Volksstaat und Ständeordnung: Die Wirtschaftspolitik der steirischen Heimwehren 1927-1933 9783205793557, 9783205795995

144 35 2MB

German Pages [256] Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Volksstaat und Ständeordnung: Die Wirtschaftspolitik der steirischen Heimwehren 1927-1933
 9783205793557, 9783205795995

Citation preview

Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark Herausgegeben von der

Historischen Landeskommission für Steiermark

Band 65

ANDREAS FR AYDENEGG-MONZELLO

VOLKSSTA AT UND STÄNDEORDNUNG DIE WIRTSCHAFTSPOLITIK DER STEIRISCHEN HEIMWEHREN 1927–1933

2015 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch : Wissenschaftsabteilung der Stadt Graz

Historische Landeskommission für Steiermark

Wissenschaftsabteilung des Landes Steiermark

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http ://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung : Heimwehr-Kundgebung in Mureck ( 1929 ). In der Bildmitte Landeshauptmann Dr. Anton Rintelen , neben ihm sichtbar u. a. Dr. Walter Pfrimer. © Archiv Dr. Andreas Fraydenegg-Monzello.“ © 2015 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H & Co. KG , Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1 , A-1010 Wien , www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat : Jörg Eipper-Kaiser , Graz Umschlaggestaltung : Michael Haderer , Wien Satz : Carolin Noack , Wien Druck und Bindung : Prime Rate , Budapest Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-79599-5

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung und Exposition der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Frühgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufschwung und Höhepunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Krise und Niedergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Wirtschaftspolitische Handlungsspielräume und ökonomische Lehrmeinungen in der Ersten Republik . . . . . 2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft und die Unabhängige Gewerkschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die ÖAMG in Kriegs- und Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . . . b) Auf dem Weg zur „Betriebsgemeinschaft“: Arbeitsschulung und Werkszeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Alpine Montangesellschaft und Steirischer Heimatschutz . . . . . . d) Die Unabhängige Gewerkschaft (UG) . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Zum theoretischen Hintergrund der „gelben“ Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 15 22 31 47

53 53 59 62 65 78

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat – die wirtschaftspolitische Entwicklung im Steirischen Heimatschutz . . 85 a) Die politisch-ideologischen Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Der Einfluss Othmar Spanns auf die Wirtschaftsideologie des Steirischen Heimatschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Widersprüche und Unklarheiten in der Konzeption des Spann-Kreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 d) Der Korneuburger Eid als Bekenntnis zur „völkischen Wirtschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 e) Das Nationalratsprogramm des Heimatblocks 1930 . . . . . . . . 110 f ) „…aus der Not der Zeit geboren“: Das Programm der Ständeorganisation Österreichs und der Pfrimer-Putsch . . . . . . 120

5

g) „…für einen deutschen Arbeitsstaat aller schaffenden Stände“: Das Wirtschaftsprogramm vom Juli/August 1932 und der Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kampf der „Systemwirtschaft“: Agitation gegen ökonomische Missstände im öffentlichen Sektor . b) „Wirtschaftlicher Neuaufbau“: Überlegungen zur Arbeitsmarkt-, Geld- und Fiskalpolitik . . . . c) Gegen die „Auslandsversklavung“: Außenhandel, Creditanstalt, Anleihe und Zollunion . . . . . . .

. . . . . . . . 135 . . . . . . . . 139 . . . . . . . . 144 . . . . . . . . 151

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“: Die Tätigkeit der steirischen Heimatblock-Abgeordneten in Landtag, Nationalrat und Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Der Heimatblock im Steiermärkischen Landtag . . . . . . . . . . 168 b) Die Vertreter des Steirischen Heimatschutzes im österreichischen Nationalrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 c) Der Vertreter des Steirischen Heimatschutzes im Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie: Der „christliche Ständestaat“, der italienische Faschismus und der Nationalsozialismus – Wirtschaftspolitische Verbindungslinien zum Steirischen Heimatschutz . . . . . . . . . . . 193 a) Der Steirische Heimatschutz und der „christliche Ständestaat“: „Wenn der wirkliche nationale und wirtschaftliche Aufbau einsetzt, nicht das heutige, potemkinsche Bild …“ . . . . . . . . . 194 b) Der italienische Faschismus – Das heimliche Vorbild im Süden . . 204 c) Der Steirische Heimatschutz und die Wirtschaftspolitik des nationalsozialistischen Deutschland: Wehrwirtschaft und totaler Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie . . . . . . . . . 233 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

6

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Obwohl wissenschaftliche Forschung im Kern meist eine Einzelaktivität ist , arbeitet niemand wirklich alleine. Jeder hat Lehrer , Vorgänger und Kollegen , die sein Interesse teilen und bereit sind , Ergebnisse zu diskutieren und durch ihre kritischen Hinweise das Gesicht der schlussendlich vorliegenden Arbeit maßgeblich mitgeprägt haben. In diesem Zusammenhang danke ich zuallererst meinen Betreuern o. Univ.-Prof.  DDr. Gerald Schöpfer und Univ.-Prof. Dipl. Vw. Dr. Dieter A. Lukesch , die das Entstehen dieser Arbeit von Anfang an begleitet und gefördert haben. Für Quellenhinweise danke ich auf der Karl-Franzens-Universität den Herren ao. Univ.-Prof. Dr. Dieter A. Binder , Univ.-Prof. Mag. Dr. Uwe Baur , Ass.-Prof. Dr. Eduard Staudinger , Ass.-Prof. Dr. Gerhard Fuchs , Univ.-Ass. Mag. Maximilian Gödl und Mag. Verena Liszt. Am Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich danke ich Prof. Reinhard Müller , am Steiermärkischen Landesarchiv Dr. Peter Wiesflecker. Besonderer Dank gilt dem Team der Steiermärkischen Landesbibliothek , das sich bei der Suche nach seltener Literatur immer kompetent und geduldig gezeigt hat. Frau Dorothea Herrmann ermöglichte mir den Zugang zur einzigartigen „Kapselsammlung“ der Landesbibliothek. Um die Veröffentlichung dieser überarbeiteten Fassung meiner Arbeit hat sich ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Anita Prettenthaler-Ziegerhofer verdient gemacht ; sie hat auch den Kontakt zum Böhlau Verlag hergestellt. Aufseiten des Verlages danke ich Frau Dr. Ursula Huber für die freundliche und kompetente Beratung und die nachhaltige Unterstützung. Ich danke auch der Historischen Landeskommission für Steiermark , namentlich Univ.-Prof. Dr. Alfred Ableitinger. Vor allem aber habe ich meiner Familie zu danken ; vor allem meinen Eltern Otto und Dorli sowie meiner Schwester Hemma , ohne deren Hilfe und Unterstützung – in materieller , intellektueller und emotionaler Hinsicht – ich niemals in der Lage gewesen wäre , meinen Bildungsweg bis hierher zu verfolgen. Besonderer Dank gebührt auch meinem Onkel , Botschafter i. R. Dr. Martin Bolldorf , der die gesamte Arbeit kritisch gelesen und mit überaus wertvollen und kenntnisreichen Kommentaren versehen hat. Meinen Freunden danke ich für die aufrichtige Verbundenheit und ihre Hilfe zu allen Zeiten. Diejenigen , die gemeint sind , wissen es. 7

Einleitung und Exposition der Fragestellung In der österreichischen Geschichtsforschung hat das Thema „Heimwehr“ bislang – im Gegensatz etwa zu Ständestaat und Nationalsozialismus – nur wenig Aufmerksamkeit gefunden ; die Mehrheit der vorliegenden Arbeiten wurden von ausländischen ( vor allem englischsprachigen ) Forschern verfasst ; einige der österreichischen Arbeiten wurden darüber hinaus nicht veröffentlicht.1 Die Gründe für dieses mangelnde Interesse können einerseits im ( partei- )politischen Bereich gesucht werden , andererseits aber ist der Themenkomplex „Heimwehr“ in sich so vielschichtig und oft genug widersprüchlich , dass die Formulierung eindeutiger und allgemeingültiger Urteile häufig schwerfällt , wenn mit entsprechender wissenschaftlicher Sorgfalt vorgegangen wird. Der Verfasser des einzigen bisher unternommenen Versuchs , die wirtschaftspolitischen Grundlagen der österreichischen Heimwehren zu klären , stand genau diesem Problem gegenüber : „Das ist überhaupt ein großes Problem dieser Untersuchung gewesen. Man findet zwar manchmal Aussagen von Heimwehrführern , Politikern oder anderen Personen im Dunstkreis der Heimwehr zu diesem oder jenem Thema , die Frage ist aber , welchen Einfluß besaßen diese Leute , hatten sie genug Gewicht innerhalb der Organisation , um ihre Meinung durchzusetzen ? [ … ] Oft genug hielt einer dieser Männer eine Rede zu einem bestimmten Thema , nahm ganz gezielt Stellung dazu , bezeichnete seine Meinung als die der Heimwehr , und am nächste [ sic ! ] Tag erklärte irgendein anderer Heimwehrführer , daß die Heimwehr zu diesem Problem eine ganz andere Auffassung vertrete.“2 Die zitierte Arbeit von Gerhard Pircher ist als erste Bearbeitung des Themas von Bedeutung , vor allem der exakte methodische Zugang ( Gliederung in allgemeine und spezielle Ordnungspolitik , Ablauf- und Sozialpolitik ) ist positiv zu beurteilen , ebenso wie der Versuch einer Interpretation vom Standpunkt eines europäischen ( Nachkriegs- )Sozialstaates aus. Dem gegenüber steht die sehr summarische Darstellung der politischen Entwicklung der unterschiedlichen Heimwehrverbände und der historischen Hintergründe allgemein. Die fehlende Herausarbeitung der ideologischen Unterschiede zwischen den einzelnen Heimwehrführern 1

Für einen Überblick über die Literatur vgl. John T. LAURIDSEN : Nazism and the Radical Right in Austria 1918–1934. (= Danish Humanist Texts and Studies , Bd. 32 ). Kopenhagen , 2007 , S. 43 ff. 2 Gerhard PIRCHER : Wirtschaftspolitische Vorstellungen der österreichischen Heimwehrbewegung. Univ. Dipl. Arb., Wirtschaftsuniversität Wien , 1985 , S. 89.

9

führt schließlich zur oben beschriebenen Situation , wo die Haltung der Heimwehr „als Ganzes“ nicht mehr klar bestimmt werden kann. Hinzu kommt die – wohl dem Charakter der Arbeit als Diplomarbeit geschuldete – eingeschränkte Quellenbasis : Weder die Arbeit von Josef Hofmann3 aus dem Jahr 1965 , in welcher sich das höchst bedeutende „Programm für die Ständeorganisation Österreichs“ findet , noch die in diversen Publikationen aufgezeichneten ideologischen Prinzipien der frühen 1930er-Jahre ( Starhembergs „Neun Richtlinien“ vom November 1931 und Kammerhofers „Zwölf Grundsätze des Steirischen Heimatschutzes“ aus dem Folgejahr ) erhalten in Pirchers Arbeit entsprechende Aufmerksamkeit. Hinzu kommt , dass – wie bereits erwähnt – trotz allem versucht wird , die Heimwehr von 1927 bis 1936 als politische Einheit zu betrachten , was die Arbeit erheblich erschwert und aufgrund der schwer zu bewältigenden Komplexität zu Fehlinterpretationen führen muss. Schließlich ist die Darstellung der Beziehung zwischen Othmar Spann und seinen Schülern einerseits und dem Heimatschutz bzw. dem späteren „christlichen Ständestaat“ des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß auf der anderen Seite eine äußerst lückenhafte. Um diesen Problemen zu begegnen und die Komplexität des Forschungsvorhabens zu reduzieren , konzentriert sich die vorliegende Arbeit darauf , die wirtschaftspolitische Konzeption der Heimwehren im Bundesland Steiermark zu untersuchen ; wobei die Untersuchung sich primär auf die Organisation „Steirischer Heimatschutz“ bezieht , die über Jahre das größte , aber auch politisch radikalste Segment innerhalb der österreichischen Heimwehrbewegung war.4 Wenn auch verschiedentlich aus Gründen des Verständnisses auf die Entwicklungen in anderen Bundesländern bzw. in ganz Österreich hingewiesen wird , soll das Augenmerk dieser Arbeit ausdrücklich auf der Situation in der Steiermark liegen. Die Erweiterung der Quellenbasis auf die offiziellen Publikationen des Steirischen Heimatschutzes ( Zeitungen , Broschüren , Flugblätter , Jahrbuch ) und die seit dem Erscheinen von Pirchers Arbeit neu hinzugekommenen Fachveröffentlichungen in wirtschaftspolitischer und -historischer Hinsicht sind sicherlich dazu geeignet , neue Schlüsse und Urteile zu gewinnen. Zudem werden die parlamentarischen Aktivitäten des „Heimatblocks“ in die Untersuchung miteinbezogen ; darüber hinaus soll versucht werden , durch eine 3 Josef HOFMANN : Der Pfrimer-Putsch. Der steirische Heimwehrprozeß des Jahres 1931. (= Publikationen des österreichischen Instituts für Zeitgeschichte , Bd. 4 ), Graz , 1965. 4 Walter WILTSCHEGG : Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung ? (= Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte , Bd. 7 ). Wien , 1985 , S. 176 betrachtete den Steirischen Heimatschutz als „das politische , organisatorische und militärische Kraftzentrum der gesamten Bewegung.“ [ Hervorhebung im Original ].

10

Einleitung und Exposition der Fragestellung

eingehende Diskussion verschiedener autoritärer Wirtschaftskonzepte des frühen 20. Jahrhunderts geistige Einflüsse auch anderer Schulen als jener Spanns zu erkennen. Zusätzlich sollen auch die industriellen und industriepolitischen Strukturen und ihre Auswirkungen am Beispiel des damals größten österreichischen Unternehmens , der Österreichisch-Alpine Montangesellschaft , dargestellt werden ; das Naheverhältnis der ÖAMG zur steirischen Heimwehrbewegung ist im Kontext dieser Arbeit hoch bedeutend. In einer abschließenden Betrachtung soll das wirtschaftspolitische Konzept des Heimatschutzes mit jenen des Faschismus , des österreichischen Ständestaates und des Nationalsozialismus verglichen , aber auch ( zeitgenössischer ) Kritik gegenüberstellt werden. Überhaupt soll im Rahmen dieser Arbeit ein Versuch gemacht werden , die wirtschaftspolitische bzw. dogmatische Landkarte jener Zeit ein Stück weit nachzuzeichnen ; als Bezugspunkt sollen in erster Linie liberale Kritiker einer immer weiter gehenden Vermachtung des wirtschaftlichen Lebens dienen ; insbesondere solche , die auch sozialpsychologische Gegebenheiten in ihrer Analyse beachteten. Die Wirtschaftspolitik in der steirischen Heimwehr ist in der Typologie der Forschungsgegenstände als „immaterielle Struktur“5 einzuordnen , d. h. Motive , Erwartungen , Mentalitäten sind zentrale Größen ; umso mehr , als viele der vorgeschlagenen Maßnahmen vor diesem Hintergrund verstanden werden müssen , um historisch eingeordnet zu werden. Auch die ökonomischen Theorien der Schule um Othmar Spann müssen als Ausprägung zeittypischer immaterieller Strukturen aufgefasst werden. Daneben ist die vorliegende Arbeit zum Teil auch organisationsgeschichtlicher Art ; die Heimwehr war Träger eigener wirtschaftspolitischer Vorstellungen , hat aber auch andere Organisationen in dieser Hinsicht beeinflusst. Der methodische Zugang ist qualitativ ; nicht , weil quantitative Methoden in der Wirtschaftsgeschichte nichts verloren haben – die Forschungsergebnisse der „New Economic History“ sind vielfach beeindruckend6 – sondern weil für diese Arbeit keine geeigneten Daten zur Auswertung vorlagen. Die vielfältigen Interdependenzen und Ambiguitäten innerhalb der Heimwehrbewegung , die bereits Gerhard Pircher zu schaffen machten , hätten darüber hinaus die Modellbildung übermäßig erschwert. Innerhalb der quantitativen Methoden 5 6

Vgl. Rolf WALTER : Einführung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Köln–Weimar–Wien , 2008 , S. 73 f. Neuerdings ist diese Methode allerdings auch in die Kritik geraten. Vgl. Francesco BOLDIZZONI : The Poverty of Clio : Resurrecting Economic History , Princeton , 2011.

Einleitung und Exposition der Fragestellung

11

wurde des Weiteren die „Oral History“7 für diesen Fall ausgeschlossen. Diese , ebenfalls verdienstvolle , Vorgehensweise zielt vor allem darauf ab , Geschichte „von unten“ zu erzählen , d. h. Alltagsgeschichte( n ) aufzuzeichnen und Angehörigen nicht-schriftlicher Kulturen bzw. Schichten eine Stimme zu geben. Bei der Wirtschaftspolitik der Heimwehr handelt es sich hingegen überwiegend um eine Fragestellung , die „top-down“ zu untersuchen ist : Ökonomische Theorien und politische Entscheidungen wurden stets nur von einem Kreis weniger Akteure formuliert und dann nach unten hin kommuniziert ; der Erkenntnisgewinn durch Beiziehung „einfacher“ Zeitzeugen darf daher als gering eingestuft werden. Hinzu kommt noch ein biologischer Faktor : Die Auflösung des Steirischen Heimatschutzes durch die Bundesregierung fand im Jahr 1933 statt , folglich wären eventuell noch lebende Zeitzeugen bereits in sehr hohem Alter , was die Informationsgewinnung weiter erschwert hätte. Über einen induktiven Zugang sollten vor allem schriftliche zeitgenössische Quellen ausgewertet werden ; insbesondere Primärquellen. Als Primärquellen bedeutsam sind für die vorliegende Fragestellung in erster Linie Zeitungsberichte aus dem offiziellen Organ des Steirischen Heimatschutzes , dem Wochenblatt Der Panther , sowie die im „Heimatschutz-Verlag“ veröffentlichten Broschüren bzw. Bücher. Beide Quellen haben „offiziellen“ Charakter und sind daher für die Bearbeitung der Fragestellung von höchstem Wert. Dabei soll nicht der Irrtum begangen werden , dem Heimwehr-Blatt unkritisch zu begegnen ; damals wie heute sind Zeitungsberichte wesentlich mehr als nur Aufzeichnungen über ein bestimmtes Geschehen und bedürfen daher einer sehr sorgfältigen Untersuchung.8 Auch Memoiren und zeitgenössische wissenschaftliche Werke dienen als primäre Quellen. Bei der Auswertung soll philologisch-kritisch vorgegangen werden , insbesondere bei der Beurteilung von Tatsachenbehauptungen in der damals sehr polemisch geführten wirtschaftspolitischen Debatte. Die systematische Analyse der Texte soll als sinnverstehende Interpretation im Sinne der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik durchgeführt werden , wobei folgende Kriterien maßgeblich sind :9

7 Zu Theorie und Praxis der Oral History s. Herwart VORLÄNDER ( Hg. ): Oral history – mündlich erfragte Geschichte , Göttingen , 1990. 8 Kritisch zum Quellenwert von Zeitungsberichten Stellung nimmt Volker ACKERMANN : Presseartikel. In : Bernd A. RUSINEK /  Volker ACKERMANN /  Jörg ENGELBRECHT ( Hg. ): Einführung in die Interpretation historischer Quellen. Schwerpunkt Neuzeit. Paderborn , 1992 , S. 233–252. 9 Zum Folgenden s. WALTER , Wirtschafts- und Sozialgeschichte , S. 40.

12

Einleitung und Exposition der Fragestellung

– Auffindung und Einordnung von Kernaussagen und Schlüsselwörtern – Überprüfung der Aussagen auf Vollständigkeit , Richtigkeit , Widerspruchsfreiheit – Unterscheidung zwischen Sach- und Werturteilen – Stil des Textes Quellenkritik und Quellenvergleich gemäß den heutigen Standards der historischen Forschung sind in jedem Fall notwendig. In Bezug auf die untersuchte Fragestellung ist freilich in einigen Fällen die Basis an zugänglichen Quellen derart eingeschränkt , dass nichts anderes übrig bleibt , als den Beteiligten – bei aller kritischen Distanz zu ihrer ideologischen Position – ein hohes Maß an „Autorität des Autors“10 zuzugestehen. Informationen aus erster Hand , auch wenn sie nie objektiv sein können , sind für die erstmalige Untersuchung der hier vorliegenden Forschungsfrage unerlässlich. Für das Schlusskapitel ist ein komparatistischer Ansatz geeignet ; die räumliche und zeitliche Nähe lässt einen solchen Vergleich nicht nur möglich , sondern auch angezeigt erscheinen. Bei der Untersuchung des Themenkomplexes „Österreichisch-Alpine Montangesellschaft“ sind organisations- und sozialgeschichtliche Ansätze zu verschränken , wobei hier auch ein umfangreicher Korpus an quantitativen Daten zur wirtschaftlichen Situation des Unternehmens vorliegt.11 Die krisenhafte wirtschaftliche Entwicklung der 1920er- und 1930er-Jahre kann – mit einigen Abstrichen – mit der heutigen durchaus verglichen werden ; aus der Vergangenheit zu lernen war von jeher die wesentliche Motivation für Geschichtsforscher. Wenn der Wirtschaftspolitik und noch mehr der Wirtschaftswissenschaft heute vielfach „Geschichtsvergessenheit“ vorgeworfen wird und die Beachtung konkreter historischer Situationen in ökonomischen Theorien vernachlässigt wird , kann nur die Beschreibung und Beurteilung ökonomischer ( Irr- )Wege der Vergangenheit hier Abhilfe schaffen. Eine „Allgemeine Theorie sozio-ökonomischer Struktur und Veränderung“ gibt es nicht , daher bleiben der Wirtschaft und der Wirtschaftswissenschaft nichts anderes übrig , als sich mit der Geschichte zu befassen und aus ihr zu lernen.12 Da heu10 Martha HOWELL /  Walter PREVENIER : Werkstatt des Historikers. Eine Einführung in die historischen Methoden. Köln–Weimar–Wien , 2004 , S. 82 f. 11 Otto HWALETZ : Die österreichische Montanindustrie im 19. und 20. Jahrhundert. Wien , 2001. 12 Vgl. Geoffrey H. HODGSON : How Economics forgot History. The Problem of Historical Specifity in Social Science. New York , 2001 , S. 3 ff.

Einleitung und Exposition der Fragestellung

13

te [ 2014 ] Finanz- und Staatskrisen , Bankzusammenbrüche und konjunkturelle Schwankungen so häufig und heftig vorkommen wie zuletzt in der Zeit der Weltwirtschaftskrise , erscheint es sinnvoll , auf diese Zeit zurückzugehen und die damaligen Strategien zur Krisenbewältigung zu reflektieren. Sowohl aus geeigneten als auch aus ungeeigneten Versuchen der damaligen Wirtschaftspolitik können für die heutige Zeit Schlüsse gezogen werden ; Rhetorik und Methodik wirtschaftspolitischer Vorschläge damals und heute sind sich auf oft überraschende Weise ähnlich. Wenn einer der weltweit führenden Wirtschaftshistoriker unserer Zeit bereits zu Anfang der Krise geschrieben hat , es sei noch nie so notwendig gewesen , die Geschichte der Wirtschaft zu verstehen wie heute13 , darf auch der Verfasser der vorliegenden Studie seiner Hoffnung Ausdruck verleihen , einen geringfügigen Beitrag zu diesem Verständnis geleistet zu haben.

13 Niall FERGUSON : The Ascent of Money. A Financial History of the World. London , 2008 , S. 15. ( “[  … ] it has never has never been more necessary to understand the ascent of money than it is today.” ).

14

Einleitung und Exposition der Fragestellung

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934 a) Frühgeschichte Für die Bildung der Heimwehrbewegung in der Steiermark sind drei Umstände von Bedeutung : die Möglichkeit eines marxistisch orientierten Umsturzes , die Gefahr von Plünderungen durch Kriegsheimkehrer sowie die Besetzung steirischer Gebiete durch den neu entstandenen südslawischen Staat. Die Abwehr dieser slawischen Bedrohung kann als zeitlich erster und weitaus stärkster Impuls betrachtet werden.14Am 29. Oktober 1918 hatte sich der „Staat der Slowenen , Kroaten und Serben“ ( SHS-Staat ) gebildet , der sogleich Ansprüche auf die gesamte Untersteiermark erhob. Zu Allerheiligen besetzte der ehemalige k. u. k. Offizier Rudolf Majster mit slowenischen Truppen die Stadt Marburg und richtete dort ein Kommando ein ; ihm unterstellte Verbände dringen bis nach Radkersburg vor. Der provisorische Landesausschuss , der die Funktion der Steiermärkischen Landesregierung übernommen hatte , hatte der militärischen Übermacht nichts entgegenzusetzen und konnte nur formellen Protest einlegen.15 Nachdem sich die Lage zur Jahreswende 1918 / 19 ( nicht zuletzt aufgrund von Versicherungen und Zugeständnissen des SHS-Staates im Laibacher Abkommen vom 12. Dezember ) entspannt hatte , führte die gewaltsame Auflösung eines Demonstrationszuges der deutschsprachigen Bevölkerung am 27. Jänner 1919 , bei der elf Tote und sechzig Verletzte zu beklagen waren , zu neuerlichen politischen und militärischen Spannungen. Grund der Demonstration war ein Besuch der US-amerikanischen Coolidge-Kommission unter Führung von Oberstleutnant Sherman Miles , die die Funktion hatte , grundlegende Empfehlungen über den zukünftigen Grenzverlauf auszuarbeiten. Die Kommission bereiste das untersteirische Gebiet und stellte schließlich die Errichtung einer Staatsgrenze entlang des Bacherngebirges zur Diskussion.16 Der 14 Bruce F. PAULEY : Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Der Steirische Heimatschutz und der österreichische Nationalsozialismus 1918–1934. Wien–München–Zürich , 1971 , S. 34. 15 Zum historischen Ablauf vgl. Stefan KARNER : Die Steiermark im 20. Jahrhundert. Graz–Wien–Köln 2000 , S. 130–135. 16 Siegfried BEER /  Eduard G. STAUDINGER : Grenzziehung per Analogie. Die Miles-Mission in der Steiermark im Jänner 1919. Eine Dokumentation. In : Stefan KARNER /  Gerald SCHÖPFER ( Hg. ): Als Mitteleuropa zerbrach. Zu den Folgen des Umbruchs in

15

Friedensvertrag von Saint-Germain zog jedoch die Grenze zu Österreichs Ungunsten an der Linie Soboth–Spielfeld–Radkersburg ; Letztere wurde dadurch zur geteilten Stadt. Die Abhaltung einer Volksabstimmung wurde mit dem Hinweis auf den mangelnden militärischen Widerstand gegen die Besetzung durch SHS-Truppen von den Alliierten abgelehnt. Zwar hatte es ( para- )militärische Aktivitäten von deutschsprachiger Seite gegeben , doch blieben diese im Vergleich zum zeitgleichen Kärntner Abwehrkampf schwach , nicht zuletzt aufgrund der kompromissbereiten Haltung der Landesregierung , die sich das Wohlwollen der westlichen Alliierten sichern musste , um dringend benötigte Lebensmittellieferungen zu erhalten.17 Hinzu kamen die unsichere Lage an der Grenze zur Räte-Republik Ungarn und der Mangel an regierungstreuen österreichischen Truppen.18 Als Reaktion auf das „Blutbad von Marburg“ und die weitgehend passive Haltung der politische Führung in Graz bildeten sich Freiwilligen-Abteilungen. Ein solcher Verband unter Führung des Oberleutnants Hans Mickl versuchte am 4. Februar 1919 die Rückeroberung von Radkersburg , welche jedoch blutig scheiterte. Die sechs Todesopfer dieser Aktion wurden rückblickend von der Heimatschutzführung als „erste gefallene Helden des Heimatschutzes“, welche im „Befreiungskampf gegen die südslawischen Räuber“19 zu Tode gekommen waren , betrachtet. Im untersteirischen Grenzgebiet bildete sich im März und April das Untersteirische Bauernkommando , welches vom Stradener Arzt Willibald Brodmann geführt wurde. Bald verfügte Brodmanns Organisation über Kontakte mit ähnlichen Verbänden in Kärnten , Ungarn und Kroatien , über ein Feldtelefonnetz entlang der jugoslawischen Grenze und einen Spionagedienst , der bis Belgrad operierte.20 Waffenmangel und die fehlende Unterstützung durch offizielle österreichische Stellen verhinderten die Durchführung der geplanten Operationen , das Bauernkommando blieb jedoch bestehen

Österreich und Jugoslawien nach dem Ersten Weltkrieg. Graz , 1990 , S. 133–152 , hier bes. S. 135. 17 PAULEY , Hahnenschwanz , S. 35. 18 Ludger RAPE : Die österreichischen Heimwehren und die bayerische Rechte 1920–1923. Wien , 1977 , S. 211. 19 N. N. : Heimatschutz-Gedenktage. In : Sepp KOGELNIK ( Hg. ): Österreichisches Heimatschutz-Jahrbuch. Graz , 1933 , S. 32–39 , hier S. 32. 20 Walter WILTSCHEGG : Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung ? ( Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte Bd. 7 ). Wien , 1985 , S. 172 sowie PAULEY , Hahnenschwanz , S. 36 ff.

16

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

und Brodmann fungierte weiter als dessen ( gewählter ) Führer , bis er im Mai 1922 im Alter von 39 Jahren plötzlich verstarb.21 Im November 1918 wurde als vorläufige Armee der neuen Republik Deutschösterreich die Volkswehr gebildet , die zunächst aus Resten des alten Heeres , der Landwehr und aus Freiwilligen bestand und eine deutlich sozialistische bzw. sozialdemokratische Tendenz hatte. Kommunistische Agitatoren versuchten in der Volkswehr Einfluss zu gewinnen und eine im marxistischen Sinne „revolutionäre“ Situation herbeizuführen ; wiederholt kam es dabei zu bewaffneten Auseinandersetzungen.22 Bei einem Zusammenstoß zwischen kommunistisch orientierten Demonstranten einerseits und dem kurz zuvor gebildeten Studentenbataillon sowie sozialdemokratischen Verbänden unter Führung des späteren Kärntner Landesrates Hans Ragger andererseits kamen am 22. Februar 1919 fünf Menschen ums Leben , im März folgte ein Eisenbahnerstreik. Das Kommando der Studentenwehr führte bei den Zusammenstößen im Februar der ehemalige Oberleutnant Hanns Albin Rauter.23 Das Studentenbataillon bestand zum Großteil aus Kriegsteilnehmern , die dem damals in Graz und Leoben tonangebenden völkisch-nationalen Milieu zugehörig waren ; auch taucht bereits das Hakenkreuz24 als Symbol auf. Die spätere radikale Entwicklung des Steirischen Heimatschutzes wurde wesentlich von diesem studentischen Element beeinflusst.25 Zeitgleich sammelten sich Bauern und ehemalige Offiziere in der Mittelsteiermark und in Graz um den christlichsozial ausgerichteten Oberleutnant Franz Huber , den Redakteur Franz Ircher und den großdeutsch gesinnten Professor Patterer. Die Zusammenführung der mittelsteirischen Heimwehren ( noch ohne das Studentenbataillon ) fand im August 1920 statt , wobei der damalige Landeshauptmann Anton Rintelen eine führende Rolle spielte.26 Rintelen setzte einen Verbindungsausschuss ein , der Kontakt 21 Zur Person Brodmanns vgl. Franz Josef SCHOBER /  Eduard G. STAUDINGER : Dr.  Willibald Brodmann – Dr. Hans Tita Probst : zwei Stradener Ärzte. In : Christa SCHILLINGER ( Hg. ): Straden. Straden , 1999 , S. 131–161. 22 Vgl. KARNER , Steiermark , S. 126. 23 N. N. : Geschichte der Heimatschutzbewegung. In : KOGELNIK , Jahrbuch , S.  53–86 , hier S. 55 , sowie WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 172. Zur Person Rauters vgl. Nikolaus v. PRERADOVICH : Österreichs höhere SS-Führer. Berg am See , 1989 , S. 73–80. 24 Zur politischen Symbolik des Hakenkreuzes vgl. Lorenz JÄGER : Das Hakenkreuz – Zeichen im Weltbürgerkrieg. Eine Kulturgeschichte. Wien–Leipzig , 2006. 25 Francis L. CARSTEN : Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler. München , 1977 , S. 42 f. 26 Zur Person Rintelens vgl. Peter GORKE :Anton Rintelen ( 1876–1946 ). Eine polarisierende steirische Persönlichkeit. Versuch einer politischen Biographie. Phil. Diss. Graz , 2002.

a) Frühgeschichte

17

zu den drei bürgerlichen Parteien hielt und sich mit bayerischen Wehrverbänden ( Grenzschutz Süd , Organisation Escherich und Organisation Kanzler ) verständigte ; er versuchte , Christlichsoziale und Großdeutsche in der Heimwehr zu einer Einheitsfront zu bewegen.27 Das Scheitern dieser Bestrebungen kann wesentlich auf das Machtgefälle zwischen den gut organisierten nationalen Verbänden ( Professor Patterer ) und den schwachen christlichsozialen Einheiten ( Landeshauptmann-Stellvertreter Ahrer ) zurückgeführt werden.28 Hinzu kam , dass Brodmanns untersteirisches Bauernkommando sich zunächst nicht beteiligte. Die national gesinnten Heimwehren allein verfügten über 21.300 Mitglieder ; durch Rintelens Unterstützung war man überdies außerordentlich gut bewaffnet. Die Waffen stammten hauptsächlich aus beschlagnahmten Volkswehrbeständen sowie vom Grenzschutz Süd in Rosenheim.29 Schon im Sommer 1918 konstituierte sich in Judenburg der Deutsche Volksrat , der , zunächst überparteilich organisiert , eine zukünftige Staats- und Verfassungsordnung außerhalb der Parteien und Parlamente ( mit )begründen wollte. Der Volksrat verstand sich als Interessensvertretung der deutschsprachigen Bevölkerung insbesondere gegenüber den Slawen der Monarchie und ihrer Nachfolgestaaten. Führend im Volksrat tätig war der Judenburger Rechtsanwalt Walter Pfrimer , der ebenso wie Patterer im Schulverein Südmark tätig war und als profilierter Antimarxist bald eine regional bekannte Persönlichkeit wurde.30 Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Monarchie begann Pfrimer , den ursprünglich rein politischen Verein paramilitärisch zu organisieren ; die Furcht vor einer Revolution war insbesondere bei den obersteirischen Industriellen verbreitet ; diese , vor allem die Alpine Montangesellschaft , förderten Pfrimers Organisation bald finanziell. Die Bauernschaft fühlte sich durch die ständigen Requisitionen durch Volkswehr und Arbeiterräte in ihrer Existenz bedroht ; die Bauern setzten sich häufig mit Waffengewalt zur Wehr.31 Die Bewaffnung in der Obersteiermark zog bald auch die Angehörigen der Studenten-

27 PAULEY , Hahnenschwanz , S. 39 f. 28 Vgl. C. Earl EDMONDSON : The Heimwehr and Austrian Politics 1918–1936. Athens / Georgia , 1978 , S. 23. 29 RAPE , Heimwehren , S.  216–221 ; KARNER , Steiermark , S. 136 sowie WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 172. 30 Zu Pfrimer vgl. Christian ZECHNER : Walter Pfrimer. Ein deutschnationaler Heimwehrführer als Wegbereiter für den Nationalsozialismus in der Steiermark. Univ. Dipl. Arb., Graz , 2004. 31 Gerhard BOTZ : Gewalt in der Politik. Attentate , Zusammenstöße , Putschversuche , Unruhen in Österreich 1918 bis 1934. München , 1976 , S. 42.

18

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

bataillone an , Rauter wurde bald Stabsleiter von Pfrimers Organisation ; auch Brodmann und Patterer näherten sich dieser an. Im Sommer 1921 kam es unter der Regie Rintelens zur Einigung aller Heimwehrverbände der Steiermark , Landesleiter wurde Ahrer , sein Stellvertreter der Landbund-Politiker Franz Winkler ; Kreisleiter waren u. a. Pfrimer , Brodmann und Ircher. Der Versuch einer Überwindung der Parteigrenzen führte zur Bestimmung , die Verbände nur zu mobilisieren , wenn die Anordnung zumindest von Vertretern zweier Parteien unterzeichnet würde.32 Diese als lähmend empfundene Abhängigkeit von der Parteipolitik sowie das mangelnde Engagement vieler bürgerlicher Funktionäre bewegten Pfrimer und Rauter im April 1922 zum Austritt ; gemeinsam mit Vertretern aus dem Ennstal und Ausseerland sowie dem Untersteirischen Bauernkommando gründeten sie auf einer Konferenz in Leoben den Selbstschutzverband Steiermark , dessen Landesleiter Professor Josef Hertle und Stableiter Rauter wurden.33 Der Selbstschutzverband agitierte gegen parteipolitischen Einfluss und das Parteienwesen an sich sowie gegen seine ideologischen Gegner , Sozialdemokraten und Kommunisten. Am 1. Jänner 1924 folgte die Umbenennung in „Heimatschutzverband Steiermark“, umgangssprachlich meist als „Steirischer Heimatschutz“ bezeichnet ; schon zuvor , im Herbst 1923 , hatte Pfrimer die Funktion des Landesleiters übernommen.34 Die christlichsozialen und landbündlerischen Heimwehren bilden ihrerseits einen eigenen Verband , der sich zur Führung Rintelens bekannte , zahlenmäßig und in seiner politischen Bedeutung jedoch wesentlich schwächer war als der Heimatschutzverband des nationalen Lagers. 35 Ein erster für das politische Klima der Zeit bedeutsamer Zusammenstoß des Heimatschutzes mit seinen Gegnern ereignete sich am 2. November 1922 in Waltersdorf bei Judenburg.36 Die Sozialdemokraten der Stadt hatten erfahren , dass an Bauern des Ortes Waffen ausgegeben worden waren ; sie zogen ihrerseits bewaffnet nach Waltersdorf und beschlagnahmten dort Gewehre , Pistolen und Munition. Daraufhin besetzten 200 Gendarmen Judenburg , verhafteten sechs Führer der Arbeiterwehr und verbrachten sie nach Graz. Die Aktion stand unter dem Kommando des Gendarmerie-Oberinspektors August ( Edler von ) Meysz-

32 33 34 35 36

EDMONDSON , Heimwehr , S. 23. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 173 sowie KARNER , Steiermark , S. 135. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 42 f. RAPE , Heimwehren , S. 222. PAULEY , S. 43 spricht geografisch ungenau von „Judenburg“. Die Eingemeindung von

Waltersdorf fand jedoch erst 1963 statt.

a) Frühgeschichte

19

ner , der später zum prominenten Heimatschutzführer avancieren sollte.37 Die sozialdemokratisch gesinnte Arbeiterschaft reagierte mit umfassenden Streiks , besetzte Straßen und Brücken und verlangte den Abzug der Exekutivbeamten. Mit Zustimmung von Landeshauptmann Rintelen mobilisierten Pfrimer und sein militärischer Berater Major a. D. Hans ( Freiherr von ) Pranckh den Heimatschutz , boten im gesamten Murtal über 6.000 Mann auf und erzwangen so den Abbruch des Streiks und die Abgabe der Waffen ; im Gegenzug wurden die sechs Verhafteten freigelassen. Das Vorgehen der Heimatschützer , die offiziell als Hilfspolizisten eingesetzt worden waren , führte zu stürmischen Debatten im Landtag und im Nationalrat.38 Die Aktion steigerte die Bekanntheit Pfrimers wesentlich ; er wurde von bürgerlichen und bäuerlichen Kreisen nunmehr als energische Führungspersönlichkeit geschätzt und seine Organisation erlebte einen starken Aufschwung.39 Die offizielle Geschichtsschreibung des Steirischen Heimatschutzes bemerkt dazu im typischen Tonfall jener Zeit : „Dieses Aufgebot der Murtaler Heimwehr zeitigte das Ergebnis , dass die Marxisten von weiteren Ausschreitungen abließen und sich zurückzogen. Dr. Pfrimer und die Seinen zogen dadurch die Aufmerksamkeit aller heimattreuen Männer Steiermarks auf sich. In diese Jahre fällt die eigentliche [ Hervorhebung im Original ] Geburtsstunde der österreichischen Heimatschutzbewegung.“40 Verschiedene Ansätze zur Einigung aller österreichischen Heimwehrverbände unter Vermittlung der bayerischen Organisation Kanzler und anderer Gruppierungen der völkischen Rechten waren in den Jahren 1920 / 1921 vor allem durch ideologische Auseinandersetzungen gescheitert.41 Als die bayerischen Einwohnerwehren im Sommer 1921 aufgelöst wurden , traf dies auch die Organisation Kanzler , während andere Organisationen um Otto Pittinger und Oberst Max Bauer , einen Vertrauten des Generals Erich Ludendorff , noch bis in den Sommer 1923 hinein versuchten , einen Zusammenschluss der österreichischen Heimwehren unter völkisch-nationalem Vorzeichen zu erreichen. Der Hitler-Putsch im November des gleichen Jahres beendete die Aktivitäten der bayerischen Rechten in Bezug auf die Heimwehren.42 Nach dem Scheitern einer Einigung aller österreichischen Selbstschutzverbände schlossen sich 37 38 39 40

Zur Person Meyszners vgl. PRERADOVICH , SS-Führer , S. 115–122. WILTSCHEGGG , Heimwehr , S. 173 f. Ebda., sowie RAPE , Heimwehren , S. 222. N. N. : Geschichte der Heimatschutzbewegung. In : KOGELNIK , Jahrbuch , S.  53–86 ,

20

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

hier S. 59. 41 EDMONDSON , Heimwehr , S. 26 f. 42 Ebda., S. 28.

zumindest die überwiegend christlich-konservativ eingestellten Heimwehren Vorarlberg , Salzburg , Tirol , Oberösterreich und Kärnten zum Bund der alpenländischen Selbstschutzverbände zusammen ; dies geschah am 23. Februar 1923 ; Vorsitzender dieses „Alpenklubs“ wurde der Tiroler Rechtsanwalt Richard Steidle.43Die Heimwehrverbände im Osten Österreichs waren nicht Teil dieser Verbindung ; sie waren aus ideologischen Motiven und persönlichen Rivalitäten heraus in sich zerstritten und gespalten , insbesondere für die Steiermark trifft dies zu. Zwar bildeten im Dezember 1925 die beiden verfeindeten Heimwehrgruppen ( Pfrimer-Rauter und Ahrer-Winkler ) ein gemeinsames militärisches Kommando , politisch kam es jedoch zu keiner Einigung.44 Hingegen stand der Steirische Heimatschutz in regem Kontakt zu den westlichen Bundesländern ; besonders pflegte Pfrimer die Verbindung mit Steidle.45 Die relative Entspannung der wirtschaftlichen Lage ( Völkerbund-Anleihe , Währungsreform ) in den Jahren 1924–1926 führte zu einem Abflauen der paramilitärischen Aktivitäten im Land. Hinzu kamen die Stabilität der christlichsozial dominierten Bundesregierung und die Bildung bürgerlicher Regierungen in den meisten Bundesländern. Der Steirische Heimatschutz führte zwar seinen Kampf gegen die klerikal ausgerichtete Heimwehrorganisation fort , doch war diese nach der Berufung Ahrers zum Finanzminister in Wien stark geschwächt und entfaltete ihrerseits kaum Aktivitäten. Bezeichnenderweise vermerkt die offizielle Heimatschutz-Geschichtsschreibung als einzige denkwürdige Ereignisse des Jahres 1925 die Gründung des Heimatschutzverbands Ried im Innkreis und einen Aufmarsch , verbunden mit einer Fahnenweihe der Tiroler Heimwehr am Bergisel bei Innsbruck.46 Vor allem die Mobilisierungskraft der Heimwehren nahm in diesen Jahren ab , zumal die „rote Gefahr“ nicht mehr so bedrohlich erschien wie in den ersten Nachkriegsjahren. Mit einiger Berechtigung kann vom Steirischen Heimatschutz dieser Jah43 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 35 f. 44 Im Jahrbuch des Österreichischen Heimatschutzes ( Starhemberg-Gruppe ) heißt es dazu später unzutreffend : „Nach langen Vorbereitungen gelang es , im Dezember 1925 die steirischen Selbstschutzformationen zu einer organisatorischen Einheit zu verschmelzen , deren politisches Ziel von da ab im ständischen Neu-Aufbau des Staates gelegen war [ … ]“. N. N. : Der Heimatschutz in der Steiermark. In : N. N. : Heimatschutz in Österreich. Wien , 1934 , S. 121–132 , hier S. 122. Vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 37. 45 Zum wechselhaften Verhältnis der steirischen zu den anderen österreichischen Heimwehren vgl. Lothar HÖBELT : Die Heimwehren 1927–1929 : Die Steiermark und der Bund. In : Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark , Nr. 104 , Graz , 2013 , S. 219–264. 46 N. N. : Heimatschutz-Gedenktage. In : KOGELNIK ( Hg. ): Jahrbuch. S. 32–39 , hier S. 35.

a) Frühgeschichte

21

re als von einer wenig bedeutenden und beinahe vergessenen Organisation gesprochen werden.47 Zu vermerken ist allenfalls ein Zusammentreffen Pfrimers und Rauters sowie eines dritten Repräsentanten des Heimatschutzes mit Adolf Hitler im August 1926 am Rande einer NSDAP-Versammlung in Passau. Eine zweite derartige Zusammenkunft fand im Mai 1927 in Freilassing statt.48 Zuvor hatte sich am 4. Mai 1926 in Wien der „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterverein ( Hitlerbewegung )“ konstituiert , welcher sich – im Gegensatz zur damals in Österreich tätigen „Schulzgruppe“ der Nationalsozialisten – sogleich der Führung Adolf Hitlers unterstellte. Erst nach und nach bekannten sich die verschiedenen NS-Landesorganisationen der NSDAP.49

b) Aufschwung und Höhepunkt Das Wiedererstarken der Heimwehrbewegung seit Ende des Jahres 1926 stand wesentlich unter dem Eindruck des Linzer Programms , das die Sozialdemokratische Arbeiterpartei auf ihrem Parteitag am 3. November 1926 verkündet hatte. Dort wurde auch das Vorgehen der Partei im Falle eines Bürgerkrieges diskutiert ; im Fall bürgerlicher Widerstände gegen die „revolutionäre Umwälzung , die die Aufgabe der Staatsmacht der Arbeiterklasse sein wird , [ … ] wäre die Arbeiterklasse gezwungen , den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen.“50 Die Formulierungen des Programms sowie die unter47 Vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 45 f. 48 CARSTEN , Faschismus , S. 102. Hans SCHAFRANEK : Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934. Wien , 2006 , S. 13 nennt als dritten Teilnehmer Meyszner , bezeichnet die Begegnung in Freilassing jedoch fälschlich als „erste Zusammenkunft Hitlers mit [ … ] prominenten Heimatschutzrepräsentanten“. Vgl. dazu auch PAULEY , Hahnenschwanz , S. 46. 49 Wolfdieter BIHL : Von der Donaumonarchie zur Zweiten Republik. Wien–Köln , 1989 , S. 162. Zur Frühgeschichte der NSDAP in Österreich vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 87–105 , sowie Gerhard BOTZ : Der österreichische Nationalsozialismus. In : Joseph F. DESPUT ( Hg. ): Österreich 1934–1938 : Erfahrungen , Erkenntnisse , Besinnung. Graz– Wien–Köln , 1984 , S. 199–218. 50 Linzer Programm der SDAP , zitiert nach Walter GOLDINGER /  Dieter A. BINDER : Geschichte der Republik Österreich 1918–1938. Wien–München , 1992 , S. 142. Die Autoren sehen das Programm als Ausdruck des naiven Fortschrittsglaubens im Sinne des Austromarxismus , wonach der revolutionäre Umschwung nur eine Frage der Zeit sei. Weitere Beurteilungen des Linzer Programms siehe Manfred JOCHUM : Die Erste Republik in Dokumenten und Bildern. Wien , 1983 , S. 59 ( dort u. a. Stellungnahme von Norbert LESER ).

22

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

schiedlichen Debattenbeiträge am Parteitag ( u. a. von Otto Bauer , der die Sowjetunion positiv bewertete ) ließen einen breiten Interpretationsspielraum , der von den Heimwehrführern naturgemäß mit einer eigenen Deutung ausgefüllt wurde. Man betrachtete das Linzer Programm als unverhohlene Drohung mit Gewalt und Umsturz , gegen die man sich mit aller Kraft zur Wehr setzen würde. Noch im selben Monat , in dem das Parteiprogramm verabschiedet wurde , erweiterte sich der „Alpenklub“ der westösterreichischen Heimwehrverbände um die beiden steirischen Gruppierungen und nannte sich nunmehr „Bund der österreichischen Selbstschutzverbände“, die einzelnen Landesorganisationen blieben jedoch weiterhin weitestgehend autonom. Dem austromarxistischen Kampfbegriff einer „Diktatur des Proletariats“ begegnete man mit ebensolchem antibürgerlichen und antiliberalen Affekt und rief nach einer „Diktatur des gesunden Hausverstandes.“51 Pfrimer entschloss sich , zukünftig auch öffentliche Veranstaltungen abzuhalten , um möglichst weite Bevölkerungskreise für seine Organisation ansprechen zu können und gleichzeitig Demonstrationen der eigenen Macht geben zu können.52 Die politischen Spannungen im Land entluden sich schließlich am 15. Juli 1927. Nach dem Freispruch der Angeklagten im Schattendorf-Prozess ( Mitglieder der Frontkämpfervereinigung , einer Organisation , die nicht zur Heimwehr zählte53 ) kam es zu gewalttätigen Demonstrationen und schweren Ausschreitungen in Wien , in deren Folge der Justizpalast in Brand gesetzt wurde. Zwar hatte die Sozialdemokratische Partei offiziell keine Demonstration geplant , doch steigerte ein Leitartikel in der „Arbeiter-Zeitung“ von Chefredakteur Friedrich Austerlitz die Erwartungen der Arbeiterschaft in Hinblick auf revolutionäre Aktionen weiter. Die Polizei ging gegen die Demonstranten vor , die auch von herbeigeeilten sozialdemokratischen Funktionären ( u. a. dem 51 C. Earl EDMONDSON : Heimwehren und andere Wehrverbände. In : Emmerich TALOS et. al. ( Hg. ): Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918– 1933. Wien , 1995 , S. 261–276 , hier S. 266. Die Verabschiedung des Linzer Programms wird dort fälschlich mit April 1926 datiert. 52 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 174. N. N. : Geschichte der Heimatschutzbewegung. In : KOGELNIK , Jahrbuch , S. 53–86 , hier S. 61 führt die Selbsteinschätzung des Heimatschutzes nach dem Linzer Programm in typischer Weise vor Augen : „Die Heimwehr wurde zur Warnerin der heimattreuen Bevölkerung. In Obersteiermark folgte eine Heimatschutzversammlung der andern. Es wurde der Beschluss gefasst , nunmehr öffentliche [ Hervorhebung im Original ] Versammlungen abzuhalten , wodurch es zu argen Reibungen mit den marxistischen Streitkräften kam und zur weiteren Folge führte , daß ein neuer Kampfgeist in den obersteirischen Heimatschutz getragen wurde , der unseren Verband gewaltig stärkte.“ 53 Zur Frontkämpfervereinigung vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 332.

b) Aufschwung und Höhepunkt

23

Wiener Bürgermeister Karl Seitz ) nicht beruhigt werden konnten. Schließlich erteilte Polizeipräsident Johann Schober den Schießbefehl , 85 Demonstranten und vier Polizisten kamen zu Tode.54 Auch in der Steiermark kam es zu bürgerkriegsähnlichen Vorgängen. In Graz errichtete der Republikanische Schutzbund55 Straßensperren und legte Polizei und Gendarmerie lahm , die Telefonleitungen nach Wien wurden gekappt ; Landeshauptmann Hans Paul zog sich mit seiner Regierung nach Feldbach zurück. In Bruck an der Mur bildete sich ein „Arbeiter-Exekutivausschuss“ unter der Führung des sozialdemokratischen Parteisekretärs Koloman Wallisch ; es wurde der Ausnahmezustand ausgerufen , die Gewerkschaften riefen zum Generalstreik auf ; der Schutzbund wurde im ganzen Land mobil gemacht.56 Die Bundesregierung zögerte , das Bundesheer einzusetzen , da man sich dessen Loyalität nicht sicher war. Pfrimer , Rauter , Meyszner und Pranckh trafen in Judenburg zusammen und verständigten sich über die ihrer Meinung nach notwendigen Maßnahmen , um die staatliche Ordnung zu verteidigen. Ohne auf eine Erlaubnis durch den Landeshauptmann zu warten , mobilisierten sie am 16. Juli in der Obersteiermark über 6.000 Mann und schlossen die streikenden Arbeiter in mehreren Ortschaften , unter anderem Scheifling und Oberkurzheim , ein.57 Besonders die Nachschublinien des Schutzbundes bezüglich Munition und Lebensmittel wurden dadurch unterbrochen. Die Sozialdemokraten zeigten sich durch das massive Aufgebot des Heimatschutzes eingeschüchtert und erklärten sich bereit , in Verhandlungen mit Pfrimer einzutreten. Dieser stellte am 17. Juli um 16 Uhr ein Ultimatum , wonach innerhalb von sechs Stunden die Streiks abzubrechen , die Telefonleitungen wiederherzustellen und die Straßen freizumachen seien. Sollten seine Forderungen nicht erfüllt werden , würde der Heimatschutz bewaffnet gegen das sozialdemokratische Zentrum Leoben–Bruck an der Mur–Kapfenberg vorrücken. Die Vertreter der Arbeiterschaft erklärten sich einverstanden , erfüllten die Forderungen jedoch nur für die Obersteiermark. In Bezug 54 Zu Vorgeschichte und Ablauf der Ereignisse in Wien vgl. GOLDINGER /  BINDER , Geschichte , S. 145–151 sowie BOTZ , Gewalt , S. 141–160. 55 Zur Entwicklung des Republikanischen Schutzbundes vgl. Otto NADERER : Der bewaffnete Aufstand. Der Republikanische Schutzbund der österreichischen Sozialdemokratie und die militärische Vorbereitung auf den Bürgerkrieg ( 1923–1934 ). Graz , 2004. 56 Vgl. KARNER , Steiermark , S. 140. 57 EDMONDSON , Heimwehr , S. 45 spricht von bis zu 10.000 mobilisierten Heimatschutzangehörigen. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich , dass die Heimwehr 1927 – nach einigen „ruhigen“ Jahren – wesentlich mehr Anhänger mobilisieren konnte , als zur Zeit des Waltersdorfer Zusammenstoßes 1922.

24

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

auf Graz seien eigene Verhandlungen unter Beiziehung und Vermittlung des Landeshauptmanns zu führen.58 In Graz versuchte Landeshauptmann Paul schon am Abend des 17. Juli in Verhandlungen einen Kompromiss zu finden. Pfrimer zeigte sich jedoch nicht bereit , von den erhobenen Forderungen abzugehen und drohte , nunmehr mit Rückendeckung des damaligen Nationalratsabgeordneten Anton Rintelen , mit seinen obersteirischen Verbänden nach Graz zu marschieren ; einzig in eine Verlängerung des Ultimatums bis zum Mittag des 18. Juli willigte der Heimwehrführer ein. Die Sozialdemokraten wussten um ihre schwache Position und konnten keinen bewaffneten Zusammenstoß riskieren ; zu Mitternacht am 18. / 19. Juli endeten die Streiks und die Arbeit wurde in allen Betrieben wieder aufgenommen. Im Gegenzug verzichtete Pfrimer auf die Besetzung der steirischen Städte und gab den Befehl zum Abrücken. Nach außen konnte von einer Vereinbarung zwischen zwei gleichrangigen Verhandlungspartnern gesprochen werden , die auch den Sozialdemokraten die Möglichkeit zu einem ehrenvollen Abzug bot ; jedoch fühlte sich der Heimatschutz in seiner kompromisslosen Haltung bestärkt : Erstmals hatte man den politischen Gegner zum Rückzug zwingen können.59 Spätestens zu diesem Zeitpunkt begannen breite bürgerliche und bäuerliche Kreise , Pfrimer als entscheidende Kraft im Widerstand gegen den Marxismus zu betrachten.60 Gleichzeitig schritt die innere Konsolidierung der Heimwehrbewegung auf steirischer und österreichischer Ebene fort. Auf einer Konferenz am 14. / 15. Oktober 1927 kam es erstmals zu einer gesamtösterreichischen Einigung ; der „Bund der österreichischen Selbstschutzverbände“ wurde als Dachorganisation gegründet. Im Unterschied zur Vorgängerorganisation waren nun auch die Heimwehren von Wien , Niederösterreich und dem Burgenland vertreten. Zum Bundesführer wurde Richard Steidle gewählt. In der Steiermark schlossen sich zwischen Oktober und Dezember die Grazer Frontkämpfervereinigung unter Generalmajor a. D. Magerl sowie die christlichsoziale Steirische Heimwehr unter Reinhart ( Freiherr v. ) Bachofen-Echt dem Steirischen Heimatschutz an ; Pfrimer 58 PAULEY , Hahnenschwanz , S. 48 f. sowie WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 174 f. 59 Vgl. CARSTEN , Faschismus , S. 105 f. Ebenso EDMONDSON , Heimwehren , in TALOS , Handbuch , S. 267 : „In der Obersteiermark wagte es Pfrimer [ … ] eigenständig und erfolgreich , [ … ] den Streik kaltzustellen. Das Vorhandensein der HWn [= Heimwehren ] hat also den Ausgang dieser Ereignisse unmittelbar beeinflusst.“ 60 KARNER , Steiermark , S. 140 spricht von Pfrimer als dem „starken Mann“; Pfrimers eigener Aussage zufolge habe Bundeskanzler Seipel ihn im persönlichen Gespräch als „Retter Österreichs“ bezeichnet. Vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 46.

b) Aufschwung und Höhepunkt

25

wurde als alleiniger Führer anerkannt. Der Zusammenschluss , bei dem davon ausgegangen werden kann , dass Bundeskanzler Seipel als Vermittler agierte ,61 kam jedoch nur zustande , da der Heimatschutz sein bisheriges Emblem , das Hakenkreuz , aufgab und Pfrimer seine aggressive deutschnationale Rhetorik zeitweise etwas mäßigte.62 Gestärkt durch die öffentliche Wahrnehmung der Juli-Ereignisse ging der Heimatschutz zu einer aggressiven politischen Kampagne über , deren deutlichstes Merkmal eine Reihe von öffentlichen Kundgebungen in größeren Städten der Steiermark war. Schon im November 1927 marschierten in Bruck an der Mur zwischen 5.000 und 8.000 Mann des Heimatschutzes auf ; erstmals war auch eine weitgehende Uniformierung ( grüne Windjacke ) zu beobachten , während der Heimatschutzhut mit dem „Hahnenschwanz“ bereits seit 1922 in Gebrauch war. Die Aufmärsche verfolgten mehrere Ziele : Einerseits sollte eine Demonstration der eigenen Macht und Stärke gegeben werden , da man es wagte , ungehindert in Hochburgen der Gegner aufzumarschieren und das „Recht auf die Straße“ einzufordern , andererseits rechnete man durchaus mit Handgreiflichkeiten bzw. bewaffneten Auseinandersetzungen , um somit ein ums andere Mal Beweise für die Gewalttätigkeit der „Marxisten“ zu gewinnen.63 Hinzu kam , dass der Heimatschutz zunehmend versuchte , Teile der Arbeiterschaft auf seine Seite zu ziehen. Die Gründung der „Unabhängigen Gewerkschaft“ im Einflussbereich der Alpine Montanwerke kann als wesentlicher Baustein dieser Strategie verstanden werden , ist jedoch zusätzlich auch für die geübte wirtschaftspolitische Praxis des Heimatschutzes von großer Bedeutung.64 Der Zustrom zum Heimatschutz und den jeweiligen Organisationen in den anderen Bundesländern erreichte in den Jahren 1927 bis 1929 seinen Höhepunkt , sodass die Heimwehren insgesamt zum bedeutenden innen- und bald auch außenpolitischen Faktor wurden.65 Zum Zeitpunkt ihrer größten Ausdehnung Mitte des Jahres 1929 dürften die Heimwehren österreichweit etwa 300.000 Mitglie61 EDMONDSON , Heimwehr , S. 55. 62 Ebda. sowie PAULEY , S. 51 f. Der nunmehr gestärkte Heimatschutz verstand sich weiterhin als „überparteilich“, was im Zusammenhang mit Pfrimers politischer Überzeugung – seit den Tagen des „Deutschen Volksrates“ – wohl eher als „anti-parteilich“ ( parteienfeindlich ) zu verstehen war. 63 Vgl. GOLDINGER /  BINDER , Geschichte , S. 155 f. sowie WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 175 f. und BOTZ , Gewalt , S. 162 f. 64 Siehe dazu Kapitel 2 der vorliegenden Arbeit. 65 Über Kontakte des Heimatschutzes mit ungarischen Regierungskreisen im Mai 1928 berichtet Lajos KEREKES : Abenddämmerung einer Demokratie Mussolini , Gömbös und die Heimwehr. Zürich , 1966 , S. 13–16.

26

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

der gehabt haben und waren somit in der Bevölkerung fest verankert.66 Allerdings kann in dieser zahlenmäßigen Zunahme auch einer der Gründe für die baldige Spaltung der Heimwehren gesehen werden : Neben den regional unterschiedlichen Ursprüngen und Traditionen waren vor allem die Persönlichkeiten ihrer Führer und deren jeweiliger Anhängerschaft zu unterschiedlich , als dass langfristig Einigkeit über politische Ziele herrschen hätte können. Zunächst wurde Pfrimer allerdings zum „Zweiten Bundesführer“ des Bundes der österreichischen Selbstschutzverbände gewählt ; einerseits aufgrund der organisatorischen und personellen Stärke des Steirischen Heimatschutzes , andererseits wegen dessen Zugang zu ergiebigen Finanzierungsquellen. Bald gründeten die Heimatschutzführer Pfrimer , Rauter und Meyszner auch Ortsgruppen außerhalb der Steiermark , namentlich im Burgenland , in Wien und Niederösterreich. Im Zuge dieser geografischen Ausbreitung der steirischen Organisation kam es am 7. Oktober 1928 in Wiener Neustadt zu einem Aufmarsch von 19.000 Angehörigen der Heimwehr – etwa 70 % von ihnen reisten aus der Steiermark an. Sozialdemokratische Lokalfunktionäre erklärten , kein Heimatschützer werde die Gegend betreten und der sozialdemokratische Schutzbund erklärte , am selben Tag ebenfalls einen Aufmarsch in jener Stadt zu veranstalten. Bundeskanzler Seipel lehnte ein Verbot beider Veranstaltungen ab , warnte jedoch die Heimwehr davor , absichtlich einen Zwischenfall zu provozieren. Schließlich fanden beide Aufmärsche örtlich und zeitlich getrennt voneinander statt ; obgleich die Sozialdemokraten insgesamt mehr Menschen mobilisieren konnten , fühlte sich der Heimatschutz als Sieger : Die beiden ( gleichberechtigten ) Bundesführer Steidle und Pfrimer hatten auf dem Hauptplatz der sozialdemokratisch dominierten Stadt polemische Reden gehalten , in denen sie die Sozialdemokraten scharf attackierten und von einer wichtigen Etappe auf dem Weg zur „Befreiung“ Österreichs vom Marxismus sprachen ; wiederum hatte die Heimwehr das „Recht auf die Straße“ erfolgreich für sich in Anspruch genommen.67

66 Vgl. EDMONDSON , Heimwehren , in TALOS , Handbuch , S. 267. Dort wird in Bezug auf die Heimwehren der Begriff „Volksbewegung“ verwendet , ebenso bei WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 43 ff., und PAULEY , S. 51. Dies greift die Selbstbeschreibung im „Heimatschutz-Jahrbuch“ wieder auf : siehe KOGELNIK ( Hg. ): Jahrbuch. S. 63 :„Nach dieser zweiten Tat Dr. Pfrimers [= Eingreifen im Juli 1927 ] wurde der Heimatschutz zur ausgesprochenen Volksbewegung. [ Hervorhebung im Original ]“. 67 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 47 bezieht sich auf den sozialdemokratisch orientierten Historiker Charles GULICK und den späteren Vizekanzler Oskar HELMER. Die Darstellung bei KEREKES , Abenddämmerung , S. 28 f. ist insofern nicht zutreffend. Vgl. auch PAULEY , S. 56.

b) Aufschwung und Höhepunkt

27

Die Sozialdemokraten befanden sich nunmehr eindeutig in der Defensive. Sowohl im Steiermärkischen Landtag als auch im Nationalrat in Wien versuchten sie mehrmals , auf ein Verbot aller bewaffneten Aufmärsche hinzuwirken ; Seipel als führender Politiker der Christlichsozialen verwies hingegen auf die bisher gelungene Wahrung der Staatsautorität durch die Sicherheitskräfte und das Bundesheer. Verhandlungen über beiderseitige Abrüstung verliefen ergebnislos. Seipel war sich jedoch der Gefahr , die von außerparlamentarischen Kräften ausging , bewusst und versuchte , deren Handlungsspielraum einzugrenzen , indem er versuchte , sie enger an sich zu binden.68 Der christliche Gewerkschafter Leopold Kunschak hingegen warnte bereits frühzeitig vor dem antidemokratischen und gewaltbereiten Potenzial , das sich in den Selbstschutzverbänden sammelte. Die christlichsoziale Arbeiterbewegung hatte sich im Juli 1927 als „Freiheitsbund“ ebenfalls paramilitärisch organisiert , bekannte sich jedoch zum demokratischen System.69 Die Heimwehren agierten immer offensiver : Einerseits wussten sie um die wohlwollende Neutralität vieler offizieller Stellen , andererseits erhielten sie über Steidle und Major Waldemar Pabst erhebliche Unterstützung aus dem faschistischen Italien sowie aus Ungarn. Der ab März 1929 amtierende Bundeskanzler Ernst ( R itter v. ) Streeruwitz stand den politischen Ambitionen der Heimwehr kritisch gegenüber und versuchte , durch Verhandlungen mit den Sozialdemokraten über politische Reformen eine Stabilisierung der politischen Lage zu erreichen.70 Streeruwitz sah sich heftiger Kritik vonseiten der Heimwehren ausgesetzt ; insbesondere der Steirische Heimatschutz setzte auf die Unterstützung durch Anton Rintelen , der seit 23. April 1928 wieder Landeshauptmann der Steiermark war. Für den 18. August 1928 kündigte die Sozialdemokratische Arbeiterpartei eine Versammlung in Sankt Lorenzen im Mürztal ( Bezirk Bruck an der Mur71 ) an , um das zehnjährige Gründungsjubiläum der Lokalorganisation zu feiern. Als 68 GOLDINGER /  BINDER , Geschichte , S. 156 f. sowie EDMONDSON , Heimwehr , S.  52 und CARSTEN , Faschismus , S. 118 f. Über Abrüstungsgespräche zwischen SEIPEL und Julius DEUTSCH berichtet BOTZ , Gewalt , S. 167 ff. 69 BIHL , Donaumonarchie , S. 165 zitiert Kunschak ( 27. 01. 1929 ): „Die Heimwehrbewegung nimmt eine Entwicklung , die sie als Gefahr für das parlamentarische System erscheinen läßt.“ Zum Freiheitsbund vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 328 ff. 70 Vgl. KEREKES , Abenddämmerung , S. 35. Zu den außenpolitischen Kontakten der Heimwehrführung ebda., S. 40–49. 71 Zur Situation in der Obersteiermark vgl. allgemein Marina BRANDTNER : Diskursverweigerung und Gewalt. Dimensionen der Radikalisierung des politischen Klimas in der obersteirischen Industrieregion 1927–1934. Innsbruck , 2011.

28

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

Festredner angekündigt war der Nationalratsabgeordnete und Landesparteisekretär Koloman Wallisch , der insbesondere seit den Ereignissen des Juli 1927 in bürgerlichen Kreisen als marxistischer Revolutionär angesehen wurde.72 Die Bezirkshauptmannschaft dachte zunächst daran , beide Veranstaltungen zu untersagen , musste jedoch nach Intervention durch Landeshauptmann Rintelen beide Veranstaltungen räumlich und zeitlich getrennt zulassen.73 St. Lorenzen lag im obersteirischen Kerngebiet des Steirischen Heimatschutzes und hatte eine starke Ortsgruppe der Organisation , die vom Kaufmann Konstantin Kammerhofer geleitet wurde. Zu Mittag des 18. August veröffentlichte der Heimatschutz in Bruck an der Mur ein Flugblatt , wonach man den Ort St. Lorenzen mit 2.000 Mann besetzt hätte , „um an der Wallisch-Versammlung teilzunehmen , wozu uns die Schreibweise und Herausforderung des ‚Arbeiterwille‘ verpflichtet. Arbeiterfrauen ! Wir warnen Euch ! Haltet eure Männer und Kinder zurück ! Fahret nicht nach St. Lorenzen“.74 Die Sozialdemokraten zogen auf den zugewiesenen Festplatz , fanden diesen jedoch bereits vom Heimatschutz besetzt und arg in Mitleidenschaft gezogen ; sie verlegten ihre Kundgebung kurzerhand auf den nahe gelegenen Kirchplatz , wo Wallisch seine kämpferische Rede begann. Die anwesenden Führer des Heimatschutzes , Landesstabsleiter Rauter und Kreisleiter Carl ( v. ) Arbesser-Rastburg wiesen die Behörden auf die nicht angemeldete Versammlung am Kirchplatz hin und verlangten deren Auflösung ; die Vermittlungsversuche der anwesenden ( sozialdemokratischen ) Landesräte Anton Regner und Ludwig Oberzaucher scheiterten. Telefonisch verfügte der Bezirkshauptmann die Auflösung der Kundgebung , die drei (  ! ) anwesenden Gendarmen konnten dies jedoch nicht durchsetzen. Bald kam es zu gegenseitigen Provokationen durch Angehörige der beiden Verbände , die sich am Rande des Ortsplatzes direkt gegenüberstanden ; schließlich entwickelte sich ein etwa zehnminütiges Feuergefecht , bei dem drei Schutzbundangehörige tödlich verletzt wurden ; 57 weitere Schwerverletzte wurden ins Krankenhaus Bruck an der Mur eingeliefert. Verschiedentlich wird behauptet , Pfrimer hätte bewusst einen Zwischenfall provoziert , um die Bundesregierung zu härteren Maßnahmen gegen die Sozialde72 Häufig wurde in Heimwehrkreisen auf Wallischs Vergangenheit als Funktionär der Ungarischen Räterepublik unter Bela Kun hingewiesen , vgl. EDMONDSON , S. 56. 73 Die ausführlichste Darstellung der Ereignisse von St. Lorenzen findet sich bei Otto FRAYDENEGG-MONZELLO : St. Lorenzen im Mürztal – aus alter und neuer Zeit. St. Lorenzen i. M., 2004 , S. 107–114 , dort auch teilweise Korrektur der Darstellung bei BOTZ , Gewalt , S. 172–179 ; siehe auch PAULEY , Hahnenschwanz , S. 57 f. 74 Flugblatt des Heimatschutzes , abgedruckt bei BOTZ , Gewalt , S. 174.

b) Aufschwung und Höhepunkt

29

mokratische Partei zu bewegen.75 Die Ereignisse in St. Lorenzen erschütterten die ohnedies angeschlagene Autorität des amtierenden Bundeskanzlers Ernst Streeruwitz weiter ; es wurden schwerwiegende Mängel bei der Führung der Exekutive und bei der folgenden Untersuchung der Kampfhandlungen offenbar. Schließlich trat der Kanzler auf Druck der Heimwehren am 25. September 1929 zurück und bezeichnete die blutige Auseinandersetzung von St. Lorenzen im Rückblick als „die Mine , die zum Sturz meiner Regierung führen sollte.“76 Neuer Bundeskanzler wurde der frühere Wiener Polizeipräsident Schober , der den Heimwehren positiver gegenüberstand als sein Vorgänger , jedoch – in altösterreichischer Beamtentradition verhaftet – nicht bereit war , den Boden der Gesetze zu verlassen. Schobers hartes Durchgreifen im Juli 1927 ließ auch ihn als „starken Mann“ erscheinen , der das Programm der Heimwehren durchsetzen würde. Schon lange hatten diese eine Verfassungsreform gefordert , die Reform , die Schober – mit parlamentarischer Unterstützung der Sozialdemokraten – schließlich durchführte , kam den Vorstellungen der Selbstschutzverbände freilich kaum entgegen.77 Schobers Ziel lag in einer Stärkung der Staatsautorität , die durch Direktwahl des Bundespräsidenten und erhebliche Ausweitung seiner Rechte auf Kosten des Parlaments erreicht wurde. Auch über die verfassungsrechtliche Stellung der Stadt Wien und über den politischen Aufbau von Landes- und Gemeindeverwaltungen konnte eine Einigung erzielt werden. Die Verfassungsreform stellte die Heimwehren , die sich zu diesem Zeitpunkt bereits zum Aufbau eines Ständestaats bekannte , kaum zufrieden. Ihre eigenen Vorstellungen hatten sie Schober am 30. September übermittelt , die beschlossene Form der Verfassung enthielt wenig Heimwehr-Gedankengut. Da die Auseinandersetzungen innerhalb der Heimwehren zu dieser Zeit an Stärke gewannen , konnte man gegenüber Schober kaum mehr wirksamen Druck anwenden.78 Auch 75 So etwa EDMONDSON , Heimwehr , S. 79 sowie PAULEY , Hahnenschwanz , S.  58. Die Darstellung PAULEYs , der gesamte obersteirische Heimatschutz sei in Judenburg , „kaum dreißig Kilometer entfernt“, mobilisiert worden , ist geografisch unzutreffend ( Entfernung St. Lorenzen–Judenburg ca. 80 km ) und stützt sich lediglich auf die Darstellung des Heimwehrgegners und Landbund-Politikers Vizekanzler a. D. Franz WINKLER ( veröffentlicht 1935 , als dieser sich bereits der NSDAP zugewandt hatte. ) Tatsächlich fand auf der Stubalpe ein „Manöver“ statt , welches lange zuvor geplant worden war. Ein Zusammenhang mit den Ereignissen in St. Lorenzen ist nicht belegt. 76 Zit. n. KARNER , Steiermark , S. 140. 77 Vgl. auch Gernot D. HASIBA : Die Ereignisse von St. Lorenzen im Mürztal als auslösendes Element der Verfassungsreform von 1929 (= Kleine Arbeitsreihe zur Europäischen und Vergleichenden Rechtsgeschichte , Bd. 11 ), Graz , 1978. 78 GOLDINGER /  BINDER , Geschichte , S. 162 ff.

30

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

eine erneute Kampagne mit großangelegten Aufmärschen rund um Wien , die man als „letzte Warnung“ verstand , sowie eine Großkundgebung am 11. Jahrestag der Ausrufung der Republik in Innsbruck , bei der Pfrimer für die klare Abgrenzung von den bürgerlich-parlamentarischen Kräften eintrat und eine ständische Gesellschaftsordnung forderte ,79 konnte den Bundeskanzler nicht zum Einlenken bewegen. Öffentlich konnten die Heimwehrführer nicht zugeben , dass sie diese Kraftprobe verloren hatten , intern jedoch war die Bewegung in ihren Grundfesten erschüttert.80 Besonders die Möglichkeit einer Fortsetzung der Verhandlungen aller Parlamentsparteien , also auch der Sozialdemokraten , war für die Position der Selbstschutzverbände gefährlich. Der Zusammenbruch der Boden-Creditanstalt im Oktober 1929 , der den gesamten österreichischen Bankensektor wie auch die Währung unter Druck brachte , sowie der absehbare Beginn der Weltwirtschaftskrise verstärkten den Druck , in der Verfassungsfrage einen Kompromiss zu erreichen , noch zusätzlich. Mit den Stimmen aller Parteien wurde die Verfassungsreform schließlich am 8. Dezember verabschiedet ; Schobers Ansehen bei den Heimwehren war jedoch erschüttert. Den ganzen Herbst 1929 hindurch kursierten Putschgerüchte.81

c) Krise und Niedergang Die Niederlage in der Frage der Verfassungsreform führte zu einer inneren Krise der Heimwehrverbände ; Pfrimer und Steidle wollten zunächst sogar ihre Positionen als gemeinsame Bundesführer aufgeben ; andererseits entwickelte sich ein heftiges Ressentiment gegen Schober , den man der Lüge und des Verrats bezichtigte. Die zunehmenden Spannungen entluden sich jedoch auch innerhalb der Heimwehrbewegung , ein zeitgenössischer Bericht sprach von der He79 Vgl. KARNER , Steiermark , S. 141. 80 So WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 53. Die offizielle Darstellung des Heimatschutzes ist bemüht , ein positives Urteil zu fällen : KOGELNIK ( Hg. ): Jahrbuch. S. 70 : „In heftigen , oft dramatischen Kämpfen zwischen dem Bundeskanzler und der Bundesführung wurde diese Schobersche Verfassung so ausgestaltet , daß sie der Heimatschutz als einen ersten [ Hervorhebung im Original ] Schritt auf dem Wege zum Umbau des Parteienstaates bezeichnen und daher in der Öffentlichkeit und innerhalb der Bewegung für sie eintreten konnte.“ 81 Vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 53. Als Gründe für das Unterbleiben eines Staatsstreichs nennt EDMONDSON , Heimwehren , in TALOS , Handbuch , S. 270 die fehlende Unterstützung vonseiten Mussolinis , Warnungen westeuropäischer Regierungen und Wirtschaftskreise sowie das Bewusstsein der eigenen Schwäche.

c) Krise und Niedergang

31

rausbildung dreier Lager : eine gemäßigte Richtung , die mit dem bisher erzielten Fortschritt im Wesentlichen zufrieden war , eine zweite wurde von Steidle geführt und zielte auf eine weitere Stärkung der bürgerlichen und „antimarxistischen“ Zusammenarbeit ab ; das dritte Lager schließlich forderte weitere radikale Veränderungen. Ihr Sprecher war Pfrimer , der besonders die Zusammenarbeit mit Italien heftig angriff , solange die Südtirol-Frage nicht gelöst war.82 Die Hauptfolge von Schobers Vorgehen war jedoch die endgültige Abwendung großer Teile der Heimwehrbewegung , insbesondere in der Steiermark und Kärnten , von der parlamentarischen Demokratie und eine verstärkte Agitation gegen alle Parteien. Als erste politische Kraft bürgerlicher Richtung wandte sich nun der Landbund von der Heimwehr ab. Mit der Begründung , die Heimwehren seien von Vertretern der alten Herrschaftsschicht ( Offiziere und Adelige ) dominiert , gründeten sie ab 17. Jänner 1930 einen Bundesverband der „Bauernwehren“, die als eigene paramilitärische Organisation der bäuerlichen Bevölkerung in Kärnten , der Südsteiermark und Oberösterreich Anhänger gewann.83 Schon zuvor war Vizekanzler Vinzenz Schumy , der mit Unterstützung Schobers den politischen Ambitionen der Heimwehrführer entgegentrat , wegen „verbandsfeindlicher Äußerungen“ aus der Kärntner Heimwehr ausgeschlossen worden ; die erste heimwehrunabhängige Bauernwehr hatte sich bereits am 14. Dezember 1929 in Straden , dem einstigen Zentrum des Untersteirischen Bauernkommandos , gegründet.84 Zunehmend zeigte sich , dass der Radikalismus der Heimwehren , insbesondere der steirischen , nicht zu einem Anstieg ihrer Popularität führten. Von der zugespitzten wirtschaftlichen Situation begann erstmals auch die NSDAP zu profitieren , obgleich sie bis in die zweite Jahreshälfte 1930 hinein im Wesentlichen eine Splittergruppe blieb.85 Im Juli 1929 war Ernst Rüdiger ( Fürst v. ) Starhemberg gegen den Willen der christlichsozialen Vertreter zum Landesführer der oberösterreichischen Heimwehren gewählt worden. Bedeutend für seinen raschen Aufstieg war die Tatsache , dass er eigene Heimwehrverbände ( „Starhemberg-Jäger“ ) ausrüstete und finanzierte ; dies begründete seine Machstellung im stets geldknappen Verband. Bald schon hatte er sich einen Namen als Exponent einer radikalen 82 CARSTEN , Faschismus , S. 122. 83 EDMONDSON , Heimwehren. In : TALOS , Handbuch , S. 272. Der Gründungsaufruf der südsteirischen Bauernwehr ist abgedruckt in : Alpinepost , 2. Jg , 1 / 1930 , S. 1 f. 84 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 168 sowie S. 333. Dort wird von einer zeitweiligen Stärke der Bauernwehren von ca. 12.000 Mann gesprochen. 85 vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 73 ; S. 95 sowie BOTZ : Der Nationalsozialismus. In : DESPUT , Österreich. S. 199–218 , hier S. 205.

32

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

Politik gemacht und begann , die Position Pfrimers und Steidles zu gefährden. Zudem stand Starhemberg um 1929 /  30 noch in einem ideologischen Naheverhältnis zu Adolf Hitler , an dessen Putschbewegung im Jahr 1923 er teilgenommen hatte.86 Im März und April 1930 konnte der Führungskampf innerhalb der Heimwehren noch durch eine antisozialistische Kampagne im Zuge der Verabschiedung des sog. „Antiterror-Gesetzes“ überdeckt werden , doch trat Starhemberg auch in Wien und Niederösterreich immer stärker auf , während Seipels angeblich sehr großer Einfluss auf Steidle diesem im Machtkampf schadete. Pfrimer näherte sich mit dem Steirischen Heimatschutz und den Kärntner Verbänden zunehmend nationalsozialistischen Positionen an , galt jedoch im Gegensatz zu Starhemberg als schwache Führungspersönlichkeit.87 Auch in Wien kam es zu internen Auseinandersetzungen über die Frage , ob Starhembergs „Jägerfreikorps Wien“ als Teil der Wiener Heimwehr dem dortigen Befehlshaber Major a. D. Emil Fey unterstehen sollte. Fey neigte eher zu einer gemäßigten Politik der Zusammenarbeit mit den Christlichsozialen ; auch charakterlich unterschied ihn Einiges vom impulsiven und wenig überlegt handelnden Starhemberg.88 Die geringe Bedeutung der Wiener Heimwehr erleichterte schlussendlich eine Beilegung des Streits , das Jägerfreikorps unterstand schließlich dem Kommando Feys.89 Wesentlich folgenreicher war freilich der Kampf um die politische Ausrichtung der niederösterreichischen Heimwehren. Dort war der Niederösterreichische Bauernbund mit seinen 100.000 Mitgliedern korporativ dem Selbstschutzverband beigetreten und hatte somit dessen radikaler ausgerichtete Mitglieder majorisiert. Der Obmann des Bauernbunds , Ludwig Reither , wurde von Landesführer Julius Raab in die Landesführung aufgenommen. Raab selbst galt als Vertrauter Seipels und versuchte , den Ein-

86 CARSTEN , S 127 f.. Zur Biografie Starhembergs vgl. Gudula WALTERSKIRCHEN : Starhemberg oder die Spuren der 30er-Jahre. Wien , 2002. N. N. : Der Heimatschutz in Oberösterreich. In : N. N. : Heimatschutz in Österreich. Wien , 1934 , hier S. 84 verschweigt Starhembergs Teilnahme am Hitler-Putsch 1923 mit der Formulierung : „Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Bayern , wo er immer als Kämpfer für eine Erneuerung deutschen Wesens in den vordersten Reihen tätig gewesen war , kehrte er im Jahre 1926 in das heimatliche Oberösterreich zurück.“ 87 EDMONDSON , Heimwehr , S. 94 f. sowie PAULEY , Hahnenschwanz , S. 78. 88 Vgl. Georg J. E. MAUTNER-MARKHOF : Major Emil Fey. Heimwehrführer zwischen Bürgerkrieg , Dollfuß-Mord und Anschluss. Graz–Stuttgart , 2002 , S. 55 f. sowie 60 f. 89 CARSTEN , Faschismus , S. 123 nennt für Feys Organisation eine Gesamtstärke von 8.000 Mann ( 1929 ), davon 6.000 unterstützende Mitglieder. Die niederösterreichischen Heimwehren umfassten 1930 gesamt 52.000 Mitglieder.

c) Krise und Niedergang

33

fluss der radikalen „steirischen“ Richtung insbesondere im Steinfeld und im Gebiet um Wiener Neustadt einzudämmen.90 Der Konflikt drohte die bis dahin mühsam erhaltene Einheit der Heimwehren endgültig zu vernichten ; die Bundesführer Steidle und Pfrimer schienen den Vorgängen mehr oder minder hilflos gegenüberzustehen. Noch einmal versuchte Steidle , die Initiative zurückzugewinnen : Er lud alle führenden Heimwehrfunktionäre für den 18. Mai 1930 zu einer Versammlung nach Korneuburg , wo er eine Gelöbnisformel vortrug und von den Anwesenden verlangte , sich sogleich für oder gegen diesen „Korneuburger Eid“ zu erklären. Weder die Heimwehrführer noch die breite Öffentlichkeit hatten ein solches Vorgehen erwartet , allgemein wurde davon ausgegangen , dass Raab unter der Regie von Pfrimer und Starhemberg zum Rücktritt gezwungen würde. Der überraschte Raab erklärte sich unter dem Eindruck der überwältigenden Zustimmung der versammelten Funktionsträger einverstanden und leistete das Gelöbnis per Handschlag mit Steidle.91 Auch die Delegierten der Christlichsozialen Partei und der Großdeutschen legten den Eid ab. Die Einheit der Heimwehrbewegung schien wiederhergestellt. Allerdings lehnten in den folgenden Tagen der schon aus der Heimwehr ausgeschiedene Landbund , die Großdeutsche Volkspartei sowie führende Vertreter der Christlichsozialen ( u. a. Leopold Kunschak und Otto Ender ) die eingeschlagene Richtung ab ; Ender sprach von einem „Verfassungsbruch“, den er als Landeshauptmann nicht mittragen könne. Starhemberg erklärte privat gegenüber Vertretern der Großdeutschen , bei der Abfassung des Gelöbnisses nicht konsultiert worden zu sein , er nannte die veröffentlichte Fassung „unklar und bombastisch“. Hingegen erklärte sich der Steirische Heimatschutz ohne Zögern für einverstanden und legten das Gelöbnis ab.92 Pfrimer erklärte , dass man die Ereignisse von Korneuburg als Bekennt90 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 128 ff. 91 Zum Wortlaut des von Walter Heinrich verfassten Eides vgl. KOGELNIK , Jahrbuch , S. 43. Leichte Abweichungen im Wortlaut bei KEREKES , Abenddämmerung , S.  71 f. sowie WILTSCHEGG , Heimwehr S. 255 f. Dort auch weitere Hinweise über verschiedene Textfassungen. Raab erklärte in Korneuburg : „Ich habe schon auf der Landesführertagung in Salzburg der Bundesführung das Gelöbnis geleistet Ich habe dieses Gelöbnis bis heute immer gehalten. Ich erkläre auch heute , mit den Zielen der Bundesführung einverstanden zu sein“, zit. n. JOCHUM , Republik , S. 93. 92 CARSTEN , Faschismus , S. 162 f. sowie PAULEY , Hahnenschwanz , S. 76. Vgl. auch KOGELNIK , Jahrbuch , S. 73 : „Für den steirischen Heimatschutz war das Korneuburger Programm nichts Neues. Er kämpfte schon seit Jahren für diese Erneuerungsrichtung [ … ]“. Bemerkenswert ist , wie die dortige Darstellung die politischen Folgen des Eides ins Gegenteil verkehrt : „Der Korneuburger Eid drohte die Parteien zu zerreißen [ … ] Die Erregung in den Parteien , aus Sorge um ihren Bestand , stieg gewaltig.“

34

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

nis zum Faschismus , der nunmehr die einzige Rettung Österreichs sein könne , deuten konnte. Das Ziel des Korneuburger Eides war es – neben der Herstellung innerer Geschlossenheit – , jene Angehörigen der Heimwehr , die zugleich Mitglieder politischer Parteien waren , zur unbedingten Loyalität gegenüber der Bundesführung zu bewegen und somit die Schwächung und Aushöhlung von Demokratie und Parteienherrschaft weiter voranzutreiben. Die eindeutige Haltung des Bundeskanzlers verhinderte jedoch den Erfolg dieser Strategie.93 Zwei Tage nach der Tagung von Korneuburg trafen Steidle , Pfrimer , Pabst und Rauter mit Schober zusammen. Dieser mahnte die Heimwehrführer zur Besonnenheit , insbesondere wollte er in den nächsten Tagen das „Entwaffnungsgesetz“ im Nationalrat einbringen , um ausländische Geldgeber sowie die besonders aufmerksame britische Regierung zu beruhigen. Im Ministerrat merkte Schober zu diesem Treffen an , es sei ergebnislos geblieben. Die Heimwehrführer reagierten am folgenden Tag mit einem Memorandum , in dem sie den Bundeskanzler aufforderten , Innenminister Schumy ( Landbund ) zu entlassen und durch einen Vertrauensmann der Heimwehren zu ersetzen. Zudem sollten nur die sozialdemokratischen Wehrverbände entwaffnet werden , an deren Entwaffnung wollten die Heimwehren sogar mitwirken. Schober weigerte sich entschieden , diesen Forderungen zu entsprechen „und warf die immer ungebärdiger werdenden Vertreter der Heimwehr in aller Form hinaus.“94 Schließlich machten Schober und Schumy die gestellten Forderungen in der Nationalratssitzung am 23. Mai öffentlich und griffen die Heimwehren für ihre als unannehmbar betrachteten Forderungen scharf an. Beide sahen sich als Vertreter der öffentlichen Ordnung , die von den Heimwehren infrage gestellt wurde ; Schumy forderte die Heimwehren auf , auf legalem und demokratischem Weg ihre Stärke zu beweisen.95 Das Entwaffnungsgesetz wurde schließlich beschlossen , nur zwei christlichsoziale Abgeordnete ( einer von ihnen war Anton Rintelen ) stimmten gegen das Gesetz. Schober sah sich Vorwürfen der Heimwehr ausgesetzt , er schütze die „Bolschewiken“ und hätte durch seine Unterstützung Schumys die Aufstellungen der Bauernwehren , welche die Einheit der bürgerlichen Wehrverbände zerstörte , erst ermöglicht. Schobers beantwortete die Herausforderung mit der Verhaftung und Ausweisung des Bundesstabsleiters Pabst , der reichsdeutscher Staatsbürger war , am 15. bzw. 17. Juni. Auch Rauter wurde kurzfristig festgenommen. Im Juli konnte Schober mit dem 93 Vgl. GOLDINGER /  BINDER , Geschichte , S. 171 f. 94 KEREKES , Abenddämmerung , S. 73. 95 EDMONDSON , Heimwehr , S. 101.

c) Krise und Niedergang

35

Abschluss der Londoner Investitionsanleihe nochmals einen Erfolg vorweisen , doch dauerten die Auseinandersetzungen mit der Heimwehr und innerhalb der Heimwehr an. Pfrimer und Steidle waren beim Versuch , der Bundesregierung ihren Willen aufzuzwingen , gescheitert ; hinzu kamen Streitigkeiten bezüglich der Unterstützung durch Italien und Ungarn , über die ausschließlich Steidle verfügte.96 Ende August vereinbarten Starhemberg und Pfrimer , gemeinsam Steidle zu stürzen , dessen weitgehende Abhängigkeit von Italien sie missbilligten. Auch die österreichischen Industriellen , die Starhemberg bedeutende Geldsummen zukommen ließen , forderten Steidles Ablösung , da dieser gemeinsam mit Pabst die Kampagne gegen Schober geführt hatte. Sein Nachfolger sollte Pfrimer werden , der somit als alleiniger Bundesführer das Kommando über alle österreichischen Selbstschutzverbände führen sollte.97 Die Führertagung der Heimwehren wurde für den 2. September in Schladming einberufen ; dort trat Starhemberg offensiv gegen beide Bundesführer auf und beschuldigte sie der Ziellosigkeit und Unfähigkeit ; kritisierte die Finanzgebarung der bisherigen Bundesführung und forderte beide zum Rücktritt auf. Schließlich wurde Starhemberg nach mehreren Wahlgängen mit der Mehrheit von genau einer Stimme auf Raabs Vorschlag hin zum alleinigen Bundesführer gewählt. Pfrimer erhielt die weitgehend machtlose Position des stellvertretenden Bundesführers , Hanns Rauter wurde als Pabsts Nachfolger neuer Bundesstabsleiter. Leiter des Organisationsamtes wurde mit Josef Oberegger ein weiterer Vertreter des Steirischen Heimatschutzes ; hingegen schied der bisherige Generalsekretär Walter Heinrich aus der Bundesführung aus.98 Starhemberg genoss einerseits das Vertrauen der deutschnational gesinnten Kräfte , denen er zumindest bis Ende 1930 auch innerlich nahestand ;99 gleichzeitig hofften Schober , Seipel und Raab , ihn leichter kontrollieren zu können als die bisherigen Führer der Heimwehren. Erste Zweifel der Steirer an seiner politischen Ausrichtung und Abspaltungspläne konnte er mit seinem vollen Bekenntnis zum Programm von Korneuburg entkräften. 96 Zu den Auffassungsunterschieden zwischen Italien und Ungarn einerseits und dem Steirischen Heimatschutz andererseits vgl. KEREKES , Abenddämmerung , S. 14. 97 PAULEY , S. 79 f. Bemerkenswert ist , dass Starhemberg zur selben Zeit , als er Steidle dies vorwarf , selbst Geldmittel aus Italien bzw. Ungarn erhielt. Vgl. EDMONDSON , S. 109. 98 WALTERSKIRCHEN , Starhemberg , S.  61 ff., PAULEY , Hahnenschwanz , S. 80 sowie WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 57. 99 Vgl. MAUTNER-MARKHOF , Fey , S. 56 ff. sowie GOLDINGER /  BINDER , Geschichte , S. 173.

36

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

Nachdem Bundeskanzler Schober am 25. September im Zuge der „Strafella-Krise“ zurückgetreten war und vor dem Hintergrund des Wahlerfolgs der NSDAP bei der deutschen Reichstagswahl knapp drei Wochen zuvor bildete Carl Vaugoin , der Vorsitzende der Christlichsozialen Partei , eine neue Bundesregierung. Am 9. November wurde eine Nationalratswahl abgehalten , bei der die nationalliberalen Kräfte als „Schober-Block“ unter der Führung des ehemaligen Bundeskanzlers kandidierten , nachdem Landbund und Großdeutsche eine Koalition mit Vaugoin abgelehnt hatten. Vaugoin hatte die Heimwehren zur Beteiligung an seiner Regierung aufgefordert , was Starhemberg , Pfrimer und Rauter zunächst ablehnten , unter dem Druck der gemäßigten und christlichsozialen Heimwehrführer lenkten sie unter bestimmten Bedingungen ein ; Starhemberg übernahm die Funktion des Innenministers.100 Innerhalb der Heimwehren entbrannte nun ein heftiger Streit über das eigene Verhalten bei der Nationalratswahl. Pfrimer lehnte die Teilnahme an der Wahl grundsätzlich ab , viele der gemäßigten Heimwehrführer wie etwa Fey kandidierten auf der Liste der Christlichsozialen. Starhemberg und der Großteil der deutschnationalen Kräfte verfolgten das Ziel einer eigenständigen Heimwehrliste , die gleichzeitig den Sozialdemokraten Stimmen abnehmen und die bürgerlichen Parteien unter Druck setzen sollten. Führende Heimwehrfunktionäre zogen darüber hinaus eine Listengemeinschaft zwischen Heimwehr und NSDAP in Erwägung ; Rauter , Starhemberg und Franz Hueber verhandelten in den Wochen vor der Wahl direkt mit Hitler und seinem Organisationsleiter Gregor Strasser , eine Einigung scheiterte jedoch vor allem an den Modalitäten der Listenerstellung.101 Die Zersplitterung der nichtsozialistischen Kräfte in Christlichsoziale , Nationalen Wirtschaftsblock und Heimatblock sorgte für zusätzliche Verwirrung ; der Heimatblock kandidierte auch in Wahlkreisen , in denen führende Heimwehr-Repräsentanten auf der christlichsozialen Liste vertreten waren und agitierte scharf gegen die Wahlpartei des „Verräters“ Schober. Starhemberg erklärte öffentlich , die Heimwehr würde unabhängig vom Ausgang der Wahl die 100 Nach KOGELNIK , Jahrbuch , S. 77 f. lauteten die Bedingungen der Heimwehrführung : „1. Schärfster Kampf gegen den staatsfeindlichen Austromarxismus , 2. Entwaffnung des Republikanischen Schutzbundes , 3. Schärfste Amtshandlung der Bundesregierung im Bundesbahnskandal , Aufdeckung aller Korruptionsfälle und strengste Bestrafung der Schuldigen , 4. Durchgreifende Maßnahmen zur Behebung der Arbeitslosigkeit und der Krise in der Landwirtschaft sowie sofortige Auszahlung des Notopfers an die Bauern.“ 101 Vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 114. sowie CARSTEN , Faschismus , S. 167 f. Hitler hatte gefordert , die Mandate im Verhältnis 1 :1 zwischen der Heimwehr und der damals noch sehr schwachen NSDAP aufzuteilen.

c) Krise und Niedergang

37

Macht nicht mehr abgeben , Pfrimer deutete wiederholt die Möglichkeit eines „Marsches auf Wien“ an und führte einen betont gegen die Christlichsoziale Partei ausgerichteten Wahlkampf. In seiner Funktion als Innenminister ordnete Starhemberg in den Wochen vor der Wahl Aktionen der Exekutive gegen den Schutzbund an. Das Wahlergebnis war jedoch enttäuschend : Starhembergs Heimatblock erreichte gerade 6,16 % der Stimmen und acht Mandate im Nationalrat. Die NSDAP konnte Zugewinne erzielen , war jedoch mit 3,05 % nicht im Parlament vertreten. Steirische Mandatare waren der Landwirt Sepp Hainzl und der Gewerkschafter Josef Lengauer. Tatsächlich hatte das Antreten des Heimatblocks vor allem den Christlichsozialen geschadet , während sich der betont heimwehrfeindliche Schober-Block gut behaupten konnte. Ihr einziges Grundmandat erzielte die Heimwehr-Gruppierung in der Obersteiermark.102 Das Ergebnis der Wahl führte zu einer weiteren Schwächung der gemäßigten Kräfte sowie zu einer endgültigen Spaltung der Heimwehr , als sich die niederösterreichische Heimwehr unter Raab im Dezember 1930 endgültig von Starhemberg lossagte. Der Staatsstreich war wiederum ausgeblieben , die Heimwehr wurde aus der Regierung verdrängt und spielte im Parlament kaum eine Rolle.103 Die Landtagswahl in der Steiermark zeigte ein für den Steirischen Heimatschutz erfreulicheres Bild ; mit 12,5 % erreichte man ein fast doppelt so hohes Ergebnis wie bei der bundesweiten Wahl. Der Heimatschutz stellte nunmehr einen Landesrat ( August Meyszner ), sechs Landtagsabgeordnete und einen Bundesrat. Die NSDAP blieb auch in der Steiermark ohne Mandat.104 Die interne Kritik begann sich auch gegen Pfrimer zu richten , der zunächst gegen die Beteiligung an der Wahl gewesen war , um dann anschließend eine der radikalsten Stimmen im Wahlkampf des Heimatblocks zu sein. Die ehemals christlichsozialen Funktionäre in Graz drohten mit Abspaltung und konnten nur durch Drohungen der einflussreichen Industriellen zur Räson gebracht werden.105 Tatsächlich war die Situation der Heimwehren nur ein halbes Jahr nach dem Korneuburger Eid eine sehr kritische : Das bescheidene Wahlergebnis ließ an 102 Vgl. PAULEY , S. 84 f. sowie ZECHNER , Pfrimer , S. 71. Für das genaue Wahlergebnis vgl. BIHL ; Donaumonarchie , S. 170. Zu den Putschplänen im Herbst 1930 vgl. KEREKES , Abenddämmerung , S. 86 f. 103 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 60. 104 Vgl. KARNER , Steiermark , S. 594 sowie S. 599. Zur Motivation der Wahlbewegung aus „steirischer“ Sicht vgl. August MEYSZNER : Kann der Heimatschutz unpolitisch sein ? In : KOGELNIK , Jahrbuch , S. 129 f. 105 PAULEY , Hahnenschwanz , S. 86.

