Manheit und Kampf in der Literatur des Mittelalters: Ritterliche Gewalt zwischen Praxeologie und Konventionalität am Beispiel des ‚Iwein‘ und der ‚Steirischen Reimchronik‘ 9783111240275, 9783111227894

In high medieval literature, manheit describes the ability to fight and to use violence, and was therefore the knight’s

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Manheit und Kampf in der Literatur des Mittelalters: Ritterliche Gewalt zwischen Praxeologie und Konventionalität am Beispiel des ‚Iwein‘ und der ‚Steirischen Reimchronik‘
 9783111240275, 9783111227894

Table of contents :
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
I manheit und die Praktik des Kampfes
Einleitung
I.1 manheit, Männlichkeit und Tapferkeit
I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft
I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt
II manheit und Kampf im Iwein Hartmanns von Aue und der Steirischen Reimchronik
Einleitung
II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue
II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik
III Fazit: manheit und Kampf. Die Umcodierung von Gewalt
Einleitung
Literatur
Register

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Elias Friedrichs manheit und Kampf in der Literatur des Mittelalters

Literatur|Theorie|Geschichte

Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik Herausgegeben von Udo Friedrich, Bruno Quast und Monika Schausten

Band 27

Elias Friedrichs

manheit und Kampf in der Literatur des Mittelalters Ritterliche Gewalt zwischen Praxeologie und Konventionalität am Beispiel des ‚Iwein‘ und der ‚Steirischen Reimchronik‘

Der Druck dieser Arbeit wurde gefördert durch das DFG-Graduiertenkolleg 2212 „Dynamiken der Konventionalität (400–1550)“.

ISBN 978-3-11-122789-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-124027-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-124046-6 ISSN 2363-7978 Library of Congress Control Number: 2023938424 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Iwein-Fresken, Burg Rodenegg (Ausschnitt), Fotoarchiv des Amtes für Bau- und Kunstdenkmäler, Landesdenkmalamt, Autonome Provinz Bozen – Südtirol. Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Danksagung Das vorliegende Buch ist die leicht überarbeitete und gekürzte Version der Schrift, die unter dem Titel ‚manheit und Kampf im Iwein Hartmanns von Aue und der Steirischen Reimchronik. Ritterliche Gewalt zwischen Praxeologie und Konventionalität‘ im Wintersemester 2021 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen wurde. Der Tag der Disputatio war der 07. März 2022. An erster Stelle gilt mein Dank Prof.ʼ Dr.ʼ Monika Schausten, die mich durch ihr Verständnis und mit vielen lenkenden Worten und Fingerzeigen auf einem guten Weg zur Vollendung dieser Arbeit gehalten hat, und Prof. Dr. Udo Friedrich, der mich zu „wildem Lesen“ und pragmatischen Kompromissen ermutigt hat. Beide haben diese Arbeit betreut, die ohne ihre bereits während des Masterstudiums einsetzende Unterstützung nicht hätte entstehen können. Ebenfalls danke ich meinem Drittbetreuer Prof. Dr. Jörg Rogge vom Historischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der mich in Fragen mittelalterlicher Militärgeschichte beraten hat und apl. Prof. Dr. Ulrich Mehler, der 2019 verstorben ist und der mich zu Beginn meines Studiums mit seiner Begeisterung für die mittelalterliche Literatur angesteckt hat. Die primäre conditio sine qua non für das Entstehen und die Vollendung dieser Arbeit war die ideelle und finanzielle Unterstützung durch das Graduiertenkolleg 2212, in dessen Büroräumen und im Austausch mit dessen Professor:innen und Kollegiat:innen alle wichtigen Fragen dieser Arbeit diskutiert wurden. Hier gilt mein Dank besonders den beiden Sprechern, Prof. Dr. Udo Friedrich und Prof. Dr. Karl Ubl, ohne die das Graduiertenkolleg nicht entstanden wäre, PDʼ Dr.ʼ Julia Bruch, die uns Kollegiat:innen als Postdoc aufopferungsvoll betreut hat, sowie Prof.ʼ Dr.ʼ Susanne Wittekind und Prof. Dr. Peter Orth für die spannenden Anregungen. Eine ungeheure Menge Dank für eine ebensolche Menge freundschaftlichen Austauschs gilt den Kollegiat:innen des Graduiertenkollegs. Ihr fachlicher Beitrag hat dieser Arbeit in kaum zu überschätzender Weise geholfen und ihre Freundschaft hat die Promotion zu einer wunderbaren Zeit werden lassen: Adrian Meyer danke ich für die vielen, vielen Gespräche über Liebe, Leben und Literatur, Markus Jansen danke ich für die geteilte und (ausschließlich) fachliche Begeisterung für Ritter und Burgen, Irina Dudar danke ich für ihr allzeit offenes Ohr, ihre Geduld und die gemeinsame Arbeit in Zeiten von Covid-19 und Adrian Kammerer danke ich für Kammeraderie, Kollegialität und das Lob der Sonne. Ein besonderer Dank gebührt zudem Hein Sauer, dessen Programmierkünste dem Entstehen dieser Arbeit immens zuträglich waren. Weiterhin danke ich den ein wenig gealterten ‚jungen Altgermanisten‘ des Instituts für deutsche Sprache und Literatur der Universität zu Köln: Neben Adrian Meyer danke ich besonders Fabian Scheidel, Michael SchwarzbachDobson und Julia Stiebritz-Banischewski. Sie haben das Fach für mich mit Leben gefüllt

https://doi.org/10.1515/9783111240275-202

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Danksagung

und dabei mich, wie auch diese Arbeit, durch ihren enormen Wissensschatz und ihre theoretische Präzision ungemein bereichert. Für „Wurzeln und Flügel“ danke ich meinen Eltern und besonders meiner Mutter Cina Friedrichs-Sommerfeld für die niemals nachlassende Unterstützung. Mein letzter und größter Dank gilt erneut Irina Dudar für das, was aus uns und damit auch aus dem Grako und der Promotion hervorgegangen ist und dem diese Arbeit gewidmet ist.

Inhaltsverzeichnis Danksagung

V

I manheit und die Praktik des Kampfes I.1 I.1.1 I.1.2

manheit, Männlichkeit und Tapferkeit 13 manheit und Männlichkeit 14 Forschungsansätze zur manheit in der mittelhochdeutschen Literatur 19

I.2 I.2.1 I.2.2

manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft Gewalt als methodisches Problem 28 Der Krieger zu Pferd und die Praktik des Kämpfens 37

I.3

Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt 53 Der ‚Gerechte Krieg‘ als Legitimationsstrategie 54 Kämpfen als legitime Gewaltausübung 58 Kämpfen als konventionalisierte Praktik 66 Der Ritter als Leitbild einer Kriegergesellschaft 74

I.3.1 I.3.2 I.3.3 I.3.4

27

II manheit und Kampf im Iwein Hartmanns von Aue und der Steirischen Reimchronik II.1 II.1.1 II.1.2 II.1.3 II.1.4 II.1.5 II.1.6 II.1.7 II.1.8

Der Iwein Hartmanns von Aue 91 Methodische Einordnung in neuere Forschungsansätze 94 Wie man sich verteidigt, ohne angegriffen worden zu sein – Kâlogrêants Erzählung 115 manheit und der reziproke Austausch von Gewalt – Iweins Kampf mit Ascalôn 122 manheit unde vrümecheit. Die Umcodierung von manheit zum symbolischem Kapital 134 Die strukturelle Bedeutung von manheit in der Schlacht von Narison – Der Kampf gegen Aliers 149 Animalische Gewalt gegen einen dehumanisierten Gegner – Der Kampf gegen Harpin 157 Die manheit des Löwenritters zwischen Pseudonym und Symbiose – Lunetes Gerichtskampf 166 Die Maximierung symbolischen Kapitals – Der Kampf gegen die tiuvels kneht 179

VIII

II.1.9 II.1.10

Inhaltsverzeichnis

Kämpferische und erzählerische Verausgabung – Der Kampf gegen Gâwein oder waz töhte die wæhe? 188 Zusammenfassung 205

II.2 II.2.1 II.2.2 II.2.3 II.2.4

manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik 208 Textgestalt und Überlieferung 212 Autorschaft und Erzählperspektive: Der steirische Adel 217 Chronikalisches Erzählen und emplotment 221 Das ‚Österreichische Interregnum‘ in der Reimchronik: Historischer Überblick 230 II.2.5 Axiologische Grundlagen der manheit – Das Erbe der Babenberger 235 II.2.6 Kämpferische manheit im Horizont chronistischer Sympathiesteuerung – Siegfried von Mahrenberg und Ulrich von Liechtenstein 243 II.2.7 Kriegerische Gewalt zwischen Auratisierung und Dehumanisierung – Die Schlacht von Kressenbrunn 249 II.2.8 Narrative Funktionen eines tragischen emplotments – Noch einmal Siegfried von Mahrenberg 256 II.2.9 Sozialer Aufstieg durch manheit und der fiktionale Referenzrahmen – Ulrich von Heunburg 260 Exkurs manheit zwischen fiktionalem Erzählschema und Geschichtsdeutung – Wilhelm von Schärfenberg und der Zwerg 271 II.2.10 manheit und die Funktion intertextueller Referenzen in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen 284 II.2.11 Der Verlust kämpferischer Handlungsmacht – Das Ende Ottokars II. Přemysl 307 II.2.12 Zusammenfassung: Die manheit der Steirer 315

III Fazit: manheit und Kampf. Die Umcodierung von Gewalt Literatur

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Register

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I manheit und die Praktik des Kampfes

Der Krieger stellt den Protagonisten dar für jene, die vom Krieg erzählen oder über ihn berichten. Rezipient:innen solcher Erzählungen erfahren den Krieger als die mediale Oberfläche, auf der der Krieg abgebildet wird.1 Einerseits ist so die Figur des Kriegers jene Instanz, die als Medium den Bezug zum Krieg überhaupt erst ermöglicht und die in ihrer Beschaffenheit als Protagonist – als Held – eine Projektionsfläche bietet, die die (Ideal-)Vorstellungen der Rezipient:innen widerspiegelt, aber andererseits auch den Blick hinter die Kulisse des Mediums verstellt: Krieg kann man nicht erfahren, ohne daran teilzunehmen.2 Für die Literatur der Vormoderne und besonders für die erzählenden Texte des Mittelalters ergeben sich vor diesem Hintergrund besondere Bedingungen, da ein bedeutender Teil der Rezipierenden selbst zu den realen Kriegern gehörte.3 In der Gestalt des Ritters vereinigen sich ein militärischer Akteur, eine literarische Formation und eine wesentliche Zielgruppe weiter Teile der mittelalterlichen Erzähltexte. Die Spannung zwischen medialer Projektion und Teilhabe an kriegerischen Auseinandersetzungen prägt die reale und die fiktive Figur des Kriegers: Seine Tapferkeit, die ihn zum Helden der Erzählung werden lässt, erzeugt einerseits einen Nimbus, welcher dem Grauen des Krieges diametral entgegensteht. Mit ‚Tapferkeit‘ wird andererseits jedoch auch eine der wichtigsten Eigenschaften des realen Kriegers bezeichnet, die das Überwinden der Angst vor Verwundung und Tod und das Erdulden von Schmerzen und Leid umfasst. Kriegerische Akteure benötigen darüber hinaus jedoch auch den Willen und die Fähigkeit zur Ausübung von Gewalt, welche wiederum die Ursache der zu überwindenden und zu erduldenden Übel ist. In der narrativen Gestaltung der Tapferkeit des Helden verdichtet die mediale Repräsentation sowohl das jeweilige Ideal der Rezipient:innen als auch einen Bestandteil realen kriegerischen Tuns, nämlich das Ausüben von Gewalt, das zwar demonstrativer Ausdruck kriegerischer Tapferkeit ist, heutzutage aber nicht als solche bezeichnet wird: Seit 2008 verleiht die deutsche Bundeswehr das ‚Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit‘ als höchste Auszeichnung für Taten, die „weit über das normale Maß der ‚Grundtapferkeit‘“4 hinausgehen. Gemäß § 7 des Soldatengesetzes gehört Tapferkeit zu den Grundpflichten der Soldatinnen und Soldaten. Sie geloben oder schwören, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“.5 Die Voraussetzungen der Verleihung „erfordern bei außergewöhnlicher Gefährdung

 Vgl. Jörg Rogge: Kämpfer als Schreiber. Bemerkungen zur Erzählung von Kampferfahrung und Verwundung in deutschen Selbstzeugnissen des späten Mittelalters. In: Kriegserfahrungen erzählen. Geschichts- und literaturwissenschaftliche Perspektiven. Hrsg. von dems. Bielefeld 2016 (Mainzer Historische Kulturwissenschaften. 37), S. 73–106, hier S. 73.  Vgl. zur Produktion und Rezeption von Kriegsberichten Jörg Rogge: Kriegserfahrungen erzählen. Einleitung. In: Kriegserfahrungen erzählen. Geschichts- und literaturwissenschaftliche Perspektiven. Hrsg. von dems. Bielefeld 2016 (Mainzer Historische Kulturwissenschaften. 37), S. 9–30, hier S. 10–13; Martin Clauss: Krieg der Ritter. Erzählmuster des Heroischen bei Jean Froissart. In: Ebd. S. 31–46, hier S. 31.  Vgl. Rogge, Kriegserfahrungen, S. 12.  Bundesministerium für Verteidigung (Hrsg.): Ehrenzeichen und Einsatzmedaillen der Bundeswehr, Berlin 2017, S. 13 sowie in der Zentralen Dienstvorschrift A-2650/8, zitiert nach ebd., S. 66.  Zitiert aus §§ 7 u. 9 des Soldatengesetzes. https://doi.org/10.1515/9783111240275-001

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von Leib und Leben ein mutiges, standfestes und geduldiges Verhalten, mit dem der militärische Auftrag erfüllt wird.“6 In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im April 2010 berichtet einer der mit dem Ehrenkreuz für Tapferkeit geehrten Soldaten, dass seine Kameraden und auch er selbst bei dem Gefecht im Juni 2009, aufgrund dessen er ausgezeichnet wurde, viele Menschen getötet hätten, ohne eigene Verluste beklagen zu müssen. Seine Fähigkeit zur aktiven Planung und Anwendung tödlicher Gewalt hat ihm und seinen in einen Hinterhalt geratenen Kameraden das Leben gerettet, ermöglichte einen militärischen Sieg und brachte ihm selbst eine Auszeichnung ein, die ihn als einen der tapfersten Soldaten der Bundeswehr kennzeichnet.7 Ein moderner Soldat muss ebenso wie ein mittelalterlicher Krieger gut im Töten sein, denn er dient der jeweiligen Sache, befolgt Befehle und hilft seinen Kameraden, am Leben zu bleiben.8 Die Diskrepanz zwischen dem Wortlaut der zentralen Dienstvorschrift des Bundesverteidigungsministeriums und dem Bericht des Soldaten verdeutlicht, dass das moderne Wort ‚Tapferkeit‘ nicht so sehr auf kriegerische Handlungen bezogen ist, sondern allgemein auf eine passive und (er)duldende Haltung verweist. Damit entspricht der behördliche Wortgebrauch der Formulierung Immanuel Kants, der bemerkt, dass „das Vermögen und der überlegte Vorsatz, einem starken, aber ungerechten Gegner Widerstand zu tun, die Tapferkeit (fortitudo)“9 sei. Auch der Duden gibt für ‚tapfer‘ die Bedeutungen „sich furchtlos und zum Widerstand bereit mit Gefahren und Schwierigkeiten auseinandersetzend“ und „beherrscht, Schmerzen und seelische Regungen, Gefühle nicht sichtbar werden lassend; ohne zu klagen, seine Angst unterdrückend (bezieht sich oft auf das Verhalten von Kindern)“10 und für ‚Tapferkeit‘ die entsprechende Substantivierung sowie „unerschrockenes, mutiges Verhalten im Augenblick der Gefahr“.11 Wörter wie ‚Standhaftigkeit‘, ‚Geduld‘ und ‚Widerstand‘ unterschlagen den aggressiv-offensiven Charakter einer Kampfhandlung, weshalb der Begriff ‚Tapferkeit‘ im Folgenden nicht für jene Eigenschaften genutzt werden soll, durch die sich ein Krieger auszeichnet. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es das Wort ‚Tapferkeit‘ in diesem Sinne im Mittelalter nicht gegeben hat. Wie in dieser Arbeit zu zeigen sein wird, umfasst der Bedeutungs-

 Zentrale Dienstvorschrift A-2650/8, zitiert nach Bundesministerium für Verteidigung, Ehrenzeichen, S. 65.  Vgl. Marco Seliger: Krieg in Afghanistan. „Er oder ich – darum ging es“. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 19.04.2010 [https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/krieg-in-afghanistan-er-oderich-darum-ging-es-1972003.html, Zugriff 18.04.2023].  Vgl. Sebastian Drescher: „Ich habe getötet“. Deutsche Soldaten müssen in Einsätzen auch scharf schießen. Geredet wird darüber kaum. Hier erzählen zwei Soldaten ihre Geschichte. In: JS Magazin 03/2018, S. 8–11, hier S. 10 [https://www.js-magazin.de/sites/default/files/Heftarchiv/2018/JS-03-2018_gesamt.pdf, Zugriff: 18.04.2023]; Sergio Catignani: Motivating Soldiers. The Example of the Israeli Defense Forces. In: Parameters (Herbst 2004), S. 108–121, hier S. 117.  Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten. Werkausgabe Bd. 8. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Frankfurt a. M. 1997, S. 509.  ‚tapfer‘ auf Duden online [https://www.duden.de/node/180233/revision/1230458, Zugriff: 26.06.2023].  ‚Tapferkeit‘ auf Duden online [https://www.duden.de/node/179544/revision/1230673, Zugriff: 26.06.2023].

I manheit und die Praktik des Kampfes

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rahmen der mittelhochdeutschen Entsprechung, manheit, neben geschlechtlichen Konnotationen vor allem das aktive Ausüben von Gewalt. Mehr noch: manheit bezeichnet dezidiert die Fähigkeit im Kampf siegreich zu sein. Es besteht also ein Zusammenhang zwischen manheit und Gewalt auf der einen Seite und manheit und Kampf auf der anderen. Das Kämpfen ist dabei in mehreren Dimensionen als Praktik zu bezeichnen, wie sie Andreas Reckwitz klassifiziert hat:12 Zunächst ist eine Praktik als „ein typisiertes, routinisiertes und sozial verstehbares Bündel von Aktivitäten“13 aufzufassen: Das Soziale ist hier nicht in der Intersubjektivität und nicht in der Normgeleitetheit, auch nicht in der Kommunikation zu suchen, sondern in der Kollektivität von Verhaltensweisen, die durch ein spezifisches ‚praktisches Können‘ zusammengehalten werden.14

Reckwitz hebt zudem die soziale Komponente einer Praktik in Bezug auf den Umgang mit Artefakten und Werkzeugen (hier also Waffen) und dem eigenen Körper hervor: „Eine Praktik [...] ist immer als eine skillful performance von kompetenten Körpern zu verstehen.“15 Die unterschiedlichen Dimensionen des Kämpfens sind daher im Einzelnen zu entschlüsseln, da besonders Intersubjektivität, Norm und Kommunikation für die Praktik des Kämpfens von Bedeutung sind. Zentral ist, dass das ‚praktische Können‘ des Kämpfers im Mittelhochdeutschen oftmals mit manheit umschrieben wird, sodass zu zeigen ist, worin dieses Können und die mit ihm einhergehende ‚praktische‘ manheit eigentlich besteht. Seine praxeologische Theorie grenzt Reckwitz sowohl von Herangehensweisen ab, die das Geistige ins Zentrum einer Kultur setzen („Mentalismus“16), als auch von Theorien der (symbolischen) Kommunikation (Clifford Geertz und Niklas Luhmann) und der Diskurstheorie Michel Foucaults.17 Da die mittelalterliche Praktik des Kämpfens jedoch vornehmlich durch ihre Diskursivierung zugänglich ist – sieht man von archäologischen Funden ab –, muss der Fokus auf den Zusammenhang von Praktik und Diskurs gerichtet werden: Die Darstellung des Kampfes kann nicht vollkommen unabhängig von der historischen Praktik des Kämpfens betrachtet werden.18 Ebenso ist praktische

 Andreas Reckwitz: Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. In: Unscharfe Grenzen. Perspektiven der Kultursoziologie. Hrsg. von dems. Bielefeld 2008, S. 97–130.  Reckwitz, Grundelemente, S. 112.  Reckwitz, Grundelemente, S. 112.  Reckwitz, Grundelemente, S. 113. Hervorhebung im Original.  Reckwitz, Grundelemente, S. 109 f.  Vgl. Reckwitz, Grundelemente, S. 110 f., mit einem Verweis auf die ‚episteme‘ von Michel Foucault: Archäologie des Wissens. Aus dem Frz. von Ulrich Köppen. Frankfurt a. M. 1990 (stw. 356); Clifford Geertz: Thick Description: Toward an Interpretive Theory of Culture. In: Ders.: The Interpretation of Cultures. Selected Essays. London 1993, S. 3–30; Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M. 1991 (stw. 666).  Vgl. Manuel Braun: violentia und potestas. Mediävistische Gewaltforschung im interdisziplinären Feld. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 127 (2005), S. 436–458, hier

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I manheit und die Praktik des Kampfes

manheit im Sinne eines im Kämpfen aktualisierten körperlichen und geistigen Könnens nicht gänzlich von ihren mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen zu trennen. Besonders aufschlussreich sind dabei die zugrundeliegenden Wertsysteme, die manheit in ihrem Bezug zu Gewalt und im Kontext des Kämpfens einordnen und damit die Wertsysteme der rezipierenden Gesellschaft widerspiegeln und Identifikationsangebote eröffnen. Udo Friedrich wirft die Frage auf, „welche übergeordneten narrativen Sinnbildungsmuster der Feudaladel besitzt.“19 Indem ich zeigen möchte, dass Gewalt und kriegerische oder kämpferische Praktiken mit manheit umschrieben und verherrlicht werden, sollen implizite Darstellungsformen dieser Praktiken samt ihrer Bewertung zu Tage gefördert werden. Diese Zusammenschau zielt auf die Erarbeitung eines differenzierteren Bildes der sozialen und mentalitätsgeschichtlichen Bedeutung des Kämpfens für die Adelsgesellschaft. ‚Mentalität‘ bezieht sich dabei nicht so sehr auf das „Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Empfindens“ wie es Peter Dinzelbacher definiert, sondern vor allem auf die gesellschaftlichen Wertzuschreibungen des Kämpfens, wobei der Kampf jene „Handlungen“ bezeichnet, in denen sich „Mentalität manifestiert“20. In diesem Sinne steht im Folgenden eine „Mentalität der Gewalt“21 beziehungsweise der manheit im Vordergrund.22 Nicht zuletzt aufgrund der christlichen Doktrin war Gewalt gegen Menschen oder die Tötung von Menschen auch im Mittelalter eine Handlung, die der Legitimation bedurfte. Somit ist zu fragen, welche Strategien verwendet wurden, um die ausgeübte Gewalt zu legitimieren. Die grundlegende These dieser Arbeit lautet daher, dass die Glorifizierung von manheit einerseits und die Praktik des Kämpfens andererseits die

S. 440: Braun hebt hervor, „[d]ass gerade das Festhalten an der Realität den Blick für die Repräsentation zu schärfen vermag, [...]. Dahinter steht der logisch recht schlichte, gleichwohl aber häufig verkannte Sachverhalt, dass man nur dann sinnvoll von Kodierung (der Gewalt) sprechen kann, wenn man annimmt, dass ihr etwas vorausliegt. So setzt die Erforschung der Erzählungen und Erinnerungen, die sich an ein Schlachtfeld anlagern und es mit Bedeutung aufladen, die Annahme voraus, dass es einen konkreten Ort gibt, an dem gekämpft worden ist.“  Udo Friedrich: Held und Narrativ. Zur narrativen Funktion des Heros in der mittelalterlichen Literatur. In: Narration and hero. Recounting the deeds of heroes in literature and art of the early medieval period. Hrsg. von Victor Millet, Heike Sahm. Berlin/Boston 2014 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde. 87), S. 175–194, hier S. 179.  Peter Dinzelbacher: Zur Theorie und Praxis der Mentalitätsgeschichte. In: Europäische Mentalitätsgeschichte. Hrsg. von dems., Stuttgart 1993, S. XV–XXXVII, hier S. XXI. Zur Thematik der Mentalitätsforschung siehe Hans-Henning Kortüm: Menschen und Mentalitäten. Einführung in die Vorstellungswelten des Mittelalters. Berlin 1996, S. 13–34 und erneut Peter Dinzelbacher: Lebenswelten des Mittelalters. Badenweiler 2010, zum Thema des Krieges bes. S. 239–270. Zur Verbindung zwischen Mentalitätsforschung und Psychologie siehe auch: Peter Dinzelbacher: Einführung. In: Wandlungsprozesse der Mentalitätsgeschichte. Hrsg. von dems., Friedrich Harrer. Baden-Baden 2015, S. 1–23, hier S. 4.  Manuel Braun, Cornelia Herberichs: Gewalt im Mittelalter. Überlegungen zu ihrer Erforschung. In: Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. Hrsg. von dens. München 2005, S. 7–38, hier S. 26 f.  In den Worten Richard W. Kaeupers wäre auch von einer „mentality centered on prowess“ zu sprechen. Siehe Richard W. Kaeuper: Medieval Chivalry. Cambridge 2016, S. 160.

I manheit und die Praktik des Kampfes

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zentralen Strategien der Gewaltlegitimation darstellten. Die Auffassung von Krieg und Gewaltausübung als agonale Konfliktformen eröffnet den analytischen Bezug zur sozialen Praxis des Spielens (Huizinga23) und des Kämpfens (Stout24) mit ihren übergreifenden sozialen und kulturellen Bedingungen. Zugleich diktierte eine kriegerische Mentalität bestimmte Handlungsweisen,25 die als Produkte gesellschaftlicher Regeln und damit als Konventionen (Marmor26) und Ausprägungen eines entsprechenden Habitus‘ (Bourdieu27) aufzufassen sind. Die Eigenschaft manheit und die Formen ihrer Attribuierung auf kriegerische Akteure konstituieren sich dabei auf eine spezifische Weise, wie sich mittels einer Analogie zu Ludgera Vogts Begriff der Ehre verdeutlichen lässt. Vogt konzeptionalisiert Ehre in Bezug auf den Bourdieuschen Habitus, den sie als einen „Mittelweg“ definiert, „zwischen der phänomenologischen Beschreibung der handelnden Akteure und der Annahme einer ‚objektiven‘ Regelhaftigkeit, die der externe Betrachter im Verhalten ermitteln kann.“28 Entsprechend geschieht die Betrachtung und Beurteilung von manheit in Abhängigkeit von zugrundeliegenden gesellschaftlichen, im Einzelfall aber auch persönlichen Werten. Unter der Voraussetzung einer kulturell einschlägigen Definition lässt sich erstens von einer objektiv manlîchen Handlung sprechen, die somit der von Reckwitz beschriebenen „skillful performance“29 einer praktischen manheit entspricht. Darüber hinaus erscheint manheit zweitens als Selbstwahrnehmung und drittens als Fremdzuschreibung, was die Analogie zum Konzept der Ehre hervortreten lässt, das ebenfalls zwischen ‚innerer‘ und ‚äußerer Ehre‘ differenziert.30 Als Zuschreibung ist manheit jedoch weiterhin das Resultat eines diskur-

 Johan Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. In engster Zusammenarbeit mit dem Verfasser aus dem Niederländischen übertragen von H. Nachod. Mit einem Nachwort von Andreas Flitner. Reinbeck bei Hamburg 2011 (rowohlts enzyklopädie).  Rowland Stout: Can there be Virtue in Violence? In: Revue Internationale De Philosophie 265 (2013), S. 323–336.  Vgl. Kortüm, Menschen, S. 69 f.  Andrei Marmor: Social Conventions. From Language to Law. Princeton/Oxford 2009.  Pierre Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Übersetzt von Cordula Pialoux und Bernd Schwibs. Frankfurt a. M. 2015 (stw. 291).  Ludgera Vogt: Zur Logik der Ehre in der Gegenwartsgesellschaft. Differenzierung, Macht, Integration, Frankfurt a. M. 2016, S. 110. Jüngst hat Udo Friedrich die verschiedenen Dimensionen sozialer, ethischer und religiöser Ehre am Beispiel des ‚Armen Heinrichs‘ Hartmanns von Aue ausdifferenziert. Siehe Udo Friedrich: Topik der Ehre. Dynamiken der Urteilsbildung und poetischen Gestaltung im „Armen Heinrich“ Hartmanns von Aue. In: Kunst und Konventionalität. Dynamiken sozialen Wissens und Handelns in der Literatur des Mittelalters. Hrsg. von dems. [u. a.]. Berlin 2021 (ZfdPh. Beiheft. 20), S. 315–344, zu innerer und äußerer Ehre bes. S. 315. Zur Ehre im Mittelalter siehe von geschichtswissenschaftlicher Seite Mihad-D. Grigore: Ehre und Gesellschaft. Ehrkonstrukte und soziale Ordnungsvorstellungen am Beispiel des Gottesfriedens (10. bis 11. Jahrhundert). Darmstadt 2009 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne).  Reckwitz, Grundelemente, S. 113.  Vgl. Winfried Speitkamp: Ohrfeige, Duell und Ehrenmord. Eine Geschichte der Ehre. Stuttgart 2010, S. 107–127, bes. S. 112.

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I manheit und die Praktik des Kampfes

siven Aushandlungsprozesses, sodass hier von diskursiver manheit zu sprechen ist. Diese Diskursivität findet sich dabei auf zwei Ebenen: Zum einen lassen sich, wie bereits angedeutet, die Praktiken, die mit manheit in Verbindung stehen, lediglich in ihrer diskursiven oder medialen Vermittlung betrachten. Zum anderen gestaltet sich die Attribuierung von manheit an eine fiktive Figur oder eine historische Gestalt durch die Erzählinstanz oder andere Figuren/Gestalten als diskursive Zuschreibung, als Folge einer diegetischen und damit diskursiv vermittelten Wahrnehmung. Weiterhin fungiert manheit genau wie Ehre in der Außenwahrnehmung als ein symbolisches Kapital im Sinne Bourdieus, das erworben, investiert und verloren werden kann und das auf dem Glauben an oder dem Vertrauen in die jeweiligen kämpferischen Fähigkeiten beruht.31 Die soziale Stellung eines Akteurs ist folglich zu definieren anhand seiner Stellung innerhalb der einzelnen Felder, das heißt innerhalb der Verteilungsstruktur der in ihnen wirksamen Machtmittel; primär ökonomisches Kapital (in seinen diversen Arten), dann kulturelles und soziales Kapital, schließlich noch symbolisches Kapital als wahrgenommene und als legitim anerkannte Form der drei vorgenannten Kapitalien (gemeinhin als Prestige, Renommee, usw. bezeichnet).32

In dieser Systematik ist eine ‚innere‘ manheit als die tatsächliche Kampfkraft und somit als ein körpergebundenes Machtmittel aufzufassen. Sie inkludiert auch das (Erfahrungs-)Wissen um die eigene Leistung, wie sie als eine der Grundlagen kriegerischen Selbstbewusstseins gelten muss. Im Gegensatz zu den von Bourdieu genannten Ausprägungen von symbolischem Kapital und auch zu Vogts Konzeption von Ehre, ist die Beziehung zu den vorgelagerten Machtmitteln sowie jene zwischen ‚innerer‘, beziehungsweise praktischer, und ‚äußerer‘, diskursiver manheit sehr viel enger. Die spezifische Mechanik der „Euphemisierungsarbeit“ als Verschleierung der zugrundeliegenden Machtmittel, wie sie Bourdieu benennt,33 ist auch hier gegeben, da auch die Fähigkeit zur Gewaltausübung nicht direkt kapitalisierbar erscheint. Bei der Textanalyse und rezeption sind freilich ‚innere‘ und ‚äußere‘ manheit als medial und diskursiv vermittelt zu betrachten: Beide werden von ‚außen‘ zugeschrieben, sodass zwischen Figurenäußerungen und Aussagen der Erzählstimme im Text zu differenzieren ist. Die mittelalterlichen Texte wurden in den seltensten Fällen von jenen geschrieben, deren Lebensinhalt es war, Krieg zu führen.34 Vor diesem Hintergrund gilt es zu

 Vgl. Vogt, Logik, S. 111.  Pierre Bourdieu: Sozialer Raum und ‚Klassen‘. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen. 4. Auflage, Frankfurt a. M. 2016 (stw. 500), S. 10 f.  Vgl. Bourdieu, Praxis, S. 376 f. zur „symbolischen Gewalt“ als Verschleierung von Gewalt und gesellschaftlichen „Euphemisierungsarbeit“. Siehe auch Udo Friedrich: Die ‚symbolische Ordnung‘ des Zweikampfs im Mittelalter. In: Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. Hrsg. von Manuel Braun, Cornelia Herberichs. München 2005, S. 123–158, hier S. 134.  Vgl. Kortüm, Menschen, S. 39–51. Eine Ausnahme bilden dabei die von Jörg Rogge, Kämpfer benutzen spätmittelalterliche Selbstzeugnisse. Allerdings können auch bei einigen der hochmittelalterlichen Autoren eigene kämpferische Erfahrungen nicht ausgeschlossen werden, zumal die (freilich fragwür-

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fragen, auf der Grundlage welcher Wertsysteme Kampf und Gewalt in den Texten konzipiert sind. Obwohl der weltliche Adel selten selbst an der Literaturproduktion beteiligt war, übte er bekanntlich großen Einfluss auf sie aus, da er als Teil der gesellschaftlichen Elite weitreichende politische, wirtschaftliche und militärische Macht besaß. Als Zielgruppe und Mäzene nahm der Adel Einfluss auf die Texte und das in ihnen imaginierte gesellschaftliche Ideal.35 Christoph Cormeau und Wilhelm Störmer betonen bezüglich der Texte Hartmanns von Aue, „daß die laikale Adelsgesellschaft zu dieser Zeit kaum über andere Medien zur Selbstvergewisserung in ihrer Lebenspraxis verfügt als über die volkssprachliche Literatur [...].“36 Das Wenige, was wir an direkten Hinweisen über die Produktion und Rezeption literarischer Texte an mittelalterlichen Adelshöfen wissen, ist gut erforscht.37 Jenseits dessen belegen zum einen Aufwand und Kosten der Produktion von literarischen Texten und ihren Handschriften sowie ihre weite Verbreitung ein Interesse an den zahlreichen Geschichten über Krieger, die das Mittelalter hervorgebracht hat. Stellvertretend für eine lange Reihe

digen) Selbstzuschreibungen in einigen Erzählungen dies nahelegen möchten. In Wolframs von Eschenbach Parzival behauptet der Erzähler schildes ambet ist mîn art. Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe, 2. Auflage. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit Einführungen zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der ‚Parzival‘-Interpretation von Bernd Schirok. Berlin/New York 2003, V. 115,11 (im Folgenden zitiert als Pz). Siehe zur Standeseinordnung Wolframs: Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach. 8., völlig neu bearb. Auflage. Stuttgart 2004 (Sammlung Metzler. 36), S. 4. Während der Erzähler in Hartmanns von Aue Armem Heinrich sich selbst einen ritter und dienstman nennt. Siehe Christoph Cormeau, Wilhelm Störmer: Hartmann von Aue: Epoche – Werk – Wirkung. 3., neubearb. Auflage. München 2007, S. 36 f. Siehe auch Martin Baumeister: Ritterlicher Kampf und Turnier. Erscheinungsformen von Gewalt im Mittelalter. In: Die Burg. Wissenschaftlicher Begleitband zu den Ausstellungen „Burg und Herrschaft“ und „Mythos Burg“. Deutsches Historisches Museum, Berlin 25. Juni – 24. Oktober 2010; Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 8. Juli – 7. November 2010; Publikation der Beiträge des Symposions „Die Burg“ auf der Wartburg, 19. – 22. März 2009, in Zusammenarbeit mit der Wartburg-Gesellschaft zur Erforschung von Burgen und Schlössern. Hrsg. von Georg Ulrich Großmann, Hans Ottomeyer. Dresden 2010, S. 264–275, hier S. 268.  Vgl. Joachim Bumke: Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Aftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland 1150–1300. München 1979. Besonders zu Hartmann von Aue von Interesse: Volker Mertens: Das literarische Mäzenatentum der Zähringer. In: Die Zähringer. Bd. 1: Eine Tradition und ihre Erforschung. Hrsg. von Karl Schmid, Hans Schadel. Sigmaringen 1986 (Veröffentlichungen zur ZähringerAusstellung. 1), S. 117–134. Gegen eine Produktion der Hartmannschen Texte im Umfeld der Zähringer wendet sich hingegen Thomas Klein: Ermittlung, Darstellung und Deutung von Verbreitungstypen in der Handschriftenüberlieferung mittelhochdeutscher Epik. In: Deutsche Handschriften 1100–1400. Oxforder Kolloquium 1985. Hrsg. von Volker Honemann, Nigel F. Palmer. Tübingen 1988, S. 110–167, hier S. 122 f.  Cormeau, Störmer, Hartmann von Aue, S. 225.  Vgl. Jan-Dirk Müller: ‚Episches‘ Erzählen. Erzählformen früher volkssprachiger Schriftlichkeit. Berlin 2017 (Philologische Studien und Quellen. 259), S. 24–31; Dieter Kartschoke: Erzählen im Alltag – Erzählen als Ritual – Erzählen als Literatur. In: Situationen des Erzählens. Aspekte narrativer Praxis im Mittelalter. Hrsg. von Ludger Lieb, Stephan Müller. Berlin/New York 2002 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte. 20), S. 21–39, hier S. 21–23; Joachim Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München 2008, S. 638–675.

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weiterer Texte in denen Krieger oder Kämpfer höchste Aufmerksamkeit erhalten, liegt der analytische Kern dieser Arbeit vornehmlich beim Iwein Hartmanns von Aue und der Steirischen Reimchronik Ottokars aus der Gaal, die mit ihrer jeweiligen Datierung auf das Ende des 12. und das frühe 14. Jahrhundert den Anfangs- und Endpunkt eines ‚langen‘ 13. Jahrhunderts markieren. Beide Texte werden einem detaillierten close reading unterzogen, in dem die Verwendung und Kontextualisierung von manheit und die Darstellung und Gestaltung von Kämpfen untersucht werden. Hierfür muss dreierlei Vorarbeit geleistet werden. In einer Annäherung an den Begriff der manheit ist erstens sein unverkennbarer Gender-Bezug zu thematisieren. Dafür ist es unerlässlich, die Divergenzen zwischen modernen Männlichkeitskonzepten und mittelalterlicher manheit aufzuzeigen (Kap. I.1.1). Des Weiteren ist eine Aufarbeitung der altgermanistischen Forschung, die sich dezidiert mit manheit befasst hat, zu leisten (Kap. I.1.2). Zweitens ist der Themenkomplex von kriegerischer Gewalt vor dem Hintergrund einer vormodernen Kriegergesellschaft in den Blick zu nehmen, die – wie bereits angedeutet – große Unterschiede zur gegenwärtigen Zivilgesellschaft aufweist (Kap. I.2.1).38 Damit geht auch eine Betrachtung der Praktiken des adligen Kriegers einher, vor deren Hintergrund der ritterliche Wertdiskurs der manheit sich entfaltet (Kap. I.2.2). Drittens sind – gleichsam als Synthese des Vorangegangenen – einige methodische Überlegungen zu den Strategien der Legitimation von Gewalt sowie der Aufwertung des Kampfes im Rahmen eines solchen Diskurses anzustellen (Kap. I.3.1, I.3.2, I.3.3), die in einer theoretischen Aufarbeitung des agonalen Kampfes und seiner Bedeutung für das kulturelle Leitbild des Ritters kulminieren (Kap. I.3.4). Neben der zeitlichen Rahmung interessieren der Iwein und die Steirische Reimchronik durch ihre unterschiedliche Gattungszugehörigkeit sowie die eindeutigen Verweise des jüngeren Texts auf den älteren, wodurch Überschreitungen und Interferenzen der Gattungen sichtbar gemacht werden können. Beide Texte gewähren auf unterschiedliche Weise einen Einblick in die Mechanismen der Wertzuschreibung, der die Darstellung von Krieg und Gewalt einer als Kriegergesellschaft zu identifizierenden „Erzählgemeinschaft“39 oder „Deutungs- und Interpretationsgemeinschaft“40 unterliegen. Besonders die ausgeprägte Idealisierung adligen Kriegertums in der Gattung des höfischen Romans, der hier hauptsächlich durch den Iwein vertreten wird, lässt den Zusammenhang zwischen kriegerischem Leben und Erzählen vom Krieg deutlich hervortreten. Es muss  Vgl. Baldo Blinkert: Erkundungen zur Zivilgesellschaft. Berlin 2013 (FIFAS Schriftenreihe 10), S. 36.  Rogge, Kriegserfahrungen, S. 21: „Erzählgemeinschaften sind soziale Gruppen, die über ein eigenes, bestimmtes Repertoire an Erzählmustern bzw. kulturellen Narrativen verfügen.“ Siehe auch Wolfgang Müller-Funk: Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung, 2. überarb. und erw. Auflage. Wien 2008, S. 14: „Kulturen sind immer auch als Erzählgemeinschaften anzusehen, die sich gerade im Hinblick auf ihr narratives Reservoir unterscheiden.“  Ansgar Nünning: Wie Erzählungen Kulturen erzeugen: Prämissen, Konzepte und Perspektiven für eine kulturwissenschaftliche Narratologie. In: Kultur – Wissen – Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften. Hrsg. von Alexandra Strohmaier. Bielefeld 2014 (Kultur- und Medientheorie), S. 15–54, hier S. 43.

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davon ausgegangen werden, dass die in diesen Texten verhandelten Deutungs- und Wertsysteme jenseits der erzählten Welt Gültigkeit besaßen und gemeinsam mit den Darstellungen der Praktiken des Kampfes für den kriegerischen Adel von besonderem Interesse waren. Als einer der ältesten deutschen Artusromane hat Hartmanns Iwein den ritterlichen Wertediskurs im deutschsprachigen Raum nachhaltig geprägt und entwickelt. Dabei ist zu betonen, dass es sich bei den Protagonisten der höfischen Romane tatsächlich um Krieger handelt, auch wenn ihre Teilnahme an Schlachten und militärischen Kampagnen ein scheinbar randständiges Thema darstellt.41 Manche Figuren wie Iwein und Wigalois in den nach ihnen benannten Romanen sowie Gâwân und Parzivâl in Wolframs von Eschenbach Parzival nehmen an strukturrelevanten Stellen des Textes sehr wohl an kriegerischen Handlungen wie Stadtverteidigungen und Feldschlachten teil. Literaturgeschichtlich dokumentiert sich eine gattungsspezifische Leistung des höfischen Romans gerade darin, die Angehörigen des Artushofs, die am Anfang der Artusliteratur, bei Geoffrey von Monmouth und Wace, noch zum Kriegergefolge des Königs gehören, als unabhängige Helden zu etablieren. Wie zu zeigen sein wird, geschieht dies vornehmlich, indem kriegerisches Handeln in der âventiure als manlîches Handeln überschrieben wird, ohne die Kapazität zur Gewaltausübung zu mindern, die den Krieger – real wie fiktional – bedingt und auszeichnet.42 Neben den komplexen Wechselwirkungen zwischen fiktionalem und realem Rittertum ist vor allem das Verhältnis von manheit und Gewalt als ein Bezugssystem gekennzeichnet, das sowohl psychologische als auch rhetorische und semiotische Aspekte umfasst. So ergibt sich die Charakterisierung des mittelalterlichen Adels als einer Kriegergesellschaft vor allem aus seiner Bewertung kriegerischer Gewalt und seiner Vertrautheit mit ihr, sodass für ihn der Sinngehalt sämtlicher hier verhandelten Kernbegriffe – manheit, Gewalt, Krieg und Kampf sowie Ritterschaft – mit lebensweltlichen Erfahrungen abgeglichen werden konnte.

 Vgl. William H. Jackson: Chivalry in Twelfth-Century Germany. The Works of Hartmann von Aue. Cambridge [u. a.] 1994 (Arthurian Studies. 34), S. 43–47.  Vgl. Kortüm, Menschen, S. 41.

I.1 manheit, Männlichkeit und Tapferkeit Für eine Analyse von manheit und Kampf ist eine Betrachtung der Themenbereiche von Männlichkeit, Gewalt, Rittertum und mittelalterlichem Krieg zwar unerlässlich, jedoch ist jeder von ihnen von solcher Komplexität, dass er hier nicht in ganzer Breite aufgearbeitet werden kann. Im Rahmen der größtenteils veralteten Forschung zum sogenannten ‚ritterlichen Tugendsystem‘ wurde zwar auch Tapferkeit immer aufgeführt, ohne jedoch die spezifischen Semantiken des mittelhochdeutschen Begriffs manheit zu berücksichtigen.1 Auf die methodischen Schwierigkeiten der Zuordnung von Begriffen aus unterschiedlichen Sprachen und Epochen ist im Folgenden noch zurückzukommen. Es sei bereits an dieser Stelle vermerkt, dass auf die Auswertung der Forschung zum (mittel)lateinischen Begriff der fortitudo weitestgehend verzichtet werden kann, da diesem häufig starke religiöse Konnotationen anhaften, deren Stoßrichtung hinreichend von denen der manheit divergiert, um eine Ausklammerung des theologischen Tugenddiskurses zu rechtfertigen.2 In seiner Analyse der Adaptation des aristotelischen Tapferkeitsbegriffs von Albertus Magnus und Thomas von Aquin formuliert Jörn Müller: [C]ourage has to do with confident attacking (aggredi) as well as with enduring (sustinere) fear. Albert and Aquinas state in their commentaries as well as in their theological writings that the essence of courage is enduring, and that attacking only takes second place.3

Wie zu zeigen sein wird, verhält es sich für manheit genau andersherum.4 Entsprechend soll nicht gesagt sein, dass sich die semantischen Felder von manheit und fortitudo niemals berühren oder überlappen. So bezeichnet fortitudo neben seiner primären Bedeu-

 Vgl. die Beiträge der älteren Forschung in Günter Eifler (Hrsg.): Ritterliches Tugendsystem. Darmstadt 1970 (Wege der Forschung. 56); auch noch Walter Haug: Das „Ritterliche Tugendsystem“. Norm oder Herausforderung? In: Symposium „Das Mittelalter in der Gegenwart“. 25. – 27.9.1995. Hrsg. von Inge Hoppner. Berlin 1996 (Veröffentlichungen des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin. 1,30 Dt.), S. 56–70.  Vgl. Carlos Steel: Thomas’ Lehre von den Kardinaltugenden (S.th. II–II, qq. 47–170). In: Thomas von Aquin: Die Summa theologiae. Werkinterpretationen. Hrsg. von Andreas Speer. Berlin/Boston 2012, S. 322–342, hier S. 332; Franz-Bernhard Stammkötter: Art. ‚Tapferkeit‘. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 8. Stuttgart 1999, Sp. 464; Jörn Müller: In War and Peace: The Virtue of Courage in the Writings of Albert the Great and Thomas Aquinas. In: Virtue Ethics in the Middle Ages. Commentary on Aristotle’s ‚Nicomachean Ethics‘, 1200–1500. Hrsg. von István P. Bejczy. Leiden [u. a.] 2008 (Brill’s Studies in Intellectual History. 160), S. 77–100.  Müller, War, S. 92.  Müller, War, S. 92 verweist weiterhin auf die Schrift Summa de bono von Philipp dem Kanzler (†1236), der ebenfalls der aktiven Komponente der fortitudo das größere Gewicht zukommen lässt. https://doi.org/10.1515/9783111240275-002

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I.1 manheit, Männlichkeit und Tapferkeit

tung ‚Stärke‘ auch Kriegerhaftigkeit.5 Der diskursive Schwerpunkt des theologischen Kontextes, in dem fortitudo vorwiegend als Standhaftigkeit gegen die Sünde und den Teufel verwendet und verstanden wird, setzt jedoch gerade jene Eigenschaften in den Vordergrund, auf die manheit nicht zu reduzieren ist.6

I.1.1 manheit und Männlichkeit In der Vormoderne waren Krieger in aller Regel Männer,7 weshalb es nicht verwundern kann, dass in Kulturen, in denen der Krieg zum Alltag des Mannes gehörte, Männlichkeit oder Mannhaftigkeit mit Krieg assoziiert war.8 Dies schlägt sich auch auf lexikalischer Ebene nieder, denn das altgriechische Wort andreia, das lateinische Wort virtus und das mittelhochdeutsche Wort manheit, die alle den Mann im Wortstamm tra-

 Vgl. Udo Friedrich: Die Zähmung des Heros. Der Diskurs der Gewalt und Gewaltregulierung im 12. Jahrhundert. In: Mittelalter. Neue Wege durch einen alten Kontinent. Hrsg. von Jan-Dirk Müller, Horst Wenzel. Stuttgart/Leipzig 1999, S. 149–179, hier S. 177–179.  Vgl. Michaela Bautz: Art. ‚Fortitudo‘. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Hrsg. von Otto Schmitt. Stuttgart 2021, Bd. X, Sp. 225–271.  Vgl. Megan McLaughlin: The woman warrior: gender, warfare and society in medieval Europe. In: Woman’s Studies 17 (1990), S. 193–209, hier S. 194: „In the European middle ages, as in virtually all periods of human history, warfare was seen as a masculine activity. Indeed it was generally viewed as the quintessential masculine activity, through which “manhood” was demonstrated.“ McLaughlin selbst führt viele Beispiele für Ausnahmen dieser Regel an. Ein weiterer Beleg für eine Ausnahme ist das Grab einer skandinavischen Kriegerin des 10. Jh. Siehe Neil Price [u. a.]: Viking warrior women? Reassessing Birka chamber grave Bj.581. In: Antiquity 93 (2019), S. 181–198. Daneben finden sich in der Geschichte häufiger Beispiele von Frauen, die als Lehnsherrinen Gruppen von männlichen Kämpfern befehligt haben. Mit der Ausnahme von der Verteidigung bei Belagerungen (literarisch bei Gyburc in Wolframs Willehalm umgesetzt) ist eine direkte Teilname am Kampfgeschehen jedoch selten. Zum mittelalterlichen Diskurs siehe weiterhin James M. Blythe: Women in the Military: Scholastic Arguments and Medieval Images of Female Warriors. In: History of Political Thought 22,2 (2001), S. 242–269. Ich danke herzlich Lea Raith für ihre Hinweise.  Vgl. jüngst Amalie Fößel: Zur Einführung: Gewalt, Krieg und Geschlecht im Mittelalter. In: Gewalt, Krieg und Geschlecht im Mittelalter. Hrsg. von ders. Berlin 2020, S. 9–25, bes. S. 18; Jörg Rogge: Kämpfer und ihre Körper. Bemerkungen zur „kriegerischen Männlichkeit“ im späten Mittelalter. In: Ebd., S. 125–138; Zur historischen Verknüpfung von Männlichkeit und Gewalt siehe Robert Muchembled: A History of Violence. From the End of the Middle Ages to the Present. Translated by Jean Birrell. Cambridge/Malden, MA 2012, S. 12–23. Zu einem kriegerischen Gender siehe weiterhin Rogge, Kämpfer, S. 77; Martin Clauss: Ritter und Raufbolde. Vom Krieg im Mittelalter. Darmstadt 2009 (Geschichte erzählt. 20), S. 111 f. Von literaturwissenschaftlicher Seite beleuchtet u. a. bei Dorothea Klein: Geschlecht und Gewalt. Zur Konstitution von Männlichkeit im ‚Erec‘ Hartmanns von Aue. In: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Matthias Meyer, Hans-Jochen Schiewer. Tübingen 2002, S. 433–463 mit einem Forschungsüberblick, S. 433 f.

I.1.1 manheit und Männlichkeit

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gen, stehen jeweils in Verbindung zu valorisierten kriegerischen Handlungen.9 Alle drei Begriffe waren positiv konnotiert, implizieren also einen gesellschaftlich zugeschriebenen Wert, dessen Zuschreibung als erstrebenswert gilt. Aristoteles behandelt in der Nikomachischen Ethik andreia als erste unter den Tugenden,10 virtus ist in der Antike nicht nur der Name der Göttin (oder des Gottes) der Kriegerhaftigkeit,11 sondern erhält bald in einer synekdochischen Verschiebung die Bedeutung von ‚Tugend‘ allgemein, während manheit – wie ich belegen möchte – im deutschsprachigen Mittelalter die wichtigste Eigenschaft des adligen Kriegers und des Ritters bezeichnet. Die Distinktion zwischen biologischem Geschlecht und Eigenschaften, die als geschlechtliche zugeschrieben werden, prägt die vormoderne Konzeption von Gender.12 Soziales Geschlecht wird vornehmlich an eine vermeintlich natürliche Differenz der Geschlechter gebunden13 und konstruiert sich so durch die Zuweisung von als typisch

 Vgl. zur virtus Udo Friedrich: Unterwerfung. Das Dispositiv der Gewalt im Mittelalter. In: Die Abwesenheit des Werkes. Nach Foucault. Hrsg. von Klaus-Michael Bogdal, Achim Geisenhanslüke. Heidelberg 2006 (Diskursivitäten. Literatur. Kultur. Medien. 10), S. 141–165, hier S. 158.  Vgl. Aristoteles: Die Nikomachische Ethik. Übers. und hrsg. von Ursula Wolf. Reinbek bei Hamburg 2017 (rowohlts enzyklopädie), S. 112–120. Zur ‚Tapferkeit‘ bei Aristoteles siehe Giles Pearson: Courage and Temperance. In: The Cambridge Companion to Aristotle’s Nicomachean Ethics. Hrsg. von Roland Polansky. New York 2014 (Cambridge companions to philosophy), S. 110–134; Charles M. Young: Courage. In: A Companion to Aristotle. Hrsg. von Georgios Anagnostopoulos. Malden, Mass. 2009 (Blackwell companions to philosophy. 42), S. 442–456; Thomas Nisters: Aristotle on Courage. Frankfurt a. M. [u. a.] 2000 (Studia Philosophica et Historica. 26).  Walter Pötscher: Art. ‚Virtus 2‘. In: Der Kleine Pauly 51. Stuttgart 1964–1975, Sp. 1297.  Die Diskussion um typisch männliche Eigenschaften ist auch heute noch aktuell. Vgl. zur Frage nach männlicher Identität: Stefan Horlacher: Überlegungen zur theoretischen Konzeption männlicher Identität aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. In: Männlichkeiten denken. Aktuelle Perspektiven der kulturwissenschaftlichen Masculinity Studies. Hrsg. von Martina Läubli, Sabrina Sahli. Bielefeld 2011 (Gender Studies), S. 19–82; Andreas Kraß: Der effeminierte Mann. Eine diskursgeschichtliche Skizze. In: Hard Bodies. Hrsg. von Ralph J. Poole [u. a.]. Münster 2011 (American studies in Austria. 11), S. 35–52, bes. S. 35. Zum Schlagwort ‚Krise der Männlichkeit‘ siehe auch Jürgen Martschukat, Olaf Stieglitz: Geschichte der Männlichkeit. Frankfurt/New York 2008 (Historische Einführungen. 5), S. 64–73. Steven Pinker verweist in seiner umfassenden Abhandlung über die weltweite Abnahme an Gewalt, The Better Angels of Our Nature, auf eine amerikanische Bodybuilding-Werbung von 1940, in der Männlichkeit unmittelbar mit der Fähigkeit zu kämpfen und zu siegen verknüpft ist. Das entsprechende Kapitel beschäftigt sich mit der Vergangenheit als einem „fremden Land“, womit die Alterität noch so rezenter Männlichkeitsbilder verdeutlicht wird. Vgl. Steven Pinker: Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit. Bonn 2011 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. 1225), S. 58 f. Zur häufigen Verbindung von Agonalität und Männlichkeit siehe Wolfgang Schmale: Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450–2000). Wien [u. a.] 2003, S. 180.  Vgl. Christoph Mauntel: Der Mut eines Mannes, das Herz eines Löwen. Geschlechtsspezifische Rollenbilder und Handlungsfelder bei der Ausübung von Gewalt im Mittelalter. In: Gewalt, Krieg und Geschlecht im Mittelalter. Hrsg. von Amalie Fößel. Berlin 2020, S. 157–182; Dominik Schuh: Ernstes Spiel mit scharfen Waffen. Ritterliches Turnier und männlicher Wettbewerb. In: Geschlecht in Literatur und Geschichte. Bilder – Identitäten – Konstruktionen. Hrsg. von Heinz Sieburg. Bielefeld 2014 (Lettre), S. 107–128, hier S. 114 f. Weiterhin findet sich in der Studie von Andrea Moshövel: wîplîch man. Formen

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I.1 manheit, Männlichkeit und Tapferkeit

‚männlich‘ oder ‚weiblich‘ geltenden Eigenschaften, die wiederum positiv oder negativ bewertet sind. Ob der grundlegenden Misogynie des Mittelalters genießen die typisch männlichen Eigenschaften meist höheres Ansehen, sind aber nicht zwingend nur an männliche Akteure gebunden. Auch wenn die Eigenschaft der manheit in den meisten Fällen einem Mann zugewiesen wird, bezeichnet sie in erster Linie nicht sein ‚biologisches‘ Geschlecht.14 Entsprechend betont die Forschung zur manheit in der mittelhochdeutschen Dichtung die weitgehende Unabhängigkeit von manheit von geschlechtlichen Kategorien. manheit abstrahiert eine skillful performance des Kämpfens und entspricht somit der von Judith Butler geprägten Auffassung von Gender als Summe performativer Akte.15 Dabei verweist der performative Charakter geschlechtlich codierter Eigenschaften auf die Notwendigkeit eines Aushandlungsprozesses. Männlichkeit sei weiterhin, so Bourdieu, „ein eminenter relationaler Begriff, der vor und für die anderen Männer und gegen die Weiblichkeit konstruiert ist, aus einer Art Angst vor dem Weiblichen, und zwar in erster Linie in einem selbst.“16 Somit ist zu betonen, dass sich geschlechtliche Eigenschaften sowohl im Verhältnis zum anderen als auch vor allem in Bezug auf das eigene Geschlecht – und hier besonders durch Agonalität und Wettstreit – entwickeln.17

und Funktionen von ‚Effemination‘ in deutschsprachigen Erzähltexten des 13. Jahrhunderts. Göttingen 2009 (Aventiuren. 5) eine umfangreiche Analyse der Überlagerung Gender-spezifischer Attribute, wobei sie den Bezug von manheit zu Kampfkraft bzw. die Identität des Mannes und des Kämpfers nicht berücksichtigt. Vgl. ebd., S. 428 f.  Vgl. Elisabeth Lienert: ‚daz beweinten sît diu wîp.‘ Der Krieg und die Frauen in mittelhochdeutscher Literatur. In: Vom Mittelalter zur Neuzeit. Festschrift für Horst Brunner. Hrsg. von Dorothea Klein [u. a.]. Wiesbaden 2000, S. 129–146; Mireille Schnyder: manlîch sprach daz wîp. Die Einsamkeit in Wolframs Willehalm. In: Homo Medietas: Aufsätze zu Religiosität, Literatur und Denkformen des Menschen vom Mittelalter bis in die Neuzeit. Festschrift für Alois Maria Haas zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Claudia Brinker-von der Heyde, Niklaus Largier. Bern 1999, S. 507–520; Ursula LiebertzGrün: Das trauernde Geschlecht: Kriegerische Männlichkeit und Weiblichkeit im Willehalm Wolframs von Eschenbach. In: Germanisch-romanische Monatsschrift NF, Bd. 46 (1996), S. 383–405.  Vgl. Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Aus dem Amerikanischen von Kathrina Menke. 19. Aufl. Berlin 2018 (Edition Suhrkamp NF, Bd. 722: Gender studies), S. 200. Zu Butlers GenderModell siehe auch Moshövel, wîplîch man, S. 30. Zur performance von Gender siehe Reckwitz, Grundelemente, S. 104.  Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft. Aus dem Französischen von Jürgen Bolder. 4. Auflage, Frankfurt a. M. 2017 (stw. 2031), S. 96. Siehe auch Robert Scheuble: ‚mannes manheit, vrouwen meister‘. Männliche Sozialisation und Formen der Gewalt gegen Frauen im Nibelungenlied und in Wolframs von Eschenbach Parzival (Beiträge zur Mittelalterforschung. 6), Frankfurt a. M. [u. a.] 2005, S. 40 f. Durch Scheubles Reduktion des Begriffs manheit auf eine reine Geschlechtsbezeichnung entgeht ihm trotz seiner Beschäftigung mit Gewalt der Bezug zur so bezeichneten Kriegerhaftigkeit, die sich im agonalen Miteinander des Kampfes herausbildet und damit den Entwurf eines männlichen Geschlechts unmittelbar prägt. Siehe auch Schuh, Spiel, S. 115.  Vgl. Harald A. Euler: Die Beitragsfähigkeit der evolutionären Psychologie zur Erklärung von Gewalt. In: Gewalt. Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme. Hrsg. von Wilhelm Heitmeyer, Hans-Georg

I.1.1 manheit und Männlichkeit

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Die soziologischen und auch literaturwissenschaftlich applizierten Überlegungen zu einer „monologischen Männlichkeit“18 müssen mit Blick auf eine gemischtgeschlechtliche Zuhörerschaft auf Rezeptionsebene relativiert werden. Gerade bei der Rezeption höfischer Romane wird von einem vielleicht sogar überwiegend weiblichen Publikum ausgegangen,19 dessen Anteil an den Valorisierungsprozessen, die sich an die Rezeption anschließen, nicht zu unterschätzen ist.20 Ein prominentes Beispiel dafür findet sich in der Rymkronyk van Jan van Heelu betreffende den slag van Woeringen van het jaer 128821, die Margarete, der Tochter des englischen Königs Eduard I., gewidmet war: Der Herrin Margarete von England, die Herzog Jan von Brabants Sohn Jan geheiratet hat, will ich ein Geschenk in Form einer Erzählung in deutscher Sprache machen, mit der sie diese Sprache lernen möge, die sie nicht beherrscht.22

Die Rymkronyk ist ein panegyrisches Gedicht auf die ritterlich-kriegerischen Taten ihres Schwiegervaters, Jan I. von Brabant, und steht in ihrer Glorifizierung der manheit ihres Helden den höfischen Romanen in nichts nach. Nimmt man die Widmung ernst, würde der Text der Prinzessin vor Augen führen, dass sie zwar nicht in ein königliches Haus, aber in ein in höchstem Maße kampftüchtiges eingeheiratet hat.23 In der Steirischen Reimchronik findet sich eine Schlachtrede, also die Ansprache eines Kommandierenden an die Krieger kurz vor der Schlacht, in der das zu erfolgende Kampfgeschehen unmittelbar auf weibliche Valorisierung ausgerichtet wird:24

Soeffner. Frankfurt a. M. 2004 (Kultur und Konflikt), S. 411–435, hier bes. S. 412 u. S. 417. Euler betont die biologisch-evolutionären (und damit auch geschlechtlichen) Grundvoraussetzungen von Aggression.  Simon Gaunt: Gender and Genre in medieval French Literature. Cambridge 1995 (Cambridge Studies in French. 53), S. 23.  Bumke, Kultur, S. 668–670 u. S. 704–706. Zu weiblichem Mäzenatentum höfischer Literatur siehe Bumke, Mäzene, S. 233–247.  Vgl. Liebertz-Grün, Geschlecht, S. 389.  Jan van Heelu: Rymkronyk van Jan van Heelu betreffende den slag van Woeringen van het jaer 1288. Hrsg. von J. F. Willems. Brüssel 1936.  Vrouwe Margriete van Inghelant, / Die seker hevet van Brabant / Tshertoghen Jans sone Jan, / Want si dietsche tale niet en can / Daer bi willic haer ene gichte, / Sinden van dietschen gedichte, / Daer si dietsch in leeren moghe. (Rymkronyk, V. 1–7) Übers. aus Jan van Heelu: Die Schlacht von Worringen. Übers. von Frans W. Hellegers. Hrsg. von Werner Schäfke. In: Der Name der Freiheit 1288–1988. Aspekte der Kölner Geschichte von Worringen bis heute. Hrsg. von Werner Schäfke. Köln 1988, S. 105–154, hier S. 106. [Fortan Hellegers, Worringen].  Inwieweit es sich bei der Rymkronyk tatsächlich um ein Geschenk an die Prinzessin handelt, lässt sich daraus freilich ebenso wenig ermitteln, wie eine direkte Rezeption ihrerseits. Der Umstand, dass sie nicht direkt angesprochen wird, stützt dies jedenfalls nicht. Im anderen Fall ließe sich über die Funktion einer solchen Widmung nur spekulieren.  Vgl. Horst Wenzel: Höfische Geschichte. Literarische Tradition und Gegenwartsdeutungen in den volkssprachigen Chroniken des hohen und späten Mittelalters. Bern [u. a.] 1980 (Beiträge zur Älteren Deutschen Literaturgeschichte. 5), S. 147 f. Elisabeth Lienert, wîp, S. 134 weist weiterhin darauf hin,

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I.1 manheit, Männlichkeit und Tapferkeit

‚[...] wir suln hiut alsô varn und solhez vehten lâzen schouwen, daz sich dâ heime von den frouwen kriege hebent umb die man, welher daz beste hab getân.‘25

Im Lizenzraum der (höfischen) Literatur sind die Frauen in vielen Fällen bei den Kämpfen der Männer anwesend, geben sachkundiges Urteil und wirken, prominent in Hartmanns Ereck26, sogar in das Kampfgeschehen ein, indem sie den Helden durch ihre Anwesenheit motivieren. Nichtsdestotrotz ist das Geschehen, das als Grundlage dieser Valorisierung dient, wie auch dessen Räume – der Feldzug und das Schlachtfeld – eine überwiegend männlich dominierte Sphäre, in der kriegerische Eigenschaften das Verhalten diktieren.27 Dies gilt in etwas geminderter Form auch für das Turnier.28 Innerhalb dieser Sphäre galt es den Respekt seiner Standes- und Geschlechtsgenossen zu erwerben.

dass ‚Krieg um Frauen‘ als Grund für einen bellum iustum anerkannt war. Zum ‚gerechten Krieg‘ siehe Kap. I.3.1.  Ottokar aus der Gaal: Österreichische Reimchronik. Nach den Abschriften Franz Lichtensteins. Hrsg. von Joseph Seemüller. 2 Bde. Hannover 1890 (MGH Dt. Chron. 5,1 und 5,2), V. 62066–62070. Versangaben aus der Reimchronik werden im Folgenden mit der Sigle StR für Steirische Reimchronik abgekürzt. Die gegenüber der Edition geänderte Namensgebung spiegelt die jüngeren Forschungen zur Reimchronik wider, die den erzählerischen Blick- und thematischen Schwerpunkt zutreffend in der Steiermark verortet (siehe Kap. II.2.1). Die Benennung der Edition ist freilich ohnehin nicht historisch.  Hartmann von Aue: Ereck. Textgeschichtliche Ausgabe mit Abdruck sämtlicher Fragmente und der Bruchstücke des mitteldeutschen ‚Erek‘. Hrsg. von Andreas Hammer [u. a.]. Berlin/Boston 2017, V. 1929–1933 u. 10211 f.  Vgl. Kortüm, Menschen, S. 69. Die Diskrepanz zwischen Hof und Wildnis als Phänomen getrennter Räume beschreibt auch Bruno Quast, wobei er den Raum der âventiure der Wildheit zuordnet, ohne dabei das semantische Feld des Krieges mit einzubeziehen. Siehe Bruno Quast: Das Höfische und das Wilde: Zur Repräsentation kultureller Differenz in Hartmanns ‚Iwein‘. In: Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institutionalität mittelalterlicher Literatur. Hrsg. von Beate Kellner [u. a.]. Frankfurt a. M. 2001 (Mikrokosmos. 64), S. 111–128, hier S. 121. Peter Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion. Frühe Formen von Reflxivität im Mittelalter. Exempel einer Geschichte der Wahrnehmung. Frankfurt/New York 1989, S. 433 bringt dies auf die Formel: „Man erinnere sich des konstitutiven Widerspruchs höfischer Kultur: die Ehre eines Hofes beruht auf der seiner Mitglieder und die wiederum auf ihrer gewaltförmigen Durchsetzung, ihrer Unverletzbarkeit; der Hof als gewaltfreier und gleichwohl von Ehre erfüllter Raum ist nur durch hervorragende Gewalttätigkeit konstituierbar, die aber soll außerhalb seiner Grenzen stattfinden.” Siehe auch Friedrich, Unterwerfung, S. 155: „Wie im Heiligen für den monastischen Raum wird im Ritter für den höfischen Raum ein Vorbild entworfen, das zum Maßstab des Handelns wird. Das soziale Phantasma des höfischen Ritters wird zum Inbegriff von Disziplin, Selbstkontrolle, sozialer Verantwortung und christlicher Demut.“ In dieser Aufzählung fehlt hingegen manheit und kämpferische Qualität, die, wie in Kap. I.3.4. zu sehen sein wird, nachhaltig das Bild des höfischen Ritters prägt.  Vgl. Schuh, Spiel, S. 108. In der Literatur finden Turniere immer im Sichtfeld des Hofes statt, in der Wirklichkeit wird das eher selten der Fall gewesen sein.

I.1.2 Forschungsansätze zur manheit in der mittelhochdeutschen Literatur

19

Der Zweikampf besaß dabei gegenüber dem Scharmützel, erst recht gegenüber der Tapferkeit in größeren Kampfhandlungen, den Vorteil, dass sich die Kontrahenten nur bei ihm wirklich individuell vor den Augen ihrer Standesgenossen auszeichnen konnten.29

Der normannische Chronist Ordericus Vitalis († um 1142) berichtet in seiner Historia Ecclesiastica aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts: „Berühmte Kämpfer von beiden Parteien versuchten nämlich, ihre Kräfte zu zeigen und sich von ihren Anführern und Kameraden blutbeflecktes Lob zu verdienen.“30 Im Zuge geschlechtsbezogener Agonalität fand der Aushandlungsprozess, also der Zweikampf, im homosozialen Umfeld statt,31 ehe er in der heterosozialen Gesellschaft kapitalisiert wurde.32 Mit Winfried Speitkamp ließe sich von den männlichen Kriegerscharen auch von „Gewaltgemeinschaften“ sprechen, die in Speitkamps Typologie derselben häufig als „Zusammenschlüsse junger Männer“33 in Erscheinung treten, die einen eigenen Valorisierungsstandard entwickeln.

I.1.2 Forschungsansätze zur manheit in der mittelhochdeutschen Literatur Die wenigen Publikationen, die sich dezidiert mit manheit befassen, stammen sämtlich aus dem Bereich der Altgermanistik und erarbeiten jeweils ihren textspezifischen beziehungsweise ihren allgemein literaturspezifischen Bedeutungsrahmen. Einzig die Disseration von Robert Scheuble verfolgt den Anspruch, sozialhistorische Erkenntnisse zu liefern.34 Scheuble versteht manheit jedoch ausschließlich als ‚Männlichkeit‘ und verzichtet darauf, die im Begriff implizierten Aspekte kämpferischen Könnens und kriegerischen Habitus‘ als agonales und reziprokes Miteinander in seine Überlegungen einzubeziehen. Vielmehr schließt Scheuble Gewalt von Männern gegen Männer aus seiner Untersuchung aus, da er davon ausgeht, dass sich Männlichkeit nur in der Abgrenzung zu und Unterwerfung von Weiblichkeit manifestiert, sodass seine Analyse auf die körperliche und

 Malte Prietzel: Kriegführung im Mittelalter: Handlungen, Erinnerungen, Bedeutungen. Paderborn 2006 (Krieg in der Geschichte. 32), S. 86. Rechtschreibfehler im Zitat stillschweigend geändert.  Famosi nempe pugiles nitebantur utrinque suas ostentare vires et promereri a principibus suis atque commilitonibus sanguinolentas laudes. Ordericus Vitalis: Historia Ecclesiastica. Ed. and transl. by Marjorie Chibnall. 6 Bde. Oxford 1969–1980, Bd. 5, S. 242. Übersetzung aus Prietzel, Kriegführung, S. 79.  Vgl. Martschukat, Stieglitz, Männlichkeit, S. 123–125.  Vgl. Bourdieu, Herrschaft, S. 95 f. Zu den Kategorien von Homo- und Heterosozialität vgl. auch Kraß, Mann, S. 35 f. Dieser Prozess findet sich auch auf literarischer Ebene, vgl. Norbert Sieverding: Der ritterliche Kampf bei Hartmann und Wolfram. Seine Bewertung im ‚Erec‘ und ‚Iwein‘ und den Gahmuret- und Gawan-Büchern des ‚Parzival‘. Heidelberg 1985, S. 5.  Winfried Speitkamp: Gewaltgemeinschaften. In: Gewalt. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Christian Gudehus, Michaela Christ. Stuttgart/Weimar 2013, S. 184–190, hier S. 185. Eine Ausnahme bilden entsprechende Zusammenschlüsse gewalttätiger Frauen, vgl. ebd.  Vgl. Scheuble, ‚mannes manheit‘.

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I.1 manheit, Männlichkeit und Tapferkeit

strukturelle Gewalt von Männern gegenüber Frauen beschränkt bleibt.35 Gegenüber diesem sozialgeschichtlichen Interpretationsrahmen verbleiben die übrigen Arbeiten in einem rein literaturwissenschaftlich ausgelegten Feld der Analyse. Dabei verweist William C. McDonald bereits 1999 auf das umfangreiche Bedeutungsspektrum, über das manheit verfügt.36„Manheit therefore denotes ‘manhood’, ‚virility‘, ‚physical strength‘, ‚moral bravery and courage‘. [...] ‚Manheit‘ is, as this vast semantic field suggest, a code-word of wide impact and implication.“37 Für den Gebrauch und die verschiedenen Implikationen von manheit ist daher nicht nur auf den Kontext der Handlungssituation zu achten. Welche Figur handelt, ob Pro- oder Antagonist, mag ebenso entscheidend sein, wie die narratologische Frage, wer spricht, und wie oft ein Lexem oder entsprechende Synonyme verwendet werden. McDonald macht darauf aufmerksam, dass in Gottfrieds Tristan manheit nur zwei Mal auf Tristan bezogen ist und zwar lediglich am Anfang und am Ende eines einzigen Kampfes, wobei die sich äußernden Instanzen einmal als die istorje und einmal als eine abstrakte Gesellschaft klassifiziert sind.38 McDonald unterstellt, dass durch Tristans im Kampf mit dem Riesen Urgans zu Tage tretende Brutalität und Tücke „an uneasy rhetorical pairing“ zwischen Tristan und seiner manheit besteht, weshalb die Attribuierung der waren istorje in den Mund gelegt werde.39 Es wird zu zeigen sein, dass auch brutale und bisweilen sogar tückische Gewalt der manheit eines Helden keinen Abbruch tun müssen. Ganz anders verhalte es sich mit der Tristanfigur in der Fortsetzung Heinrichs von Freiberg, der vom Erzähler ein manlîch herze, manlîche kraft und insgesamt ein sehr viel größeres Maß an manheit attestiert werde.40 In diesem Zusammenhang stellt McDonald das Verfahren heraus, einen Gegner des Protagonisten mit manheit oder entsprechenden Attributen zu versehen, um die Überlegenheit des Helden durch den Sieg hervorzuheben und zu verbildlichen.41 „The battlefield, the text stresses, was Tristan’s true home. To his dying breath, in spite of all that has befallen the hero, he is aller manheit ein man.“42 Ungeachtet der den Fortsetzern des Gottfriedschen Textes bisweilen

 Vgl. Scheuble, ‚mannes manheit‘, S. 40 f. u. 151 f.  Vgl. William C. McDonald: ‚Tristan, der je manheit wielt‘. Heinrich von Freiberg’s Tristan as Emblem of Medieval Masculinity. In: Tristania 19 (1999), S. 97–113, hier S. 99–101.  McDonald, Tristan, S. 101.  Vgl. McDonald, Tristan, S. 100. Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hrsg., ins Nhd. übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. 6. Aufl. Stuttgart 1993, V. 15915 f.: Als uns die ware istorje seit / von Tristanes manheit und V. 16206–16210: Man sagete da Tristande / pris unde lop und ere. / der dreier wart nie mere / in dem lande geseit / von eines mannes manheit.  Vgl. McDonald, Tristan, S. 100.  Vgl. McDonald, Tristan, S. 105–108. Heinrich von Freiberg: Tristan. Hrsg. von Reinhold Bechstein. Leipzig 1877. Neudruck Amsterdam 1966, V. 1457 u. 2280.  Vgl. McDonald, Tristan, S. 106.  McDonald, Tristan, S. 111. Heinrich, Tristan, V. 6414.

I.1.2 Forschungsansätze zur manheit in der mittelhochdeutschen Literatur

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zugeschrieben Epigonalität,43 ist der Tristan Gottfrieds ein anderer als derjenige Heinrichs, der im Umgang beziehungsweise Kampf mit den Artusrittern deutlicher im Zeichen eines höfischen Ritter- und Kriegertums gestaltet sei. Zwischen der Abfassung der Fortsetzung im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts und der Etablierung von manheit als ritterlicher Kardinaltugend bei Hartmann von Aue liegen fast neunzig Jahre, sehr viel mehr als zwischen Hartmann und dem Text Gottfrieds. Auch wenn letzterer seinen Helden vielleicht bewusst eher als Höfling denn als Kämpfer zeichnet, lässt der Text Heinrichs von Freiberg auf ein Interesse des Auftraggebers, Reimund von Lichtenberg, am ritterlichen Gepräge in der Manier von Hartmann schließen. Dieses untersucht Rodney W. Fisher in einer Analyse von manheit in Hartmanns Ereck: „With Hartmann’s courtly romance Erec warrior knights among the German aristocratic public had their first real taste of a hero with whom they might be expected to identify.“44 Fisher verweist zum einen auf die dem Wort man innewohnende Anforderung zu kriegerischem Handeln, welches Ereck im Zuge des verligens aussetzt.45 Zum anderen argumentiert er, dass sich die Verwendung von manheit seitens des Erzählers nicht in Kampfesmut und kämpferischem Können erschöpft, sondern einen ethischen Mehrwert impliziert, der sich als höfisches Verhalten deuten lässt, konkret aber auf einen respektvollen Umgang mit seiner Frau, der Dame Enite, bezogen ist.46 So erringe Ereck, laut Fisher, am Ende des Romans der êren krône nicht nur durch seinen Sieg über Mabonangrin, sondern durch die Befreiung der Witwen.47 Ähnlich wie Gottfrieds Tristan scheint sich der Erzähler bei der Attestierung von manheit zurückzuhalten, obwohl Ereck mehrere Siege erringt, solange er den Konflikt mit Enite nicht überwunden hat. Stattdessen findet sich der Ausdruck im Mund der Figuren, die Erecks manheit an mehreren Stellen benennen.48 If Hartmann’s hero is to be a model for German knighthood, it is an unexpectedly ‚modern‘ one. It is also one to which, apparently, Hartmann’s great admirer Gottfried von Straßburg gives a characteristically ironic twist, by reserving references to the hero’s manliness for decidedly brutal episodes.49

 Zur Problematisierung dieser Einordnung siehe Monika Schausten: Erzählwelten der Tristangeschichte im hohen Mittelalter. Untersuchungen zu den deutschsprachigen Tristanfassungen des 12. und 13. Jahrhunderts. München 1999 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur. 24), S. 15 u. 47; auch schon Peter Strohschneider: Gotfrit-Fortsetzungen. Tristans Ende im 13. Jahrhundert. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 65 (1991), S. 70–98, bes. S. 72.  Rodney W. Fisher: ‚Dô was doch sîn manheit schîn‘. How does Hartmann understand Erec’s manliness. In: Mediaevistik 14 (2001), S. 83–94, hier S. 83.  Vgl. Fisher, manliness, S. 85.  Vgl. Fisher, manliness, S. 89.  Vgl. Fisher, manliness, S. 93.  Vgl. Fisher, manliness, S. 87.  Fisher, manliness, S. 90.

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I.1 manheit, Männlichkeit und Tapferkeit

Bezeichnenderweise ist eine solche brutale Episode in Gottfrieds Tristan, der Kampf gegen den Riesen Urgans, ausschließlich durch den Erwerb einer Liebesgabe für Isolde in Form des Hündchens Peticru motiviert, sodass Minne und Kampf auch hier nicht vollkommen geschieden, sondern im Bourdieuschen Sinne relational aufeinander bezogen sind. Das Modell einer manheit, die als die Verschmelzung von Kampfkraft und liebender Gemeinschaft konzipiert ist, voll ausgeführt im Ereck und angedeutet im Tristan, wird in der Fortsetzung Heinrichs von Freiberg auf die reine Kampfkraft beschränkt. Ulrich Barton stellt bei seiner Betrachtung der Erziehung Achills in Konrads von Würzburg Trojanerkrieg reine manheit als eine Eigenschaft heraus, die als Gegenteil von Liebe und minne konzipiert ist. Sie sei, neben der üblichen Kampfkraft vor allem durch ein Streben nach vrîheit, also „Angst- und Sorglosigkeit, Ungebunden- und Unbeschränktheit, ebenso Unabhängigkeit und Autarkie“50 gekennzeichnet. Entsprechend ist auch Achills Erziehung zweigeteilt. Bei dem Zentauren Schyron lernt er zu kämpfen wie kein zweiter, wobei die Wildheit seines Lehrers die besondere Ausprägung seiner manheit hervorruft und bedingt,51 während er – als Mädchen verkleidet – bei Deidameia die Kunst der höfischen Liebe erlernt, die ein idealer Held beziehungsweise ein idealer Ritter zu beherrschen habe.52 Durch das Argument, er habe höfische Sitten zu erlernen, unterscheidet sich Achills Verbringung auf die Mädcheninsel von der antiken Vorlage, wo selbige nur einem Verstecken vor dem Trojanischen Krieg und den prophezeiten Folgen für Achill dient. Barton argumentiert, dass die kleine, aber bedeutsame Änderung, die Konrad an dem Gespräch zwischen Achill und seiner Mutter vornimmt, zum einen den Wünschen eines höfischen Publikums geschuldet sei, das wenig Interesse an einem zwar vor Kraft strotzenden, aber unzivilisierten Helden habe.53 Zum anderen aber findet sich im Motiv der Minne als Lehrerin höfi-

 Ulrich Barton: ‚Manheit‘ und ‚minne‘. Achills zweifache Erziehung bei Konrad von Würzburg. In: Dichtung und Didaxe. Lehrhaftes Sprechen in der deutschen Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Henrike Lähnemann, Sandra Linden. Berlin [u. a.] 2009, S. 189–204, hier S. 195.  Vgl. Barton, Erziehung, S. 191. Dem ist mit Bent Gebert: Poetik der Tugend. Zur Semantik und Anthropologie des Habitus in höfischer Epik. In: Text und Normativität im deutschen Mittelalter. XX. AngloGerman Colloquium. Hrsg. von Elke Bruggen [u. a.], Berlin [u. a.] 2012, S. 143–168, hier S. 151 entgegenzuhalten: „Achill lernt, was bereits vorgängig zu ihm gehört.“ Seine manheit wohnt ihm also gleichsam inne. Siehe auch ebd., S. 152 sowie Udo Friedrich: Diskurs und Narration. Zur Kontextualisierung des Erzählens in Konrads von Würzburg ‚Trojanerkrieg‘. In: Text und Kontext. Fallstudien und theoretische Begründungen einer kulturwissenschaftlich angeleiteten Mediävistik. Hrsg. von Jan-Dirk Müller, Elisabeth Müller-Luckner. München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien. 64), S. 99–120, hier S. 115.  Vgl. Barton, Erziehung, S. 192: dâ wil ich hovelîche zuht / dich heizen lêren. Konrad von Würzburg: ‚Trojanerkrieg‘ und die anonym überlieferte Fortsetzung. Kritische Ausg. Hrsg. von Heinz Thoelen, Bianca Häberlein. Wiesbaden 2015 (Wissensliteratur im Mittelalter. 51) (im Folgenden abgekürzt: Tro), V. 14192 f.  Vgl. Barton, Erziehung, S. 192.

I.1.2 Forschungsansätze zur manheit in der mittelhochdeutschen Literatur

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scher Vollkommenheit eine Entsprechung zu Gottfrieds Tristan, nach dessen Vorbild der Trojanerkrieg gearbeitet sei.54 Im Gegensatz zu Fishers Interpretation von Erecks manheit ist nach Barton die manheit Achills durch ihre Kopplung mit vrîheit nicht mit den ‚Fesseln‘ der Liebe zu vereinen, sodass Achill, sobald er liebt, auch seine wilde manheit aufgibt und hof- beziehungsweise gesellschaftsfähig wird.55 manheit ist nicht per se gegenhöfisch, sondern bildet, wie an Achills Entwicklungsweg erkennbar, die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für vollkommenes höfisches Rittertum. Darin läge zugleich das Beunruhigende an dieser Vorstellung: manheit stellt zwar die unentbehrliche Grundlage für höfisches Rittertum dar; in völliger vrîheit aber neigt sie zum Zentaurischen, so dass sie vielleicht immer einer zusätzlichen hovelîchen zuht bedürfte: Fehlt diese, ist die manheit noch nicht bzw. nicht mehr höfisch und droht die höfische Gemeinschaft zu sprengen. Solange bzw. sobald sich manheit als völlig vrî und absolut setzt, stellt sie eine Gefahr dar und muss gebändigt werden.56

Erst in der aktiven Liebesvereinigung mit Deidamia überwinde Achill die ihm auferlegte ‚weibliche‘ Passivität und erlange seine manheit zurück, wobei auch die Wildheit wiederum erkennbar wird, denn der Beischlaf sei bei Konrad (im Gegensatz zur Vorlage) zwar einvernehmlich, zeige aber dennoch den Anklang einer Vergewaltigung.57 „Erst durch die gegenseitige, erfüllte Liebe erlangt Achilles manheit im höchsten Sinne, eben weil diese allein durch die Frau verliehen werden kann.“58 Lassen sich manheit und höfische Sitten zwar nicht grundsätzlich vereinbaren, verfüge der höfische Ritter dennoch über beides und könne sich den Umständen entsprechend verhalten. Barton verweist weiterhin auf die Charakterisierung Hectors, den zu besiegen Achill nach Troja kommt und der sowohl anständig wie eine Jungfrau als auch mutig wie ein wilder Eber sei. Hector vereinige somit eben jene Qualitäten in sich, die Achill in seiner doppelten Ausbildung erworben hat, wobei sich Weiblichkeit und Animalität gegenüber stehen.59 Im Gegensatz zu den bisherigen Ansätzen richtet sich Judith Klingers Analyse von manheit zunächst nicht auf eine Relationierung zum höfischen Konzept der Minne. Ihr zufolge beschreibt manheit „die Dynamik eines spezifischen Verhaltens, die in For-

 Vgl. Barton, Erziehung, S. 193 f. Zur Gottfriedrezeption siehe Elisabeth Lienert: Geschichte und Erzählen. Studien zu Konrads von Würzburg ‚Trojanerkrieg‘. Wiesbaden 1996 (Wissensliteratur im Mittelalter. 22), S. 328.  Vgl. Barton, Erziehung, S. 196.  Barton, Erziehung, S. 195 f.  Vgl. Barton, Erziehung, S. 199.  Barton, Erziehung, S. 200.  Vgl. Barton, Erziehung, S. 203. Siehe Tro, V. 26998–27001.

24

I.1 manheit, Männlichkeit und Tapferkeit

meln wie manlîch ellen oder manlîch herze auch als Haltung konzipiert wird.“60 Weiter führt sie aus: Gemeint ist die kämpferische Durchschlagskraft und Kühnheit, die sich als Geschlechtsmarkierung auf das männlich-adlige Waffenprivileg und die daraus resultierende Gewaltfähigkeit gründet. Daher wäre es irreleitend, manheit unbesehen mit ‚Männlichkeit‘ und manlîch mit ‚männlich‘ zu übersetzen. Als oppositioneller Terminus ist zunächst auch nicht wîpheit, sondern zageheit (Verzagtheit, Mutlosigkeit, letztlich Kampfunfähigkeit) zu veranschlagen.61

Das dynamische Element von manheit erkennt Klinger in der Anforderung, diese unentwegt unter Beweis zu stellen, indem bedrohliche Situationen gesucht und gemeistert werden, wobei sich die „emotionale Dimension von manheit“ aus der Überwindung der aus der Bedrohung hervorgegangen Todesfurcht ergibt, sodass manheit „nicht als stabile und schon vorausgesetzte Geschlechtsidentität konzipiert wird, mit der eine ebenso fixierte Machtposition einherginge.“62 Klinger beobachtet: „Erst wenn der auf seine manheit verpflichtete Held in leid und angest gerät, wenn ihm eine ‚Härte‘ begegnet, die ihn seiner Selbstmächtigkeit berauben könnte, wird seine Unbeugsamkeit womöglich auf die Probe gestellt.“63 Dieses fortwährende Streben nach Gefahr deutet Klinger entsprechend als eine Form der Verausgabung, ähnlich der der höfischen milte, die hingegen nicht im Verteilen von Wertgegenständen, sondern im Verschwenden des Lebens oder körperlicher Unversehrtheit liege.64 Die Macht, die manheit impliziert, erhält ihre Gültigkeit daher ausschließlich vor dem Hintergrund von Furcht und Niederlage, die Klinger als Ohnmacht identifiziert und die stets am Horizont eines fortwährenden Strebens nach manheit liegen.65 Aus dem Zwang zur kontinuierlichen Bewährung ergebe sich auch ihre stets neu und aufs Neue gestaltete Narrativierung, sodass die verschiedenen Erzähltexte ein je eigenes Bild von manheit entwürfen, dem seinerseits die unterschiedlichen Ausprägungen einer Identität des Helden entsprächen.66 Klinger zeigt anhand von Beispielen aus dem Rolandslied, dem Prosa-Lancelot und dem Parzival wie Affekte und Emotionen manheit bedingen und konditionieren, wobei sie ihren Fokus jedoch nicht auf die jeweiligen Titelhelden legt, sondern auf Nebenfiguren, „deren gesellschaftliche Autorität und Vorbildlichkeit ein Fundament für das je gültige Ideal von manheit schaffen“67, nämlich Kaiser Karl, Galahot und Gâwân. Die emotionale Ausprägung der manheit Kaiser Karls im Rolandslied des Pfaffen Konrad vollziehe sich, so Klin-

 Judith Klinger: Ohn-Mächtiges Begehren. Zur emotionalen Dimension exzessiver ‚manheit‘. In: Machtvolle Gefühle. Hrsg. von Ingrid Kasten. Berlin [u. a.] 2004 (Trends in Medieval Philology. 24), S. 189–217, hier S. 189.  Klinger, Begehren, S. 189 f.  Klinger, Begehren, S. 195.  Klinger, Begehren, S. 190.  Vgl. Klinger, Begehren, S. 194.  Vgl. Klinger, Begehren, S. 195.  Vgl. Klinger, Begehren, S. 191.  Klinger, Begehren, S. 191.

I.1.2 Forschungsansätze zur manheit in der mittelhochdeutschen Literatur

25

ger, in einer Überwindung des Verlusts Rolands. Sie beobachtet ein Umschlagen von ohnmächtiger, durch demonstrative Körperzeichen sichtbar gemachter Trauer zu einer durch die Symbolik heroischen Märtyrertums, christlicher Passion und sakralisierter Totenklage wiederhergestellten und gesteigerten Leibesmacht.68 Abschließend weist sie auf die homosoziale Struktur des Rolandsliedes hin, weshalb manheit hier in einem rein männlichen Umfeld verortet sei.69 In der Darstellung von Macht und Ohnmacht des Begehrens eines Mannes nach der Gemeinschaft mit einem anderen Mann sieht Klinger Ähnlichkeiten im Verhältnis von Galahot und Lancelot im Prosa-Lancelot. Hier fehlten indes die „herrschaftspolitischen Dimensionen der Macht“, die bei Karl und Roland an die Rolle des letzteren als ‚rechte Hand‘ oder ‚rechten Arm‘ anknüpften, also an ein Mittel der Herrschaftserweiterung und -sicherung, das wesentlich auf der herausragenden Kampfkraft und manheit Rolands beruhe.70 Die emotionale Selbstverschwendung Galahots ist für Klinger Anzeichen seiner minne zu Lancelot und an das der manheit zugrundeliegende Prinzip der Verausgabung gekoppelt.71 In ihrer abschließenden Beurteilung der Beziehungsleiden Galahots tritt manheit entsprechend nicht als kämpferische Eigenschaft in Erscheinung: Im Rahmen dieser Minnekonzeption kann sich die Krise der manheit gegenüber den weiteren Macht- und Herrschaftsbeziehungen verselbständigen: manheit definiert sich in diesem Beispiel entscheidend über den Umgang mit der überwältigenden Emotion.72

Zuletzt widmet sich Klinger der manheit Gâwâns im Kontext seines lange vergeblichen Werbens um Orgeluse in Wolframs Parzival. Dabei beobachtet sie einen Widerspruch zwischen der von Gâwân geleisteten Selbstverausgabung und einem narrativen Stillschweigen über Gâwâns Emotionen und Affekte, die sich lediglich in formvollendet höfischem Minnewerben niederschlagen, ohne Leiden oder Schmerz zum Ausdruck zu bringen.73 Stattdessen münde die besagte Selbstverausgabung Gâwâns in sein körperliches Leiden im lît marveile, das erst anschließend subtil in seelischen Kummer überführt werde. Dieser Kummer werde hinter seiner als manheit explizit gemachten Leidensfähigkeit verschleiert,74 „geradezu als habe Gâwâns ritterliche manheit erst eine Lizenz zum Leiden an Minne erwirken müssen.“75 Klinger folgert, dass nicht Gâwâns manheit in kämpferischer âventiure, sondern seine Leidensbereitschaft Orgeluses Zuneigung erwirbt.76 Orgeluses Stimmungswechsel „erscheint [...] als Reflex

        

Klinger, Begehren, S. 197–201. Klinger, Begehren, S. 201. Vgl. Klinger, Begehren, S. 195 f. Vgl. Klinger, Begehren, S. 202. Klinger, Begehren, S. 206. Vgl. Klinger, Begehren, S. 208 f. Vgl. Klinger, Begehren, S. 210 f. Klinger, Begehren, S. 210. Vgl. Klinger, Begehren, S. 211.

26

I.1 manheit, Männlichkeit und Tapferkeit

der Umstilisierung von Gawans gefährdeter manheit zum passionierten Rittertum. Nicht Kampferfolg, sondern Verausgabung und Leidensbereitschaft finden in dieser Szene Anerkennung und bewirken den Umschwung.“77 Auch hier zeige sich, dass wahre manheit immer gefährdete manheit sei, da sie ohne gesuchte Bedrohung und potentielles Scheitern keine Gültigkeit beanspruchen könne.78 Vielmehr erfüllt sich exzessive manheit in der Selbstverschwendung bis zum Verlust der Handlungsfähigkeit und Eigen-Mächtigkeit. Macht und Ohnmacht, Souveränität und Verwundbarkeit bedingen einander in einer paradoxen Denkfigur, wenn sich manheit mit allen Konsequenzen aufs Spiel setzen muss, um sich zu erweisen.79

Die dichte Analyse, die Klinger liefert, schließt mit einer Betonung der Diversität von Rahmungen und Verknüpfungen, die manheit als kriegerische Eigenschaft jeweils kontextualisieren und ihre Träger damit individualisieren. Gerade die Vielfalt der literarischen Strategien und modulierenden Faktoren verbietet es allerdings, die untersuchten Konzeptionen von manheit auf einen einzigen normativen Standard mit kollektivem Geltungsanspruch zu reduzieren – so nachdrücklich dieser Anspruch auch in den einzelnen Texten erhoben wird.80

Diese Vielfalt der Poetisierungen, die die hier aufgeführte Forschung zur manheit herausgearbeitet hat, ist insgesamt ein wesentlicher Indikator für die Bedeutung, die eine höfische Erzählgemeinschaft dem Wesen des Kriegers und seiner wichtigsten Eigenschaft zuschreibt. Dabei ist festzuhalten, dass die Ausführungen von McDonald, Fisher, Barton und Klinger jeweils die Verbindung von manheit und Gewaltausübung in den Blick nehmen. Bis auf Barton, bei dem die manheit Achills ins Zentaurische und damit ins Wilde und Gefährliche hineinreicht, sind manheit und somit auch die ihr innewohnende Gewalt niemals als ethisch problematisch dargelegt.81 manheit als Ausdruck gewalttätigen Handelns sowie ihre vornehmlich positive Bewertung bildet den ideologischen Kern einer kriegergesellschaftlichen Erzählgemeinschaft und ist von hier ausgehend als Zusammenschluss einer konventionalisierten Praktik mit diskursiven Zuschreibungsmodi mittelalterlicher Personenverbände genauer in den Blick zu nehmen. Die Grundlage eines Erzählens von Krieg, Gewalt und manheit, sowie das Konzept von Ritterschaft, das diese drei Begriffe umspannt, ist daher im Folgenden in ihren historischen Ausprägungen zu skizzieren.

 Klinger, Begehren, S. 211.  Vgl. Klinger, Begehren, S. 195.  Klinger, Begehren, S. 195.  Klinger, Begehren, S. 216.  Judith Klinger verweist in Bezug auf Gâwâns zuht auf die Darstellung von Otto Neudeck: Das Stigma des Anfortas. Zum Paradoxon der Gewalt in Wolframs ‚Parzival‘. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 19/2 (1994), S. 52–75, hier S. 62, der in der Selbstdisziplin Gâwâns ein wesentliches Instrument der Konfliktregulierung sieht, das jedoch nicht immer erfolgreich ist. Vgl. Klinger, Begehren, S. 208 f. mit Anm. 65. Siehe auch Friedrich, Unterwerfung, S. 156 f.

I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft Die Performanz von manheit entspricht der Ausübung von Gewalt im Kampf, welche – historisch gesehen – vornehmlich im Krieg situiert ist. Um also die Bedeutung von manheit und Kampf für die adlige Gesellschaft des Mittelalters zu untersuchen, ist es zunächst erforderlich, sich der Praktik des Krieges zu widmen, der den Alltag dieser Menschen unmittelbar betraf, an deren Ausübung jedoch nicht alle in gleicher Weise beteiligt waren. Gemessen an der Bedeutung, die die Tugend des Kriegers, die Kriegerhaftigkeit, für eine Kriegergesellschaft1 einnimmt, mag es nicht verwundern, dass der Begriff über ein Bedeutungsspektrum verfügt, welches Gewalt viel deutlicher inkludiert, als es für ‚Tapferkeit‘ in unserer heutigen, im Wesentlichen pazifistischen Gesellschaft der Fall ist.2 Im Vordergrund dieser Untersuchung stehen die Aktivität des kriegerischen Kampfs, ihre Funktion und Bedeutung für das Selbstverständnis mittelalterlicher Personenverbände, die freilich auch nicht auf die kriegerische Tätigkeit beschränkt werden dürfen. Ungeachtet der Unschärfe sozialer Strukturen an den Rändern lässt sich für das Mittelalter eine gesellschaftliche Gruppe festmachen, die im ‚Ritter‘ ein gesellschaftliches und kulturelles Leitbild als den idealtypischen Krieger besetzt, der ihr zur Identifikation und Partizipation zur Verfügung steht, sodass man sie als Ritter- und Kriegergesellschaft

 Dieser Ausdruck lässt ebenso wie ‚Kriegerkultur‘ ein Übergewicht des Krieges in dieser Gesellschaft/ Kultur vermuten, das der Pluralität der mittelalterlichen Gesellschaft nicht immer Rechnung trägt. Gleiches gilt für den Ausdruck ‚Kriegeradel‘ bei Clauss, Krieg der Ritter, S. 33. Selbst in Hinblick auf die Struktur der mittelalterlichen ordines werden die Grenzen jener Gruppe, die sich als adlig identifizieren lässt, unscharf, da zum einen auf der weltlichen Seite vom König bis zu einfachen Gefolgsleuten viele zur Gruppe der Krieger gehören konnten, weshalb ein Ausdruck wie ‚Kriegerkaste‘ problematisch erscheint, da er eine abgeschlossene soziale Gruppe impliziert. Vgl. Frank Thieme: Kaste, Stand, Klasse. In: Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie. Hrsg. von Hermann Korte, Bernhard Schäfers. 8., durchgesehene Auflage. Wiesbaden 2010, S. 185–210, hier S. 189; Werner Hechberger: Adel, Ministerialität und Rittertum. München 2010 (Enzyklopädie deutscher Geschichte. 72), S. 28 f.; Werner Paravicini: Die ritterlich-höfische Kultur im Mittelalter. München 1999 (Enzyklopädie deutscher Geschichte. 42), S. 21. Zum anderen gestalteten sich auch die Übergänge zwischen Klerus und Adel als durchaus fließend, insbesondere, wenn Geistliche wie Bischöfe und Äbte in ihrer Eigenschaft als Lehns- und Landesherren selbst maßgeblich am Krieg beteiligt waren. Vgl. Friedrich Prinz: Klerus und Krieg im frühen Mittelalter. Untersuchungen zur Rolle der Kirche beim Aufbau der Königsherrschaft. Stuttgart 1971 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters. 2), S. 147–174, spezifisch für das Hochmittelalter siehe den Ausblick S. 196–200; Clauss, Ritter, S.19 f.  Vgl. Jens Warburg: Das Militär und seine Subjekte. Zur Soziologie des Krieges. Bielefeld 2008 (Sozialtheorie), S. 76: „Das Militär wird im Rahmen normativer Handlungstheorien als ein soziales System interpretiert, in dem gegenüber der übrigen Gesellschaft andere Normen gelten. [...] Die Aufgabe des Militärs, die z. B. als die Produktion von äußerer Sicherheit gefasst werden kann, bedingt, dass hier Normen wie Tapferkeit und Heldentum als Statussysteme gelten müssen, die in der übrigen Gesellschaft auf Ablehnung stoßen würden, sollte man versuchen, sie auch hier einzufordern.“ https://doi.org/10.1515/9783111240275-003

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I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft

bezeichnen kann. Die Partizipation an den spezifischen kriegerischen Handlungen geht einher mit einer auf den Krieg bezogenen Identität und der entsprechenden Identifikation, welche nicht aussetzt, sobald die Handlung vollendet ist. Wie ich zeigen möchte, ist ein Krieger, der zu Pferd mit Schwert und Lanze kämpft, ein Ritter, weil ein Ritter zu Pferd mit Schwert und Lanze kämpft.3 Doch wer im Krieg ein Krieger und Ritter ist, bleibt es auch im Frieden, sodass der Ausdruck ‚Kriegergesellschaft’ als Gruppenbezeichnung gerade auf das Ineinandergreifen von militärischer Expertise und zivilem, höfischem oder nicht-militärischem Leben verweist. Zu einer so definierten Kriegergesellschaft gehören auch jene, die nicht selbst am Kampfgeschehen teilnehmen, aber für gesellschaftliche Bewertungsparadigmen ausschlaggebend sind, also vor allem die Frauen. Anders als reine Gewaltgemeinschaften, die laut Speitkamp als Gruppe von Männern definiert sind, setzt sich eine Kriegergesellschaft aus einer kriegerischen Gewaltgemeinschaft und einem zivilen, am Kampfgeschehen unbeteiligten Part zusammen.4 Beide verbindet aber ihre Bezogenheit auf das „kollektive Tugendideal“ der manheit, das nicht nur das Handeln der Mitglieder bestimmt, sondern sich auch in die Erzählungen und Erinnerungen als ein gemeinsames Kulturgut einschreibt.5 Im Folgenden ist daher als übergeordnete Fragestellung die Einordnung von und Einstellung zu Gewalt in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft zu bestimmen, wobei die Praktik adliger Kriegsführung als Erscheinungsbild von Gewaltausübung in den Blick zu nehmen ist.

I.2.1 Gewalt als methodisches Problem Gewalt und besonders das Töten hat als grundlegender Bestandteil des Krieges zu gelten, es ist sein „proprium“6, wie Hans-Henning Kortüm mehrfach betont. Dementsprechend ergibt sich die Charakterisierung des mittelalterlichen Adels als eine Kriegergesellschaft  Vgl. zur Bedeutung von Schwert und Pferd Georges Duby: Der Sonntag von Bouvines. 27. Juli 1214. Aus dem Französischen von Grete Osterwald. Berlin 2002, S. 19. Zur semantischen Einheit von Reiter und Ross siehe Friedrich, Menschentier, S. 230–248 sowie ders.: Der Ritter und sein Pferd. Semantisierungsstrategien einer Mensch-Tier-Verbindung im Mittelalter. In: Mittelalterliche Literatur 1150–1450. Hrsg. von Ursula Peters. Stuttgart/Weimar 2001 (Germanistische Symposien. Berichtsbände. 23), S. 245–267.  Gewaltgemeinschaften werden als „soziale Gruppen oder Netzwerke verstanden, für die physische Gewalt einen wesentlichen Teil ihrer Existenz oder ihres Selbstverständnisses ausmacht, die aus Gewalt ihren Zusammenhalt und ihre Identität beziehen oder die durch Gewalt ihren Lebensunterhalt sicherstellen.“ Winfried Speitkamp: Gewaltgemeinschaften in der Geschichte. Entstehung, Kohäsionskraft und Zerfall. Göttingen 2017, S. 7. Nahezu gleichlautend auch in ders.: Einleitung. In: Gewaltgemeinschaften. Von der Spätantike bis ins 20. Jahrhundert. Hrsg. von dems. Göttingen 2013, S. 7–14, hier S. 7 sowie ders., Gewaltgemeinschaften (2), S. 184.  Vgl. Speitkamp, Gewaltgemeinschaften (2), S. 186.  Hans-Henning Kortüm: Der Krieg im Mittelalter als Gegenstand der Historischen Kulturwissenschaften. Versuch einer Annäherung. In: Krieg im Mittelalter. Hrsg. von dems. Berlin 2001, S. 13–44, hier S. 21, 24 und 27.

I.2.1 Gewalt als methodisches Problem

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vor allem aus seiner Bewertung kriegerischer Gewalt, die grundlegend anders war als heute. Wer einen anderen Menschen verletzt, ihm Schmerzen zufügt oder ihn tötet, tut ihm Gewalt an. Das Wort ‚Gewalt‘ umschreibt somit physischen Schaden und ist heute negativ konnotiert.7 Der Artikel ‚Gewalt‘ des Deutschen Wörterbuchs belegt hingegen die einstmals umfangreiche Bedeutungsspanne dieses Wortes, welche sich im Wesentlichen auf die Bedeutungen ‚Macht‘ (potestas) und ‚Stärke‘ (vis) konzentriert, die positiv konnotiert sind und sich auch in der etymologischen Herleitung von mhd. walten als ‚herrschen‘ niederschlagen.8 Beide Bedeutungen implizieren Akte gewalttätigen Handelns (violentia), was für sich genommen erst allmählich an Bedeutung gewann.9 Aus dem Spannungsfeld der drei genannten Begriffe und ihrer Semantiken entsteht die bis heute anhaltende Ambivalenz, die seit jeher das Verhältnis von Gewalt und Gesellschaft kennzeichnet. Das historisch beobachtbare Nebeneinander von Gewalt als rechtlichem Mittel souveräner Herrschaftsausübung nach außen und innen, als konventionalisierter Verhaltenspraxis und als unzulässiger Straftat lässt erkennen, dass eine unreflektierte Übertragung gegenwärtiger Rechtsnormen und Moralvorstellungen Gefahr liefe, in anachronistische Deutungsmuster zu verfallen.10 Ebenso wie mhd. manheit und nhd. ‚Tapferkeit‘ in divergierenden semantischen Feldern operieren, bedeutet gewalt im Mittelalter etwas anderes als das moderne ‚Gewalt‘, auch wenn in beiden Fällen gewisse Übereinstimmungen bestehen.11 In der bereits angesprochenen relationalen Struktur von Gewaltausübung und manheit bedingt letztere sowohl die Ausübung als auch die Überwindung der von Gewalt ausgehenden Furcht vor Schmerzen und Tod. Die bisherige Forschung zur manheit konzentriert sich überwiegend auf die im Begriff indizierte Fähigkeit zur Ausübung von Gewalt oder auf gewalttätiges Agieren selbst. Seit den 1960er Jahren hat die Anzahl der Publikationen zu Fragen der Gewalt kontinuierlich zugenommen, sodass heute auf viele Theorien zurückgegriffen werden kann.12 Schon allein in Bezug auf die Bedeutung violentia divergieren die Ansichten,  Vgl. die Begriffsbestimmung bei Scheuble, ‚mannes manheit‘, S. 17–22.  S.v. ‚Gewalt‘ in: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 6, ND München 1984, Sp. 4910–5094, hier Sp. 4910–4983.  Vgl. Braun, Gewaltforschung, S. 438 und darüber hinaus mit umfangreicher Aufarbeitung der mediävistischen Gewaltforschung.  Vgl. Braun, Herberichs, Gewalt, S. 19–21.  Vgl. Friedrich, Unterwerfung, S. 143.  Eine große Anzahl von Kulturforscher:innen (u. a. Hanna Arendt, Walter Benjamin, Walter Burkert oder Michel Foucault) hat sich dem Phänomen der Gewalt gewidmet, wobei im Folgenden auf einige von ihnen zu sprechen zu kommen ist. Für mittelalterliche Aspekte von Interesse ist René Girard: Das Heilige und die Gewalt. Aus dem Frz. übertragen von Elisabeth Mainberger-Ruh. Ostfildern 2012, der vor allem die Praxis des religiösen Opfers beschreibt. Siehe auch ders.: Das Ende der Gewalt. Analyse des Menschheitsverhängnisses. Erkundungen zu Mimesis und Gewalt mit Jean-Michel Oughourlian und Guy Lefort. Mit einer Einführung von Ralf Miggelbrink. Vollständige Neuübers. aus dem Frz. von Elisabeth Mainberger-Ruh. Freiburg i. Br. 2009, jeweils ohne einen expliziten Bezug zu kriegerischer Gewalt. Zur Kritik an Girard siehe Braun, Gewaltforschung, S. 441. Weiterhin sei auf Heinrich Popitz, Wolfgang Sofsky und jüngst Steven Pinker und Randall Collins verwiesen. Einen

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I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft

was Gewalt sei, erheblich.13 Beschränkt man sich auf einen physischen Gewaltbegriff in Abgrenzung zu struktureller/systemischer, psychischer oder sprachlicher Gewalt, lassen sich wiederum Unterteilungen vornehmen. In jüngster Zeit ist in diesem Zusammenhang die Studie von Jan-Philipp Reemtsma zu beachten, die bemüht ist, durch eine Phänomenologie von Gewaltformen die Vielzahl von Begriffen, die mit Gewalt verknüpft sind, zu strukturieren, indem zwischen „lozierender“, „raptiver“ und „autotelischer“ Gewalt unterschieden wird: Reemtsma bezeichnet lozierende Gewalt als die Entfernung eines (menschlichen) Körpers, der ein Hindernis beim Erreichen eines Ziels darstellt; raptive Gewalt als die Aneignung des Körpers zum Zweck der Inbesitznahme desselben und autotelische Gewalt als die Zerstörung des Körpers um ihrer selbst willen.14 Der mittelalterliche Krieg und seine soziologischen und gesellschaftlichen Implikationen bedingen, dass es sich bei der im Kampf zu Tage tretenden Gewalt meist um lozierende Gewalt handelte.15 Die umfassende Analyse der Problematiken einer Untersuchung historischer Gewaltformen von Manuel Braun und Cornelia Herberichs weist weiterhin auf die Probleme bedeutender Trends der Gewaltforschung hin: Zum einen laufen Ansätze einer Anthropologisierung, wie Wolfgang Sofskys Traktat über die Gewalt16 und Homo necans von Walter Burkert17, Gefahr, durch einen Rückgriff auf eine conditio humana und entwicklungsbiologische Überlegungen die historischen Spezifika einer kon-

Überblick der historischen Entwicklung der Gewaltforschung gibt Trutz von Trotha: Zur Soziologie der Gewalt. In: Soziologie der Gewalt. Hrsg. von dems. Opladen/Wiesbaden 1997 (Sonderhefte der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. 37), S. 9–56, hier S. 10–14. Siehe auch den Forschungsüberblick in Braun, Herberichs, Gewalt und die Aufarbeitung der theoretischen Forschung bei Wolfgang Gabbert: Was ist Gewalt? Anmerkungen zur Bestimmung eines umstrittenen Begriffs. In: Anthropologie der Konflikte. Georg Elwerts konflikttheoretische Thesen in der Diskussion. Hrsg. von Julia M. Eckert. Bielefeld 2004, S. 88–101.  Vgl. Wilhelm Heitmeyer, Hans-Georg Soeffner: Einleitung: Gewalt. Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme. In: Gewalt. Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme. Hrsg. von dens. Frankfurt a. M. 2004 (Kultur und Konflikt), S. 11–20, bes. S. 11 sowie ausführlicher Gertrud Nummer-Winkler: Überlegungen zum Gewaltbegriff. In: Ebd., S. 21–61, bes. S. 27–38, die eine Beschränkung des Gewaltbegriffs auf eine „absichtsvolle physische Verletzung von Menschen durch Menschen“ (S. 28) propagiert. Siehe auch Braun, Herberichs, Gewalt, S. 15 f.  Vgl. Jan-Philipp Reemtsma: Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne. Hamburg 2008, S. 108–112. Siehe auch Armin Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Studienausgabe. 2., durchgesehene Auflage. Hrsg. von Manuel Braun [u. a.], Berlin [u. a.] 2015, S. 73 f.  Wie in Kap. I.3.1 zu sehen sein wird, bezog sich dies nicht auf alle mittelalterlichen Kriege, die bisweilen auch die Vernichtung eines Gegners zum Ziel hatten, so etwa die Albigenserkriege. Vgl. Jörg Oberste: Der „Kreuzzug“ gegen die Albigenser. Ketzerei und Machtpolitik im Mittelalter. Darmstadt 2003, S. 62. Dabei ist die autotelische Gewalt im Albigenserkreuzzug als politischer Akt nicht von der individuellen Gewaltausübung durch die beteiligten Krieger zu unterscheiden.  Wolfgang Sofsky: Traktat über die Gewalt. Frankfurt a. M. 1996.  Walter Burkert: Homo necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen. 2., um ein Nachwort erweiterte Auflage. Berlin/New York 1997 (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten. 32). Als Reaktion auf die wissenschaftliche Entwicklung seit dem Erscheinen des Homo necans,

I.2.1 Gewalt als methodisches Problem

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kreten Epoche oder gar eines konkreten Ereignisses zu vernachlässigen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass biologische und anthropologische Überlegungen gerade bei einer so basalen Materie wie dem Ausüben von und der Furcht vor Gewalt keinesfalls notwendig in Spannung zu soziokulturellen Perspektivierungen treten müssen.18 Sofskys Traktat ist trotz dessen Quellen- und Kontextlosigkeit zu Gute zu halten, dass es der reziproken und symmetrischen Gewaltform des Kampfes breiten Raum gibt, was viele Darstellungen zur Gewalt vermissen lassen, die ausschließlich die Dichotomie von Täter und Opfer betonen.19 Im Hinblick auf das Verhältnis von literarischem Ideal und historischer Wirklichkeit bei der Darstellung von Gewalt sei weiterhin auf den Aufsatz Gewalt und Gegenseitigkeit von René Girard verwiesen, der im menschlichen Hang zur Nachahmung einen zweifachen Faktor gewalttätigen Verhaltens sieht. Girard postuliert, dass nicht nur unser Verhalten, sondern auch unser Begehren an einem Vorbild orientiert ist, wobei sowohl die Gesellschaft als auch ein einzelnes Ideal diktieren kann, was als ‚begehrens-wert‘ zu gelten hat. Daraus erwachsen Rivalitätskonflikte, die in einer Spirale der Gewalt münden, wenn das Vorbild sich des von ihm Begehrten benommen fühlt und seinerseits den ehemals Begehrenden zum Vorbild macht.20 Auch die soziale Interaktion wird von mimetischen Prinzipien geleitet, insbesondere wenn eine Schädigung erfahren und gesteigert erwidert wird, was in einer Eskalation der Gewalt mündet. Der (gewaltsame) Erwerb einer Eigenschaft oder eines Artefakts als eine der wesentlichen Formen des Ereignisses stellt in Jurij M. Lotmans Erzähltheorie das Kernsujet von zahlreichen Erzählungen dar, die somit einen Ablauf, wie Girard ihn skizziert, auserzählen.21 Ähnlich hat Rainer Warning auf der Basis von Algirdas Greimas ein Handlungsund Erzählmodell potentiell gewaltsamer Aneignung beschrieben, nach der eine Mangelsituation durch den Dreischritt „Konfrontation, Domination und Attribution“ als „einem elementaren Handlungsmodell“ und „elementarstem Ablauf des narrativen Konflikts“22 überwunden wird, wodurch dem Protagonisten besondere Sympathie ob der „Bewälti-

siehe Walter Burkert: Zwischen Biologie und Geisteswissenschaft. Probleme einer interdisziplinären Anthropologie. In: Gewalt und Opfer. Im Dialog mit Walter Burkert. Hrsg. von Anton Bierl, Wolfgang Braungart. Berlin/New York 2010 (MythosEikonPoiesis. 2), S. 57–70.  Vgl. Euler, Beitragsfähigkeit, S. 416.  Diese Problematik beleuchtet auch Silvan Wagner: Die Lust an erzählter Gewalt. Virtuelle Gewaltgemeinschaften in ‚Der Wiener Meerfahrt‘. In: Gewaltgenuss, Zorn und Gelächter. Die emotionale Seite der Gewalt in Literatur und Historiographie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Claudia Ansorge. Göttingen 2015, S. 31–44, zur Dominanz von Opfer-Täter-Relationen bei der Betrachtung von Gewalt bes. S. 31–33 u. 42.  Vgl. René Girard: Gewalt und Gegenseitigkeit. In: Sinn und Form 54 (2002), S. 437–454, hier S. 438 f.  Vgl. Jurij M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte. Übersetzt von Rolf-Dietrich Keil, 4., unveränderte Auflage. München 1993, S. 329–347. Siehe auch Schulz, Erzähltheorie, S. 176–184.  Rainer Warning: Formen narrativer Identitätskonstitution im höfischen Roman. In: Identität. Hrsg. von Odo Marquard, Karlheinz Stierle. München 1979 (Poetik und Hermeneutik. 8), S. 553–589, hier S. 559.

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I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft

gung von Schwierigkeiten“23 zuteilwird. Dieses Modell des Dreischritts hat vor allem in der Altgermanistik häufig Anwendung gefunden.24 Sowohl der anthropologischen als auch der historischen und literaturwissenschaftlichen Forschung ist also zu entnehmen, dass ein häufig wiederkehrendes Motiv europäischer Erzähltraditionen Ursache oder Folge einer menschlichen Eigenschaft ist. Girards verallgemeinernder Ansatz kann im Rahmen einer kriegergesellschaftlichen Situation wie der des Mittelalters durchaus gewinnbringend verwendet werden, auch wenn er sich nicht in jedem Fall für die „Erforschung historisch konkreter Gewaltverhältnisse“25 eignen mag. Braun und Braun/Herberichs erörtern zudem die Ansätze einer teleologischen Entwicklungsgeschichte, wie sie die Zivilisationsgeschichte Norbert Elias‘26 und auch die jüngere Untersuchung Steven Pinkers darstellen, die beide von einem Prozess der Überwindung angeborener Instinkte ausgehen und daher einer teleologischen Verzerrung ausgesetzt seien.27 In Bezug auf das von Pinker nur im Ansatz behandelte Mittelalter ist festzuhalten, dass drei und mit Einschränkungen vier der von Pinker als Ursache von Gewalt benannten „inneren Dämonen“ für die mittelalterlichen Kriegergesellschaften von grundlegender Bedeutung waren:28 Raub, Herrschaftsstreben und Rache sowie eine religiöse Ideologie können in der Tat als die Ursache vieler mittelalterlicher Gewaltformen gelten. Wie diese überwunden wurden, klammert hingegen die Frage aus, wie sich das Verhältnis von Krieg und Gewalt in der mittelalterlichen Welt überhaupt erst gestaltet hat. Die historischen Spezifika von manheit finden sich zum einen in der konkreten Weise, in der kämpferische Gewalt ausgeübt wird und zum anderen in der diskursiven Konzeptualisierung von manheit, die mit einer besonderen Valorisierung einhergeht. Historische Gewaltformen sind auf unterschiedliche Weise fassbar, weswegen auf die mediale und zeichentheoretische Problematik historischer Evidenz von Gewalt hinzu-

 Friedrich Michael Dimpel, Hans Rudolf Velten: Sympathie zwischen narratologischer Analyse und Rhetorik. Einleitung. In: Techniken der Sympathiesteuerung in Erzähltexten der Vormoderne. Potentiale und Probleme. Hrsg. von dens. Heidelberg 2016 (Studien zur historischen Poetik. 23), S. 9–30, hier S. 22.  Zum Dreischritt Konfrontation, Domination, Attribution siehe Kay Malcher: Die Faszination von Gewalt. Rezeptionsästhetische Untersuchungen zu aventiurehafter Dietrichepik. Berlin/New York 2009 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte. 60), S. 203–206; Karlheinz Stierle: Semiotik als Kulturwissenschaft: A. J. Greimas, Du Sens. Essais sémiotiques. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur Bd. 83, H. 2 (1973), S. 99–128, bes. S. 116 f.; auch Franziska Wenzel: Meisterschaft im Prozess. Der Lange Ton Frauenlobs. Texte und Studien. Mit einem Beitrag zu vormoderner Textualität und Autorschaft. Berlin 2012 (Deutsche Literatur. Studien und Quellen. 10), S. 136. Siehe auch Schulz, Erzähltheorie, S. 171–176.  Braun, Herberichs, Gewalt, S. 10.  Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bd. 28. Auflage. Frankfurt a. M. 2021 (stw. 158–159).  Vgl. Braun, Gewaltforschung, S. 441–443; Braun, Herberichs, Gewalt, S. 8–14. Zur gewaltspezifischen Kritik an Elias siehe auch Trotha, Soziologie, S. 15 f.  Vgl. Pinker, Gewalt, S. 16 f. und S. 712–845.

I.2.1 Gewalt als methodisches Problem

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weisen ist, die durch archäologische Funde von Knochen, aber auch Waffen und durch bildliche Darstellungen oder schriftliche Aufzeichnungen, die Gewalt entweder beschreiben oder sich mit ihr auseinandersetzen, belegt ist. Vermögen erstere noch einen direkten Einblick zu liefern, welche Gewalt angewendet wurde, überlagern in der medialen Codierung die jeweiligen historischen Wahrnehmungs- und Darstellungskonventionen das vermittelte Geschehen.29 Dennoch greifen reale historische Handlungen und ihre Darstellungen ineinander: „Die Heroen mittelalterlicher Epen gebrauchen Schwerter, keine Schießgewehre.“30 Deshalb plädieren Braun/Herberichs dafür, reale Gegebenheiten und die mit ihnen verknüpften Diskurse bei der Erforschung von Gewalt zusammenzulesen, da die Darstellung stets mit der realen Dimension des Dargestellten interagiere.31 Braun/Herberichs bejahen daher die Möglichkeit, über Textlektüren „Aussagen über die Realität mittelalterlicher Gewaltverhältnisse zu treffen,“32 wenngleich die Dimension der persönlichen Erfahrung des Gewaltausübens stets nur eingeschränkt zugänglich bleibt. Trutz von Trotha hat darauf hingewiesen, dass im Zuge einer „dichten Beschreibung“ von Gewalt, die „Praktiken der Gewalt im einzelnen“ zu untersuchen sind,33 was hier entsprechend geleistet werden soll. Zugleich soll die soziale Bewertung dieser Praktiken Berücksichtigung finden, die je nach Standpunkt und historischem Kontext sehr verschieden ausfallen kann.34 Dabei wird Gewalt als das Medium der sozialen Praxis des Kampfes hier im Mittelpunkt stehen, sodass auch die soziologischen und psycho-

 Vgl. Braun, Herberichs, Gewalt, S. 19–23.  Braun, Herberichs, Gewalt, S. 17.  Vgl. Braun, Herberichs, Gewalt, S. 16. Vgl. zu diesem Ansatz Rogge, Kämpfer und Iain MacInnes: ‚One man slashes, one slays, one warns, one wounds‘. Injury and Death in Anglo-Scottish Combat, C.1296–C.1403. In: Killing and Being Killed. Bodies in Battle. Hrsg. von Jörg Rogge. Bielefeld 2017 (Mainz Historical Cultural Sciences. 38), S. 61–78.  Braun, Herberichs, Gewalt, S. 17.  Trotha, Soziologie, S. 20 mit der Übernahme des Begriffs „dichte Beschreibung“ von Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: Ders.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a. M. 1994 (stw 696), S. 7–43.  Das Skalpell der Chirurgin/des Chirurgs, das Messer der Mörderin/des Mörders, wie auch das Bajonett der Soldatin/des Soldaten und das Schwert des Ritters werden in gleicher Weise genutzt, um die körperliche Integrität eines anderen zu verletzen. In einem Vortrag zu den psychischen Bedingungen von Gewaltausübung am 09.07.2018 in Köln hat der Psychologe Roland Weierstall den Vergleich mit Chirurg:innen herangezogen, die den objektiven Gewaltakt des Verletzens eines menschlichen Körpers mit dem Skalpell nicht nur durch die heilende Absicht, sondern auch mit ihrem professionellen Können legitimieren. Die Problematik eines solchen Vergleichs führten Trutz von Trotha und Michael Schwab-Trapp in ihrer Kritik an Sofskys Traktat über die Gewalt an, dessen bereits erwähnte Kontextlosigkeit eine „Unterscheidung zwischen dem schmerzhaften Eingriff z. B. des Arztes und der Grausamkeit der Folter“ methodisch erschwert. Vgl. Trutz von Trotha, Michael Schwab-Trapp: Logiken der Gewalt. Rezension zu Sofsky, Wolfgang: Traktat über die Gewalt, Frankfurt a. M. 1996. In: Mittelweg 36/6 (1996), S. 56–64, hier S. 63, zitiert nach Brigitta Nedelmann: Gewaltsoziologie am Scheideweg. Die Auseinandersetzungen in der gegenwärtigen und Wege der künftigen Gewaltforschung. In: Soziologie der Gewalt. Hrsg. von Trutz von Trotha. Opladen/Wiesbaden 1997 (Sonderhefte der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. 37), S. 59–85, hier S. 77.

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I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft

logischen Bedingungen derselben in den Blick geraten. Für das Anliegen dieser Arbeit ist insgesamt besonders der Hinweis von Braun/Herberichs zu beachten, dass die Unterscheidung von Opfer und Täter bei der Analyse von Gewalthandlungen keine übergreifende Gültigkeit beanspruchen kann.35 Gerade in Kampf und Krieg verliert die Opfer-Täter-Relation „ihre Brauchbarkeit für die Beschreibung von Kämpfen, Schlachten oder Kriegen [...], wo zwei gleichgeordnete Personen oder Parteien Gewalt austauschen; man wird in solchen Fällen besser von reziprok aufeinander bezogenen Gewaltakteuren sprechen.“36 Da diese reziproke Gewaltform besonders bei der Konstruktion von manheit im Vordergrund steht, kann ein Großteil gerade der altgermanistischen wie auch der soziologischen Forschung zur Gewalt hier unberücksichtigt bleiben, wenn sie den Schwerpunkt auf das asymmetrische Verhältnis von Täter und Opfer (meist in der Form von Männern und Frauen37) legt. Braun/Herberichs gehen auch auf den aggressiven Habitus ein, der nicht nur den Einzelnen kennzeichne. Vielmehr sei er auch auf die gesellschaftliche Ebene des Adels zu beziehen, der sich durch die Ausübung von Gewalt definiert.38 Es ließe sich „vielleicht eine Mentalität der Gewalt annehmen, die zumindest für den mittelalterlichen Adel die Frage beantworten helfen könnte, wie es eine Gesellschaft bzw. eine Kultur erreicht, dass Menschen einen gewaltsamen Tod einem friedlichen Leben vorziehen.“39 Eine solche Mentalität der Gewalt ist jedoch meiner Ansicht nach nicht als eine „Affektlage ungestümen Drauflosschlagens, die durch Ritterethik und Heeresdisziplin kaum zu kanalisieren war“40, aufzufassen. Zum einen lässt sich Mentalität nicht auf einen fortdauernden Affekt reduzieren. Zum anderen erschöpft sich der Kern einer solchen Mentalität nicht in hemmungsloser Aggressivität, sondern bezeichnet den Prozess einer Umcodierung, die nicht „gewaltsamen Tod“ und somit Gewalt, sondern – so meine Hypothese – manheit und Kampf als gesellschaftliches Ideal proklamiert.41 Die damit ein Vgl. Braun, Herberichs, Gewalt, S. 23.  Braun, Herberichs, Gewalt, S. 23.  Vgl. dazu etwa Elisabeth Lienert: Zur Diskursivität der Gewalt in Wolframs ‚Parzival‘. In: Wolfram von Eschenbach. Bilanzen und Perspektiven. Eichstätter Kolloquium. Hrsg. von Wolfgang Haubrichs [u. a.]. Berlin 2002 (Wolfram-Studien. XVII), S. 223–245, bes. s. 224. Ebd., S. 226: „Die hier in erster Linie behandelte Gewalt gegen Frauen ist nicht eo ipso stellvertretend für den Gesamtzusammenhang von Gewalt im ‚Parzival‘. Daß Männer Gewalt nicht nur ausüben, sondern auch erleiden (oft nicht zuletzt der Frauen wegen), ist offensichtlich. Bei der Aggression gegen Frauen, die nicht gewalttätig handeln (höchstens handeln lassen) können, fehlt insbesondere die potentielle Reziprozität der Gewalt von Männern gegen Männer weitgehend.“ Siehe ebd. auch den umfangreichen Forschungsüberblick.  Vgl. Braun, Herberichs, Gewalt, S. 26.  Braun, Herberichs, Gewalt, S. 26 f.  Braun, Herberichs, Gewalt, S. 27.  Von der sprachlichen Seite des Mittelhochdeutschen ist hier vor allem auf die Arbeit von Klaus M. Schmidt zu verweisen, der mittels der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank (MHDBDB) die häufige Konvergenz von Wörtern des Kampfes und der Freude beobachtet. Siehe Klaus M. Schmidt: Psycholexikologische Annäherungen an Gewalt und Krieg im Mittelalter. Suchstrategien mit der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank (MHDBDB). In: Krisen, Kriege, Katastrophen. Zum Umgang mit Angst und

I.2.1 Gewalt als methodisches Problem

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hergehenden Wertzuschreibungen bilden ein gesellschaftliches Fundament, das die psychische Bewältigung von traumatischen Erlebnissen im Krieg ermöglicht. Denn auch dieses Ideal benötigt Mechanismen der Belohnung, da es mit dem Risiko eines gewaltsamen Todes und zudem mit Schmerz, Leid und der Anforderung verbunden ist, anderen Menschen Schmerz und Leid zuzufügen und sie eventuell zu töten. Als diskursive manheit wurde bereits das Valorisierungsmoment beschrieben, das die gesellschaftliche Bestätigung sowohl für die Überwindung von Furcht als auch für die im Kämpfen und Töten notwendige Aggressivität der praktischen manheit umfasst. Die gesellschaftliche Bestätigung und der häufig mit Kampf und Krieg verbundene materielle Gewinn stellen einen weiteren Teil des Belohnungssystems dar, das eine gesellschaftliche Elite dazu veranlasst, das Töten und die Ausübung von Gewalt auf sich zu nehmen.42 Aus anthropologischer und soziokultureller Perspektive ist daher nicht nur die Frage nach der Legalität eines Krieges, sondern auch die nach der Legitimität der innerhalb desselben ausgeführten Gewalttaten zu berücksichtigen. Arnold Angenendt hat auf die kulturspezifischen Elemente der Gewaltkontrolle hingewiesen, durch welche die Tötungshemmung unter Artgenossen mittels kultureller Prozesse verstärkt und forciert wird.43 Gleichfalls gibt es jedoch auch kulturelle Prozesse mit gegensätzlicher Wirkung, die auch den Krieg als ein Produkt der Kultur erscheinen lassen.44 Grundsätzlich ist hier zwischen Gewalt gegen Mitglieder der eigenen Gruppe und Gewalt gegen Außenstehende zu unterscheiden.45 Erstere wurde als Mord oder Totschlag geahndet, während letztere als kriegerische Maßnahme legitimiert werden konnte, wobei die An-

Bedrohung im Mittelalter. Hrsg. von Christian Rohr [u. a.]. Heidelberg 2018 (Interdisziplinäre Beiträge zu Mittelalter und Früher Neuzeit. 3), S. 233–291, hier S. 247–251.  Vgl. Christian Gudehus, Roland Weierstall: Psychologie. In: Gewalt. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Christian Gudehus, Michaela Christ. Stuttgart/Weimar 2013, S. 354–362, hier S. 357 f. Mit den psychologischen und neurobiologischen Arbeiten von Roland Weierstall und Thomas Elbert zum „Lustgewinn“ durch Gewalt und der „postiven Valenz“ „appetitiver Aggression“ ließe sich hier anschließen. Die Gültigkeit ihrer Befunde kann für das Mittelalter jedoch nicht nachgewiesen werden. Vgl. Roland Weierstall, Thomas Elbert: Formen und Klassifikation menschlicher Aggression. In: Interventionen bei Gewalt- und Sexualstraftätern. Risk-Management, Methoden und Konzepte der forensischen Therapie. Hrsg. von Jérôme Endrass [u. a.]. Berlin 2012, S. 3–14, hier S. 7; siehe auch Roland Weierstall, Thomas Elbert: The Appetitive Aggression Scale: development of an instrument for the assessment of human’s attraction to violence. In: European Journal of Psychotraumatology 2 (2011), S. 1–11, hier S. 8; Thomas Elbert [u. a.]: Fascination violence: on mind and brain of man hunters. In: European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience 260, Suppl. 2 (2010), S. S100–S105, bes. S. S100f.  Vgl. Arnold Angenendt: Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert. Münster 2007, S. 21–24.  Vgl. Heinrich von Stietencron: Töten im Krieg. Grundlagen und Entwicklungen. In: Töten im Krieg. Hrsg. von dems., Jörg Rüpke. Freiburg i. Br. [u. a.] 1995 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie. 6), S. 17–56.  Vgl. Stietencron, Töten, S. 19. Auch Angenendt, Toleranz, S. 24 und ebenso Burkert, Homo necans, S. 25 f.

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I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft

dersartigkeit des Anderen als legitimatorisches Mittel propagandistisch hervorgehoben wurde.46 So lässt sich nicht zuletzt mittels eines rhetorisch-ideologischen Verfahrens, das Anthropologie, Soziologie und Psychologie als „Pseudospeziation“47 oder „Dehumanisierung“48 (also das Extrem des Otherings) bezeichnen,49 ein Angriffs- oder gar Vernichtungskrieg legitimieren. Der Feind wird – in einem biologischen Sinne – als „artfremd“ deklariert, was die Tötungshemmung, die Angehörigen der gleichen Spezies bisweilen entgegengebracht wird, gleichsam aushebelt.50 Im Mittelalter ermöglichte die Charakterisierung des Feindes als Ketzer oder Heide ein nahezu ungehemmtes Ausüben von Gewalt.51 Neben den kriegerischen Unternehmungen im Heiligen Land, jenseits der Elbe und bei der Rückeroberung der iberischen Halbinsel (Reconquista), die sich sämtlich gegen fremde Kulturen richteten, weisen auch die Kriege gegen die Albigenser und andere Feinde der Kirche den legitimatorischen Einsatz einer Dehumanisierung auf, wenn

 Vgl. Stietencron, Töten, S. 21. Einen Wechsel vom gesellschaftlich proklamierten Tötungsverbot zum Tötungsgebot, wie ihn Stietencron hier beschreibt, beobachtet auch Dinzelbacher, Lebenswelten, S. 252 für den Kampf gegen Heiden. Siehe außerdem die umfangreiche Aufarbeitung des mittelalterlichen Heidenkampfes im Kontext der Kreuzzüge bei Felix Prautzsch: Heilige und Heiden im legendarischen Erzählen des 13. Jahrhunderts. Formen und Funktionen der Aushandlung des religiösen Gegensatzes zum Heidentum. Berlin/Boston 2021 (LTG. 20), S. 184–263.  Stietencron, Töten, S. 20–22.  Birte Schiffhauer: Determinanten von Anthropomorphismus und ihre Bedeutung für Dehumanisierung. Zuschreibung und Absprechen von Menschlichkeit gegenüber Menschen und nicht-menschlichen Entitäten. Bielefeld 2015, S. 7–9 mit weiterführender Literatur.  Vgl. Jeffrey J. Cohen: Of Giants. Sex, Monsters and the Middle Ages. Minneapolis, MN 1999 (Medieval Cultures. 17), S. xiv f.  Vgl. Stietencron, Töten, S. 20 f. Gewalt gegen tatsächliche Nichtmenschen zu thematisieren, ist hier nicht der Ort, jedoch ist es vor diesem Hintergrund von besonderem Interesse, welchen Stellenwert die Jagd für die adlige Gesellschaft des Mittelalters eingenommen hat. Vgl. Udo Friedrich: Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter. Göttingen 2009 (Historische Semantik. 5), S. 178–187. Dabei wurde das Reiten bei der Jagd als wichtiges Übungsmoment für den Krieg betrachtet, siehe Kortüm, Menschen, S. 49–51. Mit der Jagd war ebenfalls eine Übung im Töten verbunden. Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 186, der hier den mittelalterlichen Gelehrten Aegidius Romanus zitiert: „Denn die Gefahren des Wildschweins nicht zu fürchten, ist ein Zeichen dafür, daß sie nicht die Kriege mit den Feinden fürchten.“ Nam non timentes aprorum pericula, signum est eos non timere hostium bella. Aegidius Romanus: De regimine principum libri III. Recogniti et una cum vita auctoris per F. Hieronymum Samaritanium. Aalen 1967 [Neudruck der Ausgabe Rom 1607]. III,3, 2, S. 561.  Vgl. Ernst-Dieter Hehl: Heiliger Krieg – eine Schimäre? Überlegungen zur Kanonistik und Politik des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Krieg und Christentum: Religiöse Gewalttheorie in der Kriegserfahrung des Westens. Hrsg. von Andreas Holzem. Paderborn [u. a.] 2009 (Krieg in der Geschichte. 50), S 323–340, hier S. 332; Jörg Oberste: Krieg gegen Ketzer?: Die „defensores“, „receptatores“ und „fautores“ von Ketzern und die „principes catholici“ in der kirchlichen Rechtfertigung des Albigenserkrieges. In: Ebd., S. 368–391. hier S. 369; Richard W. Kaeuper: Holy Warriors. The religious Ideology of Chivalry. Philadelphia 2009, S. 104 f.; ders.: Chivalry and Violence in Medieval Europe.Oxford 2001, S. 86.

I.2.2 Der Krieger zu Pferd und die Praktik des Kämpfens

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jene im Namen Gottes und seiner Kirche geführt wurden.52 In Hartmanns Iwein, aber auch anderen höfischen Romanen lässt sich Dehumanisierung in den Kämpfen gegen Riesen und andere anderweltliche Geschöpfe ausmachen, die zwar in jeder Hinsicht menschlich anmuten, im Vergleich zu menschlichen Gegnern aber häufig einen blutigeren Tod finden. In diesem Zusammenhang lässt sich auch eine ständische Abgrenzung beobachten, die Gewalt gegen Nicht-Adlige anders legitimiert als gegen Standesgenossen. Dies lässt sich mit Birte Schiffbauer als „eine graduelle Dehumanisierung“ nach „sozialem Status“53 bezeichnen. Krieg, manheit und Rittertum können ohne Gewalt nicht gedacht werden. Sie ist ebenso das proprium des ersteren, wie der letzteren. Wo jedoch im Krieg Gewalt in all ihren Formen meist offen sichtbar ist, verbirgt sie sich hinter der semantischen Verschiebung von manheit und dem höfischen Gewand des Rittertums mit seinem Tugendideal. Dabei ist Gewaltausübung für die Kriegergesellschaft des hohen Mittelalters integraler Bestandteil ihrer Existenz,54 weshalb ich die These verfolge, dass den mittelalterlichen Rezipierenden und Produzierenden dieser Bezug vollends bewusst war, er hingegen für moderne Forscher:innen und Rezipient:innen wieder aufgedeckt werden muss. Meines Erachtens lässt sich in Bezug auf die Gewaltakteure der mittelalterlichen Kriegergesellschaft eine Ambiguitätstoleranz beobachten, die den Widerspruch eines christlich ethischen Gewaltverbots und die Glorifizierung von manheit und Kampf zusammenbringt.

I.2.2 Der Krieger zu Pferd und die Praktik des Kämpfens Eine „Mentalität der Gewalt“ und die Bedeutung von manheit und Kampf sind eng mit den historischen Gegebenheiten des Krieges verknüpft, wobei sich beides gegenseitig bedingt. Sowohl praktische als auch diskursive manheit stehen in einem engen Zusam-

 Vgl. Dinzelbacher, Lebenswelten, S. 247; Oberste, „Kreuzzug“, S. 88.  Schiffhauer, Determinanten, S. 8.  Vgl. Clauss, Ritter, S. 40. Siehe auch Georg Scheibelreiter: Die barbarische Gesellschaft. Mentalitätsgeschichte der europäischen Achsenzeit 5.–8. Jahrhundert. Darmstadt 1999, S. 288, der Krieg als Teil der Existenz der „barbarischen Gesellschaft“ der Merowinger beschreibt. Siehe auch ebd., S. 184 f. Der schillernde Begriff ‚barbarisch‘ bezeichnet dabei den Gegenpol einer römischen Zivilgesellschaft. Vgl. Matthias Becher: Rez. Die barbarische Gesellschaft. Mentalitätsgeschichte der europäischen Achsenzeit 5.–8. Jahrhundert von Georg Scheibelreiter. In: Historische Zeitschrift 272,1 (2001), S. 168–170. Soziale Anerkennung als „immaterielles Kapital“ für die Krieger des Frühmittelalters sieht auch Christoph Haack: Die Krieger der Karolinger. Kriegsdienste als Prozesse gemeinschaftlicher Organisation um 800. Berlin/Boston 2020 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. 115), S. 96: „Die Gewinne, die karolingischen Kriegern winkten, sind vermutlich vorrangig immateriell gewesen: Ruhm, Ehre, die Aufmerksamkeit eines großen Magnaten oder gar des Königs selbst. Eine Elite, deren soziale Identität zu einem guten Teil kriegerisch bestimmt war, reproduzierte sich über ständige Kriegszüge.“

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I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft

menhang mit Praktiken des Kampfes. In ihren fiktionalen Aktualisierungen sind diese vornehmlich in der Form des Zweikampfs zu finden. Es lässt sich jedoch zeigen, dass Zweikampf und Schlacht nicht nur auf der Ebene der Darstellung, sondern auch bezogen auf die kämpferischen Praktiken große Ähnlichkeiten aufweisen, sodass die strikte Trennung zwischen fiktionalem Zweikampf und historischem Kampfgeschehen der zeitgenössischen Wahrnehmung wohlmöglich wenig entspricht.55 So ist zunächst das mittelalterliche Kriegswesen integraler Bestandteil der höfischen Literatur, indem der gepanzerte Krieger zu Pferd zur äußeren Erscheinung der meisten literarischen Heldenfiguren wurde. Diese Übereinstimmung kann kein Zufall sein, da sich die im höfischen Roman artikulierte Selbstrepräsentation des Adels in der Verherrlichung genau jener kriegerischen Praktiken niederschlägt, durch die sich der Adel (und alle die dazugehören wollten) von anderen sozialen Gruppen unterschied.56 Die Bedingungen mittelalterlicher Schlachtfelder und besonders die Aufgaben berittener Kämpfer sind daher als Folie für die literarische Darstellung des Kampfes ernst zu nehmen und die dabei zu Tage tretenden Divergenzen nicht nur als Fiktionalisierung oder Idealisierung beiseite zu schieben. Figuren wie Iwein sind zweifelsfrei als berittene Krieger und als Ritter gekennzeichnet, womit sich nicht zuletzt eine phänomenologische Übereinstimmung mit ihrem real-historischen Gegenpart einstellt. Entgegen der Betrachtung von Michael Kleinen ist der „Sinn“, den eine mittelalterliche Kriegergesellschaft „ihren jeweiligen Aktionen beilegte“, nicht von der Frage zu trennen, „wie die Krieger konkret gekämpft haben.“57 Um den militärischen Kontext des literarischen Kampfes darzulegen, seien daher im Folgenden die historischen Handlungsweisen des berittenen Kriegers im 12. und 13. Jahrhundert als Grundlage und Ausprägung einer Praktik des Kampfes sowie eines Wertsystems der manheit in den Blick genommen.58 Die zu schildernden Praktiken bilden dabei die Grundlage einer skillful performance für alle weiteren Analysen von Kampfdarstellungen sowie die in ihnen zur Anschauung gebrachte manheit, als Ausdruck von und Befähigung zu proaktiven, aggressiven Handlungen. Wie bereits deutlich geworden ist, war der semantische Bezugsraum von manheit meist das Schlachtfeld, das daher als Hintergrund einer Analyse derselben stets mitzudenken ist. Die Bedeutung des berittenen Kriegers, die das Investment an Zeit für die Ausbildung und Ressourcen für die Ausrüstung beförderte, ist vielfach im sozial-historischen und politischen Feld zu suchen. Mit dem Niedergang der Karolinger ging ein Verlust an  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 271–273.  Vgl. Friedrich, Unterwerfung, S. 158.  Michael Kleinen: Frühmittelalterliche Kämpfer zwischen christlicher Religion und barbarischem Kriegertum. In: Emotion, Gewalt und Widerstand. Spannungsfelder zwischen geistlichem und weltlichem Leben in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Ansgar Köb, Peter Riedel. München 2007 (MittelalterStudien des Instituts zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens, Paderborn. 9), S. 81–102, hier S. 85.  Die folgenden Beispiele der Historia Ecclesiastica von Odericus Vitalis aus der ersten Hälfte des 12. Jhs., der Rymkronyk Jans van Heelu aus dem späten 13. Jh. und der Steirischen Reimchronik aus dem frühen 14. Jh. belegen einmal mehr die langanhaltende Gültigkeit dieser Kampfesweise.

I.2.2 Der Krieger zu Pferd und die Praktik des Kämpfens

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zentraler Autorität und ein Erstarken regionaler Herrschaften einher, welche durch militärische Macht ihren Einfluss legitimierte und oktroyierte.59 In beiden Fällen konnten kleine Gruppen gepanzerter Reiter vorteilhaft zum Einsatz gebracht werden, sei es gegen Wikinger, Ungarn oder Sarazenen, deren Plünderungszüge im 10. Jahrhundert sich vornehmlich durch hohe Mobilität auszeichneten60, oder gegen benachbarte Aggressoren. Zudem stellten berittene Krieger durch ihr Training, ihre Ausrüstung wie auch den Höhenvorteil und die Geschwindigkeit des Pferdes ein wirksames Mittel der Herrschaftssicherung gegenüber der zahlenmäßig weit überlegenen und in kleinen, weit auseinanderliegenden Gehöften angesiedelten Bauernschaft dar. Auf diesen Punkt hebt vor allem die Untersuchung zur Fehdepraxis von Gadi Algazi ab.61 Algazi zitiert die Ausführung des mallorquinischen Gelehrten und ehemaligen Ritters Ramón Llull: „Des Ritters Amt ist es, das Land instand zu halten, weil die Leute wegen der Angst, die sie vor den Rittern haben, arbeiten und das Land bebauen, weil sie fürchten, sonst vernichtet zu werden.“62 Ein solcher Zustand muss natürlich nicht überall unterstellt werden, jedoch lässt sich die latente Drohung, die aus militärischer Überlegenheit hervorgeht, nicht von der Hand weisen.63 Aus der Quellenlage lässt sich schließen, dass bäuerliche Aufstände gegen Unterdrückung und wirtschaftliche Ausbeutung bis ins Spätmittelalter tatsächlich selten waren, was auf die militärische Dominanz des gepanzerten Reiters gegenüber dem kaum gerüsteten und schlechter bewaffneten Bauern und die damit einhergehende Abschreckungskraft zurückzuführen sein könnte:64  Vgl. Hechberger, Adel, S. 15 f.; John France: Western Warfare in the Age of the Crusades. 1000–1300. Ithaka, NY 1999, S. 55 f.  Vgl. Philippe Contamine: War in the Middle Ages. Übers. von Michael Jones. Oxford 1984, S. 27–29 u. S. 32–34. Siehe auch David S. Bachrach, Bernard S. Bachrach: Warfare in medieval Europe, c.400–c.1453. London 2017, S. 51–54; Robert J. Bartlett: Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt. Eroberung, Kolonisierung und kultureller Wandel von 950 bis 1350. München 1996, S. 11 u. S. 17–19.  Vgl. Gadi Algazi: Herrengewalt und Gewalt der Herren im späten Mittelalter. Herrschaft, Gegenseitigkeit und Sprachgebrauch. Frankfurt a. M. 1996, S. 142. Zur Kritik an Algazis Ansatz vgl. Christine Reinle: Bauernfehden. Studien zur Fehdeführung Nichtadliger im spätmittelalterlichen römischdeutschen Reich, besonders in den bayerischen Herzogtümern. Stuttgart 2003 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte. 170), S. 11 f.; Sigrid Schmitt: Schutz und Schirm oder Gewalt und Unterdrückung? Überlegungen zu Gadi Algazis Dissertation „Herrengewalt und Gewalt der Herren im späten Mittelalter“. In: Vierteljahresschrift zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 89 (2002), S. 72–78. Zur spätmittelalterlichen Kritik am Fehdewesen aus der Sicht von Bürgern und Bauern siehe Gadi Algazi: The Social Use of Private Ware: Some Late Medieval Views Reviewed. In: Zur Sozial- und Begriffsgeschichte des Mittelalters. Hrsg. von Shulamit Volkov [u. a.]. Gerlingen 1993 (Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte. 22), S. 253–274, bes. S. 253–257.  Ramón Llull: The Book of the Ordre of Chyualry. Hrsg. von Alfred T. P. Byles. London 1926, S. 32. Zitiert nach Algazi, Herrengewalt, S. 198. Zur Schrift Llulls siehe auch Maurice H. Keen: Das Rittertum. Zürich 1999, S. 18–24.  Vgl. Warburg, Militär, S. 87, der hier vor allem auf das frühe feudale Wehrwesen verweist.  Vgl. Norbert Ohler: „Pax Dei“ und „Treuga Dei“. Bischöfe übernehmen die vornehmste Aufgabe des Königs. In: Krieg und Christentum: Religiöse Gewalttheorie in der Kriegserfahrung des Westens. Hrsg. von Andreas Holzem, Paderborn 2009 (Krieg in der Geschichte. 50), S. 305–322, hier S. 315. So

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I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft

Die [...] Atomisierung der Herrschaftsbereiche und die damit verbundene Rechtsunsicherheit bewirkten es schließlich, [...] daß die Wehrhaftigkeit ein wichtigeres Kriterium für soziale Überlegenheit wurde als die rechtliche Freiheit. Die entscheidende soziale Barriere verlief somit nicht mehr zwischen Freiheit und Knechtschaft, sondern trennte die Wehrhaften, die milites, von den Wehrlosen, den pauperes.65

Diese Konstellation beförderte auch das mittelalterliche Fehdewesen, da Rechtsansprüche (und Ehrenhändel) durch Diplomatie66 und Krieg – im Clausewitzschen Sinne „Politik mit anderen Mitteln“67 – durchgesetzt wurden.68 Heinz Dopsch und Wolfgang Neuper differenzieren zwar zwischen einem von königlicher Autorität legitimierten Krieg und der Fehde als einer „Form der Rechtswahrung“69, festzustellen ist aber, dass die Praktiken der Fehdeführung sich nicht im Geringsten von denen der Kriegsführung unterscheiden.70 Die Hauptleidtragenden gewaltsam ausgetragener Konflikte waren weiterhin meist nicht die adligen Herren selbst, sondern Klöster und Dörfer, die nicht oder nur unzureichend über eigene militärische Kräfte verfügten, was die Vorteile berittener Krieger bei der Plünderung gegnerischer Güter erneut deutlich werden lässt.71 Durch Plünderungen wurde der eigene Besitz gemehrt, die Gefolgsleute für ihre Treue und Unterstützung

lässt sich dann auch die mittelalterliche Adelsburg als symbolisches Zeichen der Macht wie auch als praktisches Mittel der Herrschaftssicherung und des Schutzes nicht nur gegen fremde Aggressoren, sondern auch gegen die heimische Bauernschaft verstehen. Vgl. Bumke, Kultur, S. 162 f.  Gerd Althoff: Nunc fiant Christi milites, qui dudum extiterunt raptores. Zur Entstehung von Rittertum und Ritterethos. In: Saeculum 32/4 (1981), S. 317–333, hier S. 322. Zu milites und pauperes siehe auch Friedrich, Menschentier, S. 230 f. mit Verweis auf Josef Fleckenstein: Adel und Kriegertum und ihre Wandlung im Karolingerreich. In: Ders.: Ordnungen und formende Kräfte. Ausgewählte Beiträge. Göttingen 1989, S. 287–306, hier S. 299; Friedrich, Ritter, S. 248 f.  Zur Möglichkeit einer gewaltlosen Konfliktführung im Mittelalter siehe Gerd Althoff: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde. Darmstadt 1997, S. 21–56. Zur Kritik an Althoff siehe Kortüm, Krieg, S. 34–36; siehe auch Jörg Rogge: Das Kriegswesen im späten Mittelalter und seine Erforschung. Neure englische und deutsche Arbeiten zu Krieg, Staat und Gesellschaft. In: Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit 08/01 (2004), S. 20–33, hier S. 31.  Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Hrsg. von Werner Hahlweg. Bonn 1980, S. 210.  Alexander Jendorff, Steffen Krieb: Adel im Konflikt. Beobachtungen zu den Austragungsformen der Fehde im Spätmittelalter. In: Zeitschrift für Historische Forschung 30/2 (2003), S. 179–206, hier S. 204.  Heinz Dopsch, Wolfgang Neuper: Kriege und Fehden als Krisenzeiten. Strategien – Methoden – Rechtfertigungen. In: Krisen, Kriege, Katastrophen. Zum Umgang mit Angst und Bedrohung im Mittelalter. Hrsg. von Christian Rohr [u. a.]. Heidelberg 2018 (Interdisziplinäre Beiträge zu Mittelalter und Früher Neuzeit. 3), S. 145–198, hier S. 146 f.  Vgl. Kortüm, Krieg, S. 35 f.; siehe auch Sonja Kerth: „Der landsfrid ist zerbrochen.“ Das Bild des Krieges in den politischen Ereignisdichtungen des 13. bis 16. Jahrhunderts. Wiesbaden 1997 (Imagines medii aevi. 1), S. 224; Christine Reinle: Bauerngewalt und Macht der Herren. Bauernfehden zwischen Gewohnheitsrecht und Verbot. In: Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. Hrsg. von Manuel Braun, Cornelia Herberichs. München 2005, S. 105–122, hier S. 105 f.  Vgl. Dopsch, Neuper, Kriege und Fehden, S. 149; Dinzelbacher, Lebenswelten, S. 240 f.; Clauss, Ritter, S. 75–81. Friedrich, Menschentier, S. 272 f.: „Feudale Kriegsführung vollzieht sich demnach auf

I.2.2 Der Krieger zu Pferd und die Praktik des Kämpfens

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belohnt und durch Brandschatzung dem Gegner die wirtschaftliche Grundlage genommen.72 Diese Praktik stellte eine wichtige Grundlage des mittelalterlichen Kriegswesens dar, da sie ungeachtet des Ausmaßes des Konflikts, des Rangs der Beteiligten und der Stärke der teilnehmenden Truppen unverändert blieb.73 Ähnlich drückt es auch Matthew Strickland aus: „[...] the mechanisms of war, at the heart of which lay the chevauchée and methods of economic attrition, the extent of brutality, and its conscious limitation by chivalric convention remained fundamentally unchanged.“74 Dies ist einer der Gründe für die Seltenheit von offenen Feldschlachten. Für zwei feindliche Armeen war es häufig nicht nur lukrativer, sondern strategisch sinnvoller, aneinander vorbei zu ziehen, um im Gebiet des Gegners zu plündern, als die Risiken einer direkten Konfrontation auf sich zu nehmen.75 Aus diesem Umstand leitet sich auch die besondere Bedeutung her, die dem schwer gepanzerten Reiter im gesamten Mittelalter zugekommen ist. Neben seiner guten Bewaffnung und hohen Mobilität76 lag die große Stärke des berittenen Kriegers in einem durch Gewohnheit und manheit geformten psychischen Rüstzeug, das eine effiziente Gewaltausübung ermöglichte und förderte. Dies gilt auch für die im Vergleich zu größeren Feldschlachten weitaus häufigeren Belagerungen.77 Sowohl bei Ausfällen aus der belagerten Burg oder Stadt und bei der Verteidigung gegen solche Ausfälle, als auch zur Sicherung und Plünderung des Umlandes, für das Abschneiden von Versorgungs- und Nachschubrouten und für den seltenen (freilich unberittenen) Sturmangriff waren die kriegerischen Spezialisten von Bedeutung.78 Damit korrespondieren auch die in der Literatur häufig geschilderten Szenen, in denen eine Belagerung nicht zwei Ebenen, die indes nicht voneinander getrennt werden können: einer auf Ruhm zielenden Auseinandersetzung freier Krieger und einer auf taktische und ökonomische Ziele ausgerichteten Gewaltdynamik, die sich in Fouragieren, Sturmangriffen, Plünderung, Zerstörung und Brandschatzung, selbst Pogromen und Hinrichtungen niederschlägt und aus der Perspektive höfischer Ethik heraus geradezu als irrationale Komponente des Krieges angesehen wird.“  Zur Rechtmäßigkeit dieser Praxis vgl. Michael Jucker: Alles für den König? Erste Überlegungen zu königlichem Beutebesitz und ökonomischer Güterverteilung vom Früh- zum Spätmittelalter. In: Der König als Krieger. Zum Verhältnis von Königtum und Krieg im Mittelalter. Beiträge der Tagung des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 13. – 15. März 2013. Hrsg. von Martin Clauss [u. a.]. Bamberg 2015 (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien. Vorträge und Vorlesungen. 5), S. 65–88, hier S. 65–74.  Vgl. John A. Lynn: Battle. A history of combat and culture from ancient Greece to modern America. Boulder, Colo. 2004, S. 101. So auch Matthew Strickland: War and Chivalry. The conduct and perception of war in England and Normandy 1066–1217. Cambridge [u. a.] 1996, S. 259.  Strickland, War and Chivalry, S. 19.  Vgl. Gerd Althoff: Schranken der Gewalt. Wie gewalttätig war das ‚finstere Mittelalter‘? In: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Gründe, Begründungen, Bilder, Bräuche, Recht. Hrsg. von Horst Brunner. Wiesbaden 1999, S. 264.  Vgl. Malte Prietzel: Was ist Krieg im Mittelalter? Töten, um zu herrschen. In: Krieg im Mittelalter. Hrsg. von Gert Althoff [u. a.]. Darmstadt 2017 (Damals. Sonderband), S. 11–26, hier S. 17.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 22.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 79 u. 84. Die hier erwähnten Zweikämpfe während Belagerungen lassen auf die Teilnahme solcher Spezialisten schließen.

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I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft

durch ein hinzukommendes Entsatzheer, sondern durch den Helden des jeweiligen Textes gleichsam von innen aufgebrochen wird.79 Die moderne deutsche Militärgeschichte hält noch immer an den Denkgewohnheiten ihrer Vorväter im 19. Jahrhundert fest, wenn sie den Fokus des Krieges ausschließlich auf die große, offene Feldschlacht legt80 und den Raubzug mit Plünderung und Brandschatzung als entscheidendes strategisches Element vernachlässigt oder, wie Richard Kaeuper so treffend formuliert hat: „The torch may be missing from the museum wall, but it cannot be forgotten in analysis of knighthood and war.“81 Weiterhin wird mit der Behauptung, dass Feldschlachten selten gewesen seien, unterschlagen, dass lediglich große Feldschlachten mit vielen tausend Kämpfern eine Ausnahme darstellten, während kleinere Gefechte und Scharmützel durchaus häufiger vorkamen.82 Unabhängig von der Art des Konflikts kam dem Zusammenstoß berittener Verbände große Bedeutung und Aufmerksamkeit zu, sodass er sich in Literatur und bildender Kunst vielfach inszeniert findet.83 Gerade aus der Inszenierung, die ja in vielen Fällen eine Selbstinszenierung des kriegerischen Adels war, ergeben sich jedoch eine Reihe von Missverständnissen. Viele Chroniken schildern häufig

 Beispiele hierfür finden sich im Iwein, worauf später noch genauer einzugehen ist, aber auch in den Parzivâl- und Gâwân-Partien des Parzival oder in Hartmanns Gregorius.  Vgl. Cathal J. Nolan: The Allure of Battle. A History of how Wars have been won and lost. New York 2019, bes. S. 2–5. Nolan beschreibt den Irrglauben, dass Kriege durch einzelne Schlachten gewonnen werden.  Kaeuper, Medieval Chivalry, S. 160. Siehe auch Algazi, Social Use, S. 253 f.  Vgl. France, Warfare, S. 150. Dies beobachtet jüngst auch Markus Jansen in seiner umfangreichen Aufarbeitung des militärischen Habitus des Kölner Stadtadels. Vgl. Markus Jansen: Die Stadt der Ritter und die siegreiche Gemeinde. Dynamiken kriegerischer Habitusformen und Narrative innerhalb der Kölner Elite des Spätmittelalters (Dissertation Köln 2021, in Vorbereitung), S. 53 f. Die Steirische Reimchronik berichtet von zahlreichen solcher Aufeinandertreffen, die zwar häufig keine schicksalsträchtigen Wendepunkte der mittelalterlichen Geschichte darstellten, jedoch auf regionaler Ebene von beträchtlicher Tragweite sein konnten. Dies betrifft unter anderem die Schlachten von Kraubath (1292) und Griffen (1293), in denen auf beiden Seiten jeweils nur bis zu 50 Reiter kämpften. Die Treffen ereigneten sich im Rahmen des Aufstandes des sog. Landsberger Bundes der steirischen Adligen gegen Albrecht I. von Habsburg. Der jeweilige Sieg der Männer Albrechts zementierte die Herrschaft der ursprünglich schwäbischen Habsburger über die Steiermark und Kärnten für die nächsten 625 Jahre. Vgl. StR, V. 57191 u. V. 61871; Bertholt Sutter: Die Steiermark in Zeiten des Umbruches. Zum Kampf um die Steiermark im Interregnum und ihre Leistungen nach 1282 zur Rettung der Herrschaft des Hauses Habsburg in Österreich. In: 800 Jahre Steiermark und Österreich 1192–1992. Der Beitrag der Steiermark zu Österreichs Größe. Hrsg. von Othmar Pickl. Graz 1992 (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark. 35), S. 97–144, hier S. 134 f.  Ein Beispiel für die Vergleichbarkeit von bildlicher und narrativer Inszenierung, bei der beide gleichermaßen auf die Taten bedeutender Persönlichkeiten ausgerichtet sind, ist die Rymkronyk Jans van Heelu zur Schlacht von Worringen, die vornehmlich die Taten Johanns I. von Brabant verherrlicht und das Autorenbild des letzteren in der Großen Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse), Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Bl. 18r, [https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg848/ 0031, Zugriff: 29.06.2023], das den Fürsten zeigt, wie er Helm und Schädel eines Gegners mit dem Schwert spaltet.

I.2.2 Der Krieger zu Pferd und die Praktik des Kämpfens

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nur die Taten namhafter Adliger, die zu Helden der jeweiligen Erzählung ausgebaut werden,84 sodass sich Beschreibungen von Schlachten wie eine Aneinanderreihung von Duellen oder der Siegeszug eines Einzelnen lesen.85 Die generelle Zusammensetzung mittelalterliche Heere aus schwer und leicht gepanzerten Reitern, Fußkämpfern und Schützen sowie deren jeweilige Kampfesweise bleibt dabei meist vage.86 Die jüngere militärgeschichtliche Forschung hat gezeigt, dass gepanzerte Reiter immer in kleinen geschlossenen Verbänden von zehn bis vierzig Mann, sogenannten Scharen oder Bannern, agierten.87 Dies änderte die Interpretation der Quellen dahingehend, dass die Taten des Anführers eines solchen Verbandes pars pro toto für die Handlungen seines Gefolges stehen.88 In der Steirischen Reimchronik wird dies an einigen Stellen explizit gemacht: Mathias meister von Trense und von Schiltperc grâf Stephan, wizzet, daz die zwêne man und die zwô schar, die si fuorten, dructen unde ruorten in dem strît unz an daz ort. (StR, V. 16238–16243)

Die historiographische Darstellung einer Schlacht mit der Vielzahl ihrer Akteure und Handlungsverläufe als eine Aneinanderreihung von Einzelkämpfen findet jedoch auch eine reale Entsprechung. Im Moment des Zusammenstoßes kann jede Lanze nur auf einen einzelnen Gegner gerichtet sein, sodass der Zusammenstoß zweier Verbände in der Praxis aus einer Summe von Zweikämpfen bestand. Die bildlichen und literarischen Darstellungen bezeichnen in nuce einen Vorgang, der allen Angehörigen dieses Kriegertyps vertraut war und der im Zuge jeder Auseinandersetzung von berittenen Verbänden zum Einsatz kam. Als Bestandteil eines berittenen Verbandes kam

 Vgl. Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst. 3: Das Mittelalter, Berlin 2000 (Neuausgabe des Nachdrucks 1964 der 2. Auflage von 1907), S. 274 f.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 106; Duby, Sonntag, S. 135.  Vgl. Kerth, landsfrid, S. 244 f.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 275; Duby, Sonntag, S. 100; Contamine, War, S. 229 f.; Peter Czerwinski: Die Schlacht- und Turnierdarstellungen in den deutschen höfischen Romanen des 12. und 13. Jahrhunderts. Zur literarischen Verarbeitung militärischer Formen des adeligen Gewaltmonopols. Berlin 1975, S. 103–106 mit einem Beispiel aus der Steirischen Reimchronik. Rachel E. Kellett: Single combat and warfare in German literature of the High Middle Ages: Stricker’s ‚Karl der Große‘ and ‚Daniel von dem Blühenden Tal‘. London 2008 (Texts and dissertations. Modern Humanities Research Association. 72), S. 111 beschreibt eine solche Einteilung in Bezug auf das Turnier, bemerkt jedoch, dass in der Schlacht ebensolche Einteilungen vorgenommen wurden. Zum Turnier vgl. Bumke, Kultur, S. 349.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 76 f. u. 106.

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daher der manheit des Einzelnen eine große Bedeutung zu,89 da sowohl das Anreiten gegen eine geschlossene Reihe feindlicher Reiter als auch der Lärm90 und das Chaos des Nahkampfs eine psychische Belastung darstellten, die zu überwinden ebenso gelernt werden musste, wie der Umgang mit dem Pferd und mit Schwert und Lanze.91 Gleichfalls ist auf die Bedeutung des Zusammenhaltes solcher Verbände hinzuweisen, die im Gefecht die Formation halten mussten.92 Die Ausführungen Udo Friedrichs zeigen, wie adlige Kriegsführung von einem „zentrifugalen Ethos des Kriegsruhms, das im einzelnen Namen sich verewigt“93 und einer stetigen und nicht immer erfolgreichen Bemühung der Heerführer um Disziplin gekennzeichnet war, da die Wirksamkeit einer berittenen Einheit vor allem in ihrer Geschlossenheit lag.94 Der sogenannte Schock-Angriff, bei dem eine Schar in enger Formation gegen einen Gegner anstürmt, um dessen Formation aufzulösen oder ihn zurückzudrängen, kann als Herzstück einer Taktik des schwer gepanzerten Reiters betrachtet werden, da hier die genannten Fähigkeiten kulminierten. Denn wie es im großen Gefüge der Schlacht das allgemeine Ziel war, das feindliche Heer auseinanderzujagen, so war es auch im kleinen Gefecht der einzelnen Scharen das Ziel eben diesen Zusammenhalt zu zerschlagen, indem man ihre Reihen durchbrach.95 Ein solches Geschehen wird in der Steirischen Reimchronik bezüglich eines Gefechts im Jahre 1292 im Rahmen des Aufstands des steirischen Adels gegen Albrecht von Habsburg geschildert: die helde vermezzen einen druc verenten, dâmit si zetrenten die schar und durchritten durch und durch enmitten. [...] (StR, V. 57330–57334)

Ein solches Manöver erforderte ein hohes Maß an Koordination und Training und begünstigte maßgeblich das Aufkommen von Buhurt und Turnier:96

 Vgl. Warburg, Militär, S. 91.  Vgl. Bumke, Kultur, S. 231.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 41. Zur Einübung von Gewohnheiten bei den Praktiken des Kämpfens siehe auch Lutz Fenske: Der Knappe: Erziehung und Funktion. In: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur. Hrsg. von Josef Fleckenstein. Göttingen 1991 (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte. 100), S. 55–127, bes. S. 69 f. u. 80–82.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 102.  Friedrich, Zähmung, S. 167.  Vgl. Friedrich, Zähmung, S. 163–170.  Vgl. Duby, Sonntag, S. 100; Contamine, War, S. 229 f. Siehe auch Prietzel, Kriegführung, S. 74.  Vgl. Bumke, Kultur, S. 342; Werner Rösener: Rittertum und Krieg im Stauferreich. In: Staat und Krieg. Vom Mittelalter zur Moderne. Hrsg. von ders. Göttingen 2000, S. 37–63, hier S. 53 f.; Keen, Rittertum, S. 136 f.

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Blitzschnelle Wendungen mit dem Pferd waren im Handgemenge lebenswichtig. Auch gründete der Erfolg jener kleinen Reitergruppen, die im Kampf zusammen agierten, auf ihrer Fähigkeit, schnell und wendig zu manövrieren, ohne dabei die Formation aufzulösen. Diese Beweglichkeit in der Gruppe einzuüben und stolz zu präsentieren, war unter anderem Gegenstand der üblichen Reiterspiele.97

Nach dem Ansturm mit eingelegter Lanze kam auch dem Nahkampf mit dem Schwert eine große Bedeutung zu. Auch hier sollte die Formation der Schar aufrechterhalten werden, soweit das im chaotischen Gedränge von ineinander verkeilten Pferden möglich war. Auch wenn ein solcher Kampf sicherlich wenig mit den freien Bewegungsmöglichkeiten eines Zweikampfs auf offenem Feld gemeinsam hatte, richtete sich doch der einzelne Schlag eines Schwertes immer nur gegen einen Gegner. Somit ist die Quellenaussage, dass ein bestimmter Kämpfer mit einem anderen kämpfte oder ihn besiegte nicht deshalb schon unzutreffend, weil auch andere Kämpfer an dem Geschehen beteiligt waren. Die erforderlichen physischen Eigenschaften für eine Schlacht unterschieden sich somit nicht von denen für einen Zweikampf, was die tropische Ersetzung von Gruppenkämpfen durch Zweikämpfe erklärt. Darüber hinaus erzwingt die Verwandlung von simultanen Ereignissen in die Sukzessivität der Erzählung eine Konkretisierung, die der Realität womöglich nicht entspricht, dafür jedoch größere narrative Wirkung entfaltet. Dies bringt der Erzähler der Rymkronyk explizit zum Ausdruck: denn es wird mir niemand übelnehmen, daß ich nicht der Reihe nach und bis zum Ende alles gleichzeitig erläutern kann, was in dieser Schlacht zu jener Zeit geschah; denn viele Ereignisse geschahen dort zum gleichen Zeitpunkt, die man in einer Geschichte nicht alle erzählen kann; so muß ich planen, wenn ich über alle gut berichten will.98

Entsprechend verweist Prietzel auf die poetischen Gesichtspunkte von Schlachtenerzählungen: Neben den tatsächlichen Auseinandersetzungen waren auch die Erzählungen von Zweikämpfen von Bedeutung, denn in ihnen wurde das kriegerische Geschehen individualisiert und damit für den einzelnen Kämpfer erfahrbar; er erhielt den Eindruck, dass es auch auf ihn und seine kriegerischen Fertigkeiten ankomme.99

Dies zeigt sich vermehrt in der Darstellung der Schlacht von Worringen Jans van Heelu, der vielfach die Namen und Begegnungen einzelner Ritter nennt, die jedoch stets im weiteren Geschehen des Gruppenkampfs zu verorten sind.100 Daraus ergibt sich die zutreffende Zusammenfassung Malte Prietzels:  Prietzel, Kriegführung, S. 41.  Maer nieman en sal verkeeren / Dat ic, dat in den strijt / Daer gheviel te ere tijt, / Tallen staden ende tallen inden, / Tenen male niet en can ontbinden; / Want menege aventure / Gheviel daer, op een ure, / Die men onder ene tale / Niet en can tellen altemale (Rymkronyk, V. 4644–4652) Übers. Hellegers, Worringen, S. 126.  Prietzel, Kriegführung, S. 103.  Siehe beispielsweise Rymkronyk, V. 5084–5109.

