den Indianern nicht nur ein Besuchsrecht, sondern auch ein Gastrecht auf den „neuen Territorien“, d. h. das Recht, Kolonien zu gründen, einräumen soll, solange sie den Indianern nicht schaden.439 Demgegenüber steht Kants Weltbürgerrecht jeder Form von Kolonialisierung entgegen.440 Weil das Weltbürgerrecht den Menschen vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Erdoberfläche zusteht, findet jeder Besitztitel am Besuchsrecht aller Menschen seine Grenze.441

432 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 429; ders., Zum ewigen Frieden, Dritter Definitivartikel, S. 213 (BA 40) ff. 433 Siehe Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 475 (A 229/B 259) f. 434 E. Crucé, Der Neue Kineas, in: K. v. Raumer (Hrsg.), Ewiger Friede, 1953, S. 293 (301 f.). 435 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 213. 436 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 213 f. 437 F. Vitoria, Relectio de Indis (1539), 1996, I, 3. Sec., 1; dazu O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 242. 438 F. Vitoria, Relectio de Indis, I, 1. Sec., 15 f; ders., De Indis recenter inventis, 1. Sec., 4, 24. 439 F. Vitoria, Relectio de Indis, I, 3. Sec., 1; ders., De Indis recenter inventis, 3. Sec., 2; siehe auch O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 242. 440 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 214 ff. 441 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 219.

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i) Einordnung der Position Kants Die kantianische Geltungslehre enthält mit dem angeborenen Recht auf Freiheit ein Element einer ethischen Geltungsbegründung, welche der bürgerlichen Verfassung und den auf deren Grundlage gesetzten Gesetzen zugrunde liegt. Recht ist danach also ethisch begründet, ist aber von rein ethischen Normen dennoch abzugrenzen. Das zeigt sich in der Forderung, daß das Recht „mit der Befugnis zu zwingen“ verbunden sein muß. Das Zwangsmoment hat, weil es auf die Befugnis zum Zwang und nicht auf empirischen Zwang ankommt, nicht soziologischen, sondern normativen Charakter. Für das Völkerrecht genügt nach Kant Publizität als Durchsetzungsmittel, weil gewaltsame Einmischungen zwischen Staaten und weltstaatliche Gewalt ausscheiden. Während Hobbes den zwischenstaatlichen Naturzustand nicht beseitigen will, sondern das Recht der Staaten zum Krieg aufrecht erhält442 und damit Frieden nur durch Abschreckungspolitik als möglichst lange zu erhaltende Abwesenheit von Krieg versteht, geht es Kant um einen positiven, vollständigen Rechtsfrieden, der nur durch die rechtliche Überwindung des zwischenstaatlichen Naturzustands zu erreichen ist.443 Die Ausdehnung des rechtlichen Zustands über die Staatsgrenzen hinweg ist für ihn nicht nur Klugheitsgebot, sondern a priori verbindliche Rechtspflicht.444 Weil Kant die staatliche Souveränität aus tatsächlichen Gründen für unüberwindbar hielt, hat er die weltbürgerliche Vereinigung als eine Föderation von Staaten und nicht von Weltbürgern konzipiert.445 Empirische Überlegungen als solche können das nach der Vernunft Gesollte grundsätzlich nicht in Frage stellen.446 Aus der „Vernunftidee“ begründet Kant nur den Vorzug des Naturzustands zwischen den Staaten gegenüber einer Weltdespotie, nicht jedoch gegenüber einer Weltverfassung. Für die Zurückweisung der vernunftrechtlichen Notwendigkeit einer Menschheitsverfassung kann Kant nicht in Anspruch genommen werden.447

442

Hobbes, Leviathan, II, 18. Kap., S. 162. W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 204. 444 W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S, 214. 445 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 210. 446 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 79; M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, S. 43 f.; O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: G. Schönrich (Hrsg.), S. 494 ff. 447 Dazu M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, S. 38 ff., 43 f.; a. A. S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, S. 213 ff., 235 ff. 443

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Einen vermittelnden Weg zwischen Weltrepublik und Völkerbund, welche die Souveränität der Staaten in vielfältigen Kooperationsverhältnissen, wie sie das heutige Völkerrecht prägen (dazu 6. Teil), als begrenzbar ansieht, hat Kant nicht in Betracht gezogen.448 Er legt einen universell gültigen, die verschiedenen Kulturen übergreifenden Völkerrechtsbegriff zugrunde, auf den der „freie Föderalism“ der Völker gestützt werden muß, wenn er zur Verwirklichung des Weltrechts beitragen soll.449 Kant bleibt insoweit bewußt in der Kategorie des Völkerrechts, das beruhend auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit, den Naturzustand der Völker noch nicht verlassen hat.450 Dennoch sollen sich die Staatsvölker gemeinschaftlich in einen (über die Publizitätswirkung hinausgehenden) öffentlich-rechtlichen Zustand begeben451, darin jedes Volk frei sein kann; also in einen Zustand, in welchem die Freiheit des einen Volkes mit der Freiheit jedes anderen Volkes zusammen bestehen kann.452 Damit befürwortet er einen zweistufigen Kontraktualismus.453 Er begreift die Völker als Rechtssubjekte, die ähnlich wie Menschen mit anderen Menschen, also subjekthaft, mit anderen Völkern in eine „Verfassung“, in eine Weltgemeinschaft454 treten. Allerdings ist der Völkerbund als fragile, alle Durchsetzungsgewalt entbehrende Vertragsgemeinschaft eine unzureichende Organisationsform für die Verwirklichung des globalen Rechtsfriedens.455 Die heutige transnationale Rechtsentwicklung zeigt darüber hinaus die Entstehung globalen Rechts unmittelbar aus den Prozessen in der Weltgesellschaft456 und ist insoweit von der Staatenbundkonzeption nicht erfaßt.457 Gerade weil die universelle Begründung von Recht, die Kants Werk durchzieht458, immer das Individuum als Rechtssubjekt betrachtet459, ist es naheliegend, daß es Kant nicht bei der Mediatisierung des Individuums durch das Völ448 Vgl. W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 212, der deshalb Kants These, ein Völkerstaat wäre ein Widerspruch, unter diesem Aspekt nicht für zwingend hält. 449 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 208 ff., (211 f.); dazu R. A. Lorz, Die dauerhafte Aktualität des ewigen Friedens, Der Staat, 37 (1998), 95. 450 W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 211. 451 Kant, Zum Ewigen Frieden, S. 214 (BA 41, 42); ders., Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 42 (A 399, 400) ff. 452 J. B. Sartorius, Organen des vollkommenen Friedens, 1837, S. 232, 246 f.; G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 367. 453 W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 214. 454 G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 379. 455 W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 211. 456 Vgl. G. Teubner, Globale Bukowina, 1996, S. 5, der sich insoweit von Kant abgrenzt. 457 Vgl. M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 371. 458 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 82 (BA 99, 100) f., 95 (BA 119) f.; vgl. auch ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 141 (A 55, 56) f.; 162 (A 83); ders., Metaphysik der Sitten (AB 18), S. 326, 337, 345.

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kerrecht beläßt. Er erweitert das Völkerrecht um die Beziehungen zwischen Individuen und zwischen Staat und Individuen, indem er betont, „daß im Völkerrecht nicht bloß ein Verhältnis eines Staats gegen einen anderen im ganzen, sondern auch einzelner Personen des einen gegen einzelne Personen des anderen, imgleichen gegen den ganzen anderen Staat selbst in Betrachtung kommt“460. An anderer Stelle faßt er diese, die Individuen einschließenden, Beziehungen unter dem Begriff „Weltbürgerrecht“ zusammen461. Mit der Anerkennung des einzelnen Menschen als Rechtssubjekt globaler Beziehungen entspricht das Weltbürgerrecht dem weltrechtlichen Paradigma. Rechtssubjekte des Weltbürgerrechts sind die Menschen.462 Regelungsgegenstand sind deren (weltweite) Beziehungen untereinander und zu den Staaten, einschließlich zu dem eigenen. Das Weltbürgerrecht ist demnach Weltrecht, wenn auch noch nicht im Weltstaatsbürgerstatus, zu dem es ein Minus darstellt. Kant hat das (schon in der Stoa anerkannte) Weltbürgerrecht neben die Kategorie des innerstaatlichen Rechts und des Völkerrechts gestellt463, mit denen zusammen es die Dreiheit des öffentlichen Rechts bildet. Damit unterscheidet er sich von Konzepten eines Welteinheitsstaats, auch eines Völkerstaates, geht aber deutlich über das völkerrechtliche Paradigma des Staatenbundes hinaus. „Während das Völkerrecht wie alles Recht im Naturzustand nur peremptorisch gilt, würde das Weltbürgerrecht, wie das staatlich sanktionierte Recht, den Naturzustand definitiv beenden.“464 Es füllt die rechtliche Lücke zwischen Völkerund Staatsrecht. Deshalb läßt es sich klar als eigene Kategorie sowohl vom Völker- als auch vom Staatsrecht abgrenzen.465 Kant hat das Weltbürgerrecht in Ergänzung zu einem im Völkerrecht wurzelnden Friedensbund konzipiert und auf die Minimalbedingungen der Hospitalität beschränkt. Ein Weltbürgerecht als Gastrecht oder sogar als weltbürgerlicher Status war hiermit ausgeschlossen. Gleichzeitig hat er aber in das Weltbürgerrecht die Grundlage des ius cosmopoliticum gelegt (vgl. 4. Teil, B). Umso mehr sich die Völkerrechtsordnung in eine Weltrechtsordnung verwandelt, ver-

459 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 210. 460 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 466 (A 215, 216/B 245, 246). 461 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 475 (A 229/B 259) ff. 462 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 95. 463 R. Brandt, Vom Weltbürgerrecht, S. 142. 464 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 195; vgl. dazu kritisch V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 100 f., der hinter dieser Aussage eine Fehlinterpretation vermutet. Siehe dazu Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 366 (AB 74) f., der den „provisorisch-rechtlichen“ vom „peremptorischen“ Besitz unterscheidet. 465 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 95.

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ändert sich auch der Inhalt des Weltbürgerrechts bis es gegebenenfalls einen bürgerlichen Status erreicht.466 Ungeachtet dessen, daß Kant nur die „staatsinterne“ Seite des Weltbürgerrechts definiert hat, nämlich das Besuchsrecht, ist es allgemeiner als grenzüberschreitendes Prinzip aufzufassen, das sich auf die globalen Beziehungen zwischen den verschiedenen Individuen oder Individuen und Staaten/Internationalen Organisationen bezieht. Als solches kann es auch als ideelle Grundlage und Maßstab des postnationalen Mehrebenensystems der global governance467 verstanden werden.468 j) Thesen zur Eignung der kantischen Lehre für eine Weltrechtsbegründung heute Aus alledem läßt sich schließen, daß Kants Rechtslehre beim jetzigen Stand des Völkerrechts als Ausgangspunkt einer Weltrechtsbegründung noch immer aus folgenden Gründen prima facie besonders geeignet erscheint: – Nach Kant kann Recht als Prinzip nur universell gedacht werden, fordert aber nicht die Universalisierung aller Gesetzlichkeit. Sie ist damit mit den Anforderungen der Pluralität der Kulturen vereinbar. – Kants Lehre legt die Idee der Freiheit als Selbstbestimmung zugrunde und kommt somit den immer wieder geäußerten Ansprüchen der Staaten und Menschen nach Selbstbestimmung sowie nach Unterscheidbarkeit entgegen, wie sie auch im Völkerrecht Anerkennung gefunden haben. – Der kantische Republikanismus entspricht weitgehend dem Ideal des modernen demokratischen Verfassungsstaates, welches die meisten Staaten in ihren Verfassungen zumindest ideell zugrundelegen. – Der freiheitliche kantianische Rechtsbegriff schließt einen herrschaftlichen, machtorientierten Rechtsbegriff und damit eine allseits gefürchtete Weltherrschaft aus. – Kants Schriften enthalten einen bis heute diskutierten, ausbaufähigen Entwurf für die Grundlegung einer Weltverfassung und eines Weltbürgerrechts. – Der Kantianismus ist Ausgangspunkt des anglosächsischen Liberalismus sowie der aufgrund ihres Prozeduralismus bestmöglich universell einsetzbaren 466

Dazu kritisch V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 191. Zum Begriff der Global Governance B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, in: dies. (Hrsg.), Verrechtlichung – Baustein für Global Governance?, 2004, S. 12 ff.; dazu auch 5. Teil, B, S. 606 ff. 468 Vgl. i. d. S. J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 133 ff.; a. A. M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 371 f., der dies vom kantischen Weltbürgerrecht nicht anvisiert sieht. 467

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Diskurstheorie sowie des Konsensprinzips, welches bereits im Völkerrecht anerkannt ist. Seine Grundlagen stoßen damit weltweit auf Beachtung und Rezeption. – Der Wortlaut des Art. 1 AEMR entspricht dem Begriff angeborener gleicher Freiheit sowie dem Bild des vernunftbegabten, sozialisationsfähigen Menschen, das Kant und seine Nachfolger in den Mittelpunkt ihrer Rechtslehre gerückt haben. 4. Höffe: Transzendentale Wechselseitigkeit und Weltrepublik Die von Kant vorausgesetzte und in der Rechtsphilosophie schon vorher verwendete Analogie von Staaten und Individuen469 nimmt insbesondere Otfried Höffe auf, um den Übergang von der innerstaatlichen zur zwischenstaatlichen Rechtsgemeinschaft zu rechtfertigen.470 Über Hobbes hinausgehend und anders als Kants Argumentation zur Notwendigkeit der Rechtssicherung, stellt Höffe auf den wechselseitigen Nutzen ab.471 Der transzendentale Charakter erweitert sich seiner Meinung nach um den im Urvertrag angesprochenen sozialen Charakter und führt zu einer transzendentalen Wechselseitigkeit, pars pro toto: zu einem transzendentalen Tausch.472 Jeder verzichtet um den Vorteil von Integrität in Leib, Leben, Eigentum, Ehre und Religion gegenüber allen anderen auf eine Gesamtheit von Tötungs- und Verletzungshandlungen. Dieser exzeptionelle Tausch bringt nicht etwa ein bestimmtes Geflecht reziproker Beziehungen hervor, weder das Beziehungsnetz archaischer noch das moderner Gesellschaften. Er begründet eine natürliche Rechtsgemeinschaft mit vorpositiven Menschenrechten als Klugheitsgeboten.473 Weil die transzendentale Wechselseitigkeit die institutionalisierte Vergesellschaftung möglich und zugleich notwendig macht474, fordert Höffe, über Kant hinaus475, eine föderale Weltrepublik für den ungesicherten Rechtszustand als Völkerminimalstaat.476 In diesem Sinne verlangt er eine Fortentwicklung der 469 Platon, Politea, II, 368d–e, IV 434d; Augustinus, Vom Gottesstaat, IV, 3; Kant, Zum ewigen Frieden, S. 208 BA 28, 29, 30) f.; kritisch dazu P. Koller, Frieden und Gerechtigkeit in einer geteilten Welt, S. 218 ff. 470 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 221; vgl. dazu auch M. LutzBachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 379 ff. 471 Dazu O. Höffe, Gerechtigkeit als Tausch?, 1991; ders., Transzendentaler Tausch, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 29 ff. 472 O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, 1987, S. 382 ff. 473 O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 415; vgl. A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 194. 474 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 56 f. 475 Dazu kritisch M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 379 ff.

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bisherigen globalen Institutionen, insbesondere der UNO. Die hiergegen auch von Kant vorgebrachten Argumente sucht er mit der Begründung zu entkräften, daß die Staaten wegen der Begrenztheit der Aufgaben der Völkerrepublik ihre (existentielle) Staatlichkeit nicht verlieren und somit eine Weltdespotie nicht befürchtet werden müsse.477 Explizit spricht er sich aber dagegen aus, globale soziale Gerechtigkeit im Wege eines Weltsozialstaates herzustellen.478 Für eine genauere Auseinandersetzung mit Höffes und anderen Weltstaatsmodellen sei auf den 5. Teil, A verwiesen. 5. Anglosächsischer Liberalismus In der Tradition Kants stehen unter den modernen Vernunftsrechtslehren neben Höffe auch die Autoren des anglosächsischen Liberalismus für einen Rechtsuniversalismus.479 Der infolge Güterknappheit, gegenseitigen Mißtrauens und unschlichtbarer Streitigkeiten unerträgliche Naturzustand umfaßt nicht nur einzelne Völker, sondern die gesamte Menschenwelt. Die interessen- und vernunftmotivierte Friedenspflicht verlangt, eine den ganzen Globus umspannende Weltfriedensordnung zu begründen.480 Damit wird Weltrecht nach diesen Lehren auf das universelle Friedens- und Rechtsprinzip gestützt.481 a) John Rawls John Rawls benutzt den Begriff „Völkerrecht“ in bewußter Abgrenzung gegenüber dem „internationalen Recht“, um seine Vorstellung von Völkerrecht als allgemeiner Konzeption von Recht und Gerechtigkeit, das dem Recht aller Völker gemeinsam ist, deutlich zu machen.482 Nach seiner Auffassung beruht die Autorität allen Rechts „auf den Prinzipien und Konzeptionen der praktischen 476 O. Höffe, Eine Weltrepublik als Minimalstaat, in: R. Wittmann/R. Merkel (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 154 (165 ff.); ders., Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 245 (247); ders., Vision: föderale Weltrepublik, 2000; ders., Demokratie im Zeitalter der Globalisierung; kritisch dazu Besprechung von H. Steiger, Brauchen wir eine Weltrepublik?, Der Staat, 42 (2003), 249 ff. 477 Siehe O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: D. Hüning u. a. (Hrsg.), S. 233 ff. 478 O. Höffe, Eine Weltrepublik als Minimalstaat, S. 168 f. 479 W. Kersting, Probleme der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 9 (20 f.). 480 W. Kersting, Probleme der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, S. 66. 481 Vgl. W. Kersting, Probleme der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, S. 18. 482 J. Rawls, Das Völkerrecht, in: S. Shute/S. Hurley, Die Idee der Menschenrechte, 1996, S. 53 mit Fn. 1.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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Vernunft“.483 Zurückgreifend auf die Idee des Gesellschaftsvertrages, unterstellt er mit dem „Schleier des Nichtwissens“484 einen fairen, objektiven Urzustand. Dieser fingiert einen Zustand, unter dem freie, gleiche und rational denkende Personen oder – übertragen auf das Völkerrecht – Nationen485, wenn sie über die Prinzipien einer Verfassung entscheiden würden, abgesehen von den objektiv notwendigen Kenntnissen, ihre besondere persönliche Situation und ihr Eigeninteresse nicht kennen. Mit Hilfe dieses Verfahrens der Subjekttranszendentierung soll ein unparteilicher Standpunkt gewonnen werden.486 Über diese Fiktion487 gelangt er dazu, daß die gewählten Grundsätze der politischen und rechtlichen Moral in der Ursprungsposition universale Gültigkeit besitzen und demzufolge in gleicher Weise und ohne Ausnahme auf alle rational handelnden Subjekte Anwendung finden können.488 Allerdings geht Rawls nicht in einem einstufig von einer Weltgesellschaft, sondern von verschiedenen, gegebenen Gesellschaften aus und nicht, was er auch in Erwägung zieht, von einem „allumfassenden Urzustand, . . . in dem nicht die Völker, sondern alle Menschen als Individuen durch Repräsentanten vertreten wären“.489 Sein Konzept der Verteilungsgerechtigkeit, das er für den Einzelstaat entwickelt hat, will er nicht auf die globale Ebene übertragen.490 Sonst würde jedem Menschen ein Recht auf einen fairen Anteil an den natürlichen globalen Ressourcen und auf den Ertrag ihrer ökonomischen Nutzung, das durch geeignete Umverteilungsmaßnahmen zu verwirklichen wäre, zustehen.491 Er fürchtet, daß ein solcher universalistischer Ansatz problematisch wäre, weil „wir dann alle Menschen, unabhängig von ihrer Gesellschaft oder Kultur, nach liberalen Vorstellungen als freie und gleiche, vernünftige und rationale Individuen behandeln müßten. Dadurch würde die Basis für ein Völkerrecht, welches das friedliche Nebeneinander der Staaten sichert, allzu schmal.“492 Deshalb müßten die Rechtsprinzipien den verschiedenen politisch relevanten Bereichen angepaßt werden und von den „Repräsentanten“ dieser Bereiche nach sorgfältiger Überlegung akzeptiert worden sein.493 Nicht alle Gesellschaften dieser Welt akzeptieren aber die Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit.494 Für die Grund483

J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 57. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, übersetzt v. H. Vetter, 1979, S. 159 ff. 485 J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 415 f. 486 W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 216. 487 Dazu kritisch A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 285 ff. 488 Vgl. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 3. Kap., S. 140 ff.; ders., Das Völkerrecht, S. 63 ff., 79. 489 J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 77. 490 W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 219. 491 W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 215. 492 J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 78. 493 J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 57 f. 484

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

struktur der Gesellschaft will er deshalb die Prinzipien der Gerechtigkeit nicht als uneingeschränkt allgemeine Prinzipien ansehen.495 Die umfassendste Geltung von Gerechtigkeitsprinzipien hält er nur zwischen demokratisch-liberalen Gesellschaften für möglich.496 Einen Weltstaat lehnt er in Anlehnung an Kant jedoch ab. Vielmehr befürwortet er eine zwischenstaatliche Konzeption des Völkerrechts mit den bekannten Prinzipien497, insbesondere souveräne Gleichheit, Recht auf Selbstverteidigung, Grundsatz der Nichteinmischung, pacta sunt servanda, Grundsätze humanitären Völkerrechts sowie der Verpflichtung gegenüber Menschenrechten und darüber hinaus zur Schaffung verschiedener Formen kooperativer Gemeinschaft zwischen den Völkern, etwa Fairneß im Handel, aber auch Beistandsverpflichtungen.498 Um eine gemeinsame Verständigungsgrundlage zwischen vernünftigen Völkern zu finden, kann seiner Ansicht nach nicht verlangt werden, daß alle Regime „liberal“ sind. Auch auf hierarchische Gesellschaften dehnt er die im Völkerrecht geltenden Gerechtigkeitsprinzipien aus, sofern diese in dem Sinne „wohlgeordnet“ sind, als sie sich einem vernünftigen Völkerrecht nicht verschließen.499 Mit dem Kriterium der „Wohlgeordnetheit“ stellt Rawls an einen Staat als Subjekt des Völkerrechts – über die gängige Völkerrechtspraxis- und lehre hinaus – immerhin gewisse Legitimitätsanforderungen, wenngleich nicht wie Kant diejenigen einer Republik. Wohlgeordnete hierarchische Gesellschaften definiert Rawls wie folgt: (1) Sie sind friedlich und nicht expansionistisch. Trotz einer eventuellen Staatsreligion respektieren sie die Sozialordnung und Integrität anderer Gesellschaften uneingeschränkt. (2) Sie sind durch einen gemeinsamen Begriff der Gerechtigkeit ausgestattet und in den Augen ihrer Völker legitim. (3) Sie üben keine Willkürherrschaft aus und achten die grundlegenden Menschenrechte, und zwar das Recht auf Leben und Sicherheit, auf Freiheit von Sklaverei, Knechtschaft und Zwangsarbeit, auf (persönliches) Eigentum sowie auf Gleichheit vor dem Gesetz und Einhaltung des Willkürverbotes.500 Dazu gehört für Rawls nicht, daß wie in liberalen Gesellschaften alle Bürger als gleich und frei angesehen werden müssen501, sondern nur, daß das Regime nicht paternalistisch bevormundend ist. 494

J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 87 f. J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 57. 496 J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 63 ff. 497 Vgl. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, S. 415 ff.; ders., Das Völkerrecht, S. 66 f. 498 J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 68. 499 J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 71 ff. 500 J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 53 f., 71 ff., 80 ff. 495

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Tyrannische, despotische, willkürliche, paternalistische und expansionistische Herrschaftsregime toleriert er nicht als ordentliche Mitglieder einer vernünftigen Völkergemeinschaft.502 Die liberalen und hierarchischen „wohlgeordneten“ Gesellschaften befinden sich gegenüber den „Outlaw-Regimes“ in einem Naturzustand. Darin haben sie Pflichten gegen sich selbst und die anderen Gesellschaften sowie gegen die Völker, die von den „Outlaw-Regimes“ unterdrückt werden, nicht aber gegen die mit Souveränitätsanspruch herrschende Elite.503 Gegenüber den „Outlaw-Regimes“ soll das Prinzip der Nichteinmischung nicht gelten. Das Recht auf „Unabhängigkeit“ (Souveränität) schützt insoweit nicht vor einer Verurteilung oder in schwerwiegenden Fällen vor Zwangsmaßnahmen anderer Völker.504 Um die „Outlaw-Regimes“ zu Reformen in Richtung auf die Mindeststandards der wohlgeordneten Völkerrechtsgemeinschaft zu drängen, schlägt Rawls vor, ihnen jegliche militärische, ökonomische oder sonstige Hilfe zu verweigern und sie von der gesamten, „dem wechselseitigen Nutzen der Völker dienenden internationalen Zusammenarbeit“, auszuschließen.505 Ausnahmsweise erachtet er einen Krieg gegen „Outlaw-Regimes“ zur „Verteidigung der wohlgeordneten Völkergemeinschaft, in schweren Fällen auch der Schutz unschuldiger Opfer dieser Regimes vor der Mißachtung ihrer Menschenrechte“ für legitim. Dies entspreche Kants Gedanken, wonach wir die Pflicht haben, den Naturzustand zu überwinden und uns gemeinsam mit den anderen einer in der Vernunft gründenden, gerechten Rechtsordnung zu unterwerfen.506 Mit der begrenzten Anerkennung eines ius ad bellum widerspricht Rawls aber Kant insofern, als jener das Recht, andere im Naturzustand unter eine verfassungsmäßige Ordnung zu zwingen, auf Staaten gerade nicht anwenden wollte und von einem strikten Nichteinmischungsverbot unter Staaten ausging.507 Rawls geht auch über den von Kant vertretenen, durchsetzungsschwachen Völkerbund hinaus. Seiner Auffassung nach „mag es viele verschiedene Organisationen geben, die dem Recht demokratischer Völker unterworfen sind und gemeinschaftlich mit bestimmten Aufgaben betraut werden . . . Einige dieser Organisationen (wie die Vereinten Nationen) mögen die Macht haben, einzelstaatliche Institutionen, die etwa die Menschenrechte verletzen, zu verurteilen und in schweren Fällen sogar zu bestrafen, durch Wirtschaftssanktionen oder sogar über eine militärische Intervention. Die Macht dieser Organisationen erstreckt sich auf alle Völker und auch auf deren innere Angelegenheiten.“508 Rawls 501 502 503 504 505 506 507 508

J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 73. J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 53, 84 f., 91. J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 85. J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 68. J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 86. J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 85. W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 218. J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 66.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

steht auf dem Boden eines kooperativen Völkerrechts, dessen Subjekte die Staatsvölker und nicht die Individuen sind.509 Er erkennt jedoch eine gewisse weltrechtliche Mindestanforderung als Maßstab jeder Gesellschaft an und hält diese gegenüber Staaten etwa im Rahmen der Vereinten Nationen sogar für sanktionierbar. Seine Konzeption ist die Verwirklichung des Menschheitsrechts im institutionellen Rahmen des staatlichen und des internationalen Rechts, gegebenenfalls auch mit militärischem Zwang. b) Charles Beitz/Thomas W. Pogge Rawls Schülern, Charles Beitz und Thomas W. Pogge, genügt der zweistufige Ansatz ihres Lehrers in Anbetracht der globalen Interdependenz, in der eine staatenkonzentrierte Betrachtung ihre normative Bedeutung verloren hat, nicht.510 Beitz möchte die Rawlsche, für den Staat entwickelte, Gerechtigkeitslehre auch auf globaler Ebene konsequent, uneingeschränkt und unabhängig von der Existenz und Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Staaten zur Geltung bringen.511 Das verlangt, daß der objektivierende Schleier der Unwissenheit auch über die Kenntnis der nationalen Zugehörigkeit gezogen werden muß.512 Damit wird das Verhältnis von Staatsbürgern und Nicht-Bürgern ebenso aufgehoben wie das zwischen den Staaten.513 Das Ziel einer friedlichen zwischenstaatlichen Rechtsordnung ersetzt er durch das Paradigma einer gerechten Güterversorgung im Sinne eines weltweiten Sozialdemokratismus.514 Entgegen der einzelstaatlichen Eigentumsordnung soll materielle Verteilungsgerechtigkeit zwischen arm und reich hergestellt werden, was eine Reform der bestehenden Welt(wirtschafts-)ordnung verlangen würde.515 Ob allerdings eine Umverteilung der Ressourcen zwischen rohstoffreichen und rohstoffarmen Ländern, zu denen viele Industrieländer, darunter auch Deutschland zählen, etwa durch eine Rohstoffdividende, wie sie Pogge vorgeschlagen hat516, mehr Gerechtigkeit hervorbringen würde, ist zu bezweifeln.517 Entscheidender ist die globale Verwirklichung der 509 Dazu W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 187 ff., 206 ff.; kritisch Th. W. Pogge, Rawls and Global Justice, in: Canadian Journal of Philosophy 18 (1988), 227 (238). 510 Ch. R. Beitz, Political Theory and International Relations, 1979, S. 170; Th. W. Pogge, Rawls and Global Justice, in: Canadian Journal of Philosophy 18 (1988), 227 (233). 511 Ch. R. Beitz, Political Theory and International Relations, S. 125 ff., 169 ff. 512 Ch. R. Beitz, Political Theory and International Relations, S. 151. 513 W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 220 f. 514 W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 221. 515 Ch. R. Beitz, Political Theory and International Relations, S. 125 ff.; ders., Justice and International Relations, in: H. G. Blocker/E. H. Smith (Hrsg.), John Rawls’ Theory of Social Justice, 1980, S. 211 (216 ff.); vgl. auch P. Koller, Frieden und Gerechtigkeit in einer geteilten Welt, S. 223 ff.; kritisch W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 193 ff.; ders., Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 220.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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Menschenrechte. Trotz ihres globalen Gerechtigkeitsansatzes, der entwickelte Sozialstaatlichkeit voraussetzt, haben sich die Rawlsschüler nicht für einen Weltstaat ausgesprochen.518 Ohne dies näher auszuführen, hält Beitz die Durchsetzung seines Modells globaler Verteilungsgerechtigkeit außerhalb eines Weltstaates für möglich: „A cosmopolitan conception of international morality is not equivalent to, nor does it necessarily imply, a political program like those often identified with political universalism, world federalism, or ,world order‘. It is important to . . . recognize that global normative principles might be implemented otherwise than by global institutions conceived on the analogy of the state.“519

Durch eine Weltsozialordnung auf der Basis der Gleichheit würde das Verhältnis zwischen Staatsbürgern und Nichtstaatsbürgern egalisiert und letztlich in den Beziehungen von Weltbürgern aufgehen.520 6. Wolfgang Kersting Wolfgang Kersting kritisiert im Namen des völkerrechtlichen Souveränitätsprinzips gegen die Konsequenzen aus Kants Analogie521, die konsequent weiterverfolgt, einen Weltstaat fordern (Otfried Höffe), und befürwortet vertragliche Bindungen zwischen souveränen Staaten ohne Zwangsbefugnisse oder weltstaatlichen Charakter.522 Insbesondere wendet er sich gegen die von Beitz und Pogge vertretene Globalisierung des Rawlschen Kontraktualismus, weil dies seiner Ansicht nach unweigerlich zum Weltstaat führt.523 Wird weltweite Verteilungsgerechtigkeit als Element der globalen, menschheitlichen Verfassung verstanden524, verlangt dies, wie Kersting befürchtet, notwendig die zentrale Verteilungsbürokratie eines Weltstaates, dessen Gesetze in die Etats und Eigentumsordnungen der Einzelstaaten eingreifen müssen. Weil aber eine (einheits516 Th. W. Pogge, Eine globale Rohstoffdividende, in: Analyse und Kritik 18 (1995) 2, S. 183 ff. 517 W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 239. 518 Dazu kritisch W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 226 f. 519 Ch. R. Beitz, Political Theory and International Relations, S. 182 f. 520 Ch. R. Beitz, Political Theory and International Relations, S. 151; siehe auch Th. W. Pogge, Rawls and Global Justice, Canadian Journal of Philosophy 18 (1988), 233, 237 f.; vgl. W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 191 ff. 521 W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 183. 522 W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 182; zu den Positionen von Höffe und Kersting und ihr Verhältnis M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 379 ff. 523 W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 197 f.; auch W. Kersting, Globale Rechtsordnung, Politisches Denken, 1995/96, S. 226 ff. 524 In dem Sinn auch P. Koller, Frieden und Gerechtigkeit in einer geteilten Welt, S. 213 ff.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

stiftende) Solidarität525, welche eine freiwillige Erfüllung sozialer Verpflichtungen fördern würde, fehle, würde mit dem Weltsozialstaat unweigerlich jene Weltdespotie geschaffen, vor der bereits Kant gewarnt hat.526 Deshalb lehnt er einen Paradigmenwechsel insoweit ab: „Wenn wir einen Weltstaat vermeiden wollen und an einer Theorie der internationalen Gerechtigkeitsordnung interessiert sind, dann müssen wir die Theorie der globalen Gerechtigkeit als eine Theorie der zwischenstaatlichen Rechts- und Friedensordnung entwerfen.“527 Seiner Meinung nach hat die rechtliche Ordnung äußerer Freiheit Vorrang vor der Erfüllung materialer redistributiver Ansprüche.528 Eine Konzeption einer Weltordnung, die über einen universalen Rechtsfrieden und eine internationale Sicherheitskooperation hinaus eine globale Umverteilung von Gütern vorsieht, sieht er zum Scheitern verurteilt.529 Sie würde die bestehende Asymmetrie zwischen Bürgern und Nichtbürgern notwendig aufheben und Nicht-Bürger aufgrund ihres Menschseins in ihrem Anspruch auf soziale Gerechtigkeit gleich behandeln. Soziale Leistungsrechte würden dann nicht nur als Bürgerrechte, sondern im vollen Umfang auch als Menschenrechte anerkannt. Mit Zunahme politischer Entgrenzungsprozesse, befürchtet er, „verlieren sich die Handlungskausalitäten in der internationalen Weite, für jede verantwortungsethische Zuschreibung unerreichbar; fallen die Grenzen, gerät die politische Macht immer weiter aus den Augen der Bürger, verschwindet die politische Öffentlichkeit, verschwindet das politische, das forum externum und weicht dem Markt, dem epikureischen Garten, wo die Menschen nur noch im ,Lampenschein des Privaten‘ (K. Marx) leben. Nichts könnte zuverlässiger alle politische Verantwortlichkeit tilgen als sie ins Globale auszudehnen; nichts würde die Entpolitisierung der Bürger wirksamer vorantreiben als die Integration aller Nationalstaaten in der Weltgesellschaft.“530

Letztlich spricht er sich daher für ein zweistufiges Weltordnungsschema aus: eine binnenstaatliche Friedensordnung zwischen den Menschen und eine internationale zwischen den Staaten, gegebenenfalls ergänzt um den weltbürgerlichen Menschenrechtsschutz.

525 Zum Begriff der Solidarität als „gesellschaftliche Einheit“ K. Bayertz, Begriff und Problem der Solidarität, S. 23 ff. 526 Vgl. W. Kersting, Philosophische Friedenstheorie und internationale Friedensordnung, S. 546. 527 W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 198. 528 W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 200. 529 W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 198 ff., 209 ff.; ders., Philosophische Friedenstheorie und internationale Friedensordnung, in: Ch. Chwaszcza/ders. (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 523 (546). 530 W. Kersting, Probleme der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, S. 63.

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IV. Verschiedene monistische Lehren Nach den in der Völkerrechtsliteratur vertretenen monistischen Lehren bilden das Welt-/Völkerrecht und das staatliche Recht eine einzige umfassende Rechtsordnung.531 Sie sind damit Weltrechtslehren. 1. Weltrecht aus dem Rechtsgedanken (Rudolf Stammler) Der Neukantianer Rudolf Stammler unterscheidet Weltrecht und Völkerrecht begrifflich wie folgt voneinander: Während er das Weltrecht aus der Unbegrenztheit des Rechtsgedankens ableitet, nimmt seiner Meinung nach das Völkerrecht (was heute im Zeitalter des universellen Völkerrechts empirisch überholt ist) nur Rücksicht auf „die Staatsgemeinschaft westeuropäischer Zivilisation“.532 Nach Stammler birgt die Behauptung der Gebietshoheit den Gedanken der rechtlichen Ausschließung anderer, dem aber die Pflicht gegenüberstehe, die anderen zu respektieren. Sein Weltrechtsbegriff schließt selbständige Rechtsgemeinschaften, insbesondere souveräne Staaten, nicht aus.533 Die Souveränität eines Staates als rechtliche Unabhängigkeit setzte aber voraus, „daß er mit anderen Staatswesen unter einem sie verbindenden rechtlichen Wollen steht. Damit ist nun der Begriff des Weltrechts eingebracht. Weltrecht ist ein Recht, das von dem Gedanken des einheitlichen Zusammenhangs alles besonderen Rechts getragen ist. Dieses Weltrecht ist nicht erst zu fordern oder gar erst zu erfinden – es ist schon da und nur in den geschichtlich vorliegenden Äußerungen des rechtlichen Willens zu entdecken.“534

Stammler stellt das Empirische als ein objektives Richtmaß auf. Weltrecht ist ihm zufolge bereits vorhanden, aber nicht naturrechtlich, sondern empirisch zu erfassen und unterliegt dem Wandel der Zeit und der Umstände.535 2. Psychologische Weltrechtsbegründung (Hugo Krabbe) Hugo Krabbe hat die staatlichen Rechtsordnungen als Ausgliederungen der universalen Menschheitsordnung aufgefaßt, welche die Staatenzuständigkeit regelt. Entscheidend für die Geltung des Völkerrechts ist für ihn das Bewußtsein, daß eine bestimmte Vorschrift für die Solidarität der internationalen Gemeinschaft notwendig ist.536 Völkerrecht wird deshalb von Krabbe nicht als zwischenstaatliches, sondern als überstaatliches Recht (supranationaal recht) aufge531 532 533 534 535

A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 139, Rn. 409. R. Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, 1911, S. 282. R. Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, S. 282 f. R. Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, S. 432 f. Vgl. A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 63 f.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

faßt.537 Dieses ist, wenn auch durch Gewohnheitsrecht, Verträge und Gesetzgebung gebildet538, nicht auf einen obrigkeitlichen Staatswillen, sondern wie alles Recht im Inneren des menschlichen Rechtsbewußtseins verankert.539 Weil das internationale Recht für einen größeren Kreis von Menschen gilt als das nationale, beansprucht es Vorrang. Der Staatssouveränität setzt Krabbe auf der Grundlage einer „modernen Staatsidee“, die den Obrigkeitsstaat ablöst, die Souveränität des Rechts entgegen, die das nationale Recht der Staaten bestimmt540 und im „Weltstaat“ mit vollkommen einheitlichem Weltrecht541 ihr Ziel erreicht.542 Grundlage dafür ist nach Krabbe das „mundiale“ Rechtsbewußtsein543, das durch eine zentrale Instanz erzeugt und gefördert werden soll, bis es sich gebildet hat.544 Allmählich soll dann eine organisierte Weltgemeinschaft entstehen, die sich über die Staaten erhebt, wodurch das internationale Recht zur ursprünglichen Rechtsquelle wird und die Staaten zu abgeleiteten Rechtsgebilden herabsinken, die von der internationalen Gemeinschaft mit Rechten ausgestattet werden. Ein Recht eines Volkes auf einen eigenen Staat besteht nur, soweit die internationale Gemeinschaft den Staatscharakter anerkennt. Subjekte des internationalen Rechts sind je nachdem, ob es sich um private oder öffentliche Interessen handelt, Bürger oder die jeweiligen zuständigen staatlichen Organe.545 Krabbe begründet die Geltung des Rechts aus dem Rechtsbewußtsein, aus welchem sich die Rechtssubjektivität des Menschen ableitet. Sein Verdienst ist es, den Menschen als Subjekt in den Mittelpunkt des Rechts gestellt zu haben. Weil seiner Meinung nach Recht auf dem Rechtsbewußtsein, also auf dem „Gewissen“ der Menschen beruhe, unterscheidet er anders als Kant nicht zwischen Ethik als Grundlage der Motive von Handlungen, welche dem Gewissen unterliegen, und Recht als erzwingbarem Maßstab von äußeren Handlungen.546 536 L. Duguit, Traité de droit constitutionnel, 1927, vol. I, S. 105; vgl. kritisch M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations („The legal conscience of the civilized world“), 2002, S. 11 ff. (96 f.). 537 Vgl. H. Krabbe, Die moderne Staatsidee, 1919, S. 268, 278, 280 f. 538 H. Krabbe, Die moderne Staatsidee, S. 285 ff. 539 H. Krabbe, Die Lehre der Rechtssouveränität, 1906, S. 155, 170, 187, 199; ders., Die moderne Staatsidee, S. 44, 48, 82; ähnlich: L. Duguit, Traité constitutionnel, 1921, 1. Bd., S. 452, 460; ders., Traité de droit constitutionnel, 1927, vol. I, S. 115 f.; vgl. dazu auch Ch. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus, 2003, S. 152 ff. 540 H. Krabbe, Die moderne Staatsidee, S. 263. 541 H. Krabbe, Die moderne Staatsidee, S. 305. 542 H. Krabbe, Die Lehre der Rechtssouveränität, 1906, S. 5. 543 H. Krabbe, Die moderne Staatsidee, S. 305; vgl. L. Duguit, Traité de droit constitutionnel, 1927, vol. I, S. 99, 100. 544 H. Krabbe, Die moderne Staatsidee, S. 308; weniger weitgehend insoweit L. Duguit, Traité de droit constitutionnel, vol. I, S. 196 f. 545 Dazu A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 64 ff. 546 Vgl. A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 69.

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Allerdings versteht er dieses Rechtsbewußtsein nicht im moralischen Sinne von Autonomie und Sittlichkeit, sondern als empirischen Psychologismus. Das Weltrechtsbewußtsein wird nämlich durch eine Weltobrigkeit erzeugt und gefördert, fließt also nicht aus der inneren Freiheit des Menschen, seiner Vernunft. Damit legt Krabbe die Grundlage für einen Weltpropagandastaat. Propaganda ist ein weiches despotisches Verfahren der Obrigkeit, den Untertanen die Meinung der Herrschaft und damit ihren Willen aufzudrängen. Die Unterwerfung unter den Willen der Staatsmacht ist herrschaftlich und unfreiheitlich.547 Insgesamt erscheint Krabbes Lehre nicht schlüssig; denn er ersetzt nationale Herrschaft durch eine Weltobrigkeit, obwohl er den Obrigkeitsstaat überwinden will.548 3. Soziologische Weltrechtsbegründung (Léon Duguit, Georges Scelle) Die Auffassungen von Léon Duguit und Georges Scelles stehen, wenn auch soziologisch-empirisch gewendet, in der Tradition des französischen Republikanismus und dessen Freiheitsbegriff549, welcher den individuellen freien Willen und den Allgemeinwillen in harmonischem Zusammenhang sieht.550 Léon Duguit leitet, gestützt auf Emile Durkheim551, das objektive Recht jedoch nicht transzendental aus der Freiheit, sondern direkt vom soziologischen Faktum gegenseitiger Abhängigkeit der Menschen als soziale Wesen unter den Bedingungen der Arbeitsteilung ab.552 Für ihn sind nicht die Staaten, sondern ausschließlich Individuen, die allein über Rechtsbewußtsein verfügen sollen, Rechtssubjekte.553 Nach Duguit folgt das Recht aus den sozialen Beziehungen und der Solidarität in menschlichen Gruppen554, die unabhängig davon bestehen, ob politisch gesehen, Regierende und Regierte in einem Staat unterschieden werden oder nicht.555 Daraus folgt ein Monismus. Den Staat betrachtet

547

Vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 700. Kritisch zu diesem Widerspruch W. Schiffer, Die Lehre vom Primat des Völkerrechts, 1937, S. 49. 549 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 275 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 19 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 159 f. 550 Vgl. M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 346. 551 E. Durkheim, De la division du travail social: Étude sur l’organisation des sociétés supérieures, 1893. 552 L. Duguit, Etudes de droit public: L’Etat, le droit objectif et la loi positive, I, 1901, S. 6. 553 L. Duguit, Traité de droit constitutionnel, 1921, vol. I, S. 100, 511 ff. 554 Dazu auch K. Bayertz, Begriff und Problem der Solidarität, S. 23 ff. 555 L. Duguit, Traité de droit constitutionnel, vol. I, S. 559 ff. 548

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er als Funktion sozialer Solidarität. Duguit betrachtete das Recht als Teil empirischer Sozialwissenschaften.556 Georges Scelle begründet ähnlich wie Duguit die Geltung von Recht aus dessen sozialer Notwendigkeit. Sein weltrechtlicher Gedanke zeigt sich insbesondere darin, erkannt zu haben, daß sich alle Rechtsvorschriften einschließlich derjenigen des Völkerrechts an den Willen und das Gewissen der Menschen richten und nur der einzelne Mensch Rechtssubjekt sein kann.557 Von diesen Gedanken ausgehend, formuliert er seinen Monismus: „C’est le monisme juridique intégral. Le Droit des gens régit ainsi, sans qu’il puisse y avoir de limites à son action, non seulement les systèmes juridiques étatiques ordinaires ou constitutionnels, mais les systèmes juridiques interétatiques, superétatiques ou extra-étatiques des communautés internationales secondaires ou comme on les appelle aussi, communautés particulières du Droit des Gens: telle communautés d’Etats indépendants régionale ou continentale; tel système fédéral ou confédéral; telle Eglise ou telle Internationale.“558

Scelles Völkerrechtsbegriff ist ein weltrechtlicher, weil er von einem Nichtigkeitsvorrang des Völkerrechts ausgeht, wonach das Völkerrecht entgegenstehende staatliche Rechtsakte bricht.559 Nach Scelle haben die Legislativorgane nur die Aufgabe, die „lois d’être“ in normative Gesetze zu übersetzen.560 Seine syndikalistische Weltstaatsidee sieht, losgelöst von der demokratischen Vertretung, eine Repräsentation durch Experten vor, die nicht als Vertreter von Staaten oder sonstiger territorialer Einheiten, sondern durch sachliche Kompetenz legitimiert sind.561 Ob die Herrschaft von Experten der von Scelle zugrundegelegten zwischenmenschlichen Solidarität dient und vor allem der von ihm und Duguit herausgestellten Rechtssubjektivität des Menschen gerecht wird, ist zu bezweifeln, wie die Realität der Internationalen Organisationen und der Europäischen Union zeigt. 4. Positivistische Weltrechtsbegründung (Hans Kelsen) Kelsens Weltrechtsordnung entspringt einem abstrakt-logischen Positivismus562, der eine philosophische Dimension des Rechts gänzlich leugnet, mit 556

M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 299. G. Scelle, Précis de droit des gens, Vol. II, Droit constitutionnel international, 1934, S. 3: „La norme juridique prohibitive, permissive, ne s’adresse donc qu’à des volontés humaines et conscientes et comme il y a de compétences qu’individuelles, il n’y a de sujets de droit que les individus“. 558 G. Scelle, Précis de droit des gens, Vol. II, S. 6. 559 G. Scelle, Manuelle élémentaire de droit international public, 1943, S. 21. 560 G. Scelle, Théorie juridique de la révision des traits, 1936, S. 47. 561 G. Scelle, Le Pacte des Nations et sa liaison avec le Traité de Paix, 1919, S. 110. 562 H. Kelsen, Das Problem der Souveränität, 1920, S. 85 ff. 557

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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der Folge, daß nach seiner Lehre rechtliche Geltung und philosophische Begründung streng zu unterscheiden sind. Er hat das Völkerrecht als von einer transzendentalen oder vorpositiven Begründung befreites563 („reines“) Weltrecht, das sich zum Weltstaat, zur civitas maxima entwickelt, konzipiert.564 Sein Verdienst ist es, erkannt zu haben, daß der Monismus ein Gebot der Logik des Rechtsbegriffs ist. Wenn sowohl die Vorschriften des Völker- und Weltrechts als auch die des einzelstaatlichen Rechts als jeweils gleichzeitig gültige angesehen werden sollen, gebietet die Rechtslogik565 eine monistische Lehre.566 Erkenntnistheoretisch muß alles Recht in einem System, d. h. von ein und demselben Standpunkt aus, wie ihn insbesondere der Richter einnimmt, als ein geschlossenes Ganzes begriffen werden;567 denn die Kehrseite der Einheit des Rechts ist dessen Widerspruchslosigkeit: „Man kann eine normative Ordnung nicht in der Weise beschreiben, daß man behauptet, es gelte die Norm: A soll sein und zugleich die Norm: A soll nicht sein.“568

Kelsen leitet vorzugsweise die Existenz der Staaten und die Zuständigkeit der nationalen Rechtsordnungen vom Völkerrecht ab. Die Grundnorm der höheren Ordnung ist dann auch der Geltungsgrund der niedereren Ordnung. Aus der hypothetischen Grundnorm, welche die bereits erläuterten natur- und vernunftrechtlichen oder sonstigen Rechtsbegründungen hinfällig machen soll, wird nur die Geltung, nicht auch der Inhalt der Rechtsordnung abgeleitet.569 „Die diesen Geltungsgrund darstellende Norm des Völkerrechts wird üblicherweise in der Aussage beschrieben, daß nach allgemeinem Völkerrecht eine Regierung, die von anderen Regierungen unabhängig, effektive Kontrolle über die Bevölkerung eines bestimmten Gebietes ausübt, die legitime Regierung und daß das unter einer solchen Regierung auf diesem Gebiet lebende Volk einen Staat im Sinne des Völkerrechts bilden; und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Regierung auf Grund einer schon vorher bestandenen oder erst auf Grund einer von ihr revolutionär etablierten Verfassung diese effektive Kontrolle ausübt.“570

563

Dazu A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 145 f. H. Kelsen, Das Problem der Souveränität, 1920, S. 249 ff.; vgl. dazu auch D. Zolo, Cosmopolis, 1997, S. 98 ff. 565 Vgl. H. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 1948, S. 142; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 78; a. A. Th. Schilling, Rang und Geltung von Normen, 1994, S. 373 ff., der Normwidersprüche nicht als logische Widersprüche ansieht, die Einheit der Rechtsordnung aber aus dem Willkürverbot und dem Rechtsstaatsprinzip als Postulat akzeptiert. 566 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 329; ders., Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, ZaöRV 19 (1958), S. 234 f. 567 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 329. 568 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 329. 569 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 224. 570 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 221. 564

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Kelsens Grundnorm ist fiktiv und sieht sich dem Willkürvorwurf ausgesetzt.571 Aus der Grundnorm deduziert Kelsen im Wege des Aufbaus der Weltrechtsordnung in Stufen zunächst die Verbindlichkeit der drei Rechtsquellen des Völkerrechts. Diese begründen die Existenz und die Kompetenzen der Staaten, die wiederum die Verbindlichkeit allen staatlichen Rechts tragen.572 Die Grundnorm stellt die Voraussetzung dar, unter der das sogenannte allgemeine Völkerrecht, d. h. die „das gegenseitige Verhalten aller Staaten regelnden, im großen und ganzen wirksamen Normen, als die Staaten verbindenden Rechtsnormen angesehen werden. Diese Normen werden im Wege einer Gewohnheit erzeugt, die durch das tatsächliche Verhalten der Staaten, das ist das Verhalten der gemäß der staatlichen Rechtsordnungen als Regierungen fungierenden Menschen, konstituiert wird“.573

Die so festgestellte Grundnorm des allgemeinen Völkerrechts lautet: „Die Staaten, das heißt die Regierungen der Staaten, sollen sich in ihren gegenseitigen Beziehungen so verhalten, oder, Zwang von Staat gegen Staat soll unter den Bedingungen und in der Weise geübt werden, wie es einer gegebenen Staatengewohnheit entspricht.“574

In der gewohnheitsrechtlichen Norm, welche die Staaten ermächtigt, ihre gegenseitigen Beziehungen durch Verträge zu regeln, haben sodann die vertraglich erzeugten Völkerrechtsnormen ihren Geltungsgrund.575 Aus diesem Stufenverhältnis ergibt sich ein Vorrang des Völkerrechts vor dem staatlichen Recht. Ursprünglich war Kelsen wie Georges Scelle576 der Meinung, daß das Völkerrecht entgegenstehende staatliche Rechtsakte bricht; denn er hat völkerrechtswidrige Staatsakte auch staatsrechtlich als nichtig bezeichnet.577 In einem späteren Aufsatz hat Kelsen diese Auffassung jedoch aufgegeben.578 Das Konzept Kelsens, wonach sich das staatliche Recht aus dem Völkerrecht ableitet und seinen Vorrang vor diesem festlegt, steht im Gegensatz zum Prinzip der Souveränität des Staatswillens.579 Seine Lehre vom Primat des Völkerrechts formt das Völkerrecht in eine Weltordnung um.580 571

M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 248. Dazu kritisch A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 139 f., Rn. 410. 573 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 222. 574 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 222. 575 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 222. 576 G. Scelle, Manuelle élémentaire de droit international public, 1943, S. 21. 577 H. Kelsen, Das Problem der Souveränität, S. 146. 578 H. Kelsen, Unrecht und Unrechtsfolge im Völkerrecht, ZöR 12 (1932), S. 481 ff. 579 Vgl. die kritische Auseinandersetzung mit dem Souveränitätsgedanken, den er im Sinne einer Souveränität des Rechts begreift. H., Kelsen, Das Problem der Souveränität, S. 9 ff. 580 H. Kelsen, Das Problem der Souveränität, S. 241 ff., 249 ff., 320; dazu auch J. v. Bernstorff, Der Glaube an das universale Recht, 2001, S. 95 ff. 572

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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Die verbreitete Kritik, der Monismus Kelsens widerspreche dem Souveränitätsprinzip und der politischen Wirklichkeit581 setzt einen absoluten Souveränitätsbegriff voraus582 und spielt vom weltrechtlichen Standpunkt, der gerade einem von diesen Prinzipien abgewandten Paradigma folgt, keine Rolle. Kelsen selbst wollte die Souveränität der Staaten in einer Souveränität des Rechts aufgelöst sehen.583 Auch die Kritik, Kelsens Konzeption setzte einen Weltstaat voraus, ist, obwohl Kelsen dieser Idee nicht ablehnend gegenüberstand, nicht zutreffend, weil sich das Weltrecht nicht erst aus der Weltstaatlichkeit, sondern allein aus der „erkenntismäßigen Einheit“ allen Rechts ergibt.584 Kelsens institutionell-positivistisches Monismuskonzept beschränkt sich auf die Begründung von Völker- und Staatsrecht als einheitliche Weltrechtsordnung. Dabei wird der Einzelne nicht als globales Rechtssubjekt wahrgenommen, sondern bleibt mediatisiert durch die Regierungen der Staaten. Die Problematik der Rechtskommunikation in der Weltgesellschaft bezieht er noch nicht ein. 5. Gemäßigter Monismus (Alfred Verdross) Nachdem Alfred Verdross zunächst Hans Kelsen gefolgt ist und das Völkerrecht nicht als Erzeugnis, sondern als Erzeuger der Völkerrechtsgemeinschaft angesehen hat585, macht er später gegen Kelsens Ableitung der staatlichen Ordnung aus der Völkerrechtsordnung geltend, daß auch die Grundnormen des Völkerrechts „die Staaten zur Voraussetzung haben, da es ohne sie weder einen Staatsvertrag noch zwischenstaatliche Übung geben kann.“586 Alfred Verdross und Bruno Simma weisen darauf hin, daß eine Norm wie pacta sunt servanda nicht im Wege des Völkergewohnheitsrechts entstanden sein könne, sondern bereits den ersten Vertragsschlüssen zugrunde gelegen habe. Die Grundnormen des Völkerrechts sind nach Verdross/Simma von den Staaten ursprünglich durch Konsens erzeugte und seitdem vorausgesetzte Normen.587 In seiner 1923 erschienenen Untersuchung über die „Einheit des rechtlichen Weltbildes auf Grundlage der Völkerrechtsverfassung“ entwickelt Verdross eine 581

A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 139 f., Rn. 410. H. Kelsen, Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, ZaöRV 19 (1958), S. 234 (245 f.). 583 H. Kelsen, Das Problem der Souveränität, S. 249 ff.; vgl. auch A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 11 f. 584 J. v. Bernstorff, Der Glaube an das universale Recht, S. 97 f. 585 A. Verdross, Der Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, S. 9, 40, der im Völkerrecht kein „zwischenstaatliches“, kein „internationales“, sondern ein „überstaatliches, ein übernationales Recht“ sah. Anders dagegen ders., Völkerrecht, S. 22, in dem er die Staaten als Voraussetzung des Völkerrechts anerkennt. 586 A. Verdross, Völkerrecht, S. 22. 587 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 60, Fn. 5. 582

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

monistische Rechtslehre, in der er die „Völkerrechtsverfassung“ als Grundlage eines einheitlichen Rechtssystems erkennt.588 Anders als Kelsen sieht Verdross das Völkerrecht nicht in seiner Gesamtheit als ein über den Staaten stehendes Normensystem, sondern unterscheidet verschiedenrangige Völkerrechtssätze, von denen nur einige an der Spitze stehen.589 Sowohl den Primat des Völkerrechts als auch den Primat des Staatsrechts lehnt Verdross ab.590 Über die Staatsverfassungen erheben sich aus seiner Sicht nur diejenigen Rechtssätze, die der Völkerrechtsverfassung angehören, während das übrige Völkerrecht in Verfahren entsteht, die auch von den Staatsverfassungen abhängen.591 Aus dem Umstand, „daß sich die Völkerrechtsverfassung nur durch das Zwischenglied der Staatsverfassung verwirklichen kann“, will er nicht den Schluß ziehen, „daß das unter Mitwirkung der Staatenverfassungen gebildete Völkerrecht in derselben Weise aufgehoben oder abgeändert werden könne, wie das ,staatliche‘ Recht. Dies wäre nur richtig, wenn die Staatsverfassungen die oberste Rechtsreihe bilden würden, da sie dann die höchste Autorität für alles mit ihrer Hilfe gebildete Recht wären. Da jedoch die Staatsverfassungen selbst einem höheren Rechtskreis unterstehen, können sie nur über jene Materien frei verfügen, die ihnen die Völkerrechtsverfassung zur freien Verfügung überlassen hat. . . . Diese räumt aber den Staatsverfassungen nur in der Sphäre der ,inneren Angelegenheiten‘ eine ausschließliche Zuständigkeit ein, während sie außerhalb dieser nur ,einvernehmlich‘ mit anderen ,Staaten‘ vorgehen kann.“592

Nach Verdross ist die Rechtsquelle der Völkerrechtsverfassung die „internationale Gerechtigkeit“, auf die viele Völkerrechtssätze Bezug nehmen und die dem Völkervertragsrecht und dem Völkergewohnheitsrecht zugrunde liegt.593 Den materiellen Gehalt der Völkerrechtsverfassung als „Grundnorm“ begreift er nicht wie Kelsen rein rechtstechnisch-positivistisch, sondern als einen „objektiven Wert“594, der letztlich im sozialen Wesen des Menschen begründet sei.595 Zuletzt identifizierte er die Völkerrechtsverfassung mit den durch ein übereinstimmendes Rechtsbewußtsein erzeugten596 allgemeinen Rechtsgrundsätzen und mit den auf ihrer Grundlage geschaffenen Normen des Vertragsrechts und des Gewohnheitsrechts.597 Die staatliche Souveränität versteht er in Anlehnung an den Souveränitätsbegriff der französischen Revolution598 als den Um588

A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 98 ff. A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 129. 590 K. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 134. 591 K. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 134. 592 K. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 135. 593 A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 120 ff. 594 A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, S. 23. 595 A. Verdross, Völkerrecht, S. 18 f. 596 A. Verdross, Völkerrecht, S. 22; vgl. kritisch zum „legal conscience of the civilized world“ M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 11 ff. 597 Vgl. A. Verdross, Völkerrecht, S. 24 f. 589

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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fang an Kompetenz, die den Staaten durch das Völkerrecht vermittelt wird.599 Souveränität ist für Verdross daher nichts anderes als „unmittelbare Völkerrechtsunterworfenheit“.600 „Die Unterwerfung der Staaten unter das positive Völkerrecht bedeutet aber, daß die Staaten als positiv-rechtlich selbständige Rechtsgemeinschaften untergehen, sich in die Völkerrechtsordnung eingliedern, um sich aus ihr als verhältnismäßig selbständige völkerrechtliche Teilordnungen wieder auszugliedern.“601 Die Organe der Staaten sind zugleich Organe des Völkerrechts, das sie vollziehen und durchsetzen.602 Eine zentralisierte Weltrechtsordnung oder Weltorgane hat Verdross nie angestrebt.603 Vielmehr bedarf die universale Ordnung der Verwirklichung durch das staatliche Recht mit Hilfe der Organe der Staaten.604 Konflikte zwischen Völkerrecht und staatlichem Recht hält er nicht für ausgeschlossen. Sie werden jedoch auf der Grundlage der Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft aufgelöst.605 Er nennt seine Auffassung einen „gemäßigten und gegliederten Monismus“. Nicht ganz klar ist, was Verdross unter der „Internationalen Gerechtigkeit“ als Grundnorm versteht. Soweit hiermit auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze und das Gewohnheitsrecht der Völker, die sich letztlich aus einem Konsens der Staaten ergeben, verwiesen wird, kann der vorübergehende Untergang der Staaten als Rechtssubjekte, wenn sie sich dem Völkerrecht unterwerfen, nicht überzeugen. Auch sein Monismus ist letztlich staatenzentriert. Soweit Verdross mit dem Begriff der „internationalen Gerechtigkeit“ an die scholastische Tradition und an eine göttliche materielle Gerechtigkeit anknüpft, ist deren Universalität zweifelhaft. 6. Kollektive Naturrechtsauffassung (Albert Bleckmann) Albert Bleckmann hat geäußert: „Die Allgemeininteressen der Völkerrechtsgemeinschaft führen . . . wachsend zu einer Ersetzung der dualistischen durch monistische Theorien, welche die Einheit nicht nur des Völkerrechts, sondern der gesamten, das Völkerrecht und das nationale Recht umfassenden Weltrechtsordnung begründen.“606 598

Dazu K. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 30 f. A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, S. 37; ders., Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 34 f. 600 A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 35. 601 A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, S. 40. 602 Vgl. A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, S. 41, 48 f.; ders., Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 135. 603 Vgl. A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, S. 41. 604 A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 44. 605 A. Verdross, Völkerrecht, S. 113 f. 599

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Die Einheit der Staaten sieht Bleckmann demgegenüber durch einen zunehmenden inneren Pluralismus und Individualismus in Auflösung begriffen.607 Trotz seiner Kritik an den klassischen monistischen Lehren608, nimmt Bleckmann an, daß Völkerrecht und staatliches Recht auf der Basis des Allgemeininteresses der Völkerrechtsgemeinschaft eine einheitliche (Welt-)rechtsordnung bilden.609 Nach seiner „kollektiven Naturrechtsauffassung“ beruht die Bindungswirkung des Rechts darauf, daß Individuen in die jeweiligen Gemeinschaften hineingeboren werden und daran gebunden sind (ibi communitas, ibi ius). Das Kollektiv stehe seiner Meinung nach über den Einzeleinheiten (Individuen, Staat).610 Hierauf aufbauend nimmt er an, daß sich durch das festigende Allgemeininteresse der Völkerrechtsgemeinschaft durch Integration611 eine objektive, einheitliche Rechtsordnung bilde.612 Bleckmann versucht eine soziologische Weltrechtsbegründung. Allein das Faktum der Kollektivität kann indes die Rechtsverbindlichkeit nicht erklären, weil es hierfür einer normativen Begründung bedarf. Die Subordination des Individuums unter die Gemeinschaft degradiert den Menschen zum Untertan. 7. Lehre vom umgekehrten Monismus (Karl Albrecht Schachtschneider), Weltrecht als Funktion staatlichen Rechts Die Grundlagen des umgekehrten Monismus sind bereits im völkerrechtlichen Teil erörtert worden (2. Teil, A, S. 95 ff.). Der Ansatz vom umgekehrten Monismus bemüht sich um eine freiheitliche Begründung des Völkerrechts, verläßt aber im übrigen das staatlich-, völkerrechtliche Paradigma nicht. Begrifflicher Ausgangspunkt Karl Albrecht Schachtschneiders ist zunächst das universalistische Rechtsverständnis Kants mit der Willensautonomie des Menschen613 und nicht die Souveränität der Staaten614. Die Freiheit wird als universelle Begründung allen Rechts angesehen.615 Der 606 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 111; vgl. auch ders., Völkerrecht, S. 335. 607 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 498 ff. 608 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 423 ff. 609 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 111, 424; vgl. dazu auch Ch. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus, S. 288 ff. 610 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 433. 611 Dazu A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 108 ff. 612 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 108 ff. 613 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 275 ff. 614 Vgl. die Kritik an staatlicher Herrschaft und an der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 71 ff., 159 ff. 615 Vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 7, 71 ff, 159 ff., 519 ff., 1045 ff.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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einzelne Bürger wird als Rechtssubjekt des Völkerrechts behandelt. Von den Menschenrechten spricht er als Verfassung der Menschheit616 und erkennt somit die Geltung von Weltrecht als Menschheitsrecht an. Weil das Völker- und Weltrecht als Teil der nationalen Verfassung konzipiert wird, kann die Verfassung der Menschheit seiner Meinung nach nur durch ein nationales Verfassungsgesetz verwirklicht werden.617 Aus seinem universellen Ansatz folgert Karl Albrecht Schachtschneider also nicht die Notwendigkeit einer über das völkerrechtliche Paradigma hinausgehenden Weltrechtsetzung durch eine Weltrepublik, die er als unfreiheitlich und unvernünftig verwirft. Allein einen Staatenbund mit wenigen Kompetenzen und ohne Zwangsbefugnisse hält er für geboten, in dem die Staaten ihre Staatsgewalt partiell gemeinschaftlich ausüben.618 Supranationale Gewalt und die Europäische Union, die Schachtschneider als Bundesstaat charakterisiert619, beurteilt er als verfassungswidrig.620 Recht kann ihm zufolge letztlich nur durch in Einzelstaaten verfaßten Bürgerschaften verantwortet und durchgesetzt werden.621 Somit kann sich die freiheitssichernde Wirkung des umgekehrten Monismus in völkerrechtlich als Staaten anerkannten Ordnungen, welche die politische Freiheit nicht verwirklichen, nicht entfalten. Rechtseinheit ist nur innerstaatlich konzipiert. Das so bezeichnete „weltrechtliche Rechtsprinzip“622 wird nach dem umgekehrten Monismus nur als Teil der verschiedenen Staatsordnungen623 und als eine Funktion staatlichen Rechts verstanden.624 Fraglich ist, ob es auf diese Weise gelingen kann, Menschheitsinteressen in die nationale Willensbildung einzubeziehen. Ansatzpunkt für die Rechtsgeltung ist die nationale volonté générale. Ihre Eignung zur Erkennung des Weltrechts und zur Lösung von Menschheitsfragen ist nicht grundsätzlich abzulehnen.625 Soweit sich aus der „Verfassung der Menschheit“ jedoch kein eindeutiges Ge- oder Verbot ergibt, 616 K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden, S. 29 ff.; 50 ff.; ders., Die Republik der Völker Europas, in: ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 153 ff. 617 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 66 ff.; vgl. auch ders., Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in: ders. (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 316; ders., Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 163. 618 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, in: W. Blomeyer/ders. (Hrsg.), die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 75 (87 ff.). 619 K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: Fs. W. Nölling, 2003, S. 279 (297 ff.). 620 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 111 ff. 621 Dazu K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 76 ff. 622 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. XII. 623 So auch A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 422. 624 Vgl. auch H. Kelsen, Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, ZaöRV 19 (1958), S. 234 (235 ff., 241 ff.).

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

kann ein einzelnes Volk nur das eigene nationale Allgemeininteresse (nach Weltrechtsprinzipien), nicht aber das Interesse der ganzen Menschheit bestimmen. Andernfalls würde es paternalistisch über andere Völker verfügen und diese in ihrem Recht auf Selbstbestimmung verletzen. V. Pluralistische Lehren In konzeptionellem Kontrast zu einem universellen Rechtsverständnis stehen unter Umständen die pluralistischen Lehren. Pluralismus bedeutet allgemein Vielgliedrigkeit einer (Rechts-)Ordnung, im Gegensatz zum Monismus und zum Dualismus.626 Rechtspluralismus definiert John Griffith wie folgt: „Legal pluralism is . . . when in a social field more than one source of ,law‘, more than one ,legal order‘, is observable, that the social order or that field can be said to exhibit legal pluralism.“627

Karl-Heinz Lardeur will die Idee einer ,universellen Vernunft‘ durch die Vorstellung von vielfältigen gesellschaftlichen Beziehungsnetzwerken und von Systemvielfalt ersetzen, welche in „Selbstinterpretation“ kreativ experimentieren.628 Obwohl eine pluralistische Rechtsbegründung prima facie mit der Weltrechtsidee unvereinbar erscheint, wird teilweise vertreten, pluralistische Modelle und die Idee des Weltrechts und einer Weltrechtsordnung würden sich nicht ausschließen.629 Vielmehr seien sie in Form von verschiedenen „Netzwerken“630 im Rahmen der global governance (dazu eingehender 5. Teil, B, S. 606 ff.) das Modell der Zukunft. Nach Auffassung von Gunther Teubner läßt sich Weltrecht nur durch die Idee des Rechtspluralismus und eine entsprechend konzipierte Rechtsquellenlehre angemessen begründen.631 Lehren etwa, welche die Einheit von Staat und Recht betonen, hält er für eine Dogmatisierung der „Globalisierung des Rechts“ (die es nach unserer Vorstellung von Recht begrifflich gar nicht geben kann) für ungeeignet.632 Die Vertreter der pluralistischen Lehren 625 Vgl. H. Kelsen, Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, ZaöRV 19 (1958), S. 244 ff. 626 M. G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 227. 627 J. Griffiths, What is Legal Pluralism?, Journal of Legal Pluralism and Unofficial Law, 24 (1987), S. 1(38). 628 K.-H. Lardeur, Postmoderne Rechtstheorie, 1992, S. 83, 110, 167, 168. 629 A. Fischer-Lescano, Globalverfassung: Verfassung der Weltgesellschaft, ARSP 2002, 376 f. 630 Dazu A. Slaughter, A New World Order, 2004, S. 15 ff. 631 G. Teubner, Globale Bukowina, 1996, S. 4; vgl. A. Fischer-Lescano, Die Emergenz einer Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 717 (719 ff.), der einerseits auf Luhmann andererseits auf Teubner Bezug nimmt.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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beanspruchen, insbesondere neben dem Staats- und Völkerrecht ein globales Recht der Weltgesellschaft begründen zu können. Globales Recht wird von den Pluralisten charakterisiert als eine eng an soziale und ökonomische Prozesse gekoppelte Ordnung sui generis, die sich sowohl vom internationalen als auch vom nationalen Recht unterscheidet und nicht nach den Maßstäben nationaler Rechtssysteme beurteilt werden soll.633 Es handele sich nicht um ein in seiner Entwicklung zurückgebliebenes Recht, das im Vergleich mit staatlichem Recht noch bestimmte strukturelle Defizite aufweise.634 Vielmehr sei es ein vom traditionellen Institutionalismus und hierarchischer Konzeption befreites Recht.635 VI. Stellungnahme zur Begründung des Weltrechts 1. Zu einer machtorientierten, empirisch-soziologischen Rechtsbegründung Karneades hat gegen die Gerechtigkeitslehren Platons und Aristoteles das für Cicero unwiderlegbare Argument eingewandt, daß dem aristotelischen Gedanken der Gerechtigkeit, „jedem das Seine zuzuteilen“636, das sichere Fundament fehle. Vielmehr strebe der Mensch von Natur aus nur nach dem, was für ihn selbst gut ist. Jedem anderen, das Seine zu geben, wäre vielleicht gerecht, aber nicht vernünftig, sondern dumm.637 Der Einwand gegen Platon könnte auch gegen die Freiheit als Grundlage des Rechts verwandt werden. Für die Frage, was unter Menschen als rechtens angesehen wird, kann die individuelle Nutzenmaximierung, nach der Menschen empirisch streben, nicht ausschlaggebend sein.638 Hobbes639 und insbesondere Kant haben gezeigt, daß gerade wegen dieser selbstsüchtigen Neigungen, welche zu Unfrieden und Willkür durch Einzelne führen, sogar eigensüchtige Menschen („ein Volk von Teufeln“), „wenn sie nur Verstand haben“, einen Rechtsstaat errichten würden.640

632

G. Teubner, Globale Bukowina, S. 7 f. G. Teubner, Globale Bukowina, S. 5. 634 G. Teubner, Globale Bukowina, S. 5. 635 A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 754. 636 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V, 1132a (S. 139). 637 Karneades, den Cicero, in De re publica, III, 6 ff., 20 sprechen läßt; hiergegen später H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens (1625), 1950, Vorrede, § 5 ff. 638 Vgl. dazu auch kritisch A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 279 ff. 639 Hobbes, Leviathan, II (Vom Staat), 17. Kap., S. 151 ff. 640 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 224 (B 61, 62/A 60, 61). 633

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Der Trieb des Menschen nach Selbsterhaltung und Selbstverwirklichung ist der empirische Anlaß für die Notwendigkeit von Recht, aber nicht sein Geltungsgrund. Er steht außerhalb des Rechts. Recht beruht auf der Idee des „Sollens“641 und kann daher nicht nur empirisch begründet werden, was seinen notwendigen Wirklichkeitsbezug642 nicht ausschließt.643 Entsprechendes gilt für die soziologischen Rechtsbegründungen, welche auf empirische Erwartungen, Verhaltensweisen und Machtverhältnisse als Geltungsgrund des Rechts abstellen.644 Die Unterscheidung zwischen Ideal und Wirklichkeit ist für die rechtliche Betrachtung kein Problem, sondern Denknotwendigkeit. Weil das Recht Maßstab für das wirkliche Handeln sein soll (sonst könnten Recht und Unrecht nicht auseinandergehalten werden), bedingt die Existenz von Recht die Unterscheidung von Sein und Sollen.645 Die rechtliche Betrachtung orientiert sich an Prinzipien, welche immer nur „bestmöglich“ erfüllbar sind646, setzt also die Kluft zwischen Ideal und Empirie, zwischen Norm und Sachverhalt voraus. Darüber hinaus wird es dem Begriff des Menschen in normativer wie tatsächlicher Betrachtung nicht gerecht, ihn nur als rationales Tier und nicht auch als moralisch denkendes, zur Selbstgesetzgebung fähiges Wesen mit autonomem Willen zu begreifen.647 Eine Vorgehensweise, wonach als Recht diejenige Ordnung gilt, die sich durchgesetzt hat, ist ein Schluß vom Sein auf ein Sollen, welcher die Praxis zum Maßstab des Rechts macht, was die Maßstabsfunktion des Rechts für die Praxis aufhebt.648 Eine allein empirisch-soziologische Begründung des Weltrechts wird somit abgelehnt. Die praktische Wirksamkeit kann aber zur Ergänzung und Bestätigung des normativen Geltungsgrundes herangezogen werden. Wenn nachgewiesen werden kann, daß im gegenwärtigen Völkerrecht Regeln und Praktiken vorhanden sind, welche den Kriterien des Weltrechts entsprechen, wird die normative Annahme eines Weltrechts und deren Implementierung bestätigt. Aus diesem Grunde setzt sich der 6. Teil mit den tatsächlichen Entwicklungen zum Weltrecht auseinander.

641 A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 52 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 758 mit Hinweis auf den Rechtssatz ultra posse nemo obligatur; vgl. auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 14 f. 642 Vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 285 ff. 643 Th. S. Hoffmann, Über Freiheit als Ursprung des Rechts, ZRph 2003, 16. 644 E. Blenk-Knocke, Zu den soziologischen Bedingungen völkerrechtlicher Normbefolgung, 1979, S. 42 ff. 645 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 44 ff. 646 Dazu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 87 f. 647 Dazu Kant, Die Religion, 1. Stück, hrsg. v. W. Weischedel, Bd. 7, S. 665 (BA 3, 4) ff. 648 Vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 227 ff.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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2. Grenzen einer pluralistischen Rechtsbegründung Gegen die pluralistischen Lehren ist prima facie einzuwenden, daß ihre soziologisch- deskriptive Konzeption kein allgemeinverbindliches Recht zu tragen vermag.649 Nicht wegen eines überkommen hierarchisch-institutionellen Denkens, sondern aus Gründen der Rechtslogik, welche die Einheit des Rechtsbegriffs, zumal des Weltrechtsbegriffs, gebietet, kann Weltrecht nicht überzeugend pluralistisch begründet werden.650 Weltrecht im hier verstandenen normativen Sinn ist nicht deskriptiv die Summe aller sich (überlappender) Rechtsordnungen651, vielmehr ist es der größte und letzte Rechtskreis, der die Rechtskreise aller anderen Gemeinschaften menschlichen Zusammenlebens bis zur kleinsten Einheit umfaßt.652 Dies schließt einen Pluralismus sozialer Einheiten und insoweit eine pluralistische Weltordnung (dazu 5. Teil, B) nicht aus. Soweit sich Pluralismus unterhalb der universellen menschheitsverfassungsrechtlichen Ebene in einer Vielheit sektoraler Ordnungen oder Verfassungen zeigt, die jeweils für ihren Anwendungsbereich Prinzipien und Regeln statuieren, steht dies der Begründung von Weltrecht nicht entgegen, wenn die Koordination der verschiedenen Regeln durch ein übergeordnetes konstitutionelles Weltrecht gewährleistet ist.653 Soweit rechtspluralistische Ansätze allerdings zulassen, daß die verschiedenen Rechtsordnungen mit dem Weltrecht „kollidieren“ können654, stehen sie in Gegensatz zu dem Begriff von Weltrecht, wonach bestimmte Prinzipien als für die gesamte Menschheit gültige angesehen werden.655 3. Zur rein positivistischen Begründung Mit der fiktiven Annahme einer „Grundnorm“656 als Geltungsgrund des Rechts hat Hans Kelsen eine Begründung von Weltrecht geliefert, welche transzendentale Geltungsgründe bewußt ausschließt. Kelsens positivistische657 Be649

Vgl. R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB 6 (1999), S. 233. Vgl. die treffende Kritik zu einer entsprechenden Begründung des Europarechts als hierarchisches Mehrebenensystem von M. Jestaedt, Der Europäische Verfassungsverbund, in: Gs W. Blomeyer, 2004, S. 637 (662 ff.). 651 Vgl. A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 754. 652 Vgl. Cicero, De officiis, I, S. 50 ff. 653 In dem Sinn auch B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 17; dazu G. Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 63 (2003), S. 1 (17 ff.); K. Günther/Sh. Randeria, Recht, Kultur und Gesellschaft im Prozeß der Globalisierung, 2001, S. 94 ff. nehmen in diesem Sinn einen „universalen Code der Legalität“ an. 654 A. Fischer-Lescano, Globalverfassung: Verfassung der Weltgesellschaft, ARSP 2002, 377. 655 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 346 (AB 45) f. 656 A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 77. 657 Vgl. zum Begriff der Rechtspositivität H. Kelsen, Das Problem der Souveränität, S. 85 ff. 650

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

gründung von Weltrecht ist fragwürdig. Inhalt der Grundnorm des Völkerrechts, aus welcher er die staatliche Ordnung herleitet, ist nach Kelsen eine gegebene Staatengewohnheit. Damit ist die Gewohnheit für Kelsen ohne die sonst für die Entstehung von Gewohnheitsrecht geforderte opinio iuris658 ein rechtserzeugender Tatbestand.659 Es hilft auch nicht weiter, zu sagen, Kelsen habe die Grundnorm des Völkerrechts im Effektivitätsprinzip gesehen660, weil das Effektivitätsprinzip keinen normativern Gehalt hat, der über die Wirklichkeit hinausweist661. Die Wirksamkeit selbst aber bildet auch nach Auffassung von Kelsen keinen Rechtsgrund.662 Der Schluß vom Sein auf das Sollen, den Kelsen selbst zurückgewiesen hat663, wird nur durch die logisch-analytische Annahme einer gedachten Grundnorm als Bindeglied umgangen.664 Letztlich kann (und will) Kelsen wie andere Anhänger des Rechtspositivismus665 die Geltung des Rechts nicht erklären666 und bricht die Begründungskette. Eine rein positivistische Begründung des Weltrechts667, verbunden etwa mit der Annahme, „Der Geltungsgrund des Rechts kann nicht selbst Teil des Rechts sein“668, gibt keine Antwort auf die von der menschlichen Vernunft seit Anbeginn aufgeworfene und für das Zusammenleben der Menschen entscheidende Frage von Recht und Unrecht669, die immer wieder auch jenseits bestehender Ordnung und Gesetzlichkeit gestellt wird. Das spricht nicht gegen die Notwendigkeit positiven Rechts. Auch Hobbes, der die Grundlagen für das positive Rechtsverständnis lehrte, wußte zwischen (positiven) „bürgerlichen Gesetzen“, welche die Bürger verpflichten und „natürlichen Gesetzen“, an welche wir „als 658 Dazu H. Kelsen, Théorie du droit international coutumier, 1939, S. 11 f.; J. v. Bernstorff, Der Glaube an das universale Recht, S. 148 ff. 659 Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 230 ff. 660 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 139, Rn. 410. 661 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 205 f. 662 H. Kelsen, Das Problem der Souveränität, S. 91 f.; dazu A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 78. 663 Vgl. H. Kelsen, Das Problem der Souveränität, S. 90; ders., Reine Rechtslehre, S. 10, 218 f. 664 Dazu kritisch auch R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 155 ff. 665 Ähnlich wie Kelsen M. Jestaedt, Der Europäische Verfassungsverbund, S. 669. 666 So auch A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 425; J. v. Bernstorff, Der Glaube an das universale Recht, S. 144 f.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 16 f. 667 Dafür aber A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 717 ff., 732. 668 M. Jestaedt, Der Europäische Verfassungsverbund, S. 669. 669 Vgl. die Kritik der positivistischen Rechtsbegriffe bei J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, 1991, S. 88 ff.; K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden, S. 9 ff.; R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 64 ff.; zur Frage des Gerechtigkeitsgehalts des Rechts vgl. A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 1999, S. 27 ff., siehe auch seine Kritik an Kelsen S. 265 f.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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Menschen“ gebunden sind und die sich nach der Goldenen Regel bestimmen, zu unterscheiden.670 Recht ist mit einem Anspruch auf begründbare Richtigkeit verbunden.671 Recht trägt also seiner Idee nach die Forderung der Begründbarkeit in sich. Auch der Grund des Rechts gehört deshalb zum Recht.672 Ist Recht ein ausschließlich von der jeweiligen rechtsetzenden Gemeinschaft (Staat) abhängiger Begriff oder liegt deren Geltungsgrund außerhalb des Rechts, verliert sie ihre Geltungskraft und ihren Geltungsanspruch.673 Hat der Geltungsgrund des Rechts seine Verankerung außerhalb des Rechts oder wird eine Letztbegründung aus der Freiheit abgelehnt, so daß Recht nur von der Autorität des Gesetzgebers oder der Macht der tatsächlichen sozialen Verhältnisse abhängt, kann Recht nur Ordnung und Herrschaft bedeuten. Gesetze, die nicht (prozedural) die Freiheit verwirklichen, also nicht Gesetze der ihnen Unterworfenen sind, sind Herrschaft. Eine Identifizierung von Herrschaft und Recht entspricht nicht der Menschheit des Menschen, dem Prinzip menschlicher Würde. Danach darf der Mensch nicht lediglich als Objekt einer Herrschaftsordnung (dazu 3. Teil, S. 362 ff.), sondern muß auch als selbstrechtssetzendes Subjekt verstanden werden. Selbst die überwiegende („herrschende“) juristische Meinung674 sieht Recht deshalb zumindest als Legitimation und Maßstab der Herrschaft675 und identifiziert somit Herrschaft nicht vollständig mit Recht, folgt also keinem rein positivistischen Ansatz.676

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Hobbes, Leviathan, II, 26. Kap. (S. 228, 232). Dazu R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 129 ff.; ders., Theorie der juristischen Argumentation, S. 264 ff.; A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 37 f., 51 f.; siehe auch Hobbes, Leviathan, II, 26. Kap. (S. 235 ff.). 672 So ausdrücklich W. Henke, Staatsrecht, Politik und verfassungsgebende Gewalt, Der Staat 7 (1968), S. 165 (171); E.-W. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 91; Th. Kupka, Demokratie ohne Naturrecht, S. 268. 673 E.-W. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 91. vgl. auch Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, 2004, S. 98 ff. 674 Siehe nur H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 10, 98 ff., 321; K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 592 ff., 962; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2003, S. 60; zur Herrschaftsdogmatik kritisch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 71 ff. m.w. N. 675 M. Weber, Die drei Typen der legitimen Herrschaft, Preußische Jahrbücher, 187 (1922), S. 1 (2 ff.); H. Hofmann, Legitimität und Rechtsgeltung, 1977, S. 11, 13, 18; vgl. A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 103 ff.; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat, S. 60 ff., 120 ff. 676 Vgl. Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat, S. 98 ff. 671

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

4. Recht, Moral und Sittlichkeit Zu klären ist, wie sich der hier vertretene universelle Rechtsbegriff zu Moral und Sittlichkeit verhält. Es wird der Vorwurf erhoben, mit der Einheit von Recht, Sittlichkeit und Moral werde die Grundlage für einen totalitären Gesinnungsstaat geschaffen.677 Der Begriff der „Moral“ wird nicht einheitlich verwendet.678 Ein materialer Moralbegriff im Sinne bestimmter, feststehender materialer Werte zwingt allerdings zur Trennung von Recht und „Moral“, weil materiale Moralvorstellungen (Werte) subjektiv sind, Recht aber Objektivität beansprucht. Voraussetzung dafür ist Sachlichkeit, d. h. Moralität im formalen Sinne. Nach Kant ist Moral die Treibfeder, „pflichtmäßig aus Pflicht“679 zu handeln. Ein solcher formaler Moralitätsbegriff680 bezieht sich zwar auf die Fähigkeit des Menschen selbstbestimmt, moralisch zu handeln und auf die Existenz der Pflicht, aber nicht auf ein vorgegebenes materiales Wertsystem.681 Es ist „der allseitige gute Wille“ zur Sachlichkeit als „das allgemeinste Prinzip des Rechts.“682 Hans Welzel hat die These vertreten, es gebe „Rechtspflichten nur als sittliche Pflichten“.683 Nach Werner Maihofer, Jürgen Habermas, Karl Albrecht Schachtschneider und ähnlich Maximilian Forschner ist das Sittengesetz das Rechtsprinzip und die richtige Gesetzgebung.684 Den kategorischen Imperativ bezeichnet Schachtschneider als „das ethische Prinzip der Weltgemeinschaft“ und Grundlage allen Rechts.685 Die Moralität gebietet bei der Gesetzgebung, 677 J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit – Republikanische Tugend, in: E. Geißler (Hrsg.), Verantwortete politische Bildung, 1988, S. 65 (68 f.); H. Dreier, Kants Republik, JZ 2004, 747; vgl. auch H. Hofmann, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, 2003, S. 166: „Die Rechtsordnung soll nicht sittlich sein, sondern Sittlichkeit ermöglichen“. 678 Dazu K. A. Schachtschneider, Sittlichkeit und Moralität, in: Aufklärung und Kritik, 2/2004, S. 7 (9 f.). 679 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 511 (A 7) ff., 521 (A 22, 23), 523 (A 25, 26); ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 203 (A 145) ff. 680 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 267 ff.; G. Geismann, Menschenrecht, Staat und materiale Gerechtigkeit, Jahrbuch für Recht und Ethik 3 (1995), S. 218 f. 681 Vgl. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 144 (A 59) ff.; dazu auch H. Wagner, Die Würde des Menschen, 1992, S. 373 ff. 682 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 996. 683 H. Welzel, Naturrecht und Rechtspositivismus, Fs. H. Niedermeyer, 1953, S. 279 (293). 684 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 256 ff.; W. Maihofer, Realität der Politik und Ethos der Republik, in: K. O. Apel/M. Kettner, Zur Anwendung der Diskursethik in Politik, Recht und Wissenschaft, 1992, S. 94 ff.; J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 128; i. d. S. auch M. Forschner, Gesetz und Freiheit, S. 211.

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das Sittengesetz als das formale Pflichtprinzip zu achten. Der kategorische Imperativ686 (das Sittengesetz687) ist formal, auch in der Version, welcher dem Prinzip der Menschenwürde entspricht, daß die Menschheit als Zweck an sich selbst betrachtet werden muß.688 Daß dieses Denken der Sache nach auch der asiatischen, afrikanischen und islamisch-arabischen Kultur nicht fremd ist, wird im 4. Teil gezeigt. Nach Habermas stützt sich die Übereinkunft zum Zwecke der Entdeckung allgemein zustimmungsfähiger Normen „auf die Einsicht moralisch urteilsfähiger Subjekte“, die „von Kant mit freiem Willen ausgestattet werden“ und ihre Vereinbarungen „unter dem moralischen Gesichtspunkt – also mit Rekurs auf das Sittengesetz – begründen“.689 Maihofer versteht die „Republik“ Rousseaus „als legalisierte Moralität“690. Von anderen wird bestritten, ob Kant so zu verstehen ist, daß das Sittengesetz dem Recht zuzuordnen ist, weil Recht sich nur auf den Bereich der äußeren nicht aber der inneren Freiheit, das Sittengesetz oder der kategorische Imperativ sich aber nur auf die innere Freiheit beziehe.691 Nach Kant ist „eine jede Handlung . . . recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“ (Hervorheb. d. Verf.).692 Kant selbst hat sich dafür ausgesprochen, den Begriff des Rechts aus dem moralischen Imperativ zu entwickeln:693 „Wir kennen unsere eigene Freiheit (von der alle moralischen Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen) nur durch den moralischen Imperativ, welcher ein pflichtgebietender Satz ist, aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann.“694

685 K. A. Schachtschneider, Das Sittengesetz und die guten Sitten, in: Fs. W. Thieme 1993, S. 195 (196); ders., Sittlichkeit und Moralität, in: Aufklärung und Kritik, 2/2004, S. 9 f.; a. A. und dazu kritisch G. Geismann, Menschenrecht, Staat und materiale Gerechtigkeit, Jahrbuch für Recht und Ethik 3 (1995), S. 213 ff. 686 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 51 (BA 52) „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ 687 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 267 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 256 ff. 688 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 61 (BA 67). 689 J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 128. 690 W. Maihofer, Realität der Politik und Ethos der Republik, S. 95 ff., 99 ff., 101 ff. 691 G. Geismann, Menschenrecht, Staat und materiale Gerechtigkeit, Jahrbuch für Recht und Ethik 3 (1995), S. 213 ff.; vgl. auch M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 361 (369 f.). 692 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 337 (A 33, B 33, 34). 693 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 336 (AB 31, 32); zum Verhältnis von Moralphilosophie und Rechtsphilosophie in der älteren Kantinterpretation vgl. den Überblick bei W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 1984, S. 35 ff.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Das „Prinzip der Autonomie“695 ist die nicht mit den „Guten Sitten“ zu verwechselnde Sittlichkeit im Sinne Kants, d. h. „nicht anders zu wählen als so, daß die Maximen seiner Wahl zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen“ sind.696 „Die Handlung, die mit der Autonomie des Willens zusammen bestehen kann, ist erlaubt; die nicht damit stimmt, ist unerlaubt.“697 Wenn die Rechtsetzung nicht auf die Autonomie des Willens zurückgeführt wird, beschränkt sich das Wesen des Rechts auf herrschaftliche Gesetze und auf die äußere Zwangsanordnung. Insoweit kennt der positivistische Gegensatz von Recht und Moral698 als Grund des Rechts nur den der Herrschaft.699 Herrschaft ist letztlich immer die von Menschen, die durch die Form des Rechts ihre Interessen durchzusetzen versuchen, also subjektiv bestimmt. Der allgemeine Wille ist der Weg, die Freiheit des einen mit der des anderen in Einklang zu bringen700 und zur Objektivierung des subjektiven Willens, den auch Rousseau aufgezeigt hat. Die Pflicht des Gesetzgebers aus dem Sittengesetz kann nur durch Moralität, d. h. durch Sachlichkeit oder im Sinne Rawls durch den „Schleier des Nichtwissens“701 bewerkstelligt werden.702 Moralität in diesem Sinn ist das Bemühen um Objektivität. Allerdings kann die Moralität des Einzelnen, weil sie als Triebfeder dem Gewissen703 unterliegt, nicht von außen, sondern nur durch jeden Menschen selbst erzwungen werden.704 Die Gefahr eines Gesinnungsstaates droht nicht, weil für die Befolgung von Rechtspflichten ohne Rücksicht auf die innere Motivation (um der Sache wegen oder aus Angst vor Strafe) allein die äußere Befolgung des Gesetzes genügt.705 Aber es gehört durchaus zum Recht und ist Aufgabe der Rechtsordnung, Organe, Grundsätze, Maßstäbe, Verfahren und Institutionen 694 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 347 (AB 48); kritisch dazu W. Metzger, Untersuchungen zur Sitten- und Rechtslehre Kants und Fichtes, 1912, S. 68; J. Strangas, Kritik der kantischen Rechtsphilosophie, 1988, S. 16 ff. 695 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 75 (BA 88, 89). 696 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 74 (BA 87) f. 697 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 73 (BA 85/86) f. 698 Dazu kritisch R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 39 ff. 699 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 289; vgl. auch H. Hofmann, Grundpflichten VVDStRL 41 (1983), S. 80; R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, 1981, S. 286 ff., 296 ff. 700 Vgl. auch S. Gosepath, Das Verhältnis von Demokratie und Menschenrecht, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 201 (205, 218 ff.): das positive Recht muß „moralisch legitim“ sein. 701 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, dt. Übers. v. H. Vetter, 1979, S. 159 ff. 702 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 266; vgl. auch ebenda S. 527: „Ohne die Moralität der gewählten Abgeordneten sind die Gesetze nicht praktisch vernünftig, nicht richtig, und schaffen kein Recht.“ 703 Dazu Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 531 (A 37, 38) ff. 704 Dazu Kant, Metaphysik der Sitten, S. 509 (A 3, 4) ff.; Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 523 (A 25, 26).

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zu schaffen, welche sittliches, d. h. sachliches, objektives Handeln des Gesetzgebers fördern706 und dafür zu sorgen, daß das Recht, unbeschadet der tatsächlichen Motivation der Menschen (z. B. Selbstliebe statt Pflicht), verwirklicht wird.707 5. Kein Werteimperialismus durch eine freiheitliche Rechtsbegründung Neben dem Positivismus haben die Natur- und Vernunftrechtslehren von Anfang an kontinuierlichen Einfluß auf das Völkerrecht genommen. Gegen die naturrechtlichen Lehren wird eingewandt, daß sie willkürlich „Werte“ unüberprüfbar als objektiv gegeben oder aus göttlichem Willen deduzierbar behaupten.708 Soweit manche Lehren christlich-abendländische „Grundwerte“ als unverrückbar zugrunde legen, wird ihnen „Eurozentrismus“ vorgeworfen, der in der „multikulturellen“ Welt keinen Geltungsgrund für universelles Recht beanspruchen könne.709 Umgekehrt gilt dies genauso etwa für die islamisch-religiöse Begründung des Weltrechts. Diese Kritik trifft jedenfalls zu, soweit nach der aristotelischen Konzeption des Guten, die im Kommunitarismus auflebt, bestimmte materielle Werte vorausgesetzt werden, die nicht universalisierungsfähig sind. Die Unterwerfung derer, welche diesen Werten nicht zugestimmt haben, ist nur herrschaftlich und gegen deren Selbstbestimmung möglich und stiftet Unfrieden. Auch die Annahme eines göttlichen Weltgesetzes mit bestimmten vorgegebenen Regeln (etwa denen des Koran oder christlicher Werte) ist angesichts des Widerstreits der Religionen als Basis für ein globales Recht nicht geeignet, um auch nur den Ordnungs- und Friedenszweck des Rechts zu erreichen.710 Ebenso wird die uneingeschränkte Universalisierungsfähigkeit bestimmter sozialer Grundgüter nicht ganz zu Unrecht in Zweifel gezogen.711 Universalisierbarkeit der Rechtsbegründung ist angesichts der Vielfalt der globalen Lebensverhältnisse Voraussetzung 705 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 224 (B 61, 62/A 60, 61); H. Dreier, Kants Republik, JZ 2004, 747. 706 Siehe Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, wonach die Vertreter des Volkes „nur ihrem Gewissen“ unterworfen sind oder vgl. die Unabhängigkeit der Richter, Art. 97 GG sowie die Inhalte der Amtseide, Art. 56 u. i.V. m. Art. 64 Abs. 2 GG, des Bundespräsidenten und der Bundesregierung; vgl. auch H. Hofmann, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, S. 166. 707 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 224 (B 61, 62/A. 60, 61). 708 O. Weinberger, Über schwache Naturrechtslehren, in: Fs. A. Verdross, 1980, S. 321. 709 K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 11; K. Doehring, Völkerrecht, S. 8 f. 710 Vgl. B. Grzeszick, in: J. Isensee (Hrsg.), Der Terror, der Staat und das Recht, 2004, S. 55 (60 ff.). 711 W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 205.

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für die Grundnorm einer globalen Rechtslehre, damit diese mit den unterschiedlichen materiellen Erscheinungsformen des Lebens auf der Welt kompatibel ist.712 Weltrecht bedarf keiner politischen und kulturellen Integration in der Form eines umfassenden Konsenses über Glauben, Werte und Normen, wie Relativismus und Kommunitarismus befürchten und manche Weltethiker befürworten. Eine globale Rechtslehre baut daher sinnvoll nicht auf die Homogenität bestimmter materieller Werte713, sondern auf das formale Prinzip der Selbstbestimmung und ihre Prozeduralisierung in praktischen Diskursen, die wenn sie zu Konsensen führen, erst zur Ermittlung universeller Werte führen.714 Prinzipien sind formal, wenn sie von subjektiven Zwecken abstrahieren.715 Der Vorwurf des „Moralismus“ und des Werteimperialismus, der auch gegen den kantianischen Ansatz, z. T. vielleicht in Unterschätzung der Formalität der Freiheit als Selbstbestimmung, vorgebracht wird716, trifft aus verschiedenen Gründen nicht zu: Freiheit im hier verwendeten Sinn von Autonomie oder Selbstbestimmung, insbesondere in der diskursethischen Ausformung, ist nicht identifiziert mit der materialen, rein liberalistisch gedeuteten, allgemeinen Handlungsfreiheit717, die oft als typisch westlicher „Wert“ genannt wird (dazu 4. Teil, A, S. 535 ff.). Auf der Grundlage von Hobbes und vor allem Rousseau und Kant, lehrt die Diskursethik718, ohne spezifisch staatliche Strukturen vorauszusetzen, daß Recht dasjenige ist, dem alle betroffenen Menschen aufgrund der Autonomie des Willens zustimmen.719 Dieser Rechtsbegriff ist formal, aber nicht inhaltsleer.720 Die 712 Vgl. auch O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: D. Hüning u. a. (Hrsg.), S. 234. 713 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 282. 714 Vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 226; W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 324 ff. 715 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 59 (BA 64). 716 Vgl. kritisch M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, z. B. S. 176, 489 ff. 717 Siehe BVerfGE 6, 32 (36 f.); st. Rspr. etwa 54, 145 (146); 55, 159 (165 ff.); 59, 275 (278); dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 260 ff., 269 ff., 300 ff., 343 f., 429 ff., 441 ff., 478 ff.; ders., Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff, 1995, S. 418 ff.; B. Tuschling, Die Idee des Rechts, S. 91. 718 Hobbes, Leviathan II (Vom Staat), 18. Kap. S. 160; Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 6., 7., 8. Kapitel, insbes. S. 23; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 423 (A 166/B 196). 719 Anders BVerfGE 83, 37 (51). Danach habe Art. 20 Abs. 2 GG „nicht zum Inhalt, daß sich die Entscheidungen der Staatsgewalt von den jeweils Betroffenen her zu legitimieren haben“. Vgl. aber Betroffenenbeteiligung im Rahmen der Selbstverwaltung als Ergänzung und Verstärkung des demokratischen Prinzips BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98, JZ 2003, 1057 (1060); kritisch auch G. Roellecke, „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ – Und was rechtfertigt das Volk?, ZRph 2003, 58 ff. 720 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 81 (BA 97, 98) f.

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Freiheit unter Menschen als Autonomie des Willens ist universell, weil sie an das anknüpft, was alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer empirischen Unterschiedlichkeit verbindet: das bloße Personsein des Menschen, seine Vernunftfähigkeit, die von der tatsächlichen kulturellen und geistigen Entwicklung des Einzelnen unabhängig ist. Kant hat sich für eine politische Ordnung eingesetzt, die auf Vernunft statt auf ethnischer, sprachlicher, religiöser Verbundenheit einer Bevölkerungsgruppe basiert.721 Damit hat er eine formal-universelle, keine materiale, verdinglichte Morallehre, die von bestimmten kulturellen Werten abhängig ist, aufgestellt. Eine Gleichsetzung mit einem Werteimperialismus ist daher unangebracht. Das Weltrechtsprinzip in diesem Sinn ist formal und entwicklungsoffen und alles andere als die postkolonialistische Sicherung der Vormachtstellung der sogenannten zivilisierten (entwickelten) Staaten722, sondern die Dominanz des Rechts und der Selbstbestimmung gegenüber der Willkür. Kants Aufklärungsprojekt ist durchaus nicht überholt, sondern aktueller denn je. Es könnte als Grundlage für eine Menschheitsverfassung dienen, „die jedem seine Freiheit durch Gesetze sichert; wobei es ihm unbenommen bleibt, seine Glückseligkeit auf jedem Wege, welcher ihm der beste dünkt, zu suchen, wenn er nur nicht jener allgemeinen gesetzmäßigen Freiheit, mithin dem Rechte anderer . . ., Abbruch tut.“723 Das ist der Vorschlag für eine Weltformel, welche die durch die Globalität der Lebensverhältnisse erzwungene Rechtseinheit und die vielfältigen individuellen und kollektiven Bedürfnisse nach Abgrenzung in sich vereint. Wer einen „Werteimperialismus“724 kritisiert, kann dies nur überzeugend, wenn er selbst implizit das Prinzip der Selbstbestimmung voraussetzt. Andernfalls ist eine Kritik am Streben nach einer Vormachtstellung, durch die Imperialismus definiert ist, unverständlich. Im geltenden Völkerrecht haben sich die Völker zur Selbstbestimmung der Völker bekannt (Art. 1 Nr. 2 UN-Charta). Es gibt keine Veranlassung, diesen unter den Völkern erreichten Konsens über ein Prinzip kulturrelativistisch für das Weltrecht aufzugeben oder erneut in Frage zu stellen. Weltrechtlich folgt die Souveränität der Staaten aus dem Prinzip der Selbstbestimmung der Völker (dazu 2. Teil, C, S. 184 ff.). Dieses wiederum setzt voraus, die Fähigkeit des Menschen anzuerkennen, für sich selbst gesetzgebend zu sein. Anders könnte eine kollektive Selbstbestimmung nicht begründet werden. Die Völkerrechtsfähigkeit der Völker, auch der Staaten, leitet sich 721

M. C. Nussbaum, Kant und stoisches Weltbürgertum, S. 48. Vgl. aber kritisch zur rule of law und Demokratie M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 177 f. 723 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 155 (A 253, 254). 724 Vgl. i. d. S. S. Hoffmann, Flash of Globalizations, Foreign Affairs 81/2002, S. 104 (113). 722

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

letztlich aus der Rechtsfähigkeit des Menschen ab, nicht umgekehrt; denn die Menschenwürde verbietet es, den Menschen als Zweck des Staates oder den Staat als Selbstzweck anzusehen. Sie ist die „anthropologische Prämisse“725 jeder politischen Gemeinschaft. Es könnten Zweifel bestehen, ob die Ideale der Menschenwürde und das Bild vom Menschen als selbstbestimmtem Wesen universalisierungsfähig und damit geeignete Grundlage einer Weltrechtsdogmatik sowie einer Weltverfassung sind. Solchen Bedenken können konkrete Texte als hermeneutischer Anknüpfungspunkt für die These der Universalität der Menschenwürde entgegengehalten werden. Die in den Vereinten Nationen vertretenen Völker/Staaten haben jedenfalls ungeachtet ihrer unterschiedlichen Traditionen prima facie in Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 einen objektiven Konsens über die Anerkennung der Menschenwürde und das Bild des Menschen als vernünftig und moralisch denkendes Wesen zum Ausdruck gebracht. Die Verbindung von Würde, Freiheit und Gleichheit mit der Begabung des Menschen zu Vernunft und Sittlichkeit im Wortlaut des Art. 1 AEMR zeigt, daß diese Aspekte nach der textlichen Interpretation einen Zusammenhang bilden und eine hohe Kompatibilität mit den kantischen Begriffen aufweisen. Der erste Absatz der Präambel der Allgemeinen Menschenrechtserklärung bringt zum Ausdruck, daß Menschenwürde und Menschenrechte eine Einheit bilden726 und die Grundlage für das Weltrecht, d. h. für die Verwirklichung von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt sind: „Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnende Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bilden.“

Eine Erklärung oder einen Vertrag der Völker, der diese Bekenntnisse zurücknimmt, gibt es nicht. Gegen die vernunftrechtlich freiheitlich universelle Rechtsbegründung wird von Anhängern des Rechtspluralismus eingewandt: „Monistische Modelle, sofern sie davon ausgehen, daß die Weltgesellschaft über moralische oder nicht moralische gemeinsame Werte verfügt, überschätzen die Aussagekraft von Werten wie Freiheit und Gleichheit, aus denen selbst noch keine Verhaltensmaßstäbe ablesbar sind. Sie berücksichtigen nicht, daß es viele gleichwertige oder gleichermaßen rechtfertigbare Entscheidungsmöglichkeiten in ein und derselben Situation gibt.“727

725 P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR I, 1995, S. 815 ff. 726 J. Isensee, Menschenwürde, AöR 131 (2006), S. 173 (177). 727 A. Fischer-Lescano, Globalverfassung: Verfassung der Weltgesellschaft, ARSP 2002, 377; B. Lurger, Der Pluralismus der ,lex mercatoria‘, RJ 1997, 716 ff.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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Wonach läßt sich bestimmen, was „gleichwertige oder gleichermaßen rechtfertigbare Entscheidungsmöglichkeiten“ sind? Auch hierfür bedarf es eines Maßstabs der Vertretbarkeit oder Sachlichkeit, welcher Willkür ausschließt. Die Tatsache, daß manche sozialen Gepflogenheiten, Religionsausübungen und Ordnungen die Würde oder Kultur des Menschen tatsächlich nicht oder nicht hinreichend achten, ist von empirischer Relevanz, vom Rechtsstandpunkt aber kein erheblicher Einwand gegen die Menschenwürde und gleiche Freiheit als Geltungsgrund des Weltrechts.728 Die universelle Pflicht, den anderen als (selbstbestimmten) Menschen zu achten als Inhalt von Freiheit und Menschenwürde, fordert gerade die Zulassung verschiedener Lebensentwürfe und Ordnungen, soweit der andere „anders“ ist. Aber in Freiheit und Würde sind die Menschen normativ gleich. Daß die nähere soziale und gesetzliche Ausgestaltung dessen, was jenseits der universellen Grundpflicht der Achtung des anderen als „menschenwürdig“ angesehen wird, kulturabhängig und unterschiedlich ist, wird nicht bestritten und stellt nicht das universelle Prinzip Menschenwürde als Ausgangspunkt des Weltrechts in Frage. Das Weltrecht als Weiterentwicklung des Rechtsprinzips muß an die universellen Ideale anknüpfen, auf die sich die Völker im Völkerrecht bereits geeinigt haben, und ist nicht auf einen archaischen vorvölkerrechtlichen Naturzustand verwiesen. Auf den Streit, welche Rechtsnatur die Menschenrechtserklärung hat729, kommt es für die Frage der Universalisierungsfähigkeit der Ideen von Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde nicht an. In unzähligen Verträgen haben die Staaten überdies auf die Menschenrechtserklärung Bezug genommen. Die Universalität der Menschenwürde kann abgesehen von dem internationalen Konsens der Völker auch aus kulturvergleichender Perspektive bestätigt werden (dazu Teil 4). 6. Selbstbestimmung als universelle Rechtsbegründung, ursprüngliches Weltrecht „Das Recht“ ist nach Kant „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“730 Der Begriff des Rechts im kantianischen Sinn ist ungeachtet der Notwendigkeit und Existenz einzelner staatlicher Rechtsordnungen nicht begrenzt oder begrenzbar auf das Hoheitsge728

Vgl. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 172 (A 284). Dazu 4. Teil, A, II, 1, b. 730 Kant, Metaphysik der der Sitten, (Rechtslehre), S. 337 (A 33/B 33, 34). 731 Einschränkend hält K. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf der Grundlage der Kantischen Rechtslehre, S. 207 f. den Rechtsbegriff für „raumabhängig“, bezieht sich dabei aber nicht auf Kant. Im übrigen zeigt die Globalisierung, daß auch die tatsächliche Möglichkeit besteht, daß jeder auf jeden anderen einwirken kann. 729

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

biet eines Staates. Als universeller Begriff bezieht er sich auf alle denkbaren Beziehungen zwischen Menschen in dieser Welt.731 Deshalb folgert Kant aus der für alle Menschen und Völker ursprünglichen Gemeinschaft des physischen Besitzes732 an der endlichen Erdoberfläche und der damit verbundenen Möglichkeit, wechselseitig aufeinander einzuwirken, die Geltung eines Weltbürgerrechts (3. Teil, S. 238 ff.). Kants Rechtsbegriff ist explizit unmittelbar auf das ursprüngliche Recht der Freiheit733 bezogen, welche er als Grundlage des Rechts auffaßt.734 Anders als Lockes Begriff von natürlicher Freiheit, ist die mit der Menschenwürde verbundene Freiheit nicht zeitlich vorstaatlich, sondern transzendental zu begreifen.735 Auch die Diskursethik begründet Recht in ihrer Prozeduralität nur überzeugend, wenn sie Freiheit „transzendentalpragmatisch“ voraussetzt.736 Nach dem diskursethischen Universalisierungsgrundsatz sind alle Rechtsnormen gültig, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen können.737 Freiheit hat die Autonomie des Willens und damit Selbstbestimmung zum Gegenstand.738 Der Konsens ist die prozedurale Verwirklichung der Selbstbestimmung, weil er Selbstgesetzgebung ermöglicht und weil er, wenn er freiheitlich gebildet wird, verhindert, daß eine Person der Willkür eines anderen unterworfen, also unfrei, ist. Wird die Freiheit, die Unabhängigkeit von der nötigenden Willkür, die durch die Diskurslehre prozeduralisiert, aber nicht verleugnet worden ist, als letzter Geltungsgrund des Rechts ausgeschlossen oder für überflüssig erklärt, haben die Gesetze ausschließlich die Bedeutung von Herrschaft und Ordnung.739 Als eigenständiger Begriff hat „Recht“ neben „Gesetz“, „Ordnung“ oder „Herrschaft“

732 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 360 (AB 66), S. 476 (A 230, 231/B 260, 261). 733 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 734 Vgl. Kant, Gemeinspruch, S. 143 A 231, 232) ff.; siehe auch J. Hruschka, Kants Rechtsphilosophie, JZ 2004, 1086 f., 1090 f.; K. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf der Grundlage der Kantischen Rechtslehre, S. 35 ff. 735 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 244. 736 K.-O. Apel, Die Transformation der Philosophie, S. 395 ff.; vgl. zur Begründungslücke bei Habermas A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 297 ff. 737 J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 12; ders., Faktizität und Geltung, S. 138; vgl. auch. K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung, S. 256. 738 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 153 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 34 ff., 256 ff. 739 Vgl. Cicero, De re publica III, 32, Scipios Schlußrede; O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, 1987, S. 159, 170; M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1976, S. 17; relativierender R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 58 ff.

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nur dann einen Sinn, wenn er eine von Macht und Herrschaft unabhängige Sollensordnung beschreibt. Herrschaft ist dadurch gekennzeichnet, daß der Wille des Herrschenden das Handeln der Beherrschten bestimmt.740 Herrschaft, die unmittelbar durch Personen, aber mittelbar auch durch Werte und Traditionen ausgeübt werden kann741 und Unterwerfung unter den Willen der oder der Herrschenden voraussetzt742, läßt Selbstgesetzgebung und „herrschaftsfreie Verständigung“, wie sie heute die Diskursethik lehrt,743 nicht zu. Herrschaft kann als Negation der äußeren Freiheit eines Menschen über einen anderen oder mehrere andere Menschen verstanden werden. Kant definiert die äußere, negative Freiheit ähnlich wie Locke („nicht dem unbeständigen, ungewissen, unbekannten, eigenmächtigen Willen eines anderen Menschen unterworfen zu sein –“) als die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“744. Herrschaft der Staaten als Grundlage des Rechts unterwirft die Bürger in einem Über- und Unterordnungsverhältnis ihrem zwangsbewehrten Willen und macht sie zum Objekt ihrer (u. U. auch begünstigenden) Rechtsetzung, zu Untertanen.745 Das von der Kategorie der Herrschaft bestimmte Rechtsdenken746 auch im Völkerrecht, verhindert, den Menschen als echtes Subjekt des Rechts zu begreifen. Der Gegenbegriff zu Herrschaft ist Freiheit.747 Selbstgesetzlichkeit oder Autonomie des Willens ist Freiheit ohne Anarchie im Zwang zur (allgemeinen) 740 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 606; J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, 2004, S. 26. 741 Dazu M. Weber, Die drei Typen der legitimen Herrschaft, Preußische Jahrbücher, 187 (1922), S. 1 ff. 742 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28, 605 f.; J. Neyer, Postnationale und politische Herrschaft, S. 25 ff. 743 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 127, 133, 187 ff., 206, 339, 349 ff.; vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 498 ff. 744 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345; J. Locke, Über die Regierung, IV, 22, S. 19; dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 127 ff. 745 R. Marcic, Rechtsphilosophie, 1969, S. 216, 269 f.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 77. 746 Vgl. sogar O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 63 ff., 204 ff., 289 ff., 328 ff.; ders., Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 40 f., 95 ff. 747 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 325 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 67 ff., 115 ff.; Th. S. Hoffmann, Über Freiheit als Ursprung des Rechts, ZRph 2003, 16 ff. 748 Locke, Über die Regierung, II, 4. Kap. § 22, 6. Kap. § 88, 9. Kap. § 134; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, XII, 2. Kap. (S. 250 f.); Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, I, 8. Kap. (S. 23); Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 338 ff. (A 34, 35/B 35), 464 (A 213/B 242, 243); ders., Über den Gemeinspruch, S. 169 (A 278, 279); vgl. dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 29 ff.; ebenso J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 271 f., im „Interesse der Stabilität der gesellschaftlichen Zusammenarbeit“; dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 145 ff., 545 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 100 ff.

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Gesetzlichkeit, wie etwa Locke, Montesquieu, Rousseau und Kant bereits gewußt haben748. Sieht man den Menschen nicht nur als triebgesteuertes Tier, sondern auch als vernünftiges Wesen (Art. 1 AEMR), ist Selbstbestimmung als Grund des Rechts die konsequenteste Lösung.749 Die daraus folgende Pflicht, „frei“ zu sein und der Zwang zur Freiheit als „Verhinderung eines Hindernisses zur Freiheit“750, welcher die Anarchie als Gesetzlosigkeit verhindert und Recht mit der Befugnis zu zwingen verbindet, kann, wenn Herrschaft ein Gegenbegriff zu Freiheit ist, nicht Herrschaft genannt werden. Als Ideologie der Freiheit ist sie jedenfalls der Herrschaftsideologie vorzuziehen. „Frei“ und „gleich“ im Sinne von Art. 1 AEMR bedeutet, daß die Menschen ein gleiches Recht auf Freiheit und ein Recht auf gleiche Freiheit haben.751 Mit rechtlicher Gleichheit ist nicht ohne weiteres materielle Gleichheit (Verteilungsgerechtigkeit) gemeint, wie sie Charles Beitz seinem Weltordnungskonzept zugrunde legt.752 Nicht seine empirische (natürliche) Freiheit, sondern das Recht auf gleiche Achtung als Mensch, die jeder aufgrund seiner Vernunftbegabtheit jedem anderen entgegenbringen muß, und von jedem anderen wechselseitig erwarten kann, ist mit dem Menschen ursprünglich verbunden. Damit ist das Recht auf gleiche Freiheit (unabhängig von der Existenz eines Weltstaates) Menschheitsrecht753 oder geborenes, d. h. ursprüngliches Weltrecht (dazu 4. Teil). Fraglich bleibt, ob ohne Verstoß gegen die Prinzipien der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Effektivität754, ohne positivierende Rechtssätze, allein aus der Annahme eines mit der Freiheit geborenen, originären Weltrechts einzelne materielle und gegebenenfalls judiziable Rechtssätze abgeleitet werden können.755 Weil das originäre Weltrecht nach den Regeln der praktischen Vernunft erkannt werden kann, ist dies nicht von vornherein unmöglich. Evidente Verstöße gegen die Menschheitsverfassung können ohne vorheriges Diskurs- oder 749 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 244; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 34 ff., 115 ff.; J. Hruschka, Kants Rechtsphilosophie, JZ 2004, 1091. 750 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 338 f. (A 34, 35 B 35). 751 N. Bobbio, Menschenrechte und Gesellschaft (1988/89), in: ders., 1998, S. 63 (67); a. A. W. Henke, Recht und Staat, S. 254 ff., der seine Herrschaftslehre auf die Ungleichheit und das Recht des Stärkern stützt. 752 Vgl. W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 200 ff. 753 Vgl. K. A. Schachtschneider, Sozialistische Schulden, S. 36. 754 Vgl. dazu R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 75 ff. 755 Vgl. zum Streit über die Judiziabilität der Menschenwürde Überblick und Erörterung bei J. Isensee, Menschenwürde, AöR 131 (2006), S. 173 (193 ff.). 756 K. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf der Grundlage der Kantischen Rechtslehre, 2005, S. 70 f.; vgl. auch R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 91; BVerfGE 23, 98 (106); Beispiele dazu 4. Teil, A, S. 493 ff.

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Rechtsetzungsverfahren und staatliche Verfestigung als Unrecht identifiziert werden.756 Weil die Menschenwürde nicht inhaltsleer ist und in Verbindung mit der konkreten Unrechtserfahrung eine Fallnorm gebildet werden kann, lassen sich insoweit ungeschriebene Rechtsnormen ohne Widerspruch zum Prinzip der Rechtssicherheit und des Willkürverbots als eindeutige Verbote formulieren (z. B. Verbot der Sklaverei).757 7. Zur Universalisierbarkeit des Diskurs- und Konsensprinzips als Grundlage der Weltrechtsetzung Sind klare Handlungsverbote oder Gebote aus dem formalen Freiheitsprinzip, welches im Wesensgehalt durch die Menschenwürde materialisiert wird, nicht deduzierbar oder ist eine Prinzipien- oder Interessenabwägung zwischen der Freiheit des einen mit der des anderen oder zwischen Menschenwürde und Menschenwürde758 nötig, ist der Diskurs das freiheitliche Verfahren zur Erkennung des materiellen Weltrechts.759 Im Völkerrecht ist bereits das Konsensprinzip ausgehend von der gleichen Souveränität des anderen Staates anerkannt (2. Teil, S. 100 ff., 160 ff.). Das Diskurs- und Konsensprinzip als solches ist also internationalisierbar. Das Diskurs- und Konsensprinzip760, welches die allgemeine Freiheit der Menschen prozeduralisiert761 und verwirklicht, ist universalisierbar. Die Verfahren des Diskurses und der Konsensbildung sind von den unterschiedlichen Lebensbedingungen in dieser Welt unabhängig, solange die Bedingungen eines vernünftigen Diskurses762 gewahrt sind. Zu diesen Bedingungen gehört die Achtung des anderen als selbstbestimmtes Subjekt, die wie gesagt universalisierungsfähig ist. Die Prozeduralität der Rechtserkennung und Rechtssetzung ermöglicht differenzierte Entscheidungsmöglichkeiten für verschiedene Gemeinschaften und bewahrt damit die Pluralität von Interessen, Werten und Lebensplänen. Der universelle Rechtsbegriff setzt zwar eine Einheit in den unmittelbar aus der Freiheit ableitbaren Prinzipien voraus, welche den Diskurs erst ermöglichen und deshalb durch den Diskurs nicht hervorgebracht werden können, aber nicht praktisch eine Vereinheitlichung allen positiven Rechts.

757

Dazu 4. Teil, S. 490 ff. Vgl. dazu J. Isensee, Menschenwürde, AöR 131 (2006), S. 190 ff. 759 Vgl. J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 11 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 584 ff., 617 ff. 760 Dazu A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 230 ff. 761 Dazu A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 217 ff. 762 Dazu A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 222 ff. 763 K.-O. Apel, Anderssein ein Menschenrecht?, in: H. Hoffmann/D. Kramer (Hrsg.), Anderssein, ein Menschenrecht, 1995, S. 9 (17 ff.). 758

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Mangels Weltgesetzgebungsverfahren kann dieser Diskurs vorläufig auch im Rahmen der Völkerrechtssetzung stattfinden.763 So sind bestimmte Verbote (z. B. Verbot erniedrigender Behandlungen) im Gewohnheitsrecht oder/und in Menschenrechtsverträgen positivrechtlich verankert. Im 4. Teil und im 6. Teil wird insoweit der Stand der Weltrechtsetzung näher untersucht. VII. Gegner und Kritiker des Völkerrechtsund des Weltrechtsgedankens Die Diskussion um ein Weltrecht oder gar einen Weltstaat ist hinter den rechtslogischen, begrifflichen, vernunftrechtlichen Überlegungen stark emotional geprägt, nicht nur durch schwärmerische Befürworter, sondern auch durch Gegner und Kritiker. So hielt Heinrich von Treitschke die „Idee eines Weltreichs“ für „hassenswerth“, die Vielheit der Nationalstaaten dagegen „eine nothwendige und vernunftgemäße“.764 Von den zahlreichen Kritiken seien einige grundlegende mit unterschiedlichen Zielrichtungen und Begründungen herausgegriffen und in jeweils einer Anmerkung kommentiert. 1. Staat und Weltgeist a) Thesen von Hegel Nach Hegel, der erheblichen Einfluß auf die Staats- und Völkerrechtslehre entfaltet hat,765 richtet sich die Funktionsbestimmung des Staates nach dem Ziel eines Volkes, sich selbst zu erhalten. „Das Volk als Staat ist der Geist in seiner substantiellen Vernünftigkeit und unmittelbaren Wirklichkeit, daher die absolute Macht auf Erden; ein Staat ist folglich gegen den anderen in souveräner Selbständigkeit.“766

Universale und internationale Rechtsprinzipien sind danach für die Staaten nicht maßgeblich. „Das Verhältnis von Staaten ist das von Selbständigkeiten, die zwischen sich stipulieren, aber zugleich über diesen Stipulationen ste764

H. v. Treitschke, Politik, Bd. I, 1897, S. 29 und 28. Dazu V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 127 ff.; vgl. auch U. Steinvorth, Soll es mehrere Staaten geben?, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 256 (260 ff.); kritisch O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, 2000, S. 20; A. Fischer-Lescano, Die Emergenz einer Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 726 f. 766 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 331. 767 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 330. 768 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 333, 339. 765

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hen.“767 Über den Staaten soll es keinen Richter geben, der Streitigkeiten schlichtet.768 „Der Streit der Staaten kann deswegen, insofern die besonderen Willen keine Übereinkunft finden, nur durch Krieg entschieden werden.“769

Anders als Kant sieht Hegel den Krieg nicht als schlimmstes Übel der Menschheit, das es für immer zu beseitigen gilt.770 Vielmehr idealisiert Hegel den Krieg als gesundbringenden Zustand, der die Individualität der Staaten (die einen äußeren Feind braucht) und deren inneren Zusammenhalt stärken soll.771 Der Krieg sei der Zustand, „worin die Idealität des Besonderen ihr Recht erhält und Wirklichkeit wird“772 und in dem die „Gesundheit der Völker in ihrer Indifferenz gegen das Festwerden der endlichen Bestimmtheiten erhalten wird, . . . wie die Völker ein dauernder oder gar ein ewiger Friede, versetzen würde“773.

Hegel hat die kantische Idee einer Weltfriedensordnung durch eine Konföderation von Rechtsstaaten (Republiken) abgelehnt und ihr keine geschichtliche Chance einräumen wollen.774 Wegen der Individualität und der sittlichen Idee, die der Staat nach Hegel verwirklicht, soll der Bürger kein Recht haben, sich unter Berufung auf universelle Menschenrechte gegen den Staat zu stellen.775 Das Rechtsprinzip ist nach Hegel nicht universell.776 Nur das Recht des „Weltgeistes“ erkennt Hegel als universell an.777 Der „Weltgeist“, nicht etwa Staatenverbindungen, die immer nur relativ und beschränkt seien, bestimme die Staaten. Er sei der absolute Richter.778 Der Weltgeist geht als der stärkste der beschränkten Volksgeister hervor, der sich weltgeschichtlich gegen die übrigen behauptet und somit seine Tauglichkeit als durchsetzungsfähigste Rechtsordnung, die zur universellen Rechtsordnung wird, beweist. „Der Geist der Welt“ sei es, „der sein Recht – und sein Recht ist das allerhöchste – an ihnen in der Weltgeschichte779, als dem Weltgerichte, ausübt“.780 Dem siegreichen Volk spricht Hegel ein absolutes Recht zu: 769

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 334. Siehe Kant, Zum ewigen Frieden, S. 195 (BA 3, 4) ff. 771 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 334. 772 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 324. 773 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 324. 774 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 324 (Zusatz); dazu U. Steinvorth, Soll es mehrere Staaten geben?, S. 260 ff. 775 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 321 ff. sowie §§ 330– 340. 776 Dazu U. Steinvorth, Soll es mehrere Staaten geben?, S. 268 ff. 777 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 33 C, c, g. 778 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 259. 779 Dazu Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 341 ff. 780 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 340; vgl. auch § 345. 770

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

„Gegen dies sein absolutes Recht, Träger der gegenwärtigen Entwicklungsstufe des Weltgeistes zu sein, sind die Geister der anderen Völker rechtlos, und sie, wie deren Epoche vorbei ist, zählen nicht mehr in der Weltgeschichte.“781

Nach Hegels Lehre verbleibt, dem Marsche des Weltgeistes zuzusehen, wie er „den Übergang in die nächst höhere Stufe vorbereitet“.782 Seit Ende des Kalten Krieges zeigt sich der amerikanische Weltordnungsanspruch durchaus als Anwärter auf die Stellung als Weltgeist. Ob sich „der Staat . . . als gegenwärtiger, zur wirklichen Gestalt und Organisation einer Welt entfaltender Geist“783 entwickelt, bleibt abzuwarten. b) Anmerkung Hegels Lehre negiert nicht nur ein Menschheitsrecht, sondern auch ein Völkerrecht mit dem Ziel des Friedens zwischen den Staaten. Sie ließe sich allenfalls zur Begründung einer Weltherrschaftslehre heranziehen. Wenn der Rechtsim Herrschaftsbegriff aufgeht, verliert er seine Normativität, seine Maßstäblichkeit. Eine Einschränkung ergibt sich allerdings daraus, daß im Hegelschen Sinne nur „sittliche“ Gesellschaften als Bewerber um den Weltgeist in Frage kommen.784 Aus heutiger Sicht sind Hegels Thesen durch die Geschichte und die Entwicklung des Völkerrechts und den „Weltgeist“ eingeholt worden, weil die Souveränität der Staaten rechtlich gebunden ist, insbesondere durch das Gewaltverbot und den Grundsatz pacta sunt servanda (2. Teil). Ob diese Grundsätze eine Modifikation durch den aktuellen Weltgeist erfahren, bleibt zu untersuchen. Jedenfalls beruft sich auch die USA nicht auf ein jederzeitiges ius ad bellum785, sondern versucht den Krieg als Ausnahme vom Gewaltverbot zu rechtfertigen.786 2. Geschlossener Staat a) Thesen von Fichte Obwohl Kants Völkerbundgedanke bei Fichte zunächst grundsätzliche Zustimmung gefunden hatte787, lehnt er in seinem Werk „Der geschloßne Handels781 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 347; Fichte, Der Patriotismus und sein Gegenteil (1806/07), S. 28, gestand diese Rolle in nationaler Selbsterhöhung der deutschen Nation zu; dazu P. Coulmas, Weltbürger, S. 418 ff. 782 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 344; vgl. auch A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 16, § 20; A. Verdross, Völkerrecht, S. 109 f. 783 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 270 (S. 417 f.). 784 Vgl. dazu U. Steinvorth, Soll es mehrere Staaten geben?, S. 274 f. 785 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 334. 786 Vgl. U. Steinvorth, Soll es mehrere Staaten geben?, S. 272.

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staat“ jede Art von Globalisierung, insbesondere einen freien Welthandel, kategorisch ab. Solange das christliche Europa „ein Ganzes“, ein „großer Handelsstaat“ war, mußte nach Auffassung von Fichte auch der Verkehr zwischen den Bürgern und der Handel in Europa frei sein.788 Nach der Teilung Europas in einzelne Nationalstaaten, die jeweils ihrer eigenen Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung unterliegen, erscheint es Fichte konsequent, auch den Handel ausschließlich in einem begrenzten Gebiet zu organisieren.789 „Alle Einrichtungen, welche den unmittelbaren Verkehr eines Bürgers mit dem Bürger eines anderen Staates erlauben, oder voraussetzen, betrachten im Grunde beide als Bürger eines Staates, und sind Überbleibsel und Resultate einer Verfassung, die längst aufgehoben ist, sind in unsere Welt nicht passende Teile einer vergangenen Welt.“790

Sein „Vernunftstaat“, der jedem Bürger auch im Sinne materieller Gerechtigkeit „das Seinige“ geben soll, so daß jeder gleich angenehm leben kann791, paßt nicht zum liberalistischen Postulat weltweiter Beziehungen, insbesondere des freien Welthandels; denn die von Fichte geforderte materielle Verteilungspolitik soll nach sozialistisch-planwirtschaftlichen Grundsätzen gestaltet werden, die nur in einem geschlossenen System verwirklicht werden können. Fichtes Staat, der sich im Idealfall im Rahmen seiner „natürlichen Grenzen“, die er notfalls auch durch Kriege erlangt, entfaltet792, ist ein „ebenso durchaus geschloßner Handelsstaat, als er ein geschloßnes Reich der Gesetze und der Individuen ist.“793 In diesem Staat könne dem einzelnen Bürger „ein unmittelbarer Handel mit einem Bürger des Auslands“ schlechthin nicht gestattet werden.794 Zu diesem Zweck soll „der unmittelbare Verkehr des Bürgers mit irgend einem Ausländer unmöglich“ gemacht werden. „Alles in den Händen der Bürger befindliche Weltgeld, d. h. alles Gold und Silber wäre, außer Umlauf zu bringen, und gegen eine neues Landesgeld, d. h., welches nur im Lande gälte, in ihm aber ausschließend gälte, umzusetzen.“795 Nur als geschlossener Staat werde der Staat den Nachbarstaaten „die Garantie geben und geben können, daß er von nun an auf keine Weise sich vergrößern werde.“796 787 Fichte, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf von Immanuel Kant, in: Z. Batscha/R. Saage (Hrsg.) Friedensutopien, 1979, S. 83 ff. 788 Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, 1800, hrsg. von H. Hirsch, 1979, 2. Buch, 2. Kap., S. 67. 789 Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, 2. Buch, 2. Kap., S. 64 ff. 790 Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, 2. Buch, 2. Kap. am Ende, S. 67 f. 791 Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, 1. Buch, 1. Kap., II, S. 16 f. 792 Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, 3. Buch, 3. Kap., S. 94 ff. 793 Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, 1. Buch, 2. Kap., VI, S. 34. und 3. Buch, 3. Kap., S. 483. 794 Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, 1. Buch, 2. Kap., VI, S. 35. 795 Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, 3. Buch, 4. Kap., S. 99. 796 Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, 3. Buch, 3. Kap., S. 97.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

b) Anmerkung In Zeiten eines grenzenlosen Europas und der globalen Liberalisierung des Handels- und Kapitalverkehrs erscheint diese Lehre anachronistisch. Fichte selbst trägt einer solchen Entwicklung Rechnung und entkräftet damit seine eigenen Thesen: „Ist das ganze christliche Europa mit den hinzugekommenen Kolonien und Handelsplätzen in anderen Weltteilen noch immer ein Ganzes, so muß freilich der Handel aller Teile mit allen frei bleiben, wie er ursprünglich war.“797 3. Völkerrechtliche Schule des Realismus a) Thesen der Realisten Die Schule des Realismus798, welche insbesondere die von Hobbes beeinflußte, überwiegende amerikanische Lehre und Praxis des internationalen Rechts geprägt hat799 und Gemeinsamkeiten mit den Thesen von Hegel und Carl Schmitt aufweist, lehrt die Anarchie des internationalen Systems. Der ältere Realismus lehnt normative Konzeptionen zur Regelung der internationalen Beziehungen grundsätzlich ab.800 Der zwischenstaatliche Naturzustand wird als unüberwindlich und peremptorisch angesehen. Zwischenstaatlichen Beziehungen werden im realistischen Paradigma nicht rechtlich konzipiert, sondern als reine Willensbeziehungen801, in denen die eine Partei ihren Willen gegenüber der anderen durchzusetzen trachtet, oder auch „als Systeme offener oder verhüllter Machtpolitik“802. Im klassischen realistischen Verständnis sind die Rechte der Staaten bedeutsamer als die der Menschen.803 Empirisch inzwischen überholt wird der Realismus als Politik singulärer Nationalstaaten oder in neuerer Zeit auch von geschlossenen „Kulturkreisen“, namentlich der „westlichen“ gegen alle anderen804 charakterisiert, die jeweils ihr 797

Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, 2. Buch, 2. Kap., S. 67. Grundlegend H. J. Morgenthau, Macht und Frieden, 1963; vgl. auch den Überblick bei M. Senti, Die Effektivität der Internationalen Arbeitsorganisation, 2002, S. 35 ff. 799 Dazu G. Casper, Juristischer Realismus und politische Theorie im amerikanischen Rechtsdenken, 1967; M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 474 ff. 800 Siehe den Überblick bei S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 142 ff. 801 H. J. Morgenthau, La réalité des normes, 1934, S. 25 ff. 802 G. Schwarzenberger, Civitas Maxima? in: Recht und Staat, Heft 413/414 (1973), S. 9, 13 ff.; J. Neyer, Postnationale Politische Herrschaft, S. 29 ff.; S. Hoffmann, Flash of Globalizations, Foreign Affairs 81/2002, S. 104 (113); R. Kagan, Power and Weakness, Policy Review 113/2002. 803 K. D. Wolf, Die Neue Staatsräson, 2000, S. 73 f. 798

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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nationales Interesse verfolgen und gegenüber anderen Staaten durchzusetzen suchen.805 Diese Faktizität fällt im realistischen Rechtspositivismus mit rechtlicher Geltung zusammen.806 Der klassische „Realist“ ist Machiavellist.807 Er folgt in der internationalen Politik allein dem eigenen nationalen Interesse und läßt sich dabei von moralischen/rechtlichen Rücksichtnahmen nicht behindern.808 Moralische Erwägungen hat Hans Morgenthau als Vorwand für Kreuzzüge und ihrerseits „unmoralisch“ gebrandmarkt, die ausschließliche Verfolgung des nationalen Interesses als „moralisch“ unterstellt, ohne zu bemerken, daß auch insofern ein moralischer Vorwand benutzt wird.809 An diesem Beispiel zeigt sich deutlich die normative Unbrauchbarkeit eines materiellen Moralbegriffs, der zugleich dem Rechtsprinzip zu entgehen sucht. Der neue Realismus sieht zwar die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit, aber auf der Basis der wechselseitigen Nutzenmaximierung zwischen Realisten810 im Sinne einer „strategischen Weltrechtsordnung“811. Die Staatenwelt wird als „System“ der Selbsthilfe souveräner Staaten (einschließlich eventuell verbündeter Staaten), das vom strategischen Denken beherrscht ist, verstanden. Internationale Organisationen fungieren bloß als Foren einzelstaatlicher Diplomatie. Einer Staatengemeinschaft, wie sie Art. 53 WVK voraussetzt, geschweige denn einer verfaßten Weltgemeinschaft oder dem Weltrecht stehen auch die neueren Realisten ablehnend gegenüber.812 Eine Tendenz zum Realismus offenbart die Politik aller Großmächte, selbst wenn sie als demokratische Rechtsstaaten verfaßt sind und ursprünglich viel zur Entwicklung der Ideen von Demokratie und Menschenrechten sowie auch zur Entstehung der Vereinten Nationen beigetragen haben, weil ein Übermaß an Größe und Macht den Anschein erweckt, auf das Frieden sichernde Recht nicht angewiesen zu sein. Recht und Gerechtigkeit werden nicht um ihrer selbst willen angestrebt, sondern dienen als 804 S. P. Huntington, „Clash of Civilizations“, Foreign Affairs, Vol. 72, Summer 1993, 22 ff.; dazu kritisch D. Senghaas, Zivilisierung wider Willen, 1998, S. 135 ff.; vgl. auch Annäherung an das realistische Paradigma gegenüber A Theory of Justice: J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 53 ff. 805 Dazu K. Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 1994, S. 340 ff. 806 Vgl. S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 142. 807 W. Kersting, Probleme der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, S. 16. 808 W. Kersting, Probleme der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, S. 16 f.; vgl. etwa H. J. Morgenthau, Politics, 1978, S. 42; G. Schwarzenberger, Power Politics, 1964, S. 3 ff.; C. Rice, Promoting the National Interest, Foreign Affairs 79/2000, 47. 809 H. J. Morgenthau, In Defense of the National Interest, 1951, S. 31, 34 f. 810 D. Ruloff, Weltstaat oder Staatenwelt, 1988, S. 19 ff., 219. 811 Dazu O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 268 ff. 812 D. Zolo, Cosmopolis, S. 94 ff.; vgl. auch S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 151; M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 479 ff.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

strategisches Instrument. Soweit es einen Vorteil bringt, beruft man sich auf die Menschenrechte, wenn es schadet, schiebt man ihre Geltung beiseite. Beispielsweise behält sich die USA vor, wie die Doktrin des pre-emptive strikes zeigt, die Prinzipien und Regeln des Völkerrechts einseitig neu zu definieren, um ihre Sicherheitsinteressen auf Kosten anderer Staaten durchzusetzen. Eine Rechtspflicht zu rechtlichem Zusammenwirken aus dem Friedensprinzip wird abgelehnt. In diesem Sinne weigern sich die USA, an Weltverträgen wie dem Kyoto-Protokoll, vielen Menschenrechtsverträgen oder dem Statut über den Internationalen Strafgerichtshof teilzunehmen, soweit dies ihren nationalen Interessen nicht entspricht.813 Eine Weltrechtsordnung, die den Menschenrechten zu weltweiter Geltung verhilft, wird nicht angestrebt oder wie im Falle der USA nur als pax americana. Das Scheitern des Völkerbundes und die Lähmung der Institutionen der Vereinten Nationen durch die aus dem Ost-West-Konflikt ergebenden Blockkonfrontationen war für die Anhänger des Realismus der Beweis, daß der institutionalisierende Ansatz des „Idealismus“814 ungeeignet sei zum Ziel der Friedenssicherung, welches auch neuere Realisten verfolgen wollen.815 Als stärkstes Argument für den Realismus wird angeführt, daß es auf internationaler Ebene keine übergeordneten Instanzen gäbe, die für die Einhaltung des Völkerrechts, das häufiger mißachtet als geachtet werde, sorgen.816 Andererseits wird aber eine Etablierung solcher Instanzen auch abgelehnt, weil diese, wie etwa der Sicherheitsrat, nur für hegemoniale, machtpolitische Interessen mißbraucht werden und wiederum Kriege ermöglichen.817 In der internationalen Politik hält der Realismus weder die Individuen und gesellschaftlichen Gruppen noch die internationalen Institutionen für maßgeblich, sondern nur traditionellen politischen Einheiten, die Staaten. Deren für die Außenpolitik entscheidende Eigenschaft sei die Souveränität. Weil diese als Abwesenheit einer übergeordneten Macht definiert ist, herrsche auf internationaler Ebene die Anarchie des Naturzustands. Das hieraus resultierende Sicherheitsbedürfnis suchten die Staaten durch möglichst viel Macht zu befriedigen, was sich in staatlichen Hegemoniebestrebungen ausdrückt. In der aktuellen Politik, um deren Rechtfertigung die Völkerrechtslehre teilweise bemüht ist, ist das realistische Paradigma allgegenwärtig.818 813 A. Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 535 (547). 814 Vgl. dazu J. Neyer, Postnationale Politische Herrschaft, S. 31 ff. 815 S. Laubach-Hintermeier, Kritik des Realismus, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting, (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 75. 816 S. Laubach-Hintermeier, Kritik des Realismus, S. 86; D. Ruloff, Weltstaat oder Staatenwelt, S. 34 f. 817 D. Zolo, Cosmopolis, S. 108 ff. 818 Dazu H. P. Hestermeyer, Die völkerrechtliche Beurteilung des Irakkriegs im Lichte transatlantischer Rechtskulturunterschiede, ZaöRV 64 (2004), S. 315 ff.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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b) Anmerkung Das radikal realistische Paradigma unterwirft das Recht der Beliebigkeit einseitiger Willkür und Macht. Dies widerspricht der Idee des Sollens und damit dem Rechtsprinzip. Wenn Recht nur die Funktion haben soll, faktischen machtpolitischen Entwicklungen einen Rechtsschein zu verleihen, hebt es sich selbst zugunsten des Primats der Politik auf. Soweit internationale Beziehungen als förderlich für das nationale Interesse angesehen werden, unterwirft sich der Realismus dem Völkerrecht, das damit wiederum zur Disposition des nationalen Interesses steht, was der Unterwerfung unter ein Weltrecht widerspricht.819 Soweit der ältere Realismus nur das nationale Interesse in den Blick nimmt, nicht aber ein Weltinteresse, das nur dann mit den Interessen eines Staates identisch ist, wenn gerade dieser Staat die Weltherrschaft übernimmt, ist dieser Ansatz als Grundlage einer Weltrechtslehre, die sich von einer Weltherrschaftslehre abgrenzt, ungeeignet. Außerdem ist der sogenannte Realismus nicht realistisch, wenn er die Wirklichkeit nur in Bezug auf bestimmte Interessen aufnimmt. Wie im ersten Teil dargestellt, ist ein globales Rechtsverständnis z. B. im Bezug auf das Klima eine Überlebensfrage auch der mächtigsten Staaten und der Kampf gegen den Terrorismus, ohne das Zusammenwirken mit anderen Staaten von vornherein aussichtslos. Der völkerrechtliche Realismus nimmt nicht hinreichend Rücksicht auf den Faktor Mensch, dessen Leben einem strategischem Ziel z. B. durch Krieg geopfert wird, der sich etwa durch Flucht und Asyl Unrechtsregimen zu entziehen sucht. Er unterschätzt das Faktum eines teilweise durch die Globalisierung der Lebensverhältnisse verstärkten, existierenden Interesses einer wachsenden Zahl von Zeitgenossen, auch einer Weltgesellschaft anzugehören, und zum anderen ein nicht nur im Westen vorhandenen Rechtsbewußtsein, das von den Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit geleitet ist.820 Nicht völlig zu Unrecht erinnert der Realismus aber an die Durchsetzbarkeit des Rechts als Voraussetzung seiner Verbindlichkeit und zeigt die Grenzen dessen auf, was im Völkerrecht dazu leistbar ist.821 Es ist bereits festgestellt worden, daß das Völkerrecht Durchsetzungslücken aufweist, dieses aber nicht nötigt, den rechtlichen Charakter des Völkerrechts gänzlich zu leugnen und empirische Feststellungen zum Dogma zu erheben. Solche haben für die normative Betrachtung nur Bedeutung, wenn sich aus ihnen die Ungeeignetheit jeglicher Verrechtlichung der internationalen Beziehungen ableiten ließe. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das schlichte Konzept von Macht und Gegenmacht kann die 819

Vgl. M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 479 ff. R. Tetzlaff, Zur Begründung der relativen Universalität der Menschenrechte, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 54 (68). 821 Vgl. K. Zemanek, Für mehr Offenheit und Realismus in der Völkerrechtslehre, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 895 ff. 820

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Vielschichtigkeit der internationalen und globalen Beziehungen nicht erfassen.822 Daß Integrationsbemühungen auch aus empirischer Sicht nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, zeigen auf regionaler Ebene die Integrationsentwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union mit ihrer Erweiterungstendenz auf alle europäischen Staaten, die Reorganisation der KSZE als OSZE und auf globaler Ebene die Verrechtlichung des Welthandels und seine Institutionalisierung in der WTO.823 Auch im Kampf gegen den Terrorismus ist es nicht notwendig, das Prinzip der Legalität durch das einer außerrechtlichen, machtpolitisch motivierten Legitimität abzulösen824, zumal wie noch gezeigt werden wird, Krieg insoweit in der Regel nicht das adäquate Mittel ist. Insbesondere die gegenwärtige Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zusammenzuarbeiten, läßt auf die grundsätzliche Fähigkeit, über die „Kulturkreise“ hinweg, in weltrechtlichen Fragen gemeinsam zu wirken, hoffen. 4. Relativismus a) Thesen der Relativisten Die Spannung zwischen dem universellen Geltungsanspruch des Rechts und den lokalen Bedingungen seiner Verwirklichung825 ruft Kritik insbesondere am Konzept universeller Menschenrechte hervor. Jegliche Normativität ist nach der konstitutionalistisch-relativistischen Lehre vom kulturellen Rahmen der jeweiligen Gemeinschaft und von den historischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen abhängig und entsteht erst durch sie.826 Die Inhalte einer bestimmten Kultur werden nur im Lichte ihrer eigenen Normen beurteilt. Das gilt insbesondere auch für Menschenrechtsverletzungen. Außerhalb der zu beurteilenden Kultur gibt es keinen generell legiti-

822

S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 152. Vgl. S. Laubach-Hintermeier, Kritik des Realismus, S. 88 f. 824 Vgl. insoweit reflektierend K. Ipsen, Legitime Gewaltanwendung neben dem Völkerrecht?, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 369 ff. 825 J. Habermas, Der interkulturelle Diskurs über Menschenrechte, E + Z, Bd. 38, Nr. 7 (1997), 164. 826 R. Rorty, Objectivsm, Relativism and Truth, 1991; K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 59; Übersicht bei S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 50 ff.; dazu J. Donnelly, Cultural Relativism, Human Rights Quarterly (HRQ) 1984, 400 (403 ff.); J. F. G. Hannaford, Truth, Tradition and Confrontation, Canadian Yearbook of International Law 1993, 151 (165 ff.); R. E. Howard, Cultural Absolutism, HRQ 1993, 315 ff.; L. Kühnhardt, Universalität der Menschenrechte, 1987, S. 227 ff.; A. Pollis, Cultural Relativism Revisted, HRQ 1996, 316 ff.; A. D. Renteln, The Unanswerd Challenge of Relativism, HRQ 1985, 534 ff.; M. J. Perry, Are Human Rights Universal?, HRQ 1997, 461 (468). 823

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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mierten Beurteilungsmaßstab.827 Vielmehr sollen die verschiedenen Wertesysteme in der Welt nebeneinander gleiche Gültigkeit und Wertigkeit besitzen.828 Eine relativistische Position vertritt beispielsweise China.829 Demgegenüber erkennt der gemäßigte Kulturrelativismus grundlegende universale Menschenrechtsstandards an, die aber eine jeweils unterschiedliche Verwurzelung in einzelnen Kulturkreisen erfahren können.830 b) Anmerkung Der radikal kulturrelativistische Ansatz streitet die Existenz von universellem Recht ab und scheidet damit für die Stützung einer Weltrechtslehre aus. Er mißachtet, daß eine Kultur keine nach außen hermetisch abgeschlossene Einheit ist, sondern in ständigem Austausch mit anderen Kulturen steht. Das gilt insbesondere für sogenannte Hochkulturen.831 Ein gemäßigter Kulturrelativismus steht dagegen im Überschneidungsbereich der Kulturen oder in einem kulturtranszendenten Bereich einem Weltrecht nicht entgegen. 5. Kommunitarismus Als Kommunitaristen bezeichnet man eine Gruppe (insbesondere angelsächsischer) Denker (Philosophen, Ökonomen, Soziologen), welche sich kritisch gegen den angloamerikanischen Liberalismus, insbesondere den von John Rawls aufgegriffenen vernunftrechtlich-kontraktualistischen Ansatz wenden.832

827 T. K. Barua, Humanität zwischen Universalität und Regionalität, in: S. Batzli (Hrsg.), Menschenbilder, Menschenrechte, 1994, S. 23 (25). 828 A. Marfording, Cultural Relativism, HRQ 1997, 431 (432). 829 H. Senger, Versuch einer Darstellung der offiziellen Position der VR China zur Menschenrechtsfrage, in: G. Schubert (Hrsg.), Menschenrechte in Ostasien, 1999, S. 123 ff.; K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 59. 830 J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 66 f.; T. K. Barua, Humanität zwischen Universalität und Regionalität, S. 27; A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, 1999, S. 156 f. 831 A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 155. 832 M. J. Sandel, Die verfahrensrechtliche Republik und das ungebundene Selbst in: A. Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus, 1993, S. 18 ff.; A. Gutmann, Die kommunitaristischen Kritiker des Liberalismus, in: A. Honneth (Hrsg.), S. 68 ff.; M. Walzer, Die kommunitaristische Kritik am Liberalismus, in: A. Honneth (Hrsg.), S. 157 ff.; Ch. Taylor, Aneinander vorbei: die Debatte zwischen Liberalismus und Kommunitarismus, in: A. Honneth (Hrsg.), S. 126 ff.; R. Forst, Kommunitarismus und Liberalismus, in: A. Honneth (Hrsg.), S. 181 ff.; in dieser Richtung auch U. Haltern, Internationales Verfassungsrecht?, AöR 28 (2003), S. 511 (523 ff.).

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a) Thesen der Kommunitaristen In dem Anliegen, die Formalität des modernen (politischen, ökonomischen, kulturellen) Liberalismus, der nur ein Koordinatensystem des Rechten errichtet und die Frage nach dem „Guten“ dem Gewissen der einzelnen Person überläßt, zu kritisieren, stimmen alle kommunitaristischen Auffassungen überein.833 Philosophisch greifen sie auf Aristoteles, Thomas von Aquin, Hegel und Tocqueville, also nicht auf die Klassiker der Aufklärung (Locke, Rousseau, Kant) zurück. Aristoteles hat hervorgehoben, daß der Mensch als Zoon politikon seinem Wesen nach auf die staatliche Gemeinschaft bezogen ist.834 „Der Natur nach ist der Staat früher als das Haus und jeder einzelne von uns“.835 Der aristotelischen Tradition ist eigentümlich, daß sie eine bestimmte Konzeption des „Guten“ für allgemeinverbindlich hält und die Rechtmäßigkeit eines Handelns daran mißt, ob es das (materiell verstandene) Gemeinwohl verwirklicht.836 Der (konservative) Kommunitarismus837 kritisiert die aufgeklärten universalistischen Weltorientierungen des Liberalismus, seine freiheitsdogmatische Ausrichtung und die von ihm etablierten universellen Vergesellschaftungsmedien des Rechtes, des Marktes und des Diskurses.838 Für viele Kommunitaristen sind Kosmopolitismus und Universalismus nur moralischer Wahn, weil diese keine materiale moralische Wahrheit lehren.839 Die kommunitaristische Lehre wendet sich gegen die Egoismen und Individualisierungstendenzen, die der Liberalismus begünstige und betont im Unterschied zu individuellen Abwehrrechten gegen den Staat, Gemeinschaftstugenden und die Verpflichtung der Bürger zu aktiver Mitwirkung für die Gemeinschaft/den Staat. Die Kommunitaristen kritisieren, daß die diversen liberalen Theorien in ihren Ansätzen den Menschen nur als isoliertes, gewissermaßen freischwebendes Individuum berücksichtigen würden.840 Tatsächlich sei der Mensch aber darauf angelegt, in Gemeinschaften, Traditionen und sozialen Bindungen aller Art zu leben, durch die er erkennt,

833 Vgl. W. Brugger, Kommunitarismus als Sozialtheorie und Verfassungstheorie, ZRph 2003, 3 ff. 834 Aristoteles, Politik, 1253a 1 (S. 78). 835 Aristoteles, Politik, 1253a 20 (S. 78). 836 Aristoteles, Nikomachische Ethik I, 1094a 1–3, V 1129b 4–25. 837 W. Brugger, Kommunitarismus als Sozialtheorie und Verfassungstheorie, ZRph 2003, 6 f., nennt auch einen „universalistischen“ und einen „liberalen Kommunitarismus“, was nicht zur begrifflichen Klarheit beiträgt, weil sich diese Lehren eher als (gemäßigter) Universalismus und Liberalismus darstellen. 838 Vgl. J. Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 53 ff. zu A. MacIntyre; W. Kersting, Probleme der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, S. 19; A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 157 ff. 839 W. Kersting, Probleme der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, S. 53; dazu vgl. J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 21 ff., 77 ff. 840 Vgl. A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 158 f.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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wer er selbst ist.841 Ein Gesellschaftssystem, das diesen Aspekt ausblendet und sich darauf beschränkt, Menschen nur als freie Rechtspersonen zu denken, zersetze letztlich die sozialen Bindungen und führe zu einer Individualisierung, Atomisierung und Entsolidarisierung der Gesellschaft. Diese Gefahr verschärfe sich angesichts der sozialen Dominanz des Ökonomischen.842 Der Rückbezug auf Aristoteles, Thomas von Aquin und Hegel zielt besonders ab auf einen materiellen Tugendbegriff843, der im Kontext einer Gemeinschaft steht und eine sozialintegrative Politik des kollektiven Guten begünstigt.844 So ist für Alasdair MacIntyre moralisches Handeln im allgemeinen nur innerhalb einer Gemeinschaft möglich. Moralisches Handeln läßt sich ihm zufolge erreichen, indem man nach dem moralisch Guten für sich und die Gemeinschaft fragt. Die Suche des Einzelnen nach dem Guten werde durch die Tradition definiert.845 Damit hängt die jeweilige Form des so bestimmten Lebens von dem moralischen Ausgangspunkt des Einzelnen ab. Dieser Ausgangspunkt werde durch die Vergangenheit der Familie, der Stadt, des Stammes und der Nation bestimmt. Diejenigen Charakterzüge, welche die Menschen bei der Suche nach dem Guten unterstützen und die Traditionen aufrechterhalten, bezeichnet MacIntyre als Tugenden. Weil kein moralisches Handeln ohne Gemeinschaft möglich sei, sei die Loyalität zur Gemeinschaft eine zentrale Tugend. Als eine derartige Loyalität versteht er auch den Patriotismus.846 Weil das Wesen des einzelnen Menschen zu einem wichtigen Teil durch das geprägt sei, was er aus der Geschichte der Gemeinschaft geerbt habe, sei jede Aussage über Recht und Unrecht somit persönlich befangen. Unredlich sei es daher, die eigene Sache in die eines universellen Prinzips umzudeklarieren.847 Somit entspreche das Bekenntnis zu universellen Menschenrechten dem Glauben an Hexen und Einhörner.848 Michael Walzer geht es weniger um die Verteidigung vormoderner Tugenden gegen die Moderne, sondern um eine notwendige Korrektur der liberalen Gesellschaft, mit dem Ziel, sie und die in ihr enthaltenen Gemeinschaften zu stabilisieren. Seiner Meinung nach verbindet uns unser gemeinsames Menschsein

841 M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice, 1982, S. 47 ff., 50 ff., 150, 168 ff., 171 ff., 182 f. 842 A. Anzenbacher, Christliche Sozialethik, 1998, S. 116 ff. 843 Vgl. dazu etwa Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch II–V; ders., Politik, 1133b, 1134b. 844 W. Kersting, Probleme der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, S. 19; vgl. auch A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 159 ff. 845 „Rationalität der Traditionen“ A. MacIntyre, Whose Justice, Which Rationality?, 1988, S. 349 ff. 846 A. MacIntyre, Ist Patriotismus eine Tugend?, in: A. Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus, S. 84 (90 ff.). 847 A. MacIntyre, Ist Patriotismus eine Tugend?, S. 90 ff. 848 A. MacIntyre, Der Verlust der Tugend (1984), dt. 1995, S. 57 ff., 74.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

nicht zu einer Einheit, sondern zum Partikularismus.849 Walzers Entwurf hat als Bezugspunkt eine politische Gemeinschaft, die durch Homogenität, ein gemeinsames Bewußtsein von Sprache, Geschichte und Kultur definiert wird. Dies setzt verschiedene Einzelstaaten voraus und darüber hinaus gegebenenfalls kleinere Einheiten innerhalb des Staates, auf die Verteilungsentscheidungen verlagert werden, um den verschiedenen, nebeneinander bestehenden Kulturen gerecht zu werden.850 b) Anmerkung Ein großer Teil der kommunitaristischen Lehren beschränkt Moralität als Grundlage des Rechts auf einen materiellen Moralitätsbegriff.851 Mit der Annahme der unausweichlichen vorgängigen Wertbezogenheit jeder sozialen Ordnung werden die Prinzipien der Freiheit und der Vernunft zu partikularen Kulturtraditionen relativiert.852 Die Folge ist Intoleranz gegenüber dem Anderen. Materielle kulturelle Werte als Antwort auf die Frage nach dem „Guten“ stehen über den universellen Prinzipien der Freiheit und der Vernunft und schließen diese gegebenenfalls aus.853 Ein solches Vorgehen entspricht etwa einer theologischen, nicht jedoch der rechtlichen Betrachtung, welche von einem relativen Vorrang des Rechten vor dem materiell Guten ausgeht.854 Damit ist keine Ignoranz gegenüber Traditionen verbunden; denn die Weltrechtsidee erhebt keinen Anspruch, kulturelle Besonderheiten und die Loyalität in kleineren Einheiten grundsätzlich aufzugeben, sondern fordert nur, diese unter Berücksichtigung der Subjekthaftigkeit des Menschen zu betrachten. Zwar spricht die nicht zu leugnende Gemeinschaftsbezogenheit des Menschen für die Existenz partikularer Gesellschaften, aber eben auch für die Gemeinschaft der Menschheit insgesamt. Das materiell verstandene „Gute“, das irrtumsfrei von Menschen wohl nicht ermittelt werden kann, ist wert- und traditionsabhängig. Recht oder gar ein Weltrecht läßt sich hieraus richtiger Weise nicht unmittelbar ableiten, weil eine auf bestimmten Vorstellungen vom Guten fußende Ordnung, die Rechtsverbindlichkeit beansprucht, nur gegen die Freiheit der Andersdenkenden (gewaltsam) 849

M. Walzer, Lokale Kritik – Globale Standards, 1996, S. 110. M. Walzer, Die kommunitaristische Kritik am Liberalismus, in: A. Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus, 1996, S. 157 (170 ff.); ders., Lokale Kritik – globale Standards, S. 86 ff.; vgl. dazu kritisch Ch. Horn, Philosophische Argumente für einen Weltstaat, Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 21 (1996), S. 242. 851 Vgl. M. Sandel, Die verfahrensrechtliche Republik und das ungebundene Selbst, S. 19 f., 26 f. 852 K.-O. Apel, Ethnoethik und universalistische Makroethik?, in: W. Lütterfelds/Th. Mohrs (Hrsg.), Eine Welt – Eine Moral?, 1997, S. 60 (62); dazu A. MacIntyre, Whose Justice, Which Rationality?, 1988. 853 Vgl. dazu J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 434 ff. 854 Dazu J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 434 ff., kritisch dazu J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 203 ff. 850

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durchzusetzen ist und damit begrifflich Unrecht ist (Beispiele: Kreuzzüge, islamischer Fundamentalismus, Kommunismus). Das formale Prinzip der Freiheit und seine Verwirklichung in realen Diskursen schließt nur eine vorgängige Beschränkung auf wertkonforme Lösungen aus, jedoch nicht, weltweite öffentliche Diskurse über das Gute als zu gewinnendes Recht zu führen.855 Wenn ein Konsens gelingt, sind die Prinzipien der Freiheit gewahrt und das „Gute“ ist mit dem Recht kongruent.856 6. Bedrohung durch einen „Clash of Civilizations“? a) Thesen von Samuel Huntington In seiner Schrift „The Clash of Civilizations“ stellt Huntington die These auf, daß die Hauptursache künftiger internationaler Konflikte nicht in ideologischen Widersprüchen, sondern in der Gegensätzlichkeit der verschiedenen Weltzivilisationen begründet sein werde.857 Weil eine einheitliche Weltzivilisation fehle, würde dies für den Westen zu einer Bedrohung durch Akteure der islamischkonfuzianischen Staatengruppe führen.858 Gerade das durch die Universalisierung der Technik verursachte „Näherrücken“ fremder Zivilisationen mache den Angehörigen der einzelnen Zivilisationen die kulturellen Unterschiede besonders deutlich.859 Durch den mit dem globalen Modernisierungsprozeß in nichtwestlichen Zivilisationen verursachten sozialen (Werte-)Wandel würden die Menschen ihren Traditionen entfremdet. Ihre Orientierungslosigkeit kompensierten sie, so die These, in der Zuflucht zu einem von fundamentalistischen Bewegungen propagierten „religiösen Erwachen“ und allgemein in einer Suche nach den Wurzeln der eigenen Zivilisation.860 Freiheit, Gleichheit, Demokratie und die Menschenrechte fänden nur geringe Akzeptanz in nicht-westlichen Zivilisationen. Das Bemühen des Westens, diese Prinzipien als universell gültige zu propagieren, werde häufig als „human rights imperialism“ gebrandmarkt. Ähnlich argumentiert Bassam Tibi, der eine „Revolte nicht-westlicher Zivilisationen“, welche Demokratie und individuelle Menschenrechte zurückweise, 855 Vgl. J. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy, Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 268 f. 856 Vgl. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 433. 857 S. P. Huntington, „Clash of Civilisations“, Foreign Affairs, 1993, 22. 858 S. P. Huntington, „Clash of Civilisations“, Foreign Affairs, 1993, 44 ff. 859 S. P. Huntington, „Clash of Civilisations“, Foreign Affairs, 1993, 26. 860 S. P. Huntington, „Clash of Civilisations“, Foreign Affairs, 1993, 26.

1989, S. 27; A.

Vol. 72, Summer Vol. 72, Summer Vol. 72, Summer Vol. 72, Summer

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

feststellt.861 Wenn der islamische Fundamentalismus Nährboden dieser Tat war, scheint sich die These vom Zusammenprall der Kulturen mit der terroristischen Attacke am 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York sowie mit dem Kampf der USA gegen das „Böse“ durch kriegerische Mittel scheinbar aufs Schlimmste bestätigt zu haben.862 b) Überwindung durch die Lehre vom Weltethos (Hans Küng)? Gegen den von Samuel Huntington863 herausgestellten Konflikt zwischen Zivilisationen und Religionen setzt Hans Küng den Dialog der Religionen. Küngs Bemühungen richten sich auf ein religiös begründetes Weltethos, das insbesondere durch den Dialog der Religionen hervorgebracht werden soll.864 Er hält das Überleben der Welt nicht für möglich, solange unterschiedliche, sich widersprechende oder sich sogar bekämpfende Ethiken existieren.865 Deshalb postuliert er: „Wir bedürfen der Ethik, der philosophischen und theologischen Lehre von den Werten und Normen, die unsere Entscheidungen und Handlungen leiten sollen.“866 Schlüsselbegriff ist der der „planetarischen Verantwortung“867 Eine Weltordnung ohne Weltethos, d. h. ohne einen Minimalkonsens in der sittlichen Grundhaltung der Menschen, lehnt er ab.868 Den Rückgriff auf die Religion, einen Gott, erachtet Küng für erforderlich, um die Unbedingtheit der universellen Verpflichtung zu begründen.869 c) Anmerkung Gegen ein zu entwickelndes Weltrecht, zu dessen Voraussetzungen auch eine verstärkte Durchsetzbarkeit des Rechts durch objektive Institutionen, nicht aber die Globalisierung der westlichen Zivilisation gehört, spricht Huntingtons Lehre im Grunde nicht. Im Gegenteil, die Forderung nach einem befriedenden Weltrecht wird sogar angesichts eines „Clash“ zwischen den Kulturen drängender. 861

B. Tibi, Der Krieg der Zivilisationen, 1995, S. 46 f. Vgl. dazu Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, in: Th. Marauhn (Hrsg.), Die Rechtstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S. 55 (76 ff.). 863 S. P. Huntington, „Clash of Civilisations“, Foreign Affairs, Vol. 72, Summer 1993, 22. 864 Dazu H. Küng, Projekt Weltethos, 1990, insbes. S. 56 ff.; ders., Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, 1998, S. 130 ff. 865 H. Küng, Projekt Weltethos, S. 14. 866 H. Küng, Projekt Weltethos, S. 46. 867 H. Küng, Projekt Weltethos, S. 51. 868 H. Küng, Projekt Weltethos, S. 56 ff.; ders., Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, S. 130 ff. 869 H. Küng, Projekt Weltethos, S. 77 ff. 862

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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Die Bekämpfung des Terrorismus, der seine Ursache in jeglichem religiösen oder politischen Fundamentalismus hat, ist wie auch die Reaktionen der meisten Staaten auf die Anschläge gegen die USA gezeigt haben, ein Anliegen der gesamten Menschheit, das von dieser auch gemeinsam (gegenwärtig im Rahmen der Vereinten Nationen) und nicht im Krieg gegeneinander überwunden werden muß.870 Soweit der Kampf der Kulturen unvermeidlich ist, muß er mit friedlichen Mitteln (als Dialog) geführt werden. Die Auffassung vom „Kulturkampf“ betrachtet die Kulturkreise und die Ursachen für die Konflikte jedoch zu pauschal-schematisch und monolithisch.871 Sie übersieht, daß es innerhalb dieser Kulturen eine Vielfalt von Anschauungen gibt, insbesondere auch solche, die nach Autonomie und Menschenrechten streben.872 Der „Kampf“ findet eigentlich nicht zwischen Kulturkreisen, sondern zwischen Gruppen, die sich der Idee der Aufklärung verschließen oder diese sogar bekämpfen und solchen, die sich ihr öffnen, also ebenfalls intrakulturell, statt.873 Auch in westlichen Industrieländern gibt es (christliche) fundamentalistische Elemente. Schon Emeric Crucé hat erkannt, daß Feindschaften wegen Religion oder Kultur im Grunde „rein politisch“ sind. Er meint, daß Menschen, die sich aufgrund ihres Menschseins gleichen, auch in Frieden miteinander leben könnten. Im übrigen ist die Verschiedenheit der Religionen kein Hindernis für den allgemeinen Frieden.874 Ein „Näherrücken“ der Zivilisationen muß nicht zu einer Verhärtung der kulturellen Unterschiede führen, wenn dieses Näherrücken von einem Dialog oder einem interkulturellem Rechtsdiskurs875 begleitet wird, der weil selbst in relativ geschlossenen Kulturkreisen Kritiker am eigenen System nicht fehlen, nicht unmöglich erscheint. Voraussetzung für einen solchen Dialog ist einerseits, daß die Partner ihre Andersartigkeit grundsätzlich tolerieren, aber auch, daß gegenseitige konstruktive Kritik gehört und erwogen und nicht als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ von vornherein abgelehnt wird. Ob allerdings der Dialog über Religionen876, wie Küng ihn vorschlägt, zu einem gemeinsamen Weltethos führen kann, wird angesichts der bewußten Plu870

G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 449 (469 ff.). Kritisch O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 30 ff.; D. Senghaas, Zivilisierung wider Willen, 1998, S. 7 ff., 136 ff., 146 ff.; W. Kersting, Global Human Rights, Peace and Cultural Difference, ARSP 2001, 193 (202 f.). 872 Vgl. zur Entwicklung des Islam A. Metzger, Islam und Politik, Informationen zur politischen Bildung, Nr. 274/2002, Beilage, S. 1 ff., 8 ff. 873 Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 33. 874 E. Crucé, Der Neue Kineas, in: K. v. Raumer (Hrsg.), Ewiger Friede, 1953, S. 293 (305). 875 Dazu O. Höffe, Vernunft und Recht. Bausteine zu einem interkulturellen Rechtsdiskurs, 1996; W. S. Heinz, Vom Mythos der „Asiatischen Werte“, in: G. Schubert (Hrsg.), Menschenrechte in Ostasien, 1999, S. 53 (67 ff.); J. Habermas, Der interkulturelle Diskurs über Menschenrechte. In: H. Brunkhorst/M. Lutz-Bachmann (Hrsg.), Recht auf Menschenrechte, 1999. S. 216 ff. 876 Dazu näher H. Küng, Projekt Weltethos, S. 123 ff. 871

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

ralität der Glaubensrichtungen und Weltanschauungen bezweifelt.877 Zu Recht; denn Glaubensfragen sind Argumenten nicht zugänglich. Wenn Recht die Aufgabe hat, die Rahmenbedingungen für ein Zusammenleben der Menschen in Frieden und Freiheit zu schaffen, kann es jedenfalls nicht auf einem fixen materiellen Wertekanon gründen. Fraglich ist insbesondere, ob eine universelle Unbedingtheit religionspluralistisch begründet werden kann. Selbst wenn sich eine ökumenische Grundlage zwischen den Vertretern der Weltreligionen finden läßt, so muß doch der Konsens, um für Nichtgläubige Geltung zu erlangen, durch den Diskurs der Weltbürger erweitert werden.878 Insoweit ist Otfried Höffe zuzustimmen, der sich fragt, „ob man für ein globales Ethos auf jene Instanz zurückgreifen soll, die im Plural existiert, gleichwohl je einen exklusiven Wahrheitsanspruch erhebt, also die Religion, oder nicht eher auf das auch in der Religion enthaltene und ihnen alle zugleich gemeinsame Moment, der allgemeinen Menschenvernunft, und die daraus fließende allgemein menschliche Moral, etwa die Goldene Regel oder Grundsätze der Verfahrensgerechtigkeit wie: Streitschlichtung durch einen unparteiischen Dritten . . .“.879 Küng kommt dem insoweit entgegen, als er als Kern eines globalen Ethos herausstellt: „Jeder Mensch muß menschlich behandelt werden“ und „Was du willst, das man dir tut, das tue auch den anderen.“880 Die „Goldene Regel“ vergleicht er mit Kants kategorischem Imperativ und zeigt, daß sie als allgemeine Regel der Menschlichkeit in allen Weltreligionen enthalten ist.881 In diesem Sinn gibt es durchaus „gute Gründe“882 im Dialog ein Weltethos zu gewinnen und einen Weltrechtsdiskurs zu entwickeln.883 Tatsächlich findet eine Annäherung der Kulturen statt, was die Chancen auf einen interkulturellen884 Dialog erhöht und nicht erschwert. Die Globalisierung vervielfacht die menschlichen Kontakte im politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und persönlichen Bereich. Es werden nicht nur kulturelle Elemente aus 877 B. Bujo, Welches Weltethos begründet die Menschenrechte?, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 36 (37); J. Fuchs, Weltethos oder säkularer Humanismus, in: ders., Für eine menschliche Moral, Bd. IV, 1996, S. 45. 878 Vgl. Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, S. 66. 879 O. Höffe, Vernunft und Recht. Bausteine für einen interkulturellen Rechtsdiskurs, 1996, S. 140 f. 880 H. Küng, Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, S. 155. 881 H. Küng, Projekt Weltethos, S. 84; ders., Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, S. 138 ff. 882 J. Habermas, Diskursethik – Notizen zu einem Begründungsprogramm in: ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 1991, S. 53 (100). 883 Vgl. J. Fuchs, Weltethos oder säkularer Humanismus, in: ders., Für eine menschliche Moral, Bd. IV, 1996, S. 44 ff. 884 Zum Begriff der Interkulturalität R. A. Mall, Die Morphologie einer Weltkultur, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 314 f.

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allen Teilen der Welt authentisch rezipiert (vgl. z. B. „Weltmusik“), sondern „zur universalen Öffnung treten regionale Adaptationen, sogar Neuschöpfungen im Schnittfeld verschiedener Kulturen hinzu . . .; denn in vielen Bereichen und immer neuen Varianten befruchten sich westliche und östliche Faktoren, aber auch nord- und südamerikanische, europäische und afrikanische Elemente.“885 Damit bleibt das Fremde nicht mehr so fremd, sondern wird transparenter und einsichtiger. Teilweise hat sich schon eine, allerdings amerikanisch dominierte, „Weltkultur“ gebildet.886 Hegemonie auch im Bereich der Kultur ist eine Form von sanfter Weltdespotie. Es werden Trotzreaktionen hervorgerufen, wenn nicht der Dialog gesucht wird, sondern eine Kultur gegenüber einer anderen ihre beanspruchte Überlegenheit ausspielt.887 Weltkultur i. e. S. weist nicht die Pluralität der Kulturen zurück, sondern die Tendenz von Kulturen, sich zu verabsolutieren.888 Die Idee des Weltrechts ist gegenüber Kultur, Sitte, Sprache und Religion weitgehend indifferent und ermöglicht so deren Pluralität. VIII. Stellungnahme zur Notwendigkeit einer verfaßten öffentlichen Weltrechtsordnung Die Kritiker des Weltrechtsgedankens können die Notwendigkeit globaler Rechtskonzeptionen nicht entkräften. Dafür sprechen sowohl tatsächliche als auch rechtliche Gründe. Die Zeit geschlossener, selbstherrlich handelnder Staaten ist angesichts globaler Bedrohungen etwa durch Atomwaffen, Terrorismus und Umweltzerstörung selbst für Großmächte vorbei. Der latente und teilweise akute Kriegszustand, der aus der tatsächlichen Pluralität der Kulturen folgt, kann weder durch Zwangsvereinigung noch durch wechselseitiges laisser faire beseitigt werden, sondern nur durch ein Weltverfassung, welche eint, ohne zu vereinheitlichen. 1. Unzulänglichkeit der bisherigen staatlichen und internationalen Ordnung Gleiche, d. h. allgemeine Freiheit, gibt es nur unter dem Recht.889 Der Zustand des Krieges ist eine dauernde Bedrohung des Rechts. Gibt es zwischen 885

O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 18. Vgl. J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, 1998, S. 115; W. Bonß, Globalisierung unter soziologischen Perspektiven, in: R. Voigt (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 39 (56 ff.); P. Schenkel, Der Weltunion entgegen, 2000, S. 57 ff. 887 Vgl. M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 176 ff. 888 Zu Begriff der Weltkultur R. A. Mall, Die Morphologie einer Weltkultur, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 314 (317 ff.). 889 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 410 ff. 886

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den Menschen und den Staaten nur privatautonome Regelungen, aber keine allgemeinverbindliche, verfaßte öffentliche Rechtsordnung, befinden sich Staaten wie Individuen in einem unsicheren, provisorischen Rechtsstatus.890 Soweit die Staaten innerstaatlich den Naturzustand zugunsten einer Rechts- und Friedensordnung überwunden haben891, sind sie deshalb existenzberechtigt.892 Die innerstaatlichen Rechtsordnungen können das Recht und die allgemeine Freiheit jedoch allenfalls in den Staaten sichern.893 Wie die Menschen befinden sich auch die Staaten ohne gemeinsames Recht und ohne kompetenten Richter im juridischen Zustand des Krieges. Diesen Zustand wie Hegel (3. Teil, B, S. 282 f.), Carl Schmitt (1. Teil, A, S. 55 f.) und manche Lehrer des Realismus (3. Teil, B, S. 286 ff.) zwischen den Staaten aufrechterhalten zu wollen, heißt das Rechtsprinzip außerhalb der Staaten aufzugeben. Für die zwischenstaatlichen Verhältnisse wie für die innerstaatlichen ist es vernünftig, sich zwangsbefugten Regeln zu unterwerfen. Sie steigern ihre Vernunft, wenn sie allen Streit, wie Kant sagt, „auf zivile“, d. h. rechtsförmige Art, „gleichsam durch einen Prozeß, nicht auf barbarische (nach Art der Wilden) nämlich durch Krieg“ entscheiden.894 Vernünftig im Rechtssinne leben die Staaten erst dann, wenn sich die öffentlichen Gewalten auf Menschenrechte und Volkssouveränität verpflichten.895 Frieden und Recht, insbesondere die Menschenrechte, aber auch der Erhalt der Grundlagen der Menschheit, die Erde, können durch die Staaten und durch das internationale Recht nicht hinreichend gewährleistet werden, weil weder das staatliche Recht noch das internationale Recht institutionell hinreichend auf die effektive Verwirklichung von Menschheitsbelangen ausgerichtet ist (vgl. 2. Teil). In einer Weltordnung, die diese Defizite behebt, haben Menschheitsprinzipien prima facie vermehrt Aussicht auf Verwirklichung.896 Dafür bedarf es einer konstitutionellen, auf Durchsetzung angelegten Völkerrechtsordnung, eines öffentlichen Weltrechts.897 890 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203 (BA 18) ff.; G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 363 (366). 891 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 208; ders., Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 305. 892 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, in: ders. (Hrsg.), Der gespaltene Westen, 2004, S. 113 (128). 893 W. Kersting, Weltfriedensordnung, S. 181. 894 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 475 (A 229/B 259). 895 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 208. 896 Vgl. dazu K. Graf Ballestrem, Auf dem Weg zu einer Weltrepublik?, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 513 (520 f.); R. Glossop, World Federation?, S. 49 ff. 897 R. J. Glossop, Global Governance Requires Global Government, in: E. E. Harris/J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 48 ff.

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Vor allem beschränken sich grenzüberschreitende Rechtsverhältnisse nicht auf außenpolitische Beziehungen. Weil die Menschen auf der Erde notwendigerweise in raum-zeitlicher Gemeinschaft miteinander handeln und infolge ihrer Natur auch handeln müssen, können sie jederzeit derart miteinander in Konflikt geraten, daß ihre jeweiligen Absichten nicht erreichbar sind.898 Im Zeitalter der Globalisierung ist diese Möglichkeit Wirklichkeit und Problem geworden (siehe 1. Teil, B).899 So bewegen sich Institutionen und Unternehmen vielfach in einem Raum, der weder durch das grundsätzlich territorial begrenzte staatliche Recht noch durch internationale Absprachen abgesichert ist.900 Allein ein zwischenstaatliches Recht, in dem nur die Staaten und nicht die Menschen als vollwertige Rechtssubjekte begriffen werden, vermag die Rechtslücke nicht zu schließen. Wenn das Recht die Aufgabe hat, die allgemeine Freiheit aller Menschen zu verwirklichen901, tendiert die intensive Globalisierung der Lebensverhältnisse verstärkt zu einer weltrechtlichen Ordnung.902 Der Satz von Montesquieu, wonach die Gesetze „dem Volk, für das sie gelten sollen, so eigentümlich sein (müssen), daß sie nur durch einen großen Zufall einem anderen Volk auch gemäß sein können“903, setzt unterschiedliche Lebensverhältnisse in den einzelnen Staaten voraus. In der globalisierten Welt bestehen diese unterschiedlichen Lebensverhältnisse nur noch teilweise und es wächst der Anteil gemeinsamer Probleme der Lebensbewältigung. Die Wirklichkeit, von der die Rechtsordnung ausgehen muß, hat sich in gewissem Umfang von einer nationalen, zu einer globalen Wirklichkeit gewandelt. Es wäre mit dem Rechtsprinzip, welches nach einem gerechten Interessenausgleich zwischen den Bedürfnissen aller Menschen verlangt, nicht zu vereinbaren, das Globalisierungsproblem durch „geschlossene Handelsstaaten“ im Sinne Fichtes (z. B. Auslagerungsverbot für volkswirtschaftlich bedeutsame Unternehmen, übermäßige Abschottung der Märkte), lösen zu wollen. Ein System abgeschlossener Staaten würde dem Weltbürgerrecht, als dem ursprünglichen Recht der Menschen, miteinander in Kontakt zu treten, wi-

898 K. A. Schachtschneider, Die Würde des Menschen, in: Mut zur Ethik, S. 278: Alles Handeln habe Wirkung auf alle; vgl. auch O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Demokratisierung, S. 22. 899 Vgl. auch K. Ohmae, Die neue Logik der Weltwirtschaft, 1992, S. 242 f. 900 Ch. Horn, Philosophische Argumente für einen Weltstaat, Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 21 (1996), S. 234. 901 Dazu Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 336 f. (AB 31 ff.); vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 567, 996, 998, der als Zweck des Rechts neben der Freiheit das „gute Leben aller“ nennt; vgl. auch O. Höffe, Vision: globale Weltrepublik, S. 15. 902 P. Schenkel, Der Weltunion entgegen, S. 40 ff.; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, 2001, S. 50 ff.; R. Knieper, Nationale Souveränität, 1991, S. 194 ff., 205. 903 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), I, Kap. 3 (S. 102).

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dersprechen. Eine erzwungene „Renationalisierung“ negiert die Lebenswirklichkeit, welche von einer weltweiten Verflechtung gekennzeichnet ist, und ist deshalb nicht sachgerecht. Kein Staat wäre dazu in der Lage.904 Auf der anderen Seite ist es mit dem Prinzip der gleichen Freiheit aller unvereinbar, sich nur an den Interessen der mächtigsten gesellschaftlichen Gruppe auszurichten und einseitig Liberalisierungspflichten der Staaten und Freizügigkeitsrechte der Wirtschaftsteilnehmer voranzutreiben905, andere Freizügigkeits- und Menschenrechte aber in einem ungesicherten Status zu belassen. Der durch den gewinnmaximeinduzierten Systemwettbewerb provozierte Verfall bestimmter Rechtsstandards (insbesondere Sozialstandards, Arbeitsschutzstandards, Umweltstandards) kann nur durch die Einigung auf Mindestregeln verhindert werden.906 Obwohl die nationalen Schutzpolitiken hier immer weniger greifen, weil die Staaten durch die Internationalisierung und Globalisierung in ihrer Handlungsfähigkeit geschwächt werden, sind sie immer noch stark genug, eine Universalisierung menschenrechtlicher Mindeststandards zu verhindern.907 Auf diese Weise globalisieren sich nur die Regeln des Kapitalismus, nicht aber diejenigen des freiheitlichen menschlichen Miteinanders.908 Trotz der ihm zugeschriebenen Wohlfahrtswirkung909 ist der Markt nicht in der Lage, Recht, d. h. Frieden und allgemeine Freiheit, die mit den Prinzipien der Gleichheit und der Solidarität verbunden sind910, herzustellen. In keiner Weise ist globale Freiheit und Gerechtigkeit allein durch das Liberalisierungsund das Wettbewerbsprinzip zu erreichen.911 Das gilt auch für den Standortwettbewerb.912 Wettbewerb und Marktwirtschaft setzten rechtliche Chancengleich904 Ch. E. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft, Rechtstheorie 21 (1990), S. 376. 905 Vgl. M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, in: Liber amicorum Th. Oppermann, 2001, S. 381 (403 f.). 906 Vgl. G.-P. Calliess, Globale Kommunikation – staatenloses Recht, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 65. 907 R. Knieper, Nationale Souveränität, S. 97. 908 Dazu kritisch H. Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, 1996, S. 218 ff., 266, 313; vgl. dazu H. Brunkhorst, Ist die Solidarität der Bürgergesellschaft globalisierbar?, in: ders./M. Kettner, Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 274 (282 ff.); K. A. Schachtschneider, Demokratie versus Kapitalismus, Zeit-Fragen, 10.6. 2002, S. 2. 909 Vgl. A. Smith, Der Wohlstand der Nationen, 1974, insbes. S. 347 ff.; D. Ricardo, Über die Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung, 1994, S. 270; P. Behrens, Wirtschaftsverfassung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 19 (2000) S. 5 (19). Zu den Einwänden gegenüber dieser Lehre vgl. die Übersicht bei M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, 1999, S. 56 f. 910 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1 ff., 35 ff. 911 So i. Erg. auch P. Häberle, Verfassungslehre in „weltbürgerlicher Absicht“, in: R. Pitschas (Hrsg.), Entwicklungen des Staats- und Verwaltungsrechts, 1998, S. 27 (28, 48); A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, in: H. Brunkhorst/M. Kettner

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heit voraus, ersetzen diese aber nicht.913 Im Naturzustand oder in einer Situation extremer Ungleichheit erzeugt der Markt nur das vermeintliche „Recht des Stärkeren“914, das aus dem „Krieg aller gegen alle“ (Hobbes)915 erwächst.916 Zudem vernichtet eine nur nach Effizienz-, Leistungs-, Markt- und Wettbewerbsgesichtspunkten ausgerichtete Weltordnung den lebensnotwendigen Erhalt natürlicher Ressourcen.917 Neben seinen wirtschaftlichen Leistungen kann der Markt aber durchaus als Medium für einen globalen Ideenaustausch dienen.918 Die Globalisierung der Lebensverhältnisse und die „Entgrenzung der Staatenwelt“ haben bereits zur schrittweisen Erkenntnis der Interdependenz der Staaten und der Einsicht geführt, daß bestimmte überstaatliche Probleme der Gefahrenabwehr und der Daseinsvorsorge nur in Zusammenarbeit mit anderen Staaten gelöst werden können und müssen.919 Schon seit langem wird der räumliche Aspekt der Globalisierung mit dem Ausdruck von einer „schrumpfenden Welt“ veranschaulicht.920 In ihrem Lehrbuch haben Otto Kimminich und Stephan Hobe das hohe Meer, den Meeresboden, die Antarktis, den Weltraum und den Umweltschutz auf dem ganzen Erdkreis unter dem Kapitel „internationale Gemeinschaftsräume und Gemeinschaftsaufgaben“ abgehandelt.921 Ein weiteres Beispiel sind die Vereinten Nationen. Die zunehmende Verrechtlichung der internationalen Beziehungen ist ein Schritt zur Verwirklichung des Weltrechts.922 Ein Teil dieser Aufgaben übersteigt qualitativ und quantitativ nicht nur die Problemlösungskapazität der Staaten923, sondern auch die der Internationalen Organisationen924, weil die internationalen Systeme durch machtpolitische Interessen (Hrsg.), 2000, S. 151 (172); a. A. aber W. Schäfer, Globalisierung, in: H. Berg (Hrsg.), Globalisierung der Wirtschaft, 1999, S. 14 ff. 912 P. Kirchhof, Die Zukunft der Demokratie im Verfassungsstaat, JZ 2004, 985 f. 913 T. Dobberstein, Globalisierung der Gerechtigkeit, HFR 3-2003, S. 9. 914 Dazu Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, Kap. 3 (S. 9 f.). 915 Leviathan, 13. Kap. S. 112 ff.; 17. Kap. S. 151 ff.; 18. Kap. S. 156 ff. 916 K. A. Schachtschneider, Demokratie versus Kapitalismus, S. 2. 917 M. Forschner, Marktpreis und Würde, S. 28. 918 P. Häberle, Verfassungslehre in „weltbürgerlicher Absicht“, S. 28. 919 J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98, S. 66; S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, S. 380 ff.; 446; B. P. Priddat, Globalisierung und Politikkoordination, in: N. Bolz/F. Kittler/R. Zons (Hrsg.), Weltbürgertum und Globalisierung, 2000, S. 161 (162 ff.); vgl. auch W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1999, S. 110 f.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 2000, S. 308 ff. 920 Als einer der ersten Q. Wright, The Study of International Relations, 1955, S. 41. 921 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 377 ff. 922 L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB, 1995, 261. 923 E. E. Harris, Global Governance or World Government?, in: ders./J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 68 (71). 924 J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98, S. 66.

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der Staaten blockiert oder instrumentalisiert werden können und kaum über wirkungsvolle Kontroll- und Rechtsdurchsetzungsmechanismen verfügen925. Die traditionelle internationale Zusammenarbeit in den Internationalen Organisationen basiert auf der staatlichen Aufgabenerledigung.926 Indes nimmt die Fähigkeit der formell „souveränen“ Staaten, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen im Rahmen ihrer territorialen Grenzen zu steuern, aufgrund der Entterritorialisierung ab und geht mit einem Verlust sozialer Kompetenz und somit materieller Entstaatlichung einher.927 Die aus der Globalisierung resultierenden staatlichen Defizite können auf internationaler und „supranationaler“ Ebene nicht kompensiert werden.928 Insbesondere in der Durchsetzung sozialer, d. h. menschenrechtlicher Mindeststandards bleibt die internationale Zusammenarbeit unzureichend. Weltweite Industrialisierung und technischer Fortschritt treffen auf die Grenzen der Tragfähigkeit des Ökosystems. Aufgrund schon eingetretener oder sich abzeichnender Bedrohungen und Gefahren sind die Staaten, ja alle Menschen, zu einer Schicksalsgemeinschaft im Sinne einer Risikogemeinschaft929 verbunden. Soziale, wirtschaftliche oder politische Umwälzungen im Inneren eines Staates führen zu Wanderbewegungen und Flüchtlingsströmen, mit denen territorial nicht begrenzbare Erschütterungen ausgelöst werden.930 Großprobleme, welche die Staaten einzeln nicht lösen können sind: die permanente Unterversorgung der Menschen in weiten Teilen der Erde mit Trinkwasser, dessen Reserven begrenzt sind, und mit Nahrungsmitteln, die Überbevölkerung der Erde, die Bedrohung der Artenvielfalt in Flora und Fauna, der tropischen Regenwälder, der Ozonschicht und die damit verbundenen Veränderungen des Erdklimas sowie des Meeresspiegels, staatlich geförderter oder geduldeter Terrorismus, die in weltweiten Netzwerken operierende organisierte Kriminalität, durch den Sextourismus potenzierte Kinderprostitution, die staatsübergreifenden Risiken und Gefahren, die von hochgefährlichen Anlagen oder 925 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 344; E. E. Harris, Global Governance or World Government?, S. 72 ff. 926 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR, 1999, 257. 927 Vgl. L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 1995, 261; D. Held, Democracy and the Global Order, S. 127 ff.; W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, S. 110; J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 107 f.; S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 380 ff.; ders., Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR, 1999, 257; D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 339. 928 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 120 f.; R. J. Glossop, Global Governance Requires Global Government, S. 47 ff. 929 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 192 (217); ders., Kants Idee des ewigen Friedens, in: M. Lutz-Bachmann/ J. Bohmann (Hrsg.), Frieden machen, S. 23, 24; U. Beck, Weltrisikogesellschaft revisted, Forschung & Lehre, 2/2002, S. 62 ff. 930 G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung (Law Enforcement) zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, 1998, S. 45; J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 111 f.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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Technologien oder der Existenz von Kernwaffen, Interkontinentalraketen, waffenfähigem spaltbaren Material sowie chemischer und biologischer Kampfstoffe ausgehen, die Destabilisierung ganzer Erdregionen durch Unrechtsregime, die durch Korruption, radikalen Fanatismus und despotische Herrschaftsallüren oder durch schlichte Unfähigkeit Katastrophen oder gar den Zusammenbruch jeglicher staatlicher Ordnung verursachen. Dies sind Gefahren, denen alle Völker der Welt, die Menschheit in einer „Gewaltgemeinschaft“931 gegenübersehen.932 Sie gehen gleichermaßen von Staaten wie von nicht-staatlichen Akteuren aus.933 Außerdem müssen Lösungen für den globalen Konflikt um ungleiche Umweltnutzungsansprüche gefunden werden.934 2. Notwendigkeit einer öffentlichen Weltrechtsordnung Soweit die Einzelstaaten all dies nicht bewältigen und die völkerrechtlichen Instrumente zu unwirksam sind, verlangt das universelle Rechtsprinzip subsidiär nach einer öffentlichen Weltrechtsordnung mit globaler Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung.935 Wenn Menschen existentiell abhängig voneinander geworden sind, bedarf die relevante Gemeinschaft der vertrauensschaffenden gemeinsamen Gesetzlichkeit, weil sonst die Überlebensfähigkeit der Gemeinschaft gefährdet wäre.936 Die von der praktischen Vernunft gebotene Sachgerechtigkeit legt es nahe, gemeinsame Anliegen der Menschen nach gemeinsamen Gesetzen zu regeln.937 Dem entspricht die zunehmend in der Lehre vorgetragene Forderung nach einer „Globalisierung des Rechts“.938 Gemeint ist hier das zu set931

O. Höffe, Eine föderale Weltrepublik?, 2000, S. 1. M. Hilling, Friedensstruktur und Friedensstrategie, 1983, S. S. 217 ff.; G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 46; P. Schenkel, Der Weltunion entgegen, S. 47 ff.; vgl. a. B. v. Plate, Grundelemente der Globalisierung, Informationen zur politischen Bildung, 263, 2. Quartal 1999, S. 7; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 28 spricht in diesem Zusammenhang von „Gewaltgemeinschaft“; auch ders., Vision: föderale Weltrepublik, S. 11 f. 933 Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, 2004, S. 11 ff. 934 Vgl. dazu K. Kraemer, Globale Gefahrengemeinde?, Zeitschrift für Umweltpolitik & Umweltrecht, 1999, 321 ff. 935 Roman Herzog in seiner Eröffnungsrede vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos vom 28. Januar 1999: „Globalität zwingt uns nicht nur, nach einer neuen Weltwirtschafts- und Finanzordnung zu suchen, sondern auch nach einer weltweiten sozialen Ordnung.“; C. F. v. Weizsäcker, Bedingungen des Friedens, 1964, S. 7; vgl. auch S. Hobe, Individuals and Groups as Global Actors, in: R. Hofmann (Hrsg.), Non-State Actors as New Subjects of International Law, 1999, S. 115 (130); P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 115; Eine sicherere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung, Generalversammlung, A/59/565, insbes. S. 25 ff., 49, 52 ff., 56 ff., 63 ff. 936 R. Tetzlaff, Zur Begründung der relativen Universalität der Menschenrechte, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 54 (66). 937 Vgl. Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 322. 932

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zende Recht, nicht das ursprüngliche oder geborene Weltrecht, weil dies seiner Natur nach universell ist und daher nicht globalisierbar ist.939 Fraglich ist allerdings, ob und gegebenenfalls wie das Problem bewältigt werden kann, daß die Ausübung öffentlicher Gewalt im globalen Raum ihre (nationalstaatliche) Territorialgebundenheit verliert940 und wie die Setzung und Durchsetzung von Weltrecht demokratisch legitimiert werden könnte (dazu 5. Teil, C). Die Universalisierung der Rechtsordnung ist die Antwort auf die faktische Marginalisierung des Rechts durch machtpolitische Globalisierungsentwicklungen. Nach Kant ist das öffentliche Recht „ein System von Gesetzen für ein Volk, d. i. eine Menge von Menschen, oder für eine Menge von Völkern, die, im wechselseitigen Einflusse gegeneinander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinenden Willen, einer Verfassung (constitutio) bedürfen, um dessen, was Rechtens ist, teilhaftig zu werden.“941 Öffentliches Weltrecht benötigt also zur Verwirklichung der geborenen, materiellen Menschheitsverfassung eine institutionalisierte Weltverfassung. 3. Zu einer Weltverfassung a) Weltverfassung als Postulat praktischer Vernunft Das letzte, allumfassende aus der Rechtsidee fließende Postulat der praktischen Vernunft verlangt, daß sich alle Menschen nicht nur einer staatlichen, sondern darüber hinaus auch schrittweise einer gemeinsamen „weltbürgerlichen Verfassung“942 unterwerfen.943 Inzwischen hat sich die Quantität und Qualität 938 Vgl. auch H. Mosler, The International Society as a Legal Community, 1980, S. 20 f.; G. Gottlieb, Nation Against State, 1993, S. 11 ff.; R. Knieper, Nationale Souveränität, S. 194 ff.; J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 128 (130); ders., Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 105 ff.; S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 279; A. Pizani, Demokratisierung als Aufgabe, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33–34/2000, 36; O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, S. 12; A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 172 ff. 939 Vgl. S. Prescher, Globalisierung der Gerechtigkeit oder Gerechtigkeit als Globalpriori?, HFR 1-2003. 940 J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S + F 2/98, S. 68; S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 380 ff. 941 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 429 (A 161, 162/B 191, 192, Hervorhebung bei Kant). 942 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 169 (A 278, 279). 943 G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 377; K. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf der Grundlage der Kantischen Rechtslehre, S. 226 ff.

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der menschlichen Interaktionen so verdichtet, daß von einer „Weltgesellschaft“ gesprochen werden kann.944 Von dieser Lebensrealität ausgehend hat die gesamte Menschheit das Recht und die Pflicht, eine Rechtsgemeinschaft zu bilden.945 Die weltweite Verwirklichung des Rechts durch eine Weltverfassung946, ist die letzte Stufe der Rechtsverwirklichung, die die Menschen erreichen können.947 b) Begriff und Möglichkeit einer Weltverfassung Allgemein gesprochen, ist die Verfassung nach Rupert Scholz die „konstitutionelle Grundordnung eines Gemeinwesens“ und „formiert und formatiert . . . die maßgebende Werteordnung“948, d. h. die rechtliche Grundordnung eines Gemeinwesens949. Auch das überpositive Recht kann als materielle Verfassung verstanden werden. Eine Verfassung setzt also nicht notwendig ein Verfassungsgesetz voraus. Fraglich ist, ob der Verfassungsbegriff950 nur auf Staaten951 oder ob er ebenfalls auf andere politische Gemeinschaften952 anwendbar ist. Nur im letzteren Fall ist eine gesonderte Behandlung der Frage einer „Weltverfassung“ von der 944 Dazu N. Luhmann, Die Weltgesellschaft, ARSP LVII (1971), S. 1 (5 ff.); R. Stichweh, Die Weltgesellschaft, 2000, S. 7 ff.; U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001, S. 15 ff. 945 Siehe auch F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, 2003, S. 75. 946 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 42 (A 399, 400); O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 429; vgl. auch W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, 1952, S. 57 ff.; J. Kokott, Naturrecht und Positivismus im Völkerrecht, in: Ch. J. Meier-Schatz/R. J. Schweizer (Hrsg.), Recht und Internationalisierung, 2000, S. 3 ff. (4, 21). 947 So schon Konfuzius (551–479 v. Chr.), in: Li Yun; vgl. E. F. Sauer, Staatsphilosophie, 1965, S. 317; „Alle Menschen werden Brüder“ lautet die aufklärerische Ode an die Freiheit. 948 R. Scholz, Das Bonner Grundgesetz und seine identitätsstiftende Wirkung im vereinten Deutschland: in P. Kirchhof u. a. (Hrsg.), Die Akzeptanz des Rechtsstaates, 1998, S. 11. 949 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1995, S. 10, Rn. 17. 950 Dazu C. Schmitt, Verfassungslehre, (erstmals 1928), 1993, S. 3 ff.; K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 3, S. 59 ff.; G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 6 ff.; Ch. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt, in: A. v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 1 ff. 951 Dazu C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 3 ff.; kritisch W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1999, S. 46 ff.; Ch. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt, S. 18 ff. 952 In diesem Sinn R. Bindschedler, Rechtsfragen der europäischen Einigung, 1954, S. 21; vgl. W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, S. 61 ff.; C. Walter, Fragen der Globalisierung für die europäische Verfassungsdiskussion, DVBl. 2000, 1 (5 ff.); D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, 2003, § 1,

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eines „Weltstaates“ sinnvoll. Die Begriffe einer internationalen und einer kosmopolitischen Verfassung setzen einen nicht nur (national-)staatsgebundenen Verfassungsbegriff voraus. Der Verfassungsbegriff ist vielschichtig und unterliegt geschichtlichem Wandel.953 Normativen Anspruch erhielt der Verfassungsbegriff zunächst durch die Verbindung mit dem Gedanken der Legitimation von Staatlichkeit954, insbesondere durch die von Hobbes955, Locke956 und Rousseau957 entwickelte Vertragsidee. So definierte Vattel den Begriff „Constitution de l’Etat“: „Le règlement fondamental qui détermine la manière dont l’autorité publique doit être exercée, est ce qui forme la constitution de l’Etat. En elle se voit la forme sous laquelle la nation agit en qualité de corps politique“958. Richtungsweisend für die Verfassungsgebung in der Welt waren die Verfassungen der USA vom 3.5.1971 und Frankreichs vom 26.8.1789. Sie stehen für politische Selbstbestimmung und Selbstorganisation der Bürger, in Frankreich bezogen auf die Nation.959 Carl Schmitt hat einen etatistischen Verfassungsbegriff gefordert: „Das Wort ,Verfassung‘ muß auf die Verwirklichung des Staates, d. h. der politischen Einheit des Volkes beschränkt werden, wenn eine Verständigung möglich sein soll.“960 Paul Kirchhof hat in Bezug auf das Europarecht vor einer Loslösung der „Verfassung“ vom „Staat“ gewarnt. Die Entstehung einer Verfassung setze einen zumindest „im Entstehen begriffenen Staat“961 und ein europäisches Staatsvolk voraus.962 Konrad Hesse sieht die Funktion der Verfassung in der „politischen Einheitsbildung“ (des Staates).963 Christian Koenig verbindet den Verfassungsbegriff mit der Souveränitäts- und Legitimationsfrage und hält etwa die Europäische Union nicht für verfassungsfähig.964 Erst recht gilt dies nach Dieter S. 36 ff., Rn. 87 ff.; J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 136; Ch. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt, S. 29 ff. 953 H. Mohnhaupt/D. Grimm, Verfassung – Zur Geschichte des Begriffs von der Antike bis zur Gegenwart, 1995; D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, I, S. 3 ff. 954 W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, S. 34; J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. II, S. 3, Rn. 187. 955 Leviathan, II, Kap. 16 u. 17 f. 956 Über die Regierung (The second Treatise of Government), Kapitel VIII, § 95. 957 Vom Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, Kap. 5.–7. 958 E. de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, 1758, § 27. 959 E. Pache, Eine Verfassung für Europa, EuR 2002, 767 (772). 960 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 3. 961 P. Kirchhof, Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, HStR, Bd. II, 2004, §21, Rn. 25. 962 P. Kirchhof, HStR, Bd. II, §21, Rn. 53 ff. 963 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 5 ff. 964 Ch. Koenig, Ist die Europäische Union verfassungsfähig?, DÖV 1998, 268 ff.; vgl. auch D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, § 1, S. 25, Rn. 58, S. 41, Rn. 99.

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Grimm für eine Weltverfassung. Wegen der „Pluralität unverbundener Herrschaftszentren“ fehle ein konstitutionsfähiger Gegenstand.965 Die Menschheit ist nicht existentiell-staatlich verfaßt, weil nur ein Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, eine Verfassung in diesem (bürgerlichen) Sinn hervorbringen und abändern könnte.966 Bisher hat die Menschheit noch nicht den organisierten Willen, sich als Volk eine Verfassung zu geben. Der Begriff einer „Weltverfassung“ ist aber nicht zwangsläufig mit dem eines „Weltstaates“ verbunden967, schon deshalb nicht, weil sie nicht die gleiche Integrationsdichte wie ein Staat bezweckt. Der Begriff der Verfassung grenzt sich von dem der „Ordnung“ wesentlich durch seine, eine Normenhierarchie begründende, Maßstäblichkeit ab. In diesem Sinn kann er auch auf nicht-staatliche Gemeinschaften Anwendung finden. Die Weltverfassung kann als Weltstaatsverfassung, Völkerstaatsverfassung, Verfassung der Völkergemeinschaft sowie als menschheitliche und weltbürgerliche Verfassung konzipiert werden. Wenn sie von einer „Verfassung der modernen Staatengemeinschaft“968 sprechen, binden Alfred Verdross und Bruno Simma den Verfassungsbegriff nicht an den Staat oder an einen „territorialen Herrschaftsverband“. Auch Hans Kelsen hat mit einer Grundnorm als formaler Letztbegründung der Rechtsordnung, die im Völkerrecht liegt, einen rechtslogischen und zugleich staatsunabhängigen Verfassungsbegriff vertreten (dazu 2. Teil, A, S. 92, 3. Teil, B, S. 256 ff.). Angesichts der Internationalisierung der Staatlichkeit und der Globalisierung der Lebensverhältnisse hält Christian Walter den bislang der Verfassung zugeschriebenen „Anspruch, Hoheitsgewalt territorial begrenzt, aber sachlich umfassend zu verfassen“, für nicht mehr einlösbar. Die Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf supranationale Gremien bewirke eine „Sektoralisierung nach Sachgebieten und nicht nach den Hoheitsträgern oder Rechtsordnungen“.969 Ingolf Pernice spricht im Zusammenhang mit der Frage nach einer globalen Verfassung von einem „gestuften Verbund komplementärer Verfassungen, ein Mehrebenensystem öffentlicher Gewalt mit jeweils sachbezogen begrenzten Kompetenzbereichen zur arbeitsteiligen Erfüllung der jeweils anvertrauten öffentlichen Aufgaben.“970

965 D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, § 1, S. 42, Rn. 101. 966 Vgl. D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung, JZ 1995, 581 (586); ders., Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, § 1, S. 41 f. Rn. 99 ff.; C. Koenig, Ist die Europäische Union verfassungsfähig?, DÖV 1998, 270 ff. 967 U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, S. 51 f. 968 Der Begriff „Staatengemeinschaft“ wird heute wegen der zunehmenden Bedeutung nicht-staatlicher Akteure durch den Begriff der „internationalen Gemeinschaft“ ersetzt. R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 566. 969 C. Walter, Folgen der Globalisierung für die europäische Verfassungsdiskussion, DVBl. 2000, 8.

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Nach Hermann Mosler haben die Internationalen Organisationen keine normativ-staatlichen Verfassungen971, aber ihre Statuten können teilweise als formell-deskriptive Verfassung verstanden werden.972 Unter „Verfassung im formellen Sinn“ versteht man die in einer Verfassungsurkunde (Verfassungsgesetz) niedergelegten Verfassungsbestimmungen.973 Der formell-deskriptive Verfassungsbegriff974 bezieht sich nur auf die jeweilige (empirische) Ordnung für die politische Gemeinschaft, deren Organe, Zuständigkeiten und Verfahren. Erst ein normativer Verfassungsbegriff bedeutet eine neue, weltrechtliche Qualität zur bisherigen Völkerrechtsordnung. Im normativ-formellen Verständnis beansprucht die Verfassung in einer Gemeinschaft den primären rechtlichen Rang und ist mit einer höheren Bestandskraft ausgestattet.975 Dadurch gewährleistet sie die Rechtlichkeit und die Einheit der Rechtsordnung.976 Angesichts der vielfältigen, sowohl kooperativen als auch konfliktreichen, grenz- und staatsübergreifenden Beziehungen, läßt sich die Forderung nach Recht und nach einer gewissen auch institutionell verfaßten Ordnung nicht auf Nation, Staat und die umgrenzten Staatsgebiete einengen.977 Der Konstitutionalismus kann sich auch auf überstaatlicher Ebene entfalten.978 Dafür spricht ebenfalls die Geschichte des Verfassungsbegriffs, der älter als der des Staates ist.979 970 I. Pernice, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. 2, 1998, Art. 24, Rn. 21; siehe auch A. Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, S. 548: „constitutional network“. 971 Vgl. auch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 71, wonach ein völkerrechtlicher Vertrag niemals eine Verfassung im positiven Sinne sei. 972 Vgl. H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 16. 973 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 56; ders./Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 2005, S. 37; J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. II § 15, S. 3, Rn. 184. 974 Dazu W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsbegriff, S. 29 ff.; D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung, JZ 1995, 581 (582); C. Koenig, Ist die Europäische Union verfassungsfähig?, DÖV 1998, 268 (269). 975 Dazu G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 12 ff.; C. Koenig, Ist die Europäische Union verfassungsfähig?, DÖV 1998, 273 f.; J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. II, § 15, S. 3, Rn. 184 ff.; Ch. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt, S. 6 ff. 976 R. Wahl, Der Vorrang der Verfassung, Der Staat 20 (1981), S. 485 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 11, Rn. 18; ders., Verfassung und Verfassungsrecht, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, Band 1, 1994, S. 3 (8, Rn. 14); R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 38. 977 W. Kersting, Probleme der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, S. 64; vgl. aber Hobbes, Leviathan II, 18. Kap., S. 160. 978 M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 402; P.-M. Dupuy, The constitutional Dimension of the Charter of the United Nations Revisted, Max Planck Yearbook of United Nations Law 1997, 1 ff.; vgl. zu den verschiedenen Lehransätzen B. Fassbender, The United Nations Charter as Constitution of the International Community, 36 Columbia Journal of Transnational Law (1998), 529 (538 ff.); I. Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constitutionalism, in: Fs. C. Tomuschat, 2006, S. 973 (981 ff.).

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Im konstitutionellen Denken hat die Verfassung eine Legitimations-, eine Organisations- und eine Begrenzungsfunktion.980 Viele Autoren begreifen das Wesen der Verfassung als Konstitution von (legitimierter) Herrschaft.981 „Im überstaatlichen Raum“ will Martin Nettesheim den Verfassungsbegriff „Regelwerken“ vorbehalten, „die einen Herrschaftsverband mit territorial und funktional hinreichend gewichtigem Regelungsanspruch konstituieren“982, was im Falle der Europäischen Union zutrifft. Es ist ein Faktum, daß Herrschaft nicht nur von Staaten ausgeht. Allerdings widerspricht die Konstitutionalisierung von Herrschaft als Herrschaft über Menschen der ursprünglichen Vertrags- und Verfassungsidee von Freiheit als Selbstbestimmung der Bürger in einer politischen Gemeinschaft.983 Mit Jürgen Habermas positiviert eine Verfassung „eine horizontale Vergesellschaftung von Bürgern, indem sie die grundlegenden Rechte fixiert, die sich die Mitglieder einer sich selbst verwaltenden Assoziation freier und gleicher Genossen reziprok einräumen.“984 Auch das klassische Völkerrecht ist nach Habermas insofern schon eine Art Verfassung, weil es unter formell gleichberechtigten Parteien eine Rechtsgemeinschaft herstellt. Sie unterscheidet sich aber von der bürgerlich-republikanischen Verfassung, weil sie nicht Menschen, sondern Staaten und Staatenorganisationen verbindet. Sie begründet keine Staatsgewalt, sondern weist nur Kompetenzen zu. Zu einer „Verfassung im strikten Sinn“ gehört die (vorrangige) Bindungskraft reziproker Rechtspflichten. Im Rahmen der UNO, der WTO und der Europäischen Union ist dies ansatzweise verwirklicht.985

979 Dazu E.-W. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 29 ff.; H. Mohnhaupt/D. Grimm, Verfassung – Zur Geschichte des Begriffs von der Antike bis zur Gegenwart. 980 E.-W. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 33 ff.; E. Pache, Eine Verfassung für Europa, EuR 2002, 774; M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 390 f.; C. Koenig, Ist die Europäische Union verfassungsfähig?, DÖV 1998, 272; vgl. auch D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, JZ 1995, 583 f. 981 E.-W. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 42 ff., S. 292 f.; M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 390 ff.; Ch. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt, S. 4 ff.; E. Pache, Eine Verfassung für Europa, EuR 2002, 773; R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 37. 982 M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 391, Fußnote 31; auch E. Pache, Eine Verfassung für Europa, EuR 2002, 774. 983 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 23 ff., 71 f. 984 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 130. 985 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 131 f.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Abgesehen von Aufgaben- und Befugniszuweisungen986, enthält die Verfassung im materiell-normativen Sinn verbindliche Leitprinzipien, insbesondere Menschen- und Bürgerrechte, für das Handeln der Organe der Gemeinschaft.987 Damit hat sie zugleich die Aufgabe, die Ausübung öffentlicher Gewalt zu dirigieren sowie zu begrenzen und deren Mißbrauch zu verhindern.988 In ihrem materiellen Begriff ist die Verfassung auch Rechtseinheit und Integration989 schaffende Prinzipienordnung990. Als solche fungiert sie nicht nur als Grundordnung des Staates, sondern jedes Gemeinwesens.991 Nach Art. 16 der déclaration des droits de l’homme hat eine „Gesellschaft“ („société“), in der weder die Menschenrechte gesichert sind noch die Gewaltenteilung festgelegt ist, keine Verfassung. Dieser Text ist in zweierlei Hinsicht für den Weltverfassungsbegriff bemerkenswert. Er ordnet bestimmte bindende materielle Leitprinzipien als Essentialia jeder Verfassung und damit auch der Weltverfassung an992, geht also von einem materiell-normativen Verfassungsbegriff aus. Dabei verengt er den Verfassungsbegriff nicht auf die Nation oder den Staat, sondern bezieht ihn auf jede politische Gemeinschaft. Die Verfassung der Menschheit kann im materiell-normativen Sinn993 als ungeschriebene Weltverfassung verstanden werden994, die allerdings noch der Institutionalisierung bedarf. c) Mehrgliedrige Verfassung der Welt Der nach der bisherigen Ordnung der Welt verbleibende „Naturzustand“ hat zwei Dimensionen: Zwischen den Staaten, wiederum teilweise verrechtlicht durch das Völkerrecht, und zwischen den Bürgern verschiedener Staaten untereinander sowie zu den jeweiligen anderen Staaten als „weltbürgerlicher Naturzustand“.995 Der universellen Rechtslogik entspricht ein Recht auf eine Welt986

H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 15 f. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 10, Rn. 17; vgl. auch: M. Sachs, in M. Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Einführung, Rn. 1; P. Badura, Staatsrecht, 1996, A 7 (S. 7 f.); R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 37. 988 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 13 f., Rn. 31; K. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 69 ff.; dazu auch G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 6 ff. 989 R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), 1994, S. 119 136 ff.); K. Hesse, Verfassung und Verfassungsrecht, in: HVerfR, 1994, § 1, S. 3, Rn. 5 f.; J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. 1, § 13, Rn. 115 f.; C. Walter, Fragen der Globalisierung für die europäische Verfassungsdiskussion, DVBl. 2000, 1 (5, 10 ff.). 990 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff.; E.-W. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 47 ff.; BVerfGE 7, 198 (205); 30, 173 (188); 77, 170 (214). 991 E.-W. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 47 f. 992 Vgl. dazu auch G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 6 ff. 993 J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. II, § 15, S. 3, Rn. 187. 994 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden, S. 29 ff.; 50 ff.; ders., Die Republik der Völker Europas, in: ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 153 ff. 987

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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verfassung (i. w. S.), welche von der kleinen politischen Einheit verfaßter Bürgerlichkeit, über eine Völkerrechtsordnung bis zu einer Menschheitsverfassung reicht.996 Kant hat die von der Vernunft gebotene, universelle Verfassung dreistufig oder als Dreiheit konzipiert und den Verfassungsbegriff zu Recht nicht auf den Staat beschränkt: Er unterscheidet die bürgerliche Verfassung in einem Staat, die Verfassung der Völker und die weltbürgerliche Verfassung: „Alle rechtliche Verfassung aber ist, was die Personen betrifft, die darin stehen, 1. die nach dem Staatsbürgerrecht der Menschen, in einem Volke (ius civitatis) 2. nach dem Völkerrecht der Staaten in Verhältnis gegen einander (ius gentium) 3. die nach dem Weltbürgerrecht, so fern Menschen und Staaten, in äußerem und aufeinander einfließendem Verhältnis stehend, als Bürger eines allgemeinen Menschenstaats anzusehen sind (ius cosmopoliticum).“997

Aufbauend auf Kants Idee einer Weltverfassung können für die mehrgliedrige öffentlichrechtliche Verfassung der Welt i. w. S. folgende Verfassungsebenen unterschieden werden: 1. kommunale Verfassung, 2. Staatsverfassung (gegebenenfalls in Bund und Ländern), 3. Regionalverfassung (Europa, Amerika, Afrika, Asien, Ozeanien), 4. Verfassung der Völkergemeinschaft, 5. Welt- und Weltbürgerliche Verfassung (Weltverfassung i. e. S.). Die mehrgliedrige Verfassung998 ist die Weltverfassung im weiteren Sinn. Während die weltbürgerliche Verfassung (ius cosmopoliticum) auch als Weltverfassung im engeren Sinn bezeichnet werden kann. Die Verfassung nach dem Staatsbürgerrecht ist eine bürgerliche Verfassung im formellen und materiellen, normativen, staatsgebundenen Begriff. Weil sich Demokratie am besten in kleinen Einheiten entfaltet999 und lokale Gebietskörperschaften transnational tätige Akteure sein können, sind kommunale Teilverfassungen nicht ohne weiteres durch die Staatsverfassungen konsumiert, sondern in die mehrgliedrige Weltverfassung einzubeziehen. 995

O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 305. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203, Anmerkung (BA 19). 997 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203, Anmerkung (BA 19). 998 I. Pernice, in: H. Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. 2, 1998, Art. 24, Rn. 21; ders., The Global Dimension of Multilevel Constitutionalism, S. 973 ff.; siehe auch A. Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, S. 548: „constitutional network“. 999 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 4. Kap., S. 73, 15. Kap., S. 103, 105; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 45, 58, 171, 229; ders., Die Republik der Völker Europas, in: ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 173 f. 996

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Weil sich der Einzelstaat nicht immer als „handlungsfähiger globaler Aktor“ zeigt und Integrationsbedürfnisse bestehen, die über die internationale Kooperation hinausreichen, sind regionale Regime im Stile der Europäischen Union, die zueinander in Beziehung treten, unabdingbar.1000 Damit ist über Kant hinaus auch die regionale Verfassung, welche einen höheren Integrationsgrad als die allgemeine Völkerrechtsverfassung besitzt, zu erfassen. Ein Beispiel für eine regionale Verfassung ist die Verfassung der Europäischen Union.1001 Verfassungsgeber einer Völker(-staats)verfassung sind die Völker, etwa auch in Form eines völkerrechtlichen Vertrages (Verfassungsvertrag).1002 Konzeptionell und dogmatisch noch wenig durchdrungen ist insbesondere die Verfassung nach dem Weltbürgerrecht, für die auch Kant keine näheren Vorgaben gemacht hat. Es sind Lösungen denkbar, die vom Weltstaatsrecht, über das Völkerrecht bis hin zu privater Selbstregulierung reichen. Otfried Höffe folgert aus der Notwendigkeit einer weltbürgerlichen Verfassung die Institutionalisierung einer zumindest minimalen Weltrepublik. Er sieht drei Bereiche als Aufgaben einer Weltrepublik: „(1) Zur Überwindung der globalen Gewaltgemeinschaft erscheint eine globale Rechts- und Friedensordnung als geboten. (2) Die globale Kooperationsgemeinschaft bedarf eines fairen Handlungsrahmens, der von Maßnahmen gegen Wettbewerbsverzerrungen seitens der Staaten bis zur Sicherung ihrer sozialen und ökologischen Mindestkriterien reicht. (3) Hunger und Armut schließlich werfen Fragen globaler Gerechtigkeit, aber auch globaler Solidarität und globaler Menschenliebe auf.“1003

Jürgen Habermas will dagegen wie auch der globale Konstitutionalismus das Ziel eines weltbürgerlichen Zustandes, also des dauernden Friedenszustandes durch eine Weltverfassung, „aus der begrifflichen Verklammerung“ mit der Gestalt einer Weltrepublik lösen.1004 Ausgehend von den heutigen Strukturen stellt er sich eine Verfassung der „dezentrierten Weltgesellschaft als ein Mehrebenensystem“ vor, dem insgesamt betrachtet der staatliche Charakter fehlt. Auf Weltebene solle eine angemessen reformierte Weltorganisation selektiv die Funk1000 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 134 f. 1001 Bisher EGV, EUV, EAGV, je in der Fassung des Vertrages von Nizza v. 26.2.2001; vgl. auch Verfassungsvertrag, ABl. v. 16.12.2004, Nr. C 310/1 (nicht in Kraft); dazu 6. Teil, D, S. 818 ff. 1002 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 297 ff.; D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, § 1, S. 41, Rn. 99 mit Fußnote 90. 1003 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 17; E. Schwinger, Nächstenliebe, Fürsorglichkeit und Solidarität, ARSP, 2001, 2. Quartal, Heft 2, 153 (154 ff.); vgl. auch F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Teilbd. 1970, S. 1200. 1004 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 116.

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tionen der Friedenssicherung und der Menschenrechtspolitik wirksam erfüllen, ohne die staatliche Gestalt einer Weltrepublik anzunehmen. Auf einer mittleren Ebene würden die bisherigen internationalen Beziehungen, die im Rahmen von ständigen Konferenzen und Verhandlungssystemen die Probleme der Weltinnenpolitik, insbesondere der Weltwirtschaft und der Ökologie bearbeiten, fortbestehen.1005 Die konstitutionelle Dichte der Völker- und Weltverfassung ist aus realistischen und normativen Gründen notwendig geringer als die der Staatsverfassung.1006 Auf diese Weise wird ein unfreiheitlicher Weltzentralstaat verhindert. Je nach Art der Beziehungen sind verschiedene Verfassungskreise1007 aktiviert, die sich einander funktionenteilig ergänzen, aber auch soweit die Einheit des Rechtsprinzips dies erfordert, in Konkurrenzbereichen ihrerseits in einem normhierarchischen Verhältnis zueinander stehen.1008 Aufgrund der Geltung des unmittelbar aus dem Freiheitsprinzip und der Menschenwürde folgenden geborenen Weltrechts verfügt die Menschheit über eine weltbürgerliche materiell-normative Verfassung (dazu noch näher unter Teil 4), die in erster Linie durch die Staaten realisiert wird. Nötig ist darüber hinaus eine formelle weltbürgerliche Verfassung, welche das Menschheitsrecht verwirklicht, wenn die Staaten die Durchsetzung verweigern oder nicht erfüllen können.1009 d) Recht auf Institutionalisierung einer weltbürgerlichen Verfassung aus dem Weltbürgerrecht Die Freiheit als ursprüngliches Weltrecht1010 ist bereits als solche verbindlich; denn die Freiheit ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden. Sie gibt jedermann die Befugnis, von allen anderen, mit denen er in Gemeinschaft lebt, die gemeinsame/allgemeine Gesetzlichkeit zu verlangen und diese Forderung 1005 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 134 f. 1006 M. Kotzur, Wechselwirkungen zwischen Europäischer Verfassungs- und Völkerrechtslehre, in: Liber Amicorum P. Häberle, 2004, S. 289 (299). 1007 Vgl. M. Kotzur, Wechselwirkungen zwischen Europäischer Verfassungs- und Völkerrechtslehre, S. 299. 1008 Kritisch zu einer hierarchischen Mehrebenenverfassung P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2001/02, S. 30. 1009 Zur Unterscheidung von Verfassung und Verfassungsgesetz J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. II, § 15, S. 3, Rn. 188 ff.; K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden, S. 30 ff., 36. 1010 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). Art. 1 Satz 1 der Französische Erklärung von 1789 lautet: „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es.“ Art. 1 Satz 1 der Allgemeinen UN-Erklärung der Menschenrechte stellt fest: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“

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durchzusetzen.1011 Aus dem (provisorischen) Rechtscharakter des Mein und Dein folgt das Recht des Subjekts, „jedermann, mit dem wir irgend auf eine Art in Verkehr kommen könnten, zu nötigen, mit uns in eine Verfassung zusammen zu treten, worin jenes gesichert werden kann.“1012 Das ursprüngliche Menschheitsrecht ist wirksamer Teil der Verfassungsgesetze der Staaten, soweit sie gesetzesfest sind. Darüber hinaus bestätigt Art. 28 AEMR jedermanns Anspruch „auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die in der vorliegenden Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können“1013 und damit auch auf eine institutionalisierte Menschheitsverfassung.1014 Mit den Menschenrechten ist, jedenfalls soweit das Weltbürgerrecht dies erfordert, ein Anspruch auf eine weltbürgerliche Verfassung verbunden.1015 Otfried Höffe erkennt in dem Recht auf eine Weltverfassung das „universale Rechts- und Staatsgebot“ sowie das „universale Demokratiegebot“.1016 Der weltbürgerliche Zustand ist der durch den Völkerbund und die Weltgesellschaft zu erreichende Rechtszustand ewigen Friedens, der sich von der schwachen völkerrechtlichen Bindung der Staaten unterscheidet und diese um eine transnationale Rechtsebene ergänzt. Kant konzipiert das Weltbürgerrecht nicht als rein ethisches, sondern auch als „rechtliches Prinzip“.1017 Im Gegensatz zur (nicht rechtlich verpflichtenden) Menschenliebe1018 beruht das Weltbürgerrecht nicht auf freiwilligen Leistungen, sondern auf dem zwangsbefugten subjektiven Recht, sich anderen „zum Verkehr untereinander anzubieten“.1019 Die Bürger gleich, welcher Staatsangehörigkeit, haben im Unterschied zum Völkerrecht gegen die Staaten ein Recht auf Durchsetzung des Weltbürgerrechts. Obwohl Kant, abgesehen von dem allgemeinen Grundsatz der Publizität1020, keine Durchsetzungsmittel für das Weltbürgerrecht nennt1021, ist es als subjektives Recht wesensmäßig ein durchsetzbarer Anspruch.1022

1011 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 291; F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 75. 1012 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 366 (AB 74); vgl. dazu J. Hruschka, Kants Rechtsphilosophie, JZ 2004, 1088 ff. 1013 Dazu Th. Pogge, Menschenrechte als moralische Ansprüche an globale Institutionen, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 378 (383 ff.). 1014 Vgl. auch R. Falk, Die Rolle der zivilgesellschaftlichen Institutionen, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohmann, 1996, S. 170 (179); F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 75. 1015 Vgl. auch A. Wellmer Menschenrechte und Demokratie, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 285. 1016 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 25. 1017 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 475 (A 229/B 259); ders., Zum ewigen Frieden, S. 213 (BA 40). 1018 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 532 (A 39) f. 1019 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 476 (A 230, 231/B 260, 261).

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Volker Hackel meint, weil das Weltbürgerrecht vernunftrechtlich begründet sei, setzte es keine Institutionen voraus.1023 Es stellt sich aber die Frage, wie und von wem dieses Recht durchgesetzt werden soll, wenn die Weltgemeinschaft keine Zwangsgewalt hat. Zunächst ist im Rahmen des bestehenden politischen und rechtlichen Systems Rechtsschutz zu suchen. Wie aber soll das Weltbürgerrecht erzwingbar sein, wenn der eigene oder ein anderer Staat eine Person an der Ausübung dieses Rechts hindert? Setzt nicht das von Kant neben dem Völkerbund postulierte Weltbürgerrecht eine auf öffentlichen Zwangsgesetzen ruhende freiheitliche Weltrechtsordnung voraus?1024 Liegt damit ein Widerspruch1025 in Kants Lehre? Hier ist zu berücksichtigen: Das Weltbürgerrecht in Kants Konzept ist nicht gleichzusetzen mit einem Weltstaatsbürgerrecht, sondern setzt existentielle Staaten voraus.1026 Materiell versteht Kant das subjektive Weltbürgerrecht nicht als weltweites Äquivalent des nationalen Bürgerrechts, sondern als weltweites Besuchsrecht der Menschen.1027 Eine Konkurrenz zu dem Recht, mit anderen in eine republikanische Verfassung einzutreten1028, besteht daher nicht.1029 Die Staaten büßen durch das Weltbürgerrecht ihre existentielle Staatlichkeit nicht unmittelbar ein, sind aber in ihren innerstaatlichen Rechtsordnungen an die Vorgaben des Weltbürgerrechts gebunden.1030 Die Bedingungen eines „weltbürgerlichen Zustands“ werden nicht notwendig durch einen global vergrößerten Verfassungsstaat erfüllt.1031

1020 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 244 (B 98, 99/A 92, 93) ff.; dazu J. Bohman, Die Öffentlichkeit des Weltbürgers, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohmann, Frieden durch Recht, 1996, S. 87 ff. 1021 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 99; D. Archibugi, Models of international organization in perpetual peace projects, Review of International Studies, 18 (1992), S. 314. 1022 E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG (Stand Januar 1985), Art. 19 Abs. 4 Rn. 118 ff., 127 ff.; K. Stern, Staatsrecht, Bd. III, 1, Allgemeine Lehren der Grundrechte, 1994, S. 564, Rn. 12. 1023 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 99. 1024 Vgl. D. Held, Democracy and the Global Order, S. 228 f. 1025 In dem Sinn J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 9 f., 18 f. 1026 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 91. 1027 Vgl. K. A. Ziegert, Globalisierung des Rechts aus der Sicht der Rechtssoziologie in: R. Voigt (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 69 (75, 89). 1028 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 366 (AB 74); ders., Zum ewigen Frieden, S. 203 (BA 18, 19). 1029 Vgl. dazu V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 99 ff. 1030 Vgl. D. Archibugi, Models of international organization in perpetual peace projects, Review of International Studies, 18 (1992), S. 312. 1031 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 135.

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Seinem Wesen nach fordert das Weltbürgerrecht aber zumindest ein Rechtsschutzsystem, um es auch gegenüber den Staaten durchzusetzen; denn die Existenz des Weltbürgerrechts ist nicht vom Willen der Staaten abhängig. Kant gibt neben dem „negativen Surrogat“ des Völkerbunds, den er zu seiner Zeit als einzig realisierbar ansah, die Hoffnung auf ein öffentliches Weltrecht nicht auf.1032 Obwohl er eine Universalmonarchie fürchtet, bleiben der „allgemeine Menschenstaat“1033, der „weltbürgerliche Zustand“1034, den er nicht aus Gründen der Vernunft ablehnt1035, als eigentliche Weltfriedensordnung anzustrebendes Ziel, weil nur diese die gebotene Rechtssicherheit ermöglichen.1036 Wäre das nicht der Fall, würde er die von ihm kritisierten „leidigen Tröster“ Vattel, Grotius und Pufendorf, deren Vorschläge „nicht die mindeste gesetzliche Kraft“ haben sollen1037, kaum überrunden.1038 Das letzte, allumfassende aus der Rechtsidee fließende Postulat der praktischen Vernunft verlangt, daß sich alle Menschen einer gemeinsamen weltbürgerlichen Verfassung unterwerfen.1039 Einer besonderen „moralisch-guten“ Haltung bedarf es hierfür nicht, wenn nur die Regeln der Vernunft befolgt werden.1040 Es entspricht der Lehre von der Autonomie des Menschen, der allein Rechtssubjekt ist, daß dieser auch auf Weltebene nicht durch die Staaten gänzlich mediatisiert wird, sondern Weltbürger unter einer weltbürgerlichen Verfassung ist.1041 So soll sich diese Weltverfassung, das politisch Machbare mit dem rechtlich Notwendigen zu vereinbaren suchend1042, allmählich mit Hilfe der im Völkerbund vereinigten souveränen Staaten entwickeln1043: 1032

Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 251 (B 112). Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203 (BA 18), Anmerkung (BA 19). 1034 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 47 (A 407). 1035 G. Geismann, Kants Lehre zum Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 377; V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 77; M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, S. 26 sieht hierin einen Widerspruch zu Kants Freiheitslehre. 1036 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 77; vgl. auch M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, S. 43. 1037 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 210 (BA 33, 34). 1038 Dazu auch R. Merkel, „Lauter leidige Tröster“?, in: ders./R. Wittmann (Hrsg.), 1996, S. 309 ff. 1039 G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 377; vgl. auch B. Tuschling, Die Idee des Rechts: Hobbes und Kant, S. 108 ff. 1040 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 224 (B 61, 62/A 60, 61); dazu kritisch K.-O. Apel, Kants „Philosophischer Entwurf: Zum ewigen Frieden“, in: R. Merkel/R. Wirrmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 91 ff. 1041 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden machen, S. 20. 1042 M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, S. 43 f. 1043 G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 379. 1033

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„Da nun die Zerreißung eines Bandes der staats- oder weltbürgerlichen Vereinigung, ehe noch eine bessere Verfassung an die Stelle derselben zu treten in Bereitschaft ist, aller hierin mit der Moral einhelligen Staatsklugheit zuwider ist, so wäre es zwar ungereimt, zu fordern, jenes Gebrechen müsse sofort und mit Ungestüm abgeändert werden; aber daß wenigstens die Maxime der Notwendigkeit einer solchen Abänderung dem Machthabenden innigst beiwohne, um in beständiger Annäherung zu dem Zwecke (der nach Rechtsgesetzen besten Verfassung) zu bleiben, das kann doch von ihm gefordert werden.“1044

Damit wird das Ziel, eine Weltverfassung zu verfolgen, zur Pflicht staatlichen Handelns. Aufgrund ihrer bürgerlichen Verfaßtheit (existentiellen Staatlichkeit, dazu Teil 1, B, S. 87 ff.) sind Staaten nicht gehalten, sich zugunsten eines Weltstaates aufzulösen. Das universelle Rechtsgebot und das Weltbürgerrecht verpflichten sie aber an einer Weltordnung, welche das ius cosmopoliticum verwirklicht, mitzuwirken. Das Weltbürgerrecht bildet somit die Keimzelle einer weltbürgerlichen Verfassung neben dem völkerrechtlich konzipierten Völkerbund, welche die existentielle Staatlichkeit der Staaten wegen ihrer materiellen und institutionellen Begrenztheit nicht in Frage stellt: „Auf diese Art können entfernte Weltteile mit einander friedlich in Verhältnisse kommen, die zuletzt öffentlich gesetzlich werden, und so das menschliche Geschlecht endlich einer weltbürgerlichen Verfassung immer näher bringen können.“1045 Aus der Logik des Weltbürgerrechts hat jeder Mensch gegenüber jedem anderen einen Anspruch, an einer weltbürgerlichen Verfassung mitzuwirken. Weil die Menschheit in Staaten vereinigt ist, richtet sich der Anspruch zunächst gegen die Staaten und die Internationalen Organisationen, die notwendigen Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Das Weltbürgerrecht kann entweder durch die Staaten oder durch die Weltgemeinschaft gesichert werden. Wegen des völkerrechtlichen Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten und dem daraus folgendem Verbot der gewaltsamen Einmischung (5. Präliminarartikel), das nach Kants Modell durch das Weltbürgerrecht nicht aufgehoben werden soll, können einzelne Staaten das Weltbürgerrecht nicht gegenüber anderen Staaten kontrollieren oder gar gewaltsam durchsetzen, wohl aber die Bürger im Rahmen des Weltrechts.1046 Eine Verfassung im weltbürgerlichen Sinn, welche die Beziehungen zwischen Menschen und Staaten erfaßt, entsteht in dem Maße, in dem sich ein ius cosmopoliticum entwickelt, d. h. die Rechtssubjektivität und die Rechtsstellung des einzelnen Menschen neben der Völkerrechtssubjektivität der Staaten eigenständige und zunehmende Bedeutung erhält. Dazu gehören insbesondere die Einklagbarkeit von Menschenrechten durch Individuen gegenüber ihrem eigenen 1044

Kant, Zum ewigen Frieden, S. 233 (B 77, 78/A 72). Kant, Zum ewigen Frieden, S. 214 (BA 41, 42). 1046 D. Archibugi, Models of international organization in perpetual peace projects, Review of International Studies, 18 (1992), S. 312. 1045

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Staat und gegebenenfalls auch gegenüber anderen Staaten sowie die strafrechtliche Verantwortung Einzelner für Menschheitsverbrechen vor nationalen und vor Weltgerichten. Wesentlich für die Durchsetzung des Weltbürgerrechts ist die Institutionalisierung individuellen Rechtsschutzes, den jeder Mensch vermöge seines subjektiven Weltbürgerrechts hat.1047 Auch wenn Kant es aus guten Gründen nicht offen ausgesprochen hat, liegt es doch in der Logik des Weltbürgerrechts als Recht im strikten Sinn: Die angenommene Erzwingbarkeit des Weltbürgerrechts verlangt zumindest subsidiär zuständige Weltinstitutionen, insbesondere Weltgerichte, die das Weltbürgerrecht verwirklichen, wenn der staatliche Rechtsschutz versagt.1048 e) Organisationsgrundsätze der Weltverfassung Machtagglomerationen werden am besten durch ein System vertikaler und horizontaler Gewaltenteilung mit wechselseitigen Kontrollen und Gleichgewichten („checks and balance“) verhindert. Deshalb ist die Verfassung der Weltordnung, dem Recht auf Freiheit und dem Subsidiaritätsprinzip gehorchend1049, mit horizontaler und vertikaler gewaltenteiliger Funktionenordnung auf unterschiedlichen Ebenen1050, von unten her, föderalistisch zu konzipieren.1051 Föderalismus ist von der praktischen Vernunft gefordert; denn er schützt und fördert die kleine Einheit, die wiederum die politische Selbstbestimmung erleichtert.1052 Für die Entscheidung, von welcher politischen Einheit öffentliche Aufgaben wahrgenommen werden sollen, sind als Materialisierungen praktischer Vernunft insbesondere das Sachlichkeitsprinzip (Effizienzgrundsatz) und das Subsidiaritätsprinzip zu beachten.1053 Als weltordnungsrechtliches Prinzip1054 lehrt das Subsidiaritätsprinzip den Vorrang der Lebensbewältigung durch die kleinere 1047 Vgl. auch J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 133. 1048 Vgl. auch J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohmann (Hrsg.), Frieden machen, S. 18 f., der hierin eine notwendige Weiterentwicklung der Lehre Kants sieht. 1049 M. Brauer, Weltföderation, 1995, S. 17. 1050 Vgl. D. Held, Democracy and the Global Order, S. 234 ff. 1051 D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations and Transnational Enterprises in International Law and the Changing Role of the State, in: R. Hofmann (Hrsg.), Non-State Actors as New Subjects of International Law, 1999, S. 37 (56); vgl. a. R. A. Lorz, Die dauerhafte Aktualität des ewigen Friedens, Der Staat 37 (1998), S. 87; W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, S. 109 ff.; Ch. Horn, Philosophische Argumente für einen Weltstaat, AZP 21 (1996), S. 243 ff.; zum Föderalismus allgemein E. Deuerlein, Föderalismus, S. 9 ff., 306 ff. 1052 E. Deuerlein, Föderalismus, S. 306. 1053 Vgl. auch D. Held, Democracy and the New International Order, S. 112 ff.; K.M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, 1999, S. 77; O. Höffe, Eine föderale Weltrepublik?, S. 5 f.

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Einheit, soweit diese in der Lage ist, die betreffende Aufgabe zu erfüllen.1055 Es verlangt aber zugleich nach der Kompetenz der größeren Einheit, soweit die kleinere Gemeinschaft bestimmte Probleme nicht hinreichend lösen kann.1056 Herausforderungen an die ganze Menschheit, welche die Staaten allein nicht bewältigen, müssen funktionenteilig neben der kommunalen, nationalen, regionalen (auch) auf Weltebene angenommen werden, um das Rechtsprinzip weltweit zu verwirklichen.1057 Weltrechtsetzung und Weltrechtsdurchsetzung sind also dann zu rechtfertigen, wenn die anderen Ebenen der Staatlichkeit diese Probleme nicht lösen können oder sie sogar erst geschaffen haben.1058 Im Sinne einer näheren Bestimmung der Kriterien des Sachlichkeitsprinzips und des Subsidiaritätsgedankens hat Peter Saladin für die Verteilung der Aufgaben zwischen verschiedenen Verfassungsebenen folgende Prüfungselemente vorgeschlagen: – „Erstes Kriterium (Vertrautheit): Eine Staatsaufgabe soll von jener politischen Gemeinschaft wahrgenommen werden, die am besten mit den lokalen oder regionalen Sonder-Gegebenheiten vertraut ist. – Zweites Kriterium (Betroffenheit): Eine Staatsaufgabe soll von jener politischen Gemeinschaft wahrgenommen werden, die selbst von der Regelung betroffen ist. – Drittes Kriterium (zwischenstaatliche Gerechtigkeit): Eine Staatsaufgabe muß auf internationaler oder supranationaler Ebene wahrgenommen werden, wo einzig diese Maßnahme die (relative) Gleichbehandlung von armen und reichen Staaten erlaubt. – Viertes Kriterium (Integrationskraft): Den einzelnen Staaten sind jene Aufgaben zu belassen, ohne die sie ihre Integrationswirkung verlieren.“1059

1054 O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, S. 18; ders., Eine föderale Weltrepublik?, S. 5 f.; vgl. auch K.-M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, S. 77. 1055 E. Deuerlein, Föderalismus, S. 307, beschreibt Föderalismus als „Aufstieg der Verantwortung vom Individuum bis zur Menschheit, wobei durch Anwendung des Subsidiaritätsprinzips jeweils nur soviel Verantwortung der nächst höheren Stufe überlassen wird, wie diese zur Erfüllung ihres Aufgabenbereichs benötigt.“ 1056 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 75 f.; J. B. Sartorius, Organon des vollkommenen Friedens, 1837, 245; D. Held, Democracy and the Global Order, S. 236 f.; ders., Democracy and the New International Order, S. 112 ff.; V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 75 f. 1057 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 293 f.; D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 337 (343 f.). 1058 J. B. Sartorius, Organon des vollkommenen Friedens, S. 245; D. Held, Democracy and the Global Order, S. 236 f.; ders., Democracy and the New International Order, S. 112 ff.; V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 75 f.; M. Brauer, Weltföderation, S. 17. 1059 P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 118, 112 ff.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Ähnlich schlägt David Held drei Tests vor.1060 Die Prüfung der – „extensiveness“ (Reichweite des Problems), – „intensity“ (Betroffenheit), – „comparative efficiency“ (Sachlichkeitsgrundsatz). Wendet man diese Kriterien an, lassen sich folgende Gegenstände einer Weltverfassung feststellen1061: – Beseitigung von Krieg und kriegsähnlichen Zuständen zwischen den Staaten, – Verhinderung der Verbreitung von ABC-Waffen, Abrüstung, – effektive Friedensordnung, – Verwirklichung und Sicherung der Menschenrechte und des Weltbürgerrechts, – Weltwirtschafts- und Wettbewerbsordnung unter Einschluß sozialer Mindeststandards, – Aufbau einer Weltumwelt- und Ressourcenordnung für globale Güter1062, – Entwicklung einer Asyl- und Migrationsordnung, – Weltstrafrecht für Menschheitsverbrechen, – Bekämpfung des weltweit agierenden Verbrechens, insbesondere Terrorismus, – Ordnung exterritorialer Gebiete. Für Anliegen des Weltfriedens, der Menschenwürde, des Weltbürgerrechts und für die repressiven Antworten, die sich durch die Bedrohungen der Menschheit (z. B. Massenvernichtungsmittel, Terrorismus, Umweltzerstörung, Migration) ergeben, existiert aufgrund der globalen Reichweite der Probleme und der universellen Betroffenheit ein Weltregelungsinteresse. Entsprechendes gilt für eine Weltwirtschaftsverfassung. Zuständigkeitsbereiche auf Weltebene sind demnach eine reaktive Sicherheits- und Menschenrechtspolitik, eine Migrations- und Asylpolitik, Verfolgung von Menschheitsverbrechen sowie eine vorbeugende Umweltpolitik.1063 Die Staaten bleiben für den Menschenrechtschutz und die Bestrafung von Menschheitsverbrechen erstverantwortlich.1064 Lediglich soweit die Menschheitsrechte nicht durch die Staaten hinreichend gesichert werden können, bedarf es einer Weltgerichtsbarkeit und institutionalisierter 1060

D. Held, Democracy and the Global Order, S. 236. Vgl. Bericht der Hochrangigen Gruppe, Eine sicherere Welt, GA, A/59/565, S. 12 f.; teilweise weitergehend D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 359; E. Jünger, Der Weltstaat, 1960, S. 31. 1062 Dazu G. C. Rowe, Globale und globalisierende Umwelt, in: R. Voigt, Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 249 ff. 1063 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 161. 1064 O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, S. 18. 1061

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Durchsetzungsmechanismen auf Weltebene. Umweltprobleme können und müssen auf verschiedenen Ebenen geregelt werden. Soweit hiermit Angelegenheiten der ganzen Menschheit verbunden sind, wie die globale Erwärmung oder das Ozonloch, sind verbindliche weltrechtliche Vorgaben anzustreben.1065 Allgemein ist zu beachten, daß für die Menschheit als globale Solidaritätsgemeinschaft nicht der gleiche Grad an Solidarität vorausgesetzt werden kann wie unter Bürgern eines Nationalstaates.1066 IX. Zivilverfassung und privatautonomes Weltrecht Einige Autoren lehnen die „Staatszentrierung der Verfassung“ und das Konzept einer öffentlichen Weltverfassung gänzlich ab und befürworten eine Konstitutionalisierung durch globale sektorale „Zivilverfassungen“, die netzwerkartige Verknüpfungen bilden.1067 Schon Kant hat die weltbürgerliche Verbundenheit der Menschen aufgrund ihres Zusammenlebens auf der Erde herausgestellt (dazu 3. Teil, B, S. 238 ff.). Diese Verbundenheit erzeugt die Weltgesellschaft1068, die das Postulat beinhaltet, daß alle Menschen aufgrund bewußter Erwartungen miteinander interagieren können.1069 Sie ist dadurch entstanden, „daß die Welt durch die Prämissen weltweiten Verkehrs vereinheitlicht worden ist“.1070 Der Begriff der globalen Zivilgesellschaft (civil society)1071 rührt von der tatsächlich zu beobachtenden Entkoppelung der Weltgesellschaft von den Staaten1072 und deren Staatsgrenzen. Die Weltgesellschaft ist anders als die Gesellschaften in den Staaten, die weitgehend mit den Bürgerschaften deckungs1065

Vgl. D. Held, Democracy and the Global Order, S. 236. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 414. 1067 A. Fischer-Lescano, Globalverfassung, ARSP 2002, 349 (371 ff.); N. Walker, The Idea of Constitutional Pluralism, Modern Law Review 65, 317 ff.; G. Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 63 (2003), S. 1 (5 ff.); dazu 5. Teil, B. 1068 Dazu N. Luhmann, Die Weltgesellschaft, ARSP 57 (1971), 1 (5 ff.); ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997, insbes. S. 145 ff.; G. Teubner, Globale Bukowina; R. Stichweh, Die Weltgesellschaft, 2000, S. 7 ff.; U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001, S. 15 ff. 1069 N. Luhmann, Die Weltgesellschaft, ARSP 57 (1971), S. 10. 1070 N. Luhmann, Die Weltgesellschaft, ARSP 57 (1971), S. 9; vgl. auch H. Brunkhorst, Solidarität, 2002, S. 151 f. 1071 G. Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 63 (2003), S. 1 ff.; vgl. auch die Essay-Sammlung von J. Keane (Hrsg.), Civil Society and the State, 1988; kritisch O. Höffe, Wirtschaftsbürger, Staatsbürger, Weltbürger, S. 90 ff. 1072 K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 68; vgl. D. Zolo, Cosmopolis, 1997, S. 129 ff.; vgl. F. Ossenbühl, Interpretation der Grundrechte, NJW 1976, 2100 (2101); E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 3 ff.; 158 ff.; H.-Ch. Link, Staatszwecke, VVDStRL 48 (1990), S. 7 (42); vgl. auch Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 182 ff. bürgerliche Gesellschaft als Zwischenebene zwischen Familie und Staat; V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, 2000, S. 58, der die Trennung von Volk und Staat 1066

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gleich sind, eine Gesellschaft ohne Staat und deshalb eine zivile Gesellschaft ohne Grenzen.1073 Gemeint ist die nicht-staatliche öffentliche Sphäre als Zwischenebene und zugleich Verbindungsglied zwischen Privatheit und institutioneller Staatlichkeit.1074 Die „Verfassung der Zivilgesellschaft“ wird auch als „Parallelverfassung“ bezeichnet.1075 Solange eine bürgerliche Weltverfassung nicht existiert oder diese abgelehnt wird, fehlt die Zuordnung von Weltinstitutionen und Weltgesellschaft. Deshalb setzt die Weltzivilgesellschaft bewußt auf die unmittelbare Selbstregulierungskraft der Bürger in Organisationen außerhalb staatlicher Institutionen.1076 Sie ist öffentlich und politisch, aber nicht staatlich im institutionellen oder existentiellen Sinn.1077 Die problematische Dichotomie zwischen Öffentlichem und Privatem1078 ist in der Weltgesellschaft tatsächlich aufgehoben.1079 Fraglich ist, inwieweit der Freiheitsbegriff notwendig öffentliches Weltrecht fordert oder ob es genügt, daß sich die jeweils interessierten Privaten zur Regelung ihrer transnationalen Beziehungen aufgrund ihrer Freiheit als Privatautonomie an privat gesetztes Weltrecht binden. 1. Globale Privatrechtsetzung, Beispiel: Lex mercatoria Privates transnationales globales Recht beansprucht nach einer öfter vertretenen Auffassung neben und weitgehend unabhängig von staatlicher und internationaler Ordnung, quasi vorstaatlich, zu entstehen.1080 Der Begriff „transnational“ knüpft an die weltbürgerlichen Kontakte (dazu 4. Teil, B) an und wird in aus dem von Kant gestützten republikanischen Repräsentationsprinzip ableitet; kritisch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 88 ff.; 159 ff. 1073 Vgl. N. Luhmann, Die Weltgesellschaft, ARSP 57 (1971), S. 22, 27. 1074 O. Höffe, Wirtschaftsbürger, Staatsbürger, Weltbürger, S. 91. 1075 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 146. 1076 P. Zumbansen, Spiegelungen von Staat und Gesellschaft, in: M. Anderheiden/ S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 37 f.; vgl. auch W. Kersting, Philosophische Friedenstheorie und internationale Friedensordnung, in: Ch. Chwaszcza/ders. (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 523 (551). 1077 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 14 ff.; ders., Anspruch auf materielle Privatisierung, 2005, S. 40 ff.; O. Höffe, Wirtschaftsbürger, Staatsbürger, Weltbürger, S. 91 f. 1078 Dazu eingehend P. Häberle, „Öffentliches Interesse“ als juristisches Problem, 1970, S. 60 ff., 270. 1079 N. Luhmann, Die Weltgesellschaft, ARSP 57 (1971), S. 15; G. Teubner, Zivilverfassungen: Alternativen zur staatszentrierten Verfassungstheorie, ZaöRV 63 (2003), S. 1 (27). 1080 P. Zumbansen, Lex mercatoria: Zum Geltungsanspruch transnationalen Rechts, RabelsZ 67 (2003), S. 637 ff.; H. P. Glenn, A Transnational Concept of Law, in: D. Cane/M. Tushnet (eds.), The Oxford Handbook of Legal Studies, 2003, S. 839 (846 ff.).

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Abgrenzung zum Begriff „international“ verwendet, der die zwischenstaatlichen Beziehungen beschreibt (dazu 2. Teil, B, S. 110 f.).1081 Im transnationalen Handelsrecht existiert Weltrecht ohne Staat.1082 Die Entwicklung einer modernen lex mercatoria1083, die schon im Mittelalter als ungeschriebenes Kaufmannsgewohnheitsrecht über die territorialen Grenzen hinaus für alle Kaufleute verbindlich war1084, verwirklicht im privaten Bereich globales, jedenfalls transnationales Recht1085 und zeigt den Trend zur weltweiten Entstaatlichung und Privatisierung des praktizierten Rechts.1086 Sie speist sich aus weltweit anerkannten Handelspraktiken, allgemeinen Rechtsprinzipien, standardisierten Verträgen, die oft durch transnationale Anwaltsfirmen entwickelt werden1087, Aktivitäten globaler Wirtschaftsverbände, Verhaltensregeln und den Entscheidungen internationaler Schiedsgerichte1088, deren Präjudizien in Internetdatenbanken1089 einsehbar und damit für die Interessierten öffentlich sind. Kodifiziert sind die Regeln der lex mercatoria insbesondere in den Incoterms (Regeln der Internationalen Handelskammer für die Auslegung bestimmter Klauseln in transnationalen Handelsverträgen)1090, in den UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts1091 und in den Principles of European 1081

H. P. Glenn, A Transnational Concept of Law, S. 846 ff. G. Teubner, Global Law without a state, 1977; G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, in: B. Zangl/M. Zürn, Verrechtlichung, 2004, S. 160. 1083 Dazu B. Goldmann, L’entreprise multinationale face au droit, 1977; ders., Lex mercatoria, 1984; U. Stein, Lex Mercatoria. Realität und Theorie, 1995; Überblick bei O. Glossner, Die Lex Mercatoria – Vision oder Wirklichkeit, RIW 1984, 350 f.; zur Geschichte der lex mercatoria: R. Meyer, Bona fides und lex mercatoria in der europäischen Rechtstradition, 1994, S. 48 ff.; G. Teubner, Globale Bukowina, 1996, S. 9 ff. 1084 R. Voigt, Globalisierung des Rechts. Entstehung einer „dritten Rechtsordnung“?, in: ders. (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 16 (23); G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 163 ff. 1085 M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 2003, S. 26 ff.; G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 160 ff. 1086 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. XII; G. Teubner, Globale Bukowina, S. 3 f.; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, 2001, S. 44 ff.; R. Voigt, Globalisierung des Rechts, 1999/ 2000, S. 27; M. Albert, Entgrenzung und Globalisierung des Rechts, in: R. Voigt (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, S. 125 f. 1087 Zur Bedeutung internationaler Anwaltsfirmen als Akteure transnationalen Rechts: K. Günther/Sh. Randeria, Recht, Kultur und Gesellschaft im Prozeß der Globalisierung, 2001, S. 52 ff. 1088 Dazu B. Goldmann, L’entreprise multinationale face au droit, 1977; ders., Lex mercatoria, 1984; G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 165 ff.; vgl. auch den Überblick bei O. Glossner, Die Lex Mercatoria – Vision oder Wirklichkeit, RIW 1984, 350 f.; H. P. Glenn, A Transnational Concept of Law, S. 854 f. 1089 Z. B. Transnational Law Database, Center for Transnational Law (CENTRAL), Universität Köln, www.tldb.de. 1090 M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 27, Rn. 35. 1091 www.unidroit.org/german/principles/contracts/principles1994/fulltext.pdf. 1082

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Contract Law der Lando-Kommission1092 sowie in Musterverträgen der Internationalen Handelskammer. Rechtsnatur und Geltung der lex mercatoria sind umstritten.1093 Häufig wird sie als in ihrem Wesen sowohl vom nationalen als auch vom internationalen Recht verschieden, als transnationales Recht eingeordnet1094 und als (globale) Rechtsordnung ohne Staat qualifiziert.1095 Als Rechtsquellen werden Gewohnheitsrecht1096, allgemeine Rechtsgrundsätze1097, droit corporatif sowie Verträge mit und ohne Verankerung in einer nationalen Rechtsordnung genannt.1098 Privatautonomie ist Teil des allgemeinen Selbstbestimmungsrechts des Menschen. Sie ist das in ihrem Kern auch menschenrechtlich verbürgte Prinzip und Recht der privaten Rechtssubjekte, ihre Rechtsbeziehungen eigenverantwortlich zu gestalten.1099 Wenn das Recht der Freiheit „unabhängig von allem rechtlichen Akt, jedermann von Natur zukommt“ (Kant)1100, hat Freiheit als Autonomie des Willens ohne, daß diese durch die staatliche Rechtsordnung erst eingeräumt werden müßte, von vornherein die Dimension der Privatautonomie1101. 1092

http://frontpage.cbs.dk/law/commission_on_european_contract_law/. Dazu B. Goldmann, Frontières du droit et „lex mercatoria“, in: Les Archives de Philosophie du Droit, 1964, S. 177 ff.; J. Kropholler, Internationales Einheitsrecht, 1975, S. 119 ff.; Übersicht bei J. I. Mahari, Codes of Conduct für Multinationale Unternehmen, 1985, S. 464 f.; P. Zumbansen, Lex mercatoria: Zum Geltungsanspruch transnationalen Rechts, RabelsZ 67 (2003), S. 638 ff., 675 ff. 1094 J. Delbrück, Die Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98, 67; G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 165; P. Glenn, A Transnational Concept of Law, S. 854 ff. 1095 Dazu U. Stein, Lex mercatoria, S. 148 ff.; G. Teubner, Globale Bukowina, S. 9 ff. 1096 B. Goldmann, The Applicable Law: General Principles of Law – the Lex Mercatoria, in: J. D. M Lew (ed.), Contemporary Problems of International Arbitration, 1986, S. 113 (114); G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 165, 168 ff. 1097 G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 165, 168 ff. 1098 Vgl. P. Glenn, A Transnational Concept of Law, S. 856 ff.; kritisch G. Teubner, Globale Bukowina, S. 10 f., 21 f., der rechtliche Geltungskraft durch die Verweisung auf Vertragsexterne Institutionen wie Schiedsgerichte verschaffen will (S. 17 ff.). 1099 Dazu W. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 411 ff.; W. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, Das Rechtsgeschäft, 1979, § 1, 1; K. Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 1980, S. 1 ff., 35 f.; vgl. BVerfG 72, 155 (170). 1100 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 1101 Zur Grundlegung der Privatautonomie J. Püls, Parteiautonomie, 1995, S. 26 ff.; siehe auch W. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 411 ff.; K. Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, S. 36 f., der die rechtliche Geltung sowohl auf die Privatautonomie als auch auf die Anerkennung durch die Rechtsordnung stützt; a. A. W. Flume, Das Rechtsgeschäft, § 1. 2 a. E.; Th. Summerer, Internationales Sportrecht – eine dritte Rechtsordnung?, in: Fs. H. Hanisch, 1994, S. 267 (274), wonach Privatautonomie nur vom Staat verliehen werden kann; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 134, 138 ff. 1093

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Weil es die Menschen auch außerhalb der Staaten, also in ihren weltbürgerlichen oder transnationalen Beziehungen, nicht vermeiden können, einander ins Gehege zu kommen, müssen sie sich zur Sicherung ihrer Freiheit Rechtsregeln unterwerfen, durch welche das Recht verbindlich erkannt und gesichert wird.1102 Dies ist nicht nur durch staatliche Gesetzgebung, sondern auch zwischen Privaten in ihren besonderen Beziehungen durch Formen der Selbstregulierung und Instrumente zivilrechtlicher Rechtsbindung (z. B. Verträge, Gewohnheitsrecht) möglich. Grenzen ergeben sich aus zwingenden Regeln der öffentlichen Rechtsordnung, welche die Freiheit aller verwirklichen soll. Aber der Staat kann kein Rechtsetzungsmonopol beanspruchen.1103 Ein solches folgt auch nicht aus dem Demokratiegebot1104; denn Privatrecht leitet sich wie öffentliches Recht aus einem Akt der Selbstgesetzgebung ab, aus der angenommenen Autonomie des Willens. Privatrecht und öffentliches Recht haben somit letztlich denselben Geltungsgrund. Daß es verschiedene Verträge und privatrechtliche Regime gibt, ändert daran nichts. Von einem Rechtsgeltungspluralismus (dazu 3. Teil, S. 264 f.) kann daher auch im transnationalen Recht nicht die Rede sein, allenfalls von einem Pluralismus privater Regelungen oder Ordnungen. Gewöhnlich ist das Privatrecht in den staatlichen Rechtsrahmen eingeordnet.1105 Solange es aber an einer öffentlichen Weltrechtsordnung fehlt, welche das Weltbürgerrecht sichert, ist Privatrechtsetzung die einzige Möglichkeit der zumindest partiellen, vorläufigen und vorstaatlichen Regelung transnationaler Rechtsbeziehungen1106, zu welchen das Weltbürgerrecht berechtigt (dazu 4. Teil, B). Die Rechtlichkeit oder Verbindlichkeit privater Rechtsetzung für die jeweils Beteiligten folgt aus dem vertrauensschützenden Rechtsprinzip.1107 Wer Versprechen (Verträge) nicht hält oder gegen übliche Handelsbräuche verstößt, schädigt diejenigen, welche auf das Versprechen oder die Übung vertraut haben und liefert sie seiner nötigenden Willkür aus. Ein Recht, Verträge beliebig zu brechen, würde dem Prinzip gleicher Freiheit und damit dem Rechtsprinzip widersprechen.1108 Daher ist der Vertrag als gemeinsamer Wille der Parteien auf rechtliche Verbindlichkeit angelegt. Die Rede ist auch vom lex contractus.1109 1102 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die Würde des Menschen, in: Mut zur Ethik, 1997, S. 278; ders., Freiheit in der Republik, 2006, S. 67 ff., 274 ff.; G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 364. 1103 Dazu F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 107 ff. 1104 Dazu F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 112 f. 1105 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 449 ff.; K. Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, S. 36 f.; W. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, Das Rechtsgeschäft, § 1. 2 a. E. 1106 G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 160. 1107 Dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 508 ff.; vgl. auch G.P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 161 f. 1108 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 508 ff. 1109 K. Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, S. 36.

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Die Bindung an den gemeinsamen Willen gilt auch für Verträge, wenn die Vertragspartner in ihrer Rechtswahl der Rechtsordnung eines Drittstaates den Vorzug geben, ohne Staatsbürger dieses Landes zu sein und somit keine demokratische Beziehung zu dieser Rechtsordnung besteht. Darauf kommt es für die Verbindlichkeit inter partes nicht an. Entscheidend ist, daß die Abmachung auf dem übereinstimmenden Willen der Beteiligten beruht.1110 Finanzinnovationen auf globalen Märkten werden länderübergreifend entwickelt und meist nach englischem oder New Yorker Recht umgesetzt. Streitigkeiten aus solchen Vertragsbeziehungen überantworten die Vertragsparteien regelmäßig HandelsSchiedsgerichten1111, die ad hoc aus weltweit anerkannten Juristen gebildet werden.1112 Wenn sich die Vertragsparteien auf das Mustergesetz internationaler Gremien (z. B. das Modellgesetz der UNCITRAL1113 zur internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 1985) oder auf wissenschaftlich erarbeitete Normen beziehen, übernehmen sie diese von Experten1114 erarbeiteten Regeln in ihren Vertrag ebenfalls als ihren gemeinsamen Willen.1115 Die gewohnheitsrechtlich und in allgemeinen Rechtsprinzipien verankerte lex mercatoria hat sektoral allgemeine Geltung und Rechtsetzungsqualität. Sie ist nicht nur transnationales, sondern auch unmittelbares, allgemeines (privates) Weltrecht der am transnationalen Handel teilnehmenden Kaufmannschaft, auf deren Konsens sie beruht.1116 Die allgemein anerkannte Übung und der darin enthaltene Konsens binden die Beteiligten, nicht nur als soft law.1117 Wegen des Prinzips freiheitlicher Selbstbestimmung (dazu 5. Teil, C) erzeugt privatautonome Rechtsetzung auch als Gewohnheitsrecht nur unter den verpflichteten Beteiligten, also private, Verbindlichkeit.1118 Sofern über den Kreis der Normungsautoren hinaus einseitige belastende oder bevormundende Rege1110

G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 174 f. Ch. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft, Rechtstheorie, 21 (1990), S. 374 ff.; dazu M. Aden, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 1988; K. Lionnet, Handbuch der internationalen und nationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 1997; D. Frank, Grundlagen der Schiedsgerichtsbarkeit, JuS 1998, 158 ff.; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 112 ff. 1112 Z. B. das Schiedsgericht (Arbitration Court) der International Chamber of Commerce and Arbitration Association. 1113 United Nations Commission on International Trade Law 1966/77 als Ausschuß der Generalversammlung gegründet, Mustergesetz UN-Doc. A/40/53. 1114 Zur Rolle von Rechtsberatern als Akteure des transnationalen Rechts: K. Günther/Sh. Randeria, Recht, Kultur und Gesellschaft im Prozeß der Globalisierung, S. 59 ff. 1115 G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 170, 174 f. 1116 Vgl. zu den „guten Sitten“ K. A. Schachtschneider, Das Sittengesetz und die guten Sitten, in: Fs. W. Thieme, 1993, S. 195 (208, 223). 1117 I. d. S. aber G. Teubner, Globale Bukowina, S. 24; vgl. auch G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 168 ff., 176. 1118 Vgl. § 328 BGB, wonach Verträge nur zugunsten Dritter möglich sind. 1111

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lungen für andere Betroffene getroffen werden, können diese zu Lasten Dritter aus sich heraus kein Recht begründen. Private Rechtsetzung steht zudem unter dem Vorbehalt der öffentlichen Rechtsordnung1119 und des (internationalen) ordre public1120, der allgemeinen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit1121, d. h. der Menschheitsverfassung, die insbesondere in den Menschenrechten materialisiert sind. Für den Bereich des transnationalen Handels werden diese Grundsätze teilweise in den UNIDROIT Principles, nicht nur als Vertragsfreiheit (Art. 1.1), sondern auch als deren Grenzen im Hinblick auf das Gemeinwohl (Art. 1.4: Vorrang von international zwingendem Recht) sowie als Prinzip der Rücksichtnahme (Art. 1.7: „Good faith and fair dealing“) materialisiert.1122 Auch Private dürfen das drittwirksame Menschheitsrecht nicht verletzen (dazu 4. Teil, A, S. 498 ff.) oder deren Verletzung in ihrem Verantwortungsbereich zulassen. Private Normen können darüber hinaus freiwillig dazu beitragen, das allgemeine Menschheitsrecht zu verwirklichen. Entgegen der Lehre von der Trennung von Staat und Gesellschaft1123 und einem materiellen Begriff der öffentlichen Aufgaben1124 gibt es keine Menschheitsanliegen, welche der privaten Regelung prinzipiell entzogen wären.1125 Um die Implementierung von internationalen und weltrechtlichen Sozial- und Umweltstandards bemühen sich von staatlichen Institutionen unabhängige globale Kontrollgremien, in denen insbesondere Umwelt- und Verbraucherschutzverbände engagiert sind. Sie vergeben etwa „Sozial- und Ökosiegel“, die dazu anreizen sollen, daß bestimmte Herstellungsstandards eingehalten sind, z. B. eine bestimmte Einfuhrware aus einem

1119 Vgl. dazu Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 366 (AB 74) f.; J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 175; 179 ff. 1120 Dazu G. Jaenicke, „International Public Order“, in: R. Bernhard u. a. (Hrsg.); EPIL, Vol. II, 1995, S. 1348; J. Kokott, Grund- und Menschenrechte als Inhalt eines internationalen ordre public, BDGV 39 (1997), S. 71 ff. 1121 G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 163, 176. 1122 G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 173 f. 1123 Dazu E. W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973, S. 32 f.; H. H. Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, HStR, Bd. II, 2004, § 31, S. 879 ff.; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 150 ff.; vgl. auch F. Ossenbühl, Interpretation der Grundrechte, NJW 1976, 2100 (2101); E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 3 ff.; 158 ff.; H.-Ch. Link, Staatszwecke, VVDStRL 48 (1990), S. 7 (42); V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 58, der die Trennung von Volk und Staat aus dem von Kant gestützten republikanischen Repräsentationsprinzip ableitet; kritisch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 88 ff.; 159 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 207 ff. 1124 Dazu K. A. Schachtschneider, Grundgesetzliche Aspekte der freiberuflichen Selbstverwaltung, Die Verwaltung 31 (1998), S. 140 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, 2005, S. 45 ff. 1125 P. Zumbansen, Lex mercatoria, RabelsZ 67 (2003), S. 668.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Entwicklungsland nicht in unzulässiger Kinderarbeit erzeugt worden ist.1126 Auch Initiativen der Unternehmensethik1127, die sich in von globalen Unternehmen auf der Basis der Freiwilligkeit entwickelten codes of conduct niederschlägt, tragen als soft law zur Verwirklichung von Weltrecht (Menschenrechte) bei. Allgemeinverbindliches Recht können sie jedoch nicht setzen und auch nicht ersetzen. Zu allgemeiner Gesetzgebung sind auch die größten Unternehmen nicht befugt. Adäquates und durchsetzungsstarkes Rechtsetzungsinstrument unter Privaten zum wechselseitigen Interessenausgleich ist der Vertrag.1128 Die Aufnahme von codes of conduct, welche bestimmte rechtliche Mindeststandards enthalten, in Verträgen mit Zulieferbetrieben, wodurch diese in dem Vertragsverhältnis zwischen Zulieferbetrieb und multinationalem Unternehmen Rechtsverbindlichkeit erhalten und deren Nichterfüllung zu vertraglichen Sanktionen führt, ist Ausdruck wahrgenommener Menschenrechtsverantwortung.1129 Sie leitet sich nicht aus einer allgemeinen (paternalistischen) Schutzpflicht, sondern aus der mit der Unternehmensfreiheit verbundenen Verantwortung für die Rechte Anderer ab (dazu näher 6. Teil, E, S. 868 ff.). Gleichzeitig zeigt die Wahrnehmung solcher Verantwortung eine Reaktion auf einen, in der Zivilgemeinschaft geführten, ethisch-rechtlichen Diskurs. Unternehmensethik kann allerdings, soweit sie sich im Wirtschaftsverkehr als „gute Sitte“ im Sinne der lex mercatoria als gesellschaftsunmittelbares Gewohnheitsrecht1130 durchsetzt, rechtsverbindlich und einklagbar werden. „Gute Sitten“ entstehen durch private Rechtsetzung, aufgrund eines Konsenses und einer Übung zwischen den jeweils Beteiligten als unmittelbare Rechtsetzung.1131 Soweit sich codes of conduct, etwa durch Netzwerkarbeit1132, zu Übungen im internationalen Wirtschaftsverkehr als Bestandteil der lex mercatoria entwickeln oder als solche angesehen werden können, erhalten sie den Status privaten Gewohnheitsrechts, das auch zur Auslegung und Materialisierung staatlicher Gesetze (z. B. §§ 242 BGB, 1126 F. Franzmeyer, Welthandel und internationale Arbeitsteilung, Informationen zur politischen Bildung, Nr. 263, 2. Quartal 1999, S. 12. 1127 Dazu H. Steinmann, Grundlagen der Unternehmensethik, 1994; A. G. Scherer, Multinationale Unternehmen und Globalisierung, 2003. 1128 P. Zumbansen, Spiegelungen von Staat und Gesellschaft, in: M. Anderheiden/ S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 39 f. 1129 Dazu A. G. Scherer, Multinationale Unternehmung als Mittler zwischen privater Freiheit und öffentlichem Interesse, in: K. A. Schachtschneider, Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 329 ff. 1130 Vgl. A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 751. 1131 Dazu K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 363 ff. (368 ff.); ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 206 ff. 1132 Vgl. z. B. den Runden Tisch Verhaltenskodizes des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und den Arbeitskreis Menschenrechte und Wirtschaft im Auswärtigen Amt.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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3 UWG) herangezogen werden kann und damit durch die staatliche Anerkennung vom soft law zum durchsetzbaren Recht erstarkt. 2. Private Schiedsgerichtsbarkeit Das als funktionale Rechtsprechung einzuordnende Schiedsverfahren, welches alle Rechtskulturen kennen, ist der Vorläufer staatlicher Justiz und ersetzt heute die staatlichen Justizorgane durch frei gewählte Privatpersonen als Schiedsrichter.1133 Grundlage eines Verfahrens vor einem Schiedsgericht ist ein privatrechtlicher Vertrag oder eine private Satzung.1134 Darin unterwerfen sich die Parteien der Schiedsgerichtsbarkeit und regeln die (oft multinationale) Zusammensetzung des Schiedsgerichts, die Auswahl der Schiedsrichter, das Verfahren und die anwendbaren materiellen Bestimmungen.1135 Das ist freiheitlich und dem Recht gemäß, wenn keiner der Parteien zu der Vereinbarung genötigt worden ist, die Schiedsrichter unparteilich1136 und das Verfahren fair1137 ist. Die Schiedsvereinbarung kann entweder in Form einer selbständigen Vereinbarung (Schiedsabrede) oder auch als Schiedsklausel vorab in einen Handelsvertrag aufgenommen werden.1138 Die Schiedsvereinbarung regelt die Übertragung der rechtsverbindlichen Streitentscheidung auf ein Schiedsgericht.1139 Das Schiedsgericht entscheidet grundsätzlich nach den von den Parteien vertraglich vorgegebenen Regeln und berücksichtigt die allgemeinen Handelsbräuche (lex mercatoria), muß aber auch ius cogens1140 beachten.1141 Der mit Mehrheit gefällte Schiedsspruch bindet die Parteien aufgrund ihrer Schiedsvereinbarung1142 und läßt in der Re1133 W. J. Habscheid, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Fs. H. Hanisch, 1994, S. 109 f.; J. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Grundzüge § 1025, Rn. 6; vgl. Rüge der Unzulässigkeit einer Klage vor einem staatlichem Gericht, Rn. 20 und § 1032. 1134 J. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Grundzüge § 1025, Rn. 1 f., § 1029, Rn. 10. 1135 G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 166; näher J. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 1029, Rn. 3, 10 ff., 16. 1136 Vgl. §§ 1034 ff. ZPO. 1137 Vgl. J. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 1042, Rn. 1 ff. 1138 § 1029 Abs. 2; s. a. J. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 1029, Rn. 29. 1139 J. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 1029, Rn. 13; zum Vertrag zwischen den Parteien und dem Schiedsrichter (Schiedsrichtervertrag) J. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 1035, Rn. 5 ff. 1140 Dazu 3. Teil, E, S. 442 ff. 1141 W. J. Habscheid, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 112; vgl. J. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 1051, Rn. 5. 1142 Vgl. § 1055 ZPO, dazu J. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 1055, Rn. 1 ff.; zu den einzelnen Wirkungen gegenüber Dritten ders., ZPO, § 1029, Rn. 23 ff.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

gel kein Rechtsmittel zu1143, so daß rasch Rechtssicherheit gewonnen werden kann. Fast alle transnationalen Handelsverträge (ca. 90%) werden, um die nationale Gerichtsbarkeit, an deren Überparteilichkeit (aufgrund ihrer nationalen Zusammensetzung) in grenzüberschreitenden Streitigkeiten gezweifelt wird1144, auszuschließen, mit Schiedsgerichtsklausel geschlossen.1145 Ein effektiver Rechtsschutz wird im transnationalen Handel nur durch Schiedsgerichte möglich.1146 Die staatliche Gerichtsbarkeit ist in den globalen Handelsbeziehungen „fast ausgehebelt“.1147 Häufig werden die nationalen Verfahrensordnungen durch die in Anlehnung an das Schweizer Recht entwickelten völkervertraglichen Regeln der Internationalen Handelskammer ersetzt.1148 Immer größere Bedeutung kommt außerdem den UNCITRAL-Schiedsregeln1149 der UN-Kommission für internationales Handelsrecht zu.1150 3. Private Durchsetzung Eine gänzlich private Rechtsordnung würde voraussetzen, daß Schiedssprüche auch privat vollstreckt werden1151, was im transnationalen Handelsrecht nicht der Fall ist. Fraglich, ist ob dies aus rechtlichen Gründen so sein muß. Nicht nur der Staat, auch Private verfügen über Gewalt und Gewaltbefugnisse und nur deshalb hat sie auch der Staat.1152 Zur Vollstreckung des natürlichen Gesetzes, „das den Frieden und die Erhaltung der ganzen Menschheit verlangt“, ist nach Locke jeder verantwortlich.1153 Das könnte nicht nur im Naturzustand, sondern auch in den, die staatliche Rechtsordnung überschreitenden, transnationalen Beziehungen gelten. Vis absoluta ist jedoch wegen des grundsätzlichen Nötigungs1143 Vgl. 1055 ZPO, J. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 1055, Rn. 2; zur Aufhebbarkeit vgl. 1059 ZPO. 1144 G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 167 f. 1145 R. Voigt, Das Ende der Innenpolitik?, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29–30/ 98, S. 7. 1146 W. J. Habscheid, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 110. 1147 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 366; vgl. auch U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 45 f. 1148 R. Voigt, Das Ende der Innenpolitik?, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29–30/ 98, S. 7. 1149 ILM 15 (1976), S. 701. 1150 Dazu K. Lionnet, Die UNCITRAL-Schiedsgerichtsordnung aus der Sicht der Parteien, in: Beilage Nr. 17 Betriebsberater 1993. 1151 G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 168. 1152 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Grundgesetzliche Aspekte freiberuflicher Selbstverwaltung, Die Verwaltung, 139 (151 ff.). 1153 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, II, 2. Kap., § 7.

B. Zur Begründung und Geltung des Weltrechts

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und Gewaltverbots ausgeschlossen und der staatlichen Friedens-, Freiheits- und Sicherungsfunktion vorbehalten1154 oder steht nur vorläufig und subsidiär Privaten zu1155. Beispiele privater vis absoluta sind Maßnahmen der Selbsthilfe, Notwehr und Notstand1156, das Festnahmerecht1157 sowie das Widerstandsrecht1158. Aus der Privatautonomie können nur solche Gewaltbefugnisse abgeleitet werden, die staatlich gestattet sind. Erlaubt sind etwa Vertragsstrafen1159 sowie Sanktionsmaßnahmen im Rahmen der Vereinsautonomie. Transnationale Sportverbände wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) sehen aufgrund ihrer Verbandsautonomie in ihrem Wirkungsbereich Befugnisse zu zentraler, selbstregulierender Durchsetzung der Sportregeln vor, indem sie etwa des Dopings überführte Athleten von Sportveranstaltungen wie den Olympischen Spielen ausschließen.1160 Dieser Fähigkeit transnationaler Sportverbände einzelne Sportler zu bestrafen, steht allerdings keine Mitwirkung der Betroffenen an der Setzung transnationaler Regeln gegenüber.1161 Auch wegen dieses Mangels an verbandsinterner Selbstbestimmung braucht das transnationale Sportrecht die ergänzende Legitimation und Kontrolle durch staatliches Recht, das im Konfliktfall zum Schutze zwingender Rechtsprinzipien vorgeht.1162 4. Staatliche Rahmenordnung und Vollstreckung Die Schiedsgerichtsbarkeit ist nicht zuletzt deshalb so attraktiv, weil die meisten Staaten Schiedsgesetze erlassen haben.1163 Diese bewirken, sofern bestimmte rechtliche Mindestanforderungen an die Gültigkeit der Schiedsklausel (freier Konsens) und an die Fairneß des Verfahrens (rule of law) sowie der menschenrechtliche ordre public eingehalten worden sind, folgendes: Erstens wird den Parteien aufgrund der Sperrwirkung der Schiedsklausel der Zugang zu 1154 Vgl. BVerfGE 61, 126 (136); 69, 315 (360); W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, 1973, S. 30; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 119 ff. 1155 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 123. 1156 Vgl. §§ 227, 228, 229 BGB. 1157 § 127 Abs. 1 StPO. 1158 Vgl. Art. 20 Abs. 4 GG. 1159 Vgl. §§ 336 BGB ff. 1160 B. Zangl/M. Zürn, Make Law Not War, in: dies. (Hrsg.), Verrechtlichung – Baustein für Global Governance?, 2004, S. 12 (31); Th. Summerer, Internationales Sportrecht – eine dritte Rechtsordnung?, in: Fs. H. Hanisch, 1994, S. 267 (268 f.); vgl. auch S. Jungheim, Berufsregelungen des Weltfußballverbandes, 2002, S. 261 f. 1161 D. Lehmkuhl, Verrechtlichung im transnationalen Sport, in: B. Zangl/M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 179 (183). 1162 Th. Summerer, Internationales Sportrecht – eine dritte Rechtsordnung?, S. 275. 1163 G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 167; vgl. z. B. 10. Buch der deutschen ZPO.

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den staatlichen Gerichten versagt (jedenfalls, wenn dies gerügt wird).1164 Zweitens wird der Inhalt von Schiedssprüchen gleich einem gerichtlichen Urteil anerkannt (formelle und materielle Rechtskraft).1165 Und drittens sind Schiedssprüche wie Urteile der Zivilgerichte staatlich vollstreckbar.1166 Im Ausland ergangene Schiedssprüche werden nach der UN Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards von 1958 (New York Convention)1167 in mehr als 120 Staaten anerkannt und vollstreckt. Die Verbindlichkeit von Schiedsgerichtsurteilen beruht zwar auf privater Vertrags- und Vereinsautonomie1168, sie steht jedoch unter dem Vorbehalt staatlicher Nachprüfung.1169 Als vollstreckbarer Titel bedarf sie staatlicher1170 und als ausländischer Schiedsspruch zusätzlich internationaler1171 Anerkennung. Tatsächlich werden also die von transnationalen Unternehmen und globalen Finanzmärkten entwickelten Ordnungen durch den staatlichen, internationalen und supranationalen Rechtsrahmen erst vollständig durchsetzbar.1172 Ohne staatliche oder internationale Anerkennung schafft das globale Zivilrecht nur vorläufiges Privatrecht, das durch zwingendes öffentliches Recht überlagert und aufgrund staatlicher Anerkennung1173 erst endgültige Rechtsverbindlichkeit erlangen kann. Soweit nationale Gerichte Schiedsurteile oder Regeln der lex mercatoria anerkennen, entsteht eine Verbindung zur öffentlichen Rechtsordnung, die auch als Konstitutionalisierung bezeichnet wird.1174

1164

Vgl. § 1032 ZPO. Vgl. J. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 1055, Rn. 1 ff. 1166 G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 167 f.; P. Zumbansen, Lex mercatoria, RabelsZ 67 (2003), S. 652; vgl. § 1060, 1061; dazu J. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 1060, Rn. 2 ff. 1167 BGBl. 1961 II, S. 122. 1168 K. A. Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, HStR, Bd. III, 1988, § 73, S. 810, Rn. 77. 1169 K. A. Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, HStR, Bd. III, § 73, S. 810 ff., Rn. 77 ff. 1170 Siehe §§ 1060, 1061ZPO; J. Albers, zu § 1060 und § 1061, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62004; vgl. auch M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 112 ff. 1171 Vgl. Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards (10.6.1958), BGBl. 1961 II, S. 122; www.jus.uio.no/lm/un.arbitration.recogni tion.and.enforcement.convention.new.york.1958/doc.html. European Convention on International Commercial Arbitration (21.4.1961), United Nations Treaty Series, vol. 484, p. 364 No. 7041 (1963–1964) und BGBl. 1964 II, S. 426. 1172 Dazu R. Zippelius, Steuerung der Selbststeuerung, ZöR 57 (2002), S. 337 ff.; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 27, Rn. 36 f. 1173 Vgl. M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 27, Rn. 37. 1174 B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 19. 1165

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Zwischenergebnis Privatautonom gesetztes Weltrecht ist nicht losgelöst von der staatlichen und internationalen Ordnung.1175 Gralf-Peter Calliess meint: „autonome Spontanverfassung der Lex Mercatoria . . . und öffentliche Rahmenverfassung (Schiedsgesetze, UN-Übereinkommen) . . . ergänzen sich dabei wechselseitig zu einer hybriden Zivilverfassung, die sich als Blaupause einer globalen Herrschaft des Rechts auch in anderen Politikbereichen eignet.“1176

Die private Weltrechtsordnung ist somit in die mehrgliedrige öffentliche Weltverfassung eingebunden. Bisher erhält sie vorwiegend Rahmenregeln von der staatlichen und der völkerrechtlichen Verfassung, weil die weltbürgerliche Verfassung noch nicht ausgebaut ist. In dem Maße, in dem die Zivilgemeinschaft verbindliche globale Regeln für den transnationalen Verkehr entwickelt, trägt sie zur Entstehung einer materiellen weltbürgerlichen Verfassung bei. 5. Weiterentwicklung globaler Privatrechtsordnungen Ebenfalls möglich ist die Entstehung von globalem Arbeitsrecht als Kontrapunkt zur lex mercatoria im Rahmen der Koalitionsfreiheit, wenn die grenzüberschreitende Rechtsetzung, insbesondere die internen Ordnungen der multinationalen Konzerne1177, in der Hand von Unternehmen und Gewerkschaften liegt.1178 Die Akteure im Internet sind sich zwar des Regelungsbedarfs bewußt, wollen aber auf staatliche Regelungen verzichten.1179 Sie sind vielmehr unter Beteiligung verschiedener privater, nationaler, transnationaler, europäischer, Internationaler Organisationen1180 dabei, eine lex informatica1181 oder lex electronica jenseits der staatlichen Rechtsetzung als sektorale Zivilverfassung zu entwikkeln.1182 Die künftige lex informatica soll der lex mercatoria vergleichbar wer1175

Dazu grundsätzlich K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 370 ff. G.-P. Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 176 f. 1177 G. Teubner, Globale Bukowina, S. 4. 1178 G. Teubner, Globale Bukowina, S. 4. 1179 Vgl. etwa E. Dyson, Release 2.0 – Die Internet-Gesellschaft, Spielregeln für unsere digitale Zukunft, dt. von H. Thies, 1997, S. 135 ff.; G.-P. Calliess, Globale Kommunikation – staatenloses Recht, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 66 f. 1180 Siehe G.-P. Calliess, Globale Kommunikation – staatenloses Recht, ARSP Beiheft 79 (2001), 76. 1181 Dazu A. Mefford, Lex informatica: Foundations of Law on the Internet, Vol. 5, Nr. 1 Indiana Journal of Gobal Legal Studies (1997), 211 ff.; G.-P. Calliess, Globale Kommunikation – staatenloses Recht, ARSP Beiheft 79 (2001), 70 ff.; Ch. Brömmelmeyer, Internet Governance, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 81 (84 ff.). 1182 Dazu G. Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 63 (2003), S. 16 ff. 1176

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den.1183 Ähnliches gilt für eine lex sportiva.1184 Vertragsrechtliche Mindeststandards für den elektronischen Geschäftsverkehr (e-commerce) könnten in privater Selbstregulierung, eventuell ergänzt durch obligatorische internationale Mindeststandards, entwickelt werden.1185 Die Effektivität der internationalen privaten Handelsschiedsgerichtsbarkeit1186 und die Möglichkeit privatrechtlicher Durchsetzung zeigen, daß eine Privatrechtsordnung durchaus in gewissem Maße in der Lage ist, in ihrem Anwendungsbereich für Rechtsdurchsetzung zu sorgen, ohne unmittelbar auf das staatliche Zwangsinstrumentarium angewiesen zu sein.1187 Weil sie jedoch naturgemäß von der alleinbestimmten freien Willkür abhängt,1188 vermag sie ohne öffentlichrechtliche Rahmenordnung eine allgemeine, willkürfreie, gleichheitliche und regelmäßige Rechtsdurchsetzung nicht zu sichern. 6. Grenzen privater Lebensbewältigung und Stellungnahme Als Ausdruck einer zusammenwachsenden Weltgesellschaft ist die Übernahme globaler (zivil-)gesellschaftlicher Verantwortung grundsätzlich zu begrüßen. Sie sollte wegen des Vorrangs der Privatheit der Lebensbewältigung nicht durch Überinstitutionalisierung zerstört werden. Der Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung folgt aus dem für die Weltordnung elementaren Subsidiaritätsprinzip1189 und ist durch die Menschen- und Grundrechte, aber auch durch die Grundfreiheiten des EG-Vertrages geschützt.1190 Weil Staatlichkeit keinen Selbstzweck hat, sondern dem Zusammenleben der Menschen in allgemeiner

1183 Dazu G.-P. Callies, Reflexive Transnational Law: The Privatisation of Civil Law and the Civilisation of Private Law, Zeitschrift für Rechtssoziologie 24 (2002), 185 ff.; G. Teubner, Globale Bukowina, S. 9 ff. 1184 G. Teubner, Globale Bukowina, S. 4; vgl. auch S. Jungheim, Berufsregelungen des Weltfußballverbands für Spielervermittler, S. 71 ff., 260 ff. 1185 Dazu Ch. Brömmelmeyer, Internet Governance, in: M. Anderheiden/S. Huster/ S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 92 ff. 1186 Dazu Y. Dezalay/B. G. Garth, Dealing in Virtue, International Commercial Arbitration and the Construction of Transnational Legal Order, 1996. 1187 P. Zumbansen, Speigelungen von Staat und Gesellschaft, in: M. Anderheiden/ S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 39. 1188 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 60 ff., 455 ff. 1189 J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 264 ff., insbes. S. 281 ff., 313 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 195 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 75 ff.; ablehnend R. Stober, in: H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 3, 2004, § 93, S. 627, Rn. 8. 1190 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Das Privatheitsprinzip des Binnenmarktes, EWS 2001, 365 ff.; K. A. Schachtschneider, Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 78 ff.

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Freiheit dient1191, soll der Staat nur die Gegenstände regeln, welche Private unter dem Paradigma der allgemeinen Freiheit nicht hinreichend allein bewältigen können. Auch Belange globalen öffentlichen Interesses sind nicht von vornherein von privater Regelung und Selbstregulierung unter den jeweils Betroffenen ausgeschlossen1192 (vgl. lex mercatoria). Andererseits können die Privatautonomie und auch der Vorrang der privaten Lebensbewältigung eine generelle Privatisierung der Lebensverhältnisse und des Rechts nicht rechtfertigen, weil damit ein ungesicherter Rechtszustand geschaffen werden würde. Die freie Willkür der Privaten ist alleinbestimmt und eignet sich nicht als allgemeinverbindliche Gesetzgebung. Wo Menschen über Menschen verfügen, wird die öffentlichrechtliche Sphäre betroffen, die um der Selbstbestimmung des Menschen willen nach einer Verfassung, nach öffentlichdemokratischen Verfahren, nach Wahl und Kontrolle der Träger der Gewalt durch die Betroffenen nach allgemeinen Gesetzen verlangt.1193 Insbesondere dürfen die Entwicklungen der globalen Zivilgemeinschaft nicht dazu führen, daß die existierenden demokratischen Entscheidungsprozesse und Verfahren außer Kraft gesetzt werden. Bei bedenklichen globalen Fehlentwicklungen muß neben gesellschaftlichen Selbstregulierungen die staatliche oder die Weltordnung regelnd eingreifen.1194 Insbesondere die vis absoluta darf wegen des Friedenszwecks des Rechts nicht privatisiert werden. Militärische Sicherheit sollte aus rechtlichen Gründen nicht der Willkür von private military companies, die sowohl für kriegerische als auch für verbrecherische Zwecke eingesetzt werden können und ihrerseits der Maxime der Gewinnerzielung folgen, überlassen werden.1195 Dies würde einen Rückfall in den „Krieg aller gegen alle“, wie er zur Zeit in Somalia herrscht, bedeuten. Strafrechtliche und sicherheitsrechtliche Probleme, welche den staatlichen Schutzzweck in seinem Wesensgehalt treffen, können nicht allein privat, sondern müssen staatlich gelöst werden. Die Globalität des Sachverhalts verlangt zudem in diesen Bereichen weltrechtliche Regelungen.1196

1191 W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in: HVerfR, 1994, S. 427 (490); a. A. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 677. 1192 Vgl. R. Stober, in: H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 93, S. 624 ff. 1193 K. A. Schachtschneider, Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 68 f.; ders., Freiheit in der Republik, S. 455 ff.; P. Saladin, Wozu noch Staaten?, S. 106 f. 1194 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 403. 1195 S. v. Schorlemmer, Verrechtlichung contra Entrechtlichung, in: B. Zang/M. Zürn, Verrechtlichung, 2004, S. 76 (94 f.). 1196 S. Hobe, Individuals and Groups as Global Actors, in: R. Hofmann (Hrsg.), Non-State Actors as New Subjects of International Law, 1999, S. 115 (131).

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts Gegenstand des folgenden Kapitels ist die Darstellung der aus der vorgestellten Begründung des Weltrechts folgenden Dogmatik und Typik des Weltrechts, d. h. seine Merkmale und Elemente in Abgrenzung zum Paradigma des Völkerrechts (dazu 2. Teil). I. Globalität des Weltrechts Weltrecht zeigt sich unter verschiedenen Aspekten global, nicht nur in räumlicher Hinsicht. Es gründet auf der Universalität des Rechtsprinzips (dazu 3. Teil, B) und verpflichtet die gesamte Menschheit.1197 Weltrecht ist nicht zwischenstaatliches (internationales) Recht, sondern Recht zwischen Menschen, nicht Recht der Staaten (Völker), sondern Recht aller Menschen. II. Ende der ausschließlichen Staatenbezogenheit 1. Rechtssubjektivität des Menschen im Weltrecht Art. 6 der AEMR stellt fest: „Jeder Mensch hat überall Anspruch auf Anerkennung als Rechtsperson“ (siehe auch Art. 16 IPbpR). Dieser klar und unbedingt formulierte Anspruch begründet nach herkömmlicher völkerrechtlicher Lesweise nur eine Pflicht der Staaten, weil der einzelne Mensch nicht als eigentliches Subjekt des Völkerrechts behandelt wird (dazu 2. Teil, B, S. 107 ff.). Die „kopernikanische Wende“ vom Völkerrecht zum Weltrecht besteht darin, nicht wie im Völkerrecht den Staat, sondern den Menschen als Rechtssubjekt in den Mittelpunkt zu stellen.1198 Die Anerkennung der Rechtssubjektivität bringt die „Respektierung aller aus dem Menschsein fließenden Rechte“1199 und Pflichten mit sich. Sie bedeutet insbesondere auch, für sich selbst gesetzgebend zu sein.1200 Soll Weltrecht als Menschheitsrecht konzipiert werden, ist die Anerkennung der Subjekthaftigkeit des Menschen unverzichtbar für die dogmatische und effiziente Entwicklung des Weltrechts. Universelles Legitimationssubjekt 1197

R. J. Glossop, World Federation?, 1993, S. 47. So auch F. R. Téson, The Kantian Theory of International Law, Colum. L. Rev. 92 (1992), S. 53 (96 u. ö.); ansatzweise Ph. Kunig, Das Völkerrecht der Weltbevölkerung, AVR 41 (2003), S. 327 (333 ff.); kritisch U. Haltern, Internationales Verfassungsrecht? Anmerkungen zu einer kopernikanischen Wende, AöR 128 (2003), S. 511 (541). 1199 G. Seidel, Handbuch der Grund- und Menschenrechte, 1996, S. 29. 1200 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45); ders., Über den Gemeinspruch, S. 146 (A 237, 238); siehe auch B. Bujo, Welches Weltethos begründet die Menschenrechte?, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 44. 1198

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts

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des Weltrechts ist die Menschheit. Eine universelle Rechtslehre, welche nicht von der Subjekthaftigkeit und Freiheit des Menschen ausgeht, ist eine Weltherrschaftslehre und damit auf einen seelenlosen Universalismus1201 gerichtet. 2. Staaten als Subjekte des Weltrechts Wird der Mensch als selbstgesetzgebend gedacht, kann der Staat keine vom Willen der Bürger losgelöste Souveränität beanspruchen.1202 Dem entspricht die republikanische Konzeption der civitas, die den Staat als verfaßte Gemeinschaft der Bürger, als „Zusammenfassung der Personen aus denen er besteht“1203 und nicht als selbständiges Herrschaftsgebilde begreift.1204 Der weltrechtliche Staatsbegriff reduziert sich somit nicht auf das Schema der Drei-ElementeLehre (dazu 1. Teil), sondern orientiert sich am Leitbild des demokratischen Verfassungsstaates. In Art. 23 Nr. 3 AEMR heißt es: „Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt.“ Als Organisationsform des allgemeinen Willens der Bürger ist der Staat lediglich Person im technischen Sinne (juristische Person), keine Persönlichkeit mit autonomem Willen.1205 Also ist die Rechtssubjektivität der Staaten im Weltrecht von der Gemeinschaft der Bürger abgeleitete und vom Völkerrecht anerkannte Subjektivität. 3. Beendigung der Mediatisierung des Menschen Das Verständnis des Menschen als Subjekt des Weltrechts schließt die im Völkerrecht übliche Mediatisierung der Einzelnen durch die Staaten (dazu 2. Teil, B, S. 107 ff.) aus. Wenn Kant das, „was der Mensch nach Freiheitsgesetzen tun soll“, für das „Wesentliche der Absicht auf den ewigen Frieden“ hält 1201

Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 225 (B 63, 64/A 62, 63). M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 37 ff., 101 ff.; W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, 1952, S. 83 f. 1203 J. Hruschka, Kants Rechtsphilosophie, JZ 2004, 1089. 1204 Aristoteles, Politik, S. 197, 1276b 1; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 431 ff.; vgl. auch J. Hruschka, Kants Rechtsphilosophie, JZ 2004, 1086 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 71 ff. 1205 Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1914, S. 136 ff. zum Wesen des Staates, siehe insbes. S. 174, 183; H. Kelsen, Das Problem der Souveränität, 1920, S. 51, 130 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 102 ff.; W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, S. 81 f.; K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986, S. 17 ff., 261 ff., 275 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, in: W. Blomeyer/K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 75 (89); A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 282; Ch. Horn, Philosophische Argumente für einen Weltstaat, Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 21 (1996), S. 240. 1202

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

„und zwar nach allen drei Verhältnissen des öffentlichen Rechts, des Staats-, Völker- und weltbürgerlichen Rechts“1206, dann „darf er die Autonomie der Staatsbürger auch nicht durch die Souveränität ihrer Staaten mediatisieren lassen“ (Jürgen Habermas).1207 Klaus Vogel meint aus erfahrungswissenschaftlicher Perspektive, daß die Behauptung, das Individuum könne nicht Rechtssubjekt des Völkerrechts sein, inzwischen durch die Entwicklung des Völkerrechts widerlegt sei.1208 Bislang sehen die traditionellen völkerrechtlichen Instrumente als Subjekte der Rechtsetzung nur Staaten und allenfalls Organe von Internationalen Organisationen vor. Die derzeit bestehenden internationalen Organe setzen sich in der Regel nur aus Vertretern der Staaten, nicht auch aus Bürgervertretern zusammen. Das Völkerrecht erkennt den Menschen nicht als (politisch) aktive Rechtsperson. In einer Weltrechtsordnung treten auf der internationalen Ebene Staaten und Internationale Organisationen auf (Völkerrechtsverfassung). Daneben existieren jedoch auch rechtliche Beziehungen zwischen Menschen/Vereinigungen von Menschen sowie zwischen Menschen/Vereinigungen von Menschen und Staaten (Weltverfassung). III. Verfolgung von Menschheitsinteressen Weltrecht dient nicht den Interessen einzelner Staaten, auch dann nicht, wenn diese im faktischen Sinn eine Weltmacht darstellen. Sein Zweck ist nicht der zwischenstaatliche Interessenausgleich, für den das Völkerrecht konzipiert ist, sondern die Verwirklichung der elementaren Belange der gesamten Menschheit. Wie das Völkerrecht ist Weltrecht dem Frieden verpflichtet, aber nicht nur zwischen Staaten, sondern auch zwischen Menschen.1209 Gegebenenfalls sind Institutionen, Instrumente und Verfahren zu schaffen, die dem Menschheitsinteresse bestmöglich zu dienen geeignet sind. In diesem Sinne formuliert die Präambel der UN-Charta die Entschlossenheit, „den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern, und für diese Zwecke . . . internationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern.“

1206

Kant, Zum ewigen Frieden, S. 223 (B 59, 60/A 59). J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 210. 1208 K. Vogel, Keine Bindung an völkervertragswidrige Gesetze im offenen Verfassungsstaat, in: Liber Amicorum P. Häberle, 2004, S. 481 (484). 1209 Zur Friedensfunktion des Rechts Hobbes, Leviathan, II, 17. Kap. (S. 155 ff.); 18. Kap. (160); 21. Kap. (193); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 714 ff.; vgl. auch B. Grzeszick, in: J. Isensee (Hrsg.), Der Terror, der Staat und das Recht, 2004, S. 55 (60 ff.). 1207

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts

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IV. Weltrecht als unabdingbares, allgemeinverbindliches Recht Als Menschheitsrecht zur Verfolgung von Menschheitsinteressen beansprucht Weltrecht, prinzipiell für die ganze Menschheit zu gelten. Deshalb muß seine Verbindlichkeit global und nicht nur zwischenstaatlich-synallagmatisch konzipiert werden. Die Rechtlichkeit der Beziehungen steht nicht wie im schuldrechtlichen Völkerrecht unter der Prämisse der Relativität. Weltrecht gründet damit nicht auf gegenseitigen, schuldrechtlichen Beziehungen zwischen einzelnen Staaten. Während völkerrechtliche Bestimmungen mit Ausnahme von ius cogens (dazu 3. Teil, E, S. 442 ff.) grundsätzlich abdingbar sind, ist Weltrecht im Rahmen des Rechts auf eine öffentliche Weltrechtsordnung zwingendes, unabdingbares Recht. Dies setzt voraus, daß seine Einhaltung auch von Amts wegen verfolgt wird.1210 Transnationale private Bemühungen und Rechtsbeziehungen sind damit nicht ausgeschlossen. V. Weltrecht als Maßstab für den Staat und für innerstaatliches Recht Mehr als das Völkerrecht, das seine Begriffe und Normen häufig den tatsächlichen Verhältnissen anpaßt (dazu 2. Teil, C, S. 162 f.) und dem es in vieler Hinsicht an rechtlicher Materialität fehlt (dazu 2. Teil, B, S. 149 f.), zielt Weltrecht auf die universelle Verwirklichung des Rechtsgedankens durch materielle Sollensvorschriften. Als Menschheitsrecht und Weltverfassungsrecht ist es gegenüber den staatlichen Ordnungen nicht „neutral“, sondern beansprucht vorrangige Geltung auch und insbesondere gegenüber Unrechtsordnungen, selbst wenn diese nach der Völkerrechtspraxis als gleiche und souveräne Staaten gelten (dazu 1. Teil, A, S. 59 ff.; 2. Teil, B, S. 143 ff.). Die uneingeschränkte Anerkennung eines Unrechtsregimes als souveräner und gleicher Staat verletzt die Menschenrechte der diesem Staat unterworfenen Menschen.1211 Teilweise wird sogar angenommen, ein Unrechtsstaat sei überhaupt kein Staat1212, weil Kant den Staat seiner Idee nach als Rechtsstaat beschrieben hat:

1210 Vgl. S. v. Schorlemmer, Verrechtlichung contra Entrechtlichung, in: B. Zangl/ M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 76 (85); zum Amtsprinzip K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 310 ff.; R. Gröschner, Die Republik, HStR, Bd. II, 2004, § 23, S. 369, Rn. 55 ff. 1211 F. Kambartel, Kants Entwurf und das Prinzip der Nichteinmischung, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 240 (243). 1212 K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, 1996, S. 29 ff.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

„Der Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen. So fern diese als Gesetze a priori notwendig, d. i. aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt von selbst folgend (nicht statuarisch) sind, ist seine Form die Form eines Staates überhaupt, d. i. der Staat in der Idee, wie er nach reinen Rechtsprinzipien sein soll, welche jeder wirklichen Vereinigung zu einem gemeinsamen Wesen (also im Inneren) zur Richtschnur (norma) dient. Ein jeder Staat enthält drei Gewalten in sich, d. i. den allgemein vereinigten Willen in dreifacher Person (trias politica): die Herrschergewalt (Souveränität), in der des Gesetzgebers, die vollziehende Gewalt, in der des Regierers (zu Folge dem Gesetz) und die rechtsprechende Gewalt (als Zuerkennung des Seinen eines jeden nach dem Gesetz), in der Person des Richters (potestas legislatoria, rectoria et iudicaria)“.1213

„Rechtsgesetze“ im Sinne des zitierten Textes sind freiheitliche Gesetze, formal als selbstbestimmte Gesetze und material im Sinne der Menschheit des Menschen, die durch die Menschenrechte geschützt ist.1214 Damit hat Kant den Staat normativ beschrieben, wie er seiner Idee nach rein rechtlich sein soll und an die innerstaatliche Ordnung eines Staates einen weltrechtlichen Maßstab gelegt; denn auch ein friedliches Zusammenleben der Völker wird unter lauter Despotien nicht gelingen. Dennoch kann daraus nicht gefolgert werden, daß entgegen dem herrschenden Staatsbegriff nur Ordnungen, die diesen Idealen entsprechen, Staaten genannt werden dürfen. Ungeachtet seines Rechtsstatus als „Staat“, muß er sich an rechtlichen Maßstäben messen lassen. Die Maßstäbe des Weltverfassungsrechts für die staatliche Ordnung hat Kant im ersten Definitivartikel in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ genannt: „Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein.“1215 Das Weltverfassungsrecht stellt in diesem Sinne an jede Ordnung die Anforderungen der bürgerlichen Verfaßtheit, der volonté générale, der Rechtsstaatlichkeit, der praktischen Vernunft, der Gewaltenteilung und der Achtung der Menschenwürde.1216 Unter normativen Gesichtspunkten reicht es damit nicht, daß Staaten nur anhand von Effektivitätskriterien (Drei-Elemente-Lehre) als souveräner Staat anerkannt werden1217, wenngleich die Faktizität von rechtlosen Herrschaftsgebilden ebenso wie bei de facto-Regimen aus Gründen der Friedenssicherung in der Völkerrechtsordnung zu berücksichtigen ist. Zur Sicherung des Friedens bleiben völkerrechtliche Prinzipien daher verbindlich. Die im anglo-amerikanischen 1213

Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 431 (A 165 B 195). K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden, S. 10 ff. 1215 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 (BA 20, 21, 22); s. a. 3. Teil, B, S. 220 ff. 1216 Zu den Voraussetzungen einer Republik im kantianischen Sinne eingehend K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 1 ff.; ders., Freiheit in der Republik, 2006, S. 34 ff.; vgl. auch H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, 1953, S. 27; O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 246; H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, Der Staat 34 (1995), S. 1 (11 ff.). 1217 K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), 1997, S. 205 f., Rn. 67 f. 1214

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts

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Rechtsraum bekannte Anerkennung von Regierungen1218 läßt den Bestand des Staates unangetastet und kann damit sowohl Effektivitäts- als auch Legitimitätserwägungen Rechnung tragen. Allerdings folgt aus der Nichtanerkennung einer Regierung der Abbruch diplomatischer Beziehungen, was in dieser Rigorosität der aus dem Rechtsprinzip folgenden Pflicht der Staaten, miteinander in rechtliche Beziehung zu treten, nicht förderlich ist. Der Status von Staaten im rechtlichen und im faktischen Sinn ist unter weltrechtlichen Gesichtspunkten konsequent zu unterschieden. Die Anerkennung erlangt dann nicht nur wie in der bisherigen völkerrechtlichen Praxis überwiegend deklaratorische Funktion1219, sondern vermehrt normative Bedeutung. Die Anerkennung als Staat im Rechtssinn setzt entgegen der bisherigen überwiegenden Ansicht auch voraus, daß die Regierung von den Bürgern nicht nur als despotisches Herrschaftsregime angenommen wird.1220 Fraglich ist, ob die von Kant geforderte Republikanität der Staaten als Voraussetzung für die Teilnahme an dem von Kant favorisierten Völkerbund (Vereinte Nationen) im Sinne einer Homogenitätsklausel1221 ausgelegt werden muß1222 oder ob die republikanische Verfassung nur ein anzustrebendes Ziel ist. Die erste Möglichkeit wird dadurch gestützt, daß die am Friedensbund teilnehmenden Staaten „frei“ sein sollen.1223 „Frei“ könnte sich zwar auch nur auf die äußere Souveränität der Staaten beziehen, dies stimmt aber mit dem Freiheitsbegriff Kants nicht überein. Eine Republik der Republiken, die Kant als Ideal vorstellt, ist schon begrifflich nur zwischen Republiken möglich. Dafür spricht auch die fehlende Zwangsgewalt des Bundes über die Staaten; denn die Bindung der Staaten an das Recht und die Rechtlichkeit des Völkerrechts ist nur dann gesichert, wenn die Staaten rechtsstaatlich organisiert sind. Die Formulierung in dem Kantzitat, wonach die Verfassung in den Staaten republikanisch sein „soll“ und nicht „muß“, deutet wiederum darauf hin, daß die republikanische Verfassung in den Staaten zwar unbedingtes Ziel ist, sagt aber nicht, daß

1218 K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), S. 227, Rn. 150; K. Doehring, Völkerrecht, 1999, S. 404 ff. 1219 K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 227, Rn. 148; vgl. auch O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 2000, S. 76 ff.; BVerfGE 31, 1 (22). 1220 P. Koller, Frieden und Gerechtigkeit in einer geteilten Welt, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 213 (226). 1221 D. Archibugi, International organization in perpetual peace projects, Review of International Studies 18 (1992), S. 295 (311); R. Wittmann, Kants Friedensentwurf – Antizipation oder Utopie?, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 142 (143); V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, 2000, S. 90. 1222 So etwa M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, 1987, S. 161. 1223 O. Höffe, Völkerbund oder Weltrepublik?, in: ders. (Hrsg.), Zum ewigen Frieden, 1995, S. 109 (113).

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

dieses Ziel schon erreicht sein muß, wenn der Friedensbund zwischen den Staaten geschlossen wird. Zu verlangen, alle Staaten sollten vollendete Republiken sein, erst dann könne über einen Staatenbund nachgedacht werden, heißt einen solchen im Ergebnis abzulehnen. In der Wirklichkeit erfüllt kaum ein Staat alle rechtsstaatlichen und demokratischen Voraussetzungen, selbst wenn er sich Republik nennt. In der Bundesrepublik Deutschland z. B. ist wie auch in anderen Staaten das Prinzip der Autonomie des Willens, der Selbstgesetzgebung des Volkes insbesondere aufgrund der Parteienoligarchie nicht optimal verwirklicht.1224 Die republikanische Verfassung ist ein Ideal, der sich die Verfassung eines Staates nur annähern, es aber nie erreichen kann.1225 Die Republikanität der Staaten ist somit eine vorausgesetzte Pflicht, aber kein in Vollendung zu verlangendes Kriterium für jede Art von Weltgemeinschaft.1226 Damit soll aber dennoch nicht der Ansicht Robert Coopers1227 gefolgt werden: „Es ist höchst wünschenswert, daß die Welt von einer anerkannten Körperschaft des internationalen Rechts regiert werden soll; dennoch im Umgang mit Staaten (oder zusammenbrechenden Staaten), denen dieses Recht nichts bedeutet, müssen wir möglicherweise zu den rauheren Methoden früherer Zeitalter zurückkehren.“

Die Bindung an die Grundsätze des Völkerrechts kann nicht von der Rechtlichkeit des Staates abhängig gemacht werden. Kant hat die Geltung des Völkerrechts nicht auf Republiken beschränkt, sondern auf alle Staaten bezogen, wie etwa das von allen Staaten gegenüber jedem Staat einzuhaltende Verbot gewalttätiger Intervention im fünften Präliminarartikel seiner Schrift ,Zum ewigen Frieden‘1228 zeigt. Auch gegenüber Diktaturen, selbst gegenüber Despotien, sind wegen der Friedensfunktion des Völkerrechts elementare völkerrechtliche Prinzipien, insbesondere das Gewaltverbot grundsätzlich einzuhalten. Je intensiver der Integrationsgrad der Weltrechtsordnung ist, desto mehr ist vorauszusetzen, daß Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte in den Staaten und in der Weltorganisation selbst geachtet wird1229, damit die Realisierung dieser Prinzipien in der Weltordnung nicht durch eine Universaldespotie unterlaufen werden. Eine Republik der Republiken könnte zudem 1224 Dazu K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, 1988, S. 128 ff., 141 ff.; H. H. v. Arnim, Entmündigen die Parteien das Volk?, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21/90, S. 25 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 772 ff.; 1045 ff.; W. Maihofer, Prinzipien der freiheitlichen Demokratie, HVerfR, 1994, S. 1709 ff.; D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, 2003, S. 31 ff., Rn. 73 ff. 1225 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 90. 1226 Vgl. V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 91. 1227 R. Cooper, Gibt es eine neue Weltordnung?, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 102 (117). 1228 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 199 (BA 11, 12). 1229 Vgl. B. Boutros-Ghali, Agenda für den Frieden v. 31.1.1992, 1993, Nr. 81, 82.

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts

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die innerstaatliche Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit und freiheitlicher Demokratie in den einzelnen Staaten befördern.1230 Auf Weltebene hatte Kant die Hoffnung, „daß ein mächtiges und aufgeklärtes Volk sich zu einer Republik bilden kann, so gibt diese einen Mittelpunkt der Föderativen Vereinigung für andere Staaten ab, um sich an sie anzuschließen, . . . und sich durch mehrere Verbindungen dieser Art nach und nach weiter auszubreiten.“ Insbesondere mit den USA hätten sich solche Hoffnungen verbinden können. Allerdings sind diese durch den teilweisen Rückzug der Supermacht aus dem Völkerrecht enttäuscht worden. Auch regionale Vereinigungen wie die Europäische Union könnten Kernpunkte einer Weltrepublik bilden. Jedoch nur unter der Voraussetzung, daß sie selbst den republikanischen Anforderungen genügen. Eine Weltrepublik setzt unabdingbar die Republikanität ihrer Glieder1231 voraus, weil sie sonst wegen des Risikos, despotisch mißbraucht zu werden, freiheitsrechtlich nicht tragfähig wäre. Solange die Verbindung der Staaten Unrechtsregime nicht ausnimmt, besteht immer die Gefahr, daß sich Interessen von Despotien und außenpolitische Rücksichtnahmen der Republiken gegen eine folgenreiche Kritik und Anklage undemokratischer, menschenrechtsverachtender Strukturen verbünden.1232 Das Recht jedes Bürgers auf eine republikanische Regierung und die Pflicht der Staaten und der Weltgemeinschaft, die Voraussetzungen hierfür zu schaffen, sind Bestandteil des Weltrechts. Daraus folgt die Universalisierung des Verfassungsstaates, wie sie Peter Häberle thematisiert hat: „Der nationale Verfassungsstaat ,verinnerlicht‘ Vorgänge und Aufgaben in der (einen) Welt, er sieht sich in globalen (oder regionalen) Bezügen und ordnet sich entsprechend ein. Er normiert (seine) Grundwerte für die Welt, universal.“1233

Zahlreiche Verfassungen enthalten Welt- oder Weltfriedensklauseln.1234 Für Deutschland sind die Präambel, Art. 1 Abs. 2 GG, Art. 24 Abs. 2 GG zu nennen. Voraussetzung für den Frieden, der im Falle ihres Fehlens bedroht wäre, ist jedenfalls, daß die innerstaatliche Ordnung aller Staaten ein Mindestmaß effektiver Grundrechtsverbürgungen zum Schutz von „Würde und Wert der menschlichen Person“1235 gewährleistet. Dies ergibt sich auch aus dem in Art. 1 Ziff. 3 UN-Charta niedergelegten Oberziel, die „Achtung vor den Menschenrechten

1230

D. Held, Democracy and the Global Order, 1995, S. 231 ff., 237. K. Baltz, Eine Welt, S. 90 f.; vgl. auch Art. 28 Abs. 1 GG. 1232 F. Kambartel, Kants Entwurf und das Prinzip der Nichteinmischung, S. 244. 1233 P. Häberle, Verfassungslehre in „weltbürgerlicher Absicht“, in: R. Pitschas (Hrsg.), Entwicklungen des Staats- und Verwaltungsrechts in Südkorea und Deutschland, 1998, S. 27 (39). 1234 Dazu mit Bsp. P. Häberle, Verfassungslehre in „weltbürgerlicher Absicht“, S. 39 ff. 1235 Vgl. Präambel UN-Charta. 1231

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

und Grundfreiheiten . . . zu fördern und zu festigen“. In diesem Sinn definiert Felix Ermacora den Staat als „jene von Menschen durch Rechtsnormen zu einer effektiven regionalen Ordnung gefaßte Materie, die jedermann diskriminationslos ein menschenwürdiges Dasein gewährleisten und, in Koexistenz wie Koordination mit anderen, zur Gestaltung einer universalen Friedensordnung fähig sein und beitragen soll.“1236

An die internationale Anerkennung einer Ordnung als Staat, welcher als gleich souverän angesehen wird, sind also bestimmte Mindestvoraussetzungen zu stellen.1237 Fraglich ist nur: Wer darf und kann sich anmaßen, zu beurteilen, welche Ordnungen die Anerkennung als „Staat“ verdienen? Einzelstaaten steht dies wegen der Vermutung der Staatengleichheit nicht zu. Hierfür bedürfte es der Institutionalisierung eines internationalen Verfahrens zur Feststellung und Aberkennung als Staat im rechtlichen Sinn. Fast kein Staat erfüllt in der Praxis alle Voraussetzungen eines Rechtsstaates. Deshalb sind die Anforderungen an einen Staat im rechtlichen Sinn von der Staatengemeinschaft festzulegen und können nicht mit der idealen Republik Kants gleichgesetzt werden, weil es sonst kaum mehr Staaten geben würde. Willkürherrschaften oder eindeutige Unrechtsordnungen, welche die Menschenrechte konsequent und in erheblichem Umfang mißachten, können allerdings nicht mehr rechtlich, sondern nur noch als faktische Staaten begriffen werden. Sie stehen zwar nicht außerhalb des Völkerrechts und seiner Bindungen, sind aber keine vollwertigen (souveränen) Völkerrechtssubjekte. Despotien und andere menschenrechtsverachtende Regime, deren Unrechtmäßigkeit durch die Versammlung der Mitglieder des Staatenverbundes oder ein Weltgericht festgestellt worden ist, dürfen nicht als gleichberechtigte Mitglieder aufgenommen werden, obwohl ihre völkerrechtlichen Pflichten in vollem Umfang erhalten bleiben.1238 Sie sind nicht „friedliebend“ i. w. S. Sie können aber, um auf ihre Entwicklung zu einer Republik fördernd wirken zu können, assoziiert werden.1239 Eine Vollmacht im Sinne von Art. 7 i.V. m. Art. 2 lit. c WVK der Vertreter eines Unrechtsstaates ist nicht mehr zu vermuten. Systematische Verletzungen von Staaten gegenüber republikanischen Prinzipien sollten vor einem obligatorischen internationalen Gerichtshof (Weltgerichtshof) und gegebenenfalls vor einem Menschengerichtshof angeklagt werden können.1240 Für Mißachtung des Weltstrafrechts ist inzwischen durch die Institutionalisierung des Internationalen Strafgerichtshofs ein entsprechendes Forum geschaffen worden (dazu 6. Teil, F, S. 995 ff.). 1236

F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 1970, Bd. 1, S. 276. Vgl. dazu Th. M. Franck, The Emerging Right to Democratic Governance, AJIL 86 (1992), 46 ff.; W. Rüdiger/Ch. Philip, Die Taliban – ein Subjekt des Völkerrechts?, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch 2003, S. 145 (149 ff.). 1238 R. Wolfrum/Ch. Philip, Die Taliban – ein Subjekt des Völkerrechts?, S. 153. 1239 F. Kambartel, Kants Entwurf und das Prinzip der Nichteinmischung, S. 243 ff. 1240 F. Kambartel, Kants Entwurf und das Prinzip der Nichteinmischung, S. 245. 1237

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts

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Neben einer repressiven Haltung gegenüber Unrechtsregimen in der Weltgemeinschaft sollte die Republikanisierung der Staaten aktiv gefördert und mit den zur Verfügung stehenden zulässigen Mitteln durchgesetzt werden. Dies würde eine konsequente Weltfriedenspolitik des Sicherheitsrats oder anderer Weltorgane voraussetzen. Erwägenswert ist auch, ein Sezessionsrecht von in Unrechtsstaaten unterdrückten Völkern anzuerkennen. Nicht-Republiken können aber auch zunächst mit den Mitteln des Völkerrechts rechtlich eingebunden werden. Dies wird versucht im Bereich der Menschenrechte, in der Entwicklungspolitik und im Völkerstrafrecht (dazu 4. Teil, A, 6. Teil, F, S. 977 ff.).

VI. Geltung und Rang des Weltrechts in den staatlichen Ordnungen und gegenüber dem Völkerrecht 1. Unmittelbare Geltung des Weltrechts Weltrecht gilt im Gegensatz zum Völker- oder internationalen Recht nicht nur zwischen Staaten, sondern ebenfalls zwischen Menschen, zwischen Völkern und zwischen Menschen und Staaten, ist also Recht aller Menschen. Es gilt deshalb auch unmittelbar in den Staaten.1241 Als mit der Freiheit geborenes Weltrecht gilt es in jedem Staat unmittelbar. Die innerstaatliche Geltung des originären Weltrechts ist unmittelbar mit seiner Begründung verbunden (dazu 3. Teil, B, S. 277 ff.). Daraus folgt ein Recht auf eine verfaßte Weltrechtsordnung (3. Teil, B, S. 299 ff.). Die Weltrechtsordnung ermöglicht die Materialisierung und Verwirklichung des geborenen Weltrechts durch (positive) Weltrechtsetzung. Weltrechtsetzung ist entweder weltstaatlich aufgrund eines Weltverfassungsgesetzes in Form von Sekundärrechtsakten durch Weltorgane mit Legislativbefugnis oder funktional in völkerrechtlichen Verträgen und allgemeinen Grundsätzen möglich.1242 Eine monistische Begründung der innerstaatlichen Geltung völkerrechtlicher Verträge ist weltrechtlich im Gegensatz zu dem im Völkerrecht praktizierten Dualismus, der die innerstaatliche Geltung von einem staatlichen Transformationsakt oder Rechtsanwendungsbefehl abhängig macht (2. Teil, B, S. 124 f.). Zur Sicherstellung (demokratischer) Selbstbestimmung ist ein Rechtsanwendungsbefehl nicht erforderlich. Im Falle weltstaatlicher Rechtsetzung wird die demokratische Legitimation auf den Willen eines Weltvolkes zurückgeführt und im Falle völkerrechtlicher Verträge durch die Zustimmung der Völker zu den Verträgen vermittelt (dazu 5. Teil, C). Inhaltliche Widersprüche zwischen Völkerrecht und nationalem Recht zwingen ebenso wie im Bundesstaat zwi-

1241 Im Ergebnis wohl auch I. Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constitutionalism, S. 996. 1242 Vgl. dazu 3. Teil, S. 448 ff., 5. Teil.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

schen Bundes- und Landesrecht nicht zu einem dualistischen Verständnis, sondern zu Rangregeln.1243 2. Unmittelbare Anwendbarkeit des Weltrechts Anders als das Völkerrecht berechtigt und verpflichtet Weltrecht unmittelbar die Menschen/Bürger, die dessen Rechtssubjekte sind. Es ist unmittelbar anwendbar1244; denn Weltrecht muß als durchsetzbares Recht von nationalen Instanzen von Amts wegen angewandt werden und vor nationalen Gerichten einklagbar sein, jedenfalls soweit das Recht hinreichend materiell bestimmt ist. Demzufolge muß es einer Person möglich sein, Menschheitsrecht, sei dieses im staatlichen Recht, in völkerrechtlichen Verträgen oder überpositiv verankert, einzuklagen.1245 Obgleich die Zulassung von Popularklagen dem Legalitätsprinzip bestmöglich dient1246, kann aus Praktikabilitätsgründen der subjektive Rechtsschutz durch gewisse materielle Voraussetzungen beschränkt werden. So erkennt der Europäische Gerichtshof nur Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die „rechtlich vollkommen“, d. h. ohne sie näher bestimmende Vollzugsregeln anwendbar sowie unbedingt sind, in einer Handlungs- oder Unterlassungspflicht der Mitgliedstaaten bestehen und die den Mitgliedstaaten keinen Ermessensspielraum lassen, als unmittelbar anwendbar (wirksam).1247 Die unmittelbare Anwendbarkeit des Völkerrechts kann regelmäßig in völkerrechtlichen Verträgen vorgeschrieben werden, was zu einem Paradigmenwechsel zum Weltrecht führt. Unmittelbar anwendbare Vorschriften sind nicht mehr nur Regeln zwischen Staaten, sondern auch in den Staaten und damit funktional Weltrecht. Ungleichheiten in der Anwendung, die sich aus dem Vollzug des Weltrechts ergeben1248, können durch verbindliche Auslegung im Rahmen der Rechtsprechung einer Weltgerichtsbarkeit (dazu 3. Teil, C, S. 357 ff.) gelöst werden.

1243

Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1960, S. 330. Zum Begriff der ummittelbaren Anwendbarkeit 2. Teil, B, S. 123 f. 1245 Diese Forderung erhebt auch R. Knieper, Nationale Souveränität, 1991, S. 209. 1246 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 566, 931 f.; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, 1957, S. 328 ff.; vgl. auch Art. 98 Satz 4 BayVerf. 1247 Grundlegend Rs 26/62 van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung, Slg. 1963, 1 (25 f.); Rs 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251 (1273). 1248 Vgl. A. v. Bogdandy, Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit und Subsidiarität im transnationalen Wirtschaftsrecht, EuZW 2001, 357 (362). 1244

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts

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3. Vorrang des Weltrechts vor dem nationalen Recht In der dualistisch geprägten Völkerrechtspraxis hängt es von den Staaten ab, welchen Rang sie dem Völkerrecht innerstaatlich gewähren (dazu 2. Teil, B, S. 119 f.). Inhaltliche Widersprüche zwischen den inkorporierten völkerrechtlichen Vorschriften und den innerstaatlichen Gesetzen werden innerhalb der staatlichen Rechtsordnung durch Rangregeln gelöst.1249 Die lex posterior-Regel1250 ermöglicht keinerlei universelle Rechtsgeltung und Rechtskontinuität; denn ihre Anwendung führt dazu, daß jedes einzelstaatliche spätere Gesetz die weltrechtliche Regelung wieder aufheben könnte. Zu einem entsprechenden Ergebnis führt die lex specialis-Regel im Falle einer spezielleren nationalen Regelung. Überdies stellt die lex specialis-Regel keine verfassungsrechtliche Rechtseinheit im Sinne einer weltverfassungsrechtlichen Normenhierarchie her, weil sie sich nur auf einzelne Tatbestände beziehen kann. Die Rangbestimmung des Weltrechts kann nicht im Belieben der Einzelstaaten liegen. Dies widerspricht der als Wesensmerkmal vorausgesetzten universellen Geltung des Weltrechts. Soweit Weltrecht charakterisiert ist als zwingendes Recht, kann es nur Verbindlichkeit erlangen, wenn es vorrangig gilt oder zumindest vorrangig anwendbar ist. Nicht schon wegen einer universellen Weltvernunft1251, sondern aufgrund der Logik der Einheit und Widerspruchslosigkeit der öffentlichen Weltrechtsordnung (3. Teil, B, S. 257) beansprucht es in seinem Regelungsbereich Vorrang vor dem einzelstaatlichen Recht1252 entsprechend der lex superior-Regel. Der Vorrang des Weltrechts, der sich wegen der existentiellen Staatlichkeit der verfaßten Völker auf einen Anwendungsvorrang vor den staatlichen Rechtssätzen beschränkt, ist daher ein Wesensmerkmal des Weltrechts wie auch des Europarechts. Das ist nicht totalitär im geschichtlich geprägten Sinn, wie Marti Koskenniemi kritisiert1253, wenn das Weltrecht freiheitlich konzipiert ist, d. h. von der unmittelbaren Geltung des Prinzips der Selbstbestimmung ausgeht und seine materiellen Vorschriften auf dem Willen der Rechtsunterworfenen beruhen. Im übrigen ist zu bedenken: Wer etwas als „totalitär“ kritisiert, reklamiert als Gegenteil des Totalitären Selbstbestimmung als Rechtsgrund.