38

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

der politischen Strategie der Bundesführung zweifeln , manche Heimwehrführer betrachteten es als kompromittierend , ein Teil des von ihnen abgelehnten parlamentarischen Systems zu sein ; dazu hatte die Glaubwürdigkeit der Selbstschutzverbände als „überparteiliche“ Kraft schweren Schaden genommen.106 Zudem hatten sich Starhemberg und Hueber widerstandslos aus der Bundesregierung entfernen lassen , als der Vorarlberger Landeshauptmann Otto Ender sein neues Kabinett bildete. Starhembergs sprunghaftes Wesen , seine Unbeständigkeit und Abneigung gegen kontinuierliches Arbeiten verstärkten die Kritik an der Verbandsführung weiter.107 Im Januar 1931 bildete sich eine Arbeitsgemeinschaft von Heimwehrverbänden aus Wien , Vorarlberg , Tirol dem Burgenland und den Eisenbahner-Wehren , denen sich bald auch die Gruppen von Raab und Kunschak anschlossen.108 Nachdem die auch Landtagwahl in Oberösterreich für den Heimatblock negativ ausgefallen war ( kein Mandat ), zog Starhemberg sich am 2. Mai als Bundesführer zurück und überließ Pfrimer den Befehl über die Restorganisation.109 Die Neue Freie Presse schrieb zu diesem Wechsel : „Ernst Rüdiger Starhemberg hat die Rolle eines Bundesführers ausgespielt und Dr. Pfrimer übernimmt die Aufgabe , zu retten , was sich noch in Sicherheit bringen lässt. [ … ] Dr. Pfrimer ist um das Erbe wahrlich nicht zu beneiden. Er und sein steirischer Anhang haben immer die radikale Note angeschlagen , und es wird sich erst in Zukunft zeigen , ob die Umkehr zu einer gemäßigteren Haltung noch möglich ist.“110 Den endgültigen Kollaps der Heimwehrorganisation verhinderte schließlich die politische bzw. wirtschaftliche Lage : Die Untersagung einer Zollunion mit dem Deutschen Reich durch die Westmächte nutzte Pfrimer für seine deutschnationale Rhetorik , während die Stützung der Creditanstalt mit Steuergeldern ihm die Möglichkeit gab , die Heimwehr als radikale antikapitalistische Bewegung für den Kampf des „kleinen Mannes“ gegen Korruption und Privilegi106 Vgl. CARSTEN , Faschismus , S. 167 ff. 107 WALTERSKIRCHEN , Starhemberg , S.  73 f. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 213 schreibt über Starhembergs Charakter : „Die Abneigung gegen systematisches Arbeiten und gegeneine ernste Beschäftigung mit politischen Fragen ist für einen Politiker sicher ein großer Mangel. Die –gelinde gesagt – ausgeprägte Wandlungsfähigkeit war etwas zu stark entwickelt.“ 108 EDMONDSON , Heimwehren , in TALOS , Handbuch , S. 271. 109 Offiziell war Starhemberg nur „beurlaubt“, um seine persönlichen Angelegenheiten zu regeln : Bei der Aufstellung der Jägerbataillone hatte er sich persönlich stark verschuldet ; im Sommer 1931 wurde der Zwangsausgleich über seine Güter angenommen. Vgl. WALTERSKIRCHEN , Starhemberg , S. 73. 110 N. N., Starhembergs Ende. In : Neue Freie Presse , 03. 05. 1931 , S. 4 f.

c) Krise und Niedergang

39

en neu aufzustellen.111 Im Juni demissionierte die Regierung Ender und der niederösterreichische Landeshauptmann Karl Buresch bildete ein neues Kabinett und zeigte sich gesprächsbereit gegenüber den Sozialdemokraten , die zuvor schon die Creditanstalt-Rettung im Parlament unterstützt hatten , während der Heimatblock als einzige Fraktion dagegen gestimmt hatte. Die hohe Arbeitslosigkeit und die Erfolge der NSDAP im Deutschen Reich führten zu einer durchaus als revolutionär zu bezeichnenden Situation. Am 4. September fand eine Führertagung der Heimwehren statt , auf der Starhemberg geradeheraus die Frage stellte , ob Pfrimer demnächst einen Putsch planen würde. Pfrimer erklärte vage , er denke nicht an einen Putsch , sondern wolle lediglich bestimmte politische Probleme mit Gewalt lösen. Mit dieser Formulierung zeigten sich alle Anwesenden einverstanden. Der „Pfrimer-Putsch“ am 13. / 14. September wurde im Wesentlichen vom Generaladjutanten der Heimwehr , Othmar ( Graf ) Lamberg geplant , während sich Rauter und Kammerhofer ausdrücklich gegen eine militärische Aktion aussprachen.112 Pfrimer sprach von einer Aktion zur Unterdrückung sozialdemokratischer Unruhen , die mit Unterstützung der Landesregierung und des Bundesheeres durchgeführt würde. Pfrimer proklamierte sich selbst zum „Staatsführer“ und mobilisierte über 14.000 bewaffnete Heimatschutzangehörige und konnte in der Obersteiermark zeitweise die Macht übernehmen ; der Semmering wurde abgeriegelt und die Stadt Graz eingeschlossen. Als die Unterstützung durch Heimwehrverbände anderer Bundesländer ausblieb und der Schutzbund die Mobilisierung seiner Einheiten begann , reagierte auch die zunächst untätig gewesene Exekutive. Der zögerliche Vormarsch des Bundesheeres ermöglichte dem Heimatschutz eine geordnete Demobilisierung , auch die vorhandenen Waffen konnten zurück in ihre Verstecke gebracht werden ; Pfrimer flüchtete nach Jugoslawien.113 Der Putsch war weniger aufgrund militärischer Fehlplanungen als durch eine falsche Einschätzung der politischen Folgen fehlgeschlagen. Die Haltung der steirischen Landesregierung ( Rintelen ) kann als wohlwollend neutral bezeichnet werden , doch gab es darüber hinaus keine Unterstützung seitens staatlicher Kräfte.114 111 Vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 130 ff. 112 Vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 113 f. Zum Pfrimer-Putsch vgl. Josef HOFMANN : Der Pfrimer-Putsch. Der steirische Heimwehrprozeß des Jahres 1931. (= Publikationen des Österreichischen Instituts für Zeitgeschichte , Bd. 4 ). Graz–Wien , 1965. Zu den Befürwortern des Putsches zählte auch Landesrat Meyszner. 113 vgl. BOTZ , Gewalt , S. 185 sowie WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 178 f. 114 PAULEY , Hahnenschwanz , S. 119 f. Ein Indiz für die Brauchbarkeit der militärischen Pläne ist , dass diese beim NS-Putsch im Juli 1934 mit nur geringen Änderungen wieder verwendet wurden. Vgl. SCHAFRANEK , Sommerfest , S. 15 , ähnlich PAULEY , S. 191.

40

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

Starhemberg verhielt sich zweideutig : Am 8. September übernahm er wieder die Führung der oberösterreichischen Heimwehr und versetzte seine Einheiten zum Zeitpunkt des Putsches in Alarmbereitschaft , gab jedoch keine weiteren Befehle. Wahrscheinlich ist , dass Starhemberg die weitere Entwicklung abwartete und erst eindeutig gegen Pfrimers Unternehmung Partei ergriff , als das Scheitern des Staatsstreiches offensichtlich geworden war.115 Die Nachwirkungen für den Steirischen Heimatschutz waren jedoch geringer als zunächst angenommen : Die bürgerliche Presse gestand Pfrimer durchwegs ehrenhafte Motive zu und kritisierte vornehmlich die Durchführung bzw. den Zeitpunkt der Aktion. Die Bundesregierung reagierte zunächst energisch , es wurden etwa 140 Putschteilnehmer verhaftet , über 4.000 Strafanzeigen erstattet und bedeutende Mengen an Waffen und Munition beschlagnahmt. Pfrimer kehrte nach seiner Flucht über Marburg nach München kurze Zeit später in die Steiermark zurück und wurde mit sieben Mitverschwörern ( unter ihnen Kammerhofer ) im Dezember 1931 in Graz vor Gericht gestellt. Pfrimer argumentierte , seine „bewaffnete Demonstration“ sei weder gegen die Landes- noch die Bundesregierung gerichtet gewesen und hätte lediglich den Einfluss der Sozialdemokraten brechen und die Durchführung der notwendigen Wirtschaftsreformen sicherstellen sollen. Als Verteidiger Pfrimers traten Max Rintelen , der Bruder des Landeshauptmanns , und der spätere Grazer Gestapo-Kommandant Werner Delpin auf.116 Die Aussage des Landeshauptmanns , er sei in seiner Amtsausübung nie behindert worden , und es sei Vorsorge getroffen worden , keine Zusammenstöße zwischen Exekutive und Heimatschutz zuzulassen , war von größter Bedeutung für die Verteidigung der Putschisten. Pfrimer und seine Mitangeklagten wurden einstimmig freigesprochen , sie wurden bei ihrer Entlassung als „Helden“ willkommen geheißen.117 115 Vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 120. Die Darstellung bei WALTERSKIRCHEN , Starhemberg , S. 88–92 ist insofern unzutreffend , als Starhemberg vom Putsch kaum überrascht sein konnte. Hinweise dafür vgl. Starhembergs Äußerungen zit. n. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 64. Zutreffender das Urteil bei EDMONDSON , Heimwehr , S. 136 : „He must have suspected , if he did not know , that Pfrimer was not to be denied his putsch ; and , while probably doubtful of its success , he wanted to be prepared for any eventuality.” KOGELNIK , Jahrbuch , S. 85 stellt zu den Erfolgsaussichten korrekt fest : „wenn alle [ Hervorhebung im Original ] Länder Österreichs denselben revolutionären Willen gehabt hätten , wie er in der Steiermark zuhause war , so hätte sich das Aufgebot durchsetzen müssen [ Hervorhebung im Original ].“ 116 KARNER , Steiermark , S. 142 sowie GOLDINGER /  BINDER , Geschichte S. 187. Dort auch Kritik an der häufig verwendeten Formulierung „Operettenputsch“. 117 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 179 nennt beispielhaft den Empfang des Kreisleiters Barthold ( Graf ) Stürgkh in Halbenrain ; FRAYDENEGG-MONZELLO , St. Lorenzen ,

c) Krise und Niedergang

41

Tatsächlich führte der Putsch zu einem erneuten Aufschwung der Heimwehren , die als aktives und tätiges Element neues Interesse in der Bevölkerung erweckten ; die Möglichkeit einer direkten Einflussnahme auf die österreichische Politik war freilich nicht mehr gegeben.118 Noch vor Prozessbeginn war Pfrimer zum Ehrenlandesleiter des Heimatschutzes ernannt worden , die Führung übernahmen der Nationalratsabgeordnete Hainzl ( Landesleiter ) und Landesrat Meyszner ( Stellvertreter ), die als gewählte Mandatare vor Verhaftung weitgehend sicher waren. Eine Folge des Putsches war , dass der innerhalb der Heimwehren völlig isolierte Heimatschutz erstmals zu einem Abkommen mit der NSDAP bereit war , das am 31. Oktober geschlossen wurde und eine gemeinsame antimarxistische und antikapitalistische Politik mit dem Ziel des Anschlusses an das Deutsche Reich vorsah. Hauptziel der „Kampfgemeinschaft“ war aus der Sicht der Nationalsozialisten , den wieder amtierenden Bundesführer Starhemberg zu einem ähnlichen Bündnis zu bewegen oder im Gegenzug einen endgültigen Bruch zwischen der Bundesführung und den anschlussbereiten Organisationen in der Steiermark und in Kärnten herbeizuführen.119 Starhemberg , zu diesem Zeitpunkt ideologisch nicht eindeutig festgelegt , lehnte jedoch ein Bündnis mit der NSDAP unter den vorgeschlagenen Bedingungen ab , da dies eine Beschneidung seines persönlichen Einflusses bedeuten würde. Im Herbst 1931 gelang es ihm , auf Tagungen in Linz und Graz nochmals eine Kompromissformel zu finden , mit der auch die radikalen Elemente um Rauter und Meyszner einverstanden waren. Eine vollständige Verbindung von Heimwehr und NSDAP wurde als möglich , jedoch derzeit außenpolitisch inopportun bezeichnet. Ein letztes Mal bekannte sich der Steirische Heimatschutz zum Bundesverband der Selbstschutzverbände , die Kampfgemeinschaft wurde mit Ende des Jahres aufgelöst.120 Zu Jahresbeginn 1932 trat das Kabinett Buresch zurück , dieser bildete erneut eine Bundesregierung , die sich als Minderheitsregierung aus Christlichsozialen und Landbund konstituierte. Im Januar dieses Jahres waren in Österreich 423.000 Arbeitslose vorgemerkt.121 Bei den Gemeinderatswahlen am 24. April S. 119 erwähnt die Heimkehr Kammerhofers , der vor Ort von 2000 Menschen empfangen wurde. Zur Zeugenaussage Rintelens vgl. Anton RINTELEN : Erinnerungen an Österreichs Weg. München , 1941 , S. 148 f. dort auch S. 124–155 Darstellung der Geschichte des Heimatschutzes insgesamt. 118 vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 142. 119 PAULEY , S. 132 ff. sowie ausführlich CARSTEN , Faschismus , S. 173. 120 Vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 145 ff. Kammerhofer erklärte später ( 1936 ), die Kampfgemeinschaft sei von Habicht aus unverständlichen Gründen plötzlich gekündigt worden , was allerdings nicht zutrifft. Vgl. SCHAFRANEK , Sommerfest , S. 16. 121 BIHL , Donaumonarchie , S. 173 f.

42

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

1932 konnte die NSDAP starke Zugewinne erzielen , in mehreren Ortschaften des Gerichtsbezirks Schladming wurde sie zur Mehrheitspartei. Die Gewinne gingen auf Kosten der Sozialdemokraten , die besonders in den obersteirischen Industriegebieten fast flächendeckend Mandate verloren.122 Im Gegensatz zu den zeitgleich stattfindenden Wahlen in anderen Bundesländern konnte sich der Heimatblock in der Steiermark gut behaupten ; nicht zuletzt , da der Steirische Heimatschutz im Gegensatz zur NSDAP die Taktik der „Waffenlosigkeit“ ablehnte und weiterhin betont umstürzlerisch argumentierte und agierte , was besonders in der jüngeren Generation einigen Widerhall fand. Insgesamt erreichte der Heimatschutz in der Steiermark vier Mal so viele Stimmen wie die nationalsozialistische Partei. Trotzdem war diese zu einem bedeutenden Faktor der österreichischen Innenpolitik geworden. Die Konsolidierung des Steirischen Heimatschutzes hingegen war nur von kurzer Dauer : Am 8. Mai 1932 legte Pfrimer seine Ehrenführerschaft zurück und trat aus der Organisation , die er mitbegründet und geprägt hatte , aus. Er übernahm die Führung des „Deutschen Heimatschutzes“, einer bis dahin wenig bedeutenden Splittergruppe , und verband sich wenige Tage später mit der SA. Hauptmotiv des Übertritts war wohl Pfrimers Bemühen um eine weitere Destabilisierung der Bundesführung unter Starhemberg und dessen zunehmend regierungstreuen Kurs.123Am 18. Mai war der Mürztaler Heimatschutzführer Konstantin Kammerhofer124 zum neuen Landesleiter gewählt worden ; auf derselben Tagung wurde auch die endgültige Loslösung vom Bundesverband beschlossen. Die neue Bundesregierung formierte sich unter Engelbert Dollfuss und bestand aus Christlichsozialen , Landbund und Heimwehr , verfügte jedoch über eine parlamentarische Mehrheit von einer einzigen Stimme. Auch die beiden steirischen Heimatschutz-Mandatare , Hainzl und Lengauer , unterstützten zunächst die Bundesregierung.125 122 Vgl. N. N., Die Gemeinderatswahlen in der Steiermark. In : Neue Freie Presse , 25. 4. 1932 , S. 5. Zur regionalen Entwicklung des Nationalsozialismus in dieser Zeit vgl. Kurt BAUER : „Steiermark ist einmal gründlich verseucht.“ Regionale Unterschiede bei der Affinität zum Nationalsozialismus in der Phase des Durchbruchs zur Massenbewegung. Mögliche Ursachen und Erklärungsansätze. In : Österreich in Geschichte und Literatur , 43. Jg., Nr. 5–6 , 1999 , S. 295–316. 123 PAULEY , Hahnenschwanz , S. 139 ff. weist auf den genauen Zeitpunkt von Pfrimers Austritt hin : Am 6. Mai war Bundeskanzler Buresch zurückgetreten ; die Folge war eine erneute Regierungskrise. 124 Zur Person Kammerhofers vgl. PRERADOVICH , SS-Führer , S. 107–115. 125 Vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 162. Zum Abstimmungsverhalten des Heimatblocks anlässlich der Lausanner Anleihe vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 68 f.

c) Krise und Niedergang

43

Kammerhofer versuchte , mit einer neuen , stärker nationalrevolutionär ausgerichteten Politik den Auflösungserscheinungen seiner Organisation zu begegnen ; es musste gleichzeitig versucht werden , die Starhemberg-freundlichen Kräfte und die pro-nationalsozialistischen zu halten. Die Heimatschutz-Kreisführer Alois Ehrlich ( Murau ), Andreas ( Freiherr v. ) Morsey ( Feldbach ) und Kunata ( Graf ) Kottulinsky ( Hartberg ) sagten sich allerdings bald von Kammerhofers Führung los und bekannten sich zu Starhemberg. Die im Juni veröffentlichten „Zwölf Grundsätze“ können als endgültige Hinwendung zu nationalsozialistischem und antisemitischem Gedankengut aufgefasst werden.126 Der Aufstieg der NSDAP in der Steiermark konnte jedoch nicht aufgehalten werden ; besonders in den obersteirischen Bezirken Gröbming , Mürzzuschlag und Leoben war spätestens seit den Gemeinderatswahlen im April 1932 ein hoher Organisationsgrad und eine rege Versammlungstätigkeit festzustellen. Im November 1932 trat die gesamte Heimatschutzgruppe Liezen zur NSDAP über , auch in den Betrieben der Alpine Montangesellschaft und in den nationalen Studentenverbindungen konnten die Nationalsozialisten auf Kosten des Steirischen Heimatschutzes und der nur mehr schwachen nationalen Parteien ( Landbund und Großdeutsche ) Fuß fassen.127 Die NSDAP unter der Führung des aus Südtirol stammenden Gauleiters Walter Oberhaidacher warf dem Heimatschutz vor , finanziell von der Alpine Montangesellschaft abhängig zu sein , obgleich die Nationalsozialisten im Deutschen Reich ähnliche Beziehungen zu bestimmten Kreisen der Großindustrie unterhielten. Zudem warf man Kammerhofers Organisation vor , die Regierung Dollfuß insbesondere bei der Durchsetzung der Lausanner Anleihe zu unterstützen , die gleichzeitig ein Anschlussverbot an Deutschland bedeutete. Dieser offenkundig unzutreffende Vorwurf führte dazu , die Heimatschutzführer in der NS -Agitation als „Franzosenknechte“ zu bezeichnen. Immer wieder kam es auch zu Gewalttätigkeiten zwischen den Anhängern beider Gruppierungen.128 Auf der anderen Seite griff das offizielle Organ des Steirischen Heimatschutzes , der Panther , in den Sommermonaten 1932 die Bundesführung heftig an und beschuldigte sie , die Misswirtschaft der Parteien zu stützen und dadurch den Grundsätzen der Heimwehr zuwider zu handeln. Es wurde der Rücktritt 126 N. N., Die zwölf Grundsätze des Steirischen Heimatschutzes , in : KOGELNIK , Jahrbuch , S.  44. SCHAFRANEK , Sommerfest , S. 17 spricht von einer „fast vollständigen ideologischen Kapitulation vor der NSDAP [ … ]“. 127 Vgl. BAUER , Steiermark , in ÖiGuL43 /  5–6 , S. 295–316 , hier S. 299 sowie CARSTEN , Faschismus , S. 192 ff. 128 PAULEY , Hahnenschwanz , S. 149 f. sowie BOTZ , Gewalt , S. 272.

44

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

Starhembergs gefordert , man verwies auch auf die Unterstützung dieser Forderung durch 172 Heimwehrführer in ganz Österreich. Nach dem Beitritt mehrerer Tausend Heimwehrleute aus Kärnten änderte die Organisation ihren Namen in „Deutschösterreichischer Heimatschutz“, obgleich der bisherige Name weiter häufig verwendet wurde. Der letzte große Landesaufmarsch fand am 13. November statt ; über 13.500 Heimatschützer marschierten in Graz , anwesend waren neben Rintelen auch Heimwehrführer aus Niederösterreich und Kärnten.129 Zu Jahresende 1932 waren in Österreich 450.000 Menschen als arbeitslos vorgemerkt ; 346.000 von ihnen erhielten eine Arbeitslosenunterstützung. Im März 1933 gründeten die Starhemberg-treuen Heimwehrfunktionäre auf Betreiben der Bundesführung den „Österreichischen Heimatschutz in der Steiermark“, um die NS-freundlichen Elemente in der Heimatschutzführung um Rauter , Meyszner und Hainzl weiter zu isolieren. Zum Landesführer wurde Egon ( Freiherr v. ) Berger-Waldenegg gewählt.130 Der Österreichische Heimatschutz hatte im Mai 1933 etwa 6.000 Mitglieder , während Kammerhofers Verband etwa 15.000 Personen angehörten. Lediglich in den Bezirken Murau , Feldbach und Deutschlandsberg war Berger-Waldeneggs Organisation deutlich in der Überzahl.131 Am 9. März , vier Tage nach der „Selbstausschaltung“ des Parlaments , bildete sich eine „Großdeutsche Front“ aus Steirischem Heimatschutz , Bund Oberland , Teilen der Kärntner Heimwehr und NSDAP ; am 15. Mai trat die bereits stark geschwächte Großdeutsche Volkspartei diesem Bündnis bei. Heimatschutz und NSDAP bildeten am 22. April 1933 auf einer Tagung in Liezen eine erneute Kampfgemeinschaft. Der Heimatschutz bekannte sich „rückhaltlos“ zu Adolf Hitler als „Führer der deutschen Nation“, gleichzeitig wurde bekräftigt , dass es sich nicht um ein Unterstellungsverhältnis , sondern um eine gleichberechtigte Partnerschaft beider Organisationen handelte. Auch erklärte Kam129 WILTSCHEGG , Heimwehr , S.  181 , CARSTEN , Faschismus , S. 196 f. sowie PAULEY , Hahnenschwanz , S. 236 , Anm. 9. Nach PAULEY , Hahnenschwanz , S. 156 war auch SA-Führer Ernst Röhm bei diesem Aufmarsch als Gast anwesend. Am selben Tag fand in Wien eine NS-Kundgebung mit etwa 12.000 Teilnehmern statt. Vgl. Neue Freie Presse , 14. 11. 1932 , S. 4. 130 Vgl. Egon und Heinrich BERGER-WALDENEGG : Biographie im Spiegel : Die Memoiren zweier Generationen. Wien–Köln–Weimar , 1998 , S. 378 ff. 131 Vgl. KARNER , Steiermark , S. 145 , sowie N. N., Der Heimatschutz in der Steiermark. In : Heimatschutz in Österreich , S. 121–132 , hier S. 130. Die Darstellung , durch die Abspaltung sei Kammerhofer zum „Führer ohne Gefolgschaft“ geworden , ist nicht korrekt. Zur relativen Stärke der beiden Verbänd siehe BAUER , Steiermark , in ÖiGuL43 /  5–6 , S. S. 295–316 , hier S. 201.

c) Krise und Niedergang

45

merhofers Organisation , in Abgrenzung zu Starhembergs Verband wieder das Hakenkreuz als Symbol zu verwenden.132 Das Abkommen wurde zu einem Zeitpunkt geschlossen , als der Heimatschutz bereits deutlich geschwächt war , während sich die Mitgliederzahlen der nationalsozialistischen Partei allein zwischen Jänner und Mai 1933 verdoppelt hatte. Zudem hatte die Alpine Montangesellschaft ihre finanzielle Unterstützung Ende 1932 eingestellt und finanzierte nunmehr die österreichische NSDAP. Am 1. Mai 1933 begaben sich Kammerhofer , Rauter und zwei weitere Heimatschutzfunktionär auf Einladung der deutschen Reichsregierung nach Berlin , trafen mit Hitler zusammen und gelobten ihm „bedingungslose Gefolgschaft“.133 In der Folge nutzten die Nationalsozialisten die Position des Heimatschutzes , um über dessen gewählte Vertreter gegen Dollfuss’ Politik zu protestieren ; so beantragte etwa Landesrat Meyszner in der steirischen Landesregierung , den Bundespräsidenten zur Entlassung des Kanzlers aufzufordern. Die Intensivierung der nationalsozialistischen Terroraktionen führte dazu , dass die Partei , ihre Wehrverbände und der mit ihr verbündete Steirische Heimatschutz per Ministerratsbeschluss am 19. Juni verboten wurden.134 Im November 1933 ( Venedig ) und März 1934 ( München ) fanden weitere Konferenzen zwischen den Heimatschutzführern , besonders Kammerhofer und Rauter , und dem NS-Landesinspekteur Theo Habicht und SA-Führer Hermann Reschny statt , auf denen schlussendlich die Überführung des Heimatschutzes in die NSDAP beschlossen wurde.135 Zu Ostern 1934 fand in Budapest eine weitere Konferenz statt , auf der diese Beschlüsse offiziell vollzogen wurden. Der Steirische Heimatschutz hatte als eigenständige Organisation zu existieren aufgehört.136 Zu erwähnen ist allenfalls noch , dass die führenden Männer des Steirischen Heimatschutzes später innerhalb der SS hohe und 132 Vgl. Robert Kriechbaumer : Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945. Wien–Köln–Weimar , 2001 , S. 573 sowie EDMONDSON , Heimwehr , S 185 f. und PAULEY , Hahnenschwanz , S.  162. Die Darstellung bei Gerhard JAGSCHITZ : Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich. Graz–Wien–Köln , 1976 , S. 30 , es habe seit dem Pfrimer-Putsch eine informelle Kampfgemeinschaft zwischen NSDAP und Heimatschutz bestanden , trifft nicht zu. Vgl. PAULEY , S. 138 ff. 133 SCHAFRANEK , Sommerfest , S. 19. 134 PAULEY , Hahnenschwanz , S. 172 f. sowie BOTZ , Gewalt , S. 217. 135 Über die genaue Auslegung der Beschlüsse entbrannte ein NS-interner Streit , der bis 1938 andauern sollte. Vgl. SCHAFRANEK , Sommerfest , S. 21 ff. sowie PAULEY , Hahnenschwanz , S. 177 ff. 136 Über die spätere Entwicklung der NSDAP in der Steiermark und die personellen Kontinuitäten insbesondere in Hinblick auf den Putsch im Juli 1934 berichten SCHAFRANEK , Sommerfest , S. 55 f. sowie JAGSCHITZ , Putsch , S. 143 ff.

46

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

höchste Ränge einnahmen : Kammerhofer und Meyszner jeweils als SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei , Rauter als SS-Obergruppenführer und Höherer SS- und Polizeiführer in den Niederlanden ; Pfrimer hingegen blieb als Reichstagsabgeordneter bedeutungslos.

Exkurs: Wirtschaftspolitische Handlungsspielräume und ökonomische Lehrmeinungen in der Ersten Republik Neben der politischen muss auch die wirtschaftliche Situation Österreichs in dieser Zeit betrachtet werden. So wenig es hier möglich ist , eine umfassende Darstellung der Wirtschaftsgeschichte der Ersten Republik137 zu geben , so sehr müssen doch die Rahmenbedingungen für das politische Handeln aufgezeigt werden , auch um das Potenzial bzw. die Eignung der später vorgestellten wirtschaftspolitischen Konzepte richtig einschätzen zu können. Dazu gehören einerseits die volks- und weltwirtschaftlichen Voraussetzungen , andererseits aber auch der Stand der Diskussion in der damaligen nationalökonomischen Forschung. Zunächst hatte die Politik der österreichischen Bundesregierung nach Ende des Ersten Weltkrieges darauf abgezielt , durch eine Politik des billigen Geldes Kriegsschulden zu reduzieren und Sozialprogramme zu finanzieren ; allein die staatliche Stützung der Lebensmittelpreise verschlang 1920 /  21 fast 59 % (  ! ) der Staatsausgaben. Durch die Hyperinflation jener Jahre erlebte allerdings die Wirtschaft eine Scheinblüte , die Arbeitslosigkeit sank , infolge des Wechselkursverfalls florierte die Exportwirtschaft.138 Die Dynamik der Finanzwirtschaft lockte Spekulanten und „Glücksritter“ an , auch das Bankwesen weitete seine Tätigkeit aus – 1913 hatte es in Wien 15 Privatbanken gegeben , 1924 waren es bereits 260. Das Überangebot an ( Bank- )Dienstleistungen in Wien , einstmals Zentrum der ganzen Monarchie , nunmehr Hauptstadt eines Kleinstaates , steht symptomatisch für die Auswirkungen der Inflation : Strukturanpassungen wurden versäumt bzw. verschleppt , Modernisierungs- und Rationalisierungsprozesse kamen zum Stillstand. ( Durch die Kriegsereignisse waren vor allem die Produktionskapazitäten der Eisen- und Stahlindustrie angewachsen , 137 Als wirtschaftshistorisches Grundlagenwerk gilt : Felix BUTSCHEK : Österreichische Wirtschaftsgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart. Wien , 2011. 138 Ernst HANISCH : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Wien , 1994 , S. 281 f.

Exkurs: Wirtschaftspolitische Handlungsspielräume

47

was sich gerade in der Obersteiermark – der Heimat der Österreichisch-Alpine Montangesellschaft – politisch wie ökonomisch auswirken würde ).139 Als im Zuge der Seipel’schen Sanierung 1922 die Völkerbundanleihe begeben wurde und sich dadurch die Lage des Staatshaushaltes und der Kurs des Schillings stabilisierten , mussten im Gegenzug weitreichende Zugeständnisse an die Kreditgeber gemacht werden : Neben dem Verbot des Anschlusses an das Deutsche Reich war vor allem die Kontrolle der Staatsfinanzen durch einen Völkerbund-Kommissär von November 1922 bis Juni 1926 vorgeschrieben ; die Budgethoheit der Bundesregierung bzw. des Nationalrates damit auf entscheidende Weise eingeschränkt ; linke wie rechte Gegner der Sanierung sprachen von der „Völkerbundkolonie“ Österreich , Ex-Bundeskanzler Karl Renner sah eine „Schuldknechtschaft“.140 Einerseits gelang die Sanierung , andererseits war eine Stabilisierungskrise die Folge dieser Politik. Zudem verhinderte die restriktive Kreditpolitik notwendige Investitionen zur Modernisierung der Betriebe. Die relativ gute Konjunktur zwischen 1927 und 1929 sorgte für einen Aufschwung , in diesen Jahren wurde immerhin der der Vorkriegsstand der Wirtschaft ( in den damaligen Staatsgrenzen ) erreicht.141 Über die gesamte Dauer der Ersten Republik krisenverstärkend wirkte die wirtschaftsnationalistische bzw. protektionistische Politik der östlichen Nachfolgestaaten der Monarchie , was die österreichische Exportwirtschaft schädigte und die für inländische Bedürfnisse überdimensionierten österreichischen Unternehmen wie etwa die Creditanstalt und die Phönix-Versicherung in gefährliche Schieflage brachte.142 Bereits 1922 hatten sich die wirtschaftlich führenden Staaten der Welt bei einer Konferenz in Genua darauf geeinigt , das durch den Krieg zerrüttete System fester Wechselkurse auf Basis des Goldstandards wiedereinzuführen. Das Bemühen , dieses Niveau wieder zu erreichen , überwiegend zur Vorkriegsparität , sorgte für Deflation in den meisten westlichen Industriestaaten. ( Frankreich und Deutschland weigerten sich jeweils aus außenpolitischen Erwägungen heraus , budgetäre Disziplin zu halten ). Gemäß der damaligen finanzpolitischen 139 Ernst BRUCKMÜLLER : Sozialgeschichte Österreichs. 2. Aufl. Wien–München , 2001 , S. 373. 140 Klaus KOCH /  Walter RAUSCHER / Arnold SUPPAN : Unter der Finanzkontrolle des Völkerbundes. ( Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 , Bd. 5 ). München , 2002 , S. 12. 141 BRUCKMÜLLER , Sozialgeschichte , S. 373. 142 Zur Wirtschaftspolitik der Nachfolgestaaten vgl. Agnes POGANY /  Eduard KUBU /  Jan KOFMAN : Für eine nationale Wirtschaft. Ungarn , die Tschechoslowakei und Polen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. (= Frankfurter Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Ostmitteleuropas , Bd. 16 ). Berlin , 2006.

48

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

Lehrmeinung würde die Wiederaufrichtung der Goldwährung als sichtbares Zeichen der Stabilität das Vertrauen der Märkte wiederherstellen und den internationalen Handel beleben. International war daher eine deflationär orientierte Politik zu beobachten : „Governments routinely sought to maintain high interest rates and a tight fiscal stance for fear of losing reserves. Unilateral reflation was inhibited so long as fixed parities were in place.“143 Neben der Finanzkontrolle durch den Völkerbund war also auch die internationale Situation nicht dazu geeignet , eine alternative ( d. h. expansive ) Budgetpolitik und eine Reflation einzuführen. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise , die Österreich mit besonderer Härte traf ( Creditanstalt-Krise , Fall der Industrieproduktion um bis zu 60 % , Exporteinbrüche ), wurde mit der Lausanner Anleihe 1932 erneut eine Finanzierung durch das Ausland notwendig. Wieder wurde ein ausländischer Kommissär eingesetzt , dessen Tätigkeit den Spielraum der österreichischen Politik wesentlich einengte. Daraus ist zu schließen , dass für eine anti-zyklische Konjunkturpolitik , wie sie in den Nachkriegsjahrzehnten zum Standardrepertoire wirtschaftspolitischen Handelns gehörte , im Österreich jener Jahre schlichtweg die Möglichkeiten fehlten. Die Währungspolitik , die ganz auf Stabilität ausgerichtet war ( „ Alpendollar“ ), hätte nicht einseitig verändert werden können , sondern nur im Zuge einer international abgestimmten Aktion. Der Goldstandard selbst hätte zwar Spielräume für solche Aktionen eröffnet , jedoch waren keine solchen Mechanismen zur internationalen Koordination vorhanden. Das vorsichtige Vorgehen der Zentralbanken und die Tendenz mancher Staaten , vor allem der USA und Frankreichs , die eigenen Reserven möglichst hoch zu halten , verhinderten das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Systems fixer Wechselkurse.144 Ein dritter , vor allem mitteleuropäischer , speziell deutscher und österreichischer Faktor muss dazu noch beachtet werden : Die Nachkriegsinflation hatte die Vermögen vieler Österreichern praktisch ausgelöscht ; besonders der bürgerliche Mittelstand litt unter dieser Situation. Die tiefgreifenden sozialen Verwerfungen hatten das Vertrauen der Bürger in den 143 W. R. GARSIDE : The Great Depression 1929–33. In : Michael J. OLIVER /  Derek H. ALDCROFT : Economic Disasters of the Twentieth Century. Cheltenham , 2007 , S. 51– 82 , hier S. 55. 144 Vgl. GARSIDE , Depression. In : OLIVER ALDCROFT , Disasters , S. 57 : „America and France , therefore , continued to enjoy the benefits of gold inflows but continued to violate the principles of the gold standard by refusing to lower interest rates or engage in open market operations to encourage gold to flow out again. [ … ] The deliberate pursuit of such policies imposed deflationary pressures on the world economy , and especially on those countries with weak currencies.“

Exkurs: Wirtschaftspolitische Handlungsspielräume

49

Staat untergraben , wirtschaftlicher Erfolg war unter diesen Voraussetzungen anrüchig geworden.145 Eine Erneuerung des inflationären Kurses hätte die politische und gesellschaftliche Stabilität erneut auf das schwerste gefährdet : „Wer angesichts der Inflationserlebnisse für eine mit Budgetdefiziten verbundene aktive Konjunkturpolitik eingetreten wäre , konnte in dieser Situation mit der gleichen Skepsis bzw. Verurteilung rechnen wie ein eben entwöhnter Alkoholiker , welcher , um seinen Kreislauf anzuregen , zu einer zunächst kleinen und kontrollierbaren Dosis Alkohol greift. Die nicht unbegründete Sorge vor einem Rückfall in die vor der Sanierung herrschenden Verhältnisse stellte sich einer im großen Stil betriebenen expansiven Budgetpolitik entgegen – mit einem Wort : In dieser psychologischen Situation wäre sie politisch kaum machbar gewesen.“146 Zuletzt ist noch die Frage zu stellen , inwiefern der damalige Stand der wirt­schaftswissenschaftlichen Diskussion Alternativen zur klassisch-liberalen Stabilisierungspolitik aufgezeigt hat. Die Situation an den österreichischen Hochschulen war durch ein allmähliches Abrücken von den Vertretern der marktwirtschaftlichen „Österreichischen Schule“147 ( auch „Wiener Schule“ ) geprägt ; deren führende lebende Vertreter Ludwig v. Mises und Joseph Schumpeter erhielten in Österreich keine Lehrstühle. Hingegen war die „universalistisch Schule“ Othmar Spanns148 im Vormarsch , 1919 erhielt er die prestigeträchtige Wiener Professur für Volkswirtschaft , die vor ihm Carl Menger und Eugen v. Philippovich innegehabt hatten.149 Spanns Lehre arbeitete freilich keine geschlossene Konjunkturtheorie aus ; seine diesbezüglichen Vorschläge erschöpften sich in einer ständischen Neuordnung der Gesellschaft ; diese Stabilisierung , so Spann , würde auch eine Dämpfung der wirtschaftlichen Aufund Abschwünge mit sich bringen. 145 Vgl. Erich KÄSTNER : Wir sind so frei : Chanson , Kabarett , kleine Prosa. München , 1998 , S. 58 : „Kaum ein anständiger Mensch hatte noch Geld“. 146 Gerald SCHÖPFER : Möglichkeiten einer aktiven Konjunkturpolitik im Österreich der zwanziger Jahre. In : Geschichte und Gegenwart. Vierteljahreszeitschrift für Zeitgeschichte , Gesellschaftsanalyse und politische Bildung. 2. Jg , 1 / 1983 , S. 24–46 , hier S.  41 f. 147 Zur österreichischen Schule vgl. Eugen Maria SCHULAK /  Herbert UNTERKÖFLER : Die Wiener Schule der Nationalökonomie. Eine Geschichte ihrer Ideen , Vertreter und Institutionen. Wien 2009. 148 Zu Spann und seiner Schule siehe insbesondere Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit. 149 Vgl. Werner NEUDECK : Die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften in Österreich 1918 bis 1938. In : Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik. Wien , 1986 , S. 220–230.

50

1. Der Steirische Heimatschutz und die österreichische Politik 1918–1934

International waren die Mitbegründer der neoklassischen Ökonomie , Alfred Marshall und Gustav Cassel , ebenfalls nur am Rande mit konjunkturtheoretischen Fragen befasst. John Maynard Keynes , mit dessen Namen bis heute die Konzeption antizyklischer Budgetpolitik verbunden ist , hatte als Ökonom und „public intellectual“ bereits eine gewisse Berühmtheit erlangt , auch zur Währungs- und Konjunkturpolitik hatte er verschiedentlich bereits Ansichten geäußert ; allgemein rezipiert wurden sie allerdings erst nach Veröffentlichung seines Hauptwerkes General Theory of Employment , Interest and Money im Jahr 1936. Zusammenfassend ist zu sagen , dass die ökonomische Lehrmeinung noch bis weit in die 1930er-Jahre hinein den Grundsätzen „ausgeglichener Staatshaushalt auf niedrigem Niveau“, und „stabile Währung durch feste Wechselkurse auf Goldbasis“ verpflichtet waren und trotz gelegentlicher Gegenmeinungen ein anspruchsvoller Entwurf systematisch ausgearbeiteter interventionistischer Wirtschaftspolitik nicht vorlag.150 Die Heimwehr-Politiker wie auch andere „Wirtschaftsreformer“ bewegten sich mit ihren Vorstellungen in weitgehend unerforschten Territorien.

150 SCHÖPFER , Möglichkeiten. In : GuG 1 /  83 , S. 27–30 und S. 34 f.

Exkurs: Wirtschaftspolitische Handlungsspielräume

51

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft und die Unabhängige Gewerkschaft a) Die ÖAMG in Kriegs- und Zwischenkriegszeit Die 1881 durch den Zusammenschluss von neun eisenproduzierenden bzw. -verarbeitenden Unternehmen entstandene „Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft“ ( ÖAMG ) zählte bald zu den bedeutendsten Unternehmen dieser Branche in der gesamten österreichisch-ungarischen Monarchie. Durch Rationalisierungen verbesserten sich die zunächst ungünstige Unternehmensstruktur sowie die Ertragslage bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs entscheidend.151 Die Gesellschaft erfuhr unter der Führung Karl Wittgensteins , der 1897 bedeutende Aktienpakte der damals hoch verschuldeten Gesellschaft übernahm , einen wesentlichen Aufschwung ; durch Kapitalerhöhungen konnten technische Innovationen eingeführt und die Ertragskraft erhöht werden , bereits im Jahr 1904 war die ÖAMG praktisch schuldenfrei und zum größten Industriekonzern der Monarchie geworden.152 Der Erste Weltkrieg führte zwar zu zusätzlichen Erträgen , denen jedoch eine steigende Abschreibungsquote gegenüberstand , sodass die Eigenkapitalrendite kontinuierlich absank. Eine zusätzliche Verschlechterung der Wettbewerbssituation ergab sich aus der massiven Reduktion der Investitionen , die nicht zuletzt auf die kriegsbedingten Steuern und die Inflation zurückzuführen ist.153 Die politische Situation nach dem Zusammenbruch der Monarchie , die plötzliche Verkleinerung des Binnenmarktes und die inflationäre Entwicklung in Österreich trafen die Alpine Montan151 Für eine genaue Darstellung der Ertragslage sowie vieler weiterer betriebswirtschaftlicher Kennzahlen vgl. HWALETZ , Montanindustrie , S. 262 ff. 152 Vgl. Eugen HERZ : Die finanzielle und kaufmännische Entwicklung der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft. In : Fritz ERBEN /  Maja LOEHR /  Hans RIEHL ( Hg. ): Die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft 1881–1931. Wien , 1931 , S. 2–42 , hier S. 27 f. sowie Barbara SCHLEICHER : Heißes Eisen. Zur Unternehmenspolitik der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft in den Jahren 1918–1933. Frankfurt /  Main , 1999 , S. 38 f. 153 Vgl. HWALETZ , Montanindustrie , S. 263 , Grafik 73 , sowie S. 253 : „Wenn in diesem Untersuchungszeitraum [ 1913–1922 ] überhaupt investiert wurde , dann handelte es sich [ … ] um eher marginale Summen , so daß gesagt werden kann , daß die ÖAMG einen äußerst schweren Rückschlag betreffend die Kontinuität der laufenden Modernisierungsprozesse hinnehmen mußte.“

53

gesellschaft hart ; im Frühjahr 1919 stand das Unternehmen praktisch vor dem Konkurs ; die Idee einer Verstaatlichung wurde nicht nur von den Sozialdemokraten , sondern auch von der Konzernleitung selbst ernsthaft erwogen ; auch eine rasch vorgenommene Kapitalerhöhung konnte den Verfall des Aktienkurses angesichts der unsicheren Zukunft des Unternehmens nicht aufhalten. Verzögerungen in den Verhandlungen führten dazu , dass ein „window of opportunity“ mit der Kaufmöglichkeit zum niedrigen Aktienkurs von etwa 500 Kronen nicht für die Sozialisierung genutzt wurde ; schließlich stieg der Kurs in den Sommermonaten rapide , als das Interesse der italienischen Fiat-Werke öffentlich bekannt wurde ; im August erreichte er einen Wert von 1590 Kronen. Für den Stückpreis von 800 Kronen gelangte das Konsortium um den Bankier und „Konjunkturritter“154 Camillo Castiglioni an etwa zwei Fünftel der gesamten Unternehmensanteile. Die italienischen Investoren handelten wesentlich aus währungsspekulativen Motiven , waren jedoch an einer wirtschaftlichen Neuausrichtung des Unternehmens kaum interessiert.155 Im Jahr 1921 ging der Aktienanteil der italienischen Investoren – nicht jedoch jener , den Castiglioni persönlich erworben hatte – an den reichsdeutschen Stahlindustriellen Hugo Stinnes156 , der den italienischen Geschäftsmann weiter im Unternehmen hielt , unter anderem als Mitglied des Verwaltungsrates und Vizepräsident der Gesellschaft. Nach Stinnes’ Tod 1924 stand Castiglioni der ÖAMG kurze Zeit sogar als Präsident vor. Für die Alpine waren auch unter dem neuen Eigentümer die ersten Nachkriegsjahre schwierig : Bis etwa 1922 konnte nicht nennenswert investiert werden , da die dazu notwendigen Mittel trotz mehrfacher Aktienemissionen nicht vorhanden waren. Für die Jahre 1921 , 1922 und 1924 wurde eine negative Gewinnquote errechnet ; nur aufgrund der Operationen auf dem Finanzmarkt konnte die Gesellschaft diese schwierigen Jahre überleben. Hinzu kam in diesen Jahren die Leistung einer Vermögensabgabe und im Jahr 1923 die Zeichnung einer – in Zeiten hoher Inflation – mit 6 % verzinsten Zwangsanleihe.157 Die Arbeitskräfteknappheit 154 KARNER , Steiermark , S. 180. 155 Vgl. SCHLEICHER , Eisen , S. 59 f. sowie HERZ , Entwicklung. In : ERBEN /  LOEHR / RIEHL , Montangesellschaft , S. 30. 156 Zu Stinnes und seiner Unternehmensgruppe vgl. Bernd-Michael DOMBERG /  Klaus RATHJE : Die Stinnes. Vom Rhein in die Welt. Geschichte einer Unternehmerfamilie. Wien , 2009 , bes. S. 110–135 sowie Gerald D. Feldman : Hugo Stinnes. Biographie eines Industriellen 1870–1924. München , 1998. 157 Vgl. HWALETZ , Montanindustrie , S. 255 f. ( bes. Anm. 55 ). Die genauen Beträge der Steuern bzw. Anleihen vgl. HERZ , Entwicklung. In : ERBEN /  LOEHR /  RIEHL , Montangesellschaft , S. 32 ff. Während des Jahres 1922 erreichte die Inflation Werte von über

54

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

hatte bereits während des Krieges zu bedeutenden Lohnsteigerungen geführt ; die schwache Position der Arbeitgeberseite während der frühen Nachkriegszeit führte zu weiteren Erhöhungen , die für das Unternehmen zu einer überaus schwierigen Situation führte. Vor dem Krieg hatten die Reallöhne stagniert ; die Erhöhung der Löhne und Ausweitung der Sozialleistungen führte in den Nachkriegszeiten zu einer Lohnquote von zwischenzeitlich fast 90 (  ! ) %. Der Versuch , den Lohnanteil auf ein betriebswirtschaftlich – im Sinne der Eigentümer – erträgliches Maß zurückzuführen , kann als wesentlicher Beweggrund für die politische Verstrickung der ÖAMG während der kommenden Jahre verstanden werden. Sowohl die Unterstützung großdeutscher Anschlusspropaganda in mehreren Bundesländern Anfang der 1920er-Jahre als auch die spätere Subventionierung des Steirischen Heimatschutzes und der Aufbau der Unabhängigen Gewerkschaft stehen in Zusammenhang mit den erwähnten betriebswirtschaftlichen Kenngrößen.158 Nachdem im Jänner 1922 der Generaldirektor der ÖAMG , Oskar Rothballer verstorben war , übernahm zunächst ein dreiköpfiges Führungsgremium die Geschäftsleitung ; da sich diese Lösung nicht als praktikabel erwies , kam es bereits im November desselben Jahres zu einem erneuten Führungswechsel : Anton Apold , der vormalige Leiter der Steirischen Magnesit-Industrie AG ( später Veitscher Magnesitwerke AG ) wurde zum neuen Generaldirektor bestellt ; ihm wurden Eugen Herz und August Zahlbruckner , zwei Mitglieder der bisherigen Geschäftsführung , als Direktoren beigeordnet ; das bisherige Vorstandsmitglied Henrik Bäckström schied aus. Apolds Aufgabe war , die Alpine Montangesellschaft wieder zu einem profitablen Unternehmen zu machen ; insbesondere musste dazu die Arbeitsproduktivität erhöht werden.159 Tatsäch100 % pro Monat (  ! ). Vgl. Karl BACHINGER : Die Nachkriegsinflation oder der Weg nach Genf. In : Karl BACHINGER et. al. ( Hg. ), Abschied vom Schilling. Eine österreichische Wirtschaftsgeschichte. Graz–Wien–Köln , 2001 , S. 12–47 , hier S. 19 ( Abb. ). 158 HWALETZ , Montanindustrie , S. 329. Für eine Analyse aus marxistischer Perspektive vgl. Karl STOCKER : Akkumulationszwang und Arbeiterinteresse. Beiträge über die Umsetzung von Verwertungsinteressen in soziale Tatsachen am Beispiel der ÖAMG. In : Robert HINTEREGGER /  Karl MÜLLER /  Eduard STAUDINGER : Auf dem Weg in die Freiheit. Anstöße zu einer steirischen Zeitgeschichte. Graz , 1984 , S. 249–262 , hier S.  250 f. 159 SCHLEICHER , Eisen , S. 113 zitiert einen Brief Stinnes’ an Castiglioni , in welchem er die geringe Arbeitsdisziplin unter anderem auf den „schwerfälligen Charakter“ der steirischen Arbeiter zurückführte. HWALETZ , Montanindustrie , S. 238 , Abb. 19 u. 20 zeigt die Produktivitätsentwicklung bei der ÖAMG , die in den frühen 1920er-Jahren einen deutlichen Einbruch aufweist , der auf die allgemeine Strukturkrise , den Verlust von Absatzmärkten und den erhöhten Sozialaufwand zurückzuführen ist.

a) Die ÖAMG in Kriegs- und Zwischenkriegszeit

55

lich fand in den folgenden Jahren eine deutliche Verringerung der Beschäftigtenzahl sowohl bei Arbeitern als auch bei Angestellten statt. Die Unterzeichnung der Genfer Protokolle am 4. November 1922 und die damit verbundene Anleihe in der Höhe von 650 Millionen Goldkronen ermöglichten den Aufbau einer neuen und stabilen österreichischen Währung und trugen zur Erholung der Wirtschaft bei. Das im Genfer Übereinkommen festgeschriebene Anschlussverbot führte zu wütenden Reaktionen der traditionellen deutschnationalen Kräfte ; die finanzielle Unterstützung Stinnes’ für diesbezügliche Propaganda wurde folglich eingestellt. Ebenso lehnten die Sozialdemokraten die Anleihe ab , da sie sich davon eine Abschwächung der revolutionären Situation und eine Stärkung der Position des Bürgertums erwarteten.160 Die wirtschaftliche Situation der österreichischen ( Montan- ) Industrie verbesserte sich trotz einer zeitweiligen „Stabilisierungskrise“ in der Folge ebenso wie jene der Gesamtwirtschaft ; nicht zuletzt da die französische Besetzung des Ruhrgebietes und die damit zusammenhängende Einschränkung der reichsdeutschen Eisen- bzw. Stahlproduktion für die österreichischen Produzenten neue Exportmöglichkeiten eröffneten. Auch setzte zur gleichen Zeit eine Börsenhausse an , die ebenfalls konjunkturfördernd wirkte.161 Der Tod von Hugo Stinnes am 10. April 1924 und das Ende der Hochinflation brachten seine massiv auf Fremdkapital aufgebaute Unternehmensgruppe – zusätzlich zur Ruhrbesetzung , von welcher der Stinnes-Konzern wesentlich betroffen war – in große Schwierigkeiten , schließlich zerfiel das Konglomerat. Die Anteile des Stinnes-Konzerns an der Alpine Montangesellschaft wurden schließlich im Jahr 1926 , ebenso wie jene Castiglionis , von der Vereinigte Stahlwerke AG in Düsseldorf übernommen. Die VESTAG verfügte demnach über einen Anteil von 57 % aller Aktien , weitere 14 % lagen bei der Hausbank der Alpine , der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft , der Rest war Streubesitz. Der „Montantrust“ VESTAG war am 5. Mai 1926 aus der Fusion einiger der bedeutendsten deutschen Stahlproduzenten ( u. a. Thyssen Werke , Phönix , Rheinische Stahlwerke , Rheinelbe Werke ) entstanden ; die Gründung war eine Folge der krisenhaften Entwicklung der Branche in den vorangegangenen Jahren , konkret die Rentabilitätslosigkeit wegen der hohen Schuldenlast und geringen Eigenkapitalausstattung. Vorstandsvor160 Karl BACHINGER : Die neue Währung oder Die Rückkehr zur Normalität ? In : BACHINGER et. al. ( Hg. ), Schilling , S. 47–71 , hier S. 47 ff. sowie SCHLEICHER , Eisen , S.  105 ff. 161 BACHINGER , Währung. In : BACHINGER et. al.( Hg. ), Schilling , S. 58 f.

56

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

sitzender war Albert Vögler , Präsident des Aufsichtsrates Fritz Thyssen. Die VESTAG hatte ca. 175.000 Mitarbeiter und in Deutschland einen Marktanteil von 40 % ( Roheisen ) bzw. 20 % ( Steinkohle ).162 Die Rationalisierungsbestrebungen in der reichsdeutschen Industrie wurden im Bereich der Vereinigten Stahlwerke maßgeblich vom 1925 gegründeten Deutschen Institut für technische Arbeitsschulung ( DINTA ) getragen , welches als deutsche Antwort auf die amerikanische Bewegung des scientific management betrachtet werden kann und sich insbesondere auch auf gesellschaftliche und psychologische Aspekte der modernen Arbeit konzentrierte. Die sozialpolitische Entwicklung der ersten Nachkriegsjahre , insbesondere die Einführung des Achtstunden-Arbeitstags , wurde daher vom Unternehmen – bereits unter der Regie von Hugo und Edmund Stinnes – nach Möglichkeit wieder zurückgenommen ; hilfreich war in diesem Zusammenhang die Tatsache , dass man eigene Verträge schloss und nicht Mitglied der Arbeitgeberverbände war.163 Die Versuche der ÖAMG , den Betrieb zu rationalisieren und eine Absenkung der Lohnkosten zu erreichen , lösten mehrfach Arbeitsniederlegungen aus ; so etwa im März und April 1923 , als sogar das Bundesheer aufgeboten wurde , um Arbeitswillige ( „Streikbrecher“ ) zu schützen. Die Wiedereinführung des Akkordlohnes , eine direkte Folge der Währungsstabilisierung , steigerte die Produktivität und verringerte gleichzeitig den Spielraum der sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaft , die auf die Lohnfindung kaum mehr Einfluss nehmen konnte.164 Dem Einfluss der sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften wurde von Unternehmensseite die Schuld an der Verschlechterung des Betriebsklimas zugeschrieben ; man sprach von einer „Vergiftung des Verhältnisses zwischen Arbeitern und Werk [ … ] Jede unmittelbare Fühlungnahme zwischen Arbeitern und Unternehmern war nun ausgeschaltet , die Arbeiter standen als geschlossene Masse dem Werke feindlich gegenüber [ … ].“165 162 Vgl. Helmut LACKNER : Rationalisierung in der ÖAMG. Über den systematischen Zugriff auf Produktionsmittel und Arbeiter. In : HINTEREGGER /  MÜLLER /  STAUDINGER , Weg , S. 235–247 , hier S. 237. 163 SCHLEICHER , Eisen , S. 123. 164 Otto HWALETZ : Über einige Ergebnisse der Produktion auf dem Erzberg. In : Bergmann oder Werkssoldat. Eisenerz als Fallbeispiel industrieller Politik. Graz , 1984 , S. 205– 234 , hier S. 210 sieht die permanent hohe Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Schwächung der Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerseite als zentrale Ursache für den Schwund gewerkschaftlichen Einflusses. 165 Vgl. Felix BUSSON : Die sozialpolitische Entwicklung in den Betrieben der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft. In : ERBEN /  LOEHR /  RIEHL , Montangesellschaft , S. 131–193 , hier S. 177 ff., Zitat S. 164.

a) Die ÖAMG in Kriegs- und Zwischenkriegszeit

57

Neben dem Versuch einer Absenkung der Lohnkosten ( etwa durch Maßnahmen wie die Erhöhung der Normalarbeitsleistung in der Akkordarbeit im Februar 1924 ) wurden auch andere , direkt auf die politische Haltung vieler Arbeitnehmer ausgerichtete Maßnahmen durchgesetzt : Bekannte politische Aktivisten wurden häufig entlassen und durch „politisch zuverlässige“ Arbeiter ( häufig ehemalige Soldaten bzw. Landarbeiter ) ersetzt , die keiner Gewerkschaft angehörten.166 Die Tarifverhandlungen im Sommer 1925 , die zu einem Neuabschluss des per 30. September auslaufenden Kollektivvertrags führen sollten , scheiterten , da die ÖAMG in Hinblick auf die betriebswirtschaftliche Lage zu keinerlei Zugeständnissen bereit war und Ende August signalisierte , dass sie grundsätzlich nicht verhandlungsbereit sei. Mit 20. September begann in der Hütte Donawitz der Streik , der mit Zustimmung der sozialdemokratischen und christlichen Gewerkschaften begonnen wurde. Die Alpine Montangesellschaft reagierte , indem Streikenden die Kündigung ausgesprochen wurde sowie durch Aussperrungen an anderen Produktionsstätten ( Kindberg , Eisenerz , Seegraben ). Der schlussendlich am 15. Oktober erzielte Kompromiss sah Lohnerhöhungen lediglich für Arbeitnehmer mit einem bisherigen Monatsverdienst von weniger als 175 Schilling und die Verschiebung von Urlaubsansprüchen auf die Zeit nach Jahresbeginn 1926 vor ; eine Einigung , die für die überwiegenden Mehrheit der Arbeitnehmer keine Verbesserung ihrer Lage bedeutete.167 Für die ÖAMG waren die Verhandlungen zufriedenstellend , da sich die Bundesregierung ( vertreten durch Sozialminister Josef Resch ) im Zuge ihrer Schlichtungsbemühungen bereiterklärte , beginnend im Jahr 1926 den „Bruderladenbeitrag“ ( entspricht dem heutigen Sozialversicherungsbeitrag ) des Unternehmens von 8 auf 6 % der ausgezahlten Lohnsumme herabzusetzen , was den Absichten der Alpine , die Produktionskosten zu senken , durchaus entgegenkam , zumal im damaligen Bergbau die Produktionskosten zu über 50 % aus Lohnkosten bestand.168 Die spätere ( propagandistische ) Darstellung , die 166 SCHLEICHER , Eisen , S. 143 f. nennt mehrere Beispiele für die Aufstellung von Namenslisten streikender Arbeiter 1922 /  23. Vgl. auch Karl STOCKER : Arbeiterschaft zwischen Selbstbestimmung und Unternehmenskontrolle. In : Otto HWALETZ et. al. : Bergmann , S. 15–58 , hier S. 21 f. bes. S. 22 ( Dok.3 ). 167 Vgl. SCHLEICHER , Eisen , S. 163. 168 Vgl. N. N. : Das Ende des Streiks bei der Alpine. In : Neue Freie Presse , 16. 10. 1925 , S. 7. Dort auch die Erklärung des Unterhändlers der Gewerkschaftsseite , NRAbg. Franz Domes , er halte die Vermittlungsversuche der Bundesregierung für völlig unzureichend. BUSSON , Entwicklung , in : ERBEN /  LOEHR /  RIEHL , Montangesellschaft , S.  131–193 , hier S. 183 weist darauf hin , dass finanzielle Belastung durch die Lohnerhöhungen von der Senkung der Bruderladen-Beiträge für das Unternehmen mehr als kompensiert wur-

58

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

Streikbewegungen der vergangenen Jahre hätten kaum Vorteile gebracht und seien vornehmlich politisch motiviert gewesen , ist insofern nicht ganz unrichtig , als die bei den Streiks federführende sozialdemokratische Gewerkschaft bei den Betriebsratswahlen im folgenden Jahr empfindliche Verluste hinnehmen musste , während beispielsweise die kommunistischen Gewerkschafter in Donawitz 7 von 19 und in Seegraben 7 von 15 Mandaten gewinnen konnten , und auch die christlichen Arbeitervertreter deutlich zunahmen.169 Die Übernahme der ÖAMG durch die Vereinigten Stahlwerke im Jahr 1926 und der gleichzeitige Verkauf des Steinkohlebergbaus Poremba ( Mährisch-Ostrau ) sowie der Bismarckhütte /  Kattowitz AG halfen , überfällige Bankschulden zu reduzieren und das Unternehmen wieder in großem Umfang kreditwürdig zu machen. Die ÖAMG legte eine Investitionsanleihe in der Höhe von fünf Millionen Dollar bei drei New Yorker Banken auf und konnte in den Folgejahren ihre Investitionsquote wesentlich steigern. Die Bruttoinvestitionen erreichten einen Wert von bis zu 15 % des Sachanlagevermögens , wenngleich die deutlich geringeren Nettoinvestitionen darauf hinweisen , dass ein Großteil der Produktionsanlagen durch den höheren Verschleiß in den Kriegsund Nachkriegsjahren nicht mehr in produktionstechnisch positiv zu beurteilendem Zustand waren.170 Allgemein kann festgestellt werden , dass sich die wirtschaftliche Situation der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft in den Jahren bis 1930 deutlich entspannte.

b) A  uf dem Weg zur „Betriebsgemeinschaft“: Arbeitsschulung und Werkszeitung Stärker als zuvor widmete sich die Unternehmensführung in der Folge der Konsolidierung ihres internen Einflusses. Die für die Unternehmerschaft wie für breite bürgerliche Kreise insgesamt traumatische Erfahrung der Nachkriegsjahre sollte überwunden werden. Die Zurückdrängung „marxistischer“ Kräfte sollte einerseits im Sinne der betrieblichen Rationalisierung und Qualifizierung nach DINTA-Meden. Zur relativen Abnahme der Sozialkosten der ÖAMG vgl. HWALETZ , Montanindustrie , S. 281 , Abb. 105. 169 Vgl. N. N. : Entstehung und Entwicklung der Unabhängigen Gewerkschaft. In : KOGELNIK , Jahrbuch , S. 157 f. sowie STOCKER , Akkumulationszwang. In : HINTEREGGER /  MÜLLER /  STAUDINGER , Weg , S. 249–262 , hier S. 259. 170 HWALETZ , Montanindustrie , S. 275 , Abb. 90 zeigt den Verlauf der Investitionsquoten ; der Autor vermutet auch gezielte bilanzpolitische Maßnahmen vgl. hierzu S. 278.

b) Auf dem Weg zur „Betriebsgemeinschaft“

59

thoden vonstattengehen ; andererseits fand jedoch auch ein gezielter „Kampf um die Seele des Arbeiters“171 statt. Bereits am 3. August 1926 , weniger als drei Monate nach der Übernahme der ÖAMG durch die VASTAG , wurde der „Verein für Fortbildungsunterricht“ gegründet ; seine Aufgaben lagen in der Errichtung und dem Betrieb von Fortbildungsschulen ( „Werksschulen“ ) und die Herausgabe einer Werkszeitung , die im Oktober 1926 erstmals erscheinen sollte. Im folgenden Jahr wurde der Verein als „Österreichischer Verein für technische Arbeitsschulung“ neu formiert , womit auch die vollständige Übernahme der DINTA-Methoden signalisiert wurde.172 Der Verein erweiterte seinen Tätigkeitsbereich auf ganz Österreich ; Mitglieder waren unter anderem die Schoeller-Bleckmann Stahlwerke , Gebrüder Böhler & Co AG und die Veitscher Magnesitwerke ; unter den Vorstandsmitgliedern des Vereins fanden sich Anton Apold und August Zahlbruckner aus dem Vorstand der ÖAMG. Die Werksschulen , deren erste beide am 10. Oktober 1926 eröffnet wurden ( Zeltweg und Fohnsdorf ) machten es sich zur Aufgabe , neben der fachlichen Aus- und Weiterbildung der Arbeiter und Angestellten auch dessen theoretische , psychologische bzw. ( vor- )politische Schulung durchzuführen. Einerseits sollte der Arbeitsfaktor Mensch zukünftig einen höheren „Wirkungsgrad“ erzielen , wozu praktische und theoretische Kenntnisse auf den neuesten Stand zu bringen waren ; auf der anderen Seite machte man es sich zum Ziel , die – im marxistischen Sinne verstandene – „Entfremdung“ des Arbeiters aufzuheben und ihn in auch geistig in die bestehende Gesellschaftsordnung einzugliedern bzw. den Übergang zu einer ständisch-organischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu ermöglichen. „Die Arbeit wieder dem Menschen seelisch näher zu bringen , sie zu eine Erlebnis zu machen , das nicht mit Abscheu abgelehnt , sondern als notwendige und willkommene Pflicht bejaht wird , das ist die Wirkung der Arbeitsschulung , und damit dient sie der Lösung des sozialen Problems.“173 Die ebenfalls seit Oktober 1926 erscheinende Werkszeitung der Oesterreichisch-Alpinen Montangesellschaft diente den genannten Zielen und hatte darüber hinaus noch den Charakter eines Verlautbarungsorgans ; sie sollte freilich 171 Eine Formulierung von Edgar Julius Jung , zit. n. : Peter TEIBENBACHER : Heimat für die Seele des Arbeiters. In : Otto HWALETZ et. al. : Bergmann , S. 147–156 , hier S. 148. Aufsätze von Jung unter dem Titel „An der Schwelle einer neuen Zeit“ erschienen in der Werkszeitung 3. Jg , 8 / 1929 bis 3. Jg. 23 / 1929 und 25 / 1929. Vom „Kampf um die Seele des deutschen Arbeiters sprach auch Pfrimer. Vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 55. 172 SCHLEICHER , Eisen , S. 218 datiert die Namensänderung auf 25. 8. 1927 ; Walter GÖHRING : Die Gelben Gewerkschaften Österreichs in der Zwischenkriegszeit. Wien , 1998 , S. 61 auf 19. 9. desselben Jahres. 173 Fritz ERBEN : Die Ausbildung der Arbeiter. In : ERBEN /  LOEHR /  RIEHL , Montangesellschaft , S. 195–209 , hier S. 209.

60

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

auch die Belegschaft erreichen und sie in jeder Hinsicht zur Mitarbeit anzuregen ; schließlich sollte sie zum „Organ der großen Werksgemeinschaft“174 werden. Publizistisch widmete sie sich neben technischen Fragen und solchen der Unfallverhütung besonders der Weitergabe bergmännischer Traditionen bzw. deren Widerentdeckung , um dem Arbeiter die von der Unternehmensleitung gewünschte Einordnung in die ständische Ordnung zu erleichtern. Montangeschichte und der Darstellung des Brauchtums wurden daher in der Werkszeitung von Anfang an breiter Raum gewidmet.175 Daneben standen belletristische Beiträge von prominenten steirischen Dichtern wie etwa Hans Kloepfer oder Ottokar Kernstock , auch wurden Geschichten von Peter Rosegger abgedruckt , sowie bergmännische Sagen und Gedichte. Überhaupt versuchte die ÖAMG in diesen Jahren , der montanistischen Tradition in ihrem Einflussbereich wieder Geltung zu verschaffen , wozu auch die Förderung der Berguniformen sowie des bergmännischen Grußes „Glück auf !“ gehörte.176 Volkskundliche Arbeiten ( u. a. von Viktor v. Geramb und Anton Pirchegger ) und hauswirtschaftliche Beiträge rundeten das Erscheinungsbild ab. Nur selten erschienen programmatische bzw. direkt politische Beiträge , beispielsweise zur Idee der Werksschulen : „Das ist das Ziel der Werksschulen , dahin geht unsere Erziehung , alles was wir tun , hat nur dies eine Ziel : im deutschen Menschen alle Hemmungen der Unwissenheit und Ungeschicklichkeit zu beseitigen , den guten Kern des deutschen Wesens herauszuschälen , tüchtige , gebildete und gesunde Facharbeiter heranzubilden , die auch stolze und ordentliche Menschen sind.“177 174 Paul OSTHOLD , zit. n. STOCKER : Arbeiterschaft. In : HWALETZ et. al. : Bergmann , S. 15–58 , hier S 41. Vgl. auch Anton APOLD : Zum Geleit. In : Werkszeitung 1. Jg. Heft 1 / 1926 , S. 2 : „ [ … ] daß auch sie [ die Werkszeitung , Anm. ] die Erkenntnis fördern hilft , daß ernsthafte Menschen , auch wenn sie scheinbar wiederstreitende Interessen zu vertreten haben , in vertrauensvoller Zusammenarbeit einemgemeinsamen höheren Zweck dienen können – der Wirtschaft unseres Volkes.“ Zum Begriff der Werksgemeinschaft vgl. auch Abschnitt 2a der vorliegenden Arbeit. 175 Vgl. die historischen Abrisse über die Geschichte der Alpine-Betriebe ( z. B. E. KALLAB : Die Entwicklung des Bergbaues Fohnsdorf , in : Werkszeitung 1. Jg , 9 / 1927 , S. 1 f. ) und die Propagierung der Barbarafeier als identitätsstiftender bergmännischer Feiertag ( N. N. : Barbara , das Fest der Bergleute. In : Werkszeitung , 1. Jg , 5 / 1926 , S. 1 f. sowie N. N : Die Legende der heiligen Barbara. In : Werkszeitung 2. Jg , 5 / 1927 , S. 1 f. ). 176 Die positive Rezeption derartiger Bemühungen zeigt z. B. N. N. : Fahnenweihe der Berguniformierten in Seegraben. In : Werkszeitung 1. Jg , 18 / 1927 , S. 299 f. sowie SCHLEICHER , Eisen , S. 249 ( zit. Karl Arnhold ). 177 Hermann SCHEUCHER : Arbeitsschulung : Vom Tätigkeitsgebiet des Vereins für Fortbildungsunterricht. In : Werkszeitung , 1. Jg. 21 / 1927 , S. 340 ff. Ungewöhnlich offene

b) Auf dem Weg zur „Betriebsgemeinschaft“

61

Darüber hinaus widmete sich die Werkszeitung der Stärkung des Heimatbewusstseins und der Festigung der damals verbreiteten Geschlechterrollen.178 Die Schulungs- , Bildungs- und Beeinflussungsbemühungen der ÖAMG fanden sich in beinahe unveränderter Form auch in einer Reihe anderer Industrieunternehmen , die dem ÖVTA angehörten – wiederum mit dem Ziel , einen „Betriebspatriotismus“ bzw. die Eingliederung der Arbeiterschaft in die bestehende Ordnung zu erreichen. Hinzu kamen die werksseitig organisierten Kultur- und Freizeitaktivitäten , die im Sinne einer vormilitärischen Schulung und einer ständischen Kulturarbeit organisiert wurden.179 Ab dem Jahr 1931 wurden sämtliche Werkszeitungen aus dem Umkreis des ÖVTA durch eine in Donawitz angesiedelte Zentralredaktion hergestellt ; im selben Jahr erreichten die verschiedenen Werkszeitungen eine Gesamtauflage von 383.000 Exemplaren.

c) Alpine Montangesellschaft und Steirischer Heimatschutz Schon im Jahr 1921 , als die steirischen Heimwehren noch als einheitlicher Verband unter der Führung Rintelens bzw. Ahrers tätig waren , erhielten sie bedeutende Subventionen vonseiten des Österreichischen Industrieverbandes , dessen größter Beitragszahler ( bemessen nach der Summe von Löhnen und Gehältern ) die Alpine Montangesellschaft war ; ab 1925 wurde dem Steirischen Heimatschutz ( Pfrimer ) sowie Ahrer und die Frontkämpfervereinigung jeweils 3.500 Schilling , ab 1927 5.500 Schilling pro Jahr gespendet.180 Pfrimers deutsch-völdeutschnationale Agitation findet sich etwa in der Werkszeitung 2. Jg , 1 / 1927 , S. 2 f. ( Abdruck des Deutschlandliedes , Abbildung Hindenburgs und eines Gedichts von Conrad Ferdinand Meyer „Huttens letzte Tage“ ). 178 Vgl. TEIBENBACHER , Heimat. In : HWALETZ et. al. : Bergmann , S. 147–156 , sowie Ilse WIESER : Die Formung der Hausfrau am Beispiel der Eisenerzer Hauswirtschaftsschulen. Ebda , S. 95–120. 179 Zur diesbezüglichen Entwicklung bei den Schoeller-Bleckmann-Werken in Mürzzuschlag vgl. Helmut BRENNER : Die Lage der Mürzzuschlager Arbeiterschaft und ihrer politischen Organisationen 1862–1990. In : Helmut BRENNER /  Wolfgang NAGELE / A ndrea PÜHRINGER : Im Schatten des Phönix. Höhen und Tiefen eines dominierenden Industriebetriebes und deren Auswirkungen auf die Region. Gnas , 1993 , S. 13–127 , hier S. 70 ff. 180 Vgl. SCHLEICHER , Eisen , S. 320 f. Die auf S. 322 zitierte „Aufstellung über die ausgewiesenen Sonderausgaben der steirischen Heimwehr“ stützen sich auf die „exakten Aufzeichnungen von Bundesleiter [ sic ! ] Steidl [ sic ! ]“ bei KEREKES , Abenddämmerung , S. 200–218. SCHLEICHER unterscheidet jedoch nicht hinreichend zwischen Auslagen

62

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

kische und anti-italienische Haltung insbesondere in der Südtirol-Frage schnitt ihn wesentlich von den Geldgebern Starhembergs und Steidles im Umkreis der faschistischen italienischen Regierung ab , sodass er wesentlich stärker als diese auf die Unterstützung der ÖAMG angewiesen war. Die industrielle Struktur der obersteirischen Heimatschutz-Kerngebiete hatte demnach auch Einfluss auf das Finanzierungsgefüge des Steirischen Heimatschutzes.181 Nach den Ereignissen des 15. Juli 1927 gingen die Heimwehren insbesondere in den bisher sozialdemokratisch dominierten Regionen , ebenso aber in den Betrieben , zur Offensive über. Wie die Darstellung im ersten Abschnitt der vorliegenden Arbeit gezeigt hat , konnte der Heimatschutz im Zuge des Justizpalastbrandes gerade im Nahebereich von Alpine-Betrieben sozialdemokratische Aufmärsche und Demonstrationen unterdrücken und erwies sich dadurch als verlässliche und – im Sinne der Unternehmensführung – konstruktive Kraft , deren Entwicklung man auch nach Kräften förderte. So leistete die ÖAMG ab 1927 auch unabhängig vom Industriellenverband eine , wie Generaldirektor Apold sich ausdrückte , „politische Versicherungsprämie“, die überdies nur etwa 2 % der gesamten Sozialausgaben des Unternehmens ausmache.182 Darüber hinaus wird in der Forschung angenommen , dass Pfrimer zur Vorbereitung seines Putsches zusätzliche Zahlungen der Alpine und ihres reichsdeutschen Mutterkonzerns erhielt.183 Die direkte Förderung des Heimatschutzes durch die ÖAMG – zusätzlich zu den Zahlungen des Hauptverbands der Industrie – ist wohl auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen Apold und dem Hauptverbandspräsidenten Ludwig Urban , der eine eher gemäßigt-bürgerliche Politik verfolgte , zurückzuführen. Bereits im Jahr 1927 hatte Apold Überlegungen angestellt , sich mit seinem Unternehmen aus dem Verband zurückzuziehen ; Anfang 1928 notierte er in seinem Tagebuch Überlegungen , eine neue Partei zu gründen , da es ein Fehler sei , die Anhängerzahl der Heimwehren einfach in Stimmen für bürgerliche Parteien umzurechnen. Freilich trat Apold dem Ra-

des Bundesverbandes und jenen der einzelnen Landesorganisationen bzw. Abgrenzungen zwischen diesen. ( vgl. bei SCHLEICHER : Posten „Organisationsbeiträge an die Steiermark – 190.694,50 S“; bei KEREKES , S. 213 : Organisationsbeiträge an die Länder (  ! )  – 190.694,50 ( „darunter Steiermark (  ! ) 130.000“ [ … ]). 181 Vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 65 f. sowie S. 77 f. 182 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 286 f. Unter Verwendung der Daten bei HWALETZ , Montanindustrie , S. 320 , kann beispielsweise für das Jahr 1928 eine Subvention von etwa 110.000 Schilling berechnet werden. 183 So beispielsweise EDMONDSON , Heimwehr , S. 140 und KEREKES ; Abenddämmerung , S. 93 f.

c) Alpine Montangesellschaft und Steirischer Heimatschutz

63

dikalismus der ( steirischen ) Heimwehren auch verschiedentlich entgegen und drosselte die Zahlungen.184 In der Werkszeitung wurden die Ereignisse um den 15. Juli in der nächsten Ausgabe kommentiert ; man verurteilte die Schädigung des Wirtschaftslebens und sah im Scheitern der Streiks keinen Triumph einer Seite , sondern eine Rückkehr zur Besonnenheit. Kennzeichnend für die politische Strategie der ÖAMG ist der Versuch , sorgfältig zwischen Arbeitern ( insbesondere Alpine-Arbeitern ) und den „fremdländischen“ Agitatoren der politischen Linken zu unterscheiden ; letztere hätten die blutigen Ereignisse zu verantworten. Es waren „[ … ] Leute , die schon durch ihre äußere Aufmachung erkennen ließen , daß sie einer Parole gehorchen , die in unseren Alpenländern nie heimisch war und auch nie heimisch werden wird. Es war erfreulich und beruhigend zu sehen , daß unsere [ Hervorhebung im Original ] Arbeiter [ … ] nicht geneigt waren , jener Parole Folge zu leisten , und so zu jenem Siege der besonnenen Vernunft das ihrige beitrugen.“185 Deutlich sichtbar ist der Versuch , die Arbeiterschaft für die politischen Ziele der „Werksgemeinschaft“ zu gewinnen. Das Unternehmen förderte die Gründung von Heimatschutz-Ortsgruppen , die in fast allen obersteirischen Industrieorten in den Wochen nach dem Justizpalastbrand entstanden ; wo der direkte Einfluss der Betriebsleitung besonders groß war , erreichten die Heimatschutzgruppen bald sehr ansehnliche Mitgliedszahlen. Die Mitgliedergewinnung erfolgte nicht offen über das Unternehmen , da man sich davon keine große Wirkung erwartete ; jedoch fand in den Betrieben – oft vonseiten der Vorgesetzten bzw. Arbeitskollegen wohlwollend geduldete – Überzeugungsarbeit statt , hinzu kamen in vielen Fällen erhoffte berufliche Vorteile bzw. die Angst vor beruflichen Nachteilen bis hin zur Kündigung.186 In Eisenerz wurde Ende August von der Direktion eine Sit184 Vgl. Ernst HANISCH : Industrie und Politik 1927–1934 : Dr. Anton Apold , Generaldirektor der Alpine Montangesellschaft. In : Michael PAMMER /  Herta NEISS /  Michael JOHN ( Hg. ): Erfahrung der Moderne. Festschrift für Roman Sandgruber zum 60. Geburtstag. Stuttgart , 2010 , S. 241–253 , hier S. 245 sowie 249 f. 185 N. N. : Streik. In : Werkszeitung , 1. Jg., 21 / 1927 , S. 338 ff. Ähnlich die Motivation Pfrimers , vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 55. 186 Die sozialdemokratische Alpinepost ( vormals Betriebszeitung für die Hütte Donawitz ) berichtet davon , dass die Heimatschutz-Agitation maßgeblich von Studenten der Montanistischen Hochschule betrieben wurde , die besonders den „Geist der Kameradschaft“ hervorhoben. Vgl. N. N. : Eine Bilanz mit der die Alpine zufrieden sein kann. Anderthalb Jahre Heimatschutz in Donawitz. In : Betriebszeitung 1. Jg. 1 / 1928 , S. 2. Ebenfalls soll die Mitgliedschaft im Heimatschutz wesentliches Kriterium für Beförderungen , Versetzungen bzw. Entlassungen gewesen sein. Vgl. N. N. : Donawitz 1928. In : Alpinepost , 2. Jg , 4 / 1929 , S. 2 f.

64

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

zung einberufen , in welcher „die in Heimwehrangelegenheiten zunächst zu unternehmenden Schritte“ zur Erörterung kamen.187 An die Spitze der neu aufgestellten Gruppen stellten sich häufig junge Ingenieure , die im Ersten Weltkrieg als Offiziere gedient hatten , Josef Oberegger , der Leiter des Hochofenbetriebs in Donawitz , und der Hauptmann a. D. Walter Baumgartner. Der Generalsekretär der Alpine , Felix Busson , war als Leiter der „Rechtskampfgruppe“ des Steirischen Heimatschutzes dessen Vertreter in gerichtlichen Auseinandersetzungen. Der Geschäftsführer des obersteirischen Stahlwerkeverbands , Paul Weitzer , amtierte später als zuständiger Referent der Landesleitung für die Frauenhilfsgruppen ( d. h. als deren Landesgeschäftsführer ), die unter der Führung von Irma Pfrimer , der Ehefrau des Landesleiters , entstanden waren.188 Die Mitgliedergewinnung erleichterte sich für den Heimatschutz unter diesen Bedingungen , und so verwundert es kaum , dass zu Weihnachten 1928 bereits mehr als die Hälfte der Mitarbeiter des Werkes Donawitz im Steirischen Heimatschutz organisiert waren ( 2.631 Männer , 700 Frauen , 110 Jugendliche ).189

d) Die Unabhängige Gewerkschaft (UG) Die vielfachen personellen Überschneidungen zwischen Heimatschutz und Alpine Montangesellschaft waren auch bei der Gründung der „Unabhängigen Gewerkschaft“ von Bedeutung. Am 19. Mai 1928 wurde diese in Leoben bzw. Donawitz gegründet ; die ersten Funktionäre waren der Metallarbeiter Josef Lengauer ( Obmann ), der Schlosser Fritz Lichtenegger und der bereits genannte Ingenieur Josef Oberegger. Erster Geschäftsführer wurde Sepp Gstrein , ein ehemaliger Student , dessen Persönlichkeit und Wirken ihn bald zum bevorzugten Feindbild der sozialdemokratischen Funktionäre und damit auch der Alpinepost machten.190 Mit 19. Juli wurden die Statuten durch Erlass des 187 Dokument abgedruckt bei : STOCKER , Arbeiterschaft. In : HWALETZ et. al. : Bergmann , S. 15–58 , hier S 26 f. 188 Zur Person Obereggers vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 357. Zur Person Bussons , vgl. Richard Walzel : Felix Busson. In : Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung 7. Jg. ( 1962 ), S. 156–168. Zu den Frauenhilfsgruppen vgl. Paul WEITZER : Frauenwirken im Heimatschutz. In : KOGELNIK ( Hg. ), Jahrbuch , S. 135–143. 189 Vgl. Josef OBEREGGER : Vom Heimatschutz. Tätigkeitsbericht der Ortsgruppe Donawitz. In : Obersteirische Volkszeitung , 44. Jg , Nr. 146 / 1928 , S. 7. 190 Vgl. die Karikatur in : Alpinepost 1. Jg , 2 / 1928 , S. 2 ; N. N. : Vetter Gstrein in der Klemme. In : Alpinepost , 2. Jg , 4 / 1929 , S. 7. N. N. : Krach in der Unabhängigen Gewerkschaft.

d) Die Unabhängige Gewerkschaft (UG)

65

Bundeskanzlers genehmigt ; sie sahen als Zweck des Zusammenschlusses die Förderung der „wirtschaftlichen und geistigen Bestrebungen der Arbeitnehmer“ vor ; in den Statuten festgeschrieben war , dass die Ziele ohne Rücksicht auf die Interessen politischer Parteien sowie ohne die „Ausübung von politischem Zwang“ verfolgt werden sollten. Unter den dazu vorgesehenen Mitteln war wurde der Streik nicht explizit genannt. Ob man auch zu diesem Mittel greifen würde , wurde offen gelassen.191 Als Tätigkeitsbereich der UG wurde das gesamte Bundesgebiet genannt ; die ersten Ortsgruppengründungen fanden jedoch fast ausschließlich in der ( Ober- )Steiermark statt. Bei der Finanzierung der Gewerkschaftstätigkeit kann von großzügigen Subventionen der ÖAMG ausgegangen werden ; ein Hinweis darauf ist die Tatsache , dass die UG nach eigenen Angaben wesentlich niedrigere Beiträge als andere Gewerkschaften einhob und dennoch in großem Maße Unterstützungseinrichtungen aufbauen und erhalten konnte.192 Sozialdemokratische Zeitungen sprachen von einer finanziellen Zuwendung von 7.000 Schilling bei der Gründung der UG , von der 6.000 Schilling von der Alpine Montangesellschaft kamen ; im November 1930 schienen nach Zeitungsberichten auch der Obersteirische Stahlwerksverband und die Felten & Guillaume Werke ( Bruck an der Mur ) als Geldgeber auf.193 Die Unterstützung der Unabhängigen Gewerkschaft durch die ÖAMG zeigt sich auch in publizistischer Hinsicht : Die erste nach der Gewerkschaftsgründung erschienene Ausgabe der Werkszeitung brachte auf der Titelseite einen Artikel , der mehr oder minder direkt die Ziele und Methoden des neuen Arbeitnehmerverbandes unterstützte.194 Der Schriftleiter der WerksIn : Alpinepost , 2. Jg , 8 / 1929 , S. 2 sowie N. N. : Vetter Gstrein stottert und stammelt. In : Alpinepost 2. Jg 9 / 1929 , S. 2 f , ebenfalls : N. N. : Wer weiß etwas ? In : Alpinepost 2. Jg , 4 / 1930 , S. 6. ( dort auch nochmaliger Abdruck der Karikatur ). 191 Satzungen der Unabhängigen Gewerkschaft ; zit. n. Eduard G. STAUDINGER : „Unabhängige Gewerkschaft“ und Arbeiterschaft in der Obersteiermark 1927–1933. In : Geschichte und Gegenwart. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte , Gesellschaftsanalyse und politische Bildung. 4. Jg , 1 / 1984 , S. 54–81 , hier S. 54 f. 192 Hingewiesen wurde jedoch in diesem Zusammenhang darauf , dass die UG auf die Bildung einer Streikkasse verzichtete. Vgl. SCHLEICHER , Eisen , S. 352. 193 Vgl. N. N. : Gewerkschaft , In : KOGELNIK , Jahrbuch , S. 158. sowie SCHLEICHER , Eisen , S. 350 f. Ähnliche Angaben ( ohne Quelle ) bei GÖHRING , Gewerkschaft , S. 67. 194 N. N. : Arbeitsfriede und Streik. In : Werkszeitung 2. Jg 18 / 1928 , S. 1 f. : „Jedem vernünftigen Arbeiter wird [ … ] klar , daß Arbeitsfriede nicht nur für ihn und die Unternehmung , sondern auch für den Staat notwendig ist und je mehr diese Einsicht sich in der denkenden Arbeiterschaft verankert , umso rascher werden wir einer dauernden Gesundung unserer heimischen Wirtschaft näher kommen.“

66

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

zeitung , Hermann Scheucher , war Mitbegründer der Heimatschutzgruppe an der Montanistischen Hochschule Leoben und konnte als Leiter der Werksschule Donawitz auch im Sinne des ÖVTA wirken. Im Frühsommer 1929 teilte man die vorhandenen Ortsgruppen in Arbeiter- und Angestelltensektionen ; im Großen und Ganzen fand die territoriale Ausbreitung der UG zu diesem Zeitpunkt – mit einigen Ausnahmen – ihr Ende ; insgesamt wurden etwa 300 Lokalorganisationen gegründet. Der Schwerpunkt der UG lag naturgemäß in der Steiermark ; daneben war vor allem in Kärnten ( u. a. in Hüttenberg und Bleiberg ) und im niederösterreichischen Industriegebiet ( Ternitz-Neunkirchen ) – also in Gebieten , in denen auch im Heimwehrbereich ein starker steirischer Einfluss festzustellen war – eine rege Tätigkeit zu verzeichnen. In Oberösterreich konnte man ebenso wie in Tirol und Wien nur langsam Fuß fassen , obwohl man in den beiden letztgenannten Bundesländern auf die Infrastruktur der völkisch orientierten „Deutschen Arbeitergewerkschaft“ zurückgreifen konnte.195 Im Zentrum der politischen Agitation der UG stand zunächst die angebliche „Misswirtschaft“ der Parteien und ihrer entsprechenden gewerkschaftlichen Organisationen , vor allem des sozialdemokratischen Bergbzw. Metallarbeiterverbandes. Die neue Gewerkschaft sah sich als Sprachrohr der „Parteimüden“ und „Unabhängigseinwollenden“ [ sic ! ], die gegen „Pfründenunwesen“ und „Parteiterror“ vorgehen wollten. Die bisherigen nichtsozialistischen Gewerkschaften seien als Teil des bestehenden Systems nicht dazu geeignet , diesen Kampf zu führen und hätten sich nach Ansicht der Heimatschutz-Gewerkschaft , als zu kompromissbereit erwiesen.196 Die sozialdemokratischen Gewerkschaften reagierten auf die Bedrohung durch den neuen Verband zunächst mit einer besseren Vernetzung ihrer eigenen Gruppen ; auf ihrem Gewerkschaftskongress im Juni 1928 schufen sie den „Bund Freier Gewerkschaften Österreichs“, der in wichtigen Fragen eine einheitliche Vorgehensweise ermöglichen sollte. Ein Jahr später vernetzten sich die einzelnen Ortsgruppen der UG in ähnlicher Weise und gründeten den „Bund unabhängiger Gewerkschafter“ ( Bugö ), dem neben der „Unabhängigen“ selbst auch ähnliche „wirtschaftsfriedliche“ Organisationen beispielsweise im Bereich der Postbeamten , Gemeindeangestellten oder Eisenbahner angehör-

195 STAUDINGER , Gewerkschaft. In : GuG 1 / 1984 , S. 57 f. 196 Vgl. Sepp GSTREIN : Die Unabhängige Gewerkschaft und die Wahl in die Versicherungskasse. In : Obersteirische Volkszeitung , 44. Jg , 137 / 1928. Vgl. dazu : N. N. : Die unabhängige Gewerkschaft. In : Alpinepost 1. Jg , 2 / 1928 , S. 2 ( Antwort auf Gstreins Artikel in der OVZ ).

d) Die Unabhängige Gewerkschaft (UG)

67

ten. Bundesobmann wurde Fritz Lichtenegger.197 Die Organisation der UG war nicht auf die Betriebe der Alpine Montangesellschaft beschränkt , wenn sie dort auch zuerst entstanden und am stärksten zur Geltung kamen. Der Bugö veröffentlichte im Herbst 1929 einen Katalog aus neun Forderungen , der unter anderem die Schaffung eines autoritären Staates , die ständische Wirtschaftsordnung , Steuersenkungen , die Entpolitisierung des öffentlichen Lebens und mehrere wirtschaftspolitische Forderungen , die sich zu „Klassikern“ der UG und des Steirischen Heimatschutzes entwickeln sollten : Die „Hebung der Volkswirtschaft durch Förderung der heimischen Produktion , um vom ausländischen Arbeitsmarkte möglichst unabhängig zu sein“, dies durch „Ausschaltung des die Volkswirtschaft lähmenden Klassenkampfes durch Ausbau ständischer Organisationen und einer staatlichen Arbeitsgerichtsbarkeit“ und eine neu einzuführende „staatliche Kontrolle des Arbeitsmarktes durch Schaffung eines verschärften Inlandarbeiterschutzgesetzes und eines Inlandproduktionsschutzgesetzes.“198 Bereits bei den Betriebsratswahlen 1928 konnte die UG- bzw. Heimatschutzliste in Donawitz und Seegraben jeweils fünf Mandate gewinnen , zunächst geschah dies in erster Linie auf Kosten der kommunistischen Gewerkschafter , deren Mandatsstand sich mehr als halbierte , während sich die Sozialdemokraten und Christlichsozialen in dieser Anfangsphase der UG noch recht gut behaupten konnten.199 Die Wahlen zeigten auch bereits die Heftigkeit der politischen Auseinandersetzungen in den ÖAMG -Betrieben , die mit gegenseitigen Anschuldigungen geführt wurden : Der Heimatschutz sah sich im Kampf gegen den „Terror schlimmster Sorte“, den die dominierende Sozialdemokratie in den Betrieben ausübte.200 Naturgemäß sahen die Sozialdemokraten aus der entgegengesetzten Richtung die Bedrohung kommen : Im September 1928 sprach der führende Theoretiker des Austromarxismus , NRAbg. Otto Bauer201 , in Eisenerz und appellierte an die „Liebe zur Freiheit“ der Arbeiterschaft. In einem Brief aus dieser Zeit bezeichnete er die Aktivitäten der Gegenseite als „Alpine-Terror“ und „Betriebsdespotismus Apolds“. Zutreffend 197 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 282. Zum organisatorischen Aufbau des Bugö vgl. GÖHRING , Gewerkschaft , S. 87 f. 198 N. N. : Die neun Forderungen des Bundes der Unabhängigen Gewerkschaften Österreichs ( Bugö ). In : Der Unabhängige Gewerkschafter. 1. Jg , Nr. 1. 15. 10. 1929 , S. 3. 199 Dies wird ausführlich , wenn auch tendenziös behandelt bei Jill LEWIS : Fascism and the Working Class in Austria 1918–1934. New York , 1991 , S. 152 ff. 200 EDMONDSON , Heimwehr , S. 57. 201 Zu Otto Bauer vgl. Ernst HANISCH : Der große Illusionist. Otto Bauer ( 1881–1938 ). Wien , 2011.

