Brücken : Vom Balken zum Bogen 3499177110

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Brücken : Vom Balken zum Bogen
 3499177110

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Bert Heinrich

Brücken Vom Balken zum Bogen

Deutsches Museum Kulturgeschichte Ruinirgescnicnre der Naturwissenschaften und der Technik

Zu der Buchreihe «Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik»

Technische Objekte sind nicht eindeutig, sondern vieldeutig. Die humanen, ästhetischen, sozial- und geistesgeschichtlichen Bedeutungen zeigen sich nicht in technischer Funktionsbeschreibung. Auch die historische Abfolge technischer Objekte sagt höchstens etwas über deren technologische Ent­ wicklung, nichts aber über die sozio-ökonomischen Voraussetzungen, die Einbeziehung und Konsequenzen der Technik. Diese übergreifenden Bezü­ ge versucht die gemeinsam vom Deutschen Museum in München und dem Rowohlt Taschenbuch Verlag herausgegebene neue Buchreihe «Kulturge­ schichte der Naturwissenschaften und der Technik» zu beschreiben und zu illustrieren. Die Bände richten sich zunächst an Lehrer und Ausbilder, doch sind sie so gestaltet, daß jeder interessierte Laie sie verstehen kann. Es zeigt sich, daß der Weg durch die Geschichte nicht eine zusätzliche Erschwerung und Ver­ mehrung des Lehrstoffes bedeutet, sondern das Verständnis der modernen Naturwissenschaften und Technik erleichtert.

Bert Heinrich

Brücken Vom Balken zum Bogen

BQ towöl VJX Deutsches Museum

Rowohlt

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Die Buchreihe zur Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik entstand im Rahmen zweier Projekte am Deutschen Museum. Projektmitarbeiter: Günther Gottmann, Bert Heinrich, Friedrich Klemm, Gernot Krankenhagen, Michael Matthes, Helmuth Poll, Jürgen Teichmann, Jochim Varchmin. Technikgeschichtlicher Berater: Friedrich Klemm Redaktion im Deutschen Museum: Bert Heinrich Bildredaktion: Ludvik Vesely

Die dieser Veröffentlichung zugrunde liegenden Entwicklungsarbeiten wur­ den mit Mitteln der Stiftung Volkswagenwerk und des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft gefördert. Die Interpretation der Fakten gibt die Meinung des Autors, nicht die des Deutschen Museums wieder.

11.-12. Tausend Oktober 1989 Originalausgabe Umschlagentwurf: Werner Rebhuhn (Fotos: «Baustelle der Seinebrücke bei Neuilly»Modell im Deutschen Museum - von Zwillsberger/ «Echelsbacher Brücke über die Ammer» - von Grunow) Redaktion: Jürgen Volbeding Layout: Edith Lackmann Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, März 1983 Copyright © 1983 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Satz Times (Linotron 404) Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany 1280-ISBN 3 499 17711 0

Inhalt

1. Vorwort Technik lernen mit übergreifenden Bezügen Zeittafel

2. Zum anderen Ufer Die Steinbalkenbrücke des Altertums

7

8

13

3. Vom Steinblock zum falschen Gewölbe Die Kragsteinbrücke aus vorrömischer Zeit

21

4. Vom falschen zum echten Gewölbe Der Brückenbau der Römer Die Römer machen es den Etruskern nach Ein Imperium der Straßen Was man erst heute sichtbar machen kann Brücken führen Wasser Der Beitrag der Römer

29 32 41 44 51 63

5. Von der Fähre zur «Stainern Pruckn» Die Keilsteinbrücke des Mittelalters Stadtluft macht frei Die mittelalterliche Residenz- und Fernhandelsstadt Regensburg Straße-Brücke-Zoll: Die Pliensaubrücke in Esslingen Für Pilger und Kaufleute Spitzbogen und Bauaufsichtsbehörde 6. Vom Halbkreis zum Korbbogen Neue Bogenformen in der Renaissance Von Vitruv zu Alberti Wenn Wirbel die Tiefe aushöhlen Neu Bogenformen Der Ponte Vecchio in Florenz Der Ponte Santa Trinitä in Florenz Die Rialtobrücke in Venedig Die Fleischbrücke in Nürnberg Faustregeln als Anfang der Ingenieurwissenschaft

69 70 73 82 87 91

96 96 103 108 112 114 119 123 126

7. Jean-Rodolphe Perronet und die Brücke bei Neuilly Die Vollendung des Steinbrückenbaus in der Aufklärung Perronet berichtet Der Ablauf der Bauarbeiten Baustelleneinrichtung und Arbeitsorganisation

133 137 139 154

8. Neue Probleme für die Ingenieure Brückenbau für die Eisenbahn Schiene statt Straße Geschwindigkeit und veränderliche Verkehrslasten Zwei Riesenbrücken Hoffnungen Hindernisse Empirie und Theorie Vorbereitungen Aus der Baugeschichte Arbeitszeit und Lohn Unfälle und Not Politik

172 174 177 183 183 184 185 189 189 195 196 198

9. Dann kamen Stahl und Beton

199

10. Studien zum Thema Brückenbau im Deutschen Museum Dauerhafte und gesicherte Übergänge Steinbrücken Holzbrücken Hängebrücken Eisen- und Stahlbrücken Beton-und Stahlbetonbrücken Brücke aus Aluminium Bewegliche Brücken

211 212 214 221 227 229 241 250 250

Anhang Anmerkungen Literatur Personen- und Sachregister Bildquellen

253 255 261 267

1. Vorwort Technik lernen mit übergreifenden Bezügen

Die Geschichte des Brückenbaues beginnt in dem Augenblick, als Menschen einen dauerhaften und gesicherten Übergang schufen und zum Beispiel einen Baumstamm über den Bach legten oder große Steine in sein Bett war­ fen, um das andere Ufer an der von ihnen bevorzugten Stelle zu erreichen. Sie zeigt die Entwicklung der technischen Fähigkeiten des Menschen beim Bau fester Brücken über breite Flüsse und tiefe Täler. Schwierige Probleme mußten gelöst werden: - Wie lassen sich möglichst große Weiten so überbrücken, daß sie mit Wagen und Lasten befahren werden können? - Wie lassen sich Pfeiler mitten in der Strömung des Flusses gründen? - Wie kann man im voraus wissen, welche Abmessungen eine Brücke haben muß, damit sie auch der Gewalt des jährlichen Hochwassers standhält? Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Lösungen gefunden, die zugleich auch Antworten waren auf allgemeine Fragen, die die jeweilige Zeit stellte.

Unter übergreifenden Bezügen wird hierein historischer Ansatz verstanden, der technikgeschichtliche Fakten zur allgemeinen Kulturgeschichte in Bezie­ hung setzt. In der Darstellung von früheren, meist einfacheren Lösungen lernt auch der Nichtfachmann Grundprobleme der Brückenbautechnik, ei­ ner der großen Kulturtechniken der Menschheit, kennen und verstehen. «Die Entwicklungsprozesse |in der Baustatik und Bautechnik] müssen doch einmal Objekte eines spannenden Suchens, einer aufregenden Handlung gewesen sein, näm­ lich damals, als sie geschaffen wurden. Wenn man an ihre Wurzeln zurückginge, würde der Staub der Zeiten von ihnen abfallen und sie würden lebensvoll vor uns stehen.»1

Die Geschichte des Steinbrückenbaus, um die es hier hauptsächlich geht, spiegelt auf besonders eindrückliche Weise die enge Verwobenheit von Tech­ nikgeschichte und allgemeiner Geschichte; sie selbst hat Geschichte gemacht.

Zeittafel

Zeit

Im Buch erwähnte Brücken

v. Chr.

Zeit v. Chr.

2500

Ägyptische Steinbalkenbrücke bei Gizeh

1700

Ägyptische Steinbalkenbrücke bei Dashur

2900 2570

Ziegelbrand in Indien und Sumer Bau der Cheopspyramide begonnen

2000

Rad mit Speichen in Kleinasien

1325

Kragkuppel in Mykene, das sog. Schatzhaus des Atreus, Spannweite 14,5 m Kanal Nil-Rotes Meer unter Rantses II.

1250 689

600

Assyrischer Aquädukt bei Dseherwan (Mesopotamien) Erste römische Keilsteinbrücke überden Teverone bei Salario (Italien)

500

Chinesische Steinplattenbrücke

600 539 450

400

Weitere technische Entwicklungen

Griechische Kragsteinbrücke bei Eleutherna (Kreta)

Griechische Kragsteinbrücke in Selinunt (Sizilien)

400

Baueines 1000m langen Wasserleitungstunnelsauf Samos durch Eupalinosvon Megara Wasserleitung in Athen

Optischer Buchstabentelegraf von Kleoxenes und Demoklitos Torsionsgeschütze in Syrakus

4./3. Jh.Eisenguß in China 312 Erste römische Fernstraße, die Via Appia des Appius Claudius Caecus 305 Erste römische Wasserleitung, die Aqua Appia des Appius Claudius Caecus 3.Jh. Fußtöpferscheibe bei den Ägyptern 270 250

225

150

Druckpumpe von Ktesibios Flaschenzug, Schraubenrad, Was­ serschraube, Hebel-, Schwer­ punkt-, Auftriebsgesetze von Archimedes Pneumat. Apparate, Automatentheaterdes Philon von Byzanz Wasserfester Mörtel bei den Römern

Milvische Brücke nördl. von Rom

I.Jh. 89

8

Glasblasen in Syrien Fußbodenheizung bei den Römern

Zeit

Im Buch erwähnte Brücken

Zeit

69

Fabricius-Brücke ;n Rum

31 -27 Vitruvius Pollio schreibt (geschrieben um 1452) Schraubstock in Nürnberg

1510 1560

laschenuhrvon Peter Henlein Gezogene Gewehrläufe

15X0

Gewichtsstaumauer von Alicante (Spanien) Aufrichtu ng des Obelisken auf dem Petersplatz in Rom durch Domenico Eontana Einwölbung der Peterskuppel in Rom durch Domenico Fontana und Giacomo della Porta beendet, Spannweite 42,5 m

Ponte Vecchio in Florenz

1440

um 1445 14X5

1502

1569

Entwurf einer Brücke überdas Goldene Horn von Leonardo du Vinci PonteSanta Trinilä in Elorenz

15X6

1590

1592 1602

Rialtobrücke in Venedig Fleischbrücke in Nürnberg

1609 1711

10

Astronomische Verwendung des Fernrohrs durch Galileo Galilei Atmosphärische Dampfmaschine von Thomas Newcomen

Zeit

Im Buch erwähnte Brücken

Zeit

Weitere technische Entwicklungen

1733

Schnellschütze für den Webstuhl von John Kay Baubeginn der barocken Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen von Balthasar Neumann Erstes Dampfmaschinenpatent von James Watt

1743 1769

1774

Seinebrücke bei Neuilly (Frank­ reich) 1778

1779

1787 1796 1803

1817 1824

1829 1830

Eisenbahnviadukt über das SankeyTal (England)

1835 1842

1850

Britanniabrücke für die Eisenbahn über die Menai-Meerenge (England)

1850 1850 1850

1851

Eisenbahnbrücke über das Elstertal bei Plauen im Vogtland

1851

Eisenbahnbrücke über das Göltzschtal bei Plauen im Vogtland Kalte-Rinne-Viadukt der Semmering-Eisenbahn (Österreich) Eisenbahnbrücke über die Isar bei Großhesselohe

1853 1857

1851

Taucherglocke für Unterwasserbauten von John Smeaton Mule-Spinnmaschine von Samuel Crompton Dampfmaschine mit Drehbewegung von James Watt Roman-Zement ErsterTunnel durch druckreiches Gebirge Lenkbares Laufrad des Freiherrn von Drais Erstes Patent auf die Erzeugung von Portlandzement Dampflokomotive « Rocket» von Robert Stephenson Eisenbahn Nürnberg-Fürth

Neue Grundsteinlegung für den Weiterbau am Kölner Dom Tauchboot von Wilhelm Bauer

Erste Druckluftgründung Erstes Unterseekabel DoverCalais Eisen- und Glaskonstruktion des Kristallpalastes fürdie erste Welt­ ausstellung in London fertiggestellt

1853

Fahrrad mit Tretkurbel

1863 1866

Eröffnung der Londoner U-Bahn Dynamomaschine von Werner von Siemens Erstes Patent von J. Monier für Eisenbeton

1867

11

Zeit

Im Buch erwähnte Brücken

Zeit

Weitere technische Entwicklungen

1869

Vollendung des Suezkanals durch A. Negrelli undF. v. Lesseps Viertaktgasmotor mit Verdichtung von Nikolaus August Otto

1876 1877

Eisenbahnbrücke überden Firrh of Tay (Schottland) 1880 1880

1881 1883

1884

Trisannabrücke bei Landeck (Österreich)

1890

Spannbeton von W. Doehring Eiffelturm in Paris, mit 300m damals höchstes Bauwerk der Erde Luftreifen

1897

Dieselmotor

1903

Erster Motorflug der Gebrüder Wright Betongußverfahren von Thomas Alva Edison

1888 1889 1890

Eisenbahnbrücke überden Firth of Forth (Schottland)

1902

Landwasserviadukt der Albulabahn (Schweiz) 1907

1910

Eisenbahnbrücke bei Hirschberg in Schlesien

1911 1929 1931

1941

Autobahnbrücke über die Lahn bei Limburg

1941

1942

1954 1964 1969 1970

Kölner Dom vollendet Lochkartenmaschine von Hermann Hollerith Vollendung des Gotthardtunnels Schnellaufender Benzinmotor von Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach

Autobahnbrücke der Sauerlandlinic über das Siegtal hei Eiserfeld

Jahrhunderthalle in Breslau, Spannweite 65 m Raketenversuche von Max Valier Empire-State-Hochhaus in New York, mit 381 m damals höchstes Bauwerk der Erde Erster programmgesteuerter elektromech. Rechner (Computer) von Konrad Zuse Erste kontrollierte Kettenreaktion bei Uran Lichtsetzmaschine in den USA Bau des Assuan-Dammes (Ägypten) Erste bemannte Sonde landet auf dem Erdmond

2. Zum anderen Ufer Die Steinbalkenbrücke des Altertums

Zu den einfachen und ursprünglichen Bauprinzipien einer Brücke gehört ne­ ben dem zwischen zwei Punkten aufgehängten Seil der über zwei Auflager verlegte Balken. Bei waagerechter Lagerung und senkrechter Belastung ent­ stehen nursenkrechte Auflagerkräfte (Abb. I). Der Balken selbst, gleichgül­ tig aus welchem Material, wird dabei auf Biegung beansprucht. Mit dem Steinbalken lassen sich etwa .3 bis 3,5 in Spannweite überbrücken, mit einem Holzbalken etwas mehr; allerdings fängt er bei zunehmender Spannweite an zu federn und zu schwingen.

I; Steinbalkenbrücke.

Ein Beispiel einer einfachen Steinbalkenbrücke aus vorgeschichtlicher Zeit ist die über den East-Dart-Fluß bei dem Ort Postbridge in Devonshire (England) verlegte Granitplatte (Abb. 2). Das schwierigste technische Pro­ blem beim Bau dieser Brücke dürfte der Transport der Granitplatte gewesen sein. Die Spannweite beträgt etwa 2,5 m. Eine andere, ebenfalls undatierbare Brücke aus der Gegend von Post­ bridge zeigt dasselbe Bauprinzip, allerdings mußten bereits zwei Pfeiler im Fluß errichtet werden, um eine Weite von etwa 8 bis 9 m zu überbrücken (Abb. 3). Hier beträgt die Spannweite jeweils etwa 2,5 m. Bei flachen Ge­ wässern dieser Größenordnung wartete man auf die Trockenzeit mit geringer Wasserführung oder inan drängte das Wasser mit Hilfe eines Stein- und Erd­ walles auf die Seite und konnte so den Pfeiler im trockenen Bett gründen. Den ägyptischen Baumeistern, von denen die ältesten nachweisbaren Steinbrücken stammen, schien dieses einfache Bauprinzip aus waagerech­ tem Balken und senkrechten Stützen so verläßlich und auch bei stärkerer 13

2: Nicht datierbare Steinbalkenbrücke über den East-Dart-Fluß bei Postbridge in der Grafschaft Devonshire in England. Die Brückenplatte besteht aus Granit. Auf den beiden Ufern bilden Granitblöcke die Auflager.

3: Die Clapper-Brücke, ebenfalls bei Postbridge in England, stammt aus einer Zeit, in der Verkehr und Transport zu Fuß oder mit Eseln und Packpferden bewältigt wurden. Die beiden Stirnpfeiler an den Ufern und die beiden Flußpfeiler bestehen aus Granit­ blöcken. Die Brückenbahn selbst, in diesem Fall ein Gehweg, bilden große Granitplat­ ten, die etwa 4,5 m lang, 2 m breit und ungefähr 30 cm dick sind. Da sich diese urtümli­ che Brücke der Datierung entzieht, bleibt auch die Frage offen, mit welchen techni­ schen Hilfsmitteln die Menschen die ungefähr 8 Tonnen schweren Granitplatten beför­ dert und verlegt haben.

14

4: Steinbalkenbrücke im Pyramidenfeld von Gizeh, um 2500 v. Chr. Der 7 m lange Deckbalken überbrückt eine lichte Weite von nur 3 m. In dem Bestreben, für die Ewigkeit zu bauen, wurde von den ägyptischen Baumeistern die Brücke völlig überdi­ mensioniert, das zeigt ein Vergleich mit der Brücke in Abb. 3. Selbst wenn der riesige Steinblock brechen würde, könnte die Brücke nicht einstürzen, weil sich die beiden Bruchteile gegenseitig abstützen, vorausgesetzt, daß die Auflager nicht ausweichen können. Eine andere Frage ist, ob sich bei solcher Dicke im Deckbalken selbst nicht bereits eine Art Gewölbewirkung zwischen den beiden Auflagern ergibt. Auch hier bleibt unbekannt, wie solche Bauvorhaben bewältigt wurden.

Belastung so sicher, daß sie sich auf diese Brückentechnik beschränkten. Sie wußten sehr wohl, daß sich die Tragfähigkeit mit der Dicke des Steinbalkens erhöht. Das führte zu Brücken, deren waagerechtes Bauelement weniger einem Stein«balken» als vielmehr einem Stein«block» gleicht und dem Brükkenbauwerk ein zyklopisches Aussehen verleiht. Ein Beispiel dafür ist die große Steinbalkenbrücke im Pyramidenfeld von Gizeh (Abb. 4), die um 2500 v. Chr. erbaut wurde. Weit entfernt von der ästhetischen Eleganz heuti­ ger Brücken, die sich schwerelos von Ufer zu Ufer zu schwingen scheinen, signalisieren diese Brücken dem Auge statische Ruhe, sichere Tragfähigkeit und zeitlose Unvergänglichkeit. Das eigentliche Problem lag dabei im Trans­ port der Steinblöcke. Der wiederum war mit der Arbeitsorganisation ver­ knüpft, wenn hundertfache Muskelkraft zur Wirkung kommen mußte. Diese Brücke in Gizeh, die vollkommen versandet war und erst wieder ausgegraben werden mußte, hat eine lichte Weite von nur drei Metern, die aber durch einen gewaltigen, sieben Meter langen und drei Meter dicken 15

5: Steinbalkenbrücke im Aufweg zur Pyramide Amenemhets, um 1700v. Chr. Die Brücke wurde für eine Spannweite von nur 2 m weit überdimensioniert. Auffallend ist die akkurate Bearbeitung der senkrechten Stoß- und der waagerechten Lagerfugen und die symmetrische Bauweise, die ein künstliches Bachbett einschließt. Als typisch für den ägyptischen Kulturbereich gilt, daß alle Brücken nach dem einfachen System der Balkenbrücke gebaut wurden, obwohl Bogen und Gewölbe bekannt waren und bei anderen, untergeordneten Bauwerken auch angewandt wurden. Bei Brücken wollte man offensichtlich sichergehen und allen Belastungsfällen vorbauen.

Deckbalken überspannt wird. Es entsteht der Eindruck, daß sie mit diesen Abmessungen für geradezu riesenhafte Lasten geeignet ist. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man sich klarmacht, daß über dem Deckbalken noch einmal ein Steinbalken gleicher Länge, aber etwas geringerer Höhe lag, der die Brücke mit dem Dammweg verband. Eine andere Steinbalkenbrücke (Abb. 5), die im Aufweg zur Pyramide Amenemhets III. in Dashur (1700v. Chr.) über einen kleinen Wasserlauf führt, ist ein Beispiel dafür, mit welcher Genauigkeit gearbeitet wurde, aber auch, mit welchem Materialaufwand relativ geringe Spannweiten, in diesem Fall nur zwei Meter, bewältigt wurden. Der Deckbalken selbst ist 3,3 m lang und 1 m dick. Immerhin haben die damaligen Baumeister mit dieser megalithischen Bauweise eines erreicht: Ihre Brücken haben Jahrtausende über­ dauert. Wir können heute nicht mehr feststellen, ob die Brückenbauer im Alter­ tum irgendwelche Berechnungen für ihre Brücken anstellten und von wel­ chen Maßen oder möglicherweise auch Maßverhältnissen sie beim Bau aus­ gingen. Wahrscheinlich standen ihnen nur Gefühl und Erfahrung und ihre 16

Vertrautheit mit dem Baustoff zu Verfügung. Heute lassen sich aber am ein­ fachen Beispiel des gestützten Balkens statische und physikalische Erkennt­ nisse gewinnen, die für den Brückenbau und die Bautechnik allgemein wich­ tig sind. Legt man einen Balken oder einen Träger auf eine ebene Unterlage, so drückt er mit seinem Gewicht überall gleichmäßig auf den Boden. Er erzeugt damit einen Gegendruck im Boden, der dem Eigengewicht entspricht (Abb. 6a). Trägt der Balken eine Last, drücken jetzt Balkengewicht und Lastgewicht oder Eigengewicht und Verkehrslast gemeinsam auf alle Stellen der Unterla­ ge (Abb. 6 b). Ist die Unterlage jedoch uneben, liegt der Balken z. B. nur an zwei Stellen auf, so drückt die Gesamtlast nur noch auf diese beiden Punkte. Dort wird der Druck in den Boden abgeleitet oder, so könnte man auch sagen, durch den Gegendruck des Bodens aufgehoben (Abb. 6c). Das kann aber nur geschehen, wenn die Unterlage an den beiden Auflage­ punkten, den Auflagern, so beschaffen ist, daß sie nicht nachgibt. Ist das nicht der Fall, wird z. B. Sand so lange nachgeben, bis die Auflagerflächen so groß und die darunter liegenden Sandpartikel so stark verdichtet sind, daß sie den notwendigen Gegendruck erzeugen können (Abb. 6d). Andernfalls hilft ein Fundament, das breiter aufliegt als der Balken. Die Kräfte können sich dann auf eine größere Fläche verteilen (Abb. 6e). Im Balken selbst aber entstehen nun auch Kräfte, weil er nur noch an seinen beiden Enden aufliegt, dazwischen aber freitragend ist. Wie kann man sich diese inneren Kräfte vorstellen? Nimmt man einen Balken aus hochelastischem Material, z. B. aus Schaum­ stoff, so biegt er sich bereits durch sein Eigengewicht sichtbar durch und verformt sich. Er wird an der Unterseite gedehnt, an der Oberseite aber zusammengedrückt oder gestaucht. Durch die Biegung entsteht an der Un­ terseite des Balkens eine Zugspannung, die die Dehnung hervorruft, an der Oberseite entsteht eine Druckspannung, die zur Stauchung führt (Abb. 6f). Diese Zug- und Druckkräfte führen bei elastischem Material auch noch zu einer Querverformung, die in der Zugzone den Querschnitt verengt, in der Druckzone vergrößert (Abb. 6g). Wenn man der Zug- und Druckverteilung im Balken selbst nachgeht, so entdeckt man, daß es dazwischen einen Bereich geben muß, in dem weder Zug- noch Druckkräfte auftreten. Dies ist die Nullinie, neutrale Faser oder die neutrale Schicht, ihre Länge ändert sich nicht (Abb. 6h). Im Steinbalken einer Steinbalkenbrücke treten ebenfalls durch Eigenge­ wicht und Last Druck- und Zugkräfte auf. Da Stein jedoch ein unelastisches Material ist und Zugkräften nur geringen Widerstand bieten kann, wird der Steinbalken bei zu großer Stützweite oder zu hoher Belastung im Bereich der Zugkräfte einen Riß bekommen und schließlich durchbrechen (Abb. 6i). 17

6: a bis i

7: Chinesische Steinplattenbrücke, um 500v. Chr. Die schweren Steinplatten wurden auf dem Wasserwege zur Baustelle gebracht.

8: Holzschnitt aus Galileis «Discorsi...»(1638)zur Bestimmung der Bruch­ festigkeit eines einge­ spannten, als unbiegsam angenommenen Balkens. Galilei ging davon aus, daß bei steigender Bela­ stung des Balkens der Bruch an der Einspann­ stelle AB eintritt und sich der Balken dabei um B dreht. Er sah in der Länge BCdes Balkens den Hebelarm der Kraft und in der Hälfte der Höhe BA den Hebelarm der Last. Da sich der geknick­ te Hebel entsprechend dem Satz «Last mal Last­ arm = Kraft mal Kraft­ arm) im Gleichgewicht be­ finden soll, setzte er «Kraft mal Kraftarm) gleich den inneren Kräf­ ten, d. h. der Festigkeit des Balkens im Querschnitt AB. Er kam dabei zu einem Wert, der dreimal größer ist als der tatsächliche, der sich unter Berücksichtigung der Elastizität des Balkens ergibt.

19

Da Stein von seinen Materialeigenschaften her sehr gut für die Aufnahme von Druckkräften geeignet ist, aber nur wenig Zugspannung aufnehmen kann, ergibt sich für den Steinbrückenbau die Frage, wie sich die Zugkräfte, die den Stein zerstören, weitgehend in Druckkräfte umwandeln und über die Auflager in den Boden ableiten lassen. Baumeister, Physiker und Mathematiker brauchten Jahrhunderte, um die­ se Erkenntnisse zu gewinnen, begrifflich zu fassen und mit Hilfe einer Formel berechenbar zu machen. Der Begriff der Nullinie wurde um 1710 von An­ toine Parent (1666-1718) eingeführt, um 1800 prägte der Engländer Thomas Tredgold (1788-1829) den Begriff der Neutralachse. Schwierig war auch die Erkenntnis, daß die Neutralachse mit der Schwerachse zusammenfällt. Und obwohl Galileo Galilei (1564-1642) 1638 in seinen Discorsi mit dem einseitig eingespannten Balken den richtigen Ansatz (abgesehen von der Elastizität des Balkens) für die Prüfung der Festigkeit fand (Abb. 8), dauerte es noch einmal 150 Jahre, bis Charles Auguste Coulomb (1736-1806) 1773 die end­ gültige Biegeformel angeben konnte. Voraussetzung dazu war aber die Er­ findung der Integral- und Differentialrechnung durch Leibniz und Newton. Erst 1826 erschien dann das Buch von Henri Navier (1785- 1836) «Mechanik der Baukunst oder Anwendung der Mechanik auf das Gleichgewicht von Bau-Construktionen», mit dem die Lehre von der Baustatik begründet und unter anderem auch die Biegetheorie für den Praktiker dargestellt wurde.

3. Vom Steinblock zum falschen Gewölbe Die Kragsteinbrücke aus vorrömischer Zeit

Der Bau von Steinbrücken aus einzelnen, weniger wuchtigen und leichter transportierbaren Steinen, verlangte eine andere Technik. Wo sie zum erstenmal angewandt wurde, ist nicht bekannt, man findet sie in allen Erdteilen. Sie ist so einfach, daß sie auch heute noch von jedem Kind wird, wenn es im Spiel mit Bauklötzen eine Brücke bauen will. Das Prinzip besteht darin, daß ein Stein über den anderen vorgeschoben, das heißt vorgekragt wird, und zwar nur so weit, daß er nicht abkippen kann (Abb. 10a). Die Gleichgewichtslage des vorkragenden Steins wird dadurch erreicht, daß sein Schwerpunkt über dem unteren Stein liegt. Nach mehreren

9: Trulli in Apulien, Süditalien. Die Steindächer dieser alten Gehöfte sind in Kragtech­ nik als Kuppel errichtet (s. Abb. 11).

21

a)

c)

1ZH7I

2

A

A

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d)

10: a bis d

22

Vorkragungen hat sich der Schwer­ punkt über den Ausgangspunkt hinaus verlagert (Abb. 10b). Die Steine oder Ziegel müßten nun Umstürzen. Dies wird aber verhindert durch die Verzah­ nung im Mauerverband und durch das Gewicht der darüber liegenden Steine (Abb. 10c). Notfalls half man sich auch mit einer Abstützung, wenigstens so lange, bis sich die vorgekragten Steine von beiden Seiten trafen und gegensei­ tig stützen konnten. Häufig wurden die Stirnseiten der vorkragenden Steine als schräge Fläche ausgearbeitet (Abb. IOd), so daß die Krag«wölbung» im Querschnitt die Form eines gleichschenkligen Dreiecks annahm. Diese Abschrägung der Stirn­ seiten war statisch sehr günstig, weil da­ durch das Gewicht der vorkragenden Teile verringert wurde. Diese Technik-die sogenannte Krag­ technik oder Kragwölbung - wurde beim Hausbau entwickelt. Beispiel da­ für sind die Trulli Apuliens (Abb. 9 und 11). Nachdem man die Festigkeit und Dauerhaftigkeit der Kragsteinkuppeln erkannt hatte, wandte man die Krag­ technik auch für tragende Gewölbe im Brückenbau an.

12: Die Rekonstruktion des Auqädukts bei Dscherwan aus dem 7. Jh. v. Chr. vermit­ telt einen Eindruck von der wasserbautechnischen Leistung der Assyrer. Sie läßt aber auch erkennen, daß diese Wasserleitungsbrücke eigentlich kein eigenständiges Bau­ werk darstellt, sondern als Bestandteil des dammartig durch das Tal führenden Aquä­ dukts zu werten ist, der mit Durchlässen für den Bach versehen war.

23

13: Bei der Vermessung des Kanals nach Ninive durch eine Expedition aus Chicago wurden 1933 in der Nähe von Dscherwan die Reste dieses assyrischen Aquädukts frei­ gelegt. Durch das Vorkragen der jeweils folgenden Steinschicht entstand ein falsches Gewölbe. Die Kalksteinquader sind nahezu würfelförmig mit etwa 50-60 cm Kanten­ länge. Nur die Kragsteine haben anderthalbfache Tiefe, um durch eine gute Verzah­ nung mit dem Mauerwerk die notwendige Festigkeit zu erreichen. Die Wände der Brückenöffnung wurden so behauen, daß ein lanzettförmiger Bogen entstand.

Als König Sanherib von Assyrien im Jahre 705 v. Chr. die Regierung an­ trat, hatten die Assyrer in den vorausgehenden beiden Jahrhunderten bereits ganz Vorderasien erobert, und Sanherib mußte in vielen Feldzügen einige Mühe aufwenden, um das ganze Reich unter seiner Botmäßigkeit zu halten. Er gab die Residenz in Nimrud auf, erhob Ninive wieder zur Hauptstadt seines Reiches und baute es zur glanzvollen Weltstadt aus. Er ließ nicht nur einen Palast, prachtvolle Bauten und eine Stadtmauer errichten, sondern befahl auch den Bau eines umfangreichen Wasserversorgungssystems für die Stadt. Dazu gehörte neben zwei kleineren, in den Jahren 703 und 694 v. Chr. fertiggestellten Kanälen ein 55 km langer Verbindungskanal, der das Wasser aus dem benachbarten Einzugsgebiet des Atrusch-Gomel-Flusses in den durch das Stadtgebiet von Ninive fließenden Chosr leiten sollte.3 Mit dem Kanal mußte ein Tal mit einem kleinen Fluß überquert werden. Dies geschah mit einem dammartigen Aquädukt mit der erstaunlichen Breite von 22 m und fünf Brückenbogen. Bild und Zeichnung (Abb. 12,13 und 14) zeigen das sich 24

14: Rekonstruierter Aufriß des Aquädukts von Dscherwan, Vorderansicht (a) zweier Lanzettbogen in Kragsteintechnik, (b) Pfeilergrundriß. Große abgerundete Steinplat­ ten (b) bilden vorgelagerte Wellenbrecher. Obwohl es sich bei dem Kanal um ein gro­ ßes Bauwerk handelt, bleiben die Spannweiten mit knapp 3 m bei 5 m Gewölbehöhe relativ gering. (Die quer zur Öffnung verlaufende Mauer stammt aus späterer Zeit.)

15: Die Brücke bei Eleutherna auf Kreta wurde im 4. Jh. v. Chr. erbaut. Das Bauwerk ist 9 m lang, 5,4 m breit und 4,6 m hoch. Den Pfeiler­ abstand von 3,8 m über­ brückt ein falsches Ge­ wölbe in der Form eines exakten gleichschenkli­ gen Dreiecks. Die Stirn­ seiten der Kragsteine wurden präzise abge­ schrägt. Diese Brücke steht heute noch.

spitz nach oben verjüngende Gewölbe, das allerdings jeweils nur knapp drei Meter überbrückt. Den vier Flußpfeilern sind abgerundete Wellenbrecher vorgelagert. Der Aquädukt wurde 1933 freigelegt und dabei auch der mit Asphalt abgedichtete Kanal vermessen. Berechnungen ergaben, daß der Ka­ nal einen maximalen Durchfluß von 50m 3/s besessen haben muß. Auf Grund von Inschriften wurde der Aquädukt im Jahre der Zerstörung der Stadt 25

16: Eine der Wehrbrücken der Befestigungsanlagen von Selinunt, aus dem 3. Jh. v. Chr. Die Konstruktion zeigt einige Besonderheiten: Über drei Pfeilern erhebt sich die Kragwölbung, bei der die Stirnflächen der vorkragenden Blöcke nicht in voller Höhe als Schräge abgearbeitet sind, sondern lediglich auf den untersten drei Vierteln, so daß im obersten Viertel eines jeden vorkragenden Blockes wieder eine senkrechte Stirnfläche erscheint. Außerdem ist die Einwölbung nicht bis zum völligen Zusammentreffen beider Seiten durchgeführt, sondern wird von den Deckbalken geschlossen. Man nimmt an, daß es sich bei diesen Steinbauten lediglich um das tragende Gerüst für die aus Holz bestehen­ de Gang- oder Fahrbahn der Brücke handelte, die im Verteidigungsfall schnell abge­ baut werden konnte.

Babylon oder kurz danach erbaut; Sanheribs Truppen eroberten und zerstör­ ten Babylon 689 v. Chr. Ein Beispiel aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. ist die Brücke bei Eleutherna auf Kreta, die aus großen, exakt behauenen und in regelmäßigen Schichten verlegten Kalksteinquadern errichtet wurde und rund vier Meter überspannt (Abb. 15). ln der Zeichnung ist erkennbar, mit welcher Sorgfalt und Genau­ igkeit die waagerechten Lagerfugen und die senkrechten Stoßfugen gearbei­ tet wurden, um eine feste Verbindung der vorkragenden Blöcke mit dem übrigen Mauerwerk zu erreichen. Eine etwas andere Form zeigt die Wehrbrücke aus den Befestigungswer­ ken der Akropolis von Selinunt aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. (Abb. 16). Selinunt war damals eine griechische Kolonie und lag an der Südküste Sizi­ liens auf einem ins Meer vorspringenden Bergrücken. Die älteste Stadt wur­ de 409 v. Chr. von den Karthagern erobert und gründlich zerstört, danach aber wieder aufgebaut. Wehrbrücken verbanden die 35 m über dem Meer liegende Akropolis mit der landeinwärts gelegenen Stadt. Bei diesen Wehr26

17: Planaufnahme eines Teiles der erhaltenen Reste der Wehrbrücken vonSelinunt.

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brücken ist u. a. der am Bauwerk erkennbare Stand der Materialbearbeitung interessant. Die Bildbeispiele zeigen ein wesentliches Merkmal aller vorrömischen Brücken: Die lichte Weite steht in einem äußerst geringfügigen Verhältnis zur Länge und Masse der gesamten Anlage, so daß der eigentliche Baukör­ per über die Öffnung dominiert. Von der Baustatik her gesehen handelt es sich bei diesen Kragsteingewöl­ ben eigentlich um nichts Neues. Auch hier werden senkrecht wirkende Lasten senkrecht auf die Auflager abgeleitet (Abb. 17). Welche eindrucks­ vollen Bauwerke von erstaunlicher Kühnheit mit dieser Technik geschaffen werden konnten, zeigt das sog. Schatzhaus des Atreus in Mykene, das um 1325 v. Chr. als Kuppelgrab erbaut wurde. Seine Kuppel erreicht über einem Durchmesser von 14,5 m eine Höhe von 13,2 m. Die Wände des Kuppelbaus sind im Großsteinbau aus sorgfältig versetzten Quadern aufgebaut. Die 33 Ringschichten der Kuppel wurden nach dem Versetzen an Ort und Stelle bearbeitet und der Kurve der Kuppel angepaßt. Der Hauptzugang zur Kup­ pel und die Öffnung in den Nebenraum werden von schweren Steinbalken überdeckt, die ein im Querschnitt dreieckiges Kraggewölbe - auch Entla­ stungsdreieck genannt - entlastet. Mit diesem Kuppelgrab erreichte die Kragtechnik ihren Höhepunkt (Abb. 18 und 19).

18: Längsschnitt durch ein mykenisches Kuppelgrab, a Zugangsweg, b Mündung, c Kragkuppel, d Grabkammer.

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19: Dieses am besten erhaltene Kuppelgrab in Kragsteintechnik aus der Zeit um 1325 v. Chr. hat Heinrich Schliemann bei der Ausgrabung von Mykene, einer antiken Stadt auf dem Peloponnes, entdeckt und genannt, nach dem Namen des Vaters des Königs Agamemnon, des Führers der Griechen im Trojanischen Krieg. Die Höhe der Kuppel beträgt 13 m über einem Durchmesser von 14,5 m. Der Gang, der von rechts in das Kuppelgrab führt, ist 36 m lang. Die sich nach oben ein wenig verjüngende Türöffnung wird durch eine riesige, aus einem Stück bestehende Steinplatte von etwa 120 t Gewicht geschlossen. Das Mauerwerk darüber bildet eine dreieckige Öffnung, die den Druck auf die Ouerplatte verringern soll. Die hintere Türöffnung führt in die eigentliche Grabkammer. Hier in Mykene spielten sich die blutigen Dramen der Herrscherfamilie der Atriden ab, bekannt durch die Namen Atreus, Agamemnon, Klytemnästra, Orestes, Elektra. Etwa um 1150v. Chr. wurde Mykene zerstört.

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4. Vom falschen zum echten Gewölbe Der Brückenbau der Römer

Im Gegensatz zum falschen Gewölbe handelt es sich beim echten Gewölbe aus Keilsteinen um ein bogenförmiges Tragwerk aus radial geschichteten Steinen, deren Fugen alle auf einen Mittelpunkt bezogen sind (Abb. 20). Die einzelnen Steine müssen dabei keilförmig bearbeitet, gewissermaßen