1249 M. Schweitzer, Staatsrecht III, 1997, S. 10 f.; M. Jestaedt, Der Europäische Verfassungsverbund, in: Gs W. Blomeyer, 2004, S. 637 (664 ff.). 1250 Vgl. K. Doehring, Völkerrecht, S. 304, Rn. 721; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 572 ff. 1251 Dazu kritisch M. Koskenniemi, Hierarchy in International Law, EJIL 8 (1997), 566 ff. 1252 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil III, DSWR 4/99, 116 (118). 1253 So kritisch M. Koskenniemi, Hierarchy in International Law, EJIL 8 (1997), 566 ff.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

4. Verhältnis des Weltrechts zum Völkerrecht Völkerrecht wird mit der Anerkennung von Weltrecht nicht obsolet. Es ist in der gegenwärtigen Staatenwelt soweit unverzichtbar, als es den äußeren Frieden als Teil des universellen Rechtsprinzips wahrt. Alles „zwischenstaatliche“ Recht untersteht weiterhin den Regeln des Völkerrechts. Widersprechen Regeln und Grundsätze des Völkerrechts dem Weltrecht, darf das Weltrecht nicht durch das Völkerrecht verdrängt werden, soll das Weltrecht nicht seine Universalität einbüßen. Völkerrechtliche Verträge, welche gegen Weltrecht verstoßen, sind nichtig, weil Weltrecht seiner Eigenart nach zwingendes Recht ist. Fraglich ist, wie das Verhältnis zwischen völkerrechtlichen und weltrechtlichen Prinzipien zu betrachten ist. Grundsätzlich gilt der Vorrang von universellen Rechtsprinzipien vor solchen völkerrechtlichen Grundsätzen, die auch, wenn sie gewohnheitsrechtlich anerkannt sind, dazu beitragen, Menschheitsrecht zu ignorieren oder unverfolgbar zu machen. So muß nach dem Weltrechtsprinzip die persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit Vorrang vor dem Grundsatz der Staatenimmunität genießen. Außerdem modifiziert eine „weltrechtskonforme Auslegung“ anhand weltrechtlicher Prinzipien hergebrachte völkerrechtliche Begriffe, so z. B. die Souveränität der Staaten. Allerdings darf die zwischenstaatliche Friedensfunktion des Völkerrechts (dazu 2. Teil, A, S. 103 f.) durch das Weltrecht nicht außer Kraft gesetzt werden. Im völkerrechtlichen Paradigma hat das Interventionsverbot Vorrang vor dem Weltrecht (z. B. Menschenrechte), im weltrechtlichen Paradigma sind Menschenrechtsverletzungen keine „inneren Angelegenheiten“ mehr und verbieten deshalb grundsätzlich Einmischungen ohne vis absoluta nicht (dazu 3. Teil, D, S. 382 ff.). Das Kriegs- und Gewaltverbot ist jedoch als zwingendes Recht (ius cogens)1254 immer zu beachten. Die Aufhebung des zwischenstaatlichen Gewaltverbots ginge mit der Beseitigung des Friedensgebots zwischen den Staaten einher. Dies ist nicht Zweck des Weltrechts, dem es um allgemeinen Frieden im positiven Sinn geht. Vielmehr setzt es den Frieden zwischen den Staaten voraus. „Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewalttätig einmischen“1255, verlangt Kant als Vorbedingung für den Frieden. Völkerrechtliche Prinzipien, die unmittelbar Ausfluß des Rechts- und Friedensprinzips und nicht in erster Linie des Souveränitätsprinzips sind, haben vor der Idee des Rechts grundsätzlich gleichen Rang wie menschheitsrechtliche Prinzipien. Zwischen diesen Prinzipien ist daher praktische Konkordanz herzustellen.1256 1254

Dazu S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 210 ff. Kant, Zum ewigen Frieden, fünfter Präliminarartikel, S. 199 (BA 11, 12). 1256 Vgl. zum Wesen von Prinzipien und dem daraus folgenden Abwägungserfordernis R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 2002, S. 120 f.; zur praktischen Konkordanz K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1995, S. 28, 142 ff.; A. Emmerich1255

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts

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VII. Rechtseinheit als Prinzipienordnung In seinem jeweiligen Anwendungsbereich setzt Weltrecht eine einheitliche öffentliche Rechtsordnung1257, eine Weltverfassung, zumindest als Prinzipienordnung, voraus. Prinzipien sind „Normen, die gebieten, daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohem Maße realisiert wird“.1258 Der Bereich der rechtlichen Möglichkeiten wird durch gegenläufige Prinzipien und Regeln bestimmt.1259 Dies führt in einer Prinzipienordnung zur Methode der praktischen Konkordanz1260 und der Abwägung.1261 Menschenrechte sowie freier Handel, Umweltschutz, Sozialprinzip können nicht nach dem Prinzip der Reziprozität miteinander in Ausgleich gebracht werden. Um zum Ziel praktischer Konkordanz zu gelangen, könnte auch in einer inkohärenten, pluralistischen Ordnung, wie sie derzeit besteht (dazu 2. Teil, B, S. 146 ff.), mit einer in der Praxis vernachlässigten Auslegungsmethode, „harmonische Auslegung“ mit anderen Völkerrechtssätzen (Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK), die zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung führt, eine gewisse Prinzipieneinheit erreicht werden.1262 VIII. Institutionalisierung von Weltrecht als öffentliches Recht Die stärkste Beeinträchtigung des Rechtsprinzips ist äußere Gewalteinwirkung als vis absoluta, insbesondere durch Krieg. Gegen zwischenstaatliche Gewalt hat das Völkerrecht Verbote und Regeln gesetzt, die zum Teil, wie das Gewaltverbot dem ius cogens1263 angehören. Gegen Bedrohungen vergleichbaren Ausmaßes, die von einem Staat oder Privaten ausgehen können, etwa infolge unzureichend gesicherter Anlagen, Abholzung von Regenwäldern, Umweltverschmutzung, CO2-Belastung, Terrorakten usw. schützt das Völkerrecht nur nach Maßgabe des Freiwilligkeitsprinzips (2. Teil, C, S. 156 ff.) und damit Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EGRechtsetzung, 2000, S. 250. 1257 U. Beyerlin, Staatliche Souveränität und internationale Umweltschutzkooperation, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 937 (939 f.). 1258 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 75. 1259 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76. 1260 Geprägt wurde dieser Begriff von K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 28, 142 f.; siehe A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 51, 250 ff. 1261 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 69 ff., 250 ff. 1262 Dazu H. Hohmann, Der Konflikt zwischen freiem Handel und Umweltschutz, RIW 2000, 97 ff. 1263 Dazu S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 210 ff.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

unzureichend. Das Rechtsprinzip fordert deshalb neben den Einzelstaaten und der Völkerrechtsordnung auch eine subsidiäre institutionelle Weltrechtsordnung (vgl. 3. Teil, B, S. 299 ff.). Institutionalisierung bedeutet, dem Rechtsprinzip durch festgelegte Institute, Verfahren und mit bestimmten Befugnissen ausgestatteten Organen Geltung zu verschaffen. Sie verhindert, daß nicht jede Einzelperson und jeder Staat das Weltrecht nach seinem Gutdünken auslegt und im Wege der Selbsthilfe verwirklicht, sondern daß gemeinsame Organe und öffentliche Verfahren geschaffen werden, welche die Aufgabe haben, das Weltrecht nach Rechtsregeln auch gegenüber den Staaten verbindlich zu erkennen, zu setzen und zu verwirklichen.1264 Institutionalisierung ermöglicht die Organisation eines Gemeinwillens, ein öffentliches Recht. Die Ausrichtung auf eine gemeinsame Sache bewirkt eine Versachlichung und Objektivierung von Entscheidungen.1265 Verzichtet man auf gemeinsame Organe vollständig, schließt dies zwar die Existenz von Weltrecht nicht aus (wenn man von der hier vertretenen These ausgeht, daß Weltrecht nicht Weltstaatlichkeit bedeuten muß), aber es wird sich schwer verwirklichen lassen. Rechtsstaatliche Institutionen und Verfahren kompensieren die empirische Unvollkommenheit der Menschen zugunsten der Vernunft ein Stück weit.1266 Bisher fehlen Organe und Verfahren, welche das Weltrecht materialisieren und durchsetzen, weitgehend. Zum Teil könnten diese Aufgabe die Organe der Staaten und gegebenenfalls auch die Institutionen des Völkerrechts übernehmen. Institutionalisierungsansätze zeigen sich, wenn in völkerrechtlichen Verträgen Inspektionen durch Internationale Organisationen, wie z. B. im Atomwaffensperrvertrag1267 für die Internationale Atomenergie-Organisation1268, vorgesehen sind. Auch justizielle Kontrollen, namentlich durch die Institutionalisierung von gerichtlichen oder gerichtsähnlichen Verfahren (vgl. etwa den Gerichtshof für Seerecht, das WTO-Streitbeilegungsverfahren, den Internationale Strafgerichtshof) tragen zur Entwicklung einer öffentlichen Weltrechtsordnung bei.1269 Weil unsicher ist, ob die Staaten von sich aus das Menschheitsrecht hinreichend erkennen, umsetzen und durchführen, ist ein Minimum an Weltinstitutionalisierung oder funktionaler Weltstaatlichkeit, für die Materialisierung und die Wirksamkeit des Weltrechts notwendig. 1264 Vgl. H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), 1(4 ff.). 1265 H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), 8 ff. 1266 In dem Sinn Kant, Zum ewigen Frieden, S. 224 (B 61, 62/A 60, 61). 1267 Vom 1.7.1968, BGBl. 1994 II, S. 807, in Kraft getreten am 29.4.1997, vgl. Art. VIII, IX und den Verifikationsanhang. 1268 www.iaea.org/; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1000, Rn. 32. 1269 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 222; vgl. dazu 6. Teil.

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts

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Institutionalisierung bedeutet auch sekundäre positive Rechtsetzung1270 in öffentlichen Entscheidungsprozessen und nicht in geheimen Verhandlungen.1271 Werden Weltorgane mit eigenen Rechtsetzungskompetenzen ausgestattet, erlassen diese positives (sekundäres) Weltrecht, das keiner der Rechtsquellen des Völkerrechts (vgl. Art. 38 IGH-Statut)1272 zuzuordnen ist, die unmittelbar auf dem Konsens der Staaten/Völker beruhen. Wer Weltrecht mit „Weltstaatsrecht“ identifiziert1273, wird für die Existenz von Weltrecht eine institutionalisierte Weltlegislative verlangen. Nach Ansicht von Alfred Verdross und Bruno Simma würde die Schaffung einer Weltlegislative das Völkerrecht in Weltstaatsrecht oder Weltbundesstaatsrecht verwandeln.1274 Die Umgestaltung der Staatengemeinschaft in einen Welt(-bundes)staat mit institutionalisierten Organen der Legislative, Exekutive und Judikative ist denkbar, wenn auch uno actu nicht realisierbar, weil die Völker hierfür ihre Staatlichkeit in der bisherigen Form aufgeben müßten.1275 Ein von den Staaten unabhängiges, allzuständiges, überstaatliches Gesetzgebungsorgan würde die Souveränität der Staaten und damit zugleich das Völkerrecht aufheben, weil die Souveränität beinhaltet, keinem fremden Willen unterworfen zu sein.1276 Zugleich könnte angenommen werden, daß es dem Begriff des Weltrechts entspricht, daß sich die Staaten einem „fremden Willen“ unterordnen müssen. Indes gehört es, wenn das Weltrecht freiheitlich begründet wird, nicht zum Wesen des Weltrechts, daß sich die Staaten einer überstaatlichen Macht unterordnen. Wesentlich vielmehr ist der Primat des Menschheitsrechts, welches nicht durch „fremde Rechtssätze“, sondern durch allgemeine, gemeinsame Rechtssätze materialisiert wird. Auch wenn für die Existenz von originärem Weltrecht ein Weltstaat nicht erforderlich ist, so wird seine effektive Durchsetzbarkeit und Verbindlichkeit durch Institutionalisierung doch erst möglich. Aus dem weltordnungsrechtlichen Subsidiaritätsprinzip1277, welches zum Schutz der Freiheit den Vorrang der Lebensbewältigung durch die kleinere Ein-

1270

H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), 15. Vgl. B. Zangl/M. Zürn, Make Law Not War, in: dies. (Hrsg.), Verrechtlichung – Baustein für Global Governance?, 2004, S. 12 (33 ff.). 1272 Dazu O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 166 ff.; W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 92 ff., 180 ff. 1273 Vgl. auch zur sogenannten Weltstaatsfalle J. Bernstorff, Der Glaube an das universale Recht, 2001, S. 74 ff. 1274 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 41, S. 34. 1275 H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV1 (1957), 10 ff. 1276 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 41, S. 34. 1277 O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, 2000, S. 18; vgl. auch K.-M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, 1999, S. 77; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, 2004, S. 319 ff. 1271

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

heit lehrt, soweit sie dazu in der Lage ist,1278, folgt, daß eine Institutionalisierung des Weltrechts nur in den Aufgabenbereichen erforderlich und geboten ist, welche die Staaten allein oder in völkervertraglicher Kooperation nicht bewältigen können. Rechtens kann es keine allzuständige, sondern allenfalls eine begrenzt ermächtigte Weltlegislative geben1279, welche Kompetenzübertragungen durch die in den Staaten vereinigten Völker auf gemeinschaftliche (nicht fremde) Organe voraussetzt (dazu 5. Teil, A). Sekundäre Weltrechtsetzung, die sich im Rahmen dieser übertragenen Kompetenzen hält, verletzt die Rechte der Staaten nicht. Dennoch beleibt fraglich, ob und wie sekundäre Weltrechtsetzung freiheitlich oder demokratisch sein kann. Darauf wird im 5. Teil, C eingegangen. IX. Durchsetzbarkeit des Weltrechts 1. Erzwingbarkeit des Weltrechts Weltrecht unterwirft die Rechtssubjekte unabdingbar dem Rechtsprinzip. Recht im strikten Sinn ist auf die Befugnis, das Recht durchzusetzen angelegt und nicht nur vom guten Willen der Rechtssubjekte abhängig.1280 Weltföderalisten folgern daraus, daß sich das Recht weltweit nur in einem Weltstaat, welcher die Souveränität der Staaten gänzlich abschafft, verwirklichen ließe.1281 Hans Kelsen meint allerdings, weil die vernunftrechtlichen Regeln, auf deren Grundlage das Weltrecht vorgestellt worden ist, ebenso einleuchten wie Regeln der Logik, bedürfe es für ihre Befolgung keiner Zwangsanwendung.1282 Richtig ist, daß das universelle Rechtsprinzip, die Geltung von Weltrecht als Menschheitsrecht, nicht von der Schaffung einer Weltzwangsgewalt und eines Weltstaa1278 Vgl. zum Subsidiaritätsprinzip J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968 (S. 28); H. Lecheler, Subsidiaritätsprinzip, 1993; P. Häberle, Prinzip der Subsidiarität aus der Sicht vergleichender Verfassungslehre, AöR 119 (1994), S. 169 ff.; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 320 ff. 1279 So auch I. Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constitutionalism, in: Fs. C. Tomuschat, 2006, S. 973 (994 f.). 1280 Vgl. zur Verbindung von Recht und Zwang: Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 338 f.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 545 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, In: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 123 ff.; a. A. G. Teubner, Globale Bukowina, 1996, S. 14 der die Sanktion nur noch als symbolische Unterstützung des Rechts, nicht mehr aber als Definitionselement des Rechts betrachtet. 1281 E. E. Harris, Global Governance or World Government?, in: ders./J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 69 (82); Ph. Isely, A Critique of „Our Global Neighbourhood“, in: E. E. Harris/J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 93 (122 f.). 1282 H. Kelsen, Die Idee des Naturrechts, 1928, in: E. Topitsch (Hrsg.), Staat und Naturrecht, Aufsätze zur Ideologiekritik, 1989, S. 73 (78).

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts

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tes abhängt.1283 Dies wäre ein Zirkelschluß; ist es doch als „Recht auf Recht“ erst auf Schaffung einer Weltverfassung gerichtet. Die unmittelbar aus der Freiheit und Menschenwürde deduzierbaren universellen Menschenrechte sind als vorstaatliche Rechte vor den nationalen und internationalen Instanzen durchsetzbar, soweit sie als evidente Verletzung von Kernrechten judiziabel sind (dazu 4. Teil). Zu seiner effektiven Verwirklichung bedarf Weltrecht der Verfassung und der Institutionalisierung von Durchsetzungsverfahren im Sinne der rule of law1284, die sowohl von den Staaten als auch von globalen Institutionen beachtet werden muß. Die rule of law ist nicht ausschließlich im Sinne der Rechtsstaatlichkeit deutscher Tradition zu verstehen, die voraussetzt, daß Recht „hoheitlich“ gesetzt wird. Demgegenüber orientiert sich die angelsächsische rule of law an der Dialektik des gerichtlichen Prozesses, in dem das Recht insbesondere durch Unrechtserfahrungen in prozessualen Verfahren erkannt und entwickelt wird.1285 Prozessuale, judizielle Durchsetzungsverfahren auf Weltebene, welche die Durchsetzung des Weltrechts durch nationale Gerichte ergänzen, verwirklichen die rule of law.1286 In erster Linie wird den Einzelstaaten aufgrund ihrer Souveränität die Befugnis zu physischem Zwang zugestanden.1287 Ihnen obliegt auch zunächst die Durchsetzung des Weltrechts. Wegen der souveränen Gleichheit der Staaten darf Zwangsgewalt ohne völkerrechtliche Ermächtigung nicht von anderen Staaten ausgehen. Ausschließlich auf der Basis des Prinzips der Freiwilligkeit, welches auf die Souveränität der Staaten Rücksicht nimmt, ist die rule of law jedoch nicht zu verwirklichen.1288 Das Rechtsprinzip verlangt nach der Durchsetzung des Rechts nicht nur in, sondern in gewissen Grenzen auch gegenüber den Staaten. Die Durchsetzung des universellen Rechtsprinzips durch die Staaten setzt die Republikanität der Staaten voraus. Sie stößt folglich dann auf Grenzen, wenn die Staaten Despotien sind. Das effektivste und mildeste Mittel, wäre es, Zwang gegenüber dem Despoten auszuüben. Das traditionelle Völkerrecht kennt 1283

Vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 31 f. Vgl. M. Kumm, The Legitimacy of International Law, EJIL 15 (2004), p. 907 (917, 918) spricht vom „principle of international legality“. 1285 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 287 f. 1286 Vgl. auch F. Kratochwil, Is International Law „Proper“ Law?, ARSP LXIX 1983, 13 (29, 34) „focus on law as mainly judicial activity“; demgegenüber fordert J. Austin, The Province of Jurisprudence Determined, 1995, S. 18, 20 ein Über- Unterordnungsverhältnis zwischen dem, der Recht setzt und dem, der das Recht zu befolgen hat. 1287 Hobbes, Leviathan, 13. Kap., (S. 112 ff.); O Höffe, Politische Gerechtigkeit, 1987, S. 307 ff.; A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HStR, Bd. II, 2004, § 17, S. 143, Rn. 35; V. Götz, Innere Sicherheit, HStR, Bd. III, 1988, § 79, S. 1008 ff. 1288 Vgl. E. E. Harris, Global Governance or World Government?, S. 80 ff.; R. J. Glossop, Global Governance Requires Global Government, S. 48 ff. 1284

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

keine Mittel, die sich punktuell gegen den Despoten selbst richten; zumal dieser durch ein Immunitätsrecht geschützt ist. Kriegerische Mittel1289 treffen das Volk, das völkerrechtlich durch die Staatsorgane als vertreten angesehen wird, unabhängig von deren Legitimation.1290 Sie sind daher ungeeignete, unverhältnismäßige Mittel zur Beseitigung des Despoten (dazu auch 6. Teil, F, S. 943 ff., 975 f.). In einem institutionalisierten öffentlichen Weltrecht verbleibt als Durchsetzungsmittel nicht allein der Krieg, der wegen des unabdingbaren Gewaltverbotes grundsätzlich unzulässig ist. Rechtsdurchsetzung ist nicht auf das sogenannte staatliche Gewaltmonopol beschränkt; denn über Gewalt verfügt jeder Mensch.1291 Mittel der „Selbsthilfe“1292, private Durchsetzungsinitiativen- und Mechanismen können gewisse punktuelle Sanktionswirkungen entfalten, gewährleisten aber keine gleichheitliche Rechtsdurchsetzung. Die Möglichkeit menschlicher sowie staatlicher Gewalt einerseits, das Prinzip gleicher Freiheit andererseits, zwingen, die Durchsetzung des Rechts gegenüber Staaten und Bürgern, prozessual und in öffentlichrechtlichen Verfahren zu sichern. Soweit die Staaten das Weltrecht nicht verwirklichen, gehören subsidiäre, obligatorische Durchsetzungsverfahren gegen diese Staaten, insbesondere gerichtliche Verfahren, zum weltrechtlichen Paradigma. Jedenfalls schwere oder fortwährende Verstöße gegen das Weltrecht und die nachhaltige Nichtbefolgung von Entscheidungen der Weltorgane, insbesondere von Urteilen der Weltgerichte erfordern ein Erzwingungsverfahren auf Weltebene.1293 Soweit Weltorgane die Befugnis erhalten sollen, Recht zu erzwingen, muß wegen des Freiheitszwecks des Rechts sichergestellt sein, daß deren Zwangsbefugnis begrenzt und freiheitlich legitimiert ist. Andernfalls würde eine Weltdiktatur geschaffen werden, welche die Sicherung des Rechts nicht qualitativ verbessern, sondern verschlechtern würde.1294

1289 Vgl. Grotius, der das militärische Eingreifen in einen Staat, dessen Volk von einem Despoten unterdrückt wird als „gerechten Krieg“ ansieht: De jure belli ac pacis (1625), lib. II, Cap. XXV, § 8; zur Abgrenzung von Krieg und Intervention aber K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 53 f. mit dem Hinweis, daß bei einer Intervention nach wie vor Friedens- und nicht Kriegsvölkerrecht anzuwenden sei. 1290 D. Archibugi, From The United Nations to Cosmopolitan Democracy, in: ders./ D. Held (Hrsg.), Cosmopolitan Democracy, 1995, S. 121 (131). 1291 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Grundgesetzliche Aspekte der freiberuflichen Selbstverwaltung, Die Verwaltung 31 (1998), S. 139 (151 ff.). 1292 Vgl. kritisch H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), 14 ff. 1293 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 344 (353). 1294 Vgl. H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), 15; dazu eingehend 5. Teil, A, S. 597 ff.

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2. Weltgerichtsbarkeit a) Weltgerichtsbarkeit als Voraussetzung einer Weltrechtsordnung Solange es keine obligatorische, internationale Gerichtsbarkeit gibt, ist der Naturzustand zwischen den Staaten nicht völlig beseitigt.1295 Die Möglichkeit und die Pflicht, verbindliche Rechtsentscheidungen bei einem unparteiischen, „objektiven Dritten“, einem Gericht, zu erlangen, ist der wichtigste Meilenstein für die Durchsetzung des Rechts und die offensichtlichste Form von „Verrechtlichung“.1296 Bevor Recht durchgesetzt werden darf, muß es zunächst verbindlich geklärt werden, wenn es streitig ist.1297 In den schwach verrechtlichten Verfahren des internationalen Rechts, aber auch im privaten Weltrecht, erfolgt das durch die Streitparteien selbst, gegebenenfalls in durch die Parteien bestimmten Schiedsverfahren. Gerichtsverfahren i. e. S. setzen dagegen die Unabhängigkeit der Richter voraus.1298 Der erste und entscheidende Schritt zu universeller Rechtsanwendung und Durchsetzung ist die Schaffung einer obligatorischen Weltgerichtsbarkeit1299 mit der Befugnis, in zwischenstaatlichen und in Menschheitsfragen verbindliche Entscheidungen zu erlassen, gegebenenfalls auch als vollstreckbare Rechtstitel und effektiven Rechtsschutz (vgl. Art. 8, 10 AEMR) zu gewährleisten. Ein breites Klagerecht und/oder Rechtsverfolgung ex officio1300 ermöglichen juridische Verfahren. Sie stehen im Gegensatz zu den politisch dominierten Verfahren der internationalen Beziehungen, in denen nur die einflußreichsten Rechtssubjekte, namentlich die mächtigsten Staaten, nach ihrer jeweiligen Interessenlage gegen Rechtsbrüche vorgehen.1301 Anders als völkerrechtliche Prozesse beansprucht ein weltrechtliches Verfahren, daß nicht nur Völkerrechtssubjekte, sondern alle von Rechtsbrüchen betroffenen Subjekte klagen können.1302 Weltgerichte sind demnach unabhängige Gerichte, die weltweit und obligatorisch zuständig sind, von Staaten, bestimmten Weltorganen, Bürgern und Nichtregierungsorganisationen angerufen werden können und für diese verbindliche Entscheidungen treffen. Etabliert sich eine Weltgerichtsbar-

1295 K. A. J. Hochheim (Justus Sincerus Veridicus), Von der europäischen Republik: Plan zu einem ewigen Frieden, 1796, S. 154. 1296 So auch B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 23 f., 27. 1297 Dazu vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 872 ff., 911 ff., 1137 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 122 f. 1298 B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 25. 1299 Dazu H. Kelsen, Peace through Law (1944) mit Annex I; H. Lauterpacht, The Function of Law in the International Community, 1933, S. 425 ff.; vgl. auch J. Bernstorff, Der Glaube an das universale Recht, S. 169 ff. 1300 S. v. Schorlemmer, Verrechtlichung contra Entrechtlichung, in: B. Zangl/M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 76 (85). 1301 B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 24. 1302 B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 25.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

keit in diesem Sinn, wird die Völkerrechtsgemeinschaft zu einer Weltrechtsordnung.1303 Subsidiärer Rechtsschutz durch ein Weltgericht ist unabweisbar, weil die Weltrechtsordnung ohne Rechtsdurchsetzungsinstanzen nur vom guten Willen und der Rechtlichkeit der Staaten abhängt. Gibt es keine Instanzen, die das Recht sichern, wenn dieser gute Wille fehlt, wird die rule of law, welche das Weltrecht kennzeichnet (dazu 3. Teil, D, S. 362 ff.), nicht hinreichend verwirklicht.1304 Gegenüber Staaten steht aufgrund deren innerstaatlichen Verfaßtheit die Kontrolle durch die Judikative im Vordergrund. Art. 24 Abs. 3 GG verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland, „zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten“, „Vereinigungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beizutreten“.1305 Der Terminus „Schiedsgerichtsbarkeit“ in Art. 24 Abs. 3 GG umfaßt nach einhelliger Meinung auch die völkerrechtliche „Gerichtsbarkeit“ im engeren Sinn.1306 Somit hält das Grundgesetz eine obligatorische internationale Gerichtsbarkeit nicht nur für zulässig, sondern verpflichtet sogar dazu. b) Defizite der internationalen Gerichtsbarkeit und weltrechtliche Forderungen Bereits Hans Kelsen hat Vorschläge für eine internationale Gerichtsbarkeit gemacht, die er ebenfalls als ersten Schritt zu einer Weltordnung angesehen hat.1307 Einem Gerichtshof, so meinte Kelsen, würden die Staaten weniger Widerstand entgegensetzen als einer Weltexekutive oder -legislative.1308 Die zeitlich nach Kelsens Werk geschaffene UN-Charta erfüllte dessen Hoffnungen insbesondere in zweierlei Hinsicht nicht. Die Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs (dazu 2. Teil, B, S. 138 ff.) ist erstens keine für alle Mitglieder der Vereinten Nationen allgemeine obligatorische Gerichtsbarkeit, sondern setzt voraus, daß sich die Parteien dem IGH im Einzelfall in Abkommen oder über die Fakultativklausel (Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut) unterwerfen. Das erinnert 1303 Vgl. H. Kelsen, Die Technik des Völkerrechts und die Organisation des Friedens, in: 14 ZöR (1934), S. 240 (253); L. Gross, States as Organs of International Law and the Problem of Autointerpretation, in: Fs. H. Kelsen, 1953, S. 59 (66). 1304 Der von S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 277, verwendete Begriff „internationale Anarchie“ geht zu weit, weil die Staaten meist Rechtsordnungen sind, in deren Rahmen sich das internationale Recht entfaltet. 1305 Dazu H. Mosler, Das Grundgesetz und die internationale Streitschlichtung, HStR, Bd. VII, 1992, § 179, Rn. 1 ff. 1306 H. Mosler, Das Grundgesetz und die internationale Streitschlichtung, HStR, Bd. VII, § 179, Rn. 16. 1307 H. Kelsen, Peace Trough Law (1944), 1973, S. 13 ff., 19 ff., 129 ff. 1308 H. Kelsen, Peace Trough Law, S. 19 f.

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts

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mehr an ein schiedsgerichtliches als an ein gerichtliches Modell.1309 Zweitens beschränkt sich seine Zuständigkeit auf Streitigkeiten zwischen Staaten. Internationale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und Einzelne sind vor diesem Gericht nicht parteifähig. Darin zeigt sich, daß der Internationale Gerichtshof allenfalls ein Organ des internationalen Rechts und nicht ein solches des Menschheits- oder Weltrechts ist.1310 Die Anerkennung der Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs als allgemeine obligatorische Gerichtsbarkeit wäre ein entscheidender paradigmatischer Wechsel zur Institutionalisierung einer Weltrechtsordnung.1311 Mit der Fakultativklausel allein, der sich naturgemäß nicht alle Vertragsparteien unterwerfen, kann dies nicht erreicht werden. Vielmehr bedürfte ein solches Vorhaben einer Vertragsänderung, die nicht völlig unmöglich erscheint. Die Forderung, einen Weltstrafgerichtshof zu schaffen1312, vor dem Einzelpersonen für Menschheitsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden können, ist inzwischen (allerdings ohne Teilnahme der USA) realisiert worden (dazu 6. Teil, F, S. 991 ff.). Darüber hinaus müßten im Unterschied zum bisherigen völkerrechtlichen System für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen auch Klagemöglichkeiten für Individuen geschaffen werden1313, wenn der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft oder versperrt ist. Wird die Position der Individuen nicht gestärkt, bleibt es bei einem rein zwischenstaatlichen Modell.1314 Prädestiniert hierfür wäre ein spezieller Menschengerichtshof1315. Auf diese Weise würde eine Funktionenteilung der Gerichtsbarkeit einerseits für internationale und andererseits für spezifisch menschenrechtliche (weltrechtliche) Konflikte ermöglicht. Jede Partei muß vor dem Gericht in ihrer Sprache vortragen dürfen und das Urteil sollte in den Sprachen der Parteien ergehen. c) Vollstreckbarkeit Obwohl durchaus von dem Urteil selbst schon eine gewisse Rechtsdurchsetzungswirkung ausgeht, ist des weiteren zu überlegen, inwieweit die Urteile eines Weltgerichts als Rechtstitel vollstreckt werden müssen und können und ge1309

D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 144. So auch D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 144. 1311 Vgl. auch D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 352 f.; K.-M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, S. 22, 50. 1312 Vgl. K.-M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, S. 22, 50. 1313 Fordert auch S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, 1999, 268 f. 1314 Vgl. auch D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 147. 1315 D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 220 (233). 1310

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

gebenenfalls von wem. Dabei ist zwischen Staaten und Individuen zu unterscheiden. Eine unabhängige, zentrale Vollstreckungsinstanz hätte institutionell weltstaatlichen Charakter und weckt entsprechende Befürchtungen. Nach Art. 94 Abs. 2 UN-Charta ist die Vollstreckbarkeit von Urteilen des Internationalen Gerichtshofes schon heute – wenn auch nicht praktizierter – Stand der Möglichkeiten des Sicherheitsrates, der allerdings derzeit nicht die Erfordernisse eines nur dem Recht verpflichteten, unabhängigen Organs erfüllt (dazu 6. Teil, C, S. 716 ff.). Auf das Gebot der Nichteinmischung können sich Staaten gegenüber der Weltgemeinschaft nicht berufen, wenn sie Unrecht begehen.1316 Ob aber vis absoluta als letztes Zwangsmittel gegen Staaten, die ein Urteil nicht befolgen, also letztlich militärische Gewalt, zulässig ist, ist angesichts des Gewaltverbots fraglich; denn die Nichtbeachtung eines Urteils allein, es sei denn, schon hierdurch würde im Einzelfall der Weltfrieden bedroht, rechtfertigt noch keine Ausnahme vom Gewaltverbot. Weil und soweit die Staaten Rechtsstaaten (Republiken) sind, ist ein verbindliches Urteil in der Regel ausreichend, die Staaten zu verpflichten, den Rechtsverstoß zu beseitigen. Die Wirklichkeit lehrt, daß die Staaten, weil sie oft keine Republiken im Sinne Kants sind, solche Urteile häufig nicht einhalten. Denkbar sind milde Zwangsmittel, wie sie etwa in Art. 228 EGV vorgesehen sind. Gegenüber Unrechtsordnungen sind Vollstreckungsmaßnahmen durch Weltorgane unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ultima ratio auch mit vis absoluta denkbar, wenn ihnen gegenüber durch das Weltgericht die Unrechtlichkeit festgestellt worden ist und solange sich Zwangsmaßnahmen auf diejenigen Organe und Personen beschränken, die das Recht verhindern. Damit ist die Zulässigkeit humanitärer Interventionen durch Staaten nicht entschieden (dazu 6. Teil, F, S. 935 ff.). Urteile gegenüber Individuen durchzusetzen, ist grundsätzlich Sache der Staaten, in denen sie als vollstreckbare Titel gelten (vgl. auch Art. 243 i.V. m. 256 EGV). 3. Subjektiver Rechtsschutz Zweck des Weltrechts als Menschheitsrecht ist in erster Linie der Schutz der Rechte der Menschen. Erst subjektive Rechte bringen Würde und Personalität des Menschen zur Geltung.1317 Subjektive Rechte i. e. S. setzen voraus, daß sie

1316 So auch F. Kambartel, Kants Entwurf und das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Staatsangelegenheiten, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 240 (243); vgl. auch J. Rawls, Das Völkerrecht, in: S. Shute/ S. Hurley (Hrsg.), Die Idee der Menschenrechte, 1993, S. 53 (83). 1317 BVerfGE 30, 1 (40 ff.); H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2002, § 8, Rn. 4.

C. Begriffsmerkmale und Elemente des Weltrechts

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gerichtlich einklagbar sind.1318 Vermittels eines effektiven subjektiven Rechtsschutzes wird die Rechtspersönlichkeit des Menschen verwirklicht. Der Justizgewährleistungsanspruch ist ein Menschenrecht (vgl. Art. 10 AEMR, Art. 6 EMRK). Könnten sich Einzelne direkt vor nationalen und (nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs) internationalen Gerichten in einem fairen Verfahren1319 auf die Einhaltung von Weltrecht berufen, ist dies allein ein Paradigmenwechsel zum Weltrecht in der Rechtspraxis. Damit wäre zugleich das Problem der Durchsetzbarkeit des Weltrechts zum großen Teil gelöst; denn die unmittelbare Einklagbarkeit einer Vorschrift ermöglicht ihre effektive Durchsetzung, wie die Praxis des Gemeinschaftsrechts gezeigt hat.1320 Die konsequente Stärkung der Rechtsposition des Individuums macht eine zentrale (exekutivische) Durchsetzungsgewalt auf Weltebene entbehrlich.1321 Subjektiver Rechtsschutz dient damit auch dem Legalitätsprinzip.1322 Jeder Einzelne ist als Rechtssubjekt nicht nur in Bezug auf seine eigenen Belange zu würdigen, sondern ebenfalls als Hüter der Rechtsordnung.1323 Ergänzt wird ein effektiver subjektiver Rechtsschutz gegebenenfalls durch Entschädigungsansprüche für Menschenrechtsverletzungen. X. Zusammenfassung der Merkmale des Weltrechts Weltrecht läßt sich zusammenfassend im Unterschied zum Paradigma des Völkerrechts durch folgende typische Merkmale kennzeichnen: • Universalität, Allgemeinverbindlichkeit versus Relativität, • Rechtssubjektivität des Menschen versus Staatenzentrierung, • Verfolgung von Menschheitsinteressen versus Staatsräson, • ius cogens versus ius dispositivum, 1318 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1960, S. 139 ff.; W. Henke, Das subjektive Recht, DÖV 1980, 621 (626); H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8, Rn. 2, 5; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 325 f. 1319 Vgl. zu den Voraussetzungen eines fairen Verfahrens BVerfGE 38, 105 (111); 46, 202 (210); 49, 24 (55); 57, 250 (274 f.); 63, 45 (60 f.); 66, 313 (318 f.); 69, 381 (385 f.); 78, 123 (126); 91, 176 (180); K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 128 ff. 1320 A.-M. Burley/W. Mattl, Europe Before the Court, International Organization, 1993, 41 (60 ff.). 1321 Vgl. die relative Bedeutungslosigkeit des Bundeszwangs in Art. 37 GG in der Praxis neben dem ausgebauten individuellen Rechtsschutz in Deutschland. Meist initiieren Bürger die Überprüfung von Rechtsverletzungen. Vgl. K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 266 ff. 1322 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 321 ff. 1323 Vgl. EuGH, Rs 26/62 Van Gend & Loos, Slg. 1963, S. 1 (26).

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

• Maßstab für den Staat und für innerstaatliches Recht versus Neutralität, • unmittelbare Geltung, unmittelbare Anwendbarkeit versus Zwischenstaatlichkeit, • Vorrang versus beliebiger Rangbestimmung durch die Staaten, • Rechtseinheit versus Rechtszersplitterung, • Weltverfassung versus Rechtsunvollkommenheit, • Öffentlichrechtlichkeit versus Privatrechtlichkeit, • Verbindlichkeit versus Freiwilligkeit, • subjektiver Rechtsschutz versus Mediatisierung des Einzelmenschen.

D. Grundprinzipien des Weltrechts Aufgrund der bisherigen Überlegungen können folgende Grundprinzipien des Weltrechts formuliert und den im 2. Teil, C behandelten völkerrechtlichen Grundprinzipien gegenübergestellt werden. I. Prinzip der Selbstrechtsetzung Grundlage des Weltrechts ist die Rechtssubjektivität des Menschen.1324 Vermöge seiner Fähigkeit zur Vernunft ist der Mensch selbstgesetzgebend und damit Subjekt des Rechts schlechthin.1325 Dementsprechend erkennt Art. 1 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung den Menschen als „mit Vernunft“ begabtes Wesen. „Vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle“, hat Kant gefordert.1326 Demgemäß muß sich das „vernünftige Wesen . . . jederzeit als gesetzgebend“ betrachten.1327 II. Primat des Rechts Weltrecht heißt Verwirklichung des Rechtsprinzips auf Weltebene. Das Rechtsprinzip verlangt die Einhaltung des Rechts und den Primat des Rechts, gegebe1324 Vgl. i. d. S. B.-O. Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat 42 (2003), S. 61 (64 f.). 1325 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45); ders., Über den Gemeinspruch, S. 146 (A 237, 238); siehe auch B. Bujo, Welches Weltethos begründet die Menschenrechte?, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 44. 1326 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 66 (BA 74, 75). 1327 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67 (BA 76, 77); dazu 5. Teil, C, S. 616 ff.

D. Grundprinzipien des Weltrechts

363

nenfalls auch vor den aus der Souveränität der Staaten fließenden Grundsätzen.1328 1. Recht und Souveränität Anders als das Völkerrecht, das die Souveränität der Staaten nicht nur anerkennt, sondern, wenn man so will, als Grundnorm voraussetzt1329, ist das Weltrecht von der rule of law1330 bestimmt. Georges Scelle hat auf den Widerspruch zwischen Souveränität und rule of law in der institutionalisierten Völkerrechtsgemeinschaft hingewiesen.1331 Jedenfalls begrenzt der Primat des (universellen) Rechts die Souveränität der Staaten. Diese soll und darf sich zur Verwirklichung des Rechts, aber nicht gegen das Recht entfalten. So formulieren Alfred Verdross und Bruno Simma das Souveränitätsprinzip dahingehend, daß der souveräne Staat nicht dem politischen Willen anderer Staaten, sondern nur dem Recht unterworfen sei.1332 Hugo Krabbe spricht von der „Souveränität des Rechts“1333, Peter Häberle von der „Souveränität der Verfassung“1334. Souveränität im völkerrechtlichen Sinn schließt despotische, unrechtmäßige Herrschaft im Inneren des Staates nicht aus und wird sogar durch das Prinzip der Nichteinmischung geschützt, weil der völkerrechtliche, neutrale Begriff der Souveränität nicht notwendig an die Selbstbestimmung des Volkes, das in allgemeiner Gesetzgebung, d. h. auf der Grundlage des Diskurses zum Recht findet, anknüpft.1335 Die Handlungsfreiheit der Staaten, auch als demokratisches Selbst1328 Vgl. zum deutschen Rechtsstaatsprinzip K. Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 796 ff., 825, 829, 838; E. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, HStR, Bd. II, 2004, § 26, S. 541, Rn. 21 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 88, Rn. 197 f.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 105 ff.; zum Gemeinschaftsrecht A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 114 ff.; zum Weltrecht: Internationale Juristen-Kommission, Internationaler Juristenkongreß über „Maßnahmen der Exekutive und Rechtsstaat“, Entschließung in Rio vom 15.12.1962, Mitteilungsblatt der IJF, Genf 1963, Nr. 14, S. 3; O. Kimminich, Das Völkerrecht im Atomzeitalter, 1969, S. 229; R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit und Reine Rechtslehre, 1966, S. 58; kritisch H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), 20 ff. 1329 Vgl. A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 717 (728); J. H. Jackson, Changing Fundamentals of Internationale Law and International Economic Law, AVR 41 (2003), S. 435 (438 ff.). 1330 Vgl. zur rule of law J. Delbrück, Peacekeeping by the United Nations and the Rule of Law, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 293 (294 ff.); vgl. auch A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 115, 178 f. 1331 G. Scelles, Précis de droit des gens, Vol. I, 1932, S. 62 f. 1332 A. Verdross, Einheit des rechtlichen Weltbildes, 1923, S. 35; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 29. 1333 H. Krabbe, Die moderne Staatsidee, 1919, S. 263. 1334 P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 263. 1335 H. Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, BDGV 1 (1957), 1 (20 ff.).

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

bestimmungsrecht der Völker, besteht unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht grenzenlos. Sie wird nicht nur durch das bestehende Völkerrecht eingeschränkt, sondern allgemein durch das gleiche Recht der anderen Staaten auf Selbstbestimmung. Dazu gehört auch, daß die tatsächliche Fähigkeit, das gute Leben der Bürger des Staates in allgemeiner Freiheit sichern zu können, von anderen Staaten nicht gestört wird. Gerade das Selbstbestimmungsrecht der Staaten verlangt, weil es allen Staaten gleichermaßen zusteht, Grenzen, die nach der Vernunft, also nach Rechtsprinzipien und nicht durch reale Machtverhältnisse gezogen werden.1336 Ein weltrechtlicher Begriff der Souveränität kann sich nur in den Grenzen des (universellen) Rechts entfalten. Daraus folgt, daß ein Unrechtsregime sich nicht mißbräuchlich auf ein Souveränitätsrecht berufen darf, um Unrecht zu begehen. Das geht aber nicht soweit, daß gegenüber einem Unrechtsstaat die völkerrechtlichen Prinzipien keinerlei Geltung besitzen. Er wird nicht „vogelfrei“; denn die Rechtsordnung gilt auch für den Delinquenten. Die Entterritorialisierung der Lebensverhältnisse und das deshalb gebotene Weltrecht relativiert das Innen-Außen-Schema zwischen Völker- und Staatsrecht. Ein neutraler Staatsbegriff ist daher kein Garant mehr für weltweiten Frieden. Dieser läßt sich, wie im Zeitalter globalen Terrorismus mehr als deutlich wird, nur herstellen, wenn sich der Verfassungsstaat als Modell weltweit durchsetzt. Deshalb ist es geboten, den Staatsbegriff um Mindestvoraussetzungen demokratischer Selbstbestimmung sowie um solche der Rechtsstaatlichkeit zu erweitern. Das ist nicht als Beschränkung der Staatlichkeit, sondern als rechtliche Form ihrer Ausübung, anzusehen. Aus einer vom nationalen Territorialstaat geprägten Sicht mag ein Paradigmenwechsel zum Weltrecht als Einschränkung nationalstaatlicher Souveränitätsansprüche wahrgenommen werden.1337 Für die durch die Weltrechtsordnung abschließend geregelten Sachgebiete können sich die Nationalstaaten jedoch nicht mehr auf ihre nationale „Souveränität“ berufen und einen nationalen Alleingang unternehmen. Ihre Handlungsfähigkeit wird insoweit eingeschränkt.1338 Ein Unrechtsstaat unterliegt dem Gewaltverbot, ist aber im übrigen nicht durch das Verbot der Nichteinmischung geschützt. Der formelle völkerrechtliche Gleichheitsgrundsatz wird damit relativiert. Das ist jedoch kein wesentlicher Bruch mit dem praktizierten Völkerrecht; denn dieses hält sich ebenfalls nicht strikt an den formellen Gleichheitssatz, wie die hegemoniale Stellung mächtiger Staaten in internationalen Organen (z. B. Sicherheitsrat, Art. 23 UN1336

Vgl. dazu M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 10 ff., 177 ff. Dazu vgl. U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, S. 122 ff.; A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), 2000, S. 151 (160 ff., 170 ff.). 1338 Vgl. S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 269. 1337

D. Grundprinzipien des Weltrechts

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Charta) zeigt. Sachliches Differenzierungskriterium für eine unterschiedliche Behandlung ist weniger die faktische Innehabung militärischer und wirtschaftlicher Macht, als vielmehr die Achtung der bürgerlichen und politischen Freiheit sowie der Rechtsstaatlichkeit. In den Statuten der Weltorganisationen kann vorgesehen werden, daß Staaten im völkerrechtlichen Sinn, die bestimme Mindestanforderungen der Rechtsstaatlichkeit nicht erfüllen, Mitentscheidungsbefugnisse im Bereich der Sicherheit, der Menschenrechte sowie judizielle Aufgaben nicht zustehen. 2. Legalitätsprinzip versus Reziprozitätseinwand Das Weltrecht gründet auf der Idee einer Weltrechtsgemeinschaft in Angelegenheiten, welche die gesamte Menschheit betreffen. Menschenrechte sind Rechte aller Menschen gegeneinander.1339 Weltrecht erfordert das Legalitätsprinzip; also die unabdingbare Einhaltung des objektiven Rechts, zwischen allen Menschen. Auch wenn die gegenseitige Erwartung, daß das Recht eingehalten wird, eine Reziprozitätsbeziehung schafft, kann der für synallagmatische Austauschverhältnisse zwischen einzelnen Staaten konzipierte Reziprozitätseinwand gegenüber der Erfüllung weltrechtlicher Pflichten nicht geltend gemacht werden; denn diese verpflichten inter omnes und nicht inter partes. Der zwischenstaatliche Reziprozitätseinwand vereitelt die Verwirklichung des Weltrechts. Damit wirkt im Weltrecht das Reziprozitätsprinzip als Prinzip wechselseitiger rechtlicher Verpflichtetheit grundsätzlich inter omnes und der völkerrechtliche, zwischenstaatliche Reziprozitätseinwand wird vom Legalitätsprinzip verdrängt. Sichtbar wird das Legalitätsprinzip im derzeitigen Völkerrecht z. B. in Verpflichtungen erga omnes und traités-lois (dazu 3. Teil, E, S. 436 ff.), welche nicht dem Reziprozitätseinwand unterliegen. Ein Paradigmenwechsel zeigt sich, wenn in Verträgen, die bisher vom Reziprozitätsprinzip bestimmt waren, zwischen den Mitgliedstaaten statt der typischen einzelstaatlichen völkerrechtlichen Selbsthilfemaßnahmen ein obligatorisches Streitschlichtungs- oder Klageverfahren zur Durchsetzung des Legalitätsprinzips institutionalisiert wird, wie dies am Beispiel der WTO (6. Teil, C, S. 742 ff.) gezeigt wird. Verbindliche Streitbeilegungsmechanismen und gerichtliche Verfahren schließen einseitige völkerrechtliche, aus dem Reziprozitätsgedanken abgeleitete Selbsthilfemaßnahmen (Repressalien, Retorsionen) aus.1340 1339 Vgl. G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 246 ff.; O. Höffe, Transzendentale Interessen, in: W. Kerber (Hrsg.), Menschenrechte und kulturelle Identität, 1991, S. 15 (29). 1340 Vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Annex 2, Art. 23 DSU; A. Weber/F. Moos, Rechtswirkungen von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen im Gemeinschaftsrecht, EuZW 1999, 229 (231); A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 168,

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

3. Rechtsprinzip versus bona fides Die Ablösung des Grundsatzes bona fides, welcher die Durchsetzung des Völkerrechts bestimmt, durch das Legalitätsprinzip ist ein wesentlicher Schritt zum Weltrecht, welches nicht allein vom guten Willen der Rechtsgenossen abhängt. Es setzt voraus, daß es neben einer Pflicht, das Recht einzuhalten, auch eine solche, das Recht zu verfolgen gibt. Dies ist solange nicht der Fall, als es, wie im Völkerrecht üblich, den Staaten oder Internationalen Organisationen überlassen bleibt, ob sie gegen Rechtsverletzungen vorgehen oder nicht.1341 Die Staaten sind verpflichtet, für die rechtsstaatliche innerstaatliche Umsetzung des Weltrechts zu sorgen. Auf globaler Ebene wird das Rechtsprinzip dadurch verwirklicht, daß Weltorgane und/oder die Staaten verpflichtet sind, gegen Rechtsverletzungen im Wege eines obligatorischen institutionalisierten Verfahrens, kontrolliert durch eine obligatorische, einklagbare Gerichtsbarkeit einzuschreiten. Von solchen Verfahren, vorausgesetzt sie sind rechtsstaatlich, geht eine hohe Legitimations- und Verbindlichkeitswirkung aus. Sie erhöhen die Chance, daß eine praktisch vernünftige Entscheidung getroffen wird, sofern alle relevanten Gesichtspunkte diskursiv zur Geltung kommen.1342 III. Prinzip der Selbstbestimmung 1. Begründung und Inhalt Das Selbstbestimmungsprinzip (dazu auch 2. Teil, C, S. 184 ff.) war eine Forderung der Aufklärung und der Französischen Revolution1343 als das subjektive Recht, sich selbst Gesetze geben zu können (politische Freiheit), bezogen auf ein Volk, sich als verfassungsgebende Gewalt zu konstituieren.1344 Es entspricht der sogenannten Volkssouveränität1345 oder im republikanischen Sinn 178; Schlußanträge des Generalanwalts Siegbert Alber v. 15. 5. 2003, Rs C-93/02 P Biret International SA/Rat der Europäischen Union, Slg. 2003, 10499, Rn. 102 ff.; vgl. auch EuGH, Rs 7/71 Kommission/Frankreich, Slg. 1971, 1003 (1020). 1341 Vgl. L. Gross, States as Organs of International Law and the Problem of Autointerpretation, S. 63 ff. 1342 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 123 ff. 1343 Zur Geschichte W. Heidelmeyer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, 1973, S. 9 ff.; D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, 1976, S. 15 ff.; ders., Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 113 (115 ff.). 1344 Vgl. Rousseau, in: Politische Schriften I, S. 218 f.; ders., Vom Gesellschaftsvertrag I, 6. Kap, S. 16 ff.; 7. Kap., S. 20; Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 74 (BA 87) f., S. 81 (BA 97, 98); ders., Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 432 (A 166/B 196). 1345 D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 115; vgl auch S. Oeter, Demokratieprinzip und Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 329 (342).

D. Grundprinzipien des Weltrechts

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der Selbstbestimmung der Bürger1346. Auf der Grundlage von Recht und Freiheit ist das Selbstbestimmungsrecht (self-government) die eigentliche Grundlage staatlicher Souveränität sowie der Legitimation des Völkerrechts.1347 Staatliche Souveränität und Völkerrecht werden durch das Selbstbestimmungsrecht legitimiert, ausgefüllt und begrenzt. Damit ist das Selbstbestimmungsrecht ein weltrechtlicher Grundsatz und zugleich ein (welt-)rechtlicher Maßstab für die einzelstaatlichen Verfassungen.1348 In der überkommenen Völkerrechtslehre werden dagegen staatliche Souveränität und Selbstbestimmungsrecht der Völker getrennt betrachtet.1349 Hans Kelsen hat zunächst das Selbstbestimmungsrecht im Sinne eines Rechts auf demokratische Regierung vertreten.1350 Diese aufgeklärte Lesweise des Selbstbestimmungsrechts bricht, wie Kelsen sodann erkannt hat, mit dem Völkerrecht.1351 Das völkerrechtliche Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten ist nämlich nicht davon abhängig, daß die Staaten Republiken sind (dazu 1. Teil, A, S. 60; 2. Teil C, S. 159). Zudem gilt das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten der Staaten, wozu auch die Regierungsform gehört (dazu 2. Teil, C, S. 168 ff.). Selbst wenn inzwischen gravierende Menschenrechtsverletzungen nicht mehr ausschließlich dem Bereich innerer Angelegenheiten zugerechnet werden, so hat sich im Völkerrecht noch nicht allgemein die Auffassung durchgesetzt, daß hierzu auch die politische Freiheit des Menschen gehört, obwohl diese in verschiedenen Texten1352 anerkannt ist.1353 Das Selbstbestimmungsrecht des Völkerrechts bezieht sich somit nur auf die Handlungsfreiheit eines Staates in eigenen Angelegenheiten gegenüber anderen Staaten und der Staatengemeinschaft, nicht aber auch auf den Grundsatz politischer Freiheit in den Staaten.1354 Damit hat das Völkerrecht mit seiner formalen Betrachtungsweise 1346 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 650 ff.; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 1998, S. 244 f.; M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, 2004, S. 279. 1347 H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 343, Rn. 5; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 58 ff.; C. Hillgruber, Der Nationalstaat in der übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, 2004, § 32, S. 929, Rn. 71; 2. Teil, C, S. 155 f., 184 ff. 1348 Vgl. in diesem Sinn vorsichtig D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 135 f. 1349 H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 355, Rn. 1. 1350 H. Kelsen, The Law of the United Nations, 1951, S. 52. 1351 D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 126 f., 136 f. 1352 Art. 3, 4, 5 und 6 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789; Art. 20 Abs. 2, 38 GG; Art. 21 AEMR, Art. 25 Pakt IPbpR. 1353 Siehe nur J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 73 ff. 1354 Vgl. Ch. Beitz, Theory and International Relations, 1979, S. 92, der insoweit einen „negativen“ (Nichtintervention) und einen „positiven“ Aspekt (Autonomie) der Selbstbestimmung unterscheidet.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

den Begriff der Selbstbestimmung um ihren Kern beraubt1355 und im wesentlichen auf bestimmte Fälle äußerer Herrschaft über Völker wie Kolonialisierung1356, territoriale Integritätsansprüche, Schutz vor Intervention und Besetzung begrenzt.1357 Weltrechtlich betrachtet ist ein Unrechtsregime aus Gründen der Friedenssicherung zwar noch Völkerrechtssubjekt, aber nicht als „gleich souverän“ (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta) anzuerkennen, weil der Wesensgehalt der „Souveränität“, das Selbstbestimmungsrecht des Volkes (Art. 1 Nr. 2 UN-Charta, 23 Nr. 2 AEMR), fehlt.1358 In diesem Sinn haben manche Autoren die Forderung erhoben, das Prinzip der Souveränität der Staaten durch das Prinzip der Souveränität der Völker und damit durch das Prinzip der Selbstbestimmung oder das demokratische Prinzip abzulösen.1359 Damit wird ein Souveränitätsbegriff für freiheitlich demokratische Verfassungsstaaten, der zugleich für unfreiheitliche Systeme als weltrechtlicher Maßstab gilt, entwickelt.1360 Selbstbestimmung des Volkes mutiert damit zur (weltrechtlichen) Essentiale des Staates. Dies ist ein paradigmatischer Wechsel. Die neuere Völkerrechtslehre zeigt weltrechtliche Tendenz, soweit sie das Selbstbestimmungsrecht im Sinne eines Rechts auf Demokratie und auf rechts- und verfassungsstaatliche Ordnung begreift.1361 In diesem Sinne sieht eine Auffassung nunmehr das (freiheitlich-demokratische) Selbstbestimmungsrecht und nicht mehr eine selbstbezogene Souveränität der Staaten als Geltungsgrund des Nichteinmischungsverbotes an.1362 Zu klären bleibt, wie das Selbstbestimmungsrecht Wirksamkeit erlangen kann, insbesondere ob die Staatengemeinschaft gegen ein Unrechtregime vorgehen darf und muß.1363

1355 Vgl. H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 355 befürwortet die „Trennung staatlicher Souveränität und Selbstbestimmungsrecht“. 1356 Dazu Ch. Beitz, Political Theory and International Relations, S. 92 ff. 1357 Siehe B. R. Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, 2000, S. 161 ff. 1358 Siehe 2. Teil, C, S. 155 f. 1359 G. Gottlieb, Nation Against State, 1993, S. 21 f.; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, in: W. Blomeyer/ders. (Hrsg.), die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 75 ff. 1360 Vgl. dazu U. Fink, Legalität und Legitimität von Staatsgewalt im Lichte neuerer Entwicklungen im Völkerrecht, JZ 1998, 330 ff. (337 f.). 1361 In dem Sinn J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 777 (794); Th. M. Franck, The Emerging Right to Democratic Governance, AJIL 86 (1992), 46 ff.; C. Hillgruber, Der Nationalstaat in der übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, § 32, S. 929, Rn. 71 ff. 1362 Ch. Hillgruber, Friedenssicherung durch Einmischung?, in: H. Neuhaus (Hrsg.), Sicherheit in der Welt heute, 2001, S. 27 (35 ff.). 1363 Dazu 3. Teil, D, S. 375 ff.; 6. Teil, F, S. 935 ff.; vgl. auch G. Gottlieb, Nation Against State, S. 22; schon K. A. J. Hochheim (Justus Sincerus Veridicus), Von der europäischen Republik, 1796, S. 327 ff.

D. Grundprinzipien des Weltrechts

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2. Subjekte des Selbstbestimmungsrechts Das Selbstbestimmungsrecht der Staaten stimmt mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker/Nationen überein, wenn der Staat demokratisch oder republikanisch durch das Staatsvolk definiert wird.1364 Subjekte des Selbstbestimmungsrechts sind der Bürger und in seiner Vielheit die Bürgerschaft, in der Regel ein Staatsvolk. Fraglich ist, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Recht einer Volksgruppe gegen den Staat, dessen Angehörige sie sind, verstanden werden darf. Einige Autoren sprechen sich dafür aus.1365 Gidon Gottlieb will der Nation eine vom Staat und vom Territorium losgelöste Rechtssubjektivität verschaffen:1366 Er sieht eine Lösung darin, den Nationen, die er als Völker ohne eigenes Territorium begreift, personelle Souveränität zuzugestehen und sie vergleichbar den Staaten als Völkerrechtssubjekt anzuerkennen. Die Beziehungen zwischen Territorialstaaten und Nationen könnten dann durch Verträge, z. B. Assoziationsabkommen, geregelt werden.1367 Diese Auffassung kann unter dem völkerrechtlichen Paradigma keine Zustimmung finden, weil das Faktum der Präsenz einer Volksgruppe auf einem Gebiet, die nach Selbständigkeit von dem Staat strebt, zu dem sie gehört, auch immer die, untrennbar mit den völkerrechtlichen Begriffen vom Staat und dessen Souveränität verbundene, Frage der Territorialität aufwirft.1368 Eine extrem weltrechtliche Sicht, welche die staatliche Gebietshoheit der Selbstbestimmung der Völker unterordnet, etwa weil es wegen des gemeinschaftlichen Besitzes aller Menschen an der Erdoberfläche1369 kein Eigentum des Staates an einem Gebiet, sondern nur Verwaltung für seine Bürger gibt1370, würde sich über die Gebietshoheit der Staaten hinwegsetzen. Die Gebietshoheit eines Staates beruht weltrechtlich gesehen nicht einfach im Sinne des uti possidetis-Prinzips auf schlichter Besitznahme durch 1364 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 6. Kap., S. 18 f.; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 431 (A 165 B 195); K. A. Schachtschneider, Res publica. Res populi, S. 1 ff. 1365 H.-J. Heintze, in: K. Ipsen Völkerrecht, S. 357 f., Rn. 8 ff.; E. J. Hobsbawm, Nations and Nationalism Since 1780, 1992, S. 9; G. Gottlieb, Nation Against State, Introduction, S. xii.; G. Dördelmann, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 147 ff.; vgl. auch D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 116. 1366 G. Gottlieb, Nation Against State, S. 24 ff. 1367 G. Gottlieb, Nation Against State, S. 24 ff. 1368 Vgl. H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 346, Rn. 12; E. Chadwick, Self-Determination, Terrorism, 1996, S. 3 f.; vgl. auch zum völkerrechtlichen Grundsatz uti possidetis, wonach die Abgrenzung von Völkern, die von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen nicht ethnisch, sondern territorial, nach bereits bestehenden innerstaatlichen Grenzen vorgenommen wird. Dazu IGH, Burkina Faso/ Mali, ICJ Rep. 1986, 554 (565); dazu H. Neuhold, Strukturelle Veränderungen im internationalen System, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 5 (33 f.). 1369 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 360 (AB 66), S. 476 (A 230, 231/B 260, 261). 1370 G. Dördelmann, Dürfen Völker sezedieren?, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 151.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

einen Herrschaftsverband (z. B. einer Annexion1371), weil sich aus der empirischen Besetzung allein keine rechtliche Rechtfertigung der Gebietshoheit ableiten läßt. Sie ist peremptorisch1372, solange sie nicht von den anderen Staaten (durch Verträge, diplomatische Beziehungen) anerkannt wird. Dann allerdings ist sie aus Gründen des Rechtsfriedens zu beachten. Soweit einem Volk innerhalb eines Staatsgebietes ein Selbstbestimmungsrecht zusteht, kann es in Bezug auf dieses Recht eine von der Völkerrechtssubjektivität des Staates, dem es tatsächlich bisher angehört, unabhängige, eigene Rechtssubjektivität beanspruchen. Ein Anspruch auf ein bestimmtes „Gebiet“ ist damit noch nicht ohne weiteres verbunden. Im übrigen reicht ein ethnisch-kulturelles oder religiöses Zusammengehörigkeitsgefühl nicht aus, um politische Selbstbestimmung oder einen „eigenen Staat“ fordern zu können. Voraussetzung für ein „Volk“ als Subjekt des Selbstbestimmungsrechts im politischen Sinn ist ein ausgedrückter kollektiver Wille, der auf eine gemeinsame Verfassung, einen gemeinsamen Staat gerichtet ist1373, auch wenn ein eigener Staat, wie z. B. im Falle der Palästinenser, denen ein Selbstbestimmungsrecht zuerkannt wird1374, noch nicht erreicht ist. Dieser Wille wird nicht notwendig über Generationen hinweg durch einmalige Unterwerfung unter eine bürgerliche Verfassung verbraucht.1375 Wegen der zu berücksichtigenden Gebietshoheit kann ein nach Selbstbestimmung trachtendes Volk nicht ohne Zustimmung des betreffenden Staates und des auf diesem Gebiet lebenden Staatsvolks, dessen Territorialität berührt wird, und gegen den Konsens der Staatengemeinschaft ein bestimmtes Gebiet beanspruchen und die bestehende gebietliche Ordnung der Staaten und damit den Weltfrieden in Frage stellen. Aus dem Selbstbestimmungsrecht hat das Volk jedoch zumindest einen Anspruch auf Verhandlung und Einigung über eine gebietliche Neuordnung gegenüber dem Staat, dem es bisher angehört und gegenüber der Staatengemeinschaft. Daß dies in der Praxis, wenn auch unter Rückschlägen zu verwirklichen versucht wird, zeigt das Ringen um einen selbständigen Staat Palästina.1376

1371 Zur Völkerrechtswidrigkeit gewaltsamer Einverleibungen siehe Art. 2 Ziff. 4 „Friendly Relations“-Deklaration vom 24.10.1970, Anhang der Resolution der Generalversammlung Nr. 2625 (XXV), abgedruckt in Sartorius II, Nr. 4; Art. 5 Abs. 3 der „Aggressionsdefinition“ im Anhang der Resolution der Generalversammlung Nr. 3314 (XXIX) vom 14.12.1974, abgedruckt in Sartorius II, Nr. 5: „Kein sich aus einer Aggression ergebender Gebietserwerb oder besonderer Vorteil wird als rechtmäßig anerkannt oder darf als rechtmäßig anerkannt werden.“ 1372 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 366 (AB 74) f. 1373 E. Chadwick, Self-Determination, Terrorism, S. 4 f. 1374 Dazu R. B. Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, S. 189 ff.; vgl. Resolutionen der Generalversammlung der UN zum Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser 2672 C (XXV) vom 8.12.1970, Yearbook of the United Nations 1970, 282 f. und 3236 (XXIX) vom 22.11.1974, Yearbook of the United Nations 1974, 226 f. 1375 G. Dördelmann, Dürfen Völker sezedieren?, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 154.

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3. Grenzen des Selbstbestimmungsrechts Begreift man das Selbstbestimmungsrecht im republikanisch-politischen und nicht im ethnischen Sinn1377, ist es zweifelhaft, ob dieses Recht unter einem Verfassungsgesetz auch noch gilt. Nach der Definition Kants ist ein: „Volk . . . eine Menge von Menschen, . . . die im wechselseitigem Einflusse gegen einander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinenden Willen, einer Verfassung (constitutio) bedürfen, um dessen, was Rechtens ist, teilhaftig zu werden.“1378 Wenn sich das Selbstbestimmungsrecht auf eine freiheitliche, bürgerliche Verfassung richtet, besteht es jedenfalls weiter, wenn es an einer solchen gänzlich fehlt wie in einer Despotie.1379 Aus dem Recht auf eine bürgerliche Verfassung oder auch aus dem Notwehrrecht folgt ultima ratio ein Selbstbestimmungsrecht gegen Fremdherrschaft.1380 Ein aus dem Selbstbestimmungsrecht fließendes Recht auf Sezession einer ethnischen Minderheit, wie es etwa die Basken beanspruchen, ist dagegen, wenn die Volksgruppe unter einer freiheitlichen Staatsverfassung lebt, nicht ohne weiteres gerechtfertigt.1381 Ein etwaiges ethnisch-kulturelles Selbstbestimmungsrecht kann grundsätzlich nur zu ethnisch-kultureller, einschließlich religiöser, Selbstbestimmung innerhalb eines Staates berechtigen1382, nicht aber auch zur politischen Loslösung von dem Staat oder gar zur gewaltsamen Durchsetzung ethnisch-kultureller Selbstbestimmung1383. Außerdem berührt es, weil es Sonderrechte beansprucht, die Gleichheit der Bürger.1384 Erst wenn der betreffende Staat das Selbstbestimmungsrecht nachhaltig mißachtet oder ein Konsens unmöglich erscheint, etwa weil der Staat die Rechte der Ethnie unterdrückt, ist ein Sezessionsrecht von Gruppen aus dem 1376 Dazu die einschlägigen Verträge und Deklarationen unter www.palestinecenter. org/cpap/document.html (zuletzt geprüft: 3.9.2006). 1377 So auch J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, S. 795; D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 135 ff. 1378 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 429 (A 161, 162/B 191, 192). 1379 Vgl. enger beschränkt auf fundamentale Rechtsverletzungen K. Doehring, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, nach Art. 1, Rn. 36 ff. 1380 So O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globaliserung, 2002, S. 390 ff. 1381 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 318; D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 129 f.; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 84; J. Habermas, Inklusion – Einbeziehen oder Einschließen?, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 154 (171); ders., Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, 1998, S. 110 f. 1382 Zu den verschiedenen Modellen, wie das kulturell-ethnische Selbstbestimmungsrecht innerhalb eines Staates verwirklicht werden kann O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 383 f. 1383 D. Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, AVR 22 (1984), S. 130 ff. 1384 Dazu S. Oeter, Demokratieprinzip und Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 329 (344 ff.).

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Staatsvolk ultima ratio anzuerkennen.1385 Im Fall von Völkermord dürfte dies regelmäßig der Fall sein, obwohl die herrschende Staatenpraxis, wie das Beispiel Kosovo zeigt, sehr zurückhaltend ist.1386 Es handelt sich dann um ein Volk, das des rechtlichen Zustandes durch eine eigene Verfassung bedarf. Einer Weltrechtsordnung obläge die Aufgabe, ein objektives Sezessionsrecht, also die Bedingungen, unter denen sich Teile eines Staates loslösen und als eigener Staat gründen dürfen, zu entwickeln.1387 Mißbrauch des Selbstbestimmungsrechts wäre es allerdings, wenn die abspaltende Gruppe ihrerseits einen Unrechtsstaat gründen wollte. Das würde dem Zweck des Selbstbestimmungsrechts widersprechen. Im übrigen findet das Recht zur Sezession seine Grenzen in der Freiheit der anderen Menschen. Das sind zum einen die Bürger des Staates, von dem die Loslösung erfolgt. Eine Sezession ist nicht zulässig, wenn deren gemeinsames gutes Leben nach der Trennung auch unter Ausschöpfung alternativer Möglichkeiten nicht mehr gewährleistet werden kann, insbesondere, wenn der Reststaat bekämpft werden soll.1388 Unzumutbar ist die Sezession auch dann, wenn in dem von der Sezession betroffenen Territorium viele Bürger sind, die im Reststaat bleiben wollen. Der Wille des jeweiligen Volkes kann durch Plebiszite und Referenden, die gegebenenfalls durch die Vereinten Nationen organisiert werden, ermittelt werden1389, was in jedem Fall Voraussetzung für eine Sezession ist und in der Geschichte schon praktiziert worden ist (vgl. Elsaß, Saarland). Auch soweit die Sezession Rechte der gesamten Menschheit betrifft, weil z. B. durch die Staatenzersplitterung der Weltfriede bedroht wird, ist Sezession verboten.1390 4. Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts Weil das Selbstbestimmungsrecht Bestandteil der UN-Menschenrechtspakte ist (jeweils Art. 1 Abs. 1 IPbpR und IPwskR)1391, sind die in Art. 40 ff. IPbpR vorgesehenen Implementierungsmechanismen (insbesondere Berichtspflichten) 1385 Vgl. auch A. H. Birch, Another Liberal Theory of Secession, Political Studies 32 (1984), 596 ff.; S. Oeter, Demokratieprinzip und Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 339 f.; kritisch G. Dördelmann, Dürfen Völker sezedieren?, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 152 f. 1386 Vgl. Ch. Hillgruber, Friedenssicherung durch Einmischung?, in: H. Neuhaus (Hrsg.), Geschichtliche Entwicklung und Perspektiven, 2001, S. 27 (41 f.). 1387 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 204 (221). 1388 G. Dördelmann, Dürfen Völker sezedieren?, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 154 f. 1389 H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 350, Rn. 350 f., Rn. 18. 1390 G. Dördelmann, Dürfen Völker sezedieren?, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 155 f. 1391 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte v. 19.12.1966, BGBl. 1973 II, S. 1534; Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte v. 19.12.1966, BGBl. 1973 II, S. 1570.

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auch auf dieses Recht anwendbar. Eine Individualbeschwerde (Art. 2 Fakultativprotokoll zum IPbpR1392) aber ist, da es sich um ein kollektives Recht handelt, ausgeschlossen.1393 Vor dem Internationalen Gerichtshof kann das Selbstbestimmungsrecht nur geltend gemacht werden, wenn ein Staat klagt, weil gemäß Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut ausschließlich Staaten vor dem Internationalen Gerichtshof parteifähig sind. In einem Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof könnten zwar illegitime Mittel der Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts, welche unter den Tatbestand eines Menschheitsverbrechens fallen, verurteilt werden (z. B. Art. 6 Römisches Statut, Völkermord), die friedliche Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts wird damit aber nicht gestärkt. Bisher ist kein Verfahren institutionalisiert, das der friedlichen Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts durch ein Volk dient. Erforderlich im Sinne des Rechtsprinzips wäre die Schaffung eines obligatorischen Schieds- und/oder Gerichtsverfahrens, durch welches das Selbstbestimmungsrecht in seinem Umfang und Inhalt für die betroffenen Völker/Staaten verbindlich geklärt und festgestellt wird. Dem Volk, welches sich auf das Selbstbestimmungsrecht beruft, müßte unabhängig von der Staatsqualität vor dem Internationalen Gerichtshof ein Status als Streitpartei zugestanden werden. Fraglich ist, ob das Selbstbestimmungsrecht ultra vires mit Gewalt gegen den eine Ethnie auf seinem Gebiet unterdrückenden Staat mit Gewalt, im Wege eines Selbstverteidigungsrechts, legitim durchgesetzt werden darf oder ob solche Akte als Terrorismusverbrechen verfolgt werden müßten und dürften.1394 Gegen ein die Rechte einer Minderheit unterdrückendes Regime könnte das Selbstbestimmungsrecht unter dem Aspekt des Widerstands- oder Selbstverteidigungsrechts auch mit Gewalt erzwungen werden, wenn die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt wird.1395 Das Widerstandsrecht (vgl. auch Art. 20 Abs. 4 GG) ist ein Menschenrecht, weil es unmittelbar auf die Ermöglichung der angeborenen Freiheit gerichtet ist und mit dem Recht auf eine bürgerliche, d. h. rechtsstaatliche Verfassung verbunden ist.1396 Die Bürger haben ein Widerstandsrecht gegen die sie unterdrückende Herrschaft. Schon Art. 2 der französischen Menschenrechtserklärung von 1789 nennt das Recht zum Widerstand als Menschenrecht. Mit den Zusatzprotokollen zu den Genfer Abkommen wurde ausdrücklich der „nationale Befreiungskrieg“ als Ausübung des Selbstbestimmungsrechts ge-

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V. 19. 12.1966, BGBl. 1992 II, S. 1247. Dazu H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 352 f., Rn. 20 ff. 1394 Dazu E. Chadwick, Self-Determination, Terrorism, S. 15 ff. 1395 Dazu E. Chadwick, Self-Determination, Terrorism, S. 34 ff. 1396 Vgl. Fichte, Untersuchung über die Rechtmäßigkeit der Revolution überhaupt, und mithin jeder einzelnen, Sämtliche Werke, Bd. 6, S. 105; dazu M. Buhr, Die Philosophie Johann Gottlieb Fichtes und die Französische Revolution, in: ders./D. Losurdo, Fichte – die Französische Revolution und das Ideal des ewigen Friedens, 1991, S. 14 ff., 25 ff. 1393

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gen Kolonialherrschaft, fremde Besetzung und gegen rassistische Regimes aufgenommen (vgl. Art. 1 Abs. 4 ZP I). Das Organ, welches das Volk vertritt, kann sich gemäß Art. 96 Abs. 3 ZP I durch Erklärung an die Genfer Abkommen und das Zusatzprotokoll binden, übernimmt also die Rechte und Pflichten einer Vertragspartei. Damit werden die um Selbstbestimmung ringenden Völker auch gegenüber Staaten als mit Völkerrechtssubjektivität ausgestattete Konfliktparteien behandelt.1397 Dies spricht außerdem dafür, daß zumindest Befreiungskriege gegen Kolonialherrschaft, fremde Besetzung und gegen rassistische Regimes als zulässig vorausgesetzt werden.1398 Zu fordern ist allerdings, daß die Regeln des Humanitären Völkerrechts eingehalten werden.1399 Der Befreiungskampf als solcher ist damit grundsätzlich durch das Selbstbestimmungsrecht der Völker gerechtfertigt.1400 Allerdings führen die Versuche von Völkern, ihr Selbstbestimmungsrecht in einem, viele Menschenleben kostenden, Befreiungskampf gegen den Staat, dem sie unterworfen sind, oder gar illegal mit terroristischen Mitteln1401 selbst durchzusetzen, ihrerseits zu Unfrieden und damit zu Rechtlosigkeit. Das Selbstbestimmungsrecht als solches, welches ein legitimes Ziel ist, muß von der Legalität der Mittel unterschieden werden. Terroristische Durchsetzungsmethoden, die sich nicht gegen den „Angreifer“ oder den unterdrückenden Staat im institutionellen Sinn, sondern beabsichtigt oder in Kauf genommen gegen unschuldige Zivilpersonen richten, sind als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 Römisches Staut) und Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht1402 von vornherein unzulässige Durchsetzungsmittel, die ihrerseits verfolgt werden müßten. Wegen der Zentrierung des Völkerrechts auf zwischenstaatliche Probleme bereitet dies allerdings erhebliche Schwierigkeiten.1403 Bedient sich der Freiheitskampf terroristischer Mittel gegenüber Zivilpersonen (Selbstmordattentate der Palästinenser, ETA, Irland, Kurden usw.), können diese nicht durch kein noch so berechtigtes Anliegen gerechtfertigt werden, weil die gewählten Mittel illegal sind. Der Grundsatz der Effektivität im Sinne von der „Zweck heiligt die Mittel“ kann vor dem Recht nicht bestehen, weil dies die Menschenwürde verbietet.1404

1397 H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 350, Rn. 17; W. Karl, Das humanitäre Völkerrecht auf dem Weg vom Zwischenstaats- zum Weltrecht, in: Fs. K. Ginther, 1999, S. 577 (583 f.). 1398 H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 350, Rn. 17. 1399 Dazu E. Chadwick, Self-Determination, S. 65 ff. 1400 E. Chadwick, Self-Determination, S. 34 ff. 1401 Dazu grundlegend E. Chadwick, Self-Determination, Terrorism, S. 15 ff., 172 ff. 1402 Dazu E. Chadwick, Self-Determination, Terrorism, S. 65 ff., 129 ff., 170 ff. 1403 Dazu E. Chadwick, Self-Determination, Terrorism, S. 179 ff., 208 ff. 1404 Vgl. auch S. Oeter, Terrorismus und Menschenrechte, AVR 40 (2002), S. 422 (430).

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IV. Anforderungen an die Staatsform Die Formen des staatlichen Lebens sind verschieden – „und doch“, hebt Aristoteles hervor, „ist überall nur eine Staatsform von Natur die beste.“1405 Die derzeitige internationale Gemeinschaft, wie sie sich insbesondere im Rahmen der Vereinten Nationen formiert hat, setzt sich nicht nur aus Republiken mit freiheitlich demokratischem Staatssystem zusammen, auch wenn sich heute zwei Drittel der Staaten formell zur Demokratie bekennen.1406 Abgesehen von China, Kuba, Nord-Korea und den islamistischen Staaten, ist die internationale Gemeinschaft inzwischen zu der Überzeugung gelangt, daß nur demokratische Regime rechtens sind.1407 Dieser Weltlage muß in der rechtlichen Betrachtung Rechnung getragen werden. Kant dachte eher an einen evolutiven und parallel verlaufenden Prozeß zur Republikanität in den Staaten einerseits und in ihrem Verhältnis untereinander andererseits: „Ein Staat kann sich auch schon republikanisch regieren, wenn er gleich noch, der vorliegenden Konstitution nach, despotische Herrschermacht besitzt: bis allmählich das Volk des Einflusses der bloßen Idee der Autorität des Gesetzes . . . fähig wird, und sonach zur eigenen Gesetzgebung (welche ursprünglich auf Recht gegründet ist) tüchtig befunden wird.“1408

Daniel Thürer ist der Auffassung, das generelle Völkerrecht schreibe den Staaten nunmehr die (in einem weiten Sinn) demokratische Staatsform vor: „So wie bundesstaatliche Verfassungen ihren Gliedstaaten zur Sicherung einer gewissen Homogenität der gesamtstaatlichen Struktur und Wertordnung eine verbindliche Rahmenordnung für die Ausgestaltung ihrer Verfassungen vorgibt1409 und die „Verfassung“ der Europäischen Gemeinschaften auf einer demokratischen Staatsform der Mitgliedstaaten aufbaut und . . . deren Verletzungen sanktioniert1410, so statuiert auch das Völkerrecht gewisse demokratische Minimalstandards zur Ausgestaltung staatlicher Verfassungen.1411 Diese können . . . sogar eine überverfassungsrechtliche Bindungswirkung entfalten.“1412 1405

Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1135a ( S. 139). P. Schenkel, Der Weltunion entgegen, 2000, S. 22. 1407 G. Gottlieb, Nation Against State, S. 20 ff.; zum Demokratiedefizit in arabischen Staaten A. Metzger, Islam und Politik, Informationen zur politischen Bildung, Nr. 274/2002, Beilage, S. 10 ff. 1408 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 233 (B 77, 78/A 72). 1409 Vgl. Art. 28 GG, Art. 6 der schweizerischen Bundesverfassung. 1410 Siehe Art. 7 EUV. 1411 Dazu Th. M. Franck, The Emerging Right to Democratic Governance, AJIL 86 (1992), S. 46 ff.; J. A. Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, BDGVR 39 (2000), S. 427 (431 ff.). 1412 D. Thürer, „Citizenship“ und Demokratieprinzip, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), S. 203 f.; ders., Internationale „Rule of Law“ – innerstaatliche Demokratie, 1406

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Art. 25 des UN-Pakts über bürgerliche und politische Rechte gewährt jedem Staatsbürger das Recht und die Möglichkeit, „an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen; bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet ist, zu wählen und gewählt zu werden; unter allgemeinen Gesichtspunkten der Gleichheit zu öffentlichen Ämtern seines Landes Zugang zu haben.“

Einen demokratischen Verfassungsstaat für die Anerkennung als Regierung, Staat und gleichberechtigtes Mitglied von Staatenvereinigungen voraus zu setzen, ist nicht unmöglich und den zwischenstaatlichen Beziehungen nicht abträglich, wie das europäische Völkerrecht zeigt. Seit Entstehung der neuen südosteuropäischen Staaten zeigt die Anerkennungspraxis in Europa einen Paradigmenwechsel1413. Die Bedingungen, welche die neuen Staaten für ihre Anerkennung als Staat zu erfüllen hatten, wurden vom damaligen Rat der EWG am 16. Dezember 1991 festgelegt.1414 Sie beziehen sich über die herkömmliche völkerrechtliche Praxis hinaus auch auf Inhalte der UN-Charta, der Schlußakte von Helsinki, der Charta von Paris, namentlich auf die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten.1415 Die Entscheidung darüber, ob die Anerkennungskriterien erfüllt worden sind, wurde nicht von den einzelnen Staaten, sondern von einer Schiedskommission, der sogenannten BadinterKommission, die im Rahmen der Haager Jugoslawienkonferenz errichtet worden war, getroffen.1416 Im Dokument des Kopenhagener Treffens von 1990 der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist festgelegt: „The will of the people, freely and fairly expressed through periodic and genuine elections, is the basis of the authority and the legitimacy of all government.“1417 Die aus dem KSZEProzeß hervorgegangene Charta von Paris für ein neues Europa vom 21. No-

Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht, 1995, 459 ff.; a. A. S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, S. 228 ff. 1413 Dazu EA 46 (1991), D 528 ff.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 229 f. 1414 EA 47 (1992) D 120 ff. = ILM 31 (1992), 1486 ff.; vgl. zur neuen Anerkennungspraxis R. Rich, Recognition of States, EJIL 4 (1993), 36 ff. 1415 K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 228, Rn. 151. 1416 Bericht vom 11.1.1992, ILM, 1992, S. 1512 ff.; dazu K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 228, Rn. 152. 1417 Document of the Copenhagen Meeting of the Conference of the Human Dimension of the CSCE, June 1990, reprinted on ILM, vol. 29 (September, 1990), S. 1305. Bestätigt 1991 in der Charta von Paris, angenommen beim Gipfeltreffen der KSEStaaten.

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vember 1990 verknüpft die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit einer Verpflichtung zur demokratischen Staatsform im Sinne der Republikanismusforderung Kants.1418 „Demokratie“ heißt im Sinne dieser Charta die Abhängigkeit der Regierung vom „Volkswillen“, der sich „in regelmäßigen, freien und gerechten Wahlen“ äußert, „repräsentative und pluralistische“ politische Willensbildung, „Bindung an das Recht und eine unparteiische Rechtspflege“. Das Dokument des Moskauer Treffens der Konferenz über die menschliche Dimension der KSZE vom 3.10.19911419 hat die Verpflichtung zu demokratischen Strukturen aus den inneren Angelegenheiten der einzelnen Staaten herausgelöst. Es hat die Anforderungen an die demokratische Binnenstruktur internationalisiert, indem jedem Mitgliedstaat internationale Unterstützung gegen antidemokratische, staateninterne Umsturzversuche zugesagt wird.1420 Die Achtung der Menschenrechte, der Grundsätze der Demokratie und des Rechtsstaats sind wesentliche Bestandteile der Partnerschaft zwischen EG und AKP-Staaten nach dem Abkommen von Cotonou (insbesondere Art. 9).1421 Art. 3 der Satzung des Europarates bindet an den „Grundsatz der Vorherrschaft des Rechts und den Grundsatz . . ., daß jeder, der seiner Hoheitsgewalt unterliegt, der Menschenrechte und Grundfreiheiten teilhaftig werden soll.“ Die Bedingungen des Art. 3 sind grundsätzlich Voraussetzung für die Einladung zum Beitritt zum Europarat (Art. 4). Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichtet die Mitgliedstaaten zur regelmäßigen Durchführung freier und geheimer Wahlen unter Bedingungen, „welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten“. Nach Art. 8 können Verstöße gegen diese Grundsätze einschließlich solcher gegen die EMRK durch Entzug von Mitgliedschaftsrechten bis hin zum Ausschluß aus dem Europarat sanktioniert werden. Zwangsmaßnahmen wie in Art. 41, 42 UN-Charta sind in der Satzung des Europarates nicht vorgesehen. Menschenrechtsbeschränkungen können aufgrund einer Klage vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte am Maßstab dessen gemessen werden, was in demokratischen Gemeinschaften erforderlich ist.1422 Der Vertrag über die Europäische Union schreibt den Zusammenschluß von Rechtsstaaten vor (Art. 6 Abs. 1 EUV). Nach Art. 49 Abs. 1 EUV setzt der Beitritt zur Europäischen Union die Einhaltung der in Art. 6 Abs. 1 EUV ge1418

F. Kambartel, Kants Entwurf und das Prinzip der Nichteinmischung, S. 246 f. Abgedruckt in: Europa-Archiv 1991, D. 579. 1420 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 274. 1421 Vom 23.6.2000, ABl. 2000, Nr. L 317, 3-353, vgl. auch EuGH, Rs C-268/94 Koop.Abk.Indien, Slg. 1996 I, 6177 ff. 1422 Vgl. Art. 8, 9, 10, 11 EMRK, Art. 2 des 4. Zusatzprotokolls; zum Begriff einer „demokratischen Gesellschaft“ K. W. Weidmann, Gerichtshof für Menschenrechte, 1985, S. 267 ff. 1419

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nannten Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit voraus. Verstöße hiergegen in den Mitgliedstaaten während der Mitgliedschaft können sogar von der Union geahndet werden. Gemäß Art. 7 Abs. 1 EUV kann der Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten oder der Kommission, nach Zustimmung des Europäischen Parlaments sowie nach Aufforderung der Regierung des betroffenen Staates zu einer Stellungnahme einstimmig feststellen, daß ein Mitglied eine „schwerwiegende und anhaltende Verletzung von in Art. 6 Abs. 1 genannten Grundsätzen“ begangen hat. Diese Feststellung berechtigt den Rat auch mit qualifizierter Mehrheit, Rechte des gerügten Mitgliedstaates einschließlich des Stimmrechts auszusetzen (Art. 7 Abs. 2 EUV).1423 V. Zwischenmenschliches und zwischenstaatliches Gewaltverbot Dem Verbot von vis absoluta, welches auch im Völkerrecht gilt (dazu 2. Teil, C, S. 176 ff.), steht das Weltrecht nicht entgegen. Im Gegenteil, es ist als fundamentalste Materialisierung des neminem laedere-Gebots und damit des Rechtsprinzips eines seiner wichtigsten Grundsätze.1424 Das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen darf jedoch nicht vergessen lassen, daß es seinen Ursprung im zwischenmenschlichen Gewaltverbot hat, das in zahlreichen Menschenrechten (z. B. Recht auf Leben und Gesundheit, Verbot von Folter und Todesstrafe) Ausdruck findet. Die Freiheit eines Subjekts vor Gewalt oder die „Unabhängigkeit von eines anderen Willkür“ (Kant)1425 ist ein Gebot der praktischen Vernunft. Die willkürliche, gewaltsame Beugung fremden Willens ist mit der Freiheit und Gleichheit der Menschen unvereinbar.1426 Zweck des umfassenden (zwischenmenschlichen) Gewaltverbots ist der Schutz der Würde und der Freiheit des Menschen. Im Staat wird das Gewaltverbot zwischen Menschen durch eine auch zwangsbewehrte Rechtsordnung gesichert. Als Rechtszwang ist Gewalt nicht ausgeschlossen, sondern sogar Voraussetzung für die Sicherheit von Freiheit und Recht.1427

1423 Vgl. dazu W. W. Hummer/W. Obwexer, Die Wahrung der „Verfassungsgrundsätze der EU, EuZW 2000, 485 ff.; F. Schorkopf, Verletzt Österreich die Homogenität in der Europäischen Union?, DVBl. 2000, 1036 ff., 1042; vgl. auch P. Unruh, Die Unionstreue, EuR 2002, 41 ff., 65 f.; H. Neuhold, Strukturelle Veränderungen im internationalen System, S. 31 m.w. N. 1424 Zum Gewaltverbot als Rechtsprinzip und Grundpflicht Th. Bruha, Stichwort Gewaltverbot, in: R. Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 1991, S. 234 ff. 234 f.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 282 ff. 1425 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 1426 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 253 ff., insbes. S. 275 ff.

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Das traditionelle Völkerrecht, das vornehmlich die Staaten als Subjekt betrachtet, hat das zwischenmenschliche Gewaltverbot nicht im Blick. Art. 2 Nr. 4 UN-Charta verbietet nur die Gewaltanwendung der Staaten „in internationalen Beziehungen“. Für die Gewaltanwendung innerhalb der Grenzen eines Staates gilt das völkerrechtliche Gewaltverbot nach herkömmlicher Ansicht nicht.1428 Ein Staat, welcher die gegen ein Unrechtssystem Revoltierenden durch direkte militärische Beteiligung unterstützt, soll nach einer Auffassung nicht nur gegen das Interventionsverbot, sondern auch gegen das Gewaltverbot verstoßen.1429 Hier stehen sich das zwischenstaatliche Gewaltverbot und das zwischenmenschliche Gewaltverbot gegenüber, wenn die militärische Unterstützung der Aufständigen dazu dient, den unterdrückten und in ihren Menschenrechten verletzten Menschen zu Hilfe zu kommen oder deren Selbstbestimmungsrecht zu fördern. Ähnlich problematisch ist der Konflikt zwischen Menschenrechtsschutz und militärischer humanitärer Intervention (dazu 6. Teil, F, S. 935 ff.). Schutzgut des völkerrechtlichen Gewaltverbotes ist nicht der menschliche Körper, sondern die staatliche Integrität, nicht die Autonomie der Bürgerschaft, sondern die politische Unversehrtheit der staatlichen Herrschaft. Seine Würde verbietet es, den Menschen zu Kriegszwecken als Waffe oder Angriffsobjekt zu instrumentalisieren.1430 Im Zeitalter der Globalisierung sind die Staaten nicht die einzigen Akteure, die militärische Gewalt im transnationalen Kontext ausüben.1431 Die Globalisierung erfaßt auch die nicht-staatliche strategische Gewaltausübung wie die Erscheinungen des „Weltterrorismus“ oder „global terrorism“, der auf das „Entsetzen der Weltöffentlichkeit“ zielt, und durch seine „völlige Entterritorialisierung“1432 gekennzeichnet ist, zeigen.1433 Al-Qaida ist ein Beispiel einer bewaffneten nicht-staatlichen Organisation mit globaler Reichweite und hoch entwickelter Kapazität. Der globale Terrorismus gefährdet alle Staaten und Menschen und wendet sich gegen grundlegende Prinzipien der 1427 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 100 ff.; F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 75. 1428 D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 737 f.; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 937, Rn. 16; A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 (4), Rn. 29; J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“?, (1993), in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 318 (320 f.); kritisch Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 383 (397). 1429 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 938, Rn. 18; J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 421 (426); strittig sind indirekte Formen der Hilfe. 1430 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 198 (BA 9, 10). 1431 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September 2001, AVR 40 (2002), S. 383 ff. 1432 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 384. 1433 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 384.

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Staatengemeinschaft, namentlich die Achtung vor den Menschenrechten, die Rechtsstaatlichkeit, die Regeln für die Kriegsführung, welche die Zivilbevölkerung schützen, die Toleranz zwischen den Völkern und Nationen und die friedliche Beilegung von Konflikten.1434 Allein sind die Staaten nicht fähig, mit den Mitteln des Polizei- und Strafrechts ihre Bürger hinreichend vor den Auswirkungen dieser Gewalt zu schützen.1435 Es ist eine der größten Herausforderungen des auf zwischenstaatliche Konflikte zugeschnittenen Völkerrechts, normative Antworten auf die neue Dimension militärischer nicht-staatlicher Gewalt zu suchen und den tatsächlichen Gefahren entsprechend zu einem globalen Recht zu finden.1436 Inwieweit diese Entwicklung schon fortgeschritten ist, soll im 6. Teil unter F, S. 957 ff. näher erörtert werden. VI. Prinzip der Einmischung? 1. Interventionsverbot, Gewaltverbot versus Prinzip der Einmischung Eine Intervention ist unilateral durch einzelne Staaten und kollektiv durch die Staatengemeinschaft, vertreten durch internationale Organe (z. B. UN-Sicherheitsrat), möglich.1437 Interventionen von Staaten stehen grundsätzlich dem völkerrechtlichen Interventionsverbot entgegen, wenn auch dessen Revision zur besseren Durchsetzung der Menschenrechte gefordert wird.1438 Schon Grotius war der Auffassung, daß jeder Herrscher nicht nur Sorge für seinen eigenen Staat, sondern auch für die gesamte menschliche Gemeinschaft zu tragen habe.1439 Militärische Interventionen eines Staates widersprechen jedenfalls nach gegenwärtigem Völkerrecht dem Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 UNCharta1440, das zwingendes Recht ist1441. Nach Art. 5 der Resolution 3314 (XXIX)1442 gibt es für Akte völkerrechtswidriger Aggression keine Rechtfertigungsmöglichkeit.1443 Das völkerrechtliche Interventionsverbot, das in der zwei1434

Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, 2004, S. 50, Rn. 145 f. M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 183. 1436 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September 2001, AVR 40 (2002), S. 385, 390. 1437 H.-J. Blanke, Menschenrechte als Interventionstitel, AVR 36 (1998), S. 258; Ch. Greenwood, gibt es ein Recht auf humanitäre Intervention?, EA 1993/1, 93. 1438 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohmann (Hrsg.), Frieden machen, S. 22. 1439 H. Grotius, II, 20. Kap., XLIV, 1 (S. 356). 1440 Zur Handhabung des Gewaltverbots in der Praxis, S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 95 ff. 1441 Zum zwingenden Charakter des Gewaltverbots aus der Sicht des Völkerrechts: S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 234 ff. 1442 U.N. GA Res 3314 (XXIX) v. 14.12.1974, YUN 1974, 846. 1435

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ten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die Interventionspolitik der Heiligen Allianz zu einem Grundprinzip des Völkerrechts erhoben worden ist, ist Korrelat der Gleichheit und des Souveränitätsanspruchs der Staaten1444, das diese vor Einmischung durch dritte Staaten oder Internationale Organisationen in ihre inneren Angelegenheiten schützen soll.1445 Aus der rule of law könnte jedoch, weil diese die Souveränität der Staaten begrenzt (dazu 3. Teil, D, S. 362 ff.), im weltrechtlichen Paradigma ein Prinzip wechselseitiger Einmischung im Falle von Weltrechtsverletzungen gefolgert werden. Die Anerkennung eines allgemeinen Rechts zur gegenseitigen Intervention würde das Völkerrecht in seinem Wesen antasten.1446 Art. 2 Ziff. 7 UNCharta spricht den Vereinten Nationen zwar grundsätzlich die Befugnis „zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“, ab, nimmt aber gleichzeitig die Zwangsmaßnahmen, die der Sicherheitsrat nach Kapitel VII im Falle einer Bedrohung oder Verletzung des Weltfriedens verhängen kann, vom Nichteinmischungsverbot aus. Werden die Befugnisse des Sicherheitsrates nach Kapitel VII weit ausgelegt, folgt dies einem Prinzip der Einmischung. Weitere Ausnahmen vom Verbot der Nichteinmischung könnten sich darüber hinaus auch für andere Organisationen und einzelne Staaten aus einem allgemeinen Recht zur Nothilfe ergeben. In dem Maße in dem dieses anerkannt wird (dazu 6. Teil, F, S. 935 ff.), wird der Grundsatz der Nichteinmischung durch ein Prinzip der Einmischung zurückgedrängt. Dirk Messner und Franz Nuscheler meinen: „Im internationalen Kontext wird das Ordnungsprinzip der uneingeschränkten Souveränität der Nationalstaaten sukzessive durch ein System wechselseitiger Einmischung abgelöst.“1447 Nach Hauke Brunkhorst spricht vieles dafür, „daß das klassische Nichteinmischungsparadigma an Boden verliert und die Chancen einer sich einmischenden Menschenrechtspolitik steigen.“1448 Den Weg dazu sieht Brunkhorst in einer auf der Basis der Selbstbestimmung der jeweils Betroffenen strukturierten Weltrechtsordnung.1449 1443

Dazu S. Kadelbach, zwingendes Völkerrecht, S. 230. H.-J. Blanke, Menschenrechte als Interventionstitel, AVR 36 (1998), S. 263; zum Begriff der Souveränität vgl. B. Simma, Souveränität und Menschenrechtsschutz nach westlichem Völkerrechtsverständnis, EuGRZ 1977, S. 235 ff. 1445 E. de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, 1758, livre III, § 296; H. Rumpf, Der internationale Schutz der Menschenrechte und das Interventionsverbot, 1981, S. 21; H.-J. Blanke, Menschenrechte als Interventionstitel, AVR 36 (1998), S. 262 ff. 1446 Ch. Greenwood, Gibt es ein Recht auf humanitäre Intervention?, EA 1993/1, 93. 1447 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 348. 1448 H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 251 (260). 1449 H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S. 267 f. 1444

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2. Einmischung durch einzelne Staaten Fraglich ist, ob Staaten durch andere Staaten genötigt werden dürfen, eine freiheitliche Verfassung anzunehmen oder zumindest den rechtlichen Mindestvoraussetzungen, die an einen Staat zu stellen sind, zu genügen. Für einzelne Staaten in ihrem zwischenstaatlichen Verhältnis gelten weiterhin Völkerrecht und damit die zwingenden Verbote der militärischen und nichtmilitärischen Intervention.1450 a) Erga omnes-Geltung von Menschenrechten: völkerrechtlich anerkannter Mindeststandard Menschenrechte, jedenfalls soweit sie als ius cogens die Staaten binden, unterstehen nicht mehr der alleinigen Jurisdiktion eines Staates.1451 Der Internationale Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung mehrmals einen gewohnheitsrechtlich geltenden menschenrechtlichen ordre public anerkannt.1452 In zahlreichen Konventionen ist die Verpflichtung der Staaten, einen Mindeststandard menschenrechtlicher Verbürgungen zu achten, mit Wirkung erga omnes und als zwingendes Völkerrecht niedergelegt.1453 Als völkerrechtlich anerkannter menschenrechtlicher „Mindeststandard“ werden angesehen: das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit1454, die Freiheit vor Folter, die Freiheit von Sklaverei, das Genozidverbot1455, das Verbot aus rassischen, weltanschaulichen oder ähnlichen Gründen diskriminiert oder verfolgt zu werden1456 und das Verbot willkürlicher Inhaftierung und Freiheitsentziehung ohne richterliche Kontrolle.1457 1450 Dazu 2. Teil, C, S. 176 ff.; vgl. Ch. Hillgruber, Friedenssicherung durch Einmischung?, S. 27 ff. 1451 K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch kollektive Zwangsmaßnahmen der Staatengemeinschaft, 2000, S. 231. 1452 IGH, Nicaragua v. USA, ICJ Rep., 1986, 14, para. 217 ff.; IGH, Gutachten über die Rechtmäßigkeit von Nuklearwaffen (Nuklearwaffen-Gutachten), ILM 1996, 27 ff., para. 74 ff. (83). 1453 D. Schindler, Die erga omnes-Wirkung des humanitären Völkerrechts, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 199 ff.; H. Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates, 1996, S. 136 ff. 1454 Vgl. z. B. EGMR, Urt. v. 29.4.2002, Pretty/Vereinigtes Königreich, EuGRZ 2002, Ziff. 37; Human Rights Committee (HRC) Views v. 5.8.2003, Judge/Canada CPR/C/78/D/829/1998, Ziff. 10.3; HRC, General Comment No. 6, The right to life (art. 6 CCPR) 30/04/82, Ziff. 1; General Comment No. 24, Issues relating to reservations made upon ratification or accession to the Covenant or the Optional Protocols, 04/11/94, CCPR/C/21/Rev.1/Add.6, Ziff. 10. 1455 Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9.12. 1948, UNTS 78, p. 277; BGBl. 1954 II, S. 730. 1456 M. Pape, Humanitäre Intervention, 1997, S. 27 ff.; H.-J. Blanke, Menschenrechte als Interventionstitel, AVR 36 (1998), S. 260 f.

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Einzelne, sporadische Menschenrechtsverletzungen staatlicher Organe sollen nicht ausreichen, um die Schwelle der völkerrechtlichen Erheblichkeit zu überschreiten.1458 Die systematische Mißachtung elementarer Menschenrechte betrifft hingegen die gesamte Menschheit und ist Anliegen der Völkergemeinschaft.1459 Auf der anderen Seite ist ein Recht jedes Staates, nach seiner Willkür jederzeit unter der Flagge des Menschenrechtsschutzes einen anderen Staat angreifen zu können, nicht im Sinne des auch im weltrechtlichen Paradigma grundlegenden zwischenstaatlichen Gewaltverbots. Interventionen bringen ihrerseits Menschenrechtsverletzungen mit sich und werden oft für andere Zwecke mißbraucht.1460 Außerdem besteht die Gefahr, daß die humanitäre Intervention als Ideologisierung und fundamentalistische Verfolgung des im Sinne eines materialen Moralbegriffs „Bösen“, wogegen Carl Schmitt polemisiert hat1461, mißbraucht wird. b) Recht auf Kritik und friedliche Einmischung Das völkerrechtliche Interventionsverbot existiert nach wie vor, aber nicht mehr jede Einmischung fällt darunter; denn es verändern sich die Anschauungen darüber, was als Intervention und als innere Angelegenheit des Staates zu beurteilen ist. Zu den „inneren Angelegenheiten“ werden nach dem jetzigen Stand des Völkerrechts nur noch diejenigen gezählt, die nicht völkerrechtlich geregelt sind.1462 Nach Art. 56 UN-Charta i.V. m. Art. 55 UN-Charta sind die Staaten zur Zusammenarbeit in Menschenrechtsfragen, was einen kritischen Dialog einschließt, verpflichtet.1463 Ein humanitäres Eingreifen unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt (vgl. Art. 2 Nr. 4 UN-Charta), insbesondere durch politischen und wirtschaftlichen Druck in Form von Repressalien, gilt (jedenfalls, 1457 R. Bernhardt, Der völkerrechtliche Schutz der Menschenrechte, in: Liber amicorum J. Delbrück, Weltinnenrecht, 2005, S. 37 (38, 43). 1458 G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, 1998, S. 54. 1459 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 1 f.; IGH, BarcelonaTraction, Light and Power Company Limited, ICJ Rep. 1970, 3 para 33 f.; vgl. a. G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 51. 1460 Vgl. auch R. Wolfrum, Obligations Under Public International Law to Implement International Rules, in: B. v. Maydell/A. Nußberger (Hrsg.), Social Protection by Way of international Law, 1996, S. 87 (103 f.). 1461 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1932, S. 42, siehe auch S. 24, 37 f., dazu kritisch J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 220 ff. 1462 Dazu K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 112 ff. 1463 K. Stern, Staatsrecht Bd. III/1, § 62 IV 2; ders., Zur Universalität der Menschenrechte, in: Fs. H. F. Zacher, 1998, S. 1077.

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wenn die Staatengemeinschaft nicht handelt) als erlaubt.1464 Darin wird von vielen entgegen verschiedener UN-Resolutionen1465 kein Verstoß gegen das Verbot der Nichteinmischung gesehen, wenn die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt ist.1466 Das völkerrechtliche Prinzip der Nichteinmischung hat insoweit (anders als das Gewaltverbot) gegenüber der Durchsetzung von erga omnesVerpflichtungen an Wirkungskraft eingebüßt.1467 Das Recht auf öffentliche Kritik an einem Unrechtsregime durch einzelne Staaten oder die Weltöffentlichkeit und die öffentliche Aufforderung an einen anderen Staat, eine republikanische Verfassung anzunehmen und gegebenenfalls Retorsionen, sind nicht von vornherein ausgeschlossen1468, sondern grundsätzlich durch die erga omnes-Geltung von Menschenrechten gerechtfertigt. Die bloße Forderung an einen Staat, die Menschenrechte zu achten, erfüllt jedenfalls aus heutiger Sicht nicht mehr den Tatbestand des Verbots der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten.1469 Inzwischen ist ein Recht jedes Menschen auf Zugang zu elementaren menschlichen Bedürfnissen und auf menschliche Hilfe bei Natur-, Hungerkatastrophen und in ähnlichen Notsituationen und eine entsprechende Befugnis der Staaten aus dem Gedanken der Nothilfe und dem der „Geschäftsführung ohne Auftrag“1470 zu helfen, selbstverständlich, ohne daß dies als unzulässige „Einmischung“ gewertet wird.1471 Auch vom Internationalen Gerichtshof wird sol1464 H.-J. Blanke, Menschenrechte als Interventionstitel, S. 265; vgl. a. A. Randelzhofer, Neue Weltordnung durch Intervention?, S. 55; A. Pauer, Die humanitäre Intervention, S. 132, 134; D. Schindler, Die erga omnes-Wirkung des humanitären Völkerrechts, S. 202 ff., 207 ff.; Ch. Hillgruber, Humanitäre Intervention, Der Staat 40 (2001), S. 181. 1465 „Declaration on the Inadmissibility of Intervention in the Domestic Affairs of States and the Protection of Their Independence and Sovereignty“,A/RES/2131 (XX) vom 21.12.1965; Präambel der „Friendly-Relations“-Deklaration, A/Res2625 (XXV) vom 2.10.1970; Art. 32 der „Charter of Economic Rights and Duties of States“, A/ Res/3281 (XXIX), vom 12.12.1974; „United Nations Conference on Trade and Development“: Resolution „Rejection of Coeercive Economic Measures“, Res 152 (VI), in: TD/Res/152 (1983), Proceedings of the UNCTAD, 6th session, Belgrad 6.6.–2.7.1983, Vol. I, Reports and Annexes, New York, UN 1984 (UNS-P.E.83 II.D.6.); Resolution „Economic Measures as a Means of Political and Economic Coercion against Developing Countries“, A/Res/46/210 (XI-VI) v. 20.12.1991; A/Res/51/103 vom 3.3.1997. 1466 G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 58; H. Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 140 f.; D. Schindler, Die erga omnes-Wirkung des humanitären Völkerrechts, S. 202 f. 1467 So auch C. Kissling, Menschenrechtlicher Mindeststandard, HFR 12-2001, S. 1. 1468 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, 2000, S. 41; vgl. M. Forschner, Marktpreis und Würde, in: H. Neuhaus (Hrsg.), Grenzen einer globalisierten Wirtschaft, 2003, S. 15 (38). 1469 J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 82, bezeichnet den grundlegenden Menschenrechtsstandard als Grenze der inneren Souveränität; Ch. Hillgruber, Humanitäre Intervention, Der Staat (40), 2001, 181. 1470 K. Doehring, Völkerrecht, S. 326, Rn. 777.

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che Hilfe nicht als unzulässige Intervention angesehen.1472 Die Resolution 43/ 131 der Generalversammlung hat festgestellt, daß „the abandonment of the victims of natural disasters and similar emergency situation without humanitarian assistance constitutes a threat to human life and an offence to human dignity“.1473

Das Selbstbestimmungsrecht wird nicht verletzt, vielmehr werden die existentiellen Voraussetzungen dafür geschaffen. In diesem Sinne gibt es durchaus ein Recht zur „wechselseitigen Einmischung“. Für die Europäische Union institutionalisiert Art. 7 EUV darüber hinaus ein Kontroll- und Sanktionsverfahren, wenn „die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ von Menschenrechten, Demokratie- oder Rechtsstaatsgeboten durch einen Mitgliedstaat besteht. Im Fall der Sanktionierung Österreichs1474 verhängten die EU-Staaten allerdings ohne, daß die Tatbestandsvoraussetzungen für ein Verfahren nach Art. 7 EUV vorgelegen haben, Retorsionen gegen Österreich, um eine andere Regierungszusammensetzung zu erzwingen.1475 Ihrer Meinung nach warf eine die FPÖ einschließende Regierungsbildung, die nach den vorausgegangenen demokratischen Wahlen möglich geworden war, freiheitlich-demokratische Bedenken auf. Im deutschen Auswärtigen Amt ging man soweit, in diesem Vorgehen „einen besonders deutlichen Beleg“ dafür zu sehen, „daß das Prinzip der Nichteinmischung keinen Bestand mehr habe“.1476 Es ist richtig, daß sich die Grenzen der inneren Angelegenheiten verändert haben. Nicht richtig ist jedoch, daß das Prinzip der Nichteinmischung unter rein rechtlichen Gesichtspunkten obsolet geworden ist. Es hat einen anderen Geltungsgrund: nicht selbstzweckhafte Souveränität, sondern die freiheitliche Selbstbestimmung des jeweiligen Volkes. c) Gewaltverbot, Willkürverbot Ein Prinzip „wechselseitiger Einmischung“ ist jedenfalls nicht in dem Sinn anzuerkennen, daß einzelne Staaten jederzeit, nach ihrer eigenen Einschätzung 1471 J. L. Jesus, Intervention in the Domestic Affairs on Humanitarian Grounds and International Law, in: Liber amicorum G. Jaenicke, S. 156 f. 1472 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Rep. 984, 169 ff. 1473 A/RES/43/131 of December 1988. 1474 Siehe Ch. Hillgruber, Friedenssicherung durch Einmischung?, S. 27 ff. 1475 Dazu kritisch W. W. Hummer/W. Obwexer, Die Wahrung der „Verfassungsgrundsätze der EU, EuZW 2000, 485 ff.; F. Schorkopf, Verletzt Österreich die Homogenität in der Europäischen Union?, DVBl. 2000, 1036 ff., 1042; vgl. auch P. Unruh, Die Unionstreue, EuR 2002, 41 ff., 65 f.; H. Neuhold, Strukturelle Veränderungen im internationalen System, S. 31 m.w. N. 1476 E. Lohse, Regierungsamtliche Begeisterung in Berlin, in: FAZ Nr. 27 v. 2.2. 2000, S. 2.

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unter Berufung auf angebliche Rechtsverstöße gegen ein anderes Land militärisch oder mit Sanktionen vorgehen dürfen. Eine Befugnis einzelner Staaten zu gewaltsamer humanitär motivierter Intervention wäre eine Neuauflage des im modernen Völkerrecht überwunden geglaubten, auf Augustinus zurückgehenden, „gerechten Krieges“1477. Hugo Grotius betrachtete „die menschliche Gemeinschaft“ als den „weisesten Fall“, Krieg zu führen.1478 Einen Krieg „für fremde Untertanen“, „um sie gegen das Unrecht ihrer Obrigkeit zu schützen“, hielt er für gerechtfertigt, wenn das Unrecht evident sei „und es kein gerechter Mann billigte“. Dann sei das Recht der menschlichen Gesellschaft nicht mehr gehemmt und komme zur Wirkung.1479 Ein solch der Willkür der einzelnen Staaten überlassenes Vorgehen birgt große Rechtsunsicherheit. Obwohl Kant wußte, daß eine „Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird“, lehnte er, wie auch immer motivierte, militärische Interventionen eines Staates gegen einen anderen ab. Der fünfte Präliminarartikel zum ewigen Frieden lautet: „Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staates gewaltsam einmischen.“ Dies würde „die Rechte eines nur mit einer inneren Krankheit ringenden, von keinem abhängigen Volk“ verletzten und „die Autonomie aller Staaten unsicher machen“.1480 Zunächst ist es Sache jedes einzelnen Staates selbst, zu einer bürgerlichen Verfassung zu finden. Andere Staaten dürfen und sollen1481 ihm dabei helfen, aber ihn nicht mit Waffengewalt dazu zwingen.1482 Die Menschenrechte geben nur den betroffenen Menschenrechtsträgern einen Anspruch, eine Verfassung zu erzwingen (dazu 4. Teil, A, S. 509). Dritten verschaffen sie keinen Titel, das Gewaltverbot außer Kraft zu setzen. Solange Nationalstaaten existieren, kann deren Verhältnis zueinander nur ein solches der grundsätzlichen Gleichordnung sein. Wegen der Gleichheit der Staaten (Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta), insbesondere in der Achtung des Gewaltverbots, ist es ausgeschlossen, daß sich ein Staat zum Weltpolizisten über andere Staaten erhebt, wenn er nicht von dem Staat um Hilfe gebeten oder von der Weltgemeinschaft und ihren Organen (z. B. Sicherheitsrat) hierzu beauftragt worden ist. Weil jeder Staat irgendein politisches Interesse in dem Streit 1477 Dazu Ch. Schildmann, Die Bomben aus Stahl, das Pathos aus Hollywood, in: D. S. Lutz/H. J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, S. 131 ff.; E. Denninger, Menschenrechte, ZRP 2000, 192 (195). 1478 H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, 2. Buch, 25. Kap., VI, S. 406. 1479 H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, 2. Buch, 25. Kap., VIII, S. 407 f. 1480 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 199 (BA 11, 12). 1481 Vgl. die „Friendly-Relations“-Deklaration vom 24.10.1970, wonach jeder Staat sogar die Pflicht hat, „sowohl gemeinsam mit anderen Staaten als auch allein“, „die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichberechtigung und der Selbstbestimmung der Völker im Einklang mit den Bestimmungen der Charta zu fördern.“ 1482 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 41.

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hätte, wäre außerdem jeder Staat ein „befangener“ und deshalb unzulässiger Richter.1483 Ein Recht auf einseitige Intervention wird deshalb von vielen zutreffend abgelehnt.1484 Wegen des oben erörterten Selbstbestimmungsrechts, jedenfalls wegen des zwischenstaatlichen Gewaltverbots, bleibt dies auch im weltrechtlichen Paradigma grundsätzlich richtig. Für das Verhältnis zwischen einzelnen Staaten wird das Verbot gewaltsamer Einmischung durch das Weltrecht nicht aufgehoben. Daß der Grund für den Krieg die Verletzung von Völkerrechtspflichten mit Wirkung erga omnes ist, ändert an dieser Bewertung nichts. Es besteht nämlich die Gefahr, daß die einseitige Intervention zur Durchsetzung eigener Interessen und Ideologien mißbraucht wird, was in der Völkerrechtsgeschichte regelmäßig der Fall war1485, wie etwa zum Zwecke der Gründung von Kolonien. „Wenn ein Staat im Namen der Menschheit seinen politischen Feind bekämpft, so ist das kein Krieg der Menschheit, sondern ein Krieg, den ein bestimmter Staat gegen einen anderen führt. . . . Der Name Menschheit könnte . . . nur die schreckliche Bedeutung haben, daß dem Feind die Qualität des Menschen abgesprochen und dadurch der Krieg besonders unmenschlich wird.“1486 (Carl Schmitt)

Deshalb polemisiert Carl Schmitt: „Wer Menschheit sagt, will betrügen“.1487 Auch Hugo Grotius hat diese Gefahr erkannt. Allerdings meint er, der Mißbrauchseinwand könne das Recht als solches nicht in Frage stellen.1488 Das Recht als solches besteht aber grundsätzlich nicht. Selbst wenn der intervenierende Staat rein altruistische Motive haben sollte, kann die Rechtfertigung eines solch weitgehenden Eingriffs, der die territoriale Unversehrtheit eines Staates und das Leben der Bevölkerung essentiell berührt, nur auf der Grundlage einer allgemeinverbindlichen Regelung, nicht aber durch subjektive Güterabwägung eines Staates und damit willkürliche Einschätzung erlangt werden. Die humanitären Zwecke der Intervention schließen deshalb die prinzipielle Geltung des

1483

J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 427. G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 67; J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 421 (426); E. Denninger, Menschenrechte, ZRP 2000, 194; Ch. Hillgruber, Humanitäre Intervention, Großmachtpolitik und Völkerrecht, Der Staat 40 (2001), S. 166 ff.; G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 454 ff.; vgl. Ch. Greenwood, Gibt es ein Recht auf humanitäre Intervention?, EA 1993/1, 94 f. 1485 Vgl. dazu Ch. Hillgruber, Humanitäre Intervention, Großmachtpolitik und Völkerrecht, Der Staat 40 (2001), S. 166 ff.; ders., Friedenssicherung durch Einmischung?, S. 27 ff. K. O. Naß, Grenzen und Gefahren humanitärer Interventionen, EA 1993/1, 282. 1486 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1927), in: ders., Positionen und Begriffe, S. 67 (73). 1487 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1932, S. 42. 1488 H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, 2. Buch, 25. Kap. VIII. 4, S. 409. 1484

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Gewaltverbots nicht aus.1489 Militärische Interventionen jenseits des zulässigen Verteidigungskrieges widersprechen dem Gewaltverbot. Mit der Anerkennung humanitär motivierter Interventionen durch einzelne Staaten, die nicht von der Staatengemeinschaft, d. h. durch die Regeln des Völkerrechts erlaubt sind, würde der kriegerische Zustand zwischen den Staaten nicht beseitigt, sondern provoziert.1490 Damit würde das Rechtsprinzip nicht verwirklicht, sondern in seinen Grundfesten beschädigt. Schon der Internationale Gerichtshof hat 1949 im Korfu-Kanal-Fall die Auffassung vertreten, daß „the alleged right of intervention . . . cannot find a place in international law“.1491 Im Fall Nicaragua hat der Internationale Gerichtshof festgestellt, daß militärische Gewaltanwendung keine angemessene Methode zur Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte oder ihrer Durchsetzung sei und damit die gegenteilige Auffassung der USA in diesem Verfahren zurückgewiesen.1492 Auch nichtmilitärische Maßnahmen können gegen das Gewaltverbot verstoßen. Repressalien, etwa in Form von Wirtschaftssanktionen, können besonders in armen Ländern zu erheblichen Versorgungsproblemen der Bevölkerung und damit zu Menschenrechtsverletzungen führen.1493 Die UN-Menschenrechtskommission hat in ihrer Resolution „Human Rights and unilateral coercive measures“1494 festgestellt, daß wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen der Verwirklichung aller Menschenrechte entgegenstehen. Sie sind jedenfalls unrechtmäßig, wenn die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Medizin beeinträchtigt wird. Jeder Mensch hat ein Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung, Unterbringung und ärztlicher Versorgung (Art. 25 Abs. 1 AEMR, Art. 11 Abs. 1 IPwskR). Humanitäre Intervention, welche geeignet sind, Rechte von Menschen zu verletzen, können nur als Ausnahme vom Verbot gewaltsamer Einmischung aufgrund einer besonderen Befugnis, die sich nicht schon aus dem Tatbestand einer Menschenrechtsverletzung herleitet, begründet werden. Die Begrenztheit der innerstaatlichen Souveränität durch die Menschenrechte und die Pflicht zur Zu-

1489

Vgl. dazu K. Doehring, Völkerrecht, S. 432 ff., Rn. 1010 ff. Vgl. auch D. Zolo, Cosmopolis, 1997, S. 108 ff. 1491 ICJ Rep. 1949, 4 ff. 1492 IGH, Nicaragua vs. USA, 27.6.1986, ICJ Rep. 1986, 14 (98 ff., para. 286); vgl. auch IGH, Case Concerning Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Preliminary Objections), 11.7.1996, ICJ Rep. 1996, 595–795 (616, § 31), wonach die Pflicht der Staaten, Völkermord zu verfolgen und zu bestrafen, ihre Grenzen in völkerrechtlichen Regeln zwingenden Charakters, wozu das Gewaltverbot gehört, findet. Dazu auch Ch. Hillgruber, Die Jurisdiktionsgewalt des IGH nach Art. IX Genozidkonvention, ZÖR 1998, 363 (377 f.). 1493 Dazu C. Thiele, Wirtschaftssanktionen und Menschenrechte im Völkerrecht, Humanitäres Völkerrecht 1998, 223 ff. 1494 UN Doc. E/CN 4/1994/47 vom 4.3.1994. 1490

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sammenarbeit beantworten die Frage nach der Befugnis zur Intervention noch nicht hinreichend. d) Vertragliche Interventionsbefugnis Eine Ausnahme vom Gewaltverbot kann dann angenommen werden, wenn die betroffenen Staaten der Intervention für einen bestimmten Fall zugestimmt haben, sie insbesondere völkervertraglich vereinbart ist. So erlaubt auf regionaler Ebene das Kopenhagener Schlußpapier der KSZE vom 29.6.1990 den Teilnehmerstaaten zum Schutz einer frei gewählten Regierung vor innerem Umsturz in andere Staaten einzugreifen, sogar mit militärischen Mitteln.1495 Ein solcher Vertrag verstößt nicht gegen den ius cogens-Gehalt des Gewaltverbotes, weil er sich auf eine Ausnahme beschränkt, welche der Verfügungsgewalt der Staaten unterliegt. Dies wäre nicht mehr der Fall, wenn ein allgemeines Recht auf Krieg zwischen den Staaten vereinbart werden würde. Die Intervention einzelner Staaten kann auch durch den Sicherheitsrat autorisiert werden.1496 Allein aus der Untätigkeit des Sicherheitsrats folgt noch keine Ermächtigung, die eine Ausnahme vom wesentlichen Prinzip des Gewaltverbotes tragen würde.1497 Im übrigen bleibt es dem einzelnen Staat unbenommen, Klage beim Internationalen Gerichtshof gegen einen anderen Staat zu erheben, der erga omnes-Verpflichtungen verletzt hat1498 und den Sicherheitsrat aufmerksam zu machen (Art. 35 UN-Charta). e) Nothilferecht Emer de Vattel ging zwar von einem Interventionsverbot aus, billigte aber ein Nothilferecht auf Ersuchen, wenn sich ein in seinen Grundrechten verletztes Volk gegen seinen Fürsten zum Widerstand erhoben hat.1499 Der Gedanke der Nothilfe ist als Rechtsgrundsatz in den meisten Rechtsordnungen anerkannt.1500 1495 Text in: Europa-Archiv 45 (1990), D 380 ff.; dazu M. Halberstam, The Copenhagen Document. Intervention in support of Democracy, Harvard International Law Journal Vol. 34 (1993), No. 1, 163 ff. 1496 Dazu T. Farer, The Future of International Law Enforcement under Chapter VII, in: J. Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement, 1993, S. 39 (41 ff.); H. Neuhold, Strukturelle Veränderungen im internationalen System, S. 15. 1497 Vgl. K. Zemanek, Ist das Gewaltverbot noch aktuell?, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 67 (71). 1498 Dazu D. Schindler, Die erga omnes-Wirkung des humanitären Völkerrechts, S. 205 ff. 1499 E. de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, livre II, Kap. 4, §§ 54–56, 62. 1500 Dazu K. Doehring, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 1, Rn. 63; J. Habermas, Bestialität und Humanität, in: DIE ZEIT Nr. 18 vom 29.4.1999;

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Abgeleitet wird er auch aus dem Notwehrrecht, das jeder Mensch gegen Menschenrechtsverletzungen durch andere hat, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.1501 Als völkerrechtlicher Grundsatz wird er zumindest von einigen anerkannt.1502 Abzulehnen ist jedoch die Einmischung auf Ersuchen eines Unrechtsregimes zum Zwecke der Stützung seiner Despotie gegenüber Aufständischen, weil sie nur der Erhaltung der Staatsmacht nicht aber der Selbstbestimmung des Volkes dient. Zu überlegen ist, ob Staaten auch ohne Ersuchen das Recht oder sogar wegen des Selbstbestimmungsrechts die Pflicht haben, gegebenenfalls mit militärischer oder polizeilicher Gewalt einem unterdrückten Volk Nothilfe bei der Bekämpfung eines Tyrannen zu leisten.1503 Anders als Art. 51 UN-Charta kann dieser Grundsatz nicht nur für Angriffe gegen Staaten, sondern auch gegen solche auf Menschen oder Menschengruppen aktiviert werden.1504 Aber die Nothilfe deckt nur Maßnahmen gegen den „Angreifer“, beispielsweise gegen den Tyrannen. Nach Art. 51 Abs. 2 des Zusatzprotokolls I zur Genfer Konvention sind zum Schutz des Menschheitsrechts in bewaffneten Konflikten Angriffe gegen die Zivilbevölkerung als solche unzulässig.1505 Auch Bombenangriffe gegen ein Staatsgebiet, welche regelmäßig mit der Zerstörung wichtiger Versorgungseinrichtungen einhergehen, sind von der Nothilfe nicht gedeckt.1506 Gegen das Territorium und/oder die Bevölkerung gerichtete oder diese notwendigerweise in erheblichem Umfang treffende militärische Mittel sind in der Regel zu diesem Zweck unverhältnismäßig.

vgl. auch D. Senghaas, Recht auf Nothilfe, in: R. Merkel (Hrsg.), Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, 2000, S. 99 ff. 1501 K. Doehring, Völkerrecht, S. 435, Rn. 1015. 1502 Dazu K. Doehring, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 1, Rn. 63; J. Habermas, Bestialität und Humanität, in: DIE ZEIT Nr. 18 vom 29.4.1999; K. Zemanek, Ist das Gewaltverbot noch aktuell?, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, S. 69 f. 1503 Schon K. A. J. Hochheim (Justus Sincerus Veridicus), Von der europäischen Republik, S. 327 ff. 1504 So J. Kokott, Naturrecht und Positivismus im Völkerrecht, in: Ch. J. MeierSchatz/R. J. Schweizer (Hrsg.), Recht und Internationalisierung, S. 12 f.; vgl. auch schon H. Grotius, De iure belli ac pacis, 2. Buch, Kap. 25, VII, VIII; kritisch G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 454. 1505 Dazu K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1091 ff., Rn. 3 ff. 1506 Ablehnend Amtsgericht Berlin-Tiergarten, Urt. v. 2.3.2000, NJ 2000, 433 ff., das einen in einer Tageszeitung an die Soldaten der Bundeswehr gerichteten Aufruf, den Einsatz in Jugoslawien zu verweigern, wegen der Völkerrechtswidrigkeit der Intervention nicht als strafbar ansah.

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3. Intervention der Weltgemeinschaft Unter dem weltrechtlichen Paradigma schützen das Souveränitätsprinzip und das Verbot der Nichteinmischung nicht mehr vor international oder global institutionalisierten Verfahren zur Durchsetzung des Rechts. Nicht von vornherein ausgeschlossen ist, daß die insbesondere in den Vereinten Nationen institutionell vereinigte Weltgemeinschaft und ihre Organe, jedenfalls bei schweren Rechtsverletzungen, die im einzelnen bestimmt sein müßten (z. B. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Bedrohung des Weltfriedens), ausnahmehaft Interventionsbefugnisse in Anspruch nehmen könnten. Kant hat das Verbot der gewalttätigen Einmischung „in die Verfassung oder Regierung eines anderen Staates“ nur auf das Verhältnis zwischen Staaten bezogen. Außer daß er Zwang gegenüber Republiken im Staatenbund für unzulässig hält1507, erörtert er die Frage der Einmischung durch die Staatengemeinschaft in Unrechtsregime nicht.1508 Weil diese Staaten keine „rechtliche Verfassung“ haben, sind sie auch nicht gänzlich dem Zwange durch die Weltgemeinschaft „entwachsen“.1509 Soweit die „Einmischung“ auf die Durchsetzung des Rechtsprinzips gerichtet ist, sind die Grenzen des Gewaltverbotes und der Befugnisse der Weltorgane zu beachten. Gezielte Maßnahmen gegen die Institutionen der Unterdrückung einer Despotie könnten als erlaubt betrachtet werden. Sie sind es aber nicht, wenn hierdurch die betroffenen Menschen wesentlich oder unverhältnismäßig, insbesondere in ihren fundamentalen Rechten auf Gesundheit und Leben, in Mitleidenschaft gezogen werden.1510 Polizeiaktionen gegenüber einem Staat wirken sich für die betroffenen Menschen oft als Krieg aus.1511 Humanitäre Interventionen sind jedenfalls zu unterlassen, wenn durch das Eingreifen der Weltgemeinschaft noch mehr Unheil gestiftet wird.1512 VII. Individualhaftung neben Kollektivhaftung Das Weltrecht begründet für den Menschen als Rechtssubjekt nicht nur Rechte, sondern in seinem Verantwortungsbereich auch Pflichten. Eine wichtige Folge dieser Verpflichtetheit ist die persönliche Haftung von Einzelpersonen etwa für die in Staats- und Kriegsdiensten begangenen Verbrechen gegen die 1507

Kant, Zum ewigen Frieden, S. 199 (BA 11, 12), 211 (BA 35, 36). F. Kambartel, Kants Entwurf und das Prinzip der Nichteinmischungn die inneren Staatsangelegenheiten, S. 246. 1509 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 211 (BA 35, 36); kritisch Ch. Hillgruber, Friedenssicherung durch Einmischung?, S. 37 f. 1510 F. Kambartel, Kants Entwurf und das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Staatsangelegenheiten, S. 249. 1511 H. Steiger, Frieden durch Institution, S. 169. 1512 O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, S. 18. 1508

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Menschlichkeit (dazu 6. Teil F, S. 983 ff.). Damit wird der für wenig elaborierte Rechtsordnungen wie das Völkerrecht typische Grundsatz der Kollektivhaftung durch das Prinzip der Individualhaftung ergänzt und soweit geboten ersetzt.1513 Den Grundsatz der Individualhaftung enthält das Kriegs- und Neutralitätsvölkerrecht schon lange in Art. 99 Genfer Kriegsgefangenenabkommen vom 12. August 1949.1514 Dort ist vorgeschrieben, daß kein Kriegsgefangener wegen einer Handlung gerichtlich verfolgt oder verurteilt werden darf, „die zur Zeit ihrer Begehung nicht ausdrücklich durch in Kraft befindliche Gesetze des Gewahrsamsstaates oder geltendes Völkerrecht verboten war“. Diese Regelung setzt die grundsätzliche individuelle Haftung für Kriegsverbrechen voraus.1515 VIII. Individuelle Verantwortlichkeit versus Immunität Das weltrechtliche Legalitätsprinzip verträgt sich nicht mit Immunitäten, welche die Durchsetzung des Rechts verhindern. Es drängt daher Immunitätsansprüche, jedenfalls bei schweren Menschheitsverletzungen, zurück.1516 Niemand darf im Namen eines Amtes im Staate Verbrechen begehen und sich unter Berufung auf die Immunität seiner gerechten Strafe entziehen. Völkerrechtsdogmatisch wird dies meist mit dem Vorrang von ius cogens gegenüber dem Grundsatz der Immunität begründet.1517 Aber auch die „Widerspruchsfreiheit der Völkerrechtsordnung“, wonach das Völkerrecht nicht widerspruchsfrei einerseits bestimmte Maßnahmen verbieten, andererseits die Täter durch Immunität vor Strafe schützen darf, oder die Entstehung völkergewohnheitsrechtlicher Ausnahmen vom Immunitätsprinzip werden angeführt.1518

1513 H. Kelsen, Technik des Völkerrechts und die Organisation des Friedens, 14 ZöR (1934), S. 254. 1514 III. Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen v. 12.10. 1949, UNTS 75, p. 135; BGBl. 1954 II, S. 838; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 36. 1515 Vgl. auch Art. 12 Abs. 1 dieses Abkommens, wonach der Gewahrsamsstaat, unabhängig von etwa bestehenden persönlichen Verantwortlichkeiten, für die (völkerrechtlich vorgeschriebene) Behandlung des Kriegsgefangenen verantwortlich ist. 1516 Vgl. A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 183, Rn. 545; K. Ambos, Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, JZ 1999, 16 (21 ff.); U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes durch weltweite Strafverfolgung, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S 369 ff. 1517 W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 696 (703); vgl. auch EGMR, Entscheidung vom 21.11.2001, Al Adsani v. UK (www.echr.coe.int), Ziff. 61; Ch. Maierhöfer, Der EGMR als „Modernisierer“ des Völkerrechts? – Staatenimmunität und ius cogens auf dem Prüfstand, EuGRZ 2002, 391 (392 f., 395 ff.); kritisch O. Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, AVR 41 (2003), S. 201 (214 f.). 1518 Dazu O. Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, AVR 41 (2003), 215 ff.

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Erstmalig wurde der Immunitätsgrundsatz in den Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg und Tokio durchbrochen.1519 Art. 7 des Nürnberger Statuts sowie Art. 6 des Statuts von Tokio versagten die Berufung auf die Immunität. Später regelten dies auch die Statuten der ad hoc-Straftribunale für Jugoslawien (Art. 7 Nr. 2) und Ruanda (Art. 6 Nr. 2) sowie Art. 27 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs1520. Am 28. Juni 2001 wurde der ehemalige jugoslawische Präsident an das Jugoslawientribunal1521 überstellt. Der Internationale Gerichtshof hat die Durchbrechung des Immunitätsgrundsatzes durch Internationale Gerichtsbarkeit gebilligt.1522 Ungeachtet der Auffassung des Internationalen Gerichtshofs im Fall des kongolesischen Außenministers Yerodia (dazu 2. Teil, C, S. 173 ff.), hat die Staatenpraxis den klassischen Immunitätsanspruch beschränkt.1523 Der Internationale Gerichtshof hat die Immunität vor nationalen Gerichten von Drittstaaten selbst im Falle von schweren Menschenrechtsverletzungen auch nach Beendigung der Amtszeit nicht eingeschränkt.1524 Eine Ausnahme gilt nur für privates Handeln.1525 Demgegenüber wird in der Lehre vertreten, daß ein Staatsvertreter sowohl für privates als auch für hoheitliches Handeln in Drittstaaten zur Verantwortung gezogen werden kann, soweit dieses Handeln in besonders einschneidender Weise gegen Grundsätze des internationalen ordre public verstoßen hat. 1519 UN Doc. A/CN.4/34 v. 3.10.1950, S. 34, YILC 1950, vol. II, S. 375; vgl. dazu auch P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, 1999, S. 41 ff.; Ch. Tangermann, Die völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern, 2002, S. 210 ff. 1520 „(1) Dieses Statut gilt gleichermaßen für alle Personen, ohne jeden Unterschied nach amtlicher Eigenschaft. Insbesondere enthebt die amtliche Eigenschaft als Staatsoder Regierungschef, als Mitglied einer Regierung oder eines Parlaments, als gewählter Vertreter oder als Amtsträger einer Regierung eine Person nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach diesem Statut und stellt für sich genommen keinen Strafmilderungsgrund dar. (2) Immunitäten oder besondere Verfahrensregeln, die nach innerstaatlichem Recht oder nach dem Völkerrecht mit der amtlichen Eigenschaft einer Person verbunden sind, hindern den Gerichtshof nicht an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit über eine solche Person.“ 1521 Dazu C. Tomuschat, Vor internationalen Richtern. Miloevic im Haag: Ein Meilenstein für das Völkerstrafrecht, FAZ vom 2.7.2001, S. 12. 1522 IGH, Kongo/Belgien www.icj-cij.org, Ziff. 61 des Urteils. 1523 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 297; W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 316 ff.; U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes durch weltweite Strafverfolgung, S. 390 ff.; vgl. auch Ch. Maierhöfer, Der EGMR als „Modernisierer“ des Völkerrechts?, EuGRZ 2002, 391 ff.; O. Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, AVR 41 (2003), S. 201 (206 ff.). 1524 IGH, www.icj-cij.org, Ziff. 58 f. des Urteils. 1525 Vgl. zur Frage, ob menschenrechtswidriges Tun als privates Handeln in diesem Sinn ausscheidet, was wohl nicht im Sinne der IGH-Rechtsprechung liegt. W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, 702.

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Dies muß jedenfalls nach Beendigung der Amtszeit gelten1526, weil dann die Immunität, die den Zweck hat, eine ungehinderte Amtsführung zu ermöglichen, nicht mehr unbegrenzten Vorrang genießen kann.1527 Die Begehung von Verbrechen ist nicht Teil der rechtlich geschützten hoheitlichen Tätigkeit eines Staatswalters.1528 Deshalb verlieren Verbrechen ihren individuellen Charakter nicht dadurch, daß der Täter das Verbrechen in Zusammenhang mit der Ausübung amtlicher Funktionen begangen hat.1529 Dies ist besonders anzunehmen, wenn Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt worden sind.1530 Beispiele aus neuerer Zeit sind die Entscheidungen des britischen House of Lords im Falle des ehemaligen Junta-Chefs Pinochet.1531 Die Mehrheit der Lordrichter in der ersten Pinochet-Entscheidung vom 25.11.1998 kam zu dem Ergebnis, daß dem früheren Staatschef keine Immunität für die in seiner Amtszeit begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu gewähren sei. Begründet wurde dies u. a. mit der Erwägung, daß nach der neueren Völkerrechtsentwicklung schwere Menschenrechtsverletzungen (international crimes) völkerrechtswidrig, somit keine von der Staatenimmunität zu schützende Staatsfunktion mehr seien.1532 In Senegal wurde am 3. Februar 2000 der ehemalige Staatspräsident des Tschad, Hissène Habré, wegen Beihilfe zur Folter angeklagt und unter Hausarrest gestellt.1533 Die Staatenimmunität wird neben dem Legalitätsprinzip vom menschenrechtlichen Anspruch des Einzelnen auf effektiven Rechtsschutz begrenzt.1534 Deutlich wird die Entwicklung zur Lockerung der Staatenimmunität auch mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder der DDR1526 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 297; vgl. dazu auch Ch. Tangermann, Die völkerrechtliche Immunität von Staatshäuptern, S. 213 ff. 1527 W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, 703. 1528 Vgl. K. Ambos, Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, JZ 1999, 23. 1529 M. Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, S. 33; K. Ambos: Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, JZ 1999, 16 (20); vgl. auch die besondere Strafbarkeit von Straftaten im Amt (30. Abschnitt des StGB). 1530 Dazu B. Heß, Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen, S. 269 ff. 1531 House of Lords, Urteil vom 17.12.1998, in: ILM 1999, 430; Urteil vom 24.3.1999, in: ILM 1999, 581 ff.; dazu allgemein K. Ambos, Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, JZ 1999, 16 ff.; A. Paulus, Triumph und Tragik des Völkerstrafrechts, NJW 1999, 2644 ff.; R. Bank, Der Fall Pinochet, ZaöRV 59 (1999), S. 677 (678 f.); Ch. Tangermann, Die völkerrechtliche Immunität von Staatshäuptern, S. 69 ff. 1532 R. v. Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrate, ex parte Pinochet (no. 1), (1998) 4 All.ER 897, 911 ff.; dazu B. Heß, Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen, S. 278; Ch. Tangermann, Die völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern, S. 75 f.; zum zweiten Sachurteil v. 24.3.1999, abgedruckt in 38 ILM 581 (1999), das zumindest dem Grunde nach ebenfalls die Immunität ablehnte, den spanischen Behörden jedoch enge Grenzen setzte. 1533 Vgl. I. Ramonet, Macht vor Gericht, Le Monde diplomatique, dt. Ausgabe vom 10.8.2001, 1. 1534 B. Heß, Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen, S. 282, 313 ff.

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Regierung für die Todesschüsse an der Berliner Mauer.1535 Das hiergegen angerufene Bundesverfassungsgericht sah entgegen dem Antrag des Beschwerdeführers keine Verletzung des Grundsatzes der Immunität in der Bestrafung der ehemaligen DDR-Grenzsoldaten.1536 U. a. führt das Bundesverfassungsgericht an, daß eine angenommene Immunität die Existenz des Staates nicht überdauere.1537 Eine act of state-Doktrin, die außerhalb des angloamerikanischen Rechtskreises nicht anerkannt sei, könne nicht als allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG gewertet werden. Nach der aus dem Prinzip der Staatengleichheit abgeleiteten, umstrittenen angelsächsischen act of state-Doktrin müssen Regierungsakte, welche eine Regierung im Hinblick auf Personen, Sachen oder Rechte, die sich auf ihrem Staatsgebiet befinden, vornimmt, von den Organen und Behörden eines anderen Staates als rechtmäßig anerkannt werden. Dazu zählen auch die Rechtswirkungen, welche solche Regierungsakte im Ausland nach sich ziehen.1538 Ein allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts, welcher die Staaten verpflichtet, Hoheitsakten, die von anderen Staaten erlassen worden sind, Wirksamkeit zu verschaffen, ist in der Völkerrechtslehre wegen des ebenfalls aus der Staatengleichheit folgenden Nichteinmischungsprinzips nicht allgemein anerkannt.1539 IX. Prinzip offener Staatlichkeit 1. Prinzip und Voraussetzungen Unabhängig von der Problematik eines Weltstaates und weil Weltrecht nicht notwendig einen Weltstaat voraussetzt (dazu 3. Teil, A, S. 188 ff.), ist die Verwirklichung und Durchsetzung des Weltrechts wesentlich Aufgabe und Pflicht der Staaten im innerstaatlichen Bereich sowie in den internationalen Beziehungen.1540 Dies setzt offene, am besten weltrechtsoffene Republiken voraus. Die Durchsetzung offener Staatlichkeit in der Welt würde eine neue Stufe in der Zivilisierung und Modernisierung der Gesellschaft und die Verwirklichung von Weltrecht ohne Weltstaat darstellen1541 und weitergehende Weltstaatlichkeit u. U. entbehrlich machen. Ein Modell offener Staatlichkeit favorisiert der Liberalismus1542 eher als der Kommunitarismus.1543 1535

BGHSt 39, 1 ff.; 40, 218 ff.; 40, 241 ff. BVerfGE 95, 96 (129). 1537 BVerfGE 95, 96 (129); vgl. allgemein BVerfGE 15, 25 (34 f.); 16, 27 (33). 1538 Vgl. O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 294. 1539 Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 331, Rn. 10; O. Kimminich/ S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 294 f.; vgl. dazu auch Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, 2000, S. 220 f. 1540 Vgl. B.-O. Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat 42 (2003), S. 61 (68 ff.). 1541 J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, S. 792. 1536

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Eigentlich ist der Begriff „offener Verfassungsstaat“ oder „offene Republik“ (dazu 1. Teil, B, S. 86 f.) ein Pleonasmus, weil ein Verfassungsstaat oder die Republik uneingeschränkt dem Rechtsprinzip und den Menschenrechten verpflichtet ist. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist die „Offenheit für die Bindungen in der Völkerrechtsgemeinschaft und in dem engeren Rechtsverbund einer zwischenstaatlichen Gemeinschaft in einem demokratischen Staat angelegt“.1544 Die Offenheit der Republik/des Verfassungsstaates ist keine Frage politischer Opportunität, sondern eine Mindestbedingung, die sich aus dem Begriff der Republik oder des Verfassungsstaates selbst ergibt. Weil der Friedenszustand der unter Gesetzen gesicherte Zustand ist, garantiert der Verfassungsund Rechtsstaat, die Republik, den Frieden. Die Verpflichtung auf das Recht, auf die Verwirklichung von allgemeiner Freiheit ist eine Verpflichtung gegenüber der ganzen Menschheit und nicht nur gegenüber dem eigenen Volk. Hierfür bedarf es keiner besonderen moralischen Haltung, sondern nur die Einsicht in die Vernünftigkeit des Rechtskonzepts. Insofern muß sich jeder Staat nicht nur vor seiner Bürgerschaft, sondern auch vor der Weltgemeinschaft verantworten.1545 In einer Republik ist eine civitas vereint, die sich in Offenheit für die Welt und Toleranz und Einsatz für die freiheitliche Verfassung zur Einheit integriert.1546 Deshalb ist eine Republik ihrem Wesen nach offen und auf das Weltbürgerrecht ausgerichtet.1547 Jürgen Habermas meint: Die Bürger „können sehr wohl Patrioten sein, die die eigene Verfassung im Kontext der Geschichte ihres Landes als Errungenschaft verstehen und verteidigen. Aber sie begreifen die Freiheit der Nation – ganz im Sinne Kants – kosmopolitisch, nämlich als eine Ermächtigung und Verpflichtung zur kooperativen Verständigung oder zum Interessenausgleich mit anderen Nationen im friedenssichernden Rahmen eines Völkerbundes.“1548

Der offene Staat bleibt nicht national selbstbezogen, sondern ist im Sinne einer Weltverfassung bereit, nicht nur mit anderen Staaten und Internationalen 1542 Dazu J. Habermas, Anerkennungskämpfe im demokratischen Rechtsstaat, in: Ch. Taylor (Hrsg.), Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, 1993, S. 147 (179 ff.); J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, S. 790 f. 1543 Dazu W. Kersting, Probleme der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 9 (19); K.-O. Apel, Das Anliegen der Diskursethik in der Sicht des Kommunitarismus, in: M. Brumlik/H. Brunkhorst (Hrsg.), Gemeinschaft und Gerechtigkeit, 1993, S. 149 ff. 1544 BVerfGE 89, 155 (183). 1545 M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 200. 1546 J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, S. 778. 1547 Dazu 3. Teil, B, S. 217 ff.; F. Kambartel, Kants Entwurf und das Prinzip der Nichteinmischung, S. 248. 1548 J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 138.

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Organisationen, sondern auch mit Einzelpersonen in geeignete, rechtliche Beziehungen zu treten. Er läßt zu, daß seine Untergliederungen ihrerseits Kooperationen zu anderen staatlichen Einheiten und privaten Rechtssubjekten unterhalten. Auf diese Weise kann sich allmählich ein weltumspannendes, vielfältiges Netzwerk öffentlicher und privater Rechtsverhältnisse bilden, das durch die Zivilgemeinschaft, die mehrstufige Verfassung der Staaten, der internationalen Gemeinschaft und einer im Entstehen begriffenen Weltgemeinschaft als Gemeinschaft von Bürgern und Staaten gestützt, geordnet, aber nicht zentralisiert wird. Offene Staatlichkeit zeigt sich insbesondere an folgenden Kriterien:1549 (1) Verwirklichung und Durchsetzung des Weltrechts als Aufgabe und Pflicht der Staaten und ihrer Organe im innerstaatlichen Bereich1550 sowie in den internationalen Beziehungen; (2) Öffnungsklauseln in den Verfassungen, welche auf die Belange der Menschheit Bezug nehmen, die Offenheit des Staates als Staatszweck1551 erkennen lassen und die Vergemeinschaftung von Staatszielen und Staatsaufgaben1552 ermöglichen; (3) Anerkennung weltrechtlicher Rechtssätze als im innerstaatlichen Rechtsraum unmittelbar geltend, unmittelbar anwendbar und vorrangig1553 gegenüber diesen widersprechenden nationalen Rechtsvorschriften; Durchsetzbarkeit des Weltrechts vor den nationalen Gerichten1554; (4) Effektivierung der Menschenwürde und der Menschenrechte; (5) Verwirklichung des Weltbürgerrechts (dazu 4. Teil, B), insbesondere: a) Nichtdiskriminierung von Nichtstaatsangehörigen im Menschenrechtsbereich; b) Einbürgerung nach Rechts- und nicht nach ethnischen Prinzipien (vgl. dazu 5. Teil, C, S. 631 ff.); c) Verwirklichung des Rechts auf Asyl (6) Anwendung der Methode rechtsvergleichender Auslegung1555; 1549

S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 409 f. Vgl. A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 433 ff.; M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 197 (199). 1551 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 418 f. 1552 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 412 f. 1553 Art. VI der US-Verfassung lautet z. B.: „This Constitution, and the Laws of the U.S. which shall be made in Pursuance thereof; and all Treaties made, or which shall be made, under the Authority of the U.S., shall be he supreme Law of the Land.“ 1554 Vgl. auch D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, S. 353; M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 195 (200 f.). 1555 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 1998, S. 165 ff.; 1026 ff. 1550

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

(7) Völker- und weltrechtsfreundliche Auslegung

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;

(8) Exterritoriale Bezüge; Anwendung des Weltrechtsprinzips im Strafrecht. 2. Exkurs: Inwieweit ist Deutschland eine offene Republik? Fraglich ist, inwieweit Deutschland eine weltrechtsoffene Republik ist, welche funktional Weltrecht verwirklicht. Dies wird im folgenden am Maßstab der unter 1 genannten Kriterien überprüft. a) Verwirklichung und Durchsetzung des Weltrechts als Aufgabe Weltoffenheit und Achtung des Völker- und Weltrechts zeigt das Grundgesetz1557 textlich insbesondere in der Präambel, in Art. 1 Abs. 2 und in den durch die Grundrechte materialisierten Menschenrechten sowie in Art. 16 Abs. 2, Art. 16a, Art. 23, Art. 24, Art. 24 Abs. 1a, Art. 25, Art. 26, Art. 32 Abs. 3 GG. Bereits aus der Präambel des Grundgesetzes läßt sich der Wille des deutschen Volkes erkennen, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt“ und damit dem Grundprinzip des Völker- und Weltrechts zu dienen. Nach Art. 9 Abs. 2 GG sind „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit . . . sich . . . gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“, insbesondere Tätigkeiten nach Art. 26 Abs. 1 GG verfolgen1558, verboten. Art. 26 GG untersagt Vorbereitungshandlungen zu Verstößen gegen das Aggressionsverbot.1559 Inwieweit der Schutzzweck des Art. 26 GG über das Verbot militärischer Gewaltanwendung hinausreicht, ist strittig1560, jedenfalls umfaßt 1556 P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte: Konkurrenz oder Ergänzung?, EuGRZ 1994, 26; BVerfGE 74, 358 (370); 111, 200 (201 ff.). 1557 Vgl. schon K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964; Ch. Tomuschat, Die staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, HStR, Bd. VII, 1992, § 172. 1558 H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2000, Art. 9, Rn. 18; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9 (Stand 1999), Rn. 131. 1559 Weitgehend ausgeschaltet werden könnten Art. 26 GG und Art. 87a Abs. 2 GG allerdings wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts durch Beschlüsse des Rates über militärische Missionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wie sie der Verfassungsvertrag in Art. I-41 in Verbindung mit Art. III294 ff., 309 ff. VV vorsieht. Diese Bestimmungen verlagern die Verteidigungszuständigkeit wesentlich auf die Europäische Union. Gleichzeitig wird dem Bundestag dadurch die Kontrollmöglichkeit, ob das Gewaltverbot eingehalten wird, genommen. Auch die Europäische Union ist jedoch an das Gewaltverbot gebunden. Beschlüsse, die dagegen verstoßen, verpflichten die Mitgliedstaaten, die ihre Verantwortung dafür nicht ablegen dürfen, nicht. 1560 Dazu R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2002, S. 357 f.

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er nicht den „positiven Frieden“ im Sinne einer weltweiten Verwirklichung des Rechtsprinzips1561, wohl aber den als ius cogens anerkannten Weltrechtsbestand im Völkerrecht.1562 Insgesamt materialisieren diese Bestimmungen das völkerrechtliche Gewaltverbot (Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta) innerstaatlich mit Verfassungsrang.1563 Gleichzeitig macht Art. 26 GG zusammen mit der Präambel Frieden zum Staatsziel.1564 b) Öffnungsklauseln Aus den Ermächtigungen in Art. 23 und 24 GG sowie aus der Präambel wird deutlich, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre Existenz nicht in „selbstherrlicher Isolierung, sondern nur in einem kooperativen Verbund mit den Völkern Europas und der Welt führen kann.“1565 Das Grundgesetz fordert die Staatsorgane zur aktiven Mitwirkung bei der Bewältigung internationaler und globaler Probleme auf. Auch in diesem Zusammenhang wird vom „Prinzip der offenen Staatlichkeit“ gesprochen.1566 Grenzen ergeben sich aus den Strukturprinzipien der deutschen Verfassungsordnung (Art. 23 Abs. 1, Art. 79 Abs. 3, Art. 20, Art. 38, Art. 1 GG).1567 Die Strukturprinzipien des Rechtsstaats-, Demokratie-, Sozial-, Subsidiaritäts-, föderalistischen Prinzips sowie ein dem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbarer Grundrechtsstandard widersprechen jedoch nicht dem universellen Rechtsprinzip, sondern verwirklichen es und sind Bestandteil der existentiellen Staatlichkeit. Es gibt keine Pflicht Deutschlands zur Offenheit jenseits des Rechtsprinzips und solange die Völker/Bürger keinen Weltstaat anstreben1568, auch keine Pflicht zur Aufgabe seiner existentiellen Staatlichkeit. Gemäß Art. 24 Abs. 1 GG können „Hoheitsrechte“, d. h. Befugnisse der Staatsgewalt zur gemeinschaftlichen Ausübung1569 auf zwischenstaatliche Ein1561

R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 357. R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 358. 1563 Dazu R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 356 ff. 1564 M. Bothe, Friedensbegriff im Verfassungs- und Völkerrecht, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.); Frieden durch Recht, 1996, S. 187 (190). 1565 Ch. Tomuschat, Die staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, HStR, Bd. VII, § 172, Rn. 2; auch BVerfGE 89, 155 (183). 1566 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 24, Rn. 1; U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 94; vgl. auch H. Mosler, HStR, Die Übertragung von Hoheitsgewalt, Bd. VII, § 175, S. 604, Rn. 10. 1567 BVerfGE 37, 221 (279); 58, 1 (40); 73, 339 (375 f.); 74, 80; 89, 155 ff.; vgl. kritisch K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 75 ff.; siehe auch eingehender dazu 6. Teil, D, S. 842 ff. 1568 Dazu vgl. 5. Teil. 1569 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 87 ff. 1562

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richtungen übertragen werden.1570 Deren Recht wird damit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der deutschen Rechtsordnung Geltung verschafft.1571 Zwischenstaatliche Einrichtungen sind Internationale und Supranationale Organisationen, die über Befugnisse funktionaler Staatlichkeit verfügen.1572 Damit öffnet sich Deutschland für einen wichtigen Aufgabenbereich der Staatengemeinschaft.1573 Dies ermöglicht nach Karl Doehring ein supranationales, also auch ein partiell weltrechtliches System1574. Der Beitritt zu anderen Internationalen Organisationen (mit eingeschränktem Aufgabenfeld) ist auch über Art. 59 GG möglich.1575 Die Übertragung von Aufgaben auf die Europäische Union, für die Art. 24 GG seit dem Ratifikationsverfahren zum Maastrichter Vertrag nicht mehr als hinreichend angesehen wird, regelt Art. 23 GG (Grundgesetzänderung vom 21.12.1992) als lex specialis. Die Einführung des Art. 23 GG wird als Indiz einer verstärkten Öffnung der deutschen Verfassungsstaatlichkeit gewertet.1576 Für die europäische Integration ermöglicht Art. 23 GG die Übertragung von Befugnissen zur Entwicklung einer „Union“, die deutlich über eine zwischenstaatliche Einrichtung i. S. d. Art. 24 GG hinausgeht.1577 Die Entstehung eines Bundesstaats Europa deckt Art. 23 GG allerdings nicht.1578 Art. 24 Abs. 3 GG verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland, „zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten“ „Vereinigungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beizutreten“.1579 Der Terminus „Schiedsgerichtsbarkeit“ in Art. 24 Abs. 3 GG umfaßt nach einhelliger Meinung auch die völkerrechtliche „Gerichtsbarkeit“ im engeren Sinn.1580 Somit hält das Grundgesetz die weltrechtlich gebotene, obligatorische internationale Gerichtsbarkeit nicht nur für zulässig, sondern verpflichtet sogar dazu. 1570 Dazu H. Mosler, Die Übertragung von Hoheitsgewalt, HStR, Bd. VII, § 175, S. 599 ff. 1571 BVerfGE 27, 271 (280); 58, 1 (28); 73, 339 (374) st. Rspr. 1572 Vgl. BVerfGE 68, 1 (93). 1573 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 144; ders., Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 531. 1574 K. Doehring, Systeme kollektiver Sicherheit, HStR, Bd. VII, 1992, § 177, S. 669 ff., Rn. 10. 1575 K. Doehring, HStR, Bd. VII, § 177, Rn. 10. 1576 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 149 und ff.; ders., Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 531 ff.; U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001, S. 31 f. 1577 BVerfGE 89, 155 186 (188); H. D. Jarass, in: Pieroth/Jarass, Art. 23, Rn. 2; s. a. 6. Teil, D, S. 818 ff. 1578 Dazu K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: Fs. W. Nölling, 2003, S. 279 ff. 1579 Dazu H. Mosler, Das Grundgesetz und die internationale Streitschlichtung, HStR, Bd. VII, § 179, Rn. 1 ff. 1580 H. Mosler, Das Grundgesetz und die internationale Streitschlichtung, HStR, Bd. VII, § 179, Rn. 16.

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Nach Art. 24 Abs. 1a GG können die Länder in ihrem Zuständigkeitsbereich mit Zustimmung der Bundesregierung „Hoheitsrechte auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen übertragen“.1581 Der Begriff der „grenznachbarschaftlichen Einrichtung“ ist eine Kooperationsform des offenen Verfassungs- und Verwaltungsstaates1582, die nicht mit den Kategorien internationaler, d. h. zwischenstaatlicher, Beziehungen gleichzusetzen ist.1583 Es ist eine Möglichkeit transnationaler Gemeinschaftlichkeit, welche den entgrenzten Lebensverhältnissen gerecht wird1584, aber zugleich in sachlicher wie regionaler Hinsicht dem Prinzip der kleinen Einheit (dazu 5. Teil, C, S. 652 ff.) verhaftet bleibt. Die Übertragung von „Hoheitsrechten“ verschafft den grenznachbarschaftlichen Einrichtungen insbesondere die Befugnis zu Rechtsakten mit unmittelbarer Bindungswirkung für die Bürger (z. B. Raumordnungspläne, Subventionsvergabe, Abwasserund Hochschulsatzungen, eventuell sogar polizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens).1585 c) Unmittelbare Geltung universeller Rechtssätze Art. 25 GG, wonach die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts . . . Bestandteil des Bundesrechts“ sind, den Gesetzen vorgehen und Rechte und Pflichten „unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes“ erzeugen, ist klarer Ausdruck offener Verfassungsstaatlichkeit.1586 Damit werden die allgemeinen Regeln des Völkerrechts kraft Verfassungsrechts für Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung unmittelbar verbindlich.1587 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist Art. 25 GG eine offene Verweisungsnorm, welche die allgemeinen Regeln des Völkerrechts in ihrem jeweiligen Bestand „als solche“ in die deutsche Rechtsordnung aufnimmt.1588 Anders als gewöhnliche völkerrecht1581 Zu den Begriffen des Tatbestands eingehend M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, 2004, S. 211 ff. 1582 Dazu M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 318 ff. 1583 Dazu M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 220 ff. 1584 M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 284 ff.; auch 5. Teil, C, S. 669 ff. 1585 Gesetzgebungsmaterialien BR-Drs 360/92, Rn. 13, 15; M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 213 f. 1586 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 138 f.; allgemein zu Art. 25 GG R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 161 ff. 1587 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1995, S. 44, Rn. 103. 1588 BVerfGE 46, 342 (403 f.); siehe auch BVerfGE 6, 309 (363); 23, 288 (316); 27, 253 (274); anders noch BVerfGE 1, 397 (411); C. Tomuschat, Die staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, HStR, Bd. VII, 1992, § 172, S. 483 ff., Rn. 11; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 165. Irrig sieht dagegen die dualistische Lehre hierin einen (verfassungsrechtlichen) Rechtsanwendungs- oder sogar Transformationsbefehl. Dazu H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 25, Rn. 1; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 44, Rn. 103; H. Steinberger, Allgemeine

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liche Verträge, die nur den Rang des Zustimmungsgesetzes erhalten (vgl. Art. 59 Abs. 2 GG), haben die allgemeinen Regeln nach Art. 25 GG Vorrang vor dem einfachen deutschen Recht („brechen“ deutsche Gesetze), allerdings nicht vor dem Verfassungsrecht.1589 Damit ist der Vorranganspruch des Weltrechts beachtet. Gemäß Art. 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts und deren Einhaltung durch Einzelpersonen in Verbindung mit einem Grundrecht einklagbar1590, entfalten also unmittelbare Wirkung.1591 Die Effektivität des Art. 25 GG zur Durchsetzung des Weltrechts hängt allerdings auch von der Reichweite des Begriffs der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ ab. Wenn in einem Rechtsstreit zweifelhaft ist, „ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbare Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt“, müssen die nationalen Gerichte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 2 GG einholen.1592 Damit soll u. a. die effektive Durchsetzung des allgemeinen Völkerrechts im innerstaatlichen Raum sichergestellt werden.1593 Nach der Rechtsprechung des Gerichts werden allerdings völkerrechtliche Verträge von Art. 25 GG grundsätzlich1594 nicht erfaßt.1595

Regeln des Völkerrechts, HStR, Bd. VII, 1992, § 173, S. 525, Rn. 42; R. Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 59, Rn. 64 ff. 1589 BVerfGE 6, 309 (363); 37, 271 (279); H. Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, HStR, Bd. VII, § 173, Rn. 57 ff.; C. Tomuschat, Die staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, HStR, Bd. VII, § 172, Rn. 11, 15. 1590 BVerfGE 77, 170 (232); 95, 96 (128). 1591 Vgl. dazu H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 25, Rn. 3; R. Streinz, Sachs, GG, Rn. 68 zu Art. 59 GG; BVerwGE 80, 233 (235); 87, 11 (13). 1592 Vgl. dazu BVerfGE 15, 25 (30); 18, 441 (447 f.); 23, 288 (316 ff.); BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 975 ff. 1593 A. Bleckmann, Verfassungsrang der EMRK?, EuGRZ 1994, 149 (155). 1594 Im Hinblick auf die Kollisionsregeln sei Völkergewohnheitsrecht neben Völkervertragsrecht nur anzuwenden, wenn es „partikuläres, insbesondere unter Beteiligung der Bundesrepublik zustande gekommenes oder zwingendes allgemeines Völkerrecht“ ist; BVerfGE 6, 309 (335); BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/ 99, in: JZ 2001, 976; vgl. auch BVerfGE 18, 441 (448 f.); 66, 39 (64 f.); 95, 96 (129); 96, 68 (87); H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 25, Rn. 6.; auch kein übergesetzlicher Rang völkerrechtlicher Verträge aus dem allgemeinen Grundsatz pacta sunt servanda; vgl. Th. Maunz, in: Th. Maunz/G. Dürig, GG-Kommentar, Art. 25, Rn. 20. 1595 Darüber hinausgehend aber Art. 67 S. 2 der Hessischen Verfassung gemäß dem Beschluß des VG Frankfurt/Main vom 23.10.1997 (9 G 1638/97 (1) – ZBR 1998, 219 (Leitsatz) und Urteil 9.11.1998 (9 E 1570/98 (V) – NVwZ-RR 1999, 325. Dies zeigt sich etwa in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, mit denen es die deutschen Gerichte verpflichtet hat, Auslieferungen von verurteilten Straftätern für unzulässig zu erklären, wenn in dem zur Verurteilung führenden Prozeß der völkerrechtliche Mindeststandard nicht gewahrt war. BVerfGE 59, 280 (282); 63, 332 (337); vgl. auch BVerwGE 111, 223 (226 ff.); OLG Hamm, Beschluß v. 22.8.2000, NStZ, 2001, 62.

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Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG wird das Völkergewohnheitsrecht gerechnet.1596 Es beinhaltet neben typisch völkerrechtlichen Grundsätzen, wie das Recht der konsularischen und diplomatischen Beziehungen oder das der Staatenimmunität, auch Prinzipien, welche sich aus der Freiheit ableiten.1597 Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts wird ebenfalls der grundrechtliche oder weltbürgerliche Mindeststandard gegenüber Ausländern gerechnet, nämlich das Recht auf Abwehr willkürlicher Eingriffe in Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum sowie der Anspruch auf rechtliches Gehör.1598 Auch die allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze des Völkerrechts sind allgemeine Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG.1599 „Allgemein“ sollen diejenigen Regeln des Völkerrechts sein, die allgemein gelten, d. h. von der überwiegenden Mehrheit der Staaten1600, der „weitaus größeren Zahl“1601 anerkannt werden1602 oder zumindest „auf einer allgemeinen, gefestigten Übung zahlreicher Staaten beruhen“1603. Ob Deutschland die jeweilige Regel anerkannt hat, ist nicht entscheidend.1604 Damit folgt Deutschland den Entwicklungen des Völkergewohnheitsrechts. Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG entsprechen der Typik des Weltrechts. Die Praxis legt den Begriff der allgemeinen Regeln des Völkerrechts jedoch, obwohl dies die Entstehungsgeschichte nicht unbedingt nahe legt1605, sehr eng aus1606 und gibt damit dem Weltrechtsprinzip wenig Raum. 1596 BVerfGE 15, 25 (32 f.); 23, 288 (317); 66, 39 (64 f.); 94, 315 (328); 96, 68 (86); BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 975 ff.; P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte: Konkurrenz oder Ergänzung?, EuGRZ 1994, 26. 1597 R. Hofmann, Art. 25 und die Anwendung völkerrechtswidrigen ausländischen Rechts, ZaöRV 49 (1989), S. 41 (47); enger dagegen, nur auf Prinzipien von Gerechtigkeit und Frieden beschränkt: M. Silagi, Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts als Bezugsgegenstand in Art. 25 GG und Art. 26 EMRK, EuGRZ 1980, 632 (645 ff.). 1598 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 802 f., § 1213; H. Quaritsch, Der grundrechtliche Status der Ausländer, HStR, Bd. V, 1992, § 120, S. 678, Rn. 32. 1599 BVerfGE 16, 27 (33); 23, 288 (316 f.); 94, 315 (328); 96, 68 (86); BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 975 ff.; R. Streinz, in: M. Sachs, GG, Rn. 35 zu Art. 25; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 25, Rn. 8; P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 26. 1600 BVerfGE 15, 25 (34); 23, 288 (316 f.). 1601 BVerfGE 16, 27 (33). 1602 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 25, Rn. 5. 1603 BVerfGE 95, 96 (129). 1604 BVerfGE 15, 25 (34); 16, 27 (33); BVerwG, NJW 89, 2557; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 25, Rn. 5. 1605 Der Abgeordnete Carlo Schmid hat zum Begriff der allgemeinen Regeln des Völkerrechts ausgeführt, diese Regeln seien „Nutzanwendungen der allgemeinen

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

d) Effektivierung der Menschenwürde und der Menschenrechte Art. 1 Abs. 2 GG bekennt sich in durchaus weltrechtlichem Geist zu den „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ (Hervorhebung der Verf.). Diese Vorschrift verweist auf den weltrechtlichen Kern der im Grundgesetz garantierten Grundrechte.1607 Art. 1 Abs. 1 und 2 GG erkennen an, daß die Menschenwürde und die daraus abgeleiteten unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechte nicht erst vom deutschen Verfassungsgeber begründet worden sind, sondern als Grundlage jeder Gemeinschaft, also universell, als Menschheitsverfassung gelten.1608 Damit und auch ausweislich der Präambel bekennt sich das Grundgesetz zur Menschheitsverfassung, auf der die Staatsgründung beruht und welche alle Verfassungsgesetzgebung, nicht nur die deutsche, bindet.1609 In diesem Staatsgründungsakt versprechen sich die Menschen als Rechtsgenossen einander, die Würde gegenseitig zu achten. Im wechselseitigen Versprechen wird ein gemeinsamer Sinn festgestellt, der für alle Beteiligten Maßstab sein soll.1610 Die staatlichen Ziele haben danach nur den Zweck, den Menschen zu dienen und ansonsten keinen Eigenwert.1611 Der Verfassungsstaat verwirklicht Menschenwürde, wenn er den Bürger als Subjekt des Handelns anerkennt.1612 Manche sehen Art. 1 Abs. 2 GG demgegenüber Rechtsvorstellungen, die mehr oder weniger in allen zivilisierten Staaten bestehen: ein stillschweigendes Übereinkommen der Menschen unseres abendländischen Rechtskreises, unterhalb eines bestimmten rechtlichen Zivilisationsstandes nicht leben zu wollen“ K.-B. Doemming/R. W. Füsslein/W. Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR NF 1, S. 232. Allerdings beschränkt sich das universelle Recht nicht mehr auf den abendländischen Rechtskreis. 1606 Vgl. zu den als allgemeine Regeln anerkannten Normen: H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 25, Rn. 9 f. 1607 Vgl. G. Dürig, Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 2, Rn. 55, 73; H. D. Jarass, GG, Art. 1 Abs. 2, Rn. 15 f. 1608 Dazu Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, 374 (AB 86); K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, 1996, S. 20, 34 ff.; G. Dürig, Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 2, Rn. 73; H. D. Jarass, GG, Art. 1 Abs. 2, Rn. 15 f.; J. Isensee, Menschenwürde, AöR 131 (2006), S. 173 (175 ff.); vgl. auch BVerfGE 1, 14 (61): 5, 83 (131 f.), das die Bindung des Verfassungsgebers an dem positiven Recht voraus liegende Rechtsgrundsätze betont; a. A. für eine nur positivrechtliche Verankerung M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, 2005, Art. 1 Abs. 1, Rn. 5, 17; kritisch dazu E.-W. Böckenförde, Bleibt die Menschenwürde unantastbar?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2004, 1216 (1222 ff.). 1609 Vgl. H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, HFR 8-1996, S. 10. 1610 H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, HFR 8-1996, S. 10. 1611 Vgl. K.-B. Doemming/R. W. Füsslein/W. Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, Entwurf des Art. 1 Abs. 1 von Herrenchiemsee JöR (1951), NF 1, 48; P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, 2004, § 22, S. 317, Rn. 38; BVerfGE 5, 85 (204), 12, 45 (51); 37, 57 (65).

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abschwächend lediglich als „Motivangabe“ für den nachfolgenden Grundrechtskatalog an.1613 Überwiegend geht man zumindest davon aus, daß Art. 1 Abs. 2 GG die normative Verpflichtung ausspricht, eine den Menschenrechten entsprechende staatliche Ordnung zu schaffen sowie zur weltweiten Verwirklichung der Menschenrechte beizutragen.1614 Aus Art. 1 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht die Befugnis abgeleitet, nach Maßgabe des deutschen internationalen Privatrechts im Inland anwendbares ausländisches Recht an den unabdingbaren Grundrechten zu messen.1615 Damit ist der ordre public über Art. 1 Abs. 3 GG hinaus ein menschenrechtliches Gebot der Anwendung der Grundrechte.1616 Die Berufung auf den nationalen ordre public (Art. 6 EGBGB1617) ist ein allgemein akzeptierter, völkerrechtlich zugelassener Grund, in einem Verfahren vor den staatlichen Behörden und Gerichten die Anwendung ausländischen Rechts oder die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen ausnahmsweise1618 zu versagen. Über Art. 25 Satz 2 GG könnte eine Inkorporierung, unmittelbare Geltung und jedenfalls übergesetzliche1619 oder sogar höchstrangige (weltrechtliche) Bindung an die, u. a. in internationalen Vereinbarungen kodifizierten, Menschenrechte konzipiert werden.1620 Albert Bleckmann nimmt an, daß „die internationalen Menschenrechtspakte . . . als fundamentale Verfassungsnormen der Völkergemeinschaft zwingendes Recht mit einem sehr hohen Rang begründen“.1621 Dennoch ist nach der dualistischen Praxis in Deutschland Geltungsgrund des völkervertraglichen Menschenrechtsschutzes grundsätzlich nicht Art. 25 GG1622 1612 P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, § 22, S. 317, Rn. 52. 1613 H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, HFR 8-1996, S. 8 ff.; B. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1, Rn. 16. 1614 BVerfGE 94, 49 (103); P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, S. 26. 1615 BVerfGE 31, 58 (76). 1616 Vgl. J. Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen, HStR, Bd. V, 1992, § 115, S. 407, Rn. 99. 1617 Zu Art. 6 EGBGB A. Heldrich, in: Palandt, BGB, 2002, Rn. 1 ff.; Rechtsprechungshinweise Rn. 14 ff. 1618 Grundsätzlich gebiete das Grundgesetz mit der Einordnung in die Völkerrechtsordnung fremde Rechtsordnungen zu achten, auch wenn sie nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. BVerfG, Beschluß v. 24.6.2003 – 2 BvR 685/03, JZ 2004, 141 ff.; vgl. auch BVerfGE 75, 1 (16 f.). 1619 BVerfGE 6, 309 (363); 37, 271 (279); P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 26. 1620 Vgl. G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 2, Rn. 55 Nr. 2. 1621 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 847. 1622 Vgl. zu den als allgemeine Regeln anerkannten Normen: H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 25, Rn. 9 f.

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oder gar Art. 1 Abs. 2 GG, sondern das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 GG1623, welches die Regelungen des Menschenrechtsvertrags transformiert1624 oder einen Rechtsanwendungsbefehl1625 für dessen Geltung in Deutschland erteilt. Nach überwiegender Ansicht gilt für die in Bundesgesetze transformierten Menschenrechtsverträge die lex posterior-Regel gegenüber späteren Bundesgesetzen, selbst wenn diese Rechte enthalten, die nach dem Grundgesetz Verfassungsrang genießen.1626 Man geht formell davon aus, daß sie den bundesgesetzlichen Rang des Zustimmungsgesetzes teilen1627. Folglich können die vertraglichen Regelungen der Menschenrechte durch späteres nationales Recht grundsätzlich1628 relativiert oder außer Kraft gesetzt werden. Die praktizierte dualistische Sichtweise ist durch das Grundgesetz nicht notwendig vorgegeben. Seiner Formulierung nach ist Art. 59 Abs. 2 GG gegenüber einer monistischen oder dualistischen Lesweise indifferent.1629 Der Wortlaut des Art. 59 Abs. 2 GG spricht nur von der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften, was aus demokratierechtlichen Gründen (Art. 20 Abs. 2 GG) erforderlich ist. Eine „Transformation“ oder ein „Rechtsanwendungsbefehl“ ist im Grundgesetz nicht angesprochen. Vielmehr legt Art. 1 Abs. 2 GG eventuell eine unmittelbare Geltung der Menschenrechte nahe. Im Allgemeinen wird es allerdings abgelehnt, über Art. 1 Abs. 2 GG den völkerrechtlich verbindlichen Menschenrechtsstandard insgesamt zum Inhalt des Grundgesetzes zu machen.1630 Diese aus der Tradition Heinrich Triepels erklärbare Auffassung wird als mit dem Wortlaut des Grundgesetzes vereinbar angesehen; denn nur für die „nachfolgenden“, im Grundgesetz geregelten „Grundrechte“, nicht für die in Art. 1 Abs. 2 GG erwähnten, „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte“, 1623 BVerwGE 86, 99 (119 f.); BFH, Urteil vom 1.2.1989 (I R 74/86), BStBl. II 1990, 4; ZaöRV51 (1991), S. 180; BVerfGE 111, 307 (315 ff.). 1624 Ch. Tomuschat, Verwirrung über Kinderrechte-Konvention, in: Fs. H. F. Zacher, S. 1148; K. Doehring, Völkerrecht, S. 303 f., Rn. 720; R. Streinz, Art. 59, Rn. 65, in: M. Sachs (Hrsg.), 2003. 1625 Dazu P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte: Konkurrenz oder Ergänzung?, EuGRZ 1994, 17, 18 ff. 1626 H. D. Jarass, GG, Art. 59, Rn. 17; P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 25; C. Hillgruber, Der Nationalstaat in der übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, § 32, S. 929, Rn. 123 f. 1627 Ch. Tomuschat, Verwirrung über Kinderrechte-Konvention, in: Fs. H. F. Zacher, S. 1148; K. Doehring, Völkerrecht, S. 303 f., Rn. 720; R. Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Art. 59, Rn. 65; P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 18, 25. 1628 Vgl. aber zur gelegentlichen Anwendung der lex specialis-Regel, welche im Einzelfall verhindern kann, daß Völkerrecht derogiert wird BVerwGE 111, 200 (201 ff.). 1629 H. Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, HStR, Bd. VII, § 173, S. 548, Rn. 43; Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001, S. 567 f. 1630 P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 27.

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ordne Art. 1 Abs. 3 GG ausdrücklich die unmittelbare Geltung der Menschenrechte im innerstaatlichen Raum an. Das Grundgesetz ist damit nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts „. . . nicht die weitesten Schritte der Öffnung für völkerrechtliche Bindungen gegangen. . . . Dem Grundgesetz liegt deutlich die klassische Vorstellung zu Grunde, dass es sich bei dem Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht um ein Verhältnis unterschiedlicher Rechtskreise handelt und dass die Natur dieses Verhältnisses aus der Sicht des nationalen Rechts nur durch das nationale Recht selbst bestimmt werden kann.“1631

Nach überwiegender Meinung ist auch die EMRK keine Vorrang beanspruchende allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG.1632 Die unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit sowie der Gesetzesvorrang der EMRK wird dennoch von der dualistischen Lehre bejaht.1633 Das Bundesverfassungsgericht verweist darauf, daß die Vertragsparteien die „wirksame Anwendung aller Bestimmungen“ der EMRK in ihrem innerstaatlichen Recht zu gewährleisten (vgl. Art. 52 EMRK) haben, „was in einem durch den Grundsatz der Gewaltenteilung beherrschten, demokratischen Rechtsstaat nur möglich ist, wenn alle Träger hoheitlicher Gewalt an die Gewährleistungen der Konvention gebunden werden“.1634 Außerdem erkennt das Gericht den mit der Europäischen Menschenrechtskonvention verbundenen Paradigmenwechsel: „Die durch das Zustimmungsgesetz in das Bundesrecht übernommene Verpflichtung der Vertragsparteien, eine innerstaatliche Instanz zu schaffen, bei der die betroffene Person eine ,wirksame Beschwerde‘ gegen ein bestimmtes staatliches Handeln einlegen kann (Art. 13 EMRK), reicht bereits in die institutionelle Gliederung der Staatlichkeit hinab und ist nicht auf die zum auswärtigen Handeln berufene Exekutive begrenzt.“1635

Damit gesteht das Bundesverfassungsgericht der EMRK nicht nur zwischenstaatliche, sondern innerstaatliche Wirkung zu. Das Bundesverfassungsgericht hat jedenfalls eine unmittelbare rechtliche Bindung an die EMRK und in gewissen Grenzen auch an die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Rechtsstaatsprinzip bejaht.1636 1631

BVerfGE 111, 307 (318). I. v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GG, I, Vorbemerkung zu Art. 1–19, Rn. 80; eingehend dazu N. Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht, 1999, S. 176 ff.; BVerfGE 111, 307 (318 ff.). 1633 R. Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention, S. 42 ff.; H. Sauer, Die neue Schlagkraft der gemeineuropäischen Grundrechtsjudikatur, ZaöRV 65 (2005), S. 35 (39). 1634 BVerfGE 111, 307 (323). 1635 BVerfGE 111, 307 (323). 1636 BVerfGE 111, 307 (316); dazu eingehend H. Sauer, Die neue Schlagkraft der gemeineuropäischen Grundrechtsjudikatur, ZaöRV 65 (2005), S. 38 ff.; i. d. S. auch R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 405 f.; a. A. gegen eine unmittelbare und für 1632

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Es folgert außerdem aus Art. 46 EMRK, daß die Urteile des Gerichtshofs für die an dem Verfahren beteiligten Parteien verbindlich sind und damit auch begrenzte materielle Rechtskraft sowie zumindest eine Orientierungswirkung haben.1637 In einigen Mitgliedstaaten des Europarates ist ein übergesetzlicher Rang der Europäischen Menschenrechtskonvention gebilligt.1638 Albert Bleckmann bejaht den Verfassungsrang der EMRK1639, weil er sie wie die anderen Menschenrechtsverträge und auch die UN-Charta als ordre public international zum allgemeinen Völkerrecht und internationalem Verfassungsrecht im Sinne des Art. 25 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 2 GG einordnet.1640 Teilweise wird für die Europäische Menschenrechtskonvention die Auffassung vertreten, daß die Mißachtung der darin geregelten Menschenrechte zugleich die innerstaatliche Verfassung verletzte.1641 Die überwiegende Meinung nimmt auch für die Europäische Menschenrechtskonvention keinen Vorrang an.1642 Dementsprechend werden auch bei Konflikten zwischen der Konvention und einfachen deutschen Gesetzen Art. 100 GG und § 90 BVerfGG nicht angewandt.1643 nur zwischenstaatliche Wirkung R. Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung, S. 173 ff.; ders., Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 570; P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 16 (17); R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 570; vgl. aber den Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 6 StPO. 1637 BVerfGE 111, 307 (320 ff.). Einen gewissen Spielraum in der Konvention sieht das Gericht für bereits erlassene rechtskräftige Entscheidungen wegen Art. 41 EMRK und legt Grenzen der Pflicht fest, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorzug zu geben, wenn „die Beachtung der Entscheidung des Gerichtshofs etwa wegen einer geänderten Tatsachenbasis gegen eindeutig entgegenstehendes Gesetzesrecht oder deutsche Verfassungsbestimmungen, namentlich auch gegen Grundrechte Dritter verstößt. ,Berücksichtigen‘ bedeutet, die Konventionsbestimmung in der Auslegung des Gerichtshofs zur Kenntnis zu nehmen und auf den Fall anzuwenden . . . Die Konventionsbestimmung muss in der Auslegung des Gerichtshofs jedenfalls in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, das Gericht muss sich zumindest gebührend mit ihr auseinander setzen.“ BVerfGE 111, 307, 324 f. 1638 Siehe A. Bleckmann, Verfassungsrang der Europäischen Menschenrechtskonvention?, EuGRZ 1994, 150 f. 1639 A. Bleckmann, Verfassungsrang der Europäischen Menschenrechtskonvention?, EuGRZ 1994, 149 ff.; vgl. den Überblick über den Meinungsstand bei W. Kleeberger, Die Stellung der Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1992, S. 15 ff.; N. Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht, S. 40 ff. 1640 A. Bleckmann, Verfassungsrang der Europäischen Menschenrechtskonvention?, EuGRZ 1994, 152 ff. 1641 Ph. Kunig, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 112 f. 1642 BVerfGE 74, 358 (370); H. D. Jarass, GG, zu Art. 25, Rn. 10, Art. 59, Rn. 17; vgl. dazu kritisch A. Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, 1975, S. 377 f.; ders., Verfassungsrang der Europäischen Menschenrechtskonvention?, EuGRZ 1994, 149 (152); R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 405; W. Kleeberger, Die Stellung der Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1992, S. 12 ff.

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e) Völkerrechtskonforme Auslegung und Radbruchsche Formel Allerdings sind nach dem Grundsatz „völkerrechtsfreundlicher Auslegung“1644, der auch im deutschen Verfassungsrecht anerkannt ist1645, die EMRK (ebenso die Menschenrechtsabkommen der Internationalen Arbeitsorganisation1646) als Maßstab für die Auslegung von Gesetzen heranzuziehen.1647 Dies kommt einer Vorrangwirkung der Menschenrechtsverträge zumindest nahe.1648 Die Pflicht zu völkerrechtsfreundlicher Auslegung, der ein einklagbares Recht entspricht, begründet das Bundesverfassungsgericht mit der Bindung der Rechtsprechung nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht1649 i.V. m. Art. 59 Abs. 2 GG sowie mit Art. 1 Abs. 2 GG.1650 Mit Hilfe dieses Grundsatzes kann dem Völkerrecht bei der Anwendung deutscher Gesetze unmittelbar Wirksamkeit verschafft werden.1651 Die Methode völkerrechtsfreundlicher Auslegung gibt, wenn nationale Gerichte Weltrecht durchsetzen, am ehesten die Möglichkeit, auch ohne Weltrechtsinstanz zu einer möglichst einheitlichen Auslegung des Völker- und Weltrechts zu gelangen und einer Rechtszersplitterung entgegenzuwirken.1652 Entsprechend dem Grundsatz der „völkerrechtsfreundlichen Auslegung“ interpretiert das Bundesverfassungsgericht alle Grundrechte des Grundgesetzes im Lichte der Menschenrechte der EMRK und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte1653, obwohl es der EMRK keinen unmittelbaren Verfassungsrang zuerkennen will und Verfassungsbeschwerden, die sich auf die Verletzung der EMRK stützen, ablehnt.1654 Auf diese Weise stellt das Gericht trotz seiner dualistischen Sichtweise faktisch eine gewisse weltrechtliche Rechtseinheit her. 1643

G. Dürig, Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 2, Rn. 59. BVerfGE 74, 358 (370); 82, 106 (115, 120); 111, 200 (201 ff.); P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte: Konkurrenz oder Ergänzung?, EuGRZ 1994, 26. 1645 BVerfGE 74, 358 (370); 83, 119 (128); BVerfGE 111, 307 (317, 328 f.). 1646 N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, 2002, S. 36. 1647 BVerfGE 74, 358 (370); BVerfGE 74, 358 (370); BVerwGE 110, 203 (213 f.); BVerfGE 307 (315 ff.); BGHZ 52, 216 (217); eingehend und kritisch dazu N. Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht, S. 23 ff., 38 ff. 1648 H. Sauer, Die neue Schlagkraft der gemeineuropäischen Grundrechtsjudikatur, ZaöRV 65 (2005), S. 48; a. A. R. Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention, S. 117. 1649 BVerfGE 111, 307 (316, 322 ff.). 1650 BVerfGE 111, 307 (329); dazu H. Sauer, Die neue Schlagkraft der gemeineuropäischen Grundrechtsjudikatur, ZaöRV 65 (2005), S. 41 ff.; aus der Entscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit: K. Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 475 f.; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 189 f. 1651 BVerfGE 58, 1 (34); 59, 63 (89). 1652 Vgl. M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 199. 1653 BVerfGE 74, 358 (370); 82, 106 (115, 120). 1644

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In Extremfällen, wenn eine rechtsstaatliche Auslegung ausgeschlossen ist, hat die Rechtsprechung die sogenannte Radbruchsche Formel angewendet.1655 Danach soll positives Recht seine Eigenschaft als „Recht“ verlieren, wenn es im Widerspruch zu einem nach allgemeiner Überzeugung unverletzlichen Kernbereich des Rechts steht. Damit hat die deutsche Rechtsprechung die Existenz von überpositiven Menschheitsrechtsgrundsätzen anerkannt. Der erste Teil der Formel lautet: „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als ,unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat.“1656

Unter Berufung auf die Radbruchsche Formel hat der Bundesgerichtshof festgestellt: „Anordnungen, die die Gerechtigkeit nicht einmal anstreben, den Gedanken der Gleichheit bewußt verleugnen und die allen Kulturvölkern gemeinsame Rechtsüberzeugungen, die sich auf den Wert und die Würde der menschlichen Persönlichkeit beziehen, deutlich mißachten, schaffen kein Recht, und ein ihnen entsprechendes Verhalten bleibt Unrecht.“1657

Bei der Beurteilung von Taten, „die im staatlichen Auftrag begangen worden“ seinen, sei „darauf zu achten“, „ob der Staat die äußerste Grenze überschritten“ habe, „die ihm nach allgemeiner Überzeugung in jedem Land gesetzt“ sei.1658 Obwohl die Radbruchsche Formel grundsätzlich am Positivismus festhält, weil sie nur im Falle gröbster Ungerechtigkeiten das positive Recht falsifiziert1659, praktiziert sie im Ergebnis Weltrecht.

1654 BVerfGE 10, 271 (274); dazu insgesamt Ch. Langenfeld, Die Stellung der EMRK im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: J. Bröhmer (Hrsg.), Der Grundrechtsschutz in Europa, 2002, S. 95 ff. 1655 BVerfGE 3, 58 (119); 3, 225 (231 ff.); 6, 132 (198); 6, 389 (414 ff.); 23, 98 (105 ff.): 54, 53 (67 f.); 95, 96 (134 ff.); kritisch dazu H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, JZ 1997, 421 ff. 1656 G. Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, SJZ 1946, 105 (107); auch in: ders., Rechtsphilosophie, hrsg. von E. Wolf/H.-P. Schneider, 1973, S. 339 (345); s. a. ders., Vorschule der Rechtsphilosophie, 1948, S. 31, 35; zur Radbruchschen Formel A. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel vom gesetzlichen Unrecht und vom übergesetzlichen Recht in der Diskussion um das im Namen der DDR begangene Unrecht, NJW 1995, 81 ff.; vgl. auch R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 2002, S. 52 ff. 1657 BGHSt 2, 234 (239). 1658 BGHSt 39, 1 (15 f., s. a. 16 ff.); vgl. auch BGHSt 40, 218 (231 ff.); 40, 241 (244 ff.); BGH, NJW 1995, 2728 (2730 f.).

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Neben der Radbruchschen Formel bezog sich der Bundesgerichtshof in seinen Mauerschützenurteilen insbesondere auf das Freizügigkeitsrecht in Art. 12 und das Recht auf Leben in Art. 6 des Bürgerrechtspakts (IPbpR), dem auch die DDR beigetreten war.1660 Er hat, bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht1661, ausgeführt: „aa) Ein Rechtfertigungsgrund, der einer Durchsetzung des Verbots, die DDR zu verlassen, Vorrang vor dem Lebensrecht von Menschen gab, indem er die vorsätzliche Tötung unbewaffneter Flüchtlinge gestattete, ist wegen offensichtlichen, unerträglichen Verstoßes gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte unwirksam. Der Verstoß wiegt hier so schwer, daß er die allen Völkern gemeinsamen, auf Wert und Würde bezogenen Rechtsüberzeugungen verletzt; in einem solchen Fall muß das positive Recht der Gerechtigkeit weichen (sogenannte Radbruchsche Formel). Diese Grundsätze werden durch Dokumente des internationalen Menschenrechtsschutzes konkretisiert. . . .“1662

Der Bundesgerichtshof betont, daß die internationalen Menschenrechte als Maßstab für das DDR-Grenzregime herangezogen werden dürfen, ohne daß es darauf ankäme, ob die DDR den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 in innerstaatliches Recht transformiert hat. Die DDR habe sich durch Hinterlegung der Ratifikationsurkunde verpflichtet, die in dem Pakt bezeichneten Menschenrechte zu respektieren.1663 Hiergegen wird eingewendet, der Pakt hätte nur zwischenstaatliche Verpflichtungen, nicht aber Rechte und Pflichten für DDR-Bürger begründet, weil die DDR den Pakt nicht in nationales Recht ungesetzt hatte.1664 Dem Gericht ging es aber überhaupt nicht darum, eine völkerrechtliche Verpflichtung der DDR i. e. S. darzulegen. Es wertet den Pakt für bürgerliche und politische Rechte sowie die ebenfalls erwähnte Erklärung der Menschenrechte, deren völkerrechtliche Verbindlichkeit überwiegend abgestritten wird (dazu 4. Teil, A, S. 465 f.), nur als Indizien eines „Naturrechts“1665 oder, wenn man so will, überpositiven (Welt-)Rechts. Die Bezugnahme auf die Menschheitsverfassung wird auch darin deutlich, daß der Bundesgerichtshof in einem späteren Mauerschützenurteil1666 feststellt, die Menschenrechtserklärung von 1948 würde „den ungefähren Inhalt“ der Menschenrechte zum Ausdruck bringen. Sie könnte somit „als eine Konkretisierung dessen aufgefaßt werden, was als die allen Völkern gemeinsame, auf Wert und 1659 Dazu A. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel, NJW 1995, 86; kritisch K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 15 ff. 1660 Vgl. BGHSt. 39, 1 (16 ff.); 39, 168 (184); 40, 218 (231 ff.); 41, 101 ff. 1661 BVerfGE 95, 96 (132 ff.). 1662 BGH, NJW 1995, 2730. 1663 BGH, NJW 1995, 2731. 1664 H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, JZ 1997, 421 (425). 1665 H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, JZ 1997, 426. 1666 BGHSt 40, 241 (247 f.).

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Würde des Menschen bezogene Rechtsüberzeugung verstanden wird“.1667 Damit gesteht der Bundesgerichtshof der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als Konsensrecht innerstaatlich bindende Wirkung zu. f) Verwirklichung des Weltbürgerrechts Die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG bezieht sich nicht nur auf Menschen in Deutschland1668, sondern im Sinne der Universalität der Menschenwürde auf jeden Menschen.1669 Das Grundgesetz unterscheidet nach seinem Wortlaut zwischen „JedermannRechten“ (z. B. Art, 2, 3, 4, 5, 6, 9 Abs. 3 GG) und „Deutschengrundrechten“ (z. B. Art. 8, 9 Abs. 1, 11, 12 GG).1670 Damit läßt das Verfassungsgesetz systemimmanent den Einwand der Diskriminierung (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht zu. Aber auch aus universeller Rechtssicht wird die Bevorzugung der eigenen Staatsangehörigen wegen der durch die Staatsgründung verfaßten Solidaritätsgemeinschaft von vielen als gerechtfertigt angesehen.1671 Menschenwürdeverletzungen seien jedoch nicht zu rechtfertigen.1672 Aus weltbürgerlich-menschenrechtlicher Sicht (dazu 4. Teil, B), ist es überdies kritisch zu beurteilen, wenn Menschenrechte wie die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), Freizügigkeit (Art. 11 GG) und die Arbeits- und Berufswahlfreiheit (Art. 12 GG), die zudem in den internationalen Menschenrechtstexten positiviert sind1673, nur Deutschen zukommen.1674 Der den Ausländern in der Rechtspraxis zuerkannte Schutz über Art. 2 Abs. 1 GG ist nicht gleich effektiv, weil für dieses Grundrecht lediglich 1667 Kritisch dazu Ch. Tomuschat, Die Lage der Menschenrechte, Jahrbuch Internationale Politik 1997–1998, S. 341. 1668 So aber J. Isensee, Menschenwürde, AöR 131 (2006), S. 176, 210. 1669 Anders hingegen Art. 1 Abs. 3 GG, wonach die „nachfolgenden Grundrechte“ speziell die deutschen Organe binden. 1670 Dazu P. Ruppel, Der Grundrechtsschutz der Ausländer im deutschen Verfassungsrecht, 1968; A. Siehr, Die Deutschenrechte des Grundgesetzes, 2001; vgl. B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, 2003, S. 29 f., Rn. 108; H. v. Mangoldt, Die deutsche Staatsangehörigkeit als Voraussetzung und Gegenstand der Grundrechte, HStR, Bd. V, § 119, S. 617 ff.; G. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, S. 246 ff.; kritisch P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 362 f. 1671 H. Quaritsch, Der grundrechtliche Status der Ausländer, HStR, Bd. V, § 120, S. 702, Rn. 77; G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 247 f. 1672 Vgl. H. Quaritsch, Der grundrechtliche Status der Ausländer, HStR, Bd. V, § 120, S. 733, Rn. 134; G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 247. 1673 Siehe z. B Art. 12, 21 IPbpR, Art. 6 IPwR, Art. 11 EMRK, Art. 12, 15, 16 EU-Charta. 1674 Dazu vgl. BVerfGE 35, 382 (399); 49, 168 (185); 78, 179 (196 f.); K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1041; M. Sachs, Ausländergrundrechte im Schutzbereich von Deutschengrundrechten, BayVBl. 1990, 385 ff.; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 2 Rn. 86, Art. 2 Abs. 1 Rn. 66; A. Siehr, Die Deutschenrechte des Grundgesetzes, 1. Teil.

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ein einfacher Gesetzesvorbehalt gilt.1675 Eine Meinung befürwortet, über Art. 1 Abs. 1 GG als Kern aller Grundrechte die Deutschengrundrechte auch auf Ausländer anzuwenden.1676 Die im Grundgesetz verankerten Deutschengrundrechte müßten aus weltbürgerlich-menschenrechtlicher Sicht und aus Gründen der Rechtsklarheit in Bürgerrechte abgeändert werden.1677 Für Unionsbürger ist aufgrund der allgemeinen (Art. 12 EGV) wie auch der besonderen unmittelbar anwendbaren Diskriminierungsverbote (EG-Grundfreiheiten) materiell (durch europarechtskonforme Auslegung oder analoge Anwendung der Deutschengrundrechte) eine weitgehende Gleichstellung erreicht worden.1678 Art. 1 Abs. 1, S. 2 GG enthält seinem Wortlaut nach eine Schutzpflicht für alle staatliche Gewalt. Fraglich ist, ob daraus auch Ansprüche von Ausländern im Ausland gegen die Bundesrepublik Deutschland begründet werden können.1679 Abgesehen von der strittigen Frage, ob Art. 1 Abs. 1 GG ein subjektives Recht enthält1680, werden grundrechtliche Leistungs-, Förderungs- und Schutzpflichten für Ausländer im Ausland von der deutschen Rechtspraxis verneint, wenn sie keinen „Inlandsbezug“ (z. B. in Deutschland erworbene Sozialversicherungsansprüche) aufweisen.1681 Die völkerrechtliche Unzuständigkeit der Bundesrepublik für Ausländer im Ausland, auf die u. a. verwiesen wird, ist hierbei kein unüberwindbares Argument; denn das Territorialprinzip gilt nicht ausnahmslos.1682

1675 BVerfGE 78, 179 (196); Ch. Degenhart, Die allgemeine Handlungsfreiheit, JuS 1990, 161 (167 f.). 1676 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 2 Rn. 86, Art. 2 Abs. 1 Rn. 66; A. Bleckmann, Staatsrecht II, Allgemeine Grundrechtslehren, 1999, § 9, Rn. 110 f. 1677 J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 937 (795). 1678 R. Wernsmann, Die Deutschengrundrechte des Grundgesetzes im Lichte des Europarechts, Jura, 2000, S. 657 f.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, S. 31, Rn. 117; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 19, Rn. 10. 1679 Siehe dazu J. Isensee: Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, HStR, Bd. V, 1992, § 115, S. 353 ff., einerseits S. 383 (Rn. 54), andererseits S. 395 (Rn. 79); H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, HFR 8-1996, S. 8 ff.; kritisch H. Quaritsch, Der grundrechtliche Status der Ausländer, HStR, Bd. V, 1992, § 120, S. 663 (701, Rn. 75). 1680 Dafür: K. Stern, Staatsrecht III/1, 1988, § 58, S. 26 f.; dagegen: Ch. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 125 f.; offengelassen BVerfGE 61, 126 (137). 1681 H. Quaritsch: Der grundrechtliche Status der Ausländer, HStR, Bd. V, § 120, S. 703, Rn. 82; H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, 1993, S. 19, wonach Art. 1 Abs. 1 GG im Ausland „von vornherein nicht über die dort befindlichen Deutschen hinauszuwirken“ vermag. 1682 Vgl. H. Quaritsch, Der grundrechtliche Status der Ausländer, HStR, Bd. V, § 120, S. 700, Rn. 77; J. Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen, HStR, Bd. V, 1992, § 115, S. 398 ff., Rn. 86 ff.

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Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht ist überwiegend am ethnisch-kulturellen Volksverständnis und am Abstammungsprinzip, also nicht weltbürgerlichkosmopolitisch ausgerichtet. Christian Hillgruber hält das Abstammungsprinzip für ein verfassungsrechtlich vorgegebenes, prägendes Strukturmerkmal des deutschen Volkes.1683 Von anderer Seite wird dagegen das für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt grundlegende ius saguinis-Prinzip kritisch hinterfragt und das ius soli-Prinzip eingefordert.1684 Seit der Reform des Staatsangehörigenrechts, die am 1.1.2000 in Kraft getreten ist, gilt das Abstammungsprinzip für Kinder ausländischer Eltern allerdings nicht mehr uneingeschränkt.1685 Ausländern1686, die aufgrund eines Aufenthaltstitels (vgl. §§ 4, 6, 7, 8, 9 AufenthG) in Deutschland leben und die sich in die Bevölkerung „integrieren“ müssen (vgl. §§ 43 ff. AufenthG), wird über lange Zeit zugemutet, sich Gesetzen zu unterwerfen, die sie nicht demokratisch legitimiert haben und somit als Untertanen ohne politische Selbstbestimmung zu leben.1687 Die Mindestaufenthaltsdauer von acht Jahren als eine der Voraussetzungen für den Einbürgerungsanspruch (vgl. § 8 ff. StAG)1688 reicht weit über einen vorübergehenden Gast1683 C. Hillgruber, Der Nationalstaat in der übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, 2004, § 32, S. 929, Rn. 17 ff., 22, 27. 1684 J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, S. 777; B. Tibi, Anderssein, ein individuelles oder kollektives Menschenrecht?, in: H. Hofmann/D. Kramer (Hrsg.), Anderssein ein Menschenrecht, 1995, S. 65 (68). 1685 Insbesondere erwirbt ein Kind ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit mit seiner Geburt im Inland, wenn ein Elternteil ein gefestigtes Aufenthaltsrecht besitzt, d. h. entweder Unionsbürger ist oder sich mindestens acht Jahre rechtmäßig im Inland aufhält und eine Niederlassungserlaubnis besitzt. Hat das Kind auch die Staatsbürgerschaft seiner Eltern nach deren Heimatrecht erworben (ius soli), verliert es die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn es nicht ab dem 21. Lebensjahr ausdrücklich für die deutsche Staatsangehörigkeit optiert und die fremde Staatsangehörigkeit ablegt oder bis zum vollendeten 23. Lebensjahr die Beibehaltung der ausländischen Staatsangehörigkeit von der zuständigen deutschen Behörde genehmigt wird. Dazu kritisch im ethnisch-kulturellen Volksbegriff verhaftet R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 282 f. 1686 Etwas anderes gilt für Unionsbürger, die über gewisse politische Mitwirkungsrechte verfügen (Art. 17 ff. EGV). Unionsbürger und ihre Angehörigen benötigen keinen Aufenthaltstitel. Für sie gilt das Freizügigkeitsgesetz/EU (Art. 2 Zuwanderungsgesetz). 1687 W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 289 (314, Rn. 28); B.-O. Bryde, Ausländerwahlrecht und grundgesetzliche Demokratie, JZ 1989, 257 (258); vgl. M. Zuleeg, Zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung des Kommunalwahlrechts in Nordrhein-Westfalen, KritV 1987, 322 ff. 1688 Außerdem ist vorausgesetzt, daß er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bekennt, die Sicherheit Deutschlands nicht gefährdet, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten kann, seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert und nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist (§ 10 StAG). Der

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aufenthalt hinaus. Allein die Schutzwirkung der Gesetze und ihr Status als „Schutzgenossen“1689 vermag den Verlust politischer Freiheit dauerhaft nicht zu kompensieren. Das Argument, sie könnten ja in ihrem Heimatstaat von ihrer politischen Freiheit Gebrauch machen1690, ignoriert den ständigen rechtlichen Aufenthaltsstatus in Deutschland, der aufgrund des örtlichen Lebenszusammenhangs zu einer Verbundenheit mit dem Aufenthaltsstaat führt. Fragwürdig ist im Verhältnis dazu die auf dem Abstammungsprinzip gründende Privilegierung „Volksdeutscher“ i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG1691, die unmittelbar nach Art. 116 Abs. 2 GG einen Anspruch auf Einbürgerung haben1692 und sogar schon vorher über Wahlrechte verfügen.1693 Es wird befürchtet, die Staatsangehörigkeit werde gegenstandslos, wenn der Begriff des Volkes generell die „Wohnbevölkerung“ bezeichnen würde.1694 Wesentlich für den Staat im Sinne der civitas ist anstelle der „Staatsangehörigkeit“ die Staatsbürgerschaft. Für den kommunalen Bereich erscheint es jedenfalls wegen des örtlich-gebietlichen Lebensbezugs sachgerecht, den Bürgerstatus an den Wohnort anzuknüpfen.1695 Die Kommunalvölker benötigen zur Einheitsstiftung, weil sie sich auf relativ kleine, überschaubare Einheiten beziehen, nicht eines zusätzlichen personenrechtlichen Bandes. Es ist ein Gebot der Freiheit als Selbstbestimmung und des Weltbürgerrechts (der Menschheitsverfassung), Menschen, die dauerhaft in Deutschland wohnhaft sind, einzubürgern, sofern sie sich zum Grundgesetz bekennen und nicht verfassungsfeindliche Ziele verfolgen.1696 Anspruch auf Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn der Ausländer nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt (Art. 11 Abs. 1 StAG). R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 284. 1689 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 150 (A 244, 245); J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, in: Fs. P. Mikat, 1989, S. 705 (730). 1690 J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 710, 736 ff. 1691 Deutscher Volkszugehöriger ist im Sinne eines ethnischen Volksbegriffs, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmende Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird. Vgl. § 6 Bundesvertriebenengesetz; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 286; R. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, HStR, Bd. II, § 16, S. 107, Rn. 38 ff. 1692 H. D. Jarass, in: Pieroth/Jarass, GG, Art. 116, Rn. 15; J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, S. 795. 1693 Vgl. §§12 Abs. 1, 15 Abs. 1 Bundeswahlgesetz i. d. F. v. 23.7.1993 (BGBl. I, S. 1288, 1594) zuletzt geändert 30.7.2004 (BGBl. I, S. 1950); dazu J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 723 f. 1694 Vgl. J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 735 f. 1695 Vgl. M. Zuleeg, Zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung des Kommunalwahlrechts in Nordrhein-Westfalen, KritV 1987, 322 f.; B.-O. Bryde, Ausländerwahlrecht und grundgesetzliche Demokratie, JZ 1989, 257 (258); kritisch J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 730 ff. 1696 Für Einbürgerung anstelle eines Ausländerwahlrechts W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 314, Rn. 28; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1201 ff.

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Das Ausländerrecht ist vom Homogenitätsdenken bestimmt, was sich in den Einbürgerungsbedingungen sowie in den Voraussetzungen für den Aufenthalt von Ausländern in Deutschland niederschlägt.1697 Die Einwanderungsschranken Deutschlands sind hoch, weil Deutschland Einwanderungen begrenzen und steuern will (vgl. § 1 AufenthG).1698 Ausländer ohne gesicherten Aufenthaltstitel wie Asylbewerber (vgl. z. B. § 10 AufenthG)1699 sind zumindest von der Menschenwürde geschützt und genießen das Weltbürgerrecht im Sinne der Hospitalität.1700 Darüber hinaus fordert das Weltbürgerrecht, daß Asylsuchende einen Anspruch auf ein faires Verfahren bei der Prüfung ihres Anspruchs haben1701, daß sie nicht abgeschoben werden dürfen, wenn ihnen in ihrem Heimatstaat eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit droht1702 und daß sie während ihres Aufenthalts in Deutschland zumindest menschenwürdig behandelt werden.1703 Art. 16a GG anerkennt, ergänzt durch die Genfer Flüchtlingskonventionen, wenn auch nicht mehr vorbehaltlos1704, das Asylrecht. Nur politisch Verfolgte genießen gemäß dem Wortlaut des Art. 16a Abs. 1 GG Asylrecht. Wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat und § 60 Abs. 1 AufenthG nunmehr regelt, beschränkt sich „politische Verfolgung“ im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr wie früher nur auf staatliche Verfolgung i. e. S., sondern schließt auch die Verfolgung von quasi-staatlichen Organisationseinheiten, wel1697 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1186 ff., 1193; M. Heintzen, Fremde in Deutschland, Der Staat 36 (1997), 327 (343). 1698 Art. 1 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) v. 30.7.2004, BGBl. 2004 I, S. 1950, in Kraft getreten am 1.1.2005; dazu B. Huber, Das Zuwanderungsgesetz, NVwZ 2005, 1 ff. 1699 Ein Anspruch auf einen Titel besteht nur für einen anerkannten Asylberechtigten oder Flüchtling (§ 25 AufenthG) und für einem Ausländer, dem auf Grund eines Beschlusses des Rates der Europäischen Union gemäß der Richtlinie 01/55/EG vorübergehender Schutz gewährt wird (§ 24 AufenthG). 1700 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 213 f. 1701 Vgl. Art. 32 Abs. 2 Genfer Flüchtlingskonvention v. 28.7.1951, BGBl. 1953 II, S. 560, i. d. F. des Protokolls v. 31.1.1967, BGBl. 1969 II, S. 1294. 1702 Vgl. BVerwGE 78, 285 (295); J. Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen, HStR, Bd. V, § 115, S. 353 (407, Rn. 100). 1703 Vgl. H. Quaritsch, Der grundrechtliche Status der Ausländer, HStR, Bd. V, 1992, S. 732 (Rn. 134); zur Begrenzung der Möglichkeit der Abschiebehaft aufgrund § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG a. F. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. November 1995 – 2 BvR 91/95 – NVwZ-Beilage Nr. 3/1996, S. 17 (18). Jetzt sieht § 61 Abs. 2 AufenthG ausdrücklich die Errichtung von Ausreisezentren vor, die menschenrechtlich (z. B. in Hinblick auf Art. 9 IPbpR) äußerst bedenklich sind. Dazu A. Thal, Besser fahren mit Ausreisezentren?, Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2003, 154 ff.; vgl. zum Schikaneverbot VG Trier, Urt. v. 18.3. 2003, Az. 5 K 1318/02.TR, www.vgtr.justiz.rip.de (30.4.2006). VG Trier v. 19.3.2003, S. 6 f. 1704 Zur Verfassungsmäßigkeit der Einschränkung des Asylrechts gegen der vorherigen vorbehaltslosen Regelung BVerfGE 94, 49 (115 ff.), abweichende Meinung BVerfGE 94, 157 (223 ff.).

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che nicht alle Voraussetzungen von Staatlichkeit erfüllen müssen (wie das Taliban-Regime in Afghanistan), mit ein1705 Auch eine fortgeschrittene Bürgerkriegssituation kann, falls keine inländische Fluchtalternative existiert, ein Aufenthaltsrecht begründen. Neu ist auch die „geschlechtsspezifische Verfolgung“ (vgl. § 60 Abs. 1, S. 3 AufenthG) als Abschiebungsverbot, wenn Antragstellerinnen nicht vom Staat, sondern beispielsweise von Familienangehörigen gerade wegen des Geschlechts verfolgt werden. Hingegen gewähre Art. 16a GG keinen Schutz vor humanitären Krisen oder den Folgen anarchischer Zustände oder der Auflösung der Staatsgewalt.1706 Auch in solchen Notlagen muß Flüchtlingen jedoch aufgrund des Weltbürgerrechts (dazu 4. Teil, B), solange eine Lösung etwa im Rahmen der UNO nicht gelingt, zumindest vorübergehend Zuflucht in Deutschland gewährt werden.1707 Die §§ 22 ff. AufenthG sehen zumindest als Kann-Bestimmungen befristete Aufenthaltstitel aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen vor.1708 Als einziges Land in Europa hat Deutschland mittlerweile eine negative Flüchtlingsanerkennungsquote vorzuweisen.1709 Hasso Hofmann kommt in seiner Untersuchung zu dem Schluß, daß die Menschenwürde gegenüber Ausländern, insbesondere Asylbewerbern, nicht als oberstes Prinzip geachtet werde.1710 Er sieht zwei Möglichkeiten, dieses Ergebnis dogmatisch zu begründen: „Entweder wird der Gehalt der Menschenwürdegarantie hier auf das ohnehin selbstverständliche Verbot viehischer Behandlung des Menschen reduziert. Alles andere, was wir aus Art. 1 GG zu folgern pflegen, wären demnach nur über-obligationsmäßige Wohltaten des Staates, mit denen dieser seine Angehörigen legitimerweise bevorzugt. Oder: es gilt zweierlei Maß.“ 1705 BVerfG, 2 BvR 260/98 vom 10.6.2000, Rn. 13 ff. (abgedruckt in: NVwZ 2000, S. 1165 ff.). 1706 BVerfG, 2 BvR 260/98 vom 10.6.2000, Rn. 13 ff.; vgl. auch BVerfGE 80, 315 (333). 1707 Vgl. EGMR, Moustaquim gegen Belgien, Urt. v. 18.2.1991, Ser. A Vol. 193, S. 19 f. Ziff. 41–46 = EuGRZ 1991, 552 ff. 1708 In seiner Schriftliche Stellungnahme zur Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zum Entwurf des Zuwanderungsgesetzes vom 3.9.2004 kritisiert Ch. Hillgruber dagegen, daß die vorhandenen völker- und europarechtlichen Handlungsspielräume auf dem Gebiet der Einwanderungspolitik nicht konsequent ausgeschöpft würden und mit der Aufgabe staatlicher Begrenzungsinteressen das verfassungsrechtlich vorgegebene Ziel der Beschränkung der Zuwanderung auf ein integrationsfähiges Maß gefährdet würden (S. 22). 1709 2005 wurden bundesweit nur etwa 2000 Flüchtlinge nach dem Grundgesetz oder der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt. Die Anerkennungsquote lag 2005 weiter unter 5 % und ist damit eine der niedrigsten in Europa. Zugleich wurde etwa 17.000 Flüchtlingen im Jahr – hauptsächlich aus dem Irak – dieser Status wieder entzogen (sog. „Widerrufsverfahren“), obwohl sie in ihrem Herkunftsland nicht sicher sind. Siehe BVerwG – 1 C 21.04 v. 1.11.2005. Dazu kritisch das UN-Flüchtlingskommissariat, http://www.unhcr.de/unhcr.php/cat/27/aid/1270 (zuletzt geprüft: 25.7.2006), welches diese Rechtspraxis mit der Genfer Flüchtlingskonvention unvereinbar fand. 1710 H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, HFR 8-1996, S. 9.

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Hofmann tendiert zu letzterem.1711 Anders als die anderen Grundrechte funktioniert Art. 1 Abs. 1 GG nicht nach dem für Grundrechte üblichen Eingriffsund Schrankenschema.1712 Die Menschenwürde ist nach dem Grundgesetz „unantastbar“.1713 Sie ist insoweit nicht identisch mit dem relativen Wesensgehaltsbegriff.1714 Eine Relativierung der Menschenwürde, wie sie teilweise in der neueren Literatur befürwortet wird1715, ist mit dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 und 2 GG und der Menschheitsverfassung (vgl. Art. 1 AEMR), an welche Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 GG anknüpfen, nicht vereinbar. Soweit die Praxis in Deutschland im Umgang mit Flüchtlingen nicht menschenwürdekonform ist, wird die Schutzpflicht aus der Menschenwürde verkannt oder zu Unrecht zweierlei Maß angewandt. g) Exterritoriale Bezüge im Verwaltungsrecht Im Hinblick auf die territoriale Erweiterung der Aufgabenperspektive der nationalen Verwaltung ist die Rede von internationalisiertem Verwaltungshandeln1716 sowie von „territorialer Pluralisierung“ der Verwaltung.1717 Es ergehen „transnationale“ Verwaltungsakte.1718 Die innerstaatliche Verwaltung ist also im Rahmen der Durchführung der staatlichen Gesetze auch zur „Verwaltung“ der internationalen öffentlichen Güter verpflichtet.1719 Für Klage- und Verfahrensrechte Einzelner verliert der staatliche Territorialitätsanspruch zugunsten eines grenzüberschreitenden Schutzes von Leben, Gesundheit und Umwelt seine abgrenzende Funktion1720 Dies bewirkt tendenziell eine verfahrensbezogene Gleichstellung von Nichtstaatsangehörigen mit Inlän1711

H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, HFR 8-1996, S. 9. BVerfGE 75, 369 (380); W. Höfling, in: M. Sachs, GG, 2003, Art. 1, Rn. 9; M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1, Rn. 69. 1713 Dazu M. Nettesheim, Die Garantie der Menschenwürde zwischen metaphysischer Überhöhung und bloßem Abwägungstopos, AöR 130 (2005), S. 71 (81); J. Isensee, Menschenwürde, AöR 131 (2006), S. 187 ff., 209 ff. 1714 P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983, S. 236; M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rn. 23. 1715 M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rn. 50, 65; vgl. dazu krit. E.-W. Böckenförde, Bleibt die Menschenwürde unantastbar?, Blätter für deutsche und internationale Politik, 2004, S. 1216 ff.; vgl. auch J. Isensee, Menschenwürde, AöR 131 (2006), S. 187 ff. 1716 Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 664, vgl. auch 116 ff., 662 ff. 1717 Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 664. 1718 M. Ruffert, Der transnationale Verwaltungsakt, Die Verwaltung, 2001, S. 453 ff.; H.-U. Erichsen, Das Verwaltungshandeln, in: H.-U. Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2002, § 12, Rn. 9 ff. 1719 Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 664, 672. 1720 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 236. 1712

D. Grundprinzipien des Weltrechts

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dern.1721 Nach der Rechtsprechung des deutschen Bundesverwaltungsgerichts verstößt es nicht gegen den Territorialitätsgrundsatz, den Bürgern in Nachbarstaaten die Klagebefugnis z. B. gegenüber deutschen Kraftwerksgenehmigungen zuzuerkennen.1722 h) Abweichung vom Territorial- und Personalprinzip zugunsten des Weltrechtsprinzips Neben Territorial-, Schutz-, aktivem und passivem Personalprinzip sowie dem Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege kann das Universalitätsoder Weltrechtsprinzip für erga omnes-Pflichten deutsche Strafverfolgungszuständigkeit begründen.1723 Das Weltrechtsprinzip besagt, daß jeder Staat schwere Rechtsverletzungen, insbesondere fundamentale Verletzungen der Menschenrechte1724 und Verbrechen mit transnationaler Reichweite1725, auch dann verfolgen kann, wenn sie außerhalb seines Staatsgebietes begangen worden sind und weder Täter noch Opfer die Staatsangehörigkeit des betreffenden Staates besitzen.1726 Nach § 6 StGB gilt das deutsche Strafrecht für bestimmte Verbrechen1727 unabhängig vom Tatort sowie für Taten, die auf Grund eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen werden. Durch das strafrechtliche Weltrechtsprinzip vollziehen die Staaten Weltrecht. Deutschland hat zudem das Statut des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert.1728 Wollen sich die Staaten die Strafverfolgung im Bereich der 1721

S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 241. BVerwGE 75, 285 ff.; U. Beyerlin, Klagebefugnis von Ausländern gegen grenzüberschreitende Umweltbelastungen: Anmerkung zu Tribunal administratif Strasbourg 27.7.1983, ZaöRV 44 (1984), S. 336 ff. 1723 BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 977, 979; vgl. auch BVerfGE 92, 277 (320 f.); eingehend K. F. Gärditz, Weltrechtspflege, 2006, S. 314 ff. 1724 BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99 (Fall Nikola Jorgic), in: JZ 2001, 980. 1725 Dazu BGHSt 34, 334 ff. 1726 G. Werle, Völkerstrafrecht, 2003, Rn. 171 ff. 1727 Für Kernenergie-, Sprengstoff- und Strahlungsverbrechen (§§ 308 Abs. 1 bis 4, § 309 Abs. 2, § 310 StGB), für Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr (§ 316c StGB), für Menschenhandel (§§ 232 bis 233a StGB), für den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln, die Verbreitung pornographischer Schriften (§§ 184a und 184b Abs. 1 bis 3, auch i.V. m. § 184c Satz 1 StGB), für Geld- und Wertpapierfälschung (§§ 146, 151 und 152 StGB), Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrukken für Euroschecks (§ 152b Abs. 1 bis 4 StGB) sowie deren Vorbereitung (§§ 149, 151, 152 und 152b Abs. 5 StGB), Subventionsbetrug (§ 264 StGB). 1728 BGBl. 2000 II, S. 1393. 1722

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Zuständigkeit des IStGH nicht aus der Hand nehmen lassen, müssen sie für eine adäquate innerstaatliche Bestrafung der im Statut geregelten völkerrechtlichen Verbrechen nach dem Weltrechtsprinzip sorgen. Zeitgleich mit Inkrafttreten des Römischen Statuts sind in Deutschland das Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, welches die Rechtshilfe zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Internationalen Strafgerichtshof regelt1729, und das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB)1730 wirksam geworden. Das Völkerstrafgesetzbuch inkorporiert die Straftatbestände des Römischen Statuts sowie zusätzlich weitere völkerrechtliche Straftatbestände in das deutsche Strafrecht. Insbesondere kommt das Völkerstrafgesetzbuch der völkerrechtlichen Verpflichtung nach, die schweren Kriegsverbrechenstatbestände der vier Genfer Abkommen (1949) mit dem Ersten Zusatzprotokoll (1977) in internationalen und nicht-internationalen Konflikten zu pönalisieren. Nach früherer, überwiegender Auffassung wurde für die Eröffnung deutscher Strafgerichtsbarkeit auch im Rahmen des Weltrechtsprinzips mit Rücksicht auf das gewohnheitsrechtlich und vertragsrechtlich (Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta) verankerte völkerrechtliche Einmischungsverbot1731 u. a. verlangt, daß irgendein die Verfolgung im Inland legitimierender inländischer Anknüpfungspunkt vorhanden ist.1732 Dafür genügte, daß der Täter in dem Staat, der ihn strafrechtlich verfolgen will, ergriffen worden ist oder seinen Wohnsitz hat.1733 Gemäß § 1 VStGB sind nunmehr deutsche Gerichte nach dem Weltrechtsprinzip für die im Völkerstrafgesetzbuch genannten Verbrechen auch dann zuständig, wenn überhaupt kein innerstaatlicher Anknüpfungspunkt im Sinne der bisherigen Praxis besteht.1734

1729 Vom 17.7.1998, BGBl. 2000 II, S. 1393; dazu J. Mac Lean, Gesetzesentwurf über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, ZRP 2002, 260 ff. 1730 BGBI 2002, 2254 dazu A. Zimmermann, Auf dem Weg zu einem deutschen Völkerstrafgesetzbuch, ZRP 2002, 97 ff.; ders., Bestrafung völkerrechtlicher Verbrechen durch deutsche Gerichte nach In-Kraft-Treten des Völkerstrafgesetzbuchs, NJW 2002, 3068 ff.; G. Werle, Konturen eines deutschen Völkerstrafrechts, JZ 2001, 885 ff.; ders., Völkerstrafrecht, 2003, S. 87 ff., 229 ff., 290 ff., 422 ff.; C. Kreß, Vom Nutzen eines deutschen Völkerstrafgesetzbuches, 2000; G. Werle/F. Jehberger, Das Völkerstrafgesetzbuch, JZ 2002, 725 ff. 1731 Zum Verhältnis von Weltrechtsprinzip und Nichteinmischungsgrundsatz I. Staudinger, Eröffnung der deutschen Gerichtsbarkeit für den Völkermord im Kosovo, NJW 1999, 3099 f.; K. F. Gärditz, Weltrechtspflege, S. 119 ff. 1732 Vgl. BVerfGE 63, 343 (369); 77, 137 (153); 92, 277 (320 f.); BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 979; weitere Nachweise bei K. Lackner/K. Kühl, StGB, 2001, § 6 Rn. 1. 1733 Vgl. W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 698 ff.; a.A. S. Kadelbach, Anmerkung zum Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, JZ 2001, 983. 1734 A. Zimmermann, Bestrafung völkerrechtlicher Verbrechen durch deutsche Gerichte nach In-Kraft-Treten des Völkerstrafgesetzbuchs, NJW 2002, 3069.

D. Grundprinzipien des Weltrechts

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Prozessuale Einschränkungen mit im Ergebnis vergleichbarer Wirkung können sich für das Weltrechtsprinzip allerdings aus der Anwendung des geänderten § 153 c StPO i.V. m. dem neu eingeführten 153 f StPO ergeben.1735 Nach § 153 f StPO kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Tat im Sinne des Völkerstrafgesetzbuches absehen, wenn der Tatverdächtige Ausländer ist, sich nicht im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist. Entsprechendes gilt nach § 153 f StPO dann, wenn die Tat nicht gegen einen Deutschen begangen worden ist und die Tat zudem bereits durch einen internationalen Strafgerichtshof oder einen anderen Staat verfolgt wird. Die Effektivität des Weltrechtsprinzips nach dem Völkerstrafgesetzbuch hängt somit von der Praxis der Staatsanwaltschaft ab. Schon vor Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches1736, dessen § 6 Völkermord als Straftatbestand regelt, war gemäß § 220a StGB a. F. Völkermord nach den deutschen Strafrechtsbestimmungen strafbar und unabhängig vom Recht des Tatorts nach dem Universalitäts- oder Weltrechtsprinzip gemäß § 6 Nr. 1 StGB a. F. in Deutschland verfolgbar.1737 Zum ersten Mal kam der Völkermordtatbestand vor deutschen Gerichten im Fall Jorgic zur Anwendung: Nachdem sowohl der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien als auch der nach dem Tatortprinzip zuständige Territorialstaat Bosnien-Herzegowina auf die Strafverfolgung verzichtet hatten1738, hat die Bundesanwaltschaft gegen den bosnischen Serben Nikola Jorgic vor dem OLG Düsseldorf Anklage wegen Völkermords erhoben. Das Gericht hat den Angeklagten gemäß § 220a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 StGB a. F. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, welche der in der Revision angerufene BGH im Ergebnis unverändert ließ.1739 Mit seiner gegen das letztinstanzliche Urteil eingelegten Verfassungsbeschwerde machte der Beschwerdeführer ein völkergewohnheitsrechtliches Verbot, das einer Bestrafung nach dem sogenannten Weltrechts- oder Universalitätsprinzip des § 6 Nr. 1 StGB a. F. entgegenstehe, geltend.1740 In seinem Nichtannahmebeschluß vom 12. Dezember 2000 hat das Bundesverfassungsgericht1741 festgestellt, 1735

Dazu G. Werle, Konturen eines deutschen Völkerstrafrechts, JZ 2001, 890. Vom 26.6.2002, BGBl. I 2002, S. 2254. 1737 Vgl. zur Auslegung BGHSt 45, 64 ff.; BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12. 2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 977. 1738 Zum konkurrierenden Verhältnis zwischen nationalen Gerichten und Jugoslawientribunal Kammerbeschluß v. 12.12.2000, BVerfG, 2 BvR 1290/99, www.bverfg. de, Rn. 46; M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 195 (199 f.), der hierin ein „Kooperationsverhältnis“ erkennt. 1739 BGHSt 45, 64 (65, 73 ff.). 1740 BVerfG, 2 BvR 1290/99, Rn. 10 ff., in: JZ 2001, 975 ff. 1741 BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 975 ff.; dazu S. Kadelbach, Anmerkung zum Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, JZ 2001, 983; Anmerkung von M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 195 ff. 1736

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Art. VI Völkermordkonvention verlange nur die Strafzuständigkeit des Tatortstaats oder eines internationalen Strafgerichts, schließe aber eine zusätzliche Zuständigkeit nationaler Strafgerichte nach dem Weltrechtsprinzip wegen Sinn und Zweck des Art. I Völkermordkonvention, eine wirksame Strafverfolgung anzustreben, nicht aus.1742 Weil das Völkermordverbot als Vertrags- und Gewohnheitsrecht Teil des völkerrechtlichen ius cogens1743 sei und außerdem erga omnes1744 wirke, sei es nicht gewohnheitsrechtlich derogierbar.1745 Eine etwaige völkergewohnheitsrechtliche Norm, welche ein Verbot universeller Strafrechtspflege, abgeleitet aus dem Nichteinmischungsgebot, beinhalten würde, würde der Erfüllung der sich aus Art. I Völkermordkonvention ergebenden ius cogens-Verpflichtungen diametral entgegenstehen.1746 Damit hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß zwingendes Völkerrecht eine Relativierung des strafrechtlichen Weltrechtsprinzips etwa durch das Nichteinmischungsverbot verbiete.1747 Weltrechtlich ist die Anwendung des Universalitätsprinzips wegen der universellen Geltung der Menschenrechte, die den Schutz vor Völkermord erfaßt, nicht nur sinnvoll, sondern auch geboten. Soweit der Staat diesen Schutz nicht gewährleistet, kann er sich auch nicht auf seine Souveränität und das Nichteinmischungsgebot berufen.1748 In den Grenzen des Gewaltverbots wirkt das Verbot der Nichteinmischung nicht gegenüber universellen Rechtsgütern mit erga omnes-Wirkung, weil sie alle Staaten berechtigen und verpflichten.1749

i) Auslieferung Deutscher an Staaten der Europäischen Union und an internationale Strafgerichtshöfe Nach der alten Fassung des Art. 16 Abs. 2, Satz 1 GG durfte kein Deutscher (im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG) an das Ausland ausgeliefert werden, obwohl durchaus völkerrechtliche Verpflichtungen zur Überstellung auch eigener Staatsangehöriger existierten.1750 Es besteht ein enger, völkerrechtlich aner1742

BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 980. S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 186; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 13, Rn. 13, S. 97 f., Rn. 157. 1744 IGH, The Barcelona Traction second phase, ICJ Rep. 1970, 3, para. 34. 1745 BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 976 unter Bezugnahme auf IGH, Nicaragua, ICJ Rep. 1986, 14, para. 181; M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 197. 1746 BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 979 (977). 1747 M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 197. 1748 Ähnlich M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 199. 1749 So auch S. Kadelbach, Anmerkung zum Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, JZ 2001, 983. 1743

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kannter Zusammenhang zwischen Auslieferungsverbot und dem Staatsbürgerstatus sowohl aus freiheitlich-demokratischen als auch aus Vertrauensschutzgründen.1751 Der durch verfassungsänderndes Gesetz1752 um einen Satz 2 ergänzte Art. 16 Abs. 2 GG erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen und als Ausnahme zu Art. 16 Abs. 1 GG die Auslieferung Deutscher an Mitgliedstaaten der Europäischen Union und an internationale Strafgerichtshöfe.1753 Insofern öffnet sich „die innerstaatliche Rechtsordnung für das Europa- und Völkerrecht“.1754 Durch die Verfassungsänderung ist das bisher in Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG vorbehaltlos verbürgte Deutschengrundrecht, wonach kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden darf, in Gestalt eines qualifizierten Gesetzesvorbehalts, welcher Einschränkungen durch den Gesetzgeber erlaubt, begrenzt worden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze eingehalten werden.1755 Zu den unabdingbaren rechtsstaatlichen Garantien gehört jedenfalls das aus Art. 1 GG ableitbare und in Art. 102 GG speziell angeordnete Verbot der Todesstrafe1756, welches richtigerweise auch im grenzüberschreitenden Rechtshilfeverkehr Anwendung findet1757. Dieses Druckmittel ist effektiv; denn gerade bei schwersten Delikten, für die ein allgemeines großes Strafverfolgungsinteresse besteht, wird die Rechtshilfe verweigert.1758 Das Bundesverfassungsgericht hält die in Art. 16 Abs. 2 GG vorgesehene Auslieferungsmöglichkeit, die einer allgemeinen überstaatlichen und völkerrechtlichen Entwicklung entspreche, nicht für verfassungswidriges Verfassungsrecht i. S. d. Art. 79 Abs. 3 GG.1759 Sie führt nach Ansicht des Bundesverfas-

1750 Europäisches Auslieferungsübereinkommen des Europarates vom 13. Dezember 1957 mit Zusatzprotokollen zu diesem Übereinkommen vom 15. Oktober 1975 und vom 17. März 1978; BGBl. 1992 II, S. 1244; Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990, Gesetz v. 15.07.1993, BGBl. 1993 II, S. 1010; BGBl. 1994 II, S. 631; BGBl. 1996 II, S. 242, BGBl. 1996 II, S. 2542; BGBl. 1997 II, S. 1530; BGBl. 1998 II, S. 1968; BGBl. 1998 II, S. 2951; BGBl. 1999 II, S. 296; Übereinkommen über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union v. 27.9.1996, ABl. Nr. C 313 vom 23.10.1996, S. 11. 1751 BVerfGE 113, 273 (296 ff.). 1752 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 16), BGBl. 2000 I, S. 1633, in Kraft getreten am 2.12.2000; BGBl. 2000 II, S. 1393. 1753 Dazu A. Zimmermann, Die Auslieferung Deutscher an Staaten der Europäischen Union und internationale Strafgerichtshöfe, JZ 2001, 233 ff. 1754 BVerfGE 113, 273 (295 ff.). 1755 A. Zimmermann, JZ 2001, 235. 1756 BGHSt 41, 317 (325). 1757 BVerwG, NJW 1988, 662; A. Zimmermann, JZ 2001, 238; demgegenüber noch ablehnend: BVerfGE 18, 112 (116 ff.); offengelassen BVerfGE 60, 348 (354). 1758 S. Ulrich, Vorbild Europa, SZ Nr. 140 v. 21.6.2001, S. 1. 1759 BVerfGE 113, 273 (296 ff.).

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sungsgerichts nicht zu einer wegen Art. 20 GG dem verfassungsändernden Gesetzgeber entzogenen Entstaatlichung der vom Grundgesetz verfaßten Rechtsordnung.1760 Insbesondere werde damit das Institut der Staatsbürgerschaft weder aufgegeben, noch substantiell entwertet. Gesetze i. S. des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG sind z. B. das Gesetz zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGHG) vom 21. Juli 20021761 sowie das Europäische Haftbefehlsgesetz vom 21. Juli 20041762, welches den Rahmenbeschluß des Rates über den Europäischen Haftbefehl (RbEuHb)1763 umsetzt. Dieser stützt sich auf Art. 31 Abs. 1 a, b, 34 Abs. 2 b EUV. Der Europäische Haftbefehl ist eine Vollzugsanweisung eines Mitgliedstaates an einen anderen (Art. 1 Abs. 1 RbEuHb). Art. 2 Abs. 2 RbEuHb verpflichtet die Mitgliedstaaten, jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zu vollstrecken. Die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, auf dem der Europäische Haftbefehl beruht, bedeutet: Wenn die Justizbehörde eines Mitgliedstaates um die Übergabe einer Person aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung oder aufgrund der strafrechtlichen Verfolgung dieser Person ersucht und gemäß Art. 9 ff. RbEuHb einen Haftbefehl an einen Mitgliedstaat übermittelt, ist diese Entscheidung anzuerkennen und in dem jeweiligen Mitgliedstaat zu vollstrecken (Art. 1 Abs. 2, 15 Abs. 1 RbEuHb). Dies gilt unabhängig davon, ob die Tat in dem Auslieferungsstaat strafbar ist, wenn die Tat eine Strafvorschrift des Ausstellungsstaates verletzt und unter eine der in Art. 2 RbEuHb wenig bestimmten Straftaten (etwa illegaler Handel mit Drogen, Korruption, Betrugsdelikte) fällt. Durch den Europäischen Haftbefehl wird insoweit zwischen den Mitgliedstaaten der Union die materielle Voraussetzung der Anerkennung, die beiderseitige Strafbarkeit (§ 81 Abs. 1 Nr. 4 IRG1764) zugunsten einer förmlichen Anerkennung aufgegeben. Die Möglichkeiten, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen (Art. 3, 4 RbEuHb), sind allerdings auf einige Fälle (z. B. Inlandsbezug, Amnestie, Vorverurteilung) begrenzt. Der Vorbehalt des ordre public (vgl. § 73 Satz 2 IRG) ist in dem Rahmenbeschluß nicht ausdrücklich genannt, muß aber als allgemeiner Grundsatz unabhängig davon gelten.

1760

BVerfGE 113, 273 (298 f.). BGBl. 2002 I, S. 2144. 1762 BGBl. 2004 I, S. 1748. 1763 Rahmenbeschluß JI/2002 des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten v. 7.6.2002, 7253/02; ABl. Nr. L 190 v. 18.07.2002. 1764 Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), BGBl. I 1982, S. 2071. 1761

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Mit seinem Urteil vom 18. Juli 20051765 hat das Bundesverfassungsgericht zwar nicht den Europäischen Rahmenbeschluß über den Europäischen Haftbefehl, aber das deutsche Umsetzungsgesetz für verfassungswidrig (und nichtig) erklärt, weil der Gesetzgeber bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl die verfassungsrechtlichen Anforderungen des qualifizierten Gesetzesvorbehalts aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht erfüllt habe.1766 Das Gericht rügte insbesondere eine unverhältnismäßige Beschränkung des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 GG.1767 Außerdem verletze der in dem Gesetz vorgesehene Ausschluß des Rechtswegs gegen die Bewilligung einer Auslieferung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union Art. 19 Abs. 4 GG.1768 Fraglich ist, ob sich der Vorbehalt der Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze und grundrechtlicher Garantien nur auf internationale Strafgerichtshöfe bezieht, zumal bereits in Art. 23 GG und Art. 6 EUV Struktursicherungsklauseln lex specialis geschaffen worden sind1769 oder ob dieser immer gilt. Für eine grundsätzliche Geltung spricht schon die grammatikalische Auslegung. Weil die Struktursicherungsklauseln nur für den allgemeinen rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Standard greifen1770, bieten sie keinen hinreichenden Schutz im Einzelfall, auf den es aber für den Täter ankommt und der im Strafrecht unverzichtbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu Recht für eine Erstrekkung des Vorbehalts und eine Einzelfallprüfung ausgesprochen: „Das Grundgesetz fordert bei der Auslieferung von Personen, insbesondere von eigenen Staatsangehörigen, zusätzlich die konkrete Prüfung in jedem Einzelfall, ob die entsprechenden Rechte des Verfolgten gewahrt sind.“1771

Gegen Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, jedenfalls gegen die Rechtmäßigkeit des Umsetzungsgesetzes1772, könnte eingewandt werden, daß damit abweichend von Art. 16 Abs. Abs. 2 S. 1 GG i.V. m. Art. 20 Abs. 2 GG den ausgelieferten Deutschen zwar nicht der gesetzliche, aber der demokratisch legitimierte Richter entzogen werde. Allgemein gilt für Auslieferungen an andere Staaten der Spezialitätsgrundsatz, wonach eine staatsübergreifende Strafverfolgungstätigkeit 1765

BVerfGE 113, 273 ff. Dazu näher BVerfGE 113, 273 (299 ff.); kritisch dazu J. Vogel, Europäischer Haftbefehl und deutsches Verfassungsrecht, JZ 2005, 801 ff. 1767 BVerfGE 113, 273 (304 ff.). 1768 BVerfGE 113, 273 (309 ff.). 1769 In diesem Sinn bejahend A. Zimmermann, Die Auslieferung Deutscher JZ 2001, 237 f. 1770 Vgl. BVerfGE 73, 339 (387); 89, 155 (174 f.); 102, 147 (162 ff.). Siehe aber die abweichende Meinung des Richters Broß, BVerfGE 113, 273 (339 ff.), der die Struktursicherungsklausel (hier das demokratiesichernde Subsidiaritätsprinzip) als allgemeinen Maßnahmenvorbehalt betrachtet, der alle Staatsorgane bindet. 1771 BVerfGE 113, 273 (307 f.). 1772 Siehe das Vorbringen des Beschwerdeführers in: BVerfGE 113, 273 ff. 1766

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grundsätzlich nicht zulässig und die Bestrafung eines Ausgelieferten für eine Inlandstat davon abhängig ist, daß die Auslieferung für diese Tat bewilligt worden ist.1773 Über diese Zustimmung in Einzelfällen kann das Demokratieprinzip zumindest indirekt als gewahrt angesehen werden. Weil der Internationale Strafgerichtshof nur komplementär und subsidiär für die im Römischen Statut enumerativ vorgesehenen Straftatbestände zuständig ist, ist das Demokratieprinzip bei Auslieferungen an den Internationalen Strafgerichtshof gewahrt (dazu 6. Teil, E, S. 1003 ff.). Was die Auslieferung in Mitgliedstaaten der EU angeht, hält das Bundesverfassungsgericht eine Erörterung des Demokratieprinzips für entbehrlich, solange das Prinzip der begrenzten Ermächtigung gewahrt ist.1774 Wesentlich war für das Bundesverfassungsgericht, daß der Rahmenbeschluß außerhalb der supranationalen Entscheidungsstruktur des Gemeinschaftsrechts bleibe.1775 Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch dem formellen Anerkennungsprinzip, wenn Art. 16 Abs. 2 GG berührt ist, gewisse Grenzen gesetzt: „Der grundrechtseinschränkende Gesetzgeber muss sich insofern davon überzeugen, dass die Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze durch die die Strafgewalt über einen Deutschen beanspruchende Stelle gewährleistet ist. Dabei wird in Rechnung zu stellen sein, dass jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union die in Art. 6 Abs. 1 EU genannten Grundsätze und somit auch den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit zu achten hat und somit eine Grundlage für gegenseitiges Vertrauen besteht. Das entbindet allerdings den Gesetzgeber nicht davon, bei nachhaltiger Erschütterung dieses Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit der allgemeinen Verfahrensbedingungen in einem Mitgliedstaat zu reagieren, und zwar unabhängig von einem Verfahren gemäß Art. 7 EU.“1776

Das Vertrauen des Verfolgten in die eigene Rechtsordnung ist von Art. 16 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip nach Ansicht des Gerichts dann in besonderer Weise geschützt, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Handlung einen maßgeblichen Inlandsbezug hat (4. Leitsatz).1777 Straftatvorwürfe mit Inlandsbezug, für welche der Rahmenbeschluß eine Befreiungsmöglichkeit von der Auslieferungspflicht vorsieht, sollen bei tatverdächtigen deutschen Staatsangehörigen prinzipiell im Inland durch deutsche Strafermittlungsbehörden aufgeklärt werden.1778 1773

§ 11 Internationales Rechtshilfegesetz (23.12.1982, BGBl. I 1982, S. 2071). BVerfGE 113, 273 (298 f.). 1775 BVerfGE 113, 273 (306 f.); vgl. zum Unterschied von Unions- und Gemeinschaftsrecht BVerfGE 89, 155 (196). Mit Inkrafttreten des Verfassungsvertrages würde sich das allerdings ändern. 1776 BVerfGE 113, 273 (304 ff.). 1777 Siehe auch die abweichende Meinung von Richter Broß, BVerfGE 113, 273 (339 ff.), der eine solche Unterscheidung ablehnt und stattdessen eine Auslieferung nur zulassen will, wenn die deutschen Strafverfolgungsbehörden untätig bleiben. 1778 BVerfGE 113, 273 (307 f.). 1774

D. Grundprinzipien des Weltrechts

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Das Urteil versucht, ohne die Rechtmäßigkeit des Beschlusses über den Europäischen Haftbefehl grundsätzlich in Frage zu stellen, einen Ausgleich zwischen der Schutzpflicht gegenüber den Staatsbürgern aus Art. 16 Abs. 2 GG i.V. m. dem Demokratie- und Rechtsstaatsgebot einerseits und den Anforderungen an einen offenen, an das Völker-, und Europarecht gebundenen Verfassungsstaat andererseits. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch der aus dem Territorial- und Personalprinzip (im Hinblick auf die Opfer) folgende Strafanspruch des Staates, der den Haftbefehl ausstellt. Eine weitergehende Beschränkung auch auf Fälle mit überwiegendem Auslandsbezug fordert dagegen Richter Broß in seiner abweichenden Meinung aus dem Subsidiaritätsprinzip.1779 Richter Broß stellt das Subsidiaritätsprinzip als vor dem Bundesverfassungsgericht einklagbare Rechtsnorm (Art. 38, Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) und als Grenze der Umsetzung und Auslegung von Gemeinschaftsrecht dar. Durch eine dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung tragende Umsetzung des Rahmenbeschlusses widerspricht der nationale Gesetzgeber nicht den europarechtlichen Vorgaben. Art. 4 Nrn. 2 u. 3 RbEuHb erlauben es nämlich ausdrücklich, die Auslieferung zu verweigern, wenn wegen derselben Handlung, auf Grund deren der Europäische Haftbefehl ausgestellt worden ist, eine strafrechtliche Verfolgung durch den „Vollstrekkungsmitgliedstaat“ stattfindet (Art. 4 Nr. 2 RbEuHb) oder die Ermittlungsbehörden beschlossen haben, wegen der Straftat, auf Grund deren der Europäische Haftbefehl ausgestellt worden ist, kein Verfahren einzuleiten oder dieses einzustellen (Art. 4 Nr. 3 RbEuHb). j) Berücksichtigung internationaler Interessen Der weltrechtliche ordre public beeinflußt die Auslegung deutscher Gesetze. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muß zur Bestimmung des Begriffs „Gute Sitten“ (z. B. § 138 BGB, § 1 UWG a. F., vgl. jetzt „unlauter“ § 3 UWG n. F.) bei auslandsbezogenen Sachverhalten neben der Völkerrechtslage auch das „internationale Allgemeininteresse“ berücksichtigt werden.1780 Im Nigerianischen Kulturgut-Fall hat der Bundesgerichtshof1781 einen zwischen Privaten geschlossenen Vertrag über den ungenehmigten Erwerb nigerianischer Kulturgüter als sittenwidrig bezeichnet, weil er gegen das Interesse aller Völker verstoße. Eine (noch nicht ratifizierte) UNESCO-Konvention über diesen Sachbereich lasse ein internationales Allgemeininteresse an der entsprechenden Regelung erkennen.

1779 1780 1781

Abweichende Meinung von Richter Broß, BVerfGE 113, 273 (339 ff.). R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 191. BGHZ 59, 82 ff.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

k) Anwendung der Methode rechtsvergleichender Auslegung Die Rechtsvergleichung ist in der Literatur als Auslegungsmethode vorgestellt worden.1782 Sie fördert Prinzipieneinheit auch ohne Weltgericht und schützt vor Rechtszersplitterung.1783 Von deutschen Gerichten wird sie in der Regel nur bei Fällen mit Auslandsbezug angewandt. Gemäß § 293 ZPO muß der Richter das entscheidungserhebliche ausländische Recht ermitteln. Art. 36 EGBGB schreibt die Berücksichtigung des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht1784 vor, das in den Vertragsstaaten einheitlich ausgelegt und angewandt werde soll. Der Richter muß sich insoweit der rechtsvergleichenden Methode bedienen.1785 l) Ergebnis Insgesamt läßt sich festhalten, daß sich das deutsche Grundgesetz weitgehend für die Völkerrechtsordnung und noch mehr für die Europäische Integration öffnet. Grenzen der offenen Staatlichkeit sind die Aufgabe der eigenen existentiellen Staatlichkeit, das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, ein mehr oder weniger vergleichbarer Grundrechtsschutz und das Subsidiaritätsprinzip. Ob diese Vorgaben in der europäischen Integration hinreichend beachtet werden, ist strittig. Das Grundgesetz ist dem Weltrechtsprinzip verpflichtet. Neuere Ansichten in der Literatur, welche die Menschenwürde relativieren und dementsprechend eine ungeschriebene Weltverfassung ablehnen, nehmen die weltrechtliche Ausrichtung des Grundgesetzes allerdings zurück. Bemerkenswert ist, daß das Grundgesetz zur Mitwirkung an der weltrechtlich gebotenen, obligatorischen internationale Gerichtsbarkeit verpflichtet. Die deutsche Rechtspraxis schöpft jedoch die grundgesetzlichen Möglichkeiten in Art. 1 Abs. 2, Art. 25, Art. 59 Abs. 2 GG, dem Völkerrecht und dem Menschheitsrecht unmittelbare Geltung zu verschaffen, nicht aus. Die Beschränkung des effektiven Schutzes bestimmter Menschenrechte nur auf Deutsche ist zwar kein Verstoß gegen das universelle Menschenrechtsprinzip, weil ein Kernbereichsschutz durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG in jedem Fall sichergestellt wird. Aber unter weltbürgerlichen Aspekten ist es zu kritisieren und zumindest gegenüber Ausländern mit dauerhaftem Wohnsitz in Deutschland nicht zu rechtfertigen und soweit Deutschland ein entsprechendes Menschenrechtsabkommen ratifiziert hat. Das im Staatsbür1782 K. Zweigert, Rechtsvergleichung als universale Interpretationsmethode, RabelsZ 15 (1949/50), S. 5 ff.; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 1998, S. 165 ff., 1026 ff. 1783 M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 199. 1784 Vom 19.6.1980, BGBl. 1986 II, S. 809. 1785 Vgl. BGHZ 36, 348 (353) bei Unterlassung Revisionsgrund.

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gerschaftsrecht noch dominierende ius sanguinis-Prinzip behindert grundsätzlich das politische Selbstbestimmungsrecht von Ausländern. Deutschland verfolgt eine eher restriktive Ausländer- und Asylpolitik, welche nur auf die Minimalverwirklichung des Weltbürgerrechts im Sinne der Hospitalität zielt. Die praktizierte, weitere Interpretation des Begriffs der „politischen Verfolgung“ in Art. 16a Abs. 1 GG, die nicht mehr auf Staaten beschränkt wird, entspricht dem Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht. Im Ergebnis trifft die Feststellung von Hasso Hofmann noch immer zu: „Deutschland ist eine auf die Würde des Menschen gegründete Republik“ – d. h. eine weltoffene, an universellen Prinzipien orientierte, auf internationale Zusammenarbeit und europäische Integration festgelegte Republik, gleichwohl keine kosmopolitische, sondern eine Republik der deutschen Staatsangehörigen.1786

X. Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit Gemäß Art. 56 UN-Charta sind die UN-Mitgliedstaaten gehalten, gemeinsam und einzeln in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen darauf hinzuwirken, die in Art. 55 UN-Charta niedergelegten Ziele zu erreichen. Diese völkerrechtliche Kooperationsverpflichtung1787 bleibt rudimentär und geht kaum über den Grundsatz pacta sunt servanda hinaus, weil sie kein Tun und Unterlassen der Staaten anordnet und zwischen den Staaten nicht unmittelbar anwendbar ist.1788 Ob darüber hinaus eine gewohnheitsvölkerrechtliche Kooperationspflicht1789 existiert, ist streitig. Weltrecht ist seinem Wesen nach verbindliches Recht (dazu 3. Teil, C, S. 341, 354 ff.). Dies setzt voraus, daß es ungeachtet von Staatsegoismen funktionsfähig ist. Deshalb müssen die Staaten verpflichtet werden, das Weltrecht einzuhalten und darüber hinaus alles Erforderliche für dessen Verwirklichung zu tun sowie alles zu unterlassen, was die praktische Wirksamkeit des Weltrechts behindert. Dies setzt eine gegenüber der völkerrechtlichen bona fides-Regel gesteigerte Kooperationspflicht voraus, ohne daß diese in Umfang und Begründung einer bundesstaatlichen Treuepflicht1790 gleichzusetzen wäre.1791 Die An1786 H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, HFR 8-1996, S. 9; ähnlich C. Hillgruber, Der Nationalstaat in der übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, § 32, S. 929, Rn. 113 ff., 125 ff. 1787 Dazu O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 2000, S. 308 f. 1788 Weitergehend aber H. Lauterpacht, International Law and Human Rights, 1950, S. 145 ff. 1789 Dazu H. Neuhold, Die Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen den Staaten: moralisches Postulat oder völkerrechtliche Norm?, in: Fs. A. Verdross, 1980, S. 575 ff. 1790 Dazu BVerfGE 1, 299 (315); 4, 115 (149); 6, 309 (361); 8, 122 (138); 12, 205 (254); 43, 291 (348); 81, 310 (337); 92, 203 (230); H.-W. Bayer, Die Bundestreue, 1961; H. Bauer, Die Bundestreue, 1992; K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 701; P. Unruh, Die Unionstreue, EuR 2002, 41 (47 ff.); M. Jestaedt, Bundesstaat als Verfas-

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

erkennung von Treueverpflichtungen ist nicht auf Bundesstaaten beschränkt, sondern auch typisch für Staatenbünde.1792 Ein Beispiel ist das Recht der Europäischen Union.1793 Art. 10 EGV wird als Ausdruck einer gegenseitigen Loyalitätspflicht sowohl zwischen Europäischer Union und den Mitgliedstaaten als auch zwischen den Mitgliedstaaten untereinander verstanden.1794 Art. 10 EGV lautet: „Die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgaben. Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrages gefährden könnten.“

Eine solche Förderungspflicht geht über den Grundsatz pacta sunt servanda hinaus1795, weil sie eine aktive Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit aller Beteiligten, und nicht nur eine passive Pflicht, nichts Vertragswidriges zu tun, begründet.1796 Als allgemeiner Maßstab1797 ist sie, wenn auch im Einzelfall materialisierungsbedürftig, justiziabel.1798 XI. Mehrheitsprinzip, Konsensprinzip und Mehrheitsregel Das Mehrheitsprinzip wird in Internationalen Organisationen als Indiz verdichteter zwischenstaatlicher Kooperation oder sogenannter supranationaler und öffentlichrechtlicher Strukturen gewertet.1799 Wäre für die Begründung von Verpflichtungen immer die Zustimmung der Mehrheit der Staaten entscheidend, sungsprinzip, HStR, Bd. II, 2004, § 29, S. 785, Rn. 73 ff.; ausdrücklich Art. 44 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Art. 143 Abs. 1 Belgische Verfassung. 1791 Vgl. P. Unruh, Die Unionstreue, EuR 2002, 59 ff. 1792 P. Unruh, Die Unionstreue, EuR 2002, 47. 1793 Dazu P. Unruh, Die Unionstreue, EuR 2002, 58 ff.; A. v. Bogdandy, zu Art. 5 EGV (September 1994), in: E. Grabitz/M. Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Rn. 6 ff. 1794 A. v. Bogdandy, zu Art. 5 EGV (a. F.), in: Grabitz/Hilf, EGV, Rn. 9; P. Unruh, Die Unionstreue, EuR 2002, 62; EuGH, Rs 230/81 Luxemburg/Europäisches Parlament, Slg. 1983, S. 255 (Rn. 37); Rs C-2/88 Imm. Zwartveld, Slg. 1990 I, 3365 (Rn. 17); Rs C-251/89 Athanasopoulos/Bundesanstalt für Arbeit, Slg. 1991 I, 2797 (Rn. 57). 1795 Vgl. R. Streinz, Europarecht, 2003, S. 63, Rn. 140. 1796 Vgl. für das Gemeinschaftsrecht: EuGH, Rs 230/81 Luxemburg/Parlament, Slg. 1983, 255 (287); Rs 54/81 Frommer, Slg. 1982, 1449, 1463; Rs 358/85 u. 51/86 Frankreich/Parlament, Slg. 1988, 4821 (4855); Rs 14/88 Italien/Kommission, Slg. 1989, 3677 (3706); Rs C 2/88 Zwartfeld, Slg. 1990 I, 3365 (3372). 1797 Vgl. BVerfGE 43, 291 (349). 1798 Vgl. P. Unruh, Die Unionstreue, EuR 2002, 54 f. 1799 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 293.

D. Grundprinzipien des Weltrechts

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würde das völkerrechtstypische Konsensprinzip durch die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit modifiziert.1800 Das freiheitssichernde Konsensprinzip1801, das die Zustimmung aller Betroffenen fordert, gilt grundsätzlich auch in der Weltrechtsordnung. Allerdings hindert das Konsensprinzip nicht, die Mehrheitsregel zuzulassen, die aus praktischen Gründen unverzichtbar ist.1802 Einstimmigkeit als durchgängiges Erfordernis kann zu unergiebigen Formelkompromissen führen und einen partikulären Willen über einen möglichen gemeinsamen Willen der Gemeinschaft setzen, was diese strukturell in Frage stellen würde.1803 Anders als das Mehrheitsprinzip hebt die Mehrheitsregel das Konsensprinzip nicht auf. Voraussetzung ist, daß sie von allen Rechtsgenossen gewollt ist und nicht dazu führt, daß eine Mehrheitsherrschaft zementiert wird. Vielmehr bewirkt der Konsens über die Mehrheitsregel eine weitgehende Annäherung an den Konsens, der das Recht verwirklicht und nicht bestimmte Interessen durchsetzt.1804 Dazu muß gesichert sein, daß die Mehrheit nicht von vornherein feststeht und sich eine bestehende Mehrheit jederzeit umkehren oder verändern kann.1805 XII. Prinzip der Anerkennung Mit dem geborenen Weltrecht ist, wie erörtert, die Anerkennung des Anderen als Mensch verbunden. Daraus folgt aber nicht zwingend eine Pflicht zur Anerkennung ausländischer Normen. Im stärker auf der Souveränität und Eigenständigkeit der Staaten beruhenden Völkerrecht ist die Verpflichtung zur Anerkennung des innerstaatlichen Rechts anderer Staaten eher die Ausnahme. Im Völkerrecht kann daher in Bezug auf rechtliche Regeln und Standards nicht wie im Europarecht1806 von einem Anerkennungsprinzip gesprochen werden.1807 Aus1800 In dem Sinn J. Delbrück, Erga omnes Normes in International Law, in: Liber amicorum G. Jaenicke, 1998, S. 26 (32 ff.). 1801 Siehe K. Hesse, Grundprinzipien des Verfassungsrechts, S. 63, Rn. 141; dazu eingehend K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 33, 53, 98, 105 ff., 513, 717 ff., 1182. 1802 Vgl. dazu K. Stern, Staatsrecht I, S. 610 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 223 ff., 283 ff.; J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, S. 392 ff.; W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 339; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 55 f., Rn. 141 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 119 ff. 1803 BVerfGE 89, 155 (183). 1804 Dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 64, Rn. 143; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 106 ff., 120, 641 ff., 717 ff.; vgl. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 232 ff., 283 ff. 1805 Vgl. BVerfGE 44, 125 (142); K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 64, Rn. 143. 1806 Dazu Th. C. W. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, 1998, S. 28 ff.; Mitteilung der Kommission – Die gegenseitige Anerkennung im Rahmen der

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

nahmebeispiel ist das Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr. Es verpflichtet die Vertragsparteien zur Anerkennung der jeweils von ihnen ausgestellten Führerscheine.1808 Demzufolge darf nach § 4 der deutschen Verordnung über den internationalen Kraftverkehr1809 nicht nur derjenige in Deutschland ein Fahrzeug führen, der über einen internationalen Führerschein nach EGRecht verfügt, sondern jeder nicht in Deutschland Wohnende mit einem gültigen ausländischen Führerschein.1810 Eine solche Regelung verwirklicht das vom Weltbürgerrecht geschützte Hospitalitätsrecht. In multikulturellen Gesellschaften wie der Weltgesellschaft wird eine „Politik der Anerkennung“, welche die grundsätzliche Bereitschaft beinhaltet, Andersartiges als gleichwertig zu akzeptieren, notwendig.1811 Will Weltrecht mit einem Minimum oder ohne Weltstaatlichkeit auskommen und trotzdem in Menschheitsfragen eine gewisse Rechts- oder zumindest Prinzipieneinheit schaffen, ist eine wechselseitige Öffnung und Aufeinanderbezogenheit der staatlichen Ordnungen unvermeidbar. Dem dient auch die gegenseitige Anerkennung von formellen und materiellen Rechtsvorschriften. Diese schafft Rechtseinheit ohne Rechtsvereinheitlichung unter Beibehaltung unterschiedlicher Rechtssysteme. Wird eine völkerrechtliche Anerkennungsverpflichtung aufgrund einer innerstaatlichen Rechtsnorm zum Vollzug der Anerkennung ausgeführt, ist der Ausführungsakt ein sogenannter transnationaler Verwaltungsakt.1812 Im (supranationalen) europäischen Gemeinschaftsrecht ist das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung fest verankert und liefert dort einen wesentlichen Beitrag zur Integration und Überwindung der staatlichen Grenzen. Hierzu gehört z. B. im Rahmen der Dienst- und Niederlassungsfreiheit die Verpflichtung, Diplome anzuerkennen1813, die Zulassung von Bankunternehmen1814, von DirektFolgemaßnahmen zum Aktionsplan für den Binnenmarkt [KOM(1999) 299 endg. – Nicht im Amtsblatt veröffentlicht]. 1807 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 1021; Th. Beyer, Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, S. 44. 1808 Art. 41 mit Anhang 7 des Übereinkommens vom 8.11.1968, BGBl. 1977 II, S. 809. 1809 Vom 12.11.1934, RGBl. 1935 I, S. 1137, zuletzt geändert am 18.8.1998, BGBl. I, S. 2214. 1810 Für den Kraftfahrzeugschein siehe § 21a Abs. 1a StVZO. 1811 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, 1998, S. 113. 1812 Dazu M. Ruffert, Der transnationale Verwaltungsakt, Die Verwaltung, 2001, S. 453 (458) ff. 1813 Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21.12.1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, ABl. 1989 Nr. L 19/16 (ergänzt durch Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18.6.1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG, ABl. Nr. L 209/25). Vgl. auch die die (vereinheitlichende) Richtlinie 1999/42/EG des Europäi-

D. Grundprinzipien des Weltrechts

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und Lebensversicherungsunternehmen1815 oder von Investmentfonds und Wertpapierdienstleistungen1816 für die gesamte Gemeinschaft. Im Rahmen der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit der Europäischen Union bezieht sich die Anerkennung im Wege eines Europäischen Haftbefehls1817 seit 2004 sogar auf gerichtliche Entscheidungen. Für Banken und Versicherungen erstreckt sich das Anerkennungs- oder Herkunftslandsprinzip auch auf Aufsichtsmaßnahmen, für die der Herkunftsstaat zuständig bleibt.1818 In der Europäischen Union muß ein Internetanbieter grundsätzlich nur noch das Recht des Mitgliedstaats beachten, in dem er niedergelassen ist, auch wenn er in einem anderen EU-Mitgliedstaat Teledienste anbietet.1819 Außerdem soll das Herkunftslandprinzip allgeschen Parlaments und des Rates vom 7.6.1999 über ein Verfahren zur Anerkennung der Befähigungsnachweise für die unter die Liberalisierungs- und Überwachungsrichtlinien fallenden Berufstätigkeiten in Ergänzung der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise, ABl.1999, Nr. L 201/77. 1814 Art. 18 f. der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.3.2000 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute, ABl. 2000 Nr. 2000 Nr. L 126/1 i. d. F. der Richtlinie 2000, ABl. 2000 Nr. L 275/37 zurückgehend auf Art. 18 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 89/646/EWG des Rates vom 15.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG, ABl. 1989 Nr. L 386/1. 1815 Art. 6 der Ersten Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom 24.7.1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), ABl. 1973, Nr. L 228/3 i. d. F. des Art. 7 der Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18.6.1992 sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG und 88/357/EWG (Dritte Richtlinie Schadensversicherung), ABl. Nr. L 63/1 i. d. F. des Art. 4 der Richtlinie 92/ 96/EWG des Rates vom 10.11.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung), ABl. 1992 Nr. L 360/1. 1816 Art. 14 der Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen, ABl. 1993, Nr. L 141/27; Art. 4 UAbs. 2 der Richtlinie 85/611/ EWG des Rates vom 20.12.1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen von Wertpapieren, ABl. 1985, Nr. L 375/3. 1817 Rahmenbeschluß JI/2002 des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten v. 7.6.2002, 7253/02; gestützt auf Art. 31 a. b, 34 Abs. 2 b EUV; ABl. Nr. L 190 vom 18.07.2002; Umsetzung in Deutschland durch Europäisches Haftbefehlsgesetz v. 21.7.2004; BGBl. 2004 I, S. 1748. 1818 Art. 26 Abs. 1 der Kreditinstitutsrichtlinie, Art. 13 der Direktversicherungsrichtlinie (RL 73/240/EWG v. 24.7.1973, ABl. Nr. L 228/20) und Art. 15 der Lebensversicherungsrichtlinie 92/96/EWG ABl. Nr. L 360/1, geändert durch Richtlinie 95/ 26/EG v. 29.6.1995, ABl. Nr. L 168/7 und Richtlinie 2000/64/EG v. 7. 11. 2000, ABl. Nr. L 290/27. 1819 Art. 3 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. Nr. L 178 S. 1; § 4 Teledienstegesetz (TDG) allerdings mit zahlreichen Ausnahmen.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

mein für Dienstleistungen in einer geplanten Richtlinie über Dienstleistungen eingeführt werden.1820 In der WTO ist das Anerkennungsprinzip ansatzweise enthalten und wird sich fortentwickeln. Nach Art. 4 des Übereinkommens über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen1821 müssen die Mitglieder der WTO solche Maßnahmen anderer Mitglieder anerkennen, wenn das vom Einfuhrmitglied für angemessen erachtete Schutzniveau objektiv erreicht wird. Die gegenseitige Anerkennung setzt Vertrauen in die andere staatliche Ordnung voraus. Solches existiert nur, wenn eine gewisse Homogenität der für den Anerkennungssachverhalt wesentlichen Rechtsprinzipien angenommen werden kann (vgl. für die Europäische Union Art. 6 Abs. 1 und 2 EUV). Eine rein formelle Anerkennung ohne die Möglichkeit einer Gleichwertigkeitsprüfung und ohne Schutzvorbehalte machen zu können, ist von vornherein abzulehnen, weil der Staat dadurch gezwungen würde, Schutzpflichten zu vernachlässigen. Grenzen des Anerkennungsprinzips ergeben sich außerdem aus dem demokratischen Prinzip, welches auch für die Rechtsprechung der Gerichte gilt.1822 Ergebnis Das Prinzip der Anerkennung des Anderen als Mensch ist als Weltrechtsprinzip unverzichtbar. Daraus folgt aber keine Pflicht, die Vorschriften anderer Staaten vorbehaltlos anzuerkennen. Ein begrenztes Anerkennungsprinzip kann sich als weltrechtliches Prinzip nur zwischen Staaten mit vergleichbarem rechtsstaatlichem Niveau etablieren. Es ist, soweit es nicht aus dem Weltbürgerrecht folgt, nicht unmittelbar mit dem Weltrechtsbegriff verbunden. XIII. Zusammenfassende Gegenüberstellung der typischen Prinzipien Folgende Strukturprinzipien und Grundsätze des Weltrechts lassen sich im Vergleich zu denjenigen des Völkerrechts aufzählen und gegenüberstellen: 1820 Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, COM (2004) 2 (02). 1821 Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures (SPSAgreement), ABl. 1994, Nr. L 336/40. 1822 Vgl. E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HStR, Bd. II, 2004, § 24, S. 429, Rn. 12 f., 22, 24; K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: Fs. H. H. v. Arnim, 2004, S. 779 ff.; a. A. offensichtlich G. Roellecke, Zur demokratischen Legitimation der rechtsprechenden Gewalt, in: Fs. W. Leisner, 1999, S. 553 ff. (560), der meint: „Strukturell ist Rechtsprechung nicht auf demokratische Legitimation angewiesen.“

E. Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht

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• individuelle und kollektive Selbstbestimmung und Selbstrechtsetzung versus Staatensouveränität, • Gleichheit der Menschen versus Gleichheit der Staaten, • Primat des Rechts versus Staatsräson und Staatenimmunität, • Legalitätsprinzip versus Grundsatz der Reziprozität, • Gewaltverbot für Staaten und nichtstaatliche, globale Akteure, • Demokratieprinzip neben Effektivitätsprinzip, • Individualhaftung versus/neben Kollektivhaftung, • Prinzip offener Staatlichkeit versus geschlossene Staatlichkeit, • Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit neben Vertragstreue, • Staatenkonsens versus Konsens der Weltgemeinschaft.

E. Weltrechtliche Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht Mit der Anerkennung von Verpflichtungen erga omnes und ius cogens sowie einem „gemeinsamen Erbe der Menschheit“ enthält das geltende Völkerrecht seit langem weltverfassungsrechtliche Prinzipien, wenn auch in einem engen Ausnahmebereich. Auch ohne weltstaatliche Strukturen findet der Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht statt, indem die Verfassungsprinzipien des Weltrechts im Rahmen herkömmlicher völkerrechtlicher Institutionen und aufgrund der im Völkerrecht anerkannten Rechtsetzungsmethoden im Sinne globaler Konstitutionalisierung des Völkerrechts materialisiert und verwirklicht werden. In der Möglichkeit durch Verträge, Gewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze sowie allgemeines Konsensrecht funktional universelles Recht zu materialisieren, existieren bereits im Rahmen des Völkerrechts Instrumente globaler Rechtsetzung. I. Verpflichtungen erga omnes Völkerrechtslehre und Rechtsprechung erkennen (unter dem Einfluß der Globalisierung verstärkt) die Existenz von völkerrechtlichen Pflichten erga omnes, von Regeln für das Wohl der gesamten internationalen Gemeinschaft, an.1823 1823 Urteil des Internationalen Gerichtshofs v. 5.2.1970, ICJ Rep. 1970, S. 32; vgl. J. A. Frowein, die Verpflichtungen erga omnes im Völkerrecht und ihre Durchsetzung, in: Fs. H. Mosler, 1983, S. 241 ff.; J. Delbrück, „Laws in the Public Interest“, in: Liber amicorum G. Jaenicke, 1998, S. 17 (18).

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Das Charakteristische von Verpflichtungen erga omnes ist darin zu sehen, daß sie die gesamte Staatengemeinschaft, ja die Menschheit binden und damit die Relativität völkerrechtlicher Beziehungen durchbrechen.1824 Im Unterschied zu gewöhnlichen völkerrechtlichen Vorschriften sind sie nicht nur Verpflichtungen gegenüber einem oder mehreren Staaten, sondern „towards the international community as a whole“ und der „concern of all states“.1825 Sie sind Teil einer „internationalen öffentlichen Ordnung“1826 und können, weil sie nur durch die Gesamtheit aller Vertragsstaaten aufgehoben werden können, als „formelles internationales Verfassungsrecht“1827, aber auch als materiale Minimalweltverfassung1828 bezeichnet werden. Die jedenfalls grundsätzliche Anerkennung von Pflichten erga omnes verbietet es, das heutige Völkerrecht lediglich als „Geflecht bilateraler Rechtsbeziehungen“ (und Beschränkungen) mit überwiegend schuldrechtlichem Charakter aufzufassen.1829 Die Verletzung einer solchen Pflicht geht jeden Staat an. Auch Staaten und Staatengruppierungen, die nicht unmittelbar von den Folgen der Rechtsverletzung betroffen sind, können erga omnes-Normen einfordern, im Rahmen des Völkerrechts durchsetzen und besitzen im analogen Sinne einer actio popularis eine Klagebefugnis vor dem Internationalen Gerichtshof.1830 So kann etwa die Einhaltung des Folterverbots von 1824 G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 22; S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 33; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 254. 1825 IGH, Barcelona Traction Case, ICJ Rep. 1970, 32, para. 33; Namibia, ICJ Rep. 1971, 16, para. 56; Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 4, para. 134; vgl. auch die bei J. Delbrück, Erga omnes Norms in International Law, S. 20 ff. genannten Fälle; vgl. dazu ebenfalls Art. 54 des Entwurfs der ILC zur Staatenverantwortlichkeit, November 2001, fifty-third session; Text in: Report of the International Law commission, General Assembly Official Records, fifty-sixth session, Supp No 10, A56/10. 1826 G. Jaenicke, „International Public Order“, in: R. Bernhardt et al. (ed.), EPIL, Vol. II, 1995, S. 1348 ff. (1349), J. Delbrück; Erga Omnes Norms in International Law, S. 18. 1827 B. O. Bryde, Verpflichtungen Erga Omnes aus Menschenrechten, BDGV, 33 (1994), S. 165 ff. 1828 Vgl. M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 573. 1829 Ch. Tomuschat, Die internationale Gemeinschaft, S. 20; s. a. B. Simma, Does the UN Charter Provide an Adequate Legal Basis for Individual or Collective Responses to Violations of Obligations erga omnes?, in: J. Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement, 1993, S. 125 (128). 1830 IGH, Barcelona Traction Case, ICJ Rep. 1970, 3 (32, para. 33); Namibia, ICJ Rep. 1971, 16, para. 56; Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 4, para. 134; einschränkend allerdings IGH, East Timor (Portugal vs. Australia), ICJ Rep. 1995, 90 ff; ILC, Draft Articles on Responsibility of States for International Wrongful Acts (2001) Official Records of the General Assembly, Fifty-sixth Session, Supplement No. 10 (A/56/ 10), Art. 40–42, 48, 49); vgl. J. Delbrück, in: ders. (Hrsg.), Allocation of Law Enforcement in the International System, 1995, S. 152 f.; noch anders, ein spezifisches Eigeninteresse des klagenden Staates fordernd: IGH, South West Africa Case, ICJ Rep. 1966, 4, para. 32 ff.; dazu auch B. Simma, Does the UN Charter Provide an Adequate Legal Basis for Individual or Collective Responses to Violations of Obliga-

E. Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht

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allen Staaten mit den völkerrechtlich zulässigen Mitteln durchgesetzt werden. Darüber hinaus kann ein Staat einzelne Folterer seiner Gerichtsbarkeit unterwerfen, wann und wo immer er seiner habhaft wird.1831 Der Folterer wird zum Feind der ganzen Menschheit, die Folter zum Welt- oder Menschheitsverbrechen.1832 Rechtsakte, die gegen erga omnes-Pflichten verstoßen, sind völkerrechtswidrig. Nichtig sind sie jedoch nur dann, wenn sie zugleich ius cogens mißachten.1833 In diesem Sinne erzeugt eine Verpflichtung erga omnes eine Priorität, die allerdings schwächer ausgeprägt ist als die des ius cogens.1834 Teilweise wird angenommen, daß der Kreis der Prinzipien erga omnes über den des ius cogens hinausgeht.1835 In seinem ersten Gutachten zum Südwestafrikaproblem1836 äußerte sich der Internationale Gerichtshof zur Natur des Treuhandsystems unter der Völkerbundssatzung. Die Pflicht des Mandatars, das verwaltete Gebiet nicht zu annektieren und für das Wohlergehen der betroffenen Völker zu sorgen, bestehe „in the interest of the inhabitants of the territory, and of humanity in general, as an international institution with an international object – a sacred trust of civilizations“.1837 Die Pflicht, die Mandatsbevölkerung vor Sklaverei, Zwangsarbeit und Drogenhandel zu schützen, die Religionsfreiheit zu garantieren sowie das Mißbrauchsverbot zu militärischen Zwecken, seien so grundlegend, daß ihre Verbindlichkeit nicht vom Schicksal des Völkerbundes abhänge.1838 Werden Verpflichtungen der Staaten gegenüber der Menschheit und einem gemeinsamen öffentlichen Interesse der Völkergemeinschaft anerkannt, ist ein rein zwischenstaatliches Modell des Völkerrechts verlassen und wird der Mensch zumindest als passives Rechtssubjekt in den Mittelpunkt gerückt.1839 Erga omnes-Pflichten tions erga omnes?, S. 141; ders., Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht, 2002 S. 45 (55); J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S + F 2/98, S. 98; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, 2001, S. 197 ff.; grundlegend: M. Ragazzi, The Concept of International Obligations erga omnes, 1997. 1831 M. Raess, Der Schutz vor Folter im Völkerrecht, 1989, S. 86 f. 1832 M. Pape, Humaitäre Intervention, 1997, S. 66 f. 1833 R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 571. 1834 R. Alexy, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Die Philosophie der Menschenrechte, 1999, S. 244 (252 f.); R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 572. 1835 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 178; T. Meron, On an Hierarchy of International Human Rights, AJIL 80 (1986), S. 1 (11). 1836 IGH, International Status of South West Africa, ICJ Rep. 1950, 126. 1837 IGH, ICJ Rep. 1950, 132. 1838 IGH, ICJ Rep. 1950, 133. 1839 B.-O. Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat 42 (2003), S. 61 (64).

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

bestehen danach unabhängig vom völkerrechtlichen System. Sie können als weltrechtliche Pflichten bezeichnet werden. Sie sind materielles Weltrecht, das ohne Weltstaat durch die Staaten durchgesetzt wird. Erga omnes-Normen sind solche von essentiellem, universellem öffentlichem Interesse.1840 Fraglich ist, wie das Menschheitsinteresse bestimmt werden kann.1841 In den Staaten formuliert der Gesetzgeber das öffentliche Interesse. Grundlage völkerrechtlicher Regeln ist der Konsens der Staaten.1842 Er manifestiert sich in Verträgen, Gewohnheitsrecht oder gemeinsamen Rechtstraditionen. Prima facie-Anknüpfungspunkt für die Frage der Universalität des Interesses ist die sachliche Globalität des Problems, insbesondere dann, wenn sich dieses überall auf der Welt ähnlich auswirkt, wie z. B. der Schutz der Ozonschicht, die globale Erwärmung. Ansonsten gelten für die Ermittlung des öffentlichen Interesses ähnliche Grundsätze wie auf innerstaatlicher oder europäischer Ebene.1843 Der universelle Diskurs, als dessen Ergebnis ein Konsens, der einen Ausgleich der verschiedenen Interessen herbeiführt, steht, dient der Erkennung des universellen öffentlichen Interesses und Rechts.1844 Teilnehmer des Diskurses und mitbestimmend für das Allgemeininteresse sind in der globalisierten Welt nicht mehr nur die Staaten. Mit der Fortentwicklung des Völkerrechts nimmt die Bedeutung der Rolle der Internationalen Organisationen zu1845, aber auch der Nichtregierungsorganisationen1846, insbesondere auf dem Gebiet der Menschenrechte1847, des Umweltschutzes und des überstaatlichen Rechtsschutzes, des Seerechts und von Landminen.1848 Sie haben allerdings keine formellen Stimmund Entscheidungsrechte (dazu 6. Teil, E, S. 856 ff.); denn es würde die gleiche 1840 J. Delbrück, Erga omnes Norms in International Law, S. 15 f., 27; vgl. auch IGH, Case Concerning the Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium vs. Spain), ICJ Rep. 1970, 3 (32). 1841 Dazu J. Delbrück, Erga omnes Normes in International Law, S. 29 ff. 1842 J. Delbrück, Erga omnes Normes in International Law, S. 19; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 197, die in erga-omnes-Vorschriften eine Durchbrechung des völkerrechtlichen Konsensprinzips sieht. 1843 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 76 ff. 1844 Vgl. dazu A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 76 ff. 1845 J. Delbrück, Erga omnes Normes in International Law, S. 30 f. 1846 Dazu F. W. Stoecker, NGOs und die UNO, 2000, S. 82 ff.; D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations and Transnational Enterprises in International Law, in: R. Hofmann (ed.), Non State Actors as New Subjects of International Law, 1999, S. 37 (45 ff.). 1847 NGOs haben zur Entstehung und zum Abschluß der Antifolterkonventionen, der Kinderrechtskonvention, der Antipersonenminenkonvention und des Statuts von Rom über den Internationalen Strafgerichtshof beigetragen. 1848 Dazu J. Delbrück, Erga omnes Norms in International Law, S. 26 ff., 31 f.; W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, in: W. Hum-

E. Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht

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Souveränität der Staaten sowie das Selbstbestimmungsrecht der Völker verletzen, wenn sich bestimmte Organisationen zum „Geschäftsführer“ für die Interessen aller Staaten machen können.1849 Erga omnes-Normen sollen nach einer Auffassung Staaten, auch dann verpflichten, wenn sie ihnen nicht zugestimmt haben.1850 Das ist für das Völkerrecht nicht wesenstypisch, weil damit das Prinzip des Staatenkonsenses und die grundsätzliche Relativität völkerrechtlicher Rechte und Pflichten durchbrochen werden.1851 Jedenfalls bedeutet eine solche Sicht einen paradigmatischen Wechsel. So wird aus Effektivitätserwägungen (entgegen der pacta tertiis-Regel) die Allgemeinverbindlichkeit multilateraler Verträge zumindest in ihren wesentlichen Inhalten bejaht.1852 Allein aus dem Grundsatz der Effektivität lassen sich jedoch keine materiellen Rechtsnormen ableiten. Diejenigen internationalen Verträge wirken erga omnes, die eine Einwirkung auf Drittstaaten zum Schutz universeller Güter bezwecken. Nach Art. 2 Abs. 7 UN-Charta trägt die Organisation „dafür Sorge, daß Staaten, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind, insoweit nach diesen Grundsätzen handeln, als dies zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist.“ Art. 4 des Montrealer Protokolls von 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, regelt auch den Handel mit Nichtvertragsparteien. Art. 7 des Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung von 1989 legt auch Drittstaaten Verpflichtungen auf. Darüber hinaus ist die Rechtsdurchsetzung (z. B. zur Erhaltung der Ozonschicht) nicht auf die bilateral ausgerichteten Mechanismen beschränkt.1853 Die grundlegenden internationalen Regelungen zum Schutze der Ozonschicht1854 und der Vereinbarung über die Durchsetzung der Vorschriften

mer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 275 (308 ff.). 1849 Vgl. J. Ziemer, Das gemeinsame Interesse an einer Regelung der Hochseefischerei, S. 226 f., 287 f. 1850 J. Charney, International Lawmaking, in: J. Delbrück (Hrsg.), New Trends in International Lawmaking, 1997, S. 171 ff.; J. Delbrück, The Role of the U.N. in Dealing With Global Problems, 4 IJGLS (1997), S. 177 (289). 1851 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 197 f.; vgl. J. Delbrück, Erga omnes Norms in International Law, in: V. Götz/P. Selmer/R. Wolfrum (Hrsg.), S. 19 ff., der an Beispielsfällen verschiedene Ausnahmen vom Konsensprinzip aufzeigt. 1852 J. Delbrück, Erga omnes Normes in International Law, S. 15 ff.; J. Ziemer, Das gemeinsame Interesse an einer Regelung der Hochseefischerei, 2000, insbes. S. 194 ff.; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 205 ff.; vgl. auch ders. zu Art. 218 Abs. 1 SRÜ und seiner drittwirkenden Umsetzungspraxis S. 246 ff. 1853 G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 17. 1854 Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht vom 22. März 1985, BGBl. 1988 II, S. 902; Montrealer Protokoll über Stoffe, die zum Abbau der Ozon-

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

der UN-Vereinbarung über das Seerecht vom 10. Dezember 1982 bezüglich der Erhaltung und Behandlung schwankender Fischbestände und stark wandernder Fischbestände vom 28. Juli 19941855 begründen Verpflichtungen erga omnes.1856 Die Wahrnehmung des Meeresumweltschutzes durch Küstenstaaten nach Art. 218 der Seerechtskonvention nimmt einzelne Staaten unabhängig davon, ob sie Vertragsstaaten sind oder nicht, zum Schutze von Anliegen der internationalen Gemeinschaft in die Pflicht. Dies gilt ebenso für die Konvention zur Verhinderung der Zerstörung der Ozonschicht. Die Konvention zur Erhaltung sogenannter weitreichender Fischarten bindet auch Nicht-Mitgliedstaaten der regionalen Fischereiorganisation, die über die Einhaltung der Konvention wacht, an die Überfischungsverbote. Die ratio legis dieser Regelungen geht dahin, daß das gemeinsame Interesse am Schutz der Umwelt, namentlich der Ozonschicht, oder vor schweren Verschmutzungen, etwa durch Ölteppiche, der Schutz bedrohter Tierarten so universell ist, daß kein Staat davon befreit ist, unabhängig davon, ob er das Abkommen unterzeichnet hat.1857 Kein Staat hat einen Anspruch, globale Interessen und Güter, wie z. B. den Weltfrieden, die Luft oder die Ozonschicht auf Kosten anderer nach seinem Belieben zu schädigen. Er darf sich nicht unter Berufung auf seine Souveränitätsinteressen, solchen universellen Regeln entziehen, welche die Essentialia friedlichen und freiheitlichen Miteinanders materialisieren. Ihm muß aber Gelegenheit gegeben worden sein, am Diskurs über diese Regeln mitzuwirken.1858 Die sich in den erga omnes-Verpflichtungen reflektierenden Interessen nicht nur einzelner Staaten, sondern der Welt, zeigen, daß sich die pluralistische Staatenwelt zu einer globalen Verantwortungsgemeinschaft, etwa für Umwelt, Menschenrechte und Friedenserhaltung verändert hat.1859 Menschheitsrecht wäre im Völkerrecht materialisiert, wenn sich die erga omnes-Wirkung aller Menschenrechte praktisch durchgesetzt hätte. Für die Europäische Menschenrechtskonvention ist dies anerkannt, nicht jedoch uneingeschränkt auf universeller Ebene.1860 Eine Mindermeinung will allen Menschenrechten erga omnes-Wirkung zuerkennen1861, während die überwiegende restriktivere Auffassung nur (bestimmten) ius cogens-Vorschriften wie den Verschicht führen vom 16.9.1987, BGBl. 1987 II, S. 1014, nach umfassenden Änderungen Neubekanntmachung BGBl. 2003 II, S. 346. 1855 A/RES/48/263, Annex. 1856 J. Delbrück, Erga omnes Normes in International Law, S. 26 f. 1857 J. Delbrück, Erga omnes Normes in International Law, S. 27. 1858 Vgl. J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, S. 801, 808. 1859 J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 318 (348); S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 275; M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 569 f. 1860 B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, S. 50.

E. Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht

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boten des Völkermords, der Sklaverei und der Apartheid auch Wirkung erga omnes beimißt.1862 Die Auffassung, welche den Menschenrechten insgesamt erga omnes-Wirkung zuerkennt, ist konsequent, weil die Menschenrechte „unteilbar“1863 und universell (dazu 4. Teil, A) sind, weswegen eine Trennung in Menschenrechte, die universell (erga omnes) und solche die nur partiell wirken, nicht einzuleuchten vermag. Die zweite Auffassung wäre allerdings kein Widerspruch zur ersten, wenn man auch den Kreis des ius cogens (im Gegensatz zur Praxis) im Sinne einer menschheitsrechtlichen Dogmatik weit ziehen würde. Weil nur der Menschenwürdekern der jeweiligen Menschenrechte universelle Geltung hat (dazu 4. Teil, S. 490 ff.), ist gegen eine Beschränkung der erga omnes-Wirkung auf grundlegende Menschenrechtsverletzungen („basic rights of the human person“)1864 aus weltrechtlicher Sicht nichts einzuwenden, solange nicht zwischen einzelnen Menschenrechten unterschieden wird. Weltbürgerliche, also subjektive Rechte, sind erga omnes-Pflichten erst dann, wenn sie neben den Staaten von einzelnen Menschen, gegebenenfalls auch von Verbänden (Nichtregierungsorganisationen), gerichtlich durchgesetzt werden können. Die traditionellen völkerrechtlichen Rechtsschutzreflexe zugunsten der Menschen genügen dafür nicht. Vielmehr müssen die Individuen oder Gruppen Prinzipien erga omnes selbst durchsetzen können, wie dies die Europäische Menschenrechtskonvention vorsieht.1865 Nichtregierungsorganisationen dürfen sich bisher nur als Nebenintervenient, als amicus curiae1866, als Sachverstän-

1861 Y. Dinstein, The erga omnes Application of Human Rights, AVR 30 (1992), S. 16 (17 f.); T. Meron, On a Hierarchy of International Human Rights, AJIL 80 (1986), S. 1 (13). 1862 J. A. Frowein, Die Verpflichtungen erga omnes im Völkerrecht und ihre Durchsetzung, in: R. Bernhardt u. a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung, Fs. H. Mosler, 1983, S. 241 (243 f.); ders., Ius Cogens, Encyclopedia of Public International Law, 7, 1984, S. 327 (329); kritisch Übersicht bei B. Simma, Does the UN Charter Provide an Adequate Legal Basis for Individual or Collective Responses to Violations of Obligations erga omnes?, S. 125 ff. m. zahlr. N. S. 127 in Anmerk. 3 u. 5; s. a. M. Ragazzi, The Concept of International Obligations erga omnes, 1997; J. Delbrück, „Laws in the Public Interest“, S. 17 ff.; B. Simma, „From Bilaterism to Community Interest“, RdC 250 (1994), 221 ff. (285 ff.). 1863 In der Teheran-Proklamation heißt es „since human rights and fundamental freedoms are indivisible . . .“, International Conference on Human Rights on 13 May 1968. 1864 Vgl. IGH, Barcelona Traction case, ICJ Rep. 1970, 3 (32); ECOSOC Resolution 1503 „a consistent pattern of gross and reliably attested violations of human rights“: P. Alston, The Commission of Human Rights, in: ders. (Hrsg.), The United Nations and Human Rights, 1992, S. 126 (144 ff.); B. Simma, Does the UN Charter Provide an Adequate Legal Basis for Individual or Collective Responses to Violations of Obligations erga omnes?, S. 140. 1865 Vgl. B. Simma, Does the UN Charter Provide an Adequate Legal Basis for Individual or Collective Responses to Violations of Obligations erga omnes?, S. 134. 1866 Vgl. z. B. Art. 36 EMRK, Art. 61 Abs. 3 EGMR-VerfO.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

dige oder Zeugen in der internationalen Rechtsprechung zur Sache äußern1867 und lediglich in Ausnahmefällen als Kläger mitwirken1868. II. Ius cogens Ius cogens belegt die Existenz unveräußerlich zu schützender Allgemeininteressen (ordre public) der Völkergemeinschaft.1869 Im Sinne des Art. 53 Satz 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts, „eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.“

Das ius cogens-Prinzip ist außerdem eine Vorrangregel.1870 Nach Art. 53 Satz 1 WVK ist ein Vertrag, der gegen eine derartige zwingende Norm verstößt, nichtig.1871 Die Rechtsfolge der Nichtigkeit setzt zumindest in einem formalen Sinn die Höherrangigkeit des zwingenden Rechts voraus.1872 Umgekehrt ist Nichtigkeit aber keine Voraussetzung für den Vorrang, wie auch das Verhältnis zwischen gemeinschaftlichem und mitgliedstaatlichem Recht zeigt.1873 Für einseitige völkerrechtliche Akte von Staaten gilt für ius cogens ein Anwendungsvorrang.1874 Im Furundzija-Fall hat das Internationale Straftribunal für Ju1867 W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, S. 310 ff. 1868 Nach Art. 44 AMRK sind sie legitimiert, „Anzeigen oder Beschwerden“ einzulegen. Nach dem Zusatzprotokoll zur Europäischen Sozialcharta über Kollektivbeschwerden vom 9.11.1995, European Treaty Séries 158, können NGOs Kollektivbeschwerden zu einem gerichtsähnlichen Verfahren einbringen. 1869 Es kommt dem „notwendigen Völkerrecht“ Vattels sehr nahe. Vgl. E. de Vattel, Das Völkerrecht oder Grundsätze des Naturrechts (1758), hrsg. v. W. Schätzel, 1959, S. 19 f. (Einleitung §§ 7–9); A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 846; vgl. auch BVerfGE 18, 441 (449); kritisch dagegen P. Weil, Towards Relative Normativity in International Law, AJIL 77 (1983), 413 ff.; M. Koskenniemi, Hierarchy in International Law, EJIL 8 (1997), 566 ff. 1870 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 846; C. Kissling, Menschenrechtlicher Mindeststandard, HFR 12-2001, S. 11; dazu auch A. FischerLescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 743 ff.; ICTY, Furundzija, ILM 38 (1999), 349 f., Ziff. 153; zurückhaltend dagegen E. Klein, Menschenrechte und Ius cogens, in: Fs. G. Ress, 2005, S. 151 ff.; allg. kritisch M. Koskenniemi, Hierarchy in International Law, EJIL 8 (1997), 566 ff. 1871 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 845; A. Verdross/ B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 482 ff.; S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 324 ff. 1872 E. Klein, Menschenrechte und Ius cogens, S. 152. 1873 EuGH. Rs 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251 (1269). 1874 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 335 ff.; E. Klein, Menschenrechte und Ius cogens, S. 152.

E. Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht

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goslawien die Rechtsfolge von ius cogens-Normen weitergehend darin gesehen, daß sie nationales Recht brechen sollen und von Individuen grundsätzlich einklagbar sind.1875 Allerdings wird in der dualistischen Praxis der Staaten die Durchgriffswirkung des ius cogens auf das nationale Recht vom Recht der jeweiligen Staaten abhängig gemacht.1876 Das ist eine erhebliche Relativierung des darin enthaltenen Weltrechtsprinzips. Jede Gemeinschaft, auch die Staatengemeinschaft, setzt einen gewissen Bestand zwingend geltender Normen voraus, die auch durch Verträge nicht derogiert werden können, also Vorrang beanspruchen, weil sonst die Gemeinschaft zerfallen würde.1877 Die Existenz und Begründung von ius cogens manifestiert den zugrundeliegenden Konsens der Völkergemeinschaft über bestimmte elementare Prinzipien, welche das freiheitliche, zumindest friedliche Zusammenleben unter den Menschen sichern sollen.1878 Die Besonderheit der ius cogens-Regeln besteht darin, „that they do not exist to satisfy the needs of the individual states but the higher interest of the whole international community. Hence these rules are absolute.“1879

Normen der Qualität des ius cogens kommt deshalb erga omnes Wirkung zu.1880 Ihre Einhaltung kann von jedem Staat gefordert werden. Für die Annahme und Anerkennung durch die „internationale Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit“ wird im Sinne der Mehrheitsregel als ausreichend angesehen, daß eine ganz überwiegende Zahl von Staaten aller Staatengruppen eine Völkerrechtsnorm als zwingend anerkennt.1881 Als Grundlage der Konstitutionalisierung kann auf das Völkergewohnheitsrecht, das Völkervertragsrecht 1875 ICTY, Furundzija, ILM 38 (1999), 349 f., Ziff. 153 ff.; dazu kritisch A. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 2001, S. 352. 1876 Vgl. M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25, Rn. 42; dazu S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 339 ff. 1877 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 41; vgl. auch W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 157; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 169 f.; kritisch M. Koskenniemi, Hierarchy in International Law, EJIL 8 (1997), 566 ff. 1878 Vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 59 ff.; zu den verschiedenen Begründungen von ius cogens Überblick bei H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 157 f.; vgl. a. S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 343, der nicht den Konsens der Staatengemeinschaft, sondern die jeweils individuelle Zustimmung der Teilnehmer, die anders nicht widerspruchsfrei handeln können, als Grund für die Universalität ansieht. 1879 A. Verdross, Jus Dispositivum and Jus Cogens in International Law, AJIL 1966, S. 55 (58). 1880 BVerfG, Beschluß, 2 BvR 1290/99 v. 12.12.2000, Abs. Nr. 17, www.bverfg.de; vgl. J. A. Frowein, Die Verpflichtungen erga omnes im Völkerrecht und ihre Durchsetzung, in: FS H. Mosler, S. 242 f.; E. Klein, Menschenrechte und Ius cogens, S. 162. 1881 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 333 f. m. N.; B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, S. 54.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

und die allgemeinen Rechtsgrundsätze zurückgegriffen werden.1882 Zur Materie zwingenden Rechts gehören zum einen typisch völkerrechtliche Prinzipien, wie die Staatengleichheit, die Souveränität der Staaten, das Gewaltverbot1883 und das Selbstbestimmungsrecht der Völker1884, aber auch menschheitliche Prinzipien1885, wie das Verbot der Piraterie, des Genozids, der Sklaverei, der Rassendiskriminierung, der Folter1886, die Grundsätze des humanitären Völkerrechts, das Verbot von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.1887 Ius cogens ist gekennzeichnet durch seine „Universalität, die Unwirksamkeit entgegenstehender Rechtsakte, die Beschränkung des Gegenseitigkeitsprinzips, eine Durchbrechung des Effektivitätsgrundsatzes und, . . ., eine gesteigerte Verantwortlichkeit des rechtswidrig Handelnden“.1888 Es hat damit öffentlich-rechtlichen Charakter1889 und zeigt das weltrechtliche, formell-verfassungsrechtliche Konzept einer Normenhierarchie.1890 Eine Zunahme von zwingendem Recht im Völkerrecht indiziert den Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht. Albert Bleckmann hat festgestellt: „Die Entwicklung zwingenden Rechts setzt damit voraus, daß die alte Konzeption des Völkerrechts als eines Bündels von subjektiven Rechtsverhältnissen durch eine objektive Konzeption der Völkerrechtsordnung überwunden wird“.1891

Die Folge der Anerkennung von zwingendem, vorrangigem Recht ist mit den Worten Bleckmanns „eine stärkere Integration der Völkerrechtsgemeinschaft, eine Überwindung des Grundsatzes . . ., daß das Völkerrecht nur ein Bündel von bilateralen Rechtsbeziehungen begründet, über welche die Mitgliedstaaten frei verfügen können. Das ius cogens-Konzept fördert die Einheit zunächst der Völkerrechtsordnung, dann der das Völkerrecht und das nationale Recht umfassenden Weltrechtsordnung. An die Stelle dualistischer treten monistische Konzeptionen. Dabei führt die Integration zu einer wachsenden Zentralisierung der Weltrechtsordnung.“1892 1882

A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 848. Dazu S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 210 ff. 1884 C. Kissling, Menschenrechtlicher Mindeststandard, HFR 12-2001, S. 12. 1885 ICJ Korfu-Kanal, ICJ Rep. 1949, 22; ICJ Nicaragua ICJ Rep. 1986, 112, 114; vgl. dazu E. Klein, Menschenrechte und Ius cogens, S. 151 ff. 1886 ICTY, Furundzija, ILM 38 (1999), 349 f., Ziff. 153 ff. 1887 Ch. Tomuschat, Obligations Arising for States Without or Against their Will, Récueil des Cours 241 (1993/IV), S. 195 (303); M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 576; A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 745 f. 1888 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 342. 1889 Vgl. U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 194. 1890 A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 717 (743); kritisch M. Koskenniemi, Hierarchy in International Law, EJIL 8 (1997), 566 ff. 1891 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 844. 1892 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 845. 1883

E. Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht

445

Ergebnis Partiell wird also die pluralistisch-zwischenstaatliche Konzeption des Völkerrechts durch das ius cogens-Konzept aufgehoben.1893 Die zwischenstaatlichen Rechte werden durch eine objektive Völkerrechtsordnung überhöht. Damit universalisiert sich die Völkerrechtsordnung in bestimmten Bereichen. Sie „zentralisiert“ mithin zu einer minimalen Weltrechtsverfassung1894, der nicht ein Dualismus von Völkerrecht und nationalem Recht, sondern eine monistische Konzeption zu Grunde liegt.1895

III. Prinzip des gemeinsamen Erbes der Menschheit, Menschheitsbesitz Von einer Meinung im Völkerrecht wird das Prinzip des „Gemeinsamen Erbes der Menschheit“ als (zwingendes) Völkergewohnheitsrecht mit erga omnes-Wirkung angesehen1896, während andere ihm ganz oder teilweise Rechtswirkungen absprechen1897. Obwohl die „Menschheit“ von der überwiegenden Meinung nicht als Völkerrechtssubjekt angesehen wird1898, gründet dieses Prinzip nicht mehr im jeweiligen (koordinationsrechtlich abgestimmten) Einzelstaatsinteresse, sondern in der als gemeinsam anerkannten Verantwortung der Staatengemeinschaft, in einem globalen „öffentlichen Interesse“ an der Erhaltung der Lebensbedingungen auf der Erde, nicht mehr nur in einzelnen territorialen Räumen und damit insofern in einer Entstaatlichung.1899 Begriffsmerkmale des Prinzips des gemeinsamen Erbes der Menschheit sind ungeachtet unterschiedlicher Ausprägungen in den verschiedenen Rechtsregimen:1900 1893

A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 848. So auch M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 576. 1895 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 848; s. a. 3. Teil, C, S. 347 f. 1896 D. Wolter, Grundlagen „Gemeinsamer Sicherheit“ im Weltraum nach universellem Völkerrecht, 2003, S. 208 m. N. 1897 W. Stocker, Das Prinzip des Common Heritage of Mankind als Ausdruck des Staatengemeinschaftsinteresses im Völkerrecht, 1993, S. 206 f. 1898 R. Wolfrum, The Principle of the Common Heritage of Mankind, ZaöRV 43 (1983), S. 312 (319 m. N.); S. Hobe, Was bleibt vom gemeinsamen Erbe der Menschheit?, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 329 (342). 1899 Vgl. Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungsrecht, S. 359; B. Simma, Does the UN Charter Provide an Adequate Legal Basis for Individual or Collective Responses to Violations of Obligations erga omnes?, in: J. Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement, 1993, S. 125 (134); S. Hobe, Was bleibt vom gemeinsamen Erbe der Menschheit?, S. 342 f. 1900 R. St. J. Macdonald, The Common Heritage of Mankind, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 153 (154 f.); S. Hobe, Was bleibt vom gemeinsamen Erbe der Menschheit?, S. 331 f. 1894

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

– Es bezieht sich auf ein nicht der staatlichen Besitznahme fähiges Gebiet (z. B. Antarktis, Weltraum, Tiefseebett). Das Aneignungsverbot ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und self-executing.1901 – Die wissenschaftliche Forschung, welche einen gemeinwohlverpflichtete Kooperation einschließen kann, ist frei (vgl. Art. 143, 256 SRÜ, Art. 3 Antarktisvertrag, Art. I Weltraumvertrag, Art. 6 Abs. 1 Mondvertrag). – Gemeinschaftsräume unterstehen der gemeinsamen Verwaltung aller Staaten derart, daß alle Staaten eine Stimme in der Verwaltung haben und die Kosten geteilt werden. – Alle Staaten werden, soweit diese vorgesehen ist, gleich an den aus der gemeinsamen Nutzung der Ressourcen fließenden Gewinnen beteiligt (vgl. Art. 11 Mondvertrag, Art. I Abs. 1 Weltraumvertrag). Dies gilt insbesondere auch für die Entwicklungsländer unter Berücksichtigung des Solidaritätsgrundsatzes und des Rechts auf Entwicklung (dazu 4. Teil, A, S. 542 ff.). Von der, in den 60er und 70er Jahren proklamierten, Umverteilung ist allerdings heute deutlich Abstand genommen worden.1902 – Das fragliche Gebiet darf ausschließlich zu friedlichen Zwecken genutzt werden (vgl. Art. 141 SRÜ, Art. 1V Abs. 2 Weltraumvertrag, Art. 3 Mondvertrag). – Mit Stärkung des Umweltschutzprinzips muß ein ökologischer Gesichtspunkt hinzukommen, der einerseits eine gemeinsame Verantwortung für die Bewahrung des ökologischen Erbes beinhaltet, aber unterschiedliche Verursachungsund Nutzungsgrade der einzelnen Staaten berücksichtigt.1903 Bisher ist es jedoch nicht gelungen etwa das Weltklima zum Gemeinsamen Erbe der Menschheit zu erklären. Etabliert ist dies bisher nur ein „common concern of mankind“.1904 Das Prinzip des gemeinsamen Erbes der Menschheit hat sich als Weltrechtsprinzip noch nicht auf allen Gebieten, die dem Gemeinsamen Erbe der Mensch-

1901 S. Hobe, Was bleibt vom gemeinsamen Erbe der Menschheit?, S. 333 f.; s. a. 3. Teil, C, S. 348 f. 1902 Zu den Schwierigkeiten bei der Verwirklichung dieses Elements S. Hobe, Was bleibt vom gemeinsamen Erbe der Menschheit?, S. 336 ff.; Zusatzabkommen von 1982, zum SRÜ, ILM 33 (1994), 1309, welches zentrale Passagen des Teils XI modifiziert hat. 1903 S. Hobe, Was bleibt vom gemeinsamen Erbe der Menschheit?, S. 335 f. 1904 Res Generalversammlung 43/54 v. 6.12.1988; Biodiversitätskonvention ILM 31 (1992), 818 ff.; Non-Legally Binding Authorative Statement of Principles for a Global Consensus on the Management, Conservation and Sustainable Development of all Types of Forest, ILM 31 (1992), 881 ff.; Convention to Combat Desertification in those Countries Experiencing Drought and/or Desertification, Particulary in Africa, ILA 33 (1994), 1332.

E. Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht

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heit zugerechnet werden, den „global commons“ voll durchgesetzt.1905 Gebiet und Ressourcen der Staatengemeinschaftsräume Meeresboden und Mond/Weltraum sind internationaler Verwaltung unterstellt (Art. 136 Seerechtskonvention, Art. 1 Abs. 1 Weltraumvertrag, Art. 11 Mondvertrag) worden.1906 Normative Ausprägung hat das Prinzip außerdem erfahren im UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt von 1972 sowie der Sache nach im internationalen Fernmeldevertrag (Art. 44 Abs. 2 ITU Convention i. d. F. von 1994).1907 Wenn ein Prinzip „Erbe der Menschheit“1908 für die Staatengemeinschaftsräume Eingang in das internationale Recht findet, weist dies auf die grundsätzliche weltrechtliche Anerkennung eines „gemeinsamen Besitzes an der Erdoberfläche“, von Menschheitsbesitz1909 als Menschheitsrecht hin. Außerdem zeigt es, daß eine globale rechtliche Ordnung und Verwaltung für gemeinsame Anliegen der Menschheit auf der Basis von Gleichheit und Kooperation zwischen den Staaten möglich ist.1910 IV. Paradigmenwechsel in der Völkerrechtsetzung Aus dem Weltrechtsprinzip folgt eine Pflicht der Staatengemeinschaft, auf die Verwirklichung des Weltrechts hinzuwirken. Die originäre Welt- oder Menschheitsverfassung bedarf, weil sie sich materiell auf wenige Prinzipien menschlicher Freiheit- und Würde sowie auf das Gewaltverbot beschränkt, formell aber ein Recht auf Recht gibt, einer näheren Ausformung de lege ferenda. Eine Weltlegislative i. e. S. ist derzeit nicht institutionalisiert. 1905 Zur Entwicklungsgeschichte R. Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume, 1984, S. 328 ff.; ders., The Principle of the Common Heritage of Mankind, ZaöRV 43 (1983), S. 315 ff.; weitergehend hat Th. W. Pogge, Eine globale Rohstoffdividende, in: Analyse und Kritik 18 (1995) 2, S. 183 ff., eine „Rohstoffdividende“ vorgeschlagen. Alle Menschen, auch die jetzt ausgeschlossenen, sollen ein unverlierbares Teilrecht an allen Naturschätzen haben. Den nationalen Regierungen soll die Verfügungsgewalt über die auf ihrem Territorium befindlichen Rohstoffe belassen bleiben. Allerdings müssen die Regierungen eine dem Wert der tatsächlich genutzten Rohstoffe proportionale Dividende abführen. Die Dividendeneinnahmen sollen für die Emanzipation der Ärmsten der Welt verwendet werden. Eine solche Verteilungspolitik setzt eine straffe weltstaatliche Verwaltung voraus, welche mit einer abzulehnenden „Universalbürokratie“ einherginge. 1906 Vgl. zum Gemeineigentum an Gütern der Menschheit und deren Verteilung U. Steinvorth, Soll es mehrere Staaten geben?, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 256 (276 ff.). 1907 S. Hobe, Was bleibt vom gemeinsamen Erbe der Menschheit?, S. 330 f. 1908 Vgl. dazu E. Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 9 (15 ff.); W. Stocker, Das Prinzip des Common Heritage of Mankind; R. St. J. Macdonald, The Common Heritage of Mankind, S. 153 ff. 1909 Schon F. Vitoria, Relectio de Indis (1539), 1996, I, 3. Sec., 1. 1910 D. Held, Democracy and the Global Order, 1995, S. 106.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Funktionale Weltrechtsetzung ist im Rahmen der völkerrechtlichen, in Art. 38 IGH-Statut nicht abschließend genannten, Rechtsquellen möglich, wenn diese universell (weltrechtlich) konzipiert werden. Art. 38 IGH-Statut steht dem nicht entgegen. Anders als das innerstaatliche Recht kennt das Völkerrecht keinen numerus clausus der Rechtserzeugungsarten, weil Art. 38 IGH-Statut nur den Internationalen Gerichtshof bindet und lediglich eine (dispositive) Festlegung innerhalb eines völkerrechtlichen Vertrags darstellt.1911 Funktionales Weltrecht kann in die staatlichen Ordnungen inkorporiert und von deren Organen vollzogen werden. Dies setzt voraus, daß alle Staaten das Weltrecht im Großen und Ganzen beachten, also als Rechtsstaaten1912 bezeichnet werden können und „überstaatliche“ Instanzen daher weitgehend überflüssig sind. Allerdings darf, weil das Recht den Frieden sichern soll, und wegen des aus diesem Grunde zwingenden Gewaltverbots die Rechtsstaatlichkeit der Staaten, wie gesagt, nicht militärisch erzwungen werden. Sie kann nur mit Mitteln der Verhandlung, des Vertrages1913 sowie gegebenenfalls mit den völkerrechtlich zulässigen Zwangsmitteln (dazu 2. Teil, B, S. 134 ff.) durchgesetzt werden. Effektive Wirkung können die Weltrechtsgrundsätze insbesondere erlangen, wenn Verträge unmittelbar anwendbar sind und die Einklagbarkeit der elementaren Menschheitsgrundsätze in den Verträgen verbindlich festgelegt wird. 1. Universelles Vertragsrecht, Weltverträge Weltrecht ohne Weltstaat kann besonders wirksam durch universelles Vertragsrecht positiviert werden. Es ist die Rede von „Weltverträgen“1914, welche eine weiterentwickelte Form von traités lois darstellen. Nach traditioneller Lehre gelten völkerrechtliche Verträge nur inter partes. Für Drittstaaten erzeugen sie ohne deren Zustimmung keine Verbindlichkeit (vgl. Art. 34 ff. WVK). Als funktional globales Recht sind völkerrechtliche Verträge prinzipiell nur dann geeignet, wenn ihnen im wesentlichen alle Staaten 1911 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 323, § 518 ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 93 ff.; Ch. Tietje, Recht ohne Rechtsquellen, Zeitschrift für Rechtssoziologie, 24 (2003), S. 27 (31). 1912 Zum Rechtsstaatsbegriff K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 19 ff.; zur Universalität des Rechtsstaatsbegriffs vgl. H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, Der Staat 34 (1995), S. 1 ff.; vgl. auch Kant, der fordert, daß alle Staaten „Republiken“ sein sollen, Zum ewigen Frieden, hrsg. v. W. Weischedel, Bd. 9, S. 204 ( BA 20) ff. 1913 So können Internationale Organisationen die Mitgliedschaft davon abhängig machen, daß der betreffende Staat bestimmte rechtsstaatliche Mindestvoraussetzungen erfüllt (vgl. Art. 49 i.V. m. Art. 6 EGV). 1914 Dazu Global Contract Foundation, Global Contract Report, Mai 2005, S. 29 ff.; vgl. auch A. Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 535 (542).

E. Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht

449

zustimmen. Dann schafft universelles Völkervertragsrecht eine globale, objektive Rechtsordnung, welche alle Staaten bindet. Ein solches Konzept liegt den sogenannten Statusverträgen zugrunde.1915 In einer älteren, neuerdings wieder aufgegriffenen Lehre werden Verträge, welche dem Interesse der ganzen Völkerrechtsgemeinschaft dienen, im Unterschied zu den rein synallagmatischen traités-contrats (contract-treaties) oder traités-lois (law-making treaties) genannt.1916 Traités-contrats sind primär auf eine Willensharmonisierung und auf den Interessenausgleich gerichtete Austauschverträge, bei denen der synallagmatische und schuldrechtliche Charakter voll zum Tragen kommt. Demgegenüber enthalten traités-lois Normen, die ihren eigentlichen Geltungsgrund nicht in der Vereinbarung selbst, sondern in einem höheren Prinzip finden.1917 Solche Verträge drücken nicht nur den Parteiwillen aus, sondern materialisieren auch universell geltende Rechtsprinzipien.1918 Deshalb ist das völkerrechtliche Reziprozitätsprinzip zwischen den Vertragspartnern für traités-lois relativiert. Insbesondere für Menschenrechtspakte wird angenommen, daß sie eine objektiv geltende Ordnung errichten.1919 Menschenrechtsabkommen haben generell keine bipolare, synallagmatische, sondern eine „multipolare Erfüllungsstruktur“.1920 In Menschenrechtsverträgen regeln Staaten nicht ihre gegenseitigen Beziehungen.1921 Vielmehr haben solche Verträge eine quasi-legislative Funktion, was 1915 Dazu E. Klein, Statusverträge im Völkerrecht, 1980, S. 15 f., 140 ff., 191 ff.; vgl. auch J. Delbrück, „Laws in the Public Interest“, in: Liber amicorum G. Jaenicke, 1998, S. 17 (20 ff.); kritisch W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 77 m. Fn. 284; zur Internationalisierung des Kieler Kanals, Wimbledon, PCIJ, Series A, No. A (1923); siehe den Report of the International commission of jurists entrusted by the council of the League of Nations with the task of giving an advisory opinion upon the legal aspects of the Aland Islands Question, in: League of nations Official Journal, Special Supplement No. 3 (October 1920). 1916 Vgl. dazu C. de Visscher, Problèmes d’interprétation judiciaire en droit international public, 1963, S. 128 ff.; B. Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, 1972, S. 84 ff.; A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 106; W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 98, Rn. 7. 1917 W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 98, Rn. 7. 1918 C. de Visscher, Problèmes d’interpretation judiciaire en droit international public, S. 134 f.; A. Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, S. 542; vgl. im Hinblick auf die Menschenrechte HRC, General Comment No. 24, Issues relating to reservations made upon ratification or accession to the Covenant or the Optional Protocols, 04/11/94, CCPR/C/21/Rev.1/Add.6, paras. 8, 17. 1919 E. Klein, Menschenrechte, Stille Revolution des Völkerrechts und Auswirkungen auf die innerstaatliche Rechtsanwendung, 1997, S. 25; in Bezug auf die Europäische Menschenrechtskonvention: Europäische Menschenrechtskommission (Österreich/ Italien, Pfunders-Fall), Entscheidung zur Zulässigkeit vom 11.1.1961, Yearbook of the European Convention on Human Rights, Bd. 4, 1961, 116 ff.; siehe auch J. A. Frowein/W. Peukert, EMRK, Kommentar, 1996, Art. 24, Rn. 2, S. 517; vgl. auch C. Kissling, Menschenrechtlicher Mindeststandard, HFR 12-2001, S. 12 ff. 1920 R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 571. 1921 Vgl. IGH, ICJ Rep. 1951, 23.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

sich auch daran zeigt, daß sie im Rahmen von Internationalen Organisationen entwickelt und überwacht werden.1922 Entsprechendes gilt für Völkermordabkommen oder Umweltschutzabkommen. Letztere werden häufig als Rahmenabkommen geschlossen (dazu 6. Teil, E, S. 902 f.). Auch die Charta der Vereinten Nationen kann als traité-loi, als ius publicum civitatum1923 und partiell sogar als „Weltverfassung“1924 bezeichnet werden (dazu 6. Teil, C, S. 709 ff.). Häufig sind in einem Vertrag sowohl Elemente eines traité-contrat als auch eines traité-loi enthalten. Dies muß jedoch nicht zur Ablehnung dieser Unterscheidung führen.1925 Sie bleibt dogmatisch bedeutsam, weil sich hieraus unterschiedliche Antworten auf die Frage des Geltungsgrundes und die Anwendung von Folgegrundsätzen, wie die Relativität und Reziprozität völkerrechtlicher Rechte und Pflichten ergeben. Insbesondere bietet die Lehre von den traitéslois einen Ansatzpunkt für die Entwicklung von Weltrecht ohne Weltlegislative.1926 Erfüllt ein solcher Vertrag nicht nur hinsichtlich seiner inhaltlichen Ausrichtung, sondern auch was seine Durchsetzbarkeit angeht (insbesondere unmittelbare Anwendbarkeit, Einklagbarkeit, verbindliches Streitentscheidungsverfahren), die Begriffsmerkmale und Prinzipien des Weltrechts (dazu 3. Teil, C, D), wird von einem „Weltvertrag“1927 gesprochen. Ein Weltvertrag ist eine multilaterale vertragliche Übereinkunft zwischen allen oder nahezu allen Staaten, die einen Sachverhalt von globaler Relevanz vor dem Hintergrund einer nachhaltigen, auf Förderung des Friedens und des Rechts, insbesondere der Menschenrechte, gerichteten Ordnung verbindlich regelt oder die Gründung einer Institution zur Regelung solcher Sachverhalte vorsieht.1928 Der Weltvertrag verwirklicht zwar die ungeschriebene Weltverfassung, muß aber keine umfassende Prinzipienordnung enthalten oder ist gar Grundlage weltstaatlicher Strukturen, sondern kann auch einen sektoral abgegrenzten, spezifischen Sachbereich (z. B. Ozonschicht) regeln.

1922 B.-O. Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat 42 (2003), S. 61 (64). 1923 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 466 (A 215, 216/B 245, 246). 1924 Vgl. W. Schild, Menschenrechte als Fundament einer Weltverfassung, in: W. Kerber (Hrsg.), Menschenrechte und kulturelle Identität, 1991, S. 165 f. 1925 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 339, § 537; vgl. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 98, Rn. 7. 1926 So auch J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, S. 800. 1927 Dazu Global Contract Foundation, Global Contract Report, S. 29 ff.; vgl. auch A. Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, S. 535 (542). 1928 Vgl. dazu Global Contract Foundation, Global Contract Report, S. 29 ff.

E. Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht

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2. Gewohnheitsrecht der Weltgemeinschaft Es ist nicht ausgeschlossen, daß vertragliche Bestimmungen abweichend von Art. 34 WVK kraft völkerrechtlicher Gewohnheit für Drittstaaten verbindlich werden können (Art. 38 WVK). Grundsätzlich kommt Vertragsrecht und Gewohnheitsrecht unterschiedliche Qualität zu.1929 Dies wird auch aus dem textlichen Vergleich zwischen Art. 38 lit. a und Art. 38 lit. b IGH-Statut deutlich: In Art. 38 lit. a werden internationale Übereinkünfte, „in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind“, als Rechtsquelle genannt. Das internationale Gewohnheitsrecht dagegen hängt nach Art. 38 lit. b IGH-Statut nicht davon ab, daß die streitenden Parteien dessen Regeln akzeptiert haben, sondern davon, daß es „allgemein“ anerkannt1930 wird.1931 Die Existenz von Vertragsrecht legt die Vermutung nahe, „daß noch keine allgemeine Rechtsüberzeugung vorhanden ist und die Parteien daher eine ausdrückliche vertragliche Regelung für notwendig halten“1932 Vorrang vor dem Vertragsrecht kann das Völkergewohnheitsrecht allerdings per se nicht beanspruchen.1933 Gewohnheitsrecht wirkt jedoch typischerweise universell, während dem Vertragsrecht oft die Universalität fehlt.1934 Es gibt aber auch Ausnahmen; denn es existiert sowohl partikuläres Gewohnheitsrecht als auch universelles Vertragsrecht (z. B. UN).1935 Im Völkergewohnheitsrecht zeigt sich ein Rückgriff auf ein globales überpositives Recht.1936 Völkergewohnheitsrecht wird als „universal international law“ bezeichnet.1937 Der universalrechtliche Charakter von Gewohnheitsrecht verstärkt sich durch Tendenzen in Lehre und Praxis, welche die Anforderungen an die Entstehung von Gewohnheitsrecht verändern, auch weil dies aufgrund der erheblich vergrößerten Staatenzahl und der Notwendigkeit, globalisierte Sachverhalte zu regeln, geboten erscheint.1938 Nach dem Wortlaut des Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut ist Gewohnheitsrecht „Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten 1929

A. Verdross, Völkerrecht, S. 138 f. Ein Staat, der von Anfang an beharrlich einer Praxis widerspricht, kann verhindern, daß diese für ihn bindendes Gewohnheitsrecht wird, wenn die Regel nicht von fundamentaler Bedeutung für die Staatengemeinschaft ist. Hat die Praxis aber einmal Rechtsqualität erlangt, kann er sich nicht mehr widersetzen. Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 24, Rn. 56. 1931 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 349 und ff., § 533 und ff. 1932 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 1997, S. 215. 1933 Vgl. dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 152 f. 1934 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 215. 1935 A. Verdross, Völkerrecht, S. 140 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 168. 1936 R. Knieper, Nationale Souveränität, S. 71. 1937 J. Charney, Universal International Law, AJIL 87 (1993), S. 529 ff.; Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 243 f. 1938 Vgl. U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 202. 1930

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

Übung“. Hierfür wurde früher immer eine lang andauernde, einheitliche Praxis und eine dementsprechend zum Ausdruck gebrachte Rechtsüberzeugung vorausgesetzt.1939 Dieses zeitliche Element ist inzwischen relativiert worden, was sich am deutlichsten in der Idee des instant customary law1940 zeigt, wonach Gewohnheitsrecht auch spontan entstehen kann. Im Völkerrecht der Kooperation und der Globalisierung bildet sich auf Konferenzen und in anderen Foren, an denen häufig auch Nichtregierungsorganisationen teilnehmen, das Rechtsbewußtsein der Staaten schneller. Auch eine nur von einzelnen Staaten geübte Praxis kann in relativ kurzer Zeit in Gewohnheitsrecht umschlagen.1941 Ein Beispiel sind die in Art. 55 ff. SRÜ geregelten ausschließlichen Wirtschaftszonen (Exclusive Economic Zones), die auf der Seerechtskonferenz schon vor Inkrafttreten der Seerechtskonvention erklärt und gewohnheitsrechtlich akzeptiert waren.1942 Auch für den in der gemeinsamen Rechtsüberzeugung und übereinstimmenden Übung zum Ausdruck kommenden Konsens kann sich eine Mehrheitsregel etablieren, wenn sich diesbezüglich eine Gewohnheit und eine gemeinsame Rechtsüberzeugung bilden (3. Teil, S. 431 f.). Einstimmigkeit oder Nichtwiderspruch wird nicht mehr als Voraussetzung einer allgemeinen Rechtsüberzeugung angesehen.1943 Vielmehr soll eine Mehrheit repräsentativer Staaten aus allen Weltregionen genügen1944. Jedoch setzt die Bildung von Gewohnheitsrecht nach der persistent objector-Regel“ voraus, daß sich kein Staat der Entstehung von Gewohnheitsrecht kontinuierlich widersetzt hat.1945 In neuerer Zeit wird vom Prinzip des Staatenkonsenses auch insoweit abgewichen, als die gemeinsame Rechtsüberzeugung und Übung nicht mehr allein vom Willen und der Praxis der Staaten abgeleitet werden, sondern aus (auch unverbindlichen) Beschlüssen vielfältiger internationaler Organe, wie der Generalversammlung, dem UN-Sicherheitsrat, regionalen Organisationen, Konferenzen und Internationalen Organisationen.1946 Das Gewohnheitsrecht wird danach nicht mehr induktiv, sondern interpretativ hergeleitet.1947 Ausgegangen wird 1939 Dazu Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 1989, S. 34 ff.; ICJ Rep. 1969, 3, para. 74, 77. 1940 B. Cheng, ,Instant‘ International customary Law?, Indian Journal of International Law 5 (1965), 23 ff.; Ch. Tietje, Recht ohne Rechtsquellen, Zeitschrift für Rechtssoziologie, 24 (2003), S. 33 f. 1941 J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, S. 803. 1942 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 704 ff., §§ 1100 ff., 1111. 1943 Vgl. U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 203. 1944 Ch. Tomuschat, Obligations Arising for States Without or Against Their Will, 241 RdC (1993 IV), S. 195 ff., 270. 1945 W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 191, Rn. 26; vgl. zur Kritik an der „Persistent-objector“-Regel J. Delbrück, Erga omnes Normes in International Law, S. 30; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 198.

E. Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht

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nicht mehr vom erklärten oder zum Ausdruck gebrachten Staatswillen, sondern vom Wort, d. h. von Erklärungen, Vertragstexten, Konventionen und deren Entwürfen, deren tatsächliche Umsetzung dann in der Staatenpraxis gesucht wird.1948 Hat sich der Internationale Gerichtshof in seiner früheren Rechtsprechung zur Feststellung von Völkergewohnheitsrecht noch bemüht herauszufinden, ob tatsächlich eine Staatenpraxis empirisch belegbar ist1949, kam es dem Gerichtshof 1986 im Nicaragua-Fall für die Frage, ob das Gewaltverbot und das humanitäre Völkerrecht gewohnheitsrechtlich anerkannt sind, nicht mehr auf eine tatsächliche Staatenpraxis an. Vielmehr stützte er sich in erster Linie auf Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Begründung von verbindlichem Gewohnheitsrecht im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. b IGHStatut.1950 Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen haben zwar nur den Status von „Empfehlungen“ (vgl. Art. 10–14 und 18 Abs. 2 UNCharta) und sind somit für die Mitgliedstaaten nicht strikt rechtlich verbindlich.1951 Ihr Inhalt kann sich jedoch zu Gewohnheitsrecht verdichten. Jedenfalls beeinflussen sie die Meinungsbildung für künftige internationale Verträge und bringen eine gemeinsame Überzeugung zum Ausdruck. Auch Ergebnisse, die

1946 Dazu J. Charney, Universal International Law, AJIL 87 (1993), S. 529 (543 ff.); vgl. auch IGH, Nicaragua, ICJ Rep. 1986, 14 (97 ff.); IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, 66, para. 70: „The Court notes that General Assembly resolutions, even if they are not binding, may sometimes have normative value. They can, in certain circumstances, provide evidence important for establishing the existence of a rule or emergence of an opinion juris.“; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 202 f.; Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 244; ders., Recht ohne Rechtsquellen, Zeitschrift für Rechtssoziologie, 24 (2003), S. 34. 1947 B. Simma, International Human Rights, 1993, Academy of European Law, Vol. IV, Book Nr. 2, p. 217. 1948 IGH im Fall Nicaragua/USA (Case concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, Judgement) ICJ Rep. 1986, para. 186: „The Court does not consider that, for a rule to be established as customary, the corresponding practice must be in absolutely rigorous conformity with the rule. In order to deduce the existence of customary rules, The Court deems it sufficient that the conduct of States should, in general, be consistent with such rules, and that instances of State conduct inconsistent with a given rule should generally have been treated as breaches of that rule, not as indications of the recognition of a new rule. If a state acts in a way prima facie incompatible with a recognized rule, but defends its conduct by appealing to exceptions or justifications contained within the rule itself, . . . the significance of that attitude is to confirm rather than to weaken the rule.“ 1949 IGH, North-Sea-Continental-Shelf-Fall, ICJ Rep. 1969, 3, para. 32–36 und 38– 45. 1950 Case concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Rep. 1986, 14 (97–109); siehe auch Continental Shelf, ICJ Rep. 1982, 18 (66 f.); Land, Island and Maritime Frontier Dispute, ICJ Rep. 1992, 351 (588 f.); Maritime Delimination in the Area between Greenland and Jan Mayen, ICJ Rep. 1993, 28 (59, 62, 64, 66, 73 f.); vgl. Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 243. 1951 V. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, S. 420 f.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

auf universellen Diskussionsforen unter Beteiligung nicht-staatlicher Akteure im Wege von Diskurs und anschließendem Konsens z. B. zu den Themata der Menschenrechte oder des Klimaschutzes erzielt worden sind, können wesentlich zur Bildung von Gewohnheitsrecht in relativ kurzer Zeit beitragen.1952 Angesichts der größer werdenden Bedeutung nicht-staatlicher Wirkungseinheiten im internationalen System ist es unabweisbar, auch die Praxis und Rechtsüberzeugung nicht-staatlicher Akteure, die als globale Akteure mit partieller Völkerrechtssubjektivität in Erscheinung treten (Nichtregierungsorganisationen, transnationale Unternehmen), bei der Bewertung entsprechender Vorgänge als gewohnheitsrechtlich erheblich einzubeziehen.1953 Voraussetzung ist allerdings, daß der auf dieser Grundlage angenommene Konsens über eine Rechtsnorm in irgendeiner Form manifestiert worden ist.1954 In der Praxis ist die Einbeziehung nichtsstaatlicher Subjekte in die Rechtssetzung bereits partiell Wirklichkeit geworden: Die Berufungskammer des Jugoslawien-Tribunals hat zur Ermittlung einer Übung nicht mehr ausschließlich auf staatliche Stellungnahmen Bezug genommen, sondern auch auf das Verhalten nicht-staatlicher Akteure.1955 Ähnlich hat sich die belgische ad hoc-Richterin van den Wyngaert in ihrer dissenting opinion im Arrest Warrant-Fall dafür ausgesprochen, die Positionen von Menschenrechtsorganisationen für die Feststellung von Gewohnheitsrecht zu berücksichtigen.1956 Als Paradigmenwechsel ist ihre dissenting opinion bemerkenswert.1957 Aufgrund dieser Prämissen könnten auch Verhaltensrichtlinien für Unternehmen, wie z. B. die Richtlinien der ILO1958, der OECD1959 und die Entwürfe des UN-Wirtschafts- und Sozialrats1960, welche Menschheitsrecht erkennen, aber in der Praxis nur als soft law qualifiziert werden, zu verbindlichem Gewohnheitsrecht erstarken.1961 Wenn für die Allgemeinheit der Rechtsüberzeugung und Übung nicht mehr nur die Staaten als Rechtssubjekte maßgebend sein sollen, sondern auch Inter1952

O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 181. S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 267. 1954 F. Orrego-Vicuña, Law Making in a Global Society, in: Fs. G. Ress, 2005, S. 191 (194 f.). 1955 ICTY, Appeal Chamber, The Prosecutor vs. Tadic, in: ILM 35 (1996), 42 ff. oder in: HRLQ 1995, 459, 460, Ziff. 107. 1956 Dissenting opinion, IGH vom 14.2.2002, Case Concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), para. 27 f. 1957 Vgl. auch A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 751. 1958 Tripartite Declaration of Principles Concerning Multinational Enterprises and Social Policy, ILM 17 (1978), S. 422. 1959 OECD-Guidelines for Multinational Enterprises, ILM 40 (2000), S. 237. 1960 Entwürfe: ILM 23 (1984), S. 626; ICSID Review 4 (1989), S. 135. 1961 M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 65 ff., Rn. 43 ff. 1953

E. Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht

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nationale Organisationen und eventuell sogar Nichtregierungsorganisationen, multinationale Unternehmen und die Individuen selbst eine Rolle spielen1962, verliert das Gewohnheitsrecht seinen typischen völkerrechtlichen (zwischenstaatlichen) Charakter. Es beruht nämlich nicht mehr nur auf dem einvernehmlichen Willen der Staaten, sondern vielmehr auch auf der gemeinsamen Rechtsüberzeugung und der Praxis der Teilnehmer des globalen Rechtsdiskurses. Gewohnheitsrecht ist somit eine Quelle funktionaler Weltrechtsetzung (Weltgewohnheitsrecht). Demokratierechtliche Grenzen ergeben sich allerdings aus dem Prinzip der Selbstbestimmung (vgl. dazu 5. Teil, C, IV). 3. Allgemeine (Welt-)Rechtsgrundsätze Die „von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze“ als Rechtsquelle (vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut)1963 sind genereller als gewohnheitsrechtliche Regeln. Es handelt sich um allgemeine, völkerrechtstaugliche Prinzipien, wie bona fides oder die Rechtskraft, die im jeweiligen nationalen Recht verschiedener Rechtskulturen verankert sind. Ihre weltweite Kohärenz läßt auf die Existenz eines universell gültigen Rechtsprinzips schließen.1964 Jedenfalls muß der jeweilige Grundsatz von den hauptsächlichen Rechtssystemen der Welt anerkannt sein.1965 Wesentliche Methode zur Erkennung allgemeiner Rechtsgrundsätze ist die Rechtsvergleichung.1966 Fraglich ist, ob der Begriff „Kulturvölker“ („nations civilisées/„civilized nations“) heute noch eine Bedeutung dafür hat, welche Rechtskulturen für diesen Konsens maßgeblich sind. Mit Hinweis auf die völkerrechtliche Staatengleichheit1967 und die Universalität der Völkerrechtsgemeinschaft wird dies abgelehnt.1968 Unter Verweis auf Art. 4 1962 Vgl. dazu O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 178; S. Hobe, Die Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 253 (261 ff.); U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 202 ff. 1963 Dazu R. A. Billib, Die allgemeinen Rechtsgrundsätze gemäß Artikel 38 I c des Statuts des IGH, 1992. 1964 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 383 f., §§ 601 f.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 185. 1965 A. Verdross, Völkerrecht, S. 149. 1966 W. Lorenz, Rechtsvergleichung als Methode zur Konkretisierung der allgemeinen Grundsätze des Rechts, JZ 1962, 269 ff.; vgl. auch P. Häberle, Grundrechtsgeltung und Grundrechtsinterpretation, JZ 1989, 913 ff. 1967 So auch W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 90, Rn. 144. 1968 A. Verdross, Völkerrecht, S. 149; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Allgemeine Völkerrecht, S. 184; W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 90, Rn. 144; eingehend mit Bezug auf die geschichtliche Entwicklung M. Kosenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, 2002, S. 11 ff. Die überkommene Unterscheidung zwischen „zivilisierten“ und „unzivilisierten“ Völkern scheint aber noch nicht wirklich überwunden, nachdem der Terroranschlag auf die USA am 11.9.2001 als Angriff auf die „gesamte zivilisierte Welt“ bezeichnet worden ist. Allerdings kann wegen der Gleichheit der Staaten kein Staat einseitig den Maßstab der „Zivilisiertheit“ festsetzen.

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3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

UN-Charta werden zu den „Kulturvölkern“ jedenfalls alle Mitglieder der Vereinten Nationen gezählt.1969 Vorauszusetzen ist allerdings für die Erkennung von Grundsätzen des Rechts, daß ein Volk überhaupt eine „Rechtskultur“ hat. Die Grundsätze einer vollständigen Unrechtsordnung1970, welche die Menschenwürde negiert, können nicht als Maßstab des Weltrechts herangezogen werden, jedenfalls nicht nach dem hier vertretenen Rechtsbegriff.1971 Anders als für Gewohnheitsrecht muß für allgemeine Rechtsgrundsätze keine internationale Staatenpraxis nachgewiesen werden.1972 Sie kann aber als Beweismittel dienen.1973 Allgemeine Rechtsgrundsätze brauchen in den internationalen Beziehungen kein einziges Mal angewandt worden zu sein. Mit zunehmender Kodifizierung nimmt die praktische Bedeutung dieser Rechtsquelle im Völkerrecht ab.1974 Für eine Weltrechtsdogmatik kommt den allgemeinen Rechtsgrundsätzen aber besondere Bedeutung zu, weil sie anders als typische völkerrechtliche Verträge universell gelten. Auch sie sind als allgemeine Weltrechtsgrundsätze ein Teil der materiellen Verfassung der Weltgemeinschaft. Entgegen der herkömmlichen völkerrechtlichen Auslegung, die nur die Anerkennung in foro domestico zugrundelegt, nimmt eine fortschrittlichere Ansicht an, daß der Ausdruck allgemeiner Anerkennung eines Rechtsgrundsatzes nicht nur auf die innerstaatliche Ordnung beschränkt sei.1975 Vielmehr sollen sich allgemeine Rechtsgrundsätze unmittelbar aus den internationalen Beziehungen ergeben1976, insbesondere den Resolutionen von Internationalen Organisationen oder weltweiten Staatenkonferenzen entnehmen lassen. Entscheidend sei der zwischenstaatliche Konsens.1977 Jedenfalls wenn die Staaten in den internationalen Beschlüssen zugleich ausdrücklich den Inhalt von Normen als rechtsverbindlich anerkennen1978, kann im Widerspruch dazu nicht eingewandt werden, daß (unverbindliche) Resolutionen, Deklarationen und u. ä., die sich darauf beziehen, keinen Rechtsquellencharakter haben (sollen) und deshalb daraus der Konsens der Völker nicht geschlossen werden könne.1979 Im Völkerrecht herrscht große Unsicherheit über den Inhalt der Liste der allgemeinen Rechtsgrundsätze. Bedeutsam ist unter anderem, ob und inwieweit die 1969

A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 384, § 602. Diesen Begriff weit auslegend K. A. Schachtschneider, Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 29 ff. 1971 Zum Rechtsbegriff 3. Teil, B. 1972 A. Verdross, Völkerrecht, S. 147; W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 91, Rn. 146. 1973 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 412, § 639. 1974 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 184. 1975 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 386, § 606. 1976 H. Mosler, Völkerrecht als Rechtsordnung, ZaöRV 36 (1976), S. 6 (44). 1977 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 411, § 639. 1978 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 606, 639. 1979 I. d. S. W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 191, Rn. 147. 1970

E. Prinzipien und Weltrechtsetzung aus dem Völkerrecht

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Menschenrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zählen (dazu 4. Teil, A, S. 472 f.). Im Recht der Europäischen Union ist dies bereits anerkannt (vgl. Art. 6 Abs. 2 EUV).1980 4. Konsens der Weltgemeinschaft Der Verzicht auf die Staatenpraxis im Gewohnheitsrecht und die Erweiterung der Ausdrucksform allgemeiner Rechtsgrundsätze lassen die ursprünglichen Konturen dieser völkerrechtlichen Rechtsquellen verschwimmen und kristallisieren den Konsens der Weltgemeinschaft, der sowohl die Staaten als auch die Zivilgemeinschaft umfaßt, als Rechtsquelle für das Weltrecht heraus.1981 Bereits Alfred Verdross und Bruno Simma sowie in neuerer Zeit Theodor Schilling haben auf den Konsens als ursprüngliche Rechtsquelle des Völkerrechts hingewiesen. Sie setzten voraus, daß die Rechtsschöpfungsverfahren nicht in Art. 38 IGH-Statut abschließend formalisiert sind.1982 Der Schwerpunkt des Konsensrechts liegt auf der opinio iuris, die auch in (unverbindlichen) Akten Internationaler Organisationen geäußert werden kann (z. B. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte). Für dessen Geltung bedarf es keiner Staatenpraxis. Der Sprechakt genügt als manifestierte Handlung und Verbalpraxis.1983 Jedenfalls für ius cogens ist dies anerkannt. Nach Art. 53 S. 2 WVK ist ius cogens eine Norm des Völkerrechts, welche die „internationale Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt“ hat.1984 Eine weltrechtliche Einbeziehung der Praxis von nicht-staatlichen, globalen Rechtssubjekten (z. B. Nichtregierungsorganisationen, multinationalen Unternehmen) ist mit Rücksicht auf deren fehlende demokratische Legitimation1985 und der Gefahr einseitigen Lobbyings jedoch nur begrenzt möglich und nur soweit globale, allgemein zugängliche Diskursverfahren geschaffen werden, welche auf dem Konsens der Staaten beruhen.1986

1980 Grundlegend EuGH, Rs 4/73 Nold/Kommission, Slg. 1974, 491 (507, Rn. 13); Rs 44/79 Hauer/Land Rheinland-Pfalz, Slg. 1979, 3727 (3746, Rn. 20); vgl. auch A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 328 ff. 1981 Vgl. F. Orrego-Vicuña, Law Making in a Global Society, S. 191 ff.; Th. Schilling, Völkerkonsensrecht, in: Fs. G. Ress, 2005, S. 235 ff. 1982 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 324 ff., § 519 f., S. 411 f., § 639; Th. Schilling, Völkerkonsensrecht, S. 235 ff.; a. A. aber I. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 1997, Rn. 173; hiergegen: W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 93, Rn. 149. 1983 J. L. Austin, How to Do Things with Words, 1962; deutsch Zur Theorie der Sprechakte, 1972. 1984 Th. Schilling, Völkerkonsensrecht, S. 241 ff. 1985 Dazu auch unter 5. Teil, C. 1986 Vgl. F. Orrego-Vicuña, Law Making in a Global Society, S. 194; s. a. 5. Teil, C, S. 674 ff.

458

3. Teil: Grundlagen, Typik und Dogmatik des Weltrechts

5. Ergebnis Der Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht zeigt sich für die Rechtsetzung funktional in der Schließung von Weltverträgen, in der Entstehung von Weltgewohnheitsrecht, allgemeinen Weltrechtsgrundsätzen und von sonstigem Konsensrecht. Die Schaffung einer (weltstaatlichen) Weltlegislative ist nicht zwingend notwendig.

4. Teil

Weltrecht als Menschheitsrecht – zur Menschheitsverfassung Die Materie des Weltrechts als geborenes Menschheitsrecht bezieht sich zum einen auf die Existenz universeller Menschenrechte (A), zum anderen auf ein Weltbürgerrecht (B).

A. Menschenrechte I. Begriff universeller Menschenrechte Die Frage der Universalität der Menschenrechte stellt sich in mehrfacher Hinsicht: Empirisch ist sie Folge der globalen Vernetzung der Lebensverhältnisse und damit der Menschen. Normativ bezieht sie sich auf die Geltung universeller Menschenrechte, die bedeutet, daß jeder Mensch ohne Unterscheidung nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer und sonstiger Überzeugung, nationaler und sozialer Herkunft, nach Eigentum, Geburt und anderen Umständen die Einhaltung der Menschenrechte verlangen kann und jede Gemeinschaft verpflichtet ist, die Menschenrechte zu beachten.1 Dabei geht es um die Universalität der Berechtigten und der Verpflichteten.2 Menschenrechte sind erga omnes-Rechte aller gegen alle.3 Von dem der Grundrechte unterscheidet sich der Begriff der Menschenrechte dadurch, daß mit „Grundrechten“ üblicherweise die in staatlichen Verfassungsgesetzen verankerten Menschen- und Bürgerrechte bezeichnet sind, welche die Staatsorgane binden.4 Bürgerrechte sind relativ und ausschließlich den Staats1 A. Haratsch, Ideal für alle Völker, MRM, Dezember 1997, S. 23 (27); J. Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, HStR, Bd. V, 1992, § 115, S. 353 (371 ff., Rn. 34 ff.); J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Pratice, 2003, S. 7 ff. 2 R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1999, S. 244 (247 ff.). 3 Vgl. R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, S. 248. 4 S. König, Begründung der Menschenrechte, 1994, S. 33 ff.; U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, S. 62 f.; O. Höffe, Transzendentaler Tausch, in: S. Gose-

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

bürgern vorbehalten (z. B. Wahlrecht).5 Menschenrechte sind hingegen Rechte eines jeden Menschen nicht als Staatsbürger, sondern gerade als Mensch.6 Sie stehen ihm ohne einen Erwerbstitel zu.7 Den Menschenrechten liegt der universelle Anspruch, den alle gegen alle haben, auf gleiche Achtung als vernünftiges Wesen zugrunde.8 Sie verlangen Geltung unabhängig von der (Rechts-)Kultur, in die der Mensch hineingeboren wird.9 Sie sind also universelle10 Rechte und daher ihrem Anspruch nach ursprüngliches („geborenes“) Weltrecht11. Rechtstitel einer menschenrechtlichen Garantie ist der Status als Mensch und Person, die zu schützen ist. Sie gelten für alle in gleicher Weise, sind also egalitär und können als kategorische Rechte keinem Menschen abgesprochen werden.12 Von dieser Auffassung waren namentlich die klassischen Erklärungen der Menschenrechte am Ende des 18. Jahrhunderts geleitet.13 Die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die sich an die Menschheit (mankind) richtet, hält die Menschenrechte, zu denen vor allem Leben, Freiheit und Streben nach Glück gehören, sowie daß alle Menschen gleich geschaffen und von ihrem Schöpfer mit angeborenen Rechten ausgestattet sind, für „self evident“.14 Auch die französische Déclaration des droits de l’homme et du citoyen vom 26. Aupath/G. Lohmann, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 31; B. Bujo, Welches Weltethos begründet die Menschenrechte?, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 36 (41 f.). 5 Dazu allgemein A. Siehr, Die Deutschenrechte des Grundgesetzes, 1. Teil, 2001. 6 M. Kriele, Zur Universalität der Menschenrechte (1991), ARSP, Beiheft 51 (1993), S. 47 (47); W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, in: Ch. Chwaszcza/ W. Kersting (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 153 (170); S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 14 f.; U. Gerhard, Anerkennung der Menschenwürde und kulturelle Differenz, in: H. Hoffmann/D. Kramer (Hrsg.), Anderssein, ein Menschenrecht, 1995, S. 47; H. Hofmann, Die Entdeckung der Menschenrechte, 1999, S. 5; S. Gosepath, Zu Begründungen sozialer Menschenrechte, in: ders./G. Lohmann, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 146 (148). 7 R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, S. 248. 8 Vgl. S. Gosepath, Zu Begründungen sozialer Menschenrechte, S. 151. 9 T. Veit, Das Recht auf Erde, 1994, S. 16; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 180, 183; K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/ 1999, S. 59; O. Höffe, Transzendentaler Tausch, in: S. Gosepath/G. Lohmann, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 29 ff.; J. Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, HStR, Bd. V, 1992, § 115, S. 371 ff., Rn. 34 ff. 10 G. Lohmann, Menschenrechte zwischen Moral und Recht, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 62 (63); U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 62. 11 Vgl. a. H.-J. Blanke, Menschenrechte als völkerrechtliche Interventionstitel, AVR 36 (1998), S. 257; E. Denninger, Menschenrechte, ZRP 200, 192 (195). 12 G. Lohmann, Menschenrechte zwischen Moral und Recht, S. 63. 13 H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, Der Staat 34 (1995), S. 1 (13 ff., 17 ff.); K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, in: ders./M. Edinger/O. Lembcke, 1997, S. 57 (57).

A. Menschenrechte

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gust 1789 geht für die in ihr festgestellten Rechte von universellen Wahrheiten aus.15 Ihr Art. 1 Satz 1 lautet: „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es.“ Art. 2 der Déclaration legt fest: „Der Zweck jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechte. Diese Rechte sind die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit und der Widerstand gegen Unterdrückung.“ Nach Art. 16 hat „eine Gesellschaft, in der weder die Gewährleistung der Rechte gesichert noch die Gewaltenteilung festgelegt ist, . . . keine Verfassung.“ Art. 1 AEMR proklamiert die Errungenschaft und den „Wahlspruch der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ und seither jeder Republik16, obwohl die Universalität der Menschenrechte durchaus von einigen bestritten wird17. Ausweislich ihrer Präambel und Art. 1 ist die Allgemeine Menschenrechtserklärung ein gemeinsames Ideal für alle Völker und Nationen.18 Nach Art. 2 AEMR hat jeder Mensch „Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten“. Mit den internationalen Menschenrechtserklärungen und Pakten wurde ein allgemeines „Weltinteresse“ definiert, welches die Wandlung des Völkerrechts über ein Koordinationsrecht zum Weltrecht eingeleitet hat.19 „Am Ende dieses Prozesses“, meint Norberto Bobbio, „werden die Bürgerrechte tatsächlich im positiven Sinn zu Menschenrechten geworden sein. Zumindest werden die Rechte des Bürgers eines bestimmten Staates keine Grenzen mehr haben, weil sie für die ganze Menschheit gelten. Mit anderen Worten es werden Menschenrechte im Sinne von Rechten eines Weltbürgers sein.“20 Die Wiener Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen im Juni 1993 hat das Leitprinzip der 14 Virginia Bill of Rights von 1776, abgedruckt in: W. Heidelmeyer (Hrsg.): Menschenrechte, 1982. 15 K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, in: Fs. H. F. Zacher, 1998, S. 1065. 16 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 9. 17 J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, 50 JZ 1995, 421 (426); K. M. MeyerAbich, Ganzheit der Welt ist besser als Einheit, in: W. Lütterfelds/Th. Mohrs, Eine Welt – Eine Moral?, 1997, S. 203 (211 ff.); vgl. auch W. Lütterfelds, Sind Universalität und Kontingenz der Moral miteinander verträglich?, in: W. Lütterfelds/Th. Mohrs, Eine Welt – Eine Moral?, S. 177 ff.; P. Horst, Lehrmeister Kosovo-Krieg – „Weltinnenpolitik“ als imperialer Größenwahn, in: Die Neue Gesellschaft, Frankfurter Hefte, 27 (2000), S. 280 (282); vgl. auch P. Koller, Der Geltungsbereich der Menschenrechte, in: S. Gosepath/G. Lohmann, 1998, S. 96 (112), der die universelle Geltung der Menschenrechte auf die Unterlassungspflichten beschränken will, was der Unteilbarkeit der Menschenrechte widerspricht. Ähnlich H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, Der Staat 34 (1995), S. 16; dazu auch Ch. Tomuschat, Is Universality of Human Rights Standards an Outdated and Utopian Concept?, in: Gs Ch. Sasse, 1981, S. 585 ff.; L. Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, 1987, S. 107 ff. 18 Vgl. dazu J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Practice, S. 23 ff. 19 Vgl. W. Bausback, 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, BayVBl. 1999, 705 (708). 20 N. Bobbio, Zeitalter der Menschenrechte, 1998, S. 13.

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

Universalität der Menschenrechte bestätigt.21 An der Spitze der Erklärung steht die Bekräftigung des „feierlichen Bekenntnisses aller Staaten zur Erfüllung ihrer Verpflichtung zur Förderung der allseitigen Achtung, Einhaltung und Wahrung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen, den anderen auf die Menschenrechte bezüglichen Instrumenten und dem Völkerrecht“.22 Der „universelle Charakter“ dieser Rechte wird als „außer Frage“ stehend betont.23 Das Betreiben einiger Mitgliedstaaten, den Grundsatz der Einheit der Menschenrechte in der Vielfalt der Welt24 zurückzudrängen25, konnte abgewehrt werden.26 „Pflicht“ aller Staaten ist es, „ohne Rücksicht auf ihr jeweiliges politisches, wirtschaftliches und kulturelles System alle Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen“.27 Auch Art. 1 des deutschen Grundgesetzes erkennt deshalb den universellen Charakter der Menschenrechte an.28 Eine der zentralen Rechtsfragen des neuen Jahrtausends bleibt, ob die Menschenrechte universal oder relativistisch zu begründen sind und ob die Verwirklichung der Menschenrechte nur durch die Einzelstaaten29 oder auch durch eine Weltordnung zu erfolgen hat.30 II. Begründungsmöglichkeiten der Geltung der Menschenrechte Teilweise werden die Menschenrechte als subjektive Rechte, die unabhängig von ihrer Positivierung gelten und Maßstab für die staatliche Gesetzgebung sind, in ihrer Materie auch noch heute als naturrechtlich, also vorstaatlich vorgegebene, angeborene Rechte aufgefaßt.31 Von anderen wiederum wird die Vor21 Vgl. Wiener Erklärung und Aktionsprogramm v. 25. Juni 1993, Ziff. 1, EuGRZ 1993, S. 520 (521). 22 EuGRZ 1993, 520, Nr. I, 1. 23 EuGRZ 1993, 520, Nr. I, 1. 24 Vgl. dazu Diskussionsbeiträge in: Bulletin of Human Rights (Special issue: Human Rights day), 1985, S. 23 ff. 25 Vgl. Ibrahima Fall, Streitpunkt Universalität, in: UNESCO-Kurier 35 (1994), S. 4 ff.; Chinesische Regierung, Human Rights in China, White Paper, Information Office of the State Council, 1991, Fn. 11. 26 H.-J. Blanke, Menschenrechte als Interventionstitel, AVR 36 (1998), S. 258. 27 EuGRZ 1993, 520, Nr. I, 5. 28 Dazu Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 374 (AB 86); K. A. Schachtschneider, Sozialistische Schulden nach der Revolution, 1996, S. 20, 34 ff.; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 2, Rn. 73 (1971); H. D. Jarass, GG, Art. 1 Abs. 2, Rn. 15 f.; vgl. auch BVerfGE 1, 14 (61): 5, 83 (131 f.). 29 Dafür P. Horst, Lehrmeister Kosovo-Krieg, Die Neue Gesellschaft, Nr. 27, 2000, 282. 30 Vgl. a. S. König, Begründung der Menschenrechte, 1994, S. 52; K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 57 ff.

A. Menschenrechte

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stellung inhaltlich bestimmter Rechte, die der staatlichen Verfassung a priori vorausliegen, kritisiert.32 Um eine von der Weltgemeinschaft akzeptierte Begründung der Menschenrechte zu finden, kann auf internationale Dokumente und Konferenzen Bezug genommen werden. Die Wiener Erklärung zur Weltmenschenrechtskonferenz verweist zur Begründung der universellen Geltung der Menschenrechte zum einen auf die Texte der Charta der Vereinten Nationen, der Allgemeinen Menschenrechtserklärung und der beiden internationalen Pakte von 1966 sowie auf weitere spezielle völkerrechtliche Konventionen. Sie bezieht sich aber auch auf die Würde des Menschen als „Geburtsrecht aller Menschen“33 und damit auf eine ethische Geltungsbegründung. 1. Positive Grundlagen der Menschenrechte a) Fehlen eines Menschheitsverfassungsgesetzes Als Weltrecht könnten die Menschenrechte in einem Gesetz der Menschheitsverfassung verankert werden. Bisher gibt es ein solches Menschheitsverfassungsgesetz mangels Menschheitsstaat nicht.34 b) Rechtsgrundlagen im Völkerrecht Verträge eignen sich nur dann als ausschließliche weltrechtliche Geltungsbegründung von universellen Menschenrechten, wenn sie Weltverträge sind, d. h. wenn sie von allen oder zumindest den meisten Staaten ratifiziert worden sind, wenn die Einhaltung der Menschenrechte für die Staaten verbindlich ist, die Menschenrechte Vorrang vor der nationalen Gesetzgebung genießen und die Individuen ein subjektives Recht auf Durchsetzung ihrer Menschenrechte haben35. Die völkerrechtliche Verbindlichkeit der Menschenrechte könnte sich außerdem aus dem Gewohnheitsrecht oder den Allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben. In jedem Fall ist ein erklärter oder konkludenter Konsens der Völker über die betreffenden Menschenrechte erforderlich. Grundsätzlich unmittelbar geltende und einklagbare subjektive Rechte, die alle staatliche Gewalt mit Verfassungsrang binden, wie dies das deutsche 31 A. Baruzzi, Einführung in die politische Philosophie der Neuzeit, 1983, S. 137; O. Höffe, Transzendentale Interessen, in: W. Kerber (Hrsg.), Menschenrechte und kulturelle Identität, 1991, S. 15 (16 f.); a. A. K. Doehring, Völkerrecht, 1999, S. 13, Rn. 21. 32 Kritisch S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 42 ff. 33 Wiener Erklärung und Aktionsprogramm vom 25. Juni 1993, abgedruckt in: EuGRZ 1993, 520, Präambel Nr. 2 und Nr. I, 1. 34 Zu den Modellen eines Menschheitsstaates siehe im 5. Teil. 35 Siehe 3. Teil, E, S. 449 ff.

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

Grundgesetz in Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 4, 93 GG anordnet36, sind im Völkerrecht nicht anzutreffen. Die völkerrechtlichen Deklarationen und Pakte haben unterschiedliche Bindungsgrade37: Menschenrechtsprogramme mit allgemeiner und solcher mit bestimmter Zielsetzung, Menschenrechtsverträge mit Verbindlichkeit für die Vertragsstaaten, Völkergewohnheitsrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze und sonstiges Konsensrecht mit universeller Verbindlichkeit. aa) Menschenrechtsprogramm Ein Menschenrechtsprogramm enthält nur die Leitidee des Menschenrechtsschutzes, aber keine materielle Regelung desselben. Es entfaltet als solches nur eine generelle Verpflichtung der Staaten auf die universelle Menschenrechtsidee. Beispiel hierfür ist die Zielbestimmung des Art. 1 UN-Charta unter der Nr. 3, gerichtet auf „die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten“. Aus Art. 55 UN-Charta ergibt sich nur eine Obliegenheit der Mitgliedstaaten, in der Menschenrechtsfrage im Rahmen der Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten, aber noch keine Verpflichtung, alle Menschenrechte innerstaatlich umzusetzen.38 Zumindest materiell weiter entwickelt ist die Regelung der Menschenrechte, wenn das Programm, namentlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember1948, einzelne Menschenrechte auflistet. Die als Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen erlassene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte enthält einen Katalog grundlegender bürgerlicher Rechte wie das Recht auf Leben, die Freiheit von Sklaverei und Folter, den Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz, den Anspruch auf Rechtsschutz und auf ein ordentliches Verfahren, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, aber auch wirtschaftliche und soziale Rechte wie das Recht auf Eigentum, das Recht auf Arbeit, das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Nach Art. 29 Nr. 2 ist jeder Mensch „in Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zwecke vorsieht, die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten der anderen zu gewährleisten und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen.“

Die Allgemeine Menschenrechtserklärung versteht sich selbst als „ein von allen Völkern und Nationen anzustrebendes gemeinsames Ideal“, dessen Durch36 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 3, Rn. 93 f.; H.-D. Jarass, GG, Art. 1, Rn. 18. 37 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 159 ff. 38 Dazu K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch kollektive Zwangsmaßnahmen der Staatengemeinschaft, 2000, 247 ff.; vgl. auch O. Kimminich/ S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 2000, S. 341.

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setzung sie postuliert. In der Präambel der Erklärung heißt es, es sei „unabdingbar, daß die Menschenrechte durch juristische Normen geschützt werden, wenn man vermeiden will, daß der Mensch letzten Endes zur Rebellion gegen die Tyrannei und Unterdrückung gezwungen wird.“ bb) Allgemeine Menschenrechtserklärung Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat als Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen39 nur Empfehlungscharakter40, mit dem unmittelbar kein völkerrechtlicher Befolgungszwang verbunden ist.41 Als solche ist sie keine Rechtsquelle i. S. d. Art. 38 IGH-Statut. Einige Autoren sehen die Erklärung dennoch als verbindlich, ja sogar als ius cogens an.42 Zum Beispiel wird versucht, der Menschenrechtserklärung durch authentische Interpretation der Satzung der Vereinten Nationen Völkerrechtsverbindlichkeit zu verschaffen.43 Der Katalog der Rechte der Allgemeinen Menschenrechtserklärung soll den nicht näher ausgeführten Begriff der Menschenrechte in den Artikeln 1 Abs. 3, 55 und 56 UN-Charta verbindlich auslegen. Daraus wird die Verpflichtung der UN-Mitgliedstaaten hergeleitet, die in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung enthaltenen Rechte zu beachten.44 Dieser Ansatz ist problematisch, weil die genannten Vorschriften, die ausgelegt 39

Resolution 217 v. 10.12.1948. Die Satzung der Vereinten Nationen überträgt der Generalversammlung außerhalb der organisationsinternen Zuständigkeiten nur Befassungs- und Empfehlungskompetenzen. Dies gilt nach Art. 13 Abs. 1 lit. b der Satzung der Vereinten Nationen ausdrücklich auch für den Bereich der Menschenrechte und Grundfreiheiten. 41 K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.) Völkerrecht, 1999, S. 683, Rn. 36; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, § 1234, §§ 634 ff.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 242, Rn. 205; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 1997, S. 340; I. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 1997, Rn. 1585; A. Haratsch, Ideal für alle Völker, MRM Dezember 1997, S. 29. 42 S. Davidson, Human Rights, 1993, S. 66; vgl. K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 242; C. Kissling, Menschenrechtlicher Mindeststandard, HFR 12-2001, S. 7 ff. Auch der deutsche Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. 1990 II, S. 889) geht offensichtlich von der Verbindlichkeit der Allgemeinen Menschenrechtserklärung aus. In Kap. IX Sachgebiet A, Abschnitt III. Nr. 1 Abs. 5 Nr. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag ist eine außerordentliche Kündigung eines öffentlich Beschäftigten u. a. dann möglich, wenn er die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 enthaltenen Grundsätze verletzt hat. Allein wegen Mißachtung einer Empfehlung wäre eine solche Sanktion nicht zu rechtfertigen. W. Däubler, Sozialstandards im internationalen Wirtschaftsrecht, in: Fs. R. Trinkner, 1995, S. 475 (488). 43 L. B. Sohn, The New International Law, American University Law Review, 32 (1982), S. 16 f.; P. Sieghart, The International Law of Human Rights, 1983, S. 53 f. 44 Th. Buergenthal, International Human Rights, 1995, S. 35; L. B. Sohn, The New International Law, American University Law Review, 32 (1982), S. 16 f.; kritisch dazu W. v. der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, 1999, S. 24. 40

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werden sollen, ihrerseits nur Zielbestimmungen mit eingeschränkter Verbindlichkeit sind (s. o. unter aa). Außerdem hat die Generalversammlung nach der Systematik der Satzung der Vereinten Nationen keine Befugnis zur authentischen Interpretation des Begriffs der Menschenrechte in der Charta der Vereinten Nationen.45 Der Inhalt der nach der überwiegenden Meinung (unverbindlichen) Allgemeinen Menschenrechtserklärung könnte unstrittig jedoch auf drei Wegen Völkerrechtsverbindlichkeit erlangen: – Erstens durch völkervertragliche Bestätigung (vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. a IGHStatut) – Zweitens durch Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung (Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut) – Drittens als allgemeine Rechtsgrundsätze i. S. von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGHStatut cc) Menschenrechtsverträge Sobald eine Menschenrechtserklärung vertraglich abgesichert wird, erlangt sie völkerrechtliche Verbindlichkeit, soweit die Staaten dem Menschenrechtsvertrag zustimmen und ihm innerstaatliche Geltung verschaffen.46 Der ratifizierende Staat ist verpflichtet, die einzelnen Menschenrechte zu achten und zu schützen. Es gilt der Grundsatz pacta sunt servanda (Art. 36 WVK).47 Menschenrechtsverträge sind keine Austauschverträge, sondern schaffen als traités-lois objektiviertes Vertragsrecht48, welches den völkerrechtlichen Grundsatz der Gegenseitigkeit ein Stück weit zugunsten des (Welt-)Rechtsprinzips überwindet. Regelungsgegenstand, also Objekt des Menschenrechtsvertrages ist nicht der Mensch selbst, sondern das Verhalten gegenüber Menschen als Subjekt staatlicher Rechtsordnung.49 1976 sind der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (Zivilpakt)50 und der Internationale Pakt über wirtschaftli45 W. Bausback, 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, BayVBl. 1999, 705. 46 Vgl. A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), 2000, S. 156, 160; allgemein zu völkerrechtlichen Verträgen W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 92 ff. 47 K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 67; zur vertraglichen Bindung an Menschenrechte K. Doehring, Völkerrecht, S. 417 ff.; Nachweise zum Grundsatz pacta sunt servanda 2. Teil, C, S. 163 f. 48 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 1998, S. 219; R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 565 (571); vgl. IGH, ICJ Rep. 1951, 23. 49 K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, S. 669 f., Rn. 2 f.

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che, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 (Sozialpakt)51 in Kraft getreten. In Gestalt dieser Verträge haben die wesentlichen Inhalte der Allgemeinen Menschenrechtserklärung völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangt.52 Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.196653 garantiert u. a. das Recht auf Leben, die Freiheit von Folter und Sklaverei, das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren und das Verbot rückwirkender Gesetze und Strafen, aber auch das Recht auf (selbstbestimmte) Heirat, das Recht auf Familie, Rechte des Kindes, das Recht auf mittelbare oder unmittelbare Teilnahme an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten, nicht hingegen das Recht auf Eigentum. Erweitert wurde der Zivilpakt durch das Protokoll zur Abschaffung der Todesstrafe vom 15.12.198954. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.196655 enthält überwiegend sogenannte Menschenrechte der zweiten Generation. Genannt sind etwa die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das Recht auf Arbeit, auf gerechte Arbeitsbedingungen, auf Koalitionsfreiheit, auf sozialen Schutz, auf ein Höchstmaß geistiger und körperlicher Gesundheit, auf Bildung. Beispiele für universelle, völkerrechtlich verbindliche Menschenrechtspakte sind auch spezielle thematische Übereinkommen56, wie die Übereinkommen Nr. 29 der ILO über Zwangsarbeit vom 28. Juni 193057 und ILO-Übereinkommen Nr. 105 über die Abschaffung von Zwangsarbeit vom 25. Juni 195758 und das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 198959. Weiter können genannt werden die Übereinkommen zur Unterdrückung des Menschen-, insbesondere des Mädchen- und Frauenhandels zu Zwecken der Prostitution60, des Kinderhandels61 50

BGBl. 1973 II, S. 1534. BGBl. 1973 II, S. 1570. 52 A. Haratsch, Ideal für alle Völker, MRM, Dezember 1997, S. 30; W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 154; A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, 2005, S. 427 ff. „relative Normativität“. 53 UNTS 999, p. 171; BGBl. 1973 II, S. 1534. 54 BGBl. 1992 II, S. 391. 55 UNTS 992, p. 3; BGBl. 1973 II, S. 1570. 56 Dazu vgl. K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 671 ff.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 241 ff. 57 BGBl. 1956 II, 640. 58 BGBl. 1959 II, 441. 59 UN Convention on the Rights of the Child v. 20.11.1989, ILM 28 (1989); BGBl. 1992 II, S. 121. 60 International Agreement for the Suppression of the White Slave Traffic v. 18.5.1904, RGBl. 1905 II, S. 705, 708; International Convention for the Suppression of the White Slave Traffic v. 4.5.1910, RGBl. 1928 II, S. 314; ZP v. 4.5.1949, BGBl. 1972 II, S. 1074, 1081; International Convention for the Suppression of Traffic in Women and Children v. 30.9.1921, RGBl. 1924 II, S. 180, 202; ZP v. 12.11.1947, BGBl. 1972 II, S. 1074, 1081; International Convention for the Suppression of the Traffic in Women of Full Age v. 21.10.1933, SdNRT 150, p. 431; Convention for the 51

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und des Transfers von Mädchen und Frauen mit dem Ziel erzwungener Heirat62. Seit der Wiener Kongreßakte63 ist das Verbot des Sklavenhandels und der Sklaverei völkervertraglich bestätigt64 und näher bestimmt worden.65 Entsprechende Vorschriften enthalten Art. 8 IPbpR, 4 EMRK, 6 AMRK und Art. 5 AfCRMV. Körperliche Angriffe auf die Person, namentlich Folter, Verstümmelung und andere grausame Behandlungen sind sowohl im humanitären Völkerrecht (Art. 3 der vier Genfer Abkommen, Art. 75 Abs. 2 lit. a. ZP II) als auch im Friedensvölkerrecht in sämtlichen größeren Menschenrechtskonventionen zwingend66 verboten (Art. 3 EMRK, Art. 7 IPbpR, Art. 5 AMRK, Art. 5 Satz 2 AfCRMV, UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 198467). In zahlreichen Verträgen sind Diskriminierungsverbote im politischen und sozialen Leben ausgesprochen68, z. B. in der Internationalen Konvention über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung69 und in der Konvention zur Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid70. Art. 1 Ziff. 3 UN-Charta nennt das Ziel, die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen. Art. 55 lit. c und 76 UN-Charta Suppression of the Traffic in Persons and the Exploitation of the Prostitution of others v. 21.3.1950, UNTS 96, p. 271 mit Schlußprotokoll, UNTS 96, p. 316; vgl. a. Art. 76 ZP I, 4 Abs. 2 lit. e ZP II. 61 Siehe insbes. Art. 11 (verbotener Transfer), 19 (Schutz vor Mißbrauch), 32 (schädliche Arbeiten) Kinderrechtsübereinkommen; bereits Art. 1 lit. d der Sklavereikonvention v. 1956 (s. Fn. 64); Art. 24 IPbpR, Art. 19 AMRK, Art. 10 Ziff. 3 IPwskR. 62 Vgl. Convention on consent to Marriage, Minimum Age for Marriage and Registration of IPbpR; Art. 17 Abs. 3 AMRK; Art. 16 Abs. 2 Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women v. 18.12.1979, ILM 19 (1980), p. 33; BGBl. 1985 II, S. 647. Ferner Art. 1 lit. c der Sklavereikonvention v. 1956 (s. Fn. 64). 63 Vom 8.2.1815 mit Annex A v. 9.6.1815, BFSP 2, 3; s. dann Vertrag von Paris v. 20.12.1815, Martens NRGT, série 2, tome II, S. 432. 64 Übereinkommen über die Sklaverei vom 25.9.1926 i. d. F. des Änderungsprotokolls vom 7.12.1953, BGBl. 1972 II, S. 1473; Ergänzungskonvention v. 7.9.1956, BGBl. 1958 II, S. 203. 65 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 296. 66 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 293 f. 67 BGBl. 1990 II, S. 246. 68 Dazu K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 677 ff., Rn. 15 ff.; S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 278 f. 69 V. 7.3.1966, UNTS 660, p. 195; BGBl. 1969 II, S. 961, 2211. Art. 1 versteht unter Diskriminierung „jede Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung“ aufgrund eines verbotenen Differenzierungskriteriums im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder sonst öffentlichen Leben, insbesondere im Bereich der öffentlichen Sicherheit und der Justiz, der Ausübung politischer und bürgerlicher Rechte und im Zugang zu öffentlichen Leistungen und Einrichtungen (Art. 1 Abs. 1 und Art. 5). 70 V. 30.11.1973, UNTS 1015, p. 243.

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sowie Art. 1 Abs. 1 UNESCO-Verfassung71 knüpfen an diese Formulierung an. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind solche Ungleichbehandlungen verboten, wenn es für sie keine „objektive und vernünftige Rechtfertigung“ gibt.72 Auf der Basis multilateraler Verträge ist der Menschenrechtsschutz sowohl auf globaler als auch auf regionaler Ebene ständig fortentwickelt worden. Die wichtigsten internationalen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte sind von ca. 135 Staaten ratifiziert, das sind etwa zwei Drittel aller Staaten.73 Nahezu alle politischen Systeme und Kulturen der Welt bekennen sich zu den Menschenrechten.74 Doch nicht alle Staaten sind Mitglieder dieser Verträge, oft gerade diejenigen, die in ihrem Gebiet die Menschenrechte nicht hinreichend achten. Zudem läßt die Gesamtheit der Verträge keinen einheitlichen Standard erkennen.75 Menschenrechtsgebote haben eine universelle und gesteigerte Verbindlichkeit soweit sie als ius cogens anerkannt sind.76 Es ist in der Völkerrechtslehre unstrittig, daß zumindest ein Minimalstandard der Menschenrechte erga omnes gilt und zwingendes, unabdingbares Recht (ius cogens) ist.77 dd) Gewohnheitsrecht Fraglich ist, inwieweit sich völkergewohnheitsrechtlich ein Mindeststandard entwickelt hat, der für alle Staaten der Welt verbindlich ist. Gewohnheitsrecht im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut setzt nach klassischer Völkerrechtslehre eine opinio iuris sive necessitatis sowie eine bestehende Staatenpraxis voraus.78 Ob für die Menschenrechte insgesamt oder die Allgemeine Menschenrechtserklärung diese Kriterien zutreffen, ist zweifelhaft. Die Staaten müßten die in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung proklamierten Grundsätze während und nach der Abstimmung in der Generalversammlung durch inhaltlich übereinstimmende einseitige Erklärungen oder an71

V. 16.11.1995, UNTS 4, p. 275; BGBl. 1971 II, S. 471. Case Relating to Certain Aspects of the Laws and the Use of Languages in Education in Belgium (Merits), EGMR, Urt. v. 23.7.1968, Ser. A, No. 34. 73 K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 684, Rn. 37; Ratifikationsstände wichtiger Menschenrechtsabkommen, in: G. v. Arnim u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Menschenrechte 2003, S. 386 ff.; www.jahrbuch-menschenrechte.de/Online/ratifikationen.pdf. 74 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 14. 75 K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 704, Rn. 1. 76 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 281 f., 296 f. 77 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 332; A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 847 f. 78 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 560; I. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn. 467. 72

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

derweitig hergestellten zwischenstaatlichen Konsens als völkerrechtlich verbindlich anerkannt haben. Ist dies der Fall, könnte eine opinio iuris entstanden sein, also ein gemeinsamer, übereinstimmender Wille, die Deklaration heute als verbindliches Recht anzusehen.79 Die bloße Annahme der Menschenrechtserklärung als Resolution, mag sie auch einstimmig80 erfolgen, soll nach traditioneller Ansicht für die Dokumentation einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung nicht ausreichen, weil die Empfehlung der UN-Generalversammlung und nicht den Mitgliedstaaten zugerechnet wird, die allein rechtserzeugungsbefugt sind.81 Es fehle an der erforderlichen allgemeinen Menschenrechtspraxis.82 Allein die Tatsache, daß die Generalversammlung und der Sicherheitsrat in unzähligen Resolutionen und auch die Europäische und die Amerikanische Menschenrechtskonvention sowie die Menschenrechtspakte von 1966 auf die Allgemeine Menschenrechtserklärung Bezug nehmen83 sowie die Menschenrechtsarbeit von UN-Gremien wie der UNESCO, soll nach herkömmlicher Meinung die Erklärung nicht auf die Stufe der Rechtsverbindlichkeit heben.84 Daraus könne zwar eine gewisse Übung und Praxis der Internationalen Organisationen, nicht aber der Mitgliedstaaten geschlossen werden.85 Nach der herkömmlichen Lehre und Praxis, die von der tatsächlichen Übung der Staaten in Menschenrechtsfragen auf die Rechtsüberzeugung schließt86, gelten lediglich einzelne Menschenrechte unstreitig als Völkergewohnheitsrecht und zugleich als zwingendes Recht (ius cogens).87 Völkergewohnheitsrechtlich anerkannt sind das Verbot der Sklaverei, des Völkermords, des Menschenhandels, Folter und andere grausame erniedrigende Behandlungen, willkürliche Inhaftierung, systematische Rassendiskriminierung sowie ein sich wiederholendes

79 H.-J. Heintze, 50 Jahre UN-Menschenrechtserklärung, Humanitäres Völkerrecht, 1998, 230. 80 48 : 0 Stimmen. Die kommunistischen Staaten sowie Saudi-Arabien und Südafrika haben sich damals der Stimme enthalten. 81 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 409 f., § 637. 82 Vgl. K. Stern, Idee der Menschenrechte, HStR, Bd. V, 1992, § 108 Rn. 45 ff. 83 Vgl. die ersten beiden Absätze der Präambel der EMRK, Präambel der Afrikanischen Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker, ILM 1982, S. 59 ff.; deutsche Übersetzung in: EuGRZ 1986, 677; Präambel der Amerikanischen Menschenrechtskonvention, ILM 1970, S. 710 ff., dt. Übersetzung in: EuGRZ 1980, 435 ff.; Prinzipienerklärung (Punkt VII) in der KSZE-Schlußakte von Helsinki, in: EA 1975, 437 (441). 84 A. Haratsch, Ideal für alle Völker, MRM Dezember 1997, S. 29; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 242, Rn. 205; a. A. K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, § 62 II 4b; ders., Zur Universalität der Menschenrechte, in: Fs. H. F. Zacher, 1998, S. 1065 (1068); R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2002, S. 397. 85 K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 234. 86 StIGH, Case Lotus, PCIJ, 1927, Serie A, Nr. 10, S. 18; B. Simma, International Human Rights, 1993, Academy of European Law, Vol. IV, Book Nr. 2, p. 153 (216). 87 Dazu 3. Teil, E, S. 442 ff.

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Muster schwerwiegender Verletzungen international anerkannter Menschenrechte.88 Als Völkergewohnheitsrecht akzeptiert werden auch die Rechte von Staatsfremden auf Leben, Gesundheit, Freiheit und rechtliches Gehör, die Anerkennung als Rechtsperson, der Schutz vor willkürlicher Verhaftung, der Familie, das Recht auf Privatsphäre, Freizügigkeit und Auswanderungsfreiheit sowie das Verbot der Rassendiskriminierung.89 Ein allgemeines Diskriminierungsverbot, insbesondere auch die Gleichheit vor dem Gesetz, hat sich hingegen noch nicht völkergewohnheitsrechtlich durchgesetzt.90 Auch die Religionsfreiheit (Art. 18 AEMR) und das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts (Art. 2 Nr. 1 AEMR) werden nicht zum völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandard gezählt, weil diese Rechte in den muslimischen Staaten nicht oder nur mit Einschränkung anerkannt sind.91 Völkergewohnheitsrecht entsteht nicht, soweit eine Rechtsüberzeugung oder -übung von einer bedeutenden Anzahl von Staaten abgelehnt wird.92 Es fehlt dann an einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung und Praxis. Aus diesem Grunde sollen selbst elementare Grundrechte wie die Meinungs- und Informationsfreiheit, Versammlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, allgemeines und gleiches Wahlrecht und die Eigentumsgewährleistung keine völkergewohnheitsrechtliche Geltung haben.93 Sozialen Rechten wird generell kein gewohnheitsrechtlicher Status zugestanden. Besonders gilt dies für die in Art. 22–25 der Menschenrechtserklärung genannten Rechte, wie z. B. das Recht auf Arbeit und gleichen Lohn, auf soziale Betreuung, auf Erholung und Freizeit, auf Urlaub und auf Unterhaltssicherung.94 Teilweise wird vertreten, es genüge eine opinio iuris, ohne daß eine Staatenübung nachgewiesen werden müßte.95 Dies allerdings widerspricht dem Wesen des herkömmlichen Völkergewohnheitsrechts. So lehnt es Knut Ipsen ab, Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung allein anhand der vorhandenen Übereinkom88 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 1234 f.; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, 2000, S. 104, Rn. 219; A. Haratsch, Ideal für alle Völker, MRM, Dezember 1997, S. 30; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 235. 89 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 158 f.; M. Pape, Humanitäre Intervention – Zur Bedeutung der Menschenrechte in den Vereinten Nationen, 1997, S. 27 ff.; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 236 ff. 90 K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 236, 239. 91 Vgl. K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 218 ff., 226 ff., 243. 92 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 24, Rn. 55. 93 K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 243. 94 W. Bausback, 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, BayVBl. 1999, 706. 95 B. Simma/P. Alston, The Sources of Human Rights Law, AusYIL 1992, 104; vgl. auch H.-J. Heintze, 50 Jahre Menschenrechtserklärung, Humanitäres Völkerrecht, 1998, 230.

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men und Erklärungen zu ermitteln. Diese stellten seiner Ansicht nach nur den „Kulminationspunkt“ der Menschenrechtsentwicklung dar.96 Nach einer im Vordringen befindlichen Lehre und Praxis wird das Gewohnheitsrecht, wie gesagt, nicht mehr nur aus Überzeugung und Praxis der Einzelstaaten, sondern auch der internationalen Gremien ermittelt und verändert somit seinen Begriff in Richtung eines Weltgewohnheitsrechts.97 In dem Sinn ordnet eine Meinung den gesamten Corpus der Allgemeinen Menschenrechtserklärung dem Völkergewohnheitsrecht zu.98 Sie geht davon aus, daß die UN-Menschenrechtsdeklaration kraft der Praxis der UN-Organe, in denen die Staaten vertreten sind, und vielfältiger Bezugnahmen in der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs in den wesentlichen Bestandteilen den Charakter eines allgemeinen Völkerrechtssatzes erlangt habe.99 Ergebnis Nach herkömmlicher Auffassung haben derzeit nur wenige Menschenrechte der Allgemeinen Menschenrechtserklärung universelle Geltung erlangt. Ein paradigmatischer Wechsel zeichnet sich jedoch insofern ab, als ein umfassender universeller Menschenrechtsschutz aus dem Gewohnheitsrecht abgeleitet wird, indem auf das Merkmal der Staatenübung verzichtet oder diese durch die Praxis anderer Institutionen, insbesondere der Internationalen Organisationen ergänzt wird.100 ee) Allgemeine Rechtsgrundsätze Eine universelle völkerrechtliche Verbindlichkeit von Menschenrechten, insbesondere auch der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, kann sich gemäß Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut ebenfalls aus den „von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen“, also einem Konsens der Völker101, ergeben. Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zählt der Internationale Gerichtshof menschenrechtliche Mindeststandards, deren Umfang allerdings im einzelnen 96

K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 704, Rn. 1. Dazu 3. Teil, E, Seite 451 ff.; kritisch W. v. der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, 1999, S. 18 f.; vgl. auch B. Simma, International Human Rights, 1993, Academy of European Law, Vol. IV, Book Nr. 2, p. 220 f.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 358 f., § 566. 98 L. B. Sohn, The Human Rights Law of the Charter, Texas International Law Journal 1977, 129 (133); ders., The New International Law, American University Law Review 1982, 1 (17); J. P. Humphrey, The Universal Declaration of Human Rights, in: B. G. Ramcharan, Human Rights 1979, p. 21 (33). 99 K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1068. 100 S. Tönnies, Ohne Ansehung der Nation, in FAZ v. 4.7.1996, S. 33. 101 B. Simma/P. Alston, The Sources of Human Rights Law, AusYIL 1992, 82 (104). 97

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umstritten ist.102 Im Teheraner Botschaftsfall hat er festgestellt, daß der rechtswidrige Entzug der Freiheit und die Ausübung physischen Zwangs unter qualvollen Bedingungen „mit den grundsätzlichen Prinzipien, wie sie in der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte verkündet sind“, unvereinbar sind.103 Die Menschenrechte, denen die Staaten in verschiedenen Erklärungen und Bekenntnissen zu den Menschenrechten zugestimmt haben, gelten nach einer Meinung als allgemeine Rechtsgrundsätze.104 Dies ist auch die europarechtliche Sicht (Art. 6 Abs. 2 EUV). Dem wird relativierend entgegengehalten, daß sich die allgemeinen Rechtsgrundsätze von den nationalen gemeinsamen Rechtsgrundsätzen ableiten würden und nicht umgekehrt von den internationalen Erklärungen auf die nationalen Standards geschlossen werden könne.105 So sind einige zentrale Rechte der Menschenrechtserklärung, wie die Religionsfreiheit oder das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts in einigen Staaten nicht anerkannt.106 Nach der herrschenden Meinung in Deutschland wird ein subjektives Recht auf Arbeit (Art. 23 AEMR und Art. 6 IPbpR) abgelehnt.107 Ergebnis Bisher gelten nach überwiegender Ansicht im Völkerrecht nicht alle Menschenrechte der Allgemeinen Menschenrechtserklärung als allgemeine Rechtsgrundsätze. ff) Konsens Als Geltungsgrund für die Universalität der Menschenrechte und die Entwicklung der Staaten- zu einer (Welt-)Rechtsgemeinschaft könnte der Konsens der Staatengemeinschaft und der verschiedenen Kulturen zu einer gemeinsamen 102 103

A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 1234 ff. United State Diplomatic and Consular Staff in Tehran, ICJ Rep. (1980), 3 ff.

(42). 104 B. Simma/P. Alston, The Sources of Human Rights Law, AusYIL 1992, 102 ff.; B. Simma, International Human Rights, 1993, Academy of European Law, Vol. IV, Book Nr. 2, p. 153 (224 ff.). 105 W. v. der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 25. 106 Vgl. K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 61. 107 BVerfGE 84, 133 (146 f.); 85, 360 (373); 97, 169 (175); R. Breuer, Freiheit des Berufs, HStR, Bd. VI, 1989, § 147, S. 877 (931); H.-D. Jarass, GG, Art. 12, Rn. 17; Ch. Tomuschat, An Optional Protocol for the CESCR?, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 815 (828 f.); dazu kritisch H. v. Senger, Menschenrechtsgedanke, in: W. Schweidler (Hrsg.), Menschenrechte und Gemeinsinn, S. 272; a. A. K. A. Schachtschneider, Recht auf Arbeit – Pflicht zur Arbeit, in: ders./H. Piper/M. Hübsch, Gs J. G. Helm, 2001, S. 825 ff.; vgl. auch Beschluß des VG Frankfurt/Main vom 23.10. 1997 (9 G 1638/97 (1) – ZBR 1998, 219 (Leitsatz) und Urt. v. 9.11.1998 (9 E 1570/ 98 (V) – NVwZ-RR 1999, 325.

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Menschenrechtskultur angesehen werden.108 In der Präambel der Allgemeinen Menschenrechtserklärung heißt es: „. . . da eine gemeinsame Auffassung über diese Rechte und Freiheiten von größter Wichtigkeit für die volle Erfüllung dieser Verpflichtung ist, verkündet die Generalversammlung die vorliegende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal, damit jeder einzelne und alle Organe der Gesellschaft . . . sich bemühen, . . . die Achtung dieser Rechte und Freiheiten . . . zu gewährleisten.“ (Hervorhebungen d. Verf.) In diesem Sinn sieht Norberto Bobbio in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte den bisher größten historischen Beweis eines auf ein bestimmtes Wertesystem gerichteten consensus omnium gentium.109 Die Vereinten Nationen betrachten die Allgemeine Menschenrechtserklärung als „a common standard of achievement for all peoples and all nations“.110 Akzeptiert man den Konsens der Staaten/der Weltgemeinschaft als eigenständige Rechtsquelle (dazu 2. Teil, A, S. 101 ff.), manifestieren die Allgemeine Menschenrechtserklärung und die wiederkehrende Bezugnahme auf diese in internationalen Menschenrechtstexten den kontinuierlich erklärten Konsens über die Geltung der Menschenrechte.111 Auch die Erwähnung der Menschenrechte in der UN-Charta (vgl. 2. Erwägung der Präambel, Art. 1 Ziff. 3, Art. 13 Abs. 1 lit. b, 62 Abs. 2, 55 lit. c, 56) sowie die großen Kodifikationen auf internationaler und regionaler Ebene zeugen vom Bemühen um einen weltweiten Konsens über die Geltung der Menschenrechte. Gemäß der UN-Charta (Präambel, Art. 1 Nr. 3, Art. 55 UN-Charta) haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durchzusetzen. Ergebnis Aus dem bisherigen völkerrechtlichen Menschenrechtsstandard kann zwar ein Grundkonsens über die Geltung der Menschenrechte angenommen werden. Solange jedoch ein Teil der Staaten den großen menschenrechtlichen Kodifikatio-

108 Dazu L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 665 ff.; ders., Die Universalität der Menschenrechte, S. 108; M. J. Perry, Are Human Rights Universal?, Human Rights Quarterly 1997, 461 (485); M. Herdegen, Der Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, ARSP-Beiheft, 1996, S. 117 (117); vgl. auch R. Tetzlaff, Zur Begründung der relativen Universalität der Menschenrechte, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 54 (55 f.). Enthaltungen stehen diesem Konsens nicht entgegen. 109 N. Bobbio, Gegenwart und Zukunft der Menschenrechte (1968), in: ders., Zeitalter der Menschenrechte, 1998, S. 9. 110 Im operativen Teil der Resolution 217. 111 Vgl. J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Pratice, S. 22 ff.

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nen nicht beigetreten ist112, bezieht sich dieser Staatenkonsens nicht auch auf einen substantiellen und effektiven Rechtsschutz.113 gg) Subjektive Rechte, Geltung und Wirkung völkerrechtlicher Menschenrechtsverpflichtungen in den Staaten Die Verbindlichkeit der völkerrechtlichen Menschenrechtsverpflichtungen hängt insbesondere davon ab, ob sie als echte subjektive Rechte angesehen werden können. Subjektive Rechte erwachsen solchen objektiven Rechtssätzen (z. B. Vertrag, Gewohnheitsrecht, Gesetz), welche einem Verpflichteten ein bestimmtes Verhalten (Tun, Dulden, Unterlassen) zugunsten eines Begünstigten aufgeben, auf das der Begünstigte (Rechtsträger) sich berufen können soll und das er im Weigerungsfalle gerichtlich einklagen kann.114 Völkerrechtliche subjektive Rechte in diesem Sinn ergeben sich nur ausnahmsweise (z. B. Art. 34 EMRK). Die völkerrechtlichen Menschenrechtsverpflichtungen entfalten primär nur zwischenstaatliche Bindungen.115 Die Begründung subjektiver Rechte aus Menschenrechtsverträgen ist ein paradigmatischer Wechsel, der im 6. Teil, F, S. 931 ff. behandelt wird. Geltung, Rang und Wirkung der völkerrechtlichen Menschenrechtsverpflichtungen in den Staaten bestimmen sich bisher nach den staatlichen Rechtsordnungen. Gemäß der dualistischen Praxis in Deutschland bedürfen Menschenrechtsverträge staatlicher Umsetzung, um für Einzelne wirksam werden zu können,116 es sei denn, sie sind allgemeine Regeln des Völkerrechts i. S. d. Art. 25 GG, die vorrangig vor den Gesetzen gelten und unmittelbare Rechte und Pflichten für die einzelnen Menschen erzeugen. Überwiegend wird dies jedoch abgelehnt.117 Vielmehr wird Art. 59 Abs. 2, Satz 1 GG angewendet, wonach Men-

112 Vgl. Ratifikationsstände wichtiger Menschenrechtsabkommen, in: G. v. Arnim u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Menschenrechte 2003, S. 386 ff.; aktuell unter: www.unhchr. ch/pdf/report.pdf (zuletzt geprüft: 2.7.2006). 113 Vgl. K. Doehring, Völkerrecht, S. 417; Ch. Hillgruber, Das Völkerrecht als Brücke zwischen den Rechtskulturen, AVR 40 (2002), S. 1 (9 ff.). 114 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 165; A. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1999, S. 244 f.; vgl. a. H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2002, § 8 Rn. 2; vgl. schon H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens (1625), 1650, 1. Buch, 1. Kap., IV, S. 48; zur Entwicklung und Bedeutungswandel des subjektiven Rechts siehe auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 112 ff. 115 K. Doehring, Völkerrecht, S. 418 f., Rn. 979. 116 Vgl. dazu A. Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge, 1970; G. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2002, S. 173 ff. 117 Dazu S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 158 ff.

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schenrechtsverträge und ILO-Abkommen den Rang einfachen Gesetzesrechts teilen.118 Auch nach erfolgter innerstaatlicher Umsetzung ist nicht sichergestellt, daß Einzelne die in den Verträgen genannten Rechte vor nationalen Gerichten geltend machen können, daß sie also subjektive Rechte begründen.119 Innerstaatlich geltende subjektive Rechte können von vornherein nur solche Menschenrechtsbestimmungen sein, die unmittelbare Anwendbarkeit beanspruchen, d. h. wenn sie nach Wortlaut und Inhalt geeignet sind, wie eine innerstaatliche Gesetzesvorschrift rechtliche Wirkungen auszulösen.120 Menschenrechtsverträge sind wie andere völkerrechtliche Verträge nach der überwiegenden Staatenpraxis in der Regel nicht unmittelbar anwendbar.121 Auf diese Weise wird die materielle Verbindlichkeit vieler Menschenrechtsverträge relativiert. So begründet die Europäische Sozialcharta122 nach dem Willen der Vertragsparteien, wie aus Teil III des Anhangs ersichtlich, zwar Staatenverpflichtungen, aber keine von Behörden und Gerichten unmittelbar anwendbaren Rechte des Einzelnen.123 Strittig ist, ob der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte unmittelbar anwendbare subjektive Rechte garantiert. Die im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte enthaltenen Menschenrechte werden von den meisten ohnehin lediglich als bloße Programmsätze eingeordnet, welche die Vertragsstaaten nach und nach (nach Maßgabe ihrer Ressourcen, unter dem Vorbehalt des Möglichen) zu erreichen suchen124 und welche die Staaten nicht zu einem bestimmten Handeln im Sinne unmittelbar anwendbarer, material bestimmter subjektiver Rechte binden125. Sollten sich die Verpflichteten 118 Dazu K. Doehring, Völkerrecht, S. 303 f., Rn. 720; R. Streinz, in: Sachs (Hrsg.), 2003, Art. 59, Rn. 65; P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 18, 25; S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 151 f., 154 ff. 119 H. D. Jarass, GG, Art. 25, Rn. 3; Art. 59, Rn. 16. 120 P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 27; vgl. auch BVerfGE 29, 348 (360). 121 Dazu 2. Teil, B, S. 123 ff. 122 Vom 9.12.1989. 123 P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 17, 28. 124 Siehe Bundesregierung, BT-Drs. IV/2117, 28 und BT-Drs. 7/685, 18; E. Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 9 (10); A. Haratsch, Ideal für alle Völker, MRM Dezember 1997, S. 30; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 243, Rn. 208; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 834; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 1446 f., der auch subjektive Rechte im IPbpR ablehnt; K. Doehring, Völkerrecht, S. 418, Rn. 978; P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 28; J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohmann (Hrsg.), Frieden machen, 1996, S. 7 (21). 125 K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 1542, 1546 f.; VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 6.4.2000, DVBl. 2000, 1783 zur Stu-

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weigern, die im Sozialpakt geregelten Menschenrechte zu erfüllen, haben einzelne Menschen keine Möglichkeit, diese gerichtlich durchzusetzen.126 Dies war einer weiteren Entwicklungsstufe der Menschenrechte im Rahmen der Vereinten Nationen vorbehalten. Geplant war ein völkerrechtlich verbindlicher Pakt, der den Bürgern aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen den internationalen und unabhängigen Rechtsschutz auf dem Gebiet der Menschenrechte sichern sollte.127 Ein solcher Weltvertrag (3. Teil, E, S. 449 ff.) ist bisher nicht zustande gekommen. Selbst dann, wenn Menschenrechtsverträge ausdrücklich subjektive Rechte formulieren, dürfen sich Menschen innerstaatlich nicht darauf berufen, wenn dies von den Staaten ausgeschlossen wird. Nach dem dualistischen Verständnis wird es als zulässig angesehen, daß der „Rechtsanwendungsbefehl“ den Anspruch einer völkerrechtlichen Regelung auf unmittelbare Anwendbarkeit nicht aufnimmt.128 So hat die Bundesrepublik Deutschland in einer, die Ratifikationsurkunde zum UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Strafen129 ergänzenden, Erklärung von 1990 festgestellt, daß das Übereinkommen innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung finde; es begründe lediglich Staatenverpflichtungen, welche Deutschland nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts erfülle.130 Die Innenministerien der Länder hatten nämlich befürchtet, Art. 3 mit dem Verbot der Ausweisung, Abschiebung oder Auslieferung wegen drohender Gefahr der Folter in dem potentiellen Aufnahmeland könnte von Ausländern verwendet werden, um ein Bleiberecht in Deutschland zu erlangen.131 Dem am 6. März 1992 durch die Bundesrepublik Deutschland ratifizierten UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes132 war folgende Erklärung beigefügt: „Die Bundesrepublik Deutschland erklärt . . ., daß das Übereinkommen innerstaatlich keine Anwendung findet. Es begründet völkerrechtliche Staatenverpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland nach näherer Bestimmung ihres mit dem Übereinkommen übereinstimmenden innerstaatlichen Rechts erfüllt.“133 Mit dieser Erklärung soll diengebühr, Leitsatz Nr. 6; a. A. aber Beschluß des VG Frankfurt/Main vom 23.10. 1997, ZBR 1998, 219 (Leitsatz) und Urt. 9.11.1998, NVwZ-RR 1999, 325. 126 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 168. 127 Vgl. K.-W. Bluhm, Erste Gesprächsrunde, in: A. Riklin (Hrsg.), Internationale Konventionen gegen Folter, 1979, S. 124 f. 128 P. Kirchhof, Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 27 f. 129 Vom 10.12.1984, BGBl. 1990 II, S. 247. 130 BGBl. 1993 II, S. 715. 131 Dazu K. Hailbronner/A. Randelzhofer, Zur Zeichnung der UN-Folterkonvention durch die Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1986, 641 ff. 132 BGBl. 1992 II, S. 121. 133 BGBl. 1990 II, S. 990; Bekanntmachung vom 10.7.1992, BGBl. 1992 II, S. 900. Dazu J. Wolf, Ratifizierung unter Vorbehalten: Einstieg oder Ausstieg der Bundesrepublik Deutschland aus der UN-Konvention über die Rechte des Kindes?, ZRP 1991,

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den Menschen die Berufung auf das Übereinkommen abgeschnitten werden134, was aber völkerrechtlich bedenklich ist, weil sie nicht die Voraussetzungen eines Vorbehalts135 erfüllt. c) Ergebnis Erga omnes völkerrechtlich verbindlich sind die wenigen gewohnheitsrechtlich oder als allgemeine Rechtsgrundsätze anerkannten Menschenrechte. Verbindlichkeit zumindest zwischen und für die ratifizierenden Staaten erreichen völkerrechtliche Menschenrechtsverträge.136 Im Falle der UN-Menschenrechtsdeklaration, der kein Staat widersprochen hat, fehlt es nach wohl noch überwiegender Lehre an einem Rechtssatz.137 Selbst wenn man mit der im Vordringen befindlichen Lehre die Menschenrechtserklärung als verbindliches (objektives) Recht ansieht, sind damit die Menschenrechte noch nicht automatisch als subjektive Rechte der Menschen dogmatisiert. Die völkerrechtliche Verankerung der Menschenrechte leidet an einem Paradox, der zum Teil in der Natur des Völkerrechts begründet liegt: Zum einen gehen unzählige Erklärungen und Verträge von universellen und unveräußerlichen Menschenrechten aus. Sie enthalten aber in der Regel nur zwischenstaatliche Verpflichtungen. Die unmittelbare Geltung hängt vom guten Willen der Staaten ab, welche die Menschenrechte als subjektive Rechte gewähren oder nicht. Damit sind die Menschenrechte im Völkerrecht zwar als objektive Staatenverpflichtungen, aber nur unzureichend als unveräußerliche und universelle Rechte der Menschen positiviert. Eine Menschheitsverfassung ergibt sich aus der völkerrechtlichen Geltungsbegründung der Menschenrechte noch nicht. 2. Unverzichtbarkeit einer Grundlage der Menschenrechte jenseits des Positivismus Allein aus dem bestehenden Völkervertragsrecht lassen sich wie gesehen universelle Menschenrechte nicht nachweisen. Ein Menschheitsverfassungsgesetz 374 (378), der einen unzulässigen Vorbehalt annimmt; H. A. Stöcker, Die UNO-Kinderkonvention und das deutsche Familienrecht, FamRZ 1992, 245 (292), wonach die Konvention keine Wirkungen entfalte; Richtigstellungen durch: M. Herdegen, Die Aufnahme besonderer Rechte des Kindes in die Verfassung, FamRZ 1993, 374 (380); G. Dorsch, Die Konvention der Vereinten Nationen Über die Rechte des Kindes, 1994, S. 309 f.; Ch. Tomuschat, Verwirrung über die Kinderrechte-Konvention der Vereinten Nationen. Zur innerstaatlichen Geltungskraft völkerrechtlicher Verträge, in: Fs. H. F. Zacher, 1998, S. 1143 ff. 134 Dazu Ch. Tomuschat, Verwirrung über die Kinderrechte-Konvention, S. 1153 ff. 135 Dazu allgemein W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 139 ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 77 ff. Rn. 122 ff. 136 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 162. 137 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 165.

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oder ein Weltvertrag mit obligatorischer Gerichtsbarkeit sind weltrechtliche Forderungen de lege ferenda zur Verwirklichung universeller Menschenrechte, existieren im umfassenden Sinn allerdings noch nicht. Die Forderung nach universeller Durchsetzung der Menschenrechte setzt voraus, daß universelle Menschenrechte rechtlich begründet werden können. Es kommt eine Begründung universeller Menschenrechte jenseits des positiven Rechts in Betracht.138 Ein solches weltrechtliches Menschenrechtsverständnis139 stimmt mit dem Wesen der Menschenrechte als Leitprinzipien allen staatlichen Handelns überein. Nicht die Rechtsetzung ist Richtschnur für den Inhalt der Menschenrechte, sondern die Menschenrechte sind Maßstab für den Inhalt der Rechtsetzung.140 Gesetze, völkerrechtliche Verträge usw., die gegen die Menschenrechte verstoßen, sind Unrecht.141 Sollen Menschenrechte Maßstab für die Rechtsetzung sein, kann man sie nicht auf das durch die Staaten gesetzte Recht verengen. Es ist paradox, Rechte zum Schutz vor nötigender Willkür von der Willkür der potentiell nötigenden Herrschaftsgewalt abhängig zu machen. Die positiven völkerrechtlichen Verpflichtungen in den Menschenrechtspakten sind in dieser Perspektive nicht in erster Linie Geltungsgrund, sondern Materialisierungen des geltenden „Rechts der Menschheit“.142 III. Einige Vernunft- und naturrechtliche Begründungen der Menschenrechte 1. Stoa Den Stoikern zufolge gründet die menschliche Gemeinschaft im Wert der Vernunft eines jeden menschlichen Wesens.143 Der Ursprung der Würde des Menschen ist nicht mehr wie in der Polis seine Bürgerlichkeit, sondern sein bloßes Menschsein.144 Aufgrund seiner Vernunft hat jeder Mensch in gleicher Weise Teil am Weltgesetz.145 Weil alle Menschen gleichermaßen Anteil an der kosmischen Allvernunft haben, lehnte die Stoa z. B. die Sklaverei ab.146

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K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1074. M. Kriele, Zur Universalität der Menschenrechte, ARSP, Beiheft 51 (1993), S. 47 ff.; K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 67. 140 R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, S. 252. 141 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 446 ff. 142 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 163; vgl. auch J. Kokott, Naturrecht und Positivismus im Völkerrecht, in: Ch. J. Meier-Schatz/R. J. Schweizer (Hrsg.), Recht und Internationalisierung, 2000, S. 3 ff. (10). 143 Cicero, De officiis, Liber primus, 11 f., 107. 144 Cicero, De officiis, Liber primus, 11 ff.; S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 80. 139

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2. Locke: Leben, Freiheit und Eigentum Locke wird als Begründer der liberalen Menschenrechtskonzeption angesehen.147 Anders als Hobbes148 sieht Locke den vorstaatlichen Naturzustand nicht durch einen ständigen Krieg aller gegen alle gekennzeichnet. Es führt also gegenüber Hobbes wieder das „Faktum des Sollens“ in den Naturzustand ein.149 Im Naturzustand regiert ein Naturgesetz (law of nature), das Locke mit Gesetz der Vernunft oder der praktischen Vernunft (law of reason)150 gleichsetzt: „Im Naturzustand herrscht ein natürliches Gesetz, das jeden verpflichtet. Und die Vernunft, der dieses Gesetz entspricht, lehrt die Menschheit, wenn sie sie nur befragen will, daß niemand einem anderen, da alle gleich und unabhängig sind, an seinem Leben und Besitz, seiner Gesundheit und Freiheit Schaden zufügen soll.“151 Es gebietet „den Frieden und die Erhaltung der ganzen Menschheit“.152

Das Gesetz der Selbsterhaltung ist anders als bei Hobbes nicht nur faktischer Trieb153, sondern zugleich ein subjektives natürliches Recht.154 Dieses wird materialisiert durch weitere natürliche Rechte des Einzelnen.155 Leben, Freiheit und Besitz (life, liberty and estate, letzteres auch possession oder fortunes genannt)156, sind die drei angeborenen, unveräußerlichen Rechte, welche Locke zusammen als Eigentum (property)157 bezeichnet. Sie sollen als vorstaatlicher Maßstab für jede staatliche Gewalt gelten und deren Schutz soll Aufgabe des Staates sein. Natürliche Freiheit heißt nach Locke „nicht dem Willen oder der gesetzgebenden Gewalt eines Menschen unterworfen zu sein, sondern lediglich das Gesetz der Natur zu seinem Rechtsgrundsatz zu erheben.“158 Siegfried König meint, „der Andere“ sei in diesen individualistischen, negativen Freiheitsbegriff noch nicht einbezogen. Vielmehr stünden die Individuen mit ihren Freiheitsansprüchen in Konkurrenz, so daß die Berücksichtigung des 145 Cicero, De officiis, Liber primus, 51. 107; S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 80 f.; E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, 1985, S. 26. 146 Cicero, De officiis, Liber primus, 107; S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 81. 147 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 117 f. 148 Vgl. Hobbes, Leviathan I, 13. Kap. 149 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 135 f. 150 Locke, Über die Regierung I, § 101. 151 Locke, Über die Regierung II, § 6. 152 Locke, Über die Regierung II § 7. 153 Locke, Über die Regierung I, §§ 86, 88. 154 Locke, Über die Regierung II, § 11; vgl. dazu S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 140 ff. 155 Locke, Über die Regierung II, § 30, 31. 156 Locke, Über die Regierung II, §§ 59, 87, 123, 222, 135, 171. 157 Locke, Über die Regierung II, §§ 87, 123. 158 Locke, Über die Regierung II, § 22.

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Anderen als Beschränkung der Freiheit des Ersteren gedeutet wird.159 Das ist noch heute das individualistisch-liberalistische Konzept der Menschenrechte als Abwehrrechte.160 Freiheit der Menschen in der Gesellschaft besteht nach Locke jedoch darin, „unter keiner anderen gesetzgebenden Gewalt zu stehen als der, die durch Übereinkunft in dem Gemeinwesen eingesetzt worden ist“.161 Freiheit ist für Locke also bürgerliche Freiheit und Privatheit nicht ein Recht auf Beliebigkeit, sondern unter einem allgemeinen Gesetz, das von der von der Gemeinschaft eingesetzten Legislative gegeben worden ist, zu leben.162 Weil Locke Freiheit in der Gesellschaft von vornherein durch das Gesetz dieser Gemeinschaft begrenzt sieht und auch die natürliche Freiheit von Anfang an die Achtung bestimmter Rechte der anderen Menschen gebunden ist, ist Locke nicht rein abwehrrechtlich-individualistisch zu deuten. 3. Kant: Ableitung von Menschenrechten aus dem ursprünglichen Recht der Freiheit Das „Recht der Menschen“ bezeichnet Kant als „das Heiligste, was unter Menschen nur sein kann“.163 a) Recht auf eine Rechtsordnung „Der Begriff der Freiheit eines jeden, „sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinem Gesetz zusammen bestehen kann“164, stellt das Menschenrechtskonzept a priori in einen sozialen Bezug.165 Kant hat den negativindividualistischen Freiheitsbegriff deutlicher als Locke um einen positiven Freiheitsbegriff und das liberalistische Menschenrechtskonzept um die Dimension des „Anderen“ erweitert. Recht ist „die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, sofern diese nach einem allgemeinen Gesetz möglich ist“.166 Kant erklärt das Rechtsprinzip oder das Recht auf eine Rechtsordnung, also auf eine bürgerliche Verfassung zum Menschenrecht.167 Hannah Arendt nennt es das Recht auf 159

S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 148 f., 162. Vgl. S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 148 ff., 160 f. 161 Locke, Über die Regierung II, § 22. 162 Locke, Über die Regierung II, § 22. 163 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 420 (AB 151, 152). 164 Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 165 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 244 f.; auch K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, 2006, S. 83 ff., 343 ff., 537 ff., 636 ff. 166 Kant, Gemeinspruch, S. 144 (A 233, 234). 167 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, 44 ff. 160

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft.168 Robert Alexy erkennt in diesem Sinn „ein Menschenrecht auf Staat“.169 b) Aus der Freiheit abgeleitete Vernunftprinzipien: Freiheit – Gleichheit – Selbständigkeit Obwohl er keinen Katalog vorstaatlicher materieller Menschenrechte postuliert170, liegen nach Kant einige Grundsätze und Rechte „schon im Prinzip der angeborenen Freiheit, und sind wirklich von ihr nicht (als Glieder der Einteilung unter einem höheren Rechtsbegriff) unterschieden.“171 Sie gehören, wenn man so will, zur (geborenen) Verfassung der Menschen.172 „Ewige Norm für alle bürgerliche Verfassung überhaupt“ ist das Republikprinzip, die res publica noumenon, der jeder wirkliche Staat sich anzunähern hat.173 Neben Prinzipien wie Gewaltteilung und Repräsentation, die nach Kant im Vernunftbegriff eines Staates enthalten sind, nennt er „Vernunftprinzipien des äußeren Menschenrechts überhaupt“, die der Staat nicht gibt, sondern denen eine Staatseinrichtung gemäß sein muß: Freiheit – Gleichheit – Selbständigkeit.174 Ohne Staat sind die Menschenrechte, welche auf der Freiheit der Menschheit beruhen, nach Kant provisorische Rechte des Menschen, die das Recht auf „bürgerliche Verfassung“, also auf ein Verfassungsgesetz begründen.175 „Die angeborene Gleichheit“ ist für Kant „die Qualität des Menschen sein eigener Herr (sui iuris) zu sein“.176 Das ist zugleich die Selbständigkeit177, die Voraussetzung ist, um „als Bürger, d. i. als Mitgesetzgeber“ handeln zu können.178 Gleichheit im Staat versteht Kant als rechtliche Gleichheit, nicht im 168 H. Arendt, Es gibt nur eine einziges Menschenrecht, in: Die Wandlung, hrsg. v. D. Sternberger, Bd. 4 (1949), S. 760, 766. 169 R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, S. 255. 170 M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, 1988, S. 60, 69. 171 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 172 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 86; vgl. auch W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 1984, S. 92 ff. 173 Vgl. Kant, Der Streit der Fakultäten, S. 364 (A 155, 156). 174 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145 (A 235, 236); vgl. dazu auch S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 281 ff.; M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, S. 60 ff.; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 537 ff., 636 ff. 175 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 365 (AB 73) f., 374 (AB 86) ff.; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 44 ff.; ders. (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, 1996, S. 29 ff., 50 ff. 176 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 177 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 151 (A 246, 247). 178 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 150 (A 244, 245) f.

A. Menschenrechte

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Sinne absoluter materieller Gleichheit.179 Materielle Unterschiede zwischen arm und reich oder Standesunterschiede nimmt er hin, solange die von der Gleichheit gebotene Möglichkeit besteht, diese Unterschiede im Sinne der Chancengleichheit durch eigene Leistung zu verändern.180 Ausdrücklich spricht er sich gegen vererbte Standesprivilegien aus.181 Auch dauernde Sklaverei, Leibeigenschaft und Adelsprivilegien werden als gegen die angeborene Freiheit und Gleichheit verstoßend erwähnt.182 Kants Menschenrechtsbegriff zielt auf die Voraussetzungen von Selbständigkeit und Selbstbestimmung. Eigentum ist im Gegensatz zur Freiheit anders als bei Locke nicht Teil des angeborenen, sondern Inbegriff des erworbenen Rechts.183 Dies zu gestalten, ist Aufgabe einer positiven Rechtsordnung. Ermöglichung von Eigentum kann jedoch als Mittel zur Entfaltung der angeborenen Freiheit verstanden werden.184 Die Eigentumsgewährleistung folgt aus dem Prinzip der Selbständigkeit.185 Dieses setzt private Daseinsgestaltung (Privatheit) und Eigentum voraus.186 Selbständigkeit als Fähigkeit „sein eigener Herr“ (s. o.) zu sein, verlangt, daß der Mensch „mithin irgend ein Eigentum habe (wozu auch jede Kunst, Handwerk oder schöne Kunst, oder Wissenschaft gezählt werden kann), welches ihn ernährt.“187 Eigentumsakkumulation kann unter diesen Voraussetzungen niemals Selbst- und Menschenrechtszweck werden, sondern das Eigentum bleibt der Freiheit immer untergeordnet. Menschenrechtliches Eigentum stellt sich für Kant nicht als Schutz bestehenden und unbegrenzten Eigentums dar, sondern nur als die Möglichkeit im Rahmen einer gesetzlichen Eigentumsordnung, überhaupt Eigentum zu erwerben und zu besitzen.188 In diesem Sinn formuliert Art. 17 AEMR189: „1. Jeder Mensch hat 179

Dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 96 f. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 146 (A 237, 238) ff. 181 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 147 (A 239) f. 182 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 397 (AB 118); S. 450 (B 222), 495 (B 182). 183 Vgl. dazu B. Tuschling, Die Idee des Rechts, in: D. Hüning/B. Tuschling (Hrsg.), Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant, 1998, S. 85 (105); a. A. Th. Kupka, Demokratie ohne Naturrecht, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 241 (250 ff.). 184 Vgl. dazu J. Hruschka, Kants Rechtsphilosophie, JZ 2004, 1085 (1088 ff.). 185 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145 (A 235, 236), 150 (A 244, 245) ff.; Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 432 (A 166/B 196) ff. 186 K. A. Schachtschneider, Die Würde des Menschen, in: Mut zur Ethik, 1997, S. 284; ders., Das Recht am und das Recht auf Eigentum, Fs. W. Leisner, 1999, S. 743 (766 ff.); s. a. H. Ryffel, Zum menschenrechtlichen Gehalt des Eigentums, in: J. Schwartländer/D. Willoweit (Hrsg.), Das Recht des Menschen auf Eigentum, 1983, S. 61 (75). 187 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 151 (A 246, 247). 188 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 277; H. Ryffel, Zum menschenrechtlichen Gehalt des Eigentums, S. 76; eingehend K. A. Schachtschneider, Das Recht am und das Recht auf Eigentum, S. 759 ff. 180

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

allein oder in Gemeinschaft mit anderen Recht auf Eigentum. 2. Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden.“ Aus der angeborenen Freiheit deduziert Kant „endlich auch die Befugnis, das gegen andere zu tun, was an sich ihnen das Ihre nicht schmälert, wenn sie sich dessen nur nicht annehmen wollen“190, also die allgemeine Handlungsfreiheit in den Grenzen der Rechte anderer. Das nach Kant unmittelbar mit der Freiheit verbundene Recht, „bloß seine Gedanken mitzuteilen, ihnen etwas zu erzählen oder zu versprechen, es sei wahr und aufrichtig, oder unwahr und unaufrichtig . . ., weil es bloß auf ihnen beruht, ob sie ihm glauben wollen oder nicht“191, entspricht der Meinungsäußerungsfreiheit. Das Gewissen als inneres Forum der praktischen Vernunft kann niemals Gegenstand der staatlichen Gesetzgebung sein. Eingriffe in die Freiheit des Gewissens und in die Freiheit des Glaubens (Gewissens- und Glaubensfreiheit) kämen einem Angriff auf die Vernunft als solcher gleich. „Das Denken ist gleichsam der Vollzug der Vernunft selbst“.192 Es kann kein vernünftiges Gesetz geben, das die Tätigkeit der Vernunft einschränken würde. Nur im öffentlichen Diskurs vermag sich praktische Vernunft tatsächlich zu entfalten und als Aufklärung zum Fortschreiten der Menschheit beizutragen.193 Kant hat gesehen, daß „der Gebrauch unserer Freiheit . . . nur durch den Körper möglich ist“.194 In diesem Sinn bezeichnet das Bundesverfassungsgericht das Leben als „vitale Basis der Menschenwürde“195. Leben und Gesundheit sind mit der Existenz des Menschen wesensmäßig verbunden.196 Kant folgert daraus verschiedene Pflichten gegenüber dem Körper197, denen Rechte gegenüber anderen Menschen entsprechen. Gegen die Todesstrafe hat sich Kant allerdings nicht ausgesprochen.198

189 Amerikanische Konvention der Menschenrechte v. 22.11.1969, OASTS No. 36, S. 1, abgedr. in: ILM 9 (1970), 673. 190 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 191 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 192 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 286. 193 Kant, Was ist Aufklärung?, hrsg. v. W. Weischedel, Bd. 9, S. 58 (A 489, 490): auf die Aufklärung zu verzichten heißt, „die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten“. 194 Kant, Eine Vorlesung über Ethik, hrsg. von G. Gerhardt, 1990, S. 160. 195 BVerfGE 39, 1 (42). 196 K. A. Schachtschneider, Die Würde des Menschen, S. 284 f. 197 Kant, Eine Vorlesung über Ethik, 1990, hrsg. von G. Gerhardt, S. 160 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 553 (A 69) ff.; S. 581 (A 112) f. 198 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 455 (A 200/B 230).

A. Menschenrechte

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c) Ergebnis Kant folgert die Geltung universeller Menschenrechte unmittelbar aus der angeborenen, gleichen Freiheit, als Voraussetzung der Selbständigkeit. Er benennt als universell ausdrücklich das Recht auf Eigentum, die allgemeine Handlungsfreiheit, die Meinungsäußerungsfreiheit sowie die Glaubens- und Gewissensfreiheit. 4. Höffe: „soziotranszendentale Interessen“ In der heutigen Zeit folgt Otfried Höffe insoweit dem Menschenrechtskonzept Kants, als er äußert, „Das Recht auf gleiche Freiheit ist das Menschenrecht bzw. das Prinzip aller Menschenrechte“199. Aus dem ursprünglichen Recht auf Freiheit lassen sich auch nach seiner Meinung einzelne Menschenrechte als Prinzipien ableiten.200 Wie Kant versteht er den Menschen als kooperations- und konfliktfähiges Wesen, als Sozialwesen, das auf soziale Gemeinschaft angewiesen ist. Auf der Grundlage von Gegenseitigkeit ist der Mensch nach Höffe zum Eintritt in Kooperationsverhältnisse bereit. Die transzendentalen und zusätzlich genuin sozialen, die „soziotranszendentalen Interessen“ sind seiner Meinung nach „die Bedingungen, auf die kein Mensch verzichten kann, weil sie für jedwede Lebensform gültig sind, und die darüber hinaus, weil vom Zusammenwirken abhängig, der Vergesellschaftung bedürfen.“201 Subjektive Rechte sind dann begrifflich an korrelative Pflichten gebunden, Menschenrechte also an entsprechend (formale) Menschenpflichten. „Nun stehe ich in der Menschenpflicht, sofern ich von den anderen jene Leistungen in Anspruch nehme, die lediglich unter der Bedingung der Gegenleistung erfolgen. Umgekehrt besitze ich das Menschenrecht, sofern die Leistung, die ja nur unter Voraussetzung der entsprechenden Gegenleistung erfolgt, von mir tatsächlich erbracht wird.“202 Universell gilt nach Höffe nicht ein bestimmtes (materiales) Recht, „sondern lediglich die Rechtsform des Zusammenlebens. Und diese besteht in Bedingungen, die das Zusammenleben erst ermöglichen, in Funktionsbedingungen von Gegenseitigkeit überhaupt, die den Rang einer transzendentalen (sozialen) Grammatik haben. Auf sie richtet sich der originäre Rechtsvertrag.“203 Otfried Höffes Lehre vom „transzendentalen Tausch“ beruht auf der Idee wechselseitiger Nutzenmaximierung und Klugheit. Soweit erst durch den 199 O. Höffe, Menschenrechte als Legitimation, in: J. Schwartländer (Hrsg.), Menschenrechte und Demokratie, 1981, S. 241 (253). 200 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 71 ff. 201 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 56 f. 202 O. Höffe, Transzendentale Interessen, in: W. Kerber, Walter (Hrsg.), Menschenrechte und kulturelle Identität, 1991, S. 15 (29). 203 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 59.

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

Tausch Freiheit gewonnen werden soll, vermag der von Höffe vorgeschlagene Tausch zwischen empirisch ungleichen Menschen, also zwischen Starken und Schwachen mit unterschiedlicher Tauschmacht gleiche Menschenrechte nicht zu begründen.204 5. Menschenrechte als Voraussetzung des Konsensprinzips und Gegenstand des Diskurses Als universell gültig können nach Jürgen Habermas die Handlungsnormen betrachtet werden, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten. Unter „rationalem Diskurs“ ist „jeder Versuch der Verständigung über problematische Geltungsansprüche“ zu verstehen, „sofern er unter Kommunikationsbedingungen stattfindet, die innerhalb eines . . . öffentlichen Raums das freie Prozessieren von Themen und Beiträgen, Informationen und Gründen ermöglichen“.205 Dies könnte auch einen Vorrang der Demokratie vor den Menschenrechten begründen.206 Karl Otto Apel gibt zu bedenken, daß die Universalität der Menschenrechte in Frage stünde, wenn Menschenrechte erst diskursiv begründet werden müßten.207 Er meint, daß „inhaltliche Grundnormen einer philosophisch begründbaren Gerechtigkeitsordnung . . . niemals allein aus dem Prinzip der Diskursethik und seiner Anwendung in einem idealen (praktischen) Normenbegründungsdiskurs abgeleitet werden können.“208 Die Kommunikationsvoraussetzungen, welche Bedingung für den rationalen Diskurs sind, setzen die Geltung von Menschenrechten, etwa des Rechts auf Leben, Meinungsäußerungsfreiheit, aber auch Religionsfreiheit voraus, weil ansonsten ein „freies Prozessieren“ undenkbar wäre. Dementsprechend sieht auch Habermas die Substanz der Menschenrechte „in den formalen Bedingungen für die rechtliche Institutionalisierung jener Art diskursiver Meinungsund Willensbildung, in der die Souveränität des Volkes rechtliche Gestalt annimmt“.209 Soweit die Geltung der Substanz der Menschenrechte Voraussetzungen des Diskurses ist, ist der Diskurs für die Begründung der Geltung der Menschenrechte ungeeignet.210 Deshalb verweist Habermas für die Begründung der Menschenrechte nicht auf den Diskurs, sondern auf Kant.211 204

Dazu A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 281 ff. J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 138 f. 206 Dazu kritisch S. Gosepath, Das Verhältnis von Demokratie und Menschenrecht, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 201 (211 ff.). 207 Vgl. K.-O. Apel, Diskursethik als Verantwortungsethik, in: G. Schönrich/Y. Kato (Hrsg.), Kant in der Diskussion der Moderne, 1996, S. 326 (355). 208 K.-O. Apel, Diskursethik als Verantwortungsethik, S. 355 f. 209 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 135. 210 In dem Sinn auch K.-E. Hain, Diskurstheorie und Menschenrechte, Der Staat 40 (2001), S. 193 (216). 211 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 225. 205

A. Menschenrechte

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Unbeschadet ihrer Begründung aus dem Recht der Freiheit oder als notwendige Diskursvoraussetzungen bedürfen Menschenrechte wegen ihrer Struktur als subjektive Rechte der Verwirklichung in einer Ordnung positiven und zwingenden Rechts212, die einklagbare subjektive Rechtsansprüche verschafft. Für die Materialisierung und Ausformung der Menschenrechte in einer Rechtsordnung ist der Diskurs unverzichtbar. Menschenrechte verlangen nach dem Status von Grundrechten, „die im Rahmen einer bestehenden, sei es nationalen, internationalen oder globalen Rechtsordnung gewährleistet werden“.213 Deshalb verfolgt Habermas die Idee einer „demokratischen Staatsbürgerschaft, die sich nicht partikularistisch abschließt“ und die „den Weg bereiten (kann) für einen Weltbürgerstatus“, so daß letztlich „Staatsbürgerschaft und Weltbürgerschaft . . . ein Kontinuum“ bilden.214 6. Rawls: Gerechtigkeit als Fairneß In seiner auch kantianisch beeinflußten Lehre der Gerechtigkeit als Fairneß hat John Rawls unter der Bedingung der Unparteilichkeit, des Schleiers des Nichtwissens, die Geltung allgemeiner Gerechtigkeitsgrundsätze, insbesondere auch der Menschenrechte entwickelt.215 Darüber hinaus hat er die sozioökonomischen Voraussetzungen herausgearbeitet, die im Sinne der Brüderlichkeit Voraussetzung für die Wahrnehmung der formalen Freiheit und Gleichheit der Armen und Schwachen sind und eine Lehre der Verteilungsgerechtigkeit aufgestellt.216 Durch die Verwirklichung von Grund- und Menschenrechten können Güter und Chancen umverteilt werden. In seiner Schrift über das Völkerrecht217 hat sich Rawls allerdings für die Geltung der Menschenrechte als Weltrecht von seiner eigenen „Theorie der Gerechtigkeit“ entfernt und eine gemäßigt relativistische Position bezogen218, weil man nicht „vernünftig“ erwarten könne, daß nicht-liberale Gesellschaften liberale Prinzipien der Gerechtigkeit akzeptierten.219 Im Gegensatz zu dem Bekenntnis in Art. 1 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung und auch zu Kant hängen seiner Meinung nach die Menschenrechte 212 Siehe J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 106; S. Gosepath, Das Verhältnis von Demokratie und Menschenrecht, S. 204 ff. 213 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 192 (225). 214 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 659 f. 215 J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, S. 140 ff., 223 ff. 216 J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 291 ff. 217 J. Rawls, Das Völkerrecht, in: S. Shute und S. Hurley (Hrsg.), Die Idee der Menschenrechte, 1996, S. 80 ff. 218 Vgl. zum Relativismus 3. Teil, S. 290 f. 219 J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 69, 80.

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

„von keiner Morallehre oder philosophischen Konzeption der menschlichen Natur ab, etwa der, wonach die Menschen sittliche Wesen sind und gleichen Wert haben oder wonach ihnen ein besonders sittliches oder geistiges Vermögen eigen ist, das ihnen diese Rechte verleiht.“

Die dafür vorausgesetzten, in der westlichen Tradition verwurzelten, philosophischen Grundlagen würden seiner Meinung nach von vielen oder den meisten hierarchischen Gesellschaften als Bevormundung ihrer Kulturen abgelehnt.220 Sein internationaler Begriff der Gerechtigkeit schließt zumindest wohlgeordnete, nicht-liberale (hierarchische) Gesellschaften ein, an die verminderte Anforderungen gestellt werden, die aber bestimmte grundlegende Menschenrechtsstandards erfüllen.221 Wohlgeordnete Gesellschaften respektieren grundlegende Menschenrechte wie Leben, (persönliche) Freiheit, persönliches Eigentum, Gleichheit vor dem Gesetz (nicht durch das Gesetz) und Emigration.222 Politische Freiheit und Gleichheitsprinzip (auch nicht als Chancengleichheit) beanspruchen allerdings für wohlgeordnete hierarchische Gesellschaften keine Geltung.223 Gewissensfreiheit und Gedankenfreiheit, Redefreiheit, Religionsfreiheit müssen in nicht-liberalen Gesellschaften nur in gewissem Maße bestehen.224 Zwar hat der Einzelne nicht das Recht der freien Rede, jedoch muß es eine „Konsultationshierarchie“, in der die Bürger als verantwortliche Mitglieder der Gesellschaft kooperieren können und in der unterschiedliche Stimmen Gehör finden, geben.225 Dies setzt die grundsätzliche Anerkennung der Vereinsfreiheit voraus.226 Weil in hierarchischen Gesellschaften oft eine Staatsreligion (oder Staatsideologie) die oberste Autorität innehat, ist die Religionsfreiheit in diesen Gesellschaften eingeschränkt und steht nicht allen Mitgliedern der Gesellschaft gleichermaßen zu. Dies ist mit Blick auf das Völkerrecht nach Ansicht von Rawls akzeptabel, solange die religiösen oder philosophischen Doktrinen ein gewisses Maß an Gewissensfreiheit gestatten, die Gesellschaft keine Religion verfolgt und deren Anhängern nicht die bürgerlichen und sozialen Bedingungen verwehrt, die erforderlich sind, damit sie ihre Religion friedlich und ohne Angst ausüben können.227 Wegen der Einschränkungen der politischen und persönlichen Freiheit in hierarchischen Gesellschaften ist es nach Rawls aber notwendig, daß hierarchische Gesellschaften das Recht auf Auswanderung anerkennen.228 220 221 222 223 224 225 226 227 228

J. J. J. J. J. J. J. J. J.

Rawls, Rawls, Rawls, Rawls, Rawls, Rawls, Rawls, Rawls, Rawls,

Das Das Das Das Das Das Das Das Das

Völkerrecht, Völkerrecht, Völkerrecht, Völkerrecht, Völkerrecht, Völkerrecht, Völkerrecht, Völkerrecht, Völkerrecht,

S. S. S. S. S. S. S. S. S.

80. 71 ff. 74 f. 73 ff. 74 f. 74, 81. 80. 75. 75.

A. Menschenrechte

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Diese grundlegenden Menschenrechte erachtet Rawls als den zumutbaren Weltmenschenrechtsstandard der „ordentlichen Mitglieder einer gerechten Völkerrechtsgemeinschaft“.229 Er bestimmt die Grenzen der inneren Souveränität des Staates230 und begrenzt den Pluralismus unter den Völkern.231 Zur Bestimmung des Weltmenschenrechtsstandards bedarf es nach Rawls nicht „des liberalen Gedankens, wonach die Menschen in erster Linie Bürger sind, also freie und gleiche Mitglieder der Gesellschaft, denen diese Rechte als Bürgerrechte zukommen. Erforderlich ist nur, daß die Menschen verantwortliche und miteinander kooperierende Mitglieder der Gesellschaft sind, die ihr Denken und Handeln in Übereinstimmung mit ihren moralischen Verpflichtungen zu bringen vermögen. . . . Die Menschenrechte, die sich aus diesen Mindestanforderungen ergeben, lassen sich auch nicht mit der Begründung verwerfen, sie seien spezifisch liberal oder allzusehr der westlichen Tradition verhaftet.“232

Heiner Bielefeldt sieht die weltrechtliche Geltung der Menschenrechte in Anlehnung an Rawls233 als Kern eines „overlapping consensus“.234 Der „overlapping consensus“ bezeichnet keinen faktischen, sondern einen normativen Konsens, der Grenzen der Toleranz festlegt.235 Anmerkung: Mit seiner vermittelnden Ansicht leugnet Rawls zwar die Autonomie als universelle Freiheit und die Erstreckung des materiellen Grundrechtsstandards westlicher Demokratien auf die ganze Welt, aber nicht eigentlich die Begründung universeller Menschenrechte. Im Widerspruch zu dem von ihm hypothetisch berücksichtigten Bevormundungseinwand nicht wohlgeordneter Gesellschaften geht er normativ von einer universellen Fähigkeit des Menschen zu Sittlichkeit und rechtlicher Kooperation aus, welche dem Bevormundungsvorwurf nicht ausgesetzt sei. Weil seine Relativierung somit nur den Umfang des Menschenrechtsschutzes begrenzt, aber nicht die Begründung universeller Menschenrechte grundsätzlich in Frage stellt, läßt sich dieser Widerspruch nicht auflösen.

229

J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 80. J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 82. 231 J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 83. 232 J. Rawls, Das Völkerrecht, S. 81. 233 J. Rawls, Political Liberalism, 1993, S. 133 ff. 234 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 145 ff.; siehe auch J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Pratice, S. 40. 235 Vgl. J. Rawls, Political Liberalism, S. 58 ff.; vgl. auch M. Mahlmann, Religiöse Toleranz und praktische Vernunft, ARSP 91 (2005), S. 1 (17 ff.). 230

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

IV. Fazit und Stellungnahme 1. Geltung der Menschenrechte als ursprüngliches Weltrecht in ihrem Menschenwürdegehalt a) Menschenwürde als menschliche Grundverfassung Vorausgesetzt ist das „Gewissen der Menschheit“236 als menschliche Grundverfassung. Ursprüngliche (apriorische) Verfassung der Menschheit und damit universell geltend ist die menschliche Würde.237 „Sie ist ,Natur‘ des Menschen; sie ist aber auch ,Kultur‘ . . . der Menschen im ganzen (der ,Menschheit‘)“238 und insoweit Gestaltungsauftrag nicht nur für einzelne Staaten239, sondern für die gesamte Menschheit. Ihre allgemeine und unbedingte Geltung beruht unabhängig von jeder Positivierung durch eine Rechtsordnung oder die tatsächliche Anerkennung in den Staaten240 und ohne Rücksicht auf Religion oder Weltanschauung auf dem Achtungsanspruch, der jedem Menschen zukommt.241 Die 236

Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte v. 10.12.1948. W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 178; vgl. auch P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR I, 1995, S. 815 ff.; M. Kotzur, Wechselwirkungen zwischen Europäischer Verfassungs- und Völkerrechtslehre, in: Liber amicorum P. Häberle, 2004, S. 289 (298 ff.); vgl. K. A. Schachtschneider, Die Würde des Menschen, S. 277; ders. (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 29 ff.; kritisch W. Schild, Menschenrechte als Fundament einer Weltverfassung, in: W. Kerber (Hrsg.), Menschenrechte und kulturelle Identität, 1991, S. 165 (176 ff.). 238 P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, 2004, § 22, 317, Rn. 98; siehe auch K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 6 ff. 239 Siehe W. Maihofer, Die Würde des Menschen, 1968, S. 41: Er betrachtet Art. 1 Abs. 1 GG als Auftrag „zur Abschaffung aller Verhältnisse, auch von solchen der außerstaatlichen Sphäre, welche die Menschenwürde des Menschen zu beeinträchtigen geeignet sind.“; vgl. auch dazu H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, HFR 8-1996, S. 8 ff.; J. Isensee, Menschenwürde, AöR 131 (2006), S. 173 ff. 240 K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 43 ff. 241 Dazu R. Spaemann, Über den Begriff der Menschenwürde“, S. 295 ff.; K. Stern, Idee der Menschenrechte, HStR, Bd. V, 1992, § 108, Rn. 3, 51; ders., Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1064 ff.; ders., Staatsrecht, Bd. III/1 S. 6 ff.; A. Haratsch, Ideal für alle Völker, MRM Dezember 1997, S. 24; S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 26 f., 58 f.; BVerfGE 87, 209 (228); G. Lohmann, Menschenrechte zwischen Moral und Recht, S. 76 f.; U. Weiß, Menschenwürde/Menschenrechte, in: W. Lütterfelds/Th. Mohrs, Eine Welt – Eine Moral?, 1997, S. 217 (218); J. Kokott, Naturrecht und Positivismus im Völkerrecht, in: Ch. J. Meier-Schatz/R. J. Schweizer, (Hrsg.), Recht und Internationalisierung, 2000. S. 3 (10); vgl. auch die Präambeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe; a. A. H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohmann, Frieden durch Recht, 1996, S. 251 (258 ff.), der sich gegen einen „Menschenrechtsfundamentalismus“ wen237

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Wurzeln für diesen Achtungsanspruch mögen in den Völkern religiös oder weltanschaulich unterschiedlich sein, treffen sich aber in der grundsätzlichen Verpflichtung gegenüber der Achtung des anderen. Er kommt dem Individuum nicht einfach wegen seines natürlichen Menschseins zu242, sondern wegen seiner Fähigkeit, Personalität zu entwickeln243, seiner grundsätzlichen (nicht tatsächlichen) Vernunftbegabtheit244 oder seiner prinzipiellen (nicht empirischen) Fähigkeit zu Moralität und Sittlichkeit245. Kant hat den kategorischen Imperativ auch als universelles Gebot der Achtung der Menschenwürde, als Selbstzweckhaftigkeit246, über die jeder Mensch unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung gleichermaßen verfügt, formuliert: „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“247 Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Gedanken mit der sogenannten Objektformel, die es von Günter Dürig248 übernommen hat, jedenfalls in dem Sinn aufgegriffen, daß die Subjektqualität des Menschen nicht prinzipiell in Frage gestellt werden darf.249 Allgemeiner kann die Würde, das Recht des Menschen, Person zu sein, det und die Menschenrechte nur positiv aus dem demokratischen Verfahren ableiten möchte, weswegen er im Ergebnis einen Weltstaat fordern muß; kritisch auch H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, Der Staat, 34 (1995), S. 1 (25 ff.), der ein universell gültiges Dogma der Autonomie des Menschen als Grundlage universeller Menschenrechte ablehnt, aber einen Minimalstandard als elementare Verletzungsabwehr befürwortet. 242 K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 6; C. Kissling, Menschenrechtlicher Mindeststandard, S. 5 ff.: manche Kulturen akzeptierten die Vorstellung nicht, daß der Mensch allein aufgrund seines Menschseins Träger von Rechten ist. Dazu J. Donnelly, Cultural Relativism, HRQ 1984, 400 (404); vgl. auch J. Isensee, Das verfassungsstaatliche Erbe der Aufklärung in Europa, HFR, 5-1996, S. 4: Der Grund der Würde könne nicht im Menschen selbst liegen. 243 M. Nettesheim, Die Garantie der Menschenwürde, AöR 130 (2005), S. 71 (93 ff.). 244 Cicero, De officiis, I, 11 (S. 14/15); vgl. kritisch M. Nettesheim, Die Garantie der Menschenwürde, AöR 130 (2005), S. 89, der in der „Vernunftsfähigkeit“ eine unzulässige metaphysische Anknüpfung erblickt. Dies ist aber widersprüchlich, weil er selbst den Gebrauch der Vernunft (Selbstbestimmung), mit dem Würdebegriff verbindet. 245 G. Pico della Mirandola, Oratio de hominis dignitate/Rede über die Würde des Menschen, hrsg. v. G. v. Gönna, 1997, S. 8/9 ff.; Kant, Die Religion, 1. Stück, hrsg. v. W. Weischedel, Bd. 7, S. 665 (BA 3, 4). 246 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 61 (BA 67); vgl. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 92 ff.; R. Spaemann, Über den Begriff der Menschenwürde“, in: E.-W. Böckenförde/R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 295 (303); M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 181. 247 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 61 (BA 67); vgl. dazu J. Schwartländer, Der Mensch ist Person, 1968; vgl. auch H. Wagner, Die Würde des Menschen, 1992, S. 166 ff.; zur Erweiterung dieser Formel auf alle natürlichen Dinge (Tiere, Umwelt) R. Spaemann, Über den Begriff der Menschenwürde, in: E.-W. Bökkenförde/R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 302 f. 248 G. Dürig, Der Grundsatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), S. 117 ff.

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

genannt werden.250 Sie beinhaltet das subjektive Recht, von jedem anderen als „anderer“, d. h. als Mensch und Person geachtet zu werden.251 Daraus folgt ein unmittelbar geltender Anspruch jedes Menschen, nicht durch fremde Willkür in seiner Würde verletzt zu werden. Der Achtungsanspruch ist zugleich der Normgehalt der Menschenwürde als objektives Prinzip und subjektives Recht.252 Insoweit ist die Menschenwürde ein Gegenprinzip zu rein utilitaristischer Rationalität253, welche eine Abwägung der Menschenwürde mit Nützlichkeitserwägungen ermöglichen will.254 Eine Auffassung, wonach sich aus der nicht seltenen tatsächlichen Mißachtung der Menschenwürde ein Dissens der internationalen Gemeinschaft über die universelle Geltung der Menschenwürde schließen lasse, verkennt, daß sich aus der empirischen Nichtbefolgung der Menschenrechte durch einige Staaten nicht grundsätzlich die normative Geltung der Menschenwürde verneinen läßt.255 Die Präambel der Charta weist darauf hin, daß die Völker in der Satzung der Vereinten Nationen „ihren Glauben . . . an die Würde und den Wert der menschlichen Person“ bekräftigt haben. Die Menschenwürde wird deshalb im Völkerund Staatsrecht als Grundlage der Menschenrechte angesehen.256 Dies kommt etwa auch in der Präambel der UN-Charta257, in Art. 1 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung sowie in den Präambeln der Menschenrechtspakte von

249 BVerfGE 9, 89 (95); 27, 1 (6); 28, 386 (391); 30, 1 (25 ff.) und 33 (39 f.); 50, 166 (175); 57, 250 (275); 87, 209 (228); dazu kritisch M. Nettesheim, Die Garantie der Menschenwürde, AöR 130 (2005), S. 79 ff. 250 W. Brugger, Menschenrechtsethos und Verantwortungspolitik, 1980, S. 288 f.; K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 13 ff.; ders., Idee der Menschenrechte, HStR, Bd. V, § 108, S. 3, Rn. 4, 8; M. Nettesheim, Die Garantie der Menschenwürde, AöR 130 (2005), S. 93 ff. 251 Vgl. auch H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, HFR 8-1996, S. 11; Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, in: Th. Marauhn (Hrsg.), Die Rechtstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S. 55 (56); Art. 7 Abs. 1 S. 3 der Brandenburgischen Verfassung lautet: „Jeder schuldet jedem die Anerkennung seiner Würde“; M. Nettesheim, Die Garantie der Menschenwürde, AöR 130 (2005), S. 103 ff.; soweit die Menschenwürde nicht selbst als Grundrecht angesehen wird, so ergibt sich ihr subjektiver Gehalt jedenfalls in Verbindung mit einzelnen Menschenrechten, deren Kern sie darstellt. So G. Dürig, in: Maunz/Dürig (Stand 1958), Art. 1 Abs. 1, Rn. 29, Anmerkung 1. 252 M. Nettesheim, Die Garantie der Menschenwürde, AöR 130 (2005), S. 98 ff. 253 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 182. 254 Siehe F. Hufen, Erosion der Menschenwürde, JZ 2004, 313 (317). 255 In dem Sinn auch W. v. der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 11 f. 256 Vgl. Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, S. 59 ff., 61 ff.; vgl. K. Stern, Idee der Menschenrechte, HStR, Bd. V, 1992, § 108, S. 5 ff.; kritisch M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. Art. 1 Abs. 1, Rn. 19. 257 „Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet.“

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1966 zum Ausdruck.258 Art. 1 Abs. 3 und Art. 55 lit. c UN-Charta enthalten einen Imperativ zur gleichen Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen. Damit werden die Grundzüge einer „Weltverfassung“ schon im Völkerrecht vorgeschrieben.259 Insoweit ist die Berufung auf einen Dissens unter den Staaten über die Geltung der Menschenwürde eigentlich ausgeschlossen. b) Menschenwürde als verbindlicher, judiziabler Menschenrechtskern Weil das Weltprinzip der menschlichen Würde abgesehen von der Subjektformel material offen ist, ist mit ihm zwar die Idee der Menschenrechte verbunden, aber kein bestimmter Menschenrechtskatalog im materiellen Sinn unmittelbar festgelegt.260 Die universale Geltung der Menschenwürde bedeutet nicht, daß alle Grundrechtstatbestände, wie sie in den verschiedenen Menschenrechtstexten enthalten sind, automatisch in ihrem jeweils denkbar weiten Inhalt weltrechtliche Verbindlichkeit beanspruchen können.261 Deshalb ist auch eine religiös oder materiell-naturrechtliche Begründung einer Charta universeller Menschenrechte problematisch, weil diese unter Umständen nicht universalisierbaren materiellen Moralvorstellungen entspringt, deren direkte Übertragung in das Recht tendenziell den Vorwürfen der Willkür und der Rechtsunsicherheit ausgesetzt ist.262 Universelle Verbindlichkeit erlangen die Menschenrechte anders als nach einer material-naturalistischen Betrachtungsweise nur in ihrem Kern263, der Würde des Menschen.264 Das ist der unveräußerliche menschenrechtliche Gehalt aller Grundrechte.265 Der Menschenwürdegehalt bedeutet keine quantitative Reduzierung der Menschenrechte auf einen Kernbestand, der nur bestimmte 258

Vgl. auch die Verknüpfung in Art. 1 Abs. 1 und 2 GG („darum“). Vgl. W. v. der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 15. 260 So auch S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 270; vgl. auch in Bezug auf Kant W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 97 ff.; kritisch M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rn. 19, 33. 261 So auch K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1075. 262 H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, JZ 1997, 429. 263 Vgl. auch O. Höffe, Vernunft und Recht, 1996, S. 79, mehr als „den Grundgedanken der Menschenrechte, die wechselseitige Unverletzlichkeit jedes Menschen“ dürften wir anderen Kulturen nicht zumuten; R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, S. 251 f., der auf die „Fundamentalität“ der Menschenrechte hinweist; vgl. auch P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 16 (18). 264 Vgl. auch L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 668 f. 265 Vgl. dazu BVerwGE 47, 330 (357); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, zu Art. 1, Rn. 22; allgemein zum Meinungsstand über den Wesensgehalt Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 2, Rn. 1 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 143 f.; 259

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Rechte umfaßt.266 Insoweit geht die Einordnung der Menschenrechte in ihrem Menschenwürdegehalt als geborenes Weltrecht über das ius cogens-Konzept hinaus, das in der Praxis nur einige wenige Menschenrechte, nicht aber den Kern aller Menschenrechte einbezieht. Auch der vermittelnde Ansatz von John Rawls, der bestimmte Rechte, wie die Religions- und Meinungsfreiheit, nicht als universell gültig einstuft, ist, was ihren Menschenwürdegehalt angeht, zurückzuweisen. Wegen der Unteilbarkeit von Würde und Freiheit sind „alle Menschenrechte . . . allgemeingültig, unteilbar, bedingen einander und bilden einen Sinnzusammenhang.“267 Gegebenenfalls haben die einzelnen Rechte aber einen mehr oder weniger großen Menschenwürdegehalt. Als Kern aller Menschenrechte ist das Prinzip der Menschenwürde zwar inhaltlich offen, aber nicht inhaltsleer268, sondern (ähnlich wie das in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Freiheitsgrundrecht) bestimmbar und insoweit jedenfalls in Verbindung mit einzelnen Menschenrechten und Unrechtserfahrungen durchaus judiziabel.269 Wird die Menschenwürde im Sinne der Autonomie und Subjekthaftigkeit des Menschen ernst genommen270, gibt ihr Begriff dem Konzept universeller Menschenrechte nicht nur eine Begründung, sondern auch eine inhaltliche Orientierung.271 Über den Menschenwürdegehalt hinaus bedürfen die Menschenrechte aus Gründen der Rechtssicherheit und ihrer bestmöglichen H.-D. Jarass/B. Pieroth, GG, 2000, Art. 19 Abs. 2, Rn. 6 f.; vgl. M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rn. 23. 266 In dem Sinn aber R. Herzog, Die Rechte des Menschen, in: Die Zeit v. 6.9.1997, S. 3 (4); Th. Meron, Hierarchy of International Human Rights, in: Ph. Alston, The Sources of Human Rights Law, 1996, S. 15; W. Kersting, Diät für Menschenrechte, Frankfurter Allgemeine Zeitung 297 v. 21.12.1999; zu Recht kritisch H. v. Senger, Menschenrechtsgedanke, in: W. Schweidler (Hrsg.), Menschenrechte und Gemeinsinn, 1988, S. 267 (270 ff.); C. Kissling, Menschenrechtlicher Mindeststandard, HFR 122001, S. 4; R. Kreide, Soziale Menschenrechte und Verpflichtungen, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 121 (143 f.). 267 Schlußerklärung der Wiener Weltkonferenz über die Menschenrechte, Wiener Erklärung und Aktionsprogramm v. 12.7.1993, I.5, in: Gleiche Menschenrechte für alle, Bonn 1994, S. 16; General Assembly Resolution 48/141 vom 20.12.1993 über den Hochkommissar für Menschenrechte, A/RES/48/141, 7.1.1994, Nr. 3 (b); G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 2, Rn. 87. 268 So aber N. Hoerster, Zur Bedeutung des Prinzips der Menschenwürde, JuS, 1983, 93 (95 f.); M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rn. 11, 19, 23; zu der Schwierigkeit und den verschiedenen Bemühungen, den Inhalt der Menschenwürde zu bestimmen K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 24 ff.; den Vorwurf der Leerformel im Ergebnis ablehnend J. Isensee, Menschenwürde, AöR 131 (2006), S. 183 ff.; J. F. Lindner, Die Würde des Menschen und sein Leben, DÖV 2006, 577 (581 ff.). 269 Vgl. nur BVerfGE 45, 187 (229, 238 ff.); 49, 24 (64); BVerfG, 1 BvR 357/05 v. 15.2.2006, in: NJW 2006, 751 (753 ff.), wenn auch zu Recht für die deutsche Rechtsordnung vor Aufweichungen des großen Prinzips zu „kleiner Münze“ gewarnt wird. Dazu J. Isensee, Menschenwürde, AöR 131 (2006), S. 187 ff. 270 Vgl. dazu aus philosophischer Sicht H. Wagner, Die Würde des Menschen, S. 138 ff., 166 ff.

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Wirksamkeit näherer Materialisierung und Sicherung durch die Rechtsordnung272, primär durch das staatliche Recht273, sekundär durch die Verbesserung der Effektivität des internationalen Menschenrechtsschutzes. Auch ohne Positivierung werden Menschenrechte aber unmittelbar in ihrem Kern (der Menschenwürde) erkennbar verletzt, wenn der Mensch unter Mißachtung der Menschheit in seiner Person (seiner Selbstbestimmung, nicht schon bei jeder individuellen Interessenbeeinträchtigung)274 willkürlich zum Objekt des Staates oder anderer herabgewürdigt wird, daß für Güterabwägungen kein Raum mehr bleibt275 und sich eindeutige Verbote oder Gebote formulieren lassen. Bedenken aus Gründen der Rechtssicherheit kann es dann nicht geben.276 Kriterium für die Betroffenheit des universellen Menschenrechtskerns ist die Schwere und Evidenz der Rechtsverletzung. Sie erkennen nicht nur speziell ausgebildete Juristen unter Anwendung der auf das positive Recht zugeschnittenen juristischen Methoden. Der mündige Mensch als geborener Interpret der Menschenrechte ist dazu am objektivierten Maßstab praktischer Vernunft in der Lage, wie sich dies im colère publique (S. 504) manifestiert. Die der allgemein menschlichen Vernunft einleuchtende und insoweit allgemeine Evidenz der Rechtsverletzung als Methode der Interpretation des Menschheitsrechts ist kein Widerspruch zur erkenntnistheoretisch erforderlichen Objektivität, sondern beweist und garantiert die Universalität des Menschheitsrechts. Unbestreitbares Fundament der gegenseitigen Achtung als Mensch und Inhalt der Menschenwürde ist es, keinem Menschen das Recht auf Existenz, auf Leben und körperliche Integrität abzusprechen.277 Eine evidente Menschenrechtsverletzung zeigt sich jedenfalls in Erniedrigung und Beugung des freien Willens (z. B.

271 Vgl. S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 58; dazu auch U. Weiß, Menschenwürde/Menschenrechte, S. 217 ff.; vgl. auch H. Jarass/B. Pieroth, GG, Art. 1, Rn. 3; P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, § 22, S. 317, Rn. 38; BVerfGE 30, 1 (40): „Es ist ein in Art. 1 GG wurzelnder Grundsatz, der unmittelbar Maßstäbe setzt.“ 272 Vgl. a. S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 271. 273 H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, Der Staat 34 (1995), S. 16 ff. 274 Vgl. G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rn. 4. 275 Vgl. BVerfGE 27, 1 (6); 50, 166 (175); 63, 332 (337); 87, 209 (228); R. Spaemann, Über den Begriff der Menschenwürde“, S. 309 f.; P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, § 22, S. 317, Rn. 56; vgl. aber für die Anwendung von Abwägungen auch im Bereich der Menschenwürde M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rn. 50, 65; F. Hufen, Erosion der Menschenwürde, JZ 2004, 317; kritisch dazu E.-W. Böckenförde, Bleibt die Menschenwürde unantastbar?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2004, 1219. 276 R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 2002, S. 90 ff. 277 Dazu J. F. Lindner, Die Würde des Menschen und sein Leben, DÖV 2006, 577 ff.

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Folter, Sklaverei)278 oder in Demütigung279, aber auch in der Instrumentalisierung des Menschen z. B. bei Terrorakten280. Der Menschenwürde widerspricht darüber hinaus auch systematische Willensbeugung oder Bevormundung281, welche die gleiche Selbstbestimmung ausschließt282, namentlich wenn eines erwachsenen Menschen (partielle oder vollständige) Unmündigkeit oder die einer bestimmten Personengruppe (z. B. Frauen, Schwarze) generell unterstellt wird, selbst wenn dies in wohlmeinender (paternalistischer) Absicht geschieht.283 Die Vorenthaltung der Meinungs-, Gewissens-, und Religionswahlfreiheit berührt die Menschenwürde, soweit dadurch die Selbstbestimmung des Menschen nicht nur eingeschränkt, sondern verhindert wird. Weil die Menschenwürde gebietet, den Menschen als Subjekt allen Handelns anzusehen, folgt aus der Menschenwürde grundsätzlich nicht nur ein Recht auf private, sondern auch auf elementare politische Selbstbestimmung.284 Insbesondere kulturelle, soziale und wirtschaftliche Rechte, deren Materie notwendig wesentlich vom jeweiligen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen Kontext abhängen, sind nicht mit einem über den Aspekt der Achtung der Existenzberechtigung und der Befähigung zur Selbständigkeit hinausgehenden Inhalt, allein aus der Menschheit des Menschen heraus universell verbindlich. Sie bedürfen für ihre weitere materielle Ausgestaltung, insbesondere der Bestimmung ihrer Grenzen, der Positivierung285 sowie der Auslegung in der nationalen Rechtsordnung286 sowie auch in der Völker- und Weltrechtsrechts278

Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, S. 60. Vgl. dazu BVerfGE 1, 97 (104); 30, 1 (40); 45, 187 (228). 280 Dazu Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, S. 55 f., 74 ff. 281 Vgl. BVerfGE 6, 32 (40); 72, 105 (116); 75, 1 (16 f.); 96, 375 (400); 45, 187 (228): „denn die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, daß er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt.“ 282 Zur gleichheitsrechtliche Dimension der Menschenwürde J. F. Lindner, Die Würde des Menschen und sein Leben, DÖV 2006, 584. 283 Vgl. BVerfGE 30, 1 (40); siehe auch BVerfGE 5, 85 (204); 7, 198 (205); 9, 89 (95); 27, 1 (6); K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, in: Revolution der Krankenversicherung, 2002, S. 29. 284 P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, S. 317, Rn. 67 ff. 285 Zum Kodifikationsstand internationaler Sozialstandards A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, 2005, S. 44 ff.; zum Umfang der Geltung internationaler Sozialstandards in nationalen Rechtsordnungen A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 181 ff. 286 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verweist regelmäßig auf den „margin of appreciation“ oder „la marge d’appréciation“ der Staaten bei der Auslegung der Menschenrechte der EMRK. Dazu J. Velu/R. Ergec, La convention européenne des droits de l’homme, 1990, S. 56, Rn. 59 ff. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte haben Feststellungscharakter. Sie überlassen dem Staat die Wahl der Mittel seiner innerstaatlichen Rechtsordnung, um die ihm nach Art. 53 EMRK obliegende Verpflichtung zu erfüllen. 279

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ordnung287. Bestimmte Rechte, insbesondere Leistungsrechte, sind überhaupt erst ab einem bestimmten Niveau wirtschaftlicher, technologischer und sozialer Entwicklung möglich.288 Das Recht auf Arbeit (Art. 23 AEMR, Art. 1 Europäische Sozialcharta, Art. 6 IPwskR)289, wird erst in einer arbeitsteiligen Gesellschaft relevant. Dort hat es allerdings vielfach die essentielle Funktion des von John Locke als Menschenrecht herausgestellten Eigentumsrechts, nämlich die Erlangung von Selbständigkeit.290 Es hieße, die Befugnisse der Justiz gegenüber der Legislative und der Exekutive zu überdehnen, hierin einen einklagbaren Anspruch auf einen Arbeitsplatz zu verstehen.291 Im Sinne der objektiven Dimension gibt es allerdings ein Recht auf eine Politik, die das Ziel der Vollbeschäftigung292 nicht vernachlässigt.293 Grundrechtsgewährleistungen in einer staatlichen Verfassung, die aufgrund der spezifischen Solidarität der Gemeinschaft in ihrer Wohlfahrtswirkung über den Menschenwürdegehalt hinausgehen, können nicht von sich aus universelle Geltung beanspruchen. Sie berühren aber nicht die universelle Geltung und Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde.294 c) Recht auf Durchsetzbarkeit der Menschenrechte Aus jedem einzelnen Menschenrecht folgt ein Anspruch auf effektiven Schutz vor Menschenrechtsverletzungen.295 Dies fordert ein rechtsstaatlich und freiheitlich organisiertes politisches (republikanisches)296 Gemeinwesen, in wel287 Vgl. zur Vertragsinterpretation Art. 31–33 WVK; zur Interpretation und Dynamisierung internationaler Sozialstandards A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 228 ff., zu den Auslegungsmethoden, insbesondere bei Menschenrechtsverträgen, S. 273 ff. 288 N. Bobbio, Das Zeitalter der Menschenrechte, S. 75. 289 Vgl. dazu R. Breuer, Freiheit des Berufs, HStR, Bd. VI, § 147, S. 877, Rn. 7, 10, 13 ff., 73 f.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rn. 44 ff.; dazu kritisch H. v. Senger, Menschenrechtsgedanke, S. 272; eingehend zur Begründung des Rechts auf Arbeit K. A. Schachtschneider, Recht auf Arbeit, S. 825 ff.; vgl. auch O. Höffe, Wirtschaftsbürger, Staatsbürger, Weltbürger, 2004, S. 26 f. 290 N. Bobbio, Menschenrechte und Gemeinschaft, S. 76; vgl. a. dazu K. A. Schachtschneider, Recht am und Recht auf Eigentum, S. 766 ff. 291 Dazu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 461. 292 BVerfGE 103, 293 ff. 293 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, 579 ff.; ders., Recht auf Arbeit, S. 830 ff.; vgl. auch O. Höffe, Wirtschaftsbürger, Staatsbürger, Weltbürger, S. 27. 294 H. Quaritsch: Der grundrechtliche Status der Ausländer, HStR, Bd. V, 1992, § 120, S. 663 (732, Rn. 134); für eine Relativierung aber H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, HFR 8-1996, S. 8 f.; vgl. auch BVerfGE 54, 341 (357). 295 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 377; vgl. auch BVerfGE 30, 1 (40 ff.). 296 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 366 (AB 74), 464 (A 213/B 242, 243); vgl. auch R. Alexy, Die Institu-

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chem die Menschenrechte auch für den Einzelnen vor Gerichten einklagbar sind.297 Mit den Menschenrechten ist damit ein Recht auf einen Rechtsstaat verbunden. Art. 10 AEMR und Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK weisen den Rechtsschutz vertraglich als Menschenrecht aus. d) Drittwirkung der Menschenrechte Fraglich ist, ob und wieweit Menschenrechte, namentlich die völkerrechtlichen Menschenrechtsnormen, welche innerstaatlich gelten, nur zwischen Bürger und Staat Wirkung entfalten oder auch zwischen Privaten (über das Privatrecht) und welche Auswirkungen dies auf die innerstaatliche Rechtsordnung hat.298 Der „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“299 im Sinne Kants sowie Otfried Höffes Konzeption von den „soziotranszendentalen Interessen“ und der Gegenseitigkeitsbeziehung zwischen Menschenrechten und Menschenpflichten (oben 4.) entspricht in dogmatischer Hinsicht eine grundsätzliche Drittwirkung der Menschenrechte. Das deutsche Grundgesetz ordnet in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG ausdrücklich eine unmittelbare Drittwirkung an.300 „Abreden“, welche die Koalitionsfreiheit „einschränken oder zu behindern suchen“ sind „nichtig“. Im übrigen steht das Grundgesetz der Annahme einer Drittwirkung nicht entgegen. Auch Art. 1 Abs. 3 GG sagt nichts darüber, daß die Grundrechte ausschließlich die dort genannten Gewalten verpflichten sollen.301 Die von Hans Carl Nipperdey angeführte Lehre und Praxis des Bundesarbeitsgerichts nehmen jedenfalls für bestimmte Grundrechte (insbesondere für Art. 1–6 GG) an, daß diese auch die Privatrechtssubjekte unmittelbar binden, insbesondere solche mit hoher sozialer Macht (z. B. Unternehmen).302 Rechtshandlungen und Verträge, die drittwirtionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1999, S. 244 (254 ff.). 297 Dazu R. Tetzlaff, Den Opfern eine Stimme geben, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 292 (309 f.); R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, S. 254 ff.; Th. Pogge, Menschenrechte als moralische Ansprüche an globale Institutionen, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 378 (385 ff.); vgl. auch BVerfGE 30, 1 (40 ff.). 298 Vgl. dazu J. Delbrück, Drittwirkung der Grundrechte durch völkerrechtliche Verpflichtung?, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 44 ff. 299 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 300 R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 2005, S. 168. 301 R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 168. 302 H. C. Nipperdey, Die Würde des Menschen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, die Grundrechte, Bd. 2 (1954/58), S. 35 ff.; ders., Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Bettermann/Nipperdey, die Grundrechte, Bd. 4/2 (1962), S. 752 ff; BAGE 1, 258 (261); 1, 185 ff.; 1, 348 (357); 4, 22 (25); 4, 274 ff.; 14, 61 (63 ff.); 28, 168 (172 ff.);

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kende Grundrechtspositionen verletzen, sind demzufolge gemäß § 134 BGB nichtig.303 Nach der von Günter Dürig begründeten, überwiegend vertretenen, Auffassung soll sich wegen der „Privatautonomie“ und „Gleichordnung“ der Bürger untereinander die Drittwirkung nicht unmittelbar als subjektives Recht, d. h. als einklagbarer Anspruch gegenüber der anderen Person entfalten, sondern lediglich mittelbar.304 Aus der objektiven Dimension der Grundrechte305 folgt, daß die Grundrechte Leitprinzipien und Schutzpflichten gegenüber Dritten aufstellen306, welche bei Setzung und Anwendung des Privatrechts im Rahmen von Generalklauseln (etwa §§ 138, 242 und 826 BGB) berücksichtigt werden müssen. Mögliche Rechtsfolgen sind die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts oder Schadensersatz. Gegebenenfalls bestehen auch Ansprüche auf Leistungen.307 Eine erzwingbare Rechtspflicht, einen Vertrag mit einem menschenrechtskonformen Inhalt (insbesondere Lohn und Arbeitsbedingungen) abzuschließen, ist danach nicht etabliert.308 Der Wortlaut der völkerrechtlichen Texte spricht eher dafür, daß sich die Menschenrechte entgegen der restriktiveren Meinung und völkerrechtlichen Tradition nicht nur an den Staat richten, sondern ebenfalls Drittwirkung haben.309 Die Präambel der AEMR appelliert an „jede(n) einzelne(n) und alle Organe der 41, 150 (157 ff.); 44, 201 (210 f.); im Sinne mittelbarer Drittwirkung allerdings BAGE 47, 363 (375); W. Däubler, Arbeitsrecht 2, 1998, S. 287; vgl. auch W. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 306 ff.; mit anderer Konzeption J. Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung, 1971, wonach die Grundrechte auch im Privatrecht voll gelten, weil auch die Privatrechtsordnung staatliches Recht sei; dazu kritisch aus Gründen der Privatautonomie G. Dürig, in: Maunz/Dürig, zu Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 506. 303 J. Delbrück, Drittwirkung der Grundrechte durch völkerrechtliche Verpflichtung?, 1974, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, hrsg. v. K. Dicke/S. Hobe/K.-U. Meyn/E. Riedel/H.-J. Schütz, 1996, S. 44 (52). 304 Dazu G. Dürig, in: Maunz/Dürig, zu Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 505–519, zu Art. 3 Abs. 3 GG Rn. 172; vgl. auch B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, S. 43 ff., Rn. 173 ff.; J. Delbrück, Drittwirkung der Grundrechte durch völkerrechtliche Verpflichtung?, S. 49 ff. 305 Dazu H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 28 ff. 306 BVerfGE 103, 89, 100; siehe auch P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 70 f., 96 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 342 ff. 307 Dazu G. Dürig, in: Maunz/Dürig, zu Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 518 f. 308 Vgl. J. Delbrück, Drittwirkung der Grundrechte durch völkerrechtliche Verpflichtung?, S. 52, 55 f.; vgl. auch die Überlegungen zur Fortentwicklung im deutschen Recht, S. 56 ff. 309 Befürwortend A. Khol, Der Menschenrechtskatalog der Völkergemeinschaft, 1968, S. 36; a. A.: M. Scherf, Die Umsetzung des internationalen Paktes, 1990, S. 65; J. Delbrück, Drittwirkung der Grundrechte durch völkerrechtliche Verpflichtung?, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 46 f., der in diesem Pakt für den einzelnen nur „Rechtsreflexe“ erkennen will; dazu auch P. Egli, Drittwirkung, 2002, S. 228 ff.

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Gesellschaft“, sich „diese Erklärung stets gegenwärtig“ zu halten. Gemäß Art. 1 AEMR sollen sich die Menschen „im Geiste der Brüderlichkeit“ begegnen und gemäß Art. 29 Nr. 1 AEMR hat „jeder Mensch Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entwicklung seiner Persönlichkeit möglich ist.“ In den Präambeln des Pakts für bürgerliche und politische Rechte und des Sozialpakts findet sich der Satz, daß der „einzelne gegenüber seinen Mitmenschen und der Gemeinschaft, der er angehört, Pflichten hat und gehalten ist, für die Förderung und Achtung der in diesem Pakt anerkannten Rechte einzutreten“. Art. 13 EMRK gibt jeder Person ein Beschwerderecht, „auch wenn die Verletzung von einer Person begangen worden ist, die in ihrer amtlichen Eigenschaft gehandelt hat“. Daraus läßt sich schließen, daß dem Artikel vorwiegend Bedeutung zukommt, wenn sich die Beschwerde gegen Private richtet.310 Die Menschenrechte geben kein Recht, andere Menschen in ihren Rechten zu verletzen, sondern haben ihre Grenzen in den „Rechten anderer“ (vgl. Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 2 GG; Art. 29 Abs. 2 AEMR; Art. 8 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 1 EMRK).311 Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften betont in allen seinen Grundrechtsurteilen die soziale Funktion der Grundrechte.312 Die Rechte der „Anderen“ sind somit mit den Menschenrechten mitgeregelt. Menschenrechte haben ihrem Zweck nach jedenfalls in ihrem Menschenwürdekern unmittelbare Wirkung zwischen Menschen (sogenannte Drittwirkung); denn in ihrem Menschenwürdegehalt sind die Menschenrechte als gegenseitiger Achtungsanspruch, zunächst (auch unabhängig von einem Staatswesen)313 eine (provisorische) wechselseitige unmittelbare Berechtigung und Verpflichtung unter den Menschen.314 Die Menschenwürde ist die Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft315, auch der Weltgesellschaft (Art. 1 AEMR). Soweit sich die Menschen zu einer politischen Gemeinschaft auf der Basis der Gegenseitigkeit zusammenschließen, wird die Verpflichtung zur gegenseitigen Achtung der Menschenwürde von dieser übernommen, materialisiert und

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Dazu P. Egli, Drittwirkung, S. 232 f. Dazu P. Egli, Drittwirkung, S. 233. 312 EuGH, Rs C-44/89 von Deetzen, Slg. 1991 I, 5119 (5157, Rn. 28); Rs 177/90 Kühn, Slg. 1992 I, S. 35 (63, Rn. 16); Rs C-306/93 SMW Winzersekt, Slg. 1994 I, S. 5555 (5581, Rn. 22); Rs C-44/94 The Queen, Slg. 1995 I, S. 3115 (3152, Rn. 55); st. Rspr.; dazu A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 333 ff.; siehe schon P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983, S. 11. 313 O. Höffe, Transzendentale Interessen, S. 16 f. 314 Vgl. R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 169. 315 Vgl. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Brandenburgische Verfassung; vgl. dazu H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, HFR 8-1996, S. 8 ff.; P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, § 22, S. 317, Rn. 59. 311

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durchgesetzt (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG).316 Endgültig gesichert als universelles Rechtsprinzip wird die Würde des Menschen erst in der mehrgliedrigen Menschheitsverfassung.317 Zumindest mittelbar besteht die Drittwirkung auch in einer verfaßten Ordnung.318 Nach dem weltrechtlichen Charakter der Menschenrechte kann eine staatliche Ordnung, welche die Menschenrechte nicht anerkennt, nicht als legitim angesehen werden. Sie hat, wie dies Art. 16 der französischen Menschenrechtserklärung von 1789 ausdrückt, wenn sie ebenfalls den Gewaltenteilungsgrundsatz mißachtet, „keine Verfassung“. Soweit allgemeine staatliche Gesetze keine oder evident unzureichende Regelungen zum Schutz der Menschenrechte treffen, es also insoweit an einer verfaßten Ordnung fehlt, bleibt es bei der unmittelbaren Wirkung der Menschenrechte zwischen den Menschen, jedenfalls in ihrem Menschenwürdegehalt.

2. Zeitlosigkeit und Universalität der Menschenwürde Weil die Menschenwürde an keine andere Materie als an den Wert des Menschen als Person anknüpft319, ist sie unbeschadet verschiedener kultureller, soziologischer, ethnischer philosophischer oder religiöser Begründungs- und Auslegungsmöglichkeiten320 in ihrem Normgehalt ein formales und damit universelles Prinzip.321 Der Begriff „formal“ bezieht sich auf die gleiche angenommene Willensautonomie eines jeden Rechtsunterworfenen, auf Freiheit und Gleichheit als den wesentlichen Inhalt des Rechts.322 Allgemein gründet die Menschenwürde in der Idee, den anderen Menschen als gleichwertig zu achten, 316 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 78 f.; ders., Transzendentaler Tausch, S. 31; vgl. auch P. Koller, Der Geltungsbereich der Menschenrechte, S. 100 f. 317 Vgl. P. Kondylis: Die Rache des Südens, in: FAZ Nr. 97 v. 25.4.1992, Beilage Bilder und Zeiten. 318 Dazu G. Dürig, in: Maunz/Dürig, zu Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 505–519, zu Art. 3 Abs. 3 GG, Rn. 172; vgl. auch B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, S. 43 ff., Rn. 173 ff.; J. Delbrück, Drittwirkung der Grundrechte durch völkerrechtliche Verpflichtung?, S. 49 ff. 319 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 183; vgl. B. Bujo, Welches Weltethos begründet die Menschenrechte?, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 36 (39); kritisch M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rn. 11. 320 Zum Kulturbezug der Menschenwürde P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, § 22, S. 317, Rn. 46 ff. 321 Vgl. P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, § 22, S. 317, Rn. 46 ff., 51; a. A. Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, S. 67 ff. 322 Vgl. die Erläuterungen zum Formalismus Kants bei J. Schwartländer, Der Mensch ist Person, S. 144 ff.; H. Wagner, Die Würde des Menschen, S. 373 ff.; zur Herkunft des Menschenwürdekonzepts auch H. Hofmann, Die Entdeckung der Menschenrechte, S. 11 ff.

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und nicht nur in einem bestimmten, etwa dem abendländisch-christlichen323, Menschenbild.324 Bereits der Florentiner Humanist Pico della Mirandola hat in 900 Thesen dargelegt325, daß die verschiedenen, in seiner Zeit bekannten Philosophien und Theologien die Würde des Menschen im Sinne der Fähigkeit zu geistig-sittlicher Selbstbestimmung als allgemeingültige Wahrheit anerkannten.326 Die Zustimmung aller vernünftigen Wesen zum Inhalt der Menschenwürde kann antizipiert werden.327 Die Materie der Menschenwürde ist geeignet, in jeder denkbaren Rechtsetzungs- und Rechtsanwendungssituation berücksichtigt zu werden.328 Die Menschenwürde legt damit den Menschen nicht auf ein bestimmtes „Menschenbild“ oder ein bestimmtes Konzept menschenwürdigen oder sittlich-guten Lebens fest.329 Menschenwürde und Menschenrechte fußen lediglich auf der Anerkennung des Menschen als ein der sittlich-vernünftigen Entscheidung fähiges und eigene Daseinsverantwortung tragendes Subjekt.330 Empirisch sucht der Mensch zwar seine Bedürfnisbefriedigung, aber gleichzeitig ist er auch ein mit Vernunft und Gewissen begabtes Wesen (Art. 1 AEMR), welches begrenzt zu Altruismus fähig ist. Seine materiellen, sittlichen Vorstellungen sind zwar durch seine eigene Kultur geprägt, doch ist er aufgrund seiner Vernunft in der Lage, sein Urteil im Hinblick auf andere Menschen und Kultu323 So aber J. Isensee, Das verfassungsstaatliche Erbe der Aufklärung in Europa, HFR, 5-1996, S. 4 ff.; zu den christlichen Wurzeln der Menschenwürde vgl. W. Pannenberg, Christliche Wurzeln des Gedankens der Menschenwürde, in: W. Kerber (Hrsg.), Menschenrechte und kulturelle Identität, 1991, S. 61 (64 ff.). 324 Dazu M. Kriele, Zur Universalität der Menschenrechte, ARSP, Beiheft 51 (1993), S. 52 ff.; O. Höffe, Transzendentaler Tausch, S. 31 ff.; in dem Sinn auch H. Hofmann, Die Entdeckung der Menschenrechte, S. 18; H. Bielefeldt, Universale Menschenrechte angesichts der Pluralität der Kulturen, in: H.-R. Reuter (Hrsg.), Ethik der Menschenrechte. Zum Streit um die Universalität einer Idee I, Tübingen, 1999, S. 43 ff.; zu anderen Grundlagen der Menschenwürde und Konzeptionen der Menschenrechte vgl. U. Weiß, Menschenwürde/Menschenrechte, S. 217 ff.; K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, in: Fs. H. F. Zacher, S. 1074; A. Siegetsleitner/N. Knoepffler (Hrsg.), Menschenwürde im interkulturellen Dialog, 2005; A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, 1999, S. 228 ff. 325 G. Pico della Mirandola, Conclusiones nongentae (1486), hrsg. v. A. Biondi, 1995, S. 3 ff.; siehe auch ders., Oratio de hominis dignitate/Rede über die Würde des Menschen; zur Bedeutung Picos für den Begriff der Menschenwürde R. Gröschner, Menschenwürde und Sepulkralkultur in der grundgesetzlichen Ordnung, 1995, S. 29 ff. 326 Vgl. aus neuerer philosophischer Sicht H. Wagner, Die Würde des Menschen, 1992. 327 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 314. 328 K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 68; i. Ergebnis auch W. v. der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 13. 329 I. d. S. aber J. Isensee, Das verfassungsstaatliche Erbe der Aufklärung in Europa, HFR, 5-1996, S. 1 ff.; dazu auch J. Donnelly, Cultural Relativism, HRQ 1984, 400 (404). 330 Vgl. K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 67 f.; H. Hofmann, Die Entdeckung der Menschenrechte, S. 18; P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, § 22, 317, Rn. 98.

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ren im Verständnis deren Erfahrungen und Werte zu verallgemeinern.331 Aufgeklärtheit setzt an den allgemeinsten menschlichen Prinzipien der Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Mitmenschlichkeit an.332 Nach Robert Alexy enthalten alle Rechtssysteme „von einer minimalen Entwicklungsstufe an notwendig Prinzipien.“333 Der Vertreter des Libanon bei den Vereinten Nationen zur Zeit der Entwicklung der Allgemeinen Menschenrechtserklärung hat in diesem Sinne geäußert: „The draft declaration might even state that all human beings were born free and equal in dignity apt in right because they were endowed with reason and conscience.“334

Unter diesem hypothetischen Konsens steht jeder Diskurs über die Menschenrechte. Daraus ergibt sich ihr universeller Geltungsanspruch335 und ihr Weltrechtscharakter. Weil die Menschenrechte nur die „basis structure of society“336 markieren, aber keine bestimmte Weltanschauung oder einen spezifischen Begriff des guten Lebens vorgeben337, bleibt gerade unter der Anerkennung der Autonomie des Menschen, welche erst die Voraussetzung schafft, daß jeder sein Glück auf seine Weise finden kann, Raum für vielfältigste religiöse, weltanschauliche Überzeugungen und kulturelle Lebensformen.338 Freiheit („als Mensch“) drückt Kant auch in der Formel aus: „Niemand kann mich zwingen, auf seine Art . . . glücklich zu sein, sondern darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit anderer, einem ähnlichen Zwecke nachzustreben, die mit der Freiheit von jedermann nach einem möglichen allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, (d. i. diesem Rechte des andern) nicht Abbruch tut“.339

331 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 178; P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, § 22, Bd. II, S. 317, Rn. 54 f. verweist auf den „Du-Bezug“ der Menschenwürde; kritisch M. Walzer, Lokale Kritik – globale Standards, 1996, S. 26 ff. 332 Vgl. die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, S. 179; vgl. auch W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 183; R. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, 1984, S. 440. 333 R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 126. 334 UN GAOR, 3rd Session 1948–49, 3rd Committee, 99th meeting, S. 119. 335 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 314 f. 336 Vgl. J. Rawls, Political Liberalism, S. 11 u. ö. 337 Vgl. Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, S. 58. 338 Vgl. J. Hersch (Hrsg.), Le droit d’être un homme, eine im Rahmen der UNESCO erstellte Textsammlung, die Affinitäten zwischen Menschenrechten und unterschiedlichen Traditionen dokumentiert, 1968. 339 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145 (A 235, 236).

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3. Gemeinsame Unrechtserfahrungen Menschenrechte sind nach ihren geschichtlichen Entstehungsbedingungen Forderungen, die gegen die herrschende Macht und die oft mit ihr verbundene dominante gesellschaftliche Schicht aufgrund von elementaren Unrechtserfahrungen eingefordert und schließlich als Recht anerkannt werden.340 „Die einzelnen Menschenrechte müssen ausgesprochen werden: in einer geschichtlichen Situation, als Reaktion auf geschichtlich erfahrenes Unrecht, auf geschichtlich erfahrene Vergewaltigung menschlicher Würde.“341

Insoweit unterliegen die Menschenrechte einer kulturellen und geschichtlichen Entwicklung. Aus der Gemeinsamkeit von Unrechtserfahrungen und der sich daraus ergebenden Schicksalsgemeinschaft der Menschen wird erfahrungswissenschaftlich die Universalität der Menschenrechte abgeleitet.342 Weltweite Normen, für die man nach Sanktionsmöglichkeiten sucht, nicht nur ethische Verpflichtungen, entstehen nach Niklas Luhmann durch colère publique mondiale, durch ein global manifestiertes Unrechtsbewußtsein. Beispiele sind Empörungen gegen Folterungen und grausame Strafen (z. B. Steinigung), aber auch Verstöße gegen das Verbot des Angriffskrieges, gegen die atomare Sicherheit oder gegen Mindestbedingungen ökologischer Rücksicht.343 Die colère publique indiziert zumindest einen Konsens der Menschheit über bestimmte Prinzipien in Fällen krassen Unrechts. Fraglich ist, ob und gegebenenfalls wie eine faktische Unrechtserfahrung oder ein Unrechtsbewußtsein die normative Geltung der Menschenrechte herbeiführen kann.344 Ex facto ius oritur? Nach Kant muß das Recht auf „Prinzipien a priori“ (denn was Recht sei, kann nicht Erfahrung lehren345), „nicht auf Anthro340 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 169; U. Gerhard, Anerkennung der Menschenwürde und kulturelle Differenz, in: H. Hoffmann/D. Kramer (Hrsg.), Anderssein, ein Menschenrecht, 1995, S. 47 (60 ff.); R. Tetzlaff, Zur Begründung einer relativen Universalität der Menschenrechte, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften 39 (1998), S. 54 (60 f.); M. Kriele, Zur Universalität der Menschenrechte, ARSP, Beiheft 51 (1993), S. 52 f. 341 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 60; vgl. auch Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, S. 56. 342 H. Bielefeldt, Menschenrechte und Menschenrechtsverständnis im Islam, EuGRZ 1990, 491; K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1075; W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 184. 343 N. Luhmann, Ethik in internationalen Beziehungen, Soziale Welt 50 (1999), 250; vgl. auch M. Kriele, Zur Universalität der Menschenrechte, ARSP, Beiheft 51 (1993), S. 52 f.; A. Fischer-Lescano, Globalverfassung: Verfassung der Weltgesellschaft, ARSP 2002, 360 ff. 344 Dazu auch kritisch A. Fischer-Lescano, Globalverfassung: Verfassung der Weltgesellschaft, ARSP 2002, 363 ff.; positiv aber H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, Der Staat, 34 (1995), S. 29 f.

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pologie, sondern allein in reiner Vernunft gründen.346 Aber auch Kant wußte um die Notwendigkeit der Erfahrung als Mittel zur Erkenntnis von Recht und Unrecht. In der Metaphysik der Sitten, deren Teil die Rechtslehre ist347, schreibt er: „Eine Metaphysik der Sitten kann nicht auf Anthropologie gegründet, aber doch auf sie angewandt werden.“348

An den Unrechtserfahrungen können spezifische Verletzungen der Freiheit des Menschen bewußt gemacht werden. So sind „Unrechtserfahrungen“ nicht rein empirische Tatsachen. Sie sind das Ergebnis einer Subsumtion eines Sachverhalts unter das allgemeine Gesetz der Freiheit und unter die Menschenwürde. Sie sind daher Anwendungsfälle des allgemeinen Gesetzes der Freiheit. Es sind Beispiele, in denen der Mensch, entgegen dem Prinzip der Autonomie und der menschlichen Würde nicht als Zweck an sich betrachtet, sondern zum bloßen Objekt staatlicher oder der Willkür anderer Subjekte gemacht worden ist. Auch die Allgemeine Menschenrechtserklärung geht von der Anerkennung bestimmter Menschenrechte aufgrund konkreter gemeinsamer Erfahrungen der Weltgemeinschaft aus.349 Deutlich wird dies aus Absatz 1 der Präambel zur Allgemeinen Menschenrechtserklärung: „. . . da Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben . . .“. Die Allgemeine Menschenrechtserklärung formuliert mit den einzelnen Menschenrechten Anwendungsfälle der Verletzung menschlicher Würde und Freiheit. 4. Rechtlich-juridischer Charakter „geborener“ Menschenrechte? a) Ethische und rechtliche Qualität der Menschenrechte Die positive und überpositive Geltung von Menschenrechten hat Diskussionen hervorgerufen, welchen Status sie zwischen Moral, Ethik und positivem Recht einnehmen.350 Teilweise zeigen sich auch Kontroversen bei ein und demselben Autor. So hat Jürgen Habermas zunächst angenommen, „die Menschenrechte tragen ein Janusgesicht, das gleichzeitig der Moral und dem Recht zugewandt ist. Ungeachtet ihres moralischen Inhalts haben sie die Form juristischer Rechte. Sie beziehen sich wie moralische Normen auf alles, was Menschen345

Kant, Über den Gemeinspruch, S. 164 (A 270). S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 189 f. 347 Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 309 (AB III, IV). 348 Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 321 f. (AB 11, 12). 349 E. Strauß, Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, MRM, Dezember 1997, S. 17. 350 Dazu etwa J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 221 ff.; R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte, S. 249 f. 346

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antlitz trägt“, aber als juristische Normen schützen sie einzelne Personen nur insoweit, wie sie einer bestimmten Rechtsgemeinschaft angehören.“351 Diese Rechtsgemeinschaft beschränkt Habermas nicht auf den Staat, sondern hofft auf die Institutionalisierung der Menschenrechte „im Rahmen der erst im Entstehen begriffenen weltbürgerlichen Ordnung.“352 In einem späteren Aufsatz distanziert er sich von der Dichotomie von moralischem und rechtlichen Charakter und betont ausschließlich den juridischen Charakter der Menschenrechte: „Der Begriff der Menschenrechte ist nicht moralischer Herkunft . . . Menschenrechte sind von Haus aus juridischer Natur. Was ihnen den Anschein moralischer Rechte verleiht, ist nicht ihr Inhalt, erst recht nicht ihre Struktur, sondern ein Geltungssinn, der über nationalstaatliche Rechtsordnungen hinausweist.“353

b) Unterscheidung von Tugendpflichten und Rechtspflichten Nicht jede Pflicht ist eine Rechtspflicht, wie die für die Abwehr eines Gesinnungsstaates bedeutsame Unterscheidung von Tugend- und Rechtspflichten zeigt. Pflichten können Rechts- oder Tugendpflichten sein.354 Der Begriff der Freiheit macht eine Einteilung in die Pflichten der äußeren und inneren Freiheit notwendig; von denen letztere nur ethisch und nicht juridisch sind.355 Die Ethik, die Kant auch allgemeine Pflichtenlehre356 nennt, ist „in dem Teil, der nicht die äußere Freiheit, sondern die innere unter Gesetze bringt, eine Tugendlehre.“357 Die Tugendlehre, auf die z. T. der Begriff „Ethik“ beschränkt wird358, bezieht sich auf die Verpflichtung gegen sich selbst, die Menschheit in der eigenen Person durch die das Handeln bestimmenden Maximen (Triebfedern) „eigener Vollkommenheit“ und „fremder Glückseligkeit“ zu verwirklichen.359 Die in der inneren Freiheit oder Autonomie begründete Moralität der Handlung ist anders als ihre Legalität nur durch Selbstzwang (Gewissen), nicht aber durch äußeren Zwang durchsetzbar.360 Rechtspflichten unterliegen anders als rein ethische Pflichten nicht dem Selbstzwang, sondern einem äußeren Zwang durch die

351 J. Habermas, Der interkulturelle Diskurs über Menschenrechte, E + Z, Bd. 38, Nr. 7 (1997), 164; vgl. auch ders., Faktizität und Geltung, S. 106; so auch P. Koller, Der Geltungsbereich der Menschenrechte, S. 96. 352 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: ders., S. 222. 353 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: ders., S. 222. 354 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 347 (AB 48). 355 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 538 (A 48, 49); vgl. dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 75 ff. 356 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 332 (AB 26, 27). 357 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 508 (A 1, 2), 509 (A 3, 4). 358 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 508 (A1, 2). 359 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 516 ff. 360 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 509 (A 3, 4) ff.

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Rechtsgemeinschaft.361 Tugendpflichten sind rechtlich unverbindliche, unvollkommene“ Pflichten.362 Sie folgen der Triebfeder des Pflichtgefühls.363 c) Rechtscharakter der Menschenrechte Der elementare Rechtscharakter der Menschenrechte folgt nicht aus ihrer Positivierung, sondern leitet sich ab aus dem äußeren Freiheitsrecht, das jeder Mensch gegen jeden anderen hat. Die Freiheit in ihren äußern Beziehungen ist rechtlich-juridisch. Kant plaziert demzufolge die Menschenrechte, abgeleitet aus dem allgemeinen Freiheitsrecht, das jedem Menschen kraft seiner Menschheit zusteht364, nur in der Rechtslehre, nicht etwa in der Tugendlehre. Recht ist nach Kant „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ „Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“.365 Damit wird nicht die Moralität jeder Person als Subjekt in ihren Triebfedern angesprochen.366 Vielmehr bezieht sich der Blickwinkel der rechtlichen Betrachtung auf das (äußere) Verhältnis zwischen Personen und deren Handlungen.367 Kant unterscheidet insoweit zwischen juridischen und ethischen Gesetzen: „Gesetze der Freiheit heißen“ . . . „so fern sie nur auf bloße äußere Handlungen und deren Gesetzmäßigkeit gehen, . . . juridisch; fordern sie aber auch, daß sie (die Gesetze) selbst die Bestimmungsgründe der Handlungen sein sollen, so sind sie ethisch, und alsdann sagt man: die Übereinstimmung mit den ersteren ist die Legalität, die mit den zweiten die Moralität der Handlung. Die Freiheit, auf die sich die ersteren Gesetze beziehen, kann nur die Freiheit im äußeren Gebrauche, diejenige aber, auf die sich die letztere beziehen, die Freiheit sowohl im äußeren als inneren Gebrauche der Willkür sein, sofern sie durch Vernunftgesetze bestimmt wird.“368

Entscheidend für das Recht ist nicht, ob es die Triebfeder einer Person ist, pflichtmäßig (ethisch) zu handeln, sondern ob die Handlungen (im Ergebnis) rechtmäßig sind.369 Anknüpfungspunkt des Rechts ist die Willkür der Adressa361 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 339 (AB 36); H. Dreier, Kants Republik, JZ 2004, 745 (746 f.). 362 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 520 (A 20, 21). 363 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 521 (A 22, 23). 364 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 365 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 337 (A 33, B 33, 34). 366 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 224 (B 61, 62/A 60, 61). 367 Vgl. die Kantinterpretationen von J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 136; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 4 ff. 368 Kant, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 318 (AB 6, 7) f.; vgl. auch S. 324 AB 15) f.; 326 (AB 18).

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ten und ihr (äußeres) Verhältnis zu anderen Menschen. Unter rechtlichen Gesichtspunkten entscheidend ist, daß die Handlung oder die Maxime der Handlung (nicht der Personen) mit der allgemeinen Freiheit verträglich ist.370 Siegfried König, der sich auf Kant bezieht, geht davon aus, daß die Autonomie des Menschen als seine innere Freiheit oder Sittlichkeit, nicht der Rechtslehre, sondern ausschließlich der Tugendlehre zugeordnet sei, weil eine bestimmte Gesinnung nicht erzwingbar, sondern nur moralisch verbindlich sei.371 Das Recht, so König, diene zwar der Verwirklichung der Autonomie, jedoch gäbe es kein Recht (und damit auch keine entsprechende Pflicht) auf Autonomie.372 Diese könne nur von jedem Menschen selbst verwirklicht werden, nicht aber Gegenstand des Rechts sein.373 Der Anspruch eines Rechts der Menschheit müsse daher in das Gebiet der Ethik (nicht des Rechts) fallen.374 Nach Kant ist Autonomie als Fähigkeit, selbst Zweck, also gesetzgebend zu sein, „der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur“.375 „Freiheit und eigene Gesetzgebung des Willens sind beides Autonomie, mithin Wechselbegriffe . . .“376 Der Begriff der Autonomie ist mit dem der Freiheit „unzertrennlich verbunden.“377 Das angeborene Recht der Freiheit ist definiert als „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür, sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinem Gesetz zusammen bestehen kann.“378 Der mit „sofern“ eingeleitete Nebensatz enthält die politische Freiheit. Die Beschränkung der Möglichkeit, selbst gesetzgebend zu sein, berührt die Freiheit von eines anderen nötigender Willkür, also die äußere Freiheit.379 Nicht die Tugendlehre, sondern die Rechtslehre beschäftigt sich mit den Handlungen durch Menschen und Staat, welche die Autonomie beschneiden.380 Wer die Autonomie des Menschen verletzt, verletzt ihn in seinem Recht auf Freiheit.

369 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 508 (A 1, 2) ff.; vgl. M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag, S. 57 f. 370 M. Disselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag, S. 57. 371 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 236 ff. 372 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 237. 373 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 261. 374 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 259. 375 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 69 (BA 79, 80). 376 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 86 (BA 105, 106). 377 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 88 (BA 108, 109) f. 378 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). 379 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 337 (A 33/B 33, 34) f. 380 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 454 ff.; anders E.-W. Böckenförde, Ist Demokratie eine notwendige Forderung der Menschenrechte?, in: S. Gosepath/G. Lohmann, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 233 (241 ff.), der den Zusammenhang von politischer Freiheit und Menschenrechten weitgehend relativiert.

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d) Menschenrechte als subjektive Rechte Menschenrechte sind wechselseitige rechtliche Ansprüche (subjektive Rechte) der Menschen.381 Otfried Höffe betrachtet diese Beziehung im Sinne einer „Tauschgerechtigkeit“.382 Weil sich der Begriff der Menschenrechte per se an einen weiten Adressatenkreis richtet383, kann von einem Menschenrecht nicht nur dann gesprochen werden, wenn dem Recht einer Person auch eine Pflicht eines bestimmbaren Adressaten zuzuordnen ist.384 Menschenrechte sind nicht vornehmlich eine Anleitung der inneren Motivation des Handelns, die jeder für sich zu entscheiden hat. Sie beziehen sich vielmehr auf die äußeren Relationen der Menschen385 und sind Materialisierungen ihres Anspruchs auf gleiche Freiheit. Das Recht auf Freiheit und damit auf die Menschenrechte ist einerseits staatsrechtlich mit der Befugnis verbunden, eine Verfassung zu erzwingen386 und andererseits mit dem subjektiven Weltbürgerrecht387. Menschenrechte unterliegen nicht dem Selbstzwang, sondern sind ihrem Wesen nach auf Erzwingbarkeit angelegt.388 Unabhängig von den tatsächlichen Rechtsschutzmöglichkeiten geben sie ein Recht auf effektiven Rechtsschutz und notfalls auf Selbsthilfe und Widerstand. Ihre juridische Qualität als subjektive Rechte vollendet sich mit ihrer Einklagbarkeit.389 V. Zur Kritik am Konzept universeller Menschenrechte Die vorgetragene Begründung und Konzeption universeller Menschenrechte ist nicht unbestritten. Die Diskussion darüber wird in diesem Abschnitt formell und inhaltlich als möglicher Dialog geführt. Jeweils begründete Thesen und Antithesen werden einander gegenübergestellt. Unter Bezugnahme auf verschie381

O. Höffe, Transzendentaler Tausch, S. 35. O. Höffe, Transzendentaler Tausch, S. 34 ff.; ders., Transzendentale Interessen, S. 28 ff. 383 R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, S. 253 f., der vom Wesensmerkmal der „Abstraktheit“ der Menschenrechte spricht. 384 So aber W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 172; R. Kreide, Soziale Menschenrechte und Verpflichtungen, in: ARSP Beiheft 79 (2001), S. 123 f.; P. Koller, Der Geltungsbereich der Menschenrechte, S. 99; vgl. auch R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, S. 244 f. 385 Vgl. S. Gosepath, Zur Begründung sozialer Menschenrechte, S. 153. 386 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 366 (AB 74); ders., Zum ewigen Frieden, S. 203 (BA 18, 19). 387 Vgl. auch S. Gosepath, Zur Begründung sozialer Menschenrechte, S. 155 f. sowie unter B, I. 388 R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte, S. 249; vgl. auch BVerfGE 30, 1 (40). 389 J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 224. 382

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dene Kulturen soll gezeigt werden, daß die Grundlage der Menschenrechte und das geborene Menschheitsrecht in allen Kulturen ihre Wurzeln findet. 1. Menschenrechte als westlicher Import oder Erbe der Menschheit – These: Die Menschenrechte sind an die kulturellen und philosophischen Voraussetzungen der abendländischen Tradition gebunden. Sie fußen auf einem typisch westlichen, individualistischen und anthropozentrischen Menschenbild, das keine Universalität beanspruchen kann, weil es den eher gemeinschaftsorientierten, theozentrischen oder kosmozentrischen Kulturen außerhalb Europas und Nordamerikas widerspricht.390 Dies gilt auch für die vorgeblich „universale“ Menschenrechtserklärung durch die Generalversammlung der UNO vom 10. Dezember 1948. Die Deklaration ist angesichts des damaligen Übergewichts westlicher Staaten in den Vereinten Nationen deutlich von der amerikanisch-europäischen Ideenwelt gekennzeichnet.391 Die politischen Führungen Chinas, Nordkoreas, islamistische und nicht wenige Herrschaftsordnungen Afrikas stehen, selbst soweit sie sich formell zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bekannt haben, der Menschenrechtsidee reserviert, relativierend oder sogar ablehnend gegenüber.392 Dies geschieht nicht nur aus ideologischen, ethnischen, kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Gründen393, sondern insbesondere weil die zum jeweiligen Zeitpunkt Herrschenden ihre Macht erhalten wollen394 und sich dabei oft als Träger 390 A. Pollis/P. Schwab, A Western construct, in: dies. (Hrsg.), Human rights, 1979, S. 1–18; J. Berting, Gesellschaftliche Entwicklung, in: Dialektik 13, 1987, S. 81 (103); M. Bedjaoui, Menschenrechte und Dritte Welt, in: Dialektik 13. Die Rechte der Menschen, S. 123 (125); vgl. J. A. M. Cobbah, African Values and the Human Rights Debate, HRQ, Vol. 9 (1987), S. 309 (317 f.), wo ein afrikanisches Wertsystem als bessere Basis für Menschenrechte als die Lockesche Lehre bezeichnet wird; M. Herdegen, Der Universalitätsanspruch des Rechtsstaates, ARSP-Beiheft 65, 1996, S. 117; vgl. auch K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 59 ff.; D. Zolo, Cosmopolis, 1997, S. 118 ff. 391 K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1068; vgl. auch J. Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, HStR, Bd. V, 1992, § 115, S. 353 (374 ff., Rn. 38 ff.). 392 Vgl. etwa Chinesische Regierung, Human Rights in China, White Paper, Information Office of the State Council, 1991; dazu H. Senger, Versuch einer Darstellung der offiziellen Position der VR China zur Menschenrechtsfrage, in: G. Schubert (Hrsg.), Menschenrechte in Ostasien, 1999, S. 123 ff.; R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, EA 1993, 682 ff.; vgl. auch L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 665 ff. 393 K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1073. 394 C. Kissling, Menschenrechtlicher Mindeststandard, HFR 12-2001, S. 4.

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göttlichen Willens zu legitimieren suchen.395 Von den wenigen nicht dem atlantischen Kulturkreis zugehörigen Staaten haben sich die damaligen sozialistischen Staaten (UdSSR, Ukraine, Belorußland, Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien) sowie Südafrika und Saudi-Arabien bei der Verabschiedung dieser Erklärung der Stimme enthalten. El Salvador und der Jemen waren nicht anwesend. Gegenstimmen gab es keine. Gegenwärtig bekennen sich diejenigen ehemaligen sozialistischen Staaten, die Republiken geworden sind, zu den allgemeinen Menschenrechten. Nur Saudi-Arabien beruft sich heute wie damals darauf, daß die Religionsfreiheit mit den Vorschriften des Korans nicht vereinbar sei.396 Die Lehre des Islam gestattet zwar die Freiheit der Religionswahl und der Religionsausübung, jedoch nicht einen Wechsel vom Islam in eine andere Religion.397 Vor allem das Ordnungssystem der islamischen Shari’a, deren Quellen aus dem Koran, der beispielhaften Praxis des Propheten (Sunna) sowie dem Konsens der Gemeinde über die Deutung besteht398, bietet Konfliktstoff zur Autonomie des Willens399 und zu den Menschenrechten400, insbesondere zu Diskriminierungsverboten wegen Religion und Geschlecht401 (vgl. etwa Art. 2, Art. 23 Abs. 4 IPbpR 1966). So haben Männer und Frauen, Muslime und Nichtmuslime nicht den gleichen Status, etwa als Zeugen vor Gericht. Für Frauen, die Ehebruch begangen haben, erlaubt die Shari’a die Todesstrafe durch Steinigung. Viele Islamisten haben Probleme, sich zu universellen Menschenrechten zu bekennen, weil sie die Religion oder das Geschlecht nicht als verbotenen Diskriminierungsgrund ansehen.402 Die relativistische Menschenrechtslehre überläßt es diesen Staaten, ob in ihrem Gebiet die Religionsfreiheit und die 395

L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 667. Vgl. L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 665; K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 61; R. Tetzlaff, Zur Begründung einer relativen Universalität der Menschenrechte, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften 39 (1998), S. 64. 397 R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, EA 1993, 682; A. Metzger, Islam und Politik, Informationen zur politischen Bildung, Nr. 274/2002, Beilage, S. 1 (8). 398 Dazu A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 13 ff.; I. K. Salem, Islam und Völkerrecht, 1984, S. 31 ff. 399 Dazu T. Nagel, Erst der Muslim ist ein freier Mensch!, in: G. Nolte, H.-L. Schreiber (Hrsg.), Der Mensch und seine Rechte, 2004, S. 121 ff. 400 Dazu H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 131 ff.; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 184 ff.; L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 666 f.; M. Rohe, Islamisten und Shari’a, in: Senatsverwaltung für Inneres (Hrsg.), Islamismus, 2005, S. 98 ff.; vgl. Ratifikationsvorbehalt Ägyptens für den IPbpR, der in Ägypten nur Geltung beanspruchen dürfe, solange die darin verbürgten Rechte nicht mit der Shari’a in Konflikt kämen, UN Doc. CCPR/C/2/Rev.4, 1994, S. 36. 401 Dazu A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, 1999, S. 92 ff., 120 ff.; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 218 ff., 226 ff.; M. Rohe, Islamisten und Shari’a, S. 98 ff. 402 Dazu A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 59 f.; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 218 ff. 396

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rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau gelten sollen oder nicht.403 Manche islamischen Staaten fügen internationalen Menschenrechtsverträgen den Vorbehalt bei, daß sie mit der Shari’a übereinstimmen müßten.404 Indes ist völkerrechtlich ein Vorbehalt zu einem Menschenrechtsvertrag unzulässig, wenn er durch den Vertrag ausgeschlossen ist oder Ziel und Zweck des Vertrages widerspricht (Art. 19 WVK). Jedenfalls solche Generalvorbehalte dürften mit dem universellen Zweck der Menschenrechtsverträge unvereinbar sein.405 Nach der gegenwärtigen Völkerrechtspraxis beurteilen die jeweiligen Staaten für sich selbst die Zulässigkeit eines Vorbehalts.406 Forderungen nach einer unabhängigen Instanz, welche die Zulässigkeit von Vorbehalten nach dem Vorbild des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verbindlich klärt und nach einer durch Vorbehalte nicht relativierbaren Wesensgehaltsgarantie407 sind bisher noch nicht verwirklicht. – Antithese: Menschenrechte sind kulturtranszendierend. a) Keine Usurpation der Menschenrechte durch einen Kulturkreis Mit der im Westen verbreiteten Annahme408, daß die Ideen der Menschenrechte, der Menschenwürde, der praktischen Vernunft ihre geistesgeschichtlichen Wurzeln allein in der europäisch-atlantischen Tradition haben sollen409, ist 403 Vgl. so im Ergebnis K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 222, 228. 404 Vgl. zu den Vorbehalten muslimischer Staaten zu UN-Konventionen A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 167 ff.; Präambel der Allgemeinen Islamischen Menschenrechtsdeklaration des (privaten, von Saudi-Arabien dominierten) Islamrats von Europa, abgedruckt in Islamochristiana Nr. 9 (1983), S. 103 ff.; dazu M. S. Abdullah, Die Allgemeine Islamische Menschenrechtserklärung, in: H. Weber (Hrsg.), Die Menschenrechte, 1991, S. 113 (117 ff.); dazu auch A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 240 ff.; Art. 24 und 25 der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam der Organisation der Islamischen Konferenz vom 5.10.1990; unter: www.humanrights.harvard.edu/documents/regionaldocs/cairo_dec.htm (zuletzt geprüft: 5.5.2006). 405 Dazu kritisch R. A. Lorz, Menschenrechte unter Vorbehalt, Der Staat 41 (2002), S. 29 ff., 36 ff.; W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 275 (285 ff.). 406 Reservations to the conventions on Genocide, Advisory Opinion: IGH, ICJ Rep. 1951, 15 ff. 407 Dazu R. A. Lorz, Menschenrechte unter Vorbehalt, Der Staat 41 (2002), S. 42 ff. 408 Dazu J. Habermas, Zur Legitimation durch Menschenrechte, in: ders., Die postnationale Konstellation, 1998, S. 170 (177 ff.).

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die Anmaßung verbunden, daß der Westen die universellen Menschenrechte, die allen Menschen gehören, usurpiert und als sein „Eigentum“ behandelt.410 Das widerspricht dem Universalitätsanspruch der Menschenwürde und erschwert die tatsächliche universelle Anerkennung der Menschenrechte sowie einen globalen Menschenrechtsdialog. Einen exklusiven Anspruch auf die Idee der Menschenrechte, den es auch von islamischer Seite gibt411, kann kein Kulturkreis für sich vereinnahmen, ohne das Wesen der Menschenrechte zu verkennen. Die universelle Menschenrechtsidee geht davon aus, daß die Menschen prinzipiell nach Freiheit und politischer Selbstbestimmung streben, was der weltweite Kampf vieler Menschen um die Menschenrechte in allen Kontinenten auch tatsächlich erweist.412 Es wäre ein Affront gegen diese Menschen und eine Verletzung ihres Rechts auf Freiheit, Menschenrechte relativistisch nur in der westlichen Welt für geltend und sinnvoll zu erachten.413 Außerdem widerspricht dies auch der Realität der Vereinten Nationen, in denen viele Staaten außerhalb des abendländischen Kulturkreises an der Entwicklung der Menschenrechtsabkommen mitwirken.414 Neben Europa und Amerika haben die afrikanischen und islamischen Staaten eine eigene Konvention des regionalen Menschenrechtsschutzes sowie eigene Menschenrechtserklärungen verabschiedet.415 Auch im asiatischen Raum wird die Menschenrechtsfrage diskutiert und zum Gegenstand von Erklärungen gemacht.416 409 K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 61; A. Haratsch, Ideal für alle Völker, MRM Dezember 1997, S. 23 f. m. Fn. 4 u. 5. 410 Kritisch H. v. Senger, Menschenrechtsgedanke, S. 267 ff., 278; vgl. auch R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, EA 1993, 683 f. 411 A. A’la Mawdudi, Human Rights in Islam, 1976, S. 13; Internationale Juristenkommission (1982), Human Rights in Islam, S. 9; Islamrat für Europa, Allgemeine Islamische Menschenrechtserklärung v. 1981, CIBEDO-Dokumentation Nr. 15/16, Juni/September 1982; vgl. a. H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 134 ff.; A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 62 f. 412 Vgl. etwa B. Tibi, Anderssein, ein individuelles oder kollektives Menschenrecht?, in: H. Hofmann/D. Kramer (Hrsg.), Anderssein ein Menschenrecht, 1995, S. 65 ff. 413 So auch L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 669. 414 R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, EA 1993, 683 f., 689. 415 Banjul Charta, Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker, OAU Doc. CAB/LEG/67/3 rev. 5, 21 I.L.M. 58 (1982), in Kraft getreten 21.10.1986; der Menschenrechte und Rechte der Völker vom 26.6.1981, International Legal Materials, 1982, 59; dt. Übersetzung: EuGRZ 1986, 677 ist von 51 der 53 Mitglieder der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) ratifiziert worden (Stand: 31.12.1997) und trat am 21.10.1986 in Kraft. Die Arabische Charta der Menschenrechte, die durch die Resolution 5437 des Rates der Arabischen Liga vom 15.9.1994 (dt. Übersetzung unter: www.un.org/Depts/german/menschenrechte/arab.pdf ) angenommen worden ist, ist noch nicht in Kraft getreten. Dazu K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 701 ff.; vgl. auch J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Practice, S. 72 ff.

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b) Aufklärung und Unrechtserfahrungen als Auslöser für das Menschenrechtsbewußtsein Die Anerkennung der Menschenrechtsidee hängt nicht von der Verankerung in der abendländischen Tradition ab, auch wenn diese einen wesentlichen Beitrag leistet, sondern ist eine Frage der Aufklärung und kulturellen Entwicklung, die nicht nur im Abendland stattfindet, wie etwa das Beispiel Japan zeigt.417 Im übrigen hat die sogenannte christlich-abendländische Tradition418 durchaus sehr unterschiedliche und sich widersprechende Facetten. Auch im Abendland war und ist die Menschenrechtsidee nicht von Anfang an anerkannt, sondern Schritt für Schritt hart erkämpft worden.419 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 bezog sich ursprünglich nicht auf Frauen und hat Frankreich nicht daran gehindert, ein ausgedehntes Kolonialreich zu errichten.420 Kant, der Lehrer der Freiheit des Menschen, der die Idee universeller Menschenrechte besonders gefördert hat, nimmt große Teile der Menschheit (z. B. Frauen, einfache Arbeiter) vom Selbstbestimmungsrecht aus.421 Ungeachtet des Geltungsanspruchs der Menschenrechte gab es im Abendland bis ins 19. Jahrhundert noch erhebliche Widerstände gegen die Menschenrechtsidee, etwa in der katholischen Kirche.422 Beispiele systematischer Diskriminierungen waren nach dem 2. Weltkrieg die Rassentrennung in den USA bis in die 60er Jahre sowie die Apartheidpolitik Südafrikas. Erst nach zähen Kämpfen sind auch Arbeiter,

416 Dalai Lama, Menschenrechte und universelle Verantwortung. Ansprache seiner Heiligkeit des 14., geistliches und weltliches Oberhaupt der Tibeter, vor von den Regierungen unabhängigen Organisationen bei der Menschenrechtskonferenz in Wien, 15. Juni 1993, in: PROGROM 173, Okt./Nov. 1993, S. 47 f.; Menschenrechtserklärung von Kuala Lumpur der ASEAN Inter-Parliamentary Organisation (AIPO), in: KonradAdenauer-Stiftung-Auslandsinformationen, Nr. 11, 1993, S. 47 ff.; siehe auch K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 71; aktuelle Entwicklungen unter Asian Civic Rights Network (AsiaRights) http://rspas.anu.edu.au/pah/asiarights (zuletzt geprüft: 5.9.2006). 417 S. Gosepath/G. Lohmann, Einleitung, in: dies., Philosophie der Menschenrechte, S. 21; L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 667 f.; siehe zu Japan: The Constitution of Japan, www.solon.org/Constitutions/Japan/English/english-Constitution. html; zur Menschenrechtspolitik: The Ministery of Foreign Affairs of Japan www. mofa.go.jp/policy/human (beide Quellen zuletzt geprüft: 5.9.2006). 418 J. Isensee, Das verfassungsstaatliche Erbe der Aufklärung in Europa, HFR, 51996, S. 1. 419 So auch L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 668. 420 I. Nguéma, Perspektiven der Menschenrechte in Afrika, EuGRZ 1990, 301. 421 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 151 (A 246, 247); vgl. auch U. Gerhard, Anerkennung der Menschenwürde und kulturelle Differenz, in: H. Hoffmann/D. Kramer (Hrsg.), Anderssein, ein Menschenrecht, 1995, S. 47 (53 ff.). 422 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 121 ff.; J. Isensee, Wahrheit und Freiheit, ARSP, Beiheft 33 (1988), S. 52–68; K. Hilpert, Hehre Theorie – entmutigende Praxis, 1991, S. 147; K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 57 (67).

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Frauen, Juden, Zigeuner und Homosexuelle als „Menschen“ mit Anspruch auf gleiche Rechte anerkannt worden.423 Die Gleichberechtigung der Frau ist in Europa bis heute ein Thema. In der Bibel enthaltene Regeln, wie die, wonach die Frau dem Mann untertan sein solle424 oder gar martialische Strafen wie die Steinigung425 sind mit dem heutigen, aufgeklärten Menschenrechtsverständnis genauso unvereinbar wie eine entsprechende Sure (2, 228) im Koran, wonach der Mann gegenüber der Frau bevorzugt sei sowie manche Strafen der Shari’a. Der Kolonialismus ging nicht nur mit Zivilisationssegnungen einher, sondern auch mit elementaren Menschenrechtsverletzungen, etwa der Sklaverei und der Rassendiskriminierung. Der Befreiungskampf der kolonisierten Völker wiederum ist unter Berufung auf universell gültige Prinzipien und Rechte geführt worden,426 namentlich Freiheit, Gleichheit und Selbständigkeit. Auch in den USA ist die politische Rassendiskriminierung noch nicht lange überwunden. Vor sechs Jahrzehnten lag die Menschenrechtsidee im nationalsozialistischen Deutschland vollständig am Boden. Erst 200 Jahre nach der Französischen Revolution sind in Europa die Menschenrechte in den Staatsverfassungen weitgehend verwirklicht.427 Die Verfassung der Menschheit stellt allen Kulturen gleichermaßen in einem Lern- und Aufklärungsprozeß die Aufgabe, die Menschenwürde nicht nur auf die ihnen vertraute verwandte, ethnische, religiöse oder nationale Gemeinschaft zu beziehen, sondern uneingeschränkt auf alle Menschen. Die Menschenrechte sind ein Produkt der Moderne, hart erkämpft und aus fundamentalen Unrechtserfahrungen (Vertreibung, Verfolgung, Absolutismus, religiöse Intoleranz, Rassismus usw.) heraus bewußt geworden.428 Die westliche Geschichte der Menschenrechte ist kein einmaliges Ereignis, dergestalt, daß die 423 J. Habermas, Der interkulturelle Diskurs über Menschenrechte, E + Z, Bd. 38, Nr. 7 (1997), 164. 424 Neues Testament, Paulus, 1. Korinther, 11. Im deutschen Strafrecht zeigte sich die Realität dieses Satzes bis zum 33. Strafrechtsänderungsgesetz v. 1.7.1997 (BGBl. I, S. 1607) darin, daß Vergewaltigung in der Ehe nicht als solche strafbar war. Noch in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts war nach deutschem Familienrecht der Mann das Oberhaupt der Familie und konnte seiner Frau verbieten, erwerbstätig zu sein. 425 Siehe Neues Testament, Johannes, 8, 3–7. 426 R. Tetzlaff, Den Opfern eine Stimme geben. Frieden stiften durch universell gültige Menschenrechte, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 292 (295). 427 K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1066. 428 K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 64 f.; W. Schild, Menschenrechte als Fundament einer Weltverfassung, 1991, S. 192 f.; J. Habermas, Zur Legitimation durch Menschenrechte, S. 181; H. Bielefeldt, Universale Menschenrechte angesichts der Pluralität der Kulturen, in: H.-R. Reuter (Hrsg.), Ethik der Menschenrechte I, 1999, S. 43 (56); vgl. auch Locke, der in seiner Zweiten Abhandlung über die Regierung den Kriegszustand und die Sklaverei als Negation der vom Staat zu schützenden Grundrechte auf Leben, Freiheit und Eigentum behandelt; vgl. auch H. Hofmann, Die Entdeckung der Menschenrechte, S. 5 ff.; R. Tetzlaff, Den Opfern eine

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Menschenrechtsidee nur mit der westlichen Kultur verbunden ist, die als globales Modell entweder angenommen oder abgelehnt werden kann.429 Menschenund Bürgerrechtsbewegungen in aller Welt und die von Menschenrechtskämpfern der Weltöffentlichkeit vorgebrachte Herrschaftsanklagen gerade in Staaten, deren Regierungen die Menschenrechte mißachten, offenbaren dies.430 Die ökonomischen und sozialen Fragen, die im Europa des 19. Jahrhunderts zur Entwicklung sozialer Menschenrechte geführt haben, sind auch globale Probleme.431 Dies zeigen die jährlichen Statistiken der Weltbank oder des UNDPBerichts.432 Der Schritt von gemeinsamen Unrechtserfahrungen hin zu institutionellen Sicherungen der Menschenrechte ist in jedem rechtsstaatlich verfaßten Gemeinwesen möglich.433 Im 20. Jahrhundert hat sich der politische und soziale Wandel, auf den in Europa und Amerika im 18. Jahrhundert die klassischen Menschenrechtserklärungen geantwortet haben, weltweit vollzogen. Insbesondere der moderne Territorialstaat, der die auf einem bestimmten Gebiet lebenden Menschen einer Staatsgewalt unterstellt hat, hat das Menschenrechtsbewußtsein geweckt.434 So verteidigt der aus dem Iran stammende Politikwissenschaftler Reza Afshari die universalen Menschenrechte „as a response to the almost universality of the modern state as a globally convergent mode of governance . . . Although (human rights) originated in the West, their particular substantive foundation belongs to a moral vision that was the result of accumulated experiences in dealing with the abuses of the modern state and market economies.“435

Die Menschenrechte sind heute Universaleigentum436 und beschäftigen in hohem Maße die Weltöffentlichkeit.437

Stimme geben. Frieden stiften durch universell gültige Menschenrechte, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 292 (293). 429 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 130; J. Habermas, Der interkulturelle Diskurs über die Menschenrechte, E + Z, Bd. 38, Nr. 7, 1997, S. 164 ff.; vgl. a. S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 53 ff. 430 Dazu R. Tetzlaff, Den Opfern eine Stimme geben, S. 295 ff. 431 J. Habermas, Der interkulturelle Diskurs über Menschenrechte, E + Z, Bd. 38, Nr. 7 (1997), 165. 432 K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 71. 433 Vgl. K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 65; J. Habermas, Zur Legitimation durch Menschenrechte, S. 182 f.; R. Tetzlaff, Den Opfern eine Stimme geben, S. 293 ff. 434 Dazu M. Kriele, Zur Universalität der Menschenrechte, ARSP, Beiheft 51 (1993), S. 54 ff. 435 R. Afshari, Islamic Cultural Relativism, in: HRQ 16 (1994), S. 235 (248). 436 H. v. Senger, Menschenrechtsgedanke, S. 291; I. Nguéma, Perspektiven der Menschenrechte in Afrika, EuGRZ 1990, 301. 437 Dazu R. Tetzlaff, Den Opfern eine Stimme geben, S. 297 ff., 305 ff.

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c) Universeller Menschenrechtsdiskurs und interkulturelle Lerngemeinschaft im Dialog Die angeborene Freiheit und Würde gibt dem Menschen ein Recht auf Menschenrechte und im Vorfeld einen Anspruch auf Diskurs über den Inhalt der Menschenrechte. Auf der gemeinsamen Basis der Menschenwürde können der interkulturelle Dialog sowie der universelle Diskurs um die einzelnen Menschenrechte und ihre inhaltliche und prozessuale Ausgestaltung fruchtbar sein438 und zu Weltverträgen führen. Der Diskurs kann wissenschaftlich kulturund rechtsvergleichend sowie in einem reellen, politischen Diskurs geführt werden. Das Erkenntnisverfahren ist zweistufig: Um einen weltweiten Menschenrechtsschutz auf der Ebene der Rechtsetzung zu verwirklichen, bedarf es einer universalen Konsensbildung zunächst im Wege des Kulturvergleichs439, um eine Einheitskultur zu vermeiden440 und um den tatsächlichen Diskursbedarf zu ermitteln. Dort, wo der Kulturvergleich Unterschiede zeigt, setzt ein globaler Menschenrechtsdiskurs an, in den alle Teilnehmer ihre Auffassungen über Inhalt und Verwirklichung der Menschenrechte einbringen, insbesondere innerhalb der Vereinten Nationen.441 Diskurs und Konsensbildung sind auf verschiedenen Ebenen möglich: a) über den Tatbestand und die Grenzen eines bestimmten Menschenrechts (z. B. Verbot der Rassendiskriminierung), b) über das ein solches Menschenrecht begründende übergeordnete Rechtsprinzip (Gleichheit der Menschen) und c) über die mit diesem Rechtsprinzip mitzudenkende Begründung (Würde des Menschen). Soll es nicht zu einer Okkupierung und Ideologisierung der Menschenrechte kommen, muß verhindert werden, daß eine Kultur für alle anderen Kulturen vorgibt, was als exemplarische Unrechtserfahrung zählt und was nicht.442 Voraussetzung für das Funktionieren des universellen Menschenrechtsdiskurses ist aber auch, daß Tabus (z. B. Religionsfreiheit, Frauendiskriminierung) vermieden werden. Daß ein solcher Menschenrechtsdiskurs bereits stattfindet und stattgefunden hat, zeigt sich einmal in der Verhandlung von Menschenrechtsabkommen, aber auch auf den Weltmenschenrechtskonferenzen, etwa bei der Weltkon438 Dazu P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 1998, S. 31, 82, 621; K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 61 ff.; G. Paul (Hrsg.), Humanität, Interkulturalität und Menschenrecht, 2001; A. Siegetsleitner/ N. Noepffler (Hrsg.), Menschenwürde im interkulturellen Dialog, 2005; zur Funktionsweise O. Höffe, Wirtschaftsbürger, Staatsbürger, Weltbürger, S. 156 ff. 439 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 463 f.; M. Kotzur, Wechselwirkungen zwischen Europäischer Verfassungs-, und Völkerrechtslehre, in: Liber amicorum P. Häberle, 2004, S. 289 (298). 440 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 188. 441 Vgl. H. v. Senger, Menschenrechtsgedanke, S. 292; W. v. der Wense, Der UNMenschenrechtsausschuß, S. 15; K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 61 ff. 442 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 184.

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ferenz über Menschenrechte in Wien 1993, an der 171 staatliche Delegationen der damals 182 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sowie zahlreiche nichtstaatliche Organisationen teilnahmen.443 Es gelang dort, die Gegenpositionen, die von afrikanischer, arabischer und asiatischer Seite gegen ein universelles Verständnis der Menschenrechte im Geist der Allgemeinen Menschenrechtserklärung vorgebracht wurden, zu überwinden und zu einem gewissen Konsens zu finden.444 Trotz der genannten Versuche eine jeweils eigene Konzeption der Menschenrechte einzubringen, etwa die gruppenrechtlichen Elemente in der afrikanischen Banjul Charta (Art. 20 ff.), haben alle Staaten auf der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993445 anerkannt: „The universal nature of these rights and freedoms is beyond question“.446 Die Wiener Erklärung enthält keine Relativierung der Universalität der Menschenrechte aus kulturellen, religiösen oder historischen Motiven.447 Sie betont vielmehr, daß ungeachtet des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Systems eine Pflicht der Staaten zum Schutz der Menschenrechte bestehe.448 Allerdings mußte die westliche Seite ihrerseits zustimmen, die klassischen Menschenrechte um das Recht auf Entwicklung zu erweitern.449 Der interkulturelle Dialog450 und der universale Diskurs über die Menschenrechte funktionieren nicht, wenn in belehrender Attitüde missioniert oder gar im 443

K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1073. Vgl. Wiener Erklärung und Aktionsprogramm vom 25. Juni 1993, abgedruckt in: EuGRZ 1993, 520 ff. 445 Vgl. den Situationsbericht anläßlich der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 von R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, EA 1993, 681 ff. 446 Siehe EA 1993, D 498 (499); dazu a. R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, Perspektiven nach der Weltmenschenrechtskonferenz von Wien, EA 23 1993, 681 ff.; I. Fall, Universality and Relativity of Human Rights from the Perspective of the World Conference, in: D. Warner (Hrsg.), Human Rights and Humanitarian Law, 1997, S. 3 (79 ff.); Zusammenfassung universell anerkannter Grundsätze bei J. Ayala-Lasso, The Universality of Human Rights, in: D. Warner (Hrsg.), S. 94 (94). 447 R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, EA 1993, 683. 448 Absatz 5 der Erklärung. 449 Wiener Erklärung und Aktionsprogramm vom 25. Juni 1993, UN Doc. A/ CONF.157/23 v. 12.7.1993, para. 10, abgedruckt in: EuGRZ 1993, 520, Nr. I, 10 und 11; dazu R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, EA 1993, 684 f.; vgl. auch General Assembly resolution 48/141 vom 20.12.1993 über den Hochkommissar für Menschenrechte, UN Doc. A/RES/48/141, 7.1. 1994, Nr. 3 (c), 4 (c); auch schon UN Doc. A/RES/41/128 v. 4.12.1986; United Nations Millenium Declaration, A/RES/55/22 v. 18.8.2000, para. 11 ff.; Res 57/223, The Right to Development, A/RES/57/223 v. 27.2.2003; Right to Development, Report of the openended Working Group on the Right to Development on ist third session, UN-Dok. E/ CN.4/2002/28/Rev. 1 v. 11.4.2002. 450 Vgl. z. B. Art. 8 Abs. 4, Art. 30 Abs. 3 AKP-EG-Partnerschaftsabkommen von Cotonou v. 23.6.2000, ABl. 2000, Nr. L 317, 3–353. 444

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Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht der Völker mit der paternalistischen Haltung der ehemaligen Kolonialherren bevormundend „Menschenrechtsimperialismus“ betrieben wird.451 Verwirklicht wird die Freiheit durch „Gesetze des gemeinsamen Willens“452, nicht aber durch eine paternalistische Regierung, die „der größte denkbare Despotismus“ ist.453 Berufene Teilnehmer des Diskurses über die Menschenrechte sind neben den Staaten an erster Stelle die Menschen; denn sie sind die Träger der Menschenrechte und die von ihrer Verletzung Betroffenen.454 Das ergibt sich nicht zuletzt aus der gleichen Würde und Vernunftbegabtheit aller Menschen und der Verpflichtung zur weltweiten Brüderlichkeit, wie sie insbesondere Art. 1 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung zugrunde legt. Der Begriff der Brüderlichkeit als gemeinsames gutes Leben aller Menschen, der mit der Freiheit und der Gleichheit eine Einheit bildet455, wird im globalen Kontext durch die Menschenrechte, einschließlich der sogenannten sozialen Rechte materialisiert.456 Wenn jemand einen Erbanspruch auf die Menschenrechte gelten machen kann, so ist das die gesamte Menschheit.457 Es existieren zwar verschiedene Foren, etwa im Rahmen von Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtskonferenzen, in denen menschenrechtliche Forderungen an die Staaten und die Weltgemeinschaft erhoben werden. Häufig gibt es auch (zum Teil konkludente) Äußerungen von betroffenen Menschen, die in ihren Staaten schweres Unrecht erfahren haben, die sich etwa in Form von Fluchtbewegungen, Asylanträgen und Appellen an die Weltöffentlichkeit wenden. Solange nicht alle Menschen in einer kosmopolitischen Demokratie (dazu 5. Teil, C) an einem formellen weltweiten Diskurs beteiligt sind, haben partikulare und plurale Diskursbeiträge eine ergänzende Funktion neben dem Menschenrechtskonsens der Staaten/Völker untereinander und in den Internationalen Organisationen. Ebenfalls ist kein vernünftiger Dialog und Diskurs möglich, wenn von vornherein nur eine denkbare Dimension der Menschenrechte ins Auge gefaßt wird, 451 Dazu auch kritisch I. Nguéma, Perspektiven der Menschenrechte in Afrika, EuGRZ 1990, 302; K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/ 1999, S. 70 ff.; R. Tetzlaff, Zur Begründung der relativen Universalität der Menschenrechte, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 81; Ch. Hillgruber, Das Völkerrecht als Brücke zwischen den Rechtskulturen, AVR 40 (2002), S. 1 (15). 452 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 146 (A 237, 238). 453 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 146 (A 237, 238). 454 Umgekehrt H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, Der Staat, 34 (1995), S. 30. 455 Art. 1 AEMR; W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, HVerfR, 1994, S. 508; M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, 1987, S. 49 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 344 ff.; J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1975, S. 264; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 8 ff., 234 ff., 247 ff. 456 Vgl. K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 289 ff. 457 I. Nguéma, Perspektiven der Menschenrechte, EuGRZ 1990, S. 301.

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wenn beispielsweise die Menschenrechte nur oder überwiegend als liberale Abwehrrechte verstanden werden. Die internationale Menschenrechtspolitik hat gezeigt, daß Verhandlungen scheitern, wenn Konzept gegen Konzept steht, wie dies besonders deutlich auf der Belgrader Nachfolgekonferenz der KSZE 1977 offenbar wurde.458 Die Menschenrechte, wie sie in der atlantischen Kultur formuliert wurden, sind der erste Versuch in der Geschichte, auf der Basis der Menschenwürde das Konzept der Autonomie und der selbstverantworteten Lebensbewältigung des Menschen in der staatlichen Gemeinschaft für diesen Kulturkreis zu verwirklichen. Dieses Konzept war zunächst auch der Ausgangspunkt der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Es hat sich jedoch durch die überkulturelle Akzeptanz der Allgemeinen Menschenrechtserklärung universalisiert. Die weitere Entwicklung des Menschenrechtsschutzes in der Welt und seine allgemeine Konsensfähigkeit und effektive Geltung muß sich der pluralistisch strukturierten globalen Rechtskultur gewärtig sein, in die die europäisch-atlantische Kultur ihre Erfahrungen einbringt, jedoch kein „Deutungsmonopol“ beanspruchen kann.459 Im Sinne der universellen Menschenrechtsidee und ihrer bestmöglichen Verwirklichung ist es, wenn die Kulturen beispielsweise mit der Methode des Rechtsvergleichs voneinander lernen und eine „interkulturelle Lerngemeinschaft“460 bilden. Das ist nicht abendländische, sondern globale Aufklärung. Das Zeitalter der Globalisierung läßt eine gewisse Annäherung der verschiedenen Traditionen und Kulturen erwarten. Mit der wirtschaftlichen Öffnung der Entwicklungs- und Schwellenländer für die Moderne wird auch die Anerkennung (weltbürgerlicher) subjektiver Rechte einhergehen.461 Umgekehrt rufen die individualistischen, liberalistisch-kapitalistischen Ausprägungen der westlichen Gesellschaft, welche den Gedanken der Brüderlichkeit vernachlässigen462, ein Bedürfnis nach ausgleichenden Werten hervor.463 Vorbild ist insoweit das nach Harmonie strebende, konfuzianische Yin-Yang-Denken, welches auch heute noch das chinesische Alltagsleben beeinflußt.464 Die in der afrikanischen Tradition selbstver458

K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 75. K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 76; K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 61 ff. 460 W. Lepenies, Ende der Überheblichkeit, DIE ZEIT, 24.11.1995, S. 62; K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 63; M. Kotzur, Wechselwirkungen zwischen Europäischer Verfassungs-, und Völkerrechtslehre, in: Liber amicorum P. Häberle, 2004, S. 289 (297 f.). 461 J. Habermas, Zur Legitimation durch Menschenrechte, S. 185. 462 Vgl. dazu kritisch E. Tugendhat, Die Kontroverse um die Menschenrechte, in: S. Gosepath/G. Lohmann, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 48 (54 ff.); K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 454 ff.; ders., Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 289 ff. 463 Dazu K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 64 f. 464 K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 64. 459

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ständliche Gemeinschaftsbezogenheit und der Respekt gegenüber alten Menschen465 können vielmehr als Ergänzung denn als Ausschluß der Menschenrechtsidee verstanden werden. Eine Bereicherung für die ökologische Zukunft der Welt ist auch die Herleitung universeller Menschenrechte, der Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen durch „Mutter Erde“ bei den lateinamerikanischen Indios. Der Respekt vor der Erde und der sich hieraus ableitenden Rechte würde ermöglichen, die Erde weniger als Produktionsmittel zur Gewinnmaximierung auszubeuten.466 Ziel des Diskurses kann nicht ein statischer, abgeschlossener, allgemeiner Menschenrechtskatalog sein, weil die Menschenrechte als Reaktion auf bestimmte Unrechtserfahrungen „Gewordenes und noch immer Werdendes“467 sind. Damit ist die Universalität der Menschenrechte nicht in Frage gestellt, weil die Menschenrechte als Prinzipien unter Achtung ihres Wesensgehalts bestmöglich und nicht nach einem feststehenden Regelinhalt zu verwirklichen und weiterzuentwickeln sind.468 d) Kulturunabhängigkeit und Konsensfähigkeit der Menschenwürde – Menschenwürde in verschiedenen Kulturkreisen Die Behauptung, die Geltung der Menschenrechte sei vom kulturellen Standort abhängig (Relativismus, Kommunitarismus)469, würde dazu führen, daß der Begriff der Menschenrechte nicht nur relativiert, sondern aufgegeben würde; denn Menschenrechte beanspruchen von ihrem Wesen her für jeden Menschen zu gelten, unabhängig vom jeweiligen Weltanschauungs- und Ordnungssystem.470 Die fundamentalen, gemeinsamen Unrechtserfahrungen, aber auch die Idee der Menschenwürde sind prinzipiell kulturtranszendental471, wenn keine „kul465 I. Nguéma, Perspektiven der Menschenrechte in Afrika, EuGRZ 1990, 302 ff.; E. Kodjo, Die Afrikanische Charta der Rechte der Menschen und der Völker, 309. 466 B. Bujo, Welches Weltethos begründet die Menschenrechte?, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 53. 467 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 50, 60. 468 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff. 469 Dazu 3. Teil, B, S. 290 ff. 470 M. Kriele, Zur Universalität der Menschenrechte, ARSP, Beiheft 51 (1993), S. 47; S. König, Zur Begründung der Menschenrechte, 1994, 56; A. Haratsch, Ideal für alle Völker, MRM Dezember 1997, S. 28; K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 43; ders., Idee der Menschenrechte, HStR, Bd. V, § 108 Rn. 51; dazu auch J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Practice, S. 86 ff. 471 K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 66; W. Schweidler, Menschenrechte und kulturelle Identität, S. 21 f.; H. Hofmann, Die Entdeckung der Menschenrechte, S. 18; vgl. auch A. Siegetsleitner/N. Noepffler (Hrsg.), Menschenwürde im interkulturellen Dialog, 2005.

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turessentialistischen Exklusivansprüche“472 an sie erhoben werden. Das Strafrecht schützt so gut wie in allen Kulturen gewisse Rechte, die unmittelbar mit der Menschenwürde verbunden sind, namentlich die Rechte auf Leib und Leben, auf Eigentum und auf einen guten Namen („Ehre“).473 Der „cross-cultural approach“474 versucht im Wege des Kulturvergleichs empirische Gemeinsamkeiten als Basis des Diskurses über gemeinsame Menschenrechte festzustellen, mit dem Ergebnis, daß in allen Religionen und Kulturen Elemente vorhanden sind, die etwa Frieden, Toleranz, Gewissensfreiheit, Würde und Gleichheit der Person sowie soziale Gerechtigkeit stützen.475 So kann die Menschenwürde ebenfalls aus der konfuzianischen Tradition begründet werden.476 Der Konfuzianismus dogmatisiert Sittlichkeit, Menschenliebe477, Vervollkommnung des Einzelnen, Unparteilichkeit und moralische Selbstreflexion, welche notwendig Subjektivität und Würde voraussetzen478, sowie einen engen Zusammenhang zwischen Moral und Politik.479 Die dem kategorischen Imperativ in ihrer Formalität ähnliche Goldene Regel findet eine Entsprechung in allen Weltreligionen480, so im Konfuzianismus481, im Judentum482, im Neuen Testament483, 472 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 145; vgl. dazu R. Rorty, Objectivsm, Relativism and Truth, 1991, der nur die amerikanische Verfassungstradition als „kontingente Konsensbasis“ einer sinnvollen Diskussion über Gerechtigkeit anerkennt. 473 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 65. 474 Abduhlahi An-Na’im (Hrsg.), Human Rights in Cross-Cultural Perspectives, Philadelphia, 1992. 475 Vgl. H. Küng, Projekt Weltethos, 1990, S. 81 ff.; ders., Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, 1998, S. 130 ff.; J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Practice, S. 71 ff. 476 K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 67; Q. Zhang, The Idea of Human Dignity in Classical Chinese Philosophy, Journal of Chinese Philosophy 27 (2000), S. 299 ff.; vgl. auch J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Practice, S. 79 ff. 477 Vgl. Konfuzius, Gespräche, hrsg. v. R. Moritz, 1998, XII, 1, 22, dazu H. v. Ess, Der Konfuzianismus, S. 21 ff. 478 Dazu Q. Zhang, The Idea of Human Dignity in Classical Chinese Philosophy, Journal of Chinese Philosophy 27 (2000), S. 299 ff. 479 Dazu m. N. G. Schubert, Was ist interkultureller Menschenrechtsdialog?, 1998, S. 33 (39 ff.); H. Xue, Konfuzius, in: W. Schweidler (Hrsg.), Menschenrechte und Gemeinsinn, S. 111 (123, 126, 131, 134); H. Roetz, Chancen und Probleme, in: W. Schweidler (Hrsg.), Menschenrechte und Gemeinsinn, S. 189 (197 ff.); vgl. auch G. Schubert, Zwischen Konfuzius und Kant, in: ders. (Hrsg.), Menschenrechte in Ostasien II, 1999, S. 19 (26 ff.); K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 67. 480 H. Küng, Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, 1998, S. 140. 481 Konfuzius (ca. 551–489 v. Chr.), Gespräche, Kap. XV, 24 u. ö.; K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 66; H. v. Ess, Der Konfuzianismus, 2003, S. 23, 34, 117. 482 Rabbi Hillel (60 v. Chr.–10 n. Chr.) sprach: „Was dir verhaßt ist, das tu auch deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora, alles andere ist ihre Auslegung. Geh

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im Islam484, im Jainismus485, im Buddhismus486 sowie im Hinduismus487. Der ursprüngliche (von westlicher Tradition unbeeinflußte) arabische Begriff der Freiheit (hurriya) verbindet innere und äußere Freiheit: Er bedeutet „auf rechtlicher Ebene das Gegenteil des Sklavendaseins, als Tugend gleichbedeutend mit Edelmut.“488 Selbstbestimmung und Menschenwürde sind also auch unter Berücksichtigung der Vielfalt menschlicher Zivilisation auf globaler Ebene im interkulturellen Dialog konsensfähig.489 Daß sich die Regierungen oft an die universellen Menschenrechte nicht halten490 (dies aber meist leugnen oder bemänteln), führt nicht dazu, daß ihre Geltung bestritten werden könnte oder als utopisch abgetan werden müßte. „Die Geltung der Norm erweist sich an ihrer Verletzung“ (Niklas Luhmann).491 Auf den Konsens mit dem Rechtsbrecher, dem Tyrannen oder dem Folterer kommt es somit nicht an.492 An einem Rechtsdiskurs können nur diejenigen teilnehmen, die sich vielleicht zwar mit unterschiedlichen Auffassungen um das Recht streiten, aber sachlich oder unparteilich um die Erkenntnis des Richtigen bemüht sind. Ein Konsens in der Menschenrechtsfrage wird nicht grundsätzlich durch die Unterschiedlichkeit der Weltanschauungen verhindert. Der Koran als solcher steht der Menschenwürde und universellen Menschenrechten nicht entgegen, allenfalls diejenigen, die ihn fundamentalistisch aushin und lerne!“ (Talmud, Schabbat 31a); vgl. auch H. Küng, Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, S. 140. 483 Altes Testament, Tobias 4, 16 (apokryph); vgl. auch 3. Buch Mose 19.17–18, 33–34; Neues Testament Matthäus 7, 12; Lukas 6, 31. 484 40 Hadithe von an-Nawawi 13, zit. nach H. Küng, Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, S. 140. 485 Sutrakritanga I, 11, 33, zit. nach H. Küng, Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, S. 140. 486 Samyutta Nikaya V, 353.35–354.2, zit. nach H. Küng, Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, S. 140. 487 Maha ¯bha¯rata XIII.114.8, zit. nach H. Küng, Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, S. 140. 488 R. Wielandt, Menschenwürde und Freiheit in der Reflexion zeitgenössischer muslimischer Denker, in: J. Schwartländer (Hrsg.), Freiheit der Religion, 1993, S. 179 (181). 489 K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1075; vgl. auch die zur Normierung der Menschenwürde im Rechtsvergleich P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, § 22, S. 317, Rn. 4 ff.; A. Siegetsleitner/N. Noepffler (Hrsg.), Menschenwürde im interkulturellen Dialog, 2005. 490 Vgl. W. Bausback, 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, BayVBl. 1999, 709; I. Nguéma, Perspektiven der Menschenrechte in Afrika, EuGRZ 1990, 302 ff. 491 N. Luhmann, Das Paradox der Menschenrechte, in: Fs. W. Krawietz, 1993, S. 539 (544). 492 Dazu überzeugend M. Kriele, Zur Universalität der Menschenrechte, ARSP, Beiheft 51 (1993), S. 52 ff.

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legen.493 Liberalere Praktiken und Lehren im Islam494 sowie einzelne Bemühungen auch in islamischen Staaten um die Menschenrechte belegen dies.495 In Deutschland hat sich im Februar 2002 der Zentralrat der Muslime, dem 19 Dachorganisationen angehören, die rund 800 000 Moslems vertreten, in einer „Islamischen Charta“, einer „Grundsatzerklärung zur Beziehung der Muslime zu Staat und Gesellschaft“ explizit zur Ordnung des Grundgesetzes „einschließlich des aktiven und passiven Wahlrechts der Frau sowie der Religionsfreiheit“ bekannt.496 Der Koran läßt sich nach Ansicht von Experten z. B. dahingehend interpretieren, daß Gott die Frauen nicht nur gegenüber der vorislamischen Zeit, sondern in einem evolutiven Prozeß dem Mann gleichstellen möchte.497 Die Sure 2, 257 des Korans widerspricht religiöser Intoleranz und Gewalt: „In der Religion soll kein Zwang ausgeübt werden.“ Liberale Muslime entnehmen dem Koran den Gedanken der gleichen Würde aller Menschen und dringen zur Anerkennung universeller Menschenrechte durch.498 Ein positives Zeichen in diese Richtung ist die Aufnahme der „allgemein anerkannten Menschenrechte“ in die Präambel der Verfassung Marokkos499, das sich als „muslimischer Staat“ begreift. In Tunesien ist durch Neuinterpretation der Shari’a ein weitgehend liberales Staatswesen erreicht worden.500 Ein weiteres Beispiel für das Bemühen eines islamischen Staates, Islam und die allgemeinen Menschenrechte in Einklang zu bringen, ist die neue afghanische Verfassung, die sowohl auf die Shari’a (z. B. Art. 130, 131) als auch auf die Allgemeine Menschen493 M. Rohe, Islamisten und Shari’a, S. 98 ff.; vgl. auch C. Kissling, Menschenrechtlicher Mindeststandard, HFR 12-2001, S. 4. 494 Siehe die Präambel der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam der Organisation der Islamischen Konferenz vom 5.10.1990; A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 20 ff.; allgemein zum islamischen Menschenrechtsverständnis: A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 12 ff.; H. Bielefeldt, HRQ, 1994, 587 (601 ff.); B. Tibi, Islamic Law/Shari’a, Human Rights, HRQ, 16 (1994), 277 (285 ff.); ders., Im Schatten Allahs. Der Islam und die Menschenrechte, 1994; dazu H. Bielefeldt, Der Staat, Bd. 35 (1996), 142 ff. 495 Dazu H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 137 ff.; J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Practice, S. 72 ff.; A. T. Chase/A. Hamzawy (ed.), Human rights in the Arab world, 2006. 496 islam.de/index.php?site=sonstiges/events/charta (zuletzt geprüft 1.8.2005). 497 Dazu A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 20 f. 498 A. Falaturi, Westliche Menschenrechtsvorstellungen und Koran, 1992, S. 7; vgl. auch A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 60; kritisch L. Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, S. 229, 231, der zwar konzediert, daß die Vorstellung von Menschenwürde in allen Kulturkreisen vorhanden sei, aber die Existenz angeborener, unveräußerlicher und individueller Rechte außerhalb des westlichen Kulturkreises ablehnt. 499 Abgedruckt unter: www.verfassungen.de/leiste-ma.htm. 500 Dazu A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 108 ff.; nach Art. 5 der Verfassung gewährleistet die Tunesische Republik „die Würde der Person und die Freiheit des Gewissens. Und schützt die freie Ausübung der Religion, soweit die Öffentliche Ordnung dadurch nicht gefährdet wird“.

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rechtserklärung (Präambel, Art. 7) verweist und sich gleichzeitig zum Islam als Staatsreligion sowie zur Religionsfreiheit bekennt (Art. 2).501 Die Türkei hat die Shari’a von Rechts wegen abgeschafft und ist nach Art. 2 ihrer Verfassung502 ein laizistischer Rechtsstaat, welcher nach Art. 24 Abs. 1 der Verfassung die Religionsfreiheit achtet. Die Türkei bekennt sich grundsätzlich zur Geltung der Menschenrechte503, die letztlich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einklagbar sind. Der Prozeß der Verwirklichung der Menschenrechte504 wird durch das Bemühen der Türkei um die Aufnahme in die Europäische Union zusätzlich unterstützt.505 Indien zeigt als weitgehend demokratischer, säkularer Staat gewisse Erfolge bei der Sicherung der Menschenrechte.506 Von einem universellen Standpunkt aus kann festgestellt werden, daß in der islamischen Welt die grundsätzliche Geltung der Würde des Menschen anerkannt ist und Bemühungen existieren, die Gesetzgebung nicht ausschließlich der Religion unterzuordnen oder sogar davon zu trennen.507 Seit der Ära Deng Xiaoping (1979–1997) sind gewisse Fortschritte für die Anerkennung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit in China zu verzeichnen. Die geltende Verfassung Chinas enthält zwar klassische Freiheitsrechte als auch soziale Rechte sowie neuerdings das Eigentumsrecht, aber keine Gewaltenteilung.508 Deshalb werden auch heute unmittelbar mit der menschlichen Autonomie verbundene und daher unverzichtbare Rechte wie die Mei501 Sie ist im Dezember 2003 vom Parlament (Loya Jirga) angenommen worden und am 26.1.2004 in Kraft getreten, abgedruckt unter: www.constitution-afg.com; dazu eingehend S. Mahmoudi, The Sharî’a in the New Afghan Constitution, ZaöRV 64 (2004), S. 867 ff. 502 Gesetz Nr. 2709 v. 18.10.1982. 503 Im Januar 2005 unterzeichnete die Türkei das Protokoll Nr. 13 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie im April das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, das die Abschaffung der Todesstrafe zum Ziel hat. 504 Siehe amnesty international, Sektion der Bundesrepublik Deutschland, Jahresbericht 2005; die Türkei wurde am häufigsten durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. 505 Vgl. dazu die regelmäßigen Berichte der Kommission über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt vom 6.10.2004, KOM (2004) 656 endg. SEK(2004) 1201; v. 9.11.2005, KOM (2005) 561 endg. – SEK(2005) 1426. 506 Constitution of India v. 26.11.1949 i. d. F. v. 2005 (http://indiacode.nic.in/coi web/introd.htm, zuletzt geprüft 6.9.2006); P. Schenkel, Der Weltunion entgegen, 2000, S. 27. 507 Dazu A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 21 ff.; 81 ff.; J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Pratice, S. 72 ff. 508 Ai-Er Chen, Das Verständnis der Menschenrechte in China und im Westen, in: G. Nolte/H.-L. Schreiber, Der Mensch und seine Rechte, 2004, S. 137 (146 f.); http:// en.wikipedia.org/wiki/Constitution_of_the_People’s_Republic_of_China (zuletzt geprüft: 6.9.2006); der chinesische Nationale Volkskongress hat am 14.3.2004 weitgehende Änderungen der chinesischen Verfassung beschlossen. So wurden erstmals seit Gründung der Volksrepublik China die Achtung von Menschenrechten und des Privat-

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nungs-, Rede- und Demonstrationsfreiheit gegenüber dem Staat nicht anerkannt, weil sie unter dem Vorbehalt der Staatsraison stehen.509 Erschwert wird die Durchsetzung der Menschenrechte überdies durch eine traditionell stark vom Gedanken der Über- und Unterordnung geprägte Gesellschaft.510 Im chinesischen Volk existiert nichtsdestotrotz ein Menschenrechtsbewußtsein511, welches auch traditionelle Wurzeln hat. Jeder Mensch besitzt nach klassisch chinesischer Philosophie eine ihm angeborene Würde512, die in seiner auch moralischen Natur gründet, und die durch Machthaber weder gewährt noch genommen werden kann. Jede legitime Regierung ist an die Achtung dieser Würde gebunden.513 Schon die konfuzianische Lehre, die noch heute das chinesische Denken beeinflußt, kennt das Konzept der Herrschaftsbegrenzung514, den Begriff der Würde des Menschen und stellt die Gerechtigkeit und Menschlichkeit gegen reines Nützlichkeitsdenken in den Mittelpunkt.515 Mong Dsi (Meng zi, Meng K’O, 4. Jh. v. Chr.), der zweitwichtigste Lehrer des Konfuzianismus, sprach: „Warum wollt Ihr durchaus vom Nutzen reden, o König? Es gibt doch auch den anderen Standpunkt, daß man einzig und allein nach Menschlichkeit und Recht fragt. . . . Darum wolltet auch Ihr, o König, Euch auf den Standpunkt stellen: ,Einzig allein Menschlichkeit und Recht!“516 Die chinesische Philosophie kennt einen Begriff moralischer Autonomie, die aus dem allen Menschen eigenen Sinn für Vernunft und Gerechtigkeit folgt.517 Mong Dsi sagt: „Recht und Unrecht zu unterscheiden ist der Anfang der Weisheit“ und diese Anlage besitze jeder Mensch.518 „Menschenliebe ist die natürliche Gesinnung des Menschen. Pflicht eigentums in der Verfassung aufgenommen. („Das legale Privateigentum ist unantastbar.“ „Der Staat respektiert und schützt die Menschenrechte.“). 509 R. Heuser, Auf dem Wege zur Herrschaft des Rechts?, in: G. Schubert (Hrsg.), Menschenrechte in Ostasien, 1999, S. 167 (169 ff.). 510 Ai-Er Chen, Das Verständnis der Menschenrechte in China und im Westen, S. 142 ff. 511 R. Heuser, Auf dem Wege zur Herrschaft des Rechts?, S. 167 f. 512 Dazu G. Paul, Konzepte der Menschenwürde in der klassischen chinesischen Philosophie; W. Ommerborn, Das Buch Mengzi im Kontext der Menschenrechtsfrage; Ai-Er Chen, Das Verständnis der Menschenrechte in China und im Westen, S. 142. 513 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 65. 514 L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 668. 515 Dazu K. Jaspers, Die großen Philosophen, 1988, S. 168; H. Roetz, China und die Menschenrechte, in: G. Paul/C. Y. Robertson-Wensauer (Hrsg.), Traditionelle chinesische Kultur und Menschenrechtsfrage, 1998, S. 37 (52); G. Paul, Menschenrechtsrelevante Traditionskritik, in: G. Schubert (Hrsg.), Menschenrechte in Ostasien, 1999, S. 75 (79); kritisch H.-G. Möller, Menschenrechte, Missionare, Menzius, in: G. Schubert (Hrsg.), Menschenrechte in Ostasien II, 1999, S. 109 ff. 516 Meng K’o, Mong Dsi – Die Lehrgespräche des Meisters Meng K’o, übersetzt v. R. Wilhelm, 1994, S. 42. 517 G. Paul, Menschenrechtsrelevante Traditionskritik, S. 95 ff.; Meng K’o, Mong Dsi – Lehrgespräche, S. 163 ff., s. a. S. 187. 518 Meng K’o, Mong Dsi – Lehrgespräche, S. 74.

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ist der natürliche Weg des Menschen“519. „Aber der Mensch besitzt in seiner Natur die Freiheit zu ihrer Erfüllung.“520 „Die Liebe zum Guten ist mehr als genug für die Regierung der ganzen Welt, geschweige denn des Staates.“521 „Der Edle handelt nach dem Sittengesetz“.522 Konfuzius lehrt, daß alle Menschen dieselben Sehnsüchte und deshalb auch die gleichen Rechte haben, die jeder selbst gerne für sich in Anspruch nehmen würde.523 Die konfuzianische Lehre (entstanden im 6. Jahrhundert vor Christus) begreift den Menschen als Teil einer (hierarchisch gegliederten) kosmischen Ordnung, in die er eingebunden ist.524 Das klassische chinesische moralische Rechtsdenken kennt keine Unterscheidung zwischen Tugend und Recht.525 Der Jen, Menschlichkeit und Nächstenliebe, soll die menschlichen Beziehungen bestimmen. Die erste Stufe des Jen schreibt vor, ein guter Sohn, ein guter Vater und ein guter Bürger zu sein.526 Auf die Frage von Zig-Gong nach einer Richtschnur für alles menschliche Handeln antwortete bereits Konfuzius mit der Goldenen Regel: „Das ist ,gegenseitige Rücksichtnahme‘. Was man mir nicht antun soll, will ich auch nicht anderen Menschen zufügen.“527 Entsprechend der Goldenen Regel soll sich der sittliche Mensch (Ju) selbst erziehen. Tugendhaftes Handeln soll strenge Gesetze überflüssig machen.528 Auch der vorkoloniale afrikanische Humanismus gründet auf der Würde des Menschen529 und enthält, unbeschadet der nicht zu leugnenden, wichtigen und bestimmenden Funktion des Clans, viele Werte, welche sich mit der Freiheit und den universellen Menschenrechten decken, wie das Verbot von Willkür und Machtmißbrauch durch politische Führer.530 Christian Tomuschat stellt fest: 519

Meng K’o, Mong Dsi – Lehrgespräche, S. 167, s. a. S. 192 f. Meng K’o, Mong Dsi – Lehrgespräche, S. 202. 521 Meng K’o, Mong Dsi – Lehrgespräche, S. 181. 522 Meng K’o, Mong Dsi – Lehrgespräche, S. 205. 523 K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 200 und S. 199 ff. allgemein zum chinesischen Menschenrechtsverständnis. 524 Y. Mao, Rechte und Wert, in: W. Schweidler (Hrsg.), Menschenrechte und Gemeinsinn, 1998, S. 177 (178 ff.); G. Fetzner, Konfuzianismus, S. 2. 525 K.-H. Ludwig, Über die Ursprünge des chinesischen und westlichen Rechts, in: Neue Züricher Zeitung v. 13.5.2000, Nr. 111, S. 83. 526 G. Fetzner, Konfuzianismus, S. 2. 527 Konfuzius, Gespräche, hrsg. v. R. Moritz, 1982, XV, 24; dazu auch H. v. Ess, Der Konfuzianismus, S. 23 f. 528 G. Fetzner, Konfuzianismus, S. 2. 529 Vgl. zum Menschenrechtsverständnis in Afrika H. Scholler, Anknüpfungspunkte für eine Rezeption der abendländischen Menschenrechte in der afrikanischen Tradition, in: W. Kerber (Hrsg.), Menschenrechte und kulturelle Identität, 1991, S. 117 ff.; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 188 ff.; I. Nguéma, Perspektiven der Menschenrechte in Afrika, EuGRZ 1990, 301 ff., insbes. 304 ff.; a. A. L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 668. 530 Vgl. L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 668. 520

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„Right to life, freedom of expression, freedom of religion, freedom of association and movement, right to work and to education figured prominently among the liberties which Africans enjoyed before the era of colonisation.“531 In der Afrikanischen Charta der Rechte der Menschen und Völker werden diese Rechte genannt.532 Im Mittelpunkt der „animistischen“ Weltanschauung steht der Mensch, der seine Autonomie wahrnimmt, seine eigene Verantwortung und Freiheit.533 Das Diskurs- und Konsensprinzip534 hat in der afrikanischen Institution des „Palavers“ eine lange Tradition. Unter allen Betroffenen wird solange beraten, bis ein Konsens erzielt ist.535 In einer schriftlosen Tradition und unter einer weitgehend analphabetischen Bevölkerung ist das traditionelle Palaver den Mechanismen moderner Demokratie sogar überlegen.536 Ein ständiger, gelebter, unmittelbar zwischenmenschlicher Diskurs, der in den westlichen Territorialstaaten unmöglich ist und daher durch die Form allgemeiner Gesetze ersetzt werden muß, kann in vorstaatlichen, jedoch geordneten Gesellschaften mit ausgeprägter Solidarität das Ziel erreichen, die allgemeine Freiheit und damit die Menschenrechte zu verwirklichen, soweit die Rechtspersönlichkeit jedes Menschen im Prinzip gleich geachtet wird. Geschriebene Menschenrechte gegen eine Staatsmacht sind dann überflüssig. Erst seit Afrika versucht hat, als Folge der durch die Kolonialisierung erfolgten Universalisierung europäischer Staatsformen, innerhalb der ehemaligen Kolonialgrenzen moderne Territorialstaaten zu errichten537, zeigte sich das Bedürfnis unabweisbar, die Menschen vor der Willkür von Staatsoberhäuptern zu schützen.538 Ergebnis Die Menschenwürde ist weitgehend formal und universell konsensfähig. Sie ist nicht nur in der christlich-abendländischen Kultur539, sondern in allen großen Zivilisationen der Welt grundsätzlich anerkannt.540 Auch das kulturelle Erbe nicht-westlicher Provenienz trägt zur gemeinsamen konzeptionellen Basis 531 Ch. Tomuschat, Is Universality of Human Rights Standards an Outdated and Utopian concept?, in: Gs Ch. Sasse, 1981, S. 585 (594); zum afrikanischen Menschenrechtsverständnis vgl. J. Cobbah, African Values and the Human Rights Debate, HRQ, 9 (1987), S. 309 ff. 532 OAU Doc. CAB/LEG/67/3 rev. 5, 21 I.L.M. 58 (1982); vgl. dazu E. Kodjo, Die Afrikanische Charta der Rechte des Menschen und der Völker, EuGRZ 1990, 306 ff. 533 I. Nguéma, Perspektiven der Menschenrechte in Afrika, EuGRZ 1990, 304 f. 534 Dazu 3. Teil, B, S. 213 ff. 535 B. Bujo, Welches Weltethos begründet die Menschenrechte?, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 51; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 35. 536 Dazu B. Bujo, Welches Weltethos begründet die Menschenrechte?, S. 50 f. 537 Insoweit zu Recht kritisch M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 176 f. 538 I. Nguéma, Perspektiven der Menschenrechte in Afrika, EuGRZ 1990, 302 f.

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der Menschenrechtsidee bei.541 Eine Bevormundung anderer Kulturen durch das Prinzip der Menschenwürde als menschheitliche Grundverfassung ist daher nicht zu befürchten. Gerade das mit der Menschenwürde verbundene Gebot der Toleranz und der Respekt gegenüber dem Anderen542 verlangt, daß keine Kultur ihre Erkenntnisse über die Wahrheit einer anderen aufzwingen darf. Die universelle Geltung und Wirksamkeit der Menschenrechte aus der Grundverfassung der Menschenwürde würde nicht zu einer globalen Einheitskultur führen.543 e) Weltkultur und Multikultur Gäbe es eine „vollendete Kultur“544, so wäre sie der universelle Maßstab für alle anderen Kulturen. Demgegenüber wird auf ein gleichberechtigtes Nebeneinander verschiedener Kulturen, auf die „kulturelle Identität“ und Vielfalt der Völker verwiesen.545 Der Begriff des „Multiversums“ wird dem des Universums gegenübergestellt.546 Die vollendete Kultur ist ein Ideal, welches dem der Freiheit (dem Frieden) und der Menschenwürde verpflichtet ist. Tatsächlich verwirklicht ist sie nirgendwo auf der Welt, auch nicht im Abendland. Weil es de facto keine „vollendete Kultur“ gibt, die das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, die übrige Menschheit in ihrem Sinne aufzuklären, kann man von einem pluralistischen, offenen Kulturbegriff ausgehen, der allerdings normativ der Menschenwürde und Freiheit verpflichtet ist.547 Die Möglichkeit, daß alle Einzelnen und alle Kulturen ihre Form des guten Lebens finden können und von den anderen in diesem Streben respektiert oder toleriert und nicht bekriegt oder unterworfen werden, setzt nämlich voraus, anzuerkennen, daß alle das glei-

539 K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 68; vgl. a. R. Gröschner, Menschenwürde und Sepulkralkultur, 1995, S. 28; in dem Sinn auch H. Hofmann, Die Entdeckung der Menschenrechte, S. 18. 540 K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 206. 541 A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 161 f.; J. Donnelly, Cultural Relativism and Universal Human Rights, HRQ, 6 (1984), 400 (414 f.); O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 65 f. 542 N. Bobbio, Gründe für Toleranz, in: ders., Zeitalter der Menschenrechte, S. 87 (95 f., 106); vgl. auch M. Mahlmann, Religiöse Toleranz und praktische Vernunft, ARSP 91 (2005), S. 1, 14 ff. 543 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 147 f. 544 Kant spricht im Mutmaßlichen Anfang der Menschengeschichte, S. 99 (A24) f. vom Ziel einer „vollendeten Kultur“, zu der dann ein „immerwährender Friede“ gehören würde. 545 K. Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, S. 58 f.; dazu auch eingehend J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Practice, S. 86 ff. 546 Vgl. N. Bobbio, Gründe für die Toleranz, in: ders., Zeitalter der Menschenrechte, S. 95. 547 W. Schweidler, Menschenrechte und kulturelle Identität, S. 23; vgl. auch W. v. der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 13.

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che Recht zu persönlicher und kultureller Entfaltung, also zur Selbstbestimmung (Freiheit) haben.548 Das Recht auf eigene Kultur und Tradition ist schon um die Vielfalt der Kulturen zu erhalten, begrenzt durch das gleiche Recht der anderen. Jeder hat das gleiche Recht, seine Kultur in einem rationalen Diskurs zur Geltung zu bringen.549 Die weltweite Diskussion über Inhalt und Grenzen der Menschenrechte vermag eine dialogische Universalität zu stiften.550 f) Kulturspezifisch materialisierbarer Bereich der Menschenrechte Die Menschenwürde selbst, als Kern der Grundrechte, ist keiner relativierenden Auslegung zugänglich. Kulturelle, ethnische und religiöse Differenzierungen rechtfertigen keine Verletzung der Menschenwürde.551 Auch Entwicklungsrückstände entschuldigen nicht die Verletzung universeller Menschenrechte in ihrem Kern.552 Dennoch kann die nähere Materialisierung des Begriffs der Menschenwürde in einzelnen Grundrechten einem Wandel unterliegen.553 Innerhalb einer Gruppe, Kultur, Nation und auch im Weltmaßstab werden sich die jeweiligen Gemeinschaftsmitglieder im wesentlichen auf die gleichen höchsten Leitideen berufen. In deren Materialisierung und in der Beurteilung einzelner Fälle werden aber die Mitglieder nicht immer mit gleichem Maß urteilen.554 Denn die von bestimmten Unrechtserfahrungen abhängige Materialität und die inhaltliche Ausgestaltung der Menschenrechte verbleiben in den Grenzen ihres Wesensgehalts dem politischem Willen der Völker, der sich naturgemäß an eigenen nationalen, traditionellen sozialen, kulturellen und religiösen Anschauungen sowie sozialen und ökonomischen Gegebenheiten ausrichtet.555 Ein Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“ z. B. ist nur in einer Informationsgesellschaft sinnvoll. Ein „Recht auf bezahlten Urlaub“ (Art. 24 AEMR) setzt einen sozial und wirtschaftlich bis zu einem gewissen Grad entwickelten Staat voraus. Die Abschlußerklärung der 2. Weltmenschenrechtskonferenz enthält in Art. 5 einen Abschnitt, demzufolge die „Bedeutung nationaler und regionaler Besonderheiten und unterschiedlicher historischer, kultureller und religiöser 548 K.-O. Apel, Ethnoethik und universalistische Makroethik, in: W. Lütterfelds/Th. Mohrs, eine Welt – Eine Moral?, 1997, S. 60 (64). 549 K.-O. Apel, Ethnoethik und universalistische Makroethik, S. 70 f. 550 M. Hättich, Politische Aspekte globaler Geltungen, in: W. Lütterfelds/Th. Mohrs, Eine Welt – Eine Moral?, 1997, S. 165 (168). 551 K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1075. 552 Wiener Menschenrechtserklärung, abgedruckt in: EuGRZ 1993, 520, Nr. I, 10. 553 A. Haratsch, Ideal für alle Völker, Dezember MRM 1997, S. 28; vgl. a. BVerfGE 45, 187 (229). 554 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 180. 555 Vgl. S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 61; Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, S. 67 ff.

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Voraussetzungen“ jedes Landes bei der Umsetzung der Menschenrechte berücksichtigt werden muß.556 Die Nennung von Gruppenrechten in der Banjul Charta (Art. 22 ff.) zeigt, daß regionale Menschenrechtsverträge den kulturellen Besonderheiten Afrikas Rechnung tragen. Für das afrikanische Verständnis etwa, wonach Teilen ein heiliges Gebot ist, erscheint ein Recht am Eigentum nicht selbstverständlich. Das Eigentumsrecht kann danach nur in einem zwischen Gemeinschaft und Individuum reziproken Sinne Anerkennung finden.557 g) Kulturkritische Komponente der Menschenwürde Am Maßstab der Menschenwürde sind manche Bestandteile religiöser, weltanschaulicher und kultureller Traditionen, welche die Würde des Menschen antasten, einem tabustabilisierenden Kulturrelativismus nicht zugänglich. Menschenrechte enthalten in ihrem Weltrechtsgehalt eine „kulturkritsche Komponente“. Sie sind ein „kritischer Maßstab moderner Interkulturalität“ 558, welche einen kulturellen Wandel einleiten kann.559 Der Konsens über universelle Menschenrechte kann nicht lediglich die Schnittmenge der weltweit empirisch vorhandenen kulturellen Wertorientierungen bedeuten, sondern beinhaltet die normative Zumutung der wechselseitigen Anerkennung von Menschen unterschiedlicher Orientierung und Lebensweisen auf der Grundlage gleicher Freiheit und gleichberechtigter Partizipation. Die Pluralität kultureller Lebensformen und religiöser, weltanschaulicher Orientierungen steht unter der normativen Bedingung, daß sich die Menschen trotz aller Unterschiede aufgrund ihrer gleichen Würde und Selbständigkeit akzeptieren.560 An Beispielen sollen die von der Menschenwürde gebotenen Toleranzgrenzen gegenüber den empirischen Kulturen herausgearbeitet und veranschaulicht werden. aa) Diskriminierungsverbot Von der universellen Menschenwürde, welche die gleiche Vernunftbegabtheit aller Menschen annimmt, geboten ist das allgemeine Diskriminierungsverbot. So paßt etwa eine Kastengesellschaft, welche von der angeborenen Ungleichheit der Menschen ausgeht oder ein System der Apartheid nicht mit der Idee der gleichen Freiheit und Würde aller Menschen zusammen.561 Auch ein even556 Wiener Erklärung und Aktionsprogramm vom 25. Juni 1993, abgedruckt in: EuGRZ 1993, 520, Nr. I, 5. 557 B. Bujo, Welches Weltethos begründet die Menschenrechte?, S. 49. 558 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 146; vgl. auch A. Wellmer, Menschenrechte und Demokratie, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 265 ff. (285 ff.). 559 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 146. 560 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 147.

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tuelles „Menschenrecht auf Anderssein“ hilft hier nicht weiter, weil dadurch nicht die gleiche Achtung, die jedem Menschen unabhängig von seiner Herkunft, seiner Religion, seiner Rasse und seines Geschlechts entgegengebracht werden soll, in Frage gestellt werden kann.562 In dieser Erkenntnis enthält die indische Verfassung und damit die indische Rechtskultur ein Verbot der Diskriminierung wegen der Kastenzugehörigkeit und zielen die indischen Gesetze auf eine Verbesserung der Stellung „minderer“ Kastenangehöriger, die rechtlich und gesetzlich nicht von den höchsten Staatsämtern ausgeschlossen werden.563 Im übrigen widerspricht die Offenheit für den Wandel dem Hinduismus nicht prinzipiell, sondern ist in ihm angelegt.564 In Indien ist die Menschenrechtsidee durch den englischen Kolonialismus zwar befördert, aber selbständig aufgenommen worden. Eine solche Entwicklung darf nicht als „Menschenrechtsimperialismus“ abqualifiziert werden, wenn die entscheidenden Schritte von dem jeweiligen Staat selbst getan werden.565 Zum Abschluß des Gipfeltreffens der Konferenz Islamischer Staaten in Teheran am 11. Dezember 1997 hat der iranische Staatspräsident Chatami folgende bemerkenswerte Erklärung abgegeben: „Wir kommen nicht darum herum, positive Elemente der westlichen staatsbürgerlichen Gesellschaft vorsichtig zu assimilieren.“566 Art. 5 der Kairoer Erklärung der Menschenrechte vom 5. August 1990 formuliert immerhin: „Woman is equal to man in human dignity, and has rights to enjoy as well as duties to perform“. Gesetze, welche von der Unmündigkeit der Frau ausgehen, etwa ein vermindertes Zeugnisrecht oder die paternalistische Bevormundung von Frauen bei der Eheschließung, verstoßen gegen die Menschenwürde. bb) Gewissens- und Religionsfreiheit Die Gewissens- und Religionsfreiheit (nicht aber eine uneingeschränkte Religionsbetätigung) sind unmittelbarer Ausdruck der Achtung menschlicher Vernunft und damit der Menschenwürde. Die institutionelle Trennung von Religion und Rechtsordnung ist ein Zeichen der Aufklärung und für die Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit und die Friedenssicherung förderlich.567 Die Autonomie des Menschen, seine Würde, die einer Gesinnungsdiktatur wesensmäßig entgegen561 Vgl. K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 193 ff.; J. Donnelly, Universal Human Rights in Theory and Practice, S. 81 ff.; U. Weiß, Menschenwürde/Menschenrechte, S. 235. 562 Dazu K.-O. Apel, Anderssein ein Menschenrecht?, in: H. Hoffmann/D. Kramer (Hrsg.), Über die Vereinbarkeit universaler Normen mit kultureller und ethnischer Vielfalt, 1995, S. 9 ff. 563 Dazu K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 224 f.; L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 667. 564 Vgl. dazu K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 195 f. 565 Vgl. auch L. Kühnhardt, Menschenrechte, EuGRZ 1986, 667. 566 Zit. nach Neue Züricher Zeitung vom 12.12.1997, 2.

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steht, beansprucht auch im islamischen Kulturkreis Geltung. Vorbehalte, welche die Menschenwürde essentiell betreffen, sind daher unzulässig. Insofern ist es immerhin bemerkenswert, wenn die Kairoer Erklärung der Menschenrechte vom 5. August 1990 „religious belief“ als verbotene Anknüpfung für Ungleichbehandlung erklärt. Trotz der anerkannt gleichen Würde der Frau werden ihr nicht die gleichen Rechte zugestanden. Nach Art. 5 der Kairoer Erklärung der Menschenrechte ist für das Eherecht eine Einschränkung wegen der Religionszugehörigkeit nicht ausgeschlossen und damit das bevormundende Verbot aufrechterhalten, als muslimische Frau einen andersgläubigen Mann zu heiraten, während muslimische Männer durchaus Angehörige der monotheistischen Religionen heiraten dürfen.568 Das Kopftuch und selbst die Polygamie569 kann demgegenüber durchaus zum Schutz der Menschenwürde der Frau entsprechend dem Verständnis von Würde in bestimmten Kulturen beitragen und toleriert werden, solange die Frauen selbst dies wollen und ihre Selbstbestimmung dadurch gewahrt bleibt. cc) Körperliche Integrität und Selbstbestimmung Die Selbstbestimmung wird im Falle traditioneller Genitalbeschneidungen der Frau nicht respektiert. Zudem verstümmeln sie die physische und psychische Gesundheit und Integrität, das Leben der Frauen sowie ihre Sexualität und damit auch ihr Personsein (genauer die mit ihnen geborene Weiblichkeit) und enden nicht selten mit dem Tod. Personalität, Selbstbestimmung, Leben und Gesundheit als vitale Basis der Menschenwürde werden dadurch so schwerwiegend bedroht570, daß es aus der Sicht der Menschenwürde auch unter Berücksichtigung kultureller Besonderheiten nicht hinnehmbar ist.571 Oft mit Gewalt, zumindest unter dem Druck völliger sozialer Mißachtung werden die betroffenen Mädchen zum Zwecke vermeintlich höherer Treue unter großen körperlichen Qualen und Erniedrigungen eines Teils ihrer Weiblichkeit und damit ihrer Subjekthaftigkeit beraubt und zum Objekt (u. a. ihrer späteren Ehemänner) herabgewürdigt. In der Abschlußerklärung der UN-Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 ist zum ersten Mal geschlechtsspezifische Gewalt in Form von gesundheitsschädigenden Praktiken als unvereinbar mit der Würde und dem Wert der 567 H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, Der Staat, 34 (1995), S. 31 f. 568 R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, EA 1993, 682. 569 B. Bujo, Welches Weltethos begründet die Menschenrechte?, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 39. 570 Die im Islam übliche Beschneidung der Jungen ist zwar durchaus auch ein Eingriff in die körperliche Integrität und Selbstbestimmung, aber nicht von solcher Folgenschwere, daß die Menschenwürde angetastet wird. 571 Vgl. auch K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 215 ff.

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menschlichen Person verurteilt worden. In ihrer „Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen“ präzisierte die UN-Generalversammlung572 die Formulierungen des Wiener Abschlußdokuments und benannte Genitalverstümmelung als eine spezifische Form der Gewalt gegen Mädchen und Frauen und damit als Menschenrechtsverletzung. Auf der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten, darauf zu verzichten, Genitalverstümmelung als Brauch, Tradition oder religiösen Beweggrund geltend zu machen, um sich so der Verpflichtung der Beseitigung von Gewalt gegen Frauen zu entziehen.573 Immerhin haben inzwischen nicht wenige afrikanische Staaten weibliche Genitalverstümmelung verboten und strafbewehrt.574 Auch die Tötung von Frauen aus Gründen der Familienehre kann nicht mit kulturellen Traditionen gerechtfertigt werden. Die Frau wird in ihrer Würde verletzt, indem ihr Recht auf Leben vollständig unter eine vermeintliche Familienehre untergeordnet wird, neben der ihr keine eigenständige Anerkennung als Mensch entgegengebracht wird. Die Staaten haben die Pflicht, solche menschenrechtswidrigen Praktiken zwischen Privaten zu unterbinden. Dies folgt aus der grundrechtlichen Schutzpflicht, die mit jedem Menschenrecht verbunden und speziell für den Schutz des Lebens auch positiv geregelt ist (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 IPbpR).575 Der indische Staat hat die in Indien noch heute teilweise praktizierte Witwenverbrennung als Mord unter Strafe gestellt.576 Strafen allein genügen im Falle menschenwidriger, traditionell verwurzelter sozialer Praktiken allerdings meist nicht. Es muß auch Aufklärungsarbeit hinzukommen, die von Internationalen Organisationen, insbesondere der UNICEF sowie von Nichtregierungsorganisationen unterstützt wird.577

572 Resolution 48/104 der Generalversammlung v. 20.12.1993, A/RES/48/104 v. 23.2.1994. 573 Punkt D Nr. 112–130 der Aktionsplattform von Peking, Bericht der vierten Weltfrauenkonferenz (www.un.org/Depts/german/conf/beijing/anh_2.html). 574 Dazu R. Kalthegener, Rechtliche Regelungen gegen weibliche Genitalverstümmelung, djb, aktuelle Informationen 2/2003, S. 23 (24). 575 Der Menschenrechtsausschuß hat in seinen allgemeinen Bemerkungen gemäß Art. 40 Abs. 4 IPbpR dies mit einer Analogie aus Art. 6 Abs. 1 Satz 2 IPbpR begründet. General Comment No. 7 Torture or cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, 30/05/82; M. Nowak, UNO-Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte und Fakultativprotokoll, CCPR-Kommentar, 1989, S. 880 f.; vgl. auch S. 143, Rn. 20. 576 K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 211. 577 H. Kuhn, Der Beschneidung ein Ende – Zur Arbeit von UNICEF, aktuelle informationen djb, 2/2003, S. 19 ff.

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2. Menschenrechtlicher Individualismus versus traditionelle Gemeinschaftsbezogenheit – These: Menschenrechte sind Ausdruck eines „individualistischen Menschenbildes“578, welches im Widerspruch zur Gemeinschaftsbezogenheit afrikanischer, asiatischer579 oder auch islamischer580 Werte steht und eine universelle Menschenrechtsgeltung in Frage stellt.581 In der westlichen Tradition der Erstgenerationenrechte soll die Betonung von Abwehrrechten gegenüber dem Staat und der Freisetzung des autonomen Individuums im Vordergrund stehen.582 Die afrikanischen, asiatischen und islamischen Kulturkreise gelten im Gegensatz zu den westlichen stärker gemeinschafts- als individualismusorientiert. Jene setzen verstärkt auf Pflichten als auf individuelle Rechte und betonen den Vorrang traditioneller Werte gegenüber innovativer Umwälzung.583 So werden in der afrikanischen Kultur die Interaktion zwischen Gemeinschaft und Individuen sowie das Verständnis, daß der Mensch nur innerhalb einer Gemeinschaft zum Menschen wird, stärker als im westlichen Individualismus betont. – Antithese: Die Betonung der Persönlichkeit des Menschen steht der Gemeinschaftsbezogenheit des Menschen und seiner Rechte nicht entgegen.

578

So H. Hofmann, Die Entdeckung der Menschenrechte, S. 18 f. Dazu vgl. J. Rüland, Keine Chance für die Demokratie in Asien?, 1996, S. 53 ff.; W. Schubert, Was ist interkultureller Menschenrechtsdialog, in: W. Schweidler (Hrsg.), Menschenrechte und Gemeinsinn, 1998, S. 33 (39 f.); Y. Mao, Rechte und Wert, in: W. Schweidler (Hrsg.), Menschenrechte und Gemeinsinn, 1998, S. 177 (178 ff., 182 f., 185 ff.); D. Senghaas, Zivilisierung wider Willen, S. 175 ff.; vgl. auch W. S. Heinz, Vom Mythos der „Asiatischen Werte“, in: G. Schubert (Hrsg.), Menschenrechte in Ostasien, 1999, S. 53 (61 ff.) . 580 M. Jawhar, Traditions, 1993, S. 97 (99); M. Yazdi, Menschenrechte, 1994, S. 217 (225); B. Tibi, Im Schatten Allahs, 1994, S. 143. 581 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 150 ff.; G. Schubert, Zwischen Konfuzius und Kant, S. 19 ff. 582 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 184; F. Ossenbühl, Interpretation der Grundrechte, NJW 1976, 2100 ff., 2107 (Schlußbemerkung); R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 229 ff., 233 ff.; dazu kritisch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 441 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 145 ff. 583 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 176; G. Schubert, Was ist interkultureller Menschenrechtsdialog?, S. 39; D. Senghaas, Zivilisierung wider Willen, 1998, S. 175 ff. 579

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

In schwarzafrikanischen, asiatischen oder arabo-islamischen Traditionen werden die Schranken der Grundrechte teilweise anders gezogen, weil die individuelle Handlungsfreiheit des Einzelnen mehr durch das Allgemeinwohl begrenzt und die Pflichtgebundenheit von Rechten stärker hervorgehoben wird als im westlichen Kulturkreis. Das heißt aber nicht, daß es keine Grundlage für subjektive Rechte gibt oder solche nicht sogar in Menschenrechtskatalogen, wie z. B. in der Afrikanischen Menschenrechtscharta von 1981 enthalten sind.584 Voraussetzung ist allerdings, daß der Mensch überhaupt als Rechtssubjekt erkannt wird, was in der Praxis nicht überall gewährleistet ist.585 Soweit von einem kulturellen Standpunkt aus subjektive Rechte grundsätzlich abgelehnt werden und der einzelne Mensch nur als Objekt familiärer, gesellschaftlicher oder staatlicher Ordnung verstanden wird586, steht der universelle Menschenwürdegehalt der Menschenrechte einer solchen Position entgegen. Den Menschen als Subjekt und nicht mehr nur als Objekt der Gesetzgebung zu verstehen, ist ein Individualismus mit der Einsicht in die Würde, Selbstverantwortung, die Subjekthaftigkeit, die Willensautonomie jedes einzelnen Menschen.587 Damit ist jedoch nicht notwendig ein egoistischer Individualismus gemeint, der mit dem westlichen Liberalismus verbunden wird588 und der die „allgemeine Handlungsfreiheit“589 als Recht zur Beliebigkeit oder als selbstbezogene Summe von Handlungsmöglichkeiten dogmatisiert. Dies zeigt etwa die durchaus „abendländische“ Lehre Kants. Neben dem Bemühen um eigene Vollkommenheit ist die Förderung fremder Glückseligkeit ein ethisches Grundprinzip, das Kant in der Metaphysik der Sitten (Tugendlehre) herausarbeitet.590 In seiner Rechtslehre 584 Dazu E. Kodjo, Die Afrikanische Charta der Rechte des Menschen und der Völker, EuGRZ 1990. 306 ff.; A. Petersohn, Islamisches Menschenrechtsverständnis, S. 160 f. 585 Dazu I. Nguéma, Perspektiven der Menschenrechte in Afrika, EuGRZ 1990, 302 ff. 586 Vgl. R. Tetzlaff, Zur Begründung der relativen Universalität der Menschenrechte, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 75 f. 587 Vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67 ff. 588 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1914, S. 43, 418 ff.; ders., System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1905, insbes. S. 81 ff., 94 ff.; J. Isensee, Grundrechtliche Freiheit – Republikanische Tugend, in: E. Geißler (Hrsg.), Verantwortete politische Bildung, 1988, S. 65 (71); vgl. dazu auch A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 144 ff.; kritisch K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 343 ff. 589 Vgl. BVerfGE 6, 32 (36); 49, 286 (298); siehe auch W. Schild, Menschenrechte als Fundament einer Weltverfassung, in: W. Kerber (Hrsg.), Menschenrechte und kulturelle Identität, S. 165 (169 ff.), der die klassischen Lehren der Menschenrechte im Sinne einer „Willkürfreiheit“ interpretiert; vgl. aber anders und in unserem Sinne seine (hegelianische) Position, S. 182 ff.; vgl. zum Ganzen kritisch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 269 f., 331 f., 979 ff.; ders., Freiheit in der Republik, 343 ff. 590 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 515 (A 13) ff.

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konzipiert Kant Freiheit als allgemeine und gleiche Freiheit, welcher die durch das allgemeine Gesetz materialisierte Gemeinwohlverpflichtetheit immanent ist.591 Weil jedem Menschen die gleiche Würde und Freiheit zukommt, verlangt der kategorische Imperativ, der sich an den jeweils eigenen Willen richtet, zugleich die unbedingte Anerkennung auch jedes anderen Menschen als Rechtssubjekt.592 Oft werden Gemeinschaftsideale nicht aus Überzeugung, sondern aus strategischen Gründen zur Rechtfertigung eines mit Menschenrechten in Widerspruch stehenden praktizierten Paternalismus ausgenutzt.593 Der kategorische Imperativ ist kein Gegenprinzip zu der etwa das chinesische Denken wesentlich bestimmenden konfuzianischen Lehre, wenn diese nicht als Staatsraison mißbraucht oder einseitig kollektivistisch, hierarchisch ausgelegt wird.594 Selbst in Ländern mit schwieriger ökonomischer und sozialer Situation, dürfen die Menschenrechte niemals in ihrem Wesens-, d. h. Menschenwürdegehalt angetastet werden. Zumindest muß immer ein Bemühen um einen gerechten Interessenausgleich595 erkennbar sein. Andererseits kann eine weltrechtliche Menschenrechtsdogmatik nicht allein auf einem liberalistischen, „westlichen“ Abwehrverständnis der Menschenrechte gegründet werden. Dieses vernachlässigt die Gemeinschaftsgebundenheit des Menschen, die durchaus auch in der westlichen Philosophie596 oder z. B. in der deutschen Rechtsprechung597 und Rechtslehre598 hervorgehoben worden ist. Es ist anerkannt, daß die Menschenrechte nicht nur eine subjektiv-persönliche, sondern ebenfalls eine soziale Funktion haben.599 Nach Art. 29 AEMR hat jeder 591

Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67 (BA 76, 77), S. 70 (BA 81), 71 (BA 82, 83), 73 (BA 85, 86). 593 J. Habermas, Zur Legitimation durch Menschenrechte, S. 186 f. 594 Vgl. G. Paul, Eine chinesische Grundlage universeller Menschenrechte, in: KAS-Auslandsinformationen, 1997, Nr. 7, Juli, 4 ff. (15); Ai-Er Chen, Das Verständnis der Menschenrechte in China und im Westen, S. 137 ff., der seinen Betrachtungen den kantianischen Menschenwürdebegriff als „universell“ vorausstellt. 595 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 617 ff.; A. EmmerichFritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 76 ff. 596 Dazu eingehend K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 67 ff., 83 ff. 597 BVerfGE 4, 7 (15 f.); 5, 85 (204 f.); 7, 198 (205); 24, 119 (144); 27, 1 (6 f.); 27, 344 (351 f.); 33, 303 (334); 48, 127 (163); 49, 286 (298); 50, 166 (175); 50, 290 (353); 56, 37 (49); 65, 1 (44); vgl. auch die neue Formulierung in BVerfGE 80, 367 (373 f.): „Der Mensch als Person, auch im Kern seiner Persönlichkeit, existiert notwendig in sozialen Bezügen“. 598 Vgl. P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 4 ff. 599 P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 11; P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte: Konkurrenz oder Ergänzung?, EuGRZ 1994, 22; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 461 ff., 819 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 376 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Ver592

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

Mensch „Pflichten gegenüber der Gemeinschaft“. Er ist „in Ausübung seiner Rechte und Freiheiten . . . den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zwecke vorsieht, um die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten der anderen zu gewährleisten und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen.“ Das Menschenbild der Allgemeinen Menschenrechtserklärung ist nicht das eines isolierten, selbstbezogenen Individuums, sondern das eines gemeinschaftsbezogenen und -gebundenen Menschen.600 Weder soll sich das Individuum über die Gemeinschaft stellen, noch darf letztere die Menschen im Sinne eines Kollektivismus zum Werkzeug ihrer Ziele machen.601 Das Recht auf freie Meinungsäußerung, beispielsweise, ist nicht nur Individualrecht, sondern auch Bedingung für den freien Diskurs. Das Recht auf Religionsfreiheit umfaßt über die individuelle Religions- und Bekenntnisfreiheit auch das Recht zu gemeinschaftlicher Religionsausübung und muß hierin die Rechte anderer achten. Die Rechte auf Schutz von Ehe und Familie sind notwendig gemeinschaftliche Rechte. Das Recht auf Arbeit ist nicht nur ein Recht gegenüber der Gemeinschaft, sondern umgekehrt auch ein Anspruch der Gemeinschaft gegenüber dem Individuum.602 Abzulehnen ist ein Vorrang „sozialer“ und „kultureller“ gegenüber „liberalen“ und „politischen“ Grundrechten, wie dies auch umgekehrt nicht der Fall ist, weil diese Gruppen von Rechten in wechselseitiger, gleichrangiger Bedingtheit stehen und insoweit unteilbar sind.603 Ergebnis Die Dichotomie zwischen Individuum und Gemeinschaft ist kein notwendiger Widerspruch zu einer universellen Geltung der Menschenrechte, weil sie im Menschenrechtsgedanken angelegt ist. Als gleiche und soziale Grundrechte verweisen die Menschenrechte von vornherein aufeinander und ergänzen sich „in der Verwirklichung einer an der Würde des Menschen orientierten freiheitlichen Sozialverfassung“.604 hältnismäßigkeit, S. 333 ff., 342 ff.; EuGH, Rs 4/73 Nold/Kommission, Slg. 1974, 491 (507, Rn. 14) st. Rspr. 600 A. Haratsch, Ideal für alle Völker, MRM Dezember 1997, S. 26. 601 B. Bujo, Welches Weltethos begründet die Menschenrechte?, S. 43 f. 602 B. Bujo, Welches Weltethos begründet die Menschenrechte?, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 45 f.; K. A. Schachtschneider, Recht auf Arbeit, S. 844 ff. 603 Vgl. J. Habermas, Zur Legitimation durch Menschenrechte, S. 187; ders., Der interkulturelle Diskurs über Menschenrechte, E + Z Bd. 38, Nr. 7 (1997), 165; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 75; General Assembly resolution 48/141 vom 20.12.1993 über den Hochkommissar für Menschenrechte, A/RES/48/ 141, 7.1.1994.

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VI. Ausgewählte Einzelfragen zur Materie der Menschenrechte Nach der Begründung und Darlegung der Universalität der Menschenrechte sollen nur einige strittige materielle Fragen zu den Inhalten einzelner Menschenrechte herausgegriffen werden. 1. Menschenrecht auf politische Freiheit In der Literatur ist streitig, ob es ein Menschenrecht auf Demokratie605 gibt. Peter Häberle definiert Demokratie als die „organisatorische Konsequenz der Menschenwürde“.606 Otfried Höffe rechnet die demokratischen Mitwirkungsrechte zu den Menschenrechten.607 Peter Saladin zählt das Recht auf demokratische Partizipation sogar zum ius cogens.608 Zum Teil wird von einem „emerging right to democratic governance“ gesprochen.609 Andere dagegen wollen Demokratie nicht einmal als ein völkerrechtlich geschütztes Rechtsgut erkennen.610 Manche Autoren611 verstehen die Menschenrechte und die Demokratie als „zwei ganz verschiedene Prinzipien“. Als Beleg wird angeführt, daß Menschenrechte „vorpolitisch“ seien und sich auch gegen demokratische Entscheidungen richten könnten. Dies entspricht der Tradition von Locke (dazu S. 480 ff.) und der Lehre von Rawls (dazu S. 487 ff.). Der vom Prinzip der Menschenrechte geforderte Staat sei danach ein Verfassungsstaat, nicht aber notwendig ein demokratischer Staat.612 Kant erwähnt in der Einleitung der Rechtslehre ausdrücklich das unmittelbar mit der Freiheit, die jedem Menschen „kraft seiner Menschheit“ zustehe, ver604

H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, S. 170. Dazu H. Lauterpracht, An International Bill of the Rights of Man, 1945; M. Lang, Menschenrecht auf Demokratie, Vereinte Nationen 6/1998, 195 ff.; S. Gosepath, Das Verhältnis von Demokratie und Menschenrecht, S. 226 ff.; befürwortend auch B. W. Wegener, Rechtsschutz für gesetzlich geschützte Gemeinwohlbelange als Forderung des Demokratieprinzips?, HFR 3-2000, S. 5 ff. 606 P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 303. 607 O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, 1987, S. 458. 608 P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 181. 609 Th. M. Franck, The Emerging Right to Democratic Governance, AJIL 86 (1992), 46 ff.; S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 274. 610 K. O. Nass, Grenzen und Gefahren humanitärer Interventionen, EA 1993/1, 281. 611 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 37 f.; O. Luchterhand, Verfassungsstaat und Völkerrecht im Ost-West-Gegensatz, in: J. Schwartländer (Hrsg.), Menschenrechte und Demokratie, 1981, S. 63 (68); E.-W. Böckenförde, Ist Demokratie eine notwendige Forderung der Menschenrechte?, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 233 ff. 612 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 287. 605

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

bundene Recht, „sein eigener Herr zu sein“.613 Damit ist die Autonomie des Willens als Recht zur Selbstgesetzgebung angesprochen, das jedem wegen der Gleichheit in der Freiheit gebührt.614 Im Naturzustand hängt die Frage der Durchsetzbarkeit dieses Rechts von der Durchsetzungsgewalt jedes Einzelnen ab, und ist daher unsicher und vorläufig. Es ist aber von Anfang an (provisorisch) bewehrt durch das erzwingbare Recht auf eine (welt-)bürgerliche Verfassung mit allgemeinen Gesetzen.615 Die äußere Freiheit als Recht zur Autonomie des Willens ist damit nach Kant zugleich ein Recht auf gemeinsame Gesetzgebung.616 Das Recht einschließlich der Menschenrechte ist von der politischen Freiheit nicht zu trennen.617 Politische Freiheit hat – etwa materialisiert durch Wahlund Abstimmungsrechte – selbst Grundrechtsstatus.618 Die Verbindung von materiellen Menschenrechten und dem Recht auf politische Freiheit kommt schon in den klassischen Menschenrechtstexten, wie in Art. 3, 4, 5 und 6 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 zum Ausdruck. Art. 4 lautet: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu dürfen, was einem anderen nicht schadet: die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen hat also nur die Grenzen, die den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuß der gleichen Rechte sichert. Diese Grenzen können nur durch Gesetz bestimmt werden.“

Nach Art. 6 Satz 1 und 2 ist das Gesetz „Ausdruck des allgemeinen Willens. Alle Bürger haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Gestaltung mitzuwirken.“ Damit ist die politische Freiheit als Bürgerrecht formuliert. In ähnlicher Weise verbindet die Virginia Bill of Rights von 1776 die Anerkennung grundlegender Menschenrechte (sect. 1) mit der Ableitung aller öffentlichen Gewalt vom Volk (sect. 2). In Absatz 8 der Wiener Erklärung vom 25. Juni 1993 zur Weltmenschenrechtskonferenz findet sich eine Formulierung, wonach Demokratie, Entwicklung und die Achtung der Menschenrechte und

613

Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 345 (AB 45). Dazu S. Gosepath, Das Verhältnis von Demokratie und Menschenrecht, S. 226 ff. 615 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 366 (AB 74); ders., Zum ewigen Frieden, S. 203 (BA 18, 19). 616 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 332; ders., Freiheit in der Republik, S. 67 ff., 281 ff., 318 ff. 617 P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, § 22, S. 317, Rn. 61 ff.; J. Habermas, Der interkulturelle Diskurs über Menschenrechte, E + Z, Bd. 38, Nr. 7 (1997), 164; anders K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 443, der die menschenrechtlich begründeten Rechte als Rechte zur Willkür, die vom Recht zur freien Willkür als dem Recht zur Autonomie des Willens zu unterscheiden seien, ansieht. 618 So gilt z. B. die in Art. 38 GG materialisierte politische Freiheit als verfassungsbeschwerdefähiges (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG), „grundrechtsgleiches Recht“; B. Pieroth, in: Pieroth/Schlink, GG, Art. 38, Rn. 1. 614

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Grundfreiheiten voneinander abhängen und sich gegenseitig absichern.619 In diesem Sinne argumentieren verschiedene Autoren, daß die Menschenrechte in ihrer Durchsetzung und Verwirklichung notwendig des demokratischen Verfassungsstaates bedürften.620 Entscheidend ist die Verwirklichung des Prinzips der Selbstbestimmung, dessen Verwirklichung nicht nur demokratisch i. e. S. möglich ist. Allgemeiner könnte gesagt werden, daß der freiheitliche Diskurs am besten geeignet ist, die Freiheit aller in Ausgleich zu bringen und so die Menschenrechte zu verwirklichen.621 Andererseits sind die Menschenrechte besonders dann eingefordert, wenn der Diskurs nicht funktioniert. Das Prinzip der Demokratie steht nicht über den Menschenrechten, sondern setzt diese voraus und kann sich nur im Einklang mit diesen entfalten.622 Zu den „rechtlichen, von ihrem Wesen (als solchem) unabtrennlichen Attributen“ des Bürgers zählt die politische Freiheit.623 Weil die äußere Freiheit nur durch allgemeine Gesetzgebung, die einen gegenseitigen Interessenausgleich ermöglicht624, gesichert werden kann, hat grundsätzlich jeder einen Anspruch darauf, in dem Land, dem er angehört, Bürger (und nicht nur Untertan) zu sein. Wer Untertan ist, ist nicht frei. Daraus folgt für jeden Menschen ein Recht, wie Art. 21 Abs. 1 AEMR deklariert, „an der Leitung öffentlicher Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen.“625 Art. 21 Abs. 3 AEMR enthält das Prinzip der volonté générale oder der Volkssouveränität: „Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muß durch periodische und unverfälschte Wahlen mit allgemeinem und gleichem Wahlrecht bei geheimer Stimmabgabe oder in einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen.“

Art. 25 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte verbürgt das Wahlrecht und die Teilnahme an der „Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten“ 619 Vgl. auch R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, EA 1993, 687. 620 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 151 ff.; R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, S. 259 ff.; A. Wellmer, Menschenrechte und Demokratie, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 265 (268 ff.); K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 44 ff., 281 ff. 621 Dazu R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, S. 258 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 454 ff. 622 M. Kriele, Allgemeine Staatslehre, S. 237 f. 623 Dazu Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 432 (A 166 B 196). 624 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 332 ff. 625 Zum Zusammenhang von Menschenwürde und Demokratie P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, S. 317, Rn. 61 ff.

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

„unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter“. Es handelt sich dabei um Rechte, die in den Staaten zur Geltung kommen sollen, nicht um einen kosmopolitischen Bürgerrechtsstatus.626 Ergebnis Mit der Freiheit als Selbstbestimmung ist weltrechtlich ein Menschenrecht auf politische Freiheit verbunden, das bereits in völkerrechtlichen Texten Normierungen gefunden hat. 2. Prinzip der Solidarität und soziale Menschenrechte a) Menschheitliche Solidarität Schon die Stoa lehrte eine kosmopolitische Solidarität, die auf die gemeinsame Natur der Menschen zurückgeht.627 Friedrich Schiller hat das Prinzip der Brüderlichkeit unter den Menschen in der Ode an die Freude („Alle Menschen werden Brüder“) postuliert. Rousseau äußert sich zwar positiv über die wenigen großen kosmopolitischen Seelen, die die eingebildeten völkertrennenden Grenzen überschreiten und „. . . das ganze Menschengeschlecht in ihr Wohlwollen einschließen“.628 Andererseits erkennt er, daß die Willensbildung in einem Staat, so allgemein sie auch sei, nur die volonté générale des jeweiligen Staates und seiner Mitglieder bilden könne, nicht aber das der anderen Staaten und ihrer Mitglieder. Die volonté générale der Weltordnung sei das Naturgesetz.629 Er hält jedoch die Verbundenheit mit dem eigenen Staat, den Patriotismus für die effektivste Tugend. Das Gefühl der Verbundenheit mit der Menschheit nehme ab, je weiter es sich auf die ganze Erde erstrecke.630 Sincerus Verdictus meint dagegen idealistisch, „das menschliche Herz ist groß genug, eine Welt mit Liebe zu umfassen.“631 626 D. Thürer, „Citizenship“ und Demokratieprinzip, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), 2000, S. 177 (202). 627 Seneca, Ad Lucilium epistulae morales, 15. Buch, 95, 52, hrsg. v. M. Rosenbach 1995, Bd. 4, S. 495. 628 Rousseau, Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes (1755), III; dt.: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit, in: H. Ritter, Schriften, 1978, S. 178. 629 Rousseau, Discours sur l’économie politique (1755), 1990, S. 57 (62) „car alors la grande ville du monde devient le corps politique dont la loi de nature est toujours la volonté générale, et dont les Etats et peuples divers ne sont que des membres individuels.“ 630 Rousseau, Discours sur l’économie politique, S. 72; vgl. auch W. Kersting, Internationale Solidarität, in: K. Bayertz (Hrsg.), Solidarität, 1998, S. 411 ff. 631 K. A. J. Hochheim (Sincerus Veridicus), Von der europäischen Republik, 1796, S. 7.

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Im Zeitalter der Globalisierung leben die Staaten weniger denn je isoliert nebeneinander, sondern sind in vielfältigen Interdependez- und Austauschbeziehungen vernetzt, so daß das „gute Leben“ ihrer Bürger nicht mehr allein auf deren Entscheidungen und deren Produktivität zurückzuführen ist. Damit kann das grundsätzliche Anliegen internationaler Solidarität als rudimentäre Verteilungsgerechtigkeit, welche vorliegendes Versagen auf dem Weltmarkt ausgleicht632, nicht ohne weiteres, wie John Rawls dies in seinem Völkerrecht versucht, mit den unterschiedlichen „Verdiensten“ der jeweiligen Staaten für ihre Wohlfahrt abgelehnt werden.633 Ulrich Preuß meint: „Allerdings muß das internationale Recht seine augenscheinliche Voreingenommenheit zugunsten von Staaten aufgeben und statt dessen seine Institutionen, Verfahren und Prinzipien Individuen zugänglich machen, die dann als ,Weltbürger‘ agieren könnten, d. h. die moralischen Verpflichtungen gegenüber der Menschheit als solcher übernehmen könnten. Hierdurch würde das internationale Recht in eine grundlegende Institution internationaler Bürgerschaft und Solidarität verwandelt.“634

Aktuell wird mit der Globalisierung der Beziehungen die Forderung nach Umsetzung des weltbürgerlichen Versprechens einer universalen Solidarität und Sozialpolitik635 verbunden. „Der menschenrechtliche Universalismus scheint als gemeinsamer Nenner einer sich selbst bewußt werdenden Weltgesellschaft zu fungieren. Entsprechend werden solidarische Beistandspflichten als ,unteilbar‘, Solidarität mit allen Menschen dieser Welt, insbesondere mit den Benachteiligten und Schwachen als Kernfrage nach der ,Zukunft unserer Welt‘ erklärt.“636

Der Grundsatz „globaler Solidarität“ oder „internationaler sozialer Gerechtigkeit“637 ist als Element der „Neuen Weltwirtschaftsordnung“638 herausgestellt worden.639 Textlich ist zunächst auf Art. 55, 56 UN-Charta hinzuweisen, wo632 Ch. Tietje, Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 783 (806 f.). 633 Vgl. auch P. Koller, Frieden und Gerechtigkeit in einer geteilten Welt, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 213 (223 ff.). 634 U. K. Preuß, Nationale, supranationale und internationale Solidarität, in K. Bayertz (Hrsg.), Solidarität, 1998, S. 399 (409). 635 Dazu K. Bayertz, Begriff und Problem der Solidarität, in: ders. (Hrsg.), Solidarität, 1998, S. 15 ff.; G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 310 ff. 636 O. Depenheuer, Nicht alle Menschen werden Brüder, in: J. Isensee, Solidarität in Knappheit, 1998, S. 41 (44). 637 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 307, 310 ff.; vgl. E. Schwinger, Nächstenliebe, Fürsorglichkeit und Solidarität, ARSP 2001, 153 ff. 638 Vgl. Resolutionen der UN-Generalversammlung: 3201 (S-VI), Declaration on the Establishment of a New International Economic Order v. 1.5.1974; 3202 (S-VI); Programme of Action on the Establishment of a New International Economic Order v. 1.5.1974; 3281 (XXIX), Charter of the Economic Rights and Duties of States, v. 12.12.1974. 639 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 305 ff.

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

nach sich alle Mitgliedstaaten verpflichten, mit den Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten, um die wirtschaftlichen und sozialen Ziele des Art. 55 UNCharta zu fördern. Die Präambel der Schlußakte der Helsinki-Konferenz vom 1. August 1975 setzt ihre Hoffnung u. a. auf die „Solidarität zwischen den Völkern“. In Art. 23 Abs. 1 der seit 1986 in Kraft befindlichen Banjul Charta der afrikanischen Staaten, ist darüber hinaus eine zwischenstaatliche Solidaritätspflicht formuliert: „Die Beziehungen zwischen den Staaten werden beherrscht durch die Prinzipien der Solidarität und Freundschaft.“ Die teils verbindliche, teils in der Ausbildung begriffene internationale Solidaritätspflicht erfährt Materialisierungen durch Entwicklungshilfe, internationale, vor allem nachbarschaftliche Zusammenarbeit bei der Bewältigung von Umweltproblemen und im Schutz der Menschenrechte.640 Fraglich ist, inwieweit der Begriff der Solidarität überhaupt ein rechtliches Kriterium ist. Als Prinzip wechselseitiger Haftung in einem genossenschaftlichen Verband ist es ein juristischer Begriff641, als reine Emotion642 ist er das nicht.643 Wohltätigkeit, Freundschaft oder Menschenliebe sind Tugenden, aber rechtlich nicht einklagbar.644 Wie schon Kant festgestellt hat, kann Liebe keine Pflicht sein, wohl aber sind dies „Handlungen, durch die der Mensch sich und andere zum Zweck macht“.645 Die Selbständigkeit ist nach Kant neben Freiheit und Gleichheit apriorische Voraussetzung der politischen Gemeinschaft.646 Hegel hat den „Mangel“ in einer Gesellschaft zu Recht als Form von Unrecht erkannt.647 Der Mensch hat „als Person“ zwar „einen Eigenwert“, ist aber „gemeinschaftsbezogen“ und „gemeinschaftsgebunden“.648 Dem entspricht das menschheitsrechtliche Prinzip der Mitmenschlichkeit649, das aufs engste mit der 640 J. Delbrück, Eine internationale Friedensordnung, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 254 (259). 641 U. Steinvorth, Kann Solidarität erzwingbar sein?, in: K. Bayertz (Hrsg.), Solidarität, 1998, S. 54 (55 ff.) 642 Vgl. E. Schwinger, Nächstenliebe, Fürsorglichkeit und Solidarität, ARSP 2001, 159 f. 643 E. Schwinger, Nächstenliebe, Fürsorglichkeit und Solidarität, ARSP 2001, S. 166. 644 Vgl. U. Steinvorth, Kann Solidarität erzwingbar sein?, S. 54 ff. 645 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 542 (A 54, 55). 646 Über den Gemeinspruch, S. 145 (A 235, 236), 150 A 244, 245) ff.; ders., Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 432 (A 166/B 196) ff. 647 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 244: „Gegen die Natur kann kein Mensch ein Recht behaupten, aber im Zustande der Gesellschaft gewinnt der Mangel sogleich die Form eines Unrechts, was dieser oder jener Klasse angetan wird.“ 648 BVerfGE 4, 7 (15 f.); 24, 119 (144); 27, 1 (6 f.); 30, 1 (20); 45, 127 (227); 50, 290 (353); 56, 37 (49); 65, 1 (44). 649 K. A. J. Hochheim (Justus Sincerus Veridicus), Von der europäischen Republik, S. 68 f.; Aristoteles, Politik, S. 152, 1295b 23 f.; dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 234 ff.

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Menschenwürde verbunden ist. Nach Martin Kriele ist das Sozialprinzip, welches Freiheit durch Gleichheit ermöglicht, die „logische Konsequenz“, daß „die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen zusammen bestehen müsse“.650 Es ist also nicht nur freiwilliger Liebesdienst am Nächsten, sondern rechtlich verpflichtend.651 Es ist demnach Aufgabe des Rechts, nicht nur eine nationale, sondern eine weltweite Verwirklichung des Prinzips des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit herzustellen. Kann dies aus Freiheitsgründen nicht im Wege eines Weltsozialstaates erfolgen, bleibt jedenfalls die Ebene der völkerrechtlichen Kooperation, auf der das Weltsozialprinzip, wenn nicht als Grundsatz „internationaler Verteilungsgerechtigkeit“652, so doch zumindest als Grundsatz „internationaler Chancengleichheit“ verwirklicht werden kann.653 Insoweit haben auch die Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern und deren Menschen eine Schutzpflicht, durch ihre Gesetzgebung und in internationalen Verträgen auf Regelungen hinzuwirken, welche faire wirtschaftliche Beziehungen fördern. Zum Solidaritäts- oder Sozialprinzip als Prinzip der Mitmenschlichkeit gehört insbesondere die Pflicht zur Hilfeleistung in Not.654 Nach Hugo Grotius verpflichtet schon die menschliche Gemeinschaft zur Hilfeleistung.655 So betont er, daß der dem Menschen innewohnende gesellige Trieb nicht eine beliebige, sondern eine friedliche und vernünftig geordnete Gemeinschaft anstrebe.656 Daher konnte durch Konsens zwischen den Staaten eine Rechtsordnung entstehen, die den Nutzen jener großen Gemeinschaft (magnae illius universitatis) bezweckt.657 Auch Vattel meint, es gebe eine natürliche Pflicht der Staaten, im Falle von Hungersnot oder anderen Unglücksfällen bis zur Grenze der eigenen Existenzgefährdung anderen Staaten sowie deren Menschen zu helfen. Allerdings entspreche dieser Pflicht der Staaten auf der Seite des Hilfsbedürftigen nur ein „unvollkommenes Recht“.658 Die (in staatlichen Ordnungen oft strafbewehrte) Pflicht zur Hilfeleistung659 besteht nicht nur innerhalb der staatlichen 650

M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 181. Zur Solidarität als Teil der Gerechtigkeit U. Steinvorth, Kann Solidarität erzwingbar sein?, S. 66 ff.; zum Sozialprinzip vgl. BVerfGE 5, 84 (197 f.); W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, HVerfR, 1994, S. 427 (528 f.). 652 Vgl. dazu sehr weitgehend Ch. R. Beitz, Political Theory and International Relations, 1979, S. 125 ff.; G. Grözinger, Weltbürgerschaft und Nationalitätslotterie, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 175 ff. 653 W. Kersting, Philosophische Friedenstheorie und internationale Friedensordnung, in: Ch. Chwaszcza/ders., Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 547 f. 654 Vgl. dazu P. Singer, Famine, Affluence, and Morality, Philosophy & Public Affairs, Vol. 1, Nr. 3, 1972, 229 ff.; W. Kersting, Internationale Solidarität, S. 411 ff. 655 H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, 2. Buch, Kap. 25, VI. 656 H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, Vorrede, 6 (S. 32). 657 H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, Vorrede, 17 (S. 34). 651

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Gemeinschaft.660 Es ist jedoch das Selbstbestimmungsrecht zu beachten, welches paternalistische Hilfe ausschließt. Gleichzeitig ist aber Hilfe gegen existentielle Bedrohungen der Menschenrechte (z. B. Leben) weder eine Bevormundung noch eine unzulässige Einmischung (dazu 2. Teil, C, S. 168 ff.). Die Achtung des anderen als Mensch, dem im Sinne des Art. 1 AEMR „im Geiste der Brüderlichkeit“ zu begegnen ist, bedeutet, daß jeder gegen jeden nicht nur eine Pflicht und einen Anspruch auf Achtung seiner äußeren Freiheit, sondern im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren in Verbindung mit seinem Recht auf Leben auch eine Pflicht und einen Anspruch auf (effektive) „erste“ Hilfe in Notlagen hat. Grenzen ergeben sich allerdings aus der Unmöglichkeit, allen Notleidenden der Welt zu helfen.661 Zum Weltsozialprinzip gehört weiterhin die Ermöglichung eines menschenwürdigen Lebens in Selbständigkeit.662 Materialisiert wird es insbesondere durch die Menschenrechte663, ist aber auch Voraussetzung für deren effektive Inanspruchnahme.664 In diesem Sinne kennt das in Art. 1 AEMR angesprochene Prinzip der Geschwisterlichkeit (Sozialprinzip) keine Staatsgrenzen.665 Das Sozialprinzip setzt allerdings Gemeinschaftlichkeit voraus.666 Je größer die menschliche Gemeinschaft, um so schwieriger ist das Sozialprinzip zu realisieren.667 Insbesondere 658

E. de Vattel, Droit des gens ou principes de la loi naturelle, 1758, livre II, Kap.

I, § 2. 659 Vgl. § 323c StGB: „Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ 660 Vgl. aber zum partikulären Wesen der Solidarität W. Kersting, Internationale Solidarität, S. 425 ff. 661 H. Quaritsch, Der grundrechtliche Status der Ausländer, HStR, Bd. V, 1992, § 120, S. 702, Rn. 77. 662 Vgl. BVerfGE 1, 97 (105); K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 244 f. 663 H. F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. II, 2004, S. 659, Rn. 113 ff.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, 2006, S. 42 f. 664 BVerfGE 33, 303 (331). 665 Dazu J. Delbrück, Völkerrecht und Weltfriedenssicherung, in: D. Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaft, Bd. 2, 1973, S. 1976 ff.; J. Becker, Entwicklungskooperation in einem sich wandelnden Weltsystem, 1982, S. 138 ff.; E. Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 9 (18); vgl. auch Millenniums-Deklaration der UN-Generalversammlung, A/RES/55/2, Nr. I, 6. 666 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, in: W. Hankel/dies., Revolution der Krankenversicherung, S. 22. 667 E. Schwinger, Nächstenliebe, Fürsorglichkeit und Solidarität, ARSP 2001, 159; schon Rousseau, Discours sur l’économie politique, hrsg. v. B. de Negroni 1990, S. 57 (72).

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darf es nicht unabhängig vom Integrationsgrad zwischen den Menschen gefordert oder gar oktroyiert werden.668 Selbst im Sozialstaat ist Solidarität, auch wenn sie aus gesetzlich begründeter Gemeinschaftlichkeit resultiert669, wegen der Offenheit der Zielsetzung670 in der Regel nicht in der Weise erzwingbar, daß bestimmte Handlungen gefordert werden können.671 Fazit Weltweite Solidarität kann nicht die gleiche Intensität wie die Solidarität in einem Einzelstaat erlangen672, dem aus der besondenen Verbundenheit der verfaßten Bürgerschaft ein wesentlicher Daseinsgrund erwächst.673 Anders als im Einzelstaat geht es auf Weltebene nicht um Wohlfahrt und Verteilungsgerechtigkeit im Sinne einer grundsätzlichen Herstellung „einheitlicher“ oder zumindest „gleichwertiger“ Lebensverhältnisse“674. Die Weltcivitas als Rechtsgesellschaft ist keine „Solidargemeinschaft der Bedürftigen, sondern eine Freiheitsgemeinschaft von Rechtssubjekten“.675 Die Pflicht zur Solidarität im Weltmaßstab ist zunächst das aus der äußeren Freiheit und dem Weltbürgerrecht fließende Gebot der wechselseitigen Handlungsfreiheit676, die gegenseitige Anerkennung der Menschenwürde.677 Jedenfalls für die globalen Ressourcen der Menschheit, wie saubere Luft, frisches Wasser, schützende Atmosphäre, ergibt sich eine Pflicht zur Solidarität schon aus der äußeren Freiheit.678 Im Rahmen des allgemeinsten 668 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, in: W. Hankel/dies., Revolution der Krankenversicherung, S. 22; vgl. auch W. Kersting, Internationale Solidarität, S. 421 ff. 669 Vgl. BVerfGE 1, 97 (105); 33, 303 (331 ff.); 50, 57 (108); 51, 115 (225); 59, 231 (262 f.); 65, 182 (193); 70, 278 (288); 71, 66 (80); 100, 271 (283 ff.); 102, 254 (298) st. Rspr.; W. Maihofer, Prinzipien der freiheitlichen Demokratie, HVerfR, S. 221 f.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 816 f.; K. Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 714 f.; K. A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 71 ff.; ders., Res publica res populi, S. 247 ff. 670 BVerfGE 52, 283 (298); 82, 60 (80). 671 Vgl. BVerfGE 1, 97 (100, 105); 18, 257 (273); 29, 221 (235); 52, 283 (298); 82, 60 (80); 102, 254 (298); H. F. Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. II, § 28, S. 659, Rn. 121; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, 2006, S. 636 ff.; weitergehend für das Eigentum S. 537 ff. 672 W. Kersting, Internationale Solidarität, S. 425 ff., 428 f. 673 P. Koller, Frieden und Gerechtigkeit in einer geteilten Welt, S. 227 ff. 674 Vgl. Art. 72 Abs. 2, Art. 107 Abs. 2 GG; K. A. Schachtschneider, Flächentarife und soziale Frage, in: Gs Blomeyer, 2004, S. 245 (249 ff.). 675 W. Kersting, Globale Rechtsordnung oder weltweite Verteilungsgerechtigkeit, Politisches Denken, 1995/96, S. 197 (2212). 676 H. Brunkhorst, Solidarität unter Fremden, 1997, S. 63. 677 Vgl. K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Revolution der Krankenversicherung, S. 22. 678 Vgl. U. Steinvorth, Soll es mehrere Staaten geben?, S. 276.

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

Prinzips der Mitmenschlichkeit besteht insoweit auch eine Schutzpflicht, welche zwischen Staaten z. B. zu Entwicklungshilfe679 verpflichtet, jedoch in der Regel nicht auf bestimmte materielle Ansprüche gerichtet ist.680 b) Soziale Menschenrechte Im folgenden Abschnitt geht es nicht um eine Analyse des völkerrechtlichen Sozialstandards681, sondern nur um den universellen Gehalt sozialer Rechte (ius cogens), der weltrechtlich, d. h. unabhängig von völkerrechtlicher Positivierung unmittelbar in den Staaten gilt. aa) Menschenrechtsqualität, Verbindlichkeit, Judiziabilität Soziale Menschenrechte sind universelle Rechte des Menschen gegenüber einer Gemeinschaft auf soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leistungen oder Güter.682 Sie sind zu einem großen Teil völkervertraglich normiert. Beispiele sind das Recht auf Arbeit (Art. 6 IPwskR), auf „soziale Sicherheit“ (Art. 9 IPwskR), „angemessenen Lebensstandard“, „ausreichende Ernährung, Bekleidung und Unterbringung“ (Art. 11 IPwskR), auf ein „Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit“ (Art. 12 IPwskR), einschließlich eines aus Art. 11 und 12 IPwskR abgeleiteten Rechts auf Wasser683 und auf „Bildung“ (Art. 13 IPwskR).684 Das Recht auf Leben ist außerdem in seinem Kerngehalt als Schutz vor willkürlicher Tötung im humanitären Völkerrecht (Art. 46 Anl. HLKO685, Art. 3 aller vier Genfer Konventionen686, Art. 75 Abs. 2 ZP I687 und 679 Dazu G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 311 ff.; vgl. auch W. Kersting, Globale Rechtsordnung oder weltweite Verteilungsgerechtigkeit, Politisches Denken 1995/96, S. 197 (245 f.). 680 Vgl. dazu R. Kreide, Soziale Menschenrechte und Verpflichtungen, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 124 f. 681 Dazu A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, 2005, S. 44 ff. 682 S. Gosepath, Zu Begründungen sozialer Menschenrechte, S. 146; dazu auch A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 44 ff. 683 Dazu CESCR, General Comment No. 15, the right to water (arts 11, 12) 26/11/ 2002, E/C.12/2002/11; E. Riedel, Human Right to Water, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 585 ff. 684 Vgl. dazu R. Künnemann, Neuere Entwicklungen zu den Rechten auf Gesundheit und Bildung, in: G. v. Arnim u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Menschenrechte 2000, S. 214 ff.; D. Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, HStR, Bd. V, 1992, § 112, S. 243, Rn. 40 ff.; A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 44 ff., 181 ff., 228 ff. 685 Haager Landkriegsordnung, Anlage zum Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18.10.1907 (IV. Haager Abkommen), RGBl. 1910 II, S. 107.

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Art. 4 Abs. 2 lit. a ZP II688) in allen großen Menschenrechtskonventionen (Art. 6 IPbpR, Art. 2 EMRK, Art. 4 AMRK, Art. 4 AfCRMV) sowie auch gewohnheitsrechtlich anerkannt (vgl. auch Art. 3 AEMR).689 Soziale Rechte der Arbeitnehmer enthalten insbesondere die ILO-Abkommen, welche in einem Kernbereich für alle Mitgliedstaaten sowie auch für Arbeitgeber verbindlich sind (dazu 6. Teil, C, S. 782 ff.). Die klassische Einteilung der Menschenrechte in liberale, politische und soziale Rechte690 wird oft dahingehend verstanden, daß damit eine Teilbarkeit der Menschenrechte in ihrer Begründung und Geltung oder eine Rangordnung verbunden sei, etwa in dem Sinn, daß nur die liberalen Abwehrrechte universell gelten würden691 oder Freiheitsrechte erst nach Verwirklichung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte gewährt werden könnten.692 Die Menschenrechte sind jedoch, wie schon festgestellt, unteilbar693, insbesondere weil Freiheit und Gleichheit (bei einem formalen Verständnis) grundsätzlich keinen Gegensatz bilden.694 Menschenrechte auch als soziale Rechte zu begreifen, gebietet die

686 I. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Feld, BGBl. 1954 II, S. 783; II. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See, BGBl. 1954 II, S. 813; III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen, BGBl. 1954 II, S. 838; IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten, BGBl. 1954 II, S. 917, berichtigt 1956 II, S. 1586. Die Genfer Konventionen sind am 21.10.1950 in Kraft getreten. 687 Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen v. 12.8.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) v. 8.6.1977, UNTS 1125, p. 3; BGBl. 1990 II, S. 1550. 688 Zweites Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen v. 12. 8.1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II) v. 8.6.1977, UNTS 1125, p. 609; BGBl. 1990 II, S. 1637. 689 Zu neueren Entwicklungen R. Künnemann, Neuere Entwicklungen zu den Rechten auf Gesundheit und Bildung, S. 214 ff. 690 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1919, S. 87, 94 ff. 691 M. Kriele, Freiheit und Gleichheit, in: ders. (Hrsg.), 1990, S. 162 ff.; G. Lohmann/S. Gosepath, Einleitung, in: dieselben (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 13 ff.; P. Koller, Der Geltungsbereich der Menschenrechte, S. 112; vgl. dazu auch A. Wildt, Menschenrechte und moralische Rechte, in: G. Lohmann/S. Gosepath, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 124 (139 ff.). 692 Vgl. Chinesische Regierung, Human Rights in China, White Paper, Information Office of the State Council, 1991, Fn. 11. 693 Schlußerklärung der Wiener Weltkonferenz über die Menschenrechte, Wiener Erklärung und Aktionsprogramm v. 12.7.1993, I.5, in: Gleiche Menschenrechte für alle, Bonn 1994, S. 16; General Assembly resolution 48/141 vom 20.12.1993 über den Hochkommissar für Menschenrechte, A/RES/48/141, 7.1.1994, Nr. 3 (b); G. Lohmann/S. Gosepath, Einleitung, in: dieselben (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, S. 16; H. v. Senger, Der Menschenrechtsgedanke im Lichte chinesischer Werte, S. 267 ff. 694 Dazu M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 177 ff.

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

Verfassung der Menschheit des Menschen695, das Weltrechtsprinzip, welches in Art. 1 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung eine allgemein anerkannte Formulierung gefunden hat.696 Soziale Menschenrechte subjektivieren nicht nur Gleichheit und Brüderlichkeit (Solidarität), sondern ermöglichen auch die Selbständigkeit des Menschen.697 Sie sind „Realbedingungen der Freiheit“698. Ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit699, welche die Abhängigkeit von der nötigenden Willkür anderer verhindert, ist unabdingbare Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Im Sinne Kants setzt die Freiheit des Menschen Chancengleichheit voraus.700 Dazu gehört die potentielle Möglichkeit des Rollentausches zwischen den Wirtschaftsteilnehmern701 und ein grundsätzliches Recht auf Eigentum702. In Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip trifft den Staat also auch die Pflicht, für die materiellen Voraussetzungen eines selbstbestimmten Daseins zu sorgen.703 Wie zivile und politische Rechte verlangen wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom Staat, daß er die Verpflichtungen achtet, schützt und erfüllt.704 Obwohl auch sie über einen Abwehrgehalt verfügen705, weisen soziale Menschenrechte in der Regel aufgrund ihrer Eigenart Unterschiede zu den liberalen 695 Siehe auch A. Emmerich-Fritsche, Sozialprinzip und Wirtschaftsverfassung am Beispiel von WTO und ILO, in: Fs. W. Nölling, 2003, S. 125 (129 ff.), vgl. K. A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 17 f., 19 f., 68; P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 69 ff., 80 ff., 90 ff.; vgl. a. A. D. Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, HStR, Bd. V, § 112, S. 243 (Rn. 44 ff.). 696 H.-J. Heintze, 50 Jahre UN-Menschenrechtserklärung, Humanitäres Völkerrecht, 1998, 229 (229 f.). 697 W. Schild, Freiheit – Gleichheit – „Selbständigkeit“ (Kant), in: J. Schwartländer (Hrsg.), Menschenrechte und Demokratie, 1981, S. 147, 151 ff.; vgl. a. J. Ebbinghaus, Das Kantische System der Rechte des Menschen, 1968, S. 186 ff. 698 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 181. 699 Vgl. dazu A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 45 ff. 700 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 147 (A 239) hielt die ökonomische Ungleichheit der Menschen mit dem Grundsatz rechtlicher Gleichheit grundsätzlich für vereinbar, verlangte aber die Durchlässigkeit des Systems und damit Chancengleichheit: „Jedes Glied desselben muß zu jeder Stufe eines Standes in demselben . . . gelangen dürfen, wozu ihn sein Talent, sein Fleiß und sein Glück hinbringen können . . .“ 701 A. A.: A. Wildt, Menschenrechte und moralische Rechte, S. 139. 702 Dazu K. A. Schachtschneider, Das Recht am und das Recht auf Eigentum, in: Fs. W. Leisner, S. 743 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 551 ff. 703 Vgl. BVerfGE 40, 121 (133); 82, 60 (85); S. Gosepath, Zu Begründungen sozialer Menschenrechte, S. 157; a. A. W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 234, 243 ff., 246, interpretiert Kant eng nur im Sinne des Abbaus rechtlicher Schranken. 704 CESCR, General Comment No. 12, the right to adequate food (art. 11) 12/5/ 1999, E/C.12/1995/5; vgl. auch Masstricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural Rights, Maastricht, 1997, No. 6; 2/10/2000, E/C.12/2000/13. 705 Dazu Ch. Tomuschat, An Optional Protocol for the CESCR?, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 815 (824 f.).

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Abwehrrechten auf.706 Soziale Rechte können selten nur durch Unterlassen verwirklicht werden, obwohl sie auch einen negatorischen Inhalt haben, sondern verlangen in der Regel ein positives politisches Handeln des Adressaten. Ein sozialer Anspruch ist durch den Grundsatz ultra posse nemo obligatur begrenzt, der aber nicht zur Aushöhlung des Rechts selbst führt.707 Gegenüber den Verantwortlichen, die sich durch solche Rechte in ihrem politischen Gestaltungsspielraum beschränkt sehen, sind soziale Menschenrechte mangels einer entsprechenden Weltautorität nur schwer durchsetzbar708, was manche Autoren veranlaßt, ihren Rechtscharakter abzulehnen.709 Soziale Rechte sind zudem auch vom jeweiligen soziokulturellen Umfeld abhängig (vgl. Art. 22 AEMR: „unter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jedes Staates“). Oft werden soziale Menschenrechte aus diesen Gründen nicht als judiziable subjektive Rechte sowie von den Anhängern machtorientierter710, realistisch-soziologischer Rechtsgeltungslehren sogar nur als unverbindliche Programmsätze angesehen.711 Zudem wird darauf hingewiesen, daß die Staaten soziale Menschenrechte nicht garantieren, sondern nur fortschreitend verwirklichen müssen.712 Die Rechtlichkeit der Menschenrechte, insbesondere, daß der rechtswidrige Widerstand mancher Staaten, soziale Rechte umzusetzen, nicht deren Verbindlichkeit als Menschenrechte in Frage stellen kann, wurden bereits erörtert. Die Zwangsbefugnis als Merkmal des Rechts wird nicht geleugnet, ist aber im Völkerrecht, dessen Zweck auf Kriegsvermeidung zielt, nicht auf vis absoluta, sondern auf Durchsetzungsverfahren i. w. S. gerichtet.713 Der Rechtscharakter der 706 Dazu O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 75 ff.; G. Lohmann/S. Gosepath, Einleitung, in: dieselben (Hrsg.), S. 15 ff.; D. Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, HStR, Bd. V, § 112, S. 243, Rn. 49 ff. 707 Vgl. BVerfGE 43, 291 (314); 33, 303 (333); R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 468. 708 D. Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, HStR, Bd. V, § 112, S. 243, Rn. 49 ff. 709 Dazu E. Blenk-Knocke, Zu den soziologischen Bedingungen völkerrechtlicher Normbefolgung, 1979, S. 42 ff.; vgl. dazu auch A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 431 ff. 710 Hobbes, Leviathan, 26. Kap. 711 K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 243, Rn. 208; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 834; K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, S. 1446 f., der auch subjektive Rechte im IPbpR ablehnt; K. Doehring, Völkerrecht, S. 418, Rn. 978; P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 28; dazu kritisch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 454 ff.; R. Kreide, Soziale Menschenrechte und Verpflichtungen, in: ARSP Beiheft 79 (2001), S. 141 ff.; A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 427 ff., Verrechtlichung S. 460 ff. 712 A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, 2005, S. 290; vgl. auch HRC, General Comment No. 3 Implementation at the national level (art. 2 CCPR), 29/07/ 81.

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Menschenrechte als originäres Weltrecht ist anders zu beurteilen als der abgeleiteter Rechtsnormen, für welche die Durchsetzbarkeit in einer Rechtsordnung verlangt wird. Weil die Erfüllung sozialer Standards eine gewisse soziale und rechtliche Ordnung voraussetzt, ist mit den sozialen Menschenrechten, wie Art. 28 der UN-Menschenrechtserklärung formuliert, der „Anspruch“ jedes Menschen „auf eine soziale und internationale Ordnung verbunden, in welcher die in der vorliegenden Erklärung aufgeführten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können“. Dazu gehört der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Weltrechtlich ist dieser Anspruch ultima ratio mit dem Recht, eine weltbürgerliche Verfassung zu erzwingen, gesichert. Es wäre ein Zirkelschluß, die Erfüllung dieses, in der objektiven Dimension der Menschenrechte enthaltenen Rechts zur Bedingung ihrer Rechtsgeltung zu machen. In objektiver Dimension sind damit soziale Menschenrechte verbindliche Leitprinzipien für das staatliche Handeln.714 Ihre materielle Offenheit hindert ihre Verbindlichkeit nicht. Als prinzipienhafte Leistungsrechte sind sie aber grundsätzlich nur auf eine, unter den jeweiligen Umständen bestmögliche, Versorgung und auf eine Politik gerichtet, welche diese unter Abwägung mit anderen Prinzipien ermöglicht.715 Zwischen den Staaten sind die Menschenrechte mit unterschiedlichem Effektivitätsgrad durchsetzbar, soweit es institutionalisierte, objektive Implementierungsverfahren mit Kontrollfunktion gibt (dazu 3. Teil, C, S. 357 ff., 6. Teil, F, S. 924 ff.). Schon wegen der Offenheit der völkerrechtlichen Positivierungen sozialer Menschenrechte und der Schwierigkeiten, den jeweiligen, aus sozialen Rechten folgenden, materiellen Anspruch zu formulieren, ist aber ihre Justiziabilität, d. h. ihre richterliche Überprüfbarkeit, die eine hinreichende materielle Bestimmbarkeit voraussetzt, in Frage gestellt.716 Sie ist für ihre Verbindlichkeit als subjektive Rechte Bedingung. Eine zum Schutzgehalt des Menschenrechts hinzutretende materialisierende Wirkung hat das Diskriminierungsverbot. Justiziabel ist deshalb jedenfalls der diskriminierende, gleiche Freiheit versagende Zugang zu sozialen Rechten.717 Weiterhin ist die Verletzung eines sozialen Rechts justiziabel, wenn ihr universeller Kern angetastet wird. Der Ausschuß für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat festgestellt, daß die Vertragsparteien in jedem Fall einen 713

Dazu A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 123 ff. Vgl. dazu H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 28 ff.; BVerfGE 7, 198 (204 ff.); P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 1983, S. 70; A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 342 ff. 715 Vgl. dazu grundrechtsdogmatisch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 465 ff. 716 A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 428. 717 Siehe CESCR, Concluding Observation, Iraq. 16/05/97. E/C.12/1/Add. 17, para. 21; A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 291 f., 440. 714

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Kernbestand der Rechte des IpwskR zu sichern hätten und sich insofern nicht auf Beurteilungsspielräume berufen könnten.718 Menschenunwürdige Behandlungen verletzen den universellen Kernbereich. Was „menschenunwürdig“ ist, hängt teilweise von den Umständen sowie vom Integrations- und Solidaritätsgrad der betrachteten Rechtsgemeinschaft ab, ist aber innerhalb dieser richterlich überprüfbar.719 Kernbereichsverletzungen sind erkennbar720 – an der Schwere der Beeinträchtigung des jeweiligen Schutzgutes, – am Umfang nötigender Willkür, – an der Intensität der Beeinträchtigung der Selbstbestimmung durch fremde Zwecke, – an der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung und – an der Reduzierung von Abwägungsmöglichkeiten. Der universelle Kernbereich des Rechts auf angemessenen Lebensstandard (auf ein gutes Leben) umfaßt zunächst ein Recht auf Existenzminimum721, das mit dem Recht auf Leben und Gesundheit722 verbunden und auch völkerrechtlich normiert ist.723 Das Recht auf Leben gilt als ius cogens.724 Das Existenzminimum ist die Überlebensgrenze, bezieht sich also auf die Mittel, die zur Befriedigung der materiellen Bedürfnisse notwendig sind, um physisch zu überleben (Nahrung, Kleidung, medizinische Notfallversorgung). Über den Menschenwürdegehalt der Menschenrechte hinausweisende, judizierbare Tatbestände können in den zahlreichen völkervertraglichen Regelungen aufgefunden werden. Auch für in völkerrechtlichen Verträgen positivierte soziale Rechte, wie das „Recht auf einen angemessenen Lebensstandard“ (vgl. Art. 11 IPwskR725), ist eine einklagbare Forderung auf bestimmte Leistungen 718 CSCER, General Commnet No. 3, The nature of States parties obligations (art. 2, par. 1) 14/12/90, para. 10. 719 Vgl. z. B. die außerordentlich weite Auslegung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, D./Vereinigtes Königreich, Rep. 1997-III, Nr. 37, zu Art. 3 EMRK, der eine Ausweisung eines illegalen, an AIDS erkrankten Migranten als menschenunwürdige Behandlung annahm. 720 Dazu S. 493 ff. 721 Vgl. auch Art. 22 AEMR. 722 Vgl. dazu Art. 6 IPbpR und HCR, General Comment No. 6, The right to life (art. 6 CCPR) 30/04/82, der sich für einen weite Auslegung des Rechts auf Leben ausspricht; ebenso zum Recht auf Gesundheit, CESCR, General Comment No. 14, art. 12 CESCR, 11/08/2000, E/C.12/2000/4; vgl. dazu auch A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 238 f., 244 f. 723 Vgl. S. Gosepath, Zu Begründungen sozialer Menschenrechte, S. 165. 724 Dazu S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 286 ff. 725 Vgl. CESCR General Comment No. 4., The right to adequate housing (Art. 11 para 1), 3/12/91.

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

nicht ohne weiteres sichtbar.726 Das hindert dennoch nicht ihre rechtliche Überprüfung. „Angemessen“ oder „fair“ sind offene Rechtsbegriffe, welche der Auslegung zugänglich sind und auch in den Berichtsverfahren der Menschenrechtspakte und der ILO-Verfassung interpretiert werden.727 Welches der „angemessene“ Lebensstandard oder das Existenzminimum im Einzelfall ist, hängt allerdings von den jeweiligen tatsächlichen, wirtschaftlichen und sozialen, aber auch klimatischen Bedingungen ab, ist also standortbezogen und relativ, was einen Ermessenspielraum der Staaten, aber keinen justizfreien Beurteilungsspielraum voraussetzt. So ist der „angemessene Lebensstandard“ in einem Entwicklungsland728 ein wesentlich anderer als in einem Industriestaat729.730 Entsprechendes gilt für den Anspruch auf „angemessene“ oder „faire“ Bezahlung von Arbeit (Art. 23 Abs. 3 AEMR, Art. 7 lit. a IPwskR). Soziale Menschenrechte sind aus der Not entwickelt, weil das eigentliche Menschenrecht, die politische Freiheit, welche selbstbestimmte (allgemeine) Gesetze zur Regelung des guten Lebens ermöglicht, nicht durchgesetzt ist.731 In Ermangelung einer rechtmäßigen, gesetzlichen Materialisierung kann man für die Angemessenheit auf die sozialen Anschauungen in der jeweiligen Gesellschaft abstellen, soweit hinreichend objektive Erhebungsmethoden angewendet werden. Auch indikatorgestützte Vergleichsrechnungen sowie Vergleichsstatistiken kommen in Frage.732 Ansprüche aus sozialen Rechten und Schutzpflichten lassen sich des weiteren als Ergebnis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung deduzieren.733 Aus der Materialisierbarkeit der Tatbestandsmerkmale der sozialen Rechte folgt eine Schutzpflicht, welche sich im Einzelfall individueller Betroffenheit in Verbindung mit der Verletzung des Untermaßverbots zu einer judizierten Fallnorm als Schutzanspruch verdichtet. Weil Menschenrechte ursprünglich Rechte der Menschen gegeneinander sind, geht es letztlich auch bei den sozialen Rechten um das Recht, nicht der Willkür 726 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 291 ff.; A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 375 f., 438 f. 727 Dazu A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 289 ff., 298 ff. 728 Vgl. Bericht der Hochrangigen Gruppe, Eine sicherere Welt, 2004, S. 29. 729 Das pfändungsfreie Existenzminimum liegt gemäß § 850c ZPO bei einem Single bei 989,99 A. Nach dem SGB II ist der rechnerische Bedarf für eine vierköpfige Familie bei 1.105 A, zuzüglich der tatsächlichen angemessenen Unterkunftskosten z. B. von ca. 450 A = 1.555 A Gesamtbedarf. 730 Vgl. R. Kreide, Soziale Menschenrechte und Verpflichtungen, in: ARSP Beiheft 79 (2001), S. 136. 731 K. A. Schachtschneider, Die Würde des Menschen, in: Mut zur Ethik, 1997, S. 285. 732 A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 289 f. 733 Vgl. dazu J. Isensee, Abwehrrecht und Schutzpflicht, HStR, Bd. V, 1992, § 111, S. 143, Rn. 92; A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 353 ff., 364.

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eines anderen ausgeliefert zu sein.734 In seiner zwischenmenschlichen Dimension ist der universelle Menschenrechtskern verletzt, wenn ein Mensch reines Objekt der Willkür (z. B. Gewinnmaxime) anderer ist und zu diesem Zweck z. B. eine, sein Leben erheblich gefährdende (unwürdige) Arbeit verrichten muß oder wenn er trotz seines Fleißes und Talentes für seine Arbeit keinen Lohn erhält, der ausreicht, um mit seiner Familie ein nach den jeweiligen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten menschenwürdiges Leben zu führen. Die Menschenwürde anderer nicht zu verletzen, ist nicht nur unerzwingbare Menschenliebe, sondern Pflicht jedes Einzelnen. Sie darüber hinaus aktiv zu schützen, ist in erster Linie Aufgabe der Staaten, aber jedenfalls im eigenen Zurechnungs- und Verantwortungsbereich (z. B. Fürsorgepflichten des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern) nicht nur ethische, sondern Rechtspflicht jedes Einzelnen, wenn die Hilfe möglich und zumutbar ist.735 Ergebnis Das Recht auf Leben sowie auch soziale Rechte wie das Menschenrecht auf „faire“ oder „angemessene Bezahlung“ sind jedenfalls in ihrem Kernbereich und im Falle der Verletzung des Untermaßverbotes judiziable, soziale Menschenrechte.736 Der Staat hat insoweit eine Schutzpflicht737 und der Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht. Inwieweit der Staat über die Ermöglichung von Selbständigkeit hinaus ein Prinzip sozialstaatlicher, materieller Verteilungsgerechtigkeit738 verfolgt, ist menschenrechtlich nicht vorgegeben. bb) Soziale Gruppenrechte, insbesondere das Recht auf Entwicklung Die Lehre von den sogenannten Drittgenerationenrechten739, die mit der Forderung der Entwicklungsländer nach einer Weltwirtschaftsordnung verbunden 734

M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 181. Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 416 f. 736 Dazu auch A. Emmerich-Fritsche, Sozialprinzip und Weltwirtschaftsverfassung, S. 132 ff. 737 Dazu J. Isensee, Abwehrrecht und Schutzpflicht, HStR, Bd. V, S. 143 ff.; vgl. auch zum Europarecht A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 353 ff. 738 Dazu S. Gosepath, Zu Begründungen sozialer Menschenrechte, S. 173 ff.; zur Verteilungsgerechtigkeit als maximalistischer Moral M. Walzer, Lokale Kritik – globale Standards, 1996, S. 37 ff.; vgl. aus der Sicht der ökonomischen Theorie: G. Grözinger, Weltbürgerschaft und Nationalitätslotterie, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 175 ff. 739 Dazu E. Klein, Human Rights of the Third Generation, in: Ch. Starck (Hrsg.), Rights, Institutions and Impact of International Law according to the German Basic Law, 1987, S. 68 ff.; E. Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 9 (12 ff.). 735

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ist, möchte, gestützt auf den Gedanken der Brüderlichkeit740, solidarische Gruppenrechte741 begründen und den Kreis der Menschenrechtsträger von Einzelpersonen auf Gruppen, Völker, Nationen, Staaten ausdehnen. Wenn die Menschenrechte universell sein wollen, muß bei ihrer Auslegung auch das Menschenrechtsverständnis der Entwicklungsländer, welches kollektive Rechte kennt, einbezogen werden.742 Andererseits wiederum darf dies nicht zur Annahme eines Vorrangs von Gruppenrechten gegenüber individuellen Menschenrechten führen. Eine beide Konzepte vereinende Betrachtung ist jedoch möglich. Der Menschenrechtsgedanke ist untrennbar mit der Subjektivität des Menschen verbunden und ist deshalb auch auf Vereinigungen von Menschen übertragbar. Gruppenrechte als solche sind im Völkerrecht nicht neu. Zu den klassischen Gruppenrechten zählt das Verbot des Völkermordes743 als Abwehrrecht744. Art. II der Konvention gegen den Völkermord745 und Art. 6 des Römischen Statuts definieren Völkermord u. a. als Handlung physischer Gewalt, die in der Absicht begangen wird, eine „nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe“ zu zerstören. Völkermord ist nach Art. 6 des Römischen Statuts strafbar. Außerdem gilt das Völkermordverbot als Gewohnheitsrecht746 und hat zwingenden Charakter.747 Es ist sowohl ein Recht einer Gruppe von Menschen, aber auch jedes Einzelnen, dem gegenüber eine solches Verbrechen begangen wird.748 Angesichts der Tatsache, daß sich der Abstand zwischen Reichen und Armen in der Welt im bestehenden Weltwirtschaftssystem immer mehr vergrößert749, werden Gruppenrechte als Leistungsrechte bedeutsam.750 Definiert werden die sogenannten Drittgenerationenrechte als Regeln und Prinzipien, denen zufolge der Mensch als Einzelperson oder als Mitglied des Sozialkörpers (Staat, Nation, Volk) ein Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und Befriedigung sei740 P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte, EuGRZ 1994, 21. 741 Vgl. S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 256, 274. 742 Vgl. P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 154, 579 f. 743 Agreement for the Prosecution and Punishment of the Major War Criminals of the European Axis und Charter of the international Criminal Tribunal v. 8.8.1995, UNTS 82, p. 284. 744 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 274. 745 Konvention über Verhütung und Bestrafung des Völkermordes v. 9.12.1948, UNTS 78, p. 277; BGBl. 1994 II, S. 729. 746 Dazu die Studie von B. Whitaker, Report, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1985/6 und Corr.1, 1986. 747 Dazu S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 275 ff. 748 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 275. 749 R. Tetzlaff, Zur Begründung der relativen Universalität der Menschenrechte, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 80. 750 Dazu E. Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 13 f.

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ner für die Würde der menschlichen Person unerläßlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse hat.751 Im einzelnen zählen zu den Drittgenerationenrechten: – das Recht auf Selbstbestimmung, – das Recht auf Teilhabe am gemeinsamen Erbe der Menschheit, – das Recht auf gesunde und ausgewogene Umwelt, – das Recht auf Partizipation, – das Recht auf Kommunikation, – das Recht auf Frieden, – das Recht auf Entwicklung.752 Drittgenerationenrechte wie beispielsweise das Recht auf Entwicklung753, das im folgenden näher betrachtet wird, sind nicht nur ethische Postulate. Der Umweltgipfel von Rio führte erstmalig zu einer Verpflichtung der führenden Staaten der Welt auf einen gemeinsamen Zielkatalog für die Zukunft: die Agenda 21754, die erste internationale Vereinbarung, in der die Staaten sich auf höchster politischer Ebene verpflichten, im Rahmen eines Programms für bestandfähige Entwicklung Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und zugunsten des wirtschaftlichen Fortschritts zu ergreifen. In der Lehre wird das Recht auf Entwicklung755 unterschiedlich dogmatisiert, wie Eibe Riedel756 herausgearbeitet hat. Ob das Recht auf Entwicklung ein all751 Z. Haquani: Le droit au développement, in: Hague Academy of International Law (Hrsg.), The Right to Development at the International Level, 1980, S. 22 (24 ff.). 752 Siehe Art. 20–24 Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker vom 27.6.1981; K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1071; dazu E. Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 13 ff. 753 Vgl. als weiteres Beispiel auch das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker, 6. Teil, E, S. 883 ff. 754 Report of the United Nations Conference on Environment and Development, Rio de Janeiro, 3–14 June 1992 (A/CONF.151/26/Rev.1 (Vol. I und Vol. I/Korrigendum 1, Vol. II und Vol. III und Vol. III/Korrigendum 1); Resolutions adopted by the Conference, Resolution 1, Anhang II. 755 Vgl. dazu M’Baye, Le droit au developpement comme un droit de l’homme, Revue des droits de l’homme 5 (1972), 505 ff.; Z. Haquani, Le droit au développement, S. 22 ff.; R. Kreide, Soziale Menschenrechte und Verpflichtungen, in: ARSP Beiheft 79 (2001), S. 127 ff. zum „Recht auf Gedeihen“; N. Dower, Sustainablility and the right to development, in: R. Attfield/B. Wilkins, International Justice and the Third World, 1992, S. 93 ff.; F. Nuscheler, „Recht auf Entwicklung“, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 305 ff.; vgl. auch S. Kurtenbach, Entwicklung und Menschenrechte, in: G. v. Arnim u. a. (Hrsg.), JahrbuchMenschenrechte 2000, S. 210 ff. 756 E. Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, S. 227 ff. m. N.

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gemeiner Rechtsgrundsatz i. S. d. Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut ist, wird als unsicher angesehen.757 Die Ansätze von Riedel758, der in dem Recht auf Entwicklung einen allgemeinen Menschenrechtsstandard erkennt, sowie der von Christian Tomuschat, der von einem völkerrechtlichen Struktur- oder Leitprinzip ausgeht759, sind insofern bemerkenswert, als sie in holistischer Betrachtungsweise die klassische, rechtspositivistische Lehre verlassen und den Rechtscharakter des Rechts auf Entwicklung mit der materiellen Ordnungsfunktion des Rechts begründen.760 Als Konsensrecht kann das Recht auf Entwicklung jedenfalls gelten. 1986 hat die UN-Generalversammlung die „Declaration on the Right to Development“761 mit 146 Ja-Stimmen, nur acht Enthaltungen gegen die Stimme der USA als Resolution angenommen. In der Erklärung und dem Aktionsprogramm der Weltkonferenz über Menschenrechte 1993 in Wien762 wurde „das Recht auf Entwicklung, wie es in der Erklärung über das Recht auf Entwicklung niedergelegt ist, als universelles und unveräußerliches Recht und als integraler Bestandteil der grundlegenden Menschenrechte“ ausdrücklich anerkannt. Seit 1997 befassen sich die Vereinten Nationen kontinuierlich mit dem Recht auf Entwicklung.763 Als Syntheserecht verklammert das Recht auf Entwicklung aufgrund seiner Materie, die im globalen Sozialprinzip wurzelt, sachlich verschiedene Ebenen und Adressaten, ohne deren institutionelle Unterscheidbarkeit aufzuheben. Es hat eine objektive und eine subjektive, eine innerstaatliche und eine internationale Dimension.764 Art. 2 Ziff. 1 der 1986 der von der UN-Generalversammlung verabschiedeten Erklärung über das Recht auf Entwicklung formuliert die subjektive Dimension765: „Der Mensch ist zentrales Subjekt der Entwicklung und sollte aktiver Träger und Nutznießer des Rechts auf Entwicklung sein.“ Dementsprechend sind mit dem Recht auf Entwicklung als „Dach“ alle aus der Menschenwürde folgenden positiven Menschenrechte angesprochen, verbunden 757

Ch. Tietje, Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung, S. 808 f. E. Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, S. 258 ff. im Anschluß an J. Delbrück. 759 Ch. Tomuschat, Das Recht auf Entwicklung, GYIL 25 (1982), 85. 760 E. Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, S. 249; Ch. Tietje, Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung, S. 809. 761 UN Doc. A/RES/41/128 v. 4.12.1986. 762 UN Doc. A/CONF.157/24 (Teil I), Kap. III. 763 Z. B. Res 2004/7, The right to development, Commission on Human Rights, UN-Doc. E/CN.4/Sub.2/2004/L.11/Add. 1 v. 13.4.2004; Decision 2003/116 v. 14.8. 2003, The right to developement, Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2003/L.7 v. 6.8.2003; United Nations Millenium Declaration, A/RES/55/2 v. 18.8.2000, para. 11 ff.; Res 57/223, the right to development, A/RES/57/223 v. 27.2.2003. 764 Ch. Tietje, Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 781 (803 f.). 765 GA Res 41/128 v. 4.12.1986. 758

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mit dem Recht auf Fortschritt in der Weiterentwicklung dieser Rechte.766 Insbesondere anzuerkennen ist ein Recht jedes Menschen auf Ernährung, weil es auch mit dem Recht auf Leben und Gesundheit (vgl. Art. 11, 12 IPwskR) existentiell verknüpft ist.767 Sowohl Staaten als auch einzelne Menschen oder Gruppen von diesen können Träger dieses Rechts sein. Drittgenerationenrechte haben als Materialisierung des globalen Sozialprinzips sowohl eine Verankerung im Recht der Völker und Individuen auf Selbstbestimmung sowie in den Menschenrechten768, und fassen diese auf einer höheren Abstraktionsebene als weltrechtliches Strukturprinzip zusammen. Zum anderen beziehen sie sich auf die Solidarität zwischen den Menschen und die Gegenseitigkeitsordnung zwischen den Staaten769, namentlich auf die Verantwortung der reicheren Staaten als Kolonialherren aus dem Verursacherprinzip gegenüber den Entwicklungsländern. Diese Verantwortung resultiert daraus, daß die Kolonialherrn die Wirtschaft der Kolonien auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet haben770 und später durch Kredite, Militär- und (teilweise inadäquate) Entwicklungshilfe771 in deren Gesellschaften eingegriffen und die heutige Situation der Entwicklungsländer mitverursacht haben.772 Teilweise wird bemängelt, es bleibe unklar, wer Verpflichteter des Rechts auf Entwicklung sei und welches Verhalten (z. B. als Schutzpflicht) geschuldet wird.773 Es handle sich deshalb nicht um ein Menschenrecht i. e. S.774 Die Verwirklichung der Menschenrechte, auch des Rechts auf Entwicklung in ihrer innerstaatlichen Dimension, ist zunächst eine staatliche Aufgabe, die dafür notwendigen, rechtlichen, politischen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen zu schaffen.775 Im UN-Dokument betreffend das Recht auf Entwicklung von 1986776 heißt es: 766 F. Nuscheler, „Recht auf Entwicklung“, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 305 (309). 767 K.-H. Pohl, Zwischen Universalismus und Relativismus, MUT 2/1999, S. 59. Die USA haben diesem auf dem Ernährungsgipfel in Rom 1996 allerdings nicht zugestimmt. 768 H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 383 f., Rn. 23 ff. 769 G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 310 f. 770 Vgl. dazu M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 110 ff. 771 Dazu G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 311 ff. 772 R. Kreide, Soziale Menschenrechte und Verpflichtungen, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 126. 773 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 166; vgl. auch E. Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 13 f. 774 Einen Überblick über die unterschiedlichen Positionen zur Rechtsqualität gibt E. Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 17 ff.; vgl. auch F. Nuscheler, „Recht auf Entwicklung“, S. 314 ff. 775 UN-Doc. E/CN.4/2002/28/Rev. 1 v. 11.4.2002, para. 103 f. 776 UN-Doc. A/RES/41/128.

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„Die Staaten tragen die Hauptverantwortung für die Schaffung nationaler und internationaler Bedingungen, die der Verwirklichung des Rechts auf Entwicklung förderlich sind.“ (Art. 3 Ziff. 1) . . . Die Staaten haben die Pflicht, einzeln oder gemeinschaftlich Maßnahmen zur Aufstellung internationaler Entwicklungspolitiken zu ergreifen, die darauf gerichtet sind, die volle Verwirklichung des Rechts auf Entwicklung zu erleichtern.“ (Art. 4 Ziff. 1)

Adressaten der Drittgenerationenrechte sind mithin die Staaten und die Staatengemeinschaft. Die Tatsache, daß nicht nur die Einzelstaaten, sondern auch die Staatengemeinschaft Verpflichtete sind, nimmt dem Recht auf Entwicklung nicht den Charakter eines Menschenrechts. Der Inhalt des Rechts auf Entwicklung ist prinzipienhaft offen, aber nicht unbestimmt. Als objektive, materielle Kernprinzipien des Rechts auf Entwicklung werden genannt: „equality, equity, non-discrimination, transparency, accountability, participation and international cooperation, including partnership and commitments“.777 In Partnerschaftsverträgen wie dem EG-AKP-Abkommen von Cotonou778, dem zwei Drittel der Entwicklungsländer angehören, wird das Recht auf Entwicklung völkervertraglich materialisiert. Mit dem Recht auf Entwicklung wird zum Teil im Sinne internationaler Verteilungsgerechtigkeit779 in der internationalen Dimension ein weltweiter Wohlstandsausgleich zwischen den reichen und den armen Staaten als Leistungsrecht verbunden. Das fordert den Widerstand westlicher Vertreter heraus, welche deshalb den Rechtsnormcharakter der Drittgenerationenrechte oft ablehnen.780 Aufgrund seiner materiellen Offenheit781 können aus dem Recht auf Entwicklung jedoch keine bestimmten subjektiven, materiellen Forderungen geltend gemacht werden, sondern nur entsprechend seiner objektiven Dimension ein Anspruch darauf, daß die Staaten einzeln und in Gemeinschaft zu Organisationsformen und Politiken finden, welche die Entwicklung der armen Staaten bestmöglich verwirklichen.782 Art. 28 der AEMR bestätigt den „Anspruch“ jedes Menschen „auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die in der vorliegen777 Working Group on the Right to Development, UN-Doc. E/CN.4/2002/28/Rev. 1 v. 11.4.2002, para 100. 778 Vom 23. Juni 2006, ABl. 2000, Nr. L 317, 3–353. 779 G. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, S. 310 ff.; vgl. auch Ch. Tietje, Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung, S. 806 f. 780 Dazu. Ch. Tomuschat, Das Recht auf Entwicklung, GYIL 25 (1982), 85 ff.; vgl. auch E. Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, 14, 17 ff.; F. Nuscheler, „Recht auf Entwicklung“, S. 314 ff. 781 Als Inhalte werden z. B. genannt Armutsbekämpfung, Beachtung der Rechte der Kinder, Stärkung der Rolle der Frau in der Gesellschaft, Bekämpfung von HIV/AIDS, Förderung der Good Governance (UN Dic. E/CN 4./2002, para 105). 782 Vgl. dazu auch R. Kreide, Soziale Menschenrechte und Verpflichtungen, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 124 f.

B. Zur Materie des Weltbürgerrechts

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den Erklärung aufgeführten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.“ Es ist also das „Recht auf Recht“, welches die objektive Dimension des Rechts auf Entwicklung wesentlich beinhaltet. Art. 28 ist nicht im Sinne einer weltpolizeilichen Eingriffsermächtigung zu verstehen, sondern als programmatische globale Forderung dahingehend, daß wir die bestehende Weltordnung so reformieren sollen, „daß sie zur Entstehung und Stabilität von demokratischen, rechtsstaatlichen und friedlichen Regierungsformen und auch zum Abbau extremer Armut und Ungleichheit beiträgt.“783 Der Anspruch ist einerseits begrenzt durch das für die selbständige Entwicklung dieser Staaten Erforderliche, andererseits durch das von den anderen Staaten möglich und zumutbar Leistbare. Aus dem Recht auf Entwicklung können allerdings Unterlassungspflichten abgeleitet werden, denen subjektive Rechte entsprechen. Nach Regina Kreide784 folgt aus den sozialen Menschenrechten eine negative, vollkommene Pflicht, eine Ordnung nicht zu unterstützen, wenn deren Institutionen zur Armut, Unterdrückung oder Ausbeutung irgendwo auf der Welt beitragen. Dazu gehören insbesondere Vertragssysteme, welche einen schwächeren Staat aufgrund der politischen oder wirtschaftlichen Macht seines Vertragspartners nötigen, einen Vertrag abzuschließen, den er in freier Entscheidung nicht unterzeichnet hätte, etwa die Aufnahme dringend benötigter Kredite mit nicht bezahlbaren Zinsen oder Rohstoffabkommen, soweit diese nur der Elite in dem Förderland und den Nutzern in den Industriestaaten, aber nicht der armen Bevölkerung zugutekommen (z. B. durch Energieversorgung). Ergebnis Das Recht auf Entwicklung materialisiert das allgemeine Recht auf Recht im Verhältnis zwischen Entwicklungs- und Industrieländern. Es gibt gegen einzelne Staaten und die Staatengemeinschaft gewisse Unterlassungsansprüche, jedoch keine bestimmten Leistungsansprüche.

B. Zur Materie des Weltbürgerrechts Weitere Materie des Menschheitsrechts über die Menschenrechte hinaus ist das Weltbürgerrecht. Das Wesen des Welt(-bürger)rechts besteht darin, daß es über die kollektiven Völkerrechtssubjekte hinweg auf die Rechtsposition der 783 Th. Pogge, Menschenrechte als moralische Ansprüche an globale Institutionen, in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 378 (385). 784 R. Kreide, Soziale Menschenrechte und Verpflichtungen, in: ARSP Beiheft 79 (2001), S. 125 f.

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

individuellen Rechtssubjekte durchgreift und die völkerrechtliche Mediatisierung überwindet, also transnationale Rechte schafft. I. Recht auf globalen Menschenrechtsschutz Das Weltbürgerrecht verlangt die transnationale Achtung der menschlichen Würde und insoweit der Menschenrechte, einschließlich des entsprechenden Rechtsschutzes. Damit schließt es die rechtliche Lücke zwischen Staats- und Völkerrecht785, die beide das Verhältnis von Staaten zu Bürgern anderer Staaten nicht erfassen.786 II. Recht auf globale Kontaktaufnahme Das Weltbürgerrecht ist ein für alle Menschen und Völker ursprüngliches und somit für alle gleiches Recht. Es ist verbunden mit dem Recht am eigenen Körper787, irgendwo auf dieser Erde zu sein und Verkehr mit allen Menschen und Völkern zu versuchen, ohne dadurch vom eigenen Staat gehindert zu werden und ohne durch einen anderen Staat oder dessen Menschen deshalb als Feind behandelt zu werden (Hospitalitätsrecht). Es ist insoweit ein Recht auf globale Kontaktaufnahme. Johann Gottlieb Fichte bezeichnet das aus dem Menschheitsrecht erwachsende, noch nicht durch Verträge materialisierte, Weltbürgerrecht als „Recht sich zu einer rechtlichen Verbindung anzutragen“.788 Man könnte das Weltbürgerrecht als Hospitalitätsrecht auch den rechtlichen Mindeststandard nennen, den Menschen im Umgang miteinander und mit fremden Staaten erwarten können.789 Keinesfalls soll der Versuch einer Kontaktaufnahme feindselig beantwortet werden.790 So dürfen Ausländer an der Staatsgrenze von den Staatsorganen oder mit staatlicher Duldung nicht beraubt, willkürlich ins Gefängnis geworfen oder gar versklavt werden, noch dürfen sie im Land dem Schutz des Zivil- und des Strafrechts entzogen werden. Das Weltbürgerrecht gibt also den Bürgern in einem anderen Staat wesentlich ein Recht auf 785

Vgl. auch V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 94. Nach dem völkerrechtlichen Fremdenrecht sind die Staaten lediglich untereinander verpflichtet, ihre gegenseitigen Angehörigen in bestimmter Weise zu behandeln. Dazu A. Verdross, Völkerrecht, 1984, S. 360 ff., K. Doehring, Völkerrecht, 1999, S. 362 ff. 787 R. Brandt, Vom Weltbürgerrecht, in: O. Höffe, Zum ewigen Frieden, 1995, S. 133 (144). 788 Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre (1796), in: I. H. Fichte (Hrsg.) Sämtliche Werke, Bd. III, 1971, S. 384 f. § 23. 789 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, 2000, S. 97; vgl. dazu auch M. Riedel, Menschenrechtsuniversalismus und Patriotismus, Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, 1993, 1 (19 f.). 790 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 97. 786

B. Zur Materie des Weltbürgerrechts

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Rechtsschutz. Von dem Besuchsrecht ebenfalls erfaßt ist eine Minimalversorgung, um zu überleben (z. B. Versorgung eines Schiffes mit Trinkwasser). Was diese Minimalrechte angeht, dürfte das Weltbürgerrecht weitgehend verwirklicht sein, weil heute in der Regel alle staatlichen Rechtsordnungen prinzipiell Fremden diese Minimalrechte zugestehen. Nicht in diesem Recht enthalten sind ein Recht auf ausländische Immobilien oder Kunstwerke oder politische Mitwirkungsrechte.791 Dies würde aufgrund der materiellen Forderungen an den Aufnahmestaat ein vertraglich zu regelndes Gastrecht voraussetzen. Der Besuchte kann von dem Besucher gewaltfreies Verhalten erwarten. Er kann ihn auch aus sachlichen Gründen abweisen.792 Ein auf das Hospitalitätsrecht beschränktes Weltbürgerrecht schließt somit eine restriktive Einwanderungspolitik nicht aus.793 III. Recht, einer Rechtsgemeinschaft anzugehören Das Weltbürgerrecht erfaßt nicht nur die Beziehung von (nicht-staatlichen) Personen (Privatpersonen, Gruppen, Verbänden, Unternehmen) zu fremden Staaten und deren Bürgern794, sondern bezieht auch Staatenlose ein.795 Die globale Durchsetzung des modernen Territorialstaates mit bestimmten Außengrenzen und eine restriktive Einwanderungspolitik führten zum Problem von Flüchtlingen, Heimat- und Staatenlosen, die in keinem Land einen Platz fanden und dadurch zu Rechtlosen wurden.796 „Das internationale Recht auf ein Recht zwischen souveränen Staaten zu reduzieren, wie es das neuzeitliche Völkerrecht bis ins 20. Jahrhundert hinein vorsah, liefe daher in der Konsequenz darauf hinaus, eine wachsende Zahl von Menschen aus dem Recht überhaupt auszusperren.“797 Angesichts dieser Unrechtserfahrung fordert Hannah Arendt das Recht jedes Menschen, überhaupt einer Rechtsgemeinschaft anzugehören, das sie das „Recht, Rechte zu haben“ nennt: „Daß es so etwas gibt wie ein Recht, Rechte zu haben – und dies ist gleichbedeutend damit, in einem Beziehungssystem zu leben, . . ., wissen wir erst, seitdem Millionen von Menschen aufgetaucht sind, die dieses Recht verloren haben und zufolge der neuen globalen Organisation der Welt nicht imstande sind, es wiederzugewinnen.“798 791

O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 354 f. Vgl. V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 98. 793 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 259 f. 794 Vgl. V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 93 f. 795 H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, 1953, S. 27; W. Kersting, Weltfriedensordnung, 1996, S. 177. 796 Dazu H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1986, S. 457 ff. 797 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 40. 798 H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 462. 792

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

Weil die Menschenrechte für alle Menschen gelten und dies inzwischen auch weitgehend anerkannt ist, sind auch Staatenlose heute nicht mehr rechtlos, sondern haben Rechte, allerdings nicht immer diskriminierungsfrei und mangels Staatsbürgerschaft nicht das Recht auf politische Selbstbestimmung. Deshalb hat jeder Mensch Anspruch auf eine Staatsbürgerschaft (vgl. auch Art. 15 Abs. 1 AEMR).799 Aus dem angeborenen Recht auf Freiheit folgt das Recht, zu einer bürgerlich verfaßten Gemeinschaft zu gehören.800 Das Übereinkommen zur Verminderung von Staatenlosigkeit vom 30. August 1961801 verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, staatenlos geborene Personen automatisch einzubürgern und Staatenlosen generell die Einbürgerung zu erleichtern. IV. Weltbürgerrecht als Gastrecht? Nach Jürgen Habermas hat jedermann über das Hospitalitätsrecht und auch über das Asylrecht hinausgehend, ein Recht auf Immigration.802 Auch andere ziehen unter Berufung auf die Menschenrechte, im Sinne nicht nur negativer, sondern auch positiver Freiheit, ein Recht auf Einwanderung in Erwägung.803 Teilweise wird in der Einwanderungsfreiheit ein Instrument zur Herstellung globaler Verteilungsgerechtigkeit gesehen.804 Allerdings hat ein solches Recht Grenzen aus konkurrierenden Gesichtspunkten, wie auch Habermas erkennt, z. B. um „soziale Konflikte und Belastungen einer Größenordnung zu vermeiden, welche die öffentliche Ordnung oder die ökonomische Reproduktion der Gesellschaft ernstlich gefährden müßte“. Aber diese Grenzen hält er nicht für beliebig ziehbar. „Gesichtspunkte der Abstammung, Sprache und Erziehung – oder gar eines „Bekenntnisses zur Kulturgemeinschaft“ des Einwanderungslandes, wie im Falle der Statusdeutschen – könnten danach eine Privilegierung bei Einwanderung oder Einbürgerung nicht begründen.“805 Allein in einer Republik, die mit ihrem Verfassungsgesetz806 die Verfassung der Menschheit anerkennt, kann die Gewährung eines Gastrechts erwartet wer799

O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 355. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 365 (A 73) f., 374 (AB 86); ders., Zum ewigen Frieden, S. 203; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 290 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 44 ff. 801 BGBl. 1977 II, S. 597. 802 J. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität (1990), in: ders., Faktizität und Geltung, 1998, S. 632 (656 f.); vgl. schon F. Vitoria, Relectio de Indis (1539), I, 3. Sec., 1. 803 E. Tugendhat, Die Kontroverse um die Menschenrechte, in: S. Gosepath/G. Lohmann, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 48 (56 ff., 60); vgl. auch M. Riedel, Menschenrechtsuniversalismus und Patriotismus, AZP 1993, 1 (19 f.). 804 G. Grözinger, Weltbürgerschaft und Nationalitätslotterie, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 175 (186 ff.). 805 J. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, S. 656 f. 800

B. Zur Materie des Weltbürgerrechts

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den, „denn nur eine an Freiheit gewöhnte Bevölkerung kann Institutionen der Freiheit am Leben erhalten.“807 Die freiheitlich-demokratischen Strukturen und Institutionen dürfen durch die Immigration keinen Schaden nehmen. Ein Recht auf Selbstbehauptung einer privilegierten kulturellen Lebensform gegenüber den Immigranten lehnt Habermas jedoch ab.808 Fraglich ist, inwieweit ein solches Gastrecht aus dem Weltbürgerrecht begründbar ist. Unterstellt man als Grundlage eines Staates eine Verfassung im Sinne eines frei geschlossenen Gesellschaftsvertrags, könnte ein Recht, gerade zu einer bestimmten Gemeinschaft zu gehören, auch abgelehnt werden. Allerdings folgt aus dem Rechtsprinzip grundsätzlich die Pflicht, daß die Menschen, die auf einem Territorium zusammenleben, sich gemeinsam, allgemeinen Gesetzen unterwerfen.809 Insofern darf eine, das Gastrecht begehrende Person nur aus sachlichen Gründen abgewiesen werden. Es ist Habermas insoweit Recht zu geben, daß Merkmale ethnischer oder kultureller Zugehörigkeit unter dem Aspekt einer Rechtsgemeinschaft in der Regel keine sachlichen Gründe sind.810 Otfried Höffe wendet sich gegen ein Verständnis des Weltbürgerrechts als Recht auf Einwanderung oder auf universale Niederlassungsfreiheit.811 Hiergegen spreche schon der Grundsatz ultra posse nemo obligatur. Die Ressourcen eines Gastlandes könnten verbraucht werden und könnten die Möglichkeiten seines Überlebens bedrohen und letztlich das Gastrecht faktisch unmöglich machen. Bis zu dieser Belastungsgrenze, die allerdings, solange eine internationale Regelung fehlt, von jedem Volk nur selbst festgestellt werden kann812, verhindert der Grundsatz ultra posse nemo obligatur ein Recht auf Einwanderung nicht. Auch das Weltbürgerrecht steht unter dem Vorbehalt, daß es nicht zum Schaden anderer eingesetzt werden darf. Die allgemeinmenschliche Solidarität kann Hilfsmaßnahmen gebieten. Sie schreibt jedoch die Art der Hilfe (etwa Aufnahme im eigenen Land) nicht zwingend vor. Jedenfalls, wenn die Einwanderung in Kolonialisierung umschlägt, ergeben sich Grenzen aus dem Recht auf Selbstbestimmung der Völker (dazu 2. Teil, C, S. 184; 3. Teil, D, S. 366 ff.). Zumindest setzt das Weltbürgerrecht aber ein subjektives Recht gegenüber den

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K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 87 f. J. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, S. 657 f. 808 J. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, S. 659. 809 Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, 8. Kap., 2. Buch, 3. Kap.; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 429 (A 161, 162/B 191, 192); 423 (A 166/B 196); dazu auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 279 ff., 332 ff., 519 ff., 978 ff.; vgl. dazu auch B. Tuschling, Die Idee des Rechts, in: D. Hüning/B. Tuschling (Hrsg.), Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant, 1998, S. 85 (93 ff.). 810 Näher zu Homogenitätsmerkmalen als vorstaatliche Voraussetzungen 5. Teil, B, S. 623 ff., 632 ff. 811 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 356 ff. 812 M. Heintzen, Fremde in Deutschland, Der Staat 36 (1997), 327 (342 f.). 807

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

Staaten auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren, in dem der Asyl- oder Immigrationsantrag geprüft wird, und darüber hinaus ein Recht auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung voraus. Inhaltlich gibt das subjektive Recht auf Asyl dem (politisch) Verfolgten den Anspruch, bei jedem Staat um Aufnahme zu bitten. Nach Höffe richtet sich das subjektive Recht auf Asylgewährung nicht auch gegen einen einzelnen Staat, sondern nur an die Staatengemeinschaft. Die Weltrepublik habe seiner Ansicht nach für einen fairen Lastenausgleich zwischen den Staaten zu sorgen. Ein einzelner Staat müsse nicht für die Sünden aller autoritären Regime büßen.813 Das entspricht dem geltenden Völkerrecht und der Verfassungsgesetzlichkeit in vielen Staaten.814 Die Welt- und Staatengemeinschaft muß sich geeignete Regeln geben, die den Asylmißbrauch verhindern und eine angemessene Verteilung der Flüchtlingsströme erreichen. Selbst wenn ein materieller subjektiver Anspruch auf Asylgewährung teilweise über die Minimalbedingungen der Hospitalität hinausgehen mag815, hat jeder Mensch, soweit die primär zuständigen Staaten die Menschenrechte fundamental verletzen, einen Anspruch gegenüber der Weltgemeinschaft, Regelungen, Institutionen und Verfahren zu schaffen, die einen rechtlichen Zustand erwirken.816 Subsidiär hat der in seinem Staat verfolgte Mensch entgegen Höffe in jedem Staat ein grundsätzliches Menschenrecht auf Asyl.817 Jedenfalls Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention genießen insoweit ein Gastrecht.818 Insbesondere die wohlhabenden Staaten sind nicht der Verpflichtung entbunden, in den Grenzen der sozialen und kulturellen Stabilität, zumindest den politisch Verfolgten und in ihrer Menschenwürde verletzten oder sonst vergleichbar erheblich bedrohten Menschen der Welt819 (vor813

O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 359 f. Vgl. Art. 16a GG; dazu BVerfGE 94, 49 (103 ff.). 815 Vgl. Kapitel IV des Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge v. 28.7.1951, UNTS 189, p. 150; BGBl. 1953 II, S. 560 ff.; M. V. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 190. 816 S. Gosepath, Zu Begründungen sozialer Menschenrechte, S. 156; vgl. dazu z. B. Richtlinie 01/55/EG des Rates vom 20.7.2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und über Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der mit der Aufnahme dieser Personen und der Folgen dieser Aufnahme verbundenen Belastungen auf die Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 212, S. 12. 817 S. Gosepath, Zu Begründungen sozialer Menschenrechte, S. 156. 818 M. Wöhlcke, Transnationale Migration als globale Herausforderung, in: S. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 283 (291 f.). 819 Dazu gehören auch gravierende soziale Bedrohungen der Menschenwürde, die nicht vom Staat, sondern von der sozialen Gemeinschaft ausgehen, wie z. B. die Mädchenbeschneidung. A. A. aber BVerwG, Beschluß v. 27.4.2000, NVwZ 2000, Beilage Nr. 9, 98, das in solch einem Fall ein Abschiebungshindernis, weil die Gefahr nicht vom Staat droht, verneint hat. 814

B. Zur Materie des Weltbürgerrechts

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übergehend) Zuflucht und Aufenthalt zu gewähren und ihnen in gleicher Weise wie Staatsangehörigen soziale Leistungen zukommen zu lassen.820 Insoweit ist das Weltbürgerrecht ein soziales Prinzip. V. Recht auf einen Bürgerstatus Kant identifiziert das Weltbürgerrecht nicht mit dem weltbürgerlichen Zustand.821 Ein Weltstaat würde im übrigen das Weltbürgerrecht als transnationales Recht überflüssig machen. Allerdings kann das Weltbürgerrecht als Vorbereitung auf einen weltbürgerlichen Zustand gesehen werden und in diesem Sinne entsprechende Weiterentwicklungen erfahren. „Allein eine demokratische Staatsbürgerschaft, die sich nicht partikularistisch abschließt, kann den Weg bereiten für einen Weltbürgerstatus, der heute schon in weltweiten Kommunikationen Gestalt annimmt.“822 Der Vietnam-Krieg, die revolutionären Veränderungen in Ost- und Mitteleuropa, der Krieg am persischen Golf, auf dem Balkan, in Afghanistan, in Tschetschenien, im Irak sind weltpolitische Ereignisse. Durch elektronische Massenmedien sind sie einer Weltöffentlichkeit gleichzeitig präsent gemacht worden. Die schon von Kant im Hinblick auf die Französische Revolution erkannte Anteilnahme des Weltpublikums wird heute unter weltbürgerlichen Kommunikationsvoraussetzungen noch mehr zur politischen Wirklichkeit. Sogar Weltmächte müssen mit der Realität weltweiter Proteste rechnen, wie globale Friedensdemonstrationen gegen den Irak-Krieg gezeigt haben. So meint Habermas: „Der weltbürgerliche Zustand ist kein bloßes Phantom mehr, auch wenn wir noch weit von ihm entfernt sind. Staatsbürgerschaft und Weltbürgerschaft bilden ein Kontinuum, das sich immerhin schon in Umrissen abzeichnet.“823

Die Vertreter einer „kosmopolitischen Demokratie“ befürworten einen Weltbürgerstatus als politischer Bürger, ein demokratisches öffentliches Recht824 und eine weltbürgerliche Vertretung, die von den Einzelstaaten unabhängig ist. Die Erarbeitung einer Weltbürgerrechtsdogmatik wird gefordert, in welcher der

820 Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention stehen in Sozialhilfeleistungen den eigenen Staatsbürgern gleich. BVerwGE 111, 200 (202); vgl. auch Art. 1 Europäisches Fürsorgeabkommen v. 11.12.1953 (BGBl. 1956 II, S. 564 i.V. m. Art. 1 und 2 des Zusatzprotokolls v. 11.12.1953 (BGBl. 1956 II, S. 578). Siehe auch BayVGH, Urt. v. 18.5.2000, BayVBl. 2001, 87 (88 ff.). 821 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht. S. 96 f., 100 f.; siehe Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 475 (A 229/B 259) ff. 822 J. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, S. 659. 823 J. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, S. 659 f. 824 D. Held, Kosmopolitischer Demokratie und Weltordnung, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohmann (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 220 (231).

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

Mensch zugleich Bürger seines Staates und der Weltgemeinschaft ist.825 Diese Lehre sucht zunächst einen Weltbürgerstatus ohne Weltstaat. Hauptziel der „kosmopolitischen Demokratie“ (dazu näher 5. Teil, C) ist, dem Bürger in der Weltgemeinschaft, eingebettet in entsprechende Verfahren parallel zu den staatlichen Verfahren, eine Stimme zu geben.826 Ohne Weltstaat kann der Weltbürgerstatus dadurch verwirklicht werden, daß jeder Mensch, der dauerhaft unter den Gesetzen eines Staates lebt, als Bürger an der Gesetzgebung beteiligt wird. Nach dem Grundsatz der Selbstbestimmung sind die den Gesetzen Unterworfenen auch deren Autoren.827 Auf dieser Grundlage sollten grundsätzlich alle Menschen, die längere Zeit in einem Staat ihren Lebensmittelpunkt haben, auch deren Bürger sein.828 Der völlige Ausschluß von dauerhaft in einem Staat lebenden Menschen vom Bürgerstatus829 entspricht nicht den grundlegenden republikanischen Prinzipien von Freiheit und Gleichheit830, weil sie unter fremden Gesetzen831 als Untertanen leben müssen.832 VI. Entwicklung des Weltbürgerrechts im derzeitigen internationalen Recht Heiner Bielefeldt meint, daß die im Laufe des 20. Jahrhunderts im internationalen Recht angenommenen „weltbürgerlichen“ Standards über die von Kant geforderten Bedingungen an die allgemeine Hospitalität hinausgehen.833 Verstärkt wurden die weltbürgerlichen Elemente durch die Normierung von Menschenrechten in internationalen Rechtstexten. Norberto Bobbio sieht ähnlich wie Bielefeldt in den Menschenrechten materialisiertes Weltbürgerrecht.834 825 D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, in: ders./D. Held, Cosmopolitan Democracy, 1995, S. 121 (134 f.). 826 D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 135. 827 Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, 6., 7., 8. Kap.; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 432 (A 166/B 196); J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 138; vgl. auch. K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung, 1988, S. 256; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 274 ff.; BVerfGE 65, 1 (41). 828 Vgl. i. d. S. auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1201 ff. 829 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 207 ff. 830 J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 777 (790); vgl. M. Zuleeg, Zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung des Kommunalwahlrechts in Nordrhein-Westfalen, KritV 1987, 322 f.; B.-O. Bryde, Ausländerwahlrecht und grundgesetzliche Demokratie, JZ 1989, 257 (258). 831 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 432 (A 166/B 196) f., der allerdings Staatsbürger von „Staatsgenossen“ sowie aktive und passive Staatsbürger unterscheidet und darin nicht notwendig einen Verstoß gegen die gleiche Freiheit der Menschen sieht. 832 W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 289 (314, Rn. 28). 833 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 39.

B. Zur Materie des Weltbürgerrechts

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Bestimmte weltbürgerliche Errungenschaften sind aus globalen Unrechtserfahrungen und Krisen erwachsen. Ein Beispiel ist das Weltflüchtlingsproblem, das nach dem ersten Weltkrieg das internationale Recht prägte.835 Das Weltbürgerrecht, welches auf dem ursprünglichen Gemeinbesitz der Menschheit an der Erde836 fußt, gilt als die geistige Grundlage des Asyl- und Flüchtlingsrechts.837 Obwohl Art. 14 Nr. 2 AEMR838 bestimmt, daß jeder Mensch ein Recht hat, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen, anerkennt das allgemeine Völkerrecht weder ein Recht des Einzelnen auf Asyl noch eine Pflicht der Staaten, Flüchtlinge aufzunehmen.839 Es gibt nur ein zwischenstaatliches Recht der Staaten, Asyl zu gewähren, das seinen Grund im Völkervertrags- und im Völkergewohnheitsrecht hat.840 Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention enthält ein Verbot, einen Flüchtling „über die Grenzen von Gebieten auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen sein Leben und seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein könnte“ (refoulement-Verbot). Vorbehalte von Staaten gegenüber diesem Verbot sind nach Art. 42 Abs. 1 dieses Abkommens ausgeschlossen. Das refoulement-Verbot begrenzt nur das Recht zur Ausweisung, begründet aber keine generelle Pflicht des Aufenthaltsstaates, Asyl zu gewähren oder gar ein subjektives Recht für den Einzelnen.841 Insofern erfüllt das praktizierte Völkerrecht die weltbürgerlichen Voraussetzungen noch nicht. Für die Unionsbürger, jedoch nicht in gleichem Maße für Bürger aus anderen Staaten842, ist aufgrund der Grundfreiheiten des EG-Vertrages und ihrer Unionsbürgerschaft843 das Weltbürgerrecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union weitgehend verwirklicht844.

834 N. Bobbio, The Age of Rights, 1996, S. 122; ähnlich D. Archibugi, Immanuel Kant e il Diritto Cosmopolitico. Teoria Politica 9 (1993), S. 95 (95). 835 Zum Rechtsstatus der Flüchtlinge vgl. O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 365 ff. 836 Kant, Zum ewigen Frieden, Dritter Definitivartikel, S. 216 (BA 44, 45, 46) f.; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 359; vgl. auch H. Schmidt, Ein bedenkenswertes Jubiläum, 1995, S. 24 f. 837 P. Kleingeld, Kants politischer Kosmopolitismus, in: B. Sh. Byrd/J. Hruschka/ J. Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik., Bd. 5, 1997, S. 333 (340). 838 Zur völkerrechtlichen (Un-)verbindlichkeit der Allgemeinen Menschenrechtserklärung S. 465 ff. 839 Dazu K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 257 f. 840 K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 257, Rn. 266. 841 K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 258, Rn. 269. 842 Vgl. dazu K. Dicke, „Festung Europa“ oder weltoffen-republikanische Europäische Union?, COMPARATIV 4 (1994/2), S. 48 ff. 843 Siehe Art. 17–22 EGV, Art. 28 ff., 39 ff., 43 ff., 49 ff., 56 ff. EGV; dazu R. Bieber/A. Epiney/Haag, Die Europäische Union, 2005, S. 55 ff.; S. Kadelbach:

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

Das Weltbürgerrecht erfaßt die grenzüberschreitende, globale Freizügigkeit. Das vierte Zusatzprotokoll zur EMRK ergänzt die Menschenrechtsgarantien der EMRK u. a. durch das Recht auf Freizügigkeit im Sinne der Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb eines Vertragsstaates, ein Aufenthaltsrecht von Staatsbürgern sowie das Verbot der Kollektivausweisung von Ausländern. Demgegenüber hat sich eine völkergewohnheitsrechtliche Norm bisher nicht entwikkelt, wonach Ausländern die Einreise in das Hoheitsgebiet fremder Staaten zum Zweck bestimmter oder unbestimmter Dauer oder lediglich des Transits gestattet wäre.845 Ebenso kennt das geltende Völkergewohnheitsrecht keinen Anspruch auf Handelsbeziehungen oder gar ein Recht auf Handelsfreiheit846, obwohl das Weltbürgerrecht das Recht gibt, mit jedermann „in Verkehr“, auch in Handelsverkehr, zu treten. Damit hat sich ein Weltbürgerrecht als Mindeststandard im Völkergewohnheitsrecht noch nicht voll verwirklicht. Nur teilweise sind Freiheitsgarantien und Diskriminierungsverbote in Menschenrechtskonventionen, Niederlassungs- und Investitionsschutzverträgen, ILO- und WIPO-Konventionen oder den WTO-Abkommen niedergelegt worden. Weltweit hat eine weitgehende Liberalisierung des Kapitalverkehrs stattgefunden. Im Sinne dieser weltumspannenden Liberalisierung sind u. a. im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OWZE), der Welthandelsorganisation (WTO) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) eine Reihe völkerrechtlicher Instrumente geschaffen worden. Im Rahmen der OWZE ist ein verbindlicher Kodex geschaffen worden, der auf die Liberalisierung des Kapitalverkehrs abzielt.847 Das IWF-Abkommen bezweckt vor allem die Beseitigung von Hindernissen für den internationalen Zahlungsverkehr, erlaubt es aber, daß Staaten erforderliche Maßnahmen zur Kontrolle internationaler Kapitalbewegungen ergreifen.848 Auch das Welthandelsrecht könnte als Ausformung der objektiven Dimension des modernen Weltbürgerrechts einzuordnen sein. Nach den GATT-Regeln (Art. I, II, III, V, XI, XIII) darf die Einfuhr von Waren aus anderen Mitgliedstaaten nicht „feindselig“ behandelt werden, d.h. sie darf zwar mit Zöllen belegt, aber nicht willkürlich beschränkt oder diskriminiert werden. All diese internationalen Regelungen stärken zwar den freien Kapital- und Handelsverkehr, begründen aber nach der Praxis keine Rechte der Einzelnen (dazu 6. Teil, C, III, 1, b, ff) im Sinne eines Weltbürgerrechts. Im Unionsbürgerschaft, in: A. v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2000, S. 539 ff. 844 Siehe http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/citizenship/fsj_citizenship_intro_de.htm (zuletzt geprüft: 12.10.2006); G. Schermers, The Bond between Man and State, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 187 (197 f.). 845 Dazu K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 705 ff., Rn. 3 ff. 846 Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 592 f. (Rn. 5). 847 OECD Code of Liberalisation of Capital Movements. 2003 aktualisierte Fassung unter www.oecd.org/dataoecd/14/13/1935919.pdf (zuletzt geprüft: 17.9.2006). 848 Artikel VI Teil 3 des IWF-Abkommens.

B. Zur Materie des Weltbürgerrechts

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Vergleich zur weitgehend realisierten Handels- und Kapitalverkehrsfreiheit zeigt sich das menschenrechtliche Weltbürgerrecht im krassen Gegensatz unterentwikkelt.849 In den völkerrechtlichen Verträgen sind regelmäßig nur Verpflichtungen der Staaten, nicht jedoch einklagbare subjektive Rechte der Bürger, wie dies die subjektive Dimension des Weltbürgerrechts verlangt, verankert (vgl. auch Art. 1 EMRK). Auch der Europäische Gerichtshof schützt die grenzüberschreitende Grundrechtsausübung bislang nur im Europäischen Binnenmarkt und im Europäischen Wirtschaftsraum als subjektive Grundfreiheiten, nicht jedoch im Rahmen der WTO.850 Eine Ausnahme bildet die in Art. 56 ff. EGV verankerte Kapitalverkehrsfreiheit, die als Grundfreiheit mit erga omnes-Wirkung ein Recht auf Globalisierung der Kapitalmärkte auch für Nichtunionsbürger schafft.851 Im übrigen ist auch das Weltbürgerrecht als Freizügigkeit nicht schrankenlos, sondern ist durch andere Rechte und Rechtsgrundsätze beschränkt. So unterliegen aus Gründen des demokratischen und des Sozialprinzips die von den Staaten teilweise im Zuge der Globalisierung sehr weitgehend betriebene Deregulierung und Liberalisierung der Kapitalmärkte rechtlichen Grenzen.852 Erst recht ist ein kosmopolitischer Bürgerstatus im geltenden Völkerrecht nicht anerkannt.853 Abgesehen von der Pflicht der Staaten, ihren eigenen Staatsangehörigen, die Inanspruchnahme des Weltbürgerrechts nicht zu versagen oder unmöglich zu machen, regelt das Weltbürgerrecht den Schutz gegenüber dem eignen Staat primär nicht, weil dieser durch das Staatsrecht abgedeckt ist854, wenn die Staaten rechtlichen Grundsätzen folgen. Ernst-Ulrich Petersmann schlägt vor, die Unionsbürgerschaft als „Leitbild für ein kosmopolitisches Weltbürgerrecht“ durch gemeinschaftsspezifische Grund- und Menschenrechte zu erweitern.855 Das heutige Unionsbürgerrecht (Art. 17–22 EGV) geht allerdings über das Weltbürgerrecht hinaus.856 849 Vgl. K. Günther/Sh. Randeria, Recht, Kultur und Gesellschaft im Prozeß der Globalisierung, 2001, S. 48. 850 E.-U. Petersmann, Integrations-, Verfassungs- und Weltbürgerrecht, in: Liber amicorum Th. Oppermann, 2001, S. 367 (378). 851 Vgl. dazu J. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, 2000; Schlußanträge des Generalanwalts L. A. Geelhoed vom 10. April 2003, Rs C-452/01 Ospelt u. a./Unabhängiger Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg; kritisch K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in: ders. (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 253 ff. 852 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 263 ff., 289 ff. 853 D. Thürer, „Citizenship“ und Demokratieprinzip, S. 202. 854 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 93. 855 E.-U. Petersmann, Integrations-, Verfassungs- und Weltbürgerrecht, in: Liber amicorum Th. Oppermann, 2001, S. 377 (380). 856 K. Jaspers, Kant „Zum ewigen Frieden“, 1958, S. 211, nimmt das Verhältnis eines Friedensbundes zu den Bürgern anderer Staaten des Bundes aus; denn er be-

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4. Teil: Weltrecht als Menschheitsrecht

VII. Ergebnis Das Weltbürgerrecht verschafft eine transnationale subjektive Rechtsposition und beinhaltet • das Recht auf globalen Menschenrechtsschutz, • das Recht, einer Rechtsgemeinschaft anzugehören, • das Recht auf globale Kontaktaufnahme, • das Asylrecht, • das Recht auf einen Bürgerstatus. Regional, z. B. in Europa, ist das Weltbürgerrecht insbesondere als Freizügigkeitsrecht und sogar als europäischer, partieller Bürgerstatus weitgehend verwirklicht. Weltweit ist mit den Menschenrechtsverträgen- und dem internationalen Asylrecht ein Minimum an Hospitalität gewährleistet, wenn auch noch nicht durchgehend als subjektives Recht, wie dies das Weltbürgerrecht verlangt. Es ist nicht im Sinne einer ausgewogenen weltbürgerlichen Verfassung, nur einseitig die Freizügigkeit von Kapital und Waren zu stärken, den Menschen aber weltbürgerliche Rechte zu versagen.

zeichnet das Weltbürgerrecht als „Minimalordnung außerhalb des Raumes des Bundes freier republikanisch regierter Völker“.

5. Teil

Konzeptionen der verfaßten Weltordnung In welcher Organisationsstruktur die als notwendig erkannte (mehrgliedrige) Weltverfassung realisiert wird, ist dem politischen Diskurs überlassen, solange sie den Voraussetzungen einer Verfassung entspricht (dazu 3. Teil, B, S. 299 ff.). Rechtliche Leitlinien für die Organisationsstruktur ergeben sich insbesondere aus den Prinzipien der Selbstbestimmung (Demokratie), der begrenzten Ermächtigung, der Funktionenteilung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. In diesem Teil sollen verschiedene Weltordnungsmodelle an diesen Prinzipien auf ihre Effektivität für die Verwirklichung des Weltrechts, dessen Grundlagen im 3. und 4. Teil dargelegt worden sind, geprüft werden. Zu erörtern sind völkerrechtliche und staatsrechtliche Konzeptionen vom Staatenbund bis zum Welt(-bundes)staat sowie konstitutionelle und demokratische Ansätze, die sich weder mit den Kategorien des Staatsrechts, noch des Völkerrechts, aber mit denen des Weltrechts erfassen lassen. Auch pluralistische Weltordnungskonzepte, welche eine staatlich oder auch nur einheitlich verfaßte Struktur gänzlich ablehnen, werden betrachtet und auf ihre Tauglichkeit für die Verwirklichung des Weltrechts überprüft.

A. Staatsorganisation im Weltkontext Nach den traditionell geprägten Vorstellungen von Staatlichkeit kann die Weltordnung entweder als Zusammenschluß von Staaten durch völkerrechtlichen Vertrag (Verfassungsvertrag) oder von Bürgern durch eine bürgerliche Verfassung konzipiert werden.1 Staatenverbindungen sind auf Dauer angelegte Zusammenschlüsse von Staaten.2 Die intensivste Form einer Staatenverbindung ist der Bundesstaat (Föderation) mit weit reichenden Zuständigkeiten, die bescheidenste ein Staatenbund (Konföderation)3 oder Völkerbund4 ohne Zwangsgewalt,

1 Vgl. O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 204 (208); zu den Modellen in der Antike vgl. ders., Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 230 ff., zusammengefaßt S. 238 ff. 2 V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 67, Rn. 20. 3 Vgl. dazu E. Deuerlein, Föderalismus, 1972, S. 39 ff., 86 ff.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

den Otfried Höffe auch „Ultraminimalstaat“5 nennt. Zwischen beiden ist der Völkerminimalstaat mit Nachtwächterfunktion und entsprechender Durchsetzungsgewalt angesiedelt.6 Die heutigen Internationalen Organisationen werden zwischen Staatenbund und Völkerminimalstaat eingeordnet. Eine Weltcivitas der Bürger ist als Weltzentralstaat, als verfaßter Bundesstaat oder als verfaßter Minimalstaat denkbar. Die Konzeption einer Weltrechtsordnung muß sich einem Dilemma stellen: Völkerrechtliche Modelle bieten keine Lösung für die weltbürgerliche Verfassung und verhelfen nur zu einem ungesicherten Rechtszustand. Weltstaatliche Modelle dagegen bergen die Gefahr, ihren Zweck, nämlich die Verwirklichung des mit der Freiheit verbundenen Weltrechts, zu verfehlen. I. Weltordnung in völkerrechtlichen Organisationen 1. Völker- oder Staatenbund, Internationale Organisationen Trotz der Globalisierung und der Existenz von Weltrecht haben die Einzelstaaten nicht ausgedient7 und nehmen im Rahmen der mehrgliedrigen Weltverfassung eine zentrale Stellung ein. Dafür sprechen folgende Gründe: • Die Staaten sind trotz ihrer Entmachtung in Folge der Globalisierung in den internationalen Beziehungen immer noch die maßgeblichen Akteure. • Sie sind die Subjekte des Völkerrechts und Ursprung für dessen Rechtsetzung und Rechtsfortbildung. • In Verfassungsstaaten oder Republiken ist das Prinzip freiheitlicher Rechtsetzung durch das Demokratieprinzip realisiert, soweit die Staatsgewalt vom Volk ausgeht (vgl. z. B. Art. 20 Abs. 2 GG). Mangels Weltvolk sind die Staaten auch in der internationalen Kooperation als Vermittler demokratischer Legitimation unverzichtbar.8 Verfassungsstaaten oder Republiken verfügen über einen höheren Legitimationsgrad als etwa Internationale Organisationen.

4 Zur Abschwächung des Begriffs „Völkerbund“, der in anderen Schriften z. T. Staatscharakter hat, O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: D. Hüning/B. Tuschling/O. Asbach (Hrsg.), Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant, 1998, S. 233 (239). 5 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 208. 6 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 208; zu den Modellen in der Antike vgl. ders., Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 230 ff., zusammengefaßt 238 ff. 7 Vgl. L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, ZIB 2 (1995), S. 267; D. Held, Democracy and the Global Order, 1995, S. 233; A. J. Merkl, Völkerbund und Weltstaat, in: D. Mayer-Maly u. a. (Hrsg.), Gesammelte Schriften, Bd. 2, 2002, S. 599 (604 f.). 8 Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 293.

A. Staatsorganisation im Weltkontext

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Im Staatenbund legen sich die Einzelstaaten zwar in völkerrechtlichen Verträgen für bestimmte Sachgebiete auf gemeinsame Regeln fest. Sie behalten aber ihre volle Völkerrechtssubjektivität sowie ihre existentielle Staatlichkeit und können grundsätzlich aus dem Staatenbund ausscheiden (vgl. Art. 54 ff. WVK).9 Ein Staatenbund besitzt funktionale, aber keinerlei existentielle (bürgerlich verfaßte) Staatlichkeit.10 Vollziehende Beschlüsse erlassen die Vertragsparteien in der Regel einstimmig. Für die Finanzierung ihrer Aufgaben ist die Konföderation auf Beiträge der Staaten angewiesen. Ein solcher Staatenbund besitzt zwar ein gemeinsames Recht, aber typischerweise kein autorisiertes Gericht, welches darüber befindet. Er kennt nicht einmal ein Schiedsgericht und erst recht keine Durchsetzung von Gerichtsurteilen. Eine gemeinsame Armee existiert nicht.11 Die Durchsetzung des Vertrages ist im Unterschied zum Weltvertrag allein den Staaten überlassen.12 Die völkerrechtlichen Prinzipien der gleichen Souveränität der Staaten und der Nichteinmischung bleiben unangetastet.13 Erst recht ist eine Legislative mit Vertretern der Bürger ausgeschlossen, weil es im Staatenbund kein gemeinsames Volk, sondern nur verschiedene Staatsvölker gibt. Gemeinsame Organe, welche die Regeln sichern, sind für den Staatenbund nicht typisch. Der Begriff „Staatenbund“ ist im Völkerrecht weniger gebräuchlich als der der „Internationalen Organisation“.14 Die Abgrenzung zwischen Staatenbund und Internationalen Organisationen ist fließend. Auch Internationale Organisationen beruhen auf einem „Bund“ (völkerrechtlichen Vertrag) zwischen Staaten (dazu 6. Teil, A, S. 689 ff.). Im Unterschied zu diesen kann die Verbindung von Staaten in einem Staatenbund nicht auf einzelne Bereiche zwischenstaatlicher Kooperation funktionell beschränkt sein (vgl. z. B. WTO), sondern prägt die Politik des Gemeinwesens und deren Prinzipien insgesamt.15 Der Neue Institutionalismus16 setzt im bestehenden System der staatengeteilten Welt auf Kooperation in Internationalen Organisationen als Ansätze einer öffentlichen Gewalt. Auch die Vereinten Nationen gelten als Internationale Organisation.17 Die UN vereinigt als Oberorganisation mehrere Haupt- und Nebenorgane (Art. 7 UN-

9

V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 67, Rn. 22. Vgl. E. Deuerlein, Föderalismus, S. 87; zur Unterscheidung von funktioneller und existentieller Staatlichkeit siehe 1. Teil, B, S. 87 ff. 11 M. Brauer, Weltföderation, 1995, S. 15. 12 Dazu Global Contract Foundation, Global Contract Report, Mai 2005, S. 29 ff. 13 D. Archibugi, From The United Nations to Cosmopolitan Democracy, in: D. Archibugi/ders. (Hrsg.), Cosmopolitan Democracy, 1995, S. 121 (130). 14 E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 279, Rn. 17. 15 V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 67, Rn. 22; vgl. auch E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 279, Rn. 17. 16 Dazu O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 276 ff. 17 E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 276 ff., Rn. 9 ff. 10

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

Charta) sowie Sonderorganisationen (z. B. ILO, WIPO, UNESCO).18 Sie stellt das „Gerüst der Staatengemeinschaft“ dar, das den universellen institutionellen Rahmen für Kooperation und Koordination aller Staaten bereitstellt.19 Die Vereinten Nationen, die sich aus dem Völkerbund entwickelt haben, gehen mit ihren Sanktions- und Zwangsbefugnissen, insbesondere der des Sicherheitsrates, die teilweise auch gegenüber Individuen wirken, über einen Staatenbund und eine rein „internationale“ (zwischenstaatliche) Organisation hinaus (dazu 6. Teil, C, S. 709 ff.). Unmittelbare Beziehungen zu den Bürgern gibt es weder im Staatenbund, noch in rein Internationalen Organisationen, was einer weltbürgerlichen Verfassung nicht gerecht wird. 2. Regionalisierung der Welt Durch verschiedene regionale Staaten oder supranationale Staatenverbindungen wie die Europäische Union (dazu 6. Teil, D, S. 818 ff.) könnte eine Weltordnung zusammengesetzt werden, welche den unterschiedlichen Integrationsnotwendigkeiten, einschließlich der Integration der Bürger, gebietlich differenziert Rechnung trägt. Auch der hegemonialen Einflußnahme einer Supermacht auf die internationale Ordnung könnte wirksam dadurch begegnet werden, daß sich die Staaten zu bestimmten Zwecken regional vereinigen. Regionalisierung könnte die bestehende tatsächliche Ungleichheit der Staaten in Größe, Bevölkerungszahl, wirtschaftlicher und politischer Bedeutung relativieren. Eine südamerikanische, pazifische, europäische, afrikanische, arabisch-persische Region könnte neben die Großstaaten USA, Indien, China und die GUS-Staaten gestellt werden. Auf dem OAU-Gipfel in Togo im Juli 2000 ist als Pendant zur Europäischen Union eine „Afrikanische Union“ (AU) gegründet worden.20 Die AUGründungsakte (in Kraft seit 26. April 2001) erkennt die Souveränität der Mitgliedstaaten an und behält zwischen den Staaten das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten bei. Die Union darf jedoch als Ganzes gegen „Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in einem Mitgliedsland eingreifen. Die AU verfügt über Organe, u. a. ein afrikanisches Parlament und einen afrikanischen Gerichtshof.21 Zu Ungleichgewichten führt die unterschiedlich intensive Integration innerhalb der Regionen und Staaten. Die meisten regionalen Bündnisse haben einen geringeren Integrationsgrad als die Europäische Union. Allerdings ist die Annä18

E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 375 ff., Rn. 222 ff. E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 375, Rn. 222. 20 Am 9.7.2002 wurde die OAU aufgelöst. 21 www.libyen-news.de/oau_organisation_fuer_afrikanische_einheit.htm; www.africaunion.org. 19

A. Staatsorganisation im Weltkontext

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herung an einen unitarischen Bundesstaat, wie sie die Europäische Union erreicht hat oder die Bildung weiterer solcher Großstaaten für eine weltweite Zusammenarbeit der Regionen nicht erforderlich und nicht um jeden Preis anstrebenswert (dazu 6. Teil, D, S. 842 ff.). Voraussetzung dafür, daß die Regionalisierung ein Modell einer Weltordnung sein kann, ist allerdings, daß sich die verschiedenen Regionen im Rahmen der Vereinten Nationen koordinieren. Daß dies noch nicht funktioniert, zeigt die relative Untätigkeit gegen den Völkermord im Sudan sowohl der Europäischen Union und der Vereinten Nationen als auch der Afrikanischen Union, die ihr Mandat insoweit zwar geltend gemacht, aber nicht erfüllt hat.22 II. Weltstaatsmodelle 1. Völkerstaat, Minimalstaat Ein qualitativer Unterschied zwischen Staatenbund und Bundesstaat ist nicht auszumachen, solange es nur ein Bund zwischen Staaten (Völkerstaat) und nicht zwischen Bürgern ist. Ein Bundesstaat als Völkerstaat23 schafft eine zwangsbewehrte Rechtsordnung zwischen den Staaten und überläßt die Kompetenz der Auslegung und Durchsetzung des Rechts einem Gericht. Kant spricht von einem „Völkerbund als Weltrepublik“24 als einem „allgemeinen Völkerstaat“ mit gemeinsamen öffentlichen Zwangsgesetzen25, d. h. mit Legislative, Exekutive26 und Judikative.27 Nach Johann Baptist Sartorius, der 1837 das Modell eines Völkerstaates entworfen hat28, wird der Völkerstaat nicht wie der Staatenbund von Vertretern der einzelnen Regierungen geleitet, sondern in ihm ist jedes Volk und sind die Völker in ihrer Gesamtheit gemeinsam unmittelbare Quelle der Staatsgewalt. Die Legislative wird dementsprechend von den Völkern in

22

Th. Thilke, Tötet die Sklaven!, DER SPIEGEL 25/2005, S. 128 (130). Zum Entwurf eines Völkerstaats mit Exekutivgewalt auf der Basis kantischer Rechtsphilosophie C. S. Zachariä v. Lingenthal, Carlo Salomo, 1802, insbes. S. 80, 45 ff., 180, 191. 24 Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793/94), hrsg. v. W. Weischedel, 1983, Bd. 7, S. 683 (B 32/A 28, 29). 25 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 169 (A 278, 279) f., S. 171 (A 282, 283); vgl. auch distanzierend ders., Zum ewigen Frieden, S. 209 (BA 31, 32); ders., Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 474 (A 227, 228/B 257, 258) f. 26 H. Steiger, Frieden durch Institution, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 140 (146). 27 Vgl. O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: D. Hüning/B. Tuschling/O. Asbach (Hrsg.), Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant, 1998, S. 233 (238). 28 J. B. Sartorius, Organon des vollkommenen Friedens, 1837, insbes. S. 229 ff. mit Entwicklungstendenz zum Bundesstaat. 23

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

gemeinsamen Wahlen bestimmt.29 Die gemeinschaftliche Rechtsetzung setzt den einzelstaatlichen Handlungsbefugnissen Grenzen. Sartorius stellt fest: „In einem Völkerstaate nämlich sind die Völker und ihre Führer nicht mehr unverantwortlich und unbeengt in ihrer Willkür, sie dürfen und können nicht mehr tun und lassen, was ihnen beliebt, sondern sie haben positive Gesetze und zwingende Autoritäten über sich. Allein der Untergang einer solchen absoluten und wilden Freiheit ist gar nicht zu beklagen, weil sie eine unvernünftige ist, die mit der Bestimmung der Menschheit und mit der Weltordnung sich nicht verträgt, weil sie zusammenfällt mit Gesetz- und Rechtlosigkeit und Gewaltherrschaft.“30

Die Gewalt des Völkerstaats geht von der Gemeinschaft der Einzelstaaten aus, die Otfried Höffe als „Staatsvolk“ verstehen will31, wohl in dem Sinne, daß „viele Völker in einem Staat nur ein Volk ausmachen“.32 Treffender ist der Begriff „Völkercivitas“. Dem Typus Völkerstaat entspricht auch der Bundesstaat, wenn er auf einem Vertrag zwischen den verbundenen Staaten (einem echten Bund) beruht.33 Er ist von dem Bundesstaat, der auf einer bürgerlichen Verfassung (contrat social) gründet, zu unterscheiden.34 Ausgehend von dieser Begrifflichkeit hat Hans Kelsen zu Recht festgestellt, daß sich Staatenbund und Bundesstaat voneinander nur durch den Grad der Zentralisation und Dezentralisation unterscheiden.35 In dem Sinne ist die Europäische Union, die überwiegend als „Staatenverbund“ qualifiziert wird36, ein bundesstaatlicher Völkerstaat oder ein Völkerstaat mit Bundesstaatscharakter.37 In völkerrechtlichen Staatenverbindungen kommt neben dem Bundesvertrag allgemeines Völkerrecht zur Anwendung.38 In einem 29

J. B. Sartorius, Organon des vollkommenen Friedens, S. 249 f. J. B. Sartorius, Organon des vollkommenen Friedens, S. 246. 31 O. Höffe, Eine Weltrepublik als Minimalstaat, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 154 (214). 32 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 209 (BA 31, 32); J. B. Sartorius, Organon des vollkommenen Friedens, S. 272. 33 Siehe C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, 1993, S. 363 ff., 389 f.; dazu eingehend K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: Fs. W. Nölling, 2003, S. 279 ff.; von der h. M. wird dieser allerdings G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1914, S. 777 ff., folgend, den Staatenbünden zugerechnet. Vgl. auch K. Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 644 ff. 34 Dazu K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 279 ff. 35 H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 194. 36 BVerfGE 89, 155 (156); P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 893 ff.; H. Schneider, EU als Staatenverbund oder als multinationale „Civitas Europea“, in: Gs E. Grabitz, 1995, S. 677 ff.; zur Charakterisierung des Staatenverbunds U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, S. 140 f. 37 Dazu K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 297 ff. 38 A. Verdross/B. Simma, Völkerrecht, 1984, S. 595. 30

A. Staatsorganisation im Weltkontext

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Weltbundesstaat als Völkerstaat ordnen sich mehrere Gliedstaaten in einen Bund oder eine Union. Sie verlieren damit nicht notwendig ihre Völkerrechtssubjektivität39 und ihre Qualität als Staaten im völkerrechtlichen Sinne40. Dies müßte der explizite Wille der Völker sein.41 Entgegen der überwiegenden Meinung, die annimmt, ein Bundesstaat sei im Unterschied zum Staatenbund unauflöslich42, ist es nicht zwingendes Charakteristikum des Bundesstaates, daß die Gliedstaaten aus dem Bund nicht mehr austreten dürfen.43 Würde ein Austrittsrecht versagt, würden die Gliedstaaten ihre Staatlichkeit mit dem Eintritt in den Bund gänzlich aufgegeben. Das ist jedoch nicht der Fall, weil sie über eigene Verfassungshoheit und existentielle Staatlichkeit verfügen.44 Die Landesverfassung ist nicht Ausdruck vom Bund abgeleiteter Staatlichkeit, sondern vom Bund anerkannter Staatlichkeit.45 Höffe und andere befürworten eine subsidiäre föderale Weltrepublik mit begrenztem Aufgabenfeld46, welche das System kooperierender Einzelstaaten um das Modell Weltrepublik komplementär ergänzt.47 Nach Höffes Konzeption besteht die Weltordnung (1) aus Einzelstaaten, (2) aus diversen Internationalen Organisationen, die sich verschiedenen Sachgebieten widmen. (3) Alles verbindet eine Weltrepublik, die als Weltstaatenbund (Konföderation) beginnen mag und sich erst später zu einem Weltbundesstaat (Föderation) entfaltet.48 Eine wichtige Rolle wird der Europäischen Union zugedacht, die sich zum Bundesstaat entwickelt.49 39 Vgl. dazu V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 67, Rn. 21, der allerdings einen partiellen Verlust annimmt; vgl. auch Art. 32 Abs. 3 GG. 40 E. Sˇarc ˇ evic´, Das Bundesstaatsprinzip, 2000, S. 112. 41 Vgl. K. A. Schachtschneider, in: W. Hankel/W. Nölling/ders./J. Starbatty, Die Euro-Illusion, 2001, S. 40 ff. 42 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1914, S. 762 ff., 767, 769 ff. 43 C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, 1993, S. 374 f.; K. A. Schachtschneider, Deutschland nach den Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 288 f. 44 Vgl. dazu O. Kimminich, Der Bundesstaat, HStR, Bd. I, 1987, § 26, Rn. 11 ff.; E. Sˇarcˇ evic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 111 ff., 237 ff.; auch BVerfGE 36, 342 (360 f.). 45 BVerfGE 1, 14 (34); 6, 309 (346 f.); 34, 9 (19 f.); 60, 175 (209); 61, 149 (206 f.); 81, 310 (331). 46 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 209; ders., Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 292 ff., 296 ff.; ders., Globalität statt Globalismus, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman, Weltstaat oder Staatenwelt?, 2002, S. 8 ff.; zurückhaltend H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 350 ff.; kritisch ders., Brauchen wir eine Weltrepublik?, Der Staat, 2003, 249 ff. 47 Dazu O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 296 ff.; ders., Wirtschaftsbürger, Staatsbürger, Weltbürger, 2004, S. 163 ff.; A. J. Merkl, Völkerbund und Weltstaat, S. 599 ff. 48 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 293; vgl. auch A. J. Merkl, Völkerbund und Weltstaat, S. 599 ff. 49 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 307.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

Als kleinere Option des Völkerstaates nennt Otfried Höffe den „Minimalstaat“ mit den Funktionen eines liberalen Nachtwächterstaates.50 Nur für die Bewältigung zwischenstaatlicher Konflikte51 besitzt dieser die oberste Gewalt, eben nur in einem minimalen Bereich.52 Seine Kompetenzen müssen so genau bestimmt sein, daß der Gefahr institutioneller Kompetenzausweitung53 zu Lasten der Aufgaben der Einzelstaaten begegnet wird.54 In dem Sinn will etwa Thomas Carson den Weltstaat auf die Aufgabe der Monopolisierung militärischer Gewalt beschränken.55 Für einen Völkerminimalstaat trifft die Annahme, daß mehrere Völker in einem Völkerstaat in einem einzigen Volk aufgehen56, nicht zu, weil er nur über sehr begrenzte Aufgaben verfügt und die einzelstaatliche Selbständigkeit und die Rechtsgemeinschaft in den meisten Bereichen erhalten bleiben.57 Zumindest ein Weltminimalstaat wird häufig für praktisch vernünftig gehalten.58 Verwirrung stiftet allerdings der unterschiedliche Gebrauch der Begriffe. Höffe bezeichnet bereits die inter- und supranationale Staatsordnung, namentlich die Vereinten Nationen, als „Völkerstaat“ oder „Minimalstaat“. Mit „Völkern“ sind nicht ethnische Gruppen, sondern die Bürgerschaften der Einzelstaaten gemeint.59 Höffes Staatsbegriff geht also über den völkerrechtlichen Staatsbegriff insoweit hinaus, als er ihn nicht auf den allzuständigen souveränen Staat mit Kompetenz-Kompetenz beschränkt, der das Bild des Nationalstaats prägt.60 Friedrich August Hayek fordert einen ultraliberalen „Laisser-faire“ Weltstaat, eine „internationale Regierung“ in der Form einer Föderation, die den Prinzipien des Rechtsstaates verpflichtet ist und in ihrem Kompetenzbereich über Zwangsgewalt verfügt.61 Die Schaffung einer internationalen Zwangsgewalt 50

O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 209. G. Clark/L. B. Sohn, Frieden durch ein neues Weltrecht, 1961 (World Peace through World Law, 1958), S. 16, 17. 52 O. Höffe, Völkerbund oder Weltrepublik?, in: ders. (Hrsg.), Zum ewigen Frieden, 1995, S. 116 (169); vgl. auch V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 74 ff. 53 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 215. 54 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 75. 55 Th. Carson, Perpetual Peace, Social Theory and Practice 14 (1988), S. 173. 56 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 209 (BA 31, 32). 57 So auch O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: D. Hüning u. a. (Hrsg.), S. 240. 58 O. Höffe, Eine Weltrepublik als Minimalstaat, 1996, S. 154 ff.; A. Pizani, Demokratisierung als Aufgabe. Lässt sich Globalisierung demokratisch gestalten?, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33–34/2000, S. 37. 59 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 209; ders., Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: D. Hüning u. a. (Hrsg.), S. 235. 60 Vgl. kritisch J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, in: ders. (Hrsg.), Der gespaltene Westen, 2004, S. 113 (132 f.). 61 F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, 1945, S. 286 f. 51

A. Staatsorganisation im Weltkontext

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sieht er nur dann als problematisch an, wenn sie mit nahezu unbegrenzten Befugnissen ausgestattet ist, nicht aber wenn die Zuständigkeiten unter dem föderativen System auf verschiedene Instanzen aufgeteilt und soweit als möglich dezentral verwaltet werden.62 „Eine internationale Instanz, die die Macht des Staates über das Individuum wirksam beschränkt, wird eine der besten Garantien für den Frieden sein. Die internationale Herrschaft des Rechts muß nicht nur das Individuum gegenüber der Tyrannei des Staates beschützen, sondern auch die nationalen Gemeinschaften gegenüber der Tyrannei des Superstaates. Weder ein allmächtiger Superstaat noch eine lose Vereinigung von „freien Nationen“ muß unser Ziel sein, sondern eine Gemeinschaft von Nationen freier Menschen.“63

Je mehr Staaten miteinander verbunden werden und je unterschiedlicher ihre Kulturen sind, desto loser muß die Vereinigung sein und desto begrenzter müssen ihre Aufgaben sein. Regionale Föderationen können enger sein.64 Georg Geismann denkt an eine Weltrechtsgemeinschaft, in welcher es eine Vielfalt sich selbst verwaltender, gleichsam „autonomer Regionen“ geben solle.65 Das Maß an Selbstverwaltung der freien Völker dürfte so hoch sein, daß sich die Weltrepublik auf unabdingbare globale Schutzfunktionen („Nachtwächterfunktion“) beschränken könnte und im übrigen die Aufgabe hätte, die rechtliche Freiheit der Völker gegeneinander zu garantieren.66 2. Bürgerlich verfaßter Weltbundesstaat, Sozialstaat Otfried Höffe stellt den demokratischen, föderalen, sozialen Verfassungsstaat als gegenüber dem Völkerstaat/Minimalstaat weiter entwickelte und die völkerrechtlichen Institutionen und das völkerrechtliche Paradigma endgültig verlassende Form vor.67 Ziel des Weltbundesstaates als Menschheitsstaat ist die vollständige Rechtsverwirklichung in allen Lebensbereichen, auch auf der weltbürgerlichen Ebene. Ebenfalls für das in der UN-Charta genannte Ziel der Förderung 62

F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, S. 288 f. F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, S. 291. 64 Vgl. F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, S. 292 f. 65 G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 383. 66 G. Geismann, Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, ZfphilF 37 (1983), S. 383. 67 In diesem Sinne C. K. Streit, Union Now, 1939; R. Wilbrandt, Aufbruch zum Weltbundesstaat, 1946, S. 30 ff.; K. Nielsen, World Government, Security, and Global Justice, in: S. Luper-Foy (ed.), Problems of International Justice, 1988, S. 263 ff.; Verfassungsentwurf der World Constitution and Parliament Association (WCPA), dt.: Eine Verfassung für die Weltföderation, Aschau 1990; vgl. dazu auch M. Brauer, Weltföderation, S. 164 ff.; K. Baltz, Eine Welt, 1998, S. 86 ff.; O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, in: Bayerischer Landtag (Hrsg.), Akademiegespräche, 2000, S. 11 (15 ff.); ders., Eine föderale Weltrepublik?, 2000; vgl. auch A. J. Merkl, Völkerbund und Weltstaat, S. 599 ff. 63

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des sozialen Fortschritts und besserer Lebensbedingungen stünden ihm entsprechende Kompetenzen und Durchsetzungsbefugnisse zur Verfügung. Die Weite des Aufgabenbereichs würde aus demokratischen Gründen einen Staat im existentiellen Sinn, also eine verfaßte Bürgerschaft, unentbehrlich machen.68 Für einen Weltbundesstaat im existentiellen Sinn ist ein „doppelter Weltgesellschaftsvertrag“ nötig.69 Einerseits übertragen die Völker der Einzelstaaten völkervertraglich Aufgaben und Befugnisse an den Weltstaat. In jedem Fall müssen die betroffenen Völker dem zustimmen.70 Andererseits geben sich alle Weltbürger unabhängig von ihrer bisherigen staatsbürgerlichen Verfaßtheit eine gemeinsame Bundesverfassung. Die Bürger der Gliedstaaten bilden im bürgerlich verfaßten (existentiellen) Bundesstaat ein gemeinsames Bundesvolk unter einer Verfassung und üben die demokratische Kontrolle über die Organe des Bundes aus. Es handelt sich um eine gestufte Bürgerschaft.71 Der Mensch bleibt Bürger seines Staates und innerhalb desselben gegebenenfalls einer Gemeinde, eines Landes, einer regionalen Gemeinschaft wie der Europäischen Union (Unionsbürger) und wird außerdem Weltbürger.72 Bürgerrechte und -pflichten ergeben sich aus Aufgaben und Befugnissen der jeweiligen politischen Einheit und sind durch diese begrenzt. Im 19. Jahrhundert hat Julius Fröbel einen Weltbundesstaat als „demokratisch gegliederte Bundesgenossenschaft aller Menschen, der allgemeinen Selbstregierung des Menschengeschlechts, das sich seiner als autonomischer Bewohner, Besitzer und Bewirtschafter des Planeten bewußt ist“, erdacht.73 Kriege sollen darin nur als „Revolution“, also in Gestalt von Freiheitsbewegungen, zulässig sein. Auch gegenseitige Interventionen zu diesem Zweck sollen rechtmäßig sein, aber unter der Überwachung eines Völkergerichtshofs stehen.74 Typisch für einen Bundesstaat ist ein Zweikammersystem aus einem Parlament als Bürgervertretung und einer Länderkammer mit Vertretern der Gliedstaaten, die gemeinsam nach den verfassungsrechtlichen Bestimmungen die Legislative stellen.75 Entscheidungen fallen meist nach der Mehrheitsregel. Das 68 Vgl. K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 297 ff. 69 Vgl. dazu O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 308 ff. 70 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, in: W. Blomeyer/K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 75 (115 f.); a. A. Rousseau, Urteil über den ewigen Frieden (1756/1782), in: K. v. Raumer (Hrsg.), Ewiger Friede, 1953, S. 369 (374 ff.), der nur einen gewaltsamen Umsturz für vernünftig und realistisch hält. 71 Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 354. 72 Vgl. D. Held, Democracy and the Global Order, 1995, S. 233. 73 J. Fröbel, System der socialen Politik, (1947), 1925, Bd. II, S. 469. 74 J. Fröbel, System der socialen Politik, S. 462 ff. 75 M. Brauer, Weltföderation, S. 15 f.

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Bundesrecht ist für die Bürger unmittelbar anwendbar. Das Verhältnis, insbesondere die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Gliedstaaten ist verfassungsrechtlich festgelegt und erfolgt nach dem Grundsatz der Subsidiarität.76 Sofern eine verfassungsrechtliche Vorschrift fehlt, wird im Verhältnis der Gliedstaaten zueinander das Völkerrecht analog angewendet.77 3. Weltzentralstaat Ein durch die Wolffsche civitas maxima78 inspirierter Weltzentralstaat (aber mit dieser nicht deckungsgleich, weil Christian Wolff keine weltstaatlichen Organe schaffen wollte) setzt voraus, daß die Einzelstaaten auf ihre existentielle Staatlichkeit verzichten und in einem Weltzentralstaat aufgehen.79 Nur die Individuen – nicht auch die Staaten und Völker – sind Glieder des Weltzentralstaates.80 Es gibt nur eine Bürgerschaft, ein Volk, was das Weltbürgerrecht überflüssig macht. Dieses Modell hatte Kant wohl mit der gefürchteten „Universalmonarchie“ im Auge.81 Es fügt sich von vornherein in das vorgestellte Konzept einer mehrgliedrigen Weltverfassung nicht ein. III. Einstweilige Stellungnahme Entscheidend für die Frage der Eignung der Weltordnungsmodelle ist letztlich, welchen Beitrag sie zur Sicherung der Verfassung der Menschheit leisten. 1. Zum völkerrechtlichen Modell Mangels gemeinsamer Organe verbleiben Staatenbund und Internationale Organisationen in der Form der bisherigen staatlichen Ordnung sowie im völkerrechtlichen Vertragsrecht, auf das die Bürger nur mittelbar über die demokratische Kontrolle ihrer Staatsorgane Einfluß nehmen können.82 Karl Albrecht 76

O. Höffe, Eine föderale Weltrepublik?, S. 5 f. V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 67, Rn. 21; vgl. BVerfGE 1, 10 (51); 34, 216 (230 ff.); 36, 1 (24). 78 Ch. Wolff, Jus gentium, 1749, Praefatio; Institutiones iuris naturae et gentium (1754), § 1090. 79 Vgl. F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Teilband, 1970, S. 1198; O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: D. Hüning u. a. (Hrsg.), S. 237. 80 W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, S. 53 ff. 81 O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, S. 237; J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 126; vgl. dazu 3. Teil, B, S. 228 f. 82 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 212. 77

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Schachtschneider nennt den von Kant vorgeschlagenen „Föderalism freier Staaten“, der ein Staatenbund ist, die bestmögliche Lösung des weltbürgerlichen gemeinsamen Lebens.83 Wie er sehen viele in darüber hinausgehenden Ideen von Weltstaatlichkeit eine Gefahr für die Menschheit.84 Soweit minimalistische völkerrechtliche Systeme, namentlich die herkömmliche internationale Zusammenarbeit in Internationalen Organisationen, die Garantie von Demokratie und Menschenrechten nicht vorsehen (z. B. WTO, dazu 6. Teil, C, S. 773 ff.), um auch Nicht-Republiken einzubinden85, sind sie nicht weltrechtlich orientiert und führen keinen Paradigmenwechsel herbei. Die Demokratisierung/Republikanisierung aller Staaten wird häufig als gegenüber einer Weltrepublik milderes Mittel einer Weltordnung ohne Weltstaat86 dargestellt, um den Frieden und den weltweiten Schutz der Menschenrechte zu erreichen.87 Diese These ist von der Annahme Kants, Republiken seien friedfertig, inspiriert und behauptet somit eine Konvergenz von Staatsform oder Innenpolitik und Außenpolitik. Die historische Erfahrung lehrt, daß demokratische Staaten durchaus Kriege führen, allerdings seltener unter ihresgleichen.88 Globale Demokratisierung sichert zwar nicht automatisch den weltweiten Frieden, steigert aber seine Chancen.89 Problematisch bleibt, wie die Demokratisierung der Staatenwelt ohne zumindest funktional weltstaatliche Mittel erreicht werden kann. Allein durch Internationale Organisationen wird noch kein gesicherter universeller Rechtszustand geschaffen. Dies kann nur ein zwangsbewehrtes Recht leisten.90 Ein Staat, welcher die Verfassung der Menschheit negiert, kann in Ermangelung von supranationalen Zwangsbefugnissen nicht gezielt und wirksam zur Einhaltung des Rechts und des Demokratieprinzips gezwungen wer83

K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 642 f. A. Feuerbach, Die Weltherrschaft als Grab der Menschheit, 1833; A. Lasson, Princip und Zukunft des Völkerrechts, 1871, S. 12; W. Schiffer, Die Lehre vom Primat des Völkerrechts, 1937, S. 42, 48, 55 f.; D. Schindler, Die Zukunft des Völkerrechts, in: Recht, Staat, Völkergemeinschaft, 1948, S. 265 f.; J. Rawls, The Law of Peoples, Critical Inquiry 20 (1993), S. 36 (46); K. Graf Ballestrem, Auf dem Weg zur Weltrepublik?, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 513 (517 ff.); A. Randelzhofer, Der normative Gehalt des Friedensbegriffs im Völkerrecht der Gegenwart, in: J. Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979, S. 13 (19); P. Rinderle, Die Idee der wohlgeordneten Staatengemeinschaft, Politische Vierteljahresschrift 35 (1994), S. 658 (669); A. Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 334, Rn. 1050; S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 208 (213 ff.). 85 Vgl. M. Brauer, Weltföderation, S. 17. 86 Dazu O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 282 ff. 87 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 28. 88 O. Höffe, Weltrepublik, S. 217; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 285 ff., 190. 89 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 291. 90 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 75; vgl. auch R. Merkel, „Lauter leidige Tröster“?, in: ders./R. Wittmann (Hrsg.), 1996, S. 309 ff. 84

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den.91 Die Wirklichkeit des Rechts bleibt damit entweder dem guten Willen der Einzelstaaten oder einem zufälligen Machtgleichgewicht und den willkürlichen Interventionen einzelner potenter Staaten überlassen. Dadurch fehlt der Rechtsdurchsetzung die für die Verwirklichung der Rechtsidee erforderliche Unparteilichkeit.92 2. Zu den Weltstaatsmodellen Ein Weltstaat erfaßt den Bürger unmittelbar als Rechtssubjekt und verfügt über Zwangsgewalt. Fraglich ist aber, ob und inwieweit der universelle Freiheits- und Rechtsgedanke durch einen Weltstaat mit Weltgesetzgebung, Weltgerichtsbarkeit, Weltpolizei zu verwirklichen ist. Oder muß ein solches Projekt nicht unweigerlich in einem seelenlosen Despotismus münden93, so daß eine Weltstaatsverfassung dem (universellen) Rechtsgedanken letztlich zuwiderlaufen würde? Ein Weltstaat mag durchaus regierbar94 sein. Geschichtliche Beispiele sind die damals große Teile der Welt erfassenden Reiche Alexanders des Großen, Roms, Karls des Großen95, das Mongolenreich Dschingis Khans, das spanische Kolonialreich und das Britische Empire. Sie sind alle durch Gewalt und Unterwerfung entstanden.96 Alexander eroberte das Perserreich und wollte eine Verschmelzung von Makedoniern und Persern, Griechen und Orientalen, von Okzident und Orient erreichen, indem er beispielsweise persische Einheiten in seine Armee aufnahm oder sich selbst als persischer Großkönig kleidete und gebärdete.97 Aristoteles soll Alexander dem Großen (356–323 v. Chr.) in seinen Ratschlägen die Vision eines Weltstaates, einer Kosmopolis, in der die Menschheit eines Tages mit einer gemeinsamen Verfassung, einer Regierung und ohne Krieg zusammenlebt und in dem sowohl die Gesetzlichkeit als auch das gute Leben verwirklicht würden, vorgestellt haben.98 Auch große Staatengebilde

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D. Archibugi, From The United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 131. O. Höffe, Eine Weltrepublik als Minimalstaat, S. 163. 93 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 225 (B 63, 64/A 62, 63); zu den Einwänden gegen die Weltrepublik O. Höffe, Wirtschaftsbürger, Staatsbürger, Weltbürger, 2004, S. 163 ff. 94 Bedenken haben H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens (De jure belli ac pacis, 1625), 1950, II, 22, § 13; Kant, Zum ewigen Frieden, S. 225 (B 63, 64/ A 62, 63). 95 Als Beispiel einer Universalmonarchie schon bei Rousseau, Urteil über den ewigen Frieden, in: K. v. Raumer (Hrsg.), Ewiger Friede, S. 369 (374 ff.). 96 H.-J. Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens, 1953, S. 11; M. Brauer, Weltföderation, S. 22 f.; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 234, 239; K. Baltz, Eine Welt, S. 37 ff. 97 Dazu K. Baltz, Eine Welt, S. 38 f.; P. Coulmas, Weltbürger, 1998, S. 115. 98 Dazu S. M. Stern, Aristotle and the World State, 1968, übersetzte Textpassage S. 7 f. 92

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(z. B. USA) sind regierbar.99 Erst recht lassen die heutigen technischen Möglichkeiten eine Weltregierung organisierbar erscheinen.100 Aber muß für die Regierbarkeit nicht der Preis der Freiheit gezahlt werden? Es wird befürchtet, daß das Recht vermehrt mit Gewalt durchgesetzt werden müsse, wenn die für die Freiwilligkeit der Rechtsbefolgung erforderliche Solidarität/Homogenität fehle.101 Der Weltstaatsgedanke ist mit der Furcht vor einer Universalmonarchie oder gar Weltdespotie verknüpft.102 So meint etwa Erhard Denninger103: „Zu einem solchen Weltstaatsrecht paßt die Vorstellung von universell inhaltsgleichen, als gleiche erkannten und anerkannten, daher ,objektiv‘ feststell- und judizierbaren Menschenrechten. Grundrechte im heutigen Verständnis oder gar Staatsbürgerrechte kann es dann nicht mehr geben. An die Stelle von ,Außenpolitik‘ tritt ,Weltinnenpolitik‘; Kriege werden nicht mehr ,geführt‘, sondern Welt-Polizeiaktionen werden ,durchgeführt‘. . . . eine unermüdliche, ubiquitäre Weltgesinnungspolizei sorgt für die notwendige ,Prävention‘. . . . Die wesentlichen Gründe, weshalb die Jünger’sche Vision – gottlob! – Spekulation bleiben muß, hat schon Kant mit der ,ungeselligen Geselligkeit des Menschen‘ und mit der Verschiedenheit der Sprachen und der Religionen bezeichnet“.104

Auch Kant hat die Gefahr einer despotischen Universalmonarchie aufgezeigt. Dabei ging er offensichtlich vom Bild einer allzuständigen Weltmonarchie aus.105 Augustinus, der trotz seines Bekenntnisses zur Einheit des Menschengeschlechts106 kleinere Staaten bevorzugte, sagte mit Blick auf das Weltreich Alexanders des Großen: „Was sind Reiche anders als große Räuberbanden, wenn ihnen die Gerechtigkeit fehlt?“107 Nur Weltstaatlichkeit, die der Freiheit der Menschen dient, ist rechtlich geboten. Weltdespotie, Universalmonarchie, Weltdiktatur, aber auch eine Welthegemonie durch einen mächtigen Staat108 scheiden somit als mögliche Modelle aus. 99

O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, S. 17. So schon D. Schindler, Die Zukunft des Völkerrechts, S. 265 f., der aber im übrigen den Weltstaat kritisiert. 101 D. Schindler, Die Zukunft des Völkerrechts, S. 265. 102 Kant, Zum ewigen Frieden, Erster Zusatz, S. 225 (B 63, 64/A 62, 63); ders., Über den Gemeinspruch III, S. 169 (A 278, 279); D. Zolo, Cosmopolis, 1997, S. 166; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, 2006, S. 171. 103 E. Denninger, Menschenrechte, ZRP 200, 195. 104 Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, Vierter Satz (1784) sowie ders., Zum ewigen Frieden (1795), Dritter Definitivartikel, erster Zusatz; vgl. auch E. Denninger, Menschenrechte, ZRP 200, 195. 105 So auch M. Brauer, Weltföderation, S. 73; dazu auch J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 122 ff. 106 Augustinus, De genesi ad litteram, hrsg. v. J. Zycha, VIII, n. 30; ders., De libero arbitro, I, hrsg. v. J.-P. Migne, cap. VI, n. 19. 107 Augustinus, Vom Gottesstaat, IV, 4–6. 108 In diesem Sinne aber vgl. W. B. Kleinhardt, Die Republik Erde, 1992, S. 17 ff. 100

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Ein Weltzentralstaat mit umfassender Hoheitsgewalt kann, auch wenn er formell republikanisch und demokratisch konzipiert ist, keine gelebte Republik/ Demokratie sein und ist unvermeidlich despotisch.109 Das Ziel des umfassenden Weltfriedens ist ohne Freiheit nicht denkbar. Es wird befürchtet, daß eine Weltregierung einer hinreichenden Kontrolle und eines Kräftegleichgewichts entbehren würde.110 Allerdings ist zu bedenken, daß auch der souveräne Staat in seinen inneren Angelegenheiten grundsätzlich keiner Kontrolle von außen unterliegt und es zunächst als Sache der Bürger und einer wachen Öffentlichkeit angesehen wird, gegen ihre despotischen Regierungen Widerstand zu leisten. Der Mißbrauchseinwand ist ein Einwand gegen den Zentralstaat, der dies ermöglicht. Der Weltzentralstaat widerspricht dem Prinzip der praktischen Vernunft, weil das Element vertikaler Gewaltenteilung fehlt.111 Er erfordert aufgrund der Größe seines Territoriums, seiner Bevölkerung und des Aufgabenpensums notgedrungen ein hohes Maß an zentraler Bürokratie, die aufgrund der Gegensätzlichkeit der Ethnien, Bedürfnisse und Problemstellungen in der Welt sowie mangels Sachnähe nie zu praktisch vernünftigen Lösungen kommen kann.112 Der für die Republik unverzichtbare öffentliche Diskurs113 ist auf Weltebene über alle politischen Fragen, die sich irgendwo in der Welt stellen, weder sinnvoll noch durchführbar. Aufgrund der Heterogenität der Problemstellungen und der daraus resultierenden Unübersichtlichkeit wäre eine allgemeine Willensbildung faktisch unmöglich.114 Ein Weltzentralstaat höbe außerdem das Menschenrecht und die Möglichkeit zu passivem Widerstand auf, aus einem Einzelstaat auszuwandern.115 Selbst die tatsächliche Fluchtmöglichkeit, wo dieses Recht nicht gewährt wird, würde genommen.116 Weil das Menschenrecht auf Auswanderung117 die Existenz von Einzelstaaten voraussetzt, würde es hinfällig, wenn diese in einer weltstaatlichen Ordnung nicht mehr existieren.118 Sein Wesensgehalt, eine Gemeinschaft 109 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die Würde des Menschen, in: Mut zur Ethik, 1997, S. 277 (286). 110 M. Hättich, Politische Aspekte globaler Geltungen, in: W. Lütterfelds/Th. Mohrs (Hrsg.), Eine Welt – Eine Moral?, 1997, S. 174. 111 Dazu K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, 2006, S. 167 ff. 112 Vgl. auch R. J. Glossop, World Federation?, 1993, S. 111. 113 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 584 ff. 114 Vor der Diktatur des Weltstaates warnt auch O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 1997, S. 311; vgl. auch O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, S. 18. 115 So auch K. Graf Ballestrem, Auf dem Weg zu einer Weltrepublik?, S. 524. 116 Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 297. 117 Dazu U. Scheuner, Die Auswanderungsfreiheit in der Verfassungsgeschichte und im Verfassungsrecht Deutschlands, in: Fs. R. Thoma, 1950, S. 200 ff.; F. A. Prieto Gil, Die Aus- und Einwanderungsfreiheit als Menschenrecht, 1976; R. Möhlenbruch, Freier Zug, ius emigrandi, Auswanderungsfreiheit, 1977. 118 Dazu kritisch Ch. Horn, Philosophische Argumente für einen Weltstaat, AZP, 21 (1996), S. 250 f.

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von Menschen zugunsten einer anderen verlassen zu dürfen, diese Wahlmöglichkeit, die eine gewisse Pluralität der Lebensformen voraussetzt, muß jedenfalls gewährleistet sein.119 Somit scheidet schon deshalb eine civitas maxima120 mit umfassender Zuständigkeit für alle Belange menschlichen Zusammenlebens aus. Bisher hat sich nur der (republikanische) Einzelstaat zum Schutz der Menschen- und Bürgerrechte mehr oder weniger bewährt. Eine Weltrepublik als Völkerstaat oder Menschheitsstaat könnte diese zivilisatorische Errungenschaft aufs Spiel setzen.121 Auch wenn der Weltstaat nicht per se als Universalmonarchie errichtet werden soll, könnte der Versuch, eine Weltrepublik zu schaffen, das Gegenteil des Gewollten und Gesollten bewirken, nämlich eine Welttyrannis.122 Gegen die Föderationsbestrebungen der damaligen dreizehn amerikanischen Kolonien ist der Einwand erhoben worden, daß ein so großes Gebilde nur despotisch regiert werden könne.123 In der gegenwärtigen, faktischen Weltordnung droht diese Gefahr mehr durch eine übermächtige Hegemonialmacht als durch eine Weltrepublik.124 Im übrigen hindert eine subsidiäre Weltrepublik, solange das Menschheitsrecht gewahrt bleibt, nicht die Verwirklichung und Durchsetzung der Menschenrechte durch die Einzelstaaten.125 Die Weltordnung sollte freiheitlich und nicht als zentrale „Herrschaft“ über alle Menschen der Welt verstanden werden.126 Keinesfalls darf sie durch einen oder einige Staaten kriegerisch erzwungen127 oder durch eine Imperialmacht beherrscht werden.128 Allenfalls ein Konsens der betroffenen Völker und Bürger 119 Vgl. den Verfassungsentwurf der World Constitution and Parliament Association. (WCPA), Eine Verfassung für die Weltföderation, der die Auswanderungsfreiheit auf ungeeignete Weise dadurch gewährleisten will, daß eine unbewaffnete, von der Weltrepublik nicht kontrollierte Region von höchstens 5% zur Verfügung steht. 120 Vgl. Ch. Wolff, Institutiones iuris naturae et gentium, 1754, § 1090: „civitas quoque maxima leges habere debet“. 121 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 28. 122 Dazu Kant, Zum ewigen Frieden, Erster Zusatz, S. 225; ders., Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 474 (A 227, 228/B 257, 258); ders., Über den Gemeinspruch, S. 168 (A 277); R. J. Glossop, World Federation?, S. 108 ff.; D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 133; vgl. auch E. Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, 1969, S. 42 ff. 123 Vgl. M. Brauer, Weltföderation, S. 50. 124 Ch. Horn, Philosophische Argumente für einen Weltstaat, AZP, 21 (1996), S. 246 ff. 125 O. Höffe, Wirtschaftsbürger, Staatsbürger, Weltbürger, S. 169. 126 O. Höffe, Wirtschaftsbürger, Staatsbürger, Weltbürger, S. 168; so aber die Begriffsbestimmung von K. Graf Ballestrem, Auf dem Weg zur Weltrepublik?, S. 515; vgl. auch in diesem Sinne W. B. Kleinhardt, Die Republik Erde, S. 17 ff. 127 In diesem Sinn aber Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 369; dazu D. Losurdo, Fichte, die französische Revolution und das Ideal vom ewigen Frieden, in: M. Buhr/ders. (Hrsg.), 1991, S. 74 (80 ff.).

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kann eine Weltrepublik rechtlich begründen.129 Der tatsächlichen Existenz der Nationalstaaten als bereits verfaßten Rechtsgemeinschaften von Menschen130 sowie den Rechten der Menschen auf kulturelle Identität131 ist ebenso Rechnung zu tragen wie dem Weltrechtsprinzip, dem Sachverhalt der Globalisierung und der Tendenz zu weltweiter Institutionalisierung und Verrechtlichung. Während die egalitäre Gerechtigkeit auf Entgrenzung ausgerichtet ist, die nationalstaatlichen Grenzen aufheben und eine menschenrechtlich verfaßte Weltordnung schaffen möchte, verlangt andererseits die politische Selbstbestimmung nach eben diesen Grenzen.132 In diesem Sinn ist ein „Menschenrecht auf Grenzen“ zu sehen, das wegen des Rechtsprinzips nicht als „Menschenrecht auf Feinde“ mißverstanden werden darf. Wolfgang Kersting meint: „Es gibt eine Menschenrecht auf Grenzen, und der Staat ist Antwort auf dieses Menschenrecht auf Grenzen, auf Grenzen, die die Menschen voreinander schützen und ihnen die Möglichkeit geben, ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Sicherheit zu führen.“

Der Mensch habe in diesem Sinn auch ein Bedürfnis nach politischen Grenzen.133 Die Globalisierung fordert nicht zwingend das Ende der Nationalstaatlichkeit134, die sich als Stufe der Rechtsentwicklung besonders in Osteuropa gerade erst entfaltet. Die in den Nationalstaaten zusammengefaßten Menschen bil-

128 Nietzsche, der fürchtete, daß die – für ihn unausweichlich kommende – „Weltregierung in die Hände der Mittelmäßigen fällt“ forderte eine „Herrenrasse“ heraufzuzüchten, „die zukünftigen Herren der Erde“. Nietzsche, Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe, 1980, Bd. 1–15, Bd. 11, S. 72, 150, 580, Bd. 12. S. 87. 129 D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 232. 130 H. Mosler, The International Society as a Legal Community, 1980, S. 12, hält die Staaten für die effektivsten Organisationen menschlichen Zusammenlebens, um Recht, Ordnung und Wohlfahrt sicherzustellen; s. a. S. 15. 131 Vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV, der die Europäische Union verpflichtet, die „nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten“ zu achten, wozu neben der politischen auch die kulturelle Identität gehört. Dazu A. Bleckmann, Europarecht, 1997, S. 42 ff.; A. EmmerichFritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EGRechtsetzung, 2000, S. 283; Ch. Horn, Philosophische Argumente für einen Weltstaat, AZP 21 (1996), S. 241 ff. 132 W. Kersting, Probleme der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 9 (59). 133 W. Kersting, Einleitung, Politische Philosophie, S. 62; zur soziologischen und psychologischen Funktion von Grenzen L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, Zeitschrift für internationale Beziehungen, 1995/2, 262, 270. 134 O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, S. 19; W. Kersting, Philosophische Friedenstheorie und internationale Friedensordnung, in: Ch. Chwaszcza/ders. (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 523 (552 ff.); in dem Sinn aber E. E. Harris, Global Governance or World Government?, S. 75: „Since national sovereign governments can no longer serve to achieve the common good of their people (which requires the solution of global problems), the justification for their sovereign power has been removed and they have in fact become obsolete.“

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den oft aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte, Sprache, Religion, Kultur usw. eher eine homogene Gemeinschaft, als dies die Menschheit in ihrer Gesamtheit darstellen kann. Aus der Sicht des Kommunitarismus sind Gemeinschaften immer partikularistisch.135 Darüber hinaus verlangt aber die Globalisierung der Lebensverhältnisse nach einer weltrechtlichen Öffnung des Nationalstaats sowie nach regionalen und globalen Lösungen jenseits des Nationalstaats.136 Es ist zu prüfen, inwieweit ein Weltbundesstaat praktisch vernünftig, d. h. für die Verwirklichung des Rechtsprinzips notwendig ist; denn die Ausweitung von nicht erforderlicher Staatlichkeit widerspricht der praktischen Vernunft.137 Jedenfalls der soziale Bundesstaat zielt wegen des Prinzips der Gleichheit auf eine gewisse Homogenität der Lebensverhältnisse ab (vgl. Art. 72 Abs. 2, Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG).138 Tatsächlich besteht die Gefahr, daß der Bund immer mehr Aufgaben von den Teilstaaten abzieht. Die Maxime „einheitlicher Lebensverhältnisse“139, die insbesondere im kooperativen Föderalismus, der dem Verbundprinzip folgt140, gilt, tendiert zum Einheitsstaat.141 Das zeigt das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland. Die globale Nivellierung menschlicher Lebensmöglichkeiten würde dem natürlichen Bedürfnis der Menschen nach Identität und Differenzierung widersprechen.142 Kant hat im siebten Satz der ,Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht‘ zu bedenken gegeben, daß ein Weltstaat, der eine globale Rechtsordnung mit einheitlichen Lebensverhältnissen schafft, den Wettstreit unter den Menschen so stark beeinträchtigen würde, daß die Kreativitätskräfte der Menschen einzuschlafen drohen.143 Hiergegen bleibt die Wahrung und Stärkung regionaler, nationaler und lokaler Einheiten unverzichtbar, die ihre geographische, kulturelle oder wirtschaftliche Verbundenheit auch gegebenenfalls transnational verwirklichen können, damit der soziale und kulturelle Reichtum der Welt gewahrt und die daran gebundene Identität der einzelnen Menschen gesichert bleiben. 135 L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, Zeitschrift für internationale Beziehungen, 1995/2, 276. 136 Vgl. auch H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 331 (348); s. a. 3. Teil, B, S. 299 ff. 137 Vgl. i. Erg. ähnlich O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 213. 138 Dazu E. Sˇarc ˇ evic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 237 ff.; K. A. Schachtschneider, Flächentarife und die Soziale Frage, in: Gs W. Blomeyer, S. 251 ff. 139 Dazu K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, 1962, S. 16 ff.; E. Sˇarc ˇ evic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 23 f.; K. A. Schachtschneider, Flächentarife und die Soziale Frage, in: Gs W. Blomeyer, S. 251 ff. 140 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 305. 141 Dazu K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 5 ff.; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 136 ff.; E. Sˇarcˇ evic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 23 f. 142 Dazu O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 297 ff. 143 Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 44 (A 402, 403); vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 318.

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Die Maxime einheitlicher oder gleichheitlicher Lebensverhältnisse ist daher kein geeignetes Prinzip einer freiheitlichen Weltrechtsordnung. Die weltrechtlich geforderte Homogenität in der Anerkennung der Menschheitsverfassung (4. Teil), verlangt nur eine universelle Verbindlichkeit fundamentaler Prinzipien (z. B. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde), nicht aber Uniformität der Lebensverhältnisse.144 Höffe lehnt mit Recht einen globalen sozialen Bundesstaat ab, weil dieser über das vom Weltrechtsprinzip geforderte Maß an Staatlichkeit hinausgeht. Das die Selbstbestimmung fördernde Subsidiaritätsprinzip verlangt lediglich für den von den nationalen Rechtsordnungen nicht bewältigten Rest an Rechtlosigkeit nach globaler Ordnung.145 Dafür genügt es unter dem sozialen Aspekt, die Mindestbedingungen gegenseitiger menschlicher Achtung zu sichern. Hierfür bedarf es keiner tendenziell diktatorischen Umverteilungsbürokratie146, sondern in erster Linie einer Weltwirtschaftsverfassung, die von der Menschenwürde unabdingbar geforderte Standards einbezieht und verwirklicht. Die Pluralität der Lebensverhältnisse und deren eigenständige politische Organisation werden dadurch nicht verhindert. IV. Weltverfassungskonzeptionen, die staatsrechtliche Kategorien vermeiden 1. „Globaler Konstitutionalismus“ Der globale Konstitutionalismus versucht ohne die herkömmlichen staatsund völkerrechtlichen Ordnungskategorien auszukommen. Aus seiner Sicht strukturiert sich die Welt entlang verschiedener Schichten der Normenbildung, die ein Gefüge verschiedener Autoritäten ergeben, was an die im 3. Teil, B, S. 299 ff. erörterte mehrgliedrige Weltverfassung anknüpft. Das Projekt eines globalen Konstitutionalismus will sich weder mit den Etiketten eines Staatenoder Völkerbunds noch mit denen eines Weltstaats versehen lassen.147 Damit 144

BVerfGE 90, 60 (84 f.); BayVGH, Beschluß v. 26.9.2002, GewArch 2003, 210. O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 212; ders., A. Pizani, Demokratisierung als Aufgabe, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33–34/2000, 37; I. Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constitutionalism, in: Fs. C. Tomuschat, 2006, S. 973 (994). 146 Vgl. A. Pizani, Demokratisierung als Aufgabe, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33–34/2000, 37; vgl. auch M. Brauer, Weltföderation, S. 206 f. 147 A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 172 ff.; C. Tomuschat, International Law as the Constitution of Mankind, in: United Nations (ed.), International Law on the Eve of the Twenty-first Century, 1997, p. 37 ff.; A. Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 535 ff.; I. Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constitution, in: Fs. C. Tomuschat, 2006, S. 973 ff.; vgl. auch J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, in: ders. (Hrsg.), Der gespaltene Westen, 2004, S. 113 (134, 159). 145

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versucht es dem angesprochenen Weltordnungsdilemma zu entgehen, muß sich aber entgegenhalten lassen, daß es der Einordnungsfrage ausweicht, indem es sich auf eine andere Begriffskategorie, nämlich die der Verfassung, konzentriert. Letztlich baut der globale Konstitutionalismus überwiegend auf den völkerrechtlichen Strukturen und Instrumenten auf, versucht diese aber soweit als möglich den Eigenschaften von Verfassungsrecht anzunähern, also Völkerrecht zu „konstitutionalisieren“. Als Weltrechtsquelle und Weltverfassung geeignet hält Allan Rosas das Konzept allgemeiner Rechtsgrundsätze, wie es in der UNCharta und seiner Meinung nach auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte „autoritativen Ausdruck“ gefunden hat.148 Eine Weltlegislative, welche sich aus einer Weltbürgerschaft legitimiert, führt er also nicht ein. Was die institutionelle Entwicklung angeht, will er an dem System der Vereinten Nationen und seinen Organen anknüpfen.149 Der universalen Ebene soll die Kompetenz zufallen, Minimalregeln für die Staatlichkeit festzulegen, die über die Drei-Elemente-Lehre (1. Teil, A, S. 59 ff.) hinaus, eine „pluralistische Demokratie“ fordert.150 Damit strebt er entgegen dem bisherigen völkerrechtlichen Nichteinmischungs- und Neutralitätsprinzip (dazu 2. Teil, B, S. 143 ff.; C, S. 168 ff.) die Demokratisierung der bestehenden Staaten, aber nicht deren Auflösung an. Einen politischen Weltbürgerstatus sieht er nicht vor.151 Weiteres Ziel ist die Verbindlichkeit der Menschenrechte, die er als Weltrecht erkennt, durch eine Verstärkung der vorhandenen Verfahren zu effektivieren. Echter globaler Menschenrechtsschutz wird sich allerdings kaum durch die bestehenden Berichtsverfahren (dazu 6. Teil, F, S. 935 ff.), sondern nur durch einen Menschengerichtshof bewerkstelligen lassen. 2. „Kosmopolitische Demokratie“ Auch die Befürworter einer „kosmopolitischen Demokratie“ wollen sich bewußt nicht einem bestimmten völkerrechtlichen oder staatlichen Ordnungsmodell zuweisen lassen, sondern verbinden Elemente der Staatlichkeit und der völkerrechtlichen Kooperation mit der Aufwertung des Weltbürgers. Im Mittelpunkt steht die Effektivierung von Demokratie in allen Gliedern der Weltverfassung. „Cosmopolitan democratic law“ unterscheidet sich nach David Held in Anlehnung an Kants Weltbürgerrecht sowohl vom staatlichen als auch 148

A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, S. 175 f. A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, S. 173. 150 A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, S. 174; zur Demokratietheorie des Pluralismus allgemein M. G. Schmidt, Demokratietheorien, 2000, S. 226 ff. 151 So auch C. Tomuschat, International Law as the Constitution of Mankind, in: United Nations (ed.), International Law on the Eve of the Twenty-first Century, 1997, p. 37 (38); anders J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 134, 159, welcher die Bürger als pouvoir constituant einbezieht. 149

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vom internationalen Recht152, weist aber über Kants Ansätze hinaus. Er liefert ein Konzept für die weltbürgerliche Verfassung, die zu entwickeln, das Weltbürgerrecht gebietet. David Held fordert eine staatliche Struktur „guter Nachbarschaftlichkeit“, in der die „rechtmäßigen Grenzen der eigenen Autonomie“ und die gleichen Rechte anderer anerkannt werden.153 Das Weltbürgerrecht baut er zu einem politischen Weltbürgerstatus aus. In einer in enger Beziehung stehenden Welt müssen nicht nur die in nächster Gemeinschaft lebenden Menschen einbezogen werden, sondern „all jene, deren Schicksale durch die Vernetzung ökonomischer, politischer und umweltbedingter Interaktionen, verkettet sind.“154 Universelle Hospitalität als kosmopolitisches demokratisches öffentliches Recht werde nicht erreicht, solange – aus ökonomischen, kulturellen oder andern Gründen – die Qualität des Lebens anderer in näher und ferner gelegenen Ländern ohne deren Zustimmung bestimmt werde.155 Nach Held muß kosmopolitische Demokratie mit einer sich ausweitenden Grundstruktur demokratischer Staaten und Verbände, die durch das demokratische öffentliche Recht festgelegt sind, verbunden sein.156 Er stellt sich die Weltordnung aus „multiple and overlapping networks of power“ mit verschiedenen Aufgaben und Befugnissen auf verschiedenen Ebenen vor157 und geht damit von einer mehrgliedrigen, sich überlappenden Weltverfassung aus. Auf allen Ebenen bestehe die Fähigkeit und Notwendigkeit zur Selbstbestimmung.158 Zusammen sollen sie die Basis für eine demokratische Weltrechtsordnung bilden. David Held und Hauke Brunkhorst vertreten ein Konzept der gestuften Selbstbestimmung und Repräsentation der jeweils Betroffenen. Für die Legitimation und Kontrolle von global bindenden Entscheidungen, welche alle Bürger dieser Welt betreffen, verlangen sie ein Weltparlament und eine Gerichtsbarkeit159, auch im System der Vereinten Nationen.160 Damit würde eine (mini152 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 227; ders., Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 229. 153 D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 230 f. 154 D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 231. 155 D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 231. 156 D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 231 ff. 157 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 267 ff., 271 f.; ders., Democracy and the New International Order, in: D. Archibugi/ders., Cosmopolitan Democracy, 1995, S. 96 (106 ff.). 158 D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 232 ff.; vgl. auch schon O. Czempiel, Soziologische und analytische Aspekte der Weltgesellschaft, Internationale Politik, 1970, S. 98 (99 f.), der von einem Weltsystem ausgeht, „das zusammengesetzt ist aus einer Reihe von Subsystemen, die verschiedene Gruppen von Menschen unter verschiedenen Identitäten und Isomorphien zusammenfassen. 159 H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, in: M. Lutz-Bachmann u. a. (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 251 (268). 160 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 273; dazu kritisch K. D. Wolf, Die Neue Staatsräson, 2000, S. 192 ff.

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male) Weltrepublik im Sinne Höffes oder eine Weltcivitas geschaffen. Hauke Brunkhorst meint allerdings, weil er staatliche Begriffe vermeiden will: „Dies wäre kein Weltstaat, wohl aber ein Moment globaler Staatlichkeit“.161 Hier offenbart sich das in der Begriffszuordnung liegende Problem, die einzelnen Positionen inhaltlich voneinander abzugrenzen. Schrittweise sind im Sinne kosmopolitischer Demokratie insbesondere folgende Ziele zur Verwirklichung einer Weltcivitas anzustreben162: – Zunächst soll das bestehende UN-System ausgenutzt und ausgeweitet werden, indem das Vetorecht im Sicherheitsrat modifiziert wird für eine handlungsfähige, am globalen Wohl orientierte Exekutive. Die Generalversammlung soll verbindliches Recht setzen. – Eine obligatorische Internationale Gerichtsbarkeit soll eingeführt werden, neben dem schon erreichten Strafgerichtshof auch ein Menschengerichtshof, dessen Urteile die Staaten binden. – Regionale Parlamente (z. B. auch in Lateinamerika und Afrika) mit echten Rechtsetzungsbefugnissen, welche die Bürger einer Region demokratisch vertreten, sollen gefördert werden.163 Diese Organe könnten repräsentativ, demokratisch legitimiertes, regionales Recht setzen. Daneben sollte für Einzelfragen (z. B. auch für völkerrechtliche Verträge) die Möglichkeit allgemeiner Referenden bestehen.164 – Außerdem soll ein politischer Status von Weltbürgern geschaffen werden. David Held favorisiert eine von den Bürgern der Staaten gewählte Vertretung der Völker.165 Die Bürger gehören der Weltorganisation nicht nur vermittels ihrer Staaten an, sondern sind über die von ihnen gewählten Repräsentanten in einem Weltparlament vertreten.166 Denkbar sind auch Sachparlamente, die in Fachorganisationen (Welthandels-, Arbeits-, Umweltschutzorganisation) integriert werden. – Die Menschen werden als Bürger der verschiedenen lokalen bis globalen politischen Gemeinschaften angesehen, in denen sie jeweils Möglichkeiten zur demokratischen Mitwirkung haben. 161

H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S. 268. D. Held, Democracy and the New International Order, in: D. Archibugi/D. Held, Cosmopolitan Democracy, 1995, S. 96 (106 ff.); ders., Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 233 ff.; D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 121 ff.; vgl. dazu auch J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, in: ders., Die postnationale Konstellation, 1998, S. 91 (160 ff.). 163 D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 234. 164 D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 234. 165 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 273. 166 N. Vallinoto, A Coalition for a World Parliament, The Federalist Debate, 1/2004, p. 13 ff. 162

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– Auch die demokratischen Nationalstaaten sollten in einem Organ, das seinen Ausgangspunkt in der reformierten Generalversammlung der Vereinten Nationen nehmen könnte, vertreten sein und im Rechtsetzungsprozeß als zweite Kammer fungieren. – Rechtsprinzipien, die in einem freiheitlichen Gemeinwesen unverzichtbar sind, sollten mit Wirkung für die internationale Ordnung und die nationalen Verfassungen festgelegt werden. Sie begrenzen Form und Inhalt individueller und kollektiver Handlungen in den Organisationen und Verbindungen der Staaten, der Wirtschaft und der Zivilgemeinschaft. – Rechtsetzung und -durchsetzung könnte in diesem Rahmen auf verschiedenen Ebenen entwickelt werden. Dazu gehört die wachsende Zuständigkeit der regionalen und internationalen Gerichte, die Handlungen der öffentlichen Organe und der privaten Rechtssubjekte zu überprüfen. Vereinigungen und Individuen sollten auch vor den Weltgerichten klagebefugt sein. – Die Verteidigung der Selbstbestimmung, die Schaffung einer gemeinsamen Struktur für politisches Handeln und die Erhaltung des Demokratieprinzips müßten oberste Priorität haben. – In der Rechtsdurchsetzung soll grundsätzlich die Streitbeilegung Vorrang haben. Ultima ratio sei aber in einer kosmopolitischen Demokratie auch kollektiver Zwang denkbar, wenn das „cosmopolitan democratic law“ (etwa durch Tyrannen) grundlegend bedroht oder verletzt wird. Befürwortet wird eine effektive internationale Streitmacht sowie längerfristig die Verlagerung einer wachsenden Zahl nationalstaatlicher Zwangsbefugnisse auf regionale und internationale Institutionen mit dem Ziel der Entmilitarisierung und der Verhinderung von Kriegen.167 V. Ergebnis Es bestehen allgemein Bedenken, das Modell des europäischen Nationalstaats, selbst in der Form eines Bundesstaates, auf den Weltmaßstab zu übertragen.168 Eine subsidiäre, sachlich beschränkte oder minimale Weltrepublik mit begrenzten, enumerativen Durchsetzungsbefugnissen erscheint allerdings vertretbar. Problematisch ist jedoch, daß die Begriffe „Republik“ und „Staat“ trotz des Zusatzes „minimal“ entgegen Höffes Konzept Assoziationen auslösen, welche auf den im nationalstaatlichen Kontext geformten und erfahrbaren Begriffen vom Staat beruhen. Eine Möglichkeit ist es, den schon im 1. Teil angesproche167

D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 236. Vgl. P. Zumbansen, Spiegelungen von Staat und Gesellschaft, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 13 (75 ff.). 168

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nen Begriff der civitas zu aktivieren, weil dieser keinen Territorialstaat voraussetzt. Fraglich ist auch, ob eine eindeutige Zuweisung zu einer staatsrechtlichen oder völkerrechtlichen Konzeption mit der entsprechenden Terminologie überhaupt sinnvoll ist, wenn es um die Verwirklichung von Weltrecht als Paradigmenwechsel geht und angenommen wird, daß Weltrecht einen Weltstaat nicht notwendig voraussetzt. Der globale Konstitutionalismus knüpft nicht an den Staats-, sondern nur an den Verfassungsbegriff an, dessen Übertragbarkeit auf Systeme jenseits des Staates bereits bejaht worden ist (3. Teil, B, S. 307 ff.). Er konstitutionalisiert das Völkerrecht und die bestehenden internationalen Organisationsformen. Als teilinstitutionalisierte Verfassung dient der Verwirklichung der Menschenrechte etwa die so bezeichnete Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation169 oder die Europäische Menschenrechtskonvention. Für konstitutionell wenig verdichtete, staatenübergreifende Staatensysteme ist die Verfassung insbesondere Prinzipienordnung.170 Sie ermöglicht – wegen der Notwendigkeit wechselseitiger Zuordnung der verschiedenen (oft gegenläufigen) Verfassungsprinzipien durch Abwägung – praktische Konkordanz171 und damit fundamentale Rechtseinheit und materielle Gerechtigkeit172, vermeidet aber eine alles integrierende Weltstaatsverfassung. Inhaltlich zielen die Konzeptionen des globalen Konstitutionalismus und der kosmopolitischen Demokratie auf die Verwirklichung der Elemente und Prinzipien des Weltrechts, wie sie im 3. und 4. Teil vorgestellt worden sind, und sind also mit der hier vorgestellten Weltrechtskonzeption kompatibel. Der globale Konstitutionalismus fügt sich in die Idee und Notwendigkeit einer mehrgliedrigen Weltverfassung ein, die im 3. Teil, B, S. 306 ff. erörtert worden ist, entwickelt die weltbürgerliche Verfassung jedoch nur im völkerrechtlichen Rahmen. Die Lehre der kosmopolitischen Demokratie versucht über den konstitutionellen Ansatz hinaus demokratische Selbstbestimmung nicht nur im staatlichen Bereich der mehrgliedrigen Weltverfassung zu etablieren, sondern auch in den globalen Institutionen, soweit diesen weltrechtsetzende Funktion zugestanden wird. Damit wird der Sache nach eine (beschränkte) Weltbürgercivitas angestrebt. Das ist ein Stück konsequenter, aber auch visionärer als das Ziel des globalen Konstitutionalismus und daher vielleicht unrealistischer. Auf der anderen Seite zeigt die Entwicklung des Europäi169

Siehe unter: http://www.ilo.org. Vgl. M. Kotzur, Wechselwirkungen zwischen Europäischer Verfassungs- und Völkerrechtslehre, in Liber amicorum P. Häberle, 2004, S. 289 (303 f.). 171 Geprägt wurde dieser Begriff von K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 28, 142 f.; s. a. A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 51, 250 ff. 172 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 69 ff.; s. a. P. Zumbansen, Spiegelungen von Staat und Gesellschaft, in: M. Anderheiden/ S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 38. 170

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schen Parlaments, auch wenn sie noch nicht abgeschlossen und verbesserungswürdig ist, daß es auch außerhalb des klassischen Staates Möglichkeiten gibt, demokratische Ansätze zu institutionalisieren. VI. Zur Frage der Institutionalisierung einer Weltpolizei 1. Abwendung der Gefahren einer Weltdespotie durch Funktionenteilung Das Weltrecht kann durch die Staaten, durch Weltorgane oder auch durch private Implementationsverfahren, denen die Betroffenen zugestimmt haben, durchgesetzt werden. Soweit Zwang im Rahmen eines Weltstaats organisiert werden soll, setzt dies die verfassungsgesetzliche Institutionalisierung einer Legislative, Exekutive und Judikative voraus.173 Die Entstehung einer überstaatlichen Gewalt, die über eine eigene, den Staaten übergeordnete Zwangsgewalt verfügt, würde die Gebietshoheit der Staaten aufheben oder relativieren, also die bisherige staatliche Ordnung und den Charakter des Völkerrechts als zwischenstaatliche Ordnung beseitigen.174 Ein Weltstaat, der befugt ist, gegenüber Staaten und eventuell sogar gegenüber Einzelpersonen Zwang auszuüben, der über die suprema potestas verfügt, birgt die potentielle Gefahr einer Weltdespotie.175 Es hängt jedoch von der Verteilung und vom Umfang der Zwangsbefugnisse der Weltorgane ab, ob mit der Institutionalisierung von Zwangsverfahren ein Weltstaat errichtet wird. In dem Maße, in dem sich die internationale Gemeinschaft176 mit gemeinsamen Organen ausstattet, denen sie gewisse, funktional staatliche Befugnisse, einschließlich Kontroll-, Gerichts- und Sanktionsbefugnisse, gegenüber den Einzelstaaten zur Ausübung überträgt, nimmt der (Welt-) staats- und Zwangscharakter der Weltrechtsordnung zu. Diese Tendenz wird erheblich verstärkt, wenn die Beschlüsse in den Organen nicht nur einstimmig gefaßt werden können177, sondern subsidiär zum Konsensprinzip die in staatlichen oder staatsähnlichen Organisationen übliche Mehrheitsregel178 greift. Die 173 Vgl. A. Voßkuhle/G. Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2002, 676. 174 Vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, S. 31 f.; J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“?, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 318 (347). 175 Vgl. dazu M. Brauer, Weltföderation, S. 249 ff. 176 Der Begriff hat sich etabliert. Siehe ICJ, Barcelona Traction, ICJ Rep. 1970, S. 3, para. 33; Präambel des ICC-Statuts (1998), para 4; Art. 42 lit. b ILC Articles on State responsibility (2001), Doc. A/CN.4/L.602, Rev. 1. 177 Siehe zum Konsensprinzip unter 2. Teil, C, S. 160 ff.; 3. Teil, D, S. 431 f. 178 Locke, Über die Regierung, S. 74, vgl. auch S. 76; zum Mehrheitsprinzip und zur Mehrheitsregel im nationalen Recht vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 106 ff., 119 ff., 641 ff., 1182.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

Notwendigkeit, Zwang zur Verwirklichung des Weltrechts einzusetzen, stellt sich um so mehr, als das Recht nicht freiwillig befolgt wird, weil aus der religiösen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Pluralität eine Interessendivergenz erwächst, die keinem Konsens mehr zugänglich ist.179 Mit der geographischen Ausweitung der Staatlichkeit kann die Fähigkeit, Gesetze durchzusetzen, abnehmen.180 Der Zweck, das Recht weltweit zu verwirklichen, würde somit konterkariert, so daß die Legitimationsgrundlage für die Weltrechtsordnung entfiele und der bestehende Rechtsschutz durch die Einzelstaaten gefährdet würde.181 Diese Gefahr besteht grundsätzlich auch für einen Minimalstaat, sobald eine effektive überstaatliche militärische/polizeiliche Zwangsgewalt geschaffen wird182, die von einem einzelnen oder einer Gruppe zu deren Zwecken mißbraucht werden könnte. Um die Gefahr einer Weltdespotie abzuwenden, ist zu verhindern, daß sich die Weltorgane selbst beliebig mit Zwangsbefugnissen ausstatten dürfen. Das Zwangsverfahren durch Weltorgane muß also sowohl durch die legislativen und gerichtlichen Organe auf Weltebene als auch durch die Staaten kontrollierbar sein. Der Grundsatz horizontaler wie vertikaler Funktionenteilung gilt ebenfalls für die Vollzugsgewalt. Neben einer regionalen Funktionenteilung mit verschiedenen geographischen Zuständigkeiten183 ist eine sachliche Zuständigkeitsverteilung nötig. In einer dezentralen Weltrechtsordnung müssen die kleineren politischen Gemeinschaften für ihren Bereich mit Zwangsgewalt ausgestattet sein, um ihre Eigenständigkeit gegenüber der größeren Einheit wahren zu können. Sie sind legitimiert durch die jeweils örtlich oder sachlich zuständige civitas und Legislative. Dezentrale Rechtsdurchsetzung verhindert das Entstehen einer „Universaldespotie“. Weil jede Gemeinschaft nur für ihren Zuständigkeitsbereich mit Zwangsgewalt ausgestattet ist, stört die Vielheit der Durchsetzungsebenen den Rechtsfrieden nicht. Daneben sorgt jede politische Gemeinschaft auf ihrer Ebene für die Durchsetzung des Weltrechts. Uneinheitlichkeiten in der Rechtsanwendung sind hinzunehmen, weil und soweit auch die Lebensverhältnisse in den jeweiligen politischen Einheiten unterschiedlich sind und sein sollen. Zu berücksichtigen ist, daß eine Weltgemeinschaft aufgrund ihrer geringeren Integrationsfähigkeit nicht von dem Ziel getragen sein kann, einheitliche Lebensverhältnisse herzustellen, wie dies in einem Nationalstaat der Fall sein mag.184 Es ist also nicht notwendig, ein hierarchisches Aufsichtssystem einzu179

Vgl. auch K. Graf Ballestrem, Auf dem Weg zur Weltrepublik?, S. 520. Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 225 (B 63, 64/A62, 63). 181 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 306. 182 Befürwortend etwa K. A. J. Hochheim (Justus Sincerus Veridicus), Von der europäischen Republik, 1796, S. 178 ff.; R. Juchhoff, Weltverfassung, Ein amerikanischer Entwurf, 1948, S. 7. 183 R. J. Glossop, World Federation?, S. 161. 184 Vgl. Art. 72 Abs. 2 GG i. d. F. vor 1994. 180

A. Staatsorganisation im Weltkontext

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führen, welches die Einheit der Rechtsanwendung in den verschiedenen Rechtsgemeinschaften um den Preis eines zentralistischen Systems sichert.185 Eine umfassend zuständige höchste Weltzwangsgewalt ist weder erforderlich noch geboten. Entscheidend aus globaler Sicht ist, daß das Weltrecht als solches (dazu 3., 4. Teil) verwirklicht wird. Die Weltgerichtsbarkeit (3. Teil, C, S. 357 ff.) spielt hierbei eine wichtige, die Rechtseinheit wahrende Rolle. 2. Zwangsgewalt gegenüber Staaten David Held fordert, die Zwangsgewalt von den Staaten auf eine internationale und regionale Institution mit dem letzten Ziel der Entmilitarisierung zu verlagern.186 Thomas Carson möchte eine über den Staaten stehende Organisation errichten, die allein zuständig sein solle, über die Ausübung militärischer Gewalt zu entscheiden.187 Das Völkerrecht müsse für Entmilitarisierung sowie deren Kontrolle sorgen. Den Staaten solle eine Gerichtsbarkeit zur Regelung ihrer Streitigkeiten zur Verfügung gestellt werden. Zur Durchsetzung des Völkerrechts müsse eine „international army of ,police force‘“ geschaffen werden.188 Hauke Brunkhorst spricht sich für eine Weltpolizei als „soft power“ aus.189 Ulrich Steinvorth schlägt vor, eine „übernationale Instanz zur Sicherung des Friedens einzusetzen“.190 Otfried Höffe verlangt die Abrüstung der Einzelstaaten in Verbindung mit der Schaffung einer Weltpolizei.191 Er begründet dies damit, daß die Unparteilichkeit das „Gewaltmonopol“ der Weltrepublik in den zwischenstaatlichen (nicht in den innerstaatlichen) Beziehungen erfordere.192 Ein Gewaltmonopol setzt vis absoluta voraus. Letztes Zwangsmittel gegenüber Staaten ist das der militärischen Gewalt. Solange die Einzelstaaten noch über Militär und Waffen verfügen, müßte die Weltrepublik ein überlegenes Weltmilitär mit entsprechender Waffengewalt erhalten. Dies erscheint nicht nur unrealisierbar, sondern angesichts der Gefahr einer Weltdespotie auch gefährlich. Der eingebürgerte Begriff „Gewaltmonopol“ ist irreführend; denn über Gewalt verfügt jeder Mensch. Nur deswegen besitzt sie auch der Staat, der die

185 In dem Sinn aber wohl K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71, 1997, 175, in einem Modell einer supranationalen europäischen Weltrepublik. 186 D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 236. 187 Th. L. Carson, Perpetual Peace, Social Theory and Practice 14 (1988), S. 173. 188 Th. L. Carson, Perpetual Peace, Social Theory and Practice 14 (1988), S. 183. 189 H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S. 269 f. 190 U. Steinvorth, Soll es mehrere Staaten geben?, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 256 (288). 191 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 253. 192 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 353.

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Gewalt seiner Bürger in sich vereinigt.193 Die Notwendigkeit einer Ordnung kollektiver Sicherheit entspricht der friedensphilosophischen Begründung des modernen Staates.194 Dieser ist traditionell Territorialstaat, der durch Gebietlichkeit gekennzeichnet ist. Zur Gebietshoheit wird die Möglichkeit gezählt, die Rechtlichkeit zu erzwingen.195 Weil ein Weltstaat nach dem Modell des nationalen Territorialstaates jedoch nicht zu befürworten ist, muß auch die Durchsetzung des Weltrechts losgelöst von der Idee umfassender Gebietshoheit oder eines „Gewaltmonopols“ konzipiert werden. Weltorgane dürfen daher nur über partielle, begrenzt zugewiesene Gewalt verfügen. Militärische Maßnahmen der Weltorgane gegenüber Staaten oder Einzelnen sind grundsätzlich ausgeschlossen.196 Vom Gewaltverbot darf die Weltorganisation nur aus den in der UN-Charta in Art. VII genannten oder entsprechenden (eng bestimmten) Voraussetzungen abweichen. Eine freiheitliche Weltrechtsordnung hat nur dann eine Existenzchance, wenn sie nicht durch tyrannische Kräfte bedroht wird.197 Das Gewaltverbot ist eines der ersten weltrechtlichen Errungenschaften, weil es den Frieden der Menschen in der Welt befördert. Es gilt demzufolge auch für die Weltorgane. Der ewige Frieden zielt auf die Abschaffung des Krieges. Dem dient die Pflicht zu allseitiger Abrüstung. Höffe weist darauf hin: „Nicht von einer militärisch mächtigen Weltorganisation ist der globale Friede zu erwarten, sondern von einem radikalen Abrüsten.“198 Streitigkeiten zwischen Bund und Gliedstaaten müssen gerichtlich, vorzugsweise im Wege eines Feststellungsurteils, geklärt werden. Primäre Durchsetzungsmittel sind etwa Geldbußen oder Aussetzung von bestimmten Rechtsvorteilen. In schweren Fällen ist auch an einen vorübergehenden Entzug von Mitentscheidungsrechten in den Weltorganen zu denken. In jedem Fall ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Bevor vis absoluta angewandt wird, müssen alle anderen Maßnahmen, wie Konsultationen und insbesondere ein obligatorisches Gerichtsverfahren, erschöpft sein. Die Maßnahmen dürfen nicht über das Erforderliche zur Abwehr der Gefahr hinausgehen. Krieg manifestiert den, an sich zu beseitigenden, Naturzustand zwischen den Staaten. Militärische Macht ist als Durchsetzungsmittel oft unge193

Hobbes, Leviathan, Vom Staat II, Kap. 17, S. 155, 259. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 1 ff.; B. Grzeszick, in: J. Isensee (Hrsg.), Der Terror, der Staat und das Recht, 2004, S. 55 (60 ff.). 195 K. A. Schachtschneider, Grundgesetzliche Aspekte der freiberuflichen Selbstverwaltung, S. 139 (151 f.); vgl. auch H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 49 ff. 196 Vgl. auch B. Simma, Does the UN Charter Provide an Adequate Legal Basis for Individual or Collective Responses to Violations of Obligations erga omnes?, in: J. Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement, 1993, S. 125 (139). 197 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 276. 198 O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, in: ders. (Hrsg.), Zum ewigen Frieden, 1998, S. 245 (256). 194

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eignet und fast immer unverhältnismäßig.199 Militärische Einsätze werden in einem rechtlichen Ausnahmezustand verübt, in dem die Regeln der Rechtsstaatlichkeit, welche Gegenstand insbesondere des Weltrechts sind, relativiert sind.200 Das Militär ist unter dem Gewaltverbot für alle Staatlichkeit nur ein Verteidigungs-, aber kein regelmäßiges Rechtsdurchsetzungsinstrument. Hauke Brunkhorst favorisiert deshalb gegenüber militärischen Strukturen und Methoden eine strikter Neutralität verpflichtete Weltpolizei, die nur friedenserhaltende Maßnahmen vornehmen dürfe, ergänzt durch Verhandlungsstrategien und institutionalisierten Rechtsschutz (soft power), nicht aber harte Zwangsmaßnahmen (hard power). Denkbar wäre entweder eine ständige oder ad hoc für den Einzelfall zusammengestellte Weltpolizeitruppe. Die Staaten könnten speziell für die jeweiligen spezifischen Aufgaben, etwa den Weltfriedenseinsatz, Katastrophenschutz usw. von ihnen kontrollierte und ausgebildete Truppen im Wege der Organleihe zur Verfügung stellen, die im Einsatzfall dem Befehl des Sicherheitsrates oder einem vergleichbaren Organ unterstehen (vgl. Art. 43 UN-Charta). Einer permanenten Truppe begegnen die gleichen Bedenken wie einem Weltmilitär. Es besteht die Gefahr, daß diese ihre Macht mißbraucht oder von bestimmten Staaten für ihre eigenen Zwecke benutzt wird, zumal, wenn die Staaten weitgehend abgerüstet haben. Die Verpflichtung einer ständigen Weltpolizei zur Sittlichkeit201, welche durch eine Verpflichtung auf eine Weltverfassung oder zumindest auf die Erklärung der Menschenrechte gestärkt werden sollte, ist nicht ausreichend, um der Gefahr rechtswirksam zu begegnen. Konstantin Balz schlägt gegen die Gefahren einer Weltdiktatur vor, daß solche Einsätze nur auf Vorschlag des Gerichtshofs von einem Präsidialrat (als Exekutivorgan) beschlossen und durch die Generalversammlung mit 2/3-Mehrheit bestätigt, zustande kommen sollen.202 Eine von solchen aufwendigen Zustimmungsverfahren abhängige ad hocTruppe ist nie einsatzbereit und greift meist zu spät ein. Sie konterkariert ihren Zweck. Für den Kriseneinsatz werden militärische Strukturen benötigt, welche für den Polizeieinsatz nicht erforderlich sind und von diesem getrennt zu organisieren und zu befehligen sind. Die Gefahren, die von ständigen Krisentruppen ausgehen, sind unter Umständen geringer, als die bekannten Nachteile, die sich für die Verwirklichung der rule of law ohne sie ergeben. Ihre Unparteilichkeit dürfte größer sein als die der von den Hegemonialmächten zum Einsatz gebrachten militärischen Kräfte, wenn eine angemessene, möglichst gleichmäßige Beteiligung der Nationen ge199 H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, S. 269 f. 200 H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S. 269 f. 201 In diesem Sinne O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 354, vgl. auch S. 335 ff. 202 K. Baltz, Eine Welt, S. 105.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

sichert wird.203 Die Multinationalität, welche die Vertretung aller Nationen ermöglicht, sichert zugleich die Unabhängigkeit der Eingreiftruppe von den Interessen bestimmter Staaten. Die Spezialeinheit muß effektiv sein, aber nicht so mächtig, daß sie die Weltherrschaft an sich reißen oder dazu mißbraucht werden könnte. Für den Normalfall der unmittelbaren, subsidiären Rechtsdurchsetzung genügen Sicherheitskräfte mit Polizeifunktion, die den jeweiligen Weltbehörden (z. B. Weltumweltbehörde, Abrüstungsbehörde) zugeordnet sind und die nur eingreifen, wenn die polizeilichen Kräfte der Staaten selbst dies erbitten (Amtshilfe), nicht in der Lage dazu sind oder die Durchsetzung verweigern. Der Wiederaufbau eines Landes benötigt weniger militärische oder polizeiliche, sondern in erster Linie etwa medizinisch und technisch geschulte Spezialeinheiten. Auch ohne Weltstaatsverfassung könnten Zwangsbefugnisse durch völkerrechtliche oder Weltverträge, denen die Völker zugestimmt haben müssen, auf internationale oder Weltorganisationen übertragen werden. Die Völker könnten sich darauf einigen, daß die Völkergemeinschaft bestimmte Zwangsbefugnisse gegenüber einzelnen Amtsinhabern in Staatsorganen, welche das Weltrecht verletzen, ausüben darf. Damit würden das völkerrechtliche Immunitätsprinzip und das Interventionsverbot zugunsten eines weltrechtlichen Legalitätsprinzips zurückgedrängt. Über begrenzte Zwangsbefugnisse in diesem Sinne verfügen der Internationale Strafgerichtshof (dazu Art. 53 ff., Art. 77 ICC-Statut204 und 6. Teil, F, S. 997 ff.) sowie der UN-Sicherheitsrat (dazu 6. Teil, C, S. 716 ff.). 3. Zwangsgewalt gegenüber Privaten? Ein reiner Völkerstaat würde Zwang der weltstaatlichen Ebene gegenüber Einzelpersonen gänzlich ausschließen. Verstöße gegen das Weltrecht durch Einzelne verhindern und ahnden die Staaten etwa im Wege des nationalen Polizei-, Sicherheits- und des Strafrechts. Zwang gegenüber Einzelpersonen ist nicht nur ultima ratio als Strafzwang denkbar. Ebenso bedeutend ist der Formzwang, der zur Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts führt.205 Indes ist es ein wesentliches Merkmal des Weltrechts, daß es nicht nur die Staaten berechtigt und verpflichtet, sondern auch die einzelnen Menschen (dazu 3. Teil, C, S. 338 ff.). Ähnlich wie im föderalen Staat (vgl. Art. 30, 80 GG) kann jedoch der Vollzug der Gesetze bei den kleineren politischen Einheiten verbleiben. Unter dem Aspekt vertikaler Funktionenteilung sollte er dies auch 203

M. Brauer, Weltföderation, S. 224. Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs v. 17.7.1998, BGBl. 2000 II, S. 1394; ILM 37 (1998), S. 1002. 205 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 41; vgl. dazu etwa BGHZ 94, 268 (270 ff.) zur Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit einer Schmiergeldvereinbarung gemäß § 138 BGB. 204

A. Staatsorganisation im Weltkontext

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grundsätzlich, soweit es möglich und sinnvoll ist; denn zum demokratischen Prinzip gehört auch, daß eine größtmögliche Nähe der Vollzugsbeamten zu den vom Vollzug betroffenen Bürgern sicherzustellen ist.206 Rechtsdurchsetzung auf Weltebene gegenüber einzelnen Menschen ist jedoch ausnahmsweise im Falle gravierender Rechtsverstöße denkbar, wenn die staatlichen Rechtsdurchsetzungsmechanismen versagen. Wenn von den Staaten kein sachgerechtes, rechtsstaatliches Verfahren zu erwarten ist, muß gegebenenfalls auf Weltebene ein entsprechender Prozeß eingeleitet werden können.207 Das folgt auch aus dem Weltbürgerrecht.208 Ein bereits existierendes Beispiel, das deutlich über Völkerbund und Völkerstaat hinausweist, ist die Strafverfolgung durch das Internationale Strafgericht (Art. 53 ff. ICC-Statut). Zur Kontrolle weltweit agierender global players (z. B. transnationale Unternehmen) sowie zur Verfolgung globaler Terror- und Verbrechensorganisationen hat sich die Rechtsdurchsetzung der Staaten als nicht hinreichend erwiesen. Insofern wären von den Mitgliedstaaten zu vollziehende Anordnungsbefugnisse einer Weltumweltaufsichtsbehörde sowie einer Weltinstitution zur Bekämpfung des internationalen Verbrechens und des Terrorismus zu begrüßen. Solange eine weltbürgerschaftliche Legitimation und hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Weltorgane jedoch fehlen, ist es prekär, wenn durch völkerrechtliche Verträge oder Weltverträge Zwangsbefugnisse gegenüber Privatrechtssubjekten auf Weltorganisationen übertragen werden. Die Problematik zeigt sich neuerdings am Beispiel von Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates im Rahmen der Terrorismusbekämpfung, die gegenüber einzelnen unmittelbar wirksam werden, ohne daß dem eine entsprechende gerichtliche und demokratische Kontrolle gegenübersteht.209 Auch im Falle des Internationalen Strafgerichtshofs ist die unmittelbare Zwangsbefugnis gegenüber Individuen demokratierechtlich nur hinzunehmen, weil das Weltgericht nur im Falle von Menschheitsverbrechen und subsidiär (komplementär) zu der staatlichen Gerichtsbarkeit zuständig ist.210

206 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 93; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 123 (140). 207 Vgl. den Verfassungsentwurf der World Constitution and Parliament Association. (WCPA), Eine Verfassung für die Weltföderation, Aschau 1990, der in Art. 10 Rechtdurchsetzung gegenüber Einzelnen, aber im Gegensatz zu anderen Entwürfen kein stehendes Militär vorsieht und damit vollständige weltweite Abrüstung voraussetzt. 208 Dazu 4. Teil, B; siehe auch R. Merkel, „Lauter leidige Tröster“? Kants Friedensschrift und die Idee eines Völkerstrafgerichtshofs, in: ders./R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 309 (348 f.). 209 Dazu 6. Teil, C, S. 731 ff. 210 Vgl. dazu 6. Teil, F, S. 1003 ff.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

B. Pluralistische Weltordnungsmodelle ohne Staat Der von den klassischen Vertragslehren geprägten Idee der civitas einerseits sowie von der Idee einer territorial, auf ein Volk bezogenen suprema potestas andererseits, geprägten Auffassung vom Staat steht drittens ein nicht auf territorialer Grundlage definiertes211, von der Zivilverfassung ausgehendes und von Zwangsgewalt unabhängiges, genossenschaftliches, pluralistisches Rechts- und Ordnungsverständnis gegenüber.212 I. Politische Dimension der Verfassung der Zivilgemeinschaft Würde man den Begriff der „Zivilgesellschaft“ nur im Sinne der Lehre von der Trennung von Staat und Gesellschaft213 privat (3. Teil, B, S. 323 ff.) und „apolitisch“214 begreifen, würde sich der (welt-)bürgerliche Status auf das Private, auf den des bourgeois beschränken.215 Die Dominanz der Zivilgesellschaft würde den Status des Bürgers als aktives, mitbestimmendes Mitglied einer Gemeinschaft (citoyen) und mit ihm die politische Freiheit sowie jede politische Integration zunehmend unterlaufen.216 Der politische Diskurs über das für die Menschheit Richtige kann und soll (wegen der Universalität des Rechtsprinzips) von allen Menschen über die Staatsgrenzen hinweg, weltweit geführt wer211 G. Teubner, Globale Bukowina. Zur Emergenz eines transnationalen Rechtspluralismus, 1996, S. 8. 212 Dazu 3. Teil, B, S. 323 ff. O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. I (1868), 1954; vgl. H. Schneider, EU als Staatenverbund oder als multinationale „Civitas Europea“, S. 699 ff.; J. Habermas, Anerkennungskämpfe im demokratischen Rechtsstaat, in: Ch. Taylor, Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, 1993, S. 147 (179 ff.); J. Delbrück, Das Staatsvolk und die offene Republik, in: Fs. R. Bernhard, 1995, S. 777 (790 f.); s. a. 3. Teil, B, S. 264 f. 213 Dazu E. W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973; H. H. Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, HStR, Bd. II, 2004, § 31, S. 879 ff.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 180 ff.; vgl. auch F. Ossenbühl, Interpretation der Grundrechte, NJW 1976, 2100 (2101); E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 3 ff.; 158 ff.; H.-Ch. Link, Staatszwecke, VVDStRL 48 (1990), S. 7 (42); vgl. auch V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 58, der die Trennung von Volk und Staat aus dem von Kant gestützten republikanischen Repräsentationsprinzip ableitet; kritisch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 88 ff.; 159 ff. 214 So F. V. Kratochwil, Vergeßt Kant!, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, S. 96 (113). 215 Vgl. D. Thürer, „Citizenship“ und Demokratieprinzip, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 177 (182 f.). 216 Vgl. D. Thürer, „Citizenship“ und Demokratieprinzip, S. 182 f., vgl. auch 206 f., grundsätzlich dazu R. Smend, Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht (1933), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1994, S. 308 ff.; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 207 ff., 606 ff.

B. Pluralistische Weltordnungsmodelle ohne Staat

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den.217 Jürgen Habermas versteht in diesem Sinne die Zivilgesellschaft zu Recht auch politisch: „Die Zivilgesellschaft setzt sich aus jenen mehr oder weniger spontan entstandenen Vereinigungen218, Organisationen und Bewegungen zusammen, welche die Resonanz, die die gesellschaftlichen Problemlagen in den privaten Lebensbereichen finden, aufnehmen, kondensieren und lautverstärkend an die politische Öffentlichkeit weiterleiten.“ 219

Eine entsprechende Definition enthält die Civil Society Declaration, die beim Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg erklärt worden ist.220 Sie sollte auf alle aktiv am politischen Weltdiskurs Beteiligten, nicht nur auf Körperschaften, Vereinigungen und Organisationen ausgedehnt werden. Weil der Mensch ein Zoon politikon ist, ist er in globalen politischen Fragen mangels Weltstaat zwar nicht Weltstaatsbürger, aber „universeller Bürger“221 seines Staates und der Zivilgesellschaft. Seine Teilnahme an der Zivilgesellschaft manifestiert sich nicht in Wahlen und Abstimmungen wie als Staatsbürger, sondern in seinem Beitrag zu einem aktiven Weltdiskurs und einer Weltöffentlichkeit. Garantiert wird dieser durch die Menschenrechte, namentlich die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, die Vertragsfreiheit, die Meinungs- und Informationsfreiheit, wenn deren Verwirklichung in den Staaten und transnational als Weltbürgerrecht gesichert wird. Die sogenannte Zivilgesellschaft bedeutet also ein Mehr zum Begriff der Gesellschaft, sofern dieser unpolitisch verstanden wird, und ein Weniger zur Bürgerschaft. Sie wird daher besser als „Zivilgemeinschaft“ bezeichnet. Die Zivilgemeinschaft ist unter der Voraussetzung, daß sich gewisse Organisations- und Ordnungsmuster sowie Rechtsnormen entwickelt haben, nicht nur ein empirischer, sondern auch ein normativer Begriff.222 Sie ist eine Verbindung zwischen Menschen, die ihre Grundlage nicht in einer staatlichen Verfassung, sondern auf polyzentrischen, aus der sektoral-globalen Zusammenarbeit entstandenen, sogenannten Zivilverfassungen hat.223 Ihre rechtliche Geltung beruht darauf, daß sie vergleichbar der Grundidee der „guten Sitten“ oder dem ordre public im Zivilrecht als (bürgerunmittelbares) Gewohnheitsrecht der glo217 F. W. Stoecker, NGOs und die UNO, S. 121; R. Kößler/H. Melber, Chancen internationaler Zivilgesellschaft, 1993, S. 211. 218 Vgl. dazu F. A. v. Hayek, Law, Legislation und Liberty, Bd. I, 1973, S. 35 ff. 219 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 443; dazu kritisch H. H. Rupp, Trennung von Staat und Gesellschaft, HStR, Bd. II, § 31, S. 879, Rn. 60 ff. 220 The Global Peoples Forum: Civil Society Declaration, 24 August–3 September, www.world.summit.org.za/policies/cs decl.html (zuletzt geprüft 6.6.2006). 221 R. Zons, Weltbürgertum als Kampfbegriff, in: N. Bolz/F. Kittler/ders. (Hrsg.), Weltbürgertum und Globalisierung, S. 9 (11). 222 G. Teubner, Zivilverfassungen, ZaöRV 63 (2003), S. 1 (17 f.). 223 Dazu G. Teubner, Zivilverfassungen, ZaöRV 63 (2003), S. 1 ff.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

balen Zivilgemeinschaft erkannt werden.224 Solche zivilgemeinschaftlichen Ordnungen haben nach der Lehre vom Rechtspluralismus (s. a. 3. Teil, B, S. 264 f.) dann Verfassungscharakter, wenn in ihnen Strukturen für die Normerkennung vorhanden sind, ihre Prinzipien höchsten Rang und Normenkontrolle an menschenrechtlichen Maßstäben beanspruchen.225 Allein können sie jedoch nur eine partielle, privatrechtliche, gegebenenfalls korporatistische, keine allgemeine öffentlich-rechtliche Weltordnung mit gesicherter Rechtsdurchsetzung schaffen, weil der Zivilgemeinschaft die einer normativen Verfassung eigene oberste Verbindlichkeit fehlt (3. Teil, B, S. 336 ff.). II. Pluralistisches Weltordnungsverständnis Gunther Teubner hat die These aufgestellt: „Das Weltrecht entwickelt sich von den gesellschaftlichen Peripherien, von den Kontaktzonen zu anderen Sozialsystemen her und nicht im Zentrum nationalstaatlicher oder internationaler Institutionen.“226 Die pluralistische Ordnung soll sich auf die verschiedenen politischen Ebenen von der lokalen bis zur globalen verteilen.227 Hieran knüpfen die alternativen oder ergänzenden neueren Konzeptionen an, welche eine pluralistische, kosmopolitische Ordnung z. B. als System von politischen Netzwerken, als global governance oder als Verfassung der Zivilgemeinschaft entwickeln. Diese Begriffe erfassen das Weltordnungsproblem jeweils von einem anderen Bezugspunkt, nämlich strukturell (Netzwerke), handlungsorientiert (global governance) und im Blick auf die Einheit der Betroffenen und Akteure (Zivilverfassung) und konkurrieren insoweit miteinander. In einer pluralistischen Weltordnungskonzeption können sie jedoch nebeneinander bestehen. Staatlichkeit zergliedert228 sich im pluralistischen System entweder in technokratische Netzwerkstrukturen, die mit den existierenden politischen Gemeinschaften der Menschen nicht mehr deckungsgleich sind, oder sie verwandelt sich „in eine bloße Kompetenz bestimmter, in der Doppelrolle von internationaler und nationaler Funktion auftretender Menschen“229, die diverse Rechtsgemeinschaften bilden. Die pluralistische Ordnung soll sich auf die verschiedenen politischen Ebenen von der lokalen bis zur globalen verteilen.230 224 Dazu 3. Teil, B, S. 323 ff.; vgl. K. A. Schachtschneider, Das Sittengesetz und die guten Sitten, in: FS W. Thieme, 1993, S. 195 (208, 223). 225 Dazu G. Teubner, Zivilverfassungen, ZaöRV 63 (2003), S. 17 ff. 226 G. Teubner, Globale Bukowina, S. 9. 227 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 345 ff. 228 A.-M. Slaughter, A New World Order, S. 12 ff., spricht von „disaggregated states“ und konzepiert eine „disaggregated world order“ (S. 129 ff.) 229 Kritisch C. Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff (1938), 1988, S. 19. 230 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 345 ff.

B. Pluralistische Weltordnungsmodelle ohne Staat

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Ein pluralistisches Weltordnungsmodell widerspricht einem universellen Rechtsbegriff nur, wenn Weltrecht positivistisch auf Ordnung beschränkt wird. Die Weltgemeinschaft kann pluralistisch organisiert werden, solange weltverfassungsrechtliche Prinzipieneinheit gewahrt bleibt. 1. Globale Netzwerke Als Ausweg aus dem Dilemma zwischen der Furcht vor einem Weltstaat und der Notwendigkeit globaler Ordnung231 hat Anne-Marie Slaughter ein funktionenteiliges System horizontal und vertikal vernetzter, selbstbestimmter Einheiten (Netzwerke)232 vorgestellt, die sich aus den Rechtsbedürfnissen (Einwirkungsmöglichkeiten) der jeweiligen Lebenszusammenhänge ergeben. In den Vordergrund stellt sie Netzwerke zwischen exekutiven, legislativen und gerichtlichen Institutionen, ohne jedoch die Betroffenenebene und damit den Aspekt der Selbstbestimmung zu beachten.233 Der Begriff „Netzwerk“ erfaßt das globale Rechtsordnungsproblem rein sachlich, unabhängig vom Demos, von der Staatsgewalt und von der Territorialität der Staaten und ermöglicht funktionale, transnationale Zusammenarbeit zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen aller Ebenen. Dies führt zu einer Versachlichung, aber auch Technokratisierung sowie Entpolitisierung und folglich Entdemokratisierung internationaler und transnationaler Beziehungen. Als juristische Ordnungskategorie genügt der Netzwerkbegriff zudem nicht, weil die rechtlich entscheidende, unterschiedliche Verbindlichkeit und Durchsetzungskraft der verschiedenen Netzwerke, die von zumindest staatsähnlichen oder supranationalen (EU) bis zu rein informellen Verbindungen (IOSCO) reichen, in der allgemeinen Kategorie des Netzwerks eingeebnet werden oder nicht zum Ausdruck kommen. Daraus folgt, daß die Unterscheidung von hard und soft law an Bedeutung verliert. Das bedeutet auch, daß sich die Verbindung von Zwangsbefugnis und Recht234 auf231

A.-M. Slaughter, A New World Order, S. 8 ff. Dazu A.-M. Slaughter, A New World Order, S. 19 ff. als Beispiele bereits existierender Netzwerke werden Einheiten verschiedener Ebene, Struktur, Intensität und Zwecksetzung genannt, u. a. Gipfeltreffen wie G 20, die dem Informationsaustausch dienende International Organization of Securities Commissions (IOSCO, 1983), in der 170 Wertpapieraufsichtsbehörden Mitglieder sind; das Basel Komitee; die Internationale Polizeiorganisation Interpol, das durch Art. 234 EGV angelegte Kooperationsverhältnis zwischen dem Europäischen Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten (S. 82 ff.), Netzwerke in Internationalen Organisationen wie NATO, ASEAN oder der OSCE, der NAFTA. Supranationale Organisationen wie die Europäische Union oder der Internationale Strafgerichtshof werden als „vertikale Netzwerke“ aufgefaßt (S. 20 ff.). 233 A.-M. Slaughter, A New World Order, S. 41 ff., 65 ff., 104 ff. 234 Dazu Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 338 f.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 545 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 123 ff. 232

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

löst.235 Damit erledigt sich zwar das Weltordnungsdilemma zwischen Recht und Zwang, aber um den Preis, daß das Wesen des Rechts, nämlich seine äußere Verbindlichkeit, relativiert wird. Dem entspricht der Trend, daß zunehmend auf soft law zurückgegriffen wird.236 2. Global Governance Global governance stellt sich als Terminus ebenfalls bewußt außerhalb des staatlich geprägten Begriffs- und Ordnungsschemas.237 Governance meint nicht die staatliche Tätigkeit des Regierens238 oder Verwaltens aufgrund und in Ausführung von Gesetzen, sondern die ordnende Lebensbewältigung insgesamt, ohne notwendig an die bekannten institutionellen Regierungsformen anzuknüpfen.239 Der Begriff global governance wird im Deutschen teilweise mißverständlich mit „Weltordnungspolitik“240, besser aber mit „Steuerung gesellschaftlicher Beziehungen mittels dauerhafter Regelung“ übersetzt241. Keinesfalls darf er mit global government verwechselt werden.242 Außerdem ist er nicht beschränkt auf staatliche Regelungsformen im Rahmen eines „exekutiven Multilateralismus“243, sondern bezieht auch die Steuerung durch private Akteure ein, die gegebenenfalls mit staatlichen Organen zusammenarbeiten, aber keine Staatsgewalt ausüben.244 Damit sind Instanzen gemeint, die sowohl Vertreter

235 Vgl. etwa A.-M. Slaughter, A New World Order, S. 178 ff.; G. Teubner, Globale Bukowina, S. 14. 236 A. Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, S. 546. 237 Zum Begriff „Global Governance“ J. C. de V. Roberts, Governance – An Opportunity?, in: E. E. Harris/J. A. Yunker (Hrsg.), Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 33 (35 ff.); B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, in: dies. (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 12 ff.; kritisch R. J. Glossop, Global Governance Requires Global Government, in: E. E. Harris/J. A. Yunker (Hrsg.), Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 43 (52 ff.); siehe auch P. Zumbansen, Spiegelungen von Staat und Gesellschaft, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 13 (35 ff.). 238 Zum Begriff „Regieren“ B. Kohler-Koch, Die Welt regieren ohne Weltregierung, in: C. Böhret/G. Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert, 1993, S. 109 (113 ff.). 239 Vgl. E.-O. Czempiel, Governance and democratization, in: J. N. Rosenau/ders. (Hrsg.), Governance without government, 1992, S. 250; B. Kohler-Koch, Die Welt regieren ohne Weltregierung, 1993, S. 109 (121 ff.). 240 K. Hüfner/J. Martens, UNO-Reform zwischen Utopie und Realität, 2000, S. 193; Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001, S. 166 ff. 241 B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 14; Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 170. 242 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 341; Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 166, 168; B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 13 f. 243 B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 16. 244 Vgl. dazu aber H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 13 ff.

B. Pluralistische Weltordnungsmodelle ohne Staat

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der Nationalstaaten als auch Nichtregierungsorganisationen245, transnationale Konzerne, Medien oder Bürgerbewegungen an einem interaktiven Prozeß der Entscheidungsbildung beteiligen.246 Die Folge ist, daß sich institutionell private und institutionell staatliche Regelungsformen vermischen. Es ist auch von einer „Vergesellschaftung des Regierens“ die Rede.247 Bernhard Zangl und Michael Zürn bringen global governance auf die Formel: „Global governance = Governance by + Governance with + Governance without Government“.248 Im Unterschied zum deutschen Verständnis von Ordnungspolitik betont global governance die kooperativen Formen der Konsens- und Entscheidungsfindung sowie die diskursive Prozeßhaftigkeit der Politik249, die mehr an rechtlicher Argumentation als an politischen Verhandlungsprozessen orientiert sind.250 Es geht um die Übertragung von Handlungsbefugnissen auf lokale, regionale und globale staatliche und nicht-staatliche Organisationen, um die Institutionalisierung von vertraglichen Beziehungen zwischen nicht-staatlichen Akteuren (z. B. Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen) und staatlichen sowie internationalen Institutionen (sogenannte öffentlich-private Partnerschaften oder public private partnerships251). Zusammenfassend kann global governance als die Gesamtheit der Möglichkeiten definiert werden, mit denen die Menschen, organisiert in öffentlichen und privaten Institutionen, in verschiedenen politischen Arenen und Repräsentationsformen ihre gemeinsamen Angelegenheiten von der lokalen bis zur globalen Ebene regeln.252

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Zum Begriff: F. W. Stoecker, NGOs und die UNO, 2000, S. 71 ff. B. v. Plate, Grundelemente der Globalisierung, Informationen zur politischen Bildung, 263, 1999/2, S. 4; Kommission für Weltordnungspolitik: Nachbarn in Einer Welt. Der Bericht der Kommission für Weltordnungspolitik, 1995, S. 4 f.; vgl. zu einzelnen Global Governance-Initiativen: S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, 2003, S. 507 ff., 517 ff.; vgl. dazu auch M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, 1993, 40 ff. 247 B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 16. 248 B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 15. 249 OECD, Globalisation: What Challenges and Opportunities for Governments?, 1996, Schlußbericht der Enquête-Kommission: Globalisierung der Weltwirtschaft, BTDrs. 14/9200, 2002, S. 450; D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 341; N. Rosenau, Governance, order, and change in world politics, S. 1 ff. 250 B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 17. 251 Dazu U. Beyerlin/M. Reichard, The Johannesburg Summit, ZaöRV 63 (2003), S. 213 (228 ff.); vgl. Plan of Implemention, revisted version of 23 September 2002 (Doc. A/CONF.199/20); G. C. Shaffer, Public-Private Partnerships in WTO Litigation, 2003; Entscheidung des World Bank Executive Directors vom 20.7.1999 zur Errichtung des Prototype Carbon Fund (PCF); allgemein zu Public-Private-Partnerships R. Stober, in: H. J. Wolff/O. Bachof/ders., Verwaltungsrecht Bd. 3, 2004, § 92, S. 609 ff. 252 Kommission für Weltordnungspolitik: Nachbarn in Einer Welt, S. 4 f.; K. Hüfner/J. Martens, UNO-Reform zwischen Utopie und Realität, S. 193; D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 340 ff.; Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 168. 246

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

Orientiert an einem Weltgemeinwohl aufgrund gemeinsamer Überlebensinteressen, ist es das Ziel der global governance, die weltweite Zusammenarbeit zu verrechtlichen und zu verdichten.253 Alle global handelnden Akteure sollen sich nach dieser Lehre auf institutionalisierte Verfahren der transnationalen Willensbildung einlassen, etwa zum Zweck, soziale oder ökologische Standards einzuhalten und extreme soziale Ungleichgewichte zu beseitigen. Dabei müssen sie bereit sein, ihre Perspektiven über die „nationalen Interessen“ hinaus um Gesichtspunkte einer globaler Interessen zu erweitern. Ein Instrument der global governance zur Verwirklichung des Weltrechts könnten in der Zukunft nicht nur freiwillige, sondern bindende globale Verträge (Weltverträge)254 zwischen Staaten, Nichtregierungsorganisationen, multinationalen Unternehmen und anderen Subjekten des globalen Rechts sein. Manche Autoren sehen in global governance einen Weg zwischen strategischer und staatsförmiger Weltordnung im „Regieren ohne Regierung“ oder „Regieren ohne Staat“.255 Aber selbst ein „Regieren ohne Staat“ geschieht nicht völlig ohne Staatlichkeit.256 Der Perspektivenwechsel von „internationalen Beziehungen“ zu einer Weltinnenpolitik257 ist von Regierungen jedoch nicht zu erwarten, wenn nicht die Bürger und ihre Vereinigungen selbst einen Wandel in Richtung eines weltbürgerlichen Bewußtseins und einer kosmopolitischen Sozialisierung vollziehen. Die UN-Kommission für global governance schreibt in ihrem Bericht von 1995: „Wir glauben, daß die gesamte Menschheit die Grundwerte der Achtung vor dem Leben, der Freiheit, der Gerechtigkeit, der gegenseitigen Achtung, der Hilfsbereitschaft und der Integrität gemeinsam wahren könnte. Die Werte sind die Grundlage für die Umgestaltung eines auf wirtschaftlichem Austausch und verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten beruhenden Weltsystems zu einer universelleren, moralischen Gemeinschaft, in der die Menschen miteinander durch mehr als Nähe, Interesse oder Identität verbunden sind. Alle diese Werte beruhen letztendlich auf dem weltweit von allen Religionen anerkannten Prinzip, daß die Menschen einander so behandeln sollten, wie sie selbst behandelt werden möchten. Dieses Gebot kommt in der Charta der Vereinten Nationen in dem Aufruf zum Ausdruck, ,die angeborene Würde und die gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Angehörigen der menschlichen Familie‘ anzuerkennen.“258

253 K. Hüfner/J. Martens, UNO-Reform zwischen Utopie und Realität, S. 194; Kommission für Weltordnungspolitik: Nachbarn in Einer Welt; B. Zangl/M. Zürn, Make Law, Not War, S. 12 ff. 254 Dazu Global Contract Foundation, Global Contract Report, Mai 2005, S. 29 ff. 255 J. N. Rosenau, Governance, order, and change in world politics, S. 5; B. KohlerKoch, Die Welt regieren ohne Weltregierung, in: C. Böhret/G. Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert, 1993, S. 109 ff. 256 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 179, 281; ders., Für und Wider eine Weltrepublik, S. 217. 257 Dazu U. Bartosch, Weltinnenpolitik, 1995, S. 17 ff. 258 Kommission für Weltordnungspolitik, Nachbarn in Einer Welt, S. 56.

B. Pluralistische Weltordnungsmodelle ohne Staat

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Ein Hoffnung gebendes Beispiel für das Funktionieren sektoraler Selbstbestimmung auf der Grundlage der Diskursethik in einem institutionalisierten global governance-Netzwerk privater, staatlicher und internationaler Akteure, in der die Kongruenz von Regelungsadressaten, sonstigen Betroffenen und Beteiligten gelungen ist, ist die World Commission on Dams (WCD)259. In ihr entscheiden alle betroffenen Akteursgruppen unter Berücksichtigung aller Sachaspekte konsensorientiert.260 Mit dem Ziel, nicht-sanktionsbewehrte Richtlinien (soft law) für einen umwelt- und sozialverträglichen Dammbau zu vereinbaren, haben sich in dem Politiknetzwerk der sektoral Betroffenen unterschiedliche Gruppen vereint: z. B. von Umsiedlung bedrohte Bürger, die Weltbank, die zuständigen Ministerien der Länder, in denen Dammbauten vorgesehen sind, privatwirtschaftliche Unternehmen, die Dämme bauen, zahlreiche Nichtregierungsorganisationen sowie Versorgungs- und Forschungseinrichtungen.261 Der Beitrag der Zivilgemeinschaft ist für das Weltrecht wesentlich, soweit er am allgemeinen Interesse der Menschheit und nicht an dem einzelner Staaten oder Unternehmen orientiert ist. Insofern führt eine Zivilgemeinschaft zu einer Zivilverfassung. Von den Staaten wird die Verwirklichung des Weltrechts nur in den Grenzen ihrer Staatsraison erwartet.262 Demgegenüber könnte die Zivilgemeinschaft in einem transnationalen, jedenfalls in Bezug auf die Beteiligten, selbstbestimmten Prozeß, im Wege einer „Globalisierung von unten“ der im Interesse der Industriestaaten und des Weltkapitals liegenden „Globalisierung von oben“, die nur eine eindimensionale Weltordnung, aber kein Menschheitsrecht schafft, entgegenwirken.263 Auf diese Weise ist die partielle Entwicklung von Weltrecht ohne Weltstaat denkbar.264 Die Globalisierung hat die Diskrepanz zwischen den tatsächlichen globalen Einwirkungsmöglichkeiten und der überwiegend nationalstaatlichen rechtlichen Ordnung in unserer Zeit offenbar gemacht. Aufgabe einer Weltrechtsordnung ist es auf lange Sicht, unter Wahrung des Subsidiaritätsgedankens265 eine konstitutionelle Verbindung zwischen Weltgesellschaft und öffentlicher Weltrechtsordnung herzustellen. Ein weiterer Schritt zu einer öffentlichen Weltrechtsordnung

259

Informationen unter www.dams.org. K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen unter Mitwirkung privater Akteure?, S. 233, 237. 261 K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen unter Mitwirkung privater Akteure?, S. 237. 262 Vgl. dazu R. Falk, Die Rolle der zivilgesellschaftlichen Institutionen, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 170 (174 ff.). 263 R. Falk, Die Rolle der zivilgesellschaftlichen Institutionen, S. 177 f. 264 Vgl. A. Fischer-Lescano, Globalverfassung: Verfassung der Weltgesellschaft, ARSP 2002, 369 f. 265 O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, S. 18; vgl. auch K.-M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, S. 77. 260

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

wäre es, die Beziehungen zwischen Zivilgemeinschaft und staatlich-völkerrechtlicher Entscheidungsebene im Sinne bestmöglicher Diskursverfahren zu regeln.266 Mittelbar stärken Nichtregierungsorganisationen, soweit sie sich für Menschen einsetzen, die Rolle des Individuums im internationalen Recht. Weil und solange die Menschen nicht befugt sind, vor internationalen Gerichten zu klagen, wäre eine altruistische Verbandsklage, mit der Nichtregierungsorganisationen insbesondere Verletzungen des Menschheitsrechts vor internationalen Gerichten oder Weltgerichten einklagen könnten, erwägenswert. Sie könnten auf diesem Weg auch den Prozeß einer weltweiten Demokratisierung und Republikanisierung sowie die Anerkennung der Menschenrechte in den Staaten fördern.267 Andererseits ist solcher Paternalismus ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht und nur im Falle von systematischen oder kollektiven Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen. Altruistische Verbandsklagen sind jedenfalls keine grundsätzliche Alternativlösung für subjektive Klagerechte. Allgemeinverbindliche Rechtsetzung unter Mitwirkung nicht-staatlicher Akteure wirft das Problem auf, wie und ob, diese demokratisch oder freiheitlich legitimiert sein kann.268 Das hängt auch vom Demokratiebegriff ab und ob dieser auf Weltordnungsmodelle, in denen die Einheit von Volk und Gebiet aufgelöst wird, überhaupt noch Anwendung finden kann (dazu 5. Teil, C). Zu klären ist insbesondere, ob freiheitliche oder demokratische Willensbildung jenseits der üblichen Konzepte der Staatlichkeit möglich ist und wie insoweit Weltrecht gesetzt werden kann.269 III. Koordinierung der Zivilverfassung mit der öffentlichen Verfassung Eine öffentliche Weltverfassung kann sich nicht allein aus pluralen, sektoralen „Zivilverfassungen“ zusammensetzen, weil diese keine Rechtseinheit, nicht einmal Prinzipieneinheit (dazu 3. Teil, B, S. 305 ff.) herstellen. Weltverfassungsrechtliche Prinzipieneinheit ist nur möglich, wenn es gelingt, eine öffentlichrechtliche Einbindung der Zivilverfassungen in die staatliche und internationale Verfassung zu institutionalisieren und diese mit der Weltverfassung zu verbinden. Wie kann die staatlich-internationale Koordination mit der Zivilverfassung funktionieren? Möglich ist sie durch

266

Vgl. M. Nettesheim, Das kommunikative Völkerrecht, JZ 2002, 577. D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations, S. 46. 268 Vgl. dazu kritisch M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 369 ff. 269 Vgl. dazu auch M. Hilf, New Economy – New Democracy?, in: Liber amicorum Th. Oppermann, 2001, S. 427 ff. 267

B. Pluralistische Weltordnungsmodelle ohne Staat

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– vertragliche Vernetzung mit oder ohne staatliche Kontrolle (öffentlich-private Partnerschaft), – durch staatliche Anerkennung zivilgesellschaftlich entwickelter Standards (z. B. technische Normung270, Verweis des Gesetzgebers auf „gute Sitten“) und gerichtlichen Rechtsschutz für privatautonom entwickelte Standards271 sowie weitergehend – durch öffentlichrechtliche Institutionalisierung dieser Vernetzung in einer Internationalen Organisation (z. B. ILO, dazu 6. Teil, C, S. 780 ff., 787 f.). Ein Beispiel aus dem staatlichen Bereich ist die Tarif- und Arbeitskampfverfassung (vgl. Art. 9 Abs. 3 GG). Nach § 1 TVG enthält ein Tarifvertrag „Rechtsnormen“. Hierbei ist strittig, ob die Koalitionen das private Vertragsrecht verlassen und im Auftrag des gesamten Volkes (aufgrund staatlicher Delegation) durch die Koalitionsverträge quasi staatliches Recht (materielle Gesetze) setzen272 oder ob sie im Wege privater Verträge im Rahmen der grundrechtlich geschützten Privatautonomie273 ihre Belange ordnen, also verbindliche private Rechtsnormen (leges contractus) schaffen.274 Die Tarifpartner sind entgegen der paternalistischen Konzeption der „sozialen Vormundschaft“275 nicht (privatrechtlich organisierte) Organe des Staates. Als solche müßten sie (gewählte) Vertreter des Volkes sein oder allen Bürgern die Teilnahme am Tarifverfahren ermöglichen. Daß die Befriedung und Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im öffentlichen Interesse liegt, macht ihre Rechtsetzung noch nicht staatlich oder zur staatlichen Aufgabe.276 Abzulehnen ist eine „Verstaatlichung“ 270 An der Erkenntnis allseitig verbindlicher Normen der Technik können sich alle Mitglieder der Gesellschaft beteiligen. Dabei setzt sich, die Interessen ausgleichend, der Sachverstand durch. Neben vielfältigen staatlichen Gesetzen, die den technischen Normen Verbindlichkeit beimessen, wirken sie aufgrund ihrer allseitigen Anerkennung. Dazu Th. Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, 1999, S. 832 ff. 271 Der ordre public, die „Guten Sitten“ oder der „lautere Wettbewerb“ werden u. a. im Rahmen der §§ 138, 242 BGB, § 1 UWG (a. F., vgl. jetzt § 3 UWG), Art. 6 EGBGB von den staatlichen Gerichten judiziert. BVerfGE 31, 58 (76); vgl. J. Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen, HStR, Bd. V, 1992, § 115, S. 407, Rn. 99. 272 BVerfGE 4, 96 (108); 18, 18 (26); 28, 295 (304 f.); 44, 322 (340 f.); 55, 7 (24); 64, 208 (215); 94, 268 (284); BAGE 1, 258 (264); H. C. Nipperdey (F. J. Säcker), in: Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 2. Bd., Kollektives Arbeitsrecht, 1. Halbbd., 1967, S. 28; kritisch F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 181 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 399 ff.; C.-J. Bruhn, Tariffähigkeit von Gewerkschaften und Autonomie, 1993, S. 113 ff., 153 ff. 273 R. Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 1968, insbes. S. 164; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, 2006, S. 500 ff. 274 Vgl. dazu 3. Teil, B, S. 324 ff. 275 Dazu Th. Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, insbes. S. 84 ff.; kritisch C.-J. Bruhn, Tariffähigkeit von Gewerkschaften und Autonomie, 1993, S. 99 ff.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

privater Selbstorganisation über einen materiellen Begriff der öffentlichen Aufgabe. Zur allgemeinen Gesetzgebung sind Private, wie gesagt, nicht berufen. Sie können jedoch im Rahmen der grundrechtlichen Privatautonomie und der staatlichen Gesetze ihre eigenen Angelegenheiten regeln sowie als sachliche Betroffenenvertreter beteiligt werden. Vor staatlichen Arbeitsgerichten können tarifvertraglich festgelegte Ansprüche durchgesetzt werden. Ein Exempel für das global bedeutsame Zusammenwirken von Staat und privater Selbstorganisation, also „regulierte Selbstregulierung“, ist im Rahmen des amerikanischen Verwaltungsrechts zum Zwecke des globalen Managements der Internet-Namen (domains) und Nummern (URL)277 die private (nach kalifornischem Recht als nonprofit public benefit corporation gegründete) Internet Corporation for the Assigned Numbers and Names (ICANN).278 Sie ist eine staatlich eingebundene Organisation der Zivilgemeinschaft, genauer der Internetgemeinschaft und maßgeblich für die internet governance. Ihr Ziel ist es ausweislich Art. 3 Satz 5 der Satzung, das „globale öffentliche Interesse an der Betriebsstabilität des Internet“ zu fördern. Die Verwendung eines Bereichsnamens (domain name) ermöglicht dem Internetnutzer, den einfachen Aufruf einer bestimmten Fundstelle (website) im Internet. Weil jeder der im Internet benutzten Bereichsnamen ein Unikat darstellen soll, müssen sie verwaltet werden. Darüber hinaus kann der Bereichsname neben seiner wirtschaftlichen Bedeutung die Funktion eines Kennzeichens, d. h. einer Marke annehmen.279 Die zentrale Aufgabe von ICANN ist die Verwaltung der Bereichsnamen (domain name system).280 Sie hat sowohl Koordinationsaufgaben zum Zwecke des privaten Interessenausgleichs als auch öffentliche Regulierungsfunktionen.281 Letztere können nur mit Unterstützung der Staatengemeinschaft (insbesondere den WIPOMitgliedstaaten) erfüllt werden und sind stark von der US-Regierung bestimmt.282 Nachdem die Verwaltung der Bereichsnamen ursprünglich in den Händen des US-Wirtschaftsministeriums gelegen hatte, wurde sie ICANN zur

276 Vgl. A. Emmerich-Fritsche, Privatisierung der Wasserversorgung in Bayern, BayVBl. 2007, 1 (3); K. A. Schachtschneider, Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 16 ff., 29 ff., 250 ff., 270 ff.; so aber BVerfGE 28, 295 (304), einem materialen Staatsaufgabenbegriff folgend; zurückhaltend jetzt BVerfGE 84, 212 (223 ff.); 92, 365 (393 ff.). 277 V. Leib, Verrechtlichung im Internet, in: B. Zangl/M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 198 (200). 278 Art. 3 Abs. 1 ICANN-Satzung (www.icann.org/general/articles.htm); Ch. Tietje, Recht ohne Rechtsquellen?, Zeitschrift für Rechtssoziologie 24 (2003), S. 27 (38 f.); V. Leib, Verrechtlichung im Internet, S. 198 ff.; G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 516 ff., 554, 556. 279 G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 522. 280 G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 516 ff. 281 Dazu G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 522 ff. 282 V. Leib, Verrechtlichung im Internet, S. 200 ff.

B. Pluralistische Weltordnungsmodelle ohne Staat

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privaten Regulierung überlassen. Grundlage dafür ist eine Vereinbarung283 mit dem US-Wirtschaftsministerium, das auf das Weißbuch der US-Regierung vom Juni 1998284 zurückgeht. ICANN untersteht der Aufsicht des US-Wirtschaftsministeriums, das dadurch die Vormachtstellung der USA im Internet sichert.285 Ohne Genehmigung des US-Wirtschaftsministeriums, ist es ICANN nicht erlaubt, neue top level domains286 festzulegen. Hans-Georg Dederer nimmt aufgrund eines funktionalistischen Staatsverständnisses, das einem materialen Begriff der öffentlichen Aufgabe folgt287, an, ICANN übe „transnationale Staatsgewalt“ aus, obwohl sie eine private Organisation ist, die nicht in die institutionalisierte staatliche Verwaltung integriert wurde.288 Richtig ist, daß ICANN das System der Bereichsnamen transnational verwaltet. Diese Verwaltung erfolgt aber privat allein auf der Grundlage privatrechtlicher Vertragsbeziehungen289 und nicht staatlich. Treffend ist hier die Bezeichnung global governance. Grundsätzlich können, wie gesagt, sowohl private als auch staatliche Organisationen öffentliche Aufgaben erfüllen. Das Subjekt nicht die Funktion oder die öffentliche Aufgabe bestimmt die Zugehörigkeit zur Staatsgewalt.290 Als private Organisation ist ICANN weder in der Lage noch legitimiert, transnationale staatliche Gewalt auszuüben, weil die Staatsgewalt des Volkes nicht auf einzelne Private übertragbar ist. In der Praxis wird allerdings eine Beleihung mit Staatsaufgaben als möglich angesehen.291 Selbst wenn man eine solche funktional zuläßt, fehlt hierfür im Falle von ICANN ein ermächtigendes Parlamentsgesetz.292 Ein entsprechendes Gesetz könnte im übrigen nur in den USA, aber nicht weltweit Wirkung entfalten. ICANN übt nicht die Staatsgewalt eines Volkes aus, auch nicht des amerikanischen. Vielmehr vertritt sie als Selbstverwaltungsorganisation die Interessen der durch ihr Kommunikationsnetz verbundenen globalen Internetgemeinschaft, 283 Genauer ein „tripartistisches Arrangement“, dazu G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 526 ff. 284 Department of Commerce, Management of Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (www.icann.org/general/articles.htm). 285 G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 538 f. 286 Top level domains sind z. B. org., com., de; vgl. zur Hierarchie der Bereichsnamen G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 519 f. 287 Dazu kritisch K. A. Schachtschneider, Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 33 ff. 288 G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 526 ff., 550 ff.; vgl. auch zur Einordnung als „state actor“ im amerikanischen Recht, S. 539 ff. 289 G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 559, 561. 290 Dazu K. A. Schachtschneider, Grundgesetzliche Aspekte der freiberuflichen Selbstverwaltung, Die Verwaltung 31 (1998), S. 140 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 45 ff. 291 G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 56 ff. 292 G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 562 f.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

die sie durch ihre Entscheidungen auch vornehmlich betrifft.293 Ihre korporatistische Binnenstruktur stützt sich auf nach Kriterien sektoraler Betroffenheit eingerichtete „Wählerschaften“ (constituencies) der „Unterstützenden Organisationen“, welche einen Querschnitt der wirtschaftlichen, technischen, akademischen und nicht wirtschaftlichen Kreise sowie der Nutzer des globalen Internets repräsentieren.294 Die weitreichende Einflußnahme der US-Regierung auf die Verwaltung der Bereichsnamen im Rahmen ihrer Aufsichtsfunktion ist allerdings Ausübung von Staatsgewalt mit exterritorialer Wirkung. Bislang wird diese von den anderen Staaten aus Bequemlichkeit geduldet. Ob die Entwicklung des Bereichsnamensystems in den USA hierfür auf Dauer eine sachliche Anknüpfung darstellt, ist zweifelhaft und damit auch, ob die exterritoriale Ausübung von Staatsgewalt nicht dem Verbot der Nichteinmischung oder dem Prinzip der Selbstbestimmung widerspricht.295 Für naturgemäß ausschließlich globale Sachverhalte wie das Internet erscheint es sachlich geboten, die Aufsichtsaufgabe einer Internationalen Organisation zu übertragen.296 Zumal vorgebracht wird, daß der Zugang zu top level domains zugunsten der Lobby der Markenvertreter durch intransparente, einem allgemeinen Diskurs unzugängliche, autoritäre Entscheidung versperrt worden sei, so daß in diesem Bereich die private Selbstregulierung (mit Unterstützung der US-Regierung) zur willkürlichen Durchsetzung der Interessen der Mächtigen geführt habe.297 Das Problem könnte dadurch gelöst werden, daß die Transparenz und Zugänglichkeit der Entscheidungen durch eine unabhängige Internationale Internetorganisation überwacht sowie die Vertretung z. B. der wissenschaftlich-kulturellen Internetnutzer und der mittelständischen Unternehmen gegenüber der Lobby der transnationalen Konzerne in der ICANN-Satzung prozedural gestärkt wird, nötigenfalls auch im Wege einer öffentlich-weltrechtlichen Regelung.

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung Zu untersuchen ist zunächst, ob politische Selbstbestimmung überhaupt jenseits der Einzelstaaten möglich ist (I, II). Sodann ist zu überlegen, ob und inwieweit Demokratie in den zwischenstaatlichen und staatlichen Weltordnungskonzeptionen verwirklicht werden kann (III, IV). 293

Zu den Betroffenen G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 524 ff. Vgl. G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 516, 557. 295 Vgl. M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 2003, S. 37, Rn. 56; G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 572 ff. 296 Vgl. dazu G.-H. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 564 ff. 297 Dazu V. Leib, Verrechtlichung im Internet, S. 208 ff. 294

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung

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Fraglich ist schließlich, inwieweit privat und öffentlich-privat regulierte Systeme der global governance demokratisch sind und sein müssen und wie sie sich in die staatlich-demokratische Struktur einpassen, die mit der Globalisierung und Entstaatlichung zu erodieren droht (dazu 1. Teil, B). Problematisch ist, daß es faktisch nicht eine gegliederte Weltverfassung (dazu 3. Teil, B, S. 312 ff.), sondern eine Mehrebenenherrschaft gibt298, die durch ein erhebliches demokratisches Defizit gekennzeichnet ist. Es gilt also zu analysieren, ob und gegebenenfalls wie „kosmopolitische Demokratie“ in der global governance möglich ist. I. Idee der Selbstbestimmung als Kern des Demokratieprinzips Entscheidend ist, ob und wie die Idee der Selbstbestimmung in einer Weltrepublik oder in der global governance verwirklicht werden kann. 1. Autonomie des Willens, Selbstbestimmung der Betroffenen Das universelle Menschheitsrecht ist für jede Rechtsordnung verbindlich299, bedarf aber der rechtsetzenden Materialisierung. Fraglich ist, inwieweit Weltrechtsetzung (demokratisch) oder freiheitlich ist. Konstruktiv fand die Autonomie des Willens in den Lehren der volonté générale und des diskursiven Konsenses, institutionell in der Regierungsform der freiheitlichen Demokratie300, des demokratischen Rechtsstaats301 oder der Republik302 ihren idealen Ausdruck. „Der Gehorsam gegen das selbst gegebene Gesetz ist Freiheit“, hat Rousseau festgestellt.303 Das Selbstbestimmungsprinzip folgt (neben den Menschenrechten) unmittelbar aus der Freiheitsidee.304 Freiheitliche Gesetze verwirklichen Recht.305 Die Idee der Selbstbestimmung (Willensautonomie) der in einem politischen Gemeinwesen vereinigten Menschen (Bürger) beinhaltet zum einen, daß diese frei die Bedingungen ihrer Vereinigung wählen.306 Zum ande-

298

Vgl. J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, S. 88 ff., 240 ff. Vgl. auch Art. 1 Abs. 2 GG. 300 W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, HVerfR, 1994, S. 427 (435 ff.); dazu auch und zur Unterscheidung von der herrschaftlichen Demokratie K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 2 ff., 20 ff., 25 f., 28, 40 ff., 685 ff. 301 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 156 ff. 302 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1 ff. 303 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 8. Kap., S. 23. 304 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 153 ff.; vgl. auch E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: ders., Staat, Verfassung Demokratie, 1991, S. 289 (321 ff.). 305 Zur Freiheit als Geltungsgrund des Rechts 3. Teil, B, S. 265 ff. 306 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 145. 299

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

ren verlangt sie die Einbeziehung aller vom Gesetz betroffenen Menschen in den Prozeß der Gesetzgebung (Betroffenenpartizipation).307 In diesem Sinne allgemeine Gesetze sind Gesetze der Freiheit.308 Nicht die Idee der Mehrheitsherrschaft, welche immer einen Teil von Rechtsgenossen von der Selbstbestimmung exkludiert309, sondern das Prinzip der Selbstbestimmung ist Grund und Kern des Demokratieprinzips und diesem übergeordnet.310 Essenz oder Wesensgehalt des Demokratieprinzips ist daher die konstruktive Identität von Regierenden und Regierten311, die für Rousseau durch den Gesellschaftsvertrag hergestellt wird.312 „Moderne Demokratie ist nichts anderes als das Projekt der Aufhebung aller Knechtschaft.“313 Gesetzgebung im Sinne der Selbstbestimmung kann in offenen Diskursen der Betroffenen erfolgen.314 In der globalisierten Welt sind nicht nur die Bürger eines Staates, sondern unter Umständen alle Menschen betroffen.315 David Held und Hauke Brunkhorst fordern deshalb als Vertreter einer kosmopolitischen Demokratie die Beweglichkeit der Träger demokratischer Selbstbestimmung und die Reorganisation der Selbstbestimmung, insbesondere der uneingeschränkten Gesetzgebungshoheit des Staatsvolkes. Die Selbstbestimmung soll auf viele Ebenen von unten nach oben bis hin zur Weltebene verteilt werden.316 Maßgabe für die Aufteilung 307 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, I, 8. Kap., S. 23; H. Brunkhorst, Solidarität, 2002, S. 105; vgl. auch M. Zuleeg, Zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung des Kommunalwahlrechts in Nordrhein-Westfalen, KritV 1987, 322 (322 f. u. ö.); dazu kritisch J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, in: Fs. P. Mikat, 1989, S. 705 (730 ff.). 308 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 312; vgl. a. Ph. Kunig, Völkerrecht als öffentliches Recht, in: Gs E. Grabitz, 1995, S. 325 (345). 309 Ebenso H. Brunkhorst, Solidarität, S. 13, 105 ff.; kritisch auch R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 2005, S. 73. 310 BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002, JZ 2003, 1057 (1060); vgl. auch BVerfGE 44, 125, 142; E. T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 356 f., 384 f.; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 321, Rn. 35. 311 Ebenso H. Brunkhorst, Solidarität, S. 13, 105 ff.; kritisch und a. A. M. Kriele, Allgemeine Staatslehre, S. 237 ff., der dadurch die „Realbedingungen“ der Demokratie (Herrschaft durch Regierung, Parteien usw.) in Frage gestellt sieht und der Identitätslehre die Repräsentationslehre vorzieht, S. 257 ff. 312 Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 6. Kap. ff., S. 16 ff.; U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 575 (588). 313 H. Brunkhorst, Solidarität, S. 13, 105. 314 Das Verfahren der technischen Normung ist ein Fall der Partizipation, in der alle, die am Diskurs um die bestmögliche Normung teilnehmen, um den gemeinsamen Willen zu definieren. Es ist eine gelungene Verwirklichung der volonté générale. Die offene Partizipationschance ist bestmöglich demokratisch, wenn auch die Erkenntnis aus sachlichen Gründen unvermeidlich repräsentativ bleibt; dazu grundlegend Th. Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, S. 832 ff. 315 H. Brunkhorst, Solidarität, S. 105.

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung

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ist das Prinzip, daß möglichst diejenigen, die durch Gesetze betroffen werden, auch über diese selbst oder durch Vertreter entscheiden sollen. Parlamentarischrepräsentative Gesetzgebung kann durch plebiszitäre und dezentrale Gesetzgebungsverfahren, in denen über Sachen, nicht über Personen entschieden wird, ergänzt werden.317 Weil sich Demokratie, zumal auf Weltebene, nicht ausschließlich durch unmittelbare Demokratie im Sinne Rousseaus verwirklichen läßt, ist Repräsentation durch legitimierte Vertreter unverzichtbar.318 Voraussetzung ist außerdem, daß die Legitimation nicht nur formal institutionalisiert und über Legitimationsketten ableitbar ist319, sondern auch hinreichend substantiell und effektiv gelebt wird.320 2. Volonté générale mondiale Das universelle Rechtsprinzip gebietet, daß für gemeinsame Schicksalsfragen der Menschheit, eine volonté générale mondiale gebildet wird, damit der vereinigte Wille sich mit der zu erfassenden Rechtsfrage deckt.321 Im territorialen Nationalstaat bezieht sich demokratische Selbstbestimmung nur auf die Bürger dieses Staates.322 Hieraus folgt, daß Ausländer von nationalen Gesetzen oder Entscheidungen betroffen oder gebunden werden, ohne ihnen zugestimmt zu haben.323 Das trifft nicht nur für Ausländer zu, die sich in einem 316 D. Held, Kosmopolitische Demokratie und Weltordnung, S. 226 ff.; H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S. 267 f. 317 H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S. 267; vgl. kritisch E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 312. 318 Hobbes, Leviathan, 17., 18. Kap., S. 155 ff.; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 215 f.; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 439 (A 176/B 206), 464 (A 213/B 242, 243); ders., Über den Gemeinspruch, S. 152 (A 248, 249); ders., Zum ewigen Frieden, S. 206 (BA 25) ff.; dazu E.-W. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 379 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 637 ff.; P. Badura, Die parlamentarische Demokratie, HStR, Bd. II, 2004, § 25, S. 497, Rn. 34 ff. 319 Dazu Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 235 ff. 320 Vgl. BVerfGE 89, 155 (182); vgl. auch 83, 60 (72); BVerfG JZ 2003, 1060; W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 299 ff.; U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 598 ff.; vgl. zu den Funktionsvoraussetzungen M. Schmidt, Demokratietheorien, 2000, S. 438 ff. 321 Vgl. ähnlich O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, 2000, S. 26 f.; W. Kersting, Globale Rechtsordnung oder weltweite Verteilungsgerechtigkeit, Politisches Denken, 1995/96, S. 197 (207). 322 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 312 ff. 323 Vgl. dazu J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 730 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 314, Rn. 28, die das als Konsequenz der auf das Volk beschränkten volonté générale verstehen und andererseits M. Zuleeg, Zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung des Kommunalwahlrechts in Nordrhein-Westfalen, KritV 1987, 322 ff. im Sinne einer Betroffenendemokratie.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

Land aufhalten, sondern für alle transnationalen oder globalen Sachverhalte, welche einseitig national geregelt werden. So wirkt sich die Entscheidung eines Staates, den Regenwald auf seinem Gebiet abzuholzen oder ein Kernkraftwerk zu bauen, welches nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht, nicht nur im eigenen Staatsgebiet, sondern unter Umständen weltweit aus. Die Lösung globaler Rechtsprobleme, welche die Einzelstaaten allein nicht oder nur unzureichend bewältigen, kann praktisch vernünftig nicht nur einseitig aus der Sicht des jeweiligen Staatsvolks gesucht werden. Stehen globale Rechtsprobleme an, beschränkt sich das Allgemeininteresse nicht auf ein Staatsvolk, sondern bezieht sich auf die volonté générale mondiale. Anders kann die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nicht vereinbart werden.324 Die volonté générale mondiale setzt nach traditionellem Verständnis den Willen eines Volkes voraus. Dieser kann entweder aus dem Willen der Staatsvölker in einem Völkerstaat oder aus dem Willen der Weltbürger (bürgerlich verfaßte Weltrepublik) gebildet werden. Ersteres würde eine Willensvereinigung der Völker (Völkercivitas), letzteres würde ein Weltvolk als Bürgercivitas voraussetzen. Die pluralistischen Weltordnungsmodelle lösen sich allerdings von der Bindung an ein Staatsvolk. Für die Konzeption einer globalen Willensbildung, die nicht an ein bestimmtes Volk gebunden ist, könnte die Diskurslehre (dazu 3. Teil, B, S. 213 ff.) als Fundament dienen; denn sie ist nicht von einer staatlichen Organisation des Diskurses abhängig.325 Globale Rechtsprobleme könnten in einem institutionalisierten326 globalen Diskurs der jeweils Betroffenen (Völker/Menschen) auf der Grundlage der Wahrheit gelöst werden, wenn dafür Bedingungen geschaffen werden können, welche sich einer idealen Sprechsituation bestmöglich annähern. II. Staatsgebundener Demokratiebegriff In der Praxis ist bisher freiheitlich demokratische Willensbildung nur auf nationaler, regionaler oder lokaler, nicht einmal zufriedenstellend auf europäischer Ebene verwirklicht.327 Gegen die Ideen kosmopolitischer Demokratie wird deshalb häufig vorgebracht, daß sich freiheitliche Selbstbestimmung und Demokra-

324 Vgl. E. Tugendhat, Die Kontroverse um die Menschenrechte in: S. Gosepath/G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 48 (60). 325 Dies hat auch A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, 2000, S. 213 ff. erkannt. 326 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 210. 327 R. Voigt, Das Ende der Innenpolitik?, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29–30/ 98, S. 8.

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung

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tie nur im staatlichen Kontext verwirklichen lassen.328 Demokratie setzt begrifflich einen Demos voraus. Aber muß dieser national oder homogen sein? 1. Staatsvolk als Träger der Staatsgewalt Für Rousseau ist die „Souveränität“ die „Ausübung des Gemeinwillens“.329 Allein die Nation oder das Staatsvolk soll über Staats- und Verfassungsgewalt verfügen und wird als der Bezugspunkt demokratischer Legitimation angesehen.330 Die Völkerrechtslehre knüpft daran insoweit an, als es die Souveränität der Staaten zu einem ihrer Grundpfeiler erklärt331 und den Primat des Staates und den Staat als Einheit schützt.332 Die gesetzgebende Gewalt kann nach Kant „nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen.“333 Ursprünglich bezieht sich der Demokratiebegriff auf ein bestimmtes Volk.334 Betroffenheit oder Gebietszugehörigkeit allein genügen nach Ansicht von Josef Isensee nicht aus, um Rechte auf politische Selbstbestimmung (z. B. das Wahlrecht) zu begründen. Hierfür bedürfe es der Mitgliedschaft in einem staatlichen Verband, welche die personenrechtliche Beziehung der Staatsangehörigkeit als Grundlage besonderer Solidaritätsverpflichtungen herstelle.335

328 Dazu U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 575 ff.; A. v. Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts, ZaöRV 63 (2003), S. 853 ff.; W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 ff.; R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB (1999) 6, S. 190 ff. 329 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, II, 1. Kap. 330 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 3 f.; J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 705 ff.; P. Kirchhof, Europäische Einigung, in: J. Isensee, in: J. Isensee (Hrsg.), 1993, S. 89 f., 91 f.; W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 311 ff.; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 75 ff.; H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, 171 ff.; vgl. dazu kritisch A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, S. 246 ff. 331 Dazu G. Mairet, Le principe de souveraineté, 1996; A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, 1923, S. 4 ff.; ders., Völkerrecht, 1994, S. 6 ff.; F. Fardella, Le dogme de la souveraineté de l’État, Arch.phil.droit 41 (1997), 115 ff.; vgl. auch D. Held, Democracy and the Global Order, S. 74 ff.; A. Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 49 ff. 332 A. v. Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts, ZaöRV 63 (2003), S. 853 (855). 333 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 432 (B 196); vgl. a. S. 469 (A 220 B 250). 334 J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 705 f., 712; K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71, 1997, 153 (175); vgl. auch ders., Res publica res populi, S. 1186 ff.; vgl. kritisch B. O. Bryde, Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, Staatswissenschaften und Staatspraxis, 5 (1994). S. 305 ff.; A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, S. 197 ff., 319 ff. mit dem Versuch, das Gegenteil darzulegen.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

Art. 20 Abs. 2 GG legt wegen Art. 73 Abs. 3 GG unter dem Grundgesetz unverrückbar336 fest: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“.337 Wer das Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG ist, klärt das Grundgesetz nicht ausdrücklich, spricht aber in der Präambel von der verfassungsgebenden Gewalt des „Deutschen Volkes“ und definiert den „Deutschen“ in Art. 116 GG.338 Daraus wird zum einen geschlossen, daß der Begriff des Volkes i. S. d. Art. 20 Abs. 2 GG mit dem des „deutschen Volkes“ identisch sei, zugleich aber wird auch das Gegenteil behauptet, weil in Art. 20 Abs. 2 GG das Adjektiv „deutsch“ gerade fehle.339 Art. 116 GG hat den Begriff des „Deutschen“ nicht nur an die deutsche Staatsbürgerschaft, sondern auch an die „deutsche Volkszugehörigkeit“ geknüpft.340 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG das deutsche Volk.341 Zwar befürwortet das Bundesverfassungsgericht eine Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Selbstbestimmung und den Rechtsunterworfenen aus dem Freiheitsgedanken und der demokratischen Idee342, das Grundgesetz verbiete aber eine Auflösung der Einheit von Staatsvolk, Staatsangehörigkeit und Staatsgewalt.343 335 J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 732 f.; C. Hillgruber, Der Nationalstaat in der übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, 2004, § 32, S. 929, Rn. 28 f. 336 BVerfGE 89, 155 (182). 337 Dazu W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 291 ff.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 156 ff.; vgl. auch Art. 33 belgische Verfassung, Art. 1 Abs. 2 spanische Verfassung, Art. 1 Abs. 3 griechische Verfassung, Art. 6 Abs. 1 irische Verfassung, Art. 1 Satz 2 österreichische Verfassung, Kap. 1 § 1 schwedische Verfassung. 338 Dazu J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 718 ff.; vgl. auch Art. 5 Abs. 1 Verf. Sachsen (1992): „Dem Volk des Freistaates Sachsen gehören Bürger deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit an.“ 339 Dazu J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 721 ff.; vgl. dazu auch Art. 3 Abs. 3 Verf. Brandenburg (1992): „Angehörige anderer Staaten und Staatenlose mit Wohnsitz im Land Brandenburg sind den Deutschen im Sinne des Grundgesetzes gleichgestellt, soweit nicht diese Verfassung oder Gesetze etwas anderes bestimmen.“ 340 Dazu G. Renner, in: Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 2001, Teil II, A, Art. 116; R. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, HStR, Bd. II, 2004, § 16, S. 107, Rn. 38 ff.; vgl. auch BVerfGE 90, 181 (183) zum Wahlrecht von StatusDeutschen. 341 BVerfGE 83, 37 (51); 83, 60 (72); 89, 155 (182); vgl. auch W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 314, Rn. 28; dazu auch M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 221 ff.; S. Hobe, Das Staatsvolk nach dem Grundgesetz, JZ 1994, 191 ff. 342 BVerfGE 83, 37 (52); W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 314, Rn. 28. 343 BVerfGE 83, 37 (52); vgl. auch W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 314, Rn. 28, S. 332 ff.; K. A. Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, in: H. Neuhaus (Hrsg.), Der Mensch in der globalisierten Welt, 2004, S. 9 (13 ff.)

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Demokratische Legitimation werde durch die Gesamtheit des deutschen Volkes, welches durch die Staatsangehörigkeit definiert sei, vermittelt. Zum Demos gehören nach Ansicht des Gerichts demnach nur Deutsche. Ein Ausländerwahlrecht wäre demzufolge Fremdbestimmung.344 Nach dem republikanischen Modell wird das Volk in der Gesetzgebung durch Abgeordnete eines Parlaments vertreten.345 „Alle wahre Republik ist und kann nichts anderes sein, als ein repräsentatives System des Volkes, um im Namen desselben, durch alle Staatsbürger vereinigt, vermittels ihrer Abgeordneten (Deputierten) ihre Rechte zu besorgen“, meint Kant.346 Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Ausübung von Staatsgewalt in der Republik dann i. S. v. Art. 20 Abs. 2 GG demokratisch legitimiert, wenn sich die Bestellung der Amtsträger „auf das Staatsvolk zurückführen läßt und das Handeln der Amtsträger selbst eine ausreichende sachlich-inhaltliche Legitimation erfährt, d. h. die Amtsträger im Auftrag und nach Weisung der Regierung handeln und die Regierung damit in die Lage versetzen, die Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament zu übernehmen. . . . Ein Amtsträger ist uneingeschränkt personell legitimiert, wenn er sein Amt im Wege einer Wahl durch das Volk oder das Parlament oder durch einen seinerseits personell legitimierten Amtsträger oder mit dessen Zustimmung erhalten hat.“347

2. Nationale Homogenität als Voraussetzung der Demokratie? Traditionell werden die von Rousseau definierte volonté générale und die Gesellschaftsvertragslehren mit der Vorstellung von Nationalstaaten verbunden.348 Im Nationalstaat werden die Bedingungen für die Entfaltung von Demokratie und Republikanismus als ideal angesehen349 oder ausschließlich für mög344

J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 705 ff. Vgl. Art. 20 Abs. 2 S. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 637 ff.; s. a. R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 79 ff. 346 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 439 (A 176/B 206), 464 (A 213/B 242, 243). 347 BVerfG, Beschluß vom 5.12.2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98, JZ 2003, 1057 (1059); vgl. auch BVerfGE 93, 37 (67 f.); zur personellen und sachlichen Legitimation auch W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 320 ff.; R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 74 ff. 348 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 1. Kap.; vgl. dazu U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 575 (579 ff.); kritisch E. Grabitz/Th. Läufer, Das Europäische Parlament, 1979, S. 350 ff.; A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, 2000, S. 383 ff., die deshalb für die Europäische Union einen Abschied von diesen Lehren fordern. 349 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1177 ff.; J. Habermas, Der europäische Nationalstaat – Zu Vergangenheit und Zukunft von Souveränität und Staatsbürgerschaft, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, 1999, S. 128 (135 ff.); ders., Die postnationale Konstellation und die Zukunft 345

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lich gehalten350, was einer volonté générale mondiale entgegenstehen würde. Die „klassische“ Auffassung des 18. Jahrhunderts der Nation als verfaßtes Staatsvolk351 konkurriert mit dem im 19. Jahrhundert entstandenen Begriff der Nation oder des Volkes352, wonach die Volkssouveränität ein Volk bedingt, „das sich im Gegensatz zur artifiziellen Ordnung des positiven Rechts als ein organisch Gewachsenes in die Vergangenheit projiziert.“353 Für viele354 setzt – entgegen dem politischen (französischen) Nationenbegriff – Demokratie die Homogenität des Volkes voraus. Im Maastricht-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht zum Ausdruck gebracht, daß eine demokratisch legitimierte Staatsgewalt von einem Volk ausgehen muß, das in der politischen Willensbildung seine als vorpolitisch und außerrechtlich verstandene „nationale Identität“ hinreichend artikuliert. Damit sich der demokratische Prozeß entfalten könne, müsse das Staatsvolk die Möglichkeit haben, „dem, was es – relativ homogen – geistig und sozial und politisch verbindet, rechtlichen Ausdruck zu geben.“355 Carl Schmitt hat darüber hinaus sogar die Ausscheidung des Heterogenen356 gefordert, weil er die Gleichheit der Volksgenossen nicht auf die Gleichheit als Mensch, sondern auf die Gleichartigkeit der nationalen Herkunft stützt: der Demokratie, in: ders., Die postnationale Konstellation, 1998, S. 91 (96 ff.); U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 579 ff. 350 In dem Sinn J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 705 f.; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, in: W. Blomeyer/ders., Die europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 75 (111 ff.); ders., Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, in: H. Neuhaus (Hrsg.), Der Mensch in der globalisierten Welt, 2004, S. 9 (13 ff.); vgl. dazu U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 575 ff. 351 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 431 (A 165/B 195). 352 F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 1908, S. 1, 20 ff.; H. Heller, Die Souveränität, 1927. 353 J. Habermas, Inklusion, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 154 (159). 354 Dazu Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, III, 4. Kap., S. 73; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, Buch III, Kap. 2 u. 3; Buch V, Kap. 3–6; C. Schmitt, Verfassungslehre, (1928), 1983, S. 228, 233; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HStR, Bd. II, 2004, S. 429 (Rn. 58 ff.); ders., Demokratie als Verfassungsprinzip, 1991, S. 332 ff., 348 ff.; N. Reiter, Gruppe, Sprache, Nation, 1984; J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 708 f.; B. R. Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, 2000, S. 24 ff.; 47 ff.; P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, HStR, Bd. VII, 1992, S. 855 (873), die bestimmte Homogenitätsmerkmale für die Einhaltung von Frieden und Demokratie voraussetzen; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1177 ff.; BVerfGE 89, 155 (186); kritisch W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1999, S. 173 ff.; A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, S. 111 ff. 355 BVerfGE 89, 155 (186). 356 C. Schmitt, Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie, in: ders., Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles, 1940, S. 59; dazu kritisch J. Habermas, Inklusion, S. 160 ff.

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„Die politische Demokratie kann daher nicht auf der Unterschiedslosigkeit aller Menschen beruhen, sondern nur auf der Zugehörigkeit zu einem bestimmten – Volk . . . die Gleichheit, die zum Wesen der Demokratie gehört, richtet sich deshalb nur nach innen, nicht nach außen.“357

Für Carl Schmitt ist der „zentrale Begriff der Demokratie . . . Volk, nicht Menschheit. Es gibt, wenn Demokratie überhaupt eine politische Form sein soll, nur eine Volks- und keine Menschheitsdemokratie“.358 Danach könnte es Demokratie nur in Gestalt nationaler Demokratie geben359, eine Rechtsordnung wäre dementsprechend nur durch (homogene) Nationen, begründbar. Nach Auffassung der Vertreter eines (national-)staatlichen Demokratieverständnisses ist ein kosmopolitisches Demokratiekonzept von vornherein ausgeschlossen. 3. Demokratische Legitimation internationalen Handelns Die Gegner kosmopolitischer Demokratie führen den Begriff des Volkes oder der Nation, die Einheit von Staatsgewalt, Staatsgebiet und Staatsvolk, das Prinzip der politischen Einheit sowie das Prinzip der kleinen politischen Einheit als Argumente gegen die Möglichkeit kosmopolitischer Demokratie an.360 Transnationale Probleme könnten auf dieser Grundlage nur zwischenstaatlich, also völkerrechtlich gelöst werden. Unter Anbindung an den Willen eines Staatsvolkes werden internationale Verträge und die darauf gründenden Internationalen Organisationen demokratisch legitimiert.361 Am deutlichsten konzipiert dies die Lehre vom umgekehrten Monismus. Nach der Lehre vom umgekehrten Monismus kann in Deutschland Recht, einschließlich dem Völkerrecht, nur vom Deutschen Volk ausgehen (Art. 20 Abs. 2 GG).362 Aber auch nach der dualistischen Lehre vom Rechtsanwendungsbefehl363 soll das Demokratieprinzip über die

357 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 243; siehe auch E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 332 ff. 358 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 234. 359 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 231; i. d. S. auch R. Hahn, Die Idee der Nation und die Lösung der deutschen Frage, Aus Politik und Zeitgeschichte, B (29/30), S. 3 (7). 360 E.-W. Böckenförde, Staat, Nation, Europa, 1999, S. 93 f., 123 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1177 ff.; ders., Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, S. 13 ff.; vgl. U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 579 ff. 361 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 140. 362 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 87 ff. 111 ff.; ders., Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 161 ff. 363 BVerfGE 45, 142 (169); 52, 187 (199); 73, 339 (367 f., 375); 89, 155 (182 ff., 190).

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Staatsvölker und die Zustimmung ihrer Parlamente zu internationalen Verträgen, die von den Regierungen ausgehandelt werden, gewahrt werden. Nachteil des nationalen Demokratiekonzepts, welches auf eine Demokratisierung der internationalen und globalen Organisationssysteme verzichten will, ist ein nicht unerheblicher Effektivitätsverlust der demokratischen Kontrolle; denn es ergeben sich sehr lange Legitimationsketten, insbesondere wenn die Verträge ihrerseits handlungsbefugte Organe vorsehen wie der EG-Vertrag/die Verfassung der Europäischen Union. Die demokratische Rückbindung internationaler Rechtsetzung, welche im wesentlichen durch die Regierungen der Staaten in internationalen Verhandlungen gesteuert wird, an die Zustimmung der jeweiligen nationalen Parlamente, verwirklicht nur formell das Demokratieprinzip. In der Sache befördert sie die Entparlamentarisierung und Gouvernementalisierung der Rechtsordnung und nimmt ihr damit ihre freiheitliche Substanz.364 Die Verhandlungen in den nicht parlamentarischen Gremien der Internationalen Organisationen und Konferenzen sowie in den Netzwerken der Mehrebenenherrschaft sind der öffentlichen und parlamentarischen Willensbildung weitgehend entzogen. Die dort getroffenen Sachentscheidungen antizipieren den formell-demokratischen Willensbildungsprozeß, der nur noch in Umsetzungsakten besteht. Die Parlamente haben in Rechtsetzungsverfahren mit internationalen Bezügen nur noch Kontroll- und Vetobefugnisse.365 Insbesondere das Demokratie- und das Gewaltenteilungsprinzip erleiden durch diese Funktionsverschiebung zur Exekutive und zu globalen Netzwerken herbe Rückschläge.366 Angesichts der tatsächlichen und fortschreitenden Entstaatlichung der Politik gerät die ausschließliche demokratische Legitimation durch die nationalen Parlamente oder/ und Volksabstimmungen mehr und mehr zur Fiktion und die Mehrebenenherrschaft zur Realität. Das Ziel, das demokratische Prinzip auch für das internationale Recht zu sichern, wird dann nicht erfüllt. Hauke Brunkhorst, der zu den Anhängern einer „kosmopolitischen Demokratie“ (dazu oben S. 592 ff.) zählt, hält deshalb die einzelstaatlich vermittelte Legitimation für unzureichend und hat die „entstaatlichten Rechtsordnungen“ der 364 P. Kirchhof, Die Zukunft der Demokratie im Verfassungsstaat, JZ 2004, 981 (984 f.); Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 235 ff. 365 D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, 2003, § 1, S. 3, Rn. 82 f.; E.-W. Böckenförde, Die politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Interessenverbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 406; F. W. Scharpf, Legitimationsprobleme der Globalisierung, in: C. Böhret/G. Wewer, Göttrik (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert, Fs. H.-H. Hartwich, 1993, S. 165 (169). 366 Vgl. K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 1993, 751 (755); BVerfGE 89, 155 (191 ff.); K. D. Wolf, Die Neue Staatsräson, 2000, S. 33 ff., 77 ff., 116 ff.; allgemein zur Unverzichtbarkeit parlamentarischer Rechtsetzung K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 637 ff., 707 ff.

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Vereinten Nationen, der Welthandelsorganisation und der Europäischen Union als „Gesetzesherrschaft ohne Selbstgesetzgebung“ charakterisiert, welche nicht wohlgeordnete Freiheit, sondern „wohlgeordnete Knechtschaft“ oder eben Herrschaft367 ist.368 Und Jürgen Habermas meint: „Die supranationalen Verfassungen erinnern in ihrer herrschaftsbegrenzenden Funktion an Vorbilder einer vormodernen Rechtstradition, die in Verträgen zwischen frühneuzeitlichen Herrschaftsständen . . . mit dem König wurzelt“.369

Die Lösung dieses Demokratiedefizits liegt entweder in einer stärkeren Anbindung internationaler und supranationaler Entscheidungen an die staatliche demokratische Willensbildung oder in der Entwicklung einer kosmopolitischen Demokratie. 4. Defizite und Stärkungsmöglichkeiten des nationalen Demokratiekonzepts Verlangt wird zumindest die Verantwortbarkeit der Entscheidungen durch die nationalen Parlamente, so daß Rechtsetzungsbefugnisse internationaler Organe eng und ausnahmehaft geregelt sein müssen und nicht eigenmächtig erweitert werden dürfen.370 Dem dient das Prinzip der begrenzten Ermächtigung (vgl. Art. 5 Abs. 1 EGV). Weil die internationale und globale Politik weitgehend durch die nationalen Exekutiven bestimmt wird, läßt sich fragen, ob deren demokratische Stellung nicht gestärkt werden sollte durch die Einsparung von Ebenen, die Einführung des Mehrheitswahlsystems und die direkte Wahl der exekutiven Volksvertreter.371 Dies würde den Realitäten Rechnung tragen, gibt aber die freiheitssichernde Errungenschaft der allgemeinen parlamentarischen Gesetzgebung und diskursiver Verfahren zugunsten einer Führerdemokratie372 auf.

367 Vgl. zum Herrschaftsbegriff M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1976, S. 28, 605 f.; J. Neyer, Postnationale und politische Herrschaft, 2004, S. 25 ff. 368 H. Brunkhorst, „Globale Solidarität, in: L. Wingert/K. Günther (Hrsg.), Die Öffentlichkeit der Vernunft und die Vernunft der Öffentlichkeit, 2001, S. 605 ff. 369 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 136. 370 Vgl. BVerfGE 89, 155 (181, 191 ff.); vgl. dazu auch K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Europäische Union, in: I. Winkelmann (Hrsg.), Das Maastrichturteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993, 1994, S. 115 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 71 ff. 371 U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 130. 372 Zum Führerprinzip vgl. W. Leisner, Der Führer, 1983; W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 336 f.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

Eine Alternative ist es, die Befugnisse der nationalen Parlamente im Hinblick auf die Aushandlung und den Abschluß völkerrechtlicher Verträge in den Verfassungen der Staaten zu stärken. Die Verantwortbarkeit durch die nationalen Parlamente kann innerstaatlich durch erweiterte Berichtspflichten und Fragerechte, Beteiligung von Abgeordneten in Verhandlungsdelegationen oder durch eine (zeitlich begrenzte) Anbindung der Regierung an einen Verhandlungsauftrag des Parlaments (fast track-Verfahren), wie das z. B. in den USA oder in Dänemark praktiziert wird, erreicht werden.373 Eine stärkere Einbeziehung der nationalen Parlamente in die Kontrolle der Regierungsvertreter und die Bindung der Regierung durch Parlamentsbeschlüsse, einschließlich der Möglichkeit eines frühen Vetos374, schon bei der Aushandlung internationaler Verträge sowie mehr Öffentlichkeit in diesem Prozeß könnten das demokratische Defizit im derzeitigen System internationaler Zusammenarbeit abmildern.375 In der empirisch vorherrschenden Parteien- und Mehrheitsdemokratie sind die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten allerdings oft nicht effektiv, weswegen eine zusätzliche demokratische Rückbindung, zumindest in wesentlichen Fragen durch Elemente direkter Demokratie (Referendum als Zustimmung oder zumindest als Veto) hergestellt werden sollte.376 5. Grenzen des nationalen Demokratiebegriffs Angesichts der Einwirkungen der internationalen und globalen Verflechtung auf die staatliche Ordnung (dazu 1. Teil) ist es fraglich, ob die „idealen Bedingungen“ des Nationalstaats für die Demokratie noch bestehen.377 Jürgen Habermas bezweifelt überhaupt, ob die Idee der Nation für den Republikanismus tatsächlich förderlich war.378 Auch ohne nazistische Verirrungen des Nationalis373 P.-T. Stoll, Globalisierung und Legitimation, Antrittsvorlesung, 19.5.2003, Redemanuskript, S. 11. 374 Vgl. Art. 23 Abs. 3 GG mit Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union v. 12.3.1993, BGBl. I, S. 311, wonach die Bundesregierung dem Bundestag vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Eine Vetomöglichkeit folgt hieraus nicht, weil die Stellungnahme des Bundestages bei den Verhandlungen nur „zu berücksichtigen“ ist. Möglich ist aber grundsätzlich eine verbindliche Stellungnahme in Form eines Gesetzes R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23, Rn. 118; H. D. Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, zu Art. 23, Rn. 54. 375 K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, Gutachten für die Enquete-Kommission, „Globalisierung der Weltwirtschaft“, 2001, S. 13. 376 K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, S. 13 f. 377 U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus, AöR 127 (2002), S. 593 ff. 378 J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, S. 141; vgl. auch ders., Kants Idee des ewigen Friedens, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 7 (12).

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mus379, die rechtlos sind und als solche nicht gegen die Verwirklichung staatlicher Demokratie sprechen, beschränkt sich die nationale volonté générale naturgemäß ausschließlich auf den Willen und damit den Nutzen des eigenen Volkes, aber bezieht sich nicht auf den der Menschheit. Schon Cicero hat darauf hingewiesen, daß es nicht möglich ist, den Vorteil der Heimat an erste Stelle zu setzen, ohne Zwietracht unter den Menschen zu säen: „Was sind denn die Vorteile der Heimat, wenn nicht der Schaden des anderen Staates oder Stammes?“380 6. Ergebnis Insgesamt ist es zweifelhaft, ob freiheitliche Demokratie nur in Staaten verwirklicht werden kann.381 Kern des Demokratieprinzips ist das Selbstbestimmungsrecht. Ein Demokratiebegriff, der wesensmäßig mit dem Ausschluß von Betroffenen verbunden ist, verengt die Verwirklichung weltweiter Selbstbestimmung und ist kosmopolitisch nicht weiterführend.

III. Zu den Grundlagen kosmopolitischer Demokratie Im folgenden Kapitel sollen die Voraussetzungen und Konzeptionsmöglichkeiten kosmopolitischer Demokratie analysiert werden. 1. Entwicklungsoffenheit des Demokratie- und Volksbegriffs Die auf den Nationalstaat bezogenen territorialen Formen der Demokratie lassen sich nicht ohne weiteres auf Weltebene übertragen.382 Zu Recht hat Konrad Hesse gefordert, die verfassungsrechtliche Bedeutung des Begriffs „Demokratie“, dem unterschiedliche Konzeptionen zugrunde liegen383, unter Beobachtung des normativen Ausgangspunktes, aus den jeweiligen geschichtlichen und ideengeschichtlichen Voraussetzungen zu erschließen.384 Heute wie auch schon früher in der Geschichte menschlicher Gemeinschaftsbildung ist die Nation

379 Vgl. zur Charakterisierung des Nationalismus P. Frankl, Weltregierung, 1948, S. 204 ff. 380 Cicero, De re publica, hrsg. v. K. Büchner, 1979, I 22 (S. 267). 381 Vgl. dazu R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB 6 (1999), S. 188 ff. 382 K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, S. 3. 383 Dazu M. G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 19 ff.; U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 582 ff.; A. v. Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts, ZaöRV 63 (2003), S. 858 f. 384 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1995, S. 58, Rn. 127; a. A. J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 706.

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„keine ausschließliche und ausschließende Form politischer Identitätsbildung von Völkern“.385 Auch das Bundesverfassungsgericht ist der Meinung, Art. 20 Abs. 2 GG sei aufgrund seines Prinzipiencharakters „entwicklungsoffen“. Bei veränderten Verhältnissen könnten Anpassungen notwendig werden.386 2. Recht auf und Pflicht zur Nationalstaatlichkeit? Kosmopolitische Demokratie würde die existentielle Staatlichkeit der Völker (d. h. ihre aktuelle Verfaßtheit) in Frage stellen. Ist das möglich? Ein unabdingbares Recht auf oder eine Pflicht zum Erhalt der Nationalstaatlichkeit in der bestehenden Form und ohne Veränderungsmöglichkeit ist, weil die Staaten keinen jenseits der Freiheit liegenden, zwingenden Selbstzweck haben, nicht zu erkennen.387 Kraft ihrer Autonomie und Verfassungshoheit können die in den Staaten zusammengefaßten Menschen (Staatsvölker) ihre nationale Verfassung zumindest teilweise durch eine weltbürgerliche ersetzen oder ergänzen, solange sie die Verfassung der Freiheit, die unabdingbar ist388, nicht aufgeben. „Diese Freiheit ist eine solche des einzelnen Menschen und Bürgers und damit aller Bürger, nicht eine Freiheit des Volkes als „politischer Einheit“.389 Soweit von der „Freiheit der Völker“ gesprochen wird, leitet sich diese aus der Freiheit der Menschen ab. Diese dürfen ihre Rechtsgemeinschaften auflösen oder neu definieren und neu zusammensetzen.390 Aus ihrer existentiellen Staatlichkeit erwächst den Einzelstaaten die Pflicht, die im Innenverhältnis bereits verwirklichte rechtliche Freiheit ihrer Bürger weiterhin zu sichern. Andererseits haben sie auch die Rechtspflicht, aus dem Naturzustand des bewaffneten und unbewaffneten internationalen Kampfes um „nationale Interessen“ herauszutreten und an der weltweiten, allseitigen und allgemeinen Sicherung des Friedens mitzuwirken. Es dient ihrer Freiheit, den ungesicherten Zustand zwischen den Staaten zu beenden und in einen gesetzlichen Zustand überzugehen.391 Ein „Men-

385 Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, in: H. Brunkhorst/ M. Kettner, Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 146. 386 BVerfG, JZ 2003, 1060. 387 Vgl. P. Koller, Frieden und Gerechtigkeit in einer geteilten Welt, in: R. Merkel/ R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 213 (220); M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 361 (382); R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB 6 (1999), S. 192 ff. 388 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 14, 25. 389 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 155; anders O. Höffe, Weltrepublik, S. 212, 214, der ein Recht der Staaten als „Kern ihrer Freiheit“ auf staatliche Fortexistenz befürwortet. 390 O. Höffe, Vision: Föderale Weltrepublik, S. 26. 391 J. B. Sartorius, Organon des vollkommenen Friedens, S. 246 f.

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schenrecht auf Nationalität“ als Gruppenrecht gibt es nur insoweit, als keinem Volk seine Nationalität gegen seinen Willen genommen werden darf. 3. Civitas statt Nation Angela Augustin hält den Rückgriff auf ein „Volk“ als Nation zur Begründung und Schaffung einer Rechtsordnung für entbehrlich392, nicht jedoch den auf einen Demos, verstanden als Gesamtheit der Bürger393 im Sinne einer Rechts-, Kommunikations-, Willens- und Handlungsgemeinschaft der Betroffenen, die sich wechselseitig gleiche Mitwirkungsrechte zuerkennen.394 Dies entspricht dem Begriff der civitas (dazu auch 1. Teil, A, S. 57 ff.). a) Civitas als Rechtsbegriff „Die zur Gesetzgebung vereinigten Glieder einer solchen Gesellschaft (societas civilis), d. i. eines Staates, heißen Staatsbürger (cives).“395 Ihre Vielheit bildet das Volk.396 Kant hat den Begriff des Volkes in Anlehnung an Cicero397 definiert: „Volk, d. i. eine Menge von Menschen, . . . die im wechselseitigem Einflusse gegen einander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinenden Willen, einer Verfassung (constitutio) bedürfen, um dessen, was Rechtens ist, teilhaftig zu werden.“398

Elemente des rein rechtlichen399, aber nicht entmenschlichten Volksbegriffs400 im Sinne der civitas sind also: – eine Menge von Menschen, – ihr wechselseitiger Einfluß aufeinander, – ihr Bedürfnis nach einem rechtlichen Zustand und einer Verfassung, – ein vereinender Wille. 392

A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, S. 377 ff. A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, S. 335 f. 394 A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, S. 336 ff., 375 f., 397. 395 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 432 (A 166/B 196); auch schon Cicero, De re publica I, 39 (S. 130). 396 BVerfGE 38, 258 (271); 47, 253 (272); 83, 37 (51, 53); 83, 60 (71); K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 650 ff.; dazu auch A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, S. 63 ff. 397 Cicero, De re publica, I, 49, (S. 145). 398 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 429. 399 Vgl. i. d. S. auch D. Sternberger, Verfassungspatriotismus, S. 20 ff., 226 ff. 400 Vgl. aber den Volksbegriff von H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1929, S. 14 ff., der Volk entpersonifiziert als ein „System von einzelnen menschlichen Akten, die durch die staatliche Rechtsordnung bestimmt sind“, definiert. 393

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Volk im Sinne von civitas ist weder mit dem Staatsvolk noch mit der Nation gleichzusetzen. Wenn Demokratie einen Demos voraussetzt, heißt das damit noch lange nicht, daß der Demos nur im Sinne von Staatsvolk oder gar von Nation verstanden werden kann.401 Auch das Grundgesetz gibt das nicht zwingend vor. Wenn die Bundesrepublik nach Art. 23 Abs. 1 GG an der Verwirklichung eines vereinten Europas in einer Europäischen Union mitwirken soll, die „demokratischen . . . Grundsätzen entspricht“, so zeigt dies, daß auch das Grundgesetz von der Möglichkeit von Demokratie jenseits des Staates und des Staatsvolkes ausgeht.402 So hat das Bundesverfassungsgericht in einem obiter dictum festgestellt, daß die durch das Gemeinschaftsrecht (Art. 19 EGV) geforderte Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Bürger anderer Mitgliedstaaten Gegenstand einer nach Art. 79 Abs. 3 GG zulässigen Verfassungsänderung sein könne.403 Gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG in der Fassung vom 21. Dezember 1992404 sind auch Unionsbürger wahlberechtigt und wählbar. Das Gericht sah insoweit keinen Hinderungsgrund durch das in der Ewigkeitsklausel (Art. 79 Abs. 3 GG) gesicherte Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Damit hat es den Volksbegriff in Art. 20 Abs. 2 GG, jedenfalls im kommunalen Bereich, nicht unabänderlich an die deutsche Staatsangehörigkeit oder gar Volkszugehörigkeit gekoppelt und im Sinne der civitas als evolutionsfähig angesehen.405 Weil der Begriff des Bürgers an eine verfaßte Rechtsgemeinschaft zum Zwecke allgemeiner Gesetzgebung gebunden ist, paßt der rechtliche Begriff des „Bürgers“ nicht auf freiwillige Loyalitätsverhältnisse in privaten Gemeinschaften, die teilweise mit dem Begriff der corporate citizenship gekennzeichnet werden.406 b) Zur Frage nach materiellen Homogenitäts- oder Solidaritätsmerkmalen als Demokratie- und Integrationsvoraussetzungen Kann sich kosmopolitische Demokratie in einem multikulturellen Umfeld ohne gemeinsame Sprache entwickeln? Das Recht als solches und damit auch der Staat als civitas hängen nicht von einer nationalen oder vorrechtlichen Ein401 Vgl. U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 584 ff. 402 U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 586. 403 BVerfGE 83, 37 (59); vgl. Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG. 404 BGBl. I, S. 2086. 405 R. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, HStR, Bd. II, 2004, § 16, S. 107, Rn. 34 sieht dagegen im Unionsbürgerwahlrecht nur eine „Funktionsmitwirkung“ von Ausländern, aber keine Änderung des Volksbegriffs. 406 Für eine solche Ausdehnung des Bürgerbegriffs aber B. S. Frey, Lilliput oder Leviathan?, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 3 (2002) 4, S. 363 (366 ff.).

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heit ab.407 „In der ethnischen Fassung des Konzepts der Volkssouveränität muß am Ende der universalistische Sinn des Rechtsprinzips verloren gehen“408, wie Jürgen Habermas festgestellt hat. Die Zugehörigkeit zu einer Kulturnation, materielle Homogenität oder gar Harmonie zwischen den Menschen409 sind keine Voraussetzung für eine civitas, weil diese gerade ermöglichen soll, daß jedermann nach seinen ethnischen, religiösen, kulturellen und sonstigen Vorstellungen glücklich werden kann.410 Nicht die nationale Eigentümlichkeit macht den Menschen zur politischen Gemeinschaft befähigt und nach dieser bedürftig, sondern seine gemeinsame menschliche Natur als Zoon politikon.411 Diese ist ihm angeboren, während die Verbundenheit zu einer bestimmten Nation anerzogen ist.412 Ein formaler Volks- und Staatsbegriff als civitas kann somit anders als ein materiales, ethnisches Volksverständnis auf Homogenitätsmerkmale, wie etwa gemeinsame Sprache413, Geschichte414, Kultur415, Charakter416, übereinstimmende Lebensbedingungen417, Religion und Abstammung418 verzichten.419 407

So aber A. Feuerbach, Die Weltherrschaft als Grab der Menschheit, 1833, S. 38. J. Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 133. 409 M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, in: ders./J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 25 (27). 410 A. A. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1177 ff.; ders., Demokratie versus Kapitalismus, in: Zeit-Fragen, 10.6.2002, S. 1 (2). 411 Aristoteles, Politik, 1252 b; vgl. W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, S. 98. 412 P. Frankl, Weltregierung, 1948, S. 202 f. 413 J. G. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 2. Teil, 9 II, (Werke, Bd. 6, S. 353); J. G. Fichte, Reden an die Deutsche Nation, Dreizehnte Rede; P. Kirchhof, Deutsche Sprache, HStR, Bd. II, 2004, § 20, S. 209 ff.; E.-W. Böckenförde, Staat, Nation, Europa, 1999, S. 28; vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1185 f., 1194 ff.; ders., Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), 168; vgl. dazu auch A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, S. 139 ff.; BVerfGE 89, 155 (185); aber auch die Homogenität der Sprachgemeinschaft ist nichts Ursprüngliches J. Habermas, Was ist ein Volk?, in: ders., Die postnationale Konstellation, 1998, S. 13 (25). 414 N. Reiter, Gruppe, Sprache, Nation, 1984, S. 376. 415 H. Heller, Staatslehre, S. 158 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 83 f.; P. Kirchhof, Europäische Einigung und der Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland, in: J. Isensee (Hrsg.), Europa als politische Idee und als rechtliche Form, 1993, S. 63 (71); K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1186. 416 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 1999, S. 72. 417 Vgl. A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, S. 118 ff. 418 Vgl. H. Heller, Staatslehre, 1961, S. 148 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2003, S. 82 f. 419 W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, 1952, S. 99; a. A. R. Hahn, Die Idee der Nation und die Lösung der deutschen Frage, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29/ 90, 3 (7); P. Kirchhof, Europäische Einigung, S. 71; dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1177; vgl. G. Gottlieb, Nation Against State, 1993, S. 24 ff., 44, der einen vom Staat unabhängigen Nationenbegriff, der den Zusammenschluß ethnisch Zusammengehöriger ermöglicht, befürwortet; vgl. aber auch Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, hrsg. v. Weischedel, Bd. 10, S. 658 (B 296, A 298). 408

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Gerade die Verschiedenheit der Sprachen und Religionen, welche neben dem „Eigennutz“ jene „ungesellige Geselligkeit“ erzeugen, motivieren zur Friedensstiftung unter gemeinsamen Rechtsgesetzen.420 Ein wie auch immer geartetes „Zusammengehörigkeitsgefühl“, das im übrigen nicht nur innerhalb von Nationalstaaten möglich erscheint, mag empirisch-soziologisch relevant sein.421 Es hat aber anders als der Wille zur Zusammengehörigkeit im Sinne einer gemeinsam ausgeübten Praxis der Selbstgesetzgebung keinen normativen Gehalt.422 Das Homogenitätsprinzip als Charakteristikum eines materiellen Nationenverständnisses ist keine unabdingbare und deshalb auch keine rechtliche Voraussetzung für eine Rechtsgemeinschaft, einen Staat, ein Volk.423 Im Gegenteil, es erschwert, daß sich die Menschen brüderlich begegnen (Art. 1 AEMR), d. h. in Offenheit und Bereitschaft zu einem weltweiten Diskurs.424 Sich ähnlich zu sein, ist keine rechtliche Bedingung, sondern nur eine „Krücke“ für die gemeinsame Willensbildung, die entfällt, wenn die Menschen ihrer nicht (mehr) bedürfen, d. h. wenn sie zu hinreichend Toleranz fähig sind. Das bedeutet, den Anderen als Anderen und nicht nur als Spiegel seiner selbst anerkennen zu können. Man könnte fast sagen, Toleranz ist der „Kitt“, der eine Gemeinschaft dauerhafter trägt, als das wandelbare und labile Kriterium der Homogenität. Die innere „Kultur“ eines Menschen (seine Sittlichkeit), namentlich seine Toleranzbereitschaft, unterliegt allein seiner Gewissensentscheidung und ist rechtlich nicht erzwingbar. Es bedarf keiner anderen Homogenität als des gemeinsamen Willens von Menschen, in einer Rechtsgemeinschaft zusammen leben zu wollen.425 Dies setzt allerdings die tatsächliche Möglichkeit voraus, in einem freiheitlichen Diskurs über gemeinsame Gesetze zu kommunizieren und nach anerkannten Regeln zu beschließen und diese Entscheidung als gemeinsame anzunehmen.426

420 Vgl. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 37 (A 392); ders., Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, S. 611 (A 156, 157). 421 Vgl. dazu J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, in: ders., Die postnationale Konstellation, 1998, S. 91 (152 ff.). 422 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 112. 423 Anders die kommunitaristische Sicht, vgl. dazu L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, Internationale Beziehungen, 1995/2, 276. 424 Vgl. auch Kant, Zum ewigen Frieden, S. 225 f. (B 63, 64/A 62, 63), der „die Verschiedenheit der Sprachen und Religionen“ als Ursache für wechselseitigen Haß und Krieg anführt. Bei „anwachsender Kultur“ könnten die Menschen aber trotzdem zu einem Konsens über Prinzipien und zum Frieden gelangen. 425 Trotz seiner Homogenitätsanforderungen an die Republik meint auch K. A. Schachtschneider, Res publica, S. 1190: „Der Wille zur staatlichen Einheit bringt die Nation hervor.“; vgl. auch O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 186. 426 Zum Begriff des Volkes als Willensgemeinschaft A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, S. 183 ff., 302 ff.; für Konsens statt Homogenität auch W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, S. 178 ff.

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Globale Probleme der Lebensbewältigung und des Rechts beschränken sich naturgemäß nicht auf ein Staatsvolk.427 Soweit eine Weltcivitas die allgemeine Freiheit der Menschen besser sichert als das bisherige Staatensystem, erscheint es nicht ausgeschlossen, daß die Mehrheit der Menschen einer Weltverfassung zustimmt.428 Tatsächlich allerdings entsteht dieser „gemeinsame Wille“ meist aus der Notwendigkeit, sich von äußeren Zwängen zu befreien.429 Über die Dringlichkeit, den globalen Gefahren für die Menschheit zu begegnen, dürfte unter den Menschen Einigkeit bestehen.430 Es bleibt die Entscheidung der Rechtsgenossen, welche Intensität ihrer Rechtsgemeinschaft sie aufgrund von Kultur, Sprache und Religion im Zusammenleben für erträglich erachten. Volenti non fit iniuria.431 Daraus folgt, daß eine civitas ihrem Begriff nach eine gewisse Verfaßtheit von Menschen voraussetzt, die insbesondere darin besteht, sich gemeinsame Gesetze geben zu wollen, darüber zu kommunizieren, sich diesen zu unterwerfen und diese auch gegebenenfalls durchzusetzen. Hugo Preuß, auf den der maßgebliche Entwurf der Weimarer Reichsverfassung zurückgeht, hat geäußert, der nationenübergreifende Staat müsse „das ethnische Moment durch das politische Ferment des Gemeinwesens überbieten und so . . . die organische Willenseinheit eines übernationalen Staatsvolks entwikkeln. Dies setzt . . . die genossenschaftliche Struktur des Volksstaates voraus im Gegensatz zu der herrschaftlichen des aus der landesfürstlichen Territorialität erwachsenen Obrigkeitsstaats.“432

Solidarität als gegenseitige Achtung der gleichen Freiheit433 zwischen den Bürgern kann sich durch ihre gemeinsame Teilnahme am politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß sowie im Genuß gemeinsamer Rechte, nicht nur liberalistischer, sondern auch sozialer Art entfalten.434 Sie hängt nicht notwendig von der vorpolitischen Vertrauensbasis einer gewachsenen Gemeinschaft ab. Beispiele hierfür sind die Schweiz, Belgien und die USA.435 Carl Hilty sprach von dem Bewußtsein der Schweizer Bürger, „einen in vielen Hinsichten 427

Vgl. D. Thürer, „Citizenship“ und Demokratieprinzip, S. 178. Dazu M. Brauer, Weltföderation, S. 233 ff. 429 Vgl. J.-Chr. Merle, Mill über die Nation und die heutige Debatte über die Globalisierung, ARSP 2002, 190 f. 430 D. R. Griffin, Global Government: Objections Considered, in: E. E. Harris/J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 57 (61 f.). 431 Hobbes, Leviathan II (Vom Staat), 18. Kap. S. 160; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 423 (A 166/B 196). 432 H. Preuß, Großdeutsch, kleindeutsch und die Idee des nationalen Staates, in: ders., Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke, 1916, S. 29 (55). 433 H. Brunkhorst, Solidarität, S. 9 ff., 85. 434 Dazu J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, S. 142 ff.; ders., Inklusion, S. 158 f., 164; ders., Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 113, 117 f.; H. Schneider, EU als Staatenverbund oder als multinationale „Civitas Europea“, S. 702 f.; H. Brunkhorst, Solidarität, S. 9 ff. zum Begriff der Solidarität. 428

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

besseren Staat zu bilden, eine Nationalität zu sein, die hoch über der bloßen Bluts- und Sprachverwandtschaft steht“, insbesondere als Wahrerin der Volksfreiheit.436 Ein nach Homogenitätsmerkmalen bestimmter Nationen- oder Volksbegriff, der insbesondere in Osteuropa in der jüngeren Vergangenheit große Wirksamkeit auf die politischen Entwicklungen erlangt hat437, ist ursächlich für das sogenannte Minderheitenproblem.438 Im Nationalstaat, dessen Zusammenhalt über Homogenitätsmerkmale begründet wird, ist die kleinere ethnische Gruppe gezwungen, sich gegenüber der Nation als Minderheit zu begreifen. Dies aber widerspricht, selbst wenn der Minderheit sogenannte Minderheitenrechte zuerkannt werden, der allgemeinen Freiheit und der Gleichheit der Bürger.439 Jürgen Habermas hat zu Recht ethnisch-kulturelle Gemeinsamkeiten als Voraussetzung von Demokratie abgelehnt440 und eine „gemeinsame politische Kultur“ als „Verfassungspatriotismus“441 gefordert, welche die nationale „Mehrheitskultur“ und „ethnische Subkulturen“ überwindet.442 Demokratie könne sich nur auf den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß berufen, nicht dagegen auf die vorpolitische Gegebenheit eines Volks im soziologischen Sinn.443 Eine gemeinsame Vorstellung vom bonum commune ist nicht vorausgesetzt, sondern erst in prozeduralen Diskursverfahren zu ermitteln.444 Als Alternative schlägt er vor, „für den demokratischen Prozeß geeignete Formen auch jenseits des Nationalstaats zu finden“.445 Er fordert, „die geschichtliche Symbiose des Republikanismus mit dem Nationalismus aufzulösen.“446

435 P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 200; J. Delbrück, Das Staatsvolk und die „Offene Republik“, in: Fs. Bernhardt, 1995, S. 777 (784 f.). Die Rassenprobleme der USA sind nicht zu leugnen. Sie widersprechen aber der Verfassung und dem Staatsselbstverständnis (Freiheit und Gleichheit). Sie konnten größtenteils durch die Rechtsprechung des Supreme Court verfassungsrechtlich überwunden werden. 436 C. Hilty, Vorlesungen über die Politik der Eidgenossenschaft, 1875, zit. nach Th. Schieder, Nationalismus und Nationalstaat, 1992, S. 46 f. 437 Dazu B. R. Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, 2000, S. 235 ff. 438 A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 204, Rn. 617. 439 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 513. 440 Vgl. J. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, S. 642 ff.; ders., Der europäische Nationalstaat, S. 142 ff.; ders., Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 112 f. 441 Dazu D. Sternberger, Verfassungspatriotismus, 1990; a. A. R. Hahn, Die Idee der Nation und die Lösung der deutschen Frage, Aus Politik und Zeitgeschichte, B (29/ 30), S. 7. 442 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 114; vgl. auch Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, S. 144 ff. 443 J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, S. 139. 444 Vgl. R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB (1999), S. 185 (192 ff.). 445 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 95.

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung

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Dennoch hält Habermas am Erfordernis der Solidarität und der gleichmäßigen Inklusion der Bürger als Voraussetzung für Demokratie fest.447 Einerseits befürwortet er zwar einen Republikanismus jenseits des Nationalstaates, sieht aber andererseits einen Weltstaat nicht als Träger einer (umfassenden) Weltinnenpolitik, weil diesem die verbindende Solidarität und Legitimationsbasis fehle. Von staatlich organisierten Gemeinschaften unterscheide sich jede Weltorganisation durch die Bedingung vollständiger Inklusion. Sie könne niemanden ausschließen, weil sie keine sozialen Grenzen zwischen Innen und Außen erlaube. Eine demokratische politische Gemeinschaft, so meint Habermas, müsse Mitglieder von Nicht-Mitgliedern unterscheiden können. Dieses politische Selbstverständnis der Bürger eines bestimmten demokratischen Gemeinwesens fehle der inklusiven Gemeinschaft der Weltbürger. Wenn sich Weltbürger auf globaler Ebene demokratisch-repräsentativ organisieren, können sie ihren normativen Zusammenhalt nicht aus einem ethnisch-politischen, sondern einzig aus einem rechtlich-moralischen Selbstverständnis gewinnen. Das normative Modell für eine Gemeinschaft, die ohne Möglichkeit der Exklusion besteht, sei das Universum moralischer Personen, Kants „Reich der Zwecke“. In der kosmopolitischen Gemeinschaft bildeten deshalb allein die Menschenrechte den normativen Rahmen. Ein weltweiter Konsens über Menschenrechte begründe kein strenges Äquivalent für die innerhalb der Nation entstandene staatsbürgerliche Solidarität und biete keine Basis für eine (umfassende) Weltinnenpolitik. Die Institutionalisierung von Verfahren der weltweiten Interessenabstimmung, Interessenverallgemeinerung und die Konstruktion gemeinsamer Interessen könne sich nicht im organisatorischen Gefüge eines Weltstaates vollziehen. Entwürfe zu einer „kosmopolitischen Demokratie“ müßten sich nach einem anderen Modell richten.448 Eine über die gegenseitige Achtung als Mensch hinausgehende Solidarität ist keine Voraussetzung der civitas, sondern deren gesetzlich erwirktes Produkt. Solidarität kann aufgrund gemeinsamer Diskurse entstehen.449 Auch Habermas meint: „Die demokratische Ordnung ist nicht von Haus aus auf eine mentale Verwurzlung in der ,Nation‘ als einer vorpolitischen Schicksalsgemeinschaft angewiesen. Es ist die Stärke des demokratischen Verfassungsstaats, Lücken der sozialen Integration durch die politische Partizipation seiner Bürger schließen zu können. . . . In komplexen Gesellschaften bildet die in Prinzipien der Volkssouveränität und Menschenrechte begründete deliberative Meinungs- und Willensbildung der Bürger letztlich

446 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 116. 447 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 140 f. 448 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 161 ff. 449 R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB (1999) 6, S. 198 ff.

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das Medium für eine abstrakte und rechtsförmig hergestellte, über politische Teilnahme reproduzierte Form der Solidarität.“450

Der Begriff der „Schicksalsgemeinschaft“, der teilweise verwendet wird, um notwendige gemeinsame Nationalstaatlichkeit zu begründen451, fordert ebenso, im stoischen Sinn verwendet452, eine Weltordnung ein. Abhängig vom Standpunkt der Betrachtung sind Gemeinden, Nationen, Regionen oder die gesamte Welt zu „Schicksalsgemeinschaften“ verbunden. Wenn sich die Weltgemeinschaft aber auf Funktionen der Friedenssicherung und des Menschenrechtsschutzes beschränkt, also keine umfassende Weltinnenpolitik betreibt, muß die Solidarität der Weltbürger nicht vom gleichen politischen, kulturellen oder sozialen Zusammenhalt getragen sein wie die Solidarität der Staatsbürger.453 Nach Karl Albrecht Schachtschneider würde eine Weltrepublik die (formelle) Homogenität der Menschheit durch allgemeine Aufgeklärtheit voraussetzen.454 Weil diese nicht existiere, bleibe die Weltrepublik nur Vision.455 Empirische allgemeine Aufgeklärtheit aller Menschen wird immer ein Ziel bleiben. Die menschliche Unvollkommenheit hat die Bildung von Staaten erforderlich gemacht und nicht aufgehalten. Schachtschneider selbst meint, daß eine Verfassung nach dem Rechtsprinzip „nicht etwa die allgemeine Aufgeklärtheit der Bürger“ voraussetze, sondern durch eine Organisation des Gemeinwesens möglich werde, welche erst die Chance biete, bestmöglich das Recht zu verwirklichen.456 Wären die Menschen tatsächlich vollkommen aufgeklärt, bedürften sie keiner Staatlichkeit mehr. Die Verfassung muß nach Kant auch ein „Volk von Teufeln“, nämlich Wesen, „die insgeheim sich davon auszunehmen geneigt“ sind, zum Recht führen, „wenn sie nur den Verstand haben“457. Notwendig für eine Weltcivitas ist eine grundsätzliche Einigungsfähigkeit in Weltrechtsfragen. Vorausgesetzt werden müssen daher für ein politisches Gemeinwesen Vernunftbegabtheit, Kommunikationsfähigkeit sowie Kommunikations- und Diskursbereitschaft. Normativ gesehen steht die Sprach- und Vernunftbegabtheit aller 450 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 117; daran anschließend A. Pizani, Demokratisierung als Aufgabe, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33–34/2000, 35. 451 J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 709 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 545 ff., 548 ff.; W. Hankel/W. Nölling/K. A. Schachtschneider/J. Starbatty, Die Euro-Klage, 1998, S. 256 ff. 452 Cicero, De officiis/Vom pflichtgemäßen Handeln, III, 26, S. 242. 453 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 143 f. 454 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1186, 1191. 455 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1191; vgl. O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, S. 11. 456 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71, 1997, 175. 457 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 224 (B 61, 62/A 60, 61).

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Menschen fest (vgl. Art. 1 AEMR).458 Schon der Vorsokratiker Demokrit hat erkannt, daß sich der Mensch aufgrund seiner Vernunft überall zu Hause fühlen kann: „Dem weisen Mann steht die ganze Erde offen; das Universum ist das Vaterland der guten Seele“.459 Die Kommunikationsfähigkeit als Voraussetzung jedes gemeinsamen menschlichen Handelns ist kein materielles Homogenitätsmerkmal, weil sie dem Menschen angeboren ist. Kommunikation ist auch zwischen Menschen verschiedener Sprachen möglich.460 Fremdsprachenkenntnisse gehören zu moderner Aufgeklärtheit. Problematischer ist die Kommunikationsbereitschaft.461 Auch diese ist vorhanden, wie die globalisierten Lebensverhältnisse (dazu 1. Teil, B) zeigen.462 Mit der Notwendigkeit auch weltweiter Kommunikation ist nicht der Verlust der eigenen Sprache verbunden. Das Recht auf „eigene Sprache“ wird insoweit nicht berührt. Ein Recht, ausschließlich in einer Sprache kommunizieren zu dürfen, ist nicht erkennbar. Es gibt kein Menschenrecht auf Ignoranz oder darauf, eine andere Sprache, auf die sich die Menschheit als Weltkommunikationssprache in globalen Angelegenheiten einigt, nicht erlernen zu müssen, um auf Weltebene kommunikationsfähig zu sein. Ebenso wenig kann niemand volle Kommunikationsfähigkeit beanspruchen, der sich beharrlich weigert, sprechen zu lernen, obwohl er es könnte. Im übrigen hat sich auch empirisch bereits ein gewisses Weltrechtsbewußtsein entwickelt. Obwohl es unterschiedliche Auffassungen zur Todesstrafe und zur Behandlung von Dissidenten gibt, sind zum Beispiel die Gebote der Gleichheit vor dem Gesetz, der Unparteilichkeit, der Schutz von Leib, Leben, Eigentum und Ehre, Verfahrensregeln wie audiatur et altera pars oder die Unschuldsvermutung grundsätzlich global anerkannt.463 Internationale Gerichte wie der Internationale Gerichtshof, das Internationale Seegericht sowie das Weltstrafgericht zeigen, daß eine gewisse Homogenität in Rechtsfragen, ein Weltrechtsbewußtsein bereits institutionelle Verankerung gefunden hat.464 Dieses genügt als Solidarität, um durch den Diskurs über die Weltrechtsetzung in eine civitas einzutreten.

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O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 21. H. Diels/W. Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker, Bd. 1, 1996, S. 68 B 247, Kap. 8. I. I. 460 Vgl. auch A. Augustin, Das Volk der Europäischen Union, S. 142 ff., 336 ff.; W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, S. 20 7 ff.; a. A. D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, JZ 1995, 581 (588 f.). 461 W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, S. 181. 462 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 1999, S. 15. 463 O. Höffe, Eine föderale Weltrepublik?, 2000, S. 7. 464 O. Höffe, Vision: Föderale Weltrepublik, S. 25. 459

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c) Weltcivitas als Voraussetzung einer volonté générale mondiale Jedenfalls in den Fragen, die einer globalen Ordnung bedürfen, sowie in den von den Staaten ungelösten Menschenrechtsproblemen und der Friedenserhaltung ist die ganze Menschheit zu einer Schicksalsgemeinschaft verbunden, welche insoweit einer rechtlichen Verfassung, einer Weltcivitas bedarf. Um es nochmals zu betonen: Es ist nicht erforderlich und übermäßig, daß alle Gewalt von einem „Weltvolk“ ausgeht. Nur für den Rest an Rechtlosigkeit, der nicht durch das staatliche Recht und das Völkerrecht hinreichend erfaßt wird, verlangt die praktische Vernunft eine Weltverfassung465, nicht jedoch einen Weltterritorialstaat. Danach richten sich die Erfordernisse des Prinzips der Selbstbestimmung. Mitglieder der Weltcivitas können Bürger oder/und Völker sein. Spricht man sich aus Furcht vor einer „Universalmonarchie“ gegen eine Weltcivitas aus, bleibt nur die (monologische) Einbeziehung von Weltrechtsinteressen, in die nationale volonté générale im Sinne weltoffener Einzelstaaten (1. Teil, B, S. 86). Offene Staatlichkeit ist ein Schritt zur Verwirklichung der Weltrechtsidee, findet aber ihre Grenzen am Prinzip der Selbstbestimmung, weil ein Staat nicht einseitig die Interessen der ganzen Menschheit entscheiden, erst recht nicht erzwingen darf. Besonders deutlich wird dies an der Problematik sogenannter humanitärer Interventionen (dazu 6. Teil, F, S. 935 ff.). Durch das bisherige völkerrechtliche System wird eine volonté générale mondiale weder erreicht noch angestrebt, weil den voneinander isolierten Vertragsregimen, die vorrangig dem Ausgleich bestimmter nationaler Interessen dienen466, in der Regel ein wechselseitiger Bezug auf das Weltrecht fehlt, insbesondere auf die Menschenrechte. Die Weltgesellschaft und die einzelstaatlichen Verfassungen sind nicht kongruent. Eine volonté générale mondiale kann deshalb mangels institutionalisierter, allgemeiner, öffentlicher Diskurse nicht gebildet werden. Durch eine Weltcivitas würden zwar die Staaten (teilweise) in ihrer Allzuständigkeit (Souveränität) beschränkt, nicht aber die Bürger ihrer politischen Freiheit beraubt.467 Eine von der politischen Freiheit der Bürger losgelöste, selbstzweckhafte Souveränität der Staaten ist weltrechtlich nicht geschützt (dazu 3. Teil, D, S. 362 ff.). Demokratie ist kein von der Idee der Freiheit unabhängiges Prinzip, sondern soll diese verwirklichen. Sie ist nur dann ein geeig465 Vgl. auch O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 204 (212); ders., Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 293 f., 296. 466 Dazu 2. Teil, B, S. 145. Eine gewisse Ausnahme bildet die UN-Charta, dazu 6. Teil, C, II. 467 W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, S. 83.

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung

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netes Prinzip universeller Legitimation, wenn ihr Zweck und Wesen Selbstgesetzgebung und nicht die Abgrenzung eines Volkes von einem anderen ist. Wie Karl Albrecht Schachtschneider richtig festgestellt hat, „muß der Abschied von dem demokratischen Staatsprinzip nicht betrüben, wenn an dessen Stelle ein republikanisches Staatsprinzip tritt, welches der Vielfalt der Lebensverhältnisse, aber auch den modernen Kommunikationsverhältnissen besser gerecht wird. Leitprinzip des gemeinsamen Lebens ist aufklärerisch der Bürger, nicht das Volk (als Nation).“468

4. Weltcivitas als Weltbürgerschaft a) Weltvolk Johann Caspar Bluntschli nennt als den vollkommenen Staat „die organisierte Menschheit“469. Die Vereinigung eines „Weltvolkes“ durch eine gemeinsame Verfassung, ergänzend zu den bisherigen nationalen Verfassungen, ist denkbar, wenn die Bürger der Einzelstaaten diesen Willen bilden.470 Bisher gibt es nur private Initiativen. Die Weltföderalistenbewegung (World Federalist Movement)471, die keinem bestimmten Weltstaatsmodell anhängt, widmet sich der Erarbeitung von Weltordnungsmodellen und verschiedener politischer Initiativen, deren Ziel die Realisierung globaler Institutionen ist.472 Eine Weltcivitas als Weltbürgerschaft befürwortet die von Garry Davis begründete Weltbürgerbewegung473, die mit Umfragen zu einer Weltverfassung sowie mit „Testwahlen“ zu einer Weltregierung gewisse Erfolge erzielt hat.474 Ihr Hauptziel ist es, einen staatenübergreifenden Gesellschaftsvertrag zwischen möglichst vielen Menschen zu begründen und über diese gemeinsame Weltordnung miteinander zu kommunizieren. Seit 1. Januar 1949 ist in Paris ein Registrations468 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 153 (176). 469 J. C. Bluntschli, Allgemeine Staatslehre, S. 34. 470 Vgl. dazu die parallele Diskussion um einen europäischen Staat: E. R. Huber, Nationalstaat und supranationale Ordnung (1964), in: ders., Nationalstaat und Verfassungsstaat, 1965, S. 273 (287 f.); kritisch P. Kirchhof, Europäische Einigung, S. 89 ff., 98; H. Schneider, EU als Staatenverbund oder als multinationale „Civitas Europea“, S. 697 ff. 471 World Federalist Movement, International Secretariat, New York, www.world federalist.org; vgl. auch die dreimal jährlich erscheinende Zeitschrift The Federalist Debate, die den Weltdiskurs fördern will. 472 Vgl. dazu J. P. Baratta, Strengthening the United Nations, 1987; M. Brauer, Weltföderation, S. 147 ff.; S. Mögle-Stadel, Die Unteilbarkeit der Erde, 1996, S. 151 ff., 171 ff. 473 Dazu S. Mögle-Stadel, in: Die Unteilbarkeit der Erde, S. 64 ff. 474 Vgl. dazu M. Brauer, Weltföderation, S. 154 ff.; K. Baltz, Eine Welt, S. 33 f.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

zentrum für „Weltbürger“ eingerichtet worden, das (symbolische) Weltbürgerpässe ausgibt.475 Den meisten Menschen dürfte diese Stelle nicht bekannt sein. Eine weltbürgerschaftliche civitas erscheint nicht objektiv unmöglich, aber derzeit unrealistisch.476 b) Weltparlament(e) Eine Weltcivitas als Weltbürgerschaft setzt ein Weltparlament oder auch mehrere für verschiedene Sachfragen getrennte Weltparlamente477 voraus. Hierdurch wird auch formell ein Weltbürgerstatus erreicht. Nur ihrem Gewissen verantwortliche478 Vertreter der Menschheit479 werden entsandt, die von der civitas nach einem einheitlichen, egalitären Wahlverfahren480, gewählt würden. In einem Weltparlament, das die Bürger und nicht nur die Völker481 vertritt, müssen die Abgeordneten nicht nach Völkern getrennt, sondern nach Weltkandidatenlisten gewählt werden. Aktiv und passiv wahlberechtigt ist die wahlmündige Weltbevölkerung. Vorauszusetzen ist, daß die Kandidaten die Gewähr bieten, für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzutreten. Weil sie nicht als Vertreter eines bestimmten Volkes, sondern der Weltbürgercivitas gewählt werden, kommt es im Weltparlament nicht darauf an, daß die verschiedenen Nationen der Anzahl ihrer Bürger entsprechend im Weltparlament vertreten sind. Die Nationalität spielt im Weltparlament als Weltbürgervertretung anders als in einer Staatenkammer keine Rolle. So wäre es für Deutsche auch möglich, andere Vertreter als Deutsche zu wählen. Allerdings verlangt dies von den Bürgern eine gewisse Aufgeklärtheit sowohl dahingehend, daß sie tatsächlich bereit sind, unabhängig von einer nationalen Verbundenheit, die besten Kandidaten zu erkennen als auch insoweit, daß die Weltöffentlichkeit gleichheitlich genauere Informationen über alle Kandidaten erlangt (in den Medien, spezielle Informationsbroschüren über die Kandidaten für jeden Wahlbürger). Um den Problemen des Parteienstaats, die in größeren Einheiten wegen der zunehmenden Entper475

www.recim.org; www.weltbuergervereinigung.de. Vgl. skeptisch W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 312, Rn. 27; L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 1995/2, 276; R. Wahl, Der einzelne in der Welt jenseits des Staates, Der Staat 40 (2001), S. 45 (62 f.). 477 Vgl. dazu J. Heinrichs, Revolution der Demokratie, 2003, S. 159 ff., 392. 478 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 114. 479 Anders D. Held, Democracy and the Global Order, S. 273, der auf globaler Ebene nur eine Vertretung der „Nationen“ nicht aber der Bürger verlangt. 480 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 116 f. 481 Zu einer Völkervertretung W. Schücking, Der Staatenverband der Haager Konferenzen, 1912, S. 298. 476

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sönlichung der Politik fast unabwendbar erscheinen482, zu entgehen, muß die Unabhängigkeit der Abgeordneten sowohl durch das Wahlverfahren als auch durch das Gesetzgebungsverfahren unterstützt werden. Die Mehrheitsregel als gleichheitliches Entscheidungsprinzip483 ist unverzichtbar. 5. Doppelte Civitas – Zweifache Legitimation Otfried Höffes Vision einer föderalen Weltrepublik sieht in Anlehnung an das Modell des Bundesstaates eine duale Legitimation vor. Die weltstaatliche Gewalt soll von einem doppelten Staatsvolk ausgehen: von der Gemeinschaft aller Menschen und von der aller Staaten. Das höchste Organ der Weltrepublik, der Weltgesetzgeber, solle aus zwei Kammern bestehen, aus einem Welttag als der Bürgerkammer und einem Weltrat als der Staatenkammer.484 In dem Sinn will auch Daniele Archibugi der reinen Staatenvereinigung der Vereinten Nationen eine Weltbürgerversammlung, die aus Abgeordneten der Weltbürger besteht, gegenüberstellen. Mit der Funktionsteilung zwischen diesen Organisationen, zwischen Völkerrecht einerseits und Weltbürgerrecht andererseits würde seiner Meinung nach eine unliebsame Zentralisation der staatlichen Befugnisse, wie sie in der Europäischen Union und entsprechend in einem Weltbundesstaat droht, verhindert.485 Dies hängt allerdings von der Aufgabenfülle der Weltorganisation ab. Je mehr sich Staatenverbindungen, insbesondere Supranationale Organisationen dem Modell Bundesstaat annähern, desto mehr drängt sich das Modell dualer Legitimation auf.486 Im Maastricht-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die demokratische Legitimation der Europäischen Union festgestellt, daß in einer „zu eigenem hoheitlichen Handeln befähigten Staatengemeinschaft“ „demokratische Legitimation nicht in gleicher Form hergestellt werden (kann) wie innerhalb einer durch eine Staatsverfassung einheitlich und abschließend geregelten Staatsordnung“.487 Neben den Völkern, vertreten durch die nationalen Parlamente, hat es auch das Europäische Parlament als stützenden Legitimationsträger anerkannt.488 482

Vgl. H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 12 f., 18 ff., 23 ff. E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HStR, Bd. II, § 24, S. 429, Rn. 41 ff., 52 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 106 ff. 484 O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, S. 27. 485 D. Archibugi, International Organization in perpetual peace projects, Review of International Studies, 18 (1992), S. 295 (315 f.). 486 Dazu L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Bd. 1, 1977, S. 550. Nr. 252; W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, S. 140. 487 BVerfGE 89, 155 (182); zu den Legitimationsproblemen der EU 6. Teil, D, S. 842 ff. 488 BVerfGE 89, 155 (186). 483

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6. Probleme und Gefahren eines Weltparlaments Die Institutionalisierung eines echten Weltparlaments489 oder auch mehrerer sachbezogener Parlamente490 (letztere könnten einer Machtkonzentration entgegenwirken) würde eine originäre Weltgesetzgebung ermöglichen. Auch wenn sich ein Weltvolk als pouvoir constituant noch nicht gebildet hat, könnte ein Weltparlament die Bürger der Welt unter gemeinsame Gesetze als Weltbürger zu einer (minimalen) Weltcivitas vereinigen. Mangels pouvoir constituant mondial und im Sinne eines vertikal gewaltenteiligen Systems, welches Machtmißbräuche auf globaler Ebene verhindert, kann die Ermächtigung des Weltparlaments nur durch die nationalen Parlamente verantwortet werden. Eine Kompetenz-Kompetenz, darf der Weltlegislative nicht zustehen. Aufgrund der Größe der Weltbevölkerung und der aus sachlichen Gründen notwendig limitiert zu haltenden Anzahl der Parlamentarier wäre eine, den demokratischen Fortschritt relativierende Bürgerferne, die in großen Staaten generell auftritt, wohl unvermeidbar, andererseits aber durch die heutigen technischen Möglichkeiten der Kommunikation teilweise überbrückbar.491 7. Völkercivitas Die Welt ist nach wie vor in Staaten eingeteilt und entspricht in keiner Weise einer weltstaatlichen Ordnung. Ein Weltvolk als Demos hat sich auch bereichsspezifisch noch nicht formiert. Ein Weltbürgerparlament, welches Weltgesetze erlassen könnte, existiert nicht. Dennoch könnte Recht der Völker i. e. S. als Weltrecht mit den Instrumenten des Völkerrechts positiviert werden (dazu 3. Teil, E, S. 435 ff.), wenn als Legitimationssubjekt nicht die Staaten, sondern die in ihnen verfaßten Bürgerschaften in ihrer Vielheit, also die Völker als Zurechnungssubjekt der Weltcivitas im Sinne einer echten Republik der Republiken verstanden würden.492 Das ist möglich, wenn man eine Öffnung des nationalen Demokratieverständnisses zugunsten des allgemeinen Prinzips der Selbstbestimmung zuläßt.493 Allerdings würde dies weiterhin die erga omnes Verankerung des Prinzips der politischen Selbstbestimmung voraussetzen. Das 489 N. Vallinoto, A Coalition for a World Parliament, The Federalist Debate, 1/2004, p. 13 ff.; zu den konstruktiven Problemen eines Weltparlaments: O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 1999, S. 308 ff. 490 Vgl. J. Heinrichs, Revolution der Demokratie, S. 159 ff., 392. 491 G. T. Martin, A Planetary Paradigm for Global Government, in: E. E. Harris/ J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 1 (17). 492 Vgl. G. Ress, Über die Notwendigkeit der parlamentarischen Legitimierung der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaften, in: GS W. K. Geck, 1989, S. 625 (647); V. Epping, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, Der Staat, 36 (1997), 357. 493 In dem Sinn D. Thürer, „Citizenship“ und Demokratieprinzip, S. 178, 201 ff.

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung

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genügt den Anforderungen an die Gleichheit, die in einer Vielheit der Bürgerschaften möglich und geboten ist. Eine Weltverfassung oder einzelne Weltverträge könnten in Abweichung vom völkerrechtlichen Nichteinmischungsprinzip die Ratifikation durch ein demokratisch gewähltes Parlament und/oder Referenden verbindlich vorsehen. Daß das demokratische Prinzip in den einzelnen Staaten verfahrensmäßig unterschiedlich ausgestaltet ist und somit zwischen den Bürgern verschiedener Staaten insoweit nicht rechtliche Gleichheit besteht, muß in einer civitas oder Republik der Völker als sachlich bedingt hingenommen werden. In der Völkercivitas kommt es in erster Linie auf die Gleichheit zwischen den Völkern an. Geltungsgrund der Rechtsetzung wäre der vereinigte Wille der Bürgerschaften. Dieser äußert sich als allgemeine Rechtsüberzeugung konkludent (Gewohnheitsrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze) oder durch tatsächliche Verträge.494 Für den jeweiligen Vertrag würden die in den Völkern verfaßten Bürgerschaften aller beteiligten Staaten eine partielle Völkercivitas bilden. In diesem Sinn sieht Richard Falk „Law of humanity“ in Abgrenzung zum „interstate law“ als nicht von den Staaten, sondern für und von den Völkern der Welt erlassenes Recht.495 8. Weltöffentlichkeit und Weltkommunikationsgesellschaft als Voraussetzungen globaler Demokratie Eine Weltcivitas, in der politische Selbstbestimmung lebendig ist, bedarf einer Öffentlichkeit496 im kosmopolitischen Sinn sowie institutionalisierter allgemeiner Verfahren, die den politischen Diskurs der Weltbürger sowie deren Teilnahme daran ermöglichen.497 Die Weltöffentlichkeit stellt die notwendige politische Verbindung zwischen den Bürgern und Bürgerschaften her. Somit setzt globale Demokratie zunächst eine weltweite Kommunikationsbasis unter den Menschen, eine Weltöffentlichkeit498 oder genauer eine „Kommunikationsge494

Vgl. auch A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 426. R. Falk, The World Order between Inter-State Law and the Law of Humanity, in: D. Archibugi/D. Held, Cosmopolitan Democracy, 1995, S. 163 (165). 496 Vgl. zur Bedeutung der Publizität und öffentlichen Meinung Kant, Zum ewigen Frieden, Anhang, S. 248 (B 106, 107/A 100, 1001) ff.; Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 315 ff. 497 Dazu J. Bohman, Die Öffentlichkeit des Weltbürgers, in: M. Lutz-Bachmann/ J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 87 ff., 99 ff. 498 Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, in: H. Brunkhorst/ M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 144 f.; O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, S. 210; eingehend M. Kettner/M.-L. Schneider, Öffentlichkeit und entgrenzter politischer Handlungsraum, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 369 ff., 388 ff. 495

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meinschaft der Menschheit“499 voraus. Allein soweit es eine, durch eine institutionalisierte Kommunikationsgemeinschaft und durch Grundrechte gesicherte, Weltöffentlichkeit mit Diskurs- und Einwirkungsrechten500 gibt, erscheint globale Rechtsetzung vernünftig.501 Der Diskurs in Weltrechtsfragen kann nur funktionieren, die Entstehung von Weltgewohnheitsrecht, allgemeinen Weltrechtsgrundsätzen oder sogar weltweite Volksabstimmungen kommen erst in Betracht, kosmopolitische Publizität ist möglich502, wenn es eine wache Weltöffentlichkeit gibt und ein Weltbürgerbewußtsein erwacht.503 Über die Mitwirkungsrechte der Nichtregierungsorganisationen und die wachsenden technischen Kommunikationsmöglichkeiten erstarkt allmählich die Weltöffentlichkeit.504 Sie kann jedoch nicht allein durch internationale (zwischenstaatliche) Institutionen und mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen erzeugt werden, weil diese nicht alle jeweils Betroffenen einbeziehen und erreichen.505 Es ist eine wechselseitige Bedingtheit: Zum einen bedarf es der Durchsetzung des Weltrechts, damit überhaupt eine Kommunikationsgemeinschaft der Menschheit entstehen kann, namentlich der Presse-, Rede-, und Versammlungsfreiheit sowie des Rechts auf Bildung. Diese Rechte sind in den Menschenrechtsverträgen zwar positiviert (z. B. Art. 13 IPwskR, Art. 18, 19, 21, 22 IPbpR), werden aber nicht in allen Staaten beachtet. Eine Weltöffentlichkeit, die das anmahnt und sich damit über die Rechtspraxis in manchen Staaten notfalls mit Hilfe des Widerstandsrechts hinwegsetzt, ist auf der anderen Seite ein nicht zu unterschätzender, aber allein nicht ausreichender Durchsetzungsfaktor (Publizität). Voraussetzung für eine Weltöffentlichkeit ist aber auch, daß die früheren außenpolitischen Themen, die zur Weltinnenpolitik geworden sind, vermehrt in den Staaten als eigene Belange diskutiert werden. Hierfür bedarf es nicht nur nationaler Medien mit gegebenenfalls internationaler Verbreitungsmöglichkeit, sondern auch global organisierter und ausgerichteter Medien, die objektive Informationen in allen Sprachen über das Weltgeschehen geben, ohne diese nach nationaler oder regionaler Relevanz zu filtern. Das Internet ist trotz seiner Komplexität und nicht wirklich egalitären Netzstruktur ein wichtiger Meilenstein zur 499

K.-O. Apel, Diskurs und Verantwortung, 1988, S. 203. Dazu H. Brunkhorst, Solidarität, S. 184 ff. 501 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 320. 502 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 244 (B 98, 99/A92, 93) ff.; dazu J. Bohman, Die Öffentlichkeit des Weltbürgers, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman, Frieden durch Recht, 1996, S. 87 ff. 503 Vgl. A. Pizani, Demokratisierung als Aufgabe, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33–34/2000, S. 37; vgl. zu den Diskurs- und Kommunikationsvoraussetzungen im Staatenverbund BVerfGE 89, 155 (185); zur öffentlichen Meinung als Bedingung der staatlichen Einheit H. Heller, Staatslehre, 1961, S. 173 ff. 504 Dazu H. Brunkhorst, Solidarität, S. 189 ff., 206 ff. 505 M. Kettner/M.-L. Schneider, Öffentlichkeit und entgrenzter politischer Handlungsraum, S. 404 ff. 500

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Herstellung von weltweitem Diskurs, von Weltöffentlichkeit bis hin zu der Möglichkeit von Internetplebisziten506. Eine wichtige Rolle als Vermittler von Informationen und Meinungen spielen neben den Medien die Internationalen Organisationen und die transnational aktiven Nichtregierungsorganisationen. Gegen die Möglichkeit einer volonté générale mondiale wird vorgebracht, es fehle der die Nationen übergreifende Raum einer Weltgesellschaft507, in dem die Bürger über Werte und Ziele diskutieren und das Allgemeininteresse formulieren können. Neben unter verschiedenen Gesichtspunkten, je nach Gesellschaftsbegriff separierten Gesellschaften, existiert im globalen Interdependenzbereich jedoch durchaus eine Weltgesellschaft.508 Niklas Luhmann versteht den soziologischen Begriff der Gesellschaft schon seit Jahrzehnten nur als einen solchen der Weltgesellschaft.509 Er definiert den Begriff der Gesellschaft nicht nach der Ähnlichkeit der Lebensbedingungen, sondern nach der Vernetzung der Kommunikation und der Wirtschaftssysteme und -beziehungen.510 Nach Niklas Luhmann ist „Weltgesellschaft“ „das Sich-ereignen von Welt in der Kommunikation“.511 Die weltweite Vernetzung von Kommunikation, von Massenmedien, von wissenschaftlicher Forschung, von täglichen Veränderungen im Finanz- und Kreditsystem, von politischen Interessen, von ökologischen Problemen und die damit einhergehende „Horizonterweiterung“ des Einzelnen512 reichen aus, um von Weltgesellschaft sprechen zu können.513 Nicht zuletzt die Migration und der ansteigende Tourismus fördern die Kommunikation zwischen den Ethnien und den sich intensivierenden weltweiten Kulturaustausch.514 Spätestens mit Hilfe von Internet und E-Mail haben sich die weltweite Kommunikation und damit auch die Weltgesellschaft entwickelt.515 Untersuchungen haben gezeigt,

506 Dazu vgl. Th. Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, S. 981; kritisch Ch. Brömmelmeyer, Internet Governance, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 81 (85 ff.). 507 Zur Weltgesellschaft vgl. L. Brock/M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 1995/2, 275 ff.; Th. Wobbe, Weltgesellschaft, 2000, S. 9 ff. 508 Vgl. dazu P. Koller, Frieden und Gerechtigkeit in einer geteilten Welt, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 213 (233 ff.). 509 N. Luhmann, Die Weltgesellschaft (1971), in: ders., Soziologische Aufklärung. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, 1975, S. 51 (61); ders., Das Recht der Gesellschaft, 1997, S. 571. 510 N. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 572. 511 N. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 150; siehe auch ders., Ethik in internationalen Beziehungen, Soziale Welt 50 (1999), 247 (249). 512 D. Held, Democracy and Global Order, S. 122. 513 N. Luhmann, Ethik in internationalen Beziehungen, Soziale Welt 50 (1999), 249; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 17 f., 19. 514 S. Hobe, Die Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 253 (255).

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daß via Internet der Meinungsaustausch und damit die Kommunikationsfreiheit selbst in den Ländern gefördert wird, in denen derzeit tendenziell noch versucht wird, freie Meinungsbildungsprozesse zu unterbinden, wie z. B. in China.516 Schon Kant konnte für seine Zeit feststellen, daß es mit der menschlichen „Gemeinschaft so weit gekommen ist, daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird“.517 Darin sah er ein Indiz für die Existenz eines Weltbürgerrechts. Heute hat sich über den Weg der „Empörung“ (colère publique) eine nicht nur passive, sondern auch aktive Weltöffentlichkeit gebildet: Autokratische Regimes werden von innen und von außen bedrängt. Menschenrechtsverletzungen werden zwar noch nicht global verfolgt, stoßen aber weltweit auf Protest. Als Sprachrohre dienen insbesondere Internationale Organisationen, Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und deren Netzwerke sowie Medien. Auf diese Weise entwickelt sich eine gemeinsame Öffentlichkeit, eine Weltöffentlichkeit. Konferenzen, Konsultationen und sonstige Aktivitäten, die bald ökonomische oder technische, bald ökologische und andere politische Ziele verfolgen, dienen als Forum. Für einige Bereiche gibt es sogar global zuständige Gerichtshöfe (wie z. B. den Internationalen Strafgerichtshof). Die Gruppen sogenannter Globalisierungsgegner bedienen sich nicht nur der Weltöffentlichkeit, vielmehr wirken sie selbst an der Entstehung einer Weltöffentlichkeit kräftig mit, indem sie dem globalen Kapitalismus andere universelle Werte, etwa sozialer oder ökologischer Natur gegenüberstellen. Damit ist noch nicht gesagt, daß eine weltweite demokratische Willensbildung entsteht. Ein Internetanschluß erzeugt noch keinen Weltbürger.518 Wer von Weltgesellschaft spricht, meint gerade nicht Weltvolk, nicht die Welt als politische Einheit oder gar als Weltstaat.519 Eine Weltöffentlichkeit, wie sie eine freiheitliche Weltordnung voraussetzt, hat mehr Aufgaben als nur Sprachrohr für die Empörung über Rechtsverletzungen zu sein. Die Demokratie lebt von einem ständigen aktiven Diskurs über das Weltgeschehen und erschöpft sich nicht in dem Wahlakt oder gar nur der colère publique. Legislative, Exekutive und Judi515 Dazu N. Bolz, Die Zeit der Weltkommunikation, in: ders./F. Kittler/R. Zons (Hrsg.), Weltbürgertum und Globalisierung, 2000, S. 81 (84 ff.); N. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 152 ff.; G.-P. Calliess, Globale Kommunikation – staatenloses Recht, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 64 f.; kritisch Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, S. 149 f. 516 Dazu M. Woesler, Das Internet und die Menschenrechte in China, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 310 ff. 517 Kant, Zum ewigen Frieden, Dritter Definitivartikel, S. 216 (BA 44, 45, 46) f. 518 U. Beck, Vorwort, in: ders. (Hrsg.), Perspektiven der Weltgesellschaft, 1998, S. 10; vgl. auch Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, S. 149 f. 519 N. Bolz, Die Zeit der Weltkommunikation, S. 84; Th. Wobbe, Weltgesellschaft, S. 43 f.; P. Zumbansen, Spiegelungen von Staat und Gesellschaft, in: M. Anderheiden/ S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 32 ff.

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kative haben sich vor der Weltöffentlichkeit zu verantworten.520 Hierfür bedarf es auch tragender globaler und regionaler Strukturen, die bisher freilich noch defizitär sind, weil sich die Weltöffentlichkeit weitgehend – mit Ausnahme der Internationalen Organisationen, einschließlich der Nichtregierungsorganisationen sowie des world wide web – nationaler Strukturen bedient.521 Für verschiedene Themen gibt es viele unterschiedliche, sich u. U. überlappende, mehr oder weniger aristokratische Öffentlichkeiten.522 Weltweiter Diskurs tendiert zu einer „Weltsprache“, was dazu führt, daß die Kultur und Tradition des dazu gehörigen Kulturraums privilegiert wird.523 Vermieden werden könnte dies durch eine leicht zu erlernende Kunstsprache, wie Esperanto,524 die dann allerdings in allen Schulen neben der eigenen Sprache gelehrt werden müßte. Die Sprachenvielfalt der Welt ist für die Realisierbarkeit des globalen Diskurses kein Hindernis. Eine Diskursgemeinschaft ist eine Kommunikationsgemeinschaft, eine Sprechgemeinschaft, nicht aber zwingend eine Sprachgemeinschaft im herkömmlichen Sinn. Angenommene und geregelte Mehrsprachigkeit oder die Einigung auf eine gemeinsame Kommunikationssprache kann eine Sprach- und Diskursgemeinschaft auf einer weiteren Stufe schaffen.525 Bekannte Beispiele für geregelte Mehrsprachigkeit sind die Europäische Union und unter den Einzelstaaten Belgien, Finnland, Kanada, Indien und die Schweiz, für die Einigung auf eine Kommunikationssprache die USA. Zwischenergebnis Politische Weltöffentlichkeit bedarf der Institutionalisierung innerhalb einer (globalen) politischen Gemeinschaft, einer Weltcivitas.526 Sie entsteht nicht nur aus den empirischen Beziehungen der Menschen. Es wäre ein Zirkelschluß, als empirische Voraussetzung zu verlangen, was nur normativ geschaffen werden kann, insbesondere durch die Institutionen, Foren und Verfahren öffentlicher Meinungsbildung sowie deren Rückbindung an die politische Verantwortlichkeit. Wird unter Ausschluß der Öffentlichkeit verhandelt, wie dies häufig im

520

Dazu O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 321 f. Vgl. auch J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 16. 522 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 323. 523 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 322; R. J. Glossop, Global Governance Requires Global Government, in: E. E. Harris/J. A. Yunker (Hrsg.), Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 43 (44). 524 R. J. Glossop, Global Governance Requires Global Government, S. 51 f. 525 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 185; auch Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, S. 145 ff. 526 Vgl. M. Kettner/M.-L. Schneider, Öffentlichkeit und entgrenzter politischer Handlungsraum, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, S. 369 f.; H. Brunkhorst, Solidarität, S. 185, 189. 521

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internationalen und supranationalen Bereich vorkommt, kann Publizität nicht entstehen.527 Immerhin sind die technischen und empirischen Voraussetzungen des politischen Diskurses vorhanden. Die Globalisierung provoziert Fragen der Weltethik. Mindestens ebenso wie die Wirtschaft globalisieren sich Kultur, Wissenschaft und Philosophie. Weite Bereiche der Kultur werden wechselseitig beachtet: z. B. Literatur, Museen, Theater, Filme, Architektur oder Musik.528 All dies führt nicht zu weltweiter Homogenität der Werte, Prinzipien und Ordnungssysteme, regt aber innerhalb der vorhandenen Weltgesellschaft einen globalen Diskurs an. Daraus folgt zum einen formal die tatsächliche Anerkennung des Anderen als Dialogpartner und zum anderen besteht in materieller Hinsicht die Möglichkeit, einen Minimalkonsens zu erzielen.529 Wenn politische Organe und Verfahren geschaffen würden, welche die Kommunikationsvoraussetzungen sicherstellen und das Kommunikationspotential der Weltgesellschaft in politischen Entscheidungsprozessen zur Geltung kommen lassen würden, könnte sich Demokratie als Selbstbestimmung auch im globalen Umfang entwickeln.530 9. Zur demokratischen Legitimation der Richter Problematisch in einer Weltrechtsordnung ist die demokratische Legitimation der für die Durchsetzbarkeit des Weltrechts unverzichtbaren Richter.531 Erst recht gilt dies für Vollstreckungsorgane.532 Internationale Gerichte, welche nur gegenüber Staaten judizieren, sind durch den völkerrechtlichen Vertrag ermächtigt und durch die von den Staaten bestimmte Ernennung der Richter legiti527 Z. B. zunächst bei dem Multilateralen Abkommen über Investitionen (MAI), das dann schließlich an der öffentlichen Meinung gescheitert ist, dazu U. Wartha, Das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI), in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Globalisierung, 2002, S. 359 (367 ff., 413 ff.); zu den Publizitätsproblemen der Europäischen Union M. Kettner/M.-L. Schneider, Öffentlichkeit und entgrenzter politischer Handlungsraum, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 369 (384 ff.). 528 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 17, 321; vgl. auch J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 16. 529 H. Küng, Fürchtet euch nicht vor dem Ethos, DIE ZEIT, Nr. 45, 31.10.1999, 15 ff. 530 I. d. S. auch H. Brunkhorst, Solidarität, S. 189 ff. 531 Allgemein zur demokratischen Legitimation des Richters Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, XI, 6 (S. 214); Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 436 (A 171, 172/B202) f.; A. Voßkuhle/G. Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2002, 673 ff. 532 Vgl. zur demokratischen Legitimation der Exekutive E. Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff AöR 116 (1991), S. 329 ff.; B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 2000, Art. 20, Rn. 9 ff.

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miert (vgl. zur Wahl der Richter zum Internationalen Gerichtshof Art. 4 ff. IGH-Statut). Weltgerichte, welche gegenüber den Bürgern der Welt verbindlich Recht sprechen, bedürfen grundsätzlich weitergehender demokratischer Legitimation.533 Die tätigen Organe müssen entweder unmittelbar durch die civitas selbst oder mittelbar durch von der civitas legitimierte Vertreter aufgrund einer ununterbrochenen Kette von Berufungsakten bestimmt sein.534 In sachlicher Hinsicht besteht die demokratische Legitimation über die Gesetzesbindung der Richter535 und Vollzugsorgane536. Teilweise wird dies für die Legitimation der Rechtsprechung als ausreichend angesehen.537 Das demokratische Prinzip verlangt aber grundsätzlich alle Formen der demokratischen Legitimation (institutionell, funktionell, personell und sachlich) in ihrem Zusammenwirken.538 Vertrags- und Gesetzesbindung, fachliche Qualifikation, sachliche und persönliche Unabhängigkeit sind zwar ebenfalls Legitimationskriterien539, genügen jedoch nicht. Die Richter müssen auch persönlich demokratisch legitimiert sein. Das bedeutet, daß die Richter von der entsprechenden civitas, deren Parlament oder durch demokratisch eingesetzte Richterwahlausschüsse540 gewählt werden müssen.541 Praktisch vernünftig für ein Weltgericht wäre ein Richterwahlausschuß, 533 Vgl. E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HStR, II, § 24, S. 429, Rn. 12 f., 22, 24; K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: Fs. H. H. v. Arnim, 2004, S. 779 ff.; a. A. offensichtlich G. Roellecke, Zur demokratischen Legitimation der rechtsprechenden Gewalt, in: Fs. W. Leisner, 1999, S. 553 ff. (560), der meint: „Strukturell ist Rechtsprechung nicht auf demokratische Legitimation angewiesen.“ 534 Vgl. BVerfGE 47, 253 (275 f.); 52, 95 (112, 120, 130); 77, 1 (40); 83, 60 (72). 535 Vgl. E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HStR, Bd. II, § 24, S. 429, Rn. 24; A. Voßkuhle/G. Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2002, S. 678 f.; W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 307, Rn. 22. 536 BVerfGE 83, 60 (72); K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 71 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HStR, Bd. II, § 24, S. 429, Rn. 24. 537 P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 259 (263). 538 BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (66 f.); V. Epping, Die demokratische Legitimation der dritten Gewalt der europäischen Gemeinschaften, Der Staat 36 (1997), 349 (355 f.); K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: Fs. H. H. v. Arnim, 2004, S. 779 ff.; weiter E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 301 ff., 308 ff., der teilweise Substitutionen bestimmter Legitimationsformen durch andere zuläßt. 539 G. Barbey, Der Status des Richters, HStR, Bd. III, 1988, § 74, Rn. 27 ff., 30 f.; A. Voßkuhle/G. Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2002, 677 f., 679, 680. 540 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 303 f., Rn. 18, S. 309, Rn. 24. 541 Vgl. Art. 98 Abs. 2 GG, dazu BVerfGE 41, 1 (9 ff.); A. Voßkuhle/G. Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2002, S. 676 f.

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der sich partiell aus Mitgliedern der nationalen Parlamente und/oder des Weltparlaments sowie aus den höchsten Richtern der Staaten zusammensetzt. In der Völkercivitas läßt sich die demokratische Legitimation der Richter innerstaatlich durch Beteiligung der nationalen Parlamente vor der Wahl der Richter auf internationaler Ebene bewerkstelligen, weil bezogen auf die globale Zusammenarbeit die Völker der Staaten als Bürgergemeinschaften betrachtet werden.542 Richter müssen so ausgewählt werden, daß ein Diskurs zwischen den Rechtskulturen möglich ist, um einen gemeinsamen Weltrechtssinn zu pflegen und keine Rechtskultur dominiert.543 10. Prinzip der kleinen Einheit als Voraussetzung der Demokratie In einer Weltcivitas könnte demokratische Willensbildung deshalb unmöglich sein, weil diese effektiv nur in kleineren politischen Einheiten realisiert werden kann. Schon Montesquieu und Rousseau haben das Prinzip der kleinen Einheit, für eine funktionierende Demokratie vorausgesetzt.544 Selbstgesetzgebung, so meinen viele, sei nur in überschaubaren Einheiten545, in welchen sich der Allgemeinwille verwirklichen läßt546, möglich und lebbar.547 Große Staaten sind keine kleinen Einheiten in diesem Sinn, ebenfalls nicht die Europäische Union in ihrer jetzigen Aufgabenfülle und erst recht nicht ein territorial verstandener Weltstaat. Entscheidungsprozesse würden auch in einem bundesstaatlichen System unweigerlich zentralisiert.548 Das würde als „Universalbürokratie“ zu der schon von Kant befürchteten Universaldespotie führen.549 Das vom Prinzip der 542 Vgl. auch V. Epping, Die demokratische Legitimation der dritten Gewalt der Europäischen Gemeinschaften, Der Staat 36 (1997), 349 (357). 543 Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 362 ff. 544 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 192 f.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, III, 4. Kap., S. 73; III, 15. Kap. S. 103, 105. 545 Zum Homogenitätsprinzip K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1177 ff. 546 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 192 f.; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, III, 4. Kap., S. 77; III, 15. Kap. S. 103, 105; K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), 173; vgl. auch D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations and Transnational Enterprises in International Law and the Changing Role of the State, S. 56; F. A. Hayek, Der Weg aus der Knechtschaft, 1945, S. 290. 547 K. A. Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, S. 13 ff.; vgl. auch D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations and Transnational Enterprises in International Law and the Changing Role of the State, S. 56; F. A. Hayek, Der Weg aus der Knechtschaft, S. 290; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 332 ff. 548 Vgl. auch D. Held, Democracy and the Global Order, S. 230.

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Selbstbestimmung vorausgesetzte Postulat kleiner Einheiten steht zur materiellen Forderung gleichheitlicher Lebensverhältnisse in Konflikt, seien diese sozialstaatlich oder wettbewerblich motiviert. Wo das Prinzip gleicher Freiheit in Gefahr gerät, muß die Forderung nach materieller Gleichheit zurückstehen. Das aus dem Prinzip der Selbstbestimmung folgende Prinzip der kleinen Einheit begrenzt insoweit die Ausgestaltung der Weltordnung. Das dualistische Legitimationsmodell des Bundesstaates, das auch der Europäischen Union zugrunde liegt550, zentralisiert die Repräsentation auf Staatenkammer und Parlament. Dieses Modell tendiert dazu, Selbstgesetzgebung der kleinen Einheiten aus Effizienzgründen zu beseitigen. Die Selbstbehauptung der lokalen und föderalen Gemeinschaften wird im dualen Modell durch die Regierungen der Staaten vermittelt und hängt vom Schutz des Staates ab, dem sie angehören. Oft kann dieser aber unter dem Integrationsdruck der supranationalen Organisation das Recht seiner kleinen Einheiten, sich selbst zu verwalten, nicht mehr gewährleisten.551 Damit entspricht das Modell eines Weltbundesstaates mit zweifacher Legitimation zwar der Einheit von Staatsgewalt, Staatsgebiet und Staatsvolk und ermöglicht formell demokratische Entscheidungen, erschwert aber eine lebendige Demokratie. Das Bedürfnis der Menschen, in einer Heimat, nach ihrer Kultur in politischer Selbstbestimmung zu leben, verlangt nach starken, überschaubaren, auch politischen Einheiten, schließt aber daneben aus sachlichen (praktisch vernünftigen) Gründen eine Weltcivitas nicht aus. Denn für manche Probleme, wie für die Klimaveränderungen oder die Erdatmosphäre, ist die Menschheit die kleinste, mögliche Einheit als aus der Natur der Sache verbundene Risiko- oder Schicksalsgemeinschaft.552 Inwieweit hier ein sinnvoller Diskurs und eine selbstbestimmte Willensbildung stattfinden können, ist eine Frage der Organisation und der Einhaltung der Regeln der Sachlichkeit sowie der Begrenzung der Diskursgegenstände. Allerdings setzen die größeren Einheiten eine funktionierende Struktur der kleineren Einheiten voraus. Globale Umweltpolitik muß nicht weltzentralistisch durchgesetzt werden, wenn in den kleineren und kleinsten Einheiten funktionierende Umweltregime und Verwaltungen existieren. Auch das globale Armutsproblem kann wirksam nur auf allen politischen Ebenen sowie im Zusammenhang mit den privaten Akteuren bekämpft werden.553 549

Kant, Zum ewigen Frieden, S. 225 (B 63, 64/A 62, 63). Dazu L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Band 1, 1977, S. 550. Nr. 252; W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, S. 140; K.-P. Sommermann, Verfassungsperspektiven für die Demokratie in der erweiterten Europäischen Union, DÖV 2003, S. 1009 ff. 551 Vgl. in Bezug auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 2005, S. 145. 552 P. Coulmas, Weltbürger, 1990, S. 472 f.; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 19 f. 550

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

Kulturelle Unterschiede sind für die Möglichkeit einer Weltcivitas nicht nur unerheblich, sie werden durch diese auch nicht berührt.554 Die Wahrung bestimmter kultureller Eigenarten hängt nicht von der Existenz der Nationalstaaten ab, sondern vom dezentralen oder zentralistischen Aufbau der Weltrechtsordnung.555 In einer dezentralen Weltordnung werden die kleinen Einheiten unterhalb der Ebene des Nationalstaates in ihrer Eigenständigkeit bestmöglich anerkannt und gestärkt.556 Die Menschen gehören schon jetzt nicht nur einer, sondern verschiedenen größeren und kleineren Gemeinschaften an. In einer Weltordnung gewinnt allerdings die Forderung nach einem Recht auf Heimat557 eine besondere Bedeutung.558 Gidon Gottlieb fordert etwa ein national home regime.559 Eine Weltordnung ist nur als Einheit mit Vielheit organisierbar.560 11. Ergebnis Durchgreifende Argumente gegen eine Weltcivitas lassen sich nicht ausmachen, wenn das Prinzip der kleinen Einheit bestmöglich durch Föderalität und Subsidiarität gewahrt bleibt. Voraussetzung ist allerdings, daß die Bürger/Völker einen dahingehenden Willen bilden und eine entsprechende Weltöffentlichkeit entsteht. Hierfür bedürfte es der Unterstützung durch Staaten, Internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen. IV. Dezentrale Konzeptionen der Selbstbestimmung jenseits des staatlich geprägten Demokratieverständnisses im Rahmen der Global Governance Während für die Weltordnungsmodelle mit mehr oder weniger ausgeprägter Welt- oder Zwischenstaatlichkeit die demokratische Legitimation zur Freiheitsverwirklichung unverzichtbar ist, könnten für die Formen der global governance andere Legitimationsmechanismen greifen. Es werden die Betroffenheitspartizipation sowie in Umformung des Demokratiebegriffs die Verhandlungs- und die deliberative Demokratie als „Interessendemokratie“ sowie Modelle pluralistischer Demokratie erörtert. Während die einen die Einheit von Betroffenen und Rechtsetzenden betonen, lehnen andere dieselbe ab. 553 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S 337 (345). 554 W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, S. 98 f. 555 W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, S. 86. 556 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 346 f. 557 Dazu A. M. de Zayas, Heimatrecht ist Menschenrecht, 2001. 558 Vgl. P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 200 f.; D. Held, Democracy and the Global Order, S. 234. 559 Dazu G. Gottlieb, Nation Against State, S. 42 ff. 560 M. Brauer, Weltföderation, S. 17.

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung

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1. Global governance und Demokratieprinzip a) Global governance als funktional-sektorale Selbstregierung Als Regieren ohne Regierung (governance without government) folgt global governance nicht den typischen staatlichen Legitimationsmustern561 und kann den vom klassischen Demokratieverständnis vorausgesetzten Parlamentsvorbehalt untergraben.562 Andererseits soll der Diskurs über Meinungen und Interessen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip nicht allein von staatlichen und Internationalen Organisationen ausgehen. Global governance trägt zur „Entgouvernementalisierung“ grenzüberschreitender Rechtssysteme bei.563 Ausgangspunkt ist nicht das Prinzip der territorialen oder nationalen, sondern das der funktionalen (oder auch sektoralen) Differenzierung. Die Gültigkeit von Regelungen erstreckt sich nicht primär auf einen bestimmten territorialen Raum, sondern auf die in einem jeweiligen Regelungssektor tätigen Akteure. Grenzüberschreitendes Regieren läßt sich daher auch als funktional-sektorale Selbstregulierung bezeichnen.564 Nebeneinander bestehende sektorale Regulierungsprojekte mit unterschiedlichen Teilnehmerschaften, von der Internationalen Walfangkommission über die Liberalisierung des Welthandels bis zum Verbot von Landminen legen auch „sektoralistische“ Formen der Repräsentation nahe. Die Sektoralisierung von Politik hat Konsequenzen für die Beantwortung der Frage nach Mitwirkungsansprüchen. Die nach dem Prinzip der Kongruenz an politischen Entscheidungen zu Beteiligenden sind nicht mehr durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten national oder auch nur territorial umrissenen Einheit zu definieren, „sondern als transnationale sektorale Referenzgruppen, deren Gemeinsamkeit ihre Betroffenheit (sei es als Regelungsinteressenten oder als Regelungsadressaten) ist.“565 Damit liegt der Vergleich zu der im staatlichen Bereich bekannten und in ihrer demokratischen Legitimationsmöglichkeit umstrittenen funktionalen Selbstverwaltung nahe. Funktionale Selbstverwaltung wird u. a. definiert als die „organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen“.566 Sie entspricht jedenfalls dem Prinzip der Selbstbestimmung, ob auch dem Demokratieprinzip ist fraglich. 561

K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, S. 8. Vgl. kritisch M. Wolf, Corporate Governance, ZRP 2002, 59 ff. 563 K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, S. 12. 564 Vgl. K. D. Wolf, Die Neue Staatsräson, S. 168 f. 565 K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, S. 10; vgl. kritisch H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 200 ff. spricht von „Scheinlegitimation“. 566 BVerfG, JZ 2003, 1060; vgl. zum Begriff der Selbstverwaltung R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 269 ff., zum Merkmal der Betroffenheit auch S. 309 ff.; vgl. auch E. T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 5 ff.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 64 ff. 562

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

b) Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip Strittig ist, ob funktionale Selbstverwaltung demokratisch ist und wer Legitimationssubjekt der funktionalen Selbstverwaltung ist.567 Anhänger eines staatsorientierten Demokratieverständnisses, welche demokratische Legitimation nur durch ein Staatsvolk für möglich halten, sehen in der funktionalen Selbstverwaltung, soweit sie diese der mittelbaren Staatsverwaltung zurechnen, ein organisatorisch-personelles Legitimationsdefizit, das sich nicht vollständig durch den Gesetzesvorbehalt kompensieren lasse.568 Ausnahmsweise wird dieses Defizit hingenommen, sofern eine gesteigerte sachlichinhaltliche Legitimation vorhanden ist.569 Demgegenüber beurteilen andere funktionale Selbstverwaltung als eine eigene Form der Verwirklichung des auf Autonomie des Willens und Selbstbestimmung beruhenden demokratischen Prinzips, welches Art. 20 Abs. 2 GG kompensiere570; denn die Willensbildung der jeweiligen Körperschaft geht von ihren Mitgliedern aus. Teilweise wird weitergehend vertreten, die vom Gesetzgeber geschaffenen „Verbandsvölker“ könnten wie die Landes- und Gemeindevölker571 demokratische Legitimation verwirklichen572, weil sie mit einem Bundes-, Landes- oder Gemeindevolk vergleichbare Identität aufweisen würden, die durch die Zwangsmitgliedschaft sichergestellt würde.573 Demgegenüber kann allerdings eingewandt werden, daß den „Verbandsvölkern“ die strukturelle Gleichheit, die Art. 28 Abs. 1 GG für die Landes- und Gemeindevölker verlangt, gerade fehlt. Insbesondere sind sie nicht gebiets-, sondern funktionsbezogen.574

567 Dazu E. T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 229 ff.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 204 ff. 568 M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 369 ff.; 601 ff. 569 So z. B. E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (310), Rn. 259, S. 318 ff. 570 E. T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 382 ff. 571 Dazu R. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, HStR, Bd. II, § 16, S. 107, Rn. 33 f. 572 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, u. a., GG, 1980, Art. 20, Abschnitt II, Rn. 56 ff.; J. Oebbecke, Demokratische Legitimation nicht-kommunaler Selbstverwaltung, VerwArch 81 (1990), S. 349 (358 ff.). 573 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, u. a., GG, Art. 20, Rn. 58. 574 Deshalb eine demokratische Legitimation von „Verbandsvölkern“ ablehnend E.W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 317 ff., der statt dessen eine „genossenschaftliche Legitimation“ sowie „self-government“ annimmt; kritisch M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 213 ff.

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung

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Das Bundesverfassungsgericht vertritt eine vermittelnde Ansicht. Einerseits erkennt es das Prinzip der Selbstbestimmung als das dem Demokratieprinzip übergeordnete Prinzip und funktionale Selbstverwaltung nicht als Widerspruch zum Demokratiegebot, sondern als eine Form seiner Verwirklichung. Andererseits gibt es den Parlamentsvorbehalt nicht auf, als es verlangt, daß jedenfalls eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung für die funktionale Selbstverwaltung vorhanden sein müsse: „Außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung . . . ist das Demokratiegebot offen für andere, insbesondere vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt. . . . Im Rahmen der repräsentativ verfaßten Volksherrschaft erlaubt das Grundgesetz auch besondere Formen der Beteiligung von Betroffenen bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Die funktionale Selbstverwaltung ergänzt und verstärkt insofern das demokratische Prinzip. Sie kann als Ausprägung dieses Prinzips verstanden werden, soweit sie der Verwirklichung des übergeordneten Ziels der freien Selbstbestimmung aller (vgl. BVerfGE 44, 125, 142 . . .) dient. Demokratisches Prinzip und Selbstverwaltung stehen unter dem Grundgesetz nicht im Gegensatz zueinander. Sowohl das Demokratieprinzip in seiner traditionellen Ausprägung einer ununterbrochenen, auf das Volk zurückzuführenden Legitimationskette für alle Amtsträger als auch die funktionale Selbstverwaltung als organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen verwirklichen die sie verbindende Idee des sich selbst bestimmenden Menschen in einer freiheitlichen Ordnung (Art. 1 Abs. 1 GG . . .). Das demokratische Prinzip des Art. 20 Abs. 2 GG erlaubt deshalb, durch Gesetz – also durch einen Akt des vom Volk gewählten und daher klassisch demokratisch legitimierten parlamentarischen Gesetzgebers – für abgegrenzte Bereiche der Erledigung öffentlicher Aufgaben besondere Organisationsformen der Selbstverwaltung zu schaffen.“575

c) Funktionale Selbstverwaltung und global governance Übertragen auf Formen funktionaler Selbstverwaltung der global governance bedeutet dies: Das Demokratieprinzip verbietet nicht funktional begrenzte Selbstverwaltung, die nicht auf das Gesamtvolk zurückgeführt werden kann, wenn sie nicht als „Staatsgewalt“ zu qualifizieren ist. Gewalt kann auch von Verbänden oder Organisationen ausgehen, die nicht zum institutionellen Staat gehören, wenn dies der parlamentarische Gesetzgeber erlaubt. Funktionale Selbstregierung verwirklicht das Selbstbestimmungsprinzip nicht als Willen eines Staatsvolkes, also nicht demokratisch i. e. S., sondern durch die Selbstbestimmung der Mitglieder 575 BVerfG, Beschluß v. 5.12.2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98, JZ 2003, 1057 (1060) mit Anmerkung P. Unruh, S. 10061 ff.; vgl. auch dazu W. Maihofer, in: HVerfR, 1994, S. 490 ff.; R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 302 ff.

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des jeweiligen Verbandes oder der Organisation.576 Denkbar ist dies nicht nur innerhalb eines Staates, sondern auch transnational, z. B. als auf einen bestimmten Zweck bezogene grenzüberschreitende Selbstverwaltungsgemeinschaft. Die darin zusammengeschlossenen Mitglieder können als civitas bezeichnet werden. Solche grenzüberschreitenden Gemeinschaften funktionaler Selbstregierung greifen in die bisherige territoriale Hoheit der Staatsvölker ein. Sie bedürfen daher einer vertraglichen Ermächtigung, der das Staatsvolk oder dessen parlamentarische Vertretung zugestimmt hat. 2. Global governance und die Modelle der Verhandlungsdemokratie und der deliberativen Demokratie Zur Rechtfertigung der global governance werden häufig die Lehren der Verhandlungsdemokratie577 und der deliberativen Demokratie oder Politik578 als maßgebliche Referenzmodelle herangezogen.579 Fraglich ist insbesondere, ob die „Vergesellschaftung des Regierens“ und die Konzepte der Verhandlungsdemokratie sowie der deliberativen Demokratie zu Recht „demokratisch“ genannt werden können.580 a) Verhandlungsdemokratie Die sogenannte Verhandlungsdemokratie eignet sich insbesondere zur Legitimation von globalen Netzwerken mit verhandlungsorientierter Struktur. Politische Einflußnahme Privater durch Verhandlungen und Vereinbarungen mit staatlichen Stellen581, Lobbyismus582, auch governance with government583 576 BVerfGE 107, 59 (92); R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 78 f. 577 Dazu F. W. Scharpf, Versuch über Demokratie im verhandelnden Staat, in: R. Czada/M. G. Schmidt (Hrsg.), Verhandlungsdemokratie, 1993, S. 25 ff.; ders., Legitimationsprobleme der Globalisierung. Regieren in Verhandlungssystemen, in: C. Böhret/G. Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert, in: Fs. H.-H. Hartwich, 1993, S. 165 ff. 578 J. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy, 1989, S. 21 f.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 349 ff.; J. Dryzek, Discursive Democracy 1990, S. 14 ff.; R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB 6 (1999), S. 185 ff. (204 ff.); zu älteren Begriffsbestimmungen im Sinne bloß beratender Politik insbesondere im Rahmen repräsentativer Entscheidungsfindung vgl. A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2000, S. 243, Fn. 576. 579 K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, S. 11. 580 K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen unter Mitwirkung privater Akteure?, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), 2003, S. 223 (227 ff.). 581 Dazu E. H. Ritter, Der kooperative Staat, AöR 104 (1979), S. 389 ff.; J. Hesse, Verhandlungslösungen und kooperativer Staat, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann, Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. I, 1990, S. 97 ff.; H. Bauer,

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genannt, sind trotz ihres meist informellen Charakters sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene eine Kategorie politischer Teilhabe, weil sich die jeweiligen beiden Seiten gebunden fühlen.584 Allerdings ist diese Teilhabe, die nur bestimmten Privaten (z. B. Unternehmen, Gewerkschaften) eingeräumt wird, nicht in den „demokratischen Legitimations- und Verantwortungszusammenhang“ einbezogen, der für jeden Träger öffentlicher Gewalt gilt. Verhandelt wird nicht mit allen Betroffenen, sondern nur mit den Inhabern besonderer sozialer oder wirtschaftlicher Macht, die dadurch eine erhöhte Berücksichtigungschance erhalten.585 Prononciert formuliert, bildet sich eine „Aristokratie der Eliten“.586 Demokratische Gleichheit wird damit nicht gewahrt.587 Die zwischenstaatliche Dimension in Netzwerken und Verhandlungen von Regierungen (governance by governments) ist in ähnlicher Weise der allgemeinen Willensbildung entzogen. Diese Verhandlungen bringen keine volonté générale mondiale hervor, sondern dienen der Einbringung und dem Ausgleich partialer Perspektiven, insbesondere nationaler Interessen.588 Selbst wenn alle Beteiligten intern demokratisch legitimiert sind, sind die Verhandlungen allein noch keine demokratische Prozedur.589 Deshalb muß auf einer zweiten Ebene innerhalb der beteiligten Staaten die demokratische Legitimation für die vereinbarte Lösung gewonnen werden. Weil aber in der Praxis die Verhandlungsebene (Primat der Außenpolitik) dominiert590, ist im Inneren eine unmanipulierte demokratische Zustimmung in der Regel nicht zu erreichen.591 Zwischenergebnis In beiden Erscheinungsformen verhandlungsorientierter Systeme werden die bestehenden demokratischen Entscheidungsinstanzen und -verfahren, insbesonInformelles Verwaltungshandeln im öffentlichen Wirtschaftsrecht, VerwArch 1987, 241 ff.; J. Burmeister, Verträge und Absprachen zwischen Privaten und Staat, VVdStRL 52 (1993), S. 190 ff.; W. Krebs, ebenda, 248 ff.; H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 25 ff. 582 H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 84 ff. 583 H. Brunkhorst, Solidarität, S. 181. 584 D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, 2003, § 1, S. 34, Rn. 82. 585 D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, § 1, S. 35, Rn. 85. 586 Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 238. 587 Dazu H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 278 ff. 588 F. W. Scharpf, Legitimationsprobleme der Globalisierung, S. 168. 589 F. W. Scharpf, Legitimationsprobleme der Globalisierung, S. 167. 590 F. W. Scharpf, Legitimationsprobleme der Globalisierung, S. 168 f. 591 F. W. Scharpf, Legitimationsprobleme der Globalisierung, S. 168.

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dere diejenigen der öffentlichen Willensbildung, des Diskurses sowie die Rechtsetzung des Parlaments entwertet, weil die sachliche Entscheidung bereits durch die Verhandlung erreicht worden ist.592 Für die Öffentlichkeit sind die Verhandlungen und Vereinbarungen überdies oft nicht transparent und nicht kontrollierbar.593 Die sogenannte Verhandlungsdemokratie verwirklicht somit selbst nicht Demokratie. Verhandlungssysteme können sachlich gerechtfertigt sein, müssen sich aber in die demokratische Entscheidungsfindung einfügen und „demokratieverträgliche“, d. h. die Selbstbestimmung politischer Gemeinschaften schonende Koordinationsformen finden, was angesichts regionaler und globaler Sachzusammenhänge und Regelungsbedürfnisse nicht einfach ist.594 b) Partizipatorische, deliberative Demokratie Ihre Wurzeln haben die partizipatorische und die deliberative Demokratie in der Diskursethik. Im diskurstheoretisch begriffenen Rechtsstaat verkörpert sich nach Jürgen Habermas „die Volkssouveränität nicht mehr in einer anschaulich identifizierbaren Versammlung autonomer Bürger. Sie zieht sich in die gleichsam subjektlosen Kommunikationskreisläufe von Foren und Körperschaften zurück“.595 Die partizipatorische Demokratie will auf der Grundannahme der Gleichheit politische Mitwirkung möglichst vieler in möglichst zahlreichen (öffentlichen und z. T. auch privaten) Lebensbereichen maximieren.596 Partizipatorische Demokratie, zu der auch die unmittelbare Demokratie zählen soll, wird nicht nur als Regierungs-, sondern auch als Lebensform verstanden.597 In der Verwaltungsrechtswissenschaft wird der Begriff der Partizipation allerdings häufig auch verwendet, wenn es gerade nicht um demokratische Entscheidungen i. e. S. geht, sondern nur um rechtsförmliche, institutionalisierte Teilhabe an Entscheidungsabläufen der öffentlichen Gewalt.598 Um eine Partizipation im Idealfall aller (praktisch: möglichst vieler) Betroffener an allen (möglichst vielen) öffentlichen Angelegenheiten zu erreichen, dient als Instrument die Deliberation, also verständigungsorientierte Kommunikation.599 „Deliberation“ erfaßt 592 D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, § 1, S. 34 f., Rn. 82 f.; E.-W. Böckenförde, Die politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Interessenverbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie, S. 406; F. W. Scharpf, Legitimationsprobleme der Globalisierung, S. 169. 593 D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, § 1, S. 35, Rn. 84. 594 Vgl. dazu F. W. Scharpf, Legitimationsprobleme der Globalisierung, S. 177 ff. 595 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 170. 596 M. G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 251, 253. 597 Vgl. dazu M. G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 251 ff. 598 H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 76 ff. 599 M. G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 253.

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neben demokratischer Mitbestimmung auch das Minus beratender Mitwirkung600 und ist damit wie derjenige der „Partizipation“ ein schillernder, unscharfer Begriff. Die sogenannte deliberative Demokratie ist nur unter der Voraussetzung gleicher Beteiligungschancen i. w. S. „demokratisch“.601 Dem Grundsatz gleicher Vernunftbegabtheit der Menschen (vgl. Art. 1 AEMR) widerspricht es, wenn sich der Diskurs oder die Deliberation auf elitäre Zirkel aus Berufspolitikern, Experten, Intellektuellen usw. beschränkt602 und die eigentlich Betroffenen ausgeschlossen sind, wie dies früher bereits von Georges Scelle vorgeschlagen worden ist (3. Teil, B, S. 256). Partizipatorische Verfahren, die zwar die institutionalisierte Teilhabe der Betroffenen an Entscheidungsabläufen, aber nicht die demokratische Selbstbestimmung der Bürger603 beinhalten, können freiheitliche Rechtsetzung und damit positiven Rechtsfrieden nicht gewährleisten.604 Als entscheidendes Kriterium deliberativer Demokratie fordert Joshua Cohen zu Recht über die formalen Demokratiegrundsätze (z. B. Wahlrechtsgrundsätze, Mehrheitsregel) hinaus eine vernünftige öffentliche Argumentation unter gleichberechtigten Bürgern605 und setzt damit inhaltliche Maßstäbe an die Qualität der öffentlichen Meinungsbildung. Es wird angenommen, daß eine Entscheidung dann demokratisch legitimiert ist, wenn ihr Inhalt „diskursiv kontrolliert“ ist.606 Cohen stellt an das diskursive Verfahren u. a. folgende Postulate: – Die Beratungen werden in argumentativer Form, also als geregelter Austausch von Informationen und Gründen geführt. – Alle möglichen Betroffenen haben gleichen Zugang und gleiche Chancen teilzunehmen. – Die Beratungen sind frei von Zwängen. – Jeder hat die gleiche Chance gehört zu werden.607

600 Von lat. „deliberare“: erwägen, beraten, (aufgrund von Erwägung) entscheiden, beschließen. 601 Vgl. auch A.-M. Slaughter, A New World Order, S. 247 f. 602 Dazu kritisch H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 350 ff. 603 H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 77. 604 Vgl. zur Rolle von Experten als Akteure des transnationalen Rechts: K. Günther/Sh. Randeria, Recht, Kultur und Gesellschaft im Prozeß der Globalisierung, 2001, S. 59 ff., 80 f. 605 J. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy, in: A. Hamlin/Ph. Pettit (Hrsg.), Good Polity, 1989, S. 17 (21 f.); vgl. auch R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB 6 (1999), S. 208 ff. 606 A. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 243. 607 J. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy, S. 22 f.; ähnlich B. Zangl/ M. Zürn, Make Law Not War, S. 12 (32 f.).

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In der „internationalen Politik“ des „exekutiven Multilateralismus“ (governance by governments) sowie auch in manchen zivilgesellschaftlichen Netzwerken herrschen häufig geheimdiplomatische Verhandlungsprozesse und wenig transparente Rechtsetzung vor, also nicht diese Bedingungen.608 Im globalen Kontext gibt es zwar, wie gesehen, eine Weltöffentlichkeit und eine Zivilgemeinschaft609, in der Nichtregierungsorganisationen eine gewisse Rolle spielen, aber es fehlt eine hinreichende Verbindung zwischen demokratischen, institutionalisierten Verfahren und öffentlicher Meinungsbildung. Daraufhin stellt sich die Frage, wie eine „demokratische Legitimation von Entscheidungen jenseits des staatlichen Organisationsschemas“ konstituierbar ist.610 Jürgen Habermas bezeichnet jede Vereinigung, die für sich ein solches Verfahren institutionalisiert als civitas oder Bürgerschaft: „Jede Assoziation, die ein solches Verfahren institutionalisiert, um die Bedingungen ihres Zusammenlebens demokratisch zu regeln; konstituiert sich damit als Bürgerschaft. Sie bildet eine partikulare, in Raum und Zeit abgegrenzte Rechtsgemeinschaft mit spezifischen Lebensformen und Überlieferungen. Aber diese unverwechselbare Identität kennzeichnet sie nicht als politische Gemeinschaft von Staatsbürgern“, sondern als Kommunikationsgemeinschaft.611

Nicht geklärt ist damit, wie Habermas zu Recht feststellt, das „Verhältnis zwischen den entscheidungsorientierten Beratungen, die durch demokratische Verfahren reguliert sind, und den informellen Meinungsbildungsprozessen in der Öffentlichkeit“.612 Während parlamentarische Verfahren der Entscheidungsfindung dienen und rechtfertigende Funktion haben, bedarf Demokratie auch des „Entdeckungszusammenhangs“ einer nicht durch Verfahren regulierten öffentlichen Meinungsbildung innerhalb eines grundrechtlich garantierten Rahmens.613 In der Regel zeigt die „zivilgesellschaftliche Peripherie“ eine größere Sensibilität, um neue Problemlagen wahrzunehmen und zu erkennen, als die „Zentren der Politik“, was ein höheres diskursives Niveau ermöglicht.614 Der ehemalige UN-Generalsekretär Boutros-Ghali sah in Nichtregierungsorganisationen „eine grundlegende Form menschennaher Repräsentation“, die „gewissermaßen eine Garantie für die politische Legitimation auch der Vereinten Nationen“ seien.615 Diese schwache Legitimation genügt nach Ansicht von Habermas für eine 608

B. Zangl/M. Zürn, Make Law Not War, S. 33. Vgl. zu diesem Begriff die Essay-Sammlung von J. Keane (Hrsg.), Civil Society and the State, 1988. 610 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 165. 611 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 372. 612 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 372 f. 613 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 373. 614 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 460. 615 Zitiert nach J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, S. 49. 609

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Weltorganisation aber nur dann, wenn sie sich auf die Wahrung der unmittelbar aus dem Rechtsprinzip folgenden, bestimmten Pflichten beschränkt, namentlich das Verbot von Angriffskriegen und sonstigen globalen Gewaltakten und den Schutz vor massiven Menschenrechtsverletzungen.616 Eine Politik, welche den globalisierten Märkten gerecht werden und den Modus der Standortkonkurrenz verändern soll, lasse sich nach Habermas nicht auf der obersten Etage einer im ganzen „weltstaatlich“ organisierten Mehrebenenpolitik unterbringen. Die Weltinnenpolitik müsse sich auf „einer weniger anspruchsvollen Legitimationsgrundlage in den nicht-staatlichen Organisationsformen internationaler Verhandlungssysteme vollziehen“.617 Auf internationaler Ebene fehle aber eine „,dichte‘ kommunikative Einbettung“ und eine „nackte“ Kompromißbildung, die wesentlich Züge der Machtpolitik widerspiegle, reiche für die Initiierung einer Weltinnenpolitik nicht aus. Allerdings würden global handlungsfähige Mächte heute nicht mehr im Naturzustand des klassischen Völkerrechts operieren, sondern auf der mittleren Ebene einer im Entstehen begriffenen Weltpolitik (ohne Weltregierung).618 Das demokratische Verfahren ziehe seine legitimierende Kraft nicht mehr nur aus Partizipation und Willensäußerung, sondern aus der allgemeinen Zugänglichkeit eines deliberativen Prozesses, dessen Beschaffenheit die Erwartung auf rational akzeptable Ergebnisse begründe.619 Im System deliberativer Demokratie beruht Repräsentation nicht (allein) auf einem aus Wahlen hervorgegangenem Mandat einzelner Entscheidungsträger (personelle Legitimation).620 Sie hängt vielmehr davon ab, inwieweit „die praktische Vernunft den Kommunikationsformen und institutionalisierten Verfahren, wie z. B. Befragungen621, selbst implantiert wird“622. Insbesondere sollten möglichst alle relevanten Betroffeneninteressen und Sachaspekte vertreten sein, nicht nur diejenigen besonders mächtiger oder finanzstarker Interessengruppen. Nur so kann gewährleistet werden, daß konsensual getroffene Entscheidungen nicht zu Lasten Dritter gehen. Ausgangspunkt der deliberativen Demokratie ist also das Betroffen-

616 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 173. 617 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 164; vgl. F. W. Scharpf, Versuch über Demokratie im verhandelnden Staat, S. 28 ff. 618 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 165. 619 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 166; ders., Drei normative Modelle der Demokratie, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 277 ff. 620 Zur personellen Legitimation E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 302 ff. 621 Dazu K.-P. Sommermann, Verfassungsperspektiven für die Demokratie in der erweiterten Europäischen Union, DÖV 2003, 1013 f. 622 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 414.

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heitsprinzip623 ohne Betroffenenbeteiligung. Die Verbindlichkeit der Rechtsetzung ergibt sich für Habermas allgemein aus folgenden Grundsätzen: „Jede gültige Norm muß der Bedingung genügen, daß die Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen jedes Einzelnen voraussichtlich ergeben, von allen Betroffenen zwangsläufig akzeptiert werden können.“ Oder: „Jede gültige Norm müßte die Zustimmung aller Betroffenen, wenn diese nur an einem praktischen Diskurs teilnehmen würden, finden können.“624

Habermas fordert für den praktischen Diskurs nicht die Einbeziehung aller Betroffenen, sondern „aller jeweils berührenden Interessen“.625 Unsicher ist allerdings, aufgrund welcher Verfahren und durch wen die Auswahl der relevanten Interessen und Sachaspekte erfolgt. Meist wird dies nicht transparent und birgt ein erhebliches Potential von Willkür. Eine funktionierende Öffentlichkeit, Qualität der Beratung, Zugänglichkeit und diskursive Struktur der Meinungs- und Willensbildung sollen nach Auffassung der Vertreter der deliberativen Demokratie die konventionellen Entscheidungs- und Repräsentationsverfahren zwar nicht ganz ersetzen, aber die Gewichte von der Verkörperung des souveränen Willens in Personen und Wahlakten, Körperschaften und Voten zu den prozeduralen Anforderungen an Kommunikations- und Entscheidungsprozesse verschieben.626 Damit lockere sich die begriffliche Verklammerung der demokratischen Legitimation mit den bekannten Organisationsformen. Vermeintlich schwache Legitimationsformen präsentieren sich dann in einem anderen Licht. So würde etwa eine institutionalisierte Beteiligung von Nicht-Regierungsorganisationen an den Beratungen internationaler Verhandlungssysteme in dem Maße die Legitimation des Verfahrens steigern, wie es auf diesem Weg gelänge, transnationale Entscheidungsprozesse der mittleren Ebene für nationale Öffentlichkeiten transparent zu machen und mit Entscheidungsprozessen dieser unteren Ebene rückzukoppeln. In diesem Zusammenhang nennt Habermas auch den Vorschlag, die Weltorganisation mit dem Recht auszustatten, von den Mitgliedern zu wichtigen Themen im Sinne der Deliberation jederzeit die Durchführung von Referenden zu verlangen. Auf diese Weise könne – wie im Fall der UN-Gipfelkonferenzen zur Umweltbelastung, zur Gleichberechtigung der Frauen, zur strittigen Auslegung der Menschenrechte, zur weltweiten Armut usw. – wenigstens eine Thematisierung von regelungsbedürftigen Materien erzwungen werden.627 623

R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB 6 (1999), S. 198 ff.,

222. 624

J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, 1991, S. 32. J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, S. 25. 626 So auch M. Hilf, New Economy – New Democracy?, S. 429. 627 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 167. 625

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung

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Zwischenergebnis Das demokratierechtliche Gebot der Kongruenz zwischen Entscheidenden und Entscheidungsadressaten wird nach den Prinzipien partizipatorisch-deliberativer Demokratie im System der global governance nicht über die Zugehörigkeit zu irgendeiner territorial definierbaren Gesamteinheit erfüllt, sondern durch eine möglichst vollständige Beteiligung sektoraler Referenzgruppen.628 Weil partizipatorisch-deliberative Demokratie Beratungsrechte und echte Mitwirkungsrechte egalisiert, wird durch solche Umdefinitionen der Begriff „Demokratie“ verwässert und das Erfordernis der Selbstgesetzgebung zum Teil aufgegeben. 3. Pluralistisches Demokratieverständnis Pluralisten wenden sich von vornherein gegen ein Demokratieverständnis, welches von der Identität der Betroffenen und der Rechtsetzenden ausgeht, und verabschieden sich von der Idee der Selbstgesetzgebung. Ihr demokratisches Leitmodell ist die Repräsentation, nicht nur durch Parlament und Regierung, sondern auch durch Parteien und Verbände.629 Ernst Fraenkel sieht den pluralistischen Begriff des Demos in Abgrenzung zur volonté générale eines Volkes im klassischen Sinn oder einer (gegebenenfalls universellen) auf Erzielung eines Konsenses gerichteten Diskursgemeinschaft630 in den „Angehörigen des in den verschiedenen Körperschaften Parteien, Gruppen, Organisationen und Verbänden zusammengefaßten Mitgliedern einer differenzierten Gesellschaft, von denen erwartet wird, daß sie sich jeweils mit Erfolg bemühen, auf kollektiver Ebene zu dem Abschluß entweder stillschweigender Übereinkünfte oder ausdrücklicher Vereinbarungen zu gelangen, d. h. aber mittels Kompromissen zu regieren.“631

a) Sozialverfassungen (Teubner) Die sozial-pluralistische Lehre Gunther Teubners schließt von der tatsächlichen Existenz sozialer Prozesse und Netzwerke und deren Selbstreproduktion auf die Existenz von Recht. Dabei stellt er nur minimale Anforderungen an das Rechtserzeugungsverfahren, die weit unter etwa den von Joshua Cohen oder von der Diskursethik aufgestellten Voraussetzungen für den rechtsbegründenden 628 K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen, S. 234; R. SchmalzBruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB 6 (1999), S. 222. 629 M. G. Schmitt, Demokratietheorien, S. 229. 630 E. Fraenkel, Strukturanalyse der modernen Demokratie, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, 1969, S. 326 (344). 631 E. Fraenkel, Strukturanalyse der modernen Demokratie, S. 345.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

Diskurs liegen. Regeln werden nach Teubner bereits dann zu Rechtsregeln, „sobald sie in kommunikativen Akten auf den binären Code Recht/Unrecht bezogen werden und Mikrovariationen der Rechtsstruktur bewirken“.632 Demokratierechtlich setzt er auf die Ausbildung von Gegenmacht in einem System konkurrierender Teilsysteme633 mit „dualen Sozialverfassungen“, welche Spontanund Organisationsbereiche unterscheiden.634 Das demokratische Prinzip wird schon dadurch als gewahrt angesehen, daß in der Weltgesellschaft neues Recht entstehe, daß nicht auf der Entscheidung von Hoheitsträgern beruhe, sondern spontan etwa auf der colère publique der Weltgesellschaft.635 b) Zivilgesellschaft als Demos (Müller) Nach Friedrich Müller ist Demokratie nicht nur institutionell zu sehen, wie das Habermas zumindest in Bezug auf die Kommunikations- und Diskursvoraussetzungen versucht, sondern rein faktisch „Tätigkeit und Gruppierung der Menschen, die sich als politisches Wesen begreifen und daraus eine Praxis formen wollen.“636 Demos ist die Zivilgesellschaft637, zwar nicht als Aktiv- und Zurechnungsvolk, jedoch als das „partizipierende Volk der politischen (Welt-) Öffentlichkeit“.638 Er begreift das „transnationale Volk als Akteur einer politischen und direkt agierenden Kultur globalen Widerstands“.639 Den globalen Demos versteht er als „unmittelbaren Akteur einer sozialen und politischen Résistance“ gegen das die Menschenrechte und das demokratische Prinzip zurückdrängende Konzept kapitalistischer Globalisierung, „die sich außerstaatlich, transstaatlich organisiert; zwar auf der Grundlage der eigenen Lebenswelt, aber konzeptuell global und global verantwortlich“.640 Das einheits- und solidaritätsstiftende Moment dieses „Volkes“ ist der gemeinsame Einsatz für eine gerechtere und demokratischere Welt, der insbesondere von Nichtregierungsorganisationen geführt wird. Sie sind der Teil des Volkes, den Müller „Aktivvolk“ nennt.641 Ihre demokratische Legitimation erwachse seiner Meinung nach schon aus dem Recht zum Widerstand.642 Das „Aktivvolk“ kämpft für die Rechte des 632

G. Teubner, Globale Bukowina, 1996, S. 15. Vgl. auch M. G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 233 f. 634 G. Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 60 (2000), S. 557 (587 ff.). 635 G. Teubner, Globale Bukowina, S. 255; A. Fischer-Lescano, Globalverfassung: Verfassung der Weltgesellschaft, ARSP 2002, 349 (356 ff.). 636 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, 2003, S. 119. 637 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 119; vgl. a. A. E.W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 312 f., Rn. 27. 638 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 146. 639 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 78. 640 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 79. 641 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 76, 78. 642 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 82. 633

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung

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„Adressatenvolkes“, das den passiven Teil des globalen Demos darstellt, und soll somit globale Demokratie verwirklichen. Weil er ein Weltparlament, welches die Menschheit vertritt, „mangels ausreichender gesellschaftlicher Basis“643 ablehnt, muß er sich für die globale Demokratie unter Weglassung der Elemente government of and by the people644 notgedrungen ausschließlich mit policy for the people begnügen.645 4. Fazit zur Möglichkeit von globaler Demokratie jenseits des staatlichen Kontextes a) Begriffsfrage Fraglich war, ob Formen politischer Selbstbestimmung jenseits staatlichparlamentarischer Rechtsetzung „demokratisch“ genannt werden können oder nicht: Wer, was etymologisch nahe liegt, die Ansicht vertritt, Demokratie setzt ein Volk voraus, muß entweder einen Weltstaat fordern oder die Anwendung des Begriffs „Demokratie“ auf den nationalstaatlichen Kontext beschränken. Wer hingegen Formen globaler Demokratie ohne Weltstaat für möglich hält, vertritt einen weiten Demokratiebegriff, der Gefahr läuft, als Maßstab seinen Wesensgehalt zu verlieren. Wesensgehalt des Demokratieprinzips ist die Verwirklichung des übergeordneten Prinzips der Selbstbestimmung. Ist dieses gewahrt, verliert die Diskussion um den vieldeutigen Begriff der Demokratie646 an Bedeutung, weil Selbstbestimmung nicht nur in Staaten möglich ist. b) Auflösung des Paradoxes: Einheit von Gebietshoheit und freiheitlicher Legalität als Demokratievoraussetzung und Ablehnung eines Weltterritorialstaates Georg Jellinek hat das Verständnis des Staates als mit ursprünglicher Herrschaftsgewalt ausgestatteter Gebietskörperschaft geprägt.647 Institutionelle Staatlichkeit in der Republik, die demokratisch sein soll648, setzt nach klassischer Auffassung „die republikanische Einheit der Gebietshoheit mit deren freiheit643

F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 79. A. Lincoln, The Gettysburg Address, 19. November 1863, in: R. P. Basler (Hrsg.), The Collected Works of Abraham Lincoln, Vol. VII. New Brunswick, N. J.; ebenso Art. 2 der Französischen Verfassung. 645 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 72, 82. 646 Siehe den Überblick bei M. G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 29 ff. 647 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1914, S. 174 ff.; vgl. dazu auch S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998, S. 62 ff. 648 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 14 ff. 644

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licher Legalität“649 voraus und kann nur gebietlich verwirklicht werden.650 Wollte man die republikanische Einheit auf Weltebene realisieren, hätte dies einen Weltterritorialstaat zu Folge. Das damit entstehende Paradox, daß der Demokratiebegriff einen Weltterritorialstaat voraussetzt, der aber seinerseits eine Gefahr für die Demokratie ist, kann nur überwunden werden, wenn man sich von dieser Einheitsvorstellung löst. Es wird vorgeschlagen, vom Begriff der civitas auszugehen; denn die civitas ist nicht notwendig auf ein bestimmtes Territorium bezogen und durch dieses begrenzt.651 Die civitas ist eine Gemeinschaft von Bürgern. Sie meint eine „Bürgerdemokratie“652, welche von der Selbstbestimmung der Bürger ausgeht. Der Begriff des Bürgers ist nicht an einen Territorial- oder Nationalstaat gebunden.653 Gleichwohl kann nicht geleugnet werden, daß räumliches Zusammenleben von Menschen immer auf einem „Gebiet“ stattfindet. Nicht immer ist dieses Gebiet aber für die Rechtsgemeinschaft konstitutiv. Wer mit der Einheit von Staatsgebiet und vom Volk ausgehender Staatsgewalt fordert, daß Demokratie nur die Willensbildung einer gebietlich verfaßten Rechtsgemeinschaft mit exklusiver Mitgliedschaft meint654, weil der Zwang nur Recht sein kann, wenn er auf allgemeinen Gesetzen des Volkes beruht, das auf diesem Gebiet lebt655, verweist nur auf die Staatsangehörigen eines Gebietes. Entgegen dem universellen Rechtsprinzip, welches mit dem Selbstbestimmungsprinzip verbunden ist, werden nicht alle tatsächlich Betroffenen innerhalb und außerhalb des Gebietes einbezogen.656 Für manche mag dies aufgrund des besonderen personenrechtlichen 649 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 81 ff. 650 K. A. Schachtschneider, Die Staatlichkeit der Europäischen Gemeinschaft, S. 96; ders., Existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 79 ff.; W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, Die Verwaltung, 35 (2002), S. 349 (360). 651 F. Kambartel, Kants Entwurf und das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Staatsangelegenheiten, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 240 (241); vgl. auch zur „Civitas Europea“ E. Grabitz, Das Europäische Parlament vor der Direktwahl, Integration, Jg. 1979, S. 47, Anmerkung 6, S. 51 f.; H. Schneider, Die Europäische Union als Staatenverbund oder als multinationale „Civitas Europea“?, S. 677 ff. 652 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 1998, S. 244 f.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 650 ff.; M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 279. 653 Dazu P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005, S. 353 ff.; M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 279. 654 So K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 81 ff. 655 Vgl. K. A. Schachtschneider, Sittlichkeit und Moralität, in: Aufklärung und Kritik, 2/2004, S. 7 (22). 656 Vgl. BVerfGE 83, 60 (73 f.); R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB 6 (1999), S. 190.

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Bandes der Staatsangehörigkeit657 und der Gefahr ihrer „Entwertung“ unumgänglich erscheinen.658 In dieser Exklusivität ist dies jedoch nicht mehr sachgerecht. Probleme der Globalisierung sind typischerweise nicht auf ein Staatsgebiet begrenzt, so daß insoweit die Staatsangehörigkeit und das Staatsgebiet nicht die einzigen sachlich vernünftigen Anknüpfungspunkte für die erforderliche Rechtsgemeinschaft sind. Die nach dem jetzigen Stand der Verfassung des Grundgesetzes zulässige Internationalisierung, Europäisierung und Transnationalisierung funktionaler Staatlichkeit (vgl. Art. 23 Abs. 1, Art. 24 GG), insbesondere auch in der tatsächlich existierenden grenzüberschreitenden Kooperation von Verwaltungseinheiten unterschiedlicher Rechtsnatur auf diversen Gebieten der Daseinsvorsorge (Art. 24 Abs. 1a GG), zeigt, daß es bereits keine Exklusivität staatlicher Funktionen innerhalb eines territorial abgeschlossenen Staates mehr gibt.659 Verstanden als civitas, also als Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen, löst sich die Weltrechtsgemeinschaft vom territorialen Staatsbegriff und von der Vorstellung einer monströsen Gebietskörperschaft660, allerdings nicht von der Notwendigkeit, das Recht notfalls zwangsweise durchzusetzen. Soweit Weltorgane dafür benötigt werden, können deren Zwangsbefugnisse nicht aus dem Gewaltmonopol eines Weltstaates, sondern nur aus einzelnen funktionellen Befugnissen, die gegenüber den Betroffenen legitimiert sein müssen, gefolgert werden. c) Neue Begriffe der kleinen Einheit und der dezentralen Ordnung Ob die rechtlich geforderte „kleine Einheit“ (5. Teil, C, S. 652 ff.) im heutigen technologischen Zeitalter, in dem Kommunikation eine von Entfernungen unabhängige Größe geworden ist, nur in den Gebieten der Staaten verwirklicht werden kann, ist fraglich. Die meisten Staaten, die als Ort der Verwirklichung von Demokratie angesehen werden, sind relativ große Einheiten, die zwar zu klein für die Probleme der gesamten Menschheit sind, aber zu groß für die klei657 Kritisch zum Begriff der, den Untertan bezeichnenden, „Staatsangehörigkeit“ P. Häberle, Europäisches Verfassungsrecht, S. 365 ff. 658 So J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 730 ff., 735 ff. 659 Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001, S. 662. Diese Beziehungen sind bislang entweder zivilrechtlich, öffentlich-rechtlich und, wenn die kooperierenden staatlichen und nicht-staatlichen Einheiten ausnahmsweise über aktive Völkerrechtsfähigkeit verfügen, durch völkerrechtliche Verträge geregelt. Dazu eingehend mit zahlreichen Beispielen M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 31 ff., 107 ff., 170 ff. 660 Vgl. auch E. Grabitz, Das Europäische Parlament vor der Direktwahl, in: Integration, Jg. 1979, S. 47, Anmerkung 6, S. 51 f.; H. Schneider, Die Europäische Union als Staatenverbund oder als multinationale „Civitas Europea“?, S. 677 ff., 718 ff.

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nen, lokalspezifischen Anliegen. Mit Hilfe der modernen Informationstechnologie, welche eine echte Weltdiskursgemeinschaft hervorbringen könnte661, ist auch in größeren Einheiten ein Diskurs grundsätzlich möglich.662 „Kleine Einheit“ bedeutet überschaubare, begrenzte Einheit. Die Größe der Einheit hängt zudem von der räumlichen Bedeutung und Integrationskraft der zu bewältigenden Aufgabe ab. So wäre es grob sachwidrig, würde sich eine Weltregierung um die Organisation der kommunalen Abwasserentsorgung kümmern. Grenznachbarschaftliche Einrichtungen sind hierfür jedoch geeignet und möglich. Sie sind sowohl räumlich als auch sachlich kleine Einheiten. Hauke Brunkhorst befürwortet völkerrechtliche Teilrechtsfähigkeiten von „Regionen in Staaten“, die es Ländern und Regionen in Staaten ermöglichen, in ihrem Aufgabenbereich unmittelbar völkerrechtliche Verträge mit anderen Regionen (Ländern) verschiedener Staaten zu schließen sowie die Teilnahme solcher Regionen in Internationalen Organisationen.663 Nichtregierungsorganisationen solle ein ähnlicher Rechtsstatus zuwachsen.664 Das Grundgesetz enthält für die Länder in Art. 24 Abs. 1a GG665 sowie in Art. 32 Abs. 3 GG666 entsprechende Kompetenzen. Darüber hinaus ist es dem Staat nicht verwehrt, regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften in ihren Angelegenheiten den Abschluß von transnationalen Verträgen zu gestatten.667 Entsprechende Regelungen finden sich in Landesverfassungen. So bestimmt Art. 60 Abs. 2 der Verfassung des Saarlandes668: „Das Saarland fördert die europäische Einigung und tritt für die Beteiligung eigenständiger Regionen an der Willensbildung der europäischen Gemeinschaften und des vereinten Europas ein. Es arbeitet mit anderen europäischen Regionen zusammen und unterstützt grenzüberschreitende Beziehungen zwischen benachbarten Gebietskörperschaften und Einrichtungen.“

Die Begrenzung der „kleinen Einheit“ ist nicht nur territorial zu begreifen, sondern kann sich auch aus der sachlichen, sektoralen Begrenzung des Diskursgegenstands ergeben.669 Das Prinzip, wonach „alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht“, wird dann nicht mehr ausschließlich national im Sinne einer suprema

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O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 1997, S. 97. P. Saladin, Wozu noch Staaten?, S. 184 f. 663 H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S. 267 f. 664 H. Brunkhorst, Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S. 268. 665 Dazu eingehend M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 107 ff. 666 Dazu M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 465 f., 470 ff. 667 M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 467. 668 Vgl. auch Art. 3a der Bayerischen Verfassung. 669 Vgl. B. S. Frey, Globalisierung ohne Weltregierung, Analyse & Kritik 25/2003, S. 121 (128 ff.). 662

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potestas, sondern über den Begriff bundesstaatlicher Volkssouveränität670 hinaus, in einem gestuften, formal-abstrakten Sinn gesehen.671 Auf diese Weise tritt die freiheitliche Essenz der Demokratie, das Prinzip der Selbstbestimmung, als selbständiges Rechtsprinzip hervor. In diesem Sinn und auf der Grundlage der Vertragslehren kennzeichnet Görg Haverkate das Demokratieprinzip so: „Es geht um die Selbstregierung der einzelnen in den jeweiligen Gegenseitigkeitszusammenhängen, in denen sie miteinander stehen . . . Es ist nur eine metaphorische Redeweise, wenn gesagt wird, die Staatsgewalt gehe vom Volke aus. In Wahrheit geht alle Staatsgewalt vom einzelnen, vom Individuum aus.672 . . . Das demokratische Prinzip verlangt Selbstregierung der einzelnen, die Maßgeblichkeit ihres Willens in Angelegenheiten, die sie betreffen.“673

Wenn Volk als die Menge von Menschen, die unter gemeinsamen Gesetzen zusammenleben, zu verstehen ist, wird der Satz „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ nur in seiner etatistischen Ausformung, nicht aber in seinem freiheitlichen Prinzip für bestimmte Bereiche modifiziert. Das ist tragfähig, weil hierdurch nicht das Prinzip der Freiheit selbst durchbrochen wird. d) Möglichkeiten dezentraler Selbstverwaltung Weil aus tatsächlichen Gründen nicht alle Betroffenen miteinander in Diskurs treten können, müssen für die jeweilige civitas freiheitlich gewählte Vertretungsorgane674 (z. B. ein Weltwirtschaftsparlament675) eingesetzt werden. Soweit es um Weltorgane geht, darf in sie jeder mündige Mensch gewählt werden und jeder darf bei der Entscheidung über ihre Zusammensetzung mitbestimmen. Allerdings sollte die Zahl der Rechtsgemeinschaften, denen ein Bürger angehört, nicht überhandnehmen, weil sonst die Bereitschaft zur politischen Willensbildung ermüdet. Für den engeren räumlichen Bezug des Zusammenlebens von Menschen bleibt daher die grundsätzlich für diesen Lebensbereich umfassend zuständige Gebietskörperschaft, in der sich Demokratie i. e. S. verwirklichen läßt, sachlich wichtigster Anknüpfungspunkt. Denkbar ist aber daneben ein vernetztes System von in Teilmengen, örtlich, national, regional, global und funktional, verbundener Menschen.676 Die Idee 670 Zur Staatsqualität der Länder, speziell zum Staatsvolk in den Ländern vgl. J. Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, Bd. IV, 1990, S. 517 ff., Rn. 21 ff., 45 ff. 671 Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, S. 142 f. 672 G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 330 f. 673 G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 334; vgl. auch BVerfG, JZ 2003, 1060; zurückhaltend E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 312, Rn. 27. 674 Vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 637 ff. 675 Vgl. M. Hilf, New Economy – New Democracy?, S. 434 ff.

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der Selbstbestimmung, wonach die Betroffenen der Rechtsetzung ebenfalls deren Autoren sein sollen, ist auch in nicht-gebietlichen und in nicht-staatlichen Einheiten möglich. Ein Beispiel für eine (aufgrund Art. 5 Abs. 3 GG) weitgehend unabhängige Einheit ist die Universität als Personalkörperschaft.677 Gebietliche, aber nicht staatsgebietliche Einheiten sind (grenznachbarschaftliche) Gemeinschaften zwischen Regionen verschiedener Staaten. Es existieren bereits Europaregionen, welche kulturell und wirtschaftlich kooperieren.678 Darüber hinaus können auch hoheitliche Aufgaben durch grenzüberschreitende Einheiten bewältigt werden, wie dies Art. 24 Abs. 1a GG ermöglicht. Im Sinne der von David Held vorgeschlagenen Weltordnung aus „multiple and overlapping networks of power“ (siehe S. 593) bilden die jeweils betroffenen Bürger der jeweiligen Staaten für einen bestimmten Rechtsbereich eine civitas gemeinschaftlicher Verwaltung. Unmittelbarer Träger der Verwaltungsgewalt sind im Sinne der Betroffenheitsdemokratie die darin vereinigten Bürger, welche die Mitglieder der zwischenstaatlichen Einrichtung unmittelbar bestimmen. Weil es sich nur um eindeutig begrenzte (Verwaltungs-)Aufgaben handelt, genügt auch aus der Perspektive staatlich-repräsentativer Demokratie die mittelbare Rückbindung an die jeweiligen staatlichen, demokratisch gewählten Organe und deren Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten679, im Fall des Art. 24 Abs. 1a GG an die Länderparlamente, welche wegen Art. 20 Abs. 2, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG der Übertragung zustimmen müssen.680 e) Zum Modell der deliberativen Demokratie Deliberative Demokratie hebt den Widerspruch zwischen der Universalität des Rechts und der territorialen Begrenztheit der Demokratie in ihrem Wirkungsbereich auf; denn sie löst sich von den institutionalisierten innerstaatlichen Verfahren und von der Existenz eines Demos.681 Es genügt eine (institutionalisierte) Kommunikationsgemeinschaft, durch welche die Weltgesellschaft in ihrer Gesamtheit allerdings noch nicht gekennzeichnet ist. Eine besondere Solidarität zwischen den Mitgliedern dieser Gemeinschaft, die über das allge676 Vgl. auch U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 134 f.; vgl. auch O. Höffe, Vision: föderale Weltrepublik, S. 28. 677 Siehe § 58 Abs. 1, § 36 HRG; M.-E. Geis, Akademische Selbstverwaltung im Reformzeitalter, Die Verwaltung, 2000, 563 (564); ders., in: K. Hailbronner/ders., Kommentar zum Hochschulrahmengesetz (Stand 2001), § 58, Rn. 6, 10 ff., 64. 678 Dazu M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 162 ff. 679 Vgl. dazu M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 509 ff. 680 M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, S. 494 ff. 681 Vgl. dazu R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB 6 (1999), S. 190 ff.