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I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft

[Es] dürften Gruppenkampf und Zweikampf eng beieinander gelegen haben. Zum einen wird es im Laufe eines Kampfes zwischen Gruppen häufig zu Situationen gekommen sein, in denen eher zufällig und ungeplant ein Mann gegen einen anderen kämpfte; einem Zweikampf mochte das dann recht ähnlich sein.101

Dies bedeutet hingegen auch, dass die in der höfischen Literatur dargestellten Zweikämpfe als ausschnitthafte Miniaturen oder Allegorien eines Schlachtgeschehens zu betrachten sind, in dem sich Erfahrungen und Wissen von Rezipienten und Rezipientinnen wiederspiegeln. Wie die Analyse des Iwein aufzeigen wird, entsprechen viele von Iweins Kampfhandlungen – etwa die Verfolgung Ascalôns, der Kampf gegen den Fußkämpfer Harpin oder die Maßnahmen gegen die Überzahl des Truchsess‘ und seiner Brüder – den Gegebenheiten berittener Kriegsführung. Auch die Unterstützung durch den Löwen erscheint in diesem Licht wie eine zum richtigen Zeitpunkt eintreffende Reserve. Vor diesem Hintergrund ist der höfische Roman als mentalitäts- und militärgeschichtliche Quellengattung ernst zu nehmen und die in ihm enthaltenen Aussagen über die Kampfpraktiken des Rittertums nicht nur als Idealisierung abzuwerten. Vor diesem Hintergrund sind auch die erzählerischen Verfahren mittelalterlicher Schlachtenbeschreibung von Interesse, wenn etwa der Schaden, den eine Rüstung genommen hat, beschrieben wird: „Den Berichterstattern geht es dabei meist nicht nur darum, die Qualität der Rüstung zu erwähnen. Sie lassen mit solchen Bemerkungen zugleich durchscheinen, dass der betreffende Krieger tapfer gekämpft habe.“102 Denn ein Kämpfer, dessen Rüstung vielen Angriffen standgehalten hatte, war gänzlich im Kampfgeschehen involviert gewesen und hatte sich nicht zurückgehalten, sodass die Erwähnung der Rüstung den Ruhm des jeweiligen Kriegers für die Mit- und Nachwelt festhielt. Dieser Aspekt findet sich in der Erwähnung von Verwundungen und zerschlagenen Rüstungen und Schilden, wie es sie in der Literatur häufig gibt, deren Signifikanz eine gemeinsame Bildsprache von Roman und Historiographie erkennen lässt.103 Neben dem chevauchée handelt es sich des Weiteren auch bei der Schlacht (zwischen christlichen Heeren104) selbst in wesentlichen Punkten um einen Versuch der Plünderung, denn die wertvollste „Beute“ in der mittelalterlichen Kriegsführung waren neben Pferden und Rüstungen auch deren adligen Nutzer, die man versuchte gefangen zu nehmen, um sie für hohes Lösegeld freizulassen.105 Dies lässt sich weiter Prietzel, Kriegführung, S. 83.  Prietzel, Kriegführung, S. 120 f.  Siehe bes. beim Kampf zwischen Iwein und Gâwein in Kap. II.1.9.  Für die Auslösung von Gefangenen oder zur Bestimmung eines Lösegelds mussten diplomatische Beziehungen zum Gegner bestehen. So nahmen auf dem ersten Kreuzzug die Christen keine Gefangenen, im Krieg mit Saladin hundert Jahre später sehr wohl. Vgl. Yvonne Friedman: Encounter between enemies. Captivity and Ransoms in the Latin Kingdom of Jerusalem. Leiden 2002 (Cultures, Beliefs and Traditions. 10), S. 7.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 121; Matthew Strickland: Killing or clemency? Ransom, chivalry and changing attitudes to defeated opponents in Britain and Northern France, 7–12th centuries. In: Krieg im Mittelalter. Hrsg. von Hans-Henning Kortüm. Berlin 2001, S. 93–122, bes. S. 97–121; ders., War and

I.2.2 Der Krieger zu Pferd und die Praktik des Kämpfens

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hin als eine Form von Reparation für die Sieger eines Gefechts auffassen, die half, die enormen Anschaffungskosten von Waffen und Rüstung sowie vor allem der benötigten Pferde zu tragen. Die Bemühung den (adligen) Gegner nicht zu töten, sei es aus ökonomischen Gründen, sei es aus moralischen oder kulturellen Gründen, minderte für jene Elite die Gefahr einer Schlacht, ohne sie freilich gänzlich zu nehmen. So berichtet Ordericus Vitalis, dass in der Schlacht von Brémule, 1119, zwischen den Königen von England und Frankreich, von insgesamt 900 Rittern nur drei getötet wurden. Denn sie waren alle rundum mit Eisen gepanzert und schonten sich gegenseitig aus Gottesfurcht und, weil sie sich als Zeltgenossen kannten; sie bemühten sich weniger, die Fliehenden zu töten als sie gefangenzunehmen.106

Die Darstellung der Schlacht von Brémule durch Ordericus Vitalis soll hier als Ausgangspunkt der Analyse einer Schlachtbeschreibung dienen, da sie zentrale Aspekte des berittenen Kampfes im 12. Jahrhundert und bis weit ins späte Mittelalter hinein veranschaulicht. So ist die Bemerkung über die geringen Todeszahlen Teil einer interessengeleiteten Darstellungsstrategie: Matthew Strickland hat auf die ausgeprägte Parteilichkeit Ordericus‘ für das angevinische Königshaus hingewiesen, dessen Handlungen er im Zuge der Wahrung von Recht und Ordnung und dem Schutz von Kirche und Landbevölkerung durchweg legitimiere und befürworte. Entsprechend stelle Ordericus den Kampf gegen die normannischen Aufständischen und ihre französischen Verbündeten als eine Mission zur Wahrung des Friedens dar, bei der wenige Tote zu beklagen seien.107 Die Angabe von Opferzahlen ist hier also wie auch bei vielen anderen mittelalterlichen Schlachtbeschreibungen mit einigem Zweifel aufzunehmen, was die realen Verhältnisse angeht. Während hier eine Zurschaustellung der Zurückhaltung der angevinischen Kämpfer beabsichtigt ist, wird in anderen Fällen mit der großen Anzahl getöteter Feinde eine Glorifizierung der eigenen Partei betrieben.108 Zum zweiten hebt Ordericus zwar das geringe Blutvergießen seines Königs hervor, jedoch ist darauf hinzuweisen, dass lediglich drei m i l i t e s getötet wurden, was im Sprachge-

Chivalry, S. 183–203. Siehe auch Gerd Althoff: „Selig sind, die Verfolgung ausüben“. Päpste und Gewalt im Hochmittelalter. Darmstadt 2013, S. 319 f.  In duorum certamine regum ubi fuerunt milites ferme nongenti, tres solummodo intercmptos fuisse comperi. Ferro enim undique vestiti erant, et pro timore Dei notitiaque contubernii vicissim sibi parcebant, nee tantum oeeidere fugientes quam comprehendere satagebant. Ordericus Vitalis: Historia Ecclesiastica, ed. and transl. by Marjorie Chibnall. 6 Bde. Oxford 1969–1980, Bd. 6, 1978, S. 240. Übersetzung aus Christoph Huber: Ritterideologie und Gegnertötung. Überlegungen zu den ‚Erec‘-Romanen Chrétiens und Hartmanns und zum ‚Prosa-Lanzelot‘. In: Spannungen und Konflikte menschlichen Zusammenlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters. Bristoler Colloquium 1993. Hrsg. von Kurt Gärtner [u. a.]. Tübingen 1996, S. 59–73, hier S. 59. Siehe auch Prietzel, Kriegführung, S. 120 f. mit zahlreichen weiteren Belegen für die Bedeutung der Rüstung; Duby, Sonntag, S. 126; Strickland, War and Chivalry, S. 132 u. S. 169–176.  Vgl. Strickland, War and Chivalry, S. 13 f.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 118 f.

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I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft

brauch des 12. Jahrhunderts den gepanzerten Reiter bezeichnete, der über den besten Schutz verfügte.109 Es ist nicht anzunehmen, dass die 400 beziehungsweise 500 milites der beiden Könige ohne die Begleitung von Fußkämpfern auf dem Schlachtfeld erschienen. Die Quelle macht keine Aussage über die Anzahl der beteiligten Fußkämpfer, die in der Regel über keine schwere Rüstung verfügten und in sehr viel größerer Zahl an der Schlacht beteiligt gewesen sein dürften.110 Entsprechend des weitgehenden Desinteresses der Chronisten an den gesellschaftlich niedrig stehenden Fußkämpfern finden ihre Todeszahlen in den Quellen selten Erwähnung, dabei hatte diese Truppengattung gerade bei einer Niederlage – wie etwa der Franzosen in Brémule – die größten Verluste zu beklagen, da die verfolgende Reiterei die Fliehenden mit Leichtigkeit einholen und töten konnte.111 Im Falle Brémules konnten offenbar große Teile der fliehenden französischen Reiterei entkommen,112 jedoch enthält Ordericus‘ Bericht, neben der Verfolgung von Fliehenden, noch zwei weitere Punkte, die das taktische Verhalten berittener Verbände auf dem Schlachtfeld beschreiben: Während ein Großteil des Gefolges des englischen Königs mit diesem gemeinsam zu Fuß kämpften, blieben hundert Reiter gemeinsam mit dem Königssohn Richard auf ihren Pferden, vom ungeordneten Ansturm der Franzosen anscheinend nicht betroffen.113 Nachdem dieser zum Stillstand gekommen war, indem die Pferde getötet wurden, fanden sich die französischen Krieger umzingelt.114 Angesichts der Bedeutung einer geschlossenen Formation gerade für Fußkämpfer liegt es nahe, dass diese Umzingelung durch die berittene Abteilung unter der Führung des englischen Prinzen erfolgte. Die Mobilität der Reiter ermöglichte es ihnen, ihren im Nahkampf mit den englischen Fußkämpfern involvierten Gegenspielern in den Rücken zu fallen und damit den Ausgang der Schlacht zu entscheiden. Bevor sich die französischen Krieger jedoch geschlagen gaben, gelang es ihnen die englische Schlachtreihe zurückzudrängen.115 Dies kenn-

 Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 120. Zur Bedeutung des miles siehe ausführlich Kap. I.3.4.  Vgl. Hans-Henning Kortüm: Kriege und Krieger 500–1500. Stuttgart 2010, S. 220; Duby, Sonntag, S. 134; Strickland, War and Chivalry, S. 176–181.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 107 f., S. 119 u. S. 122. Prietzel verweist auf die Chronik des Ägidius von Orval, der berichtet, in einer Schlacht in den Niederlanden im Jahr 1129 seien 924 Fußkämpfer getötet worden, zuzüglich jener deren Leichen man nicht gefunden habe oder die später ihren Verletzungen erlegen seien. Siehe Aegidius Aureaevallensis: Gesta episcoporum Leodensium. Hrsg. von Johannes Heller. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) XXV. Hrsg. von Georg Waitz. Hannover 1880, S. 1–129, hier S. 99.  Victores autem CXL milites comprehenderunt, et reliquos usque ad portas Andeleii persecuti sunt. Hist Eccl. 6, S. 238.  Primum utique in conflictu Galli acriter ferire coeperunt, sed inordinate properantes superati sunt, citoque fatiscentes terga verterunt. Richardus, regis filius, et centum milites equis insidentes ad bellum parati erant. Reliqui vero cum rege pedites in campo dimicabant. Hist Eccl. 6, S. 238.  In prima fronte Guillelmus Crispinus et LXXX equites super Normannos irruerunt, sed equis eorum protinus occisis, omnes inclusi et retenti sunt. Hist Eccl. 6, S. 238.  Deinde Godefredus de Serranz, aliique Vilcassinii fortiter percusserunt, aciemque totam aliquantulum retro vacillare compulerunt. Hist Eccl. 6, S. 238.

I.2.2 Der Krieger zu Pferd und die Praktik des Kämpfens

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zeichnet einen zentralen Faktor der mittelalterlichen Kriegsführung: Unabhängig vom Grad der Ausrüstung und Professionalität bestand die grundsätzliche Aufgabe des Fußvolks darin die Stellung zu halten, also den Gegenpol zur Mobilität der Reiter zu bilden,116 wobei die Unterstützung durch abgesessene gepanzerte Reiter, wie das Gefolge König Heinrichs I. in Brémule, zur Moral und Standhaftigkeit beitrug. Der Schock-Angriff der französischen Reiter, bei dem die Reiter in geschlossenen Reihen gegen die Fußkämpfer anstürmen, mit dem Ziel, diese zum Rückzug zu zwingen und dann umso leichter nieder reiten zu können, scheitert in Brémule jedoch, da der französische Angriff ungeordnet war. Die Bedeutung der dichten Formation, von der bereits die Rede war, wird hier klar ersichtlich. Auch wenn sich nicht ausschließen lässt, dass Ordericus erneut aus propagandistischen Gründen die strategisch kluge Schlachtordnung der Engländer der Disziplinlosigkeit der Franzosen gegenüberstellt, so ist die Aussage, dass ein ungeordneter Schock-Angriff nur geringen Effekt hat, ebenso deutlich wie richtig.117 Auf dem Schlachtfeld übernahm die schwere Reiterei bestimmte Aufgaben entsprechend ihrer besonderen Stärken. John France bezeichnet sie entsprechend als ein „weapons-system“118, wodurch die spezifische Funktionsweise deutlich betont wird. Bis auf das Anstürmen zweier Reiter-Scharen gegeneinander enthält der kurze Bericht Ordericus Vitalis alle entscheidenden Manöver des berittenen Kriegers: den Ansturm der Schock-Taktik, das Flankieren und die Verfolgung von Fliehenden. Darüber hinaus berichtet Ordericus von der Praktik, dass die Reiter (milites) zu Fuß kämpften, in diesem Fall sogar mit dem König an ihrer Seite. Hans-Henning Kortüms Einschätzung, dass gepanzerte Reiter gerade dann, wenn sie zu Fuß kämpften, besonders erfolgreich seien,119 erscheint ein wenig übertrieben, da die lang anhaltende Praktik des berittenen Kampfes sicherlich auch in ihrer Effektivität gegründet war. Kortüm übersieht auch, dass das Absteigen vom Pferd zwangsläufig einen Wechsel der Truppengattung darstellt, da ein schwer gepanzerter Fußkämpfer anders auf dem Schlachtfeld zu agieren hatte als ein schwer gepanzerter Reiter.120 Dies erstreckt sich auch auf die geistige Haltung eines Fußkämpfers: Ordericus berichtet, dass in der Schlacht von Bourgthéroulde (1124) der englische Befehlshaber das Einverständnis seiner Genossen (commilitones) eingeholt habe, die Krieger vom Pferd steigen und zu Fuß kämpfen zu lassen,121 was einen französischen Ritter wiederum zu der Mahnung bewegt: „Ein berittener Krieger, der mit sei-

 Vgl. Bachrach, Bachrach, Warfare, S. 276–283.  Vgl. Bachrach, Bachrach, Warfare, S. 295.  France, Warfare, S. 161.  Vgl. Kortüm, Krieger, S. 122.  Vgl. Gero Schreier: Ritterhelden. Rittertum, Autonomie und Fürstendienst in niederadligen Lebenszeugnissen des 14. bis 16. Jahrhunderts. Ostfildern 2019 (Mittelalter-Forschungen. 58), S. 50.  Oportet ut pars nostrum ad pugnam descendat, et pedes dimicare contendat; et altera pars prelliatura equis insideat. Hist Eccl. 6, S. 350.

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I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft

nen Männern zu Fuß kämpft, wird nicht fliehen, sondern sterben oder siegen.“122 Es wird ersichtlich, dass es zwar in der Schlacht von Vorteil war, über Reiterei zu verfügen, wichtiger ist jedoch, dass es einen gravierenden Nachteil darstellte, nicht über Reiterei zu verfügen. Dies zeigt sich in der Niederlage eines bäurischen Heeres in der Schlacht bei Altenesch (1234) im Stedingerkrieg zwischen den Stedinger Bauern und Bischof Gerhard II. von Bremen und dessen (hoch)adligen Verbündeten. Der Chronist Albert von Stade berichtet über den zum Kreuzzug stilisierten Konflikt: Die Stedinger, gleichsam rasend geworden und von einer gewissen Tollheit erfasst, fürchteten nicht die Menge der Kreuzfahrer, nicht die Gewalt des geistlichen und des weltlichen Schwertes, sondern stürzten sich in zwar geordneter Schlachtreihe, aber ungeordneten Geistes, gleich tollen Hunden den Pilgern entgegen. Der Herzog von Brabantien und der Graf von Holland griffen beim ersten Anlaufe jene Verpesteten bei dem Felde Oldenesche, wo sie sich versammelt hatten, mannhaft an, aber diese vertheidigten sich mit höchster Kraftanstrengung. Sofort brach der Graf von Clive [sic!] mit den Seinigen von der Seite über sie her und zerstreute ihre Schlachtreihe.123

Ungeachtet der eindeutigen Parteilichkeit beschreibt Albert das geordnete Vorrücken der Stedinger Bauern, die somit anscheinend über ein gewisses Maß an Disziplin, Koordination und Zusammenhalt verfügten. Verwickelt in die Verteidigung gegen den Angriff von vorne wurden sie jedoch vom Grafen von Kleve flankiert und ihre Ordnung löste sich auf: Kein Verzug, jene Thoren und Bösewichter schwanden in ihren Gedanken dahin, weil sie von dem Heere des Herrn unterdrückt wurden, von Lanzen durchbohrt, von Schwertern getroffen, von den Füßen der Pferde zertreten. Und so stark kam die Hand des Herrn über sie, dass in kurzer Zeit 6000 derselben zu Grunde gingen. Die Mehrzahl von ihnen ging, als sie ihr Heil in der Flucht suchten, in einer nahen Grube und in der Wisera zu Grunde.124

Die Opferzahlen mögen übertrieben sein, doch das Schicksal eines Heeres, das seinen Zusammenhalt verloren hat, wird plausibel wiedergegeben. Durch Dehumanisierung

 Bellicosus eques iam cum suis pedes factus non fugiet, sed morietur aut uincet. Hist Eccl. 6, S. 350.  Stedingi ut amentes effecti ac quadam insania ventilati non timuerunt signatorum multitudinem. nec spiritualis nec materialis gladii potestatem, sed ordinata quidem acie, inordinata autem mente, tan quam furibundi canes processerunt obviam peregrinis. Dux Brabantiae et comes Hollandiae primo congressu pestilentes illos super agrum Oldenesche, ubi convenerant, viriliter invaserunt, sed ipsi summo conamine se defenderunt. Statim comes de Clivo cum suis a latere irruens super illos, ipsorum aciem dissipavit. Annales Stadenses auctore M. Alberto ab O. c. – 1256. Hrsg. von Johann Martin Lappenberg. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) XVI. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1859, S. 271–378, hier S. 362. Übersetzung in: Franz Wächter: Die Chronik des Albert von Stade. Leipzig 1890 (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. 72), S. 79.  Nec mora, illi insipientes et maligni evanuerunt in cogitationibus suis, quia ab exercitu Domini opprimuntur, hastis perfossi, gladiis percussi, equorum pedibus conculcati. Et ita manus Domini invaluit super illos m, ut in brevi spacio eorum 6 milia interierunt. Plurimi ex iis fugae praesidium postulantes, in proxima fovea se et in Wisera submerserunt. Annales Stadeneses, S. 362. Übersetzung in: Wächter, Chronik, S. 79.

I.2.2 Der Krieger zu Pferd und die Praktik des Kämpfens

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wurden Menschengruppen aufgrund von Merkmalen wie Religion, Ethnie oder einer wie auch immer gearteten Zuschreibung zu ‚Nicht-Menschen‘ – im Falle der Stedinger zu tollwütigen Hunden, Verpesteten und Bösewichten – erklärt, weshalb es weniger problematisch war sie zu töten, wie die Beschreibung der Quelle nahelegt. Wie aber auch grundsätzlich an der allgemeinen Strategie der Kriegs- und Fehdeführung als Plünderungs- und Brandschatzungszug zu erkennen ist, erstreckten sich Mechaniken der Dehumanisierung auch auf Gesellschafts- und Klassenunterschiede, weshalb sich exzessive Gewalt gegen die von Ordericus Vitalis benannten Zeltgenossen (notitia contubernii, s. o.) häufig in Grenzen hielt, während Angehörige niedrigerer sozialer Gruppen und anderer Kulturen kaum Schonung erwarten konnten.125 Die hier aufgeführten Praktiken waren den Angehörigen einer Kriegergesellschaft in der ein oder anderen Form aus eigener Erfahrung oder direkten Berichten bekannt. Daneben verfügten Darstellungen von Kämpfen in Romanen und Chroniken über einen gewissen Realitätsbezug, der den mittelalterlichen Rezipient:innen eine Einordnung des Geschilderten ermöglichte. Diese waren sicherlich auch in der Lage, die Leerstellen in epischen und chronikalischen Darstellungen zu füllen. Beispielsweise wird häufig berichtet, dass ein Kämpfer in der Schlacht mehrere Lanzen verstoßen hätte. Vor dem Hintergrund des Imperativs die Formation zu halten, impliziert dies, dass auch die Schar, der dieser Kämpfer angehört, mehrere Male mit dem Gegner in Berührung gekommen ist. Dazwischen müssen sich die Reiter entweder neue Lanzen geholt haben oder diese wurden ihnen gebracht. In den Gâwân-Partien von Wolframs Parzival wird dies entsprechend zum Ausdruck gebracht. Während der Schlacht von Bearosche greift Gâwân immer wieder von neuem mit seinem poynder in das Kampfgeschehen ein, wobei ihm mehrere Lanzen zur Verfügung stehen.126 Gâwân nam sîne geselleschaft: do ergienc sîn poynder mit kraft, mit sînes wirts baniere beschutter harte schiere von Jâmor den werden. (Pz, V. 381,21–25)

Auch sein Gegner verfügt über zwölf Knappen, die dafür zuständig waren, ihn auf dem Schlachtfeld mit frischen Lanzen zu versorgen: Meljanze er helfe sich bewac. der erwarb ouch im von Semblidac zwelf knappen, die sîn nâmen war

 Vgl. Dinzelbacher, Lebenswelten, S. 249; Prietzel, Kriegführung, S. 121; Huber, Ritterideologie, S. 59 f. Zu den notitia contubernii siehe Strickland, Killing, S. 93 f.  Pz, V. 384,22–385,1. Auch Vivianz in Wolframs Willehalm versticht vor seinem Tod mehr als eine Lanze. Siehe Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Hrsg. von Joachim Heinzle. Frankfurt a. M. 2009 (im Folgenden Wh.), V. 24,1–27,29.

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I.2 manheit und Gewalt der mittelalterlichen Kriegergesellschaft

an der tjoste und an der poynder schar: swaz sper gebieten moht ir hant, diu wurden gar von im verswant. (Pz, V. 384,1–6)

Das bei der Schlacht von Bêârosche verwendete Vokabular von tjost und turney (Pz, V. 387,30) belegt nebenbei die Ähnlichkeit von Krieg und Kriegsspiel, auf das noch zurückzukommen ist. Weiterhin lässt diese Passage die Bedeutung des geordneten Wendens der Reiterscharen erkennen. Nach dem ersten Schock-Angriff wurde nach Möglichkeit gewendet und mit einer neuen Lanze erneut angegriffen. Erst wenn dies nicht mehr möglich war, begann der eigentliche Nahkampf mit dem Schwert. Je öfter und besser das Wenden und erneute Anreiten mit der Lanze gelang, desto besser, da jeder neue Ansturm die Möglichkeit bot, die Formation des Gegners aufzubrechen.127 Abschließend sei angemerkt, dass Gâwân, bevor er am Schlachtfeld von Bêârosche ankommt, betet: ‚nu müeze got bewarn die kraft an mîner manheit.‘ (Pz, V. 350,14 f.) Seine erfolgreichen Kämpfe belegen hinreichend, dass einerseits sein Wunsch in Erfüllung gegangen ist und andererseits, dass Gâwâns kriegerische Leistungen auch hier im Zeichen der manheit stehen. Vor allem lässt diese Passage erkennen, dass auch die Handlungen des Idealritters der Artusliteratur mit den historischen Gegebenheiten eines Schlachtverlaufs in Einklang gebracht werden können.

 Vgl. Bachrach, Bachrach, Warfare, S. 296.

I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt In einer durch das Christentum geprägten Kultur bleibt Gewaltausübung immer problematisch, sodass sie auch in einer laikalen Kriegergesellschaft einer diskursiven Legitimation bedarf. Die Prävalenz von Formen der Gewaltausübung in einer Kriegergesellschaft war daher nicht nur auf politischer und gesellschaftlicher Ebene in Form von Rhetorik und Propaganda, sondern auch auf individueller Ebene zu rechtfertigen, indem der Kampf als legitime Praktik und manheit als zentrale und unangefochten positive Qualität hervorgehoben wurden. Durch vielgestaltige rhetorische Verschiebungen bemühen sich die chronikalischen Berichte, das Vorgehen der von ihnen unterstützen Partei in ein gutes Licht zu rücken, wie es an der Darstellung von Heinrich I. im Umfeld der Schlacht von Brémule zu sehen ist.1 Vor allem ermöglichte es hier jedoch die höfische Literatur und das in ihr entfaltete Ideal des Rittertums die kriegerische Gewalt des Adels im Begriff der manheit zu veredeln oder zu sublimieren.2 Ich verwende hier und im Folgenden den primär psychoanalytisch geprägten Begriff der Sublimierung, der eine Verwandlung von Triebwünschen beschreibt, die nicht verdrängt und unterdrückt, sondern im Rahmen kultureller Normen und Ideale befriedigt werden.3 Obwohl grundsätzlich zwischen der Legitimation eines Krieges und der Legitimation des Tötens im Krieg zu unterscheiden ist, sind beide Verfahren häufig aufeinander bezogen. So bedingt die Legitimationsstrategie nach der Lehre vom ‚gerechten Krieg‘ des Augustinus († 430), dass Gewalt und das Töten für eine gute und gerechte Sache als notwendiges Übel dargestellt werden können4,

 Siehe Kap. I.2.2. Vgl. auch Strickland, Killing, S. 100 f.  Der psychoanalytische Begriff der Sublimierung hebt dabei im Vergleich zur rechtlich konnotierten Legitimation die individuelle Aufwertung des Einzelnen und seiner Handlungen hervor. Vgl. ClausDieter Rath: Sublimierung und Gewalt. Elemente einer Psychoanalyse der aktuellen Gesellschaft. Gießen 2019 (Bibliothek der Psychoanalyse), S. 11.  Vgl. Rath, Sublimierung, S. 10 f.; Johanna Bossinade: Theorie der Sublimation. Ein Schlüssel zur Psychoanalyse und zum Werk Kafkas. Würzburg 2007, zur Unterscheidung zwischen Sublimierung und Sublimations bes. S. 29: Bossinade beschreibt zwei psychische Operationen der Grenz- oder Schwellenbewältigung. Während Sublimation eine Überschreitung der Grenze darstellt, kommt Sublimierung einen Schwebezustand im Grenzgebiet gleich, wie er auch bei Gewalt und manheit vorliegt, insofern manheit Gewalt gleichzeitig überschreibt und präsent hält. Das Pendeln in der Schwebe (ebd.) im Bereich der Schwelle korrespondiert dabei mit der von Bruno Quast hervorgehobenen ‚Liminalität des Helden‘, die ebenso zwischen Wildnis und Hof bzw. Wildheit und hövescheit pendelt. Siehe Quast, Das Höfische.  Vgl. Stietencron, Töten, S. 17–19 und Kleinen, Kämpfer, S. 89 f.; Angenendt, Toleranz, S. 21–24. Da ich mich hier vornehmlich auf Kriege zwischen (römisch-katholisch) Christen beschränke, seien die verwandten Überlegungen zum heiligen Krieg und die damit einhergehende Dehumanisierung an dieser Stelle ausgeklammert. Vgl. dazu Kortüm, Krieger, S. 106–113. Siehe auch Arnold Angenendt: Die Kreuzzüge: Aufruf zum „gerechten“ oder zum „heiligen“ Krieg? In: Krieg und Christentum: Religiöse Gewalttheorie in der Kriegserfahrung des Westens. Hrsg. von Andreas Holzem. Paderborn 2009 (Krieg in der Geschichte. 50), S. 231–367. https://doi.org/10.1515/9783111240275-004

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

für das der Zweck die Mittel heiligt.5 Wie im Folgenden zu zeigen ist, richtet sich die Legitimation als gerechter Krieg vornehmlich auf die mit mittelalterlichen Kriegen häufig verbundene Akquise von Ländern und Gütern, während Dehumanisierung als Strategie genutzt wurde, um Gewalt und insbesondere die Tötung von Gegnern zu legitimieren. Derartige Diskurse der Legitimation sind nicht nur auf politischer Ebene von Bedeutung, wenn sie die Taten eines Potentaten lobend für die Nachwelt festhalten. Legitimation und die damit verbundene Sublimierung der Gewaltausübung stellen in einer christlichen Gesellschaft gleichzeitig eine conditio sine qua non der Akkumulation symbolischen Kapitals durch Gewalt dar.

I.3.1 Der ‚Gerechte Krieg‘ als Legitimationsstrategie In Contra Faustum Manichaeum schreibt Augustinus: Was nämlich wird am Krieg mißbilligt? [...] Der Drang zu schaden, die Grausamkeit der Rache, der friedlose unversöhnliche Geist, die Wildheit des Zurückschlagens, die Herrschgier und dergleichen [Haltungen und Verhaltensweisen], sie sind es, die in Kriegen zurecht mißbilligt werden.6

Als das Christentum im Jahre 380 n. Chr. zur offiziellen Religion des Römischen Reiches wurde, entstand ein grundsätzlicher Widerspruch zwischen dem Tötungsverbot der pazifistischen Lehre und den pragmatischen Erfordernissen eines Großreichs:7 Da ein vollständiger Verzicht auf Waffengewalt beziehungsweise ein vollständiges Verbot nicht praktikabel waren, bestand die Lösung in einer Legitimation kriegerischer Auseinandersetzungen als ‚gerechte Kriege‘, die von einer legitimen bzw. der kaiserlichen Autorität initiiert zu sein hatten.8 Seit dem 11. Jahrhundert vertrat das Reformpapsttum entsprechend seines besonderen Sendungsbewusstseins die Ansicht, dass lediglich der Papst

 Vgl. Angenendt, Toleranz, S. 375–377.  Quid enim culpatur in bello? [...] Nocendi cupiditas.ulciscendi crudelitas, impacatus atque implacabilis animus, feritas rebellandi, libido dominandi, et si qua similia, hæc sunt quæ in bellis jure culpantur. Aurelius Augustinus: Contra Faustum Manichæum libri XXXIII. In: Sancti Aureli Augustini: De Utilitate Credendi, De Duabus Animabus, Contra Fortunatum, Contra Adimantum, Contra Epistulam Fundamenti, Contra Faustum. Hrsg. von Joseph Zycha. Prag [u. a.] 1891 (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum. 25,1), S. 251–797, hier S. 682. Übersetzung bei Timo J. Weissenberg: Die Friedenslehre des Augustinus. Theologische Grundlagen und ethische Entfaltung. Stuttgart 2005 (Theologie und Frieden. 28), S. 115.  Vgl. Angenendt, Kreuzzüge, S. 341; Hans C. Brennecke: Kriegsdienst und Soldatenberuf für Christen und die Rolle des römischen Heeres für die Mission. In: Krieg und Christentum: Religiöse Gewalttheorie in der Kriegserfahrung des Westens. Hrsg. von Andreas Holzem. Paderborn [u. a.] 2009 (Krieg in der Geschichte. 50), S. 180–211, hier S. 200 f. Auch Angenendt, Toleranz, S. 377.  Vgl. Johannes Brachtendorf: Augustinus: Friedensethik und Friedenspolitik. In: Krieg und Christentum: Religiöse Gewalttheorie in der Kriegserfahrung des Westens. Hrsg. von Andreas Holzem. Paderborn [u. a.] 2009 (Krieg in der Geschichte. 50), S. 234–253, hier S. 239–244; Weissenberg, Friedenslehre, S. 146–165.

I.3.1 Der ‚Gerechte Krieg‘ als Legitimationsstrategie

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als legitimierende Autorität Gültigkeit beanspruchen konnte.9 Davon unberührt hielt der Adel an seinem Standesprivileg der gewaltsamen Durchsetzung von Rechtsansprüchen fest.10 Auch später, bei Thomas von Aquin, sollte ein gerechter Krieg ein gerechtes Ziel und einen gerechten Grund haben und von einer hohen Autorität legitimiert worden sein.11 Die Kriterien für einen gerechten Krieg ließen sich jedoch unterschiedlich auslegen12 und waren seitens Augustinus’ auch nie als konkrete Handlungsanweisungen formuliert worden.13 Als einzige iusta causa nannte er die Überwindung von Ungerechtigkeit und Unrecht.14 Nur die Ungerechtigkeit der gegnerischen Seite zwingt ja den Weisen zu gerechter Kriegführung. Und diese Ungerechtigkeit muß ein Mensch an Menschen betrauern, auch wenn keine Nötigung zu Kriegen daraus erwächst.15

Der Spielraum der genannten Auslegungen bezog sich laut dem Kirchenrechtler Gratian († 1160) jedoch nicht nur auf die protostaatlichen Institutionen des Mittelalters, sondern auch auf den Einzelnen, dessen Naturrecht es sei, sich gegen Gewalt mit Gewalt zu verteidigen, verlorene Güter wiederzubeschaffen16 und seine Heimat zu verteidigen.17 War

 Vgl. Hans-Henning Kortüm: Westliche Gotteskrieger unterwegs im Osten. Abendländische Legitimationsstrategien militärischer Gewalt im Zeitalter der Kreuzzüge. In: Kriegsbegründungen. Wie Gewaltanwendung und Opfer gerechtfertigt werden sollten. Hrsg. von Hans-Joachim Heintze, Annette FathLihic. Berlin 2008 (Bochumer Schriften zur Friedenssicherung und zum Humanitären Völkerrecht. 59), S. 19–30, hier S. 24 f.  Vgl. Hehl, Heiliger Krieg, S. 328.  Vgl. Kortüm, Krieger, S. 105 f. mit Verweis auf Thomas von Aquin: Summa theologica. Die deutsche Thomas-Ausgabe. Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe. Hrsg. vom Katholischen Akademikerverband. Bd. 17B. Salzburg 1966, S. 83–85. Siehe auch Angenendt, Toleranz, S. 416 f.  Zu den unterschiedlichen Auslegungen siehe Ernst-Dieter Hehl: Kirche, Krieg und Staatlichkeit im hohen Mittelalter. In: Staat und Krieg. Vom Mittelalter zur Moderne. Hrsg. von Werner Rösener. Göttingen 2000, S. 17–37, hier S. 24–32.  Vgl. Weissenberg, Friedenslehre, S. 149.  Vgl. Weissenberg, Friedenslehre, S. 147 f.; Carl Erdmann: Die Entstehung des Kreuzzuggedankens. Sonderausg., unveränd. reprograf. Nachdr. der Ausg. Stuttgart 1935. Darmstadt 1974, S. 5.  Iniquitas enim partis adversae iusta bella ingerit gerenda sapienti; quae iniquitas utique homini est dolenda, quia hominum est, etsi nulla ex ea bellandi necessitas nasceretur. Aurelius Augustinus: De civitate Dei. Libri XXII. Hrsg. von Bernhard Dombart, Alfons Kalb. 2 Bde. Turnhout 1955 (Corpus Christianorum. Series Latina. XLVII/XIV, 1 u. 2), XIX,7. Übersetzung in: Aurelius Augustinus: Vom Gottesstaat. Vollständige Ausgabe in einem Band. Aus dem Lateinischen übertragen von Wilhelm Thimme. Eingeleitet und kommentiert von Carl Andersen. München 2007, S. 541.  Ius naturale est [...] depositae rei vel commendatae pecuniae restitutio, violentiae per vim repulsio. Gratian: Decretum sive Concordia discordantium canonum. Kritische Ausgabe von Emil Friedberg. Leipzig 1879–1881. Repr. Graz 1959 (Corpus Iuris Canonici. 1), Distinctio I, c. VII.  Vgl. Hehl, Kirche, Krieg und Staatlichkeit, S. 32. Grundsätzlich zum Konzept des gerechten Krieges und dem Einfluss der Dekretistik Gratians und anderer siehe Ernst-Dieter Hehl: Kirche und Krieg im 12. Jahrhundert. Studien zu kanonischem Recht und politischer Wirklichkeit. Stuttgart 1980 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters. 19), S. 188–251; Prinz, Klerus, S. 31–34; auch Kortüm, Krieger, S. 111.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

demzufolge etwa die Wiederbeschaffung gestohlenen Gutes gerecht,18 ließ sich dies jedoch ausweiten auf die Beschaffung eines Gutes, dessen Besitz lediglich beansprucht wurde. Die Position der legitimen legitimierenden Autorität wie auch gerechte Gründe und Ziele des Krieges ließen sich somit leicht konstruieren, indem juristische Ansprüche behauptet wurden19, oder der Angriff als Notwehr oder Verteidigung inszeniert wurde, womit nicht gesagt sein soll, dass derlei nicht bisweilen tatsächlich vorlag.20 Wie oben angesprochen, bestand die grundsätzliche Strategie der Kriegs- und Fehdeführung in der Plünderung und Verwüstung des ‚Feindeslands‘, sodass sich die Methoden illegitimer Aggression nicht von denen legitimer Verteidigung unterschieden und Krieg und Beutemachen sehr häufig Hand in Hand gingen, sowohl in Bezug auf die Interessen der jeweils Krieg Führenden als auch auf ihre Kritiker.21 In vielen Fällen war die Umdeutung von Aggression zu Verteidigung lediglich eine Frage propagandistischer Darstellung, deren Ambiguität den mittelalterlichen Autoren durchaus bewusst war.22 Um einem kriegerischen Unternehmen den Anschein von Legitimität zu geben, waren daher eine Reihe von Regeln zu beachten, die die jeweilige politische Rhetorik der Darstellung bestimmten23 und die auch noch im hohen Mittelalter an der Lehre Augustins orientiert waren.24 Kirchenreformer wie Bonizo von Sutri († Ende 11. Jh.)

 Vgl. Erdmann, Enstehung, S. 5.  Vgl. Robert A. Markus: Saint Augustine’s Views on the ‚Just War‘. In: Warfare in the Dark Ages. Hrsg. Von John France, Kelly DeVries. Aldershot [u. a.] 2007 (International Library of Essays on Military History), S. 195–208, hier S. 207.  Vgl. Kerth, landsfrid, S. 319.  Vgl. Kerth, landsfrid, S. 225.  So gehören Formen der Legitimation zum „strukturbildenden Prinzip“ der Rache. Vgl. Monika Schausten: Beim Barte des Kaisers. Soziales Chaos und poetische Ordnung in Konrads von Würzburg ‚Heinrich von Kempten‘. In: Erzählte Ordnungen – Ordnungen des Erzählens. Studien zu Texten vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit. Hrsg. von Daniela Fuhrmann, Pia Selmayr. Berlin/Boston 2021 (Trends in Medieval Philology. 40), S. 230–249, hier S. 243 und mit Verweis auf die klassisch-philologische Untersuchung von Christoph Menke: Recht und Gewalt. Berlin 2011 (Kleine Edition. 4), S. 17: „Als Vollzugsform der Gerechtigkeit bedarf die Rache zwingend einer Legitimation im Blick auf die erste Tat. Im Horizont einer normativen Ordnung der Rache trifft sie den, der es verdient. Zudem gründen die erste Tat und der auf sie folgende Gewaltakt der Rache auf dem Prinzip der Gleichheit: ‚Die rächende Tat‘, schreibt Menke, ‚ist als Wiederholung des zu rächenden Vergehens selbst wieder ein zu rächendes Vergehen.‘“  Vgl. Kerth, landsfrid, S. 100.  Siehe dazu die in Kap. I.2.2 zitierten Überlegungen von Matthew Strickland, War and Chivalry, S. 13 zu Ordericus Vitalis und der Darstellung der Schlacht von Brémule. Vgl. auch Kortüm, Gotteskrieger, S. 19–28. Durch den Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 und den folgenden Krieg ist zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Manuskripts das Thema der Legitimation von Krieg und Gewalt leider erneut von größter Aktualität: In den staatsnahen Medien Russlands wird, was in westlichen Medien als Überfall bezeichnet wird, vor allem als ein Akt der Verteidigung dargestellt. Vgl. Ina Kraft: Strategie zur Vereinnahmung westlicher Diskurse? Die russische Rechtfertigung des Krieges gegen die Ukraine. In: Ukraine-Dossier des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (2022) [https://zms.bundeswehr.de/de/mediathek/kanal-dossiers/kanal-dossiers-ukraine, Zugriff: 19.03.2023].

I.3.1 Der ‚Gerechte Krieg‘ als Legitimationsstrategie

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nannten im Rückgriff auf biblische Stellen und die augustinische Friedenslehre prede non iniare25 als einen der wichtigsten Lehrsätze des entstehenden Rittertums.26 Der präskriptive Anspruch solcher Stimmen wurde von der Forschung bisweilen unkritisch auf die tatsächlichen historischen Bedingungen übertragen. Etwa bei Werner Rösener: Kriegführen sei [nach Augustinus, E.F.] keine Sünde, aber um der Beute willen Krieg zu führen sei Sünde. Rauben und Plündern waren Hauptsünden des Kriegers – ein Grundsatz, den sich die christliche Ritterethik zu eigen gemacht hatte; nicht auf Beute auszugehen, war daher oberstes Gebot eines miles christianus. Gerade darin unterschieden sich die Brabanzonen, Rotten und anderen Söldner am auffälligsten von den Rittern, daß sie nicht um der Ehre und des Friedens willen kämpften oder für kirchlich anerkannte Ziele, sondern für Gewinn und Beute.27

Röseners Einschätzung liegen mit dem Decretum Gratiani und dem Bericht Rainalds von Dassel ausschließlich restringierende Präskription und Idealisierung zugrunde, deren Tragweite und Einfluss auf die kriegerischen Akteure jedoch zu bezweifeln ist.28 Allerdings ergeben sie ein klares Bild des Ideals, nachdem ein vorbildlicher Ritter erzählerisch zu gestalten war, und sie verweisen auf die grundlegende Kritik gegenüber dem Beutemachen und dem Bedarf an einer Rhetorik, die dieser Kritik Rechnung trägt. Demgegenüber finden sich jedoch auch Beispiele, in denen die Plünderungszüge der von den Chronisten favorisierten Partei gepriesen werden. Jan van Heelu berichtet in seinem Lobgesang auf Jan I. von Brabant in höchsten Tönen von einem solchen Plünderungszug, wenngleich er ihn als Rachefeldzug beschreibt und damit legitimiert: Nun hört, wie das unglückliche Los, das die Stadt Kerpen fallen ließ, am Bischof gerächt wurde, nicht heimlich in der Nacht, sondern offen mit Heeresmacht; denn der Herzog von Brabant ritt mit entfalteten Bannern in das Land des Bischofs und legte Feuer, so daß der Rauch aufstieg rings um Lechenich, landauf, landab. Von Friesheim bis Blatzheim wurde das Land des Bischofs ihm zur Schande mutig verwüstet, so tapfer, daß die Tat eines der größten Wunder schien, die man je geschehen sah.29

 Bonizo von Sutri: Liber de vita christina. Hrsg. von Ernst Perels. Berlin 1930 (Texte zur Geschichte des röm. u. kanon. Rechts im Mittelalter. I), VII 28, S. 248.  Vgl. Hehl, Kirche, Krieg und Staatlichkeit, S. 27; Erdmann, Entstehung, S. 235 f.  Rösener, Rittertum, S. 58 f.  Vgl. Kortüm, Krieger, S. 113; Rogge, Kriegswesen, S. 29.  Nu hoort, hoe dat ongeval, / Daer Kerpen met wert gebroken, / Opden bisscop wert ghewroken, / Niet stolinge, met nachte, / Maer openbare met heercrachte; / Want die hertoge van Brabant / Reet tote ints bisscops lant, / Met banieren al ontploken, / Ende dede vier ane stoken, / Dat die roec op ghinc / Alom ende om, voor Loggelinc, / Al dat lant op ende neder. / Van Vrisheem tot Blaetseem weder / Wert ghestoert met hoverden, / Des bisscops lant, met onwerden, / Soe coenlike, dat die daet sceen / Wale der meester wonder een, / Dat men daer sach ye gesciet. (Rymkronyk, V. 2542–2559) Übers. aus Hellegers, Worringen, S. 116. Soweit ich es ermitteln konnte, trägt das mittelniederdeutsche coenlike sehr ähnliche Konnotationen wie manlîch.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

Darüber hinaus findet sich jedoch eine weitere Legitimationsstrategie, die weniger auf einer propagandistischen Rhetorik gegründet ist, als vielmehr die Darstellung des Krieges und der Schlacht im Besonderen betrifft. Die dabei zugrundeliegenden Denkmuster sind als Ausprägungen eines Diskurses zu verstehen, der die Erzählgemeinschaft einer Kriegergesellschaft des hochmittelalterlichen Adels besonders kennzeichnet.

I.3.2 Kämpfen als legitime Gewaltausübung Im Gegensatz zum Töten war die Praktik des Kämpfens in ihrer metaphysischen Dimension von Anfang an in der christlich-jüdischen Rhetorik, wie etwa bei Paulus oder Augustinus, verankert.30 So fasst Udo Friedrich zusammen: In Exegese, Traktaten, Historiographie, Predigten und Aufrufen vertritt die Kirche ihre eigene Kriegsphilosophie. [...] Der Sündenfall stellt den Menschen rein physisch in einen Krieg gegen die aggressive Natur, der junge Mensch ist zudem dem inneren Krieg der körperlichen Affekte ausgesetzt, letztlich wird die Gottferne der irdischen Existenz insgesamt als Kriegssituation beschreibbar. Kampf ist die Grundbedingung menschlicher Existenz, und Triumphe sind angesichts fortwährender Anfechtungen immer nur als vorläufig zu betrachten. An der Basis von Körper, Natur, Geschichte und Gesellschaft offenbart sich ein Antagonismus als dynamisches Strukturprinzip, das in der Terminologie des Krieges gefaßt wird.31

Derartige Denkmuster ließen sich, wie Richard W. Kaeuper herausgearbeitet hat, mit dem Drang einer Kriegergesellschaft nach militärischer Bewährung in Einklang bringen.32 Die Darstellungen des Krieges und gewalttätigen Handelns in der Schlacht bemühen daher eine besondere Rhetorik, die – so meine These – an der gesellschaftlichen Praktik des Kämpfens mit ihren spezifischen sozialen Bedingungen orientiert ist: Bei Konflikten innerhalb derselben Kultur oder Gesellschaft werden Raub und Gewalt, die wesentlichen Aspekte eines Krieges, ebenso unterschlagen wie die wesentliche Motivation, das Streben nach Bereicherung und Dominanz. Angesichts der ambigen Bedeutung von Gewalt und der Bemühungen sie zu begrenzen, bedarf es nicht nur einer politi Vgl. Ulrich Luz: Feindesliebe und Gewaltverzicht. Zur Struktur und Problematik neutestamentlicher Friedensideen. In: Krieg und Christentum: Religiöse Gewalttheorie in der Kriegserfahrung des Westens. Hrsg. von Andreas Holzem. Paderborn [u. a.] 2009 (Krieg in der Geschichte. 50), S. 137–149, hier S. 144–147. Siehe auch die Betrachtung hoch- und spätmittelalterlicher Legenden von Prautzsch, Heilige, S. 186–214, bes. S. 202: „Der geistliche Kampf ersetzt den weltlichen, doch kann er, der in christlich-spiritueller Sicht als der eigentlich wahre zu gelten hat, gerade mittels militärischer Begriffe gedacht werden.“  Friedrich, Zähmung, S. 161. Siehe auch ders., Unterwerfung, S. 144–154 mit Verweisen auf theologische/geistliche Schriften, die den „Krieg gegen den Körper“ propagieren.  Kaeuper, Holy Warriors, S. 94: „Our evidence has, however, strongly indicated that, however pious, ideals for chivalry were not simply generated by clerics and dutifully absorbed by knights. Not only did the warriors insist on certain lines of professional virtue, they selectively chose theological views and adapted them to fit within their framework of heroic and courtly norms.“ Siehe weiterhin besonders ebd., S. 95–115. Siehe auch Prautzsch, Heilige, S. 214–222.

I.3.2 Kämpfen als legitime Gewaltausübung

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schen Legitimationsstrategie, die gewalttätiges Handeln als gerechtfertigt erscheinen lässt. Eine (zwangsläufig nachträgliche) historiographische Darstellung solcher Handlungen, in denen die Praktik des Kämpfens hervorgehoben wird, gestaltet – so die These weiter – die Ambitionen der jeweiligen Partei als ein unproblematisches Streben nach Kampf und Sieg.33 Die Darstellung von Schlachten als Formen agonalen Wettstreits ließ dabei eine Verherrlichung des Kämpfens zu, denn für den Einzelnen ließ sich das Kämpfen unabhängig von der politischen Legitimation des jeweiligen Krieges als legitime Praktik auffassen.34 So betrachtet bereits Kurt-Georg Cram den christlichen, in der Erzählung von David und Goliath präfigurierten Zweikampf als Gegenüberstellung von Kampf-Wette und Kampf-Beweis.35 Wo der Kampf-Beweis (oder vielmehr der BeweisKampf) zur Sichtbarmachung von Gerechtigkeit beziehungsweise göttlichem Willen dient, beläuft sich die Kampf-Wette auf den vergleichenden Einsatz von Kampfkraft zur Ermittlung des wortwörtlich stärkeren Rechts.36 Ein solcher Vergleich kennzeichnet für Cram auch manche mittelalterliche Schlacht. Aus den Beschreibungen sowohl von Kämpfen im Iwein als auch von Schlachten in der Steirischen Reimchronik geht hervor, dass sich die Darstellung eines Kampfes im Rahmen von Wette oder Rechtserweis meist überlagert. Der legitimatorische Aspekt des Kampfes speist sich vornehmlich aus seiner spezifischen Eigenlogik, die nicht an den zweckrationalen Überlegungen seiner Folgen orientiert ist. Von besonderem Interesse sind dafür die Überlegungen zu spielerischen Handlungen von Johan Huizinga sowie – darauf aufbauend – die Thesen des Philosophen Rowland Stout, der in seinem Aufsatz Can There be Virtue in Violence? 37 die Praktik des Kampfes auf ihre sozialen Wirkungsweisen und soziologischen Gegebenheiten hin untersucht. Stouts zentrale These, die hier für die mittelalterliche Darstellung kämpferischer Handlungen zu diskutieren ist, postuliert die grundsätzliche Tugendhaftigkeit des Zurückschlagens. In diesem Kontext ist der Kampf als eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen (mindestens) zwei Parteien definiert, die willentlich ausgetragen wird und auf reziproker Aggression beruht.38 Von einem anderen Standpunkt aus formuliert auch Wolfgang Sofsky, dass der Kampf erst durch Gegenwehr zustande kommt: „Der Angriff will nur Besitznahme, Unterwerfung. Er will erobern und siegen, nicht kämpfen.“39 Im Gegensatz zu

 Vgl. Kaeuper, Medieval Chivalry, S. 163.  Zu agonalen Konfliktformen vom Krieg bis zum Wettstreit siehe Bent Gebert: Wettkampfkulturen. Erzählformen der Pluralisierung in der deutschen Literatur des Mittelalters. Tübingen 2019 (Bibliotheca Germanica. 71), S. 79–95.  Vgl. Kurt-Georg Cram: Iudicium belli. Zum Rechtscharakter des Krieges im deutschen Mittelalter. Münster/Köln 1955 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte. 5), S. 15. Die fragwürdige Herleitung aus germanischen Bräuchen braucht hier nicht thematisiert werden.  Vgl. Cram, Iudicium belli, S. 10 f.  Stout, Virtue.  Als „Schlag und Gegenschlag“ formuliert dies Armin Schulz, Erzähltheorie, S. 128 für die Welt der mittelalterlichen Literatur. Siehe auch Gebert, Wettkampfkulturen, S. 85.  Sofsky, Traktat, S. 139.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

Sofsky argumentiert Stout, dass der Kampf als reziproke Handlung Ähnlichkeiten zum Spiel aufweist. Johan Huizinga, auf den Sofsky und Stout verweisen, betont die enge Beziehung zwischen Kampf beziehungsweise Krieg und Spiel,40 wobei er letzteres wie folgt definiert: Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewußtsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘.41

Für eine Übertragung solcher Kriterien auf gesellschaftliche Phänomene ist vor allem in Bezug auf das Ziel und das ‚Anderssein‘ zu differenzieren zwischen einem tatsächlichen Spiel und den spielerischen Elementen, die menschliche Handlungen, gesellschaftliche Strukturen und kulturelle Formationen bestimmen. Die spielerischen Elemente sind dabei nicht nur auf gesellschaftliche Regelhaftigkeit zu reduzieren, da sich der spielerische Aspekt von Handlungen, konkreten Praktiken und Ritualen nicht darin erschöpft, dass ihr ‚Anderssein‘ von anderen Regeln als das ‚gewöhnliche Leben‘ geprägt ist. Die Grenzen von Zeit und Raum, die Eigenrationalität und das Besondere (Spannung, Freude, Bewusstsein), das spielerischen Elementen anhaftet, zeichnet die genannten Ausprägungen derselben aus und macht auch sie zu etwas Besonderem. Aus dieser Besonderheit speist sich das legitimatorische Potential, das einer axiologischen Bewertung von Praktiken des Kämpfens innewohnt. Huizinga weist darauf hin, dass Phänomene wie Krieg oder Religiosität von einem Ausdruck und Gebaren der Ernsthaftigkeit42 umgeben seien, die dem Spiel scheinbar diametral entgegenstünden. Gerade im kriegerischem Kampf und religiösem Ritus sieht Huizinga jedoch die Eigenschaften des Spiels gegeben und belegt die Kontinuität seiner Einschätzung anhand sprachlicher Ausdrücke in Texten wie dem Alten Testament oder der Edda.43 Im Gegensatz zum tatsächlichen Spiel, das sich ja gerade durch seine Abspaltung vom ‚gewöhnlichen Leben‘ auszeichnet, ist eine strikte Trennung zwischen spielerischen Elementen des Handelns und der zweck- und zielgerichteten Rationalität des ‚gewöhnlichen Lebens‘ letztlich unmöglich, da sie sich fortwährend gegenseitig überlagern. Gerade bezogen auf den Kampf ließe sich formulieren, dass er sowohl in den allermeisten Fällen einem externen Zweck dient als auch sein Ziel in sich selber hat. Die Kippfigur des Spiels changiert zwischen Autono-

 Vgl. Stout, Virtue, S. 324–326; Huizinga, Homo Ludens, S. 101–117. Zu Sofsky, der sich dezidiert gegen eine Übereinstimmung von Kampf und Spiel bzw. Agon ausspricht, siehe Sofsky, Traktat, S. 141. Bereits 1955 hatte Kurt-Georg Cram mit Rückgriff auf Huizinga die spielerischen beziehungsweise agonalen Elemente des mittelalterlichen Krieges beschrieben, durch welche sich in Krieg und Schlacht Handlungsweisen auszeichnen, die keinem direkten Sachzwang unterworfen sind, sondern Regeln gehorchen, die in der jeweiligen Gesellschaft Gültigkeit besitzen. Vgl. Cram, Iudicium belli, S. 15.  Huizinga, Homo Ludens, S. 37.  Vgl. Huizinga, Homo Ludens, S. 17 u. 55 f.  Vgl. Huizinga, Homo Ludens, S. 51 f. Zur religiösen Ausprägung des Spiels siehe ebd., S. 24–37.

I.3.2 Kämpfen als legitime Gewaltausübung

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mie und zweckgebundener Heteronomie, sodass beide latent vorhanden sind. Im Hinblick auf das ‚gewöhnliche Leben‘ stellt eine distinkte Sphäre des Spiels somit eine Konstruktion dar, die nur dazu dient, spielerische Elemente sichtbar zu machen und so die Welt zu beschreiben. So sagt Huizinga an keiner Stelle, dass Krieg ein Spiel sei, sondern er betont, dass kriegerischen Handlungen spielerische beziehungsweise agonale Aspekte innewohnen,44 die sich mit zweckrationalen Motiven überlagern können. Huizinga formuliert: Der Wettkampf sei „nur zu e i n e m g e w i s s e n G r a d e [als] zwecklos zu bezeichnen.“ „Das Zielgerichtete der Handlung besteht in e r s t e r L i n i e im Ablauf als solchem ohne direkte Beziehung zu dem, was hinterherkommt“45 und das Kämpfen „fordert bis z u e i n e m g e w i s s e n G r a d e die Anerkennung der Spielqualität.“46 Die spielerischen Elemente, die sich sämtlich aus Huizingas Definition des reinen Spiels ableiten lassen, zeichnen sich durch einen Gestaltungswillen oder Willen zur Formgebung aus, dessen Ergebnisse zwar übergreifend als arbiträr gelten können, innerhalb einer Kultur oder Epoche jedoch durchaus Gültigkeit haben. Daher sind gesellschaftliche Normen auch jenseits wertrationaler Kriterien nicht als „bloße soziale Konvention“47 abzutun, sondern gerade auf ihren konventionellen Charakter hin zu befragen. Auch Harald Haferland postuliert unter Bezugnahme auf Huizinga ein Entsprechungsverhältnis von Krieg und Agon als spielerischem Wettkampf – „der Agon mag dabei so hypothetisch vorausgesetzt sein, wie die Wirklichkeit dieses Ernstkampfs sich imaginär konstituiert“48 – sodass die Entsprechung vor allem aus der Wahrnehmung der Kämpfenden herrührt und damit ihr Verhalten bestimmt: Es kommt zur Agonalisierung des Kriegs, die Wirklichkeit wird agonal überformt, höfisches Interaktionswissen gibt sich, wie weit auch immer ihm dies gelingt, seine eigene imaginäre Wirklichkeit. Diese wird imaginär geboren, aber sie ist wirklich. Und sie ist auf sensationelle Weise wirklich, denn sie folgt neuen Regeln, die sie als eine unwahrscheinliche Wirklichkeit entstehen lassen – unwahrscheinlich, weil nichts zunächst dafür spricht, daß aus einem Kampf um der Vernichtung oder Unterwerfung eines Gegners willen ein Kampf vornehmlich um der eigenen Ehre willen wird.49

 Vgl. Huizinga, Homo Ludens, S. 113, siehe auch S. 103.  Huizinga, Homo Ludens, S. 60. Hervorhebungen von mir. Ohne der Ambiguität von Huizingas Aussagen Rechnung zu tragen, vermutet auch Bent Gebert, Wettkampfkulturen, S. 80, mit Anm. 4 eine „Opposition von zielgerichteten Schädigungshandlungen“ und spielerischem Agon. Er konstatiert jedoch für literarische Kampfdarstellungen, S. 84: „In Frage stehen Praktiken des Vergleichens unter Differenzbedingungen, die Positionen aufs Spiel setzen, indem sie diese ins Spiel bringen. Und diese Praktiken prägen ein breites Spektrum, das vom ‚freundschaftlichen Austausch‘ bis zu ‚Formen offensiver Handlung‘ reicht, spil und strît gemeinsam umfasst.“  Huizinga, Homo Ludens, S. 102. Hervorhebungen von mir.  Prietzel, Kriegführung, S. 16.  Harald Haferland: Höfische Interaktion. Interpretationen zur höfischen Epik und Didaktik um 1200. München 1989 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur. 10), S. 32.  Haferland, Interaktionen, S. 32 f.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

Aus der von Haferland beschriebenen Überformung der Wirklichkeit ergibt sich die legitimatorische Wirkung des Kämpfens und der Anlass seiner Fokussierung in Anlehnung an das Spiel. Denn nahezu jedes der in Huizingas Definition genannten Kriterien des Spiels trifft auch auf den gewaltsamen Kampf zu. Auch Udo Friedrich lässt in Anlehnung an Achatz von Müller die spielerische Komponente des Kampfes aus der kämpferischen Komponente des Spiels folgen: Im Anschluss an Johan Huizingas Spiel- und Kulturtheorie unterstreicht Achatz von Müller zum einen ‚die jedem Kampf inhärente Tendenz, sich durch ‚Spielregeln‘ zähmen zu lassen‘, zum andern ‚das Bedürfnis der Kämpfer, sich showing respect zu verschaffen‘. Es gehört zum Paradox der Gewalt, dass das Spiel aus sich heraus Regeln generiert, die Kultur stiftend wirken, zugleich aber die Konkurrenz antreibt.50

Die Wahrnehmung eines Paradoxons ergibt sich hingegen aus dem Missverständnis der Regelhaftigkeit des Kampfes. Regeln bedeuten zwar immer eine Einschränkung, jedoch muss diese nicht auf die Restriktion von Gewalt bezogen sein. Im Gegenteil hat bereits die im Kampf obligate Gewaltausübung als Regel zu gelten, die die Bandbreite verfügbarer Handlungsweisen einschränkt. Sowohl die Schlacht als auch der Zweikampf haben einen festen Austragungsort sowie einen Anfang und ein Ende und sind somit räumlich und zeitlich begrenzt. Zudem stellen Rüstung und Bewaffnung weitere implizite Regularien des Kampfes dar, die den Kampf vom zivilen Leben abgrenzen. Stout betont, dass die Teilnahme an einem Kampf auf gegenseitigem Einverständnis beruht, da die Kontrahenten durch kriegerisches oder gewalttätiges Verhalten ihre Zustimmung zu einer Praxisform geben, deren inhärente Regeln und Bedingungen von vorneherein feststehen.51 Diese Überlegung findet sich auch bei Huizinga: Kämpfen als Kulturfunktion setzt jederzeit beschränkende Regeln voraus und fordert bis zu einem gewissen Grade die Anerkennung der Spielqualität. Vom Kriege kann man solange als Kulturfunktion reden, als er innerhalb eines Kreises geführt wird, in dem die einzelnen Glieder einander als gleichberechtigt anerkennen.52

Auch Sieg und Niederlage lassen sich als spielerisches wie konstitutives Merkmal betrachten, da der Kampf endet, sobald eine Partei nicht mehr fähig oder willens ist den Kampf fortzusetzen.53 Dies eröffnet ein grundsätzliches Schlupfloch hinsichtlich der augustinischen Friedenslehre, die „Tötung und Gewaltanwendung gegenüber überwundenen Feinden aus[schließt], wenn diese nicht weiteren friedensgefährdenden Widerstand leisten.“54 Augustinus schreibt:  Friedrich, Ordnung, S. 132. Vgl. Achatz von Müller: Schauspiele der Gewalt. Vom Zweikampf zum Duell. In: Das Duell. Der tödliche Kampf um die Ehre. Hrsg. von Uwe Schultz. Frankfurt a. M./Leipzig 1996, S. 12–33, 416–418, hier S. 21.  Vgl. Stout, Virtue, S. 325.  Huizinga, Homo Ludens, S. 102.  Vgl. Stout, Virtue, S. 324 f.  Weissenberg, Friedenslehre, S. 165.

I.3.2 Kämpfen als legitime Gewaltausübung

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Daher soll der Feind im Kampfe nur aus unweigerlicher Notwendigkeit und nicht aus freiem Willen heraus getötet werden. So wie auf denjenigen, der den Krieg fortsetzt und Widerstand leistet, mit Gewalt reagiert wird, so wird dem Besiegten und Gefangenen Barmherzigkeit geschuldet, vor allem demjenigen, von dem keine Störung des Friedens zu befürchten steht.55

Solange also Widerstand geleistet wird, ist der Sieg nicht errungen und der Kampf nicht vorüber.56 In der Crône Heinrichs von dem Türlin (1. Hälfte 13. Jh.) wird dies karikierend auf die Spitze getrieben: Gâwein und Gasoein kämpfen bis zur absoluten Erschöpfung von Mann und Material, sodass ihre Waffen zerbrechen und beide mehrfach in Ohnmacht fallen. Als Gâwein jedoch als erster erwacht, sucht er, statt den bewusstlosen Gegner zu töten oder schlicht liegenzulassen, im Gehölz nach einer geeigneten Waffe für sich und seinen Gegner, um den Kampf fortzusetzen, bis der Sieg im Kampf errungen ist. Da beide Kämpfer die Gefahr eines tödlichen Ausgangs vor Augen haben, ist Gâweins Verzicht, den bewusstlosen Gasoein zu töten, nicht so sehr auf höfische Gegnerschonung als auf den Wunsch, im gesonderten Rahmen des Kampfes zu siegen, zurückzuführen.57 Damit hat der Kampf mit dem Sieg auch sein Ziel in sich selbst, da der Sieg nur im Rahmen des Kampfes eine erfahrbare Größe ist, im Gegensatz zum Erfolg, der an externe Faktoren geknüpft ist. Der Erfolg als Folge des Sieges kann Auswirkungen haben im ‚gewöhnlichen Leben‘, der Sphäre jenseits von Kampf und Spiel, sodass der Übergang zwischen den Sphären bei der Betrachtung von Kämpfen und ihrer Darstellung eine besondere Bedeutung zukommt. Neben der Kapitalisierung eines Sieges und der Bewältigung einer Niederlage in Bezug auf das Ende eines Kampfes stehen dabei die Ursache und die jeweilige Motivation der Beteiligten in Bezug auf den Anfang im Vordergrund. Im System der spielerischen Eigenlogik dient die im Kampf aufgewendete Gewalt somit nie dem Ziel der Vernichtung des Gegners oder der Akquise seiner Güter, sondern lediglich dem Sieg. Dies schließt den Tod des Gegners zwar nicht gänzlich aus, erfordert ihn aber nicht unbedingt, da jede Form der Unterlassung weiterer Gewalt auf einer Seite als Sieg der anderen gelten kann. Eine Betonung dieser Eigenlogik in der Darstellung von Ereignissen kann folglich zur Legitimation und Verherrlichung von Gewalt beitragen. Wie das agonale Spiel kommt der Kampf auf struktureller Ebene nur zustande, wenn beide Seiten daran partizipieren.58 In aller Regel geht dem Kampf eine Form von Herausforderung voraus, die, so Stout, verbaler, symbolischer oder physischer  Itaque hostem pugnatem necessitas perimat, non voluntas. sicut rebellanti et resistenti violentia redditur, ita victo vel capto misericordia iam debetur, maxime in quo pacis perturbatio non timetur. Aurelius Augustinus: Epistolae, recensuit et commentario critico instrixit Al. Goldbacher. Pars IV. Ep. 185–270. Wien/Leipzig 1911 (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum. 57), ep. 189,6, S. 135. Übers. von Weissenberg, Friedenslehre, S. 165.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 121. So auch Sofsky, Traktat, S. 140.  Heinrich von dem Türlin: Diu Crône. Kritische mittelhochdeutsche Leseausgabe mit Erläuterungen. Hrsg. von Gudrun Felder, Berlin/Boston 2012, V. 11861–12370.  Cram beobachtet, dass gerade am Beginn eines Krieges oder einer Schlacht Formen der Agonalität besonders sichtbar werden, da sie zum einen das Verhältnis der Gegner zueinander kennzeichnen und zum anderen den Wechsel zwischen Kampf und Frieden markieren. Vgl. Cram, Iudicium belli, S. 16.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

Natur – in Gestalt eines Angriffs – sein könne, da eine Partei immer den Anfang machen muss.59 Die Erwiderung einer solchen Herausforderung signalisiert das gegenseitige Einverständnis zur Partizipation. Stout hebt hervor, dass ein initiierender Gewaltakt oder Erstschlag unabhängig von der Intention stets eine Herausforderung zum Kampf enthält, dessen Regeln den Teilnehmern bekannt sind:60 [...] when you attack someone you are offering them a fight in virtue of these norms even if you do not want them to accept and perhaps are trying to harm them so severely that they cannot accept. And likewise when someone fights back they are accepting the offer.61

Die Frage, wer den Kampf begonnen habe, erhält somit bedeutendes politisches Gewicht, da diesem der problematische Status des Aggressors zugewiesen wird. Das in vielen Kulturen und Epochen fest verankerte („strukturbildende“62) Prinzip der Rache lässt sich auf diesen legitimatorischen Aspekt zurückführen, da es Gewalt gegen Mitglieder der eigenen Gruppe ebenso legitimieren kann, wie Gewalt gegen Außenstehende. Wie zu sehen war, ließen sich kriegerische Handlungen oft als Reaktion auf eine vorausgegangene Herausforderung in Form eines erlittenen Unrechts stilisieren. Im Hinblick auf die Regularien der Gottesfriedensbewegung postuliert Norbert Ohler, „dass Prälaten als Beute, Gewalt, Plünderung, Raub (rapina, violentia, latrocinium, praeda) anprangerten, was nach Meinung der Beschuldigten [den adligen Laien, E.F.] vielleicht nur auf die Wiederherstellung guten alten Rechts hinauslief.“63 Aus deren Perspektive stand ihr Handeln in vollem Einklang mit der augustinischen Friedenslehre, da dem Kampf ein begangenes Unrecht vorausging, das als Herausforderung betrachtet werden konnte,64 sodass nicht mehr das Ziel einer Handlung im Vordergrund stand, sondern ihr Anlass. Eine Konzentration auf den Kampf „offers a backward-looking rather than a forward-looking justification of violence,“65 sodass der Aspekt ökonomischer Bereicherung und der einhergehende Blutzoll hinter Rechtschaffenheit und Notwehr verborgen bleiben. In der Terminologie von Max Weber wird das zweckrationale Handeln eines Angriffs überschrieben mit der Kategorie vom wertrationalen Handeln des Kampfes, in deren Horizont Kämpfen (und Siegen) einen ethischen und ästhetischen Eigenwert erhalten.66 Diese Ersetzung entspricht der Kippfigur des Spiels und lässt sich psychologisch als Sublimierung, rhetorisch hingegen als eine Metonymie bezeichnen. An dieser Ersetzung und der korrespondierenden Wertsteigerung partizipiert auch die manheit,  Vgl. Stout, Virtue, S. 327.  Vgl. Stout, Virtue, S. 325.  Stout, Virtue, S. 325.  Schausten, Beim Barte des Kaisers, S. 243.  Ohler, „Pax Dei“, S. 316.  Vgl. Hehl, Heiliger Krieg, S. 328–331.  Stout, Virtue, S. 323.  Vgl. Max Weber: Soziologische Grundbegriffe. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Hrsg. von Johannes Winckelmann. Tübingen 1988, S. 541–581, hier S. 565–567; siehe auch Haferland, Interaktion, S. 55.

I.3.2 Kämpfen als legitime Gewaltausübung

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da sich aus der reziproken Struktur des Kampfes ein beiderseitiges Gebot zur Gewaltausübung ergibt, welche manheit erfordert. Weiterhin relativiert die Gemeinschaftlichkeit des Kampfes die Bedingungen seiner Initiation. Nachdem eine Herausforderung zum Kampf ergangen und angenommen ist, befinden sich die Partizipierenden in einem Zustand reziproker Aggression, der sich auch auf narrativer Ebene und in der sprachlichen Darstellung des Kampfes niederschlägt und der die asymmetrische Stoßrichtung des Erstschlags aufhebt. Stout bringt die sozialen Bedingungen eines Kampfes auf den Punkt: Fighting is not merely a social activity; it is [...] a collaborative activity – something you do together with your enemy. [...] And if fights are indeed rule-governed activities, like games, then the opponents share a commitment to these rules. It is not just that they both happen to have the same commitment here. The point is that the commitment is literally shared.67

Auch Harald Haferland beobachtet den kooperativen Charakter des (Wett-)Kampfs: Es geht nicht allein um den Sieg, ungeachtet der Art und Weise, wie er zustande gekommen ist, sondern die Einhaltung von Regeln des Wettkampfs wird Voraussetzung eines gerechtfertigten Sieges und der mit ihm verbundenen Ehre. Der Wettkampf wird, was die gemeinsame Einhaltung von Regeln betrifft, ein Stück weit als gemeinsame kooperative Praxis behandelt. Dies tilgt etwas von jener Feindseligkeit, die zu jedem Kampf gehört.68

Beidseitige Gewaltausübung ist die erste, wenn auch nicht die einzige Regel, nach der der Kampf ‚gespielt‘ wird. Es lässt sich mit Hillay Zmora von einer „inimical intimacy“ sprechen, die auf historischer Ebene auf die Beziehung spätmittelalterlicher adliger Fehdeführer bezogen ist, jedoch soziologisch auch auf das oben erörterte agonale Miteinander der männlichen Sozialisierung verweist.69 Die reziprok angelegte Struktur des Kämpfens negiert die asymmetrische Relation von Täter und Opfer, mit der Gewalthandeln so häufig assoziiert wird. Ohne das Leid des Opfers, das zumeist den Anlass der moralischen Verdammung von Gewalt darstellt, kann die dem Gegner im Kampf zugefügte Gewalt als notwendiger und legitimer Bestandteil einer Handlungsweise gelten, die beide Parteien willentlich begonnen haben. In der Betrachtung des Kampfes als einer rule-governed activity lassen sich weiterhin Übereinstimmungen sowohl mit dem Begriff der sozialen Konvention von Andrei Marmor als auch mit dem Begriff des Habitus von Pierre Bourdieu feststellen, wobei ersterer ebenfalls starke Entsprechungen zu Huizingas Spielbegriff aufweist. Die im Kampf demonstrierte manheit erscheint in den Worten Bourdieus als eine „Habitusform“, die als „strukturierende Struktur“ das Verhalten der ihr Unterworfenen bestimmt und dabei „Praxisformen und Repräsentationen [erzeugt], die objektiv geregelt und regelmäßig sein können, ohne im geringsten das Resultat einer gehorsamen Erfüllung von Regeln zu sein“ und die weiterhin zweckorientiert sein kann, „ohne das be-

 Stout, Virtue, S. 325.  Haferland, Interaktion, S. 3.  Vgl. Hillay Zmora: The Feud in early modern Germany. Cambridge 2011, S. 77.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

wußte Anvisieren der Ziele und Zwecke und die explizite Beherrschung der zu ihrem Erreichen notwendigen Operationen vorauszusetzen.“70 Die dem Kampf inhärente Regulierung beläuft sich auf den reziproken Austausch von Gewalt, während Ziel und Zweck des Kampfes mit der impliziten Forderung zu siegen einhergehen. Der dieser Praxis zugrundeliegende Habitus lässt sich bezogen auf den Einzelnen als manheit identifizieren, da der Sieg im Kampf das sichtbarste Zeichen von manheit ist.71 Der übergeordnete Habitus einer adligen Gesellschaft lässt sich indes auf das besondere Verhältnis von Kämpfern und Zivilgesellschaft zu kriegerischer Gewalt zurückführen, welches als kulturelles Kennzeichen einer Kriegergesellschaft zu verstehen ist, die neben bildlichen Zeugnissen und archäologischen Überresten für uns vor allem als Erzählgemeinschaft in Erscheinung tritt.72 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die besondere Konstellation des Bourdieuschen Habitus, der simultan eine notwendig vorzeitige Erzeugung und nachzeitige Strukturierung von Verhaltensformen leistet,73 dem Verhältnis von Literatur und Erzählgemeinschaft insofern entspricht, als auch hier davon ausgegangen werden muss, dass sich beide gegenseitig beeinflusst haben. Die sozialen Bedingungen des Kämpfens als reziproker Gewaltaustausch und spielerisch-agonaler Wettstreit ermöglichen der Kriegergesellschaft des hochmittelalterlichen Adels ihre Kernkompetenz der Gewaltausübung als zentralen Pfeiler ihrer Herrschaftslegitimierung diskursfähig zu machen.74 Innerhalb des Kampfes kann dabei die Untat des Tötens und Töten-Wollens als beidseitiges Siegen und Siegen-Wollen umschrieben werden, wobei das dazu nötige körperliche und psychische Rüstzeug in der Tugend der manheit allgemeine Anerkennung findet. Der Sieg bedeutet in der Eigenlogik des Kampfes sein strukturelles Ende und stellt den sichtbaren Beweis überlegener manheit als Grundlage einer weiteren Kapitalisierung dar. Daneben sind als weitere Bedingung die internen Wertsysteme des Kampfes zu berücksichtigen, da die kämpferische Leistung unmittelbar mit der Attribuierung von manheit zusammenhängt.

I.3.3 Kämpfen als konventionalisierte Praktik Gepanzerte Reiter stellten in der Geschichte Europas keine Seltenheit dar. Sie waren fester Bestandteil der Armeen der griechischen Poleis, Alexanders des Großen und der römischen Legionen, wie auch der nordeuropäischen Heere. Das Kriegswesen des hohen

 Bourdieu, Praxis, S. 164 f. Hervorhebungen im Original.  In Bezug auf die Kämpfe gegen Freunde und Verwandte anders Gebert, Poetik, S. 159: „Den Habitus des Zweikämpfers erzeugt somit nicht die erfolgreiche Überwindung des Gegners, sondern der Vollzug des Kampfs und seiner Spielregeln.“ Gebert lässt weiterhin außen vor, dass die Überwindung des Gegners integraler Bestandteil des Kampfes und seiner Spielregeln ist.  Vgl. Rogge, Kriegserfahrungen, S. 21.  Vgl. Gebert, Poetik, S. 160.  Vgl. Schulz, Erzähltheorie, S. 72.

I.3.3 Kämpfen als konventionalisierte Praktik

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Mittelalters zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass der Reiter nicht nur zum Zentrum kriegerischer Ideologie und zum Inbegriff des Kriegers wurde: Während in den meisten der genannten Kulturen die Reiterei eine unterstützende Funktion besaß, sei es bei der Aufklärung oder der Verfolgung fliehender Gegner und bisweilen das Pferd nur als Fortbewegungsmittel diente und der eigentliche Kampf zu Fuß ausgetragen wurde, so nahm die gepanzerte Reiterei im Mittelalter auch militärisch eine sehr viel wichtigere Rolle ein.75 Des Weiteren haben sich die äußerliche Erscheinung des gepanzerten Reiters, seine Kampfesweise, wie auch seine Funktion auf dem Schlachtfeld im hier im Vordergrund stehenden 12. bis 14. Jahrhundert in weiten Teilen West- und Mitteleuropas nur geringfügig geändert. Für gewöhnlich wird das Aufkommen der Panzerreiter im 8. Jahrhundert mit der Erfindung des Steigbügels und des hohen Sattels in Verbindung gebracht, der seinerseits ein freieres Agieren sowie durch den stabileren Sitz den Gebrauch einer schweren Stoßlanze ermöglichte.76 Der Teppich von Bayeux aus dem späten 11. Jahrhundert liefert Hinweise auf den Wandel der Lanzentechnik vom Stoß oder Wurf von oberhalb der Schulter und dem Stoß mit ausgestrecktem Arm hin zum Stoß mit eingelegter Lanze, wie er bis zum Ende des Mittelalters und weit in die frühe Neuzeit hinein vorherrschte.77 Neben den Offensivwaffen unterlag auch die Panzerung einem langsamen aber kontinuierlichen Wandel, der sich jedoch vornehmlich als Optimierung verstehen lässt, ohne grundsätzliche Veränderungen herbeizuführen.78 Wie im Folgenden auszuführen ist, lässt sich dies in erster Linie auf eine soziale Konvention zurückführen, nach der die gesellschaftliche Elite, der Adel, zu Pferd kämpfte, sodass die Reiterei eines Heeres zu den am besten ausgebildeten und ausgerüsteten Kämpfern gehörte. Die Konventionen des Kampfes ergeben sich dabei zunächst aus der Darstellung in einer kriegergesellschaftlichen Erzählgemeinschaft, wobei die manheit der Akteure und die Bewertung ihrer Handlungen eng mit den konventionellen Werten des Kampfes verknüpft sind. Dabei ermöglicht eine Schärfung des Konventionalitätsbegriffs nach Andrei Marmor im Kontext der Legitimation von kriegerischer Gewalt die Hervorhebung der regelhaften Gegebenheiten eines kriegerischen Habitus, der seine eigenen Wertsysteme erzeugt, die den juristischen und ethischen Normen nicht immer entsprechen. Andrei Marmor fasst soziale Konventionen als eine Form von Regel, die 1.) von einer Gruppe von Menschen in bestimmten Situationen verbindlich befolgt wird, deren Befolgung 2.) bestimmte Gründe  Vgl. Bachrach, Bachrach, Warfare, S. 119–122. Fußkämpfer bildeten dennoch einen unverzichtbaren und den zahlenmäßig größten Teil der meisten hochmittelalterlichen Heere, jedoch wirkten Fußkämpfer meist unterstützend und hatten nicht die militärische Initiative. Vgl. ebd., S. 276–288.  Vgl. Alan Williams: The knight and the blast furnace. A history of the metallurgy of armour in the middle ages and the early modern period. Leiden/Boston 2002 (History of Warfare. 12), S. 40; Keen, Rittertum, S. 41. Zur Forschungskontroverse um den Steigbügel als Auslöser militärischer und gesellschaftlicher Umwälzungen im 8. Jh. siehe Haack, Krieger, S. 41 f. Haack betont weiterhin, dass der fränkische Panzerreiter nur in Ansätzen nachzuweisen und daher nicht als „Protoritter“ (ebd., S. 109) oder „Prototyp des abendländischen Ritters“ (ebd., S. 225) zu verstehen sei.  Vgl. Keen, Rittertum, S. 41 f.  Vgl. Bachrach, Bachrach, Warfare, S. 223 f.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

unterliegen (auch wenn diese dem Einzelnen nicht bekannt oder bewusst sein müssen) und die 3.) eine theoretische Alternative aufweist.79 Dementsprechend darf die Regel keine grundsätzliche und alternativlose Notwendigkeit darstellen. Weiterhin betont Marmor die Arbitrarität einer jeden Konvention, die sich zum einen aus dem Gebot einer alternativen Handlungsmöglichkeit speist und zum anderen auf compliance-dependent reasons zurückgeht, insofern eine soziale Konvention nur dann als solche zur gelten hat, wenn sie auch tatsächlich befolgt wird und einer der Gründe, sie zu befolgen, darin liegt, dass auch die anderen Mitglieder der entsprechenden Gruppe ihr folgen.80 Weiterhin unterscheidet Marmor zwischen regulativen Konventionen, die bereits existierenden Handlungsweisen ein bestimmtes Regulativ nachträglich auferlegen, und konstitutiven Konventionen, die bestimmte Handlungsweisen (activities) nicht nur erzeugen, sondern auch eigene Wertsysteme etablieren, die lediglich innerhalb der jeweiligen Handlungsweise Gültigkeit besitzen.81 Zuletzt identifiziert Marmor gewisse tiefe Konventionen (deep conventions), die regulativen und konstitutiven Konventionen, sogenannten surface conventions, zu Grunde liegen. Marmor postuliert, dass mit der Befolgung von surface conventions gleichzeitig die basalen gesellschaftlichen und psychologischen Bedürfnisse der deep conventions befriedigt werden.82 Als häufig wiederkehrendes Beispiel für seine Ausführungen dient Marmor das Spiel, das, wie zu sehen war, für die Analyse des Kämpfens von großer Bedeutung ist. Die vielen verschiedenen Spiele, die Menschen überall auf der Welt spielen, seien Ausdruck und Beleg eines tiefer gelegenen Bedürfnisses nach Komplexitätsreduktion oder Wettbewerb und Weltflucht, wie es auch Huizinga formuliert.83 Gleichfalls können Aggression und das Streben nach Bewährung im Kampf als Ausdrucksmöglichkeiten einer Begehrensstruktur und einer darauf gerichteten Veranlagung gelten, wie sie die Handlungsmodelle von Lotman und Greimas präsentieren,84 die jeweils auf eine Mentalität der Gewalt verweisen. Wo Marmor hauptsächlich mit dem Beispiel Schach operiert, soll hier der Kampf als konstitutive Praktik, und damit als Konvention, in ihrer historischen Spezifik in Blick genommen werden. Wie gesagt, liegt die grundlegende Regel eines Kampfes darin, dass sich zwei oder mehr Menschen gegenseitig Gewalt antun, bis eine Partei nicht mehr fähig oder willens ist, den Kampf fortzusetzten, womit der Sieg der anderen Partei feststeht und der Kampf vorüber ist. Für die mittelalterlichen Ausprägungen tritt weiterhin die Regel hinzu, mit welchen Mitteln Gewalt ausgeübt wird und wie man sich dagegen schützen kann. Vor dem Hintergrund der spielerischen Regelhaftigkeit des Kampfes und den Bewertungsparametern der manheit kann Marmors Konventionsbegriff für eine Reihe von Merkmalen des mittelalterlichen Krieges und seiner Darstellung fruchtbar gemacht werden. So lässt sich bereits der adlige

     

Vgl. Marmor, Conventions, S. 2. Vgl. Marmor, Conventions, S. 8–12. Vgl. Marmor, Conventions, S. 31–35. Vgl. Marmor, Conventions, S. 58 f. Vgl. Marmor, Conventions, S. 59–61 sowie Huizinga, Homo Ludens, S. 16–20. Siehe oben Kap. I.2.1.

I.3.3 Kämpfen als konventionalisierte Praktik

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Reiterkrieger selbst als konventionalisiertes Phänomen beschreiben, da es sich hierbei um ein Mitglied einer sozialen Gruppe und gesellschaftlichen Elite handelt, das in einer bestimmten Situation, der Kriegshandlung, mit Lanze und Schwert vom Pferderücken herab kämpft. Wie ethnologische Befunde und ein Blick auf viele andere Kulturen belegen, sind die Praktiken beziehungsweise formellen Regelungen kriegerischer Konflikte divers,85 sodass die hier erörterte Kampfesweise als arbiträre Kulturformation aufzufassen ist. Die Gründe für eine solche Kampfesweise stellen zum einen taktische Gesichtspunkte dar. Zum anderen verweist ihre lange und regelmäßige Verwendung auf die von Marmor ausformulierten compliance-dependent reasons, die durch die kulturelle Bedeutung des Rittertums noch zusätzlich gefestigt wurden. Dies wird besonders beim Bruch der Konvention deutlich. Weiterhin ist die zugrundeliegende Konvention in Marmors Differenzierung nicht nur als Regulierung hergebrachter Handlungen aufzufassen. Berittene Krieger sowie kriegerische Oberschichten gab es zwar bereits vor dem hohen Mittelalter, sodass die Konvention des berittenen Adelskriegers regulativ erscheinen könnte. Andererseits stellt der hochmittelalterliche Reiterkrieger im west- und mitteleuropäischen Raum86 in Schlagkraft und Kampfesweise eine so gravierende Neuerung dar, dass eine implizite Regel, der Adlige habe zu Pferd und mit Schwert und Lanze zu kämpfen, nicht nur eine solche Praktik herbeiführte, sondern auch die entsprechenden Wertsysteme von Geschicklichkeit und Können etablierte. Auch der Kampf in Scharen und/oder mit eingelegter Lanze, der so charakteristisch ist, entwickelte sich im Anschluss, sodass der ritterliche (Zwei-)Kampf, wie er auch als bildliches und literarisches Motiv vielfach bezeugt ist, ein konstitutives Element einer ritterlichen Konvention darstellt. Diese geht einher mit der Zuschreibung entsprechender Werte, nach denen ein starker und/oder gezielter Lanzenstoß eine positiv valorisierte Handlung darstellt, wie der entsprechende Diskurs demonstriert. Im Lanzelet87 und im Parzival finden sich beispielsweise mehrere Beschreibungen eines Lanzentreffers auf die vier Nägel, mit denen der Griff des Schilds befestigt ist:

 Bspw. waren im China der Song-Ära (10.–13. Jh. n.u.Z.) berittene Kämpfer selten. Vgl. Wang Tsengyü: A History of the Sung Military, transl. by David C. Wright. In: The Cambridge History of China, Bd. 5,2. Hrsg. von John W. Chaffee, Denis Twitchett. Cambridge 2015, S. 214–249, hier S. 221 f. Zu ethnologischen Befunden zur Konfliktforschung siehe Wulf Schiefenhövel: Aggression und Aggressionskontrolle am Beispiel der Eipo aus dem Hochland von West-Neuguinea. In: Töten im Krieg. Hrsg. von Heinrich von Stietencron, Jörg Rüpke. Freiburg/München 1995 (Veröffentlichungen des Instituts für historische Anthropologie. 6), S. 339–362, hier S. 342–344. Siehe auch Michael Bollig: Zur Legitimation von Gewalt bei ostafrikanischen Hirtennomaden. In: Ebd., S. 363–398 und Irenäus Eibl-Eibesfeld: Krieg und Frieden aus der Sicht der Verhaltensforschung. München 1975, S. 202–213.  Im byzantinischen bzw. oströmischen Reich gab es mit den Kataphraktoi freilich ebenfalls und schon wesentlich früher schwer gepanzerte Reiter, wobei die Begegnung mit den westlichen Rittern der Kreuzzugsära nicht ohne Einfluss blieb. Vgl. John W. Birkenmeier: The Development of the Komnenian Army. 1081–1180. Leiden [u. a.] 2002 (History of Warfare. 5), S. 214 f.  Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet. Text, Übersetzung, Kommentar. Studienausgabe. Hrsg. von Florian Kragl. 2., revidierte Auflage. Berlin/Boston 2013.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

zuo den vier nagelen gegen der hant dâ stâchens durch die schilte, daz den degenen milte die starken schefte zercluben und die spelteren ûf stuben. ir enweder kom dâ nider. (Lz, V. 5290–5294)

Die so zur Anschauung gebrachte Treffsicherheit und Durchschlagskraft der Lanzenstöße stellt ein Glanzstück kämpferischen Könnens dar, das hingegen lediglich im spezifischen Kontext des Kampfes als solches aufgefasst werden kann, denn das Resultat ist zwar spektakulär, aber letztlich folgenlos, da keiner der beiden Kontrahenten vom Pferd gestoßen wird. Daraus folgt, dass diesem Lanzenstoße nur im Kontext einer spielerisch-konventionellen Eigenlogik besonderer Wert oder gar Sinn zugemessen werden kann. Überdies sehen die konstitutiven Regeln des ritterlichen Zweikampfs einen oder mehrere Lanzengänge vor, ehe der Kampf mit dem Schwert fortgesetzt wird.88 Eine Darstellung der Abfolge von Lanzen- und Schwertkampf wie in Konrads von Würzburg Trojanerkrieg entspricht der historischen Kampfesweise. ein ander si dâ trâfen sô vaste mit den scheften, daz von ir stiches kreften die lanzen beide sich ercluben und in diu wolken ûfe stuben die schivern und die sprîzen. dar nach begunden vlîzen sich die kempfen hôchgeborn, daz si diu swert vil ûz erkorn zuhten ab den sîten und dâ mite ein strîten erhuoben sunder twâle. (Tro, V. 3930–3941)

Überall zeigt sich, dass manheit in ihrer habituellen Ausprägung vornehmlich an die konventionalisierte Praktik des Kampfes gebunden ist. Der ritterliche Zweikampf kann als surface convention einer tiefen Konvention kämpferischer Aggression verstanden werden. Innerhalb eines solchen Kampfes ist es ein grundsätzliches Gebot, die Spielre-

 Ein besonders bedeutendes Beispiel dieser Abfolge liefert der Kampf des Hl. Georg gegen den Drachen in der Legenda Aurea, von wo aus es sich auch ikonographisch verbreitete. Jacobus de Voragine: Legenda Aurea. Lateinisch/Deutsch. Ausgewählt, übers. und hrsg. von Rainer Nickel. Stuttgart 2005, S. 197, wo allerdings Kampfhandlungen mit Lanze und Schwert durch eine Bekehrungsepisode unterbrochen sind. Für eine entsprechende bildliche Darstellung siehe etwa Jost Hallers Tempelhof-Altarbild aus Bergheim, Mitte 15. Jh., heute zu sehen im Musée d’Unterlinden in Colmar. Hier ist die Waffensukzession besonders deutlich gekennzeichnet.

I.3.3 Kämpfen als konventionalisierte Praktik

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geln zu befolgen, indem die nötigen und erwarteten Handlungen als Ausdruck von manheit an den Tag gelegt werden. Darüber hinaus fordert manheit zum einen ein bestimmtes Maß an leistungsbezogener Qualität der jeweiligen Handlung, die Marmor als besonderes Kennzeichen konstitutiver Konventionen auffasst.89 Zum anderen gestaltet sich das Kämpfen und besonders das siegreiche Kämpfen als die Summe von Handlungsweisen, die durch manheit als dezidiertem Motor von Handlung konstituiert werden. Vor diesem Hintergrund ist die Definition der vierten Bedeutung von ‚gut‘ im Deutschen Wörterbruch Jakob und Wilhelm Grimms aufschlussreich: gut im sinne ‚passend, zweckmäszig‘ gewinnt einen besonderen bedeutungsbereich innerhalb einer sphäre, in der das, was bestimmten objektiv gültigen normen oder durch gesellschaftliche konvention festgesetzten regeln entspricht, als gut d. h. ‚ziemlich, schicklich‘, ‚richtig, ordnungsgemäsz‘ bezeichnet wird.90

Somit kann eine ‚gute Handlung‘ (wie etwa einen Schwertschlag oder Lanzenstoß) als Ausweis eines konventionellen Wertsystems gelten. Davon ausgehend muss eine Bewertung von (Kampf-)Handlungen nicht bei ‚gut‘ stehenbleiben und kann in derselben „sphäre“ darüber hinaus gehen, sodass der Glorifizierung des Kampfes ein Vokabular zur Verfügung steht, welches das zugrundeliegende Wertsystem wiederspiegelt. In diesem Zusammenhang werden semantische Unterschiede von Tapferkeit und manheit deutlich, wie etwa die ritterlich-kriegerische Ausbildung Parzivâls anzeigt, dessen manheit unmittelbar auf kämpferische Aggression bezogen ist. der junge süeze âne bart, den twanc diu Gahmuretes art und an geborniu manheit, daz ors von rabbîne er reit mit volleclîcher hurte dar, er nam der vier nagele war. des wirtes ritter niht gesaz, al vallende er den acker maz. (Pz, V. 174,23–30)

Der Erzähler beschreibt den zweiten regulären Tjost, den Parzivâl in seinem Leben ausführt: Die kämpferische Exzeptionalität Parzivâls wird vor Augen geführt und zugleich als angeborene Fertigkeit stilisiert.91 Beim ersten Tjost, in den Versen davor, hatte Parzivâl den Schild seines Gegners durchstoßen und diesen ebenfalls vom Pferd

 Vgl. Marmor, Conventions, S. 36 f.  DW, Bd. 9, Sp. 1241.  Zur Bedeutung ritterlicher Ausbildung von Kindheit an, siehe Fenske, Knappe, S. 69 f. u. 80–82 sowie Kap. II.1.9, wo im Kampf zwischen Iwein und Gâwein ihre Ausbildung hervorgehoben wird. Siehe auch Gebert, Wettkampfkulturen, S. 152: Tugenden „erscheinen eher als Aktualisierungseffekte von Dispositionen, welche das Erlernen von Normen zugleich e r m ö g l i c h e n (Semantiken der Ausbildung, Einübung und Verstetigung) und a u s s c h l i e ß e n (es wird nicht eigentlich Neues erworben, sondern es werden nur Strukturanlagen ‚entfaltet‘).“ Sperrungen im Original.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

gestoßen. Schon Parzivâls erster Anlauf zeichnet sich durch seine große Kraft aus, er stellt eine bedeutsame Leistung dar, die auch von den Anwesenden wertgeschätzt wird. dö brähte der jungelinc / sin ersten tjost durch einen schilt, / deis von in allen wart bevilt (Pz, V. 174,14–16). Demgegenüber ist der zweite Kampf eine Steigerung, die sich nicht nur auf die Betonung von Parzivâls Geschicklichkeit durch den Treffer auf die vier Nägel beschränkt. Hier zeigt sich die Verschiebung von reiner Kraft als Auszeichnung hin zu einer konstitutiv-konventionellen Bewertung der Praktik, die sich in der Präzision des Treffers niederschlägt. Im Rahmen der konventionalisierten Praktik der Tjost entspricht Parzivâls Handlung sämtlichen inhärent konstituierten Wertvorstellungen. Als Auslöser dieser Handlung nennt der Erzähler Gahmuretes art / und an geborniu manheit, was zunächst den Anschein eines Hendiadyoins erweckt, da väterliches Erbe und angeborene Veranlagung weiträumige Überschneidungen im Sinne der Kampfkraft suggerieren.92 Darüber hinaus zwingen (twanc) sie ihn jedoch auch, nicht nur der Norm, sondern vor allem dem Ideal in jeder Hinsicht zu entsprechen. Parzivâls Handeln beschränkt sich nicht darauf, einer „unhintergehbaren Disposition“93 unterworfen zu sein. Vielmehr ist „die von den Vätern ererbte Tapferkeit [paternae virtutis] [...] Tugend und Verpflichtung zugleich.“94 Parzivâl gehört von Geburt an einer hereditären Gruppe an, deren manheit eine Verhaltensregel befördert, die ihn nicht nur befähigt, sondern auch verpflichtet, ein idealer Kämpfer zu sein.95 Sehr deutlich tritt dies im finalen Kampf zwischen Parzivâl und Feirefîz zu Tage, die beide nicht nur Gahmuretes art geerbt haben, sondern – wie das Löwenjunge, das nach dem Physiologus vom Vater ins Leben gebrüllt wird96 – von Geburt an dazu bestimmt sind zu kämpfen:97 dise zwêne wâren ûz krache erborn, / von maneger tjost nâch prîse erkorn (Pz, V. 738,21 f.). Die Konventionalität des Kampfes der beiden Brüder zeigt sich allein schon daran, dass er vollkommen obligat zu sein scheint, da beide Kämpfer

 Die Bemerkung von Michael Mecklenburg, dass Parzival „von programmatischer Vaterlosigkeit“ sei, scheint mir dahingehend etwas verkürzt. Michael Mecklenburg: Väter und Söhne im Mittelalter. Perspektiven eines Problemfelds. In: Das Abenteuer der Genealogie. Vater-Sohn-Beziehungen im Mittelalter. Hrsg. von Johannes Keller [u. a.]. Göttingen 2006 (Aventiuren. 2), S. 9–38, hier S. 15. Zum Themenkomplex der Vater-Sohn-Beziehungen siehe ebd. sowie den Literaturüberblick bei Beate Kellner: Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter. München 2004, S. 16–31. Siehe auch Friedrich, Menschentier, S. 282, der Gahmurets „Drang“ nach „ritterlicher Bewährung“ beschreibt.  Larissa Schuler-Lang: Wildes Erzählen – Erzählen vom Wilden: ‚Parzival‘, ‚Busant‘ und ‚Wolfdietrich D‘. Berlin [u. a.] 2014 (LTG. 7), S. 206.  Kleinen, Kämpfer, S. 95. Das lateinische Zitat stammt aus Widukinds Sachsengeschichte: Widukindi monachi Corbeiensis rerum gestarum Saxonicarum libri tres, in Verbindung mit Hans-Eberhard Lohmann neu bearbeitet von Paul Hirsch. Hannover 1935 (MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi. 60), lib. I, cap. 11, S. 19.  Bezogen auf fortitudo siehe Hans-Werner Goetz: Herrschaft im Mittelalter. In: Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen. Hrsg. von Peter Dinzelbacher. Stuttgart 1993, S. 466–475, hier S. 470.  den lewen sîn muoter tôt gebirt: / von sîns vater galme er lebendec wirt. (Pz, V. 738,19 f.)  Vgl. Gebert, Poetik, S. 159.

I.3.3 Kämpfen als konventionalisierte Praktik

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ohne Grund oder einen vorangegangenen Auslöser aufeinander losgehen.98 Weiterhin setzen beide gleichermaßen ihr Leben aufs Spiel, da es, wie der Erzähler deutlich macht, im Kampf um Leben und Tod geht.99 Zuletzt entspricht auch der Ablauf mit dem bekannten Muster von Lanzen- und Schwertkampf den üblichen Konventionen: Begonnen wird mit einem Lanzenkampf, bei dem beide Lanzen zersplittern, die Kämpfer jedoch im Sattel bleiben, dann folgt ein erbitterter Schwertkampf zu Pferd, danach zu Fuß. So zeichnen sich der Kampf und seine Beschreibung durch eine ausgeprägte Symmetrie aus. Die Handlungen der beiden Kämpfer entsprechen in jeglicher Hinsicht den zugrundeliegenden Spielregeln und sind darüber hinaus von herausragender Güte, sodass der Erzähler wie hin- und hergerissen erscheint zwischen der Sorge um den von ihm begleiteten Protagonisten (den ich hân brâht, Pz, V. 737,25) und der Bewunderung für beide Kämpfer: ob si iht swerte vuorten, dâ si zein ander ruorten? diu wâren dâ scharph und al bereit. ir kunst und ir manheit wart dâ erzeiget schiere. Ezidemôn dem tiere100 wart etslîch wunde geslagen, ez mohte der helm dar under klagen. diu ors vor müede wurden heiz. (Pz, 739,11–19)

Die manheit der beiden Kontrahenten konstituiert eine kämpferische Handlungsweise, die als Kennzeichen eines kriegerischen Habitus dessen konventionalisierte Spiel- und Handlungsregeln als ein maximales Gewaltpotential sichtbar werden lässt. Als Gewaltausübung sublimierende Tugend glorifiziert der Begriff manheit eine außerordentliche Kriegerhaftigkeit und bezeichnet und verdeutlicht zudem die Zugehörigkeit zu einer elitären Gruppe, die sich durch ihr Streben nach symbolischem Kapital als sozialer Ausbeute des Sieges auszeichnet. Mit diesem Streben geht jedoch zwangsläufig eine fortwährende Annäherung an den Tod einher,101 wie es der Fall Gahmurets bezeugt. Wie Judith Klinger gezeigt hat, liegt im fortwährenden Drang nach Selbstverschwendung der dynamische Kern eines konventionalisierten Gebarens:

 Vgl. Pz, V. 737,19–738,13. Siehe auch Viola Wittmann: Das Ende des Kampfes. Kämpfen, Siegen und Verlieren in Wolframs ‚Parzival‘. Zur Konzeptlogik höfischen Erzählens. Trier 2007 (Literatur – Imagination – Realität. 42), S. 174.  nû enmac ich disen heiden / von dem getouften niht gescheiden, / si enwellen haz erzeigen. / daz solde in vreude neigen, / die sint erkant vür guotiu wîp. / ieweder durch vriundinne lîp / sîn verh gein der herte bôt. /gelücke scheidez âne tôt. (Pz, V. 738,11–18).  Figur eines Fabelwesens auf Feirefîz‘ Helm. Vgl. Pz, 736,10–14. Siehe Stellenkommentar.  Vgl. Haferland, Interaktion, S. 29. Ähnlich Kaeuper, Chivalry and Violence, S. 143.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

[manheit wird] durchaus nicht als stabile und schon vorausgesetzte Geschlechtsidentität konzipiert [...], mit der eine ebenso fixierte Machtposition einherginge. Vielmehr erfüllt sich exzessive manheit in der Selbstverschwendung bis zum Verlust der Handlungsfähigkeit und Eigen-Mächtigkeit. Macht und Ohnmacht, Souveränität und Verwundbarkeit bedingen einander in einer paradoxen Denkfigur, wenn sich manheit mit allen Konsequenzen aufs Spiel setzen muss, um sich zu erweisen.102

Die Möglichkeit eines solchen Verlusts ebenso wie die Bedrohung durch Ohnmacht und Verwundbarkeit sind dabei vornehmlich als Hintergrundfolie eines sieg- und erfolgreichen Handelns zu betrachten, da sich manheit nur im Erhalt von Handlungsfähigkeit, Macht und Souveränität be- und erweist. Die finale Struktur einer Dynamik der manheit deutet immer auf den Tod, sodass im Diskurs der manheit Tod und Verwundung stets implizit gegeben sind103 und häufig anhand der Antagonisten auch explizit gemacht werden.104 Jenseits dessen profiliert sich der Held des höfischen Romans, indem er – durch manheit – sein Können und seine wirdecheit dem Rezipienten wie den Figuren der erzählten Welt wieder und wieder vor Augen führt. Die Forschung hat bisweilen angenommen, dass eine solche Dynamik den mittelalterlichen Autoren als problematisch gegolten habe.105 Diese Sicht soll in den folgenden Kapiteln hinterfragt werden, da eine grundsätzliche Problematisierung der Todesbereitschaft ritterlicher Akteure nicht nur die zentralen Wert- und Handlungsnormen einer Kriegergesellschaft übersieht, sondern die Glorifizierung von kriegerischer manheit als wesentlichem Bestandteil des höfischen Romans vernachlässigt.

I.3.4 Der Ritter als Leitbild einer Kriegergesellschaft Die Problematisierung sowohl der Todesnähe als auch der Gewaltausübung höfischer Romanhelden hängt eng mit der zugrundliegenden Konzeption von Rittertum zusammen. Dieses steht im Zentrum einer Synthese der bisher behandelten Aspekte einer Kriegergesellschaft des 12. und 13. Jahrhunderts, da sich darin eine „Mentalität der Ge-

 Klinger, Begehren, S. 195.  Vgl. Kortüm, Menschen, S. 63.  Vgl. Tina Terrahe: Berufsrisiko Tod. Narrative Konzepte des (Über- und) Ablebens in der höfischen Epik um 1200. Marburg/Lahn 2019, S. 8.  Vgl. Neudeck, Stigma, S. 65: „Wer die Gefahr sucht, kommt schließlich in ihr um. Gahmurets Ende verdüstert sein strahlendes Rittertum und scheint bereits am Beginn von Wolframs Roman auf ein grundsätzliches Dilemma feudaladligen Selbstverständnisses hinzuweisen: Wenn selbst der beste und untadeligste Ritter nicht gegen die – in letzter Konsequenz immer tödlichen – Folgen des Waffendienstes gefeit ist, wird das ritterliche Idealbild einer adligen Gesellschaftsschicht selbst problematisch.“ Damit anknüpfend an Alexandra Stein: ‚wort unde werc‘. Studien zum narrativen Diskurs im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach. Frankfurt a. M. [u. a.] 1992 (Mikrokosmos. 31), S. 51–55, hier S. 55: „Die Kritik an rîterschaft, welche sich nur zeitweise, nie aber vollständig im Turnier kanalisieren und domestizieren läßt, erweist sich dabei auch als eine Kritik am Artusroman Chrestien-Hartmannscher Prägung, soweit dieser rîterschaft und strît als Resozialisationselemente idealisiert.“

I.3.4 Der Ritter als Leitbild einer Kriegergesellschaft

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walt“106, berittenes Kriegertum, die Legitimation des Kämpfens und die Glorifizierung von manheit als ideologischer Kern und praxeologische Struktur offenbaren. So formulieren Cormeau und Störmer: Für die Annahme einer verbindenden Adelsmentalität spricht die gleichzeitige Aufwertung des ritter-Begriffs, der [...] gerade keine ständische Gruppierung bezeichnet, sondern als programmatischer Titel für Hoch- und Niederadel verwendet werden kann.107

Entsprechend bringt der Erzähler im Epilog von Konrads von Würzburg Heinrich von Kempten die Bedeutung von manheit unde ritterschaft zur Sprache: Dar umbe ein ieslich ritter sol gerne sîn des muotes quec, werf alle zageheit enwec und üebe sînes libes kraft. wan manheit unde ritterschaft diu zwei diu tiurent sêre: si bringent lob und êre noch einem iegelichen man der si wol gehalten kan unde in beiden mag geleben. (Heinrich v. Kempten, V. 744–753108)

In Anbetracht der im Heinrich von Kempten entfalteten Gewalteskalation verweist die Art und Weise der Valorisierung des Rittertums nicht auf die Restriktion von Gewalt, die sonst mit Rittertum verknüpft ist,109 sondern auf manheit und die skillful performance kämpferischer Gewaltausübung. Vor diesem Hintergrund ist im Folgenden die inhärente Gewaltbezogenheit des Rittertums aufzuzeigen, dessen Genese eng mit kämpferischen Tätigkeiten verknüpft war und damit einer literarischen Glorifizierung von manheit offenstand. Perhaps only our unshakable commitment to an idea of chivalry as essentially an agency of restraint has sometimes masked this obvious connection between chivalric mentality centered

 Braun, Herberichs, Gewalt, S. 26.  Cormeau, Störmer, Hartmann von Aue, S. 225.  Zitiert nach Konrad von Würzburg: Heinrich von Kempten. Der Welt Lohn. Das Herzmaere. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Edward Schröder. Übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Heinz Rölleke. Stuttgart 1968 (RUB. 2855).  Vgl. Beate Kellner: Der Ritter und die nackte Gewalt. Rollenentwürfe in Konrads von Würzburg ‚Heinrich von Kempten‘. In: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Matthias Meyer, HansJochen Schiewer. Tübingen 2002, S. 361–384, bes. S. 382. Siehe auch Schausten, Beim Barte des Kaisers, S. 248 f. u. bes. die Einordnung des besagten Epilogs, der (S. 249, Anm. 73) „die gesamte Ritterschaft dazu auffordert, Feigheit zu vermeiden und sich auf der Grundlage von des lîbes kraft (V. 747) tapfer zu verhalten.“

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

on prowess and ceaseless medieval warfare. In the medieval social scheme, knights were indeed ‚those who fight‘.110

In der Forschung sind die Romantisierungen des 19. Jahrhunderts weitestgehend überwunden111, jedoch besteht weiterhin das Problem, die historischen Termini von den dort verorteten Implikationen von ‚Ritterlichkeit‘ freizuhalten.112 Das moderne Wort ‚Ritter‘, so versprechen es die einschlägigen Wörterbücher, entspreche dem mittelhochdeutschen Wort rîter/ritter/ridder sowie dem lateinischen miles.113 Das Rittertum bezieht sich sowohl auf eine Vielzahl historischer Individuen als auch auf ein einziges Gefüge, gewissermaßen eine Institution oder einen ordo.114 Ebenso bezeichnet ‚ritterschaft‘ sowohl die Eigenschaften, über die der Einzelne in der Gruppe verfügt als auch die Eigenschaften, die von der Gruppe zur Norm erhoben werden. Werner Paravicini bringt dies auf die Formel: „,Ritter‘ ist ein vieldeutiger und damit verwirrender Begriff. Es sind zu unterscheiden Amt, Würde, Stand und Idee.“115 In dieser Aufzählung fehlt allerdings die militärische Funktion des Ritters, sein Wirken auf dem Schlachtfeld,116 das gleichzeitig die Grundlage von manheit ist und gerade im 12. und 13. Jahrhundert maßgeblich die Bedeutung der mittelhochdeutschen Terminologie bestimmt. Im Blick auf die Quellen ergibt sich grundsätzlich eine Vielzahl von mit dem Rittertum sich verbindenden Idealen, die bei jeweils unterschiedlichen Autoren mit unterschiedlicher Agenda unterschiedliche Tugend- und Wertpräskriptionen umfassen. Insbesondere in Bezug auf Fragen der Moral und die mit dem Rittertum fest verknüpfte Gewaltausübung ergeben sich hier beachtliche Differenzen. Diese konzeptuelle Vielfalt geht nicht zuletzt auf die Pluralität der Quellen zurück, die rîter und miles jeweils unterschiedlich kontextualisieren. Neben dem Ideal des höfischen Ritters, das

 Kaeuper, Medieval Chivalry, S. 160.  Vgl. Joachim Bumke: Studien zum Ritterbegriff im 12. und 13. Jahrhundert mit einem Anhang: Zum Stand der Ritterforschung 1976. Heidelberg 1977, S. 11.  Zur Problematik des Übersetzens siehe Werner Hoffmann: ‚Wan manheit unde ritterschaft / din zwei din tiurent sere.‘ Ein semantisches Problem im Heinrich von Kempten. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 240 (2003), S. 354–360, der jedoch die Übersetzung von manheit mit ‚Mannhaftigkeit‘ (Rölleke) oder ‚Tapferkeit‘ (Konrad von Würzburg: Heinrich von Kempten. In: Der Schwanritter. Deutsche Verserzählungen des 13. und 14. Jahrhunderts. Hrsg. und aus dem Mittelhochdeutschen übertragen von Hans Joachim Gernentz. 2. Auflage. Berlin 1979, S. 251) im obigen Zitat nicht problematisiert.  Vgl. Bumke, Ritterbegriff, S. 15; Althoff, milites, S. 319. Die sprachgeschichtliche Problematik von Ritter/rîter/miles beobachtet auch Volker Rödel: Wie wurde man und wer war Ritter? In: Politik und Kultur der Stauferzeit. Hrsg. von Andreas Imhoff. Annweiler 2016 (Beiträge zur Geschichte des Trifels und des Mittelalters. 5), S. 233–250, hier S. 233. Bei Geoffrey von Monmouth wird miles im Kontext von König Artus ausschließlich für berittene Kämpfer oder Ritter verwendet. Siehe Jackson, Chivalry, S. 7.  Vgl. Hechberger, Adel, S. 36.  Paravicini, Kultur, S. 3.  Lediglich der Idee als „standestypische Verhaltensnorm“, Paravicini, Kultur, S. 4, ließe sich ein impliziter Bezug zur Kampfesweise entnehmen.

I.3.4 Der Ritter als Leitbild einer Kriegergesellschaft

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sich aus literarischen Texten deduzieren lässt, stehen präskriptive Regularien klerikalen oder monastischen Ursprungs wie die Ausführungen Bonizos von Sutri im liber de vita christiana oder das berühmte de laude novae militia Bernhards von Clairvaux sowie diverse Anleitungen wie das Livre de chevalerie Geoffrois de Charny, Thomasins von Zerklaere Der Welsche Gast oder der jüngere Ritterspiegel von Johannes Rothe.117 Das Rittertum als Konstrukt verfügt somit über ebenso viele Gestalten wie es Theoretiker hat, sodass sich allenfalls in einem Querschnitt ein historisches Ritterbild ermitteln lässt. Dies schlägt sich auch in der Forschung nieder, wenn unterschiedliche Quellentexte der Beschreibung eines historischen Phänomens zugrunde liegen. Die unterschiedlichen Ausprägungen eines Ritterideals lassen mentalitätsgeschichtliche Rückschlüsse auf die Vorstellungswelt der jeweiligen Zeit zu, insofern sie einen SollZustand zeigen, der als Leitbild die mittelalterliche Gesellschaft geprägt hat und somit zugleich real und fiktional ist.118 Das Wort miles gab es bereits, bevor es den ‚Ritter‘ bezeichnete, wie es auch den entsprechenden Akteur, den gepanzerten, unter Umständen aristokratischen Reiter, den loricatus, gab, bevor er miles genannt wurde. miles bezeichnet im klassischen Latein den einfachen Fußsoldaten und ist somit schon in seinen Ursprüngen mit Kriegsdienst und der damit einhergehenden Gewaltausübung verbunden. Trotz der pazifistischen Grundeinstellung des Urchristentums119 findet sich in den Paulus-Briefen des 1. nachchristlichen Jahrhunderts eine stark militarisierte Rhetorik,120 die sich im Kampf gegen das Böse,121 und der besonderen Implikation von fortitudo niederschlägt. Spätestens seit  Werner Paravicini spricht gerade den beiden letztgenannten Texten nur geringen Bezug zum adligen Lebensstil zu. Siehe Werner Paravicini: Adlig leben im 14. Jahrhundert. Weshalb sie fuhren: Die Preußenreisen des europäischen Adels. Teil 3. Göttingen 2020 (Vestigia Prussica. Forschungen zur ostund westpreußischen Landesgeschichte. 2), S. 224: „Es sprechen hier nur gelehrte Geistliche, immerhin in der Volkssprache. Es wird mit unterschiedlichem Geschick eine Existenz gefordert, die mit dem täglichen Leben wenig zu tun hat: Es geht um gerechtes, gottgefälliges Verhalten und Tugendadel im Gegensatz zum Erbadel – der doch allein wirklich war. Der junge Edelmann soll sich von den sieben Todsünden fernhalten, Hochmut und Habsucht voran, den adligen Erbübeln. Dagegen hat er den vier Kardinaltugenden nachzuleben (Gerechtigkeit, Tapferkeit, Klugheit, Mäßigung), die sieben freien Künste zu beherrschen (Grammatik, Rhetorik, Dialektik sowie Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie), das heißt Buchwissen zu erwerben, wo doch noch zweihundert Jahre später, zu Ulrich von Huttens Zeiten, ein (Latein-)Studium als nicht standesgemäß galt. Natürlich soll er auch höfische Manieren annehmen – aber das ist dann schon gleichsam alles. Von Wert- und Ehrgewinn durch Abenteuer, Kampf und Reise, der in der Minne belohnt wird, ist kaum die Rede. Nur im Spiegel der Kritik wir uns adliges Wesen beschrieben.“  Vgl. Keen, Rittertum, S. 7–15; Kortüm, Menschen, S. 63.  Vgl. Angenendt, Toleranz, S. 372 u. 376.  Vgl. Dinzelbacher, Peter: „strîtes êre“. Über die Verflechtung von Ehre, Schande, Scham und Aggressivität in der mittelalterlichen Mentalität. In: Mediaevistik 28 (2015), S. 99–140, hier S. 114; Andreas Wang: Der „Miles Christianus“ im 16. und 17. Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition. Ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit. Bern 1975 (Mikrokosmos 1), S. 21–24.  Dinzelbacher, Verflechtung, S. 114: „Diese prinzipielle Akzeptanz des Gewaltgebrauchs beginnt bereits im Bereich der Sprache mit der im kirchlichen Schrifttum so beliebten Metapher des Gottes-

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

dem spätantiken Theologen Origenes werden Eremiten und Asketen, die sich besonders einem gottgefälligen Leben widmen, milites christi genannt.122 Neben Armut und Enthaltsamkeit konnten „die militärischen Prinzipien des Gehorsams, der Unterordnung unter einen Führer, der inneren Disziplin und des Todesmutes“123 als Kennzeichen eines solchen ‚Gotteskriegers‘ gelten. Ab der Mitte des 9. Jahrhunderts setzte sich miles als Bezeichnung für den Kriegsdienst leistenden Lehnsnehmer gegenüber vasallus durch.124 Das alte Wort als neue Bezeichnung eines alten Phänomens erzeugte einen neuen Begriff,125 in dem sich die Implikationen, die bisher an Wort und Ding gehangen hatten, vermengten, der sich mit der Zeit aber auch um zusätzliche Inhalte erweiterte. Diese Anreicherung bezeichnet auf sprachlicher Ebene die Entstehung des Rittertums.126 Diese vollzieht sich in zwei Entwicklungsschritten. Lexikalisch zeigt sich im 9. und 10. Jahrhundert eine Verschmelzung der Termini miles und vasallus, wobei loricatus für den gepanzerten Reiter weiterhin benutzt wurde.127 Dessen wichtigstes Attribut war das Pferd, das ihm sowohl auf dem Schlachtfeld als auch beim Feldzug eine höhere Schnelligkeit und Mobilität verlieh. Seine Waffen waren vornehmlich Schwert und Lanze und neben dem Schild ein meist knielanger Kettenpanzer (lorica), von dem sich der Name loricatus ableitet. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Kosten für eine solche Ausstattung wird ihm eine gehobene gesellschaftliche Stellung zugeordnet, die mit Landbesitz verknüpft war beziehungsweise in diesem zum Ausdruck kam und mittels dessen sich die Ausrüstungskosten tragen ließen.128 Wenn loricatus und vasallus nebeneinander existierten, bezeichnete loricatus den phänomenologischen und funktionalen Aspekt der äußeren Erscheinung und kriegerischen Rolle. vasallus hingegen verwies auf Landbesitz und auf zur Heeresfolge verpflichtende Gefolgschaft.129 Im miles war somit beides vereint. Einem solchen sprachlichen Prozess entspricht jedoch auch eine soziale beziehungsweise historische Perspektive, da auch Sprecher:innen oder Schreiber:innen abhängig von ihrer gesellschaftlichen Zugehörigkeit womöglich unterschiedliche Konnotationen mit einem Wort verbanden. Derartige Quellenkritik ist bei der Betrachtung sämtlicher Aspekte, die mit

dienstes als Kampf gegen den Bösen und der ‚vita christiana‘ als ehrenvoller Kriegsdienst für den Herrn.“  Vgl. Althoff, milites, S. 317–333, hier S. 326. Siehe auch Hechberger, Adel, S. 35.  Wang, „Miles Christianus“, S. 21.  Vgl. Josef Fleckenstein: Rittertum und ritterliche Welt. Unter Mitwirkung von Thomas Zotz. Berlin 2002, S. 51. Siehe jedoch Haack, Krieger, S. 102: „In den Kapitellisten, die auf die Beratungen und Versammlungen an karolingischen Höfen zurückgingen, wurde das Wort miles praktisch nicht verwendet, und wo doch, steht es stets als miles Christi. Als spezifischer Terminus für die Benennung von Kriegern wurde das Wort vom Herrscher und seinem Umfeld also nicht verwendet.“  Gerd Althoff spricht mit Bumke: Ritterbegriff, S. 157 vom „sozialen Aufstieg eines Wortes.“  Vgl. Althoff, milites, S. 332.  Vgl. Fleckenstein, Rittertum und ritterliche Welt, S. 52.  Vgl. Hechberger, Adel, S. 12 f.  Vgl. Hechberger, Adel, S. 34.

I.3.4 Der Ritter als Leitbild einer Kriegergesellschaft

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dem Ausdruck ‚Rittertum‘ verknüpft sind, von essenzieller Bedeutung, da mit ihr die Interpretation jeglicher moralischen Bewertung steht und fällt. Damals wie heute ist die Bewertung des Rittertums im Wesentlichen eine Frage der Moral, denn der unveränderliche Kern von loricatus und damit von miles ist der bewaffnete Kampf und das mit ihm einhergehende Potential der Gewaltausübung. Vor diesem Hintergrund skizziert die Ritterforschung die zweite Veränderung im 11. und 12. Jahrhundert als eine Folge der Kirchenreform, der daraus entstehenden Gottesfriedensbewegung und dem Investiturstreit sowie letztendlich der Kreuzzugsbewegung. All diese Phänomene wurden bisweilen als Versuche einer Restriktion und Kanalisierung kriegerischer Gewalt aufgefasst.130 Nahezu jede wissenschaftliche Publikation, die sich mit dem mittelalterlichen Rittertum befasst, hat die vorgebliche Wandlung vom Panzerreiter zum Ritter beschrieben.131 Diese lässt sich vornehmlich als eine Aufwertung vom miles zum miles christianus auffassen, da sich die Unterscheidung lediglich auf ethischer Ebene abzeichnet, wohingegen das äußere Erscheinungsbild und die militärische Funktion unverändert blieben. Jedoch ist der „Pazifizierung der Gesellschaft“ im Zuge eines Zivilisierungsprozesses, wie ihn Nor-

 Vgl. Dinzelbacher, Verflechtung, S. 102: „Beginnend mit der Gottesfriedensbewegung, die unter gewissen, genau definierten Umständen auf einen Fehdeverzicht abhebt und damit auf eine Pazifizierung der Gesellschaft, wurde der Ehrenkodex des miles christianus entwickelt, der das traditionelle kriegerische Ethos nach Vorstellung der Kirche umorientieren sollte.“ Erheblich älter aber nahezu inhaltsgleich Althoff, milites, S. 332: „Die Kirche reagierte auf das für sie bedrohliche Machtvakuum, das durch den Ausfall des Königtums entstanden war, indem sie durch Propagierung eines speziellen Laienethos, das entscheidende Bestandteile der älteren Herrscherethik aufnahm, den Waffenträgern die Schutzfunktion des Königtums übertrug und so neue Stabilität erzeugte.“ Siehe auch Hehl, Kirche, Krieg und Staatlichkeit, S. 27; Friedrich, Zähmung, S. 157–163. Neben den rechtlichen Grundlagen einen Krieg zu beginnen (ius ad bellum), die in Anlehnung an den ‚gerechten Krieg‘ (bellum iustum) entstanden, wurden mit der Gottesfriedensbewegung auch Bemühungen unternommen, den Krieg selbst zu regulieren. Doch die Regeln des Kampfes im Sinne von Vorschriften und Verboten als einer Form des Kriegsrechts (ius in bello) verfügten, wie Matthew Strickland bemerkt, nur über geringe Reichweite. Vgl. Strickland, War and Chivalry, S. 34. Verbote etwa der Armbrust oder des Einsetzens von Söldnern fanden kaum Gehör. Zum ius in bello siehe auch Kortüm, Krieg, S. 24 sowie Karl-Heinz Ziegler: Kriegsrechtliche Literatur im Spätmittelalter. In: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Gründe, Begründungen, Bilder, Bräuche, Recht. Hrsg. von Horst Brunner. Wiesbaden 1999 (Imagines medii aevi. 3), S. 57–71, hier S. 58. Die fortwährenden kirchlichen Verbote von Turnieren zeigen, dass Teile des Klerus Gewalt selbst im Rahmen von Wettkämpfen zu sanktionieren suchten. Vgl. Keen, Rittertum, 146–151; Sabine Krüger: Das kirchliche Turnierverbot im Mittelalter. In: Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums. Hrsg. von Josef Fleckenstein. Göttingen 1986 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. 80), S. 401–422, hier S. 404 f. Dass diese Verbote in weiten Teilen ignoriert wurden, weist hingegen auf die begrenzte Durchsetzungskraft hin, die ein kirchliches Verbot gegenüber weltlichen Interessen bisweilen besaß.  So auch Rödel, Ritter, S. 233 f.; Martin Hofbauer: Vom Krieger zum Ritter. Die Professionalisierung der bewaffneten Kämpfer im Mittelalter. Freiburg i. Br. 2015 (Einzelschriften zur Militärgeschichte. 48), macht diesen Wandel sogar zum Kern seiner Analyse.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

bert Elias132 formuliert hat, das anhaltende kriegerische Selbstbewusstsein adliger Eliten entgegenzuhalten: Yet we need to remember how much these are reform ideas, prescriptive rather than descriptive. We know they do not describe how knights actually behaved. The evidence as a whole shows a core ideal of prowess, belief in sheer aptitude with arms, animated by courage, mildly, ideally, tempered by reason, wise restraint, and strategic pragmatism.133

Viele (deutsche) Darstellungen und Erörterungen zur Genese, Funktion und Kultur des Rittertums vernachlässigen Krieg und Fehde in ihren Darstellungen134 und auch wenn Josef Fleckenstein bekennt, „Kampf und Krieg haben ihn [den Ritterstand] geprägt; sie bilden das Zentrum seiner Welt“135, so enthält seine Monographie Rittertum und ritterliche Welt136 kein entsprechendes Kapitel, während Vom Rittertum im Mittelalter lediglich auf die von Elias betonten zivilisierenden und domestizierenden Aspekte der ritterlichen Kultur abhebt.137 So begreift Fleckenstein den Ritter dann letztlich als ein Instrument des Friedens: So spannt sich die Geschichte des Rittertums, das seine Existenz der Spezialisierung auf den Krieg verdankt, im ganzen zwischen Krieg und Frieden aus. Kennzeichnend dafür ist, daß es sich über die Stufe des reinen Kriegertums erhob, indem es mit seiner Schöpfung der ritterlich-höfischen Kultur Schild und Schwert nicht zuletzt auch in den Dienst von Recht und Frieden stellte.138

Dabei ist die Grundlage dieses ideologischen Gerüsts, die Gottesfriedensbewegung (welche ebenfalls eine Folge der „Zersplitterung der Herrschaft“ gewesen ist),139 aus dem später das Rittertum erwuchs, keinesfalls gegen kriegerische Gewalt als solche gerichtet, sondern vor allem gegen Gewalt gegen Nichtkombatanten oder ‚Zivilisten‘140, allen voran Klöster und Kirchen, aber auch Pilger und Kaufleute, Bauern und Frauen, die die vornehmlichen Opfer einer auf Plünderung und Brandschatzung be-

 Vgl. Elias, Prozeß, S. 354.  Kaeuper, Chivalry and Violence, S. 156.  So befassen sich die Monographien von Hechberger (Hechberger, Adel) und Paravicini (Paravicini, Kultur) nicht mit dem Krieg als eigentlichem Betätigungsfeld des Rittertums. Siehe auch den Sammelband Borst, Rittertum, der in dieser Richtung keine Akzente setzt.  Josef Fleckenstein: Vom Rittertum im Mittelalter. Perspektiven und Probleme. Goldbach 1997 (Bibliotheca Eruditorum. 19), S. 63.  Fleckenstein, Rittertum und ritterliche Welt.  Vgl. Braun, Gewaltforschung, S. 441 f. zum Bezug Fleckensteins auf Norbert Elias.  Fleckenstein, Rittertum im Mittelalter, S. 76.  Im Lateinischen wird hier zwischen Treuga Dei und Pax Dei unterschieden, wobei Treuga das Fehdeverbot an Sonn- und Feiertagen und Pax den Schutz bestimmter Gruppen bezeichnet. Vgl. Ohler, „Pax Dei“, S. 303–319. Zu den Ursachen siehe Fleckenstein, Rittertum und ritterliche Welt, S. 95–100.  Der Ablehnung des Begriffs ‚Zivilist‘ bei Clauss, Ritter, S. 80 f. ist sicherlich zuzustimmen, da er eine gesellschaftsstrukturelle Unterscheidung von Zivilisten und Soldaten voraussetzt.

I.3.4 Der Ritter als Leitbild einer Kriegergesellschaft

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ruhenden Kriegs- und Fehdeführung waren.141 Schon Carl Erdmann, dessen Arbeit zu den Grundpfeilern der Kreuzzugs- und damit der Ritterforschung gehört, hat gezeigt, dass das Verbot zu plündern zu den ältesten klerikalen Vorschriften gehörte.142 Der tatsächliche Effekt von Pax und Treuga Dei ist jedoch umstritten, da die pragmatischen Interessen des Adels häufig vorrangig waren, wie sich an der oben dargestellten Bedeutung des Plünderns ablesen lässt.143 Zugleich verfestigte der Versuch den kriegerischen Adel zu bändigen die Vorstellung von einer gottgewollten Ordnung der Stände, nach welcher oratores (‚Beter‘, der Klerus), laboratores (‚Arbeiter‘, die Bauern) und bellatores oder pugnatores (‚Krieger‘/‚Kämpfer‘, der Adel) beziehungsweise milites jeweils eine bestimmte Aufgabe in der Welt zu erfüllen hätten.144 Letzteren war als göttlicher Auftrag der Schutz der beiden anderen ordines zugewiesen.145 Yet ‚Chivalry‘ was rooted in different soil, growing not out of the restrained and restraining traditions characteristic of institutions of governance but rather from the ancient social practices and heroic ideals of generations of warriors, fiercely proud of their independence, exulting in their right to violence and in their skill at exercising it.146

Richard W. Kaeuper argumentiert hier und vielerorts in seinen Arbeiten zum mittelalterlichen Rittertum gegen eine Sichtweise, die sich ausschließlich auf die präskriptiven Regularien kirchlicher Autoren stützt und den militärischen und politischen Alltag außer Acht lässt.147 Die gottgegebene Pflicht Gewalt auszuüben ließ sich nämlich auch als gottgegebenes Recht auffassen, welches das Aufkommen einer ritterlichen Ideologie des Adels begünstigte, die sich letzten Endes von der kirchlichen Doktrin emanzipieren sollte.148 Kaeuper verweist weiterhin auf die Übertragung einer monastischen Christomimese der Leidensbereitschaft, wie sie die frühen eremitischen milites Christi auszeichnete, auf eine kriegerische Christomimese, in der das Leiden im Kampf als ritterliche Nachahmung der Leiden Christi empfunden wurde.149 Wo für die Gottesfriedensbewegung noch der Schutz der Wehrlosen im Vordergrund stand, sorgte vor allem der Investiturstreit für eine aggressivere Funktion des ‚christlichen Ritters‘:150 Gregor VII. schwebte mit der militia Sancti Petri eine Ritterschaft

 Vgl. Fleckenstein, Rittertum und ritterliche Welt, S. 100 f.; Strickland, War and Chivalry, S. 34.  Vgl. Erdmann, Enstehung, S. 15.  Vgl. Strickland, War and Chivalry, S. 56.  Vgl. Leopold Auer: Mittelalterliches Kriegswesen im Zeichen des Rittertums. In: Krieg im mittelalterlichen Abendland. Hrsg. von Christoph Kaindel, Andreas Obenaus. Wien 2010 (Krieg und Gesellschaft), S. 65–79, hier S. 65; Rösener, Rittertum, S. 40 f. mit weiterer Literatur zu den ordines.  Vgl. Fleckenstein, Rittertum und ritterliche Welt, S. 105–107; ders., Miles, S. 310. Siehe auch Kaeuper, Medieval Chivalry, S. 80.  Kaeuper, Chivalry and Violence, S. 38.  Vgl. zuletzt Kaeuper, Medieval Chivalry, S. 160.  Vgl. Kaeuper, Chivalry and Violence, S. 49 f. und S. 86–88.  Vgl. Kaeuper, Holy Warriors, S. 95–115.  Vgl. Althoff, milites, S. 330.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

vor, die als „starker Arm der Priesterschaft [...], ihrer unmittelbaren Befehlsgewalt jedoch unterworfen“151 sein sollte. Gerd Althoff hat dargelegt, dass das Aufkommen verschiedener Ketzerbewegungen beziehungsweise die Zuschreibung als Häresie sowie die erheblichen militärischen Konflikte zwischen den kaiserlich-königlichen und päpstlichen Parteien im Investiturstreit in Rom den Bedarf an loyalen Kriegern erzeugte, die durchaus dazu angehalten waren Gewalt auszuüben.152 Ferner hat Ernst-Dieter Hehl gezeigt, dass im Zuge der politischen Rhetorik während des Investiturstreits die Buße für das Töten im Auftrag eines legitimen Herrschers gegenüber den Vorschriften der Karolingerzeit getilgt wurde.153 „Nicht die Teilnahme an einem Krieg verstrickte in Schuld und Sünde, sondern nur niedrige Beweggründe und konkretes Fehlverhalten.“154 Wie bereits deutlich geworden ist, trug das Wort miles schon immer eine DienstKonnotation mit sich, die als Dienst für Gott und seine Kirche auch einem hohen Herren gut anstand.155 Sodann war es „von der Verpflichtung der milites zum Kampf gegen die inneren Feinde der Kirche, die Schismatiker, [...] nur ein kurzer Weg bis zu ihrem Einsatz gegen die äußeren in der Kreuzzugsbewegung.“156 Seit Carl Erdmanns grundlegendem Werk zur Entstehung des Kreuzzugsgedankens, erschienen 1935, herrscht in der Forschung ein weitgehender Konsens über den Zusammenhang von Kreuzzugsbewegung und dem Entstehen einer ritterlichen Ideologie, welche den miles zum miles christianus oder miles Christi aufwertete.157 Die Idee des Rittertums mit ihrer legitimierenden Aufwertung des Kampfes, welche nicht zuletzt von der Literatur nachhaltig gefördert wurde, verlieh dem Begriff einen solchen Nimbus, dass er nicht mehr nur auf kleine bis mittlere Adlige – die Gefolgsleute von einst – angewendet wurde. In Verbindung mit dem neuen Status, den der miles-Begriff erwarb, breitete er sich aus auf all jene, die auf dem Schlachtfeld der gleichen Waffengattung angehörten.158 So erstreckte sich die Bezeichnung seit dem 12. Jahrhundert auch auf die unfreien Ministerialen im Gebiet des Heiligen Römischen Reichs.159 Ohne den rechtlichen Status der Unfreiheit zu verlieren,  Keen, Rittertum, S. 79.  Vgl. Althoff, Selig, S. 319 f. Siehe auch Thomas Ertl: „Erschlagt sie alle ...“ Das Ketzerfeindbild und seine Instrumentalisierung im lateinischen Mittelalter 1000–1500. In: Krieg im mittelalterlichen Abendland. Hrsg. von Christoph Kaindel, Andreas Obenaus. Wien 2010 (Krieg und Gesellschaft), S. 370–391; Dinzelbacher, Lebenswelten, S. 264 f.; Oberste: Krieg, S. 368–391.  Vgl. Hehl, Kirche, Krieg und Staatlichkeit, S. 23 f.  Hehl, Kirche, Krieg und Staatlichkeit, S. 25.  Vgl. Bumke, Ritterbegriff, S. 275.  Althoff, milites, S. 330 f. Noch im Spätmittelalter bedient sich das Herrscherlob einer solchen Rhetorik: „Dies kann soweit gehen, daß der rex pacificus zum miles Christi werden kann, z. B. im Kampf gegen die Ungläubigen oder die Häretiker.“ Kerth, landsfrid, S. 258.  Vgl. Prautzsch, Heilige, S. 214–222; Fleckenstein, Rittertum und ritterliche Welt, S. 115 f.; Keen, Rittertum, S. 77 f.; Paravicini, Kultur, S. 5.  Vgl. Clauss, Ritter, S. 24 f.; Strickland, War and Chivalry, S. 21 f.; mit besonderem Schwerpunkt auf dem Artusroman Jackson, Chivalry, S. 1–36.  Vgl. Fleckenstein, Rittertum und ritterliche Welt, S. 53–60. Zur Ministerialität in Deutschland siehe Benjamin Arnold: German Knighthood. 1050–1300. Oxford 1985, hier S. 111 f.

I.3.4 Der Ritter als Leitbild einer Kriegergesellschaft

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näherten sie sich als milites dem gesellschaftlichen Status des über ihnen stehenden Adels an.160 So fasst Paravicini zusammen, daß Dienstmannschaft und Adel sich nun als Kriegerstand definieren können; denn sie besitzen das Monopol der bewaffneten legalen Gewaltanwendung. Hinzu kommt, daß diese Krieger beritten sind: Auch der Dienstmann ist Reiterkrieger.161

Dementsprechend blieb die kriegerische Praktik von den wechselnden Bezeichnungen weitestgehend unbeeinträchtigt. Wie am Beispiel Ordericus Vitalis’ zu sehen war, eröffneten die ritterliche Ideologie und die in ihr enthaltene Ethik hingegen neue diskursive Legitimationsstrategien. Angezogen vom neuen Glanz des miles christianus gingen weiterhin auch die Fürsten und Könige dazu über, sich der Bezeichnung zu bedienen,162 auch wenn sie in Urkunden weiter mit ihrem Titel (dux, comes) benannt wurden, um die ständische Unterscheidung aufrechtzuerhalten,163 sodass die Ritter in gewisser Weise „in ganz Europa zur weltlichen Führungsschicht aufgestiegen sind, die neben den clerici ihre eigene Welt repräsentieren.“164 Hillay Zmora verweist zudem auf die gemeinsame Teilnahme von Fürsten und Adel an (spätmittelalterlichen) Turnieren, wodurch sie im Rahmen sportlichen Wettkampfs als gleichrangig erschienen, was „an accentuation of the chivalrous ethos and history that connected princes and noblemen“165 darstellt. Im Sammelband Der König als Krieger wird umfassend dargelegt, in welchem Umfang die kriegerischen Kapazitäten mittelalterlicher Könige gewünscht und gepriesen wurden.166 Andrea Stieldorf verweist auf die dem

 Vgl. Joachim Ehlers: Die Ritter. Geschichte und Kultur. 2. Auflage. München 2009 (Beck’sche Reihe. 4058), S. 28; Fleckenstein, Rittertum und ritterliche Welt, S. 58 f.  Paravicini, Kultur, S. 21.  Vgl. Althoff, milites, S. 320 f.  Vgl. Ehlers, Ritter, S. 25–27.  Josef Fleckenstein: Miles und clericus am Königs- und Fürstenhof. Bemerkungen zu den Voraussetzungen, zur Entstehung und zur Trägerschaft der höfisch-ritterlichen Kultur. In: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur. Hrsg. von dems. Göttingen 1991, S. 302–325, hier S. 310.  Zmora, Feud, S. 128.  Siehe auch jüngst: Bastian Walter-Bogedain: Alle gegen ihn – er gegen alle. Das Ideal des kämpfenden Königs im Mittelalter. In: Gewalt, Krieg und Geschlecht im Mittelalter. Hrsg. von Amelie Fößel. Berlin 2020, S. 99–124. Zur Bedeutung ritterlicher Attribute sowohl materieller als auch immaterieller Natur siehe Stefan Geyer: Die Unterwerfung der Zeichen. Zur ‚Konstitution‘ von Herrschaftsrecht durch das Krönungszeremoniell im späten Mittelalter am Beispiel der Krönung in den Königreichen Aragon und Frankreich. Zürich 2020 (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen. 38), S. 283–291.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

Grab Kaiser Lothars III. beigegebene Bleiplatte, die ihn unter anderem als einen miles imperterritus167 verewigt, einen unerschrockenen Ritter,168 während Knut Görich der Betitelung Friedrich I. Barbarossas als miles strennuus [sic!], imperator incautus, uterque felix169 in der Kölner Königschronik auf den Grund geht.170 Dem Kaiser wurde in der Schlacht das Pferd erschossen und er selbst war durch einen Lanzenstich verwundet worden.171 Nicht zuletzt wissen wir von Barbarossa, dass er mit dem Mainzer Hoffest 1184 eines der frühsten und bedeutendsten höfischen (und das heißt in diesem Fall auch ritterlichen) Feste im Heiligen Römischen Reich abgehalten hat, bei welchem seinen Söhnen das cingulum militiae, der Rittergürtel, verliehen wurden.172 Dieses Ritual der sogenannten Schwertleite gilt der Forschung als ein zentraler Pfeiler des zum Rittertum nobilitierten Kriegertums, da es unter anderem die Waffe und ihren Träger mit kirchlichem Segen umhüllte.173 Der dritte (und letzte) Schritt einer ‚Entstehung des Rittertums‘ orientiert sich an den „konstitutiven Werten und Formen des Rittertums“, wie sie seit dem Ende des

 Johannes Laudage: Symbole der Politik. Politik der Symbole. Lothar III. als Herrscherpersönlichkeit. In: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995. Hrsg. von Jochen Luckart [u. a.]. 3 Bde. München 1995, Bd. 2, S. 91–104, hier S. 92.  Vgl. Andrea Stieldorf: Das Bild vom König als Krieger im hochmittelalterlichen Reich. In: Der König als Krieger. Zum Verhältnis von Königtum und Krieg im Mittelalter. Beiträge der Tagung des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 13. – 15. März 2013. Hrsg. von Martin Clauss [u. a.]. Bamberg 2015 (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien. Vorträge und Vorlesungen. 5), S. 23–64, hier S. 33.  Chronica Regia Coloniensis. Hrsg. von Gerog Waitz. Hannover 1880 (MGH, SS rer. Germ. 18), S. 103. Zum Ausdruck strenuus siehe auch Rödel, Ritter, S. 241.  Vgl. Knut Görich: „Miles strennuus, imperator incautus.“ Friedrich Barbarossa als kämpfender Herrscher. In: Der König als Krieger. Zum Verhältnis von Königtum und Krieg im Mittelalter. Beiträge der Tagung des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 13. – 15. März 2013. Hrsg. von Martin Clauss. Bamberg 2015 (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien. Vorträge und Vorlesungen. 5), S. 333–370, hier S. 333–369.  Vgl. Görich, „Miles strennuus“, S. 333 f.  Vgl. Bumke, Kultur, S. 276–281 zum Mainzer Hoffest, hier bes. s. 278. Zur Schwertleite der Söhne S. 331. Siehe auch Josef Fleckenstein: Friedrich Barbarossa und das Rittertum. Zur Bedeutung der großen Mainzer Hoftage von 1184 und 1188. In: Das Rittertum im Mittelalter. Hrsg. von Arno Borst. Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. 349), S. 392–418.  Vgl. Bumke, Kultur, S. 333; Keen, Rittertum, S. 101. Ausführlich zu Formen und Funktionen der Rittererhebung Elsbeth Orth: Formen und Funktion der höfischen Rittererhebung. In: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur. Hrsg. von Josef Fleckenstein. Göttingen 1991 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. 100), S. 128–170. Werner Paravicini sieht im Umgürten mit dem cingulum militiae einen Verweis auf das spätantike Amt, das sich im Ritter als ‚Krieger von Amts wegen‘ gleichsam fortsetze, ohne dabei auf einer direkten Traditionslinie zu beruhen. Vgl. Paravicini, Kultur, S. 3. Siehe auch Wang, „Miles Christianus“, S. 40 f.

I.3.4 Der Ritter als Leitbild einer Kriegergesellschaft

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12. Jahrhunderts in der höfischen Literatur formuliert wurden.174 Im deutschsprachigen Raum stehen die Artusromane Hartmanns von Aue am Anfang einer literarischen Idealisierung des Rittertums, deren Fokus auf kämpferische Handlungen im folgenden Kapitel aufzuzeigen ist. Aufgrund der klerikalen Bildung der Autoren lässt sich diese nicht als vollkommen weltliches Phänomen betrachten. Jedoch verneint schon Joachim Bumke einen übermäßigen Einfluss religiöser Doktrin auf die Kleriker und geistlich gebildeten Angehörigen der Adelshöfe, die für die Literaturproduktion unabdingbar waren.175 Wie Josef Fleckenstein gezeigt hat, bekleideten keinesfalls alle Inhaber klerikaler Bildung auch ein klerikales Amt oder gehörten einem Orden an, sodass sich von einer Fügung in die Interessen der laikalen Mäzene ausgehen lässt.176 Dies geht auch aus der Schrift Bernhards von Clairvaux († 1153) für den neu gegründeten Orden der Templer hervor, aus der sich die Bemühung um eine Verpflichtung des Ritterstandes für die Interessen der Kirche ablesen lässt, welche er „bedroht sah durch eine unter dem Einfluß der Literatur sich entwickelnde weltliche Ritterideologie.“177 Abgesehen von einigen Überlieferungszufällen sind es schließlich vor allem die Texte der bereits im Mittelalter erfolgreichen Autoren, die aufgrund der Vielzahl erhaltener Abschriften nicht nur die entsprechend konnotierten Begriffe wie rîter und manheit prägten und verbreiteten, sondern sie auch der Gegenwart zugänglich machten. Ihre Ansichten und ihr Vokabular entsprachen offenbar den Erwartungen ihrer jeweiligen Zielgruppe. Somit transportierte die höfische Literatur eine „mentality centered on prowess“178 und brachte damit sowohl das kriegerische Selbstbewusstsein dieser Zielgruppe als auch die dargelegte unbedingte Gewaltbezogenheit der rîter und milites zum Ausdruck. Mit den Worten C. Stephen Jaegers: „der Roman spiegelt nicht etwa die ritterlichen Werte des Feudaladels, er schafft sie.“179 So finden sich in der Rezeption auch am Hofe fortwährende Bezüge zur räumlichen und sozialen Sphäre des

 Vgl. Bumke, Mäzene, S. 68, der die „Aktualität“ der „neuen Ideale von Ritterschaft und Minne“ für die Adelsgesellschaft des späten 12. und frühen 13. Jahrhunderts hervorhebt, dabei aber wohl nicht an die kriegerischen Aspekte des ersteren denkt.  Vgl. Bumke, Mäzene, S. 64.  Vgl. Fleckenstein, miles, S. 306.  Krüger, Turnierverbot, S. 402. So auch Kraß, Mann, S. 38 f. und Erich Köhler: Zur Selbstauffassung des höfischen Dichters. In: Zum mittelalterlichen Literaturbegriff. Hrsg. von Barbara Haupt. Darmstadt 1985 (Wege der Forschung. 557), S. 133–154, hier S. 140 f.: „Schon Bernhard von Clairvaux warnt die christlichen Ritter vor den ‚mimi, et magi, et fabulatores scurrilesque cantilenae‘ [Schauspieler und Zauberer und Geschichtenerzähler und possenhaftes Geschwätz, Übers. E.F.].“ Köhler zitiert Bernhard von Clairvaux: Liber ad milites templi de laude novae militiae. In: Ders.: Opera omnia, Bd. 1. Hrsg. von Jacques-Paul Migne, Paris 1859 (Patrologia Latina. 182), Sp. 921–941, hier Sp. 926. Siehe zum Liber ad milites templi auch Prautzsch, Heilige, S. 219–231.  Kaeuper, Medieval Chivalry, S. 160.  C. Stephen Jaeger: Die Entstehung der höfischen Kultur. Vom höfischen Bischof zum höfischen Ritter. Berlin 2001 (Philologische Studien und Quellen. 167), S. 282. Jaeger bezieht sich hier allerdings nicht auf kriegerische manheit sondern auf die höfischen Tugenden und somit auf jene Eigenschaften, die am Hof und auf der gesellschaftlichen Bühne von Bedeutung waren.

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I.3 Krieg, Kampf und Rittertum. Zur Frage der Legitimation von Gewalt

Krieges, etwa, wenn in Chroniken und Romanen – mithin in Literatur – die Handlungen von Kriegern glorifizierend verhandelt werden. Die nachfolgende Analyse des Iwein Hartmanns von Aue soll demonstrieren, dass die in der Forschung weit verbreitet Vorstellung vom höfischen Roman als einem Instrument der Zähmung, Bändigung und Restriktion kriegerischer Gewalt, wesentliche Aspekte der Legitimation, Sublimierung und Glorifizierung derselben außer Acht lässt. Dabei ist zu beachten, dass sich nur sehr wenige der eingangs aufgeführten Aspekte des Rittertums in der höfischen Literatur wiederfinden. So wird zum einen die Frage des Standes kaum differenziert, da fast alle Helden des höfischen Romans entweder Könige oder Königssöhne sind. Daran angeschlossen finden auch die ökonomischen Bedingungen des Rittertums selten Erwähnung, da die kostbaren Waffen und Pferde im Lizenzraum der Literatur zumeist wohlfeil und zugänglich sind. Der Charakter von Amt und Würde, den Paravicini benennt180, findet sich lediglich in den seltenen Darstellungen von Schwertleite und Rittererhebung,181 dem die anscheinend selbstverständliche Ebenbürtigkeit nicht nur der Artusritter, sondern aller Träger einer ritterlichen Erscheinungsform gegenübersteht, was wiederum auf die Ebenbürtigkeit des spielerisch geprägten Kampfes verweist. Nur in den seltensten Fällen wird gezeigt, wie die zumeist exzellente kämpferische Fähigkeiten erlernt wurden. Parzivâl lernt zwar durch die Ausbildung bei Gurnemanz, doch zugleich sind seine angeborenen Eigenschaften als Voraussetzung seines adeligen Standes markiert. Die Ritterlichkeit der Protagonisten kommt vornehmlich in ihren Kämpfen und präziser vor allem im Kämpfen selbst zum Ausdruck, wobei sich die legitimierenden Darstellungsweisen des gerechten Krieges und des reziproken Kampfes in vollem Umfang wiederfinden.

 Vgl. Paravicini, Kultur S. 3.  Vgl. Bumke, Kultur, S. 321.

II manheit und Kampf im Iwein Hartmanns von Aue und der Steirischen Reimchronik

Das Ziel dieser Arbeit ist es zum einen, der historischen Semantik des Terminus manheit nachzuspüren. Wie deutlich geworden ist, ist es nicht damit getan, manheit mit ‚Tapferkeit‘ oder auch mit ‚Kriegerhaftigkeit‘ zu übersetzen oder gleichzusetzen, da sich der vollständige Sinngehalt des mittelhochdeutschen Wortes in keinem Wort der modernen Sprache erhalten hat. Besonders der direkte etymologische Nachfahre ‚Männlichkeit‘ hat sämtliche direkten Bezüge zu Krieg und kämpferischen Handlungen verloren, wie sie nicht nur in manheit, sondern auch in andreia und – mit Einschränkungen – in virtus enthalten sind. Daher ist aus dem Wortgebrauch der Quellen eine Bedeutung zu rekonstruieren und in moderne Begriffe zu übertragen.1 Die historische Bedeutung von manheit als Begriff oder „sprachliche Verdichtung eines gesellschaftlichen Phänomens“2 wird überführt in die Sprache des 21. Jahrhunderts. Als Grundlage einer solchen „Alteritätshermeneutik“3 waren bis hierhin zunächst die verschiedenen Kontexte und theoretisch-methodischen Grundlagen aufzuarbeiten, auf denen meine Analysen von manheit und Praktiken des Kämpfens in Hartmanns Iwein und der Steirischen Reimchronik fußen. Dabei gehe ich davon aus, dass manheit eine durchweg positive Qualität bezeichnet, die auf einen Akteur oder eine von diesem ausgeübte Handlung bezogen sein kann, und dass der Begriff praktische Qualitäten (Kampffähigkeit) und deren Bewertung durch andere bezeichnen kann. Dabei ist grundsätzlich festzuhalten, dass manheit keine moralische Wertung beinhaltet und daher als ethisch neutraler Begriff aufzufassen ist. Die manheit eines Akteurs lässt sich in Anlehnung an Ludgera Vogts Übertragung der Begrifflichkeiten von Pierre Bourdieu als symbolisches Kapital auffassen.4 Die Zuschreibung von manheit an einen Protagonisten durch die Figuren und den Erzähler im Sinne eines symbolischen Kapitals fasse ich als diskursive manheit. Solchen Zuschreibungen ist die Demonstration von manheit im Kampf vorgeschaltet, die sich in erzählten Handlungen vollzieht und daher als praktische manheit aufzufassen ist. Sowohl durch den Erzähler als auch auf Seiten der Figuren wird die Praktik des Kämpfens als eine skillful performance des Helden dargestellt und aufgefasst. Daraus ergibt sich, dass manheit an der Textoberfläche zwar bisweilen von ihrer performativen Ausprägung entkoppelt erscheinen kann, dass sie aber implizit stets auf eine kämpferische Handlung rekurriert. Wenn manheit also praktisch und performativ gedacht werden muss, ist damit eine Verkettung von Fragestellungen angestoßen: Einerseits war das (adels)gesellschaftliche Verständnis von Gewalt und besonders das Verhältnis zur aktiven Gewaltausübung in den Blick zu nehmen. Andererseits sind die sozialen Prämissen zu beachten, die den Kampf konstituieren und gleichzeitig legitimieren: Als grundlegende Gesetzmäßigkeit des

 Vgl. Francisca Loetz: Wenn Quellentexte sprechen könnten: Eine Historikerin in einem fiktiven Gespräch. In: Wortwelten. Lexikographie, Historische Semantik und Kulturwissenschaft. Hrsg. von Volker Harm [u. a.]. Berlin/Boston 2019 (Lexicographia. Series Maior. 155), S. 37–54, hier S. 38.  Loetz, Quellentext, S. 39.  Loetz, Quellentexte, S. 39.  Vgl. Vogt, Logik, S. 104–152. https://doi.org/10.1515/9783111240275-005

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II manheit und Kampf im Iwein Hartmanns von Aue und der Steirischen Reimchronik

Kampfes und als wesentlicher Faktor seiner Legitimation hat der reziproke Gewaltaustausch zu gelten, der – ähnlich den Regeln eines Spiels – den Kampf und seine Teilnehmer vom ‚gewöhnlichen Leben‘ abgrenzt und aufwertet. Nicht zuletzt beruht der Kampf auf einem ihm eigenen Wertsystem, das im Zuge einer konstitutiven Konvention ritterlichen Kampfes entsteht. Diese bestimmt nicht nur die Form seiner Praktik (also den berittenen Kampf mit Schwert und Lanze), sondern bringt gleichzeitig ein evaluatives Wertsystem mit sich, das die Qualität der einzelnen Handlungen bewertet. Indem die spielerisch-agonale und vor allem reziproke Praktik des Kampfs zur werthaften Handlung stilisiert wird, wird das Erdulden und Ausüben von Gewalt sublimiert und damit nicht nur erträglich, sondern auch erstrebenswert. Nicht zuletzt wird durch eine derartige Aufwertung des Kampfs auch der Krieg legitimiert, sodass eine adlige Kriegergesellschaft ihre Werte im erzählgemeinschaftlichen Diskurs bestätigt findet. Von hier aus wird plausibel, dass eine solche Semantisierung des Kampfes bei einer sozialen Gruppe, die ihre Herrschaftslegitimation auf ihr Recht und ihre Fähigkeit zur Gewaltausübung gründete, auf großen Anklang stieß. Die Meinungen und Positionen der herrschenden sozialen Gruppe lassen sich nur dem entnehmen, was sie gefördert haben. Die im dritten Teil dieser Arbeit behandelte Steirische Reimchronik des steirischen Chronisten Ottokar aus der Gaal legt ein überaus umfangreiches Zeugnis für die Selbstdarstellung und das Selbstverständnis einer regionalen Adelsgruppe ab, deren kriegerischer Habitus fortwährend betont wird. Zunächst aber soll im nachfolgenden Teil dieser Arbeit die Gestaltung von manheit und Kampf, ihr Verhältnis zueinander, sowie das jeweilige Verhältnis zu Gewalt im Iwein Hartmanns von Aue in den Blick genommen werden. Damit stehen die jeweiligen Codierungsstrukturen von manheit und Kampf in ihrem jeweiligen Verhältnis zu Gewalt im Vordergrund, wie sie im höfischen Roman entwickelt sind. Vor diesem Hintergrund sollen die Praktik des Kämpfens in ihrer konventionalisierten Form sowie die diversen Codierungen von manheit besondere Aufmerksamkeit erfahren. Eine solche Analyse kann dazu beitragen, nicht nur die Formen adliger Selbstvergewisserung genauer zu beleuchten, sondern auch die Charakteristika einer Adelsmentalität und des korrespondierenden Ritter-Begriffs am Beispiel des höfischen Romans anschaulich zu machen. Der manheit des Helden kommt – wie bereits dargelegt – in der höfischen Literatur eine herausragende Bedeutung zu. Mit den wenigen Ausnahmen der bereits referierten Forschungsstimmen, steht sie jedoch selten im Zentrum der Analyse. Gerade in der neuhochdeutschen Übersetzung ist die Tapferkeit des Helden eine Eigenschaft, deren Selbstverständlichkeit sie einer näheren Betrachtung selten wert erscheinen lässt, zumal dieses Attribut kaum jemals signifikanten Schwankungen unterliegt und damit nicht als dynamischer Faktor einer Erzählung in den Vordergrund tritt.

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue Die Erzählungen von Ereck und Iwein Hartmanns von Aue begründen im deutschsprachigen Raum das Genre des Artusromans. In beiden Erzählungen gewinnt ein junger Ritter in einem Zweikampf zu Anfang Ruhm und Ehre sowie eine Ehefrau und beide Helden verspielen das gewonnene Glück wieder, indem sie sich entweder zu wenig oder zu viel in der ritterlichen Praktik des Kampfes engagieren, weshalb die beiden Texte als komplementär betrachtet werden können. Beide Helden geraten dadurch in die Kritik, was sie als defizitär erscheinen lässt und sie das gewonnene Ansehen kostet, das an gesellschaftlichen Normen orientiert ist, die sie beide verletzen.1 Dabei wird im Iwein direkt auf das fehlerhafte Verhalten Erecks verwiesen und gleichsam als Gegenreaktion des Guten zu viel getan, worauf im Folgenden zurückzukommen ist.2 Im zweiten Teil der Handlung durchlaufen Ereck und Iwein dann bekanntlich eine Serie von Kämpfen mittels derer jenes fehlerhafte Verhalten in sein Gegenteil verkehrt wird. Während das Auftreten und Überwinden der erlittenen Kritik zur Individuierung des Helden beiträgt,3 die einem biographischen Werdegang ent-

 Die Forschung zum Ereck und Iwein hat zwar das Schema des Doppelwegs weitestgehend verabschiedet, vgl. Elisabeth Schmid: Weg mit dem Doppelweg. Wider eine Selbstverständlichkeit der germanistischen Artusforschung. In: Erzählstrukturen der Artusliteratur. Forschungsgeschichte und neue Ansätze. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel, Peter Ihring. Tübingen 1999, S. 69–85. Jedoch bemerkt Bent Gebert, dass die „Basisannahme“ eines „Prozessschema[s] der Entwicklung“ nach wie vor Gültigkeit besitzt, siehe Gebert, Wettkampfkulturen, S. 176. Von einer von „Höhepunkt“, „Absturz“ und „Krise“ und erneutem „absolutem Höhepunkt“ gekennzeichneten Handlungsstruktur spricht auch Gerhard Wolf: Verborgene Kalküle. Pierre Bourdieus „Reflexive Anthropologie“, Erecs und Iweins Habitus und die conditio humana des Interpreten. In: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur, 1150–1450. Hrsg. von Ursula Peters. Stuttgart 2001 (Germanistische Symposien. Berichtsbände. 23), S. 215–244, hier S. 233. Jenseits dessen findet sich vermehrt in der älteren Forschung die Frage nach Schuld und Sühne. So auch noch Horst Peter Pütz: Iwein – zwischen Waldschrat und Waldtor: Aspekte einer Deutung aus mittelalterlicher Sicht. In: „in tiutscher zungen rehtiu kunst“ (Rudolf v.E., Alexander, V. 3168). Festgabe für Heinz-Günter Schmitz zum 65. Geburtstag. Hrsg. von dems., Gerhard Schildber-Schroth. Frankfurt a. M. 2003, S. 27–38; Gert Kaiser: Textauslegung und gesellschaftliche Selbstdeutung. Die Artusromane Hartmanns von Aue, 2., neubearbeitete Auflage. Wiesbaden 1978 (Schwerpunkte Germanistik), bes. S. 128–135. Kaisers Analyse ist darüber hinaus von einem stark sozialgeschichtlich orientierten Ansatz geprägt, der die höfische Literatur und Hartmanns Werke im Besonderen als Ausweis eines ministerialischen Aufstiegsstreben betrachtet.  Vgl. Elisabeth Schmid: Chrétiens ‚Yvain‘ und Hartmanns ‚Iwein‘. In: Höfischer Roman in Vers und Prosa. Hrsg. von René Pérennec. Berlin 2010 (Germania litteraria mediaevalis Francigena. Handbuch der deutschen und niederländischen mittelalterlichen Sprache. Formen, Motive, Stoffe und Werke französischer Herkunft (1100–1300). 5), S. 135–167, hier S. 141–143. Norbert Sieverding hat darauf aufmerksam gemacht, dass auch der initiale Auszug Erecks und Iweins bedeutende Ähnlichkeiten aufweist, da bei beiden die (vorgebliche) Motivation dazu in der Rache für erlittene Schande liegt. Vgl. Sieverding, Kampf, S. 89 f.  Dies im Gegensatz zu heldenepischen Figuren, die sich von vorne herein durch besondere Merkmale auszeichnen. Vgl. Friedrich, Unterwerfung, S. 156 f. https://doi.org/10.1515/9783111240275-006

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

spricht,4 erscheint seine manheit als eine Konstante, die sich in den meisten Fällen als überlegen erweist und keinen Schwankungen und somit aber auch keiner Steigerung ausgesetzt ist.5 Grundsätzlich lassen sich somit zwei Wertsysteme voneinander unterscheiden: Eines wird bedingt durch die konstitutive Konvention des ritterlichen Kampfs und bringt einen kämpferischen Wert zum Ausdruck, der sich unabhängig von moralischen Fragen rein auf die Kampfkraft oder die manheit einer Figur bezieht und an dem auch die jeweiligen Antagonisten Anteil haben. Zum anderen findet sich ein System von ethischen oder gesellschaftlichen Werten, die der jeweilige Protagonist in unterschiedlichem Ausmaß besitzt oder zugeschrieben bekommt. Daraus lassen sich verschiedene Paarungsmöglichkeiten ableiten. Während Ereck und Iwein im kämpferischen Wertsystem von Anfang bis Ende brillieren, weisen sie in einem anderen Wertsystem einen Makel auf, den es zu überwinden gilt und der als Überschreitung der an das Wertsystem gebundenen Normen beschreibbar ist. Andere Helden, wie etwa Wigalois, verfügen von Anfang an über beide Werte,6 während Parzival zu Anfang in beiden Systemen als unzureichend gekennzeichnet ist. Letzterer lernt jedoch sehr viel schneller zu kämpfen, oder vielmehr nach der ritterlichen Regel zu kämpfen, als den ethischen Regeln seiner Welt zu entsprechen. Mir ist darüber hinaus kein Text des höfischen Genres bekannt, in dem der Handlungsbogen durch den Erwerb kämpferischer Fähigkeiten gekennzeichnet wäre, die auf die finale Überwindung eines Gegners ausgerichtet sind, wie es bei vielen modernen Heldengeschichten der Fall ist, wo der ethische Wert der Figuren dem kämpferischen häufig vorausgeht.7 Gleichfalls helfen die Siege des Helden ihm dabei, sich aus dem Zu Zur schwierigen Frage der Identität siehe Anette Sosna: Fiktionale Identität im Höfischen Roman um 1200: Erec, Iwein, Parzival, Tristan. Stuttgart 2003, S. 101–158. Sosna hebt hervor, dass sich Iweins Identitätskonstitution im Gegensatz zum Ereck häufig im Modus des Erzählens und Erinnerns vollzieht, siehe ebd., S. 106.  Martin Schuhmann hat dies in seiner Analyse der Figur des Iwein begleitenden Löwen negativ formuliert: Die Figurenkonzeption Iweins erschöpfe sich „bis auf die Krisis ausschließlich in allgemeinen, positiven Eigenschaften“, zu denen manheit sicherlich zu zählen ist. Siehe Martin Schuhmann: Körper im Text – der Löwe und der Löwenritter. In: Körperkonzepte im Arturischen Roman. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel. Tübingen 2007 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. 6), S. 337–352, S. 350.  Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text der Ausgabe von J.M.N. Kapteyn übers., erläutert und mit einem Nachwort versehen von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach. 2., überarbeitete Auflage. Berlin/Boston 2014. Bei seiner Ankunft am Artushof vollzieht er eine Tugendprobe, die seinen ethischen Wert beweist und veranschaulicht (V. 1477–1505) während er seinen ersten âventiure-Gegner in der ersten Tjost aus Versehen tötet, obwohl sich beide wol bewarn konnten (V. 1995–2005). Zudem heißt es von Wigalois: Dô dem künige [Artus] wart geseit / sîn vil grôziu manheit, / des wundert in und wart sîn vrô. (V. 1622–1624).  Vgl. zur Abhängigkeit zwischen heroischen Figuren und historischen Wertsystemen Friedrich, Held und Narrativ, S. 175–179. Siehe auch Terrahe, Berufsrisiko, S. 8. Dabei ist die Kampfkraft des höfischen Ritters nicht völlig unabhängig von ethischen Werten, wie Iweins tobesuht zeigt, die ihm unter anderem die Fähigkeit zu kämpfen nimmt. Vgl. Ludgera Vogt: Ehre in traditionalen und modernen Gesellschaften. Eine soziologische Analyse des ‚Imaginären‘ am Beispiel zweier literarischer Texte. In: Ehre. Archaische Momente in der Moderne. Hrsg. von ders., Arnold Zingerle. Frankfurt a. M. 1994 (stw 1121), S. 300. Zu Iweins tobesuht siehe weiterhin Kap. II.2.4. Als Beispiele moderner Heldengeschichten, die einem mittelalterlichen Setting verpflichtet bleiben, können die Filme Braveheart (1995) und Outlaw

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

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stand des Defizitären zu befreien, wohingegen seine manheit kaum jemals der Grund ist, weshalb er in die Kritik gerät. Im Mittelpunkt der jeweiligen Handlung stehen somit die Kämpfe der Protagonisten, durch die die Romane gegliedert werden und mittels derer nicht nur die manheit, sondern auch der ethische Wert der Figur veranschaulicht wird.8 Dessen ungeachtet ist die Forschung zu den Kämpfen im Iwein vergleichsweise überschaubar geblieben, was nicht zuletzt damit zu begründen ist, dass die Rekurrenz ritterlichen Kämpfens, also die Konventionalität der Kampfpraktik, wie selbstverständlich hingenommen wurde.9 Neben der metaphorischen Gestaltung10 des Iwein-Gâwein-Kampfes hat vor-

King (2018) sowie der Klassiker Alexander Nevsky (1938) von Sergei Eisenstein gelten. Vgl. Tony Pollard: Shooting arrows. Cinematic representations of medieval battles. In: Writing Battles. New Perspectives on Warfare and Memory in Medieval Europe. Hrsg. von Rory Naismith. London 2020, S. 177–206, zu Alexander Nevsky bes. S. 181 u. S. 190.  So dienen die Kämpfe, ähnlich der vorliegenden Ausführung, auch Ulrich Hoffmann zur Gliederung seines Kapitels zu Hartmanns Iwein, wobei er den Kämpfen selbst kaum Aufmerksamkeit schenkt, siehe Ulrich Hoffmann: Arbeit an der Literatur. Zur Mythizität der Artusromane Hartmanns von Aue. Berlin 2012 (LTG. 2), bes. S. 260–286, Kapitel 5.1.3 „Vom Kampf zur Herrschaft“, das nur in wenigen Sätzen den Kampf thematisiert. Mit starken Aussagen zum ethischen Wert der Handlungen Iweins als Ausprägungen „des Bösen“ („evil“) jüngst Evelyn Meyer: The Slippery Concept of Evil in Hartmann von Aue’s ‚Erec‘ and ‚Iwein‘. In: The end-times in medieval German literature: sin, evil, and the Apocalypse. Hrsg. von Ernst Ralf Hintz, Scott E. Pincikowski. Rochester, N.Y. 2019 (Studies in German literature, linguistics, and culture), S. 190–215.  Neben Sieverding, Kampf und Wolfgang Harms: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur bis um 1300. München 1963 (Medium Aevum. Philologische Studien. 1), zum Iwein bes. S. 127–135, der sich jedoch ausschließlich auf die im Gâwein-Kampf entfaltete Dynamik des Erkennens sowie die Tilgung Iwein vorgeblicher Schuld beschränkt, widmete sich den Kämpfen besonders Thomas Bein: „Hie slac, dâ stich!“ Zur Ästhetik des Tötens in europäischen ‚Iwein‘-Dichtungen. In: Kampf und Krieg, Stuttgart 1998 (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. 28, 109), S. 38–58, bes. S. 46–49; Horst Brunner: Das Bild des Krieges bei Chrestien de Troyes und bei Hartmann von Aue. In: Spannungen und Konflikte menschlichen Zusammenlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters. Bristoler Colloquium 1993. Hrsg. von Kurt Gärtner [u. a.]. Tübingen 1996, S. 113–122. Der Fokus liegt bei Bein und Brunner jedoch größtenteils auf der vorgeblichen Unterschlagung blutiger Details in Hartmanns Text. Eine Zusammenschau narratologischer Gesichtspunkte in den europäischen Iwein-Traditionen liefert Johannes Frey: Spielräume des Erzählens. Zur Rolle der Figuren in den Erzählkonzeptionen von ‚Yvain‘, