Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftspolitik der DDR [1 ed.] 9783428456413, 9783428056415

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Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftspolitik der DDR [1 ed.]
 9783428456413, 9783428056415

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Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftspolitik der DDR

STUDIEN ZUR DEUTSCHLANDFRAGE Herausgegeben vom Göttinger Arbeitskreis

BAND 8

Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftspolitik der DDR

Mit Beiträgen von Kurt Erdmann · Gernot Gutmann Herwig E. Haase · Maria Haendcke ·Hoppe Erika Lieser · Siegfried Mampel Klemens Pleyer · Karl C. Thaiheim Gottfried Zieger

DUNCKER &

HUMBLOT I BERLIN

Die in dieser Reihe veröffentlichten Beiträge geben ausschließlich die Ansichten der Verfasser wieder.

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wirtschaftsverfassung UDd Wirtschaftspolitik

der DDR I mit Beitr. von Kurt Erdmann ... -

Berlin: Duncker und Humblot, 1984. (Studien zur Deutschlandfrage; Bd. 8) (Veröffentlichung I Göttinger Arbeitskreis; Nr. 432) ISBN 3-428-05641-8 NE: Erdmann, Kurt [Mitverf.]; Göttinger Arbeitskreis: Veröffentlichung; 1. GT

Der Giittinger Arbeitskreis: Veröffentlichung Nr. 432 Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1984 bei Werner Hlldebrand, Berlin 65 Printed in Germany

© 1984 Duncker

ISBN 3-428-05641-8

INHALT

Ideologische und politische Grundlagen des Wirtschaftssystems der DDR Von Prof. Dr. Kar/ C. Thalheim, Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen, Berlin .... .. ................ .. ~ .

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Defizite der theoretischen Grundlagen für ordnungspolitische Reformen in der DDR Von Prof. Dr. Gernot Gutmann, Universität Köln

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Die Wirtschaftsverfassung der DDR Von Prof. Dr. Gottfried Zieger, Universität Göttingen

43

Die Rechtsstellung der Kombinate Prof. Dr. Siegfried Mampel. Gesellschaft für Deutschlandforschung, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Reformbemühungen am DDR-Wirtschaftssystem in den 70er Jahren Von Dipi.-Kfm. Kurt Erdmann, Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101

Der Wirtschaftsvertrag in der DDR. Entwicklung, Gegenwartsprobleme, Reform Von Prof. Dr. K/emens Pleyer, Universität Köln

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Möglichkeiten und Grenzen privatwirtschaftlicher Betätigung in der DDR Von Dip!.-Volkswirt Maria Haendcke-Hoppe, Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Die Rolle der öffentlichen Finanzen im Wirtschaftssystem der DDR Von Dr. Herwig E. Haase, Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Handhabung des Außenhandelsmonopols in der DDR Von Dr. Erika Lieser-Triebnigg, Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Beiträge dieses Bandes fußen auf Vorträgen, die auf der Wissenschaftlichen Fachtagung des Göttinger Arbeitskreises am 30. und 31. Oktober 1981 in Göttingen gehalten wurden.

IDEOLOGISCHE UND POLITISCHE GRUNDLAGEN DES WIRTSCHAFTSSYSTEMS DER DDR Von Kar! C. Thaiheim Als am 22. April 1946 auf dem sog. "Vereinigungsparteitag" in Osthertin KPD und SPD der sowjetischen Besatzungszone und Osthertins zur .,Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) zusammengeschlossen wurden, war die Grundlage für ein Wirtschaftssystem gelegt, das in den entscheidenden Grundzügen dem Sowjetsystem nachgebildet wurde. Die weitgehende Übereinstimmung beider Systeme zeigte sich bald sowohl in ihrer politischen Struktur als auch in der zugrundeliegenden Ideologie. Natürlich hat es in der SBZ bzw. DDR noch eine geraume Zeit gedauert, bis die Angleichung an das angestrebte Vorbild annähernd gelungen war, und einige Unterschiede bestehen auch heute noch sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Bereich, wenn auch ohne Zweifel die Gemeinsamkeiten größer sind. Die Entwicklung der Verfassung der DDR zeigt deutlich diese fortschreitende Anpassung. In der ersten Verfassung vom 7. Oktober 1949 ist noch von .,Deutschland" die Rede, das als .,eine unteilbare demokratische Republik" bezeichnet wird. Dem Staat wird in dieser Verfassung zwar die Aufgabe gestellt, durch Wirtschaftslenkung jedem Bürger Arbeit und Lebensunterhalt zu sichern; es ist auch -ohne größere Betonung- von einem .,öffentlichen Wirtschaftsplan" die Rede, die Ordnung des Wirtschaftslebens soll den Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit entsprechen, die Wirtschaft hat dem Wohle des ganzen Volkes und der Deckung seines Bedarfes zu dienen; aber .,im Rahmen dieser Aufgaben und Ziele ist die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen gewährleistet." Ganz anders die Verfassung vom 6. Aprill968! Schon im Vorspruch wird sie als .,sozialistische Verfassung" bezeichnet; der für die Wirtschaftsordnung maßgebende Art. 9 legt fest: a) daß die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln beruht, b) daß in der Deutschen Demokratischen Republik der Grundsatz der Pla~ nung und Leitung der Volkswirtschaft sowie aller anderen gesellschaftlichen Bereiche gilt . .,Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik ist sozialistische Planwirtschaft."

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Die Verfassungsänderung vom 7. Oktober 1974 hat in Art. I aus dem "sozialistischen Staat deutscher Nation" den "sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern" gemacht. Im Art. 9 wurde "die zielstrebige Verwirklichung der sozialistischen ökonomischen Integration" neu aufgenommen; außerdem wurde entsprechend der unter Honecker veränderten Terminologie die bis dahin stereotype Bezeichnung "Planung und Leitung" in "Leitung und Planung" umgestellt. Beide Fassungen enthalten im Unterschied zu der Verfassung von 1949 den für die politische Struktur des zweiten deutschen Staates entscheidenden Satz: ,,Sie (nämlich die DDR) ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei." (Hervorhebung von mir. Tb.) Damit sind wir mitten drin in der Erörterung sowohl der ideologischen als auch der politischen Grundlagen des Wirtschaftssystems der DDR. Es erscheint mir völlig unmöglich, das weitgespannte Thema als Ganzes zu behandeln; ich kann in diesem Kreise ohne Zweifel auch sehr vieles als bekannt voraussetzen. Daher möchte ich mich auf 4 Themen beschränken, die innerhalb der DDR-Forschung seit etwa I I /2 Jahrzehnten in wachsendem Maße kontrovers geworden sind. Sie lauten: I. Welche Rolle spielt für die heutige Wirtschaftspolitik der SED die Ideologie? Kann man noch von einer Ideologiegebundenheit des Systems sprechen, oder ist dieses ganz überwiegend pragmatisch geworden? 2. Haben sich in der konkreten Auslegung dessen, was als "sozialistische Planwirtschaft" verstanden wird, Änderungen vollzogen? Wenn ja, sind diese systemverändernd? 3. Kann man im heutigen Wirtschaftssystem der DDR noch eine Erscheinungsform des Totalitarismus sehen? 4. Wie groß ist der Einfluß der Sowjetunion und der "sozialistischen ökonomischen Integration" auf die Wirtschaft der DDR? Ist diese noch Satellit der Sowjetunion --oder inzwischen zum Juniorpartner geworden? Es dürfte deutlich ein, daß diese Frag~n nicht nur theoretisch und wissenschaftlich wichtig sind, sondern daß die richtigen Antworten darauf auch politische Relevanz besitzen. Zur ersten Frage: Welche Rolle spielt für die heutige Wirtschaftspolitik der SED die Ideologie? Dazu muß ich zunächst erläutern, was hier unter Ideologie verstanden werden soll. Gemeint ist nicht der Marxsche Begriff, der Ideologie mit "falschem Bewußtsein" gleichsetzte. Das "Ökonomische Lexikon" der DDR formuliert in seinerneuen 3. Auflage folgendermaßen: "Ideologie= spezifische Gesamtheit von Bewußtseinsinhalten und -formen, in denen jeweils die Interessen einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse oder Schicht, sozialen Gruppierung oder Bewegung zum Ausdruck gebracht

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werden." Es heißt dann weiter: Da das Klasseninteresse des Proletariats mit dem gesellschaftlichen Fortschritt zusammenfalle, könne das Proletariat die Klassenschranken der Erkenntnis überwinden. In der sozialistischen Ideologie seien Parteilichkeit und Wissenschaftlichkeit nicht nur vereinbar, sondern bedingten einander. Die "Partei der Arbeiterklasse" -die S~D also -müsse die ideologische Arbeit in das Zentrum ihrer Führungstätigkeit stellen und die pluralistische Idee verschiedener "Marxismen" strikt zurückweisen I. Die zuletzt genannte These bedeutet, daß die SED- natürlich zusammen mit der Sowjetunion - den Anspruch erhebt, daß ihre Auffassung vom Marxismus -nämlich die marxistisch-leninistische -die einzig richtige sei und daß allein sie als "Sozialismus" anerkannt werden könne. So hieß es noch ganz kürzlich in einem längeren Aufsatz des "Neuen Deutschland": "An immer neuen Sozialismusmodellen, auch wenn sie mit Beiwörtern wie menschlich, demokratisch, wahrhaft usw. dekoriert werden, haben wir kein Interesse. Die modernen Fahrzeuge in die sozialistische Zukunft müßte man uns doch einmal in Funktion vorführen. Aber das kann keiner. Wir bleiben bei den "marxistisch-leninistischen Prinzipien"2•

Hier wird also für die marxistisch-leninistische Auffassung des in so vielen Gestalten auftretenden Sozialismus Unfehlbarkeit beansprucht. In der DDR-Literatur der letzten Zeit ist dieser Totalitätsanspruch des Marxismus-Leninismus mehrfach stark betont worden -- sicherlich nicht zuletzt im Hinblick auf die Entwicklung in Polen. Wenn wir nun die Frage stellen, wieweit die DDR-Führung der Ideologie des Marxismus-Leninismus treugeblieben ist, so kann es sich in diesem Vortrage natürlich schon aus Zeitgründen nur um die ökonomischen Teile dieser Ideologie handeln. In deren Mittelpunkt steht ohne jeden Zweifel die Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln. Sozialismus ist vor allem, um das Programm der SED von 1976 zu zitieren, "die ungeteilte Herrschaft der sozialistischen Produktionsverhältnisse"3, d. h. einer Produktionsweise, in der die Produktionsmittel nicht mehr in individuellem Eigentum stehen. Das ist in der DDR in der Tat der Fall, das individuelle Eigentum an Produktionsmitteln ist bis auf kleine Reste völlig verschwunden. Da dieser Restbestand in einem der folgenden Referate von Frau Haendcke-Hoppe behandelt wird, brauche ich an dieser Stelle nicht weiter darauf einzugehen. 1 Ökonomisches Lexikon. 3., neu bearbeitete Auflage. Bd. 2 (H-P). Berlin (Ost) 1979. S. 65/66. 2 G. K.ertzscher: "Orientierungskrise -- wo denn?'' In: Neues Deutschland vom 10. 1II. Oktober 1981. 3 Programm und Statut der SED. Seminarmaterial des Gesamtdeutschen Instituts --Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben. Bonn ( 1976), S. 6.

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Für mein Thema ist es jedoch von großer Bedeutung, wie die heutigen Produktionsverhältnisse, die von der SED als "sozialistisch'' bezeichnet werden, sich zur Ideologie des Marxismus-Leninismus verhalten. In der DDR gibt es die 3 Formen des "sozialistischen Eigentums": das .,gesamtgesellschaftliche Volkseigentum" das ,,genossenschaftliche Gemeineigentum werktätiger Kollektive" das .,Eigentum gesellschaftlicher Organisationen der Bürger".

Das letztere können wir wegen seiner geringen Bedeutung hier unberücksichtigt lassen. Weitaus am wichtigsten ist das sog. "Volkseigentum". Von den Berufstätigen (ohne Lehrlinge) entfielen im Jahre 1979 ziemlich genau 80% auf "volkseigene" Betriebe, etwa 15% auf sog. "sozialistische" Genossenschaften. Diese "volkseigenen" Betriebe sind aber in Wirklichkeit eindeutig Staatsbetriebe. Folgende Merkmale beweisen das: I. Die leitenden Personen dieser Betriebe werden von staatlichen Behörden ernannt und abberufen. 2. Die Gewinne dieser Betriebe fließen zum größten Teil in den Staatshaushalt; welcher Teil den Betrieben verbleibt und wie er verwendet werden darf, bestimmen staatliche Gesetze.

3. Die Betriebe sind staatlichen Behörden (Ministerien, Bezirkswirtschaftsräten) unterstellt, ihre Tätigkeit wird weitgehend durch diese Behörden geregelt. 4. Das Strafgesetzbuch der DDR behandelt im I. Abschnitt des 5. Kapitels ,.Straftaten gegen das sozialistische Eigentum".§ 157 definiert als ,.sozialistisches Eigentum" an erster Stelle: .,das Vermögen der Deutschen Demokratischen Republik, ihrer Organe, Einrichtungen und Betriebe (Volkseigentum)". Auch diese Definition läßt den Charakterdes Volkseigentums als faktisches Staatseigentum erkennen. Wie verhält sich dieser Tatbestand zu den Vorstellungen der Erzväter des Marxismus? Friedrich Engels sagte in seiner Schrift "Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft"4, dem sogenannten "Anti-Dühring": die gewaltig anwachsenden Produktivkräfte .,treiben zu derjenigen Form der Vergesellschaftung größerer Massen von Produktionsmitteln, die uns in den verschiedenen Arten von Aktiengesellschaften gegenübertritt.. .. Auf einer gewissen Entwicklungsstufe genügt auch diese Form nicht mehr: der offizielle Repräsentant der kapitalistischen Gesellschaft, der Staat, muß ihre Leitung übernehmen." Aber ,,der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, ... der ideelle Gesamtkapitalist ... Das Staatseigentum an den Produktivkräften ist nicht die Lösung des Konflikts, aber es birgt in sich das formelle Mittel, die Handhabe der Lösung." 4

Hier zitiert nach der Ausgabe Moskau-Leningrad 1934, S. 272/73.

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Insoweit könnte also die SED die Verstaatlichung als Realisierung der Vorstellungen der Erzväter deklarieren. Aber schon die Tatsache, daß sie die faktische Verstaatlichung verbal zu verschleiern versucht, indem sie statt von Staatseigentum von .,gesamtgesellschaftlichem Volkseigentum" spricht, zeigt, daß sie dabei ein schlechtes Gewissen hat. Und in der Tat: wenn man bei Engels weiter liest, sieht man bald die Diskrepanz. Die wirkliche Lösung, so führte Engels aus, könne nur darin liegen, daß .,die Produktions-, Aneignungs- und Austauschweise in Einklang gesetzt wird mit dem gesellschaftlichen Charakter der Produktionsmittel. Und dies kann nur dadurch geschehen, daß die Gesellschaft offen und ohne Umwege Besitz ergreift von den jeder anderen Leitung außer der ihrigen entwachsenen Produktivkräften"s. Bekanntlich ist der Staat für Engels immer ein Produkt der Klassengesellschaft. Wenn als Ergebnis der., Vergesellschaftungder Produktionsmittel" eine klassenlose Gesellschaft entsteht, verliert der Staat seine Existenzgrundlage, er .,stirbt ab". .,An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen." Näheres darüber, von wem und wie verwaltet und geleitet werden soll, wenn es keinen Staat mehr gibt, sagt uns Engels freilich nicht, und ebensowenig erfahren wir von ihm -- oder von Marx -- etwas darüber, was denn eigentlich in concreto .,gesellschaftliches Eigentum" sein kann, wenn es nicht Staatseigentum bleiben darf. Die Gesellschaft ist aber, um mit Leopold v. Wiese zu sprechen, ein "abstraktes Kollektivum", das als solches nicht handlungsfähig ist; es muß also eine Organisation oder Institution geben, die die gesamtgesellschaftlichen Interessen verkörpert (~obei hier auf die Problematik der Ermittlung der gesamtgesellschaftlichen Interessen nicht eingegangen werden kann). Nach leninistischer Vorstellung ist die Gestalterin der entwickelten sozialistischen Gesellschaft die kommunistische Partei als "bewußter und organisierter Vortrupp der Arbeiterklasse" --in der DDR also die SED. Sie ist deshalb nach diesen Vorstellungen auch dazu berufen, dem .,gesellschaftlichen Eigentum" eine konkrete Gestalt zu geben. Gerade die Unbestimmtheit, in der von den geistigen Vätern des MarxismusLeninismus der Begriff der "Vergesellschaftung" gelassen worden ist, gibt der SED die Möglichkeit, das heutige Volkseigentum mindestens als Obergangsform zum eigentlich gesellschaftlichen Eigentum zu deklarieren. Freilich, um die volle Obereinstimmung mit den Lehren der Erzväter behaupten zu können, muß die SE D gewisse Tatbestände ignorieren, die mit der jetzigen Form des "sozialistischen Eigentums" eng verbunden sind, ganz offenbar aber mit den Vorstellungen von Marx und Engels übereine sozialistische Gesellschaft nicht vereinbar sind. Ich erwähnte eben schon die Engels'sche Theorie vom Absterben des Staates, die die Entstehung einer klassenlosen Gesellschaft durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel s a.a.O., S. 273/74.

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voraussetzt. Ist nun in den Ländern des .,realen Sozialismus" eine solche klassenlose Gesellschaft entstanden? Das bisher noch immer gültige Parteiprogramm der KPdS V aus der Zeit Chruschtschows, angenommen auf dem 22. Parteikongreß im Jahre 1961, definiert den Kommunismus als .,eine klassenlose Gesellschaftsordnung, in der die Produktionsmittel einheitliches Volkseigentum und sämtliche Mitglieder der Gesellschaft sozial völlig gleich sein werden''6. Daß dies weder für die Gesellschaft der Sowjetunion noch für diejenige der DDR zutrifft, bedarfwohl keiner Begründung. Das Parteiprogramm der SED bezeichnet es etwas vorsichtiger als deren Aufgabe, .,die entwickelte sozialistische Gesellschaft weiter zu gestalten. Ihr Zielist es, die kommunistische Gesellschaft zu errichten. " 7 Dementsprechend können beide Parteien die noch vorhandene Ungleichheit damit erklären, daß sie sich erst auf dem Wege zum Vollkommunismus befinden. So hat auch Breshnew auf dem XXVI. Parteitag der KPdSU erklärt: die Entwicklung zum Kommunismus vollzöge sich über die Etappe der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. .,Das ist . . . eine notwendige, gesetzmäßige und geschichtlich lange Periode in der Entwicklung der kommunistischen Gesellschaftsformation. "8 Aber daraus, daß -- um noch einmal mit den Worten von Engels zu sprechen --Sachen (nämlich Produktionsmittel und Betriebe) verwaltet und Produktionsprozesse geleitet werden müssen, ergeben sich bestimmte Konsequenzen, deren Vereinbarkeil mit der marxistisch-leninistischen Ideologie geprüft werden muß. Für diese Aufgaben ist im .,real existierenden Sozialismus" eine neue Berufs- und soziale Gruppe entstanden: die der ..sozialistischen Manager". Sie umfaßt in der DDR vor allem die Generaldirektoren der Kombinate, die Direktoren der Betriebe, auch der staatlichen Handelsunternehmen, die leitenden Personen in den staatlichen Behörden, besonders den Ministerien -- und nicht zuletzt die hauptberuflichen Funktionäre der SED und per mit ihr eng verbundenen Massenorganisationen. Die Existenz und Bedeutung dieser ..neuen Klasse" ist besonders durch das gleichnamige Buch des Jugoslawen Djilas weiten Kreisen bekannt geworden. Wie Djilas formuliert, besteht sie .,aus Leuten, die wegen des administrativen Monopols, das sie innehaben, Privilegien und materielle Vorteile genießen." Den Kern dieser neuen Klasse bilden jedoch - - und darin möchte ich Djilas völlig zustimmen -- nicht die Wirtschaftsmanager, sondern die politische Bürokratie. Die westliche Beschäftigung mit der .,neuen Klasse" betont in der Regel besonders die hervorgehobene materielle Existenz ihrer Angehörigen, ihre Privilegien hinsichtlich Wohnung, Versorgung, Reisemöglichkeiten u. a . Meissner. Boris: Das Parteiprogramm der KPdSU 1903 bis 1961. Köln 1962. S. 186. Programm und Statut der SED. a.a.O .• S. 2. s Quelle: .,Einheit". Jg. 1981, H. 10, S. 978.

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mehr. Das trifft zu, wenn auch die materiellen Unterschiede --erst recht die der Vermögensverteilung-inden westlichen Marktwirtschaften sicherlich größer sind als in den Gesellschaften des real existierenden Sozialismus. Aber für meine Betrachtung ist das nicht entscheidend: die politischen Funktionäre und die .,sozialistischen Manager" würden auch dann eine besondere und hervorgehobene Klasse bilden, wenn völlige materielle Gleichheit bestünde. Der entscheidende Unterschied liegt in ihrer Funktion: die Verfügung über die in Staatseigentum übergegangenen Hauptteile der Wirtschaft hebt sie erheblich über alle diejenigen hinaus, die als Arbeiter und Angestellte vor allem Weisungen auszuführen haben; denn in der DDR ebenso wie in der Sowjetunion wird durch mancherlei Institutionen ebenso wie durch den sog. .,sozialistischen Wettbewerb" eine Mitbestimmung der ., Werktätigen" mehr vorgetäuscht als wirklich realisiert. Die grundlegenden Entscheidungen über die Wirtschaftsentwicklung liegen aber bei den kleinen Führungsgruppen der kommunistischen Parteien, in allererster Linie bei den Mitgliedern des Politbüros. Darauf wird noch einzugehen sein. Die Existenz dieser .,neuen Klasse", die ausschließlich Leitungsfunktionen hat, an der ausführenden Arbeit aber nicht mehr beteiligt ist, bedeutet, daß die aus dem Kapitalismus übernommene vertikale Arbeitsteilung unverändert weiter besteht. Das ist ein deutlicher Widerspruch zu den ursprünglichen Vorstellungen und Zielen des klassischen Marxismus. In der .,Kritik des Gothaer Programms" hat es Marx als einen der Wesenszüge der .,höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft", d. h. also des Vollkommunismus, bezeichnet, daß .,die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist." Die Arbeit soll damit .,nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis" werden9• Die Arbeitsteilung ist für Marx eine wesentliche Ursache der Entfremdung, außerdem, wie auch von Engels betont wurde, der Klassenteilung. Da sie in der DDR weiterbesteht, kann diese nach den Vorstellungen der marxistischen Klassiker nicht behaupten, Entfremdung und Klassenteilung bereits überwunden zu haben. Allerdings kann sich die DDR-Führung auch in dieser Beziehung darauf berufen, daß ja nach ihrem Selbstverständnis in der jetzigen Phase erst die "entwickelte sozialistische Gesellschaft", noch nicht der Kommunismus aufgebaut wird. Jedoch sind, so meine ich, noch nicht einmal Ansatzpunkte der Entwicklung zu einer Gesellschaftsformation festzustellen, in der die .,knechtende Unterordnung der Individuen" unter die Arbeitsteilung überwunden wird. Mit der ursprünglichen Ideologie des Marxismus hat diese Wirklichkeit der DDR-Gesellschaft also wenig zu tun --wohl aber mit der von Sta/in 9 Hier zitiert nach: Diehl, Kar!, und Paul Mombert: Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus. Zweite Abteilung. (Ausgewählte Lesestücke zum Studium der politischen Ökonomie. Bd. 12) Karlsruhe 1920, S. 145/46.