68

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

ist wohl , dass beide Seiten Methoden anwendeten , die aus heutiger Perspektive undenkbar sind ; wobei die Alpine langfristig in der besseren Position war , da sie über eine gezielte Einstellungs- bzw. Entlassungspolitik und Mechanismen wie die Zuteilung von Betriebswohnungen und das Verbot sozialdemokratischer Zeitungen in den Betriebsstätten einen deutlich größeren Einfluss ausüben konnte.202 Dass die steigenden Heimwehr-Mitgliedszahlen unter der obersteirischen Arbeiterschaft nicht zuletzt durch opportunistische Erwägungen zu erklären sind , steht außer Frage und ist aus den Zeitumständen auch verständlich. Für viele Arbeiter galt , wie eine amerikanische Autorin dargestellt hat , „[ they ] could only be relied upon as long as they remained in work. Just as Heimwehr membership was essential for a job , so , for these workers , a job was essential for Heimwehr membership.“203 Ein Jahr später hatte die Unabhängige Gewerkschaft die Stimmen der kommunistischen und christlichen Fraktionen fast völlig für sich gewonnen , sodass beide Gruppen in Donawitz kein Mandat mehr gewinnen konnten ; zwischen sozialdemokratischen und Heimatschutz-Gewerkschaftern stand es nunmehr 10 :10 ; die Sozialdemokraten erhielten 1815 , die UG 1740 Stimmen. In Eisenerz kandidierte in der Folge mehrmals eine Einheitsliste aus unabhängigen und christlichen Gewerkschaften , die auf Druck der Werksleitung zustande gekommen war. Auch in Seegraben konnte die UG ihren Stimmenanteil sukzessive steigern , sie wurde bereits beim ersten Antreten 1928 zur zweitstärksten Kraft , gewann 1929 ein weiteres Mandat hinzu und wurde 1930 zur stärksten Kraft , ohne jedoch dort die absolute Mehrheit zu erreichen ; dies gelang erst ein Jahr später. Eine ähnliche Entwicklung war bis zum Jahr 1932 in den meisten Betrieben der ÖAMG zu beobachten ; am stärksten war der Einfluss der UG im Betriebsrat der Hütte Donawitz , wo Lengauers und Lichteneggers Organisation bei den Wahlen 1931 und 1932 sämtliche Mandate gewinnen konnte , die sozialdemokratischen und christlichsozialen Organisationen demnach relativ bedeutungslos wurden.204 Gerade in Donawitz hatte auch 202 Vgl. HANISCH , Industrie. In : PAMMER /  NEISS /  JOHN ( Hg. ), Erfahrung , S.  250. Vgl. auch Flugblatt des Bundes Freier Gewerkschaften Österreichs : Donawitzer Arbeiter ! 8. 03. 1929. „Beweist [ … ], dass in Österreich weder ein Staats- noch ein Betriebsfaschismus möglich ist.“ ( Kopie im Archiv des Verf. ) Dort auch genaue Aufzählung der „Alpine-Methoden“. 203 LEWIS , Fascism , S. 154. 204 Vgl. STAUDINGER , Gewerkschaft. In : GuG 1 / 1984 , S. 68 f. sowie STOCKER , Akkumulationszwang. In : HINTEREGGER /  MÜLLER /  STAUDINGER , Weg , S.  249–262 , hier S. 259. Nach der Niederlage bei Betriebsratswahl 1931 stellte auch die Alpinepost ihr Erscheinen ein.

d) Die Unabhängige Gewerkschaft (UG)

69

der Heimatschutz seine größte Stärke erreicht ; im Jahr 1928 hatte der Verband 2.360 Mitglieder , ein Jahr später hatte sich diese Zahl auf 3.232 vergrößert ; die Frauenhilfsgruppe hatte 1.200 Mitglieder. Etwa 70 % der Donawitzer Heimatschützer waren Arbeiter , worauf heimwehrfreundliche Zeitungen nicht selten hinwiesen.205 Die Gegenseite wies darauf hin , dass bei einem Heimatschutz-Mitgliederstand von über 3.000 Mann die UG bei der Betriebsratswahl lediglich 1.740 Stimmen erhalten hatte , was die sozialdemokratische Seite als Beweis dafür ansah , dass viele Heimwehrangehörige der Organisation innerlich ablehnend gegenüberstanden.206 Diese Beurteilung trifft wohl im Großen und Ganzen zu , wenn auch berücksichtigt werden muss , dass es in Donawitz auch Heimatschutzmitglieder gab , die nicht Arbeitnehmer der Alpine waren. Insgesamt kann wohl gesagt werden , dass die Heimwehr und damit die UG weniger die überzeugten Sozialdemokraten für sich gewinnen konnte als die politisch eher Desinteressierten und die Opportunisten. Nicht vergessen werden darf jedoch auch , dass gerade in den obersteirischen Betrieben ein gewisser Stamm von Protestwählern vorhanden war , der eben 1925 kommunistisch gewählt hatte und sich danach sehr schnell der Heimwehr-Gewerkschaft näherte. Josef Oberegger selbst schien sich dieser Tatsachen wohl bewusst , wenn er schrieb : „Es lag nie in unserer Absicht , nur von Haus aus überzeugte Männer in unseren Verband aufzunehmen , es war vielmehr eine unserer Hauptaufgaben , die Bewegung derart zu gestalten , daß der Einzelne schon nach kurzer Zeit die innere Überzeugung gewinnen mußte , daß er einer guten Sache diene , die das Wohl und den Aufstieg des gesamten deutschen Volkes und damit auch jedes Einzelnen zu fördern sucht.“207 Zudem äußerte Oberegger , die Gründung der UG sei unabhängig vom Heimatschutz vor sich 205 SCHLEICHER , Eisen , S. 324 f. 206 Andreas HÖSCH : Die Betriebsratswahlen in Donawitz. In : Alpinepost 2. Jg , 10 / 1929 , S. 2 f : „Wenn noch nie die Gewalt , der sich die Alpine bedient , die die Arbeiterschaft durch Zwang und Erpressung in den Heimatschutz treibt , erwiesen worden wäre , das Wahlresultat vom 9. März ist der lebendige Zeuge dafür [ Fettdruck im Original ] [ … ] Fast die Hälfte ihrer Mitglieder sagte ihnen den Kampf an , sie gingen als Zeugen dafür , daß sie nur durch Druck und Zwang [ Fettdruck im Original ] und aus wirtschaftlicher Not der Heimwehr beigetreten sind.“ Der Betriebsrat Hösch berichtet auch von Entlassungen politisch „unzuverlässiger“ Arbeiter kurz vor der Betriebsratswahl. Ähnlich N. N. : Ihnen gebührt unser Dank. In : Alpinepost 2. Jg , 10 / 1929 , S. 4. Dem gegenüber verzeichneten die sozialdemokratischen Gewerkschaften in der Steiermark jedoch einen Mitgliederschwund von 94.128 ( 1923 ) auf 55.570 ( 1930 ). Vgl. SCHLEICHER , Eisen , S. 335. 207 OBEREGGER , Heimatschutz. In : OVZ , 44. Jg , Nr. 146 / 1928 , S. 7. Zeittypisch die vollständige Identifizierung des Wohls des Einzelnen mit dem „Volkswohl“.

70

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

gegangen , was offensichtlich ebenso wenig zutrifft wie Gstreins Versicherung , die neue Gewerkschaft sei von der Unternehmerschaft unabhängig ; dass jene von Heimatschutz-Angehörigen gegründet wurde , erwähnt selbst die offiziöse Darstellung des „Österreichischen Heimatschutz-Jahrbuchs“. Bemerkenswert ist ein Beitrag Obereggers im Kampfblatt der UG , in der er die sozialdemokratischen Gewerkschaften recht offen für die erzielten Fortschritte in Bezug auf die Rechte der Arbeitnehmer lobt : „Niemand Vernünftiger wird die Verdienste leugnen können , die der österreichische Sozialismus sich um die soziale Besserstellung des Arbeiters erworben hat. [ … ] Den anarchistischen Zustand des freien Arbeitsmarktes durch soziale Gesetzgebung überwunden zu haben , ist das große Verdienst des Sozialismus für den Arbeiter. Inzwischen aber ist eine Bewußtseinswandlung größten Stils der sozialen Frage gegenüber eingetreten. [ … ] Die partikularistische Perspektive des Einzelunternehmers ist infolge der großen Zusammenballungen einer universalistischen , die gesamte Volkswirtschaft umfassenden Perspektive gewichen. Der moderne Unternehmer sieht die Wirtschaft als ein Ganzes und sich als einen Teil von ihr.“208 Obereggers Ausführungen lassen einen bemerkenswerten Einblick in die innere Haltung des UG-Funktionärs gegenüber den „Roten“ zu : Demnach seien Streik und ähnliche Methoden früher notwendig gewesen , durch die neue Stände-Idee aber überwunden. ( Ein erheblicher Kontrast zu vielen Ständestaats-Denkern wie etwa Othmar Spann , der darauf bestand , es habe den Interessensgegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nie gegeben , dieser sei erst durch den Marxismus „herbeigeredet“ worden. ) Am Beispiel Obereggers zeigt sich die Verschränkung und Überschneidung zwischen Unternehmen , Heimatschutz und Gewerkschaft wohl am deutlichsten : Als Leiter des Hochofenbetriebs verfügte er über eine machtvolle Stellung bei der ÖAMG Donawitz ; gleichzeitig war er Leiter der Heimatschutz-Ortsgruppe ebendort und zudem Vertrauensmann und führender Funktionär der UG. Es gelang ihm – nicht zuletzt aufgrund geschickter Personalpolitik – seine Hochofenmannschaft zum Kern des Heimatschutzes im obersteirischen Industriegebiet zu machen.209 Seinen Einfluss im Heimatschutz belegt die Tatsache , dass er im Zuge der Machtübernahme Starhembergs im September 1930 zum Leiter des Organisationsamtes des Bundes der österreichischen Selbstschutzverbände berufen wurde. Die enge Verschränkung zwischen Heimat208 Josef OBEREGGER : Heimattreue Arbeiterbewegung. In : Der unabhängige Gewerkschafter. 2. JG , Nr. 24 , 15. 12. 1930 , S. 5. 209 Vgl. SCHLEICHER , Eisen , S. 327 f.

d) Die Unabhängige Gewerkschaft (UG)

71

schutz und UG zeigt sich auch anhand der Tatsache , dass Josef Lengauer bei der Nationalratswahl im November 1930 Spitzenkandidat des Heimatblocks im Wahlkreis 23 ( Obersteiermark ) war ; es war dies der einzige Wahlkreis in ganz Österreich , in welchem die Heimwehrliste ein Grundmandat erzielen konnte. Zusammenfassend kann gesagt werden , dass die „Unabhängigkeit“ der Unabhängigen Gewerkschaft primär in der Ablehnung der politischen und ideologischen Arbeit der etablierten Parteien begründet war ; der Kontakt zu einer parteiübergreifenden „Volksbewegung“, wie sie die Heimwehr nach eigenem Verständnis darstellte , erschien daher unproblematisch.210 Im März 1930 wandte sich die UG mit einem eigenen Wirtschaftsprogramm an die Öffentlichkeit. In Bezug auf die Inlandsproduktion und die Inlandsarbeit wurden schärfste protektionistische Maßnahmen gefordert , mithilfe der „produktiven Arbeitslosenfürsorge“ sollten öffentliche Bauprojekte in Angriff genommen werden ; eine Intensivierung der Landwirtschaft und Kultivierung bisher unproduktiven Bodens sollte zur „Schaffung neuer lebensfähiger Bauernwirtschaften“ führen – eine bemerkenswerte Forderung für eine ( Arbeiter- )Gewerkschaft. Die Kürzung von Überstunden und Entlassung von Doppel-Verdienern sollte neue Arbeitsplätze schaffen. Zentraler Punkt war aber die Forderung nach einem Kredit- und Steuermoratorium für wirtschaftlich angeschlagene Betriebe , was der Erhaltung bestehender Stellen in Gewerbe und Industrie dienen sollte.211 ( Die Wirkung eines solchen Moratoriums auf den Staatshaushalt und das ohnehin bereits fragile österreichische Bankensystem wurde nicht näher erörtert. ) Im Jahr 1929 hatte die UG in vielen Betrieben der Alpine Montangesellschaft in Bezug auf die Mitgliederzahl bereits eine so starke Stellung erreicht , dass die Unternehmensführung sich entschloss , den neuen Kollektivvertrag , der den von 1922 bis 1927 gültigen ersetzen sollte , mit dieser Organisation abzuschließen. Die grundsätzlich unternehmensfreundlich gesinnte Unabhängige Gewerkschaft war als Verhandlungspartner in diesem Sinne sehr willkommen , hatten doch die Sozialdemokraten aus Sicht der ÖAMG in den vorangegangenen Jahren „maßlose“ Lohnforderungen gestellt , um das schwindende Vertrauen der Arbeiter und Angestellten zurückzugewinnen und mehrmals rein politisch motivierte Streikmaßnahmen gesetzt.212 Der neue Kollek210 STAUDINGER , Gewerkschaft. In : GuG 1 / 1984 , S. 61 f. 211 N. N. : Ein Wirtschaftsprogramm der Unabhängigen Gewerkschaften. In : Der Unabhängige Gewerkschafter , 2. JG., Nr. 6. 15. 03. 1930 , S. 3 f. 212 Vgl. BUSSON , Entwicklung. In : ERBEN /  LOEHR /  RIEHL , Montangesellschaft , S.  131– 193 , hier S. 190 f. nennt den Bergarbeiterstreik in Hüttenberg ( Mai 1928 ) als Beispiel für

72

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

tivvertrag brachte für die Arbeitnehmerseite Verschlechterungen im Bereich der Akkord- und Überstundenentlohnung sowie der Regelungen für Feiertagszuschläge. Zudem wurde der Mitbestimmungsspielraum der Betriebsräte zugunsten der Unternehmensleitung eingeschränkt. Besonders die Leistungsbewertung als Grundlage des Akkordsystems unterlag nunmehr ausschließlich den Werksleitungen. Bemerkenswert ist , dass der neue Kollektivvertrag mit der UG zu einem Zeitpunkt abgeschlossen wurde , als diese noch keine ( Stimmen- bzw. Mandats- )Mehrheit in den Betriebsräten hatte.213 Das ( auch persönlich gute ) Einvernehmen zwischen Unternehmensleitung und Gewerkschaft im Sinne der Idee einer „Werksgemeinschaft“ war beim Aushandeln des Kollektivvertrags jedenfalls wirksam , wie die Alpinepost hämisch vermerkte.214 Die Lohnentwicklung blieb jedenfalls hinter dem Wiener Niveau zurück , was nicht zuletzt auf die konstant hohe Arbeitslosigkeit in der obersteirischen Industrieregion zurückzuführen ist , die es den Arbeitern ratsam erscheinen ließ , auch zu vergleichsweise schlechten Bedingungen einer Erwerbsarbeit bei der Alpine Montangesellschaft nachzugehen. Überdies wurde das vor allem 1923 und 1924 zugeflossene Eigenkapital bevorzugt für die betriebliche Investitionstätigkeit eingesetzt.215 Die Weltwirtschaftskrise , die zu Jahresende 1929 bei der ÖAMG erstmals massive betriebswirtschaftliche Auswirkungen hatte , führte in der Folge auch zu einer krisenhaften Entwicklung bei der mit ihr eng verbundenen Unabhängigen Gewerkschaft. Der Umsatz betrug etwa im Jahr 1932 nur mehr 38,2 % des eine politische Streikmaßnahme. Wiederum ist hier das Narrativ von den „vernünftigen Arbeitern“, die sich nicht auf die „extremistische Agitation“ der politischen Linken einließen , erkennbar. 213 Vgl. SCHLEICHER , Eisen , S. 358 und STAUDINGER , Gewerkschaft. In : GuG 1 / 1984 , S. 70. Dass trotz des ungünstigeren Kollektivvertrags die Lohn- und Gehaltssumme sowie das Jahresdurchschnittseinkommen pro Kopf bis inklusive 1929 weiter stiegen , lag an der positiven gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Gewinnsituation der ÖAMG , die sinkende Lohnquote ist demnach auf die steigenden Erträge des Unternehmens zurückzuführen. Vgl. HWALETZ , Montanindustrie , S. 303 f. 214 Vgl. N. N. : Ehrentafel. Dem ständigen Gedenken an den neuen Lohn- und Arbeitsvertrag der U. G. mit der Alpine , der gesamten Arbeiterschaft gewidmet. In : Alpinepost , 1.Jg , 3 / 1929 , S. 6. : „Diese drei ‚Arbeitervertreter‘ [ Lengauer , Lichtenegger und Gstrein ] haben euch den Schandvertrag ohne euch zu fragen aufgezwungen und mit ihrem Geldgeber (  ! ) Dr. Busson unterschrieben [ … ]“. 215 SCHLEICHER , Eisen , S. 229 spricht vom „mageren Eigenkapital“ der ÖAMG , was im engeren Sinne nicht zutrifft : HWALETZ , Montanindustrie , S. 270 nennt das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital nicht ungünstig , der Wert unterlag jedoch gegenüber dem Vorkriegsniveau einer tendenziellen Verschlechterung. Vgl. ebda , Abb. 81. Ebenfalls zu beachten sind die hohen Zinssätze für Bankschulden.

d) Die Unabhängige Gewerkschaft (UG)

73

Wertes von 1929 ; folglich brachen die Erträge in dieser Zeit dramatisch ein. Um die beträchtliche Lücke zu schließen , die sich zwischen Kosten und Erträgen aufgetan hatte , und um die Abschreibungen auszugleichen , musste die Auflösung von Rücklagen vorgenommen werden. Die Reaktion der Unternehmensführung bestand zudem darin , die Zahl der Beschäftigten zu verringern : 1929 hatte die ÖAMG 13.265 Mitarbeiter , ein Jahr später nur noch 10.391 ; eine Verringerung von fast 22 (  ! ) %. Diese Entwicklung kann auch anhand der ausbezahlten Lohn- und Gehaltssumme nachvollzogen werden ; diese halbierte sich bis 1932 , wobei die Summe der Gehälter wesentlich weniger stark sank als die der Löhne ; dies weist darauf hin , dass zunächst in erster Linie Arbeiter entlassen wurden.216 Ebenfalls arbeitete im Jahr 1932 fast die Hälfte der Arbeiter in der steirischen Metall- und Hüttenindustrie in Kurzarbeit.217 Im Dezember 1930 benachrichtigte die Unternehmensführung die UG von ihrer Absicht , den ein Jahr zuvor geschlossenen Kollektivvertrag außer Kraft zu setzen , damit sie umfassende Lohnkürzungen ( bis zu 20 % ) umsetzen konnte. Als Grund für die ernste wirtschaftliche Lage der ÖAMG sah Generaldirektor Apold die starke Konkurrenz auf dem internationalen Kohlemarkt und die gesunkenen Weltmarktpreise für Eisen an , die zu Absatzschwierigkeiten geführt hätten ; zudem die steigenden Soziallasten des Unternehmens. Sollten die Lohnkürzungen abgelehnt werden , hätte dies die Stilllegung der Betriebe zur Folge. In der Nationalratssitzung vom 27. Dezember 1930 verlas UG-Obmann Lengauer das diesbezügliche Schreiben Apolds in voller Länge und stellte gemeinsam mit Fritz Lichtenegger und anderen eine dringende Anfrage an den Bundeskanzler , den Lohnabbau bzw. die Betriebsstilllegungen zu verhindern.218 Lengauer bezeichnete diese Maßnahmen als unannehmbar , man könne nicht hinnehmen , dass die Folgen der Wirtschaftskrise auf die Arbeiterschaft abgewälzt würden und forderte ein Eingreifen der Bundesregierung , deren wirtschaftspolitische Untätigkeit er scharf kritisierte. Er wies auf die sozialen Folgen für die Arbeiter und ihre Familien , aber auch für die regionale Wirtschaft als Ganzes , hin und formulierte nochmals seine Überzeugung von der Funktion des Staates und der Aufgabe der Gewerkschaft :

216 Vgl. HWALETZ , Montanindustrie , S. 286 , Tab. 6 sowie S. 279 Abb. 99., S. 312 Tab. 4 und S. 303. 217 Vgl. STAUDINGER ; Gewerkschaft , S. 74. 218 Vgl. Stenografisches Protokoll der 7. Sitzung des Nationalrates , 4. Gesetzgebungsperiode , 27. 12. 1929 , S. 138 sowie 142–149.

74

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

„Es geht uns um mehr als um Klassenkampf zwischen Volksgenossen , es geht uns um mehr als um den Kampf zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern [ … ] Wir wollen die Regierung darauf aufmerksam machen , daß sie als oberste Stelle des Staates berufen und bemüßigt ist , in solchen Streitfällen , die sich naturgemäß zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ergeben , einzugreifen und diese Streitfälle im Interesse der Volkswirtschaft zu schlichten. [ … ] Daher sagen wir im Sinne der Volksgemeinschaft , daß das Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital nur durch eine Verständigung der beiderseitigen Verbände unter Mitarbeit der Regierung geregelt werden kann.“219

Lengauers Antrag wurde , mit einem Zusatz eines sozialdemokratischen Mandatars versehen , schließlich mit den Stimmen von Sozialdemokratie und Heimatblock angenommen , obgleich sozialdemokratische und christlichsoziale Abgeordnete der UG in der Debatte vorgeworfen hatten , die Schlagkraft der Arbeiterbewegung in der Vergangenheit wesentlich geschwächt zu haben. In der Folge sperrte die Industriellenvereinigung den Heimwehren ( zumindest zeitweilig ) die Subventionen.220 Auch Pfrimer unterstützte die UG in dieser Hinsicht ; nicht zuletzt da bei Untätigkeit des Heimatschutzes die Gefahr bestand , dass sich die Arbeiter der aufstrebenden NSDAP zuwandten , die im Übrigen unter den reichsdeutschen Eigentümern der Alpine Montangesellschaft bereits Anhänger gefunden hatte. Zum ersten und einzigen Mal wandte sich Pfrimer in dieser Zeit entschieden gegen die Interessen der ÖAMG.221 In der Werks219 Ebda , S. 144 f. Für Erheiterung sorgte ein Lapsus Linguae in der Rede Lengauers , in der er eine Gewerkschaft als „Vereinigung der Arbeitnehmer zum Schutze der kapitalistischen Ausbeutung“ definierte. Die Darstellung bei SCHLEICHER , Eisen , S. 363 f , Lengauer habe die geplanten Maßnahmen der Alpine verteidigt , ist falsch. Das angeführte Zitat aus Lengauers Rede stammt aus dem Brief Apolds , den er im Plenum verlas. Lengauer machte jedoch im Zuge seiner Rede deutlich , dass er den Standpunkt der ÖAMG nicht teilte. Deutlich radikaler noch Lengauers Rede in der Sitzung vom 23. 1. 1931 : „Und sollte es wirklich die Regierung darauf ankommen lassen , sollte es wirklich in Österreich so weit sein , daß man hier nichts mehr erreicht , sollte es dazu kommen , daß der Sturm auf den Straßen losbricht , nun , dann soll der Sturm losgehen und dann werden wir sehen , wer bei diesem Sturm den Kürzeren ziehen wird.“ Stenografisches Protokoll der 9. Sitzung des Nationalrates , 4. Gesetzgebungsperiode , 23. 01. 1930 , S. 218. 220 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 62. Apold kritisierte die politische „Selbstüberschätzung“ der Heimwehren , reagierte mit Zorn auf Lengauers Rede und drosselte seine Zahlungen. Vgl. HANISCH , Industrie. In : PAMMER /  NEISS /  JOHN ( Hg. ), Erfahrung , S. 250 f., ähnlich CARSTEN , Faschismus , S.  170 f. KEREKES , Abenddämmerung S. 78 , betrachtet die Einstellung der Industriellen-Zahlungen eher als Mittel Schobers im internen Machtkampf der Heimwehren. 221 Vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 124.

d) Die Unabhängige Gewerkschaft (UG)

75

zeitung der Alpine ergriff VASTAG-Generaldirektor Albert Vögler selbst das Wort und sprach von neuen Entwicklungen und vom wachsenden Verständnis der Bevölkerung für die Interdependenz von Wissenschaft , Wirtschaft und Technik ; die daraus entstehende optimistische Stimmung würde einen baldigen Wirtschaftsaufschwung vorbereiten. Vöglers Artikel kann als indirekte Aufforderung verstanden werden , dem technisch-wirtschaftlichen Sachverstand der Unternehmensführung zu vertrauen , anstatt weitreichende politische Maßnahmen zu fordern.222 Die offizielle Darstellung , die Führer der UG hätten die Arbeitnehmer im Sinne der „Werksgemeinschaft“ von der Notwendigkeit der Lohnkürzungen überzeugt , trifft jedenfalls nicht zu.223 Tatsächlich aber verlor die Unabhängige Gewerkschaft rasch an Glaubwürdigkeit und Mitgliedern , da ihre „wirtschaftsfriedliche“ Auslegung der Gewerkschaftsidee den Arbeitern und Angestellten offenkundig keine konkreten wirtschaftlichen Vorteile brachte.224 ( Da half es auch nicht , dass ihre Zeitschrift vorrechnete , man habe innerhalb eines Jahres 5.243 mündliche und 786 schriftliche Rechtsauskünfte erteilt , 479 Interventionen und 107 Klagen durchgeführt und insgesamt 35.239,97 Schilling an Unterstützungszahlungen geleistet. )225 Zwar veranstaltete man aus Protest gegen die Lohnkürzungen Betriebsversammlungen , wirksame Maßnahmen wurden jedoch nicht ergriffen , die UG blieb weitgehend passiv. Hingegen war die NSDAP spätestens seit der deutschen Reichstagswahl im September 1930 auch in Österreich deutlich im Aufwind ; alleine in der Steiermark stieg ihre Mitgliederzahl im vierten Quartal dieses Jahres um 67,5 % (  ! ). Die Agitation der Nationalsozialisten richtete sich zur Jahreswende 1930 /  31 vor allem gegen den Steirischen Heimatschutz , der als Marionette der Christlichsozialen Partei dargestellt wurde ( eine zu diesem 222 Albert VÖGLER : Wir müssen wirtschaftlich sehen. In : Werkszeitung , 5. Jg 4 / 1931 , S. 2 f. ( „Nicht durch Utopien , nur durch Arbeit des Kopfes und der Arbeit der Hand , wird das Los der Menschheit verbessert. [ … ] Wir haben wieder klare Vorstellungen über die harten Notwendigkeiten des wirtschaftlichen Lebens. Der ruhige Teil der Bevölkerung hat begriffen , daß die wirtschaftlichen Zügel scharf angezogen werden müssen , um wieder auf feste , sichere Bahnen zu kommen.“ ) 223 So BUSSON , Entwicklung. In : ERBEN /  LOEHR /  RIEHL , Montangesellschaft , S.  192 f. Im Jubiläumsjahr der ÖAMG war man jedenfalls bemüht , ein positives Bild der Lage zu zeichnen. 224 Zu erwähnen sind freilich die kulturellen und sozialen Einrichtungen , die unter Einfluss der UG bei der Alpine Montangesellschaft entstanden. vgl. BUSSON , Entwicklung. In : ERBEN /  LOEHR /  RIEHL , Montangesellschaft , S. 189. Zu einer Besserung der materiellen Lage der Arbeitnehmer trugen diese jedoch nicht bei. 225 N. N. : Die U. G. ist die beste Gewerkschaft – ihre Erfolge beweisen es. In : Der unabhängige Gewerkschafter , 2. Jg , Nr. 11., 1. 6. 1930 , S. 1.

76

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

Zeitpunkt sicherlich falsche Anschuldigung ) sowie als Werkzeug der Großindustrie , nicht zuletzt der ÖAMG. Dieser letztere Vorwurf traf im Kern zu und war geeignet , die Loslösung der Heimatschützer und UG-Angehörigen , insbesondere derjenigen aus der obersteirischen Arbeiterschaft , von diesen Verbänden zu erreichen.226 Auch der Pfrimer-Putsch muss vor diesem Hintergrund neu bewertet werden : Eine direkte Aktion gegen die wirtschaftspolitisch „untätige“ Bundesregierung würde die unter der Krise leidende Anhängerschaft erneut an den Heimatschutz binden , während ein kompromissbereiter Kurs wohl Massenaustritte zur Folge hätte.227 Die Wirtschaftskrise führte zu einer unvorstellbaren Not in der Bevölkerung ; in der UG organisierte Mitarbeiter waren von Lohnkürzungen , Entlassungen und Betriebsstilllegungen ( bspw. im Frühsommer 1932 in Donawitz , Kindberg und Zeltweg ) ebenso betroffen wie jene , die Mitglieder der sozialdemokratischen bzw. christlichsozialen Organisationen geblieben waren. Als in der Folgezeit die Spaltung innerhalb der österreichischen Heimwehrbewegung offen zutage trat , schlossen sich die führenden UG-Aktivisten Lengauer , Lichtenegger und Oberegger der Richtung Starhembergs an und wurden schließlich zu führenden Funktionären der Einheitsgewerkschaft bzw. der entsprechenden berufsständischen Organisationen im Ständestaat. Lengauer wurde schließlich von der – inzwischen nationalsozialistisch eingestellten – Führung der ÖAMG entlassen.228 Die ÖAMG und der Stahlwerksverband stellten spätestens Ende 1932 ihre Zahlungen an den Steirischen Heimatschutz ( Führung Kammerhofer ) ein , und als auch Kammerhofers Bitte um finanzielle Unterstützung an die deutsche Reichsregierung abgelehnt wurde , beschleunigte sich die Hinwendung dieser Organisation zur NSDAP ; dies kann letztendlich als direkter Anlass der erneuten „Kampfgemeinschaft“ vom April 1933 betrachtet werden.229 Die Unabhängige Gewerkschaft kandidierte in der Folge gemeinsam mit nationalsozialistischen Arbeitnehmervertretern ; die Gründung der „Deutschen Arbeitergewerkschaft“ im Juli 1933 und die Auflösung der meisten UG-Ortsgruppen im selben Jahr können als Ende der Entwicklung dieser „wirtschaftsfriedlichen“ Arbeitervertretung in der Steiermark betrachtet werden. Das Hissen einer Hakenkreuzfahne auf dem Schlot der Gießerei im Werk Donawitz am 1. Mai 1933 steht symbolisch für die Hinwendung der ÖAMG zum Nationalsozialismus.230 226 Vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 98 sowie S. 104 f. 227 SCHLEICHER , Eisen , S. 426. 228 STAUDINGER , Gewerkschaft. In : GuG4. Jg 1 / 1985 , S. 80 f. 229 Vgl. SCHLEICHER , Eisen , S. 450 f. 230 PAULEY , Hahnenschwanz , S. 160.

d) Die Unabhängige Gewerkschaft (UG)

77

Exkurs: Zum theoretischen Hintergrund der „gelben“ Gewerkschaften Im ökonomischen bzw. sozialpolitischen Denken trat seit Ende des 19. Jahrhunderts das Konzept einer „wirtschaftsfriedlichen“ Arbeiterbewegung auf ; zunächst in Frankreich , aber ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend auch in den deutschsprachigen Ländern. Wirtschaftsfriedliche Verbände können als Vereinigungen der Arbeitnehmer betrachtet werden , die grundsätzlich von einer Harmonie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgehen ; das gemeinsame Interesse am jeweiligen Unternehmen und an der Hebung der Produktivität der gesamten Volkswirtschaft gelten als gemeinsame Ziele beider Gruppen. Folgerichtig werden gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen wie etwa der Streik abgelehnt , wenn dies auch – wie im Fall der Unabhängigen Gewerkschaft gezeigt – nicht offen ausgesprochen wird. Aus prinzipiellen – nicht allein aus taktischen – Gründen kämpfen wirtschaftsfriedliche Verbände gegen Gewerkschaften anderer Ausrichtung.231 Wirtschaftsfriedliche Verbände gehen davon aus , dass der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit , der insbesondere von sozialistischer Seite betont wird , überbrückt werden kann und die Verständigung in erster Linie vom guten Willen beider Seiten abhängig ist. Die notwendige Einigkeit gilt als wichtigste Vorbedingung eines umfassenden sozialen Friedens. Kern der wirtschaftsfriedlichen „gelben“ Gewerkschaften ist schließlich der betriebs- bzw. unternehmensweite Aufbau , im Unterschied zur traditionellen Gewerkschaftsbewegung , die nach Berufen oder Berufsgruppen organisiert ist. „Kampfgewerkschaften“, also jene , die sich nicht an „gelben“ Grundsätzen orientieren , schädigen nach Ansicht der Wirtschaftsfriedlichen die gesamte Volkswirtschaft , da sie durch Streiks etc. dem Unternehmen und dem Konsumenten große Nachteile verschafften.232 Weiters werden die Lohnforderungen und -kämpfe der Gewerkschaften verurteilt , die durch eine Erhöhung ihres Lohnes folglich die gesamte Produktion und somit die Preise für den Endverbraucher – also auch für sich selbst – massiv erhöhen würden.233 Die 231 Vgl. Hans-Alexander APOLANT : Die wirtschaftsfriedliche nationale Arbeiterbewegung in Deutschland. Ihr Werden , ihr Wesen , ihr Wollen. Univ. Diss., Leipzig. Altenburg , 1926 , S. 5 f. Apolant spricht durchwegs von „gelben Arbeitervereinen“, nicht von „Gewerkschaften“. Die Definition bei GÖHRING , Gewerkschaften , S. 89 f. ist eher polemischer Natur. 232 APOLANT , Arbeiterbewegung , S. 76 f. 233 Vgl. Karl DUNKMANN : Kooperation als Strukturprinzip der Wirtschaft. (= Verwaltung , Interessensvertretung und Forschung. Sonderschriften des Reichsverbandes der Deutschen Volkswirte , Bd. 4. ) München /  Leipzig , 1931 , S. 46 f. Dort wird argumentiert , die Arbeiterbewegung hätte durch Vertretung ihrer Sonderinteressen sich selbst

78

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

Herstellung der Interessensharmonie liegt nach Ansicht der Gelben bzw. ihrer Unterstützer auf der Arbeitgeberseite nicht zuletzt an den Arbeitern , die von den bisherigen , als nicht-bodenständig und gemeinschaftsschädlich erkannten Gewerkschaften abgetrennt und der neuen Arbeitervertretung und somit der „Volksgemeinschaft“ nähergebracht werden müssen , damit ihnen die Vorteile einer „wirtschaftsfriedlichen“ Haltung begreiflich werden. Der Orientierung an der gesamten Volkswirtschaft liegt die Vorstellung einer – bereits zu dieser Zeit so benannten – „Volksgemeinschaft“ zugrunde , die als nationale Schicksalsgemeinschaft betrachtet auf wirtschaftlicher Mikroebene durch die „Betriebsgemeinschaft“ bzw. „Werksgemeinschaft“ repräsentiert wird. ( Der Unterschied zum Konzept der „Subsidiarität“ der katholischen Soziallehre liegt vor allem in der hierarchischen und letztlich autoritären „Top-down-Denkweise“ dieser Schule der „Betriebsgemeinschaft“. ) „In der schweren Zeit , die uns bevorsteht , ist es das erste Erfordernis , daß sich unsere Arbeiter und Angestellten fest hinter ihre Betriebe stellen. Sie müssen zur Einsicht kommen , daß auch für sie die privatwirtschaftliche Wirtschaftsform den höchsten Nutzeffekt bedeutet. Lohn- und Tarifstreitigkeiten werden wir immer haben , aber darüber hinaus hoffen wir , daß die Zeit kommen wird , wo wir mit der Arbeiterschaft uns eins fühlen im nationalen Denken und Empfunden.“234

Die wirtschaftsfriedliche Arbeiterbewegung war ihrem Wesen nach national ( im zeitgenössischen Zusammenhang in diesem Sinne deutschnational ) eingestellt und betrachtet diese Haltung als Mitgrund für ihren Kampf gegen die etablierten Gewerkschaften , die als „internationalistisch“ im marxistischen Sinne verstanden werden.235 Die nationale Haltung der gelben Arbeitervereine steht in ursächlichem Zusammenhang mit dem Interesse an der Stärkung der gesamten Volkswirtschaft , die – wie die eigene Nation – mit anderen in einem unerbittlichen Konkurrenzkampf steht , der zumindest potenziell auch kriegerische Maßnahmen umfasst. Die Stärkung der „Kampffähigkeit“ der Wirtschaft gilt demnach als oberstes Ziel , dem vor allem die Partikularinteressen der „roten“ bzw. „schwarzen“ Gewerkschaften entgegenstehen. Die Darstellung hat zum „allein leidenden Teil“ erklärt und würde die Volkswirtschaft als Ganzes schädigen , da man keine Rücksicht auf andere Konsumenteninteressen nähme. 234 Albert VÖGLER : Staat und Wirtschaft. In : Staat oder Wirtschaft. Eine Diskussion. (= Schriften der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V., Bd. 5 ). Berlin , 1924. S. 128–141 , hier S. 140. 235 Vgl. APOLANT , Arbeiterbewegung , S. 89 ff.

Exkurs: Zum theoretischen Hintergrund der „gelben“ Gewerkschaften

79

verschiedentlich gezeigt , wie versucht wurde , ( sozialdemokratische ) Gewerkschaftsführer als volksfremd und eigennützig darzustellen und sie nicht als legitime Vertreter heimatbewusster Arbeiter gelten zu lassen.236 Die eigene Haltung wird als unparteiisch betrachtet , was – wie beim Heimatschutz – lediglich als Ablehnung der etablierten Parteien zu verstehen ist , und nicht als Absage an die Vertretung politischer Inhalte überhaupt. In einer gemeinsam von Arbeitgebern und Arbeitnehmern , Produzenten und Konsumenten getragenen Wirtschaft besteht eine Gemeinsamkeit der Ziele , auch was die Bereitstellung und Verwertung der jeweils einzelnen Wirtschaftsgüter betrifft , die im volkswirtschaftlichen Kreislauf erzeugt werden. Die Wirtschaft wird demnach als ein geschlossenes „völkisches“ System betrachtet , in welchem gesamtgesellschaftliche Zielsetzungen mit den Mitteln der Ökonomie hervorgebracht und zugeteilt werden. Diese Wirtschaftsziele sind als gegeben zu betrachten und haben sich im Laufe der gemeinsamen Geschichte und Kulturentwicklung in jeweils charakteristischer Weise herausgebildet. Nach einem Entwurf von Othmar Spann237 ist diese „Wirtschaftsgesellschaft“ mit einem Zug zur Autarkie ausgestattet , da sie in vielen Fällen mit anderen derartigen Gesellschaften aufgrund der Verschiedenheit der Ziele keine Tauschbeziehung eingehen kann. Internationale ( aber auch innerstaatliche ) Tauschprozesse können zwar durch den Einsatz einer Währung etwas erweitert werden , letztlich hängt jedoch der gesamte Wirtschaftskreislauf von der beschriebenen gesamtwirtschaftlichen Zielgleichheit ab. Besonders Fertigprodukte können nach Spann nur innerstaatlich erzeugt und konsumiert werden.238 Die beschriebene Auffassung wendet sich einerseits gegen den methodologischen Individualismus der liberalen Wirtschaftslehre , der stets die Handlungsweise des einzelnen Wirtschaftssubjekts untersucht , andererseits gegen den Sozialismus und den von ihm vertretenen Materialismus. In diesem Zusammenhang ist die Grundhaltung dieser Wirtschafts- und Gesellschaftslehre im Sinne eines philosophischen Idealismus zu betrachten : Letztlich wurden soziale Probleme nicht auf materielle Gegebenheiten zurückgeführt , sondern mit Fragen der gesellschaftlichen Integration 236 Ähnlich formulierte z. B. die UG : Vgl. KOGELNIK , Jahrbuch , S. 158 : „Unser Ziel , die Arbeiterschaft aus den Fängen des Marxismus zu befreien , hat auch einen bestimmten Inhalt , nämlich den , [ … ] die deutsche Kultur von den Schlacken fremder Unkultur zu reinigen und zu neuem Blühen zu bringen.“ 237 Zu Othmar Spann und seiner Schule vgl. bes. Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit. 238 Vgl. Othmar SPANN : Völkische Wirtschaft durch Gemeinsamkeit der Ziele. In : Begriff und Wesen der Volkswirtschaft. (= Volk und Wirtschaft. Neue Lesestücke zur politischen Ökonomie , Bd. 5 ). Berlin , 1935 , S. 57–59.

80

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

bzw. Werthaltung in Verbindung gebracht.239 Um diese Integration zu schaffen muss das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit im Betrieb gestärkt werden ( diesem Zweck diente bei der ÖAMG u. a. die Werkszeitung ), ebenfalls waren die traditionellen Gewerkschaften zu bekämpfen , da die etablierte Arbeiterbewegung an der Zerstörung der Gemeinschaft wesentlichen Anteil gehabt hätten. Die wirtschaftsfriedlichen Verbände betrachteten ihre eigene Tätigkeit als zentral für die Wiederherstellung der Arbeitsgemeinschaft , die sich dann zunehmend zur Interessensgemeinschaft entwickelt.240 Das kooperative und gemeinschaftsorientierte Vorgehen der „Gelben“ würde im Gegenzug auch in der Unternehmerschaft eine Rückkehr zum Geist der Zusammenarbeit auslösen , womit die als ideal betrachtete ständische Ordnung hergestellt wäre. Die Tätigkeit der Unabhängigen Gewerkschaft in den Alpine-Betrieben bezog sich direkt auf die genannten Ideen ; das Konzept der „Werksgemeinschaft“, worunter nichts anderes als die Interessensgemeinschaft zwischen Arbeiter und Unternehmer zu verstehen ist , kann als eigentlich wirkende Kraft betrachtet werden. Dazu heißt es von offizieller Seite bei der Alpine Montangesellschaft : „Die Grundsätze , nach welchen dieser Zusammenschluß erfolgte , waren etwa folgende : die Arbeiter bilden ein durchaus gleichberechtigtes Glied der Gesellschaft , einen Berufsstand , der aber notwendig auch das Wirken und Gedeihen der anderen Berufsstände anerkennen , ja fördern müsse. [ … ] Im Betrieb endlich kam der Gedanke der Werksgemeinschaft zum Siege , gemeinsames Interesse aller am Gedeihen des Werkes , Zusammenarbeit aller zum Vorteil aller.“241

Das Konzept der Werksgemeinschaft wurde zentral von Karl Dunkmann vertreten , dessen Ausführungen als Programmschrift der „gelben“ Gewerkschaften betrachtet werden können.242 Vorwerck und Dunkmann sehen den Grundfeh239 Edgar JUNG : Arbeiterstand und Gesellschaft. In : Werkszeitung : 3. Jg , 15 / 1929 , S. 229 ff. : „In der Seele des deutschen Arbeiters lebte und lebt noch heute die Sehnsucht nach vollwertiger Geltung , nach gleichberechtigter Einstufung in die Gesellschaft. [ Hervorhebung im Original ]. Es ist dies keine politische [ Hervorhebung im Original ], sondern eine menschliche Forderung.“ Zur geistigen Nähe Jungs zu Spann vgl. Armin MOHLER /  Karlheinz WEISSMANN : Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch. Graz , 2005 , S. 128 f. ( bes. Anm. 489 ). 240 Vgl. APOLANT , Arbeiterbewegung , S. 110. 241 BUSSON , Entwicklung. In : ERBEN /  LOEHR /  RIEHL , Montangesellschaft , S. 188 242 Karl VORWERCK /  Karl DUNKMANN : Die Werksgemeinschaft in historischer und soziologischer Beleuchtung. Berlin , 1928. Kritische Rezension vgl. Richard SEIDEL : Die Gelben in Dichtung und Wahrheit. In : Die Arbeit. Zeitschrift für Gewerkschafts-

Exkurs: Zum theoretischen Hintergrund der „gelben“ Gewerkschaften

81

ler der etablierten Gewerkschaftsbewegung darin , dass ein Solidaritätsgefühl aller Arbeiter gefördert wird , während gleichzeitig die Bindung an das Werk abnähme und im Rahmen des Arbeits- bzw. Klassenkampfes eine Schwächung des Werkes und somit der Wirtschaft insgesamt auftreten würde. Die Gewerkschaften würden den Klassenkampf mit „religiösem Eifer“ betreiben und undurchführbare bzw. unrealistische Forderungen vertreten , und die Destabilisierung der Volkswirtschaft billigend in Kauf nehmen. Die Werksgemeinschaft ist insofern als Schicksalsgemeinschaft zu betrachten , als es nicht lediglich auf die Verständigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ankommt , sondern auf die Einsicht der gegenseitigen Abhängigkeit und der „Gliedhaftigkeit“ beider Gruppen.243 Die Ablehnung des liberal-marktwirtschaftlichen Individualismus folgt ebenso notwendig aus dieser Ansicht , wie schon die Diskussion der Vorstellung einer „Zielgleichheit“ in einer volkswirtschaftlichen Gemeinschaft gezeigt hat. Die Kritik an der wirtschaftsfriedlichen Arbeiterbewegung kann einerseits ideologisch begründet sein , wenn der traditionelle Gewerkschaftsgedanke verfochten wird , welcher eine grundsätzliche Gegnerschaft zwischen Arbeit und Kapital , zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als gegeben betrachtet und daraus den Machtkampf im Sinne des Arbeitskampfes als notwendige Aufgabe der Arbeitervertretung verstanden wird. Darüber hinaus forderte jedoch auch die taktische bzw. strategische Ausrichtung der „Gelben“ heftigen Widerspruch hervor : Die Idee , ein kooperatives Vorgehen von Arbeitnehmerseite würde die jeweiligen Arbeitgeber ebenfalls dem ( Werks- )Gemeinschaftsgedanken nahebringen und daher weitgehende Zugeständnisse hervorbringen , wurde als unrealistisch betrachtet. Die Unternehmerschaft ( nicht lediglich der einzelne Unternehmer ) hätten auch grundsätzliche Interessen , die sie nicht individuell fallen ließen. Unternehmerverbände als „Gewerkschaften“ der Arbeitgeber seien ebenso notwendig wie die entsprechenden Arbeitgeberverbände.244 Wirtschaftsfriedliche Verbände würden nun den politik und Wirtschaftskunde. Heft 3 / 1929 , S. 155–171. Dort auch ( positive ) Rezension von APOLANT , Arbeiterbewegung. Zu Dunkmanns Verbindung mit dem DINTA vgl. SCHLEICHER , Eisen , S. 200. 243 VORWERKCK /  DUNKMANN , Werksgemeinschaft , S. 21. sowie S. 78. Vgl. auch DUNKMANN , Kooperation , S. 52 : „Denn es kann kein Zweifel sein , daß der unausbleibliche Kampf der Interessensgruppen innerhalb der Wirtschaft sich zuspitzt , wenn jede einzelne Gruppe [ … ] sich in den Mittelpunkt der „Wirtschaft“ stellt und alle übrige Kooperation im bunten Kaleidoskop dieser „Wirtschaft“ bagatellisiert oder gar ideologisch verneint.“ 244 Vgl. APOLANT , Arbeiterbewegung , S. 123 ff.

82

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

schwerwiegenden taktischen Fehler machen , ohne jede Notwendigkeit auf den praktischen Einsatz der gewerkschaftlichen Kampfmittel zu verzichten , in der Hoffnung auf ein Entgegenkommen der Unternehmerseite ; dabei würden sie selbst auf die Möglichkeiten verzichten , ein solches Entgegenkommen auch zu erzwingen. Darüber hinaus sei der Gedanke der Werksgemeinschaft , der sich niemand entziehen könne und jeder Werksangehörige unterzuordnen habe , ein zumindest potenziell totalitärer Machtanspruch.245 Im Rahmen der Errichtung eines „Volksstaates“ würden die Auffassungsunterschiede zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern von kompetenten ständisch organisierten Schlichtungsstellen im Sinne des „Gemeinwohles“ geregelt werden , wie der Heimatblock-Bundesrat Hans Tanzmeister in der Debatte über den Eisenbahnerstreik im März 1933 verkündete : „In einem neuen Staat , da werden wir keinen Streik brauchen , weil im neuen Staat eine Arbeitsgerichtsbarkeit entscheiden wird , weil diese Arbeitsgerichtsbarkeit den Herren [ Anm. : den Sozialdemokraten ] nicht passen wird , weil aber diese Arbeitsgerichtsbarkeit dafür sorgen wird , daß die volkswirtschaftlichen und volksgemeinschaftlichen Interessen in der Gesamtwirtschaft gewahrt bleiben.“246

Die sozialdemokratische Seite wies darüber hinaus auf die konkreten Schwierigkeiten der Arbeitervertretung durch die UG bei der Alpine Montangesellschaft hin , die durch vielfältige personelle Verschränkungen ( auch mit dem Heimatschutz ) gekennzeichnet waren. So war z. B. Josef Oberegger gleichzeitig Betriebsleiter der Hütte Donawitz ( a lso Arbeitgebervertreter ), Vertrauensmann seines Betriebes ( Arbeitnehmervertreter ) und führender Funktionär der Unabhängigen Gewerkschaft.247 Unter solchen Bedingungen sei von einer unzulässigen Vermengung von durchaus unterschiedlichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen auszugehen , die jedenfalls nicht im Sinne der Arbeiterschaft sein könne , gerne thematisierten die sozialdemokratischen Arbeitnehmervertreter diese Konstellation , die zu Interessensgegensätzen führen konnte. An diesem Punkt muss freilich eine wichtige Einschränkung gemacht werden : Eine kaum als heimwehr-freundlich geltende Historikerin hat zutreffend 245 SEIDEL , Gelben. In : Die Arbeit 3 / 1929 , S. 168 f. sieht die wirtschaftsfriedlichen Arbeitervereine auf dem Weg zu einem „sittenwidrigen Koalitionszwang“. 246 Stenografische Berichte über die Sitzungen des Bundesrates , 186. Sitzung , 17. 3. 1933 , S. 2040. 247 Vgl. Karikatur : „Die neue heilige Dreifaltigkeit“. In : Alpinepost , 2.Jg , 6 / 1929 , S.  1. sowie satirisch : Gstrein und Oberegger verhandeln. ebda., S. 5 f.

Exkurs: Zum theoretischen Hintergrund der „gelben“ Gewerkschaften

83

festgestellt , dass es zu kurz greift , in der UG lediglich den „verlängerten Arm“ der Alpine Montangesellschaft zu sehen. Wenn ein Naheverhältnis zur ÖAMG auch kaum bestritten werden kann – das Wort „unabhängig war insofern nur Fassade – war die UG auch in größeren Zusammenhängen aktiv : „[ … ] both their ideology and the scope of their recruitment excludes them from the strict definition of yellow unionism , for they drew membership from different firms and industries [ … ] The objectives of the Unions were not confined of furthering the interests of the management by maintaining industrial harmony at any cost , but included the wider political ambitions of the Styrian Heimatschutz , its anti-socialist and anti-democratic ideology , producing a trade union which was fundamentally fascist in outlook , rather than generally subservient.“248 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang etwa die Auseinandersetzung mit der ÖAMG im Zuge der Kündigung des Kollektivvertrages zum Jahreswechsel 1930 /  31. Daran zeigt sich , dass die UG mit ihren „wirtschaftsfriedlichen“ Mitteln und im ständisch-autoritären Sinne trotz allem an ernsthafter Arbeitnehmervertretung interessiert war und dann , wenn die eigenen Grundsätze mit den Belangen der Alpine kollidierten , entsprechend auftrat. Den Widerspruch zwischen einer Organisation die von Arbeitgeberseite gefördert und subventioniert wurde , und dem Ziel einer tatsächlich unabhängigen Gewerkschaft konnte die UG nicht lösen , woran auch die allgemeinen Grenzen einer Ideologie „berufsständischer“ Zusammenarbeit deutlich werden : Der Verzicht auf den Arbeitskampf und das Angebot zur Kooperation garantierten weder wirtschaftlichen noch sozialen Fortschritt , sondern verlegten die Interessensgegensätze lediglich auf eine höhere Ebene , wo schließlich und endlich eine autoritäre Schlichtung durch den „gerechten“ Staat erwartet wurde. Das beinahe uneingeschränkte Vertrauen auf die Entscheidung der „weisen“ Führungsschicht weist auf den fundamental antimodernen und romantischen Hintergrund der ständischen Staats- und Wirtschaftskonzeption hin.

248 LEWIS , Fascism , S. 158 f.

84

2. Die Österreichisch-Alpine-Montangesellschaft

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat – die wirtschaftspolitische Entwicklung im Steirischen Heimatschutz Im Folgenden soll die allmähliche Herausbildung einer wirtschaftspolitischen Konzeption des Steirischen Heimatschutzes dargestellt werden. Es liegt in der Natur der Sache und der beteiligten ( vornehmlich idealistisch , nicht materialistisch orientierten ) Gedankengebäude , dass eine klare Trennung zwischen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik nicht gezogen werden kann ; die politische Veränderung des Staatsaufbaus und der öffentlichen Ordnung im Gesamten wurden als notwendige Vorbedingungen für die wirtschaftliche Erneuerung des Staates betrachtet ; daher wird die Darstellung verschiedentlich über rein ökonomische Fragestellungen hinausreichen.249 Zentral sind hierbei einerseits das Konzept des Ständestaates250 , andererseits das Leitmotiv einer territorial begrenzten , völkischen Wirtschaftsform.

a) Die politisch-ideologischen Anfänge Die Heimwehrverbände der Steiermark entstanden – wie bereits dargestellt – als Reaktion auf unmittelbare Bedrohungen des neuen Staates von innen und außen. Der Kampf gegen die Abtrennung der Untersteiermark , der Schutz vor Plünderern und die Abwehr revolutionärer Bestrebungen unter dem Kampfbegriff der „Heimattreue“ waren in diesen Anfangszeiten als „Ideologie“ ausreichend , ein darüber wesentlich hinausgehendes Gedankengebäude wurde unter dem Eindruck der offensichtlichen kurzfristigen Herausforderungen nicht entwickelt.251 Als implizite geistige Basis der ( frühen ) steirischen Heimwehrbewegungen können darüber hinaus insbesondere die völkisch-nationalisti249 Zum konzipierten Wesen der Wirtschaft und ihrer untergeordneten Stellung im geforderten neuen Staat vgl. Othmar SPANN : Der wahre Staat. (= Gesamtausgabe , Bd. 5 ). Graz , 1972 , S. 79 f. 250 Einen Überblick über Theorie und Praxis ständestaatlicher Wirtschaftsvorstellungen in Österreich gibt Gerhard SENFT : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates Österreich 1934–1938. ( Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit , Bd. 15. ) Wien , 2002. 251 Vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 253 f.

85

schen Ideen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts betrachtet werden – aus diesem Milieu stammten etwa Pfrimer und Patterer ( beide „Schulverein Südmark“252 ). Die Grenzkämpfe und antisozialistischen Tätigkeiten der Anfangsjahre vereinten zudem ideologisch durchaus verschiedene Gruppen und Individuen in einer defensiv ausgerichteten Organisation.253 In den folgenden Jahren , als die paramilitärische Tätigkeit als ganze wesentlich abflaute , ist auch in ideologischer Hinsicht keine besondere Entwicklung zu verzeichnen ; allenfalls ist das Bestreben einiger Heimwehrführer , den sozialen Umwälzungen und der entsprechenden Gesetzgebung der Jahre 1918 bis1920 Einhalt zu gebieten bzw. sie nach Möglichkeit rückgängig zu machen.254 Die mit der Sozialgesetzgebung verbundene höhere Steuerlast traf in erster Linie das Bürgertum , während die Bauernschaft sich von der Festsetzung des Acht-Stunden-Arbeitstages für Arbeiter provoziert fühlte ( die Bauern arbeiteten weiterhin zwölf bis vierzehn Stunden täglich ).255 Beide Gruppen bedrohte die steigende Inflation : Das Bürgertum als hauptsächlicher Eigentümer von Bankguthaben und festverzinslichen Wertpapieren sowie als Empfänger fester ( nicht indexgebundener ) Einkommen verlor seine gesicherte materielle Position und musste auch den politischen Umwälzungen scheinbar ohnmächtig zusehen.256 Die Bauernschaft profitierte als Bevölkerungsgruppe insgesamt zwar von der Entschuldung durch die Geldentwertung , allerdings stand diesem ( zunächst für den Einzelnen wenig fühlbaren ) Vorteil die ständige Beschlagnahme ihrer Produkte durch Volkswehreinheiten , von denen sie zudem als „Schieber“ und „Hamsterer“ beschimpft wurden , und die Bezahlung mit schlechter werdendem Geld gegenüber , die man als Betrug empfand.257 252 Zur ideologischen Ausrichtung des Schulvereines Südmark und des mit ihm in der „Antisemitischen Kampfgemeinschaft der völkischen Vereine“ verbundenen „Deutschen Schulvereines“ ( Wien ) vgl. Werner DROBESCH : Der Deutsche Schulverein 1880–1914. Ideologie , Binnenstruktur und Tätigkeit einer nationalen Kulturorganisation unter besonderer Berücksichtigung Sloweniens. In : Geschichte und Gegenwart , 12. Jg , 4 / 1993 , S. 195–212. 253 Zur ideologischen Frühgeschichte der steirischen Heimwehrbewegung vgl. Alfred ABLEITINGER : „Unpolitische“ Heimwehr ? Auseinandersetzungen im untersteirischen Bauernkommando 1922 /  23. In : Meinhard BRUNNER /  Gerhard PFERSCHY ( Red. ): Rutengänge. Studien zur geschichtlichen Landeskunde. Festgabe für Walter Brunner zum 70. Geburtstag. (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 54 ) Graz 2010 ), S. 568–581. 254 EDMONDSON , Heimwehr , S. 36. 255 Vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 38. 256 Vgl. Roman SANDGRUBER : Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Wien , 1995 , S. 357 f. 257 PAULEY , Hahnenschwanz , S. 38.

86

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

Auch in der Phase der Konsolidierung nach der Genfer Völkerbundanleihe und der Währungsreform blieben die verstörenden Erfahrungen der frühen Nachkriegsjahre für Bürgertum und Bauernschaft weithin den Hauptantrieb für ihre politische Haltung. Die Heimwehren ( sowohl Pfrimers als auch Ahrers Organisation sowie die Verbände in anderen Bundesländern ) sahen die anti-marxistische Linie als Basis ihrer gemeinsamen Überzeugung , eine genauere Ausarbeitung ihrer Ideologie fehlte und hätte wohl die damals noch tatsächlich vorhandene Überparteilichkeit gestört : „Die geistige Zielsetzung der Heimwehr war ursprünglich frei von jeder parteipolitischen Linie. Eine aus dem Volk gewachsene Ordnungsmacht gegen kommunistische Umsturzpläne und gegen marxistische Übergriffe , Schützer des Heimatbodens und des rechtlichen Besitzes , Wahrer christlich-deutscher Kultur , Wegbereiter eines organischen Aufbaus und Hort verbindender Tradition.“258

In dieser allgemein gehaltenen Programmatik sind allenfalls die Erwähnung des „organischen Aufbaus“ im ständischen Sinne und das Bekenntnis zum „rechtlichen Besitz“259 besonders zu vermerken. Die Jahre 1922 bis 1926 , wirtschaftlich wie politisch verhältnismäßig ruhig , brachten auch die Tätigkeiten der Heimwehrverbände beinahe zum Stillstand , die Gegensätze zwischen der Steirischen Heimwehr Ahrers und dem Steirischen Heimatschutz Pfrimers taten ein Übriges , die Heimwehrbewegung in der Steiermark weitgehend zu lähmen. Die Unstimmigkeiten waren freilich hauptsächlich politisch-taktischer Natur und berührten kaum die Frage der langfristigen Zielsetzungen.260

258 RINTELEN , Erinnerungen , S. 128. Typisch für den Zeitpunkt der Veröffentlichung ( 1941 ) versucht Rintelen im Folgenden , eine direkte ideologische Verbindung zwischen den frühen Heimwehren und der NSDAP herzustellen. 259 Gemeint ist Privateigentum. Die Formulierung „rechtlicher Besitz“ ließ jedoch offen , inwiefern der Besitz von Kriegs- und Inflationsgewinnlern auch als rechtlich erworben zu gelten hatte. 260 Konkreter Streitpunkt war die Natur des Verhältnisses zu den ( bürgerlichen ) politischen Parteien. Vgl. N. N. : Geschichte der Heimatschutzbewegung. In : KOGELNIK ( Hg. ), Jahrbuch , S. 59 f. Hinzuweisen ist jedoch auf das „Steirische Wirtschaftsprogramm“ des früheren christlichen Heimwehrführers Jakob Ahrer , welches dieser in seiner Funktion als Finanzminister im Jahr 1925 entwickelte. Vgl. Karl BACHINGER : Die trügerische Stabilität oder Die unbewältigte Strukturkrise. In : BACHINGER et. al., Schilling , S. 71–89 , hier S. 87 sowie Jacob AHRER : Erlebte Zeitgeschichte. Wien–Leipzig , 1930 , S. 203 ff. Zum steirischen Wirtschaftsprogramm s. Alfred ABLEITINGER : Ein „Steirisches Wirtschaftsprogramm“ für Österreich aus 1925. In : Anja THALLER /  Johannes

a) Die politisch-ideologischen Anfänge

87

Die beiden Zusammentreffen führender Repräsentanten des Steirischen Heimatschutzes mit Adolf Hitler ( August 1926 bzw. Mai 1927 ) sind insofern bemerkenswert , als man in grundlegenden ideologischen Fragen weitgehende Übereinstimmungen feststellte , wenngleich dies keine organisatorische Zusammenarbeit zur Folge hatte.261 Zur Klärung der wirtschaftspolitischen Ausrichtung des Heimatschutzes zu diesem Zeitpunkt kann die Feststellung Kammerhofers von der Übereinstimmung der Ziele mit jenen der NSDAP jedoch kaum beitragen , da jene Partei damals selbst noch wirtschaftspolitisch kaum festgelegt war. In ihrem 25-Punkte-Programm von 1920 fanden sich etwa Forderungen nach umfassenden Verstaatlichungen und Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer neben Förderung des Kleingewerbes und der „Brechung der Zinsknechtschaft“. Das 1926 für „unabänderlich“ erklärte Programm wird von der Forschung als sehr wenig konkret beurteilt. In wirtschaftspolitischer Hinsicht ist ein deutlicher Antikapitalismus zu beobachten , während der Marxismus nicht explizit abgelehnt wird ; erst später ( 1928 ) bekannte sich Hitler zum Privateigentum.262 Der Beschluss des Linzer Programms der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und die Ereignisse des 15. Juli 1927 steigerten die Intensität der Auseinandersetzung zwischen „Hahnenschwanzlern“ und „Austromarxisten“, allerdings blieb die ideologische Grundlegung der Heimwehrbewegung im Wesentlichen unverändert und wurde während dieser Zeit auch nicht weiter ausgearbeitet. Die 1927 gültigen Statuten des Heimatschutzverbandes Steiermark gehen ebenfalls auf den Themenbereich Wirtschaft nicht näher ein. Gefordert wird lediglich der „Kampf gegen die Korrumpierung und Verseuchung des öffentlichen Lebens“ und die Unterstützung der Behörden im Kampf gegen „Eingriffe gegen Personen , Arbeit und Eigentum“. Der Verbandszweck wird im Wesentlichen negativ definiert , sechs von acht Punkten des entsprechenden Paragrafen beziehen sich mehr oder minder auf die Abwehr von Bedrohungen der bestehenden Ordnung ; lediglich die Förderung nach Unterstützung „all jener Kreise , die für die Schaffung einer starken und unparteiischen Staatsgewalt eintreten“ und die „Vertiefung der Heimatliebe , Hebung des deutschen Volksbewusstseins GIESSAUF ( Hg. ): Nulla historia sine fontibus. Festschrift für Reinhard Härtel zum 65. Geburtstag (= Schriftenreihe des Instituts für Geschichte 18 , Graz 2010 ), 21–37. 261 PAULEY , Hahnenschwanz , S. 46 sowie CARSTEN , Faschismus , S. 102. 262 Kurt BAUER : Nationalsozialismus : Ursprünge , Anfänge , Aufstieg und Fall. Wien–Köln– Weimar , 2008 , S. 106 spricht von „höchst verschwommenen Vorstellungen von der anzustrebenden Staatsform“ und beurteilt das Programm als „selbst für völkische Verhältnisse [ … ] intellektuell auffallend dürftig und fantasielos [ … ]“.

88

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

[ … ]“ können als eher offensive Programmpunkte verstanden werden , wobei weder die genaue Form jener starken Staatsgewalt noch die Strategie zur Erreichung dieses Ziels näher genannt werden. Im Paragraf 4 der Statuten wird absichtlich vage von der „Veranstaltung von Vorträgen , Versammlungen und sonstigen Maßnahmen im Rahmen der bestehenden Gesetze“ gesprochen.263 Der Heimatschutz , zum Zeitpunkt der Formulierung seiner Satzungen bereits eine aufsteigende und zunehmend einflussreiche Bewegung , rechnete wohl auch damit , dass sich die Gesetzgebung und die Rechtsprechung im Zweifelsfall heimatschutzfreundlich auswirken würden ; jedenfalls eröffnete die Formulierung breiten Interpretationsspielraum , etwa die Möglichkeit , eine neue Gesetzgebung , die z. B. von sozialdemokratischer Seite erlassen werden könnte , nicht anzuerkennen.264 In den Jahren 1927 und 1928 , als die Heimwehr für einige Zeit tatsächlich zu jener „Volksbewegung“ wurde , als die sie sich fortan selbst verstand , wurden auch erste Versuche einer umfassenden ( auch wirtschaftspolitischen ) Programmatik unternommen. Im Umkreis des Tiroler Heimwehrführers und damaligen Bundesführers Richard Steidle erschien 1929 ein Heft mit dem Titel Der Weg zur österreichischen Freiheit , welches angeblich von einem führenden christlichsozialen Journalisten Tirols ( Franz Schweinitzhaupt ) verfasst wurde.265

b) D  er Einfluss Othmar Spanns auf die Wirtschaftsideologie des Steirischen Heimatschutzes In der Steiermark , wo der gleichrangige Zweite Bundesführer Pfrimer die Heimwehrbewegung führte , kann eine nennenswerte programmatische Entwicklung erst im Jahr 1929 festgestellt werden , als im Verlag des Steirischen Heimatschutzes vier Broschüren erschienen , deren Verfasser allesamt Hochschullehrer waren und dem später so bezeichneten „Spann-Kreis“ zuzurech263 Satzungen des Heimatschutzverbandes Steiermark. StLA , Bezirkshauptmannschaft Graz , St. Z. 138 , 14 / 1927. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die in den Statuten festgeschriebene geradezu „basisdemokratische“ Verfassung des Heimatschutzverbandes. vgl. auch PAULEY , Hahnenschwanz , S. 64. 264 Noch in seiner Verteidigungsrede im Prozess nach dem Putsch im Dezember 1931 behauptete Pfrimer , die Gesetze nicht gebrochen , sondern vielmehr zu deren Schutz und dem Schutz des Staates gegen sozialdemokratischen Einfluss tätig geworden zu sein. Vgl. HOFMANN , Putsch , S. 85 f. sowie PAULEY , Hahnenschwanz , S 124 f. 265 Vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 253 f.

b) Der Einfluss Othmar Spanns auf die Wirtschaftsideologie

89

nen sind.266 Othmar Spann , seit 1919 als Nachfolger Eugen v. Philippovichs ordentlicher Professor für Nationalökonomie und Gesellschaftslehre an der Universität Wien war eine der wirkmächtigsten Gestalten in der deutschsprachigen Geistesgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein philosophisches System des „Universalismus“ ( „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ ) fand insbesondere durch seine Lehrtätigkeit auf der Wiener Universität weite Verbreitung und wirkte bereits bald nach Kriegsende auf weite Kreise der akademischen Welt und zumindest in den vorpolitischen Raum hinein ; freilich wurde Spann von der ( liberal ausgerichteten ) Fachwelt abgelehnt.267 Gegen Ende der 1920er-Jahre versuchten Spann und seine engsten Schüler und Mitarbeiter Hans Riehl , Walter Heinrich und Wilhelm Andreae , ihren Vorstellungen über den rein akademischen Bereich hinaus auch in der praktischen Politik Geltung und Wirkung zu verschaffen. Damit einher gingen eine umfassende Vortragstätigkeit sowie der Versand entsprechender Literatur an Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft.268 Im Zusammenhang mit diesen Bestrebungen näherte sich der Spann-Kreis ab 1928 der stetig wachsenden österreichischen Heimwehrbewegung an. Im Gegensatz zum sozialdemokratischen Gegner konnte diese nicht auf ein geschlossenes Gedankengebäude Bezug nehmen und hatten bis dahin nicht einmal einen ausformulierten politischen Forderungskatalog , wie ihn etwa das 25-Punkte-Programm der NSDAP trotz aller Schwächen zweifellos darstellte. Besonders die Heimwehrführer in den Grenzbundesländern Kärnten und Tirol wollten diesem Mangel durch eine weitgehende Übernahme des italienischen Faschismus abhelfen.269 Für deutsch-völkisch orientierte Heimatschutzfunktionäre wie Pfrimer oder Rau266 Reinald DASSEL (= Walter HEINRICH ): Gegen Parteienstaat , für Ständestaat. Graz– Wien–Klagenfurt , 1929 ; Hans RICHTER (= Hans RIEHL ): Kapitalismus und Sozialismus. Das gemeinsame ihrer Grundhaltung und die wahre Lösung der sozialen Frage. Graz–Wien–Klagenfurt , 1929 ; Hans RIEHL : Zersetzung und Aufbau. Graz–Wien–Klagenfurt , 1929. Othmar SPANN : Die Irrungen des Marxismus. Graz–Wien–Klagenfurt , 1929. Zum „Spann-Kreis“ vgl. Martin SCHNELLER : Zwischen Romantik und Faschismus. Der Beitrag Othmar Spanns zum Konservatismus der Weimarer Republik. (= Kieler historische Studien , Bd. 12 ), Kiel , 1970. 267 Vgl. NEUDECK : Wirtschaftswissenschaften. In : Leben , S. 221 f. Einen nahhaltigen Einfluss auf die Entwicklung ökonomischer Theorien hatte Spann demnach nicht. Auch SCHÖPFER , Konjunkturpolitik. In : GuG 1 /  83 , S. 31 identifiziert die Spann-Schule als „Sackgasse dogmengeschichtlicher Entwicklungen“. 268 Sebastian MAASS : Dritter Weg und wahrer Staat. Othmar Spann – Ideengeber der Konservativen Revolution. (= Kieler Ideengeschichtliche Studien , Bd. 3 ), Kiel , 2010 , S.  104 ff. 269 Vgl. CARSTEN , Faschismus , S. 156.

90

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

ter war eine solche Orientierung insbesondere in Anbetracht der ungeklärten Südtirol-Frage unannehmbar ; sie griffen daher auf das „heimische“ Konzept einer ständestaatlichen Erneuerung der Gesellschaft zurück , wie Spann und seine Schüler sie ( weitgehend unabhängig vom Korporatismus des italienischen Faschismus ) verkündeten.270 Der genaue Zeitpunkt der Hinwendung Spanns zur Heimwehrbewegung bzw. umgekehrt kann nicht mehr genau geklärt werden ; jedoch ist belegt , dass Spann und Pfrimer gemeinsam auf einer Heimwehrveranstaltung im Juni 1929 auftraten.271 Ebenfalls im Sommer 1929 wurde Walter Heinrich zum Generalsekretär der Bundesführung bestellt und war dort insbesondere mit programmatischen Fragen beschäftigt.272 Demnach können die Veröffentlichungen des Spann-Kreises in den Jahren 1929 und 1930 , insbesondere jene , die direkt im Auftrag der Heimwehren entstanden , als offizielle ideologische Darstellungen der Bewegung verstanden werden. Da zu diesem Zeitpunkt der Steirische Heimatschutz das zahlenmäßig größte Segment des Bundes österreichischer Selbstschutzverbände darstellte und Walter Pfrimer als dessen Zweiter Bundesführer wirkte , sind die genannten Broschüren als Quellen zur Erforschung der wirtschaftspolitischen Ausrichtung des Steirischen Heimatschutzes von höchster Bedeutung. In seinem Werk Die Irrungen des Marxismus273 betrachtet Spann den Marxismus als Endstufe der liberalen Wirtschaftstheorien des 18. und 19. Jahrhunderts ; der Individualismus in methodischer und ideologischer Hinsicht , der 270 PAULEY , Hahnenschwanz , S. 68 Die Darstellung , es handelte sich bei Spanns Theorien nur um eine „Neuauflage“ des Werkes von Karl v. Vogelsang , ist jedoch zu stark vereinfacht. Zum Einfluss Vogelsangs auf Spann vgl. SCHNELLER , Romantik , S. 81 und S. 105. 271 EDMONDSON , Heimwehr , S. 72 f : „It may be that Pfrimer first established ties with the Spann circle sometime in 1928 [ … ] But the relationship did not become an intensive one before 1929.” Vgl. auch N. N. : Geschichte der Heimatschutzbewegung , in KOGELNIK , Jahrbuch , S. 67. ( „[ … ] Othmar Spann und seine Mitarbeiter kamen zur Jahreswende 1929 in den Kreis des Steirischen Heimatschutzes , der den Universalismus ( Ganzheitslehre ) aufnahm und in allen Führertagungen vertrat“ ). CARSTEN , Faschismus , S. 323 , Anm. 14 zitiert ( aus zweiter Hand ) einen Artikel Spanns aus der Grazer Tagespost v. 23. 10. 1929 , in welchem er die Heimwehr als „letzten Hoffnungsanker“ bezeichnet. Weder in der Morgen- noch der Abendausgabe der genannten Zeitung ist ein solcher Artikel erschienen , auch nicht im Grazer Tagblatt desselben Tages. 272 Vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 51. 273 Bereits zwischen 24. 05. und 23. 08. 1928 erschien in der Klagenfurter „Heimatschutzzeitung“ eine Artikelreihe „Kritik des Marxismus“, die einer ähnlichen Argumentation folgte. Der Verfasser wird als ein „sehr bekannter Nationalökonom“ identifiziert , was die Vermutung nahelegt , dass es sich um eine frühe publizistische Äußerung Spanns im Milieu der Heimwehren handelt. Der Vortrag , aus denen die Irrungen des Marxismus

b) Der Einfluss Othmar Spanns auf die Wirtschaftsideologie

91

sich bei Adam Smith und David Ricardo findet , sei von Marx aufgenommen und weiterentwickelt worden. Beispielhaft nennt Spann die Wertlehre im Marxismus , die sich auf die „Klassiker“ bezieht. Diese Wertlehre ist – ähnlich wie in den Arbeiten Carl Mengers – der Ansatzpunkt für Spanns Kritik am Marxismus. Im Gegensatz zu Menger , der das Zustandekommen des Wertes über die subjektive Bewertung einer zusätzlichen Gütereinheit durch Anbieter und Nachfrager erklärt ,274 wendet er sich von einem ganzheitlichen Standpunkt aus gegen Marx. Spann betrachtet nicht nur materielle Güter und die dazu notwendige Menge an physischer Arbeit als Maßstab für den Wert einer Ware ; die eigentlich entscheidende Größe sei die geistige Arbeit , die der physischen vorausgehe , diese gewissermaßen anzuführen habe. Der einzelne Arbeiter , der beispielsweise eine Maschine bedient , nützt über seine eigene Arbeit hinaus die vorgeleistete Arbeit des Ingenieurs , die seine eigene Tätigkeit gewissermaßen „anführt.“275 Marx’ Unterscheidung zwischen vorgeleisteter und lebendiger Arbeit vollzieht Spann nicht mit , er geht vielmehr davon aus , dass die „geistige“ Arbeit des „Führers“ in der handwerklichen Tätigkeit des Arbeiters ständig anwesend ist , dieser gewissermaßen ein ausführendes Organ. Die geistige Schöpfung des Ingenieurs , Forschers oder Künstlers stellt für Spann ein „Kapital höherer Ordnung“ dar , welches notwendige Voraussetzung für jede heutige Produktion sei. Wenn also , so Spann , von einem Mehrwert überhaupt gesprochen werden könne , so wäre die Marx’sche Theorie in genauer Umkehrung zu betrachten : Jeder ausführende Arbeiter eigne sich ständig die vorgeleistete Arbeit der Führer an , um seine Tätigkeit überhaupt ausführen zu können. Aus dieser Erkenntnis heraus folgert Spann freilich nicht , dass die Arbeiter die eigentlich herrschende bzw. „ausbeutende“ Klasse seien , ebenso wenig seien dies jedoch die Unternehmen oder die Kapitalisten. Jede Produktion und jeder Ertrag könne nur aus der Eingliederung des Individuums in die Gesamtwirtschaft entstehen , also sei jede Forderung nach vollständigem Eigentum an entstand , wurde im Winter 1927 in Düsseldorf gehalten. vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 253 sowie SPANN , Irrungen , S. 5 f. 274 Vgl. Frank H. KNIGHT : Die Grenznutzenlehre. In : Antonio MONTANER ( Hg. ): Geschichte der Volkswirtschaftslehre. Köln–Berlin , 1967 , S. 51–62. Spann betrachtet die Kritik Mengers und Böhm-Bawerks als wissenschaftlich bedeutend und fachlich – im Rahmen der individualistischen Wirtschaftslehre – korrekt , jedoch wäre diese Kritik außerhalb der akademischen Fachwelt praktisch unbekannt und daher wirkungslos. Vgl. SPANN , Staat , S. 149 f. 275 SPANN , Irrungen , S. 27 : „Ja , wir erkennen sogar : daß das geistige Tun notwendig das führende ist. [ … ] Die geistige Arbeit wird die führende , die Handarbeit die ausführende , daß heißt , die geführte – wie natürlich !“.

92

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

den eigenen Erzeugnissen verfehlt. Spann betrachtet demnach die Volkswirtschaft als das eigentlich Primäre , sie ermöglicht die ( sekundäre ) Einordnung des handelnden Einzelnen als Unternehmer oder Arbeitnehmer.276 Die vielfache Vernetzung und Verzahnung der einzelnen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse sei schließlich grundlegend für die Möglichkeiten des Individuums , schöpferisch oder hervorbringend tätig zu sein. Die kommunistische Wirtschaftsweise in ihrem mechanistisch-materialistischen Versuch der Steuerung durch zentrale Planung könne die vielen Unternehmen verschiedenster Art , verschiedenster Größe und verschiedenster Qualität nicht wahrheitsgemäß erfassen und sei daher „wirtschaftstechnisch unmöglich“.277 Das eigentliche Elend des Arbeiters im kapitalistischen System ist laut Spann in der geistigen Verarmung durch Unsicherheit und Entwurzelung zu sehen. Die Arbeiterschaft hätte ihre ursprüngliche gliedhafte Einordnung in das Wirtschaftsganze verloren und sei den irrationalen Prozessen des freien Marktes schutzlos ausgeliefert ; die Beziehungen der einzelnen Volksschichten untereinander seien in Auflösung begriffen und bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Zerstörung des organischen Volks- und Wirtschaftsaufbaus sei die „eigentliche Sünde der kapitalistischen Wirtschaft.“278 Spann stellt dem Individualismus marxistischer und kapitalistischer Prägung die körperschaftliche Wirtschaftsordnung entgegen , in der die Berufsgruppen Stände bilden , die sich selbst verwalten und mit anderen Ständen in einem gliedhaften Zusammenhang stehen. Die Ausführungen Spanns müssen als Ausdruck seiner 276 Die Bezüge der dargestellten Auffassung von der Ganzheit der Volkswirtschaft zur Ideologie der „Betriebs“- bzw. „Werksgemeinschaft“ ( vgl. Kap. 2 der vorliegenden Arbeit ) sind offensichtlich. 277 SPANN , Irrungen , S. 41. vgl. auch Walter HEINRICH : Staat und Wirtschaft. Ein programmatischer Vortrag über die geistigen Grundlagen der Heimatwehrbewegung. Wien , 1930 , S. 10 Dort werden Unüberschaubarkeit und Planungs-Unsicherheit auch als Grundprobleme der kapitalistisch-liberalen Wirtschaft und auslösendes Element für krisenhafte Entwicklungen betrachtet. Zur zeitgenössischen liberalen Kommunismus-Kritik vgl. Ludwig v. MISES : Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus. Jena , 1932. 278 SPANN , Irrungen , S. 38. Bemerkenswert ist , dass Spann die sozialen Folgen der Marktwirtschaft ähnlich beschreibt wie Marx und Engels , wenn ihn auch sein ganzheitlicher Idealismus von diesen scharf unterscheidet. Vgl. Karl MARX /  Friedrich ENGELS : Manifest der Kommunistischen Partei. Ditzingen , 1986 : „Die Bourgeoisie , wo sie zur Herrschaft gekommen , hat alle feudalen , patriarchalischen , idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande , die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften , unbarmherzig zerrissen , und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übrig gelassen , als das nackte Interesse [ … ].“

b) Der Einfluss Othmar Spanns auf die Wirtschaftsideologie

93

Definition von „Volkswirtschaft“ verstanden werden , die sich von jener der liberalen Klassiker , aber auch der zeitgenössischen liberalen Ökonomen grundsätzlich unterscheidet : Spann betrachtet die Volkswirtschaft als ein Gebilde „höherer Einheit“. Er sieht also nicht einzelne Wirtschaftssubjekte , die miteinander über Warenverkehr und Konkurrenz netzwerkartig in Beziehung treten , sondern eine über das Soziale hinausgehende organische Geschlossenheit. Diese Einheit , zentral für sein universalistisches Weltbild , betrachtet Spann als eigentlich schöpferisch gestaltende Kraft , wogegen die individualistische ( „atomistische“ ) Auffassung einer rein mechanisch-instrumentellen Verbindung der einzelnen Wirtschaftssubjekte zumindest Orientierungslosigkeit , wenn nicht gar Chaos zur Folge hätte.279 Die Berufsstände seien als Zusammenfassung der bisherigen ( freilich von parteipolitischen Einflüssen „gesäuberten“ ) Gewerkschaften , Kartelle , Konzerne und Wirtschaftsverbände zu denken , die miteinander vor allem durch den Gesamtarbeitsvertrag ( Kollektivvertrag ) verbunden wären. Außer dem Lohn würden auch die Rahmenbedingungen der Arbeit in Bezug auf Arbeitszeit , Einstellung und Entlassung , Haftungsfragen sowie die Vertretung der Arbeitnehmer in diesen Verhandlungen und den daraus entstandenen Verträgen geregelt. Die Stände würden über die Lohnfindung auch zur Preisgestaltung ihrer Produkte gelangen , wobei sie durch Bestimmung ihrer Selbstkosten und mittels ihrer Einsicht in ihre organische Einbindung in das gesamte Wirtschaftsleben einen tatsächlich „gerechten Preis“ ohne zerstörerischen Preiskampf bzw. ständischen Eigennutz festlegen könnten.280 Die ( scheinbaren ) Vorteile einer Wirtschaft , die im Sinne einer Ständeordnung organisiert ist , werden in weiteren Werken des Spann-Kreises deutlicher ausgeführt. Ebenfalls im Umkreis des Steirischen Heimatschutzes , jedoch nicht als dessen offizielle Publikation , erschien 1929 das Heft Für und wider den Ständestaat von Wilhelm Andreae , der damals außerordentlicher Universitätsprofessor für Nationalökonomie und Soziologie an der Karl-Franzens-Universität war und als Schüler und Mitarbeiter Othmar Spanns zu dessen engerem Kreis zählte.281 Sein Werk kann demnach einerseits als repräsentativ für den SpannKreis betrachtet werden , zudem können Rückschlüsse auf das geistige Klima an der Grazer Hochschule gezogen werden. Andreae sieht den Ständestaat als geeigneten Mittelweg zwischen Markt- und Planwirtschaft , der allein das „Cha279 Vgl. Othmar SPANN : Die Fragen im Begriffe der Volkswirtschaft. In : WAGENFÜHR ( Hg. ), Begriff , S.  95 f. 280 SPANN , Staat , S. 295. 281 Schriftliche Auskunft von Reinhard MÜLLER ( Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich ) an den Verf., 12. 01. 2011.

94

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

os“ dieser Wirtschaftssysteme überwinden und dem ökonomisch geschwächten Staat zu einer nachhaltigen Erholung verhelfen könne : „[ … ] Der Sieg des Kapitalismus führt zu einer Verwirtschaftlichung des Staates und der Sieg des Bolschewismus zu einer Verstaatlichung der Wirtschaft. [ … ] Wenn Kapitalismus und Sozialismus dem Wirtschaftsforscher gerade darum als Verfallsformen erscheinen , weil sie der Wirtschaft durch Befreiung von gesellschaftlichen Banden und dadurch erst mittelbar der Gesellschaft helfen wollen , so sieht der Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler umgekehrt die Heilung der Wirtschaft in gesellschaftlichen Kräften , die durch staatliche Organisation für die Wirtschaft fruchtbar zu machen sind.“282

Die wirtschaftliche Entwicklung sei nicht unabhängig von der geistigen zu betrachten oder als die geistige Entwicklung erst auslösend , vielmehr habe eine Erneuerung des Wirtschaftssystems bei dessen geistigen Grundlagen zu beginnen , wenn mehr als eine rein oberflächliche Korrektur vorgenommen werden sollte. Im Sinne der philosophischen Ausrichtung des Spann-Kreises wird die gesellschaftliche Erneuerung als notwendig betrachtet , bevor die Wirtschaft sich erholen könnte. Dem demokratischen System , welches die Auswahl seiner Führungskräfte ausschließlich nach dem Prinzip der Stimmenmaximierung über unmöglich zu erfüllende Wahlversprechen träfe , soll der ständisch organisierte und geschichtete Staat entgegengesetzt werden. Im organischen Ständestaat würden die „Führer“ auf jeder Ebene , beginnend mit der lokalen , dörflichen , durch die Angehörigen der Stände selbst bestimmt , wer sich auf dieser Stufe bewährt hätte , würde weiter aufsteigen usf. Die Berufung der Führungskräfte würde demnach nicht nach ideologischer Ausrichtung , Rednergabe oder ähnlichem erfolgen , sondern durch jene , die mit den zur Wahl stehenden Personen und deren Arbeit unmittelbar vertrat wären , was nach Ansicht Spanns und seiner Schüler ein hohes Maß an Objektivität sicherstelle.283 Andreae bezieht 282 Wilhelm ANDREAE : Für und wider den Ständestaat. (= Sonderdruck aus der Tagespost v. 22. 12. 1929 ), Graz , 1929 , S. 3 sowie S. 5. 283 Vgl. auch HEINRICH , Staat , S. 25 f. : „Dort westliche Demokratie , also atomistische Zusammenfassung des Staatswillens von unten nach oben , nach dem lügnerischen Verfahren der Parteidemokratie ; hier deutsche organische „Demokratie“: das ist : wahre Selbstverwaltung in kleinen Gemeinschaften verhältnismäßig Gleicher , am selben Lebenskreise Beteiligter. Diese verhältnismäßig Gleichen ( die an der gleichen Tätigkeit Befaßten ) werden sich als Sachverständige [ Hervorhebung im Original ] wenn schon vielleicht nicht immer den besten , so doch auch nicht den Schlechtesten zum Führer küren.“

b) Der Einfluss Othmar Spanns auf die Wirtschaftsideologie

95

sich in seiner Schrift positiv auf das faschistische Italien , rügt aber dessen Methoden und oft willkürliche Organisationsformen. Das italienische Beispiel zeige jedoch , dass ein korporativer Staatsaufbau möglich sei , insbesondere in Österreich , wo ein großer Teil der Menschen „einer echten Volksbewegung“284 angehörte. Darüber hinaus verneint der Autor die Möglichkeit eines Kampfes zwischen den Ständen , diese würden keinen nennenswerten Verbandseigennutz entwickeln , da einerseits die Stände Angehörige verschiedenster Klassen umfassten und zudem durch die fachmännische Führung sowie die Zusammenarbeit in Spitzenorganisationen der ständischen Wirtschaft die gegenseitige Abhängigkeit den jeweils Handelnden bewusst wäre. Zudem hätte der Staat eine starke Stellung als Aufsichtsorgan und Schlichtungsstelle.285 Eine dritte Broschüre , ebenfalls im Verlag des Steirischen Heimatschutzverbandes herausgegeben , trägt den Titel Kapitalismus und Sozialismus. Das gemeinsame ihrer Grundhaltung und die wahre Lösung der sozialen Frage. Als Verfasser angegeben ist ein „Dr. Hans Richter“, tatsächlich handelte es sich um Hans Riehl , damals Privatdozent ( später außerordentlicher Universitätsprofessor ) an der Universität Graz und in der Bundesführung der Heimwehren mit Propaganda-Aufgaben betraut. Riehl war – wie auch Heinrich und Andreae – ein enger Schüler und Mitarbeiter Othmar Spanns. Die Kritik an sozialistischen wie auch marktwirtschaftlichen Vorstellungen wird an deren falschen Begriffen von „Kapital“ und „Arbeit“ festgemacht , wobei weitestgehend der Argumentation Spanns in seinen Irrungen des Marxismus gefolgt wird. Spann ( und somit auch Riehl ) geht von einer Stufen- und Rangordnung beider Produktionsfaktoren aus , die höhere ( „geistige“ ) und niederwertige Formen umfassen und ihrer Natur nach eingesetzt werden müssen.286 Die damalige ( Welt- )Wirtschaftskrise wird von Spanns Schülern nicht zuletzt auf die ungeregelte Einfuhr ausländischer Waren zum Nachteil der heimischen Erzeuger und allgemein die chaotische Fluktuation von Angebot und Nachfrage zurückgeführt. Im Ständestaat würden die einzelnen Stände miteinander in Verhandlungen treten und bestimmte Produktions- und Verbrauchsziele vereinbaren , die mit den Mitteln der einheimischen Produktion erzielbar wären. Damit würden nach Heinrich einerseits die heimischen Un284 ANDREAE , Ständestaat , S. 10. ( gemeint ist die Heimwehr ). 285 Vgl. dazu auch MAASS , Weg , S.  79–95. 286 RICHTER , Kapitalismus , S. 51. „[ … ] die eigentliche Aufgabe liegt gerade darin , all diese Formen ihrem geistigen Wesen und Werte gemäß zu gliedern und gerecht zu beteilen“. Zur Rangfolge und Einteilung der Leistungen vgl. Othmar SPANN : Fundament der Volkswirtschaftslehre (= Gesamtausgabe , Bd. 3 ), Graz , 1967 , S. 119 ff.

96

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

ternehmer gestärkt – auch wenn sie nicht zu Weltmarktpreisen produzieren könnten – andererseits könnten die Stände auch die Konsumgewohnheiten nachhaltig an die heimischen Kapazitäten anpassen ( „planmäßige Beeinflussung des Bedarfes“ ). Dadurch sei die Gemeinnützigkeit der Wirtschaft sichergestellt.287 Spann stellte als eigentliches soziales Problem im Kapitalismus die Entwurzelung des Arbeiters fest ; dem sei zu begegnen , indem die Wirtschaftsweise wieder „bodenständig“ gemacht würde. Hierzu schlägt Heinrich eine Förderung der Landwirtschaft vor , die nicht durch Preisstützungen , sondern durch einen strukturellen Umbau der gesamten Wirtschaft zu erreichen sei : Die Schlagworte „Reagrarisierung“ und „Entstädterung“ werden in diesem Zusammenhang verwendet. Zu fördern sei darüber hinaus auch das Handwerk , und die Mechanisierung der Arbeit sei teilweise rückgängig zu machen. Der wirtschaftliche Vorteil hierbei sei in der höheren Qualität der händisch erzeugten Güter zu finden , wenn auch die erzeugte Menge durch solche Maßnahmen abnehmen könnte.288 In seinem Grundlagenwerk Der wahre Staat vertrat Spann darüber hinaus die Ansicht , dass die Ständeordnung das Problem der „Entwurzelung“ zusätzlich noch dadurch überwinden könne , dass durch organisatorische und strukturelle Reformen ( etwa im Bereich der Kapitalbeschaffung durch Kredite ) der Aufstieg des Arbeiters zum handwerklichen Kleinunternehmer ermöglicht würde. Dies würde die „Bodenständigkeit“ des Arbeiters erhöhen und darüber hinaus den Klassengegensatz zwischen Arbeitern und Unternehmern weitgehend aufheben.289 Im landwirtschaftlichen Bereich müsste die Wirtschaftspolitik auf die Bildung bzw. Erhaltung kleinstrukturierter Betriebe abzielen , die in genossenschaftlicher Weise miteinander verbunden wären.290 Besonders für die ( häufig stark verschuldete ) kleinbäuerliche Bevölkerung war diese Programmatik attraktiv : Das Versprechen auf Verbilligung der Kredite und Vereinfachung der Abwicklung von Subventionen durch die ständische Eigenverwaltung der Bauernschaft mochte 287 Vgl. HEINRICH , Staat , S. 34 f. 288 HEINRICH , Staat , S. 42. Die radikal anti-moderne Ausrichtung des Wirtschaftsdenkens im Spann-Kreis ist offensichtlich. SCHNELLER , Romantik , S. 56 , spricht von einer „wirklichkeitsfremde [ n ] Haltung Spanns , der die massiven sozialen und wirtschaftlichen Spannungen des industriellen Zeitalters durch die Beschwörung einer „organischen“ Geistigkeit der Gesellschaft zu lösen gedenkt [ … ]“. 289 Othmar SPANN : Staat , S. 306 f. 290 Vgl. SPANN , Staat , S. 308 f. Bemerkenswert ist , dass Spann die Problematik einer „Bewirtschaftung des Bodens von genügender Tüchtigkeit“ vor allem in großen und mittleren Betrieben sieht , während er Kleinbauerngüter als grundsätzlich „organisch“ und also tendenziell „richtig“ wirtschaftend betrachtet.

b) Der Einfluss Othmar Spanns auf die Wirtschaftsideologie

97

viele dazu bewogen haben , sich dem Heimatschutz anzuschließen. Die ständische Organisation wurde den Bauern mit dem Hinweis nähergebracht , gegenwärtig sei die Landwirtschaft vom Gutdünken jener Leute abhängig , die selbst keine diesbezüglichen Fachkenntnisse hätten , also nicht im notwendigen Maß „bodenständig“ seien. Hinzu kam das Versprechen eines starken und von einem entsprechend bevollmächtigten Führer geleiteten Staatswesens , das die Korruption in Verwaltungsbehörden und öffentlichen Unternehmen beenden würde.291 Eine weitere Broschüre erschien im selben Jahr unter dem Titel Gegen Parteienstaat , für Ständestaat. Als Verfasser wird „Reinald Dassel“ angegeben , ein Pseudonym , hinter dem sich wiederum Walter Heinrich verbirgt.292 Wie im Titel bereits angedeutet , wird eine umfassende Kritik des demokratischen und liberalen Staates unternommen , dem insbesondere vorgeworfen wird , die Herrschaft der Besten durch das Ideal der „Führerlosigkeit“ und die tatsächliche Führung durch Parteien und radikale Demagogen. Der individualistische Staat benötigt , so Heinrich , ein Bindeglied zwischen dem Einzelnen und der Regierung , dieses wird durch zufällig entstehende und auf reine Machtinteressen aufgebaute Parteien repräsentiert ; der wankelmütige „Volkswille“ und die Beliebigkeit und Zufälligkeit der Wahlergebnisse ermöglichten demnach keine auch nur teilweise zufriedenstellende Auswahl der Führenden ; der Mehrheitsgrundsatz sei untauglich , um zu guten oder auch nur brauchbaren Entscheidungen zu gelangen.293

c) W  idersprüche und Unklarheiten in der Konzeption des Spann-Kreises Interessant in der Kritik des Parteienstaates , die dem universalistischen Muster des Spann-Kreises folgt , ist der Vorwurf , Wirtschaftsverbände könnten die 291 Vgl. N. N. : Bauern , Augen auf ! Flugblatt des Steirischen Heimatschutzes. Sonderdruck aus Der Panther , 1. Jg , Nr. 8 , 21. 6. 1930. StLB , KS , Box 126. ( Kopie im Archiv des Verf. ). Dort heißt es weiter : „So wollen auch wir , daß im Staate Einer [ Hervorhebung im Original ] kommt , der gründlich ausmistet , Korruption , Parteienzank und Bolschewismus hinauswirft , damit wir einmal im Lande eine tadellose Wirtschaft haben , auf die wir als Deutsche und Steirer stolz sein können. Dies [ Hervorhebung im Original ] ist der Sinn des Korneuburger Programms der Heimatwehren.“ 292 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 367. 293 DASSEL , Parteienstaat , S. 18 : „Es ist keine einzelne sachlich richtige Entscheidung im demokratischen Verfahren des Auszählens zu gewinnen , es wäre denn durch Zufall.“ [ Hervorhebung im Original ].

98

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

einzelnen Parteien für die Durchsetzung ihrer Interessen einsetzen und ihn gewissermaßen als Instrument im Machtkampf mit anderen Gruppen missbrauchen.294 Der Parteienstaat wird demnach entschieden abgelehnt , wobei der sprachliche Duktus des Universitätsdozenten Walter Heinrich sich durchaus dem der Reden Walter Pfrimers annähert.295 Im nächsten Schritt – der Beschreibung des zukünftigen berufsständischen Aufbaus – werden die vorhandenen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände jedoch als brauchbare Basis für die Herausbildung echter ständischer Interessensvertretungen bezeichnet ; wenn nur sichergestellt sei , dass über diese der Stand der „Staatsführer“ die Aufsicht hätte , seien sie im Rahmen des organischen Aufbaus sogar notwendig. Das Argument , welches in ähnlicher Weise auch gegen die Arbeiterbewegung eingesetzt wird , lautet schließlich : Jeder Einzelne und jeder Stand im Wirtschaftsleben müsse seine ( untergeordnete ) Rolle im Staat akzeptieren , der Stand der Führer schließlich würde für einen gerechten Interessensausgleich Sorge tragen. Dieser Stand hätte die Selbstverwaltung der Stände derart zu überwachen , dass z. B. „Lücken“ im Wirtschaftsleben wie etwa das Fehlen eines bestimmten Industriezweiges geschlossen würden. Ansonsten hätte der Staat nur dort einzugreifen , wo die Stände offensichtlich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben gescheitert wären ; etwa die Sozialpolitik könnte in einem funktionierenden Ständestaat größtenteils an die Ständeorganisationen übertragen werden.296 Aufgaben der wirtschaftstreibenden Stände seien in ihren jeweiligen Bereichen z. B. die niedere Gerichtsbarkeit , die Administration der Fachausbildung und Sozialmaßnahmen ; sie könnten insgesamt durch die Übernahme der allgemeinen Verwaltungstätigkeit eine Entbürokratisierung des Staates vorantreiben ; der Staat als oberster Stand hätte dadurch für seine eigentlichen Aufgaben ( bspw. Außenpolitik ) mehr Kapazitäten. Die Unternehmerschaft sei – im Gegensatz zu den „Wirtschaftsführern“ des ständischen Mittelalters – rein am materiellen Gewinn orientiert und trage nicht mehr die Verantwortung für den gesamten gesellschaftlichen Lebenskreis , sie hätte die sozialen Bezie294 Die Pluralismus-Kritik und die implizite These vom Staat als „Beute“ im Machtkampf der einzelnen Interessensgruppen sind analog zur zeitgenössisch einflussreichen Kritik von Carl Schmitt zu betrachten. Vgl. Carl SCHMITT : Der Begriff des Politischen. Berlin , 1932 sowie daran anschließend Thor v. WALDSTEIN : Der Beutewert des Staates. Carl Schmitt und der Pluralismus. Graz , 2009. 295 Vgl. DASSEL , Parteienstaat , S.  23 : „Demokratie , Parlamentarismus , Parteienstaat : eine Lüge , eine Unmöglichkeit , eine Krankheit des Volkskörpers. Das ist unser Ergebnis.“ 296 SPANN , Staat , S. 225–245 und 258 f. sowie DASSEL , Parteienstaat , S. 29 f. Zur ständischen Selbstverwaltung und Sozialpolitik im Rahmen der „Werksgemeinschaft“ vgl. Kap. 2 der vorliegenden Arbeit.

c) Widersprüche und Unklarheiten in der Konzeption des Spann-Kreises

99

hungen auf Austauschbeziehungen reduziert ; der Unternehmer sei „in Dingen der wahren Bildung überaus subaltern“, so Spann. Zusammenfassend sind im Entwurf Spanns bzw. seiner Schüler folgende fünf Stände im wirtschaftlichen bzw. geistigen Leben einer Gesellschaft genannt : 297 1. Handarbeiter ( „verankert im sinnlich-vitalen Leben“ ) 2. Höhere Arbeiter ( „verankert [ … ] auch in einem höheren geistigen Leben , in diesem aber nur , im Wesentlichen , teilnehmend“ ) 3. Wirtschaftsführer , ( „die in wirtschaftlich-organisatorischer Hinsicht selbständig schöpferisch wirken , im übrigen aber mehr im SinnlichVitalen oder höchstens noch teilnehmend am Geistesleben verankert sind“ ) 4. Staatsführer ( „schöpferisch in sittlich-organisatorischer Hinsicht , im wesentlichen nur teilnehmend im höheren Geistesleben [ … ]“ ), hierzu zählen auch „höhere Krieger“ bzw. „höhere Priester“ 5. Weise ( „der schöpferisch höhere Lehrstand“ ), seine Werke werden von einem vermittelnden geistigen Stand ( 5a ) weitergegeben. Diese , bewusst an Platons Politeia angelehnte Konzeption298 unterscheidet sich von dieser vor allem durch die Trennung der „Weisen“ von der Staatsführung ; beim griechischen Denker hätten diese als „Philosophenkönige“ selbst geherrscht , was nach Spann zu viele praktische Schwierigkeiten mit sich brächte ; die Führung durch die Weisen sei eine rein geistige , die auf die meisten rein politischen Entscheidungen nicht direkt einwirken würden. Auffällig an Spanns Gesellschaftskonzeption ist insbesondere deren statischer Charakter : Das Phänomen des gesellschaftlichen Aufstiegs fehlt völlig in der Diskussion der neuen Wirtschaftsordnung.299 Die recht genau gezeichneten Eigenschaften der Angehörigen eines jeden Standes machen es jedoch auch gar nicht wünschenswert , dass der Einzelne sich aus einem Stand – zu dem er durch Begabung , Erziehung und Erfahrung gehört – „herauslöst“ und seinen Vorstellungen gemäß etwa durch Weiterbildung oder zusätzlichen Wohlstand auch im gesellschaftlichen Bereich aufsteigen kann. Dies muss im Kontext des universalistischen Freiheitsbegriffs verstanden werden , der sich von jenem des 297 SPANN , Staat , S. 242 f., Zitat S. 251. 298 Zu Spanns Bezug zu Platon vgl. MAASS , Weg , S.  64 , 69 , 104 sowie SCHNELLER , Romantik , S. 41 f. 299 Die strikte ständische Gliederung und die unüberbrückbaren Unterschiede zwischen höchsten und niedrigsten Ständen zeigen die Missachtung individueller Lebensvorstellungen. SCHNELLER , Romantik , spricht von einer „menschenverachtenden Haltung.“

100

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

individualistischen Liberalismus grundlegend unterscheidet.300 Der SpannKreis unterscheidet zwischen „unfruchtbarem“ und „fruchtbarem“ bzw. „heilsamem“ Zwang. Letzterer sei nicht nur gerechtfertigt , sondern sowohl gesellschaftlich als auch zur Erziehung des Individuums notwendig und daher richtig. Das Ziel ist nach dieser Vorstellung , ein Höchstmaß an geistiger Gemeinsamkeit zu erreichen ; zu diesem Zweck darf jedenfalls Zwang ausgeübt werden.301 Freiheit ist demnach etwas gleichsam von oben herab Definiertes : In der ständisch aufgebauten Gesellschaft hat letztlich der Staat ( die Regierung ) als Souverän einzig das Recht , die „geistigen Ziele“ bzw. deren Erscheinungsform und Durchsetzung zu bestimmen ; der Einzelne erweist seine Freiheit durch Anerkennung dieser autoritären Ordnung und sein Handeln innerhalb der durch diese auferlegten Beschränkungen.302 Das Führerprinzip und das Vertrauen in den Staat als kompetenten und unparteiischen Schiedsrichter – etwa im Bereich von Konflikten zwischen den Ständen – weisen deutlich erkennbar wesentliche metaphysische , ja sogar mystische Züge auf.303 Allgemein fällt auch auf , dass zwar detailliert eine hierarchische Gliederung der Gesellschaft , zwischen Führern und Geführten , konzipiert wird , allerdings nie näher erklärt wird , auf welche Weise die Führungskräfte ausgewählt und rekrutiert werden sollten. Diesbezügliche Ausführungen Spanns beschränken sich auf Floskeln und Alltagsweisheiten. Das beinahe mystische Vertrauen auf die berufenen „Führer“ entband offensichtlich von genauerem Nachdenken über die innere Dynamik eines ständischen Staates. Für das Wirtschaftsleben bedeutsam ist die Forderung nach einer Dezentralisierung der Verwaltung , die nach Spanns Entwurf hauptsächlich durch die Stände selbst erfolgen soll. Dadurch soll die Bürokratisierung des Staates vermindert und die Handlungsfähigkeit der Wirtschaft erhalten werden. Aus Sicht 300 Zum liberalen Freiheitsbegriff vgl. Friedrich August HAYEK : The Constitution of Liberty. London , 1963. 301 SPANN , Staat , S. 60 : „Nach universalistischer Auffassung ist Freiheit nicht das Gegenteil von Zwang , sondern nur das Gegenteil von geistiger Isolierung. [ … ] Positiv ist die Freiheit nicht , das zu tun , was ich will , sondern , zu tun , was fruchtbare Gemeinschaft fordert [ Hervorhebung im Original ] – was ich soll ; dieses „Soll“ aber ist ( universalistisch gedacht ) in der vollkommenen Gemeinschaft sowohl vom Standpunkt des Ganzen wie des Ichs das Gleiche.“ 302 Wiederum bemerkenswert ist hier Spanns Gleichklang mit Friedrich ENGELS : „Anti-Dühring“ ( Marx-Engels-Werke , Bd. 20 ), Berlin ( Ost ), 1962 , S. 106 f. Zu erklären ist dies aus der jeweiligen Rezeption Hegels , der sowohl Engels als auch Spann wesentlich beeinflusste. 303 SCHNELLER , Romantik , S. 46 ff. spricht zutreffend von einer Staats- , Gesellschaftsund Wirtschaftsauffassung , die tief im Irrationalen wurzelt.

c) Widersprüche und Unklarheiten in der Konzeption des Spann-Kreises

101

der heutigen Verwaltungsforschung wird die Schaffung kleinerer , flexibler und eigenverantwortlicher Einheiten in der Tat als wesentlicher Beitrag zur Verwaltungsverbesserung bzw. -vereinfachung vorgeschlagen.304 Es ist jedoch zu bezweifeln , dass Spanns Ständestaat als Vorläufer solcher Ansätze zu betrachten ist. Besonders die starke Stellung des autoritären Staates – der die Möglichkeit hat , überall in den Wirtschafts- und Verwaltungsablauf einzugreifen , wo die ständische Eigenverwaltung vermeintlich scheitert – weist darauf hin , dass eine tatsächlich bewegliche Administration staatlicher Belange durch eigenverantwortliche Einheiten im Ständestaat nicht möglich wäre. Hinzu kommt , dass die genannten modernen Ansätze im Sinne des „public choice“-Ansatzes den Einzelnen im Zentrum administrativer Tätigkeit sehen , während dies bei Spann wie bereits ausgeführt , nicht der Fall ist und sich stets der Einzelne den Gegebenheiten seines Standes und jenen , die der gesamte Staat bzw. der politische Stand der Staatsführer vorgibt , zu unterwerfen hat. Die universalistische Wirtschaftslehre lehnt wirtschaftliche Konzentrationsprozesse und Rationalisierungen nicht grundsätzlich ab , spricht ihnen jedoch in kleinstrukturierten Ländern wie etwa Österreich jede Berechtigung ab ; lediglich die Produktion für den Weltmarkt ( z. B. Eisen und Kohle ) darf im Rahmen großer Unternehmungen geschehen.305 Kommunistische und kapitalistische Wirtschaftsweise würden gleichermaßen der immer kapitalintensiveren und großtechnischen Produktion das Wort reden und seien damit beide im Irrtum , da schließlich die organische , bodenständige Gesellschaft solcher Massenproduktion nicht bedürfe. Es wird durchaus gesehen , dass Klein- und Mittelbetriebe weniger produktiv sind , jedoch werden verschiedene Gegenmaßnahmen vorgeschlagen : Neben der genannten „Beeinflussung des Verbrauchs“ ( hiermit sind Befehle der ständischen Führer an ihre Untergebenen gemeint ) werden auch der „Zug zur Selbstverwaltung“ ) (= Autarkie ) und der „Zug zur Gemeinnützigkeit“ unterstützt. Walter Heinrich sieht das wirtschaftliche Potenzial des Ständestaates besonders in den Verhandlungen der Stände untereinander , die im Sinne von Sammelbestellungen von Waren und Dienstleistungen untereinander zu mehr Gerechtigkeit führen würden , da ja die gegenseitige Abhängigkeit allen einsichtig sei. Das Bewusstsein der „völkischen“ Gemeinsamkeit wür304 Vgl. Kuno SCHEDLER /  Isabella PROELLER : New Public Management. Bern , 2006 , S.  87 ff. 305 Vgl. SPANN , Irrungen , S. 42 f. Ein Unternehmen wie die Alpine Montangesellschaft wäre demnach von Spanns Forderung nach einer kleinstrukturierten Wirtschaft nicht betroffen. Vgl. auch die Ausführungen weiter oben über die „Zielgleichheit“ in der „völkischen Wirtschaft.“

102

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

de das Gewinnstreben seitens der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer wesentlich reduzieren und das Kapital nicht rein nach Gesichtspunkten der Rentabilität , sondern solchen der „volkswirtschaftlichen Fruchtbarkeit“ zuweisen.306 Dies würde besonders auch im Bereich des Kreditwesens gelten , wo bisher benachteiligte Gruppen – etwa die Land- und Forstwirtschaft – zukünftig besseren Zugang zu Kapital zu niedrigen Zinssätzen haben würde. Aus dem Gesagten wird die deutliche Ablehnung der klassisch liberalen Auffassung von der Freizügigkeit und Beweglichkeit des Kapitals deutlich.307 Der Spann-Kreis vertritt die Überzeugung , eine Macht , welche selbst weder dem Kapital noch der Arbeit nahe steht oder von diesen abhängig ist , solle die Allokation übernehmen , da er als Träger der „höchsten geistigen Werte“ einer völkischen Gemeinschaft allein in der Lage sei , die richtigen Wirtschaftsziele zu definieren und deren Umsetzung in die Wege zu leiten.308 Wiederum wird die tatsächliche Lösung eines ( wirtschaftlichen ) Problems der Weisheit des Staatsführerstandes anvertraut. Spann stellt ( zutreffend ) fest , dass der Sozialismus als Wirtschaftsform nicht funktionsfähig ist ; es sei nicht möglich , etwa den jährlichen Bedarf eines Landes an Schuhen korrekt vorauszuplanen. In Kapitalismus und Sozialismus würden alle Unternehmen nach zusätzlichen Investitionen streben , um ihre Produktivität zu erhöhen , was jedoch falsch sei.309 Demnach sei also der Staat für die „ordnungsgemäße“ Allokation des Kapitals zuständig ; auf Basis welcher Informationen er dies tun kann , wird von Spann jedoch ebenso offen gelassen wie die Festlegung der Wirtschaftsziele insgesamt. Heinrich kommt zum Schluss , es würde in der ständischen Wirtschaft „der Zug zur Gemeinnützigkeit vorherrschen , ohne doch Freibeweglichkeit , Unternehmerinitiative , Führerpersönlichkeit auszuschalten.“310 Da gleichzeitig jedoch das Gewinnstreben verurteilt wird , kann davon ausgegangen werden , dass im Denken der Rich306 HEINRICH , Staat , S. 34 ff. Unter „Fruchtbarkeit“ ist der jeweils geleistete Beitrag zum Erreichen des gesellschaftlich-normativ gesetzten Wirtschaftszieles zu verstehen. Vgl. SPANN , Fundament , S. 253 ff. Heinrich weist verschiedentlich auf die unterschiedlichen Erträge verschiedener Wirtschaftszweige hin und sieht es als Beweis der Ungerechtigkeit des Kapitalismus , das jene miteinander verglichen würden , da sie grundverschieden voneinander seien. Fragen der Kapitalstruktur , des tatsächlichen ( Fremd- ) Kapitalbedarfes und der zeitlichen Struktur der Produktion ( vgl. Böhm-Bawerk ) werden allerdings völlig ausgeblendet. 307 Nach HEINRICH , Staat , S. 36 ist diese Lehre „ein satanisches Meisterstück der Unrichtigkeit.“ 308 Vgl. RICHTER , Kapitalismus , S. 52 309 SPANN , Irrungen , S. 41 f. 310 HEINRICH , Staat , S. 35.

c) Widersprüche und Unklarheiten in der Konzeption des Spann-Kreises

103

tung Spann–Heinrich–Riehl–Andreae der Unternehmer vornehmlich aus seiner Verpflichtung der völkischen Gemeinschaft gegenüber handelt ; zumindest wird sein Handlungsspielraum – in welchem er neue Faktorenkombinationen und Technologien umsetzen kann – durch die ständische Wirtschaftsorganisation und die staatliche Kapitalbewirtschaftung massiv eingeschränkt , was die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt hemmen würde.311 Als weiteres Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung im völkischen Ständestaat muss die von Spann vorgeschlagene Eigentumsordnung verstanden werden : Privateigentum besteht weiterhin , jedoch fast ausschließlich im formalen Zusammenhang. Im Sinne der ständischen Solidarität ist das Eigentum des Einzelnen jeweils auf den Stand , das des Standes auf den Staat hin auszurichten. Die gemeinnützige Verwendung des „Privateigentums“ wird durch „verneinenden Zwang“ (= Verbote , bspw. die Verweigerung eines Patents ) und Zwang „in aufbauender Weise“ ( etwa durch Anbauzwang für die Landwirtschaft , Einstellungszwang für Unternehmen u. a. ) sichergestellt. Für Spann ist Privateigentum zukünftig nicht mehr in der bisherigen kapitalistisch-individualistischen Weise zu verstehen , es hat im Ständestaat den Charakter des „Lehens“.312 In wissenschaftstheoretischer Hinsicht ist darauf hinzuweisen , dass Spann in einer entschiedenen Gegenposition zum damals ebenfalls an der Universität Wien einflussreichen „Wiener Kreis“ um die Philosophen Moritz Schlick und Rudolf Carnap stand , die eine sehr strenge Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen und metaphysischen Sätzen einführten , in welchem die empirische Belegbarkeit als zentrales „Sinnkriterium“ definiert wurde. Aussagen sind demnach als sinnlos zu bezeichnen , wenn sie Begriffe ohne empirischen Gehalt verwenden.313 Die Lehre Spanns wird jedoch ganz wesentlich von einem geschlossenen , mithin hermetischen Begriffssystem geprägt , seine Ablehnung der Kausalität und sein naiver Idealismus und Begriffsrealismus machen eine im engeren Sinn wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit unmöglich. Bereits von Zeitgenossen verschiedenster politischer und philosophischer Ausrichtung wurde darauf hingewiesen , dass es sich im Kern um ideologische Festlegungen handelte , die der empirischen Wirklichkeit kaum

311 SPANN , Staat , S. 197 f. kritisiert , im Kommunismus würde Unternehmergeist durch Beamtenmentalität ersetzt ; dass diese Kritik auch auf seinen „wahren Staat“ bezogen werden kann , ist offensichtlich. 312 SPANN , Staat , S. 283 ff. 313 Vgl. Rudolf CARNAP : Scheinprobleme in der Philosophie. Leipzig–Berlin , 1928.

104

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

verbunden sind.314 Die Wirkung Spanns , der als mitreißender und äußerst suggestiver Vortragender beschrieben wird , kann allerdings gerade auf diese Tatsache zurückgeführt werden : Der direkte Zugriff über eine „ganzheitliche Wesensschau“, wie Spann sie als eigentliche „Methode“ propagierte , erschien vielen Studenten wesentlich lebendiger und zeitnäher als die klassische akademische Methodik und erlaubte erst weitreichende und im engeren Sinn „universalistische“ Entwürfe.315

d) D  er Korneuburger Eid als Bekenntnis zur „völkischen Wirtschaft“ Der breiten Öffentlichkeit blieben die dargestellten ideologischen Grundlegungen zunächst weitgehend unbekannt. Als wesentliches veröffentlichtes Dokument der Hinwendung der Heimwehren zum Denken des Spann-Kreises ist – auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht – der „Korneuburger Eid“ zu nennen. Die Überrumpelung der christlichsozialen Kräfte316 in der Heimwehr war zwar der eigentliche Grund für die Verkündung des Eides , jedoch kann der Eid auch als Versuch verstanden werden , die seit Ende 1929 deutlich sichtbaren Unterschiede zwischen der deutsch-völkischen ( damals bereits auf Spann aufbauenden ) Ausrichtung Pfrimers und der offen faschistischen Richtung Steidles verstanden werden. Auf solche Unterschiede weist etwa Steidles Rede in Korneuburg hin , wo er die ( steirische ) Auffassung zurückwies , wonach kein Heimwehrführer als Mitglied einer politischen Partei ein öffentliches Mandat ausüben sollte ; aber auch Pfrimers Bemühen um eine klare völkische und antiklerikalen Linie der Bundesführung.317 Steidle hingegen stand unter star314 Zur Kritik an Spanns wissenschaftstheoretischer Position vgl. Arnulf RIEBER : Vom Positivismus zum Universalismus. Untersuchungen zur Entwicklung und Kritik des Ganzheitsbegriffs von Othmar Spann. (= Beiträge zur Geschichte der Sozialwissenschaften , Bd. 2 ). Berlin , 1971 , S. 14 f., bes. Anm. 10. 315 MAASS , Weg , S. 32. Hingegen vermutet CARSTEN , Faschismus , S. 157 , dass vor allem die wirklichkeitsabgewandte , eskapistische Seite des Spann’schen Denkens für die akademische Jugend besonders attraktiv war ; häufig sah man sich selbst wohl in der Rolle des obersten Standes , der „Weisen“ bzw. „geistigen Helden“ des „wahren Staates“. 316 Vgl. dazu Kap. 1 sowie Walter WILTSCHEGG : Zum „Korneuburger Gelöbnis“ der Heimwehr. In : Geschichte und Gegenwart. 5. Jg , 2 / 1986 , S. 139–158 , hier S. 140 f. 317 Vgl. EDMONDSON Heimwehr , S. 93 ff. Die Vermutung bei CARSTEN , Faschismus , S. 160 , Steidle sei vor allem am italienischen Faschismus orientiert gewesen , trifft wohl zu , der Text des Eides wurde jedoch von Walter Heinrich verfasst und von Steidle und Pfrimer gemeinschaftlich redigiert ; kann also als „Gemeinschaftsprodukt“ beider Rich-

d) Der Korneuburger Eid als Bekenntnis zur „völkischen Wirtschaft“

105

kem Einfluss des ehemaligen Bundeskanzlers Ignaz Seipel , der in einer Gegnerschaft zu den völkisch ausgerichteten Heimwehrkräften stand. Obgleich in der Heimwehr vor und nach dem Korneuburger Eid eine Vielzahl unterschiedlicher Meinungen vertreten wurde und die Formulierung sicherlich auch als Kompromiss zu verstehen ist , kann das Gelöbnis als authentischer Ausdruck der damals im Steirischen Heimatschutz vertretenen ( auch wirtschafts- )politischen Ansichten verstanden werden.318 In der neueren Forschung wird sogar die Ansicht vertreten , das Korneuburger Programm sei ein zentrales Anzeichen dafür , dass Pfrimers radikaler Kurs nunmehr zur Linie der Heimwehrbewegung in ganz Österreich wurde.319 Die in wirtschaftspolitischer Hinsicht besonders bedeutsamen Passagen des Eides lauten : „Wir kämpfen gegen die Zersetzung unseres Volkes durch den marxistischen Klassenkampf und durch die liberal-kapitalistische Wirtschaftsgestaltung. Wir wollen auf berufsständischer Grundlage die Selbstverwaltung der Wirtschaft verwirklichen. [ … ] Wir wollen durch eine bodenständige und gemeinnützige Wirtschaft den Wohlstand unseres Volkes heben. Der Staat ist die Verkörperung des Volksganzen ; seine Macht und Führung wacht darüber , daß die Stände den Notwendigkeiten der Volksgemeinschaft eingeordnet bleiben.“320

Der erste Satz betrifft die Gegnerschaft des Spann-Kreises zu beiden Wirtschaftssystemen , erkennbar ist der Versuch , die Frontstellung „kapitalistisch-sozialistisch“ durch „individualistisch-ganzheitlich“ zu ersetzen. Die berufsständische Organisation der Wirtschaft ist ebenfalls direkt aus den Publikationen der Gruppe Spann–Heinrich–Riehl–Andreae entnommen und kann als Kern der ordnungspolitischen Auffassung der Heimwehren betrachtet werden. Interessanter ist die Formulierung , wonach eine „bodenständige und gemeinnützige“ Wirtschaftsweise einzuführen sei. Dies ist im Zusammenhang mit dem bisher Ausgeführten ( insbesondere in Bezug auf die Landwirtschaft ) zu verstehen.

tungen verstanden werden. Vgl. WILTSCHEGG , Gelöbnis , in GuG , 2 / 1986 , S. 142 sowie EDMONDSON , Heimwehr , S. 98. 318 Noch im steirischen Heimatschutz-Jahrbuch von 1933 wird der Korneuburger Eid unter dem Titel „Richtung und Gesetz der Heimatwehren – Das Bekenntnis von Korneuburg“ vollinhaltlich abgedruckt : vgl. KOGELNIK ( Hg. ), Jahrbuch , S. 43. 319 LAURIDSEN , Right , S. 196., bes. Anm. 9 und 10. 320 Zit. n. Klaus BERCHTOLD ( Hg. ): Österreichische Parteiprogramme 1868–1966. München , 1967 , S. 403.

106

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

Eine Gesamtbewertung des Korneuburger Eides der Heimwehren muss schließlich die Frage beantworten , inwiefern dieser als „eindeutig faschistisch“321 zu beurteilen ist. Diese Frage ist zentral für die Kategorisierung des Steirischen Heimatschutzes als faschistische oder aber völkisch-nationalistische Organisation. Diese Unterscheidung erscheint notwendig in Hinblick auf die damals nicht nur innerhalb der Heimwehren , sondern bis etwa 1936 auch zwischen Faschismus und Nationalsozialismus vorhandenen Richtungsunterschiede , die in der Forschung auch ausgiebig diskutiert werden. Die Auffassung , wonach die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie alleine bereits als Hinwendung zum Faschismus zu betrachten sei , wird in der neueren Forschung abgelehnt ; überdies seien derartige Forderungen bereits in der Frühzeit der Heimwehrbewegung vertreten worden ; von einer Hinwendung zum Faschismus durch den Korneuburger Eid könne folglich nicht gesprochen werden.322 Der offen anschlussbereite , völkisch-großdeutsche Flügel , den besonders der Steirische Heimatschutz repräsentierte , nahm bereits frühzeitig die Ideen des Spann-Kreises auf , der wiederum bis nach 1933 den Nationalsozialismus positiv bewertete. Spann und seine Schüler hofften überdies , die Lücken der nationalsozialistischen Ideologie mit ihren eigenen universalistischen Ideen ausfüllen zu können.323 Der Faschismus hingegen wird – trotz grundlegender Zustimmung zur Abkehr von Demokratie und Parlamentarismus – in seiner theoretischen Konzeption in zentralen Punkten als unrichtig betrachtet : Walter Heinrich führt aus , dass die ständische Selbstverwaltung im faschistischen Staat nicht hinreichend verwirklicht sei , vielmehr würde der Staat in zu vielen Bereichen selbst die Steuerung übernehmen und damit der Zentralisierung und Bürokratisierung auch des wirtschaftlichen Lebens Vorschub leisten , Heinrich spricht von 321 So PAULEY , Hahnenschwanz , S. 75. 322 Vgl. LAURIDSEN , Right , S. 198. Dort auch Kritik der Darstellung bei CARSTEN , Faschismus , S. 160 ff. Stanley G. PAYNE : A History of Fascism. 1914–1945. London , 1997 , S. 247 sagt auf den Korneuburger Eidbezogen : „Even this was not clear-cut fascism , and it led to a new split between proto-fascist radicals and more moderate catholics [ … ]“ Payne betrachtet ( S. 15 ) die NSDAP ( und implizit auch den mit ihr sympathisierenden Steirischen Heimatschutz ) als „fascist“, während die übrige Heimwehr als „radical right“ und die spätere Vaterländische Front als „conservative right“ eingeordnet wird. Payne sieht den Machtkampf nicht als Auseinandersetzung zwischen „faschistisch“ und „völkisch“, sondern zwischen „moderate“, und „fascist“ was im Sinne seiner Faschismusdefinition korrekt , jedoch im begrifflichen Zusammenhang der vorliegenden Arbeit etwas verwirrend ist. 323 Vgl. SCHNELLER , Romantik , S. 143 ff. Das 1933 gegründete „Institut für Ständewesen“ konnte jedoch nicht den erhofften Einfluss gewinnen.

d) Der Korneuburger Eid als Bekenntnis zur „völkischen Wirtschaft“

107

„staatssozialistischen Zügen“. Der Grund dafür sei die fehlende Einsicht in die organisch-ständische Gliederung der Ganzheit ; dies würde dazu führen , den Staat als „total“ zu betrachten , anstatt als „Führer-Stand“, der – wie jeder andere Stand – einen bestimmten „arteigenen“ Wirkungskreis hätte. Da der Staat nach faschistischer Doktrin nichts anderes sei als die Zusammenfassung aller Korporationen , hätte er in einem solchen Staat auch direkt und ständig in die Tätigkeit dieser Verbände einzugreifen. Dieser und andere Mängel haben die insgesamt negative Beurteilung durch Heinrich als befugten Repräsentanten des Spann-Kreises zur Folge. Nach Heinrich ist der faschistische Staat „für die ständische Auffassung immer noch ein Übergangs- und Notzustand [ … ].“324 Wenn Pfrimer in einer Rede am selben Tag ( allerdings in Neunkirchen , nicht in Korneuburg ) sich zum Faschismus bekannte , so kann darin einerseits ein taktisches Bekenntnis vermutet werden – eine Sprachregelung , auf die sich Pfrimer und Steidle geeinigt hatten , nachdem das Programm selbst eher im „steirischen“ ( also ständischen ) Sinne formuliert worden war. Auf der anderen Seite kann jedoch gerade bei Pfrimer , einem wenig intellektuellen und eher praktisch-politisch denkenden Mann325 auch davon ausgegangen werden , dass für ihn „Faschismus“ gleichbedeutend mit dem Streben nach Macht an sich war und nicht in erster Linie eine weitergehende oder in umfassender Weise ideologisch ausgearbeitete Konzeption bedeutete.326 In diesem Sinne wesentlich bedeutsamer ist ein Beitrag von Hanns Albin Rauter , dem Stabschef und „geistigen Führer“327 des Steirischen Heimatschutzes , in der gleichen Ausgabe des Panthers. In einem Leitartikel mit dem Titel „Die Würfel sind gefallen“ bekannte er sich zum Korneuburger Eid , dessen Gedanken nunmehr in die Tat umgesetzt werden müssten. Deutlich wird die Verknüpfung von völkischen und ständischen Konzepten in der Ideolo324 Walter HEINRICH : Der Faschismus. Staat und Wirtschaft im neuen Italien. München , 1932 , S. 169–175 , Zitat S. 172. 325 Vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 195 f. 326 N. N. : Das rote Neunkirchen gefallen. Dr. Pfrimer berichtet von Korneuburg. In : Der Panther , 1. Jg , Nr. 4 , 24. 5. 1930 , S. 3. Der genaue Wortlaut legt eine solche Deutung nahe : „Es trat hiebei die Überzeugung zutage , dass uns in Österreich nur mehr der Faschismus retten könne. Wir müssen trachten , die Gewalt in diesem Staate zu übernehmen und wir werden die Selbstverwaltung durch Führer unserer Bewegung in die Hand nehmen.“ Ironischerweise sah Pfrimer den tatsächlichen Charakter des Faschismus – die Orientierung an reiner Machtpolitik – damit wesentlicher klarer als Spann und Heinrich , die etwa Mussolini primär als Erbauer eines neuen geistigen Systems verstanden. Vgl. SCHNELLER , Romantik , S. 160. 327 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 242.

108

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

gie des Heimatschutzes ; die grundlegende Ablehnung „wesensfremder Gebilde“ kann schließlich gedanklich auch auf eine kritiklose Übernahme des italienischen Faschismus bezogen werden : „Die Voraussetzung der Neuordnung von Staat und Wirtschaft ist die Eroberung der Macht im Staate. [ … ] Entweder siegt der große Gedanke einer Neuordnung aller völkischen Bereiche auf ständischer Grundlage , der alle schöpferischen Kräfte wieder zur Entfaltung bringt , [ … ] oder Staat und Volk geht [ sic ! ] auf dem Wege des demokratischen Systems rettungslos den vernichtenden Kräften des Bolschewismus entgegen. [ … ] Wir müssen uns auf die eigene Kraft besinnen und an Stelle eines uns wesensfremden Gebildes , das die Gemeinschaft des deutschen Volkes zerstört hat , einen solchen Aufbau setzen , der unserer Denk- und Lebensart gemäß ist.“328

In diesem Zusammenhang muss nochmals auf die ökonomische bzw. gesellschaftsphilosophische Schule von Othmar Spann eingegangen werden , insbesondere auf seine bis 1929 in drei Auflagen veröffentlichte Schrift Vom Wesen des Volkstums – was ist deutsch ? In einer gewissen Abweichung vom damaligen Zeitgeist betrachtet Spann weder „Staat“ noch „Rasse“ als konstituierende Elemente für das Volkstum ; dieses betrachtet er vielmehr – im Sinne seiner universalistischen Lehre – als Ausprägung der geistigen Eigenschaften der Bevölkerung eines Gebietes. Diese geistigen Eigenschaften werden im „Kulturinhalt“ deutlich , der unter anderem Religion , Philosophie , Wissenschaft und Kunst umfasst. Die äußere materielle Entwicklung einer Gesellschaft ist hingegen für die Entwicklung des „völkischen Charakters“ nicht von Bedeutung , Spann meinte , es sei denkbar , dass zwei benachbarte Völker ein ähnliches zivilisatorisches Niveau erreichten , ohne sich dadurch jedoch geistig ähnlich zu werden. „Völkisch“ zu sein bedeutet demnach , die jeweils eigene Geisteshaltung zu vertreten und zu leben.329 Da auch die wirtschaftliche Entwicklung an völkischen Charakter gebunden ist , muss dieser zunächst bestimmt werden , um die jeweils „arteigene“ Wirtschaftsform zu erkennen. Als Wesenszüge des Deutschen erkennt Spann Ernst , Innerlichkeit und Hingabe an das Wesen einer Sache sowie systematisches und theoretisches Denken. Naturrecht , Individualismus und Marktwirtschaft hätten im ökonomischen Bereich den 328 Hanns Albin RAUTER : Die Würfel sind gefallen. In : Der Panther , 1. Jg , Nr. 4 , 24. 5. 1930 , S.  1 f. 329 Othmar SPANN : Vom Wesen des Volkstums – was ist deutsch ? In : Othmar SPANN : Kleine Schriften zur Wirtschafts- und Gesellschaftslehre (= Gesammelte Werke , Bd. 8 ) S. 3–46 , hier S. 9 ff.

d) Der Korneuburger Eid als Bekenntnis zur „völkischen Wirtschaft“

109

Blick auf das Volkstum als eigentlich „schöpferische Kraft geistiger Gemeinschaft“330 verschüttet. Spann fordert – und in diesem Sinne ist Rauters Leitartikel zu verstehen – den organisch aufgebauten Ständestaat und die völkische Wirtschaft als tatsächlich dem deutschen Volk aufgrund seiner Charaktereigenschaften angemessene Organisationsform des öffentlichen Lebens wieder aufzurichten. Die Worte „höherwertig“ bzw. „minderwertig“, die im Wahren Staat häufig vorkommen , können daher mit „deutsch , volksgebunden , überliefert“ bzw. „undeutsch , wurzellos , fremd“ umschrieben werden.331 In dieser Hinsicht ist die ständisch organisierte völkische Wirtschaft ( wie Spann sie praktischerweise selbst theoretisch fundiert hat ) als besonders „deutsch“ und somit dem Volkscharakter besonders angemessen zu beurteilen , während Liberalismus und Demokratie den Verfall nicht nur der Wirtschaft , sondern des gesamten Volkstums zu verantworten hätten.

e) Das Nationalratsprogramm des Heimatblocks 1930 Die programmatische Arbeit des Steirischen Heimatschutzes in den Jahren 1929 und 1930 war , wie gezeigt wurde , eine sehr intensive und führte dazu , dass die Vorstellungen des Universalismus auch in der gesamten Heimwehrbewegung beachtliche Verbreitung fanden. Anlässlich der Nationalratswahl im September 1930 , bei der die Heimwehren als „Heimatblock“ kandidierten , wurde auch ein Allgemeines Grundsatzprogramm verfasst , in welchem die grundlegende Umgestaltung der Wirtschaftsordnung nach Spanns Grundsätzen gefordert wurde.332 Das Wahlprogramm selbst kann daher als erster praktisch-politischer Schritt hin zu deren Verwirklichung betrachtet werden.333 Gleichwohl wird gleich zu Beginn gesagt , dass das Programm nur einen kurzfristigen Charakter hat , ein Notfallplan , um das Land aus der derzeitigen wirtschaftlichen 330 SPANN , Volkstum , in GW , Bd. 8 , S. 44. Er bezieht sich auch ausdrücklich auf Richard Wagners Wort „Deutsch sein heißt , eine Sache um ihrer selbst willen zu tun“. 331 Vgl. MAASS , Weg , S. 98. Zum geistigen Volkstumsbegriff Spanns , der das Deutsche weitgehend idealisiert , tritt ab 1934 auch ein ( zuvor nicht vorhandener ) Antisemitismus hinzu. Vgl. SCHNELLER , Romantik , S. 53 f. 332 Allgemeine politische Grundsätze des Heimatblocks , 1930. In : BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 403–406 , hier S. 405 : „Auf wirtschaftliche Rettung können wir nicht warten , bis der Kampf gegen den Parteienstaat entschieden ist. Wirtschaftliche Hilfe muß sofort kommen oder sie kommt zu spät. Diese wirtschaftliche Hilfe will der Heimatblock bringen.“ 333 Vgl. PIRCHER , Vorstellungen , S.  41.

110

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

Situation zu befreien ; der ständische Aufbau wird verhältnismäßig knapp gezeichnet. Die Dringlichkeit wirtschaftspolitischer Maßnahmen kann anhand der Arbeitslosenzahlen jener Zeit anschaulich gemacht werden : Im zu Ende gehenden Jahr 1930 erreichte die Arbeitslosenquote einen Wert von 15 % , das Bruttonationalprodukt sank gegenüber dem Vorjahr um 2,8 % , im Jahr 1931 würde es schließlich ein Rückgang von 8 % sein.334 Die erste Forderung war die Vierjahresplanung der Wirtschaft , worunter eine vierjährliche Budgetierung für alle Gebietskörperschaften sowie der Abschluss von Zoll- und Handelsverträgen auf die gleiche zeitliche Dauer verstanden wurden. Dadurch sollte für Unternehmer und Investoren die Unstetigkeit verringert werden , die – nach Spann – ein Hauptcharakteristikum des Liberalismus und der durch ihn entstandenen Weltwirtschaftskrise darstellt. Eine Verwaltungs- und Verfassungsreform sollte dem übergeordneten Ziel der Entbürokratisierung dienen und sich an wirtschaftlichen Grundsätzen orientieren ( z. B. wird eine Kosten-Nutzen-Aufstellung neuer und bestehender Gesetze gefordert sowie eine Aufhebung von Bagatellsteuern und Vereinfachung der Steuergesetze. )335 In geldwirtschaftlicher Hinsicht konstatiert der Heimatblock ( zutreffend ) eine „Kreditklemme“: Hohe Kreditzinsen bei gleichzeitig niedrigen Sparzinsen würden Innovation und technischen Fortschritt in allen Wirtschaftszweigen hemmen und deren Niedergang mitverursachen. Die Gefahr einer Kapitalflucht bei allzu drastischen Maßnahmen sei bekannt , daher forderte man als ersten Schritt eine Bankenkontrolle „nach englischem Muster“.336 Für die Dauer des Vierjahresplanes soll die Aufnahme weiterer Auslandsanleihen unterbleiben , stattdessen sollen ( zum gleichen Zinssatz ) Anleihen in Österreich aufgelegt werden ; zudem sollten Gebietskörperschaften ihre Guthaben künftig nur mehr bei Instituten anlegen dürfen , die sich selbst im 334 Vgl. SANDGRUBER , Ökonomie , S. 382. 335 Nationalratsprogramm des Heimatblocks , 1930. In : BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 406–427 , hier S. 406 ff. 336 Die genaue Bedeutung dieser Forderung ist unklar. Eine strenge Regulierung des britischen Bankwesens war 1930 noch nicht vorhanden. Möglicherweise bezog sich der Heimatblock auf die interventionistischen Vorschläge , die der britische Minister Sir Oswald Mosley ( mit Zustimmung von John Maynard Keynes ) in seinem „Mosley-Memorandum“ im Frühjahr 1930 gemacht hatte ; darunter waren auch die Gründung einer staatlichen Industriebank zur Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die Bildung eines „Krisenstabes“ zur Gesamtsteuerung der Wirtschaft. Vgl. Nigel JONES : Mosley. London , 2004 , S. 48 ff. Im Dezember 1930 – mehrere Wochen nach der Nationalratswahl – forderte der Heimatblock die Etablierung eines „Wirtschaftsdirektoriums“ aus Vertretern von Politik und Ständen. Vgl. N. N. : Wirtschafts-Vierjahresplan des Heimatblocks. In : Der Panther , 1. Jg , Nr. 32 , 6. 12. 1930 , S. 1.

e) Das Nationalratsprogramm des Heimatblocks 1930

111

öffentlichen Eigentum befänden. Die Transferierung aller Gelder auf staatliche Banken würde zudem deren Kapital vergrößern und es diesen Banken ermöglichen , zinsgünstige Kredite an Gewerbe , Industrie und Landwirtschaft zu vergeben. Besonders der „kapitalschwache Mittelstand in Stadt und Land“337 solle Empfänger solcher Kredite sein. Man kann jedoch feststellen , dass der Heimatblock die Möglichkeiten des österreichischen Kapitalmarktes überschätzte , hingegen das Gewicht der Reparationen und Auslandsschulden sowie der laufenden staatlichen Zahlungsverpflichtungen unterschätzte.338 Im Bereich der Besteuerung forderten die Heimwehren eine Festlegung der maximalen Steuerkopfquote , damit besonders die Landes- und Gemeindesteuern keine wirtschaftsgeografisch ungleichmäßige Belastung bestimmter Bevölkerungsteile zur Folge hätten. Dadurch würden die Einnahmen der Gebietskörperschaften in den ärmeren Landesteilen drastisch einbrechen ; um dem abzuhelfen , schlägt der Heimatblock hier einen Finanzausgleich ( „ Abgabenteilung“ ) vor. Zudem soll der Ermessensspielraum von Finanzbeamten eingeschränkt und ein „Steuerberufungsgericht“ geschaffen werden. Die verschiedenen Sozialversicherungskassen sollten durch eine „Volksversicherung“ ersetzt werden , in der sämtliche Ansprüche aller unselbstständig Erwerbstätigen zusammengefasst. Die geleisteten Beiträge jedes Versicherten würden in einen allgemeinen Beitrag und einen Sparbeitrag geteilt – Letzterer würde auf dem individuellen Beitragskonto gutgeschrieben , die Summe der allgemeinen Beiträge würde in ein Ausgleichskonto fließen. Die Ansprüche des Einzelnen während der Erwerbstätigkeit würden aus dem eigenen Konto heraus gedeckt , sodass nur in Ausnahmefällen das allgemeine Konto belastet würde. Vielmehr hätten „angestellte Berechnungen“ gezeigt , dass mit dem 65. Lebensjahr auf dem individuellen Konto ein Guthaben vorhanden sei , das dem 337 Nationalratsprogramm. In : BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 411. Die Bankenkrise , die in Österreich mit Unterbrechungen seit 1924 andauerte , wurde durch den plötzlichen Abfluss US-amerikanischen Kapitals noch verschärft. Vgl. SANDGRUBER , Ökonomie , S. 387 f. Ein konkretes Mittel gegen Kapitalmangel und Kapitalabfluss hatte der Heimatblock – ebenso wie die anderen Parteien – nicht anzubieten. 338 Vgl. Karl BACHINGER : Die Weltwirtschaftskrise oder die Ratlosigkeit der Politik. In : BACHINGER et. al., Schilling , S. 89–113 , hier S. 95. Z. B. musste die Londoner Investitionsanleihe vom Juni 1930 über 395 Millionen Schilling zum Großteil zur Deckung von Kassenbedürfnissen und Investitionen ( v. a. bei Post und Bundesbahn ) verwendet werden. Vgl. Hans KERNBAUER : Zur österreichischen Wirtschaftspolitik in der Ersten Republik. Ein Überblick. In : Alice TEICHOVA ( Hg. ): Banken , Währung und Politik im Mitteleuropa zwischen den Weltkriegen. (= Geld und Kapital. Jahrbuch der Gesellschaft für Mitteleuropäische Banken- und Sparkassengeschichte , Bd.1 ). Wien , 1997 , S. 45–62 , hier S. 50.

112

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

Versicherten ausbezahlt werden könnte.339 Daneben findet sich – wie an verschiedenen Stellen im gesamten Programm – der Hinweis auf die bisherige Misswirtschaft und Korruption durch die politischen Parteien. Die Reformen des Heimatblocks , so wird immer wieder betont , würden allein dadurch , dass sie parteipolitische Einflüsse in der öffentlichen Verwaltung und der öffentlichen Wirtschaft brechen könnten , zur Gesundung der öffentlichen und privaten Wirtschaft beitragen.340 Der Heimatblock forderte die Einführung einer Arbeitsdienstpflicht ; einerseits als Ersatz für den – im Vertrag von Saint-Germain ausdrücklich verbotenen – allgemeinen Wehrdienst , also um eine ( vor- )militärische Schulung vor allem junger Arbeitsloser zu ermöglichen , das Wahlprogramm verwendet den Ausdruck „Arbeitsarmee“. Andererseits sah man das ökonomische Potenzial solcher Maßnahmen : insbesondere Infrastrukturmaßnahmen wie der Bau von Straßen und Eisenbahnstrecken und die Förderung der Landwirtschaft durch Bewässerung und Bodenverbesserung. Es sei – nach reichsdeutschem Vorbild – darauf zu achten , dass die „Arbeitsarmee“ nur solche Projekte in Angriff nähme , die volkswirtschaftlichen Nutzen stiften , jedoch betriebswirtschaftlich unrentabel seien ; dadurch würde die Privatwirtschaft nicht geschädigt , sondern vielmehr nachhaltig gestärkt werden , da bestimmte Infrastrukturinvestitionen vom privatwirtschaftlichen Standpunkt aus unrentabel , aus gesamtökonomischer Sicht jedoch zum Fortschritt und zur Stärkung der „völkischen Wirtschaft“ beitragen würden. Hinzu käme , dass die Arbeitsarmee eine rasch verfügbare ( para- )militärisch strukturierte Organisation sein würde , die etwa bei Naturkatastrophen einsetzbar wäre und auf lange Sicht in eine Milizarmee nach Schweizer Vorbild überführt werden könne. Die Dienstpflicht würde einen dreifachen Effekt erzielen : Stabilisierung des Arbeitsmarktes , Ausbau der Infrastruktur und Verdrängung von „Arbeitsscheuen“ aus dem Sozialsystem.341 339 BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 413 f. Die vorgeschlagenen Reformen würden mit dem Ziel der Sicherung des Sozialsystems vorgenommen , ausdrücklich wendet sich der Heimatblock gegen eine „Sozialreaktion“ und für eine „menschenwürdige Behandlung von Kleinrentnern und Ruheständlern“. Vgl. Flugblatt : Die Ziele des Heimatblocks. ( November 1930 ) In : StLB , KS , Box 126 ( Kopie im Archiv des Verf. ) Abgelehnt werden u. a. der „liberale Begriff des Staatsbürgers“ und die „Herrschaft des internationalen Spekulationskapitals , das nur dem Augenblicksgewinn nachjagt [ … ]“. 340 Ausdrücklich genannt werden etwa die Affären um die Postsparkasse , die Bundesbahnen , das Dorotheum und das Arsenal. 341 Mit diesem Vorschlag befand sich der Heimatblock durchaus auf der Höhe der wirtschaftspolitischen Diskussion seiner Zeit. Innerhalb der kommenden Jahre wurden in vielen Staaten derartige „Arbeitsarmeen“ gebildet.

e) Das Nationalratsprogramm des Heimatblocks 1930

113

Die bildungspolitische Programmatik des Heimatblocks zeigt – deutlicher als die meisten anderen Forderungen – den Bezug auf die ständische Gesellschaftskonzeption des Spann-Kreises : Es wird bemängelt , dass Stipendien und Zuschüsse zu einer „Überproduktion“ an Akademikern und Gymnasialabsolventen geführt hätten , die in anderen Wirtschaftszweigen hingegen dringend gebraucht würden. Die handwerkliche und bäuerliche Ausbildung hingegen sei zu fördern , um diese Stände zu stärken und in der Erfüllung ihrer Gemeinschaftsaufgaben fähiger zu machen. Mit Spann wird demnach ein Fehler im organischen Aufbau des Staates bzw. der Wirtschaft postuliert : Die Schichtung der Gesellschaft , die nach wertmäßigen Gesichtspunkten durch die Herrschaft vorgenommen wird , ist nach Ansicht Spanns , die sich hier im Heimatblock direkt wiederfindet , im Geist der Aufklärung falsch vorgenommen worden.342 Akademische Bildung würde als einziges und höchstes Ziel postuliert , dabei würde jedoch die praktische Ausbildung der unteren Stände vernachlässigt , sodass deren Arbeitskraft und -produktivität stagnierte. Die geplanten Maßnahmen zielen darauf ab , die jeweils „arteigenen“ Ausbildungsformen zu fördern ( z. B. Landwirtschaftsschulen am Land , Werksschulen (  ! ) und Gewerbeschulen in den Städten ), anstatt die wirtschaftlich und gesellschaftlich unerwünschte derzeitige Bildungslandschaft zu erhalten oder – etwa durch den Bau weiterer Gymnasien in Bezirksstädten – weiter auszubauen. Letztlich wird eine planmäßige Lenkung der Nachfrage nach Bildung gefordert.343 Dieses Programm sei nicht bildungsfeindlich , sondern nähme lediglich auf die tatsächlich notwendige Ausbildung der unterschiedlichen Stände Rücksicht. In den folgenden Abschnitten finden sich Forderungen zu einer Verwaltungsreform und einer Reform der Beamtenschaft durch die Schaffung einer „Beamtenkammer“ sowie einer Einheitsgewerkschaft und der Vereinheitlichung des Entlohnungsschemas und der Pensionsregelungen. Abgelehnt wird vor allem das amerikanische System der politischen Postenbesetzung ( „spo-

342 Zur „wertmäßigen Schichtung der Gesellschaft“ vgl. SPANN , Staat , S. 215 ff. Der Ursprung des Konzepts der Wirtschaftsstände und ihrer Schichtung bei Hegel wird untersucht bei Wilhelm ANDREAE : Staatssozialismus und Ständestaat. Jena , 1931 , S.  114 ff. 343 Vgl. BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 417 : „Wir werden dann weniger unzufriedene hungernde Doktoren der Rechte , der Medizin und der Philosophie haben , aber umso mehr „Doktoren“ der schaffenden Arbeit.“ Die Ansicht , es habe sich ein wirtschaftlich unproduktiver Stand „überflüssiger“ Akademiker gebildet , dessen Unzufriedenheit das Staatsganze gefährde , findet sich bspw. auch bei Joseph SCHUMPETER : Kapitalismus , Sozialismus und Demokratie. Stuttgart , 1975 [ zuerst New York , 1942 ], S. 235 ff.

114

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

ils system“ ), dem das fachmännisch orientierte Berufsbeamtentum entgegengesetzt wird.344 Im Zentrum der Wirtschaftsagenda des Heimatblocks stehen verschiedene Maßnahmen im Produktionsbereich selbst. Die Wirtschaft sollte demnach durch eine protektionistische Politik vor der ausländischen Konkurrenz „geschützt“ werden. Analog zum 1925 eingeführten „Inlandsarbeiter-Schutzgesetz“, das eine Beschränkung der Arbeitsmigration zur Folge hatte , verlangt man ein „Inlandsarbeits-Schutzgesetz“. Im ersten Paragraf eines solchen Gesetzes seien strafgesetzliche Bestimmungen gegen „wirtschaftlichen Hochverrat“ festzuschreiben worunter der Konsum von Waren ausländischer Herkunft zu verstehen war. Die Notwendigkeit wird dadurch begründet , dass bisherige freiwillige Kampagnen ( „Kauft österreichische Waren !“ ) keinen Effekt erzielt hätten , besonders da sogar staatliche Aufträge oft ins Ausland gegangen seien. Der Heimatblock schlug daher die Einrichtung von „Landes-Auftragsstellen“ vor , die , mit Vertretern der Stände und der Gebietskörperschaften besetzt , Aufträge an inländische Betriebe zu lenken hätten.345 Sei die Beschaffung aus inländischen Quellen trotz allem unmöglich , müsse nach Möglichkeit auf Substitute zurückgegriffen werden , nur in Ausnahmefällen – wenn weder einheimische Produkte noch Substitutionsgüter verfügbar sind – seien ausländische Waren zu importieren.346 Im Bereich des Außenhandels wird das Ziel des Protektionismus ebenso vertreten ; eine ausgeglichene Handelsbilanz soll die Abhängigkeit von ausländischem Kapital bzw. Devisen verringern. Zu diesem 344 Zu den Forderungen des Heimatblocks in Bezug auf die Gleichstellung aller Bundesangestellten vgl. Flugblatt des Heimatblocks Leoben ( f.d. Inh. verantw. : Alois ROSLER ): Eisenbahner , Pensionisten ! ( November 1930 ). In : StLB , KS , Box 126 ( Kopie im Archiv des Verf. ) Unter anderem wird bemängelt , dass Eisenbahner keine Besoldungsautomatik , Dienstfreikarten , Überstundenentlohnung oder Schreibpauschale erhalten. 345 BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 420. Die genaue Vorgangsweise bei solchen Beschaffungsvorgängen bleibt jedoch unklar : Einerseits sollten die Aufträge in Österreich bleiben ( also an Unternehmen , die von den Ständen vertreten wurden ), andererseits wurde Protektion abgelehnt und für schädlich befunden. Preiswucher sei durch den Vergleich mit dem Preis ausländischer Waren , vermehrt um die „durch den Entfall des Auftrags vergrößerte Arbeitslosenbelastung“ im Inland zu verhindern. Wie eine solche Bewertung nach objektiven Kriterien zu denken sei , wird nicht weiter ausgeführt. 346 Vgl. HEINRICH , Staat , S. 35 : „[ … ] wir haben es nicht notwendig , daß wir Milliarden für Güter ausgeben , die vielleicht in den anderen Ländern um ein Haar besser gemacht werden können als bei uns , die wir aber bei einiger Anstrengung ebenso gut hervorbringen könnten [ … ]“. Selbstversorgung wird demnach eher als eine Frage der Willensanstrengung denn als Allokationsproblem verstanden. Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der „einigen Anstrengung“ bleiben unberücksichtigt.

e) Das Nationalratsprogramm des Heimatblocks 1930

115

Zweck schlägt der Heimatblock die Kontingentierung von Ein- und Ausfuhren vor ; Importe werden nur gestattet , wenn der jeweilige Staat sich im Gegenzug verpflichtet , österreichische Waren im selben ( Geld- )Wert zu kaufen. Die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sind entsprechend dem ständischen Gedanken neu zu regeln , wobei der Gewerkschaftsgedanke als richtig und nützlich betrachtet wird , hingegen wird der Klassenkampf abgelehnt. Die wechselseitige Abhängigkeit der Stände untereinander würde diesen überflüssig machen ; bei Streitigkeiten sei eine unabhängige Schlichtungsstelle anzurufen.347 Der Streik wird als wirtschaftliche Kampfmaßnahme unbedingt abgelehnt , womit man sich klar auf die Seite der wirtschaftsfriedlichen Arbeiterbewegung stellt. Die Gleichartigkeit der Interessen beider Seiten wird anhand verschiedener Sachfragen betont ; „das Schulbeispiel aber für die Verbundenheit zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist der Inlandsarbeitschutz.“348 Da der Klassenkampf zu einer Spaltung des Volkes führen könnte , sei er unbedingt abzulehnen. Als weitere sachliche Förderung der Arbeitnehmer sei der Eigenheimbau zu fördern , indem die „Arbeitsarmee“ hier günstige Arbeitskräfte zur Verfügung stellen könnte. Das Ziel sei es , die „Bodenständigkeit“ des Arbeitnehmers , die im Rahmen der industriellen Entwicklung und der damit verbundenen Landfluchtverloren gegangen war , wieder zu erhöhen.349 Der Wahlerfolg des Heimatblocks in der Obersteiermark kann nicht zuletzt auf das Wirken der Unabhängigen Gewerkschaft zurückgeführt werden , die in den Betrieben der 347 Die oberste Entscheidungsgewalt bei Streitigkeiten hat nach dem Entwurf es Spann-Kreises das „Ständehaus“ als parlamentsähnliche Körperschaft. Vgl. Wilhelm ANDREAE : Grundlegung einer neuen Staatswirtschaftslehre. Jena , 1930 , S. 261 f. 348 BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 420. Bemerkenswert an dieser Apologie der „gelben“ Gewerkschaften ist die Argumentation des „gemeinsamen Interesses“: DUNKMANN , Kooperation , S. 46 f. weist darauf hin , dass überhöhte Lohnforderungen anderen Konsumentengruppen schaden könnte ; gleiches trifft jedoch auf den Lohn im protektionistischen System zu : Höhere Inlandslöhne verursachen höhere Inlandspreise , welche wiederum auf den Konsumenten überwälzt werden. Es kann daher nur von den Interessen eines Wirtschaftszweiges gesprochen werden ; „Inlandsarbeitsschutz“ ist der Gesamtwirtschaft jedenfalls abträglich. 349 BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 421 : „Auch der Arbeiter soll die Scholle lieben , der er entstammt. Wenn er aus dem Getöse des Maschinensaales heimkehrt , sollen ihm die Blumen seines Gartens entgegenleuchten.“ Die Tatsache , dass sich solche Worte in einem Nationalratswahlprogramm zu Zeiten einer Weltwirtschaftskrise (  ! ) finden , weist auf die wirklichkeitsabgewandte Seite des Denkens der „völkischen Ökonomie“ hin. Zutreffend stellt SCHNELLER , Romantik , S. 56 fest : „Der Universalismus weicht der Lösung von Zeitproblemen aus , indem er unter Verkennung der Realität ein zukünftiges , harmonisch-spannungsloses Weltbild konstruiert.“

116

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

Alpine Montangesellschaft ihr Zentrum hatte und im „wirtschaftsfriedlichen“ Sinne in der Arbeiterschaft agitierte. Für das Gewerbe forderte der Heimatblock billige Investitionskredite sowie Förderungen für die Umrüstung lebensunfähiger Betriebe ( z. B. Hufschmieden ). Die planmäßige Unterstützung von Exporten durch staatliche bzw. ständische Exportorganisationen und die Einführung einer Exportversicherung kommen hinzu. Hinzu kommt die Forderung nach einem Gebietsschutz bzw. einer Sperre für bestimmte Gewerbe , die nach Maßgabe der jeweiligen Standesorganisation zeitlich beschränkt verhängt werden kann. Auch diese Maßnahme ist nach Ansicht des Heimatblocks nicht nur zum Besten des Gewerbetreibenden , sondern auch des Konsumenten. Die diesbezügliche Argumentation erscheint jedoch eher abwegig.350 Für die Wahlchancen des Heimatblocks von besonderer Bedeutung war die Mobilisierung ihrer Kernanhängerschaft , der Landwirte.351 Die agrarpolitische Programmatik orientiert sich im Wesentlichen an den weiter oben bereits ausgeführten Grundsätzen. Die österreichische Landwirtschaft ist demnach am Weltmarkt aus klimatischen und geografischen Gründen nicht konkurrenzfähig , leidet darüber hinaus an den Agrarexporten der Nachbarländer und muss daher vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden , bis sie die notwendige Leistungsfähigkeit erreicht , um am internationalen Markt bestehen zu können. Eine Reihe von Mitteln sollte eingesetzt werden , um die Produktivität in der Landwirtschaft zu erhöhen : einerseits die bereits genannte Förderung der landwirtschaftlichen Ausbildung und des Schulwesens und die Einrichtung von Musterbetrieben in jeder (  ! ) Gemeinde auf genossenschaftlicher Basis , dazu auch die Unterstützung durch die Arbeitskraft der Dienstpflichtigen und die genossenschaftliche Absatzorganisation. Hinzu kommen die bereits mehrfach ausgeführte Forderung nach billigen Produktionskrediten und die geplante Förderung des Eigenheimbaus bei Landarbeitern. Entscheidend für die Einkommenssituation der Landwirte war für den Heimatblock die Frage des Getreide- und des 350 Es wird im Programm darauf hingewiesen , dass bei einer zu großen Anzahl an Betrieben die Overhead-Kosten ( Regiekosten , Gemeinkosten ) des einzelnen Betriebes steigen ( da die produzierte Menge sinkt ) und somit der Warenpreis steigt. Zu hohe Gemeinkosten führen am Wettbewerbsmarkt zum Verschwinden des einzelnen Unternehmens vom Markt , nicht jedoch zu einem höheren Gleichgewichtspreis , da die Gemeinkosten nicht in allen Betrieben gleichmäßig steigen und daher ein Preiswettbewerb weiterhin stattfindet. Hingegen führen regionale Monopole zu höheren Preisen zum Nachteil des Konsumenten. 351 Nach PAULEY , Hahnenschwanz , S. 60 stammten etwa Ende 1928 70 % aller Heimwehrmitglieder aus der Bauernschaft.

e) Das Nationalratsprogramm des Heimatblocks 1930

117

Viehabsatzes , wobei die Lösung wiederum in der planmäßigen Bewirtschaftung gesucht wird. Der Heimatblock schlägt die Einrichtung einer „Hauptstelle für Vieh und Fleisch“ und einer ebensolchen für „Getreideverkehr“ vor ; diese würden sich verpflichten , alle landwirtschaftlichen Produkte zu einem Preis aufzukaufen , der den zumindest den jeweiligen Erzeugungskosten entspricht.352 Damit sei für die Bauern jedoch kein Ablieferungszwang verbunden , sie hätten weiterhin die Möglichkeit , auch zu besseren Preisen an Dritte zu verkaufen ; notwendige Futtermittel seien zollfrei (  ! ) auch aus dem Ausland einzuführen. Die Maßnahmen des Heimatblocks laufen demnach auf einen garantierten Mindestpreis hinaus , der wohl eine massive Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion zur Folge gehabt hätte ; die dahinterstehenden strukturellen Probleme werden im Programm des Heimatblocks , der sich im ständischen Sinne insbesondere den „bodenständigen“ Kleinbauern verpflichtet fühlt , jedoch nicht näher behandelt. Es ist daher zu bezweifeln , dass die Agrarpolitik des Heimatblocks insgesamt die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Landwirtschaft erhöht hätte. Eine weitere Forderung war die Umwandlung der Grundsteuer in eine Ertragssteuer. Im Bereich der Forstwirtschaft ( gerade in der Steiermark von großer wirtschaftlicher Bedeutung ) setzte man sich seitens des Heimatblocks für eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Kleinwaldes durch freiwillige Genossenschaften , die Einrichtung eines „Forstwirtschaftsrates“ und die Aufschließung entlegener Waldgebiete durch Arbeitsdienstpflichtige ein. Hinzu kamen die Förderung des forstlichen Schulwesens und die Ablehnung jedweder „Kommerzialisierung“ der Österreichischen Bundesforste. Exportsubventionen und – erneut – die Bereitstellung billiger Kredite. 353 Auffällig ist , dass eine genauere Erörterung darüber unterbleibt , wie die notwendigen Geldmittel aufgebracht werden können. Man hilft sich mit einer 352 Vgl. Flugblatt des Heimatblocks Graz ( f. d. Inh. verantw. Sepp KOGELNIK ): Vorschlag des Heimatblockes zur Sicherung des Viehpreises und Viehabsatzes. ( November 1930 ). In : StLB , KS , Box 126 ( Kopie im Archiv des Verf. ) Der Heimatblock in der Steiermark fordert zudem die sofortige Einstellung aller Exekutionen gegen Bauern und die Stundung sämtlicher Zahlungsverpflichtungen. Dieser Programmpunkt findet sich im „offiziellen“ Landwirtschafts-Programm ( BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 422–426 ) nicht. 353 Die Darstellung bei LAURIDSEN , Right , S. 214 ff , dass Programm sei nicht besonders agrarpolitisch ausgerichtet , ( „[ … ] the programme was not conspicously rural or agrarian“ ), S. 218 ) ist nicht zutreffend. Korrekt ist jedoch die weitere Analyse des Autors : Das Programm war insbesondere darauf ausgerichtet , Stimmen von Kleingewerbetreibenden in Handwerk und Handel zu gewinnen , während die Programmatik des Heimatblocks besonders Beamte , höhere Angestellte und Freiberufler deutlich benachteiligte.

118

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

populistischen Agitation , die nach durchaus bekanntem Muster abläuft und auf die scheinbar im Übermaß vorhandenen aber gleichsam „verheimlichten“ Ressourcen hinweist , ohne die Finanzierungsfrage im Konkreten überhaupt anzusprechen : „Aber zu solchen Aktionen – so wird eingewendet werden – gehört Geld und das Geld haben wir nicht. Wir haben es noch immer gehabt , wenn es hieß , verkrachte Banken zu stützen , verfehlte Sozialisierungsexperimente zu finanzieren , Wahlschlachten zu bezahlen und Geheimfonds zu spicken. Nun wird das Geld auch einmal herausrücken müssen , wenn es um das Wohl des Volkes geht.“354

Im Wahlprogramm des Heimatblocks fehlt jede systematische Erörterung fiskal- und geldpolitischer Zusammenhänge ; Gesamtentwürfe einer „antizyklischen“ Wirtschaftspolitik , die in anderen Ländern zunehmend diskutiert wurden , findet man in der Programmatik des Heimatblocks nicht ; Krisen des kapitalistischen Systems werden auf dessen unüberschaubare Größe und die daraus entstehenden internationalen Wechselwirkungen zurückgeführt.355 Das Grundproblem der Wirtschaft , der Kapitalmangel , war einerseits eine Folge der Inflation , welche die inländischen Bankguthaben entwertet hatte , und der allgemeinen Trend zum zweckgebundenen kurzfristigen Sparen. Zudem wurde die Spartätigkeit durch verschiedene Bankenkrisen unterbrochen. Die deflationistische Politik der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre führte dazu , dass die Zentralbank-Zinssätze hoch blieben ( Bankrate 1930 : 5,5 % ) und durch die hohen Verwaltungskosten des weitgehend monopolisierten Bankensektors selbst für Schuldner ausgezeichneter Bonität Aufschläge von 6 bis 7 % üblich waren.356 Die Investitionstätigkeit der Unternehmen blieb daher beschränkt ; darüber hinaus stieg die Abhängigkeit von kurzfristigem spekulativem Auslandskapital , besonders aus den USA , das infolge der Währungsstabilisierungen in Deutschland und Österreich ab Ende 1924 mehrere Jahre lang nach Europa strömte. Durch die Börsenhausse in Amerika ab 1926 /  27 floss dieses Kapital wieder zurück in die Vereinigten Staaten ; die Folge war

354 BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 423. 355 Vgl. HEINRICH , Staat , S. 9 f. 356 Z. B. bezahlte die Alpine Montangesellschaft – als größtes österreichisches Unternehmen – zwischen 1931 und 1933 durchschnittlich 11,54 % Zinsen auf Fremdkapital. Vgl. HWALETZ , Montanindustrie , S. 271.

e) Das Nationalratsprogramm des Heimatblocks 1930

119

eine starke Verknappung der Kredite.357 Die politische Instabilität in Österreich führte zum Vertrauensverlust ausländischer Gläubiger , auch inländische Anleger zogen ihre Guthaben ab. Im September 1929 , also noch vor Beginn der Weltwirtschaftskrise , kam es zu einem Run auf die Banken besonders in Wien und Graz , bei denen in kurzer Zeit fast 45 Millionen (  ! ) Schilling behoben wurden. Der Zusammenhang mit den vielfältigen Putschgerüchten und -plänen der Heimwehren und ihren politischen Druck , der im selben Monat zum Rücktritt des Bundeskanzlers Streeruwitz führte , ist offensichtlich.358 Weit entfernt davon , die wirtschaftliche Stabilisierung Österreichs zu fördern , waren die Heimwehren viel mehr ein Faktor , der die politische Unsicherheit erhöhte und somit zur Kreditverknappung und dem Kapitalmangel in Österreich beitrug.

f) „…aus der Not der Zeit geboren“: Das Programm der Ständeorganisation Österreichs und der Pfrimer-Putsch In den Monaten nach der Nationalratswahl verschärfte sich die wirtschaftliche Lage weiter : Der Zusammenbruch der Creditanstalt im Mai 1931 , die schließlich durch Kredite und Zuwendungen seitens der Familie Rothschild , der Internationalen Zahlungsbank , die Nationalbank und der Republik Österreich gerettet wurde , belastet den österreichischen Steuerzahler bzw. das Bundesbudget mit 100 Millionen Schilling.359 Die Bank hatte nach dem Zusammenbruch der Monarchie weiter in den Nachfolgestaaten in Tochterbanken und Unternehmen investiert. Um dies zu finanzieren , hatte man sich auf den internationalen Kapitalmärkten kurzfristige Kredite aufgenommen , die zu Beginn der 1930er-Jahre eine Gesamthöhe von 500 Millionen Schilling erreicht hatte. Die Darlehen an Industriebetriebe erwiesen sich spätestens zu Zeiten der Krise als nicht werthaltig , zudem versuchte die Geschäftsleitung der prestigeträchtigen „Rothschildbank“ durch die Ausschüttung überhöhter Dividen357 Vgl. Liaquat AHAMED : Die Herren des Geldes. München , 2010 , S. 343 sowie S. 355 ff. sowie BACHINGER , Weltwirtschaftskrise. In : BACHINGER et. al., Schilling , S. 89– 113 , hier S. 89 ff. sowie S. 94. 358 LAURIDSEN , Right , S. 169 f. Bereits im Sommer 1929 hatten britische Zeitungen die Öffentlichkeit vor einem bevorstehenden Bürgerkrieg in Österreich und dessen Auswirkungen auf ausländische Investitionen gewarnt. Die Auslandsanleihe von 1930 diente nicht zuletzt der politischen (  ! ) Stabilisierung der Regierung von Johannes Schober. 359 Vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 110 ff.

120

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

den Vertrauen zu schaffen.360 Im Mai 1931 kam es zu einem massiven Kapitalabfluss , der erst durch die Verabschiedung zweier Creditanstaltsgesetze ( 14. bzw. 28. Mai ) gestoppt werden konnte. Die Gründe für den Zusammenbruch wurden nicht nur von der radikalen Rechten in der ökonomischen Lebensunfähigkeit eines unabhängigen Österreich gesucht ; die verfehlte Geschäftspolitik trat dagegen in den Hintergrund. Als Lösung wurde daher der Anschluss an Deutschland gefordert. Das Scheitern einer geplanten Zollunion zwischen Österreich und dem Deutschen Reich an französischem Widerstand wurde am 5. September bekannt und verschlechterte die wirtschaftlichen Perspektiven des Landes weiter. Schon im März hatte Pfrimer das „Stände- und Wirtschaftsamt des Steirischen Heimatschutzes“ eingerichtet , in welchem von insgesamt 15 Vertretern der jeweiligen Stände Vorschläge für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ausgearbeitet werden und die Landesleitung sowie die Mandatare in wirtschaftspolitischen Fragen beraten sollten.361 Bundesstabsleiter Rauter hatte in einer programmatischen Rede in Mürzzuschlag am 22. März festgestellt , dass der Heimatschutz als „Erneuerungsbewegung“ auf dem Standpunkt stehe , ein „Zusammenschluss aller deutschen Stämme“ sei die Voraussetzung jedweder weiteren wirtschaftlichen und politischen Veränderung. Zudem bekennt sich Rauter zum Gedanken der „Volksgemeinschaft“, die soziale Gerechtigkeit durchsetzen und den „Ellbogen-Liberalismus“ [ sic ! ] ebenso wie den Klassenkampf ablehne ; der neue „Volksstaat“ habe der Wirtschaft Richtung und Ziel zu geben. Einige der Maßnahmen aus dem Wahlprogramm des Heimatblocks werden explizit wiederaufgegriffen , unter anderem die „Hauptstelle für Getreide- und Vieheinkauf“, die Förderung unpolitischer Genossenschaften und die Reform des Sozialversicherungswesens. Rauter bezieht sich in seiner Rede auch ausdrücklich auf die Veröffentlichungen aus dem Spann-Kreis.362 360 SANDGRUBER , Ökonomie , S. 388 ff. sowie BACHINGER , Weltwirtschaftskrise. In : BACHINGER et. al., Schilling , S. 92 ff. Dort findet sich auch der Hinweis auf die Schwächung der Creditanstalt durch die Übernahme der Boden-Creditanstalt im Jahr 1929. Der Zusammenbruch der Boden-Creditanstalt war nicht zuletzt auf die inländische Kreditpanik im Sommer dieses Jahres zurückzuführen , die wiederum durch die Putsch-Drohungen der Heimwehr hervorgerufen wurde. Auch im wirtschaftlichen Bereich hatte die Tätigkeit der Heimwehren eine destabilisierende Wirkung. 361 Der Panther , 2. Jg , Nr. 13 , 28. 3. 1931 , S. 6 , sowie EDMONDSON , Heimwehr , S. 132. 362 N. N. : Heimatwehrbrevier. In : Der Panther , 2. Jg , Nr. 13 , 28. 3. 1931 , S. 5 f.. zitiert Rauter mit den Worten : „Unsere Wirtschaftsverfassung sei die des ständisch gegliederten Staates , worüber in einer Reihe von Broschüren kompetentere Männer des Heimatschutzes ausführlich geschrieben haben.“

f) „…aus der Not der Zeit geboren“

121

In der Putschproklamation des Steirischen Heimatschutzes wird deutlich , dass die wirtschaftliche Lage als eigentlich auslösendes Moment der Machtübernahme betrachtet wurde : „Die nur zersetzende , aber nie aufbauende Tätigkeit363 des Parteiwesens hat die Gefahr des Zusammenbruches unserer Wirtschaft heraufbeschworen. Das bisherige System hat sich als unfähig erwiesen , Hilfe zu schaffen. In Anbetracht des Umstandes der Illegalität und Illegitimität der Staatsverfassung und des Staatswesens selbst364 , welche Tatsache der Heimatschutz den Machthabern immer vorgehalten und nachgewiesen hat , sieht er sich gezwungen , zur Tat zu schreiten , um den völligen Untergang abzuwehren.“365

Obgleich einige der führenden steirischen Heimwehrfunktionäre ( darunter Rauter und Kammerhofer ) eine Putschbewegung zu diesem Zeitpunkt ablehnten , beteiligten sie sich an der bewaffneten Aktion ; dies weist auf ein gewisses Maß an Geschlossenheit in Hinblick auf das politische und wirtschaftliche Ziel hin ; die Differenzen waren demnach weitgehend auf kurzfristige taktische Fragen beschränkt ; auch änderte sich in der Zeit nach dem Putsch vor allem die Taktik , nicht jedoch die grundlegende Ideologie der Bewegung. Dem Programm der Ständeorganisation Österreichs , das in den Wochen und Monaten vor dem Pfrimer-Putsch vom Wirtschafts- und Ständeamt des Steirischen Heimatschutzes ausgearbeitet worden war , kommt also im Sinne des Untersuchungsgegenstandes der vorliegenden Arbeit ein hoher Wert als zeitgenössische Quelle zu.366

363 Pfrimer folgt hier Terminologie und Argumentation aus der Broschüre Hans Riehls , vgl. RIEHL , Zersetzung. 364 Zur – ziemlich abwegigen – Argumentation des Rechtsanwaltes (  ! ) Pfrimer , die Republik Österreich habe juristisch nie bestanden , vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S.  123 ff. 365 Proklamation : Volk von Österreich. Zit. n. HOFMANN , Putsch , S. 58 f., ebenfalls bei RINTELEN , Erinnerungen , S. 145 f. Auch der Leitartikel des Panthers am Tag des Putsches beschäftigte sich fast ausschließlich mit der wirtschaftlichen Not : vgl. Olaf PETRI : Es muß und – wird was g’schehen ! In : Der Panther , 2. Jg , Nr. 32 , 12. 9. 1931 , S. 1. Ebenfalls erklärte Pfrimer vor Gericht , die wirtschaftliche Not insbesondere in Folge der Creditanstalt-Krise , habe ihn zum Handeln bewogen. Vgl. HOFMANN , Putsch , S. 86. 366 LAURIDSEN , Right , S. 223 , Anm. 101 , stellt mit Recht fest , dass sowohl das Nationalratsprogramm als auch das „Programm der Ständeorganisation“ in der Forschung weitgehend vernachlässigt wurden , während die „Neun Richtlinien“ ( 1931 ) und die „Zwölf Grundsätze“ ( 1932 ) des Steirischen Heimatschutzes ausführlich diskutiert wurden.

122

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

Das Programm steht im Wesentlichen auf dem Boden des Nationalratsprogramms , geht jedoch in mehreren Punkten noch über jenes hinaus bzw. präzisiert verschiedene Fragen. Gleich zu Beginn wird darauf hingewiesen , dass es sich beim vorliegenden Programm um eine Notmaßnahme handelt , die den endgültigen ökonomischen Zusammenbruch verhindern und eine neue wirtschaftliche Ordnung begründen soll. Die negativen Erfahrungen der Österreicher mit dem „liberalistisch-demagogischen“ Parteiensystem und der „liberalistisch-kapitalistischen“ Wirtschaft müssten genutzt werden , um den Zusammenschluss aller heimatbewussten Menschen zu schaffen. Ziel sei es , „auf Grundlage der alten deutschen Demokratie [ Hervorhebung im Original ] den Ständegedanken zu verwirklichen“.367 Zur Forderung nach einer unparteilichen und unbestechlichen Verwaltungsführung tritt das Verbot des Staates , als Unternehmer oder Gewerbetreibender zu agieren , ausgenommen sind natürliche Monopole bzw. die grundlegende Daseinsvorsorge. Hier wird eine Bewirtschaftung durch den Staat gestattet , diese müsse jedoch in gemeinnütziger Weise und ohne jede Form der Diskriminierung jedem Einzelnen zugänglich sein. Im Produktionsbereich verlangt der Steirische Heimatschutz neben der Festlegung von hohen Zöllen und der Intensivierung der Landwirtschaft die Beseitigung der „produktionszerstörenden“ Kreditinflation durch Ausgabe von Inlandsanleihescheinen , bei gleichzeitig gesicherter Umlaufgeschwindigkeit (  ! ) und dem Kampf gegen „Zinswucher“.368 Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird ein Maßnahmenpaket vorgeschlagen , dass neben der Förderung öffentlicher Arbeiten ( vgl. die „Arbeitsarmee“ ), der Förderung von privaten Unternehmen und Kleinbetrieben , der Einschränkung der Soziallasten durch eine ( nicht näher ausgeführte369 ) Reform des Fürsorgewesens , einer Steuersenkung und -vereinheitlichung , die „Hintanhaltung von Kurzarbeit und Lohnsenkung“370 und die „Umschulung der öf367 Programm der Ständeorganisation Österreichs. In : HOFMANN , Putsch , S.  190–194 , hier S. 190. 368 Programm. In : HOFMANN , Putsch , S. 192. Gemeint sein kann hier jedoch nicht die „klassische“ Definition einer Kreditinflation ; wahrscheinlich wird von der Verteuerung der Kredite durch Kapitalflucht und Bankenkrise gesprochen. Wie eine Steuerung der Umlaufgeschwindigkeit der neuen Staatsanleihen zu geschehen hat , ist fraglich. 369 Vermutlich handelt es sich um die „Volksversicherung“ aus dem Nationalratsprogramm , siehe oben. 370 Im Nationalratswahlkampf 1930 hatte der Heimatblock unter Führung Starhembergs noch eine Ausweitung der Kurzarbeit in den Unternehmen vertreten , um damit Entlassungen zu verhindern. Vgl. N. N. : Heimatwehr und Wirtschaftsnot – Vorschläge Starhembergs. In : Der Panther , 1. Jg , Nr. 24a , 15. 10. 1930 , S. 2.

f) „…aus der Not der Zeit geboren“

123

fentlichen Angestellten (  ! )“ vorsieht. Hinzu kommt eine „Reform des Ratengeschäftes“, die ebenfalls schon im Nationalratswahlprogramm vom November 1930 in einer ähnlichen Form angedeutet worden war. Weiters finden sich noch die bereits bekannten Forderungen nach einer Entpolitisierung der Verwaltung und Auflösung aller politischen Organisationen und Parteien. Wesentlich aussagekräftiger sind die „Sofortmaßnahmen“, die wohl als Grundlage für die kurzfristige Wirtschaftspolitik nach einem erfolgten Putsch zu betrachten sind und ob ihrer Bedeutung371 nachfolgend zur Gänze zitiert werden : „Forderungen , die sofort durchzuführen wären : 1. Alle über ein Jahr alten Steuerrückstände sind nachzusehen. 2. Die einjährigen Steuerrückstände sind auf längere Zeit zu stunden. 3. Sofortige Einführung des Steuerbüchels. 4. Behebung der Absatzkrise in landwirtschaftlichen Produkten durch Einfuhrsperre für solche und Preisfestsetzung. 5. Senkung des Zinsfußes. 6. A rbeitslosenversicherung nur mehr teilweise in Geld zu zahlen , der größte Teil durch Verpflegung der Ausgesteuerten. 7. Einführung der Arbeitspflicht für die Arbeitslosen und Ausgesteuerten. 8. Sofortige Senkung der sozialen Lasten unter Aufrechterhaltung der Ansprüche der Bezugsberechtigten. Abbau bei der Verwaltung , landesweise Zusammenlegung , Besoldung nur wie Staatsbeamte. 9. Einführung von Höchstgehältern in der Höhe von S. 1500 ,– monatlich , Abbau bei den Zentralstellen der Höchstbeamten auf die Zeit , wie zur Zeit der Monarchie. 10. Rücksichtslose Sparsamkeit in der öffentlichen Verwaltung und Abbau aller Doppelgleisigkeit. 11. Großzügige Durchführung von Meliorationen zur Bodengewinnung , Besteuerung des Bodens und Schaffung von Eigenheimen in Holzbau. 12. Sperre der Einfuhr für alle im Land erzeugten Ur- und Fertigprodukte , Kohle. 13. Ablehnung der Haftung des Bundes für die Kreditanstalt , Heranziehung der Schuldigen zur Wiedergutmachung. Volksbegehren.

371 LAURIDSEN , Right , S. 223 , Anm. 101 vertritt die Ansicht , das Programm der Ständeorganisation würde sich nicht nennenswert vom Nationalratsprogramm unterscheiden. Wie im Folgenden ausgeführt wird , enthält das Programm jedoch tatsächlich neue und zum Teil andere Forderungen sowie eine Konkretisierung vieler bisheriger Punkte.

124

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

14. Rückführung aller ins Ausland gebrachten österreichischen Vermögen.“372

Dem Betrachter dieses Forderungskataloges fällt inhaltlich Verschiedenes ins Auge. Die ersten vier Forderungen sowie die Punkte 11 und 12 betreffen im Wesentlichen die Landwirtschaft und den für den Heimatblock so wichtigen „kapitalschwachen Mittelstand in Stadt und Land“. Besonders die Landwirte hatten zu dieser Zeit häufig Steuerschulden , da die geringen Preise für ihre Erzeugnisse die Bedienung von Krediten und Steuervorschreibungen nicht mehr gestattete.373 Auch die Erhöhung der bis dahin ( verglichen mit anderen Nachfolgestaaten der Monarchie geringen ) Zollsätze würde nach Auffassung des Heimatschutzes vor allem Landwirtschaft und Gewerbe nützen. Die Einfuhrsperre und die Preisfestsetzung für landwirtschaftliche Produkte sind als konsequente Weiterführung des Autarkiegedankens bei Heinrich374 zu verstehen und gehen noch einen Schritt über die bisherige Politik einer ( freiwilligen ) Ablieferung an die neu zu schaffenden Vieh- und Getreide-Verkehrsstellen hinaus. Die Bereitstellung von Verpflegung für Arbeitslose als Teil ihrer Arbeitslosenunterstützung hätte ebenfalls die landwirtschaftliche Produktion gefördert , während gleichzeitig die öffentlichen Kassen entlastet werden könnten. Die Forderungen 5 ( Zinssenkung ) und 14 ( Rückführung von Vermögen aus dem Ausland ) können im weitesten Sinne als finanzpolitische Sofortmaßnahmen betrachtet werden. In der damaligen Situation der Krise des mitteleuropäischen Bankwesens hätte allerdings eine Zinssenkung nicht automatisch auch eine Kreditausweitung bedeutet , vielmehr hätten die kapitalschwachen Institute dies zur eigenen Refinanzierung genutzt. Auch die Rückführung der Auslandsvermögen hätte sich in der Praxis als sehr schwierig erwiesen. Zur Erreichung beider Punkte wäre wohl besonderer ( nicht nur politischer ) Druck nötig 372 Programm. In : HOFMANN , Putsch , S. 193 f. 373 Vgl. Flugblatt des Steirischen Heimatschutzes : An alle Ortsgruppenleitungen-Redner ! Richtlinien für die Bauernkundgebungen am 3. Mai d. J. (= Sonderabdruck aus Der Panther , 2. Jg , Nr. 17 , 25. 4. 1931 ). In : StLB , KS , Box 126 ( Kopie im Archiv des Verf. ). „Der Bauer ist heute , mit anderen Ständen verglichen , turmhoch übersteuert [ Hervorhebung im Original ]. Trotzdem die Preise für die landwirtschaftlichen Produkte jäh gesunken sind , der Bauer also viel weniger verdient als früher , muss er unvermindert die gleich hohen Steuern [ Hervorhebung im Original ]. zahlen , die rücksichtslos vom Exekutor eingetrieben werden , weil eben der Staat Geld braucht , um den riesigen Verwaltungsapparat zu erhalten.“ Vgl. auch die Forderung im Nationalratsprogramm nach einer Umwandlung der landwirtschaftlichen Grundsteuer in eine Ertragssteuer , BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 425. 374 Vgl. HEINRICH , Staat , S. 34.

f) „…aus der Not der Zeit geboren“

125

gewesen , den der Heimatschutz in einer entsprechenden Situation gleichwohl auch auszuüben bereit war.375 Die Forderungen 8 , 9 , 10 , 13 und 14 sollten schließlich die Frage nach der Herkunft der notwendigen finanziellen Mittel beantworten. Die „aufgeblähte“ und „politisierte“ Verwaltung sollte auf ein gesundes Maß ( „wie zur Zeit der Monarchie“ ) reduziert werden. Da Beamtentum war für die Agitation des Heimatschutzes einerseits die Verkörperung des verhassten „Parteienstaates“, andererseits aber auch durch die hohe Arbeitsplatzsicherheit mitten in der Weltwirtschaftskrise in der Bevölkerung wenig beliebt und daher auch wahltaktisch ein gutes Ziel.376 Hinzu kam , dass öffentliche Bedienstete im Steirischen Heimatschutz deutlich geringer vertreten waren als in den Heimwehrverbänden anderer Bundesländer – dafür gab es dort durch die Tätigkeit der Unabhängigen Gewerkschaft wesentlich mehr Arbeiter. Auch aus diesem Grund konnte man in der Steiermark wesentlich radikaler auf eine Reform des Beamtenstandes drängen.377 Ungeachtet der Tatsache , dass der Zusammenbruch der Creditanstalt ebenso wie die Weltwirtschaftskrise vor allem durch die schwierige Situation der internationalen Politik und die unklaren Vorstellungen von der Zukunft des mitteleuropäischen Wirtschaftsraumes lagen , versuchte der Heimatschutz eine klare Benennung der „Schuldigen“, die man in korrupten Beamten , ( jüdischen ) Spekulanten und alliierten Staatsmännern fand.378 Im Grunde genommen kann von einer populistischen Grundhaltung gesprochen werden , aus der zwar konkrete Maßnahmen zur wirtschaftlichen Steuerung und zum Staats375 Vgl. Flugblatt Ortsgruppenleitungen-Redner , in StLB , KS : „Ob der Paragraph jetzt so heißt oder so , ob im Parlament die notwendigen Gesetze geschaffen werden oder die Regierung durch eine Notverordnung das Entsprechende veranlasst , ist uns gleich. Wir sind aber nicht gewillt , weiter zuzusehen , [ Hervorhebung im Original ]. wie sich die Parteien untereinander streiten , während draußen alles zugrunde geht.“ 376 Flugblatt Ortsgruppenleitungen-Redner , in StLB , KS suggeriert , die Steigerung der Staatsausgaben zwischen 1925 und 1931 sei ausschließlich durch das Wachstum des Verwaltungsapparats von Bund , Ländern und Gemeinden zu erklären. 377 Vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 277 f. Zur sozialen Zusammensetzung der Heimwehr vgl auch Ernst HANISCH : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Wien , 1994 , S. 291 378 Zu dieser Agitation vgl. etwa PAULEY , Hahnenschwanz , S.  111 f. BACHINGER : Stabilität , in : BACHINGER et. al., Schilling , S. 71–89 , hier S. 88 spricht zutreffend von „desintegrationsbedingten Strukturdefiziten“ der österreichischen Wirtschaft , die durch die Konjunktur der 1920er-Jahre lediglich überdeckt wurden. Beispielhaft dafür ist die weiter oben dargestellte Geschäftspolitik der Creditanstalt in den Nachfolgestaaten , wie auch jene der 1936 zahlungsunfähigen Phönix-Versicherungsgesellschaft.

126

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

aufbau entwickelt werden konnten ; Vorgangsweise und Finanzierung wurden nicht näher beleuchtet. Es ist davon auszugehen , dass der Steirische Heimatschutz im diktatorisch zu errichtenden „Volksstaat“ die Lösung des Problems sah : Im Sinne des Ständeaufbaus nach Spann wurde das Vertrauen auf die Entscheidung und Weisheit des Führerstandes absolut gesetzt. Vorbedingung für die wirtschaftliche Erholung sei demnach primär die Entfernung aller „zersetzenden“ Elemente und die Installierung eines verantwortungsbewussten Regierungssystems , welches aufgrund seiner heimatbewussten Haltung die notwendigen Maßnahmen ohne weitere Verzögerung auch gegen Widerstände z. B. aus dem Finanzwesen durchführen würde. Das Programm der Ständeorganisation stellt einen wichtigen Schritt der wirtschaftspolitischen Entwicklung im Steirischen Heimatschutz dar. Die Radikalität der vorgeschlagenen Maßnahmen ist unübersehbar , ebenso wie die Tatsache , dass die vorgeschlagenen Maßnahmen nur in einem diktatorischen und wirtschaftspolitisch zumindest dirigistischen Staat zu verwirklichen waren. Hinzuweisen ist besonders auf die Forderungen zur Reform des öffentlichen Dienstes , die weit über die Maßnahmen des Nationalratsprogramms hinausgehen. Das Programm von 1931 ist als nochmaliges Bekenntnis Pfrimers zu den Ideen des Spann-Kreises , jedoch im Kontext der weiteren geistigen und politischen Radikalisierung , zu verstehen.

g) „…für einen deutschen Arbeitsstaat aller schaffenden Stände“: Das Wirtschaftsprogramm vom Juli/August 1932 und der Nationalsozialismus Ab dem 30. Juli 1932 erschien im Heimatschutz-Wochenblatt Der Panther ein neues Wirtschaftsprogramm des nunmehr eigenständigen Verbandes.379 Neben der Wiederholung inzwischen altbekannter Forderungen aus Zeiten der Heimatblock-Wahlwerbung enthielt das Programm auch genauere Ausarbeitungen zu einer Vielzahl an Themen , die über die rein propagandistische Darstellung etwa im Nationalratsprogramm wesentlich hinausgehen. Kurz zuvor waren bereits die zwölf Grundsätze des Steirischen Heimatschutzes veröffentlicht worden , in welchen sich der Verband zum „deutschen Volksstaat“ bekannte und in wirtschaftspolitischer Hinsicht Folgendes äußerte :

379 Vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 178 und S. 185 f.

g) „…für einen deutschen Arbeitsstaat aller schaffenden Stände“

127

„Der Heimatschutz bekämpft die zentralistische Planwirtschaft ( Kommunismus , Staatswirtschaft ), er lehnt aber auch die liberale Wirtschaftsordnung ab und tritt für die organische Wirtschaftsordnung [ Hervorhebung im Original ] ein , die eine gesunde Eigenwirtschaft fördert , jedoch Volkswohl über Eigenwohl [ Hervorhebung im Original ] stellt. Die Führung der Wirtschaftspolitik fällt der Staatsgewalt , gestützt auf die ständischen Organisationen , zu. [ … ] Der Heimatschutz tritt gegen alle überstaatlichen Mächte auf , die sich gegen Volkstum , Volkswohl und gegen eine gesunde Volkswirtschaft wenden.“380

Die zwölf Grundsätze enthalten zudem deutlich rassistische und antisemitische Inhalte , die – zumindest in dieser Deutlichkeit – bis dorthin nicht vertreten worden waren.381 Damit verbunden ist eine teilweise Loslösung des Heimatschutzes vom „geistigen“ Volkstumsbegriff Othmar Spanns aus dessen Schrift Vom Wesen des Volkstums – was ist deutsch ? ebenso wie von dessen wirtschaftspolitischer Konzeption : Spann vertritt nicht explizit die „Führung der Wirtschaftspolitik durch den Staat“; vielmehr solle der Staat primär auf ideeller Ebene wirken und in den Wirtschaftsablauf nur in Ausnahmefällen eingreifen.382 Unter dem Titel „Unser Wirtschaftsprogramm – Grundlinien für ein Reformprogramm zum Wiederaufbau unserer Staats- und Volkswirtschaft“ wurde auf die zwölf Grundsätze aufbauend ein achtteiliges Programm angekündigt.383 Bemerkenswert ist zunächst die umfassende Analyse der Gründe für die wirtschaftliche Not. Erstmals werden neben Misswirtschaft , Korruption und der Unfähigkeit der politischen Parteien in der Demokratie auch außerösterreichische Ursachen der Krise explizit anerkannt. Der Zusammenbruch der Monarchie und die damit wirtschaftliche Unausgeglichenheit der Nachfolgestaaten seien jedenfalls zu den Ursachen der Krise in Mitteleuropa zu rechnen. Im Wesentlichen ist die Analyse zutreffend und sachlich ; es wird auch sogleich angemerkt , dass manche der Ursachen für die Krise nicht in Österreich bzw. von 380 N. N. : Die zwölf Grundsätze des Steirischen Heimatschutzes. In : KOGELNIK , Jahrbuch , S. 44. Mit den „überstaatlichen Mächten“ ist nicht zuletzt der Völkerbund gemeint. 381 Vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 148 f. In den Erläuterungen zu den zwölf Grundsätzen werden diese noch weiter konkretisiert und greifen im Wesentlichen NS-Inhalte auf. Vgl. KOGELNIK , S. 48 f. 382 Vgl. SPANN , Staat , S. 313 : „Für den Staat der ständischen Ordnung bleiben nur die großen politischen Aufgaben – äußere Politik , innere Politik , Heerwesen , Rechtswesen ( soweit dieses nicht ständisch-fachlich ist ) – und die Oberaufsicht über die anderen Stände [ … ]“. 383 Vgl. LAURIDSEN , Right , S. 214 , Anm. 69 und S. 223 , Anm. 101.

128

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

Österreich alleine behoben werden können.384 Protektionismus und Autarkie dieser Nachfolgestaaten – ohne dass jedoch die wirtschaftlichen Voraussetzungen zur Selbstversorgung gegeben waren – seien eine ungeeignete Politik gewesen und hätten großen Schaden insbesondere im Bereich der Rohstoffversorgung angerichtet. Hinzu komme die Rechtsnachfolge der Monarchie durch die Republik Österreich ( Übernahme der Kriegsschulden , Beamtengehälter und Pensionslasten ). Soweit es um die Beschreibung der Nachkriegszustände an sich geht , ist das Programm erstaunlich sachlich und geht erst wesentlich später in die üblichen Tiraden gegen Demokratie , Parteienstaat und Korruption über. Der Heimatschutz bekennt sich zur „freien Privatwirtschaft“; jedoch sei die Führung eines Privatbetriebes auch als Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit zu verstehen. Ebenso habe der Staat die Verpflichtung , durch eine verantwortungsvolle Steuerpolitik und verschiedene Maßnahmen der sachlichen Förderung ( etwa eine zweckgemäße Subventionspolitik ) die Entwicklung der Privatwirtschaft zu fördern. Die Ausweitung der Staatsaufgaben und –ausgaben habe seit Kriegsende die private Wirtschaft sehr stark geschädigt.385 In weiterer Folge wird neben den bekannten Forderungen nach Autarkie auch die Anknüpfung vorteilhafter Wirtschaftsbeziehungen mit den Nachfolgestaaten zur Förderung von Handel und Industrie empfohlen.386 Detaillierte Vorschläge für die Stärkung der Privatwirtschaft werden im fünften Teil des Programms unterbreitet : Die Abhängigkeit von ausländischem Kapital solle durch eine Senkung der inländischen Leitzinsen ( bei gleichzeitiger Devisenbewirtschaftung ) und eine Reform der Bankenkollektivverträge ( um deren Kosten und somit die Zinsaufschläge zu verringern ) gesenkt werden. Öffentliche Investitionen und Unternehmen seien unter Aufsicht von Rechnungshof und Nationalbank zu stellen , um „Kapitalfehlleitungen“ zu verhindern. Die Bildung von Investitionsrücklagen durch Privatbetriebe müsse steuerlich begünstigt werden , das Insolvenzrecht sei zu reformieren und der Staat müsse durch verschiedene Maß384 Als endgültige Lösung wird der „Zusammenschluss aller Deutschen“ betrachtet , zunächst sei jedenfalls „das Eingehen wirtschaftspolitischer Bündnisse Österreichs ohne Teilnahme des Deutschen Reiches“ zu verhindern. Vgl. auch Grundsätze. In : KOGELNIK , Jahrbuch , S. 44. 385 Explizit genannt werden die staatliche Beteiligung an Wirtschaftsunternehmen , die Stützung von Banken , die ( verfehlte ) Subventionswirtschaft und der öffentliche Wohnbau. Vgl. N. N. : Unser Wirtschaftsprogramm (= Wirtschaftsprogramm , Teil I ). In : Der Panther. 3. Jg , Nr. 30 , 30. 7. 1932 , S. 4 f. 386 Ein Punkt , der unter anderem für die wirtschaftlichen Interessen der Alpine Montangesellschaft von Bedeutung war. Zu den ökonomischen Auswirkungen der nunmehrigen Randlage der Steiermark vgl. KARNER , Steiermark , S. 176 f.

g) „…für einen deutschen Arbeitsstaat aller schaffenden Stände“

129

nahmen – etwa eine Reform des Gesellschaftsrechtes – dafür Sorge tragen , dass „bodenständiger Besitz auch bodenständig bleiben“ könne.387 Die Bedeutung von Industrie , Energie- und Brennstoffwirtschaft für die Eigenversorgung wird sehr hoch eingeschätzt ; die heimische Industrie verfüge bereits über die notwendigen Produktionskapazitäten und müsse lediglich im Bereich der Steuern und Abgaben entlastet werden , um dem Anspruch , die gesamte Inlandsnachfrage zu bedienen , auch gerecht werden zu können. In der Energiewirtschaft – die zutreffend als zentral für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes eingeschätzt wird – fordert der Heimatschutz einen planmäßigen Ausbau der Kapazitäten , wobei man in Abstimmung mit den anderen mitteleuropäischen Staaten (  ! ! ) vorgehen und die Investitionen entsprechend leiten sollte. Interessant ist , dass die energiepolitische Zusammenarbeit mit dem Deutschen Reich nicht als Zweck an sich , im Sinne einer „gesamtdeutschen“ Politik , gesehen wird , sondern nur als Stufe hin zu einem weiteren , durchaus modern anmutenden Konzept : Tatsächlich wird eine „allgemeine mitteleuropäische oder sogar europäische Energiewirtschaft“ gefordert die zu einer höheren Energiesicherheit bei gleichzeitig sinkenden Verbraucherpreisen führen sollte. Innerösterreichisch soll als erster Schritt zu höherer Energiesicherheit die „Verbundwirtschaft“ ( d. h. der technische Zusammenschluss der einzelnen Kraftwerke ) gestärkt und durch Errichtung von Speichern etc. auch technologisch vorangetrieben werden sollte.388 Erstmals wird ein konkreter Vorschlag im fiskalpolitischen Bereich gemacht. Sämtliche Gebietskörperschaften müssten ihre geplanten Tätigkeiten in Hinblick auf die jeweiligen Einnahmen neu definieren : Die bisherige Praxis der Anpassung der Einnahmen an die Ausgaben ( durch Steuereinnahmen oder öffentliche Verschuldung ) sei umzukehren.389 Besonders die Landes- und Ge387 Unsere Richtlinien für den Wiederaufbau der Wirtschaft – Reformprogramm für die Privatwirtschaft (= Wirtschaftsprogramm , Teil V ). In : Der Panther , 3. Jg , Nr. 34 , 27. 8. 1932 , S.  5. 388 Unsere Richtlinien für den Wiederaufbau der Wirtschaft – Wirtschaftsaufbau-Programm (= Wirtschaftsprogramm , Teil VIII ). In : Der Panther , 3. Jg , Nr. 42 , 22. 10. 1932 , S. 4 f. Zur Finanzierung des Aufbaus wird relativ ungenau auf die Förderung durch die öffentliche Hand verwiesen ; letztendlich würden Investitionen in die Energiewirtschaft aber auch für private Investoren attraktiv und rentabel sein. Die „programmäßige Wirtschaftsplanung“ an sich wird bereits als wichtige vertrauensbildende Maßnahme gesehen. 389 Auch hier ist eine gewisse Abkehr von der Lehre des Spann-Kreises festzustellen , die grundsätzlich der Volkswirtschaft nur die Bereitstellung der Mittel , nicht jedoch ein Urteil über die Ziele zugesteht. Vgl. ANDREAE , Staatswirtschaftslehre , S. 63 ff.

130

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

meindeaufschläge auf die Steuersätze seien zu verringern und die Gemeinden unter die ständige Kontrolle des Obersten Rechnungshofes zu stellen. In den nächsten drei bis fünf Jahren sollten die Steuersätze auf ihrem bisherigen Niveau eingefroren werden , Steuererhöhungen seien nur noch mit Verfassungsmehrheit zu beschließen. Zudem forderte der Heimatschutz sämtliche Gebietskörperschaften auf , die Investitionstätigkeit im selben Zeitraum praktisch einzustellen. Im Bereich des Steuerwesens wird als „ideale und theoretisch sehr befriedigende Lösung“ die Einführung einer einzigen direkten Steuer ( Einkommenssteuer ) und einer einzigen indirekten Steuer angedacht ; zunächst seien jedoch Steuervereinfachungen durch Verringerung des bürokratischen Aufwands und Streichung von Bagatellsteuern vorzunehmen.390 Das Sozialwesen sei nach dem Muster der „Volksversicherung“ aus dem Nationalratsprogramm umzugestalten ; zudem sollten prophylaktische Maßnahmen ( Unfallverhütung , Gesundenuntersuchung etc. ) gefördert werden. Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik müssten jeweils gemeinsam betrachtet werden , um negative Rückwirkungen zu vermeiden ; Kostenexplosionen im Sozialwesen müssten unter allen Umständen verhindert werden ; sämtliche Leistungen und Ansprüche seien auf ihre Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit hin zu überprüfen.391 Zusammenfassend wird am Schluss des Programms ein grundlegendes Prinzip aus den zwölf Grundsätzen wiederholt : „Bei allen diesen Maßnahmen , die vielfach gegen überkommene liberale Ideen , aber auch gegen reine Planwirtschaftsideale bewußt verstoßen , soll dem Grundsatze Rechnung getragen werden : Wir wollen eine gesunde Privatwirtschaft , in der Gemeinwohl vor Eigenwohl geht !“392

Das Wirtschaftsprogramm des Steirischen Heimatschutzes vom Sommer 1932 als dessen definitive politische Festlegung hat einen überraschenden Doppelcharakter : Einerseits werden Elemente des klassischen Liberalismus wiederauf390 N. N. : Unsere Richtlinien für den Wiederaufbau der Wirtschaft (= Wirtschaftsprogramm , Teil II ). In : Der Panther , 3. Jg , Nr. 31 , 6. 8. 1932 , S. 4. Tendenziell sei nach eine Verringerung der Steuerlast zu streben : „Die öffentlichen Lasten ( Steuern und Abgaben ) dürfen keine Erhöhung mehr erfahren , sie müssen im Gegenteil abgebaut werden. Die Schuldenwirtschaft unserer öffentlichen Gebietskörper muß ein Ende finden.“ 391 Unsere Richtlinien für den Wiederaufbau der Wirtschaft – Reform der sozialen Fürsorge. (= Wirtschaftsprogramm Teil IV ). In : Der Panther , 3. Jg , Nr. 33 , 20. 8. 1932 , S. 4 f. 392 Wirtschaftsprogramm , Teil V. In : Der Panther , 3. Jg , Nr. 34 , 27. 8. 1932 , S. 5. Zur Verwandtschaft dieser Diktion mit jener der NSDAP vgl. PAYNE , Fascism , S.  188 ( „Gemeinnutz vor Eigennutz“ ).

g) „…für einen deutschen Arbeitsstaat aller schaffenden Stände“

131

genommen ( etwa Steuersenkungen und -vereinfachungen , ein ausgeglichener Staatshaushalt auf niedrigerem Ausgabenniveau und Andeutungen über die Senkung von Transferzahlungen ), andererseits ist eine deutliche Annäherung an nationalsozialistische Vorstellungen zu beobachten ( „Führerschaft“ des Staates in der Wirtschaftspolitik , Kampf gegen „Auslandsversklavung“ der Wirtschaft , weitgehende Zentralisierung der Gesetzgebung , Devisenbewirtschaftung393 ). Zu den „liberalen“ Elementen des Programms kann gesagt werden , dass es sich um die wenigen populären Forderungen dieser Schule handelte – niedrige Steuern wollte jeder. Die Ideen des Spann-Kreises traten dem gegenüber in den Hintergrund , obgleich der ständische Staatsaufbau weiterhin gefordert wurde. Allerdings wurden die ständischen Ideen nicht mehr so offensiv vertreten ; viel stärker betont wurde die staatliche „Wirtschaftsführung“, die allein geeignet sei , den angestrebten wirtschaftlichen Wohlstand herzustellen. So wurde festgehalten , „daß aber die Durchsetzbarkeit dieser Ziele erst dann vorhanden ist , wenn das parlamentarisch-demokratische Parteiensystem ein Ende findet und die Bahn für einen deutschen Arbeitsstaat aller schaffenden Stände frei gemacht wird , der nur durch das vom Gedanken der Volksgemeinschaft getragene Zusammenwirken aller und durch die Einordnung in einen starken Staatswillen getragen werden kann , wie dies dem Staatsgedanken der Heimatschutzbewegung entspricht.“394 Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Formulierung von den „schaffenden Ständen“, was zum einen als Angriff auf die „raffende“ „jüdische“ Finanzwirtschaft aufzufassen ist , zum anderen aber auch als Spitze gegen „unproduktive“ Intellektuelle , Journalisten oder Parteifunktionäre. ( Zu beachten ist darüber hinaus , dass auch Kranke , Invalide und Behinderte nicht dem „schaffenden“ Bevölkerungsteil angehören. Welche Rolle der Heimatschutz diesen Menschen zubilligte , wird an keiner Stelle deutlich. ) Nicht zu übersehen ist auch die technologische bzw. fast technokratische Ausrichtung des Programms , welches sich von den sozialromantischen Vorstellungen des Spann-Kreises , wie sie etwa das Nationalratsprogramm von 1930 kennzeichneten , erkennbar abwandte. In diese Richtung deutet auch die Agrarpolitik , die von der als ungerecht eingestuften Subventionswirtschaft Ab393 Die Devisenbewirtschaftung wurde in Österreich nach der Abwertung des britischen Pfundes im September 1931 eingeführt. Vgl. KERNBAUER , Wirtschaftspolitik. In : TEICHOVA , Banken , S. 57. 394 N. N. : Unser Wirtschaftsprogramm.(= Wirtschaftsprogramm , Teil I ). In : Der Panther. 3. Jg , Nr. 30 , 30. 7. 1932 , S. 4 f. Zum „Arbeitsstaat“ vgl. Ernst JÜNGER : Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt. Hamburg , 1932.

132

3. Vom Antimarxismus zum völkischen Ständestaat 

stand nahm und stattdessen Steuererleichterungen für die Bauern fordert ; auch Bodenmeliorationen und eine Intensivierung durch Düngung , aber auch Förderung des Wegebaus und vermehrter Maschineneinsatz werden genannt.395 Das Wirtschaftsprogramm des Heimatschutzes kann in diesem Zusammenhang als Ausdruck einer befehlswirtschaftlichen Zeittendenz , die gleichwohl – und mit Recht – als Mittel der ökonomischen und sozialen Modernisierung wahrgenommen wurde , verstanden werden.396

395 N. N. : Richtlinien für den Wiederaufbau der Wirtschaft – Reform der Landwirtschaft (= Wirtschaftsprogramm , Teil VI ). In : Der Panther. 3. Jg , Nr. 39 , 1. 10. 1932 , S. 4 f. 396 Zum Aspekt der Modernisierung durch faschistische Systeme vgl. Walter LAQUEUR : Faschismus. Gestern – heute – morgen. Berlin , 1997 , S. 109 f.

g) „…für einen deutschen Arbeitsstaat aller schaffenden Stände“

133

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers Die Entwicklung wirtschaftspolitischen Denkens in der steirischen Heimwehrbewegung spiegelt sich nicht ausschließlich in den Programmen des Heimatschutzverbandes , sondern muss auch anhand weiterer Äußerungen mit ähnlich offiziellem Charakter beurteilt werden. Zu diesem Zweck wurde die Publizistik der Wochenschrift Der Panther in wirtschaftspolitischer Hinsicht ausgewertet und daraus ergänzende wie auch teilweise abweichende Schlüsse gezogen. Der Panther ist als sehr wertvolle und überaus ergiebige Quelle zu betrachten , insbesondere da er nicht ausschließlich den Charakter eines „Krawallblattes“ hatte.397 Der Panther erschien vom 1. Mai 1930 bis zum 22. Juli 1933 wöchentlich jeden Samstag , zuweilen wurden darüber hinaus Sonderausgaben veröffentlicht ; der Umfang des Blattes betrug meist 12 bis 16 Seiten. Der ursprüngliche Untertitel Steirische Heimatschutzzeitung wurde ab April 1931 in Österreichische Heimatschutzzeitung geändert. Mit dem Verbot des Heimatschutzes im Juni 1933 entfiel diese Bezeichnung , einen Monat später musste das Blatt sein Erscheinen einstellen. Als Herausgeber fungierte die Landesleitung des Heimatschutzverbandes Steiermark , als Schriftleiter nannte das Impressum nacheinander Hans Kaibitsch , Karl Uray , Alfred Jammernegg , Sepp Kogelnik und Albin Humnig ; für den Anzeigenteil zeichnete während er gesamten Zeit Sepp Kogelnik verantwortlich.398 Die Zeitung war das offizielle Organ des Steirischen Heimatschutzes , zwischenzeitlich auch das anderer Heimwehren in den österreichischen Bundesländern ; während Pfrimers Tätigkeit als geschäftsführender Bundesführer der Heimwehren war der Panther zudem offizielles Organ der Bundesführung. Das Wochenblatt betrachtete sich als „die einzige [ … ] in Österreich bestehende Heimatschutzzeitung , die auf den wahren Grundsätzen des Heimatschutzes ,Für Heimat und Recht‘ aufgebaut ist und stets offen und ehrlich ge397 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 371 nennt den Panther eine Zeitung von relativ hohem Niveau ; auch die Auflage ( bis zu 18.000 Stück ) war verhältnismäßig groß. 398 Vgl. Impressum. In : Der Panther , 27. 7. 1930 , S. 16 ; 5. 11. 1930 , S. 4 ; 29. 8. 1931 , S. 12 ; 10. 12. 1932 , S. 10 ; 18. 3. 1933 , S. 10 ; 20. 5. 1933 , S. 10. Vgl. auch : Nachruf auf Hans Kaibitsch. In : Der Panther , 04. 6. 1932 , S. 1 f. Im Folgenden werden „Panther“ und „Heimatschutzzeitung“ synonym gebraucht. Kogelnik war auch Herausgeber des 1933 einmalig erscheinenden Heimatschutz-Jahrbuches.

135

gen jede Parteienkorruption und Systemwirtschaft kämpft [ … ].“399 Mehrfach war die Zeitung in gerichtliche Auseinandersetzungen ( meist Übertretungen des Pressegesetzes oder Prozesse wegen Verleumdung politischer Gegner ) verwickelt und musste Widerrufe bzw. Urteilsverkündungen drucken.400 Neben verschiedenen anderen Beilagen ( „Unsere Frauen“ und „Heimatschutz im Bild“ ) erschien regelmäßig Der Bauernkamerad , auf diesen Seiten wandte man sich an die landwirtschaftliche Bevölkerung und thematisierte auch häufig deren wirtschaftliche Lage. Die Zeitung äußerte sich auch häufig zu Wirtschaftsthemen , einerseits angeregt durch aktuelle Ereignisse , andererseits aber auch im Sinne ihrer antikapitalistischen und antimarxistischen Agitation. Die Leitartikel schrieb der Heimatdichter und Journalist Peter Panhofer , der unter dem Pseudonym „Olaf Petri“ weitreichende Vorschläge wirtschaftspolitischer Natur veröffentlichte und auch an den Ausarbeitungen des Wirtschaftsund Ständeamtes des Steirischen Heimatschutzes ( etwa dem Programm der Ständeorganisation Österreichs ) führend beteiligt war.401 Da Peter Panhofer als zentrale Figur der ( wirtschaftspolitischen ) Publizistik des Steirischen Heimatschutzes zu betrachten ist , soll an dieser Stelle auch auf seine Biografie – die bisher im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Forschung über die Heimwehrbewegung weitestgehend ignoriert wurde – näher eingegangen werden. Panhofer wurde als Sohn eines Arbeiters am 6. Juli 1893 in Mürzzuschlag geboren und absolvierte eine kaufmännische Lehre. Ab 1913 veröffentlichte er Gedichte in Mundart und Hochsprache und nahm am Ersten Weltkrieg teil , wo er verwundet , eigenen Angaben zufolge bis zum Fähnrich402 befördert und mit der Silbernen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet wurde. Während des Krieges 399 N. N. : Zur Aufklärung. In : Der Panther , 17. 9. 1932 , S. 5. Vgl. auch : Kameraden ! Flugblatt des Heimatschutzverbandes Steiermark , 31. 3. 1930. In : StLB , KS , Box 126. ( Kopie im Archiv des Verf. ): „ ‚Der Panther‘ und nur ‚Der Panther‘ wird alles bringen , was Kameraden und ihre Frauen interessiert , vor allem die großen Fortschritte und Erfolge unserer Bewegung im Kampfe gegen den Marxismus und beim Aufbau des Ständestaates , mit besonderer Aufmerksamkeit auf das Wachsen der Unabhängigen Gewerkschaft , dann das Treiben unserer Gegner , ferner Berichte über die Tätigkeit der Orts- und Frauenhilfsgruppen und endlich heimatliche Unterhaltungsstoffe in Feuilleton und Roman“ 400 Bspw. : Im Namen der Republik ! In : Der Panther , 15. 04. 1933 , S. 2 ( Verurteilung des Schriftleiters Alfred Jammernegg zu einer Geldstrafe von 50 Schilling wegen eines Artikels , in welchem Vizekanzler Karl Hartleb der Misswirtschaft bzw. Veruntreuung beschuldigt wurde ). 401 EDMONDSON , Heimwehr , S. 132 bezeichnet Panhofer /  Petri als „Pfrimer’s self-styled economic expert“, was insofern zutrifft , als Panhofer im Wesentlichen Autodidakt war. 402 Panhofer verfügte über keine höhere Schulbildung ; insofern ist es unwahrscheinlich , dass er tatsächlich einen Offiziersdienstgrad in der k. u. k.-Armee erreichte.

136

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

und danach veröffentlichte er weitere literarische Arbeiten. Von 1918 bis 1926 war er „Gau-Dietwart“403 des völkisch orientierten Deutschen Turnerbundes404 und gehörte darüber hinaus auch dem Alldeutschen Verband an. 1927 , in der Zeit nach dem Justizpalastbrand , als der Steirische Heimatschutz seinen größten Aufschwung erlebte , wurde er Leiter des Landespresseamtes des Heimatschutzverbandes Steiermark in Graz. In dieser Funktion war er wohl auch an der Herausgabe des Panthers führend beteiligt , wenngleich sein Name nicht im Impressum aufscheint. Panhofer vertrat jedoch – wie die Darstellung zeigen wird – eigene Ansichten , die sich nicht in allen Bereichen mit jenen des Heimatschutzes deckten bzw. innerhalb der Organisation nicht immer durchgesetzt werden konnten.405 Nach eigenen Angaben verfasste er – meist unter seinem Pseudonym – über 100 Leitartikel im offiziellen Kampfblatt des Heimatschutzes , die in heimwehrfreundlichen Kreisen eine überaus positive Aufnahme fanden ; er galt als führender Publizist der Bewegung. Er selbst berichtete dazu später : „1927 wurde ich als Landespresseleiter in den Steirischen Heimatschutz ( unter der nationalen Führung von Dr. Pfriemer [ sic ! ] und Kammerhofer ) berufen. In diesen Jahren schrieb ich hunderte von politischen , nationalen und wirtschaftlichen Leitaufsätzen im  ,Panther‘ [ … ] und die Aufsätze von Olaf Petri waren damals das [ Hervorhebung im Original ] Gespräch der volksbewussten Menschen“.406

Nach dem Verbot des Heimatschutzverbandes und dem damit verbundenen Ende des Panthers schrieb er für andere deutschnational bzw. völkisch ausgerichtete Blätter wie die Grazer Tagespost , das Tagblatt und die Lokalzeitung Alpenländische Wochenschau in Mürzzuschlag. Auch in der Deutsch-Österreichischen Tageszeitung ( „Dötz“ ), dem Organ der NSDAP in Österreich , veröffentlichte Panhofer bis zu deren Einstellung 1933 immer wieder bestimmte

403 Als „Dietwart“ wird im Turnwesen ein Schulungsleiter bezeichnet. 404 Zum Deutschen Turnerbund vgl. Walter WILTSCHEGG : Österreich – der „Zweite deutsche Staat“ ? Der nationale Gedanke in der Ersten Republik. Graz-Stuttgart , 1992 , S.  180 f. 405 Von einem Aufsatz Petris ( „Ja , der Kapitalismus hat versagt !“ ) distanzierte sich die Schriftleitung des Panthers sogar ausdrücklich. Vgl. Der Panther , 26. 3. 1932 , S. 4. 406 Bundesarchiv Berlin , RKK /  RSK , Personalakt Peter Panhofer , maschinengeschriebener Lebenslauf. Naturgemäß wollte sich Panhofer den NS-Stellen in möglichst vorteilhafter Weise darstellen , doch zeigt die Diskussion seiner wirtschaftspolitischen Ideen , dass er innerhalb der Heimwehrbewegung tatsächlich breite Kreise ansprechen konnte.

g) „…für einen deutschen Arbeitsstaat aller schaffenden Stände“

137

seiner Aufsätze.407 Nach dem Verbot beider Organisationen der „völkischen Kampffront“ trat er im März 1934 im Rahmen des Venediger Abkommens der illegalen NSDAP bei408 und war führend im nationalsozialistischen Untergrund des Mürztales tätig. Seine materielle Lage gestaltete sich schwierig , da er seine schriftstellerische Tätigkeit ( u. a. für den Rundfunk ) während der „Systemzeit“ nicht mehr entsprechend ausüben konnte. Kurzfristig war Panhofer auch in Haft und bezeichnete sich später in seinem Antrag auf Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer als für politische Delikte vorbestraft. Nach dem Anschluss wurde Panhofer Kreis-Wahlpropagandaleiter für Mürzzuschlag und anschließend Gaugeschäftsführer der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung. Demgegenüber trat seine literarische und journalistische Tätigkeit in den Hintergrund. In der Endphase des Zweiten Weltkrieges wurde der NSKOV-Gaugeschäftsführer selbst zum Volkssturm einberufen und fiel kurz vor Kriegsende am 4. April 1945 als Führer eines Volkssturmbataillons in der Oststeiermark. Panhofer wird von Zeitzeugen als sozial eingestellter Mensch wie auch als Idealist beschrieben , der vor allem aus seiner eigenen Erfahrung und Anschauung die wirtschaftliche Not der Menschen seiner Heimat – insbesondere der Arbeiter in der Obersteiermark – kannte und mit seinen wirtschaftspolitischen Vorschlägen zur Linderung dieses unmittelbaren Leides beitragen wollte.409 Aus dieser pragmatischen Haltung ist auch seine Perspektive zur ökonomischen Theorie seiner Zeit zu erklären : Entscheidend war für ihn demnach nicht die wissenschaftliche Orthodoxie und anerkannte Lehrmeinung , sondern die unmittelbaren Auswirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf die Lebensverhältnisse der „einfachen“ Menschen. Diese Einstellung zeigt Panhofers Offenheit gegenüber kreativen und ( damals ) ungewöhnlichen Methoden und Ansätzen , die auch in seinen Leitartikeln deutlich wird. 407 Vgl. Uwe BAUR /  K arin GRADWOHL -SCHLACHER : Literatur in Österreich 1938– 1945. Handbuch eines literarischen Systems. Bd. 1 : Steiermark. Wien–Köln–Weimar , 2008 , S. 269 ff. Umgekehrt wurden gelegentlich Beiträge aus der „Dötz“ im Panther abgedruckt. Bspw. Walter RIEHL : Judentum und Tonfilm. In : Der Panther , 05. 7. 1930 , S. 4. 408 Aufgenommen wurde er schlussendlich per 01. 5. 1938 ( Mitgliedsnummer 6109659 ). Vgl. Bundesarchiv Berlin , Masterfile NSDAP-Zentralkartei , Karteikarte Peter Panhofer. Die vierjährige Verzögerung weist auf die NS-internen Streitigkeiten um die Auslegung des Venediger Abkommens hin. Vgl. hierzu SCHAFRANEK , Sommerfest , S. 21 ff. 409 BAUR /  GRADWOHL-SCHLACHER , Literatur , S. 271 sowie mündliche Auskunft Uwe BAUR. Bekanntester Ausdruck seiner Gesinnung ist das „Steirische Notlied“, u. a. abgedruckt bei WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 63.

138

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

a) K  ampf der „Systemwirtschaft“: Agitation gegen ökonomische Missstände im öffentlichen Sektor Von Anfang an nahm die Berichterstattung über – tatsächliche und vermeintliche – Misswirtschaft , Korruption und Nepotismus in staatlichen Unternehmen und Organen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung breiten Raum in der Wochenzeitung des Heimatschutzes ein. Hauptziele waren einerseits die Bezüge der Geschäftsführer und Aufsichtsräte , andererseits die grundsätzlich – nach Meinung des Heimatschutzes – rücksichtslose , nur auf Einfluss und Parteienwesen ausgerichtete Wirtschaftsweise dieser Institutionen. Besonders die Österreichischen Bundesbahnen ( ÖBB ) standen im Zentrum der publizistischen Aufmerksamkeit. Die Bahn sei durch das Versagen der bürgerlichen Parteien zu „einer der stärksten Machtpositionen des Bolschewismus in Österreich“ geworden.410 Die Betriebsräte würden die eigentliche Macht im Unternehmen ausüben und die Tätigkeit der Unternehmensleitung beschränke sich darauf , gemeinschaftlich mit den sozialdemokratischen Gewerkschaftern das Unternehmen auszuplündern , lautete der Vorwurf. Der Panther ortete eine „Nutznießerkoalition“, gegen die mit allen Mitteln vorzugehen sei. Ein neues Bundesbahngesetz , das die betrieblichen Kollektivverträge unter stärkere staatliche Aufsicht gestellt hätte , sowie die Neubesetzung des Postens des Generaldirektors ( der „erklärte und bewährte Rotgegner“ Anton Apold , Generaldirektor der Alpine Montangesellschaft , wurde vorgeschlagen ) sollten den sozialdemokratischen Einfluss beenden.411 Die Kandidatur Apolds löste eine politische Debatte aus , infolge derer sich der Alpine-Generaldirektor – ebenso wie der Heimatschutz – endgültig von Bundeskanzler Schober abwandte und diesen mit heftigen Worten kritisierte.412 Schließlich zog Apold seine Kandidatur zurück und der christlichsoziale Grazer Vizebürgermeister Franz Georg Strafella wurde auf Vorschlag Landeshauptmann Rintelens zum Generaldirektor berufen. Strafella war wegen Spekulationsgeschäften , die laut Gerichtsurteil als „unsauber und unkorrekt“ bezeichnet werden durften , in der Kritik ; die „Strafella-Krise“ 410 N. N : Das neue Bundesbahngesetz – das Ende der roten Vorherrschaft. In : Der Panther , 28. 6. 1930 , S. 3. Vgl. auch N. N. : Korruption der Korruptionen : ein zweiter Geheimfonds bei den Bundesbahnen. In : Der Panther , 13. 9. 1930 , S. 6. 411 Vgl. Die Bundesbahnen – ein Riesenpanama [ sic ! ]. Flugblatt des Heimatschutzverbandes Steiermark (= Sonderabdruck aus : Der Panther , 27. 9. 1930 ). In : StLB , KS , Box 126. ( Kopie im Archiv des Verf. ). Der Ausdruck „Panama“ für einen Fall politischer Korruption geht auf den Panama-Skandal in Frankreich 1893 /  94 zurück. 412 HANISCH , Industrie. In : PAMMER /  NEISS /  JOHN ( Hg. ), Erfahrung , S. 245 f.

a) Kampf der „Systemwirtschaft“

139

führte zum Sturz der Regierung Schober und zu Neuwahlen.413 Da sich der Panther als Kampfblatt gegen jede „Parteienwirtschaft“ verstand , lehnte er die Berufung Strafellas mit Hinweis auf dessen persönliche Verfehlungen ab. Als dieser bereits neun Monate darauf wieder zurücktrat , zeigte sich die Zeitung jedoch durchaus versöhnlich : Immerhin habe Strafella den „roten“ Einfluss bei den Bundesbahnen gebrochen und einen wirtschaftlichen Konsolidierungskurs eingeschlagen ; seine Verfehlungen seien gering im Vergleich zur Bereicherung und Korruption auf sozialdemokratischer Seite.414 Die ÖBB litten nicht nur unter den Folgen des Zusammenbruchs der Monarchie , der eine weitreichende Veränderung der Verkehrsströme mit sich brachte sowie unter den hohen Personallasten , sondern wurden auch durch die neuartige Konkurrenz von Straßenverkehr und Flugzeug weiter in die Enge getrieben. In der Folgezeit verschärfte sich die wirtschaftliche Situation der Bundesbahnen weiter , sodass tiefgreifende Reformmaßnahmen notwendig wurden , die vor allem durch die Zusammenlegung von Bundesbahndirektionen und die Kürzung von Pensionen auch vorgenommen wurden. Die Steirische Heimatschutzzeitung interpretierte diese Maßnahmen als Vorbereitung eines Verkaufs der ÖBB an ausländische Finanzkreise , die mit allen Mitteln bekämpft werden müsse. Zudem sei die Senkung von Löhnen und Gehältern volkswirtschaftlich falsch , da sie einen Nachfragerückgang und somit eine weitere Schrumpfung der Wirtschaft auslösen müsste. Der politische Hintergrund sei die vom Völkerbund geforderte Deflationspolitik , eine Auswirkung der „Auslandsversklavung“, die so schnell als möglich beendet werden müsse , wenn die wirtschaftliche Lage schlussendlich verbessert werden sollte.415 Dies weist bereits auf die Agitation gegen ausländische Einflüsse auf die österreichische Politik und Wirtschaft hin , die besonders im Hinblick auf Creditanstalt-Krise und Lausanner Anleihe weiter unten zu besprechen sind. Für die Lage der Bundesbahnen verantwortlich gemacht werden demnach – nach dem bekannten Muster des wirtschaftlichen Populismus – die Unfähigkeit und Misswirtschaft der führenden Funktionäre , die mit dem ihnen anvertrau413 GOLDINGER /  BINDER , Geschichte , S. 172 f. 414 N. N. : Das Problem Bundesbahnen. In : Der Panther , 4. 10. 1930 , S. 4 ( dort u. a. Stellungnahme von Justizminister Franz Hueber zu Strafella ) sowie N. N. : Antimarxismus auf Kaltwasserkur. Strafella ab – Seefellner [ richtig : Seefehlner ] auf. In : Der Panther , 13. 6. 1931 , S. 2. Dort wir allerdings auch festgestellt : „Wir hegen aber keinen Zweifel daran , daß beide Richter bei Dr. Strafella einen Materialismus festgestellt haben , der nach unserer Meinung mit der Sichtbarkeit seiner Stellung nicht im Einklang stand.“ 415 Vgl. Olaf PETRI : Hie Selbsthilfe , hie Bolschewismus ! In : Der Panther , 14. 5. 1932 , S. 2 sowie N. N. : Verschacherung der Bundesbahnen oder der Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft. In : Der Panther , 14. 5. 1932 , S. 5.

140

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

ten öffentlichen Vermögen verantwortungslos umgegangen seien und sich persönlich bereichert hätten. Mit den politisch bestellten Geschäftsführern wurde ebenso verfahren wie mit den ( meist sozialdemokratischen ) Betriebsräten : Man sprach ihnen durch den Vorwurf der Bereicherung die Integrität ab und deutete ihr persönliches Verhalten als Symptom dafür , dass das politisch-ökonomische System der Republik Österreich „morsch“ bzw. „verrottet“ sei und unfähig , die dringenden Probleme des Landes zu lösen , wozu einzig die Volksbewegung der Heimwehren geeignet sei.416 Ebenso wie im Fall der Creditanstalt , der weiter unten behandelt wird , zeigt sich das Muster einer populistischen Wirtschaftsauffassung : Es wird suggeriert , durch einfache Maßnahmen ( Bestrafung der Verantwortlichen durch Vermögensentzug , Schadenersatzansprüche , Berufung „unparteiischer“ Führungskräfte ) könne der wirtschaftliche Niedergang des Unternehmens verhindert bzw. rückgängig gemacht werden.417 Zudem ist hier auf das Führerprinzip zu verweisen , welches einerseits auf die Rezeption der Ideen des Spann-Kreises , andererseits aus der wachsenden Nähe zu nationalsozialistischen Vorstellungen hinweist. Politisierung der Wirtschaft und Verwirtschaftlichung der Politik seien die beiden – sich wechselseitig bedingenden und verstärkenden – Probleme der Zeit , die ausschließlich von einem autoritär geführten „Volksstaat“ unter der Leitung eines befugten und autonomen Führers gelöst werden könnten.418 Eine tatsächlich ökonomisch fundierte Lösung des Bundesbahnproblems , welche die Folgen der Strukturkrise der frühen Nachkriegsjahre schließlich bewältigen hätte können , wurde im Panther erwartungsgemäß nicht formuliert. Eine ähnliche Vorgangsweise ist auch im Fall der steirischen Landwirtschafts-Krankenkasse festzustellen , die vom damals schon heimwehrfeindli416 Vgl. Die Bundesbahnen – ein Riesenpanama [ sic ! ]. Flugblatt des Heimatschutzverbandes Steiermark (= Sonderabdruck aus : Der Panther , 27. 9. 1930 ). In : StLB , KS , Box 126. ( Kopie im Archiv des Verf. ) sowie N. N : Schluß mit der Luderwirtschaft. In : Der Panther , 08. 4. 1933 , S. 1 f. : ( „Heute lacht man noch. Wir aber , die kommenden völkischen Erneuerungsmenschen [ sic ! ], wir werden diesen Herren eines Tages das Lachen abgewöhnen ! Das Österreich , daß so korrupt , so saustallmäßig aufgezäumt war , ist nicht unser Staat ! [ … ] Einen reinen Volksstaat wollen wir aufrichten , in dem der Anständige wieder frei leben kann , in dem Lumpereien nicht mehr an der Tagesordnung sondern unmöglich sind !“ ). 417 Zur Definition des wirtschaftspolitischen Populismus vgl. Manfred G. SCHMIDT : Wörterbuch zur Politik. 2. Aufl. Stuttgart , 2004 , S. 563. 418 Im einzelnen Unternehmen sollte eine ähnliche hierarchische Ordnung herrschen wie im Gesamtstaat ( vgl. die spätere NS-Terminologie ( „Betriebsführer“, „Wehrwirtschaftsführer“ etc. ) SCHNELLER , Romantik , S. 50 sieht das Führerprinzip als Leitmotiv antidemokratischen Denkens während der Zwischenkriegszeit.

a) Kampf der „Systemwirtschaft“

141

chen Landbund dominiert wurde. Auch hier wurden Vorwürfe der Korruption und Misswirtschaft erhoben , insbesondere bezüglich der Mitarbeiterzahl und der Ausstattung der Zentrale in Graz ( Paulustorgasse 4 ).419 Krankenkassendirektor Loidl und Sekretär Josef Krainer ( dem späteren steirischen Landeshauptmann ) wurden überhöhte Bezüge zum Vorwurf gemacht , die in einem krassen Gegensatz zur wirtschaftlichen Lage der versicherten Landwirte stehe. 1930 hatte sich unter Führung des Heimatschutzes eine „Unpolitische Wahlgemeinschaft“ gebildet , die bei der – erstmals ausgeschriebenen – Wahl in die Hauptversammlung der Landwirtschaftskrankenkasse kandidierte. Allerdings war der Steirische Heimatschutz darauf bedacht , die „Unpolitische Wahlgemeinschaft“ als „Basisbewegung“ enttäuschter Landwirte und Landarbeiter zu präsentieren , die nur zufällig mit dem Heimatschutz einer Meinung seien.420 Die Wahlgemeinschaft sei daher als Zeichen der Wut breiter Volksschichten , die den Parteienstaat ablehnten , zu verstehen. In agitatorischer Hinsicht wurde wiederum versucht , die politischen Vertreter in den Krankenkassenorganen als inländische „Ausbeuter“ darzustellen , die somit den ausländischen ( A lliierte , Finanzkreise , Völkerbund etc. ) gleichgestellt wurden , wobei rhetorisch zu drastischen Mitteln gegriffen wurde.421 Auch hier wurde die Problemlösung im Wesentlichen negativ definiert : Die Entfernung der Schuldigen aus den Führungspositionen ( und ihr Ersatz durch „unpolitische“, 419 N. N : An die Landwirtschaftliche Krankenkasse Steiermarks. Dreizehn Fragen. In : Der Panther , 24. 10. 1931 , S. 7. sowie N. N : Achtung , Landwirtschaftskrankenkasse ! In : Der Panther , 11. 2 , 1933 , S. 3. 420 Vgl. Wahlen in die Landwirtschaftskrankenkasse. Praktische Anweisungen für Bauern und landwirtschaftliche Arbeiter ( Flugblatt der Unpolitischen Wahlgemeinschaft für die Wahlen in die Hauptversammlung der Landwirtschaftskrankenkasse von Steiermark , f. d. Inh. verantw. Wilhelm NEUSCHITZER ). Mai 1930. In : StLB , KS , Box 126. ( Kopie im Archiv des Verf. ) Die Argumentation des Panthers , es handle sich um eine spontane Volksbewegung gegen das Parteienwesen , ist v. a. durch die zeitliche Nähe zum Korneuburger Eid ( 18. 5. 1930 ) erklärbar. 421 N. N. : Wie sieht es in der Landwirtschaftskrankenkasse aus ? In : Der Panther , 14. 1. 1933 , S. 1 f. : ( „Es wird Zeit , daß wie die Bauernschaft auch die Arbeiterschaft , aber auch die Arbeitgeber gegen die Mißstände in der Verwaltung der Krankenkassen [ … ] den Kampf aufnehmen. Nur ein mit geschlossener Kraft geführter Generalangriff gegen die Parteienwirtschaft in den Fürsorgeinstituten kann hier zum Ziele führen und die schaffende Bevölkerung Österreichs von diesem Vampyr befreien , der ihr den letzten Tropfen Blut aussaugt.“ ) Man bezog sich auf die Ereignisse in Vorau zu Jahresbeginn , bei der sich Bauern gewaltsam gegen die Pfändung ihres Viehbestandes wegen Steuer- und Abgabenrückständen zur Wehr gesetzt hatten. Vgl. KARNER , Steiermark , S. 192 f. Der Panther erschien am 7. 1. 1933 mit der Schlagzeile : Oststeirische Bauernerhebung gegen die Krankenkassenwirtschaft.

142

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

d. h. heimatschutz-nahe Funktionäre ) wäre demnach die sofort notwendige Maßnahme zur Reform des gesetzlichen Krankenversicherungswesens. Die maßgebliche Grundlage für die Neuordnung der Sozialversicherungen ist in den verschiedenen Fassungen der Prinzipien des Heimatschutzes bzw. Heimatblocks zu finden : Wie in Kapitel 3 ausgeführt , ist die Forderung nach der einheitlichen „Volksversicherung“ eine der Konstanten der wirtschaftspolitischen Programmatik.422 Die Volksversicherung sollte nicht nur die Transparenz erhöhen , sondern darüber hinaus die Verwaltungskosten im Versicherungswesen minimieren.423 Weitere Fälle parteipolitisch motivierter angeblicher Misswirtschaft , die der Panther öffentlich machte , waren unter anderem die steirische Landesmolkerei , die steirische Arbeiterkammer und die Ausgabenpolitik der Stadt Graz. Darüber hinaus wurde das System der Betriebsräte angegriffen , da Kontrollmechanismen nicht in ausreichendem Maß vorhanden seien und der sprichwörtliche „Griff in die Kasse“ allzu häufig vorkäme und sich wiederum Parteifunktionäre auf Kosten der Arbeitnehmer bereichern würden. Einer ähnlichen Argumentation folgte auch die Wahlwerbung der Unabhängigen Gewerkschaft. Damit verbunden war die antimarxistische ( und somit antisozialdemokratische ) Schreibweise des Panthers. Der Sekretär der „Heimwehr-Gewerkschaft“ UG , Alois Mosler , veröffentlichte eine siebenteilige Artikelserie unter dem Titel „Den Hungertod für die europäische Arbeiterschaft“, in welchem er kritisch zur Wirtschaft in der Sowjetunion Stellung nahm. Der Fünfjahresplan zwänge die russischen Arbeiter dazu , unter menschenunwürdigen Bedingungen zu äußerst geringen Löhnen zu arbeiten ; die Sozialgesetzgebung bestünde im Wesentlichen nur auf dem Papier. Die sowjetischen Machthaber wiederum würden die billig erzeugten Waren dazu nutzen , mit Dumpingpreisen die Wirtschaft der mittel- und osteuropäischen Staaten in eine ruinöse Konkurrenz zu treiben. Die kommunistische Führung der Sowjetunion würde die planmäßige Industrialisierung des ganzen Landes mit den Methoden des frühen Kapitalismus durchsetzen und sei daher vom moralischen Standpunkt aus mit diesem gleichzusetzen. Daher sei der sowjetische Kommunismus an der Krise der Weltwirtschaft ebenso schuldig wie der Kapitalismus , mit welchem ihn nicht zuletzt die „fremdrassige“ Herkunft seiner Führer und die materi422 KRIECHBAUMER , Erzählungen , S. 593 bezeichnet die „Volksversicherung“ zutreffend als einen der Kernpunkte des Heimatblock-Programms. 423 Der Panther veröffentlichte des Öfteren Beiträge über die Pläne für eine umfassende Sozialreform. Bspw. N. N. : Neue Wege der Sozialversicherung. In : Der Panther , 1. 11. 1930 , S. 5.

a) Kampf der „Systemwirtschaft“

143

alistische Grundhaltung verbänden.424 Diese Verbindung weist auf das Denken des Spann-Kreises hin , in welchem die Forderung nach immer höheren Investitionen und größerer Produktivität industrieller Betriebe verworfen und eine kleinstrukturierte gewerblich-handwerkliche Wirtschaftsform nachdrücklich gefordert wird.425 Auf die Rückwärtsgewandtheit dieser Vorstellung – im Zeitalter von Taylorismus und „fordistischer“ Massenproduktion muss nicht weiter hingewiesen werden.

b) „Wirtschaftlicher Neuaufbau“: Überlegungen zur Arbeitsmarkt-, Geld- und Fiskalpolitik Im Zuge des Wahlkampfes zur Nationalratswahl 1930 wurden die wirtschaftspolitischen Vorschläge der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei ( u. a. Bodenreform , Förderung der Gewerkschaften , umfassender Mieterschutz , „innere Abrüstung“, staatliches Monopol der Getreideein- und -ausfuhr426 ) direkt zur Lage in der Sowjetunion und anderen Staaten mit Linksregierungen in Beziehung gesetzt : Tatsächlich sei die Arbeitslosigkeit gerade in jenen Staaten am höchsten , in denen es eine sozialistische Regierung bzw. Regierungsbeteiligung gebe , während das eigentliche Vorbild in wirtschaftspolitischer Hinsicht Bulgarien mit seiner geringen Arbeitslosigkeit und der allgemeinen Arbeitsdienstpflicht sein müsse.427 Die Berichterstattung über die hohe Arbeitslosigkeit428 als eines der wirtschaftlichen , sozialen und politischen Hauptprobleme der Ersten Republik 424 Vgl. Alois MOSLER : Den Hungertod für die europäische Arbeiterschaft. In : Der Panther , 20. 9. 1930 S. 6 , sowie in verschiedenen Folgenummern bis einschließlich 1. 1. 1931 , S. 9. Ebenso erschienen weitere Artikel unter zynischen Überschriften wie „Aus dem Sowjetparadies“ ( 22. 10. 1932 , S. 5 ) und „Moskauer Arbeitslosenfürsorge“ ( 24. 5. 1930 , S. 11 ). Die Informationen stammten meist aus Publikationen exilrussischer Kreise. 425 Vgl. RICHTER , Kapitalismus , S. 37 ff. 426 Vgl. Agrarprogramm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs , 1925. In : BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 235–247 sowie „Linzer Programm“ der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs , 1926 , in BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 247–264 , hier S. 254 f. 427 N. N. : Rotes Gimpelfangen. Was der rote Wahlaufruf unseren Arbeitern zumutet. In : Der Panther , 15. 10. 1930 , S. 3. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die heimwehr-ähnlichen paramilitärischen Verbände in Bulgarien , über die im Panther auch mehrfach positiv berichtet wurde. Zu Bulgarien vgl. PAYNE , Fascism , S. 326 f. Vgl. auch „Dr. U.“  : Die Arbeitsdienstpflicht. Ihr Erfolg in Bulgarien. In : Der Panther , 31. 5. 1930 , S. 8. 428 Zu den Arbeitslosenzahlen in der Ersten Republik vgl. GOLDINGER /  BINDER , Geschichte , S. 132.

144

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

fand im Panther breiten Raum , einerseits um die „aussichtslose“ Lage zu illustrieren , in welcher rasch zu handeln sei und nur noch die Machtübernahme der Heimwehrbewegung als Ausweg bliebe ; anderseits wurden besonders durch Vergleiche mit dem Ausland kapitalistische und kommunistische Wirtschaftsweise gleichermaßen für ungeeignet erklärt und eine eigene , autoritäre Politik propagiert. 1932 führte die Bundesregierung einen freiwilligen Arbeitsdienst ein , mit dem sich der Heimatschutz weitgehend einverstanden zeigte. Eine zentrale programmatische Aussage zum Themenkomplex „Arbeitsdienst“ stellt ein Leitartikel des Montanisten Hans Malzacher429 dar , der im Juli 1932 in der Steirischen Heimatschutzzeitung veröffentlicht wurde. Malzacher betrachtete die Gesetzesvorlage der Regierung Dollfuß als ersten Schritt , dem die Arbeitsdienstpflicht schließlich folgen werde. Dies sei nicht nur politisch-taktisch eine kluge Vorgangsweise , sondern hätte darüber hinaus noch ideelle Gründe. Der Arbeitsdienst , so argumentiert Malzacher , könne nur funktionieren , wenn das Bewusstsein einer Verpflichtung gegenüber dem Vaterland besonders bei jungen Menschen wieder geweckt werden könne ; dazu seien jedoch Führer notwendig , die es derzeit nicht in ausreichender Zahl gebe. Diese Führerschicht könne aber aus den „Pionieren“ des freiwilligen Arbeitsdienstes entstehen und dadurch besonders jungen Menschen , die bisher nur Arbeitslosigkeit und dadurch persönliche Entwertung erfahren hätten , dazu verhelfen , in der Gesellschaft wieder Anerkennung und einen Daseinszweck zu finden. Hinzu käme allgemein die Förderung des Heimat- und Vaterlandsbewusstseins.430 Die Arbeitsdienstpflicht hätte demnach vor allem für junge Arbeitslose eine wertvolle – auch persönlichkeitsbildende – Wirkung. Um die Arbeitslosigkeit insgesamt zu bekämpfen , sind laut Malzacher weitere Maßnahmen notwendig ; er nennt Zinssenkungen , Förderung der Exporte sowie die Begebung einer Inlandsanleihe. Mit dem daraus gewonnenen Kapital seien Aufträge an heimische Wirtschaftsbetriebe zu vergeben ; im äußersten Fall müssten auch Schritte zur Arbeitszeitverkürzung in Erwägung gezogen werden. Bei sämtlichen dieser Handlungsanweisungen müsse ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden , da die Wirtschaftspolitik jahrelang auf eine einseitige Belastung der 429 Malzacher war zeitweilig Leiter des Wirtschafts- und Ständeamtes der niederösterreichischen Heimwehr , ab 1938 Generaldirektor der „Reichswerke Hermann Göring“ in Linz , nach 1945 u. a. Generaldirektor der VOEST. WILTSCHEGG , Heimwehr , S.  267 bezeichnet ihn als „[ … ] bedeutendste [ n ] Wirtschaftsfachmann , der in der Bewegung , wenn auch nur vorübergehend , mitgearbeitet hat.“ Zur Person vgl. ebda , S. 354. 430 Hans MALZACHER : Vom freiwilligen Arbeitsdienst zur Arbeitsdienstpflicht. In : Der Panther , 2. 7. 1932 , S. 1.

b) „Wirtschaftlicher Neuaufbau“

145

Privatwirtschaft aufgebaut worden sei. Der Vorschlag der Arbeitspflicht findet sich bereits im Nationalratsprogramm 1930 und ebenso im Programm der Ständeorganisation von 1931 , wird aber von Malzacher – einem führenden Industriellen – wesentlich weniger euphorisch betrachtet als in den genannten Programmen ; er sieht die Vorteile hauptsächlich in gesellschaftlicher bzw. sozialpsychologischer Hinsicht ; ergänzende Maßnahmen ökonomischer Art seien in jeden Fall notwendig.431 In geldpolitischer Hinsicht beschränkte sich das Kampfblatt des Steirischen Heimatschutzes lange Zeit darauf , in recht simpler Weise den „Zinswucher“ bzw. die „Zinsknechtschaft“ anzugreifen und das Land vom internationalen Geldmarkt weitgehend abzukoppeln.432 Olaf Petri forderte eine Kaufkraftsteigerung für die Bezieher niedriger Einkommen in Gesamthöhe von 150 Millionen Schilling , die durch ein „Notopfer“ in der Höhe von je 50.000 (  ! ) Schilling der reichsten Österreicher zu finanzieren sei ; aus dem „arbeitslosen“ Schilling , der von den Reichen auf ausländische Bankkonten transferiert werde , müsse ein „arbeitender“ Schilling gemacht werden , der im Land Wert und Beschäftigung schaffe.433 Die gleiche Stoßrichtung verfolgte Petri /  Panhofer mit seinem groß aufgemachten Leitartikel , der in der Weihnachtsausgabe 1931 des Panthers erschien und in welcher das Phänomen der Deflation ausgiebig diskutiert wird. Dort wird auch eine Idee vorgestellt , die als genuiner Beitrag Petris zur wirtschaftspolitischen Diskussion betrachtet werden kann : die Einführung eines „Heimatschillings“. Darunter wird eine Parallelwährung verstanden , die jedoch im Gegensatz zum „normalen“ Schilling nicht konvertibel sein und nur der Entwicklung der inländischen Wirtschaft dienen sollte. Waren und Dienstleistungen könnten mit dieser Binnenpapierwährung , die im Gegensatz zur bisherigen Währung nicht mehr an den Goldstandard gebunden sein soll431 In einem früheren Beitrag kritisierte Malzacher eine rein an Ertragsaussichten ausgerichtete Kreditvergabe und forderte eine ganzheitliche Betrachtung. Er sprach sich für eine staatliche Kontrolle der Kreditvergabe aus und sah darin eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Heimwehr. Vgl. Hans MALZACHER : Die Fehler unserer Kreditwirtschaft. In : Der Panther , 30. 4. 1932 , S. 4 f. 432 Vgl. „A.“: Fort mit dem Zinswucher ! In : Der Panther , 4. 4. 1931 , S. 6 ( Förderung der heimischen Banken und Sparkassen als „regionale Geldsammel- und Staubecken [ sic ! ]“ sowie Olaf PETRI : Notschutzgesetze oder – Verzweiflung ! Herab mit dem Wucherzinssatz für Leihgeld. In : Der Panther , 25. 4. 1931 , S. 3 ( Staatliche Festlegung eines Höchstzinssatzes ). 433 Olaf PETRI : Rollen soll der Schilling ! In : Der Panther , 8. 8. 1931 , S. 4. Petri wandte sich damit einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik zu , die sich jedoch in der ( zukünftigen ) Programmatik des Heimatschutzes nur in sehr abgeschwächter Form wiederfand.

146

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

te , im Inland gekauft werden. Ziel war die Überwindung der Deflation durch eine Vergrößerung der inländisch zirkulierenden Geldmenge. Dieser „Heimatschilling“ würde gleichzeitig mehrere positive Effekte haben , wurde argumentiert : Erstens schütze er die heimische Wirtschaft vor ausländischem Einfluss und würde zu einer Senkung des inländischen Zinsfußes führen ; andererseits würde die Konjunktur durch dadurch wieder anspringen , was nicht nur auf die Arbeitslosenzahlen sondern auch auf den Staatshaushalt in erwünschter Weise einwirken würde.434 Der Heimatschilling sollte durch inländischen Realbesitz , d. h. Grund und Boden ,435 gedeckt sein , während für den herkömmlichen Schilling ( im Panther als „Bankschilling“ bzw. „Auslandsschilling“ bezeichnet ) die Deckung durch Gold- und Devisenbestände der Nationalbank bestehen bleiben sollte. Damit sollte einerseits das internationale Vertrauen in die österreichische Währung bestehen bleiben , während gleichzeitig die inländische Wirtschaft von den „goldenen Fesseln“ befreit werden sollte. Der Heimatschilling sollte mit Zwangskurs ausgestattet sein , also von allen inländischen Käufern und Verkäufern anstelle anderer Zahlungsmittel akzeptiert werden müssen ; auch ein Umtauschzwang wurde diskutiert , um die Inflationsgefahr zu vermindern.436 Die bisherige Politik der Auslandsanleihen sei unbedingt abzulehnen ; einzig durch eine Ausweitung der inländischen Geldmenge würde die österreichische Wirtschaft wieder wachsen können. Zur Rechtfertigung seiner Ansichten verwies Petri unter anderem auf John Maynard Keynes : 434 Olaf PETRI : Heraus aus der Geldverknappung. In : Der Panther , 19. 12. 1931 , S. 1 f. sowie Richard HOLLSCHEK : Der Heimatschilling – Wirtschaftsgenesung. In : Der Panther , 26. 12. 1931 , S.  8. 435 Die Einführung einer Währung , die an eine ( fiktive ) Belastung des Grundbesitzes gebunden sein sollte , wurde im Deutschen Reich 1923 unter Mithilfe von Experten aller politischen Lager ( u. a. Hjalmar Schacht , Rudolf Hilferding , Karl Helfferich ) erfolgreich erprobt ( „Rentenmark“ ). Vgl. Ursula BÜTTNER : Weimar – die überforderte Republik 1918–1933. (= Gebhardt ; Handbuch zur deutschen Geschichte , Bd. 18 ), Stuttgart , 2010 , S. 402 ff. In Österreich hingegen wurde die monetäre Sanierung durch eine ausgabenseitige Konsolidierung und die Erneuerung des Goldstandards durchgeführt. Vgl. SANDGRUBER , Ökonomie , S. 361 f. 436 Die internationale Entwicklung der Währungspolitik wurde während dieser Zeit von einer Abkehr von der Goldwährung gekennzeichnet ( zwischen September 1931 und April 1933 u. a. Großbritannien , die USA und die skandinavischen Staaten ); die österreichische Nationalbank unter Viktor Kienböck hielt jedoch daran fest , den Auslandswert des Schillings u. a. durch Kreditrestriktionen zu erhalten und verstärkte damit die deflationären Tendenzen. Vgl. BACHINGER , Weltwirtschaftskrise. In : BACHINGER et. al., Schilling , S. 106 f.

b) „Wirtschaftlicher Neuaufbau“

147

„Dieser vorausblickende , vom Klüngel der ,Sachverständigen‘ nicht ernst und voll genommene englische Volkswirtschaftler sieht nun all das eintreten , was er vorausgesagt hat. Dieser J. M. Keynes , in der gesamten Fachwelt geschätzt als der gründlichste Kenner des Geldwesens – sein neuestes Werk ,Vom Gelde‘ gilt als unbestritten bestes Buch über diesen Gegenstand – , also wirklich ein Sachverständiger , hielt unlängst im Hamburger Überseeklub eine hochbedeutende Rede über ‚Wirtschaftliche Aussichten für 1932‘ worin er ausführte : ‚Die Frage ist nur die , ob der begonnene Prozeß437 , der schließlich den deflationistischen Druck zu lindern vermag , noch enden wird , ehe die finanzielle Organisation und das internationale Kreditsystem unter der Last krachen ! Gelingt es , so ist der Weg frei für eine gemeinsame Politik der Kapitalexpansion [ … ]‘ “438

Die Loslösung von der Goldwährung werde auch vom schwedischen Wirtschaftswissenschafter Gustav Cassel ( „der bedeutendste Nationalökonom der Welt“ ) unterstützt , auch auf den Ökonomen der deutschen „Historischen Schule“, Friedrich List , wird in der Argumentation des Heimatschutzblattes Bezug genommen. Die Geldmengenausweitung würde nach Petris Auffassung nicht zur Inflation führen , da der derzeitige Banknotenumlauf in Österreich pro Kopf der Bevölkerung um ein Vielfaches geringer sei als etwa in Frankreich oder der Schweiz , sodass die diesbezügliche Gefahr gering sei. Die Politik der Nationalbank würde die Deflation weiter verstärken , Deflation sei wirtschaftlich ebenso schädlich wie die Hyperinflation der 1920er-Jahre.439 In der Folge wurde die Idee des Heimatschillings von seinem Urheber Petri /  Panhofer in öffentlichen Veranstaltungen und Tagungen ( u. a. in Anwesenheit von Pfrimer und Starhemberg ) verbreitet und scheint zumindest kurzfristig die offizielle bzw. halboffizielle Politik des Steirischen Heimatschutzes gewesen zu sein. In der Heimatschutz-Programmatik , wie sie in Abschnitt 3 der vorliegenden Arbeit behandelt wurde , hat der „Heimatschilling“ ( auch in seiner 437 Gemeint ist wohl die Einleitung einer Politik der Geldmengenausweitung und Zinssenkung , also jener Maßnahmen , die späterhin als „keynesianische“ Geldpolitik bezeichnet wurden. 438 Olaf PETRI : Die nächste Anleihe – was J. M. Keynes sieht. In : Der Panther , 2. 4. 1932 , S. 3. 439 Vgl. Olaf PETRI : Schach der Geldverknappung. In : Der Panther , 12. 12. 1931 , S. 5. Die Art der Verwendung der Worte „Inflation“ und „Deflation“ bei Petri weist jedoch darauf hin , dass seine Begrifflichkeit noch von klassisch liberalen Ansätzen geprägt ist , auch seine Argumente bezüglich der Kaufkraft deuten noch nicht auf keynesianisches Denken hin. Vgl. Olaf PETRI : Was tut uns not ? Die Hebung der Kaufkraft. In : Der Panther , 9. 7. 1932 , S. 3.

148

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

späteren Form als „Ausgleichsscheck“ ) jedoch keinen Niederschlag gefunden. Der Grund dafür ist wohl in der Opposition innerhalb des Wirtschafts- und Ständeamtes zu suchen , wo der Heimatschilling nach heftigen Diskussionen zur weiteren Beratung an einen Unterausschuss verwiesen wurde.440 Was die Fiskalpolitik betrifft , zeigte sich der Panther über das ständige Anwachsen der Steuer- und Abgabenquote besorgt , welche die wirtschaftliche Kraft der österreichischen Bevölkerung mittlerweile stark herabsetzte und zu einer bedrückenden Last geworden sei. Petri beschäftigte sich in seinen Leitartikeln vor allem mit dem – seiner Ansicht nach offensichtlichen – Missverhältnis zwischen den ständigen Aufrufen zur Sparsamkeit seitens des Bundes einerseits und dem immer weiteren Anwachsen der Beschäftigtenzahl im öffentlichen Dienst. Der Sparwille der Bundesregierung sei in jedem Fall unterentwickelt und erschöpfe sich in der ständigen Erfindung neuer Steuern , die das Problem der mangelnden Massenkaufkraft weiter verschärften.441 Das Ergebnis der Finanzausgleichsverhandlungen , die eine deutliche Verschiebung der Finanzmittel weg von der Stadt Wien und hin zu den Flächenbundesländern mit sich brachte , zeigte sich die Heimatschutzzeitung grundsätzlich zufrieden , da die Macht des „roten Wien“ begrenzt wurde und deren „verantwortungslose“ Finanzpolitik nicht länger vom Rest der Republik in so hohem Maße subventioniert werden müsse. Allerdings müsse der Abgabenteilung , die der Heimatblock auch in seinem Wahlprogramm gefordert hatte , nunmehr die Abgabensenkung folgen , wobei die Zahl von 100 Millionen Schilling genannt wird.442 Die Fiskalpolitik , die in der Zeitung propagiert wurde , hatte demnach die Konsolidierung des Staatshaushaltes auf niedrigerem Niveau zum Ziel ; dies sollte durch Ausgabensenkungen und – dadurch ermöglichte – Steuersenkungen erreicht werden. Hinzu kam noch als Sofortmaßnahme gegen die negative 440 Vgl. N. N. : Für und gegen den Heimatschilling. In : Der Panther , 13. 2. 1932 , S. 6. Dem „währungspolitischen Unterausschuss“ gehörte u. a. der Alpine-Ingenieur ( und UG-Funktionär ) Josef Oberegger an. 441 Vgl. N. N. : Schobers „Steuersenkungen“. Um 152 Millionen Schilling höhere Steuern. In : Der Panther , 29. 10. 1930 , S. 3 sowie Olaf PETRI : „Sparen , sparen , sparen …“. In : Der Panther , 18. 4. 1931 , S. 5. 442 Die Verschärfung der finanziellen Situation der Stadt Wien wird – ohne jeden Hinweis auf die Weltwirtschaftskrise – ebenfalls der unverantwortlichen Ausgabenpolitik im Personalbereich angelastet. Vgl. N. N. : Breitners Fiasko. Auch Wien in der Defizitwirtschaft – Sparen unumgänglich. In : Der Panther , 28. 2. 1931 , S. 5. Zur budgetären Lage der Republik Österreich in den Zwischenkriegsjahren vgl. Hans KERNBAUER : Österreichische Währungs- , Banken- und Budgetpolitik in der Zwischenkriegszeit. In : TALOS et. al., Handbuch , S. 552–569 , hier S. 562. Der Bundeshaushalt erreichte 1930 einen Saldo von ( –262 Millionen Schilling = –2,3 % des BNP ).

b) „Wirtschaftlicher Neuaufbau“

149

Handelsbilanz das ständige Verbot sämtlicher „nicht lebenswichtigen“ Importe. Besonders die oberen Schichten müssten zu einer größeren Bescheidenheit angehalten werden ; da die sozial Schwachen ohnehin bereits den Großteil der Lasten durch die neuen ( Verbrauchs- )Steuern zu tragen hätten ; dazu wurde nicht näher beschriebene „wirtschaftliche Vernunft“ angeraten.443 Auch in der Folgezeit setzte sich der Steirische Heimatschutz für Steuersenkungen und ausgeglichene Haushalte ein , was besonders an der Diskussion um den steirischen Landeshaushalt des Jahres 1933 gut beobachtet werden kann. Wie das Wirtschaftsprogramm von 1932 zeigt , hatte der Steirische Heimatschutz auch keinerlei Interesse an einer Ausweitung der öffentlichen Investitionen ; es wurden sogar die Einstellung der Investitionstätigkeit seitens der Gemeinden und eine strenge Kontrolle aller öffentlichen Investitionen gefordert , um „Kapitalfehlleitungen“ nach Möglichkeit zu verhindern. Es ist bemerkenswert , dass sich der Heimatschutz – und mit ihm sein offizielles Kampfblatt – zwar für eine expansive Geldpolitik einsetzte ( Zinssenkungen , Kreditausweitung , „Heimatschilling“ ), in fiskalpolitischer Hinsicht jedoch fast vollständig die damals verbreitete Lehrmeinung ( ausgeglichene Haushalte , um langfristig Vertrauen und Stabilität zu schaffen ) vertrat.444 Überdies stellt sich die Frage , inwiefern der Steirische Heimatschutz das Ersparnispotenzial in der öffentlichen Verwaltung realistisch einschätzte , da man damit zwar Steuersenkungen in gesamtwirtschaftlich bedeutender Höhe gegenfinanzieren wollte , gleichzeitig aber gegen die Kürzung der Beamtengehälter ( und den damit verbundenen Kaufkraftverlust ) polemisierte.445 Nach Beschluss des steirischen Wirtschafts- und Ständeamtes sollten die Einsparungen vor allem bei den politischen Mandataren und Sekretären und ihrer Besoldung , dem Abbau von doppelgleisigen Verwaltungsstrukturen und den Zentralstellen in der Bundeshauptstadt Wien vorgenommen werden. Zudem sei darauf zu achten , keine jungen Bediensteten zu kündigen , sondern lediglich sol443 Olaf PETRI : „Sanierung“ in alten Geleisen. In : Der Panther , 10. 10. 1931 , S. 3. 444 In diesem Zusammenhang ist festzustellen , dass sowohl liberale Ökonomen ( Friedrich August v. Hayek , Fritz Machlup ) als auch marxistisch orientierte ( Otto Bauer ) eine antizyklische Budgetpolitik mit Hinweis auf die Stabilität der Währung ablehnten. Vgl. KERNBAUER , Währungspolitik. In : TALOS et. al., S. 565 f. Dem Heimatschutz hingegen schienen diese Überlegungen weniger vordringlich ; wie gezeigt sah man die Deflation als wirtschaftspolitisches Hauptproblem. 445 Vgl. Olaf PETRI : Hand weg von den Beamtengehältern ! In : Der Panther , 3. 10. 1931 , S. 5. Noch im Programm der Ständeorganisation aus dem Sommer 1931 , das als Maßnahmenpaket im Falle eines erfolgreichen Putsches aufzufassen ist , hatte man Höchstgehälter von 1500 ,- gefordert. Vgl. HOFMANN , Putsch , S. 194.

150

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

che Beamten , die bereits pensionsberechtigt seien.446 Freilich bleibt die Frage nach dem – in finanzieller Hinsicht – erzielbaren Gesamtvolumen des so umgrenzten Beamtenabbaus offen. Zudem ist die Vorgangsweise kritisch zu hinterfragen : Eine Pensionierungswelle im öffentlichen Dienst hätte lediglich zu einer Verschiebung der Zahlungsverpflichtungen des Bundes hin zu den Pensionskassen geführt , nicht jedoch zu einer deutlichen Einsparung insgesamt. Wie bereits bei der Betrachtung der programmatischen Aussagen , so ist auch bei den publizistischen Äußerungen des Steirischen Heimatschutzes zu einer der zentralen wirtschaftspolitischen Fragen jener Zeit eine eher summarische Behandlung dieser Fragen festzustellen. Verschiedentlich konnten in der Berichterstattung des Panthers auch Widersprüche mit den jeweils aktuellen Programmen des Heimatschutzes festgestellt werden , was auf die populistische Grundlinie der Heimatschutzzeitung hinweist , während programmatische Aussagen zumindest einen gewissen Grad an wirtschaftspolitischer Klarheit bzw. Seriosität aufweisen mussten.

c) G  egen die „Auslandsversklavung“: Außenhandel, Creditanstalt, Anleihe und Zollunion Der Steirische Heimatschutz sah seine Aufgabe – definitionsgemäß – im Schutz des Landes vor Bedrohungen von innen und außen. Die inneren Bedrohungen wurden demgemäß in Parteienstaat , Misswirtschaft und Korruption gefunden ; als Bedrohungen von außen wurden der Sozialismus bzw. Marxismus , die Regierungen der alliierten Staaten sowie die internationalen Finanzmärkte bzw. die Hauptakteure auf diesen Märkten gesehen. Mit dem Kampf gegen das „internationale Finanzkapital“ verband sich ein radikaler Antisemitismus , der sich auch durch die sehr plakative Berichterstattung im Panther und anderen Heimatschutzblättern zog.447 Das Motiv einer ( wirtschaftlichen ) Bedrohung der Heimat durch die Manipulationsversuche ausländischer Mächte ist zentral für das Verständnis der diesbezüglichen Agitation. Als eines der wesentlichsten Probleme der österreichischen Volkswirtschaft während der Zwischenkriegszeit ist der Mangel an Investitionskapital zu se446 Der Beamtenausschuss im Wirtschafts- und Ständeamt des Steirischen Heimatschutzes nahm damit zu verschiedenen Gesetzesvorlagen in Land und Bund Stellung. Vgl. N. N. : Heimatschutz und Beamtenabbau. In : Der Panther , 5. 12 1931 , S. 2. 447 Zum Antisemitismus im Steirischen Heimatschutz vgl. CARSTEN , Faschismus , S.  113 sowie S. 196.

c) Gegen die „Auslandsversklavung“

151

hen.448 Durch den hohen Zinssatz , der sich aus der mangelnden Spartätigkeit der österreichischen Bürger ergab , gestaltete sich die Kreditaufnahme besonders für mittelständische Unternehmen schwierig. Der Heimatschutz , der sich als Anwalt gerade des kapitalschwachen Mittelstandes betrachtete , suchte daher nach Mitteln , die Kapitalflucht zu stoppen bzw. zu vermindern. In einem Beitrag wurden inländische Kapitaleigner dazu aufgerufen , ihr Vermögen nicht ins Ausland zu transferieren , da der Schilling eine sichere Währung sei und es für einen Österreicher praktikabel sei , sein Kapital in der Nähe zu wissen , wo es unabhängig von internationalen Schwankungen zu guten Zinsen anzulegen sei. Hinzu kam ein Appell an das Heimatbewusstsein , das ein zusätzlicher Anreiz für Sparen und Investieren im Inland sein sollte : „Wollt ihr der Heimat und euch selbst dadurch Schaden zufügen , daß ihr der Heimat das Geld entzieht , trotzdem sie bereit ist , euch höhere Zinsen zu bezahlen und die gleichen Sicherheiten bietet wie das Ausland ? Wollt ihr selbst den Ast absägen , auf dem ihr sitzt ? Wenn ihr in der Tat mitarbeiten wollt am Aufbau unseres Landes und an einer besseren Zukunft , dann gebt der Heimat , was der Heimat ist [ Hervorhebung im Original ]“.449

Positiv beurteilt wurde im Panther daher die im Oktober 1931 eingeführte Devisenordnung , die es nur noch der Nationalbank ( und von ihr befugten Personen ) gestattete , Handel mit ausländischen Zahlungsmitteln zu betreiben ; Auslandsguthaben mussten registriert und anschließend der Nationalbank zum Kauf angeboten werden. Besonders vom Standpunkt der Landwirtschaft her wurde die Devisenordnung begrüßt , da sie zu einem massiven Einbruch der Importe von Agrarprodukten führen müsste.450 Politischen Gegnern wurde ein Mangel an „wirtschaftlichem Patriotismus“ vorgeworfen , wenn sie sich als „Förderer“ der Kapitalflucht ins Ausland , als Befürworter von Auslandskrediten oder als Befürworter hoher Importe zu erkennen gaben. Die diesbezügliche Berichterstattung nahm im Panther breiten Raum ein und folgte dabei sehr 448 Die 1925 noch sehr hohe Sparquote fiel in den Folgejahren rasch ab , erreichte 1932 den Wert von 0 % und wurde im Folgejahr sogar negativ. Vgl. KERNBAUER , Währungspolitik. In : TALOS et. al., S. 561. Hinzu kam die Kapitalflucht , die nicht zuletzt durch die politische Instabilität in Österreich bedingt war. 449 Ing. L. HAZMUKA : Schluß mit der Kapitalsflucht. Der Schilling sicherer als jede Auslandswährung. In : Der Panther , 28. 6. 1930 , S. 5. 450 Vgl. „A. S.“: Die Devisenverordnung – ein Rettungsmittel. In : Der Panther , 31. 10. 1931 , S. 10.

152

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

eng der weiter oben ausgeführten Bestimmung der Feindbilder.451 Ziel sei eine ausgeglichene Handelsbilanz , die vor allem durch den weitgehenden Verzicht auf die Einfuhr verschiedener Güter erreicht werden sollte. Gemäß Heinrichs Vorstellung vom ökonomischen „Zug zur Selbstversorgung“ sei die heimische Erzeugung besonders der landwirtschaftlich erzeugten Grundnahrungsmittel planmäßig zu fördern , um schließlich die wirtschaftliche Autarkie möglich zu machen. Im Panther wurden Überlegungen angestellt , inwiefern dies ein realistisches Ziel sei : Man kam zum Ergebnis , dass die Selbstversorgung tatsächlich erreicht werden könne ; Voraussetzung für die entsprechenden Produktionssteigerungen sei allerdings ein „auskömmlicher Preis“, der durch staatliche Maßnahmen sichergestellt werden müsse.452 Kritisch anzumerken ist freilich , dass die geforderte Politik ( Einfuhrverbote , garantierte Mindestpreise , Einrichtung der „Hauptstelle für Getreide- und Viehverkehr“ ) zu einer Überwälzung der neuen Warenpreise auf die Konsumenten geführt hätte. Die Folge wären steigende Lebenshaltungskosten gewesen , insbesondere wenn zusätzlich die – ebenfalls vom Heimatschutz propagierte – inflationsfördernde Geld- und Kreditpolitik eingeführt worden wäre. Die Auswirkungen eines Importstopps und einer weitgehenden Selbstversorgung eines Wirtschaftsraumes werden jedoch im Allgemeinen – außerhalb der ökonomischen Schule Spanns – durchwegs negativ beurteilt.453 Dass der weitgehende Verzicht auf Außenhandel und freien Kapitalverkehr höheren Wohlstand zur Folge gehabt hätte , ist daher zu bezweifeln – jede Empirie spricht dagegen. Der Zusammenbruch der Creditanstalt im Mai 1931 eröffnete dem Panther erneut ein breites Spektrum an politisch-publizistischen Möglichkeiten. Die wirtschaftlichen Gründe für den Zusammenbruch des Unternehmens wurden bereits im vorhergehenden Abschnitt zum Teil diskutiert454 ; für das Verständ451 Unter den zahllosen Beispielen zu erwähnen sind August MEYSZNER : Allen geholfen und dabei zugrunde gegangen ! In : Der Panther , 23. 4. 1932 , S. 7 ; Karl PALLASMANN : Das Verbrechen der Kohleneinfuhr. Umstellung auf Braunkohlenfeuerung erstes Gebot. In : Der Panther , 24. 1. 1932 , S. 4 [ Import ausländischer Kohle u. a. durch die Bundesbahnen ] sowie „S.“: Die Konjunkturgewinne der Einfuhrjuden. In : Der Panther , 18. 6. 1932 , S. 8 ; „Pardus“: Parteimäßiger Wirtschaftspatriotismus. Ein Fall für das künftige Volksgericht [  ! ! ] In : Der Panther , 25. 7 1931 , S. 4. 452 Vgl. „A. S.“: Österreichs Selbstversorgung möglich ! In : Der Panther , 06. 2. 1932 , S. 10. 453 Für eine Analyse der Auswirkungen einer „künstlichen Hochhaltung von Löhnen und Preisen“ vgl. etwa die Ausführungen über Hayek und Mises bei NEUDECK , Wirtschaftswissenschaften. In : Geistiges Leben , S. 225 f. 454 Für eine vom bisher Diskutierten abweichende Analyse insbesondere des Auslandsgeschäfts der Creditanstalt vgl. Alice TEICHOVA : Wiens wechselvolle Rolle als Finanzzen-

c) Gegen die „Auslandsversklavung“

153

nis der Schreibweise des Panthers sind jedoch vor allem zwei Aspekte interessant. Erstens die Frage nach Managementfehlern nicht nur bei der Beurteilung des volkswirtschaftlichen Umfelds , sondern auch bei der Krisenbekämpfung selbst , und zweitens die Frage , ob von bewusster oder zumindest fahrlässiger Täuschung der Öffentlichkeit durch die Verantwortlichen ausgegangen werden kann. Letzteres ist auch – in der Perspektive des Heimatschutzes – als „Beweis“ der Unfähigkeit demokratisch-parlamentarischer Politik zu betrachten. Dazu kommt noch die Frage nach der Finanzierung der Rettungsaktion durch weitere „Auslandsversklavung“. Zur ersten Frage wurde in der Forschung festgestellt , dass die unklare Kompetenzverteilung im Unternehmen ( weitgehende Dezentralisierung von Entscheidungen , Kontrollverlust von Vorstand und Aufsichtsrat ) ursächlich für die unsolide Geschäftspolitik besonders in Hinblick auf Unternehmensbeteiligungen in den Nachfolgestaaten war.455 Olaf Petri verwies in seinem Leitartikel zum ersten Creditanstaltsgesetz darauf , dass es unverständlich sei , dass die Bank noch im Vorjahr eine bedeutende Gewinnausschüttung vorgenommen hatte , nunmehr in so spektakulärem Ausmaß zahlungsunfähig sein könne. Entweder sei der bedrohliche Zustand des Instituts schon lange bekannt und bewusst verschwiegen worden , oder sie hätten auf andere Weise ihre Sorgfaltspflicht verletzt. Bis zur Klärung der Gründe für den Bankzusammenbruch seien sämtliche Entscheidungsträger in Haft zu nehmen , ihre Vermögen zu beschlagnahmen und erst nach Abschluss einer gründlichen Untersuchung könne über eine Unterstützung der Bank beraten werden.456 Wenngleich die internen Machtverhältnisse in der Bank ihm notwendigerweise unbekannt waren , beschuldigte er die Direktoren und Vorstände recht eindeutig der Inkompetenz , was durch spätere Forschungen zumindest teilweise erhärtet wurde.457 Zu Petris Forderung nach Inhaftierung aller Creditanstalts-Verantwortlichen ist zu sagen , dass es im Zuge der Reorganisation der Bank per 17. Juli , also über zwei Motrum in Europa während des 20. Jahrhunderts. In : TEICHOVA ( Hg. ), Banken , S.  23– 44 , hier S. 39 f. 455 Vgl. Dieter STIEFEL : Finanzdiplomatie und Weltwirtschaftskrise. Die Krise der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe 1931. (= Schriftenreihe des Instituts für bankhistorische Forschung e. V., Bd. 12 ). Frankfurt /  Main , 1989 , S. 110 ff. 456 Olaf PETRI : Das Diktat des Hauses Rothschild. In : Der Panther , 23. 5. 1931 , S. 1 f. sowie Olaf PETRI. Die Unfähigkeit der Bankenführer. In : Der Panther , 11. 7. 1931 , S. 4. 457 Vgl. BACHINGER , Weltwirtschaftskrise. In : BACHINGER et. al., Schilling , S. 97 f. sowie STIEFEL , Finanzdiplomatie , S. 119 f. zitiert den britischen Bankier Sir Robert Kindersley , der das Management der Bank als „both extravagant and incapable“ bezeichnete.

154

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

nate nach dem Zusammenbruch , zu personellen Veränderungen in der Unternehmensführung kam. Die bis dahin amtierende „alte“ Direktion vergab sogar nach der Erklärung der Zahlungsunfähigkeit am 8. Mai noch weitere Kredite an Konzernunternehmen , was als Fortführung der gravierendsten wirtschaftlichen Fehler der Vergangenheit zu betrachten ist ; hinzu kam noch die psychologische Wirkung dieses Versäumnisses.458 Für den Steirischen Heimatschutz bedeutend war in diesem Zusammenhang – neben dem Ruf nach drastischer Bestrafung der Verantwortlichen – besonders der Hinweis auf die grundsätzliche Unehrlichkeit und Betrügerei der „jüdischen“ Finanzwirtschaft und der mit ihr verbundenen politischen Parteien.459 Dem gegenüberzustellen sei das lokale und „bodenständige“ Sparkassenwesen besonders in den Kleinstädten und Gemeinden , das die Finanzierung heimischer Geschäftstätigkeit nicht ausschließlich von der erwarteten Verzinsung abhängig machen würde. Gerade die Geschäftspolitik der Creditanstalt , Unternehmensbeteiligungen zu erwerben , hätte ins Verderben geführt , während das heimische Sparkassenwesen sich auf seine Kernaufgabe , die Vermittlung zwischen Kreditgebern und Kreditnehmern , beschränkt hätte.460 Aus der Berichterstattung des Panthers wird deutlich , dass die Gründe für den Bankzusammenbruch vor allem in den Leitmotiven Gier-Korruption-Betrug gefunden wurden. Zur Frage einer bewussten Täuschung der Allgemeinheit ist bemerkt worden , dass – nicht nur unternehmensintern – tatsächlich verschiedene Hinweise auf die schwierige wirtschaftliche Situation der Creditanstalt vorlagen , die freilich nicht zur Kenntnis der breiten Öffentlichkeit gelangt waren bzw. zunächst nur einen geringen Eindruck machten , da sie zu keiner systematischen Ge458 Jürgen NAUTZ ; Die CA-Krise 1931. Ein politischer Skandal ? In : Michael GEHLER /  Hubert SICKINGER ( Hg. ): Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim. Thaur-Wien-München , 1996 , S. 222–252 , hier S. 235 f. Die Neubestellung wurde nicht zuletzt nach parteipolitischen Kriterien vorgenommen. 459 Vgl. bspw. N. N. : Ungeheuerliche Verluste der Kreditanstalt. In : Der Panther , 24. 10. 1931 , S. 3 ( „ So konnten Bankjuden geradezu in unseren Eingeweiden durch ein Jahrzehnt hindurch wüten , beschützt von den Parteipolitikern , deren Unfähigkeit heute hoch am Pranger steht [ … ]“ ) sowie Olaf PETRI : Die Unfähigkeit der Bankenführer. In : Der Panther , 11. 7. 1931 , S. 4. ( „Pflichtvergessen waren diese Leiter der Banken , pflichtvergessen sind die Parteien , die diese Leiter schützen , pflichtvergessen ist die Regierung , die die österreichische Volkswirtschaft zugunsten einiger jüdischer Großkapitalisten gefährdet. Menschen , die hunderttausende von Arbeitern und Angestellten in die Gefahr bringen , brotlos zu werden und verhungern zu müssen , gehören an die Wand gestellt [ Hervorhebung im Original ]“. 460 Vgl. N. N. : Das „Industriegeschäft“ der Creditanstalt. Die Hauptschuldigen – die Parlamentarier. In : Der Panther , 20. 6. 1931 , S. 4.

c) Gegen die „Auslandsversklavung“

155

samtbetrachtung zusammengefügt wurden.461 Das Kreditinstitut hatte durch die Aufdeckung stiller Reserven schon ab der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre bewusst Bilanzpolitik zur Verschleierung der Lage vor allem der Beteiligungsunternehmen betrieben und in diesem Zusammenhang Maßnahmen ergriffen , die über das bei Banken übliche Maß weit hinausgingen. Die Direktion versuchte , den wirtschaftlichen Niedergang des Instituts mit der Weltwirtschaftskrise und der Übernahme der Boden-Creditanstalt 1929 ( ohne dass deren Geschäftsbücher zum Zeitpunkt der Übernahme genau geprüft worden waren ) sowie den schlechten Kurswerten selbst von Papieren bester Bonität zu begründen , die hinter ihrem wirklichen Wert weit zurückgeblieben wären.462 Was in diesem Zusammenhang freilich noch größere Bedeutung hat , ist die Tatsache , dass die Führung der Creditanstalt bei ihrem Ansuchen an die Bundesregierung am 8. Mai bewusst mit falschen Zahlen operierte. Man ging bei der Verabschiedung des ersten Creditanstalts-Gesetzes von Verlusten in Höhe von 140 Millionen Schilling aus , die schlussendlich aber fast 900 Millionen betrugen. Spätere Untersuchungen erhärteten den Verdacht einer bewussten Irreführung , die nach gerichtlicher Entscheidung auch als „Lüge“ bezeichnet werden durfte.463 Der Panther sah darin einen weiteren Beleg für die Unfähigkeit bzw. Unaufrichtigkeit der Bundesregierung , welche die Öffentlichkeit falsch informiert hätte und zudem versäumt hätte , entsprechende personelle Konsequenzen bei der Creditanstalt in die Wege zu leiten.464 Die staatliche Hilfe für die Bank sei als Handlung des Staatskapitalismus zu betrachten , die 461 Vgl. NAUTZ , Krise. In : GEHLER /  SICKINGER , Skandale , S. 234 f. Dort auch der Hinweis auf offensichtlich „frisierte“ Konzernbilanzen. Interessant in diesem Zusammenhang ist , dass der Tatbestand der Untreue aus Anlass der Creditanstalt-Krise rückwirkend (  ! ) ins österreichische Strafrecht aufgenommen wurde. 462 Creditanstalt-Bankverein ( Hg. ): Ein Jahrhundert Creditanstalt-Bankverein. Wien , 1957 , S.  208 f. 463 STIEFEL , Finanzdiplomatie , S. 15 f. 464 Vgl. N. N. : Herr Bundeskanzler ! In : Der Panther , 13. 6. 1931 , S. 1. :„Herr Bundeskanzler , wenn Sie der Öffentlichkeit an jenem denkwürdigen 11. Mai vor dem Wiener Pressevertretern keine Hausnummern mitgeteilt haben [ … ] dann mussten Sie wahrheitsgetreu sagen , daß die Kreditanstalt mehr als ihr ganzes offenes Aktienkapital , und wenn Sie die offenen Reserven der Bank dazurechnen nahezu ihr ganzes Aktienkapital verloren hat. Einer solchen Anstalt glauben Sie das Vertrauen der anderen zubilligen zu können ? [ … ] Wollen Sie uns vielleicht auch sagen , wann jener Augenblick eintrat , wo bei Ihnen das Vertrauen zur Bank nicht mehr bestand ? Und glauben Sie nun , daß die Regierung und die parlamentarischen Körperschaften den Vertrauenszustand einzig und allein durch die Ausgabe neuer Aktien aus Bundes , d. i. aus unseren Mitteln , wieder hergestellt haben , wenn die Öffentlichkeit keinerlei bindende Gewähr dafür hat , daß die Leitung der verkrachten Anstalt von Grund aus geändert wird ?“

156

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

einerseits die Einführung einer marxistischen Wirtschaftslenkung vorbereiten würde , und andererseits den Parteien die Möglichkeit böte , für unfähige Politiker und „Protektionskinder“ neue und lukrative Posten zu schaffen. Die Politik sei von der Unternehmensführung des Kreditinstitutes „hineingelegt“ worden , wobei auch bei den beteiligten Regierungsmitgliedern ein Vorsatz nicht auszuschließen sei. Überhaupt fällt auf , dass der Steirische Heimatschutz bemüht war , den – gesamtwirtschaftlich ohne Frage sehr bedeutenden – „Fall Creditanstalt“ zum Symbol für den Endkampf gegen den Parlamentarismus zu stilisieren.465 Der politischen Mobilisierung des Heimatschutzes der Anhänger jener überparteilichen „Volksbewegung“ diente auch das Volksbegehren , das der Panther in seiner Ausgabe vom 20. Juni 1931 ankündigte. Die drei Forderungen lauteten auf Verhaftung der führenden Creditanstalt-Manager und Beschlagnahmung ihrer gesamten Vermögen , Rückforderung der bezahlten Gehälter über einer Grenze von 2.000 Schilling sowie sämtlicher Dividendenzahlungen an leitende Mitarbeiter sowie eine ebensolche Haftung aller Nationalrats- und Bundesratsabgeordneten , die für die Rettung der Creditanstalt mit öffentlichen Mitteln gestimmt hatten.466 Neben dem Versuch , der Bundesregierung auf außerparlamentarischem Weg ihren Willen aufzuzwingen , zielte die Aktion des Heimatschutzes auch auf die Stärkung der damals schon zerbrechlichen Einheit der österreichischen Heimwehrbewegung ab ; daher trat der wirtschaftspolitische Gehalt des Volksbegehrens deutlich gegenüber den politisch-taktischen Aspekten zurück. Auffällig bei den Forderungen ist die Tatsache , dass nicht versucht wurde , auf das anteilige Vermögen der Kapitaleigner , d. h. der Aktionäre der Creditanstalt zurückzugreifen. Auch hier tritt wieder die propagandistische Unterscheidung zwischen ( rendite-orientiertem ) „jüdischem“ Finanzkapital und „bodenständigem“ ( auf die langfristige organische Entwicklung von Gewerbe und Industrie ausgerichtetem ) Verhalten inländischer Anleger zu Tage.467 Der Heimatschutz trat überdies dafür ein , die gesunden Konzernindustrien der Creditanstalt in eine neu zu schaffende Hol465 Vgl. N. N. : Heimatschützer , an die Front ! Der Krach der Kreditanstalt – das Signal des Endes. In : Der Panther , 30. 5. 1931 , S. 3 sowie August MEYSZNER : Generalabrechung mit der Kreditanstalt. Wer fördert den Marxismus ? In : Der Panther , 17. 12. 1932 , S. 3 und „M.“: Die Kreditanstalt flott – für einen neuen Krach. In : Der Panther , 5. 9. 1931 , S. 2. 466 Vgl. Walter PFRIMER : Unser Volksbegehren. In : Der Panther , 20. 6. 1931 , S. 1. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 111 bezeichnet das Volksbegehren unscharf als gegen „Korruption“ in der Creditanstalt ausgerichtet. Korruption wurde ( im Gegensatz etwa zum späteren Phönix-Skandal von 1936 ) nicht eindeutig festgestellt. 467 Vgl. HEINRICH , Staat , S. 36 sowie LAURIDSEN , Right , S. 224 f.

c) Gegen die „Auslandsversklavung“

157

ding-Gesellschaft einzubringen , die unter schärfster direkter staatlicher Kontrolle stehen , im Gegenzug aber auch öffentliche Mittel erhalten sollten ; unter Ausschaltung des Kreditinstituts sollte der Staat demnach selbst den Anstoß zur „Wirtschaftsführung“ geben.468 Bemerkenswert an der Schreibweise des Panthers im Zusammenhang mit dem Fall der Creditanstalt ist die kritische Haltung zu den staatlichen Maßnahmen wie auch zu den Angaben der Bankführung und den Ansichten der damaligen Fachöffentlichkeit. Aus dem grundsätzlichen Misstrauen gegen die Finanzwelt und der antidemokratischen Agitation ergaben sich in diesem Fall erstaunlich oft zutreffende Analysen der wirtschaftlichen und politischen Situation. Beispielsweise bezweifelte der Panther sehr schnell das häufig gebrauchte Argument , es seien fast 75 % der heimischen Industrie von der Creditanstalt abhängig. Man verwies auf bedeutende Unternehmungen wie etwa die Alpine Montangesellschaft , die Gebrüder Böhler-Werke oder Brown-Boveri , die im Zusammenhang mit der Bankenkrise nicht gefährdet seien ; es handle sich lediglich um einen argumentativen Trick bzw. eine bewusste oder unbewusste Fehleinschätzung.469 Der Steirische Heimatschutz ( und mit ihm die Heimatschutzzeitung ) sahen die Krise des Bankinstituts und die Art und Weise der Sanierung auch als weiteren Beweis für die „Auslandsversklavung“ der österreichischen Politik und Wirtschaft , da die Interessen der internationalen Finanzmärkte berücksichtigt werden mussten. Dies ist insbesondere auf die Tatsache zurückzuführen , dass die Creditanstalt stärker als andere Institute von ( kurzfristigem ) Auslandskapital und daher von deren Vertrauen abhängig war und auch der Staat zur Rettung der Bank neue Mittel aus ausländischen Quellen besorgen musste. Ausformulierte Lösungsvorschläge für die Creditanstalts-Krise wurden freilich nicht unterbreitet ; aus verschiedenen Andeutungen kann jedoch geschlossen werden , dass die Liquidierung der Bank470 und die direkte Kreditvergabe an Unternehmen durch eine staatliche Stelle angedacht wurden , wie u. a. aus der Vorstellung von einer Holdinggesellschaft hervorgeht. Dadurch sollte die Abhängig468 N. N. : Geschichte. In : KOGELNIK ( Hg. ), Jahrbuch , S. 82. 469 N. N. : Die Konzernindustrie der Kreditanstalt – ein potemkinsches Dorf. In : Der Panther , 18. 7. 1931 , S.  2. STIEFEL , Finanzdiplomatie , S. 16 ff. erklärt die überhöhte Zahl ( die vereinzelt auch in anderen Pressestimmen angezweifelt wurde ) vor allem aus einer politisch-ökonomischen Fehleinschätzung. „Der Faktor Unkenntnis über wirtschaftliche Zusammenhänge mag nicht unterschätzt werden , ohne ihn ist die emphatische Bereitschaft zur Credit-Anstalt-Sanierung wohl nicht zu erklären.“ ( S. 18. ) 470 Vgl. N. N. : Fort mit der Kreditanstalt ! Unter Zustimmung des Haager Schiedsgerichtshofes. In : Der Panther , 2. 4. 1932 , S. 2.

158

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

keit vom Ausland infolge des Auslandsgläubiger-Abkommens , mit dem sich die Republik verpflichtete , die Auslandsschulden der Creditanstalt zu garantieren , sowie des Kredits der Bank von England und des Devisenkredits der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel reduziert werden.471 Um das „Sklavenjoch“ abschütteln zu können , sei vor allem eine starke Beteiligung am Volksbegehren des Steirischen Heimatschutzes und in weiterem Zusammenhang die Machtübernahme der Bewegung , die sich auch dem Ausland gegenüber als unnachgiebig erwiesen hätte , notwendig. Die Machtübernahme des Heimatschutzes müsse eine straffe „Wirtschaftsführung“ zur Folge haben , die auch bereit sei , „durchgreifende Zwangsmaßnahmen für die Wirtschaft“ zu ergreifen , um das bevorstehende wirtschaftliche Chaos zu vermeiden.472 Die Creditanstalts-Krise wurde gewissermaßen als „Aufhänger“ benutzt , um die bekannten Forderungen nach einer grundlegenden Änderung der Machtverhältnisse mit einer neuen Dringlichkeit zu äußern : Die Gegensätze Ausland und Inland , Finanzwirtschaft versus „schöpferische“ Arbeit und Parlamentarismus gegen Volksstaat wurden zu zentralen Fragen der Krisenerklärung und der Krisenbekämpfung stilisiert. Die Heimwehr versuchte , ihre von Anfang kritische Haltung zur Rettung des Bankinstituts kurz- und längerfristig innenpolitisch zu nützen ; ihre polemische Ausdrucksweise führte jedoch ebenso wie die Verknüpfung mit dem Kampf gegen das „Parteiwesen“ und seine Misswirtschaft dazu , dass sie nicht weiter ernst genommen wurde.473 Die Finanzierung der Creditanstalts-Sanierung wie auch verschiedener anderer Projekte der österreichischen Bundesregierungen wurde vor allem durch Kredite und Anleihen im europäischen Ausland vorgenommen. Naturgemäß wandten sich der Steirische Heimatschutz und sein offizielles Kampfblatt scharf gegen solche Pläne. Zunächst , in der Frühzeit der Wirtschafts471 Für die Details der Finanzierung vgl. CREDITANSTALT-BANKVEREIN ( Hg. ), Jahrhundert , S. 210 ff. 472 Olaf PETRI : Wirtschaftsführung ! Entweder Wirtschaft oder Mißwirtschaft , entweder Staat oder Partei , entweder Leben oder Sterben ! In : Der Panther , 4. 4. 1931 , S. 3. Dort wird auch ( vier Wochen vor dem Zusammenbruch der Creditanstalt ! ) die Möglichkeit einer erneuten Bankenkrise nach dem Muster des Postsparkassenskandals um den Geschäftsmann Sigmund Bosel ( 1926 ) diskutiert. Dies kann als Hinweis auf bereits damals in Wirtschaftskreisen umlaufende Gerüchte gedeutet werden. Zur Politik des Heimatschutzes vgl. auch : Wohin gehst Du Österreich ? ( Flugblatt des Heimatschutzverbandes Steiermark , Kreisleitung Graz ), Juni 1931. In : StLB , KS , Box 126 ( Kopie im Archiv des Verf. ). 473 STIEFEL , Finanzdiplomatie , S. 47 , spricht zutreffend davon , dass sich die Warnungen und Befürchtungen der Heimatblock-Abgeordneten letztlich bewahrheitet hätten , dass diese aber wohl nicht auf wirtschaftspolitisch fundierter Kritik beruhten.

c) Gegen die „Auslandsversklavung“

159

publizistik im Panther und anlässlich der Investitionsanleihe vom Mai bzw. Juni 1930 forderte man – die Möglichkeiten des österreichischen Kapitalmarktes weit überschätzend – die Begebung von Anleihen ausschließlich im Inland.474 Hauptschuldiger war für den Heimatschutz Außenminister Johann Schober , dem eine bewusste oder fahrlässige Täuschung der Öffentlichkeit sowie der „Ausverkauf“ heimischer Interessen an die internationalen Institutionen ( Völkerbund und Haager Gerichtshof ), die überdies nur Handlager für französische Interessen seien , vorgeworfen wurden. Die Rettung der CA ( „Rothschildbank“ ) hätte die Auslandsabhängigkeit so weit erhöht , dass Schober sofort zurücktreten müsse. Man forderte daher ( analog zum Instrument des Volksbegehrens ) eine „Volksanklage“ gegen Schober.475 Als sich die Situation des Bundeshaushaltes ( u. a. aufgrund neuer Verluste bei den Österreichischen Bundesbahnen und der Creditanstalt ) im Frühsommer 1932 weiter zuspitzte , schlug der Panther ein Schuldenmoratorium vor , da die Devisenbestände der Nationalbank praktisch erschöpft waren. Das Moratorium wurde schließlich am 11. Juli 1932 verkündet , die Bundesregierung bemühte sich jedoch verzweifelt weiter , um die Stabilität der österreichischen Währung zu halten.476 Es kam zu erneuten Verhandlungen der neuen Regierung unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß mit den ausländischen Gläubigern , die im Lausanner Protokoll vom 15. Juli 1932 ihren Abschluss fanden. Der Erlös der Anleihe betrug insgesamt 308,6 Millionen Schilling. Im Gegenzug verpflichtete sich Österreich zur Einhaltung der Bestimmungen des Genfer Protokolls von 1922 zur weiteren Budgetkonsolidierung , die nunmehr vor allem durch heftige ausgabenseitige Kürzungen vorgenommen wurde und schrieb die deflationäre Geldpolitik der letzten Jahre fest. Hinzu kamen ein Ersparungs- und Reorganisationsprogramm für die Bundesbahnen , die Überprüfung der Investitionen der ÖBB durch ein unabhängiges Gremium und eine staatliche Finanzkontrolle der Budgets von Ländern und Gemeinden. Die 474 Vgl. Karl RICHTER : Warum keine Innenanleihe ? In : Der Panther , 30. 5. 1930 , S. 7. Dort auch die Stellungnahme des Alpine-Generaldirektors Anton Apold , die Bundesregierung werde die Mittel aus der Anleihe ohne Plan für kurzfristige Kassenbedürfnisse ausgeben ( was dann auch der Fall war ). Apold forderte strengste öffentliche Sparsamkeit und den Verzicht auf weitere Auslandsverschuldung , da dies die Kapitalbildung im Inland verhinderte. 475 „G.“: Völkerbundkolonie Oesterreich. In. Der Panther , 12. 9. 1931 , S. 5. Zu beachten ist die zeitliche Nähe zum Pfrimer-Putsch. 476 N. N. : Drohende Kassenebbe. Heraus mit dem Transfermoratorium ! In : Der Panther , 14. 5. 1932 , S.  2. Vgl. auch BACHINGER , Weltwirtschaftskrise. In : BACHINGER et. al., Schilling , S. 107.

160

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

strikten Bestimmungen der Anleihe führten demnach zu einer weiteren Verringerung des finanz- und konjunkturpolitischen Handlungsspielraumes des Staates , der in jeder Hinsicht von seinen ausländischen Geldgebern abhängig war , und trug dazu bei , das Jahr 1932 zum „schwärzesten Krisenjahr der Republik“477 zu machen. Die politische Debatte um das Lausanner Protokoll dominierte die Auseinandersetzungen im Sommer des Jahres und war , wie gezeigt wurde , Anstoß für den endgültigen Bruch des Steirischen Heimatschutzes und seiner Verbündeten mit der Bundesführung des Heimatschutzverbandes. Besonders das erneute Verbot des Anschlusses an das Deutsche Reich erschien der steirischen Organisation als „Verrat“.478 In einem Grundsatzartikel verlautbart das Wirtschafts- und Ständeamt des Steirischen Heimatschutzes , man sei entschieden gegen das Lausanner Protokoll , da es nicht zum Wiederaufbau der ( Real- )Wirtschaft beitrüge , sondern lediglich den Interessen der Auslandsgläubiger der Creditanstalt entgegenkommen würde. Die Anleihe würde Österreich fremden Mächten „tributpflichtig“ machen und in Verbindung mit der Neuverschuldung durch das Nachtragsbudget von Finanzminister Weidenhoffer zu einer noch höheren Steuerbelastung führen , was erneut negative Auswirkungen auf die Konjunktur hätte. Der Zinsendienst zur Bedienung der Anleihe würde das produktive Inlandskapital weiter vermindern und die im Protokoll vereinbarte teilweise Liberalisierung des Außenhandels sei darüber hinaus geeignet , die Schieflage in der Handelsbilanz weiter zu vergrößern.479 Als unmittelbare Gegenforderung nannte das Wirtschafts- und Ständeamt ein öffentliches Ersparungsprogramm , das bei den politischen Vertretungskörpern , der öffentlichen Verwaltung und im Sozialbereich ( allerdings nicht bei den Leistungen selbst ) ansetzen sollte. Zu den genaueren Vorstellungen des Heimatschutzes bezüglich des „wirtschaftlichen Neuaufbaus“ wird auf das ( ab Juli 1932 in fortlaufenden Ausgaben des Panthers publizierte ) Wirtschaftsprogramm verwiesen.480 477 SANDGRUBER , Ökonomie , S. 391. 478 Vgl. LAURIDSEN , Right , S. 247 : „The battle line within the Heimwehr was now clearly drawn between those who were for and those who were against the Anschluss.“ 479 August MEYSZNER : Österreichs Versklavung durch das Lausanner Abkommen. In : Der Panther , 06. 8. 1932 , S. 3 sowie N. N. : Der Steirische Heimatschutz gegen die Anleihe von Lausanne. In : Der Panther , 30. 7. 1932 , S. 3. Vgl. auch einen früheren , gegen den Londoner Auslandskredit gerichteten Artikel : Olaf PETRI : Ewige Wirtschaftsversklavung oder – Rettung ! Die Heimattreuen sind am Werk. In : Der Panther , 22. 8. 1931 , S. 3 ( „Und aufbauen werden und müssen wir den gesunden , gerechten und jedem Arbeitenden Brot gebenden Volksstaat Österreich“ ). 480 Vgl. Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit.

c) Gegen die „Auslandsversklavung“

161

Besonders deutlich wies der Panther darauf hin , dass der Erlös der neuen Anleihe vor allem für verschiedene Transaktionen auf den Finanzmärkten verwendet werden würde , die sich auf die tatsächliche Wirtschafts- und Beschäftigungslage innerhalb des Landes jedoch nicht auswirken würden. Richtig ist , dass mit den neu zugeflossenen Mitteln primär der Wert des Schillings gestützt werden sollte , indem ausländische Devisen bereitgestellt werden sollten , kurzfristige Schulden bei der Bank of England in der Höhe von 100 Millionen Schilling sollten in langfristige Verpflichtungen umgewandelt werden , hinzu kam noch die Rückzahlung eines Kredits der Nationalbank bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel sowie die Rückzahlung von Bundes- und Bundesbahnschulden an die Nationalbank.481 Die Regierung Dollfuß zielte darauf ab , das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte nach dem vorübergehenden Transfermoratorium wiederzugewinnen und die Währung zu stabilisieren , nachdem es in den Vormonaten zu einem fast vollständigen Abfluss der Devisenbestände gekommen war. Der Heimatschutz hingegen war – wie sich bereits im Zusammenhang mit der Sanierung der Creditanstalt gezeigt hatte – vordringlich mit den Problemen der Realwirtschaft befasst und betrachtete die Finanztransaktionen der Regierung mit Argwohn. Vor allem die Übernahme der Wechsel der Creditanstalt bei der Nationalbank und aller anderen Zahlungsverpflichtungen der Bank wurden entschieden abgelehnt : „Der österreichischen Produktion jedoch wird nicht ein Schilling aus dieser Anleihe zugeführt ! Ihr bleibt nur die Sorge für die Aufbringung der Zinsen und Spesen aus dieser Anleihe ! Und die Spesen werden nicht klein sein ! [ … ] Mit einem Worte , die zweitausend Millionen Schilling , die uns die Kreditanstalt kosten wird , muß nun endgültig das Volk und Österreichs Wirtschaft durch Steuern in den nächsten Jahrzehnten bezahlen ! Das ist Lausanne !“482 Der Heimatschutz fordert dort sowie in einem zeitgleich veröffentlichten Flugblatt eine Verwaltungsreform , die Einführung der Arbeitsdienstpflicht , den weiteren „Schutz der Inlandsproduktion“, die Bekämpfung des „übermäßigen Zwischenhandelsgewinns“ bei Lebensmitteln und die Aufhebung der Bun481 Zur Verwendung der aufgebrachten Mittel vgl. Grete KLINGENSTEIN : Die Anleihe von Lausanne. Ein Beitrag zur Geschichte der Ersten Republik in den Jahren 1931–1934. (= Publikationen des österreichischen Instituts für Zeitgeschichte , Bd. 5 ). Wien–Graz , 1965 , S. 73. 482 Der Lausanner Verrat und der Steirische Heimatschutz ( Flugblatt des Heimatschutzverbandes Steiermark , August 1932 ). In : StLB , KS , Box 126 ( Kopie im Archiv des Verf. ). Einer ähnlichen Argumentation folgt N. N. : Wirtschaft im Kampfe gegen das System ! Vom Wirtschafts- und Ständeamt des Steirischen Heimatschutzes. In : Der Panther , 16. 7. 1932 , S.  1 f.

162

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

deshaftung für die Creditanstalt und die Beseitigung des Handelspassivums durch „zielführende Maßnahmen“.483 Demnach galt die Hauptsorge der Heimatschutz-Wirtschaftspolitiker der realwirtschaftlichen Entwicklung , der die Maßnahmen im geld- und fiskalpolitischen Bereich lediglich zu dienen hatten und auf welche sie ausgerichtet werden müssten. Der Regierung Dollfuß wird in dieser Hinsicht vorgeworfen , eine rein auf ausländische Interessen konzentrierte „Erfüllungspolitik“ zu betreiben , dabei aber keine tatsächlich autoritäre Umgestaltung durchzusetzen. Allenfalls könne der Kanzler das derzeitige parlamentarische System durch eine „Parteiendiktatur“ ersetzen , die jedoch wiederum an den Belangen der Parteifunktionäre orientiert sei. Die regierungstreuen Abgeordneten des Heimatblocks hätten sich in der Frage der Lausanner Anleihe von Dollfuß überlisten und missbrauchen lassen , wurde weiter festgestellt.484 Für das Selbstverständnis Österreichs in der Zeit der Ersten Republik von grundlegender Bedeutung war die Frage nach der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit des Landes nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie. Der vielfach geäußerte diesbezügliche Zweifel ist als wesentliches Element der wirtschaftspolitischen und gesellschaftlichen Diskussion jener Zeit zu verstehen und trat häufig ins Zentrum der Innen- wie auch der Außenpolitik.485 Neben verschiedenen anderen Lösungsansätzen ( z. B. „Paneuropa“ ) wurden zwei Konzepte gerade während der Zeit der Weltwirtschaftskrise in Erwägung gezogen. Einerseits die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes von Deutschem Reich und Österreich – ohne den ( verbotenen ) staatsrechtlichen Zusammenschluss beider Staaten – andererseits eine „Donauföderation“ zwischen Österreich , Ungarn , der Tschechoslowakei und möglicherweise weiteren Nachfolgestaaten der Monarchie. Am 20. März 1931 präsentierten der österreichische Außenminister Schober und sein reichsdeutscher Amtskollege Curtius ein Abkommen zur Errichtung einer Zollunion , das äußerst vorsichtig formuliert war , um französischen Bedenken nach Möglichkeit die Grundlage zu entziehen.486 In den Folgemonaten versuchte Frankreich jedoch , durch finanzpolitischen Druck das Zustandekommen der Zollunion zu verhindern. Unter anderem wurde der Zusammenbruch der Creditanstalt von vielen Zeitge483 Ebda., sowie Bauern , Augen auf ! ( Flugblatt des Heimatschutzverbandes Steiermark , f.d.I. verantw. Alfred JAMMERNEGG ). In : StLB , KS , Box 126 ( Kopie im Archiv des Verf. ). 484 N. N. : Halbes Jahr Regierung Dollfuß. In : Der Panther , 12. 11. 1932 , S. 4. 485 Vgl. GOLDINGER /  BINDER , Geschichte , S. 129 ff. 486 Vgl. Lutz-Jürgen GÖTZHABER : Der Versuch einer Zollunion vom Jahre 1931. Univ. Diss., Graz , 1969 , S. 54 f.

c) Gegen die „Auslandsversklavung“

163

nossen auf französische Einflüsse zurückgeführt , eine solche Darstellung lässt jedoch die langfristigen Probleme der Bank außer Acht.487 Schließlich wurden der Internationale Gerichtshof in Den Haag und der Völkerbund mit der Frage der Zollunion befasst. Die kritische Finanzlage der Republik Österreich ( vor allem ihr dringender Refinanzierungsbedarf infolge der Haftungsübernahme für die Creditanstalt ) führte zur Überzeugung , dass man den Vorstellungen der Auslandsgläubiger und potenziellen Geldgeber weitgehend entgegenkommen sollte. Am 3. September 1931 gaben Österreich und Deutschland vor der Völkerbundversammlung in Genf eine Erklärung ab , wonach sie die Zollunions-Pläne nicht mehr weiterverfolgen wollten. Die Zollunion war endgültig zur „Fata Morgana“ geworden.488 Von nationalen Kreisen in Österreich wurde das Zollunionsabkommen als erster Schritt hin zum „Anschluss“ begrüßt. Die „nationale“ Zollunion werde , schreibt Alois Mosler , der Geschäftsführer der Unabhängigen Gewerkschaft , dem Kampf gegen den „internationalen“ Marxismus , der lediglich ein „Kampfinstrument des feindlichen Ententekapitalismus“ sei , dienen. Der offizielle Leitartikel des Panthers zu diesem Thema war etwas zurückhaltender , es wird lediglich darauf hingewiesen , dass dadurch eine Besserung der wirtschaftlichen Lage zu erwarten sei , und dass man sich erfreulicherweise damit vom unerwünschten „Paneuropa“-Konzept entferne. Die Lauterkeit der Motive der Außenminister Curtius und Schober wurden jedoch zumindest verhalten kritisiert.489 Auch der Führer des ( damals noch geschlossenen ) Heimatblocks , Franz Hueber , äußerte sich zustimmend und wies darauf hin , dass der Heimatblock schon Monate zuvor den Antrag gestellt hatte , eine Zollunion zu errichten.490 487 STIEFEL , Finanzdiplomatie , S. 76 ff. weist darauf hin , dass ein gezielter Abzug französischen Kapitals von der Creditanstalt im Frühjahr 1931 nicht nachzuweisen ist , und dass die Probleme der Bank nicht mit mangelnder ( kurzfristiger ) Liquidität , sondern mit jahrelangen Verlusten zu erklären seien. 488 So BACHINGER , Weltwirtschaftskrise. In : BACHINGER et. al., Schilling , S. 104. 489 Alois MOSLER : Zollunion und marxistische Arbeiterinternationale. In : Der Panther , 4. 4. 1931 , S. 2 ( „Die Arbeiterschaft Österreichs und Deutschlands ist in höchstem Maß am Gelingen dieses Plans interessiert.“ ) sowie „K.“ [ wahrscheinlich Hans KAIBITSCH ]: Notdämmerung ? In : Der Panther , 28. 3. 1931 , S. 1. Im Nachhinein nahm der Panther für sich in Anspruch , selbstverständlich schon von vornherein gewusst zu haben , dass Außenminister Schober lediglich eine „Komödie“ aufführte. Vgl. N. N. : Begräbnis der Zollunion. In : Der Panther , 5. 9. 1931 , S. 1. 490 N. N. : Der Heimatblock zur Zollunion. In : Der Panther , 18. 4. 1931 , S. 2. Dort wird auch Kritik am „christlichsozialen Abgeordneten Ing. [ Julius ] Raab als Führer einer kleinen , unbedeutenden Abtrünnigengruppe , die einen gegenteiligen Standpunkt einnimmt“, geäußert.

164

4. Wirtschaftspolitische Agitation und Zeitkritik im Spiegel des Panthers

Das Scheitern der Zollunion führte dazu , dass die Heimatschutz-Publizistik sich darauf verlagerte , eine mögliche „Donaukonföderation“ zu verhindern. Diese hätte den Ruin von Landwirtschaft und Industrie zur Folge , da ungarische Viehimporte und tschechische Industrieprodukte die heimischen Erzeuger vollständig vom Markt verdrängen würden. Neue Exportchancen für die heimische Produktion würden sich jedoch kaum ergeben , und wenn doch , so würde die wegbrechende Inlandskaufkraft diesen Zugewinn wieder ausgleichen. Zu den Folgen der Donaukonföderation zählten demnach eine höhere Arbeitslosigkeit und eine noch stärker passive Handelsbilanz.491 Die Beschreibung im Panther ist in dieser Hinsicht wohl zutreffend. Die Nachteile der Donaukonföderation lagen in der bisherigen protektionistischen Politik der Nachfolgestaaten begründet : verschiedene Wirtschaftszweige , die erst nach dem Ende der Monarchie aufgebaut worden waren , hätten durch den erneuten Zusammenschluss wieder verschwinden bzw. deutlich reduziert werden müssen.492 Dies hätte in der ersten Zeit verschiedene wirtschaftliche Anpassungsbewegungen notwendig gemacht , die wohl nicht ohne ( vorübergehenden ) Anstieg der Arbeitslosigkeit vonstattengegangen wäre.

491 N. N. : Ein Donaustaatenbund – Bauern- und Industrieruin. Nicht mit Ungarn , nicht mit Ungarn und der Tschechoslowakei. In : Der Panther , 30. 1. 1932 , S. 3. sowie A. M. [ wahrscheinlich Alois MOSLER ]: Die Nachteile einer Donaukonföderation. In : Der Panther , 20. 2. 1932 , S. 3. 492 Vgl. GÖTZHABER , Zollunion , S. 13 f.

c) Gegen die „Auslandsversklavung“

165

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“: Die Tätigkeit der steirischen Heimatblock-Abgeordneten in Landtag, Nationalrat und Bundesrat Die wirtschaftspolitische Einstellung des Steirischen Heimatschutzes bzw. dessen führender Repräsentanten kann nicht ausschließlich anhand der offiziellen schriftlichen Äußerungen in Programmen und eigenen Presseorganen beurteilt werden. Der Umschlag von Theorie zu Praxis stellt sich gerade bei Bewegungen der radikalen Rechten als überaus komplexes Phänomen dar , das zudem nur sehr schwer anhand schriftlicher Quellen beurteilt werden kann. Hinzu kommt , dass der Steirische Heimatschutz nie in der Lage war , als regierende Kraft sein Programm in aller Breite zu verwirklichen. Die spätere Regierungsbeteiligung der Starhemberg-Heimwehr ist für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ebenfalls nicht von Bedeutung , ebenso verhält es sich mit den ständestaatlichen Regierungen von 1933 bis 1938. In der vorliegenden Arbeit wird – eingedenk dieser Schwierigkeit – versucht , über die Betrachtung der parlamentarischen Tätigkeit des Heimatblocks zu einer Annäherung an die wirtschaftspolitische Praxis der steirischen Selbstschutzverbände zu kommen. Dazu sind freilich mehrere Einschränkungen nötig : Erstens werden nur jene Abgeordnete betrachtet , die auf steirischen Wahllisten kandidierten und gewählt wurden bzw. die von der Landesleitung des Heimatschutzverbandes in die entsprechenden Parlamente entsandt wurden. Als Sonderfall zu betrachten ist der Kärntner Nationalratsabgeordnete Hans Ebner , der dem „steirischen“ Flügel der Heimwehr zuzurechnen ist und dementsprechend gegen die Lausanner Anleihe stimmte.493 Ebner bekannte sich zu Kammerhofers Programm und spaltete sich mit diesem vom Bundesverband ab.494 Umgekehrt verhält es sich mit Josef Lengauer , der zwar als steirischer Heimatschutz-Vertreter gewählt wurde , sich aber ab Sommer 1932 zur Regierung Dollfuß und ihrer Politik hinwandte. Im Bundesrat war der Steirische Heimatschutz durch den weststeirischen Alpine-Ingenieur Hans Tanzmeister vertreten , der sich bis zum Verbot des Verbandes und der Aberkennung seiner Mandate an Kammer-

493 WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 169 f. 494 Vgl. N. N. : Kamerad Ebner , Hainzl und Ing. Tanzmeister aus dem Heimatblock-Klub ausgetreten ! In : Der Panther , 27. 8. 1932 , S. 2.

167

hofers Linie orientierte.495 Im Steiermärkischen Landtag war der Heimatblock nach der Landtagswahl 1930 mit sechs Abgeordneten vertreten , deren Mandate ebenfalls im Juni 1933 aberkannt bzw. für ruhend erklärt wurden ( LGBl 56 / 1933 ).496 Aufgrund des Wahlergebnisses stellte der Heimatblock auch ein Mitglied der Steiermärkischen Landesregierung ; August Meyszner wurde vom Landtag in diese Position gewählt und übte sein Mandat ebenfalls bis zum Verbot der Organisation aus. Die Tätigkeit des Heimatblocks in den öffentlichen Vertretungskörpern war gegen die Sozialdemokraten und die „unfähigen“ bürgerlichen Parteien gerichtet , wobei man sich selbst nicht als politische Partei im hergebrachten Sinn verstand : „Nein , der Heimatblock ist keine neue Partei , der Heimatblock ist der parlamentarische Kampftrupp der Heimatwehr ! [ … ] Er ist die Wahlgemeinschaft aller jener , denen die Begriffe Glaube , Heimat , Volksgemeinschaft und großes deutsches Vaterland mehr sind als leere Worte. Wie die Heimatwehr will er die Erneuerung von Staat , Wirtschaft und Gesellschaft auf nationaler und sozialer Grundlage.“497

Wie der Heimatblock diesen Auftrag auffasste und umsetzte , soll nun in diesem Abschnitt näher bestimmt werden.

a) Der Heimatblock im Steiermärkischen Landtag Gemäß dem Wahlergebnis vom 9. November 1930 war der Heimatblock im Landtag der 4. Gesetzgebungsperiode mit sechs Abgeordneten vertreten , diese wurden in der konstituierenden Sitzung am 4. Dezember des gleichen Jahres angelobt sowie die Mitglieder von Landesregierung und Bundesrat gewählt. Zum Landeshauptmann wurde wiederum Anton Rintelen gewählt. Meyszner erklärte , seitens des Heimatblocks werde man Rintelen unterstützen , erwarte aber von ihm , dass sich seine Tätigkeit am Gemeinwohl und nicht am Par495 Vgl. N. N. : Tanzmeister für unsere bedrohten Bergarbeiter. Steirische Kohlenbergbaue in höchster Gefahr infolge großer Absatzschwierigkeit. In : Der Panther , 15. 4. 1933 , S. 5. 496 Die sechs Landtagsabgeordneten waren Landes-Gendarmerie-Oberinspektor August Meyszner [ Landesrat ], Kaufmann Hans Ritter ( später ersetzt durch Landwirt Franz Walcher ), Besitzer Franz Kammerhofer , Bergarbeiter Ludwig Schranz , Kaufmann Viktor Hornik und Oberlehrer Franz Rottenmanner. Vgl. KOGELNIK , Jahrbuch , S. 131. 497 Die Ziele des Heimatblocks. ( Flugblatt des Heimatschutzverbandes Steiermark , November 1930 ). In : StLB , KS , Box 126 ( Kopie im Archiv des Verf. ).

168

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“

teiinteresse orientiere. Der Heimatblock entfaltete eine rege parlamentarische Tätigkeit , die sich in einer Anzahl von Anträgen und Anfragen niederschlug , wobei verschiedenste Themen behandelt wurden. Von Fragen der Arbeitslosenfürsorge und der ( bundespolitischen ) Frage der Creditanstalts-Sanierung bis hin zu einem Gesetzesantrag der Abgeordneten Meyszner , Hornik und Kameraden „in Angelegenheit der Erhaltung des Steinadlers und des Uhus in Steiermark“.498 Gemäß des Auftrages und des Selbstverständnisses der Heimwehrbewegung und ihrer parlamentarischen Aufgabe verwundert es nicht , dass die Heimatblock-Mandatare einige Male mit der Geschäftsordnung bzw. dem Präsidium in Konflikt gerieten , wobei es zu durchaus kritischen Situationen kam. Bereits in den ersten Sitzungen versuchte der Heimatblock , auf parlamentarischem Weg eine Änderung des Wahlgesetzes , der Landtagszusammensetzung und der Art und Weise , wie die Landesregierung arbeitete , im ständisch-autoritären Sinne zu erreichen. Dies geht aus einem Antrag Meyszners hervor , der in eine diesbezügliche Forderung gestellt und auch begründet wird. Der Abgeordnete Hornik ( ehemals Mitglied der Großdeutschen Volkspartei ) spricht von der Notwendigkeit einer autoritär gestalteten Landesführung , das Wahlrecht sollte hierbei auf berufsständischer Grundlage ausgebaut und ausgeübt (  ! ) werden , was den allgemeinen politischen Grundsätzen des Heimatblocks entspricht. Man versuchte auch , den Posten Landeshauptmann-Stellvertreters aus den Händen der Sozialdemokraten zu nehmen ; Rintelen sollte demnach im Fall seiner Verhinderung jeweils selbst einen Vertreter aus den Reihen der Regierungsmitglieder bestimmen.499 Ebenfalls versuchte man erfolglos , die Geschäftsordnung dahingehend zu ändern , dass eine dringliche Anfrage nur noch die Unterstützung von sechs Abgeordneten ( genau die Zahl , über die der Heimatblock verfügte ) anstatt bisher von acht Mandataren benötigte. Als die Alpine Montangesellschaft im Jänner 1931 weitreichende Betriebsstilllegungen in der Steiermark ankündigte , stellte die sozialdemokratische Fraktion einen Resolutionsantrag , wonach die Bundesregierung aufgefordert werden sollte , ein Gesetz zu verabschieden , das solche Stilllegungen zukünftig nur mit Genehmigung der Regierung durchgeführt werden dürften. In der Debat498 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 15. Sitzung , 11. 6. 1931 , S. 260. Der Heimatblock wandte sich mehrmals Fragen des Umwelt- und Naturschutzes zu ; u. a. stellte man den ( einstimmig angenommenen ) Antrag , der Landtag solle ein Naturschutzgesetz ausarbeiten ( S. 261 ). 499 Beilage Nr. 5 zu den stenografischen Berichten , IV. Periode /  EZ 23 , Antrag der Abgeordneten Meyszner , Kammerhofer und Kameraden. Vgl. dazu auch N. N. : Anträge des Heimatblocks. In : Der Panther , 10. 1. 1931 , S. 2 f.

a) Der Heimatblock im Steiermärkischen Landtag

169

te wandte sich der Heimatblock-Abgeordnete Hornik gegen den Antrag , da dieser offensichtlich demagogischer Natur sei und überdies nicht in die materielle Gesetzgebungskompetenz des Landtages falle. Außerdem seien solche Interventionen „nach russischem Muster“ grundsätzlich abzulehnen ; eine Ansicht , die auch Landeshauptmann Rintelen mit Verweis auf das Vertrauen ausländischer Kreditgeber vertrat. Der Abgeordnete Schranz verwies auf nicht eingehaltene Versprechen der ÖBB , mehr inländische Kohle zu kaufen , was die Not noch verschärft hätte.500 Im folgenden Monat verhandelte der Landtag über die Pläne der Stadt Graz , erneut Wohnbaudarlehen in der Höhe von 16 Millionen Schilling aufzunehmen. Der Heimatblock wandte sich gegen dieses Vorhaben.501 Abg. Hornik argumentierte mit der bereits hohen Verschuldung der Stadt , der nicht-kostendeckenden Vermietung , die eine verhüllte Subvention seitens des Steuerzahlers bedeute und der Umleitung der Mittel aus der Wohnbauförderung : Diese solle dem privaten Eigenheimbau zugutekommen , nicht dem kommunalen Wohnbau. Die konjunkturpolitische Wirkung privater Errichtungen sei mindestens gleich groß wie jene des städtischen Hausbaus , eher noch größer , da die intransparenten und politisch motivierten Vergabepraktiken die Kosten der letzteren Bauvorhaben entscheidend steigern würden. Landesrat Meyszner ergänzte Horniks Ausführungen mit ideologischen Grundsatzargumenten ; die weitere Sozialisierung von Vermögenswerten müsse unter allen Umständen verhindert werden. Die öffentliche Hand würde zunehmend als Grundeigentümer , Bauherr und Vermieter fungieren und damit bereits einen zu großen Einfluss auf die Bauwirtschaft ausüben. Zudem verwies er auf die kommunale Misswirtschaft in Graz , wo private Wohnhäuser abgerissen würden , um Bürogebäude für die Stadtverwaltung zu errichten.502 Über500 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 5. Sitzung , 3. 1. 1931 , S. 90 ff. Schranz ( selbst Alpine-Arbeiter ) wies in einer späteren Debatte darauf hin , dass auch das Gebäude der Arbeiterkammer mit tschechischer Kohle beheizt wurde , ebda., S. 428. Opportunistischerweise griff der Heimatblock später die Regierung für ihre „Untätigkeit“ in Bezug auf die Alpine-Betriebseinstellungen an. 501 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages ,8. Sitzung , 16. 2. 1931 , S.  137 ff. 502 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 8. Sitzung , 16. 2. 1931 , S. 145 ff. ( „Wir sind gegen die Sozialisierung , die sich insbesondere bei diesen Gemeindehauswohnbauten in schwerster Art und Weise auswirkt , wo eine große Anzahl von Personen in einen Gemeindepferch [ sic ! ] hineingedrängt werden [ … ] Gerade diese kommunalen Wohnhausbauten sind Sozialisierung auf breitester Grundlage.“ ) N. N. : Der zweite steirische Versammlungssturm. In : Der Panther 28. 2. 1931 , S. 1 f. berichtet von einer Rede Meyszners über die Erfolge des Heimatblocks zum Schutz des

170

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“

haupt versuchte der Heimatblock , seine wirtschaftspolitischen Kernthemen ( Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft , Schutz der Inlandsproduktion ) in verschiedensten Zusammenhängen anzusprechen und die wirtschaftliche Misere diesbezüglich als möglichst einfache Wahl zwischen „Sauberkeit“ und Misswirtschaft , Inland und Ausland , Tätigkeit und Untätigkeit etc. zu reduzieren.503 Zum Beispiel sollte das Land versuchen , so der Heimatblock-Mandatar Rottenmanner im März 1931 , sich von der Last der Klein- und Regionalbahnen zu befreien , da diese niemals kostendeckend zu führen seien und hier lediglich Schulden mit neuen Schulden gedeckt werden könnten. Da vor allem der Postbusverkehr des Bundes an der schwierigen Lage dieser Nebenbahnen schuld sei , solle die Republik auch selbst die Nebenbahnen übernehmen ; das Land solle dafür Sorge tragen , dass tatsächlich nützliche Verkehrsunternehmen und Verkehrsmittel aufgebaut würden.504 Auch hier ist eine deutliche Parteinahme für das Kleingewerbe zu erkennen. Der Heimatblock trat auch für eine Höchstgrenze der Gemeindeumlage bzw. Gemeindezuschläge zu Grund- und Gebäudesteuer in Höhe von 40 % ein. Viele Gemeinden ( explizit genannt wurden Fohnsdorf und Donawitz ) hätten mit überhöhten Sätzen die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und die Kaufkraft der Bevölkerung geschwächt , um parteinahe Unternehmungen und zweifelhafte Projekte zu finanzieren.505 Als in der 13. Sitzung des Landtages am 29. Mai 1931 eine Regierungsvorlage zur Sonderunterstützung für Forstarbeiter in Höhe von insgesamt 200.000 Schilling debattiert wurde , die durch einen Aufnahmestopp im öffentlichen Dienst gegenfinanziert werden sollte , wandte sich für den Heimatblock Landesrat August Meyszner gegen den zweiten Teil dieser Vorlage. Die Einsparunprivaten Wohnbaus und dem Kampf gegen die Misswirtschaft der Parteien. Die Rede schlug nach Ansicht des Berichterstatters „geradezu wie eine Bombe ein und sicherte dem Heimatblock in den Augen aller steirischen Kameraden seine volle Daseinsberechtigung“ [ sic ! ]. 503 Vgl. bspw. Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 10. Sitzung , 17. 3. 1931 , S.  186 f. 504 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 10. Sitzung , 17. 3. 1931 , S.  188 f. 505 Stenografische Berichte der IV. Periode , 12. Sitzung , 23. 4. 1931 , S. 199 f. ; 25. Sitzung , 26. 4. 1932 , S. 482 ff. sowie 45. Sitzung , 26. 5. 1933 , S. 781 f. Zur kommunalpolitischen Agitation des Steirischen Heimatschutzes vgl. Bauern , Bürger , Arbeiter von Eisbach-Rein ! ( Flugblatt des Heimatblocks ), 1930 /  31 (  ? ). In : StLB , KS , Box 126 ( Kopie im Archiv des Verf. ) sowie Karl STOCKER /  Otto HWALETZ : Dokumente und Flugblätter zu den Gemeinderatswahlen in Eisenerz 1928–1932. In : HWALETZ et. al., Bergmann , S. 121–146

a) Der Heimatblock im Steiermärkischen Landtag

171

gen würden nur gering verdienende Beamte treffen , während man gleichzeitig bereit sei , der in eine gefährliche Schieflage geratenen Landesmolkerei 1,7 Millionen Schilling an frischem Geld zur Verfügung zu stellen. Er beschuldigte Bundesminister Winkler ( Landbund ) der Verschwendung öffentlicher Gelder , was heftige Tumulte auslöste , infolge derer die Sitzung unterbrochen werden musste. Schließlich stellte Meyszner den Antrag , die Summe von 100.000 Schilling durch 50-prozentige Gehaltskürzungen der Landesregierungsmitglieder aufzubringen. Sein Fraktionskollege Hornik führte die Arbeitslosigkeit unter Forstarbeitern auf die Einfuhr russischen Holzes zurück und verband damit heftige Angriffe gegen die Sozialdemokraten , die diktatorische Betriebsführungsmaßnahmen auch in Österreich einführen würden. Hornik problematisierte auch die gegenseitige wirtschaftliche Abschließung der Nachfolgestaaten der Monarchie , vor allem aber wirke die kommunistische Agitation in China (  ! ) sich negativ auf den Absatz europäischer Produkte aus.506 Der Abänderungsantrag des Heimatblocks wurde schließlich abgelehnt. Der Pfrimer-Putsch wurde in einer dringlichen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion thematisiert ; Landeshauptmann Rintelen sprach sich selbst und die Exekutive von jeder Mitschuld frei ; Meyszner sprach von einem Etappensieg des Heimatschutzes , der den Kampf gegen die öffentliche Korruption auf eine neue Ebene gebracht habe. Der Landesrat bediente sich dabei einer Diktion , die heute in einem öffentlichen Vertretungskörper wohl undenkbar wäre.507 Einer ähnlichen Argumentation bediente sich auch der Abgeordnete Kammerhofer. Die rhetorische Radikalität kann wohl auf die grundlegende Ablehnung des parlamentarischen Systems zurückgeführt werden , die sich nicht zuletzt durch die bewusste Missachtung von dessen Spielregeln aus506 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 13. Sitzung , 29. 5. 1931 , S. 217 ff. ( Rede Meyszner ), sowie 14. Sitzung , 08. 06. 1931 , S. 222 ( Fortsetzung Meyszner ) und 231 ff. ( Rede Hornik ). Hornik stellte den Protektionismus ausschließlich als Folge des Versailler Vertrags dar. Inwiefern sich die abzulehnenden „diktatorischen Maßnahmen“ der Sozialdemokraten von der „Wirtschaftsführung“, die der Heimatschutz forderte , unterschied , erörterte Hornik nicht. 507 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 16. Sitzung , 20. 11. 1931 , S. 316 ff. ( „Wir sind nicht willens in einer oder der anderen Sache 1 oder ½ Prozent von irgend einer Steuer herabzudrücken , weil das für die Katz ist , wenn auf der anderen Seite über Nacht 700 Millionen hinausgeschmissen werden [ … ] Darum sind wir Gegner dieses Systems und sagen , diese Korruption muß endlich einmal aufhören. Und darum haben wir hier die Feinde , weil die Herrschaften wissen , daß es ihnen einmal passieren kann , daß wir sie auf einen Luftkurort schicken , der allerdings nach oben mit einem Strick verbunden ist.“ )

172

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“

drückte.508 Die Doppelrolle als demokratisch gewählte Volksvertreter und Agenten einer außer- und gegenparlamentarischen Oppositionsbewegung sahen die Heimatblock-Abgeordneten hingegen nicht als problematisch an. Meyszner argumentierte , der Kampf gegen Marxismus und internationales Finanzkapital müsse auf allen Ebenen betrieben werden , und da sich die bürgerlichen Parteien als unfähig und mutlos erwiese hätten , müsse der Heimatschutz selbst eine politische „Kampfgruppe“ bilden. Diese habe die Auseinandersetzung auf dem Feld der Ideen zu führen , um den militärischen Schutz der Heimat zu ergänzen. Die bisherigen Parteien , „falsche Freunde“, seien daher vom Heimatschutz ebenso abzulehnen und zu bekämpfen wie die linksgerichteten Bewegungen selbst.509 Häufig versuchte man daher , den Steiermärkischen Landtag auch als Bühne für bundes- und außenpolitische Fragen zu nutzen , etwa beim Thema der „Donaukonföderation“. Ein solcher Zusammenschluss hätte gravierende Auswirkungen auf die heimische Landwirtschaft sowie auf die Industrie , die mit den ausländischen Produkten nicht konkurrieren könnten. Als Grund für die Konkurrenzschwäche nennt Landtagsabgeordneter Hornik die Steuer- und Abgabenlast im Inland , die doppelt so hoch sei wie jene in der Tschechoslowakei. Zudem sei der Mangel an „wirtschaftlichem Patriotismus“ auch bei Produkten , die Österreich sehr gut selbst herstellen könnte , schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Problem. Schließlich sei aus „staats- und volkspolitischen“ Überlegungen jeder Zusammenschluss ohne das Deutsche Reich abzulehnen.510 Um die negative Handelsbilanz auszugleichen , sollte der Landtag laut Resolutionsantrag des Heimatblocks die Bundesregierung veranlassen , mit den Handelspartnern in Kontakt zu treten , damit diese ihre Importüberschüsse durch Ausgaben als Touristen im Inland wieder ausglichen. Insbesondere das Clearing-Abkommen mit Ungarn sollte diesbezüglich verändert werden. Zudem sollte die Landesregierung schnellstmöglich Geldmittel für die Fremdenverkehrswerbung zur Verfügung stellen.

508 EDMONDSON , Heimwehr , S. 122 f. spricht von einem allgemein festzustellenden „rowdy behavior“ des Heimatblocks. 509 Vgl. August MEYSZNER : Kann der Heimatschutz unpolitisch sein ? In : KOGELNIK , Jahrbuch , S. 129 f. 510 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 27. Sitzung , 9. 6. 1932 , S. 506 ff. Bereits in einer der ersten Sitzungen des Landtages hatte man eine „Ersparungskommission“ eingesetzt , um dem Finanzausschuss „geeignete Ersparungsanträge“ vorzulegen. Die Kommission bestand aus Landtagsabgeordneten und tagte unter Vorsitz des Landeshauptmannes. Vgl. 4. Sitzung , 4. 1. 1931 , Beschluss , Nr. 16. In : Inhalts- und Beschlüsseverzeichnis der IV. Landtagsperiode , StLA.

a) Der Heimatblock im Steiermärkischen Landtag

173

Der Antrag wurde einstimmig angenommen.511 Ebenfalls versuchte der Heimatblock , die Frage der Bundeshaftung für die Creditanstalt im Steiermärkischen Landtag auf die Tagesordnung zu bringen. In der Sitzung vom 9. Juni stellten Meyszner , Hornik und Kameraden den Antrag , die Bundesregierung aufzufordern , die Haftung des Bundes für die Creditanstalt gemäß dem 2. und 6. Creditanstaltsgesetz sofort zu beenden und gemäß dem österreichischen Handelsgesetz , vor allem dessen Paragraf 240 , weiter zu verfahren ( was auf eine Liquidation des Bankinstituts und auf weitreichende strafrechtliche Verfolgungen der Geschäftsführung hinausgelaufen wäre ). Meyszner begann die heftig geführte Debatte mit der Feststellung , die Creditanstalt sei ein „Geschwür“, das als „Wirtschaftssensenmann“ [ sic ! ] durch das Land ziehe , und welchem dringend das Handwerk gelegt werden müsse. Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung ( Devisenordnung , Inlands-Zwangskurs für den Schilling ) hätten die Krise ebenso verschärft wie die immer weiter steigende Steuerlast. Die Devisenbestände der Nationalbank und damit die Golddeckung der Währung seien durch die Haftungsübernahme für die Bank schwer geschädigt worden und auch das Einfuhrverbot , das die Regierung verhängt hatte , würde durch Arbitragegeschäfte zwischen Auslands- und Inlandskurs des Schillings unwirksam. Die sinkenden Staatseinnahmen führten zu einer kritischen Lage selbst bei der Bedeckung laufender Kassenverpflichtungen.512 Landesrat Meyszner forderte die umgehende Eröffnung des Konkursverfahrens , bei der die Forderungen sämtlicher in- und ausländischer Gläubiger gleich zu behandeln seien. Der Antrag des Heimatblocks wurde mit den Stimmen aller Fraktionen einstimmig angenommen.513 Nach der Ausschaltung des Nationalrates im März 1933 forderten die Heimatschutz-Vertreter in einem Beschlussantrag die Amtsenthebung der Bundes511 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 27. Sitzung , 9. 6. 1932 , S. 511 f. Ein Zusatzantrag der Sozialdemokraten , wonach der Tourismus durch die Herstellung von Ruhe und Ordnung durch ein erneutes Aufmarschverbot zu fördern sei , wurde gegen die Stimmen des Heimatblocks ebenfalls angenommen. 512 RINTELEN , Erinnerungen , S. 208 , Anm. 2 berichtet , dass ab 1. 7. 1932 die Bezüge der öffentlich Bediensteten in zwei Raten ausgezahlt wurden ( 60 % am Ersten , 40 % in der Mitte jedes Monats ). 513 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 27. Sitzung , 9. 6. 1932 , S. 518 ff. sowie S. 526 f. Der christlichsoziale Abg. Dr. Adolf Enge hatte gefordert , im Konkursverfahren zwischen Gläubigergruppen ( „ Spekulanten“ und „vertrauensvolle Anleger“ ) zu unterscheiden ; sein Zusatzantrag wurde mehrheitlich abgelehnt. Der Heimatblock vertrat die Auffassung , eine solche Ungleichbehandlung würde zu erhöhten Forderungen vonseiten der Auslandsgläubiger führen.

174

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“

regierung , die Aufhebung der Notverordnungen , die Auflösung des Nationalrates und die Veröffentlichung des Abkommens mit den Auslandsgläubigern der Creditanstalt.514 Der Heimatblock sei nicht grundsätzlich gegen die Diktatur als Regierungsform in Österreich , diese müsse jedoch die Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite wissen ( gemäß der Vorstellung eines autoritären „Volksstaates“ ). Die Notverordnungen der Regierung hätten in wirtschaftlicher Hinsicht nicht den Arbeitslosen und dem Gewerbe geholfen , sondern lediglich den Gläubigern der Creditanstalt und den internationalen Finanzkreisen. Zudem hätte die Regierung versäumt , Maßnahmen zur Senkung des Zinsfußes zu setzen , der das eigentliche Problem darstellte.515 Nach einer heftigen Wechselrede kam es zur namentlichen Abstimmung ; der Beschlussantrag von Meyszner und Kameraden wurde mit den Stimmen des Heimatblocks , der Sozialdemokraten und der Großdeutschen angenommen , während Christlichsoziale und Landbund dagegen stimmten ( 24 zu 23 Stimmen ). Schon in einer früheren Sitzung hatte Abg. Hornik bemängelt , dass die Landesregierung Darlehen mit einer Verzinsung von 8 % aufnehmen müsse , „und zwar von einem einheimischen Geldinstitut , das als staatliches Institut wohl die Pflicht hätte , unserer Wirtschaft , sei es nun die Privatwirtschaft oder der Wirtschaft des Landes wirklich helfend unter die Arme zu greifen.“516 Der Steirische Heimatschutz blieb also in der einmal getroffenen Unterscheidung zwischen „jüdischem“ Finanzkapital und „heimischem“ Bankenwesen gefangen und konnte die realen Sachzwänge und die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht ausreichend verstehen bzw. daraus entsprechende Handlungsanweisungen ableiten. 514 Das Londoner Abkommen vom Jänner 1933 , das unter maßgeblicher Mitwirkung Anton Rintelens geschlossen wurde , setzte die Regierung Dollfuß per Dekret nach dem „Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz“ in Kraft. Eine parlamentarische Diskussion unterblieb ebenso wie die Publikation des Vertragstextes. Vgl. STIEFEL , Finanzdiplomatie , S. 212 f. 515 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 41., außerordentliche Sitzung , 20. 3. 1933 , S. 722 ff. ( Rede Meyszner , u. a. „Wenn sie nun heute sagen , wir sollen es besser machen , so muß ich darauf erwidern , daß wir immer gesagt haben , laßt die ganze Geschichte in Konkurs gehen , dann wird man schon den rechten Ausgleich finden“ ) sowie S. 735 ff. ( Rede Hornik ) und S. 750 f. ( Rede Kammerhofer ). Rintelens Bericht über die Verhandlungen in London vgl. S. 720 f. sowie „W.“: Die Diktatur wurde errichtet , um die Demokratie zu retten ! Ablehnende Stellungnahme des steirischen Landtages gegen das Vorgehen der Regierung. In : Der Panther , 25. 3. 1933 , S. 2. Vgl. auch 41. ( außerordentliche ) Sitzung , 20. 3. 1933 , Beschlüsse Nr. 402–408. In : Inhalts- und Beschlüsseverzeichnis der IV. Landtagsperiode , StLA. 516 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 35. Sitzung , 22. 12. 1932 , S.  602.

a) Der Heimatblock im Steiermärkischen Landtag

175

Landesrat Meyszner und seine Heimatblock-Fraktionskollegen lehnten das Budgetprovisorium für 1933 ab , da dieses ihrer Ansicht nach verfassungswidrig sei. Der Landesvoranschlag für dasselbe Jahr , der erst im März (  ! ) 1933 dem Landtag vorlag , wurde von der Fraktion ebenfalls abgelehnt , da er keine durchgreifenden Ersparungen mit sich brächte und der ausgeglichene Haushalt lediglich auf Steuererhöhungen für Gewerbetreibende , Hausbesitzer und andere Gruppen beruhte. Diese Vorgangsweise würde die Wirtschaft weiter schädigen , genauso wie die – trotzdem zu erwartende – Neuverschuldung und die daraus entstehenden Zinszahlungen.517 Gemäß seinem Wirtschaftsprogramm verlangte der Steirische Heimatschutz die Angleichung der Ausgaben an die Einnahmen auf wesentlich niedrigerem Niveau als bisher. Diese steuerliche Entlastung sollte der Wirtschaft neue Impulse geben , wobei die Leistungen etwa der Sozialversicherung nicht reduziert werden sollten. Die Art und Weise der Verwaltungsreformen , die zu bedeutenden Einsparungen führen würden , konkretisierte der Heimatblock im Landtag freilich nicht. Ab 1932 versuchte man auch der NSDAP im Landtag eine Plattform zu geben und diese gegen verschiedenste Angriffe zu verteidigen.518 In der Sitzung am 16. Juni 1933 , dem Tag vor dem Verbot des Deutschösterreichischen (= Steirischen ) Heimatschutzes und der NSDAP , nahmen die Abgeordneten des Heimatblocks nochmals zur wirtschaftlichen Situation Stellung. Landesrat Meyszner bemängelte , dass die Lausanner Anleihe ( die man weiterhin ablehnte ) noch immer nicht aufgelegt worden war und schließlich nur der Nationalbank zugutekommen sollte ; auch die Innenanleihe würde keine Mittel für die tatsächliche Arbeitsbeschaffung bereitstellen. Die Notverordnungen der Regierung würden nicht dazu verwendet , die liberale Wirtschaftsordnung zu beseitigen , sondern führten zu einer Stützung genau dieses Systems , da man keinerlei Maßnahmen zur Senkung der Kreditzinsen gesetzt hätte , gleichzeitig war es durch die „Goldklauselverordnung“ zu einer realen Aufwertung der Schulden gekommen , was wiederum die finanziell Starken bevorzugt hätte. Die Kürzung des Arbeitslosengeldes sei jedoch auf das Schärfste abzulehnen. Sozialdemokratische Redner wiesen hämisch auf die langjährigen Verbindungen des Heimatschutzes zur Industrie und deren „sozialreaktionären“ 517 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 38. Sitzung , 1. 3. 1933 , S.  637 ff. Vgl. auch August MEYSZNER : Der steirische Landesvoranschlag. In : Der Panther , 3. 12. 1932 , S. 2. 518 Zur NS-nahen Agitation des Heimatschutzes im Landtag vgl. N. N. : Aus dem steirischen Landtag. Meyszner und Kameraden fordern sofortige Drosselung der Judeneinwanderungen in Wien. In : Der Panther , 15. 4. 1933 , S. 4.

176

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“

Zielen hin ; die Heimatschützer selbst hätten durch die UG die „Einheitsfront der arbeitenden Klasse“ zerstört und den Abbau sozialer Rechte damit vorbereitet.519 Man wandte sich mit einer dringlichen Anfrage an den Landeshauptmann , er solle das Vorgehen der Regierung verurteilen und mit allen Mitteln bekämpfen. In diesem Zusammenhang distanzierte sich der Abgeordnete Viktor Hornik im Namen seiner Fraktion ausdrücklich von der nationalsozialistischen Terrorkampagne jener Wochen.520 Der Heimatschutz stellte eine Reihe von Anträgen gegen die Vorgangsweise von Regierung und Sicherheitsbehörden , die jedoch nach einer tumultartig verlaufenden Debatte abgelehnt wurden. In der Debatte um die Aberkennung der Mandate ließ Hornik nochmals die Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit Revue passieren und kritisierte insbesondere Joseph Schumpeters Politik , die damals den wirksamen staatlichen Zugriff auf „jüdisches“ Finanzkapital unmöglich gemacht sowie den Abfluss von Gold und Devisen bewirkt hätte und stellte die demokratischen Parteien in die Nähe der Spekulanten Bosel und Castiglioni.521 Am Ende der Sitzung wurden mit der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit sämtliche Mandate des Heimatblocks im Landtag , Landesregierung , Bundesrat , Landes- und Bezirks- und Ortsschulräten , sämtlicher Gemeindevertretungen für ruhend erklärt.522 Für den Fall , dass die Aberkennung der Mandate die Mehrheitsverhältnisse grund519 Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages , 46. Sitzung , 16. 7.  , S. 796 ff. ( Rede Meyszner ) und S. 798 f. ( Gegenrede Abg. Elser ). In seiner Antwort verwies Rintelen auf Maßnahmen zur Hebung und Vereinheitlichung des Einlagenzinssatzes , die als erster Schritt zur Regelung der Kreditzinsen zu verstehen seien. 520 Zum NS-Terror vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 192 ff. Zu Horniks Rede vgl. Stenografische Berichte , S. 801. ( „Wir erklären hier ganz öffentlich , daß wir derartige Mittel , Attentate und Anschläge verurteilen und zurückweisen. [ Zwischenruf Meyszner : Sehr richtig ! ] Wir erklären hier ganz öffentlich , daß wir unser Ziel im offenen Kampf als deutsche Männer erreichen , wollen , und nicht mit hinterhältigen Mitteln“ ). Im Lichte der Übereinkommen zwischen NSDAP und Heimatschutz ist diese Distanzierung als lediglich taktisch-rhetorische zu betrachten. 521 Zu Schumpeters Tätigkeit vgl. Annette SCHÄFER : Die Kraft der schöpferischen Zerstörung. Joseph A. Schumpeter – die Biografie. Frankfurt /  Main , 2008 , S. 94–101. Hornik erklärte , Schumpeter sei ein Vertreter des Großkapitals gewesen , der den „an Betrug , Diebstahl , an Raub grenzenden Grundsatz „Krone ist Krone“ aufstellte.“ Indirekt erklärte sich der Heimatblock somit zum Anhänger einer inflationären , notfalls hyperinflationären Politik. Vgl. Stenografische Protokolle , 50. Sitzung , 29 /  30. 7. 1933 , S. 852 f. 522 Vgl. 50. ( außerordentliche ) Sitzung , 29. /  30. 7. 1933 , Beschluss , Nr. 446. Landesverfassungsgesetz über das Ruhen der Mandate der Kommunistischen Partei , der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (  Hitlerbewegung  ), des Steirischen Heimatschutzes ( Führung Kammerhofer ) und des Heimatblocks. In : Inhalts- und Beschlüsseverzeichnis der IV. Landtagsperiode , StLA.

a) Der Heimatblock im Steiermärkischen Landtag

177

legend änderte , war der Landeshauptmann ermächtigt , den jeweiligen Vertretungskörper aufzulösen und einen Regierungskommissär einzusetzen.

b) D  ie Vertreter des Steirischen Heimatschutzes im österreichischen Nationalrat In der vierten Gesetzgebungsperiode vertraten die bereits genannten Abgeordneten Lengauer und Hainzl den Steirischen Heimatschutz im österreichischen Nationalrat , Hans Ebner aus Kärnten kann ebenfalls als Vertreter der „steirischen“ Richtung betrachtet werden. Die Situation des Heimatblocks war von Anfang an schwierig : Als kleinste Fraktion hatte man wenig Einfluss auf die parlamentarische Arbeit insgesamt und musste – nicht zuletzt aus Geld- und Ressourcenmangel – häufig improvisieren.523 Das bewusst provokante Auftreten des Heimatblocks entsprach dessen grundsätzlich parlamentsfeindlichen Überzeugungen und führte mehrfach zu tumultartigen Szenen im Hohen Haus. Bei einer Sitzung im Juli 1932 warf der steirische Abgeordnete Sepp Hainzl sogar einen Zündstein auf Otto Bauer , der sich dabei eine Platzwunde zuzog. Den Stil der Auseinandersetzungen im Nationalrat legte gleich zu Beginn der Heimatblock-Fraktionsführer Ernst Rüdiger Starhemberg fest , als er feststellte : „[ … ] Um allen Irrtümern von Haus aus vorzubeugen , wollen wir ausdrücklich und feierlichst hier bekennen , daß unser Hiererscheinen [ sic ! ] nicht eine Bejahung des parlamentarischen Systems bedeutet , daß wir im Gegenteil nach wie vor mit aller Leidenschaft dieses System ablehnen , da wir nach wie vor mit aller Leidenschaft erklären , daß wir in diesem System gegenwärtig nichts anderes sehen als ein Hemmnis für die gesunde Entwicklung unseres Volkstums , daß wir in diesem System die ärgste Schädigung der Volksinteressen erblicken.“524

523 Nach WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 61 f. gründete man zunächst eine große „Heimatblock-Zentralstelle“ mit verschiedenen Abteilungen und Landes- sowie Bezirksstellen , die jedoch nach kürzester Zeit wegen Geldmangel wieder aufgelöst wurden. 524 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 3. Sitzung , 5. 12. 1930 , S. 43. Vgl. auch N. N. : Die Stimme der Heimatwehr im Nationalrat. Bundesführer Starhemberg setzt sich spielend durch. In : Der Panther , 13. 12. 1930 , S. 3. Jene Teile der Presse , die nicht dem Heimatschutz nahestanden , hatten freilich kaum Positives über seine Ausführungen zu sagen. Vgl. N. N. : Produktive Politik ist notwendig. In : Neue Freie Presse , 6. 12. 1930 , S. 1 f. ( „Das Programm , das er vorlas , es enthält nicht eine Spur von wirklicher Originalität , keinen Funken von Ge-

178

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“

Im Nationalrat nahm der Heimatblock – im Gegensatz zu den vielfältigen Debattenbeiträgen und Anfragen im Landtag – fast ausschließlich zu wirtschaftspolitischen Themen Stellung ; nach Beginn der Regierungsbeteiligung im Kabinett Dollfuß ( gemeinsam mit Christlichsozialen und Landbund ) stellten die Heimwehr-Mandatare ihre parlamentarische Tätigkeit fast zur Gänze ein , stellten fast keine Anträge mehr und meldeten sich kaum noch zu Wort. Dies kann vor allem auf die internen Richtungsstreitigkeiten zurückgeführt werden , die man durch Geschäftsordnungstricks und Isolation der „Abtrünnigen“ überdecken wollte , anstatt im Plenum vom Gegner hämisch darauf hingewiesen zu werden.525 Der Vertreter der Unabhängigen Gewerkschaft Josef Lengauer meldete sich erstmals am 16. Dezember 1930 zu Wort und geißelte die Privilegien der ( sozialdemokratischen ) Arbeitervertreter und die „unpatriotische“ Haltung der Gemeinde Wien , die Importgüter aus der Sowjetunion beziehe , während Tausende österreichische Arbeiter beschäftigungslos seien. Er forderte Steuersenkungen , da hohe Unternehmenssteuern indirekt immer die Arbeiter treffen würden , sowie Sparsamkeit bei der öffentlichen Verwaltung , wozu er ein Beispiel aus der Gemeinde Donawitz zitierte.526 In der achten Sitzung sprach Hainzl erstmals im Nationalrat und bekräftigte , der Heimatblock werde einer Einbeziehung der Land- und Forstwirtschaft in die Arbeitslosenversicherung nie zustimmen , da die Bauern ohnehin schon zu hoch belastet wären und es durch zu hohe Unterstützungszahlungen immer schwieriger werde , Arbeitskräfte für die Bauernhöfe zu gewinnen.527 Während sich Hainzl in seinen Reden vor allem den Problemen der Landwirtschaft widmete , forderte Lengauer die wirksame Unterstützung der Arbeiter durch den Beschluss eines „Inlandsarbeits-Schutzgesetzes“, wie es bereits im Wahlprogramm des Heimatblocks nie , man könnte es ruhig annehmen , um die Anhänger Starhembergs zu überzeugen , dass mit solchen Allgemeinheiten nichts zu machen ist.“ ). 525 EDMONDSON , Heimwehr , S. 171 f. Ebner und Hainzl wurden nach der Spaltung sämtliche Ausschussmitgliedschaften aberkannt , um auch in den Ausschüssen die Regierungsmehrheit zu erhalten. Vgl. Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 106. Sitzung , 24. 11. 1932 , S. 2779 ff. 526 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 5. Sitzung , 16. 12. 1930 , S. 79 ff. Zur dringlichen Anfrage der Abg. Lengauer und Lichtenegger „betreffend die Gefahr einer Stillegung sämtlicher Werke der österreichischen Alpinen Montangesellschaft [ sic ! ]“ in der 7. Sitzung sowie der dringlichen Anfrage Starhemberg und Lengauer zum gleichen Thema in der 9. Sitzung vgl. Kapitel 2 der vorliegenden Arbeit. 527 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 8. Sitzung , 30. 12. 1930 , S. 174 ff.

b) Die Vertreter des Steirischen Heimatschutzes

179

formuliert worden war.528 Lengauer und der niederösterreichische Mandatar Lichtenegger hatten bereits ganz am Anfang der Legislaturperiode einen Antrag eingebracht , wonach die Gehälter der Nationalratsabgeordneten um 20 % zu kürzen seien ; diesen Gedanken nahm der Kärntner Landwirt Hans Ebner in seiner ersten ( von insgesamt nur vier ) Wortmeldungen im Hohen Haus wieder auf. Bei der Suche nach Einsparungsmöglichkeiten solle sich , so Ebner , der Staat ein Beispiel an der Bauernschaft nehmen , die sich selbst sehr stark einschränke , um ihre Höfe erhalten zu können. Er verwies erneut auf die vorgeschlagene Gehaltskürzung und schlug zudem die 20-prozentige Kürzung der Abgeordnetenzahl im Nationalrat vor.529 Hueber und Hainzl stellten diesbezüglich eine dringliche Anfrage an Bundeskanzler Ender , der versprach , Einsparungen bei den Gehältern auch der Mandatare und öffentlichen Funktionsträger in Erwägung zu ziehen. Im Organ des Steirischen Heimatschutzes wurde dies als großartiger Erfolg des „parlamentarischen Kampftrupps“ gewertet und entsprechend gewürdigt.530 Insgesamt war die parlamentarische Vertretung des Heimatblocks in dieser frühen Phase als Oppositionspartei , die sich selbst als Vorbote revolutionärer Veränderungen sah , begrenzt. Lediglich bei der Behandlung des Postsparkassengesetzes wurde ein Antrag Neustädter-Stürmers mit den Stimmen des Heimatblocks und der Sozialdemokraten (  ! ) angenommen.531 Ebenfalls am 29. April griff Hainzl den Außenhandel mit der Sowjetunion an , der nur ein Mittel der dortigen Regierung sei , um die österreichische Wirtschaft zu destabilisieren und die Menschen für marxistische Propaganda in erhöhten Maß empfänglich zu machen.532 528 Vgl. BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 419 ff. 529 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 14. Sitzung , 11. 2. 1931 , S. 326 f. 530 N. N. : Ein Sparprogramm auch für die Parlamentarier. Ansehnlicher Erfolg des Heimatblocks. In : Der Panther , 9. 5. 1931 , S. 2. 531 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 22. Sitzung , 13. 3. 1931 , S. 703 ff. ( Rede Neustädter-Stürmer ) sowie S. 707. Der „Panther“ feierte dies als großen Sieg : N. N. : Die Postsparkassennovelle durch den Heimatblock gefallen. Eine unerwartete Schlappe der Regierung. In : Der Panther , 21. 3. 1931 , S. 4. In unabhängigen Medien ( z. B. die „Neue Freie Presse“ wurde dies jedoch – im Gegensatz zu den Spaltungen und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Heimwehrbewegung – kaum wahrgenommen. 532 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 26. Sitzung , 29. 4. 1931. Zum Thema Dumping hatten Hainzl , Lengauer und Kameraden in der 22. Sitzung eine dringliche Anfrage eingebracht , deren Behandlung jedoch abgelehnt wurde. Vgl. N. N. : Das russische Getreidedumping – nichts Dringliches ! In : Der Panther , 21. 3. 1931 , S. 8.

180

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“

Nachdem am 8. Mai 1931 der kritische Zustand der Creditanstalt für Handel und Gewerbe öffentlich geworden war , befasste sich der Nationalrat fünf Tage später mit der Regierungsvorlage zum ( 1. ) Creditanstaltsgesetz. Für den Heimatblock sprach Sepp Hainzl , der die nunmehrige Handlungsbereitschaft der Bundesregierung der Passivität im Fall der Betriebsstilllegungen bei der Alpine Montangesellschaft gegenüberstellte und die Frage aufwarf , nach welchen Kriterien die „gesamtwirtschaftliche Bedeutung“ eines Unternehmens festzulegen sei. Die Situation des Staatshaushaltes lasse solche übereilten Maßnahmen nicht zu , zudem widerspreche sie der liberalen Wirtschaftsauffassung , zu der sich die Bundesregierung ansonsten bekenne. Es sei nicht einzusehen , dass eine Bank , die am Niedergang des Gewerbes und der Landwirtschaft mitschuldig sei , mit dem Geld eben dieser Wirtschaftszweige saniert werden sollte. Für den Heimatblock stehe die Klärung der tatsächlichen Situation des Unternehmens durch einen Untersuchungsausschuss an erster Stelle , danach müsse den Konzernunternehmen der Creditanstalt durch staatliche Garantien geholfen werden. Die Sanierung der Bank sei ausschließlich von den Aktionären , der Familie Rothschild und der Nationalbank zu bezahlen. Die beiden diesbezüglichen Anträge von „Neustädter-Stürmer und Genossen“ [ sic ! ] zeigten , dass der Heimatblock in dieser Frage voll auf eine Konfrontation mit der Regierung setzte , während die Sozialdemokraten sich insgesamt eher vorsichtig verhielten.533 Die Belastung der Gesamtwirtschaft habe bereits eine Höhe erreicht , die weitere Maßnahmen nicht mehr zulässig erscheinen ließen , so Hainzl. Über die Bank müsse ein Konkursverfahren eröffnet werden , während die Konzernindustrien der Creditanstalt sowie andere notleidende Unternehmen durch staatliche Haftungen und Garantien gestützt werden sollten. Zur populistischen Untermalung seiner Argumentation verwies der Abgeordnete auf diverse Vorschläge des Heimatblocks u. a. zur Unterstützung der Landwirtschaft , die an Kosten von zwei Millionen Schilling gescheitert wären , während man nun offensichtlich bereit sei , für die Stützung einer Großbank viel größere Summen auszugeben.534 Die Debatte um das 2. Creditanstaltsgesetz535 am 28. Mai kann als 533 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 29. Sitzung , 13. 5. 1931 , S. 849 f. ( Rede Hainzl , Anträge Neustädter-Stürmer ). Zur Haltung der Sozialdemokraten in der Creditanstalts-Krise vgl. GOLDINGER /  BINDER , Geschichte , S. 181 f. 534 Es wiederholt sich das Argumentationsmuster des Nationalratswahlprogrammes , vgl. BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 423. 535 Mit dem 2. Creditanstaltsgesetz übernahm der Bund die Haftung für bestehende und zukünftige Kredite des Instituts , gab dem Hauptausschuss des Nationalrates jedoch quartalsweise die Möglichkeit , eine Höchstgrenze für die Gesamtsumme der Haftun-

b) Die Vertreter des Steirischen Heimatschutzes

181

Höhepunkt der parlamentarischen Bemühungen des Heimatblocks verstanden werden : Fünf der insgesamt sechs Fraktionsmitglieder hielten Reden gegen die Regierungsvorlage , ein einziges Mal konnte man sich tatsächlich die Rolle der Fundamentalopposition gegen alle Parteien zu Nutze machen und durch entsprechendes Auftreten Aufmerksamkeit gewinnen. Die Argumente waren wiederum ähnlich : Man wisse nicht , um welche Gesamtsumme es sich handelte , das Haus verfüge nicht über die notwendigen Informationen als Entscheidungsgrundlage ; schon das 1. Creditanstaltsgesetz habe den Run auf die Bank nicht verhindern können und das Vertrauen nicht wiederhergestellt. Die „Flickmaßnahmen“ der Bundesregierung seien in jedem Fall abzulehnen. Der Hauptredner des Heimatblocks in der bisweilen von Tumulten536 unterbrochenen Sitzung des Nationalrates war der Notar Franz Hueber537 aus Mattsee /  Salzburg ; in diesem Zusammenhang können seine Ausführungen repräsentativ für den gesamten Heimatschutz – auch den steirischen – eingehender betrachtet werden , zumal sich die „steirisch“ gesinnten Abgeordneten auf kürzere Wortmeldungen zu Einzelaspekten beschränkten. Hueber zog eine Verbindungslinie von der Creditanstaltsgesetzgebung zur „Unfähigkeit“ des Staates in wirtschaftlichen Fragen überhaupt. Er forderte den ständischen Staatsaufbau , wodurch eine „sachverständige“ Führung sichergestellt sei , eine starke Staatsgewalt , die der Einführung der Todessstrafe für Wirtschaftsverbrechen zustimmen und die Wirtschaft planmäßig (  ! ) aufbauen sollte.538 Die Ausführungen gen festzulegen. Vgl. die Ausführungen des Berichterstatters Abg. Weidenhoffer , Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 31. Sitzung , 28. 5. 1931 , S. 865 f. 536 Während der Rede des Heimatblock-Mandatars Neustädter-Stürmer tippte sich Bundeskanzler Ender an die Stirn und sagte „Sie sind ja von Sinnen !“ [ lt. Stenografischen Protokollen , S. 872 „Sind Sie bei Sinnen ?“ ] und verließ unter Beifall aller Fraktionen – mit Ausnahme des Heimatblocks – gemeinsam mit Finanzminister Juch den Sitzungssaal. Vgl. N. N. : Das Credit-Anstalts-Gesetz und die Arbeitslosenversicherungsnovelle erledigt. In : Neue Freie Presse , 29. 5. 1931 , S. 5. 537 Hueber war seit 1920 mit Hermann Göring verschwägert ; er brach 1933 mit Starhemberg und war während der NS-Zeit Präsident des Reichsverwaltungsgerichtes. Zur Person vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 240 ff. 538 „Was uns fehlt , daß ist zunächst ein großer Wirtschaftsplan für den Staat , das ist , [ … ] die Aufstellung eines wirtschaftlichen Rahmens , in dem sich die vaterländische Wirtschaft entwickeln soll , wohl die Einführung einer Art von gebundener Wirtschaft , nicht etwa von Sozialisierungen und kleinlichen Eingriffen in wirtschaftliche Einzelheiten ; aber die Verantwortlichkeit muss geschaffen werden , und auch die Möglichkeit , Schuldige zur Verantwortung zu ziehen [ … ] Alles , was zur Gesundung unserer vaterländischen Wirtschaft beitragen kann , muss rücksichtslos angegangen werden. [ … ] Wir sind immer diejenigen gewesen , die längst gesagt haben , dass wir einen ständischen

182

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“

Huebers sind in mancherlei Hinsicht bemerkenswert : Einerseits ist der Bezug zum Spann’schen Denken offensichtlich ( die „völkische“ bzw. „vaterländische“ Wirtschaft als einzige Bezugsgröße ökonomischer Betrachtungen , die Forderung nach einer „gebundenen“ (= korporatistischen ) Organisation ); andererseits weist der Appell an eine straffe „Wirtschaftsführung“ durch den Staat bereits darüber hinaus und nimmt Forderungen des Wirtschaftsprogrammes des NS-Verbündeten Kammerhofer aus dem Sommer 1932 vorweg. Wiederum erkennbar ist das Vertrauen auf die ordnende Kraft des „Führerprinzips“, das freilich kaum wirtschaftswissenschaftlich fundiert war und eher der politischen Mystik zuzurechnen ist.539 Für die sozialdemokratische Fraktion sprach Otto Bauer , der den Heimatblock heftig angriff und sich über das „würdige , von tiefer volkswirtschaftlicher Einsicht zeugende Auftreten“540 der Heimwehrfraktion erheiterte. Er begründete die Zustimmung seiner Partei zum 2. Creditanstaltsgesetz mit der Bedeutung der Bank für die Industrie und damit für die Mehrheit der österreichischen Arbeiter und Angestellten , mit der bereits erfolgten Staatshilfe , die es nun zu Ende zu führen gelte , um das bisherige öffentliche Geld nicht umsonst investiert zu haben und mit dem Bestreben der Sozialdemokraten , eine „österreichische Lösung“ des Creditanstaltsproblems zu ermöglichen und sich nicht zur Gänze in die Hand ausländischer Kapitaleigner zu begeben. Es handle sich bei den gesetzlichen Maßnahmen nicht um Geschenke an Kapitalisten , sondern lediglich um eine Garantie , die sicherstelle , dass geborgtes Geld rückbezahlt werden könne. Anton Rintelen , führender Förderer des Steirischen Heimatschutzes , stimmte in seiner Funktion als christlichsozialer Abgeordneter ebenfalls für das Gesetz und nannte in seinen 1941 erschienenen Erinnerungen die Aufbau in diesem Staate brauchen , damit die nötigen Sachverständigen stets zur Verfügung stehen [ … ]“. Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 31. Sitzung , 28. 05. 1931 , S. 868 f. 539 Mit dem „Führerprinzip“ der „völkischen“ Wirtschaftskonzepte nicht zu verwechseln ist die Tätigkeit des Unternehmers im marktwirtschaftlichen Prozess , der für sich keine höhere Einsicht in Anspruch nimmt , sondern lediglich mit der Methode des „trial and error“ neue Faktorkombinationen einsetzt. Unternehmerisches Handeln ist seinem Wesen nach individualistisch und spekulativ und wird laufend von den Handlungen anderer korrigiert. Zu den Grundlagen des Unternehmerbegriffs vgl. Joseph A. SCHUMPETER : Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Berlin , 1987 [ 1. Aufl. 1913 ]. 540 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 31. Sitzung , 28. 5. 1931 , S. 882 f.

b) Die Vertreter des Steirischen Heimatschutzes

183

Gefahr eines Zusammenbruchs von Wirtschaft und Währung als Hauptgründe für das Handeln der Bundesregierung ; in der Nachbetrachtung erscheine ihm jedoch eine Trennung der alten Forderungen ( die in ein eigenes Liquidationsverfahren eingebracht werden sollten ) von der Sicherstellung der Fortführung der Bank zielführender.541 Wenige Tage später führte der Abgeordnete Lengauer die Pläne des Heimatblocks zur „Wirtschaftsführung“ in einer Debatte über die Arbeitslosengesetzgebung etwas genauer aus. Vier Maßnahmen seien von einer starken Staatsmacht durchzusetzen : Erstens der „Schutz“ der heimischen Produktion vor ausländischer Konkurrenz – Lengauer nannte das Beispiel des Schneiderhandwerks , das durch Import von Fertigwaren in Bedrängnis gerate sowie die Kohlenproduktion , ein altes Thema des Heimatschutzes – zweitens die Arbeitsdienstpflicht ; drittens die Urbarmachung ungenutzten Landes und die Ansiedlung von Arbeitslosen , die dort als Selbstversorger wirtschaften sollten ; viertens müsse die Industrie auf nicht näher bezeichnete Weise „die Arbeitsmöglichkeiten mit den vorhandenen Arbeitskräften in Einklang [ … ] bringen“.542 Erst im Oktober 1931 – über fünf Monate später – wurde ein weiterer Debattenbeitrag des Heimatblocks zu wirtschaftspolitischen Fragen vermerkt ; Sepp Hainzl stellte sich hinter die „spontanen“ Forderungen protestierender Salzburger Bauern , deren Ähnlichkeit mit dem „Programm der Ständeorganisation Österreichs“ frappierend ist.543 Hainzl beantragte eine Abänderung der Devisenverordnung : Die Herausgabe ausländischer Zahlungsmittel zum Kauf von Luxusgütern oder für solche , die im Inland auch erzeugt wurden bzw. für die im Inland Substitute vorhanden wären , sei zu verbieten.544Am deutlichsten sichtbar wurde die parlamentarisch vertretene Wirtschaftspolitik des Heimatblocks in der Frage der Kohlenindustrie : Nach Vorbild der „Hauptstelle für Getreide- und Viehverkehr“ forderte der Heimatblock im Dezember 1931 ein ähnliches Amt zur Regelung des Kohlenmarktes sowie des

541 RINTELEN , Erinnerungen , S. 234 f. 542 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 34. Sitzung , 03. 6. 1931 , S. 947 f. Die letzte Äußerung ist wohl als Hinweis auf Kurzarbeit zu verstehen. Zur widersprüchlichen Haltung des Heimatschutzes zur Kurzarbeit vgl. Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit. 543 Zum „Programm der Ständeorganisation“ vgl. HOFMANN , Putsch , S. 190 ff. 544 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 53. Sitzung , 23. 10. 1931 , S. 1333 ff., hier bes. S. 1338 f. Die Auswirkungen dieser protektionistischen Maßnahmen auf die Preisbildung im Inland werden von Hainzl allerdings völlig außer Acht gelassen.

184

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“

Marktes für mineralische Brennstoffe.545 In der folgenden Sitzung wurde Lengauer – selbst bekanntlich Alpine-Arbeiter – noch deutlicher : Er forderte eine Absatzgarantie für die Kohlenproduktion. Die Devisenverordnung sei grundsätzlich ein geeignetes Instrument gewesen , durch den mangelnden Willen der Bundesregierung und durch die Herausbildung eines Schwarzmarktes und der Zahlung mit österreichischen Effekten für ausländische Kohle jedoch unwirksam geblieben. Der Entwurf des Heimatblocks zur Errichtung der Kohlenverkehrsstelle wurde nochmals detailliert vorgestellt und zeigt den Aufwand , mit welchem die Errichtung und Arbeit einer solchen Stelle verbunden gewesen wäre.546 Die „ständisch“ besetzte Kohlenverkehrsstelle wür545 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 60. Sitzung , 9. 12. 1931 , S. 1545. Antrag Lengauer /  Lichtenegger ( Z 207 / A ). 546 Auszug aus dem Gesetzesantrag des Heimatblocks : „§ 2 : ( 1 ) Die Österreichische Kohlenverkehrsstelle ist verpflichtet , für den Absatz der nicht im direkten Verkehr zwischen Erzeuger , Händler und Verbraucher umgesetzten inländischen Kohlenproduktion zu sorgen , beziehungsweise den Verbrauch an inländischen Brennstoffen mit allen geeigneten Mitteln zu fördern und dadurch eine Belebung der österreichischen Kohlenwirtschaft herbeizuführen. ( 2 ) Die Einfuhr mineralischer Brennstoffe , wie Steinkohlen und Braunkohlen aller Art sowie Gas- und Hüttenkoks , aus dem Ausland ist ausnahmslos nur mit Bewilligung der Österreichischen Kohlenverkehrsstelle zulässig. ( 3 ) Die Bewilligung zur Einfuhr ausländischer Brennstoffe darf lediglich erteilt werden für von der Wirtschaft benötigte Brennstoffe , die im Inland nicht erzeugt werden oder zur Deckung jenes Bedarfes an Brennstoffen , der durch die österreichische Produktion nicht befriedigt werden kann. ( 4 ) Von den Zollbehörden hat die Freigabe von aus dem Ausland eingeführten Brennstoffen nur dann zu erfolgen , wenn eine entsprechende Einfuhrbewilligung beigebracht wird. ( 5 ) Die Österreichische Kohlenverkehrsstelle hat alle zweckdienlichen Maßnahmen zu treffen , um einen möglichst weitgehenden Ersatz der ausländischen Brennstoffe in allen Verbraucherkreisen raschest in die Wege zu leiten. Sie ist ermächtigt , in Betriebe , die ausländische Brennstoffe im größeren Umfange verwenden , Fachleute auf dem Gebiete der Feuerungstechnik zum Studium eines Umbaues der Feuerungsanlagen zu entsenden. [ … ] Die Kommission hat die Vertreter der Bergbauindustrie und der verbrauchenden Industrie unter Beiziehung des Dampfkesselüberwachungsvereines zusammenzurufen , um die Möglichkeiten der Finanzierung von Rostumbauten gemeinsam zu erörtern. Der Neubau von Heizanlagen innerhalb des Bundesgebietes ist derart durchzuführen , dass die Verwendung inländischer Braunkohlen möglich ist. An diese Bestimmung sind Besteller und Lieferfirmen gebunden. Die Baubewilligungsbehörden sowie die Kesselinspektoren haben die Kontrolle , im Falle der Außerachtlassung dieser Bestimmung wird die Baubewilligung beziehungsweise die Benutzungsbewilligung nicht erteilt. Bei den Bundesbahnen , in allen öffentlichen Ämtern sowie in Bundes- , Landes- und Gemeindebetrieben darf dort , wo es sich nicht um Spezialerfordernisse ( wie Gaswerke , Schnellzuglokomotiven und ähnliches ) handelt , nur Inlandkohle verwendet werden [ … ] § 4 : Die Festsetzung der Höchstpreise für die verschiedenen Brennmaterialien obliegt nach Anhörung der maß-

b) Die Vertreter des Steirischen Heimatschutzes

185

de nach dem Gesetzesentwurf über weitgehende Vollmachten verfügen , die tief in die Sphäre des Unternehmers und des privaten Konsumenten reichten. Deutlich sichtbar ist in diesen Fällen die Widersprüchlichkeit der Heimatblock-Politik insgesamt : Einerseits wurde ständig gegen die „aufgeblähte“ Verwaltung polemisiert , andererseits schlug man die Errichtung eines überaus bürokratischen Außenhandels-Kontrollsystems vor , das ohne komplizierte Mechanismen der Bedarfsermittlung , Mengenabschätzung der Inlandsproduktion und Priorisierung der Devisenzuteilung wohl nicht ausgekommen wäre. Lengauers Antrag versuchte diesem Widerspruch zu entgehen , indem bestimmt wurde , dass die Tätigkeit der Ständevertreter in der Kohlenverkehrsstelle im Wesentlichen ( d. h. abgesehen von Fahrtkostenersatz und Ersatz des Verdienstentgangs ) ehrenamtlich sein sollte. Allerdings wäre ein Stab hauptberuflicher Mitarbeiter zur Wahrnehmung sämtlicher weitreichender Aufgaben unbedingt nötig gewesen , was die Gültigkeit der Kritik erneut bestätigt. Für die Heimatschutz-Mandatare griff Lengauer das wenige Tage später erlassene „Inlandbrennstoffgesetz“ als wirkungslos und zu wenig weitreichend an : Der Aufbau des nunmehrigen „Brennstoffbeirates“ sei nur teilweise am ständischen Gedanken orientiert , die Verpflichtung der öffentlichen Ämter zur Verwendung von Inlandskohle fehle vollständig und es gebe keine ausreichenden Strafbestimmungen bei Verstößen gegen das Gesetz. Schließlich seien die Durchgriffsmöglichkeiten des Ministers auf die Industrie ungenügend. Die Mehrzahl von Lengauers Abänderungsanträgen wurde abgelehnt und das Gesetz beschlossen.547 Auch in der Folgezeit griff der Heimatblock das Thema der Brennstoffversorgung auf , da man die Maßnahmen der Bundesregierung – wieder als „Beweis“ für die Untätigkeit des demokratischen Parteienstaates“ – als völlig unzureichend ansah.548 Nach Beginn der Regierunggeblichen Faktoren der obersten Bergbehörde.“ Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 60. Sitzung , 9. 12. 1931 , S. 1606 f. 547 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 66. Sitzung , 18. 12. 1931 , S. 1833 ff. Lengauer akzeptierte , dass sein Vorschlag staatsmonopolistische Züge hatte : „Die Verkehrsstelle ist auch eine gewisse Monopolstellung des Staates , nur mit dem Unterschiede , daß man nicht dem Händler sein Handwerk unmöglich macht , sondern dem freien Handel , soweit es überhaupt im Interesse des Staates (  ! ! ) notwendig ist , freien Lauf lässt [ … ]“ ( S. 1834 ) Für die Legitimation des „Durchgriffsrechtes“ des Staates gegenüber der Wirtschaft bei Othmar Spann vgl. MAASS , Weg , S.  92 f. 548 In einer dringlichen Anfrage am 4. 2. 1932 stellte man seitens des Heimatblocks fest , das bestehende Gesetz biete „nicht genügende Handhaben [ … ] um eine ausreichende Beschäftigung im Kohlenbergbau sicherzustellen“. Es ist davon auszugehen , dass das Kohlen-Thema nicht zuletzt auf Drängen der Alpine Montangesellschaft so nachdrücklich

186

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“

beteiligung im Mai 1932 , die von der unsicheren Haltung Ebners und Hainzls abhing , trat der Parlamentsklub praktisch nicht mehr in Aktion.549 Zu verzeichnen ist allenfalls noch eine Wortmeldung Hainzls im August 1932 , als er feststellte , dass er „und vielleicht (  ! ) auch mein Kamerad Ebner“550 gegen die Lausanner Anleihe stimmen würden , und sich gegen Pressemeldungen , wonach er mit Starhemberg in einem Rechtsstreit liege , wehrte. In der berühmt gewordenen Debatte vom 4. März 1933 , dem die „Selbstausschaltung“551 des Parlaments folgte , forderte Hainzl im Namen des Steirischen Heimatschutzes Neuwahlen und stimmte in der Frage des Bestrafung der Verantwortlichen für einen Eisenbahnerstreik gegen die Regierung.

c) D  er Vertreter des Steirischen Heimatschutzes im Bundesrat Nach dem Ergebnis der steirischen Landtagswahl von 1930 stand dem Heimatschutz ( bzw. dem Heimatblock ) das Vorschlagsrecht für ein Mitglied des Bundesrates zu. Der Heimatschutz besetzte dieses Mandat mit Hans Tanzmeister , einem Bergingenieur der Alpine Montangesellschaft im Bergbau Köflach. Dieser blieb auch der einzige Vertreter des Heimatblocks – insbesondere der radikalen „steirischen“ Richtung , in der Länderkammer ; eine eigene Heimatblockfraktion bildete sich dort nicht.552 In seiner ersten Wortmeldung am 26. Juni 1931 nahm er zu einem Nationalratsbeschluss über die Erhöhung des Zolls für Kaffee und Tee Stellung. Die Zollerhöhung sei ein Anschlag auf die Kaufkraft der Massen und würde zu einer Verringerung des Konsums führen. Für viele sei der Kaffee ein Grundnahrungsmittel geworden , eine Zollerhöhung würde sich demnach unmittelbar auf ihre Lebensumstände auswirken. Seine Ausführungen , die in die üblichen Tiraden gegen Parteienstaat und Misswirtschaft mündeten , sind insofern bemerkenswert , als sich ein führender Vertreter des vertreten wurde. Die ÖAMG hatte den Pfrimer-Putsch wenige Wochen zuvor mit einer außerplanmäßigen Zuwendung finanziert. Vgl. EDMONDSON , Heimwehr , S. 140 f. 549 Am 19. 5. 1932 erklärte der Steirische Heimatschutz seine „staatspolitische Unabhängigkeit“ vom Bundesverband , der sich zur Regierungsbeteiligung bekannte. Vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 68. 550 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode , 101. Sitzung , 23. 8. 1932 , S. 2636. 551 Vgl. GOLDINGER /  BINDER , Geschichte , S. 200 f. 552 Dies hinderte Tanzmeister nicht , in seinen Redenhäufig auf „meine Fraktion“ Bezug zu nehmen ; er meinte damit wohl den Nationalratsklub des Heimatblocks.

c) Der Vertreter des Steirischen Heimatschutzes im Bundesrat

187

Heimatschutzes direkt mit den Auswirkungen von Handelshemmnissen auseinandersetzte : Seine – zutreffende – Analyse , die er mit einem Beispiel des Kaffeezolls im Deutschen Reich illustrierte , steht freilich in schärfstem Gegensatz zur politischen Grundhaltung seiner Partei : Wie bereits mehrfach ausgeführt , setzte man sich zum „Schutz“ des inländischen Produzenten für hohe Zollschranken gegen das Ausland ein ; die Interessen der Konsumenten wurden jedoch weitgehend ausgeblendet. Nur in diesem Fall , wo kein inländischer Produzent im Interesse der „völkischen Wirtschaft“ vor dem Weltmarkt „geschützt“ werden musste , sah man die schädlichen Auswirkungen einer solchen Politik für Konsumenten.553 Die Orientierung an den Bedürfnissen des Verbrauchers , die als zentrales Element marktwirtschaftlicher Prozesse zu betrachten ist , fehlt in den Publikationen des Spann-Kreises im Umkreis des Heimatschutzes völlig ; die Stände werden als kompetente Institutionen zur Lenkung von Bedarf und Produktion angesehen. Die „planmäßige Beeinflussung des Bedarfes“ durch die Stände werde in einem territorial begrenzten Wirtschaftsgebiet , das dem „unübersichtlichen“ Freihandelssystem entgegengesetzt wird , ungleich einfacher zu bewerkstelligen sein , versichert etwa Walter Heinrich.554 Wenige Wochen später sprach Tanzmeister wieder ganz im üblichen Sinne des Heimatblocks , wenn er die wirtschaftliche Erholung Österreichs von protektionistischen Maßnahmen abhängig machte : „In diesem Sinne möchte ich meiner Meinung dahin Ausdruck verleihen , dass wir nur eine Möglichkeit erblicken , unserem schwergeprüften Volke wieder aufzuhelfen , und diese eine Möglichkeit besteht im Schutze unserer Wirtschaft , im Schutze unserer Produktion. Dann wird der Schutz unseres Volkes und unserer Heimat von selbst gegeben sein.“555 553 Stenografische Berichte über die Sitzungen des Bundesrates , 163. Sitzung , 26. 6. 1931 , S. 1717 ff : „Das Volk wird ebenso wie bei der Frage des Kaffeezolles auch bei allen anderen Zöllen kein Verständnis für die Belastungen haben , die Sie den breiten Massen der Bevölkerung noch auferlegen wollen.“ ( S. 1718 ). In derselben Rede griff der Bundesrat die ÖBB wegen der Verwendung ausländischer Kohle an. Der nächste Redner , Bundesrat Zangl ( Landbund ), bezeichnete Tanzmeisters Angriffe als „Wirtshausreden der schlimmsten Sorte“. Vgl. auch N. N. : So vertritt der Heimatschutz das Volk ! Kamerad Ing. Tanzmeister im Bundesrat. In : Der Panther , 11. 7. 1931 , S. 2 f. In einer späteren Rede rechtfertigte der Bundesrat die Belastung der Konsumenten mit der Pflicht der Stände , sich „gegenseitig beizustehen“. ( Stenografische Berichte , S. 1984 ). 554 Vgl. HEINRICH , Staat , S. 9 ff. sowie S. 35 f. 555 Stenografische Berichte über die Sitzungen des Bundesrates , 168. Sitzung , 3. 10. 1931 , S. 1758.

188

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“

Die Widersprüche zwischen beiden Wortmeldungen desselben Abgeordneten zum selben Themenkomplex im Abstand von nur wenigen Wochen sind augenfällig. In ähnlicher Weise forderte Tanzmeister im Zusammenhang mit dem Import ausländischer Kohle – einem bereits wohlbekannten Thema des Steirischen Heimatschutzes – eine zusätzliche Einfuhrabgabe , deren Aufkommen dem Bergbaufürsorgefonds zukommen sollte. Die Regierung habe die Interessen des heimischen Kohlenbergbaus an das Ausland „verkauft“ und sei daher zu energischen Maßnahmen nicht in der Lage. Eine Importabgabe würde zu einer Förderung der inländischen Erzeugung , somit zu höherer Beschäftigung und einer Verminderung der Belastung des Fürsorgefonds führen , argumentierte Tanzmeister. Diese Politik würde auch den Konsumenten nützen , da die höhere Kaufkraft der nunmehr beschäftigten Arbeiter zu berücksichtigen sei und durch „entsprechende Maßnahmen“ die Gestehungskosten heimischer Kohle gesenkt werden könnten , darüber hinaus habe sich der Handel „mit einem bürgerlichen [ sic ! ] Gewinn [ zu ] begnügen“.556 Es stellt sich freilich die Frage , warum solche „Maßnahmen“ von einem Wirtschaftszweig , der sich der ausländischen Konkurrenz zukünftig nicht mehr stellen muss und im Inland insbesondere während der 1920er-Jahre eine gewisse Tendenz zur Konzentration aufwies ,557 überhaupt durchgeführt werden sollten. Auch in einem anderen , politischen Zusammenhang sind Tanzmeisters Auftritte im Bundesrat von Bedeutung. Im Gegensatz zu Rauter und Meyszner , die sich als Vertreter einer „völkischen Erneuerungsbewegung“ betrachteten , sprach sich Tanzmeister offen für den Faschismus aus , den er freilich weniger ideologisch als machtpolitisch verstand , wie aus seiner gewohnt drohenden Rede hervorgeht : „Ich erkläre Ihnen hier als Vertreter der Steiermark [ … ], daß die Linie zum Faschismus , zu jener Staatsform , die uns allein aus dem Sumpf herausbringen kann , die einzig mögliche ist , um auch Ihnen einmal , meine Herren von der Linken , das Handwerk legen zu können. [ L achen links ] Sie lachen heute , aber Sie werden immer weniger lachen [ … ] Es wird sich nur eine Regierung halten , welche sich auf den Standpunkt einer straffen Wirtschaftsdiktatur stellt [ … ] Wir müssen es einmal klar heraussagen , daß wir nur mit den radikalen Methoden des aufbauenden nationalen Faschismus , welcher einmal all das ausräuchert , was Parteipolitik heißt , 556 Stenografische Berichte über die Sitzungen des Bundesrates , 175. Sitzung , 26. 2. 1932 , S.  1804 ff. 557 Vgl. HWALETZ , Montanindustrie , S. 146 , Abb. 29.

c) Der Vertreter des Steirischen Heimatschutzes im Bundesrat

189

und welcher ehrlichen deutschen Menschen wieder Platz schafft , die Wirtschaft wieder aufwärts bringen können.“558

Am Tag zuvor war Konstantin Kammerhofer zum neuen Landesleiter des Steirischen Heimatschutzes gewählt worden und hatte dessen Unabhängigkeit vom Bundesverband proklamiert , da er den „italienischen“ Kurs Starhembergs nicht billigte.559 Wenn sich nun gleichzeitig Tanzmeister zu faschistischen Methoden bekennt , ist dies vor allem auf dessen wirtschaftspolitische Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise zu beziehen : Die staatliche Kontrolle der Wirtschaft in Italien wurde ausgeweitet ( auf Kosten der Syndikate ), öffentliche Bauten wurden vorangetrieben sowie Reorganisation und Kartellbildung in der Industrie gefördert.560 Tanzmeisters scheinbarer Widerspruch zur Linie der Landesleitung kann daher auf die einfache Gegenüberstellung aktivistischer (= faschistischer ) und untätiger (= liberaler ) Wirtschaftspolitik reduziert werden , den er rhetorisch bekräftigte. Der Faschismus galt für den Steirischen Heimatschutz als Vorbild einer straffen „Wirtschaftsdiktatur“, auch wenn man sich vor allem außenpolitisch nicht an ihm orientieren wollte. Erneut sichtbar wird ein radikalisiertes Verständnis der wirtschaftspolitischen Rolle des Staates , das sich von Spanns Vorstellung einer „Oberaufsicht über die wirtschaftenden Stände“ wesentlich unterschied.561 Der Bundesratsabgeordnete des Steirischen Heimatschutzes nahm für den Verband gegen die Lausanner Anleihe Stellung , wobei die Argumente den im Panther veröffentlichten weitgehend gleichen ; Tanzmeister versuchte nochmals , auf das Volksbegehren gegen die Sanierung der Creditanstalt hinzuweisen , das als Beispiel für den „Volkswillen“, der von der Parteien ignoriert werde , gel-

558 Stenografische Berichte über die Sitzungen des Bundesrates , 176. Sitzung , 20. 5. 1932 , S.  1812 ff. 559 Vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 144 sowie S. 151 f. 560 Zur Wirtschaftspolitik im italienischen Faschismus vgl. PAYNE , Fascism , S. 224 ff. 561 Diese Radikalisierung kann einerseits auf die Verschärfung der wirtschaftlichen Situation und die damit einhergehende politische Ratlosigkeit , andererseits auch auf die schwierige Situation des Heimatschutzes zurückgeführt werden , der seit dem Frühjahr 1932 massiv von der NSDAP bedrängt wurde. Vgl. PAULEY , Hahnenschwanz , S. 138 f. Am 15. 6. 1932 sagte Tanzmeister , er sei hier um „den Willen der Steirer weiter zu verfechten , und stets den eindeutig nationalen Weg zu gehen , den Weg zur nationalen und faschistischen Volksgemeinschaft , die Volkswohl über Eigenwohl stellt.“ ( Stenografische Berichte , S. 1841 ). Man beachte die eigentümliche Mischung aus faschistischer , nationalsozialistischer und Heimwehr-Diktion.

190

5. „Parlamentarischer Kampftrupp“

ten könne.562 Das Gesetz über den freiwilligen Arbeitsdienst lehnte der Heimatschutzverband Steiermark ebenfalls ab , da es – auf nicht näher definierte Weise – den Kerngedanken des Arbeitsdienstes demokratisch-parlamentarisch „verwässert“ hätte und zu keiner Besserung der Lage der Arbeitslosen führen würde. Auffallend ist Tanzmeisters Rückgriff auf Spanns Begriff von der „Entfremdung“ des Arbeiters , die es mithilfe der Arbeitsdienstpflicht rückgängig zu machen gelte.563 Im April 1933 kam er nochmals auf die Situation des Kohlenbergbaues zu sprechen ; im Wesentlichen enthielt Tanzmeisters Resolutionsantrag die gleichen Maßnahmen wie der entsprechende Antrag im Nationalrat vom Dezember 1931 , den Lengauer eingebracht hatte ; jedoch in vielen Bereichen verschärft und erweitert. So sollten inländische Unternehmen (  ! ) dazu verpflichtet werden , mindestens die Hälfte ihres Kohlenbedarfes aus österreichischer Produktion zu beziehen , den Brennholzmarkt und den Heizöl-Import einzuschränken , um die Kohlenfeuerung nicht zu bedrängen und schließlich die „bureaukratischen Methoden in der Kohlenbewirtschaftung“ zu beenden und einen fachkundigen und umfassend bevollmächtigten Kohlenkommissär zu ernennen.564 Dieser einzige ernsthafte Versuch , einen Gesetzesantrag zu stellen , war teilweise von Erfolg gekrönt , in seiner nächsten Sitzung nahm der Bundesrat einige Punkte von Tanzmeisters Vorschlag an. Auch in seiner letzten Rede vor der Aberkennung seines Mandates nahm Bundesrat Tanzmeister nochmals zur Situation im Kohlenbergbau Stellung.

562 Stenografische Berichte über die Sitzungen des Bundesrates , 179. Sitzung , 19. 8. 1932 , S. 1922 ff. vgl. auch N. N. : Schwarz-rote Koalition im Bundesrat gegen Tanzmeister. In : Der Panther , 27. 8. 1932 , S. 2. 563 Stenografische Berichte über die Sitzungen des Bundesrates , 180. Sitzung , 20. 8. 1932 , S. 1931 ff. ( „Damit wollen wir aber nicht etwa zu einer neuen Rationalisierung in der Industrie kommen. Dazu ist der Arbeitsdienst nicht da. Er soll im Gegenteil die jungen Leute zur handwerklichen Arbeit zurückführen , er soll sie lehren , mit der Arbeit wieder in eine innere Bindung , in einen seelischen Kontakt zu kommen.“ ) 564 Stenografische Berichte über die Sitzungen des Bundesrates , 190. Sitzung , 4. 4. 1933 , S. 2122 ff., hier S. 2125.

c) Der Vertreter des Steirischen Heimatschutzes im Bundesrat

191

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie: Der „christliche Ständestaat“, der italienische Faschismus und der Nationalsozialismus – Wirtschaftspolitische Verbindungslinien zum Steirischen Heimatschutz In den bisherigen Abschnitten wurden die wirtschaftspolitischen Grundsätze und Forderungen der Heimwehrbewegung in der Steiermark sowie deren allgemeinpolitische und sozio-ökonomische Bezüge und Hintergründe dargestellt. Um das Bild zu vervollständigen scheint es geboten , es mit anderen mehr oder minder verwirklichten wirtschaftspolitischen Konzepten autoritärer Art zu vergleichen. Punktuell wurde bereits auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Heimatschutz-Ideologie und den Vorstellungen des „christlichen Ständestaates“565 , des italienischen Faschismus und des Nationalsozialismus eingegangen ; im vorliegenden Kapitel soll diese Untersuchung nun in umfassender Weise erfolgen. Der Sinn einer solchen Gegenüberstellung liegt nicht zuletzt darin , bestimmte Gemeinsamkeiten zu erkennen , die als Ausdruck einer Zeitstimmung bzw. eines Zeitgeistes betrachtet werden können. Dabei soll die Analyse sich auf den wirtschaftspolitischen Gehalt bzw. die wirtschaftlichen Implikationen der jeweiligen Gesellschaftskonzeption beschränken ; eine weiterreichende Erforschung allgemeinhistorischer oder politikwissenschaftlicher Zusammenhänge wäre im Rahmen dieser Arbeit nicht sinnvoll und darüber hinaus in wesentlichen Bereichen redundant.566 Untersucht werden sollen die jeweilige Bedeutung des Begriffes „Wirtschaft“, die Wirtschaftsorganisation ( insbesondere die Rolle des Staates und jene des Unternehmers sowie die Frage der Arbeitervertretung bzw. gewerkschaftlichen Organisation ) die Kritik an rein marktwirtschaftlichen und sozialistischen Konzepten sowie zuletzt die jeweilige Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise. Ebenfalls werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der verwendeten Terminologie herauszuarbeiten sein. Die untersuchten Ideologien sollen – wie dies schon beim Steirischen Heimatschutz versucht wurde – vor allem anhand ihrer eigenen Äußerungen 565 Zum Begriff „Austrofaschismus“ vgl. u. a. Norbert LESER : „auf halben Wegen und zu halber Tat …“ Politische Auswirkungen einer österreichischen Befindlichkeit. Wien , 2000 , S. 96 f. 566 Zur allgemeinen Einordnung der rechtsgerichteten Bewegungen in Österreich vgl. PAYNE , Fascism , S. 245 ff.

193

verstanden und beurteilt werden ; die Einarbeitung zeitgenössischer Quellen aus den 1920er- und 1930er-Jahren scheint daher geboten. Auf die verschiedenen Begriffe von „Faschismus“ soll nur dort eingegangen werden , wo es zum Verständnis der wissenschaftlichen Literatur notwendig ist.567 Ansonsten wird mit „Faschismus“ hier ausschließlich dessen italienische Ausprägung bezeichnet , da sie für die an dieser Stelle zitierten Äußerungen aus jener Zeit zweifelsfrei das jeweilige Referenzobjekt darstellten.

a) D  er Steirische Heimatschutz und der „christliche Ständestaat“: „Wenn der wirkliche nationale und wirtschaftliche Aufbau einsetzt, nicht das heutige, potemkinsche Bild …“ Die berufsständische Ordnung , die ab 1933 in Österreich aufgerichtet wurde und in der Verfassung vom 1. Mai 1934 festgeschrieben wurde , wurde vor allem von der katholischen Soziallehre jener Zeit beeinflusst. Die Rezeption der päpstlichen Enzyklika Quadragesimo anno ( 1931 ) wurde in Österreich maßgeblich vom Wiener Theologen Johannes Messner beeinflusst , dessen Bücher ( Die soziale Frage der Gegenwart , 1934 ; Die berufständische Ordnung , 1936 ) als zentrale ideologische Äußerungen der „austrofaschistischen“ Zeit zu betrachten sind.568 Messner betrachtet ( ähnlich wie Spann ) die Stände als zentrale Institutionen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Er trifft eine semantische Unterscheidung zwischen „totalem“ und „autoritärem“ Staat. Der „totale“ Staat übernimmt sämtliche gesellschaftlichen Steuerungsaufgaben , da die Staatsmacht von den Eigeninteressen bestimmter ( wirtschaftlicher ) Interessen beherrscht wird , die den staatlichen Machtapparat zur Durchsetzung ihrer Politik benutzen. Dem „autoritären“ Staat ist hingegen nach Messner eine reine 567 Z. B. schreibt PAULEY , Hahnenschwanz , S. 10 , dass alle Heimwehrfraktionen in Österreich als „faschistisch“ bezeichnet werden können , bezieht sich dabei jedoch auf den „maximalistischen“ und daher wenig aussagekräftigen Faschismus-Begriff von Ernst Nolte ( Faschismus als Epochenbegriff für die Zeit 1922–1945 ). Eine entgegengesetzte Ansicht vertritt WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 267 ff. 568 Zum Einfluss Messners auf Engelbert Dollfuß vgl. Ludwig REICHHOLD : Kampf um Österreich. Die Vaterländische Front und ihr Widerstand gegen den Anschluß 1933–1938. Wien , 1984 , S. 376 sowie Ernst HANISCH : Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des „Austrofaschismus“. In : Emmerich TALOS /  Wolfgang NEUGEBAUER : Austrofaschismus. Politik-Ökonomie-Kultur 1933–1938. Wien , 2005. S , 68–87 , hier S. 82.

194

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

Orientierung am „Gemeinwohl“ eigen , die seine eigene Tätigkeit zugunsten der einzelnen „arteigenen Gemeinschaften“ ( der Stände ) begrenzt.569 Gleichzeitig verfügt Messners autoritärer Staat über ein volles Durchgriffsrecht , dass sich auf die Tätigkeit der Stände auf allen Ebenen bezieht , d. h. er legt die Ziele fest und kontrolliert , ob sie auch erreicht wurden. Versagt die ständische Selbstverwaltung , habe der Staat das Recht und die Pflicht , die jeweiligen Aufgaben selbst zu übernehmen.570 Im Gegensatz zu Spann wird der „Staat“ bzw. die Gruppe der „Führer“ nicht selbst als Stand betrachtet , sondern als „Lebensgemeinschaft aller Stände“.571 Messners Wirtschaftsbegriff ist dem des Spann-Kreises ebenso ähnlich wie jenem des späteren Nationalsozialismus und kann mit dem ( nationalsozialistischen ) Diktum „Volkswohl vor Eigenwohl“ charakterisiert werden ; wobei das Ergebnis einer solchen Wirtschaftsweise der „egoistischen“ Marktwirtschaft jeweils entgegengesetzt wird. Messner beschreibt das Wesen der Wirtschaft in folgender Weise : „Volkswirtschaft ist die Wirtschaft des staatlich geeinten Volkes unter dem Gesetze des Gemeinwohles [ … ] Weithin war die Tatsache vergessen , daß das Staatsvolk durch gemeinsame Lebens- und Kulturaufgaben seiner Glieder [ … ] verbunden ist , dabei vor allem die ihm eigenen Naturgüter ausnützen und die ihm eigenen Kräfte entfalten müsse und sich so die Freiheit in der Hinordnung der Wirtschaft auf die ihm durch Anlage und Geschichte vorgesehenen kulturellen Ziele zu sichern habe.“572 569 Vgl. Johannes MESSNER : Die berufständische Ordnung. Innsbruck–Wien–München , 1936 , S. 69 ff. Messners Vorstellung vom „totalen Staat“ bezieht sich offen auf die Pluralismus-Theorie von Carl Schmitt ( Staatliche Macht als „Beute“ im Kampf der Interessensgruppen ). 570 MESSNER , Ordnung , S. 71. Hier wird ein erster Widerspruch deutlich : Der „totale“ Staat habe sich gebildet , weil die „natürlichen Ordnungen“ zerbrochen waren ; in der Gegenwart sind diese jedoch anscheinend wieder vorhanden und in der Lage , sich selbst zu verwalten. Die Frage , ob der berufsständischen Ordnung damit eine gewissermaßen „natürliche“ Tendenz zum „totalen Staat“ innewohnt ( durch Übernahme immer weiterer Aufgaben der Stände ), lässt Messner unbeantwortet. 571 Zum allgemeinen Verständnis des „Staates“ vgl. jeweils MESSNER , Ordnung , S.  67 f. und SPANN , Staat , S. 256 f. 572 MESSNER , Ordnung , S. 94. Vgl. dazu den „Korneuburger Eid“ von 1930 : „Wir wollen durch eine bodenstarke und gemeinnützige Wirtschaft den Wohlstand unseres Volkes heben. Der Staat ist die Verkörperung des Volksganzen ; seine Macht und Führung wacht darüber , daß die Stände den Notwendigkeiten der Volksgemeinschaft eingeordnet bleiben.“ ( KOGELNIK , Jahrbuch , S. 43 ) Zum Folgenden vgl. auch MESSNER , S. 96.

a) Der Steirische Heimatschutz und der „christliche Ständestaat“

195

Messners Definition baut auf das „überindividuelle Sein des Staates“ auf , welches er als tatsächlich vorhandene und wirksame Kraft betrachtet. Dem Staat gebührt daher ein Primat gegenüber der Wirtschaft , er hat aus dem „rechtverstandenen Gemeinwohl“573 heraus die Zielsetzungen der wirtschaftlichen Tätigkeit zu definieren. Diese Einstellung ist durchaus mit Spanns Konzeption der Wirtschaft als „Mittel für bestimmte Ziele“ gleichzusetzen : Beiden ist die Vorstellung eigen , es gäbe ein umfassendes gesellschaftliches System von Werthaltungen , die der Wirtschaft nicht nur den institutionellen Rahmen , sondern auch die hergestellten Produkte und Dienstleistungen vorgeben würden. Wirtschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Prozesse seien von „geistigen“ (= philosophischen ) streng zu trennen.574 Der rein instrumentelle Charakter der Wirtschaft zur Erreichung des ( staatlich definierten ) Gemeinwohles weist auf ein von Grunde auf illiberales Menschenbild hin : Der Marktprozess als Ausdruck individueller Selbstverwirklichung des „unternehmerischen“ Menschen im jeweils unterschiedlichen Handeln im Streben nach materiellem Wohlstand wird deutlich zurückgewiesen. Messner erkennt jedoch , dass auch der autoritäre Ständestaat auf den Einsatz des Einzelnen nicht verzichten kann ; die unternehmerische Initiative wird ebenso wie Wettbewerb und Privateigentum grundsätzlich bejaht , jedoch durch „berufsständischen Gemeinsinn“ geregelt. Die Verantwortung des Unternehmers gegenüber der Gesellschaft wird einerseits durch gesetzliche Maßnahmen ( z. B. Gesetze gegen „Preistreiberei“ ), andererseits aber auch durch die Herausbildung von „Berufsehre und Standesbewußstsein“ durch eine entsprechende Erziehung sichergestellt. Darüber hinaus seien einzig die berufsständischen Organisationen in der Lage , eine „Wettbewerbsmoral“ für die jeweiligen Wirtschaftszweige zu entwickeln.575 Die Kontrollmechanismen , welche von den Ständen entwickelt würden , seien sicherer , rascher und billiger , da sie – wiederum ein sichtbarer Zusammenhang mit dem ständischen Konzept des Heimatschut-

573 MESSNER , Ordnung , S. 6 f. 574 Vgl. SPANN , Fundament , S. 54 : „[ … ] daß die Wirtschaftswissenschaft es nur mit dem Gebäude der Mittel zu tun habe alles andere gesellschaftswissenschaftliche Denken aber mit den Zielen selbst , das heißt mit normativ ( apriorisch ) aufgebauten Gegenständen [ … ], daß also Wirtschaftswissenschaft und alle anderen Gesellschaftswissenschaften grundverschiedene Dinge sind.“ 575 MESSNER , Ordnung , S. 105 ff. und S. 118 ff. ( „Im ständischen Bereiche muß ein Weg zur Ordnung des Wettbewerbs gefunden werden , der ebensoweit entfernt ist von einer Reglementierung des Marktes wie von der der individualistischen Wirtschaft vorgeworfenen Anarchie des Marktes“, S. 125 ).

196

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

zes576 – im Wesentlichen auf ehrenamtlicher Basis funktionieren sollten. Die Sicherstellung des Wettbewerbs soll durch berufsständisch besetzte Kommissionen von Sachverständigen erfolgen , die durch eigene Kalkulationen und Vergleiche mit Auslandspreisen. Ebenfalls ist nach Messner die berufsständische Ordnung dazu geeignet , die wirtschaftliche Dynamik zu verringern (  ! ), indem die Wirtschaft wieder unter den „Kulturgedanken“ unterstellt wird , der eine „Rückbesinnung auf die wahren wirtschaftlichen Werte , was zugleich eine Rückbesinnung auf die wahren kulturellen Werte sein wird [ … ]“577 auslösen würde. Die berufsständische Wirtschaftspolitik habe die „Übersichtlichkeit“,578 die „Durchsichtigkeit“ und die „Gleichmäßigkeit“ des Marktes sicherzustellen ; auch eine Investitionskontrolle durch berufsständisch besetzte Kommissionen unter besonderer Bevorzugung von Kleinbetrieben sei anzuraten , da eine möglichst hohe Zahl an selbstständig Erwerbstätigen jedenfalls erwünscht sei. Die Kreditvergabe sollte durch den Kreditmarkt erfolgen , eine „berufsständische Planwirtschaft“ wird – analog zur „sozialistischen Planwirtschaft“ – abgelehnt ; auf dem Kreditmarkt sollten jedoch im gleichen Sinne die Prinzipien Verantwortung und Kontrolle durchgesetzt werden. Auch hier sollten kleine und mittelgroße Finanzinstitute gefördert werden , um „die beherrschende Stellung des anonymen Finanzkapitals zu beseitigen [ … ]“.579 Die Kreditlenkung sollte sich am volkswirtschaftlichen Interesse orientieren , welches jedoch ausdrücklich vom Kriterium der „privatwirtschaftlichen Rentabilität“ unterschieden wurde. Der Staat und die Stände hätten strategische Richtlinien vorzugeben , sich in die Kreditvergabe in konkreten Einzelfällen jedoch nicht einzumischen. Ständische Eigeninteressen seien hintanzuhalten , da sie auch zu bewusster Förderung einzelner Wirtschaftszweige auf Kosten des Gemeinwohls führen könnte. Die Preisfindung für Güter und Dienstleistungen sollte ebenfalls auf dem Wettbewerbsmarkt erfolgen ; Mindest- und Höchstpreise seien abzulehnen , da die Gefahr bestünde , dass die Preispolitik zum Mittel der Durchsetzung von Gruppeninteressen würde und dem Ge576 Vgl. etwa den Gesetzesantrag zur Schaffung der „Kohlenverkehrsstelle“ in Kapitel 5 der vorliegenden Arbeit. 577 MESSNER , Ordnung , S. 137. 578 Zur Vorstellung , die rein marktwirtschaftliche Ordnung leide an einem Mangel an Überschaubarkeit vgl. HEINRICH , Staat , S. 9 f. 579 MESSNER , Ordnung , S. 145. Gut erkennbar das zeittypische Misstrauen gegenüber dem „anonymen Finanzkapital“ und anderen „überstaatlichen“ d. h. „unübersichtlichen“ Phänomenen , welches auch in der Heimatschutz-Ideologie eine wichtige Funktion hat. Vgl. dazu N. N. : Erläuterungen zu den zwölf Grundsätzen des Steirischen Heimatschutzes. In  : KOGELNIK , Jahrbuch , S. 45–49 , hier S. 48 f.

a) Der Steirische Heimatschutz und der „christliche Ständestaat“

197

meinwohl in deutlicher Weise abträglich werden könnte. Gleiches gelte auch für Löhne und Zinsen : Die berufsständischen Vertretungen hätten bei der Findung des „richtigen“ Lohnes insofern mitzuwirken , als der Lohn als Anteil am Ertrag der wirtschaftlichen Tätigkeit insgesamt zu verstehen sei. Höhere Löhne würden daher primär durch höhere Produktivität und allgemein durch wirtschaftliches Wachstum ermöglicht ; die Lohnpolitik müsse sich daher nach den Erfordernissen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit richten.580 Eine berufsständisch orientierte Konsumlenkung sollte die Kaufkraft hin zu Massengütern umlenken und dadurch deren Produktion verbilligen , während der Luxuskonsum nach Möglichkeit zu senken sei.581 Zentral für Messners ständestaatliche Vorstellungen ist die Forderung nach der Eingliederung der Arbeiterschaft in die neue Ordnung , die durch Entfremdung und Entwurzelung in eine gesellschaftlich und geistig unerträgliche Lage gekommen sei. Diese „Entproletarisierung“ müsse gerade von den Berufsständen getragen und durch eine neue „Gemeinschaftsbindung“ erreicht werden. Eine ausdrückliche Konjunkturpolitik formulierte Messner nicht ; vielmehr würde die Gesamtheit der berufsständischen Ordnungs- und Kontrollmaßnahmen die gesamtwirtschaftlichen Schwankungen so weit reduzieren , dass eigentliche konjunkturpolitische Maßnahmen nicht notwendig seien.582 Die christlichsozial orientierten Vorstellungen Messners können insgesamt als eher „gemäßigte“ Variante autoritären Wirtschaftsdenkens bezeichnet werden , da den Marktkräften ein Spielraum gelassen wird , der in anderen „ständestaatlichen“ Konzepten – etwa jenem Spanns oder des Heimwehrfunktionärs ( Starhemberg-Flügel ) Odo Neustädter-Stürmer583 – nicht vorhanden ist. Ähnliche 580 MESSNER , Ordnung , S. 178 f. Es liegt nahe , Messners Ausführungen als Aufruf zur Zurückhaltung bei Lohnverhandlungen zu verstehen. ( Vgl. auch S. 199 f. ; wo argumentiert wird , dass die Steigerung der Produktivität als Obergrenze aller Lohnbewegungen gelten sollte ). 581 In Bezug auf Löhne und Preise ist ein deutlicher Unterschied zwischen Messner und Spann festzustellen. Vgl. SPANN , Staat , S. 294 ff. ( Forderung nach ständischer Festlegung von Löhnen und (  ! ) Preisen , die als „organische Preise“ sich von den reinen Marktpreisen unterscheiden können , wogegen für Messner die Stände hier nur eine beratende Funktion haben ( Spann bezieht sich u. a. auf das Beispiel der Buchpreisbindung ). Der Steirische Heimatschutz neigte bis zum Ende Spanns Auffassung zu ; einer Regelung durch den Marktmechanismus wird die Steuerung durch die Autorität der Stände und des Staates entgegengesetzt. Vgl. N. N. : Heimatschutz oder Parteienstaat. In : Der Panther , 2. 7. 1932 , S. 3. 582 Vgl. MESSNER , Ordnung , S. 154. 583 Vgl. Odo NEUSTÄDTER-STÜRMER : Die berufsständische Gesetzgebung in Österreich. Wien , 1936.

198

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

Gedanken wie Messner vertrat auch der Grazer Nationalökonom Josef Dobretsberger , der ebenfalls der katholisch-solidaristischen Schule zuzurechnen ist.584 Deutlich ausgeführt wird in jedem Fall die Ablehnung der Marktwirtschaft und der mit ihr verbundenen liberal-demokratischen , „westlichen“ Demokratie. Der Zusammenhang zwischen ständisch-autoritären Wirtschaftskonzepten und der damals ebenfalls noch politisch wirksamen klassisch liberalen Lehre ist in der Gesamtbetrachtung nicht gegeben , wie Ernst Hanisch feststellt : „Nichts wäre falscher , als in diesen Bildern bloße Manipulationen zu sehen , um das Kapital aus der ökonomischen Krise zu retten und die Profitrate der Unternehmer zu sichern. [ … ] Die dahinter liegenden Träume und Sehnsüchte sollten ernster genommen werden : die antikapitalistische , sozialreformatorische Sehnsucht , eine spezifische Konfliktunfähigkeit und Harmoniebedürftigkeit , die Sehnsucht , die fragmentierte Gesellschaft zu überwinden usw.“585

An der liberalen Lehre orientiert zeigt sich Messner allerdings in der Frage der Geldpolitik : Während Spann die Geschäftsbanken ( die als Fachbanken , also jeweils Handelsbanken , Agrarbanken etc. organisiert sein sollten ) auch zur Geldschöpfung im Sinne der Ausgabe von Banknoten befugt sieht , vertritt der Theologe die Quantitätstheorie des Geldes , wonach Inflation ein Missverhältnis zwischen Notenumlauf und umlaufender Warenmenge ist und fordert die Lenkung durch eine Zentralbank. Spann hingegen – der damit die inflationistische Politik des Heimatschutzes rechtfertigt – sieht Geld nicht als Tauschmittel , sondern als „Kapital höherer Ordnung“, das erst durch falsche Verwendung Inflation auslöst.586 Die Bedeutung der unternehmerischen Tätigkeit wird an der jeweiligen Verwendung des Begriffes „Wirtschaftsführer“ deutlich. Für Messner ist er synonym zu „Unternehmer“ und daher ist „Wirtschaftsführung“ als Aufgabe des 584 Zu Dobretsberger vgl. Peter AUTENGRUBER : Univ. Prof. Dr. Josef Dobretsberger. Vom Bundesminister für soziale Verwaltung zum Obmann der Demokratischen Union. In : Jahrbuch des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands , Wien 1996. 585 HANISCH , Katholizismus. In : TALOS /  NEUGEBAUER , Austrofaschismus , S. 82. Die prominentesten Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie , Ludwig v. Mises und Friedrich August Hayek , verließen 1934 bzw. 1932 das Land. 586 Vgl. SPANN , Fundament , S. 217 f : „Papiergeldvermehrung als solche wirkt noch nicht preiserhöhend , sondern erst die in ihr beschlossene Verwendung. [ … ] Nach der Richtung , nach der Weise seiner Leistungen ist das neuausgegebene Geld zu beurteilen.“ Zu Messners Kritik vgl. MESSNER , Ordnung , S. 306 , Anm. 20.

a) Der Steirische Heimatschutz und der „christliche Ständestaat“

199

Einzelnen zu sehen , die von den Ständen lediglich koordiniert und auf das vordefinierte „Gemeinwohl“ hin ausgerichtet wird. In der Praxis des „Ständestaates“ 1933 bis 1938 führte dies jedoch zu einer stark interventionistisch und zentralistisch geprägten Wirtschaft , die den industriellen Aufbau sowie insbesondere den Großhandel zugunsten des „ständisch“ organisierten Gewerbes behinderte.587 Der Spann-Kreis sah die gesellschaftliche „Führung“ als zentrale Aufgabe des neu aufzubauenden ständischen Staates.588 Spann selbst bezeichnete in einem Zusatz zur vierten Auflage seines „wahren Staates“ ( 1937 ) die Wirtschaft in Österreich noch als zu wenig autoritär , insbesondere die „Wirtschaftsführung“ durch den Staat sei ungenügend ; dieser habe seine organisatorische Leistung als „Kapital höherer Ordnung“ in den Wirtschaftskreislauf einzubringen.589 Der Steirische Heimatschutz ging noch über die Auffassungen der Richtung Spann-Heinrich-Riehl hinaus , wenn er in seinem offiziellen Organ eine Zeit voraussah , in welcher den „Wirtschaftsführern“ „die Zügel entrissen sind“ und „durchgreifende Zwangsmaßnahmen für die Wirtschaft“ von der Regierung durchgeführt würden.590 Die wirtschaftliche Praxis des „austrofaschistischen“ Staates war vor allem durch die nachdrückliche Förderung der Landwirtschaft durch umfassende protektionistische Maßnahmen gekennzeichnet , wie sie der Steirische Heimatschutz schon seit den 1920er-Jahren gefordert hatte und die im Zuge der Weltwirtschaftskrise umfassend eingeführt wurden. Hinzu kamen volkswirtschaftlich kostspielige Programme zur Preisstützung und Exportförderung , die schließlich in Produktionseinschränkungen und der Einführung planwirtschaftlicher Muster mündete. Dadurch stiegen die Preise der landwirtschaftlichen Produkte und erreichten schließlich ein Niveau , das als konsumschädigend zu bewerten ist.591 Die Handelsbilanzdefizite wurden während dieser 587 Vgl. Gerhard SENFT : Anpassung durch Kontraktion. Österreichs Wirtschaft in den dreißiger Jahren. In : TALOS /  NEUGEBAUER , Austrofaschismus , S.  182–201 , hier S. 186 f. Hinzuweisen ist erneut auf den antimodernen Affekt der ständestaatlichen Idee und Wirtschaftspolitik. Vgl. auch Alois BRUSATTI : Österreichische Wirtschaftspolitik vom Josephinismus zum Ständestaat. Wien , 1965 , S. 128 ff. 588 Vgl. Hans RIEHL : Die Führung im Ständestaat. In : Der Panther , 10. 5. 1930 , S. 4. 589 SPANN , Staat , S. 332 : „Die Fähigkeit der Wirtschaft vom Staate geführt , gestaltet zu werden , wird erst durch den universalistischen Lehrbegriff des „Kapitals höherer Ordnung“ begreiflich gemacht. Dieser Begriff erklärt auch den Vorrang des Staates und die ständische Natur der Wirtschaft.“ 590 Olaf PETRI : Wirtschaftsführung ! In : Der Panther , 4. 4. 1931 , S. 3. 591 SENFT , Anpassung , In : TALOS /  NEUGEBAUER , Austrofaschismus , S. 190 f. Vgl. dazu die Forderung aus dem Nationalratswahlprogramm nach dem „Schutz der Inlandsarbeit“.

200

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

Zeit verringert , jedoch reduzierte sich das gesamte Außenhandelsvolumen ; es betrug 1936 etwas mehr als die Hälfte des Wertes von 1929. Die planmäßige Förderung des Außenhandels , wie sie etwa in den USA und im nationalsozialistischen Deutschland praktiziert wurde , war in Österreich nur in Ansätzen vorhanden und konnte den Verfall der Außenwirtschaft nicht verhindern.592 Insgesamt ist davon auszugehen , dass viele der eingeführten Maßnahmen zwar die grundsätzliche Unterstützung des Steirischen Heimatschutzes gefunden hätten , jedoch als zu wenig radikal und zielführend bezeichnet worden wären , wie schon aus der Agitation der Jahre 1932 und 1933 deutlich wird.593 Insbesondere das Festhalten der Regierung an Versatzstücken liberaler Ökonomie wie der unbedingt ausgeglichene Staatshaushalt und die Währungsstabilität594 ( „Alpendollar“ ) trennten die ständestaatliche Politik von den Vorschlägen und Forderungen des Heimatschutzes , der für eine wesentlich aktivere Rolle des Staates in allen Wirtschaftssektoren eingetreten war ; so blieb der Arbeitsdienst bis zuletzt freiwillig. Auch von den radikalen , populistischen Vorstellungen in Bezug auf eine Reform des öffentlichen Dienstes und der Staatsverwaltung ist in der Wirtschaftspolitik des Dollfuß-Schuschnigg-Staates nichts Wesentliches verwirklicht worden. Zudem ist festzustellen , dass auch der regierungstreue Flügel der Heimwehren an der konkreten Ausarbeitung des ständestaatlichen Programms der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg nur am Rande mitwirkte , was nicht zuletzt auf Starhembergs Desinteresse und die mangelnde innere Geschlossenheit der Bewegung zurückzuführen ist.595 Freilich finden sich inhaltliche und personelle Kontinuitäten , die gleichzeitig auf die fehlende Eindeutigkeit der Wirtschafts592 Vgl. BRUSATTI , Wirtschaftspolitik , S.  127 ff. 593 Vgl. N. N. : Für Volk und Wirtschaft ! In : Der Panther , 15. 4. 1933 , S. 1 f. „[ … ] wir haben auch an den jetzigen Systemparteien-Diktatur-Zuständen keine Freude , weil wir eben durchaus kein Vertrauen haben können. [ … ] Wenn der wirkliche nationale und wirtschaftliche Aufbau einsetzt , nicht das heutige , potemkinsche Bild , dann sind wir dabei , denn wir waren seit jeher die pflichtbewußten Träger für Volk und Wirtschaft und wollen es bleiben !“ Explizit genannt wurden die Untätigkeit der Regierung in Bezug auf die Zinshöhe und der gerade abgeschlossene Handelsvertrag mit Ungarn. 594 Für NEUSTÄDTER-STÜRMER , Ordnung , S. 48 ist das Geldwesen „ein erratischer Block rein liberalistischer Wirtschaftsauffassung [ der ] in unser ständisches Zeitalter hereinragt.“ 595 Vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 313 f. Zur wirtschaftspolitischen Konzeption des Starhemberg-Flügels vgl. auch : ÖSTERREICHISCHER HEIMATSCHUTZ-BUNDESFÜHRUNG ( Hg. ): Arbeitsbeschaffung. Ein Wegweiser wirtschaftlicher Notwehr. Wien , o. J. [ 1933 ]. Darin werden u. a. ein freiwilliger Arbeitsdienst und die Verminderung der Golddeckung der Währung gefordert , aber auch Infrastrukturinvestitionen , die durch

a) Der Steirische Heimatschutz und der „christliche Ständestaat“

201

politik596 im „Austrofaschismus“ hinweist : Der ehemalige Heimatblock-Abgeordnete im Nationalrat und Bundesminister Odo Neustädter-Stürmer , der als wesentlicher Ideologe des regierungstreuen Heimwehr-Flügels betrachtet werden kann ,597 sprach sich in seinem 1936 im Bundesverlag erschienenen Werk „Die berufständische Gesetzgebung in Österreich“ für eine „ständische Planwirtschaft“ aus , die durch gezielte Steuer- , Lohn- und Handelspolitik einen Rahmen für die wirtschaftliche Tätigkeit des Einzelnen entwickeln und durch „entsprechende Aufklärung“ die Produktion in die gewünschten Bahnen lenken würde. Schlussendlich würden Preise , Löhne und Produktion im „ständischen Wirtschaftsplan“ durch die Vertreter der jeweiligen Wirtschaftskörper festgelegt werden. Allerdings wies der Autor darauf hin , dass man von der vollständigen Durchsetzung einer solchen Wirtschaftsweise in Österreich noch weit entfernt sei.598 Ebenso wie der Steirische Heimatschutz trat nun auch ein führender Exponent der regierungstreuen Heimwehren für eine weitgehend interventionistische Politik ein ; wobei sich allerdings ein wichtiger Unterschied abzeichnet : Neustädter-Stürmer sah die direkte Einflussnahme des Staates auf die Wirtschaft allenfalls als unglücklichen Übergangszustand , der im wirklichen „Ständestaat“ ausgeschaltet werden würde ; die reine „Selbstverwaltung der Stände“ sei das eigentliche Ziel. Im steirischen Wirtschaftsprogramm aus dem Sommer 1932 wird ( ebenso wie im Programm der Ständeorganisation aus dem Jahr davor ) deutlich auf eine direkte „Wirtschaftsführung“ durch den Staat Bezug genommen , wobei Maßnahmen wie die umfassende Einführung von Mindestpreisen , Zinssenkungen und Importverbote – unabhängig von der Entwicklung ständischer Institutionen , auf die nicht näher eingegangen wird – als vordringliche Aufgaben des Staates betrachtet werden. Der Weg zur wirtschaftlichen Erholung soll „durch das vom Gedanken der Volksgemeinschaft getragene Zusammenwirken aller und durch die Einordnung in einen starken Staatswillen (  ! ! )“ bzw. durch

Kreditaufnahme als „Werks- und Arbeitsanleihe“ und Ausgabe von Gutscheinen finanziert werden sollten. 596 SENFT , Anpassung , In : TALOS /  NEUGEBAUER , Austrofaschismus , S. 185 : „Die unbestrittende Hegemonie einer bestimmten ökonomischen Denkschule in Österreich , bezogen auf die Zeitspanne 1934 bis 1938 , wird man allerdings vergeblich suchen.“ Die dort nahegelegte Gleichsetzung liberaler und autoritärer Wirtschaftspolitik ( v. a. in Oskar Morgensterns „Grenzen der Wirtschaftspolitik“ ) erscheint im Gesamtzusammenhang nicht nachvollziehbar. 597 Vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 356. 598 NEUSTÄDTER-STÜRMER , Ordnung , S. 46 f.

202

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

eine „volksbewußte , nationale Staats- und Wirtschaftsführung“599 erreicht werden. Aus dem bisher Gesagten kann daher geschlossen werden , dass der Steirische Heimatschutz sich seit seinem politischen Zusammenschluss mit der NSDAP vom Ständegedanken immer weiter entfernte – ohne dies freilich explizit zu sagen – und sich dem Kampf um einen totalitären „Volksstaat“ verschrieb , der weder der Eigeninitiative des Unternehmers noch dem lenkenden Eingriff der ständischen Organisationen Raum bieten würde. Es deutet sich demnach ein starker Zug zu jener Kommandowirtschaft ( „Wehrwirtschaft“ ) an , die in einer zeitgenössischen Analyse als zentrales Merkmal totaler Herrschaftssysteme angeführt wurde.600 Mit dem Grundgedanken des Ständestaates , wie ihn etwa Messner formulierte , hat ein solches Wirtschaftskonzept freilich nur noch die Ablehnung von Marxismus und Liberalismus gemein.601 Dem „austrofaschistischen“ Ständestaat mit seiner strukturkonservativen und antikapitalistischen Grundhaltung fehlte somit einerseits die umfassende ideologische Disposition , andererseits fehlten aber auch die politischen und wirtschaftlichen Mittel zu einer totalen Mobilisierung des volkswirtschaftlichen Potenzials nach dem Muster der „Wehrwirtschaft“, wenn man sich auch gelegentlich militärischer Metaphern bediente.602 Ebenfalls sollte die vielfach festgestellte Plan- und Ratlosigkeit als wesentlicher Faktor nicht ungenannt bleiben.603 Die Abkehr vom wirtschaftlichen Liberalismus blieb bruchstückartig und führte zu einer äußerst ungünstigen Situation , in der massive Agrarsubventionen und ideologisch begründete ungünstige Handelsverträge mit dem Deutschen Reich die Entwicklung von Handel und Industrie behinderten , während man gleichzeitig durch Steuererhöhungen den Staatshaushalt auszugleichen suchte und die Geldwertstabilität als unbedingtes Ziel festlegte. Der auch in diesem Fall feststellbaren „österreichi-

599 N. N. : Unser Wirtschaftsprogramm. In : Der Panther , 30. 7. 1932 , S. 4 sowie KOGELNIK , Jahrbuch , S. 48. 600 Peter F. DRUCKER : The End of Economic Man. The Origins of Totalitarianism. London , 2009 [ zuerst 1939 ], S. 140 ff. Die Thesen dieses Werkes – das erst kürzlich [ 2010 ] ins Deutsche übertragen wurde – werden im Folgenden noch genauer darzustellen und zu untersuchen sein. 601 Vgl. MESSNER , Ordnung , S. 62. ( „Ein Staat , der [ … ] seine Hinordnung auf die kleineren Gemeinschaften und auf die Einzelmenschen sowie seine Abhängigkeit von ihnen verneint und mit dem Totalitätsanspruch sich zum allein gültigen Wert machen will , der schneidet deshalb sich selbst die Lebenswurzel ab.“ ) 602 Vgl. SANDGRUBER , Ökonomie , S. 397 ff. 603 Vgl. WILTSCHEGG , Heimwehr , S. 318 f.

a) Der Steirische Heimatschutz und der „christliche Ständestaat“

203

schen Halbheit“604 setzte der Steirische Heimatschutz den „Anschluss“ und die totale ( Wirtschafts- )Diktatur entgegen.

b) D  er italienische Faschismus – Das heimliche Vorbild im Süden Der Einfluss des italienischen Faschismus auf die Heimwehrbewegung im Allgemeinen wurde bereits mehrfach untersucht ; neben der Frage der Finanzierung605 und der außenpolitischen Strategie Italiens in der zweiten Hälfte der 1920er- und ersten Hälfte der 1930er-Jahre606 ist auch der Einfluss auf die ideologische Entwicklung der Heimwehren im Allgemeinen von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Allerdings müssen hier jene bedeutenden Unterschiede innerhalb des Heimwehr-Spektrums , die bereits in der Einleitung als problematisch für eine solche Untersuchung genannt wurden , beachtet werden. Während die Starhemberg-Richtung des Heimatschutzes ( frühzeitig bereits der Tiroler Richard Steidle ) sich offen als „austrofaschistisch“ deklarierte und der Bundesführer selbst ein besonders enges Verhältnis zu Mussolini hatte ,607 war der Zugang des Steirischen Heimatschutzes in einigen Bereichen wesentlich differenzierter. Wie die Darstellung gezeigt hat , wurde am Faschismus italienischer Prägung vor allem die Errichtung eines illiberalen und nichtdemokratischen Regierungssystems , mithin das Streben nach der Macht und die Ausübung der Macht für vorbildlich gehalten. Die unterschiedlichen Konzepte des ständisch-korporativen Staatsaufbaus werden im Folgenden zu untersuchen sein. Besonders aber im Lichte der ungelösten Südtirolfrage608 und der allgemein aggressiven deutschvölkischen Grundhaltung des Verbandes sah der Heimatschutzverband Steiermark die allzu enge politische Kooperation mit dem faschistischen Nachbarn im Süden kritisch. Zu klären sind nun im 604 LESER , Wegen , S.  9. 605 Die genaueste Untersuchung hierzu ist KEREKES , Abenddämmerung. 606 Ziel der italienischen Außenpolitik war es , einen Block rechtsgerichteter Regierungen aus Italien , Österreich und Ungarn zu bilden. Vgl. dazu CARSTEN , Faschismus , S.  107 f. 607 Nach Ernst NOLTE : Der Faschismus in seiner Epoche. München , 1963 , S. 41 war Starhemberg „mehr ein Faschist als ein Aristokrat“. 608 Zu beachten ist insbesondere , dass die Heimatschutzführer Pfrimer ( Marburg ), Rauter ( Klagenfurt ) und Meyszner ( Graz ) nach damaliger Definition „Grenzlanddeutsche“ waren ; Landesleiter Konstantin Kammerhofer und Landesstabsleiter Otto Gallian hatten im Ersten Weltkrieg an der Isonzofront gekämpft ; der steirische NS-Gauleiter 1928– 1934 , Walther Oberhaidacher , war selbst gebürtiger Südtiroler.

204

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

Zusammenhang dieser Arbeit die wirtschaftspolitischen Bezüge der Heimatschutz-Programmatik zu Theorie und Praxis des Regierungssystems von Benito Mussolini. Auch in diesem Fall soll in erster Linie auf zeitgenössische Quellen zurückgegriffen werden , da sie – bei kritischer Auswertung und Überprüfung – einen direkteren Zugang zum Phänomen Faschismus erlauben als die später erschienenen Arbeiten theoretisch-reflektierter Art , die vor allem politikwissenschaftlich ausgerichtet sind.609 Besonders für die komparative Betrachtung und die Verwendung eines bestimmten Vokabulars sind die eigenen Äußerungen der jeweiligen Bewegungen bedeutsam. Der Wirtschaftsbegriff des italienischen Faschismus ist insofern mit den bereits dargestellten verwandt , als er sich klar für einen „Primat der Politik“ über die rein wirtschaftlichen Interessen hinaus aussprach. Wie Spann und Messner betrachteten auch faschistische Ideologen die Wirtschaft als System von Mitteln , die für bestimmte , durch die Nation und die Kultur festgelegte Ziele bereitzustellen seien. „Wer Liberalismus sagt , sagt Individuum , wer Faschismus sagt , sagt Staat. [ … ] Der faschistische Staat hat auch die Wirtschaft für sich zurückgefordert , und in ihr bewegen sich , in den Rahmen der körperschaftlichen Einrichtungen eingespannt , die sozialen und erzieherischen , politischen , wirtschaftlichen und geistigen Kräfte der Nation.“610 „Die gesamte wirtschaftliche Erzeugung bildet vom nationalen Gesichtspunkt aus ein Ganzes. Ihre Ziele sind einheitlich und erschöpfen sich im Wohlergehen der Einzelmenschen und in der Steigerung der nationalen Macht.“611

Die „Steigerung der nationalen Macht“ zum Ziel wirtschaftlichen Handelns zu erklären impliziert einerseits eine genuin faschistische Umschreibung des „Gemeinwohls“, andererseits hat die Staatsführung auf zweifache Weise die Definitionsmacht über dieses neue Kriterium wirtschaftlichen Erfolgs : Erstens ist eine Vergrößerung oder Verringerung der „Macht“ nicht unmittelbar objektiv festzustellen , sondern kann von der Staatsführung praktisch nach Belieben und jeweiliger Opportunität behauptet werden. Zum Zweiten hat die Regierung die Möglichkeit , Fälle festzustellen , in denen „Wohlergehen der Einzel609 Für einen Überblick über die gängigen Faschismustheorien vgl. Wolfgang WIPPERMANN : Faschismustheorien. Darmstadt , 1989 sowie PAYNE , Fascism , S. 441–461. 610 Benito MUSSOLINI : Der Faschismus. Philosophische , politische und gesellschaftliche Grundlehren. München , 1933 , S. 24 f. 611 Das Grundgesetz der Arbeit ( Carta del Lavoro ). In : Benito MUSSOLINI : Vom Kapitalismus zum korporativen Staat. Reden und Gesetze. Köln , 1936 , S. 87–94 , hier S. 87.

b) Der italienische Faschismus – Das heimliche Vorbild im Süden

205

menschen“ und die „Steigerung der nationalen Macht“ konfliktäre Ziele sind , und kann hier je nach Lage der Situation entscheiden. Diese semantischen Konzepte rechtfertigen damit theoretisch den totalen Durchgriff des Staates in der wirtschaftlichen Sphäre. Die Wirtschaftsverfassung basierte auf dem Grundgedanken des Korporatismus , der mit dem Gedanken des ständischen Staatsaufbaus im Wesentlichen gleichzusetzen ist.612 Die Unterscheidung von den ständischen Elementen der christlichen Soziallehre liegt darin , dass die einzelnen Stände bzw. Korporationen im Faschismus hauptsächlich als Ausführungsorgane staatlicher Macht betrachtet werden und nicht als autonom-subsidiäre Einheiten , die in ihrem Wirkungsbereich die Staatstätigkeit weitgehend ersetzen sollten.613 Diesen Unterschied , der im Charakter des faschistischen Staates als totaler Staat begründet liegt , sah der Spann-Kreis nicht als problematisch an. Heinrichs Kritik , auf die im dritten Abschnitt dieser Arbeit bereits näher eingegangen wurde , artikulierten Spann und Andreae in dieser Form nicht ; beide äußerten sich – bei weiter bestehenden philosophischen Unterschieden – in den frühen 1930er-Jahren positiv über das italienische Staats- und Wirtschaftssystem.614 Seine endgültige Form erhielt der italienische Korporatismus im Jahr 1934 , als die 22 nationalen Korporationen organisiert wurden ; seit 1926 hatten 13 Syndikate bestanden , die als Organe der staatlichen Verwaltung anerkannt wurden , jedoch einem Ministerium unterstanden , das ihre weitere Entwicklung überwachen und vorantreiben sollte.615 Die Korporationen , in welchen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam organisiert wurden , waren nicht nur als Körperschaften der ökonomischen Selbstverwaltung gedacht ; ihre Aufgabe lag insbesondere in der Herstellung des „Wirtschaftsfriedens“, d. h. im Verzicht auf Kampfmaßnahmen wie

612 Korporatismus. In : Manfred G. SCHMIDT : Wörterbuch zur Politik. Stuttgart 2004 , S. 388. : „[ … ] Bezeichnung für die politische und gesellschaftliche Ordnung eines zwangsmitgliedschaftlich verfassten autoritären Ständestaates und die ihm zugrunde liegenden politischen Ideen und Theorien ( „korporativer Staat. )“ 613 Zu den beiden unterschiedlichen Traditionen des Korporatismus ( „societal corporatism“ und „state corporatism“ ) vgl. PAYNE , Fascism , S. 38 f. 614 Vgl. Wilhelm ANDREAE : Staatssozialismus und Ständestaat. Ihre grundlegenden Ideologien und die jüngste Wirklichkeit in Rußland und Italien. Jena , 1931 , bes. S. 213 ff. sowie Othmar SPANN : Die Bedeutung des Ständischen Gedankens für die Gegenwart. Vortrag , gehalten am 9. 6. 1933 vor der „Confederazione Nazionale Fascista del Commercio“ in Rom. In : Othmar SPANN : Kämpfende Wissenschaft. (= Gesamtausgabe , Bd. 7 ), Graz ,1969 , S. 5–18. 615 Vgl. PAYNE , Fascism , S. 115 f.

206

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

Streiks oder Aussperrungen. Der hierarchische Charakter des italienischen Korporatismus wird aus Mussolinis Rede vom 14. November 1933 deutlich : „Heute tragen wir den wirtschaftlichen Liberalismus zu Grabe. Die Korporationen haben für das wirtschaftliche Gebiet die gleiche Bedeutung wie die Miliz und der Große Rat für das politische. Das Korporationssystem ist die disziplinierte und daher auch kontrollierte Wirtschaft , denn man kann sich keine Disziplin denken , die nicht auch unter entsprechender Kontrolle stehen würde. Das System der Korporationen überwindet den Sozialismus und den Liberalismus und schafft eine neue Synthese.“616 In der Praxis erwies sich der italienische Korporatismus als durchaus tragfähige Organisationsform , was vor allem auf die Ausschaltung des syndikalistischen Flügels der faschistischen Partei und die weitgehende Kooperationsbereitschaft der Unternehmerverbände zurückzuführen ist. Zudem waren durch die patriarchalische Unternehmenskultur in den großen Unternehmen sowie die erfolgreiche Durchsetzung der Idee von Arbeit als sozialer Verpflichtung617 des Einzelnen die entsprechenden Werthaltungen auf beiden Seiten gesellschaftlich wirksam.618 Die Unzufriedenheit der Arbeiterschaft mit den stagnierenden Reallöhnen und der tatsächlichen politischen Entmachtung durch die Korporationen erreichte nie eine Intensität , die für das Bestehen des Regimes gefährlich werden konnte , sodass deren Hauptziel , die Herstellung des „Arbeitsfriedens“, tatsächlich dauerhaft erreicht werden konnte.619 Mussolini meinte in der Entwicklung des Kapitalismus eine Tendenz zur Konzentration , zur Kartell- und Trustbildung beobachten zu können , die den freien Wettbewerb zugunsten der etablierten Unternehmen einschränkten. 616 Benito MUSSOLINI : Korporativer Staat. Zürich u. a., 1934 , S. 20. 617 Noch die heute gültige italienische Verfassung besagt : „Italien ist eine demokratische , auf die Arbeit gegründete Republik“ ( Art. 1 ) und enthält eine Pflicht , durch Arbeit zum materiellen und geistigen Fortschritt des Gemeinwesens beizutragen. ( Art. 4. ) Vgl. Verfassung der italienischen Republik. URL : http ://www.quirinale.it /  qrnw /  statico /  costituzione /  pdf /  costituzione_tedesco.pdf [ 21. 5. 2012 ]. 618 Rolf PETRI : Wirtschaftliche Führungskräfte und Regime. Interessen , Wertvorstellungen und Erinnerungsprozesse zwischen Konsens und Krise. In : Jens PETERSEN /  Wolfgang SCHIEDER ( Hg. ): Faschismus und Gesellschaft in Italien. Staat – Wirtschaft – Kultur. Köln , 1998 , S. 199–223 , hier S. 211 , spricht von einer „im ganzen erfolgreichen Institutionalisierung latent bestehender Regelkreise zwischen Markt , Staat und Unternehmen“, in welchem „dank ideologisch und bürokratisch ritualisierten Formen der Auseinandersetzung die Tätigkeit der Wirtschaft auf Basis des gesellschaftspolitischen Grundkonsenses vermittelt und orientiert werden konnte , ohne die Form einer Kommandowirtschaft anzunehmen“. 619 Vgl. LAQUEUR , Faschismus , S. 78.

b) Der italienische Faschismus – Das heimliche Vorbild im Süden

207

Schließlich seien auch die hohen Zollschranken eine Folge dieser Entwicklung. Dieser „Überkapitalismus“ habe begonnen , Staat und Mensch zu dominieren ; der kapitalistische Unternehmer habe sich vom wirtschaftlichen zum sozialen Einflussfaktor entwickelt. Aufgabe des Faschismus sei es , die Eigenarten der Menschen zu bewahren und ihre jeweilige soziale Rolle und Würde sicherzustellen , so Mussolini.620 Die Ablehnung der „zersetzenden“ Auswirkungen marktwirtschaftlicher Systeme kann durchaus analog zu den Vorstellungen des Spann-Kreises und dem Steirischen Heimatschutz ( „bodenständige und gemeinnützige Wirtschaft ) eingeordnet werden. Schließlich kann das faschistische Gedankensystem als extreme Ausprägung einer gegenaufklärerischen Geisteshaltung betrachtet werden : Mussolini begann als Anhänger des französischen Syndikalisten Georges Sorel , dessen Gegnerschaft zu marktwirtschaftlichen Systemen nur wenig ausgeprägt war , während er die politischen Gedanken der Aufklärung und des Liberalismus radikal ablehnte und bekämpfte.621 Tatsächlich war die wirtschaftspolitische Praxis des italienischen Faschismus in den ersten Jahren nach der Machtergreifung im Wesentlichen eine Fortsetzung der liberalen Politik der anderen Nachkriegsregierungen. Das Volumen der öffentlichen Haushalte wurde verringert und das öffentliche Defizit mit dem Finanzjahr 1924 /  25 vollständig unter Kontrolle gebracht ; es kam zur Reprivatisierung der Lebensversicherungen , der Telefongesellschaften , der Zündholzproduktion und verschiedener Kommunalbetriebe. Darüber hinaus kam es zu Steuersenkungen bei gleichzeitiger Ausweitung der Bemessungsgrundlagen. Der Faschismus kam 1922 in einer Phase des Aufschwungs an die Macht ; in den Folgejahren wurde die Industrieproduktion etwa in der metallurgischen Industrie bis zum Ende des Jahrzehnts ( freilich von einem niedrigen Wert aus ) verdoppelt. Der wirtschaftliche Aufschwung führte zu einem regelrechten Boom und schließlich einem Ansteigen der Inflation.622 In den Jahren 1925 / 1926 , als die faschistische Regierung ihre politische Macht weitgehend konsolidiert hatte , begann man mit einer stärker interventionistischen Wirtschaftspolitik , die zunächst aus der Notwendigkeit der Inflationsbekämp620 MUSSOLINI , Staat , S. 12 ff. 621 Vgl. Zeev STERNHELL : The Anti-Enlightenment Tradition. New Haven–London , 2010 , S. 410 f. Dort wird argumentiert , Mussolini habe eine nationale , kulturelle und moralische Revolution angestrebt und durchgesetzt , jedoch keine im engeren Sinne soziale bzw. wirtschaftliche. 622 Vgl. PAYNE , Fascism , S. 224 f. Die Inflation in Italien erreichte 1925 einen Wert von 14 %.

208

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

fung heraus entstand. In diesen Jahren , die – wie dargestellt wurde – auch der Zeitraum des ersten Aufschwungs der österreichischen Heimwehren waren , wurden zunehmend im engeren Sinne faschistische Maßnahmen durchgesetzt. Neben der Organisation der Syndikate 1926 ist besonders die Aufwertung der italienischen Lira zu nennen , für die ein Wechselkurs von 90 Lira zu einem britischen Pfund ( „Quota novanta“ ) festgelegt wurde. Charakteristisch für das faschistische Denken ist , dass der Wechselkurs aus Gründen des nationalen Prestiges wesentlich höher gesetzt wurde , als es der tatsächlichen Kaufkraft entsprach.623 Die Aufwertung führte – was nicht verwundert – zu einem Einbruch in den exportorientierten Wirtschaftszweigen , vor allem der Industrie. Schon 1925 wurden „Schutzzölle“ für die Getreideproduktion eingeführt ; es begann die „Getreideschlacht“ ( „battaglia del grano“ )624 , bei der es auch direkte Subventionen und technische Unterstützung für Landwirte gab , sollte dazu führen , die inländisch produzierten Mengen zu erhöhen und die Lebensmittel-Autarkie herstellen. Zudem sollte durch die höhere Produktion die Handelsbilanz ausgeglichen werden. Wie Stanley Payne bemerkt hat , war die „Getreideschlacht“ nur nominell erfolgreich ; sie führte zu höheren Brotpreisen für die Masse der Konsumenten und zu weitreichenden Fehlallokationen produktiver Ressourcen im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion und darüber hinaus.625 Die in jedem Fall negativen Auswirkungen einer solchen protektionistischen Politik hinderten die österreichischen bzw. steirischen Heimwehren freilich nicht , Maßnahmen nach ähnlichem Muster vorzuschlagen.626 Beginnend mit dem Jahr 1926 setzte der Staat eine Vielzahl interventionistischer Maßnahmen , zu der neben der langsamen Herausbildung des korporativen Systems auch die zentrale Steuerung des Arbeitsmarktes und die Gründung des „Instituzio Nazionale dell’ Esportazione ( Nationalen Ex623 Karin PRIESTER : Der italienische Faschismus. Ökonomische und ideologische Grundlagen. Köln , 1972 , S. 251 f. 624 Man beachte wiederum die Verwendung militärischer Metaphorik , die dem Charakter der „nationalen Mobilmachung“ etc. entspricht. 625 PAYNE , Fascism , S. 224 f. Dort werden die Aufwertung der Währung und die „Getreideschlacht“ als „the two most fascist or nationalist aspects of economic policy“ während der 1920er-Jahre bezeichnet. Eine andere Ansicht bezüglich der „Getreideschlacht“ vertritt Alexander NÜTZENADEL : Agrarpolitik , Marktordnung und Außenhandel im faschistischen Italien 1922–1940. In : PETERSEN /  SCHIEDER ( Hg. ), Faschismus , S. 281–306 , hier S. 290 f. ( Getreideschlacht als weitgehend wirkungsloses Instrument ; tatsächliche Erholung der Landwirtschaft durch Kostensenkungen der Produktionsmittel und Lohnsenkungen für die Arbeitnehmer im Agrarsektor. ) 626 Vgl. die Diskussion um den „Schutz“ der heimischen Kohlenproduktion , dargestellt in Kap. 4 und 5 dieser Arbeit.

b) Der italienische Faschismus – Das heimliche Vorbild im Süden

209

portinstituts ) und weitere Organe der wirtschaftlichen Kontrolle durch staatliche Autoritäten gehörten.627 Die italienische Wirtschaft entwickelte sich in den 1920er-Jahren in etwa im gesamteuropäischen Durchschnitt , auch die Tiefe des Einbruchs im Zuge der Weltwirtschaftskrise und die damit verbundene Massenarbeitslosigkeit wichen nicht wesentlich vom internationalen Trend ab. Als Reaktion auf die Krise wurden nicht nur die Korporationen weiter ausgebaut ; es erhöhte sich auch das Ausmaß der direkten Staatseingriffe. Über das Instituto Mobiliare Italiano , eine Staatsholding im Bereich der Finanzwirtschaft , übernahm der Staat ab 1931 laufend Anteile an wirtschaftlich gefährdeten Bankinstituten ; das zwei Jahre später geschaffene Instituto per la Ricostruzione Industriale ( Institut für wirtschaftlichen Wiederaufbau ) wurden Anteile an Industrieunternehmen übernommen und diesen neues Kapital zugeführt. Im Jahr 1939 kontrollierte der italienische Staat 21,5 % des gesamten inländischen Aktienkapitals , ein höherer Anteil an öffentlichem Eigentum war nur noch in der Sowjetunion zu verzeichnen.628 Über IMI und IRI kontrollierte der italienische Staat bald das gesamte Kreditwesen. Mit verschiedenen Gesetzen und Anordnungen wurden vor allem im Jahr 1936 die Banken unter eine strenge staatliche Aufsicht gestellt , die sich in allen Bereichen auswirkte.629 Die italienische Nationalbank wurde 1936 verstaatlicht. Das IMI vergab auch direkt mittelfristige Kredite , während das IRI laufend an Rettungsaktionen für Industrieunternehmen beteiligt war , die Schlüsselindustrien selbst ( nicht über das IMI ) mit Krediten versorgte und an der Restrukturierung der italienischen Industrie wesentlichen Anteil hatte.630 Damit zusammenhängend stieg der Staatsanteil am Bruttoinlandsprodukt , der 1934 erstmals das Niveau der vorfaschistischen Zeit überschritt. Diese interventionistischen Maßnahmen führten zu einer staatlich geförderten Unternehmenskonzentra627 Vgl. PRIESTER , Faschismus , S. 250 f. 628 PAYNE , Fascism , S. 225. 629 Vgl. N. N. : Der heutige Stand. Umschau und Ausschau. In : MUSSOLINI , Kapitalismus , S. 163–178 , hier S. 177 f. : „Die Funktionen dieser Behörde [ der Bankenaufsicht , Anm. ] sind außerordentlich weitreichend und umfassend ; wesentlich ist es , daß sie die Aufgabe hat , das gesamte nationale Kreditwesen zu kontrollieren und zu regeln , und damit besonders die Entwicklung der gesamten Industrie zu überwachen und nach den nationalen Interessen zu lenken [ … ] Die Aufgaben der Korporation für Versicherungsund Kreditwesen sind unmittelbar vom Staate übernommen worden.“ 630 Nach PRIESTER , Faschismus , S. 263 f. kontrollierte der Staat über das IRI und andere Institutionen im Jahr 1945 90 % des Bankwesens , 66 % des Bergbaus ( darunter 99 % der Kohlenproduktion ) und 47 % der Eisenindustrie ( darunter 65 % der Stahlproduktion ).

210

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

tion und über Rationalisierungsmaßnahmen zu bedeutenden Produktionssteigerungen ; der Wettbewerb im Inland wurde eingeschränkt , der Außenhandel zurückgedrängt und die privaten Unternehmen unter staatliche Aufsicht ( insbesondere Investitionskontrolle ) gestellt.631 Hinzu kamen Beschäftigungsmaßnahmen , die freilich weniger konjunkturpolitische als symbolisch-mythische Funktionen als sichtbare Zeichen des „nationalen Aufbaus“ hatten.632 In der Gesamtbewertung wurde ein Doppelcharakter der faschistischen Wirtschaftspolitik festgestellt : Einerseits sollten durch Rationalisierung und Modernisierung Produktionssteigerungen erreicht werden ; als wirtschaftspolitisches Zielsystem wurde der „Produktionismus“ gegenüber der Verteilungspolitik in jedem Fall betont.633 Zum anderen jedoch enthielt die faschistische Wirtschaftspolitik eine wirklichkeitsferne Komponente , die sich teilweise ähnlich wie im österreichischen Ständestaat in einem ausgeprägten ländlich-romantischen Wirtschaftsbild ausdrückte. Zusätzlich deutete der italienische Faschismus die Möglichkeit einer asketischen , militärisch organisierten Wirtschaft und Gesellschaft an , deren ökonomische Entwicklung in Hinblick auf die Vorbereitung kriegerischer Auseinandersetzung ausgerichtet sein sollte.634 Im Sinne der Wehrwirtschaft werden nicht-ökonomische Faktoren wesentlich stärker betont als ökonomische ; es wird schließlich versucht , die „totale Mobilmachung“ auf ideologischer Grundlage zu erreichen : „Submission under economic dependence , inequality of economic rewards , and discipline of mass-production industry are affirmed as serving not economic but military ends. Wehrwirtschaft treats the whole country as one army. It cannot tolerate any „civilian““635 Demnach konnte die Rhetorik des „nationalen Wiederaufbaus“ im faschistischen Italien eingesetzt werden , um die tatsächlichen wirtschaftlichen Nachteile dieses Systems zu überdecken : Die unternehmerische Tatkraft wurde durch die Einschränkung des Wettbewerbs massiv behindert ( z. B. musste die Neuerrichtung oder Erweiterung einer Produktionsstätte zuerst bei der jeweiligen 631 Zur Vorstellung des italienischen Faschismus als „Werkzeug der Großindustrie“ vgl. NOLTE , Faschismus , S. 590 , Anm. 25. 632 Beispielsweise zu nennen ist die umfassende Bodenmelioration und Neubesiedlung am Agro Pontino südlich von Rom. Vgl. Wolfgang SCHIVELBUSCH : Entfernte Verwandtschaft. Faschismus , Nationalsozialismus , New Deal 1933–1939. Frankfurt /  Main , 2008 , S. 133 ff. Ähnliche Bauprojekte wurden auch im Deutschen Reich ( Reichsautobahn ) und den USA ( Tennessee Valley Authority ) durchgeführt. 633 Vgl. PRIESTER , Faschismus , S. 243 f. 634 PAYNE , Fascism , S. 226. 635 DRUCKER , End , S. 145 f.

b) Der italienische Faschismus – Das heimliche Vorbild im Süden

211

Korporation beantragt und von dieser genehmigt werden ; bereits genannt wurden die Staatseingriffe in das Kreditwesen ); die Abhängigkeit der Privatinitiative von der vorherigen Autorisierung durch den Staat kann überhaupt als zentrale Norm der faschistischen Wirtschaftspolitik betrachtet werden.636 Die Output-Steigerungen in Italien sind daher nicht auf technologische Innovationen und Ablaufmodernisierung zurückzuführen , für die es durch die starke Kartellbildung und die relativ sinkenden Lohnkosten keinen Anreiz gab ;637 vielmehr ist hier auf den Geist der „Mobilmachung“ als ordnender bzw. motivierender Faktor hinzuweisen. Die Arbeitnehmer wiederum litten an den stagnierenden Reallöhnen und einem sinkenden Lebensstandard , der nicht zuletzt auf den Agrarprotektionismus und den durch die höheren Preise notwendig gewordenen Konsumverzicht und die gleichzeitigen Agrarexporte zur Devisenbeschaffung zurückzuführen ist.638 Vom österreichischen Ständestaat unterschied sich der italienische Faschismus einerseits durch die konsequente Errichtung des Ständesystems ( in Österreich wurden nur zwei von sieben geplanten Berufsständen tatsächlich organisiert ; neben dem Ständesystem blieb die Einheitsgewerkschaft bestehen ), andererseits aber auch durch die starken , nicht zuletzt macht- und militärpolitisch begründeten Eingriffe zum planmäßigen Aufbau einer autarken Industrie unter staatlicher Kontrolle. Der Steirische Heimatschutz nahm in seinen Publikationen von den Entwicklungen im faschistischen Italien kaum Notiz , während man sich ansonsten zur Politik anderer mitteleuropäischer Staaten bzw. Nachfolgestaaten der Monarchie regelmäßig äußerte. Neben der grundsätzlichen Fixierung auf die Geschehnisse im Deutschen Reich kann dieses auffällige Schweigen auch als Zeichen der Ratlosigkeit interpretiert werden : Einerseits war man mit den Grundtendenzen der faschistischen Wirtschaftspolitik durchaus einverstanden und betrachtete diese durchaus als Vorbild , andererseits wollte man aus Rücksicht auf „gesamtdeutsche“ Interessen nicht den Eindruck erwecken , mit der Unterdrückung Südtirols durch Italien einverstanden zu sein. Ein weiterer Vorteil dieser Zurückhaltung lag darin , dass man über praktische Nachteile des faschistischen Systems bzw. konkrete Einzelmaßnahmen schweigen konnte.639 636 Vgl. PRIESTER , Faschismus , S. 258 637 Dazu : A. J. GREGOR : Italian Fascism and Developmental Dictatorship. Princeton , 1984 , S. 161 ( zit. n. PAYNE , Fascism , S.  476 ). 638 NÜTZENADEL , Agrarpolitik. In : PETERSEN /  SCHIEDER , Faschismus , S. 303 f. weist insbesondere auf den sinkenden Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch , Obst und Gemüse hin. 639 Der Zusammenbruch der drei größten italienischen Banken im Jahr 1929 führte schließlich zur Gründung des IRI und also indirekt zu einer Verstaatlichung des größten Teils

212

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

Zu Beginn des Jahres 1933 löste sich diese Schwierigkeit durch die allmähliche Annäherung an den Nationalsozialismus und der Machtergreifung der NSDAP in Deutschland , der auch als wirtschaftlicher Neubeginn geradezu hymnisch gefeiert wurde.640 Aus den genannten Gründen fällt es schwer , den genauen Zusammenhang von Faschismus und Heimatschutz darzustellen. Einige Gemeinsamkeiten sind unbestreitbar festzuhalten : Die nationalistische Grundhaltung , die sich wirtschaftlich im Autarkiegedanken niederschlug ; der Versuch der Überwindung des Klassenkampfgedankens im korporativen System , das unter der Leitung eines starken Staates stehen sollte , sowie die Arbeitsdienstpflicht. Diese autoritären Ökonomiekonzepte wurden noch ergänzt durch die spezifisch faschistische641 Mischung aus rural-romantischer Rhetorik und einer Strategie der aggressiven Industrialisierung und Modernisierung.642

c) D  er Steirische Heimatschutz und die Wirtschaftspolitik des nationalsozialistischen Deutschland: Wehrwirtschaft und totaler Staat Die NSDAP und ihre wirtschaftspolitische Haltung sind im Zusammenhang mit der Thematik dieser Arbeit von besonderer Bedeutung. Nicht nur die „Kampfgemeinschaften“ vom Herbst 1931 und Frühling 1933 weisen auf die enge ideologische Verbundenheit hin ; auch die bereits erwähnten Treffen führender Heimatschützer mit Adolf Hitler schon in den Jahren 1926 und 1927 – zu einem Zeitpunkt , als die „Hitlerbewegung“ noch eine recht unbedeutende Splittergruppe war – zeigen , dass nicht nur punktuell Gemeinsamkeiten vorhanden waren. Zweifellos war die ideologische Entwicklung beider Gruppen in der Mitte der 1920er-Jahre gerade in ökonomischer Hinsicht noch nicht abgeschlossen , doch lassen sich bestimmte Entwicklungslinien beobachten. Die fehlende Präzision und Deutlichkeit gerade in wirtschaftspolitischen Fragen wurde von der Forschung als zentrales Merkmal aller im weitesten Sinne fa-

des italienischen Bankwesens führte. Vgl. PRIESTER , Faschismus , S. 260 f. Der Kontrast zum Kampf des Heimatschutzes gegen die Sanierung der Creditanstalt ist augenfällig. 640 Vgl. N. N. : Die Harzburger Front regiert ! In : Der Panther , 4. 2. 1933 , S. 1. 641 Vgl. PAYNE , Fascism , S. 471 ff. 642 Der Ausbau der inländischen Industrie sowie der Energie- und Brennstoffproduktion nehmen im Wirtschaftsprogramm von 1932 eine zentrale Rolle ein ( vgl. Kap. 4 ).

c) Der Steirische Heimatschutz und die Wirtschaftspolitik

213

schistischen Bewegungen bezeichnet ,643 und der Nationalsozialismus bildete hier keine Ausnahme. Neben dem bereits erwähnten 25-Punkte-Programm von 1920 , das über populistische Allgemeinheiten kaum hinausging , ist vor allem das Buch Der deutsche Staat auf nationaler und sozialer Grundlage von Gottfried Feder644 , zu nennen , das erstmals 1923 veröffentlicht und in überarbeiteter Form mit jeweils neuem Titel 1927 und 1931 neu aufgelegt wurde. Darin beschreibt Feder den wirtschaftspolitischen Grundsatz des Nationalsozialismus , für dessen Frühzeit er ( neben Adolf Hitler selbst ) als maßgeblicher Theoretiker gelten kann , in allgemeinen , dennoch für den Zweck dieser Arbeit aussagekräftigen Worten : „Höchste Verantwortlichkeit gegenüber dem Volk und gegenüber sich selbst ist die Grundlage nationalsozialistischer Staatskunst.,Gemeinnutz vor Eigennutz‘ lautet das oberste Gesetz des National-Sozialismus“

und „Die Aufgabe der Volkswirtschaft ist die Bedarfsdeckung und nicht eine möglichst hohe Rentabilität für das Leihkapital [ … ] Alle Deutschen bilden eine Werkgemeinschaft (  ! ) zur Förderung der allgemeinen Wohlfahrt und Kultur.“645

Daran schließt Feder das Bekenntnis zum Privateigentum im Allgemeinen an , das jedoch einzuschränken sei , um der „maßlosen Reichtumsanhäufung in den Händen Einzelner“ vorzubeugen und die Bekämpfung von „Wucher und Schiebertum , sowie die rücksichtslose Bereicherung auf Kosten und zum Schaden des Volkes“646 zu ermöglichen. Dieser nationalsozialistische Wirtschaftsbegriff , der während der NS-Herrschaft zu den bekanntesten Schlagworten zählen sollte , ist für sich genommen noch nicht besonders aussagekräftig , allenfalls wird implizit ein „Primat der Politik“ festgelegt , wie es für nichtliberale Wirtschaftsvorstellungen im Allgemeinen kennzeichnend ist , da das „Gemeinwohl“ 643 Vgl. PAYNE , Fascism , S. 10. 644 Gottfried Feder ( 1881–1941 ), gelernter Bauingenieur , war von 1924–1936 wirtschaftspolitischer Sprecher der NSDAP-Fraktion im Deutschen Reichstag , ab 1931 Vorsitzender des Wirtschaftsrates der Partei , 1933 Staatssekretär im Wirtschaftsministerium , ab 1936 Professor an der Technischen Hochschule Berlin. Zur Person vgl. Sonja NOLLER : Feder , Gottfried. In : Neue Deutsche Biographie ( NDB ), Bd. 5 , Berlin , 1961 , S. 42. 645 Gottfried FEDER : Der deutsche Staat auf nationaler und sozialer Grundlage. Neue Wege in Staat , Finanz und Wirtschaft. München , 1923 , S. 13 sowie S. 45. 646 FEDER , Staat , S. 45 f.

214

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

( ein Begriff , der ähnlich wie bei Spann647 trotz seiner Verwendung als ständiger Bezugspunkt nicht näher definiert wird ) über das persönliche Wirtschaftsinteresse des Individuum gestellt wird. In Verbindung mit den völkisch-nationalistischen Grundsätzen der Nationalsozialisten werden freilich verschiedene Folgerungen deutlich : Es wird ein bestimmter „Volkscharakter“ postuliert , der eine „schaffende“ ( d. h. realwirtschaftlich ausgerichtete , auf Fleiß etc. aufgebaute ) Wirtschaftsweise verlange , während das „jüdische Finanzkapital“ einzig eine „raffende“ ( auf Zinswirtschaft und Finanztransaktionen aufgebaute ) Tätigkeit entfalte , die sich gegen das „Gemeinwohl“ wende und daher rücksichtslos zu bekämpfen sei , während das Bekenntnis zum Privateigentum die „schaffende“ Tätigkeit des arbeitenden Menschen fördern sollte.648 Feder forderte eine Grenze für die Höhe des Eigentums und die besondere Förderung von Klein- und Mittelbetrieben in allen Wirtschaftssektoren , der gewerbliche bzw. kaufmännische Mittelstand und die Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft sind nach seiner Ansicht ebenfalls besonders zu fördern. Zur Bekämpfung der „Zinsknechtschaft“ werden radikale Maßnahmen ( u. a. die Verstaatlichung der Reichsbank und die Ausgabe zinsloser Kredite und Kassenscheine zur Finanzierung produktiver Investitionen ) vorgeschlagen. Es muss deutlich darauf hingewiesen werden , dass Feders Programmatik von anderen Publikationen mit ähnlich offiziellem Charakter ergänzt und abgeändert wurde , dazu kamen die Beteuerungen Hitlers , das 25-Punkte-Programm als solches sei die „unabänderliche“ Grundlage und die bis 1932 /  33 andauernden Machtkämpfe innerhalb der Partei.649 Aber bereits aus dieser groben Übersicht sind verschiedene Übereinstimmungen mit anderen zeitgenössischen Bewegungen , nicht 647 Vgl. Ferdinand A. WESTPHALEN : Nachwort. In : SPANN , Staat , S.  351–360 , hier S. 360. Nach Othmar PLÖCKINGER : Geschichte eines Buches : Adolf Hitlers „Mein Kampf“ 1922–1945“. München , 2006 , S. 340 , bes. Anm. 832 , stand Feder Mitte der 1920er-Jahre in engem Kontakt mit Spann ; anlässlich des Parteitages der österreichischen Nationalsozialisten im August 1925 kam es wahrscheinlich auch zu einer persönlichen Begegnung der beiden „Wirtschaftsreformer“. 648 FEDER , Staat , S. 21 f. In diesen Zusammenhang gehört auch das Schlagwort von der „Brechung der Zinsknechtschaft“, das sich bereits im 25-Punkte-Programm von 1920 findet und ebenfalls von Feder geprägt worden war. 649 Für einen Überblick über die Entwicklung der NS-Wirtschaftspolitik vgl. Henry Ashby TURNER , Jr. : German Big Business and the Rise of Hitler. New York , 1985 , S. 60–71 : „Anyone seeking to establish the economic policies of National Socialism on the basis of the public programmatic statements of Nazi spokesmen themselves faced a dizzying profusion of crosscurrents , right down to Hitler’s installation als chancellor in January 1933“. ( S. 70 ) Ähnliches kann freilich auch über die österreichische Heimwehrbewegung gesagt werden.

c) Der Steirische Heimatschutz und die Wirtschaftspolitik

215

zuletzt dem Steirischen Heimatschutz erkennbar : Der Kampf gegen Erscheinungsformen des modernen Kapitalismus und die romantisierende Vision650 einer Wirtschaft , die sich primär auf Landwirtschaft und Kleingewerbe stützen sollte sind ganz zentrale Merkmale , die besonders in Hinblick auf die negativen Nachkriegserfahrungen auch auf die „zersetzende“ westliche Demokratie angewandt werden. Im frühen Nationalsozialismus – den Ausführungen Feders und Alfred Rosenbergs651 – finden sich auch Verweise auf eine ständische Wirtschaftsorganisation ,652 die im ebenfalls parteiamtlich veröffentlichten Werk Grundzüge einer nationalsozialistischen Volkswirtschaftstheorie ( 1930 ) von Hans Buchner , Wirtschaftsredakteur des Völkischen Beobachters noch deutlicher abzeichnete. Buchners Ständestaat weist deutliche Gemeinsamkeiten mit den Konzepten des Spann-Kreises auf : Die Stände sollten nach Wirtschaftszweigen geordnet sein und jeweils Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinen. Eine hierarchische Organisationsform wurde angedacht , in der lokale Organisationen Abgeordnete in regionale Stände entsenden und diese wiederum nationale Organisationen bilden würden. Im neuen Staat müsse im Sinne der „Volksgemeinschaft“, die sich auf Unternehmensebene in der „Werk( s )gemeinschaft“ abbilde , auf die gängigen Praktiken des Arbeitskampfes wie Streik oder Aussperrung verzichtet werden. Im innerparteilichen Machtkampf unterlagen die ( zumeist völkisch-konservativ ausgerichteten ) Anhänger eines „Ständesozialismus“ allerdings ebenso wie der linke Flügel , der weitreichende Verstaatlichungen und direkte Eingriffe in das Wirtschaftsleben forderte ; es setzten sich die Vertreter einer gelenkten Wirtschaft – später offen als „Wehrwirtschaft“ bezeichnet – in der das Privateigentum und die bestehenden industrielle Strukturen zumindest formal si650 Vgl. nochmals BERCHTOLD , Parteiprogramme , S. 421 : „Auch der Arbeiter soll die Scholle lieben , der er entstammt. Wenn er aus dem Getöse des Maschinensaales heimkehrt , sollen ihm die Blumen seines Gartens entgegenleuchten.“ 651 Rosenberg , Schriftleiter der Parteizeitung „Völkischer Beobachter“, hatte 1922 ein erstes ausführliches Parteiprogramm formuliert. Zur Person vgl. Ernst PIPER : Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. München , 2005. 652 Vgl. FEDER , Staat , S. 47. Im Abschnitt , der mit „Das Staats- und Wirtschaftsprogramm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ überschrieben ist , wird unter Punkt VII „Sonstige Reformen“ „37. Bildung von berufsständischen Kammern“ genannt ; auf S. 191 wird von der Bildung einer „Wirtschaftskammer“ und einer „politischen Kammer“ gesprochen. Die Einrichtung einer ständischen „Wirtschaftskammer“, die ein Vetorecht in Fragen der Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung haben sollte , wurde in der Weimarer Republik auch von den Parteien der Mitte um das Jahr 1928 ernsthaft diskutiert. Vgl. TURNER , Business , S. 45.

216

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

chergestellt sein sollten , durch.653 Der Hauptvertreter dieser Richtung war der frühere Finanzkorrespondent Walther Funk , der ab 1934 als Reichswirtschaftsminister amtieren sollte. Funk näherte sich dem Nationalsozialismus nach dessen großem Erfolg bei der Reichstagswahl 1930 an – zeitgleich mit einigen anderen mehr oder minder prominenten „fellow travelers“ wie Hjalmar Schacht oder Fritz Thyssen – , nachdem ihm Hitler persönlich versichert hatte , dass die inhaltlichen Festlegungen Feders und anderer NS-Wirtschaftspolitiker für eine zukünftige nationalsozialistische Reichsregierung nicht bindend seien.654 Die Bereitschaft , politische Inhalte und deren explizite Formulierung auf dem Weg zur Macht beiseite zu schaffen , ist als ein zentrales Merkmal sowohl des italienischen Faschismus als auch des Nationalsozialismus zu betrachten ; die Unklarheiten und Widersprüche in ihrer Ideologie können auf diese Weise wenn schon nicht gelöst , so zumindest verschleiert werden.655 Die letztendliche Ablehnung eines korporativen Wirtschaftsaufbaus kann primär darauf zurückgeführt werden , dass die ständischen Organisationen bei aller Unterordnung unter den Staat in ihrem Wirkungsbereich ein gewisses Eigenleben entwickelt hätten , was dem Ziel der reinen militärisch organisierten Befehlswirtschaft zwangsläufig zuwidergelaufen wäre. Nach Spanns Idee des Ständestaates bildeten die Stände gleichsam den Staat , der als hierarchische Pyramide zu denken sei. Dem Ziel einer effektiven Wirtschaftslenkung durch die nationalsozialistische Regierung konnte ein solches System allerdings nicht dienlich sein ; schließlich hatten sich Spann und seine Schüler stets gegen die Eingriffe „fachfremder“ Politiker in den inneren Bereich des ständischen Lebens ausgesprochen. Bereits im Juli 1933 hatte das NS-Parteiblatt Völkischer Beobachter gemeldet , der ständische Staatsaufbau werde zurückgestellt , da „unberufene Elemente“ versuchten , hier Einfluss zu gewinnen. Das Institut für Ständewesen in Düsseldorf , das maßgeblich vom Industriellen Fritz Thyssen finanziert 653 Vgl. PAYNE , Fascism , S. 186 f. 654 TURNER , Business , S. 146. 655 DRUCKER , End , S. 19 ff. geht in seiner Analyse noch einen Schritt weiter , wenn er sagt , dass die ideologische Inkohärenz ein wesentlicher Faktor für den Erfolg totalitärer Bewegungen ist : „So it is not in spite of but because of its contradictions and its impossibility that the masses turn towards fascism. For if you are caught between the flood of a past , through which you cannot retrace your steps , and an apparently unscalable blank wall in front of you , it is only by magic and miracles that you can hope to escape. Credo quia absurdum , that cry of a master who had known all the bitterness of deepest and blackest despair , is heard again for the first time in many a century.“ ( S. 22 ). Er bezieht sich hierbei auf die Propaganda der NSDAP , die gleichzeitig niedrigere Brotpreise für Arbeiter und höhere Getreidepreise für die Landwirtschaft forderte.

c) Der Steirische Heimatschutz und die Wirtschaftspolitik

217

wurde , sah sich immer heftigeren Angriffen ausgesetzt ; Ende 1934 teilte Hitler Thyssen mit , dass er Spanns Konzepte grundsätzlich ablehne. Spann wurde von der NS-Ökonomie als Vorläufer betrachtet , dessen Werk allerdings nur noch von theoriegeschichtlichem Interesse sei.656 Der nationalsozialistische Staat stellte mit seinem beliebig interpretierbaren Schlagwort „Gemeinnutz vor Eigennutz“657 den Anspruch , bis auf die Ebene des einzelnen Unternehmers Einfluss auf dessen Produktions- und sonstige wirtschaftliche Entscheidungen zu nehmen. Zwar impliziert der Verzicht auf eine vollständige Sozialisierung der Wirtschaft einen bestimmten „staatsfreien Raum“, in dem auch das Gewinnstreben weiter einen Platz haben würde , jedoch wurde die tatsächliche unternehmerische Freiheit vom NS-Staat massiv eingeschränkt. Die Steuerungsfunktion der Gewinne , die in einer Marktwirtschaft für die effiziente Ressourcenzuteilung unabdingbar ist , wurde vom Staat über einen umfassenden Lenkungsanspruch bezüglich der Verwendung bzw. Reinvestition der erzielten Gewinne weitgehend ausgehöhlt , sodass die Verfügungsgewalt über die Produktionsfaktoren deutlich in Richtung des Staates verschoben wurde und die Frage nach Erhaltung oder Abschaffung des Privateigentums in der wirtschaftlichen Praxis irrelevant wurde.658 Die umfassende Einschränkung des Kapitalverkehrs mit dem Ausland und die gesetzliche Kürzung von Dividendenausschüttungen führten dazu , dass der Unternehmer zur Reinvestierung seiner Gewinne – nach Zahlung hoher Steuern – praktisch gezwungen war.659 In diesem Zusammenhang ist auch Hitlers Diktum zu stellen , es sei nicht notwendig , die Wirtschaft zu verstaatlichen , da man die gesamte Bevölkerung verstaatlicht habe : Die konsequente Einschränkung der Handlungsfreiheit des Einzelnen erleichterte den Zugriff des totalen Staates.660 In diesem Zusammenhang ist auch der nationalsozialistische Unternehmerbegriff als „Betriebsführer“ zu erörtern : Der Betriebsführer ist im Gegensatz zum Un656 Hauke JANSSEN : Nationalökonomie und Nationalsozialismus. Die deutsche Volkswirtschaftslehre in den dreißiger Jahren. (= Beiträge zur Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie , Bd. 10 ). Marburg , 1998 , S. 256 ff. 657 Andere inhaltlich weitgehend beliebige Parolen waren u. a. „Jedem das Seine“ und „Arbeit ist nur , was der Allgemeinheit dient“ vgl. FEDER , Staat , S. 14 sowie S. 75. 658 Dieter SWATEK : Unternehmenskonzentration als Ergebnis und Mittel nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik. (= Volkswirtschaftliche Schriften , Bd. 181 ). Berlin , 1972 , S.  41 f. 659 DRUCKER , End , S. 149 f. Der NS-Staat leitete die Investitionen einerseits auf potenziell „kriegswichtige“ Kapitalgüter , andererseits auch in Hinblick auf beschäftigungsmaximierende Produktion ( Vollbeschäftigung ). 660 Vgl. PAYNE , S. 188.

218

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

ternehmer traditioneller Art nicht autonom in seinen Entscheidungen und in seinem Handeln nur von Ressourcen- und Kapitalknappheit beschränkt , sondern hat als „Führer“ eine soziale Funktion gegenüber seiner „Gefolgschaft“. Er ist Vorsitzender des Vertrauensrates ( eine entmachtete Form des Betriebsrates ), ist in rein betrieblichen Fragen anordnungsbefugt , selbst jedoch an die Weisungen des staatlichen „Treuhänders der Arbeit“ gebunden und kann unter bestimmten Bedingungen von diesem unter Zuhilfenahme eines „Ehrengerichtes“ auch abgesetzt werden ( selbst dann , wenn er der Eigentümer des Unternehmens ist ).661 Seine Position in der staatlich-militärischen Hierarchie ist mit der Rolle des traditionellen Unternehmers daher nicht zu vergleichen ; Desonders seine Rechenschaftspflicht gegenüber den Aktionären bzw. Kapitalgebern wird durch eine Verantwortung gegenüber dem Staat ersetzt.662 Weitere restriktive Maßnahmen gegen die freie Unternehmerschaft waren der massive Aufbau der öffentlichen Wirtschaft , für welche die späteren „Reichswerke Hermann Göring“ in Linz das prominenteste Beispiel sind , und die Einschränkung der freien Wahl des Arbeitsplatzes , die das Angebot ebenso verknappte wie die vielfältigen Möglichkeiten der ( Zwangs- )Verpflichtung zu Arbeitsdiensten etc. Eindeutig zurückzuweisen ist im Licht dieser Tatsachen die – nach wie vor gelegentlich vertretene – These , die Industrie bzw. das „Großkapital“ hätten Adolf Hitler an die Macht gebracht und von seiner Herrschaft profitiert.663 Das zentrale Merkmal einer solchen Wirtschaftsform ist – wie bereits angedeutet wurde – die Unterordnung aller im engeren Sinn wirtschaftlichen Interessen und Vorgänge unter ein von der herrschenden Gruppe definiertes „Gemeinwohl“. Der Bezug auf dieses Gemeinwohl ist nicht nur als theoretisch bzw. idealistisch zu verstehen , sondern stellt den praktischen Anspruch , sämtliche Handlungen und Handlungsabsichten unter Hinweis auf diesen Grundsatz zu steuern. Da selbst ein stark ausgeprägtes Gemeinschaftsethos nicht ausreicht , um einen sol661 Monika HERMANN : Betriebsführer. In : Wolfgang BENZ /  Hermann GRAML /  Hermann WEISS : Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Stuttgart , 1997 , S. 396 sowie Monika HERMANN : Arbeitsordnungsgesetz. In : BENZ /  GRAML /  WEISS , Enzyklopädie , S. 372. 662 Vgl. DRUCKER , End , S. 147 f. 663 Vgl. dazu die umfassende Arbeit von Adam TOOZE : Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. München , 2007 , S. 51 f. „Soweit Wirtschaftsinteressen für den Zusammenbruch der Weimarer Republik und die Aufstellung der Hitlerregierung am 30. Januar 1933 verantwortlich gewesen waren , ist das weniger dem Großunternehmertum oder gar der Schwerindustrie als den bedrängten Agrariern anzulasten. Schon seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts war die Landwirtschaft ein hoffnungsloser Fall für den Liberalismus gewesen.“

c) Der Steirische Heimatschutz und die Wirtschaftspolitik

219

chen umfassenden Zugriff zu legitimieren , muss eine zusätzliche , von außen kommende Gefahrensituation konstruiert werden. Diese militärische Bedrohung , die im aggressiven Nationalismus eines solchen Systems bereits angedeutet ist , dient genau diesem Zweck. Die Prinzipien der „Wehrwirtschaft“ sind definitionsgemäß nur im Krieg oder zur Vorbereitung eines Krieges gültig , der Krieg und seine Vorbereitung wurden jedoch von der nationalsozialistischen Regierung und der regierungstreuen Wissenschaft zum Dauerzustand erklärt : „Sie darf aber nicht als Ausnahmezustand oder als Vorbereitung für die Kriegswirtschaft angesehen werden. Denn der totale Krieg der Zukunft [ sic ! ] erfaßt alle Volkskräfte bereits in Friedenszeiten , um sie für den Kriegsfall zu schützen. Daher kann auch niemals die auf den totalen Krieg eingestellte Wehrwirtschaft als Gegensatz zu einer Friedenswirtschaft angesprochen oder beurteilt werden. Wehrwirtschaft ist vielmehr die neue Gestalt der Friedenswirtschaft , wie dies die Gegenwart bedingt. [ … ] Es genügt nicht , Wehrwirtschaft nur aus der Gefahr eines kommenden Krieges erklären zu wollen.“664

Demnach seien die bisherigen wirtschaftspolitischen Haltungen für die gegenwärtige geschichtliche Situation ( d. h. die der 1930er-Jahre ) nicht mehr geeignet und müsse durch eine neue , totalitäre „Wirtschaftsführung“ ersetzt werden.665 Diese „Militarisierung“ der Gesellschaft , die nicht nur die Wirtschaft betrifft , wurde als zentrales gemeinsames Kennzeichen sowohl der deutschen als auch der italienischen und der japanischen Diktatur in den Jahren vor dem und während des Zweiten Weltkriegs betrachtet.666 Auf diese Weise können diktatorische Maßnahmen sowohl gegenüber Unternehmern als auch Arbeitnehmern und Konsumenten gerechtfertigt werden ; die jeweiligen Einbußen werden dann zum Ausdruck der „Opferbereitschaft“ der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe umdefiniert. In der Praxis setzte der Nationalsozialismus die Abkehr vom rein marktwirtschaftlichen System die bereits unter den autoritären Kabinetten Schleicher und von Papen begonnen hatte , fort. Zuvor hatte Reichskanzler Heinrich 664 Guido FISCHER : Wehrwirtschaft. Ihre Grundlagen und Theorien. Leipzig , 1936 , S. 23 f. 665 Vgl. FISCHER , Wehrwirtschaft , S. 25. ( „Während die liberale Wirtschaft der Vorkriegszeit ihre wirtschaftlichen Handlungen und Maßnahmen nach reinen Nützlichkeitsgesichtspunkten abrollen ließ , will zwar die Wehrwirtschaft ebenfalls das Prinzip der größten Wirtschaftlichkeit hochhalten , doch ist ihr letztes Ziel die Sicherung der Nation.“ ) 666 Vgl. Wolfgang SCHIEDER : Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland. Göttingen 2008 , S. 410 sowie SWATEK , Unternehmenskonzentration , S. 34 f.

220

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

Brüning , der von 1930 bis 1932 regierte , eine im Großen und Ganzen noch liberale Wirtschaftspolitik verfolgt , in der sich jedoch bereits vereinzelt interventionistische Maßnahmen fanden. Durch Leistungskürzungen und die Erhöhung vor allem indirekter Steuern versuchte man – letztlich erfolglos – , den Staatshaushalt auszugleichen , während über die Senkung von Löhnen und Preisen im Sinne einer Deflationspolitik versucht wurde , die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu verbessern – was in der Praxis an der willkürlichen Schaffung und Erhöhung von Zöllen und Importkontingenten sowie Währungsmanipulationen durch andere europäische Staaten scheiterte. Zur Durchsetzung der deflationären Politik bediente man sich Maßnahmen wie der neuerlichen Einführung der staatlichen Zwangsschlichtung bei Tarifkonflikten und die Bestellung eines Preisüberwachungskommissars. Hinzu kamen noch Maßnahmen zur Unterstützung einzelner Interessensgruppen , v. a. der Landwirtschaft ( „Osthilfe“ ), die dem Ziel der Preissenkung entgegenstanden und zur Schwächung der Massenkaufkraft führten.667 Das auffällige Zusammentreffen von klassisch-liberaler und protektionistisch-interventionistischer Wirtschaftspolitik im Deutschen Reich während der Weltwirtschaftskrise kann durchaus mit dem politischen Handeln in Österreich verglichen werden. Die autoritären Regierungen Schleicher und Papen markierten den Beginn einer aktiven Arbeitsmarktpolitik , durch Wechsel und Gutscheine sollten Investitionen erleichtert werden , was sich jedoch noch nicht im großen Stil auswirkte. Nicht zuletzt die politische Unsicherheit , die im Jahr 1932 am deutlichsten sichtbar wurde , wirkte sich als hemmender psychologischer Faktor aus. Das vorrangige wirtschaftspolitische Ziel der nationalsozialistischen Regierung in der ersten Phase ihrer Herrschaft war Vollbeschäftigung.668 Bis Ende des Jahres 1934 konnte die Zahl der Arbeitslosen von 6 Millionen auf 2,6 Millionen gesenkt werden , im Jahr 1938 herrschte praktisch Vollbeschäftigung und bereits ein Jahr später konnte ein nationalsozialistischer Autor zutreffend sagen , „daß aus den Arbeitslosenunruhen und dem Mangel an Arbeit 1932 ein 667 Gerold AMBROSIUS : Von Kriegswirtschaft zu Kriegswirtschaft ( 1914–1945 ). In : Michael NORTH ( Hg. ): Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick. München , 2000 , S. 282–350 , hier S. 316 ff. ( „ Sie [ die Staatseingriffe in Lohn- und Preisbildung , Anm. ] setzten vielmehreine Interventionsspirale in Gang , die weit über das hinausging , was die von liberaler und konservativer Seite kritisierten sozialdemokratisch geführten Regierungen zuvor betrieben hatten. In der Verbindung von bürokratisch-interventionistischen Eingriffen und wirtschaftsliberalen Zielen lag der Hauptwiderspruch der Brüningschen Politik“, S. 322 f. ). 668 Vgl. Gerold von MINDEN : Wirtschaftsführung im Großdeutschen Reich. Politische Aufgaben und wirtschaftliche Möglichkeiten. Berlin , 1939 , S. 29.

c) Der Steirische Heimatschutz und die Wirtschaftspolitik

221

Mangel an Arbeitern 1939 geworden ist“.669 Dies lag einerseits an statistischen Effekten ( die Förderung der Eheschließungen und die Wiedereinführung der Wehrpflicht senkten die Zahl der Arbeitslosen ohne weitere ökonomische Entwicklung ) und der „Staatskonjunktur“ durch Infrastruktur- und Rüstungsprojekte , besonders aber – was vielfach zu wenig beachtet wurde – an der Ausgangslage , die einen raschen Aufschwung begünstigte : Der absolute Tiefpunkt war erreicht , die Kostensituation der Industrie hatte sich durch die Deflationspolitik wesentlich verbessert , die Rohstoffpreise waren gesunken und auch im benachbarten bzw. europäischen Ausland begann eine Erholung , die für die deutsche Exportwirtschaft günstig war.670 Gleichzeitig begann im Sinne der Wehrwirtschaft die Aufrüstung , die zunächst durch verdeckte Maßnahmen wie Steuervorteile für den Ausbau „kriegswichtiger Betriebe“ vorangetrieben wurde. Der rasche Aufschwung führte zu einem Anstieg der Rohstoffimporte , was wiederum einen Abfluss von Devisen auslöste ; die Währungspolitik verschärfte das Problem weiter : Die deutsche Reichsmark war gegenüber dem Dollar und dem britischen Pfund – die 1933 bzw. 1931 den Goldstandard außer Kraft gesetzt hatten – um bis zu 40 % überbewertet , eine Abwertung kam für das NS-Regime jedoch nicht infrage , da dies einerseits die Lebenshaltungskosten besonders der Arbeiterschaft erhöht hätte und andererseits die eigene Position bezüglich der Kriegsschulden ( die großteils in britischen und amerikanischen Währungen notiert waren ) verschlechtern würde. Die Handelspolitik lief darauf hinaus , den Handel mit dem Britischen Empire und den Vereinigten Staaten weitgehend einzustellen und sich die „wehrwirtschaftlich“ notwendigen Rohstoffe aus Südosteuropa ( v. a. Ungarn und Jugoslawien ) und Lateinamerika ( Brasilien , Chile ) zu beschaffen.671

669 Vgl. MINDEN , Wirtschaftsführung , S. 29. Zu den Arbeitslosenzahlen vgl. PAYNE , Fascism , S. 187. 670 AMBROSIUS , Kriegswirtschaft. In : NORTH ( Hg. ), Wirtschaftsgeschichte , S.  332. Ähnlich SWATEK , Unternehmenskonzentration , S.  32. PAYNE , Fascism , S. 188 zit. H. JAMES ( 1993 ): „The most plausible view of the early stages of recovery – the first two years , 1933 and 1934 – would be as a relatively spontaneous cyclical recovery.“ TOOZE , Ökonomie , S. 88 , weist darauf hin , dass die staatlichen Arbeitsbeschaffungsprogramme nur für etwa 30 % des Rückgangs der Arbeitslosenzahl bis März 1934 verantwortlich waren ; der Großteil der Arbeitsplätze entstand demnach in der Privatwirtschaft. ( „Ohne Zweifel kam es sowohl im Jahr 1933 als auch im Jahr 1934 zu einer kräftigen ‚natürlichen‘ Belebung im privatwirtschaftlichen Sektor“ ). 671 TOOZE , Ökonomie , S. 102 ff. sowie S. 114 ff. vertritt die Ansicht , das Deutsche Reich habe weniger eine Autarkiepolitik als eine „selektive Abkoppelungspolitik“ verfolgt.

222

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

Die Knappheit an ausländischen Zahlungsmitteln wurde durch eine rigorose Devisenbewirtschaftung ( sog. „Neuer Plan“ des Wirtschaftsministers Hjalmar Schacht672 ) bekämpft und sah zunächst wertmäßige , dann mengenmäßige Einschränkungen , zuletzt die Festlegung einer Hierarchie von staatlich definierten Import-Prioritäten vor. Der „neue Plan“ war nicht weniger als die vollständige Regulierung des Zugangs zu ausländischen Rohstoffen für jedes deutsche Unternehmen. Außerdem schloss das Deutsche Reich eine Anzahl von bilateralen Handelsverträgen , die – unter zunehmendem außenpolitischem und militärischem Druck – sehr vorteilhaft ausgestaltet werden konnten ; Kompensationsgeschäfte und Clearing-Abkommen verringerten den Devisenbedarf weiter. Der wirtschaftliche Aufschwung wurde maßgeblich von öffentlichen Investitionen und einer Ausweitung des staatlichen Einflusses auf alle Wirtschaftssektoren verbunden. Die Staatsquote am Volkseinkommen betrug im Jahr 1938 47,1 % , die Rüstungsausgaben und öffentlichen Investitionen hatten sich vervielfacht und nahmen einen immer größeren Anteil am gesamten Sozialprodukt ein.673 Die Finanzierung der Aufrüstung , die 1938 bereits für 50 % der gesamten Staatsausgaben verantwortlich zeichnete , funktionierte primär über eine radikale Vergrößerung der Geldmenge , die allerdings – aus Gründen der Verschleierung – nicht auf „traditionellem“ Weg vonstattenging , sondern durch die Ausgabe von Wechseln durch eine halbstaatliche Organisation namens „Metallurgische Forschungsgesellschaft m. b. H.“ ( Mefo ), deren kurzfristige Wechsel vom Staat garantiert und daher als Zahlungsmittel allgemein anerkannt wurden. Die hohe Verzinsung und die scheinbare Sicherheit machten die Mefo-Wechsel und ihre Nachfolger , die „Lieferschatzanweisungen“, attraktiv wenngleich die Einlösung unterblieb. Zur Konkursmasse des Deutschen Reiches im Jahr 1945 gehörten 8 Milliarden Reichsmark an Mefo-Schulden.674 Ab 1935 setzte 672 Zur Person vgl. Christopher KOPPER : Hjalmar Schacht. Aufstieg und Fall von Hitlers mächtigstem Bankier. München , 2006. 673 Vgl. MINDEN , Wirtschaftsführung , S.  112. Nach LAQUEUR , Faschismus , S.  106 , machten öffentliche Investitionen 1938 35 % des Nationaleinkommens ( d. h. Bruttonationalprodukts ) aus , nach AMBROSIUS , Kriegswirtschaft. In : NORTH , Wirtschaftsgeschichte , S. 334 waren es 20 % des Volkseinkommens ( BIP ). Nach MINDEN , Wirtschaftsführung , S. 120 , betrug ( nach Zahlen der „Berliner Börsen-Zeitung“ ) der Anteil der gesamten ( Brutto- )Investitionen am Volkseinkommen 24,7 % , insofern ist die Zahl bei LAQUEUR trotz der definitorischen Unterschiede zwischen BNP und BIP eher unwahrscheinlich. 674 AMBROSIUS , Kriegswirtschaft. In : NORTH , Wirtschaftsgeschichte , S.  339 f. Dieter STIEFEL : „Gold gab ich für Eisen“. In : BACHINGER et. al., Schilling , S. 135–154 , hier S. 140 : Das Deutsche Reich „hatte sich spätestens seit 1934 von einer seriösen Währungspolitik verabschiedet“ und betrieb eine „abenteuerliche Finanzpolitik“.

c) Der Steirische Heimatschutz und die Wirtschaftspolitik

223

der Staat auf fünfjährige Staatsanleihen im hergebrachten Sinn , die durch verschiedene Zwangsmaßnahmen in der Bank- und Sparkassenwirtschaft , durch die Abschöpfung von Dividendenerträgen und schlussendlich durch ein Emissionsverbot für private Institutionen verkauft werden konnten. Die Dividendenauszahlung wurde auf 6 bzw. 8 % beschränkt , nicht ausgeschüttete Gewinne mussten großteils zum Kauf von Staatspapieren verwendet werden , zusätzlich wurden die direkten Steuern vor allem für Angehörige der Oberschicht und oberen Mittelschicht massiv erhöht.675 Der Einfluss des Staates ging demnach über marktkonforme Interventionen im keynesianischen Sinn weit hinaus und führte tatsächlich zu einer staatlichen Lenkungswirtschaft ( Befehlswirtschaft ) nach wehrwirtschaftlichen Prinzipien in praktisch allen Bereichen.676 Der Unterschied zwischen den Auffassungen eines J. M. Keynes – der im deutschsprachigen Raum seit seiner Kritik am Versailler Vertrag eine große Bekanntheit und hohes Ansehen genoss – und der NS -Wirtschaftspolitik ist weniger im Ausmaß als in der Zielrichtung der staatlichen Interventionen zu finden : Keynes sah die Konjunkturpolitik als Mittel , um einem zeitweiligen Mangel an privaten Investitionen abzuhelfen – eine Konkurrenz zu privaten Investitionen sei nicht das Ziel. Demgegenüber erhob der nationalsozialistische Staat seinen absoluten Führungsanspruch auch in der Wirtschaft ; private Investitionen und privater Konsum wurden bewusst zurückgedrängt , um Ressourcen in den Staatssektor umzuleiten. Es kann daher von einer rücksichtslosen Umsetzung eines Primats der Politik gesprochen werden.677 Der konjunkturelle Aufschwung – nicht zuletzt der Anstieg der Massenkaufkraft durch die bald erreichte Vollbeschäftigung – führte im Verbund mit der reflationistischen Geldpolitik dazu , dass die Preise für Rohstoffe und Lebensmittel stark stiegen , sodass im Herbst 1935 sogar eine Rationierung der Grundnahrungsmittel überlegt wurde.678 Die Antwort der NS-Regierung lag darin , dass die Rohstoffzuteilung und die Investitionen einer strengen Reglementierung unterworfen wurden ; Importe sollten ausschließlich Rüstungszwecken dienen. Der Ausbau von Produktionsstätten wurde im Zuge der Einführung des „Vierjahresplanes“ 1936 genehmigungspflichtig , für Bereiche , die als nicht kriegswichtig eingestuft worden waren , wurden generelle Investitions-

675 Vgl. DRUCKER , End , S. 162 ff. 676 Die Auffassung bei LAQUEUR , Faschismus , S.  106 , die NS-Wirtschaftspolitik sei „eine primitive keynesianische Strategie“ gewesen , ist zumindest unscharf. 677 JANSSEN , Nationalökonomie , S. 419 f. 678 AMBROSIUS , Kriegswirtschaft. In : NORTH , Wirtschaftsgeschichte , S.  335.

224

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

verbote ausgesprochen ; dies betraf beispielsweise die Textilindustrie.679 Die immer stärkere Zentralisierung des wirtschaftlichen Lebens – ohne jedoch zunächst den Schritt zur vollständigen staatlichen Planung zu vollziehen – führte zur Bürokratisierung wirtschaftlicher Abläufe und zu Verlusten an Rationalität und Effizienz. Es wurde in der Forschung bereits darauf hingewiesen , dass die Gesamtbeurteilung der nationalsozialistischen Wirtschaftsweise aus diesem Grund schwierig ist : Die Produktionsziele der Kriegswirtschaft wurden im Wesentlichen erreicht , ob jedoch im engeren Sinne „gut gewirtschaftet“ wurde ( im Sinne des ökonomischen Prinzips ), kann jedoch so nicht beurteilt werden.680 Im Jahr 1936 begann auch die planmäßige Aufrüstung im großen Stil , die maßgeblich von öffentlichen Unternehmen getragen wurde , aber auch die vorhandenen industriellen Strukturen umgestalten sollte. Die wehrwirtschaftlichen Grundlagen dazu waren bereits wissenschaftlich ausgearbeitet und konnten als Leitlinien für die Produktions- und Preispolitik verwendet werden ; als Grundlagen für Eingriffe bis in den Kern der unternehmerischen Sphäre.681 Wesentliches Instrument der wehrwirtschaftlichen Organisation war die gezielte Bildung von Kartellen und Wirtschaftsverbänden. Die Unternehmenskonzentration wurde einerseits durch fiskalische Anreize ( u. a. Steuervorteile für Kapitalgesellschaften gegenüber Einzelunternehmen bei nicht ausgeschütteten Gewinnen682 ), durch die „Arisierung“ der Wirtschaft und durch 679 Hier ist ein wesentlicher Unterschied zwischen faschistischer und nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik festzustellen. In Italien erfolgte die „Investitionsgenehmigung“ durch die Korporationen – also die Berufsverbände selbst – während im Deutschen Reich der Staat ( über die Behörde des „Generalbevollmächtigten für den Vierjahresplan“ ) diese Entscheidungen traf. 680 SWATEK , Unternehmenskonzentration , S. 54 f. 681 Vgl. FISCHER , Wehrwirtschaft , S. 34 f. : „Verfügt die wehrwirtschaftliche Beschaffungsstelle der Wehrmacht über eine genaue Kostenkontrolle und Kosteneinsicht in die einzelnen Betriebs- und Produktionsbedingungen der Rüstungsbetriebe , dann kann sie bei ihren Aufträgen auch Einfluß auf die Kalkulations- und Gewinnpolitik der Unternehmen ausüben. Nach den Grundsätzen des proportionalen Kostensatzes brauchen Wehrmachtsaufträge nicht jedesmal zu Preisen vergeben werden , in die auch sämtliche fixen Kosten der Unternehmung eingerechnet sind , sobald diese durch einen entsprechenden Umfang von zivilen Privataufträgen gedeckt werden können. Diese Gruppierung nach fixen und proportionalen Kosten vermag dabei die Wehrmacht zu beeinflussen , somit einen wichtigen Teil der Kalkulationspolitik.“ Dies musste – ceteris paribus – die Preise für zivile Kunden erhöhen , da die Fixkostendegression nicht mehr auf die gesamte produzierte Menge wirken konnte. Im Ergebnis mussten also zivile Kunden die staatliche Beschaffung von kriegswichtigen Gütern subventionieren. 682 Diese Regelung diente zudem der Investitionspolitik der Regierung. Nicht übersehen werden sollte aber , dass die Körperschaftsteuer zwischen 1936 und 1939 verdoppelt (  ! )

c) Der Steirische Heimatschutz und die Wirtschaftspolitik

225

die staatliche Lenkungspolitik für Investitionen und Arbeitskräfte. Besondere Bedeutung hatte in diesem Zusammenhang die Kartellgesetzgebung. Seit 1923 hatte eine Kartellverordnung gegolten , die sich im Wesentlichen auf das Missbrauchsprinzip stützte , d. h. Kartelle waren grundsätzlich erlaubt , sofern sie ihre marktbeherrschende Stellung nicht zum Nachteil der Allgemeinheit ausnutzten. Das NS-Regime verstärkte die Eingriffsmöglichkeiten des Staates ; der Reichswirtschaftsminister wurde per Gesetz vom 15. Juli 1933 ermächtigt , Unternehmen zwangsweise zu Kartellen zusammenzuschließen und für diese die Investitionen und Produktionsmengen festzulegen.683 Gleichzeitig fand eine Neuordnung der Unternehmer- bzw. Wirtschaftsverbände statt , die ebenfalls auf wenige Stellen konzentriert wurden , die Reichswirtschaftskammer wurde als Dachorganisation der einzelnen Wirtschaftskammern , Industrie- und Handelskammern und der sechs „Reichsgruppen“ ( Industrie , Handel , Handwerk , Banken , Versicherungen , Energiewirtschaft ) gegründet. Diese berufsständische Organisation hatte auf die einzelnen Kartelle formal nur sehr geringen Einfluss , in der Praxis übernahmen die Gruppen selbst umfassende Kartellfunktionen und traten direkt als Lenkungs- und Aufsichtsorgan unternehmerischen Handelns in Deutschland hervor , was sie über eine Fülle von Einzelgenehmigungen und Sonderregeln legitimierten.684 Die „Gruppen“ waren hierarchisch nach dem Führerprinzip organisiert und forderten von den Unternehmen regelmäßige Lageberichte und Statistiken , gaben Bilanzierungsvorschriften heraus , um bis ins Innerste der Unternehmen Einblick nehmen zu können und besetzten die „Importüberwachungsstellen“, die den „Neuen Plan“ umsetzten.685 Zuletzt soll noch die wirtschaftliche Dimension des Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 in der gebotenen Kürze betrachtet werden : Bereits Anfang 1937 äußerte sich der „Bevollwurde ( von 20 auf 40 % ), und aufgrund verschiedener Kriegszuschläge bis 1942 auf 55 % stieg. Vgl. dazu die vielbeachtete Arbeit von Götz ALY : Hitlers Volksstaat. Raub , Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Frankfurt /  Main , 2005 , S. 51 sowie S. 78 f. 683 Vgl. MINDEN , Wirtschaftsführung , S. 120 ff. : „Eine solche Konzentrationsbewegung ergab sich zwangsläufig aus Art , Umfang und Dringlichkeit der öffentlichen Auftragsvergebung , aus der Notwendigkeit weitgehender Heranziehung einzelner , besonders leistungsfähiger Firmen bei Aufbau und Erweiterung neuer Industriezweige , z. B. der chemischen Industrie usw. Auch von der Preispolitik und der Rohstoffbewirtschaftung gehen häufig eine fühlbare Tendenz zur Konzentration sowohl in Kartell- und als vor allem in Konzernform aus“. 684 Vgl. SWATEK , Unternehmenskonzentration , S. 142 ff. Für ein Organigramm der gewerblichen Wirtschaftsverbände vgl. MINDEN , Wirtschaftsführung , S.  72 f. 685 TOOZE , Ökonomie , S. 136.

226

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

mächtigte für den Vierjahresplan“, Hermann Göring , diesbezüglich gegenüber dem italienischen Diktator Mussolini.686 Im Deutschen Reich kam es immer stärker zu Engpässen bei der Rohstoffversorgung ( v. a. Eisen , Magnesit , Erdöl ) sowie auf dem Arbeitsmarkt. Auch die ständig kritische Devisensituation spielte eine Rolle ; die österreichische Nationalbank verfügte über Goldbestände von fast 470 Millionen Schilling sowie Devisen und Valuten im Ausmaß von 60 Millionen Schilling. Der gesamte Zufluss an Zahlungsmitteln durch den „Anschluss“ wurde auf 1,2 Milliarden Reichsmark geschätzt ; die Deutsche Reichsbank hatte zu Jahresende 1937 nur etwa 77 Millionen Reichsmark in ausländischen Zahlungsmitteln. Die Durchführung des Vierjahresplanes konnte demnach gerade durch die österreichischen Reserven sichergestellt werden.687 Der Umtausch des Schillings wurde nicht anhand des offiziell festgelegten Außenwertes der Reichsmark durchgeführt , der durch Devisenbewirtschaftung etc. jede rationale Grundlage verloren hatte , sondern entsprach mit 3 :2 in etwa der Kaufkraftparität. Da die Produktivität im Deutschen Reich bis zu 44 % über der österreichischen lag , hätte dieser Wechselkurs unter marktwirtschaftlichen Bedingungen zu einer massiven wirtschaftlichen Schwächung der „Ostmark“ geführt ; eine Abwertung des Schillings vor der Währungsumstellung war aber an politischen Erwägungen gescheitert. Durch die Möglichkeiten der Investitionssteuerung und gezielte Aufbaukredite konnte die Leistungsfähigkeit gerade der Industrie angehoben werden. Zusätzlich wurde ein „Gebietsschutz“ eingeführt , der es reichsdeutschen Unternehmen für die Dauer eines Jahres verbot , sich in Österreich niederzulassen. Nach Ablauf dieser „Schutzmaßnahme“ strömte auch das Privatkapital nach Österreich. Durch diese Kontrollmaßnahmen konnten die Anpassungsbewegungen teilweise erfolgreich unterdrückt werden : Die Beschäftigung in Österreich stieg zwischen November 1937 und November 1938 um 23 % , was für eine Phase der realen Aufwertung einer Währung absolut untypisch ist.688 Abschließend ist nun die Frage zu beantworten , inwiefern die wirtschaftspolitische Ausrichtung des Steirischen Heimatschutzes nationalsozialistische 686 GOLDINGER /  BINDER , Geschichte , S. 270. Joseph Goebbels notierte im März 1938 bezüglich des Reichshaushaltes : „Wir haben einen bedeutenden Fehlbetrag. Dafür aber Österreich.“ Zit. n. ALY , Volksstaat , S.  354. 687 Vgl. SANDGRUBER , Ökonomie , S. 403 f. Eine abweichende Ansicht vertritt STIEFEL , Gold in : BACHINGER et. al., Schilling , S. 135–154 , hier S. 139 ( Goldbestände der Deutschen Reichsbank betrugen ca. 500 Mio. RM , die jedoch nicht ausgewiesen wurden , um eventuellen Forderungen der Auslandsgläubiger vorzubeugen. ) 688 STIEFEL , Gold. In : BACHINGER et. al., Schilling , S. 135–154 , hier S. 141 ff.

c) Der Steirische Heimatschutz und die Wirtschaftspolitik

227

Ideologeme und ökonomische Ansichten wiederspiegelt bzw. wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellbar sind. Bereits der – unter dem Einfluss des Spann-Kreises entstandene – Korneuburger Eid enthielt das Bekenntnis zu einer Wirtschaft , die „den Notwendigkeiten der Volksgemeinschaft eingeordnet bleiben“689 und eine „gemeinnützig“ sein sollte. Die Ziele und die dahinter stehende Gedankenwelt sind hier bis hin zur Wortwahl identisch mit denen des Nationalsozialismus , das klare Bekenntnis zum Ständegedanken fand sich – zu diesem Zeitpunkt – ebenfalls im Nationalsozialismus wieder. Der verwirklichte NS-Staat schuf die berufsständische Ordnung jedoch nicht im Spann’schen Sinn , sondern ging über dessen Definition der Wirtschaft als „Bereitstellung von Mitteln für staatlich definierte Ziele“ durch direkte Eingriffe in das Wirtschaftsleben in seiner gesamten Breite ( u. a. Investitionskontrollen , Arbeitskräftelenkung , Lohn- und Preisstopp etc. ) weit hinaus. Die Wirtschaftsverbände , Kammern und Gruppen dienten ebenso wie die Zwangskartelle der staatlichen Machtausübung , die mit dem marktwirtschaftlichen „Wettbewerb“ nur noch den Namen gemeinsam hatten.690 Ein „ständisches Eigenleben“ – zentrales Element des Spann’schen Denkens691 – ist im totalen Staat per definitionem auszuschließen. Unter den vorgeschlagenen Maßnahmen fallen insbesondere der Vierjahresplan , die Arbeitsdienstpflicht und der Abschluss bilateraler Handelsverträge ins Auge , alle drei Punkte wurden vom Deutschen Reich in den 1930er-Jahren durchgeführt. Der Schwerpunkt des Steirischen Heimatschutzes lag in der Förderung der Landwirtschaft und des Kleingewerbes , wie gerade aus dem Programm der Ständeorganisation Österreichs hervorgeht : dem Staat sollte weitgehend verboten werden , selbst als Unternehmer in Erscheinung zu treten , dazu wurden „Schutzzölle“, Importverbote und Unterstützungen für den kapitalschwachen Mittelstand gefordert. Dieses Programm – als Sofortmaßnahme nach einem erfolgreichen Putsch gedacht – ist insofern von Bedeutung , als es zumindest implizit eine totale Durchgriffsbefugnis der Regierung gegenüber der Wirtschaft enthielt , die paradoxerweise unter dem Schlagwort 689 Vgl. N. N. : Richtung und Gesetz der Heimwehren – Das Bekenntnis von Korneuburg. In : KOGELNIK ( Hg. ), Jahrbuch , S. 43. 690 SWATEK , Unternehmenskonzentration , S. 148 f. 691 Hans RIEHL : Die Führung im Ständestaat. In : Der Panther , 10. 5. 1930 , S. 4 : „Die Stärke des Staates beruht ja nicht in der Menge seiner Aufgaben , sondern vielmehr in der Kraft , mit der er sich dort durchsetzen kann , wo sein Einschreiten notwendig und entscheidend ist. Ja , wir behaupten geradezu , daß die Autorität des Staates dann wachsen würde , wenn er sich nicht mehr um alles und jedes kümmern müßte , sondern die kleinen Einzelfragen der Selbstverwaltung den Ständen überlassen könnte [ … ]“.

228

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

der „Entpolitisierung“ des öffentlichen Lebens artikuliert wurde.692 Die ständestaatlichen Vorstellungen verschwanden jedoch spätestens nach der „Machtergreifung“ aus der nationalsozialistischen Politik693 und auch in den „zwölf Grundsätzen“ und dem Wirtschaftsprogramm des Steirischen Heimatschutzes aus dem Sommer 1932 tritt der ständische Staatsaufbau in den Hintergrund. Das Bündnis mit dem Nationalsozialismus wird hier bereits ideologisch vorweggenommen. Schließlich heißt es : „Die Führung der Wirtschaftspolitik fällt der Staatsgewalt , gestützt auf die ständischen Organisationen , zu.“694 Ein nationalsozialistischer Autor beschreibt die Konsequenzen einer solchen Form der totalitären „Wirtschaftsführung“ zutreffend : „Die Politik erobert sich ihre im 19. Jahrhundert verlorenen Positionen zurück. In immer stärkerem Umfang wird die Wirtschaft – formaljuristisch noch in Händen privater Kapitalgeber – ein Instrument nationalistischer Politik. An Stelle der Selbststeuerung der Wirtschaft tritt die Steuerung der Wirtschaft durch den Staat. Aus wirtschaftlicher Expansion wird politische Kontraktion. An Stelle des früheren ungehinderten Austausches [ … ][ tritt ] das Streben nach Autarkie in bezug auf kriegsund lebenswichtige Güter und die Bindung der Arbeitskräfte an die Heimat. [ … ] Außer einer immer stärken Lenkung und Planung der bestehenden Gütererzeugung und -verteilung wird vor allem der wirtschaftliche Fortschritt , d. h. Umfang und Art der Investition vom Staate her fast allein bestimmt.“695

Die „Ökonomie der Zerstörung“, die titelgebend für die jüngste wirtschaftshistorische Aufarbeitung des Nationalsozialismus war , bestand nicht zuletzt in der Zerstörung einer liberal-marktwirtschaftlichen , auf privater Initiative aufgebauten Wirtschaftsform durch die fortschreitende „Verstaatlichung“ des Sozialproduktes und der wirtschaftlichen Entscheidungsgewalt.696 Das Wirtschaftsprogramm des Heimatschutzes von 1932 enthielt wesentliche Maßnahmeneiner solchen Politik : die Einführung der Devisenbewirtschaftung – eine 692 Vgl. dazu auch N. N. : Handel und Gewerbe stehen gegen die Parteien auf. In : Der Panther , 28. 3. 1931 , S. 5. 693 TURNER , Business , S. 344 geht davon aus , dass die ständestaatlichen Elemente der NS-Ideologie besonders für die Stimmen der Kleinunternehmer sorgten. Die Praxis der NS-Wirtschaftspolitik ab 1933 war deren wirtschaftlichen Interessen jedoch abträglich. Vgl. DRUCKER , End , S. 163 f. 694 Vgl. N. N. : Die zwölf Grundsätze des Steirischen Heimatschutzes In : KOGELNIK ( Hg. ), Jahrbuch , S.  44. 695 MINDEN , Wirtschaftsführung , S.  13 f. 696 Vgl. TOOZE , Ökonomie , S. 755 ff.

c) Der Steirische Heimatschutz und die Wirtschaftspolitik

229

zentrale Notwendigkeit jeder Autarkiepolitik – und der „planmäßige“ Aufbau strategisch ( d. h. wehrwirtschaftlich ) wichtiger Zweige wie Elektrizitätswirtschaft und Bergbau und das Bemühen , „bodenständigen Besitz bodenständig zu halten“,697 was einerseits auf die NS-Rhetorik der „Auslandsversklavung“ und andererseits die wehrwirtschaftliche Autarkie-Politik hindeutet. Gewisse Differenzen sind im Bereich Fiskalpolitik festzustellen : Der Heimatschutz trat für einen ausgeglichenen Staatshaushalt auf niedrigerem Ausgaben- und Einnahmenniveau ein , während die nationalsozialistische Politik Steuern tendenziell erhöhte und sich bereits frühzeitig von einer seriösen Haushaltspolitik verabschiedete.698 Dies war freilich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Wirtschaftsprogramms im Sommer 1932 noch nicht vorauszusehen. Die Übereinstimmungen zwischen Heimatschutz- und NS-Programmatik sind dennoch augenfällig : Vor allem der Führungsanspruch des Staates , dem man alle anderen Ziele unterordnete : der deutsche „Volksstaat“ – der das Prinzip verantwortlicher Führung widerhergestellt hätte – sei der Herrschaft der Partikularinteressen in der „westlichen Parteiendemokratie“ ebenso überlegen wie die Politik der „Wirtschaftsführung“ der liberalen Marktwirtschaft. Die Übereinstimmungen reichen bis auf die Ebene der jeweiligen Terminologie und gipfeln in der bereits mehrfach genannten Parole : „Bei allen diesen Maßnahmen , die vielfach gegen überkommene liberale Ideen , aber auch gegen reine Planwirtschaftsideale bewußt verstoßen , soll dem Grundsatze Rechnung getragen werden : Wir wollen eine gesunde Privatwirtschaft , in der Gemeinwohl vor Eigenwohl geht !“699

Abschließend ist auch auf das Paradox hinzuweisen , dass trotz ( oder wegen ) der frühzeitigen Einführung des Befehlsprinzips in der Wirtschaft und des Konzepts der Wehrwirtschaft das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich rasch ins Hintertreffen geriet. Die von Militärs und Bürokraten gesteuerte deutsche Kriegswirtschaft unterlag einerseits der totalen Planwirtschaft 697 N. N. : Unsere Richtlinien für den Wiederaufbau der Wirtschaft – Reformprogramm für die Privatwirtschaft (= Wirtschaftsprogramm , Teil V ). In : Der Panther , 3. Jg , Nr. 34 , 27. 8. 1932 , S. 5. 698 ALY , Volksstaat , S. 353 weist darauf hin , dass ab 1935 der Staatshaushalt nicht mehr veröffentlicht werden durfte. „Innenpolitisch erkaufte sich die NS-Regierung ihren Rückhalt zunächst mit unseriösen , bald mit kriminellen Techniken der Haushaltspolitik.“ 699 Wirtschaftsprogramm , Teil V. In : Der Panther , 3. Jg , Nr. 34 , 27. 8. 1932 , S. 5. Zum Selbstverständnis des Nationalsozialismus als „Dritter Weg“ vgl. JANSSEN , Nationalökonomie , S. 472.

230

6. Theorie und Praxis autoritärer Ökonomie

in der Sowjetunion und andererseits der Mobilisierung der marktwirtschaftlichen Massenproduktion. In der mangelnden Leistungsfähigkeit einer autoritären Befehlswirtschaft liegt ein wesentlicher Mitgrund für die Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland im Zweiten Weltkrieg.700

700 Vgl. ausführlich Richard OVERY : Why the Allies won. London 2006 , S. 220–254. Dort wird die deutsche Kriegswirtschaft beschrieben als „a heavily bureaucratic command economy , which displayed a ponderous inflexibility besides the enemy“ ( S. 254 ).

c) Der Steirische Heimatschutz und die Wirtschaftspolitik

231

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie Damit nun eine abschließende Betrachtung und Beurteilung der dargestellten Thematik vorgenommen werden kann , erscheint es zweckmäßig , die Forschungsergebnisse systematisch darzustellen und im Gesamtzusammenhang zu erläutern. Dazu sollen allgemeine wirtschaftspolitische Grundvorstellungen wie auch spezielle Wirtschaftspolitiken betrachtet werden ; auch das Staatsverständnis des Steirischen Heimatschutzes ist an dieser Stelle nochmals darzulegen. Ordnungspolitik :701 Die Heimwehrbewegung in der Steiermark bekannte sich in seinen publizierten Äußerungen zum Privateigentum und zur Tätigkeit des Unternehmers im Zuge des Marktprozesses. Diese beiden – für eine marktwirtschaftliche Ordnung konstitutiven – Prinzipien wurden jedoch auf entscheidende Weise eingeschränkt , indem sie zur Verpflichtung gegenüber einem nicht näher definierten „Allgemeinwohl“ ( „Gemeinnutz“ ) umdefiniert werden. Aus der inhaltlichen Beliebigkeit des Begriffes Gemeinwohl folgt , dass dem Staat praktisch ein totales Durchgriffsrecht gegenüber Eigentum und wirtschaftlicher Tätigkeit eingeräumt wird. Die Heimwehr vertrat nicht ( wie die liberale Ordnungspolitik ) die Vorstellung von einemgenau umschriebenen institutionellen Rahmen , innerhalb dessen sich das einzelne Wirtschaftssubjekt frei entfalten kann , sondern die völlige Unterordnung jeder einzelnen unternehmerischen Entscheidung unter die Verfügungsgewalt des Staates , dem nicht nur die Beurteilung unterlag , was das Gemeinwohl ist , sondern auch , ob die geplante Maßnahme ( z. B. Kauf oder Verkauf von Gütern zu einem bestimmten Preis ) der Mehrung dieses Gemeinwohls zuträglich ist oder nicht. Das Gemeinwohl ergibt sich – nach der Lehre Spanns – aus dem Nationalcharakter der „Volksgemeinschaft“702 ; die gutgesinnten Vertreter der Stände würden in einer kooperativen Atmosphäre und kraft ihrer Einsicht in den Volkscharakter die richtigen Wirtschaftsziele festlegen.703 Der ständische Wirtschaftsaufbau – 701 Zum Begriff „Ordnungspolitik“ vgl. Hans Rudolf PETERS : Wirtschaftspolitik. 3. Aufl. München–Wien , 2000 S. 102 f. 702 Vgl. Kap. 3 , Anm. 58. 703 In jüngster Zeit vertritt Christian FELBER : Die Gemeinwohlökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft. Wien 2010 , S. 26 f. eine Art basisdemokratischen Ständestaat , in welchem ein „Wirtschaftskonvent“ das „Gemeinwohl“ jeweils für zwei Jahre im Voraus definiert. Zur Rolle des Unternehmers vgl. ebda., S. 24 : „Als erster Schritt wird den Unternehmen ein neues Ziel vorgegeben : das Streben nach dem allgemeinen Wohl. [ … ]

233

zweite Grundkonstante in der ordnungspolitischen Konzeption des Heimatschutzes – schwächt diesen Zug zur Zentralisierung wirtschaftlicher Entscheidungen nur geringfügig ab , da die Stände selbst der Oberaufsicht des Staates unterliegen , der eine Durchgriffsmöglichkeit hat , wenn eine ständische Organisation ihre Aufgaben nicht zur Zufriedenheit der Staatsführung erfüllt. Das Instrumentarium dieses Durchgriffs wird an keiner Stelle explizit abgegrenzt , es ist daher davon auszugehen , dass sämtliche Mittel , die zur Erreichung der vordefinierten Wirtschaftsziele geeignet sind , auch verwendet werden sollten. Dabei würden auch Grundprinzipien wie Eigentum , Erwerbsfreiheit und Wettbewerb , zu denen man sich zunächst bekannt hatte , eingeschränkt und verwässert , bis schließlich im Wirtschaftsprogramm von 1932 die „Wirtschaftsführung“ durch den Staat gefordert wird ; ein Konzept , das jede – im engeren , d. h. marktwirtschaftlichen bzw. ordoliberalen Sinn – ordnungspolitische Vorstellung weit hinter sich lässt. Das Fehlen eines solchen verlässlichen ordnungspolitischen Rahmens , der auch die Tätigkeit des Staates klar umschreibt und umgrenzt , erzeugt Planungsunsicherheit und hemmt somit die wirtschaftliche Tätigkeit des Einzelnen , erschwert seine Teilnahme am Marktprozess und verursacht somit eine tendenziell ineffiziente Situation. Wettbewerbspolitik : Der Steirische Heimatschutz drückte in seinen Publikationen immer wieder sein Misstrauen gegen eine zentralen Wirtschaftsplanung aus. In einer solchen Planwirtschaft sei es nicht möglich , den Bedarf zutreffend zu planen , sie arte lediglich in „roten Bürokratismus“ aus , wie man mit Blick auf die Sowjetunion feststellte.704 Gleichzeitig wurde aber auch der vollständige Wettbewerb als „chaotisch“ und „unübersichtlich“ ( d. h. nicht planbar ) abgelehnt ; die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung der ganzen Welt würde die Autorität und Handlungsfähigkeit des Staates infrage stellen und die politische der wirtschaftlichen Macht unterordnen.705 Die vorgeschlagene Lösung ist die des Korporatismus. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten gleichberechtigt miteinander über Löhne und Preise verhandeln , die Kostenkalkulationen der Zulieferer etc. miteinbeziehen und zu einer für alle zufrieden stellenden Regelung kommen. Jeder Stand habe in seinem Zuständigkeitsbereich die Einzelziele zu definieren , die im Rahmen des „Gemeinwohls“ richtig Ein Unternehmen ist nicht länger erfolgreich , wenn es einen hohen Finanzgewinn erzielt , sondern wenn es einen größtmöglichen Beitrag zum Gemeinwohl leistet.“ 704 Vgl. N. N. : Was will der Heimatschutz. In : Der Panther , 1. 10. 1932 , S. 3. 705 Dieser Topos findet sich in ähnlicher Weise in der heutigen „Globalisierungskritik“ von links und rechts.

234

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

seien ; gegenüber den einzelnen Unternehmern bzw. Arbeitnehmern sollte die Standesorganisation jedoch weisungsbefugt sein. Die Folge des korporativen Systems wäre es allerdings , die Konsumentensouveränität auf entscheidende Weise einzuschränken und die Interessen der Käufer zum Spielball der monopolistischen Mächte auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite machen.706 Tatsächlich ist es eines der auffallendsten Merkmale der ständestaatlichen Konzepte jener Zeit , dass die Seite der Nachfrager völlig unbeleuchtet bleibt. Wenn der Wettbewerbsmarkt als „Entdeckungsprozess“ verstanden wird , also als Vorgang , der Informationen über Käuferwünsche schafft und verbreitet , dann stellt sich die Frage , auf welche Weise ein System der dezentralen Planung diese Informationen besser erhalten und verteilen könnte als ein System zentraler Planung , das dazu nachweislich nicht in der Lage ist. Wenn eine korporativ organisierte Wirtschaft auch nicht vor ähnlich schweren Problemen stünde wie eine Zentralverwaltungswirtschaft , so kann nichtsdestoweniger davon ausgegangen werden , dass es zu Verlusten in der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt kommen würde.707 Der Steirische Heimatschutz bekannte sich offen dazu , den Wettbewerb dort einzuschränken , wo dies im öffentlichen Interesse sei. Die daraus entstehenden Probleme ( höhere Preise für den Konsumenten , Verhinderung von Innovationen ) wurden entweder vollständig ausgeblendet oder aber als „Solidarbeitrag“ der Gesellschaft zugunsten einer von äußeren Mächten bedrohten Berufsgruppe dargestellt. Protektionistische Maßnahmen und gesetzliche Beschränkungen hätten hierbei noch einen verstärkenden Effekt gehabt. Deutlich wird die anti-moderne Grundhaltung der Heimatschutz-Ideologie : Zusätzlicher Wohlstand , eine höhere Arbeitsteilung und dementsprechend steigende Produktion seien dort abzulehnen , wo sie zur Gefahr für das „Arteigene“ und „Organische“ würden. Die Forderung , aus einer romantisch-verklärenden Sicht der Vergangenheit auf Wettbewerb und weiteren Fortschritt zu verzichten , ist im politischen Diskurs bis heute anzutreffen ; gerade in der Krisenzeit der 1920er- und 1930er-Jahre , als der Lebensstandard der Menschen sich stark verringerte , war sie geradezu weltfremd. Tatsächlich wurde die Bedeutung materieller Verhältnisse insgesamt infrage gestellt ; zugunsten einer harmonischen

706 Vgl. Friedrich August HAYEK : The Road to Serfdom. London–New York , 2010 , S. 42 [ erstmals 1944 ]. 707 „Wohlfahrtsverlust“ wird hier im Sinne der Wohlfahrtsökonomik ein Vorgang genannt , in welchem bestimmte Tauschvorgänge unterbleiben und daraus ein Zustand resultiert , der nicht pareto-effizient ist.

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

235

Gemeinschaft708 sollte man sich selbst einschränken , wenn dies die Lage ( d. h. das „Gemeinwohl“ ) erforderte. Währungspolitik : Die Heimwehrbewegung betrachtete die Währungspolitik primär aus der Perspektive des mittelständischen Kreditnehmers , für den vor allem der hohe Zinssatz für Leihgeld ein Problem darstellte. Die Interessen der Kapitaleigner und der Sparer – tendenziell also des gehobenen Bürgertums – wurden hingegen nicht wahrgenommen. Aus dieser Positionierung folgte , dass man die deflationistische Politik der christlichsozial dominierten Bundesregierungen ablehnte und sich gegen die „Geldverknappung“ durch die strikte Einhaltung der Golddeckung des österreichischen Schillings aussprach.709 Langfristig sollte der Goldstandard vollständig aufgegeben werden , kurzfristig sollte durch eine Senkung der Leitzinsen , durch Kapitallenkung seitens der Nationalbank und durch die Einführung einer inländischen Parallelwährung , des „Heimatschillings“, als Sofortmaßnahmen das Geldangebot vergrößern. Dieses zweite Zahlungsmittel , welches , mit Zwangskurs ausgestattet , für sämtliche inländischen Transaktionen verwendet werden sollte , dachte man analog zur früheren deutschen „Rentenmark“ als gesichert durch eine ( fiktive ) Belastung von unbeweglichen Vermögenswerten. Neben dem Problem der Einlösbarkeit dieses „Heimatschillings“ gegen solche Werte stellt sich auch die Frage , ob die Parallelwährung tatsächlich als Zahlungsmittel verwendet werden würde , oder ob die Öffentlichkeit sie lediglich für „Spielgeld“ oder „Notgeld“ halten würde und – wie die verschiedenen Notwährungen der Inflationszeit – nicht akzeptieren würde.710 Die Bereitschaft zur Senkung des Golddeckungsgrades und die Idee des „Heimatschillings“ legen insgesamt den Schluss nahe , dass der Heimatschutz eine inflationäre Politik verfolgte. Die Vergrößerung der Geldmenge hätte unweigerlich diesen Effekt gehabt ; die Einschränkung des Preiswettbewerbes und die Autarkiepolitik hätten diese Tendenz noch verstärkt. Da man einer Generation , die vor nicht einmal einem Jahrzehnt eine 708 Zum damals vorherrschenden Verständnis der „Gemeinschaft“ im Gegensatz zur „Gesellschaft“ vgl. Ferdinand TÖNNIES : Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. Darmstadt , 2005 [ erstmals 1887 ]. 709 Vgl. Kap. 4 , Anm. 42. 710 Der Erfolg der „Rentenmark“ Schachts lag nicht in der ( fragwürdigen ) Deckung mit dem Wert von Liegenschaften begründet , sondern in der strengen Mengenbegrenzung der neuen Währung : Das Gesamtvolumen betrug 2,4 Milliarden Reichsmark ( 600 Millionen Dollar ) und wurde trotz politischem Drucks nicht vergrößert. Vgl. AHAMED , Herren , S. 208 f. Ziel der Rentenmark war es , Geld wieder knapp ( und somit wertvoll ) zu machen. Der „Heimatschilling“ verfolgte die genau entgegengesetzte Absicht.

236

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

Hyperinflation erlebt hatte , dies nicht offen sagen konnte , argumentierte man nach altem Muster damit , dass das Geld ( gemeint ist damit die stabile Goldwährung ) nur internationalen kapitalistischen und „jüdischen“ Interessen diene und ein Angriff auf das Prinzip des „sound money“ gleichzeitig ein Akt der nationalen Selbstbehauptung wäre.711 Allen Ernstes wurde ein Übergang zur Tauschwirtschaft diskutiert , wo „deutsche“ Arbeit wieder gegen „deutsche“ Arbeit getauscht werden könne.712 Die Verknüpfung beider Argumente zeigt freilich die theoretische Schwäche der Währungspolitik des Heimatschutzes : Wenn Geld lediglich Arbeit ( also reale Werte ) repräsentieren sollte , dann könnte ein „Heimatschilling“, dessen Wert auf keiner tatsächlichen Arbeitsleistung beruhte , ebenso wenig gerechtfertigt werden wie die Goldwährung. Wenn Geld jedoch als automatische Warenwährung gedacht würde , hätte der Staat keinerlei Recht oder Möglichkeit , hier überhaupt einzugreifen. Ohne näher auf die gesellschaftlichen Auswirkungen hoher Inflationsraten gerade auf den Mittelstand einzugehen , ging der Steirische Heimatschutz davon aus , dass die Verfügbarkeit billigen Geldes allein einen dauerhaften wirtschaftlichen Aufschwung hervorrufen könnte. Den „schaffenden“ Kräften im Land fehle lediglich das nötige Kapital sowie der „Schutz“ vor den Machenschaften des Auslandes. Außenhandelspolitik : Immer wieder propagiert wurde das Ziel der Selbstversorgung mit praktisch allen Lebensmitteln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs. Die Forderung des Heimatschutzes , im Strafgesetzbuch einen Tatbestand des „wirtschaftlichen Hochverrates“ zu schaffen , mit dem unbefugte Importe verfolgt werden sollten , ist das augenfälligste Beispiel für diese Haltung. Getreide könne zur Gänze im Inland hergestellt werden , heißt es im Panther , notwendig seien lediglich die Vergrößerung der Anbaufläche und die Hebung der Abnahmepreise , die „unnatürlich“ gering seien.713 Die Einfuhren aus dem Ausland wurden als eine Hauptursache des wirtschaftlichen Niedergangs betrachtet ; der Kampf gegen „Russendumping“ und „Tschechenkohle“ wurde vom 711 Der Kampf gegen den weltweiten Goldstandard war seit Jahrzehnten ein zentrales Thema des politischen Populismus von rechts und links. Besonders bekannt ist das Beispiel von William Jennings Bryan , der 1896 als demokratischer Präsidentschaftskandidat in den USA für den Bimetallismus eintrat ( was früher oder später – gemäß Greshams Gesetz ) das Verschwinden der Goldwährung zur Folge gehabt hätte ) und in heftigen Reden gegen die „Kreuzigung der Menschheit auf einem goldenen Kreuz“ agitierte. Vgl. Maurice D. LEVI : International Finance. 5. Aufl. London–New York , 2009 , S. 211. 712 Vgl. Olaf PETRI : Was tut uns not ? Die Hebung der Kaufkraft. In : Der Panther , 9. 7. 1932 , S.  3. 713 Vgl. A. S : Österreichs Selbstversorgung möglich ! In : Der Panther , 6. 2. 1932 , S. 10.

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

237

Heimatschutz mit allen Mitteln betrieben. Das Programm der Ständeorganisation vom Sommer 1931 sah eine Einfuhrsperre für landwirtschaftliche Produkte und die Festlegung von Mindestpreisen fest ; ebenso war die Urproduktion im Bergbau zu „schützen“, aber auch sämtliche Fertigprodukte , die im Inland erzeugt werden konnten. Um die seit Jahren passive Handelsbilanz auszugleichen , schlug der Heimatschutz 1932 vor , bilaterale Handelsabkommen zu schließen , die als Kontingentverträge ausgestaltet werden sollten : Die Einfuhr ausländischer Waren nach Österreich sollte nur gestattet werden , wenn im Gegenzug österreichische Waren im gleichen Wert abgenommen würden. Um die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Wirtschaft gegenüber ausländischen Erzeugnissen sicherzustellen , sind nach Ansicht des Steirischen Heimatschutzes Zölle in der entsprechenden Höhe festzulegen.714 Im Ergebnis – wenn auch nicht der Methode – ist die vorgeschlagene Handelspolitik derjenigen des nationalsozialistischen Deutschlands in den 1930er-Jahren durchaus ähnlich : Eine weitgehende Abkoppelung vom Weltmarkt wurde mit dem Abschluss vorteilhafter bilateraler Verträge verknüpft und als „nationale Kraftanstrengung“ verbrämt.715 Ein weiteres Mittel zur Erreichung dieser Autarkie war die Forderung nach einem Ende der „Verschleppung des Schillings ins Ausland“. Der Heimatschutz hielt auch in diesem Bereich einen zentralistischen staatlichen Eingriff für geboten. Als die Bundesregierung im Oktober 1931 ( man beachte die zeitliche Nähe zum Pfrimer-Putsch ) eine umfassende Devisenverordnung erließ , bemängelte der Steirische Heimatschutz jedoch , dass es fast schon zu spät sei , wieder einmal habe die „Parteiendemokratie“ den Ernst der Lage nicht rechtzeitig erkannt. Die Verordnung sah vor , dass nur noch die Nationalbank mit ausländischen Zahlungsmitteln handeln durfte , Privatpersonen hatten ihre Auslandsguthaben und Kassenbestände der Nationalbank zum Kauf anzubieten. Darlehen und Garantien an das Ausland dürften nur noch mit Genehmigung durch die Nationalbank gewährt werden.716 Auch hier sind Anklänge an die spätere Politik des NS-Regimes , insbesondere den „Neuen Plan“ des Wirtschaftsministers Schacht , zu sehen ; hingegen kam der österreichische Ständestaat über agrarprotektionistische Maßnahmen nicht hinaus ; eine konsequente Außen714 N. N. : Unser Wirtschaftsprogramm. In : Der Panther , 1. 10. 1932 , S. 4. 715 Die Handelsverträge des Deutschen Reiches aus dieser Zeit waren freilich immer auch Ergebnis politischer und militärischer Drohgebärden gegenüber schwächeren Staaten. Es ist zu bezweifeln , dass eine österreichische Heimwehr-Regierung die gleichen Möglichkeiten gehabt hätte , auf potenzielle Handelspartner einzuwirken. 716 Vgl. N. N. : Unterbindung der Schillingflucht. Ein Eingriff in letzter Sekunde. In : Der Panther , 17. 10. 1931 , S. 2.

238

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

handelspolitik wurde nicht verfolgt. Die Rhetorik der „Selbstversorgung“ sollte in der Praxis insofern relativiert werden , als die Exportchancen der Industrie gewahrt blieben. Am Beispiel der Alpine Montangesellschaft werden die Folgen dieser Außenhandelspolitik deutlich : Durch den Schutz vor ausländischer Kohle ( „Inlandsbrennstoffgesetz“ ) und die planmäßige Förderung des Exportes von Fertigprodukten hätte das Unternehmen zumindest in der kurzen Frist erheblich von dieser Politik profitiert. Damit hätten die stillstehenden Produktionskapazitäten der Alpine wieder ausgelastet und die Profitabilität erhöht werden können.717 Neben der Industrieproduktion sollte besonders der Tourismus planmäßig entwickelt und gefördert werden , da dieser Sektor zum wichtigen Devisenbringer ausgebaut werden könne. Es kann als sehr wahrscheinlich angesehen werden , dass die Abschließung der österreichischen Märkte vom internationalen Wettbewerb einerseits zu Preiserhöhungen – gerade bei Gütern des täglichen Bedarfes – geführt hätte , andererseits aber auch das Innovationspotenzial der heimischen Wirtschaft deutlich herabgesetzt hätte. Der weitgehende Verzicht auf technologische Impulse aus der Einfuhr ausländischer Güter hätte im Land selbst erhebliche Ressourcen gebunden und Effizienzverluste nach sich gezogen.718 Insofern erscheint es mehr als unrealistisch , wenn die Programmatik des Heimatschutzes 1932 festhält , dass die Beachtung des Grundsatzes „Kauf heimische Waren !“ dem Konsumenten keinerlei Opfer zumuten würde und auch sonst keine Nachteile mit sich brächte.719 Industrial Relations und Arbeitsmarktpolitik : Im Zusammenhang mit der Arbeitsmarktpolitik ist vor allem die Abwesenheit jeder Vorstellung von Flexibilität oder sozialem Aufstieg zu bemerken : Im Denken Spanns wie auch dem spä717 Die Roheisenproduktion in Österreich betrug im Krisenjahr 1931 nur noch ein Drittel der produzierten Menge des Jahres 1929. Vgl. HWALETZ , Montanindustrie , S.  74 , Abb.  121. 718 Ein extremes Beispiel für die Folgen einer solchen Politik der Selbstversorgung in „strategisch wichtigen“ Bereichen ist der Versuch der ehemaligen DDR , in den 1980er-Jahren eine eigene Mikroelektronik-Industrie aufzubauen : Die Produktionskosten eines 256 kbit-Schaltkreises betrugen in der DDR 534 Mark , auf dem Weltmarkt war ein solches Bauteil für etwa vier (  ! ) Mark zu beziehen. Vgl. Andre STEINER : Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR. Berlin , 2007 , S. 237 ff. 719 N. N. : Wirtschaftsaufbau-Programm. (= Unsere Richtlinien zum Wiederaufbau der Wirtschaft VIII ). In : Der Panther , 22. 10. 1932 , S. 4. Im selben ( Grundsatz- )Artikel wird freilich auch festgehalten , dass „[ … ] seit Eintritt der akuten Krise im Verlauf des Jahres 1931 ein geradezu katastrophaler Rückfall in den Protektionismus und die Autarkiebestrebungen aller europäischen Staaten zu verzeichnen [ ist ]. Der gegenwärtige Zustand kann kein bleibender sein , weil er zur Selbstzerfleischung und zum Ruin führen muss“. Der Mangel an inhaltlicher Konsistenz ist augenfällig.

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

239

teren auf NS-Gedankengut aufgebauten Programm des Heimatschutzes sollte dem Arbeiter mehr Respekt und Wertschätzung zuteil werden , das korporative System sollte ihn zu ( theoretisch ) gleichberechtigten Partner machen. Tatsächlich aber wären wesentliche Elemente der betrieblichen Mitbestimmung weggefallen und der „Betriebsführer“ gemäß dem Führerprinzip praktisch allein entscheidungsbefugte Instanz gewesen. Hätten dessen Entscheidungen staatliche Vorgaben verletzt , würde die übergeordnete Instanz dies korrigieren. Die sozialdemokratischen Gewerkschaften wiesen mit Recht darauf hin , dass die „Gelben“ in der UG durch ihren apriorischen Verzicht auf das Streikrecht eine wesentliche Waffe aus der Hand gegeben hatten , ohne dafür irgendeine greifbare Gegenleistung zu erhalten. Die politische und ökonomische Stellung des Arbeiters wäre trotz aller Rhetorik vom „Arbeitsstaat aller schaffenden Stände“ wesentlich schwächer gewesen als in der liberaldemokratischen Gesellschaft : „Fascism [ … ] uses the organic theory to create an equality of non-economic social importance , status and function in order to balance the economic inequality of the classes.“720 Die Einschränkungen des Marktes in der ständischen Wirtschaft hätten auch den Arbeiter als Anbieter einer Ware ( Arbeitskraft ) getroffen : Seine Freiheit , Arbeitsplatz und Beruf zu wechseln , wäre zugunsten der „gemeinschaftlichen“ Erfordernisse eingeschränkt worden , letzthin ergibt sich eine militärisch anmutende Arbeitsethik , die für Neigungen und Bedürfnisse des Einzelnen wenig Raum lässt. Die Verringerung der Arbeitslosigkeit hin zur Vollbeschäftigung war in Zeiten der Weltwirtschaftskrise ein selbstverständlicher Programmpunkt ; der einzig konstruktive Vorschlag in dieser Hinsicht war freilich die Einführung einer Arbeitsdienstpflicht , was fraglos den Arbeitsmarkt entlastet hätte. ( Sozialromantische Vorstellungen über Vollbeschäftigung durch „Verminderung der Arbeitsteilung“ sind als Ausdruck der damaligen Zeitstimmung bemerkenswert , als ernst gemeinte Instrumente der Wirtschaftspolitik aber zu vernachlässigen ). Konjunkturpolitik : Hier sind in der Programmatik zwei Phasen zu unterscheiden : In der frühen , von den Ideen Spanns dominierten Programmatik fehlten konjunkturpolitische Ausführungen völlig ; der Ökonom und seine Schüler beschränkten sich darauf , den ständischen Staatsaufbau zu fordern : Sei die ständische Ordnung einmal errichtet , würde die Kooperation zwischen den ständischen Spitzenorganisationen eine planmäßige Beeinflussung von Produktion und Verbrauch herbeiführen , was die „chaotischen“ Auf- und Abschwünge des 720 DRUCKER , Man , S. 135.

240

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

Marktes wesentlich dämpfen sollte. In der späteren , nationalsozialistisch beeinflussten Phase ist eine Vielzahl von konjunkturellen Einzelmaßnahmen zu beobachten , die zwar zu keinem kohärenten Konzept zusammengeführt wurden , aber mehrheitlich antizyklisch waren und vermehrt staatliche Aktivitäten nach sich gezogen hätten. Widersprüchlich bleibt dabei die Finanzierung solcher Maßnahmen : Da man sich beim Heimatschutz zu einem ausgeglichenen Budget bekannte und gerne über die „Verschwendung“ und „Misswirtschaft“ der „Systemparteien“ ereiferte , schied fiskalische Expansion hier als Möglichkeit aus. Die Finanzierung über den Kapitalmarkt im Zuge einer Innenanleihe ( die man über eine dritte Institution , etwa die Nationalbank oder eine Zweckgesellschaft , vornehmen hätte können und die daher nicht budgetwirksam geworden wäre ) wurde mehrmals vorgeschlagen ; in der Realität wäre das an den überaus beschränkten Möglichkeiten des inländischen Kapitalmarktes und der ablehnenden Haltung der ( Fach- )Öffentlichkeit gescheitert. Was blieb , war populistische Agitation nach bekanntem Muster : Für die Creditanstalt hatte man ja auch Geld gehabt , also warum nicht auch für wirtschaftsfördernde Maßnahmen ? Sektorale Wirtschaftspolitiken : Im Bereich des Gewerbes und der Landwirtschaft schlug der Heimatschutz eine Reihe von Unterstützungsmaßnahmen vor , die teilweise naheliegend waren ( z. B. Förderung der Aus- und Weiterbildung ), teilweise aber auch ideologisch motiviert und gesamtwirtschaftlich wenig durchdacht. Die Förderung des Kleingewerbes entsprach der romantischen Vorstellung einer vorindustriellen Wirtschaftsstruktur selbstständiger Handwerker , die zwar aus Sicht des Staates schwerer befehlswirtschaftlich zu erfassen waren , aber die „nichtentfremdete“ Arbeit schlechthin darstellten. Das Gesagte gilt auch für den Agrarsektor : Den Landwirten sollte es im „Volksstaat“ der Heimwehren sehr gut ergehen : Von gestützten Abnahmepreisen für Getreide und Vieh über Zugang zu kostengünstigen Krediten bis hin zu umfassenden Bodenmeliorations-Projekten mit dem Ziel der Neu- und Wiederbesiedlung kleinbäuerlicher Höfe sollte alles getan werden , um sowohl die Produktionsmenge als auch die Zahl der Beschäftigten zu maximieren. Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen wären freilich negativ zu beurteilen : Eine Verkleinerung der Agrarstruktur hätte die Produktivität wahrscheinlich wesentlich vermindert , der inländische Kapitalmarkt wäre ebenso überfordert worden wie der Staatshaushalt , der die vielfältigen Subventionen zu finanzieren hatte. Letztlich handelte es sich bei den sektoralen Wirtschaftspolitiken stets um

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

241

Ansätze der Klientelpolitik – gerade Bauern und Gewerbetreibende gehörten zum sozialen Kern der Heimwehren , obgleich gerade in der Steiermark auch die Arbeiterschaft bedeutend war. Neben solchen als weltfremd und unpraktisch zu klassifizierenden Vorstellungen standen gleichrangig auch erstaunlich moderne , etwa im Bereich der Energiewirtschaft : Der planmäßige Ausbau der Wasserkraft-Nutzung – der dann nach dem Zweiten Weltkrieg auch tatsächlich vorgenommen wurde – sollte nach den Ideen des Heimatschutzes gemeinsam mit internationalen Partnern finanziert und projektiert werden um perspektivisch einen mitteleuropäischen oder gar gesamteuropäischen Strommarkt zu entwickeln. Die Ungleichmäßigkeit der Konzepte und der unterschiedliche Grad an Praxisnähe bzw. -ferne kann auch durch die Entstehung der Ideen erklärt werden : Vieles davon kam aus dem „Wirtschafts- und Ständeamt“, das nach heutiger Terminologie eine Art „think tank“ darstellte , wo sich freiwillig rekrutierte Fachleute und Laien aus dem Heimwehr-Milieu trafen , um die wirtschaftliche Lage zu diskutieren. Die Rolle des Unternehmers : Wesentlich zum Verständnis der autoritären Ökonomie ist die Beurteilung der Funktion des Unternehmers im neuen Staat , den der Heimatschutz anstrebte. Im liberalen , marktwirtschaftlichen Umfeld wird der Unternehmer – nach einer Formulierung Joseph Schumpeters – als „schöpferischer Zerstörer“ tätig , er setzt neue Technologien , Produkte und Kombinationen von Produktionsfaktoren durch , handelt dabei auf eigenes Risiko und ist nur an den allgemeinen gesetzlichen Rahmen gebunden. Eine alternative Beschreibung unternehmerischer Tätigkeit wurde von Israel Kirzner vorgenommen : Er sieht den Unternehmer als jenen , der über klassische „Optimierungsaufgaben“ hinaus in einem lernenden , entdeckenden Prozess auf der Suche nach neuen Marktchancen und ungenutzten Potenzialen ist , unter den Bedingungen der Unwissenheit und Unsicherheit operiert und dessen Kennzeichen vor allem alertness ( Aufmerksamkeit ) ist.721 Dem gegenüber steht das befehlswirtschaftliche Konzept , das autoritären Ökonomien eigen ist : Niemand ist in seinen Handlungen autonom , alle sind an die Vorgaben der übergeordneten Instanzen ( der Korporation bzw. des Staates ) gebunden. Eigentum ist zuerst und zunächst eine Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit , nicht zu721 Israel KIRZNER : Competition and Entrepreneurship. Chicago , 1973 , S. 35 : „Now I choose [ … ] to label that element of alertness to possibly new worthwhile goals and to possibly newly worthwhile resources – which we have seen is absent from the notion of economizing , but very much present in that of human action – the entrepreneurial element in human decision-making.“

242

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

fällig wird dafür der mittelalterliche Begriff „Lehen“ 722 wieder aufgenommen : Der Lehensmann ist zu allererst dem Lehensherren zur Gefolgschaft verpflichtet , seine Entscheidungsgewalt ist in jeder Hinsicht beschränkt. Der in den 1930er-Jahren aufgekommene Begriff „Wehrwirtschaft“ geht in genau dieselbe Richtung : Nicht die autonome Entscheidung des unternehmerischen Subjektes steht im Zentrum , sondern die Bedürfnisse eines Staates , der sich selbst in einer Art permanentem Belagerungszustand sieht. Wenn nun das unternehmerische Element bis in innerste betriebliche Vorgänge , wie etwa Neuinvestitionen , Produktionsplanung oder Arbeitskräfteeinteilung , von Direktiven der Obrigkeit abhängig ist , wird es kaum noch wirksam. Neben den Auswirkungen auf Produktivität und Effizienz ist vor allem der Gesichtspunkt der Innovation zu betrachten : Ein System , das so starken Konformitätsdruck erzeugt , ist nicht in der Lage , den unternehmerisch tätigen Einzelnen zur „schöpferischen Zerstörung“ zu motivieren ; Konformität ersetzt Kreativität. Innovation entsteht dann nur noch in klar abgegrenzten Räumen , in denen es „erlaubt ist“, zu experimentieren ( beispielsweise in staatlichen Forschungsinstitutionen ). Innovation wäre daher nur einseitig in vorher definierten „wichtigen“ Bereichen stattgefunden , wobei auch hier die weitgehende Einschränkung des Wettbewerbs die technologische und allgemein wirtschaftliche Entwicklung gehemmt hätte. Die weitgehende Abschottung vom System der internationalen Arbeitsteilung musste schließlich dazu führen , dass auch aus dem Ausland kaum Impulse zur Innovation kamen.723 Obwohl die Anpassungsspielräume im ständisch-befehlswirtschaftlichen Heimwehr-System größer gewesen wären als in der reinen zentralen Planwirtschaft nach sowjetischem Muster , kann davon ausgegangen werden , dass die vorgeschlagene Wirtschaftspolitik langfristig zu wirtschaftlicher Stagnation und und einem Abbau des Kapitalstocks geführt hätte. „Gemeinwohl statt Eigenwohl“: Die nachdrückliche Berufung auf ein höheres Ziel als der wirtschaftlichen Wohlfahrt des Individuums gehört zu den zentralen Merkmalen autoritärer Ökonomien : Mit dem Hinweis auf soziale Notwendigkeiten konnte praktisch jeder Eingriff in die persönliche und wirtschaftliche 722 Vgl. Max WEBER : Wirtschaft und Gesellschaft. 6. Aufl. Tübingen , 1980 , S. 135 : „Lehen sollen appropriierte Herrengewalten heißen , wenn sie kraft Kontrakts an individuell Qualifizierte primär vergeben werden und die gegenseitigen Rechte und Pflichten primär an konventionalen ständischen , und zwar militaristischen Ehrbegriffen orientiert werden.“ [ Hervorhebung im Original ]. 723 Vgl. die Situation in der DDR während der 1980er-Jahre , dargestellt bei STEINER , Plan , S.  240 f.

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

243

Sphäre des Einzelnen erfolgen. Zwar wurden auch im Programm des Steirischen Heimatschutzes allgemeine Regeln und Verfahrensweisen definiert , diese konnten aber unter Berufung auf das „Gemeinwohl“ in Einzelfällen und im Gesamten außer Kraft gesetzt werden. Privateigentum ja – aber nur dort , wo es „gesellschaftlich richtig“ eingesetzt wird. Privater Wohlstand ja – aber nur bis zu einer festgelegten Grenze , darüber ist es „Kapitalhortung“. Freier Wettbewerb ja – außer dort , wo es gilt , einzelne Stände zu subventionieren. Auch ein liberales , rechtsstaatlich verfasstes Gemeinwesen kann auf den Begriff des Gemeinwohles ( bzw. öffentlichen Interesses ) nicht verzichten. Der fundamentale Unterschied liegt darin , über welchen Prozess das Gemeinwohl formuliert wird. Hier hat es verschiedenste Ansätze zur Klärung gegeben : Gemeinwohl als Ergebnis einer „spontanen Ordnung“ ( F. A. v. Hayek ), als Ergebnis des Klassenkampfes ( Marx ), als Ergebnis von Mehrheitsentscheidungen ( Demokratie ) oder als Resultat eines „herrschaftsfreien Diskurses“ ( Habermas ). Das rechts-autoritäre Denken der 1930er-Jahre lehnte allerdings sämtliche dieser Definitionen ab , ohne freilich eine eigene zu formulieren. Letztlich legitimiere Macht sich selbst und darf von den Befehlsunterworfenen nicht infrage gestellt werden. Tatsächlich wurde die Verneinung traditioneller Werte und die Vorstellung einer letztlich um ihrer selbst willen militärisch durchorganisierten Gesellschaft als zentrales Merkmal des damaligen Zeitgeistes erkannt.724 So irrational und gänzlich unökonomisch eine solche Gesellschaft uns heute scheinen mag , in der Krisenzeit der 1930er-Jahre wirkte sie auf eine große Zahl auch wissenschaftlich gebildeter Menschen attraktiv oder sie nahmen sie zumindest als Faktum interessiert zur Kenntnis. Selbst John Maynard Keynes , der linksliberale Vordenker der antizyklischen Politik , zeigte sich aufgeschlossen gegenüber der totalitären Staats- und Wirtschaftsform und bot sich an , an ihrem theoretischen Fundament mitzubauen. Im 1936 verfassten Vorwort zur deutschen Ausgabe seines Hauptwerkes verlieh er der Erwartung Ausdruck , „daß ich bei den deutschen Lesern auf weniger Widerstand stoßen werde als bei den englischen , wenn ich ihnen eine Theorie der Beschäftigung und Produktion als Ganzes vorlege , die in wichtigen Beziehungen von der orthodoxen Überlieferung abweicht. [ … ] Und wenn ich einige einzelne Brocken beitragen kann zu einem von deutschen Ökonomen zubereiteten vollen Mahl , eigens auf deutsche Verhältnisse abgestellt , werde ich zufrieden sein. Denn ich gestehe , daß vieles in dem Buch hauptsächlich mit Bezug auf die Verhältnisse in den angelsächsischen Ländern erläutert und dar724 Vgl. DRUCKER , Man , S. 219 ff. und S. 235 ff.

244

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

gelegt wurde. Trotzdem kann die Theorie der Produktion als Ganzes , die den Zweck des folgenden Buches bildet , viel leichter den Verhältnissen eines totalen Staates angepaßt werden als die Theorie der Erzeugung und Verteilung einer gegebenen , unter Bedingungen des freien Wettbewerbes und eines großen Maßes von laissez-faire erstellten Produktion.“725

Sogar unter diejenigen , die an der Vorstellung der freien Marktwirtschaft festhielten , gab es einige , die versuchten , liberale Wirtschaftspolitik und autokratische Machtpolitik miteinander zu vereinen , oder zumindest den Widerspruch zwischen beiden zu negieren. 726 Aus all dem ergibt die Folgerung , dass der Steirische Heimatschutz mit seiner Wirtschaftspolitik Vorbote und Ausdruck eines totalitären Zeitgeistes727 war , der im Zeitalter der Massen die liberale Vorstellung von Freiheit und Verantwortung nicht mehr gelten ließ728 und das damit verbundene , auf Vernunft gegründete Menschenbild verneinte. Kriegs- und Nachkriegszeit hatten das Vertrauen in den wissenschaftlichen Fortschritt , die Ratio schlechthin , erschüttert ; einer neuen Generation waren die Gedanken und Begriffe der Objektivität und des Rationalismus wesensfremd. 1938 , am Vorabend des Zweiten Weltkrieges , sah der Philosoph Edmund Husserl , dass die damalige Krise vor allem eine Krise des Denkens sei , aus der es nur zwei Auswege gebe : „Den Untergang Europas in der Entfremdung gegen seinen eigenen rationalen Lebenssinn , den Verfall in Geistfeindschaft und Barbarei , oder die Wiedergeburt Europas aus dem Geiste der Philosophie durch einen den Naturalismus endgültig überwindenden Heroismus der Vernunft“.729 Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt. Der Weltenbrand vor der Mitte des Jahrhunderts wurde von Strömungen und Ideen entfacht , zu deren Vorläufern auch der Steirische Heimatschutz zählte. Seine Vorstellung eines neuen Staates , der die angeblich chaotische , liberal-marktwirtschaftliche „Volkswirtschaft“ durch eine klar geordnete und begrenzte „völkische Wirtschaft“ ersetzen könne , gehört zu den vielen Irrtü725 John Maynard KEYNES : Allgemeine Theorie der Beschäftigung , des Zinses und des Geldes. Berlin 1936 , S. VIII und S. IX. 726 Vgl. Oskar MORGENSTERN : Die Grenzen der Wirtschaftspolitik. (= Beiträge zur Konjunkturforschung , Bd. 5 ). Wien , 1934 , S. 130 f. 727 Vgl. OVERY , Allies , S. 9 : „Communism and Fascism offered a way out of what a great many had come to regard as a bankrupt political and economic system whose days were numbered. [ … ] The spirit of the age was of crisis , decay , transformation“. 728 SCHIVELBUSCH , Verwandtschaft , S.  54. 729 Edmund HUSSERL : Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie. Weinheim , 1995 , S. 69.

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

245

mern der Geschichte. Und wie die meisten dieser Irrtümer ist auch dieser immer noch unter uns , er wartet , im Hintergrund , auf Zeiten , in denen dem Intellekt wieder durch den „Hausverstand“ ersetzt werden soll , wenn einfache und scheinbar offensichtliche Lösungen gebraucht werden. Die hier dargestellte Geschichte ist auch als Warnung zu sehen : Wenn die Marktwirtschaft den Anspruch , Wachstum und Wohlstand zu schaffen , nicht erfüllen kann , und gesellschaftlicher Ausgleich der Polarisierung der materiellen und ideologischen Unterschiede weicht , dann werden die Menschen ihre Hoffnungen in andere Wirtschaftskonzepte legen , so ungeeignet diese auch sein mögen. Die Möglichkeit des Verhängnisses ist immer gegeben. „Wer auf die Hoffnungen , die hochmütigen Träume und Entwürfe zurückblickt , mit denen das Zeitalter begann , und deren Scheitern erlebte , kommt um die Einsicht nicht herum , daß im Menschen ein Kern steckt , der nicht domestizierbar ist und sein System der Vorkehrungen verlangt. Die treffendste Analogie für die Gefährdungen , denen jede freie Gesellschaft ausgesetzt ist , haben die Anthropologen ausfindig gemacht. Sie berichten , daß die Azteken die Sonne verehrten und Nacht für Nacht , mit dem Anbruch der Dunkelheit , darum bangten , dass sie am Morgen wiederkomme.“730

730 Joachim FEST : Die schwierige Freiheit. Über die offene Flanke der offenen Gesellschaft. Berlin , 1993 , S. 122 f.

246

7. Schlussbetrachtung: Elemente autoritärer Ökonomie

Quellen und Literatur Archivalien

Bundesarchiv Berlin , Akten RKK /  RSK , Personalakt Peter Panhofer. Steiermärkisches Landesarchiv , Bezirkshauptmannschaft Graz , St. Z. 138 , 14 / 1927. Satzungen des Heimatschutzverbandes Steiermark. Steiermärkische Landesbibliothek. Kapselsammlung , Box 126 , Heimwehr-Heimatschutz.

Veröffentlichte Quellen

Stenografische Berichte der IV. Periode des Steiermärkischen Landtages Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Nationalrates , IV. Gesetzgebungsperiode. Stenografische Berichte über die Sitzungen des Bundesrates.

Zeitungen

Alpinepost , Leoben , 1928 ff. Neue Freie Presse , Wien 1925 ff. Obersteirische Volkszeitung , Leoben 1928. Der Panther , Graz , 1930 ff.

Internetquellen 

Verfassung der italienischen Republik. URL : http ://www.quirinale.it /  qrnw /  statico /  costituzione /  pdf /  costituzione_tedesco.pdf [ 21. Mai 2012 ].

Literatur

Alfred ABLEITINGER : „Unpolitische“ Heimwehr ? Auseinandersetzungen im untersteirischen Bauernkommando 1922 /  23. In : Meinhard BRUNNER /  Gerhard PFERSCHY ( Red. ): Rutengänge. Studien zur geschichtlichen Landeskunde. Festgabe für Walter Brunner zum 70. Geburtstag. (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 54 ) Graz 2010 ), S. 568–581. Alfred ABLEITINGER : Ein „Steirisches Wirtschaftsprogramm“ für Österreich aus 1925. In : Anja THALLER /  Johannes GIESSAUF ( Hg. ): Nulla historia sine fontibus. Festschrift für Reinhard Härtel zum 65. Geburtstag (= Schriftenreihe des Instituts für Geschichte 18 ). Graz 2010 , S. 21–37. Volker ACKERMANN : Presseartikel. In : Bernd A. RUSINEK /  Volker ACKERMANN /  Jörg ENGELBRECHT ( Hg. ): Einführung in die Interpretation historischer Quellen. Schwerpunkt Neuzeit. Paderborn , 1992 , S. 233–252. Liaquat AHAMED : Die Herren des Geldes. München , 2010. Jacob AHRER : Erlebte Zeitgeschichte. Wien–Leipzig , 1930. Götz ALY : Hitlers Volksstaat. Raub , Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Frankfurt / Main , 2005.

247

Gerold AMBROSIUS : Von Kriegswirtschaft zu Kriegswirtschaft ( 1914–1945 ). In : Michael NORTH ( Hg. ): Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick. München , 2000 , S. 282–350. Wilhelm ANDREAE : Für und wider den Ständestaat. (= Sonderdruck aus der Tagespost v. 22. 12. 1929 ), Graz , 1929. Wilhelm ANDREAE : Grundlegung einer neuen Staatswirtschaftslehre. Jena , 1930. Wilhelm ANDREAE : Staatssozialismus und Ständestaat. Ihre grundlegenden Ideologien und die jüngste Wirklichkeit in Rußland und Italien , Jena , 1931. Hans-Alexander APOLANT : Die wirtschaftsfriedliche nationale Arbeiterbewegung in Deutschland. Ihr Werden , ihr Wesen , ihr Wollen. Univ. Diss. Leipzig. Altenburg , 1926. Peter AUTENGRUBER : Univ. Prof. Dr. Josef Dobretsberger. Vom Bundesminister für soziale Verwaltung zum Obmann der Demokratischen Union. In : Jahrbuch des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands , Wien 1996. Karl BACHINGER : Die Nachkriegsinflation oder der Weg nach Genf. In : Karl BACHINGER et. al. ( Hg. ): Abschied vom Schilling. Eine österreichische Wirtschaftsgeschichte. Graz-Wien-Köln , 2001 , S. 12–47. Karl BACHINGER : Die neue Währung oder Die Rückkehr zur Normalität ? In : Karl BACHINGER et. al. ( Hg. ): Abschied vom Schilling. Eine österreichische Wirtschaftsgeschichte. Graz-Wien-Köln , 2001 , S. 47–71. Karl BACHINGER : Die trügerische Stabilität oder Die unbewältigte Strukturkrise. In : Karl BACHINGER et. al. ( Hg. ): Abschied vom Schilling. Eine österreichische Wirtschaftsgeschichte. Graz–Wien–Köln , 2001 , S. 71–89. Karl BACHINGER : Die Weltwirtschaftskrise oder die Ratlosigkeit der Politik. In : Karl BACHINGER et. al. ( Hg. ): Abschied vom Schilling. Eine österreichische Wirtschaftsgeschichte. Graz–Wien–Köln , 2001 , S. 89–113. Kurt BAUER : „Steiermark ist einmal gründlich verseucht.“ Regionale Unterschiede bei der Affinität zum Nationalsozialismus in der Phase des Durchbruchs zur Massenbewegung. Mögliche Ursachen und Erklärungsansätze. In : Österreich in Geschichte und Literatur , 43. Jg., Nr. 5–6 , 1999 , S. 295–316. Kurt BAUER : Nationalsozialismus : Ursprünge , Anfänge , Aufstieg und Fall. Wien–Köln– Weimar , 2008. Uwe BAUR /  Karin GRADWOHL-SCHLACHER : Literatur in Österreich 1938–1945. Handbuch eines literarischen Systems. Bd. 1 : Steiermark. Wien–Köln–Weimar , 2008. Siegfried BEER /  Eduard G. STAUDINGER : Grenzziehung per Analogie. Die Miles-Mission in der Steiermark im Jänner 1919. Eine Dokumentation. In : Stefan KARNER /  Gerald SCHÖPFER ( Hg. ): Als Mitteleuropa zerbrach. Zu den Folgen des Umbruchs in Österreich und Jugoslawien nach dem Ersten Weltkrieg. Graz , 1990 , S. 133–152. Klaus BERCHTOLD ( Hg. ): Österreichische Parteiprogramme 1868–1966. München 1967. Egon und Heinrich BERGER-WALDENEGG : Biographie im Spiegel : Die Memoiren zweier Generationen. Wien–Köln–Weimar , 1998. Wolfdieter BIHL : Von der Donaumonarchie zur Zweiten Republik. Wien–Köln , 1989. Francesco BOLDIZZONI : The Poverty of Clio : Resurrecting Economic History , Princeton , 2011. Gerhard BOTZ : Gewalt in der Politik. Attentate , Zusammenstöße , Putschversuche , Unruhen in Österreich 1918 bis 1934. München , 1976. Gerhard BOTZ : Der österreichische Nationalsozialismus. In : Joseph F. DESPUT ( Hg. ): Österreich 1934–1938 : Erfahrungen , Erkenntnisse , Besinnung. Graz–Wien–Köln , 1984 , S. 199–218.

248

Quellen und Literatur

Helmut BRENNER : Die Lage der Mürzzuschlager Arbeiterschaft und ihrer politischen Organisationen 1862–1990. In : Helmut BRENNER /  Wolfgang NAGELE / Andrea PÜHRINGER : Im Schatten des Phönix. Höhen und Tiefen eines dominierenden Industriebetriebes und deren Auswirkungen auf die Region. Gnas , 1993 , S. 13–127. Ernst BRUCKMÜLLER : Sozialgeschichte Österreichs. 2. Aufl. Wien–München , 2001. Alois BRUSATTI : Österreichische Wirtschaftspolitik vom Josephinismus zum Ständestaat. Wien , 1965. Felix BUSSON : Die sozialpolitische Entwicklung in den Betrieben der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft. In : Fritz ERBEN /  Maja LOEHR /  Hans RIEHL ( Hg. ): Die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft 1881–1931. Wien , 1931 , S. 131–193. Felix BUTSCHEK : Österreichische Wirtschaftsgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart. Wien , 2011. Ursula BÜTTNER : Weimar – die überforderte Republik 1918–1933. (= Gebhardt ; Handbuch zur deutschen Geschichte , Bd. 18 ), Stuttgart , 2010. Rudolf CARNAP : Scheinprobleme in der Philosophie. Leipzig–Berlin , 1928. Francis L. CARSTEN : Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler. München 1977. Creditanstalt-Bankverein ( Hg. ): Ein Jahrhundert Creditanstalt-Bankverein. Wien , 1957. Reinald DASSEL (= Walter HEINRICH ): Gegen Parteienstaat , für Ständestaat. Graz–Wien-Klagenfurt , 1929. Bernd-Michael DOMBERG /  K laus RATHJE : Die Stinnes. Vom Rhein in die Welt. Geschichte einer Unternehmerfamilie. Wien , 2009. Werner DROBESCH : Der Deutsche Schulverein 1880–1914. Ideologie , Binnenstruktur und Tätigkeit einer nationalen Kulturorganisation unter besonderer Berücksichtigung Sloweniens. In : Geschichte und Gegenwart. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte , Gesellschaftsanalyse und politische Bildung. 12. Jg , 4 / 1993 , S. 195–212. Peter F. DRUCKER : The End of Economic Man. The Origins of Totalitarianism. London , 2009 [ erstmals 1939 ]. Karl DUNKMANN : Kooperation als Strukturprinzip der Wirtschaft. (= Verwaltung , Interessensvertretung und Forschung. Sonderschriften des Reichsverbandes der Deutschen Volkswirte , Bd. 4. ) München–Leipzig , 1931. C. Earl EDMONDSON : The Heimwehr and Austrian Politics 1918–1936. Athens /  Georgia , 1978. C. Earl EDMONDSON : Heimwehren und andere Wehrverbände. In : Emmerich TALOS et. al. ( Hg. ): Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933. Wien , 1995 , S. 261–276. Friedrich ENGELS : „Anti-Dühring“ ( Marx-Engels-Werke , Bd. 20 ), Berlin ( Ost ), 1962. Fritz ERBEN : Die Ausbildung der Arbeiter. In : Fritz ERBEN /  Maja LOEHR /  Hans RIEHL ( Hg. ): Die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft 1881–1931. Wien , 1931 S. 195–209. Gottfried FEDER : Der deutsche Staat auf nationaler und sozialer Grundlage. Neue Wege in Staat , Finanz und Wirtschaft. München , 1923. Christian FELBER : Die Gemeinwohlökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft. Wien , 2010. Gerald D. Feldman : Hugo Stinnes. Biographie eines Industriellen 1870–1924. München , 1998. Niall FERGUSON : The Ascent of Money. A Financial History of the World. London , 2008. Joachim FEST : Die schwierige Freiheit. Über die offene Flanke der offenen Gesellschaft. Berlin , 1993. Guido FISCHER : Wehrwirtschaft. Ihre Grundlagen und Theorien. Leipzig , 1936.

Literatur

249

Otto FRAYDENEGG-MONZELLO : St. Lorenzen im Mürztal – aus alter und neuer Zeit. St. Lorenzen i. M., 2004. W. R. GARSIDE : The Great Depression 1929–33. In : Michael J. OLIVER /  Derek H. ALDCROFT : Economic Disasters of the Twentieth Century. Cheltenham , 2007 , S. 51–82. Walter GÖHRING : Die Gelben Gewerkschaften Österreichs in der Zwischenkriegszeit. Wien , 1998. Walter GOLDINGER /  Dieter A. BINDER : Geschichte der Republik Österreich 1918–1938. Wien–München , 1992. Peter GORKE :Anton Rintelen ( 1876–1946 ). Eine polarisierende steirische Persönlichkeit. Versuch einer politischen Biographie. Phil. Diss , Univ. Graz , 2002. Lutz-Jürgen GÖTZHABER : Der Versuch einer Zollunion vom Jahre 1931. Univ. Diss., Graz , 1969. A. J. GREGOR : Italian Fascism and Developmental Dictatorship. Princeton , 1984. Ernst HANISCH : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Wien , 1994. Ernst HANISCH : Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des „Austrofaschismus“. In : Emmerich TALOS /  Wolfgang NEUGEBAUER : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938. Wien , 2005 , S. 68–87. Ernst HANISCH : Industrie und Politik 1927–1934 : Dr. Anton Apold , Generaldirektor der Alpine Montangesellschaft. In : Michael PAMMER /  Herta NEISS /  Michael JOHN ( Hg. ): Erfahrung der Moderne. Festschrift für Roman Sandgruber zum 60. Geburtstag. Stuttgart , 2010 , S. 241–253. Ernst HANISCH : Der große Illusionist. Otto Bauer ( 1881–1938 ). Wien , 2011. Gernot D. HASIBA : Die Ereignisse von St. Lorenzen im Mürztal als auslösendes Element der Verfassungsreform von 1929 (= Kleine Arbeitsreihe zur Europäischen und Vergleichenden Rechtsgeschichte , Bd. 11 ), Graz , 1978. Friedrich August HAYEK : The Constitution of Liberty. London , 1960. Friedrich August HAYEK : The Road to Serfdom. London–New York 2010 , S. 42 [ erstmals 1944 ]. N. N. : Heimatschutz in Österreich. Wien 1934. Walter HEINRICH : Staat und Wirtschaft. Ein programmatischer Vortrag über die geistigen Grundlagen der Heimatwehrbewegung. Wien , 1930. Walter HEINRICH : Der Faschismus. Staat und Wirtschaft im neuen Italien. München , 1932. Monika HERMANN : Betriebsführer. In : Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Stuttgart , 1997 , S. 396 sowie Monika HERMANN : Arbeitsordnungsgesetz. In : Wolfgang BENZ /  Hermann GRAML /  Hermann WEISS : Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Stuttgart , 1997 , S. 372. Eugen HERZ : Die finanzielle und kaufmännische Entwicklung der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft. In : Fritz ERBEN /  Maja LOEHR /  Hans RIEHL ( Hg. ): Die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft 1881–1931. Wien , 1931 , S. 2–42. Geoffrey H. HODGSON : How Economics forgot History. The Problem of Historical Specifity in Social Science. New York , 2001. Josef HOFMANN : Der Pfrimer-Putsch. Der steirische Heimwehrprozeß des Jahres 1931. (= Publikationen des österreichischen Instituts für Zeitgeschichte , Bd. 4 ), Graz , 1965. Lothar HÖBELT : Die Heimwehren 1927–1929 : Die Steiermark und der Bund. In : Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark , Nr. 104 , Graz 2013 , S. 219–264. Martha HOWELL /  Walter PREVENIER : Werkstatt des Historikers. Eine Einführung in die historischen Methoden. Köln–Weimar–Wien , 2004.

250

Quellen und Literatur

Edmund HUSSERL : Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie. Weinheim , 1995. Otto HWALETZ : Über einige Ergebnisse der Produktion auf dem Erzberg. In : Otto HWALETZ et. al. : Bergmann oder Werkssoldat. Eisenerz als Fallbeispiel industrieller Politik. Graz , 1984 , S. 205–234. Otto HWALETZ : Die österreichische Montanindustrie im 19. und 20. Jahrhundert. Wien , 2001. Lorenz JÄGER : Das Hakenkreuz – Zeichen im Weltbürgerkrieg. Eine Kulturgeschichte. Wien–Leipzig , 2006. Gerhard JAGSCHITZ : Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich. Graz–Wien– Köln , 1976. Hauke JANSSEN : Nationalökonomie und Nationalsozialismus. Die deutsche Volkswirtschaftslehre in den dreißiger Jahren. (= Beiträge zur Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie , Bd. 10 ). Marburg , 1998. Manfred JOCHUM : Die Erste Republik in Dokumenten und Bildern. Wien , 1983. Nigel JONES : Mosley. London , 2004. Ernst JÜNGER : Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt. Hamburg , 1932. Stefan KARNER : Die Steiermark im 20. Jahrhundert. Graz–Wien–Köln , 2000. Erich KÄSTNER : Wir sind so frei : Chanson , Kabarett , kleine Prosa. München , 1998. Lajos KEREKES : Abenddämmerung einer Demokratie Mussolini , Gömbös und die Heimwehr. Zürich , 1966. Hans KERNBAUER : Österreichische Währungs- , Banken- und Budgetpolitik in der Zwischenkriegszeit. In : Emmerich TALOS et. al. ( Hg. ): Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933. Wien , 1995 , S. 552–569. Hans KERNBAUER : Zur österreichischen Wirtschaftspolitik in der Ersten Republik. Ein Überblick. In : Alice TEICHOVA ( Hg. ): Banken , Währung und Politik im Mitteleuropa zwischen den Weltkriegen. (= Geld und Kapital. Jahrbuch der Gesellschaft für Mitteleuropäische Banken- und Sparkassengeschichte , Bd.1 ). Wien , 1997 , S. 45–62. John Maynard KEYNES : Allgemeine Theorie der Beschäftigung , des Zinses und des Geldes. Berlin , 1936. Israel KIRZNER : Competition and Entrepreneurship. Chicago , 1973. Grete KLINGENSTEIN : Die Anleihe von Lausanne. Ein Beitrag zur Geschichte der Ersten Republik in den Jahren 1931–1934. (= Publikationen des österreichischen Instituts für Zeitgeschichte , Bd. 5 ). Wien–Graz , 1965. Frank H. KNIGHT : Die Grenznutzenlehre. In : Antonio MONTANER ( Hg. ): Geschichte der Volkswirtschaftslehre. Köln–Berlin , 1967 , S. 51–62. Klaus KOCH /  Walter RAUSCHER / Arnold SUPPAN : Unter der Finanzkontrolle des Völkerbundes. (= Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 , Bd. 5 ). München , 2002. Sepp KOGELNIK ( Hg. ): Österreichisches Heimatschutz-Jahrbuch. Graz , 1933. Christopher KOPPER : Hjalmar Schacht. Aufstieg und Fall von Hitlers mächtigstem Bankier. München , 2006. Robert Kriechbaumer : Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945. Wien–Köln–Weimar , 2001. Helmut LACKNER : Rationalisierung in der ÖAMG. Über den systematischen Zugriff auf Produktionsmittel und Arbeiter. In : Robert HINTEREGGER /  Karl MÜLLER /  Eduard STAUDINGER : Auf dem Weg in die Freiheit. Anstöße zu einer steirischen Zeitgeschichte. Graz , 1984 , S. 235–247.

Literatur

251

Walter LAQUEUR : Faschismus. Gestern – heute – morgen. Berlin , 1997. John T. LAURIDSEN : Nazism and the Radical Right in Austria 1918–1934. (= Danish Humanist Texts and Studies , Bd. 32 ). Kopenhagen , 2007. Norbert LESER : „auf halben Wegen und zu halber Tat …“ Politische Auswirkungen einer österreichischen Befindlichkeit. Wien , 2000. Maurice D. LEVI : International Finance. 5. Aufl. London–New York , 2009 , S. 211. Jill LEWIS : Fascism and the Working Class in Austria 1918–1934. New York , 1991. Sebastian MAASS : Dritter Weg und wahrer Staat. Othmar Spann – Ideengeber der Konservativen Revolution. (= Kieler Ideengeschichtliche Studien , Bd. 3 ), Kiel , 2010. Karl MARX /  Friedrich ENGELS : Manifest der Kommunistischen Partei. Ditzingen , 1986. Georg J. E. MAUTNER-MARKHOF : Major Emil Fey. Heimwehrführer zwischen Bürgerkrieg , Dollfuß-Mord und Anschluss. Graz–Stuttgart , 2002. Johannes MESSNER : Die berufständische Ordnung. Innsbruck–Wien–München , 1936. Gerold v. MINDEN : Wirtschaftsführung im Großdeutschen Reich. Politische Aufgaben und wirtschaftliche Möglichkeiten. Berlin , 1939. Ludwig v. MISES : Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus. Jena , 1932. Armin MOHLER /  Karlheinz WEISSMANN : Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch. Graz , 2005. Oskar MORGENSTERN : Die Grenzen der Wirtschaftspolitik. (= Beiträge zur Konjunkturforschung , Bd. 4 ). Wien , 1934. Benito MUSSOLINI : Der Faschismus. Philosophische , politische und gesellschaftliche Grundlehren. München , 1933. Benito MUSSOLINI : Korporativer Staat. Zürich u. a., 1934. N..N. : Das Grundgesetz der Arbeit ( Carta del Lavoro ). In : Benito MUSSOLINI : Vom Kapitalismus zum korporativen Staat. Reden und Gesetze. Köln , 1936 , S. 87–94. Otto NADERER : Der bewaffnete Aufstand. Der Republikanische Schutzbund der österreichischen Sozialdemokratie und die militärische Vorbereitung auf den Bürgerkrieg ( 1923–1934 ). Graz , 2004. Jürgen NAUTZ ; Die CA-Krise 1931. Ein politischer Skandal ? In : Michael GEHLER /  Hubert SICKINGER ( Hg. ): Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim. Thaur–Wie–München , 1996 , S. 222–252. Werner NEUDECK : Die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften in Österreich 1918 bis 1938. In : Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik. Wien , 1986 , S. 220–230. Odo NEUSTÄDTER-STÜRMER : Die berufsständische Gesetzgebung in Österreich. Wien , 1936. Sonja NOLLER : Feder , Gottfried. In : Neue Deutsche Biographie ( NDB ), Bd. 5 , Berlin , 1961 , S. 42. Ernst NOLTE : Der Faschismus in seiner Epoche. München , 1963. Alexander NÜTZENADEL : Agrarpolitik , Marktordnung und Außenhandel im faschistischen Italien 1922–1940. In : Jens PETERSEN /  Wolfgang SCHIEDER ( Hg. ): Faschismus und Gesellschaft in Italien. Staat – Wirtschaft – Kultur. Köln , 1998 , S. 281–306. Richard OVERY : Why the Allies Won. London , 2006. ÖSTERREICHISCHER HEIMATSCHUTZ-BUNDESFÜHRUNG ( Hg. ): Arbeitsbeschaffung. Ein Wegweiser wirtschaftlicher Notwehr. Wien , o. J. [ 1933 ]. Bruce F. PAULEY : Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Der Steirische Heimatschutz und der österreichische Nationalsozialismus 1918–1934. Wien–München–Zürich , 1971. Stanley G. PAYNE : A History of Fascism. 1914–1945. London , 1997. Hans Rudolf PETERS : Wirtschaftspolitik. 3. Aufl. München–Wien , 2000.

252

Quellen und Literatur

Rolf PETRI : Wirtschaftliche Führungskräfte und Regime. Interessen , Wertvorstellungen und Erinnerungsprozesse zwischen Konsens und Krise. In : Jens PETERSEN /  Wolfgang SCHIEDER( Hg. ): Faschismus und Gesellschaft in Italien. Staat – Wirtschaft – Kultur. Köln , 1998 , S. 199–223. Gerhard PIRCHER : Wirtschaftspolitische Vorstellungen der österreichischen Heimwehrbewegung. Univ. Dipl. Arb., Wirtschaftsuniversität Wien , 1985. Ernst PIPER : Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. München , 2005. Othmar PLÖCKINGER : Geschichte eines Buches : Adolf Hitlers „Mein Kampf“ 1922– 1945. München , 2006. Agnes POGANY /  Eduard KUBU /  Jan KOFMAN : Für eine nationale Wirtschaft. Ungarn , die Tschechoslowakei und Polen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. (= Frankfurter Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Ostmitteleuropas , Bd. 16 ). Berlin , 2006. Nikolaus v. PRERADOVICH : Österreichs höhere SS-Führer. Berg am See , 1989. Karin PRIESTER : Der italienische Faschismus. Ökonomische und ideologische Grundlagen. Köln , 1972. Ludger RAPE : Die österreichischen Heimwehren und die bayerische Rechte 1920–1923. Wien , 1977. Ludwig REICHHOLD : Kampf um Österreich. Die Vaterländische Front und ihr Widerstand gegen den Anschluß 1933–1938. Wien , 1984. Hans RICHTER (= Hans RIEHL ): Kapitalismus und Sozialismus. Das gemeinsame ihrer Grundhaltung und die wahre Lösung der sozialen Frage. Graz–Wien–Klagenfurt , 1929. Arnulf RIEBER : Vom Positivismus zum Universalismus. Untersuchungen zur Entwicklung und Kritik des Ganzheitsbegriffs von Othmar Spann. (= Beiträge zur Geschichte der Sozialwissenschaften , Bd. 2 ). Berlin , 1971. Hans RIEHL : Zersetzung und Aufbau. Graz–Wien–Klagenfurt , 1929. Anton RINTELEN : Erinnerungen an Österreichs Weg. München , 1941. Roman SANDGRUBER : Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Wien , 1995. Hans SCHAFRANEK : Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934. Wien , 2006. Kuno SCHEDLER /  Isabella PROELLER : New Public Management. Bern , 2006. Wolfgang SCHIEDER : Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland. Göttingen , 2008. Wolfgang SCHIVELBUSCH : Entfernte Verwandtschaft. Faschismus , Nationalsozialismus , New Deal 1933–1939. Frankfurt /  Main , 2008. Barbara SCHLEICHER : Heißes Eisen. Zur Unternehmenspolitik der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft in den Jahren 1918–1933. Frankfurt /  Main , 1999. N. N. : Korporatismus. In : Manfred G. SCHMIDT : Wörterbuch zur Politik. Stuttgart 2004 , S. 388. Carl SCHMITT : Der Begriff des Politischen. Berlin , 1932. Martin SCHNELLER : Zwischen Romantik und Faschismus. Der Beitrag Othmar Spanns zum Konservatismus der Weimarer Republik. (= Kieler historische Studien , Bd. 12 ), Kiel , 1970. Franz Josef SCHOBER /  Eduard G. STAUDINGER : Dr. Willibald Brodmann – Dr. Hans Tita Probst : zwei Stradener Ärzte. In : Christa SCHILLINGER ( Hg. ): Straden. Straden , 1999 , S. 131–161.

Literatur

253

Gerald SCHÖPFER : Möglichkeiten einer aktiven Konjunkturpolitik im Österreich der zwanziger Jahre. In : Geschichte und Gegenwart. Vierteljahreszeitschrift für Zeitgeschichte , Gesellschaftsanalyse und politische Bildung. 2. Jg , 1 / 1983 , S. 24–46. Eugen Maria SCHULAK /  Herbert UNTERKÖFLER : Die Wiener Schule der Nationalökonomie. Eine Geschichte ihrer Ideen , Vertreter und Institutionen. Wien , 2009. Joseph A. SCHUMPETER : Kapitalismus , Sozialismus und Demokratie. Stuttgart , 1975 [ erstmals 1942 ]. Joseph A. SCHUMPETER : Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Berlin , 1987 [ erstmals 1913 ]. Richard SEIDEL : Die Gelben in Dichtung und Wahrheit. In : Die Arbeit. Zeitschrift für Gewerkschaftspolitik und Wirtschaftskunde. Heft 3 / 1929 , S. 155–171. Gerhard SENFT : Anpassung durch Kontraktion. Österreichs Wirtschaft in den dreißiger Jahren. In Emmerich TALOS /  Wolfgang NEUGEBAUER : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938. Wien , 2005 , S. 182–201. Othmar SPANN : Die Irrungen des Marxismus. Graz–Wien–Klagenfurt , 1929. Othmar SPANN : Völkische Wirtschaft durch Gemeinsamkeit der Ziele. In : Horst WAGENFÜHR ( Hg. ): Begriff und Wesen der Volkswirtschaft. (= Volk und Wirtschaft. Neue Lesestücke zur politischen Ökonomie , Bd. 5 ). Berlin , 1935 , S. 57–59. Othmar SPANN : Die Fragen im Begriffe der Volkswirtschaft. In : Horst WAGENFÜHR ( Hg. ): Begriff und Wesen der Volkswirtschaft. (= Volk und Wirtschaft. Neue Lesestücke zur politischen Ökonomie , Bd. 5 ). Berlin , 1935 , S. 95 f. Othmar SPANN : Die Bedeutung des Ständischen Gedankens für die Gegenwart. Vortrag , gehalten am 9. 6. 1933 vor der „Confederazione Nazionale Fascista del Commercio“ in Rom. In : Othmar SPANN : Kämpfende Wissenschaft. (= Gesamtausgabe , Bd. 7 ), Graz ,1969 , S.  5–18. Othmar SPANN : Der wahre Staat. (= Gesamtausgabe , Bd. 5 ). Graz , 1972. Othmar SPANN : Vom Wesen des Volkstums – was ist deutsch ? In : Othmar SPANN : Kleine Schriften zur Wirtschafts- und Gesellschaftslehre (= Gesammelte Werke , Bd. 8 ). Graz , 1975 , S. 3–46. Eduard G. STAUDINGER : „Unabhängige Gewerkschaft“ und Arbeiterschaft in der Obersteiermark 1927–1933. In : Geschichte und Gegenwart. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte , Gesellschaftsanalyse und politische Bildung. 4. Jg , 1 / 1984 , S. 54–81. Andre STEINER : Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR. Berlin , 2007. Zeev STERNHELL : The Anti-Enlightenment Tradition. New Haven–London , 2010. Dieter STIEFEL : Finanzdiplomatie und Weltwirtschaftskrise. Die Krise der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe 1931. (= Schriftenreihe des Instituts für bankhistorische Forschung e. V., Bd. 12 ). Frankfurt /  Main , 1989. Dieter STIEFEL : „Gold gab ich für Eisen“. In : Karl BACHINGER et. al. ( Hg. ) Abschied vom Schilling. Eine österreichische Wirtschaftsgeschichte. Graz–Wien–Köln , 2001 , S. 135–154. Karl STOCKER : Arbeiterschaft zwischen Selbstbestimmung und Unternehmenskontrolle. In : Otto HWALETZ et. al. : Bergmann oder Werkssoldat. Eisenerz als Fallbeispiel industrieller Politik. Graz , 1984 , S. 15–58. Karl STOCKER /  Otto HWALETZ : Dokumente und Flugblätter zu den Gemeinderatswahlen in Eisenerz 1928–1932. In : Otto HWALETZ et. al. : Bergmann oder Werkssoldat. Eisenerz als Fallbeispiel industrieller Politik. Graz , 1984 , S. 121–146. Dieter SWATEK : Unternehmenskonzentration als Ergebnis und Mittel nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik. (= Volkswirtschaftliche Schriften , Bd. 181 ). Berlin , 1972.

254

Quellen und Literatur

Peter TEIBENBACHER : Heimat für die Seele des Arbeiters. In : Otto HWALETZ et. al. : Bergmann oder Werkssoldat. Eisenerz als Fallbeispiel industrieller Politik. Graz , 1984 , S. 147–156. Alice TEICHOVA : Wiens wechselvolle Rolle als Finanzzentrum in Europa während des 20. Jahrhunderts. In : Alice TEICHOVA ( Hg. ): Banken , Währung und Politik im Mitteleuropa zwischen den Weltkriegen. (= Geld und Kapital. Jahrbuch der Gesellschaft für Mitteleuropäische Banken- und Sparkassengeschichte , Bd.1 ). Wien , 1997 , S. 23–44. Ferdinand TÖNNIES : Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. Darmstadt , 2005 [ erstmals 1887 ]. Adam TOOZE : Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. München , 2007. Henry Ashby TURNER , Jr. : German Big Business and the Rise of Hitler. New York , 1985. Albert VÖGLER : Staat und Wirtschaft. In : Staat oder Wirtschaft. Eine Diskussion. (= Schriften der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V., Bd. 5 ). Berlin , 1924. S. 128–141. Herwart VORLÄNDER ( Hg. ): Oral history – mündlich erfragte Geschichte , Göttingen , 1990. Karl VORWERCK /  Karl DUNKMANN : Die Werksgemeinschaft in historischer und soziologischer Beleuchtung. Berlin , 1928. Thor v. WALDSTEIN : Der Beutewert des Staates. Carl Schmitt und der Pluralismus. Graz , 2009. Rolf WALTER : Einführung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Köln–Weimar–Wien , 2008. Gudula WALTERSKIRCHEN : Starhemberg oder die Spuren der 30er-Jahre. Wien , 2002. Richard Walzel : Felix Busson. In : Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung 7. Jg. ( 1962 ), S. 156–168. Max WEBER : Wirtschaft und Gesellschaft. 6. Aufl. Tübingen , 1980. Walter WILTSCHEGG : Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung ? (= Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte , Bd. 7 ). Wien , 1985. Ilse WIESER : Die Formung der Hausfrau am Beispiel der Eisenerzer Hauswirtschaftsschulen. In : Otto HWALETZ et. al. : Bergmann oder Werkssoldat. Eisenerz als Fallbeispiel industrieller Politik. Graz , 1984 , S. 95–120. Walter WILTSCHEGG : Zum „Korneuburger Gelöbnis“ der Heimwehr. In : Geschichte und Gegenwart. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte , Gesellschaftsanalyse und politische Bildung. 5. Jg , 2 / 1986 , S. 139–158. Wolfgang WIPPERMANN : Faschismustheorien. Darmstadt , 1989. Christian ZECHNER : Walter Pfrimer. Ein deutschnationaler Heimwehrführer als Wegbereiter für den Nationalsozialismus in der Steiermark. Univ. Dipl. Arbeit. Graz , 2004.

Literatur

255

HEIMO HALBRAINER, GERALD LAMPRECHT, URSULA MINDLER (HG.)

NS-HERRSCHAFT IN DER STEIERMARK POSITIONEN UND DISKURSE

Was wussten die Menschen in der Steiermark tatsächlich von den Ereignissen und Verbrechen der Nationalsozialisten nach der Machtergreifung ? Der Band zeigt die großen Entwicklungslinien des Nationalsozialismus und widmet sich u. a. den Themen : Wege zum »Anschluss« , Zwangsarbeit , Konzentrationslager auf steirischem Gebiet , Verfolgung der jüdischen Bevölkerung , Rolle der Katholischen Kirche , NS-Kulturpolitik am Beispiel der Literatur , Situation der steirischen Universitäten sowie Todesmärsche , bei denen ungarische Jüdinnen und Juden durch die Steiermark getrieben wurden. 2012. 541 S. 26 S/W-ABB. UND TAB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78396-1

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar