Vom langen Jetzt: Eine medienphilosophische Zeitreise zur Long Now Foundation 9783839437285

How can the now be imagined if it refuses to be grasped? A fascinating journey through time to the 'Long Now Founda

169 31 4MB

German Pages 398 Year 2017

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Vom langen Jetzt: Eine medienphilosophische Zeitreise zur Long Now Foundation
 9783839437285

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. How Long Is Now?
2. Das lange Jetzt des langen Jetzt – Zur Entzeitlichung: Eine archäologische Genealogie der Long Now Foundation
3. Das Jetzt des langen Jetzt – Zur (Nicht-)Linearität: Die Long Now Foundation im Dazwischen
4. Das Lange des langen Jetzt oder: How Long Is Now, now?
Quellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis

Citation preview

Vera Fischer Vom langen Jetzt

Edition Kulturwissenschaft | Band 124

Vera Fischer, geb. 1983, promovierte am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) der Universität Gießen. Für ihre Studie »Vom langen Jetzt« forschte sie außerdem im Archiv der Stanford University und in San Francisco. An der Universität zu Köln absolvierte sie ihr Studium der Theater-, Filmund Fernsehwissenschaft. Die Medienkulturwissenschaftlerin ist in der Freien Kunstszene tätig. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Vera Fischer

Vom langen Jetzt Eine medienphilosophische Zeitreise zur Long Now Foundation

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3728-1 PDF-ISBN 978-3-8394-3728-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 9 1.

How Long Is Now? | 11

1.1 1.2

Eine Einleitung | 11 Symptom einer Paradoxie/‚Diagnose der Gegenwart‘: The Long Now Foundation | 29 1.2.1 People of the Long Now | 34 1.2.2 The Clock of the Long Now – Starting a Conversation | 40 1.2.3 longnow.org – A Place for Conversation | 51 1.2.4 Long Now Seminars and Special Events | 55 1.2.5 The Interval – Celebrating a Place for Conversation | 59 1.2.6 Long-term Conservation | 63 -08000 | 02000 | 12000: Skalierungskontingenz für ein langes Jetzt | 68

1.3

2.

Das lange Jetzt des langen Jetzt – Zur Entzeitlichung: Eine archäologische Genealogie der Long Now Foundation | 73

2.1

Vorspann: Genealogie, archäologische Methode und Archiv | 76 2.1.1 Zu Geschichtsschreibung, genealogischem Gegenstand und Zeitlichkeit | 87 2.1.2 Eine Lektüremöglichkeit aus perspektivischem Wissen | 94 2.1.3 Das Formationssystem für eine archäologische Genealogie | 99 2.1.4 Zeitliche Streuung und wirkliches Werden: Zu(m) Archiv(en) | 102 2.1.5 Mit und über Foucault hinaus: Zum diskursiv-technischen Apriori | 107 2.1.6 Systematisierung der archäologischen Genealogie für die Long Now Foundation | 111 Das Archiv zweiter Ordnung | 115 2.2.1 Am Anfang des Archivs: Global Business Network (GBN) | 119 2.2.2 Scenario Planning: Formierung von Storytelling und Mythos | 122 2.2.3 Network Conferences und Konversationen | 134 2.2.4 Learning Conferences: Formierung der Konversation | 137

2.2

Learning System und Learning Journeys | 142 GBN Computer Conferences oder: Gruppierung der New Communalists | 144 Whole Earth Catalog, die transformative Erfahrung und die Formierung von Netzwerkforen | 148 2.3.1 Cybernetic Art Worlds oder: „Feed Your Head“ | 161 2.3.2 San Francisco Art Worlds oder: „California Ueber Alles“ | 175 Zwischensequenz: Zwischenfazit im Archiv zweiter Ordnung | 193 Die Geschäftsidee für die Long Now Foundation – Zur Entstehung aus der Konversation | 200 2.5.1 Traditionsstiftung und Verewigungsstrategien – Vermarktung des long-term thinking | 202 2.5.2 Work in Progress und Diskursbegründung oder: Continuity Is All | 208 2.5.3 Spiel, Spaß, long-term thinking oder: Zum marktorientierten Spielcharakter | 213 2.5.4 Von Selbstinszenierung zu Schlüsselkategorien des long-term thinking | 219 Abspann: Am Ende des Archivs ein Ende des Schweigens | 223 2.6.1 Die Long Now Foundation als Ort der Befragung und Konversation | 225 2.6.2 Die Long Now Foundation als Living System für ein Denken der Paradoxie | 230 2.2.5 2.2.6

2.3

2.4 2.5

2.6

3.

Das Jetzt des langen Jetzt – Zur (Nicht-)Linearität: Die Long Now Foundation im Dazwischen | 237

3.1

Mediennutzung und Sinnstiftung | 242 3.1.1 Linearität und digitaler Code | 246 3.1.2 Von Utopie zur kreativen Verantwortungsförderung | 250 Dazwischen: longnow.org | 255 3.2.1 Perzeptionslogiken zwischen Kürze und Länge | 258 3.2.2 Möglichkeitsfeld des Unmöglichen – Das lange Jetzt zwischen Linearität und Nicht-Linearität | 268 3.2.3 Im Kampffeld einer Konkurrenz | 270 3.2.4 Spiel verschlossenen Offenhaltens | 278 Zwischenfazit im Dazwischen oder: Was nicht ist, ist (anders) möglich | 284

3.2

3.3

3.4

3.5

3.6

3.7

3.8

3.9

Von Oppositionen und Formgebung | 288 3.4.1 Skalierungskontingenz als Kontinuitätsmodell | 291 3.4.2 Zur Sinnstiftung der symbolischen Form | 293 3.4.3 Sinnzusammenhang und formgebende Funktionen | 295 3.4.4 Sinnstiftung für ein langes Jetzt | 297 Long-term Symbols: Die 10.000-Jahre-Uhr | 301 3.5.1 Das Monumentale als symbolische Form | 309 3.5.2 Long-term Journey oder: Die gestaltete Reise als Übergang | 312 Long-term Storytelling & Myth: Formgebung für ein narrative of hope | 314 3.6.1 Von Legitimation und Existenzbegründung zu ‚mythischer Tiefe‘ | 315 3.6.2 Zur Sinnstiftung der Erzählform | 319 3.6.3 Erzählform für ein langes Jetzt | 322 3.6.4 Mechanismus Mythosstiftung oder: Zu instrumentalisierter Selbstinszenierung | 324 Longer-term of Scenario Planning oder: Zum ‚infiniten Spiel‘ | 330 3.7.1 Experimentelles und gestaltetes Erzählen | 331 3.7.2 Zum Gedankenexperiment und Spiel der Vorstellung | 334 3.7.3 Spiel offengehaltener Zukunft oder: Ein Fazit zur Formgebung | 337 The Interval – Eine Momentaufnahme des langen Jetzt | 343 3.8.1 Umwelt für einen Place for Conversation | 343 3.8.2 Spiel mit und auf Zeit | 351 Inzwischen: Zur oppositionellen Fortschreibung des langen Jetzt | 355

4.

Das Lange des langen Jetzt oder: How Long Is Now, now? | 361

4.1

Von einer ‚Diagnose der Gegenwart‘ zum Befund des langen Jetzt | 363 (Zeit-)Reisebegleiter: Entzeitlichung und (Nicht-)Linearität als Handhabung einer Paradoxie | 366

4.2

Quellenverzeichnis | 369 Abbildungsverzeichnis | 393

Vorwort

Als ich bei wissenschaftlichen Recherchen auf die kalifornische Stiftung The Long Now Foundation aufmerksam wurde, stellte ich mir immer mehr die Frage, wie das Jetzt zu fassen sei und stieß auf dessen Paradoxie – eine Paradoxie, die mit dem langen Jetzt nochmals herausgefordert wird und sich zugleich in einen Zusammenhang mit der Kunst- und Medienkultur Kaliforniens bringen lässt. Sie ausgehend von der Stiftung in einem medienwissenschaftlichen Kontext zu verhandeln, ist zu einem größeren Projekt geworden: Diese Studie ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im August 2015 an der JustusLiebig-Universität Gießen im Fachbereich 05: Sprache, Literatur, Kultur eingereicht habe. Im Jetzt der beiden ersten Seiten möchte ich den Menschen danken, die mich während dieser Arbeit unterstützt haben: Mein ausdrücklicher Dank gilt meinen Betreuer/-innen, die meine Forschung begleitet und maßgeblich zum Gelingen dieser Studie beigetragen haben: Meinem Doktorvater Prof. Dr. Uwe Wirth danke ich für die fortwährende Unterstützung, umfassende theoretische Bereicherungen, Hilfestellungen und Ermutigungen in einem immer auch humorvollen Austausch, der mich durch die Promotionszeit geführt hat. Prof. Dr. Irmela Schneider, die dieses Projekt von den ersten Schritten an begleitet hat, danke ich für unseren Austausch in jeder Projektphase, ihre Unterstützung und konstruktive Reflexion, die mir stets zur Seite gestanden haben. Ohne ein Promotionsstipendium am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) an der Justus-Liebig-Universität Gießen hätte diese Arbeit nicht realisiert werden können. Dafür danke ich dem GCSC, sowie für die wertvollen Erfahrungen und die umfassenden Möglichkeiten zur wissenschaftlichen und außeruniversitären Weiterentwicklung. Fred Turner, Harry and Norman Chandler Professor und Chair of the Department of Communication an der Stanford University, gilt mein ausdrücklicher Dank für die Unterstützung und nachhaltige Wertschätzung, die ich in einem anhalten-

10 | V OM LANGEN J ETZT

den Austausch erfahren habe, und für die Zusammenarbeit neben meiner Dissertation. Wertschätzung gebührt Anselm Franke für die Kooperation, die gemeinsame Zeit und den gedanklichen Austausch. Für meine Forschung im Archiv der Stanford University und den Zugang zu umfassendem Material gilt mein Dank den Mitarbeiter/-innen der Special Collections & University Archives der Stanford University Libraries. Auch der gedankliche Austausch mit Erik Davis in San Francisco war von besonderem Wert. Unverzichtbar war die Unterstützung der Personen, die mir mit Zuspruch und Rückhalt zur Seite standen: Vesna Marinovic, Bärbel Fischer, Anja Kang, Josephine Karg, Stefan Udelhofen, Lena Serov, Matthias Wannhoff, Ava Ernst und Agnes Frey sowie Stephanie Lange & Co, Heike Kühn und Regina Louis. Für den fachlichen Austausch und hilfreiche Anregungen danke ich außerdem Florian Sprenger, Jens Kugele, Helge Baumann und meinen Kolleg/-innen. Meine Familie hat mir stets Rückhalt geboten und ich möchte meine Mutter Astrid Fischer besonders hervorheben, der ich unermüdlichen Beistand auf allen Wegen verdanke. Mein besonderer Dank gilt Carola Hilbrand, die mir über Ermutigungen, Zuspruch und besonnene Worte hinaus eine unerschütterliche Stütze und Hilfe während des gesamten Projekts war. Last, but not least danke ich der Long Now Foundation für die gewinnbringenden Einblicke, den nachhaltigen Kontakt und Zugang zur Stiftung sowie die Wertschätzung meiner Arbeit. Die Unterstützung einzelner Mitglieder war von besonderer Bedeutung: Stewart Brand, Alexander Rose, Laura Welcher, Andrew Warner, Kurt Bollacker, und dabei möchte ich meine kontinuierliche Ansprechpartnerin Danielle Engelman hervorheben, die mir zugleich eine wunderbare Zeit in San Francisco ermöglichte.

1. How Long Is Now? The inquiry of science is also a narrative process, the telling of a story, [...] a narrative that comes into existence as it is being written. JOAN BOLKER

1.1 E INE E INLEITUNG Nur ein Augenblick. Ein Moment. Eine Zeit, die in vollkommener Aktualität zugegen ist. So erscheint das Jetzt – rein als Gegenwart so nah erfahren, von Augenblick zu Augenblick präsent, und doch so fern, wenn es sich einer festgelegten, genauen Zeitspanne sogleich entzieht. Seine Zeit tickt und kaum wird ihm Länge zugeschrieben. Dass dies jedoch anders sein kann, davon handelt dieses Buch. Denn dem Jetzt und der Frage nach einer Auseinandersetzung mit Gegenwart auf den Grund zu gehen, zeichnet sich als ein virulentes Thema ab, das in verschiedenen kulturellen Diskursen vertreten ist. Dabei lassen sich vor allem zwei miteinander verknüpfte Tendenzen beobachten – der Ruf nach Verantwortungsförderung und danach, Konsequenzen gegenwärtigen Handelns für die Nachwelt zu thematisieren. Ein exemplarischer Überblick spricht politische, gesellschaftliche und künstlerische Verhandlungen des Jetzt an, die einführend auf Konzepte von Nachhaltigkeit verweisen. Sie lassen auf bereichsübergreifende Bestreben schließen, gegenwärtige Sichtweisen auf zukünftige Entwicklungstendenzen auszuweiten und insbesondere langfristige, nachhaltige Perspektiven in solchen Diskursen zu verankern.1 1

Diesbezüglich nimmt der englische Begriff long-term noch eine zentrale Rolle ein: Einem US-amerikanischen Forschungsgegenstand geschuldet, der das Jetzt spezifisch thematisiert und hier noch genau vorgestellt wird, muss diese Arbeit einige englische Begriffe heranziehen, deren deutsche Übersetzung allzu sperrig wäre. – Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass mit Nennung der männlichen Funtionsbezeichnung

12 | V OM LANGEN J ETZT

Eine Etablierung des Begriffs Nachhaltigkeit (engl. sustainability) setzt 1972 mit dem durch den Club of Rome veröffentlichten Bericht „Über die Grenzen des Wachstums“ (Limits to Growth) ein, der Folgen von Bevölkerungswachstum, Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung ermittelt.2 Im selben Jahr erfolgt die erste große UNO-Umweltkonferenz in Stockholm, die einer Umbenennung von ecodevelopment zu sustainable development folgt. Von hier aus wird Nachhaltigkeit zu einem weltweit verwendeten Begriff, der 1987 im BrundtlandBericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung definiert wird und den Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 vorbereitet.3 Die Frage nach dem Jetzt, das heißt nach einem Umgang mit problembehafteten Situationen, der verantwortungsvolle Strategien entwickeln soll, setzt sich auch während des Klimagipfels in New York im September 2014 fort, innerhalb dessen Abkommen für einen „Weltklimavertrag“4 dringlich werden. Solche Verhandlungen verweisen darauf, Wahrscheinlichkeiten abzuwägen und somit zu entwerfende Strategien stets auf das Mögliche hin durchzuspielen.5 Exemplarisch zählen dazu auch Themen um die Atommüll-Endlagerung und Langzeitarchivierung, die Konsequenzen gegenwärtigen Handelns strategisch für das zukünftige Leben betrachten. Nicht selten erscheint die Zukunft dabei als „gefährlich für jede Gegenwart [...] mit möglichen Entscheidungen und möglichen Geschehnissen“6. Ferner deutet die vielverhandelte Langzeitarchivierung auf eine Auseinandersetzung, die nicht nur langfristig ansetzt, sondern ebenso die Rolle von Kulturgütern miteinbezieht. Hier geht es um aufkommende Datenmengen und deren Auslesbarkeit; so äußern sich etwa dahingehend Fragen, wie Datenvolumen kultureller Güter – beispielsweise archivierter Sprachen oder

in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint ist. 2

Der Club of Rome wurde 1968 von Aurelio Peccei, FIAT-Manager, und dem OECDGeneraldirektor Alexander King in Rom gegründet. Er verfolgt das Ziel, sich für eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft der Menschheit einzusetzen, vgl. http://www. clubofrome.de/ vom 21.06.2011.

3

Vgl. U. Grober: „Modewort mit tiefen Wurzeln“, S. 167-175, hier S. 168-169. Die Kommission fand unter Vorsitz der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland statt.

4

Vgl. A. Bojanowski: „UNO-Klimatagung in New York: Heute die Welt retten“, Spiegel Online, http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/un-klima-konferenz-in-new-york-banki-moon-laedt-zu-uno-gipfel-a-993136.html vom 23.09.2014.

5

Vgl. ebd. sowie F. Sprenger: „Gefährdungen der Zukunft“, S. 79-91, hier S. 79.

6

Ebd.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 13

digitalisierter Bibliotheks- und Museumsgüter – langfristig speicherbar und vor allem lesbar sind, angesichts sich wandelnder technischer Formate, einer Lesbarkeit von Datenträgern und deren Lebensdauer.7 Außerdem zeigt der Bereich der Kunst immer wieder Projekte, um einen entgrenzten, und das bedeutet auch, einen verantwortungsfördernden Blick auf das Jetzt zu etablieren. Zu den prominentesten Vertretern eines bewussten Kunstund Musikverständnisses zählt John Cage, repräsentativ seine Komposition Organ2/ASLSP (As Slow As Possible). Cage stellte deren Partitur bereit, um ein Orgelstück so langsam wie möglich spielen zu können und „Bewusstsein zu schaffen für Musik, für Verhaltensweisen und für unser Vermögen zu denken“8. Das John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt setzt dieses Stück in Halberstadt um, mit einer Spielzeit von 639 Jahren, die im Jahr 2001 begann und die Orgelkomposition seitdem kontinuierlich spielt.9 Weiterhin widmete sich die transmediale, das Berliner Kunst- und KulturFestival zum kritischen Verständnis gegenwärtiger medientechnisch geprägter Kultur,10 im Jahr 2010 dem Thema „Futurity Now!“11 mit einem eigenen Zukunftsentwurf angesichts allgegenwärtiger digitaler Praktiken, die in unseren kulturellen Code eingeschrieben seien.12 Von besonderem Interesse ist, inwiefern gerade jene Frage nach dem Jetzt – das sich einem festgelegten Zeitmaß entzieht, zugleich aber einen Orientierungs-

7

Vgl. etwa G. Hohmann: „Digitale Ewigkeit und virtuelle Museen“, Telepolis (30.10.2003), http://www.heise.de/tp/artikel/15/15955/1.html vom 22.09.2014. Verwiesen sei ferner auf das Projekt zum sogenannten Gigayear Storage, der aus einer Kooperation von Forschern des Mesa+Institute for Nanotechnology, Enschede, des Freiburg Institute for Advanced Studies und der Forschungsgesellschaft KISTEurope, Saarbrücken entsteht. Hier wird ein Datenträger basierend auf Siliziumnitrid und Wolfram entwickelt, der von einer Million bis zu einer Billion Jahre bestehen soll und für den 2013 ein Zwischenbericht veröffentlicht wurde, vgl. J. de Vries/D. Schellenberg/L. Abelmann/A. Manz/M. Elwenspoek: „Towards Gigayear Storage“, http:// arxiv.org/abs/1310.2961 vom 07.04.2015.

8 9

John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt, http://www.aslsp.org/de/das-projekt.html vom 22.09.2014. Vgl. ebd., sowie aslsp.org: „Wie langsam ist so langsam wie möglich?“, http://www. aslsp.org/de/das-projekt.html vom 22.09.2014.

10 Vgl. transmediale, Art & Digital Culture, http://www.transmediale.de/de vom 22.09.2014. 11 Vgl. transmediale: „Futurity Now! – 2-7 Februar 2010“, http://www.transmediale. de/de/futurity-now-2-7-februar-2010 vom 22.09.2014. 12 Vgl. ebd. – Der Stellenwert kultureller Codes wird im Laufe der Analyse noch genauer aufgegriffen.

14 | V OM LANGEN J ETZT

rahmen menschlicher Zeiterfahrung darstellt und einer Verortung in der Zeit zwischen Vergangenheit und Zukunft dient – und somit Fragen nach seiner Länge im Bereich der Kunst aufgegriffen und verhandelt werden. So bietet die Berliner Künstlerin und Musikerin Danielle de Picciotto eine weitere künstlerische Auseinandersetzung, um sich einem Verständnis von Gegenwart zuzuwenden. Ebenso unter dem Titel How Long Is Now (D 2010) widmet sich ihre Dokumentation dem Roman Das Narrenschiff von Sebastian Brant. 1495 erschienen, bildet die Moralsatire bis heute eine Folie für die kritische Betrachtung menschlicher Laster und Eigenheiten und bietet de Picciotto die Grundlage, sich gemeinsam mit Künstlern der internationalen Musik- und Performanceszene und ihren individuellen Interpretationen mit dieser Gegenwärtigkeit auseinanderzusetzen. Fragen nach einem Umgang mit Zeit, speziell mit der Gegenwart, zeigen sich in zwei weiteren Berliner Kunstprojekten: Erstens präsentiert das KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst von Oktober 2016 bis Februar 2017 die Ausstellung How Long Is Now und nimmt folglich dieselbe Frage nach einer Länge des Jetzt zu einem Ausgangspunkt. Aus Perspektive der Zeitgenossenschaft rückt die Herausforderung in den Mittelpunkt, einer Zeitreflexion gerecht zu werden, dieser Zeit aber zugleich anzugehören, was in ausgewählten Werken auch hinsichtlich der Relevanz für die gegenwärtige künstlerische Produktion repräsentiert werden soll. Zweitens fokussieren die Berliner Festspiele Fragen nach einer Auseinandersetzung mit Zeit in einem spezifischen künstlerischen Rahmenprogramm: MaerzMusik, das Festival für Zeitfragen widmet sich der Debatte, in der das Jetzt explizit thematisiert wird. Zum Abschluss des Festivals wurde 2015 und 2016 unter dem Titel „The Long Now“ ein Programm von Konzerten, Performances, Klang-Installationen und Filmen angeboten. Die Länge des Jetzt erstreckte sich hier über zwei Tage, an denen sich die Besucher in den Hallen des Berliner Kraftwerks Zeit nehmen konnten, in dieses künstlerischmusikalische Konzept vom Jetzt einzutauchen.13

13 Vgl. zu diesen beiden Bereichen: KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, http:// www.kindl-berlin.de/maschinenhaus/ vom 05.11.2016; Berliner Festspiele: „MaerzMusik“, http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/maerzmusik/archiv_mm/ar chiv_mm15/mm15_programm/mm15_programm_gesamt/mm15_programmliste.php vom 07.04.2015; http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/maerzmusik/archiv_mm/ archiv_mm16/mm16_programm/mm16_programm_gesamt/mm16_programmliste.php vom 17.05.2016.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 15

Diese Themenbereiche dienen als ein exemplarischer Einstieg und heben die virulente Frage hervor, wie sich das Jetzt denken lässt – oder eben anders ausgedrückt: Abbildung 1.1: How Long Is Now? (1997) Globalodromia

Kunsthaus Tacheles Berlin 2009, Fotografie: Vera Fischer

Diese Frage steht nicht nur repräsentativ für fortwährende Auseinandersetzungen, die sich einer Verhandlung von Gegenwart widmen und die Aktualität des Themas verdeutlichen, sondern sie leitet weiter zu einer Problematisierung des Zeitbegriffs, der sich diese Forschung Vom langen Jetzt widmet: Ich verfolge die zentrale Fragestellung, wie sich das Jetzt denken lässt, um einen Beitrag zum Umgang mit Gegenwart zu leisten. Wie im Folgenden zunächst deutlich werden soll, kann vermutet werden, dass es kein Jetzt gibt. Das heißt, es gibt kein Jetzt, das in seiner Punktualität respektive Flüchtigkeit fassbar wäre, sondern nur kontingente Definitionen, die ihm Länge oder Dauer auferlegen. Das Jetzt wird nummerisch gefasst oder als Schwelle, gar Grenze, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Als „Differential von Vergangenheit und Zukunft“14 reiht es sich in zeitliche Organisationsprinzipien ein, um damit „Zeit im Vollumfang des [...] Nacheinanders von Vergangenheit und Zukunft soziale Realität werden“15 zu lassen. Dies zeigt sich dann auch in kontingenten Bestimmungen seiner Länge:

14 N. Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 818-819. 15 Ebd.

16 | V OM LANGEN J ETZT

So kann das Jetzt etwa einen Moment bezeichnen, es umfasst beispielsweise an „der Börse einen Tag, in der Mode eine Saison“16, drei bis vier Sekunden aus psychologischer Perspektive17 – oder drei Jahre, um eine Dissertation zu schreiben. In seiner Flüchtigkeit ist „[j]edes Jetzt [...] als Jetzt je immer schon ein Sofort-nicht-mehr, als Zeit im Sinne des Nicht-mehr-jetzt der Vergangenheit; jedes erste Jetzt ist je ein Soeben-noch-nicht, mithin Zeit im Sinne des Noch-nichtjetzt, der Zukunft“18. Als Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft ist das Jetzt entweder ausdehnungslos (in extremer Flüchtigkeit), oder es tritt als kontinuierlicher Anschluss aufeinanderfolgender Ereignisse hervor.19 Das Jetzt erscheint also in einer Paradoxie aus Kürze und Länge, denn gerade weil es sich jeder Greifbarkeit entzieht, werden ihm Längen und damit kontingente Definitionen auferlegt. Nirgendwo wird dies deutlicher als in der kalifornischen Stiftung The Long Now Foundation, die diese Paradoxie bereits im Namen trägt. So lautet die zentrale These dieser Arbeit, dass die Long Now Foundation symptomatisch für jene Längenauferlegung und die Problematisierung des Zeitbegriffs ist, die einer Definition des Jetzt zukommt. Die Stiftung repräsentiert nicht nur eine Paradoxie der Zeitlichkeit, die sie mit dem langen Jetzt zusätzlich herausfordert. Sie steht auch – mit der virulenten Frage, wie sich das Jetzt denken lässt – symptomatisch für aktuelle Verhandlungen über einen Umgang mit Gegenwart. Ein ausgedehntes Jetzt soll sich der Stiftung zufolge ebenso auf verantwortungsfördernde Strategien beziehen. Dies äußert sich pointiert in ihrem Ziel, „to become the seed of a very long-term cultural institution. The Long Now Foundation hopes to provide a counterpoint to today’s accelerating culture and help make long-term thinking more common. We hope to creatively foster responsibility in the framework of the next 10,000 years.“20

16 E. Dyson zit. n. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 35. 17 Vgl. E. Pöppel: Grenzen des Bewusstseins, S. 59: Drei bis vier Sekunden beziehen sich auf den sogenannten „Integrationsmechanismus“, der dem Bewusstsein Wahrgenommenes als abrufbar bereitstellt. 18 M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 424 [Herv. i.O.]. 19 So spricht Husserl vom „Jetztpunkt“ und einem „Kontinuum von Phasen“, siehe E. Husserl: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins, S. 433. Der Grenzbegriff erscheint mit dem „Jetztpunkt[es] als Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft“, ebd. S. 379-380. 20 The Long Now Foundation, longnow.org, [About], http://longnow.org/about/ vom 28.04.2015. – Zuvor wurde bereits Stewart Brand zitiert; er ist Mitbegründer und Prä-

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 17

10.000 Jahre dienen als ein Orientierungsrahmen für das lange Jetzt. Das long-term thinking soll das Mittel der Stiftung darstellen, ebenjenen verantwortungsvollen Umgang mit der Gegenwart zu fördern.21 Ein solcher Umgang soll ein langes Jetzt denkbar machen, das nicht auf die Kürze des Momentanen reduziert bleibt. Eine Längenauferlegung äußert sich hier also symptomatisch, da die Long Now Foundation ein Rahmenprogramm für ein Denken des ausgedehnten Jetzt anbietet.

sident der Long Now Foundation und nimmt im Laufe der Analyse noch eine zentrale Rolle ein. Außerdem zählte Alexander Rose, Direktor der Stiftung, zu den Beitragenden der transmediale 2010. – Die Analyse zieht ausführliches Material aus der Webseite longnow.org heran, die gesondert dargestellt wird. Die Quellen werden unter der Angabe longnow.org kenntlich gemacht und verstehen sich als Darstellungen durch das Kollektiv The Long Now Foundation. Sofern möglich, werden einzeln ersichtliche Autoren kenntlich gemacht. In [Klammern], hier [About], wird der jeweilige, in der Webseite auswählbare Menüpunkt (item) bzw. die subdomain, ausgehend von longnow.org, angegeben, aus dem die Quelle hervorgeht. In Folgenennungen wird sich auf longnow.org, [item] mit Aufrufdatum, oder Einzelautor (sofern bestimmbar) mit Kurztitel des Beitrags auf longnow.org beschränkt. Das ausführliche Literaturverzeichnis gibt das Datum des letzten Aufrufs und URL (Uniform Resource Locator) an. 21 Hier sei kurz auf Zygmunt Baumans „Adiaphorisierung des sozialen Handelns“ verwiesen, mit der sich in modernen Gesellschaften eine Tendenz anbringen lässt, Handeln und Verantwortung einer moralischen Bewertung zu entziehen, vgl. Z. Bauman: „Die soziale Manipulation der Moral“, S. 234-247, hier S. 234; S. 241 sowie H.-G. Soeffner: „Individuelle Macht und Ohnmacht in formalen Organisationen“, S. 125143, hier S. 141; R. Bavaj: „Neuere Tendenzen der Forschung“, S. 24-56, hier S. 54. Der Begriff ‚Adiaphoron‘ ist einem theologischen Kontext entlehnt und bezeichnet dort das von der Kirche für irrelevant Erklärte, vgl. Z. Bauman: „Die soziale Manipulation der Moral“, S. 241; H.-G. Soffner: „Individuelle Macht und Ohnmacht in formalen Organisationen“, S. 141; R. Bavaj: „Neuere Tendenzen der Forschung“, S. 54. Handeln entzieht sich mehr und mehr einer Bewertung als gut oder schlecht. Vielmehr treten in pluralistischen Gesellschaften sogenannte „adiaphorisierte Handlungshorizonte“ an die Stelle einer „verpflichtenden Kollektivmoral“. Die Konsequenz ist ein „unüberschaubares Repertoire miteinander konkurrierender religiöser, ideologischer, esoterischer Motivlagen und Rechtfertigungen“, sodass Handlungsbewertungen auf die „funktional-zielgerichteten“ Strategien und Taktiken von Organisationen und Institutionen umgeleitet werden, siehe H.-G. Soeffner: „Individuelle Macht und Ohnmacht in formalen Organisationen“, S. 142.

18 | V OM LANGEN J ETZT

Ist es auch Aufgabe der wissenschaftlichen Arbeit, ihre Ergebnisse in einem Narrativ zur Verfügung zu stellen, geht diese Studie dem der Long Now Foundation nach. Das heißt, dass sie ein mögliches Denken des Jetzt in herausgeforderter Paradoxie prüft und dabei einerseits eine Lektüremöglichkeit des Phänomens Long Now Foundation anbietet, andererseits diese Paradoxie für einen vertieften Umgang mit Gegenwart aufschlüsselt. Dass sie dabei stets mit einem charakteristischen Storytelling und einer Mythosstiftung durch die Long Now Foundation selbst umgehen muss, entwirft ebenso ein Rahmenprogramm für die Analyse Vom langen Jetzt: Das Hauptanliegen der Stiftung liege darin, einen Place for Conversation zu schaffen, „to help make long-term thinking more instinctive and common rather than difficult and rare“22. Es gehe ihr darum, das long-term thinking zu popularisieren und im öffentlichen Diskurs zu etablieren, wofür zwei Schlüsselkategorien dienen sollen: „discussions around long-term thinking [...] would lend itself to good storytelling and myth – two key requirements of anything lasting a long time.“23 Indem ich einem möglichen Denken des Jetzt nachgehe, da es einen Kern aktueller Zeitfragen und deren Verhandlung betrifft, prüfe ich der Paradoxie entsprechende Sinnstiftungsprozesse, die sich entlang dieser Schlüsselkategorien bewegen. Die Untersuchung verfolgt somit einen rezeptionsästhetischen Ansatz und geht zugleich einer kritischen Diskussion der Long Now Foundation nach. Neben Strategien, die die Stiftung als verantwortungsfördernd verkauft, sollen auch solche aufgedeckt werden, die die Long Now Foundation zum eigenen nachhaltigen Überdauern einsetzt. Dabei wird einer ihr inhärenten Selbstinszenierung nachgegangen. Denn hinter ihrem hoch angesetzten Ziel, Verantwortung zu fördern steht vor allen Dingen die eigene Geschichtsschreibung. Dabei zeigt sich ein zusätzlicher symptomatisher Status der Long Now Foundation: Als Phänomen mit Wurzeln in der US-amerikanischen Gegenkultur der 1960er und 70er Jahre, bildet sie zugleich ein Symptom für einen spezifischen kalifornischen Gründungsgeist. Er zeigt sich in der Transformation der einstigen HippieGegenkultur zur Computer- und Software-Branche des Silicon Valley. Die Long Now Foundation erscheint als Phänomen der Post-Hippie-Ära, deren Protagonisten zu Geschäftsleuten werden und die ihre Institution mit einem gewissen

22 Longnow.org, [Projects: The Interval]: „The Interval“, https://longnow.org/interval/ vom 02.10.2014. 23 Longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Background]: „The 10,000 Year Clock Background“, http://longnow.org/clock/background/ vom 25.09.2014 [Herv. V.F.].

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 19

Aberwitz in Szene setzen.24 Dass man sich dann auch auf einen Trip bzw. auf eine Zeitreise zur Long Now Foundation begeben kann und etwa halluzinogenen Drogen, dem Einsatz von Medientechnologien für eine Bewusstseinserweiterung oder dem Politpunk begegnet, ist ebenso diesem Entstehungskontext geschuldet, der in der Selbstbeschreibung der Long Now Foundation nicht auftaucht. Während sich zeitphilosophische Diskurse mit dem Grenzbegriff vom Jetzt und dessen Ausdehnung befassen, kann meine Frage nach einem möglichen Denken des Jetzt ein Zeitbewusstsein gerade in diesen Entstehungskontext einbetten und das lange Jetzt insbesondere rezeptionsästhetisch mit Blick auf Nutzungsperspektiven in der aktuellen Medienkultur weiterverfolgen.25 Ein Beitrag zum Umgang mit Gegenwart erfolgt so anhand des bisher im wissenschaftlichen Diskurs nicht hinreichend erschlossenen Phänomens Long Now Foundation, das aber Anstoß für vielfältige Diskussionen liefert. Ein Denken des Jetzt soll damit sowohl exemplarisch als auch medienphilosophisch vertieft werden. Mit Blick auf die proklamierten Schlüsselkategorien werden Storytelling und Mythos nicht nur in das Verhältnis zu einer charakteristischen Zeitlichkeit für ein langes Jetzt gesetzt, sondern im Hinblick auf die Realisierung eines Place for

24 Aus umfassenden Archivmaterial kann die Geschäftsidee der Long Now Foundation aufgedeckt werden, die jenen Aberwitz mit einer sogenannten institutional folly beschreibt. So kann eine Entwicklungstendenz ausgemacht werden, mit der sich eine charakteristische Ambivalenz des kalifornischen Gründungsgeistes aus der HippieBewegung und aufstrebender Computerindustrie in die Long Now Foundation einschreibt. Solche Ambivalenzen bestimmen ein Denken des Jetzt mit, indem sie sich mit der Paradoxie verbinden können. 25 Hier möchte ich hervorheben, wie zeitphilosophische Theorien für meine Forschung eingegrenzt werden müssen: Wie es hier einführend bereits vorgenommen wurde, dienen sie vor allem einem Einstieg in die Paradoxie des Jetzt, die ich durch eine kontingente Längenauferleung erweitere. Da meine Studie die Long Now Foundation in einem kultur- und medienwissenschaftlichen Rahmen fokussiert und ein kritisches Zeitbewusstsein sowohl genealogisch als auch medienphilosophisch und -ästhetisch verhandelt, werden (zeit-)philosophische Ansätze genau für diese Methode instrumentalisiert: Genealogisch kann etwa der Grenzbegriff und eine Ausdehnung in Anlehnung an Husserl eingebracht werden, ein Gegenwartsbegriff Paul Ricœurs die methodische Rahmung veranschaulichen und ein kritisches Zeitbewusstsein insbesondere durch eine webbasierte Analyse deutlich werden. Signifikante Verknüpfungen zu einer Ausdehnung des Jetzt und der Projektebene der Long Now Foundation kann ich rekurrierend auf Ernst Cassirer herausstellen – die medienphilosophische Perspektive wird durch eine kulturphilosophische angereichert.

20 | V OM LANGEN J ETZT

Conversation betrachtet. Das bedeutet, dass sich in diesen Konversationsort, der aus vorliegender Perspektive im Webaufritt longnow.org und in einem öffentlichen Besuchsort in Kalifornien zu finden ist, Sinn einschreibt, dessen Vermittlung ich überprüfe. Entlang ihrer Schlüsselkategorien, darauf sei an dieser Stelle bereits verwiesen, weist die Long Now Foundation widersprüchliche Tendenzen auf. Sie können in der Analyse allerdings in Relation dazu gebracht werden, paradoxale Sachverhalte für das Denken fruchtbar zu machen. Denn ausgehend sowohl von einer Zeitparadoxie als auch von einem Phänomen, das diese zusätzlich herausfordert, kann es nicht darum gehen, diese Paradoxie und mit ihr einhergehende komplexe wie auch opponierende Prozesse und Logiken aufzulösen. Vielmehr soll gezeigt werden, inwiefern sich diese einerseits im beobachteten Phänomen aufzeigen lassen und diese Studie dabei andererseits ein Denken des Jetzt stimulieren und somit vertieft einem Umgang mit Gegenwart nachgehen kann. Es ist nicht nur das Ziel dieser Arbeit, zu einem solchen Umgang beizutragen und dabei ein Denken des Jetzt zu diskutieren, sondern eine Forschungsgrundlage zum Phänomen Long Now Foundation in seiner gesellschaftlich-kulturellen Relevanz zu leisten, die sowohl unseren Umgang mit Zeit als auch medienkulturelle Implikationen betrifft.26 Insbesondere im Umgang mit Zeit, wie sie hier auf das Jetzt eingegrenzt werden muss, bildet das Erzählen – und damit der Place for Conversation durch die Long Now Foundation mit Storytelling und Mythos – einen geeigneten Ein-

26 Im deutschsprachigen Raum wird die Long Now Foundation insbesondere im wissenschaftsjournalistischen Bereich rezipiert, vgl. exemplarisch J. Koch: „Vision vom langen Jetzt“, Der Spiegel vom 08.02.1999, S. 184; C. Habbe: „Wohin mit dem Weltgeist?“, Der Spiegel vom 13.11.2000, S. 176; R. Hayer: „Eines fernen Morgens“, Die Welt vom 27.08.2003, S. 10; P. Zekert: „Worte für die Ewigkeit“, Berliner Zeitung vom 13.02.2009; ferner in Fachzeitschriften, vgl. etwa R. Buchholz: „The Long Now Foundation. Wiederentdeckung der Langsamkeit“, Maßstäbe. Magazin der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt: Zeitgeschichten 6 (2005), S. 48-50 oder Greenpeace Magazin: „Slow, Slow, Slow“ 1 (2011), S. 7. Darüber hinaus wird die Stiftung im künstlerischen Bereich verhandelt, vgl. etwa K. Wächter: „Various Artists – The Long Now Foundation“, The Junction. For Contemporary Culture (02.09.2008), http://www. thejunction.de/dekompostierer/2008/09/02/va-artists-the-long-now-foundation-00755 vom 07.07.2011 sowie WAS WIRD BLEIBEN?, D 2009, R: Knut Karger. Zum Stand der Forschung beschränken sich wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Long Now Foundation vor allem auf Artikel, vgl. etwa F. Sprenger: „The Clock of the Long Now“, S. 104-116.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 21

stieg, um ein langes Jetzt für den vorliegenden Zusammenhang produktiv zu machen: Narrationen dienen funktional immer auch der Darstellung von Wirklichkeit, und das bedeutet, der „menschlichen Erfahrungsbildung“27. Dies bezieht ein „Bedürfnis nach [...] Sinnstiftung“28 und einen „Modus der Selbst- und Welterkenntnis“29 ein, sodass ein Erschließen von Welt ebenso relevant wird. Zu diesem zählen Zeiterfahrung und Zeitwahrnehmung, wobei die „Spekulation über die Zeit eine nichtabschließende Grübelei ist, auf die nur das Erzählen eine Antwort hat“30. Die Eingangsvermutung, dass es kein Jetzt gibt, kann mit Ansätzen Paul Ricœurs und einem sogenannten „ontologischen Paradox“31 sowie mit einer „dreifachen Gegenwart“32 genauer gefasst werden. Mit dem ‚ontologischen Paradox‘ wird deutlich, dass „die Zeit kein Sein [hat], da die Zukunft noch nicht, die Vergangenheit nicht mehr ist und die Gegenwart keine Dauer hat“33. Eine Auflösung der Paradoxie liegt jedoch in einer zeitlichen Ausdehnung: Das Jetzt

27 Für einen ersten Überblick siehe B. Neumann: „Narrativistische Ansätze“, S. 160163, hier 160. – Narrativistische Ansätze, die ein eigenes Forschungsfeld ausmachen, werden mit Blick auf Storytelling und Mythos, ausgehend von der Long Now Foundation und damit relevant für den zentralen Beobachtungsgegenstand eingegrenzt. 28 A. Nünning/V. Nünning: „Produktive Grenzüberschreitungen: Transgenerische, intermediale und interdisziplinäre Ansätze in der Erzähltheorie“, S. 1-22, hier S. 1. 29 Ebd., S. 2. 30 P. Ricœur: Zeit und Erzählung I, S. 17. 31 Ebd., S. 19. – In dem dreibändigen Werk Zeit und Erzählung entwickelt Ricœur in Anlehnung an Aristoteles und Austinus’ 11. Buch der Bekenntnisse ein umfassendes und komplexes Gefüge zur Unterscheidung von historischer und fiktionaler Erzählung. Für den Rahmen meiner Untersuchung kann diesem Gefüge nicht in seinem Vollumfang nachgegangen werden. Doch bietet die Paradoxie vom „Sein und Nichtsein der Zeit“ (ebd.), wie es Ricœur mit Augustinus belegt, und eine zusätzliche Auflösung derselben durch eine „dreifache Gegenwart“ (ebd., S. 28), genau den Einstieg, der hier für die Paradoxie des Jetzt geeignet ist. Zusätzlich tritt so die zentrale Rolle des Erzählens hervor, wie sie sich im Storytelling der Long Now Foundation widerspiegelt. Anders nämlich, als die komplexe Unterscheidung von historischer und fiktionaler Erzählung zusätzlich vorzunehmen, kann mit dem Erzählen als relevant für menschliche Erfahrungsbildung zum Forschungsfeld der Narratologie übergelietet werden. Es wird unter webbasierten Gesichtspunkten für den Forschungsgegenstand und dessen kritische Diskussion fruchtbar. 32 Ebd. 33 Ebd., S. 18. Hier spiegelt sich ebenso das Punktuelle sowie die Gegenwart als ausdehnungslos wider (vgl. ebd., S. 21, 27, 32).

22 | V OM LANGEN J ETZT

wird lang, da Erinnerung und Erwartung Modalitäten der Gegenwart sind.34 Ricœur macht dies ferner mit einer ‚dreifachen Gegenwart‘ in Anlehnung an Augustinus deutlich. Sie liegt in der „Gegenwart des Vergangenen“ (Erinnerung), der „Gegenwart des Gegenwärtigen“ (Aufmerksamkeit und Anschauung) und in der „Gegenwart des Zukünftigen“35 (Erwartung). Mit der Ausdehnung spiegelt sich der symptomatische Status der Long Now foundation für eine Problematisierung des Zeitbegriffs wider, die in eine Geschäftsidee zur Förderung des long-term thinking transformiert wird und die kontingente Längenauferlegung für eine Bestimmung des Jetzt repräsentiert. Diese zeigt sich wiederum im Rahmen von 10.000 Jahren und weist damit auf jenen Aberwitz (die institutional folly), mit der sich die Stiftung inszeniert. Was sich mit Ricœur als Paradoxie vom ‚Sein und Nichtsein der Zeit‘ bzw. des Jetzt fassen lässt, zeigt sich für die Untersuchung als Paradoxie des Jetzt zwischen Kürze und Länge. Es ist ausdehnungslos in extremer Flüchtigkeit und entzieht sich jeder Greifbarkeit (Nichtsein), und doch wird es greifbar durch eine kontingente Längenauferlegung (Sein). Daran schließt der zentrale Status des Erzählens an, denn „wir erzählen Dinge [...], und erzählen heißt ‚deutlich erkennen‘“36, wobei sich jene kontingente Längenauferlegung (denn sie geht vom Erzähler aus) für das Jetzt äußert.37 Das bedeutet nochmals pointierter, dass „Zeit [...] zur menschlichen [wird], wie sie narrativ artikuliert wird“38. Für die Analyse Vom langen Jetzt bedeutet dies, dass der Place for Conversation, den die Long Now Foundation darstellen will, in das Verhältnis zu den Schlüsselkategorien von Storytelling und Mythos gesetzt wird, dabei aber mit archäologischen, medien- sowie kulturphilosophischen Herangehensweisen über narrativistische Ansätze hinausgegangen wird. Das umfassende Forschungsfeld der Narratologie39 wird somit relevant für das beobachtete Phänomen und ein

34 Vgl. ebd., S. 19: Ricœur greift für die Ausdehnung den Begriff der „distentio“ auf. 35 Ebd., S. 25. 36 Ebd., S. 22 [Herv. i.O.]. – Erinnerung und Erwartung verknüpfen sich mit Husserls Ansatz zur Ausdehnung des Jetzt in einem bestimmten Horizont, was auf die sogenannte Retention und Protention abzielt und noch genauer aufgegriffen wird. 37 In Anlehnung an Ausgustinus „skeptischen Argumentationsgang“ (ebd., S. 21), der sich erst noch gegen eine solche Längenauferlegung stellt, setzt Ricœur die Argumentation jedoch dieser zugunsten anhand der ‚dreifachen Gegenwart‘ (ebd., S. 20-24) fort. 38 Ebd., S. 13. 39 Vgl. exemplarisch D. Herman/M. Jahn/M.-L. Ryan (Hg.): Routledge Encyclopedia of Narrative Theory sowie die Studien insbesondere Ansgar und Vera Nünnings, z. B. A.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 23

mögliches Denken des Jetzt eingegrenzt. Indem diese Arbeit aus einer archäologisch verfahrenden Genealogie zusätzlich erst die Möglichkeitsbedingungen für diesen Place for Conversation aufdeckt und ferner seiner webbasierten wie auch räumlich erfahrbaren Realisierung in Kalifornien nachgeht, sollen sowohl mediale Verstärkerfunktionen als auch widersprüchliche Tendenzen innerhalb der Long Now Foundation aufgedeckt werden. Denn gezeigt werden soll, inwiefern sich diese kongruent zur Paradoxie verhalten und inwiefern ein Denken des Jetzt dabei katalysiert und eine Paradoxie handhabbar werden kann. Der Forschungsbeitrag zur Long Now Foundation erweist sich damit als eine medienphilosophische Zeitreise, die einem genealogischen und rezeptionsästhetischen Ansatz folgt und durch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Stiftung navigiert. Eine ‚dreifache Gegenwart‘ kann dabei für die Methode instrumentalisiert werden: Die Gegenwart des Vergangenen ist in einer erweiterten Herkunfts- und Entstehungsgeschichte der Long Now Foundation zu finden; die Gegenwart des Gegenwärtigen liegt in der aktuellen, webbasierten Erscheinungsform in longnow.org. Hier zeigt sich etwa die Anschauung, d.h. wie kann ich der Long Now Foundation webbasiert begegnen und welche Konsequenzen hat dies für eine zeitliche Erfahrungsbildung, die ebenso eine Aufmerksamkeitsgenerierung betrifft?40 Die Gegenwart des Zukünftigen liegt insbesondere in der Mythosstiftung der Long Now Foundation, die eine charakteristische, sich ins Zukünftige aussprechende Erzählform darstellt. Während das Erzählen, gerade wenn es webbasiert oder als Mythos betrachtet wird, ein Denken des Jetzt rezeptionsästhetisch behandelt, kann eine zeitphilosophische Komponente hinzugefügt werden, die gerade den symtomatischen Status der Long Now Foundation als Phänomen der Post-Hippie-Ära betrachtet. Geht es nämlich um eine Ausdehnung des Jetzt, so kann diese über erzähltheoretische Ansätze hinaus, mit einem Begriff der Grenzerweiterung erschlossen werden. „Retentionen [...] und Protentionen“ 41 nach Edmund Husserl lassen dabei auf eine Grenzerweiterung schließen, die dem Jetzt einen retentionalen (Vergangenes und Erinnerung) und

Nünning/V. Nünning: „Ways of Worldmaking as a Model for the Study of Culture“, S. 1-25; eine ausführliche Studie findet sich außerdem bei B. Neumann/A. Nünning: An Introduction to the Study of Narrative Fiction. 40 Longnow.org kann insofern auch Teil einer „aktuellen Medien-Bühne“ als Darstellung des Jetzt sein, zur „aktuellen Medien-Bühne“ siehe G. Großklaus: „Zeitbewusstsein und Medien“, S. 23-38, hier 34-35. 41 E. Husserl: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins, S. 437.

24 | V OM LANGEN J ETZT

protentionalen (Zukunft und Erwartung) Horizont zuschreibt. 42 Genau diese Umdeutung der Ausdehnungslosigkeit des Jetzt kann mit dem kalifornischen Gründungsgeist verknüpft werden, dem eine grundlengende Vorstellung von der Erweiterung der finalen Grenze Kaliforniens gen Westen innewohnt. Sie erscheint insbesondere mit Aufkommen des World Wide Web als Grenzerweiterung in den Cyberspace und lässt zusätzlich auf jene medienkulturellen Implikationen durch die Long Now Foundation in der Genealogie schließen, die auch Ambivalenzen aus ebenjenem Gründungsgeist der Post-Hippie-Ära verdeutlichen. Menschliche Erfahrungsbildung und damit Zeiterfahrung und Zeitwahrnehmung werden somit in einer Doppelbewegung eruiert: Sinn für ein Denken des Jetzt, jenes ‚Bedürfnis nach Sinnstiftung‘ also, wird zum einen dahingehend erschlossen, inwiefern sich die Paradoxie im beobachteten Phänomen Long Now Foundation selbst einschreibt; zum anderen, inwiefern bei einer Auseinandersetzung mit der Stiftung der Paradoxie entsprechende sinnstiftende Prozesse und Logiken auszumachen sind. So wird das Storytelling etwa webbasiert in longnow.org analysiert, wobei widersprüchliche Tendenzen für ein ausgedehntes Jetzt auftauchen können, die zugleich aber mit einer Längenauferlegung korrespondieren. Ferner erfasst diese Arbeit den Mythos als Form der Rede und mit ihm eine charakteristische Erzählform, mit der sukzessive über den webbasierten Place for Conversation hinausgegangen werden kann. So lässt sich folgendes Vorgehen für die Analyse Vom langen Jetzt anbringen, die als medienphilosophische Zeitreise zur Long Now Foundation mit einer detaillierten Vorstellung des Phänomens einsetzt und der zwei Strategien zur Seite gestellt werden – die Entzeitlichung und eine Beobachtung der (Nicht-)Linearität: Einführend konnte bereits der Befund einer Zeitparadoxie eingebracht werden, der das Jetzt zwischen Kürze und Länge verortet. Da ein mögliches Denken des Jetzt ausgehend vom beobachteten Phänomen Long Now Foundation diskutiert wird, wird dieses Phänomen zunächst in einer so bezeichneten ‚Diagnose der Gegenwart‘ vorgestellt, die sich als genaue Darstellung der Long Now Foundation versteht (Kap. 1.2). Hier geht es um zentrale Fragen, etwa worin ihre Arbeitsschwerpunkte liegen, wie sie sich zusammensetzt und wie ein langes Jetzt von 10.000 Jahren zustande kommt. Zusätzlich bereitet die ‚Diagnose‘ auf die beiden Teilbereiche der Analyse vor: Sie erstellt eine Rekonstruktionsgrundlage für eine Herkunfts- und Entstehungsgeschichte der Long Now

42 Die Retention betrifft ein Bewusstsein von Vergangenem (vgl. ebd., S. 387) und eine „primäre Erinnerung“ (ebd., S. 391), während die Protention die „primäre Erwartung“ (ebd., S. 399) meint und ein Bewusstsein von „kommenden Phasen“ (ebd., S. 437).

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 25

Foundation, woran die Diskussion ihrer aktuellen Erscheinungsform und von Sinnstiftungsprozessen anschließt. Dabei treten genau die Long-Now-Projekte in den Vordergrund, die einen Place for Conversation bestimmen und für die Analyse von besonderem Interesse sind: People of the Long Now führen in den Personenkreis ein, der die Stiftung ausmacht und so gesehen eine ‚Gesprächsführung‘ übernimmt. Die sogenannte 10,000 Year Clock kennzeichnet das zentralste Projekt der Stiftung, denn nicht nur steht dieses repräsentativ für das lange Jetzt der Long Now Foundation. Zugleich verdeutliche ich es als Initialzündung der Stiftungsgründung und als das Projekt, mit dem das Gespräch beginnt. An eine erste Darstellung von longnow.org schließen Projekte an, die die Konversation mitbestimmen und über eine webbasierte Verortung hinaus bildet The Interval den öffentlichen Besuchs- und Veranstaltungsort für Konversationen über das long-term thinking in Kalifornien. Dass die Long Now Foundation symptomatisch für die beschriebene Längenauferlegung ist und an ihr aktuelle Verhandlungen zum Umgang mit Gegenwart ablesbar werden, zeigt sich auch darin, dass sich die eingangs angeführten Themenkomplexe in den Long-Now-Projekten widerspiegeln. Dabei kann eine zweite Richtung der Stiftung ausgemacht werden, die die Conversation zu Conservation verschiebt. Solche Projekte, die insbesondere auf die Langzeitarchivierung und auch Genforschung zielen, müssten in einer gesonderten Arbeit betrachtet werden und dienen im Rahmen dieser Forschung einem Überblick über das Arbeitsfeld der Stiftung. Eine sogenannte Skalierung des langen Jetzt schließt an die ‚Diagnose der Gegenwart‘ an, mit der ich eine symptomatische Längenauferlegung anhand einer Skalierungskontingenz spezifizieren kann (Kap. 1.3). Mit beiden analytischen Teilbereichen (Kap. 2 und 3) kann die Ausgangsthese dieser Arbeit ausdifferenziert werden. Eine erste erweiterte These lautet, dass das lange Jetzt nicht lang genug ist; eine zweite, dass es sich bei der Long Now Foundation um ein Phänomen handelt, das nur in Oppositionen aufgehen kann. Das lange Jetzt ist nicht lang genug bezieht sich auf den Entstehungskontext, der aus der Selbstbeschreibung der Long Now Foundation (ihrem Storytelling) hervorgeht. Mit diesem begrenzt die Stiftung ihre Entstehung auf einen Gründungszeitraum um das Jahr 2000, gerade dann, wenn sie ein ausgedehntes, langes Jetzt verfolgt. Mit der Herkunfts- und Entstehungsgeschichte, als archäologische Genealogie der Long Now Foundation, wird jedoch eine Strategie der Entzeitlichung entwickelt, die weiter in die Vergangenheit zurückreicht, diese für die Gegenwart lesbar macht und somit näher an ein Denken des langen Jetzt heranzuführen sucht (Kap. 2): Hier wird methodisch ein Archiv entworfen, das – anders als institutionelle Archive, etwa in Bibliotheken – ein Analysewerkzeug

26 | V OM LANGEN J ETZT

darstellt, mit dem historische Ereignisse und Dinge für die Entstehungsgeschichte angeordnet werden.43 Da eine solche Entstehungsgeschichte eine Verständnismöglichkeit dafür anbieten möchte, wie das beobachtete Phänomen gegenwärtig erscheint, wofür es aber Entwicklungslinien aus der Vergangenheit gibt, die ggf. transformiert in der Gegenwart auftreten, erscheint diese Form von Archiv als radikal präsent: Vergangenes wird insofern entzeitlicht, dass es als gegenwärtig erscheinen kann; inwiefern also schreiben sich vergangene Ereignisse gegenwärtig im beobachteten Phänomen fort? Weiterführend bedeutet dies, dass Ereignisse und Dinge aus der Vergangenheit der Stiftung, die in ihrer Selbstbeschreibung nicht oder nur versteckt erscheinen, als relevant für die Gegenwart angeordnet werden und sich in dieser fortsetzen. Entzeitlichung meint also eine tatsächliche Ausdehnung von Gegenwart, die sich zugleich spezifisch mit Storytelling und Mythos und der kontingenten Längenauferlegung im Denken des Jetzt verbindet: Erstens unterliegt jede Erzählung einem konstruktiven Charakter – dennoch formgebend für menschliche Erfahrungsbildung44 –, der sich auch in der Anordnung des Archivs zeigt. Denn ein Archiv, wie es hier als Methode herangezogen wird und vergangene Elemente in einer Entstehungsgeschichte anordnet, muss diese notwendigerweise aus einer auf das beobachtete Phänomen hin selektierten Perspektive konstruieren, um die Long Now Foundation gegenwärtig lesbar machen zu können. Entsprechend der Paradoxie, beinhaltet eine Entzeitlichung zugleich notwendige Eingrenzungen. Sie kann aber eine Entstehungsgeschichte entwerfen, die mit einem sogenannten Prinzip zeitlicher Streuung eine erweiterte Vergangenheit für die Gegenwart veranschaulicht. Die Anordnung reicht dann von den 1980er Jahren, dortiger Unternehmenswelt und Möglichkeitsbedingungen für Storytelling, Mythos und einen spezifischen Konversationsmodus, bis hin zur gegenkulturellen Bewegung der 1960er und 70er Jahre. Mit Blick auf eine charakteristische Medienkultur, ferner die 1990er Jahre und zugleich aktuelle einflussreiche Parallelentwicklungen zur Long Now Foundation kann die Stiftung als Ort der Konversation und spezifisch ausgeprägte Institution erfasst werden. Zweitens wird damit eine Lektüremöglichkeit der Stiftung angeboten, die eine kritische Erweiterung ihrer Selbstbeschreibung darstellt und den durch die Stiftung gesetzten Entstehungskontext um das Jahr 2000 erweitert. Dabei wird der Frage nachgegangen, woher das spezifische Vorgehen kommt, das die Long

43 Diese Methode wird in Anlehnung an Michel Foucaults Archäologie des Wissens und seine Genealogie entwickelt, vgl. Kap. 2; 2.1. Dabei wird ferner verfolgt, inwiefern die Analyse ebenso über Foucault hinausgehen muss, vgl. insbesondere Kap. 2; 2.1.5. 44 Vgl. B. Neumann: „Narrativistische Ansätze“, S. 160-161.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 27

Now Foundation für ein langes Jetzt und die Etablierung eines long-term thinking einsetzt, was insbesondere hinsichtlich der Konversation fokussiert wird. Außerdem können bereits aus genealogischer Perspektive für die Stiftung charakteristische Brüche und Widersprüche nahegelegt werden, die zugleich mit einem paradoxal besetzten Denken des Jetzt korrelieren können. Im zweiten analytischen Teilbereich (Kap. 3) werden grundlegende Ergebnisse aus der genealogischen Perspektive anschlussfähig, die es ermöglichen, die aktuelle Erscheinungsform der Stiftung und ihren webbasierten Place for Conversation wie auch jenen in Kalifornien zu diskutieren. Daran schließt die zweite erweiterte These an, dass es sich bei der Long Now Foundation um ein Phänomen handelt, das nur in Oppositionen aufgehen kann. Einsetzend mit einer Beobachtung der (Nicht-)Linearität gehe ich der Wechselwirkung von medialen Operationslogiken, Wahrnehmungsprinzipien und Sinnstiftungsprozessen nach, die sich für ein Denken des Jetzt ergeben. Gemäß einander entgegengesetzten Logiken geht die Studie von einer oppositionellen Sinnstiftung als konstitutiv für die Paradoxie aus. Die Long Now Foundation und ein Denken des Jetzt treten zwischen opponierenden Bestimmungsprozessen und Wahrnehmungslogiken auf, anhand derer die Untersuchung einen Umgang mit Gegenwart vertiefen kann. Menschliche Erfahrungsbildung und damit Zeiterfahrung und -wahrnehmung aufgreifend, gehe ich der Sinnstiftung erstens aus einer Mediennutzungsperspektive nach, wobei eine medienphilosophische Orientierung erfolgt.45 Dies erstellt eine Grundlage dafür, eine Erschließung von Welt auf Zeiterfahrung und Sinnstiftungsprozesse für eine bestimmte Form der Handhabe zuzuspitzen. Zweitens rücken mit longnow.org der webbasierte Place for Conversation und dessen mediale Operativität in den Mittelpunkt. Sie meint sich aus der Funktionslogik und dem Aufbau der Webseite ergebende Wahrnehmungsprinzipien, die sich auf ein ausgedehntes, langes Jetzt auswirken. Denn medial induzierte, und das bedeutet hier webbasierte Erschließungsprozesse bestimmen das Denken mit. Dabei müssen bestimmte Ziele der Stiftung zunehmend hinterfragt werden, wobei ich Wahrnehmungslogiken allerdings kongruent zu einer Längenauferlegung aufschlüsseln kann. Zusätzlich wird das webbasierte Storytelling fokussiert und kritisch diskutiert – entgegengesetzte lineare und nicht-lineare Strukturlogiken können von einer Konkurrenzsituation zu deren Koexistenz rela-

45 Hier werden Ansätze Vilém Flussers relevant, die mit solchen Sybille Krämers ergänzt und pointiert werden, vgl. ausführlich Kap. 3; 3.1. Es kommt dabei überraschenderweise zu einer spezifischen Verbindungen zwischen der Theorie Flussers und der Ideologie der Long Now Foundation, vgl. dazu Kap. 3.1.3.

28 | V OM LANGEN J ETZT

tiviert werden,46 was mit den Intentionen wie auch dem institutionellen Aufbau der Long Now Foundation verknüpft werden kann. Drittens können mediale Verstärkerfunktionen und die kritische Diskussion der Long Now Foundation in einem Zwischenfazit festgehalten werden. Das heißt, dass in Korrelation zu medialen Logiken Verstärkungen ausgemacht werden, sodass ein Denken des Jetzt und das seiner Ausdehnung untermauert werden kann. So kann ein kritisches Zeitbewusstsein auftreten und an ein spezifisches Kontingenzbewusstsein herangeführt werden. Viertens schließen an solche medialen Verstärkerfunktionen formgebende Vermittlungsfunktionen an, die sich aus und trotz Oppositionen ergeben können und nicht nur dazu dienen, in die Praktiken der Long Now Foundation eingeschriebenen Sinn zu prüfen, sondern auch eine Handhabung der Paradoxie weiterzuverfolgen, die sich zunehmend an kontinuitätsstiftende Prozesse bindet. Eine von der Long Now Foundation intendierte Ausdehnung des Jetzt in Richtung Vergangenheit und Zukunft kann hinsichtlich einer ihrerseits paradoxerweise forcierten Zukunftsorientierung dargestellt werden. Sie wird auschlaggebend für ein langes Jetzt, das herausgeforderte Denken der Paradoxie und sich dafür ergebende Vermittlungen. Dabei verfolgt die Analyse das Ziel, die Paradoxie und eine sich mit ihr ergebende Komplexität entlang verschiedener Vermittlungsstufen zu handhaben, die zunächst zu einer symbolischen Vermittlung ausdifferenziert werden47 und anschließend das Zentralprojekt zur 10,000 Year Clock in den Fokus rücken lassen. Solche Vermittlungsstufen werden durch die Erzählform des Mythos erweitert und somit die Schlüsselkategorien der Long Now Foundation vervollständigt dargestellt. Eine Handhabung der Paradoxie wird auch hier in das Verhältnis zur Erzählung der Long Now Foundation gesetzt, wobei eine kritische Diskussion derselben weiter mitschwingt, die etwa eine Mythosstiftung betrachtet, Prozesse der Selbstinszenierung und eine charakteristische Vorstellung vom Spiel aufgreift, die ebenso bereits aus genealogischer Perspektive auftreten können. Formgebende Vermittlungsfunktionen können dabei insgesamt in das Verhältnis zu einer charakteristischen Zeitperspektive gesetzt werden, wie sie sich mit dem langen Jetzt äußert. Abschließend rückt dann The Interval als ein narrativer Vermittlungs-

46 Dies rekurriert insbesondere auf Ansätze Lev Manovichs und Marie-Laure Ryans, wodurch das umfassende Forschungsfeld zu narrativistsichen Ansätzen relevant für den vorliegenden Zusammenhang eingegrenzt wird. 47 Eine Grundlage bildet Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, die relevant für den zentralen Forschungsgegenstand eingegrenzt werden muss und auch mit Blick auf den Mythos eine zentrale Rolle einnimmt.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 29

raum zwischen Ausstellungs- und Konversationsort in den Mittelpunkt, woran eine zusammenfassende Darstellung aus Oppositionen und Formgebung für ein Denken des Jetzt anschließt. Die Forschung gelangt abschließend zu einem Befund des langen Jetzt, der den Erkenntnisgewinn der Studie zusammenführt und in dem die einführende Frage How Long Is Now wieder aufgegriffen werden kann (Kap. 4). Dabei spielt ein strategischer Einsatz von Zeitlichkeit für diese Arbeit selbst ein, wobei Entzeitlichung und (Nicht-)Linearität als Handhabung der Paradoxie erfasst werden können. So wird ein Bestimmungsprozess für ein mögliches Denken des Jetzt verfolgt, der sich entlang einer ‚Diagnose der Gegenwart‘, über die Strategien der Entzeitlichung und eine Beobachtung der (Nicht-)Linearität zu einem Befund des langen Jetzt bewegt, um einen Beitrag zum Umgang mit Gegenwart zu leisten und zu diskutieren. Greife ich die symptomatische Längenauferlegung nun abschließend für die Einleitung auf, tritt mit der ‚dreifachen Gegenwart‘ nochmals ihre Ausdehnung hervor: Sie wird transferierbar auf ein langes Jetzt und ein mögliches Denken desselben, denn „diese drei [Zeiten der dreifachen Gegenwart – Einschub V.F.] sind in der Seele und anderswo finde ich sie nicht“48. Jener Ort in der Seele lässt sich auf Sinnstiftungsprozesse beziehen, die in beiden analytischen Teilbereichen verfolgt werden und ein Denken des Jetzt, entsprechend seiner herausgeforderten Paradoxie, bestimmen. Dabei setzt die Gegenwart des Gegenwärtigen mit der folgenden Darstellung der Long Now Foundation ein. Insbesondere erfasst sie, als ‚Diagnose der Gegenwart‘ den Place for Conversation und dessen Initialzündung.

1.2 S YMPTOM EINER P ARADOXIE /‚D IAGNOSE DER G EGENWART ‘: T HE L ONG N OW F OUNDATION San Francisco, Fort Mason Center im September 2013. In Gebäude A des ehemaligen Militärgeländes der US-Armee und im Marina District der ‚City‘, das so von seinen Bewohnern bezeichnete San Francisco, liegt der Hauptsitz der Long Now Foundation. Nicht zufällig scheint sich die Stiftung in einem geschichtsträchtigen Umfeld zu verorten, wie es Fort Mason darstellt. Sie mag einen Ort nahelegen, der mit der Botschaft einer ausgedehnten Vorstellung von Gegenwart interagieren soll, in die Vergangenheit und Zukunft einfließen. Denn heute die-

48 Augustinus (11. Buch der Bekenntnisse, 20, 26) zit. n. P. Ricœur: Zeit und Erzählung I, S. 24.

30 | V OM LANGEN J ETZT

nen die Gebäude Fort Masons vorrangig verschiedenen Organisationen und Institutionen, die vor allem kulturfördernde und -vermittelnde Interessen repräsentieren sollen. Kalifornische ‚Sinnbilder‘ und historische Orte kennzeichnen dabei die Umgebung: Gelangt man durch die Kasernen Fort Masons ans Ufer der San Francisco Bay, an der sich die Gebäude des Fort Mason Center (FMC) befinden, erstreckt sich zur Linken die Golden Gate Bridge. Folgt man dem Gelände nur wenige Minuten zur Rechten, erblickt man Alcatraz. Der Gebäudekomplex wird als das Zuhause für herausragende gemeinnützige Organisationen bezeichnet, die das FMC dabei unterstützen, Öffentlichkeit, Kunst und Kultur zu verbinden und in Kontakt miteinander treten zu lassen.49 Hier befindet sich die Long Now Foundation Tür an Tür mit der Artist Gallery des San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA Artist Gallery), dem San Francisco Zen Center oder dem Internet Archive, um nur einige zu nennen. Die Long Now Foundation wurde 1996 in San Francisco gegründet und wenig später als gemeinnützige Organisation anerkannt.50 Die Stiftung wird über öffentliche Fördermöglichkeiten und aus ihrem Netzwerk vorrangig kalifornischer Branchen sowie mit Hilfe befreundeter Silicon Valley-Unternehmen finanziert.51 Eine wichtige Finanzierungsquelle geht von Jeff Bezos aus, Gründer und Geschäftsführer von Amazon.52 Außerdem ist das Programm der Long-

49 Vgl. Fort Mason Center, http://fortmason.org/residents/directory vom 22.09.2014, siehe hier: „Fort Mason Center (FMC) is home to outstanding nonprofit organizations which support our mission to connect and engage people with arts and culture.“ 50 Seit 1998 ist sie als Stiftung einer Abteilung der US-Abgabenordnung zugeordnet, Section 501 (c) (3), Internal Revenue Code, vgl. longnow.org, [Projects: Long Bets: About]: „About Long Bets“, http://www.longbets.org/about vom 15.07.2010; sowie A. Rose: „Long Now Timeline and current status“, longnow.org (06.06.1996), [Blog: Archives: 01996], http://blog.longnow.org/01996/06/06/long-now-timeline-currentstatus/ vom 10.09.2014. 51 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 177-178 sowie F. Sprenger: „The Clock of the Long Now“, S. 107. – Eine besondere Stellung nimmt hier das Global Business Network (GBN) ein (vgl. ausführlich Kap. 2), eine kalifornische Unternehmensberatung; ferner Disney und der US-amerikanische National Park Service, ein Zusammenschluss von Architekten, Historikern, Archäologen und weiteren Kulturschaffenden, um über 400 Nationalparks der USA erhalten und schützen zu können, vgl. National Park Service, http://www.nps.gov/history/about.htm vom 25.09.2014. 52 Vgl. K. Kelly: „Clock in the Mountain“, longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Introduction], http://longnow.org/clock/ vom 25.09.2014 sowie 10,000yearclock.net, [Learn More], http://www.10000yearclock.net/learnmore.html vom 25.09.2014. Mit

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 31

Now-Mitgliedschaft eine der wichtigsten Einnahmequellen, die zusätzlich mit individuellen Spenden erweitert wird.53 Den Angaben der Stiftung zufolge liegt eine spezifische gesellschaftliche Zeitwahrnehmung vor, eine schon „pathologisch kurze Aufmerksamkeitsspanne[n]“54, die sie zurückführt etwa auf technologischen Wandel, eine Kurzsichtigkeit marktorientierter Ökonomie, kurze Legislaturperioden sowie auf ein Gefühl der Zerstreuung durch andauerndes Multitasking, was das Erscheinungsbild gegenwärtiger Kultur präge.55 Kennzeichnet sich die Long Now Foundation dabei selbst, mit Konzernen wie Disney oder Amazon, durch Vertreter ebendieser marktorientierten Ökonomie,56 sieht sie hier die Notwendigkeit, ein balancierendes Korrektiv für eine solche vorherrschende Kurzsichtigkeit zu entwickeln, mit dem Zeit wenigstens in Jahrhunderten und Jahrtausenden gemessen wird.57

Amazon kündigt sich bereits ein Bruch mit dem langen Jetzt an, indem der Konzern repräsentativ für ein kurzes Jetzt stehen kann, etwa durch Amazon Prime und einen Konsum per Maus-Klick, vgl. dazu ausführlich Kap. 2; insbesondere 2.5; 2.5.3. 53 Vgl. longnow.org, [Membership]: „Become a Long Now Member“, https://longnow. org/membership/ vom 26.09.2014. Die Mitgliedschaft ist in verschiedene Level unterteilt mit jeweils ansteigenden Beiträgen: Der Mindestbeitrag liegt bei 8 USD im Monat, über 30, 80 und 208 USD monatlich bis hin zu einer einmaligen Spende von 10.000 USD, vgl. ebd. Derzeit verzeichnet die Stiftung 7515 Mitglieder (Stand Mai 2016), wobei die jeweiligen Mitgliedschaftslevel nicht ersichtlich werden. Einnahmen aus der Mitgliedschaft machen derzeit ca. ein Drittel des Betriebsbudgets aus, vgl. longnow.org, [faq]: „What are the benefits of becoming a member?“, http://long now.org/faq/ vom 18.05.2016. Individuelle Spenden können über die sogenannte „donations webpage“ erbracht werden, vgl. https://longnow.org/support/ vom 18.05.2016. 54 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 8; vgl. zusätzlich S. Brand: „The Clock and Library Projects“, longnow.org, [About], http://longnow.org/about/ vom 28.04.2015, siehe hier: „a pathologically short attention span.“ 55 Vgl. ebd. 56 Dies wird nicht nur in Kap. 1.2.1 genauer aufgegriffen, sondern es zieht vor allem eine kritische Diskussion der Long Now Foundation nach sich, die sowohl in der Genealogie mitschwingt als auch Sinnstiftungsprozesse und Widersprüche betrifft, die innerhalb der Long Now Foundation selbst aufzuzeigen sind. 57 Vgl. S. Brand: „The Clock and Library Projects“ vom 28.04.2015; S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 46; siehe S. Brand: „Taking the Long View“, longnow.org (26.04.2000), [About: Essays], http://longnow.org/essays/taking-long-view/ vom 17.07.2014: „Patience, I believe, is a core competency of a healthy civilization.“ – Die Geduld schreibt sich in Brands Auffassung vom „Long View“ ein, der korrespondie-

32 | V OM LANGEN J ETZT

Damit wird eine charakteristische Zeitauffassung der Long Now Foundation und eine symptomatische Längenauferlegung im Umgang mit dem Jetzt anhand von 10.000 Jahren deutlich: Der Stiftung zufolge liegt diese Zeitspanne im Alter der Zivilisation begründet. 10.000 Jahre liege das Ende der letzten Eiszeit zurück und damit der Beginn der Landwirtschaft und Zivilisation.58 Diese Zeitspanne soll die Entwicklung von Kulturen, das Aufkommen von Städten und der Geschichtsschreibung umfassen. „Unser langes Jetzt“ 59 bezieht sich auf diese Sammlung an Geschichten,60 deren Teil die Long Now Foundation sein will. Es wird nicht nur deutlich, dass die Kultur die „Ebene [ist], auf der die Long Now Foundation tätig wird“61, sondern auch dass eine maßgebliche Strategie dafür, ein long-term thinking zu popularisieren und im öffentlichen Diskurs zu etablieren, Erzählung und Konversation bereitstellen sollen. 10.000 Jahre symbolisieren damit eine Zeitspanne, die im Sinne einer verantwortungsvollen und bewusstseinsstärkenden Funktion eine langfristige Sicht schaffen soll. Verantwortung meint hier, „sich der Folgen langer Entwicklungszeiten und zeitversetzter verborgener Auswirkungen bewusst zu werden“62. Im Jetzt soll dabei ein Bereich unmittelbarer Verantwortung markiert werden, in dem die Folgen des Handelns offensichtlich werden.63 Während das Jetzt aber in einer alltäglichen Zeitauffassung, so Brand, begrenzt erscheint, den Augenblick umfasst und sich höchstens auf die laufende Woche bezieht,64 „[besteht] der Trick darin, die vergangenen zehntausend Jahre so zu behandeln wie die letzte Woche, und die nächsten zehntausend Jahre wie die nächste“65. Der Blick auf die Zukunft ist dabei nicht als spekulative Vorhersage zu verstehen, sondern als Bewusstsein für Folgen des Handelns, das den Bereich unmittelbarer Verantwortung folglich ausdehnen soll. Die sich hier äußernde kontingente Längenauferlegung führt weiter zur Namensgebung der Stiftung. Der Ausdruck „The Long Now“ ist zurückzuführen

rend mit dem langen Jetzt jene Zeitmessung in Jahrhunderten und Jahrtausenden verdeutlicht (vgl. ebd.) und sich insbesondere an der 10,000 Year Clock zeigt. 58 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 10. 59 Ebd., S. 37. 60 Vgl. ebd. 61 Ebd., S. 46. 62 Ebd., S. 13. 63 Vgl. ebd., S. 35. 64 Vgl. ebd. 65 Ebd., S. 39.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 33

auf den Musiker Brian Eno, Vorstandsmitglied der Long Now Foundation:66 „‚Now‘ is never just a moment. The Long Now is the recognition that the

precise moment you’re in grows out of the past and is a seed for the future. The longer your sense of Now, the more past and future it includes.“67 Die Stiftung übernimmt aus der Story Enos den Namen,68 der ihre Aufgabe widerspiegelt, „as we try to stretch out what people consider as now“69. Auf die Frage also, wie sich das Jetzt denken lässt, um dabei einen verantwortungsfördernden Umgang mit der Gegenwart zu etablieren, entwirft die Long Now Foundation ein Storytelling, das als Mythos und damit strategisches Mittel für ein long-term thinking zugespitzt wird.70 Was diesem Mittel und einer Länge von 10.000 Jahren in Richtung Zukunft („for the next 10.000 years“71) innewohnt, ist die Imagination – ein Gedankenspiel bzw. Szenario72 möglicher Zukunft, das diese nicht vorwegnehmen kann, sondern Hoffnung formuliert: „The Future is a story we tell, a narrative of hope.“73 Solche Erzählmodi der Long Now Foundation können als Bindeglied herausgestellt werden, das eine ‚Diagnose der Gegenwart‘ zu den für die Studie

66 Sicherlich ist es kein Zufall, dass Eno, Begründer des Ambient, eines besonders langsamen Musikgenres, Teil der Stiftung ist. 67 B. Eno: „The Big Here and Long Now“, longnow.org (15.01.1995), [About: Essays], http://longnow.org/essays/big-here-and-long-now/ vom 18.07.2014. 68 Vgl. ebd: Eno, gebürtiger Engländer, macht 1978, so seine Erzählung, während seines ersten Aufenthalts in New York eine von der europäischen Zeit- und Raumauffassung unterschiedene Feststellung: „I noticed that this very local attitude to space in New York paralleled a similarly limited attitude to time. Everything was exciting, fast, current, and temporary. [...] I came to think of this as ‚The Short Now‘, and this suggested the possibility of its opposite – ‚The Long Now‘“, siehe ebd. 69 Longnow.org, [About] vom 10.09.2014. 70 Vgl. dazu insbesondere Kap. 3; 3.6: Während der Mythos dort als eine für die Stiftung charakteristische Erzählform aufgezeigt wird, kann aus hiesiger Perspektive diskutiert werden, inwiefern der Mythos ebenso als strategisches Mittel eingesetzt wird, jenen People of the Long Now als ‚Verewigungsstrategie‘ zu dienen. So kann nicht nur bereits aus genealogischer Perspektive deren Funktion als Mythosstifter betrachtet, sondern ferner eine spezifische Form von Selbstinszenierung kritisch diskutiert werden. 71 B. Eno: „The Big Here and Long Now“ vom 18.07.2014. 72 Vgl. M. Chabon: „The Omega Glory“, longnow.org, [About: Michael Chabon on Long Now], http://media.longnow.org/files/2/Michael_Chabon__The_Omega_Glory. pdf vom 22.07.2014. 73 Ebd. [Herv. V.F.].

34 | V OM LANGEN J ETZT

zentralen Long-Now-Projekten führt und dabei auf die Genealogie und zu prüfende Sinnstiftungsprozesse vorbereitet. Kreative Verantwortungsförderung (‚creatively foster responsibility‘74) ist in den Projekten insgesamt Programm. Zunächst soll deutlich werden, wie sich die Long Now Foundation zusammensetzt. 1.2.1 People of the Long Now Die Long Now Foundation kennzeichnet sich durch einen vielfältigen Zusammenschluss von Personen, die etwa der IT-Branche, dem Computeringenieurwesen, Journalismus, Musik und Kunst sowie der Psychologie entstammen.75 Hier beziehe ich mich insbesondere auf die Mitglieder, die für eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation relevant sind und auch an deren Gründung beteiligt waren. Stewart Brand, Mitbegründer und Präsident der Long Now Foundation,76 ist einer der zentralen Vertreter der Counterculture, der gegenkulturellen Bewegung in den USA der 1960er und 1970er Jahre, wo er als Journalist und Fotograf tätig war und sich der Kunstszene New Yorks und San Franciscos anschloss. Er ist Autor des Whole Earth Catalog (vgl. Kap. 2), der meistverkauften und mit einflussreichsten Do-It-Yourself-Publikation für die damalige Kommunenbewegung. Für die Analyse der Long Now Foundation nimmt Brand eine zentrale Stellung ein, die sich insbesondere in ihrer Genealogie äußert, so beispielsweise hinsichtlich seines umfangreichen Netzwerkens,77 das den Zusammenschluss der Stiftung und die Formierung eines Place for Conversation mitbestimmt. Peter Schwartz, Vorstands- und Direktoriumsmitglied, ist gemeinsam mit Brand Mitbegründer des Global Business Network (GBN), einer Unternehmensberatung und eines Marktführers im sogenannten scenario planning in den

74 Vgl. Anm. 20. 75 Vgl. longnow.org, [People]: „People of the Long Now“, http://longnow.org/people/ board/ vom 26.09.2014. – Ein solcher ‚multi-disziplinärer‘ Zusammenschluss wird in Anlehnung an Fred Turner spezifiziert (vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture) und kann mit der hier eingenommenen Perspektive auf ein sogenanntes network of remarkable people verweisen, dessen Konstitution zurückreicht in die Unternehmensberatung der 1980er Jahre. 76 Vgl. longnow.org, [People: Stewart Brand], http://longnow.org/people/board/sb1/ vom 26.09.2014. 77 Vgl. hierzu auch F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 5; 8.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 35

1980er Jahren, wo er bis 2011 Vorstandsvorsitzender war.78 Neben Brand nimmt Schwartz die Position eines Funktionsträgers ein, denn dieses scenario planning kennzeichnet aus der vorliegenden Perspektive charakteristische Erzählmodi der Long Now Foundation, um Szenarien für die Zukunft zu entwickeln. Danny Hillis, ebenfalls Vorstandsmitglied, ist Erfinder und Computeringenieur sowie derzeit Teil des Vorstandes und Technischer Direktor von Applied Minds, Inc., einem Forschungs- und Entwicklungsunternehmen, „creating a range of new products and services in software, entertainment, electronics, biotechnology and mechanical design“79. Hillis war Vizepräsident (Research and Development) der Walt Disney Imagineering und hier verantwortlich u. a. für die technische Entwicklung der Walt Disney Theme Parks. Er nimmt mit seiner Entwicklung der Connection Machine am MIT eine Pionierstellung hinsichtlich sogenannter Parallelrechner ein.80 Diese beiden Ausrichtungen Hillis’ sind von besonderem Interesse, denn er ist Designer der 10,000 Year Clock, der zugleich ein spezifischer Event-Charakter zu eigen ist, der nicht zufällig auch an jene Freizeitparks der Disney World erinnert. Außerdem wird Hillis mit der Connection Machine als Erfinder des schnellsten Computers der Welt gehandelt, der sich mit der 10,000 Year Clock dem langsamsten Exemplar zuwende.81 Kevin Kelly, Vorstandsmitglied („Secretary of the Board of Directions“82), ist Teil der Netzkultur um Wired, eines der führenden Technologie-Magazine und ein Organ der Computerszene, an dessen Start Kelly 1993 maßgeblich betei-

78 Vgl. longnow.org, [People: Peter Schwartz], http://longnow.org/people/board/ schwartz11/ vom 26.09.2014. 79 Longnow.org, [People: Danny Hillis], http://longnow.org/people/board/danny0/ vom 26.09.2014. 80 Parallel Computing ist „[i]n the simplest sense, [...] the simultaneous use of multiple compute resources to solve a computational problem“, siehe B. Blaise: „Introduction to Parallel Computing“, https://computing.llnl.gov/tutorials/parallel_comp/ vom 13.10.2014. Im Unterschied zu Serial Computing, bei dem Befehle sequenziell und auf einem Prozessor ausgeführt werden, nutzt Parallel Computing eine Vernetzung verschiedener Prozessoren mit höherer Verarbeitungsgeschwindigkeit, wobei Befehle in Serien ablaufen, die simultan ausgeführt werden können. Bezogen auf die Hardware gelten heutige Standardcomputer (mit Cache-Speichern und Grafikprozessoren (GPU), auch für Smartphones und Spielekonsolen) als Parallel Computer, vgl. ebd. 81 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 69; 75; F. Sprenger: „The Clock of the Long Now“, S. 107; J. Koch: „Visionen vom langen Jetzt, S. 184. 82 Vgl. longnow.org, [People: Kevin Kelly], http://longnow.org/people/board/kk7/ vom 26.09.2014.

36 | V OM LANGEN J ETZT

ligt war. Kelly zählt zu jenem Netzwerk, das um Brand bereits in den 1960er Jahren entsteht und mit dem Whole Earth Network eine Reihe von Netzwerkforen, zu dem Wired ebenso zählt, initiiert.83 Diese Entwicklung wird in der vorliegenden Arbeit als konstitutiv für einen webbasierten Place for Conversation betrachtet, den die Long Now Foundation auszubilden sucht; sie bildet einen Teil der Genealogie wie auch ein Scharnier zum zweiten Teilbereich der Studie. Bereits erwähnt wurde der Musiker, Komponist, Produzent und Künstler Brian Eno, ein weiteres Mitglied des Vorstandes und Direktoriums.84 Auf Eno geht nicht nur der Name ‚The Long Now‘ zurück, wie oben erläutert, sondern er ist maßgeblich beteiligt an audiovisuellen Kunst-Installationen für die Long Now Foundation. Für The Interval – den öffentlichen Besuchsort der Stiftung im FMC, der zugleich das Long Now Museum and Store erweitert – designte Eno eine Sound- und Lichtinstallation.85 Außerdem ist sein Album January 07003 Bell Studies eine Hommage an die Stiftung und wird für weitere Pläne herangezogen, die 10,000 Year Clock und ihren angedachten Besuchsort in der Wüste Nevadas musikalisch zu untermalen.86 Direktor und Manager des Zentralprojekts ist der Designer Alexander Rose, mit dem Schwerpunkt Industriedesign und einer Vorliebe für Robotik.87 Gemeinsam mit Hillis kommen ihm mehrere Designpatente zur 10,000 Year Clock

83 Zum sogenannten Whole Earth Network in Anlehnung an Turner vgl. die Ausführungen in Kap. 2. 84 Vgl. longnow.org, [People: Brian Eno], http://longnow.org/people/board/prospect4/ vom 26.09.2014. 85 Vgl. longnow.org, [Projekts: The Interval] vom 26.09.2014. 86 Vgl. longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Chimes]: „Clock Chime Mechanism“, http://longnow.org/clock/chimes/ vom 26.09.2014; longnow.org, [About: Store]: „The Long Now Online Store“, http://longnow.org/store/ vom 26.09.2014. 87 Vgl. longnow.org, [People: Alexander Rose], http://longnow.org/people/staff/zander/ vom 26.09.2014. – Hier eine weitere Verknüpfung zu aberwitzigen Projekten: Rose ist auch Gründer der Robot Fighting League, vgl. ebd. Bekannt ist er auch für die robotic bartenders, die gerne bei öffentlichen Veranstaltungen eingesetzt werden, wie beispielsweise beim Event Chuck Palahniuk and the SF Cacophony Society: Creating Culture from Mayhem, 23.09.2013, Castro Theatre, San Francisco. Insbesondere für die Kunstszene San Franciscos nimmt die Cacophony Society eine zentrale Rolle ein und verkörpert eine unkonventionelle Ausrichtung, die die Long Now Foundation, so die Annahme, maßgeblich beeinflusst, vgl. dazu insbesondere Kap. 2. Das hier angegebene Event fand mit Palahniuk statt, Autor von Fight Club und Vorlage für den gleichnamigen Film David Finchers, USA 1999.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 37

zu. Rose ist ebenso bereits beteiligt an der Geschäftsidee zur Long Now Foundation, die Konversation unter den Gründungsmitgliedern Ende der 1990er Jahre, die mit zur Entstehung der Stiftung führt. Mit Rose und weiter Danielle Engelman, Director of Programs, insbesondere verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit der Long Now Foundation,88 kommen deutliche Verbindungen der Stiftung zur kalifornischen Kunstszene auf. Engelman beaufsichtigt und organisiert die Long Now Seminars und Special Events, die sich mit aktuellen Kunstprojekten verknüpfen, was anhand von Jem Finers Musikkomposition Long Player noch exemplarisch hervorgehoben wird. Darüber hinaus war sie involviert, neben zahlreichen Kunstevents der Bay Area, in das Burning Man Festival und die Cacophony Society.89 Auch Rose entwickelte Produkte für Burning Man.90 Burning Man ist ein 1986 von Larry Harvey und Jerry James ins Leben gerufenes,91 jährlich im August und September stattfindendes Festival in der Wüste Nevadas, der Black Rock Desert, als eine Hommage an Kunst, Technologie und das Kommunenleben.92 Die rund 35.000 Teilnehmer „set up geodesic domes and tent cities, pirate radio stations, elaborate computer networks and huge, if temporary, dance clubs. They hold lectures, throw parties and traverse the desert in what passes for public transportation: some 500 art cars rigged to look like everything from furry mushrooms to fire-breathing dragons. On the penultimate night of the week, they burn a 40foot-tall effigy of a man.“

93

Was als Ritual zur Sonnenwende damit begann, in einer kleinen Gruppe eigene Kreationen des nachgebildeten menschlichen Körpers zu verbrennen, wurde in den 1990er Jahren zu diesem Großevent, das einerseits als Bacchanal der Drogenszene in der Presse verhandelt wurde, andererseits aber ein Sinnbild darstellt für synkretistische und künstlerische Wurzeln der Counterculture. 94 Burning

88 Vgl. longnow.org, [People: Danielle Engelman], http://longnow.org/people/staff/danie lle/ vom 08.10.2014. 89 Vgl. ebd. sowie M. McElligott: „From Popcorn Anti-Theatre’s publicity“, S. 174-179, hier S. 177. 90 Vgl. longnow.org, [People: Alexander Rose] vom 26.09.2014: Rose entwickelte sogenannte large pyrotechnic displays für das Festival. 91 Vgl. L.M. Brill: „Burning Man: The First Year in the Desert“, S. 70-75, hier S. 70. 92 Vgl. F. Turner: „Burning Man at Google“, S. 73-94, hier S. 73. 93 Ebd., S. 74. 94 Vgl. ebd.

38 | V OM LANGEN J ETZT

Man ist zu einem Kultevent avanciert, das die unabhängige, freie Kunstszene fern vom Mainstream symbolisieren sollte. Diese Entwicklung oder vielmehr die Popularisierung des Festivals sowie die dahinterstehende Ideologie sind zurückzuführen auf die Cacophony Society San Franciscos.95 Sie steht repräsentativ für die kalifornische Underground Art Scene und bildet ein Konzept von Individualisten, „[a] place where people who have their own strange vision can be together“96. Ursprünglich nicht als Kunstbewegung konzipiert, 97 ist die Cacophony Society (nicht nur selbstironisch: von Kakofonie, Missklang) „a social group for the unsocial: those who prefer to think themselves as outcasts“98. Wurzeln in der Counterculture werden anhand der Vergleichsebene zum sogenannten Prankster (engl. Witzbold, Schurke) offensichtlich, die zurückgeht auf die Performancekunst-Gruppe Merry Prankster um Ken Kesey, Autor von Einer flog über das Kuckucksnest. Sie war in den 1960er und 70er Jahren im Rahmen der US-amerikanischen Acid-Tests aktiv und bot Acid-Test ihrerseits der interessierten Öffentlichkeit, während Rundreisen durch die USA an (es gab eine Zeit, in der LSD noch legal war).99 Cacophonists gelten als die „[Merry Pranksters of the 1990s], a randomly gathered network of free spirits. They are united in the pursuit of experiences beyond what they see as the pale of mainstream society“100. Zugleich sind der Einfluss weiterer subkultureller Bewegungen und damit eine tendenzielle Loslösung von einer gegenkulturellen Grundrichtung nicht zu vernachlässigen. Dies zeigt sich in der Cacophony Society etwa anhand von Verbindungen zu der kalifornischen Punkband Dead Kennedys um Jello Biafra.101

95 Vgl. L.M. Brill: „Burning Man: The First Year in the Desert“, S. 70; K. Evans/C. Galbraith/J. Law: „Introduction“, S. xi-xv, hier S. xiv. 96 W. Hoberg: „Crossover into the Cacophony Zone“, S. 40-45, hier S. 45. 97 Vgl. K. Evans/C. Galbraith/J. Law: „Introduction“, S. xi. 98 J. Zinder: „The Cacophony Pandemic“, S. 97-98, hier S. 97. 99 Auch Stewart Brand schloss sich dieser Gruppe an, die in Kap. 2 genauer betrachtet wird, denn es sind sowohl Ereignisse und Dinge aus der 60er/70er-Kunstszene als auch der Cacophony Society, die angeeignet oder transformiert in der Long Now Foundation hervortreten. 100 W. Hoberg: „Big Doings“, S. 37-38, hier S. 37. 101 Vgl. M. McElligott: „Cacophony Geeks“, S. 143-145, hier S. 143; J. Guthrie: „Painter Thomas Kinkade, In A Willder Light“, S. 211-218, hier S. 211.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 39

California Ueber Alles102 zählt nicht nur zu ihren wohl bekanntesten Songs, sondern der Titel kann programmatisch für das sich hier äußernde Netzwerk der People of the Long Now stehen. Wenn nämlich insbesondere Verknüpfungen zum Computeringenieurwesen wie auch zu befreundeten Silicon-Valley-Unternehmen auf die sogenannte Kalifornische Ideologie verweisen, aus der die Long Now Foundation entstanden ist, dann ist es – gerade wenn es um eine kreative Verantwortungsförderung geht (‚creatively foster responsibility‘) – notwendig, den Bezug zu jener Kunstszene ebenso einzubeziehen und zu verstärken. Bewegungen, wie sie die Cacophony Society und dann auch Burning Man repräsentieren, führen nämlich zu Ausrichtungen der Long Now Foundation, die sie zwar nicht als ‚soziale Gruppe für Ausgestoßene‘103 markiert, wohl aber als ‚Netzwerk von Freigeistern, die ihre eigenen, eigentümlichen Visionen verfolgen‘104 . Im genealogischen Blick auf die Long Now Foundation soll somit eine zusätzliche Richtung ausgemacht werden, die nicht nur das spezifische Storytelling fokussiert, mit einer ausgeprägten optimistischen Haltung105 (für ein narrative of hope), sondern die gezielt und kritisch eine kreative Verantwortungsförderung, inklusive Unterhaltungswert, herleiten kann. Denn „any idea can be brought to life and acted out. All events are valid, all alternate realities can be embraced and believed, all stretching of boundaries between reality and imagination can be tested“106.

102 Veröffentlicht als Single im Juni 1979; Single-Version in: Give Me Convenience or Give Me Death, 1987; Album-Version in: Fresh Fruit for Rotting Vegetables, 1980, vgl. dazu ausführlich Kap. 2.3.2. 103 Vgl. zur ‚social group for the unsocial; those who [...] think themselves as outcasts‘, Anm. 98. 104 Vgl. Anm. 100; 96 und das ‚gathered network for free spirits [who have their own strange vision]‘. 105 Vgl. K. Kelly: „Clock in the Mountain“ vom 25.09.2014. 106 C. Galbraith: „Into the Zone“, S. 58-61, hier S. 59 [Herv. V.F.]. – Erneut wird eine Grenzerweiterung deutlich, die einerseits vor einem bestimmten kalifornischen Kontext bei Aufkommen des World Wide Web gesehen werden kann und andererseits in die kalifornische Kunstszene einspielt; beide schlüssele ich für eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation auf. Dies weist auf eine zusätzliche zeitphilosophische Einbettung, die eine Umdeutung der Ausdehnungslosigkeit des Jetzt in Anlehnung an Husserl erfasst. Denn die Grenzerweiterung des Jetzt durch Erinnerung und Erwartung (Retention und Protention) lässt sich auf die ideologische Erweiterung der Grenze übertragen, die sowohl in Entstehungskontexten als auch in der Long Now Foundation mit einer Perspektive von 10.000 Jahren zum Tragen

40 | V OM LANGEN J ETZT

1.2.2 The Clock of the Long Now – Starting a Conversation Es ist kein Zufall, dass die Gründung der Long Now Foundation Ende der 1990er Jahre erfolgt, in denen Diskurse um Zeiterfahrung an Digitalmedien geknüpft werden. Doch ohne darauf im Uhr-Projekt genauer einzugehen, machen die Initiatoren hier eine spezifische Zeitwahrnehmung aus, an die jene Motivation anknüpft, ein long-term thinking im öffentlichen Diskurs zu etablieren: „For [...] years [people] kept talking about what would happen by the year 02000 [...]. The future has been shrinking by one year per year for my entire life. I think it is time for us to start a long-term project that gets people thinking past the mental barrier of an ever-shortening future.“107 Diese Zeitwahrnehmung rekurriert auf den sogenannten Millennium Bug, die Jahrtausendwende als einen mit spezifischen Ängsten besetzten Zeitpunkt. Diese sind gekoppelt an die Datenverarbeitung durch den Computer, genauer an das computerbasierte Datierungsproblem der „Minderen Zahl“108 , anhand dessen der Wechsel zum 21. Jahrhundert von (19)99 zu (20)00 erfolgen könnte. Eine mögliche Schaltung auf das Jahr 1900 wird in den Blick genommen,109 welche die als Millennium- oder Y2K-Bug (Y2K: Year 2 Kilo) betitelte Bedrohung einleite.110 Diese äußert sich in Szenarien, wie sie eine eingangs geschilderte, gefährli-

kommt. Was also zeitphilosophisch ein inneres Zeitbewusstsein meint, kann für das beobachtete Phänomen in eine Ideologie der Grenzerweiterung umschlagen, mit der sich die Long Now Foundation inszeniert. Zusätzlich aber kann ich eine Herkunft des langen Jetzt aus der gegenkulturellen Bewegung aufzeigen, die einer bestimmten Ausrichtung der US-amerikanischen Counterculture folgt und in der Selbstbeschreibung der Long Now Foundation verdeckt bleibt. 107 D. Hillis, zit. n. S. Brand: „The Clock and Library Projects“ vom 27.07.2014. – Um ebenso auf den nächsten Jahrzehntausendwechsel (Deca-Millennium Bug) vorzubereiten, der um das Jahr 2000 in ca. 8000 Jahren in Kraft tritt, nutzt die Long Now Foundation fünfstellige Jahreszahlangaben, wie 02000; 01996 etc., vgl. longnow. org, [About] vom 27.07.2014. 108 A. Brendecke: Die Jahrhundertwenden, S. 37. 109 Vgl. I. Schneider: „Narrative des Digitalen um die Jahrtausendwende“, S. 47-70, hier S. 54. 110 Vgl. F. Patalong: „Millennium-Bug“, Spiegel Online (31.12.2007), http://einestages. spiegel.de/external/Show–AuthorAlbumBackground/a1076/l0/l0/F.html#featuredEntry vom 14.04.2011. – Hier exemplarisch auf Debatten im deutschsprachigen Raum bezogen, erfolgt eine umfangreiche Vorbereitung auf den Datumswechsel in der IT-Branche und im Wirtschaftsministerium durch Organisationen wie die „Initi-

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 41

che Zukunft widerspiegeln, die in Vorstellungen von verschiedenen Katastrophen münden.111 Auch wenn aus heutiger Perspektive klar ist, dass jene Szenarien nicht in Kraft traten, markiert diese Zeit und insbesondere eine damit hervortretende teleologische Zeitwahrnehmung, die auf das Datum des Millennium Bug reduziert bleibt, den Gründungskontext der Stiftung: Das Projekt der 10,000 Year Clock tritt derart zentral hervor, dass es als Initialzündung der Stiftungsgründung gelten kann und gerade als Multimillennial Clock ein Objekt sowie Sinnbild bereitstellen soll, das genau jene mentale Barriere zu überwinden sucht: „I would like to propose a large (think Stonehenge) mechanical clock, powered by seasonal temperature changes. It ticks once a year, bongs once a century, and the cuckoo comes out every millennium.“112 Die 10.000-Jahre-Uhr kann als repräsentativ für das Bestreben der Long Now Foundation angesehen werden, ein long-term thinking zu entfachen und zu diskutieren, denn daran koppelt sich die Vorstellung, dass „[s]ome sort of balancing corrective to the short-sightedness is needed – some mechanism or myth which encourages the long view and the taking of long-term responsibility, where ‚long-term‘ is measured at least in centuries. Long Now proposes both a mechanism and a myth“113. Den Mechanismus bildet ein Teil der 10,000 Year Clock, jener langsame, von Hillis entwickelte mechanische Computer (mechanical computer, vgl. Abb.

ative 2000“, die „Gemeinschaftsaktion 2000“ sowie die Einrichtung eines „Jahr2000-Stabs“ im Bundesinnenministerium, siehe: M. Bauchmüller: „Rennen gegen die Zeit“, Süddeutsche Zeitung vom 23.09.1999, S. 24; vgl. I. Schneider: „Narrative des Digitalen um die Jahrtausendwende“, S. 53. – Neben vorbereitenden Maßnahmen ist ebenso auf künstlerische Projekte zu verweisen, etwa die Online-Anthologie NULL, die u. a. jene Millennium-Debatte literarisch thematisiert, vgl. J. Hensel/T. Hettche: NULL. 111 So „vom Ausfall der Strom- und Wasserversorgung über Unfälle in Kernkraftwerken bis hin zum versehentlichen Start von Atomraketen“, siehe W. Ludsteck: „Jetzt kommt die Nagelprobe“, Süddeutsche Zeitung vom 31.12.1999, S. 26; ferner der mögliche Ausfall von Zapfsäulen und das Zusammenbrechen von Telekommunikationsnetzen bis hin zu Kernschmelzen, Unruhen und Aufständen, vgl. F. Patalong: „Millennium-Bug“, S. 2 sowie I. Schneider: „Narrative des Digitalen um die Jahrtausendwende“, S. 52-53. 112 D. Hillis zit. n. S. Brand, longnow.org, [About] vom 27.07.2014 sowie D. Hillis: „The Millennium Clock“, longnow.org (16.02.1995), [About: Essays], http://long now.org/essays/millennium-clock/ vom 08.07.2014. 113 S. Brand: „The Clock and Library Projects“ vom 27.07.2014 [Herv. V.F.].

42 | V OM LANGEN J ETZT

1.2). Die intendierte Funktionsweise dieser Uhr von 10.000 Jahren soll sich demnach über mehrere Millennien erstrecken. Das Projekt läuft gesamtheitlich unter der Bezeichnung Clock of the Long Now oder 10,000 Year Clock (10.000Jahre-Uhr). Darunter fallen allerdings (namentlich) einzelne Entwicklungsstufen des Projekts, so der Prototype One (vgl. Abb. 1.2), der im Londoner Science Museum ausgestellt wird und seit dem 31. Dezember 1999 in Betrieb ist.114 Außerdem wird eine monumentale Version der 10.000-Jahre-Uhr erbaut, die die Long Now Foundation als Clock One bezeichnet.115 Die charakteristische Form des Storytelling bildet hier der Mythos. Wie diese Arbeit darstellt, geht es der Long Now Foundation dabei um „mythische Tiefe“116 , die das Uhr-Projekt repräsentieren soll. Der Mythos ist eine Form der Rede, dessen Besonderheit bereits an dieser Stelle bezüglich des Bestrebens der Stiftung hervorgehoben werden kann. Im Sinne der Long Now Foundation legt er eine bestimmte Rechtfertigungsstrategie dar, die sozialen Konsens für Themen generiert, über die, ohne monumentales Bauwerk etwa, nur erschwert gesprochen werden könnte. Hingegen versieht ‚mythische Tiefe‘, die ein solches Bauwerk verkörpern soll, selbiges und Gespräche über die dahinterstehenden Ideale mit Anerkennung.117 Mit einer charakteristischen Erzählform durch den

114 Vom 05.12.2014 bis 31.01.2016 stellt außerdem das Deutsche Museum München in der Sonderausstellung „Willkommen im Anthropozän“ ein Modell der Clock of the Long Now aus. Dies deutet ferner auf die Rolle von sogenannten Kulturtechniken, was bereits aus genealogischer Perspektive aufgegriffen und in der vorliegenden Arbeit spezifisch verhandelt wird, so insbesondere mit der 10.000-Jahre-Uhr als sogenanntes tool for transformation, vgl. dazu Kap. 2.3; 3.5. 115 Dokumentationen zum Bauprozess befinden sich ebenso in longnow.org, allerdings gelten die Materialen als sensibel und sind nur Long-Now-Mitgliedern zugänglich. Sie beziehen sich hier auf „Clock One Updates“, longnow.org, [Membership: Sign In: Clock Blog: Clock One Updates]. Durch Danielle Engelman wurde mir während dieser Forschungsarbeit ein sogenannter „educators“-Zugang gewährt, um Material aus diesem Bereich beziehen zu können (im Folgenden verdeutlicht durch [Clock One Updates], zur detaillierten URL vgl. die ausführlichen Literaturangaben). 116 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 56. 117 Vgl. ebd., S. 56-57. – In Kap. 3 wird der Mythos aus philosophischer Perspektive genauer erschlossen, insbesondere in Kap. 3.6. Auch wird die symbolische Wirkungsweise der 10.000-Jahre-Uhr fokussiert, aus der sich eine spezifische Form des Monumentalen ableiten lässt, die vor allem unter Berücksichtigung eines noch imaginierten Monuments und, damit einhergehend, dessen Darstellung in der Webseite longnow.org analysiert wird, vgl. Kap. 3.5.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 43

Mythos kann geprüft werden, wie er sich als eine Form der Rede zur intendierten ‚mythischen Tiefe‘ durch die Stiftung verhält und wie dann auch ein narrative of hope auf eine bestimmte Selbstinszenierung deutet. An dieser Stelle wird das Storytelling zunächst, angelehnt an die Stiftung, anhand des Projekts 10,000 Year Clock zugespitzt, das insgesamt als Quell für ein long-term thinking angesehen werden kann, über das gesprochen werden muss und das die Schlüsselkategorien pointiert auslegt: „by actually building a remote monument, the discussions around long-term thinking would be far more focused and it would lend itself to good storytelling and myth – two key requirements of anything lasting a long time.“118 In dieser charakteristischen Form des Storytelling verbindet sich ein narrative of hope mit der Imagination. Dies ist hier so zu verstehen, dass es nicht nur um eine Zeitspanne geht, die einen alltäglichen Umgang mit Zeit übersteigt, sondern es handelt sich bei dem monumentalen Bauwerk Clock One um ein Projekt, das sich noch im Entstehen befindet. So ist m. E. auch die Imagination eine Schlüsselkategorie, die einerseits stets Vorstellungen beinhaltet, wie sich ein langes Jetzt äußern kann, die kommuniziert werden müssen.119 Andererseits erhält die Imagination durch das Projekt selbst eine Gestalt, wobei eine Existenz auf Erzählungen in der Webseite ‚reduziert‘ bleibt, eben weil jenes Objekt, das ‚mythische Tiefe‘ verkörpern soll, noch nicht vollends als ‚materielles Artefakt‘ existent ist. Dabei mache die durch die Stiftung gesetzte Zeitspanne gerade den Motivationsmotor bzw. die Herausforderung aus, anhand des Unvorstellbaren erst verantwortungsfördernde Debatten in Gang zu setzen: „It is [...] far-fetched to think that one could make a clock which will survive and work for the next 10,000 years. But the act of even trying is valuable: it puts time and the future on the agenda and encourages thinking about them.“120 Die Long Now Foundation sieht sich mit dieser Herausforderung als „lebende Institution“, denn ein „Monument am Leben zu halten heißt, es mit einer lebenden Institution zu verbinden“121.

118 Longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Background] vom 25.09.2014. 119 Mit dem scenario planning wird nicht nur eine Herkunft und Entstehung für Storytelling und Mythos eruiert, vgl. Kap. 2.2.2, sondern die charakteristische Erzählform in Verbindung zum Gedankenexperiment gebracht, wobei ein strategischer Einsatz der Imagination in einem Spiel mit der Phantasie auftreten kann, vgl. Kap. 3.7; 3.7.2. 120 B. Eno: „The Big Here and Long Now“ vom 18.07.2014. 121 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 63. – Die Stiftung sucht sich dabei von religiösen Ausrichtungen abzugrenzen: „Zur Religion sollte sie allerdings nicht wer-

44 | V OM LANGEN J ETZT

Das Projekt der Clock of the Long Now nimmt einen zentralen Stellenwert ein, erstens da es die Initialzündung der Stiftungsgründung ausmacht und zusätzlich die Strategie bereitstellt, die Konversation zu starten, um ein long-term thinking öffentlich etablieren zu können; zweitens da die 10.000-Jahre-Uhr als ein aus genealogischer Perspektive bedeutendes Ereignis hervortritt, das ihre Entwicklungsrichtung mitbestimmt. Und drittens, da sie im Zuge formgebender Vermittlung als Symbol des langen Jetzt aufkommen kann.122 Dabei ist sie zunächst an die webbasierte Erscheinung und ferner an Imaginationen, konstitutiv für ein spezifisches Storytelling, gekoppelt und wirft höchstrelevante Fragen für ein narrative of hope auf. An dieser Stelle kann das Projekt anhand des Prototype One und mit Verweis auf die Clock One vorgestellt werden. Abbildung 1.2: Prototype One, Ziffernblatt

Fotografie: Rolfe Horn

den, weil Religion zu Fanatismus und Sektierertum führt, sich ständig mit anderen bestehenden Religionen messen muss und schließlich sogar der Zukunft ausweicht“, siehe ebd. 122 Folglich wird im Laufe der Analyse eine charakteristische Unterscheidung zwischen Symbol und Monument vorgenommen, die der Erzählung der Stiftung einerseits, dem Denken aus Perspektive der Mediennutzung andererseits als formgebend folgt.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 45

In aller Kürze kann hier der technische Aufbau und die Funktionsweise der 10.000-Jahre-Uhr erläutert werden: Als Energiequelle richtet sich die eigentümliche Uhr auf Temperaturschwankungen aus, die einen Hebel aus Bimetall synchronisieren, der sich je nach Schwankung biegt (drive rewind spirals, drive weights).123 Ein Transmitter leitet die Energie an die Einstellung im Ziffernblatt weiter.124 Ein Geschwindigkeitsregler (speed governor) mit solarer Ausrichtung, einem sogenannten solar synchronizer, dient dazu, das Pendel weiter zu synchronisieren (torsional pendulum) und die Uhr auf die solare Mittagszeit zu kalibrieren.125 Zeitangleichung zwischen solarer Ausrichtung und Standardzeit findet durch die equation of time cam statt. 126 Der Serial Bit Adder (binary mechanical computer) wird als das ‚Herzstück‘ der Uhr angesehen: Es handelt

123 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 70. Zusätzlich soll ein manueller Mechanismus zum Aufziehen der Uhr angebracht werden, sodass Besucher die Funktion mit aufrechterhalten können, vgl. ebd.; longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Principles], http://longnow.org/clock/principles/ vom 10.10.2014. 124 Vgl. S. Dickson: „A Cam for the Clock“, longnow.org, http://emsh.calarts.edu/~ mathart/Clock_Cam.html vom 26.04.2011; vgl. ferner S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 73: Je nach Biegung wird der Drehmoment an eine der inneren Wellen, dann für die Berechnung, die das Ziffernblatt ausrichtet, übertragen. Eine zweite Welle auf der Spirale generiert einen kontinuierlichen Impuls, der den Gangregler (torsional pendulum) bewegt. 125 Der solar synchronizer wird ausführlich in longnow.org, [Clock One Updates: Solar Synchronizer] beschrieben: Tägliche Zeitmessung erfolgt über ein langsames Pendel, das die Uhr durch einen auf die Sonneneinstrahlung reagierenden Draht aus Nickel-Titan auf die solare Mittagszeit ausrichtet. Das so synchronisierte Pendel wirkt sich dann auf die Darstellung im Ziffernblatt aus, auf dem der Stand zur Sonne angegeben ist. 126 Vgl. longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Prototype 1], http://longnow.org/ clock/prototype1/ vom 13.10.2014; [Clock One Updates: Solar Synchronizer], http://longnow.org/clock/clockone/02007/jun/4/solar-synchronizer/ vom 13.10.2014; S. Dickson: „A Cam for the Clock“ vom 26.04.2011. – Da ebenso Zeiten ohne Sonnenlicht einkalkuliert werden (etwa wetterbedingt oder gar durch nukleare Winter, vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 71), könnte die Uhr ohne Lichteinstrahlung immer noch 15 Jahre funktionieren. Dafür ist das Pendel durch die Zeitangleichung der time cam sowie Ausrichtung auf den Mond von der solaren Synchronisation entkoppelt, vgl. M.W. Bush: „Climate Change and the Clock“, longnow.org [Clock One Updates: May 02010], http://longnow.org/clock/clockone/2010/may/ vom 26.04.2011.

46 | V OM LANGEN J ETZT

sich um einen Ring, der auf einer mit Stiften versehenen Scheibe befestigt ist, die sich langsam dreht.127 Die Stifte orientieren sich an einer festen Bezugsgröße, wie z. B. den 29,5305882 Tagen des Mondzyklus: „Der Ring [zählt] diese Bezugsgröße in seriell angeordneten Bits (0, 1) aufwärts.“128 Jeder Ring verfügt über einen eigenen ‚Ring-Addierer‘, der die Berechnung der Zeit generiert.129 Die ‚Addierer‘ konvertieren Zeit des Pendels in die Ausrichtung auf dem Ziffernblatt der Uhr.130 Das Ziffernblatt besteht aus sechs Teilen: Der äußere Ring gibt das Jahr an, gefolgt vom Jahrhundert auf dem zweiten Ring (nach gregorianischem Kalender); es folgt die Position zur Sonne (ungefähre Uhrzeit); Position und Phase des Mondes als für den Standort der Uhr geltende Auf- und Untergangszeiten von Sonne und Mond.131 Den Mittelpunkt des Ziffernblatts bildet der Sternenhimmel, der, ebenso beweglich, wie alle Ringe des Ziffernblatts, die Präzession der sogenannten Äquinoktien zeigt (Stand der Erdachse zur Sonnenlaufbahn).132

127 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 75. 128 Ebd.; vgl. ferner ebd.: Durch einen Hebel „(‚On, Off‘)“ wird diese Bezugsgröße in Bits aufwärtsgezählt, die nach Stellenwert der Bezugsgröße angeordnet sind. Zweimal pro Tag erfolgt eine Berechnung (Mittag/Mitternacht), wobei eine 32-BitBerechnung stattfindet, da diese auf ein Viermilliardstel genau geht: „(232 = 4 294 967 296)“, was in 20.000 Jahren einen Tag Abweichung von der Standardzeit entsprechen würde. 129 Das Ergebnis aus der Berechnung wird auf ein Getriebe oberhalb des Pendels übertragen, die die Anzeigeringe auf dem Ziffernblatt bewegen, vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 72. – Zeitberechnung meint hier die vom Standort der Uhr abhängige Position zur Sonne (ungefähre Uhrzeit in Anlehnung an die Mittagszeit), Auf- und Untergangszeiten von Sonne und Mond, vgl. ebd. Ein zusätzlich angebrachtes Ziffernblatt einer herkömmlichen Uhr (normal clock dial) dient der Absicherung, die die Uhrzeit im 12 Stunden Takt angibt. Bezugsgrößen von Sonne, Mond und sichtbaren Planeten der Erdumlaufbahn bestimmen also die BitKalkulation, die über die Ringe die Anzeige des Ziffernblatts und dessen Drehung bestimmen, vgl. longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Orrery], http://long now.org/clock/orrery/ vom 10.10.2014. 130 Vgl. longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Prototype 1] vom 10.10.2014. 131 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 74. 132 Vgl. ebd., S. 72; 74. – Es handelt sich dabei um die Erdrotation und den Stand der Erdachse auf ihrer Sonnenumlaufbahn in einem „25.784-jährigen Zyklus [...] der Äquinoktien“, siehe ebd., S. 74. Die Uhr richtet sich also zusätzlich durch Richtung der Erdrotations-Achse in Relation zu ihrer Sonnenumlaufbahn aus und somit nicht

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 47

Es handelt sich nicht um eine Uhr, die primär der Zeitmessung dient, sondern die vor allem über ihre auf Langlebigkeit ausgerichtete Funktionsdauer Zeitlänge verkörpert, im Sinne des langen Jetzt der Stiftung (multimillennial).133 Da der Aufbau der Uhr gleichzeitig Geschichten zum Uhrbauwerk beinhaltet,134 spricht Brand von einem „Sprung von der Uhrzeit in die Ur-Zeit“135 . Die 10.000Jahre-Uhr bilde somit das Leben im Kontext der Zeit ab, anders als die alltägliche Uhr Zeit im Kontext des Lebens darstelle.136 Wurde nun schon einführend auf Ricœur verwiesen, deutet die 10.000-Jahre-Uhr auf seine Unterscheidung zwischen phänomenologischer und kalendarischer Zeit. Die „phänomenologische Zeit“137 meint eine „Spur, [die] das Vorübergegangensein lebendiger Wesen an[zeigt]“138. Die Paradoxie liegt darin, dass „der Übergang nicht mehr ist, aber die Spur zurückbleibt“139. Die „kalendarische Zeit“140 jedoch ist es, „ergänzt

hinsichtlich der Länge eines Tages, vgl. M.W. Bush: „Climate Change and the Clock“ vom 26.04.2011. Es wird immer deutlicher, dass es sich nicht um eine Uhr handeln kann, die der Zeitmessung dient, sondern die repräsentativ steht für eine Längenauferlegung, die keine reguläre Zeitmessung in Betracht zieht. Der symbolische Status hebt die 10.000-Jahre-Uhr in Abgrenzung zum alltäglichen Verständnis einer Uhr noch hervor. – Zur Ausrichtung auf das Sonnensystem, das die Kalkulationen auf feste Bezugsgrößen erweitert, vgl. außerdem longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Orrery] vom 10.10.2014. 133 Zudem inspirierte die 10.000-Jahre-Uhr ebenso das Science-Fiction-Genre. Neil Stephensons Roman Anathem weist deutliche Verbindungen zur Clock of the Long Now auf, die aus der Mitarbeit des Autors in früheren Projektstadien resultieren, vgl. longnow.org, [Seminars]: „ANATHEM Book Launch Event“, http://longnow.org/ seminars/02008/sep/09/anathem-book-launch-event/ vom 28.04.2015. 134 Mit Bezug auf Kelly stellt Brand insbesondere die Anzeige der Uhr als „Rückkehr zu den Ursprüngen“ dar, da die „ersten Uhren als Modelle des Himmels – Sonne und Mond [entstanden]“, siehe S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 74. – So kann hier nochmals an eine erweiterte ‚dreifache Gegenwart‘ (Ricœur) rückgebunden werden: die Gegenwärtigkeit des Vergangenen (= Erinnerung), die Gegenwärtigkeit des Gegenwärtigen (= Anschauung des eigentümlichen Objekts) und Gegenwärtigkeit des Zukünftigen (= intendierte Funktionsweise von 10.000 Jahren, die erzählt wird). 135 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 56. 136 Vgl. ebd. 137 P. Ricœur: Zeit und Erzählung III, S. 165. 138 Ebd., S. 192. 139 Ebd.

48 | V OM LANGEN J ETZT

durch die [...] Uhr, die bewirkt, daß sich jede Verabredung [...] nach dem Maß einer Zeit richtet, die sich um uns nicht sorgt“141 . Ricœur führt damit zusätzlich zur Paradoxie einen Konflikt zwischen beiden Zeiten ein142 – den Konflikt zwischen der Spur, die sich um uns sorgt, und der kalendarischen Zeit, die sozusagen ohne Sorge abläuft. Besonders interessant ist jedoch, inwiefern die Long Now Foundation diesen Konflikt doch eher dadurch auflöst, dass es sich bei der 10.000-Jahre-Uhr nicht um eine gewöhnliche Uhr zur Zeitmessung (und folglich auch nicht um gängige Zeitmaße) handelt. Wie bereits zuvor mit Verweis auf Ricœur von dessen komplexen Unterscheidungen Abstand genommen werden musste, um das beobachtete Phänomen nicht aus den Augen zu verlieren, kann auch an dieser Stelle ein deutlicher Fokus der Studie hervorgehoben werden, der sich einerseits mit der Zukunftsausrichtung der Long Now Foundation und andererseits mit deren Selbstinszenierung befasst: Erstens liegt ein Konflikt vielmehr darin, dass die Long Foundation ihre eigenen Ziele (nämlich wenn es um eine Ausrichtung in die Vergangenheit geht, die über die Anschauung von kulturhistorsichen Uhrbauwerken hinausgeht) und damit ein balancierendes Korrektiv unterläuft. Mit den sogenannten medienkulturellen Implikationen, die diese Studie verfolgt, rückt dann vielmehr der Konflikt zwischen einer Ausdehung und einem webbasierten langen Jetzt in den Mittelpunkt. Zweitens wird eine zeitphilosophische Einbettung, gerade dann, wenn es nicht um eine eigentümliche, herkömmliche Uhr geht, in Anlehnung an Cassirer angereichert: Denn erst dann kann das Symbol als formgebendes Element für die stete Auseinandersetzung mit paradoxalen Sachverhalten eingebracht werden, die zusätzlich einer paradoxerweise forcierten Zukunftsausrichtung gerecht werden kann. Drittens führt die Long Now Foundation ein Zeitmaß wieder ein, dass sich sehr wohl um sie kümmert: Meine Analyse kann dies detailliert mit der Selbstinzenierung und Mythosstiftung der Long Now Foundation darstellen – eine ‚Spur‘ wird dann vielmehr in die Zukunft umgedeutet, die unter dem Deckmantel der Verantwortungsförderung eine eigene Denkmalsetzung verfolgt, auf die Zukunft ausgerichtet ist, aber bereits im Jetzt der aktuellen Mediengesellschaft vergegenwärtigt wird. Zurück zum Prototype One kann dessen Ausstellung als eine Strategie angesehen werden, das long-term thinking öffentlich zu machen, woran Erzählungen von Bauprozessen des Monuments Clock One anschließen. In Texas wird derzeit

140 Ebd., S. 195. 141 Ebd., S. 197. 142 Vgl. ebd.: Er liegt auch in einem „Gegensatz zwischen der Zeit, die bleibt, und uns, die wir vergehen“.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 49

der erste Standort einer monumentalen 10,000 Year Clock ausgebaut, Ziel ist es nämlich, über die Zeit mehrere Monumente zu erbauen.143 Um den Schutz der Uhr über den langen Zeitraum zu gewähren, wird das Monument in einer Berghöhle erbaut.144 Die Erbauung des Monuments außerhalb besiedelter Regionen soll allerdings auf einen weiteren grundlegenden Aspekt für das long-term thinking zielen: Es ist eine angedachte Reise, um die Uhr besichtigen zu können, die eine Pause für die Besucher und ebenso eine längere Auseinandersetzung mit der Uhr gewährleisten soll.145 Folgt man den angedachten Bauprozessen, geht das Monument weit über eine Uhr hinaus, denn nicht nur hat der Besucher mehrere Stationen zu durchqueren, bevor er zur Uhr gelangt,146 sondern Eno und Hillis komponierten den Glockenklang für die Uhr, der die Umgebung untermalen soll.147 Unabhängig von einem täglichen, regulären Klang (zur Mittagszeit), ertönt ein weiterer, wenn die Uhr von einem Besucher aufgezogen wird. Deutlich wird hier, dass spezifische Umwelten ausgebildet werden sollen, was sich insbesondere auch im zweiten, bereits 1999 angekauften Land für den Bauprozess in der Wüste Nevadas zeigt. Auf der Spitze eines Berges, umgeben von Bristlestone Pine Trees, soll ein weiteres Monument errichtet werden. Es handelt sich damit um eine für das longterm thinking charakteristische Umgebung, denn Bristlestone Pines haben eine

143 Vgl. K. Kelly: „Clock in the Mountain“ vom 25.09.2014. 144 Vgl. ebd. Ein rund dreijähriger Forschungs- und Entwicklungszeitraum vor Inbetriebnahme des Prototypen im Jahr 1999 und dokumentierte Entwicklungen, derzeit bis 2015 in den Clock One Updates geposted, kennzeichnen den Entwicklungsprozess (Stand: Mai 2016). 2010 wurden erste Tests mit einer eigens patentierten Steinsäge für die Aushöhlung des Bergs durchgeführt, vgl. [Clock One Updates, Oct. 2010; Dec. 2010; Mar. 2011]. Außerdem wird die Lage vor Ort zusätzlich mit Hilfe einer Wetterstation überprüft, vgl. [Clock One Updates, Feb. 2011]. 145 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 57. – Neben einem balancierenden Korrektiv und einer ‚lebenden Institution‘ macht ferner die Reise einen zentralen Aspekt aus: Er kann genealogisch freigelegt werden wie auch formgebend für eine Sinnstiftung auftreten und wird mit dieser Arbeit sukzessive auf einer bestimmten Vermittlungsebene zusammengeführt, die das Spiel miteinbezieht. 146 Vgl. K. Kelly: „Clock in the Mountain“ vom 25.09.2014. 147 Vgl. longnow.org, [10,000 Year Clock: Introduction: Chimes] vom 26.09.2014. Ein Algorithmus soll eine Spielzeit über die nächsten 10.000 Jahre gewährleisten durch den sogenannten Chime Generator.

50 | V OM LANGEN J ETZT

Lebensdauer von circa 5000 Jahren und gelten mit als älteste Organismen der Erde.148 Hier kommt einerseits eine intendierte verantwortungsfördernde und partizipatorische Einbindung des Besuchers auf, der zur Funktion der Uhr beitragen und gleichzeitig eine dem langen Jetzt entsprechende Umwelt adaptieren soll. Andererseits tritt das spielerische Element der Long Now Foundation hervor, das sich an das Storytelling koppelt: Das narrative of hope drückt sich also auch dadurch aus, dass der Mensch an der Funktionsdauer der Uhr beteiligt sein soll, wobei long-term thinking, so Brand, ein „infinites Spiel“ bedeutet, ein „Spiel ohne Ende“ 149. Es ist nicht nur der experimentelle Charakter im Projekt 10,000 Year Clock, sondern ebenso die ‚lebende Institution‘, die das Monument am Leben erhalten und anhand der zugehörigen Story die interessierte Öffentlichkeit einbinden soll, wobei diese Arbeit auf Erzählebene einem spielerischen Offenhalten möglicher Zukunft nachgeht.150 So tritt ein Schwerpunkt hervor, der dieses Zentralprojekt einerseits auf die symbolische Ebene der 10.000-Jahre-Uhr eingrenzen muss, denn diese liegt in der Webseite, die wiederum einen Place for Conversation für diese Story bereitstellt.151 Andererseits werden somit grundlegende Sinnstiftungsprozesse für ein Denken des Jetzt aufgeschlüsselt, die es ermöglichen, die Komplexität der Paradoxie sukzessive auf der Ebene eines spezifischen, mit Zeitlichkeit verknüpften Spiels zusammenzuführen. Charakteristische Umwelten, wie sie mit der noch imaginierten monumentalen Uhr aufkommen, zeigen sich später auch in The Interval. Es kann als Place for

148 Vgl. longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Nevada]: „The 10,000 Year Clock: Nevada“, http://longnow.org/clock/nevada/ vom 10.10.2014 sowie longnow.org, [Projects: Nevada]: „Mt. Washington, eastern Nevada“, http://longnow.org/clock/ nevada/ vom 26.09.2014. 149 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 168. – Die Genealogie kann auf diese Geschichte rund um das long-term thinking vorbereiten, indem sie den Reiseaspekt mit Learning Journeys der Unternehmensberatung aufzeigt, auf den Event-Charakter verweisen und ferner, für das spielerische Element, zur benannten Kunstsszene San Franciscos verknüpfen kann. 150 Bereits innerhalb der archäologischen Genealogie kann ein gewisser Spielcharakter der Long Now Foundation ausgemacht werden, der zugleich auf eine Selbstinszenierung deutet und hier schon mit The Interval – Celebrating a Place for Conversation hervortreten kann, vgl. Kap. 1.2.5. 151 Denn für ein Denken des Jetzt geht es darum, den „Ort für die künftigen und die vergangenen Dinge zu suchen, soweit sie erzählt oder vorhergesagt werden“, siehe P. Ricœur: Zeit und Erzählung I, S. 23.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 51

Conversation neben der Webseite angesehen werden, die hier zuerst vorgestellt werden soll. Von einem webbasierten Place for Conversation ausgehend, spalten sich dann weitere Konversationen ab (Long-term Seminars und Special Events). 1.2.3 longnow.org – A Place for Conversation Die Webseite longnow.org kennzeichnet den, so der hier eingenommene Blickwinkel, zentralsten Zugang zur Stiftung. Wenn dies mit einem Onlineauftritt im World Wide Web zunächst offensichtlich scheint, ist es für die zentrale Frage, wie sich das Jetzt denken lässt und wie dabei seiner Paradoxie zwischen Kürze und Länge gefolgt werden kann, jedoch von zentraler Bedeutung. Denn steht die Long Now Foundation symptomatisch für eine Längenauferlegung, dann stellt sich die Frage, wie einem langen Jetzt webbasiert gefolgt werden kann. Wie kann das Jetzt also als langes Jetzt in seiner medialen Erscheinung gedacht werden und dabei ein balancierendes Korrektiv (‚balancing corrective‘152) aufkommen, das der Prämisse folgt, ‚to help make long-term thinking more common rather than difficult and rare‘153 . Abbildung 1.3: longnow.org, Startseite

Longnow.org, [Home] vom 02.10.2014 152 Vgl. Anm. 113. 153 Vgl. Anm. 22.