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vorgenommenen ideologischen Veränderung. In seiner letzten Schrift "Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR" schrieb er nämlich: .,Manche Genossen behaupten, daß mit der Zeit nicht nur der wesentliche Unterschied zwischen Industrie und Landwirtschaft, zwischen körperlicher und geistiger Arbeit verschwinde, sondern daß sogar jeglicher Unterschied zwischen ihnen verschwinde. Das stimmt nicht. Die Beseitigungdes wesentlichen Unterschieds zwischen Industrie und Landwirtschaft kann nicht zur Beseitigung jeglichen Unterschieds zwischen ihnen führen. Irgendein Unterschied, wenn auch kein wesentlicher, wird angesichts der Verschiedenheit der Arbeitsbedingungen in der Industrie und in der Landwirtschaft unbedingt bestehen bleiben ... Dasselbe muß über den Unterschied zwischen geistiger und körperlicher Arbeit gesagt werden. Der wesentliche Unterschied zwischen ihnen im Sinne der großen Ungleichheit im kulturell-technischen Niveau wird unbedingt verschwinden. Aber irgendein Unterschied, wenn auch kein wesentlicher, wird dennoch bestehen bleiben, und sei es nur darum, weil die Arbeitsbedingungen des leitenden Personals der Betriebe und die Arbeitsbedingungen der Arbeiter nicht die gleichen sind."IO

Völlig offen bleibt dabei, nach welchen Kriterien das "Wesentliche" bestimmt werden kann. Man wird heute in der DDR Stalin schwerlich noch als Eideshelfer für die Richtigkeit der bestehenden Gesellschaftsordnung heranziehen; seine Revision der marxistischen Ideologie hinsichtlich der Arbeitsteilung dürfte aber durchaus den Vorstellungen der SED-Führung entsprechen. Rudolf Bahro hat als überzeugter marxistischer Kritiker des real existierenden Sozialismus in der DDR in seinem 1977 erschienenen Buche "Die Alternative" herbe Kritik an dem Fortbestand der vertikalen Arbeitsteilung -- d. h. vor allem der Trennung zwischen leitender und ausführender Arbeit -- geübt. Ich zitiere zwei Sätze daraus: .,Gesamtgesellschaftliche Organisation auf der Basis der alten Arbeitsteilung kann nur gesamtstaatliche Organisation, kann nur Vergesellschaftung in dieser entfremdeten Form sein, zumal in den modernen Massengesellschaften mit ihrem hyperkomplexen Reproduktionsprozeß. Unter Marxisten heißt es eigentlich, Eulen nach Athen zu tragen, wenn man feststellt, daß reales gesellschaftliches Eigentum nicht unter der Herrschaft der alten Arbeitsteilung gedeihen kann.""

Diese Diskrepanz zwischen Ideologie und Wirklichkeit ist offenbar auch der Führungsschicht des DDR-Systems bewußt. So oft man sich sonst auf Marx und Engels beruft: ihre Forderung nach Überwindung der "alten Arbeitsteilung" wird in der Literatur der DDR nur selten erwähnt. Es ist kennzeichnend, daß in dem 1969 erschienenen Lehrbuch "Politische Ökono1o Hier zitiert nach: Kernig, C. D. (Hrsg.): Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie. Bd. I. Freiburg 1966, Sp. 267. II Bahro, Rudolf: Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus. Frankfurt a. M. 1977. S. 166.

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mie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR" in dem Kapitel, das dem Prozeß der Vergesellschaftung der Arbeit gewidmet ist, dieser Teil der klassisch-marxistischen Ideologie überhaupt unterschlagen wird. Zu den Grundelementen dieser Ideologie gehörte ohne Zweifel auch die Bejahung einer Planung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung; doch haben weder Marx noch Engels viel Nachdenken darauf verwendet, wie eine solche Planung beschaffen sein, welcher Instrumente sie sich bedienen solle, wie sie funktionieren werde. Die Möglichkeiten der Auslegung des Grundprinzips sind in dieser Beziehung also wesentlich größer als bei dem Grundsatz der "Vergesellschaftung der Produktionsmittel". Lenin allerdings hat sich zunächst sehr entschieden für eine stark zentralistische Planung ausgesprochen. Im März 1918 erklärte er in einer Rede auf dem 7. Parteitag der "Kommunistischen Partei Rußlands": .,Die Organisierung der Rechnungsführung, die Kontrolle über die Großbetriebe, die Umwandlung des ganzen staatlichen Wirtschaftsmechanismus in eine einzige große Maschine, in einen Wirtschaftsorganismus, der so arbeitet, daß sich Hunderte Millionen Menschen nach einem einzigen Plan richten -- das ist die gigantische organisatorische Aufgabe, die uns zugefallen ist."1 2

In der ebenfalls im Frühjahr 1918 entstandenen Schrift Lenins "Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" heißt es: .,. .. daß jede maschinelle Großindustrie - d. h. gerade die materielle, die Produktionsquelle und das Fundament des Sozialismus -- eine unbedingte und strenge Einheit des Willens erfordert, der die gemeinsame Arbeit von hunderten, tausenden und zehntausenden Menschen leitet. Sowohl technisch als auch ökonomisch und historisch leuchtet diese Notwendigkeit ein und ist stets von allen, die jemals über den Sozialismus nachgedacht haben, als seine Voraussetzung anerkannt worden. Aber wie kann die strengste Einheit des Willens gesichert werden? Durch die Unterordnung des Willens von Tausenden unter den Willen eines einzigen ... Die unbedingte Unterordnung unter einen einzigen Willen ist für den Erfolg der Prozesse der Arbeit, die nach dem Typus der maschinellen Großindustrie organisiert wird, eine absolute Notwendigkeit. "13

Es war eine Ironie der Geschichte, daß gerade Lenin durch die Gefahr einer wirtschaftlichen Katastrophe gezwungen war, bereits im März 1921 die "Neue Ökonomische Politik" zu verkünden, in der -- bei Beibehaltung der Verstaatlichung großer Teile der Wirtschaft -- auf eine zentrale Planung verzichtet wurde. Freilich war dies nur eine Episode. Unter Stalin wurde die zentralistische Plan- und Befehlswirtschaft ehernes Grundgesetz der Sowjet12 Lenin, W. 1.: Werke, Bd. 27. Berlin (Ost) 1960, S. 76/ 77. 13 Lenin, W. 1.: Ausgewählte Werke. Bd. 2. Moskau 1947. S. 384/85.

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wirtschaft, nach deren Vorbild auch das Wirtschaftssystem der SBZ/ DDR gestaltet wurde. Das führte zwangsläufig zu einer Bürokratisierung der verstaatlichten Wirtschaft, deren geistige Vaterschaft Marx und Engels wohl entrüstet abgelehnt hätten. Wie steht es nun also mit der Ideologiegebundenheit des Wirtschaftssystems der DDR hinsichtlich des Eigentums an Produktionsmitteln? Formal ist der wichtigste Grundsatz des Marxismus-Leninismus nahezu voll verwirklicht, und die SED ist --mit geringen Ausnahmen --nicht bereit, den Grundsatz des generellen gesellschaftlichen Eigentums irgendwie zu beschränken. Sie ist auch dann nicht dazu bereit, wenn z. B. ein Vergleich mit der Bundesrepublik Deutschland ihr zeigen müßte, daß mindestens in bestimmten Bereichen der Wirtschaft die Zulassung individueller Initiative auf der Grundlage von Individualeigentum an Produktionsmitteln wesentlich bessere Ergebnisse bringen würde. Insofern ist also das System nach wie vor ideologiegebunden. Daß aber die Vergesellschaftung ganz andere Konsequenzen gehabt hat als die Schöpfer dieser Ideologie annahmen, wird nicht zur Kenntnis genommen . .,Pragmatisch" ist das System also insbesondere dann, wenn Divergenzen gegenüber der formal als gültig anerkannten Ideologie der Sicherung des Herrschaftssystems und damit auch der Führungsund Machtposition der ,,neuen Klasse" dienen. Es gab und gibt noch eine Anzahl anderer Fakten im DDR-System, in denen die Bindung an den Marxismus-Leninismus deutlich wird. Ich muß mich hier auf ein Beispiel beschränken: die offenkundige Überbewertung der Vorteile des Großbetriebes bei Marx führt in der DDR ebenfalls zu einer Forcierung der Großbetriebe sowohl in der Industrie als auch in der Landwirtschaft, bei der die Grenzen des ökonomischen Optimums offenbar überschritten werden. Das zuletzt Gesagte leitet zu meiner zweiten Frage über: Haben sich in der konkreten Auslegung dessen, was als .,sozialistische Planwirtschaft" verstanden wird, Änderungen vollzogen? Wenn ja, sind sie systemverändernd? Daß beträchtliche )."nderungen in den Methoden und dem Instrumentarium der Planwirtschafteingetreten sind, wird niemand bezweifeln. Zwar hat das stalinistische Wirtschaftssystem noch fast ein Jahrzehnt über den Tod Stalins hinaus bestanden; aber mit der Einführung des .,Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft" im Jahre 1963 begann eine Periode, die durch mehrfache und verschiedenartige Wandlungen gekennzeichnet ist. Was sich hier angefangen vom Neuen Ökonomischen System über das Ökonomische System des Sozialismus sowie über die vorrangige Entwicklung strukturbestimmender Zweige und Produkte bis zur generellen Bildung von Kombinaten unter der Ägide Honeckers vollzogen hat, kann ich in diesem Vortrag unmöglich auch nur in den Grundlinien

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nachzeichnen. Ich will aber versuchen, die Frage zu beantworten, ob damit eine Systemveränderung verbunden war. Daß in der DDR in keiner Phase eine grundsätzlich andere Form des Sozialismus angestrebt wurde, ist wohl eindeutig. Die .,Vergesellschaftung der Produktionsmittel" ist von Etappe zu Etappe konsequent vorangetrieben worden, und auch an dem staatlichen Charakter der .,vergesellschafteten Produktionsmittel" hat sich nichts geändert. Die jugoslawische Form des Sozialismus, gekennzeichnet durch Arbeiterselbstverwaltung der Betriebe und sozialistische Marktwirtschaft, wird in der DDR nach wie vor mit aller Entschiedenheit abgelehnt. Das gleiche galt gegenüber den SozialismusVorstellungen der tschechoslowakischen Reformen des .,Prager Frühlings"; sie sind wohl in keinem anderen Ostblockland so scharf angegriffen worden wie in der DDR. An dieser Haltung hat sich auch in den 70er Jahren nichts geändert, wie an zahlreichen Reden und Veröffentlichungen der führenden Politiker der DDR nachgewiesen werden kann. Gewiß haben sich die Auffassungen über die vorrangig zu lösenden Aufgaben verändert -- nicht zuletzt unter dem Einfluß der erheblich gewachsenen außenwirtschaftliehen Belastungen. Der jetzigen Parteiführung ist völlig bewußt, daß das nach wie vor als Ziel von erstrangiger Bedeutung anerkannte wirtschaftliche Wachstum nur noch in beschränktem Maße durch Mehreinsatz von Kapital, noch weit weniger durch zusätzliche Arbeitskräfte erreicht werden kann. Intensivierung, Rationalisierung, Steigerung der Arbeitsproduktivität, Kostensenkung, Materialund Energieeinsparung sind deshalb jetzt die im Vordergrund stehenden Aufgaben. Die .,Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution" ist ein häufig gebrauchtes Schlagwort; der Wissenschaft als unmittelbarer Produktivkraft wird große Bedeutung beigemessen, die wesentlich raschere Oberführung der Ergebnisse von Forschung und Entwicklung in die Produktion wird nachdrücklich gefordert. Die Parteiführung ist sich auch dessen bewußt, daß gerade diese qualitativen Ziele nicht allein durch das Handeln zentraler Instanzen erreicht werden können, sondern daß dabei auch Initiative auf den unteren Ebenen unabdingbar ist. Dem soll die Organisationsform der Kombinate dadurch dienen, daß den Generaldirektoren dieser .,sozialistischen Konzerne" ein größerer Entscheidungsspielraum zugestanden wird. Andererseits bedeutet das eine Einschränkung des Entscheidungsspielraums bei den zum Konzern gehörigen Betrieben. Ich sehe in der bisherigen Kombinatsentwicklung nichts, was als Zugeständnis an marktsozialistische Vorstellungen gedeutet werden könnte. Die Wirtschaftsordnung der DDR ist aber auch ziemlich weit entfernt von jenem Maß an Freiheitsspielraum, wie er in Ungarn im Rahmen des .,Neuen Wirtschaftsmechanismus" seit 1968 bereits realisiert worden ist bzw. realisiert werden soll. Daß mit den als notwendig erkannten Reformen keine grundsätzliche

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Änderung des Wirtschaftssystems verbunden sein soll, läßt sich deutlich aus der im April 1981 vom X. Parteitag der SED angenommenen Direktive zum Fünfjahresplan 1981 - 1985 ablesen. Der Hauptabschnitt VII dieser sehr umfangreichen Direktive behandelt .,die Aufgaben zur weiteren Vervollkommnung der Leitung und Planung". Ich zitiere daraus die folgenden 3 Sätze: .,Die zentrale staatliche Planung ist weiter zu stärken und ihre Wirksamkeit dadurch zu erhöhen, daß sie sich unter Nutzung ökonomischer Kennziffern und Vorgaben auf die volle Erschließung der qualitativen Faktoren des Wachstums und auf die volkswirtschaftlich entscheidenden Prozesse konzentriert ... Für die weitere Ausgestaltung des Fünfjahrplanes als Hauptinstrument für die Leitung der Wirtschaftstätigkeit auf allen Ebenen ist die langfristige Planung weiter zu qualifizieren ... Mit dem Fünfjahrplan sind die Grundrichtungen der Entwicklung der materielltechnischen Basis der Volkswirtschaft auszuarbeiten und festzulegen. Der zentrale staatliche Einfluß auf die materielle Bilanziening und auf die disziplinierte Durchführung der mit den Bilanzen festgelegten Aufgaben zur Produktion und zur effektiven Verwendung der materiellen Fonds ist entscheidend zu verstärken. " 14

Diese Formulierungen zeigen, daß nach wie vor der zentral aufgestellte Wirtschaftsplan entscheidende Bedeutung behält. Neu ist, daß die Planung nach Kombinaten erfolgen soll. Dazu heißt es in der Direktive: .,Durch die Arbeitsweise der zentralen Staatsorgane ist zu gewährleisten, daß die Generaldirektoren die Aufgaben der Entwicklung der Kombinate mit hoher Eigenverantwortung auf der Grundlage des Planes lösen können."

An erster Stelle steht also der Plan; die Eigenverantwortung soll in erster Linie der Realisierung der von ihm gestellten Ziele dienen. Daß nach wie vor von der SED-Führung das von ihr nach sowjetischem Muster entwickelte System als die einzig richtige Form des Sozialismus angesehen wird, zeigt auch ihre Haltung zu den Entwicklungen in Polen, besonders zur Entstehung der freien, nicht staats- und parteigebundenen Gewerkschaft .,Solidamosc"'. Hier wiederholt sich, was ich an früherer Stelle über die Haltung der SED-Führung zum tschechoslowakischen Reformkommunismus sagte: von allen Staaten des Sowjetblocks - die Sowjetunion einmal ausgenommen - hat die Presse der DDR wohl die schärfsten und härtesten Angriffe gegen die polnischen Reformen und Reformer gerichtet. Obwohl die .,Solidarnosc"' in keiner Weise die sozialistischen Grundlagen des polnischen Wirtschaftssystems in Frage gestellt hat, wird ihr im "Neuen Deutschland" immer wieder Antisozialismus und Streben nach Wiederherstellung des Kapitalismus vorgeworfen. So schrieb z. B. ..Neues Deutschland" am 3./4. Oktober 1981 zum Abschluß des Danziger 14

Zitiert nach .,Berliner Zeitung" (Ostberlin), Nr. 92 vom 18./19. April 1981.

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Kongresses von .,Solidarnosc"': die Solidarnosc'-Führer hätten nunmehr .,ihren Anspruch auf Übernahme der Macht in der VR Polen und ihr Ziel der Zerstörung der sozialistischen Gesellschaftsordnung in Form eines .,Programms" offiziell formuliert". Dieses sei "in allseinen Teilen ein Programm der Konterrevolution". Unmittelbar auf Polen gemünzt ist es sicherlich auch, wenn in der Direktive zum Fünfjahrplan die DDR-Gewerkschaften-die ja ebenso wie die von dem größten Teil der polnischen Arbeiterschaft abgelehnten polnischen Branchengewerkschaften nicht "frei" sind - als "umfassendste Massenorganisation der .machtausübenden Arbeiterklasse" . bezeichnet werden. Diese Haltung seinerzeit zu den tschechoslowakischen, heute zu den polnischen Reformen zeigt, daß die SED-Führung grundsätzlich jede andere, vom Sowjetmodell abweichende Form des Sozialismus ablehnt. Zum ideologischen Grundbestand des SED-Systems gehört ohne Zweifel auch der Glaube daran, a) daß der Sozialismus die dem .,Kapitalismus" überlegene Wirtschaftsordnung sei, b) daß dem Sozialismus der Endsieg gegenüber dem "Kapital.ismus" sicher sei. Hierzu hieß es z. B. in dem noch am Ende der NÖS-Periode erschienenen Lehrbuch "Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR": .,Die Gewißheit des Sieges der sozialistischen Ordnung im'Weltmaßstab ergibt sich aus dem Wirken objektiver Gesetzmäßigkeiten, die durch die Theorie des MarxismusLeninismus herausgearbeitet wurden. Das Wirken dieser Gesetzmäßigkeiten kommt in den Erfolgen der sozialistischen Staaten, im internationalen Einfluß des Sozialismus zum Ausdruck. In unserer Epoche ist der Übergang zum Sozialismus der einzige Weg zur Lösung der grundlegenden gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit im Interesse der Völker.""

Dieses Lehrbuch ist zwar unter Honecker zurückgezogen worden; die zitierten Sätze entsprechen aber ohne Zweifel auch den heutigen Auffassungen der SED-Führung. Bisher war es für die SED-Führung nicht leicht, angesichts einer von diesen Dogmen sehr verschiedenen Wirklichkeit den Glauben an Überlegenheit und Endsieg aufrechtzuerhalten. Die ständige Wiederholung der Thesen von den .,Errungenschaften" des Sozialismus und den Schwächen des"Spätkapitalismus" konnten umso weniger überzeugen, als die Schwächen und Effizienzmängel des eigenen Systems nahezu völlig verschwiegen wurden. Diese Lage hat sich gegenwärtig in doppelter Hinsicht verändert: 15 Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR. Berlin (Ost) 1969, s. 24.

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I. Die "kapitalistische" Welt erlebt gegenwärtig die schwerste Wirtschafts-

krise der Zeit nach dem Zweiten Weltkriege mit hoher Arbeitslosigkeit. Das wird von der kommunistischen Propaganda natürlich weidlich ausgenutzt. Es erscheint auch möglich, daß bei manchen führenden Persönlichkeiten des SED-Systems der in der Vergangenheit vielleicht geschwächte Glaube an den baldigen Zusammenbruch des westlichen Systems dadurch erneut gestärkt wird.

2. Auf der anderen Seite zeigt die Entwicklung in Polen einen nahezu völligen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bankrott des nach dem sowjetischen Vorbild gestalteten Systems, und auch in anderen Ostblockländern (Rumänien, Tschechoslowakei, aber auch in Jugoslawien mit seinem "Marktsozialismus") haben sich wirtschaftliche Schwierigkeiten in den letzten· Monaten so gehäuft, daß die angeblichen "Errungenschaften" des Sozialismus noch problematischer geworden sind. Man muß die gegenwärtige Lage also als ambivalent bezeichnen; sie läßt aber deutlich erkennen, wie wichtig die Überwindung der gegenwärtigen Wirtschaftskrise in der westlichen Welt auch politisch ist. Die zuletzt angestellten Erwägungen führen zu dem dritten der von mir am Anfang dieses Vortrages genannten Themen: der Frage, ob man im heutigen System der DDR noch eine Erscheinungsform des Totalitarismus sehen kann. Diese Frage hat bekanntlich in der DDR-Forschung- allerdings vor allem der politologischen und soziologischen - eine erhebliche Rolle gespielt, seit besonders von Peter Christian Ludz die Anwendbarkeit des Totalitarismus-Begriffs auf die DDR in Zweifel gezogen wurde. Ludz glaubte bekanntlich in seinem 1968 erschienenen Buche "Parteielite im Wandel" nachweisen zu können, daß sich in der DDR ein Wandel von einer totalitär zu einer autoritär verfaßten Gesellschaft vollzogen habe. Er schrieb dazu u. a.: "Das gegenwärtig erreichte Stadium des geistigen und sozialen Wandels der DDRGesellschaft bzw. der SED-FUhrungsgremien ist hier . .. mit dem Begriff "konsultati__ ver Autoritarismus" charakterisiert worden: Eine autoritäre politische Ent.. scheidungselite ist, im Gegensatz zur totalitären Elite, unter den Bedingungen der technischen Zivilisation gehalten, immer wieder und immer mehr Fachleute heranzuziehen, um die komplizierten Zusammenhänge einer industriellen Gesellschaft noch analysieren zu können, um mit Informationen versorgt zu werden und um die Kontrolle über dieses System nicht zu verlieren."t6

Natürlich kann das Problem des Verhältnisses zwischen DDR-System und Totalitarismus in diesem Vortrag nicht als Ganzes aufgerollt werden; ich beschränke mich auf den Bereich des Ökonomischen. Für diesen verstehe ich unter Totalitarismus ein Herrschaftssystem, das die Wirtschaft grundsätz16

Ludz, Peter Christian: Parteielite im Wandel. Köln und Opladen 1968, S. 324/25.

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lieh voll in den Verfügungsanspruch der herrschenden Partei oder Gruppe einbezieht und als Grundlage dafür eine bestimmte Wirtschaftsideologie für die Gesamtheit der Beherrschten verbindlich macht. Wenn man von dieser Begriffsbestimmung des ökonomischen Totalitarismus ausgeht, ist zu fragen, ob damit die Realität des DDR-Wirtschaftssystems von heute richtig und voll erfaßt wird. Diese Frage kann m. E. bejaht werden. Eindeutig ist das für die verbindliche Wirtschaftsideologie. So heißt es auch im Parteiprogramm der SED von 1976: "Im Sozialismus ist die wissenschaftliche Weltanschauung der Arbeiterklasse, der Marxismus-Leninismus, die herrschende Ideologie" . 17

Und sie herrscht wirklich: in keiner Zeitung und keinem Buche, das in der DDR erscheint, kann etwas anderes gedruckt, von keinem Katheder einer Universität oder einer anderen Hochschule etwas anderes gelehrt werden. Das gilt auch dann, wenn dieses andere nicht antisozialistisch, sondern eine andere Auffassung von Sozialismus ist. Dafür gibt es in der Geschichte der DDR Beispiele genug. Besonders charakteristisch ist in dieser Beziehung das Schicksal Rudolf Bahros: die scharfe Kritik am DDR-System in seinem Buch "Die Alternative" übte er ja nicht als Gegner des Sozialismus, sondern deshalb, weil es ihm nicht sozialistisch genug ist, weil die Realität so weit von der Ideologie der marxistischen Klassiker entfernt ist. Aber das nützte ihm nichts; er wurde angeklagt und zu 8 Jahren Freiheitsentzug verurteilt freilich formal nicht wegen dieses Buches, sondern ,,wegen des Landesverratsdelikts Sammlung von Nachrichten sowie wegen Geheimnisverrats" -eine wahrhaft zynische Verschleierung des wahren Tatbestands! Heute kann Bahro bekanntlich im .,kapitalistischen" Westen frei jene sozialistischen Meinungen vertreten, für die er im .,sozialistischen" Teil Deutschlands ins Gefängnis wandern mußte. Nun gehört zu der verbindlichen Ideologie des Sowjet- und des DDRSystems auch die Anerkennung der uneingeschränkten Führungsrolle der kommunistischen Partei. Sie ist, wie schon erwähnt, durch Art. l der DDRVerfassung zum Verfassungsgrundsatz geworden. Und im SED-Programm von 1976 heißt es: "Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist der bewußte und organisierte Vortrupp der Arbeiterklasse und des werktätigen Volkes der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik. Sie verwirklicht die von Marx, Engels und Lenin begründeten Aufgaben und Ziele der revolutionären Arbeiterbewegung."IS

11 18

Programm und Statut der SED, a.a.O., S. 3. a.a.O., S. 2.

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Und an anderer Stelle: .,Unter Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands haben die Arbeiterklasse und alle anderen Werktätigen in der Deutschen Demokratischen Republik eine leistungsfähige stabile sozialistische Planwirtschaft geschaffen, die unablässig gefestigt und vervollkommnet wird. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei beruht auf der bewußten Ausnutzung der objektiven ökonomischen Gesetze des Sozialismus."19

Wieweit entspricht nun die wirtschaftliche Wirklichkeit der DDR diesem ideologischen Konzept? Ist sie in dem Sinne totalitär, daß tatsächlich das gesamte wirtschaftliche Geschehen in den Macht- und Entscheidungsbereich der herrschenden Partei einbezogen ist? Eine gewisse Einschränkung ist unabweisbar, denn einen hundertprozentigen Totalitarismus- aufwelchem Gebiet auch immer - hat es nie gegeben, gibt es nicht und kann es nie geben. Voller Totalitarismus in der Wirtschaft würde hundertprozentige Zentralisierung aller wirtschaftlichen Entscheidungen bedeuten; sie ist unter den Bedingungen einer hochentwickelten komplizierten modernen Industriewirtschaft --und das ist ja die DDR- absolut unmöglich, selbst wenn die Planer und Lenker über ein noch so vollkommenes System elektronischer Datenverarbeitung verfügten. Deshalb muß auch in einem sehr zentralisierten System den wirtschaftenden Einheiten -- vor allem den Betrieben, aber auch den Konsumenten - ein gewisser Freiheits- und Entscheidungsspielraum gegeben werden. Das System bleibt aber solange totalitär, als alle systemrelevanten sowie strukturbestimmenden Entscheidungen der herrschenden Partei oder Gruppe vorbehalten sind. Dies trifft ohne Zweifel für die DDR zu, und zwarvorallem aus folgenden Gründen: I. Der größte Teil der vorhandenen Betriebe befindet sich in Staatseigentum und somit, da der Parteiwille das Staatshandeln maßgeblich beeinflußt, im unmittelbaren Verfügungsbereich der Partei. Die Generaldirektoren der Kombinate, in denenjetzt der größte Teil der DDR-Wirtschaft organisiert ist, dürften wohl sämtlich oder fast sämtlich der SED angehören. In den Kombinaten arbeiten im Dienste der Planerfüllung "Parteiorganisatoren des ZK der SED"; besonders wichtige Vorhaben sind unter spezielle "Parteikontrolle" gestellt. 2. Auch das Handeln und die Entscheidungen der übrigen Betriebe - d. h. der sozialistischen Genossenschaften und des kleinen Restes der Privatbetriebe -- werden so von behördlichen Regelungen erfaßt und sind so in das Netz der Wirtschaftsplanung einbezogen, daß ihr Freiheitsspielraum sehr beschränkt ist. 19

a.a.O., S. 7.

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3. Die für die Wirtschaftsplanung grundlegenden Entscheidungen werden durch das Politbüro und das ZK-Sekretariat der SED getroffen. Das gilt besonders hinsichtlich der Ziele, auf die das Wirtschaften ausgerichtet werden soll. Die Entscheidungsfreiheit der politischen Zentrale ist in dieser Beziehung freilich insofern begrenzt, als jetzt den Konsumentenwünschen mehr als in der stalinistischen Periode Rechnung getragen werden muß; außerdem wird sie auch durch politische und ökonomische Sachzwänge, besonders die Einflüsseder Außenwirtschaft und des RGW, eingeschränkt. Trotzdem bleibt noch ein erhebliches Maß von Entscheidungsfreiheit der Zentrale. 4. Die Regierung der DDR ist - nicht nur im Bereich der Wirtschaft -ausführendes Organ für die SED-Entscheidungen. Ihre Unterordnung unter die staatsbeherrschende Partei ist schon dadurch gesichert, daß ihre Mitglieder mit unbedeutenden Ausnahmen der SED angehören. Im Juli 1981 waren von 45 Mitgliedern des Ministerrates 41 Mitglieder der SED. Unter den Stellvertretern der Minister dürfte der Anteil der Parteimitglieder eher noch höher sein. 5. Auch abgesehen von den Grundentscheidungen durch die oberste politische Führung sind die Gliederungen und Funktionäre der Partei auf allen Ebenen in den Wirtschaftsprozeß eingeschaltet. Dabei handelt es sich vor allem um die Plandurchführung, sowohl hinsichtlich der quantitativen als auch der qualitativen Planziele, und um deren Kontrolle. Jeder Blick in die Reden, Berichte und Diskussionsbeiträge auf den Parteitagen der SED und auf den Plenarsitzungen ihres ZK zeigt deutlich, wie eng die Verflechtung der Parteiaktivitäten mit der Wirtschaft ist. Im Statut der SED vom Mai 1976 wird unter den Pflichten der Parteimitglieder mit an vorderster Stelle genannt: ,,für ein hohes Entwicklungstempo der sozialistischen Produktion, die Erhöhung der Effektivität, den wissenschaftlichtechnischen Fortschritt und das Wachstum der Arbeitsproduktivität zu wirken." Eine wichtige Rolle fällt dabei den Grundorganisationen der Partei zu; diese werden lt. Statut nicht nur in den Wohngebieten, sondern auch in den Betrieben - und zwar nicht nur in den .,volkseigenen" Betrieben - gebildet. Auch ihre Aufgaben liegen nicht zuletzt in der Mitwirkung bei der Erfüllung der Volkswirtschaftspläne. Dem entspricht es auch, daß der Leiter der Abteilung Kaderfragen beim ZK, Fritz Müller, kürzlich in der Funktionärszeitschrift .,Neuer Weg" schrieb: die Kader der Partei seien auf deren ., Hauptkampffeld -auf die Ökonomie mit den noch nie gekannten Dimensionen und Aufgaben"- einzustellen. 6. Hilfsorganisationen der SED sind die Massenorganisationen. Der Totalitätsanspruch der Partei wird auch in dieser Beziehung deutlich, denn im Vorspruch ihres Statuts heißt es:

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.,Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands als die höchste Form der gesellschaftlich-politischen Organisation der Arbeiterklasse, als ihr kampferprobter Vortrupp, ist die führende Kraft der sozialistischen Gesellschaft, aller Organisationen der Arbeiterklasse und der Werktätigen, der staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen. "20

Besondere Bedeutung für die Durchsetzung der wirtschaftspolitischen Ziele der SED kommt dabei natürlich den im FDGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften zu, deren wichtigste Aufgabe in der Mitwirkung bei der Erfüllung und Übererfüllung der Volkswirtschaftspläne besteht. Da alle höheren und mittleren Funktionäre im FDGB Mitglied der SED sind, unterstehen sie damit aufgrund des "demokratischen Zentralismus" auch in ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit den für sie verbindlichen Beschlüssen der jeweils höheren Parteiorgane. Nach Art. 44 der Verfassung der DDR sind diese Gewerkschaften .,die umfassende Klassenorganisation der Arbeiterklasse". Damit ist ein Monopolanspruch dieser Gewerkschaften verfassungsmäßig gewährleistet; die Entstehung einer autonomen Gewerkschaft wie 1980 in Polen wäre also in der DDR verfassungswidrig. Wenn es im gleichen Verfassungsartikel weiter heißt: "Die Gewerkschaften sind unabhängig", so muß das allerdings im Hinblick auf ihre starke Anhindung an die SED als recht unrealistisch bezeichnet werden. 7. Ebenfalls im wesentlichen Hilfsorgane der SED sind die vier zugelassenen kleinen Parteien, die jeweils für die Durchsetzung des SED-Willens in bestimmten Bevölkerungsgruppen zu sorgen haben, so etwa die LDPD bei den Handwerkern und den sonstigen Resten des gewerblichen Mittelstandes. Die Liste der Einflußmöglichkeiten der SED auf die Wirtschaft könnte noch verlängert werden. Aber schon das Gesagte dürfte deutlich genug zeigen, wie groß der Einfluß der SED auf die Gestaltung der Wirtschaft und den Ablauf der Wirtschaftsprozesse in der DDR ist. Die Frage, ob das Wirtschaftssystem der DDR noch immer als totalitär verfaßt bezeichnet werden kann, ist also eindeutig mit Ja zu beantworten. Daneben gibt es freilich auch in der DDR, wie in jedem anderen kommunistisch regierten Lande, eine .,second economy", in der das wirtschaftliche Geschehen außerhalb oder gegen die Legalität abläuft und sich damit dem Parteiwillen entzieht. Das ist der Bereich der schwarzen und grauen Märkte, der nicht in den Volkswirtschaftsplänen vorgesehenen Aktivitäten, der Differenz zwischen gemeldeten und wirklichen Produktionsergebnissen. Auf diese .,second economy" einzugehen ist in diesem Vortrage unmöglich, zu mal niemand in der Lage sein dürfte, das Ausmaß dieses Bereiches quantitativ zu bestimmen. 20

a.a.O., S. 24.

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Ich wende mich nun der vierten und letzten der zu Anfang gestellten Fragen zu: der Art und dem Umfang des Einflusses der UdSSR auf die Wirtschaft der DDR. Die dem Vortrag zugemessene Zeit zwingt mich dabei zu großer Beschränkung; ich darf deshalb zur Ergänzung auf meine im Jahre 1979 von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung herausgegebene Schrift .,Die Wirtschaftspolitik der DDR im Schatten Moskaus" verweisen. Nach meiner Auffassung, die wohl von den meisten Fachleuten geteilt wird, ist auch heute noch der Einfluß der Sowjetunion auf die Wirtschaft und Wirtschaftspolitik der DDR sehr groß. Er hat zwar nicht mehr die Form direkter Befehle sowjetischer Stellen, wie in der Besatzungszeit; der wichtigste Weg zur Durchsetzung sowjetischer Vorstellungen und Wünsche ist der Weg über die SED-Führung, für die -unter Honecker noch mehr als unter Ulbricht -das .,enge und brüderliche Bündnis" mit der UdSSR ein .,unwiderrufliches" Prinzip ist. Die eben gebrauchten Formulierungen finden sich im Art. 6, Ziffer 2 der Verfassung der DDR, das .,unwiderrufliche" Bündnis ist also durch die Verfassung abgesichert. Ähnlich heißt es im Statut der SED: .,Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands vertieft unablässig die unverbrüchliche Freundschaft und das brüderliche Bündnis mit der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, der Vorhut der kommunistischen Weltbewegung."21

Vertraglich festgelegt wurden .,die Beziehungen der ewigen und unverbrüchlichen Freundschaft und der brüderlichen gegenseitigen Hilfe" zwischen DDR und Sowjetunion zuletzt durch den .,Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand" vom 7. Oktober 1975. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit werden dabei besonders hervorgehoben die langfristige Koordinierung und Abstimmung der Volkswirtschaftspläne, die Erweiterung der Spezialisierung und Kooperation in Produktion und Forschung, die Abstimmung von Perspektivmaßnahmen zur Entwicklung der wichtigsten Zweige von Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, Austausch der .,bei der Errichtung des Sozialismus und Kommunismus gesammelten Erkenntnisse und Erfahrungen", immer engeres Zusammenwirken der nationalen Wirtschaften beider Staaten .,im Interesse der Erhöhung der Effektivität der gesellschaftlichen Produktion". Ob im Rahmen dieser Zusammenarbeit die DDR heute noch Satellit der Sowjetunion oder zu ihrem Juniorpartner geworden ist, wurde im Jahre 1979 auf einer Tagung der Gesellschaft für Deutschlandforschung eingehend behandelt. Da deren Vorträge im Jahrbuch 1979 dieser Gesellschaft abgedruckt sind, möchte ich hier auf die Behandlung dieser Frage verzichten. 21 a.a.O., S. 25.

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Der zweite Weg, auf dem eine Beeinflussung der DDR-Wirtschaft durch die Sowjetunion bzw. im Interesse der Sowjetunion stattfinden kann, ist der Weg über den" Ratfür gegenseitige Wirtschaftshi/fe" (RGW, Comecon), die Spitzenorganisation des wirtschaftlichen Ostblocks. Die Sowjetunion ist zwar im R G W nicht unbeschränkter Herrscher; so ist z. B. die im Jahre 1962 von Chruschtschow und dem ZK der KPdSU gestellte Forderung auf Schaffung eines internationalen Planungsorgans aus bevollmächtigten Vertretern aller dem RGW angehörigen Länder bis heute nicht verwirklicht worden, vor allem wegen des Widerstands Rumäniens. Aber die .,sozialistische ökonomische Integration", wie die offizielle Bezeichnung heute lautet, schreitet- wenn auch langsam und beschwerlich- voran. Die DDR hat sich bisher immer auch innerhalb des RGW als besonders treuer Verbündeter der Sowjetunion erwiesen. Durch die angestrebte Spezialisierung, vor allem in der Industrieproduktion der RGW-Staaten, durch die Koordinierung der Volkswirtschaftspläne, ganz besonders durch die vorrangige Ausrichtung des Außenhandels auf den Intrablockhandel ist die Wirtschaftsstruktur der DDR erheblich beeinflußt worden. Von den europäischen Mitgliedsstaaten des RGW hat die DDR nach Bulgarien den höchsten Anteil des Intrablockhandels an ihrem Außenhandelsumsatz. Von der Investitionsgüterproduktion der DDR wird ein erheblicher Teil in die Sowjetunion und die anderen RGW-Länder exportiert; umgekehrt kommt ein erheblicher Teil der DDR-Importe an Rohstoffen und Energieträgern aus diesen Ländern, zum weitaus größten Teil aus der Sowjetunion. Sowohl die Spezialisierung als auch die einseitige Orientierung des Außenhandels schaffen ökonomische Abhängigkeiten, die auch für den politischen Zusammenhalt des Ostblocks wichtig sind. Daß sie deshalb von der Sowjetunion bewußt gefördert und verstärkt werden, steht wohl außer Zweifel. Ich zweifle aber auch nicht daran, daß die SED-Führung sie ebenfalls bejaht. Die Sowjetunion hat also sicherlich noch immer starken Einfluß auf die Wirtschaft und Wirtschaftspolitik der DDR, auch wenn seine Formen und z. T. auch seine Ziele andere sind als früher. Erlauben Sie mir zum Schluß eine methodologische Bemerkung: ich hoffe, in meinem Vortrage gezeigt zu haben, daß ideologische und politische Faktoren für das Wirtschaftssystem der DDR nach wie vor erhebliche Bedeutung haben. Dieses System kann nicht verstanden werden, wenn man es nur unter ökonomischen Aspekten betrachtet. Es kann aber auch nicht verstanden werden, wenn man die DDR isoliert sieht. Sie ist nun einmal politisch und wirtschaftlich ein Teil -und zwar ein sehr wichtiger Teil --des von der Sowjetunion geführten Ostblocks; wir können uns dieser Erkenntnis nicht verschließen, auch wenn sie unter deutschlandpolitischem Aspekt schmerzlich ist. Die Entwicklungen im Ostblock und besonders in der Sowjetunion als seiner Hegemonialmacht müssen deshalb von der DDR-Forschung stets mit im Auge behalten werden.

DEFIZITE DER THEORETISCHEN GRUNDLAGEN FÜR ORDNUNGSPOLITISCHE REFORMEN IN DER DDR Von Gernot Gutmann I.

Verfolgt man die Entwicklung, die die Wirtschaftsordnung der DDR seit dem unmittelbar nach Kriegsende beginnenden Aufbau einer Zentralverwaltungswirtschaft sowjetischen Typs in der sowjetischen Besatzungszone genommen hat 1, dann ist leicht zu erkennen, daß diese keinen geradlinigen, in gleichbleibende Richtung wirkenden Verlauf hatte - eine Beobachtung, die man freilich auch für die Wirtschaftsordnungen der Sowjetunion und die anderer sozialistischer Staaten machen kann. Gelegentlich der Sowjetunion vorauseilend, oft auch ihr nachfolgend, ist die DDR-Wirtschaftsordnung immer wieder umfangreichen Reformen unterworfen worden. Es sei nur an die Entstehung des "Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitungder Volkswirtschaft" ab 1963 und an dessen Spätphase, das"Ökonornische System des Sozialismus" erinnert, sowie an die seit 1970 erfolgte radikale Abkehr von dieser Entwicklungsrichtung, und die Rückkehr zu Leitungs- und Planungsstrukturen, wie sie ähnlich in der Zeit vor 1963 bestanden haben. Die schon seit 1978 eingeleitete und mit der Kombinatsverordnung vorn November 19792 rechtlich untermauerte Umbildung der Lenkungsorganisation der DDR-Industrie und des Binnenhandels kann lediglich als der derzeit letzte Stand der Dinge angesehen werden. Man darf wohl ziemlich sicher sein, daß diese Reform in Zukunft durch irgendeine andere abgelöst werden wird. Man spricht ja bereits von über das Kombinat hinausgehenden Organisationsforrnen, den sog." Wirtschaftssysternen" oder "Wirtschaftskornplexen"J. 1 Vgl. u. a. Gutmann, Artikel Wirtschaft der DDR, Die", in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW), 8. Band, Stuttgart und New York, Ttibingen, Göttingen und Zürich 1980, S. 735-762. 2 Vgl. Verordnung über die volkseigenen Kombinate;. Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom 8. November 1979, in: Gesetzblatt der DDR, Teilt, Nr. 38 vom 13. November 1979, S. 355-366. 3 Vgl. K. Erdmann: Wirtschaftliche Rechnungsführung im Kombinat- BetriebswirtschaftlicheAspekte und Konsequenzen, in: G . Gutmann (Hrsg.), Das Wirtschaftssystem der DDR (Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen, Heft 30), Stuttgart- New York 1983, S. 121-153. K

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Wie allgemein bekannt ist, gehen mit allen diesen Reformen immer wieder Änderungen in den Planungs- und Leitungskompetenzen, Veränderungen im Gefüge der Plankennziffern und Umgestaltungen in den Formen des Stimulierensund Prämiierens von Leistungen einher. Auch das ist ein Charakteristikum aller sowjetsozialistischen Wirtschaftsordnungen. Wie es Hensel einmal formulierte, ist die Wirtschaftspolitik in allen sowjetischen Ländern charakterisiert durch einen "Systemzwang zum Experiment"4 • Bedeutsam an diesen mehr oder weniger regelmäßig stattfindenden ordnungspolitischen Veränderungen ist nicht allein die Tatsache, daß sie experimentellen Charakter haben - das trifft letztlich auch für die meisten ordnungspolitischen Gestaltungsversuche in Marktwirtschaften zu -, sondern vor allem, daß sie sich sehr häufig und oft in der Form weitreichender Großexperimente ereignen, durch welche die Ordnung wesentlicher Teile der gesamten Volkswirtschaft in beträchtlichem Umfang weitreichend umgestaltet wird. Diese Tatsache scheint mir vor allem auf die beiden folgenden Umstände zurückzuführen sein: 1. Es mangelt sowohl in der westlichen wie auch in der östlichen Literatur an einer geschlossenen und empirisch gehaltvollen Theorie über alle jene relevanten Zusammenhänge von Faktoren, die den Ablauf des Wirtschaftsgeschehens bedingen, wie er sich unter den Regeln einer Großorganisation von höchster Komplexität bildet und 2. Reformexperimente sind in der Zentralverwaltungswirtschaft des sowjetischen Typs, bedingt durch die geschichtsphilosophische Basis der offiziellen Politik, letztlich holistisch konzipiert. Die These, daß ordnungspolitische Reformen in der DDR und in anderen sowjetsozialistischen Ländern deshalb meist groß angelegte Experimente darstellen, weil eine brauchbare Theorie des Funktionierens von Großorganisationen höchster Komplexität fehlt, impliziert die Behauptung, eine Zentralverwaltungswirtschaft sowjetischen Typs sei eine solche Großorganisation, in der organisatorische Funktions- und Gestaltungsprobleme aktuell sind. Das läßt sich näher begründen, wenn man gewisse Überlegungen von Hayeks zu den möglichen Arten der Ordnungs einmal mit dem seit einigen Jahren vor allem in der angelsächsischen Literatur bevorzugten, auf Neuberger, Duffy6 und andere zurückgehenden Paradigma eines Wirtschaftssy4 Vgl. K. P. Hensel, Der Zwang zum wirtschaftspolitischen Experiment ln zentralgelenkten Wirtschaften, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 184, Heft 4-5, Stuttgart 1970, S. 349-359; wieder abgedruckt in: derselbe: Systemvergleich als Aufgabe. Aufsätze und Vorträge, hrsg. von H. Harnet, Stuttgart und New York 1977, S. 173-182, hier: S. 173. s F. A. von Hayek, Arten der Ordnung, in: ORDO, Bd. XIV, DUsseldorfund München 1963, S. 1-20; wieder abgedruckt in: derselbe, Freiburger Studien, Tübingen 1969, S. 32-46.

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stems und zum anderen mit gewissen Grundbegriffen der allgemeinen Systemtheorie in Verbindung bringt?. Man kommt dann zu den folgenden Einsichten. II.

Jede Wirtschaftsgesellschaft enthält als Subsystem des Gesellschaftsganzen ein Beziehungsgefüge zwischen allen wirtschaftenden Menschen, die in Güter und Dienstleistungen produzierenden und sie verbrauchenden Einrichtungen handeln, und das man als ., Wirtschaftssystem" bezeichnen kann. Elemente dieses Wirtschaftssystems sind die wirtschaftlich handelnden Menschen mit ihren jeweiligen systembezogenen Verhaltensweisen. Ein solches -hier mit dem Terminus ., Wirtschaftssystem" bezeichnetes - Gefüge menschlicher Interaktionen enthält immer einen gewissen Grad von Geordnetheit, durch welchen für die Wirtschaftssubjekte der Grad ihrer Unsicherheit über den Zustand der Umwelt soweit reduziert wird, daß sie in den Stand versetzt werden, ihre jeweiligen Ziele mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg anzustreben 8 • Der Ordnungsgrad im Interaktionsgefüge ist dann hoch und die Unsicherheit gering, wenn die Systemelemente nur eine sehr geringe Freiheit haben, beliebige Beziehungen und Zustände zu wählen; im umge kehrten Fall, also bei einem hohen Freiheitsgrad der Systemelemente, ist der Ordnungsgrad in den Interaktionen niedrig und die Unsicherheit groß9 • Der Ordnungsgrad selbst wird durch jene bestehenden und der Wirtschaftsordnung zugehörigen Verhaltensregeln des Rechts und der Konvention bedingt, nach denen sich die Wirtschaftssubjekte bei ihrem V.ersuch richten müssen, sich an die ihnen nur unvollkommen bekannte Umwelt anzupassen. Diese Regeln sind -wie von Hayek gezeigt hat 10 - - in Marktwirtschaften so beschaffen, daß der Ordnungsgrad im Beziehungsgefüge zwischen den marktverflochtenen Wirtschaftseinheiten durch spontanes Handeln der Menschen im Rahmen dieser Regeln zustandekommt, ohne vonjemandem vorher bewußt konzipiert worden zu sein. In einer Zentralverwaltungswirtschaft hingegen bestehen Regeln, wie sie für Organisationen typisch sind. Ihre Grundfunktion besteht darin, eine zielgerichtete, dauerhafte Erfüllung von Aufgabenprozessen durch Aktionsträger zu ermöglichen, durch welche vorherbestimmte Ziele realisiert werden II. Es werden hier die Organisations6 E. Neuberger, W. Duffy, Comparative Economic Systems: A Decision-Making Approach, Boston 1976. 7 Vgl. auch G. Gutmann, Volkswirtschaftslehre. Eine ordnungstheoretische Einführung, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1981, S. 29 ff. 8 Vgl. A. F. von Hayek, Arten der Ordnung, a. a. 0., S. 32 ff. 9 Vgl. H. Leipold, Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme im Vergleich, 2. Auflage, Stuttgart 1980, S. 4 ff. 10 Vgl. F. A. von Hayek, Arten der Ordnung, a. a. 0 . 11 Vgl. E. Grochla, Einführung in die Organisationstheorie, Stuttgart 1978, S. 12 f.

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ziele sowie die Hauptlinien in der Struktur und im Muster des Interaktionssystems der Aktionsträger nach den Vorstellungen des Organisators gestaltet. Dieser ist in der Praxis von Zentralverwaltungswirtschaften des sowjetischen Typs mit dem politischen Spitzengremium des Landes identisch. Der augenblickliche Zustand des Interaktionsgefüges zwischen den Wirtschaftssubjekten, also der Zustand des Wirtschaftssystems, drückt sich in der Menge von Beziehungen aus, die zwischen den Systemelementen bestehen und die sich in einem interdependenten Geflecht ökonomischer Entscheidungen und Handlungen niederschlagen. Die Entscheidungen, die den Handlungen zugrunde liegen, sind an Informationen über die je relevante Umwelt orientiert und sie sind auf die Verwirklichung sowohl von Organisationszielen als auch von personalen Zielen der einzelnen Aktionsträger ausgerichtet. Die Charakteristik dieses Interaktionsgefüges zwischen den Elementen eines zentralverwaltungswirtschaftlichen Wirtschaftssystems zeigt sich entsprechend den Überlegungen von Duffy und Neuherger in den jeweiligen Eigenarten seiner Informations-, seiner Entscheidungs- und seiner Motivations(anreiz)struktur. - Die Informationsstruktur, also die Wege und Methoden des Sammelns, Verbreitensund Verwertens von entscheidungsrelevanten Informationen - und mit ihr die Koordination von Teilentscheidungen und Handlungen - ist in einer Zentralverwaltungswirtschaft dadurch gekennzeichnet, daß Informationen enthaltende Nachrichten vorwiegend auf verwaltungsmäßigen Kommunikationswegen in der Form von Meldungen und von Anweisungen vermittelt werden. Dabei sind die Informationsempfänger in der Regel genau spezifizierte Personen. In Marktwirtschaften hingegen sind Informationsempranger häufig anonym, denn Informationen werden generell an alle ausgesendet, die an ihnen interessiert sind, ohne daß der Informationsgeber zuverlässig wüßte, wer das jeweils ist. --Die Entscheidungsstruktur, welche die Kompetenz, ökonomische Entscheidungen zu treffen und sie in Handlungen umzusetzen, auf die verschiedenen Elemente des Wirtschaftssystemes verteilt, wird in einer Zentralverwaltungswirtschaft weitgehend durch Zentralisierung und Konzentration auf bestimmte Entscheidungsträger charakterisiert. - Die Motivationsoder Anreizstruktur, welche die für die wirtschaftenden relevanten Formen der Stimulierung und des Zwangs zur Leistung auch zum Nutzen der je anderen Wirtschaftssubjekte begründet, wird in der Zentralverwaltungswirtschaft vor allem durch solche Vorkehrungen gebildet, durch die man das Agieren der in den Wirtschaftseinheiten tätigen Personen so zu beeinflussen sucht, daß es möglichst weitgehend in die Realisierung der vorgegebenen Organisationsziele eingebunden wird. Konkret gesprochen: Die Motivationsstruktur wird durch die vielfältigen Formen bürokratischer und politi-

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scher Kontrolle und durch die materiellen und immateriellen Leistungsanreize gebildet, die zu je einem bestimmten Zeitpunkt in einem Lande bestehen. Diese Strukturen selbst sind durch die Wirtschaftsordnung bedingt. Sie gründen und dokumentieren sich in den als Wirtschaftsordnung bezeichneten institutionellen Arrangements, in einer Zentralverwaltungswirtschaft also in den konkret vorfindbaren Formen der zentralen Planung der Wirtschaftsprozesse, der vom leninistischen Prinzip des .,Demokratischen Zentralismus" geprägten innerbetrieblichen Willensbildung, der Festlegung von Preisen für Produkte und Produktionsfaktoren, des kollektivistischen Eigentums an den sachlichen Produktionsmitteln, der Entstehung des Tauschmittels Geld und der betrieblichen und personalen Zielsetzungen, die ihrerseits alle in den vorzufindenden und für diese Formen charakteristischen Regeln der Konvention und des Rechts verankert sind. Nun gibt es in Zentralverwaltungswirtschaften -wie in allen Systemen, die nach Prinzipien einer Organisation gestaltet werden -hinsichtlich der Entscheidungsstruktur eine gewisse Bandbreite der möglichen Ausformung. Das hängt damit zusammen, daß es in Organisationen zwei mögliche Arten gibt, das Handeln der Systemelemente an die Erreichung der Organisationszwecke zu binden. Mit diesen beiden Arten der Bindung ist freilich eine je unterschiedliche Intensität in der Beschränkung von Verhaltensspielräumen für die Aktionsträger verbunden. Es werden nämlich sowohl explizite als auch implizite Verhaltensnormen zur Bewältigung der Aufgabenerfüllungsprozesse an die personellen Aktionsträger vorgegeben. Dabei sind freilich deren Kognitions- und Motivationsschichtungen zu' berücksichtigen, also die ihr Verhalten bestimmenden Einstellungen, ihr Wissen, ihre Interessen und ihre Bedürfnisse. Ausschließliche Vorgabe von expliziten Verhaltens~ normen für die Aktionsträger bedeutet: Es werden für alle möglichen Entscheidungssituationen genaue Vorschriften darüber gemacht, wie die Akteure auf empfangene Informationen handelnd zu reagieren haben. Diese Art der Bindung birgt freilich die Gefahr in sich, daß die personellen Aktionsträger des Systems jenes Wissen, das nur sie selbst besitzen, deshalb nicht als Informationen an die in der Hierarchie höher angesiedelten Ent~ scheidungsinstanzen abgeben, weil sonst die Gefahr besteht, daß aus den auf der Grundlage dieser Informationen getroffenen Entscheidungen dann Bin~ dungsregeln in der Form von Anweisungen für sie erwachsen, die sich zum Nachteil ihrer eigenen personalen Ziele auswirken. Man erkennt hieraus, daß Information und Motivation wechselseitig miteinander verknüpft sind. Auch kann ein Teil des Wissens der Funktionsträger prinzipiell gar nicht zentralisiert werden, nämlich deren nichtwissenschaftliche Kenntnis der jeweils besonderen Umstände von Ort und Zeit. Auf diese für den Aufbau einer Organisation außerordentlich wichtige Problematik hat v. Hayek bereits vor einem halben Jahrhundert hin,11;ewiesen und sie dann vor dreißig

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Jahren literarisch abgehandelt 12 • Das bedeutet aber: Will man die Informationsbasis für die Summe aller zu treffenden Entscheidungen nicht auf das zentralisierbare Wissen verkürzen, dann müssen neben die extensiven eben auch intensive Bindungsregeln treten. Werden aber Verhaltensnormen implizit vorgegeben, dann werden dadurch den Aktionsträgern begrenzte Entscheidungsspielräume eröffnet. Sie erhalten gewisse Zwischenziele als Beurteilungsmaßstäbe für ihr eigenes Verhalten. In konkret bestehenden Zentralverwaltungswirtschaften handelt es sich dabei um Gewinnanteile in Prämienform oder um Leistungslohnzuschläge, also um die .,Hebel der materiellen Interessiertheit", sowie um fixierte Preise, Zinssätze, Steueroder Subventionssätze und Abschreibungssätze, die unter der Bezeichnung .,Hebel der wirtschaftlichen Rechnungsführung" bekannt sind. Implizite Bindungsregeln und damit verbundene begrenzte Entscheidungsspielräume eröffnen für die Aktionsträger prinzipiell die Möglichkeit, ihr eigenes Wissen in die Funktionserfüllung auch zum Nutzen der vorgegebenen Organisationszwecke einzubringen. In welchem Maße das tatsächlich geschieht, hängt jedoch wesentlich davon ab, ob es gelingt, diese Bindungsregeln .,richtig" auszugestalten. Diese .,richtige" Ausgestaltung würde jedoch voraussetzen, daß man den tatsächlichen Beitrag eines Unternehmens, den es zum Grad der vorgegebenen Organisationsziele leistet, in einer oder in mehreren hierflir geeigneten Erfolgsgrößen zutreffend messen und ausdrücken kann, um dann zwischen ihnen und jenen Größen, die - wie Prämien und andere Benefizien - als .,incentives" dienen, in irgend einer systematischen Weise einen "link" herstellen zu können. Damit ist freilich eine Problematik angesprochen, die bisher noch keine der bestehenden Zentralverwaltungswirtschaften des sowjetischen Typs befriedigend zu lösen vermochte. Andernfalls wären ja ständig wiederkehrende Reformexperimente entbehrlich. Diese Problematik der zureichenden und zweckmäßigen Verbindung von expliziten und impliziten Bindungsregeln besteht bereits für das theoretische Modell der vollständigen Zentralverwaltungswirtschaft, wie Hensel in seiner bekannten Analyse dargelegt hat13. Es existieren nämlich immer Konflikte zwischen den aufgabenbezogenen Zielen und den personalen Interessen der Aktionsträger. Solche schon im theoretischen Modell -und natürlich erst recht in der Realität -auftretende Konflikte zwischen den aufgabenbezogenen und den personalen Zielen und Interessen der Funktionsträger gilt es durch geeignete Gestaltung der Motivations- und der Informationsstruktur 12 Vgl. F. A. von Hayek, The present S1ate of the Debate, in: Collectivist Economic P1anning, hrsg. von F. A. von Hayek, 6. Aufl. London 1963 (19351), S. 201-243, hier: S. 207 ff. , sowie derselbe, Die Verwertung des Wissens in der Gesellschaft, in: derselbe, Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, Erlenbach--Zürich 1952, S. 103- 121, hier:

s. 106-111.

ll Vgl. K. P. Hensel, Einführung in die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft, 3. Auflage, Stuttgart, New York 1979, S. 175 ff.

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so zu überwinden, daß durch Identifikationsprozesse möglichst weitgehend Deckungsgleichheit beider Zielarten entsteht, im Idealfall möglichst vollkommene organisatorische Einheit zustande kommt, die Akteure also ein organisatorisches Team bilden. Besonders deutlich beobachtbar sind die schwierigen Probleme, die beim Suchen nach optimalen Entscheidungs-, Informations- und Motivationsstrukturen in einer Großorganisation entstehen, an der Reformphase des NÖS in der DDR• 4• Bekanntlich war man während des NÖS und des ÖSS dazu übergegangen, den Betrieben nur noch eine ausgewählte Zahl von quantitativen und qualitativen Planauflagen unmittelbar vorzugeben. Sie waren vor allem auf Investitionen und auf die Güterherstellung in Wachstumsbranchen und in .,strukturbestimmenden" Bereichen gerichtet. Produktion, Investition, Absatz und Beschaffung in den übrigen Teilen der Wirtschaft dagegen wurden weitgehend den Entscheidungen der VVB-, Kombinats- und Betriebsleitungen überlassen. Man hatte aber die Absicht, durch geeignete Setzung der ökonomischen Hebel der wirtschaftlichen Rechnungsführung und der materiellen Interessiertheit die betriebliche Planung mittelbar so zu steuern, daß durch sie letztlich Produktion und Investitionen den staatlich erstrebten Zielen entsprachen. Man war also -um es organisationstheoretisch zu formulieren- verstärkt zu dem Versuch übergegangen, Organisationsziele durch Vorgabe von impliziten Bindungsregeln für die Funktionsträger und nicht mehr so sehr durch explizite Verhaltensnormen in der Form von direkten Handlungsanweisungen zu realisieren. Zu den wichtigsten ökonomischen Hebeln gehörte seinerzeit der Gewinn als .,synthetische Kennziffer". Um das Leistungsverhalten der Betriebe auf die staatlich gewünschten Strukturziele hinzulenken, wurden mittelfristige Normative der Eigenerwirtschaftung der Mittel erteilt, die nach Maßgabe der im Perspektivplan des Betriebs vorgegebenen Aufgaben auszugeben waren. Der tatsächlich erwirtschaftete Gewinn wurde zur Eigenfinanzierung von Investitionen, zur teilweisen Abführung an den Staatshaushalt und zur Speisung des Prämienfonds verwendet. Für diese drei Verwendungskanäle wurden Prozentsätze festgesetzt, die für die Jahre 1969 und 1970 als unveränderliche Zweijahresnormative galten•s. Bei Vorgabe mittelfristiger Gewinnverwendungsnormative können aber Investitionen nicht mehr vollständig durch naturale Planung jährlich im einzelnen festgelegt und bilanziert werden. Denn der Umfang des betrieblichen Investitionsfonds ist ja keine planmäßig im vorhinein festlegbare Größe mehr. Je höher die effektiven Gewinne und ' 4 Vgl. zum folgenden G. Gutmann, Investitionen und Wirtschaftsordnung, in: Investitionen und Rationalisierung, FS-Analysen, Heft 6/ 1978, hrsg. von der Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen, Berlin 1978, S. 5-27, hier: S. 14-19. ·,s U. Wagner, Funktionswandel des Gewinns im Wirtschaftssystem der DDR, in: K. P. Hensel, U. Wagner, K. Wessely, Das Profitprinzip -- seine ordnungspolitischen Alternativen in sozialistischen Wirtschaftssystemen, Stuttgart 1972, S. 52-83, hier: S. 64 ff.

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Gewinnzuwächse sind, die der Betrieb erwirtschaftete, um so größer kann dann --bei gegebenen Normativen- der Finanzierungsfonds für Investitionen sein. Eine solche Selbstregulierung von Investitionen durch die VVB und die VEB hätte aber nur dann eine Chance haben können, nicht in Widerspruch mit den Zielen der Zentrale zu geraten, wenn: 1. die Hebel der wirtschaftlichen Rechnungsführung so hätten gesetzt wergetroffen hätten, die gleichzeitig den staatlichen Strukturzielen bestmöglichst entsprachen, wenn also vermittels dieser Hebel subjektive Meinungen und Erfahrungen der Betriebe durch objektive Informationen hätten ersetzt werden können, so daß es möglich gewesen wäre, auch an dezentraler Stelle rationale Entscheidungen im Interesse der Realisierung der zentral vorgegebenen Organisationsziele zu treffen und wenn 2. die Hebel der materiellen Interessiertheit so hätten gestaltet werden können, daß sich die einzelwirtschaftlichen Erfolgsinteressen der Betriebe mit denen der zentralen Entscheidungsgremien nahtlos gedeckt hätten. Beides war freilich nicht ohne weiteres zu erwarten. Die ökonomischen Hebel der wirtschaftlichen Rechnungsführung basierten ja notwendig auf den von den Entscheidungsgremien erwarteten, zur Realisierung für wert befundenen individuellen Zielsetzungen sowie auf der erwarteten Entwicklung im Bestand der Produktionsfaktoren und des technischen Wissens. Die Planbehörden unterlagen dabei aber -da sie nicht über vollkommene Informationen verfügten - zwangsläufig dem Risiko des Irrtums. Es sei einmal vereinfacht unterstellt, unter den Bedingungen eines Kennzifferngefüges, wie es in der Reformperiode des NÖS bestand, bestehe ein solcher Irrtum der Planungsgremien darin, daß diese nicht rechtzeitig erkennen konnten, daß ein Betrieb durch ungeplante Einführung technischen .Fortschritts seinen durchschnittlichen Aufwand an Vorleistungen bei gegebener Produktion$menge wese~tlich verringerte. Es muß sich dann eine nicht vorherzusehende Diskrepanz zwischen seinen tatsächlichen Kosten und dem im Finanzplan des Betriebs hierfür ursprünglich vorgesehenen Betrag ergeben. Dadurch wird der Gewinn in nicht vorhersehbarem Umfang gesteigert. Es entsteht daher eine Diskrepanz zwischen den erforderlichen und den tatsächlich verfügbaren finanziellen Eigenmitteln des Betriebs. Läßt die Lenkungsbehörde unter solchen Umständen die Langfristnormative unverändert und behält sie die einmal eröffnete Spontaneität bei bestimmten Investitionsentscheidungen bei, dann hat der Betrieb die nicht vorhergesehene Möglichkeit, über das von den Planungsgremien ursprünglich gewollte Maß hinaus zu investieren. Vorausgesetzt ist dabei natürlich eine zureichende Bilanzierung, so daß er Vertragspartner finden kann, die ihm die gewünschten Investitionsgüter und die sonstigen Vorleistungen auch liefern, und andere, die seine Produktion abnehmen. Nur dann kann innerhalb der Planperiode der hieraus fließende Zusatzgewinn prämienrelevant werden.

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Geschieht das, was hier skizziert wurde, in vielen Betrieben, dann wird durch solche Spontaneitäten die volkswirtschaftliche Produktions- und Investitionsstruktur zweifellos sehr schnell in einer Weise verändert, die den Zielen der Planungsgremien kaum noch entspricht, das gilt um so mehr, je weniger die relativen Preise die tatsächlichen relativen Knappheiten widerspiegeln. Die impliziten Bindungsregeln erweisen sich dann eben als ungeeignet. Tatsächijch haben sich die während der Periode des NÖS gesetzten Bindungsregeln in der Form impliziter Normen des Entscheidungsverhaltens als nicht in zureichendem Maße "richtig" erwiesen; sie wurden daher ab 1970 wieder weitgehend zugunsten extensiver Bindungsregeln verdrängt. Die "richtige" Mischung von expliziten und impliziten Bindungsregeln im Rahmen einer Organisation zu finden ist letztlich deshalb ein so schwer lösbares Problem, weil es darum geht, eine optimale Kombination zwischen zwei gegenläufigen Erfordernissen herbeizuführen: nämlich einerseits stabile Handlungsmuster zu schaffen, damit die Grundfunktion der Organisation erfüllt werden kann, und andererseits eine genügend große Anpassungsflexibilität und Innovationsfähigkeit des Systems zu erhalten. Letzteres ist natürlich um so wichtiger, je weniger stabil die Systemumwelt ist. Theoretisch gesehen geht es also bei allen diesen Reformen in der DDR und auch in anderen sozialistischen Staaten stets um die Suche nach jener Konstellation von Ordnungselementen im Sinne von institutionellen Arrangements, welche die Herausbildung möglichst optimaler Informations-, Entscheidungs- und Anreizstrukturen erlauben. Um in der Realität der DDR-Wirtschaft oder in der einer anderen Zentra1verwaltungswirtschaft sowjetischen Typs Optimalität der skizzierten Strukturen durch zweckentsprechende Ausgestaltung der Ordnungselemente mit hinreichender Aussicht auf Erfolg erreichen zu können, bedürfte es jedoch sowohl theoretisch begründeter praxeologischer Aussagen mit hohem Informationsgehalt, hohem Bestätigungsgrad und guter entscheidungstechnischer Verwertbarkeiti6 als auch des Willens der wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger, Reformexperimente stückwerktechnologisch 17 durchzuführen. An beiden Voraussetzungen mangelt es jedoch.

lU. Zunächst sei die Frage kritisch geprüft, ob es in der Wirtschaftswissenschaft empirisch gehaltvolle Theorien über die Funktionsweise von Zentralverwaltungswirtschaften gibt, aus denen hinreichend sichere Aussagen abgeleitet werden können, die den politischen Führungsspitzen der DDR Hilfestellungen für die Bemühungen um den Aufbau einer die Optimalität 16 17

Vgl. E. Grochla, a. a. 0., S. 53 ff. Vgl. K. R. Popper, Das Elend des Historizismus, 2. Auflage, Tübingen 1979, S. 51 ff.

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von Entscheidungs-, Informations- und Motivationsstruktur gewährleistenden Wirtschaftsordnung bieten. Seit Barones bekanntem Modell der Wirtschaft eines kollektivistischen StaatesiR ist --insbesondere in der Planwirtschaftsdebatte der dreißiger Jahre, aber auch später --häufig versucht worden, die Funktionsweise einer Zentralverwaltungswirtschaft modelltheoretisch zu erfassen. Dabei stand oder steht meist die Frage im Vordergrund, ob im Modell einer Wirtschaft ohne Privateigentum an den sachlichen Produktionsmitteln und ohne freie Preisbildung auf Güter- und Faktormärkten rationale Wirtschaftsrechnung möglich ist oder nicht. Als marktwirtschaftliches Referenzmodell dient dabei meist das statisch-Stationäre Modell der vollkommenen Konkurrenz. In jüngster Zeit gibt es in der angelsächsischen Literatur Versuche, gewisse Basisbergriffe einer Theorie des wirtschaftlichen Systemvergleichs zu erarbeiten und sie in sehr allgemeiner Form zu beschreiben. Das gilt auch für die hier mehrfach genannten Begriffe Entscheidungsstruktur, Informationsstruktur und Motivationsstruktur. So versucht David Conni9, angeregt durch Überlegungen von Hurwicz20, Camacho2 1, Marschak und Radner22, Groves23 , Neuherger und Duffy24 sowie Montias 25 , die genannten Strukturen formal zu definieren und deren Optimalität darzulegen. Er beschreibt zunächst eine Wirtschaft auf hohem Abstraktionsniveau mengenalgebraisch. Dann stellt er über ihren Komponenten ein Beziehungsgefüge her und beschreibt abstrakt die Verknüpfung von Informations-, Entscheidungsund Anreizstrukturen. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß in einer Wirtschaft --gleichgültig ob Markt- oder Zentralverwaltungswirtschaft eine Menge von Akteuren versucht, Ziele zu realisieren und zu diesem Zweck im Rahmen einer stochastischen Umwelt untereinander und mit der Umwelt 1" E. Barone, II ministerio della produzione nello statö collectivista, in: Giornale degli economisti, Sept. /Okt. 1908; englische Übersetzung in: F. A. von Hayek (Hrsg.), Colectivist Economic Planning, 6. Auflage, London 1963, S. 245-290. 19 D. Conn, Toward a Theory of Optimal Economic Systems, in: Journal of Comparative Economics, I /4 New York und London 1977, S. 325-350. 2o L. Hurwicz, Centralization and Decentralization in Economic Processes, in: A. Eckstein (Hrsg.), Comparison of Economic Systems, Berkeley 1971, S. 79-102; derselbe, On lnformationally Decentralized Systems, in: C. B. McGuire, R. Radner (Hrsg.), Decision and Organization, Amsterdam 1972, S. 297-336. 21 A. Camacho, Centralization and Decentralization of Decision-Making Mechanisms: A General Model, in: Jahrbuch der Wirtschaft Osteuropas, Bd. 3. München 1972, S. 45-66. n J. Marschak. R. Radner. Economic Theory of Teams. New Haven (Conn.) 1972. 2.1 T. Groves. lncentives in Teams. in: Econometrica. Jg. 41, Juli 1973, S. 617-631. 24 E. Neuberger, W. Duffy, Comparative Economic Systems, a. a. 0. Approach. Boston 1976. 2s J. M. Montias, The Structure of Economic Systems, New Haven (Conn.) 1976.

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durch Kommunikationen verbunden sind, die es erlauben, Informationen zu empfangen und weiterzuleiten. Diese Informationen sind Grundlage für Strategien, ~ie solche ökonomische Handlungen in der Volkswirtschaft bewirken, die einerseits Produktionsergebnisse hervorbringen und dadurch andererseits den Akteuren zu Entgelten verhelfen. Diese wiederum beeinflussen den Grad der Erfüllung der dem Entscheiden und Handeln der Akteure zugrundeliegenden Zielfunktionen. Die genannten Komponenten der Wirtschaft stehen untereinander in einem Gefüge von Beziehungen, die sich in drei Klassen gruppieren lassen, nämlich in die der Informations-, die der Entscheidungs- und die der Anreizstruktur als einem wichtigen Teil der Motivationsstruktur einer Volkswirtschaft. Durch das jeweils bestehende Beziehungsgefüge zwischen den Komponenten der Wirtschaft wird nach Conn der Ablauf des ökonomischen Geschehens auf zweierlei Art determiert: I. Es limitiert die verwertbare Informationsmenge und begrenzt dadurch die Menge der einsetzbaren Strategien der Wirtschaftssubjekte. Dadurch und weil die Entfaltung des Relationengefüges selbst Ressourcen beansprucht, wird auch die Menge der vollziehbaren Handlungen und mit diesen die Menge der erreichbaren Produktionsergebnisse begrenzt. 2. Die Zielfunktionen der Akteure werden maßgeblich von der Beschaffenheit des Beziehungsgefüges betroffen, und zwar deshalb, weil die Anreizstruktur die von den Akteuren erzielbaren Entgelte näher bestimmt, welche wiederum Ergebnis des Umweltzustandes, derverwendeten Information und der in der Wirtschaft vollzogenen Handlungen sind. Die Optimalität oder Suboptimalität des sich aus Informations-, Entscheidungs- und Anreizstrukturen zusammensetzenden Beziehungsgefüges zwischen den genannten Komponenten einer Zentralverwaltungswirtschaft läßt sich auf dieser Ebene der Abstraktion theoretisch anband einer Normfunktion messen, deren Argument die Umwelt als stochastische Variable enthält. Diese Funktion ist -- mengenalgebraisch gesehen - - eine Abbildung des Raums möglicher Beziehungsgefüge, möglicher Aktionen und möglicher Umweltbedingungen in die Menge der reellen Zahlen. Jenes der möglichen Beziehungsgefüge --und damitjene Konstellation der mehrfach genannten Strukturen- ist optimal, das diese Normfunktion, der natürlich die Bewertung der Entscheidungszentral zugrunde liegt, - unter gewissen Restriktionen maximiert. Es ist sicherlich wissenschaftlich legitim und verdienstvoll, Probleme in einer umfassenden und formalen Weise zu fassen. Ich sage das, obwohl mir in der vor wenigen Wochen stattgefundenen Arbeitstagung der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Graz zum Thema "Information in der Wirtschaft" gelegentlich der Eindruck vermittelt wurde, daß eine ausschließlich normale Behandlung solcher Probleme sehr leicht zur bloßen Gedankenakrobatik entarten kann, die zwar denen intellektuellen Genuß

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bereitet, die sie betreiben, deren Nutzen für die erkenntnismäßige Durchdringung der Realität und für deren ordnungspolitische Gestaltung jedoch zumindest äußerst fraglich erscheint. Sicherlich ist leicht einzusehen, daß Beschreibungen von Beziehungszusammenhängen zwischen Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsprozeß auf einer solchen Abstraktionsebene, wie von Conn vorgenommen, kaum dazu geeignet sind, den politischen Entscheidungsgremien der DDR unmittelbar Hilfen für ihre konkrete Gestaltungsaufgabe zu bieten. Zur konkreten ordnungspolitischen Ausformung einer Zentralverwaltungswirtschaft, durch welche Optimalität der genannten Strukturen herbeigeführt werden könnte, bedarf es nicht eines solchen abstrakten begrifflichen Rasters, sondern theoretisch begründeter praxeologischer Aussagen mit hohem Informationsgehalt, hohem Bestätigungsgrad und guter entscheidungstechnischer Verwendbarkeit. Der theoretische Unterbau solcher praxeologischer Aussagen muß natürlich ein weit geringeres Abstraktionsniveau aufweisen als die soeben kurz referierte formale, mengenalgebraische Beschreibung der Zusammenhänge. Gibt es aber in der Wirtschaftswissenschaft empirisch gehaltvolle Theorien über die Funktionsweise von Zentralverwaltungswirtschaften, die die oben allgemein beschriebenen Strukturen in ihren konkreten Bezügen so erklären, daß aus ihnen wirklich Aussagen abgeleitet werden könnten, die der politischen Führung der DDR Hilfen für ihre ordnungspolitischen Bemühungen geben? Es wurde bereits erwähnt, daß in der Volkswirtschaftstheorie mehrfach versucht wurde, die Funktionsweise kollektivistischer Wirtschaften modelltheoretisch zu analysieren. Zwei der bekanntesten Ansätze sind das aus dem gedanklichen Konstrukt des .,Konkurrenzsozialismus" hervorgegangene Modell einer mit impliziten Bindungsregeln gesteuerten Zentralverwaltungswirtschaft von Oskar Lange26 und das Modell der vollständig zentralgeplanten und mit expliziten Bindungsregeln gesteuerten Zentralverwaltungswirtschaft von Hensee 7 • Abgesehen von gewissen generellen Einwendungen wissenschaftstheoretischer Natur gegen den Erklärungswert modelltheoretischer Spekulationen2s werden in beiden Theorieansätzen zwei Kardinalprobleme einer jeden Zentralverwaltungswirtschaft, nämlich das Informations- und das Motivationsproblem nur teilweise und mit unterschiedlicher Akzentuierung explizit berücksichtigt29. 2b 0. Lange. On the Economic Theory of Socialism, in: The Review of Economic Studies. London 4 (1936/37). S. 53-71 und 123-142; deutsche Obersetzung in: 0 . Lange, Ökonomisch-theoretische Studien. hrsg. von H. Jaroslawska, Frankfurt/Main und Köln 1979. s. 259-322. 21 K. P. Hensel. Einführung in die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft. a. a. 0. 2" Vgl. H. Albert. Probleme der Theoriebildung. Entwicklung. Struktur und Anwendung sozialwissenschaftlicher Theorie, in: H. Albert (Hrsg. ). Theorie und Realität. Tübingen 1964, S. 3-70. hier: S. 27 ff. 29 Vgl. G. Gutmann, Artikel .. Zentralgeleitete Wirtschaft", in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW). Bd. 9, Stuttgart, New York 1982, S. 599-616.

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Lange versucht in seinem zentralverwaltungswirtschaftlichen Modell, die Informationserfordernisse der Zentrale dadurch zu reduzieren, daß er in einem zeitraubenden und kostenverursachenden Prozeß der Adaptation zentral angeordnete Preise und Preisveränderungen als Informationsmedien zuläßt und es so der Zentrale erspart, Detailinformationen über die betrieblichen ProduKtionsfunktionen gewinnen zu müssen. Dieses Modell Langes ist im Unterschied zu seinem Konkurrenzsozialismus dadurch gekennzeichnet, daß es keine Freiheit der Konsumwahl und auch keine Freiheit in der Wahl des Arbeitsplatzes gibt. Die übrigen Prämissen stimmen mit denen des Modells des Konkurrenzsozialismus überein. Das zentrale Planamt entscheidet hier nach seinen eigenen Zielvorstellungen, wie die Faktoren eingesetzt und welche Güterarten produziert werden. Es teilt die Konsumgüter den Individuen zu. Das Modell entspricht weitgehend Euckens Idealtypus einer totalen Zentralverwaltungswirtschaft, in der alles nach dem Willen der Zentrale geschieht. Jedoch ist die Art der Steuerung des Wirtschaftsprozesses eine andere. Die Zentrale bedient sich zwar spezifischer Anweisungen hinsichtlich der zu erzeugenden Güterarten und sie weist den Arbeitskräften ihre Arbeitsplätze zu, aber bezüglich der sonstigen Faktorkombinationen und der Produktionsmengen wird mit impliziten Verhaltensnormen gearbeitet. Ausgehend von ihrer eigenen Präferenzfunktion setzt die Planbehörde vorläufige Verrechnungspreise für alle Güter fest. Den Betriebsleitern wird -wie im Modell des Konkurrenzsozialismus - - zur Auflage gemacht, die Faktoren so zu kombinieren und neue Betriebe so zu errichten, daß jeweils die Minimalkostenkombination realisiert ist, und jene Mengen von Gütern zu produzieren, bei denen die festgesetzten Preise den Grenzkosten der Produktion entsprechen. Die Verwalter des verfügbaren Bestandes an Produktionsmitteln werden angewiesen, Faktorleistungen nur an jene Betriebe und Industrien zu liefern, die diese zu den vom Planamt festgelegten Preisen bezahlen können. Durch diese Regeln des Verhaltens soll eine Bindung des Managerverhaltens an die Ziele erfolgen, die sich aus der Präferenzordnung der Zentrale ergeben. In einem Prozeß von Versuch und Irrtum, der im Zeitablauf zunächst zu einer Reihe suboptimaler Faktorallokationen führt. werden dann die Preise seitens der Zentrale solange variiert, bis bei allen Gütern die nachgefragte Menge der angebotenen gleich ist undjene Produktionsstruktur besteht, die im Urteil der Zentrale ein Optimum darstellt. Es wird jedoch in diesem Modell die Problematik aus der Betrachtung ausgeklammert, wie die Betriebsleiter zur Einhaltungjener ihnen auferlegten Verhaltensregeln motiviert werden können, deren Befolgung Voraussetzung für das Funktionieren des im Modell skizzierten Funktionsablaufs ist. Die überaus wichtige Frage, wie die Motivationsstruktur ordnungspolitisch zureichend gestaltet werden kann, bleibt ungeklärt.

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Hingegen schenkt Hensel dem Motivationsaspekt starke Beachtung. Er analysiert die Problematik der Verknüpfung zentraler Pläne mit den Plänen der Einzelwirtschaften und zeigt die Schwierigkeiten auf, die dabei mit der Anwendung des Leistungsprinzips verbunden sind. Jedoch bleibt in seinem Modell weitgehend die Frage offen, wie die zentralen Instanzen der Bedarfsund Produktionsplanung tatsächlich alle jene Detailinformationen über die produktionstechnischen Bedingungen aller Betriebe gewinnen können, über die sie letztlich verfügen müßten, damit der von ihm geschilderte Adaptationsprozeß der Planung zu jenem Gleichgewicht führt, das nach dem Urteil der Zentrale ein Optimum darstellt. Erst seit einigen Jahren werden in der angelsächsischen, aber auch in der deutschen Literatur -so durch Bernholz30 - lnformationserfordernisse, Informationskosten und Motivationserfordernisse stärker als bisher in die Theorie des Vergleichs alternativer Wirtschaftssysteme und damit auch in die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft einbezogen. Dabei werden teilweise sogar die Informationserfordernisse miteinander verglichen, die verschiedene Modelle einer Zentralverwaltungswirtschaft aufweisenJt. Die volkswirtschaftliche Theorie über zentralverwaltungswirtschaftliche Systeme nähert sich mit der Behandlung solcher Fragen an die Problemstellungen in organisationstheoretischen Ansätzen an, wie sie in der betriebswirtschaftliehen Literatur für Unternehmensorganisationen im Rahmen einer Marktwirtschaft konzipiert wurden. Da aber auch die zuletzt erwähnten volkswirtschaftlichen Theorieentwürfe modelltheoretisch so konstruiert sind, daß man sie schwerlich empirisch wird testen können, fehlt den in ihnen gewonnenen Aussagen weitgehend das erforderliche Maß an lnformativität und Bestätigungsgrad, das nötig wäre, um aus ihnen entscheidungstechnisch verwendbare Rezepte zur konkreten Ausgestaltung einer zentralverwaltungswirtschaftlichen Ordnung ableiten zu können. Gibt es nun aber nicht die Möglichkeit, Ergebnisse der betriebswirtschaftliehen Organisationstheorie für die Gestaltung einer konkreten Zentralverwaltungswirtschaft nutzbar zu machen? Da das DDR-Wirtschaftssystem als Wirtschaftssystem einer Zentralverwaltungswirtschaft sowjetischen Typs unter den Regeln einer Großorganisation von höchster Komplexität existiert, müßte es eigentlich denkbar sein, organisationstheoretisch gewonnene Aussagen unmittelbar in Handlungsanweisungen für die politischen Entscheidungsgremien umzusetzen, welche die Kompetenz haben, die Gestaltung jener institutionellen Arrangements zu beschließen, welche die Informations-, Entscheidungs- und Anreizstrukturen beeinflussen. Dieser auf den ersten Blick plausibel erscheinende Ausweg erweist sich jedoch bei Jo P. Bernholz, Grundlagen der Politischen Ökonomie, 3 Bde., I. Bd. Tübingen 1972,2. Bd. Tübingen 1975, 3. Bd. Tübingen 1979. ·11 Derselbe, 2. Bd. Tübingen 1975, S. 134 ff.

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intensiverem Studium der organisationstheoretischen Literatur als derzeit allenfalls partiell, aber nicht generell begehbar. Eine Bestandsaufnahme der wichtigsten Beiträge der Organisationstheorie läßt nämlich schnell erkennen, daß es .,die" Organisationstheorie nicht gibt und daß die verschiedenen Ansätze kaum praxeologische Aussagen auf der Basis hohen Informationsgehalts und hohen Bestätigungsgrads der ihnen zugrunde liegenden Theorien enthalten . .,Das Fehlen eines Systems derartiger Aussagen in der Organisationstheorie", so führt Grochla aus, "erklärt sich unter anderem aus der Tatsache, daß die organisationstheoretischen Beiträge noch weitgehend einzelne organisatorische Probleme oder Probleme mit einem geringen Komplexitätsgrad relativ isoliert betrachten und erforschen. Die dadurch entstehende enorme Vielfalt sowohl inhaltlich als auch methodisch und begrifflich verschiedenartiger Aussagen muß zwangsläufig zu der ... Forderung nach inhaltlicher und methodischer Integration führen. Nur mit derart integrativen Orientierungen erscheint es in Zukunft möglich, zu einem geschlossenen System praktisch verwendbarer Aussagen zu gelangen"J2. IV. Selbst dann jedoch, wenn es der volkswirtschaftlichen oder der betriebswirtschaftlichen Forschung geglückt wäre, einen hinreichend großen Bestand praxeologisch verwertbarer theoretischer Aussagen über die Funktionsweise von Großorganisationen von höchster Komplexität zu erarbeiten, ist keineswegs sicher, daß diese von der politischen Führung der DDR auch zweckentsprechend zur ordnungspolitischen Gestaltung genutzt würden. Solche Zweifel sind deswegen erlaubt, weil Wirtschaftspolitik in Zentralverwaltungswirtschaften des sowjetischen Typs prinzipiell holistisch orientiert ist. Die hinter dieser Wirtschaftspolitik stehende historizistischmarxistische Philosophie; und Weltanschauung ist ja bekanntlich von der Vorstellung geprägt, soziale Strukturen seien nicht als Kombinationen ihrer Teile oder ihrer Glieder zu erklären, da die soziale Gruppe mehr sei als die Summe ihrer Mitglieder und mehr als die Summe der Beziehungen zwischen diesenJJ. Wenn aber schon bestehende soziale Strukturen nicht als Kombinationen ihrer Glieder erklärt werden können, dann gilt das freilich auch für neu zu bildende. Diese Auffassung begünstigt eine Methode des Sozialexperiments, durch welches eine Gesellschaft in ihrer Gesamtheit nach festem Gesamtplan gestaltet werden soll. Diese Vorgehensweise steht natürlich im Gegensatz zu ordnungspolitischem Experimentieren, das man mit Popper als .,Stückwerkstechnologie" bezeichnen kann34 • Der stückwerkstechnolo12 33 34

E. Grochia, a. a. 0 ., S. 236. Vgl. K. R. Popper, a. a. 0 ., S. 14 ff. Vgl. derselbe, S. 51 ff.

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gisch arbeitende Wirtschaftspolitiker versucht, wirtschaftliche Institutionen in Kenntnis der Tatsache zu gestalten, daß letztlich nur eine Minderheit solcher Institutionen bewußt plan bar, deren Mehrzahl hingegen ungeplantes Resultat spontanen menschlichen Handeins ist. Er wird daher versuchen, seine Ziele durch kleine Schritte zu realisieren und dabei stets die erwarteten Ergebnisse der Gestaltungsbemühungen mit den sich tatsächlich einstellenden zu vergleichen, Nebenwirkungen zu registrieren und sie im nächsten Schritt zu berücksichtigen. Im wesentlichen Gegensatz zum holistisch orientierten Wirtschaftspolitiker wird er keine Reformen von solcher Komplexität unternehmen, daß es unmöglich wird, Ursachen und Wirkungen zu entwirren. Während der Stückwerksingenieur --so führt Popper aus -" ... sein Problem angehen kann, ohne sich bezüglich der Reichweite seiner Reform festzulegen, kann der Holist dies nicht tun, denn er hat von vornherein entschieden, daß eine vollständige Umformung der Gesellschaft möglich und notwendig ist. Diese Tatsache hat weitreichende Konsequenzen. Aus ihr entsteht beim Utopisten ein Vorurteil gegen bestimmte soziologische Hypothesen, welche die Wirksamkeit der Institutionen begrenzen, z. B. gegen die ... Hypothese über die Unsicherheit, die auf den personalen Faktor, den .,Faktor Mensch" zurückzuführen ist ... Andererseits zwingen die Probleme, die mit der Unsicherheit des menschlichen Faktors zusammenhängen, den Utopisten, ob er nun will oder nicht, zu dem Versuch, den menschlichen Faktor mit Hilfe von Institutionen unter Kontrolle zu bringen. Er muß dann sein Programm so erweitern, daß es nicht nur die planmäßige Umgestaltung der Gesellschaft, sondern auch die Umgestaltung des Menschen umfaßt"3 5• Von hierher sind auch die immer wieder beschwore~en Appelle an die ,,Solidarität" und das .,sozialistische Bewußtsein der Werktätigen" sowie die Erwartungen für ein von Identifikation mit den Zielen der politischen Führung geprägtes Verhalten der neuen Kombinatsleitungen besser zu verstehen. Diese holistische Einstellung zur Analyse und zur Gestaltung sozialen Lebens dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, daß wirtschaftspolitische Experimente in Zentralverwaltungswirtschaften des sowjetischen Typs häufig den Charakter weitreichender, weite Teile der Wirtschaft umspannender Großexperimente haben, für die gilt, .,... daß sie nur insofern ,Experimente' genannt werden können, als dieser Ausdruck ein Unternehmen bedeutet, dessen Ausgang ungewiß ist, aber nicht in dem Sinne, in dem ein Experiment ein Mittel ist, das gestattet, durch den Vergleich der erreichten mit den erwarteten Resultaten Wissen zu gewinnen"36.

J~ .16

Derselbe. S. 56. Derselbe. S. 68.

DIE WIRTSCHAFTSVERFASSUNG DER DDR Von Gottfried Zieger Nimmt man das im Staatsverlag der DDR erschienene offizielle Lehrbuch des Staatsrechts der DDR von 1978 zur Hand 1, so überrascht es, daß das Gebiet der Wirtschaftsverfassung überhaupt nicht in Erscheinung tritt. Auch im Sachregister sucht man die Stichwörter "Wirtschaft" oder "Wirtschaftsverfassung" vergeblich 2, Man scheint im Staatsrecht isolierter zu denken als es dem Parteiprogramm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) entspricht. "Der sozialistische Staat leitet die planmäßige Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft, fördert den wissenschaftlichtechnischen Fortschritt und das stetige Wachstum der Arbeitsproduktivität", heißt es in dem Parteiprogramm der SED3• "Durch den Staat werden die sozialistischen Produktionsverhältnisse, die kameradschaftliche Zusammenarbeit und die gegenseitige Hilfe, die sozialistische Gemeinschaftsarbeit der Werktätigen entwickelt. ..", besagt das Programm im anschließenden Text4. "Die Leitung der Wirtschaft durch den sozialistischen Staat ist Ausdruck einer der wesentlichsten Seiten der Diktatur des Proletariats, nämlich ihrer gesellschaftsorganisierenden Rolle", wird dementsprechend in dem Grundriß formuliert, der für die Behandlung des Wirtschaftsrechts im staatswissenschaftlichen Studium erschienen ists. An anderer Seite liest man: "Im Prozeß der Leitung werden die gesamtgesellschaftlichen Erfordernisse mit Hilfe des Rechts durchgesetzt. Das sozialistische Recht dient in seiner Gesamtheit als unentbehrliches Leitungsmittel der Verwirklichung der ökonomischen Rolle des sozialistischen Staates"6. 1 Herausgegeben von der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR, Potsdam-Babelsberg, vom Minister für Hoch- und Fachschulwesen ausdrücklich als Lehrbuch für die Ausbildung bzw. Weiterbildung an Universitäten und Hochschulen der DDR anerkannt. 2 Im Kapitel 3 (Die Grundlagen der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung) werden die ökonomischen Grundlagen auf eirier Seite abgehandelt, den Eigentumsformen . werden zehn Seiten gewidmet. Die .,verfassungsrechtliche Regelung der staatlichen Leitung und Planung der Volkswirtschaft" wird auf knapp vier Seiten dargestellt; im Sachregister wird nur das Stichwort der .,Volkswirtschaft" erwähnt. 3 Fricke, Programm und Statut der SED vom 22. Mai 1976. 1976, S. 45 (75). 4 a.a.O. 5 Von einem Autorenkollektiv an der Akademie ftir Staats- und Rechtswissenschaft der DDR unter Leitung von Penig. 1978, S. 19. 6 a. a. 0., S. 18.

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Das gibt uns auch aus der Sicht des staatsrechtlichen Verständnisses im anderen deutschen Staat die Legitimation, uns mit den juristischen Elementen der Wirtschaftsverfassung zu beschäftigen. Nimmt man den Text der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in die Hand 7 , so fällt die starke Präsenz wirtschaftlicher Grundüberlegungen auf. Schon aus der Strukturierung der DDRVerfassung ergibt sich auf den ersten Blick die außerordentliche Bedeutung des Elementes der Wirtschaft. In der 1974 neu gefaßten Präambel heißt es: .,In Fortsetzung der revolutionären Traditionen der deutschen Arbeiterklasse" habe das Volk der DDR .,sein Recht auf sozial-ökonomische, staatliche und nationale Selbstbestimmung verwirklicht". Die sozialökonomische Komponente wird hier sogar vor die staatliche und nationale Selbstbestimmung gerückt. Dem Ersten Kapitd über die "Politischen Grundlagen" folgt im Zweiten Kapitel die Behandlung der .,Ökonomischen Grundlagen, Wissenschaft, Bildung und Kultur"9 • Doch auch über diese Gliederung hinaus wird an vielen Stellen auf das Ökonomische zurückgegriffen. An fünf Stellen findet sich im Verfassungstext ein Hinweis auf eine .,Revolution". Die "revolutionären" Traditionen der deutschen Arbeiterklasse, an die in der Präambel angeknüpft wird, wurden bereits erwähnt. An den übrigen vier Stellen 10 wird ausnahmslos von der .,wissenschaftlichtechnischen Revolution" gesprochen, also von einem wirtschaftlichen Element, das den traditionellen hochpolitischen Gehalt des Begriffs .,Revolution" in den Hintergrund verbannt. Die Grundlagen für die Wirtschaftsverfassung der DDR bilden Eigentumsstruktur und Planwirtschaft1 1. In einer Vielzahl von Verfassungsbestimmungen wird von der sozialistischen Produktion 12 , von dem sozialistischen Eigentum an Produktionsmitteln 13 gesprochen. Auch der Grundsatz der .,Leitung und Planung der gesellschaftlichen Entwicklung" wird bereits bei den politischen Grundlagen der Verfassungsordnung1 4 erwähnt. Die Kernbestimmung allerdings ist in Art. 9 anzutreffen Hier findet sich das wirtschaftsverfassungsrechtliche Credo, wenn es heißt: 7 Vom 6. April 1968, GBI. I S. 199 in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1974, GBI. I S. 429{432. K Im Abschnit I. 9 Art. 9 ff. 1o Vgl. Art. 17 Abs. I S. 2; Art. 24 Abs. 3; Art. 25 Abs. 3 und Art. 44 Abs. 3 S. I. II Art. 9 Abs. I; vgl. Brunner. Einführung in das Recht der DDR. 2. Aufl. 1979, S. 98. 12 Beispielsweise in den Art. 2 Abs. I S. 3; Art. 46 Abs. I S. I. JJ Etwa in den Art. 2 Abs. 2 und Art. 24 Abs. 3. 14 Art. 2 Abs. 2.

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Abs. 1: "Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik beruht auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln..." Abs. 3 S. 3: .,Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik ist sozialistische Planwirtschaft".

Daß die Festlegung des Währungssystems Sache des Staates ist 15, enthält eine allgemeingültige Aussage. Charakteristisch für die Wirtschaftsverfassung im anderen Staate in Deutschland ist aber die Verknüpfung der staatlichen Währungshoheit mit der Festlegung 16, daß auch die Bestimmung über das Finanzsystem Sache des sozialistischen Staates ist 17. Dieses Bild wird durch die Aussage abgerundet, daß .,die Außenwirtschaft einschließlich des Außenhandels und der Valutawirtschaft ... staatliches Monopol" istl8. Das erklärte Ziel der Wirtschaftsordnung -wir würden von Staatszielbestimmung sprechen -ist es, zu einer .,weiteren Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität" zu gelangenl 9 • Das wird als .,die entscheidende Aufgabe der entwickelten sozialistischen Gesellschaft" bezeichnet2o. Aufgrund dieser allgemeinen Ableitung wird in dem Verfassungstext oftmals von ..der ständig besseren Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Bürger" gesprochen 21 . An anderer Stelle findet sich der Ausdruck eines .,stetigen und planmäßigen Wachstums der sozialistischen Produktivkräfte und der Arbeitsproduktivität"22. Wenn dergestalt in der Verfassung das Wirtschaftswachstum festgeschrieben und zur Staatszielbestimmung erklärt worden ist, scheint es gar nicht vorstellbar zu sein, daß es auch wirtschaftliche Stagnation oder sogar einen Rückgang, ein negatives Wachstum des Sozialproduktes geben kann. Andere Länder aus dem sowjetischen Lager bieten dafür Anschauungsmaterial, auch wenn man von dem Sonderfall Polen einmal absieht. So erhebt sich die Frage, ob eine Nichterfüllung dieses Verfassungsgebotes nicht die Grundlage des Systems erschüttern muß. Das wird fast zu einer Gretchenfrage des Regimes. Die Thesen des Club of Rome vom Ende des Wachstums So ausdrUcklieh Art. 9 Abs. 4 S. I. Art. 9 Abs. 4. 17 Vgl. das Stichwort .,Verfassung", in: DDR-Handbuch. 2. Aufl. 1979, S. 1115 (1117); Stichwort "Finanzsystem", a. a. 0., S. 385. 18 Art. 9 Abs. 5. 19 Hierzu Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Kommentar. 2. Aufl. 1982, Art. 2 Rdnr. 20 ff. 2o Art. 2 Abs. I S. 3 a. E. 21 So in Art. 9 Abs. 2. 22 Vgl. Art. 24 Abs. 3. 1s 16

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sind von Havemann aufgenommen worden2J, nicht aber von den offiziellen Leitungsorganen von Partei, Staat und Wirtschaft in der DDR. Aus diesem verfassungsrechtlichen Gebot zum ständigen Wirtschaftswachstum läßt sich zugleich die viel simplere Frage ableiten, ob nicht alle Berichterstattung über die Erfüllung der Pläne, in denen eben dieses Wachstum dekretiert wird, mit äußerster Vorsicht und Zurückhaltung aufzunehmen ist, weil Stagnation oder gar Rückschritt in der Wirtschaftsentwicklung als Sakrileg gelten. Wer sich mit Zahlen der DDR-Wirtschaft befaßt, kennt das Raffinement, die Bezugsposten bei Zahlenvergleichen zu wechseln, um oft echten Vergleichen auszuweichen und per saldo immer zum Nachweis eines Wachstums im wirtschaftlichen Sektor zu gelangen. Das verfassungsrechtlich festgeschriebene Bekenntnis zu ständigem Wirtschaftswachstum und der damit einhergehenden Verbesserung der Lebensverhältnisse erscheint auch deshalb als unverzichtbar, weil die Verfassung für die "entwickelte sozialistische Gesellschaft" nur als Vorstufe für den späteren Übergang zur kommunistischen Gesellschaftsordnung zu verstehen ist24. Das sozialistische Prinzip .,Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung"25 soll dann umgeformt werden in die Vorstellung einer khtsseß{osen Gesellschaft der .,freien Assoziation der Inqividuen", in der jeder nach seinen Bedürfnissen leben kann26 • Die wiederholt in dem Verfassungstext anzutreffende Formulierung von der .,wachsenden Befriedigung der kulturellen Interessen und Bedürfnisse"27 sowie der .,steigenden materiellen, sozialen und kulturellen Versorgung"28 der Bürger weist schon jetzt in diese Richtung. Wachstum als Ziel der Wirtschaftsordnung muß uns als recht einseitig erscheinen. Für die marktwirtschaftliehen Wirtschaftsmodelle sprechen wir vom .,magischen Dreieck" oder vom .,magischen Viereck" und zählen damit Vollbeschiiftigung, Geldwertstabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu weiteren Bestimmungsgrößen der durch Wirtschaftspolitik zu verwirklichenden Wirtschaftsverfassung29. Müller-RömerJo hat darauf hingewiesen, daß für diese Faktoren in einer Wirtschaftsverfassung nach dem 2.1 Havemann. Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheidewege. Kritik und Utopie, (München) 1980, S. 8. 24 Vgl. Lehrbuch des Staatsrechts der DDR (Fn. 1), S. 38. 2s Art. 2 Abs. 3. 2~ Vgl. Mampel (Fn. 19), Art. 2 Rdnr. 40. 27 Art. 25 Abs. 3 S. 3. 2N Art. 36 Abs. 2. 29 Vgl. dazu § I des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967, BGBI. I S. 582. ·'" Das neue Wirtschaftsverfassungsrecht der DDR, Studien und Analysen aus dem Institut !Ur Ostrecht der Universität zu Köln, Nr. 13/1970, S. 6.

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Modell der Zentralverwaltungswirtschaft kein Raum sei: Vollbeschäftigung sei formal durch dirigistische Arbeitskräftelenkung immer vorhanden; inflatorische Phänomene würden theoretisch durch die staatliche Preisfestsetzung ausgeschlossen; die tatsächlich bestehende Teuerung werde offiziell geleugnet. Auf ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht komme es nicht entscheidend an; denn das staatliche Außenhandelsmonopol bilde einen Riegel gegen spontan wirksam werdende finanzielle Einflüsse von außen. Die zwei Jahre nach dem lnkrafttreten der DDR-Verfassung von 1968 ausgearbeitete Studie von Müller-Römer über das neue Wirtschaftsverfas· sungsrecht der DDR zeigt, wie in gut zehn Jahren diese Ausgangspositionen sich drastisch verändert haben. Nicht nur das Wachstum der DDR-Wirtschaft nach vorgegebenen Planzahlen ist problematisch geworden, vor allem fordert die Inflation auch im anderen deutschen Staat einen beträchtlichen Tribut; nur die sog. Grundnahrungsmittel, Strom- und Verkehrstarife und Altbaumieten sind konstant geblieben3 1, kosten den Staat allerdings Jahr für Jahr höhere Milliardenbeträge für Subventionen (.,staatliche Preisstützungen"), so daß auch hier eines Tages -wie in den anderen Ländern des sowjetischen Lagers - die Stunde der marktwirtschaftliehen Wahrheit schlagen wird. Vor allem aber ist das außenwirtschaftliche Gleichgewicht durch den wachsenden Einfluß steigender Weltmarktpreise aus dem Gleichgewicht gebracht und bedroht von dieser Seite her zusätzlich die Wachstumsziele der Wirtschaftsplanung. Das in der Verfassung vorgestellte Modell einer in sich ruhenden stabilen Wirtschaftsverfassung ist darum heute mehr ideologische Vorgabe als Realität. Gegenüber dem im Verfassungstext verankerten Wirtschaftsmodell ist inzwischen eine weitere Modifikation eingetreten. Sie betrifft die Integration innerhalb der sowjetisch dominierten Sta!ltengruppe, die im Rat für gegen~ seitige Wirtschaftshilfe (RG W) zusammengeschlossen ist. Im Text der 1968 verabschiedeten Verfassung hatte lediglich ein Hinweis auf den sozialisti~ sehen Internationalismus gestanden3 2• Die Änderung der Verfassung im Jahre 1974 hingegen hat ein Bekenntnis zu einer .,zielstrebigen Verwirklichung der sozialistischen ökonomischen Integration" gebrachtJ3. Die Integrationsfreudigkeit ist also jetzt in der Verfassung festgeschrieben. Nicht aus der Verfassung zu erkennen ist die starke westliche Orientierung des Außenhandels der DDR; die Entwicklung des Welthandels ist erheblich stärker gewachsen als der Güteraustausch mit dem RGW. Das spricht nicht für 31 Vgl. hierzu die Stichworte" Preissystem und Preispolitik" im DDR-Handbuch (Fn. 17), S. 850; .,Bau- und Wohnungswesen", a. a. 0., S. 136 (141). 32 Art. 6 Abs. 2. 33 Art. 9 Abs. I S. 2.

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intensive Fortschritte bei der ökonomischen Zusammenarbeit innerhalb des Ostblocks34. Betrachten wir in diesem skizzierten Rahmen die Wirtschaftsverfassung der DDR näher, so müssen wir uns zunächst mit der Eigentumsstruktur befassen35 • Die Grundsatznorm des Art. 9 Abs. 1 bezeichnet das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln als das Fundament der Volkswirtschaft der DDR und verleiht ihm die Eigenschaft als .,unantastbare Grundlage der sozialistischen Gesellschaftsordnung"36. Es wird nicht von sozialistischem Eigentum an .,allen" Produktionsmitteln gesprochen, sondern von sozialistischem Eigentum .,an" Produktionsmitteln. Die Verfassung von 1968f74läßt also noch anderes Eigentum an Produktionsmitteln zu37. Das spiegelt sich wider in der Verfassungsvorschrift des Art. 12. In der 1968 verabschiedeten Fassung hieß es, daß .,Bodenschätze, die Bergwerke, Kraftwerke, Talsperren und großen Gewässer, die Naturreichtümer des Festlandsockels, größere Industriebetriebe, Banken und Versicherungseinrichtungen" Volkseigentum darstellen . .,Privateigentum daran ist unzulässig", wurde demonstrativ hinzugefügt. In der 1974 in die Verfassung hineingenommenen Formulierung des Art. 12 Abs. I lautet die Aussage jetzt etwas anders. Bodenschätze, Bergwerke usw. sowie .,Industriebetriebe" werden ausschließlich für das Volkseigentum in Anspruch genommen. Während also bis zum Jahre 1974 Industriebetriebe kleinerer und mittlerer Art durchaus noch in privater Hand sein durften, hat die Verfassungsänderung von 1974 die Kategorie der Industriebetriebe insgesamt aus dem Bereich gestrichen, der dem Privateigentum an Produktionsmitteln noch zugänglich ist38 . Hinter dieser Verfassungsänderung verbirgt sich der Akt der Sozialisierung der noch vorhandenen halbstaatlichen und privaten Betriebe im Jahre 197239. So verbleibt für Privateigentum- oder um mit Thaiheim zu sprechen4": Individualeigentum - an Produktionsmittel nur noch Raum in Gestalt der Handwerksbetriebe41 . Das läßt sich aus der Verfassungsänderung im Art. 14 erkennen. Die 1968 in Kraft gesetzte Fassung sprach davon, -'4 Vgl. die Zahlenangaben im Stichwort .,Außenwirtschaft und Außenhandel" im DDR-Handbuch (Fn. 17), S. 105 ( 110). 15 Zu den einzelnen Eigentumsformen vgl. Brunner (Fn. II) S. 98 f.; vgl. ferner das Stichwort "Eigentum" im DDR-Handbuch (Fn. 17), S. 290. -'6 Art. 2 Abs. 2. -' 7 Vgl. das Stichwort .,Eigentum" im DDR-Handbuch (Fn. 17), S. 290. -'" Hierzu Mampel (Fn. 19), Art. 12 Rdnr. 13.

-'9 Hierzu Haendcke-Hoppe, Die Vergesellschaftungsaktion im Frühjahr 1972, in: Deutschland Archiv 1973, S. 37. 40 Beiträge zur Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsordnung 1965, S. 228. 41 Vgl. das Stichwort "Handwerk" im DDR-Handbuch (Fn. 17), S. 502.

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daß "die Nutzung und der Betrieb privater Wirtschaftsunternehmen und -einrichtungen zu Erwerbszwecken" gesellschaftlichen Bedürfnissen dienen müßten42 • Das enge Zusammenwirken sozialistischer und privater Wirtschaftsunternehmen wurde als ein Förderungsziel des Staates deklariert, die Aufnahme staatlicher Beteiligung wurde privaten Betrieben von Verfassungs wegen gestattet, sofern dies als im Einklang mit gesellschaftlichen Erfordernissen angesehen wurde. 43 • Unter der Geltung der geänderten Verfassung gibt es in diesem Artikel weder die Kategorie des privaten noch die des halbstaatlichen Wirtschaftsbetriebes44, ein Beispiel dafür, daß auch die Verfassung von 1968 keine echte rechtliche Gewährleistung ftir die BUrger mit sich gebracht hat. Oieser Art. 14 ist bei der Verfassungsänderung 1974 umgeschrieben und drastisch gekürzt worden. Der letzte Absatz des Art. 14 a. F. ist jetzt zum ersten Absatz aufgerückt und gibt keinen rechten Sinn mehr: .,Privatwirtschaftliche Vereinigungen zur Begründung wirtschaftlicher Macht sind nicht gestattet". Was soll diese Verfassungsaussage, wenn überhaupt private Wirtschaftsbetriebe nicht mehr toleriert werden? Neu ist die Aussage in Art. 14 Abs. 2: .,Die auf überwiegend persönlicher Arbeit beruhenden kleinen Handwerks- und anderen Gewerbebetriebe sind auf gesetzlicher Grundlage tätig. In der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die sozialistische Gesellschaft werden sie vom Staat gefördert". Der privatwirtschaftliche Sektor ist damit auf die für die Versorgungsprobleme der Bevölkerung wichtigen Gebiete des Bäckers, Fleischers, Schusters, Klempners, Malers usw. begrenzt; auch ein privates Cafe oder der .,Laden um die Ecke" wird in diese Verfassungsregelung eingeschlossen. Aus dem Bereich der Wirtschaft mit politischer Bedeutung im makro-ökonomischen Sinne bleibt das Privateigentum an Produktionsmitteln hingegen verbannt45 • In diesen Verfassungsnormen kommt allerdings nicht zum Ausdruck, daß es im Gebiet der DDR noch einen ganz erheblichen Teil von Produktionsmitteln gibt, die sich über das Erwähnte hinaus in Privateigentum befinden. Zu denken ist an das Eigentum an Mietshäusern und an landwirtschaftlich nutzbarem Grund und Boden46 • Dieses Eigentum ist freilich weithin Art. 14 Abs. I alter Fassung. a. a. 0. 44 Vgl. Mampe1 (Fn. 19), Art. 14 Rdnr. 14 mit einer Skizzierung der Sozialisierungswelle im FrOhjahr 1972. 4S Vgl. Brunner (Fn. II), S. 99. 46 Vgl. Stichworte "Eigentum" und "Landwirtschaftliche Betriebsformen" im DDRHandbuch (Fn. 17), S. 290 (291), S. 650 (663). 42

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seines eigentlichen Nutzungs- und Verfügungswertes entkleidet; es erscheint nur formell noch als privates Eigentum47, auf dessen Entzug gewiß nicht Art. 16 der Verfassung Anwendung finden wird; denn dafür wäre .,angemessene Entschädigung" zu leisten. Es ist charakteristisch für die Eigentumsordnung im anderen deutschen Staat, daß sie in einem beispiellosen Enteignungsprozeß von Grund auf umgestaltet worden ist, die eigentliche Enteignungsnorm der Verfassung aber auf diese Enteignungsvorgänge niemals Anwendung gefunden hat. Mampel kann deshalb mit Recht bemerken, es sei auffallig, .,daß das Enteignungsproblem (des Art. 16) in der Literatur der DDR bisher kaum behandelt wurde"48. Anders steht es mit privatem Eigentum an Einfamilienhäusern. Besonderer Art ist auch das Eigentum an der persönlichen Hauswirtschaft. das 0,5 ha Land und Vieh umfaßt49 • Obschon wir es hierbei mit Eigentum an Produktionsmitteln zu tun haben, nimmt man -damit das Dogma nicht durchbrachen wird - diese letzteren Eigentumskategorien mit unter den Begriff des persönlichen Eigentums, jedenfalls was die Behandlung im Rechtsverkehr anbelangtso. So bestimmt § 23 des Zivilgesetzbuchs (ZG B)S I, daß eigengenutzte Grundstücke und Gebäude zum persönlichen Eigentum zählen. Ebenso wird das Eigentum der Handwerker und Gewerbetreibenden -einschließlich der ihnen gehörenden Produktionsmittel - analog dem persönlichen Eigentum behandelt'2• Aus§ 3 des Einführungsgesetzes zum ZGBSl erfahrt man eher verstohlen, daß die Bestimmungen des ZGB .,auf andere Eigentumsformen entspreVgl. Mampel (Fn. 19), Art. 11 Rdnr. 3. (Fn. 19). Art. 16 Rdnr. I, letzter Absatz. Die Inanspruchnahme nichtvolkseigener GrundstUcke erfolgt i. d. R. auf Grund des Gesetzes Uber den Aufbau der Städte in der Deutschen Demokratischen Republik und der Hauptstadt Deutschlands, Berlin (Aufbaugesetz) vom 6. Sepember 1950, GBI. S. 965 (§ 14 Abs. 2 und 3). Hierzudas Gesetz überdie Entschädigung bei Inanspruchnahme nach dem Aufbaugesetz (Entschädigungsgesetz) vom 25. April 1960, GBI. I S. 257. Weitere Eigentumsbeschränkungen finden sich beispielsweise in§ 10 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über die Landesverteidigung der Deutschen Demokratischen Republik (Verteidigungsgesetz) vom 13. Oktober 1978, GBI. I S. 377, ferner§ 23 Abs. I, § 28 Abs. I, § 33 Abs. I,§ 36 Abs. I und 3 des GesetzesUberden Schutz, die Nutzung und die Instandhaltung der Gewässer und den Schutz vor Hochwassergefahren (Wassergesetz) vom 17. April 1963, GBI. I S. 77 sowie § 4 des Gesetzes über die Anwendung der Atomenergie in der Deutschen Demokratischen Republik (Atomenergiegesetz) vom 28. März 1962, GBI. I S. 47. 49 HierzuMampel (Fn. 19), Art. 13 Rdnr. 17. 5° a. a. 0., Art. II Rdnr. I ff.: DDR-Handbuch (Fn. 17), S. 291: Birk. Das persönliche Eigentum des Bürgers in der DDR und das Institut der Sozialbindung nach dem Donner Grundgesetz, in: Deutschland Archiv 1972, S. 1182. 51 Vom 19. Juni 1975, GBI. I S. 465. 52 Art. 23 Abs. 2 ZGB. 53 Vom 19. Juni 1975, GBI. I S. 517. 47

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chend anzuwenden" sind, soweit dafür nicht besondere Rechtsvorschriften bestehen. Das genossenschaftliche Eigentum wird als niedere Entwicklungsstufe des sozialistischen Eigentums angesehen54• Subjekt ist nicht der Staat oder das gesamte Volk, sondern ein kleineres Kollektiv: eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, eine Gärtnerische Produktionsgenossenschaft, eine Produktionsgenossenschaft des Handwerks oder werktätiger Fischer55 • Konsumgenossenschaften und Arbeiterwohnungsgenossenschaften werden in diesem Sinne nicht als Produktionsgenossenschaften angesehen, gleichwohl wird ihr Eigentum als "genossenschaftliches Eigentum" behandelt56 • Art. 13 der Verfassungwidmet sich diesen sozialistischen Produktionsgenossenschaften weitaus knapper als er sich mit der gesamtgesellschaftlichen sozialistischen Eigentumskategorie beschäftigt hat. Beide sozialistischen Eigentumsformen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates57• An dieser Stelle könnte man kurz verweilen und fragen, ob nach der Verfassungslage in der DDR Diskussionen wie jetzt in Polen über Arbeiterselbstverwaltung in den Betrieben vorstellbar wären. Die Bestimmungen über das sozialistische Eigentum sind im Grunde genommen so elastisch, daß eine derartige Strukturänderung der Wirtschaftsverfassung nicht gänzlich ausgeschlossen wäre. Arbeiterselbstverwaltung würde sich mit der Kategorie des gesamtgesellschaftlichen Volkseigentums vereinbaren lassen. Die Befugnisse zur Verwaltung, Nutzung und die Zurechnung des Eigentumsrechts müssen -wie die Rechtslage bei den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, aber auch bei ausländischen, in staa,tlicher Regie befindlichen Betriebenss zeigt- nicht in ein und derselben Person zusammentreffen. Doch selbst wenn man der Arbeiterselbstverwaltung eigene Nutzungsrechte mit zuerkennen wollte, ließe sich auf Art. 12 Abs. 2 S. 3 der Verfassung zurückgreifen, in dem es heißt: "Die Nutzung und Bewirtschaftung des Volkseigentums erfolgt grundsätzlich durch die volkseigenen Betriebe und staatlichen Einrichtungen. Seine Nutzung und Bewirtschaftung kann der Staat durch Verträge genossenschaftlichen oder gesellschaftlichen Organisationen und Vereinigungen übertragen. Eine solche Übertragung hat den Interessen der Allgemeinheit und der Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums zu dienen". S4 Brunner (Fn. II ), S. 100. ss Vgl. Mampel (Fn. 19), Art. 13 Rdnr. I ff. S6 a. a. 0., Art. 13 Rdnr. 4, 24. s1 Art. 10 Abs. 2: .,Das sozialistische Eigentum zu schützen und zu mehren ist Pflicht des sozialistischen Staates und seiner Bürger". ss Hierzu Verordnung über die Verwaltung und den Schutz ausländischen Eigentums in der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. September 1951, GBI. S. 839, vgl. das Stichwort ..Treuhandvermögen" im DDR-Handbuch (Fn. 17), S. 1087.

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Das deckte ein solches Vorhaben verfassungsrechtlich insgesamt ab. Wollte man noch einen Schritt weitergehen und den in Arbeiterselbstverwaltung befindlichen Betrieben auch noch das Eigentum als Grundlage für Verwaltung, Verfügung und Nutzung zugute halten, so ließe sich das gleichfalls mit der geltenden DDR-Verfassung vereinbaren. Denn es genügte, eine Transformierung des gesamtgesellschaftlichen Volkseigentums in genossenschaftliches Gemeineigentum werktätiger Kollektive vorzunehmen, um in der Terminologie des Art. lO Abs. l der Verfassung zu bleiben. Art. 2 Abs. 2 spricht davon, daß das sozialistische Eigentum eine unantastbare Grundlage der sozialistischen Gesellschaftsordnung bildet. Sozialistisches Eigentum wäre aber auch das genossenschaftliche Eigentum. Mit anderen Worten: es läßt sich das polnische Experiment in diesem Punkte nicht als ein Vorhaben qualifizieren, das nach dem Grundmuster einer sozialistischen Verfassung des sowjetischen Typs in eklatantem Widerspruch zu der geschriebenen Verfassungsordnung stehen muß. Das Verlangen nach Umwandlung des Volkseigentums in sozialistisches genossenschaftliches (Betriebs)-Eigentum läßt sich also nicht a priori als "konterrevolutionär" abqualifizieren. Eine solche Rückstufung auf der Hierarchie der Eigentumsformen hat es in Polen unter Gomulka bei der weitgehenden Reprivatisierung der Landwirtschaft gegeben. Selbst in der DDR gibt es das Beispiel der Re-Sozialisierung enteigneter Betriebe im Zuge des sog. Neuen Kurses nach dem Volksaufstand des 17. Juni 195359. ~ehren wir nach diesem Exkurs zurück zu dem geltenden Wirtschaftsverfassungsrecht im anderen deutschen Staate. Nach der Behandlung der Eigentumsstruktur muß unsere Aufmerksamkeit der staatlichen Leitung und Planung gelten.

Eines der Charakteristika der Verfassungsänderungen vom Jahre 1974 bestand in der Umformulierung der in verschiedenen Artikeln anzutreffenden "Planung und Leitung der Volkswirtschaft" in "Leitung und Planung der Volkswirtschaft"60 • Das Verhältnis zwischen Planung und Leitung ist also vertauscht worden. Es wird damit erkennbar, daß der Leitung ein höherer Stellenwert als früher zugemessen wird und daß die Planung nunmehr Bestandteil der Leitung sein soll6I. Darüber hinaus hat die Verfassungsänderung des Jahres 1974 einige weitere Nuancierungen gebracht, die sich aus der Gegenüberstellung von alter und neuer Fassung des Art. 9 Abs. 3 S. 3 ergeben. Ursprünglich hieß es: "Das ökonomische System des Sozialismus verbindet die zentrale staatliche Planung und Leitung der Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung mit S9 110 61

Stichwort "Neuer Kurs" im DDR-Handbuch (Fn. 17), S. 763. Beispielsweise in den Art. 2 Abs. 2, Art. 9 Abs. 3 S. I, Art. 21 Abs. 2, Art. 24 Abs. 3. Vgl. Mampel (Fn. 19), Art. 9 Rdnr. 23.

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der Eigenverantwortlichkeit der sozialistischen Warenproduzenten und der örtlichen Staatsorgane". Die Neufassung liest sich etwas anders: .,Die zentrale staa~!iche Leitung und Planung der Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung ist mit der Eigenverantwortung der örtlichen Staatsorgane und Betriebe sowie der Initiative der Werktätigen verbunden". Aus dem neueren Verfassungstext ist der Hinweis auf das .,ökonomische System des Sozialismus" getilgt; für die geltende Wirtschaftskonzeption findet sich keine anderweitige KurzformeL In der Sache selbst mag sich wenig geändert haben 62 ; "denn nach wie vor bestimmt Art. 9 Abs. 3 Satz 3 das Verhältnis zwischen der zentralen Leitung und Planung zu den örtlichen Staatsorganen und den Betrieben, denen Eigenverantwortung zuerkannt wird"63. Von hier aus kann der Bogen zu Art. 41 ff. im 2. Kapitel des II. Abschnitts der Verfassung, überschrieben mit: .,Betriebe, Städte und Gemeinden in der sozialistischen Gesellschaft" geschlagen werden. Nicht uninteressant ist bei dem erörterten Art. 9 Abs. 3 S. 3 die Akzentverschiebung von .,Eigenverantwortung der sozialistischen Warenproduzenten und der örtlichen Staatsorgane" (alte Fassung) zu "Eigenverantwortung der örtlichen Staatsorgane und Betriebe sowie der Initiative der Wer~tätigen" (neue Fassung). Einerseits wird den Staatsorganen auch hier äußerlich gen gedacht, wenn auch - bezeichnenderweise -- an allerletzter Stelle. Das ist ein neuer Gedanke, der im Jahre 1968 nicht anzutreffen war. Die Initiative der Werktätigen wird also grundsätzlich anerkannt, doch gleichsam doppelt gefiltert: durch die primär bei den örtlichen Staatsorganen liegende Entscheidung, sekundär durch die Einschaltung der Betriebe und ihrer Leitungen. Daraus wird sinnfällig klar, daß nicht Initiativ~n erwünscht sind, die sich gegen die staatlichen und betrieblichen Organe richten; nur zur Unterstützung der örtlichen Staatsorgane und Betriebe soll sich die Initiative der Werktätigen entfalten können64• Wir haben es also bereits nach dem Wortlaut der Verfassung mit einer doppelt kontrollierten und begrenzten Initiative zu tun, die den Werktätigen im Planungsprozeß zuerkannt wird. Aus dieser Überlegung wird deutlich, daß die .,Leitung und Planung der Volkswirtschaft" mehr zur Zentralisierung als zur Dezentralisierung neigt 65 • Die entscheidenden Richtpunkte für die Wirtschaftsplanung werden von der Zentrale, also letztlich von der Parteiführung, gesetzt66 • a. a. 0., Rdnr. 31. a. a. 0. 64 Vgl. KnaufT, Die Funktionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, in: Harnet (Hrsg.), Bundesrepublik Deutschland-- DDR. Die Wirtschaftssysteme. Soziale Marktwirtschaft und Sozialistische Planwirtschaft im Systemvergleich. 3. Aufl. 1979, S. 93 (I II): .,In der Plandiskussion soll die Initiative der Beschäftigten so gelenkt werden, daß alle Reserven zur Erreichung und auch zur Überbietung der staatlichen Aufgaben mobilisiert werden". 65 Vgl. Brunner (Fn. II), S. 101. 62

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Die Verfassungsbestimmung ist aber auch so allgemein formuliert, daß nicht nur eine straffe dirigistische Kommandowirtschaft von der Zentrale her möglich, söndern auch eine Dekonzentration mit der Beteiligung nachgeordneter Wirtschaftseinheiten bis hinunter zu den Betrieben vorstellbar ist. Denn die zentrale staatliche Leitung und Planung bezieht sich lediglich auf die Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung67. Es bleiben nach diesem Verfassungsbilde Spielräume. Experimente erscheinen möglich, die entweder mehr auf strikte zentralistische Planung oder stärker auf eine Kräftigung betrieblicher Einwirkungsmöglichkeiten abstellen6s. Zwischen diesen beiden Polen haben sich wellenförmig Kursänderungen innerhalb der jeweils praktizierten Wirtschaftsverfassung vollzogen. Echte Eigenverantwortung örtlicher Staatsorgane und Betriebe würde eine klare Kompetenzabgrenzung erfordern; die Verfassung läUt dtes onen, su daß diese Frage im Wege der einfachen Gesetzgebung geregelt werden könnte --wenn man es wollte. Das Stichwort des demokratischen Zentralismus ist bei der Verfassungsänderung unberührt beibehalten worden69 • Es wird als das "tragende Prinzip des Staatsaufbaus" bezeichnet; es wird nicht in Zusammenhang mit der Leitung und Planung der Wirtschaft genannt. Auch in der DDR hat es Auseinandersetzungen über Demokratie und Zentralismus bei der Leitung der Wirtschaft gegeben7o. Man wird den demokratischen Zentralismus als ein allgemeines Strukturprinzip im sowjetischen Lager ansehen müssen 71 . Deshalb hat MampeF2 den demokratischen Zentralismus bei den politischen Grundlagen des Art. 2 mitbehandelt73 .

... So heißt es in dem Grundriß des Wirtschaftsrechts (Fn. 5), S. 41 : "Der Einzelleiter ist persönlich verantwortlich für die Verwirklichung der Politik der Partei der Arbeiterklasse und des sozialistischen Staates in seinem Leitungsbereich, d. h. für die Durchsetzung der Beschlüsse der Partei . . ." ~7 Art. 9 Abs. 3 S. 3; vgl. auch das Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (Fn. 3), S. 76: "Entsprechend dem Leninschen Prinzip des demokratischen Zentralismus wird die zentrale Leitung und Planung der gesellschaftlichen Prozesse immer mehr auf die sachkundige Entscheidung in den Grundfragen konzentriert". 1111 Vgl. Brunner (Fn. II), S. 101. ~9 Art. 47 Abs. 2 ist unverändert geblieben: "Die Souveränität des werktätigen Volkes, verwirklicht auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus, ist das tragende Prinzip des Staatsaufbaus". 70 Diese Auseinandersetzung ist mit dem Namen von Uwe-Jens Heuer verbunden, vgl. hierzu Mampel (Fn. 19), Art. 9 Rdnr. 28. Hierzu auch Müller-Römer, Das neue Wirtschaftsverfassungsrecht der DDR (Fn. 30), S. 14. 71 Im Lehrbuch des Staatsrechts der DDR (Fn. 1), S. 40 wird der demokratische Zentralismus als "das Grundprinzip der Leitung in Staat und Gesellschaft" bezeichnet. n (Fn. 19). 1.1 Art. 2 Rdnr. 7 ff.

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Allerdings ergeben sich doch nicht unwesentliche Unterschiede in der Ausgangslage. Den örtlichen Volksvertretungen auf den einzelnen Stufen der staatlichen Verwaltung, auf die sich die doppelt unterstellten Räte stützen, entspricht in der Wirtschaft nichts Vergleichbares, wenn wir an die Volkseigenen Betriebe und Kombinate denken. Einen demokratischen Dekor gibt es nur ansatzweise in den Betrieben. Insofern kann von einem demokratischen Zentralismus in der Wirtschaft ohnehin nur mit Einschränkungen gesprochen werden. Auch im Planungsgeschehen zeigen sich stärkere Interdependenzen zwischen Zentrale und unteren Betriebseinheiten, als dies zwischen den Stufen der Staatsorganisation der Fall ist. Oberstes Gesetz im Wirtschaftsablauf ist der Volkswirtschaftsplan. Er setzt die verbindlichen Planungsdaten für das jeweilige Kalender-Planjahr. Er wird entwickelt aus der langfristigen Planung, die im RGW koordiniert wird74 • Die langfristige Planung wird unterteilt in Fünfjahrespläne, die in Form eines Gesetzes ergehen. Derzeit haben wir es mit dem Gesetz über den Volkswirtschaftsplan 1981 vom 17. Dezember 1980 zu tun7s, der das erste Jahr des Planjahrfünfts 1981 bis 1986 zu bestreiten hat. Er ist stark auf den X. Parteitag ausgerichtet. In dem ausführlichen Vorspruch zu dem Gesetz heißt es: .,In Weiterführung des von den Gewerkschaften in Vorbereitung des X. Parteitages der SED organisierten sozialistischen Wettbewerbs sind unter der Losung ,aus jeder Mark, jeder Stunde Arbeitszeit und jedem Gramm Material - - einen größeren Nutzeffekt!' in allen Zweigen und Bereichen der Volkswirtschaft neue Leistungs- und Effektivitätsreserven zu erschließen. Es geht darum, das Jahr 1981 zu einem entscheidenden Jahr der Erhöhung der Leistung, der Produktivität und der Effektivität zu machen, um den höheren Maßstäben der 80er Jahre zu entsprechen". Wer die Anordnung über die Ergänzung der Ordnung der Planung der Volkswirtschaft der DDR 1981 bis 1985 vom 30. April 1981 in die Hand genommen hat76, gewinnt auf 63 Druckseiten einen Einblick in die geradezu überwältigende Bürokratie der Planung. Allein 35 Druckseiten befassen sich mit den .,Festlegungen zur Ausarbeitung und Einreichung der Planentwürfe zum Fünfjahrplan 1981 bis 1985 sowie zum Volkswirtschaftsplan und Staatshaushaltsplan 1982". Eine Anordnung vom 19. Mai 1981 über den terminliehen Ablauf der Ausarbeitung des Fünfjahresplanes 1981 bis 1985 sowie des Volkswirtschaftsplanes und des Staatshaushaltsplanes 198277 enthält zweispaltig auf 6 Druckseiten Terminfestlegungen für die Herausgabe der staatlichen Planaufgaben, die territoriale Abstimmung, die Planung der Materialökonomie sowie Material-, Ausrüstungs- und Konsumgüterbilan74 Stichwort ,.Planung" im DDR-Handbuch (Fn. 17), S. 812 f. 1s GBI. I S. 353. 76 GBI. I S. 149. n GBI. I S. 213.

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zierung, die Abstimmung der Außenhandelsaufgaben, die Abstimmung mit den Bankorganen, die Einreichung des Deckblattes für Investitionen und der Titellisten für Investitionen sowie von Informationen zur zentralen Planung der Vorbereitung der Investitionen, den Ablauf der Bilanzierung der Projektierungsleistungen, den Ablauf der Bilanzierung der Hoch- und Fachschulabsolventen 1983, Information über den Stand der Ausarbeitung der Planentwürfe in den Kombinaten, Wirtschaftsräten der Bezirke und Bezirksbauämtern, die Übergabe der Planentwürfe bis zur Übergabe von Auszügen aus den Planentwür~en gemäß den Festlegungen in den einzelnen Abschnitten der Planungsordnung. Das Gesetz über den Fünfjahrplan ist damit noch nicht zur Verabschiedung gebracht. Das erste Jahr des Fünfjahrplanes läuft ohne einen verbindlichen Fünfjahrplan. Das allein wirft ein charakteristisches Licht auf die ungeheure Schwerfälligkeit des Planungsgeschehens mit den gerade hier bestehenden Schwierigkeiten 78. Wir können uns in diesem Zusammenhang aus zeitlichen Gründen nicht mit dem weiteren Planungsgeschehen befassen. Es soll der Hinweis genügen, daß drei Planungsebenen zu unterscheiden sind: die zentrale, die mittlere und die untere Ebene79. Auf der obersten, zentralen Ebene wirken das Politbüro als oberstes politisches Entscheidungsgremium, der Ministerrat und die Staatliche Plankommission mit; letztere hat die Hauptlast der Planung zu tragenso. Heute ist die Staatliche Planungskommission ein nachgeordnetes Organ des Ministerrats --ein "Stabsorgan" -- und entspricht in ihrer Rechtsstellung etwa einem Ministerium81. Die Staatliche Plankommission ist verpflichtet, an ihrer Arbeit eine Reihe sonstiger oberster Organe und Ministerien zu beteiligen, von dem Amt für Preise über das Ministerium der Finanzen und die Staatsbank der DDR bis zum Ministerium für Wissenschaft und Technik82. Zur zentralen Ebene zählen noch die Industrieministerien und das Ministerium für Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie. Die mittlere Ebene wird dargestellt durch die Bezirksplankommission und den Bezirkswirtschaftsrat, die Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) und KombinatesJ. 7K Diese unzureichende Anpassungsfähigkeit ist u. a. vom Deutschen Institut fiir Wirtschaftsforschung (Hrsg.) in dem Sonderheft 98, System und Entwicklung der DDRWirtschaft, 1974, S. 292 kritisiert worden. 7Y .. Planung" im DDR-Handbuch (Fn. 17). S. 816. KO , System und Entwicklung der DDR-Wirtschaft (Fn. 78), S. 35. Kl .,Planung" im DDR-Handbuch (Fn. 17), S. 817. K~ Vgl. dazu den Grundriß des Wirtschaftsrechts (Fn. 5), S. 36 f. KJ Vgl. das Stichwort .,Wirtschaft" im DDR-Handbuch (Fn. 17), S. 1174 (1183: Schaubild).

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Die untere Planungsebene umfaßt die Kreisplankommission sowie die örtlich geleiteten Volkseigenen Betriebe. Zur unteren Ebene gehören gleichfalls die den VVB unterstellten Volkseigenen Betriebe bzw. Kombinate84. Im hierarchischen System wird ein Verbund hergestellt zwischen dem Ministerrat mit Staatlicher Plankommission sowie dem Industrieministerium als Zentralinstanzen und den direkt unterstellten Kombinaten auf der einen, den VVB auf der anderen Seite als Mittelinstanzen. Die VVB dirigieren in der unteren Instanz Kombinate bzw. Volkseigene Betriebe. Die Bezirksplankommission (mittlere Ebene) ist vorgesetztes Organ für die Kreisplankommission (untere Ebene), der die örtlichen Versorgungsbetriebe unterstehen. Dem Bezirkswirtschaftsrat sind die bezirksgeleiteten Kombinate oder Volkseigenen Betriebe zur Leitung zugewiesenss. Auf die einzelnen Vorgänge im Planungsprozeß kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, ebensowenig auf die Kontrolle der Planung von der Geldseite her in Gestalt des Haushaltsplanes86. Eine der wichtigsten Rechtsvorschriften der Wirtschaftsverfassung der DDR bildet die Kombinatsverordnung vom 8. November 197987. Sie hat eine Rechtsvorschrift aus dem Jahre 1973 abgelöst88 , deren Geltung sich heute nur noch auf die .,Aufgaben, Rechte und Pflichten der Vereinigungen Volkseigener Betriebe" beschränkt89 . Diese Verordnung steht im Zusammenhang mit einer Wirtschaftsreform, die seit 1978 in Gang gesetzt worden ist, um durch Schwerpunkt-Konzentrationen die Effizienz des Wirtschaftssystems zu stärken9o. I

Kombinate haben im Jahre 1963 erstmals eine rechtliche Regelung gefunden91. Doch erst durch die Wirtschaftsreform von 1978 sind sie in den Vordergrund getreten; im selben Ausmaß sind die VVB in den Hintergrund Vgl. das Schaubild, in: System und Entwicklungder DDR-Wirtschaft (Fn. 78), S. 32. Hierzu auch Brunner (Fn. II), S. 106. 86 Darüber informieren Seiffert, Wirtschaftsrecht der DDR. 1982, S. 29; Mampel (Fn. 19), Rdnr. 26 ff.; Stichwort "Planung" im DDR-Handbuch (Fn. 17), S. 819. " 7 Verordnungüber die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe, GBI. I S. 355. Hierzu Klinger, Neue Kombinatsverordnung wichtiges Instrument der Wirtschaftsleitung, in: Neue Justiz 1980, S. 4; Mampel, Die Rechtsstellung der Kombinate in der DDR, in: Recht in Ost und West 1982, S. 49. 88 Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und VVB vom 28. März 1973, GBI. I S. 129. 89 Fortgelten die Bestimmungen des Abschnittes IV,§§ 34 ff. 90 HierzuMampel (Fn. 19), Art. 42 Rdnr. 29 ff.; Brunner, Wirtschaftsverfassungsrecht der DDR, in: Politik und Kultur 1981, Heft I, S. 58 (65). 91 Richtlinie für die Bildung von Kombinaten und Vereinigten Betrieben in der volkseigenen Industrie im Bereich des Volkswirtschaftsrates vom 15. Oktober 1963, Verfügungen und Mitteilungen des Volkswirtschaftsrates der Deutschen Demokratischen Republik Nr. 12/1963, S. 215, zit. nach Mampel (Fn. 19), Art. 42 Rdnr. 30. 84

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gerückt. Dadurch ist der bislang prinzipiell dreistufige Wirtschaftsaufbau bei den wichtigsten Industriebetrieben auf einen zweistufigen verkürzt worden; die Kombinate werden unmittelbar einem Industrieministerium zugeordnet92. Die Verkürzung des Informationsweges soll einer strafferen und wirkungsvolleren Leitung zugutekommen. Die Wirtschaftsführung war davon überzeugt, daß .,im Kombinat die entscheidenden Phasen des Reproduktionsprozesses von der Forschung und Entwicklung, überdie Projektierung, den Bau von Rationalisierungsmitteln bis zur eigentlichen Produktion einschließlich qualitätsbestimmter Zulieferungen und den Absatz der Erzeugnisse im In- und Ausland ökonomisch zusammengeschlossen werden"93. Wie lebhaft diese Entwicklung forciert worden ist, ergibt sich aus der Zahl der Kombinate. Gab es zwischen 1967 und 1973 insgesamt 38 Kombinate94, in denen etwa ein Drittel aller industriell Beschäftigten tätig waren, so ist ihre Zahl inzwischen auf ein Mehrfaches gewachsen. Am I. Januar 1981 gab es 157 Kombinate, die den überwiegenden Anteil an der Industrieproduktion zusammenfassen. Seiffert95 weist mit Recht darauf hin, daß allein durch organisatorische Maßnahmen ohne entsprechende Änderungen im Wirtschaftsmechanismus dauerhafte Erfolge nicht zu erwarten seien, vor allem wenn es nicht gelinge, diese Wirtschaftseinheiten dem Wettbewerb auszusetzen. Es bestehe die Gefahr sogar zu negativen Auswirkungen, wenn den Kombinaten eine Monopolstellung zugewiesen werde, die nicht ihren wirklichen Leistungsfahigkeiten entspreche. Es muß sich deshalb das Interesse der Kombinatsverfassung zuwenden. Brunner96 meint, vier Organisationsformen unterscheiden zu können. Die Regelform bestehe darin, daß ein Stammbetrieb vorhanden sei, aus dem heraus die Kombinatsleitung erfolge. Möglich sei es indes, daß eine selbständige Kombinatsleitung existiere, die nicht mit einem der Kombinatsbetriebe verbunden sei. Denkbar sei es weiterhin, daß der Generaldirektor des Kombinates einen oder einzelne Leitbetriebe einsetze, denen die Aufgabe zufalle, in Ausübung des der Kombinatsleitung zustehenden Weisungs- und Kontrollrechtes eine bestimmte Gruppe von Kombinatbetrieben anzuleiten; dies laufe auf die Schaffung einerneuen Organisationsstufe in der Leitungsn Hierzu Scherzinger, Planungssystem, in: DDR und Osteuropa. Wirtschaftssystem, Wirtschaftspolitik, Lebensstandard. Ein Handbuch. 1981, S. 39 (43). 9J Mittag, Zielstrebige Verwirklichung der Hauptaufgabe, in: Einheit 1978, S. 989 (995); Mampel (Fn. 19), Art. 42 Rdnr. 30. 94 So Brunner (Fn. 90), S. 66; Scherzinger (Fn. 92) bezeichnet ihre Zahl im Jahre 1974 mit 40 direkt unterstellten Kombinaten. •j Fn. 86), S. 25. 96 (Fn. 90), S. 67.

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hierarchie hinaus. Letztlich könne man sich das Kombinat als einen einzigen Großbetrieb vorstellen, der unselbständige Betriebsteile aufweise. Diese Überlegungen vermitteln einen Einblick in die Komplexität der Kombinatsstrukturen, die gekennzeichnet werden durch die Zusammenfassung von (grundsätzlich) juristisch selbständigen Kombinatsbetrieben in einer größeren juristischen Einheit "Kombinat". Hinsichtlich der juristischen Persönlichkeit besteht also eine Zweistufigkeit, wenn man von dem letzten Modellbild einmal absieht. Hieraus resultieren vielseitige Probleme der Aufgaben- und Kompetenzverteilung, der Ausgestaltung von internen Beziehungen zwischen Kombinat und Kombinatsbetrieben. Der eigentliche Sinn der Kombinatsbildung kann nur darin liegen, Zuständigkeiten der Kombinatsbetriebe jedenfalls teilweise auf die Kombinatsleitung zu verlagern, um damit in der Person des Kombinates eigene Verantwortungszentren zu schaffen. In der Kombinatsverordnung wird das "volkseigene Kombinat als grundlegende Wirtschaftseinheit der materiellen Produktion", als "eine moderne Form der Leitung und Organisation in Industrie und Bauwesen" auf "der Grundlage des einheitlichen staatlichen Volkseigentums" charakterisiert97, Es hat die Aufgabe, "einen weitgehend geschlossenen Reproduktionsprozeß" planmäßig zu organisieren und "die Spezialisierung, Konzentration und Kooperation" zu vertiefen, "mit dem Ziel, das Verhältnis von Aufwand und Ergebnis ständig zu verbessern"98 . Seine Gründung liegt im Entscheidungsermessen des Ministerrates99. Als juristische Personloo führt es einen Namen, der einen Hinweis auf das Volkseigentum enthalten muß, und ist in das Register der volkseigenen Wirtschaft einzutragen 101 • Es ist Rechtsträger von Volkseigentum, also zu dessen Nutzung und Verwaltung berufen, auch wenn es in Art. 12 Abs. 2 neben den "volkseigenen Betrieben und staatlichen Einrichtungen" nicht ausdrücklich genannt wird. Mit Recht ist bemerkt worden, daß die Kombinate, die im Wirtschaftssystem eine Schlüsselstellung einnehmen sollen, im Text der Verfassung nicht in Erscheinung tretenl02 • An der Spitze des Kombinats steht ein Generaldirektor. Dieser untersteht unmittelbar dem Minister, von dem er berufen und abberufen wird 103. Er ist. auch diesem "persönlich für die Erfüllung der Aufgaben des Kombinats 97

98

§ I Abs. I der Verordnung.

a. a. 0 .

99 § 36 Abs. I: über die Gründung eines dem Ministerium direkt unterstehenden Kombinates entscheidet der Ministerrat, in den übrigen Fällen der zuständige Minister. 1oo § 3 Abs. 4 unterscheidet auffallenderweise zwischen der .,Rechtsfähigkeit" des Kombinates und seiner Eigenschaft als ,juristische Person". 1o1 § 3 Abs. 4 S. 3. 102 Vgl. Mampel (Fn. 19), Art. 42 Rdnr. 29. 103 § 24 Abs. I.

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verantwortlich und rechenschaftspflichtig". Nur vom Minister kann der Generaldirektor Weisungen empfangen 104• Um ihm gleichwohl einen eigenen Verantwortungsbereich zuzubilligen, bestimmt die Kombinatsverordnung, daß der Minister .,die ökonomische und juristische Selbständigkeit des Kombinats bei der Erfüllung seiner volkswirtschaftlichen Aufgaben" zu gewährleisten hattos. An dem Entscheidungsfindungsprozeß im Ministerium soll das Kombinat beteiligt werden, vorgesehen wird ausdrücklich die Möglichkeit, ministerielle Rechte und Pflichten auf das Kombinat zu ü~ertragen 106 • Bei diesem recht allgemein abgesteckten Selbständigkeitsrahmen für den Generaldirektor ist die politische Einbindung nicht zu übersehen. Es wird in der Kombinatsverordnung festgehalten 107 , daß der Generaldirektor .,gegenüber der Partei der Arbeiterklasse" und der DDR-Regierung .,die volle persönliche Verantwortung für die Entwicklung des Kombinats, für die Verwirklichung der in den Beschlüssen des Zentralkomitees und in den staatlichen Plänen sowie in Rechtsvorschriften festgelegten Aufgaben des Kombinats" zu tragen hat los. Diese Forderungen werden nur erfüllbar sein, wenn einem Parteimitglied die Aufgabe als Generaldirektor zugewiesen worden ist. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Eigenverantwortung und Weisungsabhängigkeit in der Person des Generaldirektors wiederholt sich im Verhältnis der Kombinatsleitung zu dem Direktor des eingeordneten Kombinatsbetriebes. Auch für ihn gilt der in der DDR generell vorgesehene .,Grundsatz der Einzelleitung bei kollektiver Beratung der Grundfragen und umfassender Mitwirkung der Werktätigen"I09. Zur Konkretisierung der Rechte und Pflichten sowie der Aufgaben des Kombinates istein Statut für das Kombinat zu erlassen; die Abgrenzung der Kompetenzen und Aufgaben zwischen Kombinat und Kombinatsbetrieben erfolgt durch .,Ordnungen", die vom Generaldirektor beschlossen werden 110. Das fällt in den Bereich der Normsetzungskompetenzlll. Neben die übrigen Zuständigkeiten zur Planung und plangerechten Produktion tritt ausdrücklich die sog. Kooperationskompetenz, d . h. die Verpflichung zur Unterhaltung von Kooperationsbeziehungen mit anderen Kombinaten, Betrieben § 24 Abs. I S. 3. § 4 Abs. 2. 106 § 4 Abs. 4. 107 § 5 Abs. 2. 10" a. a. 0 . 109 § 27 Abs. I. 110 § 29 der Verordnung. 111 Ein im DDR-Schrifttum nicht übernommener Begriff, vgl. Mampel (Fn. 19), Art. 42 Rdnr. 49. 1°4

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und wirtschaftsleitenden Organen 112; unter den Begriff dieser Kooperationsbeziehungen fallen aber auch die Verbindungen zwischen den Kombinatsbetrieben eines Kombinats. Der Generaldirektor ist für diese Materie zugleich Instanz zur Streitentscheidung 113 • Von Interesse ist die Befugnis des Kombinates, seine Tätigkeit unmittelbar in die Sphären der Außenwirtschaft zu erstrecken 114. Das Kombinat kann gemeinsam mit den zuständigen Außenhandelsbetrieben internationale Wirtschaftsverträge abschließen 115. Doch ist ebenfalls vorgesehen, daß ein Kombinat einen eigenen Außenhandelsbetrieb besitzt 116• Die interne Betriebsverfassung des Kombinats ist monokratisch117. Echte Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten lassen sich nicht feststellen. Das Arbeitsgesetzbuch118 kennt ein spezielles Kapitel, das "Leitung des Betriebes und Mitwirkung der Werktätigen" überschrieben ist 119. Brunner 12° hat darauf aufmerksam gemacht, daß im Jahre 1973 die in den Betrieben bestehenden Produktionskomitees beseitigt worden sind. Durch das Arbeitsgesetzbuch sind Mitwirkungsrechte der Beschäftigten vollends mediatisiert worden: nur durch die Gewerkschaften, die auf die von der Partei ausgegebenen Direktiven festgelegt sind, besitzen sie Befugnisse im Betrieb. Sie wirken bei der Ausarbeitung und Durchführung des Planes mit1 21. Die Betriebsgewerkschaftsleitung hat den sozialistischen Wettbewerb mit zu organisieren, bei der Intensivierung der Produktion mitzuwirken, die Arbeitszeit- und Urlaubsplanung mitzubestimmen, auf die Verbesserung des Gesundheits- und Arbeitsschutzes Einfluß zu nehmen, die Einhaltung der sozialistischen Arbeitsdisziplin zu fördern und bei qer Vorbereitung, beim Abschluß, bei der Änderung sowie bei der Auflösung von Arbeitsverträgen, bei Beurteilungen und bei anderen Personalangelegenheiten mitzur Hand zu gehen. Ständige Produktionsberatungen sind für gewerkschaftliche Kommissionen vorgesehen. Praktisch am wichtigsten ist der Abschluß von Betriebskollektivverträgen zwischen dem Betriebsleiter und der Betriebsgewerkschaftsleitung 122.

II~ 113 114 115 116 117 11s 119

120 121 122

§ 23 Abs. I. § 23 Abs. 2. § 16 Abs. I. § 16 Abs. 5. Vgl. § 23 Abs. 3. Hierzu Mampel (Fn. 19), Art. 42 Rdnr. 46; Brunner (Fn. 90), S. 74. a. a. 0., S. 75. Vom 16. Juni 1977, GBI. I S. 185. 2. Kapitel, §§ 18 ff. (Fn. II), S. 105. Hierzu § 22 des Arbeitsgesetzbuches. § 14 Abs. I lit. a.

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Nehmen wir an dieser Stelle noch einmal -auf dem Hintergrund der polnischen Überlegungen- das Thema der Selbstverwaltung der Betriebe auf, so ergibt sich ein drastischer Unterschied zwischen dem, was das einfache Recht besagt, und dem, was die Verfassung bei entsprechender Umsetzung ermöglichen könnte. Müller-Römerl 23 hat darauf aufmerksam gemacht, daß neben der jugoslawischen die DDR-Verfassung die einzige eines kommunistisch regierten Landes sei, die Normen über Rechtsstellung und innere Verfassung der Betriebe enthalte. In der Tat liest sich Art. 41 ganz in dieser Weise: "Die sozialistischen Betriebe ... sind im Rahmen der zentralen staatlichen Leitung und Planung eigenverantwortliche Gemeinschaften, in denen die Bürger arbeiten und ihre gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten ... Sie stehen unter dem Schutz der Verfassung. Eingriffe in ihre Rechte können nur auf der Grundlage von Gesetzen erfolgen". Durch das Gesetz läßt sich also dieser relative Freiraum- wie die behandelten Rechtsvorschriften dartun -rasch auf die allgemeine Einordnung des Bürgers in das System der staatlichen Zentralverwaltung reduzieren. In dem offiziellen Verfassungskommentar der DDR von Sorgenicht/ Weichelt/ Jtlemann/ Semler• 24 wird offen bekannt: .,Die staatliche Führung ist Voraussetzung ftir die Entfaltung der Gemeinschaften", und an anderer Stelle heißt es: .,Es handelt sich also nicht um eine die Wirksamkeit der politischen Macht der Arbeiterklasse und des gesellschaftlichen Eigentums aufhebende Autonomie, aber auch nicht um einen Status, der auf die mechanische Durchführung von Weisungen übergeordneter Organe hinausläuft"1 2S Im übrigen zieht der Kommentar eine Verbindungslinie zu Art. 21 mit dem dort verankerten Motto: "Arbeite mit, plane mit, regiere mit!". In der Verfassungswirklichkeit reduziert es sich auf das (offene) Wählen der Machtorgane nach einer Einheitsliste, die Entgegennahme von Rechi:mschaftsberichten und die Möglichkeit, sich mit Anliegen und Vorschlägen an die gesellschaftlichen, staatlichen und wirtschaftlichen Organe wenden zu können 126. Hinter den vielversprechenden Wortfassaden, sozialistische Betriebe zu .,eigenverantwortlichen Gemeinschaften" zu deklarieren, steckt, wie insgesamt bei dem demokratischen Gewand, das der Verfassung übergestreift worden ist, tatsächlich kein Wille zu einer echten Demokratisierung oder auch nur einer Auflockerung des streng zentralisierten Staats- und Wirtm (Fn. 30), S. 17. 124 1969, Bd. 2, Art. 41 , S. 184. 12s a. a. 0 ., S. 183. 126 Art. 21 Abs. 2.

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schaftskörpers 127 • Die Parallele mit heutigen polnischen Vorstellungen ist also nur eine formale und scheinbare. Allerdings würden sich für die DDR Ansatzpunkte für ideologische Anfechtungen bieten, wenn man rein vom Wortlaut der Verfassung her argumentierte und diesen mit einem anderen Inhalt zu füllen bestrebt wäre. Betrachten wir abschließend die rechtlichen Instrumente, mit denen Leitung und Planung als Hauptbestandteile der funktionalen Wirtschaftsverfassung verwirklicht werden. Wir müssen uns dabei auf einen grob skizzierenden Überblick beschränken. Auf die ökonomischen Hebeft28 als Ergänzungsinstrumente neben denjuristischen sei der Vollständigkeit halber hingewiesen. Wie stark verrechtlicht die Wirtschaftsbeziehungen im Wirtschaftsverfassungsrecht der DDR sind, ergibt sicp aus der Tatsache, daß alle wirtschaftlichen Einheiten mit Rechtsfähigkeit ausgestattet sind, von den Ministerien über die VVB, die Kombinate bis hinunter zu den Volkseigenen Betrieben 129. Allerdings muß man sich im klaren darüber sein, daß diese Rechtsfahigkeit nicht verliehen worden ist, primär um als Wirtschaftssubjekt eigenverantwortlich tätig zu werden. Die Rechtsfahigkeit bildet vielmehr eine formale Notwendigkeit, um Wirtschaftsverträge zwischen diesen Wirtschaftseinheiten schließen zu können. Das eigentliche rechtliche Leitungsinstrument ist der Plan, der als jährlicher Volkswirtschaftsplan den Charakter eines Gesetzes besitzttJo, wobei wir einen anderen Gesetzesbegriff zugrundelegen müssen als wir ihn bei uns kennen 131 • Der zentrale, hierarchische Charakter im Wirtschjlftsrecht läßt die Weisung, die Rechenschaftspflicht, zu einem der am meisten benutzten Durchsetzungsmittel werden. Die verbindlichen staatlichen Einzelentscheidungen sind von höchst unterschiedlicher Art und Komplexität, unterscheiden sich aber in ihrer Notwendigkeit für die staatliche Leitung und Planung keineswegs von der generalisierenden Entscheidung in Gestalt der Rechtsnormen, heißt es bei HeuertJ2. Ein solcher Gedanke könnte in keinem westdeutschen Buch des Wirtschafts- oder Verwaltungsrechts stehen. Genauer besehen trennt man 127 Zutreffend weist Mampel (Fn. 19), Art. 41 Rdnr. 10 und 35 darauf hin, daß die Eigenverantwortlichkeit nur im Rahmen der zentralen staatlichen Leitung und Planung gegeben ist und insofern lediglich Raum füreine Dekonzentration innerhalbdes Strukturprinzips des demokratischen Zentralismus bleibt. 12s Vgl. dazu: System und Entwicklung der DDR-Wirtschaft (Fn. 78), S. 69. 129 Seiffert (Fn. 86), S. 26. 13o Brunner (Fn. II), S. 102. 131 Hierzu Ebel, Der Gesetzesbegriff im Recht der DDR. Göttinger Diss. jur. 1976. 132 Sozialistisches Wirtschaftsrecht. Instrument der Wirtschaftsführung. Berlin (Ost) 1971, s. 44.

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zwischen individuellen und normativen Entscheidungen 133 • Nach der Terminologie der DDR-Wissenschafti34 ist zu unterscheiden zwischen Anordnungen, Durchführungsbestimmungen, Verfügungen, Richtlinien und Dienstanweisungen. Anordnungen, Durchführungsbestimmungen und Verfügungen sind der zentralen Ebene vorbehalten und beanspruchen eine normative Qualität. Anordnungen werden i. d. R. vom Ministerium erlassen, zur Regelung zentraler Fragen mit Außenwirkung. Durchführungsbestimmungen beruhen auf Ermächtigungen des Ministers in Verordnungen und Beschlüssen des Ministerrates. Verfügungen in normativer Form .,regeln Rechte und Pflichten der Leiter und nachgeordneten VVB, Kombinate, Betriebe und sonstigen Einrichtungen"I3s. Richtlinien legen ein zu erreichendes Ziel fest und enthalten Lösungswege zur Erreichung bestimmter Aufgaben. Dienstanweisungen schließlich regeln verbindliche Verhaltensweisen unterstellter Mitarbeiter und Leiter in niederen Leitungsebenen zur Gewährleistung eines geordneten Dienstablaufsi36. Im DDR-Schrifttum wird gern darauf aufmerksam gemacht, daß von dem Weisungsrecht sparsam Gebrauch gemacht werden soll, weil es besser sei, .,durch gute Anleitung und Überzeugung eigenverantwortliche Entscheidungen herbeizuführen" 137 • Daß auch Vorschläge, Kritik, Hinweise und Beschwerden in den DDR-Lehrbüchern im Zusammenhang mit den Leitungsfunktionen genannt werden 138, erklärt sich aus der Bedeutung, die dem Stichwort der .,Kritik" und "Selbstkritik" im Marxismus zugewiesen ist. Diesen von oben nach unten wirkenden rechtlichen Instrumenten steht kein vollgültiges Beschwerderecht der Betroffenen gegenüber. § 9 Abs. 4 der Verordnung vom 28. März 1973 über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und VVB 139 hatte dem Direktor unterstellter Betriebe und Einrichtungen .,in Fragen, bei denen keine Übereinstimmung mit dem Leiter des übergeordneten Organs herbeigeführt werden kann," das Recht zuerkannt, sich an den .,übergeordneten Leiter (zu) wenden und eine Entscheidung" zu verlangen. Das wurde im DDRSchrifttum'4o als ein Einspruchsrecht i. S. eines umfassenden Beschwerderechts qualifiziert; zugleich wurde angemerkt, daß es darüber hinaus spezielle Rechtsvorschriften für den Wirtschaftsablauf gibt, die .,für ausgewählte Einzelentscheidungen ein förmliches Beschwerdeverfahren vorsem Brunner (Fn. II), S. 107. 134 Vgl. hierzu Wirtschaftsrecht (Fn. 5), S. 52 f. m a. a. 0., S. 53. 136 a. a. 0. 137 a. a. 0., S. 54. 138 a. a. 0 ., S. 56. 139 GBI. I S. 129. 140 Wirtschaftsrecht (Fn. 5), S. 56.

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hen"l41. Entsprechend der allgemeinen Regelung in der DDR entscheidet in diesen Fällen zuerst der Leiter, von dem die angegriffene Entscheidung erlassen worden ist; hilft er der Beschwerde innerhalb einer gesetzlich festgelegten Frist nicht ab, wird die Sache dem übergeordneten Leiter zur endgültigen Entscheidung vorgelegt. Es ist bezeichnend für die gegenwärtig straffere Wirtschaftsleitung, daß dieses Einspruchsrecht aus § 9 Abs. 4 der Verordnung von 1973 in der geltenden Kombinatsverordnung nicht mehr anzutreffen ist. Klingerl42 versucht dies mit dem Übergang vom dreistufigen zum zweistufigen Leitungssystem zu erklären, was nicht recht zu überzeugen vermag. Hingewiesen werden kann in diesem Zusammenhang auf das Recht des Generaldirektors, Entscheidungen oder Abstimmungen vom Minister .,zu verlangen"; das muß er allerdings mit Lösungsvorschlägen verbinden 143. Das ist ein neues rechtliches Instrument, bei dem man an die Institution der .,Untätigkeitsklage" erinnert wird. Ein Einspruchsrecht gegen ergangene Entscheidungen oder Abstimmungen hingegen wird dadurch nicht gewährt. An gerichtliche Zuständigkeiten ist in diesem gesamten Bereich der Wirtschaftsplanung nicht gedacht. Das zweite gewichtige rechtliche Instrument im DDR-Wirtschaftsrecht steht in dem Wirtschaftsvertrag bereit 144. Hierüber wird ein gesondertes Referat gehalten, so daß wir uns an dieser Stelle mit diesem interessanten Thema nicht befassen können. Aufmerksam gemacht werden solllediglich darauf, daß über das Vertragssystem rechtliche Verknüpfungen in horizontaler Ebene erfolgen und die vertikale administrat~ve Lenkung ergänzen sollen 145. Brunner1 46 hat speziell im Zusammenhang mit der Kombinatsverordnung die Frage gestellt, ob sich im Verhältnis beider Regelungselemente eine .,Verschiebung zugunsten der administrativ-verwaltungsrechtlichen Elemente" vollzogen habe; dann würde der Wirtschaftsvertrag .,nur noch ein untergeordnetes Instrument der Planerfüllung" darstellenl47. Er hat in diesem Zusammenhang speziell auch auf das Thema der Koordinierungsverträge verwiesen, die sowohl einen leitungsrechtlichen als auch einen 141

a. a. 0 .

Fn. 87), S. 3. Vgl. § 24 Abs. 4 der Kombinatsverordnung. 144 Gesetz Uber das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft (Vertragsgesetz) vom 25. Februar 1965, GBI. I S. 107. Zum Vertragssystem Mampel (Fn. 19), Art. 42 Rdnr. 100 m. w. Nachw.; Brunner (Fn. II), S. II I. 145 Hierzu Wirtschaftsrecht (Fn. 5), S. 116 ff. 146 (Fn. 90), S. 68 ff. 147 a. a. 0 ., S. 69. 142 (

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leistungsrechtlichen Inhalt haben könnten 148 .Spezielle Kooperationsbeziehungen sind in der Kombinatsverordnung nicht nur im Verhältnis zu anderen Betrieben und Kombinaten, sondern auch innerhalb des Kombinats im Verhältnis zu den Kombinatsbetrieben vorgeseheni49. Zu dem Gebiet der Vertragsbeziehungen gehören die Allgemeinen Leistungsbedingungen i. S. Allgemeiner Geschäftsbedingungen und .,Grundsätzliche Feststellungen", die vom Vorsitzenden des Staatlichen Vertragsgerichts zur Gewährleistung einer einheitlichen Spruchpraxis vor dem Staatlichen Vertragsgericht ISO erlassen werden. Wir können sie als eine zentrale verbindliche Auslegung des Vertragsrechts verstehen. Die materielle Verantwortlichkeit, die Haftung, gehört notwendigerweise in das Gesamtbild der rechtlichen Steuerungsinstrumente. Die Darstellung des gesamten Sanktionssystems wäre allerdings Gegenstand eines eigenen Referates. Es ist zu Recht bemerkt worden 151 , daß im Gegensatz zu dem kräftig ausgebauten Sanktionssystem gegenüber nachgeordneten Wirtschaftseinheiten die materielle Verantwortlichkeit der Leitungsorgane nur unvollkommen ausgebildet ist. Innerhalb des Vertragssystems bestimmt sich die materielle Verantwortlichkeit nach den Bestimmungen des 4: 1'1hfs des Vertragsgesetzes 152. Im Bereich der administrativen Wirtschaftsreglementierung mit dem hier verankerten Sanktionssystem 153 war im Jahre 1967 ein Ausgleichsanspruch der Betriebe eingeführt worden 154, der ökonomische Nachteile unterstellter Betriebe und Kombinate gegenüber den zentralen Staatsorganen kompensieren sollte. Dieser ist 1973 beseitigt worden 155 • Der Kombinatsverordnung von 1979 gebricht es an einer solchen Regelung. Übriggeblieben ist lediglich eine Verantwortlichkeit "für pflichtwidrige Bilanzentscheidungen" 156 • a. a. 0 .• S. 73. § 23 der Kombinatsverordnung. 1so § 6 S. 2 der Verordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Staatlichen Vertragsgerichts vom 18. April 1963, GBI. II S. 293. Die Allgemeinen Leistungsbedingungen stUt1en sich auf§ 33 des Vertragsgesetzes. Brunner (Fn. II). S. II I. IS2 §§ 79 ff. 1s.1 Hierzu Brunner (Fn. 90). S. 70 f. IS4 Vgl. die Verordnung über die Aufgaben. Rechte und Pflichten des volkseigenen Produktionsbetriebes vom 9. Februar 1967. GBI. II S. 121. Beschluß vom II. Dezember 1968 über das Ausgleichsverfahren für volkseigene Betriebe. GBI. II S. 1073. ~~~ § 12 Abs. 4 der mehrfach genannten Verordnung vom 18. März 1973 sah nur noch vor. daß bei operativen Eingriffen. die aus volkswirtschaftlich wichtigen Gründen vom übergeordneten Organ in die planmäßige Wirtschaftstätigkeit des volkseigenen Betriebes vorgenommen worden sind. das materielle Interesse des Betriebskollektivs nicht beeinträchtigt werden durfte. Das bezog sich in erster Linie auf den Prämienfonds. IS6 Hierzu Brunner (Fn. 90). S. 71. 14K

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Die Wirtschaftsverfassung der DDR

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Das Staatshaftungsgesetz von 1969 157 gilt nur im Verhältnis der öffentlichen Gewalt zum Bürger und seinem persönlichen Eigentum; die hier interessierenden Fälle der Schadenszufügung durch Leitungs- und Planungsmaßnahmen innerhalb der volkseigenen Wirtschaft sind nicht Gegenstand dieses Gesetzes. Wir sehen gerade in diesem Punkt die sich aus der unterschiedlichen Wirtschaftsverfassung in beiden Staaten Deutschlands ergebenden Verschiedenheiten in aller Klarheit. Wenn wir im Bundesgebiet von Wirtschaftsrecht sprechen, meinen wir in erster Linie Wettbewerbsproblerne oder Haftungsfragen (.,ziviles Wirtschaftsrecht"). Im (öffentlichen) Wirtschaftsverwaltungsrecht haben wir es in erster Linie mit Gewerberecht, Planungsrecht, dem Recht der Wirtschaftsverwaltung durch Bund und Länder, der Wirtschaftsverbände usw. zu tun; Grundrechtsfragen spielen dabei eine zentrale Rolle. In der DDR öffnet sich uns im Wirtschaftsrecht ein völlig verändertes Szenarium. Haftung und Grundrechtsschutz stehen nicht im Zentrum der Wirtschaftsverfassung der DDR, auch wenn man dort gern von wirtschaftlichen Grundrechten und Grundpflichten 158 spricht. Dominierend ist durch alle wirtschaftlichen Kursänderungen hindurch bisher stets der zentrale Volkswirtschaftsplan geblieben, der selbst immer kompliziertere Formen und Verfeinerungen angenommen hat und damit zu einer weiteren Ausuferung der Wirtschaftsver.,altungs-Bürokratie Anlaß gegeben hat. Wenn man im deutsch-deutschen Verhältnis früher gern von Annäherung durch Wandel gesprochen hat, dann läßt sich dafür im Gebiet der Wirtschaftsverfassung wenig Anschauungsmaterial entnehmen. Wirkliche Liberalisierungselemente sind mit der Grundstruktur der bisherigen Wirtschaftsverfassung nicht vereinbar. Die wechselnden Entscheidun:.. gen für straffere Zentralisierung oder behutsame Dezentralisierung stellen nur Modifikationen innerhalb des Systems der staatlichen Zentralverwaltungswirtschaft des sowjetischen Typs dar159 • Im letzten Jahrzehnt verlief die Tendenz weiter eher zugunsten zentral einsetzbarer Planungsinstrurnente 1611 • 15 ' Gesetz zur Regelung der Staatshaftung in der Deutschen Demo!