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meinmenschliche Zusammengehörigkeitsgefühl und die schicksalhafte Verbundenheit in globalen Fragen hinausgeht, ist nicht erforderlich.682 Für die Konsensfähigkeit unabdingbar ist allerdings die Bereitschaft zu rationalen Diskursen, einschließlich der Lernfähigkeit gegenüber dem „besseren Argument“. An die Kommunikationsteilnehmer werden größere Anforderungen an deren Motivation, ihr Interesse und ihre politische Kompetenz als in der repräsentativen Parteiendemokratie gestellt683, die dem Bürger weitgehend eine passive Rolle zuweist. Das politische Interesse und die Diskursfähigkeit, d. h. die Vernunftbegabtheit der Bürger vorauszusetzen, wird aus empirischer Sicht teilweise als ein Makel dieses Modells angenommen.684 Ausgehend von der Menschenwürde (vgl. Art. 1 AEMR) ist diese Prämisse allerdings rechtlich geboten und unabdingbar mit dem gleichen Zugang zum Diskurs verbunden. Nur dann kann der Deliberalismus nicht als paternalistische Technokraten- und Expertenherrschaft eingesetzt werden, wie dies in der Europäischen Union teilweise der Fall ist.685 Die Erkenntnisse von unabhängigen Experten sind allerdings als Ansichten über die Wirklichkeit den rationalen Diskursen zugrunde zu legen.686 Deliberative Demokratie ist, weil sie nicht mit der Idee des Nationalstaats verbunden ist und nicht auf ein Territorium begrenzt ist, kosmopolitisch, ohne einen institutionellen Weltstaat vorauszusetzen.687 Weil Deliberation nur den Diskurs der Betroffenen sichern will, nicht aber auch die Kongruenz von Entscheidenden und Betroffenen herstellt, genügt dieses Modell den Anforderungen des Selbstbestimmungsprinzips allein nicht. Es kann die herkömmlichen Verfahren direkter und repräsentativer Demokratie nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.

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Dazu auch K. D. Wolf, Die Neue Staatsräson, S. 196 ff. Dazu R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 79 ff.; H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 12 f., 18 ff., 23 ff. 684 K. D. Wolf, Die Neue Staatsräson, S. 201. 685 Dazu R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, S. 213, 218; vgl. auch allgemeiner K. Günther/Sh. Randeria, Recht, Kultur und Gesellschaft im Prozeß der Globalisierung, 2001, S. 59 ff., 80 f., 90 ff.; Bsp. Komitologie, Ausarbeitung der Europäischen Verfassung. 686 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“ im Atom- und Immissionsschutzrecht, in: W. Thieme (Hrsg.), Umweltschutz im Recht, 1988, S. 88 ff. 687 Vgl. R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB 6 (1999), S. 190 ff. 683

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f) Inwieweit bedürfen Akteure der Zivilgesellschaft einer (demokratischen) Legitimation? aa) Problemstellung Die Autonomie des Willens wurzelt in der Freiheit, „gleichursprünglich“, ob sie privat oder öffentlich (demokratisch) ausgeübt wird.688 Die Ausübung staatlicher Gewalt wird demokratisch organisiert, wenn das Prinzip der Freiheit als Autonomie des Willens gewahrt werden soll.689 Weil das Handeln privater Akteure nicht staatliche Gewalt ist, unterliegt es entgegen einem alle Lebensbereiche umfassenden (pluralistischen) Demokratiebegriff nicht dem Demokratieprinzip i. e. S.690 Um der gleichen Freiheit aller willen, also wegen des Rechtsprinzips, muß privates Handeln aber mit den auf der politischen Selbstbestimmung der civitas beruhenden, allgemeinen (öffentlichen) Gesetzen vereinbar, also legal sein.691 Die Abgrenzung von „öffentlich“ und „privat“ wird in der global governance schwieriger,692 weil private und staatliche Akteure und Handlungsformen kombiniert werden. Klaus Dieter Wolf meint dazu: „Im Mehrebenencharakter von Global Governance begegnen sich die herkömmlichen territorialen mit den neuen sektoral-funktionalen politischen Räumen und Organisationsformen. Die wichtigste Organisations- und Vermittlungsaufgabe der traditionellen politischen Institutionen und Akteure besteht darin, das Zusammenspiel dieser eigentlich inkompatibel erscheinenden Regelungskonzepte durch spezifische Funktionszuweisungen an die einzelnen Arenen zu strukturieren. Muster dafür gibt es durchaus im innerstaatlichen Kontext, wo unter dem Primat der territorialen Repräsentation (z. B. staatsvertraglich unter parlamentarischer Zustimmung) außerparlamentarische Regelungsinstanzen (z. B. Rundfunkräte) mit funktional begründeten Zusammensetzungen und spezifischen Aufgaben existieren.“693

Global governance erwächst zum einen der Zivilgemeinschaft, zum anderen dem Zusammenwirken von Akteuren der Zivilgemeinschaft mit staatlichen und 688 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 152 ff., 155; T. Kupka, Demokratie ohne Naturrecht, in: H. Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, 1998, S. 241 (257 ff.); enger K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 500 ff.; noch ablehnend ders., Res publica res populi, S. 399 ff. mit Beschränkung auf die politische Autonomie und Ablehnung des Begriffs „Privatautonomie“. 689 Dazu E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 23 ff., 60 ff., 637 ff.; vgl. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 138 ff. 690 J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 152; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 375; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 315 f. 691 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 376 ff., 410 ff., 519 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 153 f. 692 M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 362. 693 K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, S. 10.

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internationalen Institutionen. Der Begriff beschreibt die Einwirkungen verschiedener staatlicher und nicht-staatlicher Akteure auf das globale Zusammenleben der Menschen und ist damit ein unscharfer, extrem weiter und deshalb kein exakter juridischer Begriff. Nichtregierungsorganisationen und transnationale Unternehmen sind die wesentlichen privaten Akteure der global governance. Während der unmittelbare Betroffenenkreis von transnationalen Unternehmen (etwa Mitarbeiter, Kunden, Zulieferbetriebe) noch identifiziert werden kann, ist das Wirkungsfeld vieler Nichtregierungsorganisationen nicht personell abgrenzbar. Im Unterschied zu den globalen Unternehmen, die in erster Linie ihre private Gewinnmaxime verfolgen, kümmern sich Nichtregierungsorganisationen zumeist nicht um ihre eigenen Angelegenheiten oder die ihrer Mitglieder, sondern um allgemeine Interessen. Insbesondere für Nichtregierungsorganisationen stellt sich daher die Frage nach deren Legitimation zur Wahrnehmung transnationaler öffentlicher Aufgaben, insbesondere deren demokratischer Ermächtigung, soweit sie in staatlichen und internationalen Institutionen mitwirken oder mit diesen zusammenarbeiten.694 Nicht nur die Akteure, sondern ebenfalls die Formen der global governance können sehr verschiedenartig sein. Sie reichen von diskursiver Auseinandersetzung, aber auch gewaltsamen Protesten, über Beratung und Lobbyarbeit695 bis hin zur Beteiligung an der Rechtsetzung. Die Frage der Legitimation kann daher nicht einheitlich für den gesamten Bereich der global governance beantwortet werden. Nach Auffassung vieler sind jedenfalls Nichtregierungsorganisationen und erst recht globale Unternehmen als Repräsentanten bestimmter Interessengruppen nicht demokratisch legitimiert und kontrolliert.696 bb) Legitimation und Legalität der Handlungen der Akteure der Zivilgesellschaft Jeder ist in den Grenzen der Rechte anderer im Prozeß der global governance gleichermaßen durch die Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, die Meinungsäußerungsfreiheit, subsidiär durch die allgemeine Handlungsfreiheit und letztlich durch das Widerstandsrecht zur aktiven Mitwirkung in der Zivilgemeinschaft berechtigt.697 Damit hat jeder das Recht, aktiv am Weltdiskurs mit694

Vgl. M. Lutz-Bachmann, Souveränitätsprinzip und Demokratie, S. 365. Dazu H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 84 ff. 696 Vgl. J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, in: ders., Die postnationale Konstellation, 1998, S. 109 f.; R. Wedgwood, Legal Personality and the Role of Non-Governmental Organizations and Non-State Political Entities in the United Nations System, in: R. Hofmann (Hrsg.), Non State Actors as New Subjects of International Law, 1999, S. 20 (28 f.); O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 171 f.; W. Kersting, Philosophische Friedenstheorie und internationale Friedensordnung, in: Ch. Chwaszcza/ders. (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 523 (551). 695

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zuwirken. Insoweit könnte gelten: Wer sein Interesse nicht zu Gehör bringt, kann nicht den Verlust politischer Freiheit und Paternalismus beklagen. Indes ist die Beteiligungsgleichheit in der Praxis nicht erreicht, weil Meinungsäußerungsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in vielen Staaten nicht verwirklicht sind oder weil eine Gruppe (insbesondere die globalen Unternehmen) über besondere (wirtschaftliche) Macht verfügt. Mit dem Nothilfe- und Widerstandsrecht lassen sich diese Rechte ultima ratio erzwingen. Wie natürliche Personen sind auch juristische Personen und Vereinigungen von Personen Träger von Grundrechten (vgl. Art. 19 Abs. 3 GG). Hieraus sind sie legitimiert und verpflichtet, Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen und am Willensbildungsprozeß und Diskurs der Weltgesellschaft mitzuwirken.698 Globale Unternehmen sind, obwohl sie mächtiger als manche Staaten sind und als Teil einer res publica durchaus ethisch-soziale sowie rechtliche Verantwortung tragen699, selbst keine civitas, weil sie bestimmungsgemäß (Gesellschaftsrecht, Gesellschaftsvertrag, Satzung) ihre privaten, unternehmerischen Interessen vertreten. Anders als viele Nichtregierungsorganisationen nutzen sie die durch die Vereinigungsfreiheit geschützte rechtsförmige Vereinigung von Menschen in einem Unternehmen in erster Linie zur Verwirklichung der Gewinnmaxime und der besonderen Interessen der Anteilseigener (shareholder value). Nachhaltige allgemeine Interessen im Sinne der Unternehmensethik700, werden regelmäßig nur berücksichtigt, soweit dies mit der Gewinnmaxime vereinbar erscheint. Auch deshalb können globale Unternehmen als Völkerrechtssubjekte den Staaten nicht gleichgestellt werden.701 Nichtregierungsorganisationen sind aufgrund der Vereinigungsfreiheit, der Meinungsfreiheit, der allgemeinen Handlungsfreiheit und der bürgerlichen Verantwortung702 in den Grenzen allgemeiner Gesetze703 handlungsbefugt.704 So697

F. W. Stoecker, NGOs und die UNO, S. 106. E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 315 f.; vgl. auch B. W. Wegener, Rechtsschutz für gesetzlich geschützte Gemeinwohlbelange als Forderung des Demokratieprinzips?, HFR 3-2000, S. 5 ff. 699 Dazu H. Steinmann, Grundlagen der Unternehmensethik, 1994; A. G. Scherer, Multinationale Unternehmen und Globalisierung, 2003. 700 A. Scherer, Multinationale Unternehmung als Mittler zwischen privater Freiheit und öffentlichem Interesse, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 329 (344 ff.). 701 So aber S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, in: dies. (Hrsg.), S. 510. 702 B. W. Wegener, Rechtsschutz für gesetzlich geschützte Gemeinwohlbelange als Forderung des Demokratieprinzips?, HFR 3-2000, S. 5 ff. 703 So auch J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S + F 2/98, S. 68. 704 W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 315, Rn. 29; zu ihren Funktionen D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations and Transnational Enterprises in International Law and the Changing Role of the State, 698

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fern sich ihre Aktionen gegen menschenrechtswidrige staatliche Willkürakte richten, können sich autochthone Nichtregierungsorganisationen, die in den betroffenen Ländern möglichst friedlich Widerstand leisten, auf das Widerstandsrecht berufen. Insoweit sind Nichtregierungsorganisationen legitimiert, um demokratische Verhältnisse zu entwickeln.705 Dies ist jedoch ein Notbehelf, weltverfassungsrechtlich bedarf es der Institutionalisierung von Verfahren und Organen, welche die Beteiligungsgleichheit sichern und paternalistische Tendenzen verhindern.706 Aus dem Recht zum Widerstand, welches Friedrich Müller als Rechts- und Legitimationsgrund ansieht, folgt ein Recht und nicht nur ein moralischer Anspruch707 zur Kritik, zum Protest, zur aktiven Teilnahme am politischen Diskurs und am friedlichen Kampf um eine gerechte Weltordnung. Maßnahmen der Nichtregierungsorganisationen zur Durchsetzung ihrer Zwecke (z. B. Boykottaufrufe, Besetzungen) sind, auch wenn sie sich für öffentliche Güter (z. B. Menschenrechte, Umweltschutz) einsetzen, was nicht immer der Fall ist (z. B. Interessenvereinigungen), Akte ihrer nötigenden Willkür. Damit diese mit der Freiheit aller anderen Betroffenen vereinbar sind, bedürfen sie einer allgemeingesetzlichen Regelung und finden diese in geordneten Staaten auch vor. Gewaltsame Aktionen verstoßen, wenn sie nicht durch den Aspekt der Nothilfe oder des Widerstandsrechts gerechtfertigt sind, gegen nationale Strafgesetze, welche zumeist nach dem Tatortprinzip Anwendung finden. Die private gewaltsame Durchsetzung bestimmter, in der Weltöffentlichkeit anerkannter Interessen, ist nicht von der Versammlungs- und von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt, weil diese nur friedliche Meinungsäußerungen und Versammlungen schützen.708 Wenn sich private Organisationen jeder staatlichen Ordnung entziehen (z. B. terroristische Vereinigungen), können sie auch unmittelbar am weltrechtlichen Gewaltverbot gemessen werden.709 cc) Zivilgesellschaft als Demos? Unterscheidung von Voraussetzungen und Kern des Demokratieprinzips „Das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung“710, der Beitrag der Akteure der Zivilgemeinschaft zum universellen Diskurs, aber auch zur öffentlichen MeiS. 44 f.; vgl. auch kritisch zur Entmachtung der Parlamente M. Wolf, Corporate Governance, ZRP 2002, 59 ff. 705 Vgl. F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 60. 706 R. Schmalz-Bruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB 6 (1999), S. 208 ff., 218. 707 Vgl. auch H. Brunkhorst, Solidarität, S. 210 ff. 708 Zur Meinungsfreiheit BVerfGE 25, 256 (265); 62, 230 (245); zur Versammlungsfreiheit BVerfGE 69, 315 (360); 73 206 (248); 87, 399 (406). 709 Vgl. S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 278; dazu auch 6. Teil, F, S. 957 ff. 710 BVerfGE 50, 290 (353); 38, 281 (302 f.); 80, 244 (252 f.).

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nungsbildung und damit mittelbar zur Entscheidungsfindung, welche die Menschenrechte gewährleisten, sind für ein lebendiges (globales) demokratisches Leben unverzichtbar.711 Publizität ist eine notwendige Bedingung dieses horizontalen Modells politischer Steuerung, weil sie dazu nötigt, sachliche Rechtfertigungsgründe vorzulegen, die in einem öffentlichen Diskurs als konsensfähig bestehen können und nicht nur Partikularinteressen bedienen.712 Deshalb sind die Menschenrechte, insbesondere die Meinungsfreiheit, Presse- und Informationsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, für die Demokratie „schlechthin konstituierend“.713 Jedoch erwächst der Nutzung von Menschenrechten, etwa der Vereinigungsfreiheit, durch Akteure der Zivilgesellschaft und einem aus dem Widerstandsrecht abgeleiteten Nothilferecht im Kampf für eine bessere Welt keine demokratische Legitimation.714 Ebensowenig bildet sich ein Demos, wie dies die pluralistischen Demokratielehren und die sogenannte assoziative Demokratie715 annehmen. Ohne die Idee der Selbstbestimmung (policy by the people) und reduziert auf policy for the people ist das demokratische Prinzip seines Wesensgehalts beraubt; denn die Maxime salus publica suprema lex läßt sich auch durch einen wohlmeinenden Herrscher verwirklichen.716 Die Verwendung des schillernden Demokratiebegriffs717, der hohe Legitimationskraft erheischt, wäre „Etikettenschwindel“ und ein anspruchsvolles Prinzip würde seinen Sinn und seine normative Kraft verlieren.718 Es würde dann kein Kriterium mehr geben, nach dem man Demokratie von Nicht-Demokratie unterscheiden könnte, bis Demokratie als Prinzip schließlich aufgegeben würde.719 Selbstbestimmte Rechtsetzung setzt gleiche Beteiligungschancen voraus.720 Sie ist ausgeschlossen, wenn sich Weltrecht nach den Vorstellungen pluralistischer Weltrechtslehren unter Ausschluß parlamentarischer Kontrolle und Recht711 F. W. Stoecker, NGOs und die UNO, 2000, S. 105 f., 113 ff.; R. Wedgwood, Legal Personality and the Role of Non-Governmental Organizations and Non-State Political Entities in the United Nations System, S. 20 ff.; vgl. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 169 f.; J. Delbrück, Erga omnes Norms in International Law, in: Liber amicorum G. Jaenicke, 1998, S. 26 (31 f.). 712 K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, S. 9, 11; vgl. schon Kant, Zum ewigen Frieden, S. 244 (B 98, 99/A 92, 93) ff. 713 BVerfGE 7, 198 (208); 12, 113 (125); 20, 56 (97); 35, 202 (221 f.); 59, 231 (266); vgl. auch E.-W. Böckenförde, Staat, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 323 f. 714 Vgl. auch M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 188 ff. 715 P. Hirst, Associative Democracy, 1994, S. 15 ff. 716 Vgl. E.-W. Böckenförde, Staat, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 293 f. 717 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 127. 718 Kritisch auch U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 607. 719 U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), S. 608 ff. 720 Vgl. M. Sachs, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 19.

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setzung in „hochspezialisierten, isolierten Diskursen ,strukturell koppelt‘“.721 Tatsächlich entsprechen die Politiknetzwerke der global governance oft nicht der von der Freiheit als Selbstbestimmung geforderten Identität von Entscheidenden und Betroffenen, sind häufig exklusiv und nicht transparent.722 Es ist festzustellen, daß aus dieser Not eine Tugend gemacht wird, indem kurzerhand ohne kritische Überprüfung alle Akteure und Aktionen der Zivilgemeinschaft „demokratisch“ genannt werden, weil sie den Pluralismus fördern, und auf diese Weise „Demokratie neu zu erfinden“.723 Allerdings sind mangelnde Kongruenz von Entscheidenden und Betroffenen sowie fehlende Transparenz Mängel, die auch die modernen Parteiendemokratien betreffen, in denen das demokratische Prinzip nur fiktiv aufrechterhalten wird und das Volk, der Demos, nur noch als „Zurechnungsvolk“ fungiert.724 Hier müßte die Neufindung der Demokratie beginnen, damit auf ihrem Weg ins Globale ihre Essenz nicht völlig in Vergessenheit gerät und nur eine leere Hülle übrig bleibt. Offensichtlich kritisiert wird der Mangel an Kongruenz zwischen Entscheidenden und Betroffenen einerseits und an Publizität andererseits in der global governance gerade durch die Globalisierungsgegner, die sich aufgrund von Unzufriedenheit und Ohnmachtsgefühlen formiert haben, weil sie sich vom Zugang zu den konventionellen demokratischen Institutionen ausgeschlossen oder durch diese nicht vertreten sehen.725 Auf dem Weg des (teilweise gewaltsamen) Widerstandes haben sie sich Zugang zur Zivilgemeinschaft verschafft, und nehmen auf diese Weise als global opposition sehr aktiv am Weltdiskurs teil. Es wäre nicht im Sinne eines Kampfes um die Freiheit, der allein zum Widerstand berechtigt, wenn nicht darauf hingearbeitet würde, die nationalen und globalen Defizite der Demokratie zu beseitigen. Nichts wird dadurch freiheitlicher und demokratischer, weil es im Namen der gesamten Menschheit geschieht. Friedrich Müller kommt schließlich ebenfalls zu dem Schluß, daß die Menschenrechte, wenngleich sie Bedingungen der Demokratie sind, diese allein nicht ersetzen können und demokratische Prozeduren erforderlich sind.726 721

G. Teubner, Globale Bukowina, S. 5. U. Karpen, „Ziviler Ungehorsam“ im demokratischen Rechtsstaat, JZ, 1984, 249 (254); vgl. dazu auch F. W. Stoecker, NGOs und die UNO, S. 99 ff.; R. Wedgwood, Legal Personality and the Role of Non-Governmental Organizations and Non-State Political Entities in the United Nations System, S. 28 f.; J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 109 f.; A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 87; K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen unter Mitwirkung privater Akteure?, S. 228; M. Wolf, Corporate Governance, ZRP 2002, 59 ff. 723 So aber F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 142 f.; vgl. zur Demokratietheorie der Pluralisten M. G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 226 ff. 724 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 71. 725 K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, Gutachten für die Enquete-Kommission, „Globalisierung der Weltwirtschaft“, 2001, S. 4. 726 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 122. 722

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dd) Paternalismus und volonté générale Als private, nach den Bestimmungen des Privatrechts eines Staates gegründete727 Vereinigungen728 sind Nichtregierungsorganisationen und globale Unternehmen naturgemäß nicht gewählte Organe der Menschheit, also nicht personell demokratisch legitimiert, und können daher nach herkömmlicher demokratischer Sichtweise über kein allgemeinpolitisches Mandat verfügen oder gar (Welt-) Staatsgewalt ausüben.729 Nichtregierungsorganisationen sind auch nicht deshalb „demokratisch“ legitimiert, weil sie sich für das „Gute“ oder das Wohl aller einsetzen. Das Bemühen vieler Nichtregierungsorganisationen um das bonum commune ist nicht mit der Verwirklichung der formalen, prozedural zu ermittelnden volonté générale gleichzusetzen.730 Jeder hat das Recht und die sittliche Pflicht, dem Gemeininteresse zu dienen.731 Es verletzt jedoch die Freiheit der anderen, wenn jeder das Recht hätte, für andere das Gemeinwohl verbindlich zu definieren, ohne von diesen beauftragt zu sein. Eine formelle Rechtsetzungs- und Stellvertretungsfunktion haben Nichtregierungsorganisationen, selbst wenn sie verbandsintern über demokratiegemäße Strukturen verfügen, im Rahmen ihrer Selbstverwaltung nur für ihre Mitglieder, die sie vertreten.732 Nicht-staatliche Vereinigungen und Organisationen können überdies Vertreter Betroffener ohne direkte Beteiligungschance733 sein, wenn ihnen hierfür von diesen vertraglich ein Mandat erteilt worden ist. Zum Sachwalter des allgemeinen Interesses der Menschheit, einer volonté générale mondiale734, sind Nichtregierungsorganisationen und erst

727 D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations and Transnational Enterprises in International Law and the Changing Role of the State, S. 43. 728 V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 78 f. 729 K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, S. 6; H. Brunkhorst, Solidarität, S. 182 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 305 f., Rn. 20, S. 315 f.; vgl. auch Art. 20 Abs. 2 GG, wonach die Staatsgewalt vom Volk u. a. „durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ wird; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 369 ff.; siehe auch zur „korporativen Staatsgewalt“ unter Einbeziehung Privater, H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 13 ff., zur demokratischen Repräsentation, S. 342 ff. 730 Vgl. im Hinblick auf das Demokratieprinzip E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 324 f.; anders dagegen F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 142. 731 B. W. Wegener, Rechtsschutz für gesetzlich geschützte Gemeinwohlbelange als Forderung des Demokratieprinzips?, HFR 3-2000, S. 5 ff. 732 Vgl. zur demokratischen Legitimation innerhalb der privatrechtlichen Organisation W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, Die Verwaltung, 35 (2002), S. 363 ff.; vgl. auch E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 316, Rn. 30. 733 So B. Zangl/M. Zürn, Make Law Not War, S. 35. 734 Vgl. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, I, 6., 7. Kap., II, 1, 2. 3. Kap.

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Recht globale Unternehmen durch kein die Selbstbestimmung wahrendes Verfahren berufen worden.735 Aufgrund des Völkerrechts haben Nichtregierungsorganisationen bisher nur ein deliberatives Recht, an der allgemeinen Willensbildung durch Information, Beratung und Monitoring mitzuwirken (vgl. Art. 71 UN-Charta). Sie sind aber nicht allein befugt, die volonté générale und ihre Durchsetzung für alle verbindlich zu formulieren.736 Es wird jedoch erwogen, ob Nichtregierungsorganisationen via Gewohnheitsrecht konkludent ein völkerrechtliches Mandat zur (Mit-) Vertretung der Staatengemeinschaft in öffentlichen Interessen erhalten haben. Aktuell wird das, wenn sich etwa Greenpeace mehrfach und von Staaten und anderen internationalen Akteuren unwidersprochen, zum Wahrer des Umweltschutzes erklärt.737 Die mit den Menschenrechten und dem demokratischen Prinzip zu verwirklichende Idee der Selbstbestimmung setzt voraus, daß das eigene Interesse selbst und nicht herrschaftlich, paternalistisch weder durch den Staat fremdbestimmt738 noch durch Gruppierungen (z. B. Parteien) aufgesogen wird.739 Entsprechendes gilt kollektiv auch für das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Um Fremdbestimmung handelt es sich aber, wenn das Allgemeininteresse allein von einigen Interessenverbänden festgelegt wird. Kant nennt den Paternalismus den größten Despotismus: „Eine Regierung, die auf dem Prinzip des Wohlwollens gegen das Volk als eines Vaters gegen seine Kinder errichtet wäre, d. i. eine väterliche Regierung (imperium paternale), wo also die Untertanen als unmündige Kinder, die nicht unterscheiden können, was ihnen wahrhaftig nützlich oder schädlich ist, sich bloß passiv zu verhalten genötigt sind, um, wie sie glücklich sein sollen, bloß von dem Urteile des Staatsoberhaupts und, daß dieser es auch wolle, bloß von seiner Gütigkeit zu erwarten: ist der größte denkbare Despotismus (Verfassung, die alle Freiheit der Untertanen, die alsdann gar keine Rechte haben, aufhebt).“740

Außerdem besteht die Gefahr des Machtmißbrauchs durch besonders einflußreiche Organisationen, die ihr partikuläres Interesse durchsetzen.741 Im Sinne 735 Vgl. W. Kersting, Philosophische Friedenstheorie und internationale Friedensordnung, S. 551. 736 F. W. Stoecker, NGOs und die UNO, S. 104 f.; dazu genauer unter 6. Teil, E, II, 1. 737 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 266. 738 I. d. S. W. Henke, Recht und Staat, 1988, S. 173 ff., 251 ff., 266, Lehre von der „guten Herrschaft“. 739 Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 3. Kap., S. 31; siehe auch 4. Buch, 1. Kap., S. 113.1; Kant, Über den Gemeinspruch, S. 145, 159; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 342 f., 625 m.w. N.; W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, HVerfR 1994, S. 427 (509, Rn. 136); A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 2000, S. 78 f.; a. A. H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 12 f., 18 ff., 23 ff. 740 Über den Gemeinspruch, S. 145 (A 235, 236) f.; so auch W. Maihofer, HVerfR, S. 457, 509 f.

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eines idealen Diskurses742 muß jeder Betroffene, der sich einbringt, gehört werden. In funktionell-sachlicher Hinsicht können Nichtregierungsorganisationen, Verbände und Unternehmen im übrigen als Repräsentanten von in der Zivilgemeinschaft vorhandenen Interessen und Meinungen angesehen werden, welche sie im Namen ihrer Mitglieder und Vertragspartner geltend machen.743 Sie tragen zur global-gesellschaftlichen Lebensbewältigung bei, soweit und weil sie von der Zivilgemeinschaft als Interessenvertreter akzeptiert werden, was sich empirisch etwa an der Resonanz in der öffentlichen Meinung, in den Medien oder am Spendenaufkommen zeigt. Wenn es in sektoralen, offenen Verfahren, das die Beteiligung aller relevanten Meinungen ermöglicht, gelingen würde, alle in der Zivilgemeinschaft vertretenen Interessen zu ergründen und einzubeziehen, entspräche das Ergebnis durchaus der volonté générale744 und könnte in die staatliche, internationale und globale Willensbildung einbezogen werden.745 Eine allzu starke Institutionalisierung der Interessenrepräsentation im Sinne von Parteien ist allerdings für die globale Demokratie nicht förderlich, weil dann an die Stelle sachlicher Interessenvertretung der Kampf um den Zugang zur Macht oder deren Erhalt und Ausbau im Vordergrund steht.746 Ohne personelle demokratische Legitimation wäre dies nicht einmal eine Parteiendemokratie, sondern eine Parteiendiktatur. ee) Bestimmung der Kriterien der Mitwirkung und die Auswahl der Partizipierenden (Nichtregierungsorganisationen), Sicherung von Beteiligungsgleichheit Globale Demokratie als deliberative oder Betroffenendemokratie setzt grundsätzlich gleiche Mitwirkungsrechte der Partizipierenden voraus.747 Fraglich ist, welches Gremium die Kriterien für die Auswahl der in einem Verfahren zur Rechtsfindung oder Rechtsetzung zu beteiligenden Experten, Interessengruppen oder Nichtregierungsorganisationen festlegt. Im System der Staaten finden sich grundlegende Entscheidungen dazu in der Verfassung (vgl. Art. 21 GG). Im übrigen sind es die Parlamente, welche zumindest die wesentlichen sachlichen Kriterien für die Auswahl (z. B. Sachnähe, Eignung, Befähigung, Transparenz) hinrei741 J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, HStR, Bd. III, 1988, § 57, S. 3, Rn. 93. 742 3. Teil, B, S. 213 ff. 743 Vgl. auch BVerfGE 85, 264 (285 f.); R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 84 f. 744 Vgl. dazu Th. Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, S. 832 ff. 745 Vgl. dazu H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 352 ff. 746 Vgl. auch J. Delbrück, Erga omnes Normes in International Law, S. 32. 747 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 327 ff.; R. SchmalzBruns, Deliberativer Supranationalismus, ZIB 6 (1999), S. 208 ff.; vgl. H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 278 ff.; BVerfGE 6, 84 (91); 11, 266 (272); 11, 350 (361); 14, 121 (132); 28, 220 (225); 44, 125 (146); 58, 177 (190); 82, 322 (337).

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chend bestimmt festlegen.748 Bisher stehen auf Weltebene als Akkreditierungsinstanz nur die Internationalen Organisationen zur Verfügung. Auf der Verfassungsebene ermächtigt Art. 71 UN-Charta den Wirtschafts- und Sozialrat, „Abmachungen zwecks Konsultation“ mit Nichtregierungsorganisationen abzuschließen. Der Wirtschafts- und Sozialrat seinerseits hat die Beobachter-, Antrags- und Mitwirkungsrechte von Nichtregierungsorganisationen im Rahmen der Vereinten Nationen näher geregelt.749 Die ECOSOC-Resolution750 sieht als Voraussetzungen für den Konsultativstatus u. a. vor, daß die Ziele der Organisation mit der UN-Charta vereinbar sind, daß die (regionale, nationale oder internationale) Organisation „repräsentativen Charakter“ hat, daß sie über eine gewisse institutionelle Struktur verfügt, eine „democratically adopted constitution“ aufweist und von ihren Mitgliedern als Interessenvertreter ermächtigt ist. Einflußreiche Organisationen wie Amnesty International und die International Commission of Jurists haben beispielsweise einen Konsultativstatus im Sinne von Art. 71 UN-Satzung und verfügen nicht nur über einen Beobachterstatus, sondern teilweise auch über ein Rederecht.751 Letztlich hängt die Akkreditierung allerdings vom Ermessen des Wirtschafts- und Sozialrates und von seiner Durchführungsbereitschaft ab. Einen gesicherten Anspruch auf Zulassung, wenn die Voraussetzungen der Resolution erfüllt sind, und damit ein Recht auf gleichberechtigte Partizipation, gibt es nicht. Insoweit sind die Anforderungen an ein transparentes, offenes Verfahren mit gleichen Beteiligungschancen752 in der UNO noch nicht hinreichend verwirklicht. Eine gewisse Verbesserung zeigt sich insoweit in der neueren, formloseren Chance der Zulassung auch von Nichtregierungsorganisationen ohne Konsultativstatus zu Weltkonferenzen, wenn die teilnehmenden Staaten zustimmen.753 Das ermöglicht, daß sich die Kongruenz von betroffenen Interessen und Mitwirkenden erhöht, weil viele Ansichten und Interessen zu Gehör gebracht werden und in die Erkennung des Rechts einfließen. Diese Funktion haben auch die global public policy groups, die die UNO einzurichten beginnt. In ihnen werden als Vorstufe zu den institutionalisierten Entscheidungen die kontroversen 748 Dazu H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 286 ff.; vgl. K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, S. 21. 749 ECOSOC Res 1996/31 v. 25.7.1996 betreffend „consultative relationship between the United nations and non-Governmental organizations“, unter: www.un.org/ documents/ecosoc/res/1996/eres1996-31.htm; vgl. auch Resolutionen des ECOSOC Res 2/3 vom 21.6.1946; Res 288 B (X) v. 27.2.1950, Review of consultative arrangements with non-governmental organizations, § 13, ESCOR (X), Supplement No. 1; Res 1296 (XLIV) v. 23.5.1968, UN-Doc. E/AC.70/1994/5, § 65. 750 Art. 1–12 ECOSOC Res 1996/31. 751 Vgl. R. Lagoni, in: Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 71 Rn. 11; grundlegend P. Willets, Consultative Status for NGOs at the United Nations, 1996; siehe auch B. Zangl/M. Zürn, Make Law Not War, S. 35. 752 Vgl. dazu H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 286 ff. 753 Economic and Social Council, Art. 42 Resolution 1996/31 49th plenary meeting, 25 July 1996, www.un.org/documents/ecosoc/res/1996/eres1996-31.htm.

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5. Teil: Konzeptionen der verfaßten Weltordnung

Vorhaben von Wissenschaftlern, Politikern, Medien, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen aufbereitet.754 ff) Qualifizierte Mitwirkung an der öffentlichrechtlichen Rechtsetzung? Für ihren Verantwortungsbereich können Nichtregierungsorganisationen und transnationale Unternehmen unproblematisch privat Recht setzen (insbesondere durch individuelle und Tarifverträge). Fraglich ist aber, ob nicht-staatliche Akteure als Interessenvertreter über Vorschlags- und Konsultativrechte hinaus legitimiert sein könnten, aktiv an der Weltgesetzgebung teilzunehmen.755 Faktisch ist den Nichtregierungsorganisationen in der Völkerbundszeit, obwohl eine formelle Rechtsgrundlage fehlte, eine größere und regelmäßigere Einwirkungsmöglichkeit in Beratungen und Rechtsetzungsverfahren durch Rederecht, Vorschlagsrechte und Teilnahme an Ausschüssen zugestanden worden als heute.756 Im Rahmen der Vereinten Nationen sind nur Rechte der Information, der Anhörung und der Beratung, weitgehend abhängig von einem gestuften Konsultativstatus, aber keine formelle Partizipation vorgesehen.757 Damit würden sie öffentliche Gewalt ausüben und bedürften neben sachlicher auch organisatorischer und personeller Legitimation.758 Eine solche läßt sich weder aus den Menschenrechten noch aus dem Widerstandsrecht begründen, weil, diese Rechte nicht die Befugnis geben, gegenüber Dritten allgemeinverbindliches Recht konstruktiv zu setzen.759 Wenn Nichtregierungsorganisationen in die Weltrechtsetzung eingebunden werden sollen, genügt es nicht, daß die demokratische Legitimation vom „Verbandsvolk“760 ausgeht, die Organisation also über eine „demokratische Binnenstruktur“ verfügt. Die Teilnahmebefugnisse müssen durch die Staatsvölker und die Völkercivitas oder gegebenenfalls durch eine Weltbürgercivitas in völkerrechtlichen Verträgen bzw.

754 F. Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 74; siehe z. B. www.unpan.org/discover.asp. 755 Vgl. K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, S. 21. 756 J. Delbrück, Nichtregierungsorganisationen, Geschichte, Bedeutung, Rechtsstatus, 2003, S. 5. 757 J. Delbrück, Nichtregierungsorganisationen, S. 10 ff.; für den Sicherheitsrat S. v. Schorlemmer, Verrechtlichung contra Entrechtlichung, in: B. Zang/M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 76 (81). 758 Vgl. J. Oebbecke, Demokratische Legitimation nicht-kommunaler Selbstverwaltung, VerwArch 81 (1990), S. 355 ff.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 381 ff. 759 Vgl. J. Oebbecke, Demokratische Legitimation nicht-kommunaler Selbstverwaltung, VerwArch 81 (1990), S. 358 f.; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 305 f., Rn. 20. 760 J. Oebbecke, Demokratische Legitimation nicht-kommunaler Selbstverwaltung, VerwArch 81 (1990), S. 358.

C. Demokratie und politische Selbstbestimmung in der Weltrechtsordnung

685

Gesetzen festgelegt sein.761 Erforderlich ist ferner ein offenes Verfahren, welches die Zulassung oder Bestellung der Akteure durch demokratisch-legitimierte Amtsträger öffentlich-rechtlich regelt sowie für gleiche Beteiligungschancen sorgt.762 Auch hierdurch werden private Akteure jedoch nicht zu Vertretern der Völker oder der Weltcivitas in der Gesetzgebung. Sie bündeln lediglich bestimmte, in der Zivilgemeinschaft vorhandene öffentliche Interessen. Diese können bei der gerichtlichen Feststellung von Gewohnheitsrecht mitberücksichtigt werden. Entscheidungs- oder Vetorechte können ihnen jedoch nicht zugebilligt werden. Vorschlagsrechte und die Befugnis zu Stellungnahmen entsprechen durchaus ihrer zivilgesellschaftlichen Bedeutung und Legitimation. Ihre Partizipation an Rechtsetzungsverfahren und deren Vorbereitung ist unbedenklich, solange die Entscheidung selbst durch demokratisch legitimierte Organe substantiell gefällt und verantwortet wird.763 Die ILO-Verfassung regelt die Teilnahme von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden in den Organen und im Rechtsetzungsverfahren der ILO. Die volle Verbindlichkeit der ILO-Rechtsakte hängt jedoch noch von der Ratifikation durch die mitgliedstaatlichen Parlamente ab (vgl. Art. 19 Abs. 5 ILO-Verf.).764 Damit werden sie letztlich von den nationalen Parlamenten demokratisch verantwortet. Denkbar ist eine entsprechende Struktur bei den Vereinten Nationen im Wirtschafts- und Sozialrat, in dem neben den Staaten die verschiedenen Interessengruppen der Zivilgemeinschaft repräsentativ vertreten sein könnten. g) Schlußbemerkung Die klassischen demokratischen Verfahren sind im globalen Zusammenhang durch entterritorialisierte Verfahren freiheitlicher Selbstbestimmung ergänzungsbedürftig und ergänzungsfähig. Ganz ohne staatlich-demokratischen Rahmen, rein pluralistisch, zivilgesellschaftlich läßt sich die Selbstbestimmung der Menschen/Bürger auf Weltebene (kosmopolitische Demokratie) jedoch nicht verwirklichen. In zivilgesellschaftlichen Prozessen bedarf es neben der menschenrechtlichen keiner explizit „demokratischen“ Legitimation. Allgemeinverbindliche Weltgesetzgebung muß jedoch in den wesentlichen und letzten Entscheidungen durch die Völker- oder Weltbürgercivitas demokratisch legitimiert sein.

761

Vgl. dazu H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 365 ff. Vgl. K. D. Wolf, Globalisierung, Global Governance und Demokratie, S. 22; dazu eingehend. H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 286 ff.; kritisch M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 383 ff. 763 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 305 f., Rn. 20. 764 Dazu näher 6. Teil, C, S. 785 ff. 762

6. Teil

Analyse der Entwicklungen vom traditionellen Völkerrecht zum Weltrecht in Lehre und Praxis Im 3. Teil wurden ein universeller Rechtsbegriff und eine Weltrechtslehre vorgestellt. Von einem Paradigmenwechsel und Weltrecht als Benennung des Paradigmenwechsels kann aber erst gesprochen werden, wenn in Rechtswissenschaft und Praxis Abweichungen auftreten, welche nicht mehr durch das allgemeinhin geltende völkerrechtliche Denkmuster erklärt werden können. Jedenfalls aus einer realistischen Perspektive, welche die Geltung des Weltrechts auch von seiner Anerkennung in der Rechtspraxis abhängig macht, vollzieht sich der Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht erst, wenn er in der Praxis angenommen wird.1 In jedem Fall wird er dann erst sichtbar und effektiv, so daß es unverzichtbar erscheint, auf entsprechende, wichtige Entwicklungen in Praxis und Lehre, die in verschiedene Phasen eingeteilt werden, einzugehen. Der Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht kann grundsätzlich auf zwei Arten wahrgenommen werden: Entweder vollendet sich das Völkerrecht mit oder ohne weltstaatliche Institutionen zum Weltrecht oder, was realistischer erscheint, das ursprünglich staatenzentrierte Völkerrecht öffnet sich für Menschheitsanliegen und globale Sachzwänge.2 Die tatsächliche Entwicklung vom Völkerrecht zum Weltrecht erfolgt nicht abrupt, sondern schrittweise. Es ist eine allmähliche Metamorphose, die zunächst als Wandlung des Begriffs des Völkerrechts wahrgenommen wird3 und im folgenden vom Koexistenzrecht über das Völkerrecht der Globalisierung bis zu Anfängen eines Weltstaatsrechts aufgezeigt werden soll. Zwischen den Extrempolen eines Weltstaates und eines Völkerbundes zeigen sich zahlreiche Zwischenlösungen.4 Sie sollen in ihren tatsächlich vorhandenen Ansätzen analysiert und mit den Vorgaben des Weltrechts verglichen werden.

1

H. L. A. Hart, The Concept of Law, 1961, S. 229. Vgl. A. Fischer-Lescano, Globalverfassung, ARSP 2002, 371 f. 3 Vgl. H. Mosler, The International Society as a Legal Community, 1980, S. 6. 4 R. A. Lorz, Die dauerhafte Aktualität des ewigen Friedens, Der Staat, 37, (1998), S. 75 (86). 2

A. Von der Koexistenz zur Kooperation

687

A. Von der Koexistenz zur Kooperation I. Völkerrecht der Kooperation Die Staaten sind keine isolierten, selbstherrlichen Herrschaftsverbände mehr, vielmehr unterliegen sie dem Recht, insbesondere den Grenzen der Völkerrechtsordnung.5 Wegen der globalen Bedrohungen kann der Staat im 21. Jahrhundert seine volle Potenz als „Selbstverwaltungskörper“, als „Grundeinheit des internationalen Systems“ allein in übernationaler Kooperation und Integration entfalten.6 Das gilt auch für Großmächte7, die sich mit ihren Hegemonialansprüchen teilweise von der Völkerrechtsordnung unabhängig machen oder dieser ihre einseitigen Inhalte diktieren möchten. Gegen den Widerstand der Staatengemeinschaft gelingt ihnen das auf Dauer nicht. Das zwischenstaatliche Recht (Völkerrecht im engeren Sinne) hat sich über ein „Zwischenmächterecht (Völkerrecht im weiteren Sinne) zu einem vielfach gegliederten Recht der internationalen Gemeinschaft (Völkerrecht im weitesten Sinne) entfaltet“.8 Aus der Friedenspflicht9 ergibt sich im Zeitalter zunehmender Globalisierung der Lebensverhältnisse nicht nur die Notwendigkeit, daß die Staaten friedlich koexistieren10, sondern auch miteinander kooperieren.11 Ziel der Vereinten Nationen ist es nach Art. 1 Nr. 3 UN-Charta, „eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen“. Wolfgang Friedmann hat den Begriff des „Völkerrechts der Zusammenarbeit“ und

5 Vgl. G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, 1998, S. 15 f. 6 U. Saxer, Die Zukunft des Nationalstaates, 1994, S. 48; Ch. Schreuer, State Sovereignty and the Duty of States to Cooperate, in: J. Delbrück (Hrsg.), International Law of Cooperation and State Sovereignty, 2002, S. 163 ff.; Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, 2004, GA, A/59/565, S. 11 ff. 7 Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, 2004, S. 11. 8 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, § 5. 9 Vgl. O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 2000, S. 61 ff. 10 Davon zu unterscheiden war die Doktrin der „friedlichen Koexistenz“ in der sowjetischen Völkerrechtslehre. Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 42 ff. 11 Dazu P. Häberle, Der kooperative Verfassungsstaat, in: ders. (Hrsg.), Verfassung als öffentlicher Prozeß, 1978, S. 407 (438); A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 106 ff.; H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 175 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 41 ff.; D. Held, Democracy and the Global Order, 1995, S. 89 ff.; S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat, 37 (1998), S. 521 ff., s. a. schon W. Friedmann, The Changing Structure of International Law, 1964, S. 61.

688

6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

der „internationalen Gemeinschaft“ geprägt.12 Dem Völkerrecht der Kooperation sind jene Verträge zuzuordnen, in denen sich Staatengruppen zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke „organisatorisch-institutionell“ zusammengeschlossen haben.13 Weil viele Aufgaben nur in Staatenkooperation zu bewältigen sind, nimmt der souveräne Staat auf der Basis der Freiwilligkeit14 seinen ausschließlichen Aufgabenerfüllungsanspruch zugunsten der kollektiven Aufgabenerfüllung durch die internationale Gemeinschaft15 zurück.16 Im kooperativen Völkerrecht gewinnt das öffentlich-rechtliche Element im Sinne eines „communityoriented approach“ zunehmend an Bedeutung17, wenngleich das grundlegende Paradigma des Völkerrechts noch nicht in Frage gestellt ist. Insbesondere bleibt der Grundsatz der Souveränität, wenn auch wegen der Kooperationsverpflichtungen durch eine beschränkte einzelstaatliche Handlungsfähigkeit modifiziert18, der Staaten bewahrt. Innerhalb der international institutionalisierten Staatenkooperation wurde seit Ende des Kalten Krieges eine Stärkung der rule of law und eine Verminderung des „Naturzustands“ zwischen den Staaten beobachtet.19 Nach dem Aufbrechen des Blockgleichgewichts wurde eine bessere Zusammenarbeit im UN-Sicherheitsrat möglich. Als hinderlich für die rule of law erweist sich allerdings der auch kriegerisch durchgesetzte Weltherrschaftsanspruch der Vereinigten Staaten, als derzeit mächtigster Staat der Welt.20 Auch verweigern sich die Vereinigten Staaten der Kooperation in Bereichen der Rüstungskontrolle oder des Internatio12

W. Friedmann, The Changing Structure of International Law, S. 60. M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 569 (571). 14 M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, S. 571; W. Karl, Das humanitäre Völkerrecht auf dem Weg vom Zwischenstaats- zum Weltrecht, in: Fs. K. Ginther, 1999, S. 577 (578). 15 Zu diesem Begriff H. Mosler, The International Society as a Legal Community; A. Paulus, Die internationale Gemeinschaft, 2001; B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht, 2002, S. 54 ff.; vgl. auch M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 569 f. 16 S. Hobe, Die Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 272; J. Delbrück, Souveränität und Nationalstaat im Wandel (1975), in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 192 (196 f.). 17 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, 1990, 376; B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, S. 47 f. 18 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 123. 19 Siehe Sicherheitsgipfel vom 30. Januar 1992 UN Doc. S/23500 v. 31.1.1992 Sicherung rechtsstaatlicher Standards; UN Doc. S/PV. 3046; Kopenhagener Erklärung der KSZE-Staaten (1990), dt. Text in: EA, 45 (1990), D 380 ff.; Charta von Paris (1990), dt. Text in: EA 45 (1990), D 650 ff.; J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 318 (319). 20 M. Bothe, Militärische Gewalt als Instrument von Konfliktregelung, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 13 (14 ff.). 13

A. Von der Koexistenz zur Kooperation

689

nalen Strafgerichtshofs. Eine Ausnahme ist das nukleare Fragen betreffende START-Abkommen mit Rußland.21 Jürgen Habermas hat dazu bemerkt: „Das Kantische Projekt kann nur dann eine Fortsetzung finden, wenn die USA zu ihrem nach 1918 und nach 1945 vertretenen Internationalismus zurückkehren und erneut die historische Rolle eines Schrittmachers auf dem Wege der Evolution des Völkerrechts zu einem ,weltbürgerlichen Zustand‘ übernehmen.“22

Ganz können und wollen sich auch die USA nicht der völkerrechtlichen Kooperation entziehen. Dafür sind die wirtschaftlichen und politischen Interdependenzen bereits zu groß. Gemäß der Interdependenzlehre bringen funktionale, durch internationale Arbeitsteilung geschaffene Abhängigkeiten als globales Phänomen sektorale Regime hervor, etwa das Umweltregime, das Flüchtlingsregime oder das Telekommunikationsregime.23 Als paradigmatischer Wechsel wird festgestellt, daß sich das Kooperationsprinzip als Folge der zahlreichen Aktivitäten der Vereinten Nationen und ihrer Spezialorganisationen mit dem Zweck, die Ziele der Satzung der Vereinten Nationen zu erreichen, teilweise zu einem „Solidaritätsprinzip“ verdichte.24 Dies bestätigt die Akzeptanz eines Weltsolidaritätsprinzips. II. Kooperation in Internationalen Organisationen 1. Gründung Internationaler Organisationen Das grundlegende Mittel staatlicher Kooperation ist der völkerrechtliche Vertrag, nicht nur als bilaterales Abkommen, sondern auch als multilaterales Instrument mit der Möglichkeit, Staatenverbindungen, internationale Regelungen und Organisationen, einschließlich Formen Internationaler Gerichtsbarkeit und der Streitbeilegung, zu institutionalisieren.25 Internationale Organisationen sind durch Vertrag zwischen mehreren Mitgliedstaaten geschaffene Staatenverbindungen, denen in der Regel, begrenzt auf den in der Satzung der Organisation festgelegten Zweck, abgeleitet von den Mitgliedsstaaten Völkerrechtssubjektivi21 R. Cooper, Gibt es eine neue Weltordnung?, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 102 (114). 22 J. Habermas, hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, in: ders. (Hrsg.), Der gespaltene Westen, 2004, S. 113 (116). 23 Dazu R. O. Keohane/J. S. Nye, Power and Interdependence. 1977, S. 210; B. Kohler-Koch, Regime in den internationalen Beziehungen, 1989. 24 Vgl. O. Kimminich, Neue solidarische Weltordnung, in: Fs. V. Zsifkovits, 1993, S. 9 ff.; ders./S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 309; UN-Generalversammlung, Millenniums-Deklaration, A/RES/55/2, Nr. I, 6. 25 Dazu vgl. E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 285 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 120 ff., 173 ff.; A. Verdross/ B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 66 ff. zur Idee zwischenstaatlicher Organisationen A. Verdross, Völkerrecht, S. 25 ff.

690

6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

tät zugestanden wird und die über handlungsbefugte Organe verfügen.26 Inzwischen gibt es mehr Internationale Organisationen als Staaten.27 Zum großen Teil bleiben die Arbeit der vielfältigen, universellen und regionalen, allgemeinen und spezialisierten Organisationen sowie deren Ansätze zu institutioneller Rechtssicherung allerdings unkoordiniert auf die jeweilige Einrichtung beschränkt.28 Das Völkerrecht der Kooperation bildet mithin keine zusammenhängende öffentliche Ordnung. Eine Internationale Organisation mit universellem Anspruch29 sind die Vereinten Nationen (UN).30 Auf der normativen Basis der Völkerbundsatzung und der UN-Charta hat sich ein schnell wachsendes Völkerrecht der Kooperation auf universeller wie regionaler Ebene, mit allgemeiner sowie spezifischer Aufgabenstellung entwickelt.31 Neben dem mehr funktionalen Aspekt gemeinsamer Aufgabenbewältigung32 dienen Organisationen wie die Vereinten Nationen, aber auch die OSZE/KSZE und der Europarat vornehmlich dem Rechtsprinzip, vor allem der Friedenserhaltung und dem Schutz der Menschenrechte im Sinne des kantischen Ideals.33 Sie entsprechen weitgehend Kants Konzept des globalen Völkerbundes.34 Das gilt jedoch nicht für gegen andere Staaten gerichtete regionale militärische Abwehrbündnisse35 wie die NATO. Diese hat zudem ihr Programm über den Verteidigungsfall hinaus auf allgemeine Sicherheitsinteressen 26 IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, ICJ Rep. 1949, 179; vgl. O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 122 ff. 27 E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 277, Rn. 11. 28 H. Steiger, Frieden durch Institution, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohmann (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 140 (160). 29 E. Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, 1969, S. 128 ff. 30 Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 508 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 69 ff. 31 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 53; zu den Internationalen Organisationen vgl. E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 267 ff.; K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 71 ff.; E. Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, S. 59 ff. 32 Vgl. zum Funktionalismus E. Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, S. 13 ff.; Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001, S. 155 ff. 33 Dazu V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, 2000, S. 199 ff.; vgl. auch die Millenniums-Deklaration der UN-Generalversammlung, A/RES/55/2. 34 H. Steiger, Frieden durch Institution, S. 157; O. Höffe, Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: G. Schönrich/Y. Kato (Hrsg.), Kant in der Diskussion der Moderne, 1986, S. 489 (492 ff.); ders., Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, in: ders. (Hrsg.), Zum ewigen Frieden, 1998, S. 245 (250 ff.); dazu daß der Initiator des Völkerbunds, der amerikanische Präsident Wilson Kants Ideal folgte J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 154 ff. 35 Vgl. V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerecht, S. 83; E. SenghaasKnobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, S. 52 ff.

A. Von der Koexistenz zur Kooperation

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der Partner erweitert36. Ein Abwehrbündnis37, das nicht universell ist, beseitigt den Krieg nicht. Vielmehr nimmt es das Kriegsrecht (wenn auch eventuell legitimiert durch den Nothilfegedanken) für sich selbst in Anspruch38, indem es das Verteidigungsrecht eines (angegriffenen) Staates in Form einer Verteidigungspflicht auf alle ausdehnt.39 Die Internationalen Organisationen haben eine „dienende Funktion“, nämlich die Kooperation zwischen den Staaten zu stärken.40 Nichtsdestotrotz bedeutet die Übertragung von ursprünglich nationalen Aufgaben auf verschiedene Internationale Organisationen zur gemeinsamen Ausübung eine Schmälerung der alleinigen Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten der Staaten und ihrer exklusiven Rolle im Völkerrecht.41 Teilweise wird dies als Verminderung staatlicher Souveränität verstanden42. Rechtlich gebotene Kooperation beschränkt die Staatlichkeit jedoch nicht, sondern hält sie aufrecht, solange die Staaten nicht existentiell betroffen sind. Die existentielle Staatlichkeit wird durch die Kooperation in Internationalen Organisationen nicht berührt; denn die Mitgliedschaft in einer Organisation kann auch wieder beendet werden.43 Die entsprechenden Regeln der Wiener Vertragsrechtskonvention (Art. 54 ff. WVK) gelten ebenfalls 36 Washingtoner Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Allianz vom 24.4.1999; abgedruckt im Bulletin Nr. 24 v. 3.5.1999, 221–222; siehe unter www.nato.int/docu/pr/1999/p99-063d.htm. Dort wird festgestellt: „Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf das Gebiet der Bündnispartner, aus welcher Richtung auch immer, finden Art. 5 und 6 des Vertrags von Washington Anwendung. Die Sicherheit muß jedoch auch den globalen Kontext berücksichtigen. Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken umfassenderer Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen.“ (Abschnitt 24 des Konzepts.). Vgl. dazu auch G. Geiger, Die völker- und verfassungsrechtlich wirksame Erweiterung des Aufgabenspektrums von NATO und WEU, Neue Zeitschrift für Wehrrecht, 2001, Nr. 4, S. 133 ff., der die Aufgabenerweiterung für rechtmäßig hält; vgl. auch dazu BVerfGE 104, 151 ff. 37 Das Bundesverfassungsgericht hat dagegen in seiner Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes der Bundeswehr bei NATO-Operationen die NATO nicht als Abwehrbündnis, sondern als ein System kollektiver Sicherheit bezeichnet und sich dabei unter anderem auf die Streitbeilegungspflicht nach dem NATO-Vertrag gestützt. BVerfGE 90, 286 (350 f.). 38 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1932, S. 45. 39 Vgl. E. Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, S. 52 ff. 40 H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 6. 41 J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98, S. 66 f.; H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 5, 13; vgl. dazu auch K. A. Schachtschneider, Existentielle Staatlichkeit der Völker, in: W. Blomeyer/ders., Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 75 (120). 42 Bejahend einerseits K. Doehring, Internationale Organisationen und staatliche Souveränität, in: Fs. E. Forsthoff, 1967, S. 105; verneinend andererseits A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HStR, Bd. II, 2004, § 17, S. 143, Rn. 33 f.; dazu auch D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, 2003, S. 178 ff.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

für mehrseitige Verträge.44 Die Kündigungsbedingungen bestehen überdies nach allgemeinem Völkerrecht45, so daß sie nicht nur für die Staaten, die sie ratifiziert haben, verbindlich sind. Es bleibt den Mitgliedstaaten unbenommen, ein jederzeitiges Kündigungsrecht zu vereinbaren (vgl. Art. 54 lit. a, 56 WVK). Ein solches Kündigungsrecht ist z. B. in Art. 7 der Satzung des Europarats46, Art. XV WTO-Übereinkommen47, aber auch im Verfassungsvertrag der Europäischen Union (Art. 59), der am 29.10.2004 unterzeichnet worden ist, vorgesehen. Grundsätzlich muß in Dauerbeziehungen eine Kündigung aus wichtigem Grund möglich sein. Sie kann in die betreffenden Verträge auch stillschweigend mit hineingelesen werden (vgl. 56 Abs. 1 lit. a und b WVK). 2. Typik der Internationalen Organisation Internationale Organisationen i. e. S. sind folgendermaßen charakterisiert48: – Internationale Organisationen basieren auf einem völkerrechtlichen Vertrag zwischen Staaten und unterstehen der Völkerrechtsordnung.49 – Sie besitzen in der Regel (aus dem Gründungsvertrag abgeleitete) Völkerrechtssubjektivität50, die die Völkerrechtssubjektivität der Staaten nicht schmälert.

43 J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98, S. 66; dazu K. A. Schachtschneider, VVDStRL 50 (1991), S. 178 (Aussprache); ders./ A. Emmerich/Th. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 1993, 758 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, in: W. Blomeyer/ders. (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 75 (101 f.); ders., Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 153 (167 f.); BVerfGE 89, 155 (190). 44 Die für das Vertragsrecht internationaler Organisationen speziell einschlägige Konvention, welche am 21.3.1986 von 27 Staaten und 10 Internationalen Organisationen unterzeichnet worden ist (UN Doc. A/CNF 129/15; BGBl. 1990 II, S. 1415), kann erst nach Hinterlegung von 35 Ratifikationsurkunden in Kraft treten. 45 Vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 515 ff. 46 Vom 5.5.1949, UNTD Vol. 87, p. 103; in der Fassung der Bekanntmachung über die Änderung der Satzung des Europarates v. 30.11.1994, Anlage B, BGBl. 1994 II, S. 1126; zuletzt geändert durch Bekanntmachung v. 9.12.1996, BGBl. 1997 II, S. 159. 47 Vom 15.4.1994, ILM 33 (1994), p. 15; BGBl. 1994 II, S. 1625. 48 Vgl. dazu D. Archibugi, International organization in perpetual peace projects, Review of International Studies 18 (1992), S. 295 (296 ff.); E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 278 f.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 123 ff.; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, 2000, S. 35 ff. 49 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 35, Rn. 72. 50 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 249, § 415.

A. Von der Koexistenz zur Kooperation

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– Gründer und Mitglieder der Internationalen Organisation sind Völkerrechtssubjekte, regelmäßig Staaten auf der Grundlage von Souveränität und Gleichheit. – Der Gleichheit der Staaten entspricht es, daß jeder Staat, unabhängig von seiner Bevölkerungszahl, gleich viele Vertreter entsendet und nach dem Grundsatz der Stimmengleichheit (,one State, one vote‘) abgestimmt wird. Teilweise werden die Stimmen aber auch nach unterschiedlichen Bezugsgrößen (z. B. Bevölkerungszahl, Truppenstärke, Produktionsvolumen) gewogen. – Vertragsänderungen sind nur durch Konsens der Mitgliedstaaten möglich. Diese sind Herrn der Verträge. – Rechtsetzung erfolgt durch die Mitgliedstaaten in Form von Verträgen. Die Organe der Internationalen Organisationen haben keine wesentlichen eigenen (sekundären) Rechtsetzungsbefugnisse (mit bindender Wirkung). – Die Internationale Organisation verfügt nur über die ihr in den Gründungsverträgen zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse. Keinesfalls hat sie eine „Kompetenz-Kompetenz“. – Für Beschlüsse gilt generell das Konsensprinzip. – Streitigkeiten zwischen den Staaten sollen im Rahmen von streitschlichtenden Verfahren der Internationalen Organisation gelöst werden. – Die Bindung der Mitgliedstaaten in der Internationalen Organisation ist nicht unauflöslich. – Die Mitgliedstaaten sind allein für ihr innerstaatliches Recht und ihre Verfassung verantwortlich. – Die Mitgliedstaaten vollziehen eigenverantwortlich die im Rahmen der Internationalen Organisationen gefaßten Beschlüsse und Verträge. – Die Internationale Organisation verfügt gegenüber den Staaten generell über keine Befugnis, die Einhaltung des Rechts durch diese zu erzwingen. Das Modell der Internationalen Organisation ist wie der Völker- oder Staatenbund dem völkerrechtlichen Paradigma zuzuordnen. Es entspricht den Wesensmerkmalen und Prinzipien des Völkerrechts (dazu 2. Teil, B, C). 3. Ambivalenz der Vereinten Nationen Richard Falk hat die UNO wie folgt charakterisiert: „Die UN bleibt im Wesen zweideutig: Ihre Charta verkörpert im wesentlichen das Recht der Menschheit, während jedoch in der Praxis der größte Teil ihrer Handlungen die regressivsten Merkmale des zwischenstaatlichen Rechts, einschließlich des Respekts vor den Marktkräften, und zugleich ein Vertrauen auf die Gewalt geopolitischer Akteure in der Durchführung widerspiegeln.“51

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Die Vereinten Nationen stehen nicht mehr auf dem Boden des klassischen Völkerrechts mit dem Recht auf Krieg, sondern des modernen, von Kant wesentlich beeinflußten Friedensvölkerrechts52 oder des Völkerrechts der Kooperation. Sie sollen eine verbindliche zwischenstaatliche Rechts- und Schiedsordnung sein (vgl. Art. 1 UN-Charta)53, die „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges“ bewahren soll (Präambel, vgl. auch z. B. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 3–4 UN-Charta). Verbindliches Ziel54 der Vereinten Nationen als Friedensbund ist die Abschaffung des Krieges.55 Die UN-Charta begnügt sich nicht mit der Ächtung des Krieges, sondern verpflichtet ihre Mitglieder, „ihre internationalen Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln“ zu regeln (Art. 2 Abs. 3) und jede Gewaltanwendung zu unterlassen (Art. 2 Abs. 4). Das von den Vereinten Nationen nach Art. 1 Ziff. 2 UN-Charta anzustrebende Ziel des Friedens meint nicht nur ein negatives Verständnis von Frieden als Abwesenheit von Krieg. Angestrebt wird darüber hinaus der Frieden im positiven Sinn56, der in jedem Entwicklungsstadium nach Annäherung an eine Weltverfassung strebt. Neben der Wahrung friedlicher Verhältnisse zwischen den Staaten widmen sich die Vereinten Nationen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Belange der Menschen, die von den Staaten zu verwirklichen sind. Die Charta verpflichtet alle Staaten und Organe nicht nur auf die Achtung der souveränen Gleichheit der Staaten (Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 u. a.), sondern auch auf die Achtung der Menschenrechte, auf Würde und Wert der menschlichen Person, auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 1 Nr. 3, 55 UN-Charta). Sie dient also nicht nur rein zwischenstaatlichen Interessen, sondern auch allgemeinmenschlichen, weltrechtlichen Zielen.57 Damit verwirklicht die UN, was die „Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Nationen“ betrifft, die Ziele des Kantischen Friedensbunds58, geht aber insbesondere in ihren sozialen und 51 R. Falk, Die Rolle der zivilgesellschaftlichen Institutionen, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohmann (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 170 (185 f.). 52 O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, in: ders. (Hrsg.), Zum ewigen Frieden, 1995, S. 245 (250); vgl. auch ders., Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: G. Schönrich u. a. (Hrsg.), S. 489 ff. 53 S. Laubach-Hintermeier, Kritik des Realismus, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 73 (73); S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung; AVR 37 (1999), S. 271. 54 Zum Rechtsnormcharakter der Ziele in Art. 1 UN-Charta K. Doehring, Völkerrecht, S. 184, Rn. 428. 55 O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 251. 56 R. Wolfrum, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 1, Rn. 5; vgl. auch Millenniums-Deklaration der UN-Generalversammlung, A/RES/55/2. 57 Vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 79, § 101; M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 573; Millenniums-Deklaration der UNGeneralversammlung, A/RES/55/2. 58 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 17; O. Höffe, Eine Weltrepublik als Minimalstaat, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 154 (166); vgl. auch V. Epping, in K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 409; eine

A. Von der Koexistenz zur Kooperation

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menschenrechtlichen Aufgaben, die auf „bessere Lebensbedingungen bei größerer Freiheit“ gerichtet sind, über die Zwecke eines solchen Friedensbundes noch hinaus59 und bildet eine Solidaritätsgemeinschaft. Trotz der Ausrichtung auch auf Menschheitsinteressen bleibt es beim Grundsatz der Staatenvertretung. Alle Mitglieder der Organe der Vereinten Nationen sind weisungsgebundene Delegierte ihrer Staaten.60 Die regelmäßige Rechtserzeugung der Vereinten Nationen ist mehr völkerrechtlich61 als weltstaatlich62. Nach Art. 25 UN-Charta kann der Sicherheitsrat allerdings für die Staaten völkerrechtlich verbindliche Beschlüsse fassen. Das ist ein supranationales Element. Nur solange diese nicht unmittelbar in den Staaten gelten, bleiben die Vereinten Nationen eine Internationale, keine Supranationale Organisation.63 Die weltrechtliche, unmittelbare Geltung der Entscheidungen wird jedoch faktisch hergestellt, soweit angenommen wird, daß den Mitgliedern kein Umsetzungsermessen mehr bleibt.64 Völkerrechtlich ist auch die Eigenbeurteilung der völkerrechtlichen Rechte und Pflichten durch die Staaten sowie die grundsätzliche Selbstdurchsetzung völkerrechtlicher Ansprüche.65 Es fehlt eine wirkungsvolle unabhängige Kontrollinstanz. Wie auch schon der Völkerbund verfügt die UNO in zwischenstaatlichen Streitfällen über keine, von der Zustimmung der Parteien unabhängige, d. h. obligatorische Gerichtsbarkeit. Zwar gibt es für die UNO-Mitgliedstaaten die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung (Art. 33 UN-Charta) und die Möglichkeit, hierbei die Hilfe des Sicherheitsrates nach Kapitel VI der UNCharta in Anspruch zu nehmen66. Von dieser Möglichkeit wird jedoch oft kein Gebrauch gemacht.67

Übersicht zum Meinungsstand gibt V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 199 ff. 59 O. Höffe, Eine Weltrepublik als Minimalstaat, S. 166; ders., Kant als Theoretiker der internationalen Rechtsgemeinschaft, in: G. Schönrich/Y. Kato (Hrsg.), Kant in der Diskussion der Moderne, 1986, S. 489 (492 f.). 60 K. Baltz, Eine Welt, 1998, S. 59 ff. 61 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 202. 62 Vgl. auch W. Bodmer, Das Postulat des Weltstaates, 1952, S. 89. 63 E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 278, Rn. 14. 64 S. Albin, Rechtsschutzlücken bei der Terrorbekämpfung im Völkerrecht, ZRP 2004, 72. 65 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 35, § 41; zur Selbstdurchsetzung vgl. ders., a. a. O. §§ 1334 ff.; L. Gross, States as Organs of International Law and the Problem of Autointerpretation, in: Fs. H. Kelsen, 1953, S. 59 (61 ff.). 66 Dazu M. Eisele, Blauhelme als Krisenmanager, in: S. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch, UNO, 2003, S. 27 (30 ff.). 67 J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S + F 2/98, S. 98.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Die Vereinten Nationen scheinen in der Praxis eher dem Modell des Völkerbundes als dem einer Weltrepublik zu entsprechen.68 Die Befugnisse des Sicherheitsrates und das in Kapitel VII der UN-Charta vorgesehene Zwangspotential gehen allerdings deutlich über das kantische Völkerbundkonzept, das jede Form von Zwangsbefugnissen für den Friedensbund ablehnt, hinaus69. Damit nähert es sich dem eines Völkerstaates, zu dem jedoch das Vetorecht der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates nicht paßt.70 Außerdem mangelt es den Organen an Durchsetzungskraft, den Frieden oder das Recht zu sichern. Ihr Vorgehen gegen Konflikte ist selektiv.71 Also bleibt die Durchsetzungskraft der Weltorganisation defizitär, zumal, wie Otfried Höffe dargelegt hat, die von Kant geforderten Prämissen für den ewigen Frieden nicht eingehalten werden. Weder sind die Mitglieder der Vereinten Nationen auch nur überwiegend republikanisch verfaßt72, noch werden die in den Präliminarartikeln genannten Vorbedingungen des Friedens erfüllt.73 Die Praxis, die versucht, Frieden und Freiheit durch einzelne Großmächte zu sichern und notfalls mit der Geißel des Krieges zu erzwingen, etwa durch eine pax americana74, entspricht nicht der Idee eines Friedensbundes, insbesondere nicht dem gleichen Selbstbestimmungsrecht der Völker. Hegemonie einzelner Großmächte ist zur Verwirklichung des Weltrechts ungeeignet, weil die Unparteilichkeit der Rechtsdurchsetzung fehlt. Die Unterwerfung der Völker unter den Willen einer Großmacht ist mit dem Selbstbestimmungsrecht nicht vereinbar, weil dies regelmäßig nur mit Gewalt und Propaganda, nicht auf der Basis von Frieden und Freiheit möglich ist.75 Auch ist sie für eine funktionierende Weltordnung nicht notwendig, weil es vernünftigere Alternativen gibt.

68 Vgl. Präambel sowie Art. 1, Nr. 1, 2 und Art. 2 Nr. 3, 4 und 6 UN-Charta; vgl. H. Steiger, Frieden durch Institution, S. 157, 161; R. A. Lorz, Die dauerhafte Aktualität des ewigen Friedens, Der Staat, 37 (1998), S. 97; K. Baltz, Eine Welt, S. 88. 69 R. A. Lorz, Die dauerhafte Aktualität des ewigen Friedens, Der Staat, 37 (1998), S. 97 f. 70 Vgl. A. Verdross, Völkerrecht, S. 123. 71 O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 204 (220). 72 Siehe Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 (BA 20, 21, 22). 73 O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 254 f. 74 Siehe S. Hoffmann, Flash of Globalizations, Foreign Affairs 81/2002, S. 104 (113): „U.S. values an power are all that is needed for world order“. 75 Vgl. auch O. Höffe, Eine Weltrepublik als Minimalstaat, S. 167 f.; J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 182 ff.

B. Vom Zwischenstaatenrecht zum Völkerrecht der Staatengemeinschaft

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Ergebnis Die Vereinten Nationen sind eine Internationale Organisation mit weltrechtlichen Zielen, in deren Konzeption der Paradigmenwechsel zu einer Weltorganisation angelegt ist.

B. Vom Zwischenstaatenrecht zum Völkerrecht der Staatengemeinschaft I. Internationale Staatengemeinschaft Eine universelle Völkerrechtsordnung oder Weltordnung setzt die Verflechtung der Staaten voraus, also „daß die Vielheit der Staaten eine große, allumfassende Gemeinschaft, eine „international community of States as a whole“, bildet“76 Hierin lebt die Idee der civitas maxima heute säkularisiert weiter.77 Ob es eine „Staatengemeinschaft“ im Rechtssinne gibt, wird unterschiedlich beurteilt.78 Positivrechtlich geht Art. 53 WVK jedenfalls davon aus. Während Hugo Grotius noch den Beweis gemeinsamer naturrechtlicher Grundsätze der Völker führte79, war im 19. Jahrhundert mit dem Positivismus das Völkerrecht bilateral und nicht auf eine objektive Rechtsordnung ausgerichtet80. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts überwand das Völkerrecht allmählich unter dem Einfluß der wachsenden Interdependenz der Staaten den Pluralismus zugunsten einer wieder wachsenden Einheit der Völkerrechtsordnung.81 Hersch Lauterpacht, 76 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 18 f., § 24; Ch. Tomuschat, Die internationale Gemeinschaft, AVR 33 (1995), 1 ff., 20; A. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 2001. 77 A. Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, 1958, S. 47 ff.; ders./B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 19. 78 Dazu Ph. Allott, Eunomia. New Order for a New World, 1990, S. 3 f., 117 ff.; Ch. Tomuschat, Obligations Arising for States Without or Against Their Will, in: RdC 1993 IV (1994), S. 195 ff., insbes. S. 216 ff. u. 219 ff.; ders., Die internationale Gemeinschaft, AVR 33 (1995), S. 1 ff.; J. A. Frowein, Die Staatengemeinschaft als Rechtsbegriff im Völkerrecht, in: Liechtensteinische Juristen-Zeitung 12 (1991), S. 6 ff.; N. Onuf, The Constitution of International Society, EJIL 5 (1994), S. 1 ff.; H. Mosler, The International Society as a Legal Community, 1980; dagegen kritisch: B. Simma, Does the UN Charter provide an Adequate Legal Basis for Individual or Collective Responses to Violations of Obligations erga omnes?, in: J. Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement, (1993), S. 125 (133). 79 H. Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens (1625), 1950, S. 52 ff. 80 B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, S. 46; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 168. 81 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 496; C. Kaltenborn von Stachau, Kritik des Völkerrechts, 1847, S. 260 f.: „Auf diese Weise wird das an sich nur nationale Rechtsleben des Staates in ein über die Nation hinausgehendes, allgemein menschliches Rechtsgemeinwesen erhoben, in eine internationale Ordnung des Rechts.“

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Richter am Internationalen Gerichtshof von 1955 bis 1960, der ausgehend von der apriorischen Annahme der Vollständigkeit der rule of law82 einem realistischen Monismus folgt, verortet den Grund des internationalen Rechts in Abgrenzung zur Ableitung aus dem Willen der Staaten, aus der „international community“.83 Daraus schließt er die vom Willen der Staaten unabhängige Bindung der Staaten an den Grundsatz pacta sunt servanda84, der allerdings die Möglichkeit der Parteien, Verträge zu ändern, nicht ausschließt. Er wendet sich gegen den Positivismus deutscher Tradition, auch gegen den reinen Positivismus seines Lehrers Kelsen und sieht jedenfalls generelle naturrechtliche Prinzipien, welche nach seinem konstitutionalistischem Ansatz insbesondere die Richter entwickeln und auslegen müssen, im internationalen Recht als verbindlich an.85 Die zu Recht vorgeworfene „Willkür“ durch richterlichen Paternalismus86 zieht er der Willkür nackter Gewalt vor.87 Der naheliegende Paternalismusvorwurf wird vermieden, ohne die Tatsache funktionaler richterlicher Rechtsetzung zu leugnen, wenn man davon ausgeht, daß die Richter den direkten oder indirekten Konsens der Völker über bestimmte Regeln und Prinzipien (vgl. Art. 38 IGHStatut) nur verbindlich erkennen dürfen.88 Dies setzt eine Rekonstruktion dieses Konsenses voraus. Anders als das partikuläre (oft bilaterale) Völkerrecht beansprucht das universelle Völkerrecht89 nicht nur Geltung inter partes, sondern universelle Geltung90, soll also für alle Staaten verbindlich sein.91 Universelles Recht war zunächst allerdings nur ein ius publicum europaeum, welches etwa die Türkei und die afrikanischen Staaten nicht einschloß. Mit der Entkolonialisierung und der Anerkennung der jungen Staaten als gleichberechtigte Völkerrechtssubjekte und ihrer Aufnahme in die UNO begannen diese, auf das ehemals nur abendländisch geprägte Völkerrecht Einfluß zu nehmen und es im Sinne eines weltweiten Diskurses mitzugestalten.92 Mit der Ausdehnung der Staatenwelt im 20. Jahrhun82 H. Lauterpacht, The Function of Law in the International Community, 1933, S. 17, 64. Argument: Ein richterliches non liquet ist ausgeschlossen. Vgl. aber den Fall Nuclear Weapons, para. 105.2.E., in dem der IGH wohl ein solches annahm. 83 H. Lauterpacht, The Function of Law in the International Community, S. 421 ff. 84 H. Lauterpacht, The Function of Law in the International Community, S. 419 ff. 85 H. Lauterpacht, International Law and Human Rights, 1950, S. 115; ders., The Function of Law in the International Community, S. 53 ff., 66 ff. 86 Kritisch dazu M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 353 ff. 87 H. Lauterpacht, The Grotian Tradition, 23 BYIL (1946), S. 23 ff. 88 Vgl. dazu A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 130 ff. 89 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 18 ff. 90 A. Fischer-Lescano, Die Emergenz einer Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 717 ff. 91 Ch. Hillgruber, Das Völkerrecht als Brücke zwischen den Rechtskulturen, AVR 40 (2002), S. 1.

B. Vom Zwischenstaatenrecht zum Völkerrecht der Staatengemeinschaft

699

dert wurde das ius europaeum unter Verlust des bisherigen (überwiegend christlich geprägten) Wertekonsenses, welcher eine gemeinsame Prinzipienordnung begründete, auf die ganze Welt erstreckt.93 Aus der nichtorganisierten Staatengemeinschaft entwickelte sich ein grundsätzlich alle Staaten der Welt einbeziehender politischer Willensbildungsprozeß, der in den universellen Organisationen und in den internationalen Konferenzen zu einer organisierten internationalen Gemeinschaft94 institutionalisiert wurde. Es entstand eine Völkerrechtsgemeinschaft95 mit den Vereinten Nationen als Forum.96 II. Völkergemeinschaft und Islam Eingedenk der Unterschiedlichkeit der Rechtskulturen und angesichts von Abschließungstendenzen und Weltherrschaftsansprüchen wird die Frage gestellt, ob ein universelles Völkerrecht97, geschweige denn ein Weltrecht98, möglich ist. Insoweit ist anzumerken, daß etwa die islamische Rechts- und Völkerrechtslehre die Universalität der (Völker-)Rechtsordnung betont.99 An der Entwicklung des modernen Staatsbegriffs in den konfessionellen Bürgerkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts in Europa und an der Säkularisationsentwicklung war die islamische Welt zum größten Teil nicht beteiligt. Unterschieden werden im islamischen Recht nicht Völker oder Staaten, sondern das Territorium des Islam und das Territorium der Ungläubigen.100 Damit steht das traditionelle islamische Recht in einem Spannungsverhältnis zu den allgemeinen völkerrechtlichen Prinzipien der souveränen Gleichheit der Staaten. Das Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen wird im islamischen Recht durch einen ständigen, zu92 Dazu O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 55 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 22 ff. 93 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtsordnung, S. 433 f.; dazu O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 40 ff.; Ch. Hillgruber, Das Völkerrecht als Brücke zwischen den Rechtskulturen, AVR 40 (2002), S. 3 ff. 94 Dazu grundlegend: H. Mosler, International Society as a Legal Community; A. Paulus, Die internationale Gemeinschaft in Völkerrecht, 2001; vgl. zu diesem Begriff auch IGH, United States Diplomatic and Consular Staff in Teheran (Provisional Measures), ICJ Rep. 1979, 7; M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 569. 95 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 497: „Dieser einheitliche Willensbildungsprozeß und die hieraus resultierende internationale Rechtsordnung verschieben die in der äußeren Souveränität beruhende Einheit und Abgeschlossenheit der Staaten nach außen in Richtung auf die im Prinzip der inneren Souveränität begründete Einheit der Völkerrechtsgemeinschaft.“ 96 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 83 ff., 88. 97 Dazu Ch. Hillgruber, Das Völkerrecht als Brücke zwischen den Rechtskulturen, AVR 40 (2002), S. 1 ff. 98 R. Voigt, Globalisierung des Rechts. Entsteht eine „dritte Rechtsordnung“?, in: ders. (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 16 (30 f.). 99 Dazu I. K. Salem, Islam und Völkerrecht, 1984, S. 95 ff. 100 I. K. Salem, Islam und Völkerrecht, S. 98.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

mindest passiven Kriegszustand gekennzeichnet.101 Ein aktiv geführter Heiliger Krieg widerspricht allerdings dem Gewaltverbot, welches auch die islamische Welt beachtet. Außerdem kennt das islamische Recht (humanitäre) Kriegsregeln102 sowie ein Friedensvölkerrecht, insbesondere die Verbindlichkeit der Verträge.103 Im Ergebnis haben sich die islamischen Staaten, soweit sie sich nicht fundamentalistisch orientiert haben, zum großen Teil in die Völkerrechtsordnung eingegliedert und insbesondere mit ihrer Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen deren Regeln akzeptiert.104 Ein partikuläres islamisches Völkerrecht mit weltweiter Bedeutung ist (ähnlich wie ein sozialistisches Völkerrecht105) nicht entstanden, wohl auch, weil die muslimischen Lehren und Staaten in ihren Haltungen und Anschauungen nicht einheitlich sind.106 Die sich herausbildenden islamischen Staaten haben vor allem im Rahmen der Vereinten Nationen an der Entwicklung des Völkerrechts teilgenommen, ihr allerdings insbesondere in Menschenrechtsfragen, z. B. der Religionsfreiheit (Art. 18 AEMR, Art. 18 IPbpR), auch religiös motivierte Grenzen gesetzt.107 III. Kulturunabhängiger Basiskonsens Die Staatengemeinschaft, die sich als Rechtsgemeinschaft versteht, wird zumindest von einem Basiskonsens, jedenfalls über die formalen, technischen und unabweisbaren Grundlagen des zwischenstaatlichen Verkehrs (z. B. pacta sunt servanda) getragen.108 Sie hat unbestreitbar einen kulturunabhängigen, an den unabweisbaren Bedürfnissen des zwischenstaatlichen Verkehrs orientierten, spezifisch völkerrechtlichen Mindeststandard an Rechtlichkeit entwickelt109, der in den Prinzipien des Völkerrechts zum Ausdruck kommt (2. Teil) und der universell genannt werden kann.

101

Vgl. dazu I. K. Salem, Islam und Völkerrecht, S. 98, 103 ff. Dazu I. K. Salem, Islam und Völkerrecht, S. 120 ff. 103 Dazu I. K. Salem, Islam und Völkerrecht, S. 141 ff., 179 ff., 197 ff. 104 Daß dies nicht immer reibungslos verläuft, zeigt der Atomstreit mit dem Iran, der allerdings noch in den rechtlichen Bahnen des Völkerrechts geführt wird. Vgl. dazu S/Res/1696 (2006), 31.7.2006. 105 Dazu W. Graf v. Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 53 ff. 106 W. Graf v. Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 58, Rn. 86. 107 W. Graf v. Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 87, Rn. 85; dazu auch unter 4. Teil, A, S. 510 ff. 108 Ch. Hillgruber, Das Völkerrecht als Brücke zwischen den Rechtskulturen, AVR 40 (2002), S. 2. 109 Ch. Hillgruber, Das Völkerrecht als Brücke zwischen den Rechtskulturen, AVR 40 (2002), S. 5; M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 572 f. 102

B. Vom Zwischenstaatenrecht zum Völkerrecht der Staatengemeinschaft

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IV. Völkerrechtliche Schicksals-, Verantwortungsund Wertegemeinschaft Über diesen Minimalkonsens hinaus wird der Begriff der „internationalen Gemeinschaft“ als „Ausdruck der Entstehung eines kulturübergreifenden gemeinsamen Wertebewußtseins“, einer globalen Verantwortung und eines Perspektivenwechsels gesehen.110 Gleichgerichtete Interessen schaffen für sich allein noch kein neues Völker- oder Weltrecht. Sie bedürfen als solche erst der rechtlichen Anerkennung. Diese kann sich aber aus gleichen Interessen entwikkeln.111 Im South-West-Africa-Fall verweigerte der Internationale Gerichtshof Äthiopien und Liberia die Klagebefugnis noch mit der Begründung, daß humanitäre Erwägungen „do not . . . in themselves amount to rules of law. All States are interested . . . in such matters. But the existence of an „interest“ does not itself entail that this interest is specifically juridical in character“112

Dem gegenüber hat er im Barcelona-Traction-Fall die erga omnes-Wirkung von Verpflichtungen aller Staaten aus „principles and rules concerning the basic right of the human person“ erkannt113. Im Genocide Convention Case hat das Gericht festgestellt: „the rights and obligations enshrined in the Convention are rights and obligations erga omnes“.114

Im Osttimor-Fall erkannte der Gerichtshof die universelle Geltung des Selbstbestimmungsrechts der Völker: „Portugal’s assertion that the right of peoples to self-determination . . . has an erga omnes character . . . is irreproachable.“115

Weil die Funktion der Staaten in der Welt auf die Durchsetzung der in ihrem Wesen gleichen Grundrechte ausgerichtet ist, zeige sich nach Albert Bleckmann in der heutigen Völkerrechtsordnung eine gemeinsame Wertordnung.116 Die „international community“, die Staatengemeinschaft, ist nicht nur zu einer Interessengemeinschaft117, sondern zu einer Schicksals- und Verantwortungsgemein110 M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 569 f.; M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 278. 111 G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 48. 112 IGH, South West Africa Cases, Second Phase, ICJ Rep. 1966, 2 (29 ff., 34). 113 IGH, Barcelona Traction, Light and Power Company, Second Phase, ICI Rep. 1970, 3 (32). 114 IGH, Genocide Convention ICJ Rep.1996, 616. 115 IGH, East Timor, ICJ Rep. 1995, 102. 116 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 434.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

schaft geworden.118 Sie kann ihr Überleben auf Dauer nur sichern, wenn sie sich in einem weiteren qualitativen Schritt zu einer Weltrechtsgemeinschaft auch im materiellen Sinn wandelt.119 Der Beginn dieser Metamorphose zeichnet sich bereits ab. Auf vielen Gebieten, insbesondere dem des Umweltschutzes, finden sich zunehmend Formulierungen, die ein verfolgtes Ziel als „common concern of (man)-humankind“ ausweisen.120 Obwohl die gegenwärtige Völkerrechtspraxis dualistisch geprägt ist (2. Teil, B, S. 120) und die monistische Lehre in Reinform121 nirgends praktiziert wird, finden sich doch verschiedentlich monistische Tendenzen122, auch wenn die Staaten noch an dem, die äußere Souveränität begründenden, Pluralismus festhalten.123 Soweit das Völkerrecht Rechtsregeln enthält, welche das materielle innerstaatliche Recht verändern, entwickelt sich ein materieller Monismus.124 Künftig wird eine Intensivierung der Einheit der Völkerrechtsordnung, insbesondere in den Bereichen der Friedenssicherung, des Umweltschutzes, der Benutzung von Gemeinschaftsräumen (Weltraum, hohes Meer) erwartet.125 V. Ergebnis Die institutionalisierten Foren des internationalen Willensbildungsprozesses, namentlich die Vereinten Nationen, verbinden die Staaten (vertraglich) in Überwindung einer rein bilateralen Struktur zu einer internationalen Rechtsgemeinschaft. Darüber hinausgehend nehmen einige einen Paradigmenwechsel zu einer Werte-, Verantwortungs- und Schicksalsgemeinschaft an.

117 Dazu M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 281 ff. 118 M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 569 f. 119 Vgl. G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 46. 120 G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 47; M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 572; dazu F. Biermann, „Common concern of Humankind“, AVR 34 (1996), S. 426 ff., 430 ff.; E. Kornicker, Ius cogens und Umweltvölkerrecht, 1997, S. 36 ff. 121 Einen Überblick über die monistischen Lehren gibt Ch. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus, 2003, S. 146 ff. 122 Dazu vgl. insgesamt A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 135 ff. 123 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 497. 124 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 497. 125 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 309; vgl. auch B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht, S. 47 f.

C. Konstitutionalisierung des Völkerrechts

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C. Konstitutionalisierung des Völkerrechts I. Kennzeichen der Völkerrechtsverfassung Der häufig vertretene verfassungsrechtliche Ansatz, der im Gegensatz zu einem rein funktionalistischen Verständnis des Völkerrechts steht126, filtert konstitutionelle Elemente aus dem bestehenden internationalen Recht und ist somit eine Methode zur Entdeckung von Weltrecht. Der dabei zugrunde gelegte Verfassungsbegriff ist deutlich ein nicht staatsgebundener. Die sogenannte Konstitutionalisierung des Völkerrechts ist nicht auf einen Weltverfassungsstaat gerichtet, hebt aber das Völkerrecht über das Staateninteresse und den jeweiligen Staatswillen sowie über die Relativität der Rechte und Pflichten hinaus zu einem auf Kontinuität und Rechtssicherheit setzenden öffentlichen Recht der Völker127, einer Verfassung der Völkergemeinschaft. Ähnlich dem mehrgliedrigen Verfassungsbegriff (dazu 3. Teil, B, S. 312 ff.) hat Philip Allott das internationale Recht als gestuftes System, das aus den drei Ebenen des internationalen Verfassungsrechts (Völkerverfassungsrechts), des allgemeinen Völkerrechts und des Rechts der Nationen als Mitglieder der internationalen Gemeinschaft bestehe, beschrieben.128 Schon früh hat Alfred Verdross den Begriff „völkerrechtliches Verfassungsrecht“ in die Rechtslehre eingebracht.129 Später ist der verfassungsrechtliche Ansatz im Völkerrecht ebenfalls von anderen aufgegriffen und weiterentwickelt worden.130 Nach Alfred Verdross und Bruno Simma sollen sich die Staaten durch einen „formlosen Kon126 Dazu J. Klabbers, An Introduction to International Institutional Law, 2002, S. 36 ff. 127 Dazu vgl. H. Mosler, Völkerrecht als Rechtsordnung, ZaöRV 36 (1976), S. 31 ff.; A. Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, 1982, S. 260 ff.; Ph. Kunig, Völkerrecht als Öffentliches Recht, in: Gs E. Grabitz, 1995, S. 325 ff.; J. A. Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, in: BDGVR 39 (2000), 427 ff.; B.-O. Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat 42 (2003), S. 61 ff.; A. Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 535 ff.; vgl. auch U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, 2000, S. 199 f.; B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, S. 48 ff.; I. Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constitutionalism, in: Fs. C. Tomuschat, 2006, S. 973 ff.; siehe auch 5. Teil, A, S. 591 ff.; kritisch U. Haltern, Internationales Verfassungsrecht?, AöR 128 (2003), S. 511 ff. 128 Ph. Allott, The Concept of International Law, EJIL 10 (1999), S. 31 ff., insbes. 37 f. 129 A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 1926. 130 H. Mosler, The International Society as a Legal Community; Ch. Tomuschat, Obligations Arising for States Without or Against their Will, RdC 1993/IV, 216 ff.; B. Simma, From Bilateralism to Community Interest in International Law, RdC 1994/VI, 256 ff.; J. A. Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, BDGV 39 (2000), 427 ff.; B.-O. Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat 42 (2003), S. 61 ff.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

sens“, welcher die „ursprüngliche Quelle des Völkerrechts“ bilde131, bestimmten Normen unterworfen haben, die man als „Verfassung der Staatengemeinschaft“ bezeichnen könne.132 Darüber hinaus haben sie auch die Menschheitsverfassung im Auge, wenn sie davon ausgehen, daß sich der völkerrechtliche Verfassungsbegriff weiterentwickle, in dem Maße, als sich das Völkerrecht von einem bloßen Zwischenmächterecht zur vielfach gegliederten Rechtsordnung der Menschheit wandle.133 Heute wird der Begriff der Konstitutionalisierung des Völkerrechts häufig zur Kennzeichnung des paradigmatischen Wechsels verwendet.134 Oft ist sogar schon von einer „Weltverfassung“ die Rede.135 ErnstUlrich Petersmann konstatiert einen „Paradigmenwechsel im Völkerrecht“ und sieht eine Entwicklung „vom Koexistenz- und Kooperationsvölkerrecht zum Integrations- und Verfassungsrecht“. Die „heute weltweite Anerkennung der Menschenrechte im UN-Recht und das globale Integrationsrecht der WTO“ spiegele „einen strukturellen Wandel des Völkerrechts wider mit verfassungsrechtlichen Konsequenzen für die Auslegung und Anwendung völkerrechtlicher Regeln. Der internationale Schutz von Menschenrechten und ,demokratischem Frieden‘ wird zunehmend als wichtiger anerkannt als die formalen Souveränitätsprinzipien des anarchischen Koexistenzvölkerrechts.“136 Martin Nettesheim hat demgegenüber die Auffassung vertreten, von einer Konstitutionalisierung der internationalen Gemeinschaft als solcher oder des Völkerrechts als übergreifender Rechtsordnung könne noch nicht gesprochen werden.137 131

A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 324, § 519. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 58 ff., 18 ff. 133 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 916, § 1351; zustimmend K. Vogel, Keine Bindung an völkervertragswidrige Gesetze im offenen Verfassungsstaat, in: Liber Amicorum P. Häberle, 2004, S. 481 (485). 134 Vgl. J. A. Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, in: BDGVR 39 (2000), 427 ff.; D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations, in: R. Hofmann, Non-State Actors as New Subjects of International Law, 1999, S. 45 (53 ff.); R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 565 ff.; A. FischerLescano, Globalverfassung: Verfassung der Weltgesellschaft, ARSP 2002, 349 ff.; M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 273 ff.; kritisch U. Haltern, Internationales Verfassungsrecht?, AöR 128 (2003), S. 512 ff. 135 W. Schild, Menschenrechte als Fundament einer Weltverfassung, in: W. Kerber, (Hrsg.), Menschenrechte und kulturelle Identität, 1991, S. 165 f.; Ch. Tomuschat, International Law as the Constitution of Mankind, in: UN (Hrsg.), International Law on the Eve of the Twenty-first Century, 1997, S. 47; ders., Die Internationale Gemeinschaft, AVR 33 (1995), S. 1 (17); O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 94 f.; G. Nolte, Kosovo und Konstitutionalisierung, ZaöRV 1999, S. 941 (957 f.); I. Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constituitionalism, in: Fs. C. Tomuschat, 2006, S. 973 ff. 136 E.-U. Petersmann, Europäisches und weltweites Integrations-, Verfassungs- und Weltbürgerrecht, in: Liber amicorum Thomas Oppermann, 2001, S. 367 f. 137 M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 577. 132

C. Konstitutionalisierung des Völkerrechts

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Konstitutionalisierung ist eine Weiterführung138 der Verrechtlichung139, die sich bereits in der Etablierung von Rechtsregeln, Institutionen und öffentlichen Verfahren ankündigt.140 Fraglich ist, was unter dem Begriff „Konstitutionalisierung des Völkerrechts“, der an eine wie auch immer geartete Verfaßtheit anknüpft, im einzelnen zu verstehen ist. Letztlich hängt die Position in dieser Frage vom Verfassungsbegriff ab (vgl. dazu 3. Teil, B, S. 307 ff.). Die völkerrechtlichen Regelungen in ihrer Gesamtheit können allenfalls in einem weiten, deskriptiven Sinn als Verfassung bezeichnet werden. Auch Vertragsordnungen haben, wenn sie Grundlagen eines Gemeinschaftslebens sind, d. h. dessen Organisation, Ziele, Zuständigkeiten und Verfahren der Erkennung und Anwendung des Rechts regeln sowie über eine Organstruktur verfügen, im formell-deskriptiven Sinn verfassenden Charakter.141 Die Übereinkommen der Völker über die gemeinschaftliche Ausübung ihrer Staatsgewalt etwa in Internationalen Organisationen, auch die UN-Charta, können insoweit als Verfassungsverträge142 der Völker betrachtet werden. Sie bilden aber noch keine Verfassung der Völkergemeinschaft i. S. d. mehrgliedrigen Weltverfassung. Den inkohärenten völkerrechtlichen Regelungen (dazu 2. Teil, B, S. 146 ff.) fehlt schon die für eine Verfassung vorauszusetzende Geschlossenheit. Auf einen rein deskriptiven Verfassungsbegriff spielt der Begriff der Konstitutionalisierung, der eine bestimmte Qualität von Verrechtlichung kennzeichnen will, nicht an. Stephan Hobe meint: „Die zunehmende Konstitutionalisierung des Völkerrechts weist und öffnet den Weg zu einer Art öffentlich-rechtlicher Rechtsdurchsetzung im internationalen System, wobei Rechtsstaatlichkeit das entscheidende Paradigma abgibt.“143

Nach Ansicht von Brun-Otto Bryde ist die konstitutionelle Völkerrechtsordnung insbesondere durch eine rechtliche Bindung an übergeordnete Verfassungsprinzipien, also durch eine Normhierarchie gekennzeichnet.144 Auch Robert Uerpmann meint, diejenigen Normen hätten die Qualität internationalen Verfassungsrechts, die anderen Vorschriften des Völkerrechts im Rang vorge138

B. Zangl/M. Zürn, Make Law Not War, S. 36. D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, 2003, S. 3 (4, Rn. 2). 140 B. Zangl/M. Zürn, Make Law Not War, in: dies. (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 12 ff. 141 IGH, „Legality of the use of nuclear weapons in armed conflict“, Rep. 1996, para. 19; J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, 2002, S. 49 f.; zum Verfassungsbegriff siehe oben 3. Teil, B, S. 307 ff. 142 Vgl. K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, 2006, S. 87 ff. zum Verfassungsgesetz. 143 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 273 f. 144 B.-O. Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat 42 (2003), S. 66. 139

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hen.145 Der Vorrang der Verfassung ist ein Merkmal einer Verfassung im formell-normativen Sinn. Robert Uerpmann weist darauf hin, daß manche Normen zwingenden Charakter haben (ius cogens), also anderen Normen des Völkerrechts vorgehen.146 Dadurch ist der Grundsatz der „Souveränität der Staaten“ relativiert147 („relative Souveränität“)148, d. h. insbesondere, daß staatliche Entscheidungen verfahrensmäßig eingebunden oder auf gemeinschaftliche Organe übertragen werden. Im normativ-materiellen Sinn verlangt die Völkerrechtsverfassung jedenfalls eine Prinzipienordnung149, die zur Einheit der Völkerrechtsordnung150 führt. Mit zunehmender Tendenz lassen sich nach Auffassung von Uerpmann „im Völkerrecht verfassungsrechtliche Gehalte“ nachweisen.151 Materielle Grundentscheidungen des Völkerrechts wie das Gewaltverbot und der Schutz elementarer Menschenrechte sind als Prinzipien zu begreifen (2. Teil, C). Verfassungstypisch werden diese Prinzipien im Kollisionsfall gegeneinander abgewogen und aus ihnen können weitere Regeln abgeleitet werden.152 Otto Kimminich hat davon gesprochen, daß sich in der Völkerrechtswissenschaft ein „globaler Konsens über die Grundlinien einer ,Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft‘ herausgebildet habe, die im Wesentlichen mit den Grundgedanken der Satzung der Vereinten Nationen übereinstimme.153 In der Praxis deutet die vermehrt ablehnende Haltung der Staatengemeinschaft gegenüber Vorbehalten zu internationalen Verträgen darauf hin, daß universelle, allgemeine Prinzipien in den vertraglichen Beziehungen an Bedeutung gewinnen.154 Abänderungen des Vertragsinhalts durch Vorbehalte werden vertraglich zunehmend ausgeschlossen.155 Teilweise haben die Staaten bestimmte Vorbehalte aus übergeord-

145

R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 571. Vgl. auch O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 94; a. A. D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, 2003, S. 3 (7, Rn. 8): Hierarchisierung von Rechtsnormen ergebe noch keine Konstitutionalisierung; S. Kadelbach, Überstaatliches Verfassungsrecht, AVR 44 (2006), 235 (251 ff.), der ius cogens nur als Kollisionsnormen betrachtet. 147 Schon Bodin sah die staatliche Souveränität namentlich durch das Völkerrecht als begrenzt an, Les six livres de la République, 1583, Kap. I, 8. 148 H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 5; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 94. 149 Siehe auch 3. Teil, B, S. 312; S. Kadelbach, Überstaatliches Verfassungsrecht, AVR 44 (2006), S. 255 ff. 150 S. Kadelbach, Ethik des Völkerrechts unter Bedingungen der Globalisierung, ZaöRV 64/1 (2004), S. 16. 151 R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 565 ff. 152 Vgl. zur Prinzipienlehre insbesondere R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 71 ff. 153 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 93 f. 154 J. Kokott, Naturrecht und Positivismus im Völkerrecht – sind wir auf dem Weg zu einer Weltverfassung?, in: Ch. J. Meier-Schatz/R. J. Schweizer (Hrsg.), Recht und Internationalisierung, 2000, S. 3 (17). 146

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neten Prinzipien sogar als unbeachtlich angesehen.156 Grundlage des gegenwärtigen Konstitutionalisierungsprozesses ist die Anerkennung eines die Summe der Einzelstaatsinteressen transzendentierenden Interesses der Völkergemeinschaft157, wie es sich in der Anerkennung von Prinzipien erga omnes und im Konzept eines gemeinsamen Erbes der Menschheit offenbart (dazu 3. Teil, E, S. 436 ff.).158 Nach Alfred Verdross besteht die „Völkerrechtsverfassung“ aus jenem Rechtssatz oder Komplex von Rechtssätzen, der „Bedingung aller übrigen ist, ohne selbst von ihnen bedingt zu sein.“159 Die „Verfassung der universellen Staatengemeinschaft“ beruht auf jenen Normen, welche die Staaten bei der Herausbildung des Völkerrechts als geltend vorausgesetzt haben und die dann durch das Völkergewohnheitsrecht und einzelne Kollektivverträge weitergebildet worden sind.160 Er entwickelt die Völkerrechtsverfassung zur „Verfassung des einheitlichen Systems“161 aller geltenden Rechtssätze162. Das trifft in erster Linie für das zwingende Völkerrecht (ius cogens) zu.163 In einer konstitutionalisierten Rechtsordnung herrscht Rechtseinheit (Monismus) jedenfalls hinsichtlich der konstituierenden Prinzipien und es existieren Regeln, welche verschiedene Regelungssysteme koordinieren und somit deren Konsistenz gewährleisten.164 Eine Völkerrechtsverfassung verlangt außerdem eine Lehre vom internationalen ordre public.165 Unter dem internationalen ordre public versteht man Rechtsgrundsätze und Rechtsnormen, die der Völkerrechtsordnung entnommen werden und die für die Anwendung ausländischen Rechts oder für die Anerken155 Art. 24 Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen von 1992; Art. 18 Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht von 1985; Art. 26 Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung von 1989; Art. 37 Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung; Art. 37 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Biodiversität und Art. 39 des Protokolls über biologische Sicherheit; Art. 120 Statut des internationalen Strafgerichtshofs; Art. 19 United Nations Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on their Destruction, ILM, Bd. 36, 1997, 1507 ff. 156 W. H. von W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 145 f. 157 A. Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, S. 541; vgl. Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 3. Kap. (S. 31). 158 Dazu B. Simma, From Bilateralism to Community Interest in International Law, RdC 250 (1994) VI, 221 ff. 159 A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf Grundlage der Völkerrechtsverfassung, 1923, S. 58 f. 160 A. Verdross, Völkerrecht, S. 136. 161 A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 127. 162 Ch. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus, S. 228 ff. 163 B. Zangl/M. Zürn, Make Law Not War, S. 37. 164 B. Zangl/M. Zürn, Make Law Not War, S. 38 f. 165 Dazu J. Kokott, Grund- und Menschenrechte als Inhalt eines internationalen ordre public, BerDGV 39 (1997), S. 71 ff.

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nung sonstiger ausländischer Hoheitsakte maßstäbliche Bedeutung haben.166 Die Annahme, es gebe einen internationalen ordre public, setzt voraus, daß die Völkerrechtsordnung mehr ist als nur eine Summe von bilateralen und multilateralen Rechtsbeziehungen zwischen den Staaten, daß sie nicht nur eine formale Ordnung, sondern auch eine – wenn auch noch unzureichend entwickelte – Rechtsgemeinschaft ist, die auf übergeordneten gemeinsamen Grundsätzen ihrer Mitglieder und nicht nur auf strategischen Machtbeziehungen beruht.167 Vollendet wird der Verfassungsprozeß durch eine Gerichtsbarkeit, die in ihrer Aufgabe, das Recht als solches gemäß der rule of law verbindlich zu erkennen, konstitutionelle und zumindest teilweise verfassungsgerichtliche Funktionen ausübt.168 Beispiele sind der Europäische Gerichtshof (dazu 6. Teil, D, S. 830 f.), die regionalen Menschengerichtshöfe (dazu 6. Teil, F, S. 931 ff.), ansatzweise auch das WTO-Streitbeilegungsverfahren.169 Aber auch die nationalen Gerichte judizieren internationales Verfassungsrecht.170 Ergebnis Der zunehmend vertretene verfassungsrechtliche Ansatz und die damit verbundene Auffindung von Konstitutionalisierungsprozessen zur Verwirklichung der rule of law sowie die Annahme eines internationalen ordre publique zeugen von einem Paradigmenwechsel. In diesem Sinne wird eine Entwicklung vom Koexistenz- und Kooperationsvölkerrecht zum Integrations- und Verfassungsrecht angenommen. Freilich geht es insoweit in erster Linie um die völkerrechtliche Ebene der mehrgliedrigen Weltverfassung, welche die Staatengemeinschaft verfaßt und weniger um die weltbürgerliche Verfassung; denn das Individuum ist zwar in der Völkerrechtsverfassung nicht mehr ignoriert und wird in seinen Rechten gestärkt171, wird aber allgemein noch nicht als Bürger in einer Weltverfassung verstanden.172

166

G. Jaenicke, Zur Frage des internationalen Ordre public, in: BDGVR, 1967,

S. 80. 167 G. Jaenicke, Zur Frage des internationalen Ordre public, S. 85 ff.; A. Peters, Global Constitutionalism in a Nutshell, S. 541. 168 A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 739 ff. 169 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 123 (151 ff.) 170 A. Fischer-Lescano, Die Emergenz der Globalverfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 741 f. 171 Vgl. dazu O. Dörr, Privatisierung des Völkerrechts, JZ 2005, 905 ff. 172 Vgl. I. Pernice, The Global Dimensions of Multilevel Constitutionalism, S. 985 im Gegensatz zum Weltkonstitutionalismus S. 987 f.

C. Konstitutionalisierung des Völkerrechts

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II. Weltrechtsstatus der Vereinten Nationen 1. UN-Charta als Weltverfassung? Ausgehend von einem nicht staatsgebundenen Verfassungsbegriff sehen viele in der UN-Charta eine Verfassungsurkunde173 oder zumindest in ihrem materiellen Kern eine Weltverfassung174, während andere dies ablehnen. Seitdem nahezu alle Staaten Mitglieder der Vereinten Nationen sind und die restlichen Staaten ihre leitenden Grundsätze anerkannt haben, ist die UN-Charta zur Grundordnung des universellen Völkerrechts aufgerückt.175 Mit der Gründung der UNO ist die Staatengemeinschaft von der nichtorganisierten Form zur organisierten internationalen Gemeinschaft („Verfassung der Vereinten Nationen“) umgestaltet worden.176 Nach Alfred Verdross und Bruno Simma statuiert die Satzung der Vereinten Nationen eine Weltverfassung mit absoluter Geltung auch über die Mitgliedstaaten der UNO hinaus. Danach soll alles Recht von den Vereinten Nationen initiiert oder rezipiert sein.177 Ihre Satzung genieße Vorrang gegenüber dem „einfachen“ Völkerrecht.178 Damit wird die UNO-Charta nicht nur als formelldeskriptive Verfassung, sondern auch in einem normativen Sinn als Verfassung qualifiziert. 173

O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 250. Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 136; ders./B. Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, S. 59 ff., 69 ff.; 221 ff.; vgl. auch schon IGH-Richter Charles de Visscher, International Status of South West Africa, ICJ Rep. 1950, 189, dissenting opinion; J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, in: ders., Der gespaltene Westen, 2004, S. 113 (157 ff.); zurückhaltend aber B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, S. 53; M. Herdegen, The „Constitutionalization“ of the UN Security System, Vanderbilt Journal of Transnational Law 1994, 135 ff.; B. Fassbender, The United Nations Charter as Constitution of the International Community, 36 Columbia Journal of Transnational Law (1998), 529 ff.; K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, in: Fs. H. F. Zacher, 1998, S. 1065 (1067); R. Weiler, Vom Naturgesetz des Menschen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrechtsordnung und Völkerrechtsethik, 2000, S. 11 (17). 175 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 91; B. Faßbender, The United Nations as Constitution of the International Community, Columbia Journal of Transnational Law 1998, 529 ff.; P.-M. Dupuy, The constitutional Dimension of the Charter of the United Nations Revisted, Max Planck Yearbook of United Nations Law 1997, 1 ff. 176 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 72. 177 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 59 ff., 69 ff., 221 ff. 178 Vgl. aber einschränkend H. Kelsen, Law of the United Nations, 1951, S. 85 f., 106 f., der jedenfalls Art. 2 den Charakter erga omnes geltenden Weltverfassungsrechts zuspricht; s. a. H. Rolin, Les principes de droit international public, RdC 77 (1950), S. 303 (434); beschränkt auf die Mitglieder G. Hartmann, Gewohnheitsrecht und „ius cogens“ im Völkerrecht, JA 19 (1978), S. 81 (89); krit. S. Kadelbach, Überstaatliches Verfassungsrecht, AVR 44 (2006), 249 ff. 174

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Von Gegnern des verfassungsrechtlichen Ansatzes wird vorgebracht, die Charta sei keine formelle Verfassung der Weltgemeinschaft. Die Mitglieder seien „Herren der Satzung“ geblieben und in der Lage, diese nach den Art. 39 ff., 54 ff. WVK zu ändern oder zu beenden.179 Üblicherweise können völkerrechtliche Verträge nur einstimmig abgeändert werden. Nach Art. 108 UN-Charta treten Änderungen der Charta für alle Mitglieder der Vereinten Nationen in Kraft, „wenn sie mit Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der Generalversammlung angenommen und von zwei Dritteln der Mitglieder der Vereinten Nationen einschließlich aller Mitglieder des Sicherheitsrats nach Maßgabe ihres Verfassungsrechts ratifiziert worden sind.“ Vergleichbare Regeln existieren für die Änderung von Verfassungen (vgl. z. B. Art. 79 GG). Im Völkerrecht, das vom Prinzip des Staatenkonsenses ausgeht, ermöglicht allerdings die Zweidrittelmehrheit keine verfassungstypisch erhöhte Bestandskraft.180 Weiter wird eingeworfen, die UN-Charta konstituiere keine zentralen Organe, insbesondere nicht solche der Gesetzgebung und der obligatorischen Jurisdiktion.181 Allenfalls aus der Gesamtheit der Völkerrechtsnormen lasse sich eine Verfassung der internationalen Gemeinschaft im materiellen Sinn herausfiltern.182 Eine vermittelnde Ansicht vertritt Robert Uerpmann.183 Er meint, die Charta der UNO als universelle Organisation mit allgemein-politischem Mandat konstituiere den Sicherheitsrat als wichtiges Organ der internationalen Gemeinschaft (Art. 23 ff. UN-Charta) und das Gewaltverbot (Art. 2 Nr. 4 UN-Charta) als „materielle Fundamentalnorm“. Wenn der Sicherheitsrat Maßnahmen zum Schutz des Weltfriedens nach Art. 39 ff. UN-Charta ergreife, werde er als „internationales Exekutivorgan“ tätig.184 Damit enthalte die Charta wichtige Elemente „internationalen Verfassungsrechts“, sei aber zu fragmentarisch, um für sich allein eine Verfassung zu bilden. Einigkeit besteht jedoch darüber, daß die UN-Charta ein Vertrag mit besonderen Regelungsinhalten ist. Man kann sie als Weltvertrag“ (dazu 3. Teil, E, S. 449 ff.) bezeichnen. Für den Verfassungscharakter sprechen jedenfalls die im folgenden behandelten, der UN-Charta entnehmbaren Merkmale der universellen Geltung, des vertraglich angeordneten Vorrangs und der Durchsetzbarkeit

179 M. Hintersteininger, Verfassungsfragen der internationalen Gemeinschaft, in: R. Weiler (Hrsg.), Völkerrechtsordnung und Völkerrechtsethik, 2000, S. 55 (71). 180 M. Hintersteininger, Verfassungsfragen der internationalen Gemeinschaft, S. 68 ff. 181 Vgl. M. Hintersteininger, Verfassungsfragen der internationalen Gemeinschaft, S. 72 ff. 182 M. Hintersteininger, Verfassungsfragen der internationalen Gemeinschaft, S. 75 ff. 183 R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 565 ff. 184 R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 568.

C. Konstitutionalisierung des Völkerrechts

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des UN-Rechts. Die Sekundärrechtsetzung und Zwangsgewalt des Sicherheitsrates haben darüber hinaus supranational-/weltstaatlichen Charakter. 2. Universelle Geltung des UN-Rechts Völkerrechtliche Verträge binden grundsätzlich nur die Vertragsparteien (vgl. Art. 34 WVK). Weil die meisten Staaten Mitglieder der Vereinten Nationen sind, gelten die Prinzipien der Charta bereits vertragsrechtlich nahezu weltweit. Die Art. 35 ff. WVK zeigen außerdem, daß die pacta tertiis-Regel nicht ausnahmslos gilt.185 Gegenüber Dritten findet der Geltungsanspruch der Charta eine Stütze in Art. 2 Ziff. 6 UN-Charta.186 Danach trägt die Organisation dafür Sorge, „daß Staaten, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind, insoweit nach diesen Grundsätzen handeln, als dies zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist“.

Auch Nichtmitglieder werden über Art. 2 Abs. 6, Art. 103 und Kapitel 7 UNCharta gebunden.187 Nach Art. 50 UN-Charta haben ausdrücklich auch betroffene Nichtmitglieder ein Konsultationsrecht gegenüber dem Sicherheitsrat. Überdies sind die meisten materiellen Prinzipien der Charta gewohnheitsrechtlich188, teilweise auch als zwingendes Recht, anerkannt189 und beanspruchen schon deshalb universelle Geltung.190 3. Vorrang des UN-Rechts Einige Autoren sehen alle Normen der UN-Charta als zwingendes Recht an.191 Art. 103 UN-Charta stellt jedenfalls die Verpflichtungen aus der UN-Charta vor die aus anderen Verträgen, ohne Rechte von Drittstaaten ausdrücklich zu 185

Dazu U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 177 ff. Dazu U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 183 ff. 187 Str.: Befürwortend U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 184 f. mit Hinweis auf die Praxis des Sicherheitsrates; vgl. auch C. Kissling, Menschenrechtlicher Mindeststandard, HFR 12-2001, S. 16 f.; a. A. J. Frowein, in: B. Simma u. a. (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 41, Rn. 16: nur wenn sich aus der Sicherheitsratsresolution ausdrücklich eine Verpflichtung ergibt, die ius cogens oder erga omnes alle Staaten verpflichtet; ähnlich C. Hillgruber, Der Nationalstaat in der übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, 2004, § 32, S. 929. 188 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 30. 189 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 30 m. N. 190 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 30 m. N. 191 Vgl. R. Bermejo, Vers un nouvel ordre, 1982, S. 254; B. Conforti, Lezioni di diritto internazionale, 1982, S. 147 ff. 186

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schützen, und regelt somit einen Anwendungsvorrang der UN-Charta gegenüber anderen Verträgen.192 Die Charta beansprucht ausweislich der Art. 2 Ziff. 6, 34 f. und 39 ff., eine universelle Friedensordnung herzustellen. Als weiteres Argument für den Vorrang der Charta wird ein globales Gewaltmonopol der Vereinten Nationen für den Weltfrieden (Kap. VII, insbesondere Art. 39 UN-Charta) angeführt.193 4. (Sekundäre) Rechtsetzung Alf Ross nimmt an, die UN-Charta sei im Gegensatz zu herkömmlichen völkerrechtlichen Verträgen ein System von „legislation“, in welchem eine Organisation mit rechtsetzenden Kompetenzen geschaffen sei. Die UN-Charta statte die Organe der UN mit Kompetenzen zu umfassender „legislation“ aus. Dieser „act of fundamental content“194 könne als „constitution – in the same sense as e. g. the constitution of the United States“195 angesehen werden. Unter völkerrechtlicher „legislation“ versteht Ross erstens völkerrechtliche Rechtsetzung, die nicht ausschließlich auf einem Vertragsschluß gründe, der nur die Vertragsparteien binde,196 wie das Völkergewohnheitsrecht oder bestimmte Verträge.197 Zweitens nennt Ross als Merkmal des Typus „legislation“ („constitution“) und als konstitutionelles Element die Möglichkeit, in Abweichung zu gewöhnlichen völkerrechtlichen Verträgen, gemäß Art. 108, 109 UN-Charta Änderungen durch Mehrheitsabstimmungen und nicht nur konsensual zu beschließen.198 Wie früher der Völkerbund hat die UNO einige zentrale Organe, insbesondere eine alle Mitglieder umfassende Generalversammlung, einen aus ständigen und aus je für eine bestimmte Zeit gewählten Mitgliedern zusammengesetzten Sicherheitsrat, einen Wirtschafts- und Sozialrat, einen Treuhandrat, einen Inter192 B. Simma, Gestaltwandel im Völkerrecht und in der Organisation der Vereinten Nationen, S. 53; S. v. Schorlemmer, Verrechtlichung contra Entrechtlichung, in: B. Zangl/M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 76 (90); für eine Kollisionsregel S. Kadelbach, Überstaatliches Verfassungsrecht, AVR 44 (2006), 249 ff. 193 H. Kelsen, The Law of the United Nations, 1951, S. 85 f., 106 f.; A. Verdross, Jus Dispositivum und Jus Cogens in International Law, AJIL 60 (1966), S. 55 (62); ob derartige Normen zur Nichtigkeit entgegenstehender Verträge führen, ist str. Befürwortend für Art. 103 UN-Charta: L. Oppenheim/H. Lauterpacht, International Law, Bd. I, 1955, S. 895 f.; ablehnend S. Kadelbach, Überstaatliches Verfassungsrecht, AVR 44 (2006), 249 ff. 194 A. Ross, The Constitution of the United Nations, 1950, S. 40. 195 A. Ross, The Constitution of the United Nations, S. 30; vgl. auch C. W. Jenks, The Common Law of Mankind, 1958, S. 26. 196 A. Ross, The Constitution of the United Nations, S. 31. 197 Siehe etwa Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (IV. Haager Abkommen) v. 18.10.1907, RGBl. 1910 II, S. 107. A. Ross, The Constitution of the United Nations, S. 32. 198 A. Ross, The Constitution of the United Nations, S. 35.

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nationalen Gerichtshof und ein Sekretariat (Art. 7 UN-Charta).199 Gewöhnliche völkervertragliche Verpflichtungen erlauben einer Partei, zunächst allein darüber zu entscheiden, welche Pflichten sich für sie aus dem völkerrechtlichen Vertrag ergeben. Wenn der andere Vertragsteil dieser Auslegung nicht zustimmt, kann eine beide Teile bindende Auslegung nur durch Übereinkunft der Parteien oder durch die einvernehmliche Vorlage des Streits an ein Schiedsgericht oder an den Internationalen Gerichtshof erreicht werden.200 Sekundärrechtsetzende Funktion201 hat die UNO nur, wenn ihre Organe aufgrund und im Rahmen der UNCharta zu selbständiger Rechtsetzung, welche die Mitglieder verpflichtet, ermächtigt sind, ohne, daß es einer Ratifikation durch die Mitgliedstaaten bedarf. Einige Spezialorganisationen der UNO können bestimmte, technische Vorschriften erlassen.202 Jeder betroffene Staat hat jedoch die Möglichkeit, diese für sich durch ausdrückliche Erklärung auszuschließen (System des contracting out).203 Nach Art. 21 der Satzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist deren Vollversammlung ermächtigt, Vorschriften „regulations“ über Seuchenbekämpfung, Standardisierung diagnostischer Verfahren und Medikamente usw. (gegebenenfalls mit einfacher Mehrheit, vgl. Art. 60 der Satzung) zu beschließen. Gemäß Art. 22 der Satzung treten diese Vorschriften für alle Mitglieder nach der Annahme durch die Vollversammlung in Kraft, es sei denn, ein Mitgliedstaat teilt dem Generaldirektor der WHO innerhalb einer in der Bekanntmachung festgesetzten Frist mit, daß er die Vorschrift ablehnt oder Vorbehalte dazu macht. Die Verbindlichkeit dieser Sekundärrechtsetzung steht für die jeweiligen Mitgliedstaaten unter der auflösenden Bedingung ihrer Ablehnung. Allein die in Art. 13 Abs. 1 a UN-Charta angesprochene Aufgabe, das Völkerrecht auf allen Gebieten fortzuentwickeln, gibt den Organen der UNO keine Befugnis zur eigenen Rechtsetzung. Die Befugnisse der Generalversammlung beschränken sich insoweit auf die Diskussion von Problemen und die Abgabe von Empfehlungen (Art. 10 UN-Charta). Auch wenn sie (unterstützt durch die International Law Commission) die Entwürfe zur vertraglichen Kodifikation bestimmter Rechtsgebiete ausarbeitet, eine gewisse initiierende und begleitende Rolle bei der Erzeugung des Völkerrechts spielt und zur Vorbereitung verbindlichen Rechts konsensbildend sein mag204, ist die Generalversammlung als Vertretung der Völker kein Weltgesetzgeber, eher eine Staatenkonferenz und kein 199

Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 116 ff., S. 87 ff. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 32. 201 Zum Begriff der Sekundärgesetzgebung J. D. Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen, 2005, S. 32 ff. 202 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 630, S. 403. 203 Dazu I. Seidl-Hohenveldern, Das Recht der Internationalen Organisationen, 2000, S. 241 f., Rn. 1554 ff. 204 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 41 f., Rn. 86; H. Steiger, Frieden durch Institution, S. 158 f. 200

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Weltparlament. Ihre Resolutionen sind nicht rechtsverbindlich (Art. 10, 14 UNCharta). Nur wenn ihr Inhalt allgemeinen Rechtsgrundsätzen entspricht oder Gewohnheitsrecht wird, entfalten sie rechtliche Bindungswirkung.205 Diese beruht nicht auf dem Beschluß der Generalversammlung, sondern auf dem darin zum Ausdruck kommenden Konsens der Staaten.206 Verbindliche Beschlüsse kann die Generalversammlung lediglich ausnahmsweise im Hauhalts- und im internen Organisationsbereich fassen.207 Im Unterschied zur Generalversammlung und zu Organen anderer Internationaler Organisationen sowie im Gegensatz zum Regelfall im Völkerrecht kann der Sicherheitsrat verbindlich feststellen, was die Mitglieder zur Einhaltung der UN-Charta zu tun haben (vgl. Art. 24, 25 UN-Charta). Er hat also (sekundär-) rechtsetzende Funktion.208 Gemäß Kapitel VI UN-Charta sollen Streitigkeiten zwischen den Staaten, wenn möglich, auf friedlichem Wege beigelegt werden. Der Sicherheitsrat ist zu entsprechenden Untersuchungen, Vermittlungen, Entscheidungen und Empfehlungen berechtigt. Werden seine verbindlichen Beschlüsse nicht beachtet, verletzt dies die UN-Charta, was unter bestimmten Voraussetzungen sogar zu Zwangsmaßnahmen führen kann (Art. 41, 42 UNCharta).209 Allerdings verfügt der Sicherheitsrat nicht über eine allgemeine Rechtsetzungsgewalt, die im übrigen eine Weltoligarchie begründen würde. Seine sachliche Zuständigkeit und die Befugnis, neben Empfehlungen auch bindende Beschlüsse zu fassen, beschränken sich auf die Tatbestände des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Sie setzen jeweils eine konkrete oder zumindest abstrakte Gefahr voraus.210 Eine weitergehende Anmaßung von Gesetzgebungsbefugnissen ist ultra vires. Der Umfang der Befugnisse des Sicherheitsrates hängt allerdings von der Auslegung des Begriffs Friedensbedrohung ab (dazu 6. Teil, F, S. 949 ff.). Ob der Weltfriede bedroht ist, insbesondere eine verbotene Angriffshandlung droht, stellt der Sicherheitsrat endgültig fest (Kapitel VII UN-Charta). Dabei verfügt er über einen erheblichen Entscheidungsspielraum.211 Er hat insoweit entgegen 205 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 41 f., Rn. 86. 206 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 201. 207 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 40, Rn. 83. 208 S. v. Schorlemmer, Verrechtlichung contra Entrechtlichung, S. 91 spricht von „supranationaler Regelungsbefugnis“; dazu J. D. Aston, Sekundärrechtsetzung internationaler Organisationen, S. 62 ff.; C. Denis, Le pouvoir normatif du Conseil de sécurité des Nations Unies, 2004. 209 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 140 ff.; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 40, Rn. 83. 210 Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 40, Rn. 84; Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September 2001, 383 (392).

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dem völkerrechtlichen Paradigma, wonach ein Staat wegen der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta) nur durch Recht gebunden werden kann, das er selbst (mit-)setzt, eine (supranationale) Rechtsetzungsfunktion.212 Auf der Grundlage des Kapitels VII UN-Charta hat der Sicherheitsrat die Anti-Terrorismus-Resolution 1373 (2001)213 erlassen, welche den Staaten allgemeine Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgegeben hat.214 Die Resolution verbietet, Terroristen und terroristische Handlungen (auch finanziell) irgendwie zu unterstützen oder solche Unterstützung durch eigene Staatsangehörige oder auf ihrem Gebiet zu dulden. Wegen Art. 25, 103 UN-Charta gilt die Resolution im Konfliktfall vorrangig gegenüber den einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen.215 Mit der Resolution wurde der Sicherheitsrat (sekundär-)rechtsetzend und allgemein sicherheitsrechtlich, nicht nur anläßlich einer konkreten Gefährdung des Weltfriedens tätig.216 Darin zeigt sich ein dreifacher Paradigmenwechsel: erstens die Erweiterung des Begriffs der Friedensbedrohung und des Gewaltverbots über das zwischenstaatliche Szenario hinaus, zweitens die Inanspruchnahme von Gesetzgeberschaft und drittens die regelnde (zumindest mittelbare) Wirkung für einzelne Personen. Die Individualwirksamkeit der Sicherheitsratsrechtsetzung berührt die Dimension der weltbürgerlichen Verfassung, der das UN-System aus verschiedenen Gründen jedoch noch nicht gerecht wird. Dies ist bemerkt und kritisiert worden.217 In diesem Sinn sind die 211 R. Uerpmann, Rechtsdurchsetzung im Rahmen der Vereinten Nationen, AVR 33 (1995), S. 109; dazu auch P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, 1999, S. 194 ff. 212 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 327; K. Dicke, Globales Recht ohne Weltherrschaft, FPJ Nr. 11/2002; J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats – Resolution 1373 (2001) im Kontext, ZaöRV 62 (2002), S. 257 ff., 280 ff.; C. Denis, Le pouvoir normatif du Conseil de sécurité des Nations Unies, 2004; kritisch G. Arangio-Ruiz, On the Security coucil’s „Law-Making“, Rivista di diritto internazionale 83 (2000), p. 609 (640); Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September 2001, AVR 40 (2002), S. 383 (392 f.). 213 S/Res/1373 (2001), www.documentarchiv.de/in/2001/res_un-sicherheitsrat_1373. html. 214 Dazu kritisch Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 392 f.; zustimmend K. Dicke, Globales Recht ohne Weltherrschaft, FPJ Nr. 11/2002. 215 J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden, ZaöRV 62 (2002), S. 264; vgl. IGH, Case Concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention Arising From the Aerial Incident at Lockerbie (Lybien/Großbritannien), ICJ Rep. 1992, 3 (15, para. 39). 216 Vgl. auch die auf der UN-Generalversammlung am 9.12.1999 mit Generalversammlungsresolution 54/169 angenommene International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism’ Anhang zu UN-Doc. A/C.6/51/6 v. 11.11.1996, welche die Staaten bisher nur zögerlich ratifizieren. 217 Dazu J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden, ZaöRV 62 (2002), S. 257 ff.; G. Seidel. Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 467 f.

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Vereinten Nationen als „weltbürgerliche Friedensmacht“ bezeichnet worden.218 Mit der von den USA eingebrachten Resolution 1540 vom 28. April 2004 gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen219 hat der Sicherheitsrat gezeigt, daß er sich auch fortan als Weltgesetzgeber betätigen will. Alle Staaten sind nun verbindlich aufgefordert, Gesetze zu erlassen, die jede Weitergabe von Materialien oder Technologien zur Herstellung von nuklearen, chemischen oder biologischen Waffen an „nicht-staatliche Akteure“ unter Strafe stellen. Den Anforderungen einer weltbürgerlichen Verfassung genügt die Rechtsetzung der UNO allerdings nicht, weil sie aufgrund der hegemonialen Struktur des Sicherheitsrates weder auf dem Konsens der Staaten-/oder Völkergemeinschaft noch auf einer weltbürgerlichen Legitimation beruht.220 Die Problematik nimmt in dem Maße zu, indem der Sicherheitsrat seine Befugnisse zur Sekundärrechtsetzung eigenmächtig ausweitet. Es ist zweifelhaft, ob der Effizienzgewinn in der Bekämpfung des globalen Terrorismus den dauerhaften Freiheitsverlust aufwiegt. 5. Rechtsdurchsetzungsbefugnisse In dem Maße, in dem sich die Staatengemeinschaft mit gemeinsamen Organen ausstattet, denen sie neben den allgemeinen völkerrechtlichen Sanktionsmitteln gewisse, funktional staatliche Befugnisse, einschließlich Kontroll-, Gerichts- und Sanktionsbefugnisse gegenüber den Einzelstaaten überträgt, nimmt der Rechts- und Zwangscharakter der internationalen Rechtsordnung zu. Das UN-Recht verfügt über verschiedene, abgestufte Sanktions- und Zwangsmöglichkeiten, sogar der vis absoluta. a) Allgemeine Sanktionen gegen UN-Rechtsverstöße – Nach Art. 5 UN-Charta können Mitgliedsrechte auf Empfehlung des Sicherheitsrates durch die Generalversammlung suspendiert werden, wenn der Sicherheitsrat gegen das Mitglied Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII verhängt hat.221 – Verletzt ein Mitglied der Vereinten Nationen wiederholt wesentliche Grundsätze der Charta, wie das in Art. 2 Nr. 4 verankerte Gewaltverbot, kann es gemäß Art. 6 UN-Charta auf Empfehlung des Sicherheitsrates durch die Ge218 R. Zons, Weltbürgertum als Kampfbegriff, in: N. Bolz/F. Kittler/ders. (Hrsg.), Weltbürgertum und Globalisierung, 2000, S. 9 (26). 219 S/RES/1540 (2004), www.un.org/Docs/sc/unsc_resolutions04.html. 220 Vgl. dazu auch J. D. Aston, Sekundärrechtsetzung internationale Organisationen, S. 180 ff. 221 Vgl. A. Verdross, Völkerrecht, S. 647.

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neralversammlung aus der UNO ausgeschlossen werden.222 Allerdings ist dieses Rechtsdurchsetzungsinstrument in der Praxis noch nie angewandt worden.223 – Gemäß Art. 19 UN-Charta kann einem Mitglied im Falle eines Beitragsrückstandes das Stimmrecht in der Generalversammlung genommen werden.224 Ständige Mitglieder des Sicherheitsrates können praktisch nur durch Sanktionen nach Art. 19 UN-Charta betroffen werden, weil sie sich den Sanktionen nach Art. 5 und 6 UN-Charta durch ihr Vetorecht (Art. 27 Abs. 3 UNCharta) entziehen können.225 – Zur Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche aus einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs kann sich die berechtigte Partei an den Sicherheitsrat wenden. Der Sicherheitsrat kann (muß aber nicht), wenn eine Partei ein Urteil des IGH nicht erfüllt, „wenn er es für erforderlich hält, Empfehlungen abgeben oder Maßnahmen beschließen, um dem Urteil Wirksamkeit zu verschaffen“ (Art. 94 Abs. 2 UN-Charta). Diese funktional weltstaatliche Befugnis gegenüber Staaten verläßt das völkerrechtliche Paradigma. Otfried Höffe legt insoweit konsequent einen republikanischen Maßstab226 an und kommt insoweit zu dem Ergebnis, daß die Urteilsdurchsetzungsmöglichkeit durch den Sicherheitsrat dem Gewaltenteilungsprinzip widerspricht, weil der Sicherheitsrat kein judikatives Organ ist.227 b) Ausschließliche Zuständigkeit des UN-Sicherheitsrats Ziel der Vereinten Nationen ist es ausweislich Art. 1 der Charta, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit228 zu wahren und zu diesem Zweck wirksame kollektive Zwangsmaßnahmen zu erlassen. Auch die Durchsetzung des Friedens ist Rechtsdurchsetzung, weil Unfrieden die krasseste Form von Unrecht, nämlich Rechtlosigkeit darstellt (dazu 3. Teil, B, S. 220). Auf dem Gebiet der Kriegsvermeidung ist der Prozeß institutionalisierter Kooperation der Staaten langsamer verlaufen als auf dem Gebiet der Wirtschaft und der zwischenstaatlichen Kommunikation.229 Nach dem Scheitern des Völkerbunds wur222

Vgl. A. Verdross, Völkerrecht, S. 648. R. Uerpmann, Grenzen zentraler Rechtsdurchsetzung im Rahmen der Vereinten Nationen, AVR 33 (1995), S. 107 (110). 224 Vgl. A. Verdross, Völkerrecht, S. 648. 225 A. Verdross, Völkerrecht, S. 648. 226 Dazu Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 (BA 20, 21, 22); zur respublica noumenon als „ewige Norm für alle bürgerliche Verfassung überhaupt“ Kant, Streit der Fakultäten, S. 364 (A 155, 156). 227 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 328. 228 Dazu W. M. Reismann, New Scenarios of Threats to International Peace and Security, in: J. Delbrück, The Future of International Law Enforcement, 1992, S. 13 ff. 223

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den erst 1945 infolge der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs die Vereinten Nationen zum Zweck der Wahrung des Friedens in der Welt gegründet. Sie sollen ein kollektives Sicherheitssystem bilden.230 Deutschland ist diesem am 6. Juni 1973 gemäß Art. 24 Abs. 2 GG beigetreten.231 Nach dem Wortlaut der UN-Charta ist ausschließlich der Sicherheitsrat für die Entscheidung über Maßnahmen zur Erhaltung des Weltfriedens zuständig (vgl. Art. 24 Abs. 1 UN-Charta).232 Dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sind weitgehende Durchsetzungsbefugnisse zum Schutze des Weltfriedens eingeräumt (Kapitel VII UN-Charta), welche einerseits die territoriale Integrität in den zwischenstaatlichen Beziehungen sichern sollen, andererseits aber auch Eingriffe in die staatliche Territorialhoheit ermöglichen.233 Erkennbar ist somit, daß das Regelungsmodell der UN-Charta für den Bereich der Friedenssicherung abweichend von der üblichen Typik Internationaler Organisationen (siehe S. 692) auf zentrale Rechtsdurchsetzung ausgerichtet ist. Damit ist die einzelstaatliche Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Friedenssicherung außer für den Fall der Selbstverteidigung zugunsten einer weltordnungsrechtlichen genuinen Aufgabe und Befugnis der Vereinten Nationen außer Kraft gesetzt.234 Kritisiert wird allerdings, daß die Organisation die Anarchie zwischen den Staaten nicht wirklich beseitigt habe.235 Entgegen der Hoffnung Kants, daß eine demokratische Großmacht das Projekt weltweiten Friedens in einem Völkerbund befördern könnte und ungeachtet der Prärogative des UN-Systems sehen sich die Vereinigten Staaten als Supermacht befugt, die Weltordnung nach ihren Vorstellungen und ohne Zustimmung des Sicherheitsrates auch mit militärischen Mitteln hegemonial durchzusetzen.236 So haben die USA und Großbritannien Strafaktionen einschließlich Krieg gegen den Irak, gegen den Sudan und gegen Afghanistan vermeintlich 229

J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98,

S. 67. 230 Dazu Ph. Kunig, Völkerrecht als öffentliches Recht, S. 333 ff.; kritisch K. Baltz, Eine Welt, S. 59 f. 231 BGBl. 1973 II, S. 430. 232 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 102 ff., 134 ff.; zur Legitimation des Sicherheitsrates D. Caron, The Legitimacy of the Collective Authority of the Security Council, AJIL 87 (1993), 552 ff. 233 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 1998, S. 184 ff. 234 S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat, 37 (1998), S. 543; relativierend B. Grzeszick, Staatsgewalt in der UN-Charta zwischen Gewaltverbot und Selbstverteidigung, AVR 41 (2003), S. 487 ff. wegen der mangelnden Effizienz des Un-Sicherheitssystems. 235 R. J. Glossop, Global Governance Requires Global Government, in: E. E. Harris/J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 43 (47). 236 Dazu mit Beispielen H. Neuhold, Strukturelle Veränderungen im internationalen System, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 5 (22 ff.).

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zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus geführt.237 Ein Anspruch jedes Staates, nach seiner Willkür Krieg zu führen, würde die gegenwärtige Völkerrechtsordnung durch den Krieg aller gegen alle ablösen und bildet zur kollektiven Wahrung des Weltfriedens keine rechtlich zulässige Alternative.238 Würde nur den USA als stärkster Macht und ihren jeweiligen Verbündeten ein solches Recht in der Funktion als hegemoniale Weltpolizei im Sinne einer pax americana zugestanden, wäre dies zwar ein paradigmatischer Wechsel, aber ein Rückschritt in der Rechtsentwicklung.239 Anstelle einer rechtlichen Ordnung auf der Grundlage der Rechtsgleichheit, würde eine imperium americanum auf der Basis der Macht des Stärkeren geschaffen240, in dem die Völker in ihren äußeren Beziehungen von der Willkür der Regierung einer Großmacht abhängig wären. Die wesentlichen Grundsätze der (gleichen) Selbstbestimmung der Völker und das Gewaltverbot wären durch eine Weltherrschaft ersetzt. Es gibt rechtlich gesehen keinen anderen Weg zur Wahrung des Weltfriedens als ein effizientes globales Sicherheitssystem, welches möglichst vom Konsens aller Staaten getragen ist.241 Ob die gegenwärtige hegemoniale Struktur im Sicherheitsrat dem gerecht wird, ist fraglich. Trotzdem sind die Vereinten Nationen, obwohl die USA im Irak-Krieg einer ihrer Grundnormen, das Gewaltverbot mißachtet haben, insgesamt gestärkt und nicht geschwächt aus dieser Krise hervorgegangen.242 Es ist nicht gelungen, die Vereinten Nationen gegen die Prinzipien der Charta für ein vermeintliches Recht zum Krieg zu instrumentalisieren.243 Außerdem ist die Diskussion um die Reform der Vereinten Nationen, die auch das Ziel hat, Willkürakte einzelner mächtiger Staaten zu begrenzen, erneut angeregt worden. Zur Sicherung des Friedens steht der UNO, abgesehen von diplomatischen Mitteln wie „Guten Diensten“ des Generalsekretärs, die Befugnis zu, im Falle einer Bedrohung des Weltfriedens durch den Sicherheitsrat auch in die inneren Angelegenheiten eines Staates einzugreifen (Art. 2 Abs. 7, letzter Halbsatz i.V. m. Kapitel VII). Von dieser Möglichkeit hat der Sicherheitsrat seit Ende 237 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 271; vgl. auch H. P. Hestermeyer, Die völkerrechtliche Beurteilung des Irakkriegs im Lichte transatlantischer Rechtskulturunterschiede, ZaöRV 64 (2004), S. 315 (326 ff.). 238 D. Murswiek, Die amerikanische Präventivstrategie und das Völkerrecht, NJW 2003, 1014 (1018 f.). 239 D. Murswiek, Die amerikanische Präventivstrategie und das Völkerrecht, NJW 2003, 1019 f. 240 I. d. S. etwa R. Kagan, Power and Weakness, Policy Review 113/2002; vgl. die Beiträge in: D. S. Lutz/H. J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, S. 9 ff. 241 Vgl. Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 23 ff., 61 ff. 242 J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, S. 146. 243 So auch Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 37, Rn. 83.

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des Kalten Krieges verschiedentlich Gebrauch gemacht.244 Darin wurde eine Stärkung gemeinschaftlicher völkerrechtlicher Durchsetzungsmechanismen gesehen.245 Es ist allerdings zu vermerken, daß der Sicherheitsrat nicht immer nur im Sinne der rule of law, sondern oft instrumentalisiert durch Großmachtinteressen handelt.246 So blieben internationale Reaktionen auf die Situationen in der Republik Kongo oder in Nigeria, aber auch etwa eine Grünhelmaktion zur Rettung der von der Ausrottung bedrohten Natur in Indonesien aus, weil sich die Großmächte nicht in eigenen nationalen Interessen berührt sehen.247 Als weitere Beispiele werden genannt: einerseits die rasche Antwort auf die Terroranschläge des 11. Septembers 2001 in den USA und andererseits die verspätete Reaktion gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen im Sudan und insbesondere gegen den Völkermord in Ruanda. Während eines Zeitraums von 100 Tagen kam es in Ruanda jeden Tag zu Taten, deren Folgen drei derartiger Terroranschläge entsprachen.248 In neuerer Zeit wurde ein Bedeutungsverlust des Sicherheitsrates in seiner Rolle als Garant des Weltfriedens konstatiert.249 Am größten war das Versagen gegenüber dem Völkermord und den ethnischen Säuberungen beispielsweise in Ruanda, aber auch im Kosovo-Konflikt. Als der Völkermord in Ruanda begann, wurden die Friedenssicherungskräfte von den Truppen stellenden Ländern abgezogen, und der Sicherheitsrat unterließ es auf Druck der Vereinigten Staaten zu reagieren.250 Im Fall Kosovo beschloß der Sicherheitsrat lediglich am 28. Februar 1998 mit Resolution 1160 ein Waffenembargo für die Bundesrepublik Jugoslawien sowie mit der Enthaltung Chinas die Resolution 1199 am 23. September 1998, worin ein umgehender Waffenstillstand gefordert wurde. Anschließend übernahm die NATO das Krisenmanagement (dazu 6. Teil, F, S. 943 f.). Fraglich ist, ob der Sicherheitsrat seine Befugnisse, die ihm die UN-Charta verleiht, einhält und ausschöpft. Obwohl dies die Charta außer nach Art. 53 244 Dazu R. Uerpmann, Grenzen zentraler Rechtsdurchsetzung im Rahmen der Vereinten Nationen, AVR 33 (1995), S. 107 (118 ff.). Die Zahl der von ihm verabschiedeten Resolutionen stieg im Jahresdurchschnitt von 15 auf 60. Vor 1989 hat der Sicherheitsrat zweimal Sanktionen verhängt, seit 1989 14 Mal. Hochrangigen Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 36, Rn. 77. 245 J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98, S. 67. 246 Vgl. J. Delbrück, Peacekeeping by the United Nations and the Rule of Law, S. 300 ff.; M. Bothe, Militärische Gewalt als Instrument von Konfliktregelung, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 13 (14). 247 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 276 f. 248 Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 26 f., Rn. 41. 249 Dazu T. Debiel, Internationale Friedenssicherung: Verliert die UNO an Bedeutung?, Jahrbuch Internationale Politik 1997–1998, S. 39 ff.; vgl. auch B. Grzeszick, Staatsgewalt in der UN-Charta zwischen Gewaltverbot und Selbstverteidigung, AVR 41 (2003), S. 487 ff. 250 Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 38, Rn. 87.

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UN-Charta für Zwangsmaßnahmen durch „regionale Abkommen und Einrichtungen“ nicht ausdrücklich regelt, wird dem Sicherheitsrat zugestanden, militärische Sanktionsmaßnahmen (vgl. Art. 42, 48 UN-Charta), die von den Mitgliedstaaten ausgeführt werden, zu autorisieren.251 Autorisierungen durch den Sicherheitsrat wurden in der jüngeren Vergangenheit verschiedentlich angenommen.252 Erstmals hat der Sicherheitsrat einen militärischen Einsatz mehrerer Mitgliedstaaten als Reaktion auf einen Völkerrechtsbruch eines anderen Mitgliedstaates im Jahr 1990 zugestanden, indem er den zweiten Golfkrieg Alliierter nach der Invasion des Iraks in Kuwait erlaubt hat.253 In Ziffer 2 seiner Resolution 678 ermächtigte der Sicherheitsrat „die Mitgliedstaaten, die mit der Regierung Kuwaits kooperieren, . . . alle erforderlichen Mittel einzusetzen, um der Resolution 660 und allen dazu später verabschiedeten Resolutionen Geltung zu verschaffen und sie durchzuführen und den Weltfrieden und die internationale Sicherheit in dem Gebiet wiederherzustellen“. Die weite Formulierung „alle erforderlichen Mittel“ wurde so interpretiert, daß dies die Anwendung von Gewalt einschließt. Solche Mandatserteilungen sind schon deshalb rechtlich nicht unzweifelhaft, weil eine Erweiterung der Autorisierungsmöglichkeiten über Art. 53 UN-Charta hinaus die Konzentration der Zwangsbefugnisse beim Sicherheitsrat als Ausnahme vom Gewaltverbot relativiert und Hegemonietendenzen entgegen den Zielen der UN-Charta fördert.254 Jedenfalls müssen das Kriegsrecht, insbesondere das humanitäre Völkerrecht255 und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, beachtet werden. Das wird auch mit der Formulierung „erforderliche Mittel“ in der Resolution 678 ausgedrückt. Ob dies in dem von den Alliierten aufgrund eines Mandats des Sicherheitsrates geführten zweiten Golfkrieges erfüllt war, ist zweifelhaft. Mildere Sanktionsmittel als militärische, insbesondere ökonomische, hat der Sicherheitsrat unter dem Drängen der USA, die eine „New World Order“ verkündet hatte, nicht versucht. Der 1991 mit erheblichem Waffeneinsatz geführte Luftkrieg256, der den Irak weitgehend zerstörte und viele Men251 Dazu T. Farer, The Future of International Law Enforcement under Chapter VII, in: J. Delbrück, The Future of International Law Enforcement, 1993, S. 39 (41 ff.); H. Neuhold, Strukturelle Veränderungen im internationalen System, S. 15. 252 Z. B. S/RES/814 (1993), 26.3.1993; siehe auch J. Delbrück, Zur Entwicklung der internationalen Rechtsordnung, S+F 2/98, S. 67; M. Bothe, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 600 f., Rn. 21. 253 Vgl. S/Res 678 (1990) v. 29.11.1990 (www.fas.org/news/un/iraq/sres/sres 0678.htm). Die Kollektivität dieser Maßnahme wurde allerdings durch die Tatsache relativiert, daß sie unter der Führung der USA stand und dementsprechend interessengeleitet war. Vgl. Ph. Kunig, Völkerrecht als öffentliches Recht, S. 339; dazu auch kritisch T. Farer, The Future of International Law Enforcement under Chapter VII, S. 41. 254 In dem Sinn auch M. Bothe, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 615, Rn. 44. 255 Dazu M. Bothe, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 621 ff., Rn. 49 ff. 256 Am 2.8.1990 überfielen irakische Truppen den souveränen Staat Kuwait. Die UNO erließ Resolutionen und forderte den Irak zum Rückzug auf. Der irakische Dik-

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

schenleben kostete, hätte vermieden werden können, wenn die Militäraktionen einer strengen Kontrolle durch den Sicherheitsrat (vgl. Art. 53, 54 UN-Charta) unterzogen worden wären. Als Reaktion auf die Terroranschläge gegen die USA am 11. September 2001 hat der Sicherheitsrat, der die Terroranschläge als „eine Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit einstufte“, den USA durch die Resolutionen 678 vom 29. November 1990 und 1441 vom 8. November 2002 kein weiteres Mandat zum Krieg gegen den Irak und der Stürzung von Hussein erteilt.257 Aus der auf die irakische Invasion in Kuwait bezogenen Resolution 678 des Sicherheitsrates vom 29. November 1990 kann keine fortbestehende Angriffsermächtigung entnommen werden, weil ein solches Mandat mit der Befreiung Kuwaits erloschen war und aus Gründen der Rechtssicherheit nicht ohne weiteres für spätere Fälle aufleben kann.258 Eine ausdrückliche Ermächtigung zum Krieg fand im Sicherheitsrat keine Mehrheit. Weil der Sicherheitsrat das Selbstverteidigungsrecht nur in „accordance with the Charter“ zuerkennt, kann nicht ohne ausdrückliche Aktualisierung der Ermächtigung davon ausgegangen werden, daß die Resolutionen eine Blankoermächtigung zur Intervention gaben.259 Das Organ der Vereinten Nationen, in dem alle Staaten gleichheitlich vertreten sind, die Generalversammlung, kann keine bindenden Beschlüsse zur Rechtsdurchsetzung verabschieden (Art. 11, 12 UN-Charta).260 Allerdings sind Versuche unternommen worden, die Befugnisse der Generalversammlung zu erweitern, etwa durch die Uniting Peace Resolution 377 (V) vom 3. November tator Saddam Hussein ging aber nicht darauf ein. So wurden die USA von der UNO ermächtigt, gegen die irakischen Truppen in Kuwait vorzugehen. Am 17.1.1991 begann dieser Krieg und endete am 28.2.1991. 257 D. Deiseroth, Verstrickung in einen Angriffskrieg?, in: D.S. Lutz/H. J. Gießmann, Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, S. 160 (163 f.); Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Reichweite der Resolutionen 678 (1990), 687 (1991) und 1441 (2002) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, in: K. Ambos/J. Arnold (Hrsg.), Der Irak-Krieg und das Völkerrecht, 2004, S. 224 (228 ff.); a. A. Erklärung des britischen Ministeriums für Auswärtiges und Commonwealth-Angelegenheiten, 17. März 2003 unter www.britischebotschaft.de/de/news/ items/030317b.htm; vgl. auch Süddeutsche Zeitung Nr. 217 vom 20.9.2001, S. 7. 258 Dazu Ch. Schaller, Massenvernichtungswaffen und Präventivkrieg, ZaöRV 62 (2002), S. 644 ff.; R. Merkel, Amerikas Recht auf die Welt, in: D. S. Lutz/H. J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, S. 39; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Reichweite der Resolutionen 678 (1990), 687 (1991) und 1441 (2002) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, in: K. Ambos/J. Arnold, Der Irak-Krieg und das Völkerrecht, 2004, S. 224 ff. 259 J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats – Resolution 1373 (2001) im Kontext, ZaöRV 62 (2002), S. 286; Erklärung des britischen Ministeriums für Auswärtiges und Commonwealth-Angelegenheiten, 17.3.2003 unter www.britischebotschaft.de/de/news/ items/030317b.htm (11.10.2005). 260 Zur Generalversammlung E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 327 ff.; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 418 ff.

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1950 (Gemeinsames Vorgehen für den Frieden).261 Diese sieht wegen der häufig beklagten Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates262 vor, daß die Generalversammlung dann Beschlüsse zur Wahrung des Weltfriedens treffen kann, wenn der Sicherheitsrat aufgrund des Vetorechts der Großmächte zu keiner positiven Entscheidung kommt. Eine Satzungsänderung, welche der Generalversammlung insofern Entscheidungsbefugnis verleiht, hat sich jedoch aus dieser nicht unbedingt gefestigten Praxis bisher nicht ergeben.263 c) Fungiert der UN-Sicherheitsrat als Weltpolizei zur Durchsetzung der Friedenspflicht? In einer Weltrepublik würde deren Organe eine Schutzpflicht für den Frieden und die Einhaltung des Gewaltverbots treffen. Alfred Verdross und Bruno Simma sehen in der, dem Sicherheitsrat im VII. Kapitel der UN-Charta übertragenen, Zuständigkeit eine „kleine Annäherung an den Typus ,Weltstaat‘.264 Während andere ein „Gewaltmonopol“ der UNO abstreiten.265 Eine regelmäßig wirkende Rechtsdurchsetzungsgewalt im Sinne einer Weltpolizei hat der Sicherheitsrat gegenüber den Staaten unbestreitbar nicht.266 Aber der Sicherheitsrat kann nach Art. 42 UN-Charta, sofern die Voraussetzungen des Art. 39 UNCharta erfüllt sind,267 zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit unter Einhaltung des Verhältnismäßigkeits261 Sie hat den Beschluß gefaßt, daß„in allen Fällen, in denen eine Bedrohung des Friedens, ein Friedensbruch oder eine Angriffshandlung vorzuliegen scheint und in denen der Sicherheitsrat mangels Einstimmigkeit seiner ständigen Mitglieder seine Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nicht wahrnimmt, die Frage unverzüglich von der Generalversammlung behandelt wird, mit dem Ziel, zur Wahrung bzw. Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit den Mitgliedstaaten geeignete Empfehlungen für Kollektivmaßnahmen zu geben, die bei Friedensbrüchen oder Angriffshandlungen erforderlichenfalls auch den Einsatz von Streitkräften einschließen können“. GA/Res 377 (V) v. 3.11.1950; S/Res/1511 v. 27.6.1950 S/1588 v. 7.7.1950; dazu E. Stein/R. C. Morrisey, Uniting for Peace Resolution, in: EPIL 5 (1983), S. 379 ff.; A. Verdross, Völkerrecht, S. 654; E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 328 f., Rn. 130 f. 262 Dazu G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 42 m. Fn. 102; E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 328, Rn. 130. 263 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 151 f.; E. Stein/R. C. Morrisey, Uniting for Peace Resolution, in: EPIL 5 (1983), S. 379 (381). 264 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 41, S. 35; vgl. auch F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, S. 1201. 265 W. Kühne, Völkerrecht und Friedenssicherung in einer turbulenten Welt, in: ders. (Hrsg.), Blauhelme in einer turbulenten Welt, 1993, S. 49; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, 2000, S. 338. 266 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 41, S. 35. 267 J. A. Frowein, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 41, Rn. 5.

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grundsatzes268 auch Maßnahmen mit vis absoluta ergreifen. Aufgrund dieser Befugnis zu zwingen hängt die Erfüllung der Friedenspflicht nicht mehr allein vom guten Willen der Staaten ab und ist deshalb eine Rechtspflicht mit gesteigerter Verbindlichkeit.269 Der Sicherheitsrat beschließt, welche gewaltlosen Maßnahmen zu ergreifen sind und kann die Mitglieder auffordern, diese durchzuführen.270 Er hat die Möglichkeit, verbindliche Vorgaben an die Mitgliedstaaten zu richten (Art. 25 UN-Charta) und Retorsionen und Repressalien zu erlassen.271 Explizit sieht die UN-Charta z. B. in Art. 41 ein Embargo der Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit, auf Veranlassung des UN-Sicherheitsrats vor. Mit Zustimmung der betroffenen Staaten sind zur Friedenssicherung Blauhelmeinsätze unter direkter Führung der Vereinten Nationen aufgrund von Kapitel VI möglich, wenn sie sich insgesamt gewaltloser Maßnahmen bedienen.272 Oft üben Blauhelme auch Funktionen der zivilen Polizei aus, insbesondere die Organisation der Rückführung von Flüchtlingen, die Vorbereitung, Durchführung und Überwachung von Wahlen, den Transport und die Verteilung humanitärer Hilfe, die Entwaffnung und Demobilisierung ehemaliger Kämpfer, Hilfe bei der Wiedereingliederung in ein ziviles Leben und Minenräumung.273 Versagen solche Maßnahmen, kann der Sicherheitsrat unter Einsatz von militärischer Gewalt die Herstellung des Friedenszustands erzwingen (vgl. z. B. Art. 39 UNCharta).274 Insoweit kann man von Polizeifunktionen sprechen, die sich mit der Praxis des Sicherheitsrates immer weiter entwickelt haben.275 In diesem Bewußtsein hat Kofi Annan als Generalsekretär durchgesetzt, daß alle Blauhelme in ihren Heimatländern auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte276 zu verpflichten sind.277 268 Vgl. den Wortlaut des Art. 42 UN-Charta, wonach die „erforderlichen“ militärische Maßnahmen erst ergriffen werden können, wenn der Sicherheitsrat der Auffassung ist, daß die in Art. 41 UN-Charta vorgesehen nichtmilitärischen Maßnahmen“ unzulänglich sein würden“; siehe auch Hochrangige Gruppe, Bericht, Eine sicherere Welt, S. 60, 65 f. 269 Nach den Vorschlägen der Hochrangigen Gruppe in ihrem Bericht „Eine sicherere Welt“, S. 58 f. soll die Wirksamkeit von Sanktionen des Sicherheitsrates durch Einführung von Überwachungsmechanismen und Sekundärsanktionen verstärkt werden. 270 Dazu R. Uerpmann, Rechtsdurchsetzung im Rahmen der Vereinten Nationen, AVR 33 (1995), S. 110 ff. 271 C. Kissling, Menschenrechtlicher Mindeststandard, HFR 12-2001, S. 18. 272 Dazu M. Eisele, Blauhelme als Krisenmanager, S. 30 ff. 273 M. Eisele, Blauhelme als Krisenmanager, S. 32 ff. 274 Dazu A. Verdross, Völkerrecht, S. 650 ff. 275 M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 574; zur tatsächlichen Entwicklung der Sicherheitsfunktion des Sicherheitsrates H. Neuhold, Strukturelle Veränderungen im internationalen System, S. 14 ff.; M. Bothe, Militärische Gewalt als Instrument von Konfliktregelung, S. 13 ff.; M. Eisele, Blauhelme als Krisenmanager, S. 30 ff. 276 GV-Res 217 (III) v. 10.12.1948.

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Obwohl der Sicherheitsrat aus Achtung vor dem Recht, also bona fides, handeln soll278, wird er tatsächlich oft von nationalen, regionalen und wirtschaftlichen Interessen geleitet und verfolgt in der Praxis nicht gleichheitlich das Legalitätsprinzip.279 Es wird überdies angenommen, daß der Sicherheitsrat keine strikte Verpflichtung habe, gegen Rechtsverletzungen vorzugehen.280 In weltrechtskonformer Auslegung ist der Sicherheitsrat sehr wohl dem Legalitätsprinzip verpflichtet und an das Völkerrecht, insbesondere an die UN-Charta, gebunden.281 Der Wortlaut der UN-Charta stützt dies. Die „Kann“-Formulierungen in Art. 40 ff. sprechen zwar für ein Ermessen des Sicherheitsrates. Dieses Ermessen bezieht sich nur auf die Art der Maßnahme, also auf die Auswahl der Mittel, nicht aber darauf, ob der Sicherheitsrat überhaupt tätig werden muß.282 So regelt Art. 39 UN-Charta: „Der Sicherheitsrat stellt fest, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt; er gibt Empfehlungen ab oder beschließt, welche Maßnahmen aufgrund der Art. 41 und 42 zu treffen sind . . .“

Seinem Wortlaut nach ist Art. 39 UN-Charta eine imperative Vorschrift, die dem Rat kein Ermessen läßt, ob er Feststellungen trifft. Eine andere Frage ist, ob der Sicherheitsrat nach seiner – realen machtpolitischen Erwägungen Rechnung tragenden – Konzeption und Zusammensetzung hinreichend geeignet und legitimiert ist, einen allein am Rechtsprinzip orientierten Weltfrieden durchzusetzen. Zum einen ist er durch das Vetorecht (Art. 27 Abs. 3 UN-Charta) der Mitglieder des Sicherheitsrats, das die Durchsetzung der kollektiven Friedenssicherung erschwert, erheblich beschränkt.283 Es trägt den tatsächlichen Macht- und Hegemonialverhältnissen in der Welt Rechnung.284 Dem Gedanken einer Weltdemokratie, aber auch dem völkerrechtlichen Grundsatz souveräner Gleichheit der Staaten widerspricht das fundamental.285 277

M. Eisele, Blauhelme als Krisenmanager, S. 38. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 47. 279 Kritisch O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 329 f. 280 Ph. Kunig, Völkerrecht als öffentliches Recht, S. 343. 281 Dazu P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 195 ff.; IGH, Bosnia-Herzogovina vs. Yugoslavia, Provisional Measures, ICJ Rep. 1993, 439. 282 A. A. P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 195, der ein Feststellungsermessen annimmt. 283 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 32. 284 Vgl. dazu A. Randelzhofer, Great Powers, in: EPIL, Instalment 9 (1986), S. 142 (144), der die Hegemonie der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und deren einstimmige Entscheidungen als rechtliche Basis der UN-Charta ansieht; vgl. auch B. Simma, Responses to Violations erga omnes, in: J. Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement, 1993, S. 125 (144 f.); kritisch S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 208 (230). 285 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 327. 278

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De iure haben die Mitgliedsstaaten der UNO keinen Entscheidungsspielraum über das Ob und das Wie der von ihnen durchzuführenden Maßnahmen; denn Art. 25 UN-Charta verpflichtet alle Mitglieder, die in Übereinstimmung mit der Charta gefaßten Beschlüsse des Sicherheitsrats anzunehmen und auszuführen.286 Darin kann der Ansatz zu einer Weltbefehlsgewalt gesehen werden. Bisher wird aber in der Praxis eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten (aus Art. 25 UNCharta), an militärischen Maßnahmen teilzunehmen, überwiegend abgelehnt.287 Art. 43 UN-Charta verpflichtet an sich die Mitgliedstaaten, „sobald wie möglich“ Verträge mit dem Rat zu schließen, nach deren Maßgabe Streitkräfte der Mitgliedstaaten auf Ersuchen dem Sicherheitsrat zur Verfügung gestellt werden sollen (vgl. auch Art. 106 UN-Charta). Bis heute ist kein Staat dieser Verpflichtung nachgekommen288, weil die Staaten hierzu nicht bereit sind.289 Der ehemalige UN-Generalsekretär Boutros Ghali hatte den Mitgliedstaaten vorgeschlagen, über freiwillige „Truppen zur Friedensdurchsetzung“ zu informieren, die gegebenenfalls für Friedensmissionen verfügbar gemacht werden könnten.290 Von der Generalversammlung ist dies gebilligt worden.291 Bisher haben 80 Mitgliedstaaten dem Generalsekretär auf der Grundlage von Abkommen Daten zu Art und Anzahl von Truppenteilen oder Einzelpersonen und deren Verfügbarkeit mitgeteilt. In der Regel haben sich die Staaten jedoch die endgültige Freigabe nach Beurteilung im jeweiligen Einzelfall vorbehalten.292 Wenn der Sicherheitsrat über die Errichtung einer Friedensmission entschieden hat und die Entsendung von Blauhelmen vorzubereiten ist, benennt der Generalsekretär einen Sonderbeauftragten als seinen Vertreter im Einsatzland, dem die Blauhelmkontingente für den Einsatz unterstellt sind. Allerdings sind nur wenige Truppenstellerstaaten bereit, ihre Blauhelme den Vereinten Nationen ganz zur Verfügung zu stellen, weshalb die UN-Kommandogewalt erheblich eingeschränkt ist.293 Dem Sicherheitsrat obliegt es zwar gemäß Art. 39 UN-Charta, eine Friedensbedrohung festzustellen und geeignete Maßnahmen dagegen zu beschlie286

Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 229 ff. Dazu S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 194 ff. 288 Ph. Kunig, Völkerrecht als öffentliches Recht, S. 336; vgl. auch die entsprechende Mahnung des Generalsekretärs der UN in dessen Bericht „Agenda for Peace – Preventive Dipomacy, Peacemaking and Peace-Keeping, UN Doc. S/2411, 17.6.1992, ILM 31 (1992), 953 ff. 289 H. Neuhold, Strukturelle Veränderungen im internationalen System, S. 15; siehe Direktive des amerikanischen Präsidenten vom Mai 1994, die sich gegen eine ständige UN-Armee ausspricht, FAZ vom 9.5.1994, S. 14. 290 B. Boutros-Ghali, Agenda für den Frieden (1992), 1993, S. 19 ff.; ders., Ergänzung zur „Agenda für den Frieden“: Positionspapier des Generalsekretärs angesichts des fünfzigsten Jahrestages der Vereinten Nationen vom 3.1.1995, A/50/60, S/1995/1, Ziff. 44. 291 GA/Res A/Res/48/42 v. 10.12.1993. 292 M. Eisele, Blauhelme als Krisenmanager, S. 36. 293 M. Eisele, Blauhelme als Krisenmanager, S. 37. 287

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ßen. Solange ihm die Staaten jedoch keine Truppen überstellen, hat er faktisch kein Gewaltmonopol. Die Anordnung militärischer Zwangsmaßnahmen auf der Grundlage von Kapitel VII UN-Charta hängt somit nicht nur vom Ermessen des Sicherheitsrates, sondern auch von der Bereitschaft der Staaten ab, den Vereinten Nationen entsprechende Truppenkontingente im Wege der Organleihe294 zur Verfügung zu überlassen.295 Die Zwangsmaßnahmen werden damit auch immateriell von den Staaten bestimmt, welche die stärksten Truppenkontingente stellen.296 Damit muß festgestellt werden, daß zwar nicht de iure, aber de facto die Letztentscheidung über die Durchführung militärischer Maßnahmen bei den einzelnen Mitgliedstaaten verblieben ist.297 Ergebnis Der Sicherheitsrat übt in Bezug auf die Friedenspflicht weltpolizeiliche Funktionen aus, die jedoch durch die Struktur des UN-Friedensicherungssystems in ihrer Effektivität gemindert sind. d) Unmittelbare Wirkung von Sanktionen für Einzelpersonen Sicherheitsratsentscheidungen sind von ihrer Rechtsnatur her grundsätzlich nicht self-executing, richten sich also nur an die Staaten. Viele Resolutionen enthalten Blankoermächtigungen an Einsatzkräfte der Mitgliedstaaten, die in bestimmten Gebieten auch polizeiliche Aufgaben gegenüber einzelnen Menschen wahrnehmen.298 Ein Novum in der Praxis des Sicherheitsrates und zugleich ein Paradigmenwechsel sind Anordnungen, die zwar nicht unmittelbar anwendbar sind, aber Einzelpersonen unmittelbar betreffen und die von den Staaten wegen Art. 25, 103 UN-Charta ohne Ermessensspielraum vollzogen werden müssen, so daß diesen de iure eine Recht zur Letztentscheidung genommen ist. Beispiele sind die namentliche Nennung einzelner, der Unterstützung des Netzwerkes der Al-Qaida beschuldigter, Personen in vom Sicherheitsrat aufgrund geheimdienstlicher, polizeilicher und sonstiger Informationen erstellten „Schwarzen Listen“ 294

Zur Organleihe, K. Ipsen, Völkerrecht, § 40, Rn. 21. Die Hochrangige Gruppe fordert in ihrem Bericht „Eine sicherere Welt“, S. 67 f., dies vermehrt zu tun. 296 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 32; R. Uerpmann, Grenzen zentraler Rechtsdurchsetzung im Rahmen der Vereinten Nationen, AVR 33 (1995), S. 107 (126); G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 105 f. 297 R. Uerpmann, Grenzen zentraler Rechtsdurchsetzung im Rahmen der Vereinten Nationen, AVR 33 (1995), S. 129. 298 Vgl. z. B. S/Res/1386 (2001) v. 20.12.2001, Abs. 3; S/Res/1511 (2003) v. 16.10.2003, Abs. 13; S/Res/1529 (2004) v. 29.2.2004, Abs. 6: Ermächtigung der Einsatzkräfte zu allen zur Erfüllung ihres Auftrags erforderlichen Maßnahmen. 295

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sowie die Anordnung von Maßnahmen gegen die Handlungsfreiheit (Auslieferung, Reisebeschränkungen) und das Vermögen dieser Personen.299 Ob sich solche auf Einzelpersonen durchgreifende Anordnungen auf die allgemeine Ermächtigung des Art. 41 UN-Charta stützen lassen, ist, fraglich. Es ist allerdings konsequent, wenn man mit dem Sicherheitsrat den globalen Terrorismus als Bedrohung des Weltfriedens i. S. d. Art. 39 UN-Charta begreift. Für die Befugnis zur Anordnung individueller Sanktionen spricht überdies, daß der Wortlaut des Art. 41 dem nicht entgegensteht, weil er nicht explizit nur Maßnahmen gegenüber den Mitgliedstaaten erlaubt. 6. Bewertung des staatlichen/republikanischen Charakters der Vereinten Nationen Wie schon die bisherigen Erörterungen ergeben haben, sind die Vereinten Nationen kein Weltstaat.300 Fraglich bleibt aber, inwieweit die Vereinten Nationen den Kern eines institutionellen Weltstaates in sich tragen.301 Nach Konstantin Baltz kann die UNO nicht mit staatlichen Strukturen verglichen werden.302 Letztlich hängt die Beantwortung dieser Frage vom zugrunde gelegten Staatsbegriff ab (vgl. 1. Teil S. 51 ff.). Hermann Mosler sieht die Vereinten Nationen noch nicht einmal als ersten Schritt auf dem Weg zu einem Weltstaat.303 Eine bürgerlich verfaßte Weltrepublik ist die UNO sicher nicht. Jürgen Habermas kommt zu dem Ergebnis: „Die UNO ist eine lockere Gemeinschaft von Staaten. Ihr fehlt die Qualität einer Gemeinschaft von Weltbürgern, die politische Entscheidungen mit empfindlichen Konsequenzen auf der Grundlage einer demokratischen Meinungs- und Willensbildung legitimieren und damit zumutbar machen können. Schon die Wünschbarkeit eines solchen Weltstaates ist fragwürdig. Die Spekulationen über eine Weltfriedensordnung, die die Philosophie seit dem berühmten Vorschlag des Abbé Saint-Pierre 299 Siehe S/Res/1267(1999) v. 15.10.1999, mit der auch ein für die Aktualisierung der „Listen“ zuständiger „Ausschuß“, der aus allen Mitglieder des Sicherheitsrates besteht, gegründet wurde. Erweitert wurden diese Maßnahmen mit den Resolutionen S/ Res/337(2000) v. 14.2.2000, 1333 (2000) v. 19.12.2000 sowie S/Res/1390 (2002) v. 16.1.2002; dazu Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 392; M. Wagner, Die wirtschaftlichen Maßnahmen des Sicherheitsrates nach dem 11. September, ZaöRV 63 (2003), S. 879 (899 ff.); G. Biehler, Individuelle Sanktionen der Vereinten Nationen und Grundrechte, AVR 41 (2003), S. 169 ff. 300 Siehe auch A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 79, § 100; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), S. 413, Rn. 16. 301 Vgl. S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 208 (209). 302 K. Baltz, Eine Welt, 1998, S. 60 f. 303 H. Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 13; A. Verdross/ B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 78, § 99; ähnlich auch K. Baltz, Eine Welt, S. 58 ff.

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(1729) bis auf unsere Tage beschäftigen, führen regelmäßig zur Warnung vor einer despotischen Weltherrschaft.“304

Eine faktisch-funktionelle Weltstaatlichkeit der Vereinten Nationen aufgrund der Gewaltbefugnisse des Sicherheitsrates kann nicht schon deshalb verneint werden, weil sie keine unmittelbare Gewalt über die Angehörigen der Mitgliedstaaten ausüben können.305 Für einen Völkerstaat wäre dies ohnehin nicht Voraussetzung. Im übrigen erläßt der Sicherheitsrat inzwischen Entscheidungen mit durchgreifender Wirkung für Einzelne, welche die Staaten ohne Ermessen vollziehen müssen. Ernst Friedrich Sauer hält für die Vereinten Nationen die Merkmale einer „Weltregierung“, die er als Minus zum Weltstaat (als Territorialstaat) versteht, erfüllt.306 Für die Regierungsqualitäten des UN-Systems spricht abgesehen von den Befugnissen des Sicherheitsrates, daß es (transitorische) Verwaltungsregime errichten307 und sogar nach Art. 81 UN-Charta im Rahmen des internationalen Treuhandsystems (vgl. Art. 75 ff. UN-Charta) die unmittelbare Regierung eines Gebietes eines Nichtmitglieds übernehmen kann.308 Nach Ansicht Otfried Höffes hat sich die Staatengemeinschaft der Vereinten Nationen auf den Weg zu einer „föderalen Weltrepublik“ begeben. Mit der Anerkennung der Menschenrechte und dem Gewaltverbot in der UN-Charta hätten die Staaten auf einen Teil ihrer inneren und äußeren Souveränität verzichtet.309 Höffe meint, daß die Vereinten Nationen zwischen einer Weltrepublik mit minimalem Aufgabenbereich und einem Staaten- oder Völkerbund einzuordnen seien.310 Während die Generalversammlung und der Internationale Gerichtshof wegen mangelnder Durchsetzungsrechte eher Kants Idee eines Völkerbundes entsprächen, enthalte die Konzeption des Sicherheitsrates Möglichkeiten, die deutlich über Kants „negatives Surrogat“ hinauswachsen würden (insofern ex304 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, in: ders., Die postnationale Konstellation, 1998, S. 91(159); Überblick über Weltstaatsmodelle: D. Archibugi, Models of international organization in perpetual peace Projects, Review of International Studies, 18 (1992), S. 295 ff. 305 So auch IGH, Case Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, ICJ Rep. 1949, 179. 306 E. F. Sauer, Staatsphilosophie, S. 325 ff., 327 f. 307 D. Thürer, Der „zerfallene Staat“ und das Völkerrecht, Die Friedenswarte 74 (1999) 3, S. 298 f.; B. Boutros-Ghali, Ergänzung zur „Agenda für den Frieden“ 1995, S. 11. 308 Vgl. den Vorschlag einer Wiederbelebung des Treuhandsystems für notleidende („zerfallene“) Staaten und einer entsprechenden Änderung der UN-Charta D. Thürer, Der „zerfallene Staat“ und das Völkerrecht, Die Friedenswarte 74 (1999) 3, S. 301 ff. 309 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 326. 310 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 328; O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 251; vgl. kritisch H. Steiger, Frieden durch Institution, S. 157 ff.

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trem minimaler Weltstaat).311 Bezogen auf die Staaten als Subjekte eines Völkerstaates (nicht auf die Menschheit), sind nach Ansicht von Höffe ebenfalls die (äußeren) Merkmale einer Weltrepublik312 weitgehend erfüllt313: Er vergleicht die Organe der Vereinten Nationen mit denen eines Staates und will in ihren verschiedenen Funktionen ansatzweise das Prinzip der Gewaltenteilung erkennen314: Die Generalversammlung solle in etwa der Legislative gleichkommen. Dem wäre nur zuzustimmen, wenn sie neben dem Haushaltsrecht (Art. 17 UN-Charta) auch bindende Entscheidungen treffen könnte, was nicht der Fall ist (vgl. Art. 11 ff. UN-Charta). Der Generalsekretär habe geringere, der Sicherheitsrat, der zudem über öffentliche Gewalt verfüge, größere exekutive Befugnisse.315 Stellungnahme Als Weltstaat im Sinne einer Zwangsordnung (1. Teil, A, S. 52) bleibt die UNO unvollständig; denn sie verfügt über keine unabhängige Kontrollinstanz.316 Der Sicherheitsrat kann im Falle einer Bedrohung des Weltfriedens zwar das Gewaltverbot durchsetzen (Art. 39, 42 UN-Charta). Damit ist jedoch keine regelmäßige und zuverlässige Friedenssicherung verbunden und den Staaten verbleibt das Recht auf Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta). Die Voraussetzungen einer Weltrepublik der Völker (5. Teil, S. 577 ff.) erfüllt die UNO ebenfalls nicht. Höffes analoge Übersetzung der Menschenrechte in die aus der Souveränität fließenden Staatenrechte, der Gleichheit vor dem Gesetz in die formale Gleichheit der Staaten, des Allgemeinwillens in die Freiwilligkeit des Beitritts sowie die Reduzierung des Demokratieprinzips auf die formelle Existenz von Konsensus- und Mehrheitsverfahren317 vermag nicht vollständig zu überzeugen. Das gilt zunächst einmal in sachlicher Hinsicht; denn die Gleichheit der Staaten ist aufgrund der Hegemonie der ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat (Art. 23, 27 Abs. 3 UN-Charta) durchbrochen. Zum anderen ist grundsätzlicher festzustellen, daß die Analogie zwischen Mensch und Staat nur als Begründung für die Notwendigkeit eines rechtlichen Zustandes zwischen den Staaten dient, nicht aber dazu, schematisch Rechte der Men-

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O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 251. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 204 (BA 20, 21, 22); ders., Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 431 (A 165/B 195) ff. 313 O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 252. 314 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 327, einschränkend aber S. 328; ders., Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 251. 315 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 327. 316 K. Baltz, Eine Welt, S. 80. 317 O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 252. 312

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schen in Rechte der Staaten umzudeuten und somit die Staaten von der Rechtssubjektivität des Menschen zu lösen.318 7. Zum rechtsstaatlichen Defizit fehlenden Rechtsschutzes im UN-System a) Fehlende Kontrolle gegenüber UN-Organen Den funktional weltstaatlichen Befugnissen der UNO im Friedenssicherungsregime stehen keine republikanischen Eigenschaften im Sinne von rechtsstaatlichen Sicherungen gegenüber. Die Organe der Vereinten Nationen unterliegen nämlich keiner rechtlichen Kontrolle. Selbst wenn man die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einer Staatenkammer vergleicht, den Internationalen Gerichtshof in Den Haag als Judikative und den Sicherheitsrat als exekutive Gewalt einordnet319, entsprechen die umfangreichen Befugnisse des Sicherheitsrates und der ihm zugebilligte (zu) weite Entscheidungsspielraum nicht dem für jede Republik elementaren Prinzip der Gewaltenteilung320. Unter diesem Aspekt ist auch zu kritisieren, daß die Generalversammlung keine effektive Möglichkeit hat, den Sicherheitsrat zu kontrollieren (vgl. Art. 24 Abs. 3 UNCharta). Insbesondere fehlt eine Jurisdiktionsgewalt mit verfassungsgerichtlicher Kontrollfunktion. Bisher verfügt der Internationale Gerichtshof nicht über die Zuständigkeiten, um die Rolle einer verfassungsgerichtlichen Kontroll- und Rechtsschutzinstanz innerhalb der Organisation der Vereinten Nationen zu spielen. Dem Internationalen Gerichtshof ermangelt die Befugnis, Anklage zu erheben oder über rechtswidrige Akte der Organe verbindlich zu entscheiden. Nach Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut entscheidet der Gerichtshof verbindlich nur Streitigkeiten zwischen Staaten, nicht zwischen Staaten und Internationalen Organisationen und deren Organen. Entscheidungen des Sicherheitsrates können deshalb von den Staaten nach Ansicht vieler nicht gerichtlich angefochten werden.321 So hat der Internationale Gerichtshof im Namibia-Gutachten die juristische Überprüfbarkeit von Sicherheitsratsentscheiden verweigert.322 Andererseits geht

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Vgl. kritisch zur Analogie auch schon 2. Teil, A, S. 98 ff.; 3. Teil, B, S. 229 ff. O. Höffe, Für und Wider eine Weltrepublik, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 204 (220). 320 Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 327. 321 Dazu etwa G. Watson, Constitutionalism, Judicial Review, and the World Court, Harv.ILJ 34 (1993), 1 ff.; M. Bedjaoui, The New World Order and the Security Council, 1994; M. Fraas, Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und internationaler Gerichtshof, 1998; J. Herbst, Rechtskontrolle des UN-Sicherheitsrartes, 1999; M. Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates. Aufgeklärter Absolutismus im Völkerrecht, 1998. 319

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der Internationale Gerichtshof dennoch davon aus, daß die Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats „verfassungsrechtlichen“ Vorbehalten unterlägen und von der Internationalen Gerichtsbarkeit, insbesondere vom Internationalen Gerichtshof, überprüft werden können.323 Aber nur über den Umweg, daß der von einer Entscheidung belastete Staat eine Rechtsverletzung gegen einen anderen Staat geltend macht, der sein Verhalten auf die Sicherheitsratsentscheidung gestützt hat, kann eine Nachprüfung durch den Internationalen Gerichtshof erfolgen.324 Außerdem können die Generalversammlung und der Sicherheitsrat selbst den Internationalen Gerichtshof um ein (nicht rechtsverbindliches) Gutachten über eine Streitfrage ersuchen (Art. 96 UN-Charta, Art. 65 IGH-Statut), was nicht zu erwarten ist, wenn sie selbst von der Rechtmäßigkeit der Entscheidung überzeugt sind.325 Die Auslegung des befugnisbestimmenden Begriffs der Friedensbedrohung obliegt allein dem Sicherheitsrat und nicht der Jurisdiktion des Internationalen Gerichtshofs. Diese Praxis ist nicht im Sinne der rule of law; denn der Internationale Gerichtshof hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die UNCharta auszulegen.326 Bisher hat er noch keine Maßnahme des Sicherheitsrats einer Rechtsprüfung unterzogen, aber eine solche nicht mehr ausdrücklich ausgeschlossen.327 Als erste internationale Gerichtsinstanz hat die Berufungskam322 IGH, Legal consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), ICJ Rep. 1971, 45; vgl. auch zurückhaltend im „Certain Expenses“-Gutachten, ICJ Rep. 1962, 168. 323 IGH, „Namibia“-Gutachten, ICJ Rep. 1971, 16; Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom, ICJ Rep. 1992, 3; Libyan Arab Jamahiriya v. U.S., Case Concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention Arising From the Aerial Incident at Lockerbie (Libya/Great Britain), ICJ Rep. 1992, 114; Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia (Serbia and Montenegro), ICJ Rep. 1993, 3; International Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in the Territory of Former Yugoslavia since 1991; ICTY Appeals Chamber, Case No. IT-94-1-AR72, 2.10.1995, The Prosecuter vs. Tadic, II. C. 324 E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 340, Rn. 152; vgl. auch IGH, Case Lockerbie (Libya/Great Britain), ICJ Rep. 1992, 3, 126 ff. In dem Fall ging es um das Verhältnis des Montrealer Übereinkommens zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt (23.9.1971) und der Sicherheitsresolutionen 748 (1992) and 883 (1993), mit denen der Sicherheitsrat die Auslieferung der Terroristen im Lockerbie-Fall nach Schottland und die USA angeordnet hat. Die Mehrheit der Richter sah sich befugt, nicht nur die Rechte aus dem Montrealabkommen zu prüfen, sondern auch das Verhältnis dieses Vertrages zu den Sicherheitsresolutionen, zu klären. 325 E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 352, Rn. 179; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 430. 326 M. Mosler, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 92, Rn. 30 ff. 327 IGH, Nicaragua vs. USA, Jurisdiction and Admissibility, ICJ Rep. 1984, 392; USA vs. Iran (Theraner Geisel-Fall), ICJ Rep. 1980, 3; vgl. dazu auch P. Arnold, Der

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mer des Jugoslawientribunals im Fall Tadic die Rechtmäßigkeit der Sicherheitsratsresolution, mit der das Ad-hoc-Tribunal errichtet worden ist und damit seine eigene Zuständigkeit überprüft und für rechtmäßig erklärt.328 Ergebnis Die Staaten haben somit keine gesicherte Möglichkeit, gegenüber rechtwidrigen Beschlüssen der Organe der Vereinten Nationen Rechtsschutz zu erlangen. Dies ist ein wesentlicher verfassungsrechtlicher Mangel.329 b) Fehlender individueller Rechtsschutz Individualwirksame Maßnahmen und Sanktionen des Sicherheitsrates greifen gegebenenfalls in Menschenrechte ein, die im Falle der Ausübung von Hoheitsgewalt auch exterritorial gelten (z. B. Art. 2 Abs. 2, 13, 14, 2 Abs. 1, 103 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG; Art. 2, 3, 6, 7, 8, 13 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 7, 9, 10, 12, 13, 15, 17 IPbpR). Trotz des aus den Menschen- und Grundrechten folgenden Rechts auf eine gesetzliche Eingriffsermächtigung ist nicht sichergestellt, daß diese Beschränkungen durch ein Gesetz und ein entsprechendes Verfahren hinreichend bestimmt330 geregelt sind.331 Die Staaten können sich jedenfalls nicht unter Berufung auf Art. 103 UN-Charta ihrer rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Verantwortung entziehen.332 Auch der Sicherheitsrat muß in seinen Entscheidungen die Menschenrechte achten (vgl. Art. 1 Abs. 3 UN-Charta).333 Problematisch ist vor allem, daß die betroffenen Personen gegen die vom Sicherheitsrat veranlaßten, rechtswidrigen Maßnahmen keinen Rechtsschutz erlangen.334 Vor dem Internationalen Gerichtshof ist ein Einzelner nicht klagebefugt. UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 207 ff.; grundlegend B. Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Weltsicherheitsrates, 1996. 328 Case No. IT-94-1-AR72, Prosecutor vs. Tadic, Appeal on Jurisdiction, 2.10.1995, Para. 10 ff., Para. 14 ff.; dem folgend das Ruanda-Tribunal Prosecutor vs. Kanyabashi, 18.6.1997, Case No. ICTR-96-15-T (Trial Chamber, Decision on the Defence Motion on Jurisdiction). 329 E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 352, Rn. 179. 330 Vgl. zu den Anforderungen an die „Qualität eines Gesetzes“ EGMR, Urt. v. 25.6.1996, Amuur/Frankreich, No. 19776/92, Rep. 1966-III, para. 50. 331 Dazu Th. Schilling, Der Schutz der Menschenrechte gegen Beschlüsse des Sicherheitsrats, ZaöRV 64 (2004), S. 343 (344, 349 ff.). 332 Dazu Th. Schilling, Der Schutz der Menschenrechte gegen Beschlüsse des Sicherheitsrats, ZaöRV 64 (2004), S. 345 ff. 333 Th. Schilling, Der Schutz der Menschenrechte gegen Beschlüsse des Sicherheitsrats, ZaöRV 64 (2004), S. 347. 334 Dazu S. Albin, Rechtsschutzlücken bei der Terrorbekämpfung im Völkerrecht, ZRP, 71 ff.; Th. Schilling, Der Schutz der Menschenrechte gegen Beschlüsse des Si-

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Der Staat, der den Sicherheitsratsbeschluß zu vollziehen hat, kann nicht erfolgreich klagen, weil der Internationale Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Akte des Sicherheitsrates nicht unmittelbar überprüft. Akte des Sicherheitsrates könnten als Akte öffentlicher Gewalt in den Staaten angesehen werden, so daß die nationalen Gerichte angerufen werden könnten335 (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG). Es wird allerdings vertreten, die staatlichen Gerichte seien wegen Art. 103 UNCharta an die Entscheidung des Sicherheitsrates gebunden und dürften deren formelle und materielle Rechtmäßigkeit nicht in Frage stellen.336 Damit wären die Maßnahmen des Sicherheitsrates für den nationalen Rechtsschutz gesperrt.337 In Ermangelung entsprechender (verfassungsrechtlicher) internationaler Grundrechtssicherung findet ein solcher Akt jedoch seine Grenzen in den rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Verfassungsgrundsätzen, was in Deutschland vom Bundesverfassungsgericht festgestellt werden könnte.338 Vor den Grund- und Menschenrechten dürfen die Akte des Sicherheitsrates keinen Vorrang beanspruchen (vgl. Art. 1 Abs. 3 UN-Charta).339 In diesem Fall könnten die angerufenen nationalen Gerichte die Unverbindlichkeit des Sicherheitsratsbeschlusses für den betreffenden Mitgliedstaat340 oder die Rechtswidrigkeit bestimmter Maßnahmen feststellen. In keinem Fall haben sie die Möglichkeit, den Sicherheitsrat zu verpflichten, den jeweiligen Rechtsakt zurückzunehmen oder zu ändern. Der Europäische Gerichtshof hat allerdings 1996 entschieden, daß die volle Wirksamkeit von UN-Sanktionen etwaigen Einschränkungen von Grundrechten vorgehe.341 Das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften hat sich zwar 2005 eine inzidente Prüfung von Sicherheitsratsresolutionen, die Gemeinschaftsrechtsakten zugrunde liegen, im Falle der Verletzung von ius cogens vorbehalten, sieht aber jedenfalls die Versagung von Eigentumsrechten und von Rechtsschutz aus Gründen der Effizienzsicherung von Weltfriedensmaßnahmen des Sicherheitsrates nicht als Verletzung von ius cogens an.342 cherheitsrats, ZaöRV 64 (2004), S. 344; Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 53, 2004, Rn. 152; M. Payandeh, Rechtskontrolle des UN-Sicherheitsrates durch staatliche und überstaatliche Gerichte, ZaöRV 66 (2006), S. 41 ff. 335 Vgl. Leitsatz 7 und B 2 b, BVerfGE 89, 155 (175), in expliziter Abweichung von BVerfGE 58, 1 (27). 336 S. Albin, Rechtsschutzlücken bei der Terrorbekämpfung im Völkerrecht, ZRP 2004, 72. 337 S. Albin, Rechtsschutzlücken bei der Terrorbekämpfung im Völkerrecht, ZRP 2004, 73. 338 Vgl. BVerfGE 37, 271 (280, 285). 339 Dazu Th. Schilling, Der Schutz der Menschenrechte gegen Beschlüsse des Sicherheitsrats, ZaöRV 64 (2004), S. 346 ff. 340 Vgl. BVerfGE 37, 271 (284); 89, 155 (187 f., 188 ff., 191 ff.). 341 EuGH, Rs C-84/95 Bosphorus, Slg. 1996 I, 3953, Rn. 22 ff. 342 EuG v. 21.9.2005 Rs T-306/01 Yusuf/Al Barakaat International Foundation, Rn. 189 ff.; EuG v. 21.2005 Rs T-315/01 Kadi/Rat u. Kommission, Rn. 176 ff.; dazu kritisch K. Schmalenbach, Normentheorie vs. Terrorismus, JZ 2006, 349 ff.

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Ebenfalls 2005 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Sache Bosphorus entschieden, daß die Rechtsschutzmechanismen der EMRK gegenüber Verpflichtungen von Internationalen/Supranationalen Organisationen nicht greifen, solange die vollziehende Organisation einen adäquaten/vergleichbaren Grundrechtsschutz bietet und sich nicht aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, daß der Schutz der EMRK-Rechte „offensichtlich unzureichend“ ist. In Bezug auf den gemeinschaftlichen Rechtsschutz, der durch den nationalen gestärkt werde, bejahte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die grundsätzliche Vergleichbarkeit mit dem der EMRK, obwohl individueller Rechtsschutz gegen UN-Sanktionen vor dem EuGH praktisch ausgeschlossen ist und verneinte ein offensichtliches Grundrechtsschutzdefizit im konkreten Fall.343 Auch ein anderer prozeduraler Rechtsschutz gegen Akte des Sicherheitsrates steht nicht zur Verfügung.344 Hier klafft eine menschenrechtswidrige Rechtsschutzlücke, die entweder durch die Gerichte der Mitgliedstaaten oder durch individuelle Rechtsschutzverfahren auf Weltebene gefüllt werden muß, um weltdespotische Entwicklungen zu verhindern.345 c) Abschließende Stellungnahme Die Qualifizierung der UN-Charta als völkerrechtlicher Vertrag steht der Annahme einer Verfassung zwischen Staaten grundsätzlich nicht entgegen. Immerhin entspringt der Verfassungsgedanke aus dem kontraktualistischen Denken.346 Allerdings zielt der Gesellschaftsvertrag auf eine bürgerliche Verfassung. Die Organe der Vereinten Nationen sind in keiner Weise weltbürgerschaftlich, weil sie nicht die Bürger, sondern Völker/Staaten vertreten. Die Voraussetzungen einer demokratischen Weltrepublik sind in der UNO nicht ansatzweise verwirklicht.347 Ihre Handlungen sind auch nicht im Sinne einer Völkercivitas hinreichend dadurch legitimiert, daß die jeweiligen Völker ihnen zugestimmt hätten, weil das Organ, welches rechtsverbindliche Entscheidungen zu treffen vermag (Sicherheitsrat), institutionell und funktional den Führungsanspruch der mäch343 EGMR v. 30.6.2005, Rs 45036/98 Bosphorus, unter: http://cmiskp.echr.coe int; kritisch dazu N. Lavranos, Das So-Lange-Prinzip im Verhältnis von EGMR und EuGH, EuR 2006, 79 ff. 344 Th. Schilling, Der Schutz der Menschenrechte gegen Beschlüsse des Sicherheitsrats, ZaöRV 64 (2004), S. 344. 345 Im Ergebnis auch S. Albin, Rechtsschutzlücken bei der Terrorbekämpfung im Völkerrecht, ZRP 2004, 73; Hochrangige Gruppe, Bericht, Eine sicherere Welt, S. 53, Rn. 152; K. Schmalenbach, Normentheorie vs. Terrorismus, JZ 2006, 353. 346 Vgl. Hobbes, Leviathan, Kapitel 16, 17 f.; Locke, Über die Regierung (The second Treatise of Government), Kapitel VIII, Die Entstehung politischer Gesellschaften, § 95; Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, 5.–7. Kap. 347 Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 328 f.; G. T. Martin, A Planetary Paradigm for Global Government, in: E. E. Harris/J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 1 (7).

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tigsten Staaten widerspiegelt und zementiert. Außerdem widerspricht diese Machtkonzentration dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung. Als Weltverfassung im weltbürgerlichen Sinn oder als Weltrepublik kann die UN-Charta deshalb nicht bezeichnet werden.348 Auf der Grundlage eines weiteren Verfassungsbegriffs läßt sich für die Vereinten Nationen eine normative Teilverfassung als Prinzipienverfassung, der allerdings eine institutionalisierte verfassungsgerichtliche Kontrolle fehlt, ausmachen. Funktionell zeigt sich die UN-Charta mit ihren Regelungen, welche die staatlichen Souveränitätsansprüche zugleich einschränken und sichern, als Übergangsordnung vom Völkerrecht zum Weltrecht.349 Es hängt auch von der Auslegung und Nutzung der Befugnisse der Charta ab, welche Eigenart überwiegt. Weltrechtlich ist der universalistische Geltungsanspruch der Friedenspflicht, insbesondere des Gewaltverbots und der Menschenrechte sowie deren weltpolizeiliche Durchsetzbarkeit durch den Sicherheitsrat. Damit die Staaten auf zwischenstaatliche Gewalt verzichten, ist es unabdingbar, daß die Vereinten Nationen den Weltfrieden effektiv sichern. Unter der gegenwärtigen Struktur des Sicherheitsrates, die mehr den tatsächlichen hegemonialen Verhältnissen als der rule of law Rechnung trägt, sowie aufgrund seiner, von den Mitgliedstaaten abhängigen, militärischen Ausstattung ist dies nur unzureichend möglich. Außerdem fehlt ein obligatorisches Streitschlichtungs- und Gerichtsverfahren. Die Vereinten Nationen sind keine Weltrepublik, sondern ein Staatenbund mit Elementen eines Welthegemonialstaats. Eine Republik der Republiken mit gestufter Gewalt setzt zwar kein „Gewaltmonopol“ einer Zentralgewalt voraus350, aber wohl ein System mit dezentraler Zwangsgewalt und zentraler „Überdachung“.351 Insgesamt sind die Vorschriften der UN-Charta, was die Durchsetzung des Weltfriedens angeht, eine lex imperfecta.352 Obwohl die Charta durchaus eine stärkere Stellung des Sicherheitsrates ermöglicht, existiert faktisch eine effektive Exekutivgewalt zur Sicherung des Weltfriedens in der UNO bisher nicht.353 In der Praxis haben die ebenfalls in der Charta berücksichtigten dezentralen Möglichkeiten die Oberhand über einer zentralen UN-Zwangsgewalt behalten.354 Das gegenwärtige System der kollektiven Sicherheit ist geeignet, 348

Vgl. G. T. Martin, A Planetary Paradigm for Global Government, S. 7. Vgl. auch J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 7 (19). 350 Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 303 ff., 327. 351 R. Uerpmann, Grenzen zentraler Rechtsdurchsetzung im Rahmen der Vereinten Nationen, AVR 33 (1995), S. 130. 352 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 47; 78 § 100; V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, 2000, S. 201 f. 353 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 78, § 100. 354 Dazu R. Uerpmann, Grenzen zentraler Rechtsdurchsetzung im Rahmen der Vereinten Nationen, AVR 33 (1995), S. 109 ff., 128 ff. 349

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Rechtsdurchsetzung zu Zwecken der Friedenswahrung zu ermöglichen355 und bewirkt dies auch partiell, aber sichert Recht und Frieden nicht gleichheitlich im Sinne einer Weltrepublik.356 Das Sicherheitssystem hat es bisher nicht geleistet, Kriege generell zu vermeiden oder wirkungsvoll zu beenden oder gar dem Rechtsgedanken weltweit zu mehr Achtung zu verhelfen. Hierfür sind mehrere Gründe verantwortlich, die teilweise in den schon von Kant aufgestellten Voraussetzungen der Friedenssicherung liegen: (1) Die innerstaatliche Republikanität gilt in den Vereinten Nationen nicht als verbindlicher Maßstab, nicht einmal unter den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates.357 (2) Das Hoch- und Wettrüsten, zumal durch Staatsschulden finanziert, wird nicht effektiv bekämpft.358 (3) Das Verbot der gewaltsamen Einmischung ist zwar ein Prinzip der UNCharta, wird aber von den Staaten oft nicht befolgt und von der UNO nicht durchgesetzt.359 Von vornherein ist dies schon wegen des Vetorechts der ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat oft nicht möglich.360 (4) Die Struktur der Vereinten Nationen ist in erster Linie an den Interessen der Großmächte orientiert361, achtet also nicht hinreichend die rechtliche Gleichheit der Staaten362 und begünstigt nicht die rule of law. Sie erfüllt nicht die Voraussetzungen einer Republik der Republiken. Überprüfungsgipfel sollten dazu genutzt werden, eine am Legalitätsprinzip orientierte, wirksamere kollektive Sicherheit herbeizuführen.363 Die vom Sicherheitsrat in jüngster Zeit in Anspruch genommene individuelle Sanktionsgewalt hat weltpolizeiliche Züge. Wenn die Entwicklung von Weltpolizeistaatlichkeit nicht mit der Rechtsstaatlichkeit Schritt hält, entsteht eine Weltdespotie.

355 Dazu M. Bothe, Militärische Gewalt als Instrument von Konfliktregelung, S. 17 ff. 356 Vgl. auch M. Brauer, Weltföderation, 1995, S. 192 ff. 357 Dazu O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 254 ff. 358 O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 256. 359 Vgl. O. Höffe, Die Vereinten Nationen im Lichte Kants, S. 256. 360 Dazu kritisch U. Draetta, The Crises of the United Nations, The Federalist, 2005, 86 ff. 361 K. Baltz, Eine Welt, S. 57 ff.; vgl. auch E. E. Harris, Global Governance or World Government?, in: ders./James A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 69 (87). 362 Vgl. A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HStR, Bd. II, 2004, § 17, S. 143, Rn. 31 ff. 363 Vgl. Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 74, Rn. 240.

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III. Konstitutionelle Entwicklungen in der Weltwirtschaftsordnung Besonders weitgehende, aber weltrechtlich noch unausgewogene Institutionalisierungs- und Konstitutionalisierungsprozesse haben im Bereich der Weltwirtschaftsordnung stattgefunden. Sie werden im folgenden nach Maßgabe der Merkmale des Weltrechts analysiert, ausgewertet und durch Vorschläge zur Schaffung einer Weltwirtschaftsverfassung ergänzt. 1. Welthandelsrecht zwischen Völkerrecht und Weltrecht a) Klassisch-völkerrechtliche Elemente Das GATT 1947 war typisches Völkerrecht der Koordination, eine „horizontale Rechtsordnung“, dadurch gekennzeichnet, daß supranationale Elemente fehlten.364 Privatistische, vertragsrechtliche Aspekte und dispositive Rechtselemente herrschten vor.365 „Schuldrechtlichen“, bilateralen Verhältnissen kam eine grundlegende Bedeutung als Baustein des Multilateralismus zu.366 Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte prägte sich im GATT 1947 das Prinzip der Freiwilligkeit und der Souveränität der Staaten besonders aus.367 Dem entsprach der „genossenschaftliche Charakter“ des GATT 1947, das keine Organe institutionalisiert hatte. Entscheidungen wurden in der Regel im Namen der Vertragsparteien im Konsens getroffen. Völkerrechtstypisch ist das Prinzip der Reziprozität (Gegenseitigkeit)368, das im GATT 1947 zur Austarierung von Machtverhältnissen und nationalen Interessen besonders stark ausgeprägt war.369 In diesem Sinn bewirkten auch die vielen Ausnahmen von den GATT-Prinzipien eine differenzierende oder materielle Gegenseitigkeit, aber auch eine „Eskalation negativer Gegenseitigkeit“, vor allem im Bereich der Schutzmaßnahmen.370 Die rule of law371 war durch das Gegenseitigkeitsprinzip und den Vorrang der nationalen Interessenwahrung stark zurückgedrängt. Ein wesentliches völker364 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, 1990, S. 377; vgl. auch M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Wirtschaftsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 19 (2000), 48 ff. 365 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 376. 366 Dazu W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 379. 367 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 376; siehe auch A. Verdross, Völkerrecht, 1964, S. 122. 368 Dazu 2. Teil, C, S. 164 ff. 369 Dazu W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 379. 370 Dazu W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 379.

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rechtliches Charakteristikum des GATT 1947 war seine relative Sanktionslosigkeit.372 Dem entsprach die besondere Bedeutung der Selbsthilfe (vgl. z. B. Art. XIX, XXVIII). Als Ergebnis der Uruguayrunde ist die Welthandelsorganisation (WTO) mit eigenen Organen 1994 institutionalisiert worden.373 Aber ihre Organe besitzen keine für Supranationale Organisationen typische Legislativfunktion.374 Nach Art. IX Abs. 2 WTO-Übereinkommen (WTOÜ) sind die Ministerkonferenz und der Allgemeine Rat, die sich jeweils aus Vertretern sämtlicher Mitgliedstaaten zusammensetzen (Art. IV Abs. 1, 2 WTOÜ), zwar dazu berufen, das Übereinkommen selbst und die Multilateralen Handelsabkommen auszulegen. Diese Auslegungsbeschlüsse dürfen aber nicht zu Vertragsänderungen führen. Das WTO-Recht kann ausschließlich durch multilateralen Vertragsschluß fortentwikkelt werden.375 Vertragsänderungen werden nur für die Mitglieder wirksam, die ihnen zugestimmt haben376, jedenfalls wenn sie Änderungen vorsehen, die Rechte und Pflichten der Mitglieder betreffen (Art. X Abs. 3, 4, 5 WTO). Die Welthandelsordnung ist völkerrechtstypisch dezentral organisiert. Wie für das GATT 1947 gilt auch noch für die WTO das Strukturmerkmal der „Ergänzungsbedürftigkeit“377 der internationalen Ordnung durch das nationale Recht. Umgekehrt wird das nationale Recht aber auch durch die GATT-/WTOVorschriften, die als „völkerrechtliche Nebenverfassung“ bezeichnet worden sind378, vervollständigt. Ein weiteres Strukturmerkmal des Völkerrechts, das sich im Welthandelsrecht offenbart, ist die Mediatisierung des Individuums durch den Staat oder seine Regierung. Nach der Praxis hat das einzelne Unternehmen als Hauptakteur in der globalen Wirtschaft, obwohl in der Literatur verschiedentlich gefordert379,

371 Vgl. K. Ipsen/U. Haltern: Rule of Law in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen: Die Welthandelsorganisation, RIW 1994, 717 ff. 372 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 381. 373 WTO-Abkommen vom 15.12.1993, ILM 33 (1994), 15; BGBl. 1994 II, S. 1624; dazu etwa R. Senti, GATT – WTO, 1994; D. I. Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 47 (64 ff.). 374 M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 61. 375 M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 61. 376 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 377. 377 Dazu oben 2. Teil, B, S. 149; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 37 f. 378 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 377. 379 M. Hilf, International Trade Disputes and the Individual, Außenwirtschaft 41 (1986), 441 ff. mit einigen Vorschlägen für unmittelbare Rechte des Einzelnen.

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keinen Anspruch, die Einhaltung von WTO-/GATT-Vorschriften zu verlangen und gerichtlich durchzusetzen und verfügt über keine entsprechende Klageoder Beschwerdebefugnis.380 Im Gegensatz zu anderen Internationalen Organisationen, vor allem solchen im Bereich der Vereinten Nationen, sieht die WTO grundsätzlich auch keine sonstigen Partizipationsformen des Individuums oder privater Verbände vor.381 Nur in einem Ausnahmefall ist bisher der Zugang Einzelner zu den Streitbeilegungsorganen der WTO anerkannt.382 b) Elemente der Kooperation und der Konstitutionalisierung Peter Saladin hat den Begriff des „mundialen“ Rechts im Bereich des Vertragsrechts, des Umweltschutzes und des Welthandelsrechts verwendet.383 Ob das Welthandelsrecht bereits als „Weltrecht“ i. e. S. bezeichnet werden kann, ist angesichts seiner völkerrechtlichen Struktur zweifelhaft. Andererseits konstitutionalisiert es sich zunehmend. Als Völkerrecht der Kooperation384 offenbart es sich in der fortwährend intensivierten und erweiterten Zusammenarbeit. Seit der Uruguay-Runde gründet das Welthandelsrecht nicht mehr auf einzelnen bilateralen Verträgen der Staaten, sondern auf einem globalen Regelungswerk mit einem Rahmenabkommen (WTOÜ), in das sich zahlreiche multilaterale und plurilaterale Abkommen, darunter auch das GATT, das GATS und das TRIPS einfügen.385 Anders als noch das GATT 47, das sich ausdrücklich als Provisorium verstand, ist die WTO eine Internationale Organisation mit Völkerrechtssubjektqualität (Art. I, VIII Abs. 1 WTO). Als Internationale Organisation mit organschaftlicher Struktur386 verfügt sie mit der vertraglichen Einsetzung einer Ministerkonferenz, eines Allgemeinen Rates und eines vom Generaldirektor geleiteten Sekretariats über zentrale Organe und weist einen beachtlichen Grad der Institutionalisierung auf.387 Daher wird die WTO als „Quantensprung auf dem Weg zu einer Welthandelsordnung für das 21. Jahrhundert“ gesehen.388 Was die 380 M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, in: Liber amicorum Th. Oppermann, 2001, S. 381 (397 f.); W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 378. 381 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 378. 382 Vgl. Art. 4 des Übereinkommens über Kontrollen vor dem Versand vom 15.4.1994. 383 P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 30. 384 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 379; Ch. Tietje, The Duty to Cooperate in International Economic Law, in: J. Delbrück (Hrsg.), International Law of Cooperation, 2002, S. 45 ff. 385 Dazu D. I. Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, S. 68 ff. 386 M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Wirtschaftsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 19 (2000), S. 60. 387 Dazu auch D. I. Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, S. 68 ff. 388 H. Hauser/K. U. Schanz, Das neue GATT, 1995, S. 60.

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Anzahl ihrer Mitgliedstaaten angeht389, hat sie nahezu universellen Charakter. Nach Ansicht von Meinhard Hilf entwickeln sich die WTO-Regeln zu einer „regulatorisch geprägten Rechtsordnung“.390 Die Herausbildung einer zunehmend öffentlich-rechtlichen Ordnung391 zeigt sich im Welthandelsrecht an der institutionellen Entwicklung von einem multilateralen Vertragsregime zur Internationalen Organisation mit kollektiver Wahrnehmung von Aufgaben etwa im Bereich der Streitschlichtung und der institutionellen Überwachung nationaler Handelspolitiken, die in gewissem Rahmen ermöglicht, Gemeinschaftsinteressen wahrzunehmen.392 Bilaterale Regelungen inter partes sind über die Einrichtung von Verfahren zu Verpflichtungen erga omnes transformiert worden, was zu einer fortschreitenden Multilateralisierung beiträgt.393 Diese entspricht einer „Entwicklung von machtorientierten zu regelorientierten Formen multilateraler Diplomatie“.394 Der konstitutionelle Charakter des Welthandelsrechts als Teil des Internationalen Öffentlichen Rechts manifestiert sich in erster Linie darin, daß die Welthandelsordnung auf die Durchsetzung des Rechts auch für die Zukunft angelegt ist und nicht lediglich auf die deliktische Liquidation von entstandenen Schäden.395 Die WTO setzt nicht lediglich auf Kosten-Nutzen-Analyse396, die der wirtschaftliche Druck einer Entschädigung allenfalls auslöst, sondern auf die Stärkung des Rechtsprinzips, nämlich das Recht um seiner selbst willen einzuhalten. In dem Maße, in dem dies funktioniert, formt sich im Welthandelsbereich eine Weltrechtsgemeinschaft, die auf einem rein deliktischen System nicht entstehen kann.397

389 Vgl. die Mitgliederliste (Stand 1.1.2002) bei D. I. Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, S. 115 ff. 390 M. Hilf, Formelle und informelle Streitbeilegung, in: Z. Kitagawa (Hrsg.), Das Recht vor der Herausforderung eine neuen Jahrhunderts: Erwartungen in Japan und Deutschland, 1998, S. 327 (332). 391 M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Wirtschaftsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 19 (2000), 48 ff. 392 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 376; P. Fischer, Gestaltwandel im Internationalen Wirtschaftsrecht, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht, 2002, S. 209 (219 ff.). 393 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 379. 394 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 379; M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Wirtschaftsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 19 (2000), 48 ff. 395 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 123 (176 ff., 196, 200). 396 I. d. S. aber H. Hauser/A. Martel, Das WTO-Streitschlichtungsverfahren, AW 1997, 530 ff. 397 A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 200.

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aa) Vorbehaltsverbot Einem Mitgliedstaat ist es nach Art. XVI Abs. 5 untersagt, Vorbehalte zum WTO-Abkommen einzulegen. Die materiellen Verpflichtungen der multi- und plurilateralen Handelsübereinkommen im Rahmen der WTO dürfen nur dann unter Vorbehalt gestellt werden, wenn dies im Abkommen ausdrücklich vorgesehen ist. Damit wird die Vorbehaltsregel des allgemeinen Völkerrechts (vgl. Art. 19 WVK) umgekehrt, wonach Vorbehalte grundsätzlich zulässig sind, wenn sie der Vertrag nicht unmittelbar oder mittelbar ausschließt.398 bb) Modifizierung des Konsensprinzips durch die Mehrheitsregel Das Konsensprinzip ist in der Ordnung der WTO durch die Mehrheitsregel, welche bindende Entscheidungen auch gegen einen Mitgliedstaat ermöglicht, durchbrochen worden. Insoweit ist das kooperationsrechtliche Paradigma überschritten399 und die WTO zeigt sich als Organisation mit supranationalem Anspruch.400 Nach Art. IX Abs. 1 ist noch grundsätzlich auf eine konsensuale Beschlußfassung hinzuwirken. Solange sich die WTO-Organe aus Staatenvertretern zusammensetzen, entspricht dies dem Prinzip der Gleichheit der Staaten (dazu 2. Teil, C, S. 158 ff.). Im Falle der Uneinigkeit ist jedoch die Mehrheitsregel anzuwenden. Auch Interpretationsbeschlüsse nach IX Abs. 2 WTO ergehen mit Mehrheit (Dreiviertelmehrheit der Mitglieder). Art. X differenziert nach der Bedeutung der zu ändernden Vorschrift. In einigen Fällen können Vertragsänderungen gegen die Zustimmung eines Staates mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden und treten in Kraft (vgl. Art. X WTO). Änderungen des WTO-Abkommens oder der Multilateralen Handelsübereinkommen, welche Rechte und Pflichten der Mitglieder ändern würden, werden allerdings nur für diejenigen Mitglieder wirksam, die sie angenommen haben (Art. X Abs. 3 WTO). Damit wird sichergestellt, daß die Mitgliedstaaten ihre existentielle Staatlichkeit nicht verlieren. cc) Obligatorisches, gerichtsförmiges Streitbeilegungsverfahren Während die Einleitung und der Gang eines gewöhnlichen, völkerrechtlichen, schiedsgerichtlichen Verfahrens weitgehend durch die Streitparteien bestimmt werden401, befindet sich das WTO-Streitbeilegungsverfahren, geregelt in der Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten 398 M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, in: Liber amicorum Th. Oppermann, 2001, S. 399. 399 M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Wirtschaftsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 19 (2000), 64. 400 P. Close, The Legacy of Supranationalism, S. 2000, S. 100.

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(DSU = Dispute Settlement)402, im Übergang zwischen einem im Völkerrecht üblichen parteigesteuerten Streitschlichtungsverfahren zu einer Art Offizialverfahren, das einem gerichtlichen, öffentlich-rechtlichen Verfahren nahekommt.403 Es ist das erste, weltweite obligatorische Streit- und Rechtsklärungsverfahren.404 Die internationalen Schiedsverfahren zeichnen sich, wie auch das früher unter dem GATT 47 geltende, „durch Elastizität, Flexibilität, Kooperation und Pragmatismus“ aus.405 Unter dem GATT 1947 gab es wegen des Konsens- und Vetoprinzips kein Recht auf ein Panel.406 Außerdem konnten die Panel-Ergebnisse sowohl dadurch mißachtet werden, daß der Panel-Abschlußbericht nicht angenommen wurde oder dessen Ergebnisse nicht umgesetzt wurden. Demgegenüber ist das WTO-Streitbeilegungsverfahren gerichtsförmiger.407 Für die Streitbeilegung aller GATT-Bereiche ist ausschließlich ein zentraler „Dispute Settlement Body“ (DSB) als Unterorganisation der WTO zuständig. Der DSB (Art. IV Abs. 3 WTO-Abkommen, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 DSU) setzt sich aus Mitgliedern des Allgemeinen Rates zusammen. Wegen die401 Art. 44, 45, 51 ff. I. Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle; H. Mosler, Das Grundgesetz und die internationale Streitschlichtung, HStR, Bd. VII, 1992, § 179, Rn. 9; H.-J. Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation, 1999, S. 104 ff.; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1021, Rn. 20; M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 559 ff. 402 Teil II, Anhang 2 des WTO-Abkommens. 403 N. Lavranos, Rechtswirkung von WTO panel reports, EuR 1999, S. 289 (302) spricht von einem „quasi-gerichtlichen Verfahren“; dazu E.-U. Petersmann, in: ders. (Hrsg.), International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System (1997), 1999, S. 47 (54 ff.); W. Meng, Frage unmittelbarer Anwendung von WTORecht in der EG, in Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 1063 (1084); H.-J. Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der WTO, 1999, S. 343 f.; P. Royla, WTO-Recht – EG-Recht: Kollision, Justiziabilität, Implementation, EuR 2001, 495 (499 f.); A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 185 ff.; M. Hilf, Allgemeine Prinzipien in der welthandelsrechtlichen Streitbeilegung, EuR 2002, 173 (178 f.). 404 M. Hilf, Allgemeine Prinzipien in der welthandelsrechtlichen Streitbeilegung, EuR 2002, 177. 405 J. W. Sittmann, Das Streitbeilegungsverfahren der World Trade Organization (WTO), RIW 1997, 749 (752); J. H. Jackson, Effektivität und Wirksamkeit des Streitbeilegungsverfahrens der WTO, in: B. Zangl/M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 99 ((100 ff.). 406 S. Voigt, Die Welthandelsordnung zwischen Konflikt und Stabilität, 1992, S. 168. 407 Th. Cottier, Durchsetzung der Prinzipien und Beschlüsse der WTO, 1997, S. 121 (123); A. Weber/F. Moos, Rechtswirkungen von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen im Gemeinschaftsrecht, EuZW 1999, 229 (231); E.-U. Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, 1997/1999, S. 54 ff., 59 ff., 64 ff.; M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, in: C. Classen u. a. (Hrsg.), S. 395; M. Hilf, Allgemeine Prinzipien in der welthandelsrechtlichen Streitbeilegung, EuR 2002, 178; J. H. Jackson, Effektivität und Wirksamkeit des Streitbeilegungsverfahrens der WTO, S. 104 ff.; dies zeigt sich auch an der Beweislastregel in Art. 3 Abs. 8 DSU, für die in einem diplomatischen Verfahren kein Platz wäre. Dazu H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 280 ff.; P. Royla, WTO-Recht – EG-Recht, EuR 2001, 499 f.

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ser personellen Identität ist die Welthandelsordnung noch nicht funktionenteilig408 ausgestaltet, auch wenn der DSB gegenüber dem Allgemeinen Rat eine organisatorisch-institutionell eigenständige Funktion hat (vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 DSU). Art. 23 Abs. 2 DSU etabliert die ausschließliche Befugnis des DSB, gegenüber den Mitgliedern Vertragsverletzungen festzustellen sowie entsprechende Entscheidungen zu treffen und Empfehlungen abzugeben. Die WTO-Mitglieder wiederum sind verpflichtet, von dem Streitbeilegungsverfahren Gebrauch zu machen, wenn es anwendbar ist (vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 DSU). Daraus folgt, daß einseitige nationale oder bilaterale Durchsetzungsmaßnahmen (Retorsionen, Repressalien), soweit sie nicht in das Verfahren eingebunden werden können (vgl. Art. 5, 25 DSU), verboten sind.409 Der Antrag auf Einsetzung eines Panels410 kann nur noch durch Einstimmigkeit des Streitbeilegungsgremiums abgelehnt werden (Art. 6 Abs. 1 DSU). Mit der Abkehr vom positiven und der Hinwendung zum negativen Konsensprinzip in der Entscheidungsfindung (vgl. Art. 2 Abs. 4, 16 Abs. 4, 17 Abs. 14 DSU) ist das Streitbeilegungsverfahren ein rechtsverbindliches Verfahren. Der „umgekehrte Konsens“, wonach das Streitbeilegungsgremium die Entscheidungen des Panels und des Berufungsgremiums (Appellate Body) nur einstimmig (einschließlich des Verfahrenssiegers) ablehnen darf, automatisiert die Zustimmung des Streitbeilegungsgremiums zu den Streitentscheidungen (vgl. Art. 16 Abs. 4 DSU). Deren Verbindlichkeit ist damit faktisch hergestellt. Als zusätzliches Argument für die Gerichtsförmigkeit des Streitbeilegungsverfahrens wird angeführt, daß jedenfalls vom DSB angenommene Entscheidungen „praktisch wirkende Präjudizien“, unterhalb der Rechtsbindung auf künftige Entscheidungen schaffe.411 Damit werden die Berichte praktisch zu Urteilen.412 Das Konsultationsverfahren, welches das Panelverfahren entbehrlich macht, wenn sich die Parteien anderweitig einigen, ändert diesen Charakter nicht we408

Zur gewaltenteiligen Funktionenordnung K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 168 ff.; M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, 1987, S. 33 ff. 409 Vgl. H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 226 f.; A. Weber/F. Moos, Rechtswirkungen von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen, EuZW 1999, 231. 410 Ein Panel besteht aus drei Personen, die vom DSB-Sekretariat aus einer von diesem erstellten Liste vorgeschlagen werden (Art. 8 Abs. 4, 5, 6 DSU). Können sich die Streitparteien über die Panel-Zusammensetzung nicht einigen, kann der WTO-Generaldirektor entscheiden (Art. 8 Abs. 7 DSU). Zum geeigneten Personenkreis, der aus 200 Personen besteht, gehören Regierungsbeamte und Privatpersonen, die im Recht des GATT oder des internationalen Handels Erfahrung haben. Eine besondere Qualifizierung, wie etwa zum Richteramt (vgl. anders z. B. Art. 167 EGV) wird nicht gefordert. 411 A. Weber/F. Moos, Rechtswirkungen von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen, EuZW 1999, 232. 412 W. Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus, in: M. Klein/W. Meng/R. Rode (Hrsg.), Die neue Welthandelsordnung der WTO, 1998, S. 19 (62); E.-U. Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement, S. 66.

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sentlich413, weil es in das Streitschlichtungsverfahren eingebunden ist und nur in diesem Rahmen zur Disposition der Parteien steht. Der strenge Zeitplan und das „umgekehrte Konsensprinzip“ erhöhen die Effektivität des Verfahrens.414 Im WTO-Streitbeilegungsverfahren dürfen interessierte dritte Mitglieder teilnehmen (Art. 10 DSU), was in internationalen Schiedsverfahren nicht üblich ist.415 Eine weitere wichtige Unterscheidung zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit liegt darin, daß gegen die Entscheidungen des Streitbeilegungsgremiums ein Rechtsmittel beim Appellate Body eingelegt werden kann.416 Jedenfalls das Berufungsgremium417 erfüllt faktisch die Merkmale eines Internationalen Gerichts.418 Eine der verbindlichen Rechtsklärung und damit auch der Rechtsdurchsetzung gewidmete Revisionsinstanz ist eher typisch für staatliches Recht oder eben Weltrecht als für das Völkerrecht.419 Kaum ein internationales Abkommen sieht ein vergleichbar effektives Streitbeilegungsverfahren wie die WTO vor.420 Die Bestimmungen des DSU gehen weit über das allgemein im Völkerrecht, insbesondere für die Entscheidungen des IGH, vorgesehene421 Überwachungsmaß und Durchsetzungsvermögen hinaus.422 Die Rechtlichkeit der Entscheidungsfindung zeigt sich darin, daß gemäß Art. 11 DSU, eine „objektive Beurteilung“ der Sach- und Rechtslage vorzuneh413 A. A. aber wohl J. Sack, von der Geschlossenheit und den Spannungsfeldern in einer Weltordnung des Rechts, EuZW 1997, 650. 414 J. W. Sittmann, Das Streitbeilegungsverfahren der WTO, RIW 1997, 749 (752); H. Hohmann, Die WTO-Streitbeilegung, EuZW 2000, 421. 415 J. W. Sittmann, Das Streitbeilegungsverfahren der WTO, RIW 1997, 752. 416 J. W. Sittmann, Das Streitbeilegungsverfahren der WTO, RIW 1997, 752. 417 Der Appellate Body besteht aus insgesamt 7 Personen, von denen jeweils drei über einen Fall entscheiden (Art. 17 Abs. 1 DSU). Die Mitglieder werden durch das Streitbeilegungsgremium für 4 Jahre berufen (Art. 17 Abs. 2 DSU). Eine einmalige Wiederernennung ist zulässig. Als Mitglieder kommen angesehene Persönlichkeiten mit Erfahrung im internationalen Recht und Handel sowie im GATT in Frage. Eine Juristenausbildung oder gar die Befähigung zum Richteramt ist nicht erforderlich. Der Appellate Body ist eine ständige Einrichtung. Dazu H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 352 ff. 418 G. Sacerdoti, Appeal and Judicial Review in International Arbitration and Adjudication, in: E.-U. Petersmann (Hrsg.), International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 247 (273); kritisch M. Hilf, The Role of National Courts in International Trade Relations, in: E.-U. Petersmann (Hrsg.), S. 561 (577); dazu auch kritisch H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 346 ff.; dazu auch A. EmmerichFritsche, Recht und Zwang, S. 185 ff. 419 G. Sacerdoti, Appeal and Judicial Review, S. 247 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 179 f. 420 H. Hohmann, Die WTO-Streitbeilegung, EuZW 2000, 421; vgl. auch M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, in: C. Classen u. a. (Hrsg.), S. 996. 421 Dazu M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 570. 422 H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 334.

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men ist. Nach Art. 13 DSU verfügen die Panels über weitreichende Befugnisse zur Aufklärung der Sachverhalte von Amts wegen. Ein besonders wichtiger Schritt zu einer Weltwirtschaftsverfassung wäre die Verpflichtung der Streitbeilegungsorgane im Sinne der rule of law auf das Recht und nicht nur auf das WTO-Recht. Das zu beachtende Recht, das gemäß Art. 3 Abs. 2 DSU im Streitbeilegungsverfahren Berücksichtigung finden muß423, sind neben dem DSU zunächst alle unter die Vereinbarung über das Verfahren zur Streitbeilegung fallenden Übereinkommen (Art. 1 DSU), also WTO-Recht. Nach Art. 3 Abs. 5 DSU müssen alle Verfahrensergebnisse mit „diesen Übereinkommen“ vereinbar sein. Danach sind also anders als Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut dies vorsieht, nicht von vornherein alle Völkerrechtsquellen gleichrangig anwendbar424, sondern zunächst nur WTO-Recht, einschließlich der multilateralen Sonderverträge, die in der Praxis eine gewichtige Rolle spielen, wie das SPS-Übereinkommen.425 Insoweit zeigt sich die Inkohärenz des Völkerrechts auch im WTO-Recht.426 Erst für die Auslegung des WTO-Rechts, also mittelbar, finden gemäß Art. 3 Abs. 2 DSU i.V. m. Art. 31 WVK (insbesondere Abs. 3 lit. c) alle Völkerrechtsquellen Berücksichtigung.427 Daß die Streitentscheidungsinstanzen ihre gerichtliche Funktion annehmen, wird deutlich, weil sie sich auf internationales Recht, wie es etwa in der Wiener Vertragsrechtskonvention geregelt ist, beziehen428 und an Rechtsprinzipien orientieren.429 Vermehrt greifen Panels und Appellate Body auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie auf das Rückwirkungsverbot430 oder den Vertrauensschutz431 sowie auf andere völkerrechtliche Verträge zurück.432 423 Vgl. Panel Report v. 8.11.1996, United States-Restrictions on Imports of Cotton and Man-made Fibre Underwear, WT/DS24/R, Tz. 5.50, 7.16; A. Weber/F. Moos, Rechtswirkungen von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen, EuZW 1999, 232, 234; dazu näher D. Palmeter/P. C. Mavroidis, The WTO Legal System, AJIL 92 (1998), 398 ff.; P. Pescatore, The GATT Dispute Settlement Mechanism, 27 Journal of World Trade (1993), 5 (12); M. Hilf, Allgemeine Prinzipien in der welthandelsrechtlichen Streitbeilegung, EuR 2002, 186. 424 A. A. D. Palmeter/P. C. Mavroidis, The WTO Legal System: Sources of Law, AJIL 92 (1998), 399; P. Pescatore, The GATT Dispute Settlement System, 27 Journal of World Trade 1993, 12. 425 Vgl. Panel Report v. 8.8.1997, EC – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), WT/DS26/R/USA, in dem ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 und Abs. 5 des Abkommens über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen festgestellt worden ist. 426 M. Böckenförde, Zwischen Sein und Wollen – Über den Einfluß umweltvölkerrechtlicher Verträge im Rahmen eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens, ZaöRV 63 (2003), S. 971 (974 ff.). 427 Dazu M. Böckenförde, Zwischen Sein und Wollen, ZaöRV 63 (2003), S. 978 ff. 428 J. H. Jackson, Effektivität und Wirksamkeit des Streitbeilegungsverfahrens der WTO, S. 114. 429 M. Hilf, Allgemeine Prinzipien in der Welthandelsrechtlichen Streitbeilegung, EuR 179, 183 ff. 430 Panel Report v. 17.10.1996, Brazil – Measures Affecting Desiccated Coconut, WT/DS22/R, para. 279.

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dd) Bindungswirkung und Durchsetzung der Entscheidungen Weil der Beklagte nicht mehr wie unter dem GATT 1947 die Annahme einer für ihn ungünstigen Entscheidung blockieren kann, wird die Durchsetzungskraft und Verbindlichkeit des WTO-Rechts gestärkt.433 Entscheidungen des DSB sind in der WTO und für deren Mitglieder rechtsverpflichtend.434 Organhandlungen, die im Rahmen von Gemeinschaftsabkommen erlassen worden sind, gelten als „integrierter Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“435 und nehmen an deren grundsätzlichem Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten436 teil. Die Entscheidungen des Streitbeilegungsgremiums binden die Mitgliedstaaten und die EG somit auch deren Gerichte, insbesondere den Europäischen Gerichtshof.437 Die Europäische Gemeinschaft ist eine Rechtsgemeinschaft.438 Dies verlangt die Durchsetzung des Rechts (vgl. Art. 220 EGV), das in einem umfassendem Sinn439, einschließlich des Völkerrechts, zu verstehen ist.440 Allerdings fehlt bisher eine hinreichende Verknüpfung zwischen dem Streitbeilegungsverfahren und den nationalen und europäischen Rechtsschutzverfahren, etwa in Form eines Vorlageverfahrens, wie es Art. 234 EGV vorsieht.441 431 Panel Report v. 5.9.1997, India – Patent Protection for Pharmaceutical and Agricultural Chemical products, WT/DS50/R, para. 7.22; P. Pescatore, The GATT Dispute Settlement Mechanism, 27 Journal of World Trade (1993),12. 432 Dazu K. Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), 2005, S. 335 ff. 433 K.-P. Leier, Fortentwicklung, EuZW 1999, S. 204 (205). 434 A. Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 243; A. Weber/F. Moos, Rechtswirkungen von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen, EuZW 1999, 234; H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 373 f. begründet dies mit einem Umkehrschluß aus Art. 26 Abs. 1 lit. b DSU, wonach keine Verpflichtung zur Rücknahme einer Maßnahme besteht, wenn die WTO-Vorschriften nicht verletzt werden, sondern nur Vorteile beeinträchtigt worden sind. 435 EuGH, Kupferberg, Slg. 1982, 3461, Rn. 13; EuGH, Slg. 1991 I, 6079 (Rn. 37). 436 Grundlegend EuGH, Rs 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1141 (Rn. 9 ff.); Rs 11/ 70 Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125 (Rn. 3 ff.). 437 Dazu N. Lavranos, Rechtswirkung von WTO panel reports, EuR 1999, S. 289 (291 ff.); im Ergebnis ebenso H. D. Kuschel, Wie geht es weiter mit der Bananenmarktordnung?, EuZW 1996, 645 (648, 650); P. Eeckhout, The Domestic Legal Status of the WTO Agreement, CMLRev. 1997, 11 (52 f.); Th. Cottier, Durchsetzung der Prinzipien und Beschlüsse der WTO, S. 134; A. Weber/F. Moos, Rechtswirkungen von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen, EuZW 1999, 234; gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit und Bindung der Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane: a. A. vgl. A. Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, S. 243; Europäisches Parlament, Entschließung v. 15.12.1994, in: EuZW 1994, 333. 438 Siehe A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 45 ff. 439 A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 47, 116, 195. 440 N. Lavranos, Rechtswirkung von WTO panel reports, EuR 1999, S. 298. 441 M. Hilf, Allgemeine Prinzipien in der welthandelsrechtlichen Streitbeilegung, EuR 2002, 189.

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Die Institutionalisierung von Mitteln, um die Streitschlichtungsentscheidungen durchzusetzen, und der Anspruch auf Streitschlichtung sind ein weltordnungsrechtlicher Ansatz, der zwar an den klassischen völkerrechtlichen Mustern orientiert ist, diese aber immerhin institutionalisiert und in ein prozedurales Rechtssystem einordnet, insofern also verrechtlicht. So obliegt die Durchsetzung ihrer Rechte entsprechend dem völkerrechtlichen Grundsatz der Selbstdurchsetzung oder des freiwilligen Selbstvollzugs442 der klagenden Partei nach wie vor selbst. Sie wird aber autorisiert und moderiert durch das Streitschlichtungsübereinkommen.443 Die Aussetzung von Pflichten als Sanktion bei Nichterfüllung entspricht noch weitgehend dem schuldrechtlichen Vertragsprinzip oder dem völkerrechtlichen Gegenseitigkeitsprinzip. Durch die Institutionalisierung und verfahrensmäßige Einbindung wird aber deutlich, daß es um die Durchsetzung objektiven Rechts geht.444 Die Zwangswirkung der Maßnahmen zur Durchsetzung des WTO-Rechts bis (ultima ratio) hin zur Aussetzung von Zugeständnissen, die der Dispute Settlement Body genehmigen muß (Art. 22 Abs. 2 DSU)445, ist damit nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern weitgehend verrechtlicht. Ihre Wirksamkeit ist allerdings begrenzt446 und Handelssanktionen sind in Bezug auf das vertragliche Ziel der Handelsliberalisierung kontraproduktiv447. Auch Waffengleichheit wird damit nicht hergestellt.448 Die vom Legalitätsprinzip geforderte Rechtsdurchsetzungsgleichheit könnte nur durch ein einheitliches, gemeinschaftliches Zwangsverfahren erreicht werden. Der Vorschlag, eine (weltrechtlich geprägte) Durchsetzung erga omnes einzuführen449, konnte sich bisher nicht etablieren. Kollektiven Maßnahmen seitens der WTO, etwa in Form von Bußgeldern oder gar einer Ersatzvornahme, steht das Prinzip staatlicher Souveränität der Mitgliedstaaten entgegen.450 Gerade das Sanktionssystem zeigt, daß die WTO dem zwischenstaatlich geprägten Völkerrecht noch nicht entwachsen ist451 und kein Weltstaatsrecht vorbereitet. 442 H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 323; M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Wirtschaftsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 19 (2000), 48 (62); A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 198. 443 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 196 ff. 444 A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 97. 445 Dazu S. Puth, Sanktionen im Welthandelsrecht, EuR 2001, 706 ff. 446 Dazu S. Puth, Sanktionen im Welthandelsrecht, EuR 2001, 710 ff.; J. H. Jackson, Effektivität und Wirksamkeit des Streitbeilegungsverfahrens der WTO, S. 109 ff. 447 S. Oeter, Chancen und Defizite internationaler Verrechtlichung, in: B. Zangl/M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 68; J. H. Jackson, Effektivität und Wirksamkeit des Streitbeilegungsverfahrens der WTO, S. 112 f. 448 A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 198; vgl. auch H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 336 f. 449 Vgl. etwa S. Puth, Sanktionen im Welthandelsrecht, EuR 2001, 717 ff., der vorschlägt, den Sanktionsmechanismus der EG als Vorbild für eine Reform des WTORechtsdurchsetzungssystems heranzuziehen. 450 H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 335.

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ee) Zum Vorrang des WTO-Rechts Weltrecht beansprucht wegen der Logik der Rechtseinheit typischerweise Vorrang vor dem nationalen und regionalen Recht (dazu 3. Teil, C, S. 349). Der Vorrang der WTO-Bestimmungen läßt sich aus den Verträgen ableiten. Gemäß Art. XVI Abs. 4 WTOÜ sind alle Mitgliedstaaten verpflichtet, dafür zu sorgen, daß ihre nationalen Gesetze, Regelungen und Verwaltungsverfahren mit dem WTO-Recht vereinbar sind. Eine jüngere Panelentscheidung hat festgestellt, daß im Gegensatz zu gewöhnlichem Völkerrecht, staatliches Recht derogiert wird, wenn es WTO-Bestimmungen verletzt.452 Die deutliche Stärkung des Legalitätsprinzips durch das obligatorische Streitbeilegungsverfahren453 weist die Welthandelsordnung als unabdingbar einzuhaltender und damit vorrangiger Maßstab für die Mitgliedstaaten aus. Verbote und Gebote, wie sie z. B. in Art. III, XI GATT formuliert sind, können keine Wirkung entfalten und hätten keinen Sinn, wenn sie einseitig durch einen Vertragsstaat im Wege der allgemeinen Rangregeln lex posterior derogat legi priori und lex specialis derogat legi generali454 unterlaufen werden dürften. Sie erheischen also grundsätzlich (Anwendungs-)Vorrang vor dem einfachen Recht der Mitglieder. Ein Vorrang auch vor den Verfassungen ist allerdings nicht geboten, solange, die WTO, wie festgestellt, eine unvollständige Prinzipienordnung statuiert. Für die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitglieder folgt der Vorrang des WTO-Rechts auch aus dem Gemeinschaftsrecht. Gemäß Art. 300 Abs. 7 EGV ist die Europäische Gemeinschaft an das WTO-Abkommen und seine Anhänge, einschließlich des GATT 1994, gebunden.455 Weil die Europäische Gemeinschaft gegenüber ihren Mitgliedstaaten ausschließlich für die Handelspolitik zuständig ist (Art. 133 EGV)456, wird der Rang des Welthandelsrechts in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch das Gemeinschaftsrecht und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bestimmt.457 Danach sind völ-

451 H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 323; vgl. M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 570; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 198; S. Oeter, Chancen und Defizite internationaler Verrechtlichung, S. 68. 452 Panel Report v. 21.1.2000, Australia – Subsidies Provided to Producers and Exporters of Automotive Leather – Recourse to Art. 21.5 of the DSU by the United States, WT/DS126/RW; siehe auch dazu die Diskussion zu dieser Entscheidung im Streitbeilegungsgremium am 11.2.2000, WTO Doc. WT/DSB/M/75 v. 7.3.2000, 5 ff.; vgl. auch Ch. Tietje, The Duty to Cooperate in International Economic Law, S. 56. 453 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 176 ff. 454 Vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 640, § 786. 455 Vgl. Rs 104/81 Kupferberg I, Slg. 1982, 3641 (3662). 456 EuGH, Gutachten 1/75 Lokale Kosten, Slg. 1975, 1355 (1263 f.); Rs 41/76 Donckerwolcke, Slg. 1976, 1921 (1937); Gutachten 1/78 Internationale Naturkautschukübereinkommen, Slg. 1979, 2871 (2910); Gutachten 1/94 GATS und TRIPS, Slg. 1994 I, 5267 (5395 ff.); A. Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, S. 193 ff.

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kerrechtliche Verträge, welche aufgrund von Art. 300 EGV mit der Europäischen Gemeinschaft abgeschlossen worden sind, „integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts“.458 Wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht gehen die WTO-Regeln dem nationalen Recht der EG-Mitgliedstaaten also im Sinne eines Anwendungsvorrangs grundsätzlich vor.459 Weil nach Art. 300 Abs. 7 EGV das WTO-Recht sowohl für die Organe der Gemeinschaft als auch für die Mitgliedstaaten verbindlich ist, beansprucht es auch Vorrang vor dem Gemeinschaftsrecht.460 Nach überwiegender Meinung hat es einen Rang zwischen primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht.461 Völkerrechtliche Verträge, deren zumindest faktische Vertragspartei die Gemeinschaft ist, und erst recht solche, welche sie (mit-)abgeschlossen hat, stehen unter dem Primärrecht, aber über dem Sekundärrecht der Gemeinschaft.462 Dies 457 N. Lavranos, Die Rechtswirkung von WTO panel-reports, EuR 1999, 289 (300); vgl. dazu ausführlich auch unter dem Aspekt des gemischten Abkommens A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, 2002, S. 28 ff. 458 EuGH, Rs 181/73 Haegemann, Slg. 1974, 449 (460, 1. Leitsatz); Rs 104/81 Hauptzollamt Mainz/Kupferberg, Slg. 1982, 3641 (Rn. 13); Rs 12/86 Demirel, Slg. 1987, 3719 (Rn. 7); Rs C-192/89 Sevince, Slg. 1990 I, 3461 (Rn. 8); Gutachten 1/91, Slg. 1991 I, 6079 (Rn. 37); dazu auch A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 49 ff. 459 Vgl. auch A. Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, S. 250. 460 R. Uerpmann, Völkerrechtliche Nebenverfassungen, in: A. v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 344. 461 E.-U. Petersmann, Application of GATT by the Court of Justice of the European Communities, CMLRev 1983, 397 (401 f.); ders., International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 114; G. M. Berrisch, der völkerrechtliche Status der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im GATT, 1992, S. 56; T. Stein, „Bananensplit“? Entzweien sich BVerfG und EuGH über den Bananenstreit?, EuZW 1998, 261 (263); Ch. Schmid, Immer wieder Bananen: Der Status des GATT/WTO Systems im Gemeinschaftsrecht, NJW 1998, 190 (192); R. Streinz, Europarecht, 2003, S. 259, Rn. 605; H. D. Kuschel, Wie geht es weiter mit der Bananenmarktordnung? EuZW 1996, 645 (648); R. Uerpmann, Völkerrechtliche Nebenverfassungen, S. 344; auch der EuGH mißt sekundäres Gemeinschaftsrecht an die Gemeinschaft bindendem Völkerrecht: vgl. Rs C-280/93, Bundesrepublik Deutschland/Rat, Slg. 1994 I, 4973 (5020, 5072); s. a. Generalanwalt Lenz in EuGH Rs C-69/89 Nakajima, Slg. 1991 I, 2069 (2127); dazu kritisch A. Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, S. 245 ff., 253, die sich für Gleichrangigkeit zwischen EG-Primärrecht und WTO-Recht ausspricht; dazu auch D. J. Siebold, Der Fall Bananenmarktordnung, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 212 (243 f.); A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 65 ff. Erst einmal hat allerdings der Europäische Gerichtshof festgestellt, daß ein EG-Rechtsakt Völkerrecht verletzt in Rs T-115/94 Opel Austria, Slg. 1997 II, 39 (80 ff.). 462 N. Lavranos, Rechtswirkung von WTO panel reports, EuR 1999, S. 292; vgl. auch EuGH, verb. Rs 21-24/72 International Fruit Company, Slg. 1972, 1219 (Rn. 14/ 18); Generalanwalt A. Saggio, Schlußanträge, Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8397 (Rn. 22).

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gilt nicht nur für die Bereiche des WTO-Abkommens, für die die EG die ausschließliche Kompetenz hat463, sondern für alle Teile des WTO-Vertrags samt seiner Anhänge und Nebenabkommen.464 Ein Vorrang vor dem EG-Primärrecht wird mit dem Hinweis auf Art. 300 Abs. 6 EGV abgelehnt, wonach ein Gutachten des Europäischen Gerichtshofs über die Vereinbarkeit des Abkommens mit dem EG-Vertrag eingeholt werden kann.465 Andererseits ist zu bedenken, daß sich die Zollunion der Europäischen Gemeinschaft und ihre Rechtsordnung an XXIV GATT messen lassen müssen.466 Jedenfalls insoweit darf das EG-Primärrecht nicht gegen das GATT verstoßen. Auch die Beschlüsse der WTO-Organe, insbesondere der Streitschlichtungsinstanzen, genießen, genauso wie das gesamte übrige Gemeinschaftsrecht, Vorrang vor dem nationalen Recht sowie vor dem sekundären Gemeinschaftsrecht. ff) Zur unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts Die unmittelbare Anwendbarkeit kann sich ausdrücklich oder mittels Auslegung aus dem völkerrechtlichen Vertrag ergeben.467 Nach einer Panelentscheidung haben die GATT-/WTO-Abkommen keine neue Rechtsordnung geschaffen, deren Subjekte sowohl Vertragsparteien als auch deren Bürger umfasst.468 Die Texte des WTOÜ und des GATT 1994 ordnen eine unmittelbare Anwendbarkeit ihrer Bestimmungen nicht an.469 Sie schließen aber eine unmittelbare Anwendbarkeit auch nicht aus und könnten in diesem Sinne teleologisch, entsprechend dem weltrechtlichen Paradigma interpretiert werden.470 Ähnlich wie der Europäische Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit für den EG-Vertrag implizit aus dem Vertrag entnommen hat471, könnte die unmittelbare An463 Gutachten 1/94 des EuGH, Slg. 1994 I, 5276; dazu D. I. Siebold, Die Weltorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 241 ff. 464 N. Lavranos, Rechtswirkung von WTO panel reports, EuR 1999, 289 (301); vgl. auch den EuGH, der gemischte Abkommen tendenziell als gesamten Gemeinschaftsvertrag ansieht: EuGH, Rs 12/86 Demirel, Slg. 1987, 3719 (Rn. 9 ff.); EuGH, Rs C53/96 Hermès/FHT Marketing Choice BV, Slg. 1998 I, 3603 (Rn. 24 ff.); zur WTO als gemischtes Abkommen: A. Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, S. 211 ff. 465 Vgl. A. Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, S. 244. 466 Dazu A. Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, S. 244 f. 467 W. Meng, Frage unmittelbarer Anwendung von WTO-Recht in der EG, S. 1068. 468 United States – Sections 301–310 of the Trade Act of 1974, WT/DS152/R, 22. Dezember 1999, Rz. 7.72. 469 E.-U. Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 120. 470 W. Meng, Frage unmittelbarer Anwendung von WTO-Recht in der EG, S. 1084 ff.; vgl. auch Panel-Report v. 22.12.1999, United States-Sections 301–310 of the Trade Act of 1974, WT DS152/R, para. 7.73, der hervorhebt, daß die Rechtsordnung der WTO auch dem Schutz der Interessen der einzelnen Wirtschaftssubjekte dient. 471 Grundlegend EuGH, Rs 26/62 van Gend & Loos, Slg. 1963, 1 (Rn. 9 f.).

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wendbarkeit zumindest einzelner Vorschriften angenommen werden, wenn diese die materiellen Voraussetzungen dafür erfüllen. Das ist der Fall, wenn sie hinreichend klar und unmißverständlich formuliert sind.472 Einige WTO-Bestimmungen zielen darauf ab, den Rechtsschutz einzelner Bürger und Unternehmen in den Mitgliedstaaten zu stärken, insbesondere gegen nationale Verwaltungsakte im Zollrecht, Antidumpingrecht, Ausfuhrrecht, im Dienstleistungshandel (vgl. z. B. Art. X GATT, Art. 13 Antidumpingübereinkommen, Art. 11 Zollwertübereinkommen, Art. 4 Übereinkommen über Kontrollen vor dem Versand, Art. VI GATS, Art. 41–50, 59 TRIPS). Das TRIPS dient ausdrücklich dem Schutz privater Rechte (vgl. Präambel). Art. 42 Satz 1 TRIPS lautet: „Die Mitglieder stellen den Rechtsinhabern zivilprozessuale Verfahren für die Durchsetzung aller unter dieses Übereinkommen fallenden Rechte des geistigen Eigentums zur Verfügung“.

Im Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen heißt es in Art. XX Abs. 2: „Jede Vertragspartei richtet nichtdiskriminierende, rasch greifende, transparente und wirksame Verfahren ein, damit Lieferanten gegen angebliche Verletzungen des Übereinkommens im Rahmen von Beschaffungen, an denen sie ein Interesse haben oder hatten, Widerspruch anmelden können.“

Die zitierten Bestimmungen legen entgegen der anderslautenden Rechtsprechung des EuGH ihre unmittelbare Anwendbarkeit nahe.473 Folgt die unmittelbare Anwendbarkeit nicht aus dem Vertrag und schließt dieser sie auch nicht aus, bleibt es nach völkerrechtlicher Auffassung Sache der Rechtsordnungen der Mitglieder, darüber zu entscheiden.474 Für die Europäische Gemeinschaft ordnet Art. 300 Abs. 7 EGV auf der Ebene des Primärrechts die Verbindlichkeit der von der EG abgeschlossenen Verträge im Gemeinschaftsrecht an.475 Dementsprechend verfolgt die Gemeinschaft für völkerrechtliche Verträge grundsätzlich eine monistische Praxis.476 Diese werden „inte472 H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 219; dazu eingehend Ch. A. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 117 ff. 473 So auch E.-U. Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 72; a. A. EuGH, Rs C-89/99 Schieving-Nijstad u. a./Robert Groeneveld, Slg. 2001 I, 5874 (Rn. 29 ff., 51 ff.); verb. Rs C 300/98, C 392/98, Dior/ TUK Slg. 2000 I, 11307 (11360, Rn. 43 f.). 474 EuGH, Rs 104/81 Kupferberg, Slg. 1982, 3641 (Rn. 17); Rs C-149/96 Portugal/ Rat, Slg. 1999 I, 8395 (Rn. 35). 475 EuGH, Rs 87/75 Bresciani, Slg. 1976, 129 (Rn. 17/18); R. Uerpmann, Völkerrechtliche Nebenverfassungen, in: A. v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 339 (344). 476 EuGH, Rs 181/73 Haegemann, Slg. 1974, 449 (460); Rs 104/81 Kupferberg I, Slg. 1982, 3641, Rn 13; Gutachten 1/91, Slg. 1991 I, 6079 (Rn. 37); E.-U. Petersmann, Darf die EG das Völkerrecht ignorieren?, EuZW 1997, 327; a. A. Schlußanträge

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grierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts“.477 Ob die einzelne völkerrechtliche Vorschrift tatsächlich unmittelbar anwendbar ist, hängt somit nach dem EG-Vertrag nur noch von der materiellen Bestimmtheit des Vertragstextes ab.478 Gemäß der EuGH-Rechtsprechung ist das der Fall, wenn die Regelungen unbedingt, hinreichend bestimmt und klar sind.479 Keinesfalls verfügt der Rat über die Befugnis, die unmittelbare Anwendbarkeit auszuschließen480, wie er das in der Präambel seines Beschlusses zur Ratifikation des Welthandelsabkommens481 versucht hat. In diesem Beschluß ist auch kein völkerrechtlich wirksamer Vorbehalt zu erkennen, der zudem durch das WTO-Abkommen ausgeschlossen wäre.482 Einzelne können sich anders als nach der in Deutschland herrschenden Schutzzwecklehre483 auf die Einhaltung des objektiven Rechts, zu dem auch das Völkerrecht gehört, berufen. In der europarechtlichen Praxis sind die Berufung und gegebenenfalls die Einklagbarkeit des objektiven Rechts grundsätzlich anerkannt, wenn die genannten materiellen Kriterien der unmittelbaren Anwendbarkeit erfüllt sind.484 Inwieweit ein Individuum darüber hinaus aus den WTO-Vorschriften bestimmte Ansprüche (materiale subjektive Rechte) ableiten oder sogar verpflichtet werden kann, hängt somit nicht vom Willen des

des Generalanwalts S. Alber v. 15. Mai 2003, Rs C-93/02 P Biret International SA/ Rat der Europäischen Union, Slg. 2003, 10499, Rn. 47 ff. 477 Z. B. EuGH, Es 104/81 Kupferberg, Slg. 1982, 3641 (Rn. 13); Rs 12/86 Demirel, Slg. 1987, 3719 (Rn. 7); Rs C-192/89 Sevince Slg. 1990 I, 3461 (Rn. 8). 478 W. Meng, Frage unmittelbarer Anwendung von WTO-Recht in der EG, S. 1067; R. Uerpmann, Völkerrechtliche Nebenverfassungen, S. 346; vgl. EuGH, Rs 87/75 Bresciani, Slg. 1976, 129 (Rn. 17/18 ff.); Rs 104/81 Kupferberg, Slg. 1982, 3641 (Rn. 17 ff.); dezidiert anderer Ansicht: P. Royla, WTO-Recht – EG-Recht, EuR 2001, 595 (500 ff.). 479 Grundlegend EuGH, Rs 26/62 van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung, Slg. 1963, 1 (25 f.); Rs 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251 (1273); EuGH, Rs 12/86 Demirel, Slg. 1987, 3719 (3747, 3752); Rs C-192/89 Sevince, Slg. 1990 I, 3461 (3497, 3502); Rs C-18/90 Kziber, Slg. 1991 I. 199 (221, 225); vgl. dazu auch A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 319 ff. 480 So auch W. Meng, Frage unmittelbarer Anwendung von WTO-Recht in der EG, S. 1070, 1072; R. Uerpmann, Völkerrechtliche Nebenverfassungen, S. 354 f., Generalanwalt A. Saggio, Schlußanträge, Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8397 (Rn. 20); dazu auch Ch. A. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 176 ff.; a. A. EuGH, Rs C-149/96 Portugal/ Rat, Slg. 1999 I, 8395 (Rn. 34). 481 Beschluß des Rates 94/80/EG v. 22.12.1994, ABl. Nr. L 336 v. 23.12.94, S. 2. 482 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 162. 483 H.-U. Erichsen, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2002, § 11, S. 250, Rn. 31. 484 Dazu EuGH, Rs 26/62 van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung, Slg. 1963, 1 (25 f.); Gutachten zur Vereinbarkeit des Vertrages über den Europäischen Wirtschaftsraum 1/91, Slg. 1991 I, 6079 (6102); W. Meng, Frage unmittelbarer Anwendung von WTO-Recht in der EG, S. 1070 f.; A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 324 ff.

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Rates oder des Europäischen Gerichtshofs, sondern von der materiellen Bestimmtheit der Vorschrift ab. Aus dualistischer Sicht wird die unmittelbare Anwendbarkeit durch den Transformationsakt oder den Umsetzungsbefehl oder auch durch die Verfassung selbst ermöglicht.485 In den USA486, in Japan487, aber auch in der Europäischen Union verweigern nationale Gerichte die unmittelbare Anwendung des GATT-/ WTO-Rechts.488 Für das GATT 47 hatte die überwiegende Meinung in Deutschland die unmittelbare Anwendbarkeit ebenfalls abgelehnt.489 Später aber haben deutsche Gerichte Vorlageentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs beantragt, welche die unmittelbare Anwendbarkeit des GATT betrafen.490 Die amtliche Begründung des deutschen Zustimmungsgesetzes zum WTO-Abkommen stellt sogar fest, daß „ein Teil der Vertragsbestimmungen . . . innerstaatlich unmittelbar anwendbar ist.“491 Der Europäische Gerichtshof erkennt zwar die grundsätzliche Geltung und Verbindlichkeit der GATT-/WTO-Regeln im Gemeinschaftsrecht an. Er lehnt es aber bisher beharrlich ab, sekundäres Gemeinschaftsrecht auf Klagen von Bürgern und selbst von Mitgliedstaaten, die als Völkerrechtssubjekte anerkannt

485 W. Meng, Frage unmittelbarer Anwendung von WTO-Recht in der EG, S. 1066 ff. 486 US-Uruguay Round Act 1994, 19 U.S.C. para. 3511, Publication L No. 104–305 (1996), para. 102 (c): „no provision of any of the Uruguay Round Agreements . . . that is inconsistent with any law of the United States shall have effect“ and that no person other than the United States „shall have any cause of action or defence under any of the Uruguay Round Agreements“ or challenge „any action or inaction . . . on the ground that such action or inaction is inconsistent“ with one of these agreements; R. E. Hudec, Das GATT in der Rechtsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika, in: M. Hilf/E.-U. Petersmann, GATT und Europäische Gemeinschaft, 1985, S. 243 ff. 487 M. Hilf, The Role of National Courts in International Trade Relations, S. 572 m. N. 488 M. Hilf, The Role of National Courts in International Trade Relations, S. 561 (563, 566, 572 f.); siehe auch EuGH, Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395 (8436, Rn. 36 ff.); Rs C-300/98 und C-392/98 Dior u. a., Slg. 2000 I, 11307 (Rn. 44); Rs C-307/99 OGT Fruchthandelsgesellschaft mbH/Hauptzollamt Hamburg-St. Annen, Slg. 2001 I, 3159 (3170 ff., Rn. 22 ff.). 489 M. Hilf, Die Anwendung des GATT im deutschen Recht, in: M. Hilf/E.-U. Petersmann, GATT und Europäische Gemeinschaft, 1986, S. 11 ff.; C.-D. Ehlermann, Die innergemeinschaftliche Anwendung der Regeln des GATT in der Praxis der EG, in: M. Hilf/E.-U. Petersmann, GATT und Europäische Gemeinschaft, 1986, S. 203 ff.; W. Meng, Gedanken zur Frage unmittelbarer Anwendung von WTO-Recht in der EG, S. 1083; ders., WTO-Recht als Steuerungsmechanismus, S. 44; vgl. auch M. J. Hahn/ G. Schuster, Zum Verstoß von gemeinschaftlichem Sekundärrecht gegen das GATT, Europarecht 1993, 261 (274 f.); Generalanwalt Reischl, in: EuGH, Rs 266/81 SIOT, Slg. 1983, 731 (791). 490 Finanzgericht Hamburg, EuZW 1995, 413; EuZW 1999, 702 ff.; siehe auch Bundesfinanzhof EWS 1996, 169. 491 BT-Drs. 12/7655 (1994), S. 7 f., 337.

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sind, direkt am Maßstab des WTO-Rechts zu messen.492 Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs haben die WTO-Übereinkünfte die Regelung und Abwicklung der Beziehungen zwischen Staaten oder Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration und nicht den Schutz des Einzelnen zum Gegenstand.493 Die Mediatisierung des Einzelnen besteht damit nach der Praxis in der Welthandelsordnung weiterhin fort.494 Für das GATT 1947 begründete der Gerichtshof seine Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit noch mit der mangelnden Gerichtsförmlichkeit des Streitbeilegungsverfahrens.495 Die GATTVorschriften hätten aufgrund ihrer Geschmeidigkeit und weil ihnen ein „unbedingter Charakter“ fehle, keine unmittelbare Anwendbarkeit im Gemeinschaftsrecht.496 Im Widerspruch dazu bestätigte er jedoch eine Vertragsverletzungsklage der Kommission gegen Deutschland dahingehend, daß Deutschland ge492 Für das GATT: EuGH, verb. Rs 21/72 bis 24/72 International Fruit Company, Slg. 1972, 1219 (Rn. 21, 25 f.); Rs 9/73 Schlueter, Slg. 1973, 1135 (Rn. 28 ff.); Rs 266/81 SIOT, Slg. 1983, 731 (Rn. 28); Rs 267/81 SIPI/SAMI, Slg. 1983, 828; Rs C280/93 Deutschland/Rat, Slg. 1994 I, 4973 (Rn. 111); für die WTO: Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395 (47); dazu die Anmerkung von M. Hilf/F. Schorkopf, WTO und EG: Rechtskonflikte vor dem EuGH?, EUR 2000, 74 ff.; siehe auch EuG, Rs T-3/99 Banatrading GmbH/Rat, Slg. 2001 II, 2123 (2141, Rn. 43 ff.); EuG, Rs T18/99 Cordis Obst und Gemüse Großhandel GmbH/Kommission, Slg. 2001 II, 913 (931, Rn. 44 ff.); EuG, Rs T-30/99 Bocchi Food Trade International/Kommission, Slg. 2001 II, 943 (966, Rn. 51 ff.); EuG, Rs T-52/99 T. Port GmbH & Co. KG/Kommission, Slg. 2001 II, 981 (1000, Rn. 46 ff.); Rs C-307/99 OGT Fruchthandelsgesellschaft, Slg. 2001 I, 3159, Rn. 24; Rs C-76/00P Petrotub und Republica/Rat, Slg. 2003 I, 10497 (Rn. 53); Schlußanträge des GA S. Alber v. 15. Mai 2003, Rs C-93/02 P Biret International SA/Rat der Europäischen Union, 10499, Rn. 47 ff.; EuGH, Slg. 2003, 10497, Rn. 61; EuGH v. 1.3.2005, Rs C-377/02, Léon Van Parys, Rn. 38 ff., auch vor nationalen Gerichten Rn. 54; vgl. kritisch A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 157 ff.; siehe auch A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 128 ff. 493 EuGH, Rs C-93/02 P Biret International SA/Rat der Europäischen Union, Slg. 2003, 10497, Rn. 62. 494 R. Wahl, Der einzelne in der Welt jenseits des Staates, Der Staat 40 (2001), S. 61. 495 EuGH, verb. Rs 21-24/72 International Fruit Company, Slg. 1972, 1219 (Rn. 19/ 29 ff. 496 EuGH, verb. Rs 21-24/72 International Fruit Company, Slg. 1972, 1219 (Rn. 19/ 29 ff.); Rs 266/81 SIOT, Slg. 1983, 731 (Rn. 28); Rs C-280/93 Deutschland/Rat, Slg. 1994 I, 4973 (5073 f.); Rs C-469/93 Chiquita, Slg. 1995 I, 4533 (Rn. 37). A. A.: Generalanwalt Gulmann, Schlußanträge, Rs C-289/93 Bundesrepublik Deutschland/Rat, Slg. 1994 I, 4973, Rn. 141: „Die Vorschriften des GATT sind, selbst wenn sie auch bis zu einem gewissen Grad einen ungenauen Inhalt haben, jedenfalls was den größten Teil betrifft, hinreichend klar und unbedingt, so daß sie gegebenenfalls vom Gerichtshof anerkannt werden können.“. Vgl. a. kritisch: E.-U. Petersmann, Application of GATT by the Court of Justice of the European Communities, CMLRev 1983, 397 (402 ff.); M. J. Hahn/G. Schuster, Zum Verstoß von gemeinschaftlichem Sekundärrecht gegen das GATT – Die gemeinsame Marktorganisation für Bananen vor dem EuGH –, EuR 1993, 261 (274 ff.); M. Hilf, The Role of International Courts in International Trade Relations, S. 572 ff.

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wisse GATT-Verpflichtungen nicht richtig ausgeführt hätte.497 Kurios ist ebenfalls, daß der Einzelne über die EG-Handelshemmnisverordnung (Art. 3)498 die Überprüfung WTO-widriger Handlungsweisen von Drittstaaten veranlassen kann499, ihm aber eine entsprechende Rechtmäßigkeitskontrolle der EG-Handelspolitik verwehrt bleibt.500 Nur wenn die Gemeinschaft eine WTO-Verpflichtung erfüllen wollte oder wenn die Gemeinschaftshandlung ausdrücklich auf bestimmte Regelungen der WTO-Übereinkünfte verweist, prüft der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der fraglichen Gemeinschaftshandlungen an den Vorschriften der WTO.501 Im Rahmen einer Schadensersatzklage nach Art. 288 Abs. 2 EGV hat der Europäische Gerichtshof außerdem nahegelegt, DSB-Entscheidungen, welchen sich die Gemeinschaft beugen will, unmittelbare Wirkung zuzuerkennen.502 Diese Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist nicht dem Legalitätsprinzip verpflichtet; denn sie überläßt es der Willkür von Rat und Kommission, ob das GATT gerichtlich durchsetzbar ist.503 Die Prinzipien der Meistbegünstigung und der Nichtdiskriminierung des Welthandelsrechts, die z. B. in Art. I Abs. 1, II, V, III, XI, XIII, XVII GATT geregelt sind, sind in ihrer Materie präziser, keinesfalls unbestimmter, als vergleichbare Regelungen des E(W)G-Vertrages etwa in Art. 12, 25, 28 EGV, die der Europäische Gerichtshof für unmittelbar anwendbar erklärt hat.504 Sie statuieren

497 EuGH, Rs C-61/94 Kommission/Deutschland, Slg. 1996 I, 3989 (4012 ff.); kritisch auch E.-U. Petersmann, Darf die EG das Völkerrecht ignorieren?, EuZW 1997, 325; A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 132 ff. 498 Verordnung (EG) Nr. 3286/94 des Rates v. 22.12.1994 zur Festlegung der Verfahren der Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik zur Ausübung der Rechte der Gemeinschaft nach internationalen Handelsregeln, insbesondere den im Rahmen der Welthandelsorganisation vereinbarten Regeln, ABl. L 349 v. 31.12.1994, S. 71; zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 356/95 des Rates, ABl. L 41 v. 23.2.1995, S. 3. 499 Die Kommission verfügt allerdings über ein Beurteilungsermessen, ob das erforderliche Verfolgungsinteresse gegeben ist, nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung. 500 M. Hilf/F. Schorkopf, WTO und EG: Rechtskonflikte vor dem EuGH?, EUR 2000, 74 (91). 501 EuGH, Rs 70/87 Fediol III, Slg. 1989, 1781 (Rn. 19 ff.); Rs C-69/89 Nakajima, Slg. 1991 I, 2069 (Rn. 26 ff.); Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395, Rn. 49; EuG v. 3.2.2005, Rs T-19/01 Chiquita Brands/Kommission, Rn. 156 ff. (noch nicht in Slg.); EuGH v. 1.3.2005, Rs C-377/02 Léon Van Parys, Rn. 40 ff. (noch nicht in Slg.). 502 EuGH, Rs C-93/02 P Biret International SA/Rat der Europäischen Union, Slg. 2003, 10497, Rn. 57 ff.; dazu Anmerkung S. Bartelt, Die Haftung der Gemeinschaft bei Nichtumsetzung von Entscheidungen des WTO-Streitbeilegungsgremiums, EuR 2003, 1077 ff. 503 Vgl. auch M. Hilf, The Role of International Courts in International Trade Relations, S. 574; E.-U. Petersmann, Darf die EG das Völkerrecht ignorieren?, EuZW 1997, 327.

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hinreichend klare, unbedingte und genau bestimmte Gebote und Verbote.505 Die allgemeinen Ausnahmen des Art. XX entsprechen inhaltlich weitgehend denjenigen in Art. 30 EGV und könnten im Wege des WTO-Streitbeilegungsverfahrens effektiver als unter dem GATT 1947 überprüft werden.506 Zahlreiche Ausnahmebestimmungen, welche eine Relativierung der GATT-Prinzipien erlauben, wurden durch die Reform des GATT verfahrensmäßig und materiell verschärft oder zumindest präzisiert sowie in ihrer zeitlichen Anwendbarkeit begrenzt.507 So ist insbesondere die vom Europäischen Gerichtshof bemängelte Weichheit der Regeln über Maßnahmen bei außergewöhnlichen Schwierigkeiten durch eine nähere materielle Bestimmung der Voraussetzungen für Schutzmaßnahmen nach Art. XIX GATT abgemildert worden.508 Die institutionelle Struktur ist insgesamt gestärkt worden.509 Diese Änderungen verringern die Bedeutung der Verhandlungsdiplomatie zugunsten der rule of law.510 Sie intensivieren die Verrechtlichung der Welthandelsordnung und damit auch ihren Geltungsanspruch511 und ihre Durchsetzbarkeit. Die Argumentation gegen die unmittelbare Anwend-

504 E.-U. Petersmann, Darf die EG das Völkerrecht ignorieren?, EuZW 1997, 327; Ch. A. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 192 ff. 505 So auch E.-U. Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 114; M. Hilf, The Role of International Courts in International Trade Relations, S. 575; ders., Darf die EG das Völkerrecht ignorieren?, EuZW 1997, 326; ders., GATT/WTO-Recht: Duplik, EuZW 1997, 651 (652); A. Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, S, 225 f., einschränkend für Art. II; zur unmittelbaren Wirkung von GATS und TRIPS S. 227 ff.; A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 235 ff. mit Prüfung einschlägiger WTO-Bestimmungen auf ihre unmittelbare Anwendbarkeit. 506 Th. Oppermann/J. C. Cascante, Lessons for the GATT/WTO Dispute Settlement System?, in: E.-U. Petersmann (Hrsg.), International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 469 (484). 507 Dazu H. Hauser/K.-U. Schanz, Das neue GATT, 1995, S. 100 ff.; W. Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus, S. 51 ff. 508 Vgl. dazu Übereinkommen über Schutzmaßnahmen v. 15.4.1994, ABl. 1994 L 336/184; P. Hilpold, Die Neuregelung der Schutzmaßnahmen im GATT/WTO-Recht und ihr Einfluß auf „Grauzonenmaßnahmen“, ZaöRV 55 (1995), S. 89 ff.; J. Molsberger, die Zukunft des GATT, in: W. Zohlnhöfer, Zukunftsprobleme der Weltwirtschaft, 1996, S. 69 (76 ff.); näher auch A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 159 ff. 509 A. Weber/F. Moos, Rechtswirkungen von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen, EuZW 1999, 230; P.-T. Stoll, Die WTO: Neue Welthandelsorganisation, neue Welthandelsordnung, ZaöRV 54 (1994), S. 241 (257 ff.); M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Wirtschaftsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 19 (2000), 58 ff. 510 Dazu K. Ipsen/U. R. Haltern, Rule of Law in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, RIW 1994, 717; M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Wirtschaftsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 19 (2000), 48 ff. 511 P.-T. Stoll, Die WTO: Neue Welthandelsorganisation, neue Welthandelsordnung, ZaöRV 54 (1994), S. 266.

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barkeit des GATT 47 ist unter dem WTO-Abkommen gegenüber dem GATT 94 nicht mehr haltbar.512 Auch der Europäische Gerichtshof hat dies erkannt; denn er lehnt die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Regeln nun aus anderen Gründen ab.513 So hat der Gerichtshof entgegen dem Vorschlag des Generalanwalts in der Rechtssache C-149/96 entschieden, daß die WTO-Übereinkünfte nicht zu den Vorschriften gehören würden, an denen der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane messen wolle.514 Zur Begründung führt er insbesondere an: „Dürften die Gerichte mit den WTO-Übereinkünften unvereinbare innerstaatliche Rechtsvorschriften nicht anwenden, so würde den Legislativ- und Exekutivorganen der Mitglieder somit die ihnen in Art. 22 DSU eingeräumte Befugnis genommen, auf dem Verhandlungsweg Lösungen zu erreichen, selbst wenn diese nur als vorübergehende zulässig sind.“515

Der Gerichtshof betont die konsultativen Elemente des WTO-Streitbeilegungsverfahrens über Gebühr. Die Streitbeilegungsregeln, einschließlich Art. 22 DSU, geben, wie der Gerichtshof selbst einräumt516, dem Rechtsprinzip eindeutig den Vorrang vor dem Verhandlungsprinzip.517 Demgegenüber wird vertreten, nach Art. 22 Abs. 2 DSU stehe den WTO-Vertragsparteien nicht nur die Möglichkeit zur Verfügung, den Beschluß zu befolgen, sondern auch den Vertragsverstoß aufrecht zu erhalten und einen Ausgleich durch Kompensationszahlung zu leisten.518 Diese Auffassung widerspricht der in Art. XVI Abs. 4 WTOÜ ausgesprochenen Verpflichtung, das WTO-Recht einzuhalten und zu verwirkli512 So auch M. J. Hahn/G. Schuster, Zum Verstoß von gemeinschaftlichem Sekundärrecht gegen das GATT, Europarecht 1993, 261 (279 f.); Th. Cottier, Durchsetzung der Prinzipien und Beschlüsse der WTO, S. 135; A. Weber/F. Moos, Rechtswirkungen von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen, EuZW 1999, 230; Th. Oppermann/J. C. Cascante, Lessons for the GATT/WTO Dispute Settlement System?, S. 484 f.; M. Hilf, The Role of International Courts in International Trade Relations, S. 574 ff.; Generalanwalt A. Saggio, Schlußanträge, Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8397 (Rn. 19 ff.); D. I. Siebold, Der Fall Bananenmarktordnung, S. 244 ff.; Ch. A. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 161 ff.; a. A. aber z. B. J. Sack, Von der Geschlossenheit und den Spannungsfeldern in einer Weltordnung des Rechts, EuZW 1997, 650 f. 513 Dazu M. Hilf/F. Schorkopf, WTO und EG: Rechtskonflikte vor dem EuGH?, EUR 2000, 84 ff. 514 Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395 (8434, Rn. 25 ff., 47). 515 Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395 (8434, Rn. 40). 516 Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395 (8437, Rn. 38). 517 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 176 ff. 518 J. Sack, Von der Geschlossenheit und den Spannungsfeldern in einer Weltordnung des Rechts, EuZW 1997, 650; J. H. Bello, The WTO Dispute Settlement Understanding: Less is More, AJIL 90 (1996), S. 416 (418); vgl. auch EuGH, Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395 (Rn. 36 ff.).

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chen519 sowie Art. 3 Abs. 7 DSU.520 Danach ist „das erste Ziel des Streitbeilegungsmechanismus gewöhnlich die Rücknahme der betreffenden Maßnahmen“, die dem Abkommen entgegenstehen.521 Die Pflicht zur Vertragserfüllung ist nicht kompensierbar522 und damit auch nicht verhandelbar. Das bestätigt auch der Wortlaut des Art. 22 Abs. 1 DSU, wonach Entschädigung und Aussetzung von Zugeständnissen lediglich „vorübergehende“ Maßnahmen sind. Sie stehen nur dann zur Verfügung, wenn die Empfehlungen und Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums umgesetzt werden.523 Nach Abs. 8 wird die Aussetzung von Zugeständnissen nur solange angewendet, bis die abkommenswidrige Maßnahme eingestellt wird. Schadensersatzzahlungen und die Aussetzung von Vertragsverpflichtungen sind keine (auch keine vorübergehende) Alternative zur Erfüllung des Abkommens.524 Sie sind vielmehr völkerrechtliche Mittel, den Vertragsverstoß zu sanktionieren und das WTO-Recht durchzusetzen.525 Art. 22 DSU stellt nicht (auch nicht vorübergehend) die Verbindlichkeit der materiellen WTO-Prinzipien zur Disposition, sondern beschränkt nur das Recht zu Gegenmaßnahmen und ist daher kein schlagendes Argument gegen die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts. Die grundsätzliche unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts würde die im DSU für Sanktionen vorgesehenen Verhandlungsspielräume nicht notwendig außer Kraft setzen.526 Für die auffällig uneinheitliche Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit in der EuGH-Rechtsprechung müßte es einen sachlichen Grund geben, um sie nicht dem Willkürvorwurf auszusetzen. In Frage kommt das Reziprozitätsprinzip (vgl. Präambeln des GATT und des WTO-Übereinkommens, 519

R. Uerpmann, Völkerrechtliche Nebenverfassungen, S. 350. Th. Jürgensen, WTO-Schiedsverfahren und Sanktionen nach Art. 22 DSU, RIW 2000, 580; S. Puth, Sanktionen im Welthandelsrecht, EuR 2001, 706 (709). 521 A. Weber/F. Moos, Rechtswirkungen von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen, EuZW 1999, 235. 522 So auch J. H. Jackson, The WTO Dispute Settlement Understanding – Misunderstanding on the nature of Legal Obligation, AJIL 91 (1997), S. 60 ff. E.-U. Petersmann, GATT/WTO-Recht: Duplik, EuZW 1997, 653; Th. Cottier, Dispute Settlement in the World Trade Organization, CMLRev. 1998, 325 340); H.-J. Letzel, Streitbeilegung, S. 363; A. Weber/F. Moos, Rechtswirkungen von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen, EuZW 1999, 235 f.; S. Puth, Sanktionen im Welthandelsrecht, EuR 2001, 709. 523 S. Puth, Sanktionen im Welthandelsrecht, EuR 2001, 709. 524 So aber wohl M. Hilf/F. Schorkopf, WTO und EG, EUR 2000, 90. 525 Ch. Schmid, Immer wieder Bananen: Der Status des GATT/WTO Systems im Gemeinschaftsrecht, NJW 1998, 190 (196); P. Eeckhout, The Domestic Legal Status of the WTO Agreement, 34 CMLR (1997), 11 (54 f.); E.-U. Petersmann, GATT/WTORecht: Duplik, EuZW 1997, 653. 526 M. Hilf/F. Schorkopf, WTO und EG, EUR 2000, 90; kritisch auch Ch. A. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 157 ff. 520

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Art. XXVIII Abs. 2 GATT).527 Es spielt vor allem bei der Entstehung völkerrechtlicher Verträge eine Rolle528, wird aber teilweise auch bei ihrer Durchsetzung als erheblich angesehen.529 Ausweislich der Präambeln des WTO-Übereinkommens und des GATT 47 sollen die Vereinbarungen, welche die Ziele der WTO verwirklichen, „auf der Grundlage der Gegenseitigkeit zum gemeinsamen Nutzen“ geschlossen werden. Dies gilt für Zollzugeständnisse und den Abbau von Handelsbeschränkungen. Sind diese jedoch vereinbart, gilt nicht mehr das Reziprozitäts-, sondern das Legalitätsprinzip. Ein Streitbeilegungsverfahren und eine etwaige legitimierte Aussetzung nach Art. 22 DSU lassen sich ungeachtet der grundsätzlich bestehenden unmittelbaren Anwendbarkeit durchführen. Ist allerdings eine völkerrechtliche Verpflichtung suspendiert, gilt dies auch für die innerstaatliche Wirkung.530 Weil die USA und andere WTO-Mitglieder ebenfalls die unmittelbare Anwendbarkeit verweigern531, kann noch nicht die Gegenseitigkeit bei der Durchführung des Abkommens verneint werden532, wie der Europäische Gerichtshof selbst festgestellt hat.533 Dennoch befürchtet er infolge der unterschiedlichen Praxis der Vertragsstaaten in der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit der WTO-Vorschriften „einen Mangel an Gegenseitigkeit“, der zu einem „Ungleichgewicht“ des Handlungsspielraums der Exekutivund Legislativorgane der Vertragspartner führen könne.534 Aus der Entscheidung wird deutlich, daß der Gerichtshof aus Gründen politischer Machterhaltung das völkerrechtliche Prinzip der Reziprozität gegenüber der rule of law des WTO-Rechts und der Bindung durch Art. 300 Abs. 7 EGV, der keinen Gegenseitigkeitsvorbehalt vorsieht, bewußt überbetont. Er führt also keine strikt rechtlichen, sondern eher politisch-taktische Argumente gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Vorschriften an.535 Der Europäische Gerichtshof weiß

527 In diesem Sinn: Der Vorschlag der Kommission an den Rat der Europäischen Union für einen Beschluß über die Annahme der Ergebnisse der Uruguay-Runde Dok. KOM (94) 143 endg. V. 15.4.1994, 5a. So auch M. Hilf, The Role of International Courts in International Trade Relations, S. 576; vgl. auch W. Meng, Frage unmittelbarer Anwendung von WTO-Recht in der EG, 1075; EuGH, Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395 (Rn. 43 ff.). 528 B. Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, 1972. 529 W. Meng, Frage unmittelbarer Anwendung von WTO-Recht in der EG, S. 1075. 530 R. Uerpmann, Völkerrechtliche Nebenverfassungen, S. 352. 531 Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395 (Rn. 43). 532 A. Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, S. 221; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 168. 533 EuGH, Rs 104/81 Kupferberg I, Slg. 1982, 3641, Rn. 18; Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395 (Rn. 44). 534 Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395 (Rn. 45 f.). 535 Vgl. M. Hilf/F. Schorkopf, WTO und EG: Rechtskonflikte vor dem EuGH?, EUR 2000, 89 ff.; Ch. A. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 184 ff.

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nur zu gut, daß das Mittel der unmittelbaren Wirkung/Anwendbarkeit, das er selbst zur effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gegenüber den Mitgliedstaaten eingesetzt hat536, vom völkerrechtlichen in das öffentlichrechtliche Paradigma führt. Mit seiner Rechtsprechung gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Vorschriften will er das verhindern. Mit ihrer Haltung relativiert die Europäische Union aber ihre Bereitschaft, den Vertrag nach Treu und Glauben zu erfüllen, wie Art. 26 WVK und das universelle Völkergewohnheitsrecht vorschreiben.537 Außerdem wird die Durchsetzbarkeit des WTO-/GATTRechts durch Mitgliedstaaten und Einzelne, d. h. dessen wirksame Geltung in der Europäischen Gemeinschaft entgegen dem im EG-Vertrag zum Ausdruck kommenden Willen der beteiligten Völker vereitelt. Ernst-Ulrich Petersmann sieht in diesem Handeln die „Legitimität der EG als Rechtsgemeinschaft“ in Frage gestellt und verlangt eine „grundrechts- und völkerrechtskonforme Außenpolitik der EU als Verfassungsgebot“.538 Immerhin wurden mit Art. XX Abs. 2 des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen539 mit und Art. 4 des Übereinkommens über die Kontrolle vor dem Versand540, aber auch mit Art. X GATT 1994, Art. 13 Antidumpingabkommen, Art. 23 Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen, Art. 11 Zollwertübereinkommen, Art. 23, 41–50 TRIPS541 erste vertragliche Ansätze geschaffen, daß Individuen subjektive Rechte aus dem Welthandelsrecht vor den nationalen Gerichten geltend machen können.542 Weitere können folgen. So wird insbesondere aus Gründen des Effektivitätsprinzips gefordert, daß nicht nur Staaten, sondern auch Privatpersonen und Unternehmen im Streitbeilegungsverfahren antragsbefugt sein sollen.543 Rechtsklarheit würde auch die Regelung der unmittelbaren Anwendbarkeit in den Verträgen schaffen. Allerdings ist der Verhandlungsvorschlag zur schrittweisen Einführung der un536 Grundlegend EuGH, Rs 26/62 van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung, Slg. 1963, 1 (25 f.); Rs 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251 (1273). 537 W. Meng, Gedanken zur Frage unmittelbarer Anwendung von WTO-Recht in der EG, S. 1063; A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 200 f.; vgl. auch EuGH, Rs C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999 I, 8395 (Rn. 34). 538 E.-U. Petersmann, Europäisches Integrations-, Verfassungs- und Weltbürgerrecht, in: Liber amicorum Th. Oppermann, 2001, S. 377 ff. 539 ABl. Nr. L 336 vom 23.12.1994, S. 273 ff. 540 ABl. Nr. L 336 vom 23.12.1994, S. 138 ff. 541 Die Präambel des TRIPS bezeichnet die Rechte des TRIPS als „private Rechte“. 542 Vgl. dazu E.-U. Petersmann, The GATT/WTO Dispute Settlement System, 1997, S. 194 f.; A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 205 ff.; zur Stellung des Einzelnen im GATT/ WTO-System siehe auch Panel-Bericht United States – Sections 301–310 of the Trade Act of 1974, WT/DS 152/R vom 22.12.1999, S. 320 ff. 543 A. Ch. Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, S. 196 ff.

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mittelbaren Anwendbarkeit, den die Schweiz einst eingebracht hatte, nicht aufgegriffen worden.544 c) Bewertung der Rechtsentwicklung aa) Rechtsstatus Das Welthandelsrecht ist auch unter der WTO nicht wie die Europäische Union integrationsrechtlich geprägt, sondern noch teilweise Koordinationsrecht, wenn auch mit weltvertraglichen545 und konstitutionellen Ausprägungen.546 Es bleibt beim allgemeinen völkerrechtlichen Prinzip der Staatenverantwortlichkeit.547 Allerdings ist das Legalitätsprinzip zwischen den Staaten aufgrund des quasi-gerichtlichen, obligatorischen Streitbeilegungsverfahrens sehr gut gesichert. Nur die Staaten als Völkerrechtssubjekte und Träger von Rechten und Pflichten werden bisher für Verletzungen der Welthandelsordnung verantwortlich gemacht.548 Gegenüber den Bürgern der Mitgliedstaaten kennt die WTO keine Durchsetzungsmöglichkeiten. Umgekehrt können auch die Bürger der Mitgliedsstaaten die Einhaltung des WTO-Rechts in der Praxis regelmäßig nicht einklagen. Würde die dahingehende Forderung verwirklicht549, würde dies einen Paradigmawechsel vom völkerrechtlichen zum weltrechtlichen Denken voraussetzen; denn nicht mehr nur die Staaten, sondern die Bürger selbst wären Hüter des Welt(-handels)rechts. Sie wären dann in der Lage, im Welthandelsbereich das Weltrechtsprinzip einzufordern, was dessen Effektivität erheblich steigern würde.550 Für das Gemeinschaftsrecht ist ein solcher Paradigmawechsel bereits vollzogen worden, ersichtlich an der Möglichkeit, Normen des primären 544 Vgl. E.-U. Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 119; Th. Cottier, Durchsetzung der Prinzipien und Beschlüsse der WTO, S. 136. 545 Vgl. dazu Global Contract Foundation, Global Contract Report, Mai 2005, S. 29 ff. 546 W. Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus, S. 54; M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Wirtschaftsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 19 (2000), 48 ff., 67. 547 Allg. K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 531 ff.; zur WTO: Ch. Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse, 1998, S. 144 ff. 548 Die materiellen Bestimmungen der Welthandelsordnung richten sich an die Mitgliedstaaten, nicht etwa an die Einzelnen und die Unternehmen. Dazu E.-U. Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 91 ff. 549 E.-U. Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 73, 119; ders., Darf die EG das Völkerrecht ignorieren?, EuZW 1997, 326 ff., 330 f.; ders., GATT/WTO-Recht: Duplik, EuZW 1997, 653. 550 In dem Sinn auch M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, in: C. Classen u. a. (Hrsg.), S. 404 f.

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und sekundären Gemeinschaftsrechts als „unmittelbar wirksam“ auszulegen und damit den Einzelnen die Gelegenheit zu geben, vor den nationalen Gerichten und in bestimmten Fällen vor dem Europäischen Gerichtshof Vertragsverstöße einzuklagen.551 Das Zusammenspiel nationaler Gerichte mit dem Europäischen Gerichtshof ist dabei ein zusätzlicher erheblicher Durchsetzungsfaktor.552 Die Einführung solcher Verfahren und die Anerkennung unmittelbarer Anwendbarkeit würden die Welthandelsordnung in eine Integrationsordnung verwandeln und ihre Durchsetzungskraft potenzieren.553 Entweder kann die Direktwirkung von WTO-Bestimmungen dadurch erreicht werden, daß sie unmittelbar in dem völkerrechtlichen Vertrag angeordnet werden oder daß die Mitgliedstaaten, insbesondere auch die Europäische Union ihre Bereitschaft erhöhen, die individuelle Einklagbarkeit von materiell unmittelbar anwendbaren Bestimmungen zuzulassen. Der erste Weg ist vielversprechender, weil es das angenommene Reziprozitätsdilemma umgeht. Weder die Mehrzahl der Mitgliedstaaten noch der Europäische Gerichtshof sind allerdings bisher bereit, einen solchen Schritt zu machen. bb) Legitimationsniveau Weil die WTO überwiegend kooperativ-völkerrechtlichen Charakter hat, sind die Begründungs- und Legitimationsmodelle für das Völkerrecht anzuwenden (dazu 2. Teil, A). Unter Beachtung des Demokratieprinzips (vgl. Art. 6 EUV, Art. 20 Abs. 2, 23 GG) gilt das WTO-Recht, wenn und soweit die Bürger der Vertragsparteien dies wollen und dem zugestimmt haben.554 Diese Anforderungen sind für kleinere WTO-Mitglieder, welche an den Verhandlungen der Welthandelsrunden mangels finanzieller und personeller Ressourcen nicht oder nur unzureichend beteiligt sind, nur in formeller Hinsicht erfüllt.555 Außerdem 551

W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1999, S. 124 f. E.-U. Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 73; siehe auch allgemein zu den Lehren, die sich aus dem EG-Recht für die Effektivierung des Welthandelsrechts ziehen lassen Th. Oppermann/J. C. Cascante, Dispute Settlement in the EC: Lessons for the GATT/WTO Dispute Settlement System?, S. 470 f., 478 ff., 480 f.; dazu auch M. Hilf, The Role of National Courts in International Trade Relations, S. 576 ff. 553 Vgl. auch E.-U. Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 114 f.; Th. Oppermann/J. C. Cascante, Lessons for the GATT/WTO Dispute Settlement System?, S. 484 f. 554 Vgl. K. A. Schachtschneider, Zum Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Recht und Politik 1/94, 1 (3); vgl. auch ders./A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 1993, 751 (754 ff.). 555 Besondere Bedeutung für den Verlauf der WTO-Verhandlungen hat das der Ministerkonferenz zuarbeitende „Trade Negotiations Committee“ (TNC), vgl. Abs. 46 WTO-Ministererklärung 2001. 552

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führen Kompromißpakete zu einem „Kontrahierungszwang“, der die Entscheidungsfreiheit der Vertragsstaaten erheblich einschränkt.556 Sowohl die EG als auch die EG-Mitgliedstaaten sind Vertragspartner des WTO-Abkommens. Die Völker der Mitgliedstaaten haben dem EG-Vertrag und damit Art. 300 Abs. 7 EGV, aus dem unmittelbare Geltung folgt, zugestimmt.557 Wäre nur die Europäische Gemeinschaft Vertragspartner und hätten nicht auch ihre Mitglieder dem gesamten Vertrag zugestimmt, würde dies nicht nur kompetenzrechtliche Probleme auslösen, sondern auch das Demokratiedefizit der Europäischen Union in der WTO fortsetzen (dazu 6. Teil, D, S. 842 ff.). Eine unmittelbare Anwendbarkeit der WTO-Vorschriften wirft in demokratischen Mitgliedern kein gegenüber der innerstaatlichen Geltung völkerrechtlicher Vorschriften gesondertes Problem demokratischer Legitimation auf.558 Ist die Geltung des Vertragsrechts beschlossen, gilt es auch für jeden Bürger im Staat, das sind, weil der freiheitlich demokratische Staat oder die Republik eine „Vereinigung von Menschen unter Rechtsgesetzen“ ist559, seine Bürger und kein von diesen abgetrenntes Subjekt. Der Regelungsumfang der unter der WTO vereinigten Abkommen ist allerdings beträchtlich und verlangt daher nach einem gegenüber gewöhnlichen völkerrechtlichen Verträgen erhöhten Legitimationsniveau. Weil die Inhalte des WTO-Rechts entscheidend von den Vertretern der Regierungen ausgehandelt und bestimmt werden, bestätigt dies den zu beobachtenden Trend zu funktionell gubernativer Rechtsetzung, welche die Parlamente als Volksvertretungen strukturell schwächt.560 Sogar die Rechtsklärung ist letztentscheidend einem Gremium (DSB) überlassen, das sich nur aus Regierungsvertretern zusammensetzt (vgl. Art. IV Abs. 2, 3 WTOÜ). Die Panels und das Berufungsgremium werden ihrerseits vom DSB eingesetzt und sind damit personell indirekt gubernativ legitimiert. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß die Befugnis zu authentischer Interpretation bei den Vertretern der Mitgliedstaaten (Art. IX Abs. 2 WTOÜ) verbleibt. Somit ist der Regelungsumfang im wesentlichen auf den Inhalt der Verträge, dem die nationalen Parlamente zugestimmt haben, beschränkt und 556

Vgl. „single undertaking“ gemäß Art. II WTOÜ und Abs. 47 Ministererklärung

2001. 557 Dazu D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 210 ff., 236 ff. 558 Dies deutet aber P. Royla, WTO-Recht – EG-Recht, EuR 2001, 500 an; vgl. dazu auch R. Uerpmann, Völkerrechtliche Nebenverfassungen, S. 350 f. 559 Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 431 (A 165 B 195); dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 17, 162, 519. 560 Vgl. dazu auch P.-T. Stoll, Globalisierung und Legitimation, Antrittsvorlesung, 19.5.2003, Redemanuskript, S. 1 ff.; A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000; vgl. zur Beteiligung der nationalen Regierungen und des europäischen Parlaments M. Hilf/F. Schorkopf, Das Europäische Parlament in den Außenbeziehungen der Europäischen Union, EuR 34 (1999), S. 185 ff.

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nicht, wie im Falle der Europäischen Union auf dynamische Erweiterung angelegt. Ein unmittelbar anwendbares Verbot von Handelsbeschränkungen hätte allerdings einen erheblichen Deregulierungseffekt auf die Ordnungen der Mitglieder. Fraglich ist daher, ob auch im Hinblick auf die supranational-weltrechtlichen Elemente, wie insbesondere das umgekehrte Konsensprinzip und das gerichtsförmliche, obligatorische Streitbeilegungsverfahren die parlamentarische Zustimmung der betroffenen Völker zu den Verträgen ausreicht. Staatsrechtlich könnte die Verantwortlichkeit der Parlamente durch deren vermehrte Einbindung im Verhandlungs- und Vertragsabschlußprozeß gestärkt werden. Überdies wird darüber nachgedacht, eine (zunächst beratende) parlamentarische Einrichtung innerhalb der WTO zu institutionalisieren. Außerdem könnten die Beteiligungsrechte von Nichtregierungsorganisationen über Art. V Abs. 2 WTOÜ hinaus erweitert werden.561 2. Entwicklungsstand der Weltwirtschaftsverfassung a) Scheitern der Weltwirtschaftsorganisation und der „Neuen Weltwirtschaftsordnung“ Institutionell prädestiniert zur Verwirklichung einer kohärenten Wirtschaftsverfassung wäre die UNO oder eine Weltwirtschaftsorganisation. Angesichts des Standort- und Systemwettbewerbs zwischen den Staaten gibt es derzeit keinen Konsens, die entsprechenden institutionellen Voraussetzungen zu schaffen.562 In den 70er Jahren waren die Bedingungen günstiger. Der in dieser Zeit geprägte Begriff der „Neuen Weltwirtschaftsordnung“563 stand für den Willen, an Entscheidungen von weltwirtschaftlicher Tragweite alle Staaten der Welt in gleichmäßiger Weise zu beteiligen.564 Er beschreibt die Versuche, weltweite wirtschaftliche Tätigkeit mit rechtlichen Regelungen, insbesondere unter Einbeziehung des Sozialprinzips und der Interessen der Entwicklungsländer, unter Beteiligung der Vereinten Nationen, ohne weltstaatliches Instrumentarium global zu erfassen.565 Seinen Ausdruck hat dieses Anliegen besonders in der 561 P.-T. Stoll, Globalisierung und Legitimation, S. 11; M. Hilf/F. Schorkopf, Das Europäische Parlament in den Außenbeziehungen der Europäischen Union, EuR 34 (1999), S. 185 (201 f.); J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, S. 58; vgl. auch Parlamentariertreffen bei WTO-Ministerkonferenzen: WTO-Press/159/1999. 562 Ch. E. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft, 388. 563 Resolution der Generalversammlung 3201 (S-VI) v. 1.5.1974; vgl. auch die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten, Resolution der Generalversammlung 3281 (XXIX) v. 12.12.1974. 564 J. Delbrück, Internationale Friedensordnung, S. 267. 565 Ch. E. Hauschka, Internationalisierung der Wirtschaft, 387; Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S, 590, Rn. 7.

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Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten von 1974 gefunden, der allerdings die wichtigsten Industriestaaten nicht zugestimmt haben.566 Einen höheren Konsensgrad erreichte die Seoul-Erklärung der International Law Association von 1996 über die fortschreitende Entwicklung von Völkerrechtsprinzipien einer Neuen Weltwirtschaftsordnung.567 Damals ging es auch um einen detaillierten Mechanismus für die Kontrolle von Zulassung und Tätigkeit transnationaler Unternehmen. Das Investitionsrecht sollte „deinternationalisiert“, d. h. nicht mehr vom Völkerrecht, sondern vom staatlichen Recht der betroffenen Länder, mithin der kapitalimportierenden Entwicklungsländer, bestimmt werden. Ziele waren staatliche Kontrolle über die Investitionstätigkeit, eine Erleichterung der Enteignung und die Errichtung von Produzentenkartellen.568 Inzwischen ist ein gegenläufiger Trend sichtbar.569 Infolge der hohen Korruption in vielen Entwicklungsländern erfüllte sich die Erwartung meist nicht, die Völker an den Gewinnen der transnationalen Unternehmen teilhaben zu lassen. Vielmehr diente die staatliche Beteiligung dem oft persönlichen Reichtum des jeweiligen Diktators oder wurde für Militärausgaben verwendet. Deshalb konnten auch die statt privater Auslandsunternehmen aufgenommenen Darlehen von den jeweiligen Ländern nicht zurückgezahlt werden. Die damit verbundene Krise und Verschuldung hat dazu geführt, daß jetzt die meisten Entwicklungsländer auf den Wirtschaftsliberalismus setzen und (in Standortkonkurrenz miteinander) versuchen, für private Investoren besonders „günstige“ Rahmenbedingungen zu schaffen.570 Koordiniert wird die Weltwirtschaftsordnung heute nicht mehr durch die, allgemeinen Menschheitsinteressen verpflichtete UNO, sondern vor allem durch den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank mit den Tochterorganisationen der Multilateralen Investitionsgarantieagentur (MIGA), eine Versicherungseinrichtung für Privatinvestitionen, und dem Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und

566 3281 (XXIX) v. 12.12.1974; dazu W. Fickentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. I, 1983, S. 116 ff.; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 2003, S. 68 f. 567 International Law Association, Report of the Sixty-Second Conference (1986), S. 2 ff. 568 Ch. Schreuer, Paradigmenwechsel im Internationalen Investitionsrecht, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, S. 239. 569 Dazu Ch. Schreuer, Paradigmenwechsel im Internationalen Investitionsrecht, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht, S. 238 ff. 570 Ch. Schreuer, Paradigmenwechsel im Internationalen Investitionsrecht, S. 246; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 65; siehe als Beispiel die Ablösung der restriktiven Entscheidung Nr. 24 der Kommission des Anden-Paktes von 1970, mit späteren Änderungen in: ILM 16 (1977), S. 138 durch die Entscheidung Nr. 220 von 1987, ILM 27 (1988), S. 974 und durch die noch liberalere Entscheidung Nr. 291 von 1991, ILM 30 (1991), S. 1283 (1288), welche eine grundsätzliche Offenheit für fremde Direktinvestitionen zeigen.

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Angehörigen anderer Staaten (ICSID) sowie durch die Welthandelsorganisation (WTO). b) Voraussetzungen einer Weltwirtschaftsverfassung Die Verfassung der Menschheit, wie sie Art. 1 AEMR formuliert, ist Grundlage, auch der Weltwirtschaftsverfassung.571 Ausgegangen wird von einem normativen Begriff der Weltwirtschaftsverfassung572, der nicht nur auf die jeweilige (empirische) Ordnung, deren formelle Organisation, Zuständigkeiten und Verfahren abstellt573, sondern auch materiell bindende Leitprinzipien für das Handeln der Wirtschaft enthält.574 In ihrer materiellen Dimension ermöglicht die Verfassung durch die wechselseitige Zuordnung der verschiedenen (oft gegenläufigen) Verfassungsprinzipien im Wege praktischer Konkordanz Rechtseinheit und einen Interessenausgleich, der auf materielle Gerechtigkeit zielt.575 Das auch in Art. 1 AEMR angesprochene Prinzip der Gleichheit in der Freiheit verlangt einen grundsätzlich gleichen Rang der Prinzipien in der Verfassung.576 Fraglich ist, inwieweit im bestehenden internationalen Wirtschaftsrecht eine Weltwirtschaftsverfassung in diesem (weltrechtlichen) Sinn bereits materialisiert ist. Nach Auffassung von Thomas Cottier entwickelt sich die WTO „zusehends zum Kern einer Weltwirtschaftsverfassung577 und ihr Streitbeilegungsverfahren zum Kern einer Weltwirtschaftsgerichtsbarkeit.“578 Ernst-Ulrich Petersmann579 571

Vgl. dazu 3. Teil, B; 4. Teil, A. Dazu P. Behrens, Weltwirtschaftsverfassung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 19 (2000), 5 ff. 573 Vgl. zum formell-deskriptiven Verfassungsbegriff W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsbegriff. Normativität und Legitimation als Elemente des Europäischen Verfassungsrechts, 1999, S. 29 ff.; D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung, JZ 1995, 581 (582); C. Koenig, Ist die Europäische Union verfassungsfähig?, DÖV 1998, 268 (269). 574 Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1999, S. 10, Rn. 17; vgl. auch: M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Einführung, Rn. 1; P. Badura, Staatsrecht, 1996, A 7 (S. 7 f.); R. Zippelius/Th. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 2005, S. 39. 575 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 76 ff.; s. a. P. Zumbansen, Spiegelungen von Staat und Gesellschaft, in: M. Anderheiden/ S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), 38. 576 A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 73; vgl. auch M. Hilf, New Economy – New Democracy?, in: Liber amicorum Th. Oppermann, 2001, S. 427 (436 f.). 577 So auch E.-U. Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, 1999, S. 11 f. 578 Th. Cottier, Durchsetzung der Prinzipien und Beschlüsse der WTO, S. 124. 579 E.-U. Petersmann, Europäisches Integrations-, Verfassungs- und Weltbürgerrecht, S. 370, 376. 572

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will im Recht der WTO, entsprechend der vorangegangenen Entwicklung des europäischen Gemeinschaftsrechts, eine Fortentwicklung der Handelsliberalisierungsordnung des GATT zu einem „globalen Integrationsrecht“ erkennen. Zur Begründung verweist er auf die häufig in Anspruch genommenen „obligatorischen Rechts- und Gerichtsschutzgarantien der WTO – sowohl auf internationaler Panel- und Berufungsebene als auch innerhalb des Landesrechts“, auf die „Freiheitsgarantien und Diskriminierungsverbote des WTO-Rechts“ und auf den „umfassenden Schutz individueller Eigentumsrechte“ im WTO-Abkommen über Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS). Zusammen mit den weltweiten und regionalen Menschenrechtskonventionen übernehme das „WTO-Integrationsrecht“ zunehmend „Verfassungsfunktionen“ zum Schutze der Freiheit, Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit der Bürger gegenüber „freiheitseinschränkenden Mißbräuchen“ staatlicher und gemeinschaftlicher Gewalt.580 Nach Martin Nettesheim bleibt die WTO im Paradigma gewöhnlicher Internationaler Organisationen und völkerrechtlicher Verträge und begründet keine darüber hinausweisende Verfassungsqualität.581 Dafür spricht die Praxis, daß in ihr nur Staaten als Rechtssubjekte gelten und der Status der Individuen im Welthandel nicht geregelt, sondern den Mitgliedern überlassen wird. An subjektiven Freihandelsrechten, der individuellen Einklagbarkeit der Freihandelsprinzipien und damit am hinreichenden Rechtsschutz mangelt es in der Wirklichkeit gerade unter dem WTO-Recht.582 Auch der Europäische Gerichtshof schützt die grenzüberschreitende wirtschaftliche Freizügigkeit und den freien Handel bislang nur im Europäischen Binnenmarkt und im Europäischen Wirtschaftsraum als subjektive Grundfreiheiten, nicht jedoch im Rahmen der WTO, obwohl das WTO-Recht Bestandteil des Gemeinschaftsrechts ist.583 Eine Ausnahme bildet die in Art. 56 ff. EGV verankerte Kapitalverkehrsfreiheit, die als Grundfreiheit mit erga omnes-Wirkung ein Recht auf Globalisierung der Kapitalmärkte auch für Nichtunionsbürger schafft.584

580 A. A. S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, in: B. Zangl/M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 119 (131), der der WTO, insbesondere ihrem Streitbeilegungsverfahren, im Gegensatz zum Umweltrecht eher schuldrechtlichen Charakter beimißt. 581 M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Wirtschaftsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 19 (2000), 66. 582 M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Wirtschaftsordnung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 19 (2000), 62 ff. 583 E.-U. Petersmann, Integrations-, Verfassungs- und Weltbürgerrecht, S. 378. 584 Vgl. dazu J. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, 2000; Schlußanträge, Generalanwalt L. A. Geelhoed vom 10.4.2003, Rs C-452/01 Ospelt u. a./Unabhängiger Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg; kritisch K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in: ders. (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 253 ff.

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Obwohl insbesondere der Welthandelsordnung teilweise Weltwirtschaftsverfassungsfunktion zugesprochen wird585, hat sich eine Weltwirtschaftsverfassung im Sinne einer ausgewogenen materiellen Integrations- und Prinzipienordnung bisher nicht entwickelt.586 Ein Grund liegt darin, daß wie allgemein im Völkerrecht über das jeweilige Vertragsverhältnis hinaus eine rechtsganzheitliche Betrachtung weitgehend fehlt.587 Weltwirtschaftsrecht und Menschenrechte, insbesondere auch die sozialen Rechte, stehen in der Völkerrechtsordnung nebeneinander und nicht hinreichend miteinander in Verbindung (dazu 2. Teil, B, S. 146 ff.). c) Einseitigkeit der Weltwirtschaftsordnung Der Realisierung einer Weltwirtschaftsverfassung steht entgegen, daß die Staaten zwar ein großes gemeinsames Interesse am weltweiten Freihandel haben, aber in anderen Bereichen der Wirtschaftsverfassung, namentlich was das Umweltschutz- und das Sozialprinzip angeht, uneinig sind. Erst recht zeigen sie keine Bereitschaft, Handlungskompetenzen zur sozialen und umweltrechtlichen Kontrolle des Wirtschaftsverkehrs aus der Hand zu geben. Hindernisse sind insoweit das mit dem Souveränitätsprinzip verbundene Territorialprinzip und das Nichteinmischungsprinzip, wonach ein Staat sich nicht in die Umwelt- oder Sozialvorschriften eines anderen Staates einzumischen hat, solange der Freihandel ermöglicht wird. Es ist zweifelhaft, ob eine Weltwirtschaftsverfassung unter Außerachtlassung der Menschenrechte und somit des Sozialprinzips rechtlich möglich ist. In der verfaßten rechtlichen Ordnung können Wirtschaft und Soziales nicht auseinanderdividiert werden. Sie bilden eine Einheit.588 Das Sozialprinzip ist als grundlegendes Prinzip menschlicher Gemeinschaft589, jedenfalls in seiner menschenrechtlichen Dimension, über den staatlichen Rahmen hinaus auch für die Weltordnung verbindlich (dazu 4. Teil A, S. 542 ff.) und in die Bewältigung weltrechtlicher Aufgaben mit einzubeziehen.

585 E.-U. Petersmann, Europäisches Integrations-, Verfassungs- und Weltbürgerrecht, S. 370, 376. 586 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Sozialprinzip und Weltwirtschaftsverfassung am Beispiel der WTO und der ILO, in: Fs. W. Nölling, 2003, S. 125 (137 ff.). 587 Vgl. P. Fischer, Gestaltwandel im Internationalen Wirtschaftsrecht, S. 212 f., dessen „ganzheitliche Betrachtung“ sich weniger auf eine einheitliche Prinzipienordnung als auf eine Einbeziehung des staatlichen und des privaten Rechts in das Internationale Wirtschaftsrecht richtet. 588 Dazu vgl. K. A. Schachtschneider, Die Euro-Illusion, in: W. Hankel/W. Nölling/ ders. (Hrsg.), Die Euro-Illusion, 2001, S. 25 ff.; ders., in: dieselben (Hrsg.), Die EuroKlage, 1998, S. 192; ders., Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 263 ff.; World Commission on the Social Dimension of Globalization, A Fair Globalization, 2004. 589 Dazu vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 234 ff.

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Die Welthandelsordnung ist bis jetzt noch keine Weltwirtschaftsverfassung im Sinne einer objektiven Prinzipienordnung, welche mit Blick auf die elementaren Rechtsprinzipien der Menschheitsverfassung, welche z. T. in Menschenrechtsverträgen materialisiert ist (dazu 4. Teil), für die Belange der Wirtschaft, namentlich diejenigen des Freihandels, des Umwelt- und Gesundheitsschutzes sowie das Arbeitnehmerschutzes verbindliche (vorrangige) Maßstäbe setzt und praktische Konkordanz ermöglicht.590 Die WTO enthält im wesentlichen Prinzipien und Regeln des freien Handels (GATT)591, des Dienstleistungsverkehrs (GATS) sowie den Schutz gewerblichen Eigentums (TRIPS)592 und ist damit auf die objektive Dimension der wirtschaftlichen Aspekte des Weltbürgerrechts und des geistigen Eigentums ausgerichtet. Insoweit haben die WTO-Abkommen Weltvertragscharakter (dazu 3. Teil, E, S. 449 f.), sind aber sehr einseitig. Eine Verweisung auf die Menschenrechte sieht das WTO-Recht nicht vor, nicht einmal einen Hinweis in der Präambel. „Umweltaspekte“ sind in der Welthandelsordnung nur rudimentär und ausnahmehaft verankert worden (vgl. Präambel WTOÜ, Art. XX GATT, SPS-Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen).593 Querschnittsklauseln, welche z. B. den Umweltschutz als in allen Bereichen des WTORechts zu berücksichtigendes Prinzip enthalten (vgl. Art. 6 EGV), sind in den Abkommen der WTO nicht vorgesehen. Lediglich in der Präambel des WTORahmenübereinkommens sind die Aspekte der „nachhaltigen Entwicklung“ und des Umweltschutzes als neben einer prosperierenden Wirtschaft gleichrangiges Ziel benannt („. . . in accordance with“).594 Sie können für die Auslegung des WTO-Rechts herangezogen werden.595 Sollen jedoch verbindliche Schutzstandards in das Welthandelsrecht eingefügt werden596, müßten entweder bestehende, z. B. internationale Umweltübereinkommen im WTO-System aner590 Vgl. auch M. Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, in: Liber amicorum Th. Oppermann, S. 390 ff. 591 Dazu D. I. Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, S. 95 ff.; M. Bökkenförde, Der Non-Violation Complaint im System der WTO, AVR 43 (2005), S. 43 (45 ff.). 592 Überblick bei D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 111 ff. 593 A. Kopke, Rechtsbeachtung und -durchsetzung in GATT und WTO, 1997, S. 250 f.; dazu M. Hilf, Freiheit des Welthandels contra Umweltschutz?, NJW 2000, 481 (484 ff.); eingehend J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, 2002, S. 37 f., 112 ff., 151 ff.; vgl. auch H. Hohmann, Der Konflikt zwischen freiem Handel und Umweltschutz in WTO und EG, RIW 2000, 88 ff.; zur Durchsetzung sozialer Standards im Rahmen der WTO M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, 1999, S. 60 ff., 116, 119 ff. 594 Dazu S. Puth, WTO und Umwelt, 2003, S. 87 ff. 595 Dazu J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 162 ff.; Appellate Body, US – Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 153; vgl. auch Brazil – Aircraft, WT/DS46/RW, para. 6.47 Fn. 49. 596 Vgl. auch W. Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus, S. 58.

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kannt, berücksichtigt und einbezogen werden oder die Mitgliedstaaten schließen entsprechende Verträge im Rahmen der WTO, wie schon das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS597), ab, was den Konsens der Mitgliedstaaten voraussetzt (Art. X WTOÜ). Über eine allgemeine Rechtsangleichungskompetenz, welche ihre Organe befähigen würde, Rechtsangleichungsmaßnahmen zu erlassen, verfügt die WTO nicht. Multilaterale Umweltschutzübereinkommen, wie das Washingtoner Artenschutzabkommen598, die Basler Konvention über die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle599, das Montrealer Protokoll zum Wiener Übereinkommen über den Schutz der Ozonschicht600 oder das Cartagena Protokoll über die biologische Sicherheit zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Biosafety-Protokoll)601 verbieten, beschränken oder regeln den Handel mit bedrohten Arten, gefährlichen Abfällen, ozonschädlichen Substanzen und gentechnisch veränderten Organismen.602 Damit stehen sie im Konflikt mit in den multilateralen WTO-Handelsabkommen, insbesondere im GATT, niedergelegten Geboten des Freihandels. Häufig werden staatliche Maßnahmen zum Schutz der Umwelt, selbst wenn sie multilateralen Umweltübereinkommen entsprechen, als nichttarifäre Handelshemmnisse behandelt, also als grundsätzlich mit dem GATT unvereinbar angesehen.603 Auf der anderen Seite gelten manche multilateralen Umweltschutzabkommen als lex specialis zu den Handelsabkommen.604 Fraglich ist, wie diese Dichotomie gelöst und die in multilateralen Abkommen verankerten Regeln und Prinzipien grenzüberschreitenden und globalen Umweltschutzes mit dem Welthandelsrecht koordiniert werden können.605 Eine Ko-

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BT-Drs. 12/7986, S. 84 ff.; ABl. Nr. L 336 v. 23.12.1994, S. 40. Vom 3.3.1973/1.7.1975, UNTS 993, p. 243 ff. 599 Vom 22.3.1989, dt. Fassung, BGBl. 1994 II, 2704, Sartorius II, Nr. 460, 27. 600 Vom 16.9.1987, dt. Fassung, BGBl. 1988 II, S. 1014, 1991 II, S. 1332, 1993 II, S. 2183; Sartorius II Nr. 455, 22. 601 ILM 39 (2000), 1027, in Kraft getreten am 11.9.2003. 602 Etwa 25 Multilaterale Umweltschutzabkommen enthalten Ermächtigungen zu Handelsbeschränkungen; WT/CTE/160/Rev.1 (14.6.01); dazu J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 231 ff. 603 E. Tuchtfeldt, Von der Havanna-Charta zur WTO, in: D. Fritz-Assmus/E. Tuchtfeldt (Hrsg.), Die Ordnung des Welthandels, 1997, S. 15 (33); vgl. dazu W. Adamy, Verteidigung und Durchsetzung sozialer Standards durch die Handelspolitik?, in: E. Kantzenbach/O. G. Mayer (Hrsg.), Von der internationalen Handels- zur Wettbewerbsordnung, 1996, S. 133 ff.; A. v. Bogdandy, Internationaler Handel und nationaler Umweltschutz, EuZW 1992, 244 ff. 604 Vgl. Sekretariat der Konvention über den Handel mit gefährdeten Arten WT/ CTE/W/165 (3.10.00), para. 12. 605 Dazu P.-T. Stoll, How to Overcome the Dichotomy Between WTO Rules and MEAs, ZaöRV 63 (2003), S. 439 ff.; J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, 2002, S. 35 ff. 598

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

ordinationspflicht besteht schon deshalb, weil die Weltwirtschaftsordnung, soweit bestimmte Schutzgüter (z. B. Umwelt) in den WTO-Abkommen nicht (hinreichend) berücksichtigt sind, unvollkommen ist. Mangels einer der WTO entsprechenden Weltumweltschutzbehörde, ist als prozeduralisierte Kooperation bisher nur ein Informationsaustausch zwischen den Sekretariaten multilateraler Umweltschutzkonventionen und relevanten WTO-Komitees vorgesehen.606 Institutionelle Beziehungen zwischen Handelsund Umweltregime fehlen also weitgehend. Deutlich wurde dies auch im sogenannten Schwertfisch-Fall.607 Chile hatte die Nutzung seiner Häfen für Longliner und Fabrikschiffe der EU verboten, die Bestimmungen zum Schutz von Fischbeständen mißachten. Dies behinderte den europäischen Re-Export von frischem und gefrorenem Fisch auf die amerikanischen Märkte. Die Europäische Gemeinschaft lehnte zwar die Rechtsprechung des Internationalen Seegerichtshofs ab, stimmte jedoch der Bildung eines Schiedsgerichtshofs nach der UNOSeerechtskonvention zu, durch den eine Einigung herbeigeführt werden konnte. Unter Berufung auf die Verletzung des GATT (Art. V) hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaft ein WTO-Streitbeilegungsverfahren beantragt608, u. a. auch weil sie dessen Verbindlichkeit und Zügigkeit gegenüber anderen Verfahren vorgezogen hat. Chile hingegen wollte den Streit vom Internationalen Seegerichtshof auf der Grundlage der Streitschlichtungsbestimmungen der UNO-Seerechtskonvention klären lassen.609 Solche Institutionenkonflikte können bisher nur über die Einigung der Parteien gelöst werden. Weltbank und Weltwährungsfonds sehen wegen des Verbots politischen Handelns in ihren Gründungsverträgen610 ihren Beitrag zu den Menschenrechten ausschließlich im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung und währungspoliti606 Ministerial Conference, Fourth Session, Doha, 9–14 November 2001, WTO Doc. WT/MIN(01)/DEC/1. para. 31 (ii). 607 Dazu Beschluß des Internationalen Seegerichtshofs 200/3, www.un.org/Depts/ los/ITLOS/SWORDFISH_STOCKS. htm; J. Neumann, Die Problematik paralleler Streitbeilegungsverfahren am Beispiel des Schwertfisch-Falls, ZaöRV 61 (2001), S. 529 ff.; ders., Koordination des WTO-Rechts, S. 198 ff.; P.-T. Stoll/S. Vöneky, The Swordfish Case, ZaöRV 62 (2002), S. 21 ff. 608 Measures Affecting the Transit and Importation of Swordfish, Request for Consultations by the European Communities, WTO WT/DS193/1. 609 Case concerning the conservation and Sustainable Exploitation of Swordfish Stocks in the South-Eastern Pacific Ocean (Chile/Europea Community), constitution of Chamber, Order 2000/3, 20 December 2000. 610 Z. B. lautet Art. IV Abschnitt 10 des Articles of Agreement of the International Bank for Reconstruction and Development v. 27.12.1945: „The Bank and its officers shall not interfere in the political affairs of any member; nor shall they be influenced in their decisions by the political character of the member or members concerned. Only economic considerations shall be relevant to their decisions, and these considerations shall be weighed impartially in order to achieve the purposes stated in Article I.“ R. Roos, Die Weltbank als Implementierungsgarant menschenrechtsschützender Völkerrechtsnormen, ZaöRV 63 (2003), S. 1051 ff.

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schen Hilfestellung.611 Richtigerweise umfaßt der Begriff der „Entwicklung“, der diese Organisationen dienen sollen, nicht nur die wirtschaftliche Seite, sondern „Menschliche Entwicklung“ (human development) überhaupt, also auch die Menschenrechte.612 Die Menschenrechte müssen als Grundlage der internationalen Gemeinschaft (vgl. Art. 1 AEMR, 56, 55 lit. c UN-Charta) auch bei der Lösung wirtschaftlicher Fragen berücksichtigt werden.613 Die von den Staaten geschaffenen Organisationen können ihr Mandat nur im Rahmen der Menschenrechtsverpflichtungen ausüben. Andere Befugnisse dürfen ihnen von den Staaten, welche die Menschenrechte achten müssen, nicht übertragen werden. Gewisse Fortschritte in dieser Hinsicht sind bei der Weltbank insofern zu verzeichnen, als die menschenrechtlichen Auswirkungen von Projekten im Rahmen der Bankkonditionalität der „good governance“ bei der Darlehensvergabe berücksichtigt werden.614 d) Fehlen der menschenrechtlich-sozialen Dimension im Welthandelsrecht Aufgabe des Rechts ist es, nicht nur eine nationale, sondern die weltweite Verwirklichung allgemeiner Freiheit herzustellen.615 Dazu gehört zwar, weil ein Weltsozialstaat letztlich in die Despotie führt, also unfreiheitlich ist616, nicht die Herstellung sozialer Gleichheit, aber ein Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit.617 Die unantastbare Würde des Menschen (vgl. Art. 1 AEMR) verbietet es, den Menschen nur als Objekt und Mittel zum Zweck optimalen Wirtschaftens

611 Dazu R. Roos, Die Weltbank als Implementierungsgarant, ZaöRV 63 (2003), S. 1046 ff. 612 R. Roos, Die Weltbank als Implementierungsgarant, ZaöRV 63 (2003), S. 1048 ff. 613 W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 275 (304); eingehender dazu U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, 1999; S. Skogly, The Human Rights Obligations of the World Bank and the International Monetary Fund, 2001; R. Roos, Die Weltbank als Implementierungsgarant, ZaöRV 63 (2003), S. 1035 ff. 614 Dazu S. Schlemmer-Schulte, The World Bank and Human Rights, ARIEL 4 (1999), S. 230 ff.; R. Roos, Die Weltbank als Implementierungsgarant, ZaöRV 63 (2003), S. 1038 ff. 615 Vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. XII; W. Kersting, Weltfriedensordnung und globale Verteilungsgerechtigkeit, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 172, (198); O. Höffe, Eine Weltrepublik als Minimalstaat, S. 165 ff. 616 Dazu H. Steiger, Brauchen wir eine Weltrepublik?, Der Staat, 42 (2003), 249 ff. 617 W. Kersting, Philosophische Friedenstheorie und internationale Friedensordnung, in: Ch. Chwaszcza/ders. (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 523 (547 f.).

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zu gebrauchen.618 Schon die Weimarer Verfassung forderte in Art. 162 vorausschauend: „Das Reich tritt für eine zwischenstaatliche Regelung der Rechtsverhältnisse der Arbeiter ein, die für die gesamte arbeitende Klasse der Menschheit ein allgemeines Mindestmaß der sozialen Rechte erstrebt.“ Erst unter Einbeziehung der Menschenrechte, welche das weltrechtliche Sozialprinzip materialisieren, wird eine Weltwirtschaftsverfassung rechtlich vollständig.619 Weil die ökonomischen und sozialen Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben in den Staaten der Welt höchst unterschiedlich sind, können allerdings über ein von der universellen Menschenwürde gebotenes Mindestmaß hinaus keine einheitlichen, weltweiten Standards verlangt werden. Sklaverei, Zwangsarbeit und ausbeuterische Kinderarbeit sind ohne weitere Materialisierung bereits aus dem universellen Menschenwürdegebot verboten.620 Art. 7, 3, 2 Abs. 2 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte untersagen Diskriminierungen bei der Arbeit. Art. 10 Abs. 3 IPwskR richtet sich gegen die wirtschaftliche und soziale Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen. Art. 8 IPwskR verbürgen die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Tarifverhandlungen. Ähnliche Gewährleistungen sind in Art. 7, 20, 23, 25 AEMR angesprochen. Während in Art. 7 des Entwurfs der ITO-Charta noch das Gebot der Verhinderung unfairer Arbeitsbedingungen enthalten war, ist das menschenrechtlichsoziale Element in der Welthandelsordnung kaum ausgeprägt.621 Typisch für das Völkerrecht beschränkt sich die WTO entsprechend der Effektivitätsmaxime auf die Durchsetzung von Ordnung und Rechtssicherheit innerhalb ihres Vertragssystems.622 Importverbote, welche mit der Nichteinhaltung von Standards im Herstellungsverfahren, etwa zum Schutz von Arbeitnehmerrechten, begründet werden, verstoßen grundsätzlich gegen Art. XI GATT (Verbot mengenmäßiger Beschränkungen).623 Auch das Diskriminierungsverbot (Art. III GATT) ist betroffen, weil dies so ausgelegt wird, daß die Gleichheit der Waren durch

618 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Sozialprinzip und Weltwirtschaftsverfassung, S. 129 ff., 145 ff. 619 Dazu M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 119 ff.; K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 289 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Sozialprinzip und Weltwirtschaftsverfassung, S. 125 ff. 620 S. F. Franke, Sozialdumping durch Schwellenländer?, 1999, S. 160. 621 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 380; H. Brunkhorst, Solidarität, 2002, S. 162 ff. 622 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 380. 1996 verneinte der WTO-Ministerrat die Zuständigkeit der WTO für die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten und verwies auf die ILO; J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, 39 f. 623 Vgl. Panel Report, United States – Restriction on Imports of Tuna v. 3.9.1991, ILM 30 (1991), 1594 ff. nicht angenommen. Panel Report, United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, v. 15.5.1998, WT/DS58/R und Appellate Body Report, AB-1998-4 v, 12.10.1998, WT/DS58/AB/R.

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das Verfahren ihrer Herstellung nicht berührt wird.624 Gesamtsoziale Ziele, wie die Erhöhung des Lebensstandards, die Verwirklichung der Vollbeschäftigung, ein hohes und ständig steigendes Niveau des Realeinkommens, die fortschreitende Entwicklung der Volkswirtschaften aller Vertragsparteien (GATT Präambel, Art. XXXVI GATT 1947), sollen im Sinne der Freihandelsdoktrin625 durch die im GATT vorgesehenen Gebote der Liberalisierung der Märkte erreicht werden.626 Unter Dumping i. S. d. Art. VI GATT und dem Anti-Dumping-Abkommen ist das sogenannte Sozialdumping627 generell nicht einzuordnen. „Dumping“ ist ein Preisverhalten, das darauf abzielt, auf ausgewählten Auslandsmärkten Produkte zu Preisen anzubieten, die – unter Berücksichtigung von Transportkosten und Besteuerungsunterschieden – unterhalb der eigenen heimischen Kosten liegen, um so Wettbewerber auszuschalten. Sozialdumping kann angenommen werden, wenn die gezahlten Löhne an einem Standort nicht marktkonform sind, d. h. unter dem Produktionsgrad des betreffenden Landes liegen.628 Es ist weltrechtlich betrachtet unzureichend, wenn einseitig Kapitalverkehrsfreiheit und Freihandel als Weltverfassungsprinzipien entwickelt, aber z. B. die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und das Sozialprinzip exkludiert werden.629 Aufgabe einer Weltwirtschaftsverfassung ist es auch, durch Achtung der Menschheitsverfassung rechtliche Chancengleichheit als Voraussetzung und Rahmenbedingung für freies Wirtschaften zu ermöglichen. Weil das Freiheitsund Rechtsprinzip mit dem Sozialprinzip verbunden ist630, können in einer (verfassungs-)rechtlichen Ordnung Wirtschaft und Soziales nicht getrennt wer624 A. v. Bogdandy, Internationaler Handel und nationaler Umweltschutz, EuZW 1992, 243 (244 f.); M. Hilf, Freiheit des Welthandels contra Umweltschutz, NVwZ 2000, 481 (484 f.); M. Böckenförde, Der Non-Violation Complaint im System der WTO, AVR 43 (2005), S. 54 ff. 625 Vgl. P. Behrens, Wirtschaftsverfassung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 19 (2000) S. 5 (19); Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 588 f., Rn. 2 m. N. 626 WTO Press/181 (13 June 2000): „Free Trade Helps Reduce Poverty“; vgl. auch S. Puth, WTO und Umwelt, S. 96 ff. 627 Vgl. dazu H.-V. Lempp, Die Vereinbarkeit einseitiger Maßnahmen der Vereinigten Staaten gegen das sogenannte Lohndumping, 1995, S. 6 ff. 628 Vgl. Art. VI GATT mit Art. 2 Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994 v. 15.4.1994, ABl. 1994 L 336/103 sowie die Antidumping-Verordnung (EG) Nr. 384/96 v. 22.12.1995, ABl. 1996, L 56/1; S. F. Franke, Sozialdumping, durch Schwellenländer?, in: H. Berg (Hrsg.), Globalisierung der Wirtschaft, 1999, S. 157 f.; D. Meyer, Sozialstandards und neue Welthandelsordnung, in: D. Fritz-Assmus/E. Tuchtfeldt (Hrsg.), Die Ordnung des Welthandels, 1997, S. 105 (118). 629 R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 571; H. Brunkhorst, Solidarität, S. 162 ff. 630 Dazu 4. Teil, A, S. 542 ff.; 6. Teil, C, S. 778 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Sozialprinzip und Weltwirtschaftsverfassung, S. 129 ff.

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den.631 Trotz der ihm zugeschriebenen Wohlfahrtswirkung632 ist der Markt allein nicht in der Lage, die Menschheitsverfassung zu sichern.633 Er kann sogar soziale Ungerechtigkeiten vergrößern634, wie dies in den letzten Jahren anhand der wachsenden Schere zwischen Globalisierungsgewinnern und Globalisierungsgegnern zu beobachten ist.635 Der Selbstregulierungsmechanismus des Wettbewerbs in der Marktwirtschaft, setzt rechtliche Chancengleichheit voraus, ersetzt sie aber nicht.636 Im Naturzustand oder in einer Situation extremer Ungleichheit erzeugt der Markt nur das vermeintliche „Recht des Stärkeren“637, das aus dem „Krieg aller gegen alle“ (Hobbes)638 erwächst639 und damit einen rechtlosen Zustand. Zudem gefährdet eine nur nach Effizienz-, Leistungs-, Markt- und Wettbewerbsgesichtspunkten ausgerichtete Weltwirtschaftsordnung den lebensnotwendigen Erhalt natürlicher Ressourcen.640 Zumindest ius cogens-Pflichten (Art. 64 WVK) oder allgemeine Menschheitspflichten können die Anwendung von völkerrechtlichen Verträgen begrenzen, z. B. indem die im GATT gewährte Handelsfreiheit durch das Verbot von Zwangsarbeit641 eingeschränkt wird und unter Verstoß gegen dieses Verbot hergestellte Waren keine Handelsfreiheit genießen.642

631 Dazu vgl. K. A. Schachtschneider, Die Euro-Illusion, S. 25 ff.; ders., Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 263 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Sozialprinzip und Weltwirtschaftsverfassung, S. 125 ff. 632 Vgl. A. Smith, Der Wohlstand der Nationen, 1974, insbes. S. 347 ff.; D. Ricardo, Über die Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung, 1994, S. 120; P. Behrens, Wirtschaftsverfassung, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 19 (2000) S. 5 (19). Zu den Einwänden gegenüber dieser Lehre vgl. die Übersicht bei M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 56 f. 633 So i. Erg. auch Ch. R. Beitz, Political Theory and International Relations, 1979, S. 144 ff.; A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), 2000, S. 151 (172); a. A. aber W. Schäfer, Globalisierung, in: H. Berg (Hrsg.), Globalisierung der Wirtschaft, 1999, S. 14 ff. 634 Ch. R. Beitz, Political Theory and International Relations, S. 144 ff. 635 Dazu H. Brunkhorst, Solidarität, S. 163 ff. 636 T. Dobberstein, Globalisierung der Gerechtigkeit, HFR 3-2003, S. 9; U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001, S. 26 ff. 637 Dazu Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, Kap. 3 (S. 9 f.). 638 Leviathan, 13. Kap. S. 112 ff.; 17. Kap. S. 151 ff.; 18. Kap. S. 156 ff. 639 K. A. Schachtschneider, Demokratie versus Kapitalismus, Zeit-Fragen, 10.6.2002, S. 2. 640 M. Forschner, Marktpreis und Würde, in: H. Neuhaus, Ethische Grenzen einer globalisierten Wirtschaft, 2003, S. 15 (28). 641 Siehe ILO-Übereinkommen Nr. 29 über Zwangsarbeit v. 28.6.1930 (BGBl. 1956 II, S. 640); ILO-Übereinkommen Nr. 105 über die Abschaffung von Zwangsarbeit vom 25.6.1957 (BGBl. 1959 II, 441); IGH, International Status of South West Africa, ICJ Rep. 1950, 126 (133). 642 J. Diller/D. Levy, Child labour, trade and investment, AJIL 91 (1997), S. 663 (665 f.); kritisch J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 71 f.

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e) Berücksichtigung des Rechts auf Entwicklung Art. XXXVI ff. GATT, Art. XI Abs. 2 WTOÜ sehen zwar gewisse Privilegien und einen Verzicht auf das Gegenseitigkeitserfordernis in der Gewährung von Marktzugangserleichterungen der entwickelten gegenüber den weniger entwickelten Vertragsparteien vor.643 Diese Bestimmungen sind aber nur ein „halbherziges Bekennen“ zu den Rechten der Entwicklungsländer644 aus dem Sozialprinzip und der (dritten Generation) der Menschenrechte (dazu 4. Teil, A, S. 542 ff.). Gerade in den für die Entwicklungsländer exportstarken Bereichen der Landwirtschaft und der Textilindustrie bleibt die Hoffnung auf freien Marktzugang weitgehend unerfüllt. Im Gegenteil, die Industriestaaten, namentlich die USA und die EU, schotten sich in diesen Bereichen von den Importen aus Entwicklungs- und Schwellenländern ab, subventionieren ihre eigene Herstellung, fordern aber von den Entwicklungsländern den Abbau von Subventionen und die Öffnung ihrer Märkte für die Industrieprodukte.645 Das im Rahmen der WTO beschlossene Abkommen über die Landwirtschaft646 ist zwar auf das Ziel stärkerer Marktöffnung in diesem Bereichen gerichtet, ermöglicht aber noch keinen gleichberechtigten Zugang der Entwicklungsländer zu den Märkten der Industrieländer. In einem Zehnjahreszeitraum bis zum 1.1.2005 sollte das Übereinkommen über Textilwaren und Bekleidung647 den Übergang von dem, die Industriestaaten schützenden, durch das Multifaserabkommen (1974) ermöglichten, bilateralen Quotensystemen zur vollständigen Anwendung der Freihandelsregeln des GATT auch im Textilbereich ermöglichen. Profitieren werden davon jedoch nicht die ärmsten Länder, sondern insbesondere technologisch weiterentwickelte Schwellenländer wie China und auch Indien. Bisher ist es nicht gelungen, die Vorgaben der Doha Ministerkonferenz der WTO-Mitglieder648 wie auch des „Plan of Implementation of the World Summit on Sustainable Development“649 zur gleichberechtigten und effektiven Teilnahme der Entwicklungsländer an den Liberalisierungsverhandlungen umzusetzen.650 Nicht einmal auf dem Gebiet des Freihandels ist also Chancengleichheit zwischen

643

W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 380. W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 32. 645 J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, 2002, S. 280 ff. 646 Vom 15.4.1994, ABl. 1994 L 336/22. 647 Vom 15.4.1994, ABl. 1994 L 336/50. 648 Ministerial Conference, Fourth Session, Doha, 9–14 November 2001, WTO Doc. WT/MIN(01)/DEC/1. 649 Text in: Report of the World Summit on Sustainable Development, Johannesburg, South Africa, 26 August–4 September 2002, UN Doc. A/CONF.199/CRP.5 of 28 August 2002, p. 6, para 47; dazu U. Beyerlin/M. Reichard, The Johannesburg Summit, ZaöRV 63 (2003), S. 213 (218 ff.). 650 Vgl. die gescheiterte WTO-Konferenz in Cancún: www.wto.org/english/ thewto_e/minist_ e/min03_e/min03_14sept_e.htm (12.3.2006). 644

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Industrie- und Entwicklungsländern erreicht und die unterstellte wohlfahrtssteigernde Wirkung des Freihandels insofern gehemmt. Zumindest in der Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Union hat sich die „Konditionalität“ der Menschenrechte für die Wirtschaftsbeziehungen mit Drittstaaten seit dem III. Lomé-Abkommen 1984651 gemäß der Zielsetzung in Art. 11 Abs. 1, letzter Spiegelstrich EUV, Art. 177 Abs. 2 EGV, 181a EGV etabliert.652 In Art. 5 des IV. Lomé-Abkommens von 1989653 heißt es: „Ziel der Zusammenarbeit ist eine auf den Menschen als ihren hauptsächlichen Betreiber und Nutznießer ausgerichtete Entwicklung, die somit die Achtung und die Förderung der Menschenrechte insgesamt voraussetzt.“ Das Nachfolgepartnerschaftsabkommen von Cotonou vom 23. Juni 2000654, welches das Gegenseitigkeitsprinzip im Kooperationsverhältnis zu den AKP-Staaten stärkt, sieht explizit die Achtung der Menschenrechte und ein Konsultationsverfahren zur Implementierung sowie einen politischen Dialog als Bestandteile der Partnerschaft vor (Art. 9, 30 Abs. 3). In den Verträgen mit einer Reihe lateinamerikanischer und asiatischer Staaten sowie mit OSZE-Staaten hat sich die sogenannte Wesentlichkeitsklausel durchgesetzt.655 Sie fand auch Eingang in das erneuerte IV. Lomé-Abkommen von 1995 (Art. 5)656 und in das Partnerschaftsabkommen von Cotonou (Art. 9). Menschenrechte und Demokratie sind demnach nicht nur eine Grundlage der Verträge, sondern werden als wesentliche Vertragsbestandteile bezeichnet, deren Verletzung eine „erhebliche Vertragsverletzung“ im Sinne von Art. 60 WVK wäre und zur einseitigen Suspendierung oder Beendigung des Vertrages berechtigen würde.657 Art. 96 AKP-EG-Partnerschaftsabkommen mildert diese Rechtsfolge jedoch ab und schreibt zunächst ein Konsultationsverfahren vor. Aussetzung ist das letzte Mittel. IV. ILO-Verfassung und ihr Beitrag zur Verwirklichung der Weltwirtschaftsverfassung Mit Gründung der ILO 1919, die seit 1946 als rechtlich selbständige Sonderorganisation658 in die institutionelle Struktur der Vereinten Nationen einge-

651

ABl. 1984, Nr. L 86, 3 ff. Dazu etwa F. Hoffmeister, Menschenrechts- und Demokratieklauseln in den vertraglichen Außenbeziehungen der Europäischen Gemeinschaft, 1998; W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, S. 305 ff. 653 ABl. 1991, Nr. L 229, 3 ff. 654 ABl. 2000, Nr. L 317, 3-353. 655 Vgl. F. Hoffmeister, Menschenrechts- und Demokratieklauseln, S. 530 ff., 537 ff. 656 Vom 15.12.1989, BGBl. 1991 II, S. 2, ABl. 1991 Nr. L 229/287; Änderungsabkommen vom 4.11.1995 ABl. 1998 Nr. L 156/3. 657 W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, S. 306. 652

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gliedert ist659, wurde zum ersten Mal die Zuständigkeit einer Internationalen Organisation anerkannt, wie ein Gesetzgeber Fragen, die vorher ausschließlich innere Angelegenheit eines jeden Staates waren, anzugehen und zu regeln. Diese Entwicklung hat die traditionellen Auffassungen über die Weltordnung und die nationale Souveränität grundlegend verändert. Die Organisation ist universalistisch konzipiert. Nach Art. 1 ILO-Verfassung660 erlangen Staaten, die Mitglieder der UN sind oder werden, die Mitgliedschaft in der ILO schon durch einfache Mitteilung an den Generaldirektor der ILO.661 Dadurch wird die Übernahme der sich aus der Verfassung der internationalen Arbeitsorganisation ergebenden Verpflichtungen förmlich erklärt (Art. 1 Abs. 3 ILO-Verf.). 1. Ziele Die Ziele der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)662 sind materiell weltrechtlich. Sie sind auf einen Beitrag zum Weltfrieden durch soziale Gerechtigkeit und Menschlichkeit gerichtet663 sowie auf die weltweite Verbesserung sozialer Standards in der Erkenntnis, daß wegen der Verflechtung der Volkswirtschaften Defizite bei der Durchsetzung sozialer Standards in einem Staat die Bemühungen der übrigen Staaten hemmen, die Lebensbedingungen für ihre Arbeitnehmerschaft zu verbessern.664 Nach der Präambel der ILO-Verf. kann der „Weltfriede“ „auf die Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden“, weil die aus Ungerechtigkeit, Elend und Entbehrungen erwachsende Unzufriedenheit „den Weltfrieden und die Welteintracht“ gefährdet. Der Begriff „Weltfriede“ wird hier erkennbar positiv im Sinne eines universellen Rechtsbegriffs gebraucht. Die Präambel der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation gibt dieser auf, „die Arbeitsbedingungen zu fördern, insbesondere . . . den Schutz der Arbeitnehmer gegen Krankheit, Arbeitsunfall und Betriebs658 Vgl. Art. 57 UN-Charta; dazu S. Böhmert, Das Recht der ILO und sein Einfluß auf das deutsche Arbeitsrecht, 2002, S. 44. 659 Übereinkommen zwischen UN und ILO gemäß Art. 57 i.V. m. 63 UN-Charta von 1946; vgl. W. Meng, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 63, Rn. 5; M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, 1999, S. 8; zur geschichtlichen Entwicklung: V.-Y. Ghebali, The International Labour Organisation, S. 1 ff. 660 BGBl. 1957 II, S. 317, geändert am 27.6.1972, BGBl. 1975 II, S. 2206; siehe auch www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/verfassung/index.htm. 661 S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 45. 662 Dazu V.-Y. Ghebali, The International Labour Organisation, 1989, S. 61 ff.; S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 33 ff.; M. Senti, Die Effektivität der Internationalen Arbeitsorganisation, 2002, S. 11 ff. 663 Abs. 1 und 4 der Präambel; näher N. Valticos/G. W. v. Potobsky, International Labour Law, 1995, S. 17 ff.; M. Senti, Die Effektivität der Internationalen Arbeitsorganisation, S. 11 ff. 664 Abs. 3 der Präambel.

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krankheiten, bei Alter und Invalidität.“ Im Unterschied zu den UN-Menschenrechtspakten von 1966 propagiert die ILO im Sinne des Sozialprinzips ein ganzheitliches Menschenrechtsverständnis, das nicht zwischen bürgerlichen und politischen Rechten einerseits sowie wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten andererseits trennt.665 Zweck der ILO ist es jedoch nicht, unterschiedliche Arbeits- und Sozialkosten über bestimmte Mindeststandards hinaus weltweit zu nivellieren. Die Wettbewerbsvorteile der wirtschaftlich weniger entwickelten ILO-Mitglieder sollen nicht in der Weise angetastet werden, daß deren Entwicklungsmöglichkeiten beeinträchtigt werden könnten.666 Vielmehr ist erklärtes Ziel der ILO das Bemühen um weltweit menschenwürdige Arbeit.667 Aufgrund ihrer Kompetenzbeschränkung darf sich die ILO nicht mit Fragen der internationalen Wirtschaftsordnung befassen, die der WTO vorbehalten sind. Sie kann damit soziale Standards nicht durch die Schaffung entsprechender wirtschaftlicher Voraussetzungen fördern.668 In materieller Hinsicht erfüllt die ILO-Verfassung die Voraussetzungen eines Weltvertrages (dazu 3. Teil, E, S. 449 ff.). 2. Dreigliedrige Organisationsstruktur Im Unterschied zu anderen Internationalen Organisationen sind in der ILO private Verbände (der Arbeitgeber und Arbeitnehmer) an der Rechtsetzung beteiligt669 und insoweit als globale Rechtssubjekte institutionalisiert. Die normsetzenden und beschlußfassenden Organe670 sind sämtlich nach dem Strukturprinzip der Dreigliedrigkeit671 zusammengesetzt, also jeweils mit Vertretern der Regierungen, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer (im Verhältnis 2:1:1), welche auf der Konferenz gleiche Rechte und Pflichten haben (vgl. Art. 3 Abs. 1 665

M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 51 f. M. Hansenne, International trade and labour standards, International Labour Review, Vol. 135 (1996), No. 2, 230 (234). 667 Internationales Arbeitsamt, Menschenwürdige Arbeit, Bericht des Generaldirektors, Internationale Arbeitskonferenz, 87. Tagung, 1999, 4; E. Senghaas-Knobloch, Weltweit menschenwürdige Arbeit als Voraussetzung für dauerhaften Weltfrieden, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 677 ff. 668 M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 57. 669 K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 223 (236); zur geschichtlichen Entwicklung V.-Y. Ghebali, The International Labour Organisation, S. 125 ff. 670 Einzelheiten zu den Organen der ILO bei W. Adamy/M. Bobke/K. Lörcher, Einleitung zum Recht der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), 1990, S. 152 f.; S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 46 ff.; grundlegend auch N. Valticos/G. W. v. Potobsky, International Labour Law, S. 40 ff. 671 Dazu S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 51 ff. 666

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ILO-Verfassung). Sowohl die Delegierten der Berufsverbände als auch die der Regierungen sind nicht an die Weisungen ihres Staates gebunden.672 Dementsprechend sieht Art. 4 Abs. 1 ILO-Verf. vor, daß jeder Delegierte das Recht hat, „über alle der Konferenz unterbreiteten Fragen für seine Person abzustimmen“. Die Sozialpartner verfügen in den Entscheidungsgremien gemeinsam über die Hälfte aller Stimmen.673 Höchstes, gelegentlich als „Legislative“ bezeichnetes, Organ ist die Allgemeine Konferenz, die mindestens einmal jährlich in Genf zusammentritt.674 Sie diskutiert die wesentlichen Fragen, beschließt den Haushalt und verabschiedet insbesondere Übereinkommen sowie Empfehlungen (Art. 19 Abs. 1 und 2 ILOVerf.). Jeder Mitgliedstaat entsendet in die Allgemeine Konferenz eine vierköpfige Delegation, bestehend aus zwei Regierungsvertretern und je einem Arbeitnehmer- und einem Arbeitgebervertreter (Art. 3 Abs. 1 ILO-Verf.). Der Verwaltungsrat, das Exekutivorgan (vgl. Art. 2 lit. b i.V. m. Art. 7 ILO-Verf.), hat Koordinationsaufgaben, insbesondere legt er die Tagesordnung der Internationalen Arbeitskonferenz fest und stellt die Vorbereitung der Konferenzen der Allgemeinen Konferenz sicher (Art. 14 ILO-Verf.). Außerdem kommen ihm Aufgaben bei der Überwachung der Umsetzung und Anwendung der Abkommen durch die Mitgliedstaaten zu.675 Der Verwaltungsrat tritt dreimal jährlich zusammen.676 Zehn der 56 Regierungsvertreter mit ständigem Sitz werden von den führenden Industriestaaten (Brasilien, China, Frankreich, Deutschland, Indien, Italien, Japan, Russische Föderation, Großbritannien und USA) ernannt. Diesen Staaten wird damit entgegen dem grundsätzlichen Gleichheitsgrundsatz ein erhöhter Einfluß auf die Aktivitäten der ILO eingeräumt, was sich auch darin zeigt, daß einer mit 2/3-Mehrheit möglichen Verfassungsänderung jedenfalls fünf dieser Staaten zustimmen müssen (Art. 36 ILO-Verf.). Das Internationale Arbeitsamt nimmt die Funktion eines Sekretariats wahr, wozu z. B. die Do672

N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, 2002, S. 23 f. M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 8. 674 Dazu S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 46 ff. 675 S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 48 f. 676 Er setzt sich nach Art. 7 ILO-Verf. aus 56 ordentlichen Mitgliedern (28 Regierungsvertreter, je 14 Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter) sowie nach den Geschäftsordnungen der Arbeitskonferenz und des Verwaltungsrates aus weiteren 66 Ersatzmitgliedern (28 Regierungsvertreter, je 19 Arbeitgeber-, und Arbeitnehmervertreter) zusammen. Vgl. Art. 7 Abs. 1 ILO-Verf.; www.ilo.org/public/english/standards/ relm/gb/; vgl. auch V.-Y. Ghebali, The International Labour Organisation, S. 188 ff.; M. Senti, Die Effektivität der Internationalen Arbeitsorganisation, S. 14. Am 24.6.1986 wurde von der Allgemeinen Konferenz nach Art. 36 ILO-Verf. eine Änderung der Verfassung verabschiedet. Danach soll die Wahl der Verwaltungsratssitze auf 112 erhöht und die ständigen Sitze der Regierungsvertreter aus den 10 führenden Industriestaaten abgeschafft werden. Sie ist jedoch noch nicht in Kraft getreten, weil sie noch nicht mit 2/3 Mehrheit, darunter von fünf der führenden Industriestaaten ratifiziert worden ist. 673

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kumentation von Materialien zu Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Mitgliedstaaten, aber auch die Ausarbeitung von Übereinkommensentwürfen gehört (vgl. Art. 2 lit. c i.V. m. Art. 10 ILO-Verf.).677 3. ILO-Standards als Materialisierung des menschheitlichen Sozialprinzips und als Verfassungsprinzipien Die in Form von Übereinkommen678 und Empfehlungen679 erlassenen ILOStandards680, die ausweislich der Präambel auf weltweite Geltung angelegt sind681, materialisieren das menschenrechtliche Sozialprinzip auf internationaler und globaler Ebene.682 Sozialstandards sind der umfassende Begriff für Mindeststandards683, für Arbeiterrechte, die für die Ausgestaltung von Arbeitsverträgen (Arbeitszeit, Lohn, Sozialversicherung etc.) zu beachten sind.684 1977 erließ die ILO die Tripartite Declaration of Principles Concerning Multinational Enterprises and Social Policy (Dreigliedrige Grundsatzerklärung) als unverbindliche Richtlinie, die auf die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer gerichtet, und kaum propagiert worden ist.685 Im Rahmen der ILO bestehen Übereinkommen686 zur Vereinigungsfreiheit, zum Recht auf Kollektivverhandlungen, zur Zwangsarbeit sowie zu deren Abschaffung, gegen Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf und für die Gleichheit des Entgelts. Arbeitsbedingungen thematisieren die Konventionen

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Dazu S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 50. Dazu S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 62 ff. 679 Dazu S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 78 ff.; vgl. zu den Verpflichtungen der Mitglieder aus Empfehlungen Art. 19 Abs. 6 ILO-Verf. 680 Texte unter www.ilo.org/ilolex. 681 S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 99. 682 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Sozialprinzip und Weltwirtschaftsverfassung, S. 129 ff., 145 ff.; vgl. Erklärung von Philadelphia 1944, V: Die Konferenz bekräftigt, daß die in dieser Erklärung niedergelegten Grundsätze für alle Völker der Welt volle Geltung haben. Die Art ihrer Anwendung muß sich zwar nach der von jedem Volk erreichten sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsstufe richten, aber ihre fortschreitende Verwirklichung in noch abhängigen Gebieten sowie für Völker, die bereits die Stufe der Selbstregierung erreicht haben, ist Anliegen der gesamten zivilisierten Welt. 683 Vgl. Art. 19 Abs. 8 ILO-Verf. 684 Ch. Scherrer/Th. Greven, Soziale Konditionalisierung des Welthandels, 1999, S. 5; dazu S. Burpbacher, Fundamentale Arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation, 2002; A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, 2005, S. 32 ff. 685 Im November 2000 ist der Text vom Verwaltungsrat überarbeitet worden (GB.279/12); Text unter www.Ilo.org/ilolex. 686 Rechtstexte in dt. Übersetzung unter www.ilo.org/ilolex/german/docs/conv disp1.htm; dazu auch S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 107 ff.; A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 94 ff. 678

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zum Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen (Nr. 26, 99, 131, 135) sowie zum bezahlten Jahres- und Bildungsurlaub. Schutzabkommen sind etwa diejenigen zur Kinderarbeit (Nr. 138, 182) und zum Mutterschutz (Nr. 3). Darüber hinaus existieren Mindestnormen zur Sozialen Sicherheit (Nr. 102 u. 118), die in weiteren Abkommen näher präzisiert wurden. Acht Kern- oder Menschenrechtsübereinkommen gelten als so grundlegend, daß sie nach Beschluß des Verwaltungsrates von allen Mitgliedern unterzeichnet werden sollen. Es sind die Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts von 1948 (Nr. 87), über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen von 1949 (Nr. 98), über Zwangsarbeit von 1930 (Nr. 29) und die Abschaffung von Zwangsarbeit von 1957 (Nr. 105), über die Gleichheit des Entgelts für gleiche Arbeit von 1951 (Nr. 100), über Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf von 1958 (Nr. 111), über das Mindestalter für Arbeit von 1973 (Nr. 138) und über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999 (Nr. 182). Bislang haben 147 ILO-Mitgliedstaaten von 180 alle Kernübereinkommen ratifiziert, darunter auch Deutschland. Die Akzeptanz der bestehenden Sozialstandards ist allerdings unterschiedlich.687 Das Schutzniveau der Standards bewegt sich meist um einen Minimalkonsens.688 Selbst dieser wird von den sozial weniger entwickelten Ländern oft nur zögerlich oder überhaupt nicht angenommen.689 Die meisten neueren Abkommen wurden nur noch von 10% oder weniger der Mitgliedsländer ratifiziert.690 Eine weltweite oder erga omnes-Wirkung der Standards war damit nicht zu erreichen. Um dem abzuhelfen, hat die Internationale Arbeitskonferenz im Juni 1998 auf der 86. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz ohne Gegenstimme die Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work691 angenommen. Sie verpflichtet alle Mitgliedstaaten, „auch wenn sie die betreffenden Übereinkommen692 nicht ratifiziert haben, allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Organisation, . . . die Grundsätze betreffend die grundlegenden Rechte, die Gegenstand dieser Übereinkommen sind, im guten Glauben und gemäß der Verfassung einzuhalten, zu fördern und zu verwirklichen“:

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Zum Ratifikationsstand www.ilo.org/ilolex. M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 50. 689 M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 50. 690 E. Potter, Renewing international labor standards for the 21st century, ZfA 2001, 205 (210). 691 86th Session, Geneva, June 1998, www.ilo.org/public/english/standards/decl/ declaration/text/ 692 Die „betreffenden“ Übereinkommen sind die Übereinkommen 29, 105 (Abschaffung der Zwangsarbeit), 87, 98 (Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen); 100, 111 (Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung), 138, 182 (effektive Abschaffung der Kinderarbeit). 688

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a) Das Recht Gewerkschaften zu gründen und die effektive Anerkennung des Rechts zu Kollektivverhandlungen, b) die Beseitigung aller Formen von Zwangs- und Pflichtarbeit, c) die effektive Beseitigung der Kinderarbeit, d) die Beseitigung von Diskriminierungen bei der Einstellung und während der Beschäftigung. Die Erklärung, die mit der bisherigen Gleichrangigkeit der Abkommen bricht und deren Verbindlichkeit nun unmittelbar begründet, ist ein wichtiger Schritt in Richtung auf die weltweite Durchsetzung fundamentaler Menschenrechte und ihre Einbeziehung in das sozialwirtschaftliche und gesellschaftspolitische Handeln.693 Im Kernbereich, den die ILO-Declaration on fundamental Principles and Rights at Work von 1998 festgestellt hat, gilt das Recht der ILO unmittelbar für alle seine Mitglieder ohne Ratifikation, weil diese Grundsätze bereits in der Präambel der Verfassung und der Erklärung von Philadelphia aus dem Jahre 1944694 niedergelegt sind. Zu den darin enthaltenen Verfassungsprinzipien gehört insbesondere der für die Weltwirtschaftsverfassung elementare Grundsatz, daß Arbeit „keine Ware“ ist. Damit ist angesprochen, daß der Mensch, was unmittelbar aus der Menschenwürde abzuleiten ist, nicht zum bloßen Objekt des Wirtschaftens gemacht werden darf. Daraus folgen weiter der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, die Meinungsäußerungs- und Vereinigungsfreiheit sowie das Recht auf materiellen Wohlstand und geistige Entwicklung in Freiheit und Würde. Diese Kernrechte sind für alle Mitglieder allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der ILO völkerrechtlich verbindlich.695 De facto gilt dies auch für die acht Kernübereinkommen, in denen diese geregelt sind.696 Sie müssen von allen ILO-Mitgliedstaaten respektiert und realisiert werden, unabhängig davon, ob sie die entsprechenden ILO-Konventionen bereits ratifiziert haben oder nicht.697 Damit hat die ILO ein Stück Menschheitsverfassung verwirklicht. Ein besonders wichtiges Prinzip, das seinen Durchsetzungshebel in sich trägt, ist die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit einschließlich des Rechts auf Kollektivverhandlungen und des aus den Konventionen Art. 87 und 98 in effektiver Auslegung abgeleiteten Streikrechts.698 Ohne ausreichende Handlungsfähigkeit 693

www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/ilo_kernarbeitsnormen.htm. Die Erklärung von Philadelphia ist der Verfassung als Anlage beigefügt. 695 www.ilo.org/public/english/standards/decl/declaration; Punkt 2; siehe auch www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/kernarbeitsnormen/index.htm, S. 2. 696 E. Senghaas-Knobloch, Zwischen Überzeugen und Erzwingen, in: B. Zangl/B. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 140 (151). 697 www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/ilo_kernarbeitsnormen.htm. 698 Vgl. Committee on Freedom of Association, Second Report 1952, Thesis No. 28 (Jamaica), para. 68; Committee of Experts on the Application of Conventions and 694

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der Gewerkschaften lassen sich die Arbeitnehmerrechte nicht durchsetzen699, zumal über die tripartistische Struktur nur dann eine angemessene Repräsentation der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ermöglicht wird.700 Die Garantie der mit der Koalitionsfreiheit verbundenen Tarifautonomie ist wichtiger als z. B. Mindestlöhne und Höchstarbeitszeiten, die von der jeweiligen wirtschaftlichen und sozialen Situation im Land abhängig sind. Mit der Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit ist die Möglichkeit der Arbeitnehmer verbunden, auf ihre Situation in Verhandlungen und Verfahren, also prozedural, sowie ultra vires durch Streik unmittelbar und selbstbestimmt einzuwirken. Damit wird zugleich sichergestellt, daß Sozialklauseln nur dem Arbeitnehmerschutz dienen und nicht als Protektionismusinstrument mißbraucht werden. Solange Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit garantiert werden, sind auch die Rechte der erwachsenen Arbeitnehmer hinreichend gesichert. Volenti non fit iniuria. Universelle Menschenwürdestandards sind allerdings durch die Tarifvertragsfreiheit nicht abdingbar, wie das Verbot von Sklaverei, Zwangsarbeit und ausbeuterischer Kinderarbeit. 4. ILO-Übereinkommen: Sekundärrechtsetzung oder völkerrechtliche Verträge? Die Übereinkommen und Empfehlungen werden von der Internationalen Arbeitskonferenz mit Zweidrittelmehrheit beschlossen (Art. 19 Abs. 2 ILO-Verf.). Entsprechend den Grundsätzen der ILO-Verfassung materialisieren sie soziale Schutzstandards (International Labour Standards)701 und bilden in ihrer Gesamtheit ein „Internationales Arbeitsbuch“.702 Für besondere Verhältnisse in manchen Ländern können Abänderungen vorgesehen werden (Art. 19 Abs. 3 ILOVerf.). Dem Beschluß geht ein gesetzgebungsähnliches Verfahren voraus703, das sich von der sonst üblichen diplomatischen Verhandlung völkerrechtlicher Verträge unterscheidet. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die von der Konferenz verabschiedeten Übereinkommen den zuständigen nationalen Gesetzgebungskör-

Recommendations, General Survey 1959, para. 68; 1973, para. 197; 1983, paras. 200, 205; 1994, paras. 147–151; dazu A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 311 ff. 699 Dazu Ch. Scherrer/Th. Greven, Soziale Konditionalisierung des Welthandels, S. 10 f. 700 E. Senghaas-Knobloch, Weltweit menschenwürdige Arbeit, S. 684 ff., auch zur Problematik der Ausdehnung der ILO-Grundsätze auf den breiten informellen Sektor, den Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigungen in der Regel nicht repräsentieren. 701 Siehe dazu www.ilo.org/ilolex/german/docs/convdisp1.htm. 702 N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 25 f.; vgl. auch Committee of Experts on the Application of conventions and Recommendations, International Labour Conference, 81st Session 1994, para. 16. 703 Siehe Übersicht unter www.ilo.org/public/english/standards/norm/comeform/ legsys/index. htm.

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perschaften in der Regel innerhalb eines Jahres zur Ratifikation vorzulegen (Art. 19 Abs. 5 ILO-Verf.). Mitgliedstaatliche Vorbehalte bei der Ratifikation, welche den Inhalt eines Übereinkommens berühren, sind nicht zulässig, weil dadurch die dreigliedrige Struktur beeinträchtigt würde. Strittig ist, ob die Übereinkommen nur als soft law704 oder als (völkerrechtliche) Verträge oder sogar als Gesetzgebung einzuordnen sind.705 Die erste Auffassung ist zu Recht, auch wegen des wenig aussagekräftigen Begriffs von soft law706 als unhaltbar kritisiert worden.707 Jedenfalls mit ihrer Ratifikation haben sich die Mitgliedstaaten förmlich verpflichtet und völkerrechtlich gebunden.708 Unterbleibt eine Ratifikation, so haben die Übereinkommen dennoch insoweit Verpflichtungswirkung; als die Mitgliedstaaten regelmäßig über den Stand ihrer nationalen Gesetzgebung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts und Arbeitsschutzes berichten müssen (vgl. Art. 19 Abs. 5 lit. e ILO-Verf.). Auch ein nicht ratifiziertes Übereinkommen entfaltet somit gewisse rechtliche Pflichten und kann daher nicht als rechtlich unverbindlich angesehen werden.709 Das bestätigen auch die ILO Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work710 und die daraus folgenden acht sogenannten Kernarbeitsnormen.711 Nach überwiegender Meinung sind die ILO-Übereinkommen völkerrechtliche Verträge zwischen den Mitgliedstaaten, die nach ihrer Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten für diese bindend werden und sie völkerrechtlich verpflichten, die Bestimmungen der Abkommen einzuhalten.712 Werden die Übereinkommen ausschließlich als völkerrechtliche Verträge und nicht als Rechtsakte der ILO gedeutet, verpflichten sich die Staaten nur untereinander als Vertragspartner und nicht gegenüber der ILO.

704 A. Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, S. 13; vgl. dazu auch Th. Morhard, Die Rechtsnatur der Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, 1988, S. 194. 705 Dazu H. Bartolomei de la Cruz/G. v. Potobsky/Lee Swepston, The International Labor Organization, 1996, S. 22 ff.; N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 27 ff.; S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 66 ff.; E. Senghaas-Knobloch, Zwischen Überzeugen und Erzwingen, S. 142 f. 706 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 192. 707 N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 28; S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 67 ff. 708 Zur Geltung in Deutschland eingehend S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 150 ff. 709 Vgl. E. Senghaas-Knobloch, Zwischen Überzeugen und Erzwingen, S. 143. 710 86th Session, Geneva, June 1998, www.ilo.org/public/english/standards/decl/ declaration/text/ 711 E. Senghaas-Knobloch, Zwischen Überzeugen und Erzwingen, S. 143. 712 Vgl. N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 30 ff.; BT-Drs. 12/ 3495 v. 21.10.1992, S. 7, 10; M. Senti, Die Effektivität der Internationalen Arbeitsorganisation, S. 16 ff.; vgl. S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 67 ff.

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Allerdings unterscheidet sich das ILO-Rechtsetzungsverfahren erheblich von der sonst üblichen diplomatischen Verhandlung und Ausarbeitung völkerrechtlicher Verträge. Die Übereinkommen werden nicht von Staaten als Völkerrechtssubjekten ausgehandelt, sondern ausschließlich von der Organisation erarbeitet, beschlossen, ausgelegt, kontrolliert und abgeändert. Insoweit besteht Ähnlichkeit mit einem Gesetzgebungsverfahren.713 Deshalb sind die Übereinkommen ein aliud zu gewöhnlichen völkerrechtlichen Vertragsentwürfen und mit gewissen Einschränkungen Akte international-globaler Gesetzgebung.714 Manche nehmen an, das Ratifikationsverfahren habe nicht wie bei gewöhnlichen völkerrechtlichen Verträgen die Funktion, den Abkommen eine rechtliche Existenz zu verschaffen, sondern sei eine bloße Beitrittserklärung eines Mitgliedstaates zu einem (unvollständigen) Gesetz715 oder einem Gesetz unter aufschiebender Bedingung716. Als unmittelbar anwendbares supranationales Recht oder ILOSekundärrecht sind die Übereinkommen allerdings nicht einzuordnen, weil sie volle rechtlich bindende Wirkung nur für diejenigen Staaten entfalten, welche sie ratifizieren.717 Erst dann sind die Staaten zur innerstaatlichen Umsetzung völkerrechtlich verpflichtet. Das Ratifizierungserfordernis bleibt im völkerrechtlichen Paradigma. Insbesondere sichert es über die Beteiligung der nationalen Parlamente die demokratische Legitimation der ILO-Rechtsetzung, die andernfalls nicht sichergestellt wäre. Der Verbindung von gesetzgebungsähnlichen und völkerrechtlichen Elementen im Rechtsetzungsverfahren wird am ehesten die Annahme einer zweistufigen oder gemischten Rechtsetzung gerecht.718 5. ILO als Vorbild Mit ihrer Struktur und Rechtsetzungsweise stellt die ILO ein Partizipationsmodell nicht nur für die immer zahlreicher werdenden transnational-sektoralen Politiknetzwerke aus staatlichen und privaten Akteuren zur Verfügung, sondern bietet sich auch als Entwurf für künftige Weltorganisationen an, bei denen eine

713 M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 12; ausführlich dazu N. Valticos/G. W. v. Potobsky, International Labour Law, S. 50. 714 Vgl. dazu N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 28 ff.; S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 69 ff. 715 N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 28; zurückhaltender M. Senti, Die Effektivität der Internationalen Arbeitsorganisation, S. 18: Der ILO komme gegenüber den Mitgliedstaaten ein Gesetzesantragsrecht zu. 716 Vgl. E. Fried, Rechtsvereinheitlichung im internationalen Arbeitsrecht, 1965, S. 63; vgl. auch N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 29. 717 W. Haase, Zur Bedeutung der IAO – Übereinkommen, ZfSH/SGB 1990, 240; M. Senti, Die Effektivität der Internationalen Arbeitsorganisation, S. 16 ff.; M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 13; S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 69 f. 718 In dem Sinn auch N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 34 ff.

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Beteiligung einschlägig engagierter privater Verbände (Nichtregierungsorganisationen, Unternehmensverbände) sinnvoll ist.719 Zu denken ist hier etwa an eine Weltumweltorganisation unter dem Dach der Vereinten Nationen.720 Kritisch unter freiheitsdogmatischen Gesichtspunkten ist allerdings, daß die Beschränkung auf die Beteiligung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, zwar aus Effektivitätsgesichtspunkten sinnvoll sein mag, aber nur Kongruenz zwischen den Hauptbeteiligten, nicht jedoch zwischen allen Betroffenen herstellt. Verbraucherinteressen, die durch arbeitsrechtliche Regeln, wie Löhne und Mindeststandards, durchaus betroffen sein können, sind beispielsweise nicht beteiligt.721 Insoweit könnte das Modell verbessert werden. 6. Durchsetzbarkeit der ILO-Standards Zur Durchsetzung der Labour-Standards sieht die ILO-Verfassung verschiedene formelle Kontrollverfahren gegenüber den Mitgliedstaaten, nicht gegenüber Unternehmen vor.722 Diese bestehen insbesondere in Berichtsverfahren (vgl. Art. 19, 22 f., 35 ILO-Verf.723) sowie in permanenten Kontrollen durch den Sachverständigenausschuß724 und den Normanwendungsausschuß der Internationalen Arbeitskonferenz. Außerdem enthält die Verfassung Möglichkeiten der Beschwerde und der Klage (Art. 24, 25, 26, 30 ILO-Verf.).725 Für die Verletzung von Gewerkschaftsfreiheitsrechten gibt es ein spezielles, vergleichsweise häufig eingesetztes726 Verfahren.727 Oft bedienen sich nationale Arbeit719 Vgl. aber auch zu den Problemen der Dreigliedrigkeit S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 54 ff. 720 K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen, S. 236. 721 K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen, S. 236. 722 Dazu eingehend N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 46 ff.; S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 83 ff.; zur geschichtlichen Entwicklung V.-Y. Ghebali, The International Labour Organisation, S. 220 ff. 723 Dazu näher M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 41 ff.; die „Declaration of Fundamental Principles and Rights at Work“ von 1998 sieht in ihrem Annex zu ihrer Durchsetzung Berichtsmechanismen vor. Danach sollen die Mitgliedstaaten, welche die mit den Prinzipien erfaßten Übereinkommen nicht ratifiziert haben, diesbezüglich einen jährlichen Bericht vorlegen, den der Verwaltungsrat überprüft. Außerdem wird unter der Verantwortung des Generaldirektors ein globaler Bericht erstellt, in den diese Berichte sowie die von den Mitgliedstaaten abzugebenden Berichte, welche die Übereinkommen unterzeichnet haben, eingehen (Art. 22 ILOVerf.). Er wird der Internationalen Arbeitskonferenz zur Beratung vorgelegt. 724 Dazu ausführlich N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 53 ff.; siehe auch M. Senti, Die Effektivität der Internationalen Arbeitsorganisation, S. 19 ff.; A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, 2005, S. 298 ff. 725 Dazu N. D. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 46 ff. 726 M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 46. 727 Proceedings, ILC, 1950, Annex III; dazu grundlegend N. Valticos, La Commission d’investigation et de conciliation, Annuaire français de droit international 1967,

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nehmervereinigungen informeller Beschwerden und direkter Kontakte, um Konflikte mit ihren Staatsregierungen in Grenzen zu halten.728 Auch das allgemeine Beschwerdeverfahren kann von (nationalen und internationalen) Arbeitnehmerund Arbeitgebervereinigungen vor der Internationalen Arbeitskonferenz in Gang gesetzt werden und wird dann vom Verwaltungsrat durchgeführt. Von dieser Möglichkeit wird häufig Gebrauch gemacht.729 Den Verfahren kommt eine wichtige Interpretationsfunktion zu, welche der Erfassung der materiellen Reichweite und Grenzen der ILO-Standards und damit ihrer Justiziabilität dienen.730 Im Unterschied zu der bloßen Publizitätswirkung der anderen Verfahren731 ist das Klageverfahren ein förmliches Zwangsmittel.732 Die Klage kann von den Mitgliedstaaten sowie vom Verwaltungsrat entweder von Amts wegen oder auf Initiative eines Delegierten der Internationalen Arbeitskonferenz geführt werden (Art. 26 Abs. 1 und 4 ILO-Verf.). Sie richtet sich gegen einen Mitgliedstaat. Hält der Verwaltungsrat die Klage für zulässig, setzt er einen Untersuchungsausschuß733 aus drei unabhängigen Juristen ein. In einem abschließenden Bericht resümiert der Ausschuß seine Ergebnisse und empfiehlt der betroffenen Regierung geeignete Abhilfemaßnahmen (Art. 28 ILO-Verf.). Diese Empfehlungen sind nach Auffassung des Internationalen Arbeitsamtes verbindlich734, haben also eine echte Kontrollfunktion. Die „verurteilte“ Regierung und die übrigen Mitgliedstaaten können gegen den Abschlußbericht des Untersuchungsausschusses den Internationalen Gerichtshof anrufen (Art. 31, 32 ILOVerf.). Dessen bestätigende, abändernde oder aufhebende735 Entscheidung über die Klage ist letztinstanzlich verbindlich (Art. 31 ILO-Verf.). Bisher wurde das Klageverfahren insgesamt nur 11mal angewandt.736 Teilweise wird das KlageS. 445 ff.; auch S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 90 f.; vgl. Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations, International Labour Conference, 81 st Session 1994, para 33. 728 S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 97; vgl. z. B. den Bericht des Sachverständigenausschusses zur Internationalen Arbeitskonferenz 1989, Bericht III, Teil 4 A, S. 165; M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 46. 729 E. Senghaas-Knobloch, Zwischen Überzeugen und Erzwingen, S. 145; vgl. N. Valticos/G. W. v. Potobsky, International Labour Law, S. 294; S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 89. 730 A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 298 ff. 731 Vgl. S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 87; M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 46. 732 Dazu S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 91 ff. 733 Dazu G. Stauner, Normsetzung und Normenkontrolle der internationalen Arbeitsorganisation, ZfSH/SGB 4/1990, S. 169 (175). 734 M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 44. 735 Art. 32 ILO-Verf. 736 ILO, Verwaltungsrat, GB. 292/LILS/7, 292. Tagung, März 2005; www.ilo.org/ public/german (10.1.2007).

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verfahren, obwohl eine schriftliche Verfahrensordnung fehlt, als „quasi-justitiell“ und verbindlich charakterisiert.737 Nach Art. 37 Abs. 1 ILO-Verf. hat der Internationale Gerichtshof die Interpretationsgewalt über alle Fragen der ILOVerfassung und der Übereinkommen. Damit ist auch die authentische Interpretation nicht den Mitgliedern, sondern dem Internationalen Gerichtshof vorbehalten.738 Die ILO verfügt nicht über eine obligatorische Gerichtsbarkeit oder über gerichtliche Instanzen i. e. S. Dennoch sieht die Verfassung Kontrollmöglichkeiten vor und sogar ein Klageverfahren ex officio, das auch vom Verwaltungsrat angestrengt werden kann, sowie ein Beschwerderecht von Interessenvertretern (Gewerkschaften und Interessenvertretern). Insoweit gehen die ILO-Verfahren über allein staateninitiierte völkerrechtliche Verfahren hinaus, was für die Annahme eines Weltvertrags739 genügt. Für einzelne Betroffene gibt es jedoch abweichend vom weltrechtlichen Paradigma keine Möglichkeit, gegen Staaten und erst recht nicht gegenüber bestimmten Unternehmen Verletzungen, zumindest der Kernarbeitsrechtsnormen, geltend zu machen und durchzusetzen. Alle Verfahren stützen sich auf nationale Berichte und funktionieren faktisch nicht ohne die Kooperationsbereitschaft der Staaten.740 Anders als die WTO kann die ILO keinen ökonomischen Druck mittels gerechtfertigter Handelsbeschränkungen erzeugen.741 Dennoch gibt es Mittel, die in den Rechtserkennungsverfahren getroffenen Empfehlungen gegen einzelne vertragsbrüchige Staaten durchzusetzen, was deren Verbindlichkeit erhöht. Art. 33 ILO-Verf. ermächtigt den Verwaltungsrat, „der Konferenz die Maßnahmen (zu) empfehlen, die ihm zur Sicherung der Ausführung“ der Empfehlungen der Untersuchungsberichte und des Internationalen Gerichtshofs „zweckmäßig erscheinen“, wenn ein Mitgliedstaat sich weigert, diese binnen der vorgeschriebenen Frist umzusetzen. Bisher wurde von dieser Möglichkeit erst ein Mal, im Fall Myanmar/Burma742, Gebrauch gemacht.743 Allein die Normierung von 737

Dazu S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 93. S. Böhmert, Das Recht der ILO, S. 94 f. 739 Vgl. dazu Global Contract Foundation, Global Contract Report, 2005, S. 29 ff.; s. a. 3. Teil, E, S. 449 f. 740 R. Wolfrum, Obligations Under Public International Law to Implement International Rules: Mechanisms to Monitor such Implemention, in: B. v. Maydell/A. Nußberger, Social Protection by Way of international Law, 1996, S. 87 (93). 741 J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, 2002, S. 39. 742 Report of the Commission of Inquiry appointed under article 26 of the Constitution of the International Labour Organization to examine the observance by Myanmar of the Forced Labour Convention, 1930 (No. 29), Geneva, 2 July 1998 (www.ilo.org/ public/english/standards/relm/gb/docs/gb273/myanmar.htm); zu den Durchsetzungsmaßnahmen: Press release, 19 October 2000, ILO/00/39 (www.ilo.org/public/english/ bureau/inf/pr/2000/39.htm). 738

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Verfahren und Durchsetzungsmaßnahmen genügt nicht, um das ILO-Recht zu sichern, wenn innerhalb der Organisation nicht hinreichend Bereitschaft besteht, sie anzuwenden. In der Praxis scheinen die ILO-Normen damit, keine gegenüber anderen völkerrechtlichen Rechtsregeln wesentlich größere rechtliche Verbindlichkeit zu erlangen. Allerdings erhöht die strukturelle Dreigliedrigkeit, d. h. die Beteiligung der Sozialpartner in den Aufsichtsverfahren die Durchsetzungskraft der ILO-Standards. Sie ermöglicht es, ausgewogene Entscheidungen zu treffen, die vom Konsens der Vertreter grundsätzlich widerstreitender Interessen getragen werden744 und deshalb eine relativ hohe Realisierungschance haben. Häufig ist der Wunsch nach einem justizförmigeren Verfahren geäußert worden.745 Dies wäre sogar im Rahmen der bestehenden Verfassung möglich. Zur Stärkung der Durchsetzungskraft der ILO ist u. a. vorgeschlagen worden, daß der ILO die Befugnis eingeräumt werden sollte, auch von sich aus, den Internationalen Gerichtshof anzurufen, wenn Mitgliedstaaten ratifizierte Normen nicht einhalten und die Entscheidungen der Kontrollgremien mißachten.746 Dies würde dem Sozialprinzip eine vergleichbar starke Durchsetzungskraft verschaffen, wie sie die Prinzipien des freien Marktes durch die WTO und deren Streitbeilegungssystem erlangt haben. Noch wirkungsvoller als ihre Durchsetzung durch die Organe der ILO ist die individuelle Anwendbarkeit und Einklagbarkeit der ILO-Standards.747 Die mangelnde Akzeptanz dieser Vorschläge durch nicht wenige Mitgliedstaaten ist allerdings zu erwarten.748 In den OECD-Staaten entspricht mit Ausnahme der türkischen und eines Teils der koreanischen Gesetzgebung die nationale Arbeitsgesetzgebung immerhin den grundlegenden ILO-Konventionen.749 Fast 80% des Welthandels wird von den OECD-Mitgliedstaaten bestritten. Abgesehen von Mexiko und Korea ist die Arbeitsgesetzgebung weitgehend ILO-konform und wird auch überwiegend durchgesetzt.750 Dagegen werden Vereinigungsfreiheit, Streikrecht und Schutz von Gewerkschaftsaktivisten in Nicht-OECD-Staaten, wie China, Indonesien, Iran, Malaysia, Singapur und Thailand, nur eingeschränkt oder überhaupt nicht gewährleistet. Diese Staatengruppe hat einen Anteil von fast 40% an den Ausfuhren der großen Nicht-OECD-Exporteure. In Indien und Thailand 743

E. Senghaas-Knobloch, Zwischen Überzeugen und Erzwingen, S. 148. M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 54 f. 745 Dazu V. A. Leary, Lessons from the Experience of the International Labour Organisation, in: P. Alston (Hrsg.), The United Nations and Human Rights, 1992, S. 580 (598, 604). 746 Ch. Scherrer/Th. Greven, Soziale Konditionalisierung des Welthandels, S. 7 f. 747 M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 51. 748 M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 54. 749 Vgl. dazu die eingehende vergleichende Studie von M. Senti, Die Effektivität der Internationalen Arbeitsorganisation, S. 63 ff. 750 Ch. Scherrer/Th. Greven, Soziale Konditionalisierung des Welthandels, S. 6. 744

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kommt Kinderarbeit außerhalb des familiären Haushalts in größerem Umfang vor, insbesondere im Textil-, Bekleidungs-, Schuh- und Teppichbereich.751 Insgesamt hat die Arbeit der ILO zu einer grundsätzlichen Anerkennung ihrer Standards und deren Direktionswirkung für das Recht der Staaten in der Staatengemeinschaft geführt.752 Dies gilt auch für Staaten, die die Standards nicht durchsetzen. Staaten, die internationale Kritik früher als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ zurückwiesen, gehen heute immerhin dazu über, Rechtsverletzungen zu leugnen.753 Im Rahmen der ILO ist das Sozialprinzip also ein Stück weit institutionalisiert, aber nicht mit gleichem Gewicht und ähnlicher Effektivität wie die Regelungen des freien Marktes in der WTO. Die aktuelle Weltwirtschaftsordnung ist somit nicht im Gleichgewicht und leidet an der strikten Trennung von wirtschaftlichen und sozialen Prinzipien. In vielen Ländern scheitert die Ratifikation und Anwendung der Kern-Übereinkommen nicht am guten Willen der Regierungen und der Sozialpartner. Entscheidend sind häufig die tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere wirtschaftliche Rückständigkeit, Massenarbeitslosigkeit, historisch verfestigte Staats- und Gesellschaftsstrukturen. Deshalb bietet die ILO Hilfe, etwa in Form von technischer Zusammenarbeit und Beratungsdiensten, an, um die betreffenden Mitgliedstaaten in eine Position zu bringen, welche die Ratifikation und Anwendung der ILO-Normen erleichtert.754 V. Möglichkeiten der Verbindung der Teilverfassungen zu einer Weltwirtschaftsverfassung 1. Institutionelle Verbindung Um die wirtschaftliche mit der sozialen Dimension zu einer formellen Weltwirtschaftsverfassung zu vereinigen, wird teilweise eine institutionelle Zusammenarbeit von WTO und ILO befürwortet755, über die in Art. V WTOÜ statuierte Kooperationspflicht mit anderen Organisationen756 hinaus. Eine umfas-

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Ch. Scherrer/Th. Greven, Soziale Konditionalisierung des Welthandels, S. 6. M. Senti, Die Effektivität der Internationalen Arbeitsorganisation, S. 118 f. 753 So z. B. die Volksrepublik China, vgl. „Report of the Committee on the Freedom of Association“ (275th and 267th Reports), ILO Official Bulletin 73 ser. B, no. 3 (1990), Absätze 340 und 344. 754 www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/ilo_kernarbeitsnormen.htm. 755 Ch. Scherrer/Th. Greven, Soziale Konditionalisierung des Welthandels, S. 13; auch 1999 bei der Ministerkonferenz in Seattle setzte sich die EG (wegen des Scheiterns der Konferenz erfolglos) für die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von WTO und ILO für die Förderung der Beachtung der wichtigsten ILO-Konventionen in handeltreibenden Wirtschaftssektoren ein (WT/GC/W/383 (05.11.1999). 756 Dazu Ch. Tietje, The Duty to Cooperate in International Economic Law, S. 49 ff. 752

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sende Weltwirtschaftsorganisation war bereits einmal geplant und ist zuletzt in Katar gescheitert.757 Eine Weltwirtschaftsorganisation schafft keinen Weltsozialstaat. Friedrich von Hayek warnt zu Recht vor einem Weltsozialstaat und dem Glauben, daß „das Wirtschaftsleben eines riesigen Gebietes, das viele verschiedene Völker umfaßt, aufgrund eines demokratischen Verfahrens gelenkt und geplant werden könne . . . Noch mehr als die nationale würde die internationale Planwirtschaft nichts anderes als eine nackte Gewaltherrschaft sein, in der eine kleine Gruppe allen übrigen Lebensstandard und Arbeit so vorschreibt, wie sie es für richtig hält.“758 Eine internationale Behörde, welche die Aufgabe hätte, eine gerechte Verteilung unter den verschiedenen Nationen herbeizuführen, würde nach Hayek zu einem Kampf der Arbeiterklassen der verschiedenen Länder führen.759 Andererseits gesteht er aber zu: „Eine internationale Instanz kann sehr gerecht sein und viel zur wirtschaftlichen Prosperität beitragen, wenn sie sich darauf beschränkt, die Ordnung aufrechtzuerhalten und die Bedingungen zu schaffen, unter denen Menschen sich ihr eigenes Leben zurechtzimmern können; aber es ist unmöglich, gerecht zu sein oder die Menschen ihr eigenes Leben leben zu lassen, wenn die Zentralbehörde die Rohstoffe verteilt und die Märkte zuweist, wenn jede spontane Aktivität genehmigt werden muß und nichts getan werden kann ohne Genehmigung der Zentralinstanz.“760

Genauso despotisch wäre aber seiner Meinung nach ein System, das jeder politischen Kontrolle entzogen nur von wirtschaftlichen Instanzen dominiert würde.761 Deshalb fordert er eine internationale Regierung auf der Basis einer Förderation der Staaten, welche die internationalen Wirtschaftsinteressen in Schach hält. Sie sollte den Völkern zwar nicht befehlen, was sie tun sollen, aber imstande sein, sie von Handlungen abzuhalten, die anderen schaden.762 Diese Rolle könnte eine Internationale Wirtschaftsorganisation, in der WTO und ILO institutionell vereinigt wären, durchaus erfüllen. Aktuell würden dann darüber hinaus auch die bereits existierenden Überlegungen für ein Weltwirtschaftsparlament.763

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Dazu D. I. Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, S. 53 ff. F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, 1945, S. 275. 759 F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, S. 278. 760 F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, S. 281. 761 F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, S. 282 f. 762 F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, S. 286 f. 763 Das Europäische Parlament hat Ende 2000 eine Arbeitsgruppe für diesbezügliche Vorschläge eingesetzt. J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, S. 58. 758

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2. Materielle Verweisung Realisierbar erscheint jedenfalls eine weltvertragliche Lösung mittels materieller Verweisung innerhalb der WTO-Verträge auf Umweltschutzverträge und ILO-Standards, zumindest auf die unmittelbar gültigen Mindestnormen. In Handelsverträgen im Rahmen der WTO könnten Klauseln verankert werden, welche im Importland die Anwendung tarifärer oder nicht-tarifärer Handelshemmnisse im Importland erlauben, wenn im Exportland unabdingbare internationale Umweltschutz- oder Arbeits- und Sozialstandards bei der Herstellung nicht beachtet worden sind.764 Ein Mißbrauch solcher Klauseln ist nicht zu befürchten, wenn sie der Kontrolle durch das WTO-Streitbeilegungssystem unterliegen. Mit der Errichtung einer neuen Welthandelsordnung wurden insbesondere von Frankreich, den skandinavischen Ländern und den USA Forderungen erhoben, „Fair Labour Standards“, wie sie schon in der nicht in Kraft getretenen HavannaCharta765 vorgesehen waren, weltweit festzulegen.766 Auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen haben sich für solche Klauseln ausgesprochen.767 Wie bei den WTO-Anti-Dumping-Bestimmungen könnten gegen schwerwiegende Verletzungen von Arbeitnehmerrechten Handelssanktionen eingeführt werden. Die EG-Verordnung 2641/84 zum Schutz gegen unerlaubte Handelspraktiken768 gab der EG, nach Ausschöpfung der Mittel der Streitbeilegung769 und im Falle eines bedeutenden Schadens für einen Wirtschaftszweig der Gemeinschaft die Möglichkeit, gegen unerlaubte Praktiken vorzugehen, z. B. in Form von Importbeschränkungen und Zöllen.770 Zu den Regeln des Völkerrechts, mit denen internationale Handelspraktiken i. S. d. Verordnung unvereinbar sein können, sind auch die insbesondere in den ILO-Abkommen verankerten Sozialstandards gezählt worden, jedenfalls die Kernarbeitsrechte.771 Die EG-Handelshemmnisver-

764 Dazu kritisch H. Sauter, Menschenrechte und Menschenrechtsstandards im Globalisierungsprozeß, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 19 (2000), 234 (256 ff.). 765 Die Charter for an International Trade Organization, Text: International Law Quarterly 1948, 283 wurde 1948 von 54 Staaten unterzeichnet, aber niemals unterzeichnet. 766 D. Brand/R. Hofmann, „Sozial-Dumping“ oder Protektionismus?, 1994, S. 23; E. Tuchtfeldt, Von der Havanna-Charta zur WTO, 1997, S. 32 f.; S. F. Franke, Sozialdumping durch Schwellenländer?, S. 157; J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 284 ff. 767 Ch. Scherrer/Th. Greven, Soziale Konditionalisierung des Welthandels, S. 13. 768 ABl. vom 20.9.1984 Nr. L 252/1. Berichtigung ABl. vom 1.11.1984 Nr. L 288/ 84. 769 W. Däubler, Sozialstandards im internationalen Wirtschaftsrecht, in: Fs. R. Trinkner, 1995, S. 475 (485). 770 Dazu W. Däubler, Sozialstandards im internationalen Wirtschaftsrecht, S. 475 (482 ff.). 771 W. Däubler, Sozialstandards im internationalen Wirtschaftsrecht, S. 484 f.

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ordnung von 1994772 nennt WTO-konform nur noch handelsrechtliche Verstöße, insbesondere solche der WTO. Die Konferenzen der Welthandelsorganisation seit 1996 in Singapur haben es bisher abgelehnt, die Durchsetzung sozialer Belange in die Welthandelsordnung einzubeziehen.773 Lediglich eine unverbindliche Bezugnahme auf die Kopenhagener Erklärung von 1995 und zu den ILOKonventionen ist erreicht worden.774 Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung A3/007/94, die es bei der WTO-Ministerkonferenz 1996 bekräftigt hat, gefordert, „daß eine Sozialklausel, die die Bekämpfung von Kinderarbeit und Zwangsarbeit und die Förderung der Freiheit der gewerkschaftlichen Betätigung sowie der Tarifvertragsverhandlungsfreiheit zum Ziel hat und sich auf die . . . ILO-Konvention(en) stützt, in das multilaterale und unilaterale System (GSP) des internationalen Handels Eingang findet.“

Es betont aber auch, daß die Einführung einer Sozialklausel in den internationalen Handel nicht als Mittel für eine Verstärkung des Protektionismus gegenüber den Entwicklungsländern dienen . . ., sondern im Gegenteil zur Bekämpfung der Unterentwicklung und der Verstöße gegen die Menschenrechte beitragen soll.“ Allein in dem für die Verhandlungen zuständigen Rat scheiterte die Befürwortung einer Sozialklausel, weil sich dieser der ablehnenden Haltung Deutschlands und Großbritanniens gebeugt hat. Die Mitglieder der WTO sind zumindest verpflicht, die sozialen Mindeststandards, wie sie in der ILO-Declaration on fundamental Principles and Rights at Work von 1998775 angesprochen und in den acht Kernkonventionen näher materialisiert sind, als Voraussetzung für einen fairen Welthandel und damit als „Handelsregeln“, anzuerkennen. Weiterhin sollten sie in einem eigenen Rechtsakt vorsehen, daß nach einem abgestuften System zunächst Anreize und schließlich auch Handelssanktionen ergriffen werden können, um diese Mindestbedingungen fairen Handels durchzusetzen.

772 Verordnung (EG) Nr. 3286/94 des Rates v. 22.12.1994 zur Festlegung der Verfahren der Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik zur Ausübung der Rechte der Gemeinschaft nach internationalen Handelsregeln, insbesondere den im Rahmen der Welthandelsorganisation vereinbarten Regeln, ABl. L 349 v. 31.12.1994, S. 71; zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 356/95 des Rates, ABl. L 41 v. 23.2.1995, S. 3. 773 J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 285. 774 D. Meyer, Sozialstandards und neue Welthandelsordnung, in: D. Fritz-Assmus/E. Tuchtfeldt (Hrsg.), Die Ordnung des Welthandels, 1997, S. 105 (107); E. Treutner, Globalisierung und Regulierung im Bereich der Sozialpolitik, in: R. Voigt (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 329. 775 86th Session, Geneva, June 1998, www.ilo.org/public/english/stamdards/decl/ declaration/text/

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3. Direkte Anwendung einschlägiger Abkommen zum Schutz der Umwelt und sozialer Rechte Welcher Einfluß einem Umweltschutz- oder ILO-Abkommen im WTO-Streitbeilegungsverfahren zukommt, wird unterschiedlich beurteilt. Soweit teilweise vertreten wird, daß alle Völkerrechtsquellen gleichrangig im Streitbeilegungsverfahren zu berücksichtigen sind, ist das Schutzabkommen wie jedes andere Abkommen durch die Streitbeilegungsorgane anzuwendendes Recht.776 Allerdings ist fraglich, wie sich diese Auffassung mit den Regelungen in Art. 7, 11, 3 Abs. 2 DSU, die für das anwendbare Recht primär auf die WTO-Abkommen verweisen, verträgt.777 4. Harmonische Auslegung im Rahmen der WTO-Streitbeilegungsinstanzen a) Heranziehung von Schutzabkommen zur Auslegung Ein weiterer Weg zur Durchsetzung von Umwelt- und Sozialstandards ist die Berücksichtigung unabdingbarer Schutzstandards durch die WTO-Streitbeilegungsorgane, wenn sie WTO-Recht auslegen.778 Es ist inzwischen anerkannt, daß die Begriffe des WTO-Rechts dynamisch ausgelegt werden müssen.779 Im Wege einer harmonischen Auslegung ist es möglich, praktische Konkordanz zwischen Prinzipien der Menschheitsverfassung und des Welthandels herzustellen (vgl. 3. Teil, C, S. 351). Nach Art. 3 Abs. 2, S. 2 DSU dient das Streitbeilegungsverfahren nicht nur dazu, „die Rechte und Pflichten der Mitglieder aus den unter die Vereinbarung fallenden Übereinkommen zu bewahren“, sondern auch dazu, „die geltenden Bestimmungen dieser Übereinkommen im Einklang mit den herkömmlichen Regeln der Auslegung des Völkerrechts zu klären.“ Die Streitbeilegungsinstanzen müssen ihrer Entscheidung das gesamte Völkerrecht und nicht nur das WTO-Recht zugrunde legen.780 Integrität kann das WTO-System mit der Allseitigkeit der Liberalisierungsverpflichtung lediglich insoweit beanspruchen, als das System, das ausweislich der Präambel nur in Übereinstimmung mit den Zie776 J. Pauwelyn, The Role of Public International Law in the WTO, AJIL 2001, 537 (562 ff.). 777 Dazu M. Böckenförde, Über den Einfluß umweltvölkerrechtlicher Verträge im Rahmen eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens, ZaöRV 63 (2003), S. 978 ff. 778 M. Böckenförde, Über den Einfluß umweltvölkerrechtlicher Verträge im Rahmen eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens, ZaöRV 63 (2003), S. 993 ff. 779 Appellate Body v. 12.10.1998, Shrimp WT/DS58/AB/R; W. Meng, Wirtschaftssanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen, in: Fs. G. Ress, 2005, S. 165 (184). 780 US – Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 17: „. . . the General Agreement is not to be read in clinical isolation from public international law“; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 189 f.; S. Puth, WTO und Umwelt, 2003, S. 181 ff.

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len des Umweltschutzes und der nachhaltigen Entwicklung angewendet werden darf, keine materiellen Lücken aufweist. In der Wiener Vertragsrechtskonvention ist eine harmonische Auslegung, die alle zwischen den Vertragspartnern geltenden Völkerrechtssätze beachtet (Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK), ausdrücklich vorgesehen. Nach Art. 33 Abs. 3 lit. c WVK ist „jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz“ zu berücksichtigen. In diesem Rahmen sind multilaterale Umweltschutzabkommen sowie die ILO-Standards heranzuziehen. Fraglich ist, ob im Streitschlichtungsverfahren auch Verträge zu beachten sind, denen nicht alle WTO-Parteien zugestimmt haben, wie dies aus der Praxis des Appellate Body ersichtlich ist und auch im Schrifttum befürwortet wird.781 Problematisch ist dies insbesondere wegen der pacta tertiis-Regel (Art. 34 WVK) und dem Konsensprinzip.782 Für die Auslegung, die nicht mit der direkten Anwendung eines Umweltschutzabkommens gleichzusetzen ist, gelten jedoch die besonderen Regeln des Art. 31 WVK. Der Wortlaut „zwischen den Parteien“ in Art. 33 Abs. 3 lit. c WVK heißt nicht notwendig „alle Parteien“, wie dies demgegenüber Art. 31 Abs. 2 lit. a WVK ausdrücklich regelt. Im übrigen würde das Erfordernis, daß alle WTO-Mitglieder dem entsprechenden Umweltschutzabkommen zugestimmt haben, die Einbeziehung völkerrechtlicher Abkommen praktisch unmöglich machen, weil kein Umweltschutzabkommen von allen WTO-Mitgliedern unterzeichnet worden ist.783 Dies würde den Umweltabkommen jede praktische Wirksamkeit nehmen. Wenn der jeweilige Vertragsinhalt Ausdruck von Völkergewohnheitsrecht oder allgemeiner Rechtsgrundsätze ist, kommt es nicht darauf an, ob alle WTO-Mitglieder an das Umweltschutzabkommen gebunden sind (vgl. Art. 38 WVK).784 So haben sich im Hormonfleischverfahren das Panel und der Appellate Body mit dem völkerrechtlichen Vorsorgeprinzip auseinandergesetzt.785 781

Appellate Body Report, US – Shrimp, para. 130; dazu S. Puth, WTO und Umwelt, S. 198 ff.; M. Böckenförde, Über den Einfluß Umweltrechtlicher Verträge im Rahmen eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens, ZaöRV 63 (2003), S. 993 ff.; a. A. K. Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body, S. 340 ff. der dies nur bejaht, wenn alle WTO-Mitglieder Vertragspartner sind; so auch S. Puth, WTO und Umwelt, S. 195 ff. 782 Dazu S. Puth, WTO und Umwelt, S. 155 ff.; M. Böckenförde, Über den Einfluß Umweltrechtlicher Verträge im Rahmen eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens, ZaöRV 63 (2003), S. 995 ff.; K. Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body, S. 62. 783 M. Böckenförde, Über den Einfluß umweltvölkerrechtlicher Verträge im Rahmen eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens, ZaöRV 63 (2003), S. 996. 784 S. Puth, WTO und Umwelt, S. 195. 785 Panel Report v. 18.8.1997, EC-Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), WT/DS26/R/USA, para. 8.157; Appellate Body Report, AB-1997-4 v. 16.1.1998 EC-Measures Concerning Meat and meat Products (Hormones), WT/DS26/ AB/R, WT/DS48/AB/R, para. 123 m. Fn. 92.

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Soweit multilaterale Übereinkommen zwischen den Parteien zu berücksichtigen sind, entspricht es der materiellen Prinzipienordnung einer Weltwirtschaftsverfassung nicht, den Konflikt z. B. zwischen Umweltschutzverträgen und der WTO-Ordnung lapidar mit den allgemeinen Kollisionsregeln786 der lex posterior oder der lex-specialis zu lösen.787 Die WTO-Regeln sind hinsichtlich des Schutzgutes Umwelt keine abschließende oder speziellere Regelung und können damit keinen Vorrang vor multilateralen Umweltabkommen beanspruchen.788 Betrachtet man das Prinzip des Freihandels nicht aus der Perspektive das Welthandelsrechts, sondern weltverfassungsrechtlich, genießt es keinen Vorrang vor dem Umweltschutzprinzip und umgekehrt. Zwischen beiden Prinzipien müßte also in verfassungsrechtlicher Perspektive praktische Konkordanz hergestellt werden. In der WTO-Präambel, welche jedenfalls für die Auslegung rechtliche Verbindlichkeit genießt, kommt dies zum Ausdruck („. . . in accordance with“). Das sieht auch das Committee on Trade and Environment (CTE)789, welches seit Beginn der WTO als Konsultationsorgan errichtet worden ist, um das Verhältnis zwischen Handelsordnungen und Umweltproblemen zu erörtern. Es vertritt die Auffassung, daß „WTO agreements and multilateral environmental agreements (MEAs) are representative of efforts of the international community to pursue shared goals and . . . due respect must be afforded to both.“790

Obwohl Handelsinstrumente aus der Sicht des Komitees zur Verfolgung von Umweltschutzanliegen nicht das effektivste Instrument seien, könnten sie in bestimmten Fällen eine wichtige Rolle spielen.791 Es geht auch davon aus, daß daraus resultierende Rechtsstreitigkeiten vom WTO-Streitbeilegungssystem geklärt werden könnten, selbst wenn Fachwissen benötigt wird.792 Wie jedes Gericht müssen die Streitbeilegungsorgane ihren Entscheidungen die Wirklichkeit nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zugrunde legen.793

786 Die Kollisionsregel in Art. XVI WTOÜ gilt nur für das Verhältnis des WTOÜ zu den multilateralen Handelsabkommen. 787 Vgl. dazu P.-T. Stoll, How to Overcome the Dichotomy Between WTO Rules and MEAs, ZaöRV 63 (2003), S. 446; S. Puth, WTO und Umwelt, S. 160 ff. 788 Vgl. F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 572 f. 789 Trade and Environment, Decision of 14 April 1994 of the Marrakech Conference, MTN/TNC/45(MIN), Report (1996) of the Committee on Trade and Environment, WT/CTE/1, 12 November 1996. 790 Multilateral Environmental Agreements (MEAs) and WTO Rules; Proposals Made in the Committee on Trade and Environment (CTE) from 1995–2002, Note by the Secretariat, TN/TE/S/1 of 23 May 2002, at III. Para 171. 791 Para. 173. 792 Paras. 178 ff. 793 Dazu vgl. K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“ im Atom- und Immissionsschutzrecht, in: Thieme, Werner (Hrsg.), Umweltschutz im Recht, 1988, S. 88 ff.

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Der Vorschlag von Markus Böckenförde, die Einhaltung von Umweltschutzoder Arbeitsrechtsstandards als Vorteil, der aufgrund einer Maßnahme, die nicht im Widerspruch zum WTO-Recht steht, geschmälert oder zunichte gemacht wurde, im Rahmen des Nichtverletzungsverfahrens nach Art. XXIII Abs. 1 GATT i.V. m. Art. 26 DSU zu behandeln794, steht gegenüber diesen Forderungen weit zurück. Art. XXIII Abs. 1 GATT i.V. m. Art. 26 DSU ermöglichen nicht praktische Konkordanz, sondern bekräftigen die Einseitigkeit des WTORechts. Diese Regelungen sehen nämlich nur eine wohlwollende Prüfung der Vertragsparteien, gegebenenfalls eine Kompensation (Art. 26 Abs. 1 lit. c DSU) vor. Von einem Rechtsverstoß wird ausdrücklich nicht ausgegangen. Es ist also eine diplomatische Lösung im Geiste des GATT 1947795 und bewußt kein (verfassungs-)rechtlicher Ansatz mit dem Ziel, praktische Konkordanz herzustellen. b) Zur Einbeziehung anderer Verfassungsprinzipien über Art. XX GATT Die Prinzipien des Freihandels sind beschränkbar, wenn legitime Allgemeinwohlbelange in den Grenzen des Erforderlichen den Mitgliedstaaten zur Selbstregulierung überlassen bleiben (vgl. Art. XX GATT, Art. 2 des Abkommens über technische Handelshemmnisse).796 Grundsätzlich eröffnet Art. XX GATT, der ausnahmsweise Handelsbeschränkungen zugunsten bestimmter Schutzgüter gestattet797, die Möglichkeit einer Abwägung mit anderen Prinzipien, die nicht im GATT selbst geregelt sind, aber diesem nicht nachrangig sind798, und damit eine verfassungsrechtliche Methode.799 Die Anerkennung unabdingbarer Schutzstandards als Rechtfertigungsgrund für an sich GATT-widrige Handelshemmnisse ist ein möglicher, effektiver Weg zur Durchsetzung einer materiellen Prinzipienordnung, der ohne Vertragsänderung im Wege harmonischer Auslegung durch die Rechtsprechung bewältigt werden könnte. Art. XX lit. a erlaubt z. B. 794 M. Böckenförde, Der Non-Violation Complaint im System der WTO, AVR 43 (2005), S. 43 ff. 795 M. Böckenförde, Der Non-Violation Complaint im System der WTO, AVR 43 (2005), S. 43 ff. 796 M. Böckenförde, Der Non-Violation Complaint im System der WTO, AVR 43 (2005), S. 43 (62 ff.); vgl. zur Frage des Schutzes exterritorialer Schutzgüter W. Leirer, Rechtliche Grundfragen des Verhältnisses internationaler Umweltschutzabkommen zum GATT, 1998, S. 221 ff.; J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 145 ff. 797 Dazu Ch Tietje, Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse, 1998, S. 310 ff. 798 US – Shrimp, WT/DS26, 48/AB/R para. 104; J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S 137. 799 Vgl. auch P.-T. Stoll, How to Overcome the Dichotomy Between WTO Rules and MEAs, ZaöRV 63 (2003), S. 444 ff.; W. Meng, Wirtschaftssanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen, S. 182 ff.; zur Prinzipienabwägung allgemein und nach dem EG-Vertrag A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 69 ff., 224 ff.

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Maßnahmen zum Schutze der „public morals“, Art. XX lit. b zum Schutze des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen800, Art. XX lit. g Maßnahmen zur Erhaltung erschöpflicher Naturschätze. Art. XX lit. d gestattet Maßnahmen, die zur Anwendung von Gesetzen oder sonstigen Vorschriften, welche nicht gegen dieses Abkommen verstoßen, erforderlich sind. Unter diese Bestimmungen fallen auch Aktionen für die Umwelt. Ob solche einzelstaatlichen Vorgehensweisen nur zum Schutz innerstaatlicher oder auch exterritorialer Güter zulässig sind, wird unterschiedlich betrachtet.801 Aus weltrechtlicher Sicht sind Schutzanliegen für die Umwelt grundsätzlich nicht territorial beschränkt (dazu 6. Teil, E, S. 891 ff., 896). Allerdings müssen nationale Schutzmaßnahmen verhältnismäßig sein.802 Freihandelsbeschränkungen, die sich beispielsweise auf XX lit. b stützen, haben objektiv den dort genannten Schutzzwecken zu dienen und für diese notwendig zu sein.803 „Notwendig“ ist eine Maßnahme im Sinne des Art. XX lit. b, wenn sie „nicht anders vermeidbar“804 ist oder es kein anderes GATT-konformes oder zumindest konformeres Mittel gibt, das vernünftigerweise hätte angewendet werden können, um die in Art. XX lit. b. GATT genannten Ziele zu erreichen.805 Außerdem setzt die Rechtfertigung der Schutzmaßnahme voraus, daß sie den Anforderungen der Präambel (chapeau) des Art. XX GATT entspricht. Diese verlangt, daß die Maßnahmen „nicht so angewendet werden, daß sie zu einer willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern, in denen gleiche Verhältnisse bestehen, oder zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führen“.806 Weil auch die Verhältnismäßigkeit i. e. S. geprüft wird807, endet dies in einer umfassenden Verhältnismäßigkeits800 Dazu W. Leirer, Rechtliche Grundfragen des Verhältnisses internationaler Umweltschutzabkommen zum GATT, S. 219 ff. 801 Dazu J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 138 ff.; S. Puth, WTO und Umwelt, S. 144 ff. 802 Allgemein zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, z. B. S. 49 ff., 195 ff. 803 Dazu M. Böckenförde, Der Non-Violation Complaint im System der WTO, AVR 43 (2005), S. 65 f. 804 Panel Report v. 20.5.1994, US-Restrictions on Import on Tuna, in: ILM 1994, S. 839 ff.; v. 29.1.1996, US-Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT/DS2/R, para. 6.20; v. 18.9.2000, Asbestos, WT/DS135/R, para. 8.184. 805 Panel-Report 21.9.1990, Thailand – Restrictions on Importation of and Internal Taxes on Cigarettes. para. 75; Panel-Report v. 20.5.1994, USA-Tuna II, para. 5.35, nicht angenommen. 806 W. Leirer, Rechtliche Grundfragen des Verhältnisses internationaler Umweltschutzabkommen zum GATT, S. 220, 247 ff.; siehe etwa Panel-Report v. 17.1.1996, United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, para. 6.20. 807 Dazu W. Leirer, Rechtliche Grundfragen des Verhältnisses internationaler Umweltschatzabkommen zum GATT, S. 254 ff.; Appellate Body Report, AB 22.4.1996, United Sates – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, Abschnitt IV, S. 28.

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prüfung. Dabei wird im Sinne des Abwägungsgesetzes808 („je-desto-Regel“) verfahren: „The more vital or important those common interests or values are, the easier it would be to accept as ,necessary‘ a measure designed as an enforcement instrument.“809 Das bedeutet eine Prinzipienabwägung.810 Je weiter das Kriterium der Notwendigkeit (Erforderlichkeit) der Maßnahmen ausgelegt wird811, um so mehr wird den Schutzgütern Raum für eine „bestmögliche Verwirklichung“ in Abwägung mit dem Freihandel belassen. Die Panel-Rechtsprechung erkennt die Erforderlichkeit nationaler Schutzmaßnahmen häufig nicht an, legt sie also eng aus.812 Insbesondere erfährt das Umweltschutzprinzip durch die Forderung, daß die beschränkende Maßnahme i. S. von Art. XX b. GATT unmittelbar dem Schutz der Umwelt selbst dienen muß, ohne daß erst eine Änderung der Politik des betreffenden Staates nötig ist, eine erhebliche Einschränkung. Auf die Politik eines Staates einzuwirken, dessen Standards als nicht hinreichend angesehen werden, sei, mit der freihändlerischen Zielsetzung des GATT nicht zu vereinbaren und deshalb nicht „notwendig“, hat das Panel im Tuna II-Fall festgestellt.813 Im Shrimpfall hat es die Rechtmäßigkeit jeglicher einseitiger Handelsmaßnahmen für unzulässig verworfen, weil sie die Multilateralität des Welthandelssystems unterlaufen würden.814 Damit wird dem nationalen Versuch, bestimmte Schutzstandards über die Stigmatisierung „illegaler Waren“ durchzusetzen, eine deutliche Absage erteilt. Die enge Auslegung der „Notwendigkeit“815 zeigt die typisch völkerrechtliche Einengung der rechtlichen Betrachtung auf das jeweilige Vertragsregime816, 808 Dazu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 145 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 155 f. 809 Appellate Body Report v. 10.1.2001, WT/DS161/AB/R Korea – Measures Affecting Imports of Fresh, Chilled and Frozen Beef, para. 162. 810 Vgl. Appellate Body Report v. 12.10.1998, US – Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 150 f., 156, 159; US – Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 22; S. Puth, WTO und Umwelt, S. 324 ff. 811 Vgl. S. Puth, WTO und Umwelt, S. 309 ff. 812 Vgl. Panel Report v. 3.9.1991, US – Tuna I, GATT/DS21/R, ILM 30 (1991), S. 1598 ff., para. 5.22.; v. 20.5.1994, US – Tuna II, GATT/DS29/R, ILM 33 (1994), S. 839 ff., paras. 526 f.; v. 29.1.1996, US – Reformulated Gasoline, WT/DS2/R, paras. 625, 628 und Appellate Body-Report v. 29.4.1996 WT/DS2/AB/R, S. 25 ff.; dazu J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 1164 ff.; siehe auch A. v. Bogdandy, Internationaler Handel und nationaler Umweltschutz, EuZW 1992, 244 ff. 813 Panel Report v. 20.5.1994, USA-Tuna II, paras. 5.38 und 5.26 (nicht von den Vertragsparteien angenommen); dazu kritisch W. Leirer, Rechtliche Grundfragen des Verhältnisses internationaler Umweltschatzabkommen zum GATT, S. 244 ff. 814 Panel-Report v. 15.5.1998, US – Shrimp, WT/DS58/R, paras. 7.44 f., in: WT/ DS58/AB/R, para. 112. 815 M. Böckenförde, Der Non-Violation-Complaint im System der WTO, AVR 43 (2005), S. 63 ff. 816 Zum Regime-Begriff M. Senti, Die Effektivität der Internationalen Arbeitsorganisation, 2002, S. 42 ff.

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obwohl diese durch das Völkerrecht nicht notwendig vorgeschrieben ist. Schutzstandards werden aus der Perspektive des Welthandelsrechts zunächst als nichttarifäre Handelshemmnisse eingeordnet, die nur nach besonderen Ausnahmebestimmungen (z. B. Art. XX GATT) gerechtfertigt werden können.817 Weil Ausnahmen grundsätzlich eng ausgelegt werden818 und die Beweislast denjenigen trifft, der sich auf die Ausnahme beruft819, könnten die Freihandelsprinzipien prima facie-Vorrang vor den ausnahmehaft zugelassenen Schutzgütern beanspruchen820, was die Wirksamkeit der letzteren schmälern würde.821 Die Interpretation hat sich jedoch gemäß Art. 3 Abs. 2 DSU i.V. m. Art. 31 WVK an den allgemeinen Kriterien zu orientieren.822 Art. XX darf also nicht per se eng ausgelegt werden.823 Wenn Prinzipien aufeinandertreffen, ist das einfache RegelAusnahme-Denken, welches den Freihandel als generell durchzusetzende Regel, Schutzmaßnahmen als möglichst zurückzudrängende Ausnahmen ansieht, ungeeignet, um in einer mehrgliedrigen Weltwirtschaftsverfassung praktisch vernünftige Entscheidungen zu treffen; denn die Divergenz gleichrangiger Prinzipien kann nicht durch Ungültigerklärung zugunsten des einen und zu Lasten des anderen gelöst werden. Vielmehr erheischt, weil Prinzipien Optimierungsgebote sind, jedes Prinzip bestmögliche Verwirklichung.824 Zwischen verschiedenen Prinzipien setzt dies eine Prinzipienabwägung und das Bemühen um praktische Konkordanz voraus.825 Fraglich ist, inwieweit die Doha Ministererklärung der WTO vom Herbst 2001 eine bessere Integration des Umweltprinzips im Welthandel eingeleitet hat. Sie betont immerhin die „mutually supportive“ Beziehung von Handel und Umwelt, gleichzeitig hält sie aber an der „integrity of WTO instruments“ gegenüber multilateralen Umweltübereinkommen fest. Auch der „Plan of Imple817 Dazu A. v. Bogdandy, Internationaler Handel und nationaler Umweltschutz, EuZW 1992, 243 ff.; Hilf, Freiheit des Welthandels contra Umweltschutz?, NZV 2000, 481 ff.; H. Hohmann, Der Konflikt zwischen freiem Handel und Umweltschutz in WTO und EG, RIW 2000, 88 ff. 818 Dazu kritisch S. Puth, WTO und Umwelt, S. 296 ff. 819 Vgl. dazu A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 71 ff., 230 f. 820 A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 206; vgl. allg. zur Prinzipienrangordnung im EG-Vertrag dies., Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 71 ff., 421 ff. 821 Vgl. auch A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 439 f. 822 Appellate Body Report, EC – Hormones, WT/DSY26, 48/AB/R para. 104; vgl. S. Puth, WTO und Umwelt, S. 181 ff. 823 J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 137; S. Puth, WTO und Umwelt, S. 276 ff.; vgl. auch Appellate Body Report v. 29.4.1996, US – Gasoline, WT/DS2/ AB/R, S. 17. 824 Dazu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 87 f. 825 Vgl. dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1995, S. 28, 142 f.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 85; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 69 ff.

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mentation of the World Summit on Sustainable Development“826 hebt auf die Wechselbezüglichkeit von Handel und Umwelt ab, ohne die Integrität der jeweiligen Abkommen in Frage zu stellen.827 Damit wird immerhin deutlich, daß die Koalition derer, welche, einschließlich der Europäischen Union, der USA und der Gruppe G 77, für den (absoluten) Vorrang des Welthandelssystems vor den multilateralen Umweltschutzabkommen plädiert hatten, sich nicht durchgesetzt haben; denn die multilateralen Umweltabkommen sollen mit den WTO-Regeln grundsätzlich gleichrangig sein.828 Es bleibt aber beim relativen Vorrang der Welthandelsordnung. Das ergibt sich nicht schon daraus, daß gemäß dem Plan handelspolitische Maßnahmen zu Umweltschutzzwecken weiterhin nicht als verschleierte Handelsbeschränkungen mißbraucht werden dürfen.829 Es zeigt sich aber darin, daß einseitige Handlungen, welche Umweltprobleme außerhalb der Jurisdiktion des importierenden Landes betreffen, vermieden werden sollen.830 Einzelstaatliche Maßnahmen, welche sich auf grenzüberschreitende oder globale Umweltprobleme beziehen, müssen, wenn möglich, auf einen internationalen Konsens gestützt werden.831 Weil dieser gerade in Umweltfragen, die viele Staaten gegenüber der wirtschaftlichen Entwicklung und Öffnung nachrangig behandeln, äußerst schwer zu erreichen ist, bedeutet die Erklärung keine Veränderung zur bisherigen WTO-Praxis. In der jüngeren Rechtsprechung zeigt sich jedoch ein Trend in Richtung praktischer Konkordanz in einer mehrgliedrigen Weltverfassung.832 Im Fall „Asbestos“ hat der Appellate Body die Anforderungen an die Erforderlichkeit von nationalen Handelsbeschränkungen zu Umweltschutzzwecken gelockert. Die Prüfung der Zumutbarkeit einer Alternativmaßnahme sei ein Abwägungsprozeß, bei dem die Bedeutung des Rechtsguts, das die nationale Regelung schützen soll und das Ausmaß, in dem die Handelsbeschränkung zur Einhaltung dieser Regelung beiträgt, zu berücksichtigen seien.833 Im Shrimpfall hat der Appellate Body ein pauschales Verbot einseitiger exterritorialer (nichtproduktbezogener) Maßnahmen, wie es das Panel angenommen hat, als mit dem Text 826 Text in: Report of the World Summit on Sustainable Development, Johannesburg, South Africa, 26 August–4 September 2002, UN Doc. A/CONF.199/CRP.5 of 28 August 2002, p. 6; dazu U. Beyerlin/M. Reichard, The Johannesburg Summit, ZaöRV 63 (2003), S. 213 (218 ff.). 827 Plan of Implemention, para. 98. 828 U. Beyerlin/M. Reichard, The Johannesburg Summit, ZaöRV 63 (2003), S. 225. 829 Plan of Implemention, para. 101. 830 Vgl. Art. 12 Rio Declaration on Environment and Development, Report of the United Nations Conference on Environment and Development, A/CONF.151/26 (Vol. I); Art. 3.4 United Nations Framework convention on Climate Change of 9 May 1992, ILM 31 (1992), 822; Plan of Implemention, para. 101. 831 Plan of Implemention, para. 101. 832 Vgl. S. Puth, WTO und Umwelt, S. 359 f. 833 Appellate Body Report, EC – Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 172.

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des Art. XX GATT und der Auslegungsregel des Art. 31 WVK unvereinbar verworfen.834 Dagegen sieht das Berufungsgremium einseitige Handelsbeschränkungen zu Schutzzwecken nicht prinzipiell mit Art. XX GATT unvereinbar an.835 So erkannte es den Einfluß eines Satzes des Völkergewohnheitsrechts (Kooperationspflicht im internationalen Umweltschutz), dessen Geltung es aus Verträgen und unverbindlichen Resolutionen gewonnen hat, auf die Auslegung des Art. XX GATT an und verwies auf den Text der WTOÜ-Präambel, der eine umweltverträgliche Entwicklung zum gleichberechtigten Ziel erhebt.836 Jedoch stehen nach Auffassung des Appellate Body unilaterale Einfuhrbeschränkungen aus Umweltschutzgründen unter dem grundsätzlichen Vorbehalt, daß sich die einfuhrbeschränkende Partei im Vorfeld intensiv um eine einvernehmliche (völkervertragliche) Lösung des Umweltproblems bemüht hat.837 Zur Begründung kann er sich hierfür auf zahlreiche völkerrechtliche, auch umweltrechtliche Vereinbarungen stützen. Selbst Principle 12 Rio Declaration, Paragraph 2.22(i) Agenda 21838, Art. 5 Convention on Biological Diversity und Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals sprechen sich sämtlich für konsensuale internationale Lösungen und teilweise (wie die Agenda 21) direkt bezogen auf das GATT gegen unilaterale Aktionen zur Lösung globaler Umweltprobleme aus. Auch Art. 2 Abs. 4 des WTO-Abkommens über technische Handelshemmnisse verpflichtet zur grundsätzlichen Orientierung nationaler technischer Vorschriften an internationalen Standards, es sei denn, diese sind ungeeignet oder unwirksam. Diese Kooperationspflicht stellt eine Verbindung zwischen nationaler und globaler Verfassungsebene her. Die Mitwirkung an multilateralen Umweltschutzübereinkommen kann als Zeugnis solcher internationaler Kooperationsbemühungen angesehen werden, selbst wenn einer der betreffenden Staaten nur an den Verhandlungen teilgenommen, aber schließlich nicht ratifiziert hat.839 Das Umweltschutzprinzip gebietet, daß dann, wenn Verhandlungen nicht innerhalb angemessener Zeit zu effektiven Ergebnissen kommen840, der Importstaat einseitige (nicht diskriminierende) Schutzmaßnahmen erlassen darf.841 Das Schutzniveau legt, wie Art. 5.6 SPS zeigt, jeder Staat selbst fest. Allerdings ist es gegebenenfalls unverhältnismäßig, genau die gleichen Standards wie im Importstaat zu verlangen.842 834

Appellate Body Report, US – Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 114 ff. Appellate Body Report, WT/DS58/AB/R, para. 121. 836 Appellate Body Report, WT/DS58/AB/R, paras. 152 f. 837 Appellate Body Report, US – Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 168. 838 www.la21-wf.de/Agenda21/agd21k00.htm. 839 M. Böckenförde, Über den Einfluß umweltvölkerrechtlicher Verträge im Rahmen eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens, ZaöRV 63 (2003), S. 1002. 840 Vgl. Appellate Body, WT/DS58/AB/R, para. 171. 841 J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 175 f.; Appellate Body Report, US – Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 171, WT/DS58/AB/RW, paras. 122 f., 137 f., 143 f. 835

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Fraglich ist, welche Anforderungen an den internationalen Konsens gestellt werden sollten. Hinweise ergeben sich zunächst aus bestehenden WTO-Abkommen. Gemäß Art. 2 Abs. 4 SPS gelten „gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen, die mit den einschlägigen Bestimmungen dieses Übereinkommens übereinstimmen, . . . als im Einklang mit den die Anwendung von gesundheitspolizeilichen oder pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen betreffenden Verpflichtungen der Mitglieder aufgrund des GATT 1994, insbesondere mit Artikel XX Buchstabe b.“ Nach Art. 3 Abs. 1 SPS stützen sich die Mitglieder bei ihren gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen grundsätzlich auf internationale Regeln. Ein genereller Vorrang des internationalen Standards wird jedoch nicht angenommen.843 Internationale Standards „gelten als notwendig zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen“ und als im Einklang mit dem SPS und dem GATT 1994 (Art. 2 Abs. 4 SPS). Für gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen, die mit den internationalen Regelungen nicht nur konform sind, sondern diesen entsprechen, wird die Erforderlichkeit vermutet. Dies schließt aber nicht die Erforderlichkeit nationaler Schutzstandards aus, wenn die in Art. 5 enthaltenen Vorgaben der Risikoermittlung eingehalten werden. Außerdem entfällt die Ausrichtung auf internationale Standards, wenn die internationalen Standards zur Erreichung eines berechtigten Ziels unwirksam sind.844 Soweit die völkerrechtlichen Schutzstandards dem Welthandelsrecht bisher nur sehr begrenzt oder überhaupt keine inhaltlichen Vorgaben machen, muß es, wie der Appellate Body erkannt hat, den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, welches Schutzniveau sie für ihren Jurisdiktionsbereich als erforderlich ansehen845, wenn dies sachlich vertretbar ist. Nach Art. 3 Abs. 3 SPS-Abkommen können die WTO-Mitglieder Maßnahmen mit einem höheren Schutzniveau einführen oder beibehalten, „wenn eine wissenschaftliche Begründung“ vorliegt. Auch hieran dürfen aber nicht unerfüllbare Bedingungen geknüpft werden, wenn das Schutzprinzip noch zur Geltung kommen soll.846 Soweit wie in Art. 2 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 der wissenschaftliche Nachweis einer Gesundheitsgefahr erfordert wird, ist fraglich, wie dies mit dem Vorsorgeprinzip vereinbar ist.847

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Vgl. Appellate Body Report, WT/DS58/AB/RW, paras. 161 ff. Appellate Body Report, EC – Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, paras. 170 ff.; J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 209 f. 844 J. Neumann, Koordinierung des WTO-Rechts, S. 148. 845 Appellate Body Report v. 16.1.1998, EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones) WT/DS26/AB/R, WT/DS48AB/R, AB-1997-4, para 4; dazu auch T. Makatsch, Gesundheitsschutz im Recht der Welthandelsorganisation, 2004, S. 158 ff. 846 Vgl. Entscheidung des Appellate Body im Hormonstreit WT/DS 26 und 48/AB/ R, para 104; dazu auch A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 204 f.; zur Rolle der „Wissenschaftlichkeit“ im WTO-System T. Makatsch, Gesundheitsschutz im Recht der Welthandelsorganisation, S. 97 ff. 843

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Eine effektive Verwirklichung von Gesundheits- und Umweltschutz ist wegen der Begrenztheit menschlichen Erkenntnisvermögens jedenfalls nicht möglich, wenn die Verletzung dieser Schutzgüter von vornherein in Kauf genommen wird.848 Unter Berücksichtigung der Gleichwertigkeit wissenschaftlicher Thesen ist der Stand der Wissenschaft der richtige Ausgangspunkt.849 Dem Vorsorgeprinzip wird, solange eine sichere Erkenntnis fehlt, genügt, weil die Rechtsprechung des Appellate Body es ausreichen läßt, daß eine wissenschaftlich qualifizierte Mindermeinung von einer Gefahr ausgeht850. Somit müßten im Rahmen von Art. XX multilaterale Umweltschutzabkommen berücksichtigt werden, denen nationale Schutzmaßnahmen jedenfalls grundsätzlich entsprechen, auch dann, wenn der jeweilige Staat sie noch nicht umgesetzt hat. Nach einer Ansicht sollte das auch dann gelten, wenn die betroffenen Staaten sie nicht unterzeichnet haben, aber die dort enthaltenen Prinzipien von der überwiegenden Mehrheit der Staaten akzeptiert werden.851 Grundlage ist dann letztlich globales Konsens- oder Gewohnheitsrecht (dazu 3. Teil, E, S. 451 ff.). Soweit eine handelsbeschränkende Maßnahme dem Umweltvölkerrecht entspricht, könnte sie prima facie als „erforderlich“ und gerechtfertigt angesehen, werden.852 Dies muß aber widerleglich bleiben; denn sonst würde dem Umweltprinzip gegenüber dem Freihandel schematischer Vorrang eingeräumt. Eine Prinzipienabwägung und Verhältnismäßigkeitsprüfung ist in der Regel unverzichtbar, es sei denn, ein Umweltschutzabkommen enthält ausnahmsweise eine genau bestimmte materielle Regelung, welche keinen Handlungsspielraum mehr beläßt und nur diese eine Maßnahme erlaubt. c) Problematik der Einbeziehung von Herstellungsstandards Importverbote, welche mit der Nichteinhaltung von Standards im Herstellungsverfahren (im Herkunftsstaat) begründet werden, sollen gegen das Meistbegünstigungsgebot (Art. I GATT), gegen das Verbot mengenmäßiger Beschrän-

847 J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 38 f., 154 f.; dazu auch T. Makatsch, Gesundheitsschutz im Recht der Welthandelsorganisation, S. 97 ff. 848 Vgl. dazu auch A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 362 ff., 465 ff. 849 Dazu K. A. Schachtschneider, Der Stand von Wissenschaft und Technik, S. 93 ff., 118 ff.; kritisch zur Rolle der „Wissenschaftlichkeit“ im WTO-System T. Makatsch, Gesundheitsschutz im Recht der Welthandelsorganisation, S. 97 ff. 850 Appellate Body Report, EC – Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 178; J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 194. 851 Dazu P.-T. Stoll, How to Overcome the Dichotomy Between WTO Rules and MEAs, ZaöRV 63 (2003), S. 439 ff. 852 Vgl. Zur Diskussion P.-T. Stoll, How to Overcome the Dichotomy Between WTO Rules and MEAs, ZaöRV 63 (2003), S. 449 f.

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kungen (Art. XI GATT)853 oder auch gegen das Diskriminierungsverbot854 verstoßen.855 Nach Art. III, Abs. 4 GATT dürfen Waren („products“), die aus dem Territorium einer Vertragspartei in das Gebiet einer anderen Vertragspartei eingeführt werden, hinsichtlich aller Gesetze, Verordnungen und sonstigen Vorschriften über den Verkauf, das Angebot, den Einkauf, die Beförderung, Verteilung oder Verwendung im Inland keine weniger günstige Behandlung erfahren als gleichartige Waren inländischen Ursprungs. Nach dem Wortlaut scheint die Durchsetzung der gleichheitlichen Einhaltung nationaler Produktstandards gegenüber ausländischen Waren nicht grundsätzlich ausgeschlossen.856 Nach der Panel-Rechtsprechung und der sogenannten Produkt-Prozeß-Doktrin dürfen jedoch Beschränkungen des Warenverkehrs nicht an die Verletzung von Schutzstandards bei der Herstellung oder Beschaffung eines Produkts (z. B. schützenswerte Arten bedrohende Fischfangmethoden, gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen) anknüpfen, es sei denn, internationale Standards legen gerade diese zugrunde.857 Begründet wird die Irrelevanz der nationalen Herstellungsstandards mit einer engen Wortlautauslegung am Begriff „product“ (Ware), der an ein fertiges Produkt und nicht etwa an den Herstellungs- oder Beschaffungsprozeß anknüpfe.858 Die einheimische Produktion falle gemäß dem Souveränitätsund Nichteinmischungsprinzip ausschließlich in die Rechtsetzungshoheit des Produktionsstaats, in die sich der Abnehmerstaat nicht durch Handelsbeschrän853 Vgl. Panel Report v. 3.9.1991, United States – Restriction on Imports of Tuna (Tuna I), GATT/DS21/R, ILM 30 (1991), 1594 ff. nicht angenommen. Panel Report v. 15.5.1998, United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, WT/DS58/R und Appellate Body Report v. 12.10.1998, AB-1998-4, WT/DS58/ AB/R. 854 A. v. Bogdandy, Internationaler Handel und nationaler Umweltschutz, EuZW 1992, 243 (244 f.); M. Hilf, Freiheit des Welthandels contra Umweltschutz, NVwZ 2000481 (484 f.). 855 Siehe auch H.-V. Lempp, Die Vereinbarkeit einseitiger Maßnahmen der Vereinigten Staaten gegen das sogenannte Lohndumping, S. 99 ff. 856 Vgl. M. Böckenförde, Der Non-Violation Complaint im System der WTO, AVR 43 (2005), S. 53 ff. 857 Panel Report v. 16.6.1994, United States – Restrictions on Imports of Tuna, DS29/R, ILM 30 (1991), 1594; v. 11.10.1994 (Tuna I-Fall) nicht angenommen; USTaxes on Automobiles, DS31/R nicht angenommen; v. 19.6.1992, US-Measures Affecting Alcoholic and Malt Beverages, DS23/R; v. 29.1.1996, US-Standards for Reformulated and conventional Gasoline, WT/DS2/R; v. 14.3.1997, Canada – Certain Measures Concerning Periodicals; v. 18.8.1997, WT/DS31/R; EC-Measures concerning meat and Meat Products, WT/DS26/R/USA; A. v. Bogdandy, Internationaler Handel und nationaler Umweltschutz, EuZW 1992, 244 f.; W. Graf Vitzthum, in: ders. u. a. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 509, Rn. 200; W. Leirer, Rechtliche Grundfragen des Verhältnisses internationaler Umweltschatzabkommen zum GATT. S. 176 ff., 210 ff.; M. Hilf, Freiheit des Welthandels contra Umweltschutz?, NJW 2000, 482; M. Böckenförde, Der Non-Violation Complaint im System der WTO, AVR 43 (2005), S. 57 ff.; dazu kritisch S. Puth, WTO und Umwelt, S. 64 ff., 363 ff. 858 M. Böckenförde, Der Non-Violation Complaint im System der WTO, AVR 43 (2005), S. 57.

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kungen (Einfuhrverbote, Kennzeichnungspflichten), welche das GATT für „gleichartige“ Waren859 verbietet, einmischen dürfe.860 Hierin zeigt sich eine klassisch völkerrechtliche Betrachtungsweise, welche im Ergebnis dem Freihandel gegenüber dem Umweltschutz oder den Menschenrechten, prima facie Vorrang verschafft. Dies stellt erneut die Einseitigkeit und Unausgewogenheit völkerrechtlicher Vertragssysteme und das Fehlen einer Weltwirtschaftsverfassung unter Beweis. Allerdings ist zweifelhaft, ob Waren, welche unter Verstoß gegen menschheitliche Prinzipien hergestellt worden sind, insbesondere aus der Sicht der Verbraucher als „gleichartig“ gelten können.861 Immerhin hat der Appellate Body im Fall „Asbestos“ einen entscheidenden Schritt getan, als er Gesundheitsgefahren, welche sich auf die Kaufentscheidung des Verbrauchers auswirken, als ein die Gleichartigkeit ausschließendes Element qualifiziert.862 Ob dies auch für Gefahren (z. B. für die Arbeitnehmer) im Herstellungsprozeß gilt, ist damit allerdings nicht entschieden. Zumindest verlangen die Rechte der Arbeitnehmer im Herstellungsprozeß eine entsprechende Kennzeichnung (z. B. als „fair“), ohne daß diese als Verstoß gegen Art. III Abs. 4 GATT angesehen wird.863 Unabhängig davon ermöglicht Art. XX GATT allgemein die Rechtfertigung von Handelsbeschränkungen. Mit Ausnahme von Art. XX lit. e GATT, welcher Beschränkungen hinsichtlich der in Strafvollzugsanstalten hergestellten Waren ausnahmsweise erlaubt, sind in Art. XX Standards zum Schutze der Arbeitsbedingungen bei der Herstellung von Waren nicht genannt.864 Standards zum Schutz vor menschenunwürdiger Arbeit könnten im Sinne des ordre public865 unter „public morals“ (Art. XX lit. a) Handelsbeschränkungen begründen.866 Erheblich gesundheitsschädigende Verarbeitungsmethoden könnten gegebenenfalls unter Art. XX lit. b subsumiert werden, ohne daß dies dessen Wortlaut wider859 Zum „like product test“ M. Böckenförde, Der Non-Violation Complaint im System der WTO, AVR 43 (2005), S. 60 ff. 860 Dazu kritisch J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 129 ff. 861 Auch J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 133. 862 Appellate Body, EC – Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 101 f., 117 f.; v. 1.11.1996, Japan – Alcoholic Beverages, WT/DS8, WT/DS10, WT/DS 11/AB/R, S. 22, der festgestellt hat, daß auch Präferenzen der Verbraucher ein wichtiges Indiz sind. 863 Vgl. dazu A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 555 ff. 864 Vgl. D. Meyer, Sozialstandards und neue Welthandelsordnung, S. 119. 865 Dazu J. Kokott, Grund- und Menschenrechte als Inhalt eines internationalen ordre public, BDGV 39 (1997), S. 71 ff. 866 W. Meng, Wirtschaftssanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen, S. 183 ff.; Y. Moorman, Integration of ILO core rights labor standards into the WTO, Columbia Journal of International Law 40 (2002), 619 (655); vgl. J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 283; ablehnend: L. Nogueras/H. Martínez, Human Rights Conditionality in the External Trade of the European Union, Columbia Journal of European Law 7 (2001), 307 ff.

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spräche.867 Demgegenüber definiert das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen868, das ausweislich seiner Präambel auch Art. XX lit. b auslegen soll, gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen i. S. d. Übereinkommens in Annex A, para. 1 als Maßnahmen zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit „im Gebiet des Mitglieds“. Daraus wird zum Teil geschlossen, daß auch Art. XX lit. b nur Maßnahmen im Importstaat meint.869 Dies ist jedoch nicht zwingend, weil sich Art. XX lit. b nicht wie das SPS-Übereinkommen nur auf „polizeiliche“ Maßnahmen, die naturgemäß territorialgebunden sind, bezieht. Die Berücksichtigung des gesamten Völkerrechts im Rahmen der Vertragsauslegung (Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK) gebietet vielmehr, solche Maßnahmen nicht auszuschließen. Auch die Rechtsprechung des Appellate Body im Shrimpfall stellt eine bemerkenswerte Abkehr von der bisherigen Interpretation des Art. XX GATT dar, wonach dieser Artikel Ungleichbehandlungen aufgrund unterschiedlicher Produktionsmethoden nicht rechtfertigen könne.870 Entsprechend dieser neueren Rechtsprechung könnten menschenunwürdige Arbeitsbedingungen oder umweltschädigende Herstellungsmethoden jedenfalls, wenn diese durch Standards in Menschenrechtsverträgen, Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation oder in multilateralen Umweltschutzabkommen verbindlich materialisiert sind, also ein internationaler Konsens feststellbar ist, einseitige Handelsbeschränkungen rechtfertigen, soweit sie im Einzelfall verhältnismäßig sind.871 Der Protektionismuseinwand, der gegen einseitige Handelsbeschränkungen wegen Nichteinhaltung bestimmter Standards erhoben wird872, entfällt insoweit. Ein hinreichender Bezug zum Recht des Importstaats, der wegen der extraterritorialen Wirkung auf Rechtsgüter im Ausland aus Gründen des Territorialprinzips teilweise gefordert wird873, ist für den elementaren erga omnes867 J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 174; vgl. H.-V. Lempp, Die Vereinbarkeit einseitiger Maßnahmen der Vereinigten Staaten gegen das sogenannte Lohndumping, S. 133 ff. 868 ABl. 1994 Nr. L 336/40. 869 H.-V. Lempp, Die Vereinbarkeit einseitiger Maßnahmen der Vereinigten Staaten gegen das sogenannte Lohndumping, S. 134 f. 870 Dazu S. Puth, WTO und Umwelt, S. 77 ff.; siehe auch J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 174. 871 W. Meng, Wirtschaftssanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen, S. 184 f. will für den Konsens über den ordre public in Art. XX GATT auch unverbindliche Menschenrechtserklärungen ausreichen lassen. 872 R. Senti, GATT – WTO, S. 66; T. Bender, Unilaterale Exportverbote von Domestically Prohibited Goods zum Umwelt- oder Gesundheitsschutz im Ausland und ihre Rechtmäßigkeit nach dem GATT, ZaöRV 63 (2003), S. 1007 (1023 f.). 873 Vgl. US – Shrimps, WT/DS58/AB/R, para. 133, der die Grenzen exterritorial wirkender Rechtsetzung nicht abschließend bestimmt; dazu kritisch T. Bender, Unilaterale Exportverbote, ZaöRV 63 (2003), S. 1020, der darauf hinweist, daß es sich in solchen Fällen nicht um eine extraterritoriale Regelung, sondern nur um eine extraterritoriale Wirkung handle, die in Ermangelung eines allgemeinen Rechts auf Handel

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Schutz von Menschenrechten, wie er in den Kernarbeitsnormen materialisiert ist, zu bejahen. Auch Verstöße in der Produktion gegen von der Mehrheit der Staaten anerkannte multilaterale Umweltabkommen können nicht mehr als „innere“ der Hoheit der Staaten ausschließlich überlassene Angelegenheiten angesehen werden. 5. Ergebnis Die Entwicklung der Weltwirtschaftsverfassung sollte mit der Entstehung einer Weltsozialverfassung Schritt halten und muß den Umweltschutz einbeziehen. Welthandelsrecht und der Schutz sozialer oder umweltrechtlicher Standards dürfen wegen ihrer Zuweisung in unterschiedlichen Verträgen und Organisationen (z. B. WTO einerseits ILO andererseits) in einer Weltwirtschaftsverfassung nicht mehr isoliert voneinander betrachtet werden. Institutionell und/oder materiell ist eine Gleichgewichtung und Verflechtung von Sozial-, Umwelt- und Freihandelsprinzipien in der mehrgliedrigen Weltverfassung herzustellen. Möglich würde dies erstens durch die Institutionalisierung einer Weltwirtschaftsorganisation und Konstitutionalisierung der Weltwirtschaftsverfassung durch einen Weltvertrag. Ein anderer Weg führt über die Inkorporation der ILO-Prinzipien und der wesentlichen Umweltverpflichtungen in die WTO-Abkommen, gegebenenfalls mit Hilfe materieller Verweisung. Das WTO-Recht würde dadurch weltvertraglichen Charakter erhalten. Zudem könnte die Aufnahme eines Staates in die WTO von der tatsächlichen grundsätzlichen Einhaltung der ILO-Kernarbeitsrechte abhängig gemacht werden. Eine wichtige Funktion zur Verwirklichung der Weltwirtschaftsverfassung durch Rechtseinheit kann schon jetzt ohne Vertragsänderungen die WTO-Streitbeilegungsrechtsprechung übernehmen, wenn sie sich um eine harmonische Auslegung bemüht. Die Welthandelsordnung hat das Potential, zur Materialisierung einer Weltwirtschaftsverfassung beizutragen, wie insbesondere die neuere Rechtsprechung des Appellate Body zeigt. Seine Berichte belegen, daß er eine isolierte Betrachtung nur der wirtschaftlichen Prinzipien ablehnt. Er bettet die Auslegung des Welthandelsrechts in den umfassenden Zusammenhang der sich aus dem Völkerrecht ergebenen wirtschaftsverfassungsrechtlichen Prinzipien ein. Die von der WTORechtsprechung praktizierte Verhältnismäßigkeitsprüfung ermöglicht eine Prinzipienabwägung zwischen Handels- und anderen Prinzipien und damit eine „koordinative Vernetzung des WTO-Rechts mit anderen Vertragsordnungen“.874 Erst jedoch, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, daß Waren nicht nur wegen ihrer Beschaffenheit, sondern auch wegen ihrer Herstellung oder Beschaffung unerheblich sei. Allerdings geht es hier um die Rechtfertigung von Freihandelspflichten aus dem GATT, die den betroffenen Vertragsparteien im Rahmen des GATT ein solches Recht verleihen. 874 J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 227.

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„illegal“ sein können, kann sich eine materielle Wirtschaftsverfassung entwikkeln. VI. Zur Notwendigkeit eines Weltkartellrechts Fairer Wettbewerb, d. h. freier Wettbewerb im normativen Sinn entsteht nicht von selbst, sondern nur durch das (zwangsbewehrte) Recht. Ungeregelter Wettbewerb begünstigt die Macht des Stärkeren, die letztlich den Wettbewerb beseitigt. Freier Wettbewerb bedarf der rechtlichen Regulierung, indem Monopole, Oligopole, Kartelle und unlauterer Wettbewerb, die den freien Wettbewerb aufheben, zurückgedrängt werden. Diese Auffassung, die der ordoliberalen Lehre der Freiburger Schule875 entstammt, hat die europäische „Wettbewerbskultur“ geprägt. In den USA dominiert in der Rechtspraxis dagegen die ökonomische neoliberale Chicago School, die gegenüber Monopolbildungen in höherem Maße auf Selbstregulierung vertraut.876 Deshalb stehen die USA den von der EG vorgeschlagenen WTO-Verhandlungen877 über weltweite Wettbewerbsregeln zurückhaltend gegenüber.878 Das WTO-Recht beinhaltet zwar völkerrechtliches Wettbewerbsrecht wie das Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen oder in § 8 TRIPS die Möglichkeit für die Vertragsstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, die sich gegen die wettbewerbswidrige Nutzung von Schutzrechten richten. Es regelt aber kein Kartellrecht, das Verhaltensweisen von Unternehmen oder Zusammenschlüsse von Unternehmen zum Gegenstand hat, oder gar an diese adressiert ist.879 Anders als die Europäische Gemeinschaft hat die WTO keine zentrale Behörde, die von Amts wegen gegen Wettbewerbsbeschränkungen einschreiten könnte. Das Subventionsabkommen sieht in Art. 24 zwar einen Ausschuß für Beihilfen und Ausgleichsmaßnahmen vor. Über echte Kontrollfunktionen verfügt dieses Gremium jedoch nicht. Es nimmt vor allem staatliche Notifikationen entgegen880 und stellt diese anderen Staaten zur Verfügung. Von der

875 Vgl. dazu W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 1990; ders., Ordnungspolitik, 1999; F. Böhm, Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtschöpferische Leistung, 1937; F. Böhm/W. Eucken/H. Großmann-Doerth, Unsere Aufgabe. In: dies. (Hrsg.): Ordnung der Wirtschaft. 1/1937, S. VII ff. 876 Vgl. dazu M. Friedman, Kapitalismus und Freiheit (Nachdruck), 2002; I. Schmidt/J. B. Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, 1986. 877 Communication of the commission of the E. C. to the Council of 18 June 1996, Towards an International Framework of Competition Rules, COM (96) 284 endg., S. 14. 878 Vgl. auch E.-U. Petersmann, Europäisches Integrations-, Verfassungs- und Weltbürgerrecht, in: Liber amicorum Th. Oppermann, 2001, S. 367 (370 f.). 879 K. M. Meessen, Das für und wider eines Weltkartellrechts, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 19, (2000), 336 (339). 880 Art. 8.3, 25 WTO-Subventionsabkommen.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

allgemeinen Überwachung nach Art. 26 Subventionsabkommen abgesehen, wird der Ausschuß nur auf Antrag tätig. Die Durchsetzung des WTO-Wettbewerbsrechts bleibt der Initiative der jeweils betroffenen Staaten überlassen. Erkennt man das Prinzip fairen Wettbewerbs nicht nur zum Schutz des Heimatstaates, sondern als Grundprinzip einer globalisierten Wirtschaft an, in der die Akteure weltweit konkurrieren, stellt sich die Frage eines Weltkartellrechts.881 Ein unfairer Standortwettbewerb ist rechtlich nicht schutzwürdig. Die EG-Kommission hat sich in ihrem Grünbuch vom 11. Dezember 2001 zur Frage der Revision der EG-Fusionskontrollverordnung für die Schaffung eines weltweit einheitlichen Standards882, also eines einheitlichen materiellen Weltkartellrechts883, ausgesprochen. Allerdings dürfte es angesichts der unterschiedlichen Untersagungskriterien etwa in Europa und in den USA schwierig sein, sich auf gemeinsame Regeln zu einigen.884 Vorbereitet werden kann ein Konsens in den Foren885, die sich mit einem weltweiten Wettbewerbsrecht beschäftigen, wie die WTO-Konferenzen886, das OECD Global Forum on Competition887 und insbesondere das International Competition Network888, das sich aus Vertretern der Kartellbehörden aus über zwölf Ländern zusammensetzt. Die Um- und Durchsetzung eines Weltkartellrechts könnte entweder durch nationale (europäische) Behörden und Gerichte889 oder durch eine Weltkartellbehörde und einen Weltkartellgerichtshof890 erfolgen. Um eine einheitliche Auslegung zu sichern, bedürfte es wohl auch für die dezentrale Durchsetzung des Weltkartellrechts eines Weltkartellgerichtshofs. Otfried Höffe hat als Kontrapunkt zur Welthandelsordnung und zur Welthandelsorganisation ein Weltkartellrecht samt Weltkartellbehörde und Weltkartell881 W. v. Meiborn/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio, EuZW 2002, 261 ff., 265. 882 Grünbuch über die Revision der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates, KOM (2001) 745/6, S. 42. 883 Dazu W. v. Meiborn/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio, EuZW 2002, 262 ff. 884 Dazu W. v. Meiborn/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio, EuZW 2002, 262. 885 Dazu W. v. Meiborn/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio, EuZW 2002, 266. 886 WTO, Ministererklärung von Doha, WT/MIN(01)/DEC/1; WTO Report (2000) of the Working Group on the interaction between trade and competition policy to the general Council, WT/WGTCP/4. 887 OECD online, Global Forum on Competition (www.globalcompetitionforum. org). 888 Gründung 25.10.2001, www.internationalcompetitionnetwork.org. 889 Dazu W. v. Meiborn/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio, EuZW 2002, 263. 890 Dazu W. v. Meiborn/A. Geiger, EuZW 2002, 263 f.

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gericht gefordert. Die Weltkartellbehörde sei mit so viel Macht auszustatten, daß sie sowohl den transnationalen Konzernen und ihren strategischen Allianzen als auch den nationalen Interessen großer Mächte, selbst denen einer faktischen Hegemonialmacht, Paroli bieten kann.891 Es bedürfe auch einer Regulierung des Standortwettbewerbs zwischen den Staaten. Staaten überdehnen oder beugen oft nicht nur das Recht, sondern sogar ihre eigenen Gesetze, um für entsprechend wichtige Unternehmen Steuern oder soziale und ökologische Bedingungen zu ermäßigen. Sie verstoßen damit gegen das elementare Grundrecht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Ihr „Wettbewerb“ zu anderen Staaten, die ihr Recht anwenden, ist, wenn man so will, „unlauter“. Staaten, die sich als Steueroasen profilieren, weil sie durch außergewöhnliche Steuervorteile die steuerrechtlich relevanten Firmensitze an sich ziehen, ohne sich um die Infrastruktur der Betriebsstätten und deren Personal zu kümmern, verhalten sich als Trittbrettfahrer in der Weltgesellschaft. Die anderen Staaten haben das Recht, einen Ausgleich für die nicht bereitgestellte Infrastruktur zu verlangen. Dies sei nach Höffe nur durch eine globale Macht durchsetzbar.892 Jürgen Habermas meint hingegen, Maßnahmen, welche den Deregulationswettbewerb der Staaten zugunsten regulativer (Sozial-)Politik einschränken, könnten allenfalls im Rahmen der Europäischen Union, die funktionale Staatsqualität hat, durchgesetzt werden. Auf globaler Ebene fehle sowohl die politische Handlungsfähigkeit einer Weltregierung als auch eine entsprechende Legitimationsgrundlage.893 Karl Meessen894 spricht sich für ein Verbot einer, den internationalen Handel diskriminierenden, Anwendung von Kartellrecht durch ein multilaterales Abkommen (im Rahmen der WTO) aus. Er lehnt aber ein einheitliches Weltkartellrecht und eine Weltkartellbehörde aus Furcht vor einem „Weltleviathan“ und, um den Standortwettbewerb zwischen den Staaten aufrechtzuerhalten, ab. Eventuell ist ein Weltkartellrecht deshalb entbehrlich, weil sich Staaten dem Wettbewerbsrecht eines Staates nicht entziehen können, dieses also transnationale Wirkungen hat.895 Als Ausnahme vom Territorialprinzip, wonach Bestimmungen des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht über die Landesgrenzen des rechtsetzenden Staates hinauswirken896, hat das nationale und europäische Kartellrecht einen potentiell globalen Anwendungsbereich.897 Es ist vom Unterneh-

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O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 1999, S. 400. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 402. 893 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 159. 894 K. M. Meessen, Das Für und Wider eines Weltkartellrechts, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 19 (2000), 336 ff., 353. 895 Vgl. W. v. Meiborn/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio, EuZW 2002, 265. 892

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mensstandort unabhängig und folgt dem Ort der Wirkung wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens.898 So hat die EG-Kommission erstmalig im Juli 2001 in Abweichung von der US-amerikanischen Kartellbehörde die Fusion zweier USKonzerne, nämlich General Electric und Honeywell, untersagt.899 Tendenziell werden allerdings immer größere Unternehmenszusammenschlüsse für unbedenklich gehalten und weder von nationalen Kartellbehörden noch von der Kommission der EG verhindert.900 Es ist daher fraglich, ob hier ein Weltkartellrecht zusätzliche Abhilfe brächte. Als mildestes Mittel könnte das Verfahrensrecht harmonisiert werden. So könnten in multilateralen Verträgen einheitliche Anmeldeverfahren vereinbart werden.901 Außerdem können multilaterale Verträge den nationalen Gesetzgebern vorschreiben, den betroffenen ausländischen Wirtschaftsteilnehmern zu ermöglichen, im Inland Klage gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu erheben. Je besser dieser Rechtsschutz funktioniert und je mehr ihr internationale, gleiche Maßstäbe zugrunde liegen902, desto mehr kann das Kartellrecht in den Händen der Einzelstaaten bleiben.903

D. Konstitutionalisierung in „supranationalen“ Organisationen I. „Supranationalität“ versus „Souveränität“ In der globalisierten Welt wird die Souveränität der Staaten mehr und mehr zum Anachronismus.904 Sie wird zunehmend durch die sogenannte Supranatio-

896 BGHZ 31, 367 (371); BGH WM 70, 785 (786); BAG vom 12.12.1990, NZA 1991, 386; B. Großfeld, Multinationale Unternehmen und staatliche Souveränität, JuS 1978, 73 (75). 897 Vgl. § 98 Abs. 2 GWB; dazu U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Kommentar, 1992, zu § 98 Abs. 2, Rn. 16 ff.; siehe auch U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, 2001, S. 109 ff. 898 K. M. Meessen, Das Für und Wider eines Weltkartellrechts, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 19 (2000), 345. 899 Fall COMP/M. 2220, vgl. Presseerklärung der Kommission IP/01/939 v. 3.7.2001; W. v. Meiborn/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio, EuZW 2002, 261. 900 Vgl. W. v. Meiborn/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio, EuZW 2002, 261 f. 901 W. v. Meiborn/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio, EuZW 2002, 265. 902 Zur Schaffung eines internationalen Verfahrensrechts in Weltkartellsachen W. v. Meiborn/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio, EuZW 2002, 265. 903 Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 401. 904 J. Habermas, Inklusion, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 154 (180).

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nalität905 bestimmter Internationaler Organisationen oder Regionalverbände relativiert, die über erhebliche funktionale Staatlichkeit (1. Teil, B, S. 87 ff.) verfügen. Zugleich weist ihre Integrationsentwicklung, wie das Beispiel der Europäischen Union zeigt, auf die Entstehung kontinentaler Bundesstaaten. Die Koordination supranationaler Regionalverbände trägt erheblich zum Globalisierungsprozeß906 und zur Formung einer Weltordnung im Sinne der „Regionalisierung der Welt“ (dazu 5. Teil, A, S. 576 f.) bei. Der Begriff der „Supranationalität“907 könnte, was die Wortbedeutung nahelegen würde, definiert werden als „die Hoheitlichkeit (Gewalt) von Institutionen . . ., deren Maßnahmen unabhängig vom Willen der Nationen (Völker) verbindlich sind und durchgesetzt werden können“.908 Eigentlich supranational wäre danach erst eine höchste Gewalt über den Staaten, wie ein Weltstaat oder ein Einheitsstaat Europa.909 Mit solch engem Verständnis ist der Begriff heute nicht mehr gebräuchlich.910 Auch sogenannte Supranationale Organisationen verfügen nicht über Kompetenz-Kompetenz.911 Das unterscheidet sie von einem Überstaat. Die Mitgliedstaaten bleiben „Herren der Verträge“.912 Die „supranationalen“ Organisationen stehen also nicht in einem existentiellen Sinn „über“ den Staaten, sondern nur funktional (1. Teil, B, S. 87 ff.). Die Souveränität (des Volkes) als solches kann nicht aufgegeben werden, ohne daß sich der jeweilige Staat seiner existentiellen Staatlichkeit begibt.913 Aus demokratierechtlichen Gründen werden lediglich Befugnisse zur Ausübung übertragen914, welche wegen der Verantwortbarkeit durch die nationalen Parlamente hinrei905

Dazu W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1999, 61 ff. Vgl. P. Close, The Legacy of Supranationalism, 2000, S. 29 ff. 907 Dazu H. P. Ipsen, Über Supranationalität, in: Fs. U. Scheuner, 1973, S. 211 ff.; M. Zuleeg, Wandlungen des Begriffs der Supranationalität, Integration 1988, S. 103 ff.; R. Streinz, Europarecht, S. 52 ff., Rn. 115 ff.; vgl. auch A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 124 f. 908 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, in: ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 153 (163), Fn. 78. 909 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, in: ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 175 f.; ders., in: W. Hankel u. a. (Hrsg.), Die Euro-Klage, 1998, S. 249 ff. 910 Dazu A. v. Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 149 (190 f.). 911 E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 279, Rn. 15; BVerfGE 89, 155 (194, 197 f.); vgl. auch BVerfGE 89, 223 (242). 912 BVerfGE 89, 155 (190); A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HStR, Bd. II, § 17, S. 143, Rn. 34; C. Hillgruber, Der Nationalstaat in der übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, § 32, S. 929, Rn. 80; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich/Th. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 1993, 758 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 101 f.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 124. 913 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 94 ff.; ders., Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 163 ff. 906

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chend bestimmt sein müssen.915 Wie Internationale Organisationen dürfen sie nur die ihnen von den Mitgliedstaaten im Gründungsstatut zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse in den vorgesehen Verfahren und Rechtsformen wahrnehmen (Prinzip begrenzter Ermächtigung).916 Selbst wenn darin Mehrheitsentscheidungen vorgehen sind, mit denen einzelne Staaten gegen ihre Stimme im Einzelfall gebunden werden können917, beruhen diese letztlich auf dem Willen aller Staaten.918 Wiewohl „Supranationalität“ als Prinzip nicht anerkannt werden kann, hat der Terminus doch seine Nützlichkeit als klassifikatorischer, beschreibender Begriff.919 II. Typik der Supranationalen Organisationen Trotz einiger Gemeinsamkeiten mit den Internationalen Organisationen bilden die Organisationen, die als „supranational“ bezeichnet werden920, gegenüber Internationalen Organisationen, aber auch in Abgrenzung zu den Staaten eine besondere Kategorie.921 Sie sind institutionalisierter Ausdruck eines Paradigmenwechsels. Mitglieder Supranationaler Organisationen müssen größere Beschränkungen ihrer einzelstaatlichen Handlungsfähigkeit zugunsten gemeinsamer Befugnisse hinnehmen als in gewöhnlichen Internationalen Organisationen. In den letzten 914 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 76 f. 915 Vgl. zum Prinzip der begrenzten Ermächtigung Art. 5 Abs. 1 EGV BVerfGE 89, 155 (181, 191 ff.); K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 96, 113; P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 898, 903 ff. 916 Dazu BVerfGE 89, 155 (192 f.); H. D. Jarass, Die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, AöR 121 (1996), S. 173 (175); H. P. Kraußer, Das Prinzip der begrenzten Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht, 1991, S. 86 ff.; C. Hillgruber, Der Nationalstaat in der übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, § 32, S. 929, Rn. 79. 917 R. Streinz, Europarecht, S. 52 f., Rn. 116 sieht darin ein wesentliches Kriterium der Supranationalität; zu den verfassungsrechtlichen Grenzen von Mehrheitsentscheidungen BVerfGE 89, 155 (184). 918 Vgl. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 107 f., Rn. 10 ff.; allgemein zur Zulässigkeit der Mehrheitsregel J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, S. 392 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 119 ff. 919 A. v. Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, S. 190 f. 920 Dazu etwa M. Zuleeg, Wandlungen des Begriffs der Supranationalität, Integration 1988, S. 103 ff. 921 In dem Sinn wohl auch E. Klein, Die Internationalen Organisationen als Völkerrechtssubjekte, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 278, Rn. 14; K. Doehring, Völkerrecht, S. 95 ff.; A. v. Bogdandy, Konstitutionalisierung des europäischen öffentlichen Rechts, JZ 2005, 529 (536).

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zwei Jahrzehnten hat die supranationale Kooperation, auch in Fragen klassisch innenpolitischer Domänen, deutlich zugenommen.922 Ein Beispiel ist die stetige Ausdehnung der Kapitalverkehrsfreiheit923, der Kompetenzen der WTO924, der NAFTA925, der Europäischen Union, insbesondere im Hinblick auf die Währungsunion.926 Teilweise wird davon gesprochen, die Rechtsakte der „supranationalen“ Organisationen würden den „Souveränitätspanzer“ der Staaten927 durchbrechen können.928 Supranationalität oder von den Völkern gemeinschaftlich ausgeübte funktionale Staatlichkeit kann nicht nur als „Zerfallsprodukt der Souveränität“, sondern auch als „Ausdruck ihres geschichtlichen Wandels“ verstanden werden.929 Häberle deutet den Souveränitätsbegriff zu Recht weltrechtlich im Sinne der Rechtsverwirklichung durch kompetenzgemäßes und verfassungsmäßiges Handeln930 und versteht die überstaatliche Bedingtheit des Staates als Souveränitätsgewinn und nicht als Souveränitätsverlust.931 Seiner Meinung nach werde Souveränität sogar erst wieder auf überstaatlicher Ebene durch Eingehen von Bindungen in größeren Verbänden gewonnen, weil ein souveränes Handeln nur in Gemeinschaft mit anderen (Staaten) möglich sei. Souveränität bestehe gerade und auch darin, Bindungen einzugehen in der internationalen Zuständigkeit und Verantwortlichkeit.932 Supranationale Organisationen unterscheiden sich von Internationalen Organisation insbesondere durch folgende Wesensmerkmale933: – Die der Organisation zugrunde liegenden Verträge werden oft als (materielle) „Verfassung“ der Organisation angesehen. – Es existieren unabhängige Organe mit (in den Grenzen ihrer vertraglichen Ermächtigung) selbständigen auch rechtsetzenden Befugnissen. 922 L. Gruber, Ruling the World, 2000, S. 3 ff.; P. Close, The Legacy of Supranationalism, S. 29 ff. 923 Dazu kritisch K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in: ders. (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 253 ff. 924 Dazu D. I. Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, S. 90 ff.; dies., Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 28 ff. 925 Vgl. L. Gruber, Ruling the World, S. 122 ff. 926 Dazu BVerfGE 89, 155 (160 ff., 167, 201 ff.); kritisch K. A. Schachtschneider, in: W. Hankel u. a. (Hrsg.), Die Euro-Illusion, 2001, S. 25 ff., 271 ff. 927 A. Bleckmann, Europarecht, 1997, S. 167. 928 E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 278, Rn. 14. 929 P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 260; U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001, S. S. 92 ff. 930 P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 281; vgl. 3. Teil, C, S. 341 ff., D, S. 362 ff. 931 P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 285. 932 P. Häberle, Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 285. 933 Vgl. E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 278 f. (Rn. 14); Th. Oppermann, Europarecht, S. 336 ff.; R. Streinz, Europarecht, S. 52 ff., Rn. 116 ff.

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– Die Entscheidungen mindestens eines Organs haben für die Adressaten verbindliche Wirkung. – Supranationale Organisationen unterscheiden sich von Internationalen Organisationen insbesondere dadurch, daß ihr Recht unmittelbare rechtliche Wirkungen nicht nur zwischen ihren Mitgliedstaaten entfaltet, sondern auch innerhalb der Mitgliedstaaten. Sie erlassen Rechtsakte, die ohne irgendwie geartete Umsetzung oder Transformation im Gebiet der Mitgliedstaaten angewendet werden können und Rechte für die Bürger der Staaten begründen.934 – Das Recht der Supranationalen Organisation beansprucht Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten. – Durch die Rechtsprechung eines unabhängigen Gerichtshofs der Organisation, der verbindliche Entscheidungen fällt, wird deren Recht gesichert. – Im Abstimmungsmodus wird die Mehrheitsregel tendenziell häufiger zugelassen als in Internationalen Organisationen. Wie zu erkennen ist, stimmen diese Merkmale, abgesehen vom globalen Geltungsbereich, mit den im 3. Teil, C genannten Charakteristika des Weltrechts weitgehend überein. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit Erfahrungen des europäischen Integrationsprozesses für die Verwirklichung des Weltrechts fruchtbar gemacht werden können. III. Europäische Union auf dem Weg zum Bundesstaat und Wegbereiter einer globalen Weltordnung Während die Welthandelsorganisation u. U. noch an der Grenze zwischen internationaler und Supranationaler Organisation eingeordnet werden, sind die Europäischen Gemeinschaften nach allgemeiner Meinung Supranationale Organisationen935 und die Europäische Union ein „Staatenverbund“936 mit bundesstaatlichem Charakter.937 In Gestalt der Europäischen Union scheint sich Kants Idee einer Staatenkonföderation zum Zwecke des Friedens in Europa in weltbürgerlicher Gesinnung bisher am meisten verwirklicht zu haben938, wenn auch regional begrenzt. Das supranationale Integrationsrecht gleicht sich durch seine Konstitutionalisierung, zuletzt in einem Verfassungsvertrag, dem Staatsrecht zu934 EuGH, Rs 26/62 van Gend & Loos, Slg. 1963, 1 (24 f.); E. Klein, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 278, Rn. 14; K. Doehring, Völkerrecht, S. 95, Rn. 221. 935 R. Streinz, Europarecht, S. 52 ff., Rn. 115 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, S. 336 ff., Rn. 890 ff. 936 BVerfGE 89. 155 (156); R. Streinz, Europarecht, S. 54 ff., Rn. 121a; Th. Oppermann, Europarecht, S. 336, Rn. 889. 937 Vgl Th. Oppermann, Europarecht, S. 180, Rn. 467. 938 Vgl. Th. Oppermann, Europarecht, S. 4.

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nehmend an.939 In mancherlei Hinsicht läßt sich am Beispiel der Europäischen Union die Denationalisierung des Rechts940 und die Entwicklung von einem völkerrechtlichen Bund941 zu einem europäischen Verfassungsstaat/Bundesstaat beobachten.942 Für viele ist die Integration der Europäischen Union die künftige Form politischer Einheitsbildung im Völkerrecht der Globalisierung.943 Ein Staat Europa könnte den Beginn einer Weltordnung großer Regionalstaaten markieren. 1. Zu den Merkmalen der „Supranationalität“ des Gemeinschaftsrechts Folgende Merkmale der Gemeinschaft werden als für ihre „Supranationalität“ charakteristisch genannt944: a) Verfassung Schon bevor der nicht in Kraft getretene Verfassungsvertrag für die Europäische Union ausgearbeitet worden war945, ist oft gesagt worden, die Europäische Gemeinschaft habe eine Verfassung oder sei zumindest auf dem Weg dahin.946 Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs stellten schon der EWG/EG-Vertrag, „obwohl er in der Form einer völkerrechtlichen Übereinkunft geschlossen 939 Dazu W. Hummer, Paradigmenwechsel im Internationalen Organisationsrecht, in: ders. (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 145 ff.; vgl. auch kritisch K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: Fs. W. Nölling, 2003, S. 279 ff. 940 R. Voigt, Globalisierung des Rechts, in: ders. (Hrsg.), Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 16 (25). 941 Vgl. Th. Oppermann, Europarecht, S. 2 ff., Rn. 3 ff.; R. Streinz, Europarecht, S. 5 ff., Rn. 9 ff. 942 Vgl. dazu Th. Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, 2001, S. 113 ff.; Th Oppermann, Zur Eigenart der EU, in: P. Hommelhoff (Hrsg.), Der Staatenverbund der EU, 1994, S. 87 ff.; K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 279 ff. 943 H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 347. 944 Vgl. dazu U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 140 f.; Th. Oppermann, Europarecht, S. 337 ff., Rn. 894 ff. 945 ABl. V. 16.12.2004, C 310/1; dazu E. Pache, Eine Verfassung für Europa, EuR 2002, 767 ff. 946 Vgl. dazu U. Di Fabio, Eine europäische Charta, JZ 2000, 737 ff.; J. Schwarze, Auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung, DVBl. 1999, 1677 ff.; ders., Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung, in: ders. (Hrsg.), Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung, 2000, S. 463 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 45 f. mit Fußnote 9; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 305 ff.

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wurde, nichtsdestoweniger die Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft dar.“947 Damit ist nicht nur ein empirischer, sondern ein normativer, staatsübergreifender Verfassungsbegriff angesprochen.948 Formell-normativen Verfassungscharakter haben etwa der Vorrang und die erhöhte Bestandskraft des Gemeinschaftsrechts.949 Aber auch eine gewisse materielle Verfaßtheit ist schon früh konstatiert worden. So sah das Bundesverfassungsgericht bereits im 22. Band im EWG-Vertrag „gewissermaßen die Verfassung dieser Gemeinschaft“.950 Der Charakter einer normativ-materiellen Verfassung zeigt sich nicht nur in den wirtschaftlichen Garantien, namentlich den Grundfreiheiten (Warenverkehrsfreiheit Art. 28 ff., Arbeitnehmerfreizügigkeit 39 ff., Niederlassungsfreiheit Art. 43 ff., Dienstleistungsfreiheit Art. 49 ff., Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit Art. 56 ff. EGV), sondern auch in der Verpflichtung auf gemeinsame politische Grundwerte.951 Die Europäische Union ist anders als die WTO nicht nur Wirtschaftsraum, sondern auch politische Gemeinschaft. In ihrer Verfassung bekennen sich die Mitgliedstaaten zu gemeinsamen Leitvorstellungen, wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten, Frieden und anderen Prinzipien, die ihren verfassungsrechtlichen Traditionen entnommen sind (vgl. Präambel, Art. 6 EUV, Charta der Grundrechte). In Art. 7 i.V. m. Art. 6 EUV schreibt der EU-Vertrag eine freiheitlich-demokratische Homogenität der Verfassungen ihrer Mitgliedstaaten vor. Sie kann sogar mit Sanktionen gegenüber Mitgliedstaaten, welche die Anforderungen in Art, 6 EUV nicht erfüllen, durchgesetzt werden. Nach Art. 49 EUV müssen diese Voraussetzungen auch die Beitrittskandidaten erfüllen. Darin zeigt sich nicht nur eine europäische civitas oder supranationale Verfassung und Verfassungskontrolle952, sondern auch ein Schritt zum Bundeseinheitsstaat.953 In der Literatur ist geäußert worden, das Gemeinschaftsrecht habe einen eigenen verfassungsartigen Rechtscharakter zwischen Völkerrecht und Staatsrecht.954 Teilweise ist auch in Abkehr zum „Staatenverbund“ der Begriff „Verfassungsverbund“ aufgebracht worden.955 Insgesamt hat 947 Rs 294/83 Les Verts/Europäisches Parlament, Slg. 1986, 1339 (1365, Rn. 23); Gutachten 1/91, Slg. 1991, 6079 (6102, Rn. 21). 948 Siehe auch 3. Teil, B, S. 307 ff.; dagegen zurückhaltend Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 306. 949 J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. II, 2004, § 15, S. 3, Rn. 184; M. Jestaedt, Europäische Verfassungsverbund, in: Gs M. Blomeyer, 2004, S. 647; Ch. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt, in: A. v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 1 (36 ff.). 950 BVerfGE 22, 293 (296). 951 Ch. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt, S. 47 ff. 952 H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 331 (344). 953 Dazu K. A. Schachtschneider, Deutschland nach den Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 279 ff. 954 Th. Oppermann, Europarecht, S. 179 f., Rn. 466, 333 ff.

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die Annahme, die Europäische Union sei verfassungsbedürftig und verfassungsfähig, weitgehend Zustimmung gefunden.956 Mit Abschluß eines Verfassungsvertrags für die Europäische Union kann die Anwendung des Verfassungsbegriffs auf die Union nicht mehr abgelehnt, aber immer noch darüber gestritten werden, welche Qualität diese Verfassung hat.957 Wenngleich die Europäische Verfassung die weltbürgerlichen Rechte einbezieht (z. B. Grundfreiheiten, Unionsbürgerschaft), handelt es sich nicht um eine bürgerlich-republikanische Verfassung, weil die Unionsverfassung nicht aus einer verfassungsgebenden Versammlung der Unionsbürger hervorgegangen ist.958 Gleichwohl assoziiert Art. I-1 Abs. 1 VV („Geleitet von dem Willen der Bürgerinnen und Bürger und der Staaten Europas“) eine Legitimation der Bürger, bringt aber zugleich die Trennung der Bürger von ihren Staaten zum Ausdruck. Die Charta der Grundrechte (Teil II des Verfassungsvertrages), deren Titel V Bürgerrechte vorsieht, knüpft zwar an die Traditionen bürgerlicher Verfassungsgesetze an, erfüllt aber nicht deren formelle Voraussetzungen. Vielmehr ist sie von einem „Konvent zur Zukunft Europas“, auch Europäischer Konvent oder Verfassungskonvent genannt, dem Regierungs- und Parlamentsvertreter der Staaten sowie Mitglieder der Kommission angehörten959, erarbeitet worden. Im Rahmen der Regierungskonferenz im Dezember 2003 in Laeken/Brüssel haben die Staats- und Regierungschefs den Entwurf weitgehend unverändert angenommen. Am 29. Oktober 2004 wurde er als völkerrechtlicher Vertrag in Rom vereinbart. Nach Art. III447 Abs. 2 VV soll der Vertrag am 1. November 2006 in Kraft treten960, was jedoch aufgrund der ablehnenden Referenden in Frankreich und in den Niederlanden nicht zu erwarten ist. Für die Unionsbürger handelt es sich um eine 955 I. Pernice, Die dritte Gewalt im europäischen Verfassungsverbund, EuR 1996, 27 (29 ff.); ders., Der Europäische Verfassungsverbund auf dem Wege der Konsolidierung, JöR N. F. 48 (2000), 205 (214 ff.); kritisch dazu M. Jestaedt, Der Europäische Verfassungsverbund, in: Gs W. Blomeyer, 2004, S. 637 ff. 956 D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, JZ 1995, 581 ff.; J. A. Frowein, Die Verfassung der Europäischen Union aus der Sicht der Mitgliedstaaten, EuR 1995, 315 ff.; G. C. Rodriguez Iglesias, Gedanken zum Entstehen einer europäischen Rechtsordnung, NJW 1999, 1 ff. 957 Dazu A. Weber, Zur föderalen Struktur der Europäischen Union, EuR 2004, 841 ff. 958 Es ist daher irreführend, wenn A. v. Bogdandy, Konstitutionalisierung des europäischen öffentlichen Rechts, JZ 2005, 536 ff. den Republikbegriff auf die Europäische Union anwendet. 959 Zusammensetzung: 15 Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (1 pro Mitgliedstaat), 13 Vertreter der Regierungen der beitrittswilligen Länder (1 pro Bewerberland), 30 Vertreter der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten (2 pro Mitgliedstaat), 26 Vertreter der nationalen Parlamente der beitrittswilligen Länder (2 pro Bewerberland), 16 Vertreter aus den Reihen der Mitglieder des Europäischen Parlaments, 2 Vertreter der Europäischen Kommission, Vorsitzender: Valéry Giscard d’Estaing, Stellvertretende Vorsitzende: Giuliano Amato und Jean Luc Dehaene. 960 Vgl. die Erklärung des Europäischen Rates von Laeken vom 14./15. Dezember 2001 „Die Zukunft der Europäischen Union“.

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oktroyierte Verfassung. Hauke Brunkhorst hat treffend festgestellt: „Die Bürger Europas haben eigene Rechte, aber sie haben sie sich nicht selbst gegeben.“961 b) Umfassende Sekundärrechtsetzung durch die Organe Die Organe der Gemeinschaft können im Rahmen ihrer Befugnisse selbständig verbindliche Regelungen für die Mitgliedstaaten und zum Teil auch für die Unionsbürger treffen.962 Somit beruht die sekundäre Gemeinschaftsrechtsetzung auf institutionalisierter Rechtsetzungsbefugnis und ist nicht völkerrechtstypisch. Die Neubezeichnungen von Verordnung und Richtlinie im Verfassungsvertrag (Art. I-33) als „Europäisches Gesetz“ und „Europäisches Rahmengesetz“ sowie die Einführung einer „Europäischen Verordnung“ offenbaren deutlich eine staatsrechtliche Terminologie. In materieller Hinsicht sind die trotz des sogenannten Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EGV), inzwischen quasi alle Lebensbereiche abdeckenden offenen Rechtsetzungsbefugnisse, die durch den Verfassungsvertrag noch erweitert worden sind, mit denen eines Staates vergleichbar und alles andere als begrenzt.963 Obwohl dies das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil, damit die Unionspolitik von den nationalen Parlamenten verantwortet werden kann, aus demokratierechtlichen Gründen gefordert hat.964 Insbesondere der Europäische Gerichtshof hat als „Motor der Integration“ zur Erweiterung der Befugnisse und der Gemeinschaftsrechtsetzung erheblich beigetragen.965 Hoffnungen, dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung durch die Zuständigkeitsverteilung im Verfassungsvertrag Geltung zu verschaffen, sind fehlgeschlagen. Die Auflistung der ausschließlichen und der geteilten Zuständigkeiten der Union in Art. I-13 und 14 VV ist denkbar weit und entspricht eher einer bundesstaatlichen Zuständigkeitsordnung. Teil III des Verfassungsvertrages formuliert die Aufgaben und Befugnisse der Union ohne nähere Einschränkung. Die Verpflichtung der Union auf 961

H. Brunkhorst, Solidarität, 2002, S. 231. Dazu Th. Oppermann, Europarecht, S. 106 ff., 195 ff.; R. Streinz, Europarecht, S. 118, Rn. 298; S. 157, Rn. 380; S. 356, Rn. 822; S. 176 f., Rn. 413 ff. 963 Dazu K. A. Schachtschneider (Verfahrensbevollmächtigter für P. Gauweiler), Schriftsatz v. 27.5.2005, Organklage/Verfassungsbeschwerde, 2. Teil (Begründetheit der Anträge). Bezeichnenderweise kommt in den ebenso verbindlichen Formulierungen des Art. I-11 Abs. 1 und 2 VV in der englischen und in der französischen Fassung die Begrenztheit und Bestimmtheit der Ermächtigungen nicht zum Ausdruck. Im britischen Vertragstext heißt es „principle of conferral“, im französischen „le principe d’attribution“. Damit wird lediglich ausgedrückt, daß die Union keine originären, sondern nur übertragene Kompetenzen hat. 964 BVerfGE 89, 155 (185 ff., 191 ff.). 965 K. A. Schachtschneider, Schriftsatz, Organklage/Verfassungsbeschwerde (Verfassungsvertrag), 2. Teil B, F; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 108; P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 895, 923; dazu auch Th. Oppermann, Europarecht, S. 152 f., Rn. 384 ff. 962

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Ziele und die Zuteilung nicht näher bestimmter Zuständigkeiten verschafft der Integration in Verbindung mit der generalermächtigenden Flexibilitätsklausel (Art. I-18 Abs. 1 VV) dynamische Entfaltungsmöglichkeiten, selbst für Bereiche, in denen der Union in Teil III gerade keine Einzelbefugnis zugewiesen ist. Die ohnehin unscharfe Trennung in „supranationale“ und „intergouvernementale“966 Tätigkeitsbereiche hat der Verfassungsvertrag aufgegeben, indem er die den Mitgliedstaaten zugerechneten Politiken des Äußeren, der Sicherheit, der Justiz und des Inneren der „Gemeinschaftsmethode“ unterstellt hat. Der Verfassungsvertrag bezieht das vormals „intergouvernementale“ Kapitel IV des Titel III im Teil III über den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in die „supranationalen“ Zuständigkeiten der Europäischen Union ein (vgl. auch Art. I14 Abs. 2 lit. j, Art. I-42 VV). c) Zur „Autonomie“ des Gemeinschaftsrechts Viele bezeichnen die Gemeinschaftsrechtsordnung und die Rechtsetzung der Organe der Europäischen Gemeinschaft in Abgrenzung zum koordinationsrechtlichen Typus des Völkerrechts gegenüber der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten „eigenständig“ oder „autonom“.967 Es sei „eigentlich endgültig verliehene“ und nicht nur „übertragene“ Gemeinschaftsgewalt, deren Vorrang gegenüber der nationalen staatlichen Gewalt nötigenfalls mittels der direkten Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten und im unmittelbaren Durchgriff bis auf den Unionsbürger geltend gemacht werden kann.968 Nach Thomas Oppermann ist es Ziel der Gemeinschaft, „durch umfängliche Übertragung vorher staatlicher Hoheitsrechte auf die Gemeinschaft eine autonome Rechtsordnung zu gründen“. Damit sollen die Verträge Rechtsgrundlagen schaffen, deren Ansprüche auf normative Kraft sie wesensmäßig nationalem Recht annähern.969 Er

966

R. Streinz, Europarecht, S. 54, Rn. 121a. E. Grabitz, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, 1966, S. 37, 40; BVerfGE 22, 293 (295 f.); grundlegend EuGH, Rs 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251 (1270); Rs 11/70 Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125 (1135, Rn. 3); H.-P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 63; P. Badura, Bewahrung und Veränderung demokratischer und rechtsstaatlicher Verfassungsstrukturen in den internationalen Gemeinschaften, VVDStRL 23 (1966), S. 54 ff., 57, 59; A. Epiney, in: R. Bieber/dies./M. Haag, Die Europäische Union, S. 55 f., Rn. 3; vgl. Th. Oppermann, Europarecht, 1999, S. 4; vgl. auch S. 60 ff.; vgl. auch G. Nicolaysen, Europarecht I, 1991, S. 30; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 1993, S. 207 ff.; kritisch und a. A. K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, Vertrag über die Europäische Union, JZ 1993, 751 (754 f.); K. A. Schachtschneider, Existentielle Staatlichkeit, in: W. Blomeyer/ders. (Hrsg.), 1994, S. 75 (95); A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 122 ff. 968 Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 180, 468, S. 337 f.; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, S. 225; G. Nicolaysen, Europarecht I, 1991, S. 28 f. 969 Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 466. 967

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charakterisiert die Union als „teilsouverän“.970 Das Bundesverfassungsgericht hat in einem obiter dictum von einem „weit zurückgenommenen Souveränitätsvorbehalt“ gesprochen971. Eine gewisse „Selbständigkeit“ der Organe972 im Sinne von Weisungsungebundenheit, insbesondere der Kommission (vgl. Art. 213 Abs. 2 EGV973), des Europäischen Parlaments974 sowie des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Art. 220, 223 EGV)975, besteht insoweit, daß diese dem Gemeinschaftsinteresse (und nicht einem jeweils nationalen Interesse) verpflichtet sind und einen europäischen Gemeinwillen zu erkennen haben. Unzutreffend ist aber die Bezeichnung „autonome“ oder „originäre Gewalt“976 im eigentlichen Sinn.977 Nicht nur, weil man ihn nicht mit dem freiheitlichen Begriff der Autonomie verwechseln sollte (vgl. 3. Teil, B, S. 207 ff., 277 ff.), sondern insbesondere, weil er auch in der Bedeutung einer Loslösung der Union von den Mitgliedstaaten zu Recht abgelehnt wird.978 Das gilt auch dann, wenn angenommen wird, daß sich der einzelne Wille der Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinschaftsrechtsetzung zu einem Gemeinschaftswillen verbindet und vom partikulären einzelstaatlichen Willen zu unterscheiden ist979; denn „Herren der Verträge“ sind nach verfassungskonformer Auslegung der Verträge nach wie vor die Mitgliedstaaten.980 Der Verfassungsvertrag ist wie der Unionsvertrag zwar unbefristet (Art. IV-446 VV bzw. Art. 51 EUV), aber der Vertrag wird nicht verletzt, wenn ein Mitgliedstaat die Union verläßt (Art. I-60 VV).981 Nach Auffassung des Bundesverfas970

Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 472. BVerfGE 111, 307 (319). 972 Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 897. 973 Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 332; R. Bieber, in: ders./A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, S. 139 f., Rn. 71. 974 Vgl. Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 263 f.; EuGH, Rs 230/81 Luxemburg/ Europäisches Parlament, Slg. 1983, 255, Rn. 39. 975 Vgl. Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 381 ff. 976 So aber BVerfGE 22, 293 (296); G. Nicolaysen, Europarecht I, 1991, S. 30. 977 P. Kirchhof, Europäische Einigung und Verfassungsstaat, in: J. Isensee (Hrsg.), Europa als politische Idee und als rechtliche Form, 1993, S. 63 ( 94 f., 99, 100 f.); K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 103; ders., Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 165. 978 Dazu R. Streinz, Bundesverfassungsrechtlicher Grundrechtsschutz und europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 125; A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 122 ff. m. N.; C. Hillgruber, Der Nationalstaat in der übernationaler Verflechtung, HStR, Bd. II, 2004, § 32, S. 929, Rn. 93 ff.; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, 2004, S. 252 ff. 979 H. Schneider, Die Europäische Union als Staatenverbund oder als multinationale „civitas europea“, Gs E. Grabitz, 1995, S. 677 (681). 980 BVerfGE 89, 155 (190); vgl. auch R. Streinz, Europarecht, S. 58, Rn. 122; a. A. I. Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, in: VVDStRL 60 (2001), 148 (171). 971

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sungsgerichts kann der „Rechtsanwendungsbefehl“, der in der dualistischen Rechtspraxis im Zustimmungsgesetz zu den Gemeinschaftsverträgen die Geltung des Gemeinschaftsrechts in Deutschland anordnet982, durch „gegenläufigen Akt“ aufgehoben werden.983 Auch die Gemeinschaftsrechtsetzung leitet sich letztlich von den Mitgliedstaaten ab und muß aus demokratierechtlichen Gründen beim jetzigen Integrationsstand in erster Linie durch die nationalen Parlamente verantwortet werden.984 Von originärer Gemeinschaftsgewalt ließe sich aber sprechen, wenn die Gemeinschaft/Union über eine Kompetenz, sich selbst Befugnisse zu geben, über eine Kompetenz-Kompetenz, wie sie den (unitarischen) Bundesstaat kennzeichnet985, verfügen würde. Mit der „Supranationalität“ der Gemeinschaft sei bis jetzt, wie Oppermann vermerkt, keine Kompetenz-Kompetenz verbunden.986 Mit dem Verfassungsvertrag wird eine solche jedoch vielleicht erreicht. Nach Art. I-18 VV (bisher Art. 308 EGV), jetzt „Flexibilitätsklausel“ genannt und nicht mehr beschränkt auf die Ziele des Gemeinsamen Marktes, kann sich die Union die „erforderlichen Befugnisse“ im Rahmen der Politikbereiche des Teils III selbst einräumen, wenn das „erforderlich erscheint, um eines der Ziele dieser Verfassung zu verwirklichen“. Auf dieser Grundlage kann sich die Union nahezu jede Befugnis verschaffen, ohne daß die Mitgliedstaaten dem zustimmen müssen. Schon bisher ist Art. 235 EGV extensiv genutzt worden, so daß das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil die Achtung der Grenzen zur Vertragsänderung angemahnt hat.987 Der Verfassungsvertrag festigt außerdem

981 BVerfGE 89, 155 (187 f., 190); K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerde vom 18. 12. 1992, Schriftsatz vom 29. 3. 1993, in: I. Winkelmann (Hrsg.), Dokumentation, 1994, S. 445 f.; vgl. P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 914; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 1993, 758 f.; dagegen H. P. Ipsen, Zehn Glossen zum Maastricht-Urteil, EuR 1994, 15 ff.; kritisch etwa auch J. A. Frowein, Die Verfassung der Europäischen Union aus der Sicht der Mitgliedstaaten, EuR 1995, 320; I. Pernice, Deutschland in der Europäischen Union, HStR, Bd. VIII, 1995, § 191, S. 225, Rn. 61, 63. 982 BVerfGE 31, 145 (173 f.); 45, 142 (169); 52, 187 (199); 73, 339 (367 f., 375); vgl. auch BVerfGE 75, 223 (244); P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 899, 908; kritisch K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 98 ff. 983 BVerfGE 89, 155 (184, 190). 984 BVerfGE 89, 155 (190); vgl. auch K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 94 ff. 985 BVerfGE 75, 223 (242); dazu J. Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, HStR, Bd. IV, § 98, 1995, S. 517, Rn. 82, 90 f.; P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 900, 906, 914. 986 BVerfGE 89, 157 ff.; dazu eingehend K. A. Schachtschneider, Schriftsatz, Organklage/Verfassungsbeschwerde (Verfassungsvertrag), S. 271 ff. 987 BVerfGE 89, 155 (210); P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 916 ff.

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die große Generalklausel des Art. 6 Abs. 4 EUV (im Maastricht-Vertrag Art. F Abs. III), wonach „die Union sich mit den Mitteln ausstattet, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchführung ihrer Politiken erforderlich sind“. Dieser Bestimmung hat das Bundesverfassungsgericht die rechtliche Verbindlichkeit abgesprochen.988 Um die „Begrenztheit“ der Ermächtigung und damit den Vertrag über die Europäische Union zu retten, hatten die Bundesregierung, die Mitgliedstaaten und die Kommission im Maastricht-Prozeß erklärt, daß diese Ermächtigung keine Kompetenz-Kompetenz gebe.989 Jetzt steht die Klausel, gegenständlich eingeschränkt, aber mit einem klar geregelten Verfahren ausgestattet (Europäisches Gesetz nach Art. I-54 Abs. 3 VV) und damit unverkennbar nicht mehr als bloße Zielbestimmung, im Titel VII des Teils I über die Finanzen der Union (Art. I-54 Abs. 1 VV). Danach kann die Finanzierung der Union, zwar nicht ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten festgelegt werden (Art. I-54 Abs. 3, Satz 2 VV). Sie ermöglicht der Union aber eigene Steuererhebung ohne Ratifikation durch die nationalen Parlamente. Schon mit Art. IV-443 Abs. 2 VV, der vorsieht, Änderungen des Verfassungsvertrags in der Regel von Konventen vorbereiten zu lassen, werden die nationalen Parlamente empfindlich geschwächt.990 Das „vereinfachte Änderungsverfahren betreffend die internen Politikbereiche der Union“ nach Art. IV-445 VV erlaubt, den europäischen unitarischen Bundesstaat zu vollenden. Danach kann der Europäische Rat durch Europäischen Beschluß einstimmig nach (bloßer) Anhörung des Europäischen Parlaments und der Kommission sowie, bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich, der Europäischen Zentralbank, auf Initiative der Regierung jedes Mitgliedstaates, des Europäischen Parlaments oder der Kommission, „alle oder einen Teil der Bestimmungen des Teils III Titel III“ über die internen Politikbereiche der Union ändern. Teil III umfaßt alle wichtigen Politiken der Union. Der Beschluß tritt zwar „erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften“ in Kraft, aber der Europäische Beschluß ist kein völkerrechtlicher Vertrag, welcher der Ratifikation bedarf. Dementsprechend ist Art. 59 Abs. 2 GG nicht einschlägig, so daß die Gesetzgebungsorgane in Deutschland an dem Verfahren nicht beteiligt werden müssen. Aufgrund ihrer außenpolitischen Gewalt kann die Zustimmung von der Bundesregierung erteilt werden. Auch Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG führt nicht zu dem Verfahren, das für die Änderung des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 2 GG) vorgeschrieben ist; denn bereits der Verfassungsvertrag ermöglicht diese Änderungen oder Ergänzungen. Der Europäische Beschluß darf zwar nach 988

BVerfGE 89, 155 (194, 197 f.). BVerfGE 89, 155 (194, 197 f.); dazu K. A. Schachtschneider, Schriftsatz, Verfassungsbeschwerde (Vertrag über die Europäischen Union), Dokumentation Winkelmann, S. 398 f., 438 ff. 990 P. M. Huber, Demokratische und rechtsstaatliche Anforderungen an eine europäische Verfassung, Politische Studien, Sonderheft 1 (2003), S. 77 (79). 989

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Art. IV-445 Abs. 3 VV „nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen dieses Vertrages übertragenen Zuständigkeiten führen“. Diese „Zuständigkeiten“ sind in Art. I-13 VV ff. genannt und weit formuliert. Die Politiken des Teils III, Titel III des Verfassungsvertrages, welche die einzelnen Ermächtigungen enthalten, sind nicht als Zuständigkeiten bezeichnet. Die dort vorgesehenen Regelungen über Befugnisse, Organe und Verfahren können demnach ohne Zuständigkeitsänderung erweitert werden. Insofern ist es durchaus zutreffend, die Eupropäische Union als „orginäre“ Herrschaftsordnung zu bezeichnen. d) Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit, Vorrang des Gemeinschaftsrechts und verfassungsrechtliche Grenzen Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind die Gemeinschaftsverträge nach ihrer Zielsetzung und Eigenart darauf angelegt, daß das Gemeinschaftsrecht unmittelbar gilt und gegebenenfalls auch unmittelbar anwendbar ist und vor den nationalen Gerichten (als subjektive Rechte) eingeklagt werden kann.991 Hat ein Mitgliedstaat den Verträgen zugestimmt, unterliegen sodann innerstaatliche Geltung und Rang des Gemeinschaftsrechts nicht mehr seiner Disposition wie im gewöhnlichen Völkerrecht (dazu 2. Teil, B, S. 119 ff.), sondern werden durch das Gemeinschaftsrecht bestimmt. Das Bundesverfassungsgericht leitet in gewisser Spannung dazu, Geltung und Rang aus Art. 23 GG und entsprechend der dualistischen Vollzugslehre aus dem im Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG) enthaltenen Rechtsanwendungsbefehl ab.992 EG-Verordnungen und Entscheidungen gelten schon vertraglich unmittelbar in den Mitgliedstaaten (Art. 249 Abs. 2 EGV) und wirken als materielle Gesetze.993 Indirekte Zwangswirkung auf umsetzungssäumige Mitgliedstaaten geht von der vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung judizierten 991 Grundlegend EuGH, Rs 26/62 van Gend & Loos, Slg. 1963, 1 (24 f.); Rs 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251 (1273 f.); Rs 106/77 Simmenthal II, Slg. 1978, 629 ff. (643 f.); Rs 2/74 Reyners/Belgien, Slg. 1974, 631 (652, Rn. 24/28); Rs 118/75 Watson und Belmann, Slg. 1976, 1185 (1. LS); vgl. dazu auch A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 321 ff., 411 f.; R. Streinz, Europarecht, Rn. 203; dazu Ch. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, S. 319 ff. 992 BVerfGE 45, 142 (169); 52, 187 (199); 73, 339 (367); 89, 155 (190); aber BVerfGE 111, 307 (319): „unmittelbar wirkender Normanwendungsbefehl“ aus „Gemeinschaftsquelle“; R. Streinz, Europarecht, Rn. 203; dazu Ch. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, S. 319 ff. 993 EuGH, Rs 34/73 Variola, Slg. 1973, 981(Rn. 7 ff.); Rs 272/83 Kommission/Italien, Slg. 1985, 1057 (Rn. 24 ff.); A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 103 f.

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und vom Bundesverfassungsgericht gebilligten unmittelbaren Wirkung von Richtlinien aus.994 Damit wird erreicht, daß sich Einzelne wie bei Verordnungen auf materiell hinreichend bestimmte und unbedingte Richtlinienbestimmungen berufen können, obwohl und wenn ein Mitgliedstaat diese noch nicht fristgemäß umgesetzt hat. Damit enthält auch das sekundäre Gemeinschaftsrecht Rechte und Pflichten nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch für Bürger.995 Mit dieser weltbürgerlichen Ausrichtung weicht das Gemeinschaftsrecht deutlich vom völkerrechtlichen Paradigma ab. Das Gemeinschaftsrecht gebietet zwar keinen Nichtigkeitsvorrang wie bundesstaatliche Vorrangklauseln (z. B. Art. 31 GG, Art. 49 schweizerische Bundesverfassung), aber aus Gründen der Rechtseinheit einen Anwendungsvorrang996, der stärker ist als die völkerrechtliche Anpassungspflicht entgegenstehenden nationalen Rechts. Bisher sind im EUV geregelte Teile des Unionsrechts vom Vorrang ausgenommen, namentlich Maßnahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Titel V) und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (Titel VI).997 Im Unionsvertrag wird der Vorrang des Gemeinschaftsrechts nun explizit in Art. I-6 VV für das gesamte primäre und sekundäre Unionsrecht positiviert.998 Damit erstreckt sich der Vorrang unzweifelhaft auch auf die bisher „intergouvernementalen“ Teile des Unionsrechts, die mit dem Verfassungsvertrag endgültig „supranationalen“ Charakter erhalten. Die Grenzen des Vorranges des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht sind streitig999. Das Bundesverfassungsgericht1000 hat in seiner SolangeRechtsprechung und im Maastricht-Urteil folgende Grenzen des Vorrangs er994 EuGH, 148/78 Ratti, Slg. 1979, 1629 (Rn. 18 ff.); Rs 41/74 van Duyn/Home Office, Slg. 1974, 1337 (Rn. 20 ff.); Rs 8/81 Becker, Slg. 1982, 53 (Rn. 17 ff.); Rs C208/90 Emmott, Slg. 1991 I, 4269 (Rn. 20 ff.); vgl. dazu BFHE 133, 470 ff.; BVerfGE 75, 223 (235 ff.); Ch. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, 1999, S. 34 ff. 995 Rs 41/74 van Duyn/Home Office, Slg. 1974, 1337 (Rn. 3). 996 EuGH, Rs 106/77 Simmenthal II, Slg. 1978, 629 (644, Rn. 17/18); Rs C-10/97– 22/97 Ministerio delle finanze/I.N.CO.GE, 90, Slg. 1988, 6307 (Rn. 20). 997 BVerfGE 89, 155 (177 f.): „Verpflichten gemeinsame Aktionen und Maßnahmen nach den Titeln V und VI des Unions-Vertrags die Mitgliedstaaten völkerrechtlich verbindlich zu grundrechtserheblichen Eingriffen, so können alle diese Eingriffe, wenn sie in Deutschland vorgenommen werden, von der deutschen Gerichtsbarkeit voll überprüft werden. Der Grundrechtsschutz des Grundgesetzes ist insoweit nicht durch supranationales Recht, das Vorrang beanspruchen könnte, überlagert.“ 998 Dazu A. Weber, Zur föderalen Struktur der Europäischen Union, EuR 2004, 841 (845 ff.); kritisch P. M. Huber, Das institutionelle Gleichgewicht zwischen Rat und Europäischem Parlament in der künftigen Verfassung für Europa, EuR 38 (2003), S. 574 (590). 999 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 104 ff.; P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 898 ff.; M. Zuleeg, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU-/EG-Vertrag, 2003, Bd. I, Art. 1, Rn. 24 f.; vgl. auch R. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechts-

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kannt: Erstens dürfen die Rechtsakte die Strukturprinzipien der deutschen Verfassung nicht beeinträchtigen.1001 Zweitens „gewährleistet“ das Bundesverfassungsgericht „durch seine Zuständigkeit . . ., daß ein wirksamer Schutz der Grundrechte für die Einwohner Deutschlands auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell sichergestellt und dieser dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt. . . . Allerdings übt das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem „Kooperationsverhältnis“ mit dem Europäischen Gerichtshof aus. Das soll so funktionieren, daß der Europäische Gerichtshof „den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaften garantiert, das Bundesverfassungsgericht sich deshalb auf eine generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards (vgl. BVerfGE 73, 339 [387]) beschränken kann.“1002

Drittens würde die Auslegung von Befugnisnormen, die in ihrem Ergebnis einer Vertragserweiterung gleichkommen, für Deutschland keine Bindungswirkung entfalten, so daß „die deutschen Staatsorgane aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert wären, diese Rechtsakte in Deutschland anzuwenden.“ 1003 Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs hingegen genießt das Gemeinschaftsrecht uneingeschränkt vor dem nationalen Verfassungsrecht Vorrang.1004 Es steht zu erwarten, daß auch Art. I-6 VV, der in die Jurisdiktionszuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs fällt, in diesem Sinne ausgelegt wird. Damit würden die vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten verfassungsrechtlichen Grenzen des Vorrangs, die ohnehin praktisch nicht judiziert schutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 215 ff.; ders., Europarecht, Rn. 208 ff., S. 80 ff. 1000 BVerfGE 37, 271 ff.; 73, 339 ff.; 89, 155 ff. 1001 BVerfGE 37, 271 (279); 73, 339 (376); Art. 23 Abs. 1 S. 1 und 2 GG erlauben die Übertragung von Hoheitsrechten nur für die Entwicklung einer Europäischen Union, „die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen“ und im übrigen „dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“. 1002 BVefGE 89, 155 (174 f.). 1003 BVerfGE 89, 155 (188). 1004 Grundlegend EuGH, Rs 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1141 (Rn. 9 ff.); Rs 11/ 70 Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125 (Rn. 3 ff.); Rs. 106/77 Simmenthal II, Slg. 1978, 629 (Rn. 17/18 ff.); s. a. Rs C-453/00 Kühne & Heitz, Slg. 2004 I, 837 (Rn. 20 ff.) Vorrang vor bestandskräftigen Verwaltungsakten; einschränkend BVerfGE 73, 339 (375); 89, 155 (174 f.); K. A. Schachtschneider/A. EmmerichFritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, DSWR 1999, 116 ff.; Ch. Grabenwarter, Staatliches Unionsverfassungsrecht, in: A. v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 283 (284 ff.)

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werden1005, nicht mehr geprüft werden können. Im Rahmen der Unionstreue (Art. I 5 Abs. 1 VV) können sie unter dem Aspekt der Achtung „nationaler Identität“ eine gewisse Berücksichtigung finden, aber nicht den von der Rechtseinheit gebotenen Vorrang relativieren. e) Mehrheitsentscheidungen Dem Typus „Supranationaler Organisation“ entsprechend, genügt in zahlreichen Verfahren einfache oder qualifizierte Mehrheit.1006 Qualifizierte Mehrheit und nicht Einstimmigkeit gilt nach Art. 205 Abs. 1 EGV und vermehrt noch nach Art. I-23 Abs. 3, Art. I-25 VV als Regelfall. Die qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat (Art. I-25 Abs. 4 VV) oder im Rat soll neuen Kriterien folgen, nämlich den Stimmen der Mehrheit von mindestens 55 % bzw. 72 % der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, die wenigstens 65 % der Bevölkerung der Union repräsentieren (Art. I-25 Abs. 1 und 2 VV). Diese Regelung kommt den bevölkerungsreichen Mitgliedstaaten im Vergleich zum bisherigen Berechnungsmodus der qualifizierten Mehrheit oder gar der einfachen Mehrheit im Rat (vgl. Art 205 EGV) entgegen. Sie vermag aber keine gleichheitliche Repräsentation der Bürger zu vermitteln. f) Obligatorische gerichtliche Überprüfung des sekundären Gemeinschaftsrechts/Rechtsschutz Der Europäische Gerichtshof ist kein Weltgericht1007, schon, weil seine Zuständigkeit nicht global ist. Aber er ist auf regionaler Ebene ein Beispiel obligatorischer Gerichtsbarkeit. Nach Art. 220 EGV sichern er und das Gericht erster Instanz „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages“. Einerseits können Organe, insbesondere die Kommission (Art. 226 EGV), aber auch ein Mitgliedstaat (Art. 227 EGV) die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts vor dem Europäischen Gerichtshof einklagen. Andererseits haben mit Einschränkungen auch Privatpersonen die Möglichkeit, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, um die Rechtmäßigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts überprüfen zu lassen (Art. 230 EGV) oder den Erlaß eines Beschlusses zu verlangen (Art. 232 EGV). Einzelpersonen erhalten regelmäßig Rechtsschutz durch die nationalen Gerichte, welche dem Europäischen Gerichtshof gegebenenfalls bestimmte Auslegungsfragen zur Vorabentscheidung vorlegen (Art. 234 EGV). Durch das Vorabentscheidungsverfahren, welches die Kooperation zwischen na1005 BVerfGE 102, 147 ff.; dazu kritisch A. Emmerich-Fritsche, Anmerkung zu BVerfG, Beschluß v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BayVBl. 2000, 755 ff. 1006 Dazu R. Streinz, Europarecht, S. 102 ff., Rn. 260 ff. 1007 N. Luhmann, Ethik in internationalen Beziehungen, Soziale Welt 50 (1999), 247 (250).

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tionalen Gerichten und dem Europäischen Gerichtshof ordnet, wird Rechtseinheit ermöglicht.1008 g) Rechtsdurchsetzung Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft1009 und abgesehen von den begrenzten Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Mitgliedstaaten (vgl. nach Art. 7 EUV Aussetzung bestimmter Rechte bei Verletzung fundamentaler Grundsätze im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EUV sowie auch im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion Art. 104 EGV), keine Zwangsgemeinschaft. Sie verfügt nicht über Polizei und Militärgewalt. Vielmehr ist das Unions-/Gemeinschaftsrecht auf die Durchsetzung durch die Mitgliedstaaten angewiesen.1010 Weil aber die Mitglieder der Europäischen Union eine hohe Bereitschaft zur Befolgung, Umsetzung und Durchsetzung des Unionsrechts, höher als z. B. in der WTO, zeigen1011, bedarf es weiterer Zwangsmittel zur effektiven Rechtsdurchsetzung nicht. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere die judizierte unmittelbare Anwendbarkeit, ermöglichen es auch Einzelpersonen als Hüter des Gemeinschaftsrechts zu fungieren und das Gemeinschaftsrecht über die nationale Rechts- und Zwangsordnung durchzusetzen. Das mit dem Maastricht-Vertrag eingeführte Zwangsgeld gegenüber Mitgliedstaaten, welche Urteile des EuGH nicht befolgen (Art. 228 EGV), hat die Folgebereitschaft der Mitgliedstaaten zusätzlich erhöht.1012 Am Beispiel der Union wird deutlich, daß es keiner zentralen, überstaatlichen Zwangsgewalt bedarf, um eine effektive öffentliche Rechtsordnung über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg zu schaffen, weil Geltung, unmittelbare Anwendbarkeit und Vorrang des Gemeinschaftsrechts effektiv einklagbar sind. h) Legalitätsprinzip Die Ablösung des Reziprozitätsprinzips durch das Legalitätsprinzip (dazu 3. Teil, D, S. 365 f.) ist im Gemeinschaftsrecht de iure erreicht. Die Unions-/ Gemeinschaftsverträge begründen im Gegensatz zu gewöhnlichen völkerrechtlichen Verträgen eine Integrationsordnung, die Reziprozität, d. h. eine Verpflich1008 P. Pescatore, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EWG-Vertrag und die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten, BayVBl. 1987, S. 33 (34); R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, 2005, S. 280, Rn. 126. 1009 W. Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, 1979, S. 51 ff.; vgl. dazu auch m. N. A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 45 ff. 1010 Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 905. 1011 Siehe die empirischen Untersuchungen von J. Neyer, Postnationale Politische Herrschaft, 2004, S. 41 ff., 245 ff. 1012 S. Magiera, Die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts im Europäischen Integrationsprozeß, DÖV 1998, S. 173 (181).

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tung zur Erfüllung des Vertrages nur nach Maßgabe der Gegenseitigkeit, ausschließt.1013 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann sich ein Staat, der gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen hat, um seiner Verpflichtung zu entgehen, nicht mit Erfolg darauf berufen, ein anderer Mitgliedsstaat würde das Gemeinschaftsrecht ebenfalls nicht einhalten.1014 i) Dauerhaftigkeit Die Gemeinschaft ist auf unbegrenzte Zeit angelegt (vgl. Art. 51 EUV, 312 EGV). Damit ist jedoch nicht, wie vertreten worden ist1015, ein Austritt aus der Europäischen Union ausgeschlossen. Die Austrittsmöglichkeit ist vielmehr, solange die existentielle Staatlichkeit der Mitgliedstaaten nicht von diesen aufgegeben wird, rechtlich geboten.1016 In Art. I-60 VV ist ein Austrittsrecht ausdrücklich geregelt, was diesen Streit für die Zukunft obsolet macht. Verfassungsrechtlich müßte für Deutschland im Falle eines Austritts aus der Europäischen Union zunächst die in Art. 23 GG verankerte Integrationsentscheidung rückgängig gemacht werden. Nicht aufhebbar ist allerdings die aus dem Friedens- und Rechtsprinzip gebotene Pflicht, mit den europäischen Staaten in einen Rechtsverbund zu treten (dazu 2. Teil, A, S. 102 ff.), die auch in der Präambel des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt. j) Fortschreitende Finanzautonomie der Gemeinschaft Die mit Art. 269 EGV (Art. I-54 Abs. 2 VV) eingeführte Ersetzung der Beiträge (Art. 200 EWGV a. F.) durch Eigenmittel verdeutlicht die Absicht des Vertrages, der EG/Union weitgehende finanzielle und damit auch politische Unabhängigkeit von den Mitgliedstaaten zu verschaffen.1017 Der Gemeinschaft stehen eigene Einnahmen zu aus Zöllen, Agrarabschöpfungen sowie sonstige Abgaben, Mehrwertsteueranteil, BSP-Mittel, Gemeinschaftsanleihen und Gemeinschaftssteuern.1018 Die Quasi-Kompetenz-Kompetenz aus Art. I-54 Abs. 1 1013

R. Streinz, Europarecht, S. 160, Rn. 389. EuGH, Rs 7/71 Kommission/Frankreich, Slg. 1971, 1003 (1020); vgl. R. Streinz, Europarecht, S. 41, Rn. 114. 1015 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 100 f.; grundsätzlich verneinend auch Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 219 ff. 1016 Vgl. schon Kant für den von ihm vorgeschlagenen Völkerbund, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 467 (A 217/B 247, 248); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 767; K. A. Schachtschneider, VVDStRL 50 (1991), S. 178 (Aussprache); ders./A. Emmerich/Th. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 1993, 758 f.; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 101 f.; vgl. auch A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HStR, Bd. II, § 17, S. 134, Rn. 34. 1017 R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, S. 171 ff., Rn. 16 ff. 1014

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VV soll der Union darüber hinaus ermöglichen, „sich mit den erforderlichen Mitteln“ auszustatten, „um ihre Ziele erreichen und ihre Politik durchführen zu können“. Die bereits im Maastricht-Prozeß problematisierte Regelung des Abs. F Abs. 3 EUV (Art. 6 Abs. 4 EUV) wird damit aufrechterhalten. Das Bundesverfassungsgericht hatte dieser Vorschrift die rechtliche Verbindlichkeit (zur Rettung des Vertrages) abgesprochen.1019 Die formalen Schwächen (Rechtssubjektivität der Europäischen Union, unklare Verfahrensregelungen) sind behoben.1020 Nach dem Verfassungsvertrag soll es ein klar geregeltes Verfahren für die Umsetzung dieser Generalermächtigung geben.1021 2. Zur Rechtsnatur der Europäischen Union/Gemeinschaft a) Völkerrechtliche Deutungen/Internationale Organisation/Staatenbund Weil die Europäische Union und die Europäischen Gemeinschaften auf völkerrechtlichen Verträgen gründen (Primärrecht) und das von den Organen erlassene Sekundärrecht sich aus den Ermächtigungen in den Verträgen ableitet, sahen einige im Recht der Europäischen Union und im Gemeinschaftsrecht nichts anderes als Völkerrecht und jedenfalls in den Europäischen Gemeinschaften nur Internationale Organisationen.1022 Die rein völkerrechtliche Betrachtungsweise ignoriert oder minimalisiert den Paradigmenwechsel im Gemeinschaftsrecht gegenüber dem Völkerrecht. Die Fülle der Kompetenzen, die unmittelbare Geltung und der Vorrang des Gemeinschaftsrechts sowie die politische Finalität der Europäischen Union schließen es aus, sie als Staatenbund einzuordnen.1023 Spätestens der Abschluß eines Verfassungsvertrages spiegelt den Integrationsstand und zeigt unabhängig von seinem Inkrafttreten, daß völkerrechtliche Deutungen überholt sind. 1018

Dazu Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 811 ff. BVerfGE 89, 155 (196 f.); dazu grundlegend K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 1993, 751, 753 f. 1020 K. A. Schachtschneider, Schriftsatz, Organklage/Verfassungsbeschwerde (Verfassungsvertrag), 2. Teil, H, I. 1021 Nach Art. I-54 Abs. 3 VV ein Europäisches Gesetz des Rates über das System der Eigenmittel der Union; dieses Gesetz kann neue Kategorien von Eigenmitteln einführen, aber auch bestehende Kategorien abschaffen. Die neuen Kategorien von Eigenmitteln können auch europäische Steuern sein. Nach Art. I-54 Abs. 4 werden Durchführungsmaßnahmen zu dem System der Eigenmittel der Union wiederum durch Europäisches Gesetz des Rates festgelegt. 1022 I. Seidl-Hohenveldern/G. Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, 1992, S. 322 ff., 352 ff.; vgl. R. Streinz, Europarecht, Rn. 108; Th. Oppermann, Europarecht, S. 340, Rn. 908; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 252 ff. 1023 Th. Oppermann, Europarecht, S. 340 f., Rn. 909. 1019

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b) Vom Zweckverband zum Integrationsverband Wegen ihrer durch die Verträge begrenzten Aufgaben und Befugnisse1024 ist die Europäische Gemeinschaft früher als Zweckverband funktioneller Integration bezeichnet worden.1025 Allerdings werden die Zwecke der Gemeinschaft, die auf zunehmende Integration ausgerichtet sind, weit gefaßt1026, was zu einer ständigen interpretatorischen und dynamischen Erweiterung der Aufgaben und Befugnisse der Union/Gemeinschaft geführt hat.1027 Man könnte heute eher von einer „offenen“ als von einer „begrenzten“ Ermächtigung sprechen.1028 Spätestens seit dem Maastrichter Vertrag hat sich die Union/Gemeinschaft von der Idee des Zweckverbandes gelöst1029 und ist treffender als Integrationsverband1030 charakterisiert worden. Die Europäische Union ist in weitgesteckten Aufgabenfeldern auf Integration angelegt.1031 Hierin zeigt sich ihre Finalität, aber auch ihre Unvollendetheit und Prozeßhaftigkeit. Im Gegensatz zu gewöhnlichen völkerrechtlichen Verträgen ermächtigt das Primärrecht die Organe der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaften in wachsendem Maße zu umfassenden Rechtsetzungs-, Exekutiv- und Rechtsprechungsbefugnissen, von denen diese in weitem Umfang Gebrauch machen.1032 Der Europäischen Union sind große Teile früher 1024 Vgl. dazu Generalanwalt Lagrange, Schlußanträge, verb. Rs 7/56 und 3–7/57 Algera/Gemeinsame Versammlung u. a., Slg. 1957, 83 (167); EuGH, Rs 26/62 Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung, Slg. 1963, 1 (25); K. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 425 ff.; H. P, Kraußer, Prinzip begrenzter Ermächtigung, 1991; Th. C. W. Beyer, Die Ermächtigung der Europäischen Union und ihrer Gemeinschaften, Der Staat 1996, 189 ff. 1025 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht 1972, S. 60, 196 ff., 728; ders., Europäische Verfassung, EuR 1987, S. 195 ff.; vgl. dazu auch A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 85 ff. 1026 G. F. Schuppert, Zur Staatswerdung Europas, Staatswissenschaften und Staatspraxis, 1994, S. 35 ff.; H. D. Jarass, Kompetenzverteilung, AöR 121 (1996), S. 173 (178 ff.). 1027 Dazu K. A. Schachtschneider, Schriftsatz, Verfassungsbeschwerde/Organklage (Verfassungsvertrag), B, F. 1028 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. § 3, Rn. 28 ff.; Th. C. W. Beyer, Die Ermächtigung der Europäischen Union und ihrer Gemeinschaften, Der Staat, 1996, 208 ff.; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 245 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 87 ff. m.w. N.; vgl. auch BVerfGE 89, 155 (186 ff., 209 f.). 1029 Vgl. Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 910; A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 88 ff. 1030 Vgl. R. Streinz, Europarecht, Rn. 3, Rn. 114. 1031 Dazu Th. Oppermann, Europarecht, S. 342 ff.; R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, S. 37 ff. 1032 E.-U. Petersmann, Europäisches Integrations-, Verfassungs- und Weltbürgerrecht, in: Liber amicorum Th. Oppermann, 2001, S. 367 (370).

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rein staatlicher Aufgabenfelder im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts sowie in der Außen- und Innenpolitik zur gemeinschaftlichen Ausübung überantwortet worden:1033 Die Europäische Gemeinschaft ist ausschließlich zuständig für die Zollpolitik nach außen (Art. 26 EGV), für die europäischen Marktordnungen im Rahmen der Landwirtschaftspolitik (Art. 33, 34 Abs. 1 lit. c EGV), für die Handelspolitik (Art. 131 ff. EGV), für die Einhaltung der gemeinsamen Wettbewerbsregeln (Art. 81 ff. EGV), für die Mehrwertsteuer (Art. 93 EGV) sowie für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes (vgl. Art. 94, 95 EGV). Seit dem Maastrichtvertrag haben die Mitgliedstaaten ihre Währungshoheit auf die Währungsunion übertragen. Damit verbunden ist auch die Kontrolle der mitgliedstaatlichen Haushalts- und Konjunkturpolitik, die nunmehr, wie z. B. die Höhe der Verschuldung, durch die Gemeinschaft kontrolliert wird (Art. 98 ff., insbesondere 104 EGV). In nahezu allen anderen politischen Bereichen verfügt die Europäische Union über eine konkurrierende Zuständigkeit und zumindest über Koordinationsbefugnisse. c) Neuer „Herrschaftstypus“, Supranationale Union Teilweise wird die Europäische Union/Gemeinschaft als „supranationale Union“ oder „Supranational Federation“1034 sowie als „neuer Herrschaftstypus“1035, „Herrschaftsordnung“1036 und als „hoheitliche Einrichtung“ typisiert. Diese Auffassung, die in der Europäischen Union eine eigenständige Herrschaft sieht, ist in tatsächlicher Hinsicht durchaus zutreffend, rechtlich aber angreifbar.1037 d) Gemeinschaft (sui generis), Staatenverbund Thomas Oppermann vertritt, das Gemeinschaftsrecht sei seit Gründung der Römischen Verträge, die völkerrechtlichen Ursprungs sind, zu einer „Rechtsmasse eigener Art“ „zwischen“ dem nationalen Recht der Mitgliedsstaaten (insbesondere ihrem Staatsrecht) und dem Völkerrecht geworden. Er bezeichnet sie auch als eine „neuartige, intensive Verbindungsform“.1038 In ähnlicher Weise 1033 Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 894; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 245 ff. 1034 A. v. Bogdandy, The European Union as a Supranational Federation, The columbia Journal of European Law 6 (2000), p. 27 (28 ff.). 1035 A. v. Bogdandy, Supranationale Union als neuer Herrschaftstypus, Integration 1993, S. 210 ff. 1036 W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, 1995, S. 45. 1037 Vgl. dazu A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 201 f. 1038 Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 906; vgl. kritisch Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 255 ff.

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hat das Bundesverfassungsgericht die Gemeinschaft früher eine „im Prozeß fortschreitender Integration stehende Gemeinschaft eigener Art“1039 genannt. Die Gemeinschaften bilden „staatsähnliche Verbindungen unter ihren Mitgliedern“, die nicht als Internationale Organisation, Staatenbund oder Bundesstaat, sondern als neue Variante, als „Gemeinschaft“ einzuordnen sind.1040 Im Maastricht-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff vom „Staatenverbund“ für die Europäische Union geprägt.1041 In der deutschen Staatsrechtsund Europarechtslehre ist er weitgehend übernommen worden.1042 Der Status der EU wird zwischen einem Staatenbund, für den sich Charles De Gaulle in den 60er Jahren im Sinne eines Europas der Vaterländer stark gemacht hat, und einem Bundesstaat angesiedelt.1043 Die Europäische Union verfügt mit eigenen Organen und Kompetenzen über vergleichsweise umfangreiche staatliche Institutionen und Funktionen (funktionelle und institutionelle Staatlichkeit). Solange jedoch eine Kompetenz-Kompetenz verneint wird, die Mitglieder „Herren der Verträge“ bleiben und über ein Austrittsrecht verfügen, wird ein existentieller Staat zumeist abgelehnt.1044 e) Bundesstaat Von Anfang an ist allerdings, ihrer Finalität entsprechend, versucht worden, die Europäische Gemeinschaft/Union mit den Kategorien des seinerseits strittigen Begriffs des Bundesstaates1045 zu erfassen und ihr Staatseigenschaft zuzu1039

BVerfGE 22, 293 (296); 31, 145 (174); 37, 271 (277 f.). Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 887; vgl. auch H.-J. Schlochauer, Das Verhältnis des Rechts der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, AöR 11 (1963/64), S. 1 (3, 6 ff.). 1041 BVerfGE 89, 155 (156). 1042 Siehe nur P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, in: von Bogdandy, Armin (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 893 ff.; H. Schneider, EU als Staatenverbund oder als multinationale „Civitas Europea“, S. 677 ff.; zur Charakterisierung des Staatenverbunds U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 140 f. 1043 Dazu J. Isensee, Integrationsziel Europastaat?, in: Fs. U. Everling, Bd. I, 1995, S. 567 ff.; Ch. Tomuschat, Das Endziel der europäischen Integration, Maastricht ad infinitum?, DVBl. 1996, 1073 (1073); vgl. auch U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, S. 140 f.; Th. Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, 2001, S. 113 ff. 1044 A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HStR, Bd. II, § 17, S. 143, Rn. 34; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich/Th. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 1993, 758 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 101 f.; ders., Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 153 (167 f.). 1045 Dazu 5. Teil, A, S. 573 ff.; M. Brauer, Weltföderation, 1995, S. 16; K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 279 ff., 297 ff., der zwischen „echter“ und „unechter“ Bundesstaatlichkeit unterscheidet und erstere dem Staaten(ver-)bund, letztere den sogenannten Bundesstaa1040

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messen. Manche Autoren sehen die Souveränität der Mitgliedstaaten, die sie im klassisch völkerrechtlichen Sinn als exklusives Recht der Staaten auf unabhängiges Handeln begreifen, bereits auf deren Recht aus der Union auszuscheiden, als reduziert an.1046 Teilweise wird sogar angenommen, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union seien keine souveränen Staaten mehr.1047 Allerdings schließt ein Bundesstaat die Staatseigenschaft seiner Gliedstaaten unter Umständen nicht aus.1048 Abhängig ist dies letztlich vom Bundesstaatsbegriff.1049 Nach noch überwiegender Ansicht ist die Europäische Union im Status vor Inkrafttreten des Verfassungsvertrages weder ein Staat im existentiellen noch im völkerrechtlichen Sinn.1050 Unbestritten verfügt sie jedoch in erheblichem Umfang über funktionelle Staatlichkeit1051, welche die (existentielle) Staatlichkeit der Mitgliedstaaten mehr und mehr entfunktionalisiert und damit entkernt.1052 Die Staatsgrenzen sind mit dem Wegfall der Binnengrenzen innerhalb der Europäischen Union weitgehend funktionslos geworden (vgl. Art. 62 EGV). Es entwikkelt sich eine Territorialität der Europäischen Union, obwohl diese noch von den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten abgeleitet wird (Art. 299 EGV).1053 Die Europäische Union verfügt über „Außengrenzen“ (vgl. Art. III-265 VV, bislang Art. 62 Abs. 1 Nr. 2 EGV) und beansprucht künftig ein „integriertes Grenzschutzsystem an den Außengrenzen“ (Art. III-265 Abs. 1 lit. c VV), zu dessen Verwirklichung Europäische Gesetze oder Rahmengesetze nach Maßgabe des Art. III-265 Abs. 2 VV (z. B. über vereinfachte Ausstellung von Visa ten wie der Bundesrepublik Deutschland zuspricht. Ähnlich auch C. Walter, Folgen der Globalisierung für die europäische Verfassungsdiskussion, DVBl. 2000, 12. Beide in Anlehnung an C. Schmitt, Verfassungslehre, 1993, S. 63, der zwischen echtem und unechtem Verfassungsvertrag differenziert. 1046 T. Brainbridge/A. Teasdale, The Penguin Companion to the European Union, 1996, S. 418 f.; vgl. auch Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, in: H. Brunkhorst/M. Kettner, Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 131 (133). 1047 H. Steiger, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, Der Staat 41 (2002), S. 346; K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf, S. 297 ff.; vgl. auch BVerfGE 89, 155 (188 ff.). 1048 K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 297 ff. 1049 Dazu K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 297 ff. 1050 BVerfGE 22, 293 (296); 37, 271 (278); 89, 155 (188); R. Streinz, Europarecht, Rn. 121, Rn. 182; P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, in: A. v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 893 (906); Th. Oppermann, Europarecht, 1999, Rn. 902 ff. 1051 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker, S. 75 (87 ff.); dazu auch 1. Teil, B, S. 87 ff. 1052 Dazu K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 87 ff. 1053 Vgl. R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, S. 111 f., Rn. 57 ff.

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und Aufenthaltstitel, Grenzkontrollen, Grenzschutzsysteme) erlassen werden können. Die Binnengrenzen zwischen den Mitgliedstaaten sollen mehr und mehr verschwinden, folglich deren Gebietlichkeit und allmählich auch die Gebietshoheit der Mitgliedstaaten. Dementsprechend soll die Europäische Union gemäß Art. III-266 VV durch Europäisches Gesetz oder Rahmengesetz eine „gemeinsame europäische Asylregelung“ (Art. III-265, Abs. 2 S. 1) festlegen und nach Art. III-267 VV soll durch Europäisches Gesetz und Rahmengesetz auch eine „gemeinsame Einwanderungspolitik“ geschaffen werden. Die Europäische Union besitzt institutionelle Staatlichkeit. Sie verfügt nach dem Verfassungsvertrag über Rechtspersönlichkeit (Art. I-7) sowie bereits über nationalstaatliche Symbole (Art. IV-1 VV): Flagge, Hymne, Devise, Währung und Feiertag. Wie ein nationaler Verfassungsstaat hat die Union mit Inkrafttreten des Verfassungsvertrags eine Grundrechtscharta, einen hauptamtlichen „Präsidenten des Europäischen Rates“ (Art. I-21 Abs. 2), der für zweieinhalb Jahre gewählt wird und kein einzelstaatliches Amt innehaben darf (Art. I-22 VV), einen „Außenminister der Union“, der auch einer der „Vizepräsidenten der Europäischen Kommission“ ist (Art. I-28 VV). Ab dem Ende der Amtszeit werden die Mitglieder der Kommission, die nach der Verfassung ernannt wurde (Art. I-26 Abs. 5 VV) „. . . nach einem System der gleichberechtigten Rotation zwischen den Mitgliedstaaten“ ausgewählt (Art. I-26 Abs. 6 VV), um die Zahl der Mitglieder der Kommission auf „zwei Drittel der Zahl der Mitgliedstaaten“ zu begrenzen. Der völkerrechtliche Grundsatz (souveräner Gleichheit), daß alle Staaten in den Organen vertreten sein müssen, tritt in den Hintergrund. Die Befugnisse des Europäischen Parlaments werden nicht nur im Rechtsetzungsverfahren ausgeweitet, sondern vor allem wird das Parlament im Vertrag nicht mehr als „Vertretung der Völker“, sondern als unmittelbare Vertretung „der Bürgerinnen und Bürger“, also der „Unionsbürgerinnen und Unionsbürger“, bezeichnet (Art. I-20 Abs. 2 und Art. I-46 Abs. 2 S. 1 VV). Die institutionelle Umgestaltung im Verfassungsvertrag wird die durch die völkerrechtliche Souveränität der Mitgliedstaaten charakterisierten Elemente der internationalen Zusammenarbeit in der Union zurückdrängen und die (sogenannten) supranationalen oder staatlichen Formen der Integration weiter ausbauen. Henry Schermers vertritt die Auffassung, die Unionsbürgerschaft erfülle bereits alle Kriterien von „Gemeinschaftsnationalität“, die neben der nationalen Staatsangehörigkeit weiter bestehen könne.1054 Die nationale Staatsangehörigkeit der Mitgliedstaaten verliere an Bedeutung. Mit Ausnahme des Wahlrechts auf staatlicher Ebene und des Rechts auf bestimmte Ämter gehe die nationale Staatsbürgerschaft kaum weiter als die Unionsbürgerschaft und die in den Verträgen verbürgten subjektiven Rechte, namentlich die Grundfreiheiten und das 1054 H. G. Schermers, The Bond between Man and State, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 187 (189, 196 ff.).

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Diskriminierungsverbot.1055 Jedenfalls zielt die Einführung der Unionsbürgerschaft darauf, eine Unmittelbarkeitsbeziehung zwischen der Europäischen Union und den Bürgern der Mitgliedstaaten herzustellen, welche in Verbindung mit dem Wahlrecht zum Europäischen Parlament (Art. 19 Abs. 2 EGV) die Wandlung vom Marktbürger als bourgeois zum citoyen1056 einleitet.1057 Der Begriff „Bürgerverbund“1058 versucht dies zu charakterisieren. Auch Ingolf Pernice hält die Union schon jetzt für einen „Bürgerverbund“ oder „Verfassungsverbund“1059. Solange sich nicht ein Europäisches Volk eine Verfassung gibt, läßt diese Lehre den pouvoir constituant im pouvoir constitué aufgehen. In der Außenhandelspolitik, insbesondere im Verhältnis zur WTO, wird die Gemeinschaft, die neben den Mitgliedstaaten Vertragspartner des WTO-Abkommens ist1060, jedenfalls wie ein Staat behandelt. Dem wird im Verfassungsvertrag durch die Schaffung des Amts eines Außenministers (Art. I-27) Rechnung getragen. Auf längere Sicht – so wird vermutet – werde der Internationale Gerichtshof, vor dem nach Art. 34 Abs. 1 seines Statuts nur Staaten parteifähig sind, auch die Gemeinschaft als mögliche Streitpartei ansehen müssen.1061 f) Stellungnahme Im Verfassungsvertrag wird etwa von „Bürgerinnen und Bürgern“1062, von „Gesetzgeber“ und „Gesetzen“, nämlich vom „Europäischen Gesetz“ und vom „Europäischen Rahmengesetz“1063 gesprochen, also in der Sprache des Staatsrechts. Auf europäischer Ebene erfüllt das Recht der Europäischen Union die Merkmale von staatlichem Recht in großem Umfang. Es hebt unter den Mitgliedstaaten die Grenzen zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten, zwischen Innen- und Außenpolitik auf und beruht deshalb auf dem Prinzip gegenseitiger Einmischung.1064 1055

H. G. Schermers, The Bond between Man and State, S. 197. Vgl. R. Smend, Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht (1933), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1994, S. 308 f. 1057 S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 540. 1058 U. Everling, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Integration 1994, 165 (167, 169). 1059 I. Pernice, Kompetenzabgrenzung im Europäischen Verfassungsverbund, JZ 2000, 866 ff. (870 f.). 1060 Dazu D. I. Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels GATT – WTO – GATS, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 47 (71 ff.); dies., Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, 2003, S. 241 ff. 1061 R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 567. 1062 Art. I-1 Abs. 1 S. 1, Art. I-3 Abs. 2, Art. I-20 Abs. 2, Art. I-45, Art. I-46 Abs. 2, 3 Art. 47 Abs. 1, 4. 1063 Art. I-20 Abs. 1 S. 1 und Art. I-23 Abs. 1 bzw. Art. I-33 ff. u. ö. 1056

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Wie lange die Mitgliedstaaten noch Herren der Verträge sind, bleibt abzuwarten.1065 Insbesondere die Verfassung über die Europäische Union zeigt, daß sich die Europäische Union zu einem Bundesstaat ausbildet.1066 Die Europäische Union entwickelt sich in ihren Institutionen, Organen, Aufgaben und Befugnissen sowie in ihren Instrumenten und Handlungsweisen vom Staatenverbund europäischer Völker1067 mehr und mehr zum unitarischen (unechten) Bundesstaat, als wären die Unionsbürger ein Volk.1068 Der Union fehlt für einen Bundesstaat noch der Träger existentieller Staatlichkeit, der die Staatsgewalt der Union demokratisch legitimieren könnte.1069 Ein europäisches Volk existiert noch nicht1070, jedenfalls keine europäische Bürgerschaft im Sinne eines pouvoir constituant.1071 Allerdings gibt es eine Unionsbürgerschaft (Art. 17 EGV).1072 Sie wird wie im schweizerischen Bundesstaatsrecht oder seinerzeit in der Weimarer Reichsverfassung1073 durch die Staatsangehörigkeit zu den Mitgliedstaaten vermittelt.1074 Jedoch liegt der Unionsbürgerschaft nicht das gleiche „Verhältnis besonderer Verbundenheit . . . zum Staat sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten“1075 zugrunde, welche die Staatsbürgerschaft kennzeichnet.1076 Sie knüpft, wie das Bundesverfassungsgericht feststellt, „zwischen den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten ein auf Dauer angelegtes rechtliches Band . . ., das zwar nicht eine der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einem Staat vergleichbare 1064 R. Cooper, Gibt es eine neue Weltordnung?, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 102 (113); s. a. 3. Teil, D, S. 380 ff. 1065 Dazu BVerfGE 89, (190). 1066 K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 279 ff., 297 ff., der den „echten“ vom „unechten“ Bundesstaat unterscheidet. 1067 So BVerfGE 89, 155 (184, 186, 188 ff., 190). 1068 Von einem Bundesstaat gehen bereits jetzt aus K. A. Schachtschneider, Schriftsatz, Verfassungsbeschwerde (Vertrag über die Europäische Union), in: I. Winkelmann (Hrsg.), S. 129 ff., 386 ff.; auch J. Wolf, Die Revision des Grundgesetzes durch Maastricht, JZ 1993, 594 ff. (597 f.); a. A. BVerfGE 89, 155 (188). 1069 BVerfGE 89, 155 (184 ff., 188); K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 166, 173; dazu ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 111 ff.; P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 900 f., 906; zur Problematik eines „Gesamtvolkes“ oder „föderalen Staatsvolkes“ St. Oeter, Föderalismus, in: v. Bogdandy, Armin (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, Berlin, 2003, S. 59 (106, 107 ff.). 1070 E.-W. Böckenförde, Staat, Nation, Europa, 1999, S. 125. 1071 C. Koenig, Ist die Europäische Union verfassungsfähig?, DÖV 1998, 268 (270). 1072 Dazu eingehend S. Kadelbach, Unionsbürgerschaft, in: A. v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 539 ff. 1073 D. Thürer, „Citizenship“ und Demokratieprinzip, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), 2000, S. 177 (193). 1074 S. Kadelbach, Unionsbürgerschaft, S. 548. 1075 EuGH, Rs 149/79 Kommission/Belgien, Slg. 1980, 3881 (Rn. 10). 1076 D. Thürer, „Citizenship“ und Demokratieprinzip, S. 193; zu den Rechten im einzelnen S. Kadelbach, Unionsbürgerschaft, S. 550 ff.

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Dichte besitzt, dem bestehenden Maß existentieller Gemeinsamkeit jedoch einen rechtlich verbindlichen Ausdruck verleiht“.1077 Immerhin beinhaltet die Unionsbürgerschaft das Recht zur Freizügigkeit (Art. 18 EGV), ein Petitionsrecht in der jeweiligen Muttersprache (Art. 21 EGV), das Recht, einen Ombudsmann anzurufen, ein Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz durch andere Mitgliedstaaten (Art. 20 EGV), die Gewährleistung des aktiven und passiven Wahlrechts im kommunalen Bereich in jedem Mitgliedstaat sowie die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Die Unionsbürger werden punktuell direkt von der Gemeinschaftsgewalt als Adressaten von Rechtsakten1078, im übrigen (ähnlich wie im Bundesstaat) vermittelt über die Mitgliedstaaten, erfaßt. Darüber hinaus konzipiert der Verfassungsvertrag Elemente eines Unionsvolkes, die Vertretung der „Bürgerinnen und Bürger“ durch das Europäische Parlament und deren Recht, am „demokratischen Leben der Union“ teilzunehmen (Art. I-46 Abs. 2 und 3 S. 1 VV).1079 Das Europäische Parlament, das „gemeinsam mit dem Rat als Gesetzgeber“ (Art. 20 Abs. 1 VV) fungiert, ist im Verfassungsvertrag (Art. I-46 Abs. 2) nicht mehr als Vertretung der Völker wie noch im EG-Vertrag (Art. 189), sondern als Vertretung der Bürger konzipiert. Art. I-47 Abs. 4 VV sieht außerdem die Möglichkeit einer Bürgerinitiative von mindestens einer Million Unionsbürgern vor, welche die Kommission auffordern kann, einen Rechtsakt vorzuschlagen. Damit ist die Grundlage einer „Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“1080, eine civitas europea (vgl. dazu 5. Teil, C, S. 631 ff.), geschaffen worden.1081 Die Europäische Union unter dem Verfassungsvertrag ist jedenfalls am Republikprinzip zu messen.1082 Trotz Vergemeinschaftung nahezu aller Lebensbereiche bleibt es grundsätzlich auch unter dem Verfassungsvertrag bei der exekutivischen Ratsge1077

BVerfGE 89, 155 (184). Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 904. 1079 Hinzuweisen ist auch auf die Präambel des Verfassungsvertrages, Erwägungsgrund 6, in dem sich die Verfasser des Vertrages berühmen „im Namen der Bürgerinnen und Bürger“ und „der Staaten Europas“ den Entwurf erarbeitet zu haben. Auch in Art. I-1 Abs. 1 VV ist von dem „Willen der Bürgerinnen und Bürger“ und „der Staaten Europas“ „ihre Zukunft gemeinsam zu gestalten“, die Rede, obwohl die meisten Unionsbürger keine Möglichkeiten bekommen, ihren Willen (z. B. per Referendum) zu äußeren. Nach Art. I-3 Abs. 2 VV bietet die Union ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen und einen Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb“. Auch Art. I-19 Abs. 1 Sp. 3 VV redet von „Bürgerinnen und Bürgern“, deren Interessen die Union dienen soll. Art. I-45 VV achtet die Gleichheit der „Bürgerinnen und Bürger“, „denen ein gleiches Maß an Aufmerksamkeit“ der Union zuteil wird. 1080 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, hrsg. v. Weischedel, S. 431 (A 165 B 195). 1081 Dazu kritisch K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 306 f. 1082 Vgl. A. v. Bogdandy, Konstitutionalisierung des europäischen öffentlichen Rechts, JZ 2005, 532 ff. 1078

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setzgebung, so daß die republikanischen Prinzipien der bürgerlichen Selbstbestimmung und der Gewaltenteilung Not leiden. Der Staatseigenschaft der Union steht nicht entgegen, daß die Union ihre Rechtsakte nur ausnahmsweise durch eigene Organe gegenüber den Unionsbürgern vollziehen kann.1083 Die Verwirklichung der Rechtsakte der Union ist in der Europäischen Union dank der unmittelbaren Anwendbarkeit des primären Rechts und der Verordnungen (Art. 249 Abs. 2 EGV) und weitgehend auch der Richtlinien (Art. 249 Abs. 3 EGV)1084 nicht weniger sichergestellt als die der Bundesgesetze im deutschen Bundesstaat. Ergebnis Als Vereinigung der Völker Europas (Art. 1 EUV) ist die Europäische Union ein bundesstaatlicher Völkerstaat, der mit zunehmender Bedeutung der Unionsbürgerschaft und des Europäischen Parlaments auch Umrisse einer civitas europea und eines unitarischen Bundesstaates erkennen läßt – allerdings ohne pouvoir constituant eines Europäischen Volkes.1085 3. Gefahr einer Universalbürokratie a) Demokratische Legitimation Bisher wird nach dem Modell dualistischer Legitimation (dazu 5. Teil, C, S. 643 f.) angenommen, die Europäische Union verfüge hauptsächlich über eine doppelt begründete demokratische Legitimation: eine „unitarische“ über die Völker in den Mitgliedstaaten, vertreten durch das Europäische Parlament und eine „plural-territoriale“, die durch die Vertreter der Regierungen im Rat vermittelt werde.1086 Die demokratische Kontrolle sei auf die durch die Gemeinschaftsgewalt Betroffenen zurückzuführen und in Europa auf die Völker der Mitgliedstaaten zu beziehen.1087 Der parlamentarische Gemeinwille, der sich im

1083 Dazu R. Streinz, Europarecht, Rn. 463 ff., S. 205 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 635 ff.; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 109 f. 1084 Dazu Ch. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, S. 34 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rn. 394 ff., S. 163 ff. 1085 Vgl. dazu H. Schneider, Die Europäische Union als Staatenverbund oder als multinationale „civitas europea“?, S. 677 ff.; K. A. Schachtschneider, Schriftsatz, Organklage/Verfassungsbeschwerde gegen den Verfassungsvertrag, 2. Teil, A. 1086 W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 87; K.-P. Sommermann, Verfassungsperspektiven für die Demokratie in der erweiterten Europäischen Union, DÖV 2003, 1009 (1010 ff.). 1087 I. Pernice, Maastricht, Staat und Demokratie, Die Verwaltung 26 (1993), 478.

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Europäischen Parlament bilde, sei Ausdruck einer gebündelten Volkssouveränität.1088 Zum Teil ist bereits ein Dualismus zwischen Staaten und Unionsbürgern vertreten worden1089, was nun auch dem Text des Verfassungsvertrages (Art. I, 1, 46 Abs. 2) entspricht. Nichtsdestotrotz kann die Unionsbürgerschaft nach wie vor nicht als pouvoir constituant der Europäischen Verfassung angesehen werden. Daneben existieren Elemente sogenannter deliberativer, assoziativer und partizipativer Demokratie1090, die allerdings für sich betrachtet den Anforderungen demokratischer Selbstbestimmung nicht genügen, aber zur Bildung einer europäischen Öffentlichkeit beitragen können.1091 Art. I-47 VV enthält einen Grundsatz der „partizipativen Demokratie“, der Publizität, Transparenz, Anhörung der Betroffenen und den regelmäßigen „Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft“ umfaßt. Abs. 4 sieht Bürgerinitiativen, deren Verfahren und Bedingungen noch durch Europäisches Gesetz näher bestimmt werden müssen, vor, welche die Kommission im Rahmen ihrer Befugnisse zu Vorschlägen auffordern kann. Allerdings dürfte das Quorum von mindestens einer Million Unterschriften aus einer „erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten“ schwer zu erreichen sein, zumal sich eine europäische Öffentlichkeit der Unionsbürger noch kaum entwickelt hat, aber vielleicht dadurch gewisse Anreize erfährt. Es werden immer wieder Defizite der demokratischen Legitimation der Gemeinschaftsrechtsetzung konstatiert.1092 So ist die Kommission gegenüber den nationalen Parlamenten nicht verantwortlich.1093 Die demokratische Legitimation des Rates als Hauptgesetzgeber der Europäischen Union läßt sich nur mit1088 G. Ress, Über die Notwendigkeit der parlamentarischen Legitimierung der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaften, in: Gs K. Geck, 1989, S. 625 (646 f.). 1089 W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1999, S. 139. 1090 Dazu K.-P. Sommermann, Verfassungsperspektiven für die Demokratie in der erweiterten Europäischen Union, DÖV 2003, 1014 f.; 5. Teil, C, S. 658 ff. 1091 Dazu 5. Teil, C, S. 658 ff. 1092 Vgl. dazu S. Oeter, Souveränität und Demokratie als Probleme der Verfassungsentwicklung der Europäischen Union, ZaöRV 1995, S. 659; K.-P. Sommermann, Der entgrenzte Verfassungsstaat, in: D. Merten (Hrsg.), 1998, S. 19 (37 ff.); K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, in: Fs. W. Hankel, Währungsunion und Weltwirtschaft, 1999, S. 119 ff.; Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 292 ff., der darin allerdings keinen Rechtsverstoß sieht (S. 297 ff.); vgl. auch Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, S. 133 ff.; H. Brunkhorst, Solidarität, S. 223 ff.; E. Grabitz/Th. Läufer, Das Europäische Parlament, 1979, S. 349 ff., 354 ff., die zwar die Legitimation der Gemeinschaft durch Volkssouveränität nicht verwirklicht sehen, aber die Fixierung auf das „Volk“ ablehnen; zur Umdeutung des Demokratiebegriffs auch G. Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 246 ff. (259 ff., 273 ff.); a. A. W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 11 ff., 93 ff., 110, der im Ergebnis überhaupt kein erhebliches Demokratiedefizit feststellen will. 1093 Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, S. 139 f.

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telbar über die demokratische Legitimation der Regierungsvertreter begründen. Jedoch sind die Regierungsvertreter in ihren Mitgliedstaaten Mitglieder der Exekutive und als solche nicht primär zur Gesetzgebung gewählt.1094 Die Rechtsetzung der Europäischen Union ist exekutivische Ausführungsgesetzgebung, der als politisch wesentliche Entscheidungen die (primärrechtlichen) Verträge zugrunde liegen.1095 Damit kann sie von den nationalen Parlamenten verantwortet werden (vgl. Art. 59 Abs. 2 GG). Die Beteiligung an der Rechtsetzung ihrer jeweiligen Ratsvertreter (nicht aber etwa des Rates als gesamtes Gremium) können die nationalen Parlamente nur verantworten, wenn die Gemeinschaftsrechtsetzung ausnahmehaft und voraussehbar ist. Das soll durch das Prinzip der begrenzten Ermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EGV) gewährleistet werden.1096 Eine Rechtfertigung findet die exekutivische Gemeinschaftsrechtsetzung auch darin, daß die Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten gegenüber deren Parlamenten rechenschaftspflichtig (Art. I-46 Abs. 2, Satz 2, vgl. auch Art. 23 Abs. 2, 3 GG) und gegebenenfalls weisungsabhängig (z. B. in Dänemark) sind. Art. 23 Abs. 2 und 3 Satz 2 GG schöpfen die von Art. 20 Abs. 2, 38 Abs. 1 Satz 2 GG verlangten Möglichkeiten demokratisch-parlamentarischer Verantwortung nicht aus. Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG sieht lediglich eine Pflicht der Bundesregierung bei Verhandlungen in den Organen der Europäischen Union vor, die Stellungnahmen des Bundestages zu „berücksichtigen“.1097 Das heißt keine strikte Bindung an die Auffassung des Bundestages, sondern nur eine Pflicht, sich damit auseinanderzusetzen, gegebenenfalls eine Begründungspflicht.1098 Über rechtliche Bedenken des Bundestages darf sich die Bundesregierung jedoch aus Gründen der Organtreue nicht hinwegsetzen.1099 Außerdem kann der Bundestag seiner Auffassung im Wege eines Gesetzes Verbindlichkeit verschaffen.1100

1094 Dazu W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 78 ff.; kritisch K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 96, 97 ff., 103 ff.; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 121 ff., 124 ff.; Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, S. 137 ff.; a. A. vgl. A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 136 ff., 261 ff. 1095 BVerfGE 89, 155 (186 f.). 1096 Dazu BVerfGE 89, 155 (182 ff.); zum Prinzip der begrenzten Ermächtigung H.P. Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWG-Vertrages, 1991. 1097 Siehe Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union v. 12.3.1993, BGBl. I, S. 311. 1098 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 2000, Art. 23, Rn. 53. 1099 Vgl. BVerfGE 89, 155 (191, 203). 1100 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 2000, Art. 23, Rn. 53.

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Mit zunehmender Übertragung von Hoheitsaufgaben von den Mitgliedstaaten auf die Union kann die mittelbare demokratische Legitimation aufgrund der Exekutivlastigkeit der Entscheidungen nicht mehr sichergestellt werden.1101 Insbesondere für Beschlüsse, welche die Individuen unmittelbar binden können, genügt die mittelbare demokratische Legitimation des Rates dem Prinzip der Selbstgesetzgebung (5. Teil, C, S. 616 ff.) nicht.1102 Viele sehen den eigentlichen oder zumindest zweiten Legitimationsträger deshalb im Europäischen Parlament1103, das von den Unionsbürgern unmittelbar gewählt wird (Art. 19, 190 EGV). Das Europäische Parlament vertrete die „Gemeinschaft der Bürger Europas“ oder eine civitas europea.1104 Nach dem Stand des Vertrages von Nizza sind die Abgeordneten des Europäischen Parlaments „Vertreter der Völker“ (Art. 189 Abs. 1 EGV) und nicht der „Unionsbürger“. Abgesehen vom Verfahren der Mitentscheidung hat das Europäische Parlament nur die Möglichkeit, eine einstimmige Entscheidung des Rates zu erzwingen oder angehört zu werden (Art. 192, 251, 252 EGV). Im Verfassungsvertrag ist das Verfahren der Mitentscheidung als Regelverfahren institutionalisiert und damit teilweise ein Zweikammersystem etabliert worden.1105 Es verbleiben aber zahlreiche, bedeutsame Fälle, in denen das Europäische Parlament nur Anhörungsrechte hat1106, im Wettbewerbsrecht (Art. 163, 169 VV) oder gar nicht beteiligt wird, wie bei der Preisfestsetzung im Agrarbereich (Art. 231 Abs. 3 VV). Außer der Kommission (vgl. Zustimmungsvotum und Mißtrauens1101

Ch. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften, S. 138 f. W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, S. 146. 1103 E. Grabitz, Das Europäische Parlament vor der Direktwahl, Integration, 1979, 47 (52); ders./T. Läufer, Das Europäische Parlament, S. 363, 367 ff.; G. Ress, Über die Notwendigkeit der parlamentarischen Legitimierung der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaften, S. 631 ff., 650 ff., 666 ff.; W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 78; vgl. auch EuGH, Rs 138/79 Roquette Frères, Slg. 1980, 3333 (3360); Rs 139/79 Maizena, Slg. 1980, 3393; Rs C-70/88 Parlament/ Rat, Slg. 1990 I, 2041; Rs C-300/89 Titandioxidabfallrichtlinie, Slg. 1991 I, 2867 (2868); kritisch Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 289 ff. 1104 M. Haag/R. Bieber, zu Art. 189, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2004, Rn. 2; S. Magiera, Das Europäische Parlament als Garant demokratischer Legitimation in der Europäischen Union, in: Fs. Everling, 1995, S. 789 (796); I. Pernice, Kompetenzabgrenzung im Europäischen Verfassungsverbund, JZ 2000, 866 ff.; vgl. auch Th. Oppermann, Europarecht, 1999, Rn. 254: Vertretung der Unionsbürger unter Mitberücksichtigung ihrer nationalen Formierung; ablehnend gegenüber einem durch das Europäische Parlament repräsentierten Gemeinwillen; Urteil des französischen Conseil constitutionnel vom 30.12.1976 – Nr. 76 – 71 DC, Rec. 15; das deutsche Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 89, 155 (186) billigte dem Europäischen Parlament zum Zeitpunkt des Maastrichtvertrages nur eine „stützende Funktion“ zu, die allerdings in der weiteren Integrationsentwicklung an Gewicht gewinnen kann. 1105 Vgl. 5. Teil, A, S. 582 f. 1106 Z. B. im Kapitel IV Art. III-263, 269 Abs. 3, UAbs. 2, 271 Abs. 1 UAbs. 3, 275 Abs. 3, 277. 1102

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votum 291 EGV) sind die Gemeinschaftsorgane, insbesondere der Rat, gegenüber dem Europäischen Parlament nicht verantwortlich. Es wird gesagt, in seinem Mitwirkungsbereich verleihe das Europäische Parlament den Organen und ihren Handlungen eine „originäre demokratische Legitimation“.1107 Das ist jedoch fraglich; denn das Prinzip der Gleichheit der Wahl ist, ungeachtet des mittlerweile gemeinschaftsweit für die Wahl zum Parlament geltenden Verhältniswahlrechts,1108 nicht erfüllt.1109 Bisher genügt die Zusammensetzung und die Wahl des Europäischen Parlaments (Art. 190 EGV) eher dem völkerrechtlichen Gleichheitsprinzip der Staaten als dem der Bürger.1110 Auch der Verfassungsvertrag sieht nur eine „degressiv proportionale“ Vertretung der Bürger vor (Art. I-20 Abs. 2, Satz 3). Wegen des Prinzips der Gleichheit der Staaten in einem Staatenverbund ist die Stimmengleichheit der Bürger nicht völlig erreichbar.1111 Deshalb wird argumentiert, das Prinzip der Volkssouveränität als Grundlage des Demokratieprinzips müsse für ein Gemeinwesen vom Typ der Europäischen Union entsprechend modifiziert (eingeschränkt) werden.1112 Nach dem Verfassungsvertrag sollen nun nach dem „Grundsatz der repräsentativen Demokratie“ die Bürger auf Unionsebene „unmittelbar im Europäischen Parlament vertreten“ werden (Art. I-46 Abs. 2, Satz 1) und „haben das Recht, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen“ (Art. I-46 Abs. 3). Das Europäische Parlament wird in Art. I-20 Abs. 1 VV „gemeinsam mit dem Rat als Gesetzgeber“ bezeichnet (ebenso Art. I-23 Abs. 1 S. 1 VV); denn „Gesetze“ und „Rahmengesetze“ sollen nach dem Verfassungsvertrag grundsätzlich im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art. III-396 VV erlassen werden. Im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren kann das Parlament den Standpunkt des Rates (nach Vorschlag der Kommission) mit der Mehrheit seiner Mitglieder 1107

W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 77 f. Vgl. Art. 1 Abs. 1 Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen des Europäischen Parlaments vom 20.9.1976, BGBl. 1977 II, S. 734 ff., zuletzt geändert durch Beschluß des Rates vom 25.6.2002 und 23.9.2002, BGBl. 2003 II, S. 811 f. 1109 Ein Abgeordneter aus Luxemburg vertritt etwa 60.000 Bürger, ein Abgeordneter aus Deutschland gut 800.000 Bürger. 1110 Vgl. Th. Oppermann, Europarecht, Rn. 252 f.; K. P. Sommermann, Verfassungsperspektiven für die Demokratie in der erweiterten EU, DÖV, 2003, 1016. 1111 Dazu C. Koenig, Ist die Europäische Union verfassungsfähig?, DÖV 1998, 271; vgl. BVerfG, Beschluß vom 31.5.1995, 2 BVR 635/95, NJW 1995, 2216: „Die Verteilung der Sitze im europäischen Parlament . . . ist ein Kompromiß. . . . Die Europäische Union wird von den Mitgliedstaaten getragen, die als Staaten fortbestehen und für die völkerrechtlich der Grundsatz der Gleichheit – unabhängig von ihrer Einwohnerzahl – gilt; zugleich ist die Europäische Union aber als Staatenverbund mehr als die Summe der einzelnen Mitgliedstaaten – dem trägt die Berücksichtigung der unterschiedlichen Einwohnerzahlen der Mitgliedstaaten Rechnung.“ 1112 G. Ress, Über die Notwendigkeit der parlamentarischen Legitimierung der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaften, S. 646; vgl. auch I. Pernice, Maastricht, Staat und Demokratie, Die Verwaltung 26 (1993), 449; U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 142 f. 1108

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(Art. III-396 Abs. 7 lit. b VV) oder im Vermittlungsverfahren sogar den gemeinsamen Entwurf des Vermittlungsausschusses mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Art. III-396 Abs. 10–14 VV) ablehnen. Obwohl das Parlament damit noch nicht gleichberechtigter Mitgesetzgeber neben Kommission und Rat wird, ist das eine Entwicklung in Richtung existentieller, föderalistischer Einheitsstaat.1113 Solange die Vertretung allerdings nicht gleichheitlich und die Wahl zum Europäischen Parlament nur direkt, allgemein, frei, geheim und nicht auch gleich ist (Art. I-20 Abs. 3 VV)1114, ist das Europäische Parlament der Sache nach noch keine echte Vertretung der Unionsbürger, sondern eher der Völker.1115 Es vermag als solches weder die umfassende Rechtsetzung einer Politischen Union demokratisch zu legitimieren noch die in der Substanz exekutivistische Rechtsetzung legitimatorisch zu kompensieren.1116 Eine konsequente duale Legitimation1117, welche mit der europäischen Integrationsentwicklung Schritt hält, würde neben dem Rat als Staatenkammer ein echtes Parlament, welches alle unter der Gemeinschaftsordnung lebenden Menschen gleichheitlich vertritt, verlangen. Dies würde zweifellos eine civitas europea und damit einen europäischen unitarischen Bundesstaat schaffen1118, der eine Verfassung der Unionsbürger voraussetzt. Schwierig ist allerdings, wie angesichts der räumlichen Ausdehnung der Europäischen Union, ohne Reduktion ihrer Zuständigkeiten, das Prinzip der Selbstbestimmung in dieser großen Einheit gelebt werden könnte.1119 Eine rein

1113 Dazu K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 297 ff. 1114 Vgl. auch Grundrechts-Charta Art. II-39 Abs. 2 Verfassungsvertragsentwurf. 1115 K.-P. Sommermann, Verfassungsperspektiven für die Demokratie in der erweiterten Europäischen Union, DÖV 2003, 1016; M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 254 ff. 1116 Dazu K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 111 ff.; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 119 ff., insbes. S. 139 ff.; beschwichtigend S. Oeter, Föderalismus, S. 93 ff., 100 ff., 110 ff.; W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 11 ff., 93 ff., 110 ff.; für eine Umdeutung des Demokratiebegriffs G. Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 246 ff. (259 ff., 273 ff.); A. Schmitt Glaeser, Grundgesetz und Europarecht, 1996, S. 207 ff., 215 ff., 224 ff., der zwar sieht, daß das Europäische Parlament nicht demokratisch legitimieren kann, aber (fragwürdig) die Achtung der nationalen Verfassungen und des Subsidiaritätsprinzips durch die Union als Ausgleich genügen läßt. 1117 Vgl. zur Weiterentwicklung des dualistischen Legitimationskonzepts K.-P. Sommermann, Verfassungsperspektiven für die Demokratie in der erweiterten Europäischen Union, DÖV 2003, 1009 (1010 ff.). 1118 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71, 1997, 153 (170 ff.). 1119 Dazu K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 313 ff.

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formelle Legitimation von Herrschaft genügt dem Prinzip der Selbstbestimmung nicht.1120 Problematisch ist auch die demokratische Legitimation und Unabhängigkeit der Richter des Europäischen Gerichtshofs, die von den Regierungen der Mitgliedstaaten „im gegenseitigen Einvernehmen ernannt“ werden (Art. 223 Abs. 1 EGV).1121 Während sich die Gesetzesbindung als sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation aus Art. 220 EGV begründen läßt, kann die unverzichtbare1122 personelle Legitimation der Gemeinschaftsrichter aus dem EG-Vertrag nicht entnommen werden.1123 Sie ist vielmehr den Mitgliedstaaten überlassen, welche diese vermittels ihrer Parlamente herstellen können.1124 So haben die Richter gegebenenfalls nur das Vertrauen der Regierungen, nicht aber der Völker. Die personelle demokratische Legitimation verlangt, daß der Amtswalter individuell durch das Volk oder durch volksgewählte Organe, insbesondere durch das Parlament, bestimmt wird.1125 Allerdings erweist die Praxis, daß die Richter meist von den Regierungen ohne Beteiligung der Parlamente ausgewählt werden.1126 Zwar sind die Regierungen in den Mitgliedstaaten mehr oder weniger demokratisch legitimiert, jedoch müssen die EuGH-Richter, welche jedenfalls in ihrer verfassungsgerichtlichen Rechtsprechungsfunktion die Gesetzgebung der mitgliedstaatlichen Parlamente nicht unerheblich beschränken können, ähnlich wie Verfassungsrichter legitimiert sein (vgl. Art. 94 Abs. 1 GG). Sie sollten daher von den nationalen Parlamenten (Richterwahlausschüssen), gegebenenfalls auch vom Europäischen Parlament gebilligt werden.1127 b) Mangel an Publizität Wesentliche Diskussionen und Entscheidungen in der Europäischen Union finden zwischen den Regierungschefs und wenn in den Bürgerschaften, dann in 1120 Vgl. BVerfGE 83, 60 (72); vgl. auch BVerfGE 52, 95 (112, 120, 130); 77, 1 (40); bestätigt in BVerfGE 89, 155 (182). 1121 Dazu V. Epping, Die demokratische Legitimation der dritten Gewalt der europäischen Gemeinschaften, Der Staat 36 (1997), 349 (352 ff.); kritisch K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: Fs. H. H. v. Arnim, 2004, S. 779 ff. 1122 BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (66 f.). 1123 V. Epping, Die demokratische Legitimation der dritten Gewalt, Der Staat 36 (1997), S. 355. 1124 V. Epping, Die demokratische Legitimation der dritten Gewalt, Der Staat 36 (1997), S. 361 ff. 1125 BVerfGE 83, 60 (73); 93, 37 (67). 1126 Dazu V. Epping, Die demokratische Legitimation der dritten Gewalt, Der Staat 36 (1997), 363 ff. 1127 V. Epping, Die demokratische Legitimation der dritten Gewalt, Der Staat 36 (1997), S. 366 ff.

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den Staaten voneinander getrennt statt. Die mangelhafte Publizität in der Europäischen Union steht den Mechanismen politischer Diskurse und der Kontrolle durch die öffentliche Meinung entgegen. Die Bildung einer relevanten Öffentlichkeit in der Europäischen Union wird durch sprachliche und kulturelle Differenzen erschwert, aber nicht unmöglich gemacht. Problematisch bleibt trotz einiger Bemühungen um mehr „Transparenz“ (Art. 255 EGV, EG-Verordnung Nr. 1049/2001)1128 und „Bürgernähe“ (vgl. Art. 1 Abs. 2 EUV) insbesondere die Publizitätsbehinderung durch die Institutionen und das Verfahren selbst.1129 Die Kommission, welche das gemeinschaftliche Sekundärrecht initiiert, arbeitet ihre Vorschläge ohne Einblick der breiten Öffentlichkeit als Expertengremium aus und präsentiert sie gemäß dem Kollegialprinzip. Sie ist von der Zustimmung der Bürger unabhängig. Der Ministerrat tagt und entscheidet über diese Vorschläge unter weitgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit (Art. 6 ff. GeschORat1130). Einen gewissen Fortschritt bringt Art. I-47 Abs. 1–3 VV, der die Organe der Europäischen Union zum Dialog, zu Transparenz und Publizität mit der Zivilgesellschaft/den Bürgern verpflichtet. Weil die Einwirkungsmöglichkeiten des Europäischen Parlaments auf den Rechtsetzungsprozeß begrenzt sind, wird der Berichterstattung über die Diskussionen im Europäischen Parlament wenig Raum gegeben. Auch in den nationalen Medien nehmen die Europakorrespondenten noch immer eine untergeordnete Rolle ein. Innerhalb der politischen Institutionen und in der Öffentlichkeit der Mitgliedstaaten findet eine kritische Auseinandersetzung mit Europathemen in zu geringem Maße statt.1131 Deutlich wurde dies etwa bei der Einführung des Euro und beim Entwurf einer Verfassung für Europa. Der zu begrüßende Ausbau des european public square über das Internet1132 ist ein wichtiger Schritt zur Besserung, setzt aber voraus, daß diesem Medium nicht nur bestimmte, sondern grundsätzlich alle europapolitischen Entwicklungen zugänglich gemacht 1128

Dazu Ch. Sobotta, Transparenz in den Rechtssetzungsverfahren der Europäischen Union. 2001; F. Riemann, Die Transparenz der Europäischen Union, 2004, S. 104 ff. 1129 Dazu M. Kettner/M.-L. Schneider, Öffentlichkeit und entgrenzter politischer Handlungsraum, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 369 (384 ff.). 1130 Geschäftsordnung des Rates vom 5.6.2000, ABl. L. 149, v. 23.6.2000, S. 21, geändert durch Beschluß des Rates v. 19.3.2001, ABl. L 81 v. 21.3.2001, S. 30, geändert durch Beschluß v. 29.11.2001, ABl. L 313 v. 30.11.2001, S. 40. 1131 Vgl. Weißbuch „Europäisches Regieren“, Dok. Kom (2001) 428 endg. v. 25.7. 2001, S. 13; Bericht der Kommission über Europäisches Regieren v. 11.12.2002, Dok. KOM (2002) 705 endg., S. 4; Bericht des Vorsitzes des Konvents an den Präsidenten des Europäischen Rates v. 18.7.2003, Dok. CONV 851/03, S. 3: In dem gemäß der Erklärung von Laeken eingerichteten Konvent begleitenden Forum seien von Nichtregierungsorganisationen, aus der Wirtschaft, von Hochschulen und anderen Akteuren 1264 Beiträge eingegangen. 1132 Dazu D. Thürer, „Citizenship“ und Demokratieprinzip, S. 197 ff.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

werden. Bürger werden sich in diesen Foren erst beteiligen, wenn sich eine europäische Öffentlichkeit herausbildet, die von den Organen und Institutionen der Europäischen Union/Gemeinschaft beachtet wird.1133 Die „geräuschlose“, oft nicht transparente Einflußnahme (Lobbyismus) zahlreicher Interessenvertretungen (Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen) in Brüssel1134, die Art. I-47 Abs. 1 und 2 VV ebenfalls stützen kann, fördert noch nicht die Publizität i. e. S.; denn sie spiegelt kein umfassendes Bild der allgemeinen öffentlichen Meinung. Sie kann daher echte öffentliche Diskurse nicht ersetzen. Der Verfassungsvertragsentwurf schreibt den „Grundsatz der partizipativen Demokratie“ (Art. I-47) fest. Danach haben die Organe einerseits die Pflicht, die Stellungnahme der Bürger zur Meinungsbildung in den europäischen Institutionen zu erleichtern und zum anderen „einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft“ im Sinne „deliberativer Demokratie“ (dazu 5. Teil, C, S. 658 ff.) zu pflegen. Die in Art. I-47 enthaltene Unterscheidung zwischen Verbänden und Zivilgesellschaft deutet darauf hin, daß sich die Zivilgesellschaft1135 nach dem Verständnis dieser Vorschrift nicht nur aus Verbänden zusammensetzt, sondern auch andere Nichtregierungsorganisationen und Akteure einbezieht und unter „partizipativer Demokratie“ nicht nur Verbandsdemokratie zu verstehen ist. All diese Elemente sogenannter postmoderner Demokratie verwirklichen nicht hinreichend das Demokratieprinzip und tragen wenig dazu bei, das Demokratiedefizit in der Europäischen Union zu beheben. Sie fördern allenfalls die Schaffung einer „demokratischen Infrastruktur“1136 oder die „vorrechtlichen Voraussetzungen“ einer Demokratie1137.

1133 Vgl. Ch. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 282 f. 1134 Es wird geschätzt, daß in Brüssel zwischen 2000 und 3000 europäische orientierte Lobbyagenturen verschiedenster Art angesiedelt sind. K. P. Sommermann, Verfassungsperspektiven für die Demokratie in der erweiterten EU, DÖV, 2003, 1015. 1135 Der Begriff der „Zivilgesellschaft“ ist wohl weiter als der der „organisierten Zivilgesellschaft“, den der Wirtschafts- und Sozialausschuß als „Gesamtheit aller Organisationsstrukturen, deren Mitglieder über einen demokratischen Diskurs- und Verständigungsprozeß dem allgemeinen Interesse dienen und als Mittler zwischen öffentlicher Gewalt und den Bürgern und Bürgerinnen auftreten“ definiert hat und den sich das Europäische Parlament zu eigen gemacht hat. Entschließung des europäischen Parlaments zu dem Weißbuch der Kommission „Europäisches Regieren“ v. 29.11.2001, KOM (2001) 428 – C5-0454/2001 – 2001/2181 (COS), BR-Drs. 1121/01 v. 18.12. 2001, S. 6 (7). Anders offensichtlich K. P. Sommermann, Verfassungsperspektiven für die Demokratie in der erweiterten EU, DÖV, 2003, 1015. 1136 C. D. Classen, Europäische Integration und demokratische Legitimation, AöR 119 (1994), S. 238 (256); K. P. Sommermann, Verfassungsperspektiven für die Demokratie in der erweiterten EU, DÖV, 2003, 1015. 1137 BVerfGE 89, 155 (185); vgl. näher E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HStR, Bd. II, 2004, § 24, S. 429, Rn. 58 ff.

E. Völkerrecht der Globalisierung

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c) Ergebnis Die Integration der Europäischen Union zeigt die Möglichkeiten der Einung zwischen Staaten, die sich einstmals bekriegt haben, und beweist, daß die Verwirklichung des Weltbürgerrechts möglich ist.1138 Sie offenbart allerdings insbesondere wegen ihrer hohen Kompetenzdichte Demokratiedefizite und die lauernde Gefahr einer Universalbürokratie. Die Europäische Union erfüllt fraglos den zwischenstaatlichen Friedenszweck, jedoch strukturbedingt noch unzureichend demokratische Selbstbestimmung. Diese kann durch eine verstärkte demokratische Kontrolle in den Mitgliedstaaten sowie durch Referenden nur teilweise kompensiert werden. In ihren institutionellen und materiellen Integrationsentwicklungen und -Bestrebungen weist die Europäische Union über eine völkerrechtliche Organisation, welche primär durch die nationalen Parlamente legitimiert werden kann, hinaus. Die Befugnisse der Europäischen Union sind weit und von den Aufgaben der Mitgliedstaaten nicht klar abgegrenzt. Daher sind sie für die mitgliedstaatlichen Parlamente kaum voraussehbar und verantwortbar. Selbst wenn sich das Europäische Parlament zu einer durch ein europäisches Volk gleichheitlich gewählten Legislative entwickeln sollte, müssen die Befugnisse der Union subsidiär und beschränkt bleiben. Andernfalls entsteht ein bürgerfernes Universalstaatsgebilde, in dem Freiheit und Demokratie nicht mehr lebbar sind. Insbesondere fehlt eine europäische Öffentlichkeit, die durch den Diskurs der Bürger getragen wird. Es ist fraglich, ob im Falle der Europäischen Union das rechte Verhältnis zwischen Verstaatlichung und Freiheitsverwirklichung gewahrt ist. Zur Erfüllung der zwischenstaatlichen (negativen) Friedensfunktion wäre ein Staatenbund ausreichend, der jedoch als Integrationsrückschlag kaum gewünscht wird. Um die Freiheit der Unionsbürger in der Union umfassend zu verwirklichen, bedürfte es eines Schritts nach vorne, einer (subsidiären) unionsbürgerlichen Verfassung sowie für eine lebendige Demokratie klarer Kompetenzgrenzen zugunsten der kleineren Einheiten in der mehrgliedrigen Unionsverfassung.

E. Völkerrecht der Globalisierung I. Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Recht der Globalisierung Die derzeitige Stufe der Rechtsverwirklichung ist durch das Zeitalter der Globalisierung geprägt. Es zeichnet sich durch die schon beschriebenen Entgrenzungsprozesse sowie den damit verbundenen Funktionswandel der Staatlichkeit (dazu 1. Teil, B, S. 69 ff.) aus und hat die Bedeutungsaufwertung nicht-staat1138 I. Pernice, The Global Dimension of Multilevel Constitutionalism, in: Fs. C. Tomuschat, 2006, S. 973 (977).

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

licher Akteure zur Folge.1139 Aktive Akteure der Globalisierung sind vor allem nicht-staatliche Subjekte. Die klassische Einteilung und Beschränkung rechtlicher Ordnung auf staatliche und zwischenstaatliche Systeme verändert sich dadurch. Die in der Politik zunehmend erkannte Aufgabe, den menschenrechtlichen Naturzustand zwischen den Staaten zu domestizieren, zielt letztlich auf die „Transformation des Völkerrechts in ein Recht der Weltbürger“.1140 Stephan Hobe spricht von einem „erneuten, sich durch verstärkte Entgrenzung auszeichnenden Paradigmenwechsel in der Entwicklung des Völkerrechts“.1141 In einer weiteren Stufe der Rechtsentwicklung ist „das Völkerrecht im Begriff, sich von einem anfänglichen Staatenkoordinationsrecht (law of coordination) der klassischen Periode, über ein bis in die Gegenwart hineinragendes, die institutionelle Staatenkooperation in den Mittelpunkt stellendes Kooperationsvölkerrecht (law of cooperation) zu einem die Interessen neuer Akteure sowie der Staatengemeinschaft als Ganzes notwendigerweise in den Blick nehmenden Recht der Globalisierung hin zu entwickeln.“1142

In Abgrenzung zum System der Nationalstaaten, internationaler Koexistenz und Kooperation wird von der „Staatengesellschaft“ und mit Blick auf die Menschheit von der „Weltgesellschaft“ gesprochen.1143 Niklas Luhmann fragt: „Wenn man annimmt, daß eine Weltgesellschaft entstanden oder jedenfalls im entstehen begriffen ist: Wie soll man sich dann die Entstehung eines Weltrechts denken? Doch offenbar nicht in der Form von Staatsverträgen, die nach langen diplomatischen Verhandlungen kaum noch Substanz aufweisen. Und erst recht nicht in Form von Beschlüssen oder Absichtsbekundungen Internationaler Organisationen, die eine aufs Papier beschränkte Existenz führen.“1144

Jürgen Habermas erwägt die Möglichkeiten einer „transnationalen Weltinnenpolitik, die in den Modus der Standortkonkurrenz selbst eingreift.“1145 Transna1139 Vgl. S. Hobe, Zur Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 253 ff.; M. Bothe, Durchsetzung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts, in: Th. Marauhn (Hrsg.), Die Stellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S. 115 ff., 126 ff.; zurückhaltend O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 66. 1140 J. Habermas, Bestialität und Humanität, in: DIE ZEIT Nr. 18. vom 29.4.1999. 1141 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 261. 1142 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 278; R. J. Glossop, Global Governance Requires Global Government, in: E. E. Harris/J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 43 (45 f.). 1143 Vgl. N. Luhmann, Die Weltgesellschaft, ARSP 57 (1971), S. 1 (27); L. Brock/ M. Albert, Entgrenzung der Staatenwelt, Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 1995/2, 275; J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 23; A. Fischer-Lescano, Globalverfassung: Verfassung der Weltgesellschaft, ARSP 2002, S. 352 f. 1144 N. Luhmann, Ethik in internationalen Beziehungen, soziale Welt 50 (1999), S. 250. 1145 J. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 96.

E. Völkerrecht der Globalisierung

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tionale Politik definiert etwa Jürgen Neyer als „Form der grenzüberschreitenden Politik zwischen mindestens zwei Akteuren, . . . von denen mindestens einer nicht-staatlichen Charakter hat.“1146 II. Wachsende Rolle nicht-staatlicher Akteure als Subjekte des Rechts der Globalisierung und der Global Governance Noch hat sich das Völkerrecht nicht in ein Weltbürgerrecht gewandelt. Bisher existiert der Weltbürger nur in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht, wenn man so will als bourgeois mondial (global player, Kosmopolit), nicht jedoch als citoyen du monde. Als eigentliche Rechtssubjekte genießen die Individuen im Völkerrecht zwar neben Rechtsreflexen bestimmte Berechtigungen (z. B. Menschenrechte) und haben auch Verpflichtungen zu tragen (dazu 4. Teil, A). Eigene Rechtsetzungsgewalt besitzen sie jedoch jenseits der staatlichen Grenzen nicht1147, nicht einmal in der Europäischen Union als „Unionsbürger“, weil nach wie vor ein bürgerschaftliches Zugehörigkeitsband nur zum Staat besteht.1148 Getragen von den Globalisierungstendenzen treten auch private Subjekte, d. h. Nichtregierungsorganisationen als Akteure vermehrt transnational in Erscheinung. Diese sind zwar keine Völkerrechtssubjekte, aber Subjekte der global governance (vgl. dazu 5. Teil, C, S. 654 ff.), welche am Recht der Globalisierung mitwirken.1149 1. Nichtregierungsorganisationen a) Rechtsstatus Eine „internationale NGO“ definiert erstmals die ECOSOC-Resolution 288 (X) vom 27. Februar 1950 als „any international organization that is not founded by an international treaty“. Die zahlreichen weltweit tätigen Nichtregierungsorganisationen (z. B. Amnesty International, Greenpeace, Terre des Hommes, Médecins sans Frontières, International Law Association) sind private Vereinigungen, die von natürlichen oder juristischen Personen aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages gegründet worden sind. Sie verfolgen auf nationaler Ebene oder grenzüberschreitend zumeist nicht gewinnorientierte Ziele1150, ver1146

J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, 2004, S. 83. M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 576. 1148 R. Wahl, Der einzelne in der Welt jenseits des Staates, Der Staat 40 (2001), S. 53 f. 1149 Vgl. R. Wahl, Der einzelne in der Welt jenseits des Staates, Der Staat 40 (2001), S. 60 ff. 1147

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

fügen über eine auf Dauer angelegte, handlungsfähige Struktur und über einen eigenen Sitz.1151 Auch wenn sie global auf weltbürgerlicher Ebene agieren, sind sie Rechtssubjekte des staatlichen Rechts. Sie sind nach staatlichem Privatrecht gegründet und unterliegen entsprechend der Gründungs- oder Sitztheorie1152 staatlichem Recht.1153 Wollen Nichtregierungsorganisationen, weil dies ihrem mundialen Charakter widerspräche, keiner bestimmten nationalen Rechtsordnung angehören oder lassen Staaten die Gründung von Nichtregierungsorganisationen, etwa weil sie die Vereinigungsfreiheit nicht anerkennen, nicht zu, können sie formell keine Rechtssubjektivität erlangen. Unabhängig von der Rechtspersönlichkeit ist jedoch ihre faktische Existenz und Effektivität in der global governance. Das beweisen zivilgesellschaftliche Netzwerke, die vornehmlich über das Internet kommunizieren. Ein Beispiel ist das People Global ActionNetzwerk (PGA)1154, welches im Rahmen der letzten WTO-Gipfelkonferenzen durch die Organisation von Protesten und Gegenveranstaltungen nachhaltig in Erscheinung getreten ist.1155 Ein international gültiges Rechtsstatut für die Anerkennung von Nichtregierungsorganisationen und deren Schutz als Vereinigung, der ihren weltbürgerlichen Status als global actor sichern würde, gibt es bisher nicht.1156 Bisher sind Nichtregierungsorganisationen nicht als Völkerrechtssubjekte i. e. S. anerkannt.1157 Traditionelle Ausnahme ist der Malteser Orden1158, eine frühe, global tätige Nichtregierungsorganisation. Eine generelle abgeleitete Völkerrechtssubjektivität der global tätigen Nichtregierungsorganisationen stößt in der Literatur eher auf Kritik.1159 Immerhin wird Nichtregierungs1150 Zum Teil wird zur Hervorhebung dieses Kriteriums der Begriff private voluntary organizations bevorzugt (PVO). 1151 J. Delbrück, Nichtregierungsorganisationen, 2003, I; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 149. In der engen Definition versteht man unter Nichtregierungsorganisationen all jene Organisationen, die weder der Regierung noch der Wirtschaft zuzuordnen sind. Bei den Akkreditierungsregeln internationaler Organisationen fallen aber auch Wirtschaftsverbände unter die Kategorie NGO. 1152 D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations, in: R. Hofmann (Hrsg.), Non State Actors as New Subjects of International Law, 1999, S. 45 (47); G. Kegel, Internationales Privatrecht, 1995, S. 413 ff. 1153 K. Doehring, Völkerrecht, S. 84 f. 1154 www.nadir.org/nadir/initiativ/agp. 1155 J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, S. 85 ff. 1156 Die Convention Européenne sur la reconnaissance de la personnalité juridique des organisations internationales non gouvernementales v. 24.4.1986, ETS 124, setzt eine bestehende nationale Rechtssubjektivität voraus und sieht zahlreiche Ausnahmen vor; vgl. allgemein S. Hobe, Der Rechtsstatus der Nichtregierungsorganisationen nach geltendem Völkerrecht, AVR 37 (1999), S. 152 ff. 1157 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 251; I. Seidl-Hohenveldern/ G. Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, S. 4, Rn. 0103. 1158 K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 5, Rn. 14; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 143 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 116 f., Rn. 267 ff. 1159 H. Mosler, Die Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte, ZaöRV 22 (1962), S. 1 ff.; S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999),

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organisationen inzwischen insoweit eine partielle Völkerrechtssubjektivität zuerkannt, als sie in völkerrechtliche Vertragsbeziehungen zu Staaten und Internationalen Organisationen getreten sind und ihnen von diesen aufgrund einiger völkerrechtlicher Bestimmungen eine gewisse Rechts- und Handlungsfähigkeit sekundärrechtlich eingeräumt worden ist. Auf der Grundlage von Art. 71 UNCharta, der ihnen bisher die breiteste rechtlich verbindliche Handlungsgrundlage zubilligt1160, kann der Wirtschafts- und Sozialrat „geeignete Abmachungen zwecks Konsultationen mit nicht-staatlichen Organisationen treffen, die sich mit Angelegenheiten seiner Zuständigkeit befassen.“ Ihr Rechtsstatus ist aufgrund dessen in drei Kategorien eingeteilt worden: Allgemeiner Konsultativstatus (Kategorie I), Besonderer Konsultativstatus (Kategorie II) und Kategorie III. Letztere umfaßt alle übrigen NGOs, die weder Allgemeinen noch Besonderen Konsultativstatus besitzen. Nur die NGOs der Kategorie I haben das Recht, dem Ausschuß für NGOs vorzuschlagen, den Generalsekretär aufzufordern, Punkte ihres besonderen Interesses auf die vorläufige Tagesordnung zu setzen. Vornehmlich die NGOs der Kategorien I und II können schriftliche Stellungnahmen einreichen, die für den Wirtschafts- und Sozialrat von Bedeutung sind.1161 Der Allgemeine Rat der WTO kann nach Art. V Abs. 2 WTOÜ „geeignete Vorkehrungen für Konsultationen und Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Organisationen treffen, die sich mit Angelegenheiten befassen, die mit denen der WTO im Zusammenhang stehen“. Unter dem Druck wachsender Kritik beginnt das Sekretariat der WTO, NGOS regelmäßig zu Konsultationen über spezifische Sachthemen einzuladen.1162 Auch gibt es über das Internetportal der WTO die Möglichkeit, Positionspapiere einzureichen. Von den eigentlichen Sitzungen der WTO-Organe sind die NGOs formal ausgeschlossen. Eine weitere Problematik ist, ob und inwieweit Nichtregierungsorganisationen als Akteure an der globalen öffentlichen Rechtsetzung mitwirken sollen1163 oder ob dadurch die Mediatisierung des Einzelmenschen nur verlagert, aber nicht behoben wird.

S. 152 ff.; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, 2001, S. 154 ff. 1160 Dazu R. Lagoni, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 71. 1161 ECOSOC Res 1296/XLIV v. 23.5.1998, modifiziert 1993 und 1996; dazu O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 149 ff.; ders., Der Rechtsstatus der Nichtregierungsorganisationen nach geltendem Völkerrecht, AVR 37 (1999), S. 152 ff.; vgl. auch V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 78 f., Rn. 20 f.; I. Seidl-Hohenveldern/G. Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, 2000, S. 4, Rn. 0103. 1162 J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, S. 55. 1163 Vgl. F. W. Stoecker, NGOs und die UNO, 2000, S. 90; vgl. dazu auch 5. Teil, C, S. 674 ff.

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b) Einfluß auf die internationale Meinungsbildung Viele weltrechtliche Problemkreise, die durch die zwischenstaatliche Zusammenarbeit allein nicht hinreichend bewältigt werden, liegen im Betätigungsfeld von nicht-staatlichen Organisationen, die sich globalen Fragen der Menschheit widmen, den Nichtregierungsorganisationen. Sie nehmen immer mehr Anteil an der Bildung der internationalen öffentlichen Meinung. Deshalb werden sie auch als „Keimzellen“ der globalen Zivilgesellschaft bezeichnet.1164 Ihre zunehmende Mitwirkung in den internationalen und globalen Beziehungen beweist, daß sich die intergouvernementalen Verhandlungsprozesse öffnen1165 und sich die Weltgesellschaft in Richtung Weltbürgergesellschaft als Zivilgesellschaft1166 oder Zivilgemeinschaft (5. Teil, B, S. 604 ff.) politisch aktiviert. Am meisten hat sie sich bisher in den Fragen der Menschenrechte und der Umwelt engagiert, etwa durch Informationen, Proteste, Aktionen oder durch Klagen oder deren Initiierung.1167 Wo Nichtregierungsorganisationen zu Beratungen zugelassen sind, können sie meist noch nicht ihre Standpunkte frei in den Diskurs einbringen. Die Befugnis, eigene Verhandlungsvorschläge zu unterbreiten und in Arbeitsgruppen auf gleicher Ebene mit den Staatenvertretern teilzunehmen, bleibt die Ausnahme – etwa in den Gremien des Washingtoner Artenschutzabkommens.1168 c) Erweiterung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit Angesichts der mit der Globalisierung einhergehenden „Entstaatlichung“ (1. Teil, B, S. 62 ff.) wird ausgehend von einer dezentralen Weltrechtsordnung 1164 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 337 (350); vgl. auch G. C. Rowe, Globale und globalisierende Umwelt, in: R. Voigt, Globalisierung des Rechts, 1999/2000, S. 249 (270 f.); A. FischerLescano, Globalverfassung: Verfassung der Weltgesellschaft, ARSP 2002, 357 f. 1165 J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, S. 51. 1166 U. Beyerlin/M. Reichard: The Johannesburg Summit: Outcome and Overall Assessment, ZaöRV 63 (2003), S. 213 (235). 1167 Dazu R. Falk, The World Order between Inter-State Law and the Law of Humanity: the Role of Civil Society Institutions, in: D. Archiburgi/D. Held (ed.), 1995, p. 163 ff.; J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, S. 53 ff. 1168 Siehe Z. B. Art. XI Abs. 7: „Any body or agency technically qualified in protection, conservation or management of wild fauna and flora, in the following categories, which has informed the Secretariat of its desire to be represented at meetings of the Conference by observers, shall be admitted unless at least one-third of the Parties present object: (a) international agencies or bodies, either governmental or non-governmental, and national governmental agencies and bodies; and (b) national non-governmental agencies or bodies which have been approved for this purpose by the State in which they are located. Once admitted, these observers shall have the right to participate but not to vote.“ S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, in: B. Zangl/ M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 119 (126 f.).

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der global governance (5. Teil, B) gefordert, die ausschließliche Staatsbezogenheit des Völkerrechts aufzugeben und insbesondere Nichtregierungsorganisationen als Subjekte in das internationale Rechtserzeugungs- und Durchsetzungssystem einzuordnen.1169 Innerhalb der Vereinten Nationen wird derzeit über vermehrte Mitwirkungsrechte von Nichtregierungsorganisationen debattiert.1170 d) Beteiligung an Rechtserkennung und Rechtsetzung Nichtregierungsorganisationen sind an verschiedenen Verfahren, die der Rechtserkennung und/oder Rechtsetzung dienen, beteiligt. Etwa auf den Grundlagen von Art. 71 UN-Charta und Art. V Abs. 2 WTOÜ wirken Nichtregierungsorganisationen als unverzichtbare Interessenvertreter am weltweiten Diskurs um die Erkenntnis des Rechts mit und können die Gesetzgebung inhaltlich vorbereiten.1171 Sie formulieren Menschheitsinteressen und ermöglichen damit deren Einbeziehung in einen gerechten Interessenausgleich auch auf Weltebene. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben besteht darin, in der Verzahnung nationaler, internationaler, globaler und lokaler Diskurse und Handlungsfelder zwischen staatlichen und privaten Akteuren sowie Betroffenen zu vermitteln und zu übersetzen.1172 Nichtregierungsorganisationen beeinflussen die völkervertragliche und völkergewohnheitsrechtliche Rechtserzeugung, etwa in den Bereichen Umweltschutz1173, Humanitäres Völkerrecht, Seerecht1174, indem sie bei der Initiierung und Entwicklung von Rechtsstandards (standard-setting) und im Prozeß der Rechtsetzung unter Einsatz ihres Expertenwissens beraten und Lobbyarbeit be-

1169 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 144 ff.; als Parteien völkerrechtlicher Verträge vgl. S. 157 ff.; J. Gupta, The Role of Non-State Actors in International Environmental Affairs, ZaöRV 63 (2003), S. 469 ff. 1170 Dazu S. Hobe, Der Rechtsstatus der Nichtregierungsorganisationen nach gegenwärtigem Völkerrecht, AVR 37 (1999), S. 152 (167 ff., 175 f.); für verstärkte Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft, Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, 2004, S. 42, Rn. 103. 1171 Dazu 5. Teil, C, S. 674 ff.; vgl. auch die ECOSOC Resolution 1996/31 v. 25.7.1996; K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen unter Mitwirkung privater Akteure?, in: S. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 223 (229 ff.). 1172 J. Neyers, Postnationale politische Herrschaft, S. 48. 1173 Dazu J. Gupta, The Role of Non-State Actors in International Environmental Affairs, ZaöRV 63 (2003), S. 459 (463 ff.). 1174 Dazu S. Hobe, Global Challenges to Statehood – The Increasingly Important Role of International Nongovernmental Organizations, Indiana Journal of Global Legal Studies, 5 (1997), S. 191 ff.; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 148 ff.; J. Delbrück, Erga omnes Norms in International Law, in: Liber amicorum G. Jaenicke, 1998, S. 26 ff., 31 f.; U. Beyerlin/M. Reichard, The Johannesburg Summit: Outcome and Overall Assessment, ZaöRV 63 (2003), S. 213 (226 ff.).

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

treiben.1175 So sind z. B. die Konventionen über den Handel mit bedrohten Arten1176 oder zum Bann von Landminen1177 wesentlich auf Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen zurückzuführen.1178 Globale Konferenzen, wie die zu Umwelt und Entwicklung in Rio 19921179 sowie zu nachhaltiger Entwicklung in Johannesburg 20021180, zu den Menschenrechten 1993 in Wien oder zu Frauenfragen 1997 in Beijing, zum Statut des Internationalen Strafgerichtshofs1181 standen unter dem Einfluß von Nichtregierungsorganisationen.1182 Künftig dürften nicht-staatliche Akteure ebenfalls bei der Erarbeitung einer Weltinformationsordnung, einer globalen lex informatica1183, Bedeutung erlangen. Gelegentlich können Nichtregierungsorganisationen aber auch mitbewirken, daß unter Weltrechtsgesichtspunkten unausgewogene Vertragswerke nicht zustandekommen, wie das von der OECD lancierte Multilateral Agreement on Investment.1184 Eine materielle Einwirkung von Nichtregierungsorganisationen auf die Rechtsetzung zeigt sich im Bereich technischer Normen1185, die von internationalen Nichtregierungsorganisationen ausgearbeitet und von den Staaten über1175

J. Neyers, Postnationale politische Herrschaft, S. 49. Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Flora and Fauna, 3 of March 1973, ILM 12 (1973), 1055). 1177 Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on Their Destruction v. 18.9.1997, UN Doc CD/1478. 1178 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 261; J. Gupta, The Role of Non-State Actors in International Environmental Affairs, ZaöRV 63 (2003), S. 463. 1179 In 10 ihrer 42 Kapitel nennt die Agenda 21 zur Weltkonferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro vom 3.–14. 6. 1992 Text in A/Conf.151/26, vol. IIII, NGOs als gestärkte und wichtige Akteure. 1180 Dazu U. Beyerlin/M. Reichard, The Johannesburg Summit, ZaöRV 63 (2003), S. 214 ff. 1181 Vom 17.7.1998, UN A/CONF. 183/9. 1182 Dazu R. Wedgwood, Legal Personality and the Role of Non-Governmental Organizations and Non-State Political Entities in the United Nations System, in: R. Hofmann, Non State Actors as New Subjects of International Law, 1998, S. 20 ff.; D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations and Transnational Enterprises in International Law and the Changing Role of the State, in: R. Hofmann (Hrsg.), Non State Actors as New Subjects of International Law, S. 37 (45 f.). 1183 Dazu A. Mefford, Lex informatica: Foundations of Law on the Internet, Indiana Journal of Gobal Legal Studies, 5 (1997), p. 211 ff.; G.-P. Calliess, Globale Kommunikation – staatenloses Recht, ARSP Beiheft 79 (2001), 70 ff.; Ch. Brömmelmeyer, Internet Governance, in: M. Anderheiden/S. Huster/S. Kirste (Hrsg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit, ARSP Beiheft 79 (2001), S. 81 (84 ff.). 1184 Dazu eingehend U. Wartha, Das Multilaterale Abkommen über Investitionen, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), 2002, S. 359 ff.; J. Gupta, The Role of Non-State Actors in International Environmental Affairs, ZaöRV 63 (2003), S. 469. 1185 Th. W. P. Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, 1999, S. 231 ff.; zum Begriff technischer Normen S. 105 ff.; zur Rechtsnatur S. 299 ff.; zum Verhältnis zum Staat S. 265 ff., 270 ff. 1176

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nommen werden.1186 So sieht das WTO Agreement on Technical Barriers to Trade in Art. 2.4 vor, daß WTO-Mitgliedstaaten grundsätzlich die vorhandenen einschlägigen internationalen Normen1187 als Grundlage verwenden, wenn sie technische Vorschriften erlassen. Weitergehend bestimmt Art. 3.2 WTO Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures, daß gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen, die internationalen Normen, Richtlinien oder Empfehlungen entsprechen1188, als zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen erforderlich und damit mit den Handelsfreiheiten des GATT 1994 vereinbar gelten. Nichtregierungsorganisationen setzen also soft law. e) Kontrolle und Rechtsdurchsetzung Weil Nichtregierungsorganisationen ihrem Begriff nach nicht Träger staatlicher Gewalt sind, können sie keine öffentlichrechtlich bindenden Zwangsmaßnahmen ergreifen. Das bedeutet jedoch nicht, daß sie nicht über (private) Gewalt verfügen. Aufsehen erregend in der Weltöffentlichkeit und deshalb wirkungsvoll war der Aufruf von Greenpeace International zum Kaufboykott gegen den Ölkonzern Shell, wodurch die umweltgefährdende Versenkung der Ölplattform Brent Spar verhindert worden ist.1189 Meist bedienen sich Nichtregierungsorganisationen im Vertrauen auf die Verbreitungsfunktion der Medien der Mittel der Promotion und der Publizität.1190 Neben dem damit zu bewirkenden Druck der Weltöffentlichkeit auf die Politik können sie an Rechtsdurchsetzungsformen beteiligt werden, die nicht konfrontativ, sondern kooperativ sind oder sich der Gewährung von Anreizen bedienen.1191 Im Sinne eines monitoring, das den Parteien ermöglicht, Konsens über die notwendigen Schutzstandards und Maßnahmen zu erlangen, überwachen sie die Einhaltung von Verträgen.1192 Sie nehmen bekannte Menschenrechtsverletzungen zum Anlaß, den mit der Menschenrechtsproblematik befaßten UN-Organen, namentlich dem Wirtschafts- und Sozialrat, der Menschenrechtskommis1186

U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 172 ff.; zur Rezeption S. 313 ff. Diese werden von Standardisierungsorganisationen, wie der International Organization for Standardization (ISO) und der International Electronical Commission (IEC) ausgearbeitet. 1188 Der Anhang verweist auf die Standards der Kommission des Codex Alimentarius der Food and Agricultural Organization (FAO) und der World Health Organization (WHO). 1189 Dazu http://archive.greenpeace.org/~comms/brent/brent.html . 1190 J. Neyers, Postnationale politische Herrschaft, S. 48 f. 1191 Dazu J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“, in: Gs J. Sonnenschein, 2003, S. 793 (806 f.). 1192 Dazu J. Gupta, The Role of Non-State Actors in International Environmental Affairs, ZaöRV 63 (2003), S. 466 ff. 1187

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

sion (jetzt dem Menschenrechtsrat), der Unterkommission für die Verhütung von Diskriminierung und den Schutz von Minderheiten, die von ihnen ermittelten Tatsachen zu unterbreiten und auf deren Behandlung einzuwirken.1193 Inzwischen hat der ECOSOC über 1500 Nichtregierungsorganisationen konsultativen Status und Rederecht anläßlich der jährlichen Sitzungen der UN-Menschenrechtskommission eingeräumt.1194 Daneben überwachen die Nichtregierungsorganisationen Selbstregulierungsmechanismen. So werden freiwillige Standards über die International Standards Organisation oder in Form von Labelling- oder Zertifizierungssystemen entwikkelt und durchgesetzt.1195 In diesen erklären sich Unternehmen für die Einhaltung bestimmter Menschenrechts- oder Umweltstandards verantwortlich. Der „Plan of Implemention“ des Gipfels von Johannesburg1196 sieht privat-öffentliche „partnerships for sustainable development“ (ohne strikt rechtliche Bindungswirkung) zwischen Regierungen, Regionen, Lokalbehörden, internationalen Institutionen, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen vor, welche zur Durchführung und Bekräftigung der Ergebnisse der internationalen Verhandlungen des Weltgipfels über nachhaltige Entwicklung beitragen sollen.1197 Soweit sie in den Staaten selbst klagebefugt sind, können Nichtregierungsorganisationen vor nationalen Gerichten Menschheitsinteressen, z. B. im Umweltbereich einklagen.1198 In begrenztem Umfang verfügen Nichtregierungsorganisationen über Klage- und Beschwerderechte vor internationalen Instanzen.1199 Damit übernehmen sie eine wachsende Rolle in der Durchsetzung von Menschheitsanliegen.1200 Sie können wie Individuen von dem Verfahren nach Resolu1193 K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 689, Rn. 48; J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, S. 205. 1194 J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, S. 205. 1195 J. Gupta, The Role of Non-State Actors in International Environmental Affairs, ZaöRV 63 (2003), S. 470; Ch. Scherrer/Th. Greven, Soziale Konditionalisierung des Welthandels, S. 20 ff. 1196 Report of the World Summit on Sustainable Development, Johannesburg, South Africa, 26 August–4 September 2002, UN Doc. A/CONF.199/20. at 6. 1197 Plan of Implemention, paras. 7, 20, 26, 56, 96; Guiding Principles for Partnerships for Sustainable Development as of 3 February 2003, supra note 79, at 1; dazu U. Beyerlin/R. Martin: The Johannesburg Summit, ZaöRV 63 (2003), S. 228 ff. 1198 Zu Klagen gegen Atomtests M. Bothe, Durchsetzung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts – ein Paradigmenwechsel?, in: Th. Marauhn (Hrsg.), Die Rechtstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S. 115 ff.; vgl. auch zur strittigen altruistischen Verbandsklage in Deutschland vgl. z. B. § 113 UWG; BVerwGE 61, 334 (340 ff.); F. O. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO, vor § 40, Rn. 26; zu Fällen in den USA J. Gupta, The Role of Non-State Actors in International Environmental Affairs, ZaöRV 63 (2003), S. 468. 1199 Vgl. auch J. Gupta, The Role of Non-State Actors in International Environmental Affairs, ZaöRV 63 (2003), S. 468. 1200 Dazu S. Hobe, Global Challenges to Statehood: The Increasing Importance of Non-Governmental Organizations, 5 Indiana Journal of Global Legal Studies, 1998,

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tion 15031201 Gebrauch machen und eine „24-hour-hot-line“ zum Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte1202 nützen, um über Menschenrechtsverletzungen zu berichten. Art. 34 Europäische Menschenrechtskonvention ermächtigt Nichtregierungsorganisationen, gleichberechtigt mit den Vertragsstaaten und den geschützten Individuen, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Rechtssache vorzulegen. Allerdings müssen die NGOs im Falle des Art. 34 EMRK selbst Opfer einer Menschenrechtsverletzung sein. Eine actio popularis ist nach der EMRK ausgeschlossen.1203 Im Gegensatz dazu sieht Art. 44 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention durchaus auch eine Petitionsmöglichkeit für Dritte an die Menschenrechtskommission im Sinne einer Popularbeschwerde vor.1204 Art. 1 (b) des Zweiten Zusatzprotokolls zur Sozialcharta1205 regelt explizit ein Beschwerderecht für kompetente Nichtregierungsorganisationen. Art. 24 der Satzung der Internationalen Arbeitsorganisation gibt Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen das Recht, Verletzungen der ILO-Konvention durch bestimmte Vertragsparteien in dem dafür vorgesehenen Verfahren geltend zu machen.1206 Umweltrechtsstandards dürfen Nichtregierungsorganisationen vor dem „Inspection panel“ der Weltbank einfordern.1207 Vor der Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten des Internationalen Seegerichtshofs können nicht nur Streitigkeiten zwischen Staaten, sondern auch zwischen Behörden und natürlichen und juristischen Personen verhandelt werden.1208 Teilweise fungieren Nichtregierungsorganisationen auch als amicus curiae.1209 Gemäß Art. 66 Abs. 2 IGH-Statut setzt der Kanzler „jede internationale Organisation“, die nach Ansicht des Gerichtshofes oder seines Präsidenten

191(207); ders., Der Rechtsstatus der Nichtregierungsorganisationen nach gegenwärtigem Völkerrecht, AVR 37 (1999), S. 152. 1201 Dazu 6. Teil, F, S. 926 ff. 1202 United Nations Backround Note, 24-Hour „Hot-Line“ for Reporting Human Rights Violations am 5.10.1998, www.un.org/rights/dpi1550e.htm. 1203 J. A. Frowein/W. Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRKKommentar, 1996, S. 531 ff. 1204 D. Shelton, The Participation of Nongovernmental Organizations in International Judicial Proceedings, AJIL 88 (1994), p. 611 (615); M. Hempel, Die Völkerrechtssubjektivität internationaler nichtstaatlicher Organisationen, 1999, S. 109. 1205 Europäische Sozialcharta vom 18.10.1961, ETS No. 035, BGBl. 1964 II, S. 1262; Zweites Zusatzprotokoll vom 9.11.1995 ETS No. 158 für Deutschland noch nicht in Kraft getreten. 1206 Dazu 6. Teil, C, S. 788 ff. 1207 S. Schlemmer-Schulte, The World Bank’s Experience With Its Inspection Panel, ZaöRV, 58 (1998), S. 353 ff. 1208 Art. 187 lit. c Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10.12.1982, ILM 21 (1982), 1261. 1209 Z. B. International Commission of Jurists, Argentina: Amicus curiae brief on the incompatibility with international law of the full stop and due obedience laws, 2001.

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über die behandelte Frage Auskunft geben könnte, davon in Kenntnis, daß der Gerichtshof bereit wäre, „schriftliche Darstellungen entgegenzunehmen oder (. . .) mündliche Darstellungen zu hören“. Der Begriff der Internationalen Organisation des Art. 66 soll nicht-staatliche internationale Organisationen einschließen.1210 Ein Recht zur Stellungnahme ergibt sich aus Art. 66 Abs. 2 IGH-Statut nicht, weil dem Gerichtshof insoweit ein weites Ermessen zusteht. Ist die Nichtregierungsorganisation jedoch zugelassen, hat sie nach Art. 66 Abs. 4 auch den Anspruch, zu Darstellungen anderer Staaten oder Organisationen Stellung zu nehmen. Nach Art. 13 DSU kann das Panel Informationen auch von Einzelpersonen und „jedem Gremium“, beispielsweise Nichtregierungsorganisationen, einholen.1211 Die Zulassung von Schriftsätzen, die von Nichtregierungsorganisationen übermittelt werden (amicus briefs1212) durch den Appellate Body hat der General Council allerdings verhindert.1213 f) „Rechtsprechung“ als Publizitätsfunktion Selbsternannte „Gerichte“ der Zivilgesellschaft sind etwa das von dem Philosophen und Mathematiker Bertrand Russell 1966 gegründete „Russell Tribunal“ sowie das, „Permanent Peoples’ Tribunal of the Basso Foundation“1214 in Rom, das „International Peoples Tribunal on Human Rights and the Environment“1215. In seinen Sitzungen 1966 und 1967 verurteilte das erste Russel Tribunal Kriegsverbrechen der Vereinigten Staaten im Vietnamkrieg. Das zweite Russel Tribunal war über die Militärdiktaturen Lateinamerikas zu Gericht gesessen. Mit den Berufsverboten in Deutschland setzte sich das dritte Russell Tribunal auseinander.1216 Das vierte Russell Tribunal beschäftigte sich mit den Rechten der Indianer in Amerika.1217 2001 tagte ein Russell Tribunal zur Frage der 1210 D. Shelton, The Participation of Nongovernmental Organizations in International Judicial Proceedings, AJIL 88 (1994), p. 620 ff.; M. Hempel, Die Völkerrechtssubjektivität internationaler nichtstaatlicher Organisationen, S. 115. 1211 „United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products“, AB-1998-4, WT/DS58/AB/R v. 12.10.1998, S. 34 ff. (Shrimp/Turtle). 1212 Vgl. dazu M. Hempel, Die Völkerrechtssubjektivität internationaler nichtstaatlicher Organisationen, S. 191. 1213 Siehe Aufforderung des Appelate Body WT/DS135/9; hiergegen General Council WT/GC 23.1.2001; Abweisung der amicus briefs als unzulässig Appelate Body WT/DS135/AB/R. 1214 www.grisnet.it/filb/tribu%20eng.html (zuletzt geprüft 20.7.2005). 1215 www.ngos.net/ngos/ipt/(zuletzt geprüft 20.7.2005). 1216 Dazu Internationales Russell-Tribunal, Zur Situation der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1978/1979. 1217 www.collections.ic.gc.ca/Indian/a81jan07.htm; www.iisg.nl/archives/gias/f/1086 2618.html (zuletzt geprüft 20.7.2005).

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Menschenrechte in der Psychiatrie.1218 Auch das auf den italienischen Parlamentarier Lelio Basso zurückgehende, Mitte der 70er Jahre gegründete „Permanent Peoples Tribunal“ war als Gegeninstitution gedacht, unrechtmäßiges Handeln von Staaten und Mängel von Internationalen Organisationen aufzudekken und der Zivilgemeinschaft eine eigene Stimme zu verleihen.1219 1988 untersuchte das „Permanent Peoples’ Tribunal“ Anklagen, ob Strukturausgleichprogramme des Internationalen Währungsfonds in die Rechte der Völker der dritten Welt eingreifen. Das „International Peoples’ Tribunal to Judge G 7“, das in Tokio kurz vor dem G7 Gipfel 1993 stattfand, erhob Anschuldigungen gegen die Wirkungsweise der Marktkräfte, einschließlich der Praxis, von diktatorischen Machthabern veruntreute und auf überseeische geheime Konten transferierte Gelder zu schützen sowie Banken und Unternehmen die Möglichkeit zu geben, in Steueroasen wie die Cayman-Inseln und die Bahamas abzuwandern.1220 2004 wurde ein „Welttribunal über den Irakkrieg“ von Friedensorganisationen organisiert.1221 Diese „Tribunale“ sind keine Gerichte i. e. S.; denn sie haben keine Autorität und Befugnis, verbindlich Recht festzustellen. Sie machen lediglich von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch und dienen der Publizität sowie der Meinungsbildung. g) Ergebnis Nichtregierungsorganisationen sind in den Staaten gegründete Organisationen mit teilweise völkerrechtlich geregelten Konsultativrechten und partieller Völkerrechtssubjektivität. Sie können als globale Rechtssubjekte bezeichnet werden, die sich von der Mediatisierung durch die Staaten teilweise verselbständigt haben. Zwischen den Staaten, Internationalen Organisationen und der nichtinstitutionalisierten Weltöffentlichkeit wirken sie als Mittler oder Verstärker und erfüllen eine wichtige Publizitätsfunktion. Aufgrund ihrer Meinungs- und Vereinigungsfreiheit und besonderer gesetzlich und völkerrechtlich eingeräumter Deliberationsrechte nehmen sie mit zunehmender Tendenz formell und informell an der Meinungs- und Willensbildung in der global governance und im Rechtsetzungsprozeß aktiv teil. Zur Stärkung ihrer Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten verfügen sie teilweise über Klage- und Beschwerderechte in eigenen und altruistischen Angelegenheiten.

1218 1219 1220 1221

www.namiscc.org/newsletters/July01/russell.htm(zuletzt geprüft 20.7.2005). R. Falk, Die Rolle der zivilgesellschaftlichen Institutionen, S. 172. R. Falk, Die Rolle der zivilgesellschaftlichen Institutionen, S. 184. www.worldtribunal.org (zuletzt geprüft 22.8.2005).

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

2. Transnationale Unternehmen: Vom Subjekt der Globalisierung zum Subjekt globalen Rechts a) Rechtlicher und faktischer Status Transnationale oder auch multinationale Unternehmen sind Unternehmen, die über zentral geleitete Tochtergesellschaften, Niederlassungen, Produktionsstätten in mehreren Staaten verfügen, einen großen Teil ihrer Umsätze im Ausland tätigen und ihre strategische Unternehmensplanung weltweit ausrichten.1222 Sie sind die Hauptakteure der wirtschaftlichen Globalisierung. Ihre Wirtschaftskraft übersteigt die vieler Staaten, weshalb ihre Auslandsinvestitionen ihnen auch innenpolitischen Einfluß in den jeweiligen Staaten verschaffen.1223 Juristisch gesehen ist die sogenannte multinationale Unternehmung nicht „multinational“, in der Regel auch nicht „international“1224, sondern national insoweit, als sie je nach Sachfrage einer oder mehreren zuständigen Staatsordnungen unterliegt.1225 Global tätige Unternehmen sind typischerweise juristische Personen, die nach dem nationalen Gesellschaftsrecht des Gründungs- oder Sitzstaates gebildet sind.1226 Völkerrechtssubjekte sind sie nach traditioneller Auffassung nicht.1227 Als juristische Personen sind Unternehmen auch nicht wie Menschen geborene Subjekte des Weltrechts, sondern ihre Rechtssubjektivität hängt von ihrer Anerkennung in den Staaten ab. Zum transnationalen Unternehmen werden sie durch grenzüberschreitende Kapitaltransaktionen, welche die auch Drittstaaten begünstigende Kapitalverkehrsfreiheit in Art. 56 EGV nicht nur zwischenstaatlich, sondern sogar als unmittelbar anwendbares, vorrangiges (einklagbares) subjektives (und damit durchsetzbares) Recht schützt.1228 Dementsprechend erkennt ih-

1222 B. Großfeld, Multinationale Unternehmen und nationale Souveränität, JuS 1978, 73; vgl. auch V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 90, Rn. 14; W. Fickentscher, Wirtschaftsrecht, S. 146 f. 1223 A. G. Scherer, Multinationale Unternehmen, 2003, S. 1; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 90, Rn. 14; K. Nowrot, Nun sag, wie hast du’s mit den Global Players?, Die Friedenswarte, (79) 2004, 1, S. 119 ff. 1224 Von den transnationalen Unternehmen werden die sogenannten internationalen Unternehmen unterschieden. An diesen Organisationseinheiten können mehrere Staaten, Untergliederungen von Staaten und/oder von staatsbeherrschten Unternehmen beteiligt sein. Wird das sogenannte internationale Unternehmen durch völkerrechtlichen Vertrag begründet, wird es als Internationale Organisation mit partieller Völkerrechtssubjektivität qualifiziert. Dazu V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 90 f., Rn. 14. 1225 J. I. Mahari, Codes of Conduct für multinationale Unternehmen, 1985, S. 405. 1226 W. Fickentscher, Wirtschaftsrecht, S. 149; D. Thürer, The Emergence of NonGovernmental Organizations, in: R. Hofmann (Hrsg.), Non State Actors as New Subjects of International Law, 1999, S. 45 (47); G. Kegel, Internationales Privatrecht, 1995, S. 413 ff. 1227 D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL (2004), S. 931 (944).

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nen eine im Vordringen befindliche Ansicht partielle Völkerrechtssubjektivität zu.1229 Diese wird dem völkervertraglichen Schutz von Direktinvestitionen1230, der Kapitalverkehrsfreiheit sowie einzelnen Rechten des völkerrechtlichen Menschenrechtsregimes (z. B. Verfahrensgarantien, Eigentumsgarantie)1231 entnommen.1232 Damit profitieren die transnationalen Unternehmen anders als die Einzelmenschen faktisch und de lege lata von einem über das Weltbürgerrecht hinausgehendem Gastrecht, was ihnen eine Rolle als global player verschafft. Insoweit sind sie nicht mehr nur eine res publica einzelner Völker1233, sondern der Völker- und Weltgemeinschaft. Ihr privilegierter Status in der globalisierten Welt knüpft jedoch nicht an der individuellen Rechtssubjektivität des Menschen an, sondern an der Verrechtlichung von Kapital und am Faktum effektiver wirtschaftlicher und politischer Machtausübung. b) „Internationalisierte Verträge“ Häufig handeln transnationale Unternehmen Verträge mit Staaten in der Form eines Konzessions- oder anderen Vertrages aus. Ein Beispiel wäre ein Ölkonzessionsvertrag eines Staates mit einer ausländischen Mineralölgesellschaft über die Erforschung und Ausbeutung der Mineralölquellen auf seinem Territorium oder Festlandsockel.1234 Daß Staaten Verträge mit transnationalen Unternehmen schließen dürfen, ist in Praxis und Lehre anerkannt.1235 Einigkeit besteht dar1228 EuGH, Rs C-358/93 und C-416/93 Bordessa u. a., Slg. 1995, I-361, Rn. 33; Schlußanträge GA L. A. Geelhoed v. 20. 11. 2001, verb. Rs C-515/99 und C-527/99 bis C-540/99 Hans Reisch u. a., Rn. 49; M. Sedlaczek, zu Art. 56 EGV, in: Streinz, EUV/EGV Kommentar, Rn. 27; kritisch dazu K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in: ders. (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 253 ff. 1229 K. Nowrot, Nun sag, wie hast du’s mit den Global Players?, Die Friedenswarte, (79) 2004, S. 122 ff. 1230 Vgl. etwa das Recht von Unternehmen nach Art. 26 Energiechartavertrag (BGBL. 1997 II, S. 5 ff.) auf Durchführung eines Streitbeilegungsverfahrens; dazu R. Happ, Schiedsverfahren zwischen Staaten und Investoren nach Artikel 26 Energiechartavertrag, 2000, S. 129 ff. 1231 K. Schmalenbach, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, AVR 39 (2001), S. 57 (63 f.); K. Nowrot, Nun sag, wie hast du’s mit den Global Players?, Die Friedenswarte, (79) 2004, S. 125 f.; für juristische Personen fragwürdig, vgl. auch K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 263 ff. 1232 K. Nowrot, Nun sag, wie hast du’s mit den Global Players?, Die Friedenswarte, (79) 2004, S. 125 ff. 1233 So aber K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 319 ff. 1234 W. Heintschel v. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 99, Rn. 8; vgl. dazu auch Ch. Schreuer, Paradigmenwechsel im Internationalen Investitionsrecht, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 237 ff. 1235 K.-H. Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, 1971; Hans-Werner Rengeling, Privatvölkerrechtliche Verträge, 1971.

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über, daß solche Verträge in eine nationale Rechtsordnung eingeordnet werden können.1236 Weil der Investor zumeist nicht ausschließlich vom örtlichen Recht abhängig sein will, vereinbaren die Parteien oft die Anwendung einer neutralen Rechtsordnung oder der lex mercatoria.1237 Oft nähern sich diese Verträge völkerrechtlichen Verträgen an.1238 So kann der ausländischen Person durch den Vertrag die Rechtsmacht eingeräumt werden, Rechte aus dem Vertrag, vor einer internationalen Instanz, insbesondere einem internationalen Schiedsgericht (gemischte Schiedsverfahren)1239, geltend zu machen.1240 Solche Vereinbarungen werden als „internationalisierte Verträge“ bezeichnet.1241 Auf internationalisierte Verträge findet ein „international law of contracts“ Anwendung, das teilweise Völkerrecht, jedenfalls die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. c des IGH-Statuts, zum Inhalt hat.1242 Über die subjektive Berechtigung Privater durch völkerrechtliche Verträge hinaus kann sich die ausländische Privatperson gegenüber dem Staat nicht nur auf Rechte aus dem Vertrag selbst berufen, sondern auf die Gesamtheit dieses „law of contracts“.1243 Internationalisierte Verträge werden als „teilweise völkerrechtlich“ oder zumindest „quasi-völkerrechtlich“1244 oder auch als einer „dritten“ Rechtsordnung1245 unterliegend, eingestuft. Weil ein völkerrechtlicher Vertrag von Völkerrechtssubjekten geschlossen wird, würde die Einordnung als völkerrechtlicher Vertrag voraussetzen, daß der privaten Partei aktive Völkerrechtssubjektivität zugestanden werden müßte. In einzelnen Fällen ist multinationalen 1236 K.-H. Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, S. 105 f.; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 141; Ch. Schreuer, Paradigmenwechsel im Internationalen Investitionsrecht, S. 246. 1237 Dazu W. Heintschel v. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 99, Rn. 8; Ch. Schreuer, Paradigmenwechsel im Internationalen Investitionsrecht, S. 246; s. a. 3. Teil, B, S. 324 ff. 1238 P. Fischer, Gestaltwandel im Internationalen Wirtschaftsrecht, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 209 (214). 1239 Siehe insbes. Convention on the Settlement of Investment Disputes between State and Nationals of other States, ILM 4 (1965), S. 532 ff. 1240 Ch. Schreuer, Paradigmenwechsel im Internationalen Investitionsrecht, S. 246, 249 ff. 1241 Dazu K.-H. Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, S. 105 f.; H.-W. Rengeling, Privatvölkerrechtliche Verträge, insbes. S. 73 ff.; W. Heintschel v. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 99, Rn. 9; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 4 ff., § 4. 1242 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 5. 1243 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 5. 1244 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 5. 1245 Dazu ablehnend W. Heintschel v. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 100, Rn. 11; StIGH, Serbischer Anleihefall, PCIJ Serie A, No. 20, 41.

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Unternehmen von Schiedsgerichten ad hoc eine völkerrechtliche Stellung zuerkannt worden.1246 Ähnlich wie für Internationale Organisationen könnte die Völkerrechtssubjektivität aus der Beteiligung eines Staates an einem Vertrag inter pares abgeleitet werden, der eine konkludente Anerkennung des Vertragspartners als Völkerrechtssubjekt beinhaltet (international agreement doctrine).1247 Der private Vertragspartner wäre dem Staat zumindest partiell als Völkerrechtssubjekt gleichgestellt, weil er sich über den Vertrag unmittelbar auf Völkerrecht und den Grundsatz pacta sunt servanda berufen kann. Damit würde die staatliche Vertragspartei gehindert, sich den Verpflichtungen der Vereinbarung durch eine Änderung ihrer Rechtsordnung zu entziehen.1248 Dieser Ansatz stellt fraglos einen Paradigmenwechsel dar, überzeugt aber nicht. Die Völkerrechtssubjektivität transnationaler Unternehmen kann sich nicht aus einem internationalisierten Vertrag mit dem Unternehmen ableiten, weil dieser die Rechtssubjektivität nicht zu schaffen vermag, sondern voraussetzt. Ein einzelner Staat kann nicht einseitig Völkerrechtssubjektivität verleihen.1249 Vielmehr müßte im Völkerrecht gewohnheitsrechtlich oder vertraglich anerkannt sein, daß transnationale Unternehmen ganz oder partiell für solche Verträge Völkerrechtssubjektivität besitzen sollen, was noch nicht fraglos ist.1250 Das Völkerrecht unterwirft jedenfalls auch multinationale Konzerne der Gebietshoheit des Vertragsstaates. Durch schlichten Vertrag mit einer juristischen Person des Privatrechts eines anderen Staates darf ein Staat (Volk) seine Staatsgewalt nicht einschränken.1251 Umgekehrt kann eine juristische Person des Privatrechts, zumal eine große Aktiengesellschaft, sich der Einflußnahme des Kontroll- oder Sitzstaates nicht in der Weise entziehen, daß es Völkerrechtssubjektivität erlangt.1252 Eine Lösung für internationalisierte Verträge wird darin gesehen, daß die Parteien des internationalisierten Vertrages kraft ihrer Parteiautonomie sich dem Völkerrecht unterstellen dürfen, wenn das Recht des Heimatstaates des Unternehmens dies gestattet oder zumindest nicht ausschließt.1253 Es 1246

Darauf verweist J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, S. 799. K.-H. Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, S. 184, 344; U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 142; kritisch V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 91, Rn. 15. 1248 W. Heintschel v. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 99, Rn. 9. 1249 W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 505, Rn. 187. 1250 Vgl. V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 91, Rn. 15; K. Nowrot, Nun sag, wie hast du’s mit den Global Players?, Die Friedenswarte (79) 2004, S. 123 ff. 1251 W. Heintschel v. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 100, Rn. 11. 1252 Vgl. W. Heintschel v. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 102, Rn. 11; bejahend aber S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, in: dies. (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 507 (510). 1247

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

handelt sich dann nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag i. e. S. Der internationalisierte Vertrag unterliegt grundsätzlich dem nationalen Recht des Gaststaates, welches sich für das Völkerrecht öffnet. Insoweit ist es nicht erforderlich, eine abgeleitete Völkerrechtssubjektivität der privaten Vertragspartei zu konstruieren. Möglich ist es aber, solche Verträge dem „transnationalen Recht“ oder Weltbürgerrecht (dazu 4. Teil, B) zuzuordnen und sie als unmittelbare transnationale oder weltbürgerliche Rechtsetzung anzusehen. Die Verbindlichkeit von Verträgen folgt aus der Privatautonomie1254 und letztlich aus dem Rechtsprinzip.1255 Ein solcher Vertrag steht allerdings unter dem Vorbehalt allgemeiner, öffentlicher Rechtsetzung.1256 c) Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen Viele transnationale Unternehmen werden beschuldigt, Menschenrechte zu verletzten, indem sie unfaire Löhne zahlen, übermäßige Arbeitszeiten verlangen oder gefährliche Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Ölkonzernen ist vorgeworfen worden, erhebliche Umweltschäden verursacht und damit das Leben, die Gesundheit und die Lebensgrundlagen von Bevölkerungsgruppen zerstört oder wesentlich beeinträchtigt zu haben.1257 Fraglich ist, ob und inwieweit transnationale Unternehmen als globale Rechtssubjekte eine rechtliche Verantwortung für die Menschenrechte tragen. aa) Verantwortung und Durchsetzung durch die Staaten In erster Linie verantwortlich für die Verwirklichung der Menschenrechte sind ihrem Daseinszweck nach die Staaten.1258 Sie sollten die Verpflichtungen der Unternehmen gesetzlich regeln und kontrollieren. Entwicklungsländer verfügen, soweit sie überhaupt die einschlägigen Menschenrechts- und ILO-Abkom1253 Dazu W. Heintschel v. W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 100 f., Rn. 12. 1254 C. W. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 411 ff.; a. A. K. Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 1980, S. 36 f., der die rechtliche Geltung sowohl auf die Privatautonomie als auch auf die Anerkennung durch die Rechtsordnung stützt. 1255 Dazu 3. Teil, B, S. 326 ff. 1256 3. Teil, B, S. 336 ff. 1257 D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 931 (933 f.). 1258 Vgl. J. Locke, Über die Regierung II, 7. Kap., insbes. § 87; K. Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 571, 788 ff.; P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. II, 2004, § 22, S. 317 ff.

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men ratifiziert haben, meist nicht über eine institutionelle Struktur, welche die Menschenrechte sichert. Viele globalisierende Unternehmen haben sich durch ihre Standortentscheidung der in ihren Ursprungsstaaten angeordneten gesetzlichen Menschenrechtsverantwortung entzogen, indem sie nicht mehr selbst (unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen) produzieren, sondern von den oft menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern profitieren und von Zulieferfirmen in Entwicklungsländern produzieren lassen, deren Standards sie nicht wirklich effektiv überprüfen können und wollen.1259 Die Globalisierung verschärft die internationalen Wettbewerbsverhältnisse dergestalt, daß transnational agierende Unternehmen mit Abwanderung drohen können, wenn ihnen in einem Staat die Erfüllung internationaler Standards abverlangt wird.1260 Unbestritten können transnationale Unternehmen durch ihre Investitionen zur wirtschaftlichen Produktivität eines Landes beitragen. Auf der anderen Seite nötigen sie aber unter Umständen durch ihre Macht und mit der Drohung der Standortverlagerung an „billigere“ Produktionsstätten, die wirtschaftlich und politisch unterlegenen Entwicklungsländer ihren niedrigen Menschenrechtsstandard aufrechtzuerhalten. Solche Unternehmenspolitik behindert die Entstehung rechtsstaatlicher Strukturen in den Entwicklungs- und Schwellenländern gegebenenfalls mehr, als die Industrialisierung sie fördert, und trägt nicht zu einer zügigen Um- und Durchsetzung der Menschenrechtsstandards in den Entwicklungs- und Schwellenländern bei.1261 So hat z. B. Coca Cola in Guatemala die paramilitärische Unterdrückung der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit unterstützt.1262 Es ist zwar nicht regelmäßig die Absicht der Unternehmen, Menschenrechte zu verletzen, aber sie nehmen dies zumindest in ihrer Einflußsphäre zur Optimierung ihrer Gewinne häufig billigend in kauf. Exterritoriale Wirkungen nationaler Rechtsordnungen zur Verwirklichung erga omnes verpflichtender Menschenrechte im Sinne offener Staatlichkeit sind zwar nicht generell aus Gründen des Nichteinmischungsprinzips ausgeschlossen, werden von den Staaten aber nur sehr begrenzt ausgeübt.1263 Das weitest reichende Beispiel ist der U. S. Alien Tort Claims Act, der amerikanischen Gerich1259 Vgl. dazu etwa DER SPIEGEL, Weltmacht Nike, Nr. 27/30.6.03, S. 76 ff.; zahlreiche Informationen, Artikel und Fälle unter http://www.business-humanrights. org (10.10.2006). 1260 M. Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 57. 1261 Vgl. A. G. Scherer, Die Multinationale Unternehmung als Mittler zwischen privater Freiheit und öffentlichem Interesse, 2002, S. 331 ff. 1262 D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 931 (933 f.). 1263 D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 939 ff.; S. Seibert-Fohr/R. Wolfrum, Die einzelstaatliche Durchsetzung völkerrechtlicher Mindeststandards gegenüber transnationalen Unternehmen, AVR 43 (2005), S. 153 ff., zu deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüchen in Großbritannien und Australien: S. 178 ff.

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ten erlaubt, Zivilklagen ausländischer Bürger zu entscheiden, die sich auf Völkerrechtsverletzungen staatlicher oder staatlich unterstützter anderer Akteure berufen.1264 bb) Zur Menschenrechtsverantwortung transnationaler Unternehmen Effektive Wirkung können Menschenrechte nicht erlangen, solange der Vorrang der Menschenrechte gegenüber nationalen Regelungen (z. B. Verbot von Koalitionen)1265 nicht anerkannt wird und solange Unternehmen davon ausgehen, die Menschenrechte würden für sie keine rechtlichen Pflichten entfalten. Nach einer verbreiteten Meinung sind die transnationalen Unternehmen nicht unmittelbar an Menschenrechtsstandards gebunden.1266 Der einzelne Arbeitnehmer könne sich ihnen gegenüber nicht darauf berufen, weil sich die Menschenrechtsverträge nur an die Staaten richten und Menschenrechte ihrem Zweck nach nur Abwehrrechte gegen die Staaten seien und deshalb keine entsprechenden Rechte oder gar Schutzpflichten der Unternehmen begründen könnten. Selbst die freiwillige Einbindung der Unternehmen in Belange der Menschenrechte und des Umweltschutzes ist seitens der International Chamber of Commerce kritisiert worden: Die Verbesserung der Menschenrechtslage sei nicht Aufgabe der Unternehmen, sondern ausschließlich der Staaten.1267 Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß Menschenrechte ihrem Zweck nach vor jedweder politischer (auch unternehmenspolitischer) Willkür schützen sollen.1268 Sie sind, wie bereits in Teil 4, A erörtert, wesensgemäß nicht nur „Staatenverpflichtungen“ und entfalten in ihrem Menschenwürdekern Drittwirkung. Transnationale Unternehmen sind zumindest faktisch „global“. Aus verschiedenen Gründen ordnen sie sich in die staatlichen Rechtsordnungen nicht ein. 1264 Dazu M. Rau, Schadensersatzklagen wegen exterritorial begangener Menschenrechtsverletzungen: Der US-amerikanische Alien Tort Claims Act, IPrax 2000, 558 ff.; B. Heß, Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen, in: Fs. R. A. Schütze, S. 269 ff.; D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 939 ff.; S. Seibert-Fohr/R. Wolfrum, Die einzelstaatliche Durchsetzung völkerrechtlicher Mindeststandards gegenüber transnationalen Unternehmen, AVR 43 (2005), S. 153 ff. 1265 D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 976 f. 1266 Vgl. N. Weiß, Transnationale Unternehmen – weltweite Standards, MRM 2/ 2002, S. 82 (84 f.); C. F. Hillemanns, Transnationale Unternehmen und Menschenrechte, 2004, 3. Kapitel, in bezug auf IPbpR und IPwsR. 1267 ICC, The Business of Building a Better World, Beilage über den Global Compact in International Herald Tribune v. 25.1.2001. 1268 Vgl. auch D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 947 ff., 1020.

E. Völkerrecht der Globalisierung

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Vielmehr profitieren sie von einem transnationalen Rechtsanwendungsvakuum und stellen damit einen kaum kontrollierten, wegen der Abhängigkeit der Staaten von der Wirtschaft äußerst durchsetzungsstarken, Machtfaktor dar.1269 Deshalb erscheint ein Status, der ihnen weitreichende, durchsetzbare Rechte zur Willkür gibt (z. B. Eigentum, Kapitalverkehrsfreiheit), ihnen aber keine Pflichten gegenüber den Menschen in ihrem Verantwortungsbereich auferlegt, unausgewogen und nicht mit dem Freiheits- und Rechtsprinzip vereinbar (dazu 4. Teil, A, S. 490 ff.). Aus dem Rechtsstatus transnationaler Unternehmen als global players und partielle Völkerrechtssubjekte ist allerdings eine den Staaten vergleichbare, spezifische Menschenrechtsverantwortung abzulehnen, weil Unternehmen als Privatrechtssubjekte naturgemäß der Gewinnmaxime folgen und auch folgen dürfen.1270 Aufgrund der tripartistischen Struktur sind allerdings auch die Unternehmen als Arbeitgeber in der ILO repräsentiert und an der international-globalen ILORechtsetzung beteiligt1271 (vgl. Art. 3, 7 ILO-Verf., Grundsatz I d Erklärung von Philadelphia). Das wäre für reine Staatenverpflichtungen weder sinnvoll noch erforderlich. Sollen transnationale Unternehmen an völkerrechtliche Menschenrechtsstandards gebunden sein, verlangt dies jedoch keine, den Staaten vergleichbare, Völkerrechtssubjektivität, also daß sie selbst an dem Vertragsschluß oder an der Rechtsetzung beteiligt worden sind.1272 Vielmehr folgt ihre Bindung schon aus der Verpflichtung, die mit der in allen Kulturen anerkannten Verknüpfung von Rechten mit Pflichten verbunden ist. Das bringt auch die Allgemeine Menschenrechtserklärung zum Ausdruck. Nach Art. 29 Nr. 1 AEMR hat jeder nicht nur Rechte, sondern auch „Pflichten gegenüber der Gemeinschaft“.1273 Deutlich wird die Menschenrechtsverpflichtung der Privaten ebenfalls in der Präambel der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, nach der auch „jeder einzelne“ und „alle Organe der Gesellschaft“ die Verwirklichung der Menschenrechte fördern sollen. Weil der Pflichtcharakter mit der sozialen Funktion der Menschenrechte verbunden ist, kommt es auf die Frage, ob die Präambel und Art. 29 AEMR Völkergewohnheitsrecht sind, nicht an.1274 Die Pflicht, Rechte anderer (insbe1269 D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 937 ff. 1270 N. Weiß, Transnationale Unternehmen – weltweite Standards?, MRM 2/2002, S. 82 (84 ff.); D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 960 f. 1271 Vgl. dazu A. Emmerich-Fritsche, Sozialprinzip und Wirtschaftsverfassung, in: Fs. W. Nölling, 2003S. 125 (137 ff.); Interim report vom 22.2.2006 E/CN.4/2006/97, Rn. 73. 1272 D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 945 f. 1273 Vgl. auch Interaction Council, A Univesal Declaration of Human Responsibilities v. 1.9.1997 (www.interactioncouncil.org/).

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sondere die Kernarbeitsrechte) nicht zu verletzen oder an solchen Verletzungen nicht kollusiv mitzuwirken1275 (z. B. durch Verträge mit Zulieferindustrie, welche diese Rechte nicht einhält), ergibt sich schon aus der Inanspruchnahme von Rechten zur Willkür. Das von den Unternehmen beanspruchte Recht am Unternehmen oder die Unternehmensfreiheit kann, soweit es überhaupt grundrechtlich geregelt ist, nur in den Grenzen der Rechte anderer ausgeübt werden (vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG; Art. 16, 17 i.V. m. Art. 52 Abs. 1 S. 2 EU-Grundrechtecharta).1276 Auch auf den freien Wettbewerb können sich Unternehmen nicht berufen, um ihrer rechtlichen Verantwortung zu entgehen; denn auch die Wettbewerbsfreiheit ist nicht schrankenlos. So ist die „Ausnutzung eines Rechtsgefälles“, jedenfalls wenn der von der Menschenwürde gebotene Mindeststandard als internationaler ordre public unterschritten wird, unrechtlicher Wettbewerb.1277 Die Beschränkungen der Rechte der Unternehmen durch die der Arbeitnehmer bedürfen aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich einer gesetzlichen oder vertraglichen Regelung. Menschenrechtsverträge können nicht nur Pflichten für die Staaten, sondern auch für private Subjekte positivieren. Dies zeigt etwa das Römische Statut, welches die Verantwortlichkeit von Individuen für Menschheitsverbrechen regelt. In den extremen Fällen, in denen sich Unternehmensführer „Versklavung“, insbesondere Menschenhandel (Art. 7 Abs. 1 lit. c, Entzug der körperlichen Freiheit (Art. 7 Abs. 1 lit. e) oder „Apartheid“ (Art. 7 Abs. 1 lit. j), vorwerfen lassen müßten, wäre ihre rechtliche Verantwortlichkeit für diese schweren Menschenrechtsverletzungen im Anwendungsbereich des Status fraglos. Auch im Völkerumweltrecht gibt es zahlreiche völkerrechtliche Verträge, welche eine Haftung Privater für die von ihnen verursachten Schäden anordnen.1278 1274 So im Ergebnis ablehnend K. Schmalenbach, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, AVR 39 (2001), S. 66. 1275 Siehe UN Global Compact, supra note 77, Principles, 1, 2. 1276 Vgl. dazu 4. Teil, A, S. 535 ff., sowie K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 263 ff. 1277 Vgl. zur Ausnutzung eines Rechtsgefälles als unlauterer Wettbewerb A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 1991, S. 624, Rn. 219c.; BGH „WeltweitClub“, GRUR 1977, 672, 674; enger BGH Asbestimporte, GRUR 80, 858 ff.; H. Oesterhaus, Die Ausnutzung des internationalen Rechtsgefälles und Paragraph 1 UWG, 1991. 1278 Z. B. Internationales Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden von 1992, in Kraft seit 1996; Internationale Konvention über Haftung und Ersatz für Schäden im Zusammenhang mit der Beförderung von gefährlichen und schädlichen Substanzen auf See, HNS-Konvention von 1996; Pariser Übereinkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie von 1964, in Kraft seit 1968; Wiener Übereinkommen von 1997–1997 Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage (mit Gefährdungshaftung gegenüber allen Staaten für Körper- und Sachschäden sowie erhebliche Umweltschäden, in Kraft seit 2003; Übereinkommen über die Regulierung der auf die mineralischen Bodenschätze in der

E. Völkerrecht der Globalisierung

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Die Verpflichtung von Unternehmen als Menschenrechtsadressaten kann sich aber auch völkergewohnheitsrechtlich entwickeln. Eine Überzeugung und Übung der Staaten, welche die Unternehmen grundsätzlich in der (zumindest ethischen) Menschenrechtspflicht sehen, kommt in den OECD-Leitsätzen und deren Einbeziehung in staatliche Regelungsinstrumente zum Ausdruck.1279 Solches soft law, dem zur vollständigen Verbindlichkeit Durchsetzungsinstrumente fehlen, kann als Gewohnheitsrecht zu hard law erstarken. Daß Menschenrechtsverträge grundsätzlich subjektive Rechte statuieren, wird in der aktuellen Völkerrechtspraxis bejaht.1280 Die Berufung einzelner Arbeitnehmer auf die Einhaltung der völkervertraglich geregelten Menschenrechte durch ein Unternehmen verlangt zudem, daß die Menschenrechtsverträge selfexecuting sind und daß die Menschenrechtsverpflichtung hinreichend klar und bestimmt ist. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen wird für soziale Rechte meist zu pauschal abgelehnt.1281 Soweit es sich um eindeutige Ver- und Gebote handelt, steht einer unmittelbaren Anwendbarkeit nichts entgegen. Nur einzelne ILO-Übereinkommensbestimmungen haben deutsche Gerichte für unmittelbar anwendbar erklärt.1282 Jedenfalls das unmittelbar mit der Menschenwürde verbundene Menschheitsrecht (völkerrechtlich anerkannt z. B. im ius cogens oder den als ILO-Verfassungsrecht erkannten Kernarbeitsrechten1283) beansprucht unmittelbare Wirkung zwischen Menschen und anderen privaten Rechtssubjekten.1284 Verbote menschenunwürdiger Arbeit, das Verbot von Zwangsarbeit, von Antarktis gerichteten Tätigkeiten von 1988; Umweltschutzprotokoll zum Antarktisvertrag von 1991, in Kraft seit 1998. 1279 Vgl. dazu C. F. Hillemanns, Transnationale Unternehmen und Menschenrechte, S. 84 f. 1280 Case LaGrand: IGH v. 27.6.2001, Germany v. United States of America, ICJ Rep. 2001, 466 ff.; IGH v. 31. 3. 2004, Avena u. a. vs. USA; Mexiko vs. USA, para. 50 ff., unter: www.icj-cij.org; dazu K. Oellers-Frahm, Die Entscheidung des IGH im Fall La Grand – Eine Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit und der Rolle des Individuums im Völkerrecht, EuGRZ 2001, 256 ff.; dies., Die Entscheidung des IGH im Fall LaGrand – ein Markstein in der Rechtsprechung des IGH, in: Th. Marauhn (Hrsg.), Die Rechtstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S. 21 (26 f., 35 f.); C. Hillgruber, Anmerkung zur Entscheidung LaGrand, JZ 2002, 94 (96); kritisch aber B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), S. 312 ff. 1281 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 865; I. Seidl-Hohenveldern/ G. Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, S. 239, Rn. 1552, S. 259, Rn. 1707, 1708. 1282 Bejahend für Übereinkommen Nr. 19 BSGE 13, 206 (210 f.); 30, 226 (228); 41, 108 (110, 112); ablehnend für Übereinkommen Nr. 132 BDGE 40, 190 (206); bejahend für Übereinkommen Nr. 97 BVerwG NVwZ 1992, 177 (178); ablehnend für Übereinkommen Nr. 111 BVerwGE 86, 99 (119); ablehnend zu Übereinkommen Nr. 135 auch BVerfG, BB 1982, 674 (675); vgl. dazu auch S. Böhmert, Das Recht der ILO und sein Einfluß auf das deutsche Arbeitsrecht, 2002, S. 162 f. 1283 Übereinkommen 87, 98, 29, 100, 111, 138, 182. 1284 Zu den materiellen Rechten im einzelnen D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 969 ff.

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gesundheitsgefährdender Kinderarbeit, von Diskriminierungen, aber u. U. auch das Verbot von in bezug auf die ökonomischen und sozialen Verhältnisse ausbeuterischen Löhnen sind, wie in Teil 4, A herausgearbeitet worden ist, hinreichend materiell bestimmt oder bestimmbar, um Rechtsverletzungen unmittelbar subsumieren zu können. Eine weitere Frage ist, inwieweit transnationalen Unternehmen, über die Pflicht, andere nicht zu verletzten, hinaus, in ihrem Verantwortungs- und Einflußbereich auch Schutz- und Förderpflichten im Menschenrechtsbereich aufgebürdet werden dürfen (z. B. Mutterschutz oder die Einrichtung von Arbeitnehmerkomitees zur Förderung der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit).1285 Unabhängig von seiner u. U. im Einzelfall rechtswidrigen Regelungen schafft der Arbeitsvertrag gerade in den Entwicklungsländern eine Abhängigkeitsbeziehung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber. Vertragsfreiheit und Eigentum mögen dazu berechtigen, aber ihr korrespondiert eine Verantwortung oder Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die sich aus der vertraglich begründeten Gemeinschaftlichkeit und der Sozialbindung des Eigentums ergibt.1286 Sie kann Schutzpflichten begründen. Eine Schutzpflicht läßt sich überdies gegebenenfalls aus dem Gedanken der Ingerenz begründen. Transnationale Unternehmen greifen als global player nicht nur in die transnationalen, sondern auch in die internationalen Beziehungen ein, etwa indem sie durch ihren Einfluß in der global governance verhindern, daß sich als Gegengewicht zur WTO ein entsprechendes internationales Umwelt- und Menschenrechtsregime institutionalisiert. Sie üben damit faktisch teilweise mehr politische Macht aus als manche Staaten. Insoweit wirken globalisierende Unternehmen nicht nur als Förderer, sondern gegebenenfalls als „Störer“ der internationalen Menschenrechtsentwicklung und gefährden damit nicht nur Rechte Einzelner, sondern ebenfalls den internationalen Rechtsfrieden im positiven Sinn, zu dem auch die internationale Verwirklichung der Menschenrechte gehört (vgl. auch Art. 28 AEMR, Art. 1 Nr. 3, Art. 55 UNCharta).1287

1285 Dazu befürwortend D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 963 ff. 1286 Zur Begründung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers G. Schaub, ArbeitsrechtsHandbuch, 2000, § 108, Rn. 2. 1287 K. Nowrot, Sag, wie hast du’s mit den Global Players?, Die Friedenswarte 79 (2004), S. 141; zum positiven Friedensbegriff A. Randelzhofer, Der normative Gehalt des Friedensbegriffs, in: J. Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979, S. 13 ff.

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Zwischenergebnis Rechtspflichten begründen sich aus der Idee, für sein Handeln verantwortlich zu sein. Das Rechtsprinzip gebietet daher die rechtliche Verantwortlichkeit transnationaler Unternehmen. Sie ist von Unternehmensethikern und Juristen sowie auf Weltgipfeln erkannt1288, aber noch unzureichend positivrechtlich verankert. Fraglich ist die rechtliche Gestaltung dieser Verantwortlichkeit. Hierfür stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung: cc) Selbstverpflichtung der Unternehmen Denkbar ist die Einbeziehung der Unternehmen selbst als „verantwortliche Weltbürger“ an der Materialisierung und Durchsetzung von Weltrecht.1289 Transnationale Unternehmen können auf transnationaler oder weltbürgerlicher Ebene, ausgenommen zu Lasten Dritter, Verträge schließen1290 und so mit ihren Vertragspartnern als private Akteure Recht setzen. Unternehmen bevorzugen jedoch „freiwillige“, von ihnen innerhalb ihrer Unternehmensorganisation gesetzte Leitlinien (corporate codes of conduct1291), die sie beanspruchen, nach eigener Willkür einzuhalten. Rechtliche Wirkung erhalten diese Leitlinien allerdings, wenn sie beispielsweise in Tarifverträge oder Lieferverträge einbezogen werden oder unter einen Tatbestand des Gewährleistungsrechts oder des unlauteren Wettbewerbs subsumiert werden können (z. B. irreführende Werbung mit nicht eingehaltenen Codes)1292 oder sich als Gewohnheitsrecht1293 oder Bestandteil der lex mercatoria entwickeln.

1288 Vgl. K. Nowrot, Sag, wie hast du’s mit den Global Players?, Die Friedenswarte 79 (2004), S. 140 ff., der aus dem völkerrechtlichen Paradigma in Verbindung mit dem Effektivitätsprinzip ihre völkerrechtliche Pflichtstellung begründet; A. Scherer, Die Multinationale Unternehmung als Mittler zwischen privater Freiheit und öffentlichem Interesse, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 353 ff.; D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 931 ff., 960 ff. (Begründung aus ihrer Machtstellung). 1289 Vgl. dazu N. Weiß, Transnationale Unternehmen – weltweite Standards?, MRM 2/2002, S. 82 ff. 1290 Vgl. K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen unter Mitwirkung privater Akteure?, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 223 (232 ff.). 1291 Dazu J. I. Mahari, Codes of Conduct für multinationale Unternehmen, 1985; A. G. Scherer, Die Multinationale Unternehmung als Mittler, S. 334 ff.; D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 953 ff.; einen Überblick über die Selbstverpflichtungen einzelner multinationaler Unternehmen gibt C. F. Hillemanns, Transnationale Unternehmen und Menschenrechte, 5. Kapitel. 1292 D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 957 f.; E. Kocher, Rechtliche Instrumente, in: R. Köpke/W. Röhr, Codes of Conduct, 2003, S. 168 ff.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Möglich sind Vereinbarungen über codes of conduct auch mit Internationalen Organisationen. Im Juli 2000 haben die Vereinten Nationen die Idee von Generalsekretär Annan1294 eines global compact1295 verwirklicht.1296 Es handelt sich um eine weiche Vereinbarung zwischen der UNO sowie den Unternehmen unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften, die Unternehmen unterzeichnen können. Das so geschaffene Netzwerk hat den Zweck, „dem globalen Markt ein menschliches Antlitz zu verleihen“1297 Die sehr allgemein gehaltene Verpflichtung der Unternehmen bezieht sich auf die Unterstützung eines nachhaltigen Wachstums, die Einhaltung der Menschenrechte, bestimmter Mindestarbeitsbedingungen1298 und die Förderung des Umweltschutzes in der eigenen Einflußsphäre. Es werden neun Prinzipien formuliert, welche sich ausdrücklich auf die Allgemeine Menschenrechtserklärung, die Erklärung über grundlegende Rechte bei der Arbeit der ILO sowie auf die Abschlußerklärung des Sozialgipfels in Kopenhagen 1995 und die Erklärung des Umweltgipfels in Rio von 1992 stützen.1299 Der zustande gekommene Global Compact 1293 Nach dem neueren (weltrechtlichen) Ansatz sind an dessen Entstehung nicht nur die Staaten, sondern auch private Rechtssubjekte der Globalisierung beteiligt. Vgl. C. F. Hillemanns, Transnationale Unternehmen und Menschenrechte, S. 63 f., dazu auch 3. Teil, E, S. 451 ff. 1294 Siehe Rede Kofi A. Annans am 31.1.1999 beim Weltwirtschaftsforum in Davos, abgedruckt unter www.un.org/partners/business/davos.htm#speech. 1295 www.unglobalcompact.org. 1296 Siehe www.unglobalcompact.org/Portal/; Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (Hrsg.), UN-Basis Info. Globaler Pakt, Wirtschaftswelt und die Vereinten Nationen, www.dgvn.de; dazu S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, in: dies. (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 507 ff.; A. Blüthner, Ein Globalisierungspakt über Werte und Effizienz, in: S. Hobe (Hrsg.), Kooperation oder Konkurrenz internationaler Organisationen, 2001, S. 72 ff.; N. Weiß, Transnationale Unternehmen – weltweite Standards?, MRM 2/2002, S. 82 (86 ff.). 1297 Informationszentrum der Vereinten Nationen, Der globale Pakt. Gemeinsame Werte für den globalen Markt. 1298 Vereinigungsfreiheit und Tarifautonomie, Verbot aller Formen von Zwangs- und Pflichtarbeit, Abschaffung der Kinderarbeit, Eintreten für die Beseitigung von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf. 1299 Die Prinzipien lauten: „Principle 1: Businesses should support and respect the protection of internationally proclaimed human rights within their sphere of influence; and Principle 2: make sure that they are not complicit in human rights abuses. Principle 3: Businesses should uphold the freedom of association and the effective recognition of the right to collective bargaining; Principle 4: the elimination of all forms of forced and compulsory labour; Principle 5: the effective abolition of child labour; and Principle 6: eliminate discrimination in respect of employment and occupation. Principle 7: Businesses should support a precautionary approach to environmental challenges; Principle 8: undertake initiatives to promote greater environmental responsibility; and Principle 9: encourage the development and diffusion of environmentally friendly technologies.“

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hat dialogischen, selbstregulierenden Charakter und soll auf einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Unternehmen beruhen.1300 Er gehört nicht zu den Quellen des Völkerrechts. Die Teilnahme daran ist nicht erzwingbar, Kontrollmaßnahmen und Sanktionen im Falle der Nichterfüllung sind nicht vorgesehen.1301 Prozedural sieht der Global Compact lediglich die Veröffentlichung vorbildlicher Projekte („best practices“) auf der Website der UN sowie partnerschaftliche Kooperationen der Mitglieder mit einer UN-Sonderorganisation vor.1302 Er ist also nicht rechtsverbindlich im strikten Sinn.1303 Seine Instrumente sind so „weich“, daß sie nicht einmal dem soft law zugeordnet werden.1304 Begründet wird dies nicht überzeugend mit einem Mangel an „normgeprägtem Verhalten der an der Entstehung Beteiligten“1305, was ein venire contra factum proprium zu der Unterzeichnung des Global Compact darstellt. Eine gewisse Wirksamkeit ergibt sich jedenfalls über den Druck der Öffentlichkeit, aus Transparenz und Publizität.1306 Vergleichbare Publizität ist in Deutschland rechtlich durchsetzbar angeordnet. § 161 AktG verpflichtet börsennotierte Gesellschaften jährlich zu erklären, daß „den . . . Empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“, der share holder value Interessen schützt, entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden . . .“ Die Menschenwürde jedenfalls steht nicht zur Disposition einseitiger Selbstverpflichtungen von Unternehmen. Die ILO-Übereinkommen materialisieren den internationalen Standard des Schutzes der Menschenwürde im Arbeitsbereich.1307 Unstrittig ist dies zumindest für die Kernarbeitsrechte, für die aufgrund der Drittwirkung der Menschenwürde eine rechtliche Bindung der Unternehmen zu bejahen ist. So sind etwa Sklaverei, Zwangsarbeit und ausbeuterische Kinderarbeit ohne weitere Materialisierung aus dem universellen, auch gewohnheitsrechtlich und als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannten, MenDazu S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, S. 524 ff.; N. Weiß, Transnationale Unternehmen – weltweite Standards?, MRM 2/2002, S. 86 ff. 1300 S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, S. 521 ff., 527 ff.; D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 951 ff. 1301 S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, S. 528; D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 951. 1302 Dazu A. Blüthner, Ein Globalisierungspakt über Werte und Effizienz, in: S. Hobe (Hrsg.), S. 74 ff. 1303 S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, S. 528. 1304 S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, S. 528. 1305 So und zu den Merkmalen des soft law W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 1999, S. 180 ff. (216). 1306 Dazu S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, S. 539 ff. 1307 A. Emmerich-Fritsche, Sozialprinzip und Weltwirtschaftsverfassung, S. 145.

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schenwürdegebot verboten.1308 Insoweit haben Selbstverpflichtungen der Unternehmen, die fast alle auf die Kernarbeitsrechte Bezug nehmen, keine konstitutive, sondern nur eine deklaratorische, materialisierende Funktion. Keinesfalls werden diese Rechte, soweit sie dem ursprünglichen Weltrecht zugerechnet werden können, erst durch codes of conduct oder durch den global compact „begründet“ oder „zuerkannt“. Der global compact zeigt sich als „inter-organisatorisches Netzwerk“ mit loser, informeller Organisationsform und horizontalen Organisationsprinzipien.1309 Selbst versteht sich der Pakt als corporate citizenship. Als Partner des Global Compacts sind die Unternehmen unmittelbar an der Materialisierung und Verwirklichung von Weltrecht beteiligt. Sie agieren damit funktional als Subjekte des Weltbürgerrechts, neudeutsch als corporate citizens1310 oder Subjekte der Weltzivilgesellschaft oder einer „globalen Zivilverfassung“1311, aber nicht als Weltgesetzgeber, wozu ihnen jede demokratische Legitimation fehlt (dazu 5. Teil, C, S. 674 ff.). Die mit der Globalisierung einhergehende und vom globalisierenden, privatwirtschaftlichen Sektor geförderte Entstaatlichung verlagert die Verantwortung der Wahrung des Rechts, solange und soweit eine für alle Akteure verbindliche Weltwirtschaftsverfassung mit globalen Mindestrahmenbestimmungen für ihre Investitionstätigkeit nicht geschaffen wird1312, vermehrt auf die privaten globalen Akteure und bezieht diese in weltweite Steuerungsprozesse ein.1313 Dies trägt zur Privatisierung des Rechts bei. Anstelle einer rein öffentlichen Ordnung wird ein privat-öffentliches Netzwerk1314, das institutionell staatliche und institutionell private Akteure verbindet, für den Dialog zwischen den Vereinten Nationen, Regierungen, den partizipierenden Unternehmen 1308 S. F. Franke, Sozialdumping durch Schwellenländer?, S. 160; A. Emmerich-Fritsche, Sozialprinzip und Weltwirtschaftsverfassung, S. 129 und ff. 1309 S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, S. 530 f. 1310 Vgl. K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen unter Mitwirkung privater Akteure?, S. 232; S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, S. 507 ff. 1311 Vgl. G. Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 63 (2003), S. 1 (3 ff.); D. Thürer, The Emergence of Non-Governmental Organizations and Transnational Enterprises in International Law, in: R. Hofmann/N. Geissler (Hrsg.), Non State Actors as New Subjects of International Law, 1999, S. 37 (51 ff.). 1312 Diese Aufgabe hatte einst das als Instrument der Neuen Welthandelsordnung 1974 geschaffene Centre On Transnational Corporations. Es ist mit der Schuldenkrise der Entwicklungsländer 1982 auch auf Druck der USA in die UNCTAD einverleibt worden, um dort den Entwicklungsländern behilflich zu sein, multinationale Unternehmen anzuziehen; vgl. neuerdings den Vorschlag von Nichtregierungsorganisationen im Januar 2000 für einen „Citizen compact on the United Nations and Corporations“, welcher die Prinzipien formuliert, wie die UNO mit Konzernen umgehen sollte, abgedruckt unter www.corpwatch.org/campaigns/PRT.isp?articleid=992. 1313 K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen, S. 235. 1314 In dessen Zentrum agieren das Global Compact Office, der Advisory Council und die vier UN-Organisationen ILO, UNEP, HCHR, UNDP.

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und den Nichtregierungsorganisationen geschaffen.1315 So sieht auch der „Plan of Implemention“ des Gipfels von Johannesburg1316 die Einbeziehung von Unternehmen in die bei der UNO registrierbaren partnerships for sustainable development vor.1317 Diese „Partnerschaften“ zeigen einen Paradigmenwechsel in den klassisch-völkerrechtlichen Beziehungen hin zu global governance, welche auch private Subjekte als „Partner“ anerkennt.1318 Damit sind die Vereinten Nationen, soweit sie diese „privat-öffentlichen Partnerschaften“ koordiniert1319 funktionell nicht nur eine internationale, sondern auch eine globale Koordinierungsorganisation. Fraglich ist, inwieweit die Entwicklung zu einem „globalen soft law“, an dem nicht-staatliche Akteure beteiligt werden können und welches an die Stelle verbindlicher internationaler Verträge tritt, zur globalen Rechtsentwicklung beiträgt.1320 Der Global Compact erzeugt nur eine relativ schwache Bindung, die weit hinter dem institutionalisierten System der ILO und gegenüber den Hoffnungen auf ein öffentlich-rechtliches Umweltregime zurücksteht, und bleibt im „neoliberalen Deregulierungsprogramm“1321 verhaftet. Dennoch ist er ein Schritt dahin, weltrechtliche Standards sichtbar zu machen, unabhängig von deren Anerkennung und Durchsetzbarkeit in den betreffenden Staaten. Selbstbindungen nach eigener Willkür, wenn auch mächtiger privater Akteure, sind aber kein Ersatz für verbindliche Verträge. Einseitigen Selbstverpflichtungen vorzuziehen sind kollektivvertragliche Regelungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern, die sich an die jeweiligen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedingungen anpassen und dem Vorwurf des Paternalismus und eines Menschenrechtsimperialismus nicht ausgesetzt sind.1322 Notwendig erscheinen überdies verbindliche, allgemeine, globale Regeln (etwa im Rahmen eines Weltvertrags) für transnationale Konzerne, nach denen diese (nicht nur die Staaten) voll juristisch verantwortlich, rechenschaftspflich1315

www.unglobalcompact.org/Portal/ Report of the World Summit on Sustainable Development, Johannesburg, South Africa, 26 August–4 September 2002, UN Doc. A/CONF.199/20. at 6. 1317 Plan of Implemention, paras. 7, 20, 26, 56, 96); Guiding Principles for Partnerships for Sustainable Development as of 3 February 2003, supra note 79, at 1; dazu U. Beyerlin/R. Martin: The Johannesburg Summit, ZaöRV 63 (2003), S. 228 ff. 1318 5. Teil, B, S. 608 ff.; S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, S. 509. 1319 Dazu auch U. Beyerlin/R. Martin: The Johannesburg Summit, ZaöRV 63 (2003), S. 228 ff. 1320 Vgl. dazu auch zum Umweltrecht J. Gupta, The Role of Non-State Actors in International Environmental Affairs, ZaöRV 63 (2003), S. 459 (482 ff.). 1321 K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), S. 233; vgl. zur Kritik S. v. Schorlemmer, „Global Compact“, S. 535 ff. 1322 D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 975 f. 1316

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tig und für ihre Handlungen haftbar sind.1323 Erstmals, wenn auch sehr zurückhaltend hat die UNO eine dahingehende Tendenz in die Schlußerklärung von Johannesburg1324 aufgenommen: „29. We agree that there is a need for private sector corporations to enforce corporate accountability, which should take place within an transparent and stable regulatory environment . . . 31. To achieve our goals of sustainable development, we need more effective, democratic and accountable international and multilateral institutions.“

dd) Normen der Vereinten Nationen für die Menschenrechtsverantwortlichkeiten transnationaler Unternehmen Eine unmittelbare oder direkte Bindung stößt bei den Unternehmen sowie bei der Internationalen Handelskammer auf Widerstand, weil dadurch die Menschenrechte „privatisiert“ würden.1325 Dies ist jedoch nicht der Fall, weil die Hauptverantwortung der Staaten für die Menschenrechte unangetastet bleibt. Am 13. August 2003 wurden die Normen der Vereinten Nationen für die Verantwortlichkeiten transnationaler Unternehmen und anderer Wirtschaftsunternehmen im Hinblick auf die Menschenrechte1326 von der UN-Unterkommission zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte angenommen und zur weiteren Diskussion an die UN-Menschenrechtskommission verwiesen.1327 Es sind die ersten umfassenden Menschenrechtsnormen seitens der UNO, die sich speziell an Unternehmen richten und deren Bindung an die Menschenrechte feststellen.1328 Allein darin schon ist eine Revolution in der Denkweise zu erkennen. Es ist fraglos, daß die UN-Menschenrechtskommission nach der UN-Charta (vgl. Art. 68 i.V. m. Art. 62 Abs. 2) nicht die Befugnis hat, gegenüber Unternehmen verbindliche Normen festzulegen. Sie kann aber auf bereits 1323 Vgl. zur Kritik am Global Compact S. v. Schorlemmer, Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen, S. 544 ff. 1324 A/CONF.199/20, Nr. 31; unter: http://ods-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/ N02/636/93/PDF/N0263693.pdf?OpenElement. 1325 Commission decision 2004/116, 20.4.2004; M. Sommer Dürst, Menschenrechtsnormen auch für Unternehmen, FriZ 2/2004 (www.efriz.ch/archiv/042/t-6.html); N. Weiß, Transnationale Unternehmen – weltweite Standards, MRM 2/2002, S. 87 f.; siehe weiter Report of the United Nations Commissioner of Human Rights on the responsibilities of transnational corporations and related business enterprises with regard to human rights UN Doc. E/CN.4/2005/91 v. 15.2.2005; Interim report of the Special Representative of the Secretary-General (John Ruggie) on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises E/CN.2/2006/97 v. 22.2.2006. 1326 UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2003/12/Rev.2 (2003), Kommentar dazu UN Doc. E/ CN.4/Sub.2/2003/38/Rev.2 (2003). 1327 M. Sommer Dürst, Menschenrechtsnormen auch für Unternehmen, FriZ 2/2004; s. a. Fn. 1326. 1328 M. Sommer Dürst, Menschenrechtsnormen auch für Unternehmen, FriZ 2/2004.

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bestehende rechtliche Verpflichtungen hinweisen und Vorschläge für eine weltvertragliche Regelung (etwa durch die UN-Generalversammlung) vorbereiten. Bemerkenswert ist, daß nicht mehr nur von einer freiwilligen Selbstbindung der Unternehmen die Rede ist, sondern die Verbindlichkeit der allgemeinen Menschenrechte für die Unternehmen von der Unterkommission als gegeben vorausgesetzt wird. Abs. 4 der Präambel geht von der „Erkenntnis“ aus, daß transnationale Unternehmen und andere Wirtschaftsunternehmen, ihr Lenkungspersonal sowie die Personen, die für sie arbeiten, „verpflichtet sind“, die „allgemein anerkannten Verantwortlichkeiten und Normen zu achten, die in Verträgen der Vereinten Nationen und in anderen Übereinkünften enthalten sind.“ Unter vielen anderen werden etwa die Abkommen gegen Sklaverei und Zwangsarbeit, gegen Völkermord, Rassen- und Frauendiskriminierung, gegen Kinderarbeit, der IPbpR, der IPwskR und die ILO-Abkommen genannt. Die in diesen Verträgen materialisierten Menschenwürdestandards werden damit als für die Unternehmen verbindlich vorausgesetzt. Das geht inhaltlich sehr weit, weil nicht einmal zwischen den Staaten alle in den Normen genannten Verträge erga omnes verbindlich sind.1329 Entscheidend im Sinne des in dieser Arbeit vertretenen Menschenrechtsansatzes und revolutionär ist aber, daß die Unternehmen in den Normen als unmittelbar den Menschenrechten verpflichtet angesehen werden. In der Präambel und in den „Allgemeinen Verpflichtungen“ wird dargelegt, daß zwar die Staaten die Hauptverantwortung für die Sicherung der Menschenrechte haben, aber auch die Unternehmen „als Organe der Gesellschaft“ für die Förderung und Gewährleistung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankerten Menschenrechte verantwortlich sind. Nach ihrem Wortlaut unterscheidet die Präambel deutlich zwischen der strikten Verpflichtung auf die allgemeinen Menschenrechtsverträge und der bloßen Berücksichtigung etwa der Normen in der Dreigliedrigen Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen1330. Auf diese Weise wird die neue Dimension der menschenrechtlichen Verpflichtung von Unternehmen im Gegensatz zu den bisherigen weichen Bindungen auch sprachlich deutlich gemacht. Als positives Recht ist dieses Dokument freilich nicht völkerrechtlich verbindlich. Die Menschenrechtskommission hat den „Normen“ keinerlei rechtliche Verbindlichkeit zugestanden.1331 Jedenfalls wird damit seitens der Vereinten Nationen aber eine Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht, welche den hier vertretenen weltrechtlichen Ansatz stützt und zumindest als Beginn einer völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung der Menschenrechtsverantwortung transnationaler Unternehmen und damit als Einleitung eines Paradigmenwechsels1332 gesehen werden kann. Nach ihrem Selbstverständnis sind die Normen 1329 S. a. kritisch Interim Report of the Special Representative of the Secretary-General vom 22.2.2006 E/CN.4/2006/97, Rn. 66. 1330 Text unter www.Ilo.org/ilolex. 1331 Commission decision 2004/116, 20.4.2004.

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kein Entwurf eines neuen Regelwerks de lege ferenda im Sinne eines Weltvertrags, sondern setzen den universalen Gültigkeitsanspruch der Menschenrechte, einschließlich ihrer Drittwirkung, voraus und verweisen auf bereits existierende internationale Standards.1333 Neu ist die unmittelbare Verpflichtung von Privatsubjekten. Wie ist diese zu begründen, wenn man der These universeller, auch zwischen Privaten geltender Menschenrechte nicht folgt? Im Falle transnationaler Unternehmen ist ein Ansatzpunkt die Annahme einer (partiellen) Völkerrechtssubjektivität der global players aufgrund ihrer effektiven internationalen Machtausübung. Die Anerkennung von Unternehmen als völkerrechtssetzende Subjekte ist allerdings problematisch. Sie würde die Geltung der Menschenrechte der (privaten) Willkür der Unternehmen unterwerfen und die faktische Stellung transnationaler Unternehmen legalisieren sowie demokratische Kontrolle über die Unternehmen zurückdrängen.1334 Im übrigen würde die Verantwortung der multinationalen Unternehmen nicht ohne weiteres die Subunternehmen vor Ort erfassen, in denen meist die menschenrechtswidrigen Bedingungen herrschen. ee) Rechtsschutz Es sind bereits Vorschläge gemacht worden, inwieweit bestehende Internationale Organisationen (z. B. UNO, Weltbank, ILO, WTO) und ihre Implementationsverfahren für die Durchsetzung von Menschenrechten auch gegenüber transnationalen Unternehmen genutzt werden könnten.1335 Soll die Erfüllung der Menschenrechte nicht nur von der Willkür oder dem guten Willen der jeweiligen Unternehmen abhängen, bedarf es subjektiven Rechtsschutzes. Hauptverantwortlich für die Institutionalisierung eines entsprechenden Rechtsschutzes sind die Staaten. An hinreichendem Rechtsschutz mangelt es jedoch in vielen Entwicklungsländern. Fraglich ist, ob diese Rechtsschutzlücke auf internationaler Ebene geschlossen werden kann. Der ILO-Verwaltungsausschuß hat zum Thema transnationale Unternehmen einen Ausschuß eingerichtet. Dieser begutachtet die Staatenberichte, die alle drei Jahre zum Stand der Durchführung der Dreigliedrigen Grundsatzerklärung über transnationale Unternehmen und Sozialpolitik erstattet werden.1336 Ein ILO-Berichtsverfahren, welches die Unternehmen direkt 1332 Der Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporation and other business enterprises brandmarkt die Normen in seinem Interim report vom 22.2.2006 E/CN.4/2006/97 als „doctrinal excess“, Rn. 59. 1333 Kritisch dazu und teilweise ablehnend Interim report vom 22.2.2006 E/CN.4/ 2006/97, Rn. 59 ff. 1334 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 308 ff. 1335 D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 999 ff.

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einbezieht, gibt es bisher nicht. Die Allgemeinen Umsetzungsbestimmungen (Nr. 15, 16) der Normen für die Verantwortlichkeiten transnationaler Unternehmen sehen Berichtspflichten der Unternehmen gegenüber den Vereinten Nationen vor und diese unterstehen einer „regelmäßigen Überwachung und Nachprüfung durch die Vereinten Nationen“. Ferner werden den Unternehmen regelmäßige Evaluierungen der Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte auferlegt. Neben diesen weichen Mitteln der Publizität wäre echter Rechtsschutz durch ein Weltarbeitsgericht, vor dem einzelne Betroffene und gegebenenfalls auch Arbeitnehmer- und Menschenrechtsorganisationen die Einhaltung von Menschenrechten auch gegenüber Unternehmen einklagen könnten, erforderlich. Institutionell und in seiner Zusammensetzung könnte das Weltarbeitsgericht in die dreigliedrige Struktur der ILO eingefügt werden. ff) Ergebnis Weltrechtlich ergibt sich die menschenrechtliche Bindung der Unternehmen aus der Wechselbezüglichkeit von Rechten und Pflichten, genauer aus der Pflicht jedes Subjekts, die Würde und Freiheit des anderen zu achten, die jeder Ausnutzung eigener Rechte immanent ist. Zumindest die Bindung an die Menschenwürde ist drittwirksam. Soweit es um Verstöße gegen anerkannte erga omnes Normen wie Völkermord, Sklaverei, Menschenhandel, Zwangsarbeit, Folter und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht, etabliert sich in Praxis und Lehre die Auffassung, daß insoweit eine gewohnheitsrechtliche Verpflichtung der Unternehmen anzunehmen ist.1337 Die erga omnes unter den ILO-Mitgliedern geltenden ILO-Kernabkommen sind für alle Mitgliedsstaaten und Arbeitgeber, einschließlich Unternehmen, als materialisierter Menschenwürdekern verbindlich. Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen werden ex officio überwacht und können in den Staaten eingeklagt werden. Die Rechtsschutzlücke, die dadurch entsteht, daß nicht alle Staaten hinreichenden (auch exterritorialen) Rechtsschutz gewähren, könnte durch ein Weltarbeitsgericht geschlossen werden. 3. Indigene Völker a) Begriff Indigena (lateinisch) bedeutet eingeboren, einheimisch, inländisch. Indigene Völker sind Völker im ethnischen Sinn (dazu 1. Teil, A, S. 54 ff.). Heute sind 1336 Dazu vgl. W. Adamy/M. Bobke/K. Lörcher, Einleitung zum Recht der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), 1990, S. 164. 1337 Interim report vom 22.2.2006 E/CN.4/2006/97, Rn. 61.

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sie Teile von Staatsvölkern.1338 Sie unterscheiden sich vom Staatsvolk und gewöhnlichen Minderheiten dadurch, daß sie die ursprünglichen Bewohner des Landes sind, welches ihnen während der Kolonialisierung meist mit Gewalt genommen wurde.1339 In der Convention on Biological Diversity 169 der ILO sind Ureinwohner nicht nur Bevölkerungsgruppen, sondern Völker.1340 Die Verwendung des Begriffes „Völker“ (peoples) soll verdeutlichen, daß „es sich nicht um statische „Bevölkerungen“ (populations) handelt, sondern um Völker mit einer Identität und einer eigenen sozialen Organisation“.1341 allerdings nicht um ein staatsbildendes „Volk“ im völkerrechtlichen Sinn. Art. 1 Abs. 3 der ILOKonvention 169 macht dies deutlich: „The use of the term ,peoples‘ in this Convention shall not be construed as having any implications as regards the rights which may attach to the term under international law.“

Die mißverständlichen Schlüsse, die aus dem Begriff „Volk“ gezogen werden, vermeidet die Biodiversitätskonvention1342. Ihr Art. 8 lit. j erwähnt nur „indigene und lokale Gemeinschaften“.1343 Die ILO Konvention Nr. 169 (Convention Concerning Indigenous and Tribal Peoples in Independent Countries) von 19891344 definiert indigene Völker.1345 Folgende objektive Merkmale enthält die Konvention 169 (Art. 1 Abs. 1 lit. b): – soziale Anerkennung als indigenes Volk und – die Bewahrung eigener sozialer, wirtschaftlicher und politischer Institutionen.1346 1338 Vgl. N. Paech/G. Stuby, Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen, 2002, S. 698 f.; K. Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker und Umweltvölkerrecht-Verhältnis und Vereinbarkeit, 2000, S. 30. 1339 N. Paech/G. Stuby, Völkerrecht und Machtpolitik, S. 698 f.; M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, 2002, S. 110 ff.; zur Abgrenzung von indigenen Völkern zu anderen Bevölkerungsgruppen und Minderheiten siehe H. Volger, Der Menschenrechtsschutz indigener Völker in: J. Hasse/E. Müller/P. Schneider (Hrsg.): Menschenrechte, Bilanz und Perspektiven, 2002 S. 372. 1340 N. Paech/G. Stuby, Völkerrecht und Machtpolitik, S. 699. 1341 J. Dandler, Für eine juristische Grundlage ethnischer Vielfalt, in: J. Dandler/J. R. H. Pulido/L. Swepston, Rechte indigener Völker, 1994, S. 1 (12). 1342 BGBl. 1993 II, S. 1741. 1343 T. B. G. Egziabhe, The Convention on Biological Diversity, in: V. Shiva (Hrsg.), Biodiversity Conservation. 1994, S. 198 (202 f.). 1344 Abgedruckt in deutsch unter: www.ilo.org/ilolex/german/docs/convdisp1.htm. In Kraft getreten am 5.9.1991. 1345 M. Halewood, Indigenous and Local Knowledge in International Law, in: Mc Gill Law Journal, Vol. 44, 1999, S. 953 (957); dazu auch H. Volger: Der Menschenrechtsschutz indigener Völker, S. 373. 1346 „Peoples in independent countries who are regarded as indigenous on account of their descent from the populations which inhabited the country, or a geographical region to which the country belongs, at the time of conquest or colonization or the

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Als subjektives Element nennt Art. 1 Abs. 2 der ILO-Konvention außerdem – „das Gefühl der Eingeborenen oder der Stammeszugehörigkeit als grundlegendes Kriterium für die Bestimmung der Gruppen“.1347 b) Schutzbedürftigkeit Die Kulturen indigener Völker sind geprägt von ihrem traditionellen Wissen über die Umwelt, über Menschen und Spiritualität, das generationenübergreifend weitervermittelt wird. In der Regel kennen indigene Kulturen nicht das Konzept individuellen Eigentums an Grund und Boden sowie an natürlichen Ressourcen.1348 Indigene Völker existieren in einer symbiotischen Beziehung zu ihrem Lebensraum. Während sie einerseits von der Natur leben, so tragen sie andererseits genauso dazu bei, diese zu erhalten. In der Johannesburg-Erklärung (Nr. 25) wird dies erkannt. Dort heißt es: „We reaffirm the vital role of the indigenous peoples in sustainable development.“ Weil indigene Völker von den Staaten, in denen sie leben, häufig benachteiligt werden1349 und ihre Weiterexistenz durch diese Staaten nicht selten bedroht ist, werden sie aus völker-, und weltrechtlicher Sicht als besonders schutzwürdig angesehen.1350 Indigene Völker selbst verlangen die Anerkennung kollektiver Rechte, die auch als „Drittgenerationenrechte“ bezeichnet werden (dazu 4. Teil, A, S. 555 ff.). Diese widersprechen dem westlich geprägten Verständnis individueller Menschenrechte1351 und der Souveränität der Staaten.1352 c) Rechtsstatus Die Anerkennung als Rechtssubjekt kann sich aus staatlichem und internationalem Recht ergeben. Nachdem zunehmend auch partikuläre Völkerrechtssubjekte neben den originären Völkerrechtssubjekten wie Staaten an Bedeutung gewinnen1353, ist die Anerkennung einer partiellen Völkerrechtspersönlichkeit establishment of present state boundaries and who, irrespective of their legal status, retain some or all of their own social, economic, cultural and political institutions.“ 1347 „Self-identification as indigenous or tribal shall be regarded as a fundamental criterion for determining the groups to which the provisions of this Convention apply“. Vgl. H. Volger, Der Menschenrechtsschutz indigener Völker, S. 373. 1348 K. Schillhorn, Possible Elements of Guidance-Rights, in: R. Wolfrum/P.-T. Stoll (Hrsg.), European Workshop on Genetic Reources Issues, 2000, S. 97 (98). 1349 S. J. Anaya, Indigenous Peoples in International Law, 1996, S. 3. 1350 N. Paech/G. Stuby, Völkerrecht und Machtpolitik, S. 698 f. 1351 Dies ist jedoch nicht zwingend, wenn die kollektiven Rechte aus dem Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Menschen abgeleitet werden. 1352 S. J. Anaya, Indigenous Peoples in International Law, S. 48. 1353 K. Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 33.

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indigener Völker nicht ausgeschlossen, wenn sich aus dem Völkerrecht entsprechende Rechte herleiten lassen. Indigene Völker sind zunehmend als Beobachter ohne eigenes Rede- und Stimmrecht an internationalen Verhandlungen beteiligt, ohne daß dies explizit aus bestimmten Mitwirkungsrechten hergeleitet wurde.1354 Eine Befugnis, selbst internationale Abkommen zu schließen, was Voraussetzung für die vollständige Völkerrechtspersönlichkeit ist (dazu 2. Teil, B, S. 104 ff.), wird ihnen noch nicht zuerkannt.1355 Lokale Gemeinschaften und ihr Rechtsstatus sind nach der Biodiversitätskonvention1356 abhängig von Staaten, welchen nach Art. 3 die Hoheit und Verantwortung über ihre Ressourcen zusteht1357, und werden durch diese mediatisiert.1358 Grundsätzlich schützt das Völkerrecht zunehmend nicht nur Rechte von Staaten, sondern ebenfalls Rechte von einzelnen Menschen und Personengruppen.1359 Ein Beispiel ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker.1360 Auch Minderheiten haben besondere völkerrechtlich anerkannte Rechte. Minderheiten sind „Teile der Bevölkerung eines Staates . . ., die sich von der Mehrheitsbevölkerung in ethnischer, sprachlicher oder religiöser Hinsicht unterscheiden und eine gemeinsame Identität aufweisen.“1361 Ihre Rechte sind u. a. in Art. 27 IPbpR anerkannt. Danach dürfen sie ihre eigene Kultur, Sprache und Religion ausüben. Fraglich ist, ob die Rechtsstellung indigener Völker darüber hinaus reicht. Als typische Rechte indigener Völker werden das Recht auf Selbstbestimmung, Eigentum und kulturelle Integrität genannt.1362 Die ILO Konvention 169 1354

K. Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 34 K. Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 34. 1356 Die Biodiversitätskonvention wurde auf der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung („Erdgipfel“) im Jahre 1992 in Rio de Janeiro von 157 Staaten unterzeichnet und trat am 29. Dezember 1993 in Kraft. Die Ziele der CBD sind neben der Erhaltung der biologischen Vielfalt und die nachhaltige Nutzung deren Bestandteile auch die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile. Heute sind 182 Staaten und die Europäische Gemeinschaft Vertragsparteien des Übereinkommens, welches für diese völkerrechtlich verbindlich ist. 1357 Art. 3 bestimmt: „States have, in accordance with the Charter of the United Nations and the principles of international law, the sovereign right to exploit their own resources pursuant to their own environmental policies, and the responsibility to ensure that activities within their jurisdiction or control do not cause damage to the environment of other States or of areas beyond the limits of national jurisdiction.“ 1358 Vgl. J. N. Pérez, Indigene Völker und der Zugang zu genetischen Ressourcen, 2001, S. 20 f. 1359 Dazu 6. Teil, E, S. 853 ff. 1360 Dazu 2. Teil, C, S. 184 ff.; 3. Teil, D, S. 366 ff. 1361 K. Wolfram, Minderheiten, in: I. Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts. Völkerrecht, 1992, S. 213. 1362 D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 989 ff. 1355

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schützt kulturelle Selbstbestimmung als Gruppenrecht, indem sie deren soziale und kulturelle Identität, ihre Gewohnheiten und Traditionen berücksichtigt sowie ihr Eigentum1363, ihre Arbeit und Kultur fördert.1364 Nach Abs. 5 der Präambel werden die Bestrebungen indigener Völker anerkannt, im Rahmen der Staaten, in denen sie leben, „Kontrolle über ihre Einrichtungen, ihre Lebensweise und ihre wirtschaftliche Entwicklung auszuüben und ihre Identität, Sprache und Religion zu bewahren und zu entwickeln.“ Art. 2 Abs. 2 lit. b der ILOKonvention sieht Maßnahmen vor, „deren Zweck es ist, die volle Verwirklichung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte dieser Völker unter Achtung ihrer sozialen und kulturellen Identität, ihrer Bräuche und Überlieferungen und ihrer Einrichtungen zu fördern.“ Dazu gehört insbesondere auch der Schutz ihres traditionellen Wissens als Bestandteil ihrer Kultur.1365 Nach Art. 5 lit. a der Konvention sind „bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens a) . . . die sozialen, kulturellen, religiösen und geistigen Werte und Gepflogenheiten dieser Völker anzuerkennen und zu schützen.“

Die Vertragsparteien sollen die Bedeutung des von den indigenen Völkern genutzten und besiedelten Lands für ihre Kultur und ihre geistigen Werte achten (Art. 13 Abs. 1). Art. 15 regelt die Rechte der indigenen Völker an ihren natürlichen Ressourcen. Gemäß Art. 15 Abs. 1 sind „die Rechte der betreffenden Völker an den natürlichen Ressourcen ihres Landes besonders zu schützen. Diese Rechte schließen das Recht dieser Völker ein, sich an der Nutzung, Bewirtschaftung und Erhaltung dieser Ressourcen zu beteiligen.“

Unternehmen haben sich häufig das, mangels „Neuheit“ nicht-patentierbare, traditionelle Wissen (vgl. Art. 27 Abs. 1 TRIPS) indigener Völker zunutze gemacht1366, z. B. für die Entwicklung von Medikamenten. Sie haben sich dafür internationalen Patentschutz einräumen lassen. Zweifelhaft ist es, technologische Entwicklungen, die auf seit Generationen überliefertem traditionellem Wissen beruhen, schon aufgrund der Isolierung eines Wirkstoffs als „neu“ anzusehen.1367 Dieser Auslegung und Praxis stehen die Rechte der indigenen Völker entgegen. Rechtlich unhaltbar ist es jedenfalls, den Völkern, deren Wissen Grundlage für die technische Erfindung war, keinen angemessenen Ausgleich oder eine wirtschaftliche Beteiligung zuzustehen. Dieser modernen Form der Ausbeutung und Kolonialisierung, die sich zunächst auf die Idee eines Erbes 1363 Dazu D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 990 ff. 1364 D. Leskien/M. Flitner, Intellectual Property Rights, 1997, S. 41. 1365 Dazu WIPO/GRTKF/IC/3/9, Abs. 25; A. Gettkant/C. Schäfer, Traditional Knowledge, 2001, S. 1. 1366 Ch. Then, Das große Geschäft mit patentierten Pflanzen, 2001, S. 1. 1367 Vgl. N. Anwander/A. Bachmann/K. P. Rippe/P. Schaber, Gene patentieren, 2002, S. 107.

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der Menschheit an genetischen Ressourcen stützte1368, ist mit der Biodiversitätskonvention1369 ein rechtsverbindlicher Riegel vorgeschoben worden.1370 In Abs. 3 der Präambel erklärt die Konvention die Erhaltung der biologischen Vielfalt zum Erbe der Menschheit und nicht etwa deren Ausbeutung. Präambel, Art. 3 und Art. 15 Abs. 1 betonen ausdrücklich die nationale Souveränität der Staaten über die auf ihrem Territorium befindlichen biologischen Ressourcen in dem Sinn, daß sie den Umgang mit der biologischen Vielfalt gemäß der Konvention, d. h. zum Zwecke des Erhalts der biologischen Vielfalt, deren nachhaltiger Nutzung und eines fairen Zugangs (vgl. Art. 1) regeln dürfen. Traditionelles Wissen ist nach Art. 8 lit. j explizit zu schützen. Vor dem Hintergrund der Biodiversitätskonvention und ihrem Selbstbestimmungsrecht können die indigenen Völker durch Verträge mit den betreffenden Unternehmen eine faire und angemessene Gewinnbeteiligung1371 erreichen.1372 Möglich ist das bisher nur, wenn die Staaten, denen sie angehören, nicht nur für und zum Schutze indigener Völker handeln, also diese mediatisieren, sondern ihnen gesetzlich ein dahingehendes Vertragsabschlußrecht einräumen. Ein vollständiges (auch politisches) Selbstbestimmungsrecht für indigene Völker i. S. d. Art. 1 Ziff. 2 UN-Charta, Art. 1 des IPbpR und Art. 1 des IPwskR ist völkerrechtlich nicht anerkannt und ergibt sich auch nicht aus der ILO-Konvention 169.1373 Art. 8 lit. j, k sowie Art. 10 lit. d, j der Biodiversitätskonvention enthalten lediglich Verpflichtungen der Staaten, traditionelles Wissen und „local populations“ zu schützen und zu fördern1374, verleihen den indigenen Völkern aber keine eigenen Mitwirkungsrechte. 1368 S. B. Brush, Is Common Heritage Outmoded?, 1996, S. 143; B. Tappeser/A. Baier, Who Owns Biological Diversity?, 2000, S. 5; C. Arup, the New World Trade Organization Agreements, 2000, S. 223. 1369 Dazu T. B. G. Egziabhe, The Convention on Biological Diversity, S. 198 ff. 1370 C. Arup, the New World Trade Organization Agreements, S. 245 f. 1371 Vgl. Art. 15 Abs. 7 Biodiversitätskonvention. 1372 Vgl. A. Meyer, Biodiversität und der Schutz von traditionellem Wissen, 2001, S. 82 f. 1373 S. J. Anaya: Indigenous Peoples in International Law, S. 49; H. Volger, Der Menschenrechtsschutz indigener Völker, S. 374; D. Kinley/J. Tadaki, Human Rights Responsibilities for Corporations, VJIL 44 (2004), S. 989 f. 1374 Art. 8 (j) Subject to its national legislation, respect, preserve and maintain knowledge, innovations and practices of indigenous and local communities embodying traditional lifestyles relevant for the conservation and sustainable use of biological diversity and promote their wider application with the approval and involvement of the holders of such knowledge, innovations and practices and encourage the equitable sharing of the benefits arising from the utilization of such knowledge, innovations and practices; . . . (k) Develop or maintain necessary legislation and/or other regulatory provisions for the protection of threatened species and populations; Art. 10 (d) Support local populations to develop and implement remedial action in degraded areas where biological diversity has been reduced; and . . .

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Indigene Völker sind Völker in einem ethnischen Sinn. Ihnen steht damit ein partielles Selbstbestimmungsrecht aufgrund Art. 1 Abs. 1 IPbpR und IpwskR zu, das beispielsweise ihr traditionelles Wissen umfaßt.1375 Weitergehende, auch politische Bestimmungsrechte postuliert die UN-Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples.1376 In Art. 5 des Entwurfs heißt es: „Indigenous peoples have the right to maintain and strengthen their distinct political, legal, economic, social and cultural institutions, while retaining their rights to participate fully, if they so choose, in the political, economic, social and cultural life of the State.“

Art. 3 der Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples der Working Group on Indigenous Populations erkennt das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker in politischer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht an1377: „Indigenous peoples have the rights of self-determination. By virtue of that right they freely determine their political status and freely pursue their economic, social and cultural development.“

Nach Art. 18 Draft Declaration haben indigene Völker ein Recht zu (politischer) Partizipation in ihren Angelegenheiten: Indigenous peoples have the right to participate in decision-making in matters which would affect their rights, through representatives chosen by themselves in accordance with their own procedures, as well as to maintain and develop their own indigenous decision-making institutions.

Art. 29 Draft Declaration formuliert das Recht auf Erhaltung natürlicher Ressourcen. Art. 31 Draft Declaration postuliert Rechte auf und an „intellectual property“ über ihr traditionelles Wissen, welche die Staaten in Zusammenarbeit mit den indigenen Völkern fördern und schützen sollen: „1. Indigenous peoples have the right to maintain, control, protect and develop their cultural heritage, traditional knowledge and traditional cultural expressions, as well as the manifestations of their sciences, technologies and cultures, including human and genetic resources, seeds, medicines, knowledge of the properties of fauna and flora, oral traditions, literatures, designs, sports and traditional games and visual and performing arts. They also have the right to maintain, control, protect and develop their intellectual property over such cultural heritage, traditional knowledge, and traditional cultural expressions.

(e) Encourage cooperation between its governmental authorities and its private sector in developing methods for sustainable use of biological resources. 1375 Vgl. zurückhaltend K. Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener Völker, S. 60. 1376 Entwurf E/CN 4/Sub.2/1994/2/Add. 1, 1994, E/CN.4/2006/79 der UN-Generalversammlung am 29.6.2006 durch den Menschenrechtsrat zur Annahme vorgeschlagen; abgedruckt als Annex zu Human Rights Council resolution 2006/2. 1377 H. Volger, Der Menschenrechtsschutz indigener Völker, S. 378.

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2. In conjunction with indigenous peoples, States shall take effective measures to recognize and protect the exercise of these rights.“

Gesicherte materielle Rechte können aus der Deklaration nicht abgeleitet werden.1378 In Verbindung mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, das jedenfalls die kulturelle Selbstbestimmung enthält, kann die Deklaration jedoch als eine Auslegung und Materialisierung des Minimumstandards dieses Rechts angesehen werden (vgl. Art. 43 Draft Declaration). Einklagbare Rechte ergeben sich insbesondere aus dem Recht am (kollektiven) Eigentum. Der Amerikanische Menschengerichtshof hat gegenüber illegalen Rodungen durch ein multinationales Unternehmen zu den Rechten indigener Völker ausgeführt, daß diese aus dem Recht auf Eigentum in Art. 21 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention auch das kollektive Recht hätten, frei auf ihrem eigenen Gebiet zu leben, daß ihre enge Bindung an das Land als Grundlage ihrer Kultur, ihres geistigen Lebens, ihrer Integrität und ihres wirtschaftlichen Überlebens anerkannt werden müsse und die dortigen natürlichen Ressourcen geschützt seien.1379 Fazit Indigene Völker sind, soweit sie über eine entsprechende Organisation verfügen, aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts nach Art. 1 Ziff. 2 UN-Charta, Art. 1 des IpbpR und Art. 1 des IPwskR, nach der ILO-Konvention 169 und der Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples als partielle Völkerrechtssubjekte und globale Rechtssubjekte, aber nicht als Völkerrechtssubjekte i. e. S. anerkannt. Sie sind Rechtssubjekte auf der Ebene des Weltbürgerrechts, also Weltbürgerrechtssubjekte. Dieser Rechtsstatus befähigt sie zu politischer Partizipation auf allen Ebenen, soweit dies für ihre kulturelle Selbstbestimmung geboten ist und dazu, Verträge mit multinationalen Unternehmen etwa zur Sicherung ihres traditionellen Wissens zu schließen. 4. Ergebnis Im Recht der Globalisierung ist eine Zunahme nicht-staatlicher Akteure festzustellen, denen zumindest die Staaten und das Völkerrecht weitgehend einen weltbürgerlichen Status zugestehen. Sie verdrängen nicht die völkerrechtliche Rechtsetzung der Staaten, werden jedoch an dieser zunehmend beteiligt oder 1378 S. Sahai, Protection of Indigenous Knowledge and Possible Methods of Sharing Benefits with Local Communities, 2002, S. 4; A. Meyer, Biodiversität und der Schutz von traditionellem Wissen, S. 85. 1379 Interamerican Court of Human Rights, 31.8.2001, Mayagna (sumo) Awas tingini Community vs. Nicaragua; Case No. 79.

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ergänzen sie durch soft law und durch neue, weltbürgerliche Formen der Zusammenarbeit zwischen staatlichen, internationalen und privaten Rechtssubjekten. Damit ist die Mediatisierung der Menschen nicht aufgehoben. Teilweise wird sie ergänzt durch die „Mediatisierung“ seitens Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen. Anders als einzelne Menschen erhalten transnationale Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen, begrenzt auch indigene Völker, Rechte und Möglichkeiten, an der Formung der globalen Rechtsordnung mitzuwirken. Allgemeine Rechtsetzungsbefugnisse können ihnen nur in eigenen Angelegenheiten zustehen. Als Sachwalter der Menschheit haben sie kein Mandat. Transnationalen Unternehmen wird gestattet, sich dem nationalen Recht zugunsten globaler Kapitalfreiheit zu entziehen, gleichzeitig wird ihnen aber in der globalen Praxis überwiegend nicht zugemutet, sich ohne ihr ausdrückliches Einverständnis dem elementarsten Weltbürgerrecht der Menschenrechte, an das sie gebunden sind, zu unterwerfen. Insoweit präsentiert sich Global governance bisher noch als unausgewogene und paternalistische Ordnung, welche nicht immer von Legalität, sondern auch von der Willkür und Herrschaft der globalen Akteure bestimmt wird. Die Entstaatlichung führt zu anderen (teilweise schon bekannten) Herrscherschaftsstrukturen, aber nicht notwendig zu mehr Selbstbestimmung. Hierfür müssen noch globale Verfahren entwickelt werden, welche einen weltbürgerlichen Diskurs aller Betroffenen ermöglichen. III. Vom internationalen Umweltrecht zum globalen Umweltrecht 1. Umweltrecht als globale Aufgabe Bis Anfang der siebziger Jahre war man sich der Globalität der mit Umweltbeeinträchtigungen verbundenen Probleme kaum bewußt.1380 Die überwiegend nur auf einen gegenseitigen Nutzenaustausch in grenznachbarlichen Angelegenheiten gerichteten internationalen Verträge, die streng auf die Wahrung der jeweiligen Souveränitätsbedürfnisse der Staaten gerichtet waren, verfolgten noch keine gemeinsamen Interessen der Staatengemeinschaft oder globale Aufgaben.1381 Solange Umweltschutz nur eine Sache der Nationalstaaten ist, können Unternehmen in Staaten mit niedrigen Standards ausweichen. Damit gefährden sie die Arbeitsplätze ökologisch strengerer Staaten und drängen diese indirekt dazu, ihre Umweltstandards abzuschwächen.1382 Globale Umweltprobleme wie Klimawechsel, Luftverschmutzung, Abbau der stratosphärischen Ozonschicht, 1380

S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 1998, S. 231. U. Beyerlin, Staatliche Souveränität und internationale Umweltschutzkooperation, S. 941 f. 1382 M. Brauer, Weltförderation, 1995, S. 208 f.; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 418. 1381

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Verlust der Artenvielfalt, Schutz der Wälder, Verschlechterung der Qualität internationaler Gewässer, Ausbreitung der wüstenartigen Gebiete1383 sind aus der Natur der Sache globale Aufgaben. 2. Internationales Umweltschutzrecht Auf der Stockholmer Umweltkonferenz 19721384 wurde den Vereinten Nationen die grundsätzliche Kompetenz zu internationaler Umweltkontrolle und Durchführung von Umweltmaßnahmen zuerkannt. Dies führte zur Gründung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP)1385, das vor allem auf Koordinierung internationaler umweltrelevanter Aktivitäten abzielt. Über eigene Rechtsetzungszuständigkeiten verfügt das UNEP nicht.1386 Hauptquellen des internationalen Umweltrechts sind bilaterale, regionale und auf bestimmte Umweltmedien bezogene multilaterale Abkommen.1387 Zwischen einzelnen Umweltverträgen bestehen teilweise Konkurrenzen, welche die Annahme einer konsistenten Weltumweltverfassung erschweren. So steht z. B. das Kyoto-Protokoll in einem Spannungsverhältnis zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt, weil es einen Anreiz zur Anpflanzung schnellwachsender Monokulturwälder gibt (vgl. Art. 3 Abs. 3), um die Kohlenstoffaufnahme aus der Atmosphäre zu maximieren.1388 Dennoch lassen sich Prinzipien des internationalen Umweltschutzregimes sowie globale Umweltschutzprinzipien als Anfänge einer materiellen universellen Umweltverfassung ausmachen.

1383 R. Dolzer, Konzeption, Finanzierung und Durchführung des globalen Umweltschutzes, in: Liber amicorum G. Jaenicke, 1998, S. 37 (39); M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 289. 1384 1972, Stockholm 1. Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen; 1982 Nairobi 2. Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt; 1983 UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung; 1987 Our Common Future (Brundtland-Report); 1992, Rio de Janeiro 3. Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED), 03.–14.06.1992; 1997, New York RIO+5, 23.– 27.06.1997; 2002, Johannesburg 4. Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung – Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung (World Summit on Sustainable Development), 26.08.–04.09.2002; dazu U. Beyerlin, Staatliche Souveränität und internationale Umweltschutzkooperation, S. 943 ff. 1385 Dazu M. Kilian, Umweltschutz durch internationale Organisationen, 1987, S. 242 ff., 254 ff.; www.unep.org/. 1386 M. Kilian, Umweltschutz durch internationale Organisationen, S. 255. 1387 Zu den Grundstrukturen Ch. Tietje, Internationales Verwaltungsrecht, 2001, S. 356 ff. 1388 S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, in: B. Zangl/M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 119 (129 f.).

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3. Prinzipien, Pflichten des internationalen Umweltschutzes Man kann im internationalen Umweltrecht drei Kategorien von Geboten unterscheiden: Die Schädigungsverbote, die Rechte auf gleichberechtigte Nutzung sowie Warnungs- und Informationspflichten.1389 a) Von der Verschmutzungsfreiheit zum Verbot schädigender und umweltgefährdender Aktivitäten und zum Prinzip der Haftung Dem zunächst aus der staatlichen Souveränität abgeleiteten absoluten Nutzungsrecht an den ökologischen Ressourcen wurde im Koordinationsvölkerrecht durch das aus den Rechten der anderen Staaten abgeleitete Verbot grenzüberschreitender Schädigung eine Schranke gezogen.1390 Dieses Prinzip der guten Nachbarschaft (i. w. S.) ist auch gewohnheitsrechtlich im Völkerrecht etabliert.1391 Es basiert auf dem gleichen Anspruch der Staaten auf territoriale Integrität und gibt einem absoluten Souveränitätsverständnis, wonach das eigene Gebiet ohne Rücksicht auf andere Staaten genützt werden könne, eine Absage.1392 Die früher aus dem Souveränitätsprinzip abgeleitete „Verschmutzungsfreiheit“ jedes Staates ist längst obsolet geworden.1393 Globale Umweltverantwortung, die allmählich als solche erkannt wird,1394 widerspricht nicht der staatlichen Souveränität, sondern ist ein Teil funktioneller Staatlichkeit. Weil die Umwelt in vieler Hinsicht ein grenzüberschreitendes Gut ist, gehört sie nicht allein der territorialen Hoheit eines einzelnen Staates, sondern gebietet vielmehr, die der anderen Staaten zu achten.1395 Nach heutigem Völkergewohnheitsrecht darf kein Staat auf seinem Territorium Aktivitäten entfalten oder zulassen, von denen erhebliche grenzüberschreitende Umweltbelastungen ausgehen können.1396 Auf der Grundlage der Prinzipien der Souveränität und der territorialen Integrität der Staaten haftet ein Staat für seine Organe gegenüber 1389

S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 317. Vgl. Prinzip 21 der Umwelterklärung von Stockholm (Declaration of the UN Conference on the Human Environment) v. 15.6.1972, UN Doc. A/Conf.88/14; abgedruckt in: ILM 11 (1972), 1416 (1420); L. Gündling, Umweltbeeinträchtigungen, ZaöRV 45 (1985), S. 265 (275); IGH, Corfu-Channel, ICJ Rep. 1949, 4 (22); „. . . every State’s obligation not to allow knowingly its territory to be used for facts contrary to the rights of other States.“; Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001, S. 356 f. 1391 IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, 66 (para. 29); S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 1998, S. 234. 1392 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 234 f. 1393 U. Beyerlin, Staatliche Souveränität und internationale Umweltschutzkooperation, S. 948. 1394 P. Saladin, Wozu noch Staaten?, S. 115, 138 f.; M. Brauer, Weltföderation, S. 207 ff. 1395 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 418 f. 1390

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einem anderen für erhebliche Schäden infolge von Eingriffen in die Umwelt, die von seinem Gebiet ausgehen und seiner Regelungs- und Kontrollbefugnis unterliegen.1397 Ferner müssen die Staaten alle zur Verfügung stehenden technologischen Mittel ausschöpfen, um umweltschädliche Auswirkungen ihrer technischen Anlagen zu verhüten. Wird diese Pflicht verletzt, haftet der betreffende Staat ebenfalls.1398 Grenzüberschreitende Umweltschäden werden meist durch Aktivitäten Privater verursacht. Deren zivilrechtliche Haftung ist in zahlreichen internationalen Umweltschutzübereinkommen geregelt.1399 Nicht nur repressiv, sondern auch schon präventiv werden die Staaten inzwischen als verpflichtet angesehen, nicht nur ihr eigenes Staatsinteresse, sondern auch das internationale Umweltschutzinteresse in den Blick zu nehmen.1400 Allerdings knüpft das Schädigungsverbot noch nicht unmittelbar an ein gemeinsames Interesse der Erhaltung der Umwelt an, sondern sucht lediglich die Souveränität (Gebietshoheit) benachbarter Staaten völkerrechtlich koordinierend in Ausgleich zu bringen.1401

1396 U. Beyerlin, Staatliche Souveränität und internationale Umweltschutzkooperation, S. 948; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 458 f., Rn. 94 f., S. 463 f., Rn. 103 ff. 1397 Prinzip 21 der Stockholmer Deklaration. 1398 J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“?, in: ders., die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 319 (331). 1399 Konvention des Europarats über die zivilrechtliche Haftung für Schäden aus umweltgefährdender Tätigkeit von 1993 (Gefährdungshaftung), nicht in Kraft; Internationales Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden von 1992, in Kraft seit 1996; Internationales Übereinkommen über die Errichtung eines internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden von 1992, Fondsübereinkommen, in Kraft seit 1996; Internationale Konvention über Haftung und Ersatz für Schäden im Zusammenhang mit der Beförderung von gefährlichen und schädlichen Substanzen auf See, HNS-Konvention von 1996; Pariser Übereinkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie von 1964, in Kraft seit 1968; Brüsseler Zusatzübereinkommen von 1965 (OECD); Wiener Übereinkommen von 1997–1997 Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage (mit Gefährdungshaftung gegenüber allen Staaten für Körper- und Sachschäden sowie erhebliche Umweltschäden, in Kraft seit 2003; 1988 Joint Protocol Relating to the Application of the Vienna Convention and the Paris Convention, in Kraft seit 1992; 5. Protokoll zum Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihre Entsorgung von 1998 fordert im Art 12 die Ausarbeitung eines Haftungsprotokolls, nicht in Kraft; Übereinkommen über die Regulierung der auf die mineralischen Bodenschätze in der Antarktis gerichteten Tätigkeiten von 1988; Umweltschutzprotokoll zum Antarktisvertrag von 1991, in Kraft seit 1998. 1400 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 245. 1401 M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, S. 572.

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b) Gleichberechtigte, faire Nutzung Die Prinzipien gleichberechtigter und fairer Nutzung globaler Umweltressourcen werden auf die Idee der Gleichheit der Staaten zurückgeführt.1402 Staatengemeinschaftsräume soll jeder Staat unter denselben Bedingungen vorfinden, damit er sie genauso wie die anderen Staaten erforschen und nutzen kann.1403 So hat nach Art. 116 SRÜ grundsätzlich jeder Staat das Recht, daß seine Angehörigen Fischerei auf Hoher See ausüben können. Gleichzeitig hat er auch die gleiche Pflicht, am Meeresumweltschutz mitzuwirken.1404 Entsprechendes gilt z. B. für die gleichberechtigte Nutzung und den Schutz der Luft und Atmosphäre1405 sowie des Weltraums1406. c) Warnungs-, Informations- und Konsultationspflichten Nach gegenwärtigem Recht sind die Staaten vor Projekten, die potentiell zu grenzüberschreitenden Umweltschäden führen können, zu Konsultationen und Informationen verpflichtet. Nach Störfällen obliegen ihnen gegenüber Nachbarstaaten Warnpflichten und eingeschränkt Konsultationsverpflichtungen.1407 Spezielle Regeln sieht die EG-Umweltverträglichkeitsrichtlinie vor.1408 4. Prinzipien des globalen Umweltvölkerrechts Die Menschen tragen eine globale Verantwortung für die Erde im Hinblick auf künftige Generationen, denen die Lebensgrundlage nicht entzogen werden darf. Daher ist es rechtlich geboten, die natürlichen Ressourcen nicht zu Lasten künftiger Generationen auszubeuten.1409 Aufgrund der erkennbaren Vergemein1402

S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 318. W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 479, Rn. 138. 1404 Dazu W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 472, Rn. 124 ff.; L. Gündling, Die 200 Seemeilen-Wirtschaftszone, 1983, S. 4 ff.; vgl. z. B. Art. 117 ff. SRÜ. 1405 Vgl. dazu W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 419, Rn. 33 ff. 1406 Vgl. Art. I Weltraumvertrag v. 27.1.1967, BGBl. 1969 II, S. 1969. 1407 F. L. Kirgis, Prior Consultation, 1983, S. 16 ff., 88 ff., 133 ff.; Th. Bruha, Schutz vor technisch-industriellen Umweltnotfällen, ZaöRV 44 (1984), S. 1 (53 ff.). 1408 Art. 7 Richtlinie 85/337/EWG des Rates v. 27.6.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 175 vom 5.7.1985, S. 40 i. d. F. der Änderungsrichtlinie 97/11/EG v. 3.3.1997 ABl. L 73 v. 14.3.1997, S. 5; vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2, 8 Abs. 1 UVPG. Für Nachbarstaaten, die (noch) nicht der Europäischen Union angehören, ordnet Art. 8 Abs. 2 und 3 UVPG in der Fassung der Bekanntmachung 25.06.05 (BGBl. 2005 I, S. 1757, 2797) Informations- und Konsultationspflichten auf der Grundlage der völkerrechtlichen Grundsätze von „Gegenseitigkeit“ und „Gleichwertigkeit“ an; vgl. S. Hund, Die Einbeziehung der Öffentlichkeit im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 121 (135). 1403

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schaftung der Verantwortung hat sich das internationale Umweltrecht, dessen Gegenstand die Gesamtheit der natürlichen, für den Menschen existentiellen Lebensgrundlagen ist1410, mehr als andere Materien des Völkerrechts, jedenfalls im Bereich bestimmter Menschheitsgüter, zu einem globalen Umweltrecht oder „Weltinnenrecht“ gewandelt.1411 Soweit die neue globale Konzeption verfolgt wird, zeigt sich eine gewisse Abkehr von den völkerrechtlichen Prinzipien der Reziprozität, der (wirtschaftlichen) Souveränität und Gleichheit der Staaten1412 zugunsten des Rechtsprinzips und der Fairneß, um dem Wohl der Menschheit und den Belangen künftiger Generationen gerecht zu werden.1413 Es konstitutionalisieren sich neben internationalen (völkerrechtlichen) auch globale umweltverfassungsrechtliche Prinzipien.1414 a) Umweltverpflichtungen erga omnes Die Lehre hat die globale Dimension des Umweltrechts erfaßt und erkannt, daß sich die Umweltvölkerrechtsnormen an alle Staaten richten müssen, also Wirkung erga omnes beanspruchen.1415 Werden Normen verletzt, welche dem Ziel dienen, Meere, Atmosphäre und Weltraum zu schützen, kommen nicht nur die unmittelbar und meßbar geschädigten Staaten als Berechtigte in Frage. Es ist auch von einer „Umweltverantwortungsgemeinschaft“ die Rede.1416 Darüber 1409 M. Brauer, Weltförderation, S. 87; vgl. auch W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 489 ff., Rn. 159 ff.; Erklärung von Rio de Janeiro (1992), Report of the UN Conference on Environment and Development (UNDED), Doc. A/CONF./151/ 26/rev. 1, Vol. I, 3. 1410 M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 288. 1411 J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“? (1993), in: ders. (Hrsg.), Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 319 (348); vgl. auch dazu F. Biermann, „Common concern of Humankind“. The Emergence of a New concept of International Environmental Law, in: AVR 34 (1996), S. 426 ff., 430 ff.; E. Kornicker, Ius cogens und Umweltvölkerrecht, 1997, S. 36 ff.; W. Graf Vitzthum, Seerechtsglobalisierung, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), in: Praxishandbuch UNO, 2003, S. 397 ff.; W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 491 f., Rn. 162 ff. zurückhaltend. 1412 R. Dolzer, Konzeption, Finanzierung und Durchführung des globalen Umweltschutzes, S. 37; J. Kokott, Naturrecht und Positivismus im Völkerrecht, in: Ch. J. Meier-Schatz/R. J. Schweizer (Hrsg.), Recht und Internationalisierung, 2000, S. 3 (16 f.). 1413 J. Kokott, Naturrecht und Positivismus im Völkerrecht, S. 16 f.; W. Graf Vitzthum, Seerechtsglobalisierung, S. 417 f. 1414 Dazu M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 290 ff. 1415 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 315; J. Delbrück, Erga omnes Norms in International Law, S. 27 f.; F. Biermann, „Common concern of Humankind“, AVR 34 (1996), S. 426 ff., 430 ff.; E. Kornicker, Ius cogens und Umweltvölkerrecht, S. 36 ff.

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hinaus werden auch neue Subjekte des globalen Rechts, wie der Einzelne1417, die Völker1418, die Menschheit1419, künftige Generationen oder die Natur1420 selbst wahrgenommen.1421 b) Prinzip der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) Das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung ist mit der Forderung verbunden, daß künftigen Generationen grundsätzlich dasselbe Recht auf eine stabile Umwelt zusteht und ihre Bedürfnisse genauso gesichert werden sollen wie diejenigen der jetzigen Generation. Dieser unter dem Stichwort sustainable development in neurer Praxis und Lehre1422 verfolgte Ansatz, auch Rechte künftiger Generationen1423 anzuerkennen, ist im auf die Rechte von Staaten konzentrierten Völkerrecht ein weltrechtliches Element.1424 Der offene Rechtsbegriff1425 „nachhaltige Entwicklung“ beschreibt ein Prinzip, keine bestimmte materielle Regel1426, das in mehreren völkerrechtlichen Akten (z. B. Präambel WTOÜbereinkommen, Prinzip 12 Rio-Deklaration1427,,Präambel und Art. 3 Abs. 1 UN-Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen1428) Aufnahme gefunden 1416 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 245; F. Böhm, Das Verursacherprinzip in der globalen Umweltpolitik, ZfU 2/2004, S. 201 (205). 1417 Dazu P. Alston, New Human Rights, AJIL 78 (1984), S. 607 (612). 1418 Vgl. Art. 24 AfCRMV. 1419 M. M. Whiteman, Jus Cogens, Ga.J.Int’l & Comp.L.7 (1977), S. 626; dagegen A.-Ch. Kiss, La notion de patrimoine commun de l’humanité, RdC 175 (1982-II), S. 99 (174 ff., 189 ff., 235 ff.). 1420 Vgl. die allerdings rechtsunverbindliche Welt-Charta der Natur, GA Res 37/7 v. 28.10.1982. 1421 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 315. 1422 Etwa R. Bartholomäi, Sustainable development und Völkerrecht 1997; A. Epiney/M. Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 1998, S. 35 ff.; W. Lang/ H. Hohmann/A. Epiney, Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung, 1999; U. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, 2000, S. 16 ff.; vgl. auch Präambel und Art. 3 Abs. 1 UNRahmenübereinkommen über Klimaänderungen, ILM 31 (1992), 849 ff.; K. Birker/D. Schwolgin (Übers)., Weltentwicklungsbericht Weltbank, Nachhaltige Entwicklung in einer dynamischen Welt, 2003; United Nations Devision for Sustainable Development, www.un.org/esa/sustdev/. 1423 Dazu G. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, S. 249 ff. 1424 Vgl. J. Kokott, Naturrecht und Positivismus im Völkerrecht, S. 10. 1425 J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, 2002, S. 162; zurückhaltend zur Frage, ob das „concept of sustainable development“ bereits Rechtscharakter aufweist, noch zurückhaltend IGH „Gabcikovo/ Nagymaros, Rep. 1997, 78; vgl. aber bejahend Weeramantry, Sondervotum, Rep. 1997, 95. 1426 Zur Unterscheidung von Prinzipien und Regeln R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 71 ff. 1427 Text in ILM 1992, 876. 1428 ILM 31 (1992), 849 ff.

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hat1429, aber als Menschenrecht im Völkerrecht, abgesehen von einem Recht auf Zugang zu sauberem Wasser (abgeleitet aus Art. 11, 12 IPwskR) noch keine Anerkennung gefunden hat.1430 Nachhaltige Entwicklung strebt nach einer Verbesserung der Lebensqualität für alle Menschen auf der Erde, ohne den Ressourcenverbrauch über die natürliche Belastbarkeitsgrenze der Erde hinaus zu steigern.1431 Auf Weltebene verlangt dies Aktionen in den folgenden drei Kernbereichen: – Das heutige, eng verknüpfte, globale Wirtschaftssystem benötigt einen ganzheitlichen Ansatz, um verantwortungsbewußt langfristiges Wachstum zu fördern, und dabei sicherzustellen, daß keine Nation oder Gemeinschaft zurückbleibt. – Um unser ökologisches Erbe und unsere natürlichen Ressourcen für zukünftige Generationen zu erhalten, müssen ökonomisch gangbare Lösungen entwickelt werden, die den Ressourcenverbrauch reduzieren, die Umweltverschmutzung stoppen und den natürlichen Lebensraum bewahren. – Die Weltgemeinschaft muß dafür sorgen, daß die kulturelle, ökologische und soziale Vielfalt sowie die Rechte der Menschen respektiert werden, und daß alle Menschen eine Chance haben, ihre Zukunft zu gestalten. c) Vorsorgeprinzip Wenn erhebliche Schäden für die Umwelt zu befürchten sind, müssen nach dem Vorsorgeprinzip1432 erforderliche Maßnahmen auch dann getroffen werden, wenn keine wissenschaftliche Gewißheit besteht, daß die befürchteten Umwelt1429 Dazu S. Puth, WTO und Umwelt, 2003, S. 122 ff.; U. Beyerlin, Nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen und Menschenrechtsschutz, in: Liber amicorum J. Delbrück, Weltinnenrecht, 2005, S. 47 (52 ff.); z. B. Alpenkonvention, ILM 31 (1992), 767; Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung, ILM 33 (1994), 1328; Afrikanische Konvention über die Erhaltung der Natur und natürlichen Ressourcen v. 11.7.2003; Vereinbarung über die nachhaltige Entwicklung des Mekong-Beckens, ILM 34 (1995), 864; UN-Übereinkommen zum Schutz von Flüssen und Seen, ILM 36 (1997), 700; Biodiversitätsabkommen v. 1992, BGBl. 1993 II, S. 1741. 1430 Dazu CESCR, General Comment No. 15, the right to water (art. 11, 12) 26/11/ 2002, E/C.12/2002/11; U. Beyerlin, Nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen und Menschenrechtsschutz, S. 57 ff. 1431 Siehe Art. 3 Ziff. 1 des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen, wonach die Vertragsparteien das Klimasystem zum Wohl heutiger und künftiger Generationen schützen sollen; dazu G. Bruntland (ed.), Our common future: The World Commission on Environment and Development, 1987. 1432 Dazu E. G Primosch, Das Vorsorgeprinzip im internationalen Umweltrecht, Zeitschrift für öffentliches Recht 51 (1996), S. 227 ff.; A. Epiney/M. Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, S. 89 ff., 103 ff. m.w. N.; M. Böckenförde, The Operationalization of the Precautionary Approach in International Environnemental Law Treaties, ZaöRV 63 (2003), S. 313 ff.

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schäden auch tatsächlich eintreten werden oder zwischen einem bestimmten Verhalten und der befürchteten Auswirkung ein Zusammenhang besteht (vgl. z. B. Art. 3 Abs. 3 Rahmenklimakonvention). Mit dem Cartagena-Protokoll (Biosicherheitsprotokoll) hat erstmalig das Vorsorgeprinzip („precautionary principle“) Eingang in einen international verbindlichen Text gefunden.1433 Dem Vorsorgeprinzip wird auch im Rahmen der WTO-Rechtsetzung und Rechtsprechung Raum gegeben.1434 d) Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeit, Solidaritätsprinzip Einbezogen werden nach dem „Prinzip gemeinsamer, aber unterschiedlicher Verantwortlichkeit“1435 der höhere Beitrag der Industriestaaten zur Umweltproblematik gegenüber dem der Entwicklungsländer sowie auch deren unterschiedliche finanzielle und technologischen Kapazitäten, Umweltschutzmaßnahmen zu treffen.1436 In den neueren Umweltschutzverträgen ist die „ständige Hoheit über Naturreichtümer“, welche die Entwicklungsländer in den siebziger und achtziger Jahren betont haben, um ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit geltend zu machen, zugunsten des Prinzips der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung“1437 relativiert worden. Mittel für Kosten, die den Entwicklungsländern aus ihren Umweltverpflichtungen entstehen, sollen von den entwickelten Staaten „neu und zusätzlich“ zur Verfügung gestellt werden.1438 Bisher ist die Glo1433 ILM 39 (2000), 1027, in Kraft getreten am 11.9.2003, unter: www.biodiv.org/ biosafety. 1434 Panel Report v. 18.8.1997, EC-Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), WT/DS26/R/USA, para. 8.157; Appellate Body Report, AB-1997-4 v. 16.1.1998 EC-Measures Concerning Meat and meat Products (Hormones), WT/DS26/ AB/R, WT/DS48/AB/R, para. 123 m. Fn. 92; EC – Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 178; vgl. auch J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 38 f., 154 f.; 194; T. Makatsch, Gesundheitsschutz im Recht der Welthandelsorganisation, 2004, S. 97 ff. 1435 Dazu A. Epiney/M. Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, S. 64 ff.; M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 294 ff.; F. Böhm, Das Verursacherprinzip in der globalen Umweltpolitik, ZfU 2/2004, S. 206 ff. 1436 Die Vertragsparteien des Klimarahmenabkommens sollen nach dessen Art. 3 Ziff. 1 „auf der Grundlage der Gerechtigkeit und entsprechend ihren gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und ihren jeweiligen Fähigkeiten das Klimasystem zum Wohl heutiger und zukünftiger Generationen schützen. Folglich sollen die Vertragsparteien, die entwickelte Länder sind, bei der Bekämpfung der Klimaänderungen und ihrer nachteiligen Auswirkungen die Führung übernehmen.“; auch Art. 4 Klimarahmenkonvention. 1437 Dazu R. Dolzer, Konzeption, Finanzierung und Durchführung des globalen Umweltschutzes, S. 41 ff. 1438 Vgl. Präambel der in Rio de Janeiro 1992 verabschiedeten Agenda 21 sowie deren Kapitel 33; dazu F. Böhm, Das Verursacherprinzip in der globalen Umweltpolitik, ZfU 2/2004, S. 210 f.

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bal Environment Facility die einzige Institution, die sich ausschließlich der Finanzierung und Durchführung von Projekten zum Schutz der globalen Umwelt widmet. Sie wurde 1991 im Vorfeld der Rio-Konferenz geschaffen.1439 In einem innovativen Rahmen arbeiten die Weltbank, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP)1440 und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) in Verbindung von Umwelt- und Entwicklungspolitik zusammen.1441 Um das Ziel einer gerechten Ordnung der Meere zu erreichen1442, ist im Seerechtsübereinkommen von 1982 nicht nur eine gleichmäßige Teilhabe aller Staaten am Meeresbergbau und dessen Erlösen, sondern auch die positive Förderungsverpflichtung gegenüber den Entwicklungsländern in Form eines mandatorischen Technologietransfers (Art. 144 SRÜ) festgelegt.1443 Für die staatsfreien Räume werden somit das weltrechtliche Solidaritätsprinzip und das Recht auf Entwicklung (dazu 4. Teil, A, S. 542 ff.) im Sinne einer erkannten Schutzpflicht gefördert.1444 e) Gemeinsames Erbe der Menschheit Entsprechend dem Recht für staatsfreie Räume ist das gemeinsame Erbe der Menschheit in das Umweltvölkerrecht eingeführt worden. Bereits 1972 hat die UNESCO ein Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt angenommen.1445 In dessen Präambel heißt es, „. . . daß Teile des Kulturund Naturerbes von außergewöhnlicher Bedeutung sind und daher als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit erhalten werden müssen“.1446 Schutz der Erdatmosphäre und tropische Regenwälder sollen ebenfalls dem gemeinsamen Erbe der Menschheit unterstellt werden.1447 In der Präambel der Klimarah-

1439 Dazu M. Ehrmann, Die Globale Umweltfazilität (GEF), ZaöRV 57 (1997), S. 565 ff.; R. Dolzer, Konzeption, Finanzierung und Durchführung des globalen Umweltschutzes, S. 45 ff. 1440 www.undp.org/. 1441 R. Dolzer, Konzeption, Finanzierung und Durchführung des globalen Umweltschutzes, S. 45, 48 ff. 1442 W. Graf Vitzthum, Seerechtsglobalisierung, S. 413. 1443 UN Doc. A/CONF. 62/122, ILM 21 (1982), 1261; BGBl. 1994 II, S. 1799; dazu R. Wolfrum, Internationalisierung staatsfreier Räume, 1984, S. 455 ff. 1444 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 277 f.; W. Stocker, Das Prinzip des Common Heritage of Mankind, 1993, befürwortet eine Anwendung des Solidaritätsprinzips über die staatsfreien Räume hinaus. 1445 BGBl. 1977/II, S. 213 ff. 1446 BGBl. 1977/II, S. 215. 1447 M. Brauer, Weltföderation, S. 283; vgl. F. Böhm, Das Verursacherprinzip in der globalen Umweltpolitik, ZfU 2/2004, S. 205.

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menkonvention1448 heißt es, daß „adverse change in Earth’s climate is a common concern of humankind . . .“. Insbesondere in der Anerkennung dieses Prinzips zeigt sich der Paradigmenwechsel des internationalen Umweltrechts zu einem globalen Umweltrecht. Das Vertragsrecht zum Schutz des Klimas und der Ozonschicht sieht, geleitet vom Vorsorgeprinzip, Verpflichtungen zur Wahrung der „globalen Umweltbelange“ vor, die aufgrund einer gemeinsamen Verantwortlichkeit im Gemeinschaftsinteresse zu erfüllen sind.1449 Art. 136 ff. des UN-Seerechtsübereinkommens1450 erklären den Meeresboden und Meeresuntergrund jenseits der Hoheitsgewalt zum „Gemeinsamen Erbe der Menschheit“. Teil XI des Seerechtsübereinkommens errichtet ein gegenüber den bisherigen völkerrechtlichen Instituten neues weltrechtliches Regime für das „Gebiet“, d. h. „den Meeresboden und den Meeresuntergrund jenseits der Grenzen des Bereichs nationaler Hoheitsbefugnisse“ (Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 SRÜ).1451 Anders als für die Hohe See gibt es für das „Gebiet“ und seine Ressourcen keine erlaubnisfreie Exploration1452, Nutzung oder Ausbeutung. Das bedeutet, daß staatliche und private Ansprüche insoweit ausgeschlossen sind. Die dort liegenden Ressourcen können sich einzelne Staaten oder Personen nicht ohne die Erlaubnis der Meeresbehörde aneignen. Das regelt Art. 137 SRÜ. Die „unveräußerlichen“ Ressourcen dürfen „nur in Übereinstimmung mit . . . den Regeln, Vorschriften und Verfahren der Internationalen Meeresbodenbehörde veräußert werden“ (Art. 137 Abs. 2 Satz 3 SRÜ). Art. 137 SRÜ gilt nicht nur für die Vertragsmitglieder, sondern erga omnes für alle Staaten.1453 Dies ist möglich, weil er das weltrechtliche und damit universell gültige Prinzip des Gemeinsamen Erbes der Menschheit materialisiert. Nur zu friedlichen Zwecken darf das betreffende Gebiet genutzt werden (Art. 141 SRÜ). Außerdem müssen 1448 Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen vom 9.5.1992, BGBl. 1993 II, S. 1783. 1449 R. Dolzer, Die intenationale Konvention zum Schutz des Klimas und das allgemeine Völkerrecht, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 957 (971 ff.). 1450 UN Doc. A/CONF. 62/122, ILM 21 (1982), 1261; BGBl. 1994 II, S. 1799; vgl. dazu Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 369 ff. 1451 W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 444, Rn. 68. 1452 Die wissenschaftliche Meeresforschung ist gemäß Art. 143 SRÜ frei. 1453 Art. 137 SRÜ lautet: „(1) Kein Staat darf über einen Teil des Gebietes oder seine Ressourcen Souveränität oder souveräne Rechte beanspruchen oder ausüben . . . (2) – alle Rechte an den Ressourcen des Gebiets stehen der gesamten Menschheit zu, in deren Namen die Behörde handelt. Die Ressourcen sind unveräußerlich. Die aus dem Gebiet gewonnenen Mineralien dürfen jedoch nur in Übereinstimmung mit diesem Teil und den Regeln, Vorschriften und Verfahren der Behörde veräußert werden. (3) Ein Staat oder ein natürliche oder juristische Person kann Rechte in bezug auf die aus dem Gebiet gewonnenen Mineralien nur in Übereinstimmung mit diesem Teil beanspruchen, erwerben oder ausüben. Auf andere Weise beanspruchte Rechte werden nicht anerkannt.“

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die Meeresforschung garantiert (Art. 143 SRÜ) und die Umwelt geschont werden (Art. 145, 147 SRÜ). Die wirtschaftliche Nutzung des Tiefseebodens wird zur gemeinsamen Sache aller gemacht (Art. 133–191 SRÜ). 5. Rechtsetzung im globalen Umweltrecht a) Rahmenkonventionen Ansatzweise (z. B. zum Schutze der Ozonschicht) kann von weltrechtlichen Entwicklungen und globaler Rechtsetzung gesprochen werden.1454 Typisch für das Recht der Globalisierung im Umweltrecht sind law-making treaties (dazu 3. Teil, E, S. 449 ff.), die häufig als Rahmenkonventionen, welche nur grobe Ziele festlegen, verabschiedet werden. Die nähere Ausfüllung erfolgt entweder durch Protokolle oder wird im Falle hochgradig technischer Regelungen, welche ständig an den Stand von Wissenschaft und Technik angepaßt werden müssen, an Expertengremien delegiert.1455 Die Ergänzungsprotokolle sind als Vertragsänderungen durch die Vertragsparteien des Rahmenabkommens einzuordnen, die allerdings häufig vereinfachten Verfahrensvorschriften, insbesondere der Mehrheitsregel, unterliegen.1456 Teilweise sieht der Rahmenvertrag für Parteien, die sich dem Mehrheitsbeschluß nicht beugen wollen, die Möglichkeit vor, sich für ihren Hoheitsbereich von der Geltung des Protokolls zu befreien (opting-out-Klauseln).1457 Insbesondere das Problem des sich ausweitenden Ozonlochs hat dazu gedrängt, ein vereinfachtes Annahme- und Änderungsverfahren mit Mehrheitsregel einzuführen.1458 Änderungen der Wiener Konvention zum Schutz der Ozonschicht (vgl. Art. 8, 9) werden durch Konsens der Vertragsparteien, aber wenn Einstimmigkeit nicht erreicht werden kann, durch Dreiviertel- (bei Änderungen des Übereinkommens) und durch Zweidrittelmehrheit (bei Änderungen von Protokollen) entschieden (Art. 9 Abs. 3 und 4). Die Änderungen treten für alle Vertragsparteien, die sie förmlich angenommen haben, in Kraft, wenn mindestens drei Viertel (für das Übereinkommen) oder zwei Drittel der Vertragsparteien (für die Protokolle) ihre formelle Ratifikation, Genehmigung oder Annahme notifiziert haben (Art. 9 Abs. 5). Gegen seinen Willen wird also kein Staat an die Änderungen gebunden. Die Bestimmungen des Montrealer Protokolls können im Konsensverfahren und falls dies nicht zum Erfolg führt, schon mit Zweidrittelmehrheit mit rechtlicher Bindungswirkung für alle Parteien angepaßt werden (Art. 2 Abs. 9).1459 Änderungen der 1454

S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 233. Dazu Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 247 ff., 391 ff. 1456 J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, S. 802. 1457 Dazu Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 250 ff. 1458 U. Beyerlin, Staatliche Souveränität und internationale Umweltschutzkooperation, S. 946. 1455

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Klimarahmenkonvention werden durch Konsens, und wenn dieser nicht erreicht wird, durch Dreiviertelmehrheit in der Konferenz der Vertragsparteien beschlossen. Die angenommene oder geänderte Anlage tritt für alle Vertragsparteien in Kraft, ohne daß es einer einzelstaatlichen Ratifikation oder sonstigen Zustimmung bedarf. Es besteht nur die Möglichkeit eines expliziten opting out (Art. 16 Abs. 3).1460 Jost Delbrück erkennt in diesen Rechtsetzungsverfahren einen „legislativen Charakter“.1461 Soweit die Ausfüllung von Rahmenkonventionen an Expertengremien delegiert ist, reduziert sich der Einfluß staatlicher Parlamente sowie die Möglichkeit eines allgemeinen Diskurses erheblich.1462 Die Expertengremien setzen sich in der Regel aus Vertretern der Administrationen der zuständigen Internationalen Organisationen und nationalen Fachverwaltungen, die sich dadurch stärker mit solchen aus anderen Staaten vernetzen, zusammen. Gelegentlich werden auch unabhängige, grenzüberschreitend tätige Institute, in denen entweder nur private oder private und staatliche Experten arbeiten, betraut. Dies bewirkt eine zusätzliche Verlagerung der Rechtsetzungsbefugnisse in den exekutivischen Bereich unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter privater Experten. Diese Art exekutivischer Durchführungsrechtsetzung weicht vom klassischen völkerrechtlichen Rechtsetzungsverfahren ab1463, erfüllt aber gleichzeitig nicht immer die Bedingungen demokratischer Rechtsetzung im Rahmen der Global governance (dazu 5. Teil, C, S. 658 ff.). Rechtlich erträglich ist sie nur, wenn sich die Durchführungsrechtsetzung von Exekutive und Experten auf technische Anpassungen an den Stand von Wissenschaft und Technik beschränkt und auf hinreichend bestimmten Ermächtigungen im Rahmenabkommen beruht, die letztlich durch die ratifizierenden nationalen Parlamente vorhersehbar sind und durch diese verantwortet werden können.1464 b) Materielle Regelungen des globalen Umweltvölkerrechts aa) Soft Law Sogenannte Verhaltensanweisungen1465, die als Resolutionen, Leitlinien (guidelines) z. B. der OECD1466, Empfehlungen, Beschlüsse, Deklarationen oder Re1459 Zu diesem Verfahren eingehend H. E. Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 1998, S. 155 ff. 1460 Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 402. 1461 J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, S. 802. 1462 Dazu Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 249 ff. 1463 J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, S. 802. 1464 BVerfGE 89, 155 (187); dazu 1. Teil, B, S. 87 ff. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, in: W. Blomeyer/ders., Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 75 (113). 1465 Überblick bei W. Lang, Verrechtlichung, AVR 22 (1984), S. 287 ff.

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geln (rules) ergehen, sind großenteils soft law.1467 Die Rio-Konferenz, bei der auch Nichtregierungsorganisationen an der Entwicklung von Weltumweltschutznormen beteiligt waren, hat angesichts der globalen Bedrohung der Umwelt in der Rio-Deklaration1468, wenn auch mit nur beschränkter normativer Kraft1469, Wegmarken in Richtung auf eine institutionalisierte Staatenkooperation im Umweltvölkerrecht gesetzt.1470 Prinzip 7 der Deklaration bestimmt, daß alle Staaten im Geiste globaler Partnerschaft zusammenarbeiten sollen, um die Gesundheit und Integrität des Weltökosystems zu erhalten, zu schützen und wiederherzustellen. In Agenda 211471 verweist das Dokument auf die Prinzipien der Solidarität und des Vorrangs nachhaltiger Entwicklung. Ein wenig weiter materialisiert wurden diese Prinzipien durch die „Johannesburg Declaration on Sustainable Development“1472 und den „Plan of Implementation of the World Summit on Sustainable Development“1473. Diese Dokumente werden als soft law eingeordnet, sind also nicht zwangsweise durchsetzbar.1474 Ebenfalls mit staatlichem Zwang nicht durchsetzbar sind Initiativen der Zivilgesellschaft in Form von Verhaltenskodices und Labels, die auf privaten Verträgen beruhen.1475 bb) Völkerrechtlich bindende Abkommen Einige Abkommen legen den Unterzeichnerstaaten die völkerrechtliche Verpflichtung auf, im Interesse der Wahrung globaler Güter auf dem eigenen Territorium Schutzmaßnahmen zu ergreifen.1476 Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß das Staatsterritorium nur soweit als Bezugsgröße zur Verwirklichung der die Staatsgrenzen überschreitenden Aufgabe der Erhaltung der 1466 Dazu H. Smets, Organization, in: O. Kimminich (Hrsg.), Handwörterbuch des Umweltrechts Bd. II, 1988, Sp., S. 138 f. 1467 Dazu P. H. Sand, Environmental Protection, in: M. Bothe (Hrsg.), Trends, 1980, S. 311 ff.; A. Skala, Internationale technische Regeln, 1982, S. 176 ff., 206 ff. 1468 Text in ILM 1992, 876. 1469 Zur „souveränitätsschonenden“ gestuften Vertragsschlußtechnik im Umweltvölkerrecht U. Beyerlin, Staatliche Souveränität und internationale Umweltschutzkooperation, S. 946 f. 1470 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 247. 1471 Text in A/Conf.151/26, vols. I–III. 1472 Text in: Report of the World Summit on Sustainable Development, Johannesburg, South Africa, 26 August–4 September 2002, UN Doc. A/CONF.199/CRP.5 of 28 August 2002, p. 1 et seq. ( para 18, 22, 30); U. Beyerlin/M. Reichard, The Johannesburg Summit: Outcome and Overall Assessment, ZaöRV 63 (2003), S. 213 (218). 1473 UN Doc. A/CONF.199/CRP.5, 28.10.2002, p. 6 et seq.; dazu U. Beyerlin/M. Reichard, The Johannesburg Summit, ZaöRV 63 (2003), S. 218 ff. 1474 U. Beyerlin/M. Reichard, The Johannesburg Summit, ZaöRV 63 (2003), S. 217. 1475 F. Böhm, Das Verursacherprinzip in der globalen Umweltpolitik, ZfU 2/2004, S. 221 ff. 1476 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 238.

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Umwelt in Frage kommt, als der einzelne Staat durch internationale Verhaltenspflichten für die Erhaltung des Ganzen weltweit in die Pflicht genommen wird.1477 Beispiele sind etwa das Übereinkommen der EG mit osteuropäischen Staaten über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung mit Zusatzprotokollen1478, das Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung vom Lande aus1479, die Konvention zum Schutz des Weltkultur- und Naturerbes1480. Die in Rio verabschiedete Klimarahmenkonvention von 19921481, die 1994 in Kraft getreten ist, gilt neben dem WTO-Abkommen als wichtigster völkerrechtlicher Vertrag der jüngeren Zeit.1482 Sie sieht die Etablierung eines den Menschenrechtsschutzinstrumenten (dazu 6. Teil, F, S. 924 ff.) nachgebildeten Berichtssystems vor (vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. d i.V. m. Art. 7 Klimarahmenkonvention). Zusammen mit der Wiener Konvention zum Schutz der stratosphärischen Ozonschicht von 19851483 und dem Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen1484, hat sie Erfolge im Abbau der FCKWProduktion und im Schutz der Ozonschicht erreicht.1485 Die Wiener Konvention zum Schutz der Ozonschicht und die Klimaschutzkonvention sind Rahmenabkommen mit nur wenigen bestimmten materiellen Regelungen.1486 Dieses Rechtsregime ist auf dynamische Entwicklung zu materiell immer bestimmteren Regelungen angelegt.1487 Die im Rahmenabkommen vorgesehene institutionelle Materialisierungsarbeit bildet zumindest ein Forum, das die Beteiligten „in kontinuierlichen Diskursen vernetzt“ und Rechtfertigungszwänge schafft.1488 Offene Rechtsbegriffe ermöglichen anders als strikte Ver- und Gebote zwar eine weniger strikte Judiziabilität, aber immerhin einen Minimalkonsens.1489 Der materielle Gehalt der Klimaschutzrahmenkonvention, der sich im wesentlichen auf allgemeine Postulate und Prinzipien beschränkt und keine bestimm1477

S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 239. Vom 13.11.1979, BGBl. 1979 II, S. 374. 1479 Vom 4.6.1974, BGBl. 1981 II, S. 871; geändert durch Protokoll vom 26.3.1986, BGBl. 1989 II, S. 171. 1480 Vom 23.11.1972, BGBl. 1977 II, S. 215. 1481 Dazu S. Oberthür/H. Ott, Klimapolitik, in: Politik und Gesellschaft/International Politics and Society, 1995, S. 399 ff.; R. Dolzer, Die intenationale Konvention zum Schutz des Klimas und das allgemeine Völkerrecht, S. 957 ff. 1482 P. Kunig, Völkerrechtsschutz für das Klima, in: Fs. M. Jänicke, 1997, S. 82. 1483 Vom 22.3.1985, BGBl. 1988 II, S. 902. 1484 Vom 16.9.1987 BGBl. 1988 II, S. 1014; mit Änderungen und Anpassungen v. 29.6.1990, BGBl. 1991 II, S. 1332 und v. 25.11.1992, BGBl. 1993 II, S. 2183; v. 7.12.1995, BGBl. 1998 II, S. 2691 und 2733. 1485 P. Kunig, Völkerrechtsschutz für das Klima, S. 82. 1486 Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 399, 401. 1487 Dazu H. E. Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 1998, S. 57 ff.; Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 245 ff., 399. 1488 P. Kunig, Völkerrechtsschutz für das Klima, S. 82. 1489 P. Kunig, Völkerrechtsschutz für das Klima, S. 84. 1478

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ten Treibhausgasreduktionsverpflichtungen vorsieht, bleibt materiell weitgehend unbestimmt.1490 Genauere und ergänzende Handlungspflichten regelt das KyotoProtokoll1491, das sich inhaltlich mit der Begrenzung von Treibhausgasen beschäftigt, die nicht von der Wiener Konvention und dem Montrealer Protokoll erfaßt sind. Zentrale Vorschrift des Protokolls ist die Verpflichtung der, im einzelnen aufgeführten, industrialisierten Staaten (einschließlich der Reformstaaten des ehemaligen Ostblocks), ihre Emissionen für die genannten Treibhausgase nach den genauen Vorgaben des Protokolls zu reduzieren. Die Wahl der Mittel hierzu bleibt den Staaten überlassen (vgl. Art. 2 Abs. 2), was als Niederlage für den Umweltschutz betrachtet wird1492, und im einzelnen strittig ist1493. Außerdem sind durch den Grundsatz der „gemeinsamen Erfüllung“ und den möglichen Handel mit Emissionsreduktionseinheiten erhebliche Flexibilisierungen für einzelne Staaten verbunden, welche vom Verursacherprinzip abweichen1494 und die Effektivität der Durchsetzung behindern.1495 Insgesamt ist die Verwirklichung der konstitutionellen Prinzipien im Klimaschutzregime noch unzureichend, insbesondere wegen der nationalen Egoismen einiger Industrieländer, welche sich entweder weigern, das Protokoll zu unterzeichnen oder justiziable Verpflichtungen verhindern.1496 Das gilt auch in Hinblick auf einen nachhaltigen Umweltschutz; denn das Protokoll enthält keine Verpflichtungen über das Jahr 2012 hinaus. Zudem sollten Regeln für die Nutzung grenzüberschreitender Ressourcen wie Wasser, Erdöl oder Gas ausgearbeitet werden.1497

1490

P. Kunig, Völkerrechtsschutz für das Klima, S. 83. Kyoto Protocol to the United Nations Framework Convention on Climate Change, abgedruckt in: OLM 37 (1998), 32 ff.; siehe auch 6. Verhandlungskonferenz, Juli 2001 „Bonn Agreement“ Decision 5/CP.6: Implemention of the Buenos Aires Plan of Action (Dok. Nr. FCCC/CP/2001/L.7); 7. Vertragsparteienkonferenz Oktober/ November 2001 Marrakesch); alle Dokumente unter www.unfccc.int/resource/docs. html; dazu Ch. Bail, Das Klimaschutzregime nach Kyoto, EuZW 1998, 457 (460 ff.); dazu S. Oberthür/H. E. Ott, Das Kyoto-Protokoll, 2000, S. 133 ff.; M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 303 ff. 1492 Ch. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 403; Kommentierung von S. Oberthür/H. E. Ott, Das Kyoto-Protokoll, S. 145 ff. 1493 Dazu vgl. M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 307 ff. 1494 F. Böhm, Das Verursacherprinzip in der globalen Umweltpolitik, ZfU 2/2004, S. 218 ff. 1495 Dazu vgl. M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 304 ff. 1496 Dazu vgl. M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 323 ff. 1497 Hochrangige Gruppe, Bericht, Eine sicherere Welt, S. 40, Rn. 93. 1491

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6. Durchsetzbarkeit des globalen Umweltvölkerrechts Zumeist fehlen im internationalen Umweltrecht adäquate Erzwingungsmechanismen. Die in einigen Abkommen enthaltenen Berichtspflichten1498 bewirken wenig, zumal sie in den wenigsten Fällen von einem Berichtsprüfungsrecht der vertraglich geschaffenen Instanz, das zumeist allenfalls Empfehlungen nach sich zieht,1499 begleitet werden.1500 In der Regel werden Warnungen ausgesprochen und der Vertragsbruch publiziert. Gegebenenfalls können dem vertragsbrüchigen Staat etwaige Rechte und Privilegien (z. B. Abstimmungsrechte) entzogen werden.1501 Ultima ratio kommt der Ausschluß aus dem Vertrag in Betracht1502, was aber der Verwirklichung des globalen Umweltschutzes eher entgegenwirkt. In einigen Fällen, insbesondere im Rahmen des Montrealer Protokolls des Washingtoner Artenschutzabkommens von 1973, haben Vertragsstaaten zu Sanktionen aufgerufen, namentlich den Handel mit geschützten Arten mit vertragsbrüchigen Staaten zu unterbinden.1503 Die Vollstreckung dieser Sanktionen obliegt jedoch wie im Völkerrecht üblich den einzelnen Vertragsstaaten, beruht also letztlich auf der staatlichen Selbstverpflichtung.1504 Dem materiellen Regelungsgehalt der Abkommen steht kein entsprechendes Durchsetzungsinstrumentarium gegenüber.1505 Es ist eine Konsequenz des Paradigmenwechsels vom internationalen zum globalen Umweltrecht und bedeutet eine Stärkung der rule of law, daß die Rechtsdurchsetzung auch eine Verantwortung der gesamten Staatengemeinschaft und nicht nur einzelner Staaten ist.1506 Dementsprechend gilt das Prinzip der Reziprozität im globalen Umweltrecht nicht mehr.1507 Ein Staat kann die Einhaltung des globalen Umweltrechts nicht deshalb verweigern, weil andere Staaten ihrer Verpflichtung ebenfalls nicht nachkommen. Deswegen ist es konsequent, daß nicht nur die Staaten ein Klagerecht haben, um Umweltpflichten einzufordern, sondern auch Kontrollverfahren „von Amts wegen“1508 existieren. 1498 Z. B. in Art. 5 des Übereinkommens zum Schutz der Ozonschicht und Art. 7 des dazugehörenden Montrealer Protokolls (Art. 4 Abs. 1 j), Art. 12 Klima-Konvention, Art. 26 Artenvielfalt-Konvention, Art. 22 der Konvention zum Schutz der marinen Umwelt des Nordost-Atlantik v. 22.9.1992, ILM 32 (1993), 1072. 1499 Art, 7, 8 Montrealer Protokoll, Art. 23 Umweltschutzübereinkommen für den Nordost-Atlantik. 1500 U. Beyerlin, Staatliche Souveränität und internationale Umweltschutzkooperation, S. 947. 1501 S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, S. 122. 1502 S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, S. 122. 1503 S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, S. 123 f. 1504 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 244. 1505 G. C. Rowe, Globale und globalisierende Umwelt, S. 282. 1506 J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“?, S. 332. 1507 J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“?, S. 334. 1508 S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, in: B. Zangl/M. Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung, 2004, S. 119 (121).

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Das Verfahren des Kyoto-Protokolls wird nach Art. 8 in Gang gesetzt, wenn die für die Überprüfung der Staatenberichte zuständigen „sachkundigen Überprüfungsgruppen“ Umsetzungsprobleme feststellen. Auch nicht-staatliche Gruppen erhalten somit die Möglichkeit, ein Verfahren zu initiieren.1509 Die Überprüfung durch die Einhaltungsausschüsse internationaler Umweltabkommen, die alle ihnen übermittelten Anzeigen nach der rule of law und nicht nach politischen Erwägungen unabhängig behandeln und deren Tätigwerden nicht von der Zustimmung der Vertragsparteien abhängt, ist obligatorisch.1510 Zwar haben sich die Staaten in vielen Fällen vertraglich auf die Einsetzung von gemeinsamen Umweltschutz-Gremien mit beratender, initiierender und kontrollierender Funktion geeinigt, diese jedoch selten mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattet1511, so daß sie nicht die Funktion einer Weltumweltbehörde erfüllen. Eine Ausnahme bildet der Einhaltungsausschuß des Kyoto-Protokolls, der selbst über einen etwaigen Vertragsbruch und seine Konsequenzen entscheidet.1512 Zwar kann der wegen Verletzung seiner Emissionspflichten verurteilte Staat gegen den Beschluß des Einhaltungsausschusses Beschwerde erheben, allerdings mit geringen Erfolgsaussichten, weil für eine Aufhebung der Entscheidung und die Rücküberweisung der Angelegenheit an den Einhaltungsausschuß in der Vertragsstaatenkonferenz eine Dreiviertelmehrheit erforderlich ist.1513 Die Entscheidungen des Kyoto-Einhaltungsausschusses sind damit weitgehend verbindlich. Das Einhaltungsverfahren des Kyoto-Protokolls geht über die üblichen Methoden hinaus.1514 Als Mittel zur Kontrolle und Durchsetzung der finalen Staatenverpflichtungen sieht das Protokoll ein detailliertes nationales Berechnungs(Art. 5) sowie ein internationales Informationsübermittlungs- und Bewertungsverfahren vor (Art. 7 ff.). Gemäß Art. 18 Kyoto-Protokoll hat die Bonner Vertragsparteienkonferenz im Juli 2001 Maßnahmen zur Überwachung der Vertragserfüllung, insbesondere die Institutionalisierung eines Komitees (Compliance Committee) beschlossen, welches mit seiner zweiten Abteilung u. a. Vertragsverletzungen der Industriestaaten autoritativ feststellt1515 sowie gegebenenfalls Sanktionen1516 (z. B. vorläufiger Ausschluß von Flexibilisierungsmaßnahmen bei der Erfüllung) festlegt.1517 Überschreitet ein Vertragsstaat die erlaubte Emissionsmenge, werden die künftigen Verpflichtungen verschärft, in1509

S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, S. 121. S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, S. 121 f. 1511 U. Beyerlin, Staatliche Souveränität und internationale Umweltschutzkooperation, S. 953. 1512 S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, S. 125. 1513 S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, S. 125; www.umweltdaten. de/klimaschutz/uba_kyoto2002.pdf. 1514 S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, S. 124 f. 1515 Decision 5/CP.6 Annex, Kap. VIII, para 1. 1516 Siehe Decision 5/CP.6, Annex, Kap. VIII, para. 2. 1510

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dem der Einhaltungsausschuß dem betreffenden Staat das 1,3-fache der überschießenden Emissionen von seinen zukünftigen Emissionsrechten abzieht. Außerdem verbietet er dem vertragsbrüchigen Staat Emissionsrechte im Rahmen des internationalen Emissionshandels zu verkaufen, bis dieser nachweist, daß er seine Verpflichtungen künftig einhalten kann. Der verurteilte Staat muß einen Einhaltungsplan mit Maßnahmen vorlegen, die in Zukunft die Erfüllung seiner Verpflichtungen sicherstellen. Die Umsetzung dieses Plans wird vom Ausschuß regelmäßig überprüft. Zudem entzieht der Einhaltungsausschuß einem Staat, der die Zugangsvoraussetzungen nicht erfüllt, das Recht an den Marktmechanismen des Kyoto-Protokolls teilzunehmen.1518 Neben dem Emissionshandel sind das die „Gemeinsame Umsetzung“ und der „Mechanismus für eine umweltverträgliche Entwicklung“, welche es Industrieländern erlauben, durch Investitionen in Klimaschutzprojekte in anderen Staaten Emissionsrechte zu erwerben.1519 Der Einhaltungsausschuß autorisiert den Entzug vertraglicher Rechte durch die Vertragsstaaten, welche durch die Verwaltungsorgane des Protokolls, insbesondere durch das Sekretariat, vollzogen werden.1520 Die Wirksamkeit dieser Instrumente, deren Sanktionswirkung im wesentlichen im Entzug von Vorteilen besteht, also nur relativ schwachen Zwang ausübt, bleibt abzuwarten. Bisher zeigt sich in den Mitgliedstaaten des Klimaabkommens kaum ein nachhaltiger inhaltlicher Erfolg bei der Bekämpfung des Treibhauseffekts und der CO2-Belastung der Atmosphäre.1521 Ergänzend könnte u. U. auf das Rechtsdurchsetzungssystem der UNO zurückgegriffen werden, welches insbesondere dem Sicherheitsrat, wenn man den Friedensbegriff bedenklich weit im Sinne existentieller rechtlicher Bedrohungen der Menschheit auslegt, zentrale Zwangsmaßnahmen ermöglicht (dazu 6. Teil, C, S. 716 ff.). Als solche könnten im äußersten Fall auch Umweltgefahren, welche die ganze Menschheit bedrohen und Verpflichtungen erga omnes verletzen, angesehen werden.1522 Wegen des Vetorechts der ständigen Mitglieder und des dem Sicherheitsrat zugestandenen Entscheidungsermessens ergibt sich daraus jedoch keine regelmäßige Durchsetzungsbefugnis und Durchsetzungspflicht. Außerdem ist vorgeschlagen worden, eine globale Steuer, die sich an den von den einzelnen Staaten erzeugten Emissionsmengen orientiert, einzuführen.1523

1517 Dazu vgl. M. Scheyli, Der Schutz des Klimas als Prüfstein völkerrechtlicher Konstitutionalisierung?, AVR 40 (2002), S. 319. 1518 S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, S. 124. 1519 Dazu S. Oberthür/H. E. Ott, Das Kyoto-Protokoll, 2000, Kap. 11–13. 1520 S. Oberthür, Auf dem Weg zum Weltumweltrecht?, S. 124 f. 1521 G. C. Rowe, Globale und globalisierende Umwelt, S. 282. 1522 J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“?, S. 344 ff. 1523 Dazu F. Böhm, Das Verursacherprinzip in der globalen Umweltpolitik, ZfU 2/ 2004, S. 216 ff.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Eine weitergehende Institutionalisierung mit einer globalordnungsrechtlichen Verwaltungsstruktur zur Durchsetzung von Verpflichtungen erga omnes und Verteilung der Nutzungsrechte an globalen Gütern sowie ein obligatorisches Streitbeilegungsverfahren (Art. 279 ff., 286 ff. SRÜ) hat sich im Seerecht entwickelt.1524 Die Internationale Meeresbodenbehörde (International Sea-Bed Authority, Autorité internationale des fonds marins, Art. 156 ff. SRÜ) „ist die Organisation, durch welche die Vertragsstaaten . . . die Tätigkeiten im Gebiet organisieren und überwachen, insbesondere im Hinblick auf die Verwaltung der Ressourcen des Gebiets“ (Art. 157 Abs. 1 SRÜ), „im Namen der gesamten Menschheit“ (Art. 153 Abs. 1 SRÜ). Das unter der Ägide der Vereinten Nationen zustande gekommene Seerechtsübereinkommen mit seinem hohen Institutionalisierungs- und Konstitutionalisierungsgrad kann als Verfassung der Meere angesehen werden.1525 Flaggen-, Hafen-, und Küstenstaaten sollen das Seerecht durchsetzen (Art. 217 ff. SRÜ). Nach Art. 218 Abs. 1 SRÜ ist der einzelne (Hafen-)Staat mit der Sicherstellung und Durchsetzung internationaler umweltschutzrechtlicher Standards auf hoher See (außerhalb seiner Hoheitsgewässer) betraut. Er kann Untersuchungen durchführen und Verfahren einleiten. Damit verfolgt er nicht eigenstaatliche Interessen nach seinem Ermessen, sondern erfüllt erga omnes-Pflichten im globalen Interesse an der Erhaltung der marinen Umwelt.1526 7. Forderung nach institutionellen Reformen Das bestehende institutionelle Defizit im globalen Umweltschutz muß behoben werden. Um die Wirksamkeit des globalen Umweltrechts zu erhöhen, wird gefordert, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) durch eine effiziente Organisation, welche den globalen Umweltbelangen ein ebensolches Gewicht verleiht, wie es dem Handel durch die WTO oder dem Finanzbereich durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) zukommt, zu ersetzen.1527 Für Menschheitsgüter könnten Verwaltungsregime wie für die Verwaltung des Meeresbodens eingerichtet werden. Auch im Vorfeld des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im September 2002 ging es unter dem Arbeitstitel 1524 Vgl. W. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 444, Rn. 67; für die Antarktis, den Weltraum und das Seerecht R. St. J. Macdonald, The Common Heritage of Mankind, in: Fs. R. Bernhardt, S. 155 ff. 1525 W. Graf Vitzthum, Seerechtsglobalisierung, S. 412 ff. 1526 Dazu D. König, Durchsetzung internationaler Bestands- und Umweltschutzvorschriften auf Hoher See im Interesse der Staatengemeinschaft, 1990, S. 184 ff.; R. Wolfrum, Obligations Under Public International Law to Implement International Rules, in: B. v. Maydell/A. Nußberger, Social Protection by Way of international Law, 1996, S. 87 (99 f.); U. Hingst, Auswirkungen von Globalisierung, 2001, S. 244 ff. 1527 R. Dolzer, Globalisierung und Wirtschaftsrecht: Ein deutsches Interesse, NJW 2001, 2303.

E. Völkerrecht der Globalisierung

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International Environmental Governance um den vieldiskutierten Vorschlag einer „Weltumweltorganisation“1528. Für diese wird eine an die ILO angelehnte Struktur (dazu 6. Teil, C, S. 778 ff.) unter Einbeziehung von Umwelt- und Wirtschaftsverbänden in die Zusammensetzung der Organe und bei der Rechtsetzung vorgeschlagen.1529 Um eine zentrale Machtzentrierung zu vermeiden, könnte die Durchsetzung des Weltumweltrechts nach dem Weltprinzip den Staaten überlassen werden. Damit die Staaten nicht wie bisher aus Eigeninteresse in der Durchsetzung des Umweltrechts untätig bleiben und eine gemeinsame Verantwortung für erga omnes-Güter entwickeln, ist die Institutionalisierung einer treuhänderischen Verwaltung vonnöten. Kofi Annan hat 1997 ein neues Konzept der in der UN-Charta vorgesehenen Treuhänderschaft für die globalen Gemeingüter vorgeschlagen. Danach soll der Treuhandrat in ein Forum umgestaltet werden, „in dessen Rahmen die Mitgliedstaaten ihre kollektive treuhänderische Verantwortung für die weltweite Umwelt und gemeinsamen Gebiete wie die Meere, die Atmosphäre und den Weltraum zum Schutz ihrer Unversehrtheit ausüben. Gleichzeitig könnte dieses Forum als Bindeglied zwischen den Vereinten Nationen und der Bürgergesellschaft bei der Auseinandersetzung mit diesen weltweiten Anliegen dienen, die eines aktiven Beitrags des öffentlichen Sektors, des privaten Sektors und der freiwilligen Verbände bedürfen.“1530 IV. Zusammenfassung der Prinzipien des Völkerrechts der Globalisierung 1. Das Prinzip der global governance hebt die Staatenzentrierung des Völkerrechts teilweise zugunsten der Bedeutungsaufwertung bestimmter global players 1528 Dafür D. C. Esty, The Case for a Global Environmental Organization, in: P. B. Kenen (Hrsg.), Managing the World Economy, 1994, S. 287 ff.; F. Biermann/U. E. Simonis, Institutionelle Reform der Weltumweltpolitik? Zur politischen Debatte um die Gründung einer „Weltumweltorganisation“, ZIB 7, 2000, 163 ff.; U. E. Simonis, Wer rettet die globale Ökologie? Plädoyer für eine Weltorganisation für Umwelt und Entwicklung, in: Fs. I. Fetscher, 2002, S. 73 ff.; F. Böhm, Das Verursacherprinzip in der globalen Umweltpolitik, ZfU 2/2004, S. 213 ff.; dagegen: S. Oberthür/T. Gehring, Was bringt eine Weltumweltorganisation? Kooperationstheoretische Anmerkungen zur institutionellen Neuordnung der internationalen Umweltpolitik,“, ZIB 7, 2000, S. 185 ff.; vgl. Jahresgutachten 2000 des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Welt im Wandel: Neue Strukturen globaler Umweltpolitik, 2001. 1529 F. Biermann/U. E. Simonis, Institutionelle Reform der Weltumweltpolitik?, ZIB 7, 2000, 178 f.; K. D. Wolf, Normsetzung in internationalen Institutionen unter Mitwirkung privater Akteure?, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 237 f. 1530 Report of the Secretary-General to the General Assembly, Renewing the United Nations: A Programme for Reform, UN-Doc. A/51/950 v. 14.7.1997, §§ 84 f. (deutsche Fassung: UN-Übersetzungsdienst); dazu P. H. Sand, Trusteeship for Common Pool Resources? Zur Renaissance des Treuhandbegriffs im Umweltvölkerrecht, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 201 ff.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

(z. B. transnationale Unternehmen, NGOs) auf, denen Staaten und Internationale Organisationen weitgehend einen weltbürgerlichen Status zugestehen. Die Mediatisierung des einzelnen Menschen wird damit noch nicht aufgehoben. 2. Weil die meisten Staaten und Internationalen Organisationen die wirtschaftliche Liberalisierung gewollt und gefördert haben, hat das Prinzip des offenen Weltwirtschaftssystems faktisch das größte Gewicht in der Weltwirtschaftsverfassung. In der WTO ist die Durchsetzbarkeit dieses Prinzips objektiv und in der Europäischen Union auch subjektivrechtlich gesichert. Es verwirklicht das Weltbürgerrecht im Bereich des Waren-, und Dienstleistungsverkehrs. Wettbewerbsregeln finden sich im (extraterritorial wirkenden) Wettbewerbsrecht der Staaten, der EG und ansatzweise in der WTO. Wettbewerb mit menschenunwürdigen Produktionsbedingungen ist auch unter grundsätzlicher Anerkennung eines Standortwettbewerbs unfair. Die ILO hat sich darum bemüht, den unmittelbar mit der Menschenwürde verbundenen Verfassungsgrundsatz „Arbeit ist keine Ware“, in den Kernarbeitsnormen als für alle ILO-Mitglieder verbindliches Prinzip zu materialisieren. 3. Während das Völkerrecht der Kooperation vorwiegend dem Ausgleich kontroverser staatlicher Interessen diente, ist das Recht der Globalisierung auf Interessen der gesamten Staatengemeinschaft und der Menschheit als solcher und damit auf Verpflichtungen erga omnes gerichtet. Dazu zählt das Bemühen um einen effektiveren Schutz der Menschenrechte. Aber auch das internationale Umweltrecht entwickelt zunehmend Prinzipien erga omnes, die in Rahmenabkommen materialisiert werden, und ist vermehrt vom Vorsorgeprinzip und vom Prinzip nachhaltiger Entwicklung bestimmt. Das internationale Umweltrecht wird ergänzt und teilweise ersetzt durch ein globales Umweltrecht, das man auch so bezeichnet. Auf Regelungen zur näheren inhaltlichen Bestimmung von erga omnes-Prinzipien einigen sich die Staaten nur mühsam. Eine kohärente Weltumweltverfassung gibt es noch nicht. Das völkerrechtliche Reziprozitätsprinzip wirkt in Verträgen nicht, welche erga omnes-Verpflichtungen enthalten. Sie werden allerdings nur partiell, z. B. im Rahmen des Klimaschutzes, von Amts wegen in einem förmlichen Verfahren mit bindender Entscheidung verfolgt. Ihre Durchsetzbarkeit hat sich mit der Einführung von Offizialverfahren aber verbessert. Den jeweils Betroffenen stehen noch keine global gesicherten Klagerechte zur Durchsetzung von Menschheitsprinzipien zu. Im Seerechtsübereinkommen hat das erga omnes-Prinzip des gemeinsamen Erbes der Menschheit einen partiellen, aber effizienten Durchsetzungsrahmen. Die Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung, der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Zusammenarbeit sind Ausdruck des weltrechtlichen Solidaritätsprinzips und finden in verschiedenen Abkommen ihren Niederschlag (z. B. im Seerechtsübereinkommen, in der Klimarahmenkonvention) sowie häufig im soft law. Als allgemeine Prinzipien des Völkerrechts sind sie noch in der Entwicklung und wenig effizient. Insbesondere die Zivilgemeinschaft bemüht sich im Rahmen der global

F. Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht

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governance um ihre Implementierung, so daß man sie in diesem Sinne als Prinzipien des Völkerrechts der Globalisierung bezeichnen kann.

F. Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht Eine weltbürgerliche Grundordnung hat sich bisher noch nicht entwickelt.1531 Dennoch gewinnen der Mensch als Subjekt und die Verteidigung des Menschheitsrechts auf Weltebene vermehrte Beachtung. Besonders augenfällig sind die vertragliche Regelung eines Weltstrafrechts im Römischen Statut, wonach Menschheitsverbrechen, die immer von einzelnen Menschen verübt werden, vor dem zu diesem Zweck institutionalisierten Internationalen Strafgerichtshof abgeurteilt werden können (dazu 6. Teil, F, S. 957 ff.). Das Statut regelt ausdrückliche Verpflichtungen des Individuums.1532 Allgemein hat sich der Grundsatz der Menschlichkeit und damit ein Stück Menschheitsverfassung schon länger generell im Völkerrecht etabliert. Er zeigt sich in allen völkerrechtlichen Normen wie den Menschenrechten, die nicht den Interessenausgleich der Staaten, sondern nur den Schutz der menschlichen Person zum Ziel haben.1533 In Art. 56 UN-Charta kommt diese Zweckbestimmung allgemein zum Ausdruck. Die globalen Bedrohungen nicht nur des Friedens i. e. S. als Abwesenheit von Krieg, sondern auch der Umwelt, der Demokratie, der Menschenrechte und anderer wichtiger erga omnes-Schutzgüter, rücken die Frage nach der Notwendigkeit und Bedeutung „humanitärer Interventionen“ ins aktuelle Blickfeld.1534 Aus der Idee universeller Menschenrechte entwickeln die Staaten und die Weltgemeinschaft einen Interventionismus, welcher die elementaren völkerrechtlichen Prinzipien der souveränen Gleichheit der Staaten, der Nichteinmischung relativiert oder verändert.1535 Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, inwieweit etwa Terroristen, welche danach trachten, eine friedliche Ordnung zwischen Staaten zu verhindern und massive Menschenrechtsverletzungen begehen, ebenso wie Staaten dem Gewaltverbot unterliegen und ihre Anschläge als An-

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M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 576. S. Hobe, Individuals and Groups as Global Actors, in: R. Hofmann/N. Geissler (Hrsg.), Non-state Actors as new Subjects of International Law, 1999, S. 115 (125 f.). 1533 A. Verdross, Völkerrecht, S. 134. 1534 Dazu: A. Rougier, La théorie de l’intervention d’humanité, in: Révue générale du droit international public, 17 (1910), S. 468 ff.; G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung (Law Enforcement) zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, 1998, S. 5 ff., 8 ff.; H. Wilms, Der Kosovo-Einsatz und das Völkerrecht, ZRP 1999, S. 229 ff.; kritisch J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats – Resolution 1373 (2001) im Kontext, ZaöRV 62 (2002), S. 287 f. 1535 Dazu kritisch J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte. Zur Wiederkehr der humanitären Intervention, JZ 1995, 421 ff. 1532

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

griffe angesehen werden können, gegen die staatliche Selbstverteidigung in Form von Krieg zulässig ist. I. Stärkung der Rechtsposition des Einzelnen Der Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht liegt, wie gesagt, darin, den Menschen nicht mehr nur als Objekt, sondern als Subjekt der rechtlichen Regelungen zu verstehen (dazu 3. Teil, C, S. 338 ff.). Völkerrechtssubjekt ist, wer Träger völkerrechtlicher Rechte sowie Adressat völkerrechtlicher Pflichten ist.1536 Im Mittelpunkt des Völkerrechts steht das Verhalten der zum Individualschutz verpflichteten Völkerrechtssubjekte.1537 Die „Völkerrechtsfähigkeit“ von Individuen läßt sich mit dem völkerrechtlichen Paradigma nicht erfassen.1538 Deshalb vermochte die klassische Völkerrechtslehre den Menschen nur als „Objekt“, nicht aber als Subjekt völkerrechtlicher Rechtsbeziehungen zu erkennen.1539 Denn dies setzt einen Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht voraus. Politische Mitwirkungsrechte stehen Einzelpersonen in Internationalen Organisationen regelmäßig nicht zu. Ein paradigmatischer Wechsel ist die unmittelbare und direkte Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments durch die Bürger der Mitgliedstaaten (Art. 190, 19 Abs. 2 EGV). Die in der Rechtspraxis lange Zeit zurückgedrängten naturrechtlichen Lehren, welche die Grundlagen des Völkerrechts in der Natur des Menschen und in der Vernunft suchen, haben von jeher angenommen, daß das Völkerrecht nicht nur die Staaten, sondern auch jeden einzelnen Menschen berechtigt und verpflichtet.1540 Die naturrechtliche Lehre gewinnt wieder zunehmend Einfluß auf die Völkerrechtsdogmatik.1541 So wird teilweise erkannt, daß in jeder Rechtsordnung letztlich nur der Mensch Rechtssubjekt sein kann, und daß sich auch die Staaten und Internationalen Organisationen in der Ordnung des Völkerrechts vom Einzelmenschen ableiten.1542 Weil Flüchtlinge und Staatenlose kein Media1536 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 221 f.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 188. 1537 K. Ipsen. Völkerrecht, S. 669, Rn. 2. 1538 Vgl. auch K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 181 (188). 1539 Dazu K. Ipsen, S. 670, Rn. 2; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 188 f.; der StIGH stellte im Lotus-Fall fest, daß das Völkerrecht seinem Wesen nach Zwischenstaatliches Recht sei, PCIJ Ser. A No. 10 (1927), 18. 1540 Vgl. U. Scheuner, Naturrechtliche Strömungen im heutigen Völkerrecht (1950/ 51), in: Ch. Tomuschat/ders. (Hrsg.), Schriften zum Völkerrecht, 1984, S. 99 (113 ff.). 1541 J. Kokott, Naturrecht und Positivismus im Völkerrecht – sind wir auf dem Weg zu einer Weltverfassung?, in: Ch. J. Meier-Schatz/R. J. Schweizer (Hrsg.), Recht und Internationalisierung, 2000, S. 3 ff. (20 f.)

F. Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht

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tisierungssubjekt haben, sind ihnen schon bald bestimmte Rechte unmittelbar aufgrund von völkerrechtlichen Verträgen gegenüber den Staaten eingeräumt worden.1543 Der Ständige Internationale Gerichtshof hat bereits 1928 festgestellt, daß es generell möglich ist, Individualrechte durch völkerrechtlichen Vertrag einzuräumen.1544 Das humanitäre Völkerrecht hat das Kriegsrecht zum Schutz von Verwundeten, Kranken, Schiffbrüchigen und Kriegsgefangenen humanisiert.1545 Verträge verpflichten die beteiligten Staaten zur Anerkennung von Menschenrechten (dazu 4. Teil, A, S. 466 ff.). In der völkerrechtlichen Positivierung subjektiver Rechte ist der Ausgangspunkt zu sehen für die Umformung der „Völkerrechte“ oder der „Staatenrechte“ hin zu einem Recht des einzelnen Menschen, vom staatsunterworfenen Objekt zu einem rechtsbewehrten Subjekt. Den Menschen wird wenigstens teilweise potentiell das Recht zugestanden, „gegen den eigenen Staat zu klagen und sich so von Bürgern eines einzelnen Staates zu Weltbürgern zu verwandeln“.1546 In Abweichung vom völkerrechtlichen Paradigma und der Mediatisierung des Einzelnen ist inzwischen, nicht zuletzt aufgrund der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs, anerkannt, daß das Völkerrecht Staatenverpflichtungen kennt, welche zum Schutz des Einzelnen bestimmt sind und subjektive Rechte darstellen.1547 Die moderne Völkerrechtslehre hat sich zu einer von den Staaten abgeleiteten, aber nicht originären, „partiellen Völkerrechtsfähigkeit“ der Men1542 H. Mosler, The International Society as a legal Community, 1980, S. 54, 63; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 2000, S. 155. 1543 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 839 ff.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 259 f. 1544 StIGH, Jurisdiction of the Courts of Danzig, Advisory Opinion, Rep., PCIJ, Ser. B – No. 15, S. 17. 1545 Dazu M. Bothe, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 621 ff.; K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1080 ff. 1546 N. Bobbio, Menschenrechte und Gesellschaft (1988/89), in: ders., Zeitalter der Menschenrechte, S. 63 (64); Ch. Tomuschat, Die Lage der Menschenrechte. Fünfzig Jahre nach der Allgemeinen Erklärung, Jahrbuch Internationale Politik, 1997–1998, S. 333 (333); S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 1998, S. 219 ff. 1547 A. Verdross, Völkerrecht, S. 127 f.; H. G. Schermers, The Bond between Man and State, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 187 (190 ff.); O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 155 ff.; D. Held, Democracy and the Global Order, S. 101; zur Regelbarkeit subjektiver Rechte durch völkerrechtliche Verträge: PCIJ, Avis consultatif 3.3.1928 (compétence des tribunaux de Danzig), Série B, No 15, p. 17, 18; zum subjektiven Recht aus Art. 36 Abs. 1 lit. b des Wiener Konsularrechtsübereinkommens vom 24.4.1963, BGBl. 1969 II, S. 1585; UNTS 596, p. 261; case LaGrand: IGH v. 27.6.2001, Germany v. United States of America, ICJ Rep. 2001, 466 ff.; IGH v. 31. 3. 2004, Avena u. a. vs. USA; Mexiko vs. USA, para. 50 ff., unter: www.icjcij.org; dazu K. Oellers-Frahm, Die Entscheidung des IGH im Fall La Grand – Eine Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit und der Rolle des Individuums im Völkerrecht, EuGRZ 2001, 256 ff. mit weitgehender Übersetzung des Urteils; dies., Die Entscheidung des IGH im Fall LaGrand – ein Markstein in der Rechtsprechung des IGH, in: Th. Marauhn (Hrsg.), Die Rechtstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S. 21 (26 f., 35 f.); C. Hillgruber, Anmerkung zur Entscheidung LaGrand, JZ 2002,

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

schen sowie von juristischen Personen und Nichtregierungsorganisationen durchgerungen, jedenfalls dann, wenn die völkerrechtlichen Menschenrechte für das Individuum in einem Verfahren durchsetzbar sind.1548 Mangels internationaler Verfahren sind dies zunächst die nationalen Gerichte, aber darüber hinaus auch zunehmend internationale Instanzen. Allgemein sind Klagemöglichkeiten von Nichtvölkerrechtssubjekten im Völkerrecht wenig entwickelt. Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut sieht nur Staaten als Kläger vor. Weiter ausgebaut ist der Unternehmens- und Investorenschutz. Das Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten1549 regelt, daß auch private Investoren (juristische Personen, meist Kapitalgesellschaften) mit Einwilligung des betreffenden Investitionslandes als Parteien in den Vergleichs- und Schiedsverfahren vor dem durch dieses Übereinkommen gegründeten Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten auftreten können.1550 Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ)1551 und die Energie-Charta1552 weisen für die Investor-Streitschlichtung entwickelte Streitbeilegungsmechanismen auf. Art. 20 Abs. 2 des Annex VI zum SRÜ verschafft den Seeunternehmen als privaten juristischen Personen ein ius standi vor dem Internationalen Seegericht. Die North American Free Trade Area (NAFTA)1553, in der sich die USA, Kanada und Mexiko verbunden haben, enthält in seinem Chapter 11 über Auslandsinvestitionen auch die Einrichtung eines speziellen Streiterledigungssystems, mit dessen Hilfe ausländische Investoren den betreffenden Staat verklagen können. Während die als Völkerrechtssubjekt gegründete MIGA den Schutz von Kapital vor nicht-kommerziellen Risiken verfolgt, bahnt das ebenfalls als Völkerrechtssubjekt gegründete ICSID den Eigentümern von Kapital Wege zur Streitschlichtung mit Staaten (vgl. Art. 25 ICSID).1554 Auch V § 2 des gescheiterten MAI-Entwurfs1555 sah ein Investor-Staat-Verfahren vor1556. Auffällig ist, 94 (96); kritisch B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), S. 312 ff. 1548 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, § 423 ff., S. 255 ff.; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 79 ff.; S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 222 f.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 155 ff.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 265, Rn. 220 ff.; N. Weiß, Transnationale Unternehmen – weltweite Standards, MRM 2/2002, S. 82 (85); J. Delbrück, Perspektiven für ein „Weltinnenrecht“?, S. 798 f. 1549 Vom 18.3.1965 i. d. F. v. 17. 07. 2003, BGBl. 2003 II, S. 465. 1550 BGBl. 1969 II, S. 371; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 259, § 429. 1551 Vom 10.12.1982, BGBl. 1994 II, S. 1799. 1552 Vom 17.12.1994, abgedruckt in ILM 34 (1995), 360 ff. 1553 ILM 32 (1993), 605. 1554 Dazu I. Shihata, MIGA and Foreign Investment Origins, Operations, Policies and Basic Documents of the Multilateral Guarantee Agency, 1988; D. C. Rowat, Multilateral Approaches to improving the Investment Climate of Developing Countries,

F. Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht

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daß das Recht der Globalisierung wirkungsvolle individuelle Rechte nur zum Schutz transnationaler Unternehmen und des Kapitals vorsieht. Hiergegen ist zu Recht der Vorwurf der Einseitigkeit erhoben worden.1557 Es zeigt sich, daß die bestehende globale Ordnung auch in der Rechtsschutzfrage nicht vom Prinzip gleicher Freiheit der Menschen getragen ist. Vor internationalen Gerichten durchsetzbare subjektive Rechte im Bereich der Menschenrechte gibt es bisher allenfalls regional: So schafft das Recht der Europäischen Gemeinschaft/Union1558 als Integrationsrecht sowohl für die Mitgliedstaaten als auch für deren Bürger Rechte und Pflichten, nicht zuletzt um die Durchsetzungskraft des Gemeinschaftsrechts zu erhöhen. Zwar kann der Einzelne gegen ihn individuell betreffende Entscheidungen beim Europäischen Gerichtshof klagen, nicht jedoch in der Regel gegen Verordnungen und Richtlinien (Art. 230 Abs. 4 EGV).1559 Dieses Rechtsschutzdefizit ist begrenzt, weil das Gemeinschaftsrecht vor den nationalen Gerichten eingeklagt und gegebenenfalls im Wege einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Art. 234 EGV) geklärt werden kann. Gezielt hat der Europäische Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit und Einklagbarkeit sowohl des Primär- als auch des Sekundärrechts vor den nationalen Gerichten gestärkt.1560 Vor allem die Marktfreiheiten des EG-Vertrags werden als effektive subjektive Rechte gegen die staatlichen oder staatlich verantwortbaren Maßnahmen interpretiert, welche die individuelle grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit behindern.1561 Sogar Richtlinien, deren Adressaten die Mitgliedstaaten sind, können unter bestimmten Bedingungen unmittelbare Wirkung für die Individuen erzeugen.1562 Hierin wird neben den Rechten aus Art. 17 ff. EGV eine wesentliche Ausprägung der Unionsbürgerschaft gesehen.1563 HILJ 33 (1992), 103 ff.; Ch. I. Schreuer, The ICSID Convention: A Commentary, 2001. 1555 Dazu U. Wartha, Das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI), in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 359 ff. 1556 U. Wartha, Das Multilaterale Abkommen über Investitionen, S. 397 ff. 1557 R. Knieper, Nationale Souveränität, 1991, S. 213. 1558 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 319 ff. 1559 EuGH, Rs 25/62 Plaumann, Slg. 1963, 211, (238 f.); Rs 38/64 Getreide Import, Slg. 1965, 277 (284 f.); Rs 112/77 Töpfer, Slg. 1978, 1019 (1030); Rs 231/82 Kwasten, Slg. 1983, 2559 (2565 ff.; Rs C-309/89 Codorniu SA, Slg. 1994, 1853 I (1886, Rn. 20). 1560 Vgl. dazu EuGH, Rs 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1141 (Rn. 8); Rs 11/70 Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125 (Rn. 3). 1561 EuGH, Rs Salgoil, Slg. 1968, 679 (690 ff., 693 f.); Rs 2/74 Reyers/Belgien, Slg. 1974, 631 (652), Rn. 24/28); Rs 33/74 van Binsbergen, Slg. 1974, 1299 (1310 ff., Rn. 18 ff., 27). 1562 Dazu EuGH, Rs 41/74 van Duyn, Slg. 1974, 1337 (Rn. 12 ff.); Rs 148/78 Ratti, Slg. 1979, 1629 (Rn. 19 ff.); Rs 41/74 van Duyn, Slg. 1974, 1337 (Rn. 12 ff.);

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Das individuelle Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Art. 34 EMRK1564), das zu einer Entschädigung des Klägers führen kann (Art. 41 EMRK), ist ein wesentlicher Schritt in Richtung Menschheitsrecht.1565 Ein weiterer paradigmatischer Wechsel ist die Veränderung der traditionellen völkerrechtlichen Sicht, wonach die Geltendmachung diplomatischen und konsularischen Schutzes für seine Bürger gegenüber anderen Staaten ein ausschließliches und eigenes Recht des Heimatstaates sei, nicht aber des Betroffenen selbst.1566 Zum Teil wird in der Literatur vertreten, daß zwei Rechtsverletzungen durch den Staat geltend gemacht werden: eine des jeweiligen Staates durch die Verletzung seines Staatsbürgers und eine menschenrechtliche des Staatsbürgers selbst, die der Staat quasi treuhänderisch geltend macht.1567 In den Fällen LaGrand und Avena hat der Internationale Gerichtshof explizit die Ableitung individueller Rechte aus Art. 36 Abs. 1 lit. b des Wiener Konsularrechtsübereinkommens judiziert und damit eine wesentliche Abkehr von der Mediatisierungslehre deutlich gemacht.1568 Die Auslegung dieses Artikels als subjektives Recht ist menschheitsverfassungskonform, weil sie der Rechtssubjektivität des Menschen entspricht. Sie verwirklicht das Recht auf Recht. Art. 36 Abs. 1 lit. b WKÜ schützt aber auch fraglos, wenn es für die Voraussetzungen eines subjektiven Rechts auf dieses materielle Kriterium ankommen soll1569, die Rs 8/81 Becker, Slg. 1982, 53 (Rn. 21 ff.); Rs 103/88 Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839 (Rn. 28 ff.); Rs 80/86 Kolpinghuis Nijmegen, Slg. 1987, 3969 (Rn. 7 ff.). 1563 S. Hobe; Individuals and Groups as Global Actors, S. 124 f. 1564 Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950, in der Fassung vom Sommer 1998, abgedruckt in: Satorius II Nr. 130; dazu P. Egli, Zur Reform des Rechtsschutzsystems der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZaöRV 64 (2004), S. 759 (763 ff.). 1565 M. Hilf, The Role of National Courts In International Trade Relations, in: E.-U. Petersmann (Hrsg.), International Trade Law, (1997), 1999, S. 561 (570 f.). 1566 Dazu K. Hailbronner, Deutsche Staatsangehörigkeit und diplomatischer Schutz durch die BRD, JZ 1975, 596 ff.; E. Klein, Diplomatischer Schutz und grundrechtliche Schutzpflicht, DÖV 1977, 704 ff. 1567 K. Doehring, Völkerrecht, S. 371 f., Rn. 870, Fn. 35; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 157. 1568 Fall LaGrand: IGH v. 27.6.2001, Germany v. United States of America, ICJ Rep. 2001, 466 ff.; IGH v. 31.3.2004 (Avena u. a. vs. USA; Mexiko vs. USA), ICJ Rep. 2004, 128, para. 50 ff.; dazu K. Oellers-Frahm, Die Entscheidung des IGH im Fall La Grand – Eine Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit und der Rolle des Individuums im Völkerrecht, EuGRZ 2001, 256 ff. mit weitgehender Übersetzung des Urteils; dies., Die Entscheidung des IGH im Fall La Grand – ein Markstein in der Rechtsprechung des IGH, in: Th. Marauhn (Hrsg.), Die Rechtstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S. 21 (26 f., 35 f.); C. Hillgruber, Anmerkung zur Entscheidung LaGrand, JZ 2002, 94 (96); kritisch B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), S. 312 ff. 1569 I. d. S. R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 161; B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), 318; a. A. für einen weiteren Begriff

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Interessen einzelner Betroffener. Die Annahme eines subjektiven Rechts scheitert nicht am Element der prozessualen Durchsetzbarkeit.1570 Die Bestimmung kann vor den nationalen Gerichten durchgesetzt werden; denn Art. 36 Abs. 1 lit. b WKÜ ist seinem Wortlaut nach unmittelbar anwendbar.1571 Eine strenge dualistische Trennung in internationale und staatliche subjektive Rechte wird damit obsolet. Die Gegenmeinung, welche die Ansicht des Internationalen Gerichtshofs für mit dem völkerrechtlichen Paradigma unvereinbar hält und auf der Mediatisierung des Individuums beharrt, begründet dies mit einer Auslegung, die vor allem am historischen Willen der Vertragsparteien und am Stand der Dogmatik zum Abschluß des Abkommens orientiert ist.1572 Damit belegt diese Ansicht, ihrerseits augenfällig, den durch den Internationalen Gerichtshof vollzogenen Paradigmenwechsel. Indes zeigt die Völkerrechtspraxis eine kontinuierliche Festigung der subjektiven Rechtsposition und eine Zurückdrängung der Objektslehre. II. Durchsetzung der Menschenrechte in der Völker- und Weltrechtsordnung Die Urteile des Internationalen Gerichtshofs zu den subjektiven Rechten sind richtungsweisend für alle völkerrechtlichen Verträge. Dies gilt ebenfalls für die Ableitung subjektiver Rechte aus Menschenrechtsverträgen. Soweit deren Regelungen unmittelbar anwendbar sind, begründen sie, zumindest in den Staaten einklagbare, subjektive Rechte. Die individuelle Einklagbarkeit von völkerrechtlichen Menschenrechtsverbürgungen hat Weltrechtscharakter. Damit kann die Verbindlichkeit von Menschenrechten auch aus positivistischer Sicht nicht mehr geleugnet werden. Problematisch bleibt die effektive Durchsetzung der Menschenrechte1573 und inwieweit die Völker- und Weltrechtsordnung dazu beiträgt und vermehrt beitragen kann.

des subjektiven Rechts A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 319 ff.; W. Henke, Das subjektive Recht, DÖV 1980, 621 (626); M. Zuleeg, Hat das subjektive öffentliche Recht noch eine Daseinsberechtigung?, DVBl. 1976, 509 (515). 1570 So aber B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), S. 328. 1571 So auch B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), S. 318. 1572 B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), S. 320 ff. 1573 Dazu R. Bernhardt, Der völkerrechtliche Schutz der Menschenrechte: Texte, Institutionen, Realitäten, in: Liber amicorum J. Delbrück, Weltinnenrecht, 2005, S. 37 ff.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

1. Durchsetzung auf staatlicher oder globaler Ebene Der Menschenrechtsschutz kann auf staatlicher und auf Weltebene erfolgen. a) Durchsetzung durch die Staaten In ihrem Bereich haben die Staaten die Menschenrechte in allen Rechtsgebieten zu beachten und zu verwirklichen. Selbst in Staaten, welche Menschenrechtsabkommen ratifiziert haben, ist der gerichtliche Rechtsschutz oft unbefriedigend.1574 Neben gerichtlichem Rechtsschutz gegen grundrechtswidrige staatliche Akte sind auch Schadensersatzansprüche ein effektiver Weg der Menschenrechtsdurchsetzung, der in der Praxis der Staaten immer mehr Beachtung findet.1575 Inzwischen1576 ist anerkannt, daß die Menschenrechte keine domaine réservé, sondern eine gemeinsame Verantwortung aller Staaten sind.1577 Verantworten 1574 O. Kimminich, Neue solidarische Weltordnung, in: Fs. V. Zsifkovitis, 1993, S. 9 (10); siehe dazu die empirische Untersuchung von J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, 2004, S. 45 ff., 185 ff., 244 ff. 1575 So hat das höchste griechische Gericht, der AREOPAG, mit seiner Plenarentscheidung 11/2000 v. 4.5.2000 Deutschland die Anerkennung der staatlichen Immunität im Hinblick auf Entschädigungsklagen durch Opfer von deutschen Kriegsverbrechen verweigert; vgl. auch Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ v. 2.8.2000, BGBl. 2000 I, S. 1263, geändert durch Gesetz v. 4.8.2001, BGBl. 2001 I, S. 2036 und Gesetz v. 21.8.2002, in Kraft getreten am 28.8.2002, BGBl. I, S. 3347; dazu R. Bank, Die Leistungen an NS-Zwangsarbeiter durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, in: Th. Marauhn (Hrsg.), Die Rechtstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S. 83 ff.; Der Alien Tort Claims Act von 1789, der im Falle von Völkerrechtsverletzungen sowohl die Zuständigkeit der Bundesgerichte in den USA als auch eine Anspruchsgrundlage für eine Entschädigungsforderung begründet, lautet: „The district courts shall have original jurisdiction of any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty ot the United States.“ (28 U.S. C. § 1350); Überblick dazu M. Rau, Schadensersatzklagen wegen exterritorial begangener Menschenrechtsverletzungen, IPrax 2000, 558 ff.; dazu auch B. Heß, Staatenimmunität bei Menschenrechtsverletzungen, in: Fs. R. A. Schütze, 1999, S. 269 ff.; Der BGH schließt in seinem Urteil v. 2.6.2006, ZR 190/05, Pressemitteilung Nr. 151/2006 (http://juris.bundes gerichtshof.de/) die Anwendbarkeit des § 839 BGB i.V. m. Art. 34 GG für Schädigungen einzelner Personen durch militärische Handlungen nicht mehr aus. 1576 Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war die Verwirklichung der Idee der Menschenrechte Sache der einzelnen Staaten. Sie betrachteten den Menschenrechtsschutz als Teil ihrer Souveränität, als domestic jurisdiction oder domaine réservé. Vgl. Institut de Droit International 1929, „Erklärung der internationalen Rechte des Menschen“, abgedruckt in: Annuaire de L’Institut de Droit International 35 (1929-II), S. 298; K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, in: Fs. H. F. Zacher, 1998, S. 1067. 1577 Bericht des Generalsekretärs v. 27.3.2000, Wir, die Völker: Die Rolle der Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert, Milleniumsversammlung der UN, Generalversammlung, A/54/2000, Ziff. 321; Bericht des Generalsekretärs über die Tätigkeit der

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die Staaten die Durchsetzung der Menschenrechte alleine1578, verstärkt dies die Gefahr, daß der Schutz der Menschenrechte vernachlässigt wird.1579 Der Grad der Vergemeinschaftung von Pflichten der Staaten und Interessen der Menschheit hat durch die Entwicklung des ius cogens und der Rechtsnormen erga omnes (dazu 3. Teil, S. 436 ff.) zugenommen. Trotz ihrer weltweiten Anerkennung werden die Menschenrechte in vielen Staaten nicht hinreichend verwirklicht.1580 Gänzlich unmöglich wird der Menschenrechtsschutz, wenn jede staatliche Ordnung fehlt oder anarchische Verhältnisse herrschen (z. B. Somalia, Ruanda). Entsprechendes gilt, wenn sich die Staatsgewalt gegen das Volk wendet wie im Falle von Völkermord (z. B. Sudan). Folgt ein Staat einer völkervertraglichen Verpflichtung nicht, wozu auch Menschenrechtsgebote zählen, verbietet das Gewaltverbot regelmäßig militärische humanitäre Interventionen.1581 Wird das Gewaltverbot geachtet, hindert das Interventionsverbot1582 die Vertragspartner nicht, die vertragsmäßig vorgesehenen Verfahren und die üblichen (relativ schwachen) völkerrechtlichen Durchsetzungsmittel zu ergreifen oder zumindest über das Mittel der Publizität in der Weltöffentlichkeit Rechtfertigungszwänge zu schaffen.1583 b) Durchsetzung durch die Bürger mit Hilfe des Widerstandsrechts Wer setzt die Menschenrechte in Ordnungen durch, in denen ihre Durchsetzung mangels Rechtsstaatlichkeit grundsätzlich nicht gesichert ist? Norberto Bobbio meint, solange die Menschenrechte nicht rechtlich gesichert sind und als Naturrecht betrachtet werden, bleibe den Bürgern als einzige mögliche Verteidigung gegen ihre Verletzung durch den Staat das ebenfalls im Naturrecht fußende Recht zum Widerstand.1584 Die Gehorsamspflicht ende, wo die Rechtlichkeit aufhöre.1585 Auch das Grundgesetz hat sich schließlich mit der Novelle 1968 als letztes Mittel in Art. 20 Abs. 4 GG zu dieser Lösung bekannt. Kant befürwortet zwar ein erzwingbares Recht auf Vereinigung in einer bürgerlichen Vereinten Nationen v. 20.8.2004, A/59/1; M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 574. 1578 Dafür P. Horst, Lehrmeister Kosovo-Krieg – „Weltinnenpolitik“ als imperialer Größenwahn, in: Die Neue Gesellschaft, Frankfurter Hefte, Nr. 27, 2000, 280 (282). 1579 Vgl. dazu J. Neyer, Postnationale politische Herrschaft, S. 44 ff., 186 ff. 1580 S. König, Begründung der Menschenrechte, 1994, S. 14. 1581 Dazu näher 6. Teil, F, S. 935 ff. 1582 Vgl. aber W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, in: Ch. Chwaszcza/W. Kersting (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, 1998, S. 153 (157 f.). 1583 Dazu 3. Teil, B, S. 236 ff. 1584 N. Bobbio, Gegenwart und Zukunft der Menschenrechte, in: ders., Zeitalter der Menschenrechte, 1998, S. 14. 1585 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 289.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Verfassung1586, lehnt aber unter einer bürgerlichen Verfassung Widerstand gegen die bestehende Staatsgewalt ab. Die „unverlierbaren Rechte gegen das Staatsoberhaupt“ seien „keine Zwangsrechte“.1587 Kant fürchtet, daß das Widerstandsrecht durch die damit einhergehende vollständige Zerstörung der staatlichen Ordnung die Freiheit mehr beschädigt als eine rechtswidrig handelnde Staatsführung. Zweifelhaft ist, ob eine Despotie noch eine „bürgerliche Verfassung“ hat. Die Widerstandslage selbst, die typischerweise Chaos mit sich bringt, erhöht allerdings den Menschenrechtsschutz noch nicht unmittelbar, sondern gefährdet ihn vorübergehend unter Umständen sogar noch mehr, obwohl sie auf die Herstellung rechtmäßiger Verhältnisse gerichtet ist. Das Widerstandsrecht ist somit kein regelmäßiges Mittel zur Durchsetzung der Menschenrechte, sondern greift erst, wenn die verfassungsmäßige Ordnung als Ganzes angegriffen ist. Damit ist der Widerstand als einziges Mittel zur Durchsetzung der Menschenrechte unzureichend. c) Pflicht zu subsidiären Schutzverfahren auf internationaler und globaler Ebene Nur die Ausweitung des Schutzes der Menschenrechte auf alle Staaten und seine gleichzeitige Absicherung durch, den Rechtsfrieden herstellende, Instanzen wird die Alternative Unterdrückung oder Widerstand aufheben können. Mit dem Wesensgehalt jedes Menschenrechts sind das Recht des Einzelnen und die Pflicht der Welt-/Staatengemeinschaft verbunden, Sicherungen für die Menschenrechte auch dort zu schaffen, wo der staatliche Schutz versagt.1588 Die UN-Charta vom 26. Juni 1945 nennt in Art. 1 Nr. 3 als „Ziel“ der Vereinten Nationen, „die Achtung der Menschenrechte und die Grundlagen der Freiheit für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu unterstützen und zu fördern“. Art. 55 lit. c UN-Charta bekräftigt dies und spricht von „allgemeiner“ (d. h. universeller) Achtung und „Verwirklichung“ der „Grundfreiheiten“. Nach Art. 56 UN-Charta obliegt es deshalb den Staaten, gemeinsam und jeder für sich mit der UNO zusammenzuarbeiten, um die Menschenrechte zu verwirklichen. Diese Bestimmungen verpflichten nach Ansicht mancher nicht dazu, das Menschenrechtsziel auf nationaler Ebene tatsächlich umzusetzen und zu erreichen.1589 Eine solche Pflicht ergibt sich aus 1586 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 466 (A 215, 216/B 245, 246), S. 438 (A 174, 175/B 204, 205); vgl. auch ders., Über den Gemeinspruch, S. 156 (A 255, 256) f.; Zum ewigen Frieden, S. 234 (B 79, 80/A 73, 74). 1587 Kant, Über den Gemeinspruch, S. 161 (A 264); dazu W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 1984, S. 336 ff.; zustimmend H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 947 a. A. K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, 1996, S. 29 ff., 50 ff.; vgl. K. Stern, Staatsrecht II, S. 1487 ff. 1588 S. Gosepath, Zu Begründungen sozialer Menschenrechte, in: ders./G. Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 146 (155 f.).

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dem Recht auf Recht, welches die Staaten legitimiert, sowie aus dem Prinzip der Menschenrechte selbst. Art. 28 der UN-Menschenrechtserklärung nennt den „Anspruch“ jedes Menschen „auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die in der vorliegenden Erklärung aufgeführten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.“ Damit ist der Anspruch auf einen weltbürgerlichen Status angesprochen, aus dem sich unmittelbar die effektive Geltung der Menschenrechte ableitet.1590 Dieser richtet sich an alle Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen und fordert von ihnen in ihrer Rolle als ,Weltbürger‘ Institutionen zu schaffen, die effektiv garantieren, daß solche Rechtsverletzungen unterbunden werden. Gegebenenfalls hat das Prinzip der politischen nationalen Selbstbestimmung zurückzustehen, weil dieses nur mit und nicht gegen die Menschenrechte Geltung beanspruchen kann.1591 Gerhard Zimmer hat festgestellt: „Die rechtslogische und rechtspolitische Folgerung aus dem Prozeß der rechtlichen „Vergemeinschaftung“ besteht darin, daß nunmehr auch die zwangsweise Rechtsdurchsetzung in der Hand der Gemeinschaft, das heißt, der von ihr geschaffenen Gemeinschaftsorgane, liegen muß.“1592

Wegen der Verpflichtung auf eine Verfassung des Rechts, aus Gründen der Rechtssicherheit sowie, um Krieg zu vermeiden, ist die zwangsweise Durchsetzung der Menschenrechte an die völker- und weltrechtliche Kompetenz- und Verfahrensordnung zu koppeln und sind effektive Verfahren und Institutionen zur Durchsetzung der Menschenrechte einzuführen.1593 John Rawls schlägt den „wohlgeordneten Völkern“ vor, neue Institutionen und Verfahren einzuführen, die als „föderatives Zentrum und Forum ihrer gemeinsamen Einstellung und Politik gegenüber den anderen Regimen dienen . . . Dieses föderative Zentrum kann dazu dienen, die Einstellung wohlgeordneter Gesellschaften zu formulieren und zum Ausdruck zu bringen. Dort können sie der Weltöffentlichkeit die ungerechten und grausamen Institutionen unterdrückerischer oder expansorischer Regimes und die dortigen Menschenrechtsverletzungen vor Augen führen.“1594 1589

K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1067. Vgl. J. Habermas, Zur Legitimation durch Menschenrechte, in: ders., Die postnationale Konstellation, 1998, S. 170 (178). 1591 So auch S. Gosepath, Zu Begründungen sozialer Menschenrechte, S. 156. 1592 G. Zimmer, Rechtdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 99. 1593 Vgl. W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 164; K. Hilpert, Hehre Theorie – entmutigende Praxis, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, 39 (1998), S. 130 f.; R. Alexy, Die Institutionalisierung der Menschenrechte im demokratischen Verfassungsstaat, S. 255; Bericht des Generalsekretärs v. 9.9.2002, Stärkung der Vereinten Nationen: Eine Agenda für weitere Veränderungen, Generalversammlung, A/57/387, Ziff. 45 ff.; Bericht des Generalsekretärs v. 21.3.2005, In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle, Generalversammlung, A/59/2005. 1590

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Adressaten der Forderung, für die (Wieder-)Herstellung gerechter innerstaatlicher Strukturen zur politisch-rechtlichen Sicherung der Menschenrechte zu sorgen, sind die internationale Staatengemeinschaft, Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen, internationale Gerichtshöfe und die globale Zivilgesellschaft.1595 Kann dieser innerstaatlich rechtliche Zustand nicht schnell genug für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen wiederhergestellt werden oder werden die Menschenrechte durch Aggressionen anderer Staaten verletzt, müssen andere Staaten diesen Opfern Hilfe und Schutz (zum Beispiel Asyl) gewähren. Zum Schutze der Menschenrechte gilt es, den Frieden zwischen den Staaten zu sichern. Nur im Frieden kann ein Staat in seinem Gebiet die Menschenrechte garantieren. Gelingt ihm dies nicht, sind andere Staaten oder Internationale Organisationen zur Hilfe verpflichtet.1596 Zumindest für gravierende Menschenrechtsverletzungen ist die Staatengemeinschaft zur Durchsetzung verantwortlich (etwa treuhänderisch gemäß Art. 24 UN-Charta vom Sicherheitsrat wahrgenommen), wenn sie den „Weltfrieden gefährden“ (Art. 39, 42, 43 UN-Charta)1597 und deshalb im Weltinteresse stehen.1598 2. Völkerrechtliche Institutionen und Verfahren zur Durchsetzung der Menschenrechte gegenüber den Staaten Weil Menschenrechtsverträge keine synallagmatischen Verträge sind1599, wird deren effektive Wirksamkeit nicht durch das Reziprozitätsprinzip (dazu 2. Teil, C, S. 164 ff.) hergestellt. Humanitäre Interventionen (dazu 6. Teil, F, S. 947 ff.) des Sicherheitsrates aufgrund Art. 41 und 42 UN-Charta sind ausnahmehaft und notfallorientiert. Nicht nur militärische, auch sogenannte friedliche Sanktionsmaßnahmen nach Art. 41 UN-Charta, bedeuten erhebliche Eingriffe in die Infrastruktur und in die wirtschaftliche Situation des betroffenen Landes. Sie gehen ebenfalls mit Beeinträchtigungen von Menschenrechten einher, die zum Interventionszweck in rechtem Verhältnis stehen müssen. Auch wegen des stark dezisionistischen Charakters der Maßnahmen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII UN-Charta, seiner begrenzten Legitimation und Befugnis, der mangelnden Institutionalisierung und Überprüfbarkeit des Verfahrens (vgl. 6. Teil, C, S. 728 ff.) kommen die Maßnahmen nach Art. 41, 42 UN-Charta als regelmäßiges Durchsetzungsmittel nicht in Betracht. 1594 J. Rawls, Das Völkerrecht, in: Shute/Hurley (Hrsg.), Die Idee der Menschenrechte, 1996, S. 86. 1595 S. Gosepath, Zu Begründungen sozialer Menschenrechte, S. 155 f. 1596 S. Gosepath, Zu Begründungen sozialer Menschenrechte, S. 156. 1597 Dazu 6. Teil F, S. 949 ff. 1598 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 1998, S. 228 f.; R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, EA 1993, 687 f. 1599 S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 219.

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Die bisherigen regelmäßigen Aktivitäten der Internationalen Organisationen zum Schutz der Menschenrechte können mit fließenden Grenzen eingeteilt werden in: – Promotion und Publizität, – Kontrolle, – Garantie.1600 a) Promotion und Publizität Unter Promotion sind alle Handlungen zu verstehen, die den Zweck haben a) die Staaten, die noch keine besonderen Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte haben, zu deren Einführung zu bewegen; b) diejenigen Staaten, die sie bereits haben, zur Weiterentwicklung der Rechte anzustoßen, und zwar sowohl in materieller als auch in prozessualer Hinsicht. Meist wird dabei ausschließlich auf die Methode der Publizität zurückgegriffen, die Kant als einzige Durchsetzungsmöglichkeit des Völkerrechts vorgestellt hat.1601 Die Mechanismen der Publizität und der Promotion haben keinen Zwangscharakter im eigentlichen Sinn. Die hohe Öffentlichkeitswirkung der Allgemeinen Menschenrechtserklärung verschafft dieser aber durchaus eine gewisse Durchsetzungskraft1602, weil durch ihre Existenz ein ständiger Menschenrechtsdiskurs1603 programmiert und geleitet wird. Der Hohe Kommissar für die Menschenrechte, der durch Beschluß der Generalversammlung vom 20.12.1993 geschaffen worden ist, und dem Generalsekretariat untersteht, verfügt nicht über Zwangsmittel,1604 sondern nur über Mittel der Promotion, im Sinne der Förderung, Information und der Koordinierung.1605 Immerhin steht ihm ein Initiativrecht zur Beseitigung bestehender Hindernisse für die Verwirklichung der Menschenrechte zu.1606

1600 N. Bobbio, Gegenwart und Zukunft der Menschenrechte, in: ders., Zeitalter der Menschenrechte, S. 24. 1601 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 244 (B 98, 99/A92, 93) ff.; dazu J. Bohman, Die Öffentlichkeit des Weltbürgers, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohmann, Frieden durch Recht, 1996, S. 87 ff. 1602 Vgl. W. Bausback, 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, BayVBl. 1999, 707. 1603 Dazu R. Alexy, Diskurstheorie und Menschenrechte, in: ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 127 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 109 ff.; kritisch dazu K.-E. Hain, Diskurstheorie und Menschenrechte, Der Staat 40 (2001), S. 193 ff. 1604 Vgl. Z. Kedzia, The United Nations High Commissioner for Human Rights, in: G. Baum (Hrsg.), Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, 1998, S. 85 ff. 1605 Siehe General Assembly resolution 48/141 vom 20.12.1993, A/RES/48/141, 7.1.1994; vgl. auch C. Kissling, Menschenrechtlicher Mindeststandard, HFR 12-2001, S. 19 f.; zur Verbesserung der Rolle des Hohen Kommissars und der Publizitätsverfah-

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Unter Kontrolle sollen alle Maßnahmen von Staaten und Internationalen Organisationen verstanden werden, die dazu dienen, zu prüfen, ob und in welchem Umfang die völkerrechtlichen Verpflichtungen eingehalten werden. Schon 1946 haben die Vereinten Nationen eine Menschenrechtskommission als Unterorgan des UN-Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC, Art. 61 ff. UN-Charta), der Verpflichtung des Art. 68 UN-Charta entsprechend, eingesetzt.1607 Arbeitsschwerpunkt neben ihrer Normvorbereitungstätigkeit ist die Behandlung eingehender Menschenrechtsbeschwerden.1608 Ab 16. Juni 2006 wurde die Menschenrechtskommission durch einen Menschenrechtsrat abgelöst, der sich im Befugnisrahmen der Menschenrechtskommission für die „universelle, unparteiliche und nichtselektive“ Förderung der Menschenrechte einsetzen soll.1609 b) Nicht gerichtsförmige Kontrolle Ziel des von der Generalversammlung eingerichteten „1503-Verfahrens“1610, das neben einer Publizitäts- auch eine schwache Kontrollwirkung hat, ist die Feststellung systematischer und besonders schwerer Menschenrechtsverletzungen, um menschenfeindliche politische Systeme zu identifizieren.1611 Es dient also nicht die Prüfung einzelner Menschenrechtsverletzungen und hat keine Rechtsschutzfunktion. Weil eingegangene Beschwerden, die sowohl von Einzelpersonen als auch von Nichtregierungsorganisationen erhoben werden können, nur behandelt werden, wenn die Rechtsverletzungen einen „Gesamtzusammenhang von verläßlich nachgewiesenen, systematischen und schweren Verletzungen von Menschenrechten und Grundfreiheiten erkennen lassen“, sind zahlreiche erhebliche Rechtsverletzungen überhaupt nicht berücksichtigt worden.1612 Im übrigen hat dieses Verfahren nur begrenzte Publizitätswirkung, weil die Beschwerden vertraulich behandelt werden und nicht automatisch in einen förmren: Bericht des Generalsekretärs v. 9.9.2002, Stärkung der Vereinten Nationen: Eine Agenda für weitere Veränderungen, Generalversammlung, A/57/387, Ziff. 51 ff. 1606 K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 240, Rn. 196. 1607 Vgl. K.-J. Partsch, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 68, Rn. 72 ff. 1608 N. Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen, 1999, S. 144 f. 1609 Generalversammlung, A/RES/60/251 v. 3.4.2006, Ziff. 2 ff., 13. 1610 Resolution 728 F, XXVIII vom 30.7.1959, abgedruckt in Sartorius II, Nr. 24; Resolution 1235 (XLII) vom 6.7.1967, UN-Dok. E/4393 (1967), abgedruckt in Sartorius II, Nr. 25; Resolution 1503 (XLVIII) vom 27.5.1970, abgedruckt in: Sartorius II, Nr. 26. 1611 Es wird geprüft, ob sich auf Grund von Beschwerden „ein Gesamtbild schwerer und zuverlässig bezeugter Menschenrechtsverletzungen in einem Staat“ ergibt. Vgl. auch R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2002, S. 397. 1612 H.-J. Heintze, 50 Jahre UN-Menschenrechtserklärung, Humanitäres Völkerrecht, 1998, 231; vgl. auch O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 342.

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lichen Prozeß münden, welcher die Teilnahme der Öffentlichkeit, die bei Menschenrechtsverletzungen unerläßlich ist, sichern würde. Lediglich gegenüber Staaten, die keinerlei Kooperationsbereitschaft zeigen, wird das Verfahren in ein öffentliches übergeleitet und ein Sonderberichterstatter eingesetzt.1613 In jedem Fall können gegenüber dem Staat, dem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, nur Empfehlungen ausgesprochen werden, weswegen das 728/1235/1503-Verfahren keine besonders effektive Kontrolle ermöglicht.1614 Daneben verfügt jedes UN-Übereinkommen über ein eigenes, vertragsgebundenes Durchsetzungsverfahren, für das spezielle Ausschüsse zuständig sind.1615 Nach Art. 40 Abs. 1 IPbpR sind die Vertragsparteien des Zivilpaktes verpflichtet, „über die Maßnahmen, die sie zur Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte getroffen haben, und über die dabei erzielten Fortschritte Berichte vorzulegen“1616, die von dem nach Art. 28 ff. IPbpR errichteten unabhängigen Ausschuß für Menschenrechte geprüft werden1617. Dieser kann zu den eingegangenen Berichten „ihm geeignet erscheinende allgemeine Bemerkungen“ machen, und sie den Vertragspartnern zusenden (Art. 40 Abs. 4 IPbpR). Eine vergleichbare Berichtspflicht besteht für die Einhaltung des Sozialpakts nach Art. 16 Abs. 1 IPwskR.1618 Das Berichtsverfahren gibt keine Befugnis, vertragsverletzende Paktstaaten mit Sanktionen zu belegen. Es hat damit kaum Kontroll-, sondern überwiegend Publizitätsfunktion. Seine Hauptaufgabe besteht darin, den innerstaatlichen Menschenrechtsdiskurs anzuregen und den internationalen Menschenrechtsdialog fortzuführen.1619 Aber auch dies gelingt nur begrenzt, weil etwa Zweidrittel aller Vertragsstaaten mit ihren Berichten in Verzug sind.1620 Der Menschenrechtsausschuß und der Wirtschafts- und Sozialausschuß sind deshalb dazu übergegangen, selbsttätig Berichte über einschlägige Staaten zu verfassen.1621 Die Veröffentlichungen über die betroffenen Staaten ermögli1613 Solche Berichte gibt es z. B. zu Afghanistan, Myanmar, Somalia und Sudan. H.-J. Heintze, 50 Jahre UN-Menschenrechtserklärung, Humanitäres Völkerrecht, 1998, 231. 1614 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 342. 1615 Vgl. die Übersicht bei H.-J. Heintze, 50 Jahre UN-Menschenrechtserklärung, Humanitäres Völkerrecht, 1998, 232 ff.; A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, 2005, S. 284 ff.; zu den ILO-Verfahren siehe auch 6. Teil, C, S. 788 ff. 1616 Vgl. M. Nowak, Der UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 1989, S. 603 ff. 1617 T. Schaber, Internationale Verrechtlichung der Menschenrechte, 1996, S. 157; dazu W. v. der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, 1999, S. 27 ff. 1618 Vgl. B. Simma, Die internationale Kontrolle der VN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 579 (582 ff.). 1619 B. Simma, Die internationale Kontrolle der VN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, S. 583 f., 588. 1620 M. Nowak, Der UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, S. 589. 1621 Dazu B. Simma, Die internationale Kontrolle der VN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, S. 587.

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chen eine gewisse Kontrolle. Insbesondere haben sie eine als solche unverbindliche Auslegungsfunktion, die aber unwidersprochen über Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK eine spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages, aus der ein Staatenkonsens über die Auslegung des Vertrages geschlossen werden kann, begründet.1622 Außerdem erzeugen sie politischen Druck.1623 Ein Staatenbeschwerde- und ein Individualbeschwerdeverfahren sind für den Pakt über bürgerliche und politische Rechte nur fakultativ vorgesehen. Für den Sozialpakt ist ein entsprechendes Fakultativprotokoll vorgeschlagen.1624 Sanktionsmechanismen enthalten die Pakte und das Fakultativprotokoll nicht. Es greifen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts.1625 Die Staatenbeschwerde kommt nur zwischen denjenigen Vertragsstaaten zur Anwendung, die dies ausdrücklich anerkannt haben (Art. 41 Abs. 1 S. 1, 3 IPbpR), bisher nicht mehr als ein Drittel der Vertragsparteien.1626 Sie soll im Sinne der rule of law die gemeinsame Verantwortung aller Vertragsstaaten für die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Pakt zum Tragen bringen.1627 Wenn eine Staatenbeschwerde nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs und Durchführung eines Vorverfahrens (vgl. Art. 41 Abs. 1 lit. a Satz 1 IPbpR) für zulässig erklärt worden ist, endet das Verfahren vor dem Ausschuß unabhängig davon, ob eine gütliche Regelung zustande gekommen ist oder nicht mit einem Sachverhaltsbericht (Art. 41 lit. h IPbpR). Ob der Vertrag verletzt worden ist, wird durch die Staatenbeschwerde nicht entschieden. Das Verfahren hat also weniger kontrollierenden als diplomatischen Charakter und bedient sich in erster Linie der Mittel der Publizität.1628

1622

Dazu im einzelnen A. Nußberger, Sozialstandards im Völkerrecht, S. 228 ff. H.-J. Heintze, 50 Jahre UN-Menschenrechtserklärung, Humanitäres Völkerrecht, 1998, 231. 1624 Vgl. B. Simma, Die internationale Kontrolle der VN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, S. 590 ff.; ablehnend Ch. Tomuschat, An Optional Protocol for the CESCR?, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 815 (828 ff.). Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte hat ein IPwskR-Zusatzprotokoll vorgeschlagen, das nicht-staatlichen Organisationen und Einzelpersonen die Möglichkeit zur Beschwerde geben soll, wenn Vertragsstaaten Bestimmungen des Paktes verletzen. UN Doc. E/CN.4/1997/105, 18.12.1966, annex; UN Doc. E/CN.4/2001/62/Add.2, 22.3.2001; Commission on Human Rights, Resolution 2001/30, 20.4.2001; UN Docs. E/CN.4/2002/57, 12.9.2002; E/CN.4/2003/53, 13.1.2003; UN Doc. E/CN.4/2004, 13.3.2004; www.ohchr.org/english/issues/escr/group.htm; vgl. BT Drs. 15/2755, S. 3. 1625 K. Ipsen, Völkerrecht, S. 688 f., Rn. 47. 1626 Siehe Ratifikationsstände wichtiger Menschenrechtsabkommen, www.jahrbuchmenschenrechte.de/Online/ratifikationen.pdf. Deutschland hat sich dem Staatenbeschwerdesystem unterworfen. 1627 Vgl. M. Nowak, Der UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, S. 634. 1628 Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 244 (B 98, 99/A92, 93) ff.; dazu J. Bohman, Die Öffentlichkeit des Weltbürgers, in: M. Lutz-Bachmann/J. Bohmann, Frieden durch Recht, 1996, S. 87 ff. 1623

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Vertragsstaaten des Zivilpaktes können zusätzlich Vertragsparteien eines Fakultativprotokolls vom 19.12.19661629 werden, in dem die Individualbeschwerde geregelt ist. Die Mitgliedstaaten dieses Protokolls erkennen die Zuständigkeit des nach Art. 28 IPbpR errichteten Menschenrechtsausschusses auch für die Entgegennahme und Prüfung von Mitteilungen an, die ihm von natürlichen Personen vorgelegt werden, welche der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates des Fakultativprotokolls unterliegen. Die beim Menschenrechtsausschuß des Zivilpaktes schriftlich (Art. 2 Protokoll) einzureichende Individualbeschwerde (communication) ist zulässig mit der Behauptung, Opfer einer Verletzung eines im Zivilpakt enthaltenen Rechts zu sein (Art. 1 Satz 1, 2 des Protokolls). Der Beschwerdeführer muß grundsätzlich verfügbare innerstaatliche Rechtsbehelfe ausgeschöpft haben (Art. 2, Art. 5 Abs. 2 lit. b Satz 1 Protokoll). Wird eine Eingabe als zulässig eingestuft, hat der beschwerdegegnerische Staat nach Aufforderung dem Ausschuß „innerhalb von sechs Monaten schriftliche Erläuterungen oder Stellungnahmen zur Klärung der Sache zu übermitteln oder die gegebenenfalls von ihm getroffenen Abhilfemaßnahmen mitzuteilen“ (Art. 4 Abs. 2 Protokoll). Über eigene investigatorische Mittel verfügt der Menschenrechtsausschuß nicht.1630 Die materiell-rechtliche Würdigung erfolgt „in nichtöffentlicher Sitzung“ (Art. 5 Abs. 3 Protokoll) anhand der „unterbreiteten schriftlichen Angaben“ (Art. 5 Abs. 1 Protokoll). Es kommt also zu keinerlei justizieller mündlicher Aussprache zwischen dem Ausschuß, Beschwerdeführer und Vertragsstaat. Abgeschlossen wird das Verfahren mit den (unverbindlichen) Rechtsauffassungen (views), die der Ausschuß dem Beschwerdeführer und dem beschwerdegegnerischen Staat mitteilt (Art. 5 Abs. 4 Protokoll). Der Ausschuß führt in seinem Jahresbericht (Art. 45 IPbpR) die Individualrechtsbeschwerden in seiner „Übersicht über seine Tätigkeit“ (Art. 6 Protokoll) auf. Damit wird nur eine geringe Kontrollwirkung erzielt. Während das Staatenbeschwerdeverfahren als Streitbeilegungs- und Vergleichsverfahren konzipiert ist, wird durch das Individualbeschwerdeverfahren festgestellt, ob ein Vertragsstaat den Pakt verletzt hat oder nicht.1631 Es kann also als Kontrollverfahren angesehen werden. Allerdings ist es nicht gerichtsförmlich. Der Menschenrechtsausschuß ist kein Gericht und nicht zu einer völkerrechtlich bindenden Entscheidung über die behauptete Menschenrechtsverletzung befugt.1632 Daher können die Auffassungen des Ausschusses nicht als

1629

BGBl. 1992 II, S. 1246. M. Nowak, Der UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, S. 738 f.; W. von der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 53 f. 1631 M. Nowak, Der UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, S. 755. 1632 M. Nowak, Der UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, S. 756 f.; W. von der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, 1999, S. 52; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 258, § 426. 1630

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„urteilsähnliche Entscheidungen, in denen eine autoritative Rechtsfeststellung gesehen werden muß“1633, eingeordnet werden. Zwischenergebnis Unbeschadet einer gewissen Kontrollwirkung und Auslegungsfunktion ermöglichen also weder die Staaten- noch die Individualbeschwerde eine verbindliche, gerichtliche Feststellung von Menschenrechtsverletzungen und damit weder objektiven noch subjektiven Rechtsschutz im Sinne einer Garantie. Eine obligatorische Zwangswirkung geht von diesen Verfahren nicht aus. c) Gerichtliche Kontrolle ohne subjektiven Rechtsschutz Obwohl er zwar den objektiven und nicht den individuellen Rechtsschutz stärkt1634, ist die Institutionalisierung des Internationalen Strafgerichtshofs ein entscheidender Fortschritt zur obligatorischen gerichtlichen Durchsetzung der Menschenrechte.1635 Vor diesem Gericht können die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, Einzelne zur Verantwortung gezogen und verurteilt werden (dazu 6. Teil, F, S. 995 ff.). Ein paradigmatischer Wechsel ist mit dieser Gerichtsbarkeit insofern verbunden, als sie nicht gegenüber Staaten, sondern gegenüber Einzelnen ausgeübt (Art. 1 Römisches Statut1636) und insoweit die völkerrechtliche Mediatisierung des Einzelnen durchbrochen wird. Der Sicherheitsrat kann gemäß Art. 13 lit. b Römisches Statut, wenn er nach Kapitel VII UN-Charta tätig wird, den Ankläger (Art. 15 Römisches Statut) initiieren, gegen einzelne verbrecherische Akteure tätig zu werden. Dies ermöglicht ein gezielteres Vorgehen gegen die eigentlichen Verantwortlichen und ist gegebenenfalls ein geeignetes milderes Mittel gegenüber Sanktionen, welche das ganze Land (die Bevölkerung) treffen.

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So aber W. von der Wense, Der UN-Menschenrechtsausschuß, S. 52 f. Vgl. Art. 13 ff. IGH-Statut, wonach der Prosecutor auf Initiative eines Mitgliedstaates, des Sicherheitsrates oder von Amts wegen tätig werden und ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof einleiten kann. 1635 W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 275 (S. 313 ff.); M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 574. 1636 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs v. 17.7.1998, ILM 37 (1998), p. 1002; BGBl. 2000 II, S. 1294; in Kraft getreten am 1.7.2002. 1634

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d) Garantie und subjektiver Rechtsschutz Der Begriff der Garantie steht für rechtliche Verbindlichkeit, für effektiven individuellen Rechtsschutz, wie ihn das Weltrechts- und Menschenrechtsprinzip fordert (dazu 4. Teil, A, S. 509). Einen Internationalen Menschengerichtshof, der dies gewährleistet, gibt es bisher nicht. Der Internationale Gerichtshof kann wie der Internationale Strafgerichtshof nicht von einzelnen Menschen angerufen werden.1637 Exempel für ein rechtlich verbindliches Menschenrechtsabkommen, durch das sich die Vertragspartner einer obligatorischen Gerichtsbarkeit mit individueller Rechtsschutzgarantie unterworfen haben, gibt es nur auf regionaler Ebene.1638 Ein schon genanntes Beispiel ist das Individualbeschwerderecht zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Art. 34 EMRK. Zusätzlich sind der individuelle Rechtsschutz und die Stellung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durch das am 1. November 1990 in Kraft getretene 11. Zusatzprotokoll maßgeblich gestärkt worden.1639 Insoweit ist das völkerrechtliche Interventionsverbot in innere Angelegenheiten und die Mediatisierung der Individuen zugunsten eines (jedenfalls in der Qualität weltrechtlichen) Menschenrechtsschutzes relativiert.1640 Fast alle europäischen Staaten, darunter auch solche aus Ost- und Ostmitteleuropa1641, haben sich der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 des Europarates1642 und ihren mittlerweile 14 Zusatzprotokollen1643 unterworfen. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist ein Teil der materiellen Verfassung für Europa.1644 Ihr umfassender Grundrechtskatalog enthält nicht nur Abwehrrechte, sondern auch 1637 Nach Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut sind nur Staaten vor dem Internationalen Gerichtshof parteifähig. 1638 Zu den wenigen Beispielen aus der Vergangenheit siehe A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 424. 1639 Vom 11.5.1994, abgedruckt in: EuGRZ 1994, 323; dazu K. Ipsen, Völkerrecht, S. 697 f., Rn. 11; dazu W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, S. 280 ff.; J. Meyer-Ladewig, Ein neuer Gerichtshof für Menschenrechte, NJW 1995, 2381 ff. 1640 Vgl. H. Mosler, The International Society as a legal Community, S. 61. 1641 Belgien, Dänemark, Frankreich, die Republik Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Schweden, Großbritannien, Nordirland als Gründungsmitglieder sowie die Bundesrepublik Deutschland, Finnland, Griechenland, Island, Liechtenstein, Malta, Österreich, Portugal, San Marino, die Schweiz, Spanien, die Türkei, Zypern und seit der Wende in Europa Albanien, Andorra, Bulgarien, Estland, Georgien, Kroatien, Lettland, Littauen, Mazedonien, Moldawien, Polen, Rumänien, Rußland, Slowakische Republik, Slowenien, die Tschechische Republik, die Ukraine und Ungarn. 1642 BGBl. 1952 II, S. 686, 953. 1643 Zu den Zusatzprotokollen vgl. www.uni-potsdam.de/u/mrz/coe/emrk.htm (zuletzt geprüft 16.8.2005) 1644 R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 570.

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Schutzpflichten.1645 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kann im Streitfall auf Anrufung eines Vertragsstaates und auch auf Klage einzelner Personen (nach Erschöpfung des Rechtswegs, vgl. Art. 35 Abs. 1 EMRK) angerufen werden und Konventionsverletzungen feststellen.1646 Nach Art. 33 EMRK entscheidet der Europäische Menschengerichtshof in öffentlicher Verhandlung (Art. 40 EMRK) über Staatenbeschwerden, nach Art. 34 EMRK über Individualbeschwerden. Kommt in der Sache keine gütliche Einigung (Art. 38, 39 EMRK) zustande, ergeht ein Feststellungsurteil, dem die Parteien und Gerichte verpflichtet sind (Art. 42 ff., 46 EMRK). Gegebenenfalls spricht er der verletzten Partei eine Entschädigung gegen den betreffenden Staat zu (Art. 41 EMRK). Eine kassatorische Entscheidung, welche die angegriffene Maßnahme der Vertragspartei unmittelbar aufheben würde, wird anders als bei einem Verfassungsgericht nicht getroffen.1647 Obwohl der Gerichtshof in neuerer Zeit begonnen hat, den Staaten bestimmte Maßnahmen vorzuschreiben1648, bewirken die Urteile keine unmittelbare Gesetzes- oder Verfassungsänderung, enthalten aber die (völkerrechtliche) Pflicht dazu (Art. 46 EMRK).1649 Der Einzelne, der mit seiner Beschwerde oder Klage Erfolg hatte, kann nicht selbst die Erfüllung der Entscheidung durchsetzen. Das Ministerkomitee des Europarates hat nach Art. 46 Abs. 2, 54 EMRK den Auftrag, die Durchführung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu überwachen1650 und kann als völkerrechtsadäquate Vollstreckungsinstanz den Staaten auch weitere Maßnahmen, z. B. Gesetzesänderungen nahe legen. Dieser Durchsetzungsmechanismus ist nicht uneffektiv.1651 Dennoch sind die völkerrechtlichen Rechte der Einzelnen nur dann voll wirksam, wenn und solange sie von zwischenstaatlichen Rechtsnormen, d. h. vom Willen der Staaten, getragen werden.1652

1645 Vgl. EGMR, Urt. vom 26.3.1985, X und Y/Niederlande, Series A, Nr. 91 = EuGRZ 1985, 297; Urt. vom 9.12.1994, Lopéz Ostra, Series A, Nr. 303-C = EuGRZ 1995, 530. 1646 Überblick über das Verfahren bei R. Bernhardt, V. Schlette, Das neue Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZaöRV 56 (1996), 905 ff.; ders., Europäischer Menschenrechtsschutz nach der Reform der EMRK, JZ 1999, 219 ff.; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2002, S. 404. 1647 BVerfGE 111, 307 (320). 1648 EGMR, Assanidse/Georgien, Urt. v. 8.4.2004, § 202 f.; dt. in: EuGRZ 2004, 268; dazu M. Breuer, Zur Anordnung konkreter Abhilfemaßnahmen durch den EGMR, EuGRZ 2004, 257 ff. 1649 Vgl. W. Bausback, „Auslagerung“ des Grundrechtsschutzes auf die internationale Ebene?, ZRP 1999, 6 (7 f.); A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 165; G. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 405 f. 1650 Dazu EGMR, Urt. v. 13.7.2000, Rep. 2000-VIII, 401 (528). 1651 Dazu R. Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung, 1993, S. 228. 1652 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 428.

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Ein der EMRK ähnliches Rechtsschutzsystem gibt es nur noch nach der Amerikanischen Menschenrechtskonvention vom 22. November 1969 (AMRK).1653 Das im Rahmen der OAS geschaffene Rechtssystem1654 sieht anders als die EMRK die Individualbeschwerde und nicht die Staatenbeschwerde als Regelfall vor. Mit der Durchsetzung sind die Interamerikanische Menschenrechtskommission und ein Gerichtshof für Menschenrechte beauftragt. Die Afrikanische Charta für Menschen- und Volksrechte von 1981 kennt keine Individualbeschwerde. Lediglich eine Kommission kann, falls keine gütliche Einigung zustande kommt, Empfehlungen an die Staats- und Regierungschefs der OAU abgeben (Art. 43). Zwischenergebnis Die Beispiele der Europäischen und der Amerikanischen Menschenrechtskonvention und ihrer Menschenrechtsgerichtsbarkeit zeigen, daß die Durchsetzbarkeit der Menschenrechte auf internationaler Ebene gegenüber denjenigen Staaten am weitesten fortgeschritten sind, die auch innerstaatlich einen Individualrechtsschutz im Bereich der Menschenrechte anerkennen. 3. Weltrechtliche Bewertung des völkerrechtlichen Schutzes der Menschenrechte Die UN-Menschenrechtspakte von 1966 haben den Menschenrechten eine neue Qualität verliehen, weil sie völkerrechtliche Verpflichtungen für die Staaten enthalten, die in den Pakten verankerten Rechte zu beachten und zu gewährleisten sowie gegebenenfalls die erforderlichen gesetzgeberischen und sonstigen Maßnahmen zu ergreifen. Allgemein weist die Betonung der Rechtsstellung des Einzelnen in diesen Verträgen auf den Beginn eines Wandlungsprozesses der internationalen Ordnung hin. Außerdem sind die Vertragsstaaten verpflichtet, Beschwerde- und Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Rechtsverletzungen zu schaffen.1655 In der partiellen Zulassung von individuellen Beschwerde- oder sogar Klagerechten gegen Menschenrechtsverletzungen zeigt sich, daß Menschen im Völkerrecht inzwischen nicht mehr nur als Begünstigte, sondern auch als Subjekte der Menschenrechte verstanden werden1656 und dies auch in wei1653 ILM 1970, S. 710 ff.; deutsche Übersetzung in: EuGRZ 1980, 435 ff.; vgl. dazu K. Ipsen, Völkerrecht, S. 699 ff.; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 121 ff.; K. Hailbronner, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 246 ff. 1654 Dazu J. Kokott, Das interamerikanische System zum Schutz der Menschenrechte, 1986. 1655 K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1069.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

chen Verfahren kontrolliert und interpretativ entwickelt werden soll. Soweit jedoch in der Praxis aus den völkerrechtlichen Menschenrechtsverpflichtungen in der Regel keine einklagbaren subjektiven Rechte abgeleitet werden, wird der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz dem Anspruch der Menschen, als Subjekt behandelt zu werden, noch nicht gerecht. Eine „Völkerrechtssubjektivität“ wird dadurch nicht oder nur unvollständig begründet.1657 Die Wahrnehmung des Menschen als Person, als Träger von bestimmten Rechten und Pflichten und die Anerkennung von Menschenrechten als Menschheitsrecht war durchaus ein entscheidender Schritt zur Öffnung zum Weltrecht1658, hat aber noch nicht zum Weltbürgerrecht geführt. Ihrem Wesen nach beanspruchen Menschenrechte als subjektive Rechte, Menschen zu berechtigen.1659 Hierfür ist neben einem materialisierten Anspruch eine Rechtsmacht erforderlich, welche den Anspruch mit verbindlicher Wirkung durchsetzt.1660 Eine solche Rechtsmacht besteht abgesehen von dem natürlichen Widerstandsrecht regelmäßig nur, wenn und soweit die einzelnen Menschen diese Rechte in ihren Staaten und/oder vor einem internationalen Gericht einklagen können und die Entscheidung die Staaten bindet.1661 Dies ist bisher nur regional, aber nicht universell möglich. Insgesamt sind die Menschenrechte durch das Völkerrecht nur unzureichend geschützt. Stärker als die Anfechtung der Universalitätsidee durch historische, kulturelle, religiöse und ethnische Vorbehalte leidet die universelle Menschenrechtskonzeption an der mangelnden Effektivität ihrer nationalen und internationalen Schutzinstrumentarien.1662 Es bleibt abzuwarten, inwieweit der neugeschaffene Menschenrechtsrat (6. Teil, G, S. 1025 ff.) diese Lage verbessert. Schon in den vierziger Jahren hat Karl Loewenstein die These vertreten: „Solange die unbeschränkte und undurchlässige Souveränität als Grundstein des Völkerrechts anerkannt wird, kann es keinen wirksamen internationalen Schutz der Menschenrechte geben . . . dieser Teufelskreis kann nur durchbrochen werden, indem die staatliche Souveränität mit all ihren Implikationen durchbrochen wird.“1663 1656 R. Wolfrum, Obligations Under Public International Law to Implement International Rules: Mechanisms to Monitor such Implemention, in: B. v. Maydell/A. Nußberger, Social Protection by Way of international Law, 1996, S. 87 (96). 1657 A. A. W. Karl, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Menschenrechtsschutz, S. 276. 1658 Vgl. M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, S. 571 f. 1659 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 378 ff., 443 ff., 447 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke und Direktive der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 319 ff., 337 ff.; dazu auch 4. Teil, A. 1660 E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 118 ff., 127 ff. (Februar 2003); K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 987. 1661 W. Brugger, Menschenrechte und Staatenwelt, S. 162. 1662 K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, in: Fs. H. F. Zacher, S. 1076. 1663 K. Loewenstein, Political Reconstruction, 1946, S. 280.

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Mit welchen Mitteln und in welchem Umfang die „Durchbrechung staatlicher Souveränität“ ein Dienst am Menschen und seiner Rechte ist, ist eine andere Frage, die im folgenden unter III. behandelt wird. 4. Votum für die Schaffung eines Menschengerichtshofs Soweit sich die Staaten in Menschenrechtsverträgen auf die Anerkennung bestimmter Menschenrechte geeinigt haben, sichert deren Anwendung keinen hinreichenden Menschenrechtsstandard, nicht nur, weil manche Staaten nicht willens sind, die Menschenrechte einzuhalten, sondern auch, weil sowohl die Schutzbereiche als auch die Grenzen der Grundrechte in den UN-Menschenrechtspakten in den Staaten aufgrund unterschiedlicher Rechtskulturen innerhalb der Staatengemeinschaft höchst verschieden ausgelegt werden.1664 Die Unterschiedlichkeit der Auslegung wäre hinnehmbar, wenn alle Auslegungen im Ergebnis zumindest zu einem weltrechtlichen (d. h. menschenwürdigen) Standard gelangten. Dies ist aber bisher nicht der Fall. Außerdem besteht die Gefahr, daß jeder Staat „seine Lesart“ der Menschenrechte einem anderen Staat, der eine andere Auffassung hat, aufzwingen kann, ohne daß eine Berechtigung dazu festgestellt werden kann. Um eine gemeinschaftliche, verbindliche Auslegung der materiell notwendigerweise oft weiten Grundrechtstatbestände zu erreichen, bedarf es eines internationalen Gerichtsverfahrens. Neben dem nationalen ist ein weltrechtlicher Menschenrechtsschutz durch einen noch zu schaffenden Menschenrechtsgerichtshof erforderlich.1665 Zur Verbesserung des subjektiven Rechtsschutzes sollten regelmäßig individuelle Menschenrechtsbeschwerden gegen Staaten möglich sein, wenn der nationale Rechtsweg erschöpft oder von vornherein ausgeschlossen ist. Vorbild ist das Verfahren der EMRK. Außerdem müßte der Menschengerichtshof auch für Menschenrechtsverletzungen zuständig sein, die durch Organe von internationalen oder Weltorganisationen begangen werden (z. B. Sicherheitsrat). III. Paradigmenwechsel im Bereich humanitärer Interventionen? 1. Entwicklung eines unilateralen Rechts auf humanitäre Intervention? Zur Abwehr von Verstößen gegen die Menschheitsverfassung erachtet die Lehre von der „humanitären Intervention“1666, welche teilweise Eingang in völkerrechtliche Kodifizierungen gefunden hat1667, auch militärische Gewalt, selbst 1664 K. Doehring, Völkerrecht, S. 419; Ch. Hillgruber, Das Völkerrecht als Brücke zwischen den Rechtskulturen, AVR 40 (2002), S. 1 (11). 1665 Vgl. auch R. Tetzlaff, Den Opfern eine Stimme geben, S. 296, 311 f.; siehe zur Weltgerichtsbarkeit auch 3. Teil, C, S. 357 ff.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

den Krieg eines Staates gegen fremde (Unrechts-)Staaten, „zum Schutz“ der dort lebenden Menschen für gerechtfertigt.1668 „La théorie de l’intervention d’humanité est proprement celle qui reconnaît pour un droit l’exercice du contrôle international d’un Etat sur les actes de souveraineté intérieure d’un autre Etat contraires aux lois de l’humanité, et qui prétend en organiser juridiquement le fonctionnement“.1669

Besonders in der amerikanischen, zunehmend aber auch in der deutschen Völkerrechtslehre, wird die Ansicht vertreten, daß auch gewaltsame Interventionen unter bestimmten Bedingungen rechtmäßig sein sollen.1670 Durch Interventionsbefugnisse zum Zwecke humanitärer Ziele könnte eine (neue) Weltordnung geschaffen werden.1671 Die Anerkennung humanitärer Interventionen würde einen paradigmatischen Wechsel zur bisher geltenden Völkerrechtsordnung bedeuten; denn nicht die Staaten mit ihrem Recht auf Nichteinmischung, sondern die Menschen stehen am Ausgangspunkt dieser Lehre. Die Idee, Individuen zu schützen, anstatt nur in der Kategorie staatlicher Sicherheitsprobleme zu denken, nennt Robert Cooper Ausdruck einer „postmodernen Ethik“1672, der auch

1666 Zum Begriff „humanitäre Intervention“ Ch. Henke, Die humanitäre Intervention, 2002, S. 4 ff. 1667 Explizit in der Schlußakte der Helsinki-Konferenz der KSZE von 1992, Para. 8, S. 2; Entschließung zum Recht auf Intervention aus humanitären Gründen des Europäischen Parlaments, A3-0227/94, Abl. EG 1994 Nr. C 128, S. 225 ff. 1668 W. M. Reismann, Coercion and Self-Determination. Construing Charter Art. 2 (4), AJIL 78 (1984), 642 ff.; J. Rawls, Das Völkerrecht, in: S. Shute/S. Hurley (Hrsg.), Die Idee der Menschenrechte, 1996, S. 53 (85); H. Endemann, Kollektive Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung humanitärer Normen, 1997, S. 443; P. Hassner, Im Zweifel für die Intervention, EA 1993, 152 (154 ff.); dazu K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch kollektive Zwangsmaßnahmen der Staatengemeinschaft, 2000, S. 61, 65 ff., zu einem Recht auf Intervention: 300 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 431 ff.; A. Bleckmann, Völkerrecht, S. 373; H. Wilms, Der KosovoEinsatz und das Völkerrecht, ZRP 1999, S. 229 ff.; dagegen kritisch Ch. Hillgruber, Humanitäre Intervention, Großmachtpolitik und Völkerrecht, Der Staat 40 (2001), S. 165 ff. 1669 A. Rougier, La théorie de l’intervention d’humanité, in: Révue générale du droit international public, 17 (1910), S. 468. 1670 W. M. Reismann, Coercion and Self-Determination. Construing Charter Art. 2 (4), AJIL 78 (1984), 642 ff.; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 353 ff.; befürwortend auch: K. Doehring, Völkerrecht, S. 434 ff., Rn. 1013 ff.; M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 575; weitere Nachweise bei A. Randelzhofer, Neue Weltordnung, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 49 m. Fn. 126. 1671 A. Randelzhofer, Neue Weltordnung durch Intervention?, in: Fs. P. Lerche, 1993, S. 51 ff.; K. Dicke, Intervention zur Durchsetzung internationalen Ordnungsrechts: Konstitutives Element der neuen Weltordnung, Jahrbuch für Politik 3 (1993), S. 259 ff.; s. a. Th. Schilling, Die „neue Weltordnung“ und die Souveränität der Mitglieder der Vereinten Nationen, in: Archiv des Völkerrechts 33 (1995), S. 67 ff. (72 ff. m.w. N.). 1672 R. Cooper, Gibt es eine neue Weltordnung?, in: D. Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 1997, S. 102 (118).

F. Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht

937

durch den Begriff „Weltinnenpolitik“ charakterisiert worden ist.1673 Der Rechtsstatus des Individuums wird gegenüber dem Staat aufgewertet, wenn die Durchsetzung der Menschenrechte nicht mehr allein den Einzelstaaten überlassen bleibt, sondern, jedenfalls in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, in zunehmendem Maße als Verantwortung und Durchsetzungsaufgabe der gesamten internationalen Gemeinschaft verstanden wird.1674 Die im Völkerrecht übliche Mediatisierung des Individuums im Verhältnis zu Internationalen Organisationen wird hierdurch abgemildert.1675 Zweifelhaft ist, inwieweit die kriegerische Durchsetzungsmethode rechtens ist. Nur dann kann sie Eingang in eine „Weltrechtslehre“ finden. Die Lehre von der humanitären Intervention betrachtet die Würde und die existentiellen Rechte des Menschen zu Recht nicht als innere Angelegenheit, sondern als Angelegenheit der gesamten Menschheit.1676 Sie versteht die Menschenrechte als eine Art „Weltgrundgesetz“ aller Menschen.1677 „Les Etats prennent aujourd’hui de plus en plus conscience qu’ils ne sont pas des êtres isolés, pleinement indépendants et libres de tout faire à l’intérieur de leurs frontières, mais qu’ils sont les membres d’une collectivité supérieure, la société des nations.“1678

Sowohl im innerstaatlichen Recht als auch im Völkerrecht sieht sie die staatliche Souveränität deshalb vor allem durch die Menschenrechte, jedenfalls hinsichtlich eines Kernbestandes,1679 als begrenzt an.1680 Der Kernbestand, dessen

1673 C. F. von Weizäcker, Das ethische Problem der modernen Strategie, in: EA (1969), 191; D. Senghaas, Weltinnenpolitik. Ansätze für Konzept, EA 47 (1992), 643 ff.; U. Bartosch, Weltinnenpolitik, 1995, S. 17 ff.; kritisch M. Kamann, Eine Weltinnenpolitik ohne Protektorate ist inkonsequent, in: Die Neue Gesellschaft, Frankfurter Hefte, Nr. 27, 2000, 277 ff.; P. Horst, Lehrmeister Kosovo-Krieg – „Weltinnenpolitik“ als imperialer Größenwahn, in: Die Neue Gesellschaft, Frankfurter Hefte, Nr. 27, 2000, 280 ff. 1674 Gutachten des IGH im Fall „Interpretation of Peace Treaties with Bulgaria, Hungary and Romania v. 30.3.1950 (First Phase): ICJ Rep. 1950, 65 (70 f.); A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 302 f.; S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 193 ff.; ders., Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 272; Ch. Hillgruber, Humanitäre Intervention, Der Staat 40 (2001), S. 181. 1675 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 272. 1676 Vgl. J. L. Jesus, Intervention in the Domestic Affairs on Humanitarian Grounds and International Law, in: Liber amicorum G. Jaenicke, 1998, S. 149 (156). 1677 Vgl. R. Zons, Weltbürgertum als Kampfbegriff, in: N. Bolz/F. Kittler/ders. (Hrsg.), Weltbürgertum und Globalisierung, 2000, S. 12 f. 1678 A. Rougier, La théorie de l’intervention d’humanité, in: Révue générale du droit international public, 17 (1910), S. 468. 1679 H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 1; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, 1985, S. 117. Zutreffende Kritik an der Kernbestandslehre äußert H. v. Senger, Der Menschenrechtsgedanke im Lichte chinesischer Werte, in: W. Schweidler (Hrsg.), Menschenrechte und Gemeinsinn, 1988, S. 267 (270 ff.).

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Umfang im einzelnen strittig ist, sei der humanitäre Mindeststandard, der Bestandteil des nicht derogierbaren ius cogens im Sinne des Art. 53 Abs. 2 Wiener Vertragsrechtskonvention ist. Er wird auch zu den „general principles of law recognized by civilized nations“ i. S. d. Art. 38 Abs. 1 lit. c des IGH-Statuts gerechnet.1681 Damit bekennt sich diese Lehre im Ergebnis zur Menschheitsverfassung. Fraglich sind aber die daraus gezogenen Schlußfolgerungen. Es ist zweifelhaft, ob Menschenrechte und andere humanitäre Belange selbständige Interventionstitel für (einseitige) militärische Interventionen sein können und ob die „Achtung der Menschenrechte“ (Art. 1 Abs. 3 UN-Charta) oder allgemein die „Gerechtigkeit“ (Art. 1 Abs. 1 UN-Charta) gegenüber der Wahrung des zwischenstaatlichen Friedens abgewogen werden können.1682 Ohne einen spezifischen Ausnahmetatbestand tritt das Gewaltverbot gegenüber dem Ziel des Menschenrechtsschutzes nicht zurück, weil das Gewaltverbot in Art. 2 Nr. 4 UN-Charta kategorisch, während die Verwirklichung der Menschenrechte als allgemeine Zielbestimmung formuliert ist. Der Einsatz militärischer Gewalt ist, weil er gegen das Gewaltverbot, nach Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta verstößt1683, nicht zulässig, es sei denn, die völkerrechtlich anerkannten Ausnahmen vom Gewaltverbot erlauben dies. Außer zum Zwecke der Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta) sieht die UN-Charta keine einzelstaatlichen Interventionsbefugnisse vor. Das Nothilferecht gibt, wenn es überhaupt bejaht wird, nur ein Recht gegen den Angreifer (dazu 3. Teil, B, S. 389 ff.). Ein (subsidiäres) unilaterales Recht, in anderen Staaten gewaltsam zu intervenieren, könnte sich neuerdings auf Gewohnheitsrecht stützen.1684 Es gibt eine 1680 G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 11 m. N.; J. Rawls, Das Völkerrecht, in: S. Shute/S. Hurley, Die Idee der Menschenrechte, S. 82 f. jedenfalls gegenüber Unrechtsregimes; H.-J. Blanke, Menschenrechte als Interventionstitel, AVR 36 (1998), S. 257 (264); B. Simma, Souveränität und Menschenrechtsschutz, EuGRZ 1977, S. 239; K. Stern, Zur Universalität der Menschenrechte, S. 1077; J. L. Jesus, Intervention in the Domestic Affairs on Humanitarian Grounds, in: Liber amicorum G. Jaenicke, 1998, S. 156 ff. 1681 J.-H. Blanke, Menschenrechte als Interventionstitel, AVR 36 (1998), S. 259; zu Art. 38 Abs. 1 lit. c. IGH-Statut A. Pauer, Die humanitäre Intervention, 1985, S. 16 f. zum ius cogens, S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 70 ff., 120 ff. 1682 Vgl. K. Zemanek, Ist das Gewaltverbot noch aktuell?, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht, 2002, S. 71. 1683 G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 79; D. Thürer/M. Herdegen, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt: „The failed State“, in: Berichte DGVR 34 (1996), S. 58 m. N.; J. Delbrück, Eine Internationale Friedesnordnung als rechtliche und politische Gestaltungsaufgabe, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 254 (259 f.); H.-J. Blanke, Menschenrechte als Interventionstitel, AVR 36 (1998), S. 264; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 305; Ch. Hillgruber, Humanitäre Intervention, Der Staat, 40 (2001), S. 181 f.; ders., Das Völkerrecht als Brücke zwischen den Rechtskulturen, AVR 40 (2002), S. 1 (15 f.).

F. Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht

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Praxis sogenannter humanitärer Interventionen1685, auch in der jüngeren Vergangenheit1686, deren Autorisierung durch die Vereinten Nationen fragwürdig war oder ganz gefehlt hat, z. B. in Liberia1687, im Kosovo1688, vermeintlich im Irak1689. Diese läßt manche Autoren annehmen, es habe sich inzwischen ein Gewohnheitsrecht auf humanitäre Intervention gebildet1690 oder ein solches sei zumindest im Entstehen. Zur Abwehr des Willkürvorwurfs stellen die meisten heutigen Befürworter der humanitären Intervention an deren Rechtmäßigkeit einige Bedingungen1691: 1. Der Intervenient darf kein Eigeninteresse an der Intervention haben. 2. Der militärische Einsatz muß in Anbetracht der Schwere der abzuwendenden Menschenrechtsverletzungen verhältnismäßig sein. 3. Das humanitäre Völkerrecht muß eingehalten werden. Allerdings zeigen diese Kriterien in der Praxis kaum einschränkende Wirkung. Zum einen, weil sie meist nicht erfüllt werden, zum anderen, weil sie der nicht überprüfbaren Selbsteinschätzung des intervenierenden Staates, also dessen Willkür, unterliegen. Damit sind die schon erhobenen Einwände nicht ausgeräumt. Ein allgemeines, unilaterales humanitäres Interventionsrecht, welches jeden Staat nach seiner Willkür zu militärischen Angriffen gegen einen anderen Staat ermächtigt, widerspricht der Friedensfunktion des Völkerrechts und dem ius cogens. Es gibt bisher keine dahin gehende allgemeine Rechtsüberzeugung. Nur wenn die unterdrückte Bevölkerung um Hilfe gebeten oder der Sicherheitsrat den Staat/die Staaten oder die regionale Organisation mit der Intervention beauftragt hat (Art. 48 Abs. 1 UN-Charta), sind solche Interventionen erlaubt.1692 1684 Ch. Greenwood, Gibt es ein Recht auf humanitäre Intervention?, EA 1993/1, 93 f.; K. Doehring, Völkerrecht, S. 431 ff.; vgl. dazu auch H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 942 f., Rn. 26; K. Zemanek, Ist das Gewaltverbot noch aktuell?, S. 74 ff. 1685 Vgl. zur Staatenpraxis in der Geschichte Ch. Hillgruber, Humanitäre Intervention, Großmachtpolitik und Völkerrecht, Der Staat 40 (2001), S. 165 ff.; Ch. Henke, Die humanitäre Intervention, S. 7 ff. 1686 Dazu Ch. Henke, Die humanitäre Intervention, S. 29 ff. 1687 Dazu Ch. Greenwood, Gibt es ein Recht auf humanitäre Intervention?, EA 1993/1, 98 f. 1688 Dazu Ch. Henke, Die humanitäre Intervention, S. 45 ff.; dazu näher S. 943 ff. 1689 Dazu Ch. Greenwood, Gibt es ein Recht auf humanitäre Intervention?, EA 1993/1, 96 ff.; K. Roth, Der Irak war keine humanitäre Intervention, Human Rights Wach Pressemitteilung (22.1.2004) bestreitet, daß es sich überhaupt um eine humanitäre Intervention gehandelt hat. 1690 Ch. Greenwood, Gibt es ein Recht auf humanitäre Intervention?, EA 1993/1, 105 f. 1691 Dazu K. Zemanek, Ist das Gewaltverbot noch aktuell?, S. 68 f. 1692 Vgl. D. Blumenwitz, Die humanitäre Intervention, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 47/94, S. 3 ff. m. N.; IGH, Case Korfu, ICJ Rep. 1949, 35; B. Simma, Does the UN Charter Provide an Adequate Legal Basis for Individual or Collective Responses to Violations of Obligations erga Omnes? in: J. Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement, 1993, 125 (140).

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

2. Humanitäres Interventionsrecht der NATO? Etwas anderes könnte für die NATO als „Krisenmanager“ gelten, deren Vorgehensweise etwa im Kosovo trotz der Kritik in der Literatur1693 von vielen Staaten letztlich akzeptiert worden ist. Mit der Washingtoner Erklärung hat die NATO ihr Programm über den Verteidigungsfall hinaus auf humanitäre Interventionen erweitert1694, ohne daß dies in den Vereinten Nationen auf besonderen Widerstand gestoßen ist. a) Neue Strategische Konzepte der NATO als Krisenmanager Im November 1991 nahm die Tagung der Staats- und Regierungschefs des Nordatlantikrats das „neue Strategische Konzept“ der NATO und die Erklärung von Rom „über einen wichtigen Abschnitt in der Umgestaltung des Bündnisses“ (Nr. 1) an.1695 Der sicherheitspolitische Ansatz sieht neben der bisherigen verteidigungspolitischen Ausrichtung auch einen Unterabschnitt „Krisenbewältigung und Konfliktverhütung“ vor. Für einen Erfolg der Bündnispolitik sei ein „von der politischen Führung des Bündnisses festzulegender kohärenter Ansatz erforderlich, wobei sie nach Bedarf die geeigneten Krisenbewältigungsmaßnahmen aus einer Palette politischer und sonstiger Optionen, darunter auch aus dem 1693 Dazu etwa D. Thürer, Der Kosovo-Konflikt im Lichte des Völkerrechts, AVR 38 (2000), S. 1 ff.; B. Simma, Die NATO, die UN und militärische Gewaltanwendung: Rechtliche Aspekte, in: R. Merkel (Hrsg.), Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, 2000, S. 9 ff., 17 ff.; J. Habermas, Bestialität und Humanität, in: R. Merkel (Hrsg.), Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, S. 51 ff.; R. Merkel, Das Elend der Beschützten, in: ders. (Hrsg.), Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, S. 66 ff.; D. Senghaas, Recht auf Nothilfe, in: R. Merkel (Hrsg.), Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, S. 99 ff.; U. K. Preuß, Der Kosovo-Krieg, das Völkerrecht und die Moral, in: R. Merkel (Hrsg.), Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, S. 115 ff.; K. Ipsen, Der KosovoEinsatz – Illegal? Gerechtfertigt? Entschuldbar?, in: R. Merkel (Hrsg.), Der KosovoKrieg und das Völkerrecht, S. 160 ff.; O. Höffe, Humanitäre Intervention?, in: R. Merkel (Hrsg.), Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, S. 167 ff.; Ch. Henke, Die humanitäre Intervention, S. 45 ff. 1694 Washingtoner Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Allianz vom 24.4. 1999; abgedruckt im Bulletin Nr. 24 v. 3.5.1999, 221–222; siehe unter www.nato.int/ docu/pr/1999/p99-063d.htm. Dort wird festgestellt: „Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf das Gebiet der Bündnispartner, aus welcher Richtung auch immer, finden Art. 5 und 6 des Vertrags von Washington Anwendung. Die Sicherheit muß jedoch auch den globalen Kontext berücksichtigen. Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken umfassenderer Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen.“ (Abschnitt 24 des Konzepts.). Vgl. dazu auch G. Geiger, Die völker- und verfassungsrechtlich wirksame Erweiterung des Aufgabenspektrums von NATO und WEU, Neue Zeitschrift für Wehrrecht, 2001, Nr. 4, S. 133 ff., der die Aufgabenerweiterung für rechtmäßig hält. 1695 Bulletin Nr. 128 v. 13.11.1991, S. 1033 f.; vgl. BVerfGE 90, 286 (299 ff.).

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militärischen Bereich, auswählt und koordiniert“ (Teil III. Nr. 24 f.). Damit erweiterte die NATO ihren Aufgabenbereich vom Verteidigungsfall auf Krisenbewältigung. Dementsprechend und im Einklang mit Art. 53 Abs. 1 UN-Charta unterstützten sie die Truppe der Vereinten Nationen in Bosnien (UNPROFOR) durch, vom UN-Generalsekretär genehmigte Luftschläge gegen Stellungen der bosnischen Serben. Nach Abschluß des Abkommens von Dayton beteiligten sich die NATO und ihre Mitgliedstaaten an der Errichtung einer multinationalen Friedensumsetzungstruppe (IFOR und SFOR) in Bosnien. Noch deutlicher als „Krisenmanager“ und gegebenenfalls auch berufen zu eigenständigen humanitären Interventionen, sieht sich die NATO aufgrund des neuen Strategischen Konzepts, welches auf dem Gipfeltreffen am 23. und 24. April 1999 zusammen mit einer „Erklärung von Washington“ und der „Initiative zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeiten“ in der NATO beschlossen worden ist. Danach steht das Bündnis bereit, von Fall zu Fall und im Konsens, im Einklang mit Art. 7 des Washingtoner Vertrages zu wirksamer Konfliktverhütung beizutragen und sich bei der Krisenbewältigung aktiv einzusetzen. Es wird zwar anerkannt, daß der „Sicherheitsrat der Vereinten Nationen . . . die primäre Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit (trägt) und in dieser Eigenschaft einen entscheidenden Beitrag zur Sicherheit und Stabilität im euro-atlantischen Raum (leistet)“ (Nr. 14 f.), gleichzeitig spricht sich die NATO aber selbst eine Aufgabe zur Wahrung des Weltfriedens zu. Sie macht sich damit nicht mehr allein von der Ermächtigung durch den Sicherheitsrat abhängig. Des weiteren erkennt die NATO, daß Friedensbedrohungen im globalen Zeitalter nicht mehr nur von Angriffskriegen ausgehen. Im globalen Kontext können Sicherheitsinteressen des Bündnisses neben dem Verteidigungsfall von anderen Risiken umfassenderer Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen. (Nr. 24.). Die militärischen Fähigkeiten der NATO sind nicht nur auf „kollektive Verteidigung“, sondern auch auf „nicht unter Art. 5 fallende Krisenreaktionseinsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung“ bezogen (Nr. 28 f.). Die Streitkräfterichtlinien (Teil IV. Nr. 41–64) legen in ihren „Grundsätzen der Bündnisstrategie“ (Nr. 41 ff.) dazu dar: „Sie müssen auch bereit sein, einen Beitrag zur Konfliktverhütung zu leisten und nicht unter Art. 5 fallende Krisenreaktionseinsätze durchzuführen“ (Nr. 41). Geleitet von ihrer „neuen Strategie“, hat die NATO im Kosovo eingegriffen. Fraglich ist, ob zu Recht. Wenn die „neue Strategie“ keine Änderung des NATO-Vertrags bedeutet, wie das Bundesverfassungsgericht angenommen hat1696, kann sie kein eigenständiges Interventionsrecht begründen, das über die Bestimmungen des NATO-Vertrags im Einklang mit der UN-Charta hinausgeht. 1696

BVerfGE 104, 151 (199 ff.).

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b) Vorgaben der UN-Charta Fraglich ist, inwieweit die NATO zu humanitären Interventionen berechtigt ist. Insbesondere die NATO hat in der Vergangenheit aus humanitären Gründen interveniert, wie der Fall Kosovo (dazu unter 2, c) gezeigt hat. Regionale Bündnisse sind gemäß Art. 52 Abs. 2 UN-Charta zur friedlichen Streitbeilegung befugt, zu Zwangsmaßnahmen gemäß Art. 53 Abs. 1 S. 2 UN-Charta, jedoch nicht ohne Ermächtigung des Sicherheitsrates. Der Sicherheitsrat kann zwar das regionale Bündnis zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen in Anspruch nehmen, eigenständige militärische humanitäre Interventionen außerhalb des Verteidigungsfalls sieht die UN-Charta nicht vor. Üblicherweise wird allerdings die NATO in ihrer Eigenschaft als kollektives Verteidigungsbündnis1697 nicht als „Regionales Bündnis“1698 i. S. d. Art. 52, 53 UN-Charta eingeordnet.1699 Vielmehr wird ihre Rechtsgrundlage in Art. 51 UN-Charta, auf den der NATO-Vertrag (Art. 5) Bezug nimmt, gesehen.1700 Mit der Erweiterung ihres Aufgabenkreises auf Aufgaben regionalen Krisenmanagements und des Weltfriedens neben der Zuständigkeit des Sicherheitsrates ist diese Einordnung allerdings zweifelhaft. Unabhängig davon, ob die NATO sich an Art. 52, 53 UN-Charta messen lassen muß, unterliegt sie jedenfalls den Grundsätzen der UN-Charta, insbesondere dem Gewaltverbot. Ihre Vertragsgrundlage und Handlungen müssen mit Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen vereinbar sein. Der NATO-Vertrag, als solcher ist im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Charta. Die NATO-Mitglieder haben darin ihre Einordnung in das UNSystem bestätigt. In der Präambel des NATO-Vertrags bekräftigen die Vertragsstaaten ihren „Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen“ und ihren „Wunsch, mit allen Völkern und allen Regierungen in Frieden zu leben“. Art. 1 verpflichtet die Mitgliedstaaten, Streitfälle friedlich zu regeln und „sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist“. Die Staaten arbeiten zur Entwicklung friedlicher und freundschaftlicher internationaler Beziehungen auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet zusammen (Art. 2). Nach Art. 7 berührt der Vertrag nicht die „Rechte und Pflichten“ der Parteien aus der Satzung der Vereinten Nationen 1697 Dazu I. Seidl-Hohenveldern/G. Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, 2000, S. 328 ff. 1698 Dazu I. Seidl-Hohenveldern/G. Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, S. 318 ff.; W. Hummer/M. Schweitzer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 52, Rn. 64 ff. 1699 Dazu W. Hummer/M. Schweitzer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 52, Rn. 27; G. Ress, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 53, Rn. 39; Antragsbegründung in BVerfGE 104, 151 (173 f.). 1700 G. Ress, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 53, Rn. 39; Antragsbegründung in BVerfGE 104, 173 f.

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und die „in erster Linie bestehende Verantwortlichkeit des Sicherheitsrats für die Erhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit“; er kann auch nicht „in solcher Weise ausgelegt“ werden. Nach Art. 5 vereinbaren die Parteien für den Verteidigungsfall, „daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder in Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet . . . einschließlich der Anwendung von Waffengewalt.“

c) Zur Unrechtmäßigkeit der Intervention der NATO im Kosovo-Konflikt – kein neues Völkergewohnheitsrecht Die NATO hat im Kosovo-Konflikt am 24. März 1999 erstmals in ihrer Geschichte einen souveränen Staat (Serbien/Jugoslawien) ohne Vorliegen eines Bündnisfalles und ohne Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates (Art. 42 ff. UNCharta)1701 angegriffen. Serbien hatte die (gewaltsamen) Autonomiebestrebungen der Albaner im Kosovo unter Führung der kosovo-albanischen Befreiungsarmee (UCK) unter Einsatz militärischer Gewalt und gravierender Menschenrechtsverletzungen (Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen)1702, gegenüber der Zivilbevölkerung unterdrückt. Die Ziele des Angriffs waren vor allem auf die Beendigung von Gewalt und Unterdrückung und damit auch auf humanitäre Ziele gerichtet.1703 Fraglich ist, ob die NATO ein eigenständiges Recht zu humanitärer Intervention hat, wenn diese nicht durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats gedeckt ist. Art. 5 des Nordatlantik-Vertrags sieht lediglich im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Gebiet eines der NATO-Partnerstaaten oder seiner Streitkräfte, Schiffe, Flugzeuge (Art. 6) die Möglichkeit individueller oder kollektiver Selbstverteidigung vor, welche als „natürliches“ Recht der Staaten betrachtet

1701 Der Sicherheitsrat hatte zwar eine Friedensbedrohung festgestellt, ist aber dann infolge des Vetorechts untätig geblieben. I. Seidl-Hohenveldern/G. Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, S. 305, Rn. 2026a sehen allerdings den Angriff mit der Resolution 1244/1999 „impicite nachträglich gebilligt“. Die Resolution unterstellt das Kosovo einer provisorischen UN-Zivilverwaltung unter dem Schutz von Truppen aus NATO und Nicht-NATO-Staaten unter dem Oberkommando der NATO. Aus einem Mandat für polizeiliche, grundsätzlich friedliche Maßnahmen kann indes nicht auf die Billigung des Angriffs auf den Kosovo geschlossen werden. 1702 Siehe zu den laufenden Prozessen vor dem Jugoslawientribunal: www.un.org/ icty/glance/index.htm. 1703 Bulletin v. 3.5.1999, Nr. 24, S. 231 Nr. 3; Ch. Henke, Die humanitäre Intervention, S. 60, 69 ff.

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wird (Art. 51 UN-Charta). Der Kosovo war kein völkerrechtlich anerkannter Staat1704, erst recht kein Staat des NATO-Bündnisses. Der Tatbestand für ein selbständiges militärisches Handeln der NATO-Truppen gemäß Art. 5, 6 des Nordatlantik-Vertrages war damit nicht eröffnet.1705 Im Gegensatz zur Ansicht des damaligen NATO-Generalsekretärs rechtfertigen allein eine Friedensbedrohung und die Tatsache, daß die Resolutionen des Sicherheitsrates 1160, 1199 und 1203 von 1988 nicht erfüllt worden sind, das Eingreifen der NATO nicht1706, auch nicht unter dem Aspekt der Uneinigkeit im UN-Sicherheitsrat, Maßnahmen nach Kapitel VII UN-Charta einzuleiten. Die sich zum relevanten Zeitpunkt, insbesondere in der Petersberg-Erklärung der Außen- und Verteidigungsminister vom 19. Juni 19921707, abzeichnende und in der Washingtoner Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Allianz vom 24. April 19991708 beschlossene Erweiterung des NATO-Bündnis-Programms über den Verteidigungsfall hinaus1709, hat weder damals noch bis heute zu einer rechtswirksamen Änderung des NATO-Vertrags geführt, der allein für die Befugnisse der NATO maßgeblich ist.1710 Eine solche Erweiterung im Sinne eines eigenständigen Interventionsrechts stünde auch nicht in Einklang mit Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta und Art. 53 UN-Charta, welche aufgrund des ius cogens-Charakters des Gewaltverbots1711 einzuhalten sind.1712 Das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ vom 10. Dezember 1984 und die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9. Dezember 1948 begründen zwar wechselseitige Staatenverpflichtungen, etwa gemäß Art. III

1704 J. Kokott, Naturrecht und Positivismus im Völkerrecht, in: Ch. J. Meier-Schatz/ R. J. Schweizer (Hrsg.), Recht und Internationalisierung, 2000, S. 3 (11). 1705 So auch E. Denninger, Menschenrechte, ZRP 2000, 192 (193); K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 328. 1706 K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 328. 1707 Bulletin Nr. 68 v. 23.6.1992, 649. 1708 Abgedruckt im Bulletin Nr. 24 v. 3.5.1999, 221–222; siehe unter www.nato.int/ docu/pr/1999/p99-063d.htm. 1709 Vgl. dazu auch G. Geiger, Die völker- und verfassungsrechtlich wirksame Erweiterung des Aufgabensprektrums von NATO und WEU um Krisenmanagementaufgaben, Neue Zeitschrift für Wehrrecht, 2001, Nr. 4, S. 133 ff., der die Aufgabenerweiterung für rechtmäßig hält. 1710 BVerfGE 104, 151 (201 ff.); E. Denninger, Menschenrechte, Menschenwürde und staatliche Souveränität, ZRP 2000, 192 (193); Ch. Henke, Die humanitäre Intervention, S. 59; vgl. G. Geiger, Die völker- und verfassungsrechtlich wirksame Erweiterung des Aufgabensprektrums von NATO und WEU um Krisenmanagementaufgaben, Neue Zeitschrift für Wehrrecht, 2001, Nr. 4, S. 135. 1711 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 75 f., § 96; S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 210 ff. 1712 Vgl. Ch. Henke, Die humanitäre Intervention, S. 57 f.

F. Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht

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der Völkermordkonvention, Personen, welche Völkermord begehen, zu bestrafen. Sie sind aber keine Interventionsermächtigungen.1713 Keiner der völkerrechtlichen Ausnahmegründe, welche eine Durchbrechung des Gewaltverbots gerechtfertigt hätten, waren erfüllt.1714 Daß die NATO-Mitgliedstaaten 1999 immer wieder beteuert haben, sie führten keinen Krieg gegen Jugoslawien und das serbische Volk, würden also nicht die „territoriale Integrität“ und „politische Unabhängigkeit“ im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta1715 beeinträchtigen, ändert daran nichts. Gemäß Art. 1 des Nordatlantik-Vertrages ist die NATO dem Grundsatz friedlicher Streitbeilegung sowie den Zielen der UN und damit auch dem Selbstbestimmungsrecht1716 der Völker, aus dem das grundsätzliche Interventionsverbot folgt, und dem generellen Gewaltverbot verpflichtet. Wenn sich die NATO dennoch zum Kriseneinsatz mit militärischer Gewalt berechtigt sieht, so versucht sie dies auf die Lehre von der „humanitären Intervention“ und auf „neues Völkergewohnheitsrecht“ zu stützen.1717 Gewohnheitsrechtlich hat sich ein Recht zur Intervention trotz der abweichenden Praxis im Fall Kosovo noch nicht gebildet.1718 Bisher hat es keine vergleichbaren Präzedenzfälle gegeben, in denen die NATO ohne UN-Mandat aus humanitären Gründen interveniert hat und die auf eine entsprechende Gewohnheit schließen ließe. Auch die scharfen Proteste Rußlands gegen eine NATOIntervention sprechen gegen die Herausbildung eines derartigen Gewohnheitsrechts.1719 Im übrigen würde eine solches Gewohnheitsrecht nicht mit dem zwingenden Gewaltverbot vereinbar sein. Die gewaltsame Bekämpfung des Tyrannen und seines Apparates kann auch nicht auf den Grundsatz der Nothilfe (S. 389 ff.) gestützt werden1720; denn die Nothilfe deckt nicht auch militärische Angriffe auf das Staatsgebiet und die 1713 So auch E. Denninger, Menschenrechte, ZRP 2000, 194; a. A. H. Wilms, Der Kosovo-Einsatz und das Völkerrecht, ZRP 1999, 228 ff. 1714 R. Zons, Weltbürgertum als Kampfbegriff, in: N. Bolz/F. Kittler/der. (Hrsg.), Weltbürgertum und Globalisierung, 2000, S. 9 (12); G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 453 ff. 1715 Vgl. die Erklärung vom 12.4.1999 anläßlich des außerordentlichen Ministertreffens des Nordatlantikrates in Brüssel, NATO Press Release M-NAC-1(99)51, 12. April 1999; vgl. auch K. Zemanek, Ist das Gewaltverbot noch aktuell?, S. 71. 1716 Dazu kritisch J. J. Darby, Self Defense in Public International Law, in: Fs. G. Ress, 2005, S. 29 (31 ff.). 1717 H. Wilms, Der Kosovo-Einsatz und das Völkerrecht, ZRP 1999, S. 229 ff. (227). 1718 G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 67; J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 421 (426); R. Zuck, Der Krieg gegen Jugoslawien, ZRP 1999, 225 (227); E. Denninger, Menschenrechte, ZRP 2000, 194; K. Zemanek, Ist das Gewaltverbot noch aktuell?, S. 74 ff. 1719 K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 330 f.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Zivilbevölkerung. Solche existentiellen Beeinträchtigungen verletzen die Menschenrechte in ihrem Kern, weil der Mensch hier als Mittel zu einem (vermeintlich höheren) Zweck (Druck auf die serbische Regierung auszuüben) mißbraucht wird.1721 Der völkerrechtswidrige NATO-Angriff könnte damit zu legitimieren sein, daß er „einen Sprung auf dem Wege des klassischen Völkerrechts der Staaten zum kosmopolitischen Recht einer Weltbürgergesellschaft“ darstellt. In einem „kosmopolitischen Recht einer Weltbürgergesellschaft“ würde das Souveränitätsprinzip der Staaten nicht mehr uneingeschränkt gelten. Als Mitglied in einer „Assoziation von Weltbürgern“ hätten die Staatsbürger einen Rechtsanspruch darauf, auch „gegen die Willkür der eigenen Regierung“ geschützt zu werden.1722 Auch ein weltrechtlicher Ansatz muß das grundsätzliche und zwingende Gewaltverbot gegenüber Staaten als Grundvoraussetzung des Friedensund Rechtsprinzips achten, wenn sein Zweck ist, aus dem (kriegerischen) Naturzustand zwischen den Staaten gänzlich herauszuführen (vgl. 3. Teil, S. 217 ff.). Das Gewaltverbot (Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta) gilt nicht nur gegenüber Rechtsstaaten.1723 Soll die Gewalt nicht als illegal, sondern als rechtsförmiger Zwang zur Durchsetzung der Menschenrechte verstanden werden, bedarf es hierfür einer besonderen Ermächtigung. Selbst wenn die NATO aus rein „humanitärer“ Motivation gehandelt haben sollte, was angesichts gewisser machtpolitischer Interessen unsicher ist1724, folgt allein daraus für sie keine Zwangsbefugnis1725. Die erga omnes bestehende Aufgabe zum Schutz der Menschenrechte enthebt nicht vom Erfordernis einer Befugnis zu diesem Zweck.1726 Sonst würde dem Prinzip der Willkür und der Despotie „Der Zweck heiligt die Mittel“ gehuldigt werden. Auch eine Zustimmungserklärung des UN-Generalsekretärs genügt nicht, weil dieser insofern über keine Anordnungsbefugnis verfügt.1727

1720

So im Ergebnis auch G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 449

(454). 1721

So auch E. Denninger, Menschenrechte, ZRP 2000, 196. J. Habermas, Bestialität und Humanität, in: DIE ZEIT Nr. 18 vom 29.4.1999. 1723 D. Thürer, Der zerfallene Staat, Die Friedenswarte 74 (1999)3, S. 275 (281). 1724 Vgl. Ch. Hillgruber, Humanitäre Intervention, Der Staat, 40 (2001), 186. 1725 R. Merkel, Das Elend der Beschützten, S. 66 ff.; vgl. U. K. Preuß, Der KosovoKrieg, das Völkerrecht und die Moral, S. 115 (120 ff.); J. Habermas, Bestialität und Humanität, in: DIE ZEIT Nr. 18 vom 29.4.1999; allgemein zur Zwangsbefugnis im Völkerrecht A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 124 ff., 135. 1726 V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, 2000, S. 229; E. Denninger, Menschenrechte, Menschenwürde und staatliche Souveränität, ZRP 2000, 194. 1727 Vgl. K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 328. 1722

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Ergebnis Die Intervention der NATO war unrechtmäßig. Ein Interventionsrecht steht der NATO nur mit Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates zu. 3. Humanitäre Interventionen der Vereinten Nationen a) Ermächtigung des Sicherheitsrates Für die durch den UN-Sicherheitsrat vertretene Staatengemeinschaft hat die International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS) ein Recht und eine Pflicht zu humanitärer Intervention befürwortet.1728 Die Vereinten Nationen gehen in ihren Dokumenten allgemein davon aus.1729 Der Sicherheitsrat hat mehrere Resolutionen erlassen, die von der Idee der humanitären Intervention beeinflußt sind.1730 Auch die Vereinten Nationen unterliegen allerdings einem grundsätzlichen Interventionsverbot.1731 UN-Interventionen dürfen deshalb nicht als beliebige und somit willkürliche immanente Schranken staatlicher Souveränität aufgefaßt werden1732, soll nicht eine despotische Weltpolizei geschaffen werden.1733 Weltzwangsgewalt bedarf hinreichender Legalität und Legitimation. Solange es souveräne Staaten gibt, kann sich die Legalität nur aus einer bestimmten oder zumindest bestimmbaren Ermächtigung ableiten, welche die Staaten einer Weltinstitution auf der Basis souveräner Gleichheit übertragen haben.1734

1728 Report of the International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS): „The Responsibility to Protect“, Dezember 2001, www.iciss.ca/report2-en.asp (zuletzt geprüft 25.6.2005). 1729 Vgl. Generalversammlung, 14.7.1992, Ein Reformprogramm, A/51/950; Bericht des Generalsekretärs über die Tätigkeit der Vereinten Nationen v. 3.9.1997, A/ 52/1; Bericht des Generalsekretärs v. 27.3.2000, Die Rolle der Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert, A/54/2000; Bericht des Generalsekretärs über die Tätigkeit der Vereinten Nationen v. 20.8.2004, A/59/1; Bericht des Generalsekretärs v. 21.3.2005, Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle, A/59/2005. 1730 S/Res 688 (1991) zum Schutz der kurdischen Bevölkerung im Nordirak; S/Res 794 (1992) als Grundlage für den Einsatz der Unified Task Force (UNITAF), um die somalische Bevölkerung vor dem Hungertot zu retten; S/Res 794 (1994) und S/Res 925 (1994), die den Massakern in Ruanda entgegenwirken sollten, aber weitgehend folgenlos blieben. 1731 Vgl. Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta; J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 424. 1732 G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 18 ff. 1733 Vgl. dazu kritisch J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 421 ff. 1734 Vgl. auch D. Murswiek, Souveränität und humanitäre Intervention, Der Staat 35 (1996), S. 31 (42).

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Auf einen Konsens der Staatengemeinschaft könnte sich die Intervention nicht stützen, solange der Sicherheitsrat über Interventionen entscheidet, weil nicht alle Staaten in diesem Organ vertreten sind. Allerdings könnten die Staaten den Sicherheitsrat völkervertraglich zu Interventionen zugunsten der Menschenrechte ermächtigt haben. In der UN-Charta ist eine Befugnis des Sicherheitsrates zu humanitärer Intervention nicht ausdrücklich geregelt.1735 Daß die Bemühung um die Menschenrechte zu den Aufgaben der Vereinten Nationen gehört, ergibt sich aus Art. 55 lit. c UN-Charta und den UN-Menschenrechtstexten, in denen sich die Organisation zum Einsatz für die Menschenrechte verpflichtet. Dem Sicherheitsrat steht das Zwangsmittel militärischer Gewalt zur Verfügung, wenn er eine „Friedensbedrohung“ nach Art. 39 UN-Charta festgestellt hat.1736 Diese Befugnis kommt ihm in Abweichung zum Prinzip der Nichtintervention zu (Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta). Er ist nicht erst befugt, repressiv einzuschreiten, wenn die Rechtsverletzung bereits eingetreten ist (vgl. anders Art. 51 UN-Charta für einzelstaatliche Maßnahmen), sondern auch schon präventiv bei tatsächlichen Gefahrenlagen, die eine Friedensbedrohung darstellen.1737 Die Intervention ist nur rechtmäßig, wenn andere Mittel ausgeschöpft sind, wenn sie verhältnismäßig ist und unparteiisch erfolgt.1738 Eine humanitäre Intervention des Sicherheitsrates ist danach erlaubt, soweit die Bedrohung oder Verletzung wichtiger Güter der Menschheit, insbesondere der Menschenrechte, als „Friedensbedrohung“ i. S. d. Art. 39 UN-Charta zu qualifizieren ist. Im Gegensatz zur Aggression und zum Friedensbruch, die ebenfalls in Art. 39 UN-Charta genannt sind, wird die Anwendung bewaffneter Gewalt nicht als unabdingbare Voraussetzung für den Tatbestand der Friedensbedrohung angesehen, der lediglich eine Gefahr für den Frieden voraussetzt.1739 Art. 39 UN-Charta wird als „offene“ Ermächtigung verstanden, die dem Sicherheitsrat einen erheblichen Gestaltungsspielraum läßt, dem auch rechtsfortbildende Elemente nicht fehlen würden.1740 Damit existieren eine weltpolizeiliche Generalklausel und die grundsätzliche Gefahr willkürlicher Machtanmaßung 1735

D. Murswiek, Souveränität und humanitäre Intervention, Der Staat 35 (1996),

S. 39. 1736 D. Murswiek, Souveränität und humanitäre Intervention, Der Staat 35 (1996), S. 39 ff. 1737 Th. Schilling, Die „neue Weltordnung“,AVR 33 (1995), S. 88 f. m. N. zur Gegenmeinung in Anmerk. 136; G. Zimmer, Rechtsdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 27. 1738 Vgl. J. L. Jesus, Intervention on Humanitarian Grounds, in: Liber amicorum G. Jaenicke, S. 164; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globaliserung, S. 395 ff.; J. Isensee, Weltpolizei, JZ 1995, 429 f.; zu Kriterienkatalogen K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 357 ff. 1739 P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, 1999, S. 221, 232. 1740 Dazu M. Herdegen, Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 103 (107 ff.).

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durch den Sicherheitsrat, welche zudem durch einseitige staatliche Interessenpolitik instrumentalisiert werden könnte.1741 Deshalb sollen die in Art. 27 UNCharta vorgesehenen Abstimmungsmodalitäten (Konsens der Sicherheitsratsmitglieder) verhindern, daß einzelne Staaten nur ihre einseitigen (machtpolitischen) Interessen wahrnehmen. Außerdem ist zu betonen, daß die in Art. 39 UNCharta enthaltenen Termini der Auslegung fähige Rechtsbegriffe sind. Sie räumen dem Sicherheitsrat kein unbegrenztes Ermessen ein.1742 Ein solches würde ihn als willkürlich handelndes Organ über das Recht stellen. Richtigerweise verfügt er allenfalls über einen Beurteilungsspielraum.1743 Nach Art. 24 Abs. 2 Satz 1 UN-Charta darf der Sicherheitsrat von seinen Befugnissen nur im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Charta sowie mit dem Willkürverbot und dem Verhältnismäßigkeitsgebot Gebrauch machen.1744 Das VII. Kapitel ist hiervon gemäß Art. 24 Abs. 2 Satz 2 UN-Charta nicht ausgenommen.1745 Ausgangspunkt ist die Auslegung des Begriffs „Frieden“ in Art. 39 UN-Charta.1746 Je weiter der Begriff „Frieden“ im Sinne des 7. Kapitel der UN-Charta interpretiert wird, desto größer sind die Kompetenzen des Sicherheitsrats und umgekehrt.1747 b) Zur Auslegung des Friedensbegriffs in Art. 39 UN-Charta Teilweise wird der Begriff „Friede“ in Art. 39 UN-Charta unabhängig von der Art der Akteure, die nicht notwendig Staaten sein müssen, positiv als globaler, unteilbarer Weltfrieden verstanden.1748 Schon (schwere) Bedrohungen und 1741 Vgl. M. Bothe, Friedensbegriff im Verfassungs- und Völkerrecht, in: M. LutzBachmann/J. Bohman (Hrsg.); Frieden durch Recht, 1996, S. 187 (199); J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 425 ff.; D. Murswiek, Souveränität und humanitäre Intervention, Der Staat 35 (1996), S. 43. 1742 So aber H. Kelsen, The Law of the United Nations. A Critical Analysis of Fundamental Problems, 1951, S. 294 f. 1743 J. Herbst, Rechtskontrolle des UN-Sicherheitsrats, 1999, S. 292 ff.; M. Bothe, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 612 (Rn. 39); J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats – Resolution 1373 (2001) im Kontext, ZaöRV 62 (2002), S. 257 (270 ff.). 1744 Vgl. die „Legitimitätskriterien“ der Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, 2004, S. 60, 65 f. 1745 J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden, ZaöRV 62 (2002), S. 271. 1746 A. Randelzhofer, Der normative Gehalt des Friedensbegriffs im Völkerrecht der Gegenwart, in: J. Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979, S. 13 ff. 1747 M. Bothe, Friedensbegriff im Verfassungs- und Völkerrecht, S. 196 f. 1748 H. Fischer, in: K. Ipsen, Völkerrecht, S. 966, Rn. 8; J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“?, in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 319 (320 ff.); zur Praxis des Sicherheitsrates K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 263 ff., P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 212 ff.; M. Nettesheim, Das

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Verletzungen von Verpflichtungen erga omnes werden als Bedrohungen des Weltfriedens interpretiert.1749 Zu den erga omnes-Pflichten werden nicht nur Menschenrechte1750, sondern auch fundamentale Umweltschutzpflichten, die grundsätzliche Einhaltung der Verträge über nukleare, radiologische, chemische und biologische Waffen1751, das Aggressionsverbot oder das Selbstbestimmungsrecht1752 gezählt. Richtig ist, daß der allgemeine Begriff des Friedens als immerwährend anzustrebendes Ziel1753 universell zu verstehen ist und nicht nur auf die Abwesenheit von Krieg, sondern auch auf die Verwirklichung des Rechts gerichtet ist. In diesem weiten (positiven) Sinn1754 ist der Begriff „Friede“ Ziel der Vereinten Nationen (Art. 1 Ziff. 2 UN-Charta), nicht aber Grundlage einer Zwangsbefugnis des Sicherheitsrates gemäß Art. 39 ff. UNCharta. Eine Ermächtigung zur Intervention, welche die Rechte der Staaten und der Menschen existentiell berührt, muß hinreichend voraussehbar bestimmt und begrenzt sein.1755 Dafür müßten die Eingriffstatbestände im einzelnen genannt sein. Andernfalls würde Kapitel VII UN-Charta eine Willkürkompetenz eines Weltgesetzgebers und Weltpolizisten in einem Organ, also eine Weltdespotie, begründen. Eine solche Auslegung widerspräche den Zielen und Prinzipien der kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 573 f.; vgl. auch Ch. Greenwood, Gibt es ein Recht auf humanitäre Intervention?, EA 1993/1, 93 (104). 1749 K. O. Nass, Grenzen und Gefahren humanitärer Interventionen, EA 1993/1, 279 (280); M. Nettesheim, Die ökologische Intervention, AVR 34 (1996), S. 168 (170); S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 192; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 61 ff.; The Commission on Global Governance, Our Global Neighbourhood, 1995, S. 71 f. 1750 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 142 ff.; S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 192; Resolutionen des Sicherheitsrates zum Schutz der kurdischen Minderheit im Irak gegen Menschenrechtsverletzungen Res 688 (1991), ILM 30 (1991), 858. 1751 Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 43 ff., Rn. 129, 141. 1752 Beispielsweise hat der Sicherheitsrat das innere Selbstbestimmungsrecht des haitischen Volkes 1994 zum maßgeblichen Anknüpfungspunkt für eine vom Sicherheitsrat autorisierte, militärische Intervention genommen, die das Ziel verfolgte, den durch einen Militärputsch gestürzten Präsidenten Aristide wieder einzusetzen und damit demokratische Verhältnisse zu schaffen. Res 940 (1994); siehe auch Res 794 (1992); Res 929 (1994); a. A. H.-J. Heintze, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 377. 1753 Vgl. O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 61. 1754 Vgl. dazu A. Randelzhofer, Der normative Gehalt des Friedensbegriffs im Völkerrecht der Gegenwart, S. 13 ff.; Abschlußerklärung des Präsidenten des auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs tagenden Sicherheitsrats v. 31.1.1992, UN Doc. S/23500, dt. Übersetzung in: VN 2/1992, 66: „Die Abwesenheit von Krieg und militärischen Konflikten zwischen den Staaten garantiert für sich allein noch nicht den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Die nichtmilitärischen Ursachen von Instabilität im wirtschaftlichen, sozialen, humanitären und ökologischen Bereich sind zu Bedrohungen des Friedens und der Sicherheit geworden.“ 1755 J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 425 ff.; D. Murswiek, Souveränität und humanitäre Intervention, Der Staat 35 (1996), S. 41 f.; zu den Eingriffskriterien R. B. Lillich, Humanitarian Intervention, ZaöRV (1993, S. 557 (572).

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Charta, die die Gleichheit und Selbstbestimmung der Staaten voraussetzen.1756 Überdies würde die Aufgabe, allgemein das Recht zu verwirklichen, bei weitem die tatsächlichen Möglichkeiten des Sicherheitsrates überschreiten. Ihm wird ohnehin vorgehalten, seine Maßnahmen seien zu uneffektiv.1757 Unbestrittener Ausgangspunkt des Begriffs einer Bedrohung oder Verletzung des Friedens ist zunächst die zwischenstaatliche Gewaltanwendung.1758 Zum Teil wird Frieden in Art. 39 UN-Charta rein negativ verstanden, lediglich als Abwesenheit organisierter Gewaltanwendung zwischen Staaten (negativer Friedensbegriff).1759 Fraglich ist, ob der Sicherheitsrat bei sonstigen Rechtsverstößen, also auch ohne zwischenstaatliche Gewaltanwendung einschreiten darf. Auf der Grundlage des Tatbestandsmerkmals „Friedensbedrohung“ oder „Friedensverletzung“ in Art. 39 UN-Charta ist dies nur möglich, wenn eine solche Auslegung noch im Sinne einer begrenzten Ermächtigung als von diesem Begriff erfaßt angesehen werden kann. Begreift man Frieden auch positiv, wie dies eine im Vordringen befindlichen Lehre und Praxis in Annäherung an den Begriff „Weltfrieden“ in Art. 1 Nr. 2 UN-Charta tut, erweitert sich der Begriff des Friedensbruchs sowie der Friedensbedrohung und damit auch die Befugnis des Sicherheitsrates.1760 Hinnehmbar im Sinne einer noch begrenzten Ermächtigung ist dies, wenn das Ausmaß der Verletzung oder Bedrohung von Gütern der Menschheit in Umfang und Schwere mit einer Kriegssituation vergleichbar ist. Menschenrechtsverletzungen als solche oder ein einfacher Verstoß gegen Völkervertrags- oder Gewohnheitsrecht jedenfalls können ein Eingreifen nach

1756 In dem Sinn auch J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 425 ff.; D. Murswiek, Souveränität und humanitäre Intervention, Der Staat 35 (1996), S. 41 f.; J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden, ZaöRV 62 (2002), S. 275. 1757 K. O. Nass, Grenzen und Gefahren humanitärer Interventionen, EA 1993/1, 284 f. 1758 M. Herdegen, Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UN-Charta, S. 113; J. A. Frowein, zu Art. 39, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Rn. 6; A. Randelzhofer, Der normative Gehalt des Friedensbegriffs, S. 13 ff. 1759 J. A. Frowein, in: B. Simma, Charta der Vereinten Nationen, Art. 39, Rn. 6; P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 211 f.; G. Zimmer, Rechtdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 85; vgl. dazu auch M. Bothe, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 611, Rn. 37; ders., Friedensbegriff im Verfassungs- und Völkerrecht, S. 194 ff.; M. Herdegen, Der Sicherheitsrat und die autoritative Konkretisierung des VII. Kapitels der UNCharta, S. 113. 1760 M. Bothe, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 612, Rn. 38; D. Murswiek, Souveränität und humanitäre Intervention, Der Staat 35 (1996), S. 41 ff.; allgemein zu den Begriffen Friedensbruch und Friedensbedrohung J. A. Frowein, in: B. Simma, Charta der Vereinten Nationen, Art. 39, Rn. 9 ff., 17 ff.; kritisch dazu S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 208 (218 ff.).

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Art. 39 UN-Charta noch nicht rechtfertigen.1761 Dies ist erst bei schweren Verletzungen des Menschheitsrechts anzunehmen oder wenn katastrophale Zustände ausbrechen, für die eine innerstaatliche Lösung nicht in Sicht ist. Besonders augenfällig ist die Bedrohung des Weltfriedens durch innerstaatliche Krisen, wenn in einem Staat Bürger- oder Guerillakrieg herrscht und die nach innen und außen zusammenhaltende staatliche Ordnung zusammengebrochen ist, also „Krieg aller gegen alle“ herrscht, wie in Somalia.1762 Der Sicherheitsrat bejaht eine „Friedensbedrohung“ i. S. von Art. 39 UN-Charta, wenn der Staat gegen seine Angehörigen mit massiver physischer Gewalt und staatlichen Tötungen vorgeht.1763 In der Literatur wird vertreten, daß jedenfalls eine große Anzahl von Verstößen gegen grundlegende Menschenrechte, namentlich, wenn sie mit physischer Gewalt verübt werden, eine „Friedensbedrohung“ im Sinne des Art. 39 UN-Charta sei.1764 Geringe und/oder vereinzelte Verstöße gegen erga omnes-Normen verwirklichen noch nicht den Tatbestand der „Bedrohung des Weltfriedens“, der einen (bürger-)kriegsähnlichen oder -vergleichbaren Zustand1765 voraussetzt. Im Kosovo-Konflikt hätte dem Sicherheitsrat, dessen Maßnahmen erfolglos geblieben waren1766, eine Interventionsbefugnis nach Art. 39 UN-Charta zugestanden, weil die dort begangenen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ den Weltfrieden bedrohten und Zwangsmaßnahmen gerechtfertigt hätten.1767 Schon 1961 hat der Sicherheitsrat im Bürgerkrieg in Kongo eine Bedrohung des internationalen Friedens festgestellt.1768 Angesichts der Unterdrückung der Kurden und Schiiten infolge des zweiten Golfkrieges im Nordirak hat der Sicherheitsrat ausdrücklich Menschenrechtsverletzungen innerhalb eines Staates, welche zu grenzüberschreitenden Flüchtlingsströmen führen, als „den Frieden und die internationale Sicherheit in der Region“ gefährdend und als Friedensbedrohung bezeichnet.1769 Zunächst ging es also darum, eine durch innerstaatliche Konflikte ausgelöste, zwischenstaatliche Friedensbedrohung festzustellen.1770 Die Behandlung der Krise im ehemaligen Jugoslawien, einem gemischten Kon1761

K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 253 f. Vgl. UN Security Coucil S/Res/794 (1992) v. 3.12.1992; vgl. dazu auch D. Thürer, Der „zerfallene Staat“ und das Völkerrecht, Die Friedenswarte 74 (1999) 3, S. 275 (282 ff.). 1763 Vgl. S/Res 418 (1977), ILM 16 (1977), 1548. 1764 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 290; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 253. 1765 K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 295 ff. 1766 Dazu K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 320 f. 1767 J. Habermas, Bestialität und Humanität, in: DIE ZEIT Nr. 18 vom 29.4.1999. 1768 S/Res/161 (1961) v. 21.2.1961. 1769 S/Res/688 vom 5.5.1991; S/Res/688 (1991) v. 5.4.1991; auch abgedruckt in: EA 46 (1991), D 234. 1770 M. Bothe, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 612, Rn. 38. 1762

F. Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht

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flikt1771, in Ruanda1772, einem Bürgerkrieg, die Resolutionen zu Haiti1773 und besonders zu Somalia1774, aber auch schon zu Rhodesien1775, zeigen sodann, daß der Sicherheitsrat den Begriff der Friedensbedrohung weiter als nur im zwischenstaatlichen Sinn versteht.1776 Sogar Handlungen von Terroristen, ja der Terrorismus als abstrakte Gefahr1777, können seiner Ansicht nach den Weltfrieden bedrohen und ermöglichen Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrates.1778 Auch die mangelnde Verfolgung des Terrorismus und der Terroristen durch die Staaten kann den Weltfrieden bedrohen.1779 Ein Beispiel sind die militärischen Zwangsmaßnahmen gegen Libyen, das sich weigerte, die mutmaßlichen Attentäter von Lockerbie auszuliefern.1780 Zur Rechtfertigung von Wirtschaftssanktionen gegen Libyen hat der Sicherheitsrat die Nichtauslieferung mutmaßlicher terroristischer Straftäter durch Libyen in Verbindung mit einer positiven Haltung Libyens gegenüber dem internationalen Terrorismus als Friedensbedrohung bezeichnet.1781 Obwohl die internen Kämpfe zwischen der Zentralregierung und den sezedierenden Teilrepubliken Slowenien und Kroatien keine unmittelbare Gefahr für die Nachbarstaaten bedeuteten und der Kosovo nicht als 1771

Dazu K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 271 ff. S/Res/955 vom 8.11.1994. 1773 S/Res/841 (1993), ILM 32 (1993), 1206: „humanitäre Krisenfälle (einschließlich der Massenvertreibungen). 1774 S/Res/33 (1992) v. 23.1.1992. 1775 S/Res/217 (1965) v. 20.11.1965; S/Res/221 (1966) v. 9.4.1966; A. Frowein, in: B. Simma, Charta der Vereinten Nationen, Art. 39, Rn. 21. 1776 Vgl. dazu J. A. Frowein, in: B. Simma, Charta der Vereinten Nationen, Art. 39, Rn. 8; R. B. Lillich, Humanitarian Intervention, ZaöRV 53 (1993), S. 557 ff.; H. Fischer, in: K. Ipsen, Völkerrecht, S. 966, Rn. 8; Ch. Greenwood, Gibt es ein Recht auf humanitäre Intervention?, EA 1993/1, 104 f.; M. Bothe, Friedensbegriff im Verfassungs- und Völkerrecht, S. 197 ff.; Bericht der Hochrangigen Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 20, Rn. 12. 1777 Vgl. dazu J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden, ZaöRV 62 (2002), S. 257 ff., 277 ff. 1778 In seiner Resolution S/Res/1373 (2001) v. 28.9.2001, Präambel, Ziff. 3, hat der Sicherheitsrat festgestellt: „such acts, like any act of international terrorism constitute a threat to international peace and security. Dazu J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats- Resolution 1373 (2001) im Kontext, ZaöRV 62 (2002), S. 257 ff., der das Problem aufwirft, ob die Resolution völkerrechtsgemäß ist und damit im Ergebnis zu Recht einen Paradigmawechsel erkennt. Siehe auch M. Wagner, Die wirtschaftlichen Maßnahmen des Sicherheitsrates nach dem 11. September 2001 im völkerrechtlichen Kontext, ZaöRV 63 (2003), S. 879 (899 ff.); Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 51 ff. 1779 UN Security Coucil S/Res/748 vom 31.3.1992; dazu kritisch P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 233 f. 1780 S/Res/731 (1992) v. 21.1.1992, para.2; S/Res/1373 (2001) v. 28.9.2001. 1781 S/Res/748/1992; vgl. auch S/Res/687 (1991), Irak-Resolution, Präambel und Teil H; S/Res/1267 (1999) v. 15.10.1999, Präambel Ziff. 8; S/Res/1333 (2000) v. 19.12.2000, Präambel, Ziff. 14. 1772

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

eigener Staat anerkannt war, hat der Sicherheitsrat die Situation in Jugoslawien als Friedensbedrohung eingeordnet und nach Kapitel VII UN-Charta ein Waffenembargo gegen Jugoslawien beschlossen.1782 Auch die Gründung von Ad-hocTribunalen auf der Grundlage des Kapitel VII zur Aufarbeitung der verübten Menschenrechtsverbrechen in Ruanda und Jugoslawien zeigt, daß in der Praxis des Sicherheitsrates allein die Tatsache von schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen als Friedensbedrohung genügt.1783 Fraglich ist, ob darüber hinaus auch tatsächliche Gefahrenlagen für die Umwelt oder sicherheitspolitische und ökonomische Bedrohungen als Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 UN-Charta ausgelegt werden können.1784 Von manchen wird das bloße Halten von verbotenen Massenvernichtungswaffen als Bedrohung des Weltfriedens angesehen, was den Sicherheitsrat zu Maßnahmen nach Kapitel VII ermächtigen würde.1785 Damit würde den entsprechenden völkerrechtlichen Bio- und Chemiewaffenkonventionen1786 zur Durchsetzung verholfen.1787 Beispiele hierfür sind die Irak-Resolutionen1788, insbesondere die Resolution 1441, die den Irak zur Erfüllung seiner Abrüstungsverpflichtungen bestimmt und ihm im Falle der Nichterfüllung mit „ernsthaften Konsequenzen“ bedroht. Eine hinreichende Ermächtigung zu bestimmten Gewaltmaßnahmen des Sicherheitsrates oder gar eine Ermächtigung der USA zu einem Angriff ergeben sich aus der Resolution jedoch nicht.1789 Weitergehend könnte der Si1782

S/Res/713 (1991) v. 25.9.1991; auch abgedruckt in: EA 46 (1991), D 550 ff. A. Rosas, Globaler Konstitutionalismus, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), 2000, S. 162 f.; Hochranige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 20, Rn. 12; vgl. kritisch P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 229 ff. 1784 Wohl bejahend S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 37 (1998), S. 521 (536). 1785 Dazu M. Nettesheim, Die ökologische Intervention, AVR, 34 (1996), S. 168 (170); S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 192; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 61 ff. 1786 Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen v. 10.4.1972, BGBl. 1983 II, S. 133; Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen v. 13.1.1993, BGBl. 1994 II, S. 807. 1787 So Ch. Tomuschat, Obligations Arising for States Without or Against Their Will, RdC 241 (1993/IV), 195 (344); H. Müller, Das nukleare Nichtverbreitungsregime im Wandel, EA 47 (1992), 51 (54); J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden, ZaöRV 62 (2002), S. 287 ff. 1788 S/Res/660 (1990) v. 2.10.1990; S/Res/661 (1990) v. 6.8.1990; S/Res/678 (1990) v. 29.11.1990; S/Res/686 (1991) v. 2.3.1991; S/Res/687 (1991) v. 3.4.1991; S/ Res/688 (1991) v. 5.4.1991; S/Res/707 (1991) v. 15.8.1991; S/Res/986 (1995) v. 14.4.1995; S/Res/1205 (1998) v. 5.11.1998; S/Res/1284 (1999) v. 17.12.1999; S/Res/ 1409 (2002) v. 14.5.2002; S/Res/1441 (2002) v. 8.11.2002. 1789 Dazu M. E. Kurth, Der dritte Golfkrieg aus völkerrechtlicher Sicht, ZRP 2003, 195 (197 f.); H.-J. Gießmann, Alles was Recht ist?, in: D. S. Lutz/ders. (Hrsg.), Die 1783

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cherheitsrat auch Umwelteingriffe, die schwerwiegende, dauerhafte Folgen für die Gesundheit der Menschen und die Lebensgrundlage der gesamten Menschheit haben, etwa die Abholzung von Regenwäldern, die das Weltklima bedrohen, für unzulässig erklären. Damit würde der Sicherheitsrat allerdings auf der Grundlage des weiten positiven Friedensbegriffs die Rechtsetzungsfunktionen eines Weltgesetzgebers und die Exekutivmacht eines Weltpolizisten beanspruchen, was Sinn und Zweck der UN-Charta sowie seiner Legitimation nicht entspricht.1790 Für eine weltpolizeiliche Ermächtigung in diesem Umfang sind die Ermächtigungen in Art. VII UN-Charta nicht hinreichend bestimmt und der Sicherheitsrat nicht legitimiert. 4. Abschließende Beurteilung der humanitären Intervention unter weltrechtlichen Gesichtspunkten a) Änderung des Innen-Außenschemas Werden nicht mehr nur zwischenstaatliche Rechtsverletzungen als Weltfriedensbedrohung angesehen, ist das Schema innerer (nationaler) und äußerer (internationaler) Angelegenheiten zugunsten einer „Weltinnenpolitik“ durchbrochen.1791 So verliert der begriffliche Unterschied zwischen Krieg und Bürgerkrieg an Bedeutung.1792 Kriege nach innen wie nach außen verletzten das Menschheitsrecht. Schon Hugo Grotius hat einen weiten Kriegsbegriff vertreten und den Krieg nicht auf das Verhältnis zwischen Staaten begrenzt.1793 Er unterscheidet öffentliche und private Kriege.1794 Entsprechendes gilt für die Ahndung von Kriegsverbrechen.1795 Jedenfalls gravierende Verletzungen der Menschenwürde verstoßen gegen erga omnesPflichten, die ihrem Begriff nach Angelegenheiten der gesamten StaatengemeinStärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, S. 9 (15); Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Reichweite der Resolutionen S/Res 678 (1990), 687 (1991) und 1441 (2002) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, in: Ambos, Kai/Arnold, Jörg, Der Irak-Krieg und das Völkerrecht, S. 224 ff. 1790 J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden, ZaöRV 62 (2002), S. 287 f. 1791 Vgl. dazu U. Bartosch, Weltinnenpolitik, 1995, S. 32 ff. 1792 P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 84 ff., 91; grundsätzlich zum Kriegsbegriff im Völkerrecht M. Kotzur, „Krieg gegen den Terrorismus“ – politische Rhetorik oder neue Konturen des „Kriegsbegriffs“ im Völkerrecht?, AVR 40 (2002), S. 454 ff. 1793 H. Grotius, De iure belli ac pacis (1625), 1. Buch, 3. Kap. (S. 83 ff.). 1794 H. Grotius, I, 1. Kap., 1 f. (S. 47). Beide schließt er nicht generell aus, verlangt aber für ein Recht zum Krieg einen gerechten Kriegsgrund H. Grotius, II, 1. Kap., S. 135 ff. 1795 Dazu P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 84 ff.

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schaft sind und von dieser gemeinschaftlich im Rahmen der UNO bekämpft werden können.1796 Gemäß Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta kann sich ein Staat gegen Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII durch den UN-Sicherheitsrat gerade nicht auf den Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten berufen. b) Anspruch auf/Pflicht zur Intervention des Sicherheitsrates? Aus weltrechtlicher Sicht sind die Menschenrechte subjektive Rechte, welche auf Weltebene eine effektive Durchsetzbarkeit beanspruchen, wenn der staatliche Menschenrechtsschutz versagt. Fraglich ist, ob hiermit ein Recht auf Intervention des Sicherheitsrates verbunden ist, welches ein subjektives Recht begründen würde. Nach dem Völkerrecht könnte ein Anspruch auf Intervention allenfalls einem Staat, aber nicht den einzelnen Menschen zustehen, wegen deren Leid eingegriffen werden soll, weil diese nicht als Rechtssubjekte des Völkerrechts gelten.1797 Aber auch, wenn man den Menschen als Subjekt des Völkerrechts, jedenfalls der Menschenrechte und humanitärer Interventionen betrachtet1798, müßte in jedem Fall dem Recht zunächst eine Pflicht zur Intervention des Sicherheitsrates entsprechen. Beides wird aber schon gegenüber den Staaten mit dem Hinweis auf das politische Ermessen des Sicherheitsrates abgelehnt.1799 Ob ein Krieg zum Schutze von Menschenrechten angemessen ist, fordert eine Abwägung mit entsprechendem Ermessen. Etwaige Pflichten des Sicherheitsrates aus der Charta (etwa aus Art. 24 Abs. 2, 39 gegebenenfalls in Verbindung mit dem Gleichheitssatz1800) sind in der bisherigen Praxis nicht durchsetzbar, was den Rechtspflichtcharakter jedenfalls mindert, wenn nicht sogar hemmt.1801 Ein (vor dem Internationalen Gerichtshof einklagbarer) Anspruch auf Intervention des Sicherheitsrates könnte den Rechtspflichtcharakter erhöhen. Er wäre aber im Ergebnis wegen der erheblichen Gefahren des Rechtsmißbrauchs und der Instrumentalisierung des Sicherheitsrats abzulehnen. Damit wird deutlich, daß humanitäre Interventionen nur ein bedingt geeignetes Instrument zur Durchsetzung von Menschheitsrecht sind.

1796 B. Simma, Does the UN Charter Provide an Adequate Legal Basis for Individual or Collective Responses to Violations of Obligations erga omnes?, S. 136; K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 262. 1797 K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 332. 1798 K. Doehring, Völkerrecht, S. 435, Rn. 1015. 1799 H. Endemann, Kollektive Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung humanitärer Normen. Ein Beitrag zum Recht der humanitären Intervention, 1997, S. 445; dazu kritisch K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 335 ff. 1800 Dazu K. Ebock, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, S. 342 ff. 1801 H. Kelsen, United Nations, 1951, S. 154; vgl. allgemein A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang, S. 123 ff.

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IV. Vom zwischenstaatlichen Gewaltverbot zum weltrechtlichen Gewaltverbot am Beispiel des globalen Terrorismus Am 11. September 2001verübte eine Gruppe islamistischer Selbstmordattentäter, die das Terrornetzwerk Al-Qaida dazu ausgebildet und beauftragt hatte, die bislang schwersten und folgenreichsten Terroranschläge in der Geschichte der USA. Sie entführten vier Passagierjets, lenkten zwei davon in die Türme des World Trade Centers in New York City und einen in das Pentagon in Arlington, Virginia. Ein weiteres Flugzeug mit unbekanntem Anschlagsziel wurde durch Kämpfe zwischen Passagieren und Entführern in der Nähe von Pittsburgh, Pennsylvania zum Absturz gebracht. Insgesamt starben etwa 3.000 Menschen. Die beiden Türme des World Trade Centers stürzten in sich zusammen. Am Beispiel des Anschlags vom 11. September 2001 wird sowohl aus völkerrechtlicher als auch aus weltrechtlicher Perspektive geprüft, welches Subjekt im Falle eines grenzüberschreitenden terroristischen Angriffs zur Verantwortung gezogen werden kann und auf welcher Grundlage. 1. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit Als Verantwortliche kommen der afghanische Staat, das Taliban-Regime, welches der Terrororganisation Al-Qaida Unterstützung und Unterschlupf bot, sowie die terroristische Vereinigung selbst und deren Mitglieder in Betracht. Nach herkömmlicher völkerrechtlicher Denkweise kann nur ein „Völkerrechtssubjekt“ völkerrechtliche Pflichten verletzen. So kann einem „zerfallenen“ Staat, der über keine Organe oder sonstige handlungsbefugte Funktionsträger verfügt, grundsätzlich keine Völkerrechtsverletzung zugerechnet werden.1802 Die fundamentalistischen Taliban, welche 1996 Kabul erobert hatten, errichteten in Afghanistan ein Unrechtsregime, durch das sie weite Teile des Landes ihrer Gewalt unterworfen haben. Es ist zweifelhaft, ob das Taliban-Regime, das nur von Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten als Staat völkerrechtlich anerkannt worden ist1803, der „afghanische Staat“ war. Es fehlt im staats- und völkerrechtlichen Sinn an der Einheit von Staatsgewalt, Volk und Territorium, weil neben den Taliban auch andere Gruppen (z. B. Nordallianz) auf dem afghanischen Gebiet geherrscht haben. Allerdings galt das Taliban-Regime als „stabilisiertes de facto-Regime“ mit partieller Völkerrechtssubjektivität1804, für das nach neuerer Rechtsauffassung im Völkerrecht sowohl

1802 D. Thürer, Der „zerfallene Staat“ und das Völkerrecht, Die Friedenswarte 74 (1999) 3, S. 291. 1803 Zu den Voraussetzungen der Anerkennung als Staat Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 231, Rn. 23.

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das Gewaltverbot als auch die Regeln über die Staatenverantwortlichkeit verbindlich sind.1805 Ergebnis Im Falle von Menschenrechtsverletzungen durch eine terroristische Vereinigung wie die Al-Qaida entfiele nach völkerrechtlicher Betrachtung eine völkerrechtlich vorwerfbare Pflichtverletzung1806, es sei denn, das Handeln der Terrorgruppe ist einem Staat oder de facto-Regime zurechenbar oder sie kann als partielles Völkerrechtssubjekt1807 betrachtet werden. 2. Verstoß des Taliban-Regimes gegen das Gewaltverbot Das Taliban-Regime verstieß, indem es die terroristische Organisation AlQaida unterstützte, gegen das Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 UN-Charta.1808 Hierfür ist es verantwortlich. Außerdem hat der Sicherheitsrat festgestellt, daß die Taliban den Weltfrieden im Sinne des Art. 39 UN-Charta bedroht haben, indem sie sich weigerten, den Al-Qaida-Führer Osama bin Laden auszuliefern.1809 Bereits 1999 hat der UN-Sicherheitsrat auf der Grundlage des Kapitels VII UN-Charta eine Resolution an die Adresse der Taliban gerichtet1810, in denen diese verpflichtet wurden, die Ausbildung und Unterstützung von Terro1804 Dazu J. A. Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, 1968; O. Kimminich/ S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 163 ff.; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 89, Rn. 13; vgl. Art. 8 (bis) Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, 2001, in: Official Records of the General Assembly, Fifty-sixth session, Supplement No. 10 (A/56/10), der lautet: „The conduct of a person or group of persons shall be considered an act of the State under international law if the person or group of persons was in fact exercising elements of the governmental authority in the absence or default of the official authorities and in circumstances such as to call for the exercise of those elements of authority“. 1805 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, S. 240 f., § 406; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 189; vgl. auch D. Thürer, Der „zerfallene Staat“ und das Völkerrecht, Die Friedenswarte 74 (1999) 3, S. 297 f. 1806 Vgl. G. Zimmer, Rechtdurchsetzung zum Schutz humanitärer Gemeinschaftsgüter, S. 82 ff. 1807 Dazu J. A. Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, 1968; V. Epping, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 89 f., Rn. 13; R. Wolfrum/Ch. Philip, Die Taliban – ein Subjekt des Völkerrechts?, in: S. Schorlemmer (Hrsg.), 2003, Praxishandbuch UNO, S. 145 ff., 153 ff. 1808 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 195. 1809 Resolution 1267 (2001) v. 15.10.1999. 1810 Dazu R. Wolfrum/Ch. Philip, Die Taliban – ein Subjekt des Völkerrechts?, S. 145 ff.

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risten zu unterlassen und den Anführer der terroristischen Organisation AlQaida, Osama bin Laden, auszuliefern.1811 Überdies wurden Sanktionen explizit gegen die Taliban gerichtet.1812 Den Staaten wurden durch die Resolutionen allgemeine Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgegeben.1813 Resolution 1373 (2001) erklärt, daß „die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen und daß die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen“ (Ziff. 5.). Die Resolution verbietet den Staaten, Terroristen und terroristische Handlungen (auch finanziell) irgendwie zu unterstützen oder solche Unterstützung durch eigene Staatsangehörige oder auf ihrem Gebiet zu dulden. Sie verpflichtet, Gelder von Terroristen oder die diesen zur Verfügung gestellt werden, einzufrieren, Asylsuchende auf deren terroristische Aktivitäten oder Intentionen hin zu überprüfen, diese gegebenenfalls abzuweisen und ordnet Informationsaustausch und Zusammenarbeit zwischen den Staaten an. Wegen Art. 25, 103 UN-Charta gilt die Resolution im Konfliktfall vorrangig gegenüber den einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen1814, auch gegenüber dem Gemeinschaftsrecht1815. 3. Terroristische Gewalt als einem Staat oder de facto-Regime zurechenbarer bewaffneter Angriff Die am 11. September 2001 verübten Terrorakte wurden vom NATO-Rat als „Angriff“ gemäß Art. 5 Nordatlantikvertrag, der den Verteidigungsfall auslöse, bewertet.1816 Die Vereinigten Staaten sahen in dem Anschlag eine „Kriegserklärung“1817 und griffen am 7. Oktober 2001 mit der Begründung, nach Art. 51 1811

S/Res/1267 (1999) v. 15.10.1999. S/Res/1267 (1999) v. 15.10.1999: Verkehrsbeschränkungen für Flugzeuge, die im Eigentum der Taliban standen oder deren Flüge von diesen organisiert wurden; Res 1363 (2001) v. 30.7.2001: Pflicht an die Mitgliedstaaten, die Guthaben der Taliban einzufrieren; dazu G. Biehler, Individuelle Sanktionen der Vereinten Nationen und Grundrechte, AVR 41 (2003), S. 169 ff. 1813 Dazu kritisch Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 392 f.; zustimmend K. Dicke, Globales Recht ohne Weltherrschaft, FPJ Nr. 11/2002. 1814 J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats – Resolution 1373 (2001) im Kontext, ZaöRV 62 (2002), S. 264; vgl. IGH, Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention Arising From the Aerial Incident at Lockerbie (Lybien/ Großbritannien), ICJ Rep. 1992, 3 (15, para. 39). 1815 EuG, 21.9.2005, Rs T-306/01 Ahmed Ali Yusuf, Al Barakaat, Rn. 232 ff. 1816 NATO Press Release (2001) 214, 12.9.2001 und Statement by NATO Secretary General Lord Robertson, 2.10.2001; zustimmend J. A. Frowein, Der Terrorismus als Herausforderung für das Völkerrecht, ZaöRV 62 (2002), S. 879 (889). 1812

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UN-Charta zu Selbstverteidigungsmaßnahmen befugt zu sein, Stellungen der Taliban, aber auch großflächig das afghanische Territorium an. Der, das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta auslösende, Aggressionstatbestand setzt nach konventioneller völkerrechtlicher Ansicht einen staatlichen oder einem Staat zurechenbaren, gegenwärtigen bewaffneten Angriff gegen einen anderen Staat voraus.1818 Weil die Charta die Tatbestandsmerkmale Friedensbedrohung, Friedensbruch, Angriffshandlung (Art. 39 UN-Charta) und bewaffneter Angriff (Art. 51 UN-Charta) als verschiedene Verstöße gegen das Gewaltverbot unterscheidet, ist nicht jede Gewaltanwendung ein bewaffneter Angriff.1819 Dies schließt nicht aus, daß eine Aggression, die den direkten oder indirekten Einsatz von Waffengewalt voraussetzt, immer auch ein Friedensbruch ist; im Gegensatz zur Angriffshandlung wird die Verantwortung für einen Friedensbruch nicht eindeutig einer Partei (einem Aggressor) zugewiesen.1820 Das Tatbestandsmerkmal des „bewaffneten Angriffs“1821 in Art. 51 UN-Charta mag der „Angriffshandlung“ in Art. 39 UN-Charta entsprechen, ist aber enger als der dort ebenfalls genannte „Friedensbruch“ oder gar die „Friedensbedrohung“ und der Begriff der „Gewalt“ im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta; denn nur eine besonders qualifizierte Gewaltanwendung rechtfertigt als Ausnahme zum Gewaltverbot Selbstverteidigungsmaßnahmen, ohne daß Maßnahmen des Sicherheitsrates abgewartet werden müßten.1822 Das Selbstverteidi-

1817 Vgl. zur Begrifflichkeit grundsätzlich M. Kotzur, „Krieg gegen den Terrorismus“ – politische Rhetorik oder neue Konturen des „Kriegsbegriffs“ im Völkerrecht?, AVR 40 (2002), S. 454 ff. 1818 A. Verdross, Völkerrecht, S. 428; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 282; IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 104. 1819 D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 738 f.; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 199; W. Heintschel. v. W. Heintschel v. Heinegg, Der Einsatz der Deutschen Marine im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“, AVR 40 (2002), S. 153; kritisch B. Grzeszick, Die Staatsgewalt in der UN-Charta zwischen Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, AVR 41 (2003), S. 484 (487 ff.), der sich aus Effizienzgründen für Kongruenz in der Auslegung dieser beiden Artikel ausspricht. 1820 P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 213 f.; J. A. Frowein, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 39, Rn. 12. 1821 Dazu A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta of the United Nations, 2002, Art. 51, Rn. 15 ff. 1822 Dazu M. Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, S. 192 ff.; D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 737 ff.; vgl. anders A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 289 f., § 472; a. A. auch A. Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 368, Rn. 1134, der meint, die Gewaltbegriffe in Art. 2 Ziff. 4 und Art. 51 UN-Charta müßten übereinstimmen, damit Gewalt immer mit Gegengewalt beantwortet werden könne, was dem System der UN-Charta entspräche.

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gungsrecht ist als Ausnahme vom Gewaltverbot1823 eng auszulegen, damit das Gewaltverbot nicht bedeutungslos wird.1824 Häufig wird die Resolution 3314 (XXIX) der UN-Generalversammlung zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „bewaffneter Angriff“ herangezogen1825, obwohl diese sich auf den Begriff „Angriffshandlung“ („aggression“) in Art. 39 UN-Charta bezieht1826 und einen „bewaffneten Angriff“ i. S. d. Art. 51 UNCharta nicht präjudiziert1827, weil diese beiden Begriffe nicht deckungsgleich sind.1828 Art. 1 der Resolution 3314 definiert „Aggression“ als „Use of Armed Force“. Der Ersteinsatz von Gewalt, etwa durch militärische Besetzung, Bombardement oder sonstigen Waffengebrauch (Art. 3), gilt als „prima-facie-Beweis“ für eine Aggression (Art. 2).1829 Die in Art. 3 lit. a bis lit. e der Resolution genannten Modalitäten setzen ein Handeln staatlicher Streitkräfte voraus. Die Anschläge auf New York sind jedoch nicht von Kräften der Taliban, sondern von Mitgliedern oder Sympathisanten der Organisation Al-Qaida ausgeführt worden.1830 Soll einem Staat oder de facto-Regime das Handeln nichtstaatlicher Gruppen oder Organisationen zugerechnet werden, bedarf es dafür eines besonderen Zurechnungstatbestandes.1831 Nach Art. 3 lit. g wird ebenfalls das „Entsenden bewaffneter Banden, Organisationen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat“ in einen anderen Staat oder die „wesentliche Beteiligung“ daran als Angriff verstanden, wenn dies Angriffsqualität hat. Nach Auffassung 1823 Kritisch zum Begriff „Ausnahme“ O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 2000, S. 281. 1824 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 393; vgl. auch D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 738 f.; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 191 f. 1825 D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 739; kritisch Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 394. 1826 U.N. GA Res 3314 (XXIX) v. 14.12.1974, YUN 1974, 846, auch abgedruckt in: Sartorius II, Nr. 5; J. A. Frowein, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 39, Rn. 14; Th. Buergenthal/K. Doehring/J. Kokott/H. G. Maier, Grundzüge des Völkerrechts, S. 232, Rn. 484; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 187 f. 1827 Art. 6 der Resolution stellt klar, daß die Resolution keine Regelung des Selbstverteidigungsrechts gegen bewaffnete Angriffe enthält. 1828 A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta of the United Nations, Art. 51, Rn. 4 ff.; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 185. 1829 Zum Tatbestand der Aggression vgl. eingehend M. Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, 2001, S. 64 ff. 1830 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 188. 1831 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 189.

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des IGH ist das der Fall, wenn die mit Waffengewalt ausgeführten Handlungen durch ihren Umfang und ihre Auswirkungen über bloße Grenzvorfälle hinausgehen.1832 Die Entsendung von Terroristen im Auftrag eines Staates ist somit jedenfalls ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta.1833 Aufgrund der vorliegenden Informationen wurden die Attentäter jedoch von den Taliban nicht entsandt.1834 Al-Qaida durfte unter dem Schutz des Taliban-Regimes Trainingscamps und Materiallager in Afghanistan unterhalten und wurde von den Taliban vor internationaler Verfolgung geschützt.1835 Fraglich ist, ob die bloße Unterstützung terroristischer Organisationen durch einen Staat oder ein de facto-Regime als „bewaffneter Angriff“ oder Zurechnungstatbestand ausreicht. In seiner NicaraguaEntscheidung von 19861836 hat der Internationale Gerichtshof verschiedene Voraussetzungen aufgestellt, die erfüllt sein müssen, damit der Begriff des bewaffneten Angriffs nicht aufweicht und für die Bewertung ein nicht zu großer Spielraum entsteht.1837 Die Verbindung zwischen dem Staat und den militärisch organisierten nicht-staatlichen Verbänden müsse sehr eng sein, eine substantielle Beteiligung eines „Hintergrundstaates“ an den Terrorakten sei erforderlich. Gemäß Art. 8 des ILC-Entwurfs über die Staatenverantwortlichkeit1838 ist das Verhalten einer Person oder Personengruppe u. a. dann einem Staat völkerrechtlich zuzurechnen, wenn feststeht, daß die Person oder Personengruppe faktisch im Namen des Staates gehandelt hat: „The conduct of a person or group of persons shall be considered an act of a State under international law if the person or group of persons is in fact acting on the instructions of, or under the direction or control of, that State in carrying out the conduct.“

Diese Bestimmungen heben die Orientierung an zwischenstaatlicher Gewaltausübung nicht auf, weil sie von einem mittelbar staatlichen Angriff ausgehen.1839 1832 IGH, Nicaragua vs. United States of America, ICJ Rep. 1986, 104; A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta of the United Nations, Art. 51 Rn. 19. 1833 D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 739. 1834 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 190. 1835 Vgl. zur „Save haven“-Problematik Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäre Intervention, AVR 40 (2002), 400 ff. 1836 IGH, Nicaragua vs. United States of America, v. 27.7.1986, ICJ Rep. 1986, 103 ff. 1837 A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta of the United Nations, Art. 51, Rn. 31. 1838 Report of the International Law Commission on the work of its Fifty-third session, Official Records of the General Assembly, Fifty-sixth session, Supplement No. 10 (A/56/10). 1839 Siehe auch M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nichtstaatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 188.

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Aufgrund der vorliegenden Informationen wurden die Anschläge nicht unter Direktion oder Aufsicht der Taliban durchgeführt.1840 Die Kontrolle der Täter oblag der Organisation Al-Qaida unter Leitung von Osama bin Laden.1841 Die Attentate waren dem Taliban-Regime auch nicht deshalb zurechenbar, weil es sich das Verhalten der Täter zu eigen gemacht hat.1842 Stellungnahmen wie von Osama bin Laden, der die Anschläge ausdrücklich begrüßt hat, sind von den Taliban nicht bekannt.1843 Aufgrund der Anti-Terrorismus-Resolution 1373 (2001)1844 könnte gefolgert werden, daß sich der Staat jede Förderung terroristischer Aktivitäten zurechnen lassen muß.1845 In der Lehre wird die Duldung oder Förderung terroristischer Aktivitäten überwiegend nicht mit der Ausübung militärischer Gewalt eines Staates gleichgesetzt oder diesem zugerechnet.1846 Unterstützende Handlungen, etwa durch Waffen oder Logistik, werden meist nicht als „bewaffneter Angriff“ gewertet, weil es am Merkmal „bewaffnet“ fehle.1847 Der Internationale Gerichtshof hat, weil, wie schon festgestellt, nicht jede Gewaltanwendung und Friedensbedrohung ein „bewaffneter Angriff“ ist, im Nicaragua-Urteil zu Recht zwischen der Unterstützung einer Organisation als „bewaffneter Angriff“ im Sinne des Art. 51 UN-Charta und der Unterstützung einer Organisation als Verstoß gegen Art. 2 Abs. 4 UN-Charta unterschieden.1848 Nach seiner Auffassung 1840 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 190. 1841 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 190. 1842 Vgl. IGH, USA vs. Iran, ICJ Rep. 1980, 35, para. 74; Art. 11 des ILC-Entwurfs: „Conduct which is not attributable to a State under the preceding articles shall nevertheless be considered an act of that State under international law if and to the extent that the State acknowledges and adopts the conduct in question as its own“; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 190. 1843 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 190 f. 1844 S/Res/1373 (2001). 1845 Vgl. J. A. Frowein, Terroristische Gewalttaten und Völkerrecht, FAZ 15.9. 2001, Nr. 215, S. 10. 1846 M. Bothe, in: W. Graf v. Vitzthum, Völkerrecht, S. 591, Rn. 11; vgl. auch H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 945 ff., Rn. 31 ff.; so aber die Rechtsauffassung der Vereinigten Staaten und Israels vgl. J. A. Frowein, Terroristische Gewalttaten und Völkerrecht, FAZ v. 15.9.2001, Nr. 215, S. 10. 1847 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 946, Rn. 31; D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 737 (739); a. A.: Dissenting Opinion of Judge Stephen Schwebel, ICJ Rep. 1986, S. 259, 346; Dissenting Opinion of Judge Sir Robert Jennings, ICJ Rep. 1986, S. 528, 543, die u. U. bereits die Bereitstellung von Unterkünften und die Ausrüstung mit Waffen als bewaffneten Angriff ansehen wollten. 1848 IGH, ICJ. Rep. 1986, 103 f., para. 195; vgl. auch A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta of the United Nations, Art. 51, Rn. 4 ff.

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soll eine passive oder rein logistische Unterstützung (Waffenlieferung) an die Rebellen (Terroristen) für einen „bewaffneten Angriff“ nicht ausreichen. Auch im Teheraner Geiselfall hat der Internationale Gerichtshof das bloße Untätigbleiben des Aufenthaltsstaates (Iran) gegenüber einer Botschaftsbesetzung durch iranische „Studenten“ als nicht ausreichend für einen Angriff gegen den Entsendestaat (USA) angesehen.1849 Der Staat müsse die Terroristen beauftragt haben, die Gewalttaten auszuführen.1850 Dem haben die Richter Schwebel und Sir Jennings in ihren Sondervoten allerdings widersprochen.1851 In diesem Sinne meint Jochen Abraham Frowein: „Wenn erwiesen ist, daß eine Angriffsplanung von einer terroristischen Organisation auf dem Gebiet eines fremden Staates ausgeht und dieser fremde Staat nicht bereit ist, die terroristische Aktion entsprechend seinen Verpflichtungen zu unterbinden, so erscheint eine bewaffnete Verteidigungsmaßnahme gegen diese terroristische Bedrohung völkerrechtlich vertretbar.“1852

Auch Thomas Bruha will die Kriterien der Nicaragua-Entscheidung aufweichen. So soll es ausreichen, daß die Taliban den Terrorismus durch Bereitstellung eines „save haven“ unterstützt haben, daß sie Kenntnis von der generellen Zielrichtung der Terroranschläge hatten und daß eine gewisse Vernetzung der Taliban mit Al-Qaida festgestellt werden konnte.1853 Eine derartige Ausweitung des Selbstverteidigungsrechts auf Nicht-Angreifer widerspricht indes dem Selbstverteidigungsrecht in Wortlaut und Sinn. Es ist eine Neuauflage der Lehre vom „gerechten Krieg“, welche hinreichend aufgerüstete Staaten nach ihrer Willkür für sich in Anspruch nehmen dürfen. Bei ihrem Irak-Angriff im März 2003 haben die Vereinigten Staaten ein solches Recht erneut beansprucht. Ein weltrechtlicher Fortschritt ist die Lehre von „gerechten Krieg“ nicht, obwohl sie zweifellos einen Paradigmenwechsel völkerrechtlicher Prinzipien anstrebt. Sie ist mit dem elementaren Friedenszweck der UN-Charta und dem Rechtsprinzip nicht vereinbar.1854 Selbst wenn man die Unterstützung des Terrorismus durch das Taliban-Regime diesem als bewaffneten Angriff zurechnen wollte, setzt das Selbstverteidigungsrecht aber voraus, daß ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den 1849

IGH, USA vs. Iran, ICJ Rep. 1980, 30, para. 58. IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, S. 103 f., para. 195. 1851 Dissenting Opinion of Judge Stephen Schwebel, ICJ Rep. 1986, 259, 346; Dissenting Opinion of Judge Sir Robert Jennings, ICJ Rep. 1986, 528, 543. 1852 J. A. Frowein, Terroristische Gewalttaten und Völkerrecht, FAZ v. 15.9.2001, Nr. 215, S. 10. 1853 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 403 ff. 1854 Vgl. H.-J. Gießmann, Alles was Recht ist?, in: D. S. Lutz/ders. (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, S. 9 ff.; D. S. Lutz, Der „Friede als Ernstfall“ oder das „Recht des Stärkeren“?, in: ders./H.-J. Gießmann (Hrsg.), S. 17 ff.; Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 51, Rn. 147. 1850

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Anschlägen und der Unterstützung festgestellt werden kann1855, d. h., daß ohne diese Unterstützung der Täter die terroristische Gewaltausübung ausgeschlossen gewesen wäre. Dies ist nicht anzunehmen.1856 Vermutlich war die Unterstützung der Taliban durch bin Laden und die Al-Qaida größer als umgekehrt. Al-QaidaMitglieder gehörten zur Führungsschicht der Taliban. Schon deshalb ist fraglich, ob die Taliban einen für die Zurechnung hinreichenden Beitrag zu den Anschlägen geleistet haben. Die Anschläge auf New York und Washington wurden nicht mit Mitteln der Taliban durchgeführt. Es gibt auch keine Hinweise, daß die Taliban die Angriffe selbst logistisch gefördert haben.1857 Die generelle Unterstützung der Al-Qaida durch die Taliban genügt nicht, um die Anschläge vom 11. September 2001 als Angriff der Taliban zu beurteilen. Erst recht reicht es nicht als Zurechnungstatbestand für einen bewaffneten Angriff, daß die Taliban der Al-Qaida einen Zufluchtsort gewährt haben. Die Attentäter hatten sich zum Teil jahrelang in westlichen Industriestaaten aufgehalten und den Anschlag vorbereitet, insbesondere erlernt, Verkehrsmaschinen zu fliegen. Auch ohne die Zuflucht in Afghanistan wären die Anschläge am 11. September 2001 möglich gewesen.1858 Ergebnis Ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta, der die USA zu Selbstverteidigungsmaßnahmen berechtigt hätte, ist dem Taliban-Regime nicht zuzurechnen. 4. Keine Autorisierung durch den Sicherheitsrat Der Sicherheitsrat hat auch nicht die USA zu militärischen Maßnahmen gegen Afghanistan autorisiert.1859 Gemäß Art. 39 i.V. m. Art. 42 UN-Charta wäre er dazu befugt gewesen. In seinen Resolutionen 1368 und 1373 hat er die Staatengemeinschaft lediglich zu verstärkten Anstrengungen in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus aufgerufen. Die in der Präambel der Resolution 1855 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 193. 1856 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 192. 1857 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 193. 1858 So auch M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nichtstaatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 194 f. 1859 W. Heintschel v. Heinegg, Der Einsatz der Deutschen Marine im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“, AVR 40 (2002), S. 145 (149 f.); M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 184.

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1368 enthaltene Formel, den Terrorismus „mit allen Mitteln“ zu bekämpfen, kann nicht als Generalautorisierung jedes Staates zu militärischem Vorgehen verstanden werden.1860 Eigenmächtig können die USA nicht an Stelle des Sicherheitsrates, sondern nur unter den Voraussetzungen des Art. 51 UN-Charta handeln. Diese Vorschrift setzt die Untätigkeit des Sicherheitsrates voraus. Der Sicherheitsrat hat zwar in seinen Resolutionen 1368 und 1373 das Selbstverteidigungsrecht generell auch gegenüber terroristischer Gewalt „anerkannt“ und „bekräftigt“. Diese Aussage kann aber nicht als von den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 51 UN-Charta losgelöste, selbständige Ermächtigung zur Selbstverteidigung in dem vorliegenden Fall gewertet werden1861; denn das Selbstverteidigungsrecht bedarf als Notrecht, das aus der Schutzpflicht des Staates für seine Bewohner abzuleiten ist, nicht der Anerkennung durch den Sicherheitsrat. Die vom Sicherheitsrat getroffenen nicht-militärischen allgemeinen Maßnahmen gegen den Terrorismus (siehe 2.) sind auf längerfristige Wirkung angelegt und können nicht als hinreichende „erforderliche“ Maßnahmen im Kampf gegen Al-Qaida angesehen werden.1862 Als solche wären sie jedenfalls untermäßig gewesen.1863 5. Bewaffnete Angriffe durch terroristische Organisationen a) Erweiterung der Adressaten des Gewaltverbots – Bindung nicht-staatlicher Akteure an das Gewaltverbot der UN-Charta Ob und inwieweit nicht-staatliche Organisationen, Personenverbände oder juristische Personen Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten sein können, ist in der Diskussion (vgl. 2. Teil, B, S. 107; 6. Teil, E, S. 853 ff.). Fraglich ist in diesem Zusammenhang insbesondere, ob sie verpflichtet sind, Friedensbedrohungen (Art. 39 UN-Charta) und bewaffnete Angriffe (Art. 51 UN-Charta) entsprechend dem Gewaltverbot zu unterlassen und ob sie letztlich Adressaten des Verbots bewaffneter Gewalt sein können.1864 Im weltrechtlichen Paradigma ist 1860

Dazu G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht, AVR 41 (2003), S. 466 f. Dazu W. Heintschel v. Heinegg, Der Einsatz der Deutschen Marine im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“, AVR 40 (2002), S. 151 ff.; vgl. auch Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 394; J. A. Frowein, Der Terrorismus als Herausforderung für das Völkerrecht, ZaöRV 62/4 (2002), S. 885 f.; G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 465 ff. 1862 Dazu M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 211 f.; a. A. G. Stuby, Internationaler Terrorismus und Völkerrecht, Blätter für deutsche und internationale Politik, 2001, 1332. 1863 Vgl. zum Untermaßverbot A. Emmerich-Fritsche, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 247 ff. 1864 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 196. 1861

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das Gewaltverbot nicht auf Staaten beschränkt (dazu 3. Teil, D, S. 378 ff.). Demgegenüber wird herkömmlicherweise verlangt, daß Friedensbedrohungen und Friedensbrüche im Sinne von Art. 39 UN-Charta von einem Staat ausgehen oder einem Staat zugerechnet werden können müssen.1865 Hierfür spricht der Wortlaut des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta. Er wendet sich an die „Mitgliedstaaten“ und nimmt auf die „internationalen Beziehungen“ zwischen den Staaten sowie auf deren „territoriale Unversehrtheit“ und „politische Unabhängigkeit“ Bezug. Hingegen fordern die Texte des Art. 39 und des Art. 51 UN-Charta weder eine staatliche Bedrohung des Friedens noch einen staatlichen Angriff.1866 Mit der Erweiterung des Begriffs der Friedensbedrohung, die bereits in der Praxis humanitärer Interventionen des Sicherheitsrates auf der Grundlage der Art. 39 ff. UN-Charta deutlich wurde, dehnt sich der Adressatenkreis des Gewaltverbots aus. Ein rein zwischenstaatliches Gewaltverbot erscheint angesichts der globalen Privatisierung der Gewalt nicht mehr sachgerecht.1867 Ziel der UN-Charta ist es, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“ (Abs. 1 der Präambel). Dem dient auf der einen Seite das Gewaltverbot und auf der anderen ein System kollektiver Sicherheit gegen Bedrohungen des Friedens, gegen Friedensbrüche und Angriffshandlungen (Art. 1 Abs. 1 UN-Charta). Will man im Rahmen der Vereinten Nationen systemimmanente Widersprüche vermeiden, sollten nach Ansicht von Thomas Bruha Erscheinungsformen militanter Gewalt, die in ihren Auswirkungen militärischen Aggressionen vergleichbar sind, auch wenn sie von nicht-staatlichen Gruppierungen kommen, nicht aus dem System der kollektiven Sicherheit ausgenommen werden. Sie sollten nicht ausschließlich dem staatlichen Polizei- und Strafrecht zugeordnet werden.1868 Erst recht gilt dies, wenn eine terroristische Organisation faktisch mächtiger ist als der Staat, dessen Territorium sie für ihre Zwecke nutzt.1869 Fraglich ist, ob sich bereits gewohnheitsrechtlich das Gewaltverbot über den Inhalt des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta hinaus entwickelt hat.1870 Unbestritten ist 1865 D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 737 f.; H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 937, Rn. 16; A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 29; J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“?, S. 320 f.; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 196. 1866 J. A. Frowein, Der Terrorismus als Herausforderung für das Völkerrecht, ZaöRV 62 (2002), S. 887; Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September 2001, AVR 40 (2002), S. 383 (394). 1867 J. Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neues „Weltinnenrecht“?, S. 320 ff.; Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 392, 397; Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 21 ff., 50 ff. 1868 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 393, 397 f. 1869 Eindrücklich beweist dies die Hisbollah im jüngsten Nahost-Konflikt 2006 im Verhältnis zum Libanon.

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heute bereits, daß das Gewaltverbot auch gegenüber de facto-Regimen gilt.1871 Konflikte, die innerhalb eines Staates zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts entbrennen, werden mittlerweile als „international“ im Sinne des Art. 1 Abs. 4 Zusatzprotokoll I 1977 zu den Genfer Konventionen von 1949, der auch nationale Befreiungskämpfe erfaßt, angesehen.1872 In der neueren Resolutionspraxis des Sicherheitsrates zeigt sich, daß auch nicht-staatliche Akteure als Verpflichtete des Gewaltverbotes angesehen werden und gegebenenfalls auch Adressaten von Maßnahmen des Sicherheitsrates sind. So hat der Sicherheitsrat auf der Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta in einer Resolution zur Kosovo-Krise „all parties, groups and individuals“ dazu aufgerufen, ihre Feindseligkeiten unverzüglich einzustellen und einen Waffenstillstand zu vereinbaren.1873 In seiner Resolution 1368 vom 12. September 2001 verurteilt er die „grauenhaften Terroranschläge“ des 11. September 2001. Er wertet sie als „terroristische Handlung“ und „betrachtet diese Handlungen, wie alle internationalen terroristischen Handlungen, als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“1874 im Sinne des Art. 39 UN-Charta, ohne daß diese wie noch in vorhergehenden Resolutionen1875 einem Staat aufgrund seines Handelns oder Unterlassens zugerechnet worden sind.1876 Bemerkenswert ist, daß der Sicherheitsrat „alle internationalen terroristischen Handlungen“ als Friedensbedrohung einstuft.1877 Damit hat sich der Sicherheitsrat einerseits von einem auf staatliche Maßnahmen beschränkten Begriff der Friedensbedrohung gelöst1878, andererseits die Terroristen als Verpflichtete (Adressaten) des Gewaltverbots be-

1870 Zur Anwendung des gewohnheitsrechtlichen Gewaltverbots in nicht rein zwischenstaatlichen Konflikten auch A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, 2002, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 29, Fn. 69; befürwortend Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 398. 1871 A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 28. 1872 K. J. Partsch, Stichwort Selbstbestimmung, in: R. Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 1991, S. 745 ff., 748 f.; W. Karl, Das humanitäre Völkerrecht auf dem Weg vom Zwischenstaats- zum Weltrecht, in: W. Benedek/H. Isak/R. Kicker (ed.), Development and Developing International and European Law, 1999, S. 583 f. 1873 S/Res1199 (1998) v. 23. 9. 1998. 1874 S/Res/1368 (2001) v. 12.9.2001, Ziff. 1; S/Res 1373 (2001) v. 28.9.2001, Präambel Abs. 3.; dazu kritisch J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden, ZaöRV 62 (2002), S. 257 ff. 1875 Vgl. insbes. S/Res 731 (1992) v. 21.1.1992 (Libyen); S/Res 1267 v. 15.10. 1999 und S/Res 1333 v. 19.12.2000 (Afghanistan). 1876 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 197; M. Nettesheim, Das kommunitäre Völkerrecht, JZ 2002, 573 f. 1877 M. Wagner, Die wirtschaftlichen Maßnahmen des Sicherheitsrates nach dem 11. September, ZaöRV 63 (2003), S. 900. 1878 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September, AVR 40 (2002), S. 383 (391).

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handelt. Dies zeigt sich ebenfalls darin, daß der Sicherheitsrat in der Folge zudem individuelle Wirtschaftssanktionen angeordnet hat.1879 Auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen stimmt der Auffassung des Sicherheitsrats zu; denn sie hat in ihren Erklärungen zum 11. September 2001 auf die Resolutionen des Sicherheitsrates Bezug genommen.1880 Selbst wenn das Gewaltverbot bisher auf zwischenstaatliche Konflikte begrenzt war, offenbart sich hierin eine rechtsfortbildende Praxis in den Institutionen der Vereinten Nationen.1881 Thomas Bruha anerkennt transnational agierende, strategisch-militante Gruppen und Vereinigungen wie Al-Qaida als Adressaten des Gewaltverbotes und als partielle, passive Völkerrechtssubjekte.1882 Mit dieser Praxis und Lehre wandelt sich das zwischenstaatliche Gewaltverbot zum weltrechtlichen Verbot militärischer oder paramilitärischer Gewalt, unabhängig, von welchem Subjekt diese ausgeht. Transnationale Akteure sind Weltrechtssubjekte. b) Nicht-staatliche Gewalt als bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta? Terroristische Akte sind Formen privater, organisierter Gewalt. Ein „bewaffneter Angriff“ i. S. d. Art. 51 UN-Charta ist eine besonders qualifizierte Verletzung des Gewaltverbots. Weil bewaffnete Gewalt, die geeignet ist, den Weltfrieden zu stören oder zu bedrohen, zunehmend von nicht-staatlichen Akteuren ausgeht, befürwortet eine neuere Ansicht in weiter Auslegung der Charta oder unter Berufung auf ein „naturgegebenes“ Selbstverteidigungsrecht, daß auch nicht-staatliche Akteure, jedenfalls, wenn sie das Territorium von außen attakkieren, Angreifer im Sinne des Rechts auf Selbstverteidigung sein können.1883 1879 S/Res/1267 (1999) v. 15.10.1999 Verkehrsbeschränkungen für Flugzeuge, die im Eigentum der Taliban standen oder deren Flüge von diesen organisiert wurden; Pflicht an die Mitgliedstaaten, die Guthaben der Taliban einzufrieren Res 1363 (2001) v. 30.7.2001; dazu G. Biehler, Individuelle Sanktionen der Vereinten Nationen und Grundrechte, AVR 41 (2003), S. 169 ff.; M. Wagner, Die wirtschaftlichen Maßnahmen des Sicherheitsrates nach dem 11. September, ZaöRV 63 (2003), S. 899 ff. 1880 A/Res/56/88 v. 12.12.2001 (Maßnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus), Absätze 4 und 7 der Präambel. 1881 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September, AVR 40 (2002), S. 392; zu den Voraussetzungen völkergewohnheitsrechtlicher Fortbildung des Völkerrechts durch Organpraxis internationaler Organisationen A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 368 f., § 583. 1882 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September, AVR 40 (2002), S. 392. 1883 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September, AVR 40 (2002), S. 393 ff.; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 198; W. Heintschel v. Heinegg, Der Einsatz der Deutschen Marine im Rahmen der Operation „Enduring

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In seinen Resolutionen „anerkennt“ und „bekräftigt“ der Sicherheitsrat auch gegenüber terroristischen Handlungen das „naturgegebene Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung“.1884 Heintschel von Heinegg schließt daraus, daß der Sicherheitsrat über den Wortlaut des Art. 51 UN-Charta das „naturgegebene“ (gewohnheitsrechtliche) Selbstverteidigungsrecht auch dann anerkennt, wenn der Gewaltakt keinem Staat zurechenbar ist. Eines staatlichen Zurechnungssubjekts für die Angriffshandlung bedürfe es nicht mehr.1885 Der bewaffnete Angriff muß somit nicht notwendig von einem Staat ausgehen, solange er grenzüberschreitend ist. Joachim Abraham Frowein meint weitergehend, hierdurch erkenne der Sicherheitsrat an, daß Verteidigungsmaßnahmen im Sinne von Art. 51 UN-Charta gegen derartige Akte des Terrorismus möglich und rechtmäßig seien, und schließt damit auf einen bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta.1886 Zu beachten ist, daß der Sicherheitsrat in seiner „Erklärung über das weltweite Vorgehen gegen den Terrorismus“1887 vom 12. November 2001 die Akte des internationalen Terrorismus zwar als „eine der schwerwiegendsten Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“, aber nicht als bewaffnete Angriffe bezeichnet hat. In seinem Gutachten zu den israelischen Sperranlagen hat es der Internationale Gerichtshof abgelehnt, daß sich der Staat Israel im besetzten Palästinensergebiet auf das Selbstverteidigungsrecht gegenüber terroristischen Angriffen berufen kann.1888 Er ging zunächst davon aus, daß Art. 51 UN-Charta sich auf Angriffe gegen Staaten beziehe. Außerdem stellte der Gerichtshof fest, daß Israel nicht geltend gemacht habe, die Angriffe seien einem fremden Staat zurechenbar. Vielmehr seien sie auf von Israel kontrolliertem Gebiet geblieben. Der Wortlaut des Art. 51 UN-Charta sagt im Gegensatz zu Art. 2 Abs. 4 UNCharta nichts darüber, daß sich die Selbstverteidigung nur gegen Angriffe von Staaten richten darf.1889 Gegen eine Ausdehnung des Begriffs des „bewaffneten Angriffs“ auf nicht-staatliche Subjekte, der sich auch in der Staatenpraxis Freedom“, AVR 40 (2002), S. 155 ff.; vgl. auch Statement of the Secretary General, SG/SM/7985-AFG/149, 8.10.2001; Ch. Eick, „Präemption“, „Prävention“ und die Weiterentwicklung des Völkerrechts, ZRP 2004, 200 ff.; a. A. D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 738 f.; G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 462, 481 mit der Befürchtung, dies würde die internationalen Beziehungen instabilisieren. 1884 S/Res/1368 (2001) v. 12.9.2001, Präambel Abs. 3; S/Res/1373 (2001) v. 28.9. 2001, Präambel Abs. 4. 1885 W. Heintschel v. Heinegg, Der Einsatz der Deutschen Marine im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“, AVR 40 (2002), S. 155 ff. 1886 J. A. Frowein, Terroristische Gewalttaten und Völkerrecht, FAZ 15.9.2001, Nr. 215, S. 10. 1887 S/Res/1377 (2001). 1888 IGH, Gutachten zu den israelischen Sperranlagen v. 9.7.2004, www.icj-ij.org/ icjwww/idocket/imwp/imwpframe.htm (17.2.2006).

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zeigt1890, könnte jedoch allgemein eingewendet werden, daß dies die internationalen Beziehungen destabilisiere1891, und nicht-staatlicher, auch terroristischer Gewalt mit strafrechtlichen Mitteln begegnet werden müsse. Letzteres liegt in der Regel in der Hand der Staaten.1892 Wenn sich allerdings der Staat weigert, auf dessen Territorium die Terroristen Zuflucht gefunden haben, diese angemessen zu verfolgen, falls diese grenzüberschreitende Anschläge verüben, oder an den Opferstaat auszuliefern, kann das nationale Strafrecht nicht greifen. Aus diesem Grunde ist die Zuständigkeit der internationalen Strafgerichtsbarkeit für Verbrechen des Terrorismus zu entwickeln.1893 Solange die nationale oder internationale Strafgewalt nicht mit hinreichenden Mitteln eingreift, bleibt als provisorischer Rechtsschutz gegenüber Angriffen von Terroristen aus dem Gebiet fremder Staaten subsidiär das Selbstverteidigungsrecht. Im Übergang zwischen Völker- und Weltrecht und in weltrechtlicher Auslegung des Gewaltverbots können auch terroristische Organisationen Angreifer im Sinne des Art. 51 UNCharta sein, wenn sie grenzüberschreitend in ihren Wirkungen kriegsähnliche Anschläge verüben.1894 Die terroristischen Organisationen unterliegen damit weltrechtlichen Pflichten, werden dadurch aber nicht zum Völkerrechtssubjekt i. e. S. wie Staaten oder Internationale Organisationen. Es ist zwar richtig, daß ihre Bindung an das Gewalt- und Angriffsverbot sowie ihre Anerkennung als Angreifer i. S. d. staatlichen Selbstverteidigungsrechts einen Paradigmenwechsel bedeutet. Dieser destabilisiert jedoch nicht die internationalen Beziehungen, wenn beachtet wird, daß das Recht auf Selbstverteidigung als vorläufiges, subsidiäres Recht1895 nur insoweit aktiviert ist, als eine staatliche polizeiliche und strafrechtliche Verfolgung ausgeschlossen ist oder solange der Sicherheitsrat nicht eingreift (vgl. Art. 51 UN-Charta). Weil der Selbstverteidigungstatbestand als Ausnahme vom Grundsatz des Gewaltverbotes eng auszulegen ist, bedarf der ihn auslösende bewaffnete Angriff einer entsprechenden Intensität und Erheblichkeit.1896 Erst recht gilt dies für 1889 Vgl. Sondervoten der Richter Kooijmans, para. 35 und Higgins, para 33; Th. Bruha/Ch. J. Tams, Self-Defence Against Terrorist Attacks, in: Liber amicorum J. Delbrück, 2005, S. 85 (93 f.). 1890 Darauf weisen Th. Bruha/Ch. J. Tams, Self-Defence Against Terrorist Attacks, S. 95 ff. hin. 1891 G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 462, 481. 1892 D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 737. 1893 So auch G. Stuby, Internationaler Terrorismus und Völkerrecht, Blätter für deutsche und internationale Politik, 2001, 1330 (1338, Fn. 23). 1894 Siehe Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 393 ff. 1895 B. Grzeszick, Die Staatsgewalt in der UN-Charta zwischen Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, AVR 41 (2003), S. 484 (502). 1896 Vgl. D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 739; A. Randelzho-

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nicht-staatliche Gewaltanwendungen, sollen sie mit staatlichen Angriffen gleichgesetzt werden.1897 Die Gewaltausübung muß von einer Gruppe ausgehen, die über eine gewisse organisatorische und institutionelle Struktur verfügt1898, was für die Al-Qaida zutrifft. Zudem müssen die Zahl der Opfer und das Ausmaß der Zerstörungen mit herkömmlichen staatlichen Angriffen vergleichbar sein. Aktionen gegen einzelne Personen oder Gruppen auf fremdem Territorium genügen nicht.1899 Der Mißbrauch von Verkehrsflugzeugen aus der Luft als Massenvernichtungsmittel1900, welche verschiedene Ziele von hohem nationalen Symbolcharakter anvisierten und ca. 3000 Menschenleben auslöschten, war gegen die USA als solche gerichtet und nicht nur gegen einzelne Personen oder Organe. Er konnte als bewaffneter Angriff angesehen werden.1901 c) Gegenwärtigkeit des Angriffs Die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts setzt einen gegenwärtigen Angriff voraus.1902 Reine Vergeltungsmaßnahmen sind ausgeschlossen.1903 Verlangt wird, daß sich die Selbstverteidigungsmaßnahmen unmittelbar an den bewaffneten Angriff anschließen1904 und der Angriff noch nicht vollständig abgeschlossen ist oder weitere Angriffe zu erwarten sind.1905 Zeitraubende, fer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 51, Rn. 19; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 199 f.; a. A. H. Fischer, in: K. Ipsen, Völkerrecht, S. 944, Rn. 28. 1897 Vgl. IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, 104; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 199. 1898 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 200. 1899 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 948, Rn. 35. 1900 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 2002, S. 385. 1901 A. Cassese, Terrorism is Also Disrupting some Crucial Legal Categories of International Law, EJIL 12 (2001), 993 (997); J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden, ZaöRV 62 (2002), S. 275 ff.; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 200 f.; zögernd dagegen G. Stuby, Internationaler Terrorismus und Völkerrecht, Blätter für deutsche und internationale Politik, 2001, 1331 f. 1902 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 59, Rn. 38; M. Bothe, in: W. Graf v. Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Rn. 19. 1903 D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 740; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 201. 1904 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 949 f., Rn. 38; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 201. 1905 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 201.

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notwendige militärische Vorbereitungsmaßnahmen müssen deshalb für die Verteidigung nicht unterbleiben.1906 Weil der Charakter von Terroranschlägen wesentlich in deren Unvorhergesehenheit liegt, wird vertreten, die USA habe sich auch vier Wochen nach dem 11. September 2001 noch verteidigen dürfen. Im Herbst 2001, zum Zeitpunkt des Angriffs der USA auf Afghanistan, jedenfalls nach den Ankündigungen bin Ladens, weitere Anschläge auf die USA und ihre Einrichtungen seien geplant, sei der Angriff noch gegenwärtig gewesen.1907 Dies gilt jedoch nicht für Präventivschläge zum Zeitpunkt des Irakkrieges ab März 2003, weil insoweit jeder Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Angriff und angeblicher Gegenwehr fehlte.1908 d) Adressaten und Umfang der zulässigen Selbstverteidigung aa) Verteidigungshandlungen gegen die nicht-staatliche Organisation Die Selbstverteidigung richtet sich zulässig nur gegen den Angreifer.1909 Angreifer war die Organisation Al-Qaida und nicht der Staat Afghanistan oder das Taliban-Regime (s. o.). Verteidigungshandlungen durften somit nur gegen AlQaida-Mitglieder und ihre Einrichtungen angewendet werden. Dazu zählten namentlich die Zerstörung terroristischer Trainingscamps, Waffenlager sowie die Entsendung von Spezialeinheiten, welche die Führungsspitze verhaften sollte.1910

1906 H. Fischer, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 949 f., Rn. 38; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 201. 1907 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 202; M. Kotzur, „Krieg gegen den Terrorismus“, AVR 40 (2002), S. 473 ff. 1908 M. Kotzur, „Krieg gegen den Terrorismus“, AVR 40 (2002), S. 474 ff.; G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 475 ff.; genaue rechtliche Untersuchung bei Ch. Schaller, Massenvernichtungswaffen und Präventivkrieg – Möglichkeiten der Rechtfertigung einer militärischen Intervention im Irak aus völkerrechtlicher Sicht, ZaöRV 62 (2002), S. 641 ff.; vgl. auch Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 61 ff. 1909 D. Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, BayVBl. 1986, 740; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 202. 1910 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 202, 207.

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bb) Verteidigungshandlungen gegen das Taliban-Regime Die Selbstverteidigung darf sich nur gegen die Terroristen und ihre Organisation richten.1911 Die Bekämpfung der Taliban und ihres Regimes war davon nur gedeckt, soweit deren Verflechtung mit der Terroristenorganisation Al-Qaida zum Zeitpunkt des Angriffs nachgewiesen war, was nicht unzweifelhaft ist.1912 Unvermeidbar berühren aber Maßnahmen gegen terroristische Organisationen im Ausland auch die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates und bedürfen daher hierfür einer Rechtfertigung, weil das Selbstverteidigungsrecht nur die Gewaltanwendung als solche legitimiert.1913 Vorgeschlagen wird (ausgenommen failed states) unter anderem eine (analoge) Anwendung des Neutralitätsrechts.1914 Danach darf der angegriffene Staat auf die Teile des Gebietes eines neutralen Staates einwirken, von denen Angriffshandlungen ausgehen, die der neutrale Staat nicht unterbinden kann oder will.1915 Das Taliban-Regime mußte insbesondere deshalb die Eingriffe in das von ihm besetzte Territorium dulden, weil es gegen die allgemeinvölkerrechtliche und in den UN-Anti-TerrorrismusResolutionen1916 festgelegte Pflicht verstoßen hat, die sichere Zuflucht für die Täter nach dem Angriff zu beenden, sie selbst ernsthaft zu verfolgen oder auszuliefern.1917 cc) Verteidigungshandlungen gegen das afghanische Volk? Als die USA ihre militärischen Angriffe u. a. mit Bomben gegen Ziele in Afghanistan begannen, haben sie immer wieder versichert, dies sei kein Krieg gegen die Bevölkerung. Bomben bedrohen aber immer zugleich auch das Volk. Die USA haben sich nicht darauf beschränkt, die Organisation Al-Qaida und gegebenenfalls die Taliban (sofern man sie entgegen der hier vertretenen Auffassung als Angreifer betrachtet) zu bekämpfen. Um möglichst wenig eigene 1911

Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 408. Bejahend Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 406. 1913 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 202 f. 1914 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 407 ff.; M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 203. 1915 A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 51, Rn. 28; allg. zum Neutralitätsrecht: K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1114 ff., Rn. 13 ff. 1916 S/Res 1267 (1999) v. 15.10.1999. 1917 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 205; vgl. weitergehend W. Heintschel v. Heinegg, Der Einsatz der Deutschen Marine im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“, AVR 40 (2002), S. 158 f. 1912

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Verluste hinnehmen zu müssen, haben sie Afghanistan flächendeckend aus der Luft angegriffen. Dabei waren mindestens so viele zivile Opfer zu beklagen, wie bei dem Luftangriff in den USA ums Leben gekommen waren.1918 Nach Art. 51 Abs. 2 und 3 des Zusatzprotokolls I zur Genfer Konvention sind Angriffe gegen die Zivilbevölkerung als solche sowie unterschiedslose Angriffe unzulässig.1919 Aufgrund der formalen Einheit von Volk, Gebiet und Regierung1920 rechnet das Völkerrecht dem Volk die Taten seiner Regierung zu, unabhängig davon, ob diese tatsächlich der Wille des Volkes sind. Dem afghanischen Volk können jedoch die Angriffe der Al-Qaida nicht angelastet werden, weil diese Organisation nicht als dessen Regierung fungierte. Sieht man entgegen der hier vertretenen Meinung das Taliban-Regime als Angreifer gegenüber den USA, können dessen Handlungen dem afghanischen Volk deshalb nicht zugerechnet werden, weil es keine staatsbildende Einheit mit dem afghanischen Volk aufweist. Nachdem die materiellen Voraussetzungen für die Anerkennung des Taliban-Regimes als Staat fehlten, kann die Kriegserklärung und der Angriff der USA und der NATO gegenüber dem von den Taliban beherrschten Afghanistan auch nicht als (konkludente) völkerrechtliche Anerkennung1921 des Taliban-Regimes als Staat Afghanistan gewertet werden. e) Verhältnismäßigkeit Krieg ist ein ungeeignetes Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus.1922 Erstens ist er für eine effektive Verfolgung zu schwerfällig oder ungezielt und trifft zu viele Unschuldige. Zweitens ist das Humanitäre Kriegsrecht, das im Kriegsfall Anwendung findet, auf die Bekämpfung des Terrorismus nicht zugeschnitten und kann kontraproduktiv sein.1923 Drittens führen militärische Angriffe zu Solidarisierungen mit den Angegriffenen, was den clash of civilizations (3. Teil, B, S. 295 ff.) begünstigt und die Solidarität im Rechtsgedanken beeinträchtigt, die sich in der fast einhelligen Verurteilung der Terrorakte gezeigt hat.1924 Die Ziele der Befreiung Afghanistans von den Taliban und die 1918 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 208. 1919 Dazu K. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1091 ff., Rn. 3 ff. 1920 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 74 f. 1921 Dazu Ch. Gloria, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 226 ff. 1922 Vgl. auch K. O. Hondrich, Sternstunde der Weltmoral, FAZ 18.9.2001, Nr. 217, S. 12; Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, in: Th. Marauhn (Hrsg.), Die Rechtstellung des Menschen im Völkerrecht, S. 78 ff.; Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 51, Rn. 147. 1923 So im Ergebnis R. Arnold, Human Rights in Times of Terrorism, ZaöRV 66 (2006), 297 (319).

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Unterstützung der Nordallianz waren vom Selbstverteidigungszweck nicht mehr gedeckt und hätten allenfalls den Vereinten Nationen zugestanden, im Rahmen ihrer Aufgabe, den Weltfrieden zu wahren.1925 Darauf gerichtete Maßnahmen waren ebenfalls unverhältnismäßig. Vor allem konnten die vielen zivilen Opfer unter der afghanischen Bevölkerung durch das Selbstverteidigungsrecht nicht gerechtfertigt werden.1926 Sie waren überdies nicht erforderlich, um Al-Qaida wirksam zu bekämpfen. Das Streben des sich verteidigenden Staates, die eigenen Opfer möglichst gering zu halten, rechtfertigt nicht massenhafte Eingriffe in das Leben von Zivilpersonen in Afghanistan.1927 Selbstverteidigungsmaßnahmen sind nur gegenüber den Angreifern (Terroristen, Taliban), nicht aber in Form von kriegerischen Maßnahmen gegenüber der gesamten Bevölkerung (z. B. Bomben auf besiedelte Gebiete) erforderlich und angemessen.1928 6. Globale Bekämpfung des Terrorismus Die Unrechtmäßigkeit und auch Unzweckmäßigkeit eines einzelstaatlich geführten „Krieges gegen den Terrorismus“ verdeutlichen die Notwendigkeit, eine weltweite Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus zu entwerfen. Dazu gehört zunächst die Umwandlung von Unrechtsordnungen, welche den Terrorismus begünstigen, durch Förderung und Durchsetzbarmachung politischer und sozialer Rechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie, die Verhinderung des Zusammenbruchs von Staaten und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Weiter sind Anstrengungen gegen Extremismus und Intoleranz durch Bildung, Aufklärung und öffentliche Debatten notwendig. Auf weltrechtlicher Ebene ist die weltweite Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung auszubauen: 1924 M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 207. 1925 So auch Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht, AVR 40 (2002), S. 409 f., der allerdings fragwürdig eine stillschweigende Billigung durch den Sicherheitsrat in der unwidersprochenen Hinnahme der Operation „Enduring Freedom“ annimmt. Angesichts der Vetomöglichkeit der USA kann allein aus der Untätigkeit des Sicherheitsrates keinerlei Ermächtigung zu Maßnahmen nach Art. 42 UN-Charta im Sinne eines UN-Mandats abgeleitet werden. 1926 Vgl. M. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, AVR 40 (2002), S. 208 f. 1927 Vgl. Teil IV Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte v. 8.6.1977, UNTS 1125, p. 3; BGBl. 1990 II, S. 1551. 1928 Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 51, Rn. 147; eine ähnliche Problematik ergibt sich im Falle der durch Israel unter dem namen Just Reward gegen das libanesische Staatsgebiet und die libanesische Bevölkerung zum Zwecke der Selbstverteidigung gegen die Hisbollah im Sommer 2006 begonnenen militärischen Aktionen, insbesondere die Bombadierung von Kana am 30.7.2006; vgl. krit. International Commission of Jurists, Press Release 20.7.2006, http://www.icj.org/IMG/IL_LEB_GZ_ PR.pdf.

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Dazu gehören u. a. der Austausch „nachrichtendienstlicher Informationen, erforderlichenfalls Unterbindungs- und Abfangmaßnahmen sowie finanzielle Kontrollen“.1929 Die von UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte „Hochrangige Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel“ fordert in ihrem Bericht außerdem den „Aufbau staatlicher Kapazitäten“ zur Bekämpfung von Terroristen und ihrer Operationen, welche durch internationale Treuhandfonds gefördert werden könnten, sowie die „Kontrolle gefährlicher Materialen und Schutz der öffentlichen Gesundheit“.1930 Insbesondere schlägt die Hochrangige Gruppe vor, daß die Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, „eine zentrale Behörde schaffen, die den Austausch von Beweismitteln zwischen den einzelstaatlichen Justizbehörden, die Rechtshilfe zwischen den Strafverfolgungsbehörden und die Ausführung von Auslieferungsersuchen erleichtert“. Kommen die Staaten ihren Verpflichtungen zur Bekämpfung des Terrorismus nicht nach, soll dem Bericht zufolge der Sicherheitsrat zusätzliche Maßnahmen, gegebenenfalls auch vorher in einer Liste festgelegte Sanktionen gegen unwillige Staaten ergreifen können.1931 Natürlich müssen dabei jeweils das Rechtsstaatsprinzip und die Menschenrechte, insbesondere im Bereich der Strafverfolgung, beachtet werden. Eine weitere Möglichkeit ist die justizielle Verfolgung und Aufarbeitung von Terrorakten durch den Internationalen Strafgerichtshof. V. Vom internationalen Strafrecht zum Weltstrafrecht Strafrecht dient der Erzwingung des Rechts oder der Verhinderung von Unrecht.1932 Die Bekämpfung der Kriminalität und Strafverfolgung gehört zur inneren Sicherheit und ist grundsätzlich Sache der Einzelstaaten. Aber die weltweite Kriminalität (z. B. Terrorismus, Rauschgift-, Waffen- und Menschenhandel, Kinderpornographie, Industriespionage oder Geldwäsche) kennt, verstärkt durch die modernen Kommunikationsmittel, keine Grenzen. Sie berührt daher die weltweiten Rechtsbeziehungen von Menschen sowie die gesamte Weltgemeinschaft.1933 Insofern globale Kriminalität den Weltfrieden und das Weltrecht negiert (insbesondere Kriegs- und Menschheitsverbrechen), ist dies eine Materie, die in ihrem grenzüberschreitenden Bereich einer öffentlich-weltrechtlichen Regelung bedarf, welche die Straftatbestände und die Bestrafung im einzelnen festlegt.1934 Das Weltstrafrecht ist mit einer gegenüber der staatlichen Strafge1929

Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 51 f., Rn. 148. Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 52, Rn. 148, S. 53, Rn. 155. 1931 Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 53, Rn. 155. 1932 Dazu K. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf Grundlage der Kantischen Rechtslehre, 2005, S. 62 ff. 1933 Dazu K. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf Grundlage der Kantischen Rechtslehre, S. 171 ff. 1930

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

walt subsidiären Strafbefugnis der Weltgemeinschaft verbunden, weil und soweit sie nationalstaatlich nicht bewältigt werden kann und völkerrechtliche Kooperation nicht ausreicht.1935 Das Weltstrafrecht ist ein Instrument des Menschenrechtsschutzes.1936 Es antwortet auf die massenhafte Verletzung fundamentaler Menschenrechte, namentlich auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und verwirklicht damit ein Stück Menschheitsverfassung. 1. Begriffe „Völkerstrafrecht“ und „Weltstrafrecht“ Völkerstrafrecht1937 ist das Strafrecht der Völkergemeinschaft.1938 Das Völkerstrafrecht im weiteren Sinne1939 regelt die Verpflichtung und Befugnis der Staaten zur Verfolgung von Verbrechen und Vergehen, die völkerrechtlich normiert und definiert sind.1940 Es umfaßt sowohl die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die von den Staaten erst in nationales Strafrecht umgesetzt werden müssen, als auch diejenigen, die (in Abweichung zum klassischen Völkerrecht) unmittelbare Geltung beanspruchen.1941 Bereits das nur die Staaten verpflichtende Völkerstrafrecht1942 bindet die staatliche Souveränität an das Völkerrecht1943, weil es einen Kernbereich staatlicher Gewalt, die Strafgewalt, regelt.1944 Es überläßt den Staaten nicht mehr uneingeschränkt zu entscheiden, welche Straf1934 Dazu eingehend K. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf Grundlage der Kantischen Rechtslehre, S. 245 ff.; siehe auch O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 367 ff.; R. Merkel, „Lauter leidige Tröster“? Kants Friedensschrift und die Idee eines Völkerstrafgerichtshofs, in: ders./R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 309 (344 ff.); G. Manske, Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der Menschheit, 2003, S. 271 ff. 1935 Dazu K. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf Grundlage der Kantischen Rechtslehre, S. 288 ff. 1936 G. Werle, Völkerstrafrecht, 2003, S. 47 ff. 1937 Dazu etwa A. Becker, Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, 1996; G. Hankel/G. Stuby, Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, 1995; D. Blumenwitz, Die Strafe im Völkerrecht, ZfP 1997, 324 ff.; Ch. J. M. Safferling, Zum aktuellen Stand des Völkerstrafrechts, JA 2000, 164 ff.; G. Werle, Menschenrechtsschutz durch Völkerstrafrecht, ZStW 109 (1997), S. 808 ff.; ders., Völkerstrafrecht. 1938 M. Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, 2001, S. 26. Der Terminus „internationales Strafrecht“ ist insofern problematisch, als er auch für das innerstaatliche Kollisionsrecht verwendet wird (vgl. §§ 3–7 StGB); zur Entwicklung D. Blumenwitz, Die Strafe im Völkerrecht, ZfP 1997, 324 ff. 1939 U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 377. 1940 S. Kadelbach, Anmerkung zum Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, JZ 2001, 981 (982); G. Hafner, Souveränität versus Ordre Public, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 325 (328 f.). 1941 M. Schröder, in: W. Graf v. Vitzthum, Völkerrecht, S. 544, Rn. 36, 37. 1942 Dazu G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 180 f. 1943 G. Werle, Rückwirkungsverbot und Staatskriminalität, NJW 2001, 3001 (3002).

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taten sie unter Strafe stellen und verfolgen wollen. So existieren einige völkerrechtlich (gewohnheitsrechtlich und vertraglich) anerkannte Straftatbestände, welche die Staaten verpflichten, Straftäter strafrechtlich zu verfolgen1945 oder Amtshilfe zu leisten. Diese Verpflichtung gilt auch als Völkergewohnheitsrecht.1946 Gewohnheitsrechtlich und in Kollektivverträgen als Straftatbestände festgelegt und universell anerkannt sind u. a. Piraterie1947, Sklavenhandel, Frauen- und Kinderhandel, Falschmünzerei, Völkermord1948, Geiselnahme1949, verbrecherische Angriffe gegen Diplomaten und andere Vertreter anderer Staaten.1950 Nach der heute vorwiegend vertretenen engen Definition zählen nur die Vorschriften, die eine unmittelbare Strafbarkeit nach Völkerrecht begründen, zum „Völkerstrafrecht i. e. S.“1951 Gegen eine begriffliche Gleichsetzung des Völkerstrafrechts auf den engen Völkerstrafrechtsbegriff spricht insbesondere, daß das Völkerrecht prinzipiell keine unmittelbare Verpflichtung (und Berechtigung) von Einzelmenschen kennt. Eine unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit 1944 C. Hollweg, Das neue Internationale Tribunal der UNO und der Jugoslawienkonflikt, JZ 1993, 980 (983); dazu auch M. Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, S. 29 f. 1945 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 260; D. Schindler, Erga omnes-Wirkung des humanitären Völkerrechts, in: U. Beyerlein u. a. (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, in: Fs. R. Bernhardt, 1995, S. 210 f.; K. Ambos, Zur Bestrafung von Verbrechen im internationalen, nicht-internationalen und internen Konflikt, in: J. Hasse/E. Müller/P. Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, 2001, S. 325 (328 ff.). 1946 U.S. Court Appeals, D.C.Cir., United States vs. Fawas Yunis, 29.1.1991, ILM 30 (1991), S. 403, 408, der hierfür das Weltrechtsprinzip anwendet. 1947 Art. 19 des Genfer Übereinkommens über die Hohe See vom 29. 4. 1958 (United Nations Treaty Series 450, Nr. 6465; BGBl. 1972 II, S. 1091) ermächtigt die Staaten (every State may), Seeräuber (vgl. Definition Art. 15 des Übereinkommens) „auf Hoher See oder an einem anderen Ort, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht“, festzunehmen, und nach ihrer Rechtsordnung zu bestrafen. Art. 100–107 UNSeerechtsübereinkommen vom 10.12.1982, BGBl. 1994 II, S. 1799, ILM 21 (1982), S. 1261, verpflichten die Staaten zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Seeräuberei und definieren die Tatbestände der Seeräuberei. Dazu M. Halberstam, Terrorism on the High Seas, AJIL 82 (1988), S. 269 (287 ff.). 1948 Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes v. 9.12.1948, UNTS 78, p. 1021; BGBl. 1954 II, S. 729. Zur gewohnheitsrechtlichen Anerkennung, vgl. Reservations to the convention on the prevention and punishment of the crime of Genocide, ICJ Rep. 1951, 15, 23; BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 975 ff. 1949 Übereinkommen v. 17.12.1979, BGBl. 1980 II, S. 1361. 1950 Übereinkommen v. 14.12.1973 über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen, einschließlich Diplomaten. BGBl. 1976 II, S. 1745. Daneben gewohnheitrechtlicher Schutz. Hinweise zu den älteren Verträgen bei A. Verdross, Völkerrecht, S. 643 ff. 1951 K. Ipsen in: ders., Völkerrecht, 1999, S. 576, Rn. 1; M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, 1997, S. 544, Rn. 36, 37; M. Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, S. 27; G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 30, Rn. 71.

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Einzelner paßt nicht zum Wesen des Völkerrechts als zwischenstaatliches Recht.1952 Typisch für das Völkerrecht ist die Verantwortlichkeit der Staaten für das von Organen und Bürgern begangene Unrecht.1953 Ein entsprechender Anspruch des Einzelnen auf Schutz vor Straftaten durch (hinreichende) Strafgesetze und deren Ahndung ist im Völkerrecht hingegen nicht anerkannt.1954 Internationale Strafrechtsnormen, die eine unmittelbare Strafbarkeit von Individuen ohne Mediatisierung durch den jeweiligen Staat begründen, entsprechen der Typik des Weltrechts und sollen daher im Unterschied zum Völkerstrafrecht, das nur Strafverpflichtungen an die Staaten richtet, als Weltstrafrecht bezeichnet werden. 2. Weltrechtsprinzip im Strafrecht der Staaten Unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Täters sowie des Opfers (Personal- und Schutzprinzip) begründet das Weltrechtsprinzip1955 die Strafzuständigkeit jedes nationalen Strafgerichts für Verbrechen gegen Rechtsgüter der gesamten Menschheit1956 mit erga omnes-Wirkung1957, weil diese Rechtsgüter Angelegenheit eines jeden Staates sind. Daher ist jeder Staat berechtigt, im Fall von bindendem Völkerstrafrecht sogar verpflichtet, sie zu verfolgen1958, ohne daß dies als Einmischung in innere Angelegenheiten eines anderen Staates angesehen werden kann.1959 Die Präambel des Römischen Statuts erinnert an die Pflicht jedes Staates, schwere Verbrechen zu verfolgen und „seine Strafgerichts1952 C. C. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 1899, S. 329: „Denn wenn es richtig ist, . . . daß das Individuum nur Objekt, nicht Subjekt völkerrechtlicher Pflichten sein könne, so ist es undenkbar, daß eine ,Norm‘ des Völkerrechts vom einzelnen übertreten werde. Delikte des individuums, ,Verbrechen gegen das Völkerrecht‘ giebt (sic) es nicht“ s. a. M. Bohlander, Völkerrecht als Grundlage Internationaler Strafverfahren?, in: J. Hasse/E. Müller/P. Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, 2001, S. 393 (394). 1953 Vgl. den Entwurf der ILC zur Staatenverantwortlichkeit, Report of the International Law Commission on the work of its 48th session, UN General Assembly Official Records, 51st Session, Supp. 10 (A/51/1), III B. 1954 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 306. 1955 Dazu M. Henzelin, Le principe de l’universalité en droit pénal international. 2000; U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes, S. 380 ff.; K. F. Gärditz, Weltrechtspflege, 2006, S. 23 ff. 1956 Vgl. IGH, Barcelona Traction, ICJ Rep. 1970, 32, para. 33; IGH, Namibia, ICJ Rep. 1971, S. 16 § 56; IGH, Nicaragua vs. USA, ICJ Rep. 1986, S. 4, para. 134; vgl. auch schon die bei J. Delbrück, Erga omnes Norms in International Law, S. 20 ff., genannten Fälle. 1957 BVerfG, Kammerbeschluß v. 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 977, 979; vgl. auch BVerfGE 92, 277 (320 f.). 1958 S. Kadelbach, Anmerkung zum Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, JZ 2001, 981 (983); U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes, S. 383 ff.; vgl. dazu auch N. Schultz, Ist Lotus verblüht?, ZaöRV 62/3 (2002), S. 703 (733).

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barkeit über die für internationale Verbrechen Verantwortlichen auszuüben“. Das Weltrechtsprinzip ist damit eine Abkehr vom Souveränitätsdogma und ein weltrechtliches Element, das in den nationalen Rechtsordnungen wirksam wird. Es verwirklicht den universalen Durchsetzungsanspruch der menschheitlichen Verfassung.1960 Aus der Staatensouveränität abgeleitete völkerrechtliche Grenzen1961 des Weltrechtsprinzips, etwa das Territorialitäts- oder das Immunitätsprinzip (dazu 2. Teil, C, S. 171 ff.), setzen sich im weltrechtlichen Paradigma gegenüber dem Rechtsdurchsetzungsanspruch von ius cogens, jedenfalls im Falle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, nicht mehr durch.1962 Andererseits widerspricht das strafverfolgungsrechtliche Weltrechtsprinzip nicht per se dem Völkerrecht.1963 Nationale Strafgerichtsbarkeit findet ihre völkerrechtliche Grenze erst am Justizanspruch anderer Staaten.1964 In einigen völkerrechtlichen Verträgen ist das Weltrechtsprinzip sogar enthalten, so etwa in den Genfer Konventionen.1965 Nach Art. 49 der I. Genfer Konvention, Art. 50 der II. Genfer Konvention, Art. 129 der III. Genfer Konvention und Art. 146 der IV. Genfer Konvention ist jede Vertragspartei zu Strafverfahren gegen Personen verpflichtet, die eine dort näher materialisierte, schwere Verletzung des Völkerrechts begangen oder befehligt haben, unabhängig von der Nationalität des Beschuldigten.1966 Völkergewohnheitsrechtlich ist bisher ein strafrechtliches Weltrechtsprinzip ohne zusätzlichen territorialen oder personalen Anknüpfungspunkt nicht ausdrücklich etabliert.1967 Allerdings verfügen die Staaten über ein weites Ermessen, um bei Auslandssachverhalten für die inländische Jurisdiktion die ihnen geeignet erscheinenden Anknüpfungspunkte festzulegen, solange sie ihre staatliche Gewalt nicht auf fremdem Territorium ausüben.1968 Die Versuche nationaler Stellen, unter Berufung auf das Weltrechtsprinzip strafrechtliche Ermittlungen gegen Staatschefs oder andere führende Staatsvertreter, aber auch 1959 Dazu U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes, S. 380 ff. 1960 Ganz so auch M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 197. 1961 Vgl. StIGH, Lotus, Judgement No. 9, PCIJ, Ser. A; No. 10 (1927), S. 4, 18 f.; N. Schultz, Ist Lotus verblüht?, ZaöRV 62/3 (2002), S. 716 ff.; kritisch S. 735 ff. 1962 Vgl. N. Schultz, Ist Lotus verblüht?, ZaöRV 62/3 (2002), S. 740 ff.; U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes, S. 390 ff. 1963 Vgl. StIGH, Lotus, Judgement No. 9, PCIJ, Ser. A; No. 10 (1927), S. 18 f.; N. Schultz, Ist Lotus verblüht?, ZaöRV, 62 (2002), S. 725 ff. 1964 U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes, S. 382 f. 1965 Dazu A. Zimmermann, Auf dem Weg zu einem deutschen Völkerstrafgesetzbuch, ZRP, 2002, 98 f.; W. Karl, Das humanitäre Völkerrecht auf dem Weg vom Zwischenstaats- zum Weltrecht, in: W. Benedek u. a. (Hrsg.), Development and Developing International and European Law, 1999, S. 577 (586 f.). 1966 W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 699. 1967 W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 699 f. 1968 W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 700.

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gegen gewöhnliche Bürger dritter Staaten einzuleiten, denen Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden, haben zugenommen.1969 Verschiedene Staaten haben vor allem in den letzten Jahren die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in ihre nationalen Strafgesetzbücher oder in spezielle Erlasse aufgenommen, darunter Belgien1970, Kanada1971, Estland1972, Finnland1973, Frankreich1974, Kongo1975, Peru1976, Polen1977, Ruanda1978 und Slowenien1979. Insbesondere der Prozeß gegen den früheren Diktator Pinochet1980 hatte zahlreiche ähnliche Verfahren gegen andere Staatspräsidenten zur Folge.1981 Auch in Deutschland (vgl. § 1 VStGB, früher Art. 6 StGB a. F.) mußten sich bereits in der Vergangenheit Straftäter wegen der von ihnen begangenen Verbrechen des Völkermords verantworten.1982 Französische Gerichte haben im Fall Barbie entschieden, daß Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen 1969 W. Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 696; vgl. auch zum Fall Kongo/Belgien 2. Teil, C, S. 171 ff. 1970 Loi relative à la répression des violations graves de droit international humanitaire v. 10.2.1999, Moniteur Belge v. 23.3.1999, S. 9286. 1971 Kanadisches Strafgesetzbuch, S. 7 (3.76); vgl. auch den Entwurf vom Dezember 1999 zu einem Act respecting genocide, crimes against humanity and war crimes and to implement the Rome Statute of the International Criminal Court, and to make consequential amendments to other Acts the (Crimes Against Humanity Act, Bill C-19. 1972 Estnisches Strafgesetzbuch, Kapitel I, Art. 61 § 1, v. 9.11.1994, Riigi Teataja (Nationales Gesetzesblatt) I 1994, 83, 1447, 439. 1973 Finnisches Strafgesetzbuch, Kapitel 11, v. 21.4.1995, Suomen säädöskokoelman sopimussarja (Finnisches Gesetzesblatt) 1995/587. 1974 Französisches Strafgesetzbuch, Art. 212-1, Abs. 1, verabschiedet durch Gesetz Nr. 92-1336 v. 16.12.1992, geändert durch Gesetz Nr. 93-913 v. 19.7.1993, in Kraft seit 1. März 1994. 1975 Gesetz Nr. 8-98 vom 31.10.1998 über die Defintion und die Bestrafung des Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 1976 Gesetz Nr. 29626 über die Änderung einiger Bestimmungen des Peruanisches Strafgesetzbuches und Eingliederung der Sektion XIV-A betreffend Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom 30.1.1991. 1977 Polnisches Strafgesetzbuch, Gesetz v. 6.6.1997, Dziennik Ustaw Rzeczypospolitej Polskiej (Gesetzesjournal der Republik Polen), Nr. 88 vom 2.10.1997, Stück Nr. 553. 1978 Gesetz 8/96 vom 30.10.1996 über die Organisation der Verfolgung für Straftaten, welche seit dem 1.10.1990 das Verbrechen des Völkermordes oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen, in Kraft seit dem 1.9.1996. 1979 Slowenisches Strafgesetzbuch, Kap. 35, Straftaten gegen die Menschlichkeit und das Völkerrecht, veröffentlicht im Staatsblatt der Republik Slowenien Nr. 63 vom 13.10.1994, in Kraft seit 1.1.1995. 1980 Vgl. dazu die Entscheidungen des britischen House of Lords, ILM 1999, 430, 581; vgl. dazu K. Ambos, Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, JZ 1999, 16 ff. 1981 Dazu M. Ruffert, Pinochet Follow Up: the End of Souvereign Immunity, NILR 2001, 171 ff. 1982 Zuletzt BGHSt 45, 64 ff.; vgl. auch BVerfG Kammergerichtsbeschluß vom 12.12.2000, BVerfG JZ 2001, 975.

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die Menschlichkeit kraft Völkerrechts nicht der Verjährung unterliegen.1983 All dies sind Schritte auf nationaler Ebene zur Verwirklichung des Weltrechts.1984 3. Zur Entwicklung der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit Einzelner im Völkerrecht Die völkerrechtliche Typik ist auf dem Gebiet des Strafrechts durch eine zunehmende individuelle, unmittelbare „völkerrechtliche“ Verantwortlichkeit der Täter, die mithin als Subjekt des Völkerstrafrechts gelten1985 („Völkerstrafrecht im engeren Sinne“1986) in Richtung auf ein Weltstrafrecht modifiziert. Während im Mittelpunkt der völkerrechtlichen Betrachtungsweise die Staatenverantwortlichkeit1987 steht, geht es im Weltstrafrecht um die weltweite individuelle Haftbarkeit für Verbrechen (vor einem Weltstrafgericht), welche die gesamte Menschheit in elementaren Menschenrechten betreffen. Dazu zählen Angriffskriege, gewaltsame Errichtung oder Erhaltung kolonialer Herrschaft, Völkermord, Sklaverei, Apartheid, sonst schwere Verletzungen der Menschenrechte und erhebliche Schädigungen der Umwelt.1988 a) Kriegsverbrecherprozesse in der Vergangenheit Abgesehen von einzelnen Fällen in der Antike1989 fand der erste Kriegsverbrecherprozeß 1474 gegen Peter of Hagenbach vor einem Gericht statt, das sich aus Vertretern verschiedener Hanseatischer Städte zusammensetzte. Er wurde wegen grausamer Akte gegen die aufständische Zivilbevölkerung beschuldigt. Heute würden seine Handlungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet werden. Seine Einlassung, er habe auf Befehl seines Fürsten gehandelt, wurde zurückgewiesen mit der Begründung, daß er „gegen die Gesetze Gottes 1983 Cour de Cassation in re Barbie, Urt. v. 6.10.1983 u. v. 26.1.1984, J.D.I. 110 (1983), S. 779. 1984 M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 195. 1985 M. Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, S. 27. 1986 U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes durch weltweite Strafverfolgung, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 369 (371). 1987 Vgl. dazu S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 50 ff.; zu Stand und Inhalt der Kodifikationsentwürfe zum Recht der Staatenverantwortung; UN-Generalversammlung, A/Res 56/83 v. 12.12.2001, unter: www.un.org/Depts/dhl/resguide/r56c6. htm (30.4.2006); Ch. J. Tams, All’s Well That Ends Well, ZaöRV, 62 (2002), S. 759 ff. 1988 S. Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 66. 1989 Dazu P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 5; R. Merkel, „Lauter leidige Tröster“? Kants Friedensschrift und die Idee eines Völkerstrafgerichtshofs, in: ders./R. Wittmann (Hrsg.), „Zum ewigen Frieden“, 1996, S. 309 (327).

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und der Menschen“ verstoßen habe.1990 1907 legte die Haager Landkriegskonvention fest, daß deren völkerrechtliche Pflichten „die Kriegsführenden“ (vgl. Art. 1 ff., 21), also auch die Individuen, unmittelbar verpflichten und deren Verletzung eine strafrechtliche Sanktionierung zur Folge hat.1991 Das Londoner Viermächteabkommen vom 8. August 1945 über die Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achsenmächte und das darin integrierte Statut des Interalliierten Militärgerichtshofs (späterer Nürnberger Gerichtshof)1992 und das Kontrollratsgesetz1993 vom 20. Dezember 1945 erklärten neben den Kriegsverbrechen auch „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu unmittelbar nach Völkerrecht und durch dieses Gericht verfolgbaren Straftatbeständen.1994 Dazu gehören: „Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges . . ., und zwar unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß, in dem sie begangen wurde“ (Art. 6 lit. c des Statuts) sowie „Verbrechen gegen den Frieden“ (Art. 6 lit. a des Statuts). Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind auch dann strafbar, wenn die Gesetze eines Landes sie erlaubt haben. Jeder Einzelne hat sogar die Pflicht, nationale Gesetze zu übertreten, die inhaltlich völkerrechtlichen Regeln, welche grundlegende Menschenrechte schützen, widersprechen (vgl. Art. 7 und 8 des Statuts).1995 Damit sind die unmittelbare Anwendbarkeit und der Vorrang des Weltstrafrechts vor den nationalen Gesetzen kodifiziert worden.

1990 L. C. Green, Enforcement of the Law in Non-International Conflicts, in: Liber amicorum G. Jaenicke, 1998, S. 114; R. Merkel, Kants Friedensschrift und die Idee eines Völkerstrafgerichtshofs, S. 328. vgl. auch P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, 2001, S. 5 ff. zur Geschichte der Kriegsverbrecherprozesse. 1991 Anlage zum Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18.10.1907 (IV. Haager Abkommen), RGBl. 1910 II, S. 107. 1992 82 United Nations Treaty Series 279; Internationaler Militärgerichtshof, Verhandlungsschriften, amtlicher Text in deutscher Sprache, Nürnberg 1947, 42 Bände, Bd. 1, S. 7 ff.; zu dessen Rechtsnatur vgl. H. Ahlbrecht, Das Internationale Militärtribunal Nürnberg – Völkerrechtliches Strafgericht oder Internationales Besatzungsgericht, in: J. Hasse/E. Müller/P. Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, 2001, S. 365 ff.; allgemein G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 8 ff. 1993 Law No. 10 of 20 December 1945 of the Control Council for Germany (Control Council Law No. 10): Punishment of Persons Guilty of War Crimes, Crimes Against Peace and Against Humanity, Official Gazette of the Control Council for Germany, No. 3, p. 22. 1994 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 440; zu den Tatbeständen genauer: P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 41 ff.; vgl. auch K. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, 2004, S. 78 ff. 1995 Vgl. A. Cassese, Violence and Law in the Modern Age, 1988, S. 132; D. Held, Democracy and the Global Order, 1995, S. 101 f.

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Der Einzelne wird aus dem Verbrechenstatbestand, z. B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, unmittelbar verpflichtet und zur Verantwortung gezogen. Im Urteil des Nürnberger Gerichtshofs1996 über die Hauptkriegsverbrecher1997 ist zu lesen: „Daß das Völkerrecht Einzelpersonen so gut wie Staaten Pflichten und Verbindlichkeiten auferlegt, ist längst anerkannt worden . . . Verbrechen gegen das Völkerrecht werden von Menschen und nicht von abstrakten Wesen begangen, und nur durch Bestrafung jener Einzelpersonen, die solche Verbrechen begehen, kann den Bestimmungen des Völkerrechts Geltung verschafft werden . . . Diejenigen, die solche Handlungen begangen haben, können sich nicht hinter ihrer Amtsstellung verstekken, um in geordneten Gerichtsverfahren der Bestrafung zu entgehen.“

Weiter heißt es in dem Urteil über die Hauptkriegsverbrecher (S. 249, 250): „Es ist . . . der Wesenskern des Statuts, daß Einzelpersonen internationale Pflichten haben, die über die nationalen Gehorsamspflichten hinausgehen . . . Derjenige, der das Kriegsrecht verletzt, kann nicht Straffreiheit deswegen erlangen, weil er aufgrund der Staatsautorität handelte, wenn der Staat Handlungen gutheißt, die sich außerhalb der Schranken des Völkerrechts bewegen.“1998

Die Grundsätze der Judikatur von Nürnberg und ebenfalls des Tribunals von Tokio1999 argumentieren aus folgenden Gründen weltrechtlich: – Erstens, weil sie die staatsunabhängige, unmittelbare Verpflichtung von Einzelpersonen vorsehen, – zweitens, weil sie das aus dem Prinzip innerer staatlicher Souveränität fließende militärische Prinzip von „Befehl und Gehorsam“ relativieren und – drittens, weil sie den Vorrang bestimmter menschenrechtlicher Verbote beinhalten. b) Nürnberger Prinzipien Die Nürnberger Prinzipien, insbesondere die Inpflichtnahme des Einzelnen durch das Völkerrecht, sind in der Folgezeit vielfach bestätigt worden.2000 So hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Leitsätze der in Nürn1996 Dazu P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 15 ff.; allgemein zu den Nürnberger Urteilen K. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 78 ff. 1997 Internationales Militärtribunal von Nürnberg, Urt. v. 30. Sept.–1. Okt. 1946 gegen die größten Kriegsverbrecher (1947), Vol. I, S. 235, 249. 1998 Vgl. auch Urteil des District Court of Jerusalem vom 12.12.1961 im Fall Attorney-General of the Government of Israel v. Adolf Eichmann, ILR 36, 5 ff. 1999 Aufgrund der japanischen Kapitulation wurde ein „International Tribunal for the far East“ durch den Oberbefehlshaber der Allierten in Fernost eingesetzt. Die Grundsätze seines Statuts entsprechen dem von Nürnberg; vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 442; G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 13 ff.; K. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 131 ff.

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berg und Tokio gefällten Urteile am 11. Dezember 1946 als „Prinzipien des internationalen Rechts“ anerkannt.2001 Sie lauten: (1) Jede Person, welche ein völkerrechtliches Verbrechen begeht, ist hierfür strafrechtlich verantwortlich. (2) Auch wenn das Völkerrecht für ein völkerrechtliches Verbrechen keine Strafe androht, ist der Täter nach dem Völkerrecht strafbar. (3) Auch Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder sind für von ihnen begangene völkerrechtliche Verbrechen nach dem Völkerrecht verantwortlich. (4) Handeln auf höheren Befehl befreit nicht von völkerrechtlicher Verantwortlichkeit, sofern der Täter auch anders hätte handeln können. (5) Jeder, der wegen eines völkerrechtlichen Verbrechens angeklagt ist, hat Anspruch auf ein ordnungsgemäßes Verfahren. (6) Folgende Verbrechen sind als völkerrechtliche Verbrechen strafbar: a) Verbrechen gegen den Frieden, b) Kriegsverbrechen, c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit. (7) Verschwörung zur Begehung der genannten Verbrechen stellt ebenfalls ein völkerrechtliches Verbrechen dar. Eine völkervertragliche Einigung über die direkte völkerrechtliche Strafverantwortlichkeit Einzelner konnte jedoch lange nicht erzielt werden.2002 2000 UN doc. A/CN.4/34 vom 3. August 1950, S. 33, Formulation of the Nürnberg Principles, YILC 1950, vol. II, S. 374 f.; P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 54 ff.; dazu K. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 77 ff., 377 ff. 2001 Resolution 1/95, United Nations General Assembly, Official Records (Part II), S. 188; United Nations Document A/64/Add. I (1946); vgl. dazu eingehend K. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 77 ff.; Entwürfe der International Law Commission der UNO im Auftrag der Generalversammlung: „Draft Code of Offences against the Peace and Security of Mankind“; Texte im Yearbook of the International Law Commission 1950 II, 374 ff., 1954 II, S. 149 ff.; vgl. Report of the International Law Commission on the work of its thirty-fifth session, General Assembly Official Records, 38th session, Suppl. No. 10 (A/38/10); 1. Bericht des Special Rapporteur Doudou Thiam, UN Doc. A/CN. 4/364 v. 18.3.1983. 2002 H. Ahlbrecht, Das Internationale Militärtribunal Nürnberg, in: J. Hasse/E. Müller/P. Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, 2001, S. 365 (385). Die „Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with The Charter of the United Nations“ v. 24.10.1970, AJIL 65 (1971), S. 243 ff., führt nur aus: „(a) war of aggression constitutes a crime against the peace for which there is responsibility under international law“ v. 24.10.1970, AJIL 65 (1971), S. 243 ff. Sie läßt offen, ob sich die Verantwortlichkeit auf Aggressorstaaten oder auch auf verantwortliche Einzelne bezieht. Dazu L. C. Green, Enforcement of the Law in Non-International Conflicts, 1998, S. 113 ff.

F. Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht

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c) Rückwirkungsproblematik Strafvorschriften, die aus fundamentalen Menschenrechten (ius cogens) folgen, können Einzelnen entgegengehalten werden, weil sie als unmittelbar anwendbar angesehen werden, wie dies der Nürnberger Gerichtshof2003 und die späteren Tribunale für Jugoslawien und Ruanda praktiziert haben.2004 Die Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehört zum ursprünglichen Weltrecht sowie auch zum Völkergewohnheitsrecht.2005 Dieser Straftatbestand gilt daher gemäß Art. 25 GG auch in Deutschland unmittelbar. Aus dem Aspekt der Rechtssicherheit gab es jedoch eine gewisse Zurückhaltung gegen die unmittelbare Anwendung von ungeschriebenem Menschheitsrecht.2006 Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, „wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ Nach den völkerrechtlichen Regelungen darf niemand für eine Tat bestraft werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Strafrecht nicht strafbar war und darüber hinaus auch nicht „den von der Völkergemeinschaft anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen“ widerspricht (vgl. Art. 11 Abs. 2 AEMR, Art. 15 Abs. 2 IPbpR), ist in den Art. 15 Abs. 1 IPbpR, Art. 7 EMRK, Art. 9 AMRK, Art. 7 Ziff. 2 AfCRMV, Art. 22 Abs. 2 Satz 1 Römisches Statut, geregelt. Dies gilt auch für Verfahren vor Militärgerichten.2007 Während das grundgesetzliche Rückwirkungsverbot eine gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit fordert, genügt nach den völkerrechtlichen Regelungen auch ein allgemeiner Rechtsgrundsatz (Art. 15 Abs. 2 IPbpR, Art. 7 Abs. 2 EMRK) oder Gewohnheitsrecht.2008 Ob es ausreicht, daß die fragliche Handlung als verbrecherisch gilt, ohne daß eine ausdrückliche Strafandrohung erforderlich ist2009, ist zweifelhaft. Unter diesem Aspekt des Rückwirkungsverbots2010 und dem Vorwurf der Siegerjustiz sind die Urteile des Nürnberger Prozesses2011 kritisiert worden.2012 2003 Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg, Verhandlungsschriften, amtlicher Text in deutscher Sprache, Bd. XXIII, S. 466 (524 ff., 533 ff., 565 f.). 2004 K. Doehring, Völkerrecht, S. 297. 2005 U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes, S. 372. 2006 Zur Unbestimmtheit des Naturrechts H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, JZ 1997, 421 (429). 2007 S. Art. 99 GA III, Art. 65 Satz 2, Art. 67 GA IV, Art. 75 Abs. 4 lit. c ZP I, Art. 6 Abs. 2 lit. c ZP II. 2008 M. Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, S. 37 ff.; vgl. den Vorbehalt Deutschlands zu Art. 7 EMRK, BGBl. 1954 II, S. 14. 2009 P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 120; vgl. auch Art. 99 der III. Genfer Konvention; dazu auch R. Merkel, „Lauter leidige Tröster“? S. 333 ff. 2010 Vgl. dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 266; Art. 7 Abs. 2 EMRK verbietet rückwirkende Strafgesetze nicht generell. Der deutsche Vorbehalt,

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

Jetzt ergibt sich eine gesetzliche Bestimmung aus dem Römischen Statut i.V. m. dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch. Vorher gelangten die deutschen Gerichte durch rechtsstaatliche Uminterpretation der NS-Bestimmungen ohne Anwendung der Nürnberger Prinzipien zur Strafbarkeit und vermieden so die Rückwirkungsproblematik.2013 Diese stellte sich ähnlich bei der Aufarbeitung der Verbrechen des DDR-Regimes2014, welche der Bundesgerichtshof durch eine DDRverfassungskonforme und „menschenrechtsfreundliche“ Interpretation der DDRVorschriften2015 zu lösen versucht hat.2016 Immerhin wird damit die Maßstäblichkeit des Menschheitsrechts anerkannt. Deshalb hat der Europäische Menschengerichtshof die Methode der menschenrechtskonformen Interpretation der DDR-Strafbarkeitsvorschriften gebilligt.2017 Er betont aber gleichzeitig, daß die menschenrechtswidrige Praxis des DDR-Grenzregimes kein „Recht“ im Sinne des Art. 7 EMRK sei.2018 Weder das Dritte Reich noch die DDR waren als Unrechtsordnungen in der Lage, „Recht“ hervorzubringen.2019 Dieser methodische Ansatz überzeugt deshalb nicht; weil er das Unrechtssystem leugnet.2020 Das wonach diese Vorschrift nur in den Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG angewendet werden soll, greift nur im Rahmen der Grenzen des Rückwirkungsverbotes, die das Bundesverfassungsgericht aufgezeigt hat: BVerfG, 2 BvQ 60/99 vom 12.1.2000, Abs.Nr. (1–13), www.bverfg.de; BVerfGE 95, 96 (133). 2011 Dazu K. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, 2004, S. 78 ff., zum Rückwirkungsverbot in der Auslegung des Internationalen Militärgerichtshofs S. 111. 2012 Siehe das Gutachten 1945 von C. Schmitt, Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffkrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege“, 1994, S. 81; vgl. auch H. Ahlbrecht, Das Internationale Militärtribunal Nürnberg, S. 365 ff. 2013 G. Werle, Rückwirkungsverbot und Staatskriminalität, NJW 2001, 3002 f. 2014 Dazu R. Alexy, Mauerschützen. Zum Verhältnis von Recht, Moral und Strafbarkeit, 1993; S. Laskowski, Das Problem des Rechtsstaates mit dem DDR-Unrecht, JA 1994, 151 ff.; A. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel vom gesetzlichen Unrecht und vom übergesetzlichen Recht in der Diskussion um das im Namen der DDR begangene Unrecht, NJW 1995, 81 ff. Nach dem im Einigungsvertrag vom 31.8.1990 und im Einigungsvertragsgesetz vom 23.9.1990 sowie in Art. 315 Abs. 1 EGStGB niedergelegten Grundsatz, sollte für Straftaten, die Bürger der DDR innerhalb des Territoriums der DDR begangen haben, das Recht der DDR zur Anwendung kommen und das Recht der Bundesrepublik Deutschland nur angewendet werden, wenn es milder als das der DDR ist. 2015 BGHSt 39, 1 (24 ff.); vgl. auch BGHSt 39, 168 (185); 40, 30 (42); 41, 101 (106 ff.); kritisch dazu K. A. Schachtschneider, Sozialistische Schulden nach der Revolution, 1996, S. 16 ff. 2016 Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, daß es im Falle eines Verstoßes der DDR-Rechtfertigungsgründe gegen (internationale) Menschenrechte, bei dem auch im DDR-Recht (wie in allen Rechtsordnungen) grundsätzlich strafbaren Tötungstatbestand bleibt, nimmt aber keine Stellung zu der menschenrechtskonformen Auslegung der DDR-Regeln. vgl. BVerfGE 95, 96 (132 ff.). 2017 Vgl. EGMR vom 22.3.2001, NJW 2001, 3035 ff.; vgl. auch EGMR vom 22.3. 2001, NJW 2001, 3042. 2018 EGMR, NJW 2001, 3040 Rn. 87.

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Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG setzt als rechtsstaatliches Gebot die Kontinuität des Rechtsstaats und nicht die von Unrechtsordnungen voraus.2021 Systematische Verletzungen der Rechtsstaatsprinzipien und der Menschenrechte begründen keinen Vertrauenstatbestand.2022 Das Welt- und Völkerstrafrecht bindet den Gesetzgeber und steht menschheitsrechtswidrigen Legalisierungen entgegen.2023 Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann Völkerrecht zur Auslegung von Straftatbeständen mit herangezogen werden, ohne daß dies gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. Im Fall Jorcic2024 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die auch am Völkerrecht orientierte, weitere Auslegung des Begriffs „Zerstörungsabsicht“ in § 220a StGB durch die Instanzgerichte nicht Art. 103 Abs. 2 GG verletze.2025 Mit der Radbruchschen Formel2026 hat die deutsche Rechtsprechung die Unrechtmäßigkeit gesetzlicher Rechtfertigungsgründe begründet, was die Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG2027 ausschließt. Im Falle evidenter Ungerechtigkeiten ergeben sich aus dem Aspekt der Rechtssicherheit keine Bedenken, weil die Frage von Recht und Unrecht in diesen Fällen ohne weiteres nach Vernunftmaßstäben erkennbar ist.2028 Damit hat die Radbruchsche Formel wie die Anwendung von Weltrecht keinen problematisch rückwirkenden Effekt.2029 2019

So auch G. Werle, Rückwirkungsverbot und Staatskriminalität, NJW 2001,

3003. 2020 Kritisch auch H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, JZ 1997, 427; G. Werle, Rückwirkungsverbot und Staatskriminalität, NJW 2001, 3005, 3007; vgl. auch M. Rau, Deutsche Vergangenheitsbewältigung vor dem EGMR, NJW 2001, 3008 (3010 ff.). 2021 A. A. H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, JZ 1997, 431 f. 2022 Internationaler Militärgerichtshof, Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher, 1947, Bd. 1, S. 245; G. Werle, Rückwirkungsverbot und Staatskriminalität, NJW 2001, 3003; vgl. auch BGHSt 41, 101 (112), aber nur für solche gravierenden Unrechtsfälle, in denen auch das Gericht keine Möglichkeit mehr für eine menschenrechtskonforme Auslegung sähe; vgl. einschränkend R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 2002, S. 101 ff. 2023 G. Werle, Rückwirkungsverbot und Staatskriminalität, NJW 2001, 3003. 2024 BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 977; vgl. auch BVerfGE 92, 277 (324). 2025 BVerfG, 2 BvR 1290/99, Rn. 19 ff. 2026 BVerfGE 3, 58 (119); 3, 225 (231 ff.); 6, 132 (198); 6, 389 (414 ff.); 23, 98 (105 ff.): 54, 53 (67 f.); 95, 96 (134 ff.); kritisch dazu H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, JZ 1997, 421 ff. 2027 Nach überwiegender Ansicht umfaßt das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 auch die Rechtfertigungsgründe H. Rüping, in: Bonner Kommentar, Art. 103 Abs. 2 (1990), Rn. 67 ff.; P. Pieroth, in: Jarass/ders., GG, Art. 103, Rn. 42; H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, JZ 1997, 431. 2028 R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 90 ff.; vgl. dazu auch 4. Teil, A, S. 495.

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d) Rechtssicherung durch Positivierung Auch wenn das Rückwirkungsverbot im Falle von Menschheitsverbrechen nicht greift, bedeutet ihre positive Formulierung in Gesetzen oder Verträgen ein Stück mehr Rechtssicherheit und Effektivität. In jüngerer Zeit erfuhren sie eine positivrechtliche Festlegung durch die Statute der Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien2030 und Ruanda2031. In der Resolution 764/ 1992 hat der Sicherheitsrat bestätigt, daß Personen, die im ehemaligen Jugoslawien schwere Verletzungen des Humanitären Völkerrechts begangen haben, individuell dafür verantwortlich sind.2032 Art. 7 des Statuts des Jugoslawientribunals bestimmt: „Wer ein in den Artikeln 2 bis 5 dieses Statuts genanntes Verbrechen geplant, angeordnet, begangen oder dazu angestiftet hat oder an dessen Planung, Vorbereitung oder Ausführung auf andere Weise beteiligt war, ist für das Verbrechen unmittelbar verantwortlich“.

Schließlich regelt das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (ICC-Statut)2033 Straftatbestände von Menschheitsverbrechen sowie in Art. 25 den Grundsatz individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof. e) Ergebnis Für die Entwicklung vom Völkerstrafrecht zum Weltstrafrecht sind die Nürnberger Prinzipien ein Meilenstein gewesen. Der Paradigmenwechsel zeigt sich 2029 BGH, NJW 1995, 2730: „bb) Würde ein gesetzlicher Rechtfertigungsgrund unter Mißachtung dieser Grundsätze ausdrücklich die (bedingt oder unbedingt) vorsätzliche Tötung von Menschen gestatten, die nichts weiter wollen, als unbewaffnet und ohne Gefährdung anerkannter Rechtsgüter die innerdeutsche Grenze zu überschreiten, so müßte er bei der Rechtsanwendung unbeachtet bleiben. Der Bestrafung stände dann Art. 103 Abs. 2 GG nicht entgegen. Denn der Rechtfertigungsgrund hätte wegen der Offensichtlichkeit des in ihm verkörperten Unrechts niemals Wirksamkeit erlangt cc) Entsprechendes gilt für eine Staatspraxis, die eine nach den vorhandenen Rechtsvorschriften mögliche, die allgemein geltenden und anerkannten Menschenrechte respektierende Gesetzesauslegung außer acht läßt.“ Vgl. H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, JZ 1997, 431. 2030 S/Res/764 v. 13.7.1992, para. 10; Art. 7, 24 des Statuts, das als Anlage der Resolution UN Security Coucil S/Res/827 vom 25.5.1993 beigefügt ist. Dazu P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 59 ff. 2031 Annex zur Resolution UN Security Coucil S/Res/955 vom 8.11.1994; dazu P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 125 ff. 2032 UN Security Council R/Res/764 vom 13.7.1992, Para. 10. 2033 UN Doc. A/CONF. 183/9, 17.7.1998; ILM 37 (1998), S. 1002; BGBl. 2000 II, S. 1394.

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darin, daß die internationale Gemeinschaft zunehmend bereit ist, auch nichtstaatliche Akteure an überstaatliche, eben nicht mehr völkerrechtliche2034, sondern weltrechtliche Regeln zu binden und zum Teil vor Weltinstanzen zur Verantwortung zu ziehen. Mit der Positivierung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist mehr Rechtssicherheit in der Durchsetzbarkeit erzielt worden. Von diesem Ausgangspunkt aus und in der Erkenntnis, daß letztlich immer nur Menschen entscheiden und handeln, könnte sich auch die unmittelbare Anwendbarkeit von Vorschriften, die nicht dem kriminellen Unrecht zugerechnet werden, durchsetzen.2035 4. Entwicklungen einer Weltstrafgerichtsbarkeit Das Weltstrafrecht ist unzweifelhaft mit der Befugnis zu zwingen verbunden2036 und die ultima ratio zur Durchsetzung der Menschenrechte. Die primäre Befugnis zur Durchsetzung des Völkerstrafrechts, zur Strafverfolgung und Verurteilung liegt bei den Einzelstaaten.2037 Eine Fortentwicklung in der Weltrechtsdurchsetzung und eine weitere Einbindung der Einzelstaatlichkeit zeigen sich in der Schaffung einer neben den Staaten bestehenden Strafverfolgungsinstanz, einem Weltstrafgericht.2038 Ein solches institutionalisiert ein Stück Weltstaatlichkeit.2039 Die Tribunale von Jugoslawien und Ruanda sowie die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofs2040 in Den Haag sind wesentliche Schritte zur Etablierung einer Weltgerichtsbarkeit.2041

2034 So S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 276. 2035 S. Hobe, Völkerrecht im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 276. 2036 Vgl. dazu K. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf der Grundlage der Kantischen Rechtslehre, 2005, S. 168 ff. 2037 G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 78, Rn. 196. 2038 Vgl. G. Hafner, Souveränität versus Ordre Public: Der Internationale Strafgerichtshof, in: W. Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht der Jahrtausendwende, 2002, S. 325 (329 f.). 2039 Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 371. 2040 Siehe Rome Statute of the International Criminal Court vom 10.12.1998 (ILM 37 (1998), S. 1002; BGBl. 2000 II, S. 1394); die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 sieht in Art. VI die Einrichtung einer solchen Instanz vor. Vgl. auch G. Hafner, Souveränität versus Ordre Public, S. 332 ff. 2041 Vgl. M. Hilf, The Role of International Courts in International Trade Relations, in: E.-U. Petersmann (Hrsg.), International Trade Law (1997), 1999, S. 561 (565).

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a) Problematik der Ad-hoc-Tribunale Die Bemühungen um einen International Criminal Court auf der Ebene der Vereinten Nationen blieben lange vergebens.2042 Ein erster bedeutender Schritt war die Einrichtung spezieller Tribunale für die Aburteilung von Völkermordverbrechen von Personen im ehemaligen Jugoslawien (1993)2043 und in Ruanda (1994)2044. Es handelt sich um Ad-hoc-Tribunale mit dem Mandat, Verbrechen, die in einer bestimmten Region zu einer bestimmten Zeit begangen worden sind, abzuurteilen.2045 Alle in den Konflikt verwickelten Parteien unterliegen potentiell ihrer Gerichtsbarkeit.2046 Die Tribunale sind institutionell keine Internationalen Gerichte, allenfalls funktional, sondern Unterorgane des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Art. 29 UN-Charta).2047 Sie sind nicht – wie für Internationale Gerichte üblich – durch völkerrechtlichen Vertrag geschaffen worden. Dessen Zustandekommen hätte längere Zeit in Anspruch genommen und Rest-Jugoslawien hätte dem nicht zugestimmt.2048 Vielmehr sind sie vom UN-Sicherheitsrat – noch während die Konflikte andauerten – durch Resolution auf der Grundlage des Kapitels VII der UN-Charta errichtet worden.2049 Art. 25 UN-Charta verpflichtet jeden Mitgliedstaat erzwingbar zur Zusammenarbeit mit den Ad-hoc-Tribunalen.2050 Art. 9 Abs. 2 des Gerichtsstatuts des JugoslawienTribunals ermöglicht dem Gericht, jedes Verfahren in seinem Zuständigkeitsbereich an sich zu ziehen. Damit ist das Ad-hoc-Tribunal sogar vorrangig zuständig vor der nationalen Gerichtsbarkeit.2051 Auf diese Weise hat der Sicherheitsrat funktional Weltstaatsrecht gesetzt.2052 2042 W. Bausback, 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, BayVBl. 1999, 708; R. Merkel, Kants Friedensschrift und die Idee eines Völkerstrafgerichtshofs, S. 337 ff. 2043 Der UN-Sicherheitsrat richtete das Internationale Strafgericht für das frühere Jugoslawien (ICTY) mit den Resolutionen 808/22/2/1993 und 847/25/5/1993 nach Kap. 7, Art. 39 UN-Charta ein. Statute of the International Tribunal (adopted 25.5.1993, as amended 13.5.1998) www.un.org/icty/basic/statut/statute.htm. 2044 S/Res 995 (1994) vom 8.11.1994; Statute of the International Tribunal for Ruanda, www.ictr.org/statue.html. 2045 Zu den Urteilen der Ad-hoc-Tribunale der UNO K. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 259 ff. 2046 Dazu D. Archibugi, From the UN to Cosmopolitan Democracy, in: ders./D. Held, Cosmopolitan Democracy, 1995, S. 121 (146). 2047 P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 73 f.; BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 980. 2048 P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 65. 2049 G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 18. 2050 G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 18. 2051 Deutschland lieferte Tadic, der in Deutschland verhaftet worden war und dort verurteilt werden sollte, damit dieser vor das Jugoslawien-Tribunal gestellt werden konnte, aus, obwohl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagte und auf

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Dem Subsidiaritätsgedanken zufolge (dazu 5. Teil, B, 3. Teil, S. 320 ff.) erscheint es zunächst nicht einleuchtend, daß das Tribunal die Zuständigkeit auch in den Fällen beansprucht, in denen die Staaten willens und in der Lage sind, Unrecht zu ahnden. Eine gewisse Erklärung und Notwendigkeit könnte sich daraus ergeben, daß das Tribunal ausschließlich zu diesem temporären Zweck geschaffen worden ist und durch eine einheitliche und zügige Behandlung der Verbrechen den Weltfrieden wieder herstellen soll. Für den Fall, daß das Tribunal auf seine Zuständigkeit verzichtet, bleiben nationale Gerichte zuständig.2053 Obwohl das Jugoslawien- und das Ruanda-Tribunal keine permanenten Organe mit Strafverfolgungskompetenz sind, ist es problematisch, ob der Sicherheitsrat eine Befugnis hat, solche Ad-hoc-Tribunale zu installieren. Die UNCharta sieht abgesehen von der Einrichtung von „Unterorganen“ (Art. 29 UNCharta) eine Ermächtigung zur Gründung neuer Organe nicht vor.2054 Dafür wäre eine Vertragsänderung nötig. Zu Recht hat der ständige Internationale Gerichtshof im Wimbledon-Fall festgestellt, daß Kompetenzen, die von den Staaten nicht ausdrücklich übertragen worden sind, nicht so behandelt werden können, als seien sie übertragen worden.2055 Sie beruhen nämlich dann nicht auf dem Willen der Völker und der Gesetzlichkeit allen Handelns, die auch für die Einbindung in die Vereinten Nationen nicht aufgegeben werden darf. Diese Grundsätze werden für diese nicht allein dadurch erfüllt, daß rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze beachtet werden.2056 Fraglich ist, ob die Institutionalisierung von Ad-hoc-Tribunalen nicht über die Möglichkeit, Unterorgane zu schaffen, hinausgeht. Insbesondere die Unabhängigkeit der Richter paßt nicht zum Charakter eines (vom Sicherheitsrat abhängigen) Unterorgans. Die funktionale Begrenzung auf einen bestimmten Friedenszweck wiederum spräche für den Unterorgancharakter. In seinem Gutachten vom 13. Juli 1954 hat der Internatio-

deutschem Territorium ergriffene Personen der deutschen Strafverfolgung unterworfen sind (vgl. § 6 Abs. 1 StGB). In ähnlicher Weise hat Tansania gehandelt, um Akayesu dem Ruanda-Tribunal zu unterwerfen. Dazu L. C. Green, Enforcement of the Law in Non-International Conflicts, S. 139 ff. 2052 Vgl. R. Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JZ 2001, 365 (367). 2053 Zum konkurrierenden Verhältnis zwischen nationalen Gerichten und Jugoslawientribunal BVerfG, 2 BvR 1290/99, Rn. 46; M. Kotzur, Weltrecht ohne Weltstaat, DÖV 2002, 195 (199 f.), der hierin ein „Kooperationsverhältnis“ erkennt. 2054 Dazu L. C. Green, Enforcement of the Law in Non-International Conflicts, S. 133 ff.; P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 64 ff.; R. Merkel, Kants Friedensschrift und die Idee eines Völkerstrafgerichtshofs, S. 341; C. Hollweg, Das neue internationale Tribunal der UNO und der Jugoslawienkonflikt, JZ 1993, 980 (981 ff.); kritisch auch B. Graefrath, Jugoslawien und die internationale Strafgerichtsbarkeit, in: G. Hankel/G. Stuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, 1995, S. 295 (297 ff.). 2055 PCIJ, Wimbledon, 1923, Series A, No. 1, 1. 2056 Vgl. die Gegenansicht der Appeal Chamber, ICTY, The Prosecutor vs. Tadic, ILM 35 (1996), 42 ff., para 41–47.

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nale Gerichtshof einen UN-Verwaltungsgerichtshof2057 als Unterorgan gebilligt.2058 Die Berufungskammer des Jugoslawien-Tribunals sah die Errichtung des Adhoc-Tribunals und seine eigene Zuständigkeit als Maßnahme gegen einen Friedensbruch oder zumindest eine Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 UNCharta auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien für zulässig an. Dies, obgleich die Charta die Errichtung von Ad-hoc-Tribunalen nicht unter den Maßnahmen nennt, die der Sicherheitsrat gegen Friedensbrüche oder -bedrohungen treffen kann (vgl. insbesondere Art. 41).2059 Der Sicherheitsrat hatte mit der Resolution 808 vom 22. Februar 1993 eine Weltfriedensbedrohung festgestellt.2060 Als wesentliche Ursache wurde die schwere Verletzung Humanitären Völkerrechts angeführt.2061 In seiner Resolution 827 vom 25. Mai 19932062 nimmt der Sicherheitsrat an, daß unter den speziellen Umständen des früheren Jugoslawiens die Errichtung einer gerichtlichen Instanz zur Wiederherstellung und Erhaltung des Friedens beitragen würde und als Akt unter Kapitel VII UN-Charta einzuordnen sei. Auch wenn die in Art. 41 genannten nicht-militärischen Handlungsbefugnisse nicht abschließend sein mögen2063, müssen die aufgrund dieser Bestimmung getroffenen Maßnahmen eine vergleichbare Qualität haben, dürfen also den begrenzten Ermächtigungsrahmen der UNO nicht sprengen. Andernfalls könnte sogar eine „Ad-hoc-Weltregierung“ gerechtfertigt werden. Gerade die strafrechtliche Verfolgung, die mit schweren Eingriffen gegenüber Einzelnen verbunden ist, bedarf einer breiteren Legitimationsgrundlage als eines Beschlusses des Sicherheitsrates.2064 Diese könnte zusätzlich in einer gewohnheitsrechtlichen Absicherung zu sehen sein. Nachdem die Generalversammlung das Tribunal gebilligt, und kein Mitgliedsstaat seiner Errichtung widersprochen hat, existiert immerhin eine gemeinsame Rechtsüberzeugung, die sich auch in Anerkennungsübung manifestiert.

2057

Gegründet durch Resolution der Generalversammlung A/Res 351(IV) v. 24.11.

1949. 2058

ICJ, Advisory Opinion, ICJ Rep. 1954, 47 (56 ff.). ICTY, The Prosecutor vs. Tadic, ILM 35 (1996), 42 ff., para. 32 ff.; die Berufungskammer betont das weite (aber nicht grenzenlose) Ermessen bei der Auswahl geeigneter Maßnahmen; dazu L. C. Green, Enforcement of the Law in Non-International Conflicts, S. 135 ff.; P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verantwortung von Individuen, S. 68 ff. 2060 S/Res/808 v. 22.2.1993, para. 7. 2061 S/Res/808 v. 22.2.1993, para. 6 f.; siehe auch S/Res/827 v. 25.5.1993, para. 3. 2062 S/Res/827 v. 25.5.1993. 2063 P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 68 f. 2064 Vgl. auch P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 75 f. 2059

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Tendenziell ist eine Ad-hoc-Gerichtsbarkeit dem Willkürvorwurf ausgesetzt. Auch die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens war vor den Tribunalen nicht gesichert. Obwohl nach Art. 29 des Statuts des Jugoslawientribunals2065 die Staaten verpflichtet sind, mit den Tribunalen zu kooperieren2066 und Rechtshilfeersuchen oder gerichtlichen Anordnungen unverzüglich nachzukommen2067, verweigerten dies manche Staaten. Deshalb griffen die Ermittler, unterstützt durch die internationale Friedenstruppe in Jugoslawien, teilweise zu Methoden nach dem nicht rechtsstaatlichen und freiheitswidrigen Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“.2068 Um solche Willkür zu vermeiden, verlangt das Rechtsprinzip nach einem aufgrund eindeutigen Mandats der Völker errichteten, ständigen Weltstrafgericht mit weltweiter Zuständigkeit und rechtsstaatlichem Verfahren.2069 Seit Inkrafttreten des ICC-Statuts, welches eine abschließende Internationale Strafgerichtsbarkeit institutionalisiert, darf der UN-Sicherheitsrat keine Ad-hocTribunale mehr auf Grund des Kapitels VII der UN-Charta errichten2070; denn dies würde unzulässig in die vertraglich vorgesehene Funktionenordnung eingreifen.2071 Gegebenenfalls muß er Situationen gemäß Art. 13b ICC-Statut an den Internationalen Strafgerichtshof überweisen. Auf diese Weise können auch kontinuierliche Grundsätze für das Strafverfahren entwickelt werden, an denen es bei der Ad-hoc-Gerichtsbarkeit notgedrungen fehlt.2072 b) Entstehung des Internationalen Strafgerichtshofs Bereits 1872 hatte der Schweizer Gustave Moynier unter dem Eindruck der im preußisch-französischen Krieg von 1870/71 begangenen Grausamkeiten den ersten förmlichen Vorschlag zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs unterbreitet.2073 Im Zeitalter der Nationalstaaten und des ausgeprägten 2065

UN-Doc. S/25704, annex = 32 ILM, 1993, 1192 f. P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 83 f. 2067 Dazu S. Wäspi, Die Arbeit der Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, NJW 2000, 2449 (2451 ff.). 2068 Vgl. S. Wäspi, Die Arbeit der Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, NJW 2000, 2452 f. 2069 Vgl. D. Archibugi, From the UN to Cosmopolitan Democracy, S. 146. 2070 Vgl. dazu P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 187, der eine gegenteilige Auffassung vertritt. 2071 Vgl. C. Hollweg, Das neue internationale Tribunal der UNO und der Jugoslawienkonflikt, JZ 1993, 980 (981 ff.). 2072 Dazu M. Bohlander, Völkerrecht als Grundlage Internationaler Strafverfahren?, in: J. Hasse/E. Müller/P. Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, 2001, S. 393 (396 ff.) mit ausführlicher Auswertung der Rechtsprechung des Jugoslawien-Tribunals im Fall Tadic. 2073 Ch. K. Hall, The first proposal for a permanent international criminal court, International Review of the Red Cross, No. 322, 1998, p. 57 ff. 2066

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Souveränitätsdenkens hatte dieser Vorschlag aber keine Chance. Auch Hans Kelsen hat sich in seinem Werk ,Peace through Law‘ für individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit und für einen Internationalen Strafgerichtshof ausgesprochen und für diesen einen Vertrag entworfen.2074 Vor allem wegen der während des Zweiten Weltkriegs begangenen Verbrechen und unter dem Eindruck der Tätigkeit der Internationalen Militärgerichtshöfe von Nürnberg und Tokio wurde diese Idee in den Vereinten Nationen bald nach ihrer Gründung wach gehalten.2075 Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen legte mehrere Entwürfe für ein internationales Strafgesetzbuch vor.2076 Am 15. Juni 1998 wurde die Staatenkonferenz zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs von dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, in Rom eröffnet. Dem Globalisierungstrend entsprechend haben auf die Kodifizierung des Statuts mehr als 200 Nichtregierungsorganisationen sowie Einzelpersonen Einfluß genommen.2077 Die Verhandlungen waren von erheblichen Meinungsverschiedenheiten geprägt. Deshalb mußten in Rom vielfältige Kompromisse zu zahlreichen Einzelfragen des Statuts gefunden werden. Schließlich ist der Internationale Strafgerichtshof2078 mit Sitz in Den Haag während der Staatenkonferenz vom 15. Juni bis 17. Juli 1998 in Rom ins Leben gerufen worden.2079 Die hohe Anzahl von Ratifikationen (60), die für das Inkrafttreten des Statuts am 1. Juli 2002 erforderlich war2080, soll den Universalitätsanspruch des Gerichts manifestieren. Die Staatengemeinschaft unterwirft sich damit partiell einer dem Frieden und der Sicherheit verpflichteten Weltrechtsordnung.2081 Solange allerdings Staaten wie die USA, China, Rußland, Indien und Israel2082 das Römische Statut ablehnen, 2074

H. Kelsen, Peace through Law, (1944) 1973, S. 71 ff., 141 ff. Vgl. zur Entwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit auch U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes, S. 372 ff.; G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 21 ff. 2076 Dazu K. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 443 ff. 2077 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, 2001, S. 281 f.; dazu K. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 475 ff. 2078 Dazu Ch. Tomuschat, Das Statut von Rom für den internationalen Strafgerichtshof, Friedens-Warte 73 (1998), S. 335 ff.; A. Zimmermann, die Schaffung eines ständigen internationalen Strafgerichtshofs, ZaöRV 58 (1998), S. 335 ff.; K. Ambos, Der neue Internationale Strafgerichtshof – ein Überblick, NJW 1998, 3743 ff.; C. Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, EuGRZ 1998, 577 ff.; U. Fastenrath, Der Internationale Strafgerichtshof, JuS 1999, 632 ff. 2079 120 Staatenvertreter haben das Statut des International Criminal Court (ICC) bei 7 Gegenstimmen (China, Irak, Israel, Jemen, Katar, Lybien und USA) und 21 Enthaltungen verabschiedet. Vgl. S. von Schorlemmer, ICC, in H. Volger, Lexikon der Vereinten Nationen, S. 248. 2080 Vgl. Art. 126 ICC-Statut; zum derzeitigen Ratifikationsstand siehe unter http:// untreaty.un.org/ENGLISH/bible/englishinternetbible/partI/chapterXVIII/treaty10.asp (2.7.2006). 2075

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kann es noch keine wirklich universelle Geltung und der Internationale Gerichtshof nur eine eingeschränkte Weltzuständigkeit entfalten. Die USA lehnen eine Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs für US-Soldaten, die an sogenannten humanitären militärischen Aktionen teilgenommen haben, ab.2083 Voraussetzung für ein echtes Weltstrafgericht ist, daß die USA zu der Einsicht findet, daß allein die gemeinschaftliche Rechtsdurchsetzung, nicht aber Krieg, das Mittel ist, um die allgemeine Freiheit der Menschheit zu verwirklichen. Die Entwicklung des Weltstrafrechts durch effektive Implementierung des Römischen Statuts liegt einstweilen in den Händen der Staaten, die das Statut ratifiziert haben. Das Statut ist ein umfassender völkerrechtlicher Vertrag, in dem es gelungen ist, das Völkerstrafrecht unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Strafrechtssysteme der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen mit ihren jeweiligen Traditionen in einem einheitlichen Kodifikationswerk zusammenzuführen und fortzuentwickeln. Damit ist das Statut ein bedeutsamer Fortschritt in dem Bemühen, die rule of law in den internationalen und globalen Beziehungen zu etablieren. Art. 27 ICC-Statut stellt klar, daß die Position eines Staats- und Regierungschefs nicht vor der strafrechtlichen Verantwortlichkeit schützt. c) Institution des Internationalen Strafgerichtshofs Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ist als ständige Einrichtung mit Sitz in Den Haag in den Niederlanden, neben dem bereits dort ansässigen Internationalen Gerichtshof, institutionalisiert worden (Art. 1 ICC-Statut). Die Beziehungen zu den Vereinten Nationen werden durch ein spezielles Abkommen geregelt (Art. 2 ICC-Statut).2084 Der Gerichtshof ist nicht Teil der Vereinten Nationen, sondern eine selbständige Völkerrechtsperson (Art. 4 Abs. 1 ICC-Statut). aa) Zuständigkeit Ein Staat, der Vertragspartei des Statuts wird, erkennt damit die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs für die im Statut aufgeführten Verbrechen nach Art. 12 ICC-Statut an. Nach Art. 4 Abs. 2 ICC-Statut darf der Gerichtshof seine Funktionen und Befugnisse, die ihm nach dem Rom-Statut zustehen, auf dem Gebiet jeder Vertragspartei ausüben und mit dessen Zustim2081 J. C. Harder, Die Verabschiedung des Statuts von Rom: Signal der Hoffnung, in: J. Hasse/E. Müller/P. Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, 2001, S. 458. 2082 J. C. Harder, Die Verabschiedung des Statuts von Rom, S. 464. 2083 Dazu J. C. Harder, Die Verabschiedung des Statuts von Rom, S. 461 ff.; vgl. auch H.-P. Kaul, Internationaler Strafgerichtshof, 1998, S. 276. 2084 Negotiated Relationship Agreement between the International Criminal Court and the United Nations, unter: www.icc-cpi.int/library/asp/ICC-ASP-3-Res1_English. pdf (2.7.2006).

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mung auch auf dem Gebiet jedes anderen Staates. Damit wird die Gebietshoheit der Mitgliedstaaten mit deren Einwilligung beschränkt. Ihre substantielle Staatlichkeit wird dadurch nicht berührt; denn der Internationale Strafgerichtshof ersetzt nicht die nationale Strafgerichtsbarkeit der Staaten. Wichtigste formelle Zuständigkeitsvoraussetzung ist der Grundsatz der Komplementarität (Art. 17 ICC-Statut) als Ausdruck des Subsidiaritätsgrundsatzes. Ein Strafverfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof ist unzulässig, wenn die Strafverfolgung durch nationale Behörden und Gerichte erfolgt. Er wird nur subsidiär tätig, d. h. dann, wenn einzelstaatliche Strafgerichte „unfähig oder unwillig sind, eine schwere Straftat zu verfolgen“ (Art. 17 ICC-Statut). Im Gegensatz zu den Adhoc-Tribunalen für Ex-Jugoslawien und Ruanda beansprucht der Internationale Strafgerichtshof keine Vorrangstellung gegenüber der nationalen Gerichtsbarkeit. Er ist auch kein letztinstanzliches Rechtsmittelgericht, welches Verfahren der nationalen Strafgerichtsbarkeit überprüfen könnte. Vielmehr ergänzt er im Sinne des Subsidiaritätsprinzips (3. Teil, B, S. 320 ff.) die innerstaatliche Gerichtsbarkeit, deren Vorrang im Statut vielfach verankert ist; denn die Wirksamkeit des Völkerstrafrechts hängt entscheidend von der dezentralen Verfolgung durch die Staaten ab.2085 Dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend beschränken sich die Ermittlungen und die Strafverfolgung des Internationalen Strafgerichtshofs auf „. . . schwerste Straftaten, die die Völkergemeinschaft als Ganzes betreffen“ (Art. 5 ICC-Statut). Das Verbot, diese Verbrechen zu begehen, stellt in den allermeisten Fällen bereits eine Regel des Völkergewohnheitsrechts dar. Die Vertragsstaaten räumen dem Gerichtshof eine automatische Gerichtsbarkeit ein für Völkermord (Art. 6 ICC-Statut), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 ICC-Statut)2086, Kriegsverbrechen (Art. 8 ICC-Statut) und (völkerrechtliche) Aggressionsakte (Art. 5 Abs. 1 lit. d ICC-Statut). Mit der Beschränkung der sachlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs auf die sogenannten „Kernverbrechen“ („core crimes“) ist sichergestellt, daß sich die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes nicht auf die gewöhnlichen Verbrechen erstreckt, deren Beurteilung ausschließlich in der Zuständigkeit der nationalen Gerichte bleibt. Voraussetzung für die Zuständigkeit der Internationalen Strafgerichtsbarkeit ist nach Art. 12 Abs. 2 ICC-Statut, daß, entweder der Staat, in dessen Hoheitsgebiet sich das Verbrechen ereignet hat, oder der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der mutmaßliche Täter besitzt, das ICC-Statut ratifiziert hat oder gemäß Art. 12 Abs. 3 die Zuständigkeit des ICC in einem bestimmten Fall anerkannt hat. 2085 U. Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen repressiven Menschenrechtsschutzes, S. 377 f. 2086 Vgl. dazu J. C. Harder, Die Verabschiedung des Statuts von Rom, S. 468; P. Currat, Les crimes contre l’humanité dans le Statut de la cour pénale internationale, 2006.

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Aufgrund dieser doppelten Anknüpfungsmöglichkeit ist der Internationale Strafgerichtshof an sich auch für Angehörige von Drittstaaten zuständig, die dem Statut bisher nicht beigetreten sind, wenn das Verbrechen auf dem Territorium einer Vertragspartei begangen wurde.2087 Der Angeklagte muß nicht Staatsangehöriger einer Vertragspartei sein. Um sich dem zu entziehen, haben die USA zunächst im Wege von Resolutionen des Sicherheitsrates eine vorübergehende Immunität erzwungen.2088 Beteiligte an Einsätzen der Vereinten Nationen oder von ihnen „mandatierte“ Operationen werden von einer Verfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof ausgenommen, sofern sie aus Nichtvertragsstaaten stammen.2089 Diese Rechtsetzung des Sicherheitsrates war ultra vires, weil die Voraussetzungen des Kapitels VII der UN-Charta und des Art. 16 des Statuts nicht vorgelegen haben und rechtens eine Einigung zwischen den Vertragsparteien erforderlich gewesen wäre. Die seit Dezember 2003 bekannt gewordenen Mißhandlungen von Kriegsgefangenen im Irak seitens von Angehörigen der US-Militärpolizei, die laut im Juni 2004 offiziell publizierten Regierungspapieren auf Genehmigung und auf Anweisungen aus der Militärführungsebene erfolgten, haben dazu geführt, daß der US-Antrag auf Verlängerung der Immunität vor dem UN-Sicherheitsrat am 24.6.2004 mangels Erfolgsaussicht zurückgezogen wurde. Das Römische Statut läßt im übrigen Immunitäten allenfalls vorübergehend zu (Art. 27, Art. 98 Abs. 1). Zum Schutz ihrer Interessen haben die USA bilaterale Abkommen mit bislang 89 Ländern geschlossen, in denen diese zusichern, Amerikaner nicht an den Strafgerichtshof auszuliefern.2090 2002 wurde der American Servicemember Protection Act2091 rechtskräftig, der den US-Präsidenten implizit dazu ermächtigt, eine militärische Befreiung von US-Staatsbürgern vorzunehmen, die sich in Den Haag vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten müssen. Ferner wird US-Behörden darin eine Zusammenarbeit mit dem Gericht verboten. Zudem könnte allen Staaten, die nicht Mitglied der NATO sind und das Statut ratifizieren, die US-Militärhilfe gestrichen werden. Verbrechen anläßlich eines Bürgerkriegs in einem Nichtvertragsstaat fallen von vornherein nicht unter die Zuständigkeit des ICC, es sei denn der Sicher2087 F. Hofmeister/S. Knoke, Das Vorermittlungsverfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof, ZaöRV, 59 (1999), S. 785 ff. m. N. 2088 Für den Fall einer Ablehnung dieser Beschlüsse hatten die USA gedroht, alle Entscheidungen des Sicherheitsrats über UN-Operationen mit einem Veto zu blockieren sowie ihre Soldaten von internationalen Friedensmissionen zurückzuziehen. 2089 S/Res 1422 (2002) v. 12.2.2002; 1487 (2003) v. 12. 6. 2003; s. a. FAZ v. 1.1. 2005. 2090 AG Friedensforschung, Universität Kassel, Weiterhin Straffreiheit für US-Soldaten?, www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/ICC/un-sr-res-1487.html (23.4.2006). 2091 2002 Supplemental Appropriations Act for Further Recovery from and response to Terrorist Attacks on the United States, Publication L. 107-206, 2.10.2002, 22 U.S.C. 7421 et. seq.

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heitsrat unterbreitet eine solche Situation nach Art. 13 lit. b ICC-Statut dem Internationalen Strafgerichtshof.2092 Der UN-Sicherheitsrat kann aufgrund Kapitel VII UN-Charta eine Angelegenheit an den Internationalen Strafgerichtshof überweisen. Diese Möglichkeit der Verfahrenseinleitung setzt nicht die Anerkennung der Gerichtsbarkeit voraus. Sie folgt aus der angenommenen (problematischen) Kompetenz des Sicherheitsrates, zur Friedenssicherung Ad-hoc-Tribunale einzusetzen. Die Problematik ist insofern abgemildert, als der Sicherheitsrat hier kein neues Organ, sondern eine Zuständigkeitsverweisung schafft. In diesem Zusammenspiel zwischen Weltsicherheitsrat und Internationalem Strafgerichtshof liegt ein nicht unerhebliches weltstaatliches Potential.2093 Daß die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs grundsätzlich von der Ratifikation des Tatort- oder des Täterstaats abhängt, verwirklicht nicht das Weltrechts- oder Universalitätsprinzip2094, sondern fußt auf den klassischen Prinzipien der Personalität und der Territorialität.2095 Der deutsche Vorschlag für eine automatische Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs aus dem Weltrechtsprinzip ist mit dem Einwand pacta tertiis (vgl. Art. 34 WVK) abgelehnt worden.2096 Ursprünglich war vor allem aus deutscher Sicht daran gedacht worden, die Verfolgungskompetenz des Internationalen Strafgerichtshofs aus einer Übertragung der Verfolgungszuständigkeit der jeweiligen Vertragsstaaten2097 abzuleiten. Für Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gilt jedoch bereits völkergewohnheitsrechtlich das Prinzip der universellen Jurisdiktion.2098 Insofern werden Drittstaaten, entgegen der Auffassung der USA, keine Verpflichtungen auferlegt, die sich nicht ohnehin aus dem allgemeinen Völkergewohnheitsrecht ergeben.2099 Ein Soldat, der im Ausland Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, kann von jedem nationalen Gericht dafür zur Verantwortung gezogen werden.2100 Für die Verfolgung von Aggressionen ist der Internationale Strafgerichtshof erst zuständig, wenn nach Maßgabe des Verfahrens der Statutänderung (Art. 121, 123 ICC-Statut) eine zusätzliche Bestimmung in das Statut aufgenommen wird, welche eine Definition der Aggression und die Voraussetzungen, unter denen 2092 P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 173. 2093 Seine Nutzung wird von der Hochrangigen Gruppe in ihrem Bericht, Eine sicherere Welt, S. 39, Rn. 90 befürwortet. 2094 Dazu G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 68 ff. 2095 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 285. 2096 BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 980. 2097 Zur Zulässigkeit vgl. U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 286. 2098 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 285. 2099 Dazu U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 286 ff. 2100 U. Hingst, Auswirkungen der Globalisierung, S. 285.

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der Gerichtshof zuständig sein soll, enthält. Die seit Februar 1999 einberufene Vorbereitungskommission des Internationalen Strafgerichtshofs2101 arbeitet an der Formulierung des Straftatbestands der Aggression (Art. 8 Abs. 2 b, lit. i ff. ICC-Statut)2102 und der Bedingungen, unter denen der Gerichtshof dieses Verbrechen judizieren soll. Diese Vorschläge sollen von der Versammlung der Vertragsstaaten bei der ersten Überprüfungskonferenz, die gemäß Art. 123 des Statuts sieben Jahre nach Inkrafttreten des Statuts 2009 einberufen wird, beraten werden. Angesichts der großen Differenzen zwischen den Staaten sind diese Bestimmungen in naher Zukunft nicht zu erwarten.2103 bb) Gerichtsverfassung Teil 4 des ICC-Statuts enthält in der Sache Gerichtsverfassungsrecht. Dort werden die Organe des Strafgerichtshofs aufgeführt, die Stellung und Wahl der Richter sowie die Einrichtung der Kammern festgelegt und Fragen der Struktur und des Personals von Anklagebehörde und Kanzlei geregelt. Der Internationale Strafgerichtshof setzt sich aus den folgenden Organen zusammen: dem Präsidium; einer Berufungsabteilung, einer Hauptverfahrensabteilung und einer Vorverfahrensabteilung; der Anklagebehörde; der Kanzlei (Art. 34 ff. ICC-Statut). cc) Strafprozeßordnung, Verfahrenseinleitung Die Teile 5, 6 und 8 des Statuts bilden zusammen die Grundzüge einer völkerrechtlichen Strafprozeßordnung mit dem Versuch einer Synthese der unterschiedlichen Rechtstraditionen. So ist der Strafprozeß vor dem Strafgerichtshof nicht wie im angloamerikanischen Recht als reiner Parteiprozeß (Parteiprinzip) angelegt, sondern eröffnet die Möglichkeit richterlicher Aufklärung über die von den Parteien vorgebrachten Tatsachen und beigebrachten Beweismittel hinaus (Amtsprinzip). Die wichtigen rechtsstaatlichen Grundsätze wie Bestimmtheitsgrundsatz, nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege (Art. 22–24 ICC-Statut)2104, ne bis in idem2105 sowie die Rechte des Angeklagten (Art. 66 f. ICC-Statut) entsprechen den Vorschriften der verschiedenen Menschenrechtsabkommen.2106 Dar2101

http://www.un.org/law/icc/prepcomm/prepfra.htm (14.7.2006). Vgl. dazu auch die Überlegungen von M. Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, S. 149 ff., Formulierungsvorschlag, S. 239 f. 2103 P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 167. 2104 Vgl. z. B. Art. 15 IPbpR, Art. 7 – EMRK; G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 37 f. 2105 Art. 14 Abs. 7 IPbpR. 2106 Siehe z. B. Art. 7–11 AEMR, Art. 14 IPbpR, Art. 5–7 EMRK. 2102

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über hinaus verfolgen die verfahrensrechtlichen Regelungen an vielen Stellen das Ziel, den Belangen des Zeugen- und Opferschutzes in weitest möglichem Umfang Rechnung zu tragen. Der Gerichtshof wird entweder auf Grund einer Staatenbeschwerde (Art. 14), einer eigenen Initiative des Anklägers (ex officio, Art. 15 ICC-Statut) oder einer Initiative des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Art. 13 lit. b ICC-Statut) tätig. Für die Eröffnung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens ist Voraussetzung, daß die Ermittlungskammer zustimmt und der UN-Sicherheitsrat nicht eingreift. Letzterer kann gemäß Art. 16 ICC-Statut das Verfahren aufgrund einer Resolution nach Kapitel VII2107 einstimmig um 12 Monate hinauszögern. Das Veto eines ständigen Mitglieds im Sicherheitsrat kann die Blockierungsanweisung verhindern.2108 Ermittlungen des Anklägers können zurückgestellt werden, wenn ein Staat darum ersucht. Das erstinstanzliche Verfahren gliedert sich in das Ermittlungsverfahren (Art. 53 ff. ICC-Statut), die Verhandlung über die Bestätigung der Anklagepunkte vor der Vorverfahrenskammer (Art. 61 ICC-Statut) und das Hauptverfahren mit der Hauptverhandlung vor der Hauptverfahrenskammer (Art. 62 ff. ICCStatut). Gegen ein erstinstanzliches Urteil gibt es das Rechtsmittel der Berufung zur Rechtsmittelkammer (Art. 81 ff. ICC-Statut). Unter engen Voraussetzungen ist auch eine Wiederaufnahme des Verfahrens möglich (Art. 84 ICC-Statut). dd) Zusammenarbeit mit den Staaten Die praktisch bedeutsame Zusammenarbeit der Staaten mit dem Internationalen Strafgerichtshof wird in Teil 9 des Statuts geregelt. Die Gründe, aufgrund derer die Überstellung einer verdächtigen Person an den Gerichtshof durch einen Staat abgelehnt werden kann, werden eng begrenzt; insbesondere sind auch die eigenen Staatsangehörigen des ersuchten Staates von der Überstellungspflicht erfaßt. Auch sonstige Rechtshilfemaßnahmen haben die Vertragsstaaten auf Ersuchen des Gerichtshofs grundsätzlich durchzuführen, sofern nicht wesentliche Rechtsgrundsätze der eigenen Rechtsordnung entgegenstehen. Damit soll dem (strafrechtlichen) Schutz der elementaren Menschenrechte Vorrang vor dem Prinzip der Staatssouveränität und des Staatsschutzes eingeräumt werden.2109

2107 Zum Verhältnis von Art. 16 ICC-Statut zu Kapitel VII der UN-Charta P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 174 ff. 2108 P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 173. 2109 J. C. Harder, Die Verabschiedung des Statuts von Rom, S. 460.

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d) Legitimation des Weltstrafgerichts Die sachliche und persönliche Qualifikation und Unabhängigkeit der Richter wird durch die Voraussetzungen des Statuts sichergestellt. Nach Art. 36 müssen die Kandidaten einen hoch „moralischen Charakter“ haben, unabhängig sein und entweder im Straf- und Strafprozeßrecht (Liste A) oder im relevanten humanitären und menschenrechtlichen Völkerrecht (Liste B)2110 hochqualifiziert und für die höchsten juristischen Ämter in ihrem Staat oder nach den Verfahrensregeln des Internationalen Strafgerichtshofs ausgewiesen sein sowie eine der Arbeitssprachen gut und fließend beherrschen (vgl. Art. 36 Abs. 3 ICC-Statut). Art. 40 ICC-Statut sichert die persönliche und sachliche Unabhängigkeit der Richter des Internationalen Strafgerichtshofs. Nach Art. 40 Abs. 2 ICC-Statut müssen sie sich aller Aktivitäten enthalten, welche das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit beeinflussen könnte. Weitere berufliche Tätigkeit ist neben dem Richteramt ausgeschlossen (Art. 40 Abs. 3 ICC-Statut). Auch der grundsätzliche Ausschluß der Wiederwahl (Art. 36 Abs. 9 lit. a ICC-Statut) trägt zur Sicherung der Unabhängigkeit bei. Problematisch ist allerdings die demokratische Legitimation des Gerichts. Von US-amerikanischer Seite wird als verfassungswidrig eingestuft, daß der Internationale Strafgerichtshof kein Geschworenengericht ist, obwohl eine jury in der US-Strafgerichtsbarkeit zur verfassungsrechtlich verbürgten rule of law und dem Demokratieprinzip gehört.2111 Allerdings ist das jury-Prinzip kein allgemeiner Rechtsgrundsatz, weil die Verfassungen nicht weniger Staaten (etwa Deutschland, Frankreich, Japan) keine Geschworenenstrafgerichte kennen. Die 18 Richter des Internationalen Strafgerichtshofs werden von den Mitgliedstaaten des Statuts auf einer Sitzung der Versammlung der Vertragsstaaten (Art. 36 Abs. 6 ICC-Statut) für neun Jahre gewählt.2112 Jeder Staat schlägt, wenn nicht die Versammlung der Vertragsstaaten einen Beratenden Ausschuß für Benennungen einsetzt, einen Kandidaten vor, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates, aber nicht notwendig die des vorschlagenden Staates haben muß (Art. 36 Abs. 4 ICC-Statut). Um den übermäßigen Einfluß bestimmter Nationen zu verhindern, dürfen nicht zwei Richter derselben Nationalität gewählt werden. Außerdem soll bei der Wahl darauf geachtet werden, daß durch 2110 Zu den Listen vgl. Art. 36 Abs. 5 ICC-Statut. Bei der ersten Wahl sind neun Richter von Liste A und mindestens fünf Richter von Liste B zu bestimmen, wobei dieses Verhältnis bei späteren Wahlen aufrechterhalten werden soll. 2111 Artikel 3 der Verfassung der Vereinigten Staaten (1797) legt fest, daß alle Strafprozesse mit Hilfe von Geschworenen durchgeführt werden müssen, die allein über Schuld und Unschuld entscheiden. Dazu M. P. Scharf, The jury is still out on the need for an international criminal court, Duke Journal of International and Comparative Law, 1991, p. 135 ff. 2112 Art. 36 Abs. 9 lit. a. Abweichende Regelungen gelten für die erste Wahl vgl. Art. 36 Abs. 9 lit. b, c ICC-Statut.

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die Richter die Hauptrechtssysteme und geographischen Gebiete der Welt sowie Männer und Frauen in einem ausgewogenen Verhältnis vertreten sind (Art. 36 Abs. 8 ICC-Statut). Gewählt sind die 18 Richter, welche die höchste Stimmenzahl und eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Vertreter der Mitgliedstaaten erlangen (Art. 36 Nr. 4–6 ICC-Statut). Die Legitimation der einzelnen Richter erfolgt also weder aus dem Willen der einzelnen Völker der Mitgliedstaaten noch aus dem einer Weltbürgercivitas (dazu 5. Teil, C, S. 641 ff.), sondern aus dem gemeinschaftlichen Willen aller Völker der Mitgliedstaaten, die insoweit als Völkercivitas einen Gemeinwillen bilden (dazu 5. Teil, C, S. 644 f.). Die so bestimmten Richter vertreten, ungeachtet ihrer Nationalität, die Völker aller Vertragsstaaten. In der internationalen Zusammenarbeit ist dies eine akzeptable Form der Legitimation.2113 Fraglich ist, ob nicht höhere Anforderungen an die demokratische Legitimation deshalb gestellt werden müssen, weil die Urteile des Internationalen Strafgerichtshofs nicht Staaten, sondern Individuen verurteilen, weswegen er funktional den Charakter eines Weltstrafgerichtshofs hat. Müßte er deshalb nicht auch durch eine Weltbürgerschaft legitimiert sein? Ein Weltparlament, das diese Aufgabe übernehmen könnte, oder einen weltbürgerlichen Richterwahlausschuß gibt es derzeit nicht. Aus folgenden Gründen erscheint die Legitimation des Gerichts aus dem Willen der Staatengemeinschaft (Völkercivitas) trotzdem ausreichend und tragfähig: – Erstens folgt eine gewisse demokratische Anbindung an die Mitgliedstaaten aus der Zustimmung der nationalen Parlamente zu dem Statut. In ihm sind die Straftatbestände, die das Gericht judiziert, sowie die Voraussetzungen der Richterwahl geregelt. – Zweitens greift die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs nur in bestimmten, schweren Fällen. – Drittens ist sie komplementär oder subsidiär, also ausnahmehaft, und deshalb von den nationalen Parlamenten verantwortbar.2114 Wenn die Mitgliedstaaten selbst für eine adäquate Verfolgung der vom Statut erfaßten Verbrechen und Verbrecher sorgen, können sie verhindern, daß ihre Staatsbürger an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert werden müssen und durch diesen abgeurteilt werden. Verweigern sich Staaten dieser Rechtspflicht oder sind sie dazu nicht in der Lage, können sie und ihre Bürger sich insoweit nicht auf ihre nationale demokratische Selbstbestimmung berufen, weil Verbrechen gegen die Menschlichkeit dem Weltrechtsprinzip und damit der Verantwortlichkeit der Völkergemeinschaft unterliegen. 2113 Vgl. auch dazu K. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf der Grundlage der Kantischen Rechtslehre, S. 168 ff. 2114 BVerfGE 113, 273 (296 ff.); vgl. BVerfGE 89, 155 (181, 191 ff.).

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– Viertens vermittelt die Versammlung der Vertragsstaaten, deren Vertreter jeweils in ihren Staaten demokratisch legitimiert sein können, weitere demokratische Legitimation. Die Versammlung ist ein typisches Organ Internationaler Organisationen und ermöglicht einen gewissen Einfluß der Vertragsstaaten auf das Gericht, ohne dessen Unabhängigkeit zu gefährden. In der Versammlung der Vertragsstaaten (Art. 112 ICC-Statut) ist jeder Staat mit einem Vertreter (Art. 112 Abs. 1) und einer Stimme (Art. 112 Abs. 7) vertreten. Die Versammlung gibt Empfehlungen ab, hat das Budgetrecht, kann auf Vorschlag des Gerichtspräsidiums (Art. 36 Abs. 2) die im Statut festgelegte Anzahl von 18 Richtern erhöhen, kann ein Komitee wählen, welches bei der Richterauswahl Empfehlungen abgibt (Art. 36 Abs. 4 lit. c) und wird befaßt, wenn Staaten ihre Kooperationsbereitschaft gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof verweigern (Art. 112 Abs. 2 lit. f i.V. m. Art. 87 Abs. 5 und 7 ICC-Statut). 5. Entwicklung eines materiellen Weltstrafrechts a) Allgemeines In Teil 3 des Römischen Statuts wird unter der Überschrift „Allgemeine Grundsätze des Strafrechts“ erstmals in einem völkerrechtlichen Vertrag eine Gesamtregelung geschaffen, die man als „Allgemeinen Teil des Völkerstrafrechts“ bezeichnen kann.2115 Die allgemeinen Grundsätze des Strafrechts nach dem Statut betreffen fast alle zentralen Fragen der allgemeinen Strafrechtsdogmatik (z. B. Beteiligung mehrerer Personen an einer Tat, Strafbarkeit des Unterlassens und Verjährung). Im Zusammenspiel mit den Straftatbeständen des Statuts läßt Teil 3 einen Begriff der Völkerstraftat erkennen, der sich aus den drei folgenden Grundbausteinen zusammensetzt: (1) Verwirklichung der objektiven und gegebenenfalls speziellen Merkmale eines Völkerstraftatbestandes (2) Erfüllung der allgemeinen Anforderungen an die subjektive Tatseite (3) Fehlen eines Grundes für den Ausschluß der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Dieser Begriff erfaßt auch Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- und Strafausschließungsgründe. „Verbrechenselemente“, die sowohl objektive als auch subjektive Tatbestandselemente, aber auch Fragen der Rechtfertigung umfassen, sollen gemäß Art. 9 ICC-Statut die Auslegung und Anwendung des Statuts erleichtern und der richterlichen Auslegung Grenzen setzen.2116 2115 Dazu grundlegend mit Ansätzen einer entsprechenden Dogmatik K. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 517 ff.; G. Werle, Völkerstrafrecht, 2. Teil, 235 ff.

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b) Einzelne Straftatbestände Die Straftatbestände gemäß Art. 6 bis 8 ICC-Statut betreffen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind Verbrechen an der Menschheit und damit per se weltstrafrechtlich zu behandeln.2117 Zusammengenommen bilden sie eine neuartige, von der Staatengemeinschaft geschaffene Kodifikation, die man als „Besonderen Teil des materiellen Weltstrafrechts“ bezeichnen kann. Sie baut auf bereits vorhandenen Völkerrechtsquellen auf. aa) Völkermord Von anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterscheidet sich Völkermord dadurch, daß er die Absicht des Täters voraussetzt, eine durch ihre Staatsangehörigkeit, Ethnie, Rasse oder Religion gekennzeichnete Gruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten (vgl. Art. 6 ICC-Statut). Geschütztes Rechtsgut des Völkermordverbots ist nicht das einzelne Individuum, sondern die Existenz einer Gruppe als solche. Art. 6 des Statuts des Gerichtshofs definiert den Tatbestand des Völkermordes in Anlehnung an Art. II der Völkermordkonvention. Außerdem entspricht Art. 6 auch der Definition des Tatbestands des Völkermordes, wie er in den Statuten der internationalen Strafgerichte für Ex-Jugoslawien2118 und Ruanda2119 wiedergegeben ist.2120 Art. I in Verbindung mit Art. VI der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords2121 verpflichtet die Tatortstaaten zur strafrechtlichen Verfolgung von Völkermord, einerlei, ob dieser in Kriegs- oder Friedenszeiten begangen wird. Das Verbot des Völkermordes ist daneben Gewohnheitsrecht, zwingendes Recht und wirkt erga omnes. Der erga omnes-Charakter führt dazu, daß eine Verletzung dieses Verbots als eine gegenüber der Staatengemeinschaft als Ganzes begangene Verletzung gilt (3. Teil, E, S. 436 ff.) und daß jeder Staat Völkermord bestrafen darf, wo immer dieser begangen worden ist. Das Völkermordverbrechen ist unmittelbar nach Völkerrecht strafbar2122, unabhängig davon, ob die Tat durch staatliche Organe oder Einzelpersonen begangen worden ist. 2116

J. C. Harder, die Verabschiedung des Statuts von Rom, S. 467. Dazu G. Manske, Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der Menschheit, 2003. 2118 S/Res/827 (1993) v. 25.5.1993. 2119 S/Res/955 (1994) v. 8.11.1994. 2120 Eingehend zum Völkermord G. Werle, Völkerstrafrecht, 3. Teil, S. 200 ff. 2121 Vom 9.12.1948, UNTS 78, p. 277; BGBl. 1954 II, S. 730. 2122 BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 977, 978. 2117

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Vor dem Inkrafttreten des ICC-Status erfüllten die Staaten ihre Strafverfolgungspflichten aus dem Völkerrecht nicht hinreichend, sei es, weil internationale Ermittlungsinstanzen fehlten oder wegen der Abneigung der Staaten, sich um (sie nicht spezifisch treffende) Verletzungen von Rechtsnormen erga omnes zu kümmern.2123 Näher materialisiert wurde der Tatbestand des Völkermordes erst durch Urteile der Internationalen Strafgerichte für Ruanda und Ex-Jugoslawien. In jüngerer Zeit mehren sich auch die Fälle der dezentralen Strafverfolgung von Völkermord durch Drittstaaten.2124 bb) Verbrechen gegen die Menschlichkeit „Es gibt Behandlungsweisen eines Menschen, die die Menschheit in seiner Person vergewaltigen und als Verbrechen gegen die Menschheit zugleich die Menschheit in jedermanns Person beleidigen.“ (Doris König)2125

Daß dem Verbot der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit völkergewohnheitsrechtlicher Charakter zukommt, ist allgemein anerkannt.2126 Auf der Grundlage der Nürnberger Prinzipien wurde die individuelle Strafbarkeit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Art. 2 Ziffer 1 lit. c des Kontrollratsgesetzes Nr. 102127 übernommen. Die Satzung des in Tokio für den Fernen Osten errichteten internationalen Militärtribunals sah in Art. 5 lit. c ebenfalls eine Kategorie der Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.2128 Die Verpflichtungen aus dem Verbot der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind ius cogens und wirken erga omnes. Dies bedeutet, dass sie nicht gegenseitig voneinander abhängige (synallagmatische) Verpflichtungen begründen, sondern Pflichten, welche fundamentale Werte der Menschheit schützen und daher bedingungslos erfüllt werden müssen.2129 2123

D. Schindler, Erga omnes-Wirkung des humanitären Völkerrechts, S. 211. Vgl. z. B. K. Ambos, Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, JZ 1999, 16 ff.; zur Verfolgung von im ehemaligen Jugoslawien begangenen Völkermord BVerfG, Kammerbeschluß vom 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, in: JZ 2001, 975 ff. 2125 S. König, Begründung der Menschenrechte, S. 268. 2126 Vgl. ICTY, Trial Chamber II, The Prosecutor vs. Tadic, Case No. IT-94-1-T, 7.5.1997, para. 622; ICTY, Trial Chamber I, The Prosecutor vs. Jelisic, Case No. IT95-10, 14.12.1999, para. 53; ICTY, Trial Chamber II, The Prosecutor vs. Kupreskic et al., Case No. IT-95-16, 14.1.2000, para. 545 ff. 2127 Control Council Law No. 10, Official Gazette of the Control Council for Germany, No. 3, p. 22. 2128 Das Statut für den Internationalen Militärgerichtshof von Nürnberg wurde für Tokio übernommen durch Sonderproklamation des Oberbefehlshabers der Alliierten in Japan, 19.1.1946 (T.I.A.S. 1589). 2129 Vgl. ICTY, Trial Chamber II, The Prosecutor v. Kupreskic et al., Decision On Defence Motion to Summon Witness, Entscheidung vom 3.2.1999; bestätigt in ICTY, Trial Chamber II, The Prosecutor v. Kupreskic et al., Case No. IT-95-16, 14.1.2000, para. 23. 2124

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Seit langem stand die Kodifizierung der Verbrechen gegen Frieden und Menschlichkeit auf der Agenda der International Law Commission.2130 Im Römischen Statut haben sie eine allgemeine Kodifizierung gefunden. Unter dem Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (der in einem weiteren Sinn auch den Völkermord erfaßt) regelt Art. 7 ICC-Statut, über den Völkermordtatbestand nach Art. 6 ICC-Statut hinaus, eine gegenüber den Kriegsverbrechen selbständige Tatbestandsgruppe zur Ahndung besonders schwerer Menschenrechtsverletzungen auch in Friedenszeiten.2131 Zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehört z. B. auch das Verbrechen der Folter (Art. 7 Abs. 1 lit. f. ICC-Satut). Als Verbrechen gegen die Menschlichkeit2132 wurde die Folter erstmals im Jahre 1945 von den Siegermächten des 2. Weltkriegs im Kontrollratsgesetz Nr. 10 unter Strafe gestellt. In der Folge verboten verschiedene Menschenrechtskonventionen die Folter (vgl. auch Art. 5 AEMR). 1949 statuieren die Genfer Abkommen ein absolutes Verbot der Folter in internationalen, aber auch in internen bewaffneten Konflikten. Art. 4 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe2133 verpflichtet die Vertragsstaaten, die Folter unter angemessene Strafe zu stellen. Im Rahmen des Europarates wacht auf der Basis des Europäischen Folter-Übereinkommens2134 seit 1987 der Europäische Ausschuß zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe darüber, daß die Staaten alles unternehmen, um die Folterung von Gefangenen unter ihrer Hoheitsgewalt zu verhindern.2135 Heute besitzen das Verbot und die Strafbarkeit der Folter den Status von Völkergewohnheitsrecht und von zwingendem Völkerrecht (ius cogens).2136 Während die Statuten der Ad-hoc-Tribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda die Folter verbieten, ohne sie zu definieren, enthält das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für den Straftatbestand der Folter eine Legaldefinition. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. e ICC-Satut bedeutet Folter, daß einer im Gewahrsam oder unter der Kontrolle des Beschuldigten befindlichen Person vorsätzlich 2130 Siehe ILC Report, YILC 1951-II, S. 134 ff.; Draft Code, YILC 1954-II, S. 151 f.; Überblick über die Geschichte der Kodifikationsentwürfe bei D. Thiam, 1st Report, YILC 1983-II, Teil I, S. 137 ff. 2131 Dazu G. Werle, Völkerstrafrecht, 4. Teil, S. 615 ff.; P. Currat, Les crimes contre l’humanité dans le Statut de la cour pénale internationale, 2006. 2132 Dazu grundlegend G. Manske, Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der Menschheit, 2003. 2133 Vom 10.12.1984, UN Doc. A/39/51; BGBl. 1990 II, S. 247. 2134 Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26.11.1987, BGBl. 1989 II, S. 946. 2135 Vgl. www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/menschenrechte/europarat/ konventionen/folter html; www.cpt.coe.int/en/(3.2.2006) 2136 4. Teil, A, S. 469 ff., 3. Teil, E, S. 442 ff.

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große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden (ähnlich Art. 1 UN-Folterübereinkommen). In Art. 7 Abs. 2 ICC-Statut wurden auch Tatbestände von Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen, die völkergewohnheitsrechtlich nicht unbestritten sind, wie die zwangsweise Umsiedlung von Bevölkerung2137 oder Sexualdelikte.2138 Art. 7 Abs. 1 lit. g ICC-Statut umfaßt neben Vergewaltigung auch sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation sowie jede andere Form der sexuellen Gewalt vergleichbarer Schwere. cc) Terrorismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit Trotz aller Bemühungen gibt es mangels Konsenses über eine Definition des Terrorismus noch keinen Terrorismusstraftatbestand.2139 Bislang existieren auf globaler Ebene zur Bekämpfung des Terrorismus insgesamt zwölf Übereinkommen2140, welche die Vertragsstaaten u. a. verpflichten, die in der jeweiligen 2137 Wegen dieser Deliktsform hat Israel gegen das Statut gestimmt, vgl. UN-Press Release, L/Rom/22; www.un.org/icc. 2138 K. Ambos, Zur Bestrafung von Verbrechen im internationalen, nicht-internationalen und internen Konflikt, S. 351; dazu G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 734 ff. 2139 Dazu R. Lillich, Transnational Terrorism, 1982, S. XV; ders., Invoking International Human Rights Law, University of Cincinnati Law Review 54 (1985), S. 367 (401, Fn. 161); A. Wüstenhagen, Die Vereinten Nationen und der internationale Terrorismus, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 101 (142 ff.); G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 31 f.; vgl. auch Art. 11 IV Draft Code der International Law Commission (Text bei D. Thiam, 4th th Report, YILC 1986-II, Teil I, S. 53 ff.) enthält einen Terrorismustatbestand. Der Bericht der Hochrangigen Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 55, Rn. 164 beschreibt Terrorismus als „jede Handlung, zusätzlich zu den bereits in den bestehenden Übereinkommen über bestimmte Aspekte des Terrorismus, den Genfer Abkommen und der Resolution 1566 (2004) des Sicherheitsrates umschriebenen Handlungen, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung von Zivilpersonen oder Nichtkombattanten herbeiführen soll, wenn diese Handlung auf Grund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen.“ 2140 Convention on Offences and Certain Other Acts Committed on Board Aircraft v. 14.9.1963, UNTS, 704, p. 219; Convention for the Suppression of Unlawful Seizure of Aircraft v. 16.12.1970, UNTS 860, p. 105; Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Civil Aviation v. 23.9.1971, ILM 10 (1971), S. 1151 mit Protocol on the Suppression of Unlawful Acts of Violence at Airports Serving International civil Aviation v. 24.2.1998, ILM 27 (1988), S. 627 ff.; Convention on the Prevention and Punishment of Crimes against Internationally Protected Persons, including Diplomatic Agents v. 14.12.1973, UNTS 1035, p. 607; International Convention against the Taking of Hostages v. 17.12.1979, UNTS 1316, p. 205; Convention on the Physical Protection of Nuclear Material v. 3.3.1980, ILM 18 (1979), S. 1419; Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Maritime Navigation, ILM 17 (1988), S. 668 mit Protocol for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Fixed Platforms Located on the Continental Shelf v.

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Konvention verbotenen Handlungen zu verfolgen und angemessen zu bestrafen, wechselseitig zu kooperieren und Rechtshilfe zu gewähren, verdächtigen Personen keinen Unterschlupf zu geben und sie unter Umständen auszuliefern. Allerdings sind viele Staaten diesen Übereinkommen ferngeblieben oder führen sie nicht durch.2141 In zahlreichen Resolutionen haben sich die Generalversammlung2142 sowie der UN-Sicherheitsrat2143 mit der Terrorismusfrage beschäftigt und Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus gefordert oder vorgeschrieben.2144 Aus der Anti-Terrorismus-Resolution 1373 (2001)2145 des Sicherheitsrates kann u. a. gefolgert werden, daß Staaten verpflichtet sind, Terroristen effektiv zu verfolgen, angemessen zu bestrafen2146 oder gegebenenfalls auszuliefern2147. Die Schlußakte der Diplomatischen Bevollmächtigtenkonferenz, die nach der Annahme des Römischen Statuts verabschiedet worden ist, enthält eine Resolution E zur Frage der künftigen Einbeziehung von Terrorismus- und Drogenverbrechen in die Gerichtsbarkeit. Diese Frage soll bei der ersten Überprüfungskonferenz im Jahre 2009 beraten werden.2148 Die Konvention vom 9. Dezember 1999 für die Unterdrückung der Finanzierung des Terrorismus2149 definiert Terrorismus in Art. 2 Abs. 1 lit. b wie folgt: „Any other act intended to cause death or serious bodily injury to a civilian, or any other person not taking an active part in the hostilities in a situation of armed con10.3.1988, 27 ILM (1988), S. 685; Convention on the Marking of Plastic Explosives for the Purpose of Detection v. 1.3.1991, ILM 30 (1990), S. 726; International Convention for the Suppression of Terrorist Bombings v. 15.12.1997, ILM 37 (1998), S. 249; International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism v. 9.12.1999, ILM 39 (2000), S. 270 ff. Außerdem bereitet die Generalversammlung den Entwurf einer allgemeinen Antiterrorismuskonvention vor. 2141 Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 52, Rn. 149. 2142 Z. B. Resolutionen vom 9.12.1994, A/RES/49/60; vom 17.12.1996 A/RES/51/ 210; v. 12.12.1997, A/RES/52/133; vom 2.2.2000, A/RES/54/110; v. 24.2.2000, A/ RES/54/164. 2143 Z. B. Resolutionen v. 19.10.1999, S/RES/1269 (1999); 30.7.2001, S/RES/1363 (2001); vom 12.9.2001, S/RES/1368 (2001) v. 28.9.2001, S/RES 1373 (2001). 2144 Zur Chronologie A. Wüstenhagen, Die Vereinten Nationen und der internationale Terrorismus, S. 103 ff. 2145 S/Res/1373 (2001). 2146 Vgl. para. 2 (e) der Resolution 1373: „States shall . . . ensure that any person who participates in the financing, planning, preparation or perpetration of terrorist acts or in supporting terrorist acts is brought to justice and ensure that, in addition to any measures against them, such terrorist acts are established a serious criminal offences in domestic laws and regulations and that the punishment duly reflects the seriousness of such terrorist acts.“ 2147 J. A. Frowein, Der Terrorismus als Herausforderung für das Völkerrecht, ZaöRV 62 (2002), S. 897. 2148 Vgl. Resolution E, UN Doc. A/CONF.183/10. 2149 ILM 39 (2000), S. 270.

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flict, when the purpose of such act, by its nature or context, is to intimidate a population, or to compel a Government or an international organisation to do or to abstain from doing any act.“

Terroristen benutzen typischerweise die körperliche Integrität, die Angst und den Schrecken der Zivilbevölkerung, um bestimmte Ziele zu erreichen. Menschen werden als Mittel für die Zwecke anderer mißbraucht. Folglich verletzen Terrorakte die Menschenwürde.2150 Weltstrafrechtlich könnten sie somit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen und auch durch den Internationalen Strafgerichtshof verfolgt werden.2151 Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind entweder durch ihren Umfang oder durch ihren Organisationsgrad gekennzeichnet. Beides kann auf terroristische Handlungen zutreffen. Art. 7 Abs. 1 ICC-Statut definiert als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ jede unter Art. 7 Abs. 1 lit. a–k ICC-Statut genannte Handlung, wenn sie „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen wird“. Viele Terrorakte lassen sich z. B. als „vorsätzliche Tötung“ (Art. 7 Abs. 1 lit. a ICC-Statut) oder „Freiheitsentziehung“ (Art. 7 Abs. 1 lit. e ICC-Statut) einordnen. Ein Angriff auf eine Zivilbevölkerung i. S. d. Art. 7 ICC-Statut ist nicht an einen bewaffneten Konflikt geknüpft.2152 Es muß sich dabei nicht einmal in jedem Fall um ein gewaltsames Vorgehen handeln.2153 „Angriff“ umschreibt das Ereignis, in welchem die einzelnen strafbaren Handlungen erfolgen.2154 Ein „Angriff gegen die Zivilbevölkerung“ verlangt allerdings nach Art. 7 Abs. 2 lit. a ICC-Statut eine „mehrfache Begehung der in Abs. 1 genannten Handlungen“ gegen eine Zivilbevölkerung „in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat“. Die entsprechende Politik braucht zwar nicht förmlich als die eines Staates oder explizit in Erscheinung zu treten2155; ein größerer Einsatz öffentlicher oder privater Kräfte ist aber vorausgesetzt.2156 Die Ziele terroristischer Vereinigungen könnten als 2150

Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, in: Th. Marauhn (Hrsg.), Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S. 55 ff., 74 ff. 2151 Bejahend Ph. Mastronardi, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, S. 76; vgl. auch G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 248, Rn. 646. 2152 Vgl. ICTY, Trial Chamber II, The Prosecutor vs. Kupreskic et al., Case No. IT-95-16, 14. 1.2000, para. 545; ICTR, Trial Chamber II, The Prosecutor vs. Kayishema and Ruzindana, Case No. ICTR-95-1-T, 21.5.1999, para. 127; ICTR, Trial Chamber I, The Prosecutor vs. Akayesu, Case No. ICTR-96-4-T, 2.9.1998, para. 565; ICTY, Trial Chamber II, The Prosecutor vs. Tadic, Case No. IT-94-1-T, 7.5.1997, para. 623; ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor vs. Tadic, Decision on Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, Case No. IT-94-1-AR72, 2.10.1995, para. 141. 2153 Vgl. ICTR, Trial Chamber I, The Prosecutor vs. Akayesu, Case No. ICTR-964-T, 2.9.1998, para. 581. 2154 Vgl. ICTR, Trial Chamber II, The Prosecutor vs. Kayishema and Ruzindana, Case No. ICTR-95-1-T, 21.5.1999, para. 122.

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„Politik einer Organisation“ und, wenn diese ein bestimmtes Staatsregime stützt, auch als Politik eines Staates angesehen werden. Jedenfalls wiederholte Terrorhandlungen durch eine terroristische Organisation gegen dieselbe Zivilbevölkerung sind als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Art. 7 ICCStatut zu qualifizieren. Ein Einzelakt eines Täters kann nur dann ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begründen, wenn sich das Verhalten des Täters als das Produkt eines Terrorsystems darstellt, das regelmäßig massive Menschenrechtsverletzungen vornimmt.2157 Eindeutig weitergehend ist die Beurteilung insofern nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch, welches das Römische Statut umsetzt.2158 Für Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§7 VStGB) ist gemäß dem chapeau des § 7 Abs. 1 nur Voraussetzung, daß die einzelnen Taten alternativ entweder im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine bestimmte Zivilbevölkerung begangen werden. Damit wird in § 7 VStGB in Übereinstimmung mit geltendem Völkergewohnheitsrecht und der Rechtsprechung des Jugoslawientribunals die in Art. 7 Abs. 2 lit. a. ICC-Statut enthaltene, auf einem Kompromiß beruhende, einschränkende Legaldefinition des Angriffs gegen die Zivilbevölkerung nicht übernommen.2159 Auch terroristische Einzeltaten können danach als ausgedehnter oder systematischer Angriff angesehen werden und gegebenenfalls nach § 1 VStGB (unabhängig von ihrem Begehungsort) von deutschen Gerichten verfolgt werden. dd) Kriegsverbrechen „Kriegsverbrechen“ im Sinne des Statuts sind gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. a ICCStatut „schwere Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August 19492160 sowie gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. b ICC-Statut andere schwere Verstöße gegen 2155 Vgl. ICTY, Trial Chamber II, The Prosecutor vs. Kupreskic et al., Case No. IT95-16, 14.1.2000, para. 551. 2156 Vgl. ICTR, Trial Chamber I, The Prosecutor vs. Akayesu, Case No. ICTR-964-T, 2.9.1998, para. 580. 2157 Vgl. ICTY, Trial Chamber II, The Prosecutor vs. Tadic, Case No. IT-94-1-T, 7.5.1997, para. 649. 2158 Vom 26.6.2002, BGBl. 2002 I, S. 2254; dazu A. Zimmermann, Auf dem Weg zu einem deutschen Völkerstrafgesetzbuch, ZRP 2002, 97 ff. 2159 A. Zimmermann, Bestrafung völkerrechtlicher Verbrechen durch deutsche Gerichte nach In-Kraft-Treten des Völkerstrafgesetzbuchs, NJW 2002, 3070. 2160 I. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Feld, BGBl. 1954 II, S. 783; II. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See, BGBl. 1954 II, S. 813; III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen, BGBl. 1954 II, S. 838; IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten, BGBl. 1954 II, S. 917, berichtigt 1956 II, S. 1586. Die Genfer Konventionen sind am 21.10.1950 in Kraft getreten; Zusatzprotokolle I und II

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humanitäres Kriegsvölkerrecht, insbesondere gegen die Haager Landkriegsordnung.2161 Als vor dem Internationalen Strafgerichtshof aburteilbare Verbrechenstatbestände haben die Gebote des bisher durchsetzungsschwachen Humanitären Völkerrechts den Status von strikt verbindlichem Recht erhalten. Das Humanitäre Völkerrecht2162 versucht nicht nur im zwischenstaatlichen Krieg, sondern allgemein in „bewaffneten Konflikten“, den Geboten der Menschlichkeit (dem Menschheitsrecht), nachdem das Friedensgebot gebrochen worden ist, wenigstens minimale Geltung zu verschaffen.2163 Es zeigt insoweit Merkmale von Weltrecht.2164 Die Art. 49, 50, 129, 146 der vier Genfer Konventionen verpflichten die Vertragsstaaten, die erforderlichen Strafbestimmungen zu erlassen, Ermittlungen gegen Personen durchzuführen, die der Begehung oder der Erteilung eines Befehls zur Begehung einer schweren Verletzung beschuldigt sind, und diese Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit vor ihre eigenen Gerichte zu stellen oder sie einer anderen, an der gerichtlichen Verfolgung interessierten Vertragspartei zur Aburteilung zu übergeben. In diesem Stück Weltstrafrechtspflege kommt bereits die gemeinsame Verantwortung der Staaten für Menschheitsverbrechen zum Ausdruck.2165 Anders als die Menschenrechtsverträge nimmt das Humanitäre Völkerrecht nicht nur Staatsorgane, sondern zu den Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte v. 8.6.1977 (BGBl. 1990 II, S. 1550, 1637). 2161 IV. Haager Abkommen v. 18.10.1907 betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, dem die Ordnung betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges („Haager Landkriegsordnung“) als Anlage beigefügt ist (RGBl. 1910 II, S. 5); Protokoll v. 14.5.1954 zum Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten; Zweites Protokoll zum Haager Übereinkommen von 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten v. 26.3.1999; siehe auch z. B. Erklärungen v. 29.7.1899 betreffend das Verbot der Anwendung von Geschossen mit erstikkenden oder giftigen Gasen und das Verbot von Geschossen, die sich leicht im menschlichen Körper ausdehnen oder platt drücken (RGBl. 1901 II, S. 474 ff); Protokoll v. 17.6.1925 über das Verbot der Anwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Krieg (RGBl. 1925 II, S. 405); Übereinkommen v. 10.10.1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können, inkl. Protokoll I über nicht entdeckbare Splitter, Protokoll II über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und andere Vorrichtungen und Protokoll III über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Brandwaffen. 2162 Dazu K. Ambos, Zur Bestrafung von Verbrechen im internationalen, nicht-internationalen und internen Konflikt, S. 325; G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 295 ff.; zur Geschichte vgl. M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, 2002, S. 83 ff. 2163 K. Ambos, Zur Bestrafung von Verbrechen im internationalen, nicht-internationalen und internen Konflikt, S. 328 ff.; W. Karl, Das humanitäre Völkerrecht auf dem Weg vom Zwischenstaats- zum Weltrecht, in: Fs. K. Ginther, 1999, S. 577 (580 ff.). 2164 W. Karl, Das humanitäre Völkerrecht auf dem Weg vom Zwischenstaats- zum Weltrecht, S. 580 ff. 2165 W. Karl, Das humanitäre Völkerrecht auf dem Weg vom Zwischenstaats- zum Weltrecht, S. 586.

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auch nicht-staatliche Akteure – Gruppen und Individuen – in die Verantwortung.2166 Die Vorschriften der Genfer Konventionen enthalten jedoch keine Verbrechenstatbestände, die unmittelbare Geltung beanspruchen und aus sich heraus national oder supranational verfolgt werden könnten. Art. 2 des Statutes des Jugoslawien-Tribunals gibt dagegen die Befugnis „to prosecute persons committing or ordering to be committed ,grave breaches‘ of the Geneva Conventions of 12 August 1949 . . .“. Gemäß Art. 3 des Statuts kann das Tribunal „persons violating the laws or customs of war . . .“ verfolgen. Nach Art. 4 des Statuts des Ruanda-Tribunals hat dieses Tribunal die Befugnis, „to prosecute persons committing or ordering to be committed serious violations of Article 3 to the Geneva Conventions . . ., and of Additional Protocol II“. Von Art. 4 der IV. Genfer Konvention werden Personen geschützt, „die sich im Falle eines Konflikts oder einer Besetzung zu irgendeinem Zeitpunkt und gleichgültig auf welche Weise im Machtbereich einer am Konflikt beteiligten Partei oder einer Besatzungsmacht befinden, deren Angehörige sie nicht sind.“ Die Verhandlungskammern des Jugoslawientribunals legten diese Bestimmung unterschiedlich aus.2167 Obwohl das Jugoslawientribunal2168 in verschiedenen Entscheidungen den Begriff des internationalen Konflikts durchaus weit ausgelegt hat2169, hat die Berufungskammer2170 im Fall Tadic entschieden, daß die moslemischen und kroatischen Opfer keine geschützten Personen im Sinne des Art. 4 der IV Genfer Konvention seien, weil sie die gleiche Staatsangehörigkeit wie die serbischen Täter (nämlich die bosnische Staatsangehörigkeit) gehabt hätten.2171 Die Berufungskammer ist damit im Ergebnis einer engen, staats2166 D. Thürer, Der „zerfallene Staat“ und das Völkerrecht, Die Friedenswarte 74 (1999) 3, S. 287; W. Karl, Das humanitäre Völkerrecht auf dem Weg vom Zwischenstaats- zum Weltrecht, S. 580 ff. 2167 ICTY, Case No. IT-94-1-T, Prosecutor vs. Tadic, Decision on Jurisdiction, 10.10.1995, para 50 ff.; Appeal Chamber, Case No. IT-94-1-AR72 Prosecutor vs. Tadic, Appeal on Jurisdiction, 2.10.1995, para. 72 ff.; P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 93 ff. 2168 Sowohl das Ruanda- als auch das Jugoslawientribunal waren auch zur Aburteilung von Verbrechen, die während innerstaatlicher Konflikte begangen wurden, geschaffen worden. ICTY, Prosecutor vs. Tadicˇ , 2.10.1995, Ziff. 89 i.V. m. 137; D. Thürer, Der „zerfallene Staat“ und das Völkerrecht, S. 295. 2169 ICTY, Case No. IT-94-2-R61, Prosecutor vs. Nikolic, Decision of Trial Chamber I on Review of Indictment Pursuant to Rule 61, 20.10.1995, S. 17; Case No. IT95-18-R61, Prosecutor vs. Karadzic and Mladic, Decision of Trial Chamber I on Review of Indictment Pursuant to Rule 61, 11. Juli 1996, para. 88; Case No. IT-95-13R61, Vukovar-Case, Decision of Trial Chamber II on Review of Indictment Persuant Rule 61, 3.4.1996, para. 25; Case No. IT-95-12-R61, Prosecutor vs. Rajic, Decision of Trial Chamber II on Review Of Indictment Persuant to Rule 61, 13.9.1996, para. 13 ff. 2170 Vgl. dazu auch K. Ambos, Zur Bestrafung von Verbrechen im internationalen, nicht-internationalen und internen Konflikt, S. 336 ff. 2171 ICTY-Appeals Chamber, The Prosecutor vs. Tadic, Case No IT-94-1-AR 72, 2.10.1995, para. 118 f., 595, 598, 600, 605, 607, in: ILM 1996, 32 ff.

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orientierten Auslegung2172 gefolgt. Nach Ansicht der Verhandlungskammer müsse Art. 4 der IV. Genfer Konvention hingegen flexibel und im Sinne seines menschenrechtlichen Schutzzwecks ausgelegt werden. Allen Personen, die nicht aktiv an den Feindseligkeiten beteiligt waren und sich zwischen den Fronten befinden, müsse der Schutz des Art. 4 IV. Genfer Konvention zu Teil werden.2173 Letztgenannte Entscheidung bestätigt die zu befürwortende menschenrechtsorientierte Auslegung, wonach Opfer im Sinne des Art. 4 IV. Genfer Konvention auch solche Personen sein können, welche die gleiche Staatsangehörigkeit wie die Täter haben.2174 Es gibt keinen überzeugenden, sachlichen Grund, den Schutz der Zivilbevölkerung davon abhängig zu machen, ob es sich um einen internationalen oder nicht internationalen Konflikt handelt.2175 Die Unterscheidung zwischen internationalen und nicht-internationalen Konflikten, die eng mit dem territorialitätsbezogenen Souveränitätskonzept verbunden ist2176, wird von der Lehre zum Völkerstrafrecht zunehmend kritisiert, weil sie zu unterschiedlicher strafrechtlicher Behandlung gleicher Sachverhalte führt. Auch ohne Kriegsgefangenenstatus gelten jedenfalls nach Art. 3 aller vier Genfer Rot-Kreuz-Konventionen von 1949 subsidiär bestimmte humanitäre Mindestgarantien.2177 Eindeutige Strafvorschriften und eine individuelle Strafverantwortlichkeit waren in der Vergangenheit jedoch für nicht-internationale Konflikte nicht anerkannt.2178 Die UN-Menschenrechtskommission bemüht sich derzeit um einen minimum humanitarian standard, der auf jede Art von (innerstaatlichem) Konflikt anzuwenden ist.2179

2172 Vgl. auch ICTY-Appeals Chamber, Prosecutor vs. Tadic, Case No. IT-94-1-A, 15.7.1999, para. 118. nach den Regeln der Staatenverantwortlichkeit seien Straftaten, die Privatpersonen aufgrund bestimmter Anweisungen oder mit nachträglicher Billigung eines fremden Staates auf fremdem Staatsgebiet begangen haben, diesem zuzurechnen. 2173 ICTY-Trial Chamber, Prosecutor vs. Delalic, Case No. IT-96-21-T, 16.11. 1998, para 275. So auch die deutsche Rechtsprechung vgl. BayOLG, NJW 1998, 394, 395. 2174 ICTY-Appeals Chamber, Prosecutor vs. Tadic, Case No. IT-94-1-A, 15.7.1999, para 163 ff. 2175 P. Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, 1999, S. 105; dazu auch S. Oeter, Terrorismus und Menschenrechte, AVR 40 (2002), S. 422 ff. 2176 Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September 2001, AVR 2002, S. 383 (389). 2177 J. A. Frowein, Der Terrorismus als Herausforderung für das Völkerrecht, ZaöRV 62 (2002), S. 896 f.; Th. Bruha, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht nach dem 11. September 2001, AVR 40 (2002), S. 383 (418 f.); S. Oeter, Terrorismus und Menschenrechte, AVR 40 (2002), S. 448 ff. zum Komplementaritätsverhältnis von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht. 2178 Dazu K. Ambos, Zur Bestrafung von Verbrechen im internationalen, nicht-internationalen und internen Konflikt, S. 326 f., 340 ff.; vgl. auch P. Arnold, Der UNOSicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 92 ff., 116 ff.

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Die Formulierung der Kriegsverbrechen in Art. 8 Abs. 2 lit. d. und f) ICCStatut konsolidiert insofern eine weltrechtliche Entwicklung, als in weitem Umfang auch Verletzungen des Humanitären Völkerrechts in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten über die engeren Vorgaben des Zweiten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen2180 hinaus, als Kriegsverbrechen erfaßt werden.2181 Art. 8 ICC-Statut unterscheidet zwar zwischen Verbrechen, die in einem internationalen Konflikt begangen worden sind (Abs. 2 lit. b), und solchen, die in nicht-internationalen Konflikten verübt worden sind (Abs. 2 lit. c). Der Tatbestand erkennt aber auch für nicht-internationale Konflikte bei schweren Verstößen gegen den gemeinsamen Art. 3 der vier Genfer Abkommen einige Verbrechenstatbestände gegenüber unbeteiligten Zivilpersonen an: Angriffe auf Leib und Leben, vorsätzliche Tötung, Verstümmelung, grausame Behandlung, Folter, entwürdigende und erniedrigende Behandlung, Geiselnahme, Verurteilungen und Hinrichtungen ohne Urteil eines gesetzlichen Richters. Im Unterschied zu den Genfer Abkommen können die in Art. 8 Abs. 2 Buchstabe b ICC-Statut genannten Kriegsverbrechen nicht nur an Zivilisten und Personen begangen werden, die nicht mehr an den Feindseligkeiten teilnehmen. Vielmehr schützen sie auch Kombattanten, sofern die einzelnen Delikte nicht ausdrücklich auf andere Personengruppen beschränkt sind. Straftatbestände in Zusammenhang mit schweren Verstößen gegen andere Bestimmungen des Humanitären Völkerrechts, wie die diversen Haager Abkommen sowie die schweren Verletzungen des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen, aber auch neuere Konventionen im Bereich der Methoden der Kriegführung und des Einsatzes unzulässiger Waffen, unterfallen der Gerichtsbarkeit des IStGH nach Art. 8 Abs. 2 lit. f ICC-Statut nur, wenn es sich um „lang anhaltende“ bewaffnete Konflikte handelt.2182 Damit werden auch Guerillasituationen wie in Liberia und Somalia erfaßt.2183 Voraussetzung ist nicht, daß die aufständischen oder die rivalisierenden Banden effektiv Hoheitsgewalt in einem bestimmten Gebiet ausüben. Bloße innere Unruhen, Spannungen oder Tumulte, selbst die Vorgehensweise der chinesischen Behörden gegen die Demonstranten auf dem Platz des

2179 UN-ECOSOC-Commission on Human Rights, Promotion and Protection of Human Rights. Fundamental Standards of Humanity. Report of the Secretary General submitted pursuant to Commission resolution 1998/29. UN Doc. E/CN.4/1999/92, 18.12.1998, S. 2. 2180 II. Zusatzprotokoll über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte, BGBl. 1990 II, S. 1637, welches den Opferschutz auch in nicht-internationalen Konflikten, namentlich in Bürgerkriegen, verbessert hat; dazu K. Ambos, Zur Bestrafung von Verbrechen im internationalen, nicht-internationalen und internen Konflikt, S. 338 ff. 2181 Dazu G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 311 ff. 2182 Vgl. K. Ambos, Zur Bestrafung von Verbrechen im internationalen, nicht-internationalen und internen Konflikt, S. 344 f. 2183 G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 318 ff.

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Himmlischen Friedens im Jahre 1989 fallen jedoch nicht in den Anwendungsbereich der Kriegsverbrechenstatbestände.2184 Soweit Terroristen in staatliche Streitkräfte eingegliedert, d. h. Kombattanten sind (Art. 43 ZP I2185), unterliegen sie als Kriegsgefangene (Art. 45 Abs. 1 ZP I) entsprechend dem III. Genfer Abkommen. Soweit sie nicht in die Streitkräfte eingegliedert sind, aber an Feindseligkeiten teilgenommen haben, müssen sie gemäß Art. 45 ZP I im Zweifel als Kriegsgefangene behandelt werden, wenn sie den Kriegsgefangenenstatus beanspruchen, bis ein zuständiges Gericht darüber entschieden hat.2186 Etwas anderes gilt jedoch, wenn sie sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben, weil sie sich verbotener Kampfmethoden, bedient haben und vornehmlich nicht-militärische Ziele und Zivilpersonen2187 angegriffen haben. Ein Zugeständnis an nationale Souveränitätsinteressen ist die opt out-Klausel des Art. 124 ICC-Statut, welche es einem Staat ermöglicht, die Gerichtsbarkeit für die Verbrechen des Art. 8 für sieben Jahre nach Inkrafttreten des Statuts für ihn auszusetzen. ee) Verbrechen der Aggression Die Kriminalisierung der Aggression bedeutet eine klare Grenze für die äußere staatliche Souveränität und läßt erkennen, daß das Aggressionsverbot und umgekehrt das Friedensgebot nicht nur militärisch durchsetzbar sind, sondern die Verantwortlichen im Sinne des Legalitätsprinzips (3. Teil, D, S. 362 ff.) auch dafür persönlich unter Strafe gestellt werden können. Bisher konnte weder eine Einigung über die Definition und Voraussetzungen des Aggressionsverbrechens noch über die Vereinbarkeit mit der UN-Charta, insbesondere die Rolle des UN-Sicherheitsrates bei der Verfolgung solcher Verbrechen, erzielt werden. Deshalb gibt Art. 5 Abs. 1 lit. d ICC-Statut zwar einerseits dem Internationalen Strafgerichtshof die Zuständigkeit für die Aburteilung von Aggressionen und erkennt sie grundsätzlich als Verbrechen an, andererseits darf der Gerichtshof bis zu einer vertraglichen Einigung über diesen Tatbestand nicht judizieren.2188

2184 Vgl. A. Zimmermann, Bestrafung völkerrechtlicher Verbrechen durch deutsche Gerichte nach In-Kraft-Treten des Völkerstrafgesetzbuchs, NJW 2002, 3068 (3070). 2185 Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen v. 12. 8.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte v. 8.6.1977, UNTS 1125, p. 3; BGBl. 1990 II, S. 1550. 2186 Vgl. zu dieser Problematik und ihrem Verhältnis zum Menschenrechtsschutz in der strafrechtlichen Verfolgung R. Arnold, Human Rights in Times of Terrorism, ZaöRV 66 (2006), 297 (302 ff.). 2187 Dazu G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 376 ff. 2188 Dazu G. Werle, Völkerstrafrecht, S. 428 ff.

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c) Strafe und Strafzumessung, Strafvollstreckung Der IStGH kann Freiheitsstrafen bis zu 30 Jahren, lebenslange Freiheitsstrafe oder Geldstrafen verhängen (Art. 77 ICC-Statut). Neben dem Ausschluß der Todesstrafe ist bemerkenswert, daß die Möglichkeit eröffnet wird, eine lebenslange Freiheitsstrafe nach 25 Jahren zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen. Die Strafen werden in den Staaten vollstreckt, die sich zuvor hierzu gegenüber dem Gerichtshof bereit erklärt haben (Art. 103 ICC-Statut). Die Vollstrekkung der Freiheitsstrafen durch die Vertragsstaaten ist nach den Regelungen in Teil 10 ICC-Statut von der jeweiligen staatlichen Zustimmung abhängig. Nicht nur bedarf es einer gesonderten staatlichen Zustimmung zur Aufnahme in eine beim Gerichtshof geführte Liste vollstreckungsbereiter Staaten, sondern zusätzlich muß der jeweilige Listenstaat der Vollstreckungsübernahme zustimmen, wenn er vom Gerichtshof zur Vollstreckung im Einzelfall bestimmt wird. Hilfsweise obliegt die Vollstreckung von Freiheitsstrafen den Niederlanden als Gaststaat. Mangels eigener Strafvollstreckungsgewalt des Internationalen Strafgerichtshofs stellen die Völker diesem somit, soweit sie das wollen, in Amtshilfe ihre Justizvollzugsinstitutionen zur Verfügung. 6. Stellungnahme: Römisches Statut als Weltrecht Sowohl institutionell als auch materiell repräsentiert das Römische Statut einen weltrechtlich-menschheitsrechtlichen Ansatz. Indem es schwere Verletzungen gegen die Menschlichkeit, d. h. gegen die Menschenwürde, unter Strafe stellt und gegebenenfalls durch den Internationalen Strafgerichtshof verfolgbar, aburteilbar und vollstreckbar macht, verwirklicht das Statut die Menschheitsverfassung. Die durch das Statut geschützten Menschenrechte werden im Sinne des Rechts durchsetzbar, wenn auch nicht durch die jeweils betroffenen Opfer. Dennoch werden diese insoweit als Rechtssubjekte des Menschheitsrechts erkannt, als die in den Straftatbeständen enthaltenen Verbote von Verbrechen gegen die Menschlichkeit echte subjektive Pflichten begründen. Diesen subjektiven Pflichten, die letztlich von Mensch zu Mensch bestehen, entsprechen insbesondere die subjektiven Menschenrechte der Menschenwürde, der Gesundheit, des Lebens und der Bewegungsfreiheit. Durch das Römische Statut wird der Menschenrechtsschutz gegenüber dem Souveränitätsprinzip gestärkt und die weltrechtliche Täterverantwortlichkeit kodifiziert. Das Statut bekräftigt den Grundsatz individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit als Leitprinzip einer auf Frieden und Gerechtigkeit basierenden Weltordnung. Weil herkömmliche Prinzipien des Völkerrechts wie die Immunität und die Staatenverantwortlichkeit zugunsten des Schutzes der Menschenrechte durch das Prinzip individueller Verantwortlichkeit im Anwendungsbe-

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reich des Statuts außer Kraft gesetzt werden, manifestiert das Römische Statut auf dem Gebiet des Strafrechts einen Paradigmenwechsel vom Völker zum Weltrecht. Es ist völkervertraglich kodifiziertes Weltrecht. Der Internationale Strafgerichtshof ist zwar wegen seiner Gründung durch völkerrechtlichen Vertrag institutionell ein internationales Gericht, funktionell aber weitgehend ein Weltstrafgericht, das, wenn nötig, auch ex officio tätig werden kann. Was seine Zusammensetzung angeht, weist das Gericht (wegen der notwendig begrenzten Zahl der Richter) auch institutionell weltstaatliche Züge einer Völkercivitas auf. Aufgrund der komplementären, ausnahmehaften Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs kann seine demokratische Legitimation über die Zustimmung der nationalen Parlamente zum Statut noch als hinreichend angesehen werden, solange das Gericht seine Zuständigkeit nicht im Wege weiter Interpretationen ausdehnt und das Statut eng am Wortlaut auslegt. Dies ist auch aufgrund der menschenrechtsempfindlichen strafrechtlichen Materie geboten. VI. Ergebnis zur Entwicklung des Menschheitsrechts Der Grundsatz der Menschlichkeit hat sich jedenfalls in seiner objektiven Dimension generell im Völkerrecht etabliert und ergänzt die völkerrechtlichen Prinzipien um folgende: • Prinzip der Menschenwürde und der Achtung der Menschenrechte • Menschheitliches Gewaltverbot • Prinzip der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit In der heutigen Völkerrechtspraxis und Lehre wird die Menschenrechtsfrage nicht mehr nur als „innere Angelegenheit“ der Staaten betrachtet. Damit ist das Prinzip der Nichteinmischung erheblich relativiert. Humanitäre Interventionen nach der Willkür einzelner Staaten oder der NATO sind jedoch nach wie vor mit dem Gewaltverbot unvereinbar, das als elementares Rechtsprinzip zwischen den Staaten vorrangig bleibt. Etwas anderes gilt für die Vereinten Nationen, deren Sicherheitsrat im Rahmen seiner Ermächtigung zur Friedenssicherung in begrenztem (und aus Gründen der Rechtssicherheit genauer zu bestimmendem) Umfang zu humanitären Interventionen befugt ist. Das zwischenstaatliche Gewaltverbot verändert sich zum weltrechtlichen Verbot militärischer oder paramilitärischer Gewalt unabhängig, von welchem Subjekt diese ausgeht. Deshalb können selbst einzelne, insbesondere terroristische Vereinigungen den Weltfrieden verletzen und Adressaten und Verpflichtete des Gewaltverbots und damit Subjekte des Weltrechts sein. Mit der Anerkennung des Prinzips individueller, völkerstrafrechtlicher Verantwortlichkeit für Menschheitsverbrechen ist das Dogma der ausschließlichen

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Staatenbezogenheit des Völkerrechts wesentlich durchbrochen. Die Materialisierung des Weltstrafrechts und die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs verwirklichen das Weltrecht in diesem Bereich weitgehend.

G. Von den Vereinten Nationen zur Weltcivitas? I. Vorschläge zu Reform und Ausbau des UN-Systems Um einerseits die Defizite der Vereinten Nationen zu beseitigen und sie andererseits globalen Rechtserfordernissen anzupassen, wird z. T. vorgeschlagen, das bestehende UN-System institutionell auszubauen.2189 Dies würde gegebenenfalls eine Änderung der UN-Charta verlangen, deren Voraussetzungen (z. B. Zweidrittelmehrheit der Mitglieder, Zustimmung aller ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat) in Art. 108, 109 UN-Charta festgelegt sind. Eine Reform der Vereinten Nationen hätte den Vorteil, daß ein vorhandener und vertrauter Organisationsrahmen genutzt werden könnte. Es sind schon zahlreiche Entwürfe zur Reform der UN gemacht worden.2190 Unter Bezugnahme auf Kants Friedens2189 G. Clark/L. B. Sohn, World Peace through World Law, 1958, dt.: Frieden durch ein neues Weltrecht, 1961, S. 16 ff., 99 ff.; grundlegend: J. P. Baratta, Strengthening the United Nations: A Bibliography on U.N. Reform and World Federalism, 1987; R. J. Glossop, World Federation?, 1993, S. 193 ff.; D. Held, Democracy and the Global Order, 1995, S. 269 f.; D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 135 ff.; M. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, in: ders./J. Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 1996, S. 25 (44); S. Mögle-Stadel, Die Unteilbarkeit der Erde, 1996, S. 151 ff.; K.-M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, 1999, S. 18 ff.; J. Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, in: ders. (Hrsg.), Der gespaltene Westen, 2004, S. 172 ff. 2190 Etwa G. Clark/L. Sohn, World Peace through World Law, 1958; R. Falk/C. E. Black (eds.), The Future of the International Legal Order, 1969; K. Baltz, Eine Welt, S. 81 ff.; Campaign for more Democratic United Nations (CAMDUN conferences) 13.–15.10.1990; 17.–19.9.1991; 25.–27.9.1993; dazu auch K.-M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, 1999, S. 18 ff., 48 ff.; International Network for a United Nations 2nd Assembly (INFUSA); Lelio Basso Basso International Foundation for the Rights and the Liberation of the Peoples, Rome, 15.–16.4.1991 („The UN between War and Peace“); seit über 20 Jahren hat sich die Basso Foundation auch für ein Internationales Völkergericht eingesetzt; E. Childers, The Future of the United Nations. The Challenges of the 1990s’, Bulletin of Peace Proposals, 21, 2 (1990), S. 153 ff.; H. Stassen, The 1990 Draft Charter Suggested for a Better United Nations Organization, New York (Glenview Foundation), 1990; Boutros Boutros-Gali, An Agenda for Peace, 1992, die keine grundsätzliche Revision, sondern eher eine Ausschöpfung der bisherigen Mittel anvisiert; Generalversammlung v. 14.7.1992, Erneuerung der Vereinten Nationen: Ein Reformprogramm, A/51/950; Comission on Global Governance, Report: Our Global Neighborhood, 1995; Zusammenfassung in: E. E. Harris/J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 167 ff.; kritisch dazu insbesondere G. T. Martin, A Planetary Paradigm for Global Government, in: E. E. Harris/J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 1 (11 ff.); E. E. Harris, Global Governance or World Government?, in: ders./James A. Yunker, Toward Genuine Glo-

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schrift schlägt z. B. Ernst-Ulrich Petersmann vor, die UNO mit supranationalen Befugnissen auszustatten, die der Sicherung der Individualrechte dienen.2191 Alle Vorschläge, welche den Status der UN-Organe, insbesondere den des Sicherheitsrats, betreffen2192, sind allerdings daran gescheitert, daß jede Änderung der UN-Charta der Zustimmung aller ständigen Mitglieder bedarf (Art. 108, 109 Abs. 2).2193 Es sind zwar derzeit Reformdiskussionen zwischen den Mitgliedern der UN im Gange. Bisher fehlt es aber am Willen aller (privilegierten) ständigen Mitglieder, das UN-System durch institutionelle Veränderungen, Kompetenzerweiterungen und eine bessere und gesicherte Finanzausstattung handlungsfähiger zu machen.2194 Um so mehr erscheint unter dem Aspekt, wie das Weltrecht im Rahmen der Vereinten Nationen verwirklicht werden kann, eine Betrachtung der Reformmöglichkeiten sinnvoll.

bal Governance, 1999, S. 76 ff. sowie Ph. Isely, A Critique of „Our Global Neighborhood“, in: E. E. Harris/J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, S. 93 ff.; zu den Empfehlungen der unabhängigen Arbeitsgruppe zur Zukunft der Vereinten Nationen vom 19.6.1995: R. v. Weizsäcker, Alles steht und fällt mit dem politischen Willen der Mitglieder. U-Reform als Vorbereitung auf die nächsten 50 Jahre, HFR 21996; Generalversammlung/Sicherheitsrat, Brahimi-Bericht v. 21.8.2000, A/55/305 – S/2000/809; Überblick über die wichtigsten Vorschläge bei: E. F. Sauer, Staatsphilosophie, 1965, S. 328 ff.; R. Falk/S. Kim/S. Mendlovitz (eds.), The United Nations and a Just World Order, 1991; R. J. Glossop, World Federation?, 1993, S. 193 ff.; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2002, S. 332 ff.; K. Hüfner/J. Martens, UNO-Reform zwischen Utopie und Realität, 2000, S. 16 ff., aktuellere S. 160 ff.; Millenniums-Deklaration, Generalversammlung v. 8.9.2000, A/RES/55/2, Nr. VIII; Bericht des Generalsekretärs, Generalversammlung v. 9.9.2002, Stärkung der Vereinten Nationen: eine Agenda für weitere Veränderungen, A/57/387; einen Überblick über die Diskussion zur Reform der UNO gibt auch V. M. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, 2000, S. 226 ff. m.w. N.; vgl. auch H. Volger, UN-Reform ohne Charta-Revision? Der Stand der Reformbemühungen nach dem Milleniumsgipfel, in: S. v. Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 733 ff.; Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, insbes. S. 73 ff.; Bericht des Generalsekretärs, Generalversammlung v. 21.3.2005, In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle, A/59/2005. 2191 E.-U. Petersmann, How to Constitutionalize the United Nations?, in: Liber amicorum G. Jaenicke, 1998, S. 313 (325). 2192 Vgl. B. Fassbender, UN Security Council Reform and the Right of Veto, 1998; z. B. die CAMDUN-Kampagne(www.camdun-online.gn.apc.org/), die schon etwa hundert Staaten mit schriftlichen Anträgen unterstützt haben. Mit Resolution 47/62 hat die Generalversammlung eine Arbeitsgemeinschaft auf „die Frage gleicher Repräsentation und Erhöhung der Mitglieder des Sicherheitsrates ins Leben gerufen. 2193 D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, 1995, S. 152; vgl. auch D. Zolo, Cosmopolis, 1997, S. 169 ff., der die Vereinten Nationen nicht für reformierbar halt. 2194 D. Messner/F. Nuscheler, Global Governance, S. 351.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

1. Streitschlichtungssystem Ein Beitrag zur effektiveren Friedenssicherung, der nicht die Entstehung eines Weltpolizeistaates befürchten läßt, wäre die Schaffung eines obligatorischen Streitbeilegungssystems zur Verhinderung von Kriegen und Beilegung von Konflikten. Antragsberechtigt wäre jeder Staat. Das Verfahren dürfte nur abgelehnt werden, wenn alle Staaten dagegen sind.2195 Die (erfolglose) Durchführung des Streitschlichtungsverfahrens könnte außer im Verteidigungsfalle zur Voraussetzung für Maßnahmen kollektiver Sicherheit durch den Sicherheitsrat gemacht werden. 2. Weltgerichtshof Neben der bereits eingerichteten Weltstrafgerichtsbarkeit2196 sollte der Internationale Gerichtshof in allen internationalen Streitfällen obligatorisch zuständig sein (s. a. 3. Teil, C, S. 357 ff.). Anders als bisher sollte er nicht nur für Verfahren zwischen Staaten anrufbar sein, sondern auch für Konflikte zwischen Staaten und Internationalen Organisationen. Darüber hinaus könnte Nichtregierungsorganisation mit Konsultativstatus in bestimmten Fällen ein Klagerecht zugebilligt werden. Ein Weltmenschengerichtshof (6. Teil, F, S. 935) sollte (subsidiär gegenüber der nationalen Gerichtsbarkeit) Personen und Staaten Menschenrechtsverletzungen verbindlich feststellen. 3. Generalversammlung als Staatenkammer Entsprechend dem Grundsatz der Gleichheit der Staaten könnte die Generalversammlung wie der Sicherheitsrat im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse nach Art. 10 ff. UN-Charta oder zumindest teilweise mit dem Vermögen, verbindliches Sekundärrecht zu setzen, ausgestattet werden.2197 Ihre Sekundärrechtsetzung wäre anders als die des Sicherheitsrates durch den Willen der gesamten Staatengemeinschaft gedeckt und insofern unbedenklicher. Im Bereich der allgemeinen Verwirklichung des Weltrechts, insbesondere der Menschenrechte, könnte die Generalversammlung übergangsweise vergleichbar dem ILO-Rechtsetzungsprozeß (dazu 6. Teil, C, S. 785 ff.) Abkommen beschließen, die bereits gewisse Verbindlichkeiten auslösen (z. B. Berichtspflichten der Staaten), innerstaatliche Verbindlichkeit aber erst nach Ratifizierung durch die nationalen Parlamente entfalten. Dafür bedürfte es einer Änderung der UN-Charta gemäß 2195

Vgl. Art. 6 Abs. 1 DSU für das WTO-Streitbeilegungsverfahren. J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 192 (219); zum Internationalen Strafgerichtshof 6. Teil, F, S. 997 ff. 2197 Vgl. C. Grenville/L. B. Sohn, World Peace through World Law, 1958, dt. Ausgabe der 2. Aufl.: Frieden durch ein neues Weltrecht, 1961, S. 19 ff., 99 ff. 2196

G. Von den Vereinten Nationen zur Weltcivitas?

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Art. 108 UN-Charta. Die Generalversammlung wäre dann eine Staatenkammer i. S. eines Völkerstaates (5. Teil, C, S. 644). Nach Art. 12 UN-Charta bliebe es allerdings beim Vorrang des Sicherheitsrates. Für die Mitglieder der Staatenkammer empfiehlt sich, um den Einfluß der Staaten (und Parlamente) auf dieses Gremium zu erhalten, ein imperatives Mandat. Dem Grundsatz der Gleichheit der Staaten entspräche es, in der Staatenkammer die uneingeschränkte formelle Stimmengleichheit der Staaten beizubehalten. Otfried Höffe befürwortet dagegen einen mittleren Weg zwischen den Prinzipien der Gleichheit der Staaten und der Berücksichtigung der Bevölkerungszahl oder der tatsächlichen Bedeutung des Staates.2198 Denkbar in diesem Sinne ist die Einführung einer qualifizierten Mehrheit in bestimmten Fragen, in denen die Stimmen der Staaten ähnlich dem Rat der Europäischen Union je nach ihrer Bedeutung, orientiert an ihrer Einwohnerzahl, mit unterschiedlichem Gewicht ausgestattet werden. Solange die Vereinten Nationen als universelle Organisation keine Bedingungen an die demokratische und rechtsstaatliche Verfaßtheit ihrer Mitglieder stellen wollen, bliebe das Stimmengewicht der Staaten allerdings unabhängig davon, ob die Staaten in ihrem Inneren freiheitlich-demokratisch strukturiert sind.2199 Dies würde sich erst ändern, wenn sich eine von den Bürgern der Staaten gewählte Vertretung der Nationen entwickelt.2200 Zu überlegen ist, ob Staaten in Abhängigkeit zu ihrer Bevölkerungszahl nur dann ein höheres Stimmengewicht eingeräumt werden sollte, wenn sie bestimmte UNO-Mindeststandards in der Sicherung von Freiheit und Recht erfüllen. 4. Senat Vorgeschlagen wird außerdem neben der Generalversammlung eine weitere UN-Versammlung, die sich nationen- und parteiunabhängig aus Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, Bürgervereinigungen) Vertretern indigener Völker und Wissenschaftlern zusammensetzt2201, nach Art. 22 UN-Charta als beratendes Nebenorgan der Generalversammlung einzurichten. Denkbar ist auch ein Dreikammersystem.2202 Dieser Senat soll sich mit allen drängenden Fragen der Menschheit und der Globalisierung befassen.2203 Die Wahl der Senatsmitglieder könnte allerdings Schwierig2198

Dazu O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 311 ff. D. Held, Democracy and the Global Order, S. 273 f.; D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 139 f. 2200 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 273 f.; D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 139. 2201 Vgl. M. Brauer, Weltföderation, 1995, S. 279 f.; V. Muthukumaran, The UN is still Relevant, but Needs Restructuring, The Federalist Debate 1/2004, S. 23 (24). 2202 Vgl. K.-M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, S. 50. 2203 Vgl. M. Brauer, Weltföderation, S. 279 f. 2199

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

keiten bereiten. Denkbar wäre deren Wahl durch die nationalen Parlamente2204 oder nach demokratischen Grundsätzen durch die Nichtregierungsorganisationen selbst2205. Wenn nicht-staatliche Mitglieder in einem Dreikammersystem über Rechtsetzungsbefugnisse verfügen sollten, wäre allein durch eine Wahl in den Nichtregierungsorganisationen der personellen demokratischen Legitimation nicht hinreichend Rechnung getragen. 5. Weltbürgerversammlung (Weltparlament) Nach klassischer Auffassung ist die allgemeine Selbstbestimmung der Bürger ohne ein Parlament aus Vertretern des ganzen Volkes nicht realisierbar.2206 Entsprechend dem dualen Legitimationsschema ist von Anhängern kosmopolitischer Demokratie vorgeschlagen worden, daß sich die in einen Ministerrat verwandelte UN-Generalversammlung ihre Kompetenzen mit einer weiteren Kammer, einer Versammlung der Weltbürger, teilen müßte.2207 Alternativ wird über eine aus Vertretern der nationalen Parlamente zusammengesetzte Versammlung nachgedacht.2208 Die Staatenkammer könnte für die zwischenstaatlichen Aufgaben, insbesondere für die zwischenstaatliche Sicherheit und den zwischenstaatlichen Frieden, vorrangig zuständig sein, die Weltbürgerversammlung prioritär für Menschenrechtsfragen, ökonomische, soziale und ökologische Probleme.2209 Soweit einer dieser Fragen auch die zwischenstaatliche Sicherheit und den Weltfrieden berührt, muß die Staatenkammer ein Vetorecht haben. Mit einer, zumindest für Angelegenheiten des Weltfriedens zuständigen, Weltbürgerversammlung, die nach egalitären Grundsätzen gewählt werden müßte, würde eine minimale Weltrepublik im existentiellen und institutionellen Sinne geschaffen (dazu 5. Teil, C, S. 641 ff.). Die Befugnisse der nationalen Parlamente würden dennoch dadurch nicht angetastet, weil den einzelnen Staa2204

Vgl. M. Brauer, Weltföderation, S. 280. Vgl. Art. 36 Bayerische Verfassung vor Abschaffung des Senats durch das Gesetz zur Abschaffung des Bayerischen Senats vom 20. Februar 1998 (GVBl. S. 42), das am 1.1.2000 in Kraft getreten ist. 2206 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 638. 2207 D. Archibugi, International Organization in perpetual peace projects, Review of International Studies, 18 (1992), S. 295 (315 f.); N. Vallinoto, A Coalition for a World Parliament, The Federalist Debate, 1/2004, p. 13 ff.; vgl. auch J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 218; dazu 5. Teil, C, III, 5. 2208 J. Neumann, Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, 2002, S. 58; vgl. auch Parlamentariertreffen bei WTO-Ministerkonferenzen: WTO-Press/159/1999; zur Beteiligung des Europäischen Parlaments und nationaler Parlamente an WTO-Aktivitäten M. Hilf/F. Schorkopf, Das Europäische Parlament in den Außenbeziehungen der Europäischen Union, EuR 34 (1999), S. 185 (201 f.). 2209 O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, S. 310. 2205

G. Von den Vereinten Nationen zur Weltcivitas?

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ten (außer im Falle eines UN-Auftrags) ohnehin kein Recht zum Krieg oder zur militärischen Sicherung des Weltfriedens zusteht, sondern dies von den Staaten der ausschließlichen Zuständigkeit der Vereinten Nationen übertragen worden ist. Das Recht zur Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta) bleibt unberührt. Voraussetzung für parlamentarische Demokratie auf Weltebene ist vor allem ein, eine Weltöffentlichkeit voraussetzendes, Weltbürgerbewußtsein (5. Teil, C, S. 645 ff.), an dem es heute noch mangelt. Jeffrey Segall will deshalb das Weltbürgerrecht noch nicht voll zur Geltung kommen lassen und schlägt vor, die „zweite Versammlung“ nur als konsultatives Beratungsorgan für den Sicherheitsrat auszugestalten.2210 Zur Entwicklung eines weltbürgerlichen Bewußtseins, zur Erprobung und als Vorstufe für ein echtes Weltparlament wäre dies durchaus begrüßenswert, wenn den nationalen Parlamenten ihre Kontrollbefugnisse dadurch nicht genommen würden. Für eine beratende Weltbürgerversammlung müßte nicht einmal die UN-Charta geändert werden, wenn die Weltbürgerversammlung als Hilfsorgan nach Art. 22 UN-Charta geschaffen werden würde.2211 Die Einführung einer Weltbürgerversammlung setzt aber in anderer Hinsicht eine grundlegende Reform des UN-Systems voraus: Unter der derzeitigen, auf die hegemoniale Machtverteilung in der Welt abgestimmten, Struktur der Vereinten Nationen (6. Teil, C, S. 728 ff.), die sich im Entscheidungsorgan Sicherheitsrat widerspiegelt, trägt eine parlamentarische Versammlung, die weder die Gleichheit der Bürger noch die der Staaten stützten würde, kaum etwas zur Entwicklung kosmopolitischer Demokratie bei. 6. Menschenrechtsrat Mit einer Resolution der Vollversammlung vom 15. März 2006 ist statt der Menschenrechtskommission ein ständiger Menschenrechtsrat als Hilfsorgan der Generalversammlung eingerichtet worden.2212 Er ist ein völkerstaatliches Organ. Ein großes Problem der Menschenrechtskommission war, daß ihre Mitglieder zum Teil selbst zu denjenigen Staaten gehörten, welche die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen begingen und sich insoweit gegenseitig deckten. Dennoch gab es auch für den neuen Menschenrechtsrat nicht genügend Unterstützung unter den Mitgliedstaaten für den ausdrücklichen Ausschluß von Unrechtsstaaten. Bei der Wahl soll allerdings der Beitrag des jeweiligen Staates zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte berücksichtigt werden und 2210 J. Segall, Building World Democracy Through the UN, Medicine and War, 6 (1990), S. 274 ff.; ders., A UN Second Assembly, in: Barnaby (ed.), Building a More Democratic United Nations, 1991, S. 93 ff. 2211 D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 142; dazu kritisch Ph. Isely, A Critique of „Our Global Neighborhood“, in: E. E. Harris/J. A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, 1999, S. 93 (118 ff.). 2212 A/RES/60/251 v. 3.4.2006.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

mit Zweidrittelmehrheit kann die Mitgliedschaft von Staaten, welche schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen begehen, suspendiert werden (Ziff. 8). Damit findet das weltrechtlich geforderte Rechtsstaatsprinzip als Maßstab (3. Teil, C, S. 341 ff.) für die Mitglieder des Menschenrechtsausschusses zumindest eine schwache Berücksichtigung. Weil ihnen dies nicht weit genug ging, haben die USA gegen die Resolution gestimmt und eine Teilnahme am Menschenrechtsrat abgelehnt.2213 Die 47 Ratsmitglieder, deren Kandidaten gleichmäßig die regionalen Räume Afrika, Asien, Osteuropa, Lateinamerika und Karibik sowie Westeuropa repräsentieren, werden „direkt und einzeln in geheimer Wahl durch die Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vollversammlung“ gewählt (Ziff. 8). Das bedeutet, daß Staaten anders als im Falle der Kommission nicht schon deshalb in den Rat gewählt werden, weil es keinen Gegenkandidaten aus der eigenen Region gibt. Es muß eine eigene Wahl für jede einzelne Kandidatur geben. Staaten, die nicht die absolute Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten (96) erringen, werden nicht in den Rat aufgenommen. Sein Status wird in fünf Jahren von der Generalversammlung überprüft werden (Ziff. 1) – mit der Möglichkeit, daß er ein „Hauptorgan“ neben dem Sicherheitsrat und dem Wirtschafts- und Sozialrat wird. In der Zwischenzeit hat der Rat das ausdrückliche Mandat – was die Kommission nicht hatte –, in allen Bereichen der Arbeit der Vereinten Nationen die Koordination und die Verankerung der Menschenrechte effektiv zu fördern (Ziff.2). Er kann Empfehlungen abgeben (Ziff. 3), Der neue Rat wird regelmäßig während des ganzen Jahres tagen und kann unverzüglich auf Menschenrechtsnotlagen mit kurzfristig anberaumten außerordentlichen Sitzungen reagieren, sobald ein Drittel der Mitglieder dies beantragt. In der Kommission war das Verfahren viel langsamer, und es bedurfte eines Mehrheitsvotums. Der Rat wird regelmäßig die Menschenrechtslage nicht nur in einigen ausgewählten, sondern in allen Staaten nach den Prinzipien „der Universalität, Unparteilichkeit, Objektivität und Nichtselektivität“ und in einem „konstruktiven internationalen Dialog“ überprüfen (Ziff. 4). Der Rat hat die Befugnis zu Empfehlungen gegenüber Mitgliedstaaten und der Generalversammlung, zu Berichten aufgrund kooperativer Verfahren über die Einhaltung der Menschenrechte, in Beziehung mit dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte aufgrund Resolution 48/141 vom 20. Dezember 1993 und zum Jahresbericht an die Generalversammlung. Außerdem tritt der Menschenrechtsrat in die Rolle ein, welche die Menschenrechtskommission in den Individualbeschwerdeverfahren gespielt hat (Ziff. 6). Bisher verfügt der Menschenrechtsrat weder über echte Rechtsetzungs- noch über Gerichtsfunktionen. Sie können jedoch entwickelt werden.

2213

http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/141/72069/.

G. Von den Vereinten Nationen zur Weltcivitas?

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7. Sicherheitsrat Solange in der UN-Charta institutionell und prozedural über den Sicherheitsrat den Weltmachtbestrebungen und Interessen der ständigen Mitglieder und zu wenig dem Ziel kollektiver Sicherheit Rechnung getragen wird, hat die Durchsetzung der rule of law in diesem System2214 wenig Erfolg.2215 Aufgrund seiner Zusammensetzung (Art. 23 UN-Charta) ist der Sicherheitsrat ein voreingenommenes Organ, das willkürfreie Entscheidungen erschwert.2216 Obwohl Art. 27 Abs. 3 UN-Charta vorschreibt, daß Streitparteien von der Abstimmung ausgeschlossen sind, werden in der Praxis Resolutionen, die gegen eine Partei gerichtet sind, regelmäßig durch diese blockiert.2217 Vergeblich wird von den mächtigsten Staaten als Gegenleistung für das Vetorecht erwartet, ihre Macht zugunsten des Gemeinwohls der Völkergemeinschaft einzusetzen sowie das Völkerrecht zu fördern und einzuhalten. Der Sicherheitsrat unterliegt weder einer parlamentarischen noch einer gerichtlichen Kontrolle und entscheidet meist ohne Begründung politische Kompromisse zwischen den Großmächten, unter Ausschluß der Öffentlichkeit.2218 Die Kontrollierbarkeit der Maßnahmen des Sicherheitsrates durch den Internationalen Gerichtshof und die Generalversammlung sollte jedenfalls ermöglicht werden, um einen willkürlichen, übermäßigen, aber auch untermäßigen Gebrauch seiner Befugnisse abzuwehren. Behält man den Sicherheitsrat in seiner Funktion bei, die tatsächlichen Machtverhältnisse zwischen den Staaten widerzuspiegeln, löst man aber gleichzeitig den dort bestehenden Zwang zur Einstimmigkeit durch die Mehrheitsregel ab und verschafft der Weltorganisation überdies eigene Streitkräfte unter eigenem Kommando sowie Polizeifunktionen, wie dies vorgeschlagen worden ist2219, würde

2214 Dazu vgl. J. Delbrück, Peacekeeping by the United Nations and the Rule of Law (1977), in: ders., Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 1996, S. 254 (293 ff.); vgl. zu systemimmanenten Reformvorschlägen: K.-M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, S. 24 f.; Millenniums-Deklaration der UN-Generalversammlung, A/RES/55/2. 2215 D. Held, Democracy and the Global Order, S. 269; K.-M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, S. 30 ff.; S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, 2000, S. 208 (232 ff.) kritisiert, daß die USA nicht mehr den Versuch mache, ihre Aktionen mit rechtlichen Prinzipien (zumindest vorgeblich) zu rechtfertigen, sondern das Recht zugunsten der Machtpolitik völlig beiseite schiebe. 2216 S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, S. 229 f. Bisher werden im Sicherheitsrat nicht-prozessuale Entscheidungen mit 9 von 15 Stimmen angenommen (Art. 27 Abs. 3 UN-Charta), wobei alle fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates zustimmen müssen. Überdies behalten diese sich vor, zu bestimmen, welche Entscheidungen verfahrensrechtlichen Charakters sind. 2217 Kritisch D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 150. 2218 S. Oeter, Internationale Organisation oder Weltföderation?, S. 231 f., 235 f.; 6. Teil, C, S. 731 ff.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

eine Universalmonarchie unter der Hegemonie eines oder einiger mächtiger Staaten errichtet werden.2220 Der Sicherheitsrat sollte daher von Grund auf reformiert werden. Die Vorschläge zur Reform des Sicherheitsrates haben im wesentlichen folgende Inhalte2221: a) Erweiterung des Sicherheitsrates Weitgehend Konsens besteht darüber, daß der Sicherheitsrat, um repräsentativer zu sein, erweitert werden sollte.2222 Japan, Deutschland, Indien und Brasilien streben einen Status als ständige Mitglieder an2223, was jedoch nicht bei allen ständigen Mitgliedern auf ungeteilte Zustimmung stößt.2224 Eine Lösung könnte in regionaler statt einzelstaatlicher Repräsentation gesehen werden. Die Erweiterung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates allein trägt wenig zu einer demokratischeren Struktur oder auch nur zur Effektivität des Sicherheitsrates bei. Fraglich ist, ob sich der Sicherheitsrat anders als die Generalversammlung überhaupt aus Vertretern der Staaten zusammensetzen sollte. Denkbar ist es auch, Vertreter der großen regionalen Organisationen der amerikanischen, europäischen, afrikanischen und arabischen Staaten zu entsenden. Damit könnte das Ungleichgewicht, welches durch die einzige, verbleibende Supermacht USA entstanden ist, relativiert werden. Die von Kofi Annan eingesetzte ,Hochrangige Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel‘ hat dazu zwei Alternativmodelle vorgeschlagen.2225 Beide Modelle sehen eine Aufteilung der Sitze auf vier Großregionen vor: • „Afrika“ (53 Staaten, bisher kein ständiger Sitz), • „Asien und Pazifik“ (56 Staaten, bisher einen ständigen Sitz), • „Europa“ (47 Staaten, bisher drei ständige Sitze) und • „Amerika“ (35 Staaten, bisher einen ständigen Sitz). 2219 E. F. Sauer, Staatsphilosophie, S. 328 ff.; D. Held, Democracy and the New International Order, S. 219. 2220 Dazu kritisch 5. Teil, A, S. 585 ff. 2221 Vgl. D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 153 ff. 2222 Bericht des Generalsekretärs, Generalversammlung v. 21.3.2005, A/59/2005, Ziff. 168. 2223 Brasilianisch-deutsch-japanisch-indische Erklärung, New York, 21. Sept. 2004. 2224 Süddeutsche Zeitung v. 10.12.2004, Nr. 287, S. 1, 4. 2225 Hochrangige Gruppe, Bericht, Eine sicherere Welt, S. 76 f.; vgl. auch Generalversammlung, A/59/2005, Ziff. 169 ff.

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Modell A schlägt die Schaffung von sechs neuen ständigen Sitzen, ohne Vetorecht, sowie dreizehn neuen nichtständigen Sitzen für eine jeweils zweijährige Amtszeit, also insgesamt 24 Sitze vor, die sich wie folgt auf die Großregionen aufteilen: • je zwei neue ständige Sitze sollen Afrika, Asien und Pazifik erhalten, • je einen Europa und Amerika. Sitze mit nicht erneuerbarer zweijähriger Amtszeit sind • vier für Afrika und Amerika, • drei für Asien und Pazifik, • zwei für Europa vorgesehen.2226 Modell B konzipiert keine neuen ständigen Sitze, jedoch eine neue Kategorie von • acht Sitzen (je zwei für jede Großregion) für eine erneuerbare vierjährige Amtszeit sowie • elf zusätzliche nichtständige Sitze für eine (nichterneuerbare) zweijährige Amtszeit (Afrika vier, Asien und Pazifik sowie Amerika je drei, Europa einen).2227 Solange bei der Verteilung der Sitze auf einzelne Länder i. S. v. Art. 23 UNCharta diejenigen stärker berücksichtigt werden, die „finanziell, militärisch und auf diplomatischem Gebiet die größten Beiträge zu den Vereinten Nationen leisten“2228, ohne Achtung ihrer rechtsstaatlichen und demokratischen Entwicklung, ist es zweifelhaft, ob die rule of law mehr Erfolg hätte als bisher. b) Vetorecht Weder nach völkerrechtlichen noch nach weltrechtlichen Prinzipien ist das hegemonialoligarchische Vetorecht zu rechtfertigen. Es ist nur eine Konzession an die tatsächlichen machtpolitischen Verhältnisse. Ohne diese Privilegien wäre die Charta seinerzeit von den Großmächten nicht ratifiziert worden.2229 Es verstößt gegen das völkerrechtliche Prinzip der Staatengleichheit, wie es in Art. 2 Abs. 1 UN-Charta selbst statuiert ist. Auch unter weltrechtlichen Veränderungen der Vereinten Nationen wäre es nicht tragbar. 2226

Hochrangige Gruppe, Bericht, Eine sicherere Welt, S. 77, Rn. 252. Hochrangige Gruppe, Bericht, Eine sicherere Welt, S. 77, Rn. 253. 2228 Hochrangige Gruppe, Bericht, Eine sicherere Welt, S. 76, Rn. 249. 2229 Vgl. auch E. E. Harris, Global Governance or World Government?, in: ders./ James A. Yunker, Toward Genuine Global Governance, S. 87. 2227

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Zur Reform des Vetorechts ist vorgeschlagen worden: • Als am weitesten gehende, aber realitätsferne Lösung die Abschaffung des Vetorechts der ständigen Mitglieder2230 und Beschlußfassung im Sicherheitsrat mit qualifizierter Mehrheit oder • daß mindestens zwei ständige Mitglieder das Vetorecht einlegen müssen • oder daß das Veto durch einstimmigen Beschluß2231 der Generalversammlung überstimmt werden kann oder/(vorzugsweise) und • auf vitale Staatsinteressen beschränkt wird2232. Keines der beiden Modelle der Hochrangigen Gruppe beschränkt das bestehende Vetorecht. Die Hochrangige Gruppe ist sich bewußt, daß sie damit dem Hegemonialstreben der mächtigsten Mitglieder Tribut zollt, sieht aber keinen gangbaren Weg, das Vetorecht abzuschaffen, weil dies gegen die Zustimmung der privilegierten Staaten nicht gelingen kann. Immerhin erkennt das Gremium aber, daß das Institut des Vetos „ein Anachronismus“ ist, „der in einem zunehmend demokratischen Zeitalter unpassend ist“ und fordert eine Beschränkung des Vetos auf „lebenswichtige Interessen“.2233 c) Verbesserung der Handlungsfähigkeit Ein unabhängiges Mandat der Mitglieder des Sicherheitsrates ist abzulehnen. Es besteht die Gefahr, daß sich die solchermaßen von den Staaten unabhängigen Mitglieder ohne Kontrolle der Staaten kraft einer ihnen womöglich zur Verfügung stehenden Weltpolizei zu Weltdespoten entwickeln. Ohne Vertragsänderung, lediglich durch Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung, könnten dem Sicherheitsrat gemäß Art. 43 UN-Charta Truppenkontingente von den Staaten zur Verfügung gestellt werden.2234 Zur Verbesserung seiner Handlungsfähigkeit im Rahmen der Friedenssicherungsbefugnis (Art. 39 ff. UN-Charta) könnte ihm überdies eine rapid reaction force untergeordnet werden.2235 Art. 43 UN-Charta ist die Ermächtigungsgrundlage für eine Weltpolizei. Ihr Einsatz muß sich allerdings auf Verletzungen und konkrete Ge2230 D. Held, Democracy and the New International Order, S. 107; G. Seidel, Quo vadis Völkerrecht?, AVR 41 (2003), S. 458; zu einzelnen Vorschlägen D. Archibugi, From the United Nations to Cosmopolitan Democracy, S. 149 ff.; vgl. zur Entstehung der Vormachtstellung der Großmächte in der UN: M. Brauer, Weltföderation, S. 119 ff. 2231 Ausgenommen den Veto-Partner. 2232 Vgl. S. v. Schorlemmer, Verrechtlichung contra Entrechtlichung, in: B. Zang/ M. Zürn, Verrechtlichung, 2004, S. 76 (83 f.); Empfehlungen der Hochrangigen Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 99 ff. 2233 Hochrangige Gruppe, Bericht, Eine sicherere Welt, S. 78, Rn. 256. 2234 D. Held, Democracy and the New International Order, S. 106 ff.; J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 219; B. Boutros-Ghali, Agenda für den Frieden v. 31.1.1992; vgl. auch K.-M. Müller, Konzepte einer Weltinnenpolitik, S. 25 f.

G. Von den Vereinten Nationen zur Weltcivitas?

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fährdungen des Weltfriedens beschränken. Sie ist die Lösung für das Dilemma, daß die Staaten einerseits kein Recht zum Krieg haben und die Vereinten Nationen andererseits bisher nicht über eigene Kräfte verfügen, um den Frieden effektiv zu sichern. Denkbar ist, daß sich die Welttruppe aus Freiwilligen rekrutiert, die sich direkt bei der UN melden2236 oder die zwischen nationalem und Weltmilitärdienst wählen könnten. Allerdings sollte aus Gründen der Funktionenteilung die polizeiliche/militärische Gewalt nicht dem Sicherheitsrat allein übertragen werden, sondern auch in der Verantwortung und unter der Kontrolle der Staatengemeinschaft verbleiben. Hegt man gegen eine rapid reaction force wegen der Gefahr des Machtmißbrauches Bedenken, gibt es durchaus Kontrollmöglichkeiten durch die Generalversammlung, durch ein Streitschlichtungssystem, durch den Internationalen Gerichtshof, die sorgfältig mit den jeweiligen Effizienzanforderungen abgewogen werden müssen. Andernfalls bleibt nur, sich mit dem praktizierten System der Mandatserteilung zu begnügen und die mangelnde Effektivität des UN-Sicherheitssystems weiter zu beklagen. Die gegenwärtige Praxis festigt die militärische Vorrangstellung bestimmter Staaten und rechtfertigt deren Aufrüstung. Die Hochrangige Gruppe fordert in ihrem Bericht an die UNO: „Die Vereinten Nationen sollten über ein kleines Korps hochrangiger Polizeibeamter und Polizeiverwalter (50–100) Personen verfügen, die Missionsbewertungen durchführen und den Einsatz der Polizeianteile von Friedensmissionen in der Anlaufphase organisieren.“

Legitimiert werden soll diese Kapazität durch eine Genehmigung der Generalversammlung.2237 d) Präzisierung der Ermächtigung Die Durchsetzungsbefugnisse des Sicherheitsrates, müssen an die Sach- und Rechtsnotwendigkeiten angepaßt werden.2238 Ein Schritt zur Effektivierung ist die zunehmend extensive Interpretation des Begriffs der „Friedensbedrohung“ in Art. 39 UN-Charta.2239 Die damit einhergehende Konturlosigkeit des Begriffs birgt aber die Gefahr willkürlicher Entscheidungen, die vom Willen der Völker nicht mehr getragen sind.2240 Vorzuziehen wäre daher die Schaffung ge2235 Vgl. den Bericht von UN-Generalsekretär Kofi Annan vom 30.3.1999, Progress Report of the Secretary-General on Standby Arrangements for Peacekeeping (S/1999/ 361), Ziff. 18, 19. 2236 So auch D. Held, Democracy and the Global Order, S. 276. 2237 Hochrangige Gruppe, Eine sicherere Welt, S. 69, Rn. 223. 2238 Vgl. dazu zuletzt Bericht des Generalsekretärs v. 21.3.2005, A/59/2005. 2239 Dazu B. Lorinser, Bindende Resolutionen des Sicherheitsrates, 1996, S. 40 ff.; J. A. Frowein, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 39, Rn. 17 ff.; 6. Teil, F, S. 949 ff.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

nau bestimmter Befugnisse für den Sicherheitsrat in der Charta der Vereinten Nationen zur Durchführung humanitärer Interventionen sowie gegebenenfalls die Möglichkeit einer (Präventiv-)Kontrolle durch den Internationalen Gerichtshof. Die Ziele der Charta stünden dem nicht entgegen.2241 8. Freiheitliche Verfassung der Staaten als Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der UN? Alle Staaten der Vereinten Nationen sind weltrechtlich verpflichtet, gewisse demokratische und rechtsstaatliche Mindeststandards zu erfüllen (dazu 3. Teil, C, S. 341 ff.). Darüber hinaus ist fraglich, ob nur Staaten mit freiheitlich demokratischen Regierungssystemen, am UN-System teilnehmen sollten. Möglich wäre dies ohne Vertragsänderung aufgrund einer Auslegung des Art. 4 UNCharta im Sinne des positiven Friedensbegriffs (vgl. Art. 1 Nr. 3 i.V. m. Art. 55 UN-Charta; 6. Teil, F, S. 950). Falls sich die UNO zu einem minimalen Weltstaat entwickeln sollte, ist eine republikanische, d. h. freiheitliche Verfaßtheit der Staaten unabdingbar. Die Vorstellung, daß Diktaturen in einem UN-System, welches das Prinzip der Staatengleichheit zugunsten einer Repräsentation der Bevölkerungen der Staaten modifiziert, ein ungleich stärkeres Gewicht in den Vereinten Nationen erhalten würden, mag dies verdeutlichen. Es ist sehr zweifelhaft, ob überstaatliche Demokratie mit Staaten funktionieren kann, die innerstaatlich demokratische Prinzipien ablehnen, selbst wenn deren Vertreter vom Volk für ein Weltparlament demokratisch gewählt wären; denn es besteht die große Gefahr, daß die globalen demokratischen Verfahren zu diktatorischen Zwecken mißbraucht werden. Soweit die freiheitlich-demokratischen Systeme das Übergewicht gewinnen, könnte man auf eine Demokratisierung von „außen nach innen“ hoffen. Die europäische Rechtsentwicklung hat gezeigt, daß sich die Verfassungen der Mitglieder der Europäischen Union, in die allerdings von vornherein nur freiheitlich-demokratische Staaten, also Republiken, Aufnahme finden2242, im Rahmen der Integration wechselseitig beeinflussen und zunehmend angleichen.2243

2240

Dazu J. Isensee, Weltpolizei für Menschenrechte, JZ 1995, 425 ff. B. Simma, Does the UN-Charter Provide an Adequate Legal Basis for Individual or Collective Responses to Violations of Obligations erga omnes?, in: J. Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement: New Scenarios – New Law?, 1993, S. 125 (143). 2242 Art. 49 i.V. m. Art. 6 Abs. 1 EUV. 2243 Dazu J. Schwarze, die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung, in: ders. (Hrsg.), Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung, 2000, S. 463 ff. 2241

H. Gesamtbewertung des Paradigmenwechsels in der Rechtspraxis

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II. Stellungnahme Solange nicht alle Staaten Republiken sind, erscheint ein zweistufiges System der Vereinten Nationen am sinnvollsten: • Grundlage ist ein Völker- und Friedensbund mit obligatorischer Streitschlichtung und Gerichtsbarkeit sowie • ein unter dem Aspekt gleichgewichtiger Vertretung der Regionen reformierter Sicherheitsrat mit der Aufwertung der Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse der Generalversammlung. Sofern der Generalversammlung Gesetzgebungsbefugnisse zukommen sollen, könnten zumindest freiheitlich-demokratische Staaten Vertreter aus ihren Parlamenten in die Generalversammlung entsenden.2244

H. Gesamtbewertung des feststellbaren Paradigmenwechsels in der Rechtspraxis Die Weltrechtsordnung entwickelt sich ungleichmäßig und in verschiedenen Stufen. Es ist nicht zu erwarten, daß das Weltrecht als ideale Sollensordnung in der Praxis jemals verwirklicht wird. Es kann aber festgestellt werden, daß betrachtet an Zielen, Aufgabenstellungen, Prinzipien, Instrumenten, Implementierungs- und Institutionalisierungsprozessen, zum Teil ein Bruch mit dem alten völkerrechtlichen Paradigma stattfindet, welcher auf das weltrechtliche Paradigma weist. Betrachtet man die gesamte, in den Blick genommene Entwicklung seit dem Koordinationsvölkerrecht bis hin zur Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs, so wird ein paradigmatischer Wechsel offensichtlich. Die Europäische Gemeinschaft und das Gemeinschaftsrecht haben von Anfang an den Weg eines Paradigmenwechsels eingeschlagen, der mit dem Begriff der Supranationalität betitelt worden ist. Ein weitgehender Wandel zeigt sich vor allem in der Positivierung weltrechtlicher Prinzipien, in der Tendenz in manchen Bereichen zu mehr Legalität anstelle von Reziprozität (z. B. Weltstrafrecht, Welthandelsrecht), in der Lösung von der Staatenzentriertheit durch Anerkennung globaler, rechtsverantwortlicher Rechtssubjekte (transnationale Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen) und in der Stärkung der subjektiven Rechtsposition des Einzelmenschen sowie

2244 Jürgen Habermas hat vorgeschlagen, Länder ohne demokratisches Wahlsystem, vorübergehend von nicht-staatlichen Organisationen vertreten zu lassen, J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, S. 218. Dies ist problematisch, weil den nicht-staatlichen Organisationen die demokratische Legitimation ebenso fehlt wie nicht gewählten Gesandten und erstere darüber hinaus keinerlei Durchsetzungskraft in diesen Staaten besitzen.

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6. Teil: Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht

in der Begrenzung staatlicher Souveränität und Immunität. Von diesem Ausgangspunkt aus könnte sich die allgemeine, unmittelbare Anwendbarkeit und Einklagbarkeit von völkerrechtlichen/weltrechtlichen Vorschriften entwickeln. Dies ist ein wirksamer Hebel zur Durchsetzung des Weltrechts, der das Gewaltmonopol eines Weltstaats entbehrlich macht, wie das Beispiel des Rechts der Europäischen Union annehmen läßt. Eine Weltverfassung als grundlegende Prinzipienordnung hat sich etabliert. Immer mehr Verträge dienen nicht nur dem Ausgleich zwischenstaatlicher Interessen, sondern sind auf Belange der gesamten Menschheit gerichtet, wie die Entwicklung eines globalen Umweltrechts zeigt. Die Menschenrechte gelten nicht mehr als domaine réservé, sondern als eine gemeinsame Verantwortung aller Staaten. Deutlich langsamer als die Anerkennung weltrechtlicher Prinzipien und Rechte erfolgt die Veränderung und Anpassung der globalen Institutionen und Instrumente, um die effektive Durchsetzung des Weltrechts zu gewährleisten. Die internationalen Konstitutionalisierungsprozesse verlaufen unausgewogen. Ein Paradigmenwechsel ist der teilweise Ausbau von internationalen zu Supranationalen Organisationen, welche wie im Falle der Europäischen Union mit einem herkömmlichen, völkerrechtlichen Souveränitätsverständnis nicht mehr zu vereinbaren sind. Der Diskurs, der über die Erneuerung der Institutionen (z. B. UNO, Menschengerichtshof) geführt wird, zeugt schon als solcher von einem Paradigmenwechsel. Er stößt allerdings an die Grenzen der Souveränitätsinteressen der Staaten, die dem völkerrechtlichen Paradigma entstammen. Supranationale Sekundärrechtsetzung gibt es nur ausnahmsweise (z. B. Sicherheitsrat) oder regional (z. B. EG). Häufiger sind Weltverträge (z. B. UN-Charta, Seerechtsübereinkommen, ILO-Verfassung, Römisches Statut). Erhebliche Verrechtlichungsfortschritte mit Etablierung einer Quasi-Gerichtsbarkeit sind im Weltwirtschaftsrecht zu verzeichnen (z. B. WTO). Prinzipien des Umweltschutzes können in diesem Rahmen eine gewisse Berücksichtigung finden. Soziale Rechte nimmt die Welthandelsordnung aufgrund des Widerstands vieler Staaten noch nicht in den Blick. Im Falle von Weltfriedensbedrohungen- und Menschheitsverletzungen ist vis absoluta mit unmittelbarer Wirksamkeit auch gegenüber Einzelpersonen institutionalisiert (z. B. Entscheidungs- und Interventionsbefugnisse des Sicherheitsrats, Urteile des Internationalen Strafgerichtshofs). Was die subjektive Einklagbarkeit von Menschenrechten (z. B. soziale Menschenrechte) vor internationalen Gerichten angeht, verläuft die Entwicklung, abgesehen von der EMRK, eher schleppend. Ein paradigmatischer Wechsel im Menschenrechtsschutz läßt sich am ehesten in der Praxis der Internationalen Organisationen verzeichnen (z. B. UNO, ILO), die darum bemüht sind, Menschheitsrecht auch gegen den Willen von Staaten und Unternehmen wirksam werden zu lassen (z. B. ILO-Kernarbeitsnormen, Diskussion um die Menschenrechtsbindung transnationaler Unternehmen und bessere Kontrollgremien zu schaffen (z. B. Menschenrechtsrat). Ein Paradigmenwechsel zum Völkerrecht

H. Gesamtbewertung des Paradigmenwechsels in der Rechtspraxis

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der Globalisierung zeigt sich in der Struktur und in den nicht-staatlichen Akteuren der in öffentlichen und öffentlich-privaten Netzwerken funktionierenden global governance. Allgemeine, weltrechtliche Verbindlichkeit wird im Rahmen der global governance noch nicht erreicht, aber die Bildung eines Weltrechtsbewußtseins und einer Weltöffentlichkeit gefördert.

7. Teil

Ergebnisse Einleitend sind folgende Fragen gestellt worden: Was ist Weltrecht? Wie kann Weltrecht begründet werden? Warum und in welchem Umfang benötigen wir eine Weltverfassung? Wie wirkt die Globalisierung auf die Rechtsentwicklung? Wie unterscheidet sich Weltrecht vom Völkerrecht? Brauchen wir eine Weltrepublik? Ist kosmopolitische Demokratie möglich? Zeigen sich bereits Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht in Lehre und Praxis, welche Rückschlüsse auf einen Paradigmenwechsel erlauben? Welche Wege zum Weltrecht eröffnen sich dabei? Sie sollen nun als Ergebnis der vorliegenden Untersuchung zusammenfassend beantwortet werden.

A. Was ist Weltrecht? Es können folgende, sich ergänzenden Aspekte des Weltrechts ausgemacht werden: • Menschheitsrecht (geborenes Weltrecht), • gesetztes Recht, • funktionales Weltstaatsrecht, • institutionelles Weltrecht, • privates Recht, • transnationales Recht, • Weltrecht als Ausdruck eines Paradigmenwechsels. 1. Weltrecht ist nicht notwendig institutionelles Weltstaatsrecht, weil es nicht nur positivistisch begründet wird. 2. Weltrecht im menschheitlichen Sinn kann als mit dem Menschen ursprünglich verbundenes oder geborenes Weltrecht bezeichnet werden. Es bezieht sich auf das Recht auf Selbstbestimmung, die Menschenwürde und auf das Weltbürgerrecht. 3. Gesetztes Weltrecht materialisiert und verwirklicht das geborene Weltrecht durch

A. Was ist Weltrecht?

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• Weltgesetze (auch Weltverfassungsgesetz), • Weltverträge, • universelle völkerrechtliche Verträge, • Gewohnheitsrecht, • allgemeine Rechtsgrundsätze, • staatliche Rechtssätze. 4. Funktionale Weltstaatlichkeit entsteht, wenn Weltorgane mit legislativen, exekutiven und judikativen Funktionen geschaffen werden. 5. Institutionalisiertes Weltrecht entwickelt sich auch innerhalb Internationaler Organisationen soweit in diesen Verfahren zur Sicherung und Verwirklichung des Weltrechts geschaffen werden. 6. Privates Weltrecht (z. B. lex mercatoria, lex sportiva, lex informatica) setzen private Individuen, Unternehmen, Vereinigungen und Organisationen autonom oder selbstverwaltend, korporativ in der Weltgesellschaft, jenseits staatsförmlicher Prozesse, transnational, insbesondere durch Vertragsordnungen, durch (bürgerunmittelbares) Gewohnheitsrecht („gute Sitten“) sowie unterhalb strikt rechtlicher Verbindlichkeit über soft law und freiwillige Verhaltensnormen. 7. Als transnationales (weltbürgerliches) Recht erfaßt Weltrecht die vom Staatsrecht und Völkerrecht gelassene Rechtslücke in transnationalen Beziehungen zwischen Menschen oder Vereinigungen von Menschen einerseits und Staaten sowie deren Untergliederungen andererseits. 8. Soweit das Völkerrecht in der Praxis seine typischen Merkmale zwischenstaatlichen Rechts verliert und weltrechtliche Elemente gewinnt, soll der Begriff „Weltrecht“ den Paradigmenwechsel zu einem transnationalen, weltbürgerlichen und durchsetzbaren Recht auf der Grundlage der Selbstbestimmung der Menschen bezeichnen. Der Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht zeigt sich insbesondere • in der Bedeutung des individuellen und kollektiven Selbstbestimmungsrechts, • in der unmittelbaren Geltung des Rechts in den Staaten und zwischen Menschen, • in der Einbeziehung nicht-staatlicher Rechtssubjekte, • in einem höheren Grad der Verrechtlichung, Institutionalisierung und Konstitutionalisierung.

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7. Teil: Ergebnisse

B. Wie kann Weltrecht begründet werden? I. Allgemeine Grundlagen einer Weltrechtslehre 1. Weltrecht setzt einen universellen Rechtsbegriff voraus und verlangt eine Weltrechtsgemeinschaft in Angelegenheiten, welche die gesamte Menschheit betreffen. 2. Weitgehende Abstraktion von subjektiven (z. B. kulturellen, religiösen) Zwecken, also Universalisierbarkeit, ist angesichts der Vielfalt der globalen Lebensverhältnisse Voraussetzung für eine Weltrechtslehre. 3. Recht ist eine Sollensordnung. Unbenommen des Wirklichkeitsbezugs und des Zwangsmoments im Recht, überzeugen rein empirische Begründungen (z. B. aus tatsächlichen politischen, kulturellen, religiösen oder sozialen Herrschaftsverhältnissen) nicht. Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Sollen und Sein ist für die rechtliche Betrachtung Denknotwendigkeit, weil das Recht Maßstab für das tatsächliche Handeln ist. 4. Die positivistische Rechtslehre unterscheidet zwischen Begründung und Geltung des Rechts und schließt neben materialen (z. B. kulturellen, religiösen, sozialen) Werten auch transzendentale Geltungsgründe aus. Recht trägt allerdings die Forderung der sachlichen Begründbarkeit und der Abgrenzung von „Unrecht“ in sich. Die Rechtsfrage stellt sich im übrigen insbesondere im Wirklichkeitszusammenhang der Globalisierung auch jenseits ordnender Gesetzlichkeit. II. Begründung des Weltrechts als Menschheitsrecht 1. Eine universelle Rechtslehre, die nicht auf Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen beruht, ist eine Weltherrschaftslehre und damit auf einen „seelenlosen“ Universalismus gerichtet. Der gewählte, kantianisch-diskursethische Ansatz ist ein Beispiel einer auf dem Recht auf Selbstbestimmung beruhenden Weltrechtsbegründung. 2. In seiner höchsten Entwicklungsstufe zielt das Rechtsprinzip nicht nur auf negativen Frieden (Kriegsvermeidung), dem das Völkerrecht dient, sondern auf positiven Frieden, d. h. auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zwischen allen Menschen. 3. Unter der Annahme, daß sich der Mensch zwar als frei denkt, aber jeder mit jedem in Konflikt geraten könnte, hat Kant einen konsequent universellen Rechtsbegriff entwickelt sowie das bis in die heutige Zeit meist beachtete und diskutierte Modell einer Weltrechtsordnung vorgestellt. Er wie die anderen Vertreter der Vertragslehren, namentlich Locke und Rousseau, leiten das Rechtsprinzip, welches in erster Linie ein Recht auf eine Rechtsordnung beinhaltet, aus dem jedem Menschen innewohnenden Recht auf Freiheit oder Selbstbestim-

B. Wie kann Weltrecht begründet werden?

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mung ab. Freiheit heißt im Sinn dieser Lehren sein eigener Herr zu sein (Locke) oder nicht der nötigenden Willkür Anderer ausgeliefert zu sein (Kant). Weil allen gleichermaßen dieses Recht auf Freiheit zusteht, verlangt seine Verwirklichung allgemeine Gesetze, welche der Wille der Betroffenen sind. Rousseau, Kant und in deren Nachfolge, die von Karl-Otto Apel zusammen mit Jürgen Habermas begründete Diskursethik, lehren, daß Recht dasjenige ist, dem alle betroffenen Menschen zustimmen. Die Diskursethik prozeduralisiert die transzendentale Idee der Freiheit Kants, die Anerkennung des Menschen und damit auch des „Anderen“, als selbstbestimmtes Subjekt (d. i. die Menschenwürde) voraussetzend. 4. Das moderne Völkerrecht wird überwiegend positivistisch-voluntaristisch begründet. Es gilt aufgrund eines Konsens oder gemeinsamen Willens gleich souveräner Staaten, die als originäre Subjekte des Völkerrechts bezeichnet werden. Diesem gemeinsamen Willen liegt die gleiche Souveränität der Staaten zugrunde, nicht spezifisch die gleichheitliche Selbstbestimmung und Repräsentation der in den Völkern jeweils vereinigten Bürger. Der Mensch ist kein Völkerrechtssubjekt. Seine Subjektivität wird durch die Staaten „mediatisiert“, die als gegenüber ihren Bürgern verselbständigte juristische Personen gelten. Aus der Sicht der dominierenden Lehre von der Trennung zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht (Dualismus) kann die Mediatisierung der Individuen nicht grundsätzlich aufgehoben werden, weil diese aus der apriorischen Definition des Völkerrechts als Koordinationsrecht zwischen Staaten gefolgert wird. 5. Der hier vorgestellte Paradigmenwechsel zum Weltrecht besteht darin, den Menschen als Ausgangspunkt des Rechts, mithin als selbstbestimmtes Rechtssubjekt und das Prinzip der Selbstbestimmung des Menschen als Grundlage des (Welt-)rechts zu verstehen. Die Einheit von Staats-, Völker- und Weltrecht ist eine Konsequenz des universellen Rechtsbegriffs. 6. Es ist nicht notwendig, daß die gewählte Begründung des Weltrechts mit allen empirischen politischen, sozialen, religiösen, menschenverachtenden Herrschaftsverhältnissen in der Welt übereinstimmt. Sie muß aber angesichts der Vielfalt der Systeme normativ universalisierbar und damit als Beitrag für einen „Dialog der Kulturen“ geeignet sein. Der vernunftrechtlich-diskursethische Ansatz, der dem Geist des Art. 1 AEMR entspricht, erfüllt die Bedingungen der Universalisierbarkeit. Eine Kultur, mit anderen Menschen in rechtliche Beziehungen zu treten, ist in Anbetracht der tatsächlichen Entgrenzung der Lebensverhältnisse, der grundsätzlichen Vernunftbegabung des Menschen und seiner existenten sozialen Bedürfnisse universalisierbar. Daß eine prinzipielle Einigungsfähigkeit darüber besteht, zeigen etwa die Menschenrechtsverträge, in denen sich die Staaten zur Rechtssubjektivität des Menschen bekennen. 7. Weltrecht im menschheitlichen Sinn kann auch als ursprüngliches Weltrecht oder Menschheitsverfassung bezeichnet werden. Es beinhaltet neben den

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7. Teil: Ergebnisse

materiellen, aber offenen Prinzipien der Menschenwürde und des Weltbürgerrechts nur ein formales Recht auf Recht. 8. Die Menschenwürde birgt den unbedingten Anspruch jedes Menschen von jedem als „Anderer“, d. h. als Mensch und Subjekt geachtet zu werden. 9. Menschenrechte sind ihrem Begriff nach subjektive Rechte der Menschen zum Schutz vor nötigender Willkür, die aus Anlaß bestimmter Erfahrungen der Verletzung der menschlichen Selbstbestimmung formuliert worden sind. Universelle Verbindlichkeit erlangen alle Menschenrechte unabhängig von jeder Positivierung oder der tatsächlichen Anerkennung in den Staaten jedenfalls in ihrem Kern, der Würde des Menschen. Das gilt nicht nur für einige, wenige Menschenrechte, die völkergewohnheitsrechtlich als zwingendes, vorrangiges Recht (ius cogens) anerkannt sind. 10. Die rein völkerrechtliche Verankerung der Menschenrechte leidet an einem Paradox, der im Paradigma des Völkerrechts begründet liegt. Erstens sieht das herkömmliche Völkerrecht nur den Konsens der Staaten als verbindlich an. Zweitens positivieren die Menschenrechtsverträge nach rein völkerrechtlicher Betrachtungsweise nur zwischenstaatliche Verpflichtungen und begründen als solche noch keine subjektiven Rechte und Pflichten. 11. Wegen der Struktur der Menschenrechte als subjektive Rechte, hat jedermann Anspruch aufgrund seines angeborenen Freiheitsrechts auf eine Ordnung, welche die Einklagbarkeit der Menschenrechte sichert. 12. Weil das universelle Prinzip der menschlichen Würde material weitgehend offen ist, ist mit ihm noch kein bestimmter Menschenrechtskatalog unmittelbar festgelegt. Dieser bedarf diskursiver Bestimmung. Hierbei ist folgendes zu berücksichtigen: • Der Diskurs über die Menschenrechte als Verfahren zur Materialisierung der Menschenrechte setzt den Kerngehalt der Menschenrechte in seinen Kommunikationsbedingungen als geltend voraus und begründet sie nicht erst. Andernfalls wäre die diskursive Begründung ein Zirkelschluß. • An einem Rechtsdiskurs können nur diejenigen teilnehmen, die prinzipiell um die Erkenntnis des Rechts, also um Sachlichkeit bemüht sind. • Der Diskurs über Menschenrechte ist nicht nur eine Angelegenheit der Staaten, sondern aller Menschen. Interkultureller Menschenrechtsdiskurs funktioniert nicht nur, wenn er staatlich oder international institutionalisiert ist, sondern zeigt sich auch spontan als öffentliche Reaktion der Weltgesellschaft, in die sich jeder einbringen kann. Die colère publique als Reaktion auf bestimmte Unrechtserfahrungen indiziert einen Konsens der Menschheit über Menschenrechte.

B. Wie kann Weltrecht begründet werden?

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• Unabhängig von der jeweiligen Staatenpraxis entwickelt sich in paradigmatischem Wechsel der Konsens der Weltgemeinschaft als eigenständige Quelle der Weltrechtsetzung. Dabei werden auch Sprechakte als Übung anerkannt. In diesem Sinne offenbaren die Allgemeine Menschenrechtserklärung und die ständige Bezugnahme auf diese in Verträgen und Erklärungen der Staaten einen Konsens über eine universelle Materialisierung der Menschenrechte durch die Weltgemeinschaft. 13. Als unantastbarer Wesensgehalt der Menschenrechte ist die Menschenwürde zwar inhaltlich offen, aber nicht inhaltsleer, sondern bestimmbar und durchaus judiziabel und einklagbar. Auch ohne Positivierung werden Menschenrechte unmittelbar erkennbar verletzt, wenn der Mensch zum bloßen Objekt des Staates oder anderer so herabgewürdigt wird, daß für Abwägung und Ermessen kein Raum mehr bleibt und sich eindeutige Fallnormen formulieren lassen. 14. Menschenrechte haben als wechselseitige, rechtliche Ansprüche, die vor jeder nötigenden Willkür schützen, jedenfalls in ihrem Menschenwürdekern unmittelbare Wirkung zwischen Menschen (sogenannte Drittwirkung). 15. Nach der universellen Begründung der Menschenrechte sind deshalb insbesondere auch transnationale Unternehmen an menschenrechtliche Basisnormen (z. B. Verbot der Zwangsarbeit) gebunden. Die an den Normen der UNMenschenrechtsunterkommission für transnationale Unternehmen entzündete, revolutionäre Diskussion über die Menschenrechtsbindung transnationaler Unternehmen zeigt den Anfang eines paradigmatischen Wandels zu einem weltrechtlichen Menschenrechtsverständnis. 16. Einer Weltrechtsbegründung aus der Menschenwürde und Selbstbestimmung werden folgende Einwände entgegengebracht: • Pluralismus der (Rechts-)Kulturen, • Ablehnung eines sittlich-vernünftigen Menschenbildes, • Werteimperialismus, • Ablehnung aller transzendentalen Rechtsgrundlagen. 16.a) Menschenrechte sind kulturtranszendierend und verlangen, jedenfalls in ihrem Kern, Geltung unabhängig von der tatsächlichen sozialen Umgebung, in die der Mensch hineingeboren wird. Sie sind ihrem Anspruch nach universell. Durch eine Auffassung, welche die Geltung der Menschenrechte vom sozio-kulturellen Standort abhängig macht (Relativismus, Kommunitarismus), würde der Begriff der Menschenrechte gänzlich aufgegeben. Die Menschenwürde ist einerseits Grundlage der Weltkulturen und andererseits als Kultur des Menschen normativ Voraussetzung aller Zivilisation sowie auch gewohnheitsrechtlich ein alle Völker verbindender allgemeiner Rechtsgrundsatz. Von der Völkergemeinschaft ist sie in Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte anerkannt wor-

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7. Teil: Ergebnisse

den. Unabhängig von der insoweit unerheblichen Frage der positivrechtlichen Verbindlichkeit der Menschenrechtserklärung belegt dies einen formellen Konsens der Völker über dieses Ideal, hinter dem die Weltrechtsbegründung nicht zurückfallen darf. Einen exklusiven Anspruch auf die Idee der Menschenrechte kann kein Kulturkreis für sich vereinnahmen. 16.b) Wegen der Formalität der Freiheit als Selbstbestimmung greift die Kritik gegen einen vermeintlichen Werteimperialismus nicht durch. Im übrigen setzt, wer Imperialismus kritisiert, selbst das Prinzip der Selbstbestimmung voraus, zu dem sich die Völker bereits im Völkerrecht bekannt haben. Die Völkerrechtsfähigkeit der Völker, auch der Staaten, leitet sich letztlich aus der Rechtsfähigkeit des Menschen ab oder wird zumindest analog aus dieser entwickelt. 16.c) Vielmehr ist von einer interkulturellen Lerngemeinschaft gegenseitiger Aufklärung auszugehen, in der auch die westliche Menschenrechtspraxis Bereicherungen durch in anderen Kulturen verankerte Unrechtserfahrungen und Rechtsauffassungen erfährt. Eine weltrechtliche Menschenrechtsdogmatik kann nicht allein auf ein westlich individualistisch-liberalistisches Abwehrverständnis der Menschenrechte gegründet werden, sondern muß die Gemeinschaftsbezogenheit, die in den anderer Kulturen stärker betont wird, aufnehmen. Dies ist möglich; denn die Menschenrechte haben anerkanntermaßen nicht nur eine subjektiv-persönliche, sondern ebenfalls eine soziale Funktion. Abzulehnen ist ein genereller Vorrang „liberaler“ und „politischer“ Grundrechte vor „sozialen“ und „kulturellen“ Rechten wie auch umgekehrt, weil diese Gruppen von Rechten wie Freiheit und Gleichheit in wechselseitiger, gleichrangiger Bedingtheit stehen. 17. Ein Ergebnis des interkulturellen Menschenrechtsdialogs ist die Anerkennung von sozialen Gruppenrechten oder Drittgenerationenrechten wie das Recht auf Entwicklung. 18. Drittgenerationenrechte haben als Materialisierung des globalen Sozialoder Solidaritätsprinzips einerseits eine Verankerung im Recht der Völker und der Individuen auf Selbstbestimmung (Selbständigkeit) sowie in den Menschenrechten. Zum anderen beziehen sie sich auf die Solidarität zwischen den Menschen und auf die Gegenseitigkeitsordnung zwischen den Staaten, namentlich auf die Verantwortung der reicheren Staaten gegenüber den Entwicklungsländern aus dem Verursacherprinzip. Auf Weltebene beschränkt sich das Sozialprinzip auf die Achtung des Anderen und auf das Gebot der Chancengleichheit. 19. Das Weltbürgerrecht verschafft eine transnationale subjektive Rechtsposition und beinhaltet • ein Recht auf globalen Menschenrechtsschutz, • ein Recht, einer Rechtsgemeinschaft anzugehören,

B. Wie kann Weltrecht begründet werden?

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• ein Recht auf globale Kontaktaufnahme, • kein Gast-, aber ein Asylrecht, • ein Recht auf Bürgerstatus, • das Recht auf eine weltbürgerliche Verfassung.

III. Begründung einer Weltverfassung 1. Die globalen Lebensverhältnisse fordern nicht eigentlich eine Globalisierung des Rechts, weil dieses seinem Begriff als Menschheitsrecht nach universell ist. Geboten ist aber die Institutionalisierung des Weltrechts in einer Weltverfassung. 2. Weil sich der Begriff „Verfassung“ nicht auf staatliche Gemeinschaften beschränkt, ist er auch auf eine Weltverfassung, die nicht Weltstaatsverfassung ist, anwendbar. 3. Die Konzeption einer Weltverfassung ist aus folgenden Gründen notwendig: • zur Durchsetzung des Menschheitsrechts, • zur Überlebens- und Freiheitssicherung der globalen Schicksalsgemeinschaft, • als Antwort auf Entstaatlichung und die globalisierte Lebenswirklichkeit, • zur Überwindung des „Restnaturzustands“ in den transnationalen Beziehungen und des unsicheren internationalen Rechtszustands, • wegen der Machtlosigkeit der Staaten gegenüber transnationalen Akteuren, • zur Schaffung einer öffentlichen Rahmenordnung für private Regelungen und Netzwerke zur Sicherung gleicher Freiheit, • zur Effektivierung des Weltbürgerrechts, • wegen der Unmöglichkeit und Sachwidrigkeit von Renationalisierungen, • wegen der Unausgewogenheit und Unvollkommenheit der bisherigen Weltordnung. 3.a) Die in Art. 1 AEMR angesprochene, geborene und von den Völkern auch anerkannte Menschheitsverfassung ist nur begrenzt materiell-normativ und bedarf zu ihrer Verwirklichung, Sicherung und Durchsetzung einer verfaßten öffentlichen Weltrechtsordnung. 3.b) Trotz der ihm zugeschriebenen Wohlfahrtswirkung sind der Markt und das private Weltrecht nicht in der Lage, Frieden und allgemeine Freiheit, welche mit den Prinzipien der Gleichheit und der Solidarität verbunden sind, herzustellen. Zudem vernichtet eine nur nach Effizienz-, Leistungs-, Markt- und

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7. Teil: Ergebnisse

Wettbewerbsgesichtspunkten ausgerichtete Weltwirtschaftsordnung den lebensnotwendigen Erhalt natürlicher Weltressourcen, welche die Grundlage menschlichen Lebens sind. Unter rechtlicher Betrachtung setzen Wettbewerb und Marktwirtschaft rechtliche Chancengleichheit voraus, ersetzen diese aber nicht. 3.c) Globale Netzwerke ermöglichen funktionale, transnationale Zusammenarbeit im Rahmen der globalen Lebensbewältigung und Steuerung zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen aller Ebenen (global governance). Diese führt zu einer Versachlichung oder Technisierung und damit Entpolitisierung und auch Entdemokratisierung internationaler und globaler Beziehungen. Als juristische Ordnungskategorie ist der Netzwerkbegriff problematisch, weil in Netzwerken die Unterscheidung von hard und soft law an Bedeutung verliert, d. h. auch, daß sich die Verbindung von Zwangsbefugnis und Recht auflöst. Damit nimmt der Verbindlichkeitsanspruch von Recht ab. 3.d) Sektorale Zivilregime, welche die Weltgesellschaft im Rahmen ihrer globalen Netzwerke auf der Grundlage der Privatautonomie bildet, ermöglichen keine allgemeine Rechtssicherung, sondern nur einen unsicheren, provisorischen Rechtszustand. Die sogenannte Zivilverfassung genügt nicht als Weltverfassung, weil ihr die einer Verfassung eigene oberste Verbindlichkeit fehlt. 3.e) Aufgrund schon eingetretener oder sich abzeichnender globaler Bedrohungen und Gefahren (z. B. Klimaschutz, Terrorismus) sowie durch die globalisierte Wirtschaft sind die Staaten, ja alle Menschen, zu einer Schicksalsgemeinschaft im Sinne einer Risikogemeinschaft verbunden. Aufgrund dessen wäre es mit dem Rechtsprinzip, welches nach einem gerechten Interessenausgleich zwischen den Bedürfnissen aller Menschen verlangt, nicht zu vereinbaren, das „Globalisierungsproblem“ nur durch staatliche Verbote und Gebote, welche der Globalisierung Einhalt gebieten sollen, lösen zu wollen. Ein System abgeschlossener Staaten würde dem Recht der Menschen, miteinander in Kontakt zu treten, das Kant als „Weltbürgerrecht“ bezeichnet hat, widersprechen. Eine erzwungene „Renationalisierung“ würde zudem die Lebenswirklichkeit negieren, welche von einer weltweiten Verflechtung gekennzeichnet ist. Sie ist deshalb nicht sachgerecht. 3.f) Auf der anderen Seite wäre es willkürlich, die globalen Fragen nur von der mächtigsten gesellschaftlichen Gruppe der transnationalen Unternehmen bestimmen zu lassen und etwa einseitig nur Liberalisierungspflichten der Staaten zugunsten von Handel und Kapital voranzutreiben, Menschenrechte und Personenfreizügigkeit aber in einem ungesicherten Status zu belassen oder zu verbieten. Es bedarf zumindest einer ausgewogenen Prinzipienordnung, einer materiellen Weltverfassung. 4. Die öffentliche Weltverfassung i. w. S. ist mehrgliedrig und reicht von der kleinsten politischen Einheit verfaßter Bürgerlichkeit, über eine Völkerrechtsordnung bis zu einer weltbürgerlichen Verfassung. Je nach Art der Beziehungen

B. Wie kann Weltrecht begründet werden?

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sind verschiedene Verfassungskreise zu unterscheiden, die sich einander funktionenteilig in der Weltverfassung ergänzen und soweit die Rechtseinheit dies in Konkurrenzbereichen erfordert, in einem normhierarchischen Verhältnis zueinander stehen: • Verfassung kleiner Gebietskörperschaften (z. B. Kommunen), • Staatsverfassung (gegebenenfalls in Bund und Ländern), • Regionalverfassung (Europa, Amerika, Afrika, Asien, Ozeanien), • Verfassung der Völkergemeinschaft, • Welt- und Weltbürgerliche Verfassung. 5. Aufgrund der Geltung des unmittelbar aus dem Freiheitsprinzip und der Menschenwürde folgenden geborenen Weltrechts verfügt die Menschheit bereits über eine weltbürgerliche materiell-normative Verfassung, die in erster Linie durch die Staaten und Internationalen Organisationen realisiert wird. So hat der in seinem Staat verfolgte Mensch in den Grenzen des objektiv Möglichen und Zumutbaren ein grundsätzliches Menschenrecht auf Asyl. 6. Es gibt aber keine positivierte, formelle Weltverfassung, welche die Menschheitsverfassung verwirklicht, wenn die Staaten die Durchsetzung verweigern oder nicht erfüllen können. Nur für den durch das Völkerrecht und das staatliche Recht unbewältigten „Restnaturzustand“ ist sie ein Gebot der praktischen Vernunft (insbesondere zur Durchsetzung der Menschenrechte, Weltumwelt- und Ressourcenordnung für globale Güter, Asyl- und Migrationsordnung, Bekämpfung des weltweit agierenden Verbrechens, insbesondere des Terrorismus). Die konstitutionelle Dichte der Völker- und Weltverfassung ist aus realistischen und normativen Gründen geringer als die der Staatsverfassung. Auf diese Weise wird ein unfreiheitlicher Weltzentralstaat verhindert. 7. Das Weltbürgerrecht ist weder nationales noch internationales, sondern transnationales Recht. Subjekte des Weltbürgerrechts sind natürliche Personen sowie deren Vereinigungen und Verbände, einerlei, ob sie in allen Staaten als Rechtspersonen anerkannt sind. Das Weltbürgerrecht bildet die Keimzelle einer weltbürgerlichen Verfassung, welche die transnationalen Beziehungen normiert und den Restnaturzustand beendet. Allerdings gibt das Weltbürgerrecht keinen Weltstaatsbürgerstatus. Somit ist die weltbürgerliche Verfassung nicht mit einer Weltstaatsverfassung gleichzusetzen. 8. Aufgrund des Weltbürgerrechts hat jeder Mensch einen Anspruch, mit jedem anderen in Kontakt zu treten und an einer weltbürgerlichen Verfassung mitzuwirken. Weil die Menschheit in Staaten vereinigt ist, richtet sich der Anspruch, die notwendigen Voraussetzungen für eine weltbürgerliche Verfassung zu schaffen, zunächst an die Staaten und an die Internationalen Organisationen. Die Staaten büßen durch das Weltbürgerrecht ihre existentielle Staatlichkeit

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7. Teil: Ergebnisse

nicht ein, sind aber in ihren innerstaatlichen Rechtsordnungen an die Vorgaben des Weltbürgerrechts im Sinne offener Republiken gebunden. Seinem Wesen nach fordert das Weltbürgerrecht ein Rechtsschutzsystem sowie Weltgerichte, um es auch gegenüber den Staaten durchzusetzen.

C. Wie unterscheidet sich Weltrecht vom Völkerrecht? I. Typikabgrenzung 1. Weltrecht unterscheidet sich in seiner Typik sowohl vom innerstaatlichen Recht als auch vom Völkerrecht. 2. Weltrecht gilt im Gegensatz zum Völker- oder internationalen Recht nicht nur zwischen Staaten, sondern zwischen Menschen, zwischen Völkern und zwischen Menschen und Staaten, ist also Recht aller Menschen. Es gilt deshalb auch unmittelbar in den Staaten. 3. Subjekt des Weltrechts ist der Mensch, nicht nur wie im Völkerrecht der Staat. Weltrecht ist daher wesentlich Menschheitsrecht und in diesem Sinne auch Weltbürgerrecht. Das ist der entscheidende Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht. Das Verständnis des Menschen als Subjekt des Weltrechts beseitigt die im Völkerrecht übliche Mediatisierung der Einzelnen durch die Staaten. Das hat Folgen für Rechte und Pflichten. 4. Anders als das Völkerrecht berechtigt und verpflichtet Weltrecht auch unmittelbar die Menschen/Bürger, die dessen Rechtssubjekte sind. Als Menschheitsrecht beansprucht Weltrecht allgemeine (erga omnes) und nicht nur zwischenstaatlich-synallagmatische Verbindlichkeit. 5. Abweichend vom Prinzip der Kollektivhaftung begründet Weltrecht auch eine individuelle Haftung, z. B. im Falle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 6. Während das Völkerrecht die Souveränität der Staaten als Grundnorm voraussetzt, ist das Weltrecht in erster Linie von der rule of law bestimmt, welche die Souveränität der Staaten und die damit verbundenen völkerrechtlichen Grundsätze (z. B. der Staatenimmunität) rechtlich begrenzt. Die rule of law verlangt die Einhaltung des Rechts und den Primat des Rechts. Anders als das Völkerrecht, das seine Begriffe und Normen entsprechend dem Effektivitätsgrundsatz häufig den tatsächlichen Verhältnissen anpaßt und dem es in vieler Hinsicht an rechtlicher Materialität fehlt, zielt Weltrecht auf die universelle Verwirklichung des Rechtsprinzips durch verbindliche Sollvorschriften. 7. Das höhere Maß an Rechtsverbindlichkeit des Weltrechts zeigt sich insbesondere in folgenden Merkmalen:

C. Wie unterscheidet sich Weltrecht vom Völkerrecht?

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• Vorrang, • unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit, • Einklagbarkeit, • Rechtssicherheit, • Durchsetzbarkeit. 7.a) Während völkerrechtliche Vorschriften grundsätzlich abdingbar sind und die Staaten den Rang des Völkerrechts selbst bestimmen, beansprucht Weltrecht in seinem Anwendungsbereich vorrangige Geltung vor staatlichen, völkerrechtlichen und privatrechtlichen Rechtsregeln. Es ist ius cogens. Entgegenstehende völkerrechtliche Verträge sind nichtig. Wegen der existentiellen Staatlichkeit der Völker beschränkt sich der Vorrang des Weltrechts vor dem nationalen Recht auf einen Anwendungsvorrang. Das im Völkerrecht anerkannte ius cogens enthält bereits eine partielle, minimale Weltverfassung. 7.b) Völkerrecht, das innerstaatlich unmittelbar gilt und unmittelbar anwendbar ist, ist funktional Weltrecht. 7.c) Die bisherige Völkerrechtspraxis erkennt die Menschenrechte in erster Linie als zwischenstaatliche Pflichten an. Unter dem weltrechtlichen Paradigma ist Menschheitsrecht (zumindest vor staatlichen Gerichten) einklagbar. 7.d) Gesteigerte rechtliche Verbindlichkeit zeigt sich, wenn in Verträgen zur Verwirklichung des Weltrechts zwischen den Mitgliedern statt der typischen einzelstaatlichen, völkerrechtlichen Selbsthilfemaßnahmen ein allgemeines, obligatorisches Streitschlichtungs- oder Klageverfahren zur Durchsetzung der Legalität institutionalisiert wird (Weltverträge). Eine obligatorische Weltgerichtsbarkeit ist Voraussetzung für die Verwirklichung des Weltrechts und institutionalisiertes Weltrecht. 7.e) Eine über die Vertragsbindung (pacta sunt servanda) hinausgehende Pflicht zur Rechtseffektivität und Integration entsteht durch Organisationen, in denen sich die Mitglieder zu gegenseitiger Treue und Rücksichtnahme verpflichten (z. B. Europäische Union).

II. Paradigmenwechsel in den Prinzipien Der Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht zeigt sich vor allem in einer Veränderung und Ergänzung der grundlegenden Prinzipien. 1. Die Staatliche Souveränität und damit das Völkerrecht werden durch das Selbstbestimmungsrecht legitimiert, ausgefüllt und begrenzt. Inhalt des Souveränitätsprinzips ist das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker. Damit ist das Selbstbestimmungsrecht zugleich ein (welt-)rechtlicher Maßstab für die einzel-

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7. Teil: Ergebnisse

staatlichen Verfassungen. Subjekt des Selbstbestimmungsrechts sind der Bürger und in seiner Vielheit ein Volk. Der völkerrechtlich-faktische Staatsbegriff der Drei-Elemente-Lehre wird im weltrechtlichen Paradigma durch das Selbstbestimmungsrecht sowie durch die rule of law normativ ergänzt. 2. Der Status von Staaten im rechtlichen und im effektiv-faktischen Sinn ist unter weltrechtlichen Gesichtspunkten strenger zu unterschieden. Despotien sind zwar aus Gründen der Friedenssicherung Völkerrechtssubjekte und unterliegen wie de facto-Staaten dem Gewaltverbot, der formale zwischenstaatliche Gleichheitssatz ist aber relativiert. Das wirkt sich auf Mitentscheidungsbefugnisse in Weltorganen aus. Auch das gegenwärtige Völkerrecht hält sich nicht strikt an den formalen Gleichheitssatz, allerdings aus faktischen Gründen, wie die hegemoniale Stellung von Großmächten in internationalen Organen (z. B. UN-Sicherheitsrat) zeigt. 3. Insbesondere verträgt sich das weltrechtliche Legalitätsprinzip nicht mit völkerrechtlich zugestandenen Immunitäten, welche die Durchsetzung des Rechts dauerhaft verhindern (vgl. auch Art. 27 ICC-Statut). Das weltrechtliche Vertragsprinzip wirkt grundsätzlich inter omnes und der zwischenstaatliche Reziprozitätseinwand sowie auch der Grundsatz bona fides werden vom Legalitätsprinzip verdrängt. Dies zeigt sich beispielsweise im Recht der Europäischen Union. 4. Völkerrecht wird durch das Weltrecht nicht obsolet, soweit es den äußeren Frieden zwischen den Staaten als Teil des universellen Rechtsprinzips wahrt. Im weltrechtlichen Paradigma geht das Weltrecht (z. B. der Kern der Menschenrechte) dem Souveränitätsprinzip sowie dem Interventionsverbot grundsätzlich vor. Das Gewaltverbot ist als zwingendes Recht – weltrechtlich erweitert auf friedensbedrohende, zwischenmenschliche Gewalt (z. B. Terrorismus) – immer zu beachten. Würde das zwischenstaatliche Gewaltverbot verdrängt, wäre das Friedensgebot zwischen den Staaten aufgehoben. Dies ist nicht Zweck des Weltrechts. 5. Ein Prinzip „wechselseitiger Einmischung“ ist zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts und der rule of law nicht in dem Sinn anzuerkennen, daß einzelne Staaten jederzeit, nach ihrer Willkür gegen einen anderen militärisch oder mit existenzbedrohenden Sanktionen vorgehen dürfen, weil damit die notwendige Unparteilichkeit der Rechtsdurchsetzung nicht gewahrt wird.

C. Wie unterscheidet sich Weltrecht vom Völkerrecht?

1049

III. Gegenüberstellung von Typik und Grundprinzipien des Völkerrechts einerseits und des Weltrechts andererseits Völkerrecht Souveränität der Staaten Drei-Elemente-Lehre Prinzip der Freiwilligkeit

Weltrecht Selbstbestimmung des Menschen und der Völker Weltrecht als Maßstab für den Staatsbegriff Zwingendes Recht

Rechtssubjektivität der Staaten

Rechtssubjektivität des Menschen Menschenrechte, Weltbürgerrecht

Gleichheit der Staaten

Gleichheit der Menschen

Staatenkonsens als Quelle der Völkerrechtsetzung Staatenvertretung

Konsens der Weltgemeinschaft als Rechtsetzungsquelle Mehrheitsregel

Staatenimmunität

Rule of law

Nichteinmischung, Interventionsverbot

Prinzip der Einmischung durch die Weltorganisation Weltweite Solidarität und Verantwortung

Solidarität und Verantwortung nur für das eigene Volk Grundsatz bona fides

Erzwingbarkeit des Rechts

Grundsatz der Reziprozität

Legalitätsprinzip

Gewaltverbot zwischen Staaten

Menschenrechtliches Gewaltverbot

Selbstbestimmungsrecht

Selbstgesetzgebung

Effektivitätsprinzip

Rechtsprinzip, Demokratieprinzip

Pacta sunt servanda

Treuepflicht

Staaten als „Herren der Verträge“ Keine Sekundärrechtsetzung

Geborene Menschheitsverfassung Begrenzte Weltrechtsetzung

Relativität der völkerrechtlichen Pflichten

Universalität des Weltrechts, Pflichten erga omnes

„Privatrechtliche“ Ordnung ius dispositivum

Öffentliche Rechtsordnung ius cogens

Unvollkommenheit Zersplittertheit, ungesicherte Verbindlichkeit grundsätzlich keine unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit Vollzug und Durchsetzung durch die Staaten, Selbsthilfe Kein individueller Rechtsschutz

Weltverfassung Einheit der Rechtsordnung, unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit öffentlich-rechtliche Rechtsdurchsetzung, individueller Rechtsschutz

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7. Teil: Ergebnisse Völkerrecht

Weltrecht

Mediatisierung der Menschen durch die Staaten Kollektivhaftung

Einzelne als Träger von Rechten und Pflichten, subjektive Rechte Individualhaftung

Keine obligatorische internationale Gerichtsbarkeit

Obligatorische Weltgerichtsbarkeit

Rangbestimmung des Völkerrechts durch die Mitgliedstaaten

Vorrang des Weltverfassungsrechts

IV. Paradigmenwechsel in der Rechtsetzung 1. Das mit dem Menschen geborene Weltrecht als Menschheitsverfassung beinhaltet de iure lata nur grundlegende Prinzipien. Es bedarf de lege ferenda näherer Materialisierung und Verwirklichung durch gesetztes (positives) Weltrecht. Die Setzung funktionalen Weltrechts kann grundsätzlich entweder durch eine Weltlegislative (funktional weltstaatlich) oder völkerrechtlich sowie einzelstaatlich erfolgen. Die Schaffung einer Weltlegislative ist nicht notwendig. Der Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht kann sich aus dem Völkerrecht entwickeln und zeigt sich für die Rechtsetzung in der • Schließung von Weltverträgen, • Entstehung von Weltgewohnheitsrecht, • Bildung allgemeiner Weltrechtsgrundsätze und von • Weltkonsensrecht. 2. Ein Weltvertrag ist eine multilaterale vertragliche Übereinkunft zwischen allen oder nahezu allen Staaten, die weltrechtliche Regelungen enthält, d. h. erstens auf die Verwirklichung des Menschheitsrechts gerichtet ist und zweitens Durchsetzungsverfahren zu diesem Zwecke vorsieht. 3. Maßgeblich für die Entstehung globalen Konsensrechts ist der Diskurs zwischen Rechtskulturen, nicht mit Unrechtsregimen. 4. Auch der in Internationalen Organisationen (u. U. auch spontan) gebildete Konsens sowie Gewohnheit, die sich in Sprechakten ausdrückt, ist maßgebend. 5. Nichtstaatliche Akteure können einbezogen werden, soweit globale, allgemein zugängliche Diskursverfahren geschaffen werden, welche auf dem Konsens der Staaten beruhen.

D. Weltrechtsordnung und kosmopolitische Demokratie

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D. Modelle der Weltrechtsordnung und kosmopolitische Demokratie 1. Demokratie ist kein von der Idee der Freiheit unabhängiges Prinzip, sondern soll diese verwirklichen. Sie ist nur dann ein geeignetes Prinzip universeller Legitimation, wenn ihr Zweck und Wesen Selbstgesetzgebung und nicht die Abgrenzung eines Volkes von einem anderen ist. 2. Das Freiheitsprinzip gibt der Weltverfassung den Maßstab praktischer Vernunft, schreibt aber keine bestimmte Ordnung vor. Nach dem Grad der Institutionalisierung können vier Modelle der verfaßten Weltrechtsordnung unterschieden werden, die praktisch vernünftig sind und in denen das Prinzip der Selbstbestimmung möglich ist: • Republik offener Republiken, • Funktionale Weltstaatlichkeit, • Minimale Weltrepublik/Weltcivitas, • Weltrechtsordnung jenseits der Kategorie des Staates. I. Republik offener Republiken 1. Das Recht jedes Bürgers auf eine republikanische Regierung und die Pflicht der Staaten und der Weltgemeinschaft, die Voraussetzungen hierfür zu schaffen, sind Bestandteil des Weltrechts. Der tatsächlichen Existenz von Staaten als bereits verfaßte Rechtsgemeinschaften sowie den Rechten der Menschen auf kulturelle Identität ist Rechnung zu tragen. Die höchste Stufe in der Verwirklichung von Weltrecht ohne institutionalisiertes Weltrecht ist die Durchsetzung der offenen Republik als weltweiter Maßstab und ein Völkerrecht i. e. S. In einer Republik der offenen Republiken wird Weltrecht ausschließlich durch die Staaten realisiert. 2. Das Weltbürgerrecht, welches die Menschen zur transnationalen Kontaktaufnahme berechtigt, fordert offene Republiken. Der offene Staat bleibt nicht national selbstbezogen, sondern ist bereit, mit anderen Staaten und Internationalen Organisationen in geeignete, rechtliche Beziehungen zu treten, in eine Republik der Republiken. Schon seit der Internationalisierung der politischen Verhältnisse, kann der Staat auch tatsächlich nicht mehr als selbstbezogen souverän charakterisiert werden, sondern als kooperationsoffen und kooperationsverpflichtet. 3. Das deutsche Grundgesetz öffnet sich weitgehend für die Völkerrechtsordnung und noch mehr für die Europäische Integration. Weltoffenheit und Positivierung des Weltrechts offenbart das Grundgesetz insbesondere in der Präambel, in Art. 1 Abs. 2 und in den durch die Grundrechte materialisierten Menschen-

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7. Teil: Ergebnisse

rechten sowie in Art. 16 Abs. 2, Art. 16a, Art. 23, Art. 24, Art. 24 Abs. 1 a, Art. 25, Art. 26 und Art. 32 Abs. 3 GG. Die deutsche Rechtspraxis erweist sich dem Weltrechtsprinzip verpflichtet. Das zeigt sich z. B. im Strafrecht, in der völkerrechtsfreundlichen Auslegung und in der Berücksichtigung des Weltinteresses oder der Anwendung des (internationalen) ordre public. Die deutsche Rechtspraxis schöpft jedoch die grundgesetzlichen Möglichkeiten in Art. 1 Abs. 2, Art. 25 GG nicht aus, dem Menschheitsrecht unmittelbare Geltung zu verschaffen. Grenzen der offenen Staatlichkeit sind die Aufgabe der eigenen existentiellen Staatlichkeit, das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, ein mehr oder weniger vergleichbarer Grundrechtsschutz und das Subsidiaritätsprinzip. 4. Ohne Weltstaat kann der (demokratische) Weltbürgerstatus dadurch verwirklicht werden, daß jeder Mensch, der dauerhaft unter den Gesetzen eines Staates lebt, dort auch als Bürger an der Gesetzgebung beteiligt wird. Es widerspricht dem Weltbürgerrecht, wenn die politische Freiheit von vornherein nur in der Gemeinschaft wirksam werden kann, in die man hineingeboren worden ist. Das Staatsbürgerschaftsrecht offener Staaten berücksichtigt dies in Deutschland noch unzureichend. 5. Im Sinne des Weltbürgerrechts öffnet sich der Staat auch für rechtliche Beziehungen zu ausländischen privaten Personen und Organisationen. Auf diese Weise kann sich allmählich ein weltumspannendes, vielfältiges Netzwerk öffentlicher und privater Rechtsverhältnisse bilden, das durch die mehrstufige Weltverfassung gestützt und geordnet, aber nicht zentralisiert wird. 6. Die Verwirklichung des Weltrechts ausschließlich durch die Staaten setzt ein rudimentäres Prinzip der Anerkennung voraus. Allerdings ist es durch die Prinzipien der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Subsidiarität begrenzt. Die Pflicht des Staates zur Offenheit besteht nur im Rahmen des Rechts. 7. Trotz der Globalisierung und der Existenz von Weltrecht sind die Staaten in den internationalen Beziehungen als Völkerrechtssubjekte immer noch die maßgeblichen Akteure. Mangels Weltvolk sind die Staaten auch in der internationalen Kooperation als Vermittler demokratischer Legitimation unverzichtbar. Wird allerdings auf eine Demokratisierung der internationalen und globalen Organisationssysteme verzichtet, ist ein nicht unerheblicher Effektivitätsverlust der demokratischen Kontrolle über die internationalen Sachentscheidungen die Folge. 8. Die Durchsetzung von Menschheitsbelangen allein durch die Staaten findet ihre Grenzen am Prinzip der Selbstbestimmung der Bürger und Völker, weil ein Staat nicht einseitig die Interessen der ganzen Menschheit entscheiden, erst recht nicht durch militärische Maßnahmen erzwingen darf. Die Menschheitsverfassung, namentlich Anliegen der Menschenwürde, des Weltbürgerrechts und die repressiven Antworten, welche die Bedrohungen der Menschheit (z. B. Massenvernichtungsmittel, globaler Terrorismus, Umweltzerstörung) herausfordern, sowie die Frage nach einer Weltwirtschaftsverfassung bedürfen einer globalen

D. Weltrechtsordnung und kosmopolitische Demokratie

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Ordnung, die über die bisherigen nationalen Ordnungen und internationalen Rechtsbeziehungen hinausgeht. Wird das Weltrecht allein durch die Staaten verwirklicht, kann das außerdem nur Erfolg haben, wenn (fast) alle Staaten offene Rechtsstaaten sind. Das ist aber nicht der Fall und muß daher erst verwirklicht werden. 9. Fazit: Eine Institutionalisierung und Konstitutionalisierung des Weltrechts über den nationalen Staats- und Verfassungskontext hinaus ist erforderlich.

II. Institutionalisierung und Konstitutionalisierung funktionaler Weltstaatlichkeit 1. Zur Verwirklichung und Durchsetzung des Weltrechts benötigt die Weltrechtsordnung Mittel der Rechtsdurchsetzung gegenüber den Staaten, die über Kooperation, Publizität und Anreize zu freiwillig rechtmäßigem Handeln hinausgehen. Dies bedingt für die unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips weltrechtlich zu ordnenden Bereiche die Institutionalisierung von Organen und Durchsetzungsverfahren und damit funktionale Weltstaatlichkeit. Die Rechtsdurchsetzung erfolgt insbesondere durch: • Weltinstitutionen/-organe, • Streitbeilegungsverfahren, • Weltgerichtsbarkeit. 2. Mit der Errichtung von Weltorganisationen (z. B. der Vereinten Nationen, der WTO, dem Seerechtsregime oder dem Internationalen Strafgerichtshof) wird partiell funktionale Weltstaatlichkeit institutionalisiert. 3. Weltorganisationen dürfen zum Schutz der existentiellen Einzelstaatlichkeit und der Sicherstellung demokratischer Legitimation nicht über KompetenzKompetenz verfügen, sondern nur über partielle, begrenzt zugewiesene Gewalt. 4. Kosmopolitische Demokratie wird im Rahmen funktionaler Weltstaatlichkeit verwirklicht, wenn die Verträge, mit denen die Staaten Befugnisse auf Weltorganisationen übertragen, in Abweichung vom völkerrechtlichen Nichteinmischungsprinzip ihre Ratifikation durch ein demokratisch gewähltes Parlament und/oder Referenden verbindlich vorsehen. Das verwirklicht Völkerrecht i. e. S. auf der Grundlage der Selbstbestimmung. 5. Militärische Maßnahmen der Weltorgane gegenüber den Staaten sind wegen des Gewaltverbots grundsätzlich ausgeschlossen. Sie sind nur im Falle der Bedrohung des Weltfriedens durch den Sicherheitsrat erlaubt. 6. Erforderlicher Bestandteil der Weltverfassung ist die Schaffung eines obligatorischen Streitbeilegungssystems zur Verhinderung von Kriegen und zur Beilegung von Konflikten (z. B. auch um das Selbstbestimmungsrecht der Völker).

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7. Teil: Ergebnisse

7. Essentieller Schritt der Institutionalisierung der Weltverfassung ist eine obligatorische Weltgerichtsbarkeit mit Klagebefugnissen nicht nur für Staaten, sondern auch für Privatrechtssubjekte. 8. Gegenüber privaten Rechtssubjekten, welche die Macht haben, sich nach ihrer Willkür über das Recht hinwegzusetzen und die Menschenwürde zu mißachten (z. B. Terrororganisationen), hat sich die Rechtsdurchsetzung der Staaten weltweit als defizitär erwiesen. Der Menschenrechtsrat und eine noch aufzubauende Weltumweltorganisation könnten subsidiär mit Kontrollbefugnissen versehen werden. Außerdem könnte eine Weltinstitution zur koordinierten und gemeinsamen Bekämpfung internationaler Verbrechen und des Terrorismus gegründet werden. Eine allgemein zuständige Weltpolizei, ausgestattet mit der Befugnis zu unmittelbarem Zwang gegenüber jedermann, ist generell als übermäßig abzulehnen. 9. Fazit: Die Institutionalisierung und Konstitutionalisierung funktionaler Weltstaatlichkeit ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein zwar noch nicht vollständig realisiertes, aber realistisches Modell einer Weltrechtsordnung. III. Weltrepublik, kosmopolitische Demokratie und ihre Grenzen 1. Die schon von Kant beschworenen Gefahren einer Weltdespotie sind ernst zu nehmen, aber ausräumbar. In der gegenwärtigen, faktischen Weltordnung droht die Gefahr eines Weltimperiums mehr durch eine übermächtige Hegemonialmacht als durch eine Weltrepublik. Hegemonie einzelner Großmächte ist zur Verwirklichung des Weltrechts ungeeignet, weil die Unparteilichkeit der Rechtsdurchsetzung fehlt. 2. Rechtlich denkbar ist eine Weltrepublik, welche die Schicksalsgemeinschaft Menschheit unter einer bürgerlichen Weltverfassung vereinigt. Kulturelle, soziale, ethnische, religiöse, sprachliche oder sonstige materielle Homogenität ist keine unabdingbare und deshalb auch keine rechtliche Voraussetzung für eine Rechtsgemeinschaft, einen Staat, ein Volk. Ein „Menschenrecht auf Nationalität“ als Gruppenrecht gibt es nur im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts dahingehend, daß keinem Volk seine Nationalität gegen seinen Willen genommen werden darf. Es bleibt die Entscheidung der Rechtsgenossen, welche Intensität ihrer Rechtsgemeinschaft sie aufgrund von Kultur, Sprache und Religion im Zusammenleben für erträglich und sinnvoll erachten. Eine gemeinsame Vorstellung vom bonum commune ist nicht vorausgesetzt, sondern erst in prozeduralen Diskursverfahren zu ermitteln. 3. Jede Rechtsgemeinschaft ist mit rechtlicher Solidarität zwischen den Rechtsgenossen verbunden, die auch durch Diskurse herstellbar ist. Für die Menschheit als globale Solidaritätsgemeinschaft ist aufgrund deren natürlicher

D. Weltrechtsordnung und kosmopolitische Demokratie

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Pluralität nicht der gleiche Grad an Solidarität möglich wie unter Bürgern eines Nationalstaates. Es ist deshalb nicht geboten, einen komplexen, sozialen, globalen Bundeswohlfahrtsstaat mit dem Ziel einheitlicher Lebensverhältnisse zu schaffen, sondern es geht darum, neben der Friedensordnung die Mindestbedingungen gegenseitiger menschlicher Achtung zu sichern. Hierfür bedarf es keiner tendenziell diktatorischen Umverteilungsbürokratie. Ein Weltmaximalstaat wäre notwendig unfreiheitlich und nicht in der Lage, das Recht zu verwirklichen, entweder wegen Unregierbarkeit oder weil kosmopolitische Demokratie in einem Weltstaat mit umfassender oder zumindest weitreichender Zuständigkeit unlebbar wäre und das Gewaltmonopol zu einer Weltherrschaft führen würde. 4. Eine subsidiäre, auf die Verfassung nach dem Weltbürgerrecht sachlich beschränkte oder minimale Weltrepublik, die sich nicht am National- und Territorialstaat orientiert, sondern als civitas zu verstehen ist, mit enumerativ begrenzten Durchsetzungsbefugnissen, erscheint jedoch praktisch vernünftig und mit dem Freiheits- und Rechtsprinzip vereinbar. Mitglieder der Weltcivitas können Bürger oder/und Völker sein. 5. Weil ein Weltstaat nach dem Modell des nationalen Territorialstaates nicht zu befürworten ist, muß die Durchsetzung des Weltrechts losgelöst von der Idee umfassender Gebietshoheit oder eines „Gewaltmonopols“ konzipiert werden. Soweit Weltorgane die Befugnis erhalten sollen, Recht zu erzwingen, ist sicherzustellen, daß deren Zwangsbefugnis begrenzt und demokratisch legitimiert ist. Das Zwangsverfahren durch Weltorgane muß sowohl durch die legislativen Organe auf Weltebene als auch durch die Staaten kontrollierbar sein. Andernfalls würde eine Weltdiktatur geschaffen werden, welche die Sicherung des Rechts nicht qualitativ verbessern, sondern verschlechtern würde. 6. Eine Weltcivitas als Weltbürgerschaft setzt ein Weltparlament oder auch mehrere für verschiedene Sachfragen getrennte Weltparlamente voraus. Hierdurch würde auch formell ein Weltbürgerstatus erreicht. 7. Das Prinzip der Selbstbestimmung, das mit dem subjektiven Recht auf Freiheit verbunden ist, ist Grund und Kern des Demokratieprinzips und diesem übergeordnet. Es beinhaltet zum einen, daß die Menschen frei die Bedingungen ihrer Vereinigung wählen. Zum anderen verlangt es die Einbeziehung aller betroffenen Menschen in den Prozeß der Rechtsetzung (Betroffenenpartizipation). 8. Kosmopolitische Demokratie ist möglich, bedingt aber folgende Voraussetzungen und Vorkehrungen: – Diskurs- und Einigungsfähigkeit, – vertikale Funktionenteilung, – sachliche Funktionenteilung, – funktionale Selbstgesetzgebung, – Institutionalisierung von weltweiten, allgemeinen Diskursen.

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7. Teil: Ergebnisse

8.a) Eine grundsätzliche Einigungsfähigkeit in Weltrechtsfragen besteht. Die Kommunikationsfähigkeit als Voraussetzung jedes gemeinsamen menschlichen Handelns ist dem Menschen angeboren. Es gibt kein Recht, ausschließlich in einer Sprache zu kommunizieren. Kommunikation ist auch zwischen Menschen verschiedener Sprachen möglich. Ein Weltbürgerbewußtsein kann sich aus dem bereits vorhandenen kosmopolitischen Rechtsbewußtsein der Völkerrechtsgemeinschaft (vgl. z. B. allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Internationaler Strafgerichtshof) und der zunehmend aktiven Zivilgesellschaft in der global governance entwickeln. Vollständig entfaltet sich ein Weltbürgerbewußtsein erst in einer Weltcivitas, einer rechtlich verfaßten Weltbürgergemeinschaft. Dies setzt auf allen Ebenen neben allgemeinen, gleichen Wahlen gemeinsame Rechtsetzungsorgane und Verfahren voraus, welche die Kommunikationsvoraussetzungen sicherstellen und das Kommunikationspotential der Weltgesellschaft in Diskursen und politischen Entscheidungsprozessen zur Geltung kommen lassen. 8.b) Damit kosmopolitische Demokratie lebbar ist, müssen die Aufgaben der Weltcivitas im Sinne sachlich kleiner Einheiten überschaubar eng gefaßt sein. 8.c) Jenseits und neben der demokratischen Legitimation durch ein Volk ist Selbstbestimmung als funktionale Selbstgesetzgebung möglich. Die nach dem Prinzip der Kongruenz von Gesetzgebenden und Gesetzesunterworfenen verbundenen Menschen bilden eine civitas in sachlicher Hinsicht, sind aber nicht mehr durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten, national oder auch nur territorial umrissenen Einheit zu definieren. Selbstregierung verwirklicht das Selbstbestimmungsprinzip nicht als Willen eines Staatsvolkes, also nicht demokratisch i. e. S., sondern durch die Selbstbestimmung der Mitglieder des jeweiligen Verbandes oder der Organisation. Weil solche grenzüberschreitenden Gemeinschaften funktionaler Selbstregierung mangels Weltgesetzgeber in die bisherige territoriale Hoheit der Staatsvölker eingreifen, bedürfen sie einer Ermächtigung durch diese. 8.d) Verschiedene Sachparlamente, die in Fachorganisationen (Welthandels-, Arbeits-, Umweltschutzorganisation) integriert sind und funktionale Selbstbestimmung verwirklichen, ermöglichen zusätzlich Funktionsteilung. Eine weltbürgerliche Beteiligung oder Vertretung durch nationale Abgeordnete in Fachparlamenten würde keine neue Weltmacht entstehen lassen, solange den nationalen Parlamenten und den einzelnen Völkern die Kompetenz-Kompetenz nicht entzogen wird. Gegenüber dem jetzigen Zustand würden die Bürgerferne und das demokratische Defizit insgesamt tendenziell abnehmen; denn bisher sind die Bürger in den Internationalen Organisationen überhaupt nicht oder nur durch Regierungsführer vertreten. Die nationalen Parlamente verantworten deren Entscheidungen meist nur formell-demokratisch, zumal in der praktizierten Parteiendemokratie.

D. Weltrechtsordnung und kosmopolitische Demokratie

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9. Fazit a) Im Modell einer (sachlich abgegrenzten) Weltbürgercivitas ist kosmopolitische Demokratie rechtlich konzipierbar, ihre Verwirklichung erscheint momentan aber noch unrealistisch. b) Realistischer ist es, die im Rahmen der Vereinten Nationen angelegte civitas der Völker auszubauen. Entsprechend dem Grundsatz der Gleichheit der Staaten könnte die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der Befugnis ausgestattet werden, verbindliche Beschlüsse, also Sekundärrecht, zu erlassen. Ihre Beschlüsse würden durch die (demokratisch legitimierten) Vertreter aller Völker getragen. Solange sich ihre Entscheidungen auf zwischenstaatliche Friedenssicherung beschränken, würde dies über den bisherigen Befugnisrahmen der Vereinten Nationen, Sekundärrecht zu setzen, nicht hinausgehen. Das demokratische Selbstbestimmungsrecht der Völker kann dadurch gestärkt werden, daß die Zustimmung der demokratischen Volksvertretungen oder der Völker zu völkerrechtlichen Verträgen und bestimmten Beschlüssen der Vereinten Nationen vorgesehen wird. IV. Weltrechtsordnung und Selbstbestimmung jenseits der Kategorie „Staat“ 1. Der Mensch ist derzeit nicht Weltstaatsbürger, aber Subjekt der Weltgemeinschaft oder Weltgesellschaft, die eine gewisse Weltordnungsfunktion hat. Seine Teilnahme in ihr manifestiert sich nicht in staatsbürgerlichen Wahlen und Abstimmungen, sondern im (unterschiedlich ausfallenden) Beitrag zu einem aktiven Weltdiskurs und einer damit entstehenden Weltöffentlichkeit. Garantiert wird dieser durch die Menschenrechte, die insofern politische Partizipation sichern. 2. Weil partizipative, deliberative Demokratie Mitwirkungsrechte auch durch Beratungsrechte ersetzt sowie Betroffene durch (hinreichend einflußreiche) Interessierte mediatisiert werden, wird der Begriff der „Demokratie“ verwässert. Ob durch die sogenannte deliberative Demokratie Selbstbestimmung verwirklicht wird, hängt davon ab, ob die Beteiligungschancen der Betroffenen oder zumindest ein hinreichender Interessenpluralismus gesichert sind. Die sogenannte Verhandlungsdemokratie erfüllt diese Voraussetzung wegen ihrer Ausschlußwirkung nicht. 3. Weltverfassungsrechtliche Prinzipieneinheit ist nur möglich, wenn es gelingt, eine öffentlichrechtliche Einbindung der sektoralen Zivilregime in die staatliche und internationale Verfassung zu institutionalisieren und diese mit der Weltverfassung zu verbinden. Möglich ist dies durch • vertragliche Vernetzung mit oder ohne staatliche Kontrolle (z. B. öffentlichprivate Partnerschaft),

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7. Teil: Ergebnisse

• staatliche Anerkennung zivilgesellschaftlich entwickelter Standards und durch gerichtlichen Rechtsschutz für privatautonom entwickelte Standards sowie weitergehend durch • öffentlichrechtliche Institutionalisierung dieser Vernetzung in einer Internationalen Organisation. 4. Nichtregierungsorganisationen als globale Subjekte der Weltgemeinschaft sind nicht schon aufgrund der von ihnen verfolgten öffentlichen Interessen Vertreter der Menschheit, wie dies die Lehre von der deliberativen Demokratie unter Aufgabe des Selbstbestimmungsprinzips annimmt. Sie sind nicht personell-demokratisch legitimiert. Über substantielle Entscheidungsbefugnisse in Menschheitsfragen dürfen sie daher nicht verfügen. Eine Mitwirkung von nichtstaatlichen Akteuren an Weltrechtsetzungsprozessen ist überdies in Weltverträgen oder/und Gesetzen zu regeln, die deren Befugnisse im einzelnen festlegen. Erforderlich ist außerdem ein offenes Verfahren, welches die Zulassung und die Bestellung der Akteure durch demokratisch legitimierte Instanzen öffentlichrechtlich regelt sowie für gleiche Beteiligungschancen sorgt. 5. Die tripartistische Organisation der ILO ist nicht typisch völkerrechtlich nur an der Staatenvertretung orientiert, sondern bezieht Vertreter der Sozialpartner ein, welche auf diese Weise als globale Rechtssubjekte institutionalisiert sind. Hinsichtlich ihrer dreigliedrigen Struktur stellt die ILO ein konstitutionelles Partizipationsmodell nicht nur für die immer zahlreicher werdenden transnational-sektoralen Politiknetzwerke aus staatlichen und privaten Akteuren zur Verfügung, sondern bietet sich auch als Entwurf für künftige Weltorganisationen an, bei denen eine Beteiligung einschlägig engagierter privater Verbände (Nichtregierungsorganisationen, Unternehmensverbände) vernünftig erscheint. Denkbar ist es, eine der ILO entsprechende Struktur im Wirtschafts- und Sozialrat der UN zu institutionalisieren. In ihm wären neben den Staaten die verschiedenen Interessengruppen der Zivilgemeinschaft repräsentativ vertreten. 6. Fazit: Deliberation in den Politiknetzwerken der global governance kann die herkömmlichen Verfahren direkter und repräsentativer Demokratie nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Völlig ohne Staatlichkeit ist die Weltrechtsordnung jenseits des Staates nicht möglich.

E. Analyse der Entwicklungen vom Völkerrecht zum Weltrecht in der Rechtspraxis Das völkerrechtliche Paradigma ist zwar ideell, aber derzeit noch nicht praktisch vollständig durch ein weltrechtliches ersetzt. Die zunehmende Öffnung des Völkerrechts für Menschheitsanliegen und die tatsächliche Entwicklung des Völkerrechts zum Völkerrecht der Globalisierung mit neuen Akteuren, Konsti-

E. Analyse der Entwicklungen in der Rechtspraxis

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tutionalisierungsprozessen und (weltstaatlichen) Elementen belegen jedoch phänomenologisch die Existenz, Akzeptanz und Effektivität des Weltrechts, den Paradigmenwechsel. I. Von der internationalen zur globalen Rechtsgemeinschaft Die Verwirklichung des Weltrechts erfolgt allmählich. Sie wird zunächst als Wandlung des Begriffs des Völkerrechts wahrgenommen. So hat sich das Koordinationsvölkerrecht in der Vergangenheit zum Kooperationsvölkerrecht entwikkelt. Nicht wenige Autoren verwenden inzwischen den Begriff „Weltrecht“, „Weltinnenrecht“ oder „transnationales Recht“. Die institutionalisierten Foren des internationalen Willensbildungsprozesses, namentlich die Vereinten Nationen, verbinden die Staaten zu einer internationalen Rechtsgemeinschaft und nach Auffassung einiger sogar zu einer Werte-, Verantwortungs- und Schicksalsgemeinschaft. Inzwischen gibt es mehr Internationale Organisationen als Staaten. Aktuell hat sich ein Völkerrecht der Globalisierung mit neuen Akteuren und Tendenzen zum Menschheitsrecht entwickelt. Die international community of states wandelt sich zur international community of global actors. Entsprechend entsteht stufenweise eine Weltrechtsordnung. Dies zeigen die bisherigen Konstitutionalisierungsprozesse im Völkerrecht, die teilweise aber noch einseitig und unausgewogen verlaufen, was sich etwa an der Wirtschaftsverfassung zeigt. Ein Weltstaat ist noch nicht vorhanden, wohl aber gibt es weltverfassungsrechtliche und weltstaatliche Ansätze und Elemente. II. Institutionell-verfahrensrechtliche Konstitutionalisierungsprozesse im Völkerrecht 1. Der häufig in der Lehre und Rechtsprechung herangezogene verfassungsrechtliche Ansatz ist ein Paradigmenwechsel gegenüber der Unvollkommenheit des Völkerrechts. 2. Institutionell-verfahrensrechtliche Konstitutionalisierungsprozesse zeigen sich insbesondere in den Vereinten Nationen, im Seerechtsregime, in der Welthandelsordnung und in der Weltarbeitsverfassung. 3. Die Vereinten Nationen sind eine Internationale Organisation mit weltrechtlichen Zielen, in deren Konzeption der Paradigmenwechsel zu einer Weltorganisation angelegt ist. Die UN-Charta ist ein Weltvertrag mit verfassungsrechtlichen Zügen, der auf Frieden im positiven Sinn zielt. Der universalistische, vorrangige Geltungsanspruch der Friedenspflicht in der UN-Charta ist weltrechtlich-konstitutionell. 4. Das Welthandelsrecht ist unter der WTO institutionalisiertes, zwischenstaatliches Recht mit Vorranganspruch. Insbesondere aufgrund des quasi-justi-

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7. Teil: Ergebnisse

ziellen, obligatorischen Streitbeilegungsverfahrens hat es einen hohen Verbindlichkeitsgrad. 4.a) Es bleibt aber im WTO-Regime bei der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit. Bisher sind nur die Staaten, aber nicht die Individuen in der Lage, im Welthandelsbereich das Legalitätsprinzip einzufordern. 4.b) Gegenüber den Bürgern der Mitgliedstaaten kennt die WTO keine Durchsetzungsmöglichkeiten. Umgekehrt können auch die Bürger und Unternehmen der Mitgliedsstaaten die Einhaltung der WTO-Vorschriften nach der Praxis nicht einklagen. 4.c) Ein Großteil der Lehre hat indes den paradigmatischen Wechsel zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Welthandelsrechts bereits vollzogen, der in den Verträgen angelegt ist, aber von den Gerichten, insbesondere vom Europäischen Gerichtshof, noch abgelehnt wird. Für das Europarecht ist ein entsprechender Paradigmenwechsel im Sinne weitgehender subjektiver Einklagbarkeit des EGVertrags im Geiste des effet utile längst abgeschlossen. Das Zusammenspiel nationaler Gerichte mit dem Europäischen Gerichtshof ist dabei ein zusätzlicher, erheblicher Durchsetzungsfaktor und vermeidet unnötige Supranationalität. 4.d) Trotz ihrer konstitutionellen Entwicklungen und Funktionen ist die Welthandelsordnung noch keine normative Weltwirtschaftsverfassung im Sinne einer materiellen, objektiven Prinzipienordnung. Weltwirtschaftsrecht und Menschenrechte, insbesondere auch die sozialen Rechte sowie der Umweltschutz, stehen nicht miteinander in Verbindung. Typisch völkerrechtlich beschränkt sich die WTO, getreu der Effektivitätsmaxime, auf die zwischenstaatliche Durchsetzung ihrer Ordnung und die Rechtssicherheit innerhalb ihres Vertragssystems. 5. Die ILO-Verfassung ist ein Weltvertrag mit Elementen einer Weltverfassung für den Bereich der Kernarbeitsrechte. Als Wirtschaftsverfassung ist sie unvollständig, weil ihr die Einwirkung auf den internationalen Handel fehlt. 5.a) Die Rechtsetzung der ILO enthält sowohl supranationale als auch völkerrechtliche Elemente. Die ILO-Übereinkommen sind mit gewissen Einschränkungen Akte international-globaler Gesetzgebung. 5.b) In einem Kernbereich (Koalitionsfreiheit, Verbot von Zwangs- und Pflichtarbeit, Verbot von Kinderarbeit, Diskriminierungsverbot) ist das Recht der ILO unmittelbar aufgrund der ILO-Verfassung, ohne Ratifikation für alle seine Mitglieder verbindlich (Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work, 1998). 5.c) Richtigerweise gilt dies auch für transnationale Unternehmen. Besonders wichtig für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts und zur Beseitigung des Protektionismuseinwands ist die selbstregulierende Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit.

E. Analyse der Entwicklungen in der Rechtspraxis

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5.d) Im Vergleich zum Welthandelsrecht in der WTO ist die Durchsetzung der ILO-Standards noch schwach institutionalisiert. Es gibt zwar eine quasijustizielle Klagemöglichkeit für Mitgliedstaaten, aber kein rechtsklärendes obligatorisches Streitverfahren. Die Institutionalisierung eines Weltarbeitsgerichts wäre ein wirksames Mittel zur Durchsetzung der Arbeitnehmerrechte. 5.e) Bisher besteht keine Möglichkeit, einzelne (transnationale) Unternehmen, welche die Kernarbeitsrechte in ihren Betrieben nicht einhalten, zu verklagen, wenn nicht ausnahmsweise die Staaten, gegebenenfalls exterritorial, subjektiven Rechtsschutz (zumeist als Schadensersatzanspruch) anbieten. 5.f) Demzufolge wird nicht verhindert, daß sich Unternehmen menschenrechtswahrenden, staatlichen Bestimmungen entziehen, obwohl weder das Eigentumsrecht noch die Kapitalverkehrsfreiheit sie dazu berechtigen. Die unmittelbare Bindung der Unternehmen an das Menschheitsrecht, das die ILOStandards materialisieren und die umstrittenen (formell unverbindlichen) Normen der Vereinten Nationen für die Verantwortlichkeiten transnationaler Unternehmen und anderer Wirtschaftsunternehmen im Hinblick auf die Menschenrechte postulieren, ist in der Praxis nicht durchgesetzt. Die heftige Diskussion darüber in der globalen Gemeinschaft und in der Rechtslehre belegt jedenfalls ein partielles Umdenken. Notwendig zur Rechtsklärung erscheinen formell allgemeinverbindliche, globale Bestimmungen für transnationale Konzerne, etwa in einem Weltvertrag oder global contract, welche die Verantwortung, Rechenschaftspflicht und Haftung der Unternehmen klar und eindeutig bestimmen. 6. Die Entwicklung der Weltwirtschaftsverfassung sollte mit der Verwirklichung der Menschheitsverfassung Schritt halten. Dazu gehören jedenfalls die Menschenrechte. Welthandelsrecht einerseits sowie der Schutz menschenrechtlich-sozialer Standards sind in einer Weltwirtschaftsverfassung verbunden, um eine prinzipielle Gleichgewichtung und Verflechtung von sozialen Menschenrechten und Freihandelsprinzipien herzustellen. Konstitutionell oder weltvertraglich könnte dies wie folgt realisiert werden: • Durch einen Weltvertrag wird eine Weltwirtschaftsorganisation gegründet, gegebenenfalls mit Verwirklichung kosmopolitischer Demokratie und Schaffung einer civitas mit einem Fachparlament (institutionell-konstitutionelle Lösung). • Die ILO-Prinzipien und die wesentlichen erga omnes-Umweltverpflichtungen können mit Hilfe materieller Verweisung in die WTO-Ordnung inkorporiert werden (materiell verfassungsrechtlich-weltvertragliche Lösung). • Außerdem kann die Aufnahme eines Staates in die WTO von der tatsächlichen grundsätzlichen Einhaltung der ILO-Kernarbeitsrechte abhängig gemacht werden (Lösung im Sinne einer Republik der Republiken).

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7. Teil: Ergebnisse

• Materielle Rechtseinheit kann notfalls ohne Vertragsänderungen durch die WTO-Streitbeilegungsrechtsprechung, wenn sie sich um eine harmonische Auslegung und Prinzipienabwägung bemüht, herbeigeführt werden (justizielle Lösung). III. Völkerrecht der Globalisierung 1. Das Völkerrecht der Globalisierung ist ein feststellbarer Entwicklungsschritt des Völkerrechts. Es ist durch die Entstaatlichung der Lebensverhältnisse und den Funktionswandel der Staatlichkeit gekennzeichnet. Es transzendiert sowohl das überkommene klassische Völkerrecht als auch das zwischenstaatliche Kooperationsrecht. Merkmale sind die Einbeziehung von • Menschheitsinteressen, • nicht-staatlichen Akteuren, • global governance. 2. Mehr als das Völkerrecht der Kooperation ist das Völkerrecht der Globalisierung auf grenzüberschreitende Interessen der gesamten Staatengemeinschaft und der Menschheit als solcher und damit auf Verpflichtungen erga omnes gerichtet, welche das Reziprozitätsprinzip einschränken. Sie werden schon jetzt ohne Weltstaat durch die Staaten durchgesetzt. Sie begründen eine materiale minimale Weltverfassung. Prinzipien erga omnes entstammen dem weltrechtlichen Paradigma und ergänzen oder verändern das herkömmliche Völkerrecht, z. B. das: • Prinzip gemeinsamen Erbes der Menschheit, • Prinzip der nachhaltigen Entwicklung, • Vorsorgeprinzip, • Solidaritätsprinzip. 3. Diese menschheitlichen Prinzipien manifestieren sich außer im Menschenrechtsbereich i. e. S. besonders im globalen Umweltrecht. Eine kohärente Weltumweltverfassung ist jedoch noch nicht institutionalisiert. Das internationale Umweltrecht verändert sich im Bereich bestimmter Menschheitsgüter, zu einem globalen Umweltrecht oder „Weltinnenrecht“. Soweit die neue globale Konzeption verfolgt wird, zeigt sich eine gewisse Abkehr von den völkerrechtlichen Prinzipien der Reziprozität, der (wirtschaftlichen) Souveränität und Gleichheit der Staaten zugunsten des Rechtsprinzips und der Fairneß. Im Sinne der rule of law etablieren sich vermehrt Kontrollverfahren „von Amts wegen“ (z. B. Einhaltungsausschuß des Kyoto-Protokolls). Eine weitergehende Institutionalisierung mit einer globalordnungsrechtlichen Verwaltungsstruktur zur Durchsetzung von Verpflichtungen erga omnes und Verteilung der Nutzungsrechte an globalen Gü-

E. Analyse der Entwicklungen in der Rechtspraxis

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tern sowie ein obligatorisches Streitbeilegungsverfahren (Art. 279 ff., 286 ff. SRÜ) hat sich im Seerecht entwickelt. Auch für andere Menschheitsgüter könnten Verwaltungsregime wie für die Verwaltung des Meeresbodens eingerichtet werden. 4. Allerdings hält die Implementierung des globalen Umweltrechts nicht Schritt mit derjenigen der Handels- und Dienstleistungsfreiheit in der WTO und erst recht nicht mit der erga omnes berechtigenden, unmittelbar anwendbaren und subjektiv einklagbaren Kapitalverkehrsfreiheit des EG-Vertrages. Um die Wirksamkeit des globalen Umweltrechts zu erhöhen, wird gefordert, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) durch eine effiziente Organisation zu ersetzen. In die Organstruktur einer zu schaffenden Weltumweltorganisation, welche die treuhänderische Verwaltung des Weltumweltrechts koordiniert, könnten nach dem Vorbild der ILO Nichtregierungsorganisationen und Wirtschaftsverbände einbezogen werden. WTO, ILO und die Umweltorganisation müßten institutionell, zumindest materiellrechtlich vernetzt werden. 5. Das Völkerrecht der Globalisierung hat die Bedeutungsaufwertung derjenigen nicht-staatlichen globalen Akteure zur Folge, denen Staaten und Internationale Organisationen zum Teil bereits einen weltbürgerlichen Status zugestehen. Ein Beispiel ist die private Internetorganisation ICANN. Insbesondere privatrechtliche Vereinigungen (transnationale Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen) erlangen partielle Rechts- und Handlungsfähigkeit im System einer global governance. Transnationale Unternehmen sind Partner transnationaler Verträge mit Staaten. Nichtregierungsorganisationen nehmen z. T. aufgrund eines förmlich anerkannten Konsultativstatus deliberativ auf die staatliche und internationale Rechtsetzung faktisch oder in förmlichen Verfahren Einfluß. Diese werden ergänzt durch privatautonomes soft law (z. B. Verhaltensrichtlinien, Zertifizierungsverfahren) sowie durch verschiedene transnationale Formen der Zusammenarbeit (public private partnership) zwischen staatlichen, internationalen und privaten Rechtssubjekten. Damit entsteht eine mehrschichtige globale Ordnung aus zwischenstaatlichem und zivilgesellschaftlichem Recht mit abgestufter Verbindlichkeit. 6. Das Selbstbestimmungsrecht von indigenen Völkern ist nach Art. 1 Ziff. 2 UN-Charta, Art. 1 des IPbpR und Art. 1 des IPwskR anerkannt. Soweit sie über eine entsprechende Organisation verfügen, ist ihnen in der ILO-Konvention 169 ein weltbürgerrechtlicher Subjektstatus zuerkannt worden, der sich zunehmend verfestigt. 7. Trotz der fortgeschrittenen Globalisierungsprozesse hat das praktizierte Völkerrecht das Weltbürgerrecht noch nicht hinreichend realisiert. Bislang existiert der Weltbürger nur in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht, wenn man so will als bourgeois mondial (global player, Kosmopolit, Bürger der Zivilgesellschaft), nicht jedoch als citoyen du monde. Im heutigen Völkerrecht genie-

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7. Teil: Ergebnisse

ßen Individuen zwar neben Rechtsreflexen gewisse Berechtigungen (z. B. Menschenrechte, soweit sie einklagbar sind) und haben auch Verpflichtungen zu tragen (z. B. weltstrafrechtliche Verantwortlichkeit). Mitwirkungsbefugnisse an der Rechtsetzung, gegebenenfalls im Wege der Repräsentation, besitzen sie jedoch in den Internationalen Organisationen in der Regel nicht. Die Mediatisierung der Menschen durch die Staaten ist teilweise durch die Mediatisierung der Menschen durch Unternehmen, Interessenverbände und Nichtregierungsorganisationen ersetzt. Insoweit präsentiert sich die global governance, bisher noch als paternalistische Ordnung, obgleich sie mit der Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Kommunikationsprozesse einen Weltfriedensbeitrag leistet.

IV. Vom Staatenrecht zum Menschheitsrecht 1. Das Dogma der ausschließlichen Staatenbezogenheit des Völkerrechts gehört der Vergangenheit an. Jedenfalls in seiner objektiven Dimension hat sich ein Stück Menschheitsverfassung im Völkerrecht etabliert und ergänzt die völkerrechtlichen Prinzipien um folgende: • Prinzip der Menschenwürde und der Achtung der Menschenrechte, • Einklagbarkeit von Menschenrechten, • allgemeines Gewaltverbot, • Prinzip der individuellen Verantwortlichkeit. 2. Einzelpersonen werden entgegen dem völkerrechtlichen Paradigma in der neueren Lehre und Praxis nicht mehr nur als begünstigte Objekte, sondern als Subjekte des Völkerrechts verstanden. Dieser paradigmatische Wechsel zum Weltrecht zeigt sich etwa in der Anerkennung subjektiver Rechte aus ursprünglich nur staatengerichteten völkerrechtlichen Verträgen in der IGH-Rechtssprechung, die auch den Menschenrechtsschutz verändert. Menschenrechte sind jedenfalls durchsetzbar, weil sie vor staatlichen Gerichten einklagbar sind. 3. Dieser Schutz ist jedoch nicht effektiv, wenn Staaten keinen Rechtsschutz gewährleisten. Individuelle Klageverfahren vor einem Menschengerichtshof, der auch auf Weltebene gefordert wird, gibt es nur auf regionaler Ebene (Art. 24 EMRK, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte). Die daneben bestehenden individuellen, völkerrechtlichen Beschwerde- und Klagerechte mit mehr oder weniger justiziellen Verfahren sowie der neu gegründete Menschenrechtsrat dienen der Verbesserung des subjektiven Rechtsschutzes auf Weltebene, sind aber ausbaubedürftig. 4. In Europa ist das Weltbürgerrecht insbesondere als Freizügigkeitsrecht und partieller Bürgerstatus weitgehend verwirklicht. Weltweit ist mit den Menschenrechtsverträgen und dem internationalen Asylrecht ein Minimum an Hospitalität gewährleistet.

E. Analyse der Entwicklungen in der Rechtspraxis

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5. Im Falle schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen sieht sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in weltrechtlicher Auslegung seiner Ermächtigung zur Friedenssicherung nach Kap. VII UN-Charta zu humanitären Interventionen befugt oder kann dazu ermächtigen. Militärische Interventionen zur Durchsetzung von Menschenrechten sind aber in jedem Fall ein Notbehelf und weisen auf die unvollkommene Verwirklichung der Weltverfassung. 6. Das zwischenstaatliche Gewaltverbot verändert sich mit Hilfe der Praxis des Sicherheitsrates zum weltrechtlichen Verbot militärischer oder paramilitärischer Gewalt, unabhängig davon, welches Subjekt diese verübt. Schwere Menschenrechtsverletzungen gehen auch vom globalen Terrorismus aus, der wie Krieg und Völkermord den Weltfrieden gefährden kann. Soweit ein Terroranschlag zugleich ein „bewaffneter Angriff“ ist, sind nationale Selbstverteidigungsmaßnahmen zulässig (Art. 51 UN-Charta). Krieg erweist sich jedoch meist als ungeeignetes, unangemessenes Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus. 7. Der UN-Sicherheitsrat sieht sich berechtigt, auch gegen terroristische Aggressoren Maßnahmen nach Kapitel VII UN-Charta zu ergreifen. 8. Effektivitätsmindernd ist die mangelnde personelle, instrumentelle und finanzielle Ausstattung des Sicherheitsrates. 9. Mit dem Ausbau von Weltstaatlichkeit entstehen Rechtsschutzlücken, weil sich sowohl der Europäische Gerichtshof als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weigern, gegen individualwirksame Rechtsakte des UNSicherheitsrates effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Ein Weltgerichtshof für Menschenrechte muß deshalb auch für die Menschenrechtsverletzungen zuständig sein, die durch Organe von Internationalen oder Weltorganisationen begangen werden (z. B. Sicherheitsrat). 10. Ein institutioneller Meilenstein für die effektive Verfolgung von Menschheitsverbrechen und deutlicher Ausdruck eines Paradigmenwechsels ist der durch das Römische Statut weltvertraglich errichtete Internationale Strafgerichtshof, vor dem sich auch einzelne Straftäter verantworten müssen. Die völkerrechtlichen Prinzipien der Immunität, der Kollektivhaftung und die völkerrechtstypische Mediatisierung sind mit dem Römischen Statut durchbrochen. Aufgrund der komplementären, ausnahmehaften Zuständigkeit kann die demokratische Legitimation des Internationalen Strafgerichtshofs über die Zustimmung der nationalen Parlamente zum Statut noch als hinreichend angesehen werden, wenngleich die fehlende persönliche Legitimation der Richter auf lange Sicht einer weltbürgerlichen Lösung bedarf.

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7. Teil: Ergebnisse

V. Institutionell-weltstaatliche Entwicklungen 1. Die Internationale Gemeinschaft hat sich mit gemeinsamen Organen ausgestattet, denen sie gewisse, funktional staatliche Befugnisse einschließlich Kontroll-, Gerichts- und Sanktionsbefugnissen gegenüber den Einzelstaaten zur Ausübung übertragen hat. Damit nimmt der (Welt-)staats- und Zwangscharakter der Völker-/Weltrechtsordnung zu. 2. Institutionell-weltstaatliche Entwicklungen lassen sich im System der Vereinten Nationen und (regional beschränkt) insbesondere im Recht der Europäischen Union erkennen. In den Organen des Weltsicherheitsrats sowie des Internationalen Strafgerichtshofs, aber auch in Verwaltungsinstitutionen des Seerechtsregimes sind Ansätze minimaler Weltstaatlichkeit verwirklicht. 3. In der globalisierten Welt wandelt sich die souveräne Einzelstaatlichkeit zu – von mehreren Völkern gemeinschaftlich ausgeübter – funktionaler Staatlichkeit in supranationalen Regionalverbänden. Ihre Integrationsentwicklung weist auf die Entstehung kontinentaler Bundesstaaten, wie das Beispiel der Europäischen Union zeigt. 3.a) In Gestalt der Europäischen Union hat sich teilweise das Modell eines Völkerstaates, jedoch überwiegend das eines Bundesstaates verwirklicht, das am Republikprinzip zu messen ist. Die Koordination supranationaler Regionalverbände und Bundesstaaten kann eine Weltordnung im Sinne der „Regionalisierung der Welt“ schaffen. Es gilt jedoch zu verhindern, daß kleine Einheiten von den Regionalstaaten absorbiert werden. 3.b) Die Friedensfunktion der Europäischen Union und ihre Leistungen für die regionale Verwirklichung des Weltbürgerrechts sind unbestritten. Insoweit ist die Europäische Union Vorbild für andere Regionalverfassungen, mangels vergleichbarer Integrationsdichte aber nicht für die Weltverfassung. Wegen ihrer inzwischen nahezu unbegrenzten Zuständigkeiten und den daraus resultierenden Demokratiedefiziten im System dualer Legitimation hat die Europäische Union auch die in der mehrgliedrigen Weltverfassung zu vermeidenden Gefahren einer bürgerfernen Universalbürokratie sichtbar gemacht. Die Befugnisse der Europäischen Union sind zu weit für eine Völkercivitas, nur scheinbar begrenzt und von den Aufgaben der Mitgliedstaaten nicht klar unterschieden. Daher sind sie für die mitgliedstaatlichen Parlamente, deren Kontrollmöglichkeiten überdies in der Parteiendemokratie beschränkt sind, nicht mehr verantwortbar. Föderale Untergliederungen in der Union haben keine ihrer politisch-demokratischen Bedeutung entsprechende eigene Stimme. Eine europäische Öffentlichkeit und civitas der Unionsbürger kann erst entstehen, wenn die Bürger hinreichend informiert und in die transparent zu machende politische Entscheidungsfindung einbezogen werden, gegebenenfalls auch durch (echte) Volksabstimmungen. Zur Verwirklichung der Freiheit der Unionsbürger ist angesichts des bundesstaatlichen

E. Analyse der Entwicklungen in der Rechtspraxis

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Rechtsstatus der Europäischen Union eine völkervertragliche Verfassungsgrundlage nicht mehr adäquat, sondern eine bürgerliche Unionsverfassung erforderlich. Um eine lebendige Demokratie in der mehrgliedrigen Verfassung sicherzustellen, müßte diese klare Kompetenzgrenzen für die Unionsebene zugunsten der kleineren Einheiten vorsehen. 4. Die Vereinten Nationen erfüllen noch nicht die Legitimationsvoraussetzungen einer Weltrepublik, weil sie aufgrund ihrer hegemonialen Struktur weder auf dem Konsens der Völkergemeinschaft noch auf einer weltbürgerlichen Legitimation beruht. Funktionell zeigt sich die UN-Charta als Übergangsordnung zwischen Völkerrecht und Weltrecht mit partiell konstitutionell-weltstaatlichem Charakter. 4.a) Das Gewaltverbot kann mit vis absoluta durchgesetzt werden. Abweichend von der üblichen Typik Internationaler Organisationen ist das Regelungsmodell der UN-Charta für den weitverstandenden Bereich der Friedenssicherung (einschließlich Bekämpfung von Terrorismus und systematischen, schweren Menschenrechtsverletzungen) auf sekundäre Rechtsetzung und zentrale Rechtsdurchsetzung ausgerichtet. Die vorrangig in den Staaten geltende Sekundärrechtsetzung des Sicherheitsrates im Bereich der Weltfriedenssicherung ist supranational und ausschließlich, also funktional weltstaatlich. 4.b) Allerdings entspricht das Zusammenwirken der Organe der Vereinten Nationen nicht dem verfassungsrechtlich-republikanischen Prinzip der Gewaltenteilung. Rechtsstaatlich problematisch und nicht im Sinne einer Weltverfassung ist vor allem, daß der Sicherheitsrat, ohne gewaltenteiliger und gerichtlicher Kontrolle zu unterstehen, sowohl legislative als auch weltpolizeiliche Maßnahmen gegenüber Individuen ausübt. Die Entwicklung von Weltpolizeistaatlichkeit muß mit derjenigen der Rechtsstaatlichkeit Schritt halten. Andernfalls entsteht eine Weltdespotie. 4.c) Zumutbar sind für die Staaten die ausschließliche Zuständigkeit des Sicherheitsrates und der Verzicht auf einen Teil ihrer äußeren Souveränität aus Gründen des rechtlichen Sicherheitszwecks für die Staaten nur, wenn das UNSicherungssystem hinreichend effektiv ist. Bisher hat es die UNO nicht geleistet, das Gewaltverbot durchgehend zu sichern. Folgende Gründe, die letztlich bei den Staaten selbst liegen, sind insbesondere dafür verantwortlich: • Das Hoch- und Wettrüsten, zumal durch Staatsschulden finanziert, wurde nicht effektiv bekämpft. • Die Staaten haben den Vereinten Nationen noch keine Truppenkontingente zur Verfügung gestellt (vgl. Art. 43 UN-Charta). • Unrechtsstaaten dürfen wie Rechtsstaaten in den Vereinten Nationen mitentscheiden.

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7. Teil: Ergebnisse

• Das Vetorecht verhindert eine konsequente Durchsetzung des völker- und weltrechtlichen Gewaltverbots. • Die Struktur der Vereinten Nationen ist in erster Linie an den Interessen der Großmächte orientiert, achtet also nicht hinreichend die rechtliche Gleichheit der Staaten und begünstigt nicht die rule of law. • Der Sicherheitsrat wird als nicht strikt rechtsverantwortlich angesehen und ist nicht (justiziell) kontrollierbar. 4.d) Zur Verbesserung seiner Handlungsfähigkeit im Rahmen der Friedenssicherungsbefugnis (Art. 39 ff. UN-Charta) kann dem Sicherheitsrat gemäß Art. 43 UN-Charta eine ständige Truppe oder auch eine Einheit zur Koordination und Organisation von Friedenserhaltungsmaßnahmen untergeordnet werden. 4.e) Es gilt, einerseits die Unabhängigkeit des Sicherheitsrates für den Frieden institutionell und verfahrensrechtlich zu stärken und ihn andererseits strikter an das Recht zu binden. Die Lösung des Effektivitätsproblems des Sicherheitsrates liegt nicht darin, den jetzigen Sicherheitsrat im Wege einer UN-Reform mit vollen weltpolizeilichen Befugnissen auszustatten. Primäres Ziel der UN-Reformen, die immer wieder diskutiert werden, sollte ein Völker- und Friedensbund mit obligatorischer Streitschlichtung und Gerichtsbarkeit sein. Um den Großmachtinteressen im Sicherheitsrat gegenzusteuern, wäre es sinnvoll, wenn die Großregionen (Europa, Afrika, Asien, Amerika, Pazifik) im Sicherheitsrat angemessen vertreten sind. Das Vetorecht im Sicherheitsrat, welches der Gleichheit zumindest unter Republiken widerspricht, sollte reformiert werden. 5. Fazit: Solange nicht alle Staaten Republiken sind, erscheint ein zweistufiges System der Vereinten Nationen am sinnvollsten: • Grundlage ist ein Völker- und Friedensbund mit obligatorischer Streitschlichtung und Gerichtsbarkeit sowie • ein unter dem Aspekt gleichgewichtiger Vertretung der Regionen reformierter Sicherheitsrat mit der Aufwertung der Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse der Generalversammlung, in die demokratisch gewählte Vertreter oder nationale Parlamentsabgeordnete entsandt werden.

Schlußbemerkung Die zahlreichen Diskussionen und Vorschläge zur Reform der Vereinten Nationen setzen sich nur schwer durch, weil die Staaten, insbesondere die Großmächte, trotz ihrer rechtlichen Pflicht, auf eine Weltverfassung hinzuarbeiten, wenig Bereitschaft zeigen, sich eines Teils ihrer Macht zu begeben. Allerdings könnten die globalen Probleme des Terrorismus und der Umweltzerstörung, welche nicht mit wirtschaftlicher und militärischer Macht, sondern nur durch

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rechtliche Zusammenarbeit zu lösen sind, die Einsicht in die Notwendigkeit einer Weltverfassung stärken. In diesem Prozeß übernehmen die Internationalen und Supranationalen Organisationen eine eigenständige Funktion zur Welteinung. Hierbei kann auch die Europäische Union nicht zuletzt wegen ihrer Integrationserfahrung eine wichtige Rolle einnehmen. Das Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf Recht müssen letztlich von den Menschen und Völkern erkämpft werden. Dafür bieten sich im Rahmen der global governance friedliche Alternativen zu Revolution und Bürgerkrieg, die zur Verwirklichung des Welt(-friedens)rechts beitragen.

Kurzzusammenfassung Mit der Schrift „Vom Völkerrecht zum Weltrecht“ wird eine Weltrechtslehre in Unterscheidung und Ergänzung zum völkerrechtlichen Paradigma vorgestellt. Die Notwendigkeit, ein Weltrecht zu konzipieren, erwächst aus der zunehmenden Globalität der Lebensverhältnisse, der Staats- und Völkerrecht allein nicht mehr gerecht werden. Als philosophisches Fundament der Weltrechtsbegründung wird ein kantianisch-diskursethischer Ansatz gewählt, weil dieser erstens universalisierbar und mit den international anerkannten Idealen kompatibel ist und zweitens, weil er die Gefahren einer (hegemonialen) Weltherrschaft zugunsten des Selbstbestimmungsrechts der Völker und Menschen umgeht. Weltrecht wird zunächst als Menschheitsrecht (bezogen auf Menschenrechte und Weltbürgerrecht) konzipiert, das mit der Freiheit (Selbstbestimmung) des Menschen geboren ist und insoweit bereits existent ist. Zu seiner Verwirklichung bedarf es der Weltrechtsetzung in einer (mehrgliedrigen) Weltverfassung, aber nicht notwendig einer Weltlegislative. Die Materie des Weltrechts kann auch in Weltverträgen oder im universellen Völkerrecht positiviert und näher bestimmt werden. Unabhängig von gesetztem Weltrecht gelten Menschenrechte in ihrem Wesenskern universell. Dies bestätigt der Blick auf die großen Rechtskulturen und die dialogische Auseinandersetzung mit den Thesen der relativistischen Kritik an universellen Menschenrechten. Aus einem realistischen Blickwinkel entwickelt sich Weltrecht als Bezeichnung eines Paradigmenwechsels aus dem Wandel der Prinzipien und Rechtsinstrumente der Völkerrechtsordnung. Der Paradigmenwechsel besteht zunächst in der Ausrichtung von der Souveränität der Staaten zur Rechtssubjektivität des Menschen sowie im Vorrang der rule of law vor den Grundsätzen der Souveränität, der Reziprozität und der Effizienz. Am Selbstbestimmungs- und Rechtsprinzip sowie am Subsidiaritätsprinzip, welche allenfalls eine beschränkte Weltcivitas zulassen, müssen sich die diskutierten Weltordnungskonzeptionen messen lassen. Weltrecht ist durchsetzbar ohne das gefürchtete Gewaltmonopol eines Weltstaats. Bereits die unmittelbare Anwendbarkeit und Einklagbarkeit von völkerrechtlichen/weltrechtlichen Vorschriften und die Schaffung obligatorischer Gerichtsbarkeit sind ein wirksamer Hebel zur Rechtsdurchsetzung, wie das Beispiel des Rechts der Europäischen Union zeigt. Hegemoniale, nichtautorisierte, einseitige humanitäre Interventionen verstoßen anders als Friedenseinsätze der Vereinten Nationen gegen das (auch weltrechtliche) Gewaltverbot. Betrachtet an Zielen, Aufgabenstellungen, Prinzipien, Instrumenten, Implementierungs- und Institutionalisierungsprozessen, können in der Praxis ein Paradig-

Kurzzusammenfassung

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menwechsel und die Öffnung des Völkerrechts für das Weltrecht festgestellt werden. Dies zeigt sich vor allem in der Materialisierung von Prinzipien erga omnes (besonders im Bereich des globalen Umweltrechts, der Menschenrechte und der staatsfreien Räume), in der Etablierung des Legalitätsprinzips in verschiedenen Bereichen (insbesondere im Weltstrafrecht, Welthandelsrecht, Europarecht), in der Lösung von der Staatenzentriertheit durch Stärkung der Verantwortung und Einbeziehung nicht-staatlicher, globaler Rechtssubjekte (transnationale Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen) in den Rechtsetzungsprozeß der global governance. Außerdem sind aus dem konstitutionalisierten Völkerrecht folgende unvollkommenen Teilverfassungen einer Weltordnung entstanden: 1. Die Verfassung der Europäischen Union, die sich einer Bundesstaatsverfassung nähert, aber auf den pouvoir constituant verzichtet; 2. das System der Vereinten Nationen, das besonders mit seinem Friedensdurchsetzungssystem (dessen Effektivität unter dem Vetorecht leidet) individualwirksame, supranationale Legislativfunktionen ohne entsprechenden Rechtsschutz vorsieht; 3. die WTO-Ordnung mit einer quasi-obligatorischen Gerichtsbarkeit, welche kaum Menschenrechte einbezieht; 4. die Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, welche mit beschränkter Durchsetzungskraft menschenunwürdige Arbeit ächtet, allerdings unverbunden neben der Welthandelsordnung steht sowie 5. das Römische Statut, welches einen Weltstrafgerichtshof institutionalisiert, der – das Prinzip der Staatenimmunität zurückdrängend – mit der individuellen Ahndung von Menschheitsverbrechen Weltrecht verwirklicht, aber dem wichtige Staaten nicht zugestimmt haben. Es gibt Möglichkeiten, die fragmentarische Weltverfassung zu vervollständigen, namentlich zu demokratisieren, die Rechtstaatlichkeit (insbesondere den Rechtsschutz) zu verbessern, Weltarbeits- und Welthandelsverfassung materiell und/oder institutionell zu koppeln. Die teilweise unausgewogenen Konstitutionalisierungsprozesse können im Rahmen der Vereinten Nationen zu einer kohärenten Weltverfassung verbunden werden, welche das Weltrecht verwirklicht.

Short-Summary The publication „Vom Völkerrecht zum Weltrecht“ (From International Law to World Law) presents a doctrine of world law, differing from and completing the paradigm of international law. The globalization of life conditions, which do not find sufficient answers either in the law of the states nor in international law, shows the necessity of a world law concept. The philosophical idea is based on Immanuel Kant and the ethics of discourse. This approach is firstly chosen because it can be universalized and is compatible with internationally recognized ideals and secondly because it avoids the risks of a (hegemonial) world empire in favour of the right of self-determination. World law as a law of humanity (referring to human rights and cosmopolitan right) is in the first instance derived from human freedom (self-determination) and as such, exists already. Law-making in a global multilevel constitution is needed for the realization of world law but not necessarily an institutionalized world legislative. The essential contents of world law can be defined in global contracts and treaties and in universal international law. Even without legislation human dignity is the compulsory universal core of human rights. This is confirmed by viewing the major legal cultures and the debates on the thesis of relativistic criticism towards universal human rights. From a realistic perspective world law as a name of a paradigmatic shift evolves out of the change in principles as well as in the legal instruments of international law. Above all the paradigmatic shift is reflected in the orientation from the sovereignty of states towards the legal subjectivity of individuals as well as in the precedence of the rule of law over the principles of sovereignty, reciprocity and efficiency. The discussed conceptions of world order have to be measured by the principles of self-determination and by the rule of law, as well as by the principle of subsidiarity, which only permit a limited world civitas. World law can have authority without the feared superpower of a world state. Self-executing international/world norms and their justiciability as well as the institutionalization of mandatory world jurisdiction are already an efficient lever for the implementation of law, as the example of the European Union shows. In contrast to the peacekeeping measures of the United Nations, hegemonial, non-authorized, unilateral human interventions violate the prohibition of force. In practice when considering objectives, tasks, principles, legal instruments, as well as processes of implementation and institutionalization, a break with the international law paradigm and the opening of the international law for the world law can be determined. Above all, this can be seen in the definition

Short-Summary

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of erga omnes-principles (for example in global environment law, in the law of human rights and of stateless spaces), in the establishment of the principle of legality in some areas (especially in world penal law, world trade law, European law), in the breaking away from the concentration on the state by strengthening responsibility and participation of non-governmental, global subjects (transnational enterprises, NGOs) in the process of law setting in the global governance. Moreover the following imperfect fragmental constitutions of the global order have been developed: 1. the constitution of the European Union, which is becoming closer to a constitution of a federal state without pouvoir constituant; 2. the Charter of the United Nations, which with its peace keeping system (whose effectiveness suffers under the right to veto) provides for supranational legislative functions, affecting individuals without adequate legal protection; 3. the WTO-order with a quasi compulsory jurisdiction, which hardly includes human rights; 4. the constitution of the International Labour Organization (ILO), which bans inhuman working conditions with limited authority, but is unconnected to the WTO-system; 5. the Rome-Statute, which institutionalizes a world criminal court with the authority to prosecute crimes against humanity, repressing the principle of state immunity and implementing world law, but without the agreement of some important states. There are possibilities to complete the fragmented global constitution, in particular to democratize it, to implement the rule of law (especially legal protection) and to connect the constitutions of ILO and WTO in form and/or content. The partially imbalanced processes of constitutionalization can be unified within the framework of the United Nations to a coherent constitution of the world.

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Stichwortverzeichnis Abrüstung 221, 600 Abstammungsprinzip 414 Abwehrbündnis 691 Abwehrrechte 481, 535, 870 Achtungsanspruch 490, 500 act of state-Doktrin 395 actio popularis 436, 861 Ad-hoc-Tribunale 992 ff. Ad-hoc-Weltregierung 994 Afghanistan 975 Afrikanische Menschenrechtscharta 528, 536 Aggressionsresolution 961 Aggressionsverbrechen 1017 Akteure, nicht-staatliche 609, 852 ff., 1063 Al-Qaida 379, 957, 963 Alien Tort Claims Act 869 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 85, 464 ff., 724 – gemeinsames Ideal 474 – Konsens 469 – Konsensrecht 412 allgemeine Handlungsfreiheit 536 – Kant 484 allgemeine Rechtsgrundsätze 464, 645 allgemeine Regeln des Völkerrechts 401 Allgemeininteresse 145, 146, 438, 620, 647, 681 – internationales 427 – nationales 264 – Völkerrechtsgemeinschaft 262 amicus briefs 862 amicus curiae 441 – NGOs 861 Amtsprinzip 1001 Analogie, Kant 232, 234, 251

Anerkennung 424 Anerkennungsprinzip 431, 1052 – Europarecht 432 – Grenzen 426 – WTO 434 Angelegenheit, innere 1019 Angreifer, Selbstverteidigungsrecht 973 Angriff – bewaffneter 960 – gegenwärtiger 972 Anti-Terrorismus-Resolutionen 715, 959, 963, 974, 1010 Anwendbarkeit, unmittelbare 123, 124, 827, 831, 873, 984, 1034 – EuGH 759 – WTO 751 – WTO-Recht 759 Apartheid 441, 468, 531, 983 Apartheidspolitik 514 Appellate Body 744 f. Arbeit – keine Ware 784 – menschenunwürdige 555, 873 f. – menschenwürdige 780 Arbeitgeber, Fürsorgepflicht 874 Arbeitsbedingungen 782 – unfaire 774 Arbeitskampfverfassung 613 Arbeitsrecht, globales 335 Asbestos-Fall 803, 808 Asylbewerber 416 Asylrecht 566, 1064 Atomwaffensperrvertrag 352 Aufenthaltstitel 414 Aufgeklärtheit 237, 503, 638, 642 Aufklärung 42, 104, 366, 484, 514, 515, 520, 521, 532

Stichwortverzeichnis – gegenseitige 1042 Aufrüstung 737 Ausländerrecht 416 Ausländerwahlrecht 623 Auslegung – harmonische 796, 1062 – menschenrechtskonforme 988 – völkerrechtsfreundliche 409 – weltrechtskonforme 350 Auslegungsregel 148 Auslieferung, Deutscher 422 Austrittsrecht, EU 832 Auswanderungsrecht 488, 587 Autonomie – Gemeinschaftsrecht 823 – Islam 532 – Menschenwürde 508 Autonomie des Willens 279 Autonomieprinzip 272 Avena-Fall 918 Barcelona-Traction-Fall 701 Befreiungskampf 374 Berichtspflichten – Umweltvölkerrecht 907 – Zivilpakt 927 best practices 877 Betroffenendemokratie 682 Betroffenenpartizipation 1055 Bezahlung, faire 554, 555 Biodiversitätskonvention 886 bona fides 429 – UN-Sicherheitsrat 725 bona fides-Prinzip 166 bonum commune – Diskurs 636 – Nichtregierungsorganisationen 680 Bosphorus-Fall 735 bourgeois 73, 604, 839, 853, 1063 Brüderlichkeit 103, 190, 487, 500, 519, 520, 542, 556 Bundeseinheitsstaat 820

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Bundesstaat 577 – EU 836 Bündnisfall 943 Bündnispolitik 940 Bürger – Begriff 668 – EU-Verfassungsvertrag 839 – Rechtsbegriff 632 – universeller 605 Bürgercivitas 620 Bürgerrechte 84, 252, 312, 413, 459, 461, 489, 540, 582, 588 – EU 821 Bürgerstatus, Ausschluß 568 Bush-Doktrin 182 Cartagena-Protokoll 899 Chancengleichheit 68, 303, 488, 545, 550, 775, 777, 1042, 1044 – Kant 483 Charta der Vereinten Nationen 694 ff., 709 ff. – Rechtscharakter 735 – traité-loi 450 – Übergangsordnung 736 China, Menschenrechte 525 citoyen 73, 212, 604, 839, 853, 1063 cives 54 Civil Society Declaration 605 civitas 54, 57, 339, 598, 633, 1055 – Begriff 635 – Habermas 662 – Rechtsbegriff 631 – Solidarität 637 civitas europea 841, 847 civitas gentium 133, 224, 227, 231 civitas maxima 206, 583, 697 clash of civilization 69, 295, 975 codes of conduct 330, 875 – Gewohnheitsrecht 454 colère publique 504, 648, 1040 Committee on Trade and Environment 798

1180

Stichwortverzeichnis

contract-treaties 449 contracting out 713 contrat social, europäischer 217 Convention on Biological Diversity 884 corporate citizenship 632, 878 Cosmopolitan democratic law 592 Cotonou-Abkommen 377, 778 cross-cultural approach 522 de facto-Regime 61, 107, 342 – Taliban 957 – Völkerrechtssubjektivität 107 de lege ferenda 193, 447, 1050 Déclaration des droits de l’homme et du citoyen 460 Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work 783 Declaration on Sustainable Development 904 Deliberation 1058 Demokratie – Charta von Paris 377 – deliberative 661, 672 – direkte 628 – Freiheit 640, 1051 – in der Weltordnung 616 ff. – kleine Einheit 652 ff. – lebendige 653 – Menschenrecht 539 – Nationalstaat 619 – pluralistische 654 – Verhandlungs- 654 Demokratie, deliberative 654 ff., 1057 Demokratie, kosmopolitische 592 ff, 618, 1053, 1055 – Homogenität 632 Demokratie, partizipative, EU-Verfassungsvertrag 843 Demokratie, partizipatorische 660 ff. Demokratie-Dilemma 71, 77 Demokratiebegriff, staatsgebundener 620 ff. Demokratiedefizit 627

Demokratieprinzip – Auslieferungen 426 – EU 846 – funktionale Selbstverwaltung 657 – Kern 629 – Selbstbestimmung 618 Demokratieverständnis, pluralistisches 665 ff. Demokratisierung 584, 592, 612 Demos, Zivilgemeinschaft 677 Deregulierung 66, 571 Despotismus 681 Deutschengrundrechte 412 Dialog – interkultureller 517 ff., 523 – Religion 297 Dichotomie, Idividuum und Gemeinschaft 538 Diogenes 198 Diskriminierungen 874 Diskriminierungsverbot 471, 531, 1060 – GATT 774, 807 Diskurs 281 – globaler 650 – herrschaftsfreier 214 – Konsens 454 – Menschenrechte 486 – rationaler 486 Diskurs- und Konsensprinzip, Universalisierbarkeit 281 Diskursbereitschaft 638 Diskursethik 213, 1039 – Freiheit 278 – herrschaftsfreie Verständigung 279 Diskurslehre 278 Diskursverfahren 612, 663 – Voraussetzungen 661 Dispute Settlement, WTO 743 Dispute Settlement Body 743 Doha Ministererklärung 802 Drei-Elemente-Lehre 52, 59, 61, 85, 86, 339, 592, 1048 – Grenzen 342

Stichwortverzeichnis Dreigliedrigkeit 1058 – ILO 780 ff., 791 Drittgenerationenrechte 555, 1042 – indigene Völker 885 – Rechtsnormcharakter 560 Drittwirkung 1041 Dualismus 99, 108, 121, 127, 214, 264, 347, 843, 1039 Dumping, Begriff 775 Effektivitätsprinzip 162, 268, 1046 – Grenzen 439 Eigenmittel, EU 832 Eigentum, Kant 483 Einheit – politische 153, 185, 204, 308 – Staatsvolk, Staatsgewalt, Staatsgebiet 622, 625 Einheit, kleine 228, 321, 669, 1056 Einmischung – durch Staatengemeinschaft 391 – wechselseitige 385, 1048 Einmischungsprinzip 380 Einrichtungen, grenznachbarschaftliche 401 Einstimmigkeitsprinzip 161 Einwanderungsfreiheit 564 Einzelermächtigung, EU 822 Einzelstaat 574 Einzelstaatswille 98, 102 Embargo 724 Emissionshandel 909 EMRK, Bindung 407 Entgouvernementalisierung 655 Entgrenzung 852 Entkolonialisierung 698 Entmilitarisierung 599 Entschädigungsansprüche, Menschenrechtsverletzungen 361 Entscheidung, inter partes 140 Entscheidungsfindung, Rechtlichkeit 745 Entstaatlichung 70, 75, 304, 325, 445, 878, 891, 1043, 1062

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Entterritorialisierung 81, 82, 304, 364, 379 Entwicklung, nachhaltige 897 Entwicklungsländer, WTO 777 Erbe der Menschheit 900, 901 erga omnes-Pflichten 119, 384, 435, 707, 912 – Menschenrechte 955 – subjektive Rechte 441 – Umweltvölkerrecht 896 Erklärung von Philadelphia 784 Ermächtigung, begrenzte 88, 627, 822 Erstgenerationenrechte 535 Ethik 254, 505, 506, 508 Europäische Menschenrechtskonvention, Rang 408 Europäischer Gerichtshof 830 – demokratische Legitimation 848 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 142, 735, 932 Europäisches Gesetz 822 Europäisches Parlament 845 – Mitgesetzgeber 847 Europarat 377, 690 Europarecht, und Völkerrecht 122 Existenzminimum 553 Fair Labour Standards 794 Fakultativklausel 139, 141, 358, 359 Fallnormen 1041 fast track-Verfahren 628 Flüchtlinge 411, 566, 569, 914 Föderalismus, kleine Einheit 320 Folterübereinkommen, unmittelbare Anwendbarkeit 477 Folterverbot 1008 Formalität, der Freiheit 217 Freihandelsdoktrin 775 Freiheit – äußere 252, 279 – Autonomie 274, 508 – formale 217 – gleiche 537, 540

1182

Stichwortverzeichnis

– innere 508 – Kant 207 – negative 211 – politische 108, 540, 541 – positive 211 – Prozeduralisierung 281 – Recht auf 241 – Rousseau 212 – Selbstbestimmung 274 – transzendentale 278 – Universalität 275 Freiheits- und Rechtsprinzip 222, 775, 871, 1055 Freiheitsbegriff – arabischer 523 – französische Revolution 217 – Hobbes 207 – Kant 217 – negativer 480 – positiver 481 – universeller 217 ff. Freiwilligkeitsprinzip 234, 355 Freizügigkeit 80, 207, 412, 471, 570, 571, 572, 775, 841 – WTO 768 Freizügigkeitsrecht 1064 Freund-Feind-Logik 55 Friede, ewiger, Voraussetzungen 220 Friedensbedrohung – Interventionsbefugnis 948 – Paradigmenwechsel 715 – Sicherheitsrat 952 Friedensbegriff – globale Umweltgefahren 909 – negativer 951 – positiver 218, 223, 950 Friedensbruch, Begriffserweiterung 951 Friedensfunktion – humanitäre Intervention 939 – Völkerrecht 344 Friedenspflicht 166, 176, 246, 687, 724, 727 – UN-Charta 1059

Friedensvölkerrecht 167, 468, 700 Friendly Relations-Deklaration 185 Führerdemokratie 627 Funktionenteilung 598 Funktionsverschiebung 626 Gastrecht 240, 243, 564 ff. – Habermas 564 GATT 738 ff. GATT-Prinzipien, Ausnahmen 757 Gebiet, Seerechtsübereinkommen 901 Gebietshoheit 78, 79, 82, 87, 180, 186, 190, 253, 369, 370, 597, 667, 867, 894, 1055 – in EU 838 – IStGH 998 – Rechtszwang 600 Gegenseitigkeit 211 Gegenseitigkeitsprinzip 164, 738, 748 Geltung – inter partes 698 – universelle 698 – unmittelbare 119, 122, 347, 401, 827, 1014 Gemeinsames Erbe der Menschheit 445, 900 ff. Gemeinschaft, politische, Menschenrechte 500 Gemeinschaftsbezogenheit 521, 536 Gemeinschaftspflichten, transnationale Unternehmen 871 ff. Gemeinschaftsrechtsetzung, Legitimationsdefizite 843 Gemeinwille 98 Gemeinwohlverpflichtetheit, Freiheit 537 Generalversammlung 1057 Genitalbeschneidungen 533 Gerechtigkeit – Fairneß, Locke 487 – internationale 260 Gerichtsbarkeit – internationale 137

Stichwortverzeichnis – obligatorische 141, 357, 1022 – UNO 695, 731 Gerichtsbarkeit, internationale, Defizite 358 Geschäftsführung ohne Auftrag 384 Gesellschaften – hierarchische 488 – nicht-liberale 487 – wohlgeordnete 248, 488 Gesellschaftsvertrag 211, 618 Gewalt, Akteure 379 Gewaltenteilung 320 – UNO 730, 1067 Gewaltmonopol 599 – staatliches 356 – UNO 723 ff. Gewaltverbot 176 ff., 386, 435, 729 – Ausnahmen 180 – Kant 175, 221 – Paradigmenwechsel 1019 – Sicherung 1067 – Taliban-Regime 958 – Unrechtsstaat 364 – völkerrechtliches 379 – Weltorgane 600 – weltrechtliches 1065 – zwischenmenschliches 378 ff. Gewissens- und Glaubensfreiheit, Kant 484 Gewissens- und Religionsfreiheit 532 Gewohnheitsrecht 645 – bürgerunmittelbares 605 – Mehrheitsregel 452 – Paradigmenwechsel 452, 472 – privates 328 – Verbindlichkeit 101 – Weltrecht 451 Gleichheit 435 – angeborene 482 – rechtliche 482 – Selbständigkeit 482 global actor 854 global commons 447

1183

Global Compact 876 – Bindung 879 global contract 1061 Global Environment Facility 900 global governance 74, 192, 195, 244, 606, 608, 615, 655 ff., 674, 675, 679, 854, 863, 874, 879, 911, 913, 1035, 1044, 1056, 1063 – Begriff 608 – paternalistische Ordnung 1064 global opposition 679 global players 72, 109, 603, 865, 882, 911 global public policy groups 683 Globalisierung 84 – Begriff 62 – Demokratie 78 – Entgrenzung 68 – Interdependenz 303, 543 – Kapital 571 – Kultur 298 – Nationalstaatlichkeit 589 – offener Staat 86 – Recht 264, 1043 – Recht auf 768 – Recht der 852, 890, 912 – Staat 193 – Staaten 70 – Umweltrecht 902 – Völkerrecht der 851 – von unten 611 – Weltgesellschaft 650 – Weltrechtsordnung 305 ff., 589, 611 – Wettbewerb 869 – Wirtschaft 64, 71, 237 – Zivilgesellschaft 74 Globalisierungsgegner 285, 648, 679 Goldene Regel 298, 522 Gottesstaat 204 governance by governments 659, 662 governance with government 658 governance without government 655 Großmachtinteressen 1068

1184

Stichwortverzeichnis

Grundfreiheiten 820 Grundgesetz, Weltoffenheit 398 ff., 1051 Grundnorm 91, 92, 99, 257 – globale 274 – Kelsen 258, 268 – Verdross 260 Grundrechte, objektive Dimension 499 Gruppenrechte 556 – klassische 556 Gute Sitten 330, 427, 613 Haftbefehl, Europäischer 424 Handelsbeschränkungen, GATT 804 Handelsembargo 179 Handelsfreiheit 155, 570 – Grenzen 776 Handelsgeist, Kant 237 Handelspraktiken, unerlaubte 794 Hegemonialmacht 1054 Hegemonie 718 – UN-Sicherheitsrat 725 Heiliger Krieg 700 Herren der Verträge 824 Herrschaft 269, 272, 627 – Negation der Freiheit 279 Herrschaftsordnung, EU 835 Herstellungsstandards 806 Hilfeleistungspflicht 545 – Grotius 545 – Vattel 545 Hoheitsrechte, Übertragung 399 Hoher Kommissar für die Menschenrechte 925 homo noumenon 210 homo phaenomenon 210, 235 Homogenität, Demokratie 624 Homogenitätsdenken 416 Homogenitätsklausel 343 Homogenitätsmerkmale 633, 636 Homogenitätsprinzip 634 Hormonfleisch-Fall 797 Hospitalität 593

Hospitalitätsrecht 432, 562 Humanismus, afrikanischer 527 Humanitäres Völkerrecht 1013 ILO 779 ff. ILO-Abkommen, WTO 796 ILO-Prinzipien, Inkorporation 810 ILO-Rechtsetzungsverfahren 787 ILO-Übereinkommen 782 – Menschenwürde 877 – Rechtscharakter 786 ILO-Verfassung 596, 685, 779 ff. Immunitätsgrundsatz – Durchbrechung 392 – IGH 393 Imperativ, kategorischer 218, 270 Indien 525 indigene Völker, Rechtsstatus 885 Individualbeschwerde 142, 373 – AMRK 933 – Zivilpakt 929 Individualbeschwerderecht, EMRK 931 Individualhaftung 392, 1046 Individualrechtsschutz 142 Inklusion 637 Innen-Außen-Schema 157, 364 instant customary law 452 Institutionalisierung 352 Institutionalismus 575 Integrationsordnung 53 Integrationsverband 834 Interessenausgleich 767 Interessendemokratie 654 international community 697 – of global actors 1059 international crimes 394 International Criminal Court 992 ff. international law of contracts 866 Internationale Arbeitsorganisation 779 ff. – Organe 781 – Unternehmen 871

Stichwortverzeichnis Internationale Gerichtsbarkeit, obligatorische 594 Internationale Organisation, Zwangsbefugnis 693 Internationale Organisationen 106 – Begriff 575, 689 – Merkmale 692 – Völkerrechtssubjektivität 690 Internationaler Gerichtshof 138, 358 – UN-Sicherheitsratsentscheidungen 731 – Versammlung 1005 – Zuständigkeit 140 Internationaler Strafgerichtshof 142, 996 – Drittstaatsangehörige 999 – Legitimation 1003 – Weltsicherheitsrat 1000 – Zuständigkeit 997 Internationaler Währungsfonds 76, 766 Internationalisierung des Rechts 83 Internet Corporation for the Assigned Numbers and Names 614 Intervention, humanitäre 388, 391 – Gewaltverbot 938 – Gewohnheitsrecht 939 – Lehre 935 ff. Interventionen 388 – militärische 380, 388 Interventionsbefugnis, vertragliche 389 Interventionsermächtigung 945 Interventionspflicht, Sicherheitsrat 956 Interventionsrecht – Gewohnheitsrecht 945 – weltrechtlich 946 Interventionsverbot 168 – friedliche Einmischung 383 – Weltrecht 350 Investitionsstreitigkeiten, Übereinkommen 916 Investor-Streitschlichtung 916 IPbpR 467 IPwskR 467 Islam, Menschenrechte 511, 524 IStGH 997 ff.

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ITO-Charta 774 ius ad bellum 44, 174, 177, 221, 284 – Rawls 249 ius cogens 117, 350, 351, 442, 1047 – Charakter 444 – dualistische Praxis 443 – Jugoslawientribunal 442 – Materie 444 – Völkerrechtsverfassung 707 ius cosmopoliticum 243, 319 ius dispositivum 117 ius gentium 111, 202, 220, 225, 313 ius sanguinis-Prinzip 429 ius soli-Prinzip 414 Jugoslawientribunal 393, 421, 1014 Jurisdiktion, exterritoriale 81 jury 1003

991,

Kairoer Menschenrechtserklärung 532 Kampf der Kulturen 297 Kantische Rechtslehre 217 ff. Kapitalverkehrsfreiheit 768, 775, 817 – Weltbürgerrecht 570 Kastengesellschaft 531 Kernarbeitsnormen, ILO 789 ff. Kernarbeitsrechte 1060 – unmittelbare Wirkung 873 Kinderarbeit 783, 792 Kinderarbeitsverbot 874 Kinderrechtsübereinkommen, unmittelbare Anwendbarkeit 477 Klagemöglichkeiten 916 Klagerecht, individuelles, EMRK 918 Klageverfahren, ILO 789 Klimarahmenkonvention 901, 905 Koalitionsfreiheit 335, 471, 498, 784, 869, 1060 Koexistenzrecht 686 Kollektivhaftung 166, 167, 435, 1046 – Durchbrechung 1065

1186

Stichwortverzeichnis

Kolonialisierung 240, 368, 528, 565, 887 Kombattanten 1017 Kommunalvölker 415 Kommunikationsfähigkeit 638 Kommunikationsgesellschaft 78, 81 – globale 81 Kommunitarismus 273, 274, 291 ff., 395, 521, 590, 1041 Kompetenz-Kompetenz 580, 644, 693, 815, 825, 832, 836, 1053, 1056 Kompetenzen, EU 834 Konflikt- und Rangregeln 146 Konfuzianismus 520, 522 – kategorischer Imperativ 537 Konkordanz, praktische 147, 350, 351, 596, 767 – Welthandelsordnung 738 ff., 770 – WTO 738 ff., 799 Konsens 91, 101, 214 ff., 259, 276, 328, 333, 370, 463, 473, 489, 1039 – allgemeine Rechtsgrundsätze 472 – der Weltgemeinschaft 457 – formloser 704 – hypothetischer 112, 503 – internationaler 275, 277 – Kulturvölker 455 – Mehrheitsregel 431 – Menschenrechtserklärung 714, 1042 – Palaver 528 – Rekonstruktion 698 – Selbstbestimmung 278 – umgekehrter 744 – Verbindlichkeitsgrund 100 – Vertragsänderungen 693, 902 – Völkergemeinschaft 443 – Weltgemeinschaft 435 – Weltrechtsetzungsquelle 1041 – Weltrepublik 588 Konsens, internationaler, Schutzmaßnahmen 805 Konsenslehre, diskursive 213

Konsensprinzip 213, 214, 281, 431, 528, 693, 797 – GATT 743 – Grenzen 161 – negatives 744 – umgekehrtes 765 – WTO 742 Konsensrecht 91, 101, 435, 458, 464, 1050 Konstellation, postnationale 239 Konstitutionalisierung 705 – Begriff 705 Konstitutionalisierungsprozesse 68, 1034, 1059 – Weltwirtschaftsordnung 738 Konsultationsverpflichtungen 895 – Umweltrecht 895 Konsultativstatus 683 Kontraktualismus 49, 242, 251 Kontrolle, demokratische 626 Kontrollverfahren 788, 907, 929, 1062 Konzernhaftung 879 Kooperationspflicht 429, 435 Kooperationsprinzip 689 Kooperationsrecht 688 Kooperationsverhältnis 829 Koordinationsrecht 115 Koran 273, 511, 515, 523 Kosmopolit 198 Kosmopolitismus 196, 197, 200, 218 – islamischer 203 – Konfuzius 203 – Kritik 292 – stoischer 197 Kosmos 197 Kosovo-Konflikt 720, 943 ff. – Friedensbedrohung 952 Krieg 387 – gegen Terrorismus 976 – gerechter 386 – heiliger 204 Kriegsverbrechen 1012 – Formulierung 1016

Stichwortverzeichnis Kriegsverbrecherprozesse 393 – historisch 983 Kriegsvölkerrecht, humanitäres 1013 Kriminalität, globale 977 Kultur – der Menschheit 490 – Identität 529 – Vielfalt 529 – vollendete 529 Kulturrelativismus 291 Kulturvergleich 522 Kündigung 692 Kyoto-Protokoll 906 – Verfahren 908 LaGrand-Fall 918 Landwirtschaftsabkommen, WTO 777 law-making treaties 449, 902 Law of humanity 645 Lebensstandard, angemessener 340, 388, 548, 553, 554 Lebensverhältnisse – einheitliche 598 – gleichwertige 547 Legalitätsprinzip 348, 361, 365, 392, 394, 435, 602, 737, 756, 762, 1048 – bona fides 366 – erga omnes-Verpflichtungen 365 – Gemeinschaftsrecht 831 – Rechtsdurchsetzungsgleichheit 748 – Reziprozitätsprinzip 365 – traités-lois 365 – UN-Sicherheitsrat 725 – Welthandelsrecht 1060 – WTO 760 leges contractus 613 Legitimation – demokratische 643 – duale 643 – dualistische 653 – EU 842 – nicht-staaltiche Akteure 674 Legitimation, demokratische

1187

– durch die Staaten 1052 – IStGH 1003 – WTO 763 Legitimationsschema, duales 1024 Leistungsrechte 252, 497, 552, 556 Lerngemeinschaft, interkulturelle 1042 lex informatica 335, 858, 1037 lex mercatoria 195, 325 – Geltung 326 lex posterior 127, 146, 349, 406, 749, 798 lex specialis 146 lex-specialis 798 lex sportiva 336, 1037 Liberalisierung 66, 73, 286, 570, 571, 775, 912 Liberalismus – angelsächsischer 246 – offene Staatlichkeit 395 Lobbyismus, EU 850 Locke, Menschenrechte 480 Lotus-Fall 115 Loyalitätspflicht 430 Maastricht-Urteil 643, 822, 836 Machtagglomerationen 320 Machtpolitik 286, 663 Mandatserteilung, UN-Sicherheitsrat 721 Marktprinzip 73, 302 Maßnahmen, einzelstaatliche 803 Mauerschützenurteile 395, 411 Mediatisierung 891 – Beendigung 339 – der Menschen 107, 134, 1064 – Kelsen 259 Mediatisierung des Individuums, Welthandelsrecht 739 Mediatisierungslehre, Abkehr 918 Meeresboden 303, 447, 901 Meeresbodenbehörde 910 Mehrebenenherrschaft 626 Mehrebenensystem 314 Mehrheit, qualifizierte 830

1188

Stichwortverzeichnis

Mehrheitsprinzip 430 Mehrheitsregel 161, 431, 597, 643 Meinungsäußerungsfreiheit 538 – Kant 484 Meistbegünstigungsprinzip 756 – WTO 756 Menschenbild 502 – individualistisches 535 – Menschenrechtserklärung 538 Menschengerichtshof 346, 359, 592, 594, 931, 935, 1022, 1064 – Europäischer 142 Menschenpflichten 485 Menschenrecht – auf Grenzen 589 – auf Nationalität 631, 1054 Menschenrechte 85, 459 ff. – allgemeine Rechtsgrundsätze 472 – Begriff 459 – Begründungsmöglichkeiten 462 – Beschwerdeverfahren 926 – christlich-abendländische Tradition 510, 514 – Diskursvoraussetzungen 486 – Drittwirkung 498 – effektive Durchsetzung 919 – erga omnes 440 – erga omnes-Pflichten 478 – Frauen 514, 532 – Freiheit 507 – Geltung 474 – Gewohnheitsrecht 469 – Grundgesetz 404 – ILO-Abkommen 782 – Islam 511 – ius cogens 470 – Kant 481 – Konsens 518 – Kultur 521 – kulturelle Differenzierung 530 – kulturelle Vielfalt 503 – Materialisierung 494

– Menschenwürdegehalt 494 – Moral 505 – Pflichten für Unternehmen 870 – Rechte anderer 500 – Rechtscharakter 505 – Religion 523 – soziale 548 – soziale Funktion 537 – Subjekte 933 – subjektive Rechte 475 ff., 509 – Universalität 459 – Unteilbarkeit 538 – Völkerrecht 934 – völkerrechtliche Verbindlichkeit 478 – völkerrechtlicher Mindeststandard 382 – Wesen 513 – westliches Eigentum 513 – Wirkung für Unternehmen 872 Menschenrechte (universelle), Kritik 509 ff. Menschenrechtsbindung, Private 498 Menschenrechtsdialog 513 Menschenrechtsdiskurs 517 ff. Menschenrechtsdogmatik, weltrechtliche 1042 Menschenrechtserklärung 465 – französische 501 Menschenrechtsgerichtshof, Notwendigkeit 935 Menschenrechtsimperialismus 519, 532 Menschenrechtskämpfer 516 Menschenrechtskatalog 493, 536, 1040 Menschenrechtskommission 1025 Menschenrechtskonferenzen 519 Menschenrechtskonsens 1040 Menschenrechtskonzeption – Höffe 485 – liberale 480 – Rawls 487 Menschenrechtspraxis 222, 470 Menschenrechtsprogramm 464 Menschenrechtsrat 1025, 1054

Stichwortverzeichnis Menschenrechtsschutz – Anspruch 497 – internationaler 922, 925 – Internationaler Strafgerichtshof 930 – Römisches Statut 1018 – Weltstrafrecht 978 Menschenrechtsverantwortung – Paradigmenwechsel 881 – Unternehmen 869 Menschenrechtsverletzungen, Staatengemeinschaft 924 Menschenrechtsverständnis – aufgeklärtes 515 – ILO 780 – individualistisch-liberalistisches 1042 – Kant 483 – weltrechtliches 479, 1041 Menschenrechtsverträge 464, 466 ff. – lex posterior-Regel 406 – Umsetzung 475 – unmittelbare Anwendbarkeit 476 Menschenstaat 225, 318 Menschenwürde 1040 – Ausländer 417 – Dissens 492 – Formalität 494, 501 – Frauen 533 – Inhalt 495 – Islam 532 – Kant 209 – Kulturtranszendenz 513 – Menschenrechtskern 493 ff. – Relativierung 418 – soziale Rechte 555 – Terrorakte 1011 – Toleranzgrenzen 531 – Universalität 276, 501 ff. – Unternehmensverantwortung 873 – Utilitarismus 492 – Verbindlichkeit, universelle 493 – Verbindlichkeit, völkerrechtliche 492 – vitale Basis 484

1189

– Weltverfassung 490 – Weltwirtschaftsordnung 773 Menschenwürdegehalt 493, 497, 500, 501, 536, 537 Menschenwürdestandards, für Unternehmen 881 Menschheitsbesitz 447 Menschheitsinteressen 145, 263, 340, 341, 1062 – NGOs 857, 860 – UNO 695 Menschheitskonsens 504 Menschheitsrecht 263, 316, 447, 459 – Anerkennung 934 Menschheitsverbrechen, Weltrecht 987 Menschheitsverfassung 189, 1039, 1061 – Bekenntnis 938 – ILO 784 – ursprüngliche 490 Menschheitsverfassungsgesetz 463 Methoden, juristische 495 Migration 83, 647 Minimalstaat 580 – Zwangsgewalt 598 Mitmenschlichkeit 503, 544, 545, 548 Monismus 92, 97, 445, 707 – älterer 93 – gemäßigter 259 – Kelsen 257 – Rechtslogik 257 – umgekehrter 95, 102, 262, 625 – Verdross 259 monitoring 859 Montrealer Protokoll 771, 905, 906 Moral 270 Moralität 270 Moralitätsbegriff – formaler 270 – materieller 294 Multikulturalität 84 Multilaterale Investitionsgarantieagentur 766 Multinationalität 602

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Stichwortverzeichnis

Nachbarschaft, Prinzip der guten 893 Nation 54 – Rechtssubjektivität 369 Nationalität, Recht auf 1054 Nationalstaat 51, 54, 58, 61, 62, 69, 73, 84, 87, 598, 636 – Demokratie 623 – historische Existenz 69 Nationenbegriff 55 – kultureller 185 – politischer 185 NATO – humanitäre Interventionen 940 – Krisenbewältigung 940 – Recht zu humanitärer Intervention 943 – Strategisches Konzept 940 NATO-Vertrag, UN-Charta 942 Naturgesetz 198, 199, 202, 203, 480, 542 – Stoa 199 Naturrecht 203, 208 Naturrechtsauffassung, kollektive 261 Naturzustand 44, 176, 480, 540 – Beseitigung 149 – Kant 220 – Locke 207 – Überwindung 249, 300 ne bis in idem 1001 neminem laedere 202, 378 Netzwerk, Begriff 607 Netzwerkarbeit 330 Netzwerke 606, 672, 679, 1044 – Demokratie 626 – globale Ordnung 607 Neutralitätsrecht 974 Nicaragua-Fall 168, 179, 453, 962 Nichtdiskriminierungsprinzip, WTO 756 Nichteinmischung 363 Nichteinmischungsprinzip 168, 171, 769, 807 – Menschenrechtsschutz 1019

Nichtregierungsorganisationen 74, 438, 454, 519, 610, 662, 676, 853 ff., 863, 1033 – Definition 853 – globale Akteure 675 – Klagerecht 1022 – Klagerechte 860 – Konsultativstatus 860 – Legitimation 680 – Meinungsbildung 856 – Mitwirkungsrechte 683, 684, 788, 857 – privates Weltrecht 684 – Rechtserzeugung 857 ff. – Rechtsstatus 854 – Verbandsklage 612 – Völkerrecht 681 – Völkerrechtssubjekte 854 – Weltgerichte 357 – Weltöffentlichkeit 646 – Widerstand 666 – WTO 765 Nichtregierungsorganisationenen, Interessenvertretung 682 Nordatlantik-Vertrag 945 Normenhierarchie 309 Normgeltung, Luhmann 523 Normhierarchie 705 Nothilfe 134, 381, 384, 389, 390, 676, 677, 945 – gegen Tyrannen 390 Nothilferecht, Vattel 389 Notwehr 333, 371 nulla poena sine lege 1001 nullum crimen sine lege 1001 Nürnberger Gerichtshof 984, 987 Nürnberger Prinzipien 985 Objektformel 491 OECD-Leitsätze 873 opinio iuris 268, 470, 471 opting-out-Klauseln 902 ordre public 329, 382, 405, 424, 442, 605, 808, 1052

Stichwortverzeichnis – internationaler 393, 408, 707, 872 – menschenrechtlicher 333 – weltrechtlicher 427 Organisationen, supranationale 815 ff. – Merkmale 816 Osttimor-Fall 701 Outlaw-Regimes 249 overlapping consensus 489 Ozonschicht – Schutz der 902, 905 pacta sunt servanda 94, 97, 126, 142, 163, 259, 430, 466, 698 – Grundnorm 99 – Rechtsfriede 103 – Souveränitätsgrenzen 157 pacta tertiis-Regel 146, 439, 711, 797 Paradigma 90 – realistisches 286 – weltrechtliches 188, 356, 391 Paradigmenwechsel 48, 90, 686, 704, 914, 1034, 1047, 1059 – Gemeinschaftsrecht 1033 – Internationaler Strafgerichtshof 1065 – Sicherheitsrat 727 – Supranationale Organisationen 816 – Umweltrecht 901, 907 – verfassungsrechtlicher Ansatz 1059 Paradox 1040 Parlamente, regionale 594 Parteiprinzip 1001 Partizipationsrechte, NGOs 683 Partnerschaft, öffentlich-private 1057 partnerships for sustainable development 860, 879 Paternalismus 519, 537 Patriotismus 293, 542 pax americana 177, 288, 696, 719 persistent objector-Regel 452 Personalhoheit 186 Pinochet-Entscheidung 394

1191

Plan of Implementation of the World Summit on Sustainable Development 803 policy by the people 678 policy for the people 667, 678 Polis, Kosmos 199 Positivismus 90, 92, 256, 697 pouvoir constituant 839, 840 pouvoir constituant mondial 644 pouvoir constitué 839 Präventivverteidigung 182 Primat – des Völkerrechts 98, 260 – Völkerrecht 119 Prinzipien, Optimierungsgebote 802 Prinzipieneinheit 1057 – Rechtsvergleichung 428 – Zivilverfassung 612 Prinzipienordnung 312, 351, 699, 706, 749, 799, 1034, 1044, 1060 – WTO 770 Privatautonomie – Grenzen 337 – Menschenrechte 499 – Selbstbestimmungsrecht 326 private military companies 337 Privatheit der Lebensbewältigung, Vorrang 336 Privatisierung 73, 325, 337, 967 – des Rechts 878 Privatrecht 327 Produkt-Prozeß-Doktrin 807 public morals 808 – GATT 800 public private partnerships 73, 609, 1063 Publizität 316 – Kant 238 – Menschenrechtsschutz 925 – NGOs 859 – Unternehmen 883 Publizitätsmangel, EU 849

1192

Stichwortverzeichnis

Querschnittsklausel 770 Radbruchsche Formel 410, 989 – Positivismus 410 Rahmengesetz, Europäisches 822 Rahmenkonventionen 902 Rangregeln 349 rapid reaction force 1030 Rassentrennung 514 Realismus 286 – neuer 287 Recht – Begriff 507 – Friedenszweck 337 – intergouvernementales 115 – mundiales 740 – provisorisches 133, 208, 300, 482, 500, 540, 1044 – subjektives 109 – transnationales 324 – zwischenstaatliches 110 Recht, subjektives – transnationales 572 – weltbürgerliches 441 Recht, transnationales 1037 – Verträge 868 Recht am Unternehmen, Grenzen 872 Recht auf Arbeit 473, 497, 538 Recht auf Entwicklung 105, 518, 557, 558, 559, 560, 900, 1042 – Inhalt 560 – objektive Dimension 560 – Unterlassungspflichten 561 Recht auf Leben 207, 248, 378, 382, 411, 467, 534, 546, 548, 553, 555, 559 Recht auf Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft 482 Recht auf Recht 563 – Recht auf Entwicklung 561 Recht des Stärkeren, Markt 776 Recht zum Krieg, Hobbes 241 Rechte, soziale 471

Rechtsanwendungsbefehl 121, 347, 406, 477, 625, 827 – Aufhebung 825 Rechtsanwendungsvakuum 871 Rechtsbegriff – Formalität 274 – Freiheit 278 – offener 52, 86, 130, 192, 244, 270, 281, 456, 482 – positivistischer 196 – universeller 277 – Zwang 128 Rechtsbegründung – ethische 241 – Universalisierbarkeit 273 Rechtsbewußtsein, mundiales 254 Rechtsdefinition, Kant 277 Rechtsdiskurs, Teilnehmer 523, 1040 Rechtsdurchsetzung 128, 603 – gegenüber Staaten 355 – ILO 788 – Krieg 356 – private 332 – Umweltvölkerrecht 907 – UNO 716 – Völkerrecht 119 Rechtseinheit 146, 767 – Weltwirtschaftsverfassung 810 Rechtsetzung – nicht-staatliche Akteure 612 – Nichtregierungsorganisationen 857 ff. – Sicherheitsrat 714 – UNO 712 ff. – Unternehmen 875 Rechtsetzungsfunktion, UN-Sicherheitsrat 715 Rechtsetzungsverfahren, globales Umweltrecht 903 Rechtsgedanke, Verwirklichung 341 Rechtsgeltung 90 Rechtsgemeinschaft 57, 162, 213, 245, 307, 311, 473, 565, 572, 580, 632,

Stichwortverzeichnis 634, 635, 662, 668, 700, 702, 708, 747, 1042, 1054 – EU 831 – Europäische Union 820 – internationale 1059 Rechtsgesetze 342 Rechtsglobalisierung 305 Rechtsgrundsätze, allgemeine 101, 455 ff. – Universalität 456 – Verbindlichkeit 101 Rechtsordnung – private 332 – Universalisierung 306 Rechtspflicht, Friedensbund 225 Rechtspluralismus 264, 267, 276, 604 ff. – Definition 264 – Grenzen 267 Rechtspositivismus 52, 267 ff. – realistischer 287 Rechtsprinzip 150, 301 – Erzwingbarkeit 354 – globale Verwirklichung 362 – Internationale Organisationen 690 – Menschenrecht 481 – universelles 305, 338 – Vertragsbindung 327 – Vertragslehren 1038 – Verwirklichung 225 – weltrechtliches 263 Rechtsquellen, IGH-Statut 448 Rechtsreflexe 107, 109, 853 Rechtsschutz – provisorischer 971 – Recht auf 923 – Sicherheitsrat 1065 – subjektiver 348, 361, 882 – UN-Sicherheitsratsentscheidungen 733 Rechtssicherheit 280, 281, 495, 923, 991 – Menschheitsverbrechen 987 Rechtssubjekte, globale 868 – Einbeziehung 457

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Rechtssubjektivität 338 – des Menschen 107, 338, 362, 536, 1039 – indigene Völker 885 Rechtsuniversalismus, angelsächsischer 246 Rechtsvergleichung, Auslegungsmethode 428 Rechtszwang 378 Referendum 628 Reformvorschläge, UNO 1020 refoulement-Verbot 569 Regieren ohne Staat 610 Regime 76 Regionalisierung 576, 1066 Regionalverbände 1066 Relativismus 290 f., 1041 – Religionsfreiheit 511 Relativismus, gemäßigter, Rawls 487 Religionen, Menschenrechte 522 Religionsfreiheit 437, 471, 473, 486, 488, 511, 524, 532, 538, 700 Renationalisierung, Sachwidrigkeit 1043 Repräsentation 153, 619 – deliberative Demokratie 663 Repressalie 134, 135 Republik 58 – Friedenssicherung 236 – offene 396 – repräsentatives System 623 Republik, offene 1051 – Deutschland 398 Republikanität 355, 376 – der Staaten 343 Republikprinzip, Kant 230 res publica 58, 198 res publica noumenon 482 Ressourcen 901 – genetische 888 – globale 547 – natürliche 885 – Nutzungsrecht 893 – Selbstbestimmungsrecht 886

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Stichwortverzeichnis

Restnaturzustand 1043, 1045 Retorsion 134, 135 Retorsionen, Österreich 385 Reziprozitätseinwand 365 Reziprozitätsprinzip 164 – GATT 738 – WTO 760 Richter, demokratische Legitimation 650 ff. Rio-Deklaration 897, 904 Rio-Konferenz 900, 904 Römisches Statut – Ratifikation 996 – Weltrecht 1018 Rot-Kreuz-Konventionen 1015 Rousseau 216 Ruandatribunal 991 Rücksichtnahmeprinzip 329 Rückwirkungsverbot 746, 987, 989, 990 rule of law 130, 355, 358, 688, 1046 – Einmischung 381 – Gerichtsbarkeit 708 – Lauterpacht 698 – WTO-Recht 757 Rüstungskontrolle 688 Sachlichkeitsprinzip 320 Sachparlamente 1056 Sanktionsgewalt, individuelle 737 Schädigungsverbot, Umweltvölkerrecht 893 Schicksalsgemeinschaft 201, 304, 504, 638, 640, 653, 702, 1043, 1044, 1054, 1059 Schiedsgerichtsbarkeit – internationale 136, 358, 400 – private 328, 331 Schiedsgerichtsurteile, Verbindlichkeit 334 Schiedsspruch 331 Schiedsvereinbarung 331 Schleier des Nichtwissens 247, 250, 487 Scholastik 204

Schurkenstaaten 182 Schutzmaßnahmen, nationale 800 Schutzpflicht 330, 413, 418, 427, 534, 545, 548, 554, 555, 723, 874, 900, 966 Schutzstandards, WTO-Recht 796 ff. Schwertfisch-Fall 772 Sein und Sollen 151, 162, 266 Sekundärrechtsetzung – EU 822 – UN-Sicherheitsrat 716 Selbständigkeit 483, 555 Selbstbestimmung 275, 328, 349, 435, 483, 541, 568, 593, 1039, 1052 – Demokratie 644, 1055 – des Menschen 149, 1039 – Fähigkeit zur 502 – funktionale Selbstgesetzgebung 1056 – Idee 617 ff. – indigene Völker 886 – kleine Einheit 653 – Konsens 523 – kulturelle 371 – Willensautonomie 278 Selbstbestimmungsprinzip, Grundlage 366 Selbstbestimmungsrecht – Einklagbarkeit 373 – Grenzen 371 – indigene Völker 1063 – Legalität der Mittel 374 – Menschenrechtspakte 372 – Mißbrauch 372 – Selbstverteidigungsrecht 373 – Subjekte 369 Selbstbestimmungsrecht, Terrorismus 374 Selbstbestimmungsrecht der Völker 88, 96, 100, 128, 183 ff., 364, 367, 439, 519, 681, 886, 890, 1053 – pax americana 696 Selbsterhaltung 73, 207, 209, 266, 480 Selbstgesetzgebung 212, 540, 1056

Stichwortverzeichnis Selbsthilfe 114, 119, 132, 133, 149, 165, 182, 209, 287, 333, 352, 356, 739 Selbsthilfemaßnahmen 134 Selbstmordattentate 374 Selbstregulierung 655 Selbstregulierungsmechanismen 860 Selbstverpflichtung, Global Compact 877 Selbstverteidigungsrecht 154, 182 – enge Auslegung 961, 971 – Terrorismus 960 Selbstverwaltung, funktionale 655, 656 self-executing 123 ff., 446 – soziale Rechte 873 – UN-Sicherheitsratsentscheidungen 727 Senat 1023 Sexualdelikte. 1009 Sezessionen, ethnische 186 Sezessionsrecht 371 shareholder value 676 Sharia 204, 511, 515, 524 Shrimpfall 801, 803 Sicherheitsrat – Autorisierung 389 – Befugnisse 1032 – Entscheidungsspielraum 714 – Ermessen 956 – Interventionsbefugnis 948 ff. – Reform 1027 ff. – Untätigkeit 389 – Urteilsvollstreckung 360 Siegerjustiz 987 Sittengesetz, Formalität 271 Sittlichkeit 208, 270 – Kant 272 – Konfuzianismus 522 Sklaverei 983 soft law 194, 608, 611, 873 – Global Compact 877 – globales 879 – NGOs 859 Solidarität 637 – Begriff 635

1195

– internationale 543 – kosmopolitische 542 – rechtliche 1054 – Rechtsbegriff 544 – universale 543 – Weltgesellschaft 672 – Weltrechtsbewußtsein 639 Solidaritätsgemeinschaft 695 – UNO 695 Solidaritätsprinzip 689 – staatsfreie Räume 900 Sollensordnung 90, 279, 1033, 1038 Souveränität 94, 113 – äußere 154 – des Rechts 363 – Entstehung 151 – gebundene 156 – Gemeinwille 621 – innere 154 – Merkmale 153 – Positivismus 152 – Realismus 288 – rule of law 363 – Selbstbestimmung 155 – Selbstbestimmungsrecht 367, 1047 – Unrechtsregime 368 Souveränitätsprinzip 150 – Kersting 251 Sozialcharta, Europäische 476 Sozialdumping 775 soziale Rechte, Justiziablität 553 Sozialklausel 795 Sozialpakt 467 – Programmsätze 476 Sozialprinzip 545, 769 – Menschenrechte 546 Sozialverfassungen 666 soziotranszendentale Interessen, Höffe 485 Spezialitätsgrundsatz 425 Sprache – civitas 633

1196

Stichwortverzeichnis

– vor Gericht 359 – Weltgemeinschaft 1056 Sprechakt 457, 1041 Sprechgemeinschaft 649 SPS-Abkommen 805 Staat 51 – Anerkennung 346, 376 – geschlossener 284, 301 – Gesellschaft 604 – juristische Person 339 – offener 86 Staatenbeschwerde, Zivilpakt 928 Staatenbund 575, 577, 583 – UNO 736 Staatengemeinschaft 701 – internationale 443 Staatengemeinschaftsräume 447, 895 Staatengleichheit 158, 160, 172, 386 – Sicherheitsrat 159 Staatenimmunität 171 ff., 350, 403, 435, 1046 Staatenkammer 1023 Staatenkonsens 100, 160, 438 – Abweichung 452 – Verdross 261 Staatenkooperation 688 – Umweltrecht 904 Staatenpraxis 120, 171, 372, 393, 453, 456, 457, 469, 471, 970 Staatensouveränität 151 ff., 1046 Staatenverbund 578, 820 – EU 836 Staatlichkeit – EU 838 – existentielle 399, 630 – funktionale 88 – funktionelle 837 – offene 395 Staatlichkeit, offene, Kriterien 397 Staatsangehörige 107 Staatsangehörigkeit 415 Staatsangehörigkeitsrecht, deutsches 414 Staatsaufgabenverteilung 321

Staatsbegriff – demokratischer Verfassungsstaat 375 – neutraler 364 – republikanischer 59 – völkerrechtlicher 86 Staatsbürgerschaft, Recht auf 564 Staatseigenschaft, Europäische Union 842 Staatsgewalt, Staatsvolk 622 Staatspersonifizierung 153 Staatsvolk 60 f., 70, 82, 86, 186, 369, 578, 620, 624, 656, 840 – doppeltes 643 – Verfassungsgewalt 621 standard-setting, NGOs 857 Standortwettbewerb, unfairer 812 Stimmengleichheit 158, 693, 846, 1023 Stoa 199, 479 Streikrecht 784 Streitbeilegung 595 – friedliche 136 Streitbeilegungssystem 1022 – Notwendigkeit 1053 Streitbeilegungsverfahren – obligatorisches 742 ff., 749 – Seerecht 910 – WTO 142, 744 ff. Strukturprinzip, weltrechtliches 559 Strukturprinzipien 87, 162, 399, 829 – weltrechtliche 434 Struktursicherungsklausel 425 Subjekte, globale 1058 subjektive Rechte 338 ff., 475 ff., 509, 1064 – EMRK 919 – Marktfreiheiten 917 – Menschenrechtsverträge 873 – Völkerrecht 915 – Welthandelsrecht 761 subjektives Recht, weiter Begriff 123 Subsidiaritätsprinzip 320, 353 – Europäischer Haftbefehl 427 – Weltstaatlichkeit 591

Stichwortverzeichnis Sunna 511 Supranationalität, Begriff 815 suprema potestas 604 Surrogat, negatives 231, 235 Systemwettbewerb 302 Taliban-Regime 957 – Selbstverteidigung 974 Tarifpartner 67, 613 Tarifverträge 684 Tarifvertragsfreiheit 782 ff., 1060 Täterverantwortlichkeit 1018 Tatortprinzip 421 Technische Normen, NGOs 858 Technokratisierung 607 Territorialprinzip 78, 170, 413, 419, 769 – Wettbewerbsrecht 813 Terrorismus – Friedensbedrohung 953 – Krieg 975 – Selbstverteidigung 1065 – Verbrechen gegen die Menschlichkeit 1009 Terrorismusbekämpfung 976 Textilübereinkommen, WTO 777 Todesstrafe 378, 423, 467, 484, 511, 1018 Toleranz 634 traités-contrats 449 traités lois 448 traités-lois, Reziprozitätsprinzip 449 Transformationsakt 119, 121, 347, 754 transnationales Recht, Weltbürgerrecht 562 Trennung – Recht und Begründung 196 – Religion und Rechtsordnung 532 – Staat und Gesellschaft 121 Treu und Glauben 140, 163, 166 Treuepflicht 1047 Treuhandrat 712, 911 Tribunale, Zivilgemeinschaft 862 Tripartite Declaration 782

1197

Tugendlehre 506 Tugendpflichten 506 Türkei 525, 698 Überstellungspflicht, IStGH 1002 ultra posse nemo obligatur 551, 565 Umma 204 Umverteilungsbürokratie 1055 Umweltabkommen 904 Umweltprinzip, WTO 802 Umweltprobleme 323 – globale 891 Umweltprogramm der Vereinten Nationen 892, 900 Umweltrecht 891 – globales 891 ff., 1062 Umweltrecht, internationales, Prinzipien 893 ff. Umweltressourcen, gleichberechtigte Nutzung 895 Umweltschutz – Weltwirtschaftsverfassung 795 ff., 810 – WTO 770, 771, 801, 806 Umweltschutzprinzip 804 UN-Charta 358 UN-Generalversammlung 713 – Legislative 730 – Reform 1022 UN-Interventionen 947 UN-Menschenrechtskommission 926 UN-Normen, Unternehmensverantwortung 880 UN-Recht, Vorrang 711 UN-Sicherheitsrat 714 – Autorisierung 721 – Erweiterung 1028 – Kontrolle 1027 – Polizeifunktionen 724 ff. – rule of law 720 – Terrorakte 1065 UN-Sicherheitssystem 737 UN-Sonderorganisationen 576

1198

Stichwortverzeichnis

Unabhängigkeit der Richter 357, 848, 993, 1003 UNCITRAL-Schiedsregeln 332 UNESCO 427, 447, 469, 470, 900 UNIDROIT 325 Unionsbürgerschaft 838 – Weltbürgerrecht 571 Unionsvolk 841 Universalbürokratie 851 – Europäische Union 1066 Universalisierbarkeit 1039 Universalisierungsgrundsatz, diskursethischer 215 Universalismus, Kritik 292, 339, 1038 Universalmonarchie 586, 1028 – Thomas von Aquin 206 UNO – Charakter 693 – Kontrolle 695 – Reform 1021, 1031 Unparteilichkeit 487, 585, 599, 601, 696, 1026, 1048, 1054 – Konfuzianismus 522 Unrechtserfahrungen 505, 1040 – Flüchtlingsproblematik 569 – gemeinsame 516 – Kulturtranszendentalität 521 – Menschenrechte 504, 515, 521, 530 – Rechtsentwicklung 355 Unrechtsregime 305, 345, 364, 384, 391, 957 – Recht 988 Unteilbarkeit, Würde und Freiheit 494 Unternehmen 330, 603 – globale Akteure 675 – Interessenvertretung 682 – Legitimation 675, 680 – Lenkungsmacht 72 – Menschenrechte 868 – Menschenrechtsbindung 870 ff., 877, 881, 1041, 1061 – Menschenrechtsverantwortung 860 – Neue Weltwirtschaftsordnung 766

– privates Weltrecht 684, 1037 – res publica 676 – Selbstverpflichtung 875, 878 – Streitbeilegungsverfahren 761 – subjektive Rechte 917 – transnationale 1063 – Weltrechtsverwirklichung 878 – Weltverträge 610 – WTO-Recht 739, 752 Unternehmen, transnationale 74, 454, 1033 – Begriff 864 – global player 870 – globale Rechtssubjekte 868 – Schutzpflichten 874 – Verträge mit Staaten 865 – Völkerrechtssubjektivität 676, 867 Unternehmensethik 330, 676 Untertanen 230, 255, 279, 386, 414, 568, 681 Utopie 46 Verantwortlichkeit – strafrechtliche 350 – unterschiedliche 899 Verbalpraxis 457 Verbandsvolk 684 Verbrechen gegen die Menschlichkeit 1007 Vereinbarungslehren 98 Vereinte Nationen 694, 709 ff., 1059 – Durchsetzungskraft 696 – Nichtmitglieder 711 – Organe 712 – rechtliche Kontrolle 731 – Rechtsetzung 695 Verfahren, diplomatische 134 Verfassung – Anspruch auf weltbürgerliche 316 – bürgerliche 230 – deskriptiv 705 – Europäische Union 819 – republikanische 344

Stichwortverzeichnis – supranationale 820 – Volk von Teufeln 638 – weltbürgerliche 315 Verfassung der Meere 910 Verfassungsbegriff 307, 703 – etatistischer 308 – Grundnorm 309 – nicht staatsgebundener 709 Verfassungspatriotismus 636 Verfassungsstaat 574 – demokratischer 339 – kooperationsoffener 87 – offener 396 ff. – Universalisierung 345 Verfassungsverbund 839 Verfolgung – geschlechtsspezifische 417 – politische 416 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 600 – Krieg gegen Terrorismus 975 – Sicherheitsrat 949 Verhältnismäßigkeitsprüfung, GATT 801 Verhandlungsdemokratie 658 Verhandlungsprinzip 758 Vernetzung, vertragliche 613 Vernunft 216, 223, 300 – göttliche 205 – kommunikative 215 – praktische 218, 305, 306, 318 – Stoa 199 Vernunftbegabtheit 218, 280, 491, 502, 519, 638, 661, 673 Vernunftfähigkeit 362 Vernunftrecht 206 Vernunftsrechtslehren 246 Verrechtlichung 303, 357, 705, 1046 Verschmutzungsfreiheit 893 Verteidigungsbündnis 942 Verteidigungsfall 943 – Terrorakte 959 Verteilungsgerechtigkeit 250, 555 – Gastrecht 564

1199

– internationale 560 – Rawls 247 – rudimentäre 543 Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa 76 Verträge – internationalisierte 866 – völkerrechtliche 112 Vertragsfreiheit 163, 164, 329, 874 Vertragslehren 206 Vertragsprinzip 163, 748, 1048 Vertragsvölkerrecht, Schuldrechtlichkeit 117 Vertrauensschutz 327, 746 Verwaltungshandeln, internationalisiertes 418 Verwaltungsregime, globale 1063 Verweisung, materielle 794, 1061 Vetorecht, Sicherheitsrat 1068 Viermächteabkommen 984 vis absoluta 351, 599, 600, 716 – gegen Staaten 131, 360 – gegenüber Individuen 1034 – Gewaltverbot 178, 1067 – private 333 – Privatisierung 337 – Sicherheitsrat 132 – UN-Sicherheitsrat 724 – Verbot 132, 378 Volenti non fit iniuria 213, 635, 785 Volk, ethnisch 883 Völker, indigene 883 Völkerbund – Kant 218 – Vereinte Nationen 696 Völkercivitas 578, 620, 1057 Völkergewohnheitsrecht 403, 464 – Vertragsrecht 451 Völkermord 372, 983 – deutsche Gerichte 421 Völkermordverbot 1006

1200

Stichwortverzeichnis

Völkerrecht – der Globalisierung 851 ff., 1058 ff., 1062 – genossenschaftliches Recht 115 – islamisches 699 – Konstitutionalisierung 703 ff. – Neutralität 186 – öffentliches Recht 230 – Rang 126 – Rechtscharakter 114 – Relativität 118 – Verbindlichkeitsgrad 128 Völkerrechtsfähigkeit, Individuen 914 Völkerrechtsgemeinschaft 699 Völkerrechtsquellen 112 – WTO-Streitbeilegung 746 Völkerrechtssubjekte 104 – Despotien 1048 Völkerrechtssubjektivität 105 – des Menschen 110 – partielle 107 Völkerrechtsverfassung 340, 707 Völkerstaat 133, 223 ff., 232, 577 ff., 588, 602, 620, 729 – EU 842 – UNO 696 – Unrealisierbarkeit 231 Völkerstrafgesetzbuch 420, 988 Völkerstrafrecht 978 – Allgemeiner Teil 1005 – Subjekte 983 Volksdeutsche 415 Volkssouveränität 155 – AEMR 541 Vollstreckungsinstanz 360 volonté générale 212, 224, 542, 629 – kleine Einheit 228 – nationale 263 – Nationalstaat 623 – Nichtregierungsorganisationen 682 volonté générale mondiale 619 f., 624, 640, 647, 659

Vorbehalt, Menschenrechtsverträge 512 Vorbehalte, WTO 742 Vorrang – Gemeinschaftsrecht 828 – Rechtseinheit 349 – Völkerrecht 126, 127, 258 Vorrangregel, ius cogens 442 Vorsorgeprinzip 797, 805 – Umweltrecht 898 Wahlrecht 84, 460, 471, 541, 621, 839 – Unionsbürger 632 Washingtoner Vertrag 941 Wasser, Recht auf 898 Wechselseitigkeit, transzendentale 245 Welt- und Staatengemeinschaft 566 Weltbank 766 – Menschenrechte 772 Weltbefehlsgewalt 726 Weltbundesstaat 590, 643 Weltbürgerbewußtsein 1056 Weltbürgergedanke, Cicero 202 Weltbürgerlichkeit, stoisch 201 Weltbürgerparlament 644 Weltbürgerrecht 301, 316, 1042, 1044, 1051 – Asylrecht 416, 565 – Durchsetzung 317 – Freizügigkeitsrecht 570 – Gastrecht 565 – Grenzen 565 – Inhalte 561 – Kant 238, 243 – Kontaktaufnahme 562 – Privatpersonen 563 – Rechtsschutz 320 – subjektive Dimension 571 – subjektives 240 – transnationale Kontakte 239 – transnationale Unternehmen 865 – transnationaler Menschenrechtsschutz 562 – Vitoria 240

Stichwortverzeichnis – Welthandelsrecht 570 – Weltverfassung 319 Weltbürgerstatus 150, 487, 567, 568, 594, 642, 1052, 1055 Weltbürgerversammlung 643, 1024, 1025 Weltcivitas 635, 640, 644 – Voraussetzung 638 Weltdespotie 344, 586, 597, 1054 – Gefahr 228 – Kersting 252 – UN-Charta 950 – Verhinderung 598 Weltdiktatur 356, 586, 601, 1055 Weltdiskurs 605 Weltethos 296 Weltfriede – Bedrohung 952 – ILO 779 – UN-Sicherheitsrat 717 Weltfriedenslehre 46 Weltfriedenssicherung, weltstaatlich 1067 Weltgeist, Hegel 283 Weltgerichte – Definition 357 – demokratische Legitimation 651 Weltgerichtsbarkeit 358 – obligatorische 346, 1047, 1054 Weltgesellschaft 81, 289, 307, 314, 323, 336, 647, 666, 852, 1037, 1040 – Diskurs 650, 676, 1056 – Menschenwürde 500 – nationale Verfassungen 640 – Rechtsordnung der 195 – Rechtspluralismus 265 – Teilnahme 1057 – Weltbürgergesellschaft 856 – Weltrechtsordnung 611 – Weltvolk 648 Weltgesellschaft, Luhmann 647 Weltgesetzgeber 643 – Sicherheitsrat 955 Weltgewohnheitsrecht 455, 458, 1050

1201

Welthandelsordnung, Rechtsstatus 762 Welthandelsorganisation 739 Welthandelsrecht 1059 – subjektive Rechte 761 Weltherrschaftslehre 284, 289, 339, 1038 Weltinnenpolitik 610, 937, 955 Weltinnenrecht 191 Weltinteresse 461 Weltkartellbehörde 812 Weltkartellrecht 812 Weltkultur 299 Weltlegislative 112, 353, 354, 447, 592, 644 Weltmaximalstaat 1055 Weltmenschenrechtskonferenz 463, 530 Weltmenschenrechtsstandard, Rawls 489 Weltminimalstaat 580 Weltoffenheit, Grundgesetz 398 Weltöffentlichkeit 662 – Information 642 – Internet 647 – kosmopolitische Demokratie 645 – Menschenrechte 646 Weltordnung – Gedanke 41 – pluralistische 606 – Schicksalsgemeinschaft 638 – solidarische 189 Weltordnungsmodelle 573 Weltorganisationen 1053 Weltparlament 263, 593 f., 642, 644, 714, 1025, 1032, 1055 Weltpolizei 599, 601, 719, 723, 1054 – Sicherheitsrat 955 Weltraumvertrag 446 Weltrecht – Aspekte 188 – Charakteristika 338 ff., 818 – funktionales 194, 1047 – geborenes 190, 479 ff. – Geltung 347 – Kant 219

1202

Stichwortverzeichnis

– Merkmale 338 – ohne Staat 194 – ohne Weltstaat 395 ff., 591 ff., 611 – privates 194 ff., 324 ff., 1037 – reines 257 – Römisches Statut 1018 – Subjekt 1046 – subjektiver Rechtsschutz 360 – Typik 1046 – unmittelbare Anwendbarkeit 348 – ursprüngliches 460 – Vorrang 349, 1048 – ziviles 194 ff., 324 ff., 1037 – zwingendes Recht 341 ff., 350 Weltrechtsbegründung – diskursethische 274 – kantianisch-diskursethisch 206 ff., 277 ff. – pluralistische 264 ff. – positivistische 190 f., 256 ff., 267 – psychologische 253 ff. – soziologische 255 f., 262, 265 Weltrechtsbewußtsein 255, 639 Weltrechtsdiskurs 298 Weltrechtsdurchsetzung 597, 1053 – Weltstrafgericht 991 Weltrechtsetzung 193, 347, 435, 1050 Weltrechtsgedanke 196 Weltrechtslehren 253 Weltrechtsordnung 573 ff. – Modelle 573 ff., 1051 – öffentliche 193, 305 ff. – pax americana 288 – private 323 ff., 335 – strategische 287 Weltrechtsprinzip – Definition 419 – Grundgesetz 428 – in Staaten 981 – Strafrecht 980 – strafrechtliches 419 – Völkerrecht 981

Weltrechtsverfassung, minimale 445 Weltrepublik – Demokratie, kosmopolitische 1057 – Einwände 226 – Gedanke 45 – Höffe 245, 579 – Kant 222 – Republikanität 345 – subsidiäre 1055 Weltsolidarität 542 ff., 1052 Weltsozialprinzip 545 Weltsozialstaat 545, 793 Weltsozialverfassung 810 Weltsprache 649 Weltstaat 191, 585 ff., 723, 815 – Carson 580 – Demokratie 1055 – Demokratiebegriff 667 – Höffe 251 – Kelsen 257, 259 – Kersting 251 – Krabbe 254 – minimaler 730 – muslimischer 204 – Positivismus 196 – Rawls 248 – Regierbarkeit 585 – Territorialstaat 600, 1055 – ultraliberaler 580 – UNO 169, 728, 730, 1032 – Unregierbarkeit 206 – Völkerrecht 104, 226 – Wettbewerb 590 – Zwang 354, 597 Weltstaatlichkeit, funktionale 352, 1037, 1053 Weltstaatsrecht 188, 190, 191, 353, 586 – funktionales 992 – WTO 748 Weltstrafrecht 983 – Nürnberger Prinzipien 990 Weltterrorismus 379

Stichwortverzeichnis Welttyrannis 588 Weltumweltorganisation 788, 911, 1054, 1063 Weltumweltrecht, Durchsetzung 907 ff. Weltumweltverfassung 1062 Weltverfassung 306 ff., 340, 1043 – bürgerliche 1054 – geborene 1051 – Kant 222 – mehrgliedrige 312, 1044 – praktische Vernunft 640 – Prinzipienordnung 351 – Staatsverpflichtung 319 – UN-Charta 736 Weltverfassungsrecht – geborenes 280 – Maßstäblichkeit 342 Weltvertrag 193, 458, 463, 610, 1047, 1050, 1061 – Begriff 1050 – Beispiele 1034 – Definition 450 – ILO-Verfassung 1060 – Rang 148 – UN-Charta 1059 – Zwang 602 Weltvolk 640, 644 Weltwährungsfonds, Menschenrechte 772 Weltwirtschaftsordnung 766 ff. – Neue 765 Weltwirtschaftsparlament 671 Weltwirtschaftsverfassung 738, 765 ff. – Begriff 767 – Prinzipienordnung 769, 798 – WTO 738 ff., 767 Weltzentralstaat 583, 587 Weltzwangsgewalt 354 ff., 597 ff. Wende, kopernikanische 338 Werte, kulturelle 294 Werteimperialismus 274 ff., 1041, 1042 – Rawls 488 Wertneutralität 142 ff. Wertordnung 375, 701

1203

Wettbewerb – fairer 811 – freier 811 Wettbewerbsprinzip 302 Wettbewerbsrecht 811 Wettrüsten 1067 Widerstandsrecht 373, 646, 676, 922 – Nichtregierungsorganisationen 677 Wiener Menschenrechtskonferenz 461, 518 Wille, gemeinsamer 102 Willensautonomie 262, 275, 278, 617 Wirtschafts- und Währungsunion 77 Wissen, traditionelles 887 World Commission on Dams 611 World Federalist Movement 641 WTO-Abkommen – SPS 805 – technische Handelshindernisse 804 WTO-Berufungsgremium, Gerichtscharakter 745 WTO-Prinzipien, Verbindlichkeit 759 WTO-Rahmenabkommen 740 WTO-Recht 739 f. – EG-Recht 749 – Europäischer Gerichtshof 756 – Vorrang 749 WTO-Streitbeilegungsgremium, Verbindlichkeit der Entscheidungen 747 ff. WTO-Streitbeilegungsverfahren 742 ff. Zirkelschluß 1040 Zivilgemeinschaft 195, 912 – Begriff 605 – Verfassung 606 Zivilgesellschaft 195 – globale 323 – politisch 605 Zivilpakt 466 Zivilregime 1044 Zivilverfassung 323 ff., 611 Zoon politikon 292, 605, 633

1204

Stichwortverzeichnis

Zurechnungstatbestand, nicht-staatliche Gewalt 962, 965 Zurechnungsvolk 679 Zustimmungsgesetz 121, 126, 406, 827 Zwang 129 – Einzelpersonen 602 Zwang zur Gesetzlichkeit 279 Zwangsarbeitsverbot 873 Zwangsbefugnis 129, 130, 241, 356, 603, 607, 669, 1044, 1055 – NATO 946

– unmittelbare 603 – völkerrechtliches Paradigma 234 – Weltorgane 597 Zwangsgesetze 232 Zwangsgewalt 599 ff. Zwangsmaßnahmen – UN-Sicherheitsrat 714 ff. – wirtschaftliche 388 Zwangsmittel 134 ff., 354 ff. Zweckverband 834