52 | V OM LANGEN J ETZT

Dem Besucher der Webseite longnow.org wird es ermöglicht, sich ausführlich über die Long Now Foundation zu informieren und sich in ihre Arbeits- und Projektbereiche einzulesen. Die Startseite stellt eine Fülle von Optionen bereit, um der Geschichte des long-term thinking über einzelne Menüpunkte (items) zu folgen. Der User folgt damit einer Navigation durch die Webseite, die einen Ausgangspunkt dafür bildet, wie das erzählte lange Jetzt auf Seiten der Mediennutzung erschlossen werden kann. Eine solche Navigation konstituiert Wahrnehmungsprinzipien mit und wirkt sich somit auf das Denken aus. Aus diesem Grund wird an gegebener Stelle eine mediale Erschließung fokussiert und dort ebenso die entsprechende Terminologie ausgeführt.154 Da prinzipiell jede Webseite unzählige Möglichkeiten bietet, durch die in items angeordneten und verlinkten Informationen zu navigieren, wird im Folgenden ein möglicher Weg durch longnow.org dargestellt. Diese Anordnung der Webseite wird zu einer Datenbankstruktur als kulturelle Form spezifiziert, was enggeführt auf das beobachtete Phänomen ebenso narrativistische Ansätze einbezieht. Ein möglicher Weg entspricht dann nicht nur der kontingenten Lektüremöglichkeit, wie sie diese Arbeit zu entwerfen sucht, sondern die Datenbank knüpft auf ihre Weise an die Genealogie an, anhand derer ein ebenso anzuordnendes Archiv lesbar wird. Der spätere Blick auf die Narrativität, die daraufhin eingegrenzt werden muss, wie das Storytelling webbasiert hervortreten kann, führt weiter zu (nicht-)linearen Erschließungspfaden (den Wegen, die der User in der Webseite gehen kann) und fokussiert ein mögliches Denken des langen Jetzt, das sich auf Wahrnehmungsprinzipien ausübt. Die Fülle an webbasierten Informationen kann ausgehend von den items About und Projects aufgezeigt werden; sie können als ein zentrales Bindeglied in der Webseite angesehen werden und zu weiteren Sektionen führen:

154 An dieser Stelle zeigt sich bereits eine spezifische Herausforderung für diese Forschung Vom langen Jetzt: Es gehört zu den Merkmalen einer jeden Webseite, dass sie einem steten Wandel und Änderungen unterliegen kann; Texte werden editiert, neue Informationen eingepflegt oder verändert, und einzelne subdomains können ggf. bereits nach kurzer Zeit nicht mehr abrufbar oder verfügbar sein. Wenn dies bereits ankündigt, einer ‚lebenden Institution‘ entsprechen zu können, geht es jedoch genauso darum, wie sich dies auf ein Denken des langen Jetzt auswirken kann, vgl. dazu insbesondere Kap. 3.2. – Die Analyse von webbasiertem Material muss dabei ebenso mit eventuellen Änderungen umgehen, etwa mit Material, auf das über die domain longnow.org ggf. nicht mehr direkt zugegriffen werden kann.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 53

Abbildung 1.4: longnow.org, About, Projects

longnow.org, [Home] vom 02.10.2014

Von besonderer Bedeutung ist die Sektion About mit Berichten und Artikeln rund um die 10,000 Year Clock, wie oben bezüglich des Gründungskontextes deutlich wurde. About kann einen ersten Schritt darstellen, sich über grundlegende Ideen und Ideale zum long-term thinking zu informieren, als Einstieg in die Selbstbeschreibung der Long Now Foundation. Die items können in verschiedene Sektionen unterteilt sein, die eine neue Seite – vorrangig intern, das heißt im Rahmen von longnow.org verfahrend – aufrufen. The Interval und der 10,000 Year Clock sind mittlerweile eigene Webseiten zugeordnet (theinter val.org; www.10000yearclock.net). Zu der Sektion About, die die Seite About Long Now offenlegt, zählen weiterhin Erklärungen zum Begriff The Long Now und eine abrufbare, hier so bezeichnete Skalierung des langen Jetzt (vgl. dazu ausführlich Kap. 1.3). Essays erweitern diese Hintergrundinformationen, die vorrangig durch People of the Long Now gegeben werden, was im Laufe der Analyse zu einem spezifischen Plotsetting zugespitzt wird. Jede abrufbare Seite ist im Fließtext mit Verlinkungen versehen. So auch die Seite About Long Now, die zu zentralen Personen (z. B. Stewart Brand; Danny Hillis) und der entsprechenden Zuordnung unter dem item People führt (unterteilt in Board Members, Staff, Associates). Ebenso verlinkt sind in den jeweiligen Fließtexten die Projekte der Stiftung, die zusätzlich über Projects gesondert aufrufbar sind. Eine prominentere Stellung nimmt hier The 10,000 Year Clock ein, die bereits auf der Startseite zentral abgerufen werden kann, zusätzlich aber mehrfach in der Sektion Essays auftaucht und in About Long Now wie auch unter People, etwa verlinkt über Danny

54 | V OM LANGEN J ETZT

Hillis. Wie aus der abgebildeten Startseite ersichtlich, nimmt The Interval dort ebenso eine zentrale Stellung ein (oben mit abgeschlossenem Spendenaufruf zum Projektaufbau). Das Projekt bezieht seine Stellung ebenfalls über einen Direktlink auf der Startseite und an erster Stelle unter Projects. Gesondert aufgelistet in der Menüleiste sind die Long Now Seminars (item: Seminars), die zusätzlich auf der Startseite erscheinen, inklusive Ticker zu „Upcomming Seminars...“. So treten explizit jene Bereiche hervor, die sich der Konversation über ein long-term thinking im öffentlichen Diskurs widmen.155 Insgesamt zeichnet sich die Webseite durch eine Fülle an Zusatzmaterial aus, seien es Bilder, Fotografien, Podcasts oder Videos. So sind etwa unter 10,000 Year Clock Videos zur Monumenterbauung einsehbar156 und ferner alle Long Now Seminars als Podcast festgehalten.157 Einzelne Versionen sind zusätzlich mit entsprechenden Videos der Veranstaltungen unterlegt, die für Mitglieder abrufbar sind. Dies leitet weiter zu dem geschützten Mitgliederbereich der Long Now Foundation, der Zusatzoptionen bereithält, wie genannte Videos, aber vor allem auch Informationen zur erwähnten Clock One. So entstehen ‚Exklusivrechte‘ für die Mitglieder. Dieser geschlossene Bereich der Webseite wird im Rahmen ihrer genauen Analyse wieder aufgegriffen, wobei spezifische Prozesse des Storytelling hinsichtlich eines gemeinsamen Entwurfs für das lange Jetzt (wie es anhand des ‚infiniten Spiels‘ deutlich wurde) betrachtet werden. Daran schließen Partizipationsprozesse an, die vorrangig durch Appelle und Spendenaufrufe deutlich werden. Dies wird bereits in der abgebildeten Startseite (bei The Interval) deutlich, wobei das item Donate dies explizit macht: „If you’d like to be part of something ambitious, visionary, and downright monumental, consider joining our growing band of supporters. In return, the Clock-Library project offers you the opportunity, as Stewart Brand says, to be instructed, amused and even inspired.“158

155 Weniger prominent, im unteren Teil der Webseite, tauchen The Rosetta Project, Long Bets und Revive and Restore auf, vgl. hierzu Kap. 1.2.6: Long-term Conservation. 156 Etwa „Power and Winder Testing“ oder „Robotic Stone Saw“, siehe K. Kelly: „Clock in the Mountain“ vom 02.10.2014. 157 Vgl. longnow.org, [Projects: Seminars: Audio Potcast], feed://longnow.org/projects/seminars/SALT.xml vom 02.10.2014, oder die externe iTunes Store Podcast Page. 158 Longnow.org, [Donate]: „Support Long Now“, http://longnow.org/support/ vom 02.10.2014. – Solche Appelle setzen sich in einzelnen Projekten fort, so etwa im Rosetta Project: „Help us build an open public collection of the world’s nearly 7,000 human languages“, siehe longnow.org, [Projects: The Rosetta Project], http://rosettaproject.org/ vom 02.10.2014.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 55

Der User kann sich einen umfassenden Einblick in die Long Now Foundation verschaffen, der – etwa anhand von Bildern, die u. a. die Räumlichkeiten zeigen oder auch zahlreiche Abbildungen von Artefakten – einem Besuch vor Ort nahekommt. Dies würde bei einer Mitgliedschaft noch durch Videos verstärkt. Longnow.org ist der Place for Conversation mit Einblicken in den Aufbau der Long Now Foundation und der webbasierte Ort, an dem die Konversation und die Erzählung des long-term thinking gleichermaßen stattfinden. Weiterführend ist es ein Place for Conversation, anhand dessen Wahrnehmungsprozesse für ein Denken des Jetzt und eine Ausdehnung fokussiert und geprüft werden. 1.2.4 Long Now Seminars and Special Events Dass die Long Now Foundation einen Ort für Konversationen über das longterm thinking darstellen will, um dieses im öffentlichen Diskurs zu etablieren, zeigt sich auch in den Long Now Seminars, wobei eine Verknüpfung zum Bereich der Kunst insbesondere anhand von Special Events hervortritt. Seit 2003 veranstaltet die Stiftung Seminare „to build a compelling body of ideas about long-term thinking; to help nudge civilization toward our goal of making longterm thinking [...] common instead of difficult and rare“159. Diese Projektebene kann als ein weiterer Schritt für eine verstärkte Außendarstellung angesehen werden, in dem zugleich das ihr spezifische, ‚multi-disziplinäre‘ Netzwerk zum Tragen kommt. Die Seminare, die einmal monatlich stattfinden, werden von Stewart Brand moderiert und befassen sich mit einer Bandbreite von Themen, die auf ihre Weise zum long-term thinking beitragen und dieses themenspezifisch reflektieren sollen. Im Oktober 2014 hielt Larry Harvey, Gründer des Burning Man Festivals, den Vortrag „Why The Man Keeps Burning“, der sich den Prinzipien widmet, die das kontinuierliche Fortbestehen des Festivals bestimmen. So tritt die Verknüpfung der Long Now Foundation zur Underground Art Scene erneut auf den Plan, die Harvey seit den 1970er Jahren mit vertritt.160

159 Longnow.org, [Seminars]: „Seminars About Long-term Thinking“, http://longnow. org/seminars/ vom 30.09.2014. 160 Siehe burningman.com, [People: Larry Harvey]: „What Is Burning Man?“, http:// www.burningman.com/whatisburningman/people/1_harvey_bio.html vom 30.09.2014. – Das Seminar adressierte Fragen, wie: „What if celebrating ephemerality is the best guarantee of continuity? What if conservatively radical principles and evolving rules are more robust over time than anything merely physical?“, siehe longnow.org,

56 | V OM LANGEN J ETZT

Die Veranstaltung mit Adrian Hon, Geschäftsführer einer Game Design Company, fokussiert dessen Projekt und Publikation „A History of the Future in 100 Objects“161, angelehnt an das Projekt des British Museum und BBC „A History of the World in 100 Objects“162 . Im Long Now Seminar äußert sich dabei die spezifische Zeitperspektive, die das Jetzt sowohl in Richtung Vergangenheit als auch Zukunft denkt: „A History of the Future in 100 Objects“ verschiebt die Vergangenheit in die Zukunft, denn aus der Perspektive des Jahres 2082 entwirft Hon fünf der Objekte und Ereignisse, die das 21. Jahrhundert und dessen Trends ausgemacht haben sollen.163 Hier liegt folgender Gedanke zugrunde: „[w]hen we think of the future, we are really thinking about our past and present“164. Die Seminare verdeutlichen somit Beiträge zu einem long-term thinking, mit dem das Jetzt insbesondere durch die Zukunft angereichert wird.165 Denn hier verdeutlichte Vorträge haben spezifische Szenarien gemein, mit denen Imaginationen und Fragen an die Zukunft entworfen werden, die jetzt angegangen werden und Handlungsstrategien nachhaltig mitbestimmen sollen.

[Seminars]: „Why the Man Keeps Burning“, http://longnow.org/seminars/02014/oct/20/why-man-keeps-burning/ vom 30.09.2014 . 161 Vgl. ahistoryofthefuture.org, http://ahistoryofthefuture.org/ vom 30.09.2014. 162 Vgl. The British Museum: A History of the World in 1000 Objects, www.british museum.org,

[Explore],

http://www.britishmuseum.org/explore/a_history_of_the_

world.aspx vom 30.09.2014: Das Projekt stellt die Weltgeschichte anhand 100 ausgewählter Objekte der letzten zwei Millionen Jahre dar, ausgestellt in der Museumsgalerie, auf der zugehörigen Webseite und begleitet von der Publikation „A History of the World in 100 Objects“. Die Objekte reichen von ersten Schrifttafeln über Papyrus bis hin zur Kreditkarte und Solarlampen. 163 Vgl. longnow.org, [Seminars]: „Adrian Hon: A History of the Future in 100 Objects“, http://longnow.org/seminars/02014/jul/16/history-future-100-objects/ vom 30.09.2014. Etwa geht es dabei um einen sogenannten Micromort Detector aus dem Jahr 2032; ein Armband, das in einer stets älter werdenden Gesellschaft die Lebensgefahr für verschiedene Aktionen kalkuliert anhand sogenannter micromorts („Go canoeing – 10 micromorts. Two glasses of wine – 1 micromort“), siehe ebd. 164 ahistoryofthefuture.org, [About], http://ahistoryofthefuture.org/about/ vom 30.09.2014. 165 Wenn die Veranstaltung mit Hon also auf Ereignisse und Dinge für die Zukunft hinweist, sucht die Genealogie dieser Arbeit solche aus der Vergangenheit für die Gegenwart anzuordnen und eine Zukunftsausrichtung durch Blick in die Vergangenheit anzureichern.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 57

Eine Verbindung zu Zukunftsszenarien zeigt sich außerdem in Long Bets: The Arena For Accountable Predictions.166 Es handelt sich um für die Stiftung charakteristisch transformierte Szenarienentwürfe.167 Sie wenden sich nämlich einem Unterhaltungswert zu („enjoyable predictions“168), wobei der Wetteinsatz einem gemeinnützigen Zweck zukommen soll. Mitglieder können einen Zukunftsentwurf bzw. eine Vorhersage (prediction) über gesellschaftliche Themen abgeben (die Regel: „about things that matter, directly or indirectly; Each predictor has a theory of how the world will proceed, and that theory is made explicit“169). Die Wette gilt, wenn eine Vorhersage durch ein anderes Mitglied angenommen wird, wofür ein Gegenargument geliefert werden muss. Beide Parteien bestimmen den Wetteinsatz und die Begünstigten der Summe.170 Long Bets verdeutlicht einen weiteren Schritt, das long-term thinking nicht nur zu zelebrieren (wie es mit The Interval noch hervorgehoben wird), sondern öffentlich zu etablieren und dabei seinen wertvollen Einsatz vermitteln zu wollen. Special Events erstellen eine explizite Verbindung zu einem künstlerischen Umgang mit dem long-term thinking. Exemplarisch wird hier das Event Long Player am 16. Oktober 2010 hervorgehoben, denn es steht repräsentativ für ei-

166 Vgl. longnow.org, [Projects: Long Bets], http://longbets.org/ vom 01.10.2014. 167 Aus genealogischer Perspektive zeigt das scenario planning allerdings, dass Szenarien nicht auf eine Vorhersage (prediction) der Zukunft zielen. In Long Bets wird versucht, dies vor allem dahingehend auszubauen, dass jede Wette argumentativ untermauert werden muss, vgl. longnow.org, [Projects: Long Bets: Rules]: „Long Bets: Rules“, http://longbets.org/rules/ vom 01.10.2014. 168 longnow.org, [Projects: Long Bets] vom 01.10.2014. 169 longnow.org, [Projects: Long Bets: Rules] vom 01.10.2014. – Hier kommen etwa Entwürfe zustande, wie: „No human will set his or her foot on Mars and return safely to earth before 2050“ (Gültigkeit/Laufzeit der Wette: 2007-2049); „Human population of the world will peak at or below 8 billion in the 2040s and then drop dramatically“ (2009-2049); „There will be a Chernobyl National Park by 2035 (2009-2035)“; „By 2030, 30% of libraries existing today will not have walls (buildings)“ (2013-2030); „By 2030, the apostrophe will have functionally disappeared from American English (2013-2030)“, siehe longnow.org, [Projects: Long Bets: Bets&Predictions]: „Long Bets: Bets&Predictions“, http://longbets.org/predictions/ vom 01.10.2014. 170 Vgl. longnow.org, [Projects: Long Bets] vom 01.10.2014: Exemplarisch sind Begünstigte in einer laufenden Wette entweder Girls Incorporated of Omaha oder Friends of Absolute Return for Kids, Inc.

58 | V OM LANGEN J ETZT

nen bewussten Umgang mit Zeit durch die Musik.171 Der Long Player ist ein von Jem Finer entwickeltes, 1000 Jahre lang kontinuierlich spielendes Musikstück, das am 31. Dezember 1999 (zeitgleich also mit dem Prototype One) begann. Das Projekt ist im Londoner Lighthouse beheimatet, kann dort sowie im Livestream auf longplayer.org angehört werden.172 Das Special Event der Long Now Foundation kombinierte eine über vierstündige Live-Performance des Long Players mit der sogenannten Long Conversation, die u. a. von Long-Now-Direktoriumsmitgliedern über sechs Stunden gehalten wurde.173 Der Long Player entsteht ebenso aus Gedanken rund um das Jahr 2000174 und repräsentiert ein Millennium mit der Spielzeit von 1000 Jahren. Das computergenerierte Stück175 wird vergleichbar mit einer ‚lebenden Institution‘, wie sie die Long Now Foundation darzustellen sucht: „Longplayer can also be understood as a living, 1000-year-long process – an artificial life form programmed to seek its own survival strategies. More than a piece of music, Longplay-

171 Dies verknüpft sich mit einleitend dargestellten Verhandlungen des Jetzt, insbesondere mit John Cages Organ2/ASLSP oder der Berliner MaerzMusik. 172 Vgl. longplayer.org, [About: Overview of Longplayer], http://longplayer.org/about/ overview/ vom 01.10.2014. Neben dem Londoner Lighthouse, sind sogenannte public listening spots im Londoner Science Museum und The Royal Observatory sowie im Besucherbereich der Long Now Foundation (The Interval) vertreten, vgl. ebd., [Visit], http://longplayer.org/visit/ vom 01.10.2014. 173 Vgl. longnow.org, [Projects: Special Events]: „Special Events: Longplayer San Francisco“, http://longnow.org/longplayer/ vom 09.10.2014. – Das Stück ist eine Komposition von tibetanischen Klangschalen, das live aufgeführt werden kann und das Finer ursprünglich 1999 komponierte, produziert von Artangel, vgl. artangel.org.uk, [About Long Player], http://www.artangel.org.uk//projects/2000/longplayer/about_the_project/ about_the_project vom 01.10.2014. 174 Siehe longnow.org, [Projects: Special Events: Long Player], http://longnow.org/ longplayer/ vom 01.10.2014: „Jem Finer started working on the concept of Longplayer in the mid 1990's when he was struck by a general lack of long-term vision as we approached the year 02000.“ 175 Finer entwickelte einen Algorithmus, sodass das ursprünglich 20 Minuten und 20 Sekunden lange Stück spielt ohne einen Teil der sechs-teiligen Komposition in der Spielzeit zu wiederholen, vgl. longplayer.org, [About: How does Longplayer work?], http:// longplayer.org/about/how-does-longplayer-work/ vom 01.10.2014.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 59

er is a social organism, depending on people – and the communication between people – for 176

its continuation, and existing as a community of listeners across centuries.“

In der hier stattfindenden ‚Diagnose der Gegenwart‘ zeigt sich das Projekt, neben seiner Einbettung in den Kontext der Long Now Foundation, als repräsentativ für ein langes Jetzt, wie es in dieser Arbeit verfolgt wird, und kann erneut an eine ‚dreifache Gegenwart‘ rückbinden: „This Music is suspended in an endless present, yet in that instant echoing a past and a suggestion for the future.“177 Das Echo der Vergangenheit ist Teil der Genealogie der Stiftung, wobei sich diese Vergangenheit in die Gegenwart und den Place for Conversation ausdehnt. Storytelling und Mythos können ferner einen Vorschlag für die Zukunft darstellen. 1.2.5 The Interval – Celebrating a Place for Conversation The Interval wurde im Juni 2014 im FMC eröffnet. Die Räumlichkeiten verfügen über ein Café mit Bar, dienen als Ausstellungsraum, und hier ist ebenso eine Bibliothek, das sogenannte Manual for Civilization, angelegt. The Interval führt den Place for Conversation weiter aus, denn dahinter steht die Idee, „to create a compelling venue for conversation that invites visitors to spend time in a place that itself encourages long-term thinking“178. Es mag nun Pech sein, dass im September 2013 bei meiner Forschungsreise für dieses Projekt u. a. zur Long Now Foundation nur die Baustelle besichtigt werden konnte. Es kann aber auch ein glücklicher Zufall sein, die Stiftung gerade in ihrer steten Weiterentwicklung anzutreffen, was ein klarer Bestandteil eines ausgedehnten langen Jetzt ist und darauf deutet, lange Zeiträume mit Handlungen füllen zu wollen.

176 Ebd. 177 Longnow.org, [Projects: Special Events: Longplayer] vom 01.10.2014, nach einem Zitat von Michael Morris, Artangel. 178 Longnow.org, [Projects: The Interval] vom 29.09.2014. An dieser Stelle mag The Interval an sogenannte Salonkulturen erinnern. Als Phänomen der Post-Hippie-Ära wird die Studie allerdings vielmehr einem kalifornischen Entstehungskontext gerecht, indem etwa eine angeeignete Gesprächsformation, überraschenderweise aus kalifornischem Unternehmertum, aufgezeigt werden kann. Nicht nur verknüpft diese aufs Engste mit jenen People of the Long Now, sondern sie kann einen Entstehungskontext eruieren, der von den 1980er über die 1960er und 70er Jahre bis in die USamerikanische Forschungswelt der 1950er Jahre reicht.

60 | V OM LANGEN J ETZT

Abbildung 1.5: Baustellen-Intervall, September 2013

Fotografie: Vera Fischer

Aus den Artefakten bzw. Modellen, die The Interval ausstellt, ist hier ein Teil des Prototyps der 10.000-Jahre-Uhr zu sehen, nebst Motto, ersten Entwürfen zum Mobiliar und zum Manual for Civilization. Was vor Ort die stete Erneuerung einer ‚lebenden Institution‘ zeigt, erscheint aber komprimiert und vor allem aktualisiert in der Webseite und stärkt den zu verfolgenden Fokus auf ebendiese. Das Intervall steht dann nicht nur im Wortsinn für einen zeitlichen Zwischenraum, sondern für immer wieder aufkommende Erneuerungsphasen und Weiterentwicklungen der Long Now Foundation, wie sie schon in den zentralen Projekten der 10.000-Jahre-Uhr angelegt sind. So gehe ich einem work in progress als konstitutiven Teil des langen Jetzt nach, um eine selbsternannte ‚lebenden Institution‘ zu überprüfen. Was 2013 etwa noch als Baustelle und erste Entwürfe nachvollzogen werden konnte, zeigt sich hier dann mit einer Innenansicht von The Interval aus dem zenralen Zugang longnow.org: So ein Prototyp zur Darstellung des Sonnensystems für die 10.000-Jahre-Uhr, Illustrationen vom Manual for Civilization, die Installation von Brian Eno sowie der Bar-Bereich für die Besucher.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 61

Abbildung 1.6: Innenansicht The Interval

longnow.org, [The Interval] vom 13.10.2014: Prototypen, Manual, Installation, Bar

Insgesamt spiegelt sich in The Interval die Ebene eines gemeinsamen Spiels, das zugleich eine charakteristische Umwelt für gegenwärtige Handlungen in einem langen Jetzt schafft, dabei allerdings ebenso geschickt Finanzierungsquellen ausbaut: Der Bibliotheksgedanke, der schon von Anfang an die 10.000-Jahre-Uhr begleitet,179 zeigt sich hier in der „crowd-curated library“180, dem Manual for Civilization. Mit einer Spende ab 10.000 USD hat der Sponsor mit der sogenannten shelf dedication die Möglichkeit, ein Buch für diese Bibliothek auszuwählen, wobei das Regal am Standort des Titels mit seinem oder ihrem Namen versehen wird. Ziel ist es, die Bibliothek mit „the best 3,500 volumes to restart civilization“181 anzufüllen. Spielerisch, wie aber auch der Finanzierung zu Gute kommend,

179 Vgl. longnow.org, [About] vom 22.07.2014; vgl. ferner S. Brand: „The Library“, Times Higher Education (31.05.1999), http://www.timeshighereducation.co.uk/ 146593.article vom 22.07.2014. 180 Vgl. A. Rose: „The Manual for Civilization Begins“, longnow.org (06.02.2014), [Blog], http://blog.longnow.org/02014/02/06/manual-for-civilization-begins/ vom 28.04.2015. 181 Ebd., [The Interval: shelf dedication], https://longnow.org/interval/ vom 29.9.2014. Es sollen ganz einfach aus dem Grund 3500 Exemplare werden, da die Raumkapazi-

62 | V OM LANGEN J ETZT

soll hier die am long-term thinking interessierte Öffentlichkeit eingebunden werden, um ebenso einen Platz in der Story einzunehmen, die die Long Now Foundation mit ihrem narrative of hope erzählen will: „I cannot imagine the future, but I care about it. I know I am part of a story [...] I have hope for the future.“182 Partizipatorisches Spiel und Finanzierungsquelle setzen sich in weiteren Spendenoptionen fort. Die spielerische Herausforderung äußert sich schon namentlich im Long Now Challenge Coin, der Sponsoren ab einer Spende von 100 USD zukommt. Alle so zu erwerbenden Artikel repräsentieren außerdem ein in den Long-Now-Projekten bzw. Prototypen verwendetes, besonders langlebiges Material. Sowohl die Münze, mit Carpe Millennium-Logo als auch Tea Flask und Window Flask, ab einer Spende von 500 USD, sind aus rostfreiem Stahl angefertigt (vgl. Abb. 1.7). Mit den Produkten Tea Club und Bottle Club, ab einer Spende von 1.500 USD, werden den Sponsoren entweder traditionelle Suncha-Pu-erh-Teeblätter oder Ginwie Whiskeysorten aufbewahrt, die zu deren Besuch serviert werden sollen. Eine Spende ab 25.000 USD garantiere dem Sponsor eine eigene Whiskeykreation, die über 15 Jahre reift und in speziell angefertigter Flasche einen Platz in der Bar mit eingraviertem Namen erhält. Der Sponsor erhält außerdem eine shelf dedication und kann zusätzlich zwischen einem der anderen Produkte auswählen.183 Abbildung 1.7: The Interval – Produkte

longnow.org, [The Interval] vom 29.09.2014

tät schlichtweg nicht mehr Bücher zulässt, so einem Gespräch mit Danielle Engelman zufolge beim Besuch der Long Now Foundation im September 2013. 182 D. Hillis: „The Millennium Clock“ vom 08.07.2014. 183 Angemerkt sei hier außerdem eine wieder aufkommende optimistische Haltung, die sich hier noch mit dem Unterhaltungswert verknüpft: Wenn es fraglich bleibt, wie viele Sponsoren sich auf den Höchstbetrag einlassen (und eine Wartezeit von 15 Jahren in Kauf nehmen), macht die Stiftung derzeit lediglich Angaben dazu, dass 1.1000 Sponsoren beteiligt sind und wie viele der verschiedenen Spendenoptionen noch zur Verfügung stehen, vgl. longnow.org, [Projects: The Interval: Reserve Your Bottle], https://longnow.org/interval/ vom 28.04.2015. Gleichwohl ist der Unterhaltungswert gesichert oder die Fähigkeit der Long Now Foundation mit ihrem selbsternannten Aberwitz zu spielen.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 63

Mit der spielerischen und partizipatorischen Ausrichtung, die der Long Now Foundation insgesamt wesentlich ist und die ich mit kreativen Entwicklungslinien der kalifornischen Kunstszene, insbesondere der Cacophonists, verknüpfen kann, kennzeichnet sich The Interval durch einen Eventcharakter aus. Er äußert sich ferner mit Rose’ Vorliebe für Robotik. Der Chalk Board Robot184 wird z. B. dafür herangezogen, während Präsentationen im Veranstaltungsort Long Bets schriftlich festzuhalten. Der Bespoke Gin Robot ermöglicht „87,178,291,200 possible gin variants [and] could serve up a different gin each day for the next 238 million years“185. Eine kreative Verantwortungsförderung avanciert hier zum „celebrating long-term thinking“186 , denn das Leben ist ein Spiel, „turning the conciousness of contemporary culture away from passive entertainment, and toward a more [...] creative, and innovative concept of what it means to be entertained“187 . The Interval ist der Raum, der eine charakteristische Umwelt für ein long-term thinking schaffen und in dem das lange Jetzt gefördert und zelebriert werden soll. Die Analyse einer solchen charakteristischen Umwelt schließt an die des Storytelling in longnow.org und die des Mythos an. 1.2.6 Long-term Conservation Das Arbeitsfeld der Long Now Foundation kann in einen zweiten Bereich eingeteilt werden, der vor allem auf nachhaltige Sicherungs- und Speicherprozesse ausgerichtet sein soll, sodass ich eine Umkehr von der Conversation zur hier so bezeichneten Long-term Conservation verdeutlichen kann. Nicht nur dem Entwicklungsstand einiger dieser Projekte geschuldet, sondern auch hinsichtlich des gesetzten Fokus auf einen Place for Conversation, muss diese Projektebene auf eine zusammenfassende Darstellung reduziert werden. Die Long Now Foundation sieht das long-term thinking hier durch sich stets verändernde Speicherformate und Datenträger sowie deren langfristige Auslesbarkeit herausgefordert. Sie widmet sich in diesem Bereich der von ihr so bezeichneten „digitalen Dis-

184 Vgl. A. Rose: „The Chalk Board Robot for The Interval“, longnow.org (13.03.2014) [The Interval: Chalkboard Robot/Blog], http://blog.longnow.org/02014/03/13/ interval-chalk-board-robot/ vom 29.09.2014. Der Roboter wurde von dem Künstler Jürg Lehni entwickelt, der ursprünglich Performances beispielsweise für das San Francisco Museum of Modern Art durchführte. 185 Vgl. longnow.org, [The Interval] vom 29.09.2014. 186 Ebd. 187 K. Evans/C. Galbraith/J. Law: „Introduction“, S. xv.

64 | V OM LANGEN J ETZT

kontinuität“188 (digital discontinuity), das heißt einer sich rasant fortentwickelnden Computertechnologie, die sich fortwährend selbst überhole.189 Hier rücken die Projekte Revive and Restore, das Rosetta Project und Long Server in den Mittelpunkt. Während mit dem Rosetta Project und Long Server eine nachhaltige Archivierung digitaler Speicherformate angestrebt wird,190 zielt Revive and Restore darauf, den Bestand bedrohter Arten zu sichern, gar ausgestorbene Arten wiederzubeleben und diese erneut in ihren Lebensraum einzugliedern.191 Revive and Restore zählt dabei zu den umstrittensten Long-Now-Projekten und ist dem Vorwurf ausgesetzt, mit dem genetischen Code zu spielen.192 Außerdem kommt hier die Frage auf, inwieweit der Respekt gegenüber natürlichen Entwicklungslinien außer Acht gelassen wird. Dies bezieht sich insbesondere auf eine intendierte Wiederbelebung des Fellmammuts, wobei ein tatsächlicher

188 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 89. 189 Vgl. ebd., S. 89-92. – Brand beruft sich hier ferner auf einen „trend [...] comming from the acceleration of technology“, siehe: S. Brand: „The Clock and Library Projects“ vom 15.04.2015. So kann ein weiterer Themenkomplex ausgemacht werden, in den sich die Stiftung einreihen ließe. Dabei geht es um ein, insbesondere zum ausgehenden 20. Jahrhundert, bereits weitverhandeltes und eigenes Feld um Medien und Beschleunigung. Dies würde einen eigenen Fokus nach sich ziehen und entfernt von einem für diese Studie zentralen Place for Conversation. Für einen exemplarischen Überblick zur Beschleunigung vgl. K. Hickethier: Medienzeit – Beschleunigung und Verlangsamung; G. Großklaus: „Medien-Zeit“, S. 36-59; K. Kirchmann: Verdichtung, Weltverlust und Zeitdruck; H. Rosa: Beschleunigung. Verwiesen sei ebenso auf Paul Virilio, einen der prominentesten Vertreter, der den Begriff der Dromologie (griech. dromos – Lauf) als Wissenschaft von Geschwindigkeit prägt, vgl. insbesondere P. Virilio: Geschwindigkeit. 190 Vgl. longnow.org, [Projects: The Rosetta Project: Home: rosettaproject.org], http://rosettaproject.org/ vom 03.10.2014; longnow.org, [Projects: Long Server: longserver.org], http://longserver.org/ vom 03.10.2014. 191 Vgl. longnow.org, [Projects: Revive and Restore], http://longnow.org/revive/ vom 03.10.2014. 192 Vgl. K. Knibbs: „Scientists Are Actually Trying to Revive Extinct Animals, Jurassic Park-Style“, Time.com (28.02.2014), http://newsfeed.time.com/2014/02 /28/scientistsare-actually-trying-to-revive-extinct-animals-jurassic-park-style/print/ vom 03.10.2014. Die Kritik geht also so weit, das Projekt mit Jurassic Park zu vergleichen.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 65

Nutzen für die Umwelt in Frage gestellt wird.193 Hauptinitiator ist auch hier Stewart Brand und in der kontroversen Diskussion des Projekts wird ebenfalls auf den Whole Earth Catalog verwiesen, der als sogenannte Do-It-Yourself-Anleitung zum Kommunenleben individuelle Macht und Einfluss auf die eigene Umwelt einleiten sollte.194 In der Diskussion werden Parallelen zu solchen Ambitionen gezogen, gleichzeitig aber ernstzunehmende Absichten der Stiftung hervorgehoben, wenn etwa auf den Kreis an Beteiligten verwiesen wird.195 Hier stellt sich also auch die Frage, wie weit das long-term thinking gehen darf bzw. welche der Ambitionen noch nachvollziehbar sind, wenn es um ein verantwortungsvolles Handeln gehen soll und ferner Vergleichsebenen zu Disney Land oder auch Jurassic Park aufkommen. Das Rosetta Project ist ein globaler Zusammenschluss von Linguisten und Muttersprachlern mit dem Ziel, eine öffentlich zugängliche digitale Bibliothek der Weltsprachen zu errichten. Der angeführte Aspekt ‚digitaler Diskontinuität‘ wird hier vor allem bezüglich einer langfristigen Auslesbarkeit digitaler Formate angegangen.196 Der öffentliche Blick wird dabei vorrangig auf den drastischen Verlust von Minderheitensprachen gelegt. So berufen sich einige Sprachspezialisten auf die Möglichkeit, innerhalb des nächsten Jahrzehnts bis zu 90 % der sprachlichen Varietäten einzubüßen,197 sodass mit dem Rosetta Project insbesondere eine nachhaltige Archivierung kultureller Güter hinsichtlich sprachlicher Varietäten anvisiert wird. Strukturell erstreckt sich das Projekt über verschiedene Hauptspeicherorte: The Rosetta Collection in The Internet Archive, The Rosetta Base in Freebase, eine Datenbank über die Sprachen der Welt, und einen ersten Prototyp der Rosetta Disk. Das Internet Archive stellt die im Projekt zusammengetragenen

193 Vgl. ebd.; zum Projekt selbst longnow.org, [Projects: Revive and Restore: Wolly Mammoth], http://longnow.org/revive/woolly-mammoth/ vom 15.04.2015. 194 Der Whole Earth Catalog nimmt im Rahmen der genealogischen Perspektive noch eine zentralere Stellung ein, vgl. dazu insbesondere Kap. 2.3. 195 Vgl. hierzu N. Rich: „The Mammoth Commeth“, NYTimes.com (27.02.2014), http://www.nytimes.com/2014/03/02/magazine/the-mammoth-cometh.html?_r=2 vom 03.10.2014. 196 Vgl. rosettaproject.org, [Home] vom 03.10.2014. – Das Projekt führt zurück auf den Rosetta Stone, ein in Stein gemeißeltes Schriftstück aus dem Jahr 196 v.d.Z., das maßgeblich zur Übersetzung von Hieroglyphen beitrug. Seine Entdeckung wird um das Jahr 1799 in einer Gegend, bekannt unter dem Namen Rosetta, verortet, vgl. C. Andrews: The Rosetta Stone, S. 9. 197 Vgl. rosettaproject.org, [About], http://rosettaproject.org/about/ vom 03.10.2014.

66 | V OM LANGEN J ETZT

Dokumente bereit und umfasst derzeit etwa 100.000 Seiten, die 2500 Sprachen dokumentieren sowie eine anwachsende Kollektion von Audiodateien bereitstellen.198 Die Rosetta Disk ist der erste Prototyp für eine Archivierung außerhalb digitaler Formate, ausgestattet durch eine hohe Speicherkapazität, besonders belastbares Material und damit lesbar für tausende von Jahren.199 Abbildung 1.8: Rosetta Disk

Fotografie: Rolfe Horn

198 Vgl. The Internet Archive, archive.org, [The Rosetta Project], https://archive.org/ details/rosettaproject vom 03.10.2014. – An das Rosetta Projekt angegliedert befindet sich außerdem Rosetta Panglossia im Aufbau, ein wiki oder Online-Lexikon, das von den Benutzern bearbeitet werden kann, beispielsweise zu Wikipedia und zu der Rosetta Base in Freebase verknüpft sowie zu Dokumenten im Internet Archive, vgl. rosettaproject.org, [Archive], http://rosettaproject.org/archive/showcase/ vom 03.10.2014. Zusätzlich entwickelt die Long Now Foundation Pan Lex, eine Datenbank für lexikalische Wortfelder und Analysen, vgl. longnow.org, [Projects: PanLex], http://panlex.org/ vom 03.10.2014. 199 Vgl. rosettaproject.org [About] vom 03.10.2014, vgl. außerdem die Rezeption des Rosetta Projects innerhalb der Entwicklung des Gigayear Storage: J. de Vries/D. Schellenberg/L. Abelmann/A. Manz/M. Elwenspoek: „Towards Gigayear Strorage“ vom 07.04.2015. – Der Kern der Rosetta Disk besteht in einem parallelen Informationsset, das heißt, es liegt ein Text zugrunde mit demselben Vokabular für über 1000 Sprachen. Dieser Aufbau entspricht der des Rosetta Stone, der in drei Schriften – Altgriechisch, Demotisch, Hieroglyphen – denselben Text enthält. Anhand der lesbaren altgriechischen Schrift konnte die Übersetzung erfolgen, vgl. rosettaproject.org, [About] vom 03.10.2014 sowie zum Rosetta Stone, C. Andrews: The Rosetta Stone, S. 12.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 67

Die Vorderseite der Rosetta Disk (links) ist in acht Weltsprachen versehen mit: „Languages of the World: This is an archive of over 1,500 human languages assembled in the year 02008 C.E. Magnify 1,000 times to find over 13,000 pages of language documentation.“200 Unabhängig von digitalen Speicherformaten kann die Rosetta Disk durch mikroskopische Vergrößerung gelesen werden, wobei sich auf der Rückseite über 13.000 Seiten von Sprachdokumenten befinden, die in die Oberfläche eingeätzt sind, „[s]ince each page is a physical rather than digital image, there is no platform or format dependency. Reading the Disk requires only optical magnification.“201 Besonders hervorzuheben ist hier die Strategie, auch das Rosetta Project in den öffentlichen Diskurs zu tragen: Die Raumsonde der European Space Agency (ESA), mit dem Namen Rosetta, führt eine Rosetta Disk während ihrer Weltraummission an Bord.202 Die Stiftung entwickelt außerdem das Projekt Long Server, eine sogenannte „digital continuity software“203. Die derzeitige Entwicklungsphase zeigt ein sogenanntes timeline tool anhand von Long View. Auf github.com, einem HostingDienst für Software-Entwicklungen, stehen das Programm und CSV-Dateien zum Herunterladen bereit.204 Mit dem Programm timeline tool kann der User Daten in einer Chronik bzw. in einem Diagramm veranschaulichen, die sich auf Long Bets beziehen. Die timeline zeigt die jeweilige Laufzeit der Wetten und das Wettverhalten an.205 An die Stelle von nachhaltigen Speicherprozessen rückt hier

200 Rosettaproject.org, [Disk], http://rosettaproject.org/disk/concept/ vom 03.10.2014. 201 Ebd. Eine Entkopplung von digitalen Speicherformaten soll folglich durch visuell vergrößerte Auslesbarkeit vorangetrieben werden, siehe ebd.: „Each page is .019 inches, or half a millimeter, across. This is about equal in width to 5 human hairs, and can be read with a 650X microscope (individual pages are clearly visible with 100X magnification).“ 202 Vgl. European Space Agency, [Rosetta], http://sci.esa.int/rosetta/31242-rosetta-diskgoes-back-to-the-future/ vom 03.10.2014. 203 Longserver.org vom 03.10.2014. 204 Vgl. github.com, [longnow/longview], https://github.com/longnow/longview vom 03.10.2014. – CSV-Formate (comma-seperated values) dienen dazu, aus einer bestimmten Datenmenge selektieren bzw. separieren zu können; es ist ihr Sinn, unterteilt zu sein, um Werte der Datenmenge zu spezifizieren. 205 Werte sind hier beispielsweise in „start-date, end-date, title, [...]“ usf. unterteilt, siehe github.com, [longnow/longview] vom 18.04.2015.

68 | V OM LANGEN J ETZT

also vielmehr ein Visualisierungs-Werkzeug, das einen Zugang zu bestimmten Datenmengen darstellen soll. Zusätzlich entwickelt die Stiftung The Format Exchange. Es handelt sich um ein Projekt, das die Umwandlung digitaler Formate auf den aktuellsten Entwicklungsstand hin auszurichten sucht und somit darauf ausgelegt ist, Datenformate langfristig auslesbar und zugänglich zu machen.206 Auch wenn eine Long-term Conservation darauf beschränkt werden muss, das Arbeitsfeld der Stiftung vollständig zu überblicken, wird eine fortschreitende Projektebene deutlich, die einerseits auf Datenverarbeitungs- und Sicherungsprozesse ausgerichtet ist, andererseits aber kontroverse Diskussionen auslöst. Neben Konversationen über das long-term thinking stehen auch diese LongNow-Projekte für Verbreitungsstrategien und dafür, Aufmerksamkeit zu generieren.

1.3 -08000 | 02000 | 12000: S KALIERUNGSKONTINGENZ

FÜR EIN LANGES

J ETZT

Abbildung 1.9: Skalierung des langen Jetzt

longnow.org, [About] vom 16.04.2015

Das der Selbstbeschreibung der Long Now Foundation entnommene lange Jetzt umfasst 20.000 Jahre und erscheint in einer Skalierung, das heißt auf einer Zeitachse, die 10.000 in die Vergangenheit sowie in die Zukunft reicht. Eine kontingente Längenauferlegung zeigt sich dabei durch eine Skalierungskontingenz: Ausgehend von einem diskreten Zeitpunkt, dem Jahr 2000, reicht das lange Jetzt 10.000 Jahre zurück zum Jahr 8000 v.d.Z. und 10.000 Jahre in die Zukunft zum Jahr 12.000. Zusätzlich wird die Zeitachse bzw. Skalierung dabei tendenziell willkürlich unterteilt, indem etwa auf kulturhistorische, gesellschaftlich relevan206 Vgl. longserver.org vom 15.04.2015. Informationen zu The Format Exchange beschränken sich derzeit auf einen kurzen Hinweis zur Planung, angegeben in longserver.org.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 69

te Ereignisse verwiesen wird. Sie können jedoch als ein Bindeglied zur Selbstbeschreibung der Stiftung angesehen werden, da nicht zufällig bedeutende Bauwerke angebracht werden (Giza Pyramids, Stonehenge, Ise Shrine), in die sich die 10.000-Jahre-Uhr einreihen soll.207 Zugleich spiegelt sich in der Skalierung jener Diskurs um die sogenannte ‚Digitale Diskontinuität‘ wider (digital revolution). Wie mit der Clock of the Long Now angeführt, treten hier jene ‚großen Erzählungen unseres langen Jetzt‘208 wieder auf, wobei die Intention der Stiftung deutlich wird, sich in solche Erzählungen eingliedern zu wollen. Ebenso wird hier die spezifische Jahreszahlangabe explizit, mit der die Long Now Foundation, ausgehend von Millennium Bug, auf den Jahrzehntausendwechsel, den so bezeichneten Decamillennium Bug, vorbereiten will. Auf eine damit erfolgende Umstellung von 9999 zu 10000 soll die fünfstellige Jahreszahlkennung vorbereiten, die hier mit 02000 angegeben ist und konsequent für jede Angabe vorgenommen wird.209 Ein so angegebenes langes Jetzt durch die Long Now Foundation und insbesondere ihre Selbstbeschreibung werfen allerdings Fragen auf, die einerseits widersprüchliche Tendenzen aufzeigen, andererseits aber mit einer zukunftsorientierten Ausrichtung korrespondieren können, die die Long Now Foundation für die nächsten 10.000 Jahre anvisiert.210

207 So wird etwa ein Vergleich zum Ise-Schrein herangezogen, nicht nur um die Bedeutung der 10.000-Jahre-Uhr hervorheben zu wollen, sondern um eine Aufrechterhaltung derselben durch Mitwirkende zu generieren, wie es sich auch beim Ise-Schrein zeigt, vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 62-63. 208 Vgl. Anm. 59; 60. 209 „The Long Now Foundation uses five-digit dates, the extra zero is to solve the decamillennium bug which will come into effect in about 8,000 years“, siehe longnow. org, [About] vom 16.04.2015. – Diese Konsequenz wird allerdings schon dadurch unterwandert, dass weder die Jahrtausend- noch die Jahrzehntausendwende in der Skalierung berücksichtigt werden, gerade dann, wenn sich die Long Now Foundation doch maßgeblich auf diese beruft, ein Korrektiv für eine mit dem Jahreswechsel einhergehende, teleologische Zeitwahrnehmung anbieten will und mit entsprechender Jahreszahlkennung operiert. Fraglich bleibt also, ob die Skalierung diesem Korrektiv förderlich ist, indem die Jahreswechsel nicht benannt werden. 210 Anzubringen wäre hier zusätzlich, dass eine Clock of the Long Now streng genommen und konsequenterweise eine 20.000-Jahre-Uhr sein müsste, doch löst die Stiftung dies mit ihrem Ziel ‚to creatively foster responsibility for the next 10,000 years‘ auf. Die Frage, inwiefern es dabei paradoxerweise zu einer Verkürzung des langen Jetzt kommt, wird im Folgenden aufgegriffen.

70 | V OM LANGEN J ETZT

Zunächst lässt die Zeitspanne für ein langes Jetzt, die hier als Skalierungskontingenz auftreten kann, auf ein Modell schließen, in dem Diskontinuität und Kontinuität zusammenfallen: Skaliert auf der Zeitachse erscheint das lange Jetzt als Kontinuum. Ausgehend vom diskreten Punkt 2000 reicht die Zeitachse sowohl 10.000 Jahre zurück als auch vor, sodass an dieser Stelle noch eine Vorstellung vom Jetzt greift, die dieses zugleich in Richtung Vergangenheit wie auch Zukunft ausdehnt. Mit dem Ziel der Long Now Foundation, Verantwortung für die nächsten 10.000 Jahre zu fördern und dies mit der Clock of the Long Now bzw. 10,000 Year Clock zu unterstützen, wird aus diesem diskontinuierlichen Orientierungsrahmen ein kontinuierlicher in Richtung Zukunft. Paradoxerweise verkürzt die Long Now Foundation ihr langes Jetzt jedoch mit dieser forcierten Zukunftsorientierung, und für ein langes Jetzt von 20.000 Jahren ergibt sich eine 10.000-Jahre-Uhr. Zusätzlich kann es fraglich erscheinen, ob die Long Now Foundation mit Verweis auf den Decamillennium Bug nicht selbst eine teleologische Zeitwahrnehmung generiert, gerade dann, wenn sie jene Zeitwahrnehmung rund um die Jahrtausendwende, die sie als mentale Barriere befand, zu korrigieren sucht: „When I was a child, people used to talk about what would happen by the year 02000. For the next thirty years they kept talking about what would happen by the year 02000, and now no one mentions a future date at all. The future has been shrinking by one year per year for my entire life. I think it is time for us to start a long-term project that gets people thinking past the mental barrier of an ever-shortening future.“211

So liegt die Korrektur der mentalen Barriere und eine Ausdehnung des Jetzt also vor allem in einer Zukunftsorientierung, untermauert durch die multi-millennial clock der Long Now Foundation, die in einer Verkürzung des langen Jetzt resul-

211 D. Hillis zit. n. S. Brand: „The Clock and Library Projects“ vom 16.04.2015. – Nochmals kann angebracht werden, inwiefern die Stiftung ihre Entstehung auf den Zeitraum der Jahrtausendwende reduziert, vgl. ebd. Dabei treten in longnow.org umfassende Verhandlungen des Millennium Bug auf, der den in Kap. 1.2.2 genannten Diskurs weiter ausführt, vgl. exemplarisch D. Hillis: „Why Do We Buy the Myth of Y2k?“, longnow.org (16.02.1998), [About: Essays], http://longnow.org/essays/whydo-we-buy-myth-y2k/ vom 16.04.2015; P. Saffo: „The Real Y2K Bug“, longnow. org (08.05.1999), [About: Essays], http://longnow.org/essays/real-y2k-bug/ vom 16.04.2015; P. Saffo: „Anxiously Waiting for the Millennium“, longnow.org (16.06.1999), [About: Essays], http://longnow.org/essays/anxiously-waiting-millen ium/ vom 16.04.2015.

1. H OW L ONG I S N OW ?

| 71

tiert. Aus einer diskontinuierlichen Handhabung des langen Jetzt kann ich dann einen Zeitachsenausschnitt für ein long-term thinking hervorheben: Abbildung 1.10: Zeitachsenausschnitt aus dem langen Jetzt

Ausschnitt aus longnow.org, [About] vom 16.04.2015

Dem Denken der Paradoxie entsprechend, entsteht eine Sicht auf das lange Jetzt der Long Now Foundation paradoxerweise dadurch, seine Länge zu verkürzen bzw. hier zu beschneiden, wozu die Stiftung letztlich selbst und widersprüchlich beiträgt. Dabei kann jedoch eine Grundlage dafür geschaffen werden, ein Denken des Jetzt über Darstellungen der Long Now Foundation hinaus zu vertiefen: Eine mit dieser Studie zu entwickelnde Handhabung der Paradoxie bewegt sich einerseits entlang einer kritischen Diskussion der Long Now Foundation, die ebenso ihre Praktiken und Ziele prüft. Andererseits liegt eine solche Handhabung darin, der Paradoxie entsprechende Denkprozesse und Logiken aufzeigen zu können, deren Komplexität durch eine genealogische Perspektive und spezifische Sinnstiftungsprozesse greifbar werden soll. Dabei dient jener Zeitachsenausschnitt formgebenden Vermittlungsfunktionen, wobei an die Stelle einer Verkürzung ein ausgedehntes Verständnis von Gegenwart in Richtung Vergangenheit und Zukunft tritt: Die Analyse prüft ein ausgedehntes Verständnis von Gegenwart in Richtung Zukunft nicht nur entlang der Praktiken der Long Now Foundation, sondern sie sucht charakteristische Sinnstiftungsprozesse aufzuschlüsseln, die die Long Now Foundation nicht explizit beachtet, aber einem Denken der Zeitparadoxie entsprechen und ein herausgefordertes Denken des Jetzt stimulieren. Ein ausgedehntes Verständnis von Gegenwart in Richtung Vergangenheit setzt nun mit einer erweiterten Herkunfts- und Entstehungsgeschichte ein, die das beobachtete Phänomen in einer vergegenwärtigten Vergangenheit lesbar macht.

2. Das lange Jetzt des langen Jetzt – Zur Entzeitlichung: Eine archäologische Genealogie der Long Now Foundation

Die Genealogie der Long Now Foundation versteht sich als eigentümliche Form von Entstehungsgeschichte und als Mittel, Möglichkeitsbedingungen der Entstehung zu fokussieren und das Zustandekommen der Long Now Foundation aus vielfältigen kulturellen Bereichen erörtern zu können. Dabei wird keine lineare Retrospektive konstruiert, denn mit der hier zu entwerfenden Genealogie der Stiftung wird ein dichtes Netz von Bezügen, Transformationen, Verschiebungen, Gruppierungen und Abspaltungen im kulturellen und zeitlichen Gefüge der USA, insbesondere der San Francisco Bay Area entfaltet. Diese Herangehensweise, die sich von einer rein kontinuierlichen Beschreibung löst, gründet in Foucaults Konzeptualisierung von Genealogie, die methodisch auf sein spezifisches Verständnis von Archäologie zurückgreift. Wie in einem theoretischen Vorspann und in der anschließenden Analyse deutlich werden soll, ist es eine archäologische Genealogie,1 die es ermöglicht, solch ein dichtes Entstehungs- und Herkunftsnetz zu entschlüsseln, wie es sich für die Long Now Foundation zeigt.2 Die Genealogie nach Foucault, mit Rückgriff auf seine Archäologie, erlaubt den Blick auf ein Phänomen und seine Entstehung, ohne es deterministisch vom Ende her zu denken. Die hier entwickelte Synthese zu einer archäologischen 1

Um einen geeigneten Analyserahmen zu entwickeln, wird insbesondere auf zwei Schlüsselwerke Foucaults zurückgegriffen, was im Vorspann weitergehend begründet wird, vgl.

M. Foucault: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, S. 166-191

(Nietzsche, la généalogie, l’histoire (1971)) sowie M. Foucault: Archäologie des Wissens (L’Archéologie du savoir (1969)). 2

Im Rahmen der Genealogie geht es um „ein kompliziertes Netz der Herkunft“, siehe M. Foucault: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, S. 172.

74 | V OM LANGEN J ETZT

Genealogie ermöglicht eine detaillierte Lesart des beobachteten Phänomens und dessen Interaktion mit dem theoretischen Modell. Eine archäologische Genealogie folgt damit einer spezifischen Form von Geschichtsschreibung, die Entzeitlichung als Entgrenzung und als nicht abgeschlossen begreift: Punkte aus der Vergangenheit werden als Möglichkeitsbedingungen für das Entstehen der Long Now Foundation eruiert; sie verdeutlichen ihre Herkunft und Entstehung als relevant für die Gegenwart. Vergangenheit wird hier somit entzeitlicht, denn in dieser Entstehungsgeschichte kann sie gegenwärtig werden – das bedeutet, dass sie für und in der Gegenwart lesbar wird. Eine Entstehungsgeschichte der Long Now Foundation versteht sich somit nicht als bloße Historie ihrer Vergangenheit,3 sondern als diskontinuierliches und strukturell anzuordnendes Entstehungs- und Herkunftsnetz, dessen Elemente gegenwärtige Bedeutungen aus der Vergangenheit ergründen können. Eine archäologische Genealogie muss dabei sukzessive zu den zentralen theoretischen Begriffen und Grundlagen führen, die immer näher an das Phänomen Long Now Foundation heranführen und sich mit diesem verbinden. Sie ist in einen Vorspann, eine Zwischensequenz und einen Abspann unterteilt, um strukturiert durch eine komplexe Entstehungsgeschichte zu führen, deren Dichte sich gleichzeitig aus einem bestimmten Wandel innerhalb der Theorie Foucaults selbst ergibt: Der Vorspann dient dazu, die umfassende Theorie Foucaults relevant für das Phänomen Long Now Foundation zu erfassen. Er verdeutlicht die Synthese von Genealogie und Archäologie sowie deren Erkenntnisgewinn, um auf eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation vorzubereiten. Die Zwischensequenz dient einer zwischengeschalteten und ersten zusammenführenden Orientierung über das Material, das für die Entstehungsgeschichte angeordnet wird. Der Abspann spitzt eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation abschließend zu und geht insbesondere auf den Place for Conversation und die charakteristische ‚lebende Institution‘ ein. Als kontinuierliches Gebilde kann das lange Jetzt in gewisser Weise gegengelesen werden. Um einerseits eine hier aufkommende Begriffsfülle aus der Theorie Foucaults greifbar zu machen, andererseits aber seiner eigenen Formation von Archäologie und Genealogie folgen zu können, ergeben sich methodische Herausforderungen. Der Weg hin zur archäologischen Genealogie verfährt somit selbst diskontinuierlich und spitzt die theoretische wie methodische Grundlage zunehmend auf das im Zentrum stehende Phänomen hin zu. Damit erscheint die theoretische Erarbeitung als stufenweise, aber in sich verwobene

3

In der ‚reinen‘ Archäologie wird jede Form eines gemeinhin gesetzten Verständnisses von Geschichte verworfen, vgl. M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 237.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 75

Heranführung an die relevanten Begriffe und ihre Formation. So gesehen muss zunächst dem Formationssystem Foucaults selbst gefolgt werden, um eine Grundlage anhand der Verbindung von Genealogie und Archäologie schaffen zu können. Rekurrierend auf die erste erweiterte These dieser Arbeit, der zufolge das lange Jetzt der Stiftung nicht lang genug ist, sucht eine Genealogie der Long Now Foundation, mit Rückgriff auf die Archäologie, die Selbstbeschreibung der Stiftung zu differenzieren und zu einem erweiterten zeitlichen Entstehungsgefüge zu führen. Es reicht bis zum Unternehmertum der 1980er Jahre zurück und in die US-amerikanische Counterculture4 mit Wurzeln in der Hippie-Bewegung, wobei spezifische Ereignisse und Dinge als elementare Bestandteile der hier zu entwickelnden archäologischen Genealogie dargelegt werden. Was dieser These zugrunde liegt, ist die Idee eines (diskontinuierlichen) langen Jetzt des langen Jetzt: Das Korpus setzt sich aus Archivmaterial und zeitgenössischen Studien zusammen.5 Dabei wird insbesondere Prozessen der Reaktivierung oder Veränderung von Ereignissen und Dingen aus der Vergangenheit in die Gegenwart gefolgt, denn es gibt kein (langes) Jetzt ohne Vergangenheit (und ohne Zukunft). So muss die Analyse vom langen Jetzt selbst eine Perspektive in die Vergangenheit entwickeln, die aus ihrem Standpunkt auf die Zukunft verweist und somit auf die Gegenwart stößt. Die archäologische Genealogie verharrt dabei nicht in einer festgelegten Vergangenheit, sondern der Blick auf Entstehungsprozesse geht ebenso auf das Personennetzwerk ein, das die Stiftung aus den 1990er Jahren bis in die Gegenwart umgibt. Nicht zuletzt sind es die Erarbeitung und Entschlüsselung dieses Gefüges selbst, die einen diskontinuierlichen ‚Weg zurück‘, mit zahlreichen Weggabelungen, eröffnen, um der Long Now Foundation in ihrer Gegenwart zu begegnen. Denn die Genealogie Foucaults,

4

Für die Analyse wird bewusst der US-amerikanische Begriff gewählt, da sich dieser, geprägt durch Theodore Roszak, explizit auf die Hippie-Bewegung der 1960er und 1970er Jahre bezieht. Der Begriff Gegenkultur hingegen bleibt undurchsichtiger, da er als Dachbegriff mehrere subkulturelle Bewegungen in sich vereint, vgl. T. Roszak: The Making of a Counterculture.

5

Die Archivquellen der Special Collections and University Archives, Stanford University Libraries (SUL) beziehen sich insbesondere auf die sogenannten Stewart Brand Papers aus den 1960er-2000er Jahren (Stewart Brand Papers, 1954-2000, Manuscript Collection M 1237; Stewart Brand Editorial Files, Manuscript Collection M 1045). Sie bilden ein Fundament für ein selbst aus der methodischen Herangehensweise zu formierendes Archiv. Hinsichtlich der Studien sei, neben Roszak, exemplarisch auf F. Turner: From Counterculture to Cyberculture verwiesen.

76 | V OM LANGEN J ETZT

mit Rückgriff auf die Archäologie, stellt dar, dass diese Ereignisse und Dinge „nicht im gleichen Schritt mit der Zeit zurückgehen, sondern daß diejenigen, die besonders stark wie nahe Sterne glänzen, in Wirklichkeit von weither kommen“6. Einführend soll der Vorspann einen Überblick über die zentralen Elemente von Genealogie, archäologischer Methode und Archiv geben und auf ein spezifisches Vokabular vorbereiten.7

2.1 V ORSPANN : G ENEALOGIE , M ETHODE UND A RCHIV

ARCHÄOLOGISCHE

Wird Foucault für spezifische Verständnisprozesse herangezogen, ergibt sich ein Spannungsverhältnis, das sich aus seiner Abkehr von interpretativen Auslegungen ergibt. Foucault entwickelt mit der Archäologie ein strukturelles Analysesystem im Bereich historischen Wissens,8 eine notwendige Beobachterdifferenz in einer diskursanalytischen (An-)Ordnung historischen Materials. Dies ergibt ein Archiv an möglichen Aussagen einer geschichtlichen Situation: Eine solche Bestimmung des Sagbaren und Gesagten gibt Aufschluss über Formationen des Wissens, aber auch über solche kultureller Gefüge in ihrem Zustande- und Aufkommen. 9 Eine so aufkommende, analytisch distanzierende Methode zeigt, inwiefern Foucault sich noch gegen hermeneutische, und das bedeutet hier beobachterabhängige, Ausrichtungen wendet. Das heißt, dass die reine Beschreibung der Möglichkeitsbedingungen von Aussagen jedes Sinngehaltes derselben

6

M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 187-188.

7

Es geht dabei um an ein notwendiges Herantasten an eine Theorie, um eine „tastende Suche“, siehe ebd., S. 193. – Da die grundlegenden Begriffe aus Foucaults Archäologie und Genealogie nicht immer auf eine Stelle reduzierbar sind und sie hier stufenweise explizit werden, erscheinen sie kursiv, bevor sie im Vorspann ausdifferenziert und mit Verweis auf eine bestimmte Stelle zitiert werden. Wenn es einem ersten Überblick dienen kann, werden bei einer Erstnennung entsprechende Stellen angegeben.

8

Vgl. M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 27-28.

9

Siehe hierzu insbesondere die „Analyse der Gesellschaftsformationen“, ebd., S. 295. – Die anschließende explizite Verbindung von Archäologie und Genealogie, die den Begriff des Archivs sukzessive vertieft, geht genau auf dieses Analysesystem und seinen Kern des diskontinuierlichen Anordnens ein.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 77

entbehren.10 Denn innerhalb einer solchen objektiv-, distanziert-analytischen Beschreibung, die vielmehr von außen operiert, erscheint jede „tiefe Bedeutung“11 als kulturelles Konstrukt – die distanzierte Analytik kann nicht auf Interpretationen „als tief bedeutungsvoll, oberflächlich bedeutungsvoll, tief bedeutungslos“12 hinauslaufen. Gleichwohl ist hier einzuwenden, dass Foucaults archäologische Methode, die historisches Material anordnet und freilegt, selbst eine Perspektive voraussetzt, die unweigerlich den Standpunkt des Analytikers freigibt und somit dessen notwendige Selektion im Angeordneten impliziert. Es sind Formen von Auslegungsprozessen, hinter denen perspektivische Deutungs- und somit Verstehensprozesse stehen. Ein Lesen aus Foucaults Schaffensperiode heraus kann die erwähnte Abkehr differenzieren, zu einer von rein historischer Narration abgekehrten Geschichtsschreibung führen und dabei zugleich die hier zu entwerfende archäologische Genealogie stützen. Foucaults explizite Ausarbeitung der Genealogie als der Archäologie nachstehend, die auf seine Nietzsche-Lektüre zurückzuführen ist, führt zu einer neuen Herangehensweise. Sie behält die archäologische Methode und folglich ihre distanzierte Analytik bei, allerdings mit einer „interpretative[n] Dimension, welche die hermeneutische Einsicht entwickelt, daß der Forscher immer situiert ist und die Bedeutung seiner kulturellen Praktiken aus diesen heraus verstehen muss“13. Das spezifische Verständnis von Archäologie erscheint dabei als Freilegen und ferner als „Kommando“14: Es entzieht sich einer etymologisch hergeleiteten Reduktion von arché auf das Anfängliche, Ursprüngliche hin zu strukturellen Mechanismen,15 die sich folglich an jenes, in der Archäologie Foucaults zugrunde gelegte, analytische Regelsystem als Formation von Aussagen binden. Freilegen und Kommando äußern sich im angeordneten historischen Material durch

10 Vgl. H.L. Dreyfus/P. Rabinow: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, S. 21; zum Begriff der Möglichkeitsbedingung vgl. insbesondere W. Ernst: „Vortrag zu Medienarchäologie“, IMA (21.12.2010), http://ima.or.at./?page _id=1937 vom 07.02.2013. 11 H.L. Dreyfus/P. Rabinow: Michel Foucault, S. 22. 12 Ebd., 24 – Eine rein interpretatorische Herangehensweise wird in der Archäologie als von außen operierende Beschreibung durch ein Regelsystem abgelöst, vgl. hierzu ebenso F. Kittler: „Nachwort“, S. 519-522, hier S. 519. 13 H.L. Dreyfus/P. Rabinow: Michel Foucault, S. 12 [Herv. V.F.]. 14 W. Ernst: „Vortrag zu Medienarchäologie“ vom 07.02.2013. 15 Vgl. ebd.

78 | V OM LANGEN J ETZT

eine strukturelle Steuerung16 in einem abstrakten System (das sich als Archiv erweisen wird), „welches das Auftauchen sowie das weitere aktuelle Funktionieren der Aussagen regiert – arché als kybernetisches Kommando [...]“17. Die Genealogie also führt, auf der Basis archäologischer Analyse, zu spezifischen analytischen Prozessen mit ‚hermeneutischer Einsicht‘ und stellt sich determinierten Entstehungsformen entgegen: Sie erscheint vielmehr als Isolation zentraler Bestandteile,18 die in der Vergangenheit liegen. Allerdings zielen sie nicht als unveränderlich auf einen Punkt in der Gegenwart hin, sondern äußern sich als solche, die für die Gegenwart relevant sind. Diese Form von Geschichtsschreibung zu betreiben heißt, die „Geschichte der Gegenwart“19 zu schreiben. Sie korrespondiert aufs Engste, wie anhand der für die Long Now Foundation eingangs formulierten These deutlich wird, mit der hier zu entwickelnden archäologischen Genealogie: der Long Now Foundation in ihrer Gegenwart zu begegnen, ihr gegenwärtiges Wirkungsfeld – als jenes ‚Strahlen, das in Wirklichkeit von weither kommt‘20 – ergründen und somit verstehen zu können. Die ‚Geschichte der Gegenwart‘ zu schreiben heißt nicht, Begriffe der Vergangenheit bloß in solche der Gegenwart umzuwandeln,21 „nicht die Vergangenheit schlicht als Vorgeschichte von Gegenwart [zu] entziffer[n], sondern eher in Hinsicht auf das, was funktional für die Analyse der Gegenwart von Interesse ist“22. Sie richtet sich damit gegen ein finales Verständnis, das ein notwendig zielgerichtetes Werden eines Punktes aus der Vergangenheit bis zu einem finalen Punkt in der Gegenwart verfolgt.23 Damit entspricht sie nicht nur dem hier gesetzten Bestreben, ein Phänomen nicht vom Ende her zu denken und dessen Entstehung nicht auf einen vergangenen Punkt zu reduzieren, sondern verweist bereits auf ein Kernelement sowohl der Archäologie als auch der Genealogie. Es basiert auf einer Geschichtsschreibung, auf einem diskontinuierlichen Anordnen

16 Vgl. M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 58. 17 W. Ernst: Das Rumoren der Archive, S. 121. 18 Vgl. H.L. Dreyfus/P. Rabinow: Michel Foucault, S. 148. 19 Ebd., S. 23 [Herv. V.F.]. Das Anordnen des Materials für diese Geschichte tritt als Interpretation auf, und dies insbesondere aus dem Verbund von jener ‚hermeneutischen Einsicht‘ mit analytischer Methode, wie sie eine archäologische Genealogie zu erfassen sucht. 20 Vgl. Anm. 6. 21 Vgl. H.L. Dreyfus/P. Rabinow: Michel Foucault, S. 147. 22 W. Ernst: „Vortrag zu Medienarchäologie“ vom 07.02.2013. 23 Vgl. H.L. Dreyfus/P. Rabinow: Michel Foucault, S. 147.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 79

des historischen Materials, das sich gegen einen determiniert gesetzten, „unveränderlichen Sinn“24 wendet, der Setzung eines Beobachterstandpunktes jedoch nicht widerstrebt. So ist es eine differenzierende ‚hermeneutische Einsicht‘, die eine erweiterte Lesart der Archäologie durch die Genealogie Foucaults notwendig macht. Zugleich eröffnet erst dieser Verbund eine spezifische Form von Geschichtsschreibung als ‚Geschichte der Gegenwart‘ und folglich als relevant für den zentralen Beobachtungsgegenstand Long Now Foundation. Die ‚Geschichte der Gegenwart‘, die eine „explizite[r] und selbstreflektierte[r] Weise“ der Geschichtsschreibung mit einer „Diagnose“ 25 der Gegenwart schafft, kann von diesem Standpunkt aus zugleich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.26 Sie eröffnet vielmehr eine kontingente Lektüremöglichkeit, deren impliziertes Deutungsangebot das Entstehen eines Phänomens erfassen kann, wobei sie hermeneutisch eingebunden auf die archäologisch-analytische Methode der Isolation zentraler Bestandteile zurückgreift. Diese Kontingenz einer archäologisch verfahrenden Genealogie verweist bereits auf eines ihrer Kernelemente, das in der Anordnung relevanten Materials aus wie auch zu einem Archiv besteht.27 Konstitutives Merkmal eines Archivs, das hier anders als institutionelle Archive als Methode auftritt, ist sein lückenhaftes Erscheinen.28 Damit verhält es sich jedoch äquivalent zur kontigenten Beschreibungsmöglichkeit bzw. zur archäologisch-genealogischen Freilegung von

24 Ebd., S. 148. 25 Ebd. 26 Vgl. ebd. 27 Im Verlauf der Darstellung und ihrer stufenweisen Heranführung wird explizit herausgestellt, inwiefern der Begriff des historischen Apriori als Archiv aufzufassen ist, aus dessen Anordnung die Genealogie perspektivisch schöpft. Innerhalb der Entstehungsgeschichte selbst wird nicht nur auf dieses zurückgegriffen, sondern sie führt zur Formierung eines aus der Anordnung selbst zu formierenden Archivs, und zwar vielmehr als aktive Methode des Anordnens denn des Aufbewahrens, sodass diese Arbeit auf einen Begriff vom „Archiv zweiter Ordnung“ zurückgreift. Für die gemeinsame Begriffsfindung danke ich Peter Fischer und Matthias Wannhoff. Die Formulierung findet sich überdies bereits bei Adrian Kasnitz: „Der Text des Schriftstellers gerät [...] in der Auseinandersetzung mit dem Archiv selbst zu einem Archiv. Der Text archiviert das Ausgewählte. Es ist ein Archiv zweiter Ordnung“, A. Kasnitz: „Das endlose Archiv der Lücken“, Literatur-Archiv-NRW (04.12.2006), http://www. literatur-archiv-nrw.de/magazin/Archivwesen/Adrian_Kasnitz__Das_endlose_ Archiv_der_Luecken/seite_1.html vom 05.11.2016. 28 Vgl. W. Ernst: Das Rumoren der Archive, S. 27; 28-29.

80 | V OM LANGEN J ETZT

Lektüremöglichkeiten und Möglichkeitsbedingungen der Entstehung. Verfährt Foucault doch diskursanalytisch, so zieht dies, insbesondere im Hinblick auf den zentralen Forschungsgegenstand, ein gesondertes Verständnis vom Begriff der Lücke nach sich. Denn es ist zugleich Aufgabe der Archäologie, und weiter der archäologischen Genealogie, nicht nur Diskontinuitäten aufzuweisen, sondern ebenso „Lücken zu benennen, und damit das Schweigen selbst zur Aussage zu machen“29. Die reflektierende ‚Geschichte der Gegenwart‘ bewegt sich von einer Selbstbeschreibung hin zu einer differenzierten Fremdbeschreibung der Long Now Foundation: Es sind die Lücken – und damit eine Form von Schweigen in jener Selbstbeschreibung30 –, die anhand der archäologischen Genealogie aufgedeckt und freigelegt werden sollen. Es geht damit um eine Entstehungsgeschichte, die die Lücke des Nicht-Gesagten in der Darstellung der Stiftung aufdeckt oder benennt – dies dann auch dahingehend, woher ihr gegenwärtiges ‚Strahlen‘ aus der Vergangenheit als relevant für die Gegenwart kommt. Dieses Schweigen, die bislang nicht geschriebene Entstehungsgeschichte der Long Now Foundation, zur Aussage zu bringen heißt dann auch, eine archäologische „negative Ästhetik“31 zu betreiben. Das bedeutet hier, der Wahrnehmung (aisthesis) von Abwesenheit bzw. Lücke gerecht zu werden und ferner das Nicht-Gesagte zu benennen.32 Denn eine archäologische Genealogie der Long Now Foundation soll die „verborgene Seite“33 ihrer Entstehungsgeschichte auf mehrfacher Ebene aufde-

29 W. Ernst: „Vortrag zu Medienarchäologie“ vom 07.02.2013. – Ein Verweis auf die Lücke ergeht bereits in Foucaults Genealogie, vgl. M. Foucault: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, S. 166. Die Lücke kann allerdings verbunden mit der Archäologie auf das Phänomen Long Now Foundation zugespitzt werden, da sie bezogen auf die Selbstbeschreibung der Stiftung virulent wird. 30 An eine korrigierende Fremdbeschreibung koppelt sich die Forderung, Lücken oder das „Verlorengegangene [...] beim Gebrauch der Archive in Forschungsfragen zu verwandeln“, siehe W. Ernst: Das Rumoren der Archive, S. 28. 31 W. Ernst: „Vortrag zu Medienarchäologie“ vom 07.02.2013. – Während die klassische Archäologie ihre Gegenstände freilegt und keinen Versuch unternimmt, Lücken in der Rekonstruktion durch Benennung auszufüllen, ergeht jene ‚Negativität‘ aus der expliziten Auseinandersetzung mit solchen Lücken. Das bedeutet, einer weitreichenderen Aufschlüsselung zu folgen und rekurrierend auf eine diskontinuierliche Anordnung also mit „Bruchstellen“ nicht nur zu rechnen, sondern sie zur Aussage zu bringen, vgl. ebd. 32 Vgl. W. Ernst: Das Rumoren der Archive, S. 27. 33 W. Ernst: „Vortrag zu Medienarchäologie“ vom 07.02.2013.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 81

cken: 34 Nicht-linear und diskontinuierlich differenziert sie die Selbstbeschreibung der Long Now Foundation zu einer in diesem Umfang nicht geschriebenen Entstehungsgeschichte, die als ‚Geschichte der Gegenwart‘ ebenso einer bloßen geschichtlichen Narration entbehrt. Dabei sucht sie sich den Lücken als NichtGesagtes zu stellen, um das Schweigen in der Selbstbeschreibung zu brechen. Sie entwirft zum einen jene Entstehung und Herkunft, die aus der aufgezeigten, notwendigen Synthese von Archäologie und Genealogie hervortreten kann. Zum anderen kann sie deren Elemente als ‚funktional für die Gegenwart‘35 deuten, ebenso im Sinne des Ahistorischen als nicht-linear, diskontinuierlich. Das Ahistorische zeigt sich dabei insbesondere im spezifischen Verständnis von Archiv als „Medium einer entzeitlichten Gegenwart“36. Es korrespondiert dabei zum einen mit einer ‚Geschichte der Gegenwart‘, zum anderen mit einem durch sie entzeitlichten und das heißt angeordneten historischen Material, dessen „radikale Präsenz“37 zugleich der Entwicklung eines langen Jetzt des langen Jetzt entspricht. Diese Anreicherung der Archäologie durch die Genealogie stößt auf ein Archiv von möglichen Aussagen als historisches Apriori des beobachteten Phänomens, verfährt damit diskursiv, was ferner an Grenzen stoßen kann und eine zusätzliche Erweiterung nach sich zieht. Denn Möglichkeitsbedingungen der Ent-

34 Die Sicht auf eine ‚verborgene Seite‘ ist hier einem technikzentrierten Ansatz der Medientheorie entlehnt, der sich explizit mit der technischen Seite der Medien befasst, vgl. ebd. Im Falle der Long Now Foundation spielt sowohl eine technisch orientierte als auch eine diskursive Seite in Prozessen der Entstehung ein. Die ‚verborgene Seite‘ wird hier dahingehend erweitert, nicht im rein Technischen zu verharren, dabei Lücken zu benennen und Alternativen zu linearen historiographischen Narrativen zu erstellen. Denn Funktionalitäten (noch auf Seiten einer Technikfokussierung) werden nicht historisch im Sinne eines Vorläuferstatus gefasst, vgl. W. Ernst: „Media Archaeography“, S. 239-255, hier S. 239. Sie erscheinen vielmehr als „ahistorisch“, siehe W. Ernst: „Vortrag zu Medienarchäologie“ vom 07.02.2013. – Für den vorliegenden Zusammenhang erscheint Funktionalität dann als ‚ahistorisch‘ im Sinne einer ‚Geschichte der Gegenwart‘ und im Sinne von Strategien der Entzeitlichung: Historische Ereignisse und Dinge erscheinen anhand archäologischer Modi der Abfolge, Reaktivierung und Transformation in der Gegenwart der Long Now Foundation und hinsichtlich der Möglichkeitsbedingungen ihrer Entstehung, sodass sie keinen bloßen abgeschlossenen Vorläuferstatus einnehmen. 35 Vgl. Anm. 22. 36 W. Ernst: Das Rumoren der Archive, S. 38 [Herv. V.F.]. 37 Ebd., S. 109.

82 | V OM LANGEN J ETZT

Entstehung und Herkunft, wie sie Archäologie und Genealogie rein diskursiv im Regelsystem vom Archiv des Sagbaren und Gesagten erfassen,38 können für eine Entstehung und Herkunft der Long Now Foundation nicht im rein Diskursiven und Sagbaren verharren. Dies zieht eine Doppelbewegung der Lücke nach sich: Die Lücke erfasst zum einen diskursiv auch das Nicht-Gesagte der StiftungsSelbstbeschreibung, stößt aber zugleich auf spezifische Formen der Technologieaneignung im historischen Apriori. Somit kann nicht nur auf eine Lücke in Foucaults Diskursanalyse gedeutet werden, sondern diese kann ferner auf die Rolle von (Medien-)Technologien, die materielle, verborgene Seite sowohl der Diskursanalyse als auch der hier darzulegenden Entstehungsgeschichte eingehen. Zielt Foucaults Archäologie im diskontinuierlichen Anordnen auf ein, wie noch hervorgehoben wird, „wirkliches Werden“39, so oszilliert dieses hier zwischen diskursiven und technischen Elementen. Zwar lösen sich Möglichkeitsbedingungen einer Entstehung der Long Now Foundation nicht von spezifischen diskursiven Formationsprinzipien – wie es auch bereits ein durch die Stiftung intendierter Place for Conversation nahelegt –, doch zugleich müssen Praktiken der Technologieverwendung, etwa aus dem Feld der Counterculture, aufgegriffen werden. Diese Hervorhebung von sowohl diskursiver als auch technisch orientierter Formation des im Zentrum stehenden Phänomens stellt sich einer klaren Trennung beider Bereiche entgegen.40 Eine solche Trennung kündigt sich in spezifischen, medientheoretischen Ansätzen an: „[...] media archaeology deals with [...] techno-epistemological configurations underlying the discursive surface [...] of mass-media. [...] [M]edia archaeology is an analytic tool, a method of analysing and presenting aspects of media that would otherwise escape the discourse of cultural history.“

41

Für diese Studie wird jedoch eine Perspektive eingenommen, die weder auf die diskursive noch auf eine spezifisch technische Seite verzichten kann. Sie ver-

38 Es soll noch deutlich werden, inwiefern Foucault selbst, anhand des „Diskurses als Praxis“ (siehe M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 70), den Versuch unternimmt, über das rein Gesagte hinauszugehen, was es zu erweitern gilt. 39 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 185. 40 So gilt eine rein auf die technische Seite der Medien ausgelegte Herangehensweise als grundlegend inhaltslos und „radikal non-diskursiv[e] Praxis“, siehe W. Ernst: M.edium F.oucault, insbesondere S. 82-97, hier S. 97 sowie W. Ernst: „Vortrag zu Medienarchäologie“ vom 07.02.2013. 41 W. Ernst: „Media Archaeography“, S. 240.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 83

fährt weder ‚radikal inhaltslos‘ (was einer ‚hermeneutischen Eingebundenheit‘ widersprechen würde), noch kann sie technische Seiten in der Formation ausblenden. Die archäologische Genealogie der Long Now Foundation, als ihre kontingente ‚Geschichte der Gegenwart‘, verfolgt demzufolge die Idee eines diskursiv-technischen Apriori, die aus der Interaktion von Theorie und Phänomen resultiert. Wie oben angeklungen erscheinen theoretische Ansätze als Werkzeuge (tools), und genau der Werkzeug-Begriff wird für den vorliegenden Zusammenhang ausgeweitet: In die Entstehungsgeschichte aufzunehmende technische Aspekte äußern sich etwa in spezifischen „Verwendungsfeldern“42; es kommt u. a. eine auf bestimmte Werkzeuge ausgerichtete, sich zugleich aus ihnen ergebende Technologieaneignung für die Formation und Gegenwart der Long Now Foundation zum Tragen. Die Interaktion von Phänomen und Theorie verdeutlicht dann sowohl einen theoretischen Werkzeugkasten, dem eine methodische Aneignung zugrunde liegt, als auch Aneignungsprozesse auf formativer Ebene der Herkunfts- und Entstehungsprozesse. In dieser grundlegenden Vorbereitung auf ein komplexes, transferfähiges Theoriegebilde können spezifische Herausforderungen angeführt werden: Die Genealogie stößt auf ein „barbarisches Gewimmel“43, um Entstehung und Herkunft zu entschlüsseln. Dies zieht eine Loslösung vom gewohnten kontinuierlichen Denken nach sich. Da die Paradoxie ebenso als Werkzeug für eine Umkehr im Denken dienen kann, erscheint auch sie hier in einer Doppelbewegung: Die Genealogie, als gegen eine traditionelle, lineare Historie gewandt, und folglich eine Entstehungsgeschichte als archäologische Genealogie muss sich der Geschichte (als Historie) bedienen, um erst (diskontinuierlich) in der Relevanz für die Gegenwart angeordnet werden zu können. Die Dichte des so erscheinenden ‚Gewimmels‘ liegt begründet in der Diskontinuität, die die Perspektive eben auch auf Bruchstellen und Lücken legt. Gleichzeitig aber resultieren Dichte und Paradoxie aus einer Entstehungsgeschichte, die doch auf eigenem Boden entsteht, nämlich durch Rückgriff auf die Historie.

42 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 186. Foucaults archäologischer Begriff als ein Bereich der Verwendung von Ereignissen und Dingen deutet bereits bestimmte Formen von Praktiken an; in der Diskursanalyse Foucaults verharrt er jedoch als Ort der „Äußerlichkeit“ im Gesagten, siehe ebd., S. 82. In Entstehungsprozessen, die die archäologische Genealogie freilegt, können technologische Praktiken über das Gesagte hinaus erweitert werden. 43 M. Foucault: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, S. 181.

84 | V OM LANGEN J ETZT

Doch zunächst ergibt sich eine zweite paradoxale Ebene aus einer (vordergründigen) Korrespondenz von Linearität/Kontinuität und Text, aus Herangehensweisen, deren „textual performance still adheres to the historiographical model of writing, following a chronological and narrative ordering of events“44. Wie es bei einer Genealogie, die sich der Archäologie bedient, nicht anders sein kann, entsteht die hier zu schreibende Entstehungsgeschichte der Gegenwart im Modus der Diskontinuität, auf jenem selbstbereiteten Boden als eine Herausforderung im Anordnen und Lesen. So wird die Methode einer archäologischen Genealogie in Anlehnung an Foucault zugrunde gelegt, die zu gegebener Zeit zu einem für die Long Now Foundation konstitutiven Wechselbezug zwischen diskursiven und technischen Formationen erweitert wird. Dabei soll ein Lektüreangebot und möglicher Ausschnitt aus einem wirklichen Werden erstellt werden, das den zentralen Beobachtungsgegenstand differenziert, diesem reflektiert in seiner Gegenwart begegnet und dessen Schweigen perspektivisch und diskontinuierlich zum Erliegen kommen soll. Als ‚radikal präsent‘ wird Vergangenheit hier entzeitlicht, um für die Gegenwart lesbar zu werden. Der Verbund von Archäologie und Genealogie kann mit Blick auf Foucaults Wandelfähigkeit pointiert werden: Mit seinem äußerst vielschichtigen und umfassenden Werk zählt Foucault nicht nur zu den meistzitierten Denkern, sondern er gilt insbesondere als bekannt für seine Wandelbarkeit, sodass sich sein Werk jeder Einordnung und Festlegung entzieht.45 So schreibt Foucault selbst: „Man frage mich nicht, wer ich bin, und man sage mir nicht, ich solle der gleiche bleiben: das ist eine Moral des Personenstandes; sie beherrscht unsere Papiere. Sie soll uns frei lassen, wenn es sich darum handelt, zu schreiben.“

46

Gerade dieser Wandel, innerhalb dessen Foucault seine Begriffe in den verschiedenen Schaffensperioden abändert, gar revidiert, führt dazu, die Genealogie mit der archäologischen Methode zu verbinden und dabei der ‚hermeneutischen Einsicht‘ gerecht zu werden. Die Genealogie nach Foucault grenzt sich von der traditionellen Geschichtsschreibung ab, indem sie Diskontinuitäten im Entstehungsprozess fokussiert. Sie

44 W. Ernst: „Media Archaeography“, S. 239. 45 Vgl. P. Sarasin: Michel Foucault zur Einführung, S. 9; A. Landwehr: Historische Diskursanalyse, S. 66. 46 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 30 und vgl. exemplarisch P. Sarasin: Michel Foucault zur Einführung, S. 10.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 85

emanzipiert sich damit von einem übergeordneten Absoluten der Geschichtsschreibung, das ein Denken vom Ende her durch Suche nach einem kontinuierlichen und unantastbaren Ursprung bedeutet.47 Genealogie als von diesem Ursprung abgekehrt betreiben heißt, ein dichtes Netz von Bezügen, Beziehungen, einzelnen Gruppen und deren Transformationen darlegen zu können, um sich somit vom eingeschränkten, rein kontinuierlichen und linearen Weg der Geschichtsschreibung freizumachen.48 So wird eine weitreichendere Perspektive eröffnet: Wenn der Blick vom rein Kontinuierlichen gelöst wird, das ein Gegebenes vom Ende und seiner vermeintlichen, vordeterminierten Bestimmung her erörtert, kann einer Wandelbarkeit von Kultur und ihren Phänomenen gefolgt werden. Dabei spielen Transformationen, Gegenüberstellungen, Zufälle wie auch Abspaltungen ein, die selbst zu neuen Entstehungsprozessen führen können. Es bedeutet, Kultur und ihre Phänomene als Prozess wahrnehmen zu können. Es sind das umfassende Werk Foucaults, sein Wandel sowie die fehlende Eindeutigkeit, auch bedingt durch seine kritische Selbstreflexion, die eine Selektion der für diese Studie relevanten Aussagen notwendig machen. Daran schließt eine Empfehlung des Denkers selbst an, sein Werk bzw. seine Theorie als Werkzeugkiste und genauer als Werkstatt zu begreifen, „in der mit Foucault und über Foucault hinaus gearbeitet wird“.49 Foucaults explizite Ausarbeitung der Genealogie50 wird insbesondere für ein Verständnis von Entstehung und Herkunft herangezogen, das jenes genealogische Netz für eine Entstehungsgeschichte der Long Now Foundation als relevant für die Gegenwart hervorruft. Am Punkt der Diskontinuität, die der Entstehung als Prozess gerecht wird, lässt sich Foucaults Genealogie mit der Archäologie verbinden und eröffnet eine Strategie für die vorliegende Analyse: Die Archäologie, die in Foucaults Werk der Genealogie vorangestellt ist,51 beschreibt die

47 Vgl. M. Foucault: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, S. 167. 48 Damit entsteht gleichzeitig eine charakteristische Verbindung oder vielmehr ein Scharnier zum zweiten Teilbereich dieser Arbeit, der sich spezifisch, insbesondere aus Perspektive der Mediennutzung, mit der (Nicht-)Linearität befasst. 49 P. Sarasin: Michel Foucault zur Einführung, S. 11; vgl. ferner M. Foucault: „Von den Matern zu den Zellen“, S. 882-888, hier S. 887-888. 50 Vgl. M. Foucault: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“. 51 Vgl., neben der Chronologie des Werkkontextes, G. Deleuze: Foucault, S. 31. – Mit Verweis auf einen chronologischen Werkkontext setzt also gleichsam ein Moment des Kontinuums ein. Es verweist allerdings zugleich auf einen Wechselbezug zwischen den theoretischen Grundpfeilern Archäologie und Genealogie, korrespondierend mit

86 | V OM LANGEN J ETZT

Analyse mittels eines Regelsystems (Formationssystem52), das beispielsweise in einer bestimmten Epoche Grenzen und Formen der Sagbarkeit angibt. So entsteht ein Forschungsfeld des Sagbaren, dem bestimmte zu analysierende Formationsprinzipien zugrunde liegen.53 Das dichte Netz der Genealogie wird durch archäologische Formationsprinzipien und seine Regeln selbst erst angeordnet und entsteht als perspektivischer Ausschnitt aus dem historischen Apriori.54 Die Wechselwirkung von Archäologie und Genealogie verbindet eine analytische Methode mit der ‚hermeneutischen Einsicht‘. Sie erweitert die abzuwendende Reduktion von arché (dem Ursprünglichen) zu einer Abkehr vom Ursprünglichen wie auch das spezifische Verständnis von Archäologie: Neben dem Freilegen von Elementen55 und strukturell steuerbarer Anordnung (Kommando) entspricht sie der Umkehr traditioneller Geschichtsschreibung. Denn die Archäologie kehrt die „geduldig gespannten Fäden der Historiker“ 56 um. Damit grenzt sie sich im nicht-metaphorischen Sinne von der klassischen Archäologie ab und somit von einer gemeinhin gesetzten „Grabungsmethapher“57, denn nicht-linear erstellt sie die Abkehr von klassisch historischer Rekonstruktion.58 Der Archäologie liegt ein charakteristischer Archiv-Begriff zugrunde; ein ‚Gebilde‘, das Foucault nicht nur als „neuen Archivaren“59 auftauchen lässt, sondern einen

einer diskontinuierlichen Anordnung historischen Materials. Auch dem Prozess wohnt ein Moment des Kontinuums inne. – Dies koppelt sich an bestimmte phänomenbezogene Elemente, die etwa eine ‚lebende Institution‘ zwischen Kontinuität und steter Erneuerung betreffen. 52 Vgl. an dieser Stelle etwa M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 48-112, wobei das Formationssystem und seine Regeln noch ausführlich für den zentralen Beobachtungsgegenstand dargestellt werden. 53 Vgl. A. Landwehr: Historische Diskursanalyse, S. 68-69; M. Ruoff: FoucaultLexikon, S. 68-69. 54 So kann an dieser Stelle bereits auf ein „System“ als „Gesamtheit der Regeln [...] diskursive[r] Praxis“ verwiesen werden (siehe M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 185), bevor Archiv und historisches Apriori explizit ausgeführt werden. Denn deren pointierte Darstellung kann sich erst sukzessive aus der Verbindung von Archäologie und Genealogie ergeben. 55 Vgl. ebd, S. 29. 56 Ebd., S. 241. 57 W. Ernst: „Vortrag zu Medienarchäologie“ vom 07.02.2013. 58 Vgl. ebd. 59 So der programmatische Titel der Darstellung von Foucaults Archäologie durch Deleuze, siehe G. Deleuze: Foucault, S. 9.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 87

Kern der Archäologie als „Gesetz des Sagbaren“60 kennzeichnet als das Element oder System, in dem sie verfährt.61 Rekurrierend auf den Werkkontext und eine wandelfähige Theorie, kann die Genealogie nicht ohne die Archäologie gelesen werden, da sie die methodische Grundlage bildet und für genealogische Grundprinzipien wie die Abkehr vom Ursprung und die Diskontinuität den Boden bereitet. Die Archäologie kann nicht ohne die Genealogie gelesen werden, da die Genealogie eine Art Fortsetzung und Ausarbeitung darstellt: Nicht nur ist es jene ‚hermeneutische Einsicht‘, die eine archäologische, auf ihre Art ‚ahistorische‘ Geschichtsschreibung der Gegenwart formuliert, sondern archäologische Grundprinzipien werden erweitert, so auch durch Foucaults Nietzsche-Rezeption. Einen methodischen Weg zu eröffnen heißt dann auch, auf die Empfehlung Foucaults zurückzukommen, seine Theorie als Werkzeugkasten zu begreifen, was sich hier in der methodischen Verbindung von Genealogie und Archäologie äußert und im Sinne Foucaults „eine Beschreibungsmöglichkeit“62 entwirft: Das Verständnis von Genealogie unterliegt somit der hier erstellten Syntheseleistung, die Foucaults Begriff von Genealogie durch die Archäologie methodisch anreichert und dabei zusätzlich auf den Werkkontext referiert. Es ist dabei notwendig, der Lesart beider eine Art Filter aufzuerlegen, der es ermöglicht, eine Strategie bzw. Methode zu entwickeln, die auf relevante Elemente für die Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation eingegrenzt bleibt. 2.1.1 Zu Geschichtsschreibung, genealogischem Gegenstand und Zeitlichkeit Eine implizierte Umkehr gegen die traditionelle Geschichtsschreibung kann als Knotenpunkt des archäologischen Freilegens sowie als Möglichkeitsbedingung der ‚Geschichte der Gegenwart‘ angesehen werden. Diese Umkehr besteht in einer Wendung gegen Historie und Metaphysik, denn beiden liegt ein Ursprungsglaube zugrunde: Dieser unterstellt den Dingen eine Vollkommenheit als der Punkt – so der metaphysische Glaube –, an dem die Wahrheit noch bestehe, be-

60 W. Ernst: „Vortrag zu Medienarchäologie“ vom 07.02.2013. – Rekurrierend auf Ernst ist hier die Verdeutlichung des Archiv von Interesse, nicht als „Gemeinde- oder Staatsarchiv, das klassische Gedächtnis, [...] sondern [...] Möglichkeitsbedingungen dafür, das überhaupt etwas gesagt werden kann.“, siehe ebd. 61 Vgl. M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 190. 62 Ebd., S. 166 [Herv. V.F.].

88 | V OM LANGEN J ETZT

vor der Diskurs als Gesamtheit des Gesagten sie verdeckt.63 Der Ursprung erfasst damit das Wesen der Sache als unveränderlich, das heißt eine nahezu unantastbare, allem Späteren vorausgehende Form.64 Dies verdeutlicht zum einen eine starke Idealisierung in der Suche nach dem Ursprung65 und zeigt zum andeanderen, inwiefern die traditionelle Geschichtsschreibung (hier die Historie) sich auf das Kontinuierliche stützt: Auf Basis des Unveränderlichen, durch einen vorangestellten reinen Ursprung, kann zwar Geschichte rekonstruiert werden, allerdings determiniert als lineare Abfolge von Vorkommnissen. Eine Suche nach dem Ursprung setzt ein Gegebenes; da dieser Ursprung rein und vollkommen ist, kann seine Geschichte nur linear, ohne Verschiebungen und Transformationen, verfolgt werden. Die Genealogie hingegen muss die historischen Vorkommnisse, die zu Entstehungsprozessen eines Phänomens führen, in ihrer Einzigartigkeit erarbeiten und betrachten: das heißt ihre Wandelbarkeit und zugleich Wiederholbarkeit aufspüren, und dies in Bereichen, in denen man sie nicht vermutet, wie auch in solchen der Gefühle.66 Im Gegensatz zu Idealisierung und Determination steht hinter den Dingen kein unantastbares Wesen, sondern dieses Wesen der Dinge wurde „Stück für Stück aus Figuren konstruiert [...], die ihnen fremd waren“67. Die Genealogie benötigt die Historie zwar, um all jene Ereignisse, Episoden und Einzelfälle nicht außer Acht zu lassen,68 denn wo sind sie zu finden, wenn nicht in der Geschichte? Sie bemächtigt sich ihrer, indem die Genealogie auf jenem (historischen) Boden entsteht, der von ihr selbst entdeckt bzw. freigelegt wird. 69 Zugleich aber wendet sie sich gegen eine traditionelle Geschichtsschreibung, da anstelle eines Ursprungsglaubens vielmehr Möglichkeitsbedingungen einer Herkunft und Entstehung betrachtet werden. Die beschriebene Umkehr ist dabei vor allem eine solche im Denken als Lösung von gewohnter kontinuierlicher Abfolge und als Konfrontation mit der Paradoxie. Denn geht es um die Entstehung, so ist der Tod nicht fern:

63 Vgl. M. Foucault: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, S. 170. 64 Vgl. ebd., S. 168. 65 Vgl. ebd., S. 171. 66 Vgl. ebd., S. 166. – Für eine Entstehung und Herkunft der Long Now Foundation wird etwa ein Gefühl von Bewusstseinserweiterung relevant, das sich aus der Counterculture und einer sogenannten, noch hervortretenden transformativen Erfahrung ableitet. 67 Ebd., S. 169. 68 Vgl. ebd., S. 170. 69 Vgl. ebd., S. 185, M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 28.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 89

„Man wird immer vom Mord der Geschichte tönen, wenn man in einer historischen Analyse [...] sieht, wie auf zu manifeste Weise die Kategorien der Diskontinuität und des Unterschieds, [...] des Bruchs und der Transformation, die Beschreibung der Folgen und Grenzen benutzt werden.“

70

Gegenstand der Genealogie sind Herkunft oder Entstehung. Die Herkunft umfasst die Zuordnung zu einer Gruppe, deren genealogische Beobachtung ihre vielschichtigen Merkmale aufspürt und zugleich innere Kreuzungen, Entwicklungen wie auch Abspaltungen. Hier geht es nicht um Ähnlichkeiten, sondern um das Sortieren dieser Merkmale, denn dieses Verständnis von Herkunft ruft jenes dichte Netz hervor, das es zu entwirren gilt.71 Herkunft ist allerdings nicht gleichzusetzen oder zu verwechseln mit Erbschaft oder Kontinuität:72 Sie muss nicht darstellen, dass die Vergangenheit vollends, das heißt hier ohne Abstriche, in der Gegenwart weiterexistiert, sondern ist unmittelbar gebunden an die ‚Geschichte der Gegenwart‘, das heißt an ihre Relevanz für selbige. Sie gibt dabei Erklärungen für ein Zustandekommen, wobei Elemente der Gruppierung nachwirken können, sodass ein Phänomen in seiner Gegenwart gedeutet und kontextualisiert werden kann. Überdies bietet die Herkunft keine unerschütterliche Grundlage, was nochmals die klare Abkehr vom Ursprung verdeutlicht, sondern weist mögliche Unstimmigkeiten, Oppositionen und Heterogenitäten auf, rekurrierend auf jene dem Wesen der Dinge ‚fremde Figuren‘. Gerade aus dieser unsicheren Grundlage, die nicht-linear bzw. diskontinuierlich stets auf neue Bezüge stoßen kann, schöpft die Genealogie weitere Erkenntnisse. Denn „[d]ie Analyse der Herkunft macht es möglich, das Ich aufzulösen und am Ort seiner leeren Synthese zahllose heute verlorene Ereignisse hervortreten zu lassen.“73

70 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 25. 71 Vgl. M. Foucault: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, S. 171-172. Zurückgehend auf Foucaults Nietzsche-Rezeption kann Herkunft zunächst auf StammesZugehörigkeiten verweisen, sie löst sich im Sinne der Genealogie allerdings von Erbschaft und demnach von retrospektiv-linearer Abstammung. 72 Vgl. ebd., S. 172. 73 Ebd. Das ‚Ich‘ würde beispielsweise referieren auf das gegenwärtige Bestehen eines Phänomens hinsichtlich seines über die Zeit konstituierten Wesens; sein Leerraum (leere Synthese) verweist zugleich unmittelbar auf die Lücke, die das Nicht-Gesagte benennt und ‚heute verlorene Ereignisse hervortreten lässt‘. So kommt es zustande, dass Herkunft „keine sichere Grundlage [schafft], sie erschüttert“, siehe ebd., S. 173.

90 | V OM LANGEN J ETZT

Dieses Hervortreten bezeichnet den Punkt der Entstehung, sie ist „Prinzip und Gesetz des Erscheinens“74 und formuliert explizit die Abkehr von der bruchlosen Kontinuität sowie die Bedeutung der Diskontinuität.75 Das Hervortreten und Erscheinen bezieht sich dabei auf Ereignisse, die nicht von ihrem Ende her gedacht werden, denn dies würde dem Ursprungsgedanken und einer festgelegten Bestimmung entsprechen. Sie bilden keine kontinuierliche Folge von Bedeutungen und sich ausprägenden Merkmalen, sondern „unterschiedliche Arten der Ersetzung, Versetzung und Verschiebung“.76 An dieser Stelle wird eine pointierte Darstellung der Differenz Foucaults zu Nietzsche notwendig; sie bezieht sich auf Konzepte der Zeitlichkeit, speziell auf die Auffassung von Kontinuität. Nietzsches Genealogie77 liegt in einer kontinuierlichen Herleitung begründet, die die Herkunft unserer moralischen Vorurteile, und das heißt den Wert der Moral, zu entschlüsseln sucht.78 Die Kontinuität ergibt sich dabei aus dem eigenen Werkkontext, indem die Genealogie der Moral Nietzsches eigener, individueller Herleitung dieser Werte, die er bereits in Menschliches, Allzumenschliches und Jenseits von Gut und Böse entwickelt, als Ergänzung nachgestellt ist.79 Nietzsche widmet sich hier einer vielmehr psychologisch konnotierten Erschließung, 80 die zugleich vom Werkkontext abhebt, denn Kern der sich dort äußernden persönlichen Konnotation ist die Grundfrage nach dem Willen zum Wissen als „Grundwillen der Erkenntnis“81, der die Kontinuität zu einer Doppelbewegung erhebt: Erstens gilt es für eine Genealogie das „Land zu durchschauen, durch das mein Geist bis dahin gewandert war,“82 womit Nietzsche zugleich ein eigenes Apriori83 einbezieht, das sowohl Werkkontext als auch persönliche Erschließung verbindet.

74 Ebd., S. 174. 75 Vgl. M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 17. 76 M. Foucault: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, S. 177-178. 77 Vgl. insbesondere F. Nietzsche: „Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift“, S. 761-900. 78 Vgl. ebd., S. 767. 79 Vgl. ebd., S. 766; 770. 80 Vgl. A. Pieper: „Vorrede“, S. 15-29, hier S. 16. 81 F. Nietzsche: „Zur Genealogie der Moral“, S. 764. 82 Ebd. 83 Vgl. ebd. Der Begriff des Apriori wird noch durch Foucault im historischen Bereich spezifiziert, das zu einer Gesamtheit vorangestellter Geschehnisse im historischen Werden führt.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 91

Zweitens jedoch versieht Nietzsche diese Kontinuität mit Nicht-Linearität bzw. Diskontinuität durch seine Forderung nach einem „Lesen als Kunst“84. Sie konfrontiert den Leser mit einer eigentümlichen „Lesbarkeit“85 und zieht zeitliche Sprünge nach sich, deren Ende gleichsam an den Anfang führt und zugleich auf vorherige Werke Nietzsches verweist. Zunächst ergibt sich die Besonderheit der persönlichen Erschließung aus einem problematisierten moralischen Urteil, das im Vorhinein bestimmt wird, wobei eine Abgrenzung von aristotelisch-zeitlicher und apriorischer Fundierung in Anlehnung an Immanuel Kant erfolgt.86 Durch Revision der zeitlichen Fundierung, in der Wertkategorien (für Nietzsches Frage nach dem Wert der Moral) über lange Zeiten hinweg überliefert und damit als gesellschaftlich normativ aufgeladene Handlungsschema etabliert werden, grenzt sich Nietzsche von einer Einübung im Sinne der Gewöhnung ab.87 Das auf Kant zurückgehende Apriori wird als konstruiertes Verfahren problematisiert, indem sich Handlungsbewertungen auf das Konstrukt „des guten Willens“ stützen, dessen ‚Gesetzgebung‘ auf die praktische Vernunft als moralische Instanz rekurriert.88 Was Nietzsche hingegen anbietet, ist die „gelebte Moral“, eine „wirkliche Historie der Moral“89, die folglich das Subjekt einbezieht und „Sinnstiftung“ (den Grundwillen der Erkenntnis) „wieder den Individuen [überträgt], die damit zu Urhebern ihrer eigenen Werturteile werden“90. Dabei geht es zugleich um das „Urkundliche, das wirklich Feststellbare, das wirklich Dagewesene“91, das eine persönliche Komponente einbeziehen kann und sich als historisches Ereignis feststellen lässt. Dies wird sich bei Foucault in einem perspektivischen Wissen zeigen, das zu-

84 Ebd., S. 770. 85 Ebd. 86 Vgl. A. Pieper: „Vorrede“, S. 15. – Foucaults archäologische Forschungen der 1960er Jahre gehen zusätzlich auf Immanuel Kant zurück, wobei eine charakteristische Ausbildung des Archiv-Begriffs stattfindet, was im Laufe dieser Analyse noch genau verdeutlicht wird. Zur Verbindung zu Kant vgl. ferner K. Ebeling/S. Günzel: „Archivologie: Einleitung“, S. 7-26, hier S. 15-16. 87 Vgl. A. Pieper: „Vorrede“, S. 15; vgl. F. Nietzsche: „Zur Genealogie der Moral“, S. 772. 88 Vgl. A. Pieper: „Vorrede“, S. 15. – Interessant ist hier die Verbindung zu Handlungsbewertungen, die auf Strategien und Taktiken von Organisationen und Institutionen umgeleitet werden, vgl. dazu Kap. 1, Anm. 21. 89 F. Nietzsche: „Zur Genealogie der Moral“, S. 769. 90 A. Pieper: „Vorrede“, S. 27. 91 F. Nietzsche: „Zur Genealogie der Moral“, S. 769.

92 | V OM LANGEN J ETZT

gleich jedoch eine notwendige wissenschaftliche Distanz wahrt; einerseits durch das historisch Belegbare, andererseits mittels eines charakteristischen Formationsprinzips, das genealogische Prozesse methodisch hervortreten lassen kann. Nietzsche stellt mit der ‚gelebten Moral‘ ein stets nicht festgelegtes Werden heraus, das Foucaults Herangehensweise stützt. Dabei ist eine zeitliche Differenz zwischen Nietzsche und Foucault hervorzuheben: Während Nietzsche die Arbeit selbst, wie oben erläutert, noch auf kontinuierliche Rekonstruktionen fußt und diese auch noch an den Ursprung und „Entstehungsherd“92 bindet, ist es die bruchlose Kontinuität, der sich Foucault zu entziehen sucht. So bedient Foucault sich der Kontinuität, ganz wie sich die Genealogie der Historie bedient – denn es geht zwar um Kausalitäten im Entstehungsprozess, die allerdings nicht zwangsläufig kontinuierlich herzuleiten sind. Die Differenz zu Nietzsche kann schließlich dahingehend forciert werden, dass erstens Übereinstimmung zwar im nicht festgelegten Werden besteht, diese aber vom Ursprung gelöst werden muss, um eben das Unveränderliche zu negieren und damit ein Werden nicht vom Ende her zu denken.93 Zweitens differenziert Foucault eine zeitliche Auffassung bereits in der Archäologie und einer expliziteren Ausarbeitung der Genealogie. Ist Diskontinuität bei Nietzsche noch vornehmlich auf nicht-lineare Prozesse der Lesbarkeit und Rezeption bezogen, kann die Diskontinuität bei Foucault zu einem zentralen Werkzeug und Beobachtungsprozess des Werdens avancieren. Foucault entwickelt eine wissenschaftliche Methode, die erst die Abkehr vom Ursprung, von einer bruchlosen Kontinuität als lineare Entstehungsgeschichte forciert. Als erweitert von zeitlichen Sprüngen, denen eine Lesbarkeit unterliegt, entsteht so für die Methode selbst ein Prinzip der zeitlichen Streuung. Dieses dient Foucault dazu, historisches Material anzuordnen, das in seiner Diskontinuität einem System (Formationssystem) unterworfen werden muss. Während Nietzsche vornehmlich kontinuierlich anordnet, gleichwohl eine diskontinuierliche ‚Kunst des Lesens‘ fordert, bedient sich Foucault der Kontinuität, allerdings ebenso in einer diskontinuierlichen Anordnung des historischen Materials. Ergibt sich auch bei Foucault ein Rekurs auf den Werkkontext, kann dieser hier jedoch den Wechselbezug zwischen Archäologie und Genealogie zeigen. Ein später noch detailliert zu erläuterndes wirkliches Werden erstellt einerseits eine Parallele zu Nietzsche und zu diskontinuierlichen Ermittlungspro-

92 Vgl. ebd., S. 806; 764. 93 Hinweg vom Determinierten verhält sich dieser Befund äquivalent zu einer ‚Geschichte der Gegenwart‘, als konstitutiv für Möglichkeitsbedingungen folglich, anschließend an Foucaults ‚hermeneutische Einsicht‘ aus der Genealogie.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 93

zessen. Andererseits wird diese diskontinuierliche Ausrichtung erweitert; sie fordert eine Kunst des Lesens ebenso wie eine solche des Anordnens, die schließlich die Konfrontation mit dem dichten Netz der Genealogie kennzeichnet. Soweit kann erstens festgehalten werden, dass aus dem selbstreflexiven, wandelbaren Werk Foucaults eine wechselseitige Beziehung zwischen Archäologie und Genealogie lesbar wird. Der Genealogie kann eine analytische Methode zugrunde gelegt werden, während diese durch eine ‚hermeneutische Einsicht‘ angereichert wird. Zweitens kann die Diskontinuität als ein methodischer Kern des Anordnens historischen Materials hervortreten, der nicht nur eine traditionelle Geschichtsschreibung umkehrt, sondern für eine ‚Geschichte der Gegenwart‘ – und die hier stattfindende stufenweise Heranführung – eine spezifische zeitliche Streuung ankündigt. Drittens können Herkunft und Entstehung als Gegenstand der Genealogie festgehalten werden, die archäologisch vorgehend die angeführten ‚unterschiedlichen Arten der Ersetzung und Verschiebung‘ hervorrufen und somit an jene Kunst des Anordnens und eine zeitliche Streuung rückkoppeln. So wird ebenso auf einen Kern der Entzeitlichung vorbereitet, indem die Anordnung von historischem Material für die Long Now Foundation ein Archiv zweiter Ordnung heranzieht. In der sukzessiven Darstellung und Pointierung der archäologischen Genealogie kann jedoch zunächst die ‚Geschichte der Gegenwart‘ als Lektüremöglichkeit hervortreten.94 Sie hebt einen Sinn als Deuten sowie ein perspektivisches

94 Da eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation zu einer weiterreichenden Entstehungsgeschichte führen soll, geht es mit ihr auch um Prozesse der Lesbarmachung. So kann an dieser Stelle auf eine Vergleichsebene zur Transkription in Anlehnung an Ludwig Jäger verwiesen werden, anhand derer genealogische Prozesse mit solchen der Übersetzbarkeit und des Transfers in Verbindung gebracht werden können, vgl. insbesondere L. Jäger: „Transkriptivität. Zur medialen Logik der kulturellen Semantik“, S. 19-42. – Ein transkriptives Verfahren erstellt ein Medium des Übersetzens und Transferierens, wobei Transkription die Lesbarmachung kultureller Semantik bedeutet, die über Transkripte (die historische Darstellung) einen Prätext (Quelle) als historisches Ereignis konstituiert, vgl. ebd., S. 30. Transkription impliziert somit eine „Logik der Geschichtsschreibung“, ebd. [Herv. i.O.]. Zugespitzt ergeben sich dabei Parallelen zu archäologischen Begriffen, indem etwa Ereignisse und Dinge in Skripten erscheinen, denen ein Prätext vorausgeht. Transkription kann somit ein „Netz von Prätexten“ (siehe ebd., S. 33) erzeugen. Das transkriptive Verfahren kann dieses gleichsam perspektivisch skriptualisieren und zu einem Postskript spezifizie-

94 | V OM LANGEN J ETZT

Wissen hervor, um daran anschließend das Formationssystem darstellen zu können. 2.1.2 Eine Lektüremöglichkeit aus perspektivischem Wissen Das archäologische Freilegen äußert sich somit als genealogischer Prozess des Hervortretens, der eine Lektüremöglichkeit darstellt. Denn, wie schon aus der Verbindung zu vorangeschrittener Schaffensperiode und zur Ausarbeitung der Genealogie durch Foucault deutlich wurde, geht eine archäologische Genealogie zugleich über ihn hinaus: Sie kann nicht in der reinen Beschreibung95 verharren, denn im Zuge archäologischen Anordnens für eine Genealogie vollzieht sich bereits ein Deutungsprozess. Über Foucault hinaus erfolgt somit die Erweiterung von reiner Beschreibung zu hermeneutisch eingebundener Anordnung als Prozess der Lesbarmachung – und diese kann nicht gänzlich im rein Gesagten verharren.96

ren. Dies wird vergleichbar mit dem archäologischen Phänomen der Rekurrenz, indem die archäologische Anordnung für eine Entstehungsgeschichte „hinsichtlich ihrer Angemessenheit befragbar ist“ (ebd., S. 34). Vgl. dazu die anschließende Darstellung des Formationssystems. – Im Rahmen dieser Studie kann jedoch auf eine solche Vergleichsebene zur Transkription nur verwiesen werden, um den Komplexitätsgrad aufkommender Terminologie sowie deren Fülle zu reduzieren und das Phänomen Long Now Foundation nicht aus den Augen zu verlieren. 95 Zur Beschreibungsmöglichkeit vgl. M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 166. 96 Neben eine technische Seite der Formation rückt also der Rekurs auf Nietzsche hinsichtlich einer subjektbezogenen Perspektive. Sie grenzt sich aber gerade über die methodische Distanz klar ab, indem der reine Subjektbezug durch Systeme der Formation entzogen wird. Der Verbund von Archäologie und Genealogie kann genealogische Prozesse vertieft als analytische wie auch sinnstiftende Auslegungsprozesse darstellen: Wird Foucaults Herangehensweise als „Jenseits der Hermeneutik“ proklamiert, würde dies die einseitige, interpretationsfreie Analytik der Archäologie umfassen, die sodann, gefolgt vom „Jenseits des Strukturalismus“ (siehe H.L. Dreyfus/P. Rabinow: Michel Foucault), an Deutungsprozesse heranführt. Der Verbund von Archäologie und Genealogie erzeugt jedoch ihr Diesseits als Erfüllung beider in ambivalenter Doppelbewegung – sowohl Analytik als auch notwendige hermeneutische Einbindung umfassend; jenseits eines unveränderlichen Sinns zu möglicher Lektüreweisung; diesseits und ‚radikal präsent‘ als ‚Geschichte der Gegenwart‘.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 95

Die Methode erhält somit den Sinn von Deuten: Deuten heißt, sich „eines Regelsystems zu bemächtigen“97, das erwähnte Verschiebungen und Diskontinuitäten betrachtet und dabei nicht auf Wiedererkennen oder ‚Wiederfinden‘ beruht, sondern der Diskontinuität Vorschub leistet: So erfasst die Genealogie Entstehungsprozesse, bei denen Kräfte der Verschiebung oder differierende Auffassungen in der Geschichte am Werk sind, die „weder einer Bestimmung noch einer Mechanik“98 gehorchen. Hier herrscht keine Willkür vor,99 sondern vielmehr vermag eine Auffassung von Ereignissen, die sich nicht in einer unterstellten ursprünglichen Absicht manifestieren, die Einzigartigkeit der Ereignisse in den Blick zu nehmen. Im Sinne des Regelwerks von Verschiebungen und Ersetzungen können spezifische Diskontinuitäten wie Transformationen oder Abspaltungen, beispielsweise von Gruppen in der Geschichte, beobachtet werden. Ereignisse erscheinen nicht mehr bloß als bedeutend oder unbedeutend, sondern es geht um Typen von Ereignissen, so z. B. aufgrund von Wiederholungen, und damit um die Frage nach den „Folgen [...], ohne daß man sie auf ein lineares Schema reduzieren kann“100. Welche Formen von Bezügen bestehen zwischen ihnen; wie wirken sich Verschiebungen oder Konstanten in der Gruppe aus, und an welche Grenzen gelangen sie; schließlich welche Elemente können gleichzeitig vorkommen?101 Dies zu deuten, und das heißt, Wissen über das Werden, die Herkunft und Entstehung eines Phänomens zu erlangen, heißt dann zerschneiden:102 Der zerschneidende genealogische Blick kann sich vom Ursprung lösen und somit das dichte Netz der Herkunft und Entstehung („ein Gewirr aus Myriaden ineinander verschachtelter Ereignisse“103) aufschlüsseln, das einen Weg des Entstehungsprozesses eröffnet.104 Dies rekurriert also auf jene zu isolierenden und gleichzeitig ‚vernetzten‘ Bestandteile einer ‚Geschichte der Gegenwart‘.

97 M. Foucault: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, S. 178. 98 Ebd., S. 180. – Zum ‚Wiederfinden‘ siehe ebd., S. 179-180: Wissengenerierung, die nun methodisch ebenso Deutungsprozesse einbezieht „[...] bedeutet selbst auf historischer Ebene nicht ‚wieder finden‘“. 99 Vgl. ebd., S. 181. 100 Vgl. M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 16-17. Solche Typen von Ereignissen werden dort auch als „Serie“ gefasst, siehe ebd. 101 Vgl. ebd., S. 20. 102 Vgl. M. Foucault: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, S. 180; 182. 103 Ebd., S. 181. 104 Vgl. ebd., S. 180-181.

96 | V OM LANGEN J ETZT

Gleichsam muss sich die Genealogie ihre Perspektive eingestehen. Es handelt sich um ein „perspektivisches Wissen“105, das ein Korpus zugrunde legt106 und das bewusst bestimmte Ereignisse und Dinge hervorheben muss, um dabei zugleich perspektivisch (aus dem Beobachterstandpunkt) und distanziert (mittels des archäologischen Regelsystems) einzugreifen. Herkunft und Entstehung bilden also den Gegenstand der Genealogie; ihre Perspektive fokussiert und erstellt eine Anordnung von bestimmten Ereignissen und Dingen, die ein System der Entschlüsselung erfordert. Um ein Verständnis dafür zu entwickeln, ist es zunächst notwendig, Foucaults Fülle an Begriffen selbst genauer zu definieren. Die Anordnung, noch als dichtes genealogisches Netz von Beziehungen, wird durch ein allgemeines Aussagesystem und dessen Beschreibung ausgemacht.107 Dieses Aussagesystem ist die diskursive Formation, die anhand der Formationsregeln analysiert werden kann. Von Beziehungen kann allerdings nur die Rede sein, da der Diskursbegriff auf charakteristische Weise verstanden werden muss – dies bezieht das Ereignis, die Aussage und das Sagbare ein. Aussage und Ereignis stehen in engem Bezug zueinander: Ein Ereignis kann eine „Population von Aussagen“108 sein, eine Gesamtheit von Aussagen, die in ihrem Auftauchen (hier also rekurrierend auf die Entstehung der Genealogie) beschrieben wird.109 Die Aussage ist damit keine Einheit, sondern hat eine „Existenzfunktion“110, die es erst erlaubt, von diskursiven Ereignissen zu sprechen, die aus der Existenz von Aussagen bestehen. Um Ereignisse geht es also dann, in Verbindung mit der Genealogie, wenn es sich darum handelt, „die Aussage in der Enge und Besonderheit ihres Ereignisses zu erfassen; die Bedingungen ihrer Existenz zu bestimmen, [...] ihre Korrelationen mit anderen Aussagen aufzustellen [...]“111. Eine Aussage über die Long Now Foundation wäre demgemäß nicht einfach, dass sie im zeitlichen Rahmen rund um den Millennium Bug gegründet wurde, sondern etwa, dass Ereignisse und Dinge sowie deren Korrelation, weit über diesen Zeitrahmen hinaus, zu deren Zustandekommen beigetragen haben. Gleichzeitig erscheinen sie gegenwärtig in der Stiftung, etwa transformiert oder verschoben.

105 Ebd., S. 182. 106 Vgl. hierzu auch G. Deleuze: Foucault, S. 30. 107 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 168-169. 108 Ebd., S. 116. 109 Vgl. ebd., S. 121. 110 Ebd., S. 126. 111 Ebd., S. 43.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 97

Wie führt die Aussage aber zunächst zu einem dichten Netz von Beziehungen im Sinne einer diskursiven Formation? Indem das Sagbare und der Diskurs von der rein sprachlichen Natur gelöst werden: Wichtig ist hier, dass die diskursive Formation nicht von einer Definition der Aussagen abgeleitet wird. Aufgrund der Existenzfunktion von Aussagen handelt die Analyse der diskursiven Formation zwar immer auch von Aussagen, allerdings gebündelt, und das heißt als Ereignis in seiner Einzigartigkeit (Ereignishaftigkeit entsteht dann als Einzigartigkeit im Sinne von Besonderheit, also als ereignishaftes Erscheinen/Hervortreten, z. B. durch Brüche, Transformationen, Diskontinuitäten etc.). Und eine so zustande kommende diskursive Formation befasst sich mit dem Organisieren eines Gebiets, in dem Aussagen, ihr Gruppierungsgebiet, Regelmäßigkeiten, Transformationen und Diskontinuitäten beschrieben werden können. Es handelt sich nicht um ein System im Sinne der Linguistik oder Grammatik, sondern um ein „Bündel von Beziehungen“112 . So der Ansatz Foucaults, sich vom rein Sagbaren zu lösen, denn was hier zustande kommt, ist der Diskurs als Praxis: Das Netz aus Beziehungen formiert sich aus Aussagen im Sinne von Ereignissen, die auf Dinge referieren können, ineinander verwoben sind und gesamtheitlich den Diskurs anhand spezifischer Formationsregeln ermöglichen. Das so bestehende Bündel aus Beziehungen erweitert den Horizont des rein Gesagten: „Diese Beziehungen charakterisieren nicht die Sprache, die der Diskurs benutzt, nicht die Umstände, unter denen er sich entfaltet, sondern den Diskurs selbst als Praxis.“113 Und dies bedeutet, den Diskurs selbst in seiner Spezifik und Einzigartigkeit erscheinen zu lassen,114 wobei die Analyse seiner Formation den zentralen Schwerpunkt herauskristallisiert: die Beziehungen innerhalb und außerhalb des Diskurses, die einen genealogischen Blick gewährleisten durch das InBeziehung-Setzen verschiedener, auch über die Zeit verteilter diskursiver und nicht-diskursiver115 Ereignisse und Dinge, die das korrelative Zustandekommen eines Phänomens beschreiben.116

112 Ebd., S. 70. 113 Ebd. 114 Vgl. ebd., S. 45. 115 Vgl. G. Deleuze: Foucault, S. 25. 116 Im Diskurs als Praxis deutet sich also schon eine Erweiterung durch Foucault selbst an, die über das Gesagte hinauszugehen sucht. Wie aber ferner ein Ort der Äußerlichkeit zeigen kann, tritt gleichsam ein Verharren im Gesagten hervor, sodass alternative Wege der Erweiterung herangezogen werden müssen – mit Foucault und über Foucault hinaus wird dieser Weg im Verwendungsfeld eingeschlagen, was zusätzlich auf das für diese Arbeit anzubringende diskursiv-technische Apriori verweist. –

98 | V OM LANGEN J ETZT

Damit wird ein Forschungsgebiet eröffnet, das als „reine Beschreibung der diskursiven Ereignisse“117 und Dinge und als Fundament für die Untersuchung definiert werden kann, weiterführend aber zerschneidend deutet und eine mögliche Lesbarkeit evoziert. Diese nimmt die diskursive Formation anhand der Formationsregeln in den Blick. Sie führt zur Entschlüsselung und expliziten Fassung des Netzes, da sie im Kern ein System der Verstreuung oder Streuung verfolgt, das es ermöglicht, die Entstehung eines Phänomens, die Bedingungen all seiner fokussierten Ereignisse, im Sinne einer Verteilung wahrzunehmen. Es ist insbesondere das Prinzip der Streuung oder Verteilung, das einer Abkehr vom linearen und kontinuierlichen Blick auf das Werden entspricht und es somit erlaubt, ein beobachtetes Phänomen im Prozess seiner Entstehung und verteilten Beziehungen zu analysieren.118 Formationssysteme sind dabei nicht als statische Gebilde zu verstehen,119 sondern ermöglichen es, anhand des Systems der verstreuten Elemente, ein Geflecht von Beziehungen herauszuarbeiten. Sie erstellen „strategische Möglichkeiten, die die Aktivierung unvereinbarer Themen oder auch die Einbettung eines selben Themas in verschiedenen Gesamtheiten gestatten“ 120 . Der zuvor

Hier ist außerdem auf Foucaults Begriff vom Dispositiv hinzuweisen, vgl. dazu M. Foucault: „Ein Spiel um die Psychoanalyse“, S. 118-175; insbesondere S. 118-125: Ein Dispositiv ist ein „Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfasst“, siehe ebd., S. 119-120. Doch auch das Dispositiv ist eine bestimmte „Art von [...] Formation“ (siehe ebd., S. 120) und bleibt als „diskursives Dispositiv“ (siehe ebd., S. 123) ebenso dem Gesagten verhaftet. Zudem erstellt es eine „strategische Zielsetzung“ und „überfunktionelle[n] Überdeterminierung“ (siehe ebd., S. 121), die folglich jeder Abkehr vom Ursprung und insbesondere einer nicht festgelegten, diskontinuierlichen Anordnung zuwiderlaufen würde. 117 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 41 [Herv. i.O.]. 118 So kann das Prinzip der zeitlichen Streuung auch jene als ‚ahistorisch‘ betitelte ‚Geschichte der Gegenwart‘ genauer fassen: Diskontinuierlich verfährt sie, setzt vergangene Punkte nicht als vergangen, sondern als relevant für die Gegenwart, ordnet ihr Material archäologisch entgegen klassischer historischer Rekonstruktion – schließlich kann sie ein kontinuierliches langes Jetzt gegenlesen, das aus der Gegenwart in die Vergangenheit blickt, auf die Zukunft stößt, um der Gegenwart zu begegnen. 119 Vgl. M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 108; 110. 120 Ebd., S. 57.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 99

schon angeführte Status als System wird zusätzlich daran deutlich, dass die einzelnen Formationsregeln stets ineinandergreifen und die Dominanz einer Regel je nach Objekt des Diskurses variiert.121 Die folgende Darstellung der Formationsregeln dient demnach einer Orientierung und reinen Aufstellung, um auf die anschließende Analyse vorzubereiten. Denn eine archäologisch-genealogische Aufarbeitung eines kulturellen Phänomens wie der Long Now Foundation bewegt sich selbst in der hier erstellten perspektivischen Anordnung, indem die Regeln durch direkte Anwendung und ohne explizite Benennung wirken. Was hier in der reinen Beschreibung abstrakt anmutet, findet für die Long Now Foundation direkte, exemplarische Umsetzung. 2.1.3 Das Formationssystem für eine archäologische Genealogie Die „Formation der Gegenstände“ 122 beschreibt die Oberflächen des Auftauchens von Begriffen, die Bereiche der Differenzierung ermöglichen. Dies gibt Gelegenheit, Begriffe aus zeitgenössischen Diskursen bis in die Gegenwart zu verfolgen, die ihre Veränderung implizieren.123 Diskursive Ereignisse bilden dabei selbst Einheiten heraus als „Diskursfakten“124 (oder im Diskurs behandelte Objekte), die dem jeweils untersuchten Diskurs zeitgenössisch und somit selbstreflexiv sind. 125 Modi der Differenzierung erfolgen insbesondere durch ein „Spezifikationsraster“126, das zu relevanten Gruppierungen und ihren Transformationen führt.127 Der „Diskurs charakterisiert sich durch die Art, seine Gegenstände zu gestalten“128. Diese Gestaltung eröffnet eine Gesamtheit von Beziehungen zwischen Auftauchen, Abgrenzung und Spezifizierung.129 Die „Formation der Äußerungsmodalitäten“130 umfasst etwa qualitative und biographische Erzählungen, interpretative und zeichenorientierte Beschreibun-

121 Vgl. ebd., S. 106; 95 sowie G. Deleuze: Foucault, S. 18-19. 122 Vgl. M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 61-74. 123 Vgl. ebd., S. 61-62. 124 Ebd., S.35. 125 Vgl. ebd., S. 41; 35. 126 Ebd., S. 64. 127 Vgl. ebd. 128 Ebd., S. 67. 129 Vgl. ebd. 130 Ebd., S. 75-82.

100 | V OM LANGEN J ETZT

gen131 und schließt an ein System der Differenzierung und der Beziehungen mit anderen Gruppen an, stellt allerdings das Subjekt in den Vordergrund. Es kann als „Funktionsträger“132 fungieren und die Position des Subjekts innerhalb eines Informationsnetzes bestimmen,133 beispielsweise anhand des „In-Umlauf-Bringen[s] von Information“134. Das Subjekt ist hier jedoch nicht als verdeckte Instanz des sprechenden Bewusstseins zu verstehen und betrifft nicht den „Autor der Formulierung“, sodass die Genealogie ihre Distanz verlieren würde, sondern das Subjekt gilt als Position, „die unter bestimmten Bedingungen mit indifferenten Individuen gefüllt werden kann“135. So entsteht eine Bibliothek im Sinne Foucaults als „Gesamtheit der publizierten und überlieferten Berichte“136 sowie die Beobachtung „institutionelle[r] Plätze“137 betreffend, an denen der Diskurs seine Anwendung findet. Diese Formation der Äußerungsmodalitäten erstellt einen Ort der Äußerlichkeit „als mittlerer Prozeß mit seinen signifikanten Merkpunkten, seinen Grenzen und Entwicklungschancen“138 . Gerade diese Entwicklungschancen verweisen erneut auf die notwendige Verbindung der Archäologie mit der Genealogie, denn so erscheinen die Phänomene, wenn „die Masken gefallen sind“, aus Figuren, die ihnen fremd waren.139 Die „Formation der Begriffe“ 140 schließt an diese Entwicklungschancen durch „Prozeduren der Intervention“141 an: Sie beschreiben die Art und Weise, wie Aussagetypen oder Begriffe von einem Bereich zu einem anderen transferiert werden können. So können Aussagen in einer neuen systematischen Anordnung konstituiert bzw. beschrieben werden142 und binden sich erneut an die Genealogie, indem herausgefunden werden kann,

131 Vgl. ebd., S. 75. – Hier wird ein „Zerlegen von Zeichen“ (siehe ebd.) angebracht; die Formation und Anordnung für die Long Now Foundation bezieht deren Storytelling etwa aus einem sogenannten scenario planning und interpreting signs ein. 132 Ebd., S. 76. 133 Vgl. ebd., S. 76- 79. 134 Ebd., S. 79. 135 Ebd., S. 167. Zum Subjekt vgl. außerdem G. Deleuze: Foucault, S. 13; 17. 136 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 77. Auf das Verhältnis von Bibliothek und Archiv wird noch gesondert eingegangen. 137 Ebd., S. 76. 138 Ebd., S. 78. 139 M. Foucault: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, S. 171; 169. 140 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 83-93. 141 Ebd., S. 86. 142 Vgl. ebd., S. 87.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 101

„wie die rekurrenten Elemente der Aussagen erneut erscheinen, sich auflösen, sich erneut zusammensetzen, an Ausdehnung oder Bestimmung gewinnen, innerhalb neuer logischer Strukturen aufgenommen werden, umgekehrt neue semantische Inhalte aufnehmen und untereinander partielle Organisationen bilden können.“

143

Die „Formation der Strategien“144 kann sich als Basis für das Vorgehen erweisen, da in ihr die Rolle von Diskontinuität, Transformation sowie jene des Streuungs- oder Verteilungsprinzips explizit zum Ausdruck kommen und zugleich die vorangegangenen Formationsregeln zusammenfinden. Es geht darum, Brüche des Diskurses zu erörtern, die zugleich Inkompatibilitäten wie auch Vergleichspunkte darstellen können, sodass sich anhand eines Ableitens von Gegenständen, Äußerungsformen und Begriffen Orientierungspunkte der Systematisierung ergeben.145 Damit werden nicht bloß Abweichungen oder diskontinuierliche Lücken beschrieben, sondern „eine Einheit der Distribution, die ein Feld möglicher Optionen öffnet und verschiedenen Architekturen gestattet, nebeneinander oder nacheinander aufzutauchen“146. Der Bruch steht somit für die Transformation,147 die notwendiges Mittel für die Betrachtung ist, da sie die Rolle der Diskontinuität hervorhebt. Dem Diskontinuierlichen ist nicht die Rolle des Kontinuierlichen einzuräumen,148 sondern in den Fokus rückt die besondere Bedeutung der Streuung. An die Stelle einer steten Rückkehr oder Fundierung im Kontinuierlichen tritt das Formationssystem, denn es verfolgt keine determinierten Elemente im Diskurs, da dieser als Praxis das der Formation innerliche Prinzip der Streuung verfolgt.149 Kontinuität wird somit nicht durch Diskontinuität ersetzt, im Gegenteil – korrespondierend mit der Historie der Genealogie bemächtigt sie sich ihrer, denn Kontinuität kann nicht ausgeschlossen werden. Jede Entwicklung oder Entstehung als Prozess bildet sowohl Kontinuitäten als auch Diskontinuitäten aus, nur sind diese nicht vom Ende eines determinierten Gegebenen her zu denken. Das Formationssystem und seine Regeln vermögen somit, Diskontinuität und „Phänomene der Kontinuität, der Rückkehr und der Wiederholung“150, koexistente

143 Ebd., S. 89 [Herv. V.F.]. 144 Ebd., S. 94-103. 145 Vgl. ebd., S. 96-97. 146 Ebd.,S. 97. 147 Vgl. ebd., S. 252. 148 Vgl. ebd., S. 248. 149 Vgl. ebd., S. 247. 150 Ebd., S. 246-247.

102 | V OM LANGEN J ETZT

und gleichzeitige Formen sowie Aneignungsprozesse zu erfassen, die schließlich zu „Elementen für eine Strategie werden“151. Wie bei einem langen Jetzt die Zeitperspektive unumgänglich ist, ist es auch innerhalb der theoretischen Grundlage um und über Foucault hinaus die Zeit, die die Strategie pointiert und zu ihrer Einheit bringt. 2.1.4 Zeitliche Streuung und wirkliches Werden: Zu(m) Archiv(en) Betrachtet man die Genealogie eines Phänomens auf archäologischer Grundlage, bezieht dies „Phänomene der Rekurrenz“152 ein, ebenso als Teil des Formationssystems: So rückt das Verhältnis von Aussagen und ihren vorangegangenen Elementen in den Mittelpunkt, die innerhalb ihrer Beschreibung neu organisiert werden können. Das Phänomen hat eine Vergangenheit, gemäß dem, was ihm vorausgeht. Diese „Äußerungsvergangenheit“153 gilt als Ereignis, das sich vollzogen hat, aber als Form, die „man modifizieren kann, als eine zu transformierende Materie oder auch als ein Objekt, von dem man sprechen kann“154 . Das zugrunde gelegte System der Streuung ist also auch eine „Form von Dispersion in der Zeit, ein[en] Abfolge-, Stabilitäts- und Reaktivierungsmodus“155. Es ist keine Zeit im Sinne einer Chronologie, wie die Rolle der Diskontinuität unmissverständlich zeigt, sondern eine folglich ahistorische, die eine ‚Geschichte der Gegenwart‘ zu erfassen vermag. Und da so ein im Vorhinein beschrieben wird, ein dem ‚Objekt, von dem man sprechen kann‘ Vorausgehendes, geht es Foucault um ein historisches Apriori. Dieses verbindet das System der Streuung mit seiner Zeitlichkeit; es ist das System der „zeitlichen Streuung“156. Dieses schwingt immer mit, denn es gilt, Entstehung und Herkunft eines Phänomens in all den Facetten des Bruchs, der Objekte und Begriffe, schließlich der Ereignisse und Dinge und ihren Reaktivierungen zu anderer Zeit, wie jene der Gegenwart, aufzuzeigen. Damit tritt explizit die mit dieser Studie eingebrachte Entzeitlichung hervor, die mit einer ‚Geschichte der Gegenwart‘ Vergangenes perspektivisch anordnet und somit als relevant für die Gegenwart entzeitlicht.

151 Ebd., S. 168. 152 Ebd., S. 181. 153 Ebd. 154 Ebd. 155 Ebd., S. 185. 156 Ebd.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 103

Das System der zeitlichen Streuung ist nach dem historischen Apriori gegliedert,157 um der eigentümlichen, nicht festgelegten (ahistorischen) Zeit der archäologischen Genealogie gerecht werden und ebenso die Verteilung der relevanten Elemente in der Zeit und ihre möglichen Reaktivierungsmodi berücksichtigen zu können. Das der archäologischen Genealogie innerliche System der zeitlichen Streuung im Sinne des historischen Apriori vermag es, „die Diskurse im Gesetz ihres wirklichen Werdens zu erfassen“.158 Die Darstellung der Strategie nimmt somit einen genaueren Blick auf das historische Apriori ein, aus dem Ereignisse und Dinge selbst erscheinen: „Ereignisse, die ihre Bedingungen und ihr Erscheinungsgebiet [...], Dinge, ihre Verwendungsmöglichkeit und ihr Verwendungsfeld [haben]“159 – Ereignisse und Dinge schließlich in einem System zu erfassen bedeutet im Sinne Foucaults, ein Archiv zu bilden.160 Als das System, das der zeitlichen Streuung unterliegt und anhand von Ereignissen und Dingen eine vorausgehende Äußerungsvergangenheit gesamtheitlich fasst, gilt das Archiv als historisches Apriori.161 Es ist die Grundlage des Anordnens archäologisch verfahrender Genealogie. Mit dem perspektivischen Wissen, dem Deuten als Zerschneiden bei struktureller Anordnung, entsteht doch zugleich ein Ausschnitt aus jenem Archiv als historischem Apriori, folglich also das so bezeichnete Archiv zweiter Ordnung. Dieses kann dann eine Lektüre der Herkunft und der Möglichkeitsbedingungen für eine Entstehung des beobachteten Phänomens (gemäß dem ihm Vorausgehenden) anbieten.162 Eine archäologisch verfahrende Genealogie könnte somit

157 Vgl. ebd., S. 186. 158 Ebd., S. 185 [Herv. V.F.]. 159 Ebd., S. 186. 160 Vgl. ebd., S. 187. 161 Foucault führt „die Gesamtheit der historisch variablen Faktoren [= historisches Apriori, Einschub V.F.] für eine Herausbildung von Wissen ausdrücklich als Archiv an“, siehe K. Ebeling/S. Günzel: „Archivologie: Einleitung“, S. 17. 162 Für eine Handhabung der Begriffsfülle und einhergehende Überschneidungen wird die der Long Now Foundation vorausgehende Vergangenheit hier noch als historisches Apriori bezeichnet. Archiv bezeichnet dann explizit den mit dieser Arbeit selbst zu formierenden Ausschnitt aus dem historischen Apriori, der die für das Werden des Phänomens relevanten Erscheinungsgebiete und Verwendungsfelder aus perspektivischem Wissen extrahiert und anordnet.

104 | V OM LANGEN J ETZT

zugleich als eine spezifische Art von „Archivologie“163 angesehen werden, das dichte Entstehungsnetz der archäologischen Genealogie letztlich ein Archiv als historisches Apriori, aus dem es selbst gilt, ein Archiv (zweiter Ordnung) zu formieren. Hinsichtlich seines lückenhaften Erscheinens, das es aber gleichsam vermag, Lücken und das Nicht-Gesagte zu benennen, und das als Formation eines Lektüreangebots erscheinen kann, unterliegt jedes Archiv der Konstruktion.164 So fallen aber zugleich eine ‚Geschichte der Gegenwart‘, Entzeitlichung und zeitliche Streuung zusammen, indem ein „neues Denken von Zeitlichkeit [...] die Kontingenz von Wissen“165 einerseits hervorhebt. Andererseits bietet dies ‚Denken von Zeitlichkeit‘ eine Lektüremöglichkeit für ein tiefergehendes Verständnis von Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation an. Das Prinzip der zeitlichen Streuung kann dabei zugleich, als Herkunft und Entstehung erweiternd und für die Gegenwart entzeitlicht, näher an ein Denken des langen Jetzt heranführen. Das Archiv avanciert somit zur Grundlage, es bildet den Knotenpunkt all jener dargestellten Ereignisse – jene Bündel und Aussagen Foucaults – aus der Genealogie und Archäologie: Das Archiv bewirkt, dass sich Ereignisse und Dinge „in distinkten Figuren anordnen, sich aufgrund vielfältiger Beziehungen miteinander verbinden, gemäß spezifischen Regelmäßigkeiten sich behaupten oder verfließen“166. Es ist das Archiv, auf das die archäologische Genealogie zurückgreift, das ihr dichtes Netz ausmacht und das es ermöglicht, Ebenen wie jene der Zeit, Reaktivierung und Transformation für eine Herkunft und Entstehung zu unterscheiden. So schließt sich der Kreis einer Verbindung von Genealogie und Archäologie, indem sie auf den in diesem Vorspann formulierten Anfang der Darstellung blickt: denn es ist das Archiv, was „bewirkt, daß sie [diese Ereignisse und Dinge, Einschub V.F.] nicht im gleichen Schritt mit der Zeit zurückgehen, sondern daß diejenigen, die besonders stark wie nahe Sterne glänzen, in Wirklichkeit von weither kommen“167. Die Auseinandersetzung mit Foucault aus einer notwendig selektiven Perspektive, erfordert gleichsam eine Distanzierung. Dies entspricht der Perspektive der Genealogie selbst, die sich in ihrer Anwendung stellt, sodass ein Bewusst-

163 Der Begriff dient an dieser Stelle lediglich einer übergreifenden Perspektive für beschriebene Archiv(e); zur Terminologie vgl. ferner K. Ebeling/S. Günzel: Archivologie sowie Ernst 2002, 10. 164 Vgl. W. Ernst: Das Rumoren der Archive, S. 118; 109; 129. 165 K. Ebeling/S. Günzel: „Archivologie: Einleitung“, S. 17. 166 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 187. 167 Ebd., S. 187-188, vgl. Anm. 6.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 105

sein dafür geschaffen werden muss, dass es bei einer solchen theoretischen Erarbeitung mit Foucault und über Foucault hinaus selbst zu einer Konfrontation mit Verschiebungen und Ersetzungen kommt. Hier liegen zwei Ebenen zugrunde: Zum einen ist es das erwähnte Herantasten an eine Theorie durch Foucault selbst, das eine solche Fülle von aufeinander bezogenen Begriffen hervorruft, die eine Spezifizierung erfahren müssen. Zum anderen liegt diese Herausforderung darin begründet, dass die archäologische Genealogie paradoxerweise auf jenem Boden entsteht, den sie selbst freilegt. So wird die Struktur der theoretischen Darstellung selbst begründet, die von Ereignissen und Dingen zu einer Spezifizierung der Aussage, des Diskurses und des Sagbaren führt, die auf einem Formationssystem mit Diskursfakten und Objekten basieren, letztlich aber in einem Archiv gründen. Damit wird jedoch anhand eines beobachteten Phänomens eine genealogische Perspektive erstellt, die ihr perspektives Wissen, über Ereignisse und Dinge eines zu schaffenden Archivs und dessen Formationssystem, archäologisch anordnet und lektürefähig macht. Die Entstehungsgeschichte des wirklichen Werdens168 von einer Beschreibungsmöglichkeit hin zu einem Lektüreverfahren rührt dann an einen ‚Grundwillen der Erkenntnis‘169 dieser Genealogie: Wie wird das nach historischem Apriori gegliederte Archiv greifbar; wie äußert sich in ihm, dass ‚mit Foucault über Foucault hinaus‘ gegangen werden kann; schließlich, was ist der Ertrag einer archäologischen Genealogie als Wegweiserin im eigens erzeugten Archiv? Heißt Deuten bei Foucault Zerschneiden durch diskontinuierliche Anordnung als Kunst des Lesens wie auch der Strategie, deren analytisch und ebenso hermeneutisch eingebundene Methode sich explizit aus dem Verbund von Archäologie und Genealogie ergibt, so kann das nach historischem Apriori gegliederte Archiv für die zu schreibende Entstehungsgeschichte hervortreten: Sein ‚ahistorisches‘ Prinzip der zeitlichen Streuung erfasst Ereignisse und Dinge in einem System. Die Gliederung nach historischem Apriori, ihre diskontinuierliche Streuung also, kann stets neue Bereiche aus dem historischen Apriori im Ar-

168 Die doch archäologisch verfahrende, aber hermeneutisch eingebundene Genealogie setzt aus dem perspektivischen Wissen einen Beobachterstandpunkt, der nicht von einem absolut gesetztem ‚Wirklichen‘ ausgehen kann. Das ‚wirkliche Werden‘ muss vielmehr differenziert werden hin zu einer Verständnismöglichkeit der Entstehung des beobachteten Phänomens. Diese liefert eine Lektüremöglichkeit, und ‚Wirkliches‘ taucht vielmehr im Verhältnis zur Lücke und ihrer Benennung auf, die Foucaults Ansatz in ihrer aufgezeigten doppelten Bedeutung sowohl des NichtGesagten als auch der materiellen Seite des Verwendungsfeldes, erweitert. 169 Vgl. Anm. 81.

106 | V OM LANGEN J ETZT

chiv als Erscheinungsgebiete und Verwendungsfelder hervorrufen. Sowohl perspektivisches Wissen für diese Gebiete und Felder als auch ein analytisch eingreifendes Formationssystem führen zur Handhabung dieser Streuung. Wie der Verbund von Archäologie und Genealogie die Möglichkeitsbedingung einer analytischen und zugleich deutenden wie auch kontextualisierenden ‚Geschichte der Gegenwart‘ ist, ist die zeitliche Streuung jene für das Anordnen von Entstehungsprozessen der ‚Objekte, die man benennen und modifizieren kann‘170 , und ihren ‚heute verlorenen Ereignissen‘171 – eine Möglichkeitsbedingung zur Benennung der Lücke, um das Schweigen zu brechen. Ohne ein perspektivisch gesetztes, durch Formation analysierbares Archiv also würde das historische Apriori im Unlesbaren verharren. Nicht zuletzt durch hermeneutische Einbindung und in einem für die Gegenwart relevanten Selektionshorizont wird es, über die reine Beschreibung hinaus, im Rahmen eines möglichen Lektüreverfahrens verhandelbar.172 Die archäologische Genealogie erscheint zusätzlich, insbesondere das Phänomen der Rekurrenz aufgreifend, als Abfolge-, Stabilisierungs- oder Reaktivierungsprozess, der in einer stufenweisen Spezifizierung das historische Apriori zu einem Archiv mit für die Gegenwart relevanten Erscheinungsgebieten und Verwendungsfeldern pointiert. Sie werden zugleich lesbar durch Prozeduren der Intervention mit Modi der Abfolge, Reaktivierung, Aneignung etc., und dies im Phänomen der Rekurrenz. Es kommt folglich für die Long Now Foundation auf als ein Ort der Befragung jener Modi, jener ‚Sterne‘ also, die in der Gegenwart ‚besonders nahe glänzen und zugleich von weither kommen‘.173

170 Vgl. Anm. 154. 171 Vgl. Anm. 73. 172 Äquivalent zur Genealogie, die sich paradoxerweise aus dem durch sie Freigelegten selbst den Boden bereitet, entsteht das Archiv aus dem Archiv (dem historischen Apriori); es bringt einen Ausschnitt aus sich selbst hervor. 173 Ein Ort der Befragung versteht sich dabei auch als Zusammenführung von Intervention und Rekurrenz: Wenn auf der einen Seite Abfolgeformen, Begriffs- und Aussageformation in andere Anwendungs- bzw. Verwendungsfelder übertragen werden können und es auf der anderen Seite um ‚Objekte‘ geht, von denen man sprechen und die man modifizieren kann, dann spielt auch eine Befragung der Anordnung ‚hinsichtlich ihrer Angemessenheit‘ (vgl. Anm. 94) ein, um „ihre Exaktheit zu verfeinern“ (M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 87): Mit der Anordnung kann eine – wohlgemerkt perspektivische – „Gesamtheit“ der Beziehungen, Reaktivierungs-, Transformations- und Aneignungsprozesse „des in Frage stehenden Diskurs“ (ebd., S. 67) aufgestellt werden, die den Beobachtungsgegenstand abbildet, vgl. ebd.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 107

2.1.5 Mit und über Foucault hinaus: Zum diskursiv-technischen Apriori Foucaults Archiv-Begriff ruft gleichzeitig mehrfache Kritik hervor, die hier bezüglich einer ausgeblendeten Materialität des Archivs und ausgeblendeten technologischen Folgeentwicklungen in Formationsprozessen dargestellt werden kann. Zunächst sind solche Kritiken,174 interessanterweise wenn es auch um diskursive Formationen geht, auf ein Sprachproblem zurückzuführen: Die hier erläuterte archäologische Methode benennt Foucault als archive in Abgrenzung zur Institution im französischen Plural archives.175 Dies führt jedoch zu Spannungen, wobei etwa von einem „blinde[n] Fleck des Theoretikers [für] das konkrete Archiv“176 gesprochen und davon ausgegangen wird, dass Foucault die materielle Seite der selbst herangezogenen Materialien sowie die Materialität des historischen Apriori selbst übersieht.177 Wenn es der Archäologie um Wissensproduktionen aus der von Foucault benannten ‚Gesamtheit historisch variabler Faktoren‘ geht, wird in Frage gestellt, „ob nicht Grundbegriffe aktueller Theorien, statt garantiert unabhängige [...] Beobachtungsposten zu bilden, vielmehr eine distinkte Folge der Medienexplosion unserer Epoche sind“178.

Ein Ort der Befragung bezieht eine Legitimation der Anordnung ein (vgl. ebd., S. 87), um die „Gültigkeit zu festigen“ (ebd.) und zeigt sich später in einer abschließenden Darstellung der Long Now Foundation, die die Anordnung zusammenführt. 174 Vgl. etwa F. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, S. 13; F. Kittler: „Nachwort“, S. 519-520; W. Ernst: M.edium F.oucault, S. 177; W. Ernst: Das Rumoren der Archive, S. 15;14; M. Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 176177; 181; P. Sarasin: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, S. 37; F. Hartmann: „Techniktheorien der Medien“, S. 49-80, hier S. 59; 61; 68. 175 Vgl. dazu etwa W. Ernst: Das Rumoren der Archive, S. 90-91; K. Ebeling/S. Günzel: „Archivologie: Einleitung“, S. 15; M. Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 177. 176 W. Ernst: M.edium F.oucault, S. 82; vgl. ferner M. Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 177. 177 Vgl. G. Winthrop-Young: Friedrich Kittler zur Einführung, S. 84; F. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, S. 13: „Denn die Bibliotheken, in denen der Archäologe so fündig wurde, versammelten [...] Papiere, die einst nach [...] Schreibtechnik [...] sehr unterschiedlich gewesen waren. Auch Schrift [...] ist ein Nachrichtenmedium, dessen Technologie der Archäologe nur vergaß.“ 178 F. Kittler: Optische Medien, S. 38, vgl. dazu auch G. Winthrop-Young: Friedrich Kittler zur Einführung, S. 101. – Überdies konnte aber bereits die archäologische

108 | V OM LANGEN J ETZT

Wenn hier also von zeitgenössischen Medienentwicklungen die Rede ist, bezieht dies ebenso den ‚blinden Fleck‘ Foucaults ein, indem die Diskursanalyse für „Tonarchive oder Filmrollentürme unzuständig“179 wird, wobei es „keinen Sinn ohne physikalischen Träger“180 geben kann.181 So kann in Anlehnung an Friedrich Kittler eine zweifache Kritik zur Materialität des Archivs festgehalten werden: Erstens werden im Umgang mit dem historischen Apriori andere Medien als Schrift ausgeblendet; zweitens wird die Materialität von Schrift selbst dabei nicht berücksichtigt. Dabei kann ferner das Verhältnis von Bibliothek und Archiv spezifisch hervortreten: Während der im Französischen obsolete Singular182 archive eine Methode darstellt und zugleich ein Archiv als „historisches Apriori von Schriftsätzen“183 beschreibt, ist seine „Forschungspraxis [...] deckungsgleich mit einer Bibliothek“184. Dies verdichtet sich noch zu jener Bibliothek im Sinne Foucaults als ‚Gesamtheit der publizierten und überlieferten Berichte‘ sowie die Beobachtung ‚institutioneller Plätze‘ betreffend, an denen der Diskurs seine Anwendung findet.185 Als Ort der Äußerlichkeit blendet diese ebenso ihre Materialität aus, ist aber gleichsam aus dem sprachlichen Spannungsverhältnis zu lesen, das den institutionellen Platz als archives fasst.186

Genealogie mit ‚hermeneutischer Einsicht‘ und perspektivischem Wissen eine ‚garantiert unabhängige Beobachtung‘ differenzieren. 179 F. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, S. 13. 180 F. Kittler: „Signal, Rausch, Abstand“, S. 161-181, hier S. 161, vgl. dazu auch F. Hartmann: „Techniktheorien der Medien“, S. 59. 181 Ferner beschreibt Kittler ein ‚Medienapriori‘ der Diskursanalyse selbst, „weil Verfilmung schon vom Prinzip her Schnitt ist: Zerhackung der kontinuierlichen Bewegung oder Geschichte vorm Sucher. ‚Der Diskurs‘, schrieb Foucault, als er solche Zäsuren in die Historik selber einführte, ‚wird dem Gesetz des Werdens entrissen und etabliert sich in einer diskontinuierlichen Zeitlosigkeit [...]‘. Als würden zeitgenössische Theorien wie die Diskursanalyse vom technischen Apriori ihrer Medien bestimmt“, siehe F. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, S. 180. – Nicht zuletzt bildet dies auch ein Scharnier für eine archäologische Genealogie, die sich hier in Vorspann, Zwischensequenz und Abspann gliedert. 182 Vgl. M. Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 177. 183 F. Kittler: „Nachwort“, S. 519. 184 Ebd. – Vgl. ferner F. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, S. 12-13. 185 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 76-77, Anm. 136; 137. 186 Bezogen auf den ‚institutionellen Platz‘ ist ferner auf diesem bereits inhärente Ordnungssysteme hinzuweisen: So können Archive auch als „aktive Instrumente der

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 109

Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Analyse ist dann eine sich daran koppelnde, kritisierte Ausblendung von technologischen Folgeentwicklungen für Wissensformationen. Indem das Formationssystem im Diskursiven verharrt, wie auch oder trotz des Diskurses als Praxis verdeutlicht werden konnte, „erschöpft [spätestens seit der zweiten industriellen Revolution] eine Analyse nur von Diskursen die Macht- und Wissensformen noch nicht“187. Vielmehr müssen auch Diskursanalysen „materialistisch“ 188 sein und etwa „Leistungen und Grenzen von Nachrichtennetzen“189 einbeziehen. Damit kommt ein sogenanntes „technisch-mediales Apriori“ ins Spiel, anhand dessen „technische Vermittlungsverhältnisse gesellschaftlichen, kulturellen und epistemologischen Strukturen vorausgesetzt sind“190. Wie nun bereits einführend in eine archäologische Genealogie dargestellt wurde, sind es sowohl diskursive als auch technisch orientierte Formationen, die eine Entstehung und Herkunft der Long Now Foundation mit ausmachen. Dabei spielen ebenso charakteristische ‚Leistungen und Grenzen von Nachrichtennetzen‘ ein, die als Folgeentwicklung von bestimmten Netzwerk-Foren eine Möglichkeitsbedingung für einen webbasierten Place for Conversation darstellen können. 191 Damit wird deutlich, inwiefern es für diese Untersuchung und eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation um ein diskursiv-technisches Apriori gehen muss: Die Entzeitlichung innerhalb einer ‚Geschichte der Gegenwart‘, die Formationsprinzipien durch eine zeitliche Streuung heranzieht, formiert eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation gemäß dem ihr

Kulturpolitik“ auftreten: „Es wird nicht alles archiviert, es gibt Vorentscheidungen über die Art und Ordnung der Archivierung und vor allem gibt es zahlreiche Regelungen und Beschränkungen der Nutzung von Archiven“, siehe M. Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 179. – Auf ein solches Ordnungssystem muss auch im Archiv zweiter Ordnung für die archäologische Genealogie der Long Now Foundation verwiesen werden, das sich etwa auf die Stewart Brand Papers und in Foucaults Begriffen dann auf seine ‚Bibliothek‘ bezieht, die z. B. Überlieferungen durch Stewart Brand sowie biographisches Material umfasst. 187 F. Kittler: „Nachwort“, S. 519. 188 Ebd., S. 520. 189 Ebd., S. 519. 190 Hier sei darauf verwiesen, dass Kittler als Vertreter des technisch-medialen Apriori gilt, vgl. zum Begriff D. Spreen: Tausch, Technik, Krieg, S. 7 sowie G. WinthropYoung: Friedrich Kittler zur Einführung, S. 76. 191 Dies wird noch mit sogenannten Network Forums und dem Whole Earth Network in Anlehnung an Turner ausgeführt.

110 | V OM LANGEN J ETZT

Vorausgehenden, das sowohl ausgeprägte diskursive Formationen wie auch technische Ereignisse und Dinge und technologische Folgeentwicklungen impliziert. Wenn dies hier anschließend in einer expliziten Darstellung der archäologischen Genealogie – und deren Archiv zweiter Ordnung – der Long Now Foundation hervortritt, kann an dieser Stelle Folgendes festgehalten werden: Foucaults Archiv-Begriff erstellt eine „Wende der Aufbewahrung zur Produktion des Wissens [...]: Das Archiv ist nicht der Ort, auf den man stets zurückgreifen kann [...], es ist der aktive Vorgang, welcher für eine permanente Umschichtung und fortlaufende Transformation der Fakten sorgt“192 . Während archives die Aufbewahrung meint, ist archive Methode und Archiv zugleich. Denn aus der ‚Gesamtheit der historisch variablen Faktoren‘, aus dem „allgemeinen System der Formation und Transformation“193 und dem Archiv als historisches Apriori bringt archive als ‚aktiver Vorgang‘ mit perspektivischem Wissen selbst ein Archiv zweiter Ordnung hervor. Das Archiv zweiter Ordnung spezifiziert dann nicht nur archive als perspektivische Methode, sondern das historische Apriori zu einem diskursiv-technischen Apriori. Mit Foucault und über Foucault hinaus kann hier abschließend der Versuch eines Diskurses als Praxis weitergeführt werden: Es sind Verwendungsfelder im Archiv, insbesondere der Dinge, die doch bereits (mit Foucault) Praktiken des nicht nur Gesagten andeuten und denen somit der Schwerpunkt gegenüber Orten der Äußerlichkeit einzuräumen ist.194 Es geht somit auch um Verwendungsfelder mit ihren Verwendungsmöglichkeiten (in den Worten Foucaults), die ebenso Möglichkeitsbedingungen des Entstehens erfassen, wobei das Verwendungsfeld hier im Wortsinn gefasst wird: Neben diskursive Formationen für eine Beobachtung der Long Now Foundation stellen sich technologische Folgeentwicklungen und charakteristische Verwendungsmöglichkeiten (über Foucault hinaus) von (Medien-)Technologien, so vor allem aus der Counterculture der 1960er und 70er Jahre.

192 K. Ebeling/S. Günzel: „Archivologie: Einleitung“, S. 18. 193 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 188. 194 Auch an dieser Stelle soll auf die Begriffsfülle Foucaults und einhergehende Überschneidungen verwiesen werden: In der Freilegung der Entstehungsgeschichte mit ihrer Relevanz für die Gegenwart können Erscheinungsgebiete ebenso in Verwendungsfeldern münden, tauchen Ereignisse und Dinge oftmals nicht in klarer Trennung voneinander auf, wie auch Dinge aus Erscheinungsgebieten hervortreten können.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 111

Mit Foucault schließt sich somit der Kreis eines angeeigneten Werkzeugkastens zu einem weiterführenden (angeeigneten) Verwendungsfeld, dessen Dinge als tools erscheinen, deren Verwendungsmöglichkeiten ein spezifisches Technologieverständnis sowie Formen von Technologieaneignung hervortreten lassen.195 So treten Aneignungsprozesse innerhalb dieser Formation selbst als relevant für die Gegenwart hervor – Aneignungsprozesse, die schließlich zu „Elementen für eine Strategie werden“.196 Dem Archiv kann schließlich eine mediale Funktion zugeschrieben werden: Das Archiv avanciert zum Medium der perspektivischen Erschließung eines (kontingenten) ‚wirklichen‘ Werdens, denn ihr ‚Wirkliches‘ stellt sich den Lücken, bricht das Schweigen, und dies im Status der Lesbarkeit. Das Archiv schlägt in Produktion um: Als „Medium einer entzeitlichten Gegenwart [...] konstituiert es ein Wissen [...] nicht als Abbild vergangener Wirklichkeit, sondern als deren Konstruktion. [...] [E]s wird zum Faktor im strategischen Spiel einer Definitionsmacht von Gegenwart.“

197

Dies äußert sich hier in einer ‚wirklichen‘ Herkunft und Entstehung, die zeitlich gestreut und entzeitlicht über einen einzelnen Punkt in der Vergangenheit (etwa den ‚Millennium Bug‘) hinausgeht. Das strategische Spiel von Genealogie und Archäologie ermöglicht erst das lange Jetzt des langen Jetzt in einer ‚Geschichte der Gegenwart‘. 2.1.6 Systematisierung der archäologischen Genealogie für die Long Now Foundation Der Vorspann nimmt abschließend selbst eine methodische Anordnung vor, die gleichsam auf Verschiebungen oder Ersetzungen aufmerksam macht und die für die Analyse zentralen Begriffe verdeutlicht: Inwiefern kommen die erläuterten Kernelemente für eine archäologische Genealogie der Long Now Foundation zum Ausdruck?

195 Bestimmte tools aus dem Verwendungsfeld Counterculture und ihr vorausgehender Kunstwelt können z. B. einen Abfolge-, Stabilitäts- oder Reaktivierungsmodus verdeutlichen, der eine Herkunft und Entstehung des long-term thinking und ferner eine Vorstellung vom langen Jetzt herleiten kann. 196 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 168; vgl. Anm. 151. 197 W. Ernst: Das Rumoren der Archive, S. 39 [Herv. i.O.].

112 | V OM LANGEN J ETZT

Die Genealogie der Long Now Foundation und ihre archäologische Freilegung befassen sich mit ihrer Herkunft und Entstehung als Archiv von Ereignissen und Dingen, das ein Verständnis für Möglichkeitsbedingungen der Entstehung liefern soll. Aus dem historischen Apriori der Long Now Foundation, das diskursiv-technisch hervortritt, wird ein Ausschnitt aus diesem Archiv, das Archiv zweiter Ordnung, formiert, das Ereignisse und Dinge in ihren Erscheinungsgebieten und Verwendungsfeldern freilegt. Mit dem Prinzip zeitlicher Streuung bildet es ein Anordnungssystem, anhand dessen für die Gegenwart entzeitlichtes, historisches bzw. genealogisches Material angeordnet wird, um es in seiner Transformation, möglichen Verschiebungen oder Aneignungen aufzeigen zu können. Durch das neben der Entzeitlichung stets mitschwingende zerschneidende perspektivische Wissen weisen stufenweise spezifizierte Verwendungsfelder einen (Lektüre)weg zur Long Now Foundation mit einem freigelegten Verständnis ihrer Herkunft und Entstehung aus einem Archiv, das für das Phänomen Long Now Foundation lesbar wird. Das Korpus der archäologischen Genealogie aus Archivmaterial198 und zeitgenössischen Studien rekurriert auf das lange Jetzt des langen Jetzt, wobei die ‚radikale Präsenz‘ des Archivs (lesbar in jenem zweiter Ordnung) eine tatsächlich erweiterte oder ausgedehnte Gegenwart ausmacht, als zeitlich gestreut, entzeitlicht sowie als ‚Geschichte der Gegenwart‘. Zentrale Punkte aus der Vergangenheit werden hier durch die Verwendungsfelder und Erscheinungsgebiete Global Business Network (GBN), eine Unternehmensberatung der 1980er Jahre, und Counterculture gebildet. Mit dem GBN etwa treten diskursive Formationen und charakteristische diskursive Dominanzen hervor, die eine Herkunft und Entstehung des in der Stiftung herangezogenen Storytelling und Mythos herleiten und vertiefen können. Dabei verdeutlichen bestimmte Begriffsformationen mit Prozeduren der Intervention die Folgeentwicklungen, den Transfer und damit Aneignungsprozesse in folgende Verwendungsfelder. Ein Spezifikationsraster kann dabei das Erscheinungsgebiet Counterculture zu einzelnen Gruppierungen im Sinne der Herkunft differenzieren und zu den sogenannten New Communalists führen. Hier kann nicht nur die Leistung auch von ‚Nachrichtennetzen‘ berücksichtigt werden, die technologische Folgeentwicklungen als Möglichkeitsbedingung für einen webbasierten Place für Con-

198 So wird gleichsam der Bibliotheks-Begriff differenziert und auf die Stewart Brand Papers zurückgegriffen.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 113

versation erfasst, sondern die für die Gegenwart ebenso relevante Gruppierung des sogenannten Whole Earth Network verdeutlicht werden.199 Die Formation der Äußerungsmodalitäten führt außerdem zur Position des Subjekts, indem etwa Peter Schwartz (GBN) und Stewart Brand als Funktionsträger auftauchen können, was ferner an die bereits eingeführten People of the Long Now heranführt. Im Zuge der stufenweisen Spezifizierung aus dem diskursiv-technischen Apriori werden aufeinander aufbauende oder miteinander verwobene Verwendungsfelder extrahiert, die das genealogische Netz gleichzeitig akzentuieren, etwa zu dem GBN und den New Communalists vorangestellter Kunstwelt. Ferner werden dort zugespitzt dargestellte und notwendig eingegrenzte Felder aus der US-amerikanischen Forschungswelt der 1950er Jahre und der Kybernetik relevant. Ereignisse und Dinge pointieren dabei gleichsam eine Formation der Gegenstände – die schon mit dem Spezifikationsraster erscheint – zu Ereignissen und Dingen, die in folgende Verwendungsfelder transformiert oder verschoben werden. Dabei können ebenso aktuelle Kunstbewegungen als relevante, parallele Entwicklungsstränge aufgezeigt werden. Diese deuten zugleich auf eine bereits erwähnte Entstehung und Herkunft der Stiftung, die über die Counterculture und Folgeentwicklungen hinausgeht. An das fokussierte (im Wortsinn angeeignete) Verwendungsfeld schließt die mehrfache Bedeutung des Werkzeugkastens und der Lücke an: In sich wechselseitig bedingenden Erscheinungsgebieten und Verwendungsfeldern, das heißt also Erscheinungsgebieten, die zu Verwendungsfeldern avancieren können, erscheinen Diskursfakten auch als Dinge und bestimmte Werkzeuge. Neben der Beobachtung technologischer Folgeentwicklungen erlauben sie es zugleich, eine archäologische Genealogie hin zur materiellen Seite des Archivs zu erweitern, die diese Werkzeuge und damit verbundene spezifische Modi der Aneignung und Reaktivierung wie auch medialer Übersetzung relevant für die Long Now Foundation aufzeigen. Modi der Abfolge, Stabilisierung, Reaktivierung und Aneignung nehmen somit eine zentrale Rolle ein. Dabei bedeuten spezifisch verhandelte Objekte oder Diskursfakten (wie etwa der Whole Earth Catalog aus dem Feld der New Communalists oder der Zen Buddhismus)200 gleichzeitig Ereignisse und Dinge,

199 New Communalists, Whole Earth Network sowie ein noch relevant werdender Begriff von small scale technologies werden in Anlehnung an Fred Turner elaboriert. 200 Der Whole Earth Catalog ist eine von Stewart Brand insbesondere für die Kommunenbewegung der 1960er und 70er Jahre publizierte Zusammenstellung von Gebrauchsgegenständen für das Leben in der Kommune. Er umfasst vor allem auch

114 | V OM LANGEN J ETZT

die technologische Folgeentwicklungen auf dem Weg hin zur Long Now Foundation erfassen. Sie verdeutlichen zudem eine charakteristische Technologieaneignung sowie ein ebenso spezifisches Technologieverständnis, das anhand von sogenannten small scale technologies hervortritt und mit einer so bezeichneten transformativen Erfahrung an ein Denken des langen Jetzt und die Herkunft des long-term thinking heranführt. Innerhalb dieses Formationssystems erscheint die Lücke dann in ihrer zweifachen Bedeutung: erstens dahingehend, dass die Lücke (das Nicht-Gesagte) zur materiellen Seite in Foucaults Theorie nicht nur bereits benannt wurde, sondern in die Analyse einfließt. Zweitens hinsichtlich des ‚wirklichen‘ Werdens, das das Schweigen (das Nicht-Gesagte) in der Stiftungs-Selbstbeschreibung benennt und diese zu erweitern sucht. In der archäologischen Genealogie greifen einzelne Formationsregeln stets ineinander: Rekurrierend auf die Entstehung erscheinen Ereignisse in ihrer Enge und Besonderheit, zugleich in ihren Beziehungen und Korrelationen. Bezogen auf die Herkunft lassen sich Gruppierungen und Abspaltungen ausmachen. Modi der Abfolge, Stabilität und Reaktivierung sowie der Aneignung können sich durch Prozeduren der Intervention herausbilden. Sie beziehen Ereignisse und Dinge als spezifisch verhandelte Objekte oder Diskursfakten ein, die sich an einem Ort der Äußerlichkeit formieren. Mit Blick auf die Dinge und die materielle Seite des Archivs treten sie aber genauer aus dem entsprechenden Verwendungsfeld hervor. Die archäologische Genealogie legt somit eine stete Spezifizierung durch das Archiv frei; diese Formation der Entstehungsgeschichte eröffnet perspektivische Lektürefelder, insbesondere als spezifizierte Verwendungsfelder. Eine Lesbarmachung des Archivs auf dem Weg des ‚wirklichen‘ Werdens erfordert dann eine Synthetisierung: Das so zu formierende Archiv führt abschließend zu einer Einheit der Distribution im Sinne eines Phänomens der Rekurrenz: Die archäologische Genealogie der Long Now Foundation schreibt eine Geschichte ihres Werdens anhand zeitlich gestreuter Ereignisse und Dinge, die das korrelative Zustandekommen und insbesondere Reaktivierungs- wie auch Aneignungsmodi ins Auge fassen. Nach einer Zwischensequenz im Archiv zweiter Ordnung, die eine Anordnung aus Unternehmertum, Counterculture und Kunstwelt zusammenfasst, kann ein Ort der Befragung abschließend hervortreten. Denn nicht nur muss jeder Ausschnitt an ein Ende gelangen, sondern gemäß dem ihr Vorausgehenden liegen der Long Now Foundation, ihren Ideen, Zielen und zentralen Projekten diskursive wie auch spezifisch technische Formationen zugrun-

Bücher zu dort verhandelten Themen, die etwa die Kybernetik, Systemdenken oder auch Landschaftbau, Zen Buddhismus und psychedelische Drogen umfassen.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 115

de. Deren Nachwirken oder Modifikation kann als relevant für die Gegenwart, im eigenen Verwendungsfeld als Ort der Befragung, aufgezeigt werden. Rekurrierend auf die eingangs formulierte zentrale These, entschlüsselt die archäologische Genealogie der Long Now Foundation ein dichtes, zeitlich gestreutes Archiv, das ihre Selbstbeschreibung differenzieren und ihr ‚wirkliches‘ Werden, durch Benennung der Lücke, aus einer notwendigen, hermeneutisch eingebundenen Perspektive darlegen soll. Das ineinandergreifende Formationssystem und die einhergehende Fülle an vielfältigen Begriffen und Regeln werden durch ‚hermeneutisches Zerschneiden‘ und archäologisches Freilegen oder Erzeugen greifbar – das Archiv schlägt in Produktion um. Die vorangegangene Darstellung versteht sich infolgedessen als Orientierung und Systematisierung, denn die archäologische Genealogie der Long Now Foundation entfaltet ihr Archiv durch direkte exemplarische Umsetzung und Anwendung.

2.2 D AS A RCHIV

ZWEITER

O RDNUNG

Das perspektivische Wissen der archäologischen Genealogie setzt ein mit dem seit den 1980er Jahren bestehenden Global Business Network (GBN). Mit diesem Verwendungsfeld findet das Archiv zweiter Ordnung ein Anordnungsprinzip, das Kernelemente der Stiftung ausmachen kann, die insbesondere die Strategien freilegen, die die Long Now Foundation zur kreativen Verantwortungsförderung einsetzt (‚to creatively foster responsibility in the framework of the next 10,000 years‘201 ). Dabei können charakteristische Kategorien eines Vorausdenkens und einer Zeitauseinandersetzung als Leitfaden durch die Zukunft ausgemacht werden, die auf das konstitutive long-term thinking der Long Now Foundation hindeuten. 202 Überraschenderweise ergeben sich dabei Reaktivierungs- und Aneignungsmodi sowie Verschiebungen und Transformationen hin zur Stiftung, die mit dem GBN aus der Unternehmensberatung stammen. Doch gerade aus dieser Beratungsfunktion heraus äußern sich Verfahren, die die Long Now Foundation als Place for Conversation erfassen können. So ergeben sich aus der zeitlichen Streuung, die in den 1980er Jahren ansetzt, Modi der Reaktivierung, Aneignung und Transformation, die nicht nur als relevant für die Gegenwart der Stiftung erscheinen, sondern an die eingangs angeführte ‚Diagnose der Gegenwart‘ anknüpfen und diese zu Möglichkeitsbedin-

201 Vgl. Kap. 1, Anm. 20. 202 Aus dem Verwendungsfeld wird hierfür insbesondere ein sogenanntes thinking ahead und ein guide to and through the future herangezogen.

116 | V OM LANGEN J ETZT

gungen der Herkunft und Entstehung vertiefen. Diese kontingente Lektüremöglichkeit kann zusätzlich dahingehend gelesen werden, dass sich in der zugrunde gelegten Strategie der Entzeitlichung jene kontingente Längenauferlegung spiegelt, die einer Definition des Jetzt eigentümlich ist. Dies koppelt sich somit an die Ausgangsthese, dass die Long Now Foundation symptomatisch für ebendiese Längenauferlegung ist und die Zeitparadoxie des Jetzt zusätzlich herausfordert.203 Die Verbindung von Unternehmertum und Counterculture weist zudem auf deren Transformationen und auf die Long Now Foundation als Symptom für einen bestimmten kalifornischen Gründungsgeist bzw. dafür, sich mit einer aberwitzigen Geschäftsidee in Szene zu setzen. Im Archiv zweiter Ordnung wird zunächst in das Verwendungsfeld GBN eingeführt. Dabei geht es nicht nur um eine kurze einleitende Darstellung des GBN, sondern die bereits im Vorspann verdeutlichte Herausforderung im Anordnen wird hier greifbar bzw. lesbar, indem eine Gruppierung um den sogenannten GBN World View Service vorgenommen wird. Sie gliedert die Anordnung im Verwendungsfeld GBN.204 Daran anschließend setzt das Spezifikationsraster zu den New Communalists ein, der Kommunenbewegung der 1960er und 70er Jahre. Das Archiv kann dann ferner den Weg zu relevanten Gruppierungen und Abspaltungen verfolgen.

203 Ferner korreliert jene Doppelbewegung der Lücke mit einem Denken der Paradoxie. Sie spiegelt nämlich einen methodischen Rekurs auf die archäologische Genealogie wider, die paradoxerweise erst da entstehen kann, wo Ereignisse und Dinge aus ihr selbst heraus freigelegt werden; ebenso paradoxerweise führt die Benennung der Lücke nicht zu dazu, dass Lücken ausbleiben. 204 Hier nochmals der Verweis, dass nicht alle englischen Begriffe ins Deutsche übersetzt werden, nicht nur da es sich oftmals um Eigennamen handelt, sondern da deren Griffigkeit in der Übersetzung verloren ginge. Außerdem ist es notwendig und von zentraler Bedeutung, englische Versionen beizubehalten, gerade dann, wenn es um die Formation von Aussagen und ferner um Ereignisse und Dinge geht, die ein kalifornisches Phänomen, dessen Herkunft und Entstehung betreffen. Zentrale Begriffe werden somit in Folgenennungen kursiviert; umfassendere Aussagen erscheinen in einfachen Anführungszeichen. – Nicht zuletzt nimmt diese Arbeit zum ersten Mal eine Anordnung der Stewart Brand Papers für die Long Now Foundation vor, wobei für das Korpus des Archivs zweiter Ordnung zum Teil noch keine deutschen Übersetzungen vorliegen. Wenn möglich, beziehe ich mich auf deutsche Versionen, vgl. etwa S. Brand: „Das Ticken des langen Jetzt“ oder F. Turner: „Die Politik der Ganzheit um 1968 – und heute“, S. 43-48.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 117

Hier wird eine Perspektive auf technologische Folgeentwicklungen hin zu einem webbasierten Place for Conversation verstärkt, wobei sich die zeitliche Streuung zu spezifizierten Verwendungsfeldern der Counterculture und zu sogenannten Cybernetic und San Francisco Art Worlds bewegt. Dabei treten exemplarische Verwendungsmöglichkeiten hervor, die eine Doppelbewegung evozieren: Erstens kann ein zentrales Ereignis und Ding aus dem Feld New Communalists anhand des Whole Earth Catalog hervortreten. Als so bezeichneter Access to Tools erscheint mit ihm eine ‚Kulturtechnik‘, die zur Formierung sogenannter Netzwerkforen führt und damit den Blick auf den Place for Conversation schärft, der webbasiert und spezifisch rückgekoppelt an Formationen aus dem GBN auftreten kann. Zweitens können Ereignisse und Dinge als charakteristische tools bzw. Werkzeuge weitergedacht werden, die exemplarische Verwendungsmöglichkeiten weiter ausführen und ferner auf eine mögliche, das lange Jetzt mitbestimmende Vorstellung von Zeitlichkeit aus Kunst und Zen-Buddhismus schließen lassen. Insbesondere aber kann rückbindend an Strategien aus dem GBN die transformative Erfahrung ausgemacht werden, die zum long-term thinking, gleichsam als bestimmtes Werkzeug, führt. In einer Zwischensequenz werden erwähnte Formationsprinzipien zusammengefasst, bevor die Anordnung einer Entstehung der Long Now Foundation aus der Konversation selbst folgt. Da die zeitliche Streuung und das dichte genealogische Netz bestimmte Lektürefelder entwickelt, die folglich gesondert gegliedert auftauchen müssen, verstehen sie sich dennoch als Teil des Archivs zweiter Ordnung. So bindet sich die Formation nämlich im Bereich der LongNow-Geschäftsidee explizit an Strategien aus der Unternehmungsberatung und genauer an Vermarktungsprozesse zurück, wobei vorangegangene Formationsprinzipien zusammenfinden. Sie können dann in ein abschließendes Phänomen der Rekurrenz münden. Der Abspann widmet sich folglich einer zusammenfassenden Darstellung der archäologischen Genealogie der Long Now Foundation. Als Ort der Befragung kann der Place for Conversation, seine Herkunft und Entstehung, inklusive entsprechender Strategien der Stiftung, abschließend aufgezeigt werden. Während sich die archäologische Genealogie mit möglichen Entwicklungslinien befasst, die eine Herkunft und Entstehung vertiefen sollen, spielen gleichzeitig bestimmte Spannungsverhältnisse innerhalb der Stiftung eine Rolle. Damit wird nicht nur eine ‚Diagnose der Gegenwart‘ vertieft, sondern zugleich auf ein Phänomen vorbereitet – gemäß der zweiten zentralen These dieser Arbeit –, das nur in Oppositionen aufgehen kann. Da ein Archiv zweiter Ordnung keinen Anspruch auf Vollständigkeit beanspruchen kann – denn es muss zerschneidend deuten, um eine Lektüremöglich-

118 | V OM LANGEN J ETZT

keit der Entstehung entwickeln zu können, die auf relevante Ereignisse und Dinge für die Gegenwart reduziert bleibt –, verbindet sich das Verhältnis zur Bibliothek (im Sinne Foucaults) mit einem ‚wirklichen‘ Werden.205 Denn trotz notwendiger Lücke verifiziert oder belegt das bezogene Material aus der ‚Gesamtheit publizierter und überlieferter Berichte‘ zugleich.206 Um die Entstehungsgeschichte der Long Now Foundation entwickeln zu können, wird grundlegend auf die sogenannten Stewart Brand Papers und Stewart Brand Editorial Files der Special Collections and University Archives, Stanford University Libraries (SUL) zurückgegriffen.207 Zentrale Zeiträume, auf die das

205 Ein spezifisches Verständnis von Bibliothek setzt sich außerdem in der Long Now Foundation fort, die ihr zentralstes Projekt The Clock of the Long Now anfänglich mit einer 10.000-Jahre-Bibliothek versieht. Diese geht allerdings auf dem Entstehungsweg ‚verloren‘, erscheint aber transformiert im Projekt The Interval anhand des erwähnten Manual for Civilization. Daran koppelt sich ein bestimmter Status von Büchern, der bereits im GBN virulent wird und ebenso auf Entwicklungstendenzen durch den Whole Earth Catalog zurückzuführen ist. 206 Vgl. M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 76-77, Anm. 136; vgl. ferner den kritischen Einwand Baßlers, der anhand von ‚textuellen Archiven‘ Archiv und Methode zu spezifischer Technik weiterliest, die im Sinne einer Volltext-Datenbank der Vervollständigung dienen soll, vgl. M. Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, insbesondere S. 323-332. Im Sinne einer archäologischen Genealogie und notwendigem perspektivischen Wissen, das auf das beobachtete Phänomen reduziert bleiben muss, ist der ausbleibende Anspruch auf Vollständigkeit jedoch bereits diskutiert worden, sodass sich hier auf den Verweis zu Baßler beschränkt wird. 207 Das gesamte Material ist eine Schenkung Stewart Brands an die Special Collections and University Archives der Stanford University Libraries, vgl. Stanford University Libraries, http://searchworks.stanford.edu/view/4688803 vom 09.09.2014. Die Sichtung erfolgte im September 2013 während eines Forschungsaufenthalts an der Stanford University. – Das hier zu formierende Archiv (zweiter Ordnung) bezieht seine Angaben folglich aus der Anordnung durch Stewart Brand selbst. Das Material unterliegt dabei einem Ordnungssystem der SUL in verschiedene Boxen und Folder (Ordner), oftmals mit einzelnen Schriftstücken, die nicht explizit auf Autor, Titel und genaues Datum verweisen. Daher wird für Literarturangaben dieses Ordnungssystem übernommen; Erscheinungsort: Special Collections and University Archives, Stanford University Libraries, SUL (für Folgenennungen mit entsprechender Collection Number M 1237; M 1045), unter Angabe des Box-Titels und der einzelnen Ordner. Sofern den einzelnen Papieren kein Titel durch die Special Collections gegeben wurde, habe ich zur Übersicht einen entsprechenden zugewisesen. Das Literaturver-

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 119

zerschneidende Deuten zugreift, sind: GBN Papers, 1988-1989; 1992-1994; 19972000; Learning Conference, 1986-1992; Counterculture, Correspondence [with Whole Earth Catalog Correspondence], 1968-1970, Whole Earth Catalog 1968; Whole Earth Catalog, miscellaneous 1981-1982. Zusätzlich greift das hier zu formierende Archiv auf aktuelle Studien zurück, wobei grundsätzlich darauf hinzuweisen ist, dass das Material stets relevant für die Long Now Foundation bearbeitet und eingegrenzt werden muss. Für die Terminologie hier nochmals der Hinweis, dass das Archiv zweiter Ordnung im Folgenden begrifflich als Archiv verkürzt wird; es versteht sich in Abgrenzung zum diskursiv-technischen Apriori und Ausschnitt aus demselben zugleich. 2.2.1 Am Anfang des Archivs: Global Business Network (GBN) Das Global Business Network (GBN) wurde 1987 in Emeryville, Kalifornien, Teil der San Francisco Bay Area, durch Peter Schwartz, James Ogilvy und Stewart Brand als Mitinitiator gegründet. Als Unternehmensberatung dient es dazu, Zukunftsperspektiven für führende internationale Unternehmen zu entwickeln, um diese vorausschauend an eine sich stets wandelnde Geschäftswelt anzupassen. Das GBN beschreibt dieses Vorgehen Ende der 1980er Jahre wie folgt: „SITUATION: everyone’s business environment is confronted by continuing transitions in the global economic and political order. NEEDED: a way to useful think ahead. ONE APPROACH: forecasting – often critically misleading. A BETTER SOLUTION: adaptive scenarios. INSTRUMENT: World View, a service of the Global Business Network.“208

Zu den Kunden der Organisation zählen u. a. Shell, der Telekommunikationskonzern American Telephone and Telegraph Company (AT&T) wie auch The New York and London Stock Exchanges.209

zeichnis liestet alle detaillierten Angaben zum bezogenen Material. – Für eine archäologische Genealogie bezieht dies zusätzlich die materielle Seite des Archivs ein, die gleichsam auf vorausgehende Anordnungsprinzipien zurückgreifen muss, dabei aber die Quellen kontextualisiert, vgl. dazu ferner M. Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 329. 208 Special Collections and University Archives, Stanford University Libraries (SUL), Stewart Brand Papers, 1954-2000, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „GBN Leaflet“, 1-6; 1 [Herv. i.O. fett].

120 | V OM LANGEN J ETZT

Der GBN World View Service bildet das strategische und instrumentelle Sammelbecken, anhand dessen das GBN exemplarisch dargestellt werden kann. Damit äußern sich in die Long Now Foundation einfließende Strategien, sodass der World View Service als Anordnungsprinzip für dieses Verwendungsfeld dienen kann. Er bietet GBN-Mitgliedern fünft zentrale Produkte an: das GBN Global Scenario Book, Network Conferences bzw. Meetings, GBN Computer Teleconferences, den GBN Book Club und den GBN Newsletter „The Deeper News“.210 Gruppiert und angeordnet, erstellen diese Produkte einen Orientierungsplan für das Verwendungsfeld GBN: Erstens zeigen Szenarien, für die im World View Service das GBN Scenario Book repräsentativ steht, zentrale Ereignisse und Dinge, die einerseits eine einführende Darstellung des GBN weiterverfolgen, wobei Peter Schwartz als ein Funktionsträger hervortreten kann. Andererseits kann für die Long Now Foundation der Weg verfolgt werden, zunächst das Storytelling zur Etablierung eines long-term thinking nachzuvollziehen und dabei dessen Spezifizierung hin zum Mythos einzuleiten. Zweitens lassen sich anhand der Network Conferences Konversationen und ein Forum extrahieren, die reaktiviert auf den Place for Conversation der Long Now Foundation hindeuten. Hierfür ist dann zunächst eine Weggabelung nötig: Die Network Conferences formieren sich aus sogenannten Learning Conferences durch den Funktionsträger Stewart Brand und weisen zurück auf dessen Netzwerkbildung vor der Gründung des GBN. Daran schließt ein genauer Blick auf dessen Verständnis von Learning an, denn es kennzeichnet einen bestimmten Konversationsmodus, der für die Stiftung relevant wird. Zusätzlich werden Learning Conferences in jenen Network Conferences reaktiviert durch sogenannte Learning Journeys: Jede Konferenz wird an unüblichen Orten mit unüblichen Settings abgehalten, als intensivierender Lern- und Anpassungsprozess. Gleichzeitig aber treten sie reaktiviert im zentralsten Projekt der Stiftung The Clock of the Long Now auf, die in ihrer monumentalen Funktion als Besuchsort und Reiseziel in der Wüste Nevadas imaginiert wird wie auch einen Ruheort be-

209 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „Interview with Peter Schwartz, James Ogilvy & Stewart Brand“, S. 1-4, hier S. 3. Aus dem Interview geht bereits jenes thinking ahead hervor: GBN fokussierte während der Arbeit für London Stock Exchange die Entwicklung des internationalen Kapitalmarktes und antizipierte nach eigenen Angaben den Börsencrash im Oktober 1987, vgl. ebd. sowie SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 67, Folder 4: P. Schwartz: „Thinking Ahead“, S. 1-17, hier S. 3-4. 210 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „Leaflet“, S. 2; „The Deeper News“, 1988 Vol. 1, No 1, S. 1-19, hier S. 1.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 121

reitstellen soll. Ebenso greift The Interval eine Ausbildung charakteristischer Umwelten auf, wobei im Laufe der Analyse ferner der GBN Book Club und Newsletter zum Tragen kommen kann. Die Journey bildet überdies ein Scharnier zur spezifizierten Counterculture und zu einem bestimmten Technologieverständnis. Drittens weisen bereits Network Conferences und ferner GBN Computer Conferences auf ein sogenanntes „network of remarkable people“211 hin, das nicht nur People of the Long Now erschließen lässt, sondern insbesondere eine Verschiebung des Place for Conversation hervorhebt. Der World View Service soll die besondere Stellung des GBN gegenüber anderen Unternehmensberatungen markieren: Zwei zentrale Elemente, das „scenario planning“212 und das network of remarkable people, würden eine Vorrangstellung des GBN kennzeichnen.213 Während jenes Netzwerk vor allem mit Blick auf die Network Conferences noch genauer dargestellt wird, kann ein Szenario hier bereits festgehalten werden als ein „narrative with meaning about the future [near and long-term future] [ that] has in it a kind of core myth [...]“214. Szenarien zu entwickeln (scenario planning) ermögliche dabei, „a way to embrace uncertainty and to navigate through complexity“215. Hier äußern sich bereits explizit erste Richtlinien dafür, die Long Now Foundation abschließend auf die angeordneten Diskursfakten und Verwendungsfelder hin zu befragen, wobei der Mythos (‚core myth‘) und ein Navigieren durch Komplexität (‚navigate through complexity‘) anhand des Storytelling und anhand von longnow.org transformiert hervortreten. Dabei muss allerdings ein tiefergehendes Verständnis dafür entwickelt werden, inwiefern das GBN diese Fakten verwendet, sodass sie als fortgeführte Strategien in der Stiftung ablesbar werden. Folgende Schwerpunkte zeichnen sich an dieser Stelle für das Archiv ab: Erstens die Formierung von Storytelling und Mythos als charakteristischer narrativer Ansatz; zweitens ein bestimmter Konversationsmodus und drittens die Formation sowie Folgeentwicklungen um Learning. Um ferner lektürefähig zu werden, muss dafür, an eine Gruppierung um das

211 SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „Interview with Peter Schwartz, James Ogilvy & Stewart Brand“, S. 3. 212 Ebd. 213 Vgl. ebd. sowie SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „Leaflet“, S. 2; „The Deeper News“, 1988, Vol. 1, No 1, S. 1. 214 SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „Interview with Peter Schwartz, James Ogilvy & Stewart Brand“, S. 3 [Herv. V.F.]. 215 Ebd. [Herv. V.F.].

122 | V OM LANGEN J ETZT

GBN anschließend, in die 1960er und 1970er Jahre geblickt werden, was in einem weiteren Schritt eine Perspektive auf aktuelle Parallelentwicklungen wie auch solche der 1990er Jahre einbezieht. Das Verwendungsfeld GBN eröffnet damit konstitutive Diskursfakten anhand zeitlicher Streuung, die sowohl diskursive wie auch technologische Aneignungsstrategien für das Archiv verfolgt. In allen extrahierten Bereichen bzw. Feldern kann die Formierung eines Place for Conversation auftreten. 2.2.2 Scenario Planning: Formierung von Storytelling und Mythos Das GBN Global Scenario Book untersucht Schlüsselthemen der Unternehmenswelt, die sich u. a. dem Energie- und Finanzmarkt wie auch dem EntertainmentSektor widmen.216 Methodisch wird sich dabei auf jene Szenarien gestützt,217 das heißt Zukunftsentwürfe für das sich entfaltende Unternehmertum zu entwickeln und folglich das zu beratende Unternehmen an diese Entwicklungen anzupassen. Die Aufgabe besteht nicht darin, die Zukunft vorherzusagen, sondern die sich stets verändernde Gegenwart zu verstehen und schlichtweg auf das vorbereitet zu sein, was sie anbieten möge.218 Denn Szenarien ermöglichen „a constant mental shifting of multiple models of what might happen“219 . Ein so bezeichneter mental shift kann hier als geistige Umkehr festgehalten werden. Szenarien berufen sich dabei auf die Fähigkeit, mehrere Möglichkeiten durchzuspielen, um somit nicht nur die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen auszubauen und an den Markt anzupassen, sondern die Sicht für solche Tendenzen zu schärfen, anstatt deterministisch vorzugehen und vielfältige zukünftige Entwicklungstendenzen

216 Ein Auszug aus The 1989 GBN Scenario Book: Decades of Restructing exemplifiziert verhandelte Themen: „I. The Dynamics of Change; II. Scenarios for the New Century (The turbulent 1990s, [...] Market Worlds); III. Driving Forces (The Technology Explosion; Social and Demographic Trends, Two Key Countries – Japan and the US)“, siehe SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 69, Folder 6: The Global Scenario Book, S. 2. 217 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1989-1999, Box 66, Folder 1: „Leaflet“, S. 4: Sie treten hier als „adaptive scenarios“ auf, siehe ebd. 218 Vgl. ebd., S. 3. – Interessant ist hier, inwiefern sich das scenario planning mit einer ‚Geschichte der Gegenwart‘ verbinden kann, im Falle des GBN aus der Zukunftsperspektive, die Gegenwart zu verstehen. 219 Ebd., S. 4 [Herv. V.F.].

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 123

zu übersehen.220 Szenarien kennzeichnen sich damit durch ein kontingentes Offenhalten möglicher Zukünfte.221 Die Position als Funktionsträger nimmt hier Peter Schwartz als Futurist 222 In den frühen 1970er Jahren arbeitete er am Stanford Research Institute ein: (SRI International) 223 als Direktor des Strategic Environment Center, 224 wo Schwartz ausgeprägte Erfahrungen mit dem scenario planning aufnimmt und diese im GBN fortführt.225 Dabei wird zurückgegriffen auf Herman Kahns Sze-

220 Vgl. ebd. 221 Dieses Offenhalten führt an einen Kern des Storytelling und imaginierter Zukunft im long-term thinking heran. Insbesondere in Kap. 3 dieser Arbeit kommt es gleichsam zu einem mental shifting bzw. zu einer geistigen Umkehr: Einerseits zeigt sich in der Long Now Foundation ein für das long-term thinking konstitutives Offenhalten, ein Spiel des Offenhaltens möglicher Zukünfte, was zugleich hinterfragt werden muss. An dieser Stelle kann aber insbesondere an die ‚Diagnose der Gegenwart‘ rückgebunden werden, innerhalb derer die Frage, wie sich das Jetzt denken lässt, explizit auf strategisch offengehaltene Zukünfte verweist. 222 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 181 sowie SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 67, Folder 4: P. Schwartz: „Thinking Ahead“, S. 1. 223 SRI International ist ein gemeinnütziges, unabhängiges Forschungsinstitut für die US-Regierung und den Industriesektor. Zu den Arbeits- und Forschungsbereichen zählen u. a. „Biomedical Science and Health; Chemistry and Materials; Computing; Energy and Green Tech; Security and Defense“, siehe SRI International, http:// www.sri.com/ vom 10.09.2014. SRI zählt seit den 1950er Jahren zu „one of the two leading American think tanks for the U.S. military“, siehe F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 184. 224 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „Interview with Peter Schwartz, James Ogilvy & Stewart Brand“, S. 2. 225 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 185-186. – Schwartz’ Position als Futurist zeigt sich außerdem in seiner Beraterfunktion für Science-FictionFilme, für deren Script er realitätsnahe Szenarien entwickelte, um sie authentisch, in möglicher Zukunft spielen zu lassen. Er hatte teil an Konzeptionen für Steven Spielbergs MINORITY REPORT, USA 2002, vgl. SUL, M 1237, GBN 1997-2000, Box 87, Folder 2: „Minority Report Scenario“, S. 1-17; C. Bonnington/C. Chocano/E. Craig/B. Gardiner/R. Swaby/A. Williams: „Inside Minority Report’s ‘Idea Summit‘, Visionaries Saw the Future“, Wired Magazine (21.06.2012), http://www.wired.com/ 2012/06/minority-report-idea-summit/ vom 05.09.2014.

124 | V OM LANGEN J ETZT

narien,226 die wie folgt relevant für die Formierung um das GBN hin zur Long Now Foundation hervortreten: Kahn gilt als einer der populärsten Theoretiker des Kalten Krieges,227 innerhalb dessen er „hypothetische Experimente, deren praktische Durchführung nicht geplant ist, aber trotzdem möglich wäre“228, auf „gesellschaftliche und politische Problemstellungen“229 anwendet. Solche als Szenarios oder Szenarien populär gewordenen „Gedankenexperimente“230 werden strategisch eingesetzt. Sie verfolgen die Methode, „to deal with whatever future actually arises, to be able to alleviate the bad and exploit the good“231. So entwickelte Kahn Szenarien etwa zu politischen Interessen,232 zum Jahr 2000 oder zum Atomkrieg.233 Szenarien entwerfen dabei „alternative und gleichmögliche Ereignisserien. Es ist eine Form ‚experimentellen Erzählens‘“234 . An dieser Stelle deutet sich bereits deren kreatives Potential an, das im Folgenden das scenario planning im GBN mitbestimmt und ferner in die Stiftung und deren narrative of hope getragen wird:

226 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „Interview with Peter Schwartz, James Ogilvy & Stewart Brand“, S. 4 sowie zu Kahn im Zusammenhang mit GBN F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 182. 227 Vgl. C. Pias: „Abschreckung denken. Herman Kahns Szenarien“, S. 169-187, hier S. 169, vgl. ferner A. Kleiner: The Age of Heretics, S. 148-152. 228 H. Kahn: Nachdenken über den Atomkrieg, S. 67. 229 Ebd. 230 Ebd. sowie ausführlich S. 61-98; vgl. außerdem C. Pias: „Abschreckung denken. Herman Kahns Szenarien“, S. 179. 231 H. Kahn/A.J. Wiener: The Year 2000, S. 3. 232 H. Kahn: On Escalation, S. vii. Im Zuge „to study The International Interest in International Order“ werden Fragen adressiert, wie „Who deters, influences, coerces, or blocks whom from what actions (alternatives), by what threats and counteractions [...]“, siehe ebd., S. 23 [Herv. i.O.]. 233 H. Kahn/A.J. Wiener: The Year 2000, siehe hier zu „Possibilities for Nuclear War“, S. 316-332 sowie ausführlich H. Kahn: Nachdenken über den Atomkrieg. – Kahn wird damit allerdings auch scharf kritisiert, etwa wurden seine Ansätze als „moral tract on mass murder“ bezeichnet oder er selbst erhielt Namen wie „Genghis Kahn“. Dabei kommt auch ein immer wieder auftauchender Vergleich zu Stanley Kubricks Dr. Strangelove auf, wobei die Figur des US Air Force Generals Jack D. Ripper für die Thesen Kahns stehe, siehe C. Pias: „Abschreckung denken. Herman Kahns Szenarien“, S. 174-175. 234 Ebd., 182 sowie C. Pias: „‚One-Man Think Tank‘. Herman Kahn, oder wie man das Undenkbare denkt“, S. 5-16, hier S. 12.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 125

„such studies, even if only partially successful, contribute to interesting lectures, provocative teaching, and stimulating conversation, all of which can broaden horizons and increase creativity.“235 Zunächst wird im GBN ein exemplarisches Szenario mit „The Future of Electronic Advertising“236 für die BellSouth Corporation dargestellt, eine der führenden US-Telekommunikationsgesellschaften in den 1980er Jahren.237 GBN arbeitet hier mit der Hypothese: „TV advertising as we now know it will be fundamentally changed by alternative methods and technologies for delivering entertainment and information to the home, and for communicating sales-related information about products and services to consumers.“

238

Daran angelehnte Szenarien sollen Fragen adressieren, z. B. wie solche Methoden und Technologien aussehen könnten; wie sich das Medien-Marketing entwickeln wird und wie sich dessen Finanzierung äußert.239 Ausgangspunkt ist der 23 Billionen USD schwere Werbemarkt der USA, wobei davon ausgegangen wird, dass neue Konsumnachfragen, neue Technologien und grundlegende strukturelle

235 H. Kahn/A.J. Wiener: The Year 2000, S. 1 siehe dazu auch ebd., S. 2: „if the past only could, if the present only knew“. – Zur Verbindung mit einem narrative of hope kann hier außerdem angebracht werden: „[W]ir beschäftigen uns mit Möglichkeiten, die zwar wichtig sind, aber so weit außerhalb der normalen Vorstellungskraft liegen, daß sie für viele Menschen nur schwer verständlich sind. Wir versuchen klarzumachen, daß diese Möglichkeiten zwar unvorstellbar sind, aber doch nicht so unvorstellbar und unwahrscheinlich, daß man sie nicht in Betracht ziehen sollte“, siehe H. Kahn: Nachdenken über den Atomkrieg, S. 15. – Das Gedankenexperiment zeigt sich zudem spezifisch im Long-Now-Projektcharakter, der auch gebunden an den Mythos noch ausgeführt wird. An dieser Stelle soll außerdem nicht vorenthalten werden, dass die Personen, welche die People of the Long Now mit ausmachen, das Thinking the Unthinkable (Originaltitel von Nachdenken über den Atomkrieg) in einer ihrer Online-Konversationen aneignen, vgl. SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 85, Folder 2: „Thinking the Unthinkable“, S. 1-4. 236 Siehe SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „The Future of Electronic Advertising“, S. 1-14. 237 2006 wurde die BellSouth Corporation von AT&T aufgekauft, vgl. AT&T, http://www.att.com/gen/investor-relations?pid=8521 vom 17.09.2014. 238 SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „The Future of Electronic Advertising“, S. 4. 239 Vgl. ebd.

126 | V OM LANGEN J ETZT

Veränderungen in der globalen Kommunikationsindustrie neue Chancen in den nächsten 10 bis 20 Jahren versprechen. Das GBN fokussiert dabei drei Dynamiken: einen wachsenden Wunsch nach Kontrolle über das eigene Konsumverhalten seitens der Konsumenten; Technologie-Trends für die Konsumenten-Zielgruppe und eine wachsende Unternehmen-Anzahl, die ihr Marketing auf jeweilige Zielgruppen und Trends auszurichten sucht.240 Für das scenario planning stellt das GBN ein eigenes Projekt-Team241 zusammen, das Interviews in der jeweiligen Branche durchführt und Trendforschung betreibt.242 Das GBN nimmt eine Vermittlerfunktion in dem von ihm entworfenen Netzwerk an Beteiligten ein, das sich durch die Sponsoren und das eigene Projekt-Team kennzeichnet. Der selbst einberufene Kreis an Sponsoren dient einerseits als Finanzierungsquelle für das Projekt.243 Andererseits kommt es so zu einem kollaborativen Austausch in der Gruppe, das heißt, die Konversation untereinander kennzeichnet das scenario planning insgesamt in sogenannten „scenario meetings“ und gipfelt in einer „scenario presentation“.244 Diese ist öffentlich, richtet sich an potentielle Kunden der Sponsoren und dient der Außen-

240 Vgl. ebd., S. 1. – Ziel ist es, GBN-Kunden als führende Unternehmen, hier im Telekommunikationssektor, zu positionieren. 241 Vgl. ebd., S. 6: Es verweist bereits auf das network of remarkable people und einen multi-disziplinären Zusammenschluss, der sich hier zeigt anhand von Schwartz, Ogilvy, Brand, Lawrence Wilkinson; außerdem: Peter Coyote (Schauspieler, Vorsitzender California Arts Council); Esther Dyson (Publisher, Editor Release 1.0); Peter Gabriel (Musiker, Produzent); William Gibson (Science-Fiction-Autor, u. a. Neuromancer); Art Kleiner (Schriftsteller, Forschungsschwerpunkt: Werbung, Marketing, Neue Technologien); Jon McIntire (Manager: The Greatful Dead). – Im Whole Earth Network in Anlehnung an Turner sind die angeführten Personen teils involviert, die ferner ebenso Teil der People of the Long Now sind. 242 Vgl. ebd., S. 5. Zu Interviewpartnern im hier angeführten Szenario zählt u. a. Danny Hillis im Forschungsbereich „Technology“, vgl. ebd., S. 13-14. 243 Der Kunde, hier BellSouth, wird durch GBN in eine Gruppe weiterer interessierter Unternehmen eingeliedert: u. a. Paramount Pictures, Coca Cola, American Express, The ABC Television Network und Saatchi Saatchi, eine der weltweit führenden Werbeagenturen, vgl. ebd., S. 2-3. 244 Vgl. ebd., S. 10-11; S. 7. Die Meetings werden vom GBN-Projektteam geleitet und stellen Forschungs- und Interviewergebnisse vor. Zusätzlich finden Gespräche unter allen Beteiligten statt, indem sich sowohl GBN-Mitglieder mit Sponsoren als auch die Sponsoren untereinander in internen Interviewphasen austauschen. Es deutet auf das noch hervortretende Group Learning und die spezifische Konversation im GBN.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 127

darstellung der Unternehmen. Besonders interessant ist hier, wie eine solche Präsentation aussehen kann, etwa als Buch, Wanderausstellung oder Teil eines Fernsehprogramms,245 was bereits auf jene intendierte kreative Verantwortungsförderung der Long Now Foundation und einen ausgeprägten Sinn für Humor verweist, der im Laufe der Analyse verstärkt hervortritt, insbesondere in der Long-Now-Geschäftsidee und einem Businessplan für die Stiftung.246 Szenarien als relevante Ereignisse um das GBN Global Scenario Book zu gruppieren zeigt ferner deren Reichweite auf, jüngst in der Kollaboration der Rockefeller Foundation mit dem GBN, aus der 2010 das GBN Global Scenario Book transformiert hervorgeht.247 Es setzt das scenario planning hinsichtlich technologischer Entwicklungen für Entwicklungsländer ein, anhand einer „new strategic conversation among the key public, private, and philanthropic stakeholders about technology and development at the policy, program, and human levels“248. Wie weit die Szenarien reichen, spitzt sich jedoch zu einem charakte-

245 Vgl. ebd., S. 8. 246 Ein Aufsatz Ogilvys verdeutlicht, inwiefern Kreativität im GBN aufgegriffen und verstanden wird, hinweg vom Genie-Status des Einzelnen zu kollektiver Kreativität, vgl. SUL, M 1237, GBN 1992-1994, Box 84, Folder 5: J. Ogilvy: „Reconstructing Genius“, S. 1-18. Der Einzelne taucht vielmehr auf „as a member of a network of people trying to create a better future“, siehe ebd. S. 8. Dieses Netzwerk kennzeichne sich durch gegenseitigen Respekt, den Austausch untereinander (in der Konversation) wie auch durch einen Sinn für Humor, die erst, als Ergebnis der Gruppe, zur Teamfähigkeit führen, vgl. ebd., S. 14. 247 Siehe The Rockefeller Foundation/Global Business Network: Scenarios for the Future of Technology and International Development – Die Rockefeller Foundation wurde 1913 von John D. Rockefeller in New York gegründet, mit dem Ziel: „to promote the well-being of humanity throughout the world“, rockefellerfoundton.org, [About Us], http://www.rockefellerfoundation.org/about-us vom 18.09.2014. Die Stiftung fokussiert hierfür vier Hauptbereiche: „advance health, revalue ecosystems, secure livelihoods, and transform cities“, siehe ebd. Auch wenn im Rahmen dieser Arbeit nur auf Rockefeller verwiesen werden kann, sind die Parallelen zu GBN und im weiteren Sinne zur Long Now Foundation als Non-Profit Organisation interessant, insbesondere was den Aufbau aus einem multi-kollaborativen Netzwerk angeht, vgl. ebd. Dies betrifft ebenso eine charakteristische Zukunftssicht, die besonders 2013 hervorsticht durch ihr 100-jähriges Bestehen: „The Rockefeller Foundation – Innovation for the next 100 Years“, siehe ebd. 248 The Rockefeller Foundation/Global Business Network: Scenarios for the future of Technology, S. 6 [Herv. V.F.].

128 | V OM LANGEN J ETZT

ristischen Storytelling zu, als eine der Schlüsselkategorien der Long Now Foundation, indem Szenarien aus dem GBN transformiert und angeeignet hervortreten. Dies geht daraus hervor, wie Szenarien und Storytelling im GBN verstanden werden: Funktionsträger Schwartz zufolge bilden Szenarien das Werkzeug für jene geistige Umkehr, die erst ein Vorausdenken ermöglicht.249 Die Zukunft zu navigieren, anstatt vorherzusagen (‚a way to embrace uncertainty and to navigate through complexity‘), geht aus jener Umkehr hervor, indem hier gleichsam ein ‚intellektueller Werkzeugskasten‘250 hervortritt; „a way of organizing thoughts and perceptions about the past and present in order to reveal implications for the future“251 . Navigieren äußert sich hier folglich als Organisieren, das die Story bereitstellt: Szenarien sind Storys („stories that matter“252 ), die gerade dort, wo Ungewissheit im vorausschauenden Denken vorherrscht, eine „Form experimentellen Erzählens“253 anbieten, die es zulässt, Zukunft zu reflektieren und gleichzeitig mit dieser umzugehen.254 Denn „[story-telling is a complex skill], the right kind of story can make it possible to shift [...] into new modes of thinking“255. Der Blick in die Zukunft bedeutet zugleich, gegenwärtige Entscheidungen zu beeinflussen, wobei die Imagination eine zentrale Rolle einnimmt, denn diese Storys sind „designed to be both plausible and provocative, to engage your imagination while also raising new questions“ 256. So besteht kein Szenario ohne Einbildungskraft, Fantasie und dann eben auch besagten Sinn für Humor; kein Offenhalten möglicher Zukünfte ohne Imagination, denn sie ist Bestandteil eines solchen ‚intellektuellen Werkzeugkastens‘, dessen Motor und Antriebskraft.

249 SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 67, Folder 4: P. Schwartz: „Thinking Ahead“, S. 1. 250 So ein „intellectual toolkit“, siehe ebd., S. 6. 251 Ebd., S. 1 [Herv. V.F.]. 252 Ebd. 253 C. Pias: „‚One-Man Think Tank‘. Herman Kahn, oder wie man das Undenkbare denkt“, S. 12. 254 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 67, Folder 4: P. Schwartz: „Thinking Ahead“, S. 2. 255 Ebd. [Herv. V.F.], vgl. hierzu auch F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 192. 256 The Rokefeller Foundation/Global Business Network: Scenarios for the Future of Technology, S. 17 [Herv. V.F.].

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 129

Innerhalb des scenario planning treten insbesondere zwei Elemente hervor: „Semiotics“ und „Narrative“.257 Das Narrativ spezifiziert das Storytelling und die Konversation dahingehend, gerade auch mehrere Beteiligte darin einzubeziehen, Zukunft zu imaginieren, im charakteristischen, strukturierenden Sinne zu navigieren und offenzuhalten. Eine Story ist demnach offen für verschiedene Interpretationen aus vielseitigen Perspektiven, abhängig vom Rezipienten und dessen Perzeption. Strukturierende Organisation kommt durch ein Plotsetting und Charaktere zustande, die zugleich die Motivation für das Szenario untermauern.258 Semiotics werden verstanden als „science of interpreting signs“259 und führen im Sinne des scenario planning dazu, die eigene Perspektive auszudehnen und auf verschobene Bedeutungen und Werte auszurichten (geistige Umkehr), was ebenso die Wahrnehmung materieller Dinge einbeziehen soll.260 Ein Szenario ist eine Erzählung über die Zukunft, deren konstitutives Element der Imagination – gerade um Ungewissheiten handhabbar zu machen und damit Komplexität zu reduzieren bzw. zu navigieren261 – unkonventionelle Ideen legitimiert und sich auf den Mythos (ein angeeigneter ‚core myth‘) stützt.262 Der Mythos (die Rede, sagenhafte Erzählung) führt dann pointiert dazu, nicht nur Narrative als Storytelling und Konversation engzuführen, sondern imaginierten wie auch irrationalen Entwürfen Platz zu verschaffen: „[t]he real key is talking to people, sharing and dissecting and challenging our vision of the world.“263 Somit transformiert oder reaktiviert die Long Now Foundation die geistige Umkehr in ein long-term thinking des langen Jetzt, dessen ‚intellektuelles Werkzeug‘ ebenso die Story (‚that matters‘) ist. Ein Umschalten in neue Denkweisen (‚shift into new modes of thinking‘) äußert sich im Denken der Paradoxie des langen Jetzt. Navigieren als strukturierendes Element, wie es im GBN auftaucht,

257 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 67, Folder 4: P. Schwartz: „Thinking Ahead“, S. 8. 258 Vgl. ebd. – Narrative Ansätze werden in Kap. 3 vertieft und ferner analysiert; doch geht es im Rahmen der archäologischen Genealogie um die Herkunft des Storytelling, so gesehen narrativistischen Ansätzen vorgeschaltet und diese aus Perspektive der Herkunft differenzierend. 259 Ebd. 260 Vgl. ebd. 261 Zum scenario planning im GBN vgl. außerdem F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 192-193. 262 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „Interview with Peter Schwartz, James Ogilvy & Stewart Brand“, S. 2. 263 Ebd.

130 | V OM LANGEN J ETZT

kann hier allerdings transformiert erscheinen: Es verschiebt sich davon, Vorstellungen und Wahrnehmungen von Vergangenheit und Gegenwart für die Zukunft zu organisieren, hin zur ‚Organisation‘ von Vergangenheit und Zukunft für die Gegenwart.264 Es kommt ebenso zu einem experimentellen Erzählen, das jedoch angeeignet nicht nur den Umgang mit Zukunft (‚foster responsibility in the framework of the next 10,000 years‘), sondern vor allem mit der Gegenwart einleiten soll.265 So richtet sich das Storytelling der Long Now Foundation, das aus den GBNSzenarien ableitbar wird, auf die Imagination bzw. die Vorstellung und eine geistige Umkehr, indem die Stiftung versucht, gängige Vorstellungen vom Jetzt auszudehnen.266 Wie Stories aus dem GBN sind Storytelling und Mythos beides, plausibel und provokativ, um die Imagination zu befeuern (‚plausible and provocative to engage your imagination‘). Wie noch deutlich wird, schreibt der Mythos ihr Plausibilität zu, während die Provokation vor allem auf den Zeitraum von 10.000 Jahren zu beziehen ist. Diese Story wird ebenso mit Charakteren (People of the Long Now), die die Story erzählen, und diesbezüglich mit einem Plotsetting versehen, die die Motivation der Erzählung ausmachen (wie etwa aus den Webseiten-Sektionen About oder People darauf hingewiesen wurde267). ‚Semiotics and interpreting signs‘ sind ferner Teil des Storytelling, insbesondere reaktiviert für die Clock of the Long Now und bezogen auf ihre Anschauung – einerseits in der Webseite, andererseits das Monument betreffend – und sollen dazu dienen, die eigene Perspektive auszudehnen. Dabei setzt der Mythos nicht nur als Schlüsselkategorie dafür ein, imaginierten und irrationalen Entwürfen Platz zu verschaffen, sondern dieser Platz ist der Place for Conversation, sei es in Kalifornien oder webbasiert, an dem das Storytelling stattfindet. Wenn der Mythos dann noch ausführlicher dargestellt wird, kann an dieser Stelle doch seine Herkunft, verknüpft mit einem spezifischen narrativen Ansatz des scenario planning, aufgeschlüsselt werden: Er äußert sich als eine Strategie da-

264 So kann die Aussage aus dem scenario planning transformiert erscheinen von ‚organizing thoughts and perceptions about the past and present in order to reveal implications for the future‘ zu ‚organizing thoughts and perceptions about the past and future in order to reveal implications for the present‘. 265 Im Laufe der Analyse greife ich auf, inwiefern bei der Long Now Foundation, trotz intendierter Etablierung eines langen Jetzt in Richtung Vergangenheit und Zukunft, eine Zukunftsorientierung gewichtet wird. 266 In den Worten der Stiftung: ‚as we try to stretch out what people consider as now‘, vgl. Kap. 1, Anm. 69. 267 Vgl. ferner die Ausführungen in Kap. 3.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 131

für, Ungewissheit einzudämmen und insbesondere Provokation zu legitimieren und zu Plausibilität zu verschieben. Was an dieser Stelle aus dem scenario planning hervorgeht, kann bereits auf den Mythos als Inbegriff erzählender Darstellung (damit Bestandteil des Storytelling) und auf eine bloße Erzählung vermittelnder Instanz hinweisen.268 Der Mythos bedarf folglich keinerlei Beglaubigung oder Beweise, sondern zwischen Rechenschaft und unhinterfragtem Überlieferten versieht er diese Kunde mit Anerkennung.269 Dies rekurriert nicht nur auf jene ‚mythische Tiefe‘,270 der die Stiftung für die Etablierung eines long-term thinking folgen möchte, sondern der Mythos wird hier, im Rahmen der genealogischen Perspektive, zu einer Mythosstiftung weitergedacht, die Formen der Selbstinszenierung und gleichzeitiger Überdauerung anhand der Geschäftsidee zur Long Now Foundation erfassen kann. Das scenario planning und damit Storytelling und Mythos jedoch weiter transformiert und reaktiviert aufgreifend, äußern sich verschobene Teilhabeprozesse, die in den Szenarien noch in der vielfältigen Interpretation und der offengehaltenen Story erscheinen. Diese Offenheit wird in der Long Now Foundation zu spezifischen Teilhabeprozessen transfomiert, vorrangig dazu, Teil der Story selbst zu sein – einer Story nämlich, die als narrative of hope die Zukunft nicht vorhersagen kann, so Hillis: ‚I cannot imagine the future, [...] but I know I am part of a story‘271 . Dies wird einerseits in Finanzierungsquellen transformiert, um im Gegenzug gleichzeitig inspiriert (und auch unterhalten) zu werden.272 Andererseits tritt mit solch angeeigneten Teilhabeprozessen das spielerische Element der Stiftung hervor: Das long-term thinking als ‚infinites Spiel‘, wie es in der ‚Diagnose der Gegenwart‘ auftreten konnte, soll nicht nur den Menschen am Uhr-Projekt beteiligen, sondern auf Erzählebene äußert sich die offene Story der Szenarien als spielerisches Offenhalten der Zukunft. Der experimentelle Charak-

268 Vgl. H.-G. Gadamer/H. Fries: „Mythos und Wissenschaft“, S. 8-42, hier S. 10-11. „Mythos [wird] [...] zu einem rhetorischen Begriff für erzählende Darstellungsweisen überhaupt“, siehe ebd. Die vermittelnde Instanz tritt dabei auf als „Kunde, die verbreitet [wird – Einschub V.F], ohne irgendeiner [...] Beglaubigung zu bedürfen“, siehe ebd., S. 11. 269 Vgl. ebd. 270 Vgl. dazu Kap. 1, Anm. 116. 271 Vgl. Kap. 1, Anm. 182. 272 So die Angabe der Stiftung: ‚If you'd like to be part of something ambitious, visionary, and downright monumental, consider joining our growing band of supporters‘, vgl. Kap. 1, Anm. 158.

132 | V OM LANGEN J ETZT

ter der 10.000-Jahre-Uhr kann damit genealogisch zurückgeführt werden auf das experimentelle Erzählen, das aus den Szenarien hervorgeht und sich transformiert wie angeeignet in den Schlüsselkategorien von Storytelling und Mythos in der Long Now Foundation fortsetzt. Dabei kommt auf charakteristische Weise ein Navigieren durch Komplexität auf, das Schwartz zufolge, inklusive besagtem Mythos, die Szenarien inhärente Story auszeichnet. Denn wenn Szenarien – als Story, die erzählt und ausgetauscht wird – das Werkzeug bereitstellen, um Komplexität zu navigieren, und das heißt das Denken und die Wahrnehmung zu strukturieren, verschiebt sich dies zum Storytelling des long-term thinking, dessen Mythos die 10.000-JahreUhr ausmacht. Zusätzlich aber kann das Navigieren durch Komplexität verschoben werden zu einem solchen durch die Webseite, dessen Komplexität sich insbesondere durch die vielfach möglichen Erschließungswege dafür, weitere Seiten und Links zu verfolgen (kontingentes Navigieren) kennzeichnet und so ein strukturierendes Element aufgreifen kann. Damit transformiert sich das Navigieren dahingehend, mit der Zeitparadoxie verknüpft zu werden, denn als Scharnier zum Bereich der (Nicht-)Linearität dieser Arbeit treten Oppositionen hervor, die sich dann in diesem strukturellen Bereich des Storytelling zeigen. Was sich hier als Interpretation von Zeichen (‚interpreting signs‘) aber zeigt, führt dann zu formgebenden Elementen aus der Opposition.273 Aus genealogischer Perspektive aber kann hier ein modifiziertes, kreatives Vorausdenken erscheinen,274 dessen Leitfaden zur und durch die Zukunft (‚guide through and to the future‘) auf verschobenes und angeeignetes Navigieren deutet, das ebenso ein charakteristisches Storytelling als Offenhalten hervorrufen wird. Transformierte Ereignisse, die es ermöglichen, aufzuzeigen, wie sich diese auf das Phänomen Long Now Foundation auswirken können und hier spezifisch verknüpfen, beziehen bereits die Journey ein, den Reiseaspekt zum imaginierten Monument der 10.000-Jahre-Uhr. Szenarien werden nämlich ferner als Journey aufgefasst, gerade weil ihr Rezipient und Beteiligter durch sie navigiert: „think of them as a journey, [...] into a future that is relevant, thought-provoking, and possible.“275 Transferiert auf die Long Now Foundation sind sie relevant für die Gegenwart, provokativ mit einer Zeitspanne von 10.000 Jahren und möglich

273 Vgl. dazu insbesondere die Analyse ab Kap. 3.4. 274 So kann ein Vorausdenken aus dem GBN mit der intendierten kreativen Verantwortungsförderung der Long Now Foundation erscheinen; von ‚thinking ahead‘ über ‚creatively foster responsibility‘ der Stiftung zu einem creatively thinking ahead. 275 The Rockefeller Foundation/Global Business Network: Scenarios for the Future of Technology, S. 11.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 133

durch den Mythos (als Rede und Konversation), der Konsens über das Provokative legt (‚mythische Tiefe‘). So wird der Reiseaspekt verknüpft mit einer materiellen, aber auch imaginierten Anschauung, die eine Zeitperspektive einerseits ausdehnen soll, andererseits die Journey als Ruhepause aneignet. Das scenario planning tritt ferner in den Projekten der Stiftung auf, gekoppelt an eine intendierte kreative Verantwortungsförderung: Wie die öffentliche scenario presentation des GBN bereits auf deren kreative Umsetzung (wie Ausstellungen) verwies, kommt diese in The Interval als öffentlicher Besuchsort und Place for Conversation zusammen, mit ausgestellten Artefakten und Prototypen der Long-Now-Projekte, Café, Bar und Veranstaltungsort für Präsentationen zum long-term thinking. Solche Präsentationen setzen sich in Long Now Seminars fort, in denen Schwartz dann nicht zufällig seine Position als Funktionsträger und Visionär (insbesondere im Bereich der Science Fiction) ausbauen kann: In „The Starships ARE Coming“276 beschreibt Schwartz Szenarien möglicher Reisen durch die Galaxie in den nächsten 300 Jahren.277 Zusätzlich können die Long Bets der Long Now Foundation als transformierte Szenarien festgehalten werden, die sich nämlich zugunsten des Unterhaltungswertes verschieben, wobei ‚enjoyable predictions‘278 mit der argumentativen Untermauerung versehen werden, die sich in GBN-Szenarien etwa anhand von Interviewphasen und Trendforschung entfaltet. Festgehalten werden können Szenarien und deren Planung aus dem Verwendungsfeld GBN folglich als Kernereignisse der Herkunft und Entstehung aus dem historischen bzw. diskursiv-technischen Apriori der Long Now Foundation. Sie bilden ein Lektüremodell dafür, wie und woraus sich das charakteristische Storytelling formiert und woher jener Mythos für die Etablierung eines longterm thinking kommt. Dessen inhärente Imagination führt dann zu jenem narrative of hope und Kern der Long Now Foundation, denn wie im GBN liegt der wahre Schlüssel in der Konversation (‚the real key is talking to people‘) und formiert ihren Place for Conversation. Dieser gipfelt einerseits in The Interval und verschiebt andererseits das Navigieren und das strukturierende Element durch ein charakteristisches Storytelling in longnow.org. Abschließend kann hier darauf verwiesen werden, dass sich der angegebene GBN World View Service transformiert um jenen Place for Conversation grup-

276 So ein Long Now Seminar am 17.09.2013 im San Francisco Jazz Center während meines Forschungsaufentahlts in Kalifornien im September 2013. 277 Vgl. longnow.org, [Seminars], http://longnow.org/seminars/02013/sep/17/starshipsare-coming/ vom 15.10.2014. 278 Vgl. Kap. 1, Anm. 168.

134 | V OM LANGEN J ETZT

pieren lässt, in der Webseite und The Interval, was im Ort der Befragung aufgegriffen wird: Das Global Scenario Book tritt mit Brands Ticken des langen Jetzt als maßgebliches Begleitwerk zur Long Now Foundation auf; Network Conferences and Network Meetings werden in The Interval und Long Now Seminars realisiert oder transformiert reaktiviert; GBN Computer Teleconferences und der Newsletter verschieben sich zum geschützten Mitgliederbereich einerseits, kennzeichnen aber ebenso Sektionen in der Webseite, wie „Newsletter“ und „Blog“, der Kommentarfunktionen zulässt. Der GBN Book Club besteht transformiert im Manual for Civilization mit weiteren Clubs, wie Tea- und Bottle Club. Der Place for Conversation, der eine Formierung von Storytelling und Mythos aus den GBN-Szenarien darlegt, lässt ein narrative of hope hervortreten, dessen Schlüssel in der Konversation liegt. ‚Unsere‘ Version von Welt zu teilen und herauszufordern, wie es das scenario planning anführt, wird dazu verschoben, ‚unsere‘ Vorstellung vom Jetzt zu teilen, herauszufordern und zu zelebrieren.279 Die Konversation avanciert damit zu einem Diskursfakt bzw. Ereignis, das die GBN Network Conferences heranzieht. 2.2.3 Network Conferences und Konversationen Die GBN Network Conferences können als das Ereignis angesehen werden, in dem sich das network of remarkable people äußert, wie es exemplarisch aus dem GBN Projekt-Team hervorgeht. Es fokussiert einen „collective wisdom of the Membership on key issues“280 , die in der Konversation, dem Austausch untereinander, verhandelt werden. Die Vielfalt, die durch die zahlreichen Bereiche zustande kommt, aus denen die Mitglieder stammen, soll diesen Personenkreis als besonders kennzeichnen. Zugleich bestimmt sie eine Konversation, die aus diesen Bereichen schöpft, mehr noch die Beteiligten verändern soll und gemeinsam, auf professioneller Ebene, an das Ziel heranführt, die Zukunft zu entwerfen.281 Zusammengefasst erscheinen die Network Conferences im GBN Newsletter „The Deeper News“, der an die Mitglieder (das heißt sowohl solche des Vorstandes und des Projekt-Teams als auch beteiligte Kunden bzw. Unternehmen)

279 So kann m. E. die Verschiebung von ‚sharing and challenging our vision of the world‘, wie es aus dem GBN angegeben werden konnte, zu sharing, challenging, and celebrating our vison of now angebracht werden. 280 SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „Leaflet“, S. 4 [Herv. V.F.]. 281 Vgl. ebd. S. 6, siehe hierzu: „When economists and biologists talk seriously together, both are changed. When managers and artists talk seriously together, both are changed“.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 135

versandt wird, hier exemplarisch „Mental Maps of the Future“282. Nicht nur weisen solche ‚geistigen Landkarten‘ auf das Navigieren durch die Zukunft und ebenso darauf, die Journey charakteristisch anzueignen, sondern gespielt wird zugleich mit der Mitgliedschaft und deren Exklusivrechten. Nun mag es nicht ‚der Rede wert‘ sein, hervorzuheben, dass ausschließlich Mitglieder in solche Konferenzen eingebunden sind, wohl aber, wenn sich dies zur Long-NowMitgliedschaft verschiebt, die die gemeinsam zu entwerfende Story mit dem eigenen Newsletter zumindest teilweise mit eingeschränktem Zugang versieht.283 Wie schon die Offenheit der Szenarien zu transformierten Teilhabeprozessen führen, Teil der Story zu sein, setzt sich hier ebenso jene ‚Weisheit der Mitglieder‘ (‚wisdom of the Membership‘) fort, die ein network of remarkable people ausstattet. Im Storytelling der Long Now Foundation kommt es dann vielmehr zu ‚Mental Maps of the Present‘. Die Analyse kann insbesondere im zweiten Teilbereich dieser Arbeit das Navigieren angeeignet zu jenem in der Webseite aufzeigen, womit hier bereits eine Story hervortritt, die man als Journey denken kann, wie es die Auffassung von Szenarien zeigt. Die Network Conferences finden zudem an unüblichen Orten statt und führen somit die Journey fort: „Each conference is held in an unusually informative setting“284; dies verbindet den unter den Personen stattfindenden Austausch also mit einer Reise. Das Netzwerken des GBN legt damit eine Doppelbewegung nahe – eine spezifische Rhetorik innerhalb der Gruppe, wie die anschließende Formierung der Konversation zeigen soll, und gleichzeitig ein sich für die Partizipierenden ausbreitendes Gefühl, Teil einer Elite zu sein,285 der der remarkable people. Daran koppelt sich ferner, diese Gruppe in ein System, in eine zu adaptierende Umwelt einzubinden: So äußert sich insbesondere in der Learning Journey eine zu lehrende und zu erlernde Umwelt: „people along it served as source of metaphors by which the group could come together on the trip and by which they could seek to understand the social and [...] economic world“286. Für die archäologisch verfahrende genealogische Perspektive geht es also um eine ineinandergreifende Formation von Learning und Journey. Es muss auf ein

282 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „The Deeper News“, 12/1988, Vol. 1, No 1, S. 1-19. 283

Vgl. longnow.org, [Membership: Sign In: Newsletter], http://longnow.org/mem bership/newsletters/ vom 15.10.2014.

284 SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „Leaflet“, S. 4. 285 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 191. 286 Ebd.

136 | V OM LANGEN J ETZT

spezifisches Verständnis von Learning zurückgegriffen werden bzw. dieses aufgeschlüsselt werden, was Folgeentwicklungen um die Journey einleitet. Dabei verschiebt sich dies als konstitutiv für die Konversation und kann schließlich den experimentellen Charakter aufgreifen, wie er mit Storytelling und Mythos schon deutlich wurde. Dies lässt eine diskursive Formation hervortreten, als sogenannte contact language, die in Anlehnung an Turner ausgeführt wird und ebenso auf die Konversation zu der Long-Now-Geschäftsidee vorbereitet, die die Long Now Foundation selbst begründet. Die hier stattfindende und sich im Folgenden weiter ausbildende archäologische Anordnung um Network Conferences und Konversationen erstellt dabei einen Transfer, der das Scharnier dazu ausbildet, in relevante Verwendungsfelder und deren Ereignisse und Dinge aus der Counterculture zu blicken. Denn das GBN fördert „interpersonal and information networks (including the computerized networks)“287, die ferner in GBN Computer Conferences auftreten. Sie können nicht nur einen webbasierten Place for Conversation herleiten, der sich in longnow.org zeigt, sondern erstellen die Verbindung zwischen den 1980er und 1960er/70er Jahren für eine Entstehung der Long Now Foundation anhand einer angeeigneten Learning Journey. Es kommt dabei zu einem Positionswechsel von Peter Schwartz zu Stewart Brand, als Funktionsträger sogenannter Learning Conferences, die in den Network Conferences reaktiviert bzw. fortgeführt werden. Insgesammt kann aufgeschlüsselt werden, wie Learning verstanden und in folgende Aussagefelder transferiert wird, wobei hervortritt, wie sich dies auf die Konversation auswirkt und wie die Journey angeeignet wird. Im Detail legen erstens Network Conferences, die aus der Formation um Learning Conferences hergeleitet werden können und den Positionswechsel zu Brand mit ausmachen, den Weg zu People of the Long Now frei. Zweitens gelangt die Anordnung damit zur Counterculture, die spezifiziert werden kann zu relevanten Verwendungsfeldern aus der Kunstwelt. Im Zuge entzeitlichter Vergangenheit, die näher an ein Denken des langen Jetzt heranführen soll, kann der Blick erweitert werden zur Kunstwelt San Franciscos, die parallele Entwicklungen oder vielmehr eine ansatzweise, intendierte Verortung der Long Now Foundation in ebenjener herausstellen kann sowie ihr innewohnende, charakteristsiche Spannungsverhältnisse.

287 Ebd., S. 194.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 137

2.2.4 Learning Conferences: Formierung der Konversation Die Learning Conferences können als Möglichkeitsbedingung dafür angesehen werden, dass das GBN entsteht.288 Denn Brand, u. a. angeheuert von Schwartz, die eine langjährige Freundschaft und eine vorangegangene Zusammenarbeit während der Whole Earth-Publikationen verbindet, organisiert jene Konferenzen, aus denen die remarkable people des GBN hervorgehen.289 Brand greift dabei auf seine weitreichenden Kontakte zurück,290 sowohl aus der Zeit seiner journalistischen und künstlerischen Tätigkeiten in den 1960er und 70er Jahren als auch am MIT Media Lab.291 So tritt ein multidisziplinärer Zusammenschluss auf, den Brand nach dem Konzept der sogenannten Macy Konferenzen ausbildet und der eine charakteristische diskursive Dominanz ausprägt, die es erst erlaubt, die Konversation untereinander aus vielfältigen disziplinären Bereichen zu koordinieren.292 Das heißt wiederum, dass ein eingegrenzter Fokus darauf entsteht, wie eine solche Koordination stattfinden kann, die sich in der Long Now Foundation stabilisiert und dahingehend reaktiviert wird, nicht nur als Place for Conversation auftreten zu können, sondern zugleich deren spätere Gründung aus der Konversation, der Long-Now-Geschäftsidee, einbezieht. Denn innerhalb der Konferenzen müssen die Beteiligten einen gemeinsamen Nenner finden; „brought to-

288 Vgl. zu einer Verbindung von Learning Conferences und GBN außerdem ebd., S. 181. 289 Aus dem Whole Earth Catalog geht eine Fülle von Publikationen hervor, wie die Whole Earth Review und Co Evolution Quarterly, die nicht nur ein Sammelbecken für Feedback bilden, etwa durch eine anwachsenden Autorschaft, sondern diese zu sogenannten Netzwerkforen („network forums“) verschieben, vgl. ebd., S. 5-6; S. 9 sowie das Kapitel zum Whole Earth Catalog. 290 Vgl. SUL, M 1237, Learning Conference Correspondence, 1986-1989, Box 62, Folder 1: „The Varieties of Learning“, S. 1-4, hier S. 4; Box 54, Folder 12: S. Brand: „Notes Toward a Description of the Shell Learning Conferences“, S. 1-5; 3; F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 182. 291 1986 lehrte Brand Design am Media Lab, einer führenden Institution für MedienDesign, das, 1985 um Nicholas Negroponte gegründet, u. a. Wearable Computer entwarf und sich aus einem multidisziplinären Netzwerk u. a. von Software-Ingenieuren, Musikern, Künstlern besteht, vgl. ebd. S. 178-179, und ferner Stewart Brand: Media Lab. 292 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 182; 25.

138 | V OM LANGEN J ETZT

gether from a variety of disciplines and communities the participants needed to find a common tongue [alongside a systems-orientated contact language]“293. Die Systemorientierung resultiert aus Brands ausgiebiger Auseinandersetzung mit der Kybernetik, die sich, mit der notwendigen Eingrenzung im Rahmen dieser Studie, anhand jener Macy-Konferenzen zeigt, da sie ein Initial für solch multi- und interdisziplinäre Zusammenschlüsse bildet. In aller Kürze beschreibt Kybernetik (von κυβερνήτης, Steuermann) eine in der Forschungswelt des Kalten Krieges aufkommende ‚Leitwissenschaft‘, nach ihrem Begründer Norbert Wiener,294 die im Kern eine Steuerung sowohl von Maschinen, Organismen und sozialen Organisationen umfasst.295 Es sind die Macy-Konferenzen und deren Konversationsgrundlage, die die Kybernetik zu ihrer leitenden Position führen; „into one of the dominant intellectual paradigms of the postwar era“296. Denn sie bilden das Leitbild für interdisziplinäre Verhandlungen und einen Austausch, der höchst einflussreiche, intellektuelle Konzepte fortführt und dabei u. a. Biologen, Physiker, Mathematiker, Soziologen wie Anthropologen zusammenführt.297 Brand überträgt dieses Konzept auf die Learning Conferences mit einer gemeinsamen Sprache (‚common tongue‘) rund um den Begriff Learning.298 Dessen archäologi-

293 Ebd., S. 182 [Herv. V.F.]. – Turner führt dies nochmals weiter zurück, was ferner seinen Begriff vom Network Forum einbezieht; so auf „Peter Galisons notion of the ‚trading zone‘ and Susan Leigh Starb and James Grisemer’s ‚boundary object‘. Network Forums function like a trading zone in that they are sites where representatives of multiple disciplines come together to work and, as they do, establish contact langages for purposes of collaboration“, siehe ebd., S. 72. 294 Vgl. dazu N. Wiener: Cybernetics, or Control and Communication in the Animal and the Machine. 295 Der Bereich der Kybernetik stellt ein eigenes wissenschaftliches Feld dar, das hier auf die diskursive Formation reduziert werden muss, die ein network of remarkable people und deren Konversation erfassen kann; daher die anschließende Eingrenzung der Macy-Konferenzen und der contact language. Zur Kybernetik vgl. exemplarisch C. Pias: „Zeit der Kybernetik. Eine Einstimmung“, S. 9-41, hier S. 10. 296 F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 27. 297 Vgl. ebd., S. 26; C. Pias: „Zeit der Kybernetik. Eine Einstimmung“, S. 10. – Die Macy-Konferenzen wurden 1946-1953 in den USA abgehalten, arrangiert durch die Josiah Macy, Jr, Foundation, vgl. ebd, S. 9. Zu ihren Beteiligten zählten u. a. Margaret Mead und Gregory Bateson, vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 26. 298 Vgl. SUL, M 1237, Learning Conferences Correspondence 1986-1989, Box 68, Folder 3: S. Brand: „One Reflection on Group Learning“, S. 1-4; 3; vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 182. – Brand setzt diese interdisziplinäre

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 139

sche Begriffsformation kann einen Orientierungspunkt im Archiv darstellen und dabei Reaktivierungs- und Aneignungsmodi hin zur ‚lebenden Institution‘ Long Now Foundation fassen. Sie bewegen sich entlang der Konversation und bilden gleichzeitig die Begriffs- und Aneignungsserie um die Journey aus. Ziel der Learning Conferences ist es nämlich, eine Rhetorik für die an wirtschaftliche Umwelten anzupassenden Unternehmen auszubilden, die die Dynamik des zugehörigen Netzwerks auf das kollaborierende und kreative Kollektiv299 hin ausweiten. Diese wird gemeinschaftlich gefunden im Group Learning. Das charakteristische Verständnis von Learning bildet jene contact language aus: In Anlehnung an Turner kann in solch interdisziplinären Verhandlungsprozessen eine diskursive Richtung ausgemacht werden, die es erlaubt, die jeweiligen Beteiligten auf gemeinsamer rhetorischer Basis in Kontakt treten zu lassen. Eine contact language formiert sich dabei auf einer Gesprächsebene des „legitimacy exchange“300, die es zulässt, das Expertenwissen von Beteiligten aus einer bestimmten Disziplin zu legitimieren. Damit soll gewährleistet werden, die vielfältig gegebenen Ansätze aller Beteiligten im Austausch untereinander zu verknüpfen und folglich die vertretenen disziplinären Ausrichtungen mit einspielen zu lassen.301 Die Konversation folgt somit einer unter den Beteiligten stattfindenden contact language, „commonly used for coordinating work across multiple [...] professional communities“302. Diese diskursive Strategie zeigt sich angeeignet und reaktiviert in den Learning Conferences, deren gemeinsame Sprache einen rhetorischen Kreislauf ausbildet,303 der strategisch das Wissen in der Gruppe formiert („how groups

Ausrichtung, zurückgreifend auf seine Kontakte, in den Learning Conferences fort. So sind z. B. Mary Catherine Bateson (Tochter von Mead und Bateson) sowie Marvin Minsky beteiligt, die Brand aus dem MIT bekannt sind. Er richtet somit einen Zusammenschluss u. a. aus Anthropologie und Neurologie, Computeringenieurwesen, mit Danny Hillis, und der Biologie, mit Francisco Varela aus, vgl. SUL, M 1237, Box 54, Folder 12: „Shell Learning Conferences“, S. 1-4, hier S. 3-4. 299 Vgl. dazu SUL, M 1237, GBN 1992-1994, Box 84, Folder 5: J. Ogilvy: „Reconstructing Genius“, S. 1-18. 300 F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 25. 301 Vgl. ebd. 302 Ebd. 303 Vgl. Ebd., S. 183.

140 | V OM LANGEN J ETZT

learn“304 ), dieses im Netzwerk zirkulieren lässt, selbiges aufrechterhält („keep their network working“305 ) und die Beteiligten verbindet („they become friends“306 ). Hier kann nun eine Begriffsformation ausgemacht werden, sie das scenario planning in „Planning as Learning“ transferiert. Gekoppelt an die contact language bedeutet Learning bzw. Group Learning einen Prozess „of creating a new language, [..] a process of language development“307. Gleich der Vorstellung kollektiver wie kreativer Wissensformation ist Learning dabei nicht der Ertrag des Einzelnen, sondern entwickelt sich aus der Gesamtheit der Gruppe, 308 die einem „considerable learning as groups“309 folgt und „in common the process of ideas and [...] further group change“310 hervorbringt. Group Learning bildet eine das Netzwerk aufrechterhaltende, gegenseitig legitimierte und aus verschiedensten Bereichen schöpfende Konversation aus, deren Herkunft sich mit dem scenario planning verknüpft. Das bedeutet pointiert, dass die Begriffsformation aus Learning und der sich damit verknüpfende Transfer von Szenarien in Verwendungsfelder von GBN zu Long Now Foundation durch diese Konversation ebenso das charakteristische Storytelling hervortreten lässt: „Learning, in this perspective, is seen as doing what stories do – binding time, laying (and following) plot, becoming dramatic and memorable, rising out of the immediate occasion.“311 Diese Story, erzählt von der Long Now Foundation, bindet Zeit (in 20.000 Jahren, gemäß zukunftsentwerfender Szenarien auf die nächsten 10.000 Jahre perspektiviert), folgt einem Plotsetting vor allem durch die remarkable People of the Long Now, wird dramatisch und einprägsam durch den Mythos (‚provocative and plausible‘) und erwächst aus dem symptomatischen Status für eine Problematisierung des Jetzt. Für eine archäologische Genealogie kann hier erstens ein expliziter Hinweis darauf festgehalten werden, dass People of the Long Now als reaktiviertes oder

304 Ebd. 305 Ebd. 306 Ebd. 307 SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder1: A.P. DeGeus: „Planning as Learning“, S. 70-74, hier S. 74. 308 Vgl. SUL, M 1237, Learning Conference Correspondence 1986-1992, Box 63, Folder 2: „Organizational Learning“, S. 1-6, hier S. 1. 309 SUL, M 1237, Learning Conference Correspondence 1986-1992, Box 68, Folder 3: S. Brand: „One Reflection on Group Learning“, S. 1. 310 Ebd., S. 2. 311 SUL, M 1237, Learning Conference Correspondence 1986-1988, Box 62, Folder 1: S. Brand: „Learning Conferences, 31 Jan 89“, S. 1-2, hier S. 1.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 141

stabilisiertes network of remarkable people angesehen werden können: Dessen multidisziplinäre Komposition wird im Modus der Abfolge (von den MacyKonferenzen zu Learning Conferences über GBN) in der Long Now Foundation fortgeführt. So kommt hier ebenfalls ein Netzwerk unter Freunden (‚they become friends‘) zum Vorschein, wobei der Konversationsmodus tragendes Element für einen Place for Conversation wie auch für die Gründung der Stiftung aus der Konversation unter Freunden wird, die die Geschäftsidee zur Long Now Foundation entwickeln. Zweitens kann die Formation von Learning dahingehend als transferiert in das Stiftungsfeld angesehen werden, dass die spezifische Konversationsform des Netzwerks jenes nicht nur aufrechterhält. Vielmehr formiert diese Konversationsform zugleich das Storytelling, verknüpft mit dem scenario planning und der Konversation aus dem Group Learning.312 Drittens nun lässt sich vom Group Learning ein „learning system“313 ableiten, das das Selbstverständnis der Long Now Foundation mitkonstituiert. Da jede Learning Conference, in der das Group Learning die Leitfigur ist, auf der diskursiven und die Konversation aufrechterhaltenden Strategie einer contact language verfährt, handelt es sich um ein Learning System mit einer selbst aufrechterhaltenden Struktur.314 Damit wird also jene Dynamik aus der Gruppe und des Netzwerks erfasst, die auf die Long Now Foundation als ‚lebende Institution‘ schließen lässt. Denn neben einer multidisziplinären Ausrichtung äußert sich eine selbst aufrecherhaltende Struktur anhand steter Erneuerung und andauernder Bauprozesse (The Interval, Clock One). Zusätzlich ist dies gekoppelt an das Storytelling, dessen experimentelles Erzählen (aus den Szenarien) eben auch die Bau- bzw. Entwicklungsprozesse der Projekte erfasst, die ferner die Konversation nicht nur in Gang setzen (mit der 10.000-Jahre-Uhr), sondern diese aufrechterhalten. Dies wird im Laufe der Analyse zu einem spezifischen Projektcharakter zugespitzt, der eine oben benannte Mythosstiftung, aber auch Formen der Selbstinszenierung und sich fortschreibende paradoxale Ausrichtungen einbezieht, wenn

312 Dabei kann sich aus dem scenario planning der wahre Kern (‚real key is talking to people‘) mit einem gemeinsamen Nenner um Learning und der Relevanz für die Story verbinden (‚common tongue‘ und ‚language development‘; ‚Learning is seen as doing what stories do‘). 313 SUL, M 1237, Box 54, Folder 12: „Shell Learning Conferences“, S. 2; vgl. außerdem F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 182. 314 Siehe zu einer „self-creating structure“ SUL, M 1237, Box 54, Folder 12: „Shell Learning Conferences“, S. 2.

142 | V OM LANGEN J ETZT

die einzelnen Formationsprinzipien in der Geschäftsidee zur Long Now Foundation zusammenfallen können. Die zeitliche Streuung aus 1980er und ferner 1960/70er Jahren fährt zunächst jedoch mit Folgeformationen von Learning zu Journey fort. 2.2.5 Learning System und Learning Journeys Die vorangegangene Begriffsformation führt vom Learning System zur Journey, die zum einen auf die Analyse des Monuments Clock One im zweiten Teilbereich der Studie vorbereitet. Zum anderen kann sich das experimentelle Erzählen hier mit der Reise verknüpfen, da aufgeschlüsselt wird, woher eine angeeignete Journey, die sich im Besuch zur Clock One äußert, und dann auch ein Eventcharakter für einen Place for Conversation kommen. Hinter der Idee Learning Conferences an unüblichen Orten mit spezifischen Settings abzuhalten,315 steht die Strategie, Ideen der Gruppe und deren Wissensproduktion an eine bestimmte Umwelt anzupassen316 – einerseits, um jene selbst aufrechterhaltende Struktur zu festigen, anderseits jedoch um die Personen näher miteinander zu verbinden (‚they become friends‘). Eine solche intendierte verstärkende Funktion lässt sich für Denkprozesse eines long-term thinking erfassen, erstens verschoben auf den anvisierten Besuchsort der Clock One, zweitens auf jenen, realisiert in The Interval. Das Learning System (in Learning Conferences und dem GBN) nimmt hier nämlich „Learning Journeys“317 zu Veranstaltungsorten vor, die sowohl materiell als auch metaphorisch ausgeprägt sein sollen, „to simultanously study and engage with the ‚system‘ as it learned“318. Die Reise zur Clock One kann als fortge-

315 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 182; vgl. SUL, M 1237, Learning Conference Correspondence, 1986-1989, Box 62, Folder 1: „The Varieties of Learning“, S. 2; Box 54, Folder 12: „Shell Learning Conferences“, S. 4. 316 Diese äußert sich in einem „work environment“, siehe SUL, M 1237, Learning Conferences Correspondence 1986-1989, Box 68, Folder 3: S. Brand: „One Reflection on Group Learning“, S. 3. 317 SUL, M 1237, Learning Conference Correspondence, 1986-1989, S. Brand: „Schedule, Learning Conference #4“, S. 1-3; F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 182. 318 Ebd. – Solche Learning Journeys fanden beispielsweise am Esalen Institute in Big Sur, Kalifornien statt, vgl. SUL, M 1237, Learning Conference Correspondence, 1986-1989, Box 63, Folder 5: S. Brand: „Schedule, Learning Conference #4“, S. 13. – Das Esalen Institute ist ein „world-wide network of seekers who look beyond

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 143

setzte und aus dem Verwendungsfeld GBN angeeignete Learning Journey angesehen werden,319 innerhalb derer sich das long-term thinking materiell (in der Umgebung der Bristlestone Pine Trees) wie auch metaphorisch als ausgedehnte Reise und Ruhepause zeigt, wie eine ‚Diagnose der Gegenwart‘ bereits hervorheben konnte. Solche an ihre Umwelt einerseits angepassten wie aber auch durch ihre Umwelt repräsentierten Denkprozesse vermittelt zugleich The Interval, der öffentliche Besuchsort der Long Now Foundation. Hier wird das longterm thinking insgesamt in einem Place for Conversation verortet, zelebriert und mit themenspezifischen Events versehen.320 Mit der Long Now Foundation, und hier explizit The Interval, sieht sich ein solcher Ort realisiert, der zur Zeit der Learning Conferences noch als fraglich auftaucht: „[H]ow hard would it be to make an electronic room [...] which accumulates the product and byproducts of group work, [...] [h]ow far would one have to augment [...], so that we could go to our group playroom any time, from anywhere?“

321

Schließlich ist dieser zweifach zu finden, in The Interval sowie ein weltweiter ‚group playroom‘ oder ‚Spielplatz‘, der zu jeder Zeit, von jedem online-fähigen Ort aus in longnow.org erreichbar ist. Festzuhalten bleibt aber zunächst, dass die Long Now Foundation, anders als Entstehungskontexte rund um die Jahrtausendwende dies zeigen, einen Place for Conversation ausbildet, der auf diskursive Strategien aus der Forschungswelt des Kalten Krieges zurückgreift, die sich, als relevant für die Stiftung, in einem charakteristischen Verwendungsfeld der 1980er Jahre zeigt. Aus diesem können People of the Long Now als network of remarkable people extrahiert werden, deren Komposition in der Stiftung durch Modi der Abfolge und Reaktivierung

dogma to explore deeper spiritual possibilities; forge new understandings of self and society; and pioneer new paths for change“, siehe esalen.org, [home], http://www. esalen.org/ vom 17.10.2014. 319 In GBN entwickeln sich diese Learning Journeys fort zu den GBN World View Meetings, deren Organisatoren die Idee der Umwelt- und Lernanpassung hier fortsetzen, vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 190. 320 In seinen Ausführungen zur Learning Conference beschreibt Brand solche Umwelten, die das Learning System mit auf die Reise nehmen, anhand von Möbeln, Displays und Souvenirs, die sich also in The Interval in der Innenausstattung, der Ausstellung von Prototypen und der audiovisuellen Installation Enos zeigen. 321 SUL, M 1237, Learning Conferences Correspondence 1986-1989, Box 68, Folder 3: S. Brand: „One Reflection on Group Learning“, S. 4 [Herv. V.F.].

144 | V OM LANGEN J ETZT

fortbesteht. Die spezifische Gesprächsstrategie formiert dabei die Konversation als dieses Netzwerk einerseits aufrechterhaltend, andererseits als das Storytelling (mit Begriffsformationen von Learning und Journey) bestimmend. Dabei kann die Herkunft des Selbstverständnisses der Stiftung als eine ‚lebende Institution‘ aufgeschlüsselt werden, die ein long-term thinking in charakteristischen Umwelten bzw. Orten zu situieren und zelebrieren sucht. Es wird eine Konversation (unter Freunden) sein, aus der die Long Now Foundation hervorgeht, deren remarkable people eine Geschäftsidee entwickeln, die zugleich auf jenes Zelebrieren, die Journey und deren Event verweist. So kündigt sich an, inwiefern dabei ein ‚Gruppen-Spielplatz‘ ausgebildet wird, der gleichwohl auf brüchige bzw. paradoxale Ausrichtungen in der Stiftung verweisen kann. Der hier zugrundegelegten Anordnung aber weiter folgend, sind es die Journey und ein sich ausbildender ‚Gruppen-Spielplatz‘, der oben bereits auf longnow.org verwies, die dazu führen, die Genealogie der Long Now Foundation entzeitlicht in die Counterculture zu verfolgen. Denn wenn das GBN ein Bewusstsein für das an die Umwelt adaptierte Learning System schafft und anhand von interpersonellen wie auch informationellen Netzwerken (‚interpersonal and information networks‘) dieses Bewusstsein zu ‚technologischen und sozialen Systemen‘322 transferiert, dann treten GBN Computer Conferences hervor. Mit der erst durch diese Arbeit erfolgenden Anordnung für die Long Now Foundation rufen sie einen Weg zu longnow.org aus einer charakteristischen Technologieaneignung innerhalb der Counterculture auf. Gleichzeitig aber markiert die Journey ein Ereignis, das auf ein Spezifikationsraster ebenjener Counterculture zurückzuführen ist, „like the communal migrations of the back-to-the-landers“323 – die Gruppierung der New Communalists. 2.2.6 GBN Computer Conferences oder: Gruppierung der New Communalists Die GBN Computer Conferences bilden einen Bereich aus, der den vorherrschenden Konversationsmodus und die diskursive Dominanz eines gemeinsamen Nenners für das Group Learning in informationstechnologische Netzwerkforen324 verlegt. Mit ihm kann eine Möglichkeitsbedingung für eine in longnow.org verschobene und

322 Siehe F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 192: „GBNers ought to organize their lives in the light of the various technological and social ‚systems‘ within which they lived.“ 323 Ebd. 324 Zu Netzwerkforen vgl. ferner ebd., S. 194.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 145

ebenso lernende Gruppe ausgemacht werden. Für die Formierung des Archivs zur Long Now Foundation werden technologische Entwicklungen verstärkt berücksichtigt; insbesondere bilden Computer Conferences ein Scharnier zur Gruppierung der „New Communalists“325, die als Spezifikationsraster auftreten kann. GBN Computer Conferences bieten eine kontinuierliche und dialogische Online-Partizipation unter den Mitgliedern, etwa zu aktuellen Themen und solchen, die innerhalb der Network Conferences verhandelt werden.326 Schon hier kündigt sich, mit Verweis auf online-basierte Orte der Konversation, ein Bruch zum ausgedehnten langen Jetzt in einem unmittelbaren, flüchtigen Medium an – „[o]ften when major news is breaking, Members get online within minutes to discuss the implications“327 . Doch stellen GBN Computer Conferences ein Ereignis dar, das dem Learning System sowohl ein sozial wie auch technologisch vernetztes Arbeitsprogramm implementiert.328 Es ist folglich ein weiteres der verschiedenen GBN-Produkte, das die strategische und diskursive Gruppendynamik sowie die Struktur des Learning System aufrechterhält,329 eine Navigation durch Komplexität mit sich führend und vorantreibend. So wird die Konversation der Gruppenarbeit und des Learning System in informationstechnologische Orte verschoben, wobei bereits themenspezifisch vorgegangen wird und Diskurse verhandelt werden, die für die Geschäftsidee relevant werden.330 Der Fokus des GBN liegt dabei insbesondere auf wechselseitigen Verhältnissen, „a series of intersecting social and informational systems“331 . Die Gruppe verfolgt simultan „symbolic resources and social networks [...] and a networked style of working“332. Der symbolische Bereich rekurriert auf ein Learning Sys-

325 Der Begriff geht zurück auf F. Turner und wird im Laufe der Darstellung ausgeführt, vgl. ebd., insbesondere S. 4; 31-39. 326 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „Leaflet“, S. 4. 327 Ebd. 328 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 193. 329 Vgl. ebd., S. 194. 330 Ein exemplarischer Überblick verweist auf die sogenannte GBN Mailing List: SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 5: „Stewart Brand 4/2/98“, S. 1-2; SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 4: „GBN Principals 5/14/98“, S. 1-2; Box 86, Folder 3: „Brewster Kahle, 1/25/98“, S. 1-2. – Die Online-Konversation problematisiert hier vor allem eine durch die Initiatoren der Long Now Foundation so bezeichnete ‚Digitale Diskontinuität‘ (Digital Discontinuity) und verweist ferner auf Verbindungen zum Internet Archive, die bereits in Kap. 1 bekannt wurden. 331 F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 194. 332 Ebd., S. 193.

146 | V OM LANGEN J ETZT

tem, das sich seiner Umwelt anpasst und auf Strategien der Journey rückverweist. Dabei sucht sich das GBN spezifisch auszubilden – „as a site of revolutionary social change and interpersonal and informational networks“333. Dieses revolutionäre Potential, das m. E. ebenso eine bestimmten transformativen Erfahrung verbinden kann, entstammt der US-amerikanischen gegenkulturellen Bewegung der 1960er und 70er Jahre, spezifiziert durch die New Communalists. Während diese gegenkulturelle Bewegung gemeinhin unter dem Oberbegriff Counterculture zusammengefasst wird,334 weist das Spezifikationsraster der New Communalists auf eine sich hier abspaltende Gruppe, anhand derer explizit charakteristische Modi der Aneignung und Abfolge herauskristallisiert werden können. So sind innerhalb der Counterculture zwei distinkte Gruppierungen auszumachen: Die sogenannte New Left bezeichnet die politische Ausrichtung der gegenkulturellen Bewegung, die insbesondere Protestaktionen, vor allem bezüglich des Vietnamkrieges, fokussiert.335 Hingegen bilden die New Communalists einen Flügel mit einem distinkten revolutionären Potential aus: „that style echoed ideas, social practices, and attitudes toward technology that had emerged in the center of the cold war research world“336. Diese Ausrichtung mündet in der umfangreichsten Kommunenbildung US-amerikanischer Geschichte, und dabei erzielen die New Communalists „expanding conciousness and increasing interpersonal intimicy [...]; it was a means by which to build alternative, egalitarian communities“337. Anders als eine politische Orientierung bezeichnet diese Gruppierung eine deutliche Wende nach innen, adressiert an das Bewusstsein und zwischenmenschliche Intimität. Dies sollte nicht nur im Konzept der Kommune realisiert werden, sondern dafür werden benannte small scale technologies herangezogen, die als LSD, Psychedelic Rock sowie bewusstseinstransformierende Ausrichtungen aus dem Zen-Buddhismus338 hervortreten. Sie erscheinen in meiner Anordnung, da sie eine Herkunft sowie Möglichkeitsbedingungen für eine ausgedehnte Vorstellung vom Jetzt mitbestimmen können, an die das long-term thinking gleichsam als Werkzeug anschließt. Wenn dies nun einen eigentümlichen Technologie-Begriff nahelegt, ist darauf hinzuweisen, inwiefern sich dieser in einer archäologisch verfahrenden Ge-

333 Ebd., S. 194. 334 Eine ausführliche Studie zur Counterculture bietet T. Roszak: The Making of a Counterculture. 335 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 31. 336 Ebd., S. 32. 337 Ebd. 338 Vgl. ebd., S. 31.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 147

nealogie äußert, die sowohl soziale Praktiken als auch eine bestimmte Einstellung zu Technologie (‚social practices, and attitudes towards technologies‘) erfasst, was schließlich ein diskursiv-technisches Apriori pointiert und gleichzeitig die Verknüpfung zu GBN hervorhebt. Denn dass überhaupt von GBN als intimes bzw. interpersonelles und informationelles Netzwerk mit einem revolutionären Potential gesprochen werden kann,339 geht zurück auf dessen inhärente Verbindung zwischen Unternehmertum und gegenkulturellen Idealen und Praktiken, die zugleich in die Kybernetik reichen.340 Solche Praktiken wiederum, die der Forschungswelt des Kalten Krieges entstammen, wurden deutlich anhand des scenario planning. Andererseits konnten sie anhand der Konversationsformierung aus kollaborativen Netzwerken und einer diskursiven Dominanz hervortreten, die Learning und Journey fortschreiben, wobei zwischenmenschliche Intimität (im ‚network of friends‘) generiert werden soll. Wenn die Technologieaneignung, die hier noch genauer mit den New Communalists evident wird und eine erwähnte Wende nach innen verdeutlicht, dann bezieht dies nicht nur eine transformative Erfahrung ein, die für ein Denken des langen Jetzt konstitutiv und stabilisiert wird. Zugleich führt dieses Technologieverständnis zu einer Formierung von Netzwerkforen, als Möglichkeitsbedingung für webbasierte Konversationen und ferner für einen charakteristischen Place for Conversation. Außerdem werden kollaborative Netzwerke und eine Technologieaneignung in der den New Communalists vorangestellten Kunstwelt exemplifiziert, diese also auf das beobachtete Phänomen Long Now Foundation hin zugespitzt. So wird ein zweiter Bereich im diskursiv-technischen Apriori eingeleitet, der sich von den 1980er in die 1960/70er Jahre bewegt und Aneignungs- sowie Abfolgemodi und solche der Stabilisierung pointieren kann: Denn als relevant für die Entstehung und Herkunft der Long Now Foundation wird die Gruppierung um die New Communalists exemplarisch anhand des Whole Earth Catalog greifbar – das wichtigste, durch Stewart Brand publizierte, Begleitwerk zu jener Kommunenbewegung, als eine ‚Informationstechnologie‘341 , die Tendenzen sozialer wie technologischer Entwicklungen darstellt.

339 Rekurrierend auf die oben angegebene Ausbildung des GBN ‚as a site of revolutionary social change and interpersonal and informational networks‘. 340 GBN-Angebote „became a prime site for exploring the dynamics of emerging economic forms in terms set by the synthesis of countercultural and cybernetic practices and ideals“, F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 191. 341 Zum Whole Earth Catalog als „Information Technology“ siehe insbesondere ebd., S. 69-103.

148 | V OM LANGEN J ETZT

2.3 W HOLE E ARTH C ATALOG , DIE TRANSFORMATIVE E RFAHRUNG UND DIE F ORMIERUNG VON N ETZWERK FOREN Dass der Whole Earth Catalog als relevant für die Gegenwart extrahiert und dabei erfasst werden kann, inwiefern die Gruppierung der New Communalists gleichsam spezifiziert hervortritt, verdeutlicht seine Bedeutung als „access to tools“342 oder „access device“343, die eine hier auftretende Technologieaneignung wie -verschiebung ankündigt. Dies bezieht sich einerseits auf ein spezifisches Verständnis von Werkzeugen (tools), das zu erwähnten small scale technologies und zu in der Long Now Foundation fortgeführten charakteristischen und transformierenden Denkmodellen leitet. Andererseits führt dies zu jener Entwicklung von Netzwerkforen als Möglichkeitsbedingung für einen webbasierten Place for Conversation der Long Now Foundation. Beide Aspekte schränken zugleich das umfassende Forschungsfeld ein, das den Whole Earth Catalog umgibt.344 So tritt

342 So der Titel des Whole Earth Catalog, siehe S. Brand: Whole Earth Catalog. Access to tools. 343 Ebd., S. 2. 344 Aus der Fülle an Studien zum Whole Earth Catalog sei, neben F. Turner: From Counterculture to Cyberculture exemplarisch verwiesen auf J. Markoff: What the Dormouse Said, A.G. Kirk: Counterculture Green sowie F. Hartmann: „Der Blaue Planet“, Recherche – Zeitschrift für Wissenschaft (09.01.2010), http://www.recher che-online.net/frank-hartmann-der-blaue-planet.html vom 06.06.2012. Studien befassen sich vor allem mit dem Einfluss der Counterculture bzw. bestimmter Gruppierungen auf die kalifornische Computerindustrie und deren Unternehmertum. Zusätzlich widmete sich eine Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) dem Whole Earth Catalog, siehe D. Diederichsen/A. Franke: The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen. – Der Whole Earth Catalog erstellt dabei eine Bandbreite an Themen und Anknüpfungsmöglichkeiten, die von besagtem Einfluss auf die Computerindustrie und technologischen Folgeentwicklungen hin zu künstlerischen, ikonografischen und auch ökologischen Gebieten reichen. Nicht ohne Grund wird die HKW-Ausstellung auch im sogenannten Anthropozän-Projekt 2013/14 verortet, vgl. D. Diederichsen/A. Franke: „The Whole Earth“, S. 8-11, hier S. 8. Besonders interessant ist hier, dass der Whole Earth Catalog bezeichnet wird als „Archiv der kalifornischen Gegenkultur“, siehe ebd. Wollte man den Katalog als Archiv fassen, bezeichnet dies einen Teilbereich aus relevanten Ereignissen und Dingen in spezifischen Verwendungsfeldern. Der Katalog dient nicht nur der Spezifikation, sondern gerade um nicht im Unlesbaren zu verharren, erstellt er, neben zuvor dargestellten formierenden Ele-

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 149

das zerschneidende Deuten hier exemplarisch anhand des Ereignisses und Dings Whole Earth Catalog hervor, das entsprechend einem perspektivischen Wissen notwendig eingegrenzt werden muss. Es ist gleichsam eine Geschichte, eine Story um und von Stewart Brand, die den Whole Earth Catalog einleitet. In den 1960er Jahren, zur Zeit amerikanischer Raumfahrtprogramme, hinterfragt der Künstler und angehende Unternehmer Stewart Brand, auf einem Hausdach in Kalifornien sitzend (und auf LSD), warum es noch kein Bild von der ganzen Erde zu sehen gebe.345 Er startet die Kampagne „Why Haven’t We Seen a Photograph of the Whole Earth yet?“ 346. Buttons mit dieser Aufschrift werden verteilt, um die Freigabe eines Bildes vom Blauen Planeten durch die NASA zu erzielen.347 Durch die Presse gewinnt die Kampagne an Popularität348 und führt 1968 zum Erfolg: Ein Farbbild von der ganzen Erde erscheint auf dem Cover von Stewart Brands Whole Earth Catalog.349 Er avanciert zum Bestseller und zu einem prägenden Dokument der Counterculture,350 ausgerichtet auf deren Kommunenbewegung. Unterteilt in die Kategorien „Understanding Whole Systems; Shelter and Land Use; Industry and Craft; Communications, Community, Nomadics, Learning“351 bildet der Katalog eine Zusammenstellung von Gebrauchsgegenständen, die von der Axt zu Kanus und Tipis und deren Beschaffungsmöglichkeiten reicht. Insbe-

menten, einen Kristallisationspunkt für ein perspektivisches Wissen und für zugespitzte Lektüremöglichkeiten. 345 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 69-70; F. Hartmann: „Der Blaue Planet“ vom 06.06.2012; B.M. Scherer: „Vorwort“, S. 6; sowie F. Turner: „Die Politik der Ganzheit um 1968 – und heute“, S. 43. 346 F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 69: „I’m looking at San Francisco from 300 feet and 200 micrograms up and thinking that I can see from here that the earth is curved. [...] There were no public photographs of the whole earth at that time, despite the fact that we were in space program for about ten years. [...] How can I make this photograph happen? Because I have now persuaded myself that it will change everything if we have this photograph looking at the earth from space“, S. Brand zit. n. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 69. 347 Vgl. F. Hartmann: „Der Blaue Planet“ vom 06.06.2012. 348 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 69. 349 Vgl. ebd., S. 79; F. Hartmann: „Der Blaue Planet“ vom 06.06.2012; D. Diederichsen/A. Franke: „The Whole Earth“, S. 8; D. Diederichsen: „Pop-Musik und Gegenkultur: die ganze Welt und jetzt“, S. 20-31, hier S. 20; S. Brand: Whole Earth Catalog. 350 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 71. 351 S. Brand: Whole Earth Catalog, S. 1.

150 | V OM LANGEN J ETZT

sondere umfasst er Bücherlisten zu verhandelten Themenfeldern, beispielsweise die Kybernetik sowie Ansätze Buckminster Fullers und Marshall McLuhans betreffend.352 Darunter finden sich ebenso Anleitungen, etwa zu „Organic Gardening“353, „Zen Buddhism“354 oder „Psychedelics“355 , inklusive Erste-Hilfe-Anleitung im Falle von Überdosierungen. Ferner umfasst der Whole Earth Catalog, vor allem in seiner Folgeentwicklung, auch solche Themenfelder, die sich explizit mit Informationstechnologien befassen, wie etwa „Home Computers, Computer Networking, Computer Age“356. Weder als Magazin noch als gängiger Bestellservice, sondern vielmehr als Konglomerat an zusammengelisteten Gegenständen oder Theorien bzw. verwandten Büchern bildete der Whole Earth Catalog ein Publikationsnovum,357 das sich zwar in eine Fülle an Do It Yourself-Ratgebern einreihen ließe,358 doch markant durch seine Unübersichtlichkeit hervortritt. An dieser Stelle dient dies einer einführenden Illustration in den Katalog, was später zusätzlich an das spezifische Verständnis von Learning rückbinden kann.

352 Vgl. ebd., S. 3-4. 353 Ebd., S. 21. 354 Ebd., S. 58-59: Aus der Sektion Learning etwa, die zusätzlich die Begriffsformation für GBN und das Learning System hervorruft, werden Anleitungen und Bücher zur „Sense Relaxation; Self-Hypnotism“ und „Psycho-Cybernetics“ angegeben, siehe ebd. 355 S. Brand: Last Whole Earth Catalog, S. 412. 356 S. Brand: The Next Whole Earth Catalog, S. 530-539. – Wie später noch deutlicher werden soll, steht der Whole Earth Catalog nicht nur repräsentativ für die Counterculture bzw. New Communalists, wie mit Turner dargestellt, sondern generiert eine Fülle an Folgepublikationen, die außerdem zu einem sich erweiternden Produzentennetzwerk führt. So ein Überblick über die Whole Earth-Publikationen: Whole Earth Catalog 1968; Last Whole Earth Catalog 1971; The Updated Last Whole Earth Catalog 1974; Whole Earth Epilog 1974; The Next Whole Earth Catalog 1980; The Essential Whole Earth Catalog 1986; The Electronic Whole Earth Catalog 1989; H. Rheingold: The Millennium Whole Earth Catalog 1994. 357 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 71. 358 Vgl. SUL, Stewart Brand Editorial Files, M 1045, Whole Earth Catalog Miscellaneous 1981-1982, Box 45, Folder 4: S.C. Florman: „Do It Yourself Is the Message“, S. 1-4.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 151

Abbildung 2.1: Auszüge Whole Earth Catalog

Whole Earth Catalog 1968, Cover; Whole Earth Catalog 1968, S. 21; Last Whole Earth Catalog 1973, S. 322-323

Hier ist nun vorrangig ein Blickwinkel interessant, der den Whole Earth Catalog erfasst als „kulturtechnisches Werkzeug [...], welches die computertechnischen Möglichkeiten wie Browser und Suchmaschinen antizipiert“359 habe. In Diskursen um den Katalog wird dann gerne auf Apple-Gründer Steve Jobs verwiesen: „When I was young, there was an amazing publication called The Whole Earth Catalog, which was one of the bibles of my generation ... It was sort of like Google in paperback form, 35 years before Google came along. It was idealistic and overflowing with neat 360

tools and great notions.“

Als ‚kulturtechnisches Werkzeug‘ verbindet sich der Katalog mit jenem Selbstverständnis als ‚access to tools‘, was explizit den intendierten Zweck und die Funktion desselben hervortreten lässt:

359 F. Hartmann: „Der Blaue Planet“ vom 06.06.2012. 360 Steve Jobs zit. n. F. Hartmann: „Der Blaue Planet“ vom 06.06.2012.

152 | V OM LANGEN J ETZT „PURPOSE We are as gods and might as well get used to it. [...] [A] realm of intimate, personal power is developing – power of the individual to conduct his own education, find his own inspiration, shape his own environment, and share his adventure with whoever is interested. Tools that aid this process are sought and promoted by the WHOLE EARTH CATALOG. FUNCTION The WHOLE EARTH CATALOG functions as an evaluation and access device. With it, the user should know better what is worth getting and where and how to do the getting.“

361

In einer archäologisch verfahrenden Genealogie sind es nun Folgeentwicklungen, die eine kulturelle wie auch medientechnische Relevanz dieses Ereignisses und Dings hervortreten lassen. Erstens ist es eine sich ankündigende transformative Erfahrung, die auf den Nutzer des Katalogs einwirken soll. Sie führt nicht nur zu künstlerischen Verwendungsfeldern um den Funktionsträger Brand, sondern lässt eine charakteristische Denkweise hervortreten, die sich in der Long Now Foundation stabilisiert und fortgeführt wird. Zweitens deutet jenes ‚kulturtechnische Werkzeug‘ auf eine kulturtechnische Vorläuferposition des Katalogs, innerhalb derer die Formierung von Netzwerkforen ausgemacht werden kann, sodann als Folgeentwicklung, die einen Place for Conversation mit bedingt. In beiden Bereichen können Verknüpfungen zu GBN wie auch direkte Verbindungen zur Long Now Foundation aufkommen, die aus dem perspektivischen Wissen resultieren. Eine transformative Erfahrung setzt mit dem Bild vom Blauen Planeten an. Erstmalig entsteht eine Sicht auf die ganze Erde aus einer ‚Götterperspektive‘, was unmissverständlich in der Funktion des Katalogs aufgegriffen wird:362 Wie oben mit Zweck und Funktion verdeutlicht, beschreibt der ‚Göttervergleich‘ mit aufkommender individueller Macht (‚we are as gods‘ mit ‚developing personal power‘) eine Bewegung oder vielmehr Umkehr von einer Außenperspektive hin zu einer Wende nach innen.363 Die Fotografie von der ganzen Erde tritt gekop-

361 S. Brand: Whole Earth Catalog, S. 2 [Kapitälchen i.O. fett, Schrift kursiv]. 362 Vgl. hierzu auch A. Franke: „Earthrise und das Verschwinden des Außen“, S. 12-19, hier S. 16. 363 Im Rahmen der HKW-Ausstellung „The Whole Earth“ ist vielmehr die Rede von einer „Kippfigur“, die insbesondere die ‚Ikone‘ des Atompilzes innerhalb des Kalten Krieges ablöst und zu einem andersgearteten Ökologieverständnis führt, siehe ebd. Außerdem wird hier ausführlich ein holistisches wie problematisches Weltbild jener gegenkultuellen Bewegung verhandelt: „Die Negation des Rahmens ist der größte

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 153

pelt mit jenem anwendungsorientierten Katalog auf; zur Bildung und Formation des Kommunenlebens (,to shape his own environment‘). Aus dieser Perspektive und zugleich ein verstärktes Ökologiebewusstsein aufgreifend, kann hier Brand gefolgt werden: „For the first time humanity saw itself from outside [...].The photograph of the whole earth from space helped to generate a lot of behavior – the ecology movement, the sense of global politics, the rise of the global economy, and so on. I think all of those phenomena were, in some sense, given permission to occur by the photograph of the earth from space.“

364

Wenn dem Whole Earth Catalog als kulturtechnisches Werkzeug eine Vorläuferposition zugeschrieben werden kann, was noch genauer ausgeführt wird, ergibt sich ebenso eine Vorreiterposition hinsichtlich intendierter bewusstseinsverstärkender Denkweisen, die eine transformative Erfahrung in ein Denken des langen Jetzt münden lassen: Brands Initiative zur Veränderung gängiger Denkmodelle – hier ein alternativer Blick auf die Erde, gepaart mit einem holistischen Anspruch, der zugleich individuelle Macht gewährleisten soll – generiert einen Kristallisationspunkt für ein Bewusstsein von einer transformativen Erfahrung. Dieses kennzeichnet Folgeentwicklungen durch bestimmte Funktionsträger, vor allem Brand und Schwartz, wobei sich diese Erfahrung angeeignet in weiteren Gruppierungen oder Abspaltungen (GBN, Long Now Foundation) stabilisiert. So ist die transformative Erfahrung tragendes Element im GBN scenario planning mit einer intendierten geistigen Umkehr (mental shift). Diese erscheint transformiert in der Long Now Foundation, nämlich Gedanken und Wahrnehmungen von Vergangenheit und Zukunft für die Gegenwart zu organisieren365 und das Jetzt zu einem langen Jetzt umkehren bzw. ausdehnen zu wollen. Zusätzlich erinnern Zweck und Funktion, wie sie im Whole Earth Catalog dargestellt sind, an Zweck und Funktion im GBN, das ebenso den World View Service als Instrument und damit als Werkzeug anbietet.366 Hinzu finden sich jene im Whole Earth Catalog beschriebene Initimität und individuelle Macht, die

Rahmen“, siehe ebd. – Zur Wende bzw. zu einer „Reise nach innen“ siehe D. Diederichsen: „Pop-Musik und Gegenkultur: die ganze Welt und jetzt“, S. 24. 364 Brand zit. n. Smithsonian Photographie Initiative, http://click.si.edu/Story.aspx? story=31 vom 05.12.2013. 365 Vgl. dazu die vorherige Aussage aus dem scenario planning: ‚organizing thoughts and perceptions about the past and future in order to reveal implications for the present‘. 366 Zu Zweck und Funktion des GBN World View Service vgl. Anm. 361.

154 | V OM LANGEN J ETZT

noch an das Kommunenleben gerichtet sind, im Netzwerk unter Freunden, interpersonell und informationell.367 Learning bzw. das Learning System deutet dabei ebenso auf eine angeeignete und stabilisierte Zweckorientierung, wie Brand sie im Katalog proklamiert.368 Inwiefern solche Abfolge- und Aneignungsmodi und auch solche der Stabilisierung explizit in die Long Now Foundation einfließen, kann die Long-NowGeschäftsidee einerseits, der abschließende Ort der Befragung andererseits noch zeigen. An dieser Stelle tritt zunächst jene transformative Erfahrung hervor, die sich rekurrierend auf den Whole Earth Catalog und in direkter Verbindung zur Stiftung extrahieren lässt: Das Diktum ‚we are as gods‘ taucht 2011 in der über longnow.org erreichbaren und gesondert verlinkten Webseite zur 10.000-JahreUhr, 10000yearclock.net, auf. Es ist das einleitende Zitat der Webseite: „We are as gods and we might as well get good at it“ und „We are as gods and HAVE to get good at it“369 . Hier kündigen sich also bereits ‚Absolutheitsansprüche‘ an, die nicht nur auf eine Brüchigkeit der Kommunenbewegung verweisen, sondern ebenso in die Long Now Foundation einfließen und in der Analyse mitschwingen. An dieser Stelle kann die direkte Verbindung zwischen einer transformativen Erfahrung, wie sie mit dem Whole Earth Catalog auftaucht, und einem langen Jetzt ausgemacht werden: „‚Now‘ is the period in which people feel they live and act and have responsibility. For most of us, ‚now‘ is about a week, sometimes a year. Just as the Earth photographs gave

367 Wie oben angegeben zielt der Whole Earth Catalog auf ein ‚realm of intimate, personal power‘, das im GBN mit dem ‚network of friends, interpersonal and informational‘ auftreten konnte. 368 Sie tritt in Zweck und Funktion des Whole Earth Catalog hervor mit ‚to conduct his own education‘. 369 10,000yearclock.net, http://www.10000yearclock.net/ vom 14.07.2011 [Herv. i.O.]. – Hier sei darauf verwiesen, dass die Webseite in der hier zitierten Form bereits nicht mehr besteht, sondern sich im Laufe ihres Bestehens verändert – maßgebliche Kennzeichen einer jeden Webseite, etwa durch Editieren, Einfügen neuer Textfragmente, bilder, Videos etc. So kündigt sich bereits ein Bruch mit dem long-term thinking an, das in ein flüchtiges, wandelbares Medium verlagert wird, was in Kap. 3 ausführlich bearbeitet wird. Dabei wird ebenso auf ein externes Werkzeug außerhalb von longnow.org zurückgegriffen, die Wayback Machine des Internet Archive, um diesem Wandel folgen zu können.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 155

us a sense of ‚the big here‘, we need things which gives people a sense of ‚the long 370

now‘.“

Für das lange Jetzt und eine intendierte Etablierung im öffentlichen Diskurs tritt also eine Herkunft und Folgeentwicklung, mit zugehörigen Abfolge-, Aneignungsund Stabilitätsmodi, hervor, die zurückreicht in die 1960er Jahre und dabei ebenso Verwendungsfelder der 1980er Jahre erfasst. So wird ein Kristallisationspunkt einer transformativen Erfahrung lesbar, indem sich eine bewusstseinsverstärkende Funktion mit dem Whole Earth Catalog äußert und in einer stabilisierenden Folgeentwicklung hin zu einer intendierten Bewusstseinserweiterung durch das lange Jetzt fortsetzt. Dem Whole Earth Catalog sind Ereignisse und Dinge inhärent, die eine Möglichkeitsbedingung dafür herauskristallisieren, woher die Idee für bewusstseinstransformierende Ansätze kommen kann, die sich also in einem langen Jetzt stabilisieren. Bevor diese zu Verwendungsfeldern der Kunstwelt gelangen, anhand derer die Herkunft und Stabilisierung der transformativen Erfahrung ausdifferenziert wird und die Abfolge zur Long Now Foundation und auch gewisse Spannungen in deren Geschäftsidee aufzeigt werden können, geht es um die zweite Entwicklungsebene um den Whole Earth Catalog. Hier schließen solche Folgeentwicklungen an, die neben eine mögliche Herkunft und Entstehung von charakteristischen Denkmodellen in der Long Now Foundation medientechnische Bedingungen stellen. Bezüglich nun einer kulturtechnischen Vorläuferposition, die dem Whole Earth Catalog zugeschrieben wird, wie es etwa in Anlehnung an Hartmann deutlich wurde, erscheint es zunächst fraglich, inwiefern ein Printmedium einen Vorläufer für digital operierende Suchmaschinen darstellen kann. Was hier aber herausgestellt werden kann, sind mediale Transformationen als Folgeentwicklungen, die um den Katalog ausgemacht werden können und damit an die hier zu formulierende ‚Geschichte der Gegenwart‘ heranführen: Um das Druckwerk Whole Earth Catalog entsteht nicht nur ein stetig wachsender Leserkreis, sondern ebenso ein Produzentenkreis durch Kommentieren und erweiterte Angaben zu den Katalogausgaben. Insbesondere der Funktionsträger Brand generiert den „link between very different countercultural, academic, and technological communities [...], he gathered those communities into a single textual space“371 . Dieser

370 S. Brand: „Reframing the Problems“, longnow.org (11.02.1999), [Abot: Essays], http://longnow.org/essays/reframing-problems/ vom 02.12.2014. 371 F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 72.

156 | V OM LANGEN J ETZT

‚textuelle Raum‘ verweist dabei auf ein Publikationskontinuum,372 mit dem jene mediale Folgeentwicklung hervorgehoben werden kann, was gleichsam an die Konversation als Werkzeug aus dieser Entwicklung rückkoppelt und diese hervorhebt. Erweiterungen der Whole Earth-Publikationen erscheinen zunächst im Begleitheft des sogenannten Supplement.373 Es kann angesehen werden als ein Feedback-Werkzeug zum Katalog, das etwa anhand von Leserbriefen, Kommentaren und vor allem einer anwachsenden Autorschaft den Lesern nicht nur zeigt, wo jener ‚access to tools‘ angewandt werden kann, sondern es ermöglicht, untereinander in Kontakt zu treten:374 „Together, the Catalog and the Supplement became textual forums within which a geographically dispersed collection of individuals and groups could come together, [...] and recognize each other as members of a single community.“375

Geht es also um Modi der Abfolge bzw. um die Formation von Folgeentwicklungen, so erstellt der Whole Earth Catalog ein Ereignis als Bindeglied im genealogischen Gefüge, das – rekurrierend auf die Herkunft – sich ferner formierende Gruppierungen und Abspaltungen vorweisen kann. Begleitmaterial des Supplement wird dann fortgeführt zu einer weiteren eigenständigen Publikation der CoEvolution Quarterly.376 Anders als ein Konglomerat an Auflistungen entsteht ein eigenständiges Magazin zu verwandten Themen, die sich aus dem Whole Earth Catalog ergeben. Seine Fülle an Folgepublikationen generiert editorische Praktiken377 und erstellt ein wachsendes Produzenten-Netzwerk, das sogenannte Whole Earth Network.378 Das Ereignis und Ding Whole Earth Catalog, aus dem sich dieses Netzwerk formiert, kann dabei zusätzlich, und insbesondere für mediale Transformationen relevant, als ‚am Puls der Zeit‘ operierendes Medium angesehen werden: Nachdem 1974 die Pub-

372 Dies knüpft nochmals an die methodische Herangehensweise einer diskontinuierlichen Anordnung an, innerhalb derer das Kontinuum nicht negiert, sondern vielmehr wechselseitig mit der Diskontinuität in Verbindung tritt. 373 Vgl. exemplarisch Brand 1969; 1970: Supplement to the Whole Earth Catalog, 3 (1969); 7 (1979). 374 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 81. 375 Ebd., S. 89 [Herv. i.O.]. 376 Vgl. ebd., S. 97. 377 Vgl. ebd., S. 81. 378 Vgl. ebd., insbesondere S. 3; 238-239.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 157

likation des Whole Earth Catalog zunächst offiziell eingestellt wird,379 entsteht aus jenem Netzwerk der Whole Earth Software Catalog: „It would do for computing what the original had done for the counterculture: identify and recommend the best ‚tools‘ as they emerged.“380 So wird der zunehmende Blick der New Communalists bzw. des Whole Earth Network zu informationstechnologischen Entwicklungen und deren kultureller Relevanz deutlich, wobei eine so entstehende Software Review, u. a. mit Kevin Kelly als Rezensent, hervortritt. Die Sofware Review fusioniert mit CoEvoltion Quarterly, um schließlich die Whole Earth Review zu formieren.381 Noch auf Seiten der Printmedien verbleibend, leitet gerade jene forcierte Zuwendung zur Computertechnologie zu Wired, bis heute ‚Organ‘ aktueller Netzkultur und Computertechnologie, und schließlich zugänglich unter wired.com. Es entsteht aus dem Whole Earth Network, sodann mit dem Funktionsträger Kevin Kelly.382 Auch wenn hier nicht detailliert auf die einzelnen Publikationen eingegangen werden kann, dienen sie dazu, eine Folgeentwicklung um den Whole Earth Catalog als kulturtechnisches Werkzeug hervortreten zu lassen, das sich dann zusätzlich mit einer diskursiven Dominanz verbindet, die bereits aus dem GBN deutlich wurde und schließlich zu jenem webbasierten Place for Conversation der Long Now Foundation führt. Jener ‚textuelle Raum‘ nämlich, der mit dem Whole Earth Catalog ausgemacht werden kann, formiert ein sogenanntes „Network Forum“383. Damit verbunden kann ein kulturtechnischer Vorläuferstatus nun verdeutlichen, inwiefern vom Druckwerk zu verschiedenen Erweiterungen und medialen Transformationen geführt werden kann, die das Whole Earth Network und dessen Konversation einerseits in computertechnische Kommunikationsplattformen verlagern, andererseits ein diskursiv-technisches Apriori, aus kollaborativen Netzwerken und diskursiver Dominanz, hervorheben: „Think tanks, conferences, [...] – all can serve as forums in which one or more entrepeneurs gather members of multiple networks, allow them to communicate and collaborate, and so 384

facilitate the formation of both new networks and new contact languages.“

379 Vgl. ebd., S. 97. 380 Ebd., S. 129. 381 Vgl. ebd., S. 129-132. 382 Vgl. ebd., S. 223. 383 Ebd., S.72. 384 Ebd., S. 73.

158 | V OM LANGEN J ETZT

So entstehen aus dem stetig anwachsenden Produzentenkreis des Whole Earth Network Kommunikationsformen und Konversationsplattformen, die sich insbesondere 1985 in The WELL, dem Whole Earth ‘Lectronic Link, zeigen. Es ist eine erste telekommunikative Onlineplattform, die den Austausch, die diskursive Dominanz des Netzwerks wie auch jenen ‚access to tools‘ in ein neues Erscheinungsgebiet übersetzt und seine mediale Form transformiert.385 Herzstück von The WELL sind Konversationen, etwa zu Themen wie „Arts, Entertainment and the Media; Computers, Tools, and Science; Mind Spirit and Health“386. Und gerade solche Konversationen generieren ein Selbstverständnis von einem ‚Geburtsort für Online-Gemeinschaften‘387 . Wie dann aus GBN Computer Conferences hervorgehen konnte, wird die Online-Konferenz und damit die Konversation des network of remarkable people, das wiederrum, etwa mit Brand und Schwartz, aus dem Whole Earth Network hervorgeht, in The WELL verlagert. Es erstellt die Plattform für ein Instrument oder Werkzeug des World View Service,388 für ein interpersonelles and informationelles Netzwerk, wie es bereits die Kommune erstellen sollte, repräsentiert durch das Ereignis und Ding Whole Earth Catalog. Um dabei die Gruppierung um den GBN World View Service zu vervollständigen, ist mit Verweis auf den Whole Earth Catalog auch der GBN Book Club herzuleiten. Er kann transformiert aus jener Fülle an aufgelisteten Büchern hervorgehen, die Brand im Whole Earth Catalog seinen Lesern anbietet und die schließlich für GBN-Mitglieder als Mitgift, ebenso durch Brand ausgewählt, auftauchen. Nicht nur erinnert dies an jene Produkte aus The Interval der Long Now Foundation, sondern dessen Manual

385 Eine ausführliche Studie zu The WELL findet sich bei H. Rheingold: Virtuelle Gemeinschaft; vgl. ferner F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 141-174. 386 The WELL, www.well.com, [Conferences], http://www.well.com/conference.html vom 03.12.2014. 387 So der Untertitel für The WELL: „birthplace of the online community movement“, siehe ebd. [Home], http://www.well.com/ vom 03.12.2014. 388 Vgl. exemplarisch Konversationen der Mitglieder ausgehend von Benutzerkonten in The Well (sogenannte well-accounts), M 1237,, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 5: „Stewart Brand 4/2/98“, S. 1-2 sowie SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 4: Hillis, 25. July 1995: „Millennium Clock Draft“, S. 1-3, was hier also bereits auf die Konversation unter Freunden verweist, die die Long-Now-Geschäftsidee vorbereiten, und ebenso auf die People of the Long Now.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 159

for Civilization kann angesehen werden als transformierte Zusammenstellung von Büchern, gleichsam ausgewählt wie einst für das Kommunenleben.389 Abschließend kann die hier erschlossene mediale Transformation von einem Printmedium in Konversationsforen pointiert werden zu jenem Place for Conversation, den die Long Now Foundation auszubilden sucht, was gleichzeitig eine ‚Geschichte der Gegenwart‘ aus entzeitlichter Vergangenheit von 1960er und 1970er bis hin zu Verwendungsfeldern der 1980er Jahre hervorhebt. Denn „the type of conversation it facilitated – and the multiple media forms within which those conversations took place – would become key features of the Whole Earth group’s influence in the years to come“390. Für den vorliegenden Zusammenhang ist dieser Einfluss der kommenden Jahre, bis in die Gegenwart, eben auch in der Long Now Foundation zu verorten. Denn es konnte aufgezeigt werden, inwiefern in ihr einerseits ein network of remarkable people auftaucht, das sich aus dem Whole Earth Network mit formiert und sich beispielsweise anhand von Brand, Schwartz und Kelly zeigt. Andererseits konnte jene transformative Erfahrung, die zusätzlich in GBN weitergetragen wird, um den Whole Earth Catalog extrahiert werden. Dies markiert also gleichzeitig eine Verschiebung, die im Laufe der Analyse weiterverfolgt werden kann, über charakteristische Kunstfelder zum long-term thinking der Long Now Foundation. Schließlich ist die Folgeentwicklung medialer Verschiebungen der Konversation anzusehen als Möglichkeitsbedingung für einen webbasierten Place for Conversation; die Bedingung also dafür, dass jenes Netzwerk unter Freunden oder das der (selbsternannten) remarkable people seine Konversation in onlinebasierte Plattformen verlegen kann. Inwiefern dabei ein ‚Gruppen-Spielplatz‘ für die Beteiligten etabliert werden soll, zeigt explizit die Geschäftsidee für die Long Now Foundation. In der archäologisch verfahrenden Genealogie ging es an dieser Stelle darum, zu klären, woher solche Formationen oder Verschiebungen kommen können. So kann ebenso darauf verwiesen werden, dass die Folgeentwicklung von

389 Diese Auswahl tritt in The Interval mit der Intention hervor ‚to restart civilization‘, vgl. Kap. 1, Anm. 181. Dies rekurriert zunächst auf das scenario planning, wie ein ‚Neustart der Zivilisation‘ nahelegt. Zusätzlich aber ist der Long Now Foundation ein Selbstverständnis zu entnehmen, mit dem sie sich ein Expertentum zuschreibt, das über eine Kanonbildung kulturell relevantester Literatur entscheiden könne. Andererseits deutet dies auf deren Bestreben, Inspiration anbieten zu wollen, und auf eine Selbstinszenierung, die noch genauer aufgegriffen wird und dann in der Analyse mitschwingt. 390 F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 132.

160 | V OM LANGEN J ETZT

medialen Transformationen oder Verschiebungen darauf zielt, die ‚Whole Earth Datenbank‘ 391 auszubilden, sodass sich bereits ein transformiertes Navigieren durch Komplexität ankündigt. Wurde nämlich einleitend zum Whole Earth Catalog auf seine Unübersichtlichkeit verwiesen, kann ein das Learning System mitkonstituierendes Element ausgemacht werden, das der Whole Earth Catalog als ,selbst aufrechterhaltendes System‘ 392 generiere. Denn, so Brand, „[w]hat you’re are trying to do is nourish and design an organism which can learn and stay alive while it’s learning“393 . Dies bereitet gleichsam auf ein Navigieren durch Komplexität in der Datenbank longnow.org394 vor, der ein charakteristisches Learning eigen ist, das sich aus hier verdeutlichten Verwendungsfeldern formiert. Das hier perspektivisch angeordnete Archiv kann dann nicht nur auf die Long Now Foundation als ‚lebende Institution‘ vorbereiten, sondern darauf, wie sich dieses Learning an eine Medienkompetenz des Users bindet und ferner die Journey in den Projektcharakter der Stiftung aufgenommen und hier angeeignet wird. Bindet man dabei zurück an das Phänomen Long Now Foundation, das nur in Oppositionen aufgehen kann, so muss dieses eigentümliche Learning einen Weg zur Kunstwelt formieren, aus der Brand schöpft, denn „[f]om (sic!) Ken Kesey, he learned how to teach and lead, not by lecturing or demonstrating, but by staging the conditions of the learning experience“395 . Ken Kesey konnte kurz in der Einleitung auftauchen, wird nun aber als maßgeblicher Funktionsträger der 1960er Performance-Kunstgruppe Merry Prankster deutlicher. Die Verknüpfung zur Kunstwelt ermöglicht es, sowohl vertieft auf eine transformative Erfahrung einzugehen als auch – kollaborative Ausrichtungen, die Journey wie auch eine Bewusstseinsverstärkung aufgreifend – auf „holistic media environments“396 , was in der Stiftung charakteristisch aufgenommen oder fortgesetzt wird. Dann mit der Unübersichtlichkeit des Whole Earth Catalog schließend, was zugleich ein Navigieren durch Komplexität fortsetzt, das genealogisch aus der

391 Zu „building the Whole Earth Database“ siehe SUL, M 1045, Whole Earth Catalog Miscellaneous 1981-1982, Box 45, Folder 4: „The Next Whole Earth Catalog“, S. 13, hier S. 1. 392 Dabei erscheint der Katalog als „self-sustaining system“, siehe F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 90. 393 S. Brand, zit. n. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, siehe ebd. 394 Vgl. dazu Kap. 3. 395 SUL, M 1045, Whole Earth Catalog Miscellaneous 1981-1982, Box 45, Folder 4: „Story: NWholeEarth“, S. 1-15, hier S. 11. 396 F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 69.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 161

Begriffsformation um Learning hervortritt, verweist die Anordnung um den Whole Earth Catalog auf Stewart Brand als „a man perpetually in a learning mode, perpetually evolving, always inviting charges of self-contradiction“397. Eine solche Widersprüchlichkeit markiert einen Leitfaden, der in der Long-NowGeschäftsidee mit den extrahierten Formationsprinzipien zusammenkommt. Zudem lässt er weiter auf das Phänomen Long Now Foundation schließen, das sich aus Oppositionen formiert, die ein Denken der Paradoxie begleiten. 2.3.1 Cybernetic Art Worlds oder: „Feed Your Head“ Der Blick auf sogenannte „Cybernetic Art Worlds“398 wird nun auf folgende Weise für eine Entstehung und Herkunft der Long Now Foundation relevant: Erstens kann hier, in aller Kürze, die Herkunft jener kollaborativen Ausrichtung weiterverfolgt werden, die anhand des Funktionsträgers Brand in anschließende Verwendungsfelder getragen wird und bereits aus dem network of remarkable people des GBN bekannt wurde. Zweitens kann aus der Kunstwelt jene transformative Erfahrung und damit eine Wende nach innen, die als Bewusstseinveränderung zu einem langen Jetzt bzw. einem long-term thinking in der Stiftung stabilisiert wird, zu besagter Technologieaneignung pointiert werden. Sie wird auf die sich aus der Kunstwelt ergebenden small scale technologies zugespitzt, die dann, wie bereits deutlich werden konnte, den Whole Earth Catalog betreffen, wobei bereits ein informationstechnologisches Verständnis der sich abspaltenden Gruppierungen hergeleitet werden konnte. So kann erneut die Formation der Strategien in der archäologisch verfahrenden Genealogie bzw. deren Archiv hervorgeholt werden, worin Aneignungsprozesse selbst die Methode ausmachen; hier sowohl dem Gegenstand selbst innewohnend als auch auf die herzuleitende Herkunft und Entstehung des beobachteten Phänomens bezogen. Innerhalb dieser Perspektive ist ebenso ein spezifisches Verständnis vom Jetzt auszumachen, das es als ausgedehnt erscheinen lässt.

397 SUL, M 1045, Whole Earth Catalog Miscellaneous 1981-1982, Box 45, Folder 4: „Story: NWholeEarth“, S. 11. 398 Siehe zum Begriff F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, insbesondere S. 45-51. Brand entwickelt hier ein Kunstverständnis, das ebenso auf seine Auseinandersetzung mit der Kybernetik zurückzuführen ist und somit auf jene kollaborative Ausrichtung, die er in die folgenden Verwendungsfelder trägt und die dort angeeignet werden.

162 | V OM LANGEN J ETZT

Drittens kann ein Verständnis von Learning an die Journey gekoppelt werden, die sich aus der Gruppierung der New Communalists ergibt. Damit wird zum einen auf einen spezifischen Projektcharakter vorbereitet, wie er sich in der Long Now Foundation zeigt, zum anderen auf eine Produktvermarktung der transformativen Erfahrung. Dies bündelt sich in der Long-Now-Geschäftsidee als Herkunft und Entstehung aus der Konversation einerseits, aus dem Unternehmertum der 1980er Jahre andererseits – der jene Technologieaneignung und damit die transformative Erfahrung inhärent ist. Im Rahmen der Cybernetic Art Worlds ist Brand als lernender Teilnehmer zu verstehen, wobei die Kunst als eine Methode erscheint, die am nächsten an kollaborativen Ausrichtungen operiere.399 Es entsteht eine künstlerische Praxis „as a leveled collaboration among artists, audience, and materials“400. Maßgeblich beruht diese auf dem Happening aus der Aktionskunst; eine künstlerische Praktik, die insbesondere improvisiert und darauf setzt, mit dem Publikum zu interagieren.401 Brand, noch als Fotograf und Journalist tätig, macht sich vertraut mit der Kunstwelt New Yorks, wird Teil der aufkommenden Hippie-Szene HaightAshburys und bereist erste Kommunen402 – es festigt sich eine ‚mystische Erfahrung von Zusammengehörigkeit‘403, die die Whole Earth-Gemeinschaft und deren beschriebene Folgeentwicklungen vorbereitet und sich in deren intendierter intimen, interpersonellen und informationellen Ausrichtung zeigt. Setzt man dazu schließlich jene kollaborative Ausrichtung ‚multipler Netzwerke‘, wie sie von Brand in weitere Verwendungsfelder getragen wird und im GBN bekannt werden konnte, tritt die dort beschriebene Verbindung zur Kybernetik und der hier auszumachenden multidisziplinären Ausrichtung hervor. Dies spitzt sich jedoch zu, denn Brand beginnt hier damit, eine ‚neue Synthese von kybernetischer Ausrichtung und gegenkulturellen Praktiken vorzustellen‘.404 Dabei tauchen kyber-

399 Vgl. ebd., S. 46-47. 400 Ebd., S. 47. 401 Dies ist vor allem zurückzuführen auf John Cage und Robert Rauschenberg, vgl. ebd., S. 46-47. Mit dem Happening bildet Brand eine Vorstellung aus, in der sich jede Form von Hierarchie auflöse und jede Person ihr Leben in Kunst verwandeln könne, vgl. ebd. S. 48. 402 Vgl. ebd. 403 Siehe ebd., S. 49: hier geht es um eine so bezeichnete „mystical experience of togetherness“. 404 Siehe ebd: „Brand [...] began to imagine a new synthesis of cybernetic theory and countercultural politics“.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 163

netische Ansätze verknüpft mit einer intendierten Bewusstseinsveränderung auf; mit jener Wende nach innen also, die eine transformative Erfahrung bedingt. Zu erreichen ist diese über benannte small scale technologies, die ihre Verwendung in der Kunstwelt finden: Beschreibt die Kybernetik, nochmals für diesen Zusammenhang pointiert dargestellt, nämlich eine Steuerung von Maschinen, lebenden Organismen und sozialen Organisationen und liegen Steuer- und Regelprozesse in den Organismen selbst vor, so gilt dies auch für den Menschen. Ist der Mensch nun aber steuerbar, so müsse dies auch für sein Bewusstsein und seine Wahrnehmung gelten. Es führt zu einer Vorstellung, die „embraced the notion that small scale technologies could transform the individual consciousness, and, with it, the nature of community“405. Zwei Verwendungsfelder können dabei hervortreten – die sogenannte USCO und die Merry Prankster –, die jene transformative Erfahrung nunmehr als Bewusstseinssteuerung aufweisen, und zwar in charakteristischen Umwelten zur Technologieaneignung. USCO, oder The US Company, richtet eine Reihe von Multimedia Performances aus, die das Happening in ein ‚psychedelisches Zelebrieren von Technologie und mystischer Gemeinschaft umwandeln‘, mit dem Ziel, das Bewusstsein des Publikums zu verändern.406 Technologien (small scale technologies), wie das Stroboskop, Projektoren oder Lautsprecher, dienen dabei als Mittel bzw. Werkzeuge; als „tools for transforming their viewers mind-set. So did psychedelic drugs“407. Solche small scale technologies und die kollektive Arbeit in der Gemeinschaft lassen eine Ideologie hervortreten aus einer multidisziplinären Kollaboration als ‚techno-soziales System‘408 . Es gilt gleichsam als selbst aufrechterhaltend – wie es für eine ‚lebende Institution‘ relevant und transformiert wird – durch wechselseitiges Aufrechterhalten durch die und mit der Maschine bzw. den Technologien: „The group’s production ranged from three-dimensional poems, with flashing lights and bold-faced words, to multimedia slide, light, and sound shows and psychedelic posters. Each production required input by artists with a variety of technical skills, and the colla-

405 Ebd., S. 74; vgl. hierzu auch ebd., S. 68. 406 Ebd., S. 49: „they transformed the ‚happening‘ into a psychedelic celebration of technology and mystical community [...] the members of USCO created art intended to transformthe audience’s conciousness.“ Zur Gruppierung um USCO vgl. außerdem M. Oren: „USCO: ‚Getting Out of Your Mind to Use Your Head‘“, S. 76-95. 407 F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 49 [Herv. V.F.]. 408 Ebd., S. 50: „techno-social system“.

164 | V OM LANGEN J ETZT boration in turn required both a contact language in which the artists could speak to one another [...]. Viewers were left to piece the words together into meanings of their own.“

409

Eine solche intendierte Bewusstseinssteuerung, die stark mit charakteristisch ausgebildeten Umwelten arbeitet, wird in diesem Zusammenhang als „the environmental circumstance“410 bezeichnet. Wenn Brand dabei eine Hierarchieauflösung auszumachen sucht, wird hier dennoch nicht von Führungspositionen entkoppelt, vielmehr sind Funktionsträger in den Verwendungsfeldern als Leitfiguren anzusehen, die das Kollektiv steuern.411 Es sind folgende Aspekte, die sich mit einer Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation, verknüpft mit dem Verwendungsfeld GBN, verbinden: Solche Führungspositionen erscheinen auch in der Long-Now-Geschäftsidee und schließlich in der Long Now Foundation, als Ort der Befragung. Die kollaborative Ausrichtung, die über das GBN im network of remarkable people zu einer ‚Gruppenarbeit‘ avancieren kann, wird dann nicht nur in der Stiftung fortgeführt und hier transformiert, sondern lässt ebenso auf Leitfiguren schließen, die gerade in der Geschäftsidee zusammenkommen. Hinterfragt wird, inwiefern dann durch eine Vermarktung des long-term thinking nicht auch auf eine Selbstinszenierung gerade dieser Leitfiguren zu schließen ist, der intendierte ‚Verewigungsstrategien‘ innewohnen. Eine solche Vermarktung rührt allerdings schon aus einer transformativen Erfahrung her, die erst ein umgewandeltes, ausgedehntes Jetzt aufkommen lässt und deren Entstehung aus der intendierten Bewusstseinssteuerung in künstlerischen Praktiken der 1960er Jahre auszumachen ist. Zusätzlich ist aus diesem Verwendungsfeld künstlerischer Praktiken – mit denen also die diskursive, kollaborative Formation mit technologischen Aneignungsstrategien gekoppelt und folglich ein diskursiv-technisches Apriori hervorgeboben wird – die Herkunft der Begriffsformation und Aneignung um Learning zu extrahieren: Denn was sich schon mit der Unübersichtlichkeit des Whole Earth Catalog ankündigt, kann transferiert werden auf die lernende Zielgruppe oder die Zuschauer, die bei USCO angesprochen werden sollen und denen es obliegt, eigenständig Bedeutungen aus dem Dargestellten zu verknüpfen und somit in Eigenregie

409 Ebd., S. 50-51 [Herv. V.F.]. 410 Ebd., S. 50. 411 Innerhalb von USCO ist es insbesondere der Poet und Künstler Gerd Stern, von dem die Gruppierung ausgeht und mit dem sich Brand zusammenschließt. Vgl. dazu sowie zu Führungspositionen als „alpha males“, ebd.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 165

ein Verständnis auszubilden.412 Das Learning, wie es aus der Kunstwelt und dem Whole Earth Catalog hervortritt und Folgeentwicklungen darstellt, kann ich etwa bei der Webseitenanalyse mit einem webbasierten Place for Conversation und dortigem Navigieren verbinden. Ferner fließt ebenso ein ‚environmental circumstance‘ in den Projektcharakter der Stiftung ein, wie eingangs schon mit The Interval und Clock One aufgegriffen. Doch ist es zunächst ein weiteres Verwendungsfeld, das der Merry Prankster um Ken Kesey, für die nicht nur ebenso eine Technologieaneignung zur transformativen Erfahrung, sondern auch besagte Führungsposition gilt. Wie dann schon die New Communalists exemplarisch anhand eines Ereignisses und Dings spezifiziert werden konnten, werden hier small scale technologies exemplifiziert. Denn eine Bewusstseinsteuerung und -veränderung kann anhand von Jefferson Airplanes White Rabbit verdeutlicht werden, ein Song als Ereignis des Psychedelic Rock mit dem Diktum „Feed your Head“. Die Gruppierung der Merry Prankster kann mit ihrem Funktionsträger genauer gefasst werden. Kesey, Aktionskünstler und Schriftsteller, ist bekannt für das Buch One Flew Over the Cuckoo’s Nest,413 nimmt vor allem aber als Teilnehmer an den Acid-Tests durch die US-Armee eine repräsentative Funktion ein, was small sale technologies als Einsatz von Psychedelics betrifft.414 So kommt mit den Merry Pranksters, denen sich Brand zeitweise in den 1960er Jahren anschließt, eine Performance-Kunstgruppe zustande, die das Happening in ein mobiles ‚media environment‘ transformiert: Im Bus Further reist die Gruppe durch die USA, um die interessierte Öffentlichkeit zu Acid-Tests einzuladen.415 Solche LSD-Happenings um die Pranksters treten dann unterstützt durch bewusstseinsverändernde oder -steuernde Substanzen wie auch durch Technologien hervor.

412 Wie oben für USCO angegeben rekurriert dies auf ‚viewers were left to piece the words together into meanings of their own‘. 413 Thematisiert wird der Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt wie auch der Einsatz von psychogenen Substanzen, vgl. K. Kesey: One Flew Over the Cuckoo’s Nest, vgl. hierzu auch F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 59. 414 Vgl. ebd., S. 59; 62. – Eine ausführliche Studie zu den Merry Pranksters liefert T. Wolfe: The Electric Kool-Aid Acid Test. 415 Vgl. ferner SUL, M 1237, Miscellaneous, Box 109, Folder 2: New York. The World Journal Tribune Magazine, 29. Jan. 1967 (Special Issue: Tom Wolfe: The World of LSD); New York. The World Journal Tribune Magazine, 05. Feb 1967; New York. The World Journal Tribune Magazine, 12. Feb. 1967, S. 7-14; Ramparts Vol. 5, Nr. 9, 3/1967, S. 5-26.

166 | V OM LANGEN J ETZT

Wie schon bei USCO werden hier Technologien als Werkzeuge („tools for transformation“416) angeeignet, um das Selbst wie auch die Gemeinschaft zu verändern. Wenn dann bei USCO insbesondere veränderte Wahrnehmungsprinzipien angesprochen werden sollen, tritt hier explizit die Wende nach innen hervor: USCO setzt Technologien ein, um Kunst hervorzubringen, die Merry Prankster entwickeln ein Technologieverständnis, das auf ein verändertes Bewusstsein setzt und diesen eigentümlichen Technologiebegriff auf bewusstseinsverändernde Substanzen erweitert.417 Diese Bewusstseinsveränderung, die Wende oder auch „Reise nach innen“418 (LSD steht auch für das sogenannte tripping,419 von trip, engl. für Reise) kann mit White Rabbit exemplarisch hervorgehoben werden.420 So werden nämlich small scale technologies pointiert, die einerseits Psychedelic Rock und LSD als Werkzeuge einbeziehen, anderseits aber ein repräsentatives Ereignis aus der Gruppierung New Communalists hervortreten lassen und ein dem GBN und der Long Now Foundation vorangestelltes Verständnis von Journey verdeutlichen: White Rabbit steht dann nicht nur für eine Bewusstseinssteuerung und einen kleinen Exkurs, um dies darzustellen, sondern für die derzeitige Musikszene, deren Mitglieder teils das Whole Earth Network mitformieren.421

416 F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 91. Zur Verbindung und Spezifikation der ‚tools for transformation‘ zu smale scale technologies vgl. insbesondere ebd., S. 91-97; ferner S. 49. 417 Vgl. ebd., S. 63. 418 D. Diederichsen: „Pop-Musik und Gegenkultur: die ganze Welt und jetzt“, S. 24. 419 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 61. 420 Bei Diederichsen findet sich eine Einbettung des Songs in den Kontext von „Musik und die Ideologie des Planetarischen“, siehe D. Diederichsen: „Pop-Musik und Gegenkultur: die ganze Welt und jetzt“, S. 20; zu White Rabbit, S. 24-25. 421 Hier sei verwiesen auf die Band The Grateful Dead als musikalischen Funktionsträger der Musikszene, vgl. zu The Grateful Dead F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 65-66; zum Zusammenschluss in The WELL aus der derzeitigen Kunst- und Musikszene vgl. ebd., S. 166-167.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 167

Jefferson Airplane: White Rabbit (1967) 422 „One pill makes you larger

When the men on the chessboard

And one pill makes you small

Get up and tell you where to go

And the ones that mother gives you

And you’ve just had some kind of mushroom

Don’t do anything at all

And your mind is moving low

Go ask Alice

Go ask Alice

When she’s ten feet tall

I think she’ll know

And if you go chasing rabbits

When logic and proportion

And you know you’re going to fall

Have fallen sloppy dead

Tell ‘em a hookah smoking caterpillar

And the White Knight is talking backwards

Has given you the call to

And the Red Queen’s ‚off with her head!‘

Call Alice

Remember what the dormouse said;

When she was just small

Feed your head | Feed your head!“

White Rabbit gilt als einer der ersten Songs, die die Wirkung halluzinogener Drogen besingen. Sängerin Grace Slick greift hier zurück auf Lewis Carrolls Alice im Wunderland – hier, in Kürze: auf das weiße Kaninchen, dem Alice folgt; Alice’ veränderte Größe durch den Verzehr von Pilzen (im Song psychedelische Pilze, auch Magic Mushrooms) oder bezogen auf lebende Schachfiguren und die Rote Königin, denen Alice ebenso begegnet.423 Der hier vorgenommene Exkurs zu White Rabbit versteht sich im diskursivtechnischen Apriori als diskursive Beigabe, anhand derer der Einsatz von small scale technologies besungen wird – so also Psychedelics auf dem Trip nach Innen und Musik. Wenn bereits mit der notwendigen Erweiterung des Archivs technologische Entwicklungen berücksichtigt wurden, kann hier die Relevanz des Psychedelic Rock hervortreten:424 Rückgreifend auf Kittler, der anhand von

422 Veröffentlicht in Surrealistic Pillow 1967. Zum repräsentativen Status von White Rabbit vgl. außerdem J. Markoff: What the Dormouse Said. 423 Vgl. zur Verbindung mit Alice im Wunderland ferner D. Diederichsen: „Pop-Musik und Gegenkultur: die ganze Welt und jetzt“, S. 24. 424 Vgl. dazu F. Kittler: „Der Gott der Ohren“, S. 130-148: Am Beispiel des Songs Brain Damage der Band Pink Floyd nimmt Kittler eine perfomative Nachzeichnung der „Geschichte moderner Schallaufzeichnungs- und Wiedergabetechnologien“ vor, siehe G. Winthrop-Young: Friedrich Kittler zur Einführung, S. 75. – Die Anekdote will es, dass bei einem Konzert Pink Floyds mehrere Zuhörer nach der neuartigen

168 | V OM LANGEN J ETZT

Pink Floyds Brain Damage425 einen „Song über Innen und Außen“426 beschreibt, tritt aus der hier eingenommenen Perspektive die Wende nach innen „unter der Maske von Kraftverstärkern und Beschallungsanlagen [...] als Rocksong“427 auf. Geht es nämlich um Ereignisse und Dinge im Archiv, so kann ein Rocksong, hier des Psychedelic Rock, ein ‚techno-akkustisches Ereignis‘428 bedeuten. Dieses bündelt hier allerdings jenes Technologieverständnis als Werkzeuge zur Bewusstseinsstärkung und -veränderung und den Einsatz von small scale technologies, wie es aus den Verwendungsfeldern von USCO und den Merry Pranksters extrahiert werden konnte: In einem diskursiv-technischen Apriori wird schließlich besungen, was small scale technologies anrichten (‚your mind is moving low; logic and proportion have fallen sloppy dead‘), um nach innen und zum veränderten Selbst zu kehren – im und durch den Rocksong. Wenn nämlich im Rahmen performativer Schallaufzeichnungs- und Wiedergabetechnologien „Klänge verkünden, was von Klängen angestellt wird“429 , verkünden hier Klänge – als der diskursive Bereich, der sich mit einer Technologieaneignung und -verwendung koppelt und gleichwohl verschriftlicht erscheinen muss –, was small scale technologies anstellen. Das in der Formation der Strategien angeeignete ‚techno-akkustische Ereignis‘ White Rabbit pointiert somit die für Folgeentwicklungen relevante Techno-

Beschallung stereophoner Klänge ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen, vgl. F. Kittler: „Der Gott der Ohren“, S. 140. Pink Floyds technologische Beigabe des sogenannten Azimuth Coordinator, vgl. ebd., S. 137, trägt nämlich zu einer solchen Bewusstseinsveränderung bei, „[d]er Hirnschaden [...] ist angerichtet“, siehe ebd., S. 131. Als quadrophones Sound- und erstes Surround-System erstellt der Azimuth Coordinator eine elektronische Klangsynthese, bei dem „klangerfüllter Umraum und klangerfüllte[r] Innenraum verloren“ gehen, siehe G. Winthrop-Young: Friedrich Kittler zur Einführung, S. 75-76. Die Steuerbarkeit des Klangs kommt auf (bei Pink Floyd über sechs Lautsprecher und sämtliche Klangdimensionen – Frequenz, Phasenlage, Obertongehalt, Amplitude), vgl. ferner zum Azimuth Coordinator ebd., S. 74. 425 Album-Version 1973, in Dark Side of the Moon. 426 F. Kittler: „Der Gott der Ohren“, S. 132. 427 Ebd., S. 130. 428 G. Winthrop-Young: „Implosion and Intoxication“, S. 75-91, hier S. 83, siehe hier den Begriff „techno-acustic event“. 429 F. Kittler: „Der Gott der Ohren“, S. 144. – Kittler verfolgt anhand der einzelnen Strophen von Brain Damage die Geschichte der Klangaufzeichnung von monoauraler Wiedergabe über High Fidelity und Stereophonie zu Synthesizer (Azimuth Coordinator), vgl. ebd., insbesondere S. 137-142.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 169

logieaneignung und deren Verwendung durch small scale technologies, gleichsam medientechnisch wie auch eine Wende nach innen bedingend. Denn dahinter steht der unausweichliche „Appell zum Ausbau des eigenen Kopfes“430 – ‚Feed Your Head‘. Aus beiden Verwendungsfeldern, USCO und Merry Prankster, etabliert sich folglich ein Werkzeug-Begriff, der nicht nur in jenen ‚access to tools‘ des Whole Earth Catalog verlagert wird, sondern mit scenario planning und einer geistigen Umkehr dem Abfolgemodus in die 1980er Jahre (genauer GBN) folgt und sich in den Schlüsselkategorien von Storytelling und Mythos in der Long Now Foundation fortsetzt. Diese Stationen erstellen einen Leitfaden in der diskontinuierlichen Anordnung, anhand dessen sich eine Entstehung und Herkunft der Long Now Foundation mit konstituieren kann (hier aus small scale technologies, einer geistigen Umkehr und der transformativen Erfahrung). Zusätzlich aber ist es bei den Merry Pranksters ein Fokus auf Kommunikations- und Medientechnologien, die solche Veränderungen und Steuerungen anstreben. Der Bus Further dient als Prototyp für einen Lebensstil, der sich vom Mainstream abzugrenzen sucht, um einen alternativen, abenteuerlichen und spielerischen Lebensstil in der Öffentlichkeit zu etablieren.431 Innen wie außen verkabelt mit Mikrophonen und Lautsprechern soll das Happening die Gesellschaft bereisen, wobei an der Grenze zwischen Selbst, Gemeinschaft und Technologie gespielt wird.432 Die Reise mit Further wird zudem gefilmt, und insbesondere das Radio nimmt eine spirituelle Rolle ein, wobei die mediale Umwelt insgesamt mit der bewusstseinsverändernden Wirkung von LSD kongruiert: „LSD and radio were [...] communication technologies through which humans could not only exchange information, but, at least imaginatively, merge with one another in a spiritually harmonious state“433 . Merry Prankster sind dabei beides, Akteure als sie selbst und Charaktere in einer zu spielenden Rolle, eine ‚spielerische Gemeinschaft‘434. Mit USCO und den Merry Pranksters tritt abschließend ein spezifisches Verständnis vom Jetzt hervor, das zu seiner Ausdehnung führt und gekoppelt an Modi der Abfolge und eine transformative Erfahrung ein langes Jetzt oder eine Herkunft desselben herleiten kann. Einerseits bezieht sich dies auf ein bestimmtes Mantra für USCO, andererseits auf die oben bereits erwähnte Verbindung

430 D. Diederichsen: „Pop-Musik und Gegenkultur: die ganze Welt und jetzt“, S. 24. 431 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 63. 432 Vgl. ebd. 433 Ebd. 434 Ebd. S. 63; 64, sie werden hier als „playful community“ bezeichnet.

170 | V OM LANGEN J ETZT

zum Zen-Buddhismus (wie der Whole Earth Catalog als ‚access to tools‘ jene small scale technologies zusammenfasst, etwa anhand von Cybernetics, Psychedelics und Zen Buddhism). Die Wende nach innen verdichtet sich mit Ansätzen des Zen-Buddhismus, anhand von dessen Grundsätzen der Selbstbefreiung und eines akzentuierten Bewusstseins. Damit lässt der Rekurs auf den Zen-Buddhismus, wie er im Whole Earth Catalog und in selektierten Bereichen der Kunst auftaucht, nicht nur auf angeeignete Werkzeuge zu ebenjener transformativen Erfahrung schließen, sondern verweist ferner auf spezifische Zeitvorstellungen. So ist die Erleuchtung, etwa durch Meditation und folglich eine konzentrierte Zuwendung zum eigenen Inneren, zentraler Bestandteil des Zen. Dabei liegt der Weg zur Erleuchtung in der Alltagswelt selbst vor, als „augenblickliches ‚Umwenden‘ zu den Tiefen des Bewusstseins“435. Deutlich wird damit eine Befreiung von äußeren Einflüssen oder Projektionen auf den Geist und das Selbst – etwa durch gesellschaftlich festgelegte Vorstellungen, wie Erfolgsstreben und aufkommenden Leistungsdruck.436 Folglich handelt es sich um einen Weg zur Selbstbefreiung, um die „Wirklichkeit des Selbst“ 437 zu ergründen. Eine solche Befreiung tritt durch Unmittelbarkeit und Natürlichkeit hervor, ohne dass sich der Suchende eine Absicht auferlegen würde: „Kein Gedanke, keine Reflexion, keine Analyse, keine Übung, keine Absicht; lass es sich selbst dartun.“438

435 A.W. Watts: Zen-Buddhismus. Tradition und lebendige Gegenwart, S. 104. – Die Studien Allen Watts können angesehen werden als „Vermittlung fernöstlichen Gedankenguts an die westliche Welt“, ebd., S. 255. Watts nimmt somit ebenso eine tragende Position in der Formierung der New Communalists und für charakteristische Technologieverständnisse ein: Neben dem Autor und Poeten Allen Ginsberg beeinflussen seine Studien insbesondere die sogenannte Beats Generation oder Beatniks, eine literarische wie musikalische kulturelle Bewegung der USA in den 1950er Jahren. Ihre ebenso forcierte Abkehr vom Mainstream-Amerika ist somit teils Vorläuferprogramm der New Communalists bzw. kennzeichnet und beeinflusst diese Ausrichtung der Counterculture mit. Hier muss allerdings auf eine ausführliche Darstellung der Beats verzichtet werden, um eine Entstehung und Herkunft der Long Now Foundation zuspitzen zu können. Zu Verbindungen mit der Beats Generation vgl. etwa F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 62 sowie 59-68 und ferner zu Zen-Buddhismus, Beats und Counterculture T. Roszak: The Making of a Counterculture, S. 124-154. 436 Vgl. A.W. Watts: Zen-Buddhismus, S. 104. 437 Ebd., S. 81. 438 Ebd., S. 105.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 171

Wenn es den New Communalists um eine Bewusstseinssteuerung geht, die noch durch bewusstseinsverändernde Substanzen forciert werden soll, dann äußert sich hier abermals eine Aneignung, die in small scale technologies mündet. Ihr Anwendungsbereich aber ist einer Selbstbefreiung entlehnt, wobei jene forcierte Wende oder Reise nach innen auch dem Zen-Buddhismus und der dort zentralen, fokussierten Konzentration auf das Selbst entstammt. Dabei kann ebenso eine Verschiebung hin zu jenen medialen Umwelten (‚holistic media environments‘) ausgemacht werden. Im Zen-Buddhismus kommt es zu einer Umkehr im Denken (ein möglicher Ansatz für Folgeentwicklungen hin zu einem mental shift des scenario planning und eine Herkunft für transformierende Erfahrungen, die noch (medien)technologisch in benannten Verwendungsfeldern verstärkt werden sollen), die sich abkehrt von einem Körper-Geist-Dualismus. Wahrnehmung durch Sinnesorgane führe dabei zum Erkennen von Dingen in Abgrenzung zu uns selbst. Es verleite zur Annahme eines subjektiven Selbst, eines innerlich isolierten Subjekts. Erstrebenswert sei aber vielmehr, die Wechselbeziehung von Subjekt und Objekt anzuerkennen; das Subjekt erschaffe das Objekt in gleichem Maße wie das Objekt das Subjekt – der Erfahrende ist nicht von der Erfahrung abgetrennt.439 Wurde dann bereits auf die Steuerbarkeit der menschlichen Wahrnehmung im Verständnis der Kunstwelt und der New Communalists verwiesen, überrascht es nicht, dass innerhalb des Zen-Buddhismus in den 1960er Jahren auf die „‚Kybernetik‘ des Geistes“, eine „selbstkorrigierende Tätigkeit“440 desselben, verwiesen wird. Schließlich koppelt sich dies an die Ausbildung jener medientechnischen Umwelten, die mit einer Technologieanwendung solche Regulationen des Geistes stimulieren, wie es innerhalb von USCO und den Merry Pranksters beschrieben werden konnte. Aus dem Zen-Buddhismus kann eine „Umwandlung der Erfahrung als Ganzes“441 extrahiert werden, die in die Vorstellungen von einer Whole Earth getragen wird. Zugleich deutet dies auf eine Verschiebung oder Aneignung der ‚Umwendung zu den Tiefen des Selbst‘, die auf Wahrnehmungs- und Bewusstseinsverstärkung setzt. Dabei treten ebenso entsprechende Umwelten hervor, die einerseits diese Wahrnehmung untermauern, andererseits aber charakteristische Umweltausprägungen fortführen, wie sie im GBN und in dem Learning System sowie seiner Reise bzw. Journey deutlich wurden. Die Reise nach innen, die sich mit Psychedelics und einer transformativen Erfahrung für eine ‚mystische Zusammengehörigkeit‘ äußert, kann so gesehen verschoben und transformiert wer-

439 Vgl. ebd., S. 150-151. 440 Ebd., S. 169; zur kybernetischen Vergleichsebene vgl. ferner ebd., S. 169-173. 441 Vgl. ebd., S. 152.

172 | V OM LANGEN J ETZT

den zu einer geistigen Umkehr in GBN, die sich auf ein Learning System ausrichtet, wobei beide eine Möglichkeitsbedingung für die Entstehung und Herkunft einer transformativen Zeitvorstellung des langen Jetzt darstellen können. Eine solche charakteristische Zeitvorstellung kommt dabei insbesondere innerhalb von USCO zum Ausdruck. Gerd Stern entwarf ein sogenanntes „USCO mantram“442 ; das Mantra steht für eine magische Formel im Hinduismus sowie Buddhismus. Eines davon widmet sich dem Jetzt: Abbildung 2.2: Gerd Stern: NO OW NOW [Auszug]

Intermediafoundation.org, [NO OW NOW] vom 11.12.2014

Während sich die Rekursivität der hier dargestellten Auseinandersetzung mit dem Jetzt durch USCO auch auf Feedback-Schleifen, etwa in Klanginstallationen einiger USCO-Arbeiten, beziehen ließe,443 deutet das Mantra aber vor allem 442 M. Oren: „USCO“, S. 83, vgl. ferner The Intermedia Foundation, intermediafoundation.org, [poetry], http://www.intermediafoundation.org/poetry/ vom 11.12.2014. 443 Vgl. M. Oren: „USCO“, S. 79; siehe hier ebenso die Bezeichnung „feedback loops“. – NO OW NOW wurde in 1960er Jahren als Siebdruckposter für USCO erstellt sowie als Beugungsgitter; ferner verfasst als Liedtext für ein Video und sandgestrahlt für verschiedene Ausstellungsexponate, vgl. Intermedia Foundation, http://www.inter mediafoundation.org/poetry/ (11.12.2014). Vgl. dazu außerdem M. Oren: „USCO“, S. 79.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 173

darauf, eine gewisse Form von Nicht-Linearität einer gängigen, linearen Zeitvorstellung gegenüberzustellen: eine „chronological linearity [...] focused on opening audiences to nonlinear experience“444. Diese Erfahrung bildet eine Konfrontation linearer Zeitabfolgen, die sich etwa in der Abfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darbieten, mit nicht-linearen Zeitkonzepten aus, wie sie sich mit USCO in NO OW NOW zeigt. Dies kann m. E. aber explizit an den Zen-Buddhismus gekoppelt werden: An ein mit USCO dargestelltes Paradox aus linearer Zeitabfolge, aber nicht-linearer Erfahrung, knüpft ein Zen-Zeitmodell an, das die Augenblicklichkeit der Erleuchtung mit dem Ideal einer „ewigen Gegenwart“ 445 versieht. Die Selbstbefreiung soll sich auch als Befreiung von der Zeit darstellen. Das ‚augenblickliche Umwenden zu den Tiefen des Bewusstseins‘ tritt gepaart mit einer „Geistesgegenwart“446 auf. Diese soll äußern, dass „es keine andere Zeit gibt als diesen jetzigen Augenblick und daß Vergangenheit und Zukunft Abstraktionen ohne irgendwelche konkrete Wirklichkeit sind“447. Scheint ein ‚jetziger Augenblick‘ zunächst auf ein kurzes Jetzt zu verweisen, zielt auch der Zen-Buddhismus darauf ab, die Gegenwart als „schmale Linie“ 448 zwischen Vergangenheit und Zukunft zu korrigieren. So wird auch hier eine lineare Zeitenfolge abgewandelt oder umgekehrt, die sich mit jener Erfahrung des Ganzen und einer Selbstbefreiung verbindet. Denn lineare Zeitenfolgen gelten als gesellschaftliche Konvention fern von ganzheitlicher Besinnung auf das Jetzt, da lineare Zeitenabfolgen eine Aneinanderreihung von Einzelheiten suggerieren.449 Die Ausdehnung des Jetzt hingegen wird zugespitzt zu benannter ‚ewigen Gegenwart‘. Ihr liegt die Erfahrung als Ganzes zugrunde, denn sie soll befreit sein von solch Konventionen, die das Ganze (die ‚ewige Gegenwart‘) unterteilen würden; ihr liegt zudem die Befreiung zugrunde, denn ‚ewige Gegenwart‘ ist dann „‚zeitlose[s]‘, gelassene[s] Strömen“450. So lässt sich festhalten, dass aus dem Zen-Buddhismus eine Herkunft der transformativen Erfahrung herzuleiten ist, die sich einerseits mit der charakteristischen Technologieaneignung und -anwendung in der Kunstwelt sowie mit dem hier ausdifferenzierten Flügel der Counterculture koppelt. Dabei kann anderer-

444 Ebd., S. 84. 445 A.W. Watts: Zen-Buddhismus, S. 245. 446 Ebd., S. 243. 447 Ebd., S. 243-244. 448 Ebd., S. 244. 449 Vgl. ebd. 450 Ebd.

174 | V OM LANGEN J ETZT

seits eine spezifische Ganzheitsvorstellung eruiert werden, die nicht nur eine Whole Earth nahelegt, sondern sich in ‚holistischen medialen Umwelten‘ fortsetzt bzw. hier Verwendung findet. Dabei tritt das Zen-Verständnis vom Selbst als mit der Umwelt verschmolzener Teil hervor und soll durch (Medien-)Technologien verstärkt werden. Schließlich äußert sich eine hergeleitete transformative Erfahrung, die Zeitvorstellungen, sowohl im Kunstbereich als auch im Zen-Buddhismus, charakteristisch ausdehnt und vor allem mit Paradoxien versieht – der Konfrontation von linearen Abfolgen mit der Erfahrung von Nicht-Linearität. Eine ‚ewige Gegenwart‘ – bzw. pointiert, eine spezifische Ausdehnung des Jetzt – kann gelesen werden als Teil einer Herkunft eines langen Jetzt, denn der Zen-Buddhismus wirkt sich auf die Kunstwelt und die Formierung der New Communalists und damit auch auf jene des Whole Earth Network aus. Gleichzeitig werden solche einflussreichen Strömungen, wie an mehreren Stellen gezeigt werden konnte, durch Funktionsträger wie Stewart Brand in anschließende Verwendungsfelder getragen. Wenn auch transformiert oder verschoben, können Ereignisse und Dinge aus den hier selektierten Verwendungsfeldern eine Herkunft und Entstehung lesbar machen, die Ideale und Ideen in der Long Now Foundation aufschlüsseln. Nicht zuletzt ist schließlich auch die Geduld ein zentraler Bestandteil des Zen-Buddhismus, 451 sodann eine fortgeführte „Geduldsmaschine“ 452 , die sich in der 10.000-Jahre-Uhr als Werkzeug für ein long-term thinking zeigt. Was auch als technisch umgesetzte Rekursivität, etwa mit Klanginstallationen und Feedback-Schleifen, in USCO auftaucht, zeigt mit NO OW NOW eine Auseinandersetzung mit dem Jetzt, die auf eine zirkuläre Konfrontation verweist. Sie deutet damit auf ein Denken der Paradoxie, das im Anschluss an das Archiv mit der (Nicht-)Linearität und bezogen auf Wahrnehmungsprinzipien des Mediennutzers in den Mittelpunkt rückt. Bevor nun die Erträge aus den extrahierten Verwendungsfeldern zwischengeschaltet zusammengefasst werden, geht es um eine notwendige Abspaltung von der Counterculture, die den Blick auf San Franscisco Art Worlds legt. Hier wird eine signifikante Verbindung zu den Merry Pranksters ausgemacht, gleichzeitig aber auf eine paradoxale Zusammensetzung bzw. ein widersprüchliches Selbstverständnis der Long Now Foundation hingearbeitet.

451 Vgl. ebd., S. 191: So geht es um eine Einübung von Geduld („Übung zur Schärfung von Geduld“, siehe ebd.), die sich schließlich auch auf einen work in progress beziehen lässt, der den Projektcharakter der Long Now Foundation ausmacht und ihre Handlungen mit langen Zeiträumen versieht. 452 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 56.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 175

2.3.2 San Francisco Art Worlds oder: „California Ueber Alles“ Es sind mehrere Stellen in den Long-Now-Projekten, die sich auf die aktuelle Kunstwelt San Franciscos ausrichten oder mit dieser zu verbinden suchen. Insbesondere Special Events zeigen, inwiefern ein long-term thinking auch in den künstlerischen Bereich getragen werden soll oder hier Verbindungen ausgemacht werden können, wobei die Long Now Foundation auch als Unterstützer verschiedener Institutionen und Projekte auftritt und diese teils in den eigenen Kontext einbindet. Wie dies eingangs schon anhand des Long Player und des Special Event „Long Conversation“ deutlich wurde, kann neben Long-term Art als Kategorie der Long Now Seminars,453 beispielsweise auch auf Kooperationen mit dem Yerba Buena Center for the Arts verwiesen werden.454 Die Verbindung der Stiftung zu aktuellen Kunstprojekten und -institutionen ist im anzuordnenden Archiv auch dahingehend zu lesen, Entwicklungstendenzen aus der Counterculture weiterzuführen, die Folgegenerationen der gegenkulturell-basierten Funktionsträger aufgreifen.455 Dabei verdichten sich die bereits angeordneten Entwicklungstendenzen zu transformierten Prankstern, die auf den Spielcharakter in der Stiftung schließen lassen. Es weist ferner auf Folgeentwicklungen bzw. Parallelen, die zu spezifisch kalifornischen Formationsprinzipien von Institutionen oder Organisationen verknüpfen können. Zunächst tritt mit dem Blick auf Folgeentwicklungen und parallele Entwicklungstendenzen das Verwendungsfeld der sogenannten Cacophony Society hervor. Cacophony ist Teil der Underground Art Scene San Francisco und kennzeichnet sich vorrangig durch die Aktionskunst und ihren Aktionismus mit einer intendierten Abkehr von der Mainstream-Gesellschaft. Exemplarisch deuten darauf Aktionen wie Santarchy und die Mitbegründung des Burning Man Festivals.456 Cacophony-Veranstaltungen und insbesondere ihre Verortung in der Ak-

453 Vgl. longnow.org, [Blog: Categories Long Term Art], http://blog.longnow.org/ category/long-term-art/ vom 12.12.2014. 454 Vgl. longnow.org, [Projects: Special events: YBCA, Long Now & Quiet], http: //blog.longnow.org/02011/05/17/smart-night-out-and-long-now-explore“quiet”/ vom 12.12.2014. 455 Vgl. dazu die Hinweise zu Alexander Rose und Danielle Engelman in Kap. 1. 456 Zu Santarchy vgl. K. Maginrannus: „Cheap Suit Santa (1994)“, S. 46-47 sowie S. Cape Claus: „An Army of Santas Can’t Be Beat“, S. 50-53: 1994 implementierte die Cacophony Society in der Vorweihnachtszeit ein Happening (auch Flash Mob), innerhalb dessen eine große Gruppe von Menschen, verkleidet als Santa Claus, durch die Geschäftsstraßen zieht. Das auch als Randale („rampage“) bezeichnete Event

176 | V OM LANGEN J ETZT

tionskunst verweisen dabei auf verschobene Happenings, die bereits aus der Cybernetic Art World und den Merry Pranksters bekannt werden konnten.457 Es überrascht also nicht, wie eingangs angeführt, dass ‚Cacophonists‘ bezeichnet werden als „[Merry Pranksters of the 1990s], a randomly gathered network of free spirits. They are united in the pursuit of experiences beyond what they see as the pale of mainstream society.“458 Außerdem ist die Cacophony Society maßgeblich gekennzeichnet durch den sogenannten Zone Trip,459 das heißt durch Veranstaltungen in speziellen Umwelten oder Gegenden, wofür Burning Man wohl am repräsentativsten steht.

kann folglich als Aufruhr gegen die Konsumgesellschaft gelesen werden. Doch was als Aktion gegen den Mainstream verstanden werden soll, avanciert zu einem populären Ereignis, nicht selten angesehen als Trinkgelage, mit dem Vorstädter sich einen ‚innovativen‘ Aufenthalt in der Großstadt versprechen, vgl. hierzu auch A. Semuels: „Annual SantaCon bar crawl a headache for some NewYorkers“, Los Angeles Times (14.12.2013), http://articles.latimes.com/2013/dec/14/nation/la-na-santacon-newyork-20131215 vom 19.06.2015. Nicht selten also ist es ein schmaler Grat, auf dem sich die als unkonventionell intendierte Provokation bewegt, die dann doch in Mainstream-Veranstaltungen mündet; so ist es auch fraglich, inwiefern Burning Man nicht bereits zu einem populären Event avanciert ist, in dem der künstlerische Status mehr und mehr in den Hintergrund tritt. – Sowohl die Cacophony Society als auch Burning Man können im Rahmen der Analyse nur relevant für eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation dargestellt werden. Vgl. daher auch die Ausführungen in Kap. 1 sowie zu Burning Man ferner F. Turner: „Burning Man at Google“; zur Cacophony Society K. Evans/C. Galbraith/J. Law: Tales of the Cacophony Society. 457 Dies lässt sich mit technologischen Folgeentwicklungen verknüpfen, wenn der Aktionismus um sogenannte Flash Mobs aufgegriffen wird. Flash Mobs sind kurze Zusammenkünfte von größeren Menschengruppen, die an öffentlichen Plätzen überraschende, ungewöhnliche Dinge tun und für Außenstehende spontan wirken. Das Ereignis ist jedoch zurückzuführen auf eine ausgeprägte Online-Kommunikation, innerhalb derer, meist über soziale Netzwerke, zu solchen Aktionen aufgerufen wird und diese organisiert werden. 458 W. Hoberg: „Big Doings“, S. 37 vgl. dazu ebenso Kap. 1, Anm. 100. 459 Vgl. C. Galbraith: „Into the Zone“, S. 58-61: Inspiriert ist Cacophony dabei von dem Film STALKER, Sowjetunion 1979, R: Andrei Tarkowski. Der sogenannte Stalker führt Personen in ein abgesperrtes Gebiet, bezeichnet als Zone. Der Trip in die Zone erhält seinen Reiz durch dort vorkommende rätselhafte Ereignisse. Zur Inspiration durch STALKER vgl. ebd., S. 59.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 177

Damit lassen sich signifikante Verknüpfungen zu zuvor erarbeiteten Entwicklungstendenzen aufzeigen: Nicht nur wird eine transformierte und verschobene Idee des Pranksters augenfällig, wie er in der Kunstwelt der 1960er Jahre auftaucht, sondern ebenso tritt ein charakteristisches Element des Spiels hervor. Wie schon die Merry Prankster als spielerische Gemeinschaft und Akteure in einer bestimmten Rolle hervortraten, 460 „encouraged [the Cacophony Society] others not to ignore the potent power of play“461. Mit einer ‚kreativen Philosophie des Spaßes‘462 oder dem Prinzip „Play it Out to the End“463 geht es der Gruppierung darum, sogenannte ‚Parameter der Unterhaltung‘ auf der Grundlage unkonventioneller Ideen und einer Einbindung der Umwelt auszudehnen.464 Neben eine Folgeentwicklung der spielerischen Gemeinschaft aus dem Verwendungsfeld der Merry Prankster stellt sich außerdem eine Parallelentwicklung der Journey. Wie sie bereits im GBN und für die Zwecke des Group Learning und Learning System angeeignet wurde, erscheint die Journey und das tripping aus den New Communalists in einer abgespalteten Formierung des Zone Trip, der sich bis heute insbesondere in Burning Man realisiert sieht, in dem gleichsam charakteristische Umwelten und der Einsatz von Medientechnologien zentral ist.465 Für eine Entstehung und Herkunft der Long Now Foundation ist das Verwendungsfeld Cacophony Society nun nicht als Möglichkeitsbedingung ihrer Entstehung relevant, wohl aber als einflussreiche Parallelentwicklung, mit der sich die Long Now Foundation zumindest teilweise zu verbinden sucht. Erstens kann so auf den der Stiftung inhärenten Spiel- und Eventcharakter eingegangen werden, der sich immer noch mit der zeitlichen Streuung aus den 1980er bis 1960er Jahren verknüpft. Zweitens leitet dieser eigentümliche Charakter zu spezifischen Ideologien, die in einem weiteren Schritt doch auf eine Brüchigkeit

460 Siehe dazu ferner F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 62: „The Merry Pranksters [...] saw the whole world as their stage and their own lives as roles that could be played for pleasure.“ 461 K. Evans/C. Galbraith/J. Law: „Introduction“, S. xv. 462 Siehe zu einer „creative philosophy of fun“ ebd., S. xi. 463 G. Warne: „Evolution into Chaos: A Chronology“, S. 5-9, hier S. 7. 464 Siehe zu dieser Intention K. Evans/C. Galbraith/J. Law: „Introduction“, S. xi: „stretching the parameters of what could be seen as entertainment, with a basis of unorthodox ideas and direct engagement with the world and people in it“. 465 Vgl. die ausführlichere Darstellung von Burning Man in Kap. 1 sowie F. Turner: „Burning Man at Google“ und Anm. 93.

178 | V OM LANGEN J ETZT

und Widersprüchlichkeit der Stiftung vorbereiten, wie sie in der Geschäftsidee für die Long Now Foundation ausgeführt wird. Das Spielelement bei Cacophony lässt sich nicht nur zu einem tragenden Eventcharakter und der Rolle von Kreativität zuspitzen, sondern dabei auch mit jenem Celebrating a Place for Conversation verknüpfen, wie er mit The Interval verdeutlicht werden konnte und dabei aufs Engste eine intendierte kreative Verantwortungsförderung einbezieht. Denn „[t]he original idea behind Cacophony was to empower individuals to manifest their dreams, desires and obsessions in some creative way that could be shared as an event“466. So kündigt sich jene kreative Verantwortungsförderung an und mit ‚Träumen, Anliegen und Obsessionen‘ ferner eine Verbindung zum narrative of hope, das dem long-term thinking der Long Now Foundation innewohnt. Denn solche Anliegen verbinden sich mit der Herausforderung seitens der Stiftung, ein ausgedehntes, langes Jetzt und die Vorstellung davon im gesellschaftlichen Diskurs zu etablieren. Ist es nämlich in der Cacophony Society die Vorstellung oder Imagination, die zählt,467 kann dies mit einem narrative of hope verdichtet werden, denn „[b]uilding something to last 10,000 years requires [...] a large dose of optimism“468 . Obsessionen wiederum lassen aus der hier eingenommenen Perspektive auf bestimmte unterschwellige Ambitionen deuten, die gerade die ‚Gründungsväter‘ der Stiftung als eigene Denkmalsetzung, nämlich als Konservierung des network of remarkable people, in die Stiftung einfließen lassen, was noch genauer verdeutlicht wird. Gleichzeitig aber kann daraus hervorgehen, dass sich nicht davor gescheut wird, das Aberwitzige in den Long-Now-Projekten zu benennen, was zusätzlich an jenen Sinn für Humor rückbindet, der bereits aus dem scenario planning deutlich wurde. Wie in unkonventionellen Kunstausrichtungen zählt Humor nämlich zu ausschlaggebenden Elementen,469 der aber konsequent durchgespielt wird, wie eine Verknüpfung von Cacophony Society und Long Now Foundation dann nahelegen kann (‚played out the end [in the framework of the next 10,000 years]‘). An dieser Stelle jedoch deutet gerade eine ‚kreative Philosophie des Spaßes‘ auf das Zelebrieren des long-term thinking. Wenn nämlich die Cacophony Society ein ausgedehntes Verständnis von Unterhaltung zu implementieren sucht

466 L. Alexander/K. Evans/C. Galbraith/J. Law: „Rethinking Cacophony: The Lance Factor“, S. 17-35, Hier S. 17. 467 W. Hoberg: „Crossover into the Cacophony Zone“, S. 44: „It’s the [...] imagination that matters“. 468 K. Kelly: „Clock in the Mountain“ vom 12.12.2014. 469 G. Warne: „Evolution into Chaos: A Chronology“, S. 6: „humor [...] a very serious thing“.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 179

und mit dem Zone Trip gleichsam eine transformierte Journey aufweisen kann, sucht die Long Now Foundation zum einen die Vorstellung vom Jetzt auszudehnen (wobei ebenso die Vorstellung und Imagination zählt470 ). Zum anderen wird dies gekoppelt mit der Journey und charakteristischen Umwelten, so in The Interval und beim imaginierten Besuch zur Clock One. Am offensichtlichsten wird die durch die Stiftung intendierte Verknüpfung zur Underground Art Scene bzw. genauer zur Cacophony Society allerdings im eingangs erwähnten Long Now Seminar „Why The Man Keeps Burning“. In solchen Seminaren geht es darum, Parallelen aufzuzeigen, in denen sich das longterm thinking verorten kann. So wird die Verbindung nicht nur über Larry Harvey, Sprecher besagten Seminars und Begründer von Burning Man deutlich, sondern auch nach eigenen Angaben der Stiftung und ihrer Teilhabe an Cacophony-Veranstaltungen.471 Es sind schließlich aberwitzige wie auch provokative Ambitionen, die sich in den Zielen der Long Now Foundation äußern und dabei auf eine Ideologie schließen lassen, die schon aus der Gruppierung der New Communalists verschoben auftreten kann. Denn jene spielerische Gemeinschaft, die sich aus den Merry Pranksters auf die New Communalists mit auswirkt, setzt sich in der Stiftung fort – mit jenem erwähnten ‚infiniten Spiel‘, das dem LongNow-Projektcharakter in hoch angesetzten Zeitspannen obliegt.472 Wenn dies dann ein experimentelles ‚Spiel ohne Ende‘ bedeuten soll, das Interessierte als Teil des Visionären, Ambitionierten und als Teil der Story einbinden soll,473 vereint es in sich ein experimentelles Erzählen, wie es aus dem scenario planning bekannt wurde und zu Schlüsselkategorien von Storytelling und Mythos in der Stiftung angeeignet wird. Das (infinite) Spiel, das Brand bereits während der Formierung der New Communalists verfolgt und in das GBN trägt,474 verdichtet sich zugleich aus Entwicklungstendenzen einer spielerischen Gemeinschaft und einer ‚mystischen Zusammengehörigkeit‘ mit jener Portion an Optimismus und

470 Vgl. Kap. 1, Anm. 69: ‚as we try to stretch out what people consider as now‘. 471 Vgl. dazu Kap. 1 und die Verbindungen von Long-Now-Mitgliedern zu Burning Man und zur Cacophony Society sowie das erwähnte Event Chuck Palahniuk and the SF Cacophony Society: Creating Culture from Mayhem, 23.09.2013, Castro Theatre, San Francisco. 472 Vgl. Kap. 1 sowie S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 168. 473 Vgl. Kap. 1, Anm. 158: ‚If you'd like to be part of something ambitious, visionary, and downright monumental, consider joining our growing band of supporters‘ sowie Hillis in Kap. 1, Anm. 182. 474 SUL, M 1237, GBN Miscellaneous, 1997, Box 89, Folder 5: C.M. HampdenTurner: „Designing the Infinite Game“, S. 1-17.

180 | V OM LANGEN J ETZT

der Hoffnung für die Zukunft,475 was die Gemeinschaft, die langfristig denkt, vereinen soll. Aus der zeitlichen Streuung schließlich gelangen solche Entwicklungstendenzen zu aktuellen Parallelen: So gilt nämlich innerhalb der Cacophony Society, „any idea can be brought to life and acted out. All events are valid, all alternate realities can be embraced and believed, all stretching of boundaries between reality and imagination can be tested“476 . In der Long Now Foundation ist jene ‚Grenzenaufhebung zwischen Realität und Imagination‘ ein narrative of hope, das sich ebenso auf der Grundlage eines kreativen Weges ausspricht, der in Veranstaltungen geteilt werden kann.477 Als imaginiertes, ‚infinites Spiel‘ sollen gleichsam unkonventionelle Ideen mit direkter Teilhabe der Öffentlichkeit nahegelegt werden.478 Schließlich ist es das Diktum, dass jede Idee umgesetzt und durchgespielt werden kann,479 das verschoben und parallel in der Long Now Foundation auftritt: „by actually building a remote monument, the discussions around long-term thinking would be far more focused and it would lend itself to good storytelling and myth – two key requirements of anything lasting a long time.“480 Mit dem Verwendungsfeld Cacophony Society kann somit eine charakteristische Ideologie des Spiels und Events hervorgehoben werden, die sich nicht nur an den Projektcharakter ausgedehnter Zeitspannen binden lässt, sondern ein Zelebrieren des long-term thinking und einen Place for Conversation genauer eruiert. Der zweite Bereich dieses Verwendungsfeldes ist jedoch dem Umstand ge-

475 ‚I have hope for the future‘, vgl. Hillis, Kap. 1, Anm. 182. 476 C. Galbraith: „Into the Zone“, S. 59 [Herv. V.F.], sowie Kap. 1, Anm. 106. 477 Dies verknüpft sich mit den oben angeführten Angaben Cacophonys eines ‚creative way that can be shared as an event‘. 478 Hier verknüpft zu ‚unorthodox ideas and direct engagement with people in it‘. 479 So das Diktum der Cacophony Society ‚any idea can be brought to life and acted out‘, wie oben ausgeführt. 480 Longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Background] vom 25.09.2014, vgl. Kap. 1, Anm. 23. – Während sich der vorliegende Teilbereich dieser Arbeit auf eine mögliche Herkunft und Entstehung der Stiftung konzentriert, soll an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen werden, dass er gleichsam vorbereitet auf die anschließenden Ausführungen in Kap. 3. Aufgezeigte Entwicklungstendenzen werden weitergeführt, etwa zu einer bestimmten Form des Tuns (Cassirer) – was rekurriert auf ein ‚acting out‘ bzw. ‚actually building‘ – wie auch zu paradoxalen Ausrichtungen (wie sie schon deutlich wurden anhand von Brand als ‚always inviting charges of self-contradiction‘ und wie es im Folgenden weiter ausgeführt wird).

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 181

schuldet, dass eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation rein aus der Counterculture – bzw. hier spezifizierten Gruppierungen und ihrer Folgeentwicklung in die 1980er Jahre – ihrer aktuellen Zusammensetzung allein nicht gerecht werden würde. Diese nämlich verweist ebenso auf Mitglieder und Folgeentwicklungen, wie schon das Kapitel People of the Long Now zeigte, abgespalten von gegenkulturellen Idealen. Bei dieser Perspektive schwingt ebenso eine Kritik an der Counterculture mit, die auf ihre Brüchigkeit verweist. Wie dann schon Technologieaneignung in einem Rocksong wiederkehren konnte, ist es insbesondere der Punk aus den 1980er Jahren, bzw. das Ereignis mit dem Punksong California Ueber Alles der Polit-Punk Band Dead Kennedys, das eine solche Kritik exemplifiziert. Zusätzlich aber führt besagte Brüchigkeit zu einer solchen, die die Long Now Foundation auch kennzeichnet und auf eine so bezeichnete Kalifornische Ideologie verweist. Dead Kennedys: California Ueber Alles [ Auszug] , (1979) 481 „I am Governor Jerry Brown

Zen fascists will control you

My aura smiles

100% natural

And never frowns

You will jog for the master race

Soon I will be president ...

And always wear the happy face

Carter Power will soon go away

[Chorus]

I will be Fuhrer one day

Close your eyes, can’t happen here

I will command all of you

Big Bro’ on white horse is near

Your kids will meditate in school [...]

The hippies won’t come you say Mellow out or you will pay [...]

[Chorus:] California Ueber Alles

[Chorus]

California Ueber Alles

[...]“

Ueber Alles California Ueber Alles California

Jello Biafra besingt oder vielmehr entwirft ein totalitäres, faschistisches System, zurückgehend auf eine Kritik an dem kalifornischen Gouverneur Jerry Brown.482

481 Erste Single-Version veröffentlicht 1979; Album-Version in: Fresh Fruit for Rotting Vegetables, 1980.

182 | V OM LANGEN J ETZT

Für die vorliegende Perspektive wird der Song dahingehend relevant, dass damit ein Scheitern der Counterculture und genauer der Kommunenbewegung hervortreten kann, das auf ihre innere, paradoxale Ausrichtung und eine charakteristische Brüchigkeit schließen lässt, die Folgeentwicklungen mit prägt. Dies äußert sich anhand einer konservativen Ausrichtung, gepaart mit jenen idealistischen Befreiungsmechanismen der Kommunen und rassistischen Zügen in einer Weltsicht, die doch gerade in der Whole Earth-Bewegung alle vereinen soll. Dies tritt mit der Aussage „California Ueber Alles“ hervor, etwa mit ‚ZenFaschisten‘ (‚Zen fascists‘), die die ‚Herrenrasse‘ (‚master race‘) kontrollieren, repräsentiert durch den weißen ‚großen Bruder‘ (‚Big Bro‘), der für amerikanische Kolonialisierung und die Verdrängung amerikanischer Ureinwohner steht. Mehr noch wird dieser in der Counterculture verkörpert, deren Mitglieder, gerade in der vorrangig nicht-politischen Kommunenbewegung, nahezu ausschließlich der wohlhabenden weißen Mittelschicht entstammten: „Virtually all of the back-to-the-landers were white, [...] well-educated, socially privileged, and financially stable.“483 Gerade in einer vorgestellten, alle vereinenden Weltsicht kommt es zu spezifischen Exklusionsmechanismen, die rassistische Züge sowie konservative Ausrichtungen, insbesondere durch traditionelle Geschlechterrollen, annimmt. Beides verknüpft vielmehr zum weißen „Mainstream-Amerika“484, von dem sich die Mitglieder in der Kommune doch abgrenzen wollten. Es sind vorrangig weiße Siedlungen mit einem „implizite[n] Rassismus“485 , die die Kommunenbewegung ausbildet. Dabei bleibt ebenso der Whole Earth Catalog auf die weiße Mittelschicht ausgerichtet, wobei etwa indianisches Kulturgut einer Stilausrichtung der

482 Die Aussage „California Ueber Alles“ steht für eine ironische Transformierung der nationalsozialistischen Deutschlandhymne, der ersten Strophe des Deutschlandliedes, um eine totalitär-faschistische Ausrichtung Kaliforniens zu persiflieren. Im Kontext von „Pop-Musik und Gegenkultur“ wird der Song bei Diederichsen als „einer der hellsichtigsten und vollständigsten Abrechnungen mit der Counterculture“ verhandelt“, siehe D. Diederichsen: „Pop-Musik und Gegenkultur: die ganze Welt und jetzt“, S. 31. 483 F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 77. Vgl. außerdem T. Roszak: The Making of a Counterculture, S. 30-31 und zu einer weiteren Kritik an der Counterculture, insbesondere was den Drogenkonsum betrifft, vgl. ebd., S. 145. 484 F. Turner: „Die Politik der Ganzheit um 1968 – und heute“, S. 47. 485 Ebd.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 183

New Communalists dient.486 Gleichzeitig wird ein traditionelles Bild der Frau gepflegt, das auf veraltete, gerade für ein Mainstream-Amerika der 1950er Jahre repräsentative Geschlechterrollen deutet: Hier wird die Frau auf ihre Rolle im Haushalt, das Gebären und das Kümmern um den Nachwuchs reduziert; ein auch im Whole Earth Catalog aufgegriffenes Bild.487 Das holistische Bild einer Whole Earth mit dem Verwendungsfeld der New Communalists im Wortsinn zieht letztlich den Zusammenbruch der Kommunen nach sich.488 Es ist nicht nur eine intendierte harmonische sowie gleichgestellte Gemeinschaft, mit jener Erfahrung einer ‚mystischen Zusammenghörigkeit‘, die doch Führungspositionen unterliegt, wie hier zuvor etwa mit Stern, Kesey oder Brand dargestellt. Zusätzlich verweist eine hier auftretende andere Seite einer Technologieaneignung auch darauf, dass sich die New Communalists gerade von jenen Werkzeugen oder Mitteln freimachten, die einer finanziellen und kulturellen Gleichberechtigung sowie ausgeglichenen Arbeitsrollen gedient hätten und somit abhängig bleiben vom ‚Charisma‘ der Führungspositionen. 489 Dabei kommt es gerade in einer intendiert unpolitischen Orientierung zu einer dominanten Ideologie der Selbstregulierung, die die Gemeinschaft regeln und organiseren soll; die Zusammengehörigkeit schließlich als „intuitives Zusammenspiel [kosmischer Kräfte]“490 reglementiert und in einen Begriff von „Bewusstseinspolitik“491 mündet. Gepaart mit einer Befreiungsideologie von Mainstream und damit von kapitalistischen und konsumorientierten Ausrichtungen, kehren sich diese vielmehr in ein paradoxales, brüchiges Konzept der New Communalists um, das für Exkludierte vielmehr „nach einer Invasion durch Außerirdische, nicht nach einer Befreiung [schmeckte]“492 . Insbesondere wird so eine Paradoxie

486 Vgl. ebd., S. 46; F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 97-98 sowie im Whole Earth Catalog, beispielsweise „Industry and Craft“, siehe S. Brand: Whole Earth Catalog, S. 31. 487 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 76-77; F. Turner: „Die Politik der Ganzheit um 1968 – und heute“, S. 46-47 sowie im Whole Earth Catalog, etwa „Nomadics“, siehe S. Brand: Whole Earth Catalog, S. 46; 49. 488 Vgl. F. Turner: „Die Politik der Ganzheit um 1968 – und heute“, S. 48. 489 Vgl. ebd., S. 46-47. – So überrascht es auch nicht, wenn Biafra von ‚My aura smiles and never frowns‘ singt. 490 Ebd., S. 46. 491 Ebd., S. 47. 492 Ebd. – Zum Konzept der Befreiung, wie es schon ausführlich anhand der Wende nach innen verdeutlicht und hier zu einer Abkehr von einer Konsumorientierung in-

184 | V OM LANGEN J ETZT

verdeutlicht, in der gerade ein holistischer, vermeintlich allinkludierender Rahmen keine Unterschiede zulässt493 und somit jede Bewegung hin zu Gleichberechtigung und Ausgeglichenheit unterbindet. Die Vorstellung von der übergreifenden Whole Earth lässt keinen Platz für ein selbstkritisches Bewusstsein darüber, an welcher Stelle es zu Exklusionsmechanismen kommt und eine Gleichberechtugung unterlaufen wird. Schließlich wird paradoxerweise eine Gruppierung deutlich, die in der intendierten Abkehr vom Mainstream-Amerika eine konservative und konsumorientierte Ausrichtung darstellt; nicht zuletzt spezifiziert durch die New Communalists und die Kehrseite ihrer Werkzeuge für transformative Erfahrungen – sie erscheinen selbst als Konsumgüter inklusive Beschaffungsmöglichkeiten, sodass sich die Gruppierung letztlich selbst in der Konsumgesellschaft verankert.494 Eine bestimmte Brüchigkeit und paradoxale Ausrichtung innerhalb der Counterculture wirkt sich auf Folgeentwicklungen und eine Entstehung und Herkunft der Long Now Foundation aus. Eine solche Brüchigkeit bezieht die sogenannte „Kalifornische Ideologie“495 ein, wie sie im europäischen Kontext mit Etablierung des World Wide Web benannt wird und gleichsam Utopien sowie eine charakteristische Befreiungsideologie oder -politik aufruft. Mit der Kalifornischen Ideologie tritt jener ‚große Bruder‘, und das bedeutet hier ein nationaler Pathos amerikanischer Pionierstellung und Technikentwicklung, hervor. Denn er bindet sich an Kolonisationsgedanken, die mit dem sogenannten Cyberspace und einer neuen Stellung des Web aufkommen.496 Zunächst

nerhalb von Cacophony weitergedacht wurde, vgl. außerdem T. Roszak: The Making of a Counterculture, S. 47; 2; 4, wenn es um Bürokratie und Mainstream geht. 493 Dies wurde schon im Verwendungsfeld der Kunst deutlich und tritt mit USCO nochmals durch „We are all One“ hervor, siehe F. Turner: „Die Politik der Ganzheit um 1968 – und heute“, S. 47; F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 54; vgl. ferner M. Oren: „USCO“, S. 77 sowie A. Franke: „Earthrise und das Verschwinden des Außen“, S. 16. 494 Vgl. F. Turner: „Die Politik der Ganzheit um 1968 – und heute“, S. 48. 495 Der Begriff wird in den 1990er Jahren geprägt durch die Soziologen Richard Barbrook und Andy Cameron, siehe R. Barbrook/A. Cameron: „Die Kalifornische Ideologie“, Telepolis (05.02.1997), http://www.heise.de/tp/artikel/1/1007/1.html vom 21.11.2012. 496 Vgl. U. Thiedeke: „Von der ‚kalifornischen Ideologie‘ zur ‚Folksonomy‘“, S. 51-60, hier S.53; F. Rötzer: „Die kalifornische Ideologie – Ein Phantom?", Telepolis (12.08.1996), http://www.heise.de/tp/druck/mb/artikel/1/1053/1.html vom 21.11.2012. Bezüglich des Konzepts der New Communalists spricht Turner auch von „old

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 185

rückt dabei der Standort Kalifornien in den Mittelpunkt – so gesehen lesbar als „California Ueber Alles“. Denn nicht nur gruppiert sich eine solche Vormachtstellung insbesondere um das Silicon Valley, nicht zuletzt als Gründungsort von Apple und Standort führender Computerindustrie, sondern Kalifornien wird im Rahmen ideologischer Konzepte als Nation der „Frontier“497 gesehen. Das bedeutet, verknüpft mit den hier dargestellten Entwicklungstendenzen aus der Counterculture und ihrer Kommunenbewegung, dass jene ‚Bewusstseins- und Befreiungspolitik‘ in eine „utopisch verklärte Bejahung der Computertechnik, [...] [g]ebündelt in der Metapher des Cyberspace“498 umschlägt: Kalifornien erscheint als finale westliche Grenze, mündend in den „kybernetischen Sinnraum des Internet, den Cyberspace“499 . Die proklamierte Vormachtstellung gerade technischer Entwicklungen, die immer wieder mit Vorstellungen vom Amerikanischen Traum verknüpft wird,500 koppelt sich dabei mit Kolonisationsgedanken und jener Selbstregulierung, die bereits das Gemeinschaftsleben in der Kommune regeln sollte. Wird ein Konzept von Kalifornischer Ideologie auf bereits extrahierte Gruppierungen der Counterculture und Folgeentwicklungen zugespitzt, treten mit dem Cyberspace jene ‚kosmischen Kräfte‘ wieder auf, die zusätzlich die vorgestellte Selbtregulierung wieder hervorholen: Es ist nunmehr ein technikdeterminierter Amerikanischer Traum von technischer Vormachtstellung, mit dem Kolonisationsgedanken als Vorwärtsdrängen in den freiheitsversprechenden Cyberspace und als Erweiterung der finalen Grenze gen Westen auftauchen.501 Ein solches Denken der Grenze, die ideologisch durch einen Horizont erweitert werden soll, lässt

patterns of colonization and migration“, siehe F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 78. Das vorrangig europäische Konzept von einer Kalifornischen Ideologie kann in diesem Archiv mit einer spezifischen Ideologie-Ausbildung verknüpft werden, die schon im Rahmen der Kunst auf das Spiel und das Event verwies. Im Gründungskontext der 1990er Jahre kann außerdem die Transformation solcher Ideologien bzw. die Umdeutung eines Grenzbegriffs in die Geschäftsidee vom langen Jetzt aufgeschlüsselt werden. 497 Vgl. F. Rötzer: „Virtueller Raum oder Weltraum“, Telepolis (13.08.1996), http:// www.heise.de/tp/artikel/1/1006/1.html vom 16.12.2014; U. Thiedeke: „Von der ‚kalifornischen Ideologie‘ zur ‚Folksonomy‘“, S. 53. 498 Ebd., S. 54 [Herv. i.O. in Anführungszeichen]. 499 Ebd., S. 53. 500 Vgl. F. Rötzer: „Virtueller Raum oder Weltraum“ vom 16.12.2014. 501 Vgl. ebd.; U. Thiedeke: „Von der ‚kalifornischen Ideologie‘ zur ‚Folksonomy‘“, S. 53-54.

186 | V OM LANGEN J ETZT

sich zeitphilosophisch mit der Grenzerweiterung des Jetzt verknüpfen. In Anlehnung an Husserl erscheint das Jetzt als Grenze,502 die jedoch durch einen „Horizont [...] von [...] Erinnerungen und Erwartungen“503 erweitert wird. Angereichert durch die Vergangenheit erhält das Jetzt Dauerhaftigkeit 504 durch die „primäre Erinnerung oder, [...] die Retention“505; sie ist ein „Vergangenheitsbewusstsein“506 im Jetzt. Zusätzlich erstreckt sich der erweiterte Horizont über die „Protention“507 als „primäre Erwartung“508 . Die Grenzerweiterung des Jetzt zeigt sich in einem retentionalen und protentionalen Horizont – der „Jetztpunkt hat für das Bewusstsein wieder einen Zeithof“509 , einen „Horizont“510 von „Retentionen der vergangenen und Protentionen der kommenden Phasen“511 . Das lange Jetzt kann damit aus einer spezifisch kalifornischen Situation mit einer Umdeutung des Grenzbegriffs verknüpft werden: Mit der Kalifornischen Ideologie wird der Grenzpunkt in jenen ‚freiheitsversprechenden Sinnraum‘ umgedeutet; retentional erstreckt sich die Ideologie der Grenzerweiterung über das Weltraumprogramm der NASA bzw. Brands Kampagne zur Veröffentlichung des Bildes vom Blauen Planeten, um die transformative Erfahrung als jenes Bewusstsein von der Whole Earth einzuleiten; protentional über die Erwartung eines freiheitlichen kybernetischen Sinnraums, der die finale westliche Grenze erweitern soll. Aus dieser spezifisch kalifornsichen Situation leiten sich Formationsprinzipien einer ideologischen Grenzerweiterung ab, die das lange Jetzt schließlich als Geschäftsidee in den Gründungskontext der Long Now Foundation Ende der 1990er Jahre stabilisiert. Neben eine Herkunft des langen Jetzt aus der transformativen Erfahrung einer ‚Götterperspektive‘, aus der Kunstwelt der 1960er und 70er Jahre und aus Ableitungen vom Zen-Buddhismus, ist die Ausdehnung des Jetzt auch vor dem Hintergrund der Kalifornischen Ideolgie zu sehen. Mit der

502 Vgl. E. Husserl: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins, S. 379-380: Die Grenze kennzeichnet sich als „Jetztpunkt[es] zwischen Vergangenheit und Zukunft“. 503 Ebd., S. 437. 504 Vgl. ebd., S. 433. 505 Ebd., S. 391. – „Die Retention [...] hält nur das Erzeugte im Bewußtsein und prägt ihm den Charakter des ‚Soeben vergangen‘ auf“, siehe ebd., S. 396. 506 Ebd., S. 433. 507 Ebd., S. 396. 508 Ebd., S. 399. 509 Ebd., S. 396. 510 Ebd., S. 437. 511 Ebd.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 187

dort aufkommenden Umdeutung des Grenzbegriffs wird eine ‚Bewusstseinspolitik‘ nicht nur als intendiert transformatives Zeitbewusstsein lesbar, sondern die Grenzerweiterung wird auch als Geschäftsidee vom langen Jetzt vermarktet und transformiert. Zugleich verlagern sich jene ‚kosmischen Kräfte‘, neben einem proklamierten „Zugang für alle“512, den das Web bereitstellt, in utopische Freiheitsgedanken – eine ‚Befreiungspolitik‘ gleichsam –, die jene Selbstregulierung aus der Kommune weiterführt. An dezentrale Zugänge durch das World Wide Web kopple sich zugleich eine freiheitliche Organisation der Inhalte, die somit selbstregulierende Mechanismen der nunmehr internetbasierten Gemeinschaft generiere.513 Selbstregulation und eine fortgeführte Befreiungsideologie oder vielmehr besagte ‚Bewusstseinspolitik‘ treten explizit anhand einer „neuen Heimat des Geistes“514 hervor, die eine „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“515 hervorruft. Dieser gehen bereits solche Erklärungen voraus, die den nationalen Pathos noch in Form einer „Magna Carta for the Knowledge Age“516 verdichten

512 F. Rötzer: „Die kalifornische Ideologie – Ein Phantom?" vom 21.11.2012. 513 Zu den Prinzipien oder Charakteristika der Kalifornischen Ideologie vgl. ebd. und siehe U. Thiedeke: „Von der ‚kalifornischen Ideologie‘ zur ‚Folksonomy‘“, S. 52: „Charakteristika der Internetkultur: Dezentralität des Zugangs; Individualität der Beteiligung; Vernetzung der Kontakte; Technizität des Umgangs; Liberalität der Inhalte“ [Herv. i.O.]. 514 J.P. Barlow: „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“, in: Telepolis (29.02.1996), http://www.heise.de/tp/artikel/1/1028/1.html vom 17.12.2014. 515 Ebd., vgl. auch J.P. Barlow: „A Declaration of the Independence of Cyberspace“, Electronic Frontier Foundation, eff.org (08.02.1996), https://projects.eff.org/~barlow/Declaration-Final.html vom 17.12.2014. – John Perry Barlow war nicht nur beteiligt an den Arbeiten der Band The Grateful Dead, neben Jefferson Airplane ein weiteres Verwendungsfeld für small scale technologies um Psychedelic Rock, sondern ebenso an der Formation von Netzwerkforen und auch Teil des Whole Earth Network, insbesondere um The WELL, vgl. dazu ferner F. Patalong: „Ende der UrNetzcommunity The Well“, Spiegel Online (04.07.2012), http://www.spiegel.de/ netzwelt/web/ur-social-network-the-well-soll-geschlossen-werden-a-842266.html vom 11.11.2012. So kündigt sich an, inwiefern sich gegenkulturelle Ansätze in der Kalifornischen Ideologie mit anarchistischen, liberalen, aber gleichzeitig unternehmensgestützten kapitalistischen Ausrichtungen paaren. 516 Siehe E. Dyson/G. Gilder/G. Keyworth/A. Toffler: „Cyberspace and the American Dream. A Magna Carta for the Knowledge Age“, The Progress & Freedom Foundation (08.1994), http://www.pff.org/issues-pubs/futureinsights/fi1.2magnacarta.html

188 | V OM LANGEN J ETZT

und dabei amerikanisches Verfassungsrecht an den Amerikanischen Traum, mit liberalem Cyberspace, rückkoppeln. Dabei lässt sich eine spezifische Ambivalenz der kalifornischen Ideologie aufzeigen: Es ist die Zusammenkunft in der so bezeichneten „virtuellen Klasse“517 aus Liberalen der gegenkulturellen Ausrichtung und Konservativen der Unternehmenskultur. So wird jene paradoxale Ausrichtung der Kommunen zwischen liberalen, selbstregulierenden Mechanismen und konservativen Orientierungen wachgerufen, die sich selbst mit einer Klassen- und Rolleneinteilung des konservativen Mainstream-Amerika verknüpfte. Darüber hinaus äußert sich diese Ambivalenz und damit eine charakteristische Brüchigkeit anhand von ehemaligen Vertretern der Counterculture, die sich jedoch mit dem Unternehmertum und dann auch mit einer markt- sowie konsumorientierten Ausrichtung aufstrebenden Computerwesens verbinden – sie mündet in einer „seltsamen Mischung aus liberalem und individualistischem Sendungsbewußtsein mit nationalem Pathos und ökonomischem Herrschaftswillen“518. Jene Brüchigkeit, die in einer ‚Befreiungs- und Bewusstseinspolitik‘ mit kapitalistischer Ausrichtung liegt,519 verbindet sich mit einem fortgesetzten Klassendenken. Es zieht gleichsam Exklusionsformen nach sich, eine ‚geistige Elite‘,

vom 17.12.2014. Esther Dyson ist Vorstandsvorsitzende der Edventure Holdings, einer Anlageberatung für Jungunternehmen vor allem der IT-Branche, und Verfasserin von Release 1.0 und Release 2.0, einem Technologie-Newsletter, vgl. dazu edventure.com, http://www.edventure.com/ vom 17.12.2014; sbw.org, http://www. sbw.org/release1.0/ vom 17.12.2014. Zusätzlich ist sie mitbeteiligt an Publikationen in Wired und vor allem Vorstandsmitglied der Long Now Foundation, vgl. longnow. org, [People: Esther Dyson], http://longnow.org/people/board/edyson3/ vom 17.12.2014. Sie bildet somit eine weitere Funktionsträgerin im Whole Earth Network und auch dafür, inwiefern diese Entwicklungstendenzen in die Siftung getragen werden. 517 Vgl. insbesondere R. Barbrook/A. Cameron: „Die Kalifornische Ideologie“ vom 21.11.2012 sowie U. Thiedeke: „Von der ‚kalifornischen Ideologie‘ zur ‚Folksonomy‘“, S. 53; F. Rötzer: „Die kalifornische Ideologie – Ein Phantom?" vom 21.11.2012; F. Rötzer: „Virtueller Raum oder Weltraum“ vom 16.12.2014. 518 F. Rötzer: „Virtueller Raum oder Weltraum“ vom 16.12.2014. 519 Diese äußert sich vor allem auch in Großkonzernen, gar Monopolstellungen, denn „immer wieder wird der Triumph von Apple [...] wiederholt [...].“ Allerdings „spricht [man] nicht gerne von den großen Konzernen, kultiviert lieber die Gestalt des zu Wohlstand kommenden, aber ganz dem Individualismus ergebenen Hacker“, siehe F. Rötzer: „Die kalifornische Ideologie – Ein Phantom?" vom 21.11.2012.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 189

von der eine besagte Dezentralität dann paradoxerweise gesteuert wird.520 In der Kalifornischen Ideologie setzt sich somit eine Exklusionsform durch ein charakteristisches Klassendenken fort. Überdies kann eine spezifische Form von Narzissmus deutlich werden, die das Feld um ausgerufene Ideologien zu einem Holismus, der ebenso paradoxerweise ausschließt, pointiert: Im Rahmen der Folgeentwicklungen um das Whole Earth Network, wie sie sich schließlich auch auf die Unternehmenskultur Kaliforniens auswirkt, ist es die holistische Haltung, die auch zu einer narzisstischen Komponente, einer „narzisstsichen Einsicht“521, führt. Denn indem die Welt als Ganze auftritt und der individuelle Lebensstil, vereint in der Kommune, diese widerspiegele, „war [es] einfach zu glauben, dass die privateste Umgebung des Einzelnen gleich die ganze Welt war“522. Eine narzisstische Haltung verschiebt sich dann ebenso in ein Technologieverständnis, mit dem „Medientechnologien es bemerkenswert leicht gemacht haben, uns einbilden zu können, dass wir vom Sessel aus einen Zugriff auf Dinge, Ideen und Menschen auf der ganzen Welt hätten“523. So wie Exklusionsmechanismen von gleichberechtigenden Fragen nach Geschlecht, Ethnie und Klasse wegführen – die aber implizit jene Ganzheit brechen –, kehrt sich eine exkludierende wie auch narzisstische Haltung in Folgeentwicklungen um, zu einer Bemächtigung von individuellen, elitären Gruppieren.524 Doch nicht zu leugnen ist dabei, dass Brands Initiativen, wie die Formierung multidisziplinärer Netzwerke oder das Vorantreiben von Learning Systems oder des Group Learning, „zu Modellen für digitale Prozesse [wurden], welche die Teilhabe an der globalen Öffentlichkeit dramatisch erweitert und diversifiziert haben“525. Funktionsträger wie Brand und solche aus dem Whole Earth Network gelten dabei bis heute als „weltweit wichtige Protagonisten in der Diskussion um Ökologie, Technologie und Community“526 . So finden sie auch in der Long Now Foundation zusammen, nicht nur in

520 Vgl. zur sogenannten Cyberelite oder auch ökonomischen wie technischen Eliten U. Thiedeke: „Von der ‚kalifornischen Ideologie‘ zur ‚Folksonomy‘“, S. 55-56, vgl. ferner F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 97. 521 F. Turner: „Die Politik der Ganzheit um 1968 – und heute“, S. 48. 522 Ebd. 523 Ebd. 524 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 97: „But what kind of world would this new elite build? [...] it would turn away from questions of gender, race, and class, and toward a rhetoric of individual and small-group empowerment“, siehe ebd. 525 F. Turner: „Die Politik der Ganzheit um 1968 – und heute“, S. 48. 526 Ebd.

190 | V OM LANGEN J ETZT

einem Place for Conversation gerade für solche Diskussionen, die sich zum long-term thinking verschieben. Zugleich kommen sie hier zusammen durch die Abfolge technologischer Entwicklungen in einem ‚Spielplatz‘ für die Gruppe mit stabilisiertem Group Learning, in dem gleichsam die Bemächtigung der Gruppe (‚small-group empowerment‘) oder die fortgesetzte „computergestützte Gruppenarbeit“527 greift. Dabei kann jedoch ebenso auf eine narzisstische Haltung gedeutet werden, mit der sich eingebildet wird, ‚einen Zugriff auf Dinge, Ideen und Menschen auf der ganzen Welt‘ haben zu können, der Zeitvorstellungen transformiert und damit Verantwortung fördere. Hier verknüpft sich die ideologische Grenzerweiterung explizit mit der Transformation in eine Geschäftsidee: In der Long Now Foundation als Phänomen der Post-Hippie-Ära schlagen die Ausweitung der finalen Grenze gen Westen und ein intendierter Zugriff auf Ideen und Menschen in eine Grenzerweiterung des Jetzt um, die zugleich ihrer Selbstinszenierung dient. Während die Grenzerweiterung zeitphilosophisch an einen retentionalen und protentionalen Horizont rückgebunden werden kann, zeigt die Long Now Foundation ebenjene ambivalente Richtung von einstigen Vertretern der Counterculture, deren Ideale, gekoppelt an markt- und konsumorientierte Ausrichtungen, Einzug in das Unternehmertum finden. In der Stiftung finden jene Vertreter der Counterculture, solche des Unternehmertums, Computeringenieurwesens und der Unterhaltungsindustrie ihren ‚Gruppenspielplatz‘, um die Grenzerweiterung (das ‚stretching of boundaries‘ 528 ) aus spielerischen kalifornischen Ideologien durchzuspielen – ganz der Verantwortungsförderung verschrieben. Gepaart mit einer narzisstischen Haltung ist die Grenzerweiterung doch zugleich ein ausgedehnter Horizont für die Geschäftsleute selbst – ihre Geschäftsidee ist auch die der eigenen Vermarktung und der nachhaltigen Inszenierung der remarkable people im Geschäft Long Now Foundation.529 Für eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation lässt sich festhalten, dass einerseits Parallelen zur San Francisco Art World ausgemacht werden können, die andererseits Ideologien ausdifferenzieren und zu einer Brü-

527 Ebd. – Diese verbindet sich also mit Formationsprinzipien zu einem Verständnis von Informationstechnologien, wie es aus der Anordnung im Archiv über das GBN und die New Communalists freigelegt werden konnte. 528 Vgl. Anm. 476. 529 Der retentionale Horizont ließe sich zusätzlich über eine Herkunft und Entstehung aus Funktionsträgern und Formationsprinzipien der 1960er, 70er, 80er und 90er Jahre anbringen; protentional richtet er sich auf das Stiftungsgeschäft, dessen Protagonisten mit dem langen Jetzt nachhaltig in Szene gesetzt sind.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 191

chigkeit der Stiftung führen. Wenn in der Cacophony Society nämlich zusammengefasst ein Zusammenschluss von ‚visionären Freigeistern‘ 530 zustandekommt, so besteht ein solcher auch in der Long Now Foundation. Hier wird ebenso ein konsequentes Durchspielen dieser ‚Visionen‘ (‚Play it Out to the End‘531) umgesetzt, in einem intendierten Zeitrahmen von 10.000 Jahren, was der Aktionskunst als unorthodoxe oder unkonventionelle Idee inhärent ist. Zudem spiegeln sich hier auf Partizipation ausgerichtete Events (‚shared events‘532) wider, in der Gemeinschaft von ‚mystischer Zusammengehörigkeit‘, die nämlich die transformative Erfahrung eines long-term thinking vereinen soll, wobei diese Erfahrung gleichsam auf eine ‚Bewusstseinspolitik‘ deutet. Ferner aber betrifft jenes konsequente Durchspielen aufs Engste den Projektcharakter eines work in progress in den Long-Now-Projekten, der mit ihrem Business-Plan noch genauer hervortritt und eine tragende Rolle für ein Denken des Jetzt einnimmt. Doch ist es die intendierte Verknüpfung der Long Now Foundation zur Underground Art Scene und deren fortgesetzte Abkehr von Mainstream und kapitalistischer Ausrichtung, die ebenso auf ihre Brüchigkeit deutet und damit auch auf vorangegangene Entwicklungstendenzen aus dem Whole Earth Network, die in der Kalifornischen Ideologie auftreten. Dabei soll kein ‚impliziter Rassismus‘ in der Long Now Foundation ausgemacht werden, wohl aber eine implizite Exklusion, die jene Bemächtigung der Gruppe (das ‚small-group empowerment‘) fortsetzt und eine wohlhabende Mittel- bis Oberschicht repräsentiert.533 Mit der Gruppe könnte sich dann auch eine Form von narzisstsicher Haltung aufdrängen, indem sie durch das network of remarkable people kalifornischer Unternehmenskultur und das Charisma der (gegenkulturellen) Funktionsträger in das Verwendungsfeld Long Now Foundation verschoben wird. Schließlich setzt sich in der Stiftung jene Ambivalenz aus gegenkultureller Ausrichtung und marktorientierter Unternehmenswelt fort.534 Wird das marktori-

530 So die zuvor angeführten Angaben aus Cacophony: ‚a network of free spirits‘; ‚a place were people can come together who have their own strange vision‘, vgl. Anm. 458, sowie Kap. 1, Anm. 100; 96. 531 Vgl. Anm. 463. 532 Vgl. Anm. 466. 533 Vgl. dazu ausführlich die Angaben zu People of the Long Now, Kap. 1 und longnow.org, [People: Board/Staff/Associates], http://longnow.org/people/board/ vom 17.12.2014. 534 Die gegenkulturelle Ausrichtung sei hier nochmals mit zentralsten Kristallisationspunkten benannt, wie technologische Folgeentwicklungen; Jetzt-Begriffe aus Kunstwelt und Zen-Buddhismus; eine mögliche Herkunft des langen Jetzt (ergänzend zu

192 | V OM LANGEN J ETZT

entierte Unternehmertum am offensichtlichsten mit der Gruppierung um das GBN, die Modi der Abfolge, Stabilisation, Aneignung und Transformation darstellen konnte, kommen einerseits Ambivalenzen durch die anti-kapitalistische Ausrichtung der Underground Art Scene als einflussnehmende Parallelentwicklung zur Long Now Foundation auf. Dabei ist es andererseits eine durch die Stiftung selbst benannte, aber vermeintlichte Abkehr von marktorientierter Ökonomie, die sie gerade im Hinblick auf Zeitprozesse korrigieren will.535 Wie aber die New Communalists sich mit dem konsum- und produktorientierten Whole Earth Catalog selbst in der Konsumgesellschaft verorteten, verschiebt sich eine solche Orientierung schließlich auch in Finanzierungsquellen der Stiftung, die zum einen aus dem Silicon Valley schöpfen, zum anderen auf Großkonzerne gerade einer Konsumenten- und Kapitalgesellschaft wie Amazon zurückgreifen und ferner ein der Stiftung spezifisches Merchandising aufzeigen. Außerdem stehen die Personen der Stiftung zum Teil selbst für solche Großkonzerne und eine Konsumenten- und Kapitalgesellschaft, wie es mit Danny Hillis und Disney sowie mit Jeff Bezos und Amazon deutlich werden konnte. Hier kann eine Herkunft festgehalten werden, die sich aus Ambivalenzen in Gruppierungen der Counterculture, aus Formationsprinzipien der Kunstwelt Kaliforniens und aus Folgeentwicklungen charakteristischer Ideologien mitformiert. Nicht zuletzt ist hier hervorzuheben, dass die Long Now Foundation als ein Teil jener einflussreichen Gruppen angesehen werden kann, die gesellschaftlich relevante Diskussionen vorantreiben;536 ein Verwendungsfeld oder vielmehr Place for Conversation für ‚wichtige Protagonisten und Diskussionen um Ökologie, Technologie und Community‘, die sich im long-term thinking manifestieren. Eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation mündet im vorliegenden Archiv in die Long-Now-Geschäftsidee, in der zentrale vorangegangene Formationsprinzipien zusammenfließen können. Dieser Geschäftsidee sei jedoch eine Zwischensequenz zur Anordnung und zeitlichen Streuung aus der Unternehmenswelt, spezifizierter Counterculture und kalifornischer Kunstwelt vorangestellt, um die bisherige, diskontinuierliche Anordnung aus perspektivischem Wissen zusammenzuführen.

Brian Enos Begriffsprägung) aus transformativer Erfahrung und small scale technologies. 535 Vgl. Kap. 1, Anm. 55 sowie S. Brand: „The Clock and Library Projects“ vom 28.04.2015. 536 Sie setzt somit auch jenen Einfluss des Whole Earth Network fort, ‚the Whole Earth group’s influence in the years to come‘, vgl. Anm. 390.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

2.4 Z WISCHENSEQUENZ : Z WISCHENFAZIT ZWEITER O RDNUNG

IM

| 193

A RCHIV

Für die Long Now Foundation kann ein dichtes genealogisches Gefüge im Archiv angeordnet werden, das der zeitlichen Streuung anhand einer Trias folgt und die Vergangenheit in einer ‚Geschichte der Gegenwart‘ entzeitlicht: Als zwischengeschaltete Orientierung ergibt sich die Anordnung aus der Unternehmensberatung der 1980er Jahre, spezifizierter Counterculture der 1960er und 70er Jahre, dortiger bis hin zu aktueller Kunstwelt und aus der Kalifornischen Ideologie der 1990er Jahre. Aus der Gruppierung um das GBN und dessen World View Service kann zunächst ein Verständnis wie auch die Formierung von Storytelling und Mythos hervorgehen, die auf das scenario planning rekurriert. Die Szenarien inhärente geistige Umkehr (mental shift) verdeutlicht ein Offenhalten möglicher Zukünfte,537 das ein Vorausdenken einbezieht, wobei eine adäquate Story es ermöglichen kann, Denkweisen in neue Richtungen zu verlagern. Dabei tritt das Narrativ pointiert hervor, indem es die Imagination spezifisch einbindet und als gemeinschaftliches Konzept auftritt, das offen bleibt für Interpretationen und ein Plotsetting verfolgt, was insbesondere durch People of the Long Now übernommen wird. Ferner kann so der Mythos hergeleitet werden, da hier Imagination und unkonventionelle Ideen mit Anerkennung versehen werden, wie es transformiert in der Stiftung als narrative of hope erscheint. Er führt dazu, Auffassungen von Welt herauszufordern, wobei ihm ein experimentelles Erzählen zugrunde liegt. Dem Narrativ im scenario planning folgend, wurde ebenso eine bestimmte Zeicheninterpretation benannt, die sich in die 10.000-Jahre-Uhr verschiebt.538 Außerdem deutet die Präsentation von Szenarien auf eine intendierte kreative Verantwortungsförderung der Long Now Foundation. Zum einen verweist die Auffassung von Kreativität durch das Kollektiv bereits auf eine Bemächtigung individueller Gruppierungen (‚small group empowerment‘). Zum anderen verknüpft sich dies mit der Ausbildung eines Place for Conversation, der angeeignete Präsentationen zum long-term thinking etwa in The Interval oder in Long Now Seminars etabliert. Dabei tritt bereits die Journey auf, indem Szenarien auch als Reise verstanden werden sollen, verknüpft mit einem Navigieren durch Komplexität, wie es im scenario planning als ‚navigating through

537 Dies weist gleichzeitig zurück auf einleitende, exemplarische Verhandlungen von Gegenwart, die das Jetzt problematisieren. 538 Dies verweist auf eine detaillierte Analyse der 10.000-Jahre-Uhr im zweiten Teilbereich dieser Arbeit, in der ein sinnliches Zeichen (Cassirer) fokussiert wird.

194 | V OM LANGEN J ETZT

complexity‘ auftaucht. Die Reise kann in folgende Bereiche weitergedacht werden, deutet an dieser Stelle bereits auf ein Navigieren durch die Webseite und taucht transformiert in Long-Now-Projekten auf, grundlegend in Clock One und The Interval, was zusätzlich, auch mit Long Bets, auf einen Eventcharakter und Unterhaltungswert der Stiftung hinweist. Im Kern kann festgehalten werden, dass die geistige Umkehr des scenario planning durch die Stiftung zu einem long-term thinking und folglich zum Denken der Paradoxie des langen Jetzt angeeignet wird. Vor allem können sich im scenario planning jene Schlüsselkategorien der Long Now Foundation von Storytelling und Mythos ausbilden, die dazu dienen sollen, an Vorstellungen vom Jetzt teilzuhaben, diese herauszufordern und zu zelebrieren. Der Bereich um Network Conferences und Konversationen leitet eine Herkunft des network of remarkable people her, das transformiert als People of the Long Now erscheinen kann. Dabei liegt eine Doppelbewegung zugrunde, die eine spezifische Rhetorik und eine elitäre Gruppenbildung hervorbringt. Bereits hier wird die Journey mit Network Conferences an unüblichen Orten deutlich. Insbesondere erstellen diese Konferenzen und ein charakteristischer Konversationsmodus ein Bindeglied zur weiteren Anordnung im Archiv, was drei zentrale Aspekte hervorhebt: Erstens schließt daran die Begriffsformation um Learning an, die nicht nur zur Learning Journey und zum Learning System führt, sondern eine diskursive Dominanz auftreten lässt und folglich den diskursiven Bereich eines diskursivtechnischen Apriori der Long Now Foundation explizit macht. Zweitens äußert sich mit dem Kapitel GBN Computerconferences ein Scharnier für die zeitliche Streuung in der Anordnung. Es führt zu dem Spezifikationsraster innerhalb der Counterculture und zu Verwendungsfeldern der Kunst, innerhalb derer die geistige Umkehr zu einer transformativen Erfahrung verfolgt werden kann. Somit wird auf das long-term thinking gedeutet bzw. ein Teil dafür ausgebildet, woher das lange Jetzt, neben der Selbstbeschreibung der Stiftung, kommen kann. Drittens bereitet dieser Bereich bereits auf die Long-Now-Geschäftsidee und eine Gründungs-Konversation der Stiftung vor, mit der die Anordnungsprinzipien zusammenfinden können. Network Conferences und GBN Computerconferences konnten dann für die weitere Formierung einen Positionswechsel von Schwartz zu Brand aufzeigen. Das Kapitel Learning Conferences: Formierung der Konversation verdeutlicht, neben einer Möglichkeitsbedingung der Entstehung des GBN, explizit die diskursive Dominanz der contact language, die sich um Learning ausbildet. Wie schon die Zusammensetzung der People of the Long Now einführend zeigte,

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 195

kann dabei die Herkunft und Entstehung von kollaborativen Netzwerken aufgezeigt werden, aus der Forschungswelt der 1950er Jahre. Der gemeinsame Nenner der diskursiven Dominanz ist dabei vor allem die Formation bzw. ein charakteristisches Verständnis von Learning, das Brand in das GBN trägt und das sich auf Folgeentwicklungen auswirkt, wie sie dann später mit dem Whole Earth Network hervorstechen. Die Formation um Learning zeigt erstens ein stabilisiertes oder reaktiviertes network of remarkable people in People of the Long Now, deren Konstitution sich aus vielfältigen disziplinären wie kulturellen Bereichen aus dem Abfolgemodus von den Macy-Konferenzen zu Learning Conferences über das GBN ableitet. Zweitens wird das Verständnis von Learning selbst in das Stiftungsfeld Long Now Foundation transferiert, indem selbst aufrechterhaltende Strategien des Netzwerks ausgebildet werden (die zu einer ‚lebenden Institution‘ führen) und Storytelling und Mythos an das scenario planning rückgekoppelt werden können: Im Group Learning, wiederum die Relevanz individueller Gruppenbildung (‚small-group empowerment‘) vorweggreifend, geht es um eine bestimmte auszubildende Sprache, mit der, geknüpft an die dargestellten Vorstellungen von kollektiver Kreativität, gemeinsam Prozesse der Ideen- und Gruppenentwicklung generiert werden. Group Learning konstituiert dabei ein selbst aufrechterhaltendes System (‚self-creating structure‘) und verbindet sich zugleich mit dem scenario planning. Denn ‚Learning is seen as doing what stories do‘, mit einem plotsetting, einprägsam und provokativ und mit dem Mythos wird die Story in der Long Now Foundation stabilisiert. Learning System und Learning Journeys verdichten den Konversationsmodus zu einer selbst aufrechterhaltenden Struktur, die sich an eine ‚lebende Institution‘ bindet, wie sie die Long Now Foundation darstellen möchte. Wie bereits einführend in der ‚Diagnose der Gegenwart‘ aufgezeigt, gehören dabei stete Erneuerung und andauernder Bauprozess zusammen. So kann die Herkunft einer solchen Vorstellung von einer ‚lebenden Institution‘ und ein work in progress als spezifischer Long-Now-Projektcharakter ausmacht werden. Zusätzlich verdichtet sich Learning hier mit der Learning Journey zu einer angeeigneten Reise, die auf charakteristische Umwelten hinweist. Die Journey stimuliert zugleich jene selbst aufrechterhaltende Struktur und hebt ein Netzwerk unter Freunden hervor, wobei die Beteiligten näher zusammengeführt werden sollen. So entsteht die Long Now Foundation einerseits aus der Konversation unter Freunden, andererseits taucht die angeeignete, transformierte Reise anhand von Clock One und The Interval auf, deren maßgeblicher Bestandteil charakteristische Umwelten sind, die ein long-term thinking verstärken sollen und insge-

196 | V OM LANGEN J ETZT

samt auf einen Place for Conversation deuten.539 Das bedeutet, dass das Learning System angeeignet und transformiert als ‚lebende Institution‘ in der Long Now Foundation gelesen werden kann. Es bildet mit der angeeigneten Journey (ebenso als Event) ein long-term thinking aus, wie es sich bei dem GBN zeigt, materiell (in charakteristischer Umgebung, mit Prototypen und weiteren Long NowAusstellungsstücken) und metaphorisch (mit der 10.000-Jahre-Uhr, die ich noch als Symbol des langen Jetzt im Zuge einer ‚Zeicheninterpretation‘ aufgreife). Schließlich tritt explizit ein ‚Gruppen-Spielplatz‘ hervor, der sich dann weiter aus technologischen Folgeentwicklungen rund um das Whole Earth Network formieren kann. Er verweist auf ein Zelebrieren des Place for Conversation, das mit The Interval schon einführend auftrat sowie auf den Eventcharakter um Clock One deutet. Außerdem kommt der webbasierte Place for Conversation ins Spiel, der ein Navigieren durch Komplexität aus dem scenario planning verdichtet und mit dem Navigieren auf die Mediennutzerperspektive für den Teilbereich der (Nicht-)Linearität hinweist. Schließlich zeigt auch dies eine transformierte, angeeignete Journey, die sich dann aus technologischen Folgeentwicklungen ergibt. Denn hieran anschließend konnte mit GBN Computer Conferences zunächst das Spezifikationsraster für die Counterculture eingebracht werden, sodass die sich abspaltende Gruppierung der New Communalists als relevant für die Gegenwart hervortritt. Zentral ist hierbei nämlich, dass technologische Folgeentwicklungen, gruppiert um das Ereignis und Ding Whole Earth Catalog, erörtert werden konnten sowie eine Herkunft der transformativen Erfahrung, die sich als long-term thinking in die Gegenwart fortschreibt. Das diskursiv-technische Apriori wird dabei exemplifiziert zur Technologieaneignung um small scale technologies. Diese nämlich formieren eine transformative Erfahrung und weisen außerdem auf eine mögliche weitergedachte Journey bzw. Reise anhand der Wende nach innen. Erstens konnte mit dem Whole Earth Catalog eine transformative Erfahrung dargestellt werden, die mit einem ‚access to tools‘ auf den Werkzeug-Begriff (‚tools for transformation‘) und die small scale technologies weist und solche Werkzeuge reaktiviert in den Schlüsselkategorien von Storytelling und Mythos

539 So erscheint zunächst ein ‚work environment‘, das in der Kunst von einem ‚environmental circumstance‘ und einer Wende nach innen sprechen lässt und sich zu einem ‚group work environment‘ verschieben lässt; die aus der ‚Gruppenarbeit‘ ausgebildete Umwelt setzt sich im Place for Conversation mit angeeigneten Szenario-Präsentationen fort, die das long-term thinking in Kalifornien oder webbasiert präsentieren.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 197

verdeutlicht. Diese werden gleichermaßen zur Transformation eingesetzt – für ein ausgedehntes, langes Jetzt und das Denken der Paradoxie. Die transformative Erfahrung konnte dabei sowohl mit dem GBN als auch der Long Now Foundation verknüpft werden. Denn zum einen schlägt sich jenes WerkzeugVerständnis, neben Schlüsselkategorien der Stiftung, im GBN World View Service nieder. Zum anderen wird das Diktum des Whole Earth Catalog in der Stiftung angeeignet wie auch stabilisiert, indem die transformative Erfahrung des langen Jetzt in der Selbstbeschreibung der Stiftung mit Zweck und Wirkung der Bilder vom Blauen Planeten auf eine Ebene gebracht werden. Die Verdichtung von New Communalists, GBN und Long Now Foundation zeigt sich ferner in einer innerhalb des Kommunenlebens aufkommenden Vorstellung von individueller Macht, was sich zu einem Netzwerk unter Freunden, interpersonell und informationel verschiebt. Dabei zeigt das Learning System bzw. die ‚lebende Institution‘ eine angeeignete und stabilisierte Funktions- und Zweckorientierung aus dem Whole Earth Catalog, um individuelle, elitäre Gruppenbildungen zu generieren, was sich zur besagten ‚small-group empowerment‘ fortschreibt. Zweitens wurde mit den New Communalists und dem Whole Earth Catalog als Informationstechnologie eine spezifische Technologieaneignung eingeleitet, vor allem aber Folgeentwicklungen zu Netzwerkforen aufgeschlüsselt. Diese erstellen eine Möglichkeitsbedingung für die Entstehung des webbasierten Place for Conversation, und zwar auch dahingehend, dass jener ‚Gruppen-Spielplatz‘ die im GBN noch gestellte Frage nach seiner elektronischen Version für die ‚computergestützte Gruppenarbeit‘ realisiert. Außerdem konnte somit das Whole Earth Network als relevant für die Gegenwart erscheinen, denn seine Vertreter bilden teilweise das network of remarkable People of the Long Now aus. So wird zusätzlich ein verschobenes Navigieren durch Komplexität (und durch die Zukunft) explizit, das sich bereits beim GBN in der Frage nach einer Whole Earth-Datenbank ankündigt, vor allem aber an jenen ‚Gruppen-Spielplatz‘ rückkoppelt. Ein solcher Spielplatz deutet auf Ambivalenzen und charakteristische Ideologien, die sich aus dem Whole Earth Network ableiten lassen und durch künstlerische Verwendungsfelder erweitert werden. Drittens konnten sich für die Gegenwart relevante Verwendungsfelder der Kunst als den New Communalists vorangestellt abspalten mit Cybernetic und San Francisco Art Worlds. Sowohl USCO als auch die Merry Prankster exemplifizieren die Herkunft der transformativen Erfahrung, wobei die (Learning) Journey weitergedacht werden konnte zu einer Reise nach innen. Die Formation um Learning und ihre Folgeentwicklung in die Long Now Foundation rekurriert einerseits auf die Komposition des Whole Earth Catalog,

198 | V OM LANGEN J ETZT

andererseits auf künstlerische Verwendungsfelder, aus denen Brand eine learning experience weiterträgt. So zeigt die unübersichtliche Komposition des Katalogs, gruppiert um die Verwendungsfelder des Kommunenlebens, inwiefern sich diese Komposition mit einem selbst aufrechterhaltenden System koppelt. Denn bereits mit dem Whole Earth Catalog versucht Brand einen ‚Organismus‘ zu entwerfen, der sich in einem Lernprozess selbst reguliert.540 Dieser Organismus kehrt wieder in der ‚lebenden Institution‘ und ihrem (webbasierten) ‚Gruppen-Spielplatz‘. Sowohl anhand von USCO als auch der Merry Prankster wurde die spezifische Technologieaneignung zu medialen Umwelten pointiert, die in der weiteren Analyse schließlich auch den Place for Conversation in Kalifornien und die webbasierte Version prägen. Innerhalb dieser greift dann zusätzlich eine dem Denken des langen Jetzt entsprechende paradoxale Ausrichtung für das Phänomen Long Now Foundation, das nur in Oppositionen aufgehen kann. Solche Oppositionen binden hier zurück an den Funktionträger Stewart Brand, der fortwährend selbst zu Widersprüchen einlade.541 Daran kann die Analyse im zweiten Teilbereich zur (Nicht-)Linearität anknüpfen, indem einer der Paradoxie entsprechenden Sinnstiftung nachgegangen wird, die mit Oppositionen umgehen muss. In den Verwendungsfeldern der Kunst konnte schließlich die Herkunft der transformativen Erfahrung explizit hervortreten, die anhand von small scale technologies evident wird, wobei diese zusätzlich aus dem diskursiven Bereich um White Rabbit hervortreten konnten. Wenn es in der Long Now Foundation nämlich ebenso um eine Bewusstseinsverstärkung geht (‚to stretch out what we consider as now‘), so formiert sich diese aus der Wende nach innen, die zusätzlich die in der Stiftung stabilisierte Journey genauer herleiten kann. Zugespitzt kann so festgehalten werden, dass sich das lange Jetzt und ein Denken der Paradoxie mit einem long-term thinking, neben der Selbstbeschreibung der Stiftung, aus jenen ‚tools for transformation‘ ableiten lässt, die bereits in der Kunstwelt mit einer bestimmten Technologieaneignung auftauchen und in die Informationstechnologie Whole Earth Catalog getragen werden. Solche Werkzeuge kehren wieder als Schlüsselkategorien von Storytelling und Mythos, die in sich eine Formation aus scenario planning und Group Learning vereinen. Small scale technologies und die Wende bzw. Reise nach innen erstellen dabei die Verbin-

540 So die Aussage Brands: ‚[w]hat you are trying to do is nourish and design an organism which can learn and stay alive while it’s learning‘, vgl. Anm. 393. 541 So die Bezeichnung Stewart Brands als ‚a man perpetually in a learning mode, perpetually evolving, alsways inviting charges of self-contradiction‘, vgl. Anm. 397.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 199

dung zu Vorstellungen vom Jetzt, die es ausdehnen und der Kunstwelt wie auch dem Zen-Buddhismus entstammen. Das Verwendungsfeld der Kunst konnte zu aktuellen Bewegungen erweitert werden, die einerseits Strategien aus den 1960er Jahren transformieren und aneignen, so die Folgeentwicklung der Aktionskunst und verschobene Prankster in der Cacophony Society. Andererseits aber bilden sie ein Scharnier, um eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation über den Kontext der Counterculture hinaus zu erweitern. So äußert sich ein Bruch mit wie auch die Kritik an der Counterculture, ebenso diskursiv exemplifiziert von Psychedelic Rock zu Polit Punk. Erstens wurde die Herkunft und Entstehung eines der Stiftung inhärenten Spiel- und Eventcharakters aufgeschlüsselt. Er formiert sich aus der Folgeentwicklung der ‚spielerischen Gemeinschaft‘ sowohl aus USCO, Merry Pranksters und ihrer Verschiebung in die Cacophony Society. Der ‚Gruppen-Spielplatz‘ setzt sich damit in der Stiftung in einem ‚visionären‘ network of remarkable people fort, das mit einem work in progress diese Visionen durchzuspielen (gleich dem Diktum ‚Play it Out to the End‘) und gleichzeitig eine ‚mystische Zusammengehörigkeit‘ in einer Gemeinschaft zum long-term thinking zu vereinen sucht. Zweitens konnte damit eine widersprüchliche Ausrichtung der Long Now Foundation eingeleitet werden, die aus der Kalifornischen Ideologie die ambivalente Zusammensetzung kalifornischen Unternehmertums widerspiegelt. Dies zeigt sich an Akteuren, die Funktionträger der Kalifornischen Ideologie verdeutlichen und gleichsam People of the Long Now mitprägen. Dazu tritt ein Spannungsverhältnis zwischen intendierter Abkehr von Marktökonomie und gleichzeitiger Herkunft der Stiftung aus der Unternehmenswelt Kaliforniens. Schließlich deutet die Folgeentwicklung von small scale technologies, ‚tools for transformation‘ und transformativer Erfahrung in die Schlüsselkategorien für ein long-term thinking auf eine verschobene ‚Bewusstseinspolitik‘, die eine Vermarktung des langen Jetzt verdeutlicht. Ihm liegt eine Umdeutung des Grenzpunktes aus der Kalifornischen Ideologie zugrunde, die den Gründungskontext der Long Now Foundation Ende der 1990er Jahre kennzeichnet. Ideologische Grenzerweiterungen koppeln gegenkulturelle Ideale mit konservativ-marktorientierten Ausrichtungen und münden in einer Geschäftsidee, mit der sich die Long Now Foundation inszeniert.

200 | V OM LANGEN J ETZT

2.5 D IE G ESCHÄFTSIDEE FÜR DIE L ONG N OW F OUNDATION – Z UR E NTSTEHUNG AUS DER K ONVERSATION Die Long Now Foundation gibt in longnow.org selbst Daten zu ihrem Entstehungsprozess mit der sogenannten Long Now timeline & current status an,542 die Informationen von 1994-2014 enthalten. Solche Angaben gelten eher als versteckt, beziehen aber Informationen ein, die auf die Geschäftsidee der Long Now Foundation (die sogenante „Long Now Business Idea“543) verweisen, jedoch nehmen sie keine Bezüge zu ihrer Herkunft und Entstehung aus einer weiter zurückreichenden Vergangenheit vor. Die archäologische Genealogie kann aus vorangegangenen, extrahierten Ereignissen und deren Formation (Konversationsmodus in der Gruppe, auf Basis des scenario planning und Learning) die Long Now Foundation als aus der Konversation hervorgehendes Phänomen aufzeigen und zugleich das verschobene network of remarkable people weiterverfolgen und ein angeeignetes Living System verdeutlichen. 1994 startet Hillis eine E-Mail-Konversation unter Freunden,544 um Ideen zur 10.000-Jahre-Uhr und dem zugehörigen Essay545 zu sammeln. Bereits mit der vorangegangenen Darstellung ist es nun kein Zufall, dass dieser Essay 1995 im Wired Scenario Issue veröffentlicht wird,546 wie es ebenso einleuchtet, warum jene Freunde in der timeline zu People of the Long Now in der Webseite verlinkt sind. 1996 fasst Brand den Freundeskreis zu einer gemeinnützigen Gruppe zusammen, bezeichnet als „Clock/Library“547 , die den Vorstand der Long Now Foundation bilden werden. Es ist das zweite Treffen dieser Gruppe im September 1997 in Aspen, das die Entstehung der Long Now Foundation aus der Konversation hervortreten lässt, wobei nicht nur die befreundeten und das Netzwerk aufrechterhaltenden remarkable people auftreten, sondern die Idee einer „longterm library“548 aufgegriffen werden kann.

542 A. Rose: „Long Now timeline and current status“ vom 22.10.2014. 543 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea (Tape Slides Talk)“, S. 1-19. 544 So eine „email conversation among friends“, siehe ebd. 545 Vgl. D. Hillis: „The Millennium Clock“ vom 22.10.2014. 546 Vgl. ebd.; A. Rose: „Long Now timeline and current status“ vom 22.10.2014. 547 Vgl. ebd.; hier wird ebenso auf die erste Webseite „Clock/Library“ im Jahr 1997 verwiesen, wobei die Long Now Foundation an dieser Stelle selbst zur Wayback Machine des Internet Archive verlinkt. 548 Vgl. A. Rose: „Long Now timeline and current status“ vom 22.10.2014.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 201

Wie schon die 10.000-Jahre-Uhr als Initialzündung der Stiftungsgründung auftaucht, erachtet Brand eine institutionelle Anbindung derselben als notwendig, um öffentliche Aufmerksamkeit aufrechterhalten zu können, was sich anhand jener ‚long-term library‘ vollziehen soll.549 Sie soll gesellschaftlich relevante Informationen lagern und speichern und spiegelt sich ebenso in der angedachten Monumenterbauung der 10.000-Jahre-Uhr.550 Diese Intention wird derzeit in das Manual for Civilization (The Interval) getragen und soll unter spezifischer Relevanz für Sprachen als kulturelle Güter im Rosetta Project umgesetzt werden.551 Mit der Geschätfsidee für die Long Now Foundation können entstehungsspezifische Abspaltungen extrahiert und eine ‚lebende Institution‘ gezeigt werden, die aus der Unternehmensberatung schöpft. Diese Geschäftsidee wird in der Konversation mit Danny Hillis, Stewart Brand, Douglas Carlston, Tomi Peirce, Kevin Kelly, Kees Van der Heijden und Alexander Rose entwickelt.552 Die Geschäftsidee und ihr Businessplan gehen auf einen Konversationsmodus gegenseitigen Austauschs und gegenseitiger Befragung zurück mit einer

549 Vgl. ebd. 550 Vgl. ebd.; zur Verbindung mit der 10.000-Jahre-Uhr vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 53-59. 551 Sogenannte Library Projects sind in longnow.org verlinkt zu The Rosetta Projekt, vgl. longnow.org, [About] vom 07.11.2014. 552 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 1-19. – Zu den Beteiligten vgl. außerdem longnow.org, [People: People of the Long Now: Board Members] vom 26.09.2014. – Douglas Carlston ist Vorstandsvorsitzender der kalifornischen Internetfirma Tawala Systems und von Broderbund Sofware Inc., vgl. tawala.com, http://www.tawala.com/sportsdashboards/home vom 07.11.2014; longnow.org, [People: Doug Carlston], http://longnow.org/people/board/ carlston2/ vom 07.11.2014. Seine Ehefrau Tomi Peirce ist Autorin und Produzentin und entwickelte u. a. Spiele für Borderbond. Kees Van der Heijden ist emeritierter Professor für General and Strategic Management, Department of Strategy and Organisation an der Strathclyde Business School, Niederlande. Er war ebenso beteiligt an der Gründung des GBN und ist Teil des GBN leadership team wie auch beteiligt am scenario planning, vgl. strath.ac.uk [Our Staff], http://www.strath.ac.uk/sao/staff/ professorkeesvanderheijden/ vom 07.11.2014; zum scenario planning vgl. K. Van der Heijden: „Scenarios, Strategies and the Strategy Process“, http://www.liacs.nl/ CS/DLT/pickups/NWOCognition/vanDerHeijden1997.pdf vom 07.11.2014.

202 | V OM LANGEN J ETZT

contact language zu einem „living system“553 als Institution, die 10.000 Jahre überdauern soll. Dabei spielen nicht nur Elemente ein, die zuvor aus dem Bereich der Unternehmensberatung bekannt geworden sind, sondern die Konversation unter den Gründern lässt deren spezifisches Selbstverständnis und auch ihre Selbstinszenierung hervortreten. Mit dieser Geschäftsidee können folgende Bereiche freigelegt weren: Eine Vermarktung der transformativen Erfahrung und des long-trem thinking mit gleichzeitigen ‚Verewigungsstrategien‘ der remarkable people (of the Long Now); ein Selbstverständnis der ‚Gründungsväter‘ als Diskursbegründer und ein spezifischer Projektcharakter sowie ein marktorientierter Spiel- und Eventcharakter, bei dem zugleich ein gewisser Aberwitz hervortreten kann, woran ein Blick darauf erfolgt, inwiefern paradoxale und widersprüchliche Ausrichtungen in der Konversation selbst beachtet werden. 2.5.1 Traditionsstiftung und Verewigungsstrategien – Vermarktung des long-term thinking Die Ideenentwicklung der Gründungsmitglieder tritt markant aus unternehmensorientierten Strategien, die mit dem GBN deutlich wurden, hervor. Eine Institution, die 10.000 Jahre überdauert, soll nützlich für eine langfristige Perspektive sein, deren Kunden nicht weniger als Kultur und Zivilisation seien.554 Dies erinnert an einen holistischen Anspruch und kann aus jener Vorstellung gelesen werden, einen ‚Zugriff auf Dinge, Ideen und Menschen auf der ganzen Welt‘ zu haben bzw. ausüben zu wollen. Anfänglich spielt dabei die beratende Funktion eines Unternehmens ein, das eine Führungsposition bzw. eine Art Verwaltungsamt für „long-term thinkers“ übernehmen soll und etwa Stipendien für Wissenschaftler ausrichten könnte, wobei eine Vergleichsbene zu Universitäten aufkommt.555 Deutlich wird die Suche nach einer institutionellen Anbindung, die ein intellektuelles Rahmenprogramm langfristig ausbilden kann. Eine zentrale Frage der ‚Gründungsväter‘ könnte folglich darauf pointiert werden, wie einerseits Tradition gestiftetet werden kann, als fortwährende Weitergabe sich entfaltender Ideale, die aber zugleich themenspezifisch verhandelt werden: „The problem is absence of long-

553 SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 3. 554 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 3; 5: Hier ist explizit von der „long-term perspective“ die Rede. 555 Vgl. ebd., S. 14; 9; 23.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 203

term thinking.“556 Solche Traditionsstiftung äußert sich wie folgt: „[W]hat we are trying to build here is closer to a university. It is meant for propagation of a certain type of thinking and accruing the knowledge that type of thinking bears.“557 Diese Orientierung soll sich von Kirchen bzw. religiösen Ausrichtungen deutlich abgrenzen.558 Nun ist es gerade diese Themenspezifik und insbesondere ein network of remarkable people, das nicht nur zur Stiftung führt, sondern an eine verantwortungsvolle Tradierung Strategien der Verewigung koppelt. So kann eine Lesart der langfristigen Perspektive aufkommen, die kritisch betrachtet neben das longterm thinking rückt, Finanzierungsstrategien berücksichtigt und ebenso eine Verankerung in der Konsumgesellschaft zeigt, die an die Kommune erinnert. Aus dem Group Learning der Initiatoren avanciert das Produkt des Living System nämlich im Laufe der Konversation zu einer transformativen Erfahrung („transforming experience“559 ), was die Initiatoren dazu veranlasst, unter ihren Kunden ein Gefühl von Verantwortung zu verbreiten, das positiv auf die Institution rückwirken soll („positive feedback loop“560 ). Zunächst äußert sich also jene geistige Umkehr (mental shift) aus dem für das GBN angeeigneten scenario planning und der transformativen Erfahrung der New Communalists, das als long-term thinking in der Long Now Foundation stabilisiert wird. Ein so intendierter ‚positive feedback loop‘ kann als verschobenes Group Learning in der Stiftung angesehen werden, denn es ist an das network of remarkable people gekoppelt: Auf der Suche nach Finanzierungsstrategien spielt von Anfang an ein Sponsorennetzwerk ein, das Freunde einbezieht, wobei aber insbesondere, verbunden mit der Themenspezifik, irrationale Wünsche oder Begehren der Kunden angesprochen werden sollen.561 Damit wird also jene selbstregulierende Struktur aus einem Learning System durch das Netzwerk selbst auf-

556 Ebd. S. 13. 557 Ebd., S. 4. 558 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 63; SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 8. 559 SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 19, siehe hier ferner die Angaben zu „the feeling of responsibilty we want to generate“. 560 Ebd. 561 Vgl. Ebd., S. 11: Den Initiatoren zufolge spricht die Strategie „to the irrational desires within people“, siehe ebd.

204 | V OM LANGEN J ETZT

rechterhalten, und dieses muss sich von anderen unterscheiden.562 Die Besonderheit der Gruppe563 soll in einer positiven Außenseiterposition liegen („fringe group“564), die ebenjene geistige Umkehr und irrationale Wünsche dadurch ansprechen soll, die 10.000-Perspektive voranzutreiben.565 Überdies werden selbsternannte ‚bemerkenswerte‘ Persönlichkeiten zusammengeführt, wie „amazing designers [...], excellent communicators, especially with the written word [...], each godfathers of networks“566. So kündigt sich also bereits an, inwiefern die Gruppe als besonders hervorstechen soll, was sie zugleich unverkennbar mache und freilich nachhaltig an den Institutionsgedanken bindet, dem ebenso eine unverkennbare Geschäftsidee sowie ein bestimmter Produktnutzen zugrunde liegen soll. Was noch als wissenschaftliche Beratungsfunktion beginnt567 und sogar eine Nachlassverwaltung als Finanzierungsquelle in Betracht zieht,568 findet seine eigene geistige Umkehr anhand der irrationalen Begehren, die in den Kunden an-

562 „Stewart: How does money come in? [...] Kees: Let’s think about the individuals that have already donated. Doug: I would say it is mostly based on frindship. Kevin: Is it because their friends gave or because they want friends? Doug: It is because they get some value from that community“, siehe ebd., 9. „Tomi: I don’t give to the philosophy I give to the effort to philosophize. [...] Danny: It is an acknowledgement that doing such things is fine“, siehe ebd., S. 11-12. 563 „The distinctiveness of the group“, siehe ebd., S. 12. 564 Ebd. 565 Solche irrationalen Wünsche oder Begehren zeigen sich hier in „[pushing the radical edge], pushing the 10k year perspective“, siehe ebd. 566 Ebd. 567

„Doug: Scientists need a place to work, and it’s nice if there is a place that has already funding [...], Danny: [...] stewardship, where we help to find people to continue studies. Kevin: I thought we were doing estate planning? Are we doing science?“, siehe ebd.13-14. – „Kevin: I like the idea of making an improvement of what the university does. Add to the university functions a long term element.[...] My understanding is that universities don’t fund projects longer than 5-10 years. It is getting shorter and shorter. I wonder if we could be a place where the long term is the norm for universities“, siehe ebd., S. 20-21.

568 „Alexander: Basically [...] you are building something that will go on past your own life. [...] I think the best situation to find ourselves in would be if someone asked to donate $10,000 we could say ‚No, please just put us in your will for $100,000‘. [...] Danny: I think that is great, that makes us an estate management service“, siehe ebd., S. 10.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 205

gesprochen werden sollen, changierend zwischen Service und Business.569 Einerseits weist dies zurück auf die Gruppierung um den GBN World View Service, andererseits kann ein Produktversprechen akzentuiert werden („transforming experience [that we are selling]“570), das ebenso als Versprechen an die Initiatoren selbst gilt. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf Spannungen, die marktorientierte Ausrichtungen unter dem Deckmantel einer Verantwortungsförderung aufzeigen, die langfristige Perspektive aber gleichzeitig mit Tradierungsideen aufladen. Das Bindeglied solcher Spannungen kann aus dem Selbstverständnis der Gründer um eine ‚lebende Institution‘ gefasst werden, ein folglich angeeignetes, transformiertes Living System. Was aus der Konversation zunächst hervorgeht, ist eine Art melancholische Haltung, „of course this [our current distinctive group – Einschub V.F.] will fade away. This will disappear“571. Verschiedene Ebenen sollen diese Haltung handhaben: Erstens werden bekannte und auch historisch gängige Wege der Tradierung verglichen, wie sie sich etwa in Universitäten, religiösen Ausrichtungen und Klöstern zeigen.572 Was die entstehende Long Now Foundation jedoch von solchen Wegen unterscheiden soll, ist einerseits jene geistige Umkehr, mit der undenkbare, irrationale Ziele im Menschen angesprochen werden sollen. Andererseits bezieht eine solche Institution ihre Lebendigkeit eben durch das Netzwerk selbsternannter, unverkennbarer und bemerkenswerter Persönlichkeiten, das aus jenen Designern, Kommunikatoren und Erfindern besteht. Es macht deren Glaubwürdigkeit aus,573 bindet zurück an eine contact language und kann gleichsam weitergelesen werden als eine Attraktivität der entstehenden Long Now Foundation, die nicht von dahinterstehenden Personen, von ihren ‚Gründungsväter‘ entkoppelt werden kann.574 Diese Glaubwürdigkeit, ebenso als eine Art Rechtfertigung für die in der Stiftung verfolgten Intentionen, soll ferner gestützt werden durch materielle Artefakte, wie sie etwa mit der 10.000-Jahre-Uhr umgesetzt werden. Das Zentralprojekt zur Stiftungsgründung weist damit nicht nur auf ein

569 Vgl. ebd., S. 25-26. 570 Ebd., S. 15. 571 Ebd., S. 19. 572 Vgl. ebd., S. 20 573 Vgl. ebd., S. 19; zu jenem Netzwerk als „powerful group [...]. And we don’t lack selfconfidence“, siehe ebd., S. 12. 574 Siehe ebd.: „Stewart: I also think that there is more to our distinctiveness category. We have some amazing designers in this group that are not here because they are wealthy but because they are smart.“

206 | V OM LANGEN J ETZT

Artefakt (Starting a Conversation), sondern gliedert sich ebenso in Strategien ein, die dazu dienen, Prozesse des Überdauerns zu generieren und gleichzeitig eine stete Fortentwicklung der ‚lebenden Institution‘ zu bedingen.575 Zweitens ergibt sich ein Spannungsverhältnis gerade daraus, dass die ‚lebende Institution‘ nicht von ihren lebendigen Trägern gelöst betrachtet werden kann. Nun ist dies, gerade wenn es um eine melancholische Haltung geht, auf den ersten Blick unproblematisch, denn gerade traditionelle Überlieferungsprozesse, etwa in Form von Monumenten und Mythen, bilden schließlich solche Mechanismen aus, die ein Überdauern gerade erst generieren und dies unweigerlich an Personen binden, was im Laufe der Analyse noch genauer ausgeführt wird. Wird die Long Now Foundation jedoch distanzierter betrachtet und dabei eben auch als ein Phänomen, das mit Oppositionen versehen ist, die zu Widersprüchen führen können, so deutet gerade die Bindung an personalisierte Träger auf Spannungen. Wenn solche Träger nämlich auf jene Leitfiguren der Kommunenbewegung und deren Charisma zurückdeuten, wird dies hier verschoben und transformiert zu ‚bemerkenswerten‘ Persönlichkeiten und einer Herkunft aus der markt- und kapitalorientierten Unternehmenswelt, wobei zusätzlich eine vermeintliche Allinklusion angestrebt wird (ihre Kunden: Kultur und Zivilisation). Folglich wird eine Zielgruppe angesprochen, die entweder darüber hinwegsieht, dass hier ein Netzwerk zusammenkommt, das sich einerseits gegen eine marktorientierte Ökonomie wendet und dieser andererseits zum Teil selbst entstammt.576 Oder es handelt sich um eine Zielgruppe, die auf die Strategie der angehenden Stiftung eingeht, ihren Kunden die Teilhabe an verantwortungsfördernden Ambitionen zu versprechen. Wird dieses Spannungsverhältnis auf eine weitere Ebene übertragen, ergibt sich ein dem eigenen network of remarkable people gesetztes Denkmal durch die langfristige Perspektive. Diese wird aber ebenso geschickt als Produktidee angeboten, wobei auf Förderungsebene eines

575 Vgl. dazu ebenso Kapitel 1 und die von der Long Now Founation herangezogene Vergleichsebene zu bestehenden Monumenten, ihre generationsbedingte Überlieferung und Dauerhaftigkeit; vgl. ferner S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 6263 sowie zur 10.000-Jahre-Uhr als Produkt SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 19. 576 Zur auch in der Marktökonomie begründeten „pathologically short attention span“, vgl. S. Brand: „The Clock and Library Projects“ vom 28.04.2015; Kap. 1, insbesondere Anm. 54.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 207

langfristigen Denkens einem Gefühl von Verantwortung nachgegangen werden soll.577 Eine solche Vermarktung der langfristigen Perspektive und der transformativen Erfahrung wird evident anhand der sogenannten „Death Gifts for Life“578. Sie beziehen sich auf das menschliche Streben nach Unsterblichkeit, das darauf zielt, etwas über das eigene Leben Hinausgehendes zu bilden.579 Death Gifts for Life binden dabei an die geistige Umkehr, das Jetzt als langes zu denken, ein Gefühl von „I will not have died in vain“580 . Dies wird nicht derart vermessen angedacht, Absolution zu erteilen.581 Vielmehr soll eine signifikante Unterscheidung aufkommen: „there is a difference between taking care of the future and giving people options and spiritual reason [We just push long term perspective]“.582 Das Versprechen, oder in diesem Sinne das Produkt für die Kunden, wird umgesetzt in einen Nutzen des eigenen Überdauerns, das das long-term thinking, wie es sich dann in der Stiftung stabilisiert, über die geistige Umkehr eines langen Jetzt hinaus an die eigene Person bindet. Es konfrontiert ferner mit dem eigenen Tod, soll dabei aber die Besonderheit der Stiftung ausmachen; eine „big difference between forcing someone to do something and providing an opportunity and a context to do it“583. Mit der Vermarktung der angeeigneten transformativen Erfahrung kann somit eine transformierte ‚Bewusstseinspolitik‘ hervortreten, die auch dahingehend gelesen werden kann, einen nachhaltigen Referenzrahmen für die remarkable People of the Long Now auszubilden und diesen ebenso als Produkt anzubieten. Was an dieser Stelle ebenso geneaologisch erfasst werden kann, ist das Mit-

577 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 13: „Kees: We need to create some value for this project in people. Doug: But not just for our generation but for the following ones as well.“ 578 Ebd., S. 11. 579 Vgl. ebd., S. 10. 580 Ebd., S. 11. 581 Vgl. ebd., S. 9. – siehe außerdem ebd., S. 7: „Doug: Okay, so pretend I am not here, not a member of our group, I think I am an intelligent person, what are you going to do for me? How are you going to increase my perspective? Danny: A religion does this by telling you that ‚we know the truth‘. Doug: So what are you gonna tell me that you know the truth and I don’t. Stewart: No, we are going to tell you that you are going to be a little more relaxed about dying. Doug: Why? Stewart: Because you will have been part of something longer lasting than yourself.“ 582 Ebd., S. 11. 583 Ebd., S. 5.

208 | V OM LANGEN J ETZT

gliedschafts-Programm der Long Now Foundation: „If you’d like to be part of something ambitious, visionary, and downright monumental, consider joining our growing band of supporters.“584 Das Spannungsverhältnis zwischen eigener Denkmalsetzung und Kundenbindung sowie zwischen Allinklusion und spezifischer Kundenorientierung tritt damit fortgeführt in der Mitgliedschaft hervor. Es ist möglich, Teil dieser Ambitionen zu sein – insbesondere, auch wenn es nicht für jeden einzelnen Mitgliedschafts-Zugang gilt, wenn die Stiftung finanziell unterstützt wird, was jene ‚implizite Exklusion‘ hervortreten lässt. Wie schon eine Unternehmensberatung wie das GBN sich durch einen exklusiven Kundenstamm kennzeichnet, etwa mit Shell oder Coca Cola, stabilisiert sich eine solche Ausrichtung zumindest ansatzweise in der Long Now Foundation. Sie zeigt sich beispielsweise durch das eigene kalifornische Netzwerk befreundeter Silicon-ValleyUnternehmen, was zusätzlich eine Herkunft aus der Unternehmensstruktur um die Kalifornische Ideologie hervorruft. Was für ein kalifornisches Projekt oder eine kalifornische Institution zunächst augenfällig scheint, spitzt sich in der Long Now Foundation, gerade wenn noch ihr Eventcharakter hervortritt, mit Verweis auf Disney und Amazon zu und führt folglich zu spezifischen Spannungen für eine Marktorientierung und ein langes Jetzt. Gleichzeitig zeigt die Geschäftsidee jedoch auch eine selbst aufrechterhaltende Struktur der ‚lebenden Institution‘, die selbst Überdauerungsstrategien und eine Prozessualität entwickelt, kongruierend mit einem langen Jetzt. 2.5.2 Work in Progress und Diskursbegründung oder: Continuity Is All Eine ‚lebende Institution‘ wird weiter durch sogenannte „challenging tasks“585 akzentuiert, die deren stete Erneuerung und Fortentwicklung generieren sollen586 und ebenso die spezifische Zeitperspektive von 10.000 Jahren in Richtung Zukunft betonen. Neben einer selbst aufrechterhaltenden Struktur, die aus der Begriffsformation um Learning extrahiert werden konnte und das Learning System zu einem Living System fortführt, kann eine Strategie innerhalb der Long Now Foundation ausgemacht werden, die als work in progress hervortritt: Gerade jener zeitliche Orientierungsrahmen, der in der Selbstbeschreibung der Stiftung

584 Longnow.org, [Donate] vom 02.10.2014; vgl. Kap. 1, Anm. 158. 585 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 19. 586 Siehe dazu außerdem ebd. S. 14: „Doug: [...] you should endow projects, not people.“

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 209

selbst noch als hoch gegriffen erscheint‚587 verbindet sich mit dem Projekt. Ein work in progress kann derart erfasst werden, dass gerade solch ausgedehnte Zeithorizonte nicht nur vorstellbar, sondern mit Handlung erfüllt werden. So werden Überdauerungsstrategien, die die eigene Person sowie eine Produktidee betreffen, zu einem dem langen Jetzt entsprechenden, ausgedehnten Projektcharakter verdichtet. Zusätzlich tritt erneut ein durchdachtes Programm der Initiatoren hervor, indem jene irrationalen Begehren und Wünsche an Handlungen geknüpft werden, die nicht nur das von den Initiatoren gewünschte Verantwortungsgefühl generieren sollen, sondern gleichsam die ausgedehnte Zeitspezifik der Stiftung auf ihre Art handhabbar machen. Dabei verschärfen sich ein charakteristisch vermarktetes Produkt und eine Attraktivität der hinter dem Geschäft stehenden Personen zu ihrer Darstellung und Selbstauffassung als Diskursbegründer. Zweifelsohne kann weder von einer Begründung etwa der Zeitthematik noch von einer gesellschaftlich zunehmenden Kurzsichtigkeit – etwa aufgrund von Beschleunigungsprozessen – gesprochen werden, die sich auf umfangreiche philosophische, historische wie auch soziologische Auseinandersetzung in der Geschichte beziehen. Erkennbar wird vielmehr, dass die Geschäftsidee in jenen Rahmen fällt, in dem sich die Gründer der Stiftung mit dem Problem „digitalen Vergessens“ („Digital Discontinuity“)588 auseinandersetzen. Dieser Themenbereich taucht bereits in der Geschäftsidee auf; er stabilisiert und verschiebt sich zugleich von der anfänglichen ‚Clock/ Library‘-Gruppe zu jenen Projekten, die ich anhand der Long-term Conservation aufzeigen konnte. Im Rahmen der ‚Digitalen Diskontinuität‘ prägt Brand den Begriff „Digital Dark Age“ („Dunkles Digitalzeitalter“)589, der ‚digitales Vergessen‘ mit Problemen anschwellender Datenfluten und deren langfristiger Zugänglichkeit und Lesbarkeit umfasst.590 Im Zuge dessen diskutieren die Initiato-

587 Vgl. B. Eno: „The Big Here and Long Now“ vom 18.07.2014. 588 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 89; SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 22; 23; Box 86, Folder 3: „GBN Principals, 5/14/98“, S. 1 sowie exemplarisch S. Brand: „Is Technology Moving Too fast?“, longnow.org (19.06.2000), [About: Essays], http://longnow.org/ essays/technology-moving-too-fast/ vom 11.11.2014; L. Welcher: „Storing Digital Data in DNA“, longnow.org (16.08.2012), [Blog], http://blog.longnow.org/02012/08/ 16/storing-digital-data-in-dna/ vom 11.11.2014 sowie S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, insbesondere S. 88-100. 589 Ebd., S. 93, vgl. ferner longnow.org, [Blog: Categories: Digital Dark Age], http://blog.longnow.org/category/digital-dark-age/ vom 11.11.2014. 590 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 95.

210 | V OM LANGEN J ETZT

ren die Rolle von Non-Profit-Organisationen und deren umfangreiche, zum Themenbereich verwandte Projekte,591 suchen dabei aber auch der Long Now Foundation eine Vorrangstellung einzuräumen; schließlich geht es um deren Besonderheit: „Uns interessiert vor allem die Frage, wie man das Problem digitaler Kontinuität über einen längeren Zeitraum anpackt und wie sich das dunkle Digitalzeitalter beenden lässt. [...] Digitale Speicherung ist kein Problem – digitale Konservierung schon.“

592

Was hier anklingt, ist ein sich innerhalb der Stiftung herauskristallisierender Schwerpunkt um das Kontinuum, der ebenso eine ‚lebende Institution‘ und einen work in progress generiert. Denn mit dem Diktum „Continuity Is All“593 wird eine am Leben zu erhaltende Institution erfasst, wobei Kontinuität und stete Erneuerung zusammenfallen, 594 da sie überdauernde Fortentwicklung sichern. Gleichzeitig ist das Kontinuum der Zustand, der sich in den Diskursen der Gründer entgegen ‚digitales Vergessen‘ stellt, Kontinuität folglich an fortwährende Auslesbarkeit, Zugänglichkeit und Konservierung koppelt. Somit können allerdings weitere Brüche ausfindig gemacht werden, die sich gerade auf das Kontinuum beziehen. Zunächst deckt sich eine Zukunftsorientierung, auf die bereits im ersten Kapitel mit der Skalierungskontingenz eingegangen werden konnte, mit dem Schwerpunkt ‚Continuity Is All‘: Einerseits, indem die spezifisch ausgedehnte Zeitperspektive und der fortwährende, mit Handlung angefüllte Projektgedanke verbunden werden, was zusätzlich überdauernde Prozesse der Langlebigkeit einschließt. Andererseits durch die Anlage der Projekte selbst, die mit der 10.000-Jahre-Uhr oder The Interval nicht nur eine stete Erneuerung generieren, sondern zielorientiert, und das heißt kontinuierlich, vorgehen.595 Damit entfernen sich die Initiatoren allerdings auch von einem langen

591 Vgl. ebd., S. 96 sowie die Verbindungen der Gründer zum Internet Archive bzw. zu Brewster Kahle in SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 24. 592 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 95. 593 SUL, M 1237, Stewart Brand Index Cards, Box 92: „Kevin, Continuity is all, 09. May 97“. 594 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 63. 595 Dabei kommt zugleich eine Differnz zum Zeitverständnis aus dem Zen-Buddhismus auf, das als ‚gelassenes Strömen‘ (vgl. Anm. 450) auftritt: Die „Zen-Übung“ ist auf keinen Zweck gerichtet, es geht um das „ziellose, selbstgenügsame Leben des ‚ewigen Jetzt’“, A.W. Watts: Zen-Buddhismus, S. 191. Als narrative of hope äußert sich

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 211

Jetzt, das der Selbstbeschreibung gemäß 20.000 Jahre umfassen müsste, sich sowohl in Vergangenheit als auch in Richtung Zukunft ausdehnen soll und folglich diskontinuierlich verfahren würde. Außerdem führt im Gegenzug zu ‚Continuity Is All‘ paradoxerweise gerade die stete Erneuerung zu Diskontinuitäten, die einem kontinuierlichen langen Jetzt zuwiderlaufen, gleichzeitig aber – einem Phänomen, das in Oppositionen aufgeht, entsprechend – jenes Diktum zusammengehöriger Kontinuität und Diskontinuität erfüllen.596 Dies kann allerdings auch zu einem blinden Fleck der Long Now Foundation führen, die ihr langes Jetzt bzw. das Denken oder die Teilhabe an demselbem mit steten Unterbrechungen versieht, das Kontinuum also einerseits in die Ferne rücken lässt, andererseits an eine symptomatische Längenauferlegung koppelt, die dem Jetzt obliegt. Denn gerade wenn es um eine Allinklusion geht, also auch um Teilhabe derer, die nicht Teil eines Sponsorennetzwerks werden wollen oder können, geht es ebenso um die langfristige (Aus-)Lesbarkeit von longnow.org – um Wahrnehmungsprinzipien, die an einem langen Jetzt teilhaben lassen. Dass dies jedoch in ein Medium verlagert wird, das auch als flüchtig und wandlungsfähig hervortreten kann, wird gesondert im zweiten Teilbereich der Studie betrachtet. An dieser Stelle jedoch, ebenso strategisch ausgeklügelt auf Seiten der Initiatoren, erscheint dann der Rückgriff auf Storytelling und Mythos. Denn wie der Mythos Mittel des Tradierens und Überdauerns sein kann,597 kennzeichnen auch narrativistische Rückgriffe eine Kohärenz, die im beobachteten Phänomen allerdings nicht von erwähnten gebrochenen Kontinuitäten unberührt bleiben.598

der ‚gelassene Strom‘ vielmehr mit jener ‚großen Portion an Optimismus‘, der zugleich doch ein Ziel verfolgt, vgl. Anm. 475. 596 So kann ebenso bereits Gesagtes um den Whole Earth Catalog und Funktionsträger Brand aufgegriffen werden, sodass hier ein Projektcharakter auftritt ‚perpetually in a learning mode, perpetually evolving, alsways inviting charges of self-contradiction’, vgl. Anm. 397. 597 An dieser Stelle sei bereits auf eine orientierende und „memoriale Funktion“ (siehe C. Ruhl: „Mythos Monument“, S. 9-34, hier S. 11) von Mythen verwiesen, die sich an das Monument koppeln kann, als nachhaltiger, überdauernder Prozess, vgl. ebd., S. 14 und ferner Kap. 3. 598 Zur Brüchigkeit steter Erneuerung, insbesondere mit Blick auf longnow.org, sind hier bestimmte Herausforderungen seitens der User hervorzuheben: Wenn eine ‚lebende Institution‘, neben dem sie kennzeichnenden ‚bemerkenswerten‘ Netzwerk lebendiger (und ideell überdauernder) Träger, Erneuerung etwa durch stete, voranschreitende Bauprozesse generiert, schlägt sich dies paradoxal in der Zugänglichkeit zur Long Now Foundation nieder. Ein Beispiel: Anfang Oktober 2014 wurden aus-

212 | V OM LANGEN J ETZT

Nun sind es die oben angeklungenen Schlüsselkategorien der Long Now Foundation selbst, die diesen Bereich von sich herauskristallisierenden Diskursbegründern pointieren: Das Image der Institution599 – und deren Glaubwürdigkeit – kann mit ihren Gründern als Mythosstifter verstärkt hervortreten. Wie schon das scenario planning einen inhärenten Mythos (‚core myth‘) bereitstellt, der in der Stiftung angeeignet wird, und wie bereits in einer ‚Diagnose der Gegenwart‘ aufgegriffen,600 generiert der Mythos um die 10.000-Jahre-Uhr und weiterführend um das long-term thinking eine überdauernde Geschichte. Sie soll sich in der Geschäftsidee darin äußern, Zukunft mit Kontinuität zu vereinen.601 Der Mythos, wie er noch genauer erfasst wird, verbindet nicht nur Aufmerksamkeit und ein Produktversprechen der Teilhabe mit Dauerhaftigkeit, sondern schärft jenes Image der ‚lebenden Institution‘ und ihrer Begründerfunktion: „If scenario planning did not exist, for instance, Long Now should be the one to invent it. (Maybe we can develop a longer-term form of it).“602 Dies wird noch dadurch forciert, dass seitens der Initiatoren genau der richtige Zeitpunkt für eine Stiftung, wie sie die Long Now Foundation darstellen soll, ausgemacht werde, wobei es nicht überrascht, dass sich dieser um den Millennium Bug gruppiert:

führlich Seiten, die The Interval und dessen Erneuerung betrafen, aufgerufen und in die Analyse einbezogen, die bereits Ende Oktober nicht mehr aufrufbar waren. Die Konsequenz ist der Bruch mit longnow.org hin zur Wayback Machine des Internet Archive (vgl. ausführlich Kap. 3.2), das ironischerweise innerhalb der Long-NowGeschäftsidee noch als Konkurrent angesehen wird, vgl. SUL, M 1237, GBN 19942000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 24. – Ein Denken des langen Jetzt wird somit nicht nur durch das Denken der Paradoxie und oppositionelle Elemente in der Stiftung selbst herausgefordert, sondern äußert sich zusätzlich im Umgang mit dem Material, wie es die Long Now Foundation allinkludierend, also ‚weltweit‘, bereitstellt – ein Changieren zwischen Konsequenz im Denken des langen Jetzt und brüchiger Kontinuität. 599 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 19. 600 Vgl. dazu insbesondere Mechanismen, um die Konversation in Gang zu setzen, wie mit Starting a Conversation in Kap. 1 verdeutlicht. 601 So die Intention „to unite Futurity with Continuity“, siehe SUL, M 1237, Stewart Brand Index Cards, Box 92: „Kevin, Continuity is all, 9 May 97“. 602 SUL, M 1237, Stewart Brand Index Cards, Box 92: „SB, C/L’s function, 29 May 97“.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 213

„Danny: I think that this is a moment ... I mean I don’t think that there are many times when you can do this. Stewart: You mean surplus wealth and a ‚problem‘ to solve. Danny: And the whole millennium happening ... I think after the party people are going to need something. [...] Kevin: So we are a solution in search of a problem. Doug: You can create recognition of the problem through the things that you do.“

603

Eklatant wird ein langes Jetzt, das aus dem Momentanen, einem punktuellen Ereignis generiert werden soll und sich rückbindet an definitionsgemäße Längenauferlegungen für das Jetzt. So tritt nicht nur die Zeitparadoxie hervor, die aus der Kürze des Moments auf Ausdehnung zielt, sondern zugleich das Zustandekommen der Long Now Foundation aus entgegengesetzten, aber in Relation zueinander stehenden Ideen, die sich hier zwischen Kontinuität und Diskontinuität äußert. Schließlich erweist sich der Mythos dabei auch als Form von Rechtfertigungsstrategie, indem er einerseits Legitimationsstrategien (‚legitimacy exchange‘) transformiert, die Glaubwürdigkeit der Gruppe und nachhaltige Schlüsselkategorien ausmacht, andererseits die geistige Umkehr und irrationale Wünsche und Begehren der ‚Kunden‘ ansprechen soll. Dies leitet über zu einer Selbstauffassung aus der Konversation, die Selbstironie nicht auslässt und den Aberwitz der Geschäftsidee benennt – wenn dies eher versteckt vorliegt, wird es mit der archäologischen Aufdeckung aber zugänglich. 2.5.3 Spiel, Spaß, long-term thinking oder: Zum marktorientierten Spielcharakter Es können unterhaltsame wie spielerische Elemente aus der entstehenden Long Now Foundation extrahiert werden, wobei der Eventcharakter der Stiftung, wie er schon mit der 10.000-Jahre-Uhr oder The Interval hervortreten konnte, als angeeignete Learning Journey erscheinen kann. Zugleich fallen dabei jene Brüche zusammen, die auf ein Phänomen deuten, das nur in Oppositionen aufgehen kann. Grundlegend für diesen Ansatz ist eine innerhalb der Konversation unter den Gründungsmitgliedern immer wieder auftauchende verrückte, aberwitzige

603 SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 12-14. – ‚Kreative Verantwortungsförderung‘ erscheint hier also auch dadurch, ein Problem erst zu gestalten und dann geschäftsorientierte Lösungsansätze anzubieten, die gleichzeitig eine Rechtfertigungsstrategie sind.

214 | V OM LANGEN J ETZT

Ausrichtung der Stiftung: „But we have said the same things a couple of times, and that is that this is a folly. Doug: An institutional folly.“604 Auf mehrfachen Ebenen ist diese Ausrichtung relevant: Zunächst ist es eine tollkühne Idee und damit ein abenteuerliches Projekt,605 das erst jene geistige Umkehr begünstigt und ein ‚Produkt‘ vermarkten kann, das irrationale Wünsche oder Bestreben anspricht. Weiterhin wird eine Strategie zur Aufmerksamkeitserregung generiert, die sich als intendierte kreative Verantwortungsförderung in der Long Now Foundation stabilisiert, um das long-term thinking zu popularisieren, und zugleich den fortschreitenden Projektcharakter einer ‚lebenden Institution‘ und deren Anerkennung bündelt.606 Denn eine als abenteuerlich zugespitzte Projektentwicklung generiert eine aufrechterhaltende Aufmerksamkeit und ein langes Jetzt, das mit Handlung angefüllt wird, sowie eine verschärfte Außendarstellung: Jene Anerkennung, die benötigt wird, weil irrationale Wünsche und Bestreben angesprochen werden, formiert sich strategisch zur Mythosstiftung und ferner zu einem Storytelling mit ‚mythischer Tiefe‘ durch die Long Now Foundation, das gleichzeitig deren Fortbestehen hervorbringen soll. Dabei rückt zugleich die angeeignete Learning Journey in den Vordergrund, die aus der Unternehmensberatung und spezifizierter Counterculture bekannt geworden ist. Wie die angedachte Reise zur sogenannten Clock One bereits darauf deuten konnte, zeigt sich in der Gründungskonversation sowie aus dem herangezogenen Verwendungsfeld GBN ein Aneignungs- und Stabilitätsmodus, der zu „building a living sytem that can adapt to the changing environment“607 führen soll. Seine physische Manifestation bildet die 10.000-Jahre-Uhr, die nicht nur Anerkennung generiere (‚by actually building a remote monument‘, wie mit Hillis angegeben), sondern mit der Handlungen der ‚lebenden Institution‘ in charakteristischen Umwelten weitergedacht werden608 und die zusätzlich auf eine ‚Zeicheninterpretation‘ referiert, wie sie aus dem sceanario planning bekannt geworden ist. Dies stabilisiert sich in der Long Now Foundation zu fortlaufenden Bauprozessen in der Wüste Nevadas, was die Suche nach einem Ort für das

604 SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 11, vgl. ebenso ebd., S. 9; 10; 11; 12; 19. 605 Vgl. ebd., S. 10: „Danny: [...] this project is quixotic, foolish. And that does appeal to people.“ 606 Vgl. zur Anerkennung („acknowledgement“) für die Gruppe, SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 12. 607 Ebd., S. 3 [Herv. V.F.]. 608 Vgl. ebd., S. 16.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 215

Projekt Clock One aufzeigt,609 sich zu einer angeeigneten Learning Journey verdichtet und Zeit kontinuierlich durch Handlung erfasst. Charakteristische Umwelten für ein Learning System bzw. die ‚lebende Institution‘ prägen dann zusätzlich The Interval, eine mediale Umwelt als Place for Conversation mit Bar, Installationen, Artefakten und Konversationsraum, wie sie mit späterem Blick auf The Interval noch genauer aufgegriffen wird. Die angeeignete Learning Journey, insbesondere die Clock One betreffend, spitzt sich kritisch (aber auch aberwitzig) betrachtet zu einer Touristenattraktion zu, die es auf die Listen von bedeutenden, sehenswerten Orten für die Menschheit schaffen will.610 Hervorzuheben sind dabei paradoxale Ausrichtungen im beobachteten Phänomen. Zunächst soll es sich um eine Institution handeln, die eine ernstzunehmende Gruppe darstellen soll (‚in search of a problem‘), dabei aber eine tollkühne, nach eigenen Angaben verrückte Basis schafft. Eine solche wiederum weist, wie oben aufgezeigt, grundlegende Strategien der Produktvermarktung auf, die charakteristische, hochgegriffene Zeitperspektiven bündeln, sodass ein Phänomen erscheint, das kongruent mit einer Zeitparadoxie lesbar wird, das heißt eine Auseinandersetzung mit derselben in Handlung umzusetzen sucht. Gleichwohl wirken sich fortschreibende Paradoxien auf ideelle Orientierungen der Gründer aus, was sich insbesondere anhand des Eventcharakters herauskristallisiert, der auf jene remarkable people rekurriert. Der Anspruch nämlich, auf die sogenannten „Life Lists“611 der Bevölkerung zu gelangen, paart sich mit einer kapitalistischen und konsumorientierten Ausrichtung: „Danny: I think that one thing we are selling is a transforming experience. Like Disney Land. People think that they are not complete until they go to Disney Land. [...] Stewart: Yes, we want to make it on people’s life lists.“

612

Wie schon die Formation aus Learning und ferner Group Learning auf die Suche der Initiatoren nach einem ‚Gruppen-Spielplatz‘ für deren Arbeit verwies, kann also ein solcher Spielplatz in der entstehenden Long Now Foundation ausgemacht werden. Er wird formiert mit einem Surplus an Wohlstand und Vermögen, der, auch wenn sich dies dadurch kennzeichnet, ebenso klug zu sein und ge-

609 Vgl. longnow.org, [Projects: Nevada] vom 20.05.2015 sowie Kap. 1. 610 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 15; 19. 611 Ebd., S. 15. 612 Ebd.

216 | V OM LANGEN J ETZT

schickt vorzugehen (‚surplus of wealth‘ und ‚designers that are here [...] because they are smart‘), nicht nur ein eigenes Denkmal setzt, sondern ein solches seinen Kunden verspricht. Dass diese Kunden zumindest teilweise ebenso auf ein Surplus an Wohlstand angewiesen wären, wird in einer intendierten Allinklusion, die Kultur und Bevölkerung umfassend als Kundenstamm setzt, wohl eher übersehen. Dennoch besteht gleichzeitig ein weltweit zugänglicher ‚Spielplatz‘ in longnow.org und ebenso eine bestimmte Offenheit der Stiftung, wenn es um die themenspezifische Verhandlung eines long-term thinking geht, wie sie sich etwa in Long Now Seminars and Special Events zeigt. Wenn es um intendierte, allinkludierende Elemente geht, verweisen Teilhabeprozesse auf jenes ‚infinite Spiel‘, das Brand im Denken eines langen Jetzt und für dessen Förderung sieht. Spiel und Spaß deuten dann nicht nur auf ein angeeignetes experimentelles Erzählen, sondern auf jenes ‚infinite Spiel‘, das den langfristigen Projektcharakter mit Handlung anfüllt und Aufmerksamkeit durch irrationale Begehren sowie eine geistige Umkehr sowohl für ein long-term thinking als auch die dahinterstehenden remarkable people generiert. Zusätzlich treten daneben parallele Ausrichtungen eines konsequenten Durchspielens tollkühner Ideen der Aktionskunst (‚play it out to the end‘), wobei der Place for Conversation für ein langes Jetzt zugleich den charakteristischen Unterhaltungswert, insbesondere in The Interval, aufzeigt. Dieser Linie und damit auch bestimmten Ideologien folgend, kommen jedoch Widersprüche auf, die selbstinitiierte Verbindungen zur Underground Art Scene, die sich gegen eine Mainstream- und Konsumgesellschaft wendet, betreffen und mit denen eine Produkt- und Konsumorientierung durch die Long Now Foundation hinterfragt werden kann. Die geschäftsorientierte Ausrichtung der Long Now Foundation führt zurück zur Unternehmensberatung der 1980er Jahre sowie zu einer personenbezogenen Herkunft, wie sie mit der Kalifornischen Ideologie bekannt wurde. Diese Herkunft zeigt sich darin, dass hier Personen vertreten sind, die gerade jenes markt- und konsumorientierte Unternehmertum mit repräsentieren, mit dem schlagenden Beispiel von Disney Land. Wie bereits das Kapitel People of the Long Now andeuten konnte, kommt es dabei zu einer interessanten, der Paradoxie entsprechenden Verbindung, die ein langes Jetzt zu unterwandern scheint. Gerade die Verbindung und Finanzierung der Stiftung durch Jeff Bezos,613 rekurrierend auf den Großkonzern Amazon,

613 Vgl.

10.000yearclock.net,

http://www.10000yearclock.net/learnmore.html

vom

29.12.2014 sowie J. Bittel: „Jeff Bezos’ Other Crazy Investment“, slate.com, http: //www.slate.com/blogs/future_tense/2013/08/08/jeff_bezos_and_the_long_now_-

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 217

bindet zurück an eine durch die Long Now Foundation intendierte Korrektur beschleunigter und kurzsichtiger, marktökonomischer Prozesse, wie sie ihre Selbstbeschreibung nahelegt. Nun ließe sich Bezos einerseits als tollkühner Spieler in die Spiel-Ideologie der Stiftung eingliedern.614 Andererseits verweist seine Geschäftsstrategie gerade auf jene beschleunigte Marktorientierung: Es ist zunächst die stete Expansion seines Geschäfts, gleichsam als „Internetimperium“615 Amazon, das aus der Nutzungs- oder Kundenperspektive vielmehr ein kurzes Jetzt hervorhebt. Bedenkt man etwa eine Amazon Prime-Mitgliedschaft, dann zeugen mit dieser einhergehende schnellste Zustell- wie Versandmöglichkeiten von einer Konsumumwelt per Mouse-Klick. The Long Now, das lange Jetzt, und dessen Vertreter verbinden sich aus einer solchen Perspektive vielmehr mit einem kurzen Jetzt. Was jedoch aus Nutzerperspektive als eine Beschleunigung erscheint, widerstrebt zugleich einer rein kapitalistischen Ausrichtung, die bei einem Marktführer wie Amazon auf den ersten Blick hervortritt. Amazon gilt hingegen als ein solcher Marktführer, der am meisten Verluste in Kauf nimmt und vielmehr auf eine langfristige Verbesserung und Ausrichtung des Unternehmens setzt,616 dabei ebenso den long view einbezieht und ein um-

foundation_s_10_000_year_clock.html vom 21.02.2015, demnach Bezos das Projekt der 10.000-Jahre-Uhr mit 42 Million USD unterstützt. 614 Bezos ist auch bekannt dafür, sein Vermögen für Großprojekte bereitzustellen. Neben der Unterstützung für die 10.000-Jahre-Uhr etwa gründete er die Firma Blue Origin, um sich dem Weltraumtourismus zu widmen. Teststarts mit dem sogenannten Prototyp Goddard wurden durchgeführt, eine Raumsonde zur Personenbeförderung ins Weltall, vgl. Telepolis (04.01.2007): „Amazon-Gründer Bezos stellt Prototyp seines Weltraumfahrzeugs vor“, http://www.heise.de/newsticker/meldung/ Amazon-Gruender-Bezos-stellt-Prototyp-seines-Weltraumfahrzeugs-vor-130783. html vom 29.12.2014; S. Schultz: „Amazon-Chef Jeff Bezos: Der Hyper-Zocker“, Spiegel Online (24.02.2014), http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/amazon-jeff-bezos-und-seine-riskante-strategie-a-999032.html vom 29.12.2014. 615 Ebd.; vgl. außerdem F. Diekmann: „Beichte des Amazon-Gründers“, Spiegel Online (06.12.2014),

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/amazon-warum-jeff-

bezos-milliarden-verluste-kalt-lassen-a-1006451-druck.html vom 29.12.2014. 616 Vgl. ebd. – ausgeblendet werden dabei allerdings, gerade wenn es um kapitalistische Orientierungen geht, die Arbeitnehmerperspektive und angehende Lohndebatten, vgl. etwa T. Casimir: „Der beschädigte Riese“, boersenblatt.net (19.02.2013), http://www.boersenblatt.net/595400/ vom 21.01.2015; I. Radisch: „Brauchen wir Amazon?“, Zeit Online (31.07.2014), http://www.zeit.de/2014/30/buchhandel-ama zon-autoren vom 21.01.2015.

218 | V OM LANGEN J ETZT

fassendes Investoren-Netzwerk ausbildet.617 Verbindungen zu Disney Land wie auch Amazon verweisen also auf ein network of remarkable people mit einem Surplus an Wohlstand, was die Stiftung eben auch in jenem Bereich marktorientierter Unternehmenswelt verortet. Wenn bei den New Communalists eine paradoxale, selbstinduzierte Verortung in der Konsumgesellschaft ausgemacht werden konnte, kann hier festgehalten werden, dass sich eine solche in der Stiftung und in einer intendierten Korrektur marktökonomischer Prozesse fortsetzt. Es tritt eine Produktvermarktung hervor, die sich als Touristenattraktion zwar ebenso in der Konsumgesellschaft verortet und entsprechende Vorbilder hat, aber zugleich strategisch unumgängliche, da die Stiftung aufrechterhaltende, Geschäftsstrategien entwickelt. So sind paradoxale Ausrichtungen nicht vorrangig in der Konsumorientierung zu suchen, sondern in einer sich fortschreibenden Ambivalenz aus einem idealistischen, transformierten gegenkulturellen Ideal, das sich mit Vertretern kapitalorientierter Unternehmerwelt verbindet. Sucht die transformative Erfahrung einerseits jeden zu erreichen, bildet sie zugleich ein Finanzierungsprogramm aus, das sich exkludierend auswirken kann. Zugleich ist es ebenso ein weitumfassendes Investoren-Netzwerk, das erst aus der Unternehmenswelt zustande kommen kann und gleichzeitig an der Rezeption des long-term thinking via longnow.org teilhaben lässt. Wie sich eine solche Offenheit auf struktureller Ebene der Stiftung niederschlägt, ist dem zweiten Teilbereich dieser Arbeit vorbehalten. Doch kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich aus einer ambivalenten Ausrichtung, die mit den Folgeentwicklungen aus der spezifizierten Counterculture hervortreten, die Long Now Foundation als strategische Geschäftsidee entwickelt. Einerseits schreiben sich hier Ambivalenzen fort, andererseits werden konsequent der Diskurs um das lange Jetzt und eine Plattform für ein long-term thinking ausgebildet, mit denen eine Unternehmensstrategie auf die remarkable people verlegt wird und sich die Initiatoren mit einer aberwitzigen Geschäftsidee inszenieren.

617 So J. Bezos: „Letter to Shareholders“, amazon.com, http://www.sec.gov/Archives/edgar/data/1018724/000119312513151836/d511111dex991.htm vom 21.01.2015: „Amazonians around the world are polishing products and services to a degree that is beyond what’s expected or required, taking the long view, reinventing normal, and getting customers to say ‚Wow‘. This broad array of initiatives is only possible because a large team of talented people at every level are exercising their good judgment every day and always asking, how do we make this better?“

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 219

2.5.4 Von Selbstinszenierung zu Schlüsselkategorien des long- term thinking Die explizite Darstellung der Geschäftsidee und des Businessplans vereint nochmals in sich die oben herausgestellten Aspekte einer ‚lebenden Institution‘ und kann aufzeigen, inwiefern die Stiftungsgründer selbst paradoxale Bewegungen ausmachen. Abbildung 2.3: Long-Now-Geschäftsidee

SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, 1; 2

618

Bezug nehmend auf die hier abgebildete Geschäftsidee wird die bereits erwähnte Feedback-Schleife (‚positive feedback loop‘) erkennbar, die die selbst aufrechterhaltende Struktur der ‚lebenden Institution‘ kennzeichnen soll. Damit kann ein Stabilisationsmodus vom Learning System zu einem angeeigneten Living System ausgemacht werden. Gleichsam handelt es sich um ein zirkuläres System, aus dem (paradoxerweise) lineare Kontinuität generiert werden soll. Dies rekurriert nicht nur auf das Zentralprojekt der Stiftung zur 10.000-Jahre-Uhr, deren wich-

618 Vgl. außerdem A. Rose: „Long Now timeline and current status“ vom 12.11.2014, verlinkt über „Long Now strategy“ ist eine entsprechende Zeichnung von Kees Van der Heijden aufrufbar.

220 | V OM LANGEN J ETZT

tigste Eigenschaft in der Linearität liege,619 sondern aus genealogischer Perspektive wird zusätzlich jene Vorstellung vom Jetzt aus der Kunstwelt hervorgeholt, wobei sich hier ein System zeigt, dessen Einzelelemente sich wechselseitig bedingen. Wie schon mit jenen herausfordernden Aufgaben (‚Challenging Tasks‘) deutlich wurde, zeugen sie davon, die ausgedehnte Zeitperspektive zu bündeln, diese mit Handlung zu erfüllen und gleichzeitig einen Konservierungsprozess für die remarkable people zu generieren. Dies bezieht ebenso eine kritische Lektüre der in der Stiftung selbst stattfindenden Long-term Conservation ein. Denn wenn diese remarkable people nicht unsterblich sind, fragen die Gründer „how to keep these type of people. By providing challenging tasks“620 . Dabei spielt nicht nur die eigene Denkmalsetzung ein, sondern, mit den oben dargestellten diskursbzw. mythosstiftenden Strategien und solchen der Aufmerksamkeitsgenerierung, eine Form von Selbstinszenierung. Die Abbildung einbeziehend, koppelt jene Selbstinszenierung die Gründer (Founders) und deren aberwitziges Bestreben (Folly) mit den Qualitäten der Gruppe (Quality of people/ community). Dabei setzen sich charakteristische Überdauerungsstrategien in den Artefakten der Stiftung fort (Long Term Library / Quality of Clock experience). Mit einer von diesen ausgehenden Erfahrung äußert sich das Produkt (transformative experience), das sich als Kristallisationspunkt (Crystalizing Moment) mit Verewigungsstrategien verbindet. Denn dieser Moment soll zugleich in die Zukunft reichen, indem sich ein work in progress aus der hier eingenommenen Perspektive als Handlung gegen die Sorge stellt, vergessen zu werden. Folglich spielen dabei das Image der Gruppe und deren Glaubwürdigkeit (Image: credibility /“life list status“) ein, wobei der Prominenzanspruch einer Touristenattraktion rückbindet an Formen der Selbstinszenierung. So soll langfristige Aufmerksamkeit garantiert (Compelling Goals / Long Term Attention), außerdem das Verantwortungsgefühl im Kunden (also in Kultur und Zivilisation) und der daraus zu ziehende Nutzen

619 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 56. 620 SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 19: In der Gründungkonversation kennzeichnen diese ‚Challenging Tasks‘ drei Schritte, die sich in der Abbildung widerspiegeln: 1. „500 year projects“ (verschoben zur 10.000-Jahre-Perspektive); 2. „longitudal data storage“ bzw. „longitudal work“ (aus dem Diskurs um die sogenannte ‚Digitale Diskontinuität‘ und stabilisiert in Projekten der Long-term Conservation); 3. „relevance measurement“ (eine Institution, die ein Problem angeht oder vielmehr dieses setzt (‚in search of a problem‘) und die dieses Problem handlungsfähig in Angriff nimmt).

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 221

ausgelöst werden (Income: endowment /“death gifts for life“), was schließlich die Finanzierung mit begünstigt (Investment). Von besonderem Interesse ist nun, inwiefern die Begründer selbst paradoxale bzw. oppositionelle Ausrichtungen ausmachen. Sie beschränken sich darauf, dass den Gründern zufolge zwischen einer ‚bewussten‘ (linke Hälfte der abgebildeten Geschäftsidee) und einer ‚unbewussten‘ Seite (rechts) des Geschäfts unterschieden wird.621 Sofern dies in der Konversation überhaupt ausgeführt wird, sollen vor allem materielle Artefakte, die die Long-Now-Projekte hergeben, die ‚bewusste‘ Seite ausmachen, wobei die entgegengestellte ‚unbewusste‘ Seite durch die transformative Erfahrung gekennzeichnet wird. Eine psychologische Konnotation bleibt hier vage, vielmehr kann dieser Aufassung entnommen werden, dass das Produkt der langfristigen Perspektive in materiellen Artefakten sichtbar werden soll, wie mit der 10.000-Jahre-Uhr intendiert, und die transformative Erfahrung sich auf das Bewusstsein des Kunden auswirken soll; sie reaktiviert die Wende nach innen. Eine oppositionelle Anlage, die die Gründer als ‚bewusst/unbewusst‘ bezeichnen, soll dann dahingehend verschmelzen, eine selbstregulierende Struktur aufrechtzuerhalten. 622 Wie dann vorangegangene Darstellungen zeigen können, ist damit eher von einer unzureichenden Sicht auf sich zuspitzende Oppositionen auszugehen. Dies stärkt den hier verfolgten Ansatz, dem Phänomen Long Now Foundation als ein solches auf den Grund zu gehen, das weitaus mehr Oppositionen in sich birgt, als seine namentliche Bezeichnung The Long Now nahelegt. Dabei kann ein pointiertes Konzept der Geschäftsidee aufgezeigt werden, das den Fokus der vorliegenden Arbeit nochmals hervorhebt. So werden die Schlüsselkategorien der Long Now Foundation verfolgt, um die Paradoxie und das Denken derselben handhabbar zu machen und um dabei einerseits dem strategisch durchdachten Konzept der Stiftung Folge zu leisten, andererseits aber sich zuspitzende Widersprüche nicht aus den Augen zu verlieren. Solch ein Konzept, das hier noch die Funktion der 10.000-Jahre-Uhr mit angeschlossener Bibliothek (CL) beschreibt, äußert sich wie folgt: „The main role of CL is to reframe social/cultural thinking to a longer time span, with the idea of fostering greater responsibility and more effective long-term planning and behavior. It does this via time-telling story, time-binding data, and ancilllary (sic!) activities. [...] The primary story teller is the clock – an instrument both technical and mythic. The Clock

621 Vgl. ebd. 622 Vgl. ebd., S. 19-20.

222 | V OM LANGEN J ETZT provides ways to experience it, to hear about it, and to think about it – to sink deep enough that its time scale is alsways borne in mind. Time-binding data and behavior is the job of the Library. It collects, stores (preserves and sorts), and disseminates information. It also invents longer-term modes of activity (or maybe that part is deemed the job of The Long Now Foundation). If scenario planning did not exist, for instance, Long Now should be the one to invent it. (Maybe we can develop a 623

longer-term of it).“

Die Hauptrolle der Long Now Foundation entsteht folglich aus jener der CL, die in eine intendierte kreative Verantwortungsförderung verschoben wird. Dabei lässt sie ebenso jene Mittel oder Werkzeuge (‚tools for transformation‘) der New Communalists verschoben oder transformiert erscheinen, die sich auch in der 10.000-Jahre Uhr als „Geduldsmaschine“ 624 fortschreiben. Ihre Mechanismen oder Mittel dafür bilden Storytelling und Mythos, die mit der 10.000-Jahre-Uhr als Instrument (‚an instrument both technical and mythic‘) einen Ausgang nehmen sollen, aber zurückreichen in ein scenario planning, das hier angeeignet Zeit erzählt und fassbar macht (‚time-telling‘) sowie Zukunft und Kontinuität (‚Futurity and Continuity‘) vereinen soll. Wäre der Haupterzähler tatsächlich jene Uhr, so käme es nicht zu einer Beschneidung des langen Jetzt,625 das zwar mit dem zukunftsorientierten scenario planning korrespondiert, die Ausdehnung in die Vergangenheit aber unterwandert, ausgerichtet auf die nächsten 10.000 Jahre. Denn wie eingangs hervorgehoben wurde, verbindet die 10.000-Jahre-Uhr als ‚Abbildung‘ kulturtechnischer Entwicklungen Vergangenheit mit Zukunft, ein ‚Sprung also von der Uhrzeit in die Ur-Zeit‘626 , der diskontinuierlich in beide Richtungen verläuft. Doch gerade ein ausgedehnteres scenario planning (‚longerterm of scenario planning‘) richtet den Erzähler (‚primary story teller‘) auf die Zukunft alleine aus. Für eine Aufmerksamkeitsgenerierung und die Planung eines langfristigen Projekts kann die Uhr als Haupterzähler dienen, wobei der Mythos die Erzählung und bestehende materielle Artefakte aber bereits an die Gründer koppelt. Wie ebenso selbsternannte exzellente Kommunikatoren (‚excellent communicators, especially with the written word‘627) und eine als Monument noch nicht existente Uhr, die erzählend aber zugleich memorial auftreten

623 SUL, M 1237, Stewart Brand Index Cards, Box 92: „SB, C/L’s function, 29 May 97“. 624 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 56. 625 Vgl. die Ausführungen zur Skalierungskontingenz in Kap. 1. 626 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 56, Kap. 1, Anm. 135. 627 Vgl. Anm. 566.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 223

würde, darauf hindeuten, ist es die Gruppe um die Long Now Foundation selbst, jenes network of remarkable people, die als primäre Erzähler hervortreten.628 Einerseits ist es der durchdachte Kunstgriff der Stiftung, Kontinuität durch narrativistische Ansätze zu schaffen, andererseits aber ein weiteres, ausgeblendetes Element seitens der Stiftung, das gerade aus der steten Erneuerung aufkommt und diese Kontinuität bricht: So steht neben einer Mitgliedschaft mit ‚impliziter Exklusion‘ der allen zugängliche Bereich longnow.org. Dieser deckt sich zwar als wandlungsfähige, aber auch flüchtige mediale Struktur mit einer steten Erneuerung, durchbricht jedoch gleichzeitig die kohärenzstiftende Funktion der Schlüsselkategorie Storytelling, was im Anschluss an die archäologische Genealogie mit sich in der Stiftung zuspitzenden Widersprüchen betrachtet wird. Wie weit diese zurückreichen und aus welchen Bereichen sie entstehen können, konnte die genealogische Perspektive aufschlüsseln. So wird auch ein Phänomen deutlich, das zwischen einem ernsthaften Geschäft und einem Aberwitz zur nachhaltigen Inszenierung oszilliert. Daran schließen gleichwohl jene Kategorien an – einem Phänomen folgend, das nur in Oppositionen aufgehen kann –, die kontinuitätsstiftend verfahren und damit den Schlüsselkategorien der Long Now Foundation folgen. Sie konnten hier kritisch bedachte Formen der Selbstinszenierung hin zur Mythosstiftung aufgreifen und werden im Rahmen der Studie ferner zu formgebenden Instanzen ausgeführt, die gerade die materiellen Artefakte betreffen. Ob sich dabei ein Kreis schließt, wie er auch durch einen ‚positiven feedback loop‘ nahelegt wird, bleibt fraglich. Vielmehr ist das selbstregulierende System mit Oppositionen durchsetzt, die aber mit der Längenauferlegung für das Jetzt korrespondieren und der Long Now Foundation als symptomatisch für eine solche und einen problematisierten Zeitbegriff vom Jetzt folgen, der stets mit Paradoxien konfrontiert ist.

2.6 A BSPANN : A M E NDE S CHWEIGENS

DES

A RCHIVS

EIN

E NDE

DES

Die archäologische Genealogie der Long Now Foundation schließt mit einem Ort der Befragung, der ein Phänomen der Rekurrenz darstellt, in dem jene Modi

628 Eine Erzählform des Mythos und eine für den vorliegenden Zusammenhang funktionale Dimension werden, über hier erschlossene Herkunfts- und Entstehungsbedingungen hinaus, noch genau dargestellt. Dabei geht es auch um die bereits erwähnte ‚memoriale Funktion‘, die an die Gründer rückbindet und mit einer Selbstinszenierung zusammenfallen kann.

224 | V OM LANGEN J ETZT

der Abfolge, Aneignung und Transformation zusammenfließen. So führt die ‚Geschichte der Gegenwart‘ mit der Entzeitlichung zu benannten Ereignissen und Dingen, die ‚besonders stark wie nahe Sterne glänzen, in Wirklichkeit von weither kommen‘.629 Ein Abspann versteht sich damit als ein Ende des angeordneten Archivs. Denn wie bereits dargelegt muss jede Anordnung an ein Ende gelangen, nicht zuletzt da sie als Archiv zweiter Ordnung dem perspektivischen Wissen unterliegt und doch eine Doppelbewegung der Lücke generiert, diese ohne Anspruch auf Vollständigkeit hervorrufen muss, aber gleichzeitig benennen kann. Ein Ende des Archivs kann als der Punkt verstanden werden, an dem Selbst- und Fremdbeschreibung der Long Now Foundation als Lektüremöglichkeit zusammenfallen, indem die eingangs dargestellte ‚Diagnose der Gegenwart‘ vertieft wird. Ein Ende des Schweigens bedeutet, genau die Lücken einer Herkunft und Entstehung zu benennen, die in der eigenen Darstellung der Stiftung nicht oder versteckt auftauchen, sodass eine Entstehungsgeschichte angereichert und erweitert wird. Anders als eine Entstehung, die sich maßgeblich auf den Millennium Bug bezieht, aber auch die Herkunft von The Long Now, etwa durch die Story Brian Enos, bestimmt, konnten Verwendungsfelder extrahiert werden, in denen Ereignisse und Dinge einer exemplarischen Vertiefung der Herkunft und Entestehung dienten. Über das rein Gesagte hinaus konnte das Verwendungsfeld im Wortsinn gefasst werden, sodass archäologische Formationsmodi ebenso technologische Folgeentwicklungen und insbesondere sich fortschreibende technologische Aneignungs- und Verwendungsprozesse als relevant für die Gegenwart nahelegen konnten. Neben diskursive Formationen stellen sich somit jene technologischer Aneignung und Folgeentwicklung, sodass aus einem diskursiv-technischen Apriori für eine Entstehung und Herkunft der Long Now Foundation hin zum Archiv zweiter Ordnung geschöpft werden konnte. Dessen Anordnung und zeitliche Streuung extrahiert dabei die Verwendungsfelder und Erscheinungsgebiete GBN, New Communalists, Cybernetic und San Francisco Art Worlds, um schließlich im Verwendungsfeld Long Now Foundation als Phänomen der Rekurrenz zu landen. Wenn es dabei auch um eine angeeignete, transformierte Learning Journey ging, kann die Entzeitlichung eine radikal präsente Zeitreise durch die 1980er, 1950er, 1960er und 70er sowie die 1990er Jahre bedeuten, die perspektivisch durch eine ‚Geschichte der Gegenwart‘ navigiert. Zeitlich gestreut verfährt sie länger zurückgehend und bietet das lange Jetzt des langen Jetzt als Lektüremöglichkeit einer Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation an.

629 M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 188, vgl. Anm. 6.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 225

2.6.1 Die Long Now Foundation als Ort der Befragung und Konversation Indem das angeordnete Archiv um das GBN gruppiert wurde, konnte ein möglicher Kristallisationspunkt für eine systematische Anordnung ausgemacht werden. Festgehalten werden kann ein diskursiv-technisches Apriori der Long Now Foundation als ein Anordnungssystem der Entstehung und Herkunft, das aus der Unternehmensberatung schöpft, dabei Abspaltungen und kulturtechnische Folgeentwicklungen aus der Counterculture in die Formation einfließen lässt und diese gegenwärtig, inklusive Parallelentwicklungen, verortet. Zunächst kann dabei ein verschobener, stabilisierter wie transformierter GBN World View Service in der Long Now Foundation auftreten, der ein Verständnis ihres Aufbaus näherbringt: Ein Scenario Book findet sich in Brands Begleitwerk zur Stiftung Time and Responsibility sowie in Works in Progress.630 Long Now Seminars bilden eine Plattform für ein long-term thinking, dem nicht nur ein charakteristisches scenario planning zugrunde liegt, sondern das als transformiert und auf seine Art verschoben angesehen werden kann, was im GBN als Network Conferences bzw. Meetings auftaucht. Zusätzlich soll The Interval einen solchen Veranstaltungsort und Treffpunkt bereitstellen; den Place for Conversation über das long-term thinking also, der ebenso unterhaltsam und als Lounge, Bar oder Café das lange Jetzt in eine charakteristsiche Umwelt einbindet. Neben Abspaltungen, weiterführenden Gruppierungen und Folgeentwicklungen, die ausgehend von GBN Computer Teleconferences ausgemacht werden konnten, erscheinen solche wie auch ein Newsletter tranformiert in der LongNow-Mitgliedschaft. Telekonferenzen verschieben sich zunächst zu der Kommentarfunktion im öffentlich zugänglichen Long Now Blog.631 Mitglieder haben ferner die Möglichkeit, den Newsletter und Clock Blog einzusehen. Schließlich kann der GBN Book Club verschoben im Manual for Civilization auftreten. Was an GBN-Mitglieder und Sponsoren durch Brand versandt wurde, sammelt sich in The Interval, zusammengestellt nun von Long-Now-Mitgliedern wie auch Sponsoren. Eine solche zusammenfassende Vergleichsebene zwischen GBN World View Service und Long Now Foundation führt einerseits zu ihrer Herkunft aus

630 Zu Time and Responsibility siehe S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt; A. Rose u. a.: Works In Progress. – Folglich wird auf Seiten der Stiftung selbst auf die Prozessualität der Projekte verwiesen, als Zusammenfassende Darstellung etwa von Bauprozessen und Artefakten um 2007. 631 Siehe longnow.org, [Blog], http://blog.longnow.org vom 02.01.2015.

226 | V OM LANGEN J ETZT

der Unternehmensberatung, andererseits zu benannten Ereignissen und Dingen, die sich von einer Gruppierung um das GBN in zeitlicher Streuung abspalten. So konnten small scale technologies und deren exemplarische Darstellung eine transformative Erfahrung herleiten, die als geistige Umkehr im scenario planning wiederkehrt und transformiert wie angeeignet in der Long Now Foundation auftaucht. Die geistige Umkehr stabilisiert sich zu Vorstellungen von einem langen Jetzt, das im gesellschaftlichen Diskurs verbreitet werden soll. Dessen Herkunft aus Folgeentwicklungen gegenkultureller Ideale impliziert ebenso eine charakteristische Technologieaneignung, die eigene Medienauffassung mit dem Bewusstsein koppelt (‚tools for transformation‘) und in die Gegenwart verschiebt – als long-term thinking, Konversation, Storytelling und Mythos – und schließlich auch als Mittel zur Konservierung und Überdauerung: Was in der Kommunenbewegung noch als ‚Access to tools‘ auftaucht, stabilisiert sich zu einem ‚Werkzeug‘-Verständnis, mit dem verschiedene Mittel erscheinen, um zunächst das lange Jetzt im gesellschaftlichen Diskurs zu etablieren. Diesem wird ein long-term thinking angegliedert, dessen Schlüsselkategorien (oder tools) sich in der Konversation, dem Storytelling und Mythos manifestieren. Eine Mythosstiftung verweist dabei bereits auf eine Selbstinszenierung der Gründer und auf Strategien, die mit dem Mythos und seiner nachhaltigen Dimension deren eigene Überdauerung garantieren. Die Konversation – der wiederum, um diese zu starten eine ‚Geduldsmaschine‘ und auch Aufmerksamkeitsgenerierung zur Seite gestellt wird – markiert nicht nur die Gründung der Stiftung, sondern erstellt eine Plattform des long-term thinking, das ferner in entsprechenden Umwelten verortet werden soll. Aus technologischen Folgeentwicklungen von Netzwerkforen besteht jene Plattform in longnow.org, die zugleich aus dem Group Learning der Unternehmensberatung des GBN jene Suche der Initiatoren für einen ‚Gruppen-Spielplatz‘ abschließt. Gleichzeitig erstellt der Place for Conversation charakteristische Umwelten für das long-term thinking, die aus jenen medialen Umwelten der New Communalists und vorangestellter Kunstwelt als transformiert und fortentwickelt gelesen werden können. Die Konversation geht dabei strategisch aus der Unternehmensberatung hervor, wobei, neben einer ebenso strategischen Geschäftsidee für die transformative Erfahrung und das long-term thinking, Storytelling und Mythos aus ebendort aufkommenden Strategien des scenario planning hergeleitet werden konnten. Nicht nur liegt dort bereits der Schlüssel in der Konversation untereinander, sondern ihm wohnt ein Mythos (‚core myth‘) inne, der eine hoffnungsvolle Erzählung (narrative of hope) und deren Möglichkeitsbedingung aufrufen kann. So äußert sich das scenario planning als experimentelles Erzählen, indem gleich jener hoffnungsvollen Erzählung die Zukunft nicht vorhergesagt werden soll, son-

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 227

dern das scenario planning transformiert und angeeignet wird zu ‚mentalen Landkarten bzw. Plänen für die Gegenwart‘‚ die das Denken und Wahrnehmen von Vergangenheit und Zukunft für die Gegenwart organisieren sollen. Die von der Stiftung bezeichneten Schlüsselkategorien von Storytelling und Mythos können folglich als transformierte, angeeignete Mittel (tools) für eine geistige Umkehr gelesen werden, die dem langen Jetzt und dem Denken der Paradoxie zugrunde liegt. Aus dem scenario planning wird damit nicht nur eine Herkunft deutlich, die bis in die Forschungswelt der 1950er Jahre zurückreicht, sondern ein charakteristisches Verständnis von narrativen Ansätzen. Dieses impliziert sowohl ein Narrativ, das aus dem Kollektiv der kreativen Gruppe stammt, als auch eine ‚Zeicheninterpretation‘ mit der 10.000-Jahre-Uhr (als tool for transformation and interpretation). Ferner konnten Storytelling und Mythos selbst als solche Mittel auftauchen, mit denen das network of remarkable People of the Long Now konserviert werden soll. Mit der ‚Digitalen Diskontinuität‘ wird ein Selbstverständnis der Initiatoren als Diskursbegründer lesbar, was sich zu einer Mythosstiftung zuspitzen lässt. Der Mythos erstellt selbst ein Überdauerungselement, das an die Erzählung gekoppelt ist und folglich jene hoffnungsvolle Erzählung als narrative of hope generiert. Gleichzeitig äußert sich damit eine Überdauerungsstrategie, anhand derer der Mythos mit einer ‚Zeicheninterpretation‘ aus dem scenario planning zusammenfällt und an die dahinterstehenden Personen rückgekoppelt wird. So trifft es zu, dass die Long Now Foundation eine nachhaltige Version des scenario planning (‚longer-term of scenario planning‘) entwickelt, die das experimentelle Erzählen in einem narrative of hope fortführt, dabei mit einem work in progress Zeit bindet und zusätzlich Anerkennung wie Aufmerksamkeit für die Geschichte wie auch deren Erzähler stiftet und schließlich das long-term thinking strategisch durchdacht vermarktet. Eine Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation konnte also anhand der Folgeentwicklung und Formationsmodi um small scale technologies und einer Herkunft aus der Unternehmensberatung festgehalten werden, die eine in der Stiftung angeeignete transformative Erfahrung herleiten, welche sich zur geistigen Umkehr des langen Jetzt stabilisiert. Daran anschließend ergibt sich ebenso eine mögliche, erweiterte Herkunft von The Long Now, die mit einer Reise oder Wende nach innen eine ausgedehnte Zeitvorstellung aus einer gegenkulturellen Idee vom Jetzt ableiten konnte und die zusätzlich in der dortigen Kunstwelt erscheint. Die Idee eines ‚ewigen Jetzt‘ kann damit als Teil einer Möglichkeitsbedingung für ein langes Jetzt angesehen werden, das einerseits weiter zurückreicht als eine Begriffsformation von The Long Now Ende der 1990er Jahre, andererseits aber an in der Stiftung fortgeschriebene Bewusst-

228 | V OM LANGEN J ETZT

seinsinhalte und deren Vermarktung heranführt. Denn Ende der 1990er Jahre werden gegenkulturelle Ideale im Zuge ideologischer Grenzerweiterungen und einer Umdeutung des Grenzpunktes in Geschäftsideen transformiert – die Kalifornische Ideologie markiert einen Entstehungskontext der Long Now Foundation. Er wird in der archäologischen Genealogie allerdings über die Herkunft der transformativen Erfahrung, die zum Produkt wird, aus der gegenkulturellen Kunstwelt, dem Ereignis und Ding Whole Earth Catalog und Folgeentwicklungen in der aktuellen Underground Art Scene erweitert. Gemäß ineinandergreifender Formationsprinzipien werden transformierte oder verschobene Schlüsselkategorien der Stiftung lesbar. Dabei können sowohl scenario planning, Konversation, Storytelling und Mythos als auch dessen Transformation zu Konservierungs- oder Überdauerungsstrategien und eine strategische Vermarktung der tranformativen Erfahrung zusammengefasst werden. Mit einem Projektcharakter eines work in progress und dem Ausbilden von charakteristischen Umwelten werden mediale Umwelten in solche für ein long-term thinking stabilisiert. Sie verdeutlichen gleichzeitig einen Place for Conversation und dessen Herkunft, für ein Personennetzwerk, das parallel zur kalifornischen Kunstszene von einer Vision inspiriert sei, dessen narrative of hope konsequent durchgespielt und zelebriert wird (‚acted [and played] out to the end‘). Das network of remarkable people aus der Unternehmensberatung stabilisiert sich als People of the Long Now mit einem Konversationsmodus des Group Learning. Aus dem diskursiv-technischen Apriori werden diskursive Dominanzen, technologische Folgeentwicklungen und transformierte Bewusstseinserweiterungen deutlich, die die Stiftung mit charakteristsichen Ideologien versehen. Die sich stabilisierende diskursive Dominanz einer gemeinsamen Sprache formiert das Group Learning eines kreativen Kollektivs zu einer intendierten kreativen Verantwortungsförderung und Storytelling zu einer experimentellen, hoffnungsvollen Erzählung. Darüber hinaus stabilisiert sich jene interpersonelle Intimität, die bereits bei den New Communalists auftaucht, zu dem Netzwerk unter Freunden der People of the Long Now. Neben eine solche zwischenmenschliche Intimität, an deren Seite sich gleichsam individuelle Bestreben von Konservierungs- oder Verewigungsstrategien stellen, kann die Herkunft der People of the Long Now und die Ausrichtung der Stiftung aus kollaborativen Netzwerken bestimmt werden. Mit der beschriebenen diskursiven Dominanz weist diese Formation zurück bis in die Forschungswelt der 1950er Jahre und lässt sowohl die Ideenentfaltung im Kollektiv als auch die Zusammensetzung der Stiftung aus vielfältigen Bereichen hervortreten. Einen Place for Conversation anbieten zu wollen kann dahingehend gelesen werden, dass seine Formation auch auf kollaborative, multidisziplinäre Netzwerke zurückgeht und dabei eine diskursive

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 229

Dominanz ausgebildet wird, die das lange Jetzt mehrfach lesbar macht: Es tritt einerseits als Mythosstiftung zur Überdauerungsstrategie der remarkable people auf und schafft andererseits eine Plattform, sowohl metaphorisch in charakteristischen Umwelten als auch webbasiert für das long-term thinking. Gleichwohl gruppiert sich die Long Now Foundation damit ebenso um Führungspositionen. Wenn solche innerhalb der New Communalists gleichberechtigte Gemeinschaften unterwanderten, kann zwar eine verschobene ‚implizite Exklusion‘ innerhalb der Stiftung ausgemacht werden, doch gleichzeitig wird ein zusätzliches Anordnungssystem um Funktionsträger ermöglicht, die Rückschlüsse auf charakteristische Ideologien der Stiftung zulassen. So äußert sich eine bestimmte Spielideologie des ‚infiniten Spiels‘, das sowohl das experimentelle Erzählen als narrative of hope als auch einen prozessualen Projekt- und den Eventcharakter einer Touristenattraktion hervorhebt. Eine solche Führungsposition, etwa um Danny Hillis und auf einer Vergleichsebene zu Disney Land, pointiert eine Vermarktung des long-term thinking und dessen intendierte Attraktivität. Dem Denken der Paradoxie und einem langen Jetzt entsprechend, kann schließlich das der Stiftung inhärente Spannungsverhältnis ihrer Herkunft und Entstehung hervortreten. Es ergibt sich aus gegenkulturellen, der Konsumgesellschaft entgegengestellten und unkonventionellen Idealen und gleichzeitig aus eben diese Konsumgesellschaft repräsentierenden Führungspositionen. Die archäologische Genealogie benennt dabei einerseits sich zu einem Netzwerk von visionären Freigeistern (Cacophony) parallel verhaltende People of the Long Now und ein zu einem langen Jetzt transformiertes „earth group committee of small futures“632 (New Communalists). Ausgedehnt auf big futures verortet sich dieses strategisch durchdacht sowie konsum- und marktorientiert (Long-Now-Geschäftsidee), wobei Vertreter marktökonomischer Ausrichtung ‚mitspielen‘ (Disney Land, Amazon). Wenn die gegenkulturelle transformative Erfahrung, inklusive bewusstseinserweiternder Mittel, eine ‚Bewusstseinspolitik‘ hervortreten ließ, stabilisiert sich diese innerhalb der Stiftung zu einer eigentümlichen ‚Bewusstseinsvermarktung‘. 633 Denn bewusstseinserweiternd soll die geistige Umkehr eines langen Jetzt Verantwortung fördern und schlägt gleichsam in eine strategische Geschäftsidee um, ebenso nachhaltig für die aufrechterhaltende Struktur der ‚lebenden Institution‘ Long Now Foundation. Wie dabei allerdings genealogische Folgeentwicklungen die Ausbildung von

632 SUL, M 1045, Whole Earth Catalog Miscellaneous 1981-1982, Box 45, Folder 4: „Story NWhole Earth“, S. 9. 633 So könnte hier die Verschiebung von einem ‚earth group committee of small futures‘ zu einem ‚conscious group committe of long futures‘ angebracht werden.

230 | V OM LANGEN J ETZT

einflussreichen Netzwerken aufzeigen konnten, rekurrierend auf das Whole Earth Network, kann die Long Now Foundation als eine Abspaltung ebenjener Netzwerke angesehen werden. Sie wird als ein Phänomen erkennbar, in dem gegenkulturelle Ideale, strategische Prozesse der Unternehmensberatung sowie Spannungsverhältnisse entgegen wie auch für Markt- und Konsumorientierung zusammenfallen. 2.6.2 Die Long Now Foundation als Living System für ein Denken der Paradoxie Dass benannte diskursive Dominanzen und kollaborative Netzwerke den Modus der Konversation in ein Group Learning münden lassen und sich in sogenannten Learning Conferences versammeln, die gleichsam eine Möglichkeitsbedingung für das GBN darstellen, konnten die Begriffsformation sowie Folgeentwicklungen um Learning aufzeigen. Damit kann eine mögliche Formation der Long Now Foundation ausgemacht werden, die die selbsternannte ‚lebende Institution‘ vom Learning System zu einem Living System erfasst, mit jener aus Learning extrahierten selbstregulierenden oder selbst aufrechterhaltenden Struktur des Systems. Aus dem Formationssprinzip der zeitlichen Streuung fallen dabei Entstehungsbedingungen zusammen, die sowohl auf die Kommunenwelt und das Ereignis Whole Earth Catalog wie auch auf die strategische Organisation des Unternehmertums zurückgehen und die ebenso aus der Kunstwelt bekannt geworden sind. Learning kann sich zusätzlich bis hin zur strukturellen Ebene der Long Now Foundation erstrecken, und das heißt auf ihr webbasiertes Bestehen vorbereiten. So fallen zunächst Learning und ein selbstregulierender Modus in der Stiftung zusammen, indem aus ihrem diskursiv-technischen Apriori gleichzeitig auf die Struktur des Whole Earth Catalog und eine implizite Botschaft verwiesen werden kann: Wenn nämlich bereits die Struktur des Katalogs darauf deutet, dass dieser als Lehr-Dokument designt wurde, 634 das auf Eigenständigkeit zielt,635 wohnt ihm zugleich eine Lektion inne: „it requires the reader to work at reading the text“, und Brand weiter folgend, „[g]ive them a bag of nuggets, [...] and let them make their own connections“636 .

634 „The Catalog is by design a total teaching document“, siehe SUL, M 1045, Whole Earth Catalog Miscellaneous 1981-1982, Box 45, Folder 4: „Story NWhole Earth“, S. 5-6. 635 Vgl. Ebd. 636 Ebd.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 231

Nicht nur zeichnet der Weg über das GBN die Fortentwicklung und Verschiebung von Learning nach, sondern er mündet im angeeigneten Group Learning der People of the Long Now, die gleichsam in der Stiftung und ferner in longnow.org ihren ‚Gruppen-Spielplatz‘ finden. Von besonderem Interesse ist dabei, inwiefern Learning und damit verbundene Lektionen, die von Brand ausgehend auf stete Widersprüche verweisen,637 in die Stiftung einfließen. Erstens, auf methodischer Ebene dieser Arbeit, kongruiert ein Lehr-Dokument (‚teaching document‘) inklusive einer Lektion für eigene Verknüpfungen (‚own connections‘) mit einer Entstehungs- und Herkunftsgeschichte, die eigenständig aus einer gewissen Ausbeute (‚bag of nuggets‘) eines historischen Apriori der Long Now Foundation angeordnet werden muss. Dabei spezifiziert die so angebotene Lektüremöglichkeit jenes Archiv zu einem zweiter Ordnung aus diskursiv-technischem Apriori. Zweitens, auf semantischer Ebene oder der des Gesagten, können diskursive Dominanzen und deren Entfaltung im Group Learning die Entstehung der Stiftung aus der gruppenorientierten Konversation aufzeigen und fortgeschriebene Konversationsmodi des long-term thinking eruieren. Sie zeigen sich vor allem in den Long-Now-Projekten, sei es als Aufmerksamkeitsgenerierung und Diskursbegründung (Starting a Conversation anhand der Clock of the Long Now), themenspezifische Besuchsorte (The Interval, Clock One), Rahmenprogramme für Diskussionen zum long-term thinking (Long Now Seminars, Special Events, Long Bets) oder eine diese Kategorien umfassende Plattform für einen Place for Conversation (longnow.org). Drittens, auf der Ebene transformierten und verschobenen Learnings, kann die sich selbst aufrechterhaltende ‚lebende Institution‘ verknüpft werden mit jenem prozessualen Charakter, der sich dem langen Jetzt und symptomatischer Längenauferlegung entsprechend mit dem Denken der Paradoxie verknüpft. Denn neben das Diktum ‚Continuity Is All‘ stellt sich die stete Erneuerung, derer eine ‚lebende Institution‘ bedarf und die zusätzlich einen work in progress ausmacht. Dabei kann ein ausgedehntes scenario planning (‚longer-term of scenario planning‘), das ‚Planning as Learning‘ ebenso fortsetzt, ausgemacht werden. Es zeigt sich darin, dass die Long Now Foundation aus dem Group Learning ein Narrativ entwickelt von Storytelling und Mythos, die angeeignete, verschobene Schlüsselkategorien zur Bewusstseinsveränderung bzw. -erweiterung generieren sollen. Dieses Narrativ bindet Zeit (‚time-telling story‘; work in progress; ‚longerterm modes of activity‘), verfolgt ein plotsetting und Charaktere (People of the

637 Vgl. Anm. 397: So der Verweis auf Stewart Brand als ‚a man perpetually in a learning mode, perpetually evolving, always inviting charges of self-contradiction‘.

232 | V OM LANGEN J ETZT

Long Now), erregt Aufmerksamkeit und erzeugt Überdauerung, denn es soll sowohl provokativ als auch plausibel, dramatisch und unvergesslich sein (‚dramatic and memorable‘). Aufmerksamkeit und Überdauerung soll insbesondere die 10.000-Jahre-Uhr als technisches wie mythisches Instrument evozieren, wobei auf der Grundlage eines experimentellen Erzählens mit einem solchen Instrument, das zugleich noch imaginiert ist, eine hoffnungsvolle Erzählung offen für Interpretationen hervortritt. Als symptomatisch für eine paradoxale Zeitbesetzung und für ein Phänomen, das nur in Oppositionen aufgehen kann, fallen also Kontinuität und Diskontinuität zusammen; nicht nur wie es methodisch schon für die Anordnung des Archivs dargestellt wurde, sondern wie es in der Stiftung für ein langes Jetzt auftaucht, das sich in Richtung Vergangenheit und Zukunft ausrichten soll. Dabei werden die nächsten 10.000 Jahre fokussiert, und eine Kontinuitätsstiftung wird zusätzlich als Überdauerungsstrategie der eigenen remarkable people lesbar. Die Offenheit für Interpretation soll ferner innerhalb einer Geschichte der Long Now Foundation bereitgestellt werden, die öffentlich und webbasiert zugänglich ist und dabei den Spielcharakter als gemeinsames, ‚infinites Spiel‘ auszubilden sucht. Doch kündigt eine stete Erneuerung bereits eine strukturelle Ebene medialer Operationslogik an, die diskontinuierlich verfährt und damit ein langes Jetzt in ein Medium verlagert, das selbst von steter Erneuerung geprägt ist und sich somit auf Kontinuitätsstiftung und auch auf das Narrativ auswirkt. An dieser Stelle erscheint jedoch eine konsequente Ausrichtung der Long Now Foundation, die den sich fortentwickelnden Lernmodus mit widersprüchlichlichen Ansätzen fortschreibt und daher mit dem Denken der Paradoxie korrespondiert. Wenn dann mit dem Whole Earth Catalog ein Lehr-Dokument auftaucht, das ohne einheitliches Programm erscheine, aber von einer Vision geprägt sei,638 paart sich diese Formation um Learning mit San Francisco Art Worlds, einer eigentümlichen Spielideologie und einem ‚Netzwerk von Freigeistern‘, das ebenso von einer Vision geprägt sei, wie es sich mit der Cacophony Society äußern konnte. Daraus tritt die Long Now Foundation hervor mit Programm und geprägt von einer Vision, um kreativ Verantwortung zu fördern und ein long-term thinking in der Öffentlichkeit zu popularisieren. Viertens konnte die Learning Journey, aus erläuterten Folgeentwicklungen und Formationsmodi, als relevant für die Gegenwart abgespalten werden. Verknüpft mit einer Wende oder Reise nach innen macht sie einen Teil der trans-

638 Vgl. SUL, M 1045, Whole Earth Catalog Miscellaneous1981-1982, Box 45, Folder 4: „Story: NWhole Earth“, S. 9, siehe hier: „[‚a teaching document‘] maybe without program, but definitively informed by vision.“

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 233

formativen Erfahrung und der stabilisierten geistigen Umkehr zum langen Jetzt aus, der zusätzlich die Vermarktung des long-term thinking lesbar macht. Zugleich stabilisiert sich die Learning Journey im Projektaufbau der Long Now Foundation. Neben eine Bewusstseinserweiterung (im Wortsinn als Ausdehnung) durch das lange Jetzt setzt der Projektaufbau charakteristische Umwelten um. Diese sind, wie mit dem GBN und medialen Umwelten der Kunstwelt deutlich wurde, metaphorisch und materiell ausgebildet (The Interval, Prototype One, Clock One, Nevada) – für ein Living System und seinen Lern- wie Anpassungsprozess. Wenn die Journey nämlich zunächst als Reise nach innen mit small scale technologies erscheint und zur transformativen Erfahrung gelangen soll, kann die Umwelt und genauer die Landschaft hervortreten, der auf der Reise und in einem Lern- und Anpassungsprozess für Denkmodelle begegnet wird: Die Landschaft bedeutet für GBN-Mitglieder weniger eine lebendige Einheit, sondern vielmehr einen ‚Text, der lesbar wird, um das Leben im Zuge technologischer und sozialer Systeme zu organisieren‘.639 Was sich dann schon als intendierter Aufbau einer Whole Earth-Datenbank ankündigte,640 kann sich mit technologischen Folgeentwicklungen um den Whole Earth Catalog und dessen Netzwerk verbinden. Denn die Fülle an webbasierten Informationen wird verglichen mit den vielfätigen, den Reisenden umgebenden Landschaftseindrücken.641 Nicht nur kann dies gekoppelt werden an den imaginären Status des monumentalen UhrProjekts,642 sondern vor allem wird so die Folgeentwicklung von Learning und Journey hin zu einem webbasierten Place for Conversation deutlich. Denn m. E. kann die Learning Journey, mit der charakteristischen Ausbildung des Narrativs aus dem scenario planning, zu einem Navigieren durch Komplexität verschoben

639 Vgl. F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 192: „For the GBN travellers, the [...] landscape itself was not so much a living entity [...] as a text to be read for clues as to [...] organize [...] lives in the light of the various technological and social ‚systems‘“. 640 Vgl. Anm. 391. 641 Vgl. SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 5: P. Krassner: „Be there then“ [Auszug], S. 1-2, hier S. 2: „being overloaded by the existence of so much on the Web is like being overloaded by the mass of beautiful countryside. You don’t have to visit it, but it’s nice to know it’s there.“ 642 So könnte die zuvor angegebene Aussage aus Krassners „Be there then“ für das Monument Clock One verschoben werden zu ‚you don’t have to visit it [because yet you can’t – Einschub V.F.]‘. Ein Besuch oder eine Begegnung mit dem ‚Monument‘ bleibt somit der Webseite vorbehalten und kündigt ein Navigieren durch Komplexität an.

234 | V OM LANGEN J ETZT

werden, einem Navigieren durch die Datenbank, das dem Denken der Paradoxie entsprechen kann, was noch zu zeigen ist. Dabei kann mit der Long Now Foundation ebenso einen bereitgestellter Text ausgemacht werden, um das Leben bezüglich bestimmter Zeitperspektiven und eines Umgangs mit Gegenwart in einem technologischen und einem sozialen System unter Freunden zu organisieren. Wenn hier eine narzisstische Haltung einspielt, die durch Selbstinszenierungsprozesse untermauert wird, stellt die Long Now Foundation als ‚lebende Institution‘ doch ein ebenso lernendes wie lebendes System dar, das Folgeentwicklungen und Abspaltungen einflussreicher Gruppierungen der Medienkultur des Silicon Valley und des Whole Earth Network entstammt. Abschließend kann die stets ineinandergreifende Formation aus diskursiven und technischen Bereichen des Apriori technologische Folgeentwicklungen und diskursive Formationsmodi zu einem webbasierten Place for Conversation pointieren. Wenn die Journey vergleichbar wurde mit der Kommunenbewegung der New Communalists, diese gleichzeitig rekurriert auf einen Trip mit small scale technologies und die Reise nach innen, die sich in der geistigen Umkehr des langen Jetzt stabilisiert, dann kann ein Navigieren durch Komplexität angeeignet hervortreten: An technologische Folgeentwicklungen um das Whole Earth Network, als Möglichkeitsbedingung für einen webbasierten Place for Conversation, koppelt sich die diskursive Formation um Learning und Journey hin zu medialen Umwelten und ‚Landschaften als Text‘. So sind es nicht nur metaphorisch wie materiell ausgebildete Umwelten für die Projekte der Stiftung, wie sie sich etwa anhand von Nevada oder The Interval zeigen, sondern auch ein in longnow.org textualisierter ‚Gruppen-Spielplatz‘, der ‚textuelle (Spiel-)Räume‘643 des Whole Earth Network und der GBN-Reisenden fortsetzt. Solche sind einerseits die Möglichkeitsbedingung für einen Place for Conversation, einen narrativen Raum644 folglich, der sich als öffentlicher Besuchsort in Kalifornien oder im Web niederschlägt. Andererseits kann ein Navigieren durch Komplexität als transformiert zu einem zusätzlichen Navigieren durch die Datenbank in longnow.org angesehen werden. Wenn dies bereits auf die Long Now Foundation im Dazwischen vorbereitet, wobei das Spannungsverhätnis zwischen Kontinuität und Diskontinuität in einer Beobachtung der (Nicht-)Linearität fortgesetzt wird, kann im Rahmen der archäologischen Genealogie eine mögliche Herkunft dieses Dazwischens festgehalten werden. Es geht zurück auf die Formation aus diskursiven Abspaltungen wie technologischen Folgeentwicklungen, die ein Spannungsver-

643 Zu textuellen Räumen („textual space“) siehe F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, S. 6; 72. 644 Vgl. dazu insbesondere die Ausführungen zu The Interval in Kapitel 3.

2. E NTZEITLICHUNG & G ENEALOGIE

| 235

hältnis zwischen entgegengesetzten Elementen für eine ‚lebende Institution‘ vorantreiben und folglich konsequent einem Denken der Paradoxie folgen. Ebenso schließt sich der Kreis eines Lehr-Dokuments, das dem Rezipienten eigene Wege der Erschließung anbietet. Neben einen kontinuitätsstiftenden work in progress stellt sich jene Prozessualität eines angehenden Lernprozesses, der mit Widersprüchen versehen ist, welche den User oder Rezipienten in ein Denken der Paradoxie einbinden.645 Hieran koppelt sich die fortgeschriebene transformative Erfahrung zur ‚learning experience‘646 sowie ein zusätzlicher Abfolgebzw. Formationsmodus von scenario planning zu ‚planning as learning‘ und „paradoxical learning“647 , der ein Denken der Paradoxie forciert. Zugleich führen transformierte, angeeignete ‚tools for transformation‘ des long-term thinking und Storytelling und Mythos zu einem ‚textuellen Ort‘, durch den der User navigiert. Formationsmodi um Learning und Journey verbinden sich dabei mit Kontinuitätsstiftung und steter Erneuerung des Living System Long Now Foundation, wobei neben dessen Diktum von ‚Continuity Is All‘ ein in ein wandelbares Medium verlagerter Place for Conversation aufkommt. So kündigt sich ein Denken des Jetzt an, das mit einer Beobachtung der (Nicht-)Linearität auf Sinnstiftungsprozesse geprüft wird und sich neben eine entzeitlichte, vergegenwärtigende Vergangenheit durch die Genealogische Perspektive stellt. Was sich also als Formationsprinzip des vorliegenden Archivs über aufzuzeigende Wege mit Gabelungen, Abspaltungen und Gruppierungen zeigte und in diesem Kontext eine aus perspektivischem Wissen selbst angeeignete Zeitreise entzeitlichter Vergangenheit lesbar macht, wird weitergedacht zu Erschließungspfaden seitens des Users. Sie rekurrieren auf ein Navigieren durch Komplexität, das ein Denken der Paradoxie verfolgt und das, entsprechend der Folgeentwicklung um Learning und eines Lehr-Dokuments, dieses aus Perspektive der Mediennutzung erschließt. Wenn ferner ein angeeignetes Storytelling seitens der Stiftung ein offengehaltenes Spiel generieren soll, kann die Herkunft des ‚infiniten Spiels‘ weitergedacht werden zu einem spezifischen Kontingenzbewusstsein, sodass sich ein ebenso charakteristischer Anschluss an die kontingente Lektüremöglichkeit der archäologischen Genealogie ergibt.

645 Ein mit Widersprüchen durchsetzter Lernprozess geht auf Aussage zurück: ‚perpetually in a learning mode, perpetually evolving, always inviting charges of self-contradiction‘. 646 Zur ‚learning experience‘ vgl. Anm. 395. 647 Siehe SUL, M 1237, Gregory Bateson Material, 1972-1973, Box 32, Folder 1: „Gregory Bateson, Meta-Naturalist“, S. 1-25; SUL, M 1045, Whole Earth Catalog Miscellaneous 1981-1982, Box 45, Folder 4: „Story: NWhole Earth, S. 14.

236 | V OM LANGEN J ETZT

Am Ende des Archivs erweist sich das Phänomen Long Now Foundation als symptomatisch für eine Problematisierung des Zeitbegriffs vom Jetzt, für kontingente Längenauferlegungen und für ideologische Umdeutungen des Grenzbegriffs aus der Kalifornischen Ideologie, indem entsprechend paradoxale Ausrichtungen dem Phänomen selbst innewohnen: Die Long Now Foundation kann als Learning und Living System eines network of remarkable people festgehalten werden, das ein Denken der Paradoxie herausfordert und den User oder Rezipienten in ebendieses einzubinden sucht. Als Place for Conversation eröffnet sich eine Entstehungsgeschichte, die diskursive Formationsmodi wechselseitig mit technologischen Folgeentwicklungen koppelt. Es handelt sich um ein Phänomen, das in sich gegenkulturelle Ideale und strategische Organisationsprinzipien des Unternehmertums vereint. So werden mit der zeitlichen Streuung Lücken in der Selbstbeschreibung benannt, die nicht oder nur versteckt auftauchen, und ein genealogisches Gefüge von einem erweiterten langen Jetzt entwickeln – es formiert sich aus der Unternehmenswelt der 1980er Jahre, die ebenso auf die Forschungswelt der 1950er Jahre blickt; aus einer spezifizierten Counterculture der 1960er/70er Jahre, bis hin zu aktueller Kunstwelt, die zugleich eine Verbindung in kalifornisches Unternehmertum der 1990er Jahre schaffen kann. Damit werden paradoxale Besetzungen phänomenbezogen lesbar und münden in Oppositionen und aufdeckbaren charakteristischen Idealen oder Ideologien: einer ‚lebenden Institution‘ in steter Erneuerung und für Kontinuitätsstiftung; einem gemeinsamen ‚infiniten Spiel‘ mit ‚impliziter Exklusion‘; einer intendierten Korrektur markt- und kapitalorientierter Prozesse bei gleichzeitiger Verortung in ebendiesen; einem Produktversprechen der transformativen Erfahrung und deren Vermarktung, die als eigene Überdauerungsstrategie und Selbstinszenierung auftritt und zugleich ein strategisch durchdachtes Konzept des long-term thinking generiert. Rekurrierend auf die erste zentrale These, das lange Jetzt sei nicht lang genug, konnte die archäologische Genealogie eine weitreichendere Herkunft und Entstehung der Long Now Foundation aufschlüsseln. Sie bietet eine Lektüremöglichkeit der Stiftung an und kann zu einem Umgang mit Gegenwart beitragen, indem sie näher an ein Denken des langen Jetzt heranführt. In einer ‚Geschichte der Gegenwart‘ wird Vergangenes als tatsächliche Ausdehnung von Gegenwart, als das lange Jetzt des langen Jetzt, entzeitlicht. Die archäologische Genealogie bettet das Denken in ein Phänomen und dessen erweiterten wie auch ambivalenten und ideologischen Entstehungskontext ein und führt zu der Paradoxie entsprechenden Sinnstiftungsprozessen.

3. Das Jetzt des langen Jetzt – Zur (Nicht-)Linearität: Die Long Now Foundation im Dazwischen

Wenn die ‚Diagnose der Gegenwart‘ bereits darauf eingehen konnte, dass ein mögliches Denken des Jetzt in den Bereich zeitlicher Welterschließung fällt,1 dann kommt dieser ein Sinn zu, der vermittelt sein muss und es somit erlaubt, Sinnstiftungsprozessen nachzugehen, die das lange Jetzt und ein long-term thinking betreffen. Das bedeutet, dass der Frage nachgegangen wird, inwiefern Sinn für ein Denken der Paradoxie gestiftet wird, der erstens ausgehend vom Phänomen Long Now Foundation selbst erschlossen werden kann und der mit einer paradoxalen Ausrichtung in ihren Praktiken niedergelegt ist, aber erst durch die Studie explizit wird. Zweitens werden Sinnstiftungsprozesse verfolgt, die in der Auseinandersetzung mit der Long Now Foundation Wahrnehmungsprinzipien des Rezipienten mitbestimmen und sich somit auf ein Denken des Jetzt auswirken. Drittens soll die Untersuchung nicht nur zeigen, inwiefern beide Aspekte in wechselseitigem Bezug zueinander stehen, sondern mit der Analyse kommen selbst Sinnstiftungsprozesse auf, die einer Paradoxie entsprechen. Sie soll reflektiert und handhabbar werden, um zu einem Umgang mit Gegenwart beizutragen. Dabei werden widersprüchliche Tendenzen der Long Now Foundation weiterverfolgt, die jedoch zugleich in Relation zu einer Zeitparadoxie gebracht werden können. Es sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, inwiefern Wahrnehmungsprinzipien und Perzeptionslogiken mit einer Längenauferlegung korrelieren, die das Jetzt bestimmt. Dieser Bereich zu einem Jetzt des langen Jetzt geht der aktuellen Erscheinungsform der Long Now Foundation nach, die kritisch diskutiert wird und den webbasierten Place for Conversation sowie dessen 1

Vgl. Kap. 1, Anm. 27-29.

238 | V OM LANGEN J ETZT

Version in The Interval betrifft, wobei Erkenntnisse aus der archäologischen Genealogie weiter diskutiert werden. Dabei wird einerseits eine Perspektive der Mediennutzung eingenommen, die etwa ein Navigieren durch Komplexität anschlussfähig macht. Andererseits tritt die auf Widersprüche deutende ‚lebende Institution‘ hervor, mit einem intendierten balancierenden Korrektiv der Kurzsichtigkeit.2 Dabei tritt ein Dazwischen der Long Now Foundation hervor: Das bedeutet, dass sich eine Sinnstiftung gemäß der Paradoxie als oppositionell aufzeigen lässt. Die Long Now Foundation bewegt sich zwischen opponierenden, entgegengesetzten Elementen, die eine Sinnstiftung für und damit ein Denken des Jetzt bestimmen. Im Dazwischen gehe ich also von einer oppositionellen Sinnstiftung aus, die auf einer Beobachtung der (Nicht-)Linearität aufbaut: Sinnstiftende Prozesse erscheinen im Verhältnis zu den Schlüsselkategorien von Storytelling und Mythos, sodass ich für einen Sinn, der vermittelt sein muss, verschiedene Vermittlungsstufen erarbeite. Im Verbund mit der ‚lebenden Institution‘ und ihrem intendierten balancierenden Korrektiv äußert sich das Dazwischen sowohl in linearen als auch nicht-linearen, kontinuierlichen und diskontinuierlichen Prozessen und Logiken. Linear fortschreibend und erzählend verfolgt die ‚lebende Institution‘ Kontinuierungsprozesse, die also auf Prozessualität basieren, sich zugleich aber dadurch kennzeichnen, durchbrochen werden zu können. Dies wirkt sich sowohl auf Wahrnehmungsprinzipien als auch auf die Praktiken der Long Now Foundation selbst aus und kann Konsequenzen für eine Ausdehnung des Jetzt nach sich ziehen. Somit wird der Frage nachgegangen, welche Erkenntnisse für ein Denken des Jetzt gewonnen werden können, wenn sich dieses an ein Phänomen bindet, für das oppositionelle Sinnstiftungsprozesse ermittelt werden können, gerade dann, wenn ein balancierendes Korrektiv etabliert werden soll. Eine Herausforderung, aber auch ein zentraler Erkenntnisgewinn der Studie, liegt darin, die Paradoxie und mit ihr aufkommende Komplexitäten nicht nur zu bestimmen, sondern zu handhaben. Aus diesem Grund geht es nicht darum, eine Paradoxie aufzulösen, die konstitutiv für einen Umgang mit dem Jetzt ist, sondern darum, zu klären, auf welche Art und Weise sie sich sowohl im herausgeforderten Denken des Jetzt bei Auseinandersetzung mit der Long Now Foundation als auch in ihren Praktiken selbst niederschlägt. Denn gerade indem sich die Analyse einer Konfrontation mit Gegensätzen stellt und von einem Dazwischen als oppositionelle Sinnstiftung ausgeht, können Erkenntnisse gewonnen werden, die einen Umgang mit Gegenwart vertiefen und diesen auf der Grundlage einer charakteristischen Sinnstiftung, die der Paradoxie entspricht, diskutieren.

2

Vgl. die Angabe Stewart Brands: ‚a balancing corrective to the short-sightedness‘, Kap. 1, Anm. 113.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 239

Dabei möchte ich sukzessive an ein Wechselverhältnis von entgegengesetzten Wahrnehmungslogiken und Kontinuierungsprozessen heranführen. Wenn nämlich auf der einen Seite Widersprüche aufgezeigt werden können, die mit dem long-term thinking eine Ausdehnung des Jetzt und ein balancierendes Korrektiv betreffen, kann auf der anderen Seite nicht nur eine Korrelation zur Längenauferlegung für das Jetzt, sondern zu einer ‚lebenden Institution‘ zwischen Veränderung, Erneuerung und Kontinuität aufgeschlüsselt werden. Dafür unterscheide ich zwischen einer strukturellen und einer semantischen Ebene der Long Now Foundation: Die strukturelle Ebene betrifft die mediale Operativität bzw. die Operationslogik, die sich für den webbasierten Place for Conversation in longnow.org ergibt. Die mediale Operativität meint die sich aus der Funktionslogik und dem Aufbau der Webseite ergebenden Organisationsprinzipien bei Nutzung der Webseite, die Wahrnehmungsprinzipien des Mediennutzers und damit ein Denken des Jetzt mitbestimmen. Aus Perspektive der Mediennutzung kann im Dazwischen zunächst einer oppositionellen Sinnstiftung auf den Grund gegangen werden, die insbesondere das Storytelling fokussiert. Dabei erfolgt ein genauer Blick auf die webbasierte Realisierung bzw. Konstitution des Place for Conversation. Denn Medien und deren Nutzung bestimmen das Denken mit, lassen somit Rückschlüsse auf Welterschließung und Sinnstiftung zu und zielen insbesondere auf eine Handhabung ab, die dann ebenso jene der Paradoxie betrifft. Erstens wird eine medienphilosophische Perspektive in Anlehnung an Vilém Flusser eingenommen, die mit Ansätzen Sybille Krämers ergänzt und vor allem genauer gefasst wird. Diese sind als einführende Grundlage für eine anschließende Analyse von longnow.org zu verstehen, denn wenn es um ein Denken des Jetzt geht, dient insbesondere eine (medien)philosophische Annäherung dessen kritischer Reflexion. Welterschließung wird zu Sinnstiftung zugespitzt, und mit beiden Ansätzen kann eine Handhabung aus der Mediennutzung hervorgehen. Diese verweist auf eine Medienkultur, mit der die Rolle von Codes aufgegriffen wird3 und eine lineare Kodierung sowie deren Veränderung erschlossen werden kann. Somit wird auf die Long Now Foundation zwischen linearen und nichtlinearen Strukturen und auf für die Folgeanalyse relevante Koexistenzen vorbereitet. Wenn es zunächst überraschen mag, dass mit Flusser eine utopisch besetzte Medientheorie hrangezogen wird, können jedoch signifikante Verbindungen zur Long Now Foundation ausgemacht werden. Denn gerade weil es sich um ein

3

So wird eine ‚Diagnose der Gegenwart‘ auch hier anschlussfähig; vgl. Kap. 1, Anm. 12 sowie die Angaben zur transmediale und deren Verbindung zur Long Now Foundation, Anm. 20.

240 | V OM LANGEN J ETZT

utopisches Potential handelt, kann eine charakteristische Verbindung zur intendierten kreativen Verantwortungsförderung und zu einer hoffnungsvollen Erzählung, dem narrative of hope, aufkommen. Damit wird eine Grundlage geschaffen, Sinnstiftung und ein Erschließen von Welt im Verhältnis zum Storytelling und anhand von Erschließungsprozessen auf Seiten des Mediennutzers zu sehen. Sie werden webbasiert, entsprechend der medialen Operationslogik erörtert. Während das Storytelling eine lineare, kohärente Struktur nahelegt, wird es durch die Long Now Foundation in ein Medium verlagert, mit dem die Unterstützung einer linear kohärenten Story fraglich wird. Damit geht es zweitens um eine Analyse von longnow.org: Wahrnehmungsprinzipien können in Korrelation zu einer Längenauferlegung gebracht und für ein Denken des Jetzt und seine Ausdehnung erörtert werden. Narrativistische Ansätze werden in Anlehnung an Marie-Laure Ryan und Lev Manovich für die Analyse eingegrenzt. Denn mit diesen Ansätzen und deren Konfrontation wird es ermöglicht, einem webbasierten Storytelling auf den Grund zu gehen – benannte Koexistenzen können aufgegriffen werden und zusätzlich kann ich sie mit der charakteristischen Spielideologie der Long Now Foundation, mit Lernprozessen und einem Navigieren durch Komplexität aus der archäologischen Genealogie verknüpfen. Drittens stellt die Analyse einen intellektuellen Denkantrieb für einen Umgang mit dem Jetzt heraus. Aus Perspektive der Mediennutzung und mit einer philosophischen Annäherung zeigt er sich in so bezeichneten medialen Verstärkerfunktionen. Das heißt, dass aus der Handhabung des Mediums und einer philosophischen Reflexion ein bestimmtes, Denkprozesse stimulierendes Zeit- und Kontingenzbewusstsein aufkommen kann – in einem Zwischenfazit im Dazwischen. Die semantische Ebene betrifft die Selbstbeschreibung der Long Now Foundation; sie bezieht sich insbesondere darauf, was sie sagt bzw. erzählt, worin sich ihre Ziele, Motivationen und Intentionen manifestieren. So kündigt sich das Wechselverhältnis zwischen strukturell medialer und semantischer Ebene an, das zugleich ein Scharnier für einen zweiten Bereich im Dazwischen bildet: Während mit longnow.org bereits eine bestimmte kulturelle Form zur Erschließung von Welt und Sinnstiftung hervortritt, schließen hier sogenannte formgebende Vermittlungsfunktionen an. Mit ihnen möchte ich sinnstiftende Formen herausarbeiten, die sich neben entgegengesetzte, nicht-lineare und diskontinuierliche Prozesse und Logiken stellen. Sie verdeutlichen zunehmend, wie Kontinuität durch die Long Now Foundation, in ihren Praktiken und in einer Auseinandersetzung mit derselben niedergelegt ist. Solche Vermittlungsfunktionen zeigen sich insbesondere in Anlehnung an Ernst Cassirers symbolische Form und eine

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 241

Erzählform des Mythos, sodass ich der zweiten Schlüsselkategorie der Long Now Foundation nachgehe und über den webbasierten Place for Conversation longnow.org hianus. Die einführend dargelegte Skalierungskontingenz wird für kontinuierliche Strukturen aufgegriffen; Sinnstiftungsprozesse werden zusätzlich im Verhältnis zu einer charakteristischen Zeitlichkeit für das lange Jetzt und einer Zukunftsperspektive für die nächsten 10.000 Jahre verhandelt. Dabei rückt mit der symbolischen Form das Zentralprojekt der Clock of the Long Now in den Fokus, die eine mit dem scenario planning benannte ‚Zeicheninterpretation‘ ausführt, und Sinnstiftung mit einer zukunftsgerichteten Perspektive erfasst. Hier wird die Journey anschlussfähig und ein imaginierter Projektcharakter für Sinnstiftungsprozesse deutlich. Die Erzählform des Mythos rückt dann in den Mittelpunkt, die der hoffnungsvollen Erzählung, dem narrative of hope der Long Now Foundation, eine Form geben kann. Dabei werden eine Selbstinszenierung der Long Now Foundation wie ebenso deren kritische Diskussion vertieft. Insbesondere bedeutet diese Formgebung, dass der Projektcharakter eines work in progress für Sinnstiftungsprozesse erfasst werden kann, der sich auf ein Denken des Jetzt auswirkt. Eine solche Erzählform kann weitergedacht werden, indem eine in der Selbstbeschreibung der Long Now Foundation angebrachte nachhaltige Version des scenario planning diskutiert wird, wie sie aus genealogischer Perspektive benannt werden konnte. Hier spielt sowohl eine zukunftsgerichtete Zeitlichkeit für ein Denken des Jetzt, das experimentelle Erzählen wie auch der noch imaginierte Projektstatus ein, die sich mit dem Spiel verbinden und Sinn für das lange Jetzt mit prägen. Abschließend rückt The Interval in den Mittelpunkt. Das Ausbilden von charakteristischen Umwelten wird hier aufgegriffen und der Frage nach einer damit verbundenen Verstärkung des long-term thinking und einer Anpassung der Umwelt an das lange Jetzt nachgegangen. Nicht nur erscheinen Sinnstiftungsprozesse im Verhältnis zu einem zukunftsgerichteten langen Jetzt, sondern ein strategischer Einsatz von Zeitlichkeit wird in der Analyse selbst umgesetzt: In einer Momentaufnahme des langen Jetzt, die das Intervall im Dazwischen als zeitlichen Zwischenraum berücksichtigt, wird die Ausdehnung des Jetzt, mit ihren widersprüchlichen Tendenzen, durch Formgebung in einem narrativen Raum erfasst. Eine solche Momentaufnahme schließt oppositionelle Sinnstiftungsprozesse und gleichzeitige formgebende Vermittlungsfunktionen ab, wobei Sinnstiftung und ein Denken des Jetzt mit dem Spiel korrelieren, das sich auf und mit Zeit äußert. Schließlich kann in einem Moment zusammengeführt werden, was inzwischen aus den gewonnenen Erkenntnissen festgehalten werden kann.

242 | V OM LANGEN J ETZT

Hier kann die ‚dreifache Gegenwart‘4 anschlussfähig werden, indem sie sich wie folgt für den vorliegenden Zusammenhang transformiert: Während die Gegenwart des Vergangenen anhand der Entzeitlichung durch die archäologische Genealogie auftreten konnte, diskutiert Das Jetzt des langen Jetzt die aktuelle Erscheinungsform der Long Now Foundation. Die Gegenwart des Gegenwärtigen erscheint mit dem webbasierten Place for Conversation, ebenso als ‚aktuelle Medien-Bühne des Jetzt‘,5 mit seiner Version in The Interval und mit der Erzählung der Long Now Foundation anhand von Storytelling und Mythos. Über eine webbasierte Realisierung hinaus sprechen sich diese Schlüsselkategorien in den Praktiken der Stiftung aus, die die Gegenwart des Zukünftigen in einer prospektiven, zukunftsgerichteten Erzählung betreffen. Angaben aus der ‚Diagnose der Gegenwart‘ werden ausgeführt wie auch Erkenntnisse aus der archäologischen Genealogie weiterdiskutiert. Diese Arbeit stellt sich der Herausforderung, selbst mit Oppositionen konfrontiert zu sein und diese gleichzeitig für ein Denken der Paradoxie in ein Wechselverhältnis zu bringen. Dabei wird eine vermittelte Sinnstiftung in das Verhältnis sowohl zu den Schlüsselkategorien von Storytelling und Mythos als auch zu einer dem langen Jetzt entsprechenden Zeitlichkeit gebracht.

3.1 M EDIENNUTZUNG

UND

S INNSTIFTUNG

Aus Perspektive der Mediennutzung kann ein Begriff von „Welterschließung“6 ausgemacht werden, der sich im Verhätnis zum Storytelling auf jenen ‚Modus der Welterkenntnis‘7 bezieht: Die strukturelle Ebene der Untersuchung kann zunächst auf ein „Modellkonstrukt [...], um ‚Welt‘ begreifbar zu machen“8, verweisen, wobei das ‚Begreifbarmachen‘ die der Welterschließung implizite Sinnstiftung9 deutlich hervorhebt. Welt zu erschließen – und das heißt hier auch ein long-term thinking für ein langes Jetzt, das sich dem Mediennutzer über longnow.org erschließen soll – heißt, diese Welt mit Sinn zu versehen, was den Umgang mit Zeitlichkeit als Orientierung in der Welt einbezieht. Sinn ergibt sich in Denkprozessen, aus Wahrnehmungen und einhergehenden Perzeptions-

4

Vgl. Kap. 1, Anm. 32.

5

Vgl. Kap. 1, Anm. 40.

6

G. Grube: „Vilém Flusser – Mundus ex Machina“, S. 173-199, hier S. 188.

7

Vgl. Kap. 1, Anm. 29.

8

G. Grube: „Vilém Flusser – Mundus ex Machina“, S. 188.

9

Vgl. zu einem ‚Bedürfnis nach Sinnstiftung‘ Kap. 1, Anm. 28.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 243

logiken. Dabei tritt eine Perspektive auf eine Medienkultur hervor, in der solche Wahrnehmungsprinzipien medial konstituiert sind, sodass eine Sinnstiftung im Zusammenhang mit medialen Operationslogiken erscheint. Dafür treten zunächst Möglichkeiten menschlicher Kommunikation in den Vordergrund, die sich aus einer medienphilosophischen Perspektive in Anlehnung an Vilém Flusser mit dem Beobachtungsgegenstand Long Now Foundation verbinden. Einerseits ist Kommunikation zentrales Mittel der Welterschließung, aus der Sinnstiftung hervorgeht, andererseits koppelt sie sich an eine für die Long Now Foundation entwickelte genealogische Perspektive, indem zu deren ‚melancholischer Haltung‘ und zu Überdauerungsstrategien verknüpft werden kann. Denn rekurrierend auf Flusser kommt Kommunikation die Funktion zu, „uns die brutale Sinnlosigkeit eines zum Tode verurteilten Lebens vergessen zu lassen. [...] [M]enschliche Kommunikation webt einen Schleier der kodifizierten Welt, [...] damit wir unsere eigene Einsamkeit und unseren Tod, und auch den Tod derer, die wir lieben, 10

vergessen.“

Rückgebunden an eine ‚melancholische Haltung‘ der Long Now Foundation, die auf Überdauerungsstrategien und Verewigungsprozesse deutet und mit denen das eigene Personennetzwerk konserviert werden soll, ist auch die Schlüsselka-

10 V. Flusser: Kommunikologie, S. 10. – Diese Einschätzung ist im Werkkontext der Philosophie Flussers zu sehen, die auf dessen Lebenserfahrung zurückgeht; auf ein vielbereistes Leben mit vielfach wechselnden Heimatorten und einer daraus resultierenden „bodenlosen“ Lebenssituation, vgl. hierzu V. Flusser: Bodenlos; D. Mersch: „Vilém Flusser und die telematische Gesellschaft“, S. 136-154, hier S. 137. Daran schließen ebenso Flussers Überlegungen zu einem „nomadischen Denken“ an, das sein Werk begleitet, vgl. etwa V. Flusser: Medienkultur, S. 150-159. Sein zeugt dabei von einer Vielsprachigkeit, die etwa die Etymologie von Begriffen einbezieht und spezifische Erklärungsmodelle hervorruft. Hinsichtlich der Rolle von Kommunikation erscheint der Mensch als ein „Knotenpunkt“, dessen persönliche Identität sich durch die Begegnung mit anderen ausbildet, wobei ein entstehendes kommunikatives „Netz von Beziehungen“ definiert wird, B. Rosner: „Telematik. Vilém Flusser“, S. 77-98, hier S. 97. Es tritt also nicht nur eine Verbindung zum genealogischen Herkunfts- und Entstehungsgefüge auf, die hier explizit das Subjekt in den Vordergrund stellt und sich mit einer ‚hermeneutischen Einsicht‘ verbinden ließe. Vielmehr kann zunehmend eine Bewegung hin zu einem Miteinander verfolgt werden, das sich im Laufe der Analyse der Long Now Foundation an die Rolle des Spiels und eine partizipatorische Mediennutzung bindet, die es gleichwohl zu hinterfragen gilt.

244 | V OM LANGEN J ETZT

tegorie des Storytelling ein kommunikativer Prozess. Wie dies in der archäologischen Genealogie verdeutlicht werden konnte, generiert ein solcher nicht nur Aufmerksamkeit, sondern stellt eine Story bereit, die Zeit bindet. Zugleich wird jenes Personennetzwerk unmittelbar an die Story gebunden, es tritt nachhaltig mit ihr auf, um gleichsam dessen Tod und die Gefahr zu vergessen, selbst vergessen zu werden. Mit Blick auf die Sinnstiftung benötigen Menschen Codes, um kommunizieren zu können, Systeme von Symbolen, um der Welt Bedeutung zu geben und damit Sinn zu stiften.11 Der Theorie zufolge soll eine Trennung von Code und Medium erfolgen, denn Codes werden zu Bedeutungsträgern, während Medien die Übertragungsfunktion kodifizierter Botschaften zukommt.12 Dies ist maßgeblich für einen Begriff von Medienkultur, denn Codes, wie Bilder oder Schrift, sind „kulturbestimmende und geschichtsbildende Faktoren“13; und dabei sind „Medien [...] Strukturen (materielle oder nicht, technische oder nicht), in denen Codes funktionieren.“14 Wenn Flusser dabei ein unklarer Medienbegriff zugrunde liegt, was eine Begriffsdefinition von Codes betrifft, kann Sinnstiftung mit einem Verständnis von medialer Operationslogik in Anlehnung an Sybille Krämer deutlicher werden: Einer ‚kodifizierten Welt‘ und Medien als ‚Symbolsystemen‘ entsprechend, in denen ‚Codes funktionieren‘, verdeutlicht Krämer ein Verständnis von Kulturtechniken: Sie sind „operationalisierbare, historisch variierende Strategien zum Umgang mit symbolischen Welten“15. Das bedeutet, dass sie sich auf Praktiken beziehen, denen Sinn und das, was wahrnehmbar ist, eingeschrieben („inkorporiert“16) ist.17 Es kann keinen Sinn geben ohne eine solche ‚Verkörperung‘, die sich in der symbolischen Welt der Medien niederschlägt,18 vielmehr werden „Bedeutungen und Sinn, aber auch Wissen und Information [...] [aus] einer medialen Perspektive rekonstruierbar [und auch handhabbar gemacht]“19. So kann nicht nur der bereits aufgetretene Begriff von Kulturtechnik ausgebaut werden, sondern es ergibt sich auch die Frage, inwiefern ein mögliches

11 V. Flusser: Medienkultur, S. 23. 12 Vgl. J. Michael: „Vilém Flussers Kommunikologie“, S. 23-56, hier S. 31. 13 Ebd., S. 26. 14 V. Flusser: Kommunikologie, S. 271. 15 S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 157-176, hier S. 167. 16 Ebd. 17 Vgl. ebd. 18 Vgl. ebd. 19 Ebd. [Herv. V.F.].

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 245

Denken des Jetzt aus der Mediennutzungsperspektive und auf struktureller Ebene medialer Operationslogik verhandelt werden muss: Da in solchen ‚symbolischen Welten‘ Codes funktionieren, geht es um eine „Dynamik, die dem Codefluss zwischen Sender und Empfänger“20 auferlegt wird; darum, „wie man das Medium handhabt“21. Eine ‚symbolische Welt‘, in der ‚Codes funktionieren‘, bildet die Webseite longnow.org. Haben Codes auch eine ‚geschichtsbildende Funktion‘, bezieht dies die Story bzw. das Storytelling der Long Now Foundation ein und wirkt sich auf dieses aus. Denn nicht nur ist Sinnstiftung und das, was wahrnehmbar ist, aus ‚medialer Perspektive rekonstruierbar‘. Zugleich tritt eine Handhabung und folglich eine Mediennutzungsperspektive auf, sodass Auswirkungen auf die Wahrnehmungsprinzipien des Users rekonstruiert werden können. ‚Operationalisierbare Strategien‘ („operative Verfahren im Umgang mit symbolischen Welten“22) beziehen sich also auf eine Sinnstiftung, die sich aus longnow.org ergibt und die mit der vorliegenden Analyse ein long-term thinking handhabt. Sinnstiftung fällt dabei mit Zeitlichkeit zusammen, was zugleich verdeutlicht, inwiefern Ansätze Flussers und Krämers eine Grundlage für die Analyse von longnow.org schaffen: Das Jetzt des langen Jetzt tritt dahingehend auf, die aktuelle Erscheinungsform der Long Now Foundation zu diskutieren. Denn „[w]o immer man Codes entdeckt, kann man auf menschliche Gegenwart schließen“23, wobei „der Computer Zeitlichkeit in die symbolische Ordnung implementiert“24. Sinnstiftung für ein langes Jetzt bezieht somit eine Zeitlichkeit ein, die sich aus dem Medium selbst, das heißt aus seiner Operationslogik, ergibt, sich auf die Wahrnehmung des Nutzers auswirken kann und auf eine Problematisierung des Jetzt hin diskutiert wird. Über eine Zeitlichkeit hinaus kann diese Grundlage auf benannte, für ein Dazwischen relevante Koexistenzen deuten. Da der Computer – hier genauer eine Sinnstiftung rekonstruierbar aus longnow.org – „tatsächlich eine neue Kulturtechnik verkörpert“, kann eine „Interaktion mit symbolischen Strukturen [...] in Gestalt von Hypertexten“25, aufgezeigt werden. Diese Interaktion pointiert im Laufe der Analyse einen Umgang mit Gegenwart zwischen Linearität und Nicht-Linearität in der symbolischen Welt longnow.org.

20 V. Flusser: Kommunikologie, S. 272. 21 Ebd. [Herv. V.F.]. 22 S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 169. 23 V. Flusser: Medienkultur, S. 23 [Herv. V.F.]. 24 S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 173. 25 Ebd.

246 | V OM LANGEN J ETZT

‚Historisch variierende Strategien‘ verdichten sich hier zum webbasierten Place for Conversation longnow.org aus technologischen Folgeentwicklungen. Denn in einer gegenwärtigen Medienkultur, in der Mediennutzung auch eine Handhabung webbasierter, symbolischer Welten bedeutet, wird Sinnstiftung im „Medium des Computers [erforderlich]“ 26 , an dem der User die ‚Welt‘ von longnow.org nutzt. Eine dem schriftlich fixierten Storytelling zugewiesene lineare Kodierung27 wird zunächst zu historisch variierenden Prozessen auf einer Vergleichsebene von Linearität und digitalem Code ausdifferenziert. Sie dient der Analyse von longnow.org zwischen linearen und nicht-linearen Prozessen und Logiken, die sowohl eine strukturelle Ebene als auch Perzeptionslogiken des Users bzw. Mediennutzers betreffen. 3.1.1 Linearität und digitaler Code Um Welt erschließen und ihr eine Bedeutung geben zu können, tritt der Mensch von der Welt zurück,28 da er sich „Symbole schaffen und diese zu Codes ordnen“29 muss (beispielsweise anhand von Bildern oder Schrift), um etwa Modelle für seine Sinnstiftung zu generieren.30 Damit tritt eine „Einbildungskraft“31 hervor, sie ist Teil der Sinnstiftung und kann anhand jener ‚operativer Verfahren im Umgang mit symbolischen Welten‘ erfasst werden, „mit denen wir die Spielräume unserer Kommunikation und Kognition erweitern“32. Signifikant dafür wird ein Übergang von linearen (etwa Zeilen zu entnehmenden) Bedeutungen zu digitaler Kodierung. Ausgehend von einer medial induzierten Sinnstiftung gilt gesprochene Sprache, wie auch die Interpretation von Bildern (so etwa eine Welterschließung durch Höhlenmalerei33) als flüchtig mit konnotativer Ebene.34 Das lineare Motiv als „Transcodieren der Bilder zu Zei-

26 Ebd., S. 168. 27 Vgl. V. Flusser: Krise der Linearität, S. 17; sowie zu einer Linearität durch Schrift und deren historisch variierende ‚Dimension‘, S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 168-171. 28 Vgl. V. Flusser: Krise der Linearität, S. 10. 29 V. Flusser: Medienkultur, S. 23. 30 Zur Funktion von Modellen vgl. auch G. Grube: „Vilém Flusser – Mundus ex Machina“, S. 188-190. 31 V. Flusser: Krise der Linearität, S. 11. 32 S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 167. 33 Vgl. V. Flusser: Krise der Linearität, S. 9-13. 34 Vgl. ebd., S. 11-12; S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 159.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 247

len“35 führt jedoch zu einer denotativen Ebene und zu einer „Kritik der Einbildung“36: Der flüchtige, konnotative Sprachcode wird klaren Regeln unterworfen und wandelbaren Interpretationen nicht nur entgegengestellt, sondern er wird gleichzeitig fixiert und handhabbar.37 Dabei tritt der oben benannte ‚geschichtsbildende Faktor‘ auf, indem (wie dies auch schon auf Bilder zutrifft) Wissen externalisierbar und vom lebendigen Träger entkoppelt wird, jedoch von der Konnotation enthoben ist.38 Sinnstiftung kommt dabei ein Abstraktionsgrad zu;39 das bedeutet, dass die lineare Struktur auf eine bestimmte Weise verdeutlichend sein kann: Es geht um eine Interaktion der Schrift mit gesprochener Sprache,40 wobei der Grad der Abstraktheit nicht daraus hervorgeht, dass „geschriebene [...] auf gesprochene Sprache [referiere], sondern [was zur Darstellung kommt] sind konzeptuelle Sachverhalte, wie grammatische Kategorisierungen, [...] Relationen zwischen Gedanken und Argumentationsstrukturen“41, etwa durch Interpunktion. Die Welt erscheint als „Bündel von linearen Prozessen“42; linear kodiert können Abstraktionen und Unterscheidungen verstärkt werden.43 Zudem tritt neben eine

35 V. Flusser: Krise der Linearität, S. 15. 36 Ebd., S. 13. 37 Vgl. ebd., S. 15-16; S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 159. 38 Vgl. weiterführend V. Flusser: Kommunikologie, S. 55-56; außerdem: „Der Mensch besitzt die Fähigkeit, Erfahrungen zu erwerben und diese an künftige Generationen weiterzugeben. Er ist ein historisches Wesen. Er kann neue Informationen erzeugen und speichern“, siehe Flusser zit. n. N. Röller/S. Wagnermaier: absolute: Vilém Flusser, S. 62. 39 Vgl. V. Flusser: Krise der Linearität, S. 13. 40 Vgl. S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 159. 41 Ebd., S. 160. 42 V. Flusser: Krise der Linearität, S. 17. – So wird auch jenes ‚Bündel von Beziehungen und Aussagen‘ weitergedacht, das in der archäologischen Genealogie mit Foucault auftrat, vgl. Kap. 2, Anm. 112. 43 Durch die Linearität (auch „aneinanderreihende Geste“, siehe V. Flusser: Krise der Linearität, S. 9) werden einzelne, nebeneinanderstehende Einheiten überhaupt erst unterscheidbar, somit Bedeutung abstrahierbar, vgl. S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 160. Gleichwohl stellt auch die Schrift gerade durch das lineare ‚Aneinanderreihen‘ von Buchstaben ein Schriftbild dar, vgl. ebd., S. 159. So wird die „Annahme der Eindimensionalität des Schriftbildes als Lineatur von Buchstabenfolgen“ davon überholt, „dass jeder geschriebene Text von der Zweidimensionalität der Fläche Gebrauch macht“, ebd. [Herv. i.O.] . – Für den vorliegenden Zusammenhang kündigt sich damit die Koexistenz von Oppositionen und deren Wechselbezug an. Was linear kodiert

248 | V OM LANGEN J ETZT

flüchtige Wahrnehmung, die in der Rezeption gesprochener Sprache eines lebendigen Trägers liegt und die zusätzlich mit dessen Gestik, Mimik und Prosodie versehen wird,44 die Wahrnehmung des externalisierten, fixierten Wissens. Das ‚Zurücktreten‘ von der Welt ist auch eine Fähigkeit zur Kritik, jene ‚Kritik der Einbildung‘, die Sinnstiftung mit kennzeichnet. Historisch variierende Strukturen für Sinnstiftungsprozesse zeigen sich wie folgt: Das lineare („buchstäbliche“45) Denken fällt mit einem „null-dimensionalen Punktdenken“46 zusammen; der lineare wird zum sogenannten „alphanumerischen Code“47. Das bedeutet, dass der lineare, schriftliche Code um Symbole erweitert wird, nämlich durch Zahlen.48 Die Kritik der Einbildung, also eine zunehmend abstrahierfähige Sinnstiftung, führt zu einem sogenannten „konkretisierenden“49 und „kalkulierenden“50 Denken. Es bestimmt ‚neue Spielräume der Kognition‘ mit, die ebenso anhand von longnow.org auftauchen. Konkretisierendes und kalkulierendes Denken kommt dadurch zustande, dass sich zunächst der alphanumerische Code mehr und mehr gegen die Linearität wendet, diese durch Punkte und Intervalle aufbricht.51 Konkretisiert werden Denken und Sinnstiftung dadurch, dass beide auf diskrete Punkte zurückgehen können, die nunmehr von entgegengesetzten Einbildungskräften zeugen und im digitalen Code gipfeln: Apparative bzw. digitale Medien prozessieren Information zu Daten,52 sie werden allerdings in Bits kal-

ist, kann zugleich in einem zweidimensionalen Bild erscheinen, wobei entsprechende Kodierungen einander nicht ausschließen. 44 Vgl. ebd., S. 166. 45 V. Flusser: Krise der Linearität, S. 21. 46 Ebd., S. 22. 47 Ebd., S. 21. 48 Vgl. weiterführend die Ausführungen zur „operativen Schrift“: S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 161; 169-171. 49 V. Flusser: Krise der Linearität, S. 27. 50 Ebd., S. 21. 51 Ebd. 52 Hier kommt es zu einer interessanten Umkehr der gängigen Meinung, dass erst aus Daten Information werden kann. Diese Umkehr bezieht sich auf Flussers etymologische Herleitung, mit der informieren ein Synonym zu herstellen bildet (lat. informare, von forma – Gestalt geben, bilden). Der Informationsbegriff nach Flusser versteht informieren als Herstellen insbesondere von Diskursen, als Methode zum Verteilen verfügbarer Information und als maßgebliche Voraussetzung dafür, dass ein „Informationsstrom“ (V. Flusser: Kommunikologie, S. 20) zustande kommt.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 249

kuliert. Es kommt zu einer Koexistenz von Prozessualität und unterbrechender Kalkulation, rückführend auf computergenerierte („komputatorisch (digitale)“53) Bildcodes, die abgerufen werden können. Dies zieht eine signifikante Entfremdung nach sich, in der Prozessieren mit Kalkulieren zusammenfällt. Prozessualisierte (erzählte bzw. nun zu Daten prozessierte) Information deutet auf die Gegenstände zurück (sie haben ein Korrelat in der Gegenstandswelt); eine Kodierung im digitalen Medium deutet auf Kalkulation zurück.54 Kalkulationen „‚bedeuten‘ damit nicht den Gegenstand, sondern mögliche, nicht [...] tatsächliche Gegenstände“55. Das bedeutet nun, dass eine mögliche, programmierte Welt hervortritt, die ich für longnow.org noch als Möglichkeitsfeld Webseite spezifiziere und die an dieser Stelle eine Sinnstiftung hervorhebt, die, Flusser zufolge, von Programmierern ausgeht. Mit dieser geht es um hinter der zu erschließenden Welt stehende Programmierer,56 „um Abbildungen ihrer Kalkulationen und daher um Vorbilder für ein programmiertes Verhalten seitens der Empfänger“57. Die daher „programmierend[e] Einbildung“58 – sie ist programmierend, sofern sie auf das Darstellund Wahrnehmbare ausgehend vom Programmierer rekurriert – stellt sich zwischen den Empfänger und eine Objektivität des Apparates bzw. Mediums;59 die ‚Einbildung‘ des Mediennutzers wäre somit programmiert. Damit geht es nicht mehr um Abbildungen von Gegenständen, sondern von Kalkulationen, die von

53 V. Flusser: Krise der Linearität, S. 36. 54 Ebd., S. 26-27. 55 Ebd, S. 27 [Herv. V.F.]; vgl. dazu auch S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 173-174. 56 So kommt eine Verknüpfung zu jenen remarkable people der Long Now Foundation auf, zu den ‚exzellenten‘ Kommunikatoren in Wort und Schrift (‚excellent communicators, especially with the written word, each godfathers of networks‘, Kap. 2, Anm. 566). 57 V. Flusser: Krise der Linearität, S. 28 [Herv. V.F.]. So erfolgt der Schritt vom Apparat zum Computer, von apparativen zu digitalen Medien, vgl. ebd. 58 Ebd., S. 27. 59 Einzuwenden wäre hier, dass sich jede Selektion eines Bildausschnitts etwa ebenso vor eine objektive Welterschließung stellt. Demgegenüber steht jedoch der chemische Prozess im Apparat, der in der Kalkulation nicht mehr greifen kann. Auch ist hinzuzufügen, dass es, radikal formuliert, ohne Kodifizierung keine Welt geben kann, vgl. J. Michael: „Vilém Flussers Kommunikologie“, S. 28. Für einen Transfer auf das Phänomen Long Now Foundation sind Formen der Kodierung aufgrund medialer Perzeptionslogiken notwendig, allerdings wird dabei keiner deterministischen Sicht, sondern der Möglichkeit des Denkens paradoxaler Zeitbesetzung gefolgt.

250 | V OM LANGEN J ETZT

Programmierern ausgehen. Fraglich erscheint damit, wie diese Geste ‚konkretisierend‘ sein kann. Sie liegt begründet in einer Ambivalenz, die sich darin äußert, dass Wahrnehmung einerseits durch diskrete Punktintervalle konkretisiert werden könne, andererseits aber auf den Programmierer verweise. Es ist eine neue Denkart, die sich in Punktcodes artikuliert und die vom Erzählen zum Erschließen durch ‚Komputieren‘ führt.60 Das Mögliche also bindet sich an den Programmierer dahinter, an das programmierte Verhalten und an eine gesteuerte Einbildungskraft, genauer an ‚komputierte‘ Perzeptionslogiken seitens der Empfänger. Eine Sinnstiftung aus Perspektive der Mediennutzung geht also von Erschließungspfaden aus, die der User in longnow.org verfolgen bzw. abrufen kann und die auf lineare und nicht-lineare Strukturen treffen. Der Rekurs auf Flusser und Krämer schafft eine erste Vergleichsebene von Linearität und digitalem Code, der longnow.org betrifft, um zunächst historisch variierende und veränderbare, vom Medium ausgehende Sinnstiftungsprozesse aufzuzeigen. Eine ‚programmierende Einbildung‘ zeigt sich in der Analyse als eine medienphilosophische Annäherung, die ebenso das Storytelling der Stiftung einbezieht und diskutiert. Die aus genealogischer Perspektive erörterte ‚narzisstische Haltung‘ kann anhand einer ‚programmierenden Einbildung‘ weitergedacht werden und eine programmierte Welt aufkommen, um das Bewusstsein durch ein long-term thinking und damit Welt bzw. deren Erschließung zu verändern. Eine ‚entgegengesetzte Einbildungskraft‘, die mit dem alphanumerischen Code auftreten konnte, bildet eine Grundlage für eine oppositionelle Sinnstiftung; dabei bedeutet die ‚Kritik der Einbildung‘ ein Scharnier oder vielmehr einen Leitfaden für die Analyse der Long Now Foundation, indem ihre aktuelle, webbasierte Erscheinungsform für ein ausgedehntes Jetzt kritisch betrachtet wird – und das beinhaltet ebenso gewisse utopische Potentiale. 3.1.2 Von Utopie zur kreativen Verantwortungsförderung Zwischen dem utopischen Potential der Theorie Flussers61 und der Long Now Foundation lassen sich spezifische Verbindungen ausmachen. Dabei tritt vorerst eine Ambivalenz hervor, mit der Flusser zwischen einer kulturpessimistischen Haltung62 und einer utopischen Medienauffassung verortet wird, die vor allem Möglichkeiten des Digitalen betrifft und dem Mediennutzer hoffnungsvoll einen

60 Vgl. V. Flusser: Krise der Linearität, S. 28. 61 Vgl. dazu etwa D. Mersch: „Vilém Flusser und die telematische Gesellschaft“, S. 152153. 62 Vgl. etwa G. Grube: „Vilém Flusser – Mundus ex Machina“, S. 188.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 251

aktiven Eingriff in ein standardisiertes Sendungsbewusstsein von Medieninhalten zuschreibt.63 Eine durch Flusser proklamierte „Krise der Linearität“64 deutet auf jene kulturpessimistische Sicht, die auf Ersetzungstendenzen durch die Einführung neuer Medien beruht, vielmehr ist dabei jedoch von Koexistenzen nebeneinander bestehender medialer Strukturen auszugehen. Solche Koexistenzen werden insbesondere deutlich, wenn es um einen Medienwechsel und die „Übertragung eines Medium in ein anderes“65 geht, wie es eine Vergleichsebene von gesprochener Sprache und Schrift zeigen konnte – ein ‚neues Medium‘ ersetzt ein ‚altes‘ nicht zwangsläufig und gleichzeitig sind Einführungen neuer Medien mit langen Einübungsphasen verbunden. Wird Flussers Theorie Ende des 21. Jahrhundert verortet und mag die Verbindung zur Stiftung aufgrund eines differenten kulturellen Rahmens überraschend erscheinen, kann hingegen zu jenen idealistischen und ebenso utopisch besetzten Möglichkeiten verknüpft werden, die bereits als relevant für die Long Now Foundation in der Kalifornischen Ideologie und im Whole Earth Network auftraten. Noch genauer wird diese Verbindung mit Blick auf die Long Now Foundation und ihren ausgeprägten Optimismus. Konnte bereits mit der ‚programmierenden Einbildung‘ das Mögliche sowie eine Ambivalenz hervortreten, koppelt sich daran ebenso eine bestimmte Form von Optimismus. Er stellt sich gegen eine Sicht auf Flusser, die ihn aufgrund von Verfallsgedanken kulturpessimistisch einschätzt.66 Auch wenn Flusser pessimistische Sichtweisen vorweist, wird bei einer einseitigen Verortung im Kulturpessimismus außer Acht gelassen, dass Flusser einerseits stets Hoffnungen durch Mediennutzung formuliert.67 Andererseits rückt mit einer solchen Einschätzung die ‚eigentliche‘ Bedeutung von Kommunikation in den Hintergrund, die Flusser nicht nur intersubjektiv, sondern als „Phänomen der Freiheit“68 sieht. Gleichwohl liegt hier ebenso eine ambivalente Eischätzung

63 Vgl. insbesondere die Ausführungen in der Kommunikologie, V. Flusser: Kommunikologie, etwa S. 15; 196-208. 64 Siehe V. Flusser: Krise der Linearität. 65 S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 159. 66 Vgl. etwa U. Richtmeyer: Kants Ästhetik im Zeitalter der Photographie, S. 39, ferner G. Grube: „Vilém Flusser – Mundus ex Machina“, S. 188 sowie zu so bezeichneten Verfallsgedanken ebd., S. 183. 67 Vgl. etwa V. Flusser: Krise der Linearität, S. 40 sowie V. Flusser: Kommunikologie, S. 196. 68 Ebd., S. 15.

252 | V OM LANGEN J ETZT

vor, welche die Theorie utopisch erscheinen lässt, gleichzeitig aber eine Vordenkerstellung im Bereich der Medientheorie hervorhebt.69 Solche Hoffnungen deuten auf ein utopisches Potential und beschreiben eine Partizipation des Mediennutzers an Medieninhalten, was zu dessen Unabhängigkeit führen soll, indem dieser sich die „verborgenen Möglichkeiten [der Apparate]“70 aneignen könne. Hoffnungen zielen darauf, vereinheitlichte, auf die Masse ausgerichtete und von den Sendeanstalten ausgehende Inhalte aufzubrechen71 (nun ist bei einer Vordenkerstellung eine gewisse idealistische Tendenz um das Neue allerdings auch nicht verwunderlich). Dabei zählt es gleichzeitig zu den wichtigen Impulsen, die Theorie aus dem Werkkontext heraus zu lesen und einer ausschließlich kulturpessimistischen Einschätzung aufgrund von Verfallsgedanken entgegenzuwirken. Gebunden an eine Menschen verbindende Sicht auf Kommunikation, die aus der Unsicherheit ‚bodenloser‘ Welterfahrung herrührt,72 ist es gerade keine pessimistische Sicht auf die uns umgebende und sich weiterentwickelnde Medienkultur, sondern eine Vorstellung von Mediennutzung, die ein gesteigertes Verantwortungsbewusstsein erzielt.73 Nun ist es insbesondere das utopisch anmutende, weil Chancen formulierende Moment, das ein Scharnier zur Long Now Foundation bilden kann: Zunächst ist es ein aus der impulsgebenden Vordenkerstellung aufkommendes Entwerfen

69 Vgl. etwa O. Fahle/M. Hanke/A. Ziemann: „Einleitung“, S. 7-19, hier S. 7; D. Mersch: „Vilém Flusser und die telematische Gesellschaft“, S. 136. 70 V. Flusser: Kommunikologie, S. 196. 71 Ein Exempel bildet das Video, das dem Mediennutzer beispielsweise durch die Videoaufzeichnung unabhängig von der regulären Sendezeit individuelle Zugriffe auf die Inhalte gewährt. Doch hier tritt in Anlehnung an Christina Bartz eine ‚Utopie der Partizipation‘ auf, indem das Video im Kontext des Massenmediums Fernsehen zu verorten ist und die Aufzeichnung lediglich ein zeitlich versetztes Programm ebendieses Massenmediums bedeutet, vgl. C. Bartz: „Video. Vom Alternativfernsehen zum Massenmedium“, S. 133-146, hier insbesondere S. 140-145. 72 Vgl. R. Guldin/A. Finger/G. Bernardo: Vilém Flusser, S. 58. 73 Das Formulieren von Hoffnungen und Chancen lässt sich nicht nur in der spezifischen Kommunikationsauffassung entgegen Tod und Einsamkeit wiederfinden, sondern ist ein immer wiederkehrendes Element in Flussers Theorie. Sie bindet sich an die Nutzung der Apparate respektive Medien, siehe etwa V. Flusser: Kommunikologie, S. 196: „Neue Apparate beinhalten noch verborgene Möglichkeiten, und die Entdeckung dieser Möglichkeit kann von der Gefährlichkeit der Apparate befreien. [...] [Das Video] enthält Möglichkeiten,[...] [es] nicht nur unabhängig vom Fernsehen, sondern gegen das Fernsehen zu verwenden [...].“

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 253

von Szenarien,74 das sich an das in der Long Now Foundation transformierte scenario planning koppelt und deren narrative of hope weiter erfasst, denn wie bereits angeführt benötigt dieses eine Menge an Optimismus.75 Da diesem im Falle der Long Now Foundation zusätzlich eine Selbstinszenierung zugrunde liegt, kann ein Scharnier zur Long Now Foundation weiter über die ‚narzisstische Haltung‘ angebracht werden. Neben einer transformierten ‚Bewusstseinspolitik‘ aus genealogischer Perspektive betrifft die ‚narzisstische Haltung‘ das Mögliche, das sich aus der ‚programmierenden Einbildung‘ ergibt. Gerade weil die ‚programmierende Einbildung‘ auf das nur Mögliche verweist,76 ergibt sich äquivalent zur ‚Bewusstseinpolitik‘, hier also zu vermarkteter, transformativer Erfahrung, ein „neue[s] Bewusstsein“77, dessen „Charakteristische[s] [...] das Projektieren neuer Welten ist“78. Projektiv wird die ‚programmierende Einbildung‘ durch den Programmierer, der hinter den Vorbildern der kalkulierten Codes in der zu erschließenden Welt steht. Bereits an dieser Stelle macht sich der Zweifel bemerkbar,79 der von einem sich hier andeutenden Determinismus abhebt. Eine reine Kopplung an den Programmierer würde Prozessen der Welterschließung und Sinnstiftung nicht gerecht, impliziert doch gerade die Sicht auf das Mögliche ein Kontingenzbewusstsein in der Handhabung der Medien, das ich mit Blick auf den User von longnow.org herausarbeite. Zugleich muss hinterfragt werden, inwiefern Partizipationsprozesse des Mediennutzers und eine Teilhabe an der Story der Long Now Foundation, auch verbunden mit ihrer Spielideologie, auszumachen sind, die jene mit Krämer beschriebene ‚Interaktion mit symbolischen Strukturen, etwa mit dem Hypertext‘, berücksichtigen kann. Einer optimistischen Sicht folgend, können Welterschließung und Sinnstiftung mit einer kreativen Verantwortungsförderung verbunden werden, indem

74 Vgl. B. Rosner: „Telematik. Vilém Flusser“, S. 77. 75 K. Kelly: „Clock in the Mountain“ vom 12.12.2014: ‚building something to last 10,000 years requires a large dose of optimism‘, vgl. auch Kap. 2, Anm. 468. 76 Vgl. V. Flusser: Krise der Linearität, S. 27, S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 173174. 77 G. Grube: „Vilém Flusser – Mundus ex Machina“, S. 195. 78 Ebd. 79 Es ist gerade der Zweifel, der die kritische Instanz im Empfänger, im bedeutungschaffenden, kommunizierenden Menschen ausmacht und und der die kritische Diskussion der Long Now Foundation im Laufe der Analyse untermauert. Vgl. insbesondere. V. Flusser: Vom Zweifel sowie ferner G. Grube: „Vilém Flusser – Mundus ex Machina“, S. 58-59.

254 | V OM LANGEN J ETZT

„Bilder, die [Programmierer, Einschub V.F.] herstellen, [...] Abbilder von Kalkulationen [sind] und als Vorbilder zum Verändern der Welt dienen [können]“80. So kann einerseits jene selbstinszenierende Haltung und ‚Bewusstseinspolitik‘ hervortreten, die Welt nunmehr vom Computer aus zu verändern sucht. Andererseits verweisen computergenerierte Erschließungsprozesse symbolischer Welten auf einen „Schwarm von Teilchen“81 als „Feld von zu verwirklichenden Möglichkeiten [...], von Überraschung zu Überraschung, von Abenteuer zu Abenteuer zu schreiten, und dies mit anderen“82. Es sind nicht nur die ‚kodifizierte Welt‘ als „Möglichkeitsfeld“83, mit programmierten Mitteln (‚tools for transformation‘) zur Veränderung von Welt durch mögliche Szenarien und eine veränderte Vorstellung von Zeitlichkeit und Gegenwart, sondern gerade das Miteinander und die Kreativität, die sich an die Long Now Foundation koppeln: „[W]ir bilden uns nicht mehr ein, dass wir die Welt als Wirklichkeit wahrnehmen, sondern eher, dass wir selbst das Wahrgenommene erst zu Wirklichkeit prozessieren. [...] [E]ine Tendenz, gegebene Möglichkeiten in uns drinnen und um uns herum zu verwirklichen. Das heißt, unsere Werte sind [...] die der Kreativität, der Komputation von Information.“

84

Beschreibt Flusser im Möglichkeitsfeld Welt eine Form von Spiel durch ständige Überraschungen und Abenteuer, so spiegelt sich das spielerische Offenhalten der Zukunft85 in der Long Now Foundation, gekoppelt an ihr Diktum einer kreativen Verantwortungsförderung.

80 V. Flusser: Krise der Linearität, S. 36. 81 Ebd., S. 37. 82 Ebd., S. 37-38. 83 Ebd., S. 38. 84 Ebd., S. 34; zur Kreativität insbesondere durch digitale Medien vgl. außerdem V. Flusser: Medienkultur, S. 61-66. 85 Vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 129: „[M]an plant nicht mehr für eine bestimmte Zukunft, sondern für viele mögliche Zukünfte [...].“– Ein solches Spiel betrifft ebenso eine zu überprüfende partizipatorische Mediennutzung (eine Partizipation, die die Long Now Foundation in einem gemeinsamen Spiel hervorzuheben sucht) und eine Individuen verbindende Kommunikationsauffassung Flussers. Zudem ist das Spiel eine weitere Instanz in der Kommunikationsauffassung Flussers, vgl. V. Flusser: Kommunikologie, S. 330-336.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 255

Neue Spielräume der Kognition gehen also auch aus operativen Verfahren für eine Sinnstiftung hervor und dienen dazu, die aktuelle Erscheinungsform der Long Now Foundation zu analysieren. Welterschließung konnte dafür durch Sinnstiftung pointiert werden – aus Perspektive der Mediennutzung und der Handhabung ‚symbolischer Welten‘. Diese ‚Welt‘ ergibt sich in longnow.org, nunmehr als Möglichkeitsfeld Webseite. Denn ein Navigieren durch Komplexität setzt sich hier anhand von Erschließungspfaden zwischen Linearität und NichtLinearität fort, womit nicht nur ein durch die Long Now Foundation intendiertes balancierendes Korrektiv betrachtet wird, sondern auch inwiefern ein Denken des langen Jetzt ermöglicht wird.

3.2 D AZWISCHEN :

LONGNOW . ORG

Dem Mediennutzer stellt sich über den zentralen Zugang zur Stiftung, die Webseite longnow.org, eine vielschichtige Bandbreite der Navigation, sodass Erschließungspfade ausgemacht werden können (das ‚Klicken durch die Webseite‘, das Navigieren durch den programmierten Zugang), um einem Denken des Jetzt in seiner auferlegten Länge zu folgen. Solche Erschließungspfade spitzen eine Welterschließung zur strukturellen Ebene medial bedingter Perzeptionsprinzipien zu und führen ein Navigieren und Lernprozesse fort. Beginnend mit der Startseite (Home) wird ein Navigationsmenü bereitgestellt, etwa mit den Unterpunkten (items) About, Projects, Blog oder Seminars. Die Startseite präsentiert sich mit dem aktuellsten Projekt (hier The Interval), mit zusätzlich eingepflegtem Video (Stand: 15.07.2014). Ihr fester Bestandteil ist der Pfad zu About, das den User mit Hintergrundinformationen zur Entstehung der Stiftung versorgt (verlinkter Pfad zu „Read More“), wobei die prominenteste Stellung zu jeder Zeit der Webseitenprogrammierung durch das Zentralprojekt The 10,000 Year Clock (Clock of the Long Now) eingenommen wird.86

86 Programmierung meint hier die vorbildenden und nunmehr kalkulierten Darstellungen in der Webseite, die die Einbildungskraft des Users mitbestimmen. Um diese über den Entwicklungszeitraum der Long Now Foundation nachvollziehen zu können, wird ein Long-Now-externes tool bzw. Werkzeug herangezogen: Die Wayback Machine des Internet Archive zur Archivierung von Webseiten (hervorgehoben in der jeweiligen Quellenangabe, web.archive.org). Für die Untersuchung muss ich mich auf Ausschnitte aus diesem Zeitraum beschränken: beispielsweise ziehe ich Material vom April 2011 heran, als ich mich zum ersten Mal mit der Long Now Foundation befasste, und beziehe auch erste Erfassungen der Webseite im Jahr 1998 ein (vgl. insbesondere Abb. 3.4a-c).

256 | V OM LANGEN J ETZT

Insgesamt zeugt der Webseitentext von einer Verlinkung zu weiteren Pfaden. Das heißt, neue Information kann abgerufen werden, wobei die Verlinkungen – darauf sei hier schon hingewiesen – vorrangig longnow-intern operieren, als Verharren im Möglichkeitsfeld longnow.org. Abbildung 3.1: longnow.org, 15.07.2014

longnow.org [Home], vom 15.07.2014

Die Webseite erstellt somit eine Kollektion bzw. Sammlung von Daten, die sowohl Bilder, Fotografie, Video und Text zusammenfasst und differenziert ist von einer traditionellen Dokumentkollektion (wie etwa Bibliotheken oder Museen) als schnellem Zugang zu Information. Bei einer kodifizierten Welterschließung bildet die Webseite ein ‚Interface zu Daten‘87 als neue kulturelle Form der Da-

87 So ein „interface to data“, L. Manovich: The language of New Media, S. 215.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 257

tenbank („database“), „used by culture to represent the human experience, the world, and human existence in this world“88. Einem alphanumerischen Code und dominanten Kodierungsprozessen zu Zeilen entsprechend, findet Linearität ihr Korrelat im Narrativ, an dessen Stelle jedoch die Logik der Datenbank rückt, die sich durch die Sammlung kennzeichnet und als neues Schlüsselkonzept innerhalb einer Medienkultur angesehen wird.89 Hier kündigt sich ein Weiterlesen des Archivs und desjenigen zweiter Ordnung an, das aber von genealogischen Klärungen und Herkunftsverständnissen zu Perzeptionslogiken durch das Medium selbst führt. Gleichzeitig kann die gegenständliche Welt als ‚Bündel von linearen Prozessen‘90 (fortgeführte Bündel von Aussagen im Archiv), durchbrochen von Punkt-Intervall-Codes, transferiert werden. Denn deren konkretisierende Geste drängt dem „Chaos dieses ‚0-1‘Zufalls eine Form“91 auf, und diese schlägt sich in der Sammlung der Datenbank92 nieder. Im Web als „endless and unstructured collection of images, texts, and other data“93 greift die Form der Datenbank als Strukturelement – äquivalent zu Codes als Ordnungssystemen94 – und Bündel von Codes, wie der vorangegangene Einblick in die Webseite longnow.org zeigt. Ihr liegen differierende DatenOrganisationsprinzipien zugrunde,95 an die sich Perzeptionslogiken strukturierender Handhabungsoptionen koppeln: ansehen, navigieren, suchen – „quite distinctive from reading a narrative“96. Einer kodifizierten Welt als Möglichkeitsfeld folgend, eröffnet sich mit der Webseite ein Möglichkeitsfeld der Navigation ohne festgelegten Anfang und ohne Ende.97 Im Laufe der Analyse tritt einerseits eine akzentuierte Linearität

88 Ebd. – Bezogen auf einen sehr kurzgefassten Rekurs auf Erwin Panofkys symbolische Form entwickelt Manovich anhand der Datenbank „a sense of a cultural form of its own“, ebd., S. 219. Die symbolische Form kann ich allerdings im Laufe der Analyse in Anlehnung an Ernst Cassirer ausführen und sie eingehend mit einer ausgedehnten Zeitlichkeit für das Jetzt verbinden. 89 Vgl. ebd., S. 218. 90 V. Flusser: Krise der Linearität, S. 17, Anm. 42. 91 Ebd., S. 37-38 [Herv. V.F.]. – Dies verweist also bereits auf formgebende Strategien, die nach der Webseiten-Analyse noch zentraler werden. 92 Vgl. L. Manovich: The language of New Media, S. 218. 93 Ebd., S. 219. 94 Vgl. zu Codes als Systemen der Sinnstiftung, V. Flusser: Medienkultur, S. 23, Anm. 11. 95 Vgl. L. Manovich: The language of New Media, S. 218. 96 Ebd. 97 Vgl. ebd. sowie G.P. Landow: Hypertext 2.0, S. 181.

258 | V OM LANGEN J ETZT

durch das Storytelling der Long Now Foundation hervor, andererseits wird der User mit Opposition konfrontiert. Denn das Navigieren oder die möglichen Erschließungspfade durch die Webseite laufen einer kontinuierlichen, linearen Struktur zuwider, die mit dem Storytelling aufgezeigt werden kann. Dies führt dazu, dass ein balancierendes Korrektiv durch das long-term thinking an dieser Stelle hinterfragt werden muss. Ferner kann auf einen medialen blinden Fleck der Long Now Foundation gedeutet werden, indem sie das long-term thinking in ein Medium verlagert, das keine Kontinuität und Kohärenz unterstützen kann. Die Frage, wie sich das Jetzt denken lässt, führt hier auf struktureller Ebene medialer Operationslogik und damit spezifizierter Welterschließung zu Wahrnehmungsprinzipien, die auf eine oppositionelle Sinnstiftung schließen lassen. Das bedeutet, dass der User, um einem ausgedehnten Jetzt folgen zu können oder dieses zu denken, mit Oppositionen konfrontiert wird. Die Untersuchung kann jedoch zeigen, inwiefern solche Oppositionen einem Denken der Paradoxie entsprechen. So ist es ein Oszillieren zwischen Widersprüchen auf der einen Seite, die ein long-term thinking auf medial-struktureller Ebene der Wahrnehmung betreffen. Auf der anderen Seite kann ich solche Widersprüche als konsequente, praktische Umsetzung der Paradoxie seitens der Long Now Foundation aufschlüsseln. Diese wird durch die Analyse explizit, indem ich solche Konfrontationen bei Auseinandersetzung mit der Long Now Foundation in Relation zur Zeitparadoxie setze. Dabei kommt es zugleich zu einer Herausforderung für einen Beitrag zum Denken der Paradoxie und einen Umgang mit Gegenwart. Denn wenn es um eine Paradoxie geht, bezieht dies eine Oszillation zwischen Für und Wider (konsequente Umsetzung und Widersprüche) ein. Wie schon ein Begriff vom Jetzt aus der Counterculture ein zirkuläres Verständnis desselben aufzeigen konnte, sind aufkommende Oppositionen wechselseitig aufeinander bezogen; sie bestimmen ein Denken der Paradoxie mit. So geht es zunächst um Wahrnehmungsprinzipien, die sich bezüglich eines langen Jetzt zwischen Kürze und Länge bewegen. 3.2.1 Perzeptionslogiken zwischen Kürze und Länge Auf den Erschließungspfaden hin zu einem Denken des langen Jetzt ist der User in longnow.org einer Vielzahl möglicher Verknüpfungen durch Verlinkungen, Multimedialität und sogenannte Pop-Ups98 ausgesetzt. Ein exemplarischer Weg

98 Ein Pop-Up bezeichnet ein plötzliches Auftauchen von visuellen Elementen auf der Benutzeroberfläche. Exempel dafür bilden sogenannte Pop-Up-Menüs, die auf einem item zugeordnete Unterpunkte verweisen; so auch in longnow.org unter About, Pro-

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 259

aus solchen Erschließungspfaden kann hier angezeigt werden; er verhält sich zusätzlich äquivalent zu einem Archiv zweiter Ordnung, das lediglich Ausschnitte für das anvisierte Erkenntnisinteresse selektieren kann: Abbildung 3.2: Exemplarischer Erschließungspfad aus longnow.org

Das Erkenntnisinteresse zielt hier auf mediale Perzeptionslogiken, die ein langes Jetzt unterlaufen, sich aber an die inhärente Zeitparadoxie und Längenauferlegung für das Jetzt binden. Hängt Welterschließung nämlich von der Wahrnehmungsgeschwindigkeit ab, in der sich perzeptive Prinzipien von Moment zu Moment neu formieren,99 korreliert dies nicht nur mit einer willkürlich besetzten Zeitspanne durch die Stiftung100 und einer Definition des Jetzt, mit der ihm kontingente, das heißt variable Längen auferlegt werden. Zugleich hängt die Wahrnehmung und damit verbundene Zeiterfahrung, die Welterschließung und ein mögliches Denken des langen Jetzt mitbestimmen, von den Leitmedien ab, die Zeit-Modelle entsprechend ihrer Logik durchsetzen, und der Frage, inwiefern mediale Vermittlungen zwischen Zeit des Bewusstseins und Zeit des Mediums ge- oder misslingen.101 Das entsprechende Leitmedium tritt mit dem Internet bzw. seinem anwendungsorientierten Bereich des World Wide Web hervor, der die Webseite in ihrer Datenbankstruktur umfasst. Ihr liegt ein spezifischer Zeit-

jects, Seminars, Membership, People. Das Pop-Up-Menue unter Projects beispielsweise eröffnet eine Liste zu allen Long-Now-Projekten und bietet die Option, eines durch Klicken auszuwählen, was zur jeweiligen Seite führt. 99 Vgl. A. Volmar: „Zeitkritische Medien im Kontext von Wahrnehmung, Kommunikation und Ästhetik.“, S. 9-26, hier S. 15. 100 Vgl. Kap. 1 zur Skalierungskontingenz. 101 Vgl. G. Großklaus: „Zur Mediengeschichte der Bilder“, S. 283-298, hier 283-284.

260 | V OM LANGEN J ETZT

faktor des „Zeitkritischen“ 102 zugrunde, der das Denken (und damit Welterschließung) beeinflusst, das bedeutet, der medialen Logik entsprechend, ein Zeitfaktor, der zwischen der „Operativität“103 des Mediums und der „Prozessualität“104 herrscht. Für diese Analyse bedeutet das Zeitkritische eine aufklaffende Lücke zwischen der Operativität (nicht-lineare Organisationsprinzipien der Webseite) und der Prozessualität (rekurrierend auf die Einbildungskraft, das stete Prozessieren von Information und Kontinuitätsbildung), die zu Widersprüchen in der Zielsetzung der Long Now Foundation führen. Wie ein möglicher Erschließungspfad in der Webseite verdeutlicht, knüpfen an jede erschlossene Information neue an, sodass jeder Erschließungspfad unterbrochen wird und sich somit zunächst gegen ein langes Jetzt wendet, indem jede Unterbrechung sich auf die Seite der Kurzsichtigkeit stellt:105 Beginnend mit dem Ausgangspunkt longnow.org befindet sich der User sogleich in jenem Bündel von Codes, kann von der Startseite zum Video gelangen, nach Sichtung zum Text zurückkehren, der zu neuen (longnow-internen) Seiten verlinkt. Zusätzlich zu den vielfachen Verlinkungen im Text lässt die Bewegung der Maus Pop-Ups mit weiterer Information hervortreten, die zu weiteren Seiten leiten (Abb. 3.3). Diese können wiederum zu zusätzlichen Seiten verknüpfen und die Navigation setzt sich fort. Solche Erschließungspfade in der Webseite als ‚Kollektion von items‘106 können zu unterbrochenen und das heißt zu kurzen Aufmerksamkeitsspannen in der Handhabung des Mediums führen. Es kommt zu einem „Fluss an [...] Unterbrechungen“107 , wobei gar ein „zerstreutes Bewusstsein“108 angenommen wird. Besonders interessant ist hier, dass eine Fortsetzung der Informationsverarbeitung und Wahrnehmung als schwieriger erachtet wird, wenn eine Unterbrechung von zwei oder vier Sekunden vorliegt, was ein Pop-Up noch zusätzlich forciert.109

102 A. Volmar: „Zeitkritische Medien im Kontext von Wahrnehmung, Kommunikation und Ästhetik.“, S. 10. 103 Ebd. 104 Ebd. 105 Also auf die Seite, die die Long Now Foundation mit ihrem balancierenden Korrektiv zu korrigieren sucht, wie die mehrfach angebrachte Intention zeigt: ‚a balancing corrective to the short-sightedness is needed‘. 106 Vgl. L. Manovich: The language of New Media, S. 219: „collection of items“. 107 F. Rötzer: „Von der Schwierigkeit, den verlorenen Faden wieder zu finden“, Telepolis (08.12.2009), http://www.heise.de/tp/artikel/31/31675/1.html vom 20.11.2012. 108 Ebd. 109 Vgl. ebd.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 261

Abbildung 3.3: Pop-Up longnow.org, item: 10,000 Year Clock

longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Introduction] vom 17.07.2014

Dies koppelt sich unmittelbar an eine Definition des Jetzt, wie ich sie der Psychologie entnehmen konnte – so der Mechanismus, der dem Bewusstsein Wahrgenommenes als Ergebnis bereitstellt und drei bis vier Sekunden beansprucht.110 Fortlaufende Unterbrechungen in der Handhabung der Webseite zeugen damit vielmehr von jenem ausdehnungslosen Jetzt,111 dessen Länge sich erst durch den stetigen Anschluss neuer Information und damit durch erneute Unterbrechung ergibt. In der Logik des Mediums selbst liegt eine Operativität der Kürze begründet, mit der der User zusätzlich mit nicht-linearer Erschließung (das heißt mit items, die er im Sinnstiftungsprozess auswählt) verfahren kann. Medienzeit erschließt sich hier über den Zeitfaktor des Flüchtigen durch stete Verlinkung, Unterbrechungen des Informationsflusses und durchbrechende visuelle Elemente. Das bedeutet, dass sich eine Operativität der Kürze der Prozessualität kontinuierlicher Wahrnehmungsketten gegenüberstellt. Das ausdehnungslose Jetzt überwiegt gegenüber einem langen Jetzt; das Zeitkritische tritt auf als ein die mediale, strukturelle Ebene kritisch betrachtendes Bewusstsein für zeitliche Längenauferlegung und damit für ein problematisierendes Zeitbewusstsein in 110 Vgl. E. Pöppel: Grenzen des Bewusstseins, S. 59 sowie Kap. 1, Anm. 17. 111 Vgl. ebd., S. 61. Pöppel spricht hier vom Jetzt als „ausdehnungslose Grenze“, siehe ebd.

262 | V OM LANGEN J ETZT

der Definition des Jetzt. Zusätzlich entspricht dies, durch zahlreiche Unterbrechungen, einerseits einer willkürlichen Skalierung des langen Jetzt durch die Stiftung (beispielsweise die Setzung eines diskreten Punktes um das Jahr 2000, Stonehenge, first cities). Andererseits kann damit die Logik eines Lehr-Dokuments aufgegriffen werden, wie es sich aus der Folgeentwicklung der lernenden Erfahrung (‚learning experience‘) aus der archäologischen Genealogie ergeben konnte. Denn eine Länge des Jetzt entsteht aus der Operativität des Mediums, aber durch stetig aufeinanderfolgende Kürzen in der Wahrnehmungslogik des Users. Was hier bereits paradoxal anmutet, schlägt sich in zeitgenössischer Medienkompetenz als „programmierte Dysfunktion“ 112 nieder: Flüchtigkeit durch schnelle Darstellungs- und Informationsdarbietungswechsel erfordert eine Aufmerksamkeitsspanne, die bereit ist, von jeder selektierten Information durch neue wieder abzurücken, 113 eine Dysfunktion durch Aufmerksamkeitsstörung bzw. Unterbrechung. Gleichzeitig jedoch erfordert dies eine Medienkompetenz als Fähigkeit, die für den User wichtigsten Schlüsselreize zu fokussieren, was zu einer gesteigerten Aufmerksamkeitsspanne114 und folglich zu Bewusstseinsverstärkung führen kann. Das Bündel von Codes in der Webseite könnte dabei zusätzlich an die Kompetenz des Multitasking hinsichtlich Kodierungsverfahren heranführen, durch einen zusätzlichen Wahrnehmungswechsel medialer Darbietung, wie den Wechsel vom Text (möglicher Ausgangspunkt longnow.org) zum Video (The Interval). Aus medienphilosophischer Perspektive, wie auch der Operationslogik des Mediums geschuldet, geht jenes Bündel in einer Form auf, jener der ‚programmierten Einbildung‘ bzw. Welterschließung durch den nunmehr digitalen Code der Webseite. Es korreliert hier nicht nur mit ‚programmierter Dysfunktion‘, sondern deutet bereits an dieser Stelle auf eine spezifische Form der Geschlossenheit der Long Now Foundation hin, die noch gesondert dargestellt wird. Was das oben angeführte, gleichsam linearisierte Schema der Erschließungspfade nicht anzeigen kann, ist eine vorrangig nicht-lineare Erschließung und Steuerung von Wahrnehmung. Sie nimmt, neben der Geschlossenheit, ein zentrales Element für eine oppositionelle Sinnstiftung ein, sodass sich das Folgekapitel ausführlich damit befasst. Korrespondierend jedoch mit einer Flüchtigkeit der Webseite, kann ihre Wandelbarkeit hervorgehoben werden, an der zusätzlich jene willkürliche Skalierung der Zeitspanne und kontingente Längenauferlegung für das lange Jetzt haftet.

112 P. Matussek: „Aufmerksamkeitsstörungen“, S. 1-23, hier S. 22. 113 Vgl. ebd., S. 11. 114 Vgl. ebd., S. 22-23.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 263

Die Wandelbarkeit der Webseite besetzt sie zusätzlich mit Willkür, aufgrund des Wissens des Users um mögliche Veränderung der Seite als Datenbank, die stetig editiert und verändert werden kann, ohne dass sich ihr Aufbau geändert hätte115 (vgl. hierzu Abb 3.4a-c). Um dabei allerdings einen sogenannten long view entwickeln zu können, der Zeit wenigstens in Jahrzehnten misst,116 muss der User longnow-externe Werkzeuge heranziehen, hier die Wayback Machine des Internet Archive (http://web.archive.org/web/*/longnow.org). Es bedeutet, dass ein solcher Blickwinkel auf die Zeit nicht in der Medialität der Long Now Foundation selbst angelegt sein kann; sie unterläuft vielmehr die Vorstellung von einem langen Jetzt. Dieser Blickwinkel meint die zeitliche Perspektive, die in die Vergangenheit reichen soll. Da das lange Jetzt und damit auch ein longterm thinking aber in das durch Editieren und stetes Verändern wandelbare Medium Webseite verschoben wird, kann eine Perspektive, die in die Vergangenheit reicht, nicht auf der Ebene medialer Operationslogik von longnow.org realisiert werden.117 Gleichzeitig aber korrespondiert dies, über die strukturelle Ebene medialer Operationslogik hinaus, mit einer ‚lebenden Institution‘, dem Living System also, das sich zwischen steter Erneuerung und Kontinuitätsstiftung bewegt. Doch konnten die Darstellungen zu The Interval etwa, in der ‚Diagnose der Gegenwart‘, bereits auf die Herausforderungen eingehen, die sich mit dem long-term thinking und seiner medialen Erscheinungsform ergeben. Paradoxerweise führt diese stete Erneuerung in einem Denken des langen Jetzt, das in Richtung Vergangenheit und Zukunft reichen soll, dazu, dass Seiten aus jüngster Vergangenheit in longnow.org selbst nicht mehr bestehen. Anfang Oktober 2014 wurden ausführlich Seiten, die The Interval und dessen Erneuerung betrafen, aufgerufen und in die Analyse einbezogen, die bereits Ende Oktober nicht mehr über longnow.org aufrufbar waren; sie beziehen sich auf https://longnow.org/interval/. Seit Anfang Oktober 2014 besteht die eigenständige Seite zum Projekt http://theinterval.org/ (27.01.2015). Im Januar 2015 hingegen ist https://longnow.org/interval/ (27.01.2015) abrufbar und zeigt u. a. die eingangs dargestellten Produkte (vgl. Abb. 1.7). Die Konsequenz ist eine immer wieder aufgebrochene Kontinuität, sofern die zu longnow.org zugehörigen Seiten wieder auffindbar sind, oder gar ein Bruch mit longnow.org hin zur

115 Vgl. L. Manovich: The language of New Media, S. 222. 116 Vgl. S. Brand: „Taking the Long View“ vom 17.07.2014. 117 Diesbezüglich lässt sich immerhin eine Korrektur durch die Long Now Foundation selbst andeuten, indem sie mit der „Long Now Timeline and current status“, siehe A. Rose: „Long Now Timeline and current status“ vom 10.09.2014, zur Wayback Machine verknüpft.

264 | V OM LANGEN J ETZT

Wayback Machine des Internet Archive. Wenn die Long Now Foundation als ‚lebende Institution‘ herausgestellt werden konnte und dann jene Konstitution aus steter Erneuerung und Kontinuitätsstiftung aufrechterhält, könnte hier von einer kontinuierlichen Veränderung gesprochen werden. Doch gleichzeitig stellt sich die Wandelbarkeit der Webseite einer kohärenten, linearen Fortschreibung und damit einem ausgedehnten langen Jetzt entgegen, sodass sich dessen gleichzeitiges Aufbrechen ebenso dem Diktum von ‚Continuity Is All‘ gegenüberstellt. Die Wandlungsfähigkeit der Webseite kann mit der Wayback Machine und einer Perspektive in die Vergangenheit aufgezeigt werden. Abbildung 3.4: Wandel in longnow.org: 3.4a:1998

Erste Erfassung durch Wayback Machine, 10.06.1998, web.archive.org, [longnow.org] vom 15.07.2014

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 265

3.4b: longnow.org 2011; 3.4c: longnow.org 2014

2011: web.archive.org, [longnow.org]; 2014: longnow.org, [Home] vom 15.07.2014

Ein Vergleich des items About und der zugehörigen Seite kann die Veränderungen sowie den Wandel in der Webseite (editieren, veränderte eingepflegte Texte) hervorheben, was hier den veränderten Text betrifft: Abbildung 3.5a: longnow.org 2011, Veränderung item About

web.archive.org [longnow.org/about] vom 15.07.2014

266 | V OM LANGEN J ETZT

Abbildung 3.5b: longnow.org 2014, Veränderung item About

longnow.org, [About] vom 15.07.2014

Es kann festgehalten werden, dass mediale Perzeptionslogiken zwischen Kürze und Länge in erster Linie mit einer Längenauferlegung in der Definition des Jetzt korrespondieren, für die die Long Now Foundation symptomatisch ist. Damit scheinen Wahrnehmungsprinzipien aus medialer Operationslogik zunächst in jener Paradoxie aufzugehen: Das Jetzt erweist sich als Länge aufeinanderfolgender Erschließungspfade und Informationsverarbeitung durch den User. Doch gerade hier liegt ein Element begründet, das jenes Ziel unterwandert, ein balancierendes Korrektiv gegen eine Kurzsichtigkeit zu entwickeln. Erstens kann zwar eine ‚programmierte Dysfunktion‘ zu einer gesteigerten Medienkompetenz führen, die eine fokussierte Erschließung und damit Bewusstseinsverstärkung als gesteigerte Aufmerksamkeitsspanne hervorruft, was ein verändertes, ausgedehntes Zeitbewusstsein noch unterstützen würde. Hingegen zeigen mediale Wahrnehmungsprinzipien in und durch die Webseite ein Jetzt in seiner Ausdehnungslosigkeit – kurz: die Verlagerung in ein Medium, das keine Kontinuität schaffen kann, die nicht durch Ausdehnungslosigkeit unterbrochen wäre. Zweitens kann das, was die Long Now Foundation als ‚lebende Institution‘ auf semantischer Ebene ihrer Selbstbeschreibung als stete Erneuerung und Kontinuitätsstiftung mit ‚Continuity Is All‘ fasst, auf struktureller Ebene medialer Operationslogik nicht zutreffen und stellt sich diesem Diktum vielmehr entgegen. Dabei ergibt sich zusätzlich eine stete Konfrontation des Users mit Gegen-

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 267

sätzen. Dazu zählen flüchtige, unterbrochene Wahrnehmungsprozesse bei gleichzeitig erhöhter Aufmerksamkeit; die stete Konfrontation mit dem Jetzt als ausdehnungslos bei einer Auseinandersetzung mit Zeitlichkeit, die seine Länge und folglich Ausdehnung intendiert. Es resultiert in einer oppositionellen Sinnstiftung, die jene, die von der Stiftung beansprucht wird, damit in Frage stellt. Denn die stete Konfrontation mit der Opposition stellt sich einem balancierenden Korrektiv entgegen, das ein verändertes Denken des Jetzt nachgerade nicht vom „Stigma des Komplizierten“118 befreien kann. Drittens führt erst die Verknüpfung auf perzeptiver Seite des Users, die durch die mediale Operativität mitbestimmt wird, zu einer Ausdehnung, die paradoxerweise durch anschließende Kürzen zustande kommt. Eine solche Welterschließung verhält sich zwar äquivalent zur Paradoxie der Zeitlichkeit, jedoch wird die bewusstseinsverstärkende oder -verändernde Antriebskraft nicht durch die Long Now Foundation selbst hervorgerufen, die doch mit einem long-term thinking und der ausgedehnten Zeitperspektive deren zentrales Produkt ausmacht. Es ist erst der Zweifel, ob mediale Vermittlungen zwischen Zeit des Bewusstseins und Zeit des Mediums gelingen, der nicht nur jene oppositionelle Sinnstiftung aufdeckt, sondern eine mediale Verstärkerfunktion und schließlich die transformierende Erfahrung hervorhebt, die dann erst zu Bewusstseinsveränderung führt. Diese liegt begründet in der Operativität des Mediums selbst, die entsprechend ihrer Logik einen Zeitfaktor setzt. Dieser eruiert erst ein Korrelat zu eben auch medienbedingter Zeitparadoxie, die eine Auseinandersetzung mit dem langen Jetzt zwischen Kürze und Länge, zwischen Operativität und Prozessualität medialer Funktionslogik hervorruft. Entgegen der Annahme, Medien seien der blinde Fleck unserer Wahrnehmung,119 wird hier deutlicht, dass sich Wahrnehmungsprinzipien gerade durch ‚die Medien‘ vielmehr als Katalysator erweisen können. Das bedeutet hier, dass eine Verstärkerfunktion für ein zeitkritisches Bewusstsein aufkommen kann, das nämlich die problematisierende Erfassung und das Denken des Jetzt durch mediale Operationslogiken umfasst, die die Wahrnehmung beeinflussen. Sie ergeben sich aus dem medialen blinden Fleck der Long Now Foundation, mit dem sie ihre Ambitionen und ein long-term thinking nicht nur in ein Medium verlagert, das perzeptiv keine temporal-lineare Kontinuität stiften kann, sondern mit dem sich

118 So ein Ziel der Long Now Foundation ‚to help make long-term thinking more instinctive and common, rather than difficult and rare‘, vgl. Kap. 1, Anm. 22; vgl. S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 7. 119 Vgl., mit Bezug auf Krämer, G. Großklaus: „Zur Mediengeschichte der Bilder“, S. 283.

268 | V OM LANGEN J ETZT

ein Phänomen zeigt, das entgegen einer Balance Widersprüche aufzeigt. Sie betreffen, wie gezeigt werden konnte, auf struktureller Ebene insbesondere eine Ausdehnung des Jetzt. Eine Balance kann erst aufkommen, wenn Oppositionen, mit denen der User konfrontiert ist, in Relation zur Zeitparadoxie und zur Operativität des entsprechenden Mediums gesetzt werden, wie es verbunden mit einer Längenauferlegung für das Jetzt deutlich wird. So gesehen, aus der Perspektive medialer Operations- und Perzeptionslogik, ist ein Denken des langen Jetzt nicht in den Idealen bzw. Zielen der Long Now Foundation selbst angelegt, sondern kommt dem Mediennutzer und der medialen Operationslogik entsprechenden Medienkompetenz zu. Wenn sich dies dann mit jenen Lernprozessen verbinden lässt, die Brand seitens des Rezipienten ausmacht (‚[g]ive them a bag of nuggets, [...] and let them make their own connections‘120 ) und die sich hier auf den User beziehen, dann erstellt auch diese Untersuchung und eine Auseinandersetzung mit der Long Now Foundation eigene Verknüpfungen für ein langes Jetzt. Sie muss erst archäologisch freigelegt werden, um Widersprüche auf struktureller Ebene dadurch entschärfen zu können, dass die Stiftung konsequent einem Denken der Paradoxie folgt, dabei auf Widersprüche verweist,121 was hier zu einer Beobachtung der (Nicht-)Linearität weitergedacht werden kann. Eine oppositionelle Sinnstiftung kann anhand der Webseite als Möglichkeitsfeld weiterverfolgt werden, das zugleich aber Unmögliches bereithält. 3.2.2 Möglichkeitsfeld des Unmöglichen – Das lange Jetzt zwischen Linearität und Nicht-Linearität Im Möglichkeitsfeld Webseite spitzt sich eine oppositionelle Sinnstiftung zu einer charakteristischen Konkurrenzsituation zu. Dies bezieht insbesondere eine Programmierung, rekurrierend auf die ‚programmierende Einbildung‘, und eine dominante Linearität ein. Bei einer nicht-linearen Struktur müssen offengehaltene mögliche Welten hinterfragt werden. Dies bezieht sich insbesondere auf das Storytelling als narratives Element der Long Now Foundation und deren intendierte hoffnungsvolle Erzählung, das narrative of hope, in einem Möglichkeitsfeld des Unmöglichen, da eine charakteristische, verschlossene Welt aufgezeigt werden kann. Wenn es also auf medial-struktureller Ebene zu Widersprüchen kommen kann, stellt sich an deren Seite gleichzeitig die Selbstbeschreibung der Stiftung

120 Vgl. Kap. 2, Anm. 636. 121 Vgl. Kap. 2, Anm. 397: ‚always inviting charges of self-contradiction‘.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 269

(als semantische Ebene). Sie scheint solche Widersprüche nicht nur zu entschärfen, sondern macht ebenso ein Dazwischen der Long Now Foundation aus. Wie also lässt sich das Jetzt denken, wenn es zu einer Sinnstiftung kommt, die oppositionell besetzt ist und einem balancierenden Korrektiv zuwiderlaufen kann? Bei konkurrierenden Operations- und Wahrnehmungslogiken geht es insbesondere um lineare wie auch kohärente Kernelemente des Narrativs, die der Logik der Datenbankstruktur gegenüberstehen. Neben einem medialen blinden Fleck der Long Now Foundation erfolgt ein genauer Blick auf ein für sie spezifisches Storytelling, der bereits aus archäologisch-genealogischer Perspektive einsetzen konnte. Daran anschließend wird das Storytelling daraufhin pointiert, inwiefern sich seitens des Users ein Grad der Einbindung nachweisen lässt, da ein Ziel der Long Now Foundation das gemeinsame, inkludierende long-term thinking ist. Das Unmögliche im Möglichkeitsfeld geht dabei einem verschlossenen Offenhalten nach. Ein Möglichkeitsfeld des Unmöglichen umfasst somit die beiden Bereiche eines zu überprüfenden Kampffeldes einer Konkurrenz und eines Spiels verschlossenen Offenhaltens. Hier kann grundlegend deutlich werden, wie Welterschließung mit narrativen Konzepten, aber auch der medialen Ebene zusammenfällt, denn „the question of how worldmaking and cultures mutually impinge on each other are notions of media and narratives“122. Wie bereits eingangs auf narrative Konzepte als Orientierungsmuster menschlicher Erfahrungsbildung hingewiesen wurde, tritt nochmals verstärkt das Verhältnis zu Sinnstiftung und Welterschließung hervor, denn „narratives are also of fundamental importance for the ways in which we make sense of the world and our experiences“123 . Demnach kommt dem Storytelling eine zentrale Rolle für eine Sinnstiftung und ein Erschließen von Welt zu124 – sinnstiftende Prozesse werden hier bezüglich der Schlüsselkategorien der Long Now Foundation verhandelt und in das Verhältnis zu ihrer Vermittlung gesetzt. Denn für eine zugespitzte Lesart von Narrativität für die Long Now Foundation wird hier die Ebene medialer Operationslogik weiterverfolgt und bezieht ebenso medienphilosophische Perspektiven ein.

122 A. Nünning/V. Nünning: „Ways of Worldmaking as a Model for the Study of Culture“, S. 3. 123 Ebd., S. 6 [Herv. V.F.]. 124 Vgl. ferner B. Neumann/A. Nünning: An Introduction to the Study of Narrative Fiction, S. insbesondere S. 8-10; 21-25.

270 | V OM LANGEN J ETZT

3.2.3 Im Kampffeld einer Konkurrenz Datenbank und Narrativ äußern sich zunächst als zwei konkurrierende Elemente, das Möglichkeitsfeld digitaler Medien wird zum Kampffeld ihrer Konkurrenz,125 ein „object of contradictory opinions“126. Eine Definition des Narrativs bestimmt einen narrativen Text als mentale Repräsentation von kausal verbundenen Geschehnissen und Bestandteilen, der eine beschriebene Welt im Denken des Lesers bzw. Users verankert (setting) und diese mit Charakteren versieht, die an den Geschehnissen teilhaben (events, plot).127 In der Webseite als Datenbank folgt der User einer Wahrnehmungslogik des Durchquerens, den verschiedenen Links zwischen den programmierten Datensätzen.128 Bezüglich der Logik digitaler Medien und vorherrschender Verlinkung im Text kann der User aus verschiedenen Pfaden selektieren. So kann das Navigieren durch Komplexität aus dem scenario planning und technologischen Folgeentwicklungen (wie ‚building the Whole Earth database‘) angeknüpft werden. Denn Verlinkungen wie auch aus dem Aufbau von Webseiten resultierendes Navigieren „permits simple means of orienting readers by permitting a simple rhetoric of departure [...], a [...] means of helping readers navigate through information space“129. In longnow.org navigiert der User also durch Information; um der Sinnstiftung, Komplexität und zugleich deren Verhältnis zu den Schlüsselkategorien der Long Now Foundation nachzugehen, rückt der Hypertext in den Fokus, als ‚Bündel textueller Fragmente‘130 und als Summe nicht-linear erschließbarer, multipler Pfade („trajectories“131 ) in der Datenbank.132 Bezogen auf Perzeptionslogiken und Sinnstiftung geht es um eine Textform, „that is experienced as nonlinear, or, [...] as

125 Vgl. L. Manovich: The language of New Media, S. 233-234. 126 M.-L. Ryan: „Will New Media Produce New Narrative?“, S. 337-359, Hier S. 337. 127 Vgl. ebd. 128 Vgl. L. Manovich: The language of New Media, S. 227-228. 129 G.P. Landow: Hypertext 2.0, S. 11. 130 Vgl. M.-L. Ryan: „Will New Media Produce New Narrative?“, S. 340, siehe hier: „hypertext are networks of textual fragments“, vgl. ferner G.P. Landow: Hypertext 2.0, S. 3. So erfolgt gleichzeitig der Transfer von einem ‚Bündel von Aussagen‘ über einen solchen von Codes hin zu einem ‚Bündel von textuellen Fragmenten‘. 131 L. Manovich: The language of New Media, S. 228. 132 Vgl. ebd., S. 227-228.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 271

multilinear or multisequential“133 . Der Hypertext erscheint als Matrix multipler (Text-)Fragmente, er wird zum ‚virtuellen Storyteller‘134. Als neue kulturelle Form, die ‚traditionelle‘ Kodierungen umformt, wie sie das Narrativ linear bereitstellt, gilt solch traditionelle Form nur als ein Element in einer Kollektion multipler Optionen.135 Das bedeutet, dass eine kohärente Erzählung, die sich also aus dem Narrativ als Verknüpfung kausaler Bestandteile der erzählten Welt ergeben soll, nicht in der Datenbank bzw. Webseite auftauchen kann: Sie folgt einer ‚anti-narrativen Logik‘136 , die den oben beschriebenen Wandel der Webseite zusätzlich aufgreift. Denn wenn der Webseite neue Elemente, auch veränderte Textfragmente, hinzugefügt werden können, resultiert dies in einer Kollektion, nicht in einer Story; es kann nicht von Kohärenz gesprochen werden, wenn sich der Stoff ändert.137 Korrespondierend mit dem Zeitfaktor des Flüchtigen und ausdehnungslosen wie durchbrechenden perzeptiven Organisationen in der Webseite, kommt es vielmehr zu stetiger Sequenzierung, die keine kohärente oder temporal-lineare Ordnung schaffen kann.138 Denn „Hypertext [...] challenges narrative and all literary form based on linearity“139. Wenn der Hypertext, der kulturellen Form der Datenbank und Webseite entsprechend, fragmentierte und verlinkte Texte hervorbringt, sieht sich dennoch ein Versuch, lineare (weil kausal und kohärente) Strukturen in der nicht-linearen Logik der Datenbank unterzubringen, mit einer fälschlichen Annahme versehen: der User kreiere sein individuelles Narrativ, indem er aus verschiedenen Datensätzen selektiert.140 Wenn der User nämlich in einer stets wandelbaren Webseite bei zufälligem Navigieren einzelne Sequenzen der Datenbank auswählt, führe dies nicht zu einer kohärenten Serie von verbundenen events, an denen definitionsgemäße Elemente des Narrativs (‚events and actor‘) teilhaben oder diese hervorrufen.141 Dabei muss jedoch hervorgehoben werden, dass das

133 G.P. Landow: Hypertext 2.0, S. 4. 134 Siehe M.-L. Ryan: „Will New Media Produce New Narrative?“, S. 340: „Hypertext narratives become virtual storytellers“. 135 Vgl. L. Manovich: The language of New Media, S. 220. 136 Siehe ebd., S. 221: „anti-narrative logic“, siehe ferner zu einem „non- or antilinear thought“, G.P. Landow: Hypertext 2.0, S. 43-44. 137 Vgl. L. Manovich: The language of New Media, S. 221. 138 Vgl. M.-L. Ryan: „Will New Media Produce New Narrative?“, S. 341. 139 G.P. Landow: Hypertext 2.0, S. 181. 140 Vgl. L. Manovich: The language of New Media, S. 228; G.P. Landow: Hypertext 2.0, S. 184. 141 Vgl. L. Manovich: The language of New Media, S. 227-228.

272 | V OM LANGEN J ETZT

nicht-lineare Erschließen sich nicht auf ein Verständnis der erzählten Welt auswirkt.142 Vielmehr kann der User der Story folgen, diese nachvollziehen. Insbesondere tritt hier die Operativität des Mediums selbst hervor, das heißt die nicht-lineare Operationslogik der Webseite. Sie bindet sich aufs Engste an den im vorangegangenen Kapitel erörterten ‚Fluss von Unterbrechungen‘, der Wahrnehmungslogiken ausmacht und diese entsprechend der medialen Logik fragmentiert. Folglich entsteht eine Länge des Jetzt durch aufeinanderfolgende Kürzen, die stets nicht-linear unterbrochen werden können. Entgegen der Annahme, dass die Webseite das Narrativ zwar unterstützen kann,143 bleibt hervorzuheben, dass ‚nichts in der Logik des Mediums selbst begründet liegt, das eine Erzeugung des Narrativs fördern würde‘144 . Dieser Erzeugung stellt sich nachgerade die stete Fragmentierung durch nicht-lineare Erschließungsprozesse entgegen. Abbildung 3.6: Nicht-lineare Erschließung in longnow.org

142 Vgl. G.P. Landow: Hypertext 2.0, S. 184; 197 sowie M. Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 310: „Die Selektion sagt nichts über die Bedeutung.“ 143 Vgl. L. Manovich: The language of New Media, S. 228; M.-L. Ryan: „Will New Media Produce New Narrative?“, S. 332. 144 Siehe L. Manovich: The language of New Media, S. 228: „a database can support narrative, but there is nothing in the logic of the medium itself which would foster its generation“.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 273

Die Abbildung verdeutlicht einen Ausschnitt aus einem möglichen nicht-linearen Erschließungsprozess innerhalb der Webseite. Setzt man einen Anfangspunkt mit der Startseite, bietet das Item Menue einen Pfad zu About. Folgeseiten, die sich longnow-intern auftun, sind trapezförmig dargestellt, gedacht als fragmentierte Textformate; eine Verlinkung zu externen Seiten, die insgesamt gering ausfällt, rechteckig. Von About aus (als nur ein möglicher Anfang), bestehen Verlinkungen zum internen item People, hier Stewart Brand und Danny Hillis, deren Profil zu weiteren externen Webseiten führen kann. Über das Item Menue können jederzeit weitere Sektionen aufgerufen oder zu vorherigen zurückgeführt werden (was noch gestützt wird durch die im Browser selbst angelegte Funktion des Vor- und Zurückblätterns).145 Das Item Menue kann als ein Scharnier für eine nicht-lineare Erschließung im Möglichkeitsfeld longnow.org angesehen werden. Das Navigieren durch die Webseite wird noch durch Verlinkungen verstärkt, die hier durch Pfeile verdeutlicht sind und die jede Sektion potentiell mit jeder weiteren verbinden können. Nun verortet die Long Now Foundation eine ihrer Schlüsselkategorien in einer medialen, nicht-linearen Operationslogik mit ihr gemäßen Wahrnehmungsprozessen. Hier spiegelt sich ein Verfahren wider, das, auf den ersten Blick, dem Ziel kreativer Verantwortungsförderung gerecht wird, denn die Datenbank erweist sich als Zentrum kreativer Prozesse im ‚Computer-Zeitalter‘.146 Dies ist gekoppelt an jene Zentralbotschaft der Long Now Foundation, Hoffnung für die Zukunft zu generieren. Hier wird das lange Jetzt im Rahmen einer Kontinuitätsschaffung verhandelt, die Wandel und das Kontinuierliche („change and conti-

145 Eine Analogie zum Lesen des Buches mag aufkommen, doch ist jede Seite nur einen Klick entfernt, das heißt eine Betätigung der Taste – so die Bedeutung von digital (den Finger betreffend, von digitus, der Finger). – Mit dem Fokus auf die mediale Operationslogik der Webseite und damit einhergehende Wahrnehmungsprinzipien kann hier nur auf nicht-lineare Strukturen in Printmedien verwiesen werden. Exemplarisch dafür steht bereits der Wechsel zwischen Fließtext und Fußnote, vgl. dazu auch G.P. Landow: Hypertext 2.0, S. 13; ferner S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 160. Zusätzlich kann dabei zur Struktur des Whole Earth Catalog verknüpft werden, der bereits als Vorläufer von Suchmaschinen angesehen wurde. Daran schließt also ein Dazwischen der Long Now Foundation an, das ebenso aus bereits eruierten technologischen Folgeentwicklungen schöpft und diese für Sinnstiftungsprozesse weiterdenkt. 146 Vgl. L. Manovich: The language of New Media, S. 227; sowie zur Kreativität insbesondere der Wissensgenerierung im Hypertext V. Flusser: Medienkultur, S. 61-66.

274 | V OM LANGEN J ETZT

nuity“147) vereinen soll, was zusätzlich an die ‚lebende Institution‘ mit steter Erneuerung und Kontinuitätsstiftung rückbindet. Das long-term thinking soll dabei als befreit vom Komplizierten umgesetzt werden.148 Das Entwerfen von Szenarien, gleichsam als Hoffnung für die Zukunft, greift hier nicht nur das Apriori der Long Now Foundation auf, sondern diese Zentralbotschaft der Hoffnung wie auch damit verknüpfte Kontinuitätsstiftung werden an das Erzählen gebunden: „‚The Future‘ is always [...] a scenario, [...] a story we tell, a narrative of hope.“149 Jede Narration aber, die Kontinuität stiften soll, also kohärent verfährt, kennzeichnet sich als linear.150 Dies wird noch verstärkt durch eine spezifisch aufkommende Medienauffassung, die sich gerade an Linearität bindet und bereits auf einen weiteren Mittelpunkt der Untersuchung – das Projekt The Clock of the Long Now – hinsichtlich der symbolischen Form verweist: „[I]f something becomes important, it turns into a symbol [...]. The only clocks that have ever really survived over the long run [...] have survived in books, drawings, and storys.“151 Was in den Vordergrund tritt, ist ein „battlefield for the competition between database and narrative“152. Die Long Now Foundation scheint diese oppositionelle Anlage, aus ebenjener Konkurrenzsituation, auch kreativ umzusetzen, aus medienphilosophischer Perspektive medialer Operativität tritt jedoch der Zweifel hinterfragend hervor. Wenn die Datenbankstruktur der Webseite das Narrativ unterstützen, nicht aber erzeugen kann, dann kann der Hypertext eine Lösung aus jenem ‚Kampffeld‘ anbieten. Als nunmehr virtueller Storyteller und ‚Produktionsmaschine von Stories‘, die sich aus der Matrix fragmentierter Texte ergibt,153 tritt der Hypertext zunächst in einem Medium auf, das kein Narrativ als kohärente Story erzeugen kann. Die Lösung im Kampffeld liegt darin, den Hypertext als Puzzle aufzufassen, sodass selbiger, im Hinblick auf Prozesse der Welterschließung, als „capable for endless self-generation“154 erscheint. Welterschließung und Wahr-

147 Brand zit n. B. Eno: „The Big Here and Long Now“ vom 18.07.2014. 148 Vgl. ebd. 149 M. Chabon: „The Omega Glory“ vom 18.07.2014 [Herv. V.F.] sowie Kap. 1, Anm. 73. 150 Konstitutives Merkmal des Narrativs und damit auch des Storytellings ist die lineare, kontinuierliche Sequenzierung (Abfolge, Aneinanderreihung), vgl. M.-L. Ryan: „Will New Media Produce New Narrative?“, S. 341. 151 D. Hillis: „The Millennium Clock“ vom 08.07.2014 [Herv. V.F.]. 152 L. Manovich: The language of New Media, S. 234. 153 Vgl. M.-L. Ryan: „Will New Media Produce New Narrative?“, S. 340-341. 154 Ebd, S. 340.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 275

nehmungsprinzipien erweisen sich als „fragmentation and linking“155 , innerhalb derer der User die Story, gleich einem Puzzle, zusammensetzt und damit konstruiert – ein Spiel der Narration.156 Wenn auf operativer Ebene nicht davon gesprochen werden kann, dass ein Narrativ erzeugt wird, jedoch unterstützt werden kann, wird hier, entgegen der oben angeführten und vermeintlich fälschlichen Annahme, vielmehr die Perspektive eingenommen, dass der User ein eigenes Narrativ erzeugt. Es ist zwar nicht individuell selbstgeneriert (‚self-generated‘), denn hier liegt die vorprogrammierte Story der Long Now Foundation vor (‚story that we tell‘). Doch ist es die Navigation (‚through complexity’ und ‚information‘), die der User als eigene Journey bzw. Reise verfolgen kann. Hier spielt auch mit ein, dass ein nichtlineares Erschließen sich eben nicht darauf auswirkt, die Story nachzuvollziehen. Verbunden mit der Rolle des Users erfolgt dabei ein genauerer Blick auf die Interaktivität. Zunächst deuten sich dabei bereits erwähnte Ereignisse, Erzähler und Charaktere (‚events, narrator, actor‘) an, die definitionsgemäß ein Narrativ bestimmen.157 Es geht dann um eine spezifische Einbindung des Users in die erzählte Welt, die auf dessen Partizipation zielen soll: Interaktivität äußert sich als selektiv durch Auswahl der verschiedenen Datensätze (items) in der Webseite, um Erschließungspfade zu generieren. Dabei geht es im Hinblick auf das beobachtete Phänomen um einen Einbindungsgrad, bezeichnet als „external/exploratory“158 (externer Modus und erforschende Einbindung). Der externe Modus nimmt eine Perspektive auf die Story von außen ein, anhand derer sich die Aktivität durch das Navigieren in der Webseite bestimmt. Gebunden an die erforschende Einbindung (‚exploratory involvement‘159) bewegt sich der User frei in der Datenbank, hat aber keinen Einfluss auf die Story, genauer: „this activity does not make history“160 . Verknüpft mit dem narrativen Spiel, dem Puzzle des Hypertexts, kommt es zu „external and exploratory interactivity“161 zugunsten der Datenbank. Denn User werden nicht zu Mitgliedern der sich äußernden Welt

155 Ebd., S. 342. 156 Vgl. ebd. 157 Vgl. ferner L. Manovich: The language of New Media, S. 227-228. 158 M.-L. Ryan: „Will New Media Produce New Narrative?“, S. 342; sowie zu einer Gegenüberstellung verschiedener Einbindungsgrade, S. 339. 159 Vgl. ebd.: „involvement is exploratory“. 160 Ebd. 161 Ebd.

276 | V OM LANGEN J ETZT

(„members of a textual world“162); der Text wird als Datenbank, folglich nichtlinear wahrgenommen und nicht als Welt, in die der User eintauchen könnte. Das Narrativ tritt zurück, wird zunehmend ausgeblendet zugunsten eines Entdeckungsspiels („game of discovery“163). Allerdings hat ein Puzzle stets nur eine Lösung, sodass es nicht endlos sein kann. Indem Ryan dies aber anhand eines sogenannten „jigsaw puzzle“164 ausführt, kommen signifikante Verbindungen zum GBN Group Learning und seiner Folgeentwicklung auf. Ein jigsaw puzzle kennzeichnet sich als Gruppenarbeit, innerhalb derer eine Gruppe, die in Untergruppen unterteilt wird, zu einem Oberthema arbeitet. Aus diesen Untergruppen setzen sich neue zusammen, die das Thema folglich kollaborativ aus der stets neu formierten Gruppe behandeln. 165 Ryan dient dieser Vergleich dazu, das narrative Muster hervorzuheben, das im Denken aufkommt166 und damit auf erweiterte kognitive Spielräume rekurriert. Damit kann an dieser Stelle das Group Learning mit einem Navigieren durch Information und Komplexität verknüpft werden. Greift man dabei auf charakteristische Lernprozesse (‚learning condition; learning experience‘) zurück, die sich vom Whole Earth Catalog als Lehr-Dokument (‚teaching document‘) auch über technologische Folgeentwicklungen in die Long Now Foundation als Learning System verschiebt, kommt der Gegenpart dazu auf, der User erstelle kein eigenes, individuelles Narrativ. Das Narrativ tritt also zugunsten eines Entdeckungsspiels in den Hintergrund. So kann die Spielidee, die sich in der Long Now Foundation fortsetzt und hier sowohl mit Lernprozessen als auch der Journey verknüpft werden kann, hervortreten: Die Journey erweist sich nicht nur in einem Navigieren des Users durch die Datensätze und Information. Gleichzeitig selektiert der User selbst die Erschließungspfade und knüpft eigene Anordnungsmöglichkeiten der Textfragmente. 167 Im Kampffeld zwischen Nicht-

162 Ebd. 163 Ebd. – Zum Entdeckungsspiel vgl. ferner ebd. 339-342. 164 Ebd. 165 Das jigsaw puzzle wurde insbesondere von Elliot Aronson u. a. für Lehrzwecke eingesetzt, vgl. ausführlich E. Aronson/N. Blaney/C. Stephan/J. Sikes/M. Snapp: The Jigsaw Classroom, insbesondere S. 17-32; 36-45; 93-121. 166 Vgl. M.-L. Ryan: „Will New Media Produce New Narrative?“, S. 342: „the [...] narrative pattern [...] emerges in mind“, siehe ebd. 167 Dies kann ebenso verbunden werden mit dem Lehr-Dokument, das Brand für den Whole Earth Catalog ausmacht und dabei die eigenen Verknüpfungen des Nutzers hervorhebt: ‚give them a bag of nuggets, [...] and let them make their own connections‘, vgl. Kap. 2, Anm. 636.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 277

Linearität und Linearität navigiert er doch gleichsam durch Komplexität, aufgrund einer oppositionellen Sinnstiftung und der Konfrontation mit Oppositionen. Denn Lernprozesse und genauer eine transformative Erfahrung ergeben sich aus einer Sicht auf die mediale Operationslogik, die Medienkompetenz und insbesondere die kritische Instanz des Users, die den Zweifel als kritisch hinterfragendes Element voraussetzt. Ein Navigieren durch Information und insbesondere durch Komplexität, wie es Bestandteil von Szenarien und damit der hoffnungsvollen Erzählung der Long Now Foundation ist, kehrt sich diesbezüglich gegen ein balancierendes Korrektiv seitens der Stiftung aus der Konkurrenzsituation. So kann Folgendes resümmiert werden: Mit dem Phänomen Long Now Foundation kommt es zu einer oppositionellen Sinnstiftung. Sie hat zur Folge, dass die strukturelle, operative Ebene des Mediums, in dem ein long-term thinking erscheint, mit der semantischen der Stiftungs-Selbstbeschreibung an gegebenen Stellen zusammenfällt. Dabei wird zusätzlich die aktuelle Erscheinung des Phänomens (das Jetzt des langen Jetzt) diskutiert, wie sie aus der archäologischen Genealogie weiter ausgeführt werden kann. Erstens zeigt ein medialer blinder Fleck der Long Now Foundation, dass das long-term thinking und das Jetzt als ausgedehnt unterbrochen wird. Dies kommt auf operativer Ebene etwa durch Verlinkung oder nicht-lineare Erschließungspfade zustande, die potentiell stets neu ansetzen können. Während die mediale Operativität Wahrnehmungsprinzipien mitbestimmt und auf kurze Aufmerksamkeitsspannen schließen lässt, wird ein ausgedehntes Jetzt vielmehr unterlaufen. Da gleichzeitig aber Kürzen paradoxerweise zu Länge führen können, wenn sie aufeinanderfolgen und einen ‚Fluss an Unterbrechungen‘ generieren, entsprechen Perzeptionslogiken zwischen Kürze und Länge der kontingenten Längenauferlegung des Jetzt und stützen die Long Now Foundation als symptomatisch für ebendiese. Zweitens kann daran eine lineare Sequenzierung des Narrativs anschließen. Während ein Kampffeld der Konkurrenz nicht auf eine kohärente Story und in diesem Sinne auf Kontinuitätsstiftung deuten kann, tritt eine ‚lebende Institution‘ auf, in der Kontinuität und stete Erneuerung zusammengehören. Dies ließe einerseits von einer möglichen kontinuierlichen Veränderung sprechen, andererseits kann eine wandelfähige Webseite eine kontinuierliche Ausdehnung ebenso durchbrechen. Folglich ist ‚Continuity not All‘. Drittens kann darauf geschlossen werden, dass innerhalb einer Sinnstiftung, die Oppositionen hervorruft, eine Konkurrenzsituation vielmehr Koexistenzen aufweist. Dies stützt ein Dazwischen der Long Now Foundation und lässt damit ein wechselseitiges Bedingen hervortreten, indem sich die Stiftung zwischen Nicht-Linearität und Linearität bewegt.

278 | V OM LANGEN J ETZT

Dies lässt es schließlich zu, mediale Operationslogiken und Wahrnehmungsprinzipien aus dem Denken der Paradoxie heraus und folglich aus aufeinander einwirkenden Gegensätzen zu erschließen. Das paradoxale Denken des Jetzt geht somit auf eine charakteristische Sinnstiftung ein, die nicht nur die Dynamik des Mediums aus der Mediennutzungsperspektive, sondern jene der Welterschließung handhabt: Das Denken des Jetzt kann auftreten als Journey bzw. Reise durch Information, innerhalb derer der User selbst durch Komplexität navigiert. Sinnstiftung tritt dabei nur als balancierendes Korrektiv auf, insofern die Analyse einen blinden Fleck der Long Now Foundation in Relation zur Zeitparadoxie und strukturell opponierende Elemente in Relation zu Koexistenzen setzt, sodass ihr wechselseitiger Bezug deutlich wird. Sinnstiftung erscheint dann als medial induziertes Bewusstsein und eine transformative Erfahrung für eine Längenauferlegung des Jetzt und eine Problematisierung dieses Zeitbegriffs. Im Folgenden wird das seitens der Stiftung intendierte Spiel aufgegriffen, gemeinsam mit anderen jene Szenarien der Zukunft zu entwerfen. Wie oben auch durch die hoffnungsvolle Erzählung der Long Now Foundation aufgezeigt (‚the future is a scenario, a story we tell‘) und dabei ein Entdeckungsspiel aufgriffen werden kann, geht es um ein Spiel des Offenhaltens möglicher Zukünfte. Aus der Konkurrenz oder vielmehr dem ‚Zwischenspiel‘ von Datenbank und Narrativ bleibt ein dringender Streitpunkt „that faces developers of new media narrative [...] to find what themes and what kinds of plots take proper advantage of the built-in properties of the medium“168 . Dabei rückt die Linearität in den Mittelpunkt und bezieht Fragen zu einer programmierten Welterschließung und erläuterter Interaktivität ein. 3.2.4 Spiel verschlossenen Offenhaltens Was zählt, sind also Themen und Plots, die sich die inhärenten Eigenschaften des Mediums zunutze machen (‚themes and kinds of plots that take advantage of the properties of the medium‘). Obwohl dieses Medium Narrativität zwar unterstützen, nicht jedoch erzeugen kann und folglich keine Kontinuität fördert, kann trotz der Oszillation zwischen Oppositionen eine Tendenz der Übergewichtung ausgemacht werden. Das Storytelling der Long Now Foundation kennzeichnet dabei den Plot (‚themes and plots‘). Wenn diese aber mit einem blinden Fleck einhergehen, dann kann diese Übergewichtung als erhöhter Anteil an linearen Elementen in der Webseite aufkommen; sie deuten auf eine dominante Lineari-

168 M.-L. Ryan: „Will New Media Produce New Narrative?“, S. 356.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 279

tät, die auf eine gewisse Art und Weise eine Fehllagerung aufzeigen kann. Dies soll als eine verstärkte medienphilosophische Annäherung an Partizipationsprozesse verstanden werden, die die Stiftung betreffen. In der Long Now Foundation zeichnet sich eine dem Dazwischen geschuldete, spezifische Form des Storytelling ab. Zwar bewegt sich der User frei in der Webseite und kann Erschließungspfade selektieren (‚exploratory‘) (vgl. Abb. 3.6 und 3.2), doch ist er dabei kein Teil der erzählten Welt (‚external mode‘). Die Welterschließung und damit der Weg zu einem langen Jetzt werden vielmehr durch eine erhöhte Textproduktion gesteuert und gerichtet. Das so entstehende Storytelling ist dabei mit einer Kodierung besetzt, die insofern paradoxal ist, als sie sich widersprüchlich auf einen partizipierenden Mediennutzer auswirken kann: Nahezu jedes Fragment des Storytelling ergibt sich über einen Pfad, der zu abgeschlossenen Texten (wie beispielsweise Essays) führt. Damit kann eine ‚linearisierte‘ Einbildungskraft betont werden, indem nun umgekehrt die Datenbankstruktur durch Textveränderung oder Editieren in den Hintergrund rückt. Die Kodierung betrifft dabei jedoch weiterhin ‚entgegengesetzte Einbildungskräfte‘, da im gewählten Medium das ‚Bündel von Codes‘ im digitalen Code aufgeht, gemäß der Webseitenlogik. Bestehen bleibt also die Konfrontation des Users mit Gegensätzen in nunmehr (vor)programmierter Einbildung bzw. Wahrnehmung. Gerade wenn lineare Elemente ihnen entgegengesetzt im Schriftbild aufgehen können,169 zeugt dies von Koexistenzen und davon, dass der User Gegensätzen ausgesetzt ist. Da sich solche als koexistent nicht ausschließen, kann im Zuge einer tentativen medienphilosophischen Reflexion einerseits Linearität und deren erhöhtes Aufkommen herausgestellt werden, die andererseits auf eine Sinnstiftung im Zusammenhang mit partizipatorischer Eingebundenheit des Users projiziert werden kann. Ein schematisierter Ausschnitt vermeintlichen Eintauchens in die Story, denn es soll der Stiftung zufolge um ein Miteinander gehen, und eine damit verbundene Geschlossenheit zeigt sich in einem selektierten Erschließungspfad:

169 Vgl. S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 159, Anm. 43.

280 | V OM LANGEN J ETZT

Abbildung 3.7: Erschließungspfade in longnow.org I

Auszüge aus longnow.org, [About; People; Projects: 10,000 Year Clock; Essays] vom 17.07.2015

Neben akzentuierter oder dominanter Linearität, also der vorherrschenden Textproduktion, mit der nahezu jeder Pfad, wenn auch nicht-linear, auf neuen Text verweist, verdeutlicht die Abbildung ein spezifisches Plotsetting, inklusive Charaktere (actors): Es ist die Verknüpfung zum item People, das ein intendiertes Denken des langen Jetzt stets an die Protagonisten der Long Now Foundation koppelt. Events, als zugehörig zum Plot, kommt sogar eine eigene Sektion zu, über den Pfad Projects ⇒ Special Events oder den direkten Pfad im Menü ⇒ Seminars (http://longnow.org/events/; http://longnow.org/seminars/). Es ist alles andere als verwunderlich, dass eine Webseite Text hervorruft. Doch tritt der Zweifel hervor, wenn diese übergewichtete Linearität Partizipation eindämmt bzw. diese Partizipation gemäß der Paradoxie und Konfrontation mit oppositioneller Sinnstiftung umkehrt und das intendierte gemeinsame Spiel zu einem des verschlossenen Offenhaltens wandelt. Nicht nur verfolgt der User im externen Modus (‚external mode‘) ein Welterschließen von außen, in dem er zusätzlich eine Aktivität verfolgt, die nicht an der Story teilhaben lässt (‚that does

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 281

not make history‘170 ), und folglich kein Miteinander produzieren kann. Zugleich operieren Erschließungspfade in der Webseite longnow.org vornehmlich intern, gar auf die eigene Seite longnow.org zurückverweisend (vgl. Abb. 3.6). Eine dann ‚linearisierte‘ Wahrnehmung im digitalen Code ist hier vorprogrammiert. Partizipation beschränkt sich auf das Navigieren durch die Webseite, mit der reinen Verfolgung vorrangig abgeschlossener Inhalte. Diese Ausführungen verdeutlichen also die Partizipationsformen, wie sie im World Wide Web gegeben sind. Dabei ist zusätzlich die Kommentarfunktion zu erwähnen, die dem User die Möglichkeit gibt, zu verhandelten Themen in der Webseite Stellung zu nehmen, hier unter dem item Blog.171 Aus der hier eingenommenen Perspektive kann diese Vermittlung von Abgeschlossenheit trotz bestimmter Partizipationsmöglichkeiten ein intendiertes Offenhalten anzweifeln. Eine Teilhabe des Mediennutzers beschränkt sich zudem auf direkte Appelle zur Partizipation (etwa „We need your help to bring the Interval to life“172) via Spenden; oder der Appell zur Mitwirkung im Rosetta-Project („Help us build an open public collection of the world‘s nearly 7,000 human languages“173). Dieser zielt darauf, dass beispielsweise Textfragmente bedrohter Weltsprachen eingereicht werden sollen; über die Aufnahme dieser Texte entscheiden die Protagonisten, die People of the Long Now.174 Außerdem können sich im Erschließungspfad gerade dort Hürden stellen, wo der User im Clock Blog an nicht-abgeschlossene Texte gelangen könnte, jedoch auf die Registrierung für Mitglieder stößt. Schon als außenstehend und erforschend (‚external/exploratory‘) ist er kein Mitglied im gemeinsamen Entwurf

170 Vgl. Anm. 160. 171 Vgl. longnow.org, [Blog] (30.07.2014), Pfad über die Verlinkung „Comments“. 172 Longnow.org, [Projects: The Interval], https://longnow.org/interval/ vom 02.10.2014. 173 Longnow.org, [Projects: The Rosetta Project: Participate and Support], http://roset taproject.org/get-involved/ vom 02.10.2014, vgl. zu den Appellen auch Kap. 1. 174 So auch einem Gespräch mit Laura Welcher zufolge, Koordinatorin des Rosetta Project, 23.09.2013, San Francisco. – Siehe dazu ferner G.P. Landow: Hypertext 2.0, S. 285: „We may add that the use of communications technology is also a concretization of certain political assumptions.“ Zusätzlich kann dies rückgebunden werden an eine vorausgehende Anordnung im institutionellen Archiv, wie dabei etwa auf das politische Archiv verwiesen wurde, vgl. M. Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 179 sowie Kap. 2, Anm. 186. Verbunden mit der Handhabung des Mediums, der Aktivität des Users und dessen Zugang zu Textfragmenten rückt daneben jedoch eine nicht-hierarchische Offenheit, die sich darauf beschränkt, wie der User Information verfolgt und selektiert, vgl. G.P. Landow: Hypertext 2.0, S. 285.

282 | V OM LANGEN J ETZT

von Zukunftsszenarien, noch weniger in vorprogrammierter Erschließung. Das aus gegebenem Anlass lineare Schema fasst die Form der Geschlossenheit und dominanter Linearität zusammen: Abbildung 3.8: Erschließungspfad in longnow.org II

Digitaler Code, programmierte Welterschließung

Storytelling in einem nicht-linear operierenden Medium zeigt an dieser Stelle eine übergewichtete Linearität, die aus medienphilosophischer Perspektive dem Stiftungsziel widerspricht, durch Partizipation das Spiel eines gemeinsamen Offenhaltens möglicher Zukünfte zu verfolgen. Wenn die Zukunft eine hoffnungsvolle Erzählung, ein narrative of hope, ist, kann der User dieses als geschlossen verfolgen, rückverweisend auf einen internen Zirkel der Protagonisten und Story-Fragmente. Partizipation beschränkt sich auf das interaktive Navigieren in der Webseite von außen mit Blick auf die Programmierung einer in sich geschlossenen Story. Sie verschließt ein Offenhalten – der externe/erforschende (‚external/exploratory‘) Modus wird zu einem internen/exkludierenden (internal/excluding). In einer Wahrnehmungslogik, die bei dominanter Linearität und gleichzeitig nicht-linearer Kodierung einem festgelegten, programmierten Konstrukt der Welterschließung folgt, kann das Storytelling der Long Now Foundation sich an dieser Stelle nicht die Operativität des Mediums zunutze machen (‚take advantage of the properties of the medium‘). Da an ebendieser Stelle in einer oppositionellen Sinnstiftung keine Balance vorherrschen kann, kommt es zu jener dominanten Linearität, die das Spiel gemeinsamen Offenhaltens vorrangig auf ein Verfolgen geschlossener ‚Vorprogrammierung‘ bezieht und sich einem Ziel gemeinsamen Offenhaltens entgegenstellt. Das Spiel ist vielmehr im ‚experimentellen Erzählen‘ zu suchen, wie es das scenario planning nahelegen konnte. Es ist offengehalten, da es sich auf eine noch offene Zukunft bezieht und diese nicht vorherzusagen sucht, sondern sich

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 283

als narrative of hope zeigt (auch wenn dies eine intendierte Ausrichtung in Vergangenheit wie auch Zukunft auf das Zukünftige forciert). Scenarios sind ‚stories that matter‘,175 jedoch nicht, wenn es webbasiert um ein partizipatives Eintauchen des Users in die Story geht; sein Grad der Eingebundenheit kennzeichnet sich durch seine Reise, durch das Navigieren durch Komplexität. Ein Grad der Eingebundenheit als intern/exkludierend kann nicht nur jene ‚implizite Exklusion‘ aus genealogischer Perspektive, sondern auch eine im digitalen Code paradoxerweise dominante Linearität aufgreifen. Dies wird der semantischen Ebene insofern gerecht, dass sich das, was Brand für das Zentralprojekt Clock of the Long Now veranschlagt, an dieser Stelle auf die Stiftung übertragen lässt: „Die wichtigste Eigenschaft der Uhr ist Linearität“176 [aber sie ist nicht alles – Einschub V.F.]. Als „Geduldsmaschine“177 ist das „Denken, das in der Uhr steckt [...] reinstes ausgehendes 20. Jahrhundert“178. Ebenso als „Brücke [oder] Gerät zur Überbrückung eines Übergangs“179 lassen sich aus medialem blinden Fleck, der das Dazwischen der Stiftung mit aufzeigt, vielmehr Koexistenzen ausmachen. Sie zeigen sich auf struktureller Ebene medialer Operativität wie auch in einer oppositionellen Sinnstiftung. Wenn sich Übergänge auch in einem Medienwechsel zeigen, innerhalb dessen keine Ersetzungen, sondern vielmehr koexistente mediale Strukturen ausgemacht werden können,180 liegt hier der Übergang von der Konversation zum webbasierten Place for Conversation vor. Über einen ‚Übergang‘ hinaus erlauben es Koexistenzen, eine aktuelle Erscheinung des Phänomens Long Now Foundation zu korrigieren, die das Jetzt des langen Jetzt mitbestimmen.181

175 Vgl. Kap. 2, Anm. 252. 176 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 56. 177 Ebd. 178 Ebd., S. 75. 179 Ebd., S. 55-56. 180 Vgl. S. Krämer: „‚Schriftbildlichkeit‘“, S. 159. 181 Damit schließt sich ebenso der Kreis zu einem medienphilosophischen Ansatz der 1980er Jahre, der sich aber auf ein aktuelles Phänomen beziehen lässt. Denn beschreibt Flusser eine Krise, die sich ebenso auf Übergänge, etwa durch Einübungsphasen bezieht (vgl. V. Flusser: Krise der Linearität, S. 5; ferner J. Michael: „Vilém Flussers Kommunikologie“, S. 25), kann auch die Krise zu Koexistenzen korrigiert werden. Gleichzeitig kann damit einer Ausrichtung in Richtung Vergangenheit und Zukunft für die Gegenwart entsprochen werden: An dieser Stelle mit einer Theorie aus der Vergangenheit der 1980er Jahre, die mit einer Vordenkerstellung Flussers in die Zukunft reicht und sich medienphilosophisch auf die Gegenwart bezieht.

284 | V OM LANGEN J ETZT

An die zuvor herausgestellte medial Verstärkerfunktion zeitbewussten und kritischen Denkens – hier als Bewusstsein für die paradoxale Besetzung des Jetzt und eine Längenauferlegung durch Kürze – schließt eine spezifische Verstärkung paradoxalen Denkens an. Sie führt zu einer Sicht für das, was nicht, aber möglich ist.

3.3 Z WISCHENFAZIT IM D AZWISCHEN ODER : W AS NICHT IST , IST ( ANDERS ) MÖGLICH Für die Frage, wie sich das Jetzt denken lässt, kann eine Antwort anhand von medialen Wahrnehmungsprinzipien in der kodifizierten Webseite longnow.org entwickelt werden, die sich entsprechend aufgezeigter Medienzeit und das heißt medialer Logik ausbilden. Mit dem webbasierten Place for Conversation folgt die Long Now Foundation einer Verlagerung ihrer Ambitionen in ein zeitgenössisches Zentrum kreativer Prozesse. Auch korrespondiert dies mit einer Definition des Jetzt und der Symptomatik im Denken desselben, die ihm Längen auferlegen. Es äußert sich in einem ausgedehnten Jetzt, das sich über Erschließungspfade in der Webseite ergibt und ein vermeintlich kontinuierliches Wahrnehmen wie auch eine vermeintlich kohärente Story, gemäß der Operationslogik des Mediums zu einem Fluss an Unterbrechungen führt; zu einem Jetzt also in kontingent auferlegter Länge. Doch diese klare Verbindung ergibt sich erst aus der hinterfragten medialen Struktur im Dazwischen: Entgegen einer Kontinuität, die die Long Now Foundation mit einer Perspektive von 10.000 Jahren und einem kontinuierlichen wie linearen Storytelling als Entwurf offener Zukünfte setzt, erweist sich auf medialer Ebene erst die diskontinuierliche und nicht-lineare Wahrnehmungslogik mit Unterbrechungen als ein Jetzt, das mit Länge versehen werden kann. Aus dem Zweifel wird deutlich, dass auf medialer Ebene die Ziele der Stiftung widersprüchlich auftreten können. Es kann ein blinder Fleck medialer Paradoxie aufgedeckt werden, der von Balance entfernt, die ein Denken des langen Jetzt jenseits vom Komplizierten zugänglich machen soll. Denn auch wenn ein Oszillieren zwischen struktureller und semantischer Ebene aufgezeigt werden konnte, kommt es doch zu Oppositionen, die Wahrnehmungs- und Denkprozesse betreffen und eine Balance immer wieder aufbrechen können. Dabei wird ein Denken des ausgedehnten Jetzt aus der Perspektive medialer Operationslogik der Medienkompetenz des Users überlassen: Medien und die damit verbundene Handhabung derselben kommt eine Verstärkerfunktion für ein zeitbewusstes und kritisches Denken zu, das heißt für ein Problembewusstsein in der Definition des

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 285

Jetzt und den Umgang mit Gegenwart. Ferner kann so ein Navigieren durch Komplexität fortgeführt werden, das jene Lernprozesse aus der archäologischen Genealogie wie auch sich an die Long Now Foundation stellende, fortschreibende Vorwürfe zu Selbstwidersprüchen vertieft. Es entspricht einer Analyse, die als Beitrag zum Denken des Jetzt und zum Umgang mit Gegenwart keine Paradoxien aufzulösen sucht, sondern benennen kann, wie sich diese zeigen. Einerseits zeigte sich Welterschließung und Sinnstiftung als ein Denken des langen Jetzt im Möglichkeitsfeld Webseite, das aber andererseits in einer oppositionellen Sinnstiftung zwischen Nicht-Linearität und Linearität mündet. Dabei konnte, der Paradoxie entsprechend, verdeutlicht werden, inwiefern dies an einen Punkt der Übergewichtung gelangt, der nicht nur Formen der Partizipation auf ein Minimum im Hypertext reduziert, sondern das Ziel unterläuft, eine Narration von Zukunft gemeinsam offenzuhalten. Denn auf der Ebene medialer wie dann auch perzeptiver Organisation kann sich damit eine eigentümliche Form von Übergewichtung äußern. Mit einer steten Bewegung zwischen Oppositionen, mit der der User konfrontiert ist, wird dann eine Sinnstiftung jenseits des Komplizierten hinterfragt, wie es seitens der Long Now Foundation intendiert ist. Zusätzlich können mediale Operationslogiken und damit einhergehende Wahrnehmungsprinzipien die Frage nach einem möglichen Denken des Jetzt aus medientheoretischer wie -philosophischer Sicht und einen Sinn diskutieren, der sich oppositionell in den kognitiven Spielraum des Users einschreibt. Wie bereits mögliche Erschließungspfade, die immer nur einen selektierten Ausschnitt darstellen können, und das Möglichkeitsfeld Webseite zeigen, erstellt ebenjene eine Kollektion oder Sammlung vielfach möglicher Erschließung. Befördert wird diese zusätzlich durch die interaktive Eingebundenheit des Users im digitalen Code, die nunmehr in einem „kontingenten Navigieren“182 durch die Webseite mündet, bei dem eigentlich nicht von „erzählerischer Geschlossenheit“183 die Rede sein kann. Entsprechend der Logik des Mediums, einer Sammlung vielfach möglicher Erschließungspfade und programmierter Wahrnehmungsprinzipien, sind diese noch gebunden an eine „brutale Logik des Zufalls“184 , wobei „‚Chaos‘ und ‚Kontingenz‘ [...] an die Stelle von ‚Linearität‘ und ‚Kausalität‘ [treten]“185. Medien kommt gemäß ihren perzeptiven Organisationsprinzipien eine

182 M. Wannhoff: Unmögliche Lektüren, S. 125: „Jede Navigation ist dann die kontingente, immaterielle Selektion aus allen sich aus dem materiellen Vorrat namens Datenbank ergebenden möglichen Operationen.“ 183 Ebd. 184 Ebd., S. 97. 185 Ebd., S. 87.

286 | V OM LANGEN J ETZT

Verstärkerfunktion eben jenes Kontingenzbewusstseins zu, das sich über die mediale Wahrnehmungsorganisation ergibt.186 Nun geht die vorliegende Arbeit mit der medialen Paradoxie jedoch von einem umgekehrten Fall aus: Gerade weil es sich um eine Form von geschlossener Erzählung handelt, die die Long Now Foundation für die intendierte Etablierung eines long-term thinking zwar anbietet, diese aber vorrangig longnow-intern und durch forcierte Linearität restriktiv vordeterminiert wie auch interaktive Partizipationsprozesse intern/exkludierend minimiert, wird ein Kontingenzbewusstsein des Mediennutzers aus der Umkehr gefördert. Das Ergebnis der Erschließung ist eine mögliche Welt, in der die Long Now Foundation so gesehen nichts dem Zufall überlässt.187 Ihre Kontingenz, als Denken des möglichen Andersseins, ist ein Denken des Unmöglichen: Das Unmögliche (was nicht ist, also das Offenhalten) führt zur Geschlossenheit, die die Long Now Foundation ob medialer Paradoxie setzt. Diese sei nochmals zusammengefasst: Die mediale Paradoxie ergibt sich daraus, dass die Long Now Foundation eine lineare, kohärente Story in ein Medium verlagert, das nicht-lineare Operations- und Wahrnehmungslogiken zur Folge haben kann. Damit kann an dieser Stelle nicht von einem balancierenden Korrektiv gesprochen werden: Einerseits kommt es zwar zu Koexistenzen, andererseits aber kann paradoxerweise aus einer nicht-linearen Strukturierung eine dominante Linearität hervortreten, die gar zu einer Übergewichtung führen kann. Diese macht eine Geschlossenheit aus, die einem durch die Stiftung intendierten Offenhalten zuwiderläuft und die Eingebundenheit des Users betrifft. Er ist Teil der Story (‚be part of something ambitious‘, wie von der Stiftung gefordert)188 – und zwar in einem Lernprozess wie in einer -erfahrung, anhand derer er durch Komplexität navigieren kann; gleichwohl von außen und eingebunden insbesondere durch einen hinterfragenden Blick auf die strukturelle Ebene. Von hier aus kann das Denken des Unmöglichen zu einer bestimmten ‚Kritik der Einbildungskraft‘ werden, die zur Kritik der Medialität wird. Mit einem medialen blinden Fleck aus der Paradoxie bleibt zunächst auch die sich aus einer ‚Übergewichtung‘ ergebende Form von geschlossener Erzählung unbenommen davon, dass sich der User in einem Medium bewegt, dessen Operationslogik

186 Vgl. ebd. 187 An dieser Stelle sei bereits auf die detaillierte Analyse des Mythos verwiesen, die sich einer funktionalen Bestimmung durch die Erzählung widmet. Dabei wird der Entwurf einer möglichen Welt durch das Gedankenexperiment aufgegriffen und für den vorliegenden Fall eine Opposition zwischen gerichteter und zugleich offengehaltener Erzählform ausgemacht. 188 Vgl. dazu auch Kap. 1, Anm. 158 sowie longnow.org, [Donate] vom 02.10.2014.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 287

durch Kontingenz bestimmt ist, durch kontingente Selektion der Erschließungspfade trotz einer zusätzlichen Eingebundenheit eines internen/exkludierenden Modus. Damit ergibt sich eine Kontingenz aus der Umkehr, die den Zweifel als intellektuellen Antrieb und damit die Medienkompetenz des Users einbezieht. Denn jedem Zweifel liegt eine Umkehr zugrunde, ein „umgekehrte[r] Glaube“189. Erstellt die Long Now Foundation auf struktureller Ebene ein Möglichkeitsfeld des Unmöglichen, kann eine restriktive Strukturdeterminiertheit in der Erschließung des erzählten langen Jetzt auftreten, als narrative of hope von einer Zukunft (‚that [the Long Now Foundation] tells‘). Auf den ersten Blick zeugt dies von einer Komplexitätsreduktion und damit von Kontingenzminderung, der die medial bedingte, perzeptive Operationslogik durch die Webseite jedoch zuwider läuft. Ein Glaube also an ein narrative of hope, der seinen Ausgangspunkt im Zweifel findet, wird umgekehrt zur Skepsis, zur Kritik an der Medialität, die aber einen intellektuellen Antrieb für Forschungsfragen und Denkprozesse darstellen kann.190 Umgekehrte Kontingenz also als Denken des Unmöglichen, und das heißt als Kritik und medial induziertes verstärktes Bewusstsein, leitet dann zu dem, was möglich ist, was in diesem Unmöglichen sogar nicht nur möglich ist, sondern sein muss: eine sich aus der medialen Paradoxie ergebende Umkehr des Verschlossenen durch ein Offenhalten, das festgelegte Ziele aufbricht, sie durch Infragestellen kontingent aufbricht. Denn wenn sich Narrative, wie von Ryan proklamiert, das Medium, in dem sie erscheinen, zunutze machen, dann bricht selbiges aber mit der Kohärenz des Storytelling, das ein Offenhalten generieren soll. Aus der medialen Paradoxie jedoch unterbricht der User, äquivalent zu medialen Operationslogiken und der Medienzeit entsprechenden Wahrnehmungsprinzipien, jene ‚vorprogrammierte‘ Strukturdeterminiertheit durch ein anders mögliches Offenhalten – als konstitutives Merkmal jeder Kontingenz –, welches das Verschlossene durch eine hinterfragende Perspektive aufbrechen kann. Damit wird ebenso eine kontingente Lektüremöglichkeit der Stiftung anschlussfähig, die diese Arbeit bereits mit einer archäologischen Genealogie verfolgt, wobei auch die Long Now Foundation Optionen anbieten möchte sowie das Produkt der transformativen Erfahrung und ausgedehnten Zeitperspektive, wie es die Geschäftsidee zur Long Now Foundation nahelegt. Doch kann gerade aus medienphilosophischer Perspektive wie auch derjenigen medialer Struktur dieses Kontingenzbewusstsein anders möglich nahegelegt werden.

189 V. Flusser: Vom Zweifel, S. 7. 190 Vgl. ebd.

288 | V OM LANGEN J ETZT

Die auf das beobachtete Phänomen enggeführte Analyse verdeutlicht eine medial induzierte Verstärkung des Kontingenzbewusstseins als Denken des Unmöglichen (Bewusstsein für eine strukturelle Geschlossenheit) im Möglichen (Operationslogik der Webseite). Denn das, was nicht möglich ist, ist möglich durch ein anderes mögliches Offenhalten – die aufgebrochene, geöffnete Verschlossenheit als Infragestellen (Kritik an der medialen Erscheinung für ein langes Jetzt) und eine Bewusstseinsverstärkung als intellektueller Antrieb eines Denkens der Umkehr. Das Kontingenzbewusstsein erschließt hier, was nicht ist (Offenhalten aufgrund strukturell-narrativer Geschlossenheit), zu dem, was nunmehr anders möglich ist: Anders, als es die Ziele der Long Now Foundation vorsehen, leitet eine Sicht für die auch kontingente Welterschließung (weil sich aus der Operationslogik des Mediums ergebend) zu umgekehrter, weil zweifelnder Öffnung des Festgelegten und dem, was dann anders möglich ist – zur offengehaltenen, weil hinterfragten Zielumsetzung aus medialen Widersprüchen. Und jedes Offenhalten ist ein Denkantrieb. Wie schon eine Verstärkerfunktion zeitbewussten und kritischen Denkens dem Mediennutzer durch Handhabung des Mediums zukommt, ist auch eine Bewusstseinsverstärkung, die die Long Now Foundation durch ein long-term thinking zu etablieren sucht, in der medialen Operativität, gemäß der das Denken beeinflusst wird, zu finden. Überdies können Perzeptionslogiken zwischen Kürze und Länge hier nochmals explizit eine mediale Verstärkerfunktion des Kontingenzbewusstseins hervorheben. Sie ist gebunden an jene Definition des Jetzt durch kontingente Längenauferlegung, die sich gemäß der Medienzeit und medialen Operativität anhand von kurzen Aufmerksamkeitsspannen bei gleichzeitig längenauferlegendem Fluss an Unterbrechungen zeigen. Auch wenn sich eine oppositionelle Sinnstiftung äquivalent zur Zeitparadoxie verhält, erfolgt eine Bewusstseinsstärkung doch auch aus aufgedecktem, medialem blinden Fleck der Long Now Foundation. Medien dienen damit nicht nur einer Verstärkerfunktion des Kontingenzbewusstseins, sondern als intellektueller Antrieb des Denkens der Umkehr. Die symptomatische Zeitparadoxie eines langen Jetzt ist an dieser Stelle medial induziert.

3.4 V ON O PPOSITIONEN

UND

F ORMGEBUNG

An die Seite der medialen Operationslogik, die Oppositionen und Widersprüche aufzeigen konnte, stellen sich Elemente, die als kontinuierlich lineare Fortschreibungsprozesse auftreten können. Ich fasse sie in einen Begriff von Formgebung, der es ermöglicht, das Dazwischen weiterzudenken: Es können Vermitt-

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 289

lungsfunktionen bei der Auseinandersetzung mit der Long Now Foundation ausgemacht werden, die im dargestellten Dazwischen von einer spezifischen Richtungsweisung zeugen. Wenn die Webseite bereits als Teil einer ‚kulturellen Form‘ auftreten konnte, die dem ‚Chaos des 0-1 Zufalls‘ wie auch dem ‚Bündel an linearen Prozessen und Aussagen‘ eine Form aufdrängt, aber im nichtlinearen Navigieren wie auch diskontinuierlich unterbrochenen Erschließen mündet, wird deren Möglichkeitsfeld hier erweitert: Es avanciert zu einer Sinnstiftung, die verstärkt zukunftsorientiert für ein langes Jetzt und die nächsten 10.000 Jahre auftreten kann. Ferner kann der Mythos mit einem work in progress und der Erzählung zusammenfallen. Dabei wird zusätzlich ein Projekt erfasst, dem ein noch imaginärer, vorgestellter Status zukommt (The Clock of the Long Now bzw. Clock One), und eine ‚lebende Institution‘ zwischen Kontinuität und steter Erneuerung anschlussfähig. Wurde im vorangegangenen Bereich also das Storytelling genau in den Blick genommen, wird zunehmend der Mythos fokussiert, um jene Schlüsselkategorien, die sich für ein long-term thinking nachhaltig ausprägen sollen, vervollständigt betrachten zu können. Ein kurzer, zugespitzter Aufgriff der Skalierungskontingenz für ein langes führt ein, dass formgebende Vermittlungsfunktionen mit einem langen Jetzt korrelieren können. Ein zentrales Bindeglied für das Denken des Jetzt liegt in einer forcierten Zukunftsperspektive, wobei der prozessuale Projektcharakter, der work in progress, der Long Now Foundation im Laufe der Analyse in ein Denken des Jetzt einbezogen wird. Eine oppositionelle Sinnstiftung wird gleichsam handhabbar, indem formgebende Vermittlungsfunktionen in Anlehnung an Ernst Cassirers symbolische Form entwickelt werden können. Wie bereits zu Beginn dieses Teilbereichs Modelle zur Sinnstiftung angesprochen werden konnten,191 geht es auch mit Cassirer um ein Orientierungsmodell, das dessen umfangreiche Theorie der symbolischen Formen zugleich auf den zentralen Beobachtungsgegenstand hin eingrenzt. Was an vorheriger Stelle mit Krämer als ‚Inkorporation‘ auftrat, kann folgendermaßen erweitert werden: Fortgeführte ‚kognitive Spielräume in symbolischen Welten‘ zeigen sich hier durch einen ausdifferenzierteren philosophischen Symbolbegriff. Dieser kann zunächst einen Erkenntnisgegenstand im Möglichkeitsfeld Webseite anbieten, der eine medial induzierte Bewusstseinsverstärkung durch eine symbolische erweitert und somit die Frage nach der Sinnstiftung für ein langes Jetzt ausführen kann. Mit dem Mythos wird eine für die Long Now Foundation spezifische Erzählform eruiert, die deren hoffnungsvoller Erzählung, dem narrative of hope, eine

191 Vgl. Anm. 8.

290 | V OM LANGEN J ETZT

Form verleihen kann und sich auf eine Sinnstiftung für ein Denken des Jetzt auswirkt. Sie kann mit einer Zeitperspektive des langen Jetzt und der ‚lebenden Institution‘ korrelieren. Die Analyse soll insgesamt verdeutlichen, inwiefern sich eine oppositionelle Sinnstiftung in die Praktiken der Long Now Foundation zurückschreibt, gerade wenn es um eine sich stets erneuernde Institution geht. Formgebende Vermittlungsfunktionen können diese hoffnungsvolle Erzählung, die Vorstellung bzw. einen somit noch spekulativen Status und den einhergehenden work in progress genau in den Blick nehmen. Denn nicht nur kann hier paradoxerweise gerade für das noch Vorgestellte eine existenzbegründende Funktion durch den Mythos ausgemacht werden, was zugleich rückbindet an eine ‚mythische Tiefe‘, die aus der Selbstbeschreibung der Stiftung hervorgeht. Zugleich hält eine solche existenzbegründende Vermittlungsfunktion Legitimationsstrategien bereit, die das irrationale Potential der Stiftung (jene ‚institutional folly‘) und damit verbundene Prozesse der Selbstinszenierung anschlussfähig machen. Die Erzählform kann, wenn sie sich nachhaltig aussprechen soll, zu einem Longer-term of Scenario planning verdichtet werden. Ein experimentelles und gestaltetes Erzählen pointiert diese Form und bildet insbesondere ein Scharnier dafür aus, die Spielideologie der Long Now Foundation zu vertiefen. Hier kann der Frage nachgegangen werden, inwiefern die Erzählform und die Prozessualität der ‚lebenden Institution‘ mit einem Kontinuitätsmodell offengehaltener Zukunft korrespondieren können und inwiefern dies auf eine Sinnstiftung und ein Denken des Jetzt rückwirkt. Insgesamt können mit der Erzählform selbst Mechanismen freigelegt werden, die einer selbst aufrechterhaltenden Struktur der ‚lebenden Institution‘ nachgehen, dabei aber ebenso auf Erzählebene sich äußernde Gegensätze diskutieren. Das narrative of hope, Selbstinszenierung, Prozessualität (work in progress) und eine gleichzeitig gerichtete wie offengehaltene Bestimmung werden hier zu tragenden und zugleich korrelierenden Elementen. Insbesondere auf Seiten des Mythos, anschließend an die symbolische Form, bedeutet dies auch, die Erzählung und prozessualen Projekte neben eine Mediennutzungsperspektive zu stellen. So tritt verstärkt eine solche der Handlung und semantischen Ebene auf, die sich von der Long Now Foundation ausgehend ergibt. Ein Bindeglied dafür ist ein sogenanntes gestalterisches Tun in Anlehnung an Cassirer und Oswald Schwemmer, ebenso als Rückkopplungsmoment dafür, dass die Kultur die ‚Ebene [ist], auf der die Long Now Foundation tätig wird‘192 .

192 Vgl. Kap. 1, Anm. 61.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 291

Abschließend bietet The Interval einen Blick auf das long-term thinking in einem dort angebotenen Place for Conversation. Als zeitlicher Zwischenraum und innerhalb einer ‚lebenden Institution‘ leitet es zu einer zusammenfassenden Reflexion des Dazwischen. 3.4.1 Skalierungskontingenz als Kontinuitätsmodell Das lange Jetzt, wie es von der Long Now Foundation gesetzt wird und hier als Skalierungskontingenz gefasst wurde, kann ein Rahmenprogramm erstellen, das sowohl dem experimentellen Erzählen dient als auch darauf deutet, wie mit dem Zeitbegriff bzw. einer Längenauferlegung gespielt wird. Dem Denken und auch Handeln der Paradoxie entsprechend, kann eine solche Sicht auf das Jetzt paradoxerweise erst dadurch entstehen, das lange Jetzt von 20.000 Jahren (vgl. Abb. 1.10) zu beschneiden, das heißt einen Ausschnitt aus selbigem vorzunehmen: Abbildung 3.9.: Ausschnitt aus dem langen Jetzt

longnow.org, [About] vom 16.04.2015

Die Paradoxie lässt sich nun damit aufzeigen, die Ergebnisse aus der ‚Diagnose der Gegenwart‘ und der dort vorgenommenen Skalierungskontingenz wie folgt aufzugreifen: Aus einem diskontinuierlichen Orientierungsrahmen, der nämlich von einem diskreten Punkt aus (Jahr 2000) in Richtung Vergangenheit und Zukunft reicht, entsteht ein kontinuierlicher. Dieses Kontinuitätsmodell für ein long-term thinking wird mit der vorliegenden Studie aus einer selbst diskontinuierlichen Handhabung des langen Jetzt generiert; durch einen Zeitachsenausschnitt tritt das Kontinuum in Richtung Zukunft auf (‚to foster responsibility for the next 10,000 years‘). So wird nicht nur ein zerschneidendes Deuten für ein Denken des langen Jetzt produktiv, sondern Kontinuität und Diskontinuität fallen gemäß einer ‚lebenden Institution‘ einmal mehr, aus Perspektive der Skalierung, zusammen.

292 | V OM LANGEN J ETZT

Mit einer forcierten Zukunftsperspektive für die nächsten 10.000 Jahre wird also die Länge des Jetzt paradoxerweise durch die Stiftung selbst beschnitten, doch kommt so eine Handhabung dafür zustande, was im Hier und Jetzt getan werden kann, um die Vorstellung vom Jetzt auszudehnen und somit ebenso eine Perspektive zu gestalten, die in die Zukunft reicht. Für den vorliegenden Zusammenhang kann damit herausgestellt werden, inwiefern sich an den Projekten der Long Now Foundation selbst das Prozessuale und damit ein work in progress ablesen lässt: „If [something] becomes important, it turns into a symbol and must eventually be destroyed. The only way to survive over the long run is to be made of materials large and worthless.“193 Rekurrierend auf ein hier herausgestelltes Kontinuitätsmodell, das gleichsam als formgebende Vermittlungsfunktion aus semantischer Ebene der Stiftungsselbstbeschreibung extrahiert wird, tritt der folgende Analyseschritt hervor: Inwiefern fungiert die Clock of the Long Now bzw. die 10.000-Jahre-Uhr als Symbol?194 Denn diese ist längst wichtig geworden und kann als Zentralprojekt der Long Now Foundation repräsentativ für ein langes Jetzt stehen. Konnten in der archäologischen Genealogie transformierende Werkzeuge (‚tools for transformation‘) auftreten, werden sie als Erkenntnisgegenstand für eine Sinnstiftung anschlussfähig, dem eine vermittelnde, mediale Funktion zukommt. Dem work in progress geschuldet geht es um die Frage, inwiefern ein solcher Erkenntnisgegenstand in der Webseite verharrt und dem ‚kognitiven Spielraum‘ im Möglichkeitsfeld Webseite eine weitere mediale Ebene eingeschrieben (inkorporiert) wird. Genau daran schließt ein work in progress des noch nicht vollständig existenten Monuments (Clock One) an, der auf das Symbolische angewiesen bleibt – gerade wenn es um eine materielle, dauerhafte Beschaffenheit geht (‚to be made of materials large and worthless’). „To explore whatever may be helpful for thinking, understanding, and acting responsibly over long periods of time“195 bildet ein Scharnier sowohl zu Handhabung, Handlung wie auch ‚kognitiven Spielräumen‘ zum Denken der Paradoxie: Hilfreich für ein Denken und Verstehen sind formgebende Vermittlungsfunktionen in einer oppositionellen Sinnstiftung; über lange Zeitspannen zu agieren bzw. zu handeln (‚acting reponsibly‘) suggeriert die Intention der Long Now Foundation, das long-term thinking aus- bzw. konsequent durchzuspielen

193 D. Hillis: „The Millennium Clock“ vom 08.07.2014. 194 Damit wird eine Zeicheninterpretation (‚interpreting signs‘), wie sie für eine Formierung von Storytelling und Mythos (Kap. 2) angebracht wurde, spezifisch in die Analyse eingebettet. 195 S. Brand: „The Clock and Library Projects“ vom 08.07.2014.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 293

(‚acted and played out to the end‘). Somit kommt ein Bindeglied dafür auf, formgebende Vermittlungsfunktionen und ein Denken des Jetzt im Laufe der Analyse in das Verhältnis zum Spiel zu setzten, wobei ebenso über einen webbasierten ‚Gruppen-Spielplatz‘ hinausgegangen wird. Benanntes Agieren (‚acting responsibly‘) referiert an dieser Stelle auf die Handlungsebene der Long Now Foundation; es richtet den Fokus auf eine Sinnstiftung durch die symbolische Form. 3.4.2 Zur Sinnstiftung der symbolischen Form Mit Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen erfährt der Symbolbegriff eine Rückführung auf eine phänomenologisch begründete Erkenntnistheorie, die jede Erkenntnis im Bereich der Erscheinungen verortet und innerhalb derer die Bestimmung des Erkenntnisgegenstandes durch eine „mediale, symbolische Form der Vermittlung“196 erfolgt. In einem Erkenntnissystem erhält das Symbol eine Vermittlerfunktion, die ein „kognitiv-mediales Prinzip der Erkenntnis“197 begründet. Erkenntnis und „geistige[r] Grundfunktion“198 ist eine „selbständige (sic!) Energie des Geistes“199 gemein, durch die das „Dasein der Erscheinung eine ‚Bedeutung‘, einen eigentümlichen ideellen Gehalt empfängt“200. Der erkenntnistheoretische Ansatz sucht anhand der symbolischen Formen ein Prinzip zu begründen, das die Vielfältigkeit der „Erkenntnisfunktionen [...] zu einem einheitlichen Tun, zu einer in sich geschlossenen geistigen Aktion zusammenfasst“201. Der erkenntnistheoretische Ansatz wird damit zu einem kulturphilosophischen, indem dieses Tun und „der Inhalt des Kulturbegriffs [...] sich von den

196 F. Berndt/H.J. Drügh: „Seele. Einleitung“, S. 21-37, hier S. 35 und vgl. E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil: Die Sprache, S. 6-7 (im Folgenden: Philosophie der symbolischen Formen I). 197 F. Berndt/H.J. Drügh: „Seele. Einleitung“, S. 35, vgl. ferner E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen I, S. 5. 198 Ebd., S. 7 199 Ebd. 200 Ebd. 201 Ebd., S. 6 [Herv. V.F.]. – Dieser Ansatz Cassirers rekurriert auf seine Auseinandersetzung mit Giambattista Vico, dem er eine „erste systematische Grundlegung der ‚Geisteswissenschaften‘ oder [...] eine erste ‚Logik der Kulturwissenschaft‘“ zuschreibt, siehe S. Woidich: Vico und die Hermeneutik, S. 197.

294 | V OM LANGEN J ETZT

Grundformen [...] des geistigen Produzierens nicht loslösen [lässt]: Das ‚Sein‘ ist hier nirgends anders als im ‚Tun‘ erfaßbar“202. So entsteht ein deutlicher Rekurs auf jenes Agieren als konstitutiv für die Etablierung eines long-term thinking, das zusammenfällt mit einer geistigen und einer kulturellen Ebene sowie mit einer spezifischen Form der Kritik: „Die Kritik der Vernunft wird damit zur Kritik der Kultur. Sie sucht zu verstehen und zu erweisen, wie aller Inhalt der Kultur [...] eine ursprüngliche Tat des Geistes zur Voraussetzung hat.“203 So treten für den vorliegenden Zusammenhang „eigenständige Modalitäten geistiger Weltformung“204 hervor. Sie erfassen folglich nicht nur Welterschließung und Sinnstiftung durch formgebende Vermittlerfunktionen, sondern Handlungen der Long Now Foundation werden auf Ebene der Kultur in einem gestalterischen Bereich verfolgt, der sich auf ein Denken des Jetzt auswirken kann. Die der Paradoxie entsprechende Handhabung schlägt folglich sukzessive in eine Handlungsebene um, die zunächst zu jenem ‚Dasein der Erscheinung‘ der 10.000-Jahre-Uhr führt, das die Vermittlungsfunktion durch Symbolwahrnehmung erfasst und dabei Kontinuitätsstiftung durch einen bestimmten ‚ideellen Gehalt‘ auftreten lässt. Sinnstiftung für ein langes Jetzt ist dann im gestalterischen Tun fundiert, indem es eine ‚Tat des Geistes zur Voraussetzung hat‘. Wenn sich also mit der Philosophie der symbolischen Formen eine „Richtung des Geistes, eine selbstständige Gestaltungsweise des Bewusstseins aus-

202 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen I, S. 9. Mit einem „gestaltende[n] Tun“ verdeutlicht Oswald Schwemmer nochmals die „praktische[n] Fundierung unseres geistig-kulturellen ‚Seins‘“, siehe O. Schwemmer: Ernst Cassirer, S. 27. Es ist insgesamt „in unserem Handeln und Wirken, ist praktisch fundiert“, ebd. Rekurrierend auf Cassirer und Schwemmer wähle ich den Begriff eines gestalterischen Tuns, da somit zwei Ebenen, die gestaltende und die gestaltete, abgedeckt werden: Einerseits können Formgebungsprozesse berücksichtigt werden, die auf gestaltende Praktiken der Long Now Foundation zurückgehen, andererseits treten eine gestaltete Denkform, aber zugleich jene ,selbstständigen Energien des Geistes‘ auf, die jene Praktiken hinterfragen und reflektieren. Im gestalterischen Tun finden also eine intendierte Gestaltung durch die Stiftung und selbstständige kritische Denkformen durch den Rezipienten zusammen. Überdies berücksichtigt das gestalterische Tun weitere praktische Ebenen des Handelns und Wirkens, das ich etwa zu künstlerischen Praktiken wie der Ausstellung erweitere. 203 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen I, S. 9. 204 S. Woidich: Vico und die Hermeneutik, S. 188 [Herv. V.F.].

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 295

spricht“205 , geht es auch um eine Gestaltung des Zeitbewusstseins für ein longterm thinking, das die transformative Erfahrung und deren Vermarktung als ‚Tat des Geistes‘ zur Voraussetzung hat und sich zunächst an einem Erkenntnisgegenstand zeigt. Um zu einem detaillierten Blick auf die 10.000-Jahre-Uhr zu gelangen, wird eine Sinnstiftung der symbolischen Form in zwei Bereichen ausdifferenziert – zunächst in einem Sinnzusammenhang und formgebenden Funktionen und daran anschließend in einer Sinnstiftung für ein langes Jetzt. Einen Leitfaden dafür bilden ‚geistige Energien‘, welche die symbolische Form als geschlossene, einheitliche geistige Aktion kennzeichnen können. Dies bezieht eine Kontextbindung für Erkenntnisgegenstände und Dimensionen der symbolischen Form ein, die ein Orientierungsmodell für die Sinnstiftung liefern. 3.4.3 Sinnzusammenhang und formgebende Funktionen Zunächst bilden Erkenntnisgegenstände keine isolierten Objekte der „sinnlichen Erfahrung“206 bzw. Sinnstiftung, sondern werden zu Kulturobjekten, die im jeweiligen „Sinnzusammenhang“207 zu sehen sind. Symbole unterliegen damit einer besonderen Motivation,208 gelten als kontextgebunden, wobei die Art und Weise, anhand derer sie Sinn stiften (ihre ‚Sinnmodalität‘209), je nach Kontext variieren kann: Jedes „‚sinnliche‘ Erlebnis“210, das erst die Verknüpfung zu abstrakten Gedankengängen (‚ideeller Geistesgehalt‘) erstellt, gilt als „Träger eines Sinnes und steht [...] im Dienste desselben“211 . Sinnstiftung bezieht sich also auf ein ‚sinnliches Erlebnis‘, das auf den Erkenntnisgegenstand rekurriert, wobei die ‚geistige Energie‘ jener Sinnstiftung ein Abstrahieren ermöglicht. 212 Dieser Erkenntnisakt verläuft in spezifischen

205 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil: Das mythische Denken, S. 4 [Herv. V.F.] (im Folgenden Philosophie der symbolischen Formen II). 206 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen I, S. 15; 18. 207 Ebd., S. 9. 208 Vgl. F. Berndt/H.J. Drügh: „Seele. Einleitung“, S. 10. 209 Zur variierenden „Modalität des Sinns“ siehe E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil: Phänomenologie der Erkenntnis, S. 228 (im Folgenden Philosophie der symbolischen Formen III). 210 Ebd. 211 Ebd. 212 Vgl. E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen I, S. 9-10.

296 | V OM LANGEN J ETZT

Richtungen.213 So kündigt sich das Prinzip der symbolischen Form an, als einheitlich geschlossene, geistige Aktion; als „bestimmte Richtung des Aufbaus, eine Weise des Fortgangs von den elementaren Gestalten zu den komplexeren Gestalten“ 214 . Drei Dimensionen symbolischer Formung dienen dazu, diese einheitliche geistige Aktion wie auch jenen ‚Fortgang‘ zu veranschaulichen. Sie zeigen sich in der Ausdrucks-, Darstellungs- und Bedeutungsfunktion, die zugleich Wahrnehmungsprinzipien weiterführend beleuchten. Was hier in einem Orientierungsmodell noch abstrakt anmuten mag, wird im Anschluss mit der 10.000Jahre-Uhr exemplarisch vertieft. Mit der Ausdrucksfunktion, als „ursprünglichste“ 215 Dimension (folglich ‚elementare Gestalten‘ betreffend), erhält ein ‚sinnliches Erlebnis‘ (die Anschauung des Erkenntnisgegenstandes) einen sogenannten „Ausdruckswert“216. Dieser ergibt sich aus der ‚reinen Anschauung‘, und das bedeutet, dass mit diesem ‚sinnlichen Erlebnis‘ ein sinnlicher Gehalt einhergeht – das ‚sinnliche Erlebnis‘ hat einen Wert, der klar bestimmt werden kann durch die Anschauung.217 Anhand der Darstellungsfunktion, die mittels Sprache generiert wird, wird der Ausdruckswert transzendiert, indem Sprache einen „objektiven Sachverhalt“218 nicht nur beschreibt, sondern speichert.219 So zeigt sich die Vermittlungsfunktion, die es erst zulässt, beide Dimensionen miteinander zu verknüpfen. Über die Darstellungsfunktion und über Sprache wird nämlich ein bestimmtes Verständnis gesetzt, das für die Rezipienten gleichermaßen als „auffindbar und fest-

213 Vgl. ebd., S. 10. 214 E. Cassirer: „Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie“, S. 92-106, hier S. 97 [Herv. i.O.]. – Ein ‚Sinnzusammenhang‘ bzw. die Kontextgebundenheit des Denkens weist auf longnow.org hin; einerseits wird eine geschlossene Form damit anders möglich lesbar, als Geschlossenheit für eine Sinnstiftung, andererseits kündigt gerade jene ‚Richtung‘ und der ‚Fortgang‘ eine Form linearer Fortschreibung an, die nunmehr im Dazwischen auftritt. 215 E. Cassirer: „Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie“, S. 97. 216 Ebd [i.O. kursiv]. 217 Vgl. ebd., S. 97-98. 218 Ebd., S. 98. 219 Vgl. ebd. – Augenfällig wird somit eine Verknüpfung zur eingangs angebrachten Kodierung, die hier aber fortgeführt und anders betrachtet werden kann, anhand von (formgebenden) Wahrnehmungsprinzipien und einem philosophischen Symbolbegriff.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 297

stellbar gedacht wird“220 . Aus der reinen Anschauung, gegeben durch den ‚Ausdruckswert‘, wird das angeschaute Objekt bzw. der Erkenntnisgegenstand in den Bereich der Darstellung überführt.221 Rekurrierend auf ein gestalterisches Tun ergibt die Kopplung von Ausdrucks- und Darstellungsfunktion eine „anschauliche Gestaltung“222 – sie ergibt sich aus der reinen Anschauung, die allerdings mittels Sprache in den ‚gestalterischen Bereich der Darstellung‘ überführt wird. So äußert sich ein gestalterisches Tun also im ‚kognitiven Spielraum‘ auf Seiten der Wahrnehmungsprinzipien bzw. des Rezipienten, zugleich jedoch auf der kommunizierten Ebene (durch die selbsternannten ‚exzellenten Kommunikatoren‘ der Long Now Foundation und die Gestaltung in longnow.org). Diese kommunizierte Ebene macht die Darstellungsfunktion mittels Sprache erst aus; der Übergang vom ‚Ausdruckswert‘ zum ‚gestalterischen‘ Bereich der Darstellung, der ein Verständnis für den Rezipienten setzt, besteht in der an den Wahrnehmenden herangetragenen Darstellung. Sie äußert sich mittels Sprache in einem bestimmten Kontext, und diesen liefert die Darstellungsfunktion. Daran anschließend vollzieht sich die Bewegung von ‚elementaren zu komplexeren Gestalten‘, die Verknüpfung von ‚sinnlichem Erlebnis‘ oder ‚sinnlicher Erfahrung‘ zu abstrakten Zuordnungen, im Übergang von Darstellungs- zu Bedeutungsfunktion. Mit der Bedeutungsfunktion wird die bestehende anschauliche Gestaltung in den Bereich des reinen Gedankens erhoben; hier werden dem Erkenntnisgegenstand „abstrakte Zuordnungen“223 zugeschrieben. Dieses Modell der drei Dimensionen dient als „allgemeine[r] Plan der ideellen Orientierung“224 und kann anhand des sinnlichen Zeichens und einer symbolischen Prägnanz pointiert werden. Mit ihr kann ich eine charakteristische Verbindung zur Zeitlichkeit für das lange Jetzt ausmachen. 3.4.4 Sinnstiftung für ein langes Jetzt Als wesentlicher Bestandteil geistiger Funktionsweisen über die symbolische Form gilt das „sinnliche Zeichen“225 . Es ist notwendiges Element des Gedankens

220 Vgl. ebd. 221 Vgl. ebd., S. 99. 222 Ebd. 223 Ebd [Herv. i.O.]. 224 Ebd., S. 100. 225 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen I, S. 16.

298 | V OM LANGEN J ETZT

und damit der Sinnstiftung, indem es den „Gedankeninhalt“226, der aus Referenz auf den Erkenntnisgegenstand entsteht, mitteilt und ein „Instrument“227 darstellt, durch das dieser Inhalt bestimmt werden kann.228 Dabei wird der erkenntnistheoretisch-phänomenologische Anspruch erfüllt, ein Prinzip für die vielfältigen Geistesfunktionen in geschlossener Einheit und Allgemeinheit zu formulieren: Auf der Ebene der Ausdrucksfunktion, in seiner bloßen Erscheinung, können sich noch individuelle Bewusstseinsinhalte an das Zeichen binden. Wird das Zeichen jedoch mittels Sprache in die Darstellungsebene bzw. -funktion erhoben, in der es über individuelle Empfindungen hinaus auf einen gemeinsamen Nenner der Erkenntnis gebracht wird, so trägt es zur in diesen spezifischen Kontext eingebundenen Erkenntnis bei. Über individuelle Bedeutungszuschreibungen hinaus wird das Zeichen in diesem Kontext zu einem „Bleibenden“229. An die Stelle variierender individueller Inhalte oder Sinnzuschreibungen tritt das für diesen Kontext (über die Darstellungsfunktion) allgemein Bestimmte, sodass der Inhalt Bestand und Dauer erhält. Das Zeichen trägt damit zur Komplexitätsreduktion potentieller Bestimmungen bei, indem es individuelle ‚Bewusstseinsinhalte‘ durch die Symbolik des kontextgebundenen sinnlichen Zeichens in einer allgemeineren Bestimmung ersetzt: „[A]n die Stelle des verfließenden Inhalts tritt die in sich geschlossene und in sich beharrende Einheit der Form.“230 Für eine oppositionelle Sinnstiftung ergibt sich mit der symbolischen Form eine richtungsweisende Form, nach Cassirer eine ‚Weise des Fortgangs‘, kongruent zu einem Kontinuitätsmodell. Sie zeigt ein gestalterisches Tun in einer Doppelbewegung: Wenn Wahrnehmungslogiken auf strukturell medialer Ebene auf einen diskontinuierlichen, nicht-linearen Boden treffen können, der zugleich aber mit einem langen Jetzt durch Längenauferlegung korrelieren kann, zeigt sich hier eine weitere Ebene. Einerseits ist gestalterisches Tun für eine Kontinuitätsstiftung des sinnlichen Gehalts zu finden, indem die einheitliche Form der symbolischen Wahrnehmung Bestand und Dauer gestaltet. Andererseits findet diese Gestaltung durch den Kontext statt, der sich mit longnow.org ergibt, auch wenn sich dieser im Wandel befinden kann. Weiterhin einer Paradoxie folgend,

226 Ebd. 227 Ebd. 228 Vgl. ebd. 229 Vgl. ebd., S. 20; siehe hier: „durch [das Zeichen wird] dem stetigen Wandel der Bewußtseinsinhalte Halt geboten, weil in ihm ein Bleibendes bestimmt und herausgehoben wird.“ – Auch hier kommt somit eine Verbindung zu Flussers ‚Kritik der Einbildung‘ auf. 230 Ebd.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 299

die es nicht aufzulösen gilt, kann in oder trotz Oppositionen eine kontinuitätsstiftende Einheit der Form ausgemacht werden, die sich nicht auf die strukturelle Ebene bezieht, sondern auf die ‚kognitiven Spielräume‘, die geistige Funktion, die sowohl diskontinuierlich und nicht-linear beeinflusst ist als auch kontinuierlich vorgehen kann. So werden in oppositioneller Sinnstiftung, im Dazwischen, Optionen angeboten, die formgebend verfahren können. Dabei lässt sich das Symbol als sinnliches Zeichen bestimmen,231 das auf dem Prinzip symbolischer Formung beruht. Dabei verleiht es dem Erkenntnisinhalt einen Rahmen, wobei die rein sinnliche Anschauung einzelner, isolierter Objekte erweitert wird. Diese Erweiterung verdeutlicht die Verknüpfung zu abstrakten Zuordnungen, die Bedeutung der sogenannten symbolischen Prägnanz. Sie zeigt, inwiefern Wahrnehmung gegliedert werden und somit eine Form von „geistiger ‚Artikulation‘“232 stattfinden kann, durch eine „ideelle[n] Verwobenheit, [einer] Bezogenheit des einzelnen, hier und jetzt gegebenen Wahrnehmungsphänomens auf ein charakteristisches Sinnganzes“233. So ist die Referenz auf abstrakte Vorstellungen über den Gegenstand hinaus gegeben: „Unter ‚symbolischer Prägnanz‘ soll also die Art verstanden werden, in der ein Wahrnehmungserlebnis, als ‚sinnliches‘ Erlebnis, zugleich einen bestimmten nicht-anschaulichen 234

‚Sinn‘ in sich fasst und ihn zur unmittelbaren konkreten Darstellung bringt.“

Der Ausdruck Prägnanz rekurriert auf diese Bezogenheit des Einzelnen235 und seine Einbettung in das ‚Sinnganze‘ bzw. einen Kontext. Die Erweiterung von sinnlichem Gehalt zu abstrakter Zuordnung vollzieht sich wiederum im Geiste, der dabei erneut auf den symbolischen Kontext des Zeichens zurückgreift. Diese Bewegung der symbolischen Bestimmung verdeutlicht einen ‚Bewusstseinszusammenhang‘ (die geistige Funktion) in seiner Fülle, Kontinuität und Konstanz,236 indem einzelne Objekte in jenes ‚Sinnganze‘, in einen Sinnzusammenhang eingebunden werden, als einheitlich bestehende Form innerhalb dieses Kontextes. Es handelt sich dabei nicht um einen statisch festgesetzten Prozess der Bestimmung, sondern die Fülle und Bewegtheit dieses Prozesses ergibt sich aus der

231 Vgl. E. Cassirer: „Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften“, S. 75-104, hier S. 78. 232 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen III, S. 231. 233 Ebd [Herv. V.F.]. 234 Ebd. 235 Vgl. ebd. 236 Vgl. ebd.

300 | V OM LANGEN J ETZT

Zuordnung des Einzelnen im möglich variierenden Kontext, wobei die Einheit der Form innerhalb desselben gewahrt wird.237 Sinnstiftung anhand symbolischer Formen bedeutet damit eine Ausdehnung des Gehalts über das Einzelne hinaus in einen Sinnzusammenhang bzw. gegebenen Kontext. Schließlich kommt eine signifikante Verknüpfung zu Zeitperspektiven für das lange Jetzt auf. Gegenwärtige Wahrnehmungen werden durch die Einheit der Form, die Sinnzuschreibung durch den Kontext erhält, und durch die Konstanz und Kontinuität des sinnlichen Gehalts in ihrem Hier und Jetzt erweitert: „Wenn wir uns etwa [...] der Zukunft zuwenden [...], stellt [sie] sich vielmehr in einer völlig eigenartigen Weise der ‚Sicht‘ dar: Sie wird von der Gegenwart her ‚vorweggenom238

men‘. Das Jetzt ist ein zukunftserfülltes und zukunftsgesättigtes Jetzt.“

Wenn longnow.org als Möglichkeitsfeld Webseite und im Folgenden als Sinnganzes oder Sinnzusammenhang für das sinnliche Zeichen der Clock of the Long Now bzw. der 10.000-Jahre-Uhr erscheint, dann wird ebenso aufgegriffen, dass ein operativ nicht-lineares Navigieren und perzeptiv diskontinuierliches Wahrnehmen keinen Einfluss auf den inhaltlichen Nachvollzug dessen haben, was vermittelt bzw. kommuniziert wird. Eine oppositionelle Sinnstiftung, in der strukturelle und semantische Ebenen wie auch eine ‚lebende Institution‘ zwischen steter Erneuerung und Kontinuitätsstiftung zusammenfallen, kann eine formgebende Vermittlungsfunktion anbieten, die für ein langes Jetzt (‚for the next 10,000 years‘) ‚zukunftserfüllt‘ und ‚zukunftsgesättigt‘ auftreten kann. Diese zeigt sich an der 10.000-Jahre-Uhr.

237 Vgl. E. Cassirer: „Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie“, S. 100; E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen III, S. 231-232. – Wie oben angeführt, stellt sich im Dazwischen die einheitlich geschlossene, symbolische Form neben den variierenden Kontext der Webseite, neben die ob nicht-linearer Operationslogik durchbrochenen Wahrnehmungsprinzipien. So können mediale Verstärkerfunktionen gleichzeitig durch jene der symbolischen Form angereichert werden, die sich auf Seiten der Kontinuitätsstiftung bewegt. 238 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen III, S. 231 [Herv. V.F.]. – Während im Folgenden ein Erkenntnisgegenstand für das lange Jetzt in den Fokus rückt, kann anhand des Mythos gerade ein oben benanntes ‚Vorwegnehmen‘ durch eine funktionale, vorlogische Bestimmung noch vertieft werden, die sich für den vorliegenden Zusammenhang zugleich nachlogisch ausprägen kann.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 301

3.5 L ONG - TERM S YMBOLS : D IE 10.000-J AHRE -U HR Was noch als ‚Einbildungskraft‘ auftreten konnte und Bestandteil der Sinnstiftung ist, kann also zu Wahrnehmungsprinzipien durch die symbolische Form fortgeführt werden, deren einheitliche und geschlossene Vermittlungsfunktion gleichsam die ‚kognitiven Spielräume symbolischer Welten‘ erweitert. Ein gestalterisches Tun liegt einer solchen Wahrnehmung zugrunde, das sich ebenso auf die Handlungsebene der Long Now Foundation beziehen lässt. So kann zunächst das Möglichkeitsfeld Webseite als Sinnzusammenhang auftreten, der einer medial induzierten Bewusstseinsverstärkung eine solche symbolischer Einheit zur Seite stellt, die sich gleichzeitig signifikant mit einer Vorstellung vom langen Jetzt verbindet. Dabei wird ebenso die Sicht auf eine Kulturtechnik anschlussfähig. Denn fasst man diese, wie mit Krämer aufgegriffen, als ‚Praktiken, denen Sinn und das, was wahrnehmbar ist, eingeschrieben (inkorporiert) ist‘, und als ‚Strategien im Umgang mit symbolischen Welten‘, zeigt sich hier gleichsam ein weiterer Umgang mit oppositioneller Sinnstiftung. Sinn wird dann (für ein langes Jetzt und kontextgebunden) durch eine solche ‚Verkörperung‘ bzw. Einschreibung gestiftet, die mit der 10.000-Jahre-Uhr stattfindet. Sie wie auch die symbolische Form können damit als Kulturtechniken auftreten, die das zukunftserfüllte Jetzt in eine symbolische Welt der Webseite einschreiben.239 So wird dem Umstand gerecht, dass es sich um ein Projekt (in progress) handelt, dessen ‚Existenz‘, in diesem ersten Schritt mit der symbolischen Form, an die Webseite gebunden bleibt, vorrangig also im Symbolischen verharrt. Nicht ohne Grund kann zu Ergebnissen aus der archäologischen Genealogie verknüpft werden, innerhalb derer bereits auf einen Begriff von Kulturtechhik verwiesen wurde. Hinzu konnte bereits dort, rekurrierend auf Brand, eine proklamierte Bedeutung der Long Now Foundation hervortreten, die Verbindungen zu jenen Fotografien vom Blauen Planeten und zum Whole Earth Catalog vor-

239 Zur symbolischen Form als Kulturtechnik in einem künstlerischen Kontext vgl. etwa H. Belting: Florenz und Bagdad, insbesondere S. 17; 25. Bezogen auf die Perspektive, anhand derer Wahrnehmung als Technik auftritt, die mit dem individuellen Blick ausgeübt wird (vgl. ebd., S. 25), werden im Begriff der Kulturtechnik „gewisse Aspekte der symbolischen Form übernommen“, siehe ebd., S. 17. Vgl. dazu auch S. Lanwerd: „Bilder und Bilderpolitik“, S. 235-314, hier S. 273. – Wie oben beschrieben, liegen solche ‚gewissen Aspekte‘ hier in formgebender Vermittlungsfunktion, der Handhabung der symbolischen Welt und insbesondere in der zukunftserfüllten Zeitperspektive, der ein Erkenntnisgegenstand angegliedert wird und die sich später im narrative of hope fortschreiben kann.

302 | V OM LANGEN J ETZT

sieht. Genau solche Zusammenhänge werden dann auch seitens der Stiftung für eine Bedeutung der 10.000-Jahre-Uhr bzw. der Clock of the Long Now240 genutzt: „Such a clock, if sufficiently impressive and well engineered, would embody deep time for people. It should be charismatic to visit, interesting to think about, and famous enough to become iconic in the public discourse. Ideally, it would do for thinking about time what the photographs of Earth from space have done for thinking about the environment. Such icons 241

reframe the way people think.“

Hier tritt ein charakteristisches Werkzeug-Verständnis wieder auf (gleichsam als ‚Geduldsmaschine‘), wobei die Reise (‚charismatic to visit‘) wie auch eine Selbstinszenierung (‚famous enough to become iconic in the public discourse‘) bereits angedeutet werden. Doch rückt zunächst ein transformatives Mittel für ein Zeitbewusstsein in den Blick, ein Erkenntnisgegenstand mit der ‚ursprünglichen Tat des Geistes‘ einer intendierten transformativen Erfahrung. Ihm kommt zugleich ein Symbolstatus zu (‚icon‘), der im Zusammenhang damit auftritt, inwiefern ein Denken des Jetzt zukunftserfüllt und bleibend ein- und fortgeschrieben wird (‚reframe the way people think‘). Damit wird ebenso ein bestimmter Lernprozess in einer oppositionellen Sinnstiftung fortgeführt. Gestalterisches Tun als Fundament für ‚geistig-kulturelle Wirklichkeit‘ und ‚geistig-kulturelles Sein‘, wie mit Cassirer und Schwemmer formuliert, findet mit der 10.000-Jahre-Uhr direkte Umsetzung. Die subjektive Einzelempfindung von Zeit erhält mit der 10.000-Jahre-Uhr einen Erkenntnisgegenstand als sinnliches Zeichen, das an die Stelle individuell flüchtiger Bewusstseinsinhalte die beharrende Form der Uhr, vor dem spezifischen Kontext der Long Now Foundation, setzt. Diese interessiert hier also als Kulturobjekt in ihrer Motivation, an dieser Stelle der gewählten Zeitspanne von 10.000 Jahren vor dem Kontext des langen Jetzt und long-term thinking.

240 Wie in Kap. 1 verdeutlicht, bildet The Clock of the Long Now einen Oberbegriff, der m. E. ebenso einen work in progress widerspiegelt: Darunter fallen The 10,000 Year Clock, hier 10.000-Jahre-Uhr, die insbesondere den Prototype One und die Anschauung jener Uhr sowie die Clock One einbezieht – als das im Entstehen begriffene Monument. Im Folgenden differenziere ich zwischen 10.000-Jahre-Uhr und Clock One. 241 Brand zit. nach B. Eno: „The Big Here and Long Now“ vom 19.02.2015.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 303

Die Uhr im alltäglichen Kontext dient der Zeitanschauung sowie ihrer Messung; sie gilt damit als Strukturelement des sozialen Lebens.242 Sie konzipiert eine körperimmanente, „einzuschreibende Zeitdisziplin“243, die das Handeln am durch die Uhr vorgegebenen Zeitschema orientiert,244 so beispielsweise durch das Ausrichten auf zeitlich gesetzte Termin- und Stundenpläne. So tritt jenes, in der ‚Diagnose der Gegenwart‘ bereits aufgegriffene Diktum hervor, dass eine ‚herkömmliche‘ Uhr, in diesem alltäglichen Sinne, ‚Zeit im Kontext des sozialen Lebens‘245 veranschaulicht. Mit der 10.000-Jahre-Uhr kommt es zu einer signifikanten Umbesetzung: Es besteht hier kein sinnliches Zeichen im Sinne einer herkömmlichen Uhr. Vielmehr entwickelt die Long Now Foundation ein eigentümliches Zeichen, das hier an den Prototype One gebunden ist.

242 Vgl. hierzu H. Rosa: Beschleunigung, S. 162-163: Vor Einführung der mechanischen Uhr ist Zeitwahrnehmung unmittelbar an qualitativ räumliche Kategorien gebunden: Das Zeitgefühl wird standortgebunden bestimmt durch Helligkeit und Dunkelheit oder auch jahreszeitenbedingt, anhand von Sommer- und Wintertemperaturen. Die mechanische Uhr lässt es zu, die Zeit unabhängig vom Ort und dessen Qualitäten zu bestimmen. Es entwickelt sich eine Standardisierung von Zeit, maßgeblich gebunden an die Etablierung der Eisenbahn, deren Fahrplangestaltung zu einer nationalen Zeitstandardisierung führt. Die von Raumverhältnissen emanzipierte Zeitbestimmung etabliert sich im Jahr 1912 zu der global gültigen Weltzeit, vgl. ebd., S. 162. Die Long Now Foundation sucht mit der ‚Kurzsichtigkeit‘ auch Beschleunigungsprozesse kritisch in den Blick zu nehmen, vgl. etwa S. Brand: „Reframing the Problems“ vom 11.08.2014. Für Beschleunigungsprozesse gilt ferner die Einführung der mechanischen Uhr und eine einhergehende Emanzipation der Zeit vom Raum als maßgebliches Element: Die „analog-industrielle Zeit“ wird in den 1970er Jahren durch Einführung des Atomzeit-Standards abgelöst (UTC, Universal Time Coordinated) und der „Schlüsselbegriff digitaler Beschleunigung“, die Echtzeit, setzt bereits in den 1960er Jahren mit Satelliten-Liveübertragungen ein, siehe G.S. Freyermuth: „Digitales Tempo“, S. 1-12, hier S. 7. Die Lösung der Zeitbestimmung vom Raum gelangt an einen Punkt „globaler Simultaneität“ mit einer „gesteigerten Zirkulationsgeschwindigkeit von Informationsströmen“, siehe H. Rosa: Beschleunigung, S. 62. 243 Ebd., S. 267 [Herv. V.F.]. 244 Vgl. ebd. 245 Vgl. Kap. 1, Anm. 136.

304 | V OM LANGEN J ETZT

Abbildung 3.10: Die 10.000-Jahre-Uhr, Prototype One

Fotografie: Rolfe Horn

Bildet die alltägliche Uhr ‚Zeit im Kontext des sozialen Lebens‘ ab, so veranschauliche die 10.000-Jahre-Uhr das Leben im Kontext der Zeit‘.246 Die Variation von der herkömmlichen zur 10.000-Jahre-Uhr verdeutlicht zugleich den von Cassirer bestimmten bewegten Bestimmungsprozess des sinnlichen Zeichengehalts. Das charakteristische Zeichen und die sinnliche Wahrnehmung desselben erstellen die Verknüpfung zur abstrakten Sinnzuschreibung, die sich aus dem spezifischen Kontext ergibt. Longnow.org rückt als Möglichkeitsfeld ‚kognitiver Spielräume‘ in den Fokus, was zugleich einen ‚Gruppen-Spielplatz‘ der ‚bemerkenswerten Persönlichkeiten der Long Now Foundation‘ einbezieht, der webbasiert einen Place for Conversation neben The Interval ausbildet. Dabei vertiefen die drei Dimensionen der symbolischen Formung und die ‚symbolische Prägnanz‘ die Stellung der 10.000Jahre-Uhr.

246 Vgl. Kap. 1, Anm. 136.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 305

Als ‚ideeller Orientierungsplan‘ lassen sich die drei Dimensionen noch in einer gewissen Trennschärfe aufweisen. Mit dem sinnlichen Zeichen der 10.000Jahre-Uhr vollzieht sich Sinnstiftung, symbolisch wie formgebend, in ihrer gesamten Operationsweise vor dem konkreten Sinnzusammenhang einer durch die Long Now Foundation gesetzten Zeitvorstellung, die sich aus dem Sinnzusammenhang und Erklärungsmodellen, die die Webseite liefert, ergibt. Mittels der Ausdrucksfunktion erfährt das sinnliche Erlebnis seinen sinnlichen Gehalt. Als klar und bestimmt kann das eigentümliche Zeichen der 10.000-Jahre-Uhr hier nur unter Rückgriff auf jenen Sinnzusammenhang durch longnow.org gelten, da es sich von einem herkömmlichen Zeichen einer Uhr absetzt.247 Es ist Träger eines bestimmten Sinns und steht im Dienste desselben. Ist die 10.000-Jahre-Uhr auch außerhalb von longnow.org wahrnehmbar, etwa durch Ausstellungen, so wird die Webseite hier gerade für eine ‚lebende Institution‘ und ihr Dazwischen interessant, indem nämlich die Einheit der Form in einem wandelbaren Medium auftaucht, gemäß dem Denken der Paradoxie. Denn Kontexte können variieren, doch wird dies virulent, wenn dies mit der strukturell medialen und der semantischen Ebene der Long Now Foundation zwischen steter Erneuerung und Kontinuitätsstiftung zusammenfällt. Diese Ebenen können dann ebenso das Spiel sowie das Zentralprojekt der Stiftung aus kulturtechnischer Perspektive im oben dargelegten Sinne als Praktiken, denen Sinn und Wahrnehmbares eingeschrieben ist, einbeziehen: Das bedeutet, dass die Webseite nicht nur eine Möglichkeitsbedingung, sondern ein Möglichkeitsfeld für die Darstellungsebene gestaltet; die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass der Erkenntnisgegenstand gekoppelt mit dem Storytelling bzw. der Erzählung (Darstellungsebene) auftreten kann. Ein Sinnzusammenhang wird also durch longnow.org geliefert. Dabei tritt der beschriebene phänomenologische Anspruch hervor, geistige Erkenntnisfunktionen in ihrer Richtung von elementaren zu komplexeren Gestalten zu vereinbaren. Über die Story, die in longnow.org (trotz nicht-linearer Operations- und Perzeptionslogik in einem Entdeckungsspiel) erschließbar ist, wird der ‚Ausdruckswert‘ der Uhr-Anschauung in den Bereich der Darstellung überführt. Dabei bilden Storytelling und Mythos die Uhr im gestalterischen Bereich

247 Ein Erkenntnisgegenstand kann zwar mit dem Prototype One bestimmt werden, der im Londoner Science Museum wie auch im Deutschen Museum München ausgestellt wird, doch auch hier mit erklärenden Elementen wie Texttafeln versehen sein muss. Auch Artefakte etwa von Prototypen in The Interval sind von vornherein in den Kontext der Long Now Foundation eingebunden. So zeigen sich die ebenso von Cassirer beschriebenen, möglich variierenden ‚Sinnzusammenhänge‘ bei gleichzeitig ‚beharrender Form‘.

306 | V OM LANGEN J ETZT

der Darstellung ab. Mit der Erhebung zur Darstellungsfunktion wird der Rahmen vorgegeben, in dem das spezifische sinnliche Zeichen als symbolische Form operieren kann. Hier anknüpfend wird die über Ausdrucks- und Darstellungsfunktion entstandene gestalterische Darstellung – die kognitive Gestaltung wie auch die Präsentation der 10.000-Jahre-Uhr in longnow.org – in den Bereich des reinen Gedankens transzendiert. Hier vollzieht sich die Kopplung von sinnlicher Erfahrung zu abstrakten Zuordnungen, das heißt, die symbolische Form reicht über den sinnlichen Gehalt hinaus und erfährt durch Bindung an den konkreten Kontext, in dem sie als geschlossene Form gilt, ihre konstante Zuordnung als Bleibende: Das sinnliche Zeichen der 10.000-Jahre-Uhr als symbolische Form wirkt hier vor dem Kontext der Story aus longnow.org sowie der spezifischen Zeitspanne von 10.000 Jahren und erstellt dabei zugleich die vermittelnde Instanz im Bewusstsein des Betrachters, die die Erkenntnis mit einer ausgedehnten Zeitwahrnehmung verknüpft. Abstrakte Zuordnungen verweisen auf die Funktion der 10.000-Jahre-Uhr als ‚symbolische Prägnanz‘, die ihre Symbolik über den Gegenstand der eigentümlichen Uhr hinaus zu einer Vorstellung vom langen Jetzt gewährleisten kann. Als ‚immanente Gliederung der Wahrnehmung‘ formuliert die 10.000-Jahre-Uhr eine Form von ‚geistiger Artikulation‘, die sich im Bewusstsein des Betrachters durch das Bezogensein auf das charakteristische Sinnganze der Long Now Foundation äußert. ‚Geistige Artikulation‘ verknüpft sich dann mit einer transformativen Erfahrung, die nicht nur mit alltäglichen Zeitmaßen und ‚Zeitdisziplinen‘ bricht, sondern im Sinne eines sensibilisierten Denkens in einer ausgedehnten Zeitspanne aufkommt. Über ihren Gegenstand als sinnliches Erlebnis also hinaus erfasst sie diesen nicht-anschaulichen Sinn und bringt ihn anhand des ihr immanenten eigentümlichen Zeichens zur konkreten Darstellung. Der Symbolbegriff nach Cassirer, der selbst eine Ausdehnung des sinnlichen Zeichens hin zu seiner abstrakten Zuordnung vor einem spezifischen Sinnganzen beinhaltet, stützt und vertieft damit die Funktionsweise der 10.000-Jahre-Uhr. Sie erweitert das Hier und Jetzt des sinnlichen Erlebnisses und der Anschauung über den sinnlichen Gehalt auf mehreren Ebenen: Anstelle des alltäglichen Zeichens einer Uhr, die als Strukturelement des sozialen Lebens gilt und als Zeitmaß eines Tages auf ein kurzes Jetzt referiert, tritt das Zeichen der 10.000-JahreUhr. Dieses wirkt vor dem spezifischen, durch die Webseite gegebenen Kontext der Long Now Foundation in seiner Bezogenheit auf das Sinnganze des longterm thinking mit der ‚ursprünglichen Tat‘ einer transformativen Erfahrung. Gelöst vom Objekt der täglich bemessenen Zeitrechnung gilt die Uhr der Long Now Foundation als Symbol des langen Jetzt im Sinne der symbolischen Form. In seinem Bezogensein auf diesen konkreten Kontext erfährt es seine Konstanz

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 307

als Bleibendes. Die 10.000-Jahre-Uhr schreibt dem Möglichkeitsfeld Webseite somit nicht nur Sinn, sondern eine kontinuierliche, beharrende Form ein, die sich neben eine operative Mediennutzungsperspektive stellt. Das Symbol operiert dabei über das Hier und Jetzt, den sinnlichen Gehalt des Gegenstandes hinaus und konstituiert in seiner Bezogenheit, die sich aus der Webseite ergeben muss, zugleich eine veränderte Zeitwahrnehmung im Betrachter. Das Jetzt wird zu ‚einem zukunftserfüllten und zukunftsgesättigten Jetzt‘. Dass sich ein gestalterisches Tun auch auf der Handlungsebene niederschlägt, zeigt sich nicht nur darin, dass der Darstellungsbereich eben durch jene ‚exzellenten Kommunikatoren‘ erst gestaltet wird, sondern auch darin, wie die 10.000-Jahre-Uhr technisch entwickelt und erbaut wird (wie oben angegeben: ‚such a clock, impressive and well engineered‘). Dies kennzeichnet einen gestalteten Bereich für die ‚lebende Institution‘ Long Now Foundation, in dem sich das zukunftserfüllte Jetzt noch in Richtung Vergangenheit äußert. In gestalteter Technik (engineering) und in der gestaltenden Anschauung vereint die 10.000Jahre-Uhr kulturgeschichtliche wie -technische Entwicklungen, so vom Astrolabium bis hin zum Serial Bit Adder.248 Daran koppelt sich, dass gegenwärtige Technik (hier die ‚Geduldsmaschine‘ bzw. ein ‚tool for transformation‘) „das Resultat von Praxen der Vergangenheit [ist] und gleichzeitig Ausgangspunkt aller Folge-Praxen“249. Zugleich aber ist Technik und auch Architektur eine „komprimierte Struktur, in der die Praxen der Vergangenheit untergegangen sind“250. Während ‚Folge-Praxen‘ den work in progress einbeziehen, zeigt sich hier eine verdichtete Form in der Komprimierung,251 die eine technische wie auch anschauliche Ausrichtung in Richtung Vergangenheit und Zukunft zugunsten des zukunftserfüllten Jetzt verdeutlicht. Im Zuge formgebender Vermittlungsfunktion der symbolischen Form tritt jedoch insbesondere hervor, dass jenes eigentümliche Zeichen mit der Perspektive seiner Motivation nur Sinn machen kann, wenn es an die Darstellungsebene gebunden ist, und das bedeutet an longnow.org. Denn gemäß der Paradoxie und oppositioneller Sinnstiftung schreibt sich in die flüchtige, wandelbare Webseite, auf der sich gleichzeitig der Sinnzusammenhang bewegt, die in sich beharrende Einheit der Form ein. Sinnstiftung ist hier webgebunden, und der Spielplatz für die Gruppe sowie die Lernprozesse und -erfahrungen äußern sich als erweiterte,

248 Vgl. dazu auch die Ausführungen zum technischen Aufbau in Kap. 1. 249 H. Winkler: „Das Modell“, S. 297-315, hier S. 303. 250 Ebd., S. 308-309. 251 Zur „Verdichtung“ vgl. ebd.

308 | V OM LANGEN J ETZT

ausgedehnte kognitive Spielräume, die gleichsam das Diktum ‚Continuity Is All‘ und ‚Linearität als wichtigste Eigenschaft der Uhr‘ aufgreifen können. Wenn das Storytelling als eine Schlüsselkategorie des long-term thinking auf struktureller Ebene medialer Operationslogik widersprüchlich aufgezeigt werden konnte, äußert sich mit der formgebenden Vermittlerfunktion der symbolischen Form paradoxerweise eine mediale, bleibende Einheit der Form in einem wandelfähigen und flüchtigen Medium. Sie bildet ein transformierendes Werkzeug aus, das kognitive Spielräume durch ein gestalterisches Tun (geistige Aktion) und den gestalterischen Darstellungsbereich (longnow.org) erweitert und ausdehnt. Dabei kann sowohl die kulturtechnische Ebene der symbolischen Form wie auch der 10.000-Jahre-Uhr deutlich werden, die nämlich ‚Richtung‘ und ‚Fortgang‘ in die symbolische Welt ‚inkorporiert‘ bzw. einschreibt und als einheitlich geschlossen mit einem linearen Kontinuitätsmodell korreliert. Die Geschlossenheit bzw. Einheit übt sich an dieser Stelle zugunsten eines intendierten Spiels der Long Now Foundation aus, indem der webbasierte ‚Gruppen-Spielplatz‘ einen erweiterten und ausgedehnten kognitiven Spielraum ermöglicht. Ein Symbol des langen Jetzt, das zugleich auf einen prozessualen Status (work in progress) referiert und im Symbolischen verharrt, da die Perspektive der Motivation wie auch ein gesamtheitlicher Darstellungsbereich webbasiert gestaltet sind, bietet somit eine Option im Dazwischen, die dessen Oppositionen eine Form geben kann. So tritt angereichert aus philosophischer Perspektive eine mediale Verstärkerfunktion vermittelnd hinzu, die für eine ‚lebende Institution‘ (für die nächsten 10.000 Jahre) in einer oppositionellen Sinnstiftung und Handhabung derselben einen kognitiven Spielraum für ein kontinuierlich Bleibendes und zukunftserfülltes Jetzt verdeutlicht. Solche Einschreibungsprozesse zeigen sich ferner im Monumentalen, das den prozessualen Status der Clock of the Long Now handhabbar macht, um sukzessive in einer Existenzbegründung zu münden, die selbst in einer Prozessualität begründet liegt. Ich möchte damit verdeutlichen, inwiefern für ein noch imaginiertes Monument (‚made of materials large and worthless‘) paradoxerweise doch Existenz gestaltet wird. Es bedarf freilich keiner großen Erklärung, dass ein zukunftserfülltes Jetzt mit entsprechenden Projekten, die im Entstehen begriffen sind, versehen sein muss und diese Prozessualität sogar voraussetzt. Denn so wird eine ausgedehnte Zeitspanne gewissermaßen angefüllt (‚acted and played out to the end‘), um nicht im ‚Unlesbaren‘ bzw. ‚Sinnfreien‘ zu verharren. Hier liegt der Erkenntnisgewinn für ein Denken der Paradoxie als Umgang mit Gegenwart gerade in jenem Handeln als ausgeübt und ausgespielt (‚acted and played out‘) – nicht nur anschließend an die archäologische Genealogie, sondern gerade dem Prozess

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 309

und Fortgang des beobachteten Phänomens Long Now Foundation selbst geschuldet, würde sich die Frage nach einem Ende (‚to the end‘) einer Studie in ca. 10.000 Jahren stellen. Vielmehr geht es also darum, was ein work in progress, dessen Prozessualität und Oppositionen für formgebende Vermittlungsfunktionen aussagen können, um die Paradoxie zu handhaben und einem sinnstiftenden Place for Conversation für eine ‚lebende Institution‘ nachzugehen. 3.5.1 Das Monumentale als symbolische Form Für den vorliegenden Zusammenhang kann ich das Monumentale als symbolische Form herausrabeiten und nehme dafür die Unterscheidung vom Monument vor. Während das Monument vielmehr als statisches Bauwerk bzw. ‚Artefakt‘ gilt, liegt ihm zugleich das Monumentale als eine materielle „Niederlegung“252 zugrunde. Gerade für das im work in progress noch Entstehende kann eine Einschreibung weitergeführt werden, die sowohl mit Gestaltung zusammenfällt als auch existenzbegründend auftritt, über materielle Artefakte hinaus, wie sie etwa mit dem Prototype One vorliegen. Denn das Monument „entfaltet Wirkung, gerade weil es nicht einfach bei sich bleibt, sondern sich in Praxen zurückschreibt“253. Solche ‚Praxen‘ beziehen hier ein gestalterisches Tun ein, setzen somit die Handlungsebene und ferner kulturtechnische Aspekte der symbolischen Form fort. Denn bereits die Dominanz der Darstellungsebene für ein longterm thinking deutet darauf hin, dass sich ein im Entstehen begriffenes Monument ebenso auf den gestalterischen Darstellungsbereich der Webseite beziehen muss; zu diesem Stand des Projekts daran gebunden bleibt. Dem Monument als ‚Instrument‘ der Langlebigkeit und Dauer,254 die auf Ebene des Artefakts bzw. Bauwerks durch seine „materielle Dauerhaftigkeit“255 besteht, liegt bereits auf monumentaler Ebene, die selbst eine ‚materielle Niederlegung‘ ist, eine Existenz zugrunde. Diese ‚materielle Niederlegung‘ äußert sich

252 Ebd., S. 301; 306. 253 Ebd., S. 301. 254 Vgl. C. Ruhl: „Mythos Monument“, S. 12: Das Monument erhält hier einen autonomen Status gegenüber einer „historischen Funktion [...] als Medium der Machtdemonstration und Herrschaft“ und ferner der „politischen Mythenbildung“, siehe ebd., S. 11; vgl. ferner S. 15-16. Bereits etymologisch leiten sich nachhaltige, überdauernde Prozesse ab, die dem Monument eine „memoriale Funktion“ (siehe ebd., S. 11) zuschreiben. – Ferner deutet sich schon eine Verknüpfung zum Mythos an, die im Anschluss ausführlich betrachtet wird. 255 H. Winkler: „Das Modell“, S. 300-301.

310 | V OM LANGEN J ETZT

in der Schrift, deren „Monumentalität [...] die oralen Wiederholungsmechanismen substituieren kann“256. Eine Existenz des im Aufbau begriffenen Monuments, der Clock One also, besteht durch die in longnow.org gestaltete Darstellungsebene, die Dokumentationen oder Informationen zum Bauprozess bereitstellt. Nachgerade liegt bereits jetzt symbolisch seine Dauerhaftigkeit als Bleibende vor wie auch seine eingeschriebene, niedergelegte Existenz auf der Darstellungsebene. Dabei tritt anhand der gestalteten Darstellung in longnow.org, die über Schrift hinaus ebenso durch Videos und Bilder dokumentiert,257 zugleich jene beharrende Form neben flüchtigen ‚Bewusstseinsinhalten‘ auf. Das bedeutet, dass sich auch das noch Imaginierte, Entstehende hier einschreiben kann und dass sich eine formgebende Vermittlungsfunktion äußert: Das Monumentale stellt das im Entstehen begriffene Monument dar und hat eine ‚materielle Niederlegung‘ in der Darstellungsebene bzw. -funktion – das Monumentale tritt als symbolische Form hervor. Storytelling und Mythos erhalten – unbenommen von nicht-linearer Operationslogik und an dieser Stelle zugunsten der beschriebenen Strukturdeterminiertheit ob dominanter Linearität – eine Form; das gestalterische Tun (jene Praxen) oder „Akte [schlagen] in Struktur [...] um“258. Wenn das Monument gleichsam der Dauerhaftigkeit und damit der Ausdehnung für ein langes Jetzt dient, dann können sich diese ebenso noch im Entstehen begriffen, nämlich dem Monumentalen einschreiben. So gilt das Monument als „Merkzeichen des Dauernden, des Überzeitlichen [...], monumental aber bedeute[t] darnach das solchem Überzeitlichen eigentümliche Wesen“259 . ‚Überzeitlich‘ ist auch dieses als ‚zukunftserfüllt und zukunftsgesättigt‘, sein ‚eigentümliches Wesen‘ ist das der Prozessualität, also das des work in progress,

256 Ebd., S. 299-300. 257 Mit dem Fokus auf eine kritische Diskussion der Schlüsselkategorien der Long Now Foundation müssen solche Dokumentationsprozesse, die sich etwa in Videos zeigen, hier vernachlässigt werden. Im Zuge formgebender Vermittlung und eine der Linearität wegen dominante Struktur betreffend, liegt der Fokus darauf, diese Formgebung gerade auch in Storytelling und Mythos zu finden, die eingeschrieben eine Form erhalten. Was bereits anhand der Kodierung und flüchtigen Sprache mit Flusser und Krämer behandelt wurde und hier mit Oralität anklingt, wird mit dem Mythos als Erzählung fortgesetzt. 258 H. Winkler: „Das Modell“, S. 311. 259 F. von Feldegg zit. n. C. Ruhl: „Mythos Monument“, S. 12. Siehe dazu auch F. von Feldegg: „Monumentalität und moderne Baukunst“, TU Cottbus: „Theorie der Architektur“ vom 19.05.2011.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 311

denn hier erfüllt dieser es mit Zukunft (und Handlung) für die nächsten 10.000 Jahre. Tritt das Monumentale also als symbolische Form auf, da es an eine Darstellungsebene gekoppelt bleibt und nicht ‚bei sich bleiben‘ kann, liegt auch beim Verharren im Symbolischen eine ‚niedergelegte‘ Existenz vor, die sich zugleich als formgebend und ob ihres Bleibenden als kontinuitätsstiftend erweist.260 Inwiefern eine ‚materielle Niederlegung‘ in der ‚symbolischen Welt‘ des Möglichkeitsfeldes Webseite bestehen kann oder wird, kann diese Arbeit nicht beantworten.261 Vielmehr hat sie solche Ambivalenzen für ein langes Jetzt in einem wandelfähigen Medium bereits beleuchtet, die einem Denken der Paradoxie entsprechen können. Im Zuge formgebender Vermittlungsfunktionen kann vielmehr aufgezeigt werden, dass „die Ebene der Akte, die Ebene des Symbolischen, die Ebene des Institutionellen und die Ebene des im engeren Sinne Technischen, [...] nicht einfach auseinanderfallen“262, sondern dass es darum geht, „auf welcher Ebene sie vermittelt sind“263. So fallen gestalterisches Tun (‚Akte‘), ein Symbol des langen Jetzt, dessen Darstellung und selbiges als transformatives Werkzeug (‚Symbolisches, im engeren Sinne Technisches‘) sowie eine ‚lebende Institution‘ (‚Ebene des Institutionellen‘) zusammen, vermittelt auf der sinnstiftenden Ebene kognitiver Spielräume für ein Denken der Paradoxie. Das ‚Wesen‘ des langen Jetzt liegt nunmehr in einem zukunftserfüllten work in progress, der sich ebenso methodisch zeigt: von einem Erkenntnisgegenstand für das lange Jetzt zu dessen Monumentalität und vermittelnder wie auch kontinuitätsstiftender Funktion, ferner zur Schlüsselkategorie Mythos mit existenziellem und legitimatorischem Potential. Um zu diesem zu gelangen, bildet die angeeignete Learning Journey ein Scharnier aus, das sich zugleich mit einer Bedingung dafür verbindet, Lernprozesse auf gestalteter Ebene geistiger Aktion wie auch auf gestaltender Ebene der ‚lebenden Institution‘ fortzuschreiben.

260 Zum Monument und einer „kulturellen Kontinuierung“ vgl. H. Winkler: „Das Modell“, S. 312; 297-298. 261 So tritt an dieser Stelle eine Form von ‚Niederlegung‘ auf (anders als eine technische), die für einen „[m]aterielle[n] Ort der Niederlegung nämlich [...] nicht ein Environment von Objekten“ sieht, „sondern [...] das Subjekt“, siehe ebd., S. 306. Dies bezieht sich hier auf kognitive Spielräume und eine Einheit der Form in einer oppositionellen Sinnstiftung und macht einen Spielcharakter der Long Now Foundation über Spielräume anschlussfähig und lesbar. 262 Ebd., S. 312. 263 Ebd.

312 | V OM LANGEN J ETZT

3.5.2 Long-term Journey oder: Die gestaltete Reise als Übergang An das Monumentale, dem hier ein zukunftserfüllter work in progress und folglich Prozessualität wesentlich ist, können noch imaginierte Entwicklungsstufen des Monuments anschließen. Sie können mit der Learning Journey verbunden werden, zum Ort, der sich als bedeutende Touristenattraktion ausbilden264 und sowohl materiell als auch metaphorisch ausgeprägt sein soll.265 Insbesondere das Long-Now-Projekt Nevada deutete auf eine solche Ausrichtung. Von besonderem Interesse ist nun, dass das Storytelling mit jenem umgestaltenden, transformativen Werkzeug und der transformativen Erfahrung zusammenfallen kann. Nicht nur äußert sich der work in progress dabei als forterzählte Einschreibung, sondern der imaginierte Status dieser Erzählung kann gleichsam auf das irrationale Potential und ein nachhaltiges wie ausgedehntes scenario planning vorbereiten, die im Mythos und dessen Funktion münden. Um zur Schlüsselkategorie des Mythos und dem narrative of hope überzuleiten, kann die angedachte Reise zum Monument als Übergang dienen: Für diese hoffnungsvolle Erzählung koppeln sich an die Reise wie auch an Lernprozesse Imagination und Storytelling, indem sowohl deren materielle wie auch metaphorische Ausprägung erzählerisch gestaltet bzw. dargestellt wird: „[...] it will require a day’s hike to reach [the Clock’s] interior gears. Just reaching the entrance tunnel situated 1500 feet above the high scrub desert will leave some visitors out of breath, nicked by thorns, and wondering what they got themselves into. [...] To see the Clock you need to start at dawn, like any pilgrimage. [...] You head into the darkness of a tunnel a few hundred feet long. At the end there’s the mildest hint of light on the floor. You look up. [...] The dot of light beckons you. You begin the ascent. You start climbing a continuous spiral staircase, winding up the outer rim of the tunnel, rising toward 266

the very faint light overhead.“

Wird diese Reise für die angedachte Begehung der 10.000-Jahre-Uhr in Texas beschrieben, verdeutlicht insbesondere Nevada und dort durch die Stiftung angekauftes Land den metaphorischen Gehalt der Umwelt: „‘This is a timeless

264 Vgl. dazu den Status sogenannter ‚life lists‘, insbesondere in der Long-NowGeschäftsidee. 265 Vgl. Kap. 2: ‚to simultanously study and engage with the ‚system‘ as it learned‘, Anm. 318. 266 K. Kelly: „Clock in the Mountain“ vom 23.02.2015.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 313

landscape,‘ said Brand, describing the high desert terrain, ‘and the remarkable people here reflect that. That’s the attraction‘.“267 Jene Attraktion verweist also nicht nur auf den Event-Charakter des Projekts und besagte Touristenattraktion, die aus der Geschäftsidee der Long Now Foundation bekannt wurden, sondern es wird deutlich, inwiefern sich Lernprozesse durch die transformative Erfahrung gestalterisch auf Seiten des Besuchers wie auch gestalterisch auf Seiten der Erzählung durch die Long Now Foundation niederschlagen könnten. Dies vollzieht sich auch oder gerade, wenn geplante, sich noch ausbildende Entwicklungsstufen erzählt werden, denn diese lassen Platz für Imagination. Diese tritt folglich als formgebend und richtungsweisend im Sinne der Stiftungsziele auf, wobei deren Erzählung Sinn vorprägt, der zugleich nachhaltig zukunftserfüllt gelten soll. Dieser Sinn kommt paradoxerweise, und wenn er nachhaltig sein soll, durch die umfassende Darstellungsfunktion und Bindung an den Kontext durch longnow.org und die Selbstbeschreibung zustande: Zunächst soll die 10.000-Jahre-Uhr aus ihrer imaginierten, anvisierten Wirkung heraus einen „Bezugspunkt“268 darstellen, dem eine „Begegnung“269 zugrunde liegt. Ein Lernprozess äußert sich dabei verknüpft mit der transformativen Erfahrung, denn „[n]ach der Begegnung mit der Uhr sollte der Besucher in der Lage sein, ein emphatisches Verhältnis zur Zeit zu entwickeln“270 . Außerdem tritt gekoppelt mit dieser Erfahrung jene ‚Geduldsmaschine‘ hervor, denn diese Begegnung soll eine „lange Pause“271 darstellen, was noch zusätzlich an eine Herkunft des langen Jetzt rückbinden kann, die schließlich auch in der Geduld begründet liegt.272 Oben zitierte Passagen des imaginierten Status verdeutlichen, inwieweit jene ‚exzellenten Kommunikatoren‘ der Long Now Foundation (remarkable People of the Long Now) die Erzählung ausschmücken und den Rezipienten gleichsam durch direkte Anrede einzubinden suchen, wobei partizipatorische Appelle auf erzählerischer Ebene fortgesetzt werden. Der Lernprozess schlägt sich gestalterisch auf Seiten des Besuchers und auf Seiten der Erzähler oder Kommunikatoren nieder, was imaginativ und zugleich

267 Longnow.org, [Projects: Nevada] vom 23.02.2015. 268 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 57. 269 Ebd. 270 Ebd. 271 Ebd. 272 Vgl. dazu Kap. 2; insbesondere die Verbindungen zum Zen-Buddhismus und dort verankerter Gedulds-Auffassung.

314 | V OM LANGEN J ETZT

richtungsweisend vermittelt ist. Während die Reise mit einem imaginären Status, einer angedachten Begegnung und einer Pause prospektiv und damit zukunftserfüllt gestaltet ist,273 kann sie hier zusätzlich als Long-term Journey auftreten, da die Begegnung für das Navigieren durch Komplexität und Zukunft274 fruchtbar wird: Liegt eine Begegnung mit dem fertigen Monument in der Zukunft, können nicht-lineare Erschließungspfade zugleich eine „Kette an Begegnungen“275 auslösen. Liegt die transformative Erfahrung für ein ‚emphatisches Verhältnis zur Zeit‘ durch das Monument also in der Zukunft, begegnet der User jener transformativen Erfahrung als Konfrontation mit der Opposition und Denken der Paradoxie im Möglichkeitsfeld Webseite. Einerseits wird diese Erfahrung hier verdichtet zu einem kulturtechnischen Erkenntnisgegenstand, der durch das gestalterische Tun der Long Now Foundation ‚existiert‘. Andererseits tritt neben eine einheitliche Form und ihr Bleibendes der gestalterische, kognitive Spielraum des Users und dessen Navigieren durch Komplexität wie auch durch Zeit und Imagination. Denn prospektiv zukunftserfüllt werden die transformative Erfahrung und ein hoffnungsvolles longterm thinking richtungsweisend und gestaltet vermittelt über ein ‚mythisches Instrument‘ (‚an instrument both technical and mythic‘276). So rückt neben den Erkenntnisgegenstand der Mythos und dessen gestalterisches Potential, das sich im Folgenden in der Erzählung und dem narrative of hope gleichsam instrumentalisiert.

3.6 L ONG - TERM S TORYTELLING & M YTH : F ORMGEBUNG FÜR EIN NARRATIVE OF

HOPE

Mit Blick auf den Mythos kann eine für die Long Now Foundation charakteristische Erzählform auftreten, sodass Storytelling und Mythos in ihrer wechselseitigen Beziehung dargestellt werden. Eine nachhaltige (long-term) Form erhalten sie rekurrierend auf das entwickelte Kontinuitätsmodell, anhand dessen das lange Jetzt einer paradoxalen Bestimmung entsprechend auf einen Ausschnitt zu-

273 Somit erweist sich der so bezeichnete imaginäre Status für ein langes Jetzt und den vorliegenden Zusammenhang als prospektiv wie auch spekulativ, das heißt auf das Zukünftige gerichtet, möglicherweise zu erwarten. 274 Vgl. Kap. 2, siehe dort: ‚navigate through complexity in order to reveal implications for the future‘, Anm. 215; 251. 275 H. Winkler: „Das Modell“, S. 300. 276 Vgl. dazu Kap. 2, Anm. 623.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 315

rückgeht: Anschließend an einen Erkenntnisgegenstand für das lange Jetzt kann weiterverfolgt werden, inwiefern es sich in der Erzählung fortschreibt. Formgebung für ein narrative of hope bezieht sich dann auf die Zukunft, in den Worten der Stiftung als ‚a story we tell, a narrative of hope‘277 . Zugleich schließt dies an eine Sinnstiftung für das beobachtete Phänomen Long Now Foundation an, indem der Mythos mit Cassirer „als eine Form der geistigen Weltauffassung und formung“278 gelten kann. Damit rückt die hoffnungsvolle Erzählung in den Fokus, die, gerade wenn es um formgebende Vermittlungsfunktionen geht, sowohl mit Monumentalität als auch mit dem Storytelling zusammenfällt und ‚existentielle‘ Einschreibungsprozesse durch Legitimationsstrategien aufweisen kann. Damit wird es ermöglicht, einem work in progress sowohl im Verhältnis zu Sinnstiftung als auch zu einer selbstregulierenden Struktur einer ‚lebenden Institution‘ nachzugehen. Überprüft wird dabei, inwiefern die Form des Mythos mit einer Zeitlichkeit des langen Jetzt korrespondiert und einen Place for Conversation kennzeichnet. Überdies können aber auch solche Strategien der Stiftung nahegelegt werden, denen der eigene Nutze unter dem Deckmantel verantwortungsfördernden long-term thinking zugrunde liegt. So wird eine spezifische Mythosstiftung aufgegriffen und diskutiert, inwiefern sich eine Perspektive der Motivation, die bereits der Erkenntnisgegenstand für ein langes Jetzt nahelegen konnte, hin zu einer Selbstinszenierung bewegen kann. 3.6.1 Von Legitimation und Existenzbegründung zu ‚mythischer Tiefe‘ Indem eine funktionale Seite des Mythos mit der semantischen Ebene der Stiftungs-Selbstbeschreibung korreliert und dabei die direkte Verbindung zum Storytelling bzw. zu Erzählung und Rede aufkommt, kann in den Mythos eingeleitet werden:

277 Vgl. dazu Kap. 1 sowie dort Anm. 73. 278 S. Woidich: Vico und die Hermeneutik, S. 189. – Der Mythos wird selbst zum Teil der Philosophie der symbolischen Formen, die sich in der „sprachlichen Form“, dem „mythischen und religiösen Denken“ und dem „wissenschaftlichen Denken“ niederschlägt, siehe E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen I-III, vgl. dazu auch S. Woidich: Vico und die Hermeneutik, S. 189.

316 | V OM LANGEN J ETZT „[Die großen Mythen] verbinden ein bestimmtes Verhalten mit Anerkennung, Vertrautheit und der Vorstellung von Güte und stellen über tiefer liegende Schichten einen sozialen 279

Konsens über Themen her, über die man ansonsten schwerlich reden könnte.“

Jene ‚mythische Tiefe‘280 wird somit explizit und deutet überdies auf die lernende Verfassung der ‚lebenden Institution‘ als Living System. Diesem innewohnende Lernprozesse lassen auf eine selbst aufrechterhaltende Struktur schließen, die sich zu einer Existenzbegründung insbesondere in Form von Legitimation zuspitzt: Nicht nur sucht die Long Now Foundation sich in die kulturgeschichtlich „großen Erzählungen“281 einzureihen, sondern Welterschließung und Sinnstiftung finden mit dem Mythos ein charakteristisches Instrument (bzw. einen Mechanismus282) zur ‚Weltformung‘: Es ist gleichermaßen konstitutiv für eine selbst aufrechterhaltende Legitimation – für ein irrationales Potential, für das noch Entstehende und einen Place for Conversation. Denn anschließend an die symbolische Form und deren Darstellungsfunktion – im Folgenden über Cassirer hinaus – kann der Mythos hier selbst zum Mechanismus avancieren; ferner die Konversation zum Mechanismus der Existenz. Dafür kann Welterschließung und Sinnstiftung zunächst als eine „Möglichkeit der Auslegung“283 auftreten, der „verschiedene[n] Grade der Ausdrücklichkeit“284 zugrunde liegen. Diese ‚Ausdrücklichkeit‘ verweist damit auf Sprache (wie auch auf die Darstellungsfunktion) und ihr existenzbegründendes Moment, indem sie existenzielle Wurzeln der „Erschlossenheit des Daseins“285 offenlegt. Als existenzielles Fundament für Sprache tritt die Rede auf – als konstitutiv für ein Erschließen (also weiterführend in oppositioneller Sinnstiftung) von ‚Dasein‘ und dessen Existenz.286 Dieses Erschließen von Dasein richtet sich auch auf das noch entstehende Dasein und auf den Mythos für ein narrative of hope, dessen

279 B. Eno zit. nach S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 56-57. 280 Vgl. dazu Kap. 1, Anm. 116. 281 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 55. 282 Hier sei nochmals auf das balancierende Korrektiv verwiesen: ‚some mechanism or myth [is needed] which encourages the long view [...]. Long Now proposes both a mechanism and a myth‘, vgl. dazu Kap. 1, Anm. 113 sowie S. Brand: „The Clock and Library Projects“ vom 23.02.2015. 283 M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 160; vgl. ferner S. 71; 75. 284 Ebd., S. 71. 285 Ebd., S. 160. 286 Vgl. ebd., S. 160-161.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 317

Hoffnung schließlich auch in der Entstehung liegt: Der Mythos ist die Rede,287 die „Kunde [...] und Erzählung[en], die zwar nicht volle Wahrheit in Anspruch nehmen, aber eine Art Umsiedlung der Wahrheit darstellen und den wahrheitssuchenden Gedanken ins Jenseitige hinein erweitern“288 kann. Damit wird ebenso deutlich, dass jene Schlüsselkategorien respektive der ‚mythische Mechanismus‘ zukunftserfüllt ist (‚ins Jenseitige‘). Das nunmehr zukunftserfüllte Jenseitige umfasst zugleich eine hoffnungsvolle Erzählung, denn ‚[t]he Future is a story we tell, a narrative of hope‘. Eine Hoffnung liegt hier darin, sich durch die Erzählung – die nicht vorhersagt (kein Anspruch auf ‚volle Wahrheit‘) – um die Zukunft zu kümmern.289 Insbesondere tritt mit dem Mythos eine zum Dazwischen kongruente Legitimationsstrategie auf. Als Inbegriff erzählender Darstellung und als vermittelnde ‚Kunde‘, bedarf der Mythos keinerlei „Beglaubigung“290 , sondern er versieht die Erzählung mit „Anerkennung [...], die zwischen dem rechenschaftsgebenden Denken und dem fraglos [Ü]berlieferten [...] fortbesteht“291. Wenn dabei nicht von ‚voller Wahrheit‘, aber von abwesender Rationalität292 ausgegangen werden

287 Vgl. H.-G. Gadamer/H. Fries: „Mythos und Wissenschaft“, S. 9; siehe hier: „Das Wort ‚Mythos‘ meint [...] nichts als ‚Rede‘ ‚Verkündung‘, ‚Kundgabe‘, ‚Bringung von Kunde‘.“ 288 Ebd., S. 10-11 [Herv. V.F.]. 289 Siehe hierzu D. Hillis: „The Millennium Clock“ vom 08.07.2014: „I cannot imagine the future, but I care about it. I sense that I am alive at a time of important change, and I feel a responsibility to make sure that the change comes out well [...]. I know I am part of a story. [...] I have hope for the future.“ [Herv. V.F.] – Inwiefern diese Zukunft doch gerichtet wird und imaginär im Sinne prospektiver Perspektiven und möglicherweise zu erwartender Zukunft auftritt, wird im Laufe der Analyse verdeutlicht. Außerdem verweist darauf bereits die „imaginäre[n] Uhr“ („notional clock“, von spekulativ, angenommen, imaginär), siehe S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 7-11. ‚I cannot imagine the future‘ ist hier und für den Fortlauf der Analyse insbesondere mit dem scenario planning in Verbindung zu bringen, als nicht ausmalen, nicht vorhersagen können. 290 H.-G. Gadamer/H. Fries: „Mythos und Wissenschaft“, S. 11. 291 Ebd. [Herv. V.F.]. – Einen eigentümlichen Wahrheitswert einbezogen, kann die erzählende Darstellung ferner mit Realitätskonzepten in Verbindung gebracht werden, die einer „mythisch- und webbasiert-narrativen Realsierung des langen Jetzt“ und bestimmten Wirklichkeitsauffassungen nachgehen, siehe V. Fischer: „Zwischen Fiktion und Realisierung“. 292 Vgl. ebd.

318 | V OM LANGEN J ETZT

kann, sind Mythen keine „erfundenen Geschichten“293, sondern „gefunden“294: Das bedeutet, dass im Mythos eine „eigene[n] rationale[n] und begriffliche[n] Einsicht“295 zu finden ist, die „in der Erzählform des Geschehens“296 aufgeht. Damit kann ein „autoritative[r] Charakter“ 297 des „Geredete[n]“298 herausgestellt werden, der sich mit jener Anerkennung verbindet. Die Erzählung wird angenommen, denn es ist so, „weil man es sagt“299 . Paradoxerweise ergibt sich somit aus abwesender Rationalität eine Legitimation für ein selbsternanntes, irrationales Potential der Long Now Foundation,300 denn „je übertriebener [ein ehrgeiziges Projekt] präsentiert [und gestaltet – Einschub V.F.] wird, desto seriöser wirkt es“301 . Somit stellt sich neben das Monument gleichzeitig eine stabilisierende, rationalisierende Instanz im Sinne des ‚fraglos Überlieferten‘ bzw. des Vermittelten durch eine „Macht des Irrationalen“302. Damit kann an dieser Stelle zunächst festgehalten werden, dass der Mythos ‚ein bestimmtes Verhalten‘ – wie von der Long Now Foundation durch ‚mythische Tiefe‘ proklamiert – mit Anerkennung versieht, dabei ein irrationales Potential legitimiert und einen work in progress greifbarer macht. Denn ein ‚rechenschaftgebendes Denken‘ für das ‚bestimmte Verhalten‘ gestaltet sich gleichsam dadurch, in der ‚Erzählform des Geschehens‘ für einen work in progress aufzugehen. Hat die Erzählung dabei existenzielle Wurzeln für ein Dasein, wird zugleich Existenz für das noch entstehende (irrationale wie ehrgeizige) Projekt begründet, das in der hoffnungsvollen Erzählung aufgeht. Somit kommt der Erzählung respektive der Konversation, die schon mit jenem ‚ehrgeizigen‘ Projekt in Gang gesetzt wird,303 selbst eine existenzbegründende wie legitimierende Funktion zu; der Place for Conversation avanciert mit der vorliegenden Perspektive selbst zur

293 Ebd., S. 10. 294 Ebd. 295 Ebd. 296 Ebd. 297 M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 168. 298 Ebd. 299 Ebd. 300 Vgl. dazu insbesondere die Ausführungen zum institutionellen Aberwitz in Kap. 2. 301 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 55. 302 Ebd. 303 Wie ich es zu Beginn in Kap. 1 mit The Clock of the Long Now – Starting a Conversation anführen konnte.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 319

aufrechterhaltenden Struktur der ‚lebenden Institution‘ bzw. des Living System Long Now Foundation. 3.6.2 Zur Sinnstiftung der Erzählform Mit der formgebenden Vermittlungsfunktion des Mythos führt eine ‚eigene rationale Einsicht‘ zu einem ‚rechenschaftsgebenden Denken‘, das sich hier als richtungsweisend äußert: Im Mythos „[spricht] sich [...] eine ursprüngliche Richtung des Geistes, eine selbstständige Gestaltungsweise des Bewusstseins aus [...]“304, die oben benannte ‚Art der Umsiedlung‘ als formgebende Vermittlung lesbar macht. Diese ‚Art der Umsiedlung‘ und ‚selbstständige Gestaltungsweise‘, die hier ebenso als selbst aufrechterhaltende Struktur lesbar wird, äußert sich dadurch, dass der Mythos ein charakteristisches „Weltbild“305 formt und mit dem gestalterischen Tun in der Opposition zusammenfällt. Denn dies ist „überall dort wirksam [...], wo [...] aus dem Chaos der Eindrücke [...] ein charakteristisches und typisches ‚Weltbild‘ sich formt. Jedes solche Weltbild ist nur möglich durch [...] Umprägung der bloßen ‚Eindrücke‘ zu in sich bestimmten und gestalteten ‚Vorstellungen‘“

306

.

So tritt die formgebende Richtung durch den Mythos innerhalb oppositioneller Sinnstiftung – etwa im Chaos einer Konkurrenzsituation oder der Konfrontation mit Gegensätzen – auf. Gleichzeitig werden prospektive, spekulative Orientierungen für die Zukunft und das narrative of hope bestimmt und gestaltet (‚bestimmte und gestaltete Vorstellungen‘). Wenn daran anschließend dem gestalterischen Darstellungsbereich bzw. der Erzählung existenzielle Wurzeln zukommen, koppelt sich Existenz (Dasein und Anerkennung für ein ‚bestimmtes [irrationales] Verhalten‘) an oben benannte ‚Ausdrücklichkeit‘ und an ein Verständnis des Mythos. Denn „die Rede ist die Artikulation der Verständlichkeit [...], die Artikulation der Verständlichkeit des Da“307. Verständlich wird der Mythos als formgebend, wenn sich in ihm ein ‚Gesetz‘ äußert,308 kongruent zur einheitlichen Form, das benannte ‚bestimmte

304 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen II, S. 4. 305 Ebd., S. 35. 306 Ebd. [Herv. V.F.]. 307 M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 161. 308 Vgl. E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen II, S. 61.

320 | V OM LANGEN J ETZT

und gestaltete Vorstellungen‘ aufgreift. So äußert sich ein „allgemeines Gesetz [...] als [...] gewisse funktionale Beziehung und Bestimmungen“309. Diese ‚funktionale Bestimmung‘ kann dadurch pointiert werden, dass sie sowohl mit einer ‚selbstständigen Gestaltungsweise‘ (einer aufrechterhaltenden, selbstregulierenden Struktur für Anerkennung und irrationales Verhalten) und einer zweckmäßigen Richtung als auch einem work in progress (Erzählform des Geschehens) korreliert: ‚funktionale Bestimmung‘ und selbstständig gestaltete Anerkennung äußern sich dadurch, dass an die Stelle von Kausalität (im Mythos die abwesende Rationalität) eine „Zweckmäßigkeit“310 tritt, die gleich der einheitlichen Form vermittelnder Funktion eine „Kategorie des Ganzen“311 setzt. Damit bewegt sich der Bestimmungsprozess hier „von der ‚substanziellen‘ zur ‚funktionalen‘ Anschauung“312. Im somit zweckmäßig Gestalteten und Gerichteten äußert sich zugleich, dass der Mythos zunächst an ‚Artefakte‘ (für eine ‚funktionelle Anschauung‘) gekoppelt bleibt,313 die sich mit dem noch Entstehenden, dem work in progress und dem gestalterischen Tun der Erzählung, verbinden kann: Zunächst führt die mythisch formgebende Vermittlungsfunktion oder die „mythische Denkform [...], die alle Qualitäten und Tätigkeiten, alle Zustände und Beziehungen an ein festes Substrat bindet, [...] immer wieder zum entgegengesetzten Extrem: zu einer Art Materialisierung geistiger Inhalte“314.

309 Ebd., S. 58. Siehe außerdem zu einer „Analytik des Daseins“, die mittels „Struktur“ für den vorliegenden Zusammenhang formgebend auftreten kann, M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 58. 310 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen II, S. 60. 311 Ebd., S. 62. – Mit einer substituierten Kausalität kann gleichzeitig zur NichtLinearität verknüpft werden: Im Mythos abwesende Kausalität kann einerseits auf eine fehlende Kohärenz der Story rekurrieren. Andererseits kann im Mythos selbst schon eine Form von Nicht-Linearität angelegt sein, indem „der Mythos die Denkform der kausalen Analyse nicht kennt“, siehe ebd., S. 63. Dies wird noch deutlicher, indem der Mythos „keinem Zwang logischer Folgerung unterliegt“, siehe H.-G. Gadamer/H. Fries: „Mythos und Wissenschaft“, S. 16. Vielmehr „[erregen] Vorgriffe Spannung, Rückgriffe suggerieren Vertrautheit und Einverständnis mit dem Erzählten“, siehe ebd. – So treten erneute legitimierende und anerkennende Strategien hervor. Die Analyse geht diesbezüglich noch auf eine bestimmte Form von Freiheit ein, die ebenso in einem nachhaltigen scenario planning mitschwingt. 312 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen II, S. 66. 313 Vgl. ebd., S. 68. 314 Ebd. [Herv. V.F.].

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 321

Für eine gleichsam entgegengesetzte, oppositionelle Sinnstiftung kann damit akzentuiert werden, inwiefern sowohl ein work in progress als auch das gestalterische Tun zu erfassen sind, wobei die Prozessualität der ‚lebenden Institution‘ in der gestalteten Erzählform des Geschehens selbst aufgeht. Denn wie schon die Monumentalität – als das noch Entstehende und somit den work in progress betreffend – eine ‚Art der Materialisierung‘ aufzeigen konnte, materialisiert die Erzählform des Geschehens ‚geistige Inhalte‘ paradoxerweise für das spekulative ‚Substrat‘, dessen bestehende ‚prototypischen Artefakte‘ an den gestalterischen Darstellungsbereich gebunden sind. Dies führt nicht nur zu deren Existenz, sondern es kann eine charakteristische Form des Mythos für die Long Now Foundation hervortreten. Sie zeigt sich darin, dass trotz zweckmäßiger und gerichteter Bestimmung in der Erzählform des Geschehens paradoxerweise ein Offenhalten angelegt ist, indem sich die Erzählform zukunftserfüllt und in diesem Sinne spekulativ an einen work in progress bindet.315 So kann für eine formgebende Vermittlungsfunktion des Mythos eine „Bestimmtheit des Geschehens, die in der Freiheit des Tuns aufgeht“316 hervortreten. Die ‚Freiheit des Tuns‘ legt eine gestaltete Erzählform des work in progress nahe, die eine weitere formgebende Vermittlungsfunktion arstellt. Darüber hinaus kann diese mit einer selbst aufrechterhaltenden Struktur der ‚lebenden Institution‘ Long Now Foundation verbunden werden, die einerseits dem noch im Entstehen Begriffenen Existenz verschafft, andererseits das ‚bestimmte irrationale Verhalten‘ mit Anerkennung versieht, dieses legitimiert. Im selbstständig gestalteten, formgebenden Bestimmungsprozess, dem die Erzählung zugrunde liegt und anhand dessen Storytelling und Mythos zusammenfallen, avanciert der Place for Conversation selbst zur aufrechterhaltenden Struktur einer ‚lebenden Institution‘. Wurde bereits mit einem Erkenntnisgegenstand für das lange Jetzt eine Perspektive der Motivation deutlich, kann sich diese mit einer ‚mythischen Tiefe‘ verbinden. Aus der hier eingenommenen Perspektive hat diese Motivation eine zweite Seite, die sich zu einer Selbstinszenierung umkehrt. Zuvor können jedoch auch hier signifikante Verknüpfungen zur Zeitlichkeit des langen Jetzt ausmacht werden, die sich über den Erkenntnisgegenstand der 10.000-Jahre-Uhr hinaus im Mythos zeigen.

315 Anschlussfähig wird damit ein Spiel verschlossenen Offenhaltens, das auf Seiten der Linearität des Storytelling (autonom vom Mythos dargestellt) eine Verschlossenheit aufzeigen, ein Offenhalten jedoch bereits dort an zukünftige Orientierungen koppeln konnte. 316 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen II, S. 61.

322 | V OM LANGEN J ETZT

3.6.3 Erzählform für ein langes Jetzt Indem der Mythos eine ‚Erzählform des Geschehens‘ darstellt, wird einerseits ein work in progress und somit die Prozessualität der ‚lebenden Institution‘ erfasst. Andererseits kann die Rede über das Geschehen ein Potential entfalten, um die Gegenwart zu verdichten: Der Bezug zur Gegenwart ist nicht nur konstitutiv für den Mythos,317 sondern er führt auch zu einer „Dichte des Bewusstseins“318, indem die Erzählung, die „Geschichte [in Gegenwart] mündet“319. Eine mit Cassirer deutlich gewordene ‚Gestaltung des Bewusstseins‘ kann somit zu einer Bewusstseinsverdichtung erweitert werden, in der Gegenwart ‚ins Jenseitige‘ reicht. Dies ist mit der charakteristischen Erzählform für die Long Now Foundation zusammenzubringen, anhand derer eine zweckmäßig gerichtete Bestimmung mit Offenheit zusammenkommt, die ein work in progress und das im Entstehen Begriffene nahelegen: Mit der für die Long Now Foundation ausgemachten Erzählform des Geschehens wird Gegenwart derart verdichtet, in die Zukunft hineinzureichen. Eine ‚selbstständige Gestaltungsweise des Bewusstseins spricht sich aus‘ als zukunftserfüllt, da sich die Erzählform des Geschehens selbst noch prospektiv (in progress), aber in der Gegenwart gestaltet und zukunftserfüllt in diese mündet. Formgebende Vermittlungsfunktionen in oppositioneller Sinnstiftung können dann eine ‚Gestaltungsweise‘ hin zu einem longterm thinking aufzeigen: Über einen Erkenntnisgegenstand des langen Jetzt hinaus kann eine solche Erzählform des Geschehens die Long Now Foundation mehrschichtig erfassen. Denn diese Erzählform schließt deren Storytelling und Mythos, deren selbst aufrechterhaltende, funktionale Bestimmung des Place for Conversation und damit jene umfangreichen Long-Now-Projekte ein, welche die Konversation kennzeichnen. Eine Ezählform für das lange Jetzt verdeutlicht somit, inwiefern eine spezifische Zeitlichkeit, kongruent zum long-term thinking, Gegenwart verdichtet, dabei zugleich in die Zukunft reicht und kontinuitätsstiftend hervortreten kann: Durch die „Stetigkeit des Geschehens wird [...] ein einheitliches Gesetz, eine analytische Funktion aufgewiesen [...], durch welche das Ganze des Geschehens gedanklich beherrschbar und der Fortgang von Zeitmoment zu Zeitmoment bestimmbar wird“

320

.

317 Vgl. H.-G. Gadamer/H. Fries: „Mythos und Wissenschaft“, S. 17. 318 Ebd. 319 Ebd. 320 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen II, S. 68.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 323

Diese ‚analytische Funktion‘ zeigt also in einem weiteren Schritt, die Paradoxie und das Denken derselben handhabbar (‚beherrschbar‘) zu machen, wobei mögliche nicht-lineare Unterbrechungen und Wahrnehmungsprinzipien, sowohl kontingenter Längenauferlegung als auch einer ‚lebenden Institution‘ oder einem Living System entsprechend, mitschwingen (‚Fortgang von Zeitmoment zu Zeitmoment‘). Dabei lässt sich diese ‚analytische Funktion‘ mit einer Erzählform für das lange Jetzt wie folgt zusammenfassen: Der Mythos verdeutlicht eine Schlüsselkategorie, die sowohl das Storytelling funktional wie auch die Gegenwart zukunftserfüllt verdichtet. Damit können formgebende Vermittlungsfunktionen hervorgehoben werden, denen eine zweckmäßig gerichtete Bestimmung zugrunde liegt, sowohl als legitimierend und anerkennend für ein irrationales Potential als auch existenzbegründend für das Entstehende. Diese Vermittlung mündet in einer für die Stiftung charakteristischen Erzählform des langen Jetzt, die prozessual (in progress) doch in der Gegenwart gestaltet ist und zukunftserfüllt in diese einfließt. Storytelling und Mythos äußern sich damit als nachhaltig und ausgedehnt (Long-term Storytelling & Myth), wobei eine Formgebung für ein narrative of hope aufkommt, indem Anerkennung mit einem irrationalen Potential gekoppelt ist und ein gestalterisches Potential durch die Erzählung instrumentalisiert wird, als eine Hoffnung der ‚Story, welche die Long Now Foundation erzählt‘. Zusätzlich verdichtet sich die Gegenwart in der Erzählform als zukunftserfüllt ‚ins Jenseitige‘ (Prospektive) für ein narrative of hope. Insbesondere wird der Place for Conversation selbst zur aufrechterhaltenden Struktur und funktionalen Bestimmung der ‚lebenden Institution‘, deren stete Erneuerung von Zeitmoment zu Zeitmoment, die unterbrechen kann, den Fortgang bestimmbar bzw. handhabbar macht. Andererseits schreibt sich die transformative Erfahrung in die Erzählform ein. Sie äußert sich in der ‚Bewusstseinsdichte‘ einer Gegenwart, die in die Zukunft reicht und die ‚Gestaltungsweise des Bewusstseins‘ zweckmäßig (longterm) zu einem langen Jetzt ausrichtet. So wird deutlich, inwiefern neben eine selbst aufrechterhaltende Struktur sich fortschreibende Lernprozesse rücken, die sowohl das Bewusstsein wie auch die Erzählform gestalten. Anfällig für Widersprüche bleiben diese Lernprozesse dennoch, da eine formgebende Erzählform (nur) eine Option in oppositioneller Sinnstiftung bereitstellen kann und jene Hoffnung für die Zukunft, die das narrative of hope kennzeichnet, das lange Jetzt zukunftserfüllt beschneidet. Zudem ist es ebenso wenig Aufgabe gestalteter und gerichteter Bestimmung, eine Paradoxie aufzulösen, vielmehr wird sie mit der ‚analytischen Funktion‘ dieser Studie ‚gedanklich beherrschbar‘.

324 | V OM LANGEN J ETZT

Eine Gegenwart, die in die Zukunft reicht, wie auch eine zweckmäßige Bestimmung führen zu einer Kehrseite der Motivation, mit der funktionale Bestimmungen ebenso anders möglich lesbar und diskutiert werden. 3.6.4 Mechanismus Mythosstiftung oder: Zu instrumentalisierter Selbstinszenierung Wie schon mit der Geschäftsidee zur Long Now Foundation festgestellt wurde, dass Monument und Mythos selbst eine Dauerhaftigkeit innewohnt und dabei Prozesse der Selbstinszenierung wie auch eine Mythosstiftung seitens der ‚Gründungsväter‘ ausgemacht wurden, kann dies explizit im Zuge von nachhaltigem Storytelling und Mythos vertieft werden. Dabei tritt auf mehrfacher Ebene eine signifikante Umkehr im Denken auf, die sich erstens auf theoretischer Ebene äußert und zweitens die Perspektive der Motivation, verantwortungsfördernd ein long-term thinking im gesellschaftlichen Diskurs zu etablieren, hin zur Selbstinszenierung und damit zur eigenen Überdauerung zuspitzt. Denn pointiert tritt diese Kehrseite der Motivation verbunden mit der herausgestellten Erzählform der Stiftung hervor. Leitende Elemente bilden hier eine wieder auftretende melancholische Haltung, eine Mythosstiftung und innerhalb dieser eine instrumentalisierte Selbstinszenierung. Zunächst kann anschließend an eine theoretische Grundlage für den Mythos hervorgehoben werden, inwiefern sich in diesem eine vorlogische Prägung ausspricht: Die ‚ursprüngliche Richtung des Geistes, eine selbstständige Gestaltungsweise des Bewusstseins‘ zeugen von einer zweckmäßigen Bestimmung, die sich gerichtet ausübt und somit eine vorprägende Bestimmung geistiger Aktion a priori zugrunde legt.321 Gleichzeitig aber kündigt sich mit der charakteristi-

321 Damit kann außerdem die an vorheriger Stelle benannte Vico-Rezeption durch Cassirer aufgegriffen werden: Mit Vicos Scienza Nuova macht Cassirer eine „Grundwissenschaft der Geisteswissenschaften aus“, siehe S. Woidich: Vico und die Hermeneutik, S. 184. Vor allem bezogen auf die Einheit der Erkenntnisfunktionen findet Cassirer dort die eigene Dreiteilung der symbolischen Form, vgl. ebd., S. 191. Denn Cassirer zufolge stellt sich Vico „der echte und wahrhafte Einheitsbegriff des Geistes [...] in der Trias der Sprache, der Kunst und des Mythos dar“, siehe E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen II, S. 4, vgl. ferner S. Woidich: Vico und die Hermeneutik, S. 189; 191-192; 194. So gilt Vico für Cassirer einerseits als „Begründer einer von Grund auf neuen Philosophie der Mythologie“, siehe E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen II, S. 4, vgl. dazu auch S. Woidich: Vico und die Hermeneutik, S. 185, 192 (hier als „Entdecker des Mythos“). Andererseits wird für den vorliegenden Zusam-

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 325

schen Erzählform eine nachlogische Prägung an, die das Geschehen nicht nur von ‚Zeitmoment zu Zeitmoment beherrschbar‘ macht und Gegenwart verdichtet, sondern gleichzeitig ‚ins Jenseitige‘ reicht. Wenn sich die Erzählform der Long Now Foundation dann schon dadurch äußern konnte, dass sich trotz zweckmäßiger, gerichteter Bestimmung gleichzeitig ein Offenhalten prospektiv, in progress ausspricht, avanciert deren Mythos respektive zukunftserfüllte Erzählform zu einer nachlogischen Prägung. Damit wird jene melancholische Haltung, die bereits aus genealogischer Perspektive freigelegt werden konnte, derart verdichtet, dass sie explizit mit Mythosstiftung und Selbstinszenierung konvergiert: Gestaltet sich die Erzählform im Jetzt, drückt sich jedoch zugleich zukunftserfüllt aus, so kann dies zu einer Erzählform als Mechanismus führen, der einerseits a priori, vorprägend die Erzählung richtet – etwa legitimierend Anerkennung stiftet –, damit aber bereits die ‚Gestaltungsweise des Bewusstseins‘ zweckmäßig richtet. Andererseits taucht dieser Mechanismus insofern auf, sich aposteriori, nachlogisch in die Zukunft auszusprechen und an den Erschaffer respektive Mythosstifter zukunftserfüllt rückzubinden. An dieser Stelle zeigt sich jene melancholische Haltung der eigenen Verewigung in der Frage, wie jetzt bereits (formgebend) gehandelt werden kann, was sich zugleich nachlogisch ausdrückt, um eine Zeit danach zu bedenken. Dies leitet die Kehrseite der Motivation zur Selbstinszenierung ein. Diese hoffnungsvolle Erzählung kümmert sich zwar um die Zukunft mittels verantwortungsförderndem long-term thinking, doch auch um ein long-term thinking für die Personen der Long Now Foundation. Zunächst zeigt sich der Mythos, der schon mit dem Projekt Clock of the Long Now gestiftet wird und die Erzählung wie auch Konversation startet,322 indem eine ‚ursprüngliche‘, historische Funktion auftreten kann, die der „Mythenbildung“323 dient und mit der Erzählform des Geschehens konvergiert. Mit dem

menhang eine vorlogische Komponente für Cassirer selbst deutlich, die vorprägender Gestaltung selbst vorangestellt ist. 322 Der Mythos als Rede kann mit Blick auf die Konversation zusätzlich als „Gerede“ gefasst werden, in dem sich „die Rede ausspricht“, M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 167. Hier ist es nunmehr die anerkennende, legitimierende Rede, die sich im Place for Conversation und in zweckmäßig gerichteter Bestimmung ausspricht. – Ferner wird somit ein aus genealogischer Perspektive freigelegter ‚legitimacy exchange‘ erweitert oder dahingehend lesbar, Legitimation aus dem Group Learning nach außen, auf die ‚Kunden‘ der transformativen Erfahrung zu verlagern. 323 C. Ruhl: „Mythos Monument“, S. 11 [Herv. V.F.].

326 | V OM LANGEN J ETZT

work in progress, dem Monumentalen und Monument zeigt sich nämlich ein Übergang zum Mythos: Während dem Monument eine ‚ursprüngliche‘, historische Funktion als Instrument von Macht und Herrschaft zukommt, da daran eine „memoriale Funktion“324 gekoppelt bleibt, die an die Mythenbildung der Erschaffer selbst rückbindet, spricht sich die Mythosstiftung im Mythos selbst aus – das Instrument der Mythenbildung avanciert selbst zum Mythos.325 Wenn nämlich, wie zuvor verdeutlicht, das Monument nicht bei sich bleiben kann und spezifische Einschreibungsprozesse aufzeigt, bleibt ebenso wenig der Mythos bei sich, sondern schreibt die Erschaffer gleichsam fort. Es ist damit der „Mythos des Monuments [die Konversation startend wie fortschreibend – Einschub V.F.] selbst“326, der in den Fokus rückt. Dessen ‚memoriale Funktion‘ kann einer melancholischen Haltung entsprechend auftreten. Denn diese ‚memoriale Funktion‘ trägt „auf ihre Weise zur fama ihres Schöpfers oder Stifters bei, dem sie [...] Ewigkeit zu verleihen such[t]“327. Hier schreibt sich eine „universale kulturelle Praxis“328 ein, wie auch „ein menschliches Grundbedürfnis zugrunde zu liegen scheint, das auf [...] intuitive Totalität [abzielt]“329 . Eine ‚intuitive Totalität‘ wie auch ein ‚menschliches Grundbedürfnis‘ zielen somit auf die melancholische Haltung des eigenen Vergehens und das Bestreben ab, ebenjenem und damit auch drohender Vergessenheit entgegenzuwirken. So wird in einer Erzählform, die sich gegenwärtig zweckmäßig gestaltet und gleichzeitig nachlogisch auszusprechen sucht, ebenso eine ‚ursprüngliche‘ Funktion der Mythenbildung bzw. -stiftung nachlogisch umgeformt und zukunftserfüllt ausgeprägt – die Mythosstiftung avanciert selbst zum Mechanismus nachlogischer Verewigung, die sich im Mythos ausspricht. Daran schließt eine zweite Richtung dieser melancholischen Haltung an, die den prozessualen Projektbegriff der Long Now Foundation in der Erzählform des Geschehens für das narrative of hope erfasst: „OK, people of the future, here is a part of me that I want to preserve, and maybe the clock is my way of explaining it to you: I care about [the future]. I know I am a part of a story that

324 Ebd. 325 Vgl. ebd. 326 Ebd. 327 Ebd., S. 13 [Herv. i.O.]. 328 Ebd. 329 Ebd., S. 14.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 327

starts long before I can remember and continues long beyond when anyone will remember 330

me. [...] I plant my acorns knowing that I will never live to harvest the oaks.“

Im Zuge einer Formgebung für die hoffnungsvolle Erzählung bedeutet dies, dass deren kontinuitätsstiftendes, weil zukunftserfülltes Charakteristikum sich zugleich auf Kosten der Erschaffer auswirkt. Die melancholische Haltung äußert sich mit dem „Projektenmacher“331, der das Endresultat seines Projekts nicht erleben wird. Er pflanzt und errichtet in diesem Sinne das Projekt, ohne dessen ‚Früchte‘ ernten zu können.332 So tritt neben eine nachlogische Verewigung zugleich eine gewisse Demut, die sich paradoxerweise erst aufgrund des work in progress äußert, der die ‚lebende Institution‘ oder das Living System und damit auch die People of the Long Now aufrechterhält. Verdichtet sich die Erzählform im Jetzt und reicht zugleich in die Zukunft, so sprechen sich die Hoffnungen der Erschaffer jetzt in deren Erzählung aus; ihnen bleibt ein Experimentieren mit der Vorstellung. Dies wird im Longer-term of Scenario Planning mit dem Gedankenexperiment vertieft, wobei hier, gekoppelt an die Erzählform, eine bestimmte Selbstinszenierung deutlich wird. Denn die hier auftretende Demut verdeckt zugleich, dass die Erschaffer bereits gegenwärtig Früchte ernten können; einen Ruhm, der durch die mythische Erzählform und deren Mythosstiftung geschaffen wird. Um nämlich zur Fama des Stifters beitragen zu können, koppeln sich an die Mythosstiftung der ‚Projektenmacher‘ Prozesse der Selbstinszenierung, denn es bedarf nicht nur der Aufmerksamkeit und Anerkennung für ein irrationales Potential, um überdauern zu können, sondern eines gewissen Images (‚image of the institution‘), das den institutionellen Aberwitz (‚institutional folly‘) selbst ausspricht und inszeniert. Aus der Verbindung von Mechanismus Mythosstiftung und selbstinszenierenden Strategien können diese als instrumentalisiert in der Erzählform herausgestellt werden. Dabei ergibt sich ein Leitfaden, verknüpft mit freigelegten Elementen archäologischer Genealogie, die die ‚lebende Institution‘ Long Now Foundation kennzeichnen: Erstens verdichtet sich die Erzählform des Geschehens in progress mit Herausforderungen (‚challenging tasks‘), die Storytelling und Mythos über die gesamte Projektebene der Long Now Foundation erstrecken und das freigelegte Diktum, ein irrationales Potential konsequent auszuspielen (‚played out to the end‘), als Teil der Selbstinszenierung aufschlüsseln.

330 D. Hillis: „The Millennium Clock“ vom 05.03.2015. 331 E. Mach: Erkenntnis und Irrtum, S. 186. 332 Vgl. außerdem S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 172-173.

328 | V OM LANGEN J ETZT

Zweitens bindet Fama bzw. der Ruhm der Stifter an jenes Charisma der Führungspositionen zurück, so an die zentralen Personen der Long Now Foundation, was eine narzisstische Haltung zu einer Selbstinszenierung zuspitzt. Eine Selbstinszenierung tritt als instrumentalisiert in und durch die Erzählform des Geschehens auf, indem die Mythosstifter bzw. Erzähler an sie selbst sich stellende Herausforderungen hervorheben. Diese herausfordernden Aufgaben dienen als Exempel, nicht nur da sie die Long-Now-Projektebene für ein long-term thinking insgesamt erfassen und den Place for Conversation kennzeichnen, sondern da ebendiesen der work in progress, die stete Fortentwicklung der ‚lebenden Institution‘, innewohnt. Instrumentalisiert treten sie auf, da so eine Erzählebene deutlich wird, die handlungserfüllt in die Zukunft reichen soll. Der charakteristischen Erzählform liegt somit der „erzählbare Inhalt der Handlung“333 zugrunde, sodass die Erzählung einerseits verdichtet im Jetzt erscheint, andererseits eine Strategie offenlegt, der melancholischen Haltung bzw. Sorge um Vergessenheit handlungserfüllt entgegenzutreten. So tritt eine gestaltete und gerichtete Erzählung auf, welche die zentralen Personen der Stiftung selbst inszeniert. Denn handlungserfüllt wird die Sorge handhabbar, indem die Erzählform zukünftig an die Stifter bindet und insbesondere, indem dies rückwirkt auf das Image der Gruppe und deren Glaubwürdigkeit:334 Was in einer ‚Diagnose der Gegenwart‘ als umfangreiches Bestreben der Long Now Foundation erfassbar ist, schlägt um in eine ‚Beschäftigungstherapie‘, die die Erzählform nicht nur verdichtet, sondern die eigenen Personen als ehrgeizig und sich der Herausforderung stellend hervorhebt. Mit diesem Image changiert eine Selbstinszenierung zwischen Selbstironie (‚institutional folly‘) und selbstinduziertem Lob bzw. ausgeprägtem Selbstbewusstsein: Auch wenn ein irrationales Potential zugrunde liegt, werden aus Perspektive der Stifter doch erst irrationale Begehren (‚irrational desires within people‘) angesprochen, sodass die Long Now Foundation als der Rahmen auftritt, diese ausleben zu können. Was noch irrational anmutet, wird hier konsequent ausgespielt. Gleichzeitig wohnt der Möglichkeit, solche Begehren ausleben bzw. ausspielen zu können, der selbstrekursive Mechanismus inne, aus Stifterperspekti-

333 H.-G. Gadamer/H. Fries: „Mythos und Wissenschaft“, S. 10. 334 Diese äußert sich als ‚credibility‘, die das Image mitbestimmt und zugleich zu den remarkable people of the Long Now als „powerful group [...] and we don’t lack selfconfidence“ verbindet, siehe SUL, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, 19. – Das Image wird noch gesteigert mit einem Prominenzanspruch, der bereits auf der Vergleichsebene zu Disney Land wie auch mit sogenannten ‚life lists‘ deutlich werden konnte.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 329

ve lobenswerte Potentiale hervorzuheben. Handlungserfüllter work in progress und herausfordernde Aufgaben deuten dabei auf die Long Now Foundation als visionär wie auch ehrgeizig, denn „it is [...] far-fetched to think that one could make a [Living System – Einschub V.F.] which will survive and work for the next 10,000 years. But the act of even trying is valuable.“335 Allein der Versuch, sich dieser Herausforderung anzunehmen (‚act of even trying‘), dient der Selbstinszenierung und koppelt sich an eine ausgespielte wie verwirklichte, handlungs- und zukunftserfüllte Erzählform. Er schlägt in ein nachlogisches Image und in einen zukunftserfüllten Ruhm der Stifter um. Das irrationale Potential, das prospektiv in der Erzählform des Geschehens instrumentalisiert wird, wird zum Instrument der Selbstinszenierung. Während die Fama oder der Ruhm der Stifter an jenes Charisma erinnert, das eine narzisstische Haltung hervorholt, verknüpft sich dies ferner mit besagter ‚intuitiven Totalität‘ und einem ‚menschlichen Grundbedürfnis‘. Anschließend nämlich an oben angeführte Begehren wird ein menschliches Grundbedürfnis in der Erzählung instrumentalisiert, was die Long Now Foundation als Rahmen und gleichsam als Möglichkeitsfeld zur Selbstverwirklichung ihrer ‚Kunden‘ inszeniert. Das selbstinszenierte Charisma der Stifter führt zu instrumentalisierter Selbstinszenierung, indem jenes Grundbedürfnis, gegen die eigene Vergänglichkeit anzustreben, als Reiz, gar Verlockung eingesetzt wird.336 Eine ‚intuitive Totalität‘, gepaart mit einer narzisstischen Haltung, äußert sich verdichtet mit der Erzählform, anhand derer die Selbstinszenierung eine Darstellungsebene findet und sich der Ruhm der Stifter nachlogisch aussprechen kann. So kehrt sich die Perspektive der Motivation, ein Produktversprechen der long-term perspective, in ein Versprechen an die Stifter selbst um. Mit der Mythosstiftung als Mechanismus, der mit einer charakteristischen Erzählform explizit wird, kann somit ein ‚Kunstgriff‘ der Long Now Foundation festgehalten werden, der eine Selbstinszenierung instrumentalisiert: Die ‚ambitionierte‘ und ‚ehrgeizige‘ Handlungsebene spricht sich nicht nur selbstreferentiell für menschliche Grundbedürfnisse aus, sondern kehrt eine Perspektive der Motivation für ein long-term thinking in eine eigene Denkmalsetzung um. Dabei wird die Erzählform sowohl gegenwärtig wie auch zukunftserfüllt verdichtet und

335 B. Eno: „The Big Here and Long Now“ vom 18.07.2014. 336 Vgl. Kap. 1, Anm. 158: ‚If you’d like to be part of something ambitious, visionary, and downright monumental, consider joining our growing band of supporters.‘ – Dies rekurriert zugleich auf ein zwischen Selbstironie und Selbstbewusstsein changierendes Angebot zur Selbstverwirklichung, das innerhalb der Geschäftsidee formuliert wird, ‚I will not have died in vain’, vgl. Kap. 2, Anm. 580.

330 | V OM LANGEN J ETZT

schreibt die Dauerhaftigkeit der Erschaffer bzw. Erzähler in den Mythos ein. Die Mythosstiftung wird zum Mechanismus gegenwärtigen wie nachlogischen Ruhms. Für ein Denken des Jetzt konnte dabei eine mehrfache Umkehr ausgemacht werden, die neben einer umgestalteten ‚memorialen Funktion‘ zu zukunfts- wie handlungserfüllter Selbstinszenierung führt und ‚ursprüngliche‘ in nachlogische Funktionen umformt, zugleich also das Jetzt zukunftserfüllt verdichtet. In der Formgebung für ein narrative of hope spricht sich die Hoffnung als Kehrseite der Motivation aus, die das long-term thinking an den Ruhm der Stifter und damit an deren Dauerhaftigkeit bindet.

3.7 L ONGER - TERM OF S CENARIO P LANNING Z UM ‚ INFINITEN S PIEL ‘

ODER :

Ist das ‚mythische Instrument‘ nun detailliert erklärt, kann die Erzählform auf ein scenario planning für das lange Jetzt und dessen nachhaltigen Fortgang (longer-term of it) geprüft werden. Dies führt zugleich eine Formgebung für das narrative of hope weiter aus, da die herauskristallisierte funktional zukunftserfüllte Bestimmung eine Formgebung nahelegt, die trotz zweckmäßig gerichteter Prägung und Gestaltung offengehalten sein kann. Das ‚experimentelle Erzählen‘337 taucht dahingehend auf, die Imagination bzw. das Prospektive zu handhaben, das zukunftserfüllt einerseits ein irrationales Potential und Anerkennung, andererseits jene Strategie gegenwärtigen wie nachlogischen Ruhms beinhaltet. Zugleich bildet dieses Erzählen ein Scharnier dafür, ein Spiel verschlossenen Offenhaltens weiterzudenken und der Frage nach einem ‚infiniten Spiel‘ für die ‚lebende Institution‘ nachzugehen. Experimentelles Erzählen, (prospektiver) work in progress und das Spiel bilden hier die Leitkategorien aus, wobei partizipatorische Intentionen, die melancholische Haltung und insbesondere eine zur Erzählform kongruente, oppositionelle Sinnstiftung mitschwingen. Im Folgenden soll erstens aufgezeigt werden, wie sich das Verhältnis von Mythos und Erzählung darstellen lässt, wenn sich beide ausgedehnt aussprechen wollen und dabei formgebende Partizipationsprozesse akzentuiert werden können. Zweitens geht es um eine Handhabung, bei der sich die Erzählform insofern mit dem scenario planning verbindet, als sich „ein und dieselbe Richtung der Weltauffassung“338 äußert. In den Fokus rückt dabei die charakteristische Er-

337 Vgl. dazu den Rekurs auf Kahn und Pias in Kap. 2. 338 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen II, S. 58.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 331

zählform zwischen gerichteter und offengehaltener Bestimmung, die das experimentelle Erzählen mit dem Gedankenexperiment vertieft. Drittens soll ein durch die Long Now Foundation intendiertes ‚infinites Spiel‘ überprüft werden, indem es mit Sinnstiftung und dem Kontinuitätsmodell offengehaltener Zukunft in Verbindung gebracht wird. 3.7.1 Experimentelles und gestaltetes Erzählen Wenn nachvollzogen wird, wie sich der Mythos exemplarisch auf der Erzählebene einschreibt, tritt über eine vor- wie nachlogisch geprägte Erzählung hinaus ihre langfristige und nachhaltige Form auf.339 Verbunden mit einer Formgebung für ein narrative of hope kann der Einbindungsgrad des internen/exkludierenden Modus aufgegriffen werden, denn wenn sich dieser auf strukturell medialer Ebene verschlossen niederschlägt, drückt sich eine Hoffnung auf semantischer Erzählebene aus. Dies bezieht zugleich eine Gestaltung der Story ein, wie sie in der Erzählung von der Reise zum Monument deutlich wurde.340 Nicht nur wird die Erzählung prospektiv (mit der vorgestellten, imaginierten Long-term Journey) ausgeschmückt, was zusätzlich an eine mythische Aufmerksamkeitsgenerierung rückkoppelt. Zugleich zeigt sich, inwiefern mit der Erzählung experimentiert und gespielt wird: Die erzählenden ‚Projektenmacher‘ gestalten die eigene Vorstellung und spielen zugleich damit, wie sich diese in die ‚geistige Aktion‘ des Empfängers einschreibt; wie sie die Erzählung somit prägt und bestimmt. Daran schließt eine bestimmte partizipatorische Einbindung an: „After you pass the weights, you arrive at the winding station. [...] It takes two or three visitors to push around the capstan of the clock and to lift its 10,000-pound stones. You rotate around until you can no further. Now the clock is wound.

339 Mit Blick auf die Opposition in der Erzählform für die Long Now Foundation zwischen gerichteter und offengehaltener Form verbindet sich die Einschreibung mit der Darstellungsebene. Denn das ‚mythische Instrument‘, Gerede und Rede, „breite[t] sich aus im Geschriebenen“, M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 168-169. Wenn sich der Mythos eben auch als ‚vermittelnde Kunde‘ und Gerede durch Weitersagen („Weitergesagtwerden“, ebd., S. 169) nachlogisch und damit zweckmäßig gerichtet ausspricht und einschreibt, kehrt sich Welterschließen und Sinnstiftung „zu einem Verschließen“ um, siehe ebd. Erst zukunftserfüllt und experimentell offengehalten kann die Erzählform Szenarien auszuloten und zugleich mit nachlogischem Ruhm schließen. 340 Vgl. Anm. 266; ferner S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 57; 62-63; 70.

332 | V OM LANGEN J ETZT On days when visitors are there to wind it, the calculated melody is transmitted to the chimes, and if you are there at noon, the bells start ringing their unique one-time-only tune.“

341

Zunächst wird augenfällig, wie die Uhr erst durch Mitarbeit des Besuchers funktionieren soll. Insbesondere wendet sich die Erzählung direkt an den Rezipienten, wobei eine Lesereinbindung über den narrativen Adressaten you vorgenommen wird. Die Erzählung leitet also durch das Prospektive, das noch Vorgestellte und durch die Erzählform des Geschehens. Eine zukunftserfüllte Bestimmung wendet sich an dieser Stelle an ein narrative of hope, das eine Hoffnung auf partizipatorische Einbindung ausspricht. Zugleich lässt sich dies mit dem ‚mythischen Instrument‘ und einer Sinnstiftung verbinden, denn eine so ausgesprochene und gerichtete Gestaltung führt dazu, an der Vorstellung teilzuhaben. Das der Erzählung selbst innewohnende ‚mythische Instrument‘ führt zu Welterschließung und Sinnstiftung, die im Sinne der vorprägenden Rede zu einem „Verstehen der erschlossenen Welt“342 führt, und „gleichursprünglich damit [ist] ein Verstehen des Mitdaseins Anderer“343. Hier tritt eine Erzählung aus dem scenario planning mit eingeschriebenem Mythos wieder auf, die eine Bedeutung für die nähere und längerfristige Zukunft haben soll.344 Sie konvergiert sowohl mit der Erzählform, deren funktional zukunftserfüllter Bestimmung wie auch derjenigen der Long Now Foundation: „The main role of CL is to reframe social/cultural thinking to a longer time span, with the idea of fostering greater responsibilty and more effective long-term planning and behavior. It does this via time-telling story, time-binding data, and ancilllary (sic!) activities. [...] The primary story teller is the clock – an instrument both technical and mythic. The Clock provides ways to experience it, to hear about it, and to think about it – to sink deep enough that its time scale is alsways borne in mind. Time-binding data and behavior is the job of the Library. It collects, stores (preserves and sorts), and disseminates information. It also invents longer-term modes of activity (or

341 K. Kelly: „Clock in the Mountain“ vom 23.02.2015, vgl. ferner longnow.org, [Projects: The 10,000 Year Clock: Chimes] vom 23.02.2015. 342 M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 168. 343 Ebd. – Anschlussfähig wird damit ebenso ein utopisches Potential hin zu kreativer Verantwortungsförderung, indem „sich der Spielende dabei selbst verwirklicht, und das gemeinsam mit anderen“, siehe V. Flusser: Krise der Linearität, S. 38. 344 Vgl. Kap. 2, Anm. 214: ‚a narrative with meaning about the future [near and longterm future] that has in it a kind of core myth [...]‘ [Herv. V.F.].

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 333

maybe that part is deemed the job of The Long Now Foundation). If scenario planning did not exist, for instance, Long Now should be the one to invent it. (Maybe we can develop a longer-term of it).“

345

Wie bereits aus genealogischer Perspektive festgemacht werden konnte, kommt oben besagte Hauptrolle (‚main role‘) der Long Now Foundation zu. Sie kennzeichnet ihre funktionale Bestimmung, die entsprechendes Verhalten‚ Aktivitäten wie auch die Erzählung (‚time binding behavior, activity and story‘) über den Place for Conversation disseminiert und ein langes Jetzt webbasiert zugleich durchbricht (‚time binding data‘ in longnow.org). Insbesondere tritt die Erzählung (‚time-telling story‘) gleichzeitig als gestaltendes Tun (‚activity‘) hervor, was Zeit zusätzlich bündelt und im Zuge von Formgebung den Mythos darin einschreibt: Denn seine Erzählform ist die des Geschehens (in progress), die sowohl das Jetzt verdichtet, sich gegenwärtig gestaltet und sich zugleich zukunftserfüllt fortschreibt und ausspricht. Indem sich der Mythos hier einschreibt, ist – wohlgemerkt im verdichteten Jetzt – der primäre Erzähler (‚primary story teller‘) nicht The Clock of the Long Now, sondern es sind People of the Long Now, denn dem Mythos liegt die Mythosstiftung zugrunde, die zukunftserfüllt an die Erschaffer rückbindet. Wenn die 10.000-Jahre-Uhr als primärer Erzähler also vielmehr in der Zukunft liegt und jene Aktivitäten dann nicht mehr prospektiv bzw. prozessual (in progress) bestehen würden, dann bindet der eingeschriebene Mythos immer noch an die Erschaffer zurück. Er richtet sich gegen die Sorge eigener Vergessenheit und Vergänglichkeit, was keine anderen primären Erzähler als die Personen der Stiftung zulässt. So äußert sich eine Doppelbewegung funktional zukunftserfüllter Bestimmung, die einerseits zwischen ‚Bestimmtheit des Geschehens und Freiheit des Tuns aufgeht‘, wobei andererseits gerade diese Freiheit die Erzählung richtet. Als experimentelles Erzählen aber, das insofern offenhält, dass die Zukunft nicht vorhergesagt werden kann, tritt die oppositionelle Sinnstiftung im längerfristigen scenario planning auf. Mit dessen Mythos, der als Erzählform des Geschehens für eine ‚lebende Institution‘ prozessual angelegt sein muss, kann die Long Now Foundation nur Sinn machen, solange ihr Zentralprojekt, das Monument, nicht errichtet ist. Denn dann erst äußert sich ein ‚infinites Spiel‘, das nur unendlich sein kann, indem es prospektiv gehalten wird und die ‚lebende Institution‘ selbst aufrechterhält.

345 Vgl. Kap. 2, Anm. 623.

334 | V OM LANGEN J ETZT

An dieser Stelle erhält das narrative of hope eine Form, indem zwar erhofft wird, dass der Besucher in die Aktivitäten eingebunden ist, andererseits liegt die Hoffnung aber in der eigenen Verewigung. Wie ausschlaggebend der work in progress schließlich nicht nur für die ‚lebende Institution‘, sondern auch für deren Sinnstiftung ist, kann hier ebenso festgehalten werden: Als ‚lebende Institution‘ oder als Living System, dem eine selbst aufrechterhaltende Struktur innewohnt, kann die Long Now Foundation nur Sinn stiften, indem sie prospektiv gehalten wird. Dabei äußert sich die Opposition derart, dass sich die hoffnungsvolle Erzählung gegenwärtig gestaltet, das Jetzt verdichtet und zugleich in die Zukunft reicht. Die charakteristische mythische Erzählform entspricht somit einer selbst aufrechterhaltenden Struktur, die eine zweckmäßig gerichtete Bestimmung insofern offenhalten kann, als sich das lange Jetzt handlungs- wie zukunftserfüllt fortschreibt. Sein institutioneller Rahmen spricht sich jedoch prospektiv und in diesem Sinne offengehalten aus, vermittelt und legitimiert auf der Ebene selbstinszenierten Aberwitzes. 3.7.2 Zum Gedankenexperiment und Spiel der Vorstellung Dass mit einem experimentellen Erzählen das Prospektive handhabbar werden und sich somit eine zusätzliche Formgebung für das zukunftserfüllte narrative of hope ergeben kann, zeigt sich darin, dass prospektive wie auch sich spekulativ äußernde Vorstellungen, wenn sie experimentell gefasst werden, nicht in einem fiktiven und formlosen Status verharren. Experimentell gefasst taucht die charakteristische Erzählform der Long Now Foundation dann als Gedankenexperiment auf: „Das Gedankenexperiment unterscheidet sich von der Fiktion im Allgemeinen durch seinen punktuellen, strategischen Einsatz: Es geht ihm nicht um alle möglichen Welten, sondern 346

bloß um eine Welt, in der [...] eine [...] Handlung möglich oder unmöglich ist.“

Zum einen äußert sich mit einer Welt die zweckmäßig gerichtete Bestimmung, zum anderen der Übergang von einem Spiel verschlossenen Offenhaltens hin zu einem experimentellen Erzählen. Die prospektive Vorstellung kann dabei selbst zu einer Schlüsselkategorie avancieren: Ohne die Imagination bzw. Vorstellung

346 T. Macho/A. Wunschel: „Zur Einleitung: Mentale Versuchsanordnungen“, S. 9-16, hier S. 9, vgl. dazu auch C. Pias: „Abschreckung denken. Herman Kahns Szenarien“, S. 179 sowie ferner H. Kahn: Nachdenken über den Atomkrieg, S. 61-98; 6667.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 335

kann sich eine zukunftserfüllte wie hoffnungsvolle Erzählung nicht aussprechen; Gedanken, die hier darin liegen, vermittels ‚mythischen Instruments‘ zu experimentieren, setzen die Vorstellung erst voraus. Sie stellt eine Möglichkeitsbedingung für das Gedankenexperiment dar.347 Die Vorstellung oder Imagination, die gleichzeitig an den institutionellen Aberwitz und das irrationale Potential rückbindet, wird selbst zu einem Mechanismus in formgebender Vermittlung, der ein narrative of hope erst ermöglicht. Da solche Vorstellungen, die es nicht beanspruchen, die Zukunft vorherzusagen, zwangsläufig offengehalten sind, erscheint die hoffnungsvolle Erzählung hier sowohl im Sinne eines kontinuitätsstiftenden Modells, das sich fortschreibt, als auch im Sinne kreativer Verantwortungsförderung. Denn solch experimentelles Erzählen trägt zu Provokation bei (‚institutional folly‘), stimuliert die Konversation, erweitert insbesondere Horizonte (hier ‚time-binding‘) und steigert Kreativität.348 Damit kann sich das narrative of hope nicht nur offengehalten in die Zukunft, sondern insgesamt auf Grundlage der Long-Now-Projekte darstellen. Paradoxerweise also ergibt sich eine zweckmäßig gerichtete Bestimmung in Erzählung und Mythos, die zugleich offengehalten ist und für die ‚lebende Institution‘ prozessual wie prospektiv gehalten sein muss. In der charakteristischen Erzählform avancieren also sowohl die Konversation als auch die Mythosstiftung und Vorstellung zu selbst aufrechterhaltenden Mechanismen einer Erzählung, die das Zukünftige und damit den Fortgang des langen Jetzt handhabbar macht. Die oppositionelle Sinnstiftung verdichtet sich zu Elementen zwischen vorund nachlogischer, gerichteter wie offengehaltener Bestimmung und einer nicht vorherzusehenden Zukunft, in der die Rückbindung an die Erschaffer zugleich vorherzusehen ist. Zusätzlich wird ein umgekehrter Glaube anschlussfähig,349 denn auch wenn im Mythos von einem „eigenen Wirklichkeitswert“350 auszugehen ist, wie dessen inhärente Anerkennung, Legitimation und Autorität zeigen konnten, kehrt die Long Now Foundation diesen in oppositioneller Sinnstiftung zugleich um, was gerade durch die Erzählung zwischen gerichteter Bestimmung und Offenheit

347 Vgl. E. Mach: Erkenntnis und Irrtum, S. 187. 348 Vgl. in Anlehnung an H. Kahn/A.J. Wiener: The Year 2000, S. 1, Kap. 2, Anm. 235: ‚such studies, even if only partially successful, contribute to interesting lectures, provocative teaching, and stimulating conversation, all of which can broaden horizons and increase creativity.‘ 349 Vgl. Kap. 3.3. 350 H.-G. Gadamer/H. Fries: „Mythos und Wissenschaft“, S. 17.

336 | V OM LANGEN J ETZT

darstellbar wird: Bei diesem Wirklichkeitswert geht es vorerst „nicht um Glaube, sondern um [...] gedenkende Vergegenwärtigung einer überwältigenden Gewißheit“351. Zunächst zielt ‚gedenkende Vergegenwärtigung‘ hier auf die Bewusstseinsdichte, die aus der Erzählform – die Gegenwart zugleich verdichtend wie in die Zukunft reichend – entsteht, und auf ein gedenkendes Experimentieren. Denn im Gegensatz zum „physischen Experiment gibt es noch ein anderes, welches auf höherer intellektueller Stufe in ausgedehntem Maße geübt wird – das Gedankenexperiment“352. Dabei experimentiert der „Projektenmacher, der Erbauer von Luftschlössern, der Dichter sozialer oder technischer Utopien [...], [a]ber auch der solide Kaufmann, der ernste Erfinder oder Forscher [in Gedanken]“353. Sofern deren Vorstellungen „Abbilder der Tatsachen sind, [bleiben sie] in ihrem Denken der Wirklichkeit sehr nahe“354. In einer möglichen, zugleich vorgeprägt gerichteten wie offenen Welt, deren Erzählform Tatsachen etwa symbolisch wie monumental abbildet, wird die prospektive Vorstellung somit handhabbar und strategisch eingesetzt: Das gedenkende Experimentieren als „Spiel mit der Phantasie“355 schaltet das Phantastische bzw. die Vorstellung in einen strategischen Einsatz handlungs- wie zukunftserfüllter Erzählung um, die sich hoffnungsvoll ausspricht. Die Long Now Foundation kehrt jene Gewissheit aus mythischem Wirklichkeitswert um, da sie insbesondere die eigene Verewigung unter dem Deckmantel des verantwortungsfördernden long-term thinking hält und dann zum primären Erzähler Clock of the Long Now zurückkehren kann, auch wenn er monumental im Entstehen gehalten wird. Denn an die Stelle von Gewissheit tritt die Frage.356 So schließt hier eine weitere Strategie an, welche die zweckmäßig gerichtete Bestimmung der Erzählung nochmals mit Offenheit versieht. Dies wird deutlich, indem das Zentralprojekt der Long Now Foundation nicht festgelegt, sondern in Form der Frage auftaucht – was mit einer Konversation, die Danny Hillis führte, deutlich wird: „[Jonas Salk] had always encouraged my more mystical lines of thought. I was sure he would like the millennium clock. I was disappointed by his response: ‘Think about what problem you are trying to solve. What question are you really trying to ask?‘

351 Ebd. [Herv. V.F.]. 352 E. Mach: Erkenntnis und Irrtum, S. 186 [Herv. i.O.]. 353 Ebd. 354 Ebd., S. 187. 355 Ebd., S. 188. 356 Vgl. D. Hillis: „The Millennium Clock“ vom 05.03.2015.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 337

OK, [...] here is a part of me that I want to preserve, and maybe the clock is my way of explaining it to you: [...] I know I am a part of a story that [...] continues long beyond when anyone will remember me. [...] I have hope for the future.“

357

An die Stelle von Gewissheit tritt die Frage, die einerseits die Demut der ‚Projektenmacher‘ aufgreift, diese aber andererseits über die Erzählform und inhärente Mythosstiftung mit der Gewissheit nachlogischen wie gegenwärtigen Ruhms versieht. Insbesondere aber versieht die Frage eine mögliche Welt mit gleichzeitiger Offenheit. So werden einerseits ein umgekehrter Glaube und ein Kontingenzbewusstsein anschlussfähig, das sich hier aber zugunsten eines möglichen Offenhaltens auswirken kann. Andererseits bewegt sich die hoffnungsvolle Erzählung zwischen Gewissheit und Offenheit, wobei sich diese Erzählung nachhaltig, zukunftserfüllt und somit kontinuitätsstiftend gestalten kann. Was gezeigt werden konnte, ist eine weiter ausgeführte Formgebung für das narrative of hope durch strategischen Einsatz handlungs- wie zukunftserfüllter Erzählung. Strategisch wie hoffnungsvoll ist die nachlogische bzw. -haltige Rückbindung an die Erschaffer; die partizipatorische Einbindung und schließlich der zukunftserfüllte Fortgang der Rede und Konversation über das long-term thinking. Strategisch sind diese vermittelt auf der Ebene zweckmäßig gerichteter und zugleich offengehaltener Erzählung. Denn nur so wird eine selbst aufrechterhaltende Struktur, ferner aber ein kontinuitätsstiftendes Modell generiert, das nunmehr strategisch mit offengehaltener Zukunft spielt. Dies stärkt nicht nur eine oppositionelle Sinnstiftung für ein Denken des Jetzt, das sich in Storytelling und Mythos ausdehnt, sondern es kann mit der Idee eines ‚infiniten Spiels‘ in einer zusammenfassenden Reflexion von möglicher Formgebung im Dazwischen münden. 3.7.3 Spiel offengehaltener Zukunft oder: Ein Fazit zur Formgebung Das aus der Selbstdarstellung der Long Now Foundation hervorgehende ‚infinite Spiel‘358, erweist sich als formgebend, indem mit ihm vorangegangene Erkennt-

357 Ebd. vom 06.03.2015. 358 Vgl. neben der Darstellung in Kap. 1 insbesondere S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 168-173. Dessen Ausführungen gehen zurück auf C.M. Hampden-Turner, was ich aus den Stewart Brand Papers und der GBN Aspen Design Conference aufnehme, vgl. SUL, M 1237, GBN miscellaneous, 1997, Box 89, Folder 5: Charles M.

338 | V OM LANGEN J ETZT

nisse zusammengeführt werden können. Es kann mit dem ‚Spiel der Phantasie‘ aus dem Gedankenexperiment verbunden werden, das als strategischer und erzählter Einsatz an Form gewinnen konnte. Im Gegensatz zu Spielen mit Ende, die ein Gewinnen erzielen, Verlierer und feste Regeln benötigen,359 formiert sich das ‚infinite Spiel‘ dadurch, das Spiel fortwährend zu verbessern.360 Gleich der ‚lebenden Institution‘ in steter Erneuerung muss sich das ‚infinite Spiel‘ fortwährend ändern.361 So tritt die Spielideologie der Long Now Foundation hervor, wie sie auch aus der Geschäftsidee hervorgehen konnte. Dabei taucht die kontinuitätsstiftende Erzählung auf und die melancholische Haltung wird spielend handhabbar: „Für Spieler in Spielen ohne Ende ist ‚der Tod eine Möglichkeit, das Spiel fortzusetzen – sie spielen nicht um ihr eigenes Leben, sie leben für ihr eigenes Spiel‘.“362 Während die Spieler endlicher Spiele Unsterblichkeit durch ihre Siege zu erlangen suchen,363 kann ich das ‚infinite Spiel‘ genauer in die Strategien der Long Now Foundation einbetten. Die Konfrontation mit dem eigenen Tod (melancholische Haltung) ermöglicht es den Spielern ‚infiniten Spiels‘, erst die Strategien zur Unsterblichkeit auszuloten und diese bereits gegenwärtig zu verdichten. Sie werden im gedenkenden und experimentellen Vergegenwärtigen mythischer Erzählform eingeschrieben und fortgesetzt: „Spieler in Spielen mit Ende versuchen die Zukunft zu kontrollieren; Spieler in Spielen ohne Ende geben sich Mühe, alles so zu arrangieren, dass die Zukunft Überraschungen birgt.“364 Diese Überraschungen hält also die Erzählform bereit, wenn sie sich hoffnungsvoll und zukunftserfüllt ausdehnt. Denn im Spiel ohne Ende „ähneln [die

Hampden-Turner: „Designing the Infinite Game“, S. 1-17, vgl. zum Aufgriff Hampden-Turners S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 169. 359 Vgl. ebd., S. 167. 360 SUL, M 1237, GBN miscellaneous, 1997, Box 89, Folder 5: Charles M. HampdenTurner: „Designing the Infinite Game“, S. 5: „The aim of the Infinite Game is to keep playing and keep improving“; „Play occurs with boundaries which continually shift“, S. 7, vgl. ferner S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 168-169. 361 Vgl. SUL, M 1237, GBN miscellaneous, 1997, Box 89, Folder 5: Charles M. Hampden-Turner: „Designing the Infinite Game“, S. 4: „The Finite Game cannot change; The Infinite Game must change“. 362 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 168. 363 Vgl. ebd. 364 Ebd.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 339

Regeln] einer ursprünglichen [vorprägenden – Einschub V.F.] Sprache“365 , die sich in der mythischen Erzählung vor- wie nachlogisch ausspricht. Mit dem Spiel wird dann nicht nur ein menschliches Grundbedürfnis erweitert, sondern es kann sich als psychischer Zustand mit dem experimentellen Erzählen des scenario planning und Gedankenexperiments verbinden. 366 Dabei kann dessen Ernsthaftigkeit hervorgehoben und schließlich für ambitionierte und irrationale Projekte gesprochen werden: Kommt der Vorstellung im Gedankenexperiment ein auch psychischer Zustand zu, der auf Hoffnungen und menschliche Begehren zielt und es erst ermöglicht, diese zu erzählen, hat das Spiel eine spezifische „psychische Intensität“367, die sich dem Ernst überordnet:368 „Der Bedeutungsinhalt von Ernst ist mit der Negation von Spiel bestimmt und erschöpft: Ernst ist Nicht-Spiel und nichts anderes. Der Bedeutungsinhalt von Spiel dagegen ist im Nicht-Ernst keineswegs definiert oder erschöpft: Spiel ist etwas Eigenes. Der Begriff Spiel

365 Ebd., S. 169. 366 Ein menschliches Grundbedürfnis wird wohl in Johan Huizingas Homo Ludens am deutlichsten, den Brand außer Acht lässt, der aber insbesondere für eine Institution, die auf der Ebene der Kultur arbeitet, ebendiese als Spiel fassen kann, siehe J. Huizinga: Homo Ludens, S. 51: „Kultur [entsteht] in Form von Spiel, [...] Spiel ist die [...] primäre, [...] konkret bestimmte Tatsache, während Kultur nur die Bezeichnung ist, die unser historisches Urteil dem gegebenen Fall anheftet.“ So ergibt sich mit dem Spiel eine weitere Tatsache, anhand derer die ‚Projektenmacher‘ der Wirklichkeit sehr nahe bleiben und die das Prospektive strategisch handhabbar macht. – Für menschliche Grundbedürfnisse kann das Spiel außerdem dazu dienen, aus dem Gewöhnlichen herauszutreten und damit kompensatorisch zu wirken: Das Spiel „wird begleitet von [...] einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘“, siehe J. Huizinga: Homo Ludens, S. 34 [Herv. i.O.]. 367 R. Pfaller: Die Illusion der anderen, S. 93. 368 Huizinga erfasst dies mit seiner Darlegung des „Heiligen Ernstes“, vgl. J. Huizinga: Homo Ludens, insbesondere S. 25-33 sowie S. 49-50: Abgeleitet vom Kult verdeutlicht Hiuzinga eine „heilige Ergriffenheit“, eine „sakramentale Handlung“, die sich ebenso im Spiel niederschlägt und hier zu Ergriffenheit führt, siehe ebd., S. 25. Dies wird sogar zu einem notwendigen Element, denn wenn das Spiel sich anders als das ‚gewöhnliche Leben‘ darstellt, muss eine vergleichbare Begeisterungsfähigkeit durch das Spiel aufkommen, sonst „wären [wir] [...] vom Spiel immer nur so mäßig ergriffen, wie wir es üblicherweise vom Leben außerhalb des Spiels sind“, siehe R. Pfaller: Die Illusion der anderen, S. 95.

340 | V OM LANGEN J ETZT als solcher ist höherer Ordnung als der des Ernstes. Denn Ernst sucht Spiel auszuschließen, Spiel jedoch kann sehr wohl den Ernst in sich einbeschließen.“

369

Für eine hoffnungsvolle Erzählung und eine ‚lebende Institution‘ bedeutet dies eine Bewegung im Bestimmungsprozess von Selbstinszenierung und Verewigung zu kreativer Verantwortungsförderung. Spiel ist hier freilich nicht als leichtfertig zu verstehen, wenn man der Selbstbeschreibung der Stiftung folgt. Denn seine Ernsthaftigkeit äußert sich spätestens im „Denken großer Zeiträume, im infiniten Spiel, namens generationelle Verantwortung“370. Als nachhaltige und kontinuitätsstiftende Form setzen sich Storytelling und Mythos im Spiel ohne Ende fort. Infinit ist sicherlich dessen Ernsthaftigkeit; ein Spiel offengehaltener Zukunft für das lange Jetzt ist insofern infinit, solange es mit der Erzählform des Geschehens (in progress) kongruiert, solange das Living System sich prospektiv ausspricht. Work in progress und Erzählform des Geschehens fallen in einem Kontinuitätsmodell zusammen, das mit Gegenwart spielt, indem sie sich zukunftserfüllt und dann erst offengehalten gestaltet. So leitet ein Spiel offengehaltener Zukunft zu einer Zusammenfassung von Oppositionen und Formgebung für ein Denken des Jetzt über: Indem ich die Long Now Foundation im Dazwischen darstellen konnte, wird ein Phänomen erschlossen, das auf der Ebene oppositioneller Sinnstiftung vermittelt ist und sich somit kongruent zu einem paradoxalen Denken des Jetzt verhält, das mit Kürze und Länge besetzt ist. Dieses Dazwischen zeigt sich anhand einer Sinnstiftung, die das Denken mit Oppositionen versieht. Aus Perspektive der Mediennutzung werden sie anhand von Wahrnehmungsprinzipien deutlich, die sich etwa entlang einer spezifischen Konkurrenzsituation bewegen, aber auch Perzeptionslogiken aufzeigen, die sich äquivalent zu einer Längenauferlegung des Jetzt verhalten. Nachvollzogen wird ein symptomatischer Status der Long Now Foundation, der zu einem Umgang mit Gegenwart ausdifferenziert und diskutiert wird. Dabei verdeutlicht die Analyse Verstärkerfunktionen für ein Denken des Jetzt – so für ein Kontingenzbewusstsein wie auch ein kritisches Zeitbewusstsein von Gegenwart –, die medial induziert sind und sich vorrangig aus einer kritischen Diskussion des balancierenden Korrektivs ergeben, welches ein long-term thinking bereitstellen soll. Indem Oppositionen nicht aufgelöst, sondern ebendiese für eine Sinnstiftung weiterverfolgt wurden, werden trotz Oppositionen formgebende Vermittlungsfunktionen deutlich. So wird die Untersuchung nicht nur dem Phänomen Long

369 J. Huizinga: Homo Ludens, S. 50 [Herv. i.O.]. 370 S. Brand: Das Ticken des langen Jetzt, S. 172.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 341

Now Foundation gerecht, das nur in Oppositionen aufgehen kann, sondern auch einem Denken des Jetzt, indem sie es paradoxal besetzt erfasst und die stete Konfrontation mit Oppositionen und Widersprüchen handhabt. Medial induzierte Verstärkerfunktionen bewegen sich nämlich entlang der Vermittlung eines Erkenntnisgegenstandes und insbesondere entlang einer Erzählform, die Zeitlichkeit im Sinne eines langen Jetzt verdichten. Dabei konnten Ergebnisse aus der archäologischen Genealogie nicht nur anschlussfähig, sondern pointiert werden und die Ambitionen der Stiftung für ein long-term thinking ernst genommen sowie kritisch diskutiert werden – sowohl für ein Zeitbewusstsein vom Jetzt als auch selbstreferentiell relevant für die Long Now Foundation. Formgebende Vermittlungsfunktionen wurden anhand der symbolischen Form deutlich, die mit der 10.000-Jahre-Uhr hervortritt. Longnow.org konnte zu einem Sinnzusammenhang und folglich als sinnstiftendes Möglichkeitsfeld für ein Denken der Paradoxie erweitert werden. Rekurrierend auf das im Entstehen Begriffene, als konstitutiv für eine ‚lebende Institution‘ und den Fortgang des langen Jetzt, konnten elementare Ein- bzw. Fortschreibungsprozesse dargestellt werden. Mit der symbolischen Form wie auch der monumentalen, im Entstehen begriffenen Clock of the Long Now werden dabei Praktiken aufgezeigt, denen Sinn wie auch ein zukunftserfülltes Jetzt eingeschrieben sind. Eine solche Einschreibung konnte mit der Erzählform ausgeführt werden, indem diese nämlich ein Denken der Paradoxie, die durch das lange Jetzt noch zusätzlich herausgefordert wird, trotz Oppositionen zugänglicher macht: So wurde eine nachhaltige, ausgedehnte Form von Storytelling und Mythos dargestellt, die der hoffnungsvollen Erzählung der Long Now Foundation eine Form gibt, dabei die Schlüsselkategorien für ein long-term thinking zusammenführt und schließlich den Fortgang sowohl für eine ‚lebende Institution‘ als auch für ein langes Jetzt erfasst: Erstens kommt durch die Analyse ein dreiteiliger Bestimmungsprozess für das narrative of hope auf. Er zeigt sich in einer Hoffnung für die Zukunft hinsichtlich Anerkennung und Legitimation durch ‚mythische Tiefe‘; Hoffnung für die Zukunft durch partizipatorische Einbindung und eine Vielzahl an long-term thinkers und in der Hoffnung für die Zukunft durch die eigene Verewigung der ‚Projektenmacher‘. Zweitens verdeutlicht die nachhaltige, ausgedehnte wie reziproke Form von Storytelling und Mythos eine Erzählform für das lange Jetzt, die eine funktional zukunftserfüllte Bestimmung nahelegt, da sich der Mythos in ihr einschreibt. Mit dieser Erzählform werden ihr selbst innewohnende Mechanismen nahelegt, die nicht nur die Long Now Foundation selbst aufrechterhalten, sondern auch das lange Jetzt erzählerisch wie gedanklich verdichten und fortschreiben: so die

342 | V OM LANGEN J ETZT

Konversation, die Mythosstiftung und die Vorstellung, die darin münden, experimentell, und das bedeutet, spielerisch wie kreativ mit dem Jetzt umzugehen. Daran anschließend zeigt diese Arbeit drittens eine Erzählform, die sowohl mit einer ‚lebenden Institution‘ als auch mit einem verdichteten und gleichzeitig zukunftserfüllten Jetzt korrespondiert: Die hier für die Long Now Foundation erschlossene Erzählform des Geschehens bewegt sich entlang ihres eigenen work in progress und tritt als Spiel offengehaltener Zukunft auf: Die Long Now Foundation stiftet darin nur Sinn, solange sie selbst prospektiv gehalten wird; sich noch unvollständig fortschreibt, das Jetzt aber zugleich in Richtung Vergangenheit und Zukunft zu vervollständigen sucht. Damit widerspricht sie ihren eigenen Zielen und einem balancierenden Korrektiv. Kontinuität ist vor allem dann alles (‚Continuity Is All‘), wenn es um eine eigene Denkmalsetzung geht. Zugleich lässt sich also trotz Oppositionen eine kontinuitätsstiftende Erzählung ausmachen, denn gerade weil sie prospektiv gehalten ist, kann sich die hoffnungsvolle Erzählung zukunftserfüllt aussprechen. So bleibt das lange Jetzt und das dadurch herausgeforderte Denken der Paradoxie auf der Ebene oppositioneller Sinnstiftung vermittelt, die sich in die Praktiken der Long Now Foundation einschreibt. Denn sie begegnet einer Ungewissheit und Melancholie mit nachlogischem Ruhm, der sich bereits jetzt gestaltet und ausprägt; sie zieht eine Erzählform heran, die Sinnstiftung zwischen vorund nachlogischer Prägung verortet, das Prospektive im balancierenden Korrektiv gewichtet und einer funktional gerichteten Bestimmung ein Spiel offengehaltener Zukunft entgegensetzt. Gleichwohl sind dies tiefer gehende Bestimmungen für ein long-term thinking, die erst mit der vorliegenden Analyse detailliert hervortreten und eine kritische Diskussion der Long Now Foundation nicht außer Acht lassen. Das Denken des Jetzt äußert sich darin, stets mit der Opposition zu experimentieren und diese in Form zu bringen. Die Erzählung geht mit The Interval in einen räumlichen Place for Conversation über, den der Besucher gegenwärtig bereisen und dabei im nichtmetaphorischen Sinne durch eine dem long-term thinking gemäße Umwelt ‚navigieren‘ kann. Indem ich The Interval bzw. das Intervall im Wortsinn fasse, bietet es einen zeitlichen Zwischenraum für eine ‚lebende Institution‘, in dem die Leitkategorien einer Prozessualität, experimentellen Erzählens und des Spiels zusammenfinden, um das long-term thinking abschließend zu betrachten. Es dient als Zwischenraum außerdem dazu, über das Möglichkeitsfeld Webseite hinauszugehen und ein ‚von Zeitmoment zu Zeitmoment beherrschbares‘371 Jetzt aufzugreifen, dessen Länge in einer oppositionellen Fortschreibung mündet.

371 Vgl. Anm. 320.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

3.8 T HE I NTERVAL – E INE M OMENTAUFNAHME LANGEN J ETZT

| 343

DES

Um für ein Denken des Jetzt und einen Umgang mit Gegenwart mit Oppositionen zu experimentieren und diese in Form zu bringen, kann der Prozessualität eine Momentaufnahme entnommen werden. Sie verhält sich nicht nur kongruent zu einem Ausschnitt aus dem langen Jetzt, sondern sie kann auch ein sich stets fortentwickelndes, zukunftserfülltes Jetzt von Zeitmoment zu Zeitmoment, nämlich in einem Zeitmoment, greifbar bzw. beherrschbar machen. Die Handlungsebene bzw. die Praktiken der Long Now Foundation, die sich zugleich im Jetzt verdichten und in die Zukunft hinein aussprechen, treten mit The Interval in einem zeitlichen Zwischenraum auf, der einerseits repräsentativ für eine ‚lebende Institution‘ zwischen Veränderung, Erneuerung und Kontinuität steht. Andererseits kann die vorliegende Arbeit damit einen Blick auf das Jetzt trotz prospektiver Zukunftsausrichtung anbieten, mit dem die ‚Stetigkeit des Geschehens‘,372 kongruent zu ihrer Erzählform beherrschbar wird: Sie mündet in einen Raum für die Konversation, der weder allein webbasiert vorliegt noch allein in der Zukunft liegt. So tritt der Place for Conversation abschließend hervor, indem erstens eine dem Prospektiven zur Seite gestellte Umwelt für das long-term thinking aufgezeigt werden soll. Dieses wird zelebriert und ausgespielt, wobei der Gestaltung eines erzählerischen Raums nachgegangen werden kann sowie einer partizipatorischen Einbindung über deren webbasierte und prospektive Versionen hinaus. Zweitens führt ein solches Ausspielen zu einem Spiel mit und auf Zeit, das zum einen mit der Längenauferlegung für das Jetzt spielt, zum anderen jene Haltung bzw. Handhabung dafür aufgreift, was im Jetzt getan werden kann, um dieses auszudehnen. Es geht dabei um eine zunehmende Bewegung von Selbstinszenierung zu Inspiration; um die Inszenierung des Place for Conversation selbst. 3.8.1 Umwelt für einen Place for Conversation Über einen webbasierten ‚Gruppen-Spielplatz‘ und den Konversationsort in longnow.org hinaus bildet The Interval den Place for Conversation, der sich neben eine prospektive Gestaltung des langen Jetzt stellt und diese ergänzt. Anders als bei einer ‚materiellen Niederlegung‘, die mit dem Monumentalen aufkommen konnte, tritt hier eine für das long-term thinking gestaltete Umwelt der Ob-

372 Vgl. Anm. 320.

344 | V OM LANGEN J ETZT

jekte auf (‚Environment von Objekten‘373 ), die entsprechende Konversationen stimulieren kann und dem kalifornischen und ausgebildeten Besucherort das long-term thinking ebenso einschreibt. The Interval wird somit selbst zum „Ort der Einschreibung“374, an dem sich experimentierendes und gedenkendes Vergegenwärtigen zusätzlich entlang der dort gestalteten, verräumlichten Umwelt bewegt. Sie ist sowohl für den Besucher als auch für die ‚lebende Institution‘ metaphorisch wie materiell ausgeprägt. Konnte aus genealogischer Perspektive auf spezifische Umwelten (‚media environments‘) verwiesen werden, insbesondere in Anlehnung an Turner, materialisiert sich hier gleichsam die gedenkende Vorstellung oder das ‚Spiel mit der Phantasie‘ in dem Sinne, dass einzelne Stationen des work in progress in dieser Umwelt ausgestellt werden, etwa Artefakte bzw. einzelne Bauteile der 10.000-Jahre-Uhr.375 Einerseits tritt hier eine Materialisierung des Prospektiven auf, mit der von einer Art „kultureller Kontinuierung“376 gesprochen werden kann: Das bedeutet, dass der Besucher auch hier den einzelnen Stationen des work in progress begegnet und somit den Praktiken der Long Now Foundation, die sich in die materiellen Artefakte einschreiben und im Einzelnen auf den übergeordneten Prozess und Fortgang der Long Now Foundation verweisen. Andererseits wird die Erzählform des Geschehens gerade durch solche Artefakte und in einer charakteristisch gestalteten Umwelt in einem Zeitmoment der Begegnung oder des Besuchs beherrschbar. Wenn der User schon in longnow.org dem gestalterischen Bereich der Darstellung begegnete, verharrt der Place for Conversation hier nicht im Symbolischen der Webseite und wird in einem ferner gestalteten erzählerischen Raum lokalisierbar. Über die webbasierte Darstellungsebene und eine in der Vorstellung gehaltene Erzählung hinaus gestaltet The Interval einen Konversationsort, der zugespitzt als ‚mediale Umwelt‘ dargestellt werden kann: Neben einer solchen des Möglichkeitsfeldes Webseite, in dem der User – der Zeitparadoxie entsprechend – (nicht-)linear mit Kürze und Länge, Kontinuität und Diskontinuität konfrontiert ist, betritt der Besucher in The Interval einen Raum der formgebenden Vermittlung:

373 Vgl. Anm. 261. 374 H. Winkler: „Das Modell“, S. 306. 375 Vgl. dazu auch Kap. 1, das verdeutlicht, inwiefern The Interval auch als Erweiterung des Long Now Museum and Store zu verstehen ist. 376 H. Winkler: „Das Modell“, S. 311: Hier kann nämlich von technisch reproduzierten Gedanken des work in progress gesprochen werden, die sich in den Artefakten ‚niederlegen‘; „Technische Reproduktion generiert Struktur (und Redundanz) und sorgt [...] für kulturelle Kontinuierung“, siehe ebd.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 345

Die für das Monument noch angedachte Ruhepause kann in The Interval als Lounge, Café, Bar und Museum erfahren werden, indem der Besucher entweder kontemplativ (mit Whiskey, Gin oder Suncha Pu-erh Tee) oder im Austausch mit anderen dem long-term thinking begegnet.377 Anders als eine Umwelt, die sich beispielsweise durch Bristlestone Pine Trees kennzeichnet und damit repräsentativ für lange Entwicklungszeiträume steht, ist hier eine selbstreferentielle Umwelt ausgeprägt, die es vermag, Konversationsbereiche aus longnow.org in eine Räumlichkeit zu transferieren. So kann The Interval etwa als Austragungsort für Long Now Seminars oder auch als Ausstellung von Long Bets dienen.378 So findet mit The Interval der Transfer vom zweidimensionalen Feld Webseite in den dreidimensionalen Raum des Place for Conversation statt. Den Ausstellungsort wie auch oben erwähntes Museum aufgreifend, kann von einem webbasierten Feld zu einem erzählerischen Raum übergeleitet werden. Dieser schließt nämlich an die Schlüsselkategorien von Storytelling und Mythos und die charakteristische Umwelt an, indem sowohl eine mehrdimensionale Umwelt als auch erzählerische Schlüsselkategorien zusammentreffen: Der Einsatz von Medien-Technologien in sogenannten ‚medialen Umwelten‘, der schon in der 1960er/70er Kunstszene zu einer Bewusstseinserweiterung führen sollte, zeigt sich hier in einem begehbaren und sinnlich erfahrbaren Konversationsort. Über Wahrnehmungslogiken hinaus, die sich äquivalent zur Längenauferlegung des Jetzt verhalten, ergibt sich somit eine Bewegung im Bestimmungs- respektive Gestaltungsprozess der Long Now Foundation, die die menschlichen Sinne erweitert einbezieht, in der ‚Landschaft der Bar‘ etwa („bar

377 So gesehen kann das long-term thinking hier konsumiert werden, etwa mit eigens kreiertem, über Jahre gereiftem Whiskey oder mit gleichsam ‚technisch-inszenierten‘, variierenden Gin-Sorten des Bespoke Gin Robot. Der spezielle Tee verweist ebenso auf entsprechende Praktiken im Rahmen des langen Jetzt: „Pu-erh is unusual because it improves over time and each serving can be enjoyed for up to 20 infusions – its taste characteristics change over those many cups. So this tea is a perfect fit with Long Now and our goal to make The Interval a place for conversation. There is a limited supply of this unique tea; in fact, we have the last of this vintage in existence“, The Long Now Foundation: „The Interval: rare Suncha Pu-erh Tea sourced by Samovar Tea Lounge“, vimeo, https://vimeo.com/68100752 vom 13.03.2015. 378 Der Chalk Board Robot etwa wurde auch dafür programmiert, laufende Wetten auf einer Tafel in The Interval aufzuschreiben, so die Angaben zum Besuchsort im September 2014, longnow.org, [The Interval], https://longnow.org/interval/ vom 29.9.2014.

346 | V OM LANGEN J ETZT

landscape“379), und Lernprozesse verstärkt an die Umwelt anzupassen sucht. Die transformative Erfahrung, die genealogisch noch als Reise nach innen auftreten konnte, zeigt sich hier vielmehr als sinnliche Zeitreise: Auf dieser Reise wird Gegenwart von einer Bewusstseinserweiterung zu einer Bewusstseinsdichte der Vergegenwärtigung gestaltet. Eine Vergegenwärtigung ist dabei räumlich gestaltet und kann die ‚geistige Aktion‘ des Besuchers ebenso richten bzw. bestimmen. Wenn ebenso aus genealogischer Perspektive davon gesprochen werden konnte, inwiefern die Landschaft für ein Learning System als Text begriffen wird,380 deutet sich für das Living System sowohl ein Navigieren durch den textuellen, zweidimensionalen als auch durch den dreidimensionalen Informationsraum an, der sich als Place for Conversation in Kalifornien ausbildet. Der Einsatz von Technologien ist hier so zu verstehen, die in den Ausstellungsort eingeschriebenen Praktiken der Long Now Foundation aufzuzeigen, womit das Bewusstsein des Besuchers in einer Umwelt mitgestaltet wird. Denn diese Umwelt spricht sich für das long-term thinking aus und macht die Prozessualität der ‚lebenden Institution‘ von Zeitmoment zu Zeitmoment greifbar. So sind es beispielsweise Arbeiten Brian Enos, das sogenannte Ambient Painting oder seine Licht- und Sound-Installationen,381 die eine dem long-term thinking entsprechende Atmosphäre schaffen sollen – im besonders langsamen, geduldigen Ambient-Stil oder eben anhand steter Veränderung: Das Ambient Painting ist mit einem variierenden Display versehen, sodass sich dessen Farben und Formen verändern. Eine Sinnstiftung für das lange Jetzt wird folglich über die menschlichen Sinne erweitert, wobei das kreative, spielerische Moment aufkommt, anhand dessen die Long Now Foundation die Nachwelt zu bedenken sucht. Denn zusätzlich begegnet der Besucher, neben den Ausstellungsstücken des Sonnensystemmodells (Orrery) des ersten Prototyps oder der Klanginstallation für die Clock One (Chime Generator),382 dem Manual for Civilization. Wie schon Bücher im Whole Earth Catalog dazu dienten, das Leben in der Gemeinschaft bzw. Kom-

379 The Long Now Foundation, The Interval, theinterval.org, [Drinks: View the Menue], http://theinterval.org/static/theInterval%20Menu.pdf vom 13.03.2015, S. 1-19, hier S. 11. 380 Vgl. Kap. 2, Anm. 639. 381 Theinterval.org, [Welcome], http://theinterval.org/ vom 13.03.2015 sowie M. Em: „Brian Eno designs Sound and Light Art for The Interval at Long Now“, longnow.org (16.07.2013), [Blog], http://blog.longnow.org/02013/07/16/brian-eno-salon-sound-lig ht-design/ vom 13.03.2015. 382 Vgl. theinterval.org, [The Space], http://theinterval.org/space/ vom 13.03.2015.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 347

mune zu organisieren, greift das Manual nicht nur verwandte Themen auf.383 Zugleich dient es, ganz der Selbstinszenierung entsprechend, einem Neustart der Zivilisation („to restart civilization“384 ). Das für die ‚lebende Institution‘ gegenwärtige zwei- wie dreidimensionale Navigieren durch Information und Komplexität zeigt sich ferner darin, dass das Manual for Civilisation ebenso im Web zugänglich sein soll, wo Listen über dessen Bestand veröffentlicht werden und die ‚Regale der so intendierten Bibliothek‘ durchsucht werden können.385 Diese Listen werden von Personen der Long Now Foundation und von Mitgliedern gestaltet. Im verräumlichten ‚Ort der Einschreibung‘ kann sich der Besucher zusätzlich selbst, je nach finanziellen Mitteln, einschreiben. Wie die ‚Diagnose der Gegenwart‘ bereits darstellen konnte, stellt The Interval Bereiche bereit, in denen Sponsoren sich namentlich verewigen können, um Teil der Inszenierung von Ambitionen, Ehrgeiz und Visionärem der Long Now Foundation zu werden.386 Einerseits werden Teilhabeprozesse fortgeführt, denen ebenso eine Einschreibung zugrunde liegt und die somit das zuvor erläuterte menschliche Grundbedürfnis aufgreifen. Andererseits kann ein Bestimmungsprozess ausgemacht werden, der sich vom webbasierten Informationsraum über einen räumlich begehbaren Ausstellungsort zum erzählerischen Raum bewegt, anhand dessen die Erzählform ausgeführt wird. Indem The Interval für den vorliegenden Zusammenhang als Raum der Vermittlung hervortreten kann, bezieht dies die Ausstellung als mediale, vermittelnde Funktion ein.387 Ihr liegt die gestaltende Ebene der sprachlichen und erzählten Darstellung zugrunde. Wenn es nämlich um einen Raum bzw. Konversationsort geht, der auf den Schlüsselkategorien von Storytelling und Mythos

383 Es soll, neben kanonischen Texten, etwa den Ausbau von Infrastruktur, Stahlherstellung, Gartenbau oder Geburtshilfe thematisieren, vgl. theinterval.org [The Space] vom 13.03.2015. Eine Kategorisierung wird nochmals genauer gefasst über: „Mechanics of Civilization: Cultural Kanon; Science Fiction; Futurism“, siehe A. Rose: „The Manual for Civilization Begins“, longnow.org (06.02.2014), [Blog], http://blog.longnow.org/ 02014/02/06/manual-for-civilization-begins/ vom 13.03.2014. 384 Ebd. 385 Vgl. dazu theinterval.org, [The Space] vom 13.03.2015: „come browse our shelves“ und vgl. ferner A. Rose: „The Manual for Civilization Begins“ vom 13.03.2014. 386 Vgl. dazu in Kap. 1 insbesondere die sogenannte „shelf dedication“ ab einer Spende von 10.000 USD sowie Partizipationsaufrufe durch die Stiftung. 387 Vgl. H. Kossmann/S. Mulder/F. den Oudsten: „Introduction“, S. 6-7, hier S. 6. Der erzählerische Raum („narrative space“) vertieft hier das „exhibition medium“, siehe ebd.

348 | V OM LANGEN J ETZT

basiert und mit The Interval über longnow.org hinausgehen kann, dann ist die Ausstellung ein ergänzendes, gestaltendes Element. Es ergänzt sowohl eingeschriebene Praktiken als auch eine an das long-term thinking angepasste Bewusstseinsdichte und ermöglicht ein im Intervall greifbares Geschehen bei dessen gleichzeitigem Fortgang. Stellt sich die Ausstellung nämlich neben das Prospektive, so spricht sich auch hier die hoffnungsvolle Erzählung aus. Denn der ergänzende, gestaltende Faktor der Ausstellung entstammt einer ihr selbst innewohnenden Story, die eine Beziehung zwischen den Dingen und deren Interpretation generiert.388 Der Konversationsort definiert sich hier, angeschlossen an Storytelling und Mythos, als erzählerisch dominiert, als ‚narrativer Raum‘.389 Können The Interval ausstellerische Elemente zugeschrieben werden, zeigt sich ebenso eine selbst aufrechterhaltende Struktur, denn wie etwa prototypische Artefakte, Klang- und Lichtinstallationen auf eine dem long-term thinking entsprechende Umwelt verweisen, können sie ebenso die Konversation über die ‚Exponate‘ nach sich ziehen. Adaptive Lernprozesse werden dabei verstärkt, insbesondere durch die mediale Gestaltung der Umwelt, etwa durch Klang und Licht, die sich intellektuell wie emotional auf den Besucher auswirken kann.390 Die transformative Erfahrung spricht den Besucher folglich in diesem Raum an, in dem die hoffnungsvolle Erzählung wie auch ein ausgedehntes Jetzt vermittelt ist. Dabei geht The Interval zusätzlich über einen Ausstellungsort hinaus, indem ein Raum gestaltet wird, der als Bar, Lounge oder Café selbst schon als Gesprächsort angelegt ist. Dies kann mit einer partizipatorischen Einbindung verknüpft werden, die das Navigieren durch The Interval als informativen Ausstellungs- wie Gesprächsort an (nicht-)lineare Erschließungsprozesse rückbindet: Wird The Interval als ein Vermittlungsraum gefasst, so erscheint dieser nicht nur als Ausstellungs- wie Gesprächsort für ein long-term thinking, sondern als Erzählung, die den Besucher mit auf eine Reise nimmt.391 Während Ausstellungen aufgrund ihres Designs eine eigene narrative Struktur zukommt, die den Be-

388 Vgl. ebd., siehe hier: „The integrating factor of the exhibition is established by its story – through relationships between things interpreted in language.“ 389 Siehe ebd.: „we define the locations or the situations dominated by stories as narrative spaces“ [Herv. i.O.]. 390 Siehe dazu H. Kossmann: „The Practice of Design“, S. 46-127, hier S. 66: „some media are more powerful than others. [...] Sound [...], is as pervasive as smell and it is seldom used to its full potential. Also, every medium has its position on a scale ranging from ‘knowing’ to ‘experiencing’ and its caracteristic effect on the visitor will vary accordingly, both intellectually and emotionally.“ 391 Vgl. ebd., S. 47; 50.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 349

sucher je nach Arrangement des Raums linear oder nicht-linear durch deren Geschichte bzw. Erzählung leitet,392 bietet The Interval mit seinem Arrangement zwischen Ausstellung und Konversation (Long Now Museum und Café/Bar), die ineinander übergehen, ein mehrdimensionales Navigieren: Im erzählerischen Raum, dem die funktional gerichtete und sich linear in die Zukunft fortschreibende Erzählung zugrunde liegt, begegnet der Besucher dieser hoffnungsvollen Erzählung nicht-linear. Wie schon ein möglicher nicht-linearer Erschließungspfad in longnow.org aufgezeigt werden konnte, kann der Besucher sich etwa Artefakte aus Stationen der Bauprozesse ansehen; sich ggf. einen Vortrag zum long-term thinking anhören; das Manual for Civilization durchforsten; dies insgesamt vom Ambient-Sound klanglich untermalt rezipieren; das Ganze bei einer Pause an der Bar wirken lassen; zu einem Bereich zurückkehren oder neu anfangen und schließlich vor Ort ins Gespräch kommen. Der Besucher erschließt räumlich erfahrbar selbst ein Narrativ; er kann dieses anordnen, indem sich dessen Aktivität und die im Raum gestaltete Erzählung wechselseitig bedingen. Der Besucher begeht den Place for Conversation und kann in einem Raum mit ausstellerischen, zur ‚lebenden Institution‘ kongruenten Elementen der transformativen Erfahrung und einer partizipatorischen Einbindung begegnen. Intellektuell, emotional wie sinnlich übergreifend wird die transformative Erfahrung angesprochen. Was noch als webbasierter Erschließungspfad auftrat, manifestiert sich im Gang des Besuchers, indem die ‚lebende Institution‘ und ein longterm thinking im ‚Environment der Objekte‘ erschlossen werden: „The walk creates a rhythm of pause and continuity [...]. As such, the walk establishes a choreography of all of these aspects within the environment, whereas the narrative distributes their timing and their mode of presentation in space. The walk and the narrative complement each other. They are the physical and psychological constituents of the 393

exhibition.“

In The Interval wird die transformative Erfahrung im Besucher angesprochen, indem zwischen Ausstellungs- und Konversationsort der adaptive Lernprozess für ein long-term thinking intellektuell wie emotional und zusätzlich verstärkt

392 So werden insbesondere im Rahmen von Ausstellungsdesign und -architektur Routen arrangiert, die ein lineares und chronologisches Narrativ anordnen können, vgl. ebd., S. 49; in parallel angeordneten Bereichen linear erzählen, vgl. ebd., S. 62; oder auch mehrere nicht-lineare Perspektiven zulassen, die zusätzlich etwa als Labyrinth angeordnet sein können, vgl. ebd., S. 56; 58. 393 Ebd., S. 47.

350 | V OM LANGEN J ETZT

über die menschlichen Sinne angesprochen werden kann (‚physical and psychological constituents‘). Der Besucher begeht dabei einen Raum, in dem sich die hoffnungsvolle Erzählung ausspricht und sich selbst, wie auch die sinnliche Erfahrung des Besuchers, gegenwärtig wie zukunftserfüllt gestaltet. Die Aktivität und somit die Teilhabe des Besuchers begegnet dabei zugleich eingeschriebenen Praktiken der ‚lebenden Institution‘ (‚a rhythm of pause and continuity within the environment‘). Eine mit dieser Studie auftretende sinnliche Zeitreise gestaltet sich kreativ ausgebildet, mündet in Gegenwart und ist zugleich in Richtung Zukunft bestimmt. Gleich der webbasierten Erschließung zwischen gerichtet linearer Kodierung und nicht-linearem Navigieren kann sich der Besucher auf eine Reise zugunsten eines Entdeckungsspiels begeben. Zwischen Ausstellungs- und Konversationsort generiert The Interval ein Spiel der Narration, anhand dessen Erzählstränge eigen oder individuell angeordnet werden können.394 Gleich der Erzählform des Geschehens zwischen funktional gerichteter und offengehaltener Bestimmung verfährt auch dieses Spiel vermittels vorprägenden Storytellings. Es bindet sich nicht nur an die Personen der Long Now Foundation, sondern weist die Teilhabe des Besuchers selbst, im Intervall zwischen Ausstellung und Konversation, als Mittel formgebender Instanz auf – „[t]he walk is what connects the exhibition maker – as a storyteller – and his audience“395. In einem erzählerisch dominierten Raum rückt das Narrativ nicht in den Hintergrund, sondern indem die Aktivität des Besuchers und die Erzählung korrelieren, kann an dieser Stelle ein verstärktes gemeinsames Spiel hervortreten, das aus Perspektive webbasierter, medialer Operationslogik eher in den Hintergrund rückte. Doch auch wenn paradoxerweise im Intervall, in einer Momentaufnahme des langen Jetzt, eine gegenwärtige wie zukunftserfüllte Erzählung dominiert, tritt das ‚infinite Spiel‘ in den Hintergrund. Denn dem gemeinsamen Spiel werden Regeln auferlegt, „[t]he walk is never free from pretence, if only because the author of the show aims at telling a story“396. So gelangt die Analyse Vom langen Jetzt an einen Punkt, an dem lineares und nicht-lineares Erschließen, Kontinuität und Diskontinuität der ‚lebenden In-

394 Hier tritt das Narrativ jedoch nicht zugunsten des Spiels zurück, sondern das Narrativ dominiert den Raum. Dabei bedingen Narrativ und Spiel sich gegenseitig (‚walk and narrative complement each other‘); siehe außerdem ebd.: „The walk serves as a way of linking seperate scenes to form a narrative, like threading pearls to a string.“ 395 Ebd. 396 Ebd., S. 48.

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 351

stitution‘, die Reise zu einer transformativen Erfahrung und ein gemeinsames erzählerisches Spiel in einer ‚show‘ münden. Sie münden letztlich darin, das long-term thinking zu zelebrieren, das sich erzählerisch in einem Place for Conversation ausspricht. Eine mit The Interval erläuterte Beziehung zwischen den Dingen, die den Raum erzählerisch anfüllen, markiert gleichwohl nur ein Element im narrativen Raum. Denn der Place for Conversation steht rekursiv für die ‚lebende Institution‘ und deren zukunftserfüllte Erzählung, für die eine gestaltete Räumlichkeit nur eine Momentaufnahme darstellen kann. Mit einem strategischen Einsatz des Intervalls tritt das Spiel gleichsam als Station auf dem Weg hervor, das Denken des Jetzt sowie das Dazwischen der ‚lebenden Institution‘ zu pointieren und abzuschließen. 3.8.2 Spiel mit und auf Zeit Konnte mit The Interval eine formgebende Vermittlung an einen (Zeit-)Punkt gelangen, an dem sich die Sinnstiftung für ein Denken des Jetzt in einem narrativen Spiel verräumlicht und der Besucher sich zwischen Ausstellungs- und Konversationsort bewegt, kann er ebenso zum entdeckenden Mitspieler des langen Jetzt und long-term thinking werden. Gestaltet sich dieses Spiel gegenwärtig und wird doch zugleich von einer Erzählung dominiert, die ins Zukünftige reicht, kommen diesem Raum zwar bewusstseinsverdichtende und das Jetzt ausdehnende Formgebungs- und Lernprozesse zu. Doch sie stellen ebenso nur eine Station im langen Jetzt dar, das ausgedehnt erzählerisch vermittelt ist. Indem The Interval nicht nur auf eine Sinnstiftung deutet, die sich oppositionell etwa zwischen infinitem und finitem, gerichtetem und gemeinsamem Spiel verortet, sondern auch das ausgedehnte Jetzt als Station der ‚lebenden Institution‘ im Intervall begrenzt, tritt ein Spiel mit und auf Zeit hervor: Erstens kann damit ein gerichteter Bestimmungs- und Gestaltungsprozess von Selbstinszenierung zur Inszenierung des Place for Conversation pointiert werden; zweitens kann der strategische Einsatz des Intervalls mit einer oppositionellen Sinnstiftung korrelieren. Die Inszenierung des Place for Conversation zeigt sich also zunächst in einer charakteristisch gestalteten Umwelt, in der adaptive Lern- und Gestaltungsprozesse greifen, die die transformative Erfahrung ansprechen. Indem der Besucher hier zum Mitspieler werden kann, wird zugleich jenes Bedürfnis rekurrierend auf Huizinga und Pfaller angesprochen, spielerisch dem Alltäglichen zu entweichen. Hinzu inszeniert der Place for Conversation, indem er einen gegenwärtigen Einschreibungsort besuch- und begehbar macht, was jetzt getan werden kann bzw.

352 | V OM LANGEN J ETZT

getan wird, um dieses Jetzt bereits gegenwärtig auszudehnen. Vermittelt und dominiert durch die zukunftserfüllte Erzählform des Geschehens nämlich, wird dem Jetzt ausgedehnt begegnet, da es sich prospektiv in entsprechenden Praktiken fortschreibt. In den Mittelpunkt rückt dann ein strategischer Einsatz des Intervalls im ‚Spiel mit der Phantasie‘ – es äußert sich als gemeinsames Spiel auf Zeit, nämlich im Zwischenraum begrenzt, und holt einen Aspekt der StiftungsSelbstbeschreibung hervor: „An interval is a measure of time or the space between. An intervening period, a pause within time that is also time-less. All times intersect at The Interval: a place for discussing 397

the future, enjoying the present, and celebrating the past.“

Wenn die Pause hier konstitutiv für das Intervall erscheint, dann bezieht dies die ‚Mitspieler‘ ein. Denn die Erzählform des Geschehens, in der das zukunftserfüllte Jetzt von Zeitmoment zu Zeitmoment beherrschbar wird, ist abhängig von intensiven, Aufmerksamkeit fördernden Momenten. Dabei wird das Verständnis der Erzählung in den Pausen, die der Besucher einlegt, vertieft.398 So finden charakteristische Erzählform und Konversation in einem Raum zusammen (‚a place for discussing the future‘), die das lange Jetzt kreativ wie spielerisch, gegenwärtig wie zukunftserfüllt gestalten und verdichten (‚enjoying the present‘). Dabei begegnen sich die Aktivitäten des Besuchers und der ‚lebenden Institution‘, wobei eine Selbstinszenierung in Inspiration münden kann, die zugleich aber das zelebriert (‚celebrating the past‘), was bereits getan werden konnte und prospektiv ausgebildet wird. Die Stiftung spielt dabei gleichzeitig mit dieser Längenauferlegung: Innerhalb einer ‚lebenden Institution‘, die die paradoxale Besetzung des Jetzt zwischen Kürze und Länge noch herausfordert, sprechen sich verschieden gehaltene Längen aus, die mit der vorliegenden Analyse explizit werden: Das lange Jetzt umfasst in der Stiftungs-Selbstbeschreibung 20.000 Jahre, richtet sich vor allem aber 10.000 Jahre in Richtung Zukunft aus. Es ist vermittelt und ‚in Form gebracht‘ durch gegenwärtig verdichtete wie zukunftserfüllte Bewusstseinsinhalte und Handlungsebenen, die das lange Jetzt gestalten. Es ist dabei nicht nur über einen Erkenntnisgegenstand vermittelt, sondern auch über eine Erzählform des Geschehens, die gestaltende Aktionen wie auch die Handlungsebene kultureller

397 Theinterval.org, [The Space] vom 13.03.2015. 398 Vgl. H. Kossmann: „The Practice of Design“, S. 48, siehe hier: „The ‘range‘ of that story is highly dependent on moments of acute attention and it is the visitor’s pause that opens up moments of deeper understanding.“

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 353

Praktiken aufzeigt. Im Spiel mit der Längenauferlegung schließlich mündet das lange Jetzt in einem Intervall und ist paradoxerweise zeitlich begrenzt, wenn es um dessen Ausdehnung geht. So schließen hier gleichzeitig beide erweiterte Thesen dieser Arbeit an: Wenn nämlich die archäologische Genealogie ein langes Jetzt, das in seiner Herkunft und Entstehung nicht lang genug ist, korrigieren konnte, tritt eine solche Kürze hier erneut auf – im Intervall und dem langen Jetzt, das begrenzt in einem Zeitmoment und einem Zwischenraum auftritt. Schließlich tritt ein Phänomen hervor, das nur in Oppositionen aufgehen kann, denn ein mögliches Denken des Jetzt ist insbesondere über eine oppositionelle Sinnstiftung vermittelt – aus Kürze und Länge, Kontinuität und Diskontinuität, vor- und nachlogischer wie gegenwärtiger und prospektiver Gestaltung –, die in einem Spiel mit der Längenauferlegung mündet. Auf Seiten der Long Now Foundation bewegt sich der mit dem langen Jetzt herausgeforderte Umgang mit Gegenwart entlang der intendierten Ausrichtung in die Vergangenheit und Zukunft, die 10.000 Jahre umfassen sollen, und entlang eines long-term thinking, das im Intervall zeitlos und als Pause erfahren werden soll. Auf Seiten dieser Arbeit bewegt sich dieses Spiel entlang einer Zukunftserfüllung, die sich gegenwärtig vor- wie nachlogisch gestaltet und paradoxerweise erst in der zeitlichen Begrenzung durch das Intervall eine Ausrichtung in Vergangenheit und Zukunft aufweist. So ergibt sich im Spiel auf Zeit eine paradoxale Zeitbesetzung, die sich kongruent zur oppositionellen Sinnstiftung verhält und auf den Place for Conversation im Intervall zwischen Ausstellungs- und Konversationsort der Vermittlung rekurriert: Während Ausstellungen als künstlerische Verfahrensweisen vorrangig eine retrospektive Momentaufnahme darstellen können, indem eine Geschichte mit in der Ausstellung vergegenwärtigter Kunst erzählt wird, können in The Interval als zeitlicher Zwischenraum, der als Pause gar zeitlos verstanden werden will, Vergangenheit und Zukunft zusammenfallen. So tritt der Place for Conversation in einer Momentaufnahme des langen Jetzt auf, der als narrativer Raum retrospektiv Stationen des work in progress thematisiert und über die Beziehung zu den Artefakten erzählt. Selbstreferentiell aber der hoffnungsvollen Erzählung untergeordnet und diese mehrdimensional verräumlichend, ist er gleichzeitig eine Station innerhalb dieser Prozessualität – eine Station in der Erzählform des Geschehens, die sich gegenwärtig wie prospektiv gestaltet. Als Vermittlungsraum zwischen Ausstellung und Konversation richtet sich das Jetzt hier in Richtung Vergangenheit und Zukunft aus, wenn die Länge des Jetzt im Moment verräumlicht verdichtet wird.

354 | V OM LANGEN J ETZT

Wenn die ‚lebende Institution‘ sich dabei webbasiert wie verräumlicht ausspricht, webbasiert die ‚retrospektive‘ Anschauung der Artefakte und ihrer Entwicklungsstufen aber in der radikalen Präsenz bzw. Gegenwart des WebseitenAufrufs mündet und innerhalb eines balancierenden Korrektivs das Prospektive gewichtet wird, dann entsteht erst vermeintlich ‚zeitlos‘ eine Ausrichtung in Richtung Vergangenheit und Zukunft. Ebenso paradoxerweise verdichtet sich die Gegenwart im Intervall und dessen Wortsinn, zwischen zwei Zeiten, in einem erzählerischen Zwischenraum, in den sich vergangene, gegenwärtige wie zukünftige Praktiken der Long Now Foundation einschreiben. Wie die Long Now Foundation nur Sinn stiften kann, solange sie nicht an ein Ende gelangt, richtet sich ihr Jetzt erst in Richtung Vergangenheit und Zukunft aus, wenn dem langen Jetzt ein Moment entnommen wird. Damit tritt einerseits eine kontingente Längenauferlegung für das Jetzt auf, die sich als kontinuierlicher Anschluss aufeinanderfolgender Ereignisse zeigen kann. Andererseits korrelieren insbesondere Kontinuität und Diskontinuität für eine ‚lebende Institution‘ zwischen Veränderung, Erneuerung und Kontinuität. Während sich die Wandelbarkeit der Webseite entgegen lineare, kohärente Perzeptionslogiken und somit entgegen lineare Fortschreibungsprozessen verhalten konnte, kann hier mit der Einschreibung und insbeondere der Handlungsebene der Long Now Foundation ein kontinuierlicher Fortgang der ‚lebenden Institution‘ hervortreten. Er wird diskontinuierlich handhabbar, durch eine Momentaufnahme, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenkommen. Denn eine ‚kulturelle Kontinuierung‘ der ‚lebenden Institution‘ schreibt dem long-term thinking entsprechende Praktiken in das Feld Webseite und den Raum The Interval ein. Dann tritt ein Möglichkeitsfeld des Möglichen wie auch eine verräumlichte Umwelt auf, durch die der User oder Besucher navigiert; er navigiert dabei durch Komplexität, durch eine oppositionelle Zeitlichkeit einer vergangenen, gegenwärtigen wie zukünftigen Gegenwart, die sich jeweils komplementieren, denn das Jetzt wird durch die Opposition zu einem langen Jetzt. Entgegen einem Verständnis vom Intervall durch die Long Now Foundation zwischen Zeit und Zeitlosigkeit (‚a messure of time, also time-less‘) hat auch ein Intervall Zeit, denn auch zwischen Zeitpunkten liegt eine Zeitspanne. Noch weniger wird es zeitlos, wenn sich in ihm die Gegenwart wie auch die Handlung und Gestaltung bei gleichzeitiger Zukunftserfüllung verdichten. Ein Denken der Paradoxie, wie es diese Arbeit zu handhaben sucht, löscht Zeit somit nicht, sondern ‚formt‘ diese im Sinne einer Entzeitlichung um: sei es durch eine Vergangenheit, die archäologisch nicht rein vergangen ist, sondern die als relevant für die Gegenwart entzeitlicht wird; oder durch eine Gegenwart,

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 355

die entzeitlicht nicht rein gegenwärtig ist, sondern symbolisch wie erzählerisch zukunftserfüllt. Schließlich wird die zusätzlich herausgeforderte Paradoxie des langen Jetzt ‚in Form gebracht‘, indem die Beobachtung der (Nicht-)Linearität kontinuierliche wie diskontinuierliche Erschließungs- wie Fortschreibungsprozesse darlegt und auf die Kontinuierung durch eine ‚lebende Institution‘ deutet. Entzeitlicht wird eine forcierte Zukunftserfüllung im gegenwärtigen Moment. So konnte ein Spiel mit Zeit als Spiel mit der Längenauferlegung, symptomatisch für die Long Now Foundation und strategisch für diese Arbeit, verdeutlicht werden. Mit ihm wird die Paradoxie gehandhabt, gerade weil ihr gemäß mit Oppositionen umgegangen werden muss, diese aber zugleich mit formgebender Vermittlung versehen wird. Ein Spiel auf Zeit äußert sich in einem begrenzten langen Jetzt, das sich gegenwärtig zwischen den Zeiten ausspricht, in Richtung Vergangenheit und Zukunft. Das Spiel auf Zeit ist ein dem langen Jetzt und dessen Ausdehnung paradoxerweise entnommener Zeitmoment. Der strategische Einsatz des Intervalls gelangt an einen (Zeit-)Punkt zusammenfassender Reflexion. Inzwischen kann festgehalten werden, was dem Dazwischen zu entnehmen ist.

3.9 I NZWISCHEN : Z UR OPPOSITIONELLEN F ORTSCHREIBUNG DES LANGEN J ETZT In einen Place for Conversation, der sich sowohl webbasiert als auch verräumlicht und sinnlich erweitert ausbildet, ist Sinn für ein langes Jetzt eingeschrieben, das sich in einer ‚lebenden Institution‘ forterzählt und fortschreibt. Der Zeitparadoxie entsprechend ist dieser Sinn über entgegengesetzte Prozesse und Logiken vermittelt, die sich einerseits in entsprechenden Wahrnehmungsprinzipien zeigen. Andererseits verhalten sich diese kongruent zum Phänomen Long Now Foundation, das nur in Oppositionen aufgehen kann und das ein Denken der Paradoxie zusätzlich herausfordert. Die Studie verdeutlicht, wie diese Paradoxie des langen Jetzt vermittelt ist, indem sie eine oppositionelle Sinnstiftung aufzeigt und insbesondere das Denken der Paradoxie aus einem Dazwischen als Konfrontation mit Gegensätzen handhabt. Denn gerade weil sich die Analyse der Konfrontation mit Oppositionen stellt, die paradoxale Sachverhalte und deren inhärente Widersprüchlichkeit bestimmen, stellt sie einen stimulierenden intellektuellen Antrieb im Umgang mit Gegenwart heraus. Durch ein mögliches Denken des Jetzt wird eine entsprechende Sinnstiftung deutlich, die aus der Opposition zugleich deren komplementäre Prozesse und Logiken bestimmt. Zusätz-

356 | V OM LANGEN J ETZT

lich werden kulturelle Praktiken des beobachteten Phänomens aufdeckt, die sich entlang einer entsprechend komplexen Sinnstiftung bewegen. Somit konnte eine Vermittlung des langen Jetzt untersucht werden, indem im Jetzt des langen Jetzt eine Paradoxie zwischen der Konfrontation mit Oppositionen und formgebenden Vermittlungsfunktionen nachvollziehbar wird. Das lange Jetzt wird dabei nicht nur von Zeitmoment zu Zeitmoment beherrschbar, sondern zugleich sein Fortgang bestimmbar, entlang eines Phänomens, dessen Sinn sich gegenwärtig verdichtet wie auch prospektiv gestaltet. Damit zeigt die Untersuchung sowohl das Verhältnis von Sinnstiftung zu den Schlüsselkategorien der Long Now Foundation von Storytelling und Mythos auf als auch jenes zu einer charakteristischen Zeitlichkeit des Jetzt, das sich ausdehnen soll. Mit dieser Relation von Sinnstiftung und Denkprozessen zu Schlüsselkategorien für ein long-term thinking und Zeitlichkeit, die hier ebenso strategisch durch einen Ausschnitt und in einem Moment eingesetzt wird, kann inzwischen eine vielschichtige Vermittlung festgehalten werden. So werden einzelne Vermittlungsstufen nahegelegt, kongruent zu einem work in progress der ‚lebenden Institution‘: Das lange Jetzt spricht sich in einer oppositionellen Sinnstiftung aus, die inzwischen auf der Ebene eines Spiels zusammengeführt werden kann, das in einer Reise durch Komplexität und Zeit mündet. Denn auf Seiten der Forschung ist es das Spiel, mit der Opposition zu experimentieren, diese in Form zu bringen und die Ernsthaftigkeit des Spiels darin aufzuzeigen, einen Umgang mit Gegenwart zu diskutieren. Auf Seiten des beobachteten Phänomens ist es ein Spiel der ‚lebenden Institution‘, dessen Ernsthaftigkeit einerseits in der eigenen nachhaltigen Ausprägung und andererseits in einem balancierenden Korrektiv durch ein long-term thinking liegt, das sich unkompliziert im gesellschaftlichen Diskurs etablieren soll. Aus dem Zusammenspiel beider – der Forschung, die vom beobachteten Phänomen ausgeht – tritt ein strategisches Spiel mit Zeit hervor: Diese Arbeit zeigt dessen sinnstiftende Doppelbewegung, die sich einerseits in der geistigen Aktion, im herausgeforderten Denken des Jetzt bei Auseinandersetzung mit der Long Now Foundation gestaltet. Andererseits schreibt sich Sinn in deren Praktiken ein, sodass auf beiden Ebenen ein Bestimmungsprozess auftreten kann, der Oppositionen ernst nimmt und wahrnimmt und mit diesen in einer komplementären Relation umgeht. Eine Balance kann somit erst mit der vorliegenden Studie pointiert werden, indem zunächst widersprüchliche Komponenten eines balancierenden Korrektivs aufgedeckt wurden und genau die Stellen, an denen die Long Now Foundation diese Balance unterläuft. Widersprüchlich besetzt – sei es durch gegenkulturelle

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 357

Ideale und eine markt- wie kapitalorientierte Ausrichtung, einen medialen blinden Fleck bei einem webbasierten langen Jetzt oder durch ein ‚mythisches Instrument‘, das die Zukunft und den eigenen Ruhm gewichtet – erfolgt keine unkomplizierte Etablierung im gesellschaftlichen Diskurs. Zudem muss sich ein Denken des langen Jetzt seiner Komplexität stellen, wobei das Komplizierte durch Wahrnehmungslogiken, kongruent zu einer Längenauferlegung, und durch Koexistenzen, die sich aus der Opposition ergeben, aufgelöst wurde. Dem langen Jetzt als zugespitzte Paradoxie müssen Oppositionen zugrunde liegen, die durch ihre wechselseitige Relation nicht aufgehoben, aber handhabbar werden. Vermittlungsstufen, die sich zugleich entlang einer ‚lebenden Institution‘ und deren Prozessualität bewegen, können inzwischen in einem Spiel zusammenfinden, dem keine Regeln auferlegt, sondern Formen gegeben werden: Sie äußerten sich in einem ersten Schritt über die Datenbank und das Möglichkeitsfeld Webseite, innerhalb derer Oppositionen symptomatisch für eine Paradoxie und Längenauferlegung ausgespielt wurden. In einem zweiten Schritt konnten aus der Opposition richtungsweisende funktionale Bestimmungen ausgemacht werden, vergegenwärtigend wie zukunftserfüllt über einen Erkenntnisgegenstand, eine charakteristische Erzählform und einen narrativen Vermittlungsraum, die insgesamt einen Place for Conversation bestimmen. Das Spiel äußert sich dabei im Verhältnis zur Erzählung der Long Now Foundation, zu ihren Schlüsselkategorien und zu einer transformativen Erfahrung, die an eine genealogische Perspektive anschließen und die Widersprüche des Phänomens herausstellen. Zugleich fördern solche Widersprüche und Gegensätze das Denken; sie nebeneinander zu betrachten und ferner in Relation zueinander zu bringen, lässt die Paradoxie handhabbar werden, und dabei tritt jene Reise durch Komplexität und Zeit hervor: Erstens zeigt sich ein narratives Entdeckungsspiel, das webbasiert eine Konkurrenzsituation zu Koexistenzen, konstitutiv für ein paradoxales Denken, und ferner partizipatorische Spielelemente relativierte. Dabei konnte zugleich das Unmögliche in einem Möglichkeitsfeld reflektiert werden, das es jedoch ermöglichte, mediale Verstärkerfunktionen anhand eines kritischen Zeit- und Kontingenzbewusstseins aufzuschlüsseln. Die transformative Erfahrung zu einem veränderten, kritischen Zeitbewusstsein koppelt sich an die Reise durch Komplexität. Sie erweist sich als ein Navigieren durch Information, wobei die Erschließung des langen Jetzt der Komplexität mit einer Konfrontation mit Gegensätzen begegnet, die das Denken der Zeitparadoxie unterstützt. Das narrative Entdeckungsspiel konnte sich durch die Erweiterung des Möglichkeitsfeldes in einen narrativen Raum fortsetzen. Als sinnlich erweiterter Vermittlungsraum zwischen Ausstellung und Konversation konnten partizipato-

358 | V OM LANGEN J ETZT

rische Spielelemente vertieft werden, indem die Aktivität des Besuchers und die Erzählung der ‚Projektenmacher‘ einander ergänzen. Wenn dem ‚infiniten Spiel‘ dabei durch die Long Now Foundation Regeln auferlegt werden, ergibt sich ein Bestimmungsprozess von einem Spiel verschlossenen Offenhaltens zu jenem offengehaltener Zukunft, in dem sich das lange Jetzt gegenwärtig gestaltet wie auch prospektiv und hoffnungsvoll ausspricht. Die Reise erweist sich als Begehung des Informationsraums. Die transformative Erfahrung für ein ausgedehntes Jetzt begegnet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem Zeitmoment. Zweitens konnte damit ein Spiel mit der Längenauferlegung aufgezeigt werden, das sich als Spiel auf Zeit erweist, denn eine intendierte Ausdehnung des Jetzt kommt paradoxerweise in einem Zeitmoment zustande, der das Jetzt gerade dann, wenn es sich ausdehnen soll, in der Kürze des zeitlichen Zwischenraums verdichtet. Mit der transformativen Erfahrung für ein long-term thinking wird ein Place for Conversation begeh- und erfahrbar, der sich entlang einer ‚lebenden Institution‘ bewegt und bestimmt. Gegenwärtig begegnet die Erschließung des langen Jetzt sowohl retrospektiv als auch prospektiv den Stationen dieser Institution im Fortgang des work in progress. Spiel und Reise verdichten sich zu einer Navigation durch Komplexität und Zeit, denn mit dieser Navigation wird die Paradoxie einerseits von Zeitmoment zu Zeitmoment handhabbar. Andererseits wird ein herausgeforderter Umgang mit Gegenwart erarbeitet, der das zukunftserfüllt lange und gegenwärtig verdichtete Jetzt aufzeigt. Festgehalten werden kann dabei insgesamt das Spiel einer ‚lebenden Institution‘ und gleichzeitig das eines vergegenwärtigenden Experimentierens, vermittelt auf der Ebene erweiterter kognitiver Spielräume, die sich entlang einer transformativen Erfahrung zu einem langen Jetzt bewegen. Denn in kognitive Spielräume schreibt sich Sinn ein, der oppositionell und zugleich in Relation zur Zeitparadoxie im umfassenden Möglichkeitsfeld und -raum des Place for Conversation niedergelegt ist. Von Zeitmoment zu Zeitmoment, demnach gegenwärtig verdichtet und doch zugleich zukunftserfüllt, wird ein kognitiv-mediales Prinzip der Erkenntnis herausgestellt, das Sinnstiftung und Welterschließung für ein langes Jetzt formt. Dabei schwingt der strategische Einsatz von Zeitlichkeit mit, der eine Ausdehnung des Jetzt prospektiv gewichtet und doch erst dazu führt, dass sich das lange Jetzt hoffnungsvoll und zukunftserfüllt aussprechen und fortschreiben kann. So wurde nicht nur ein zukunftserfülltes Spiel mit der Phantasie handhabbar, sondern insbesondere dessen hoffnungsvolle Erzählung kritisch diskutiert. In kognitiven Spielräumen für ein long-term thinking und in den Möglichkeiten eines Place for Conversation begegnet das Denken des Jetzt seiner zeitlichen und komplexen Gestaltung sowie einem oppositionellen Fortgang des langen

3. (N ICHT -)L INEARITÄT & D AZWISCHEN

| 359

Jetzt, wobei sich Sinn in die ‚lebende Institution‘ und ihre Praktiken, kongruent zu ihrer Prozessualität, ein- und rückschreibt: Wesen und Sinn des langen Jetzt liegen in einem zukunftserfüllten work in progress. Dieser Sinn schreibt sich gegenwärtig über einen Erkenntnisgegenstand für das lange Jetzt, seine Monumentalität, eine Erzählform des Geschehens und einen zeitlichen Zwischen- bzw. Vermittlungsraum ein und spricht sich zugleich zukunftserfüllt aus. Diese Studie erstellt somit selbst eine Praktik, der Sinn und Wahrnehmungslogiken für ein Denken des Jetzt eingeschrieben sind und die als Strategie für eine Handhabung der Paradoxie dienen kann, um den Umgang mit Gegenwart in einem langen Jetzt zu diskutieren. Sie zeigt somit eine oppositionelle Fortschreibung des langen Jetzt, die im Dazwischen als Konfrontation mit Gegensätzen erschließbar ist und einer oppositionellen Sinnstiftung zugleich Formen geben kann: Das lange Jetzt schreibt sich gegenwärtig wie zukunftserfüllt in einen Erkenntnisgegenstand ein. Es spricht sich in einer Erzählform aus, die sich gegenwärtig und zukünftig gestaltet, die vor- wie nachlogisch prägt, funktional zukunftserfüllt gerichtet und zugleich offengehalten bestimmt ist. Und schließlich schreibt sich das lange Jetzt in einer ‚lebenden Institution‘ fort, die eine intendierte Ausdehnung des Jetzt in Richtung Vergangenheit und Zukunft paradoxerweise zukunftserfüllt gewichtet und somit nur Sinn stiften kann, solange sie sich prospektiv ausspricht. Denn nur dann kann die Länge des Jetzt generiert werden, die zwar retrospektive Blicke zulässt, sich aber nur aufrechterhalten kann, indem sie sich fortentwickelt und somit in die Zukunft ausdehnt. Denn die Vergangenheit ist nicht veränderbar; stete Erneuerung und Kontinuität der ‚lebenden Institution‘ liegen in der Zukunft. Ausgedehnte Gegenwart gestaltet sich somit prospektiv, denn ein Blick in die Zukunft kann sich nur an das möglicherweise zu Erwartende wenden. Die Gegenwart des langen Jetzt stiftet Sinn in einem Spiel offengehaltener Zukunft, vermittelt auf der Ebene erweiterter, kognitiver Spielräume. Oppositionell fortgeschrieben ist das lange Jetzt außerdem, da das Prospektive und damit Ungewisse selbst strategisch von der Long Now Foundation eingesetzt wird, eine selbst aufrechterhaltende Struktur ausmacht und in diesem Sinne trotz Offenhalten Gewissheit schafft. Die Erzählform ist funktional bestimmt wie auch offengehalten, was zugleich auf die erzählenden Erschaffer zurückzuführen ist, die Sinnzuschreibungen vorlogisch und gegenwärtig prägen und der Ungewissheit mit nachlogischem Ruhm begegnen. Mit dem Archiv als Medium vergegenwärtigter Vergangenheit, aus Perspektive der Mediennutzung und mit einem umfassenden philosophischen Blickwinkel erscheint das lange Jetzt in einer medienphilosophischen Zeitreise und deren

360 | V OM LANGEN J ETZT

spielerischer Ausrichtung. Auf Reisen durch die Zeit wird Sinn kongruent zur Paradoxie begegnet, er ist gegenwärtig verdichtet sowie zukunftserfüllt gestaltet und die transformative Erfahrung schlägt sich in einem kritischen Zeitbewusstsein nieder. Dieses Zeitbewusstsein macht eine Ausdehnung des Jetzt in Richtung Vergangenheit und Zukunft, wie sie von der Long Now Foundation intendiert ist und im Intervall auftaucht, paradoxerweise in dessen Verkürzung deutlich, in einem Zeitmoment der Begegnung mit dem long-term thinking im zeitlichen Zwischenraum. Das Zeitbewusstsein zeigt dabei, dass sich das lange Jetzt wie auch ein der Paradoxie entsprechender Sinn oppositionell fortschreibt und dass eine Ausdehnung prospektiv gestaltet ist, der gegenwärtig begegnet werden kann. Auf der Zeitreise wird nicht nur durch Komplexität navigiert, indem sich Oppositionen gestellt und anhand von Korrelationen und der Formgebung eine Zeitparadoxie handhabbar wird. Zugleich navigiert sie durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die tatsächlich im Jetzt münden, das aber von der Long Now Foundation aus vorrangig zukunftserfüllt ausgedehnt wird. Schließlich erfolgt eine Navigation entlang eines Bestimmungsprozesses, der Sinn einerseits einer ‚lebenden Institution‘ und ihren prozessualen Praktiken einschreibt und andererseits das Zeitbewusstsein gegenwärtig wie zukunftserfüllt verdichtet. Somit wird das Denken des Jetzt in herausgeforderter Paradoxie handhabbar und führt mit dieser Studie zu einer zukunftserfüllten Vergegenwärtigung. Mit Blick auf eine Längenauferlegung und eine Handhabung von Zeitmoment zu Zeitmoment gelangt die Studie an einen (Zeit-)Punkt, das Ende von etwas zu schreiben, das nicht zu Ende ist – an ein Jetzt, dessen Länge im Zeitmoment dieser Forschung festgehalten werden muss.

4. Das Lange des langen Jetzt oder: How Long Is Now, now? The present moment used to be the unimaginable future. STEWART BRAND

Einem möglichen Denken des Jetzt entsprechend, erscheint das lange Jetzt paradoxerweise und abschließend in einem Zeitmoment, indem die Erkenntnisse dieser Forschung zusammengeführt werden. Denn bei einer Paradoxie aus Kürze und Länge, wird eine Ausdehnung des Jetzt, die prospektiv gestaltet ist und der gegenwärtig begegnet werden kann, in der Kürze eines Zeitmoments verdichtet: Das Lange des langen Jetzt stellt im Moment nachhaltigen Erkenntnisgewinns den Fortgang davon dar, eine herausgeforderte Paradoxie zu handhaben. Somit wird das lange Jetzt von Zeitmoment zu Zeitmoment beherrschbar, denn einem Umgang mit Gegenwart stellt sich eine kontingente Längenauferlegung für das Jetzt, die einerseits seine Flüchtigkeit greifbar macht, es andererseits aber erlaubt, der Länge selbst und dem Anschluss von Momenten zeitliche Zwischenräume und Sinn zu entnehmen. Der sich hier aussprechende und abschließende Zeitmoment greift die eingangs aufgetretene Frage wieder auf, die repräsentativ für die zentrale Fragestellung steht, wie sich das Jetzt denken lässt, und fasst sie in einen zwischenzeitlichen Befund: How Long Is Now, now? Das kritische Zeitbewusstsein, das diese Arbeit entwickelt, konnte eine prospektive Gestaltung des langen Jetzt für die nächsten 10.000 Jahre differenzieren: Von Zeitmoment zu Zeitmoment wurde das lange Jetzt zunächst mit der zeitlichen Streuung einer archäologischen Genealogie verständlich, deren Herkunftsund Entstehungsgeschichte eine ausgedehnte Vergangenheit für die Gegenwart lesbar macht. Über die Stationen des work in progress der Long Now Foundation bewegte sich die Arbeit außerdem von Zeitmoment zu Zeitmoment entlang

362 | V OM LANGEN J ETZT

der Clock of the Long Now sowie entlang von The Interval und erfasste dabei die Möglichkeiten des Place for Conversation und ein zukunftserfüllt langes wie gegenwärtig verdichtetes Jetzt. Aus beiden methodischen Bereichen kann diese Studie folglich eine vergangenheits- und zukunftserfüllte Vergegenwärtigung für einen hier verhandelten Umgang mit Gegenwart bestimmen, der der Komplexität einer fundamentalen Zeitparadoxie gerecht wird. Es konnte gezeigt werden, dass Herausforderungen dieses Forschungsprojekts darin liegen, einerseits ein paradoxales Denken greifbar und lesbar zu machen und dabei andererseits dem Phänomen Long Now Foundation zu folgen, das einem steten Wandel unterliegt, der einen Fortgang des langen Jetzt mitbestimmt. Ein zwischenzeitlicher Befund stellt sich somit der Herausforderung, bei einem fortlaufenden, nicht abgeschlossenen Beobachtungsgegenstand an ein Ende zu gelangen, das für ein langes Jetzt zwischenzeitlich sein muss. Der Erkenntnisgewinn dieser Studie stellt eine mögliche Handhabung der Paradoxie dar, die abschließend Symptom und Diagnose in einem Befund des langen Jetzt und anhand von Entzeitlichung und (Nicht-)Linearität zusammenführt. Grundlegend festzuhalten ist ein Denken des Jetzt, das mit der vorliegenden Analyse ein aktuelles kulturelles Phänomen, seine gesellschaftliche Bedeutung und seinen Einfluss auf unseren täglichen Umgang mit Zeit diskutiert. Festzuhalten ist zugleich ein Denken des Jetzt, das den Befund einer Gegenwart zeigt, die in die Vergangenheit reicht, im Jetzt mündet und die zugleich zukunftserfüllt ist. Befunden bzw. benannt wird dabei ein Sinn, der oppositionell niedergelegt ist und die Möglichkeiten eines Place for Conversation aufzeigt, in dem sich das lange Jetzt ausspricht, forterzählt und fortschreibt. Während ein Denken des Jetzt sowohl in gesellschaftspolitischen als auch künstlerischen Debatten vertreten ist, leistet diese Studie einen Forschungsbeitrag zu einem Phänomen, das den Anstoß für vielfältige, aktuelle und auch kontroverse Diskussionen zum Umgang mit Gegenwart liefert. Als Grundlagenforschung entsteht eine medienwissenschaftliche und kritisch philosophische Einbettung, die in der Long Now Foundation selbst nicht vorhanden ist. So kann ein Denken des Jetzt stimuliert werden, das sich den Herausforderungen durch eine Paradoxie und einer Rezeptionsästhetik in der aktuellen Mediengesellschaft stellt. Die Vielfältigkeit von Zeitdebatten steht sicherlich außer Frage – doch gerade dann ist es erstrebenswert, sie kreativ und mit dem aberwitzigen Potential eines Phänomens der kalifornischen Post-Hippie-Ära anzureichern. Sie ist von zentraler Bedeutung für einen medienkulturellen und -technologischen Entwicklungsstandort mit internationaler Reichweite und zugleich lässt sich das Jetzt mit Ambivalenzen aus ebenjener Bewegung denken bzw. reflektieren: Eine zeitphilosophische Ausdehnung des Jetzt schlägt in eine Geschäftsidee um, die sich im

4. H OW L ONG I S N OW , NOW ?

| 363

Spannungsverhältnis von proklamierter Verantwortungsförderung und vermarkteter Denkmalsetzung der Long Now Foundation bewegt. Bei aller Komplexität paradoxaler wie ambivalenter Begebenheiten, entsteht so eine medienphilosophische Zeitreise, die nicht nur durch jene Komplexität und die der Zeitparadoxie navigiert, sondern auch rezeptionsästhetisch durch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Long Now Foundation.

4.1 V ON EINER ‚D IAGNOSE DER G EGENWART ‘ B EFUND DES LANGEN J ETZT

ZUM

Die Studie konnte bereits damit einsetzen, dass es kein Jetzt gibt, das in seiner Flüchtigkeit fassbar wäre. Dieser erste Befund zeigte eine kontingente Längenauferlegung für eine Bestimmung des Jetzt, sodass eine dem Jetzt selbst schon innewohnende Paradoxie festgestellt wurde: Gerade weil es als ausdehnungslos oder Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft auftritt, werden ihm Längen auferlegt, um es greifbar zu machen – das Jetzt erscheint in einer Paradoxie aus Kürze und Länge. Dabei wurde nicht nur der symptomatische Status der Long Now Foundation für eine Problematisierung des Zeitbegriffs und für eine ideologische Grenzerweiterung aus kalifornischem Entstehungskontext deutlich, sondern mit dem langen Jetzt eine zusätzlich herausgeforderte Paradoxie. Denn eine ‚Diagnose der Gegenwart‘ führte zunächst in das umfassende Arbeitsfeld der Long Now Foundation ein, das sich entlang einer intendierten Ausdehnung des Jetzt bewegt, sowie in ein langes Jetzt, das sich 10.000 Jahre sowohl in Richtung Vergangenheit als auch Zukunft ausdehnen soll. Ein Befund des langen Jetzt wäre somit der Selbstbeschreibung der Long Now Foundation zu entnehmen, die ihm eine Länge von 20.000 Jahren auferlegt. Ausgehend von dieser ‚Diagnose der Gegenwart‘ konnte ein so gegebenes langes Jetzt kritisch diskutiert und ein Denken des Jetzt vertieft werden – durch eine ausgedehnte Entstehungsgeschichte und eine daran anschließende Diskussion der aktuellen Erscheinung der Long Now Foundation: Die archäologische Genealogie bot eine Lektüremöglichkeit an, die bezüglich Entstehung und Herkunft der Stiftung näher an ein ausgedehntes Jetzt heranführt. Denn Vergangenheit wurde relevant für die Gegenwart entzeitlicht und somit sinnstiftend für ein gegenwärtiges Verständnis ausgedehnt. Damit wird umfassendes Archivmaterial erstmalig auf die Long Now Foundation angewandt wie auch lesbar; sie wird grundlegend erforscht und darüber hinaus im höchst relevanten Kontext kalifornischer Unternehmenskultur und Computerindustrie illustriert und diskutiert.

364 | V OM LANGEN J ETZT

Eine Beobachtung der (Nicht-)Linearität eruierte ein Denken des Jetzt einerseits kongruent zu paradoxalen, widersprüchlichen Logiken, die Wahrnehmungsprinzipien wie auch eine selbst aufrechterhaltende Struktur der Long Now Foundation betreffen. Andererseits wurde gezeigt, wie dabei Sinn vermittelt ist, was die Komplexität eines paradoxalen Denkens aufschlüsselt. Die Handhabung der Paradoxie wurde dabei in das Verhältnis zu den Schlüsselkategorien von Storytelling und Mythos gebracht und in Korrelation zu einer gegenwärtig verdichteten wie zugleich zukunftserfüllten Zeitlichkeit für das lange Jetzt betrachtet. In beiden Teilbereichen der Analyse wurde aufgezeigt, inwiefern sich Widersprüche oder auch Brüche im beobachteten Phänomen selbst zeigen, wobei insgesamt ein oppositionell eingeschriebener Sinn nahegelegt wurde, der eine Doppelbewegung dafür aufweist, wie das Jetzt gedacht und Gegenwart reflektiert werden kann. Denn diese Arbeit verdeutlicht einerseits ein Spiel mit der Längenauferlegung seitens der Long Now Foundation. Andererseits wird die medienphilosophische Zeitreise zur Long Now Foundation als Auseinandersetzung mit ebendieser und dem langen Jetzt spielerisch: Die Paradoxie wird dadurch handhabbar, mit Oppositionen zu experimentieren und diese in Form zu bringen, dabei durch die Komplexität und Zeitlichkeit für ein langes Jetzt zu navigieren und diese in kognitiven Spielräumen für ein Denken des Jetzt zusammenzuführen. Für einen Ausblick liegen weiterführende Fragen etwa darin, inwiefern sich der work in progress weiter zeigt, welche Stationen ihm zukünftig zu entnehmen sind; inwieweit sich ein langes Jetzt webbasiert aufrechterhält und welche Werkzeuge und Formate hier hinzugefügt oder fortentwickelt werden. Von Interesse ist, wie die Clock of the Long Now weiterentwickelt wird und inwieweit ihr Projektstatus über prototypische Artefakte und vorbereitende Baumaßnahmen hinausgeht. Mehr als längerfristig bleibt die Frage nach einem monumentalen Bauwerk und, mit einem Augenzwinkern, welchen Rang es auf den Lebenslisten einnimmt, um den Ausflug zu Disney Land zu ersetzen oder gar eine Ruhepause in Nevada nach dem Burning Man Festival einzulegen. Mit Blick etwa auf das Projekt Revive and Restore ist es sicher fraglich, wie weit das long-term thinking gehen darf und wie sich eine Auffassung von kreativer Verantwortungsförderung ferner äußern wird. So ist von Interesse, wie sich das Themenfeld zum long-term thinking fortentwickelt und welche weiterführenden Bereiche beispielsweise in Long Now Seminars und Special Events, gerade auch mit künstlerischen Auseinandersetzungen, verhandelt werden. Daran schließt die Frage an, wie sich eine internationale Rezeption und Tragweite der Long Now Foundation entwickelt, die, neben dieser Studie und Ausstellungen

4. H OW L ONG I S N OW , NOW ?

| 365

des Prototype One in europäischen Museen, über einen US-amerikanischen Kontext hinausgeht. Diese Studie gelangt entlang ihrer leitenden Thesen zu einem Befund des langen Jetzt, der den symptomatischen Status der Long Now Foundation und damit ihre gesellschaftlich-kulturelle Bedeutung sowie eine herausgeforderte Paradoxie explizit macht, wobei entstehungsgeschichtlich näher an ein Denken des langen Jetzt herangeführt und selbst Sinn für ein paradoxales Denken gestiftet wird. Neben einen symptomatischen Status für fortwährende Debatten um Zeitlichkeit rückt die gesellschaftlich-kulturelle Relevanz medienkultureller Folgeentwicklungen, die sich um die San Francisco Bay Area gruppieren und mit der Verbindung zum Silicon Valley den Entwicklungen eines maßgeblichen Standorts gegenwärtiger Informationstechnologie zu entnehmen sind. So kann ich mit der Long Now Foundation ein Phänomen zeigen, das diesem Kontext entstammt und für einen Teil dieser Entwicklungen steht: Es vereint in sich gegenkulturelle Ideale und marktorientierte Unternehmensstrukturen; setzt eine intendierte Bewusstseinsveränderung und insbesondere -ausdehnung fort sowie Ambivalenzen der in das Unternehmertum transformierten Counterculture. Sie oszillieren zwischen einer kapitalorientierten Konsumgesellschaft und einer transformierten ‚Bewusstseinspolitik‘ zur Verantwortungsförderung, wobei die Long Now Foundation gleichwohl ein spielerisches, selbstironisches Potential aufweist. Die Long Now Foundation bietet die Möglichkeit, ein medienkulturelles und -philosophisches Feld gesellschaftlich relevanter Praktiken zu eröffnen, deren sinnstiftendes Potential und kulturelle Relevanz erst herauszukristallisieren, zu explizieren und sie erkenntnisfördernd in einem wissenschaftlichen Rahmen zu verhandeln. Wenn die ‚Spekulation über die Zeit eine nichtabschließende Grübelei ist‘,1 dann bietet der umfassend analysierte Place for Conversation und somit diese Studie anstatt ‚einer Antwort‘2 eine Handhabe zum Umgang mit Gegenwart und ihren medienkulturellen sowie philosophischen Implikationen an. Auf die Frage „How Long Is Now, now“ lässt sich ein zwischenzeitlicher Befund aus einem Jetzt von drei Jahren entgegnen, aus dem zeitlichen Zwischenraum dieser Forschung von 2012-2015, der einen Beitrag zum Umgang mit Gegenwart leistet und eine herausgeforderte Paradoxie sowie entsprechende Praktiken diskutiert: Das lange Jetzt reicht über einen eingegrenzten Entstehungszeitpunkt hinaus in eine Vergangenheit der 1980er, 1950er, 1960er und 1970er sowie der 1990er Jahre, die für die Gegenwart lesbar wird und Sinn stiftet. Eine von der Long Now Foundation intendierte Ausdehnung in Richtung

1

Vgl. Kap. 1, Anm. 30.

2

Vgl. ebd.

366 | V OM LANGEN J ETZT

Vergangenheit und Zukunft mündet einerseits in die Gegenwart des Place for Conversation und der Erzählung, andererseits ist diese Gegenwart in Richtung Zukunft gestaltet. Formgebend durch diese Arbeit ist das lange Jetzt vergangenheits- wie zukunftserfüllt vergegenwärtigt und lädt spielerisch zur medienphilosophischen Zeitreise durch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Long Now Foundation ein.

4.2 (Z EIT -)R EISEBEGLEITER : E NTZEITLICHUNG UND (N ICHT -)L INEARITÄT ALS H ANDHABUNG DER P ARADOXIE Die Studie erforscht selbst, was hilfreich für ein Denken, Verstehen und Handeln in ausgedehnten Zeitspannen sein kann.3 Indem sie einem Denken des Jetzt nachgeht und dieses sowohl in das Verhältnis zu erzählerischer Vermittlung als auch dem langen Jetzt entsprechender Zeitlichkeit setzt, führt sie einerseits von einer genealogischen Perspektive in eine ausgedehnte Zeitspanne entzeitlichter Vergangenheit: Vergangenes wird gegenwärtig, indem eine archäologisch verfahrende Genealogie ein perspektivisches Verstehen der Gegenwart anbietet. Andererseits führt diese Arbeit zu einer ausgedehnten Zeitspanne zukunftserfüllter Gegenwart, mit der sich das Handeln sowohl sinnstiftend im gestalteten Denken als auch in den gestaltenden Praktiken der Long Now Foundation zeigt. Eine Handhabung der Paradoxie kommt somit in Sinnstiftungsprozessen zusammen, die ich nicht nur entlang einer kritischen Diskussion der Long Now Foundation und des langen Jetzt entwerfen konnte, sondern auch entlang einer Konfrontation mit Gegensätzen, die der Paradoxie entsprechen. Die Reisebegleiter für ein Denken des Jetzt sind Entzeitlichung und (Nicht-)Linearität, mit denen die Zeitreise zur Long Now Foundation als Forschungsbeitrag zum Umgang mit Gegenwart in der vergangenheits- wie auch zukunftserfüllten Vergegenwärtigung zusammenfindet. Lässt die Forschung ein stimuliertes kritisches Zeitbewusstsein und mediale Verstärkerfunktionen hervortreten, vertieft sie solche einerseits mit Wahrnehmungslogiken kongruent zu Längenauferlegung und Opposition. Anschließend an Verstärkerfunktionen zeigt die Analyse andererseits, wie Sinnstiftung aus der Opposition geformt werden kann. Sie verdeutlicht, inwiefern ein dem langen

3

Wie es durch die Long Now Foundation und für ihre Arbeit ausgedrückt wird: ‚To explore whatever may be helpful for thinking, understanding, and acting responsibly over long periods of time‘, vgl. Kap. 3, Anm. 195.

4. H OW L ONG I S N OW , NOW ?

| 367

Jetzt entsprechender Sinn einem Möglichkeitsfeld und -raum eingeschrieben ist. Sinnstiftung und Zeitlichkeit kommen damit in korrelierenden Strategien der Entzeitlichung und einer Beobachtung der (Nicht-)Linearität zusammen, sei es durch eine Vergangenheit, die archäologisch nicht rein vergangen ist, sondern als relevant für die Gegenwart entzeitlicht wird; oder durch eine Gegenwart, die entzeitlicht nicht rein gegenwärtig ist, sondern symbolisch wie erzählerisch zukunftserfüllt. Kognitive Spielräume, die diese Studie eröffnet, erfassen dabei ein kritisches Zeitbewusstsein und ein entsprechend untermauertes Denken, diskutieren, inwiefern ein balancierendes Korrektiv bei einem paradoxalen Sachverhalt und in den kulturellen Praktiken eines Phänomens aufkommen kann, das auf Widersprüche schließen lässt. So schafft der Forschungsbeitrag selbst eine Grundlage dafür, das Denken zu intensivieren und legt der Long Now Foundation zugleich verdeckt innewohnende, widersprüchliche Tendenzen wie auch selbstinszenierte Verdienste frei. Gemäß dem Ziel dieser Untersuchung, einen Beitrag zum Umgang mit Gegenwart zu leisten und dabei eine Forschungsgrundlage für das Phänomen Long Now Foundation zu schaffen, handhabt die Studie eine herausgeforderte Paradoxie des langen Jetzt somit vermittels einer Zeitreise, auf die man sich medienphilosophisch und spielerisch begeben kann. Sie lädt dazu ein, für die Gegenwart in die Vergangenheit zu reisen, sich auf einen Trip zur Wende nach innen und zur transformativen Erfahrung zu begeben, durch Komplexität zu navigieren und der Gegenwart zukunftserfüllt zu begegnen. Wenn dabei menschliche Grundbedürfnisse angesprochen werden konnten – sei es, um Sinn zu erschließen, der eigenen Vergänglichkeit entgegenzutreten oder auch mit Ungewissheiten umzugehen –, dann werden in kognitiven Spielräumen ein long-term thinking und dessen ‚psychische Intensität‘ erfasst, die mit dem Spiel als menschliches Grundbedürfnis aufkommt. Wenn man sich so nicht angesprochen fühlt, dann vielleicht davon, dem Gewöhnlichen des Alltags zumindest zeitweise, und damit paradox, über ein langes Jetzt zu entweichen. Schließlich erfasst diese Arbeit ein grundlegendes Bedürfnis der Zeitreflexion und damit Möglichkeiten, das Jetzt zu denken, indem sie einen Umgang mit Gegenwart zur Diskussion stellt und eine Paradoxie handhabt, die unsere Vorstellung von Gegenwart herausfordert.

Quellenverzeichnis

A History of the Future in 100 Objects, ahistoryofthefuture.org, http://ahistory ofthefuture.org/ vom 30.09.2014. –– [About]: „About A History of the Future“, http://ahistoryofthefuture.org/ about/ vm 30.09.2014. Alexander, Lance/Evans, Kevin/Galbraith, Carrie/Law, John: „Rethinking Cacophony: The Lance Factor“, in: Kevin Evans/Carrie Galbraith/John Law (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society, San Francisco: Last Gasp 2013, S. 17-35. American Telephone and Telegraph Corporation (AT&T), att.com, http://www. att.com/gen/investor-relations?pid=8521 vom 17.09.2014. Andrews, Carol: The Rosetta Stone, London: British Museum 1981. Aronson, Elliot/Blaney, Nancy/Stephan, Cookie/Sikes, Jev/Snapp, Matthew: The Jigsaw Classroom. Beverly Hills u.a.: Sage 1978. Artangel, www. artangel.org.uk, http://www.artangel.org.uk/ vom 23.01.2015. –– [About Longplayer]: „Jem Finer: Long Player“, http://www.artangel.org.uk/ /projects/2000/longplayer/about_the_project/about_the_project vom 01.10.2014. Barbrook, Richard/Cameron, Andy: „Die Kalifornische Ideologie“, in: Telepolis, Heise Zeitschriften Verlag (05.02.1997), http://www.heise.de/tp/artikel/1/ 1007/1.html vom 21.11.2012. Barlow, John Perry: „A Declaration of the Independence of Cyberspace“, in: Electronic Frontier Foundation, eff.org (08.02.1996), https://projects.eff.org/ ~barlow/Declaration-Final.html vom 17.12.2014. Barlow, John Perry: „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“, in: Telepolis, Heise Zeitschriften Verlag (29.02.1996), http://www.heise.de/tp/artikel/ 1/1028/1.html vom 17.12.2014. Bartz, Christina: „Video. Vom Alternativfernsehen zum Massenmedium“, in: Irmela Schneider/Cornelia Epping-Jäger (Hg.), Formationen der Mediennutzung III: Dispositive Ordnungen im Umbau, Bielefeld: Transcript 2008, S. 133-146.

370 | V OM LANGEN J ETZT

Baßler, Moritz: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie (= Studien und Texte zur Kulturgeschichte der deutschsprachigen Literatur 1), hg. v. Matthias Luserke-Jaqui, Helga Meise, Gerhard Sauder und Jörg Schönert, Tübingen: Francke 2005. Bauchmüller, Michael: „Rennen gegen die Zeit. Noch 100 Tage bis zum Jahr 2000 – Der Endspurt hat begonnen“, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.09.1999 (= SZ-Serie 2000-Problem), S. 24. Bauman, Zygmunt: „Die soziale Manipulation der Moral“, in: ders., Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1992, S. 234-247. Bavaj, Riccardo: „Neuere Tendenzen der Forschung“, in: ders., Die Ambivalenz der Moderne im Nationalsozialismus. Eine Bilanz der Forschung, München: Oldenbourg 2003, S. 24-56. Belting, Hans: Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks, München: C.H. Beck 2012. Berliner Festspiele: „MaerzMusik“, berlinerfestspiele.de, http://www.berliner festspiele.de/de/aktuell/festivals/maerzmusik/ueber_festival_mm/aktuell_m m/start_maerzmusik.php vom 07.04.2015. –– [Programm 2016]: „The Long Now“, http://www.berlinerfestspiele.de/de/ aktuell/festivals/maerzmusik/mm16_programm/mm16_programm_gesamt/m m16_veranstaltungsdetail_145767.php vom 17.05.2016. –– [Archiv: MaerzMusik 2015, Programm 2015]: „The Long Now“, http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/maerzmusik/archiv_mm /archiv_mm15/mm15_programm/mm15_veranstaltungsdetail_115039.php vom 24.05.2016. Berndt, Frauke/Drügh, Heinz J.: „Einleitung“, in: dies. (Hg.), Symbol. Grundlagentexte aus Ästhetik, Poetik und Kulturwissenschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2009, S. 9-18. Berndt, Frauke/Drügh, Heinz J.: „Einleitung: Seele“, in: dies. (Hg.), Symbol. Grundlagentexte aus Ästhetik, Poetik und Kulturwissenschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2009, S. 21-37. Bezos, Jeff: „Letter to Shareholders“, in: amazon.com, http://www.sec.gov/ Archives/edgar/data/1018724/000119312513151836/d511111dex991.htm vom 21.01.2015. Bittel, Jason: „Jeff Bezos’ Other Crazy Investment“, in: slate.com, http://www. slate.com/blogs/future_tense/2013/08/08/jeff_bezos_and_the_long_now_fou ndation_s_10_000_year_clock.html vom 21.02.2015.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 371

Blaise, Barney: „Introduction to Parallel Computing“, in: Lawrence Livermore National Laboratory, www.llnl.gov, https://computing.llnl.gov/tutorials/paral lel_comp/ vom 13.10.2014. Bojanowski, Axel: „UNO-Klimatagung in New York: Heute die Welt retten“, in: Spiegel Online, http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/un-klima konferenz-in-new-york-ban-ki-moon-laedt-zu-uno-gipfel-a993136.html vom 23.09.2014. Bonnington, Christina/Chocano, Carina/Craig, Elise/Gardiner, Bryan/Swaby, Rachel/Williams, Amber: „Inside Minority Report‘s ‚Idea Summit‘, Visionaries Saw the Future“, in: Wired Magazine (21.06.2012), http://www.wired. com/2012/06/minority-report-idea-summit/ vom 05.09.2014. Brand, Stewart: Das Ticken des langen Jetzt. Zeit und Verantwortung am Beginn des neuen Jahrtausends, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000. Brand, Stewart: „Is Technology Moving Too fast?“, in: longnow.org (19.06.2000), [About: Essays], http://longnow.org/essays/technology-mo ving-too-fast/ vom 11.11.2014. Brand, Stewart: Last Whole Earth Catalog. Access to tools, Menlo Park: Portola Institute 1971. Brand, Stewart: Media Lab. Computer, Kommunikation und Neue Medien. Die Erfindung der Zukunft am MIT, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1990. Brand, Stewart: „Reframing the Problems“, in: longnow.org (11.02.1999), [About: Essays], http://longnow.org/essays/reframing-problems/ vom 02.12.2014. Brand, Stewart: Supplement to the Whole Earth Catalog, 7 (1970), Menlo Park: Hoover Institution/Underground Press 1970. Brand, Stewart: Supplement to the Whole Earth Catalog, 3 (1969), Menlo Park: Hoover Institution/Underground Press 1969. Brand, Stewart: „Taking the Long View“, in: longnow.org (26.04.2000), [About: Essays], http://longnow.org/essays/taking-long-view/ vom 17.07.2014. Brand, Stewart: „The Clock and Library Projects“, in: longnow.org, [About], http://longnow.org/about/ vom 28.04.2015. Brand, Stewart: The Electronic Whole Earth Catalog. Access to tools, San Rafael: Borderbund Software 1989. Brand, Stewart: The Essential Whole Earth Catalog. Access to tools, New York: Doubleday 1986. Brand, Stewart: „The Library“, in: Times Higher Education (31.05.1999), http://www.timeshighereducation.co.uk/146593.article vom 22.07.2014. Brand, Stewart: The Next Whole Earth Catalog. Access to tools, Sausalito: Point Foundation 1980.

372 | V OM LANGEN J ETZT

Brand, Stewart: The Updated Last Whole Earth Catalog. Access to tools, San Francisco: Point Foundation 1974. Brand, Stewart: Whole Earth Catalog. Access to tools, Menlo Park: Portola Institute 1986. Brand, Stewart: Whole Earth Epilog. Access to tools, San Francisco: Point Foundation 1974. Brendecke, Arndt: Die Jahrhundertwenden. Eine Geschichte ihrer Wahrnehmung und Wirkung, Frankfurt a.M./New York: Campus 1999. Brill, Lois M.: „Burning Man: The First Year in the Desert“, in: Kevin Evans/Carrie Galbraith/John Law (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society, San Francisco: Last Gasp 2013, S. 70-75. Buchholz, Rolf: „The Long Now Foundation. Wiederentdeckung der Langsamkeit“, in: Maßstäbe. Magazin der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt: Zeitgeschichten 6 (2005), S. 48-50. Burning Man, burningman.com, http://www.burningman.com/ vom 13.10.2014. –– [People: Larry Harvey]: „What Is Burning Man“, http://www.burningman. com/whatisburningman/people/1_harvey_bio.html vom 30.09.2014. Bush, Michael W.: „Climate Change and the Clock“, in: longnow.org [Clock One Updates: May 02010], http://longnow.org/clock/clockone/2010/may/ vom 26.04.2011. Casimir, Torsten: „Der beschädigte Riese“, in: boersenblatt.net (19.02.2013), http:// www.boersenblatt.net/595400/ vom 21.01.2015. Cassirer, Ernst: „Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie“, in: Frauke Berndt/Heinz J. Drügh (Hg.), Symbol. Grundlagentexte aus Ästhetik, Poetik und Kulturwissenschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2009, S. 92-106. Cassirer, Ernst: „Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften“, in: ders., Gesammelte Werke (= Ernst Cassirer: Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe, Band 16), hg. v. Birgit Recki, berab. v. Julia Clemens, Hamburg: Felix Meiner 2003, S. 75-104. Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil: Die Sprache (= Ernst Cassirer: Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe, Band 11], hg. v. Birgit Recki, bearb. v. Claus Rosenkranz, Hamburg: Felix Meiner 2001. Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil: Das mythische Denken (= Ernst Cassirer: Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe, Band 12), hg. v. Birgit Recki, bearb. v. Claus Rosenkranz, Hamburg: Felix Meiner 2002. Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil: Phänomenologie der Erkenntnis [Ernst Cassirer: Gesammelte Werke. Hamburger Ausga-

Q UELLENVERZEICHNIS

| 373

be, Band 13], hg. v. Birgit Recki, bearb. v. Julia Clemens. Hamburg: Felix Meiner 2002. Chabon, Michael: „The Omega Glory“, in: longnow.org, [About: Michael Chabon on Long Now], http://media.longnow.org/files/2/Michael_Chabon_ _The_Omega_Glory.pdf vom 22.07.2014. Claus, S. Cape: „An Army of Santas Can’t Be Beat“, in: Kevin Evans/Carrie Galbraith/John Law (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society, San Francisco: Last Gasp 2013, S. 50-53. Dead Kennedys: California Ueber Alles, Single-Version 1979, Album-Version in: Fresh Fruit for Rotting Vegetables, San Francisco: Alternative Tantacles Records 1980. Deleuze, Gilles: Foucault, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992. Dickson, Stewart: „A Cam for the Clock“, in: longnow.org, http://emsh.calarts. edu/~mathart/Clock_Cam.html vom 26.04.2011. Diekmann, Florian: „Beichte des Amazon-Gründers: Warum Jeff Bezos Milliardenverluste kaltlassen“, in: Spiegel Online (06.12.2014), http://www. spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/amazon-warum-jeff-bezos-milliardenverluste-kalt-lassen-a-1006451-druck.html vom 29.12.2014. Diederichsen, Diedrich: „Pop-Musik und Gegenkultur: die ganze Welt und jetzt“, in: ders./Anselm Franke (Hg.), The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen, Berlin: Sternberg Press 2013, S. 20-31. Diederichsen, Diedrich/Franke, Anselm: „The Whole Earth“, in: dies. (Hg.), The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen, Berlin: Sternberg Press 2013, S. 8-11. Dreyfus, Hubert L./Rabinow, Paul: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, 2. Aufl, Weinheim: Beltz Athenäum 1994. Dyson, Esther/Gilder, George/Keyworth, George/Toffler, Alvin: „Cyberspace and the American Dream. A Magna Carta for the Knowledge Age“, in: The Progress & Freedom Foundation (08.1994), http://www.pff.org/issuespubs/ futureinsights/fi1.2magnacarta.html vom 17.12.2014. Ebeling, Knut/Günzel, Stephan: „Einleitung“, in: dies. (Hg.), Archivologie. Theorien des Archivs in Philosophie, Medien und Künsten, Berlin: Kadmos 2009, S. 7-26. Edventure.com, http://www.edventure.com/ vom 17.12.2014. Em, Mikl: „Brian Eno designs Sound and Light Art for The Interval at Long Now“, in: longnow.org (16.07.2013), [Blog], http://blog.longnow.org/02013 /07/16/brian-eno-salon-sound-light-design/ vom 13.03.2015.

374 | V OM LANGEN J ETZT

Eno, Brian: „The Big Here and Long Now“, in: longnow.org (15.01.1995), [About: Essays], http://longnow.org/essays/big-here-and-long-now/ vom 18.07.2014. Ernst, Wolfgang: Das Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung, Berlin: Merve 2002. Ernst, Wolfgang: „Media Archaeography. Method and Machine versus History and Narrative of Media“, in: Erkki Huhtamo/Jussi Parikka (Hg.), Media Archaeology. Approaches, Applications, and Implications, Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press 2011, S. 239-255. Ernst, Wolfgang: M.edium F.oucault. Weimarer Vorlesungen über Archive, Archäologie, Monumente und Medien, hg. v. Claus Pias, Joseph Vogl und Lorenz Engell, Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften 2000. Ernst, Wolfgang: „Vortrag zu Medienarchäologie“, in: IMA – Institut für Medienarchäologie (21.12.2010), http://ima.or.at./?page_id=1937 vom 07.02.2013. Esalen Insitute – Big Sur, California, esalen.org, http://www.esalen.org/ vom 11.08.2015. European Space Agency, www.esa.int, http://www.esa.int/ESA vom 23.01.2015. –– [Rosetta]: „Rosetta Disk Goes Back to the Future“, http://sci.esa.int/rosetta/ 31242-rosetta-disk-goes-back-to-the-future/ vom 03.10.2014. Evans, Kevin/Galbraith, Carrie/Law, John: „Introduction“, in: dies. (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society, San Francisco: Last Gasp 2013, S. xi-xv. Fahle, Oliver/Hanke, Michael/Ziemann, Andreas: „Einleitung“, in: dies. (Hg.), Technobilder und Kommunikologie. Die Medientheorie Vilém Flussers, Berlin: Parerga 2009, S. 7-19. Feldegg, Ferdinand von: „Monumentalität und moderne Baukunst“, in: TU Cottbus: Theorie der Architektur, http://www.tucottbus.de/theoriederarchitek tur/Archiv/Autoren/Feldegg/Feldegg1903b.htm vom 19.05.2011. Fischer, Vera: „Zwischen Fiktion und Realisierung? Zu einem Narrativ vom langen Jetzt“, in: Stefan Zahlmann (Hg.), Realitäten – Dimensionen, Fiktionen, Narrative, Berlin: Panama (in Vorbereitung). Flusser, Vilém: Bodenlos. Eine philosophische Autobiographie (= Bollmann Bibliothek, Band 10), Bensheim u.a.: Bollmann 1992. Flusser, Vilém: Kommunikologie, hg. v. Stefan Bollmann und Edith Flusser, 4. Aufl., Frankfurt a.M.: Fischer 2007. Flusser, Vilém: Krise der Linearität. Vortrag im Kunstmuseum Bern, 20. März 1988 (= Reihe um 9), hg. v. G.J. Lischka, Bern: Benteli 1992.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 375

Flusser, Vilém: Medienkultur, hg. v. Stefan Bollmann, 4. Aufl., Frankfurt a.M.: Fischer 2005. Flusser, Vilém: Vom Zweifel (= edition Flusser, Band 1), hg. v. Andreas MüllerPohle. Berlin: European Photography 2006. Fort Mason Center, San Francisco (FMC), fortmason.org, http://www.fortma son.org/ vom 22.09.2014. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens, 4. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990. Foucault, Michel: „Ein Spiel um die Psychoanalyse. Gespräch mit Angehörigen des Departement de Psychanalsye der Universität Paris/Vincennes“, in: ders., Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin: Merve 1978, S. 118-175. Foucault, Michel: „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, in: ders., Schriften in vier Bänden (= Dits et Ecrits, Band 2, 1970-1975), hg. v. Daniel Defert und François Ewald, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002, S. 166-191. Foucault, Michel: „Von den Matern zu den Zellen“, in: ders., Schriften in vier Bänden (= Dits et Ecrits, Band 2, 1970-1975), hg. v. Daniel Defert und François Ewald, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002, S. 882-888. Franke, Anselm: „Earthrise und das Verschwinden des Außen“, in: ders./Diedrich Diederichsen (Hg.), The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen, Berlin: Sternberg Press 2013, S. 12-19. Freyermuth, Gundolf S.: „Digitales Tempo“, in: C’T – Magazin für Computertechnik 14 (2000), http://www.wiso.net.de/webcgi?START=A20&DOKM =1195124_ZECU_O&WID=3132-53–70561-41929_74 vom 16.05.2011, S. 112. Gadamer, Hans-Georg/Fries, Heinrich: „Mythos und Wissenschaft“, in: Franz Böckle/Franz-Xaver Kaufmann/Karl Rahner/Bernhard Welte (Hg.), Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft (= Enzyklopädische Bibliothek, Band 2), Freiburg i.B.: Herder 1981, S. 8-42. Galbraith, Carrie: „Into the Zone“, in: dies./Kevin Evans/John Law (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society, San Francisco: Last Gasp 2013, S. 58-61. Github.com, [longnow/longview], https://github.com/longnow/longview vom 03.10.2014. Greenpeace Magazin: Slow, Slow, Slow. Ein Plädoyer für mehr Langsamkeit 1 (2011), Hamburg: Greenpeace Media GmbH 2011. Grober, Ulrich: „Modewort mit tiefen Wurzeln – Kleine Begriffsgeschichte von ‚sustainability‘ und ‚Nachhaltigkeit‘“, in: Günter Altner/Heike Leitschuh-

376 | V OM LANGEN J ETZT

Fecht/Gerd Michelsen/Udo E. Simonis/Ernst U. von Weizsäcker (Hg.), Jahrbuch Ökologie 2003, München: C.H. Beck 2003, S. 167-175. Großklaus, Götz: „Zur Mediengeschichte der Bilder. Wandel der raumzeitlichen Entwürfe“, in: Axel Volmar (Hg.), Zeitkritische Medien, Berlin: Kadmos 2009, S. 283-298. Großklaus, Götz: „Zeitbewusstsein und Medien“, in: Christiane Funken/Martina Löw (Hg.), Raum – Zeit – Medialität. Interdisziplinäre Studien zu neuen Kommunikationstechnologien, Opladen: Leske+Budrich 2003, S. 23-38. Großklaus, Götz: „Medien-Zeit“, in: Mike Sandbothe/Walther Ch. Zimmerli (Hg.), Zeit – Meiden – Wahrnehmung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994, S. 36-59. Grube, Gernot: „Vilém Flusser – Mundus ex machina“, in: Alice Lagaay/David Lauer (Hg.), Medientheorien. Eine philosophische Einführung, Frankfurt a.M./New York: Campus 2004, S. 173-198. Guldin, Rainer/Finger, Anke/Bernardo, Gustavo: Vilém Flusser, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag UTB 2009. Guthrie, Julian: „Painter Thomas Kinkade, In A Willder Light“, in: Kevin Evans/Carrie Galbraith/John Law (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society. San Francisco: Last Gasp 2013, S. 211-218. Habbe, Christian: „Wohin mit dem Weltgeist?“, in: Der Spiegel vom 13.11.2000, S. 176. Hartmann, Frank: „Der Blaue Planet. Wie ein Bild im Zusammenspiel von Technik und Kultur das globale Bewusstsein prägte. Zur Genese einer Visiotype“, in: Recherche – Zeitschrift für Wissenschaft (09.01.2010), http://www.recherche-online.net/frank-hartmann-der-blaue-planet.html vom 06.06.2012. Hartmann, Frank: „Techniktheorien der Medien“, in: medienphlosophie.net (08.08.2003), http://www.medienphilosophie.net/texte/Techniktheorien.pdf vom 10.01.2015, S. 49-80. Hayer, Richard: „Eines fernen Morgens“, in: Die Welt vom 27.08.2003, S. 10. Heidegger, Martin: Sein und Zeit, 18. Aufl., Tübingen: Max Niemeyer Verlag 2001. Hensel, Jana/Hettche, Thomas: NULL. Literatur im Netz, Köln: Dumont 2000. Herman, David/Jahn, Manfred/Ryan, Marie-Laure: Routledge Encyclopedia of Narrative Theory, London: Routledge 2005. Hickethier, Knut: Medienzeit – Beschleunigung und Verlangsamung (= Massenmedien und Kommunikation (MuK), Band 41), Siegen: Universitätsverlag 1986.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 377

Hillis, Danny: „The Millennium Clock“, in: longnow.org (16.02.1995), [About: Essays], http://longnow.org/essays/millennium-clock/ vom 06.03.2015. Hillis, Danny: „Why Do We Buy the Myth of Y2k?“, in: longnow.org (16.02.1998), [About: Essays], http://longnow.org/essays/whydowebuymyth y2k/ vom 16.04.2015. Hoberg, Wanda: „Big Doings“ (veröffentlicht in The City Magazine 2 (1991)), in: Kevin Evans/Carrie Galbraith/John Law (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society, San Francisco: Last Gasp 2013, S. 37-38. Hoberg, Wanda: „Crossover into the Cacophony Zone“, in: Kevin Evans/Carrie Galbraith/John Law (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society, San Francisco: Last Gasp 2013, S. 40-45. Hohmann, Georg: „Digitale Ewigkeit und virtuelle Museen“, in: Telepolis, Heise Zeitschriften Verlag (30.10.2003), http://www.heise.de/tp/artikel/15/15955/1.html vom 22.09.2014. Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel (= Rowohlts deutsche Enzyklopädie), hg. v. Ernesto Grassi, Hamburg: Rowohlt 1956. Husserl, Edmund: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins, hg. v. Martin Heidegger. Halle a.d.S.: Max Niemeyer Verlag 1928. Jäger, Ludwig: „Transkriptivität. Zur medialen Logik der kulturellen Semantik“, in: ders./Georg Stanitzek (Hg.), Transkribieren – Medien/Lektüre, München: Wilhelm Fink Verlag, 2002, S. 19-42. Jefferson Airplane: White Rabbit, Single-Version 1967, Album-Version in: Surrealistic Pillow, Los Angeles: RCA 1967. John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt, Organ2/ASLSP, aslsp.org, http://www.aslsp. org/de/ vom 23.01.2015. –– [Das Projekt]: „Wie langsam ist so langsam wie möglich?“, http://www.asl sp.org/de/das-projekt.html vom 22.09.2014. Kahn, Herman: Nachdenken über den Atomkrieg. Konflikt-Szenarios mit simulierten Situationen im Dienst der Friedensstrategie, Bern/München: Scherz 1984. Kahn, Herman: On Escalation. Metaphors and Scenarios, London: Pall Mall Press 1965. Kahn, Herman/Wiener, Anthony J.: The Year 2000. A Framework for Speculation on the Next Thirty-Three Years, 5. Aufl., New York: McMillan/ Hudson Institute 1968. Kasnitz, Adrian: „Das endlose Archiv der Lücken“, in: Literatur-Archiv-NRW (04.12.2006), Vortrag auf der Tagung „Wohin mit dem ganzen Papier“ des Rheinischen Literaturarchivs, Köln, http://www.literatur-archiv-nrw.de/

378 | V OM LANGEN J ETZT

magazin/Archivwesen/Adrian_Kasnitz__Das_endlose_Archiv_der_Luecken/ seite_1.html vom 05.11.2016. Kelly, Kevin: „Clock in the Mountain“, in: longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Introduction], http://longnow.org/clock/ vom 23.02.2015. Kesey, Ken: One Flew Over the Cuckoo’s Nest, New York: Signet/Penguin 1962. KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, http://www.kindl-berlin.de/maschi nenhaus/ vom 05.11.2016. Kirchmann, Kay: Verdichtung, Weltverlust und Zeitdruck. Grundzüge einer Theorie der Interdependenzen von Medien, Zeit und Geschwindigkeit im neuzeitlichen Zivilisationsprozess, Opladen: Leske+Budrich 1998. Kirk, Andrew G.: Counterculture Green. The Whole Earth Catalog and American Environmentalism, Lawrence: University Press of Kansas 2007. Kittler, Friedrich: „Der Gott der Ohren“, in: ders., Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig: Reclam 1993, S. 130-148. Kittler, Friedrich: Grammophon, Film, Typewriter, Berlin: Brinkmann&Bose 1986. Kittler, Friedrich: „Nachwort“, in: ders., Aufschreibesysteme 1800/1900, 3. Aufl., München: Wilhelm Fink Verlag 1995, S. 519-522. Kittler, Friedrich: Optische Medien. Berliner Vorlesungen 1999, Berlin: Merve 2002. Kittler, Friedrich: „Signal, Rausch, Abstand“, in: ders., Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig: Reclam 1993, S. 161-181. Kleiner, Art: The Age of Heretics. Hereos, Outlaws, and the Forerunners of Corporate Change, New York: Doubleday 1996. Knibbs, Kate: „Scientists Are Actually Trying to Revive Extinct Animals, Jurassic Park-Style“, in: Time.com (28.02.2014), http://newsfeed.time.com/ 2014/02/28/scientistsareactuallytryingtoreviveextinctanimalsjurassicparkstyle/print/ vom 03.10.2014. Koch, Julia: „Vision vom langen Jetzt“, in: Der Spiegel vom 08.02.1999, S. 184. Kossmann, Herman/Mulder, Suzanne/den Oudsten, Frank: „Introduction“, in: dies. (Hg.), Narrative Spaces. On the Art of Exhibiting, Rotterdam: 010 Publishers 2012, S. 6-7. Kossmann, Herman: „The Practice of Design“, in: ders./Suzanne Mulder/Frank den Oudsten (Hg.), Narrative Spaces. On the Art of Exhibiting, Rotterdam: 010 Publishers 2012, S. 46-127. Krämer, Sybille: „‚Schriftbildlichkeit‘ oder: Über eine (fast) vergessene Dimension der Schrift“, in: dies./Horst Bredekamp (Hg.), Bild, Schrift, Zahl, München: Wilhelm Fink Verlag 2003, S. 157-176.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 379

Landow, George P.: Hypertext 2.0. The Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology, Baltimore/London: The Johns Hopkins University 1992. Landwehr, Achim: Historische Diskursanalyse, 2. Aufl., Frankfurt a.M./New York: Campus 2009. Lanwerd, Susanne: „Bilder und Bilderpolitik. Repräsentationen des Islam in Printmedien und aktueller Kunst“, in: Georg Pfleiderer/Alexander Helt (Hg.), Sphärendynamik I. Zur Analyse postsäkularer Gesellschaften, Zürich: Pano 2011, S. 235-314. Longplayer, longplayer.org, http://longplayer.org/ vom 01.10.2014. –– [About: How does Longplayer work?]: Whow does Longplayer work?“, http://longplayer.org/about/how-does-longplayer-work/ vom 01.10.2014. –– [About: Overview of Longplayer]: „Overview of Longplayer“, http://long player.org/about/overview/ vom 01.10.2014. –– [Visit]: „Where to find Longplayer“, http://longplayer.org/visit/ vom 01.10.2014. Ludsteck, Walter: „Jetzt kommt die Nagelprobe. Die deutsche Wirtschaft sieht dem Jahrtausendwechsel mit vorsichtigem Optimismus entgegen“, in: Süddeutsche Zeitung vom 31.12.1999 (= SZ-Serie 2000-Problem), S. 26. Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Band 2, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998. Mach, Ernst: Erkenntnis und Irrtum, Leipzig: Verlag von Johannes Ambrosius Barth 1906. Macho, Thomas/Wunschel, Annette: „Zur Einleitung: Mentale Versuchsanordnungen“, in: dies. (Hg.), Science & Fiction: Über Gedankenexperimente in Wissenschaft, Philosophie und Literatur, Frankfurt a.M.: Wunschel Verlag 2004, S. 9-16. Maginrannus, Klaus: „Cheap Suit Santa (1994)“, in: Kevin Evans/Carrie Galbraith/John Law (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society, San Francisco: Last Gasp 2013, S. 46-47. Manovich, Lev: The Language of New Media. Cambridge: MIT Press 2001. Markoff, John: What the Dormouse Said. How the Sixties Counterculture Shaped the Personal Computer Industry, New York: Penguin Books 2005. Matussek, Peter: „Aufmerksamkeitsstörungen. Selbstreflexion unter den Bedingungen digitaler Medien“, in: Aleida Assmann/Jan Assmann (Hg.), Aufmerksamkeiten, München: Wilhelm Fink Verlag, S. 197-215, http://peter matussek.de/Pub/A_36.html vom 23.06.2012, S. 1-23. McElligott, Michael: „From Popcorn Anti-Theatre’s publicity“ (Veröffentlichung aus einer E-Mail-Korrespondenz von 1999), in: Kevin Evans/Carrie

380 | V OM LANGEN J ETZT

Galbraith/John Law (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society, San Francisco: Last Gasp 2013, S. 174-179. McElligott, Michael: „Cacophony Geeks“, in: Kevin Evans/Carrie Galbraith/ John Law (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society, San Francisco: Last Gasp 2013, S. 143-145. Mersch, Dieter: „Vilém Flusser und die telematische Gesellschaft“, in: ders., Medientheorien zur Einführung, Hamburg: Junius 2006, S. 136-154. Michael, Joachim: „Vilém Flussers Kommunikologie: Medientheorie ohne Medien?“, in: Oliver Fahle/Michael Hanke/Andreas Ziemann (Hg.), Technobilder und Kommunikologie. Die Medientheorie Vilém Flussers, Berlin: Parerga 2009, S. 23-56. National Park Service – Experience Your America, www.nps.gov, http://www. nps.gov/index.htm vom 25.09.2014. –– [Discover History: Stories]: „Abour Our Programms“, http://www.nps.gov/ history/about.htm vom 25.09.2014. Neumann, Birgit/Nünning, Ansgar: An Introduction to the Study of Narrative Fiction, Stuttgart: Klett 2008. Neumann, Birgit: „Narrativistische Ansätze“, in: Ansgar Nünning (Hg.), Grundbegriffe der Kulturtheorie und Kulturwissenschaften. Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, S. 160-163. Nietzsche, Friedrich: „Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift“, in: ders., Werke in drei Bänden, 2. Aufl., hg. v. Karl Schlechta, München: Carl Hanser 1960, S. 761-900. Nünning, Ansgar/Nünning, Vera: „Produktive Grenzüberschreitungen: Transgenerische, intermediale und interdisziplinäre Ansätze in der Erzähltheorie“, in: dies. (Hg.), Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär, Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag 2002, S. 1-22. Nünning, Ansgar/Nünning, Vera: „Ways of Worldmaking as a Model for the Study of Culture“, in: dies./Birgit Neumann (Hg.), Cultural Ways of Worldmaking, Berlin/New York: De Gruyter 2010, S. 1-25. Oren, Michel: „USCO: ‚Getting Out of Your Mind to Use Your Head‘“, in: Art Journal, Winter 2010, New York: College Art Association 2010, S. 76-95. Patalong, Frank: „Ende der Ur-Netzcommunity The Well“ in: Spiegel Online (04.07.2012), http://www.spiegel.de/netzwelt/web/ur-social-network-the-we ll-soll-geschlossen-werden-a-842266.html vom 11.11.2012. Patalong, Frank: „Millennium-Bug. Die Nacht, in der wir alle noch einmal davon kamen“, in: Spiegel Online (31.12.2007), http://einestages.spiegel.de/ external/Show–AuthorAlbumBackground/a1076/l0/l0/F.html#featuredEntry vom 14.04.2011.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 381

Pfaller, Robert: Die Illusion der anderen. Über das Lustprinzip in der Kultur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002. Pias, Claus: „Abschreckung denken. Herman Kahns Szenarien“, in: ders. (Hg.), Abwehr. Modelle, Strategien, Medien, Bielefeld: Transcript 2009, S. 169187. Pias, Claus: „‚One-Man Think Tank‘. Herman Kahn, oder wie man das Undenkbare denkt“, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 3 (2009), Think Tanks, München: C.H. Beck 2009, S. 5-16. Pias, Claus: „Zeit der Kybernetik. Eine Einstimmung“, in: ders. (Hg.), Cybernetics – Kybernetik. The Macy-Conferences 1946–1953, Berlin/Zürich: Diaphanes 2004, S. 9-41. Pieper, Annemarie: „Vorrede“, in: Otfried Höffe (Hg.), Friedrich Nietzsche. Zur Genealogie der Moral, Berlin: Akademie Verlag 2004, S. 15-29. Pink Floyd: Brain Damage, Album-Version in: Dark Side of the Moon, London/Los Angeles: Harvest Records 1973. Pöppel, Ernst: Grenzen des Bewusstseins. Wie kommen wir zur Zeit, und wie entsteht Wirklichkeit?, Frankfurt a.M./Leipzig: Insel 2000. Radisch, Iris: „Brauchen wird Amazon?“, in: Zeit Online (31.07.2014), http://www.zeit.de/2014/30/buchhandel-amazon-autoren vom 29.12.2014. Rheingold, Howard: The Millennium Whole Earth Catalog: Access to Tools and Ideas for the Twenty-First Century, San Francisco: Harper San Francisco 1994. Rheingold, Howard: Virtuelle Gemeinschaft. Soziale Beziehungen im Zeitalter des Computers, Bonn u.a.: Addison-Wesley 1994. Rich, Nathaniel: „The Mammoth Commeth“, in: Ney York Times Magazine, NYTimes.com (27.02.2014), http://www.nytimes.com/2014/03/02/magazi ne/the-mammoth-cometh.html?_r=0 vom 03.10.2014. Richtmeyer, Ulrich: Kants Ästhetik im Zeitalter der Photographie. Analysen zwischen Sprache und Bild, Bielefeld: Transcript 2009. Ricœur, Paul: Zeit und Erzählung, Band 1: Zeit und historische Erzählung, München: Wilhelm Fink Verlag 1988. Ricœur, Paul: Zeit und Erzählung, Band 3: Die erzählte Zeit, München: Wilhelm Fink Verlag 1991. Röller, Nils/Wagnermaier, Silvia: absolute Vilém Flusser, Freiburg: orangepress 2003. Rosa, Hartmut: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005.

382 | V OM LANGEN J ETZT

Rose, Alexander: „Long Now timeline and current status“, in: longnow.org (06.06.1996), [Blog: Archive: 01996], http://blog.longnow.org/01996/06/06/ long-now-timeline-current-status/ vom 12.11.2014. Rose, Alexander: „The Chalk Board Robot for The Interval“, in: longnow.org (13.03.2014), [The Interval: Chalkboard Robot/Blog], http://blog.longnow. org/02014/03/13/interval-chalk-board-robot/ vom 29.09.2014. Rose, Alexander: „The Manual for Civilization Begins“, in: longnow.org (06.02.2014), [Blog], http://blog.longnow.org/02014/02/06/manual-for-civili zation-begins/ vom 28.04.2015. Rosner, Bernd: „Telematik. Vilém Flusser“, in: Daniela Klook/Angela Spahr (Hg.), Medientheorien. Eine Einführung, 2. Aufl., München: Wilhelm Fink Verlag UTB 2000, S. 77-98. Roszak, Theodore: The Making of a Counterculture. Reflections on the Technocratic Society and its Youthful Opposition. New York: Anchor Books 1969. Rötzer, Florian: „Die kalifornische Ideologie – Ein Phantom?", in: Telepolis, Heise Zeitschriften Verlag (12.08.1996), http://www.heise.de/tp/druck/mb/ar tikel/1/1053/1.html vom 21.11.2012. Rötzer, Florian: „Virtueller Raum oder Weltraum“, in: Telepolis, Heise Zeitschriften Verlag (13.08.1996), http://www.heise.de/tp/artikel/1/1006/1. html vom 16.12.2014. Rötzer, Florian: „Von der Schwierigkeit den verloren Faden wieder zu finden“, in: Telepolis, Heise Zeitschriften Verlag (08.12.2009), http://www.heise.de/ tp/artikel/31/31675/1.html vom 20.11.2012. Ruhl, Carsten: „Mythos Monument. Zwischen Memoria und objektivem Diskurs“, in: ders. (Hg.), Mythos Monument. Urbane Strategien in Architektur und Kunst seit 1945, Bielefeld: Transcript 2011, S. 11-34. Ruoff, Michael: Foucault-Lexikon. Entwicklung – Kernbegriffe – Zusammenhänge, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag 2007. Ryan, Marie-Laure: „Will New Media Produce New Narratives?“, in: dies. (Hg.), Narrative Across Media. The Languages of Storytelling, Lincoln/ London: University of Nebraska Press 2004, S. 337-359. Saffo, Paul: „Anxiously Waiting for the Millennium“, in: longnow.org (16.06.1999), [About: Essays], http://longnow.org/essays/anxiously-waitingmillenium/ vom 16.04.2015. Saffo, Paul: „The Real Y2K Bug“, in: longnow.org (08.05.1999), [About: Essays], http://longnow.org/essays/real-y2k-bug/ vom 16.04.2015. Sarasin, Philipp: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 383

Sarasin, Philipp: Michel Foucault zur Einführung, 4. Aufl., Hamburg: Junius 2010. Scherer, Bernd M.: „Vorwort“, in: Diedrich Diederichsen/Anselm Franke (Hg.), The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen, Berlin: Sternberg Press 2013, S. 6-7. Schneider, Irmela: „Narrative des Digitalen um die Jahrtausendwende. Programmatische und programmierte Imaginationen“, in: Nadja Borer/Samuel Sieber/Georg Christoph Tholen (Hg.), Blickregime und Dispositive audiovisueller Medien. Bielefeld: Transcript 2011, S. 47-70. Schultz, Stefan: „Amazon-Chef Jeff Bezos: Der Hyper-Zocker“, in: Spiegel Online (24.10.2014), http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/amazonjeff-bezos-und-seine-riskante-strategie-a-999032.html vom 29.12.2014. Schwemmer, Oswald: Ernst Cassirer: Ein Philosoph der europäischen Moderne, Berlin: Akademie 1997. Semuels, Alana: „Annual SantaCon bar crawl a headache for some NewYorkers“, in: Los Angeles Times (14.12.2013), http://articles.latimes.com/2013/ dec/14/nation/la-na-santacon-new-york-20131215 vom 19.06.2015. Smithsonian Photographie Initiative, http://click.si.edu/Story.aspx?story=31 vom 05.12.2013. Soeffner, Hans-Georg: „Individuelle Macht und Ohnmacht in formalen Organisationen“, in: Ilja Srubar/Steven Vaitkus (Hg.), Phänomenologie und soziale Wirklichkeit. Entwicklungen und Arbeitsweisen, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2003, S. 125-143. Spreen, Dierk: Tausch, Technik, Krieg. Die Geburt der Gesellschaft im technisch-medialen Apriori, Berlin/Hamburg: Argument-Verlag 1998. Sprenger, Florian: „Gefährdungen der Zukunft“, in: Lorenz Engell/Bernhard Siegert/Joseph Vogl (Hg.), Gefahrensinn (= Archiv für Mediengeschichte, Band 9), München: Wilhelm Fink Verlag 2009, S. 79-91. Sprenger, Florian: „The Clock of the Long Now – Die Uhr, die Langeweile und der Beobachter“, in: Heinz B. Heller/Angela Krewani/Karl Prümm (Hg.), Paradoxien der Langeweile (= Augenblick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft 41 (2008)), S. 104-116. Stanford Research Institute (SRI International), http://www.sri.com/ vom 10.09.2014. Stephenson, Neil: Anathem. New York: William Morrow 2008. Tawala Systems, Broderband Sofware Inc., tawala.com, http://www.tawala.com/ sportsdashboards/home vom 07.11.2014. Telepolis Newsticker: „Amazon-Gründer Bezos stellt Prototyp seines Weltraumfahrzeugs vor“, Telepolis, Heise Zeitschriften Verlag (04.01.2007), http://

384 | V OM LANGEN J ETZT

www.heise.de/newsticker/meldung/Amazon-Gruender-Bezos-stelltPrototypseines-Weltraumfahrzeugs-vor-130783.html vom 29.12.2014. 10,000 Year Clock Network, 10,000yearclock.net, http://www.10000yearclock. net/ vom 10.06.2015. The British Museum, www.britishmuseum.org, http://www.britishmuseum.org/ vom 23.01.2015. –– [Explore: A History of the World]: „A History of the World in 1000 Objects“, http://www.britishmuseum.org/explore/a_history_of_the_world. aspx vom 30.09.2014. The Club of Rome, Deutsche Gesellschaft Club of Rome, www.clubofrome.de, http://www.clubofrome.de/ vom 21.06.2011. The Intermedia Foundation, intermediafoundation.org, [poetry], http://www. intermediafoundation.org/poetry/ vom 11.12.2014. The Internet Archive, archive.org, https://archive.org/ vom 03.10.2014. –– [Texts: Rosetta Project]: „The Rosetta-Project-Texts“, https://archive.org/de tails/rosettaproject vom 03.10.2014. –– The Wayback Machine – Internet Archive, waybackmachine.org, http://ar chive.org/web/ vom 15.07.2014. The Long Now Foundation, longnow.org, [About]: „About Long Now“, http:// longnow.org/about/ vom 10.06.2015. The Long Now Foundation, longnow.org, [About: Essays], http://longnow.org/ essays/ vom 18.07.2014. The Long Now Foundation, longnow.org, [About: Store]: „The Long Now Online Store“, http://longnow.org/store/ vom 26.09.2014. –– [Online Store]: Rose, Alexander u.a.: Works in Progress 2007. The Long Now Foundation, longnow.org, [Blog]: „Blog of the Long Now. Ideas about Long-term thinking“, http://blog.longnow.org vom 23.01.2015. –– [Blog: Categories Long Term Art]: „Blog Archive for the ‚Long Term Art‘ Category“, http://blog.longnow.org/category/long-term-art/ vom 12.12.2014. –– [Blog: Categories: Digital Dark Age]: „Blog Archive for the ‚Digital Dark Age‘ Category“, http://blog.longnow.org/category/digital-dark-age/ vom 11.11.2014. The Long Now Foundation, longnow.org, [Donate]: „Support Long Now“, http: //longnow.org/support/ vom 18.05.2016. The Long Now Foundation, longnow.org, [faq]: „What are the benefits of becoming a member?“, http://longnow.org/faq/ vom 18.05.2016. The Long Now Foundation, longnow.org, [Home], http://longnow.org/ vom 10.06.2015.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 385

The Long Now Foundation, longnow.org, [Membership]: „Become a Long Now Member“, https://longnow.org/membership/ vom 18.05.2016. –– [Membership: Sign In: Newsletter], http://longnow.org/membership/ newsletters/ vom 15.10.2014. The Long Now Foundation, longnow.org [Membership: Sign In: Clock Blog: Clock One Updates]: „Clock One Updates“, http://longnow.org/clock/clock one/ vom 23.05.2016. –– Clock One Updates [March 02011]: „First Fully Robotic test of Stair Saw“, http://longnow.org/clock/clockone/02011/mar/21/robotic-stair-saw-test/ vom 13.10.2014. –– Clock One Updates [February 02011]: „Web cam and weather station“, http://longnow.org/clock/clockone/02011/feb/4/web-cam-and-weatherstation/ vom 13.10.2014. –– Clock One Updates [December 02010]: „First Blast“, http://longnow.org/ clock/clockone/02010/dec/ vom 10.06.2015. –– Clock One Updates [October 02010]: „Final Geneva Wheel Assembly“, http://longnow.org/clock/clockone/02010/oct/ vom 10.06.2015. –– Clock One Updates [May 02010]: „Climate Change and Accurate Time Keeping“, http://longnow.org/clockone/2010/may/ vom 13.10.2014. –– Clock One Updates [June 02007]: „Solar Synchronizer“, http://longnow.org/ clock/clockone/02007/jun/4/solar-synchronizer/ vom 13.10.2014. The Long Now Foundation, longnow.org, [People]: „People of the Long Now“, http://longnow.org/people/board/ vom 26.09.2014. –– [People: Stewart Brand], http://longnow.org/people/board/sb1/ vom 26.09.2014. –– [People: Doug Carlston], http://longnow.org/people/board/carlston2/ vom 07.11.2014. –– [People: Esther Dyson], http://longnow.org/people/board/edyson3/ vom 17.12.2014. –– [People: Danielle Engelman], http://longnow.org/people/staff/danielle/ vom 08.10.2014. –– [People: Brian Eno], http://longnow.org/people/board/prospect4/ vom 26.09.2014. –– [People: Danny Hillis], http://longnow.org/people/board/danny0/ vom 26.09.2014. –– [People: Kevin Kelly], http://longnow.org/people/board/kk7/ vom 26.09.2014. –– [People: Alexander Rose], http://longnow.org/people/staff/zander/ vom 26.09.2014.

386 | V OM LANGEN J ETZT

–– [People: Peter Schwartz], http://longnow.org/people/board/schwartz11/ vom 26.09.2014. The Long Now Foundation, longnow.org, [Projects: Long Bets]: „The Arena for accountable Predictions“, http://longbets.org/ vom 10.06.2014. –– [Projects: Long Bets: About]: „About Long Bets“, http://www.longbets. org/about vom 15.07.2010. –– [Projects: Long Bets: Bets&Predictions]: „Long Bets: Bets & Predictions“, http://longbets.org/predictions/ vom 01.10.2014. –– [Projects: Long Bets: Rules]: „Long Bets: Rules“, http://longbets.org/rules/ vom 01.10.2014. The Long Now Foundation, longnow.org, [Projects: Long Server]: „Long Server“, http://longserver.org/ vom 15.04.2015. The Long Now Foundation, longnow.org, [Projects: Nevada]: „Mt. Washington, Eastern Nevada“, http://longnow.org/clock/nevada/ vom 26.09.2014. The Long Now Foundation, longnow.org [Projects: Pan Lex]: „Every Word in Every Language“, http://panlex.org/ vom 23.01.2015. The Long Now Foundation, longnow.org [Projects: Revive & Restore], http://longnow.org/revive/ vom 23.01.2015. –– [Projects: Revive and Restore: Wolly Mammoth]: „Wolly Mammouth Revival“, http://longnow.org/revive/woolly-mammoth/ vom 15.04.2015. The Long Now Foundation, longnow.org [Projects: Seminars]: „Seminars About Long-term thinking“, http://longnow.org/projects/seminars/ vom 02.10.2014. –– [Seminars]: „ANATHEM Book Launch Event“, http://longnow.org/semi nars/02008/sep/09/anathem-book-launch-event/ vom 28.04.2015. –– [Seminars: Audio Podcast], feed://longnow.org/projects/seminars/SALT.xml vom 02.10.2014. –– [Seminars]: „Larry Harvey: Why The Man Keeps Burning“, http://longnow. org/seminars/02014/oct/20/why-man-keeps-burning/ vom 30.09.2014. –– [Seminars]: „Adrian Hon: A History of the Future in 100 Objects“, http://long now.org/seminars/02014/jul/16/history-future-100-objects/ vom 30.09.2014. –– [Seminars]: „Peter Schwartz: The Starships ARE Coming“, http://longnow. org/seminars/02013/sep/17/starships-are-coming/ vom 15.10.2014. The Long Now Foundation, longnow.org [Projects: Special Events], http://long now.org/events/ vom 01.10.2014. –– [Long Player San Francisco]: „Longplayer. 1,000 years in three simultaneous acts“, http://longnow.org/longplayer/ vom 19.06.2015. –– [YBCA, Long Now & Quiet]: „Smart Night Out and Long Now Explore ‚Quiet’“, http://blog.longnow.org/02011/05/17/smart-night-out-and-long-no w-explore-“quiet”/ vom 19.06.2015.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 387

The Long Now Foundation, longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock], http:// longnow.org/clock/ vom 19.06.2015. –– [Projects: 10,000 Year Clock: Background]: „The 10,000 Year Clock: Background“, http://longnow.org/clock/background/ vom 25.09.2014. –– [Projects: 10,000 Year Clock: Chimes]: „Clock Chime Mechanism“, http:// longnow.org/clock/chimes/ vom 26.09.2014. –– [Projects: 10,000 Year Clock: Introduction]: „The 10,000 Year Clock, Introduction“, http://longnow.org/clock/ vom 26.09.2014. –– [Projects: 10,000 Year Clock: Nevada]: „Mt. Washington, Eastern Nevada“, http://longnow.org/clock/nevada/ vom 10.10.2014. –– [Projects: 10,000 Year Clock: Orrery], http://longnow.org/clock/orrery/ vom 10.10.2014. –– [Projects: 10,000 Year Clock: Principles], http://longnow.org/clock/princi ples/ vom 10.10.2014. –– [Projects: 10,000 Year Clock: Prototype 1], http://longnow.org/clock/proto type1/ vom 13.10.2014. The Long Now Foundation, longnow.org [Projects: The Interval]: „The Interval“, https://longnow.org/interval/ vom 02.10.2014. –– [Projects: The Interval: Reserve Your Bottle], https://longnow.org/interval/ vom 28.04.2015. –– [The Interval: shelf dedication], https://longnow.org/interval/ vom 29.9.2014. –– The Interval, San Francisco, CA, theinterval.org, http://theinterval.org/ vom 10.06.2015. –– [Drinks: View the Menue], http://theinterval.org/static/theInterval%20Menu.pdf vom 13.03.2015, S. 1-19. –– [The Space], http://theinterval.org/space/ vom 13.03.2015. –– [Welcome], http://theinterval.org/ vom 13.03.2015. –– „The Interval: rare Suncha Pu-erh Tea sourced by Samovar Tea Lounge“, in: vimeo, https://vimeo.com/68100752 vom 13.03.2015. The Long Now Foundation, longnow.org, [Projects: The Rosetta Project]: „The Rosetta Project. A Long Now Foundation Library of Human Language“, http:// rosettaproject.org/ vom 23.01.2015. –– [About], http://rosettaproject.org/about/ vom 23.01.2015. –– [Archive]: „Rosetta Collection“, http://rosettaproject.org/archive/showcase/ vom 03.10.2014. –– [Disk]: „Concept“, http://rosettaproject.org/disk/concept/ vom 03.10.2014. –– [Participate and Support], http://rosettaproject.org/get-involved/ vom 02.10.2014.

388 | V OM LANGEN J ETZT

The Rockefeller Foundation, http://www.rockefellerfoundation.org/ vom 18.09.2014. –– [About Us], http://www.rockefellerfoundation.org/about-us vom 18.09.2014. The Rockefeller Foundation/Global Business Network: Scenarios for the Future of Technology and International Development, rockefellerfoundation. org (05.2010), http://www.nommeraadio.ee/meedia/pdf/RRS/Rockefeller% 20Foundation.pdf vom 18.09.2014. The WELL, well.com, www.well.com vom 03.12.2014. –– [Conferences], http://www.well.com/conference.html vom 03.12.2014. Thiedeke, Udo: „Von der ‚kalifornischen Ideologie‘ zur ‚Folksonomy‘“, in: Petra Grell/Winfried Marotzki/Heidi Schelhowe (Hg.), Neue digitale Kulturund Bildungsräume, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, S. 51-60. Transmediale, Art & Digital Culture, transmediale.de, http://www.transmediale. de/de vom 22.09.2014. –– [Archive Past Festivals]: „Futurity Now! – 2-7 Februar 2010, http://www. aslsp.org/de/das-projekt.html vom 22.09.2014. Turner, Fred: „Burning Man at Google: a cultural infrastructure for new media production“, in: New Media & Society 11, Los Angeles u.a.: Sage 2009, S. 73-94. Turner, Fred: „Die Politik der Ganzheit um 1968 – und heute“, in: Diedrich Diederichsen/Anselm Franke (Hg.), The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen, Berlin: Sternberg Press 2013, S. 43-48. Turner, Fred: From Counterculture to Cyberculture. Stewart Brand, The Whole Earth Network, and the Rise of Digital Utopianism. Chicago/London: University of Chicago Press 2008. University of Strathclyde Business School, strath.ac.uk [Our Staff], http://www. strath.ac.uk/sao/staff/professorkeesvanderheijden/ vom 07.11.2014. Van der Heijden, Kees: „Scenarios, Strategies and the Strategy Process“, in: Nijenrode Research Paper Series. Centre for Organisational Learning and Change, 1 (1997), http://www.liacs.nl/CS/DLT/pickups/NWOCognition/van DerHeijden-1997.pdf vom 07.11.2014, S. 4-33. Virilio, Paul: Geschwindigkeit, Berlin: Merve 1980. Volmar, Axel: „Zeitkritische Medien im Kontext von Wahrnehmung, Kommunikation und Ästhetik. Eine Einleitung“, in: ders. (Hg.), Zeitkritische Medien, Berlin: Kadmos 2009, S. 9-26. Vries, Jeroen de/Schellenberg, Dimitri/Abelmann, Leon/Manz, Andreas/ Elwenspoek, Miko: „Towards Gigayear Storage Using a Silicon-Nitride/ Tungsten Based Medium“, in: arXiv.org, http://arxiv.org/abs/1310.2961 vom 07.04.2015.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 389

Wächter, Kathleen: „Various Artists – The Long Now Foundation“, in: The Junction. For Contemporary Culure (02.09.2008), http://www.thejunction.de/ dekompostierer/2008/09/02/va-artists-the-long-now-foundation-00755 vom 07.07.2011. Wannhoff, Matthias: Unmögliche Lektüren. Zur Rolle der Medientechnik in den Filmen Michael Hanekes (= Berliner {Programm} einer Medienwissenschaft 12.0, Band 7], hg. v. Friedrich Kittler und Wolfgang Ernst, Berlin: Kadmos 2013. Warne, Gary: „Evolution into Chaos: A Chronology“, in: Kevin Evans/Carrie Galbraith/John Law (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society, San Francisco: Last Gasp 2013, S. 5-9. Watts, Allen W.: Zen-Buddhismus. Tradition und lebendige Gegenwart, hg. v. Ernesto Grassi, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1961. Welcher, Laura: „Storing Digital Data in DNA“, in: longnow.org (16.08.2012), [Blog], http://blog.longnow.org/02012/08/16/storing-digital-data-in-dna/ vom 11.11.2014. Wiener, Norbert: Cybernetics, or Control and Communication in the Animal and the Machine, Cambridge: MIT Press 1948. Winkler, Hartmut: „Das Modell. Diskurse, Aufschreibesysteme, Technik, Monumente – Entwurf für eine Theorie kultureller Kontinuierung“, in: Hedwig Pompe/Leander Scholz (Hg.), Archivprozesse: Die Kommunikation der Aufbewahrung, (= Mediologie, Band 5), Köln: DuMont 2002, S. 297315. Winthrop-Young, Geoffrey: Friedrich Kittler zur Einführung, Hamburg: Junius 2005. Winthrop-Young, Geoffrey: „Implosion and Intoxication. Kittler, a German Classic, and Pink Floyd“, in: Theory, Culture & Society 23, London u.a.: Sage 2006, S. 95-71. Woidich, Stefanie: Vico und die Hermeneutik. Eine rezeptionsgeschichtliche Annäherung (= Epistemata: Würzbürger wissenschaftliche Schriften, Reihe Philosophie, Band 422). Würzburg: Königshausen & Neumann 2007. Wolfe, Tom: The Electric Kool-Aid Acid Test, New York: Picador 1968. Zekert, Peter: „Worte für die Ewigkeit“, in: Berliner Zeitung vom 13.02.2009. Zinder, Jac: „The Cacophony Pandemic“, in: Kevin Evans/Carrie Galbraith/John Law (Hg.), Tales of the San Francisco Cacophony Society, San Francisco: Last Gasp 2013, S. 97-98.

390 | V OM LANGEN J ETZT

V ERZEICHNIS

DES

A RCHIV -M ATERIALS

(Sortierung: Manuscript Collection M 1237 & M 1045, Box, Folder) Special Collections and University Archives, Stanford University Libraries (SUL), Stewart Brand Papers, 1954-2000, Manuscript Collection M 1237: –– Stewart Brand Index Cards, Box 92: „Kevin, Continuity is all, 09. May 97“. –– Stewart Brand Index Cards, Box 92: „SB, C/L’s function, 29 May 97“. –– GBN miscellaneous, 1997, Box 89, Folder 5: Charles M. Hampden-Turner 1995: „Designing the Infinite Game“, S. 1-17. –– GBN 1997-2000, Box 87, Folder 2: Peter Schwartz: „Minority Report Scenario“, May 10, 1999 [Letter to Steven Spielberg, Bonnie Curtis, Alex McDowell, Walter Parkes, Scott Frank], S. 1-17. –– GBN 1994-2000, Box 86, Folder 5: Paul Krassner: „Be there then“ [Auszug], S. 1-2. –– GBN 1994-2000, Box 86, Folder 5: „Stewart Brand 4/2/98“, S. 1-2. –– GBN 1994-2000, Box 86, Folder 4: „GBN Principals 5/14/98“, S. 1-2. –– GBN 1994-2000, Box 86, Folder 4: Hillis, 25. July 1995: „Millennium Clock Draft“, S. 1-3. –– GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „Brewster Kahle, 1/25/98“, S. 1-2. –– GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea (Tape Slides Talk)“, S. 1-19. –– GBN 1994-2000, Box 85, Folder 2: „Thinking the Unthinkable“, S. 1-4. –– GBN 1992-1994, Box 84, Folder 5: James Ogilvy: „Reconstructing Genius“, S. 1-18. –– GBN 1988-1989, Box 69, Folder 6: The Global Scenario Book [Auszug]. –– GBN 1988-1989, Box 67, Folder 4: Peter Schwartz: „Thinking Ahead: Scenarios for the Next Century“, 01.12.1988, S. 1-17. –– GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: Arie P. De Geus: „Planning as Learning“, in: Harward Business Rewiew 88202/1988, S. 70-74. –– GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „GBN Leaflet“, S. 1-6. –– GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „Interview with Peter Schwartz, James Ogilvy & Stewart Brand“, S. 1-4. –– GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „The Deeper News“, 12 (1988), Nr. 1, S. 1-19. –– GBN 1988-1989, Box 66, Folder 1: „The Future of Electronic Advertising“ [Proposal for Scenario Planning, Lawrence Wilkonson (GBN), Letter to Salvador Arias (BellSouth Coorporation), 01.05.1989], S. 1-14. –– Learning Conference Correspondence 1986-1992, Box 68, Folder 3: Stewart Brand: „One Reflection on Group Learning“, S. 1-4.

Q UELLENVERZEICHNIS

| 391

–– Learning Conference Correspondence, 1986-1989, Box 63, Folder 5: Stewart Brand: „Schedule, Learning Conference #4“, S. 1-3. –– Learning Conference Correspondence 1986-1992, Box 63, Folder 2: „Organizational Learning“, S. 1-6. –– Learning Conference Correspondence 1986-1988, Box 62, Folder 1: Stewart Brand: „Learning Conferences, 31 Jan 89“, S. 1-2. –– Learning Conference Correspondence, 1986-1989, Box 62, Folder 1: „The Varieties of Learning“, S. 1-4. –– Learning Conference Correspondence, 1986-1989, Box 54, Folder 12: „Shell Learning Conferences“, S. 1-4. –– Learning Conference Correspondence, 1986-1989, Box 54, Folder 12: Stewart Brand: „Notes Toward a Description of the Shell Learning Conferences“, S. 1-5. –– Gregory Bateson Material, 1972-1973, Box 32, Folder 1: „Gregory Bateson, Meta-Naturalist“, S. 1-25. –– Miscellaneous, articles/photographs Counter Culture, ca. 1967, Box 109, Folder 2: New York. The World Journal Tribune Magazine, 12. Feb. 1967. –– Miscellaneous, articles/photographs Counter Culture, ca. 1967, Box 109, Folder 2: New York. The World Journal Tribune Magazine, 05. Feb. 1967. –– Miscellaneous, articles/photographs Counter Culture, ca. 1967, Box 109, Folder 2: New York. The World Journal Tribune Magazine, 29. Jan. 1967 (Special Issue: Tom Wolfe: The World of LSD). –– Miscellaneous, articles/photographs Counter Culture, ca. 1967, Box 109, Folder 2: Ramparts Vol. 5, Nr. 9, 3 (1967), S. 5-26. Special Collections and University Archives, Stanford University Libraries (SUL), Stewart Brand Editorial Files (Whole Earth Catalog (New York, N.Y.), Manuscript Collection M 1045: –– Whole Earth Catalog Miscellaneous 1981-1982, Box 45, Folder 4: Samuel C. Florman: „Do It Yourself Is the Message“, S. 1-4. –– Whole Earth Catalog Miscellaneous 1981-1982, Box 45, Folder 4: „Story: NWholeEarth“, S. 1-15. –– Whole Earth Catalog Miscellaneous 1981-1982, Box 45, Folder 4: „The Next Whole Earth Catalog“, S. 1-3.

392 | V OM LANGEN J ETZT

F ILME FIGHT CLUB, USA 1999, R: David Fincher. HOW LONG IS NOW, D 2010, R: Danielle de Picciotto. MINORITY REPORT, USA 2002, R: Steven Spielberg. STALKER, Sowjetunion 1979, R: Andrei Tarkowski. WAS WIRD BLEIBEN?, D 2009, R: Knut Karger.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1.1: How Long Is Now (1997) Globalodromia, Kunsthaus Tacheles Berlin 2009, Fotografie: Vera Fischer. Abbildung 1.2: Prototype One, Ziffernblatt, longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Prototype 1], http://longnow.org/clock/prototype1/ vom 03.10.2014, Fotografie: Rolfe Horn. Abbildung 1.3: longnow.org, Startseite, longnow.org, [Home], http://longnow. org/ vom 02.10.2014. Abbildung 1.4: longnow.org, About, Projects, longnow.org, [Home], http://long now.org/ vom 02.10.2014. Abbildung 1.5: Baustellen-Intervall, September 2013, Fotografie: Vera Fischer. Abbildung 1.6: Innenansicht The Interval, longnow.org, [The Interval], http://the interval.org/space/ vom 13.10.2014, Prototypen, Manual, Installation, Bar. Abbildung 1.7: The Interval – Produkte, longnow.org, [The Interval], http://long now.org/interval/ vom 29.09.2014. Abbildung 1.8: Rosetta Disk, rosettaproject.org, [Disk], http://rosettaproject.org/ disk/concept/ [Home] vom 03.10.2014, Fotografie: Rolfe Horn. Abbildung 1.9: Skalierung des langen Jetzt, longnow.org, [About], http://long now.org/about/ vom 16.04.2015. Abbildung 1.10: Zeitachsenausschnitt aus dem langen Jetzt, Ausschnitt aus longnow.org, [About], http://longnow.org/about/ vom 16.04.2015. Abbildung 2.1: Auszüge Whole Earth Catalog, Whole Earth Catalog 1968, Cover; Whole Earth Catalog 1968, S. 21; Last Whole Earth Catalog 1973, S. 322-323. Abbildung 2.2: Gerd Stern: NO OW NOW [Auszug], intermediafoundation.org, [NO OW NOW], http://www.intermediafoundation.org/wpcontent/uploads/ 2011/01/NO-OUT-OF-NOW-POSTER.jpg vom 11.12.2014. Abbildung 2.3: Long-Now-Geschäftsidee, Special Collections and University Archives, Stanford University Libraries (SUL), Stewart Brand Papers, 1954-

394 | V OM LANGEN J ETZT

2000, M 1237, GBN 1994-2000, Box 86, Folder 3: „The Long Now Business Idea“, S. 1; 2. Abbildung 3.1: longnow.org, 15.07.2014, longnow.org, [Home], http://longnow. org/ vom 15.07.2014. Abbildungen 3.2: Exemplarischer Erschließungspfad aus longnow.org, Grafik: Vera Fischer. Abbildung 3.3: Pop-Up longnow.org, item: 10,000 Year Clock, longnow.org, [Projects: 10,000 Year Clock: Introduction], http://longnow.org/clock/ vom 17.07.2014. Abbildung 3.4: Wandel in longnow.org: 3.4a: 1998, Erste Erfassung durch Wayback Machine, 10.06.1998, Internet Archive: Wayback Machine, web.archive.org, [longnow.org], http://web.ar chive.org/web/19980610185451/http://www.longnow.org/ vom 15.07.2014. 3.4b: longnow.org 2011, Internet Archive: Wayback Machine, web.archive.org, [longnow.org], http://web.archive.org/web/20110408010611/http://longnow. org/ vom 15.07.2014. 3.4c: longnow.org 2014, longnow.org, [Home], http://longnow.org/ vom 15.07.2014. Abbildung 3.5a: longnow.org 2011, Veränderung item About, Internet Archive: Wayback Machine, web.archive.org, [longnow.org], http://web.archive. org/web/20110405094644/http://longnow.org/about/ vom 15.07.2014. Abbildung 3.5b: longnow.org 2014, Veränderung item About, longnow.org, [About], http://longnow.org/about/ vom 15.07.2014. Abbildung 3.6: Nicht-lineare Erschließung in longnow.org, Grafik: Vera Fischer. Abbildung 3.7: Erschließungspfade in longnow.org I, Auszüge aus longnow.org, [About; People; Projects: 10,000 Year Clock; Essays], http://longnow. org/about/; http://longnow.org/people/board/sb1/; http://longnow.org/clock/ vom 17.07.2015. Abbildung 3.8: Erschließungspfad in longnow.org II, Grafik: Vera Fischer. Abbildung 3.9.: Ausschnitt aus dem langen Jetzt, longnow.org, [About], http:// longnow.org/about/ vom 16.04.2015. Abbildung 3.10: Die 10.000-Jahre-Uhr, Prototype One, Fotografie: Rolfe Horn.

longnow.org © The Long Now Foundation Fotografien aus longnow.org  Rolfe Horn Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Long Now Foundation

A BBILDUNGSVERZEICHNIS

| 395

Abbildungen aus The Wayback Machine mit freundlicher Genehmigung des Internet Archive Whole Earth Catalog  Stewart Brand Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Stewart Brand NO OW NOW  Gerd Stern Abbildung aus intermediafoundation.org mit freundlicher Genehmigung von Gerd Stern Abbildung von Archiv Material  Special Collections and University Archives, Stanford University Libraries Abbildung und Verwendung von Archiv Material mit freundlicher Genehmigung der Special Collections and University Archives, Stanford University Libraries

Kulturwissenschaft Eva Horn, Peter Schnyder (Hg.) Romantische Klimatologie Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2016 Mai 2016, 152 S., kart., 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3434-1 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3434-5

Fatima El-Tayeb Undeutsch Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft September 2016, 256 S., kart., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3074-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3074-3

Arianna Ferrari, Klaus Petrus (Hg.) Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen 2015, 482 S., kart., 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2232-4 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2232-8

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kulturwissenschaft Andreas Langenohl, Ralph Poole, Manfred Weinberg (Hg.) Transkulturalität Klassische Texte 2015, 328 S., kart., 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-1709-2 E-Book:  € (DE), ISBN

María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan Postkoloniale Theorie Eine kritische Einführung 2015, 376 S., kart., 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-1148-9 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-1148-3 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-1148-3

Thomas Hecken, Moritz Baßler, Robin Curtis, Heinz Drügh, Nadja Geer, Mascha Jacobs, Nicolas Pethes, Katja Sabisch (Hg.) POP Kultur & Kritik (Jg. 5, 2/2016) September 2016, 176 S., kart., zahlr. Abb., 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8376-3566-9 E-Book: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-3566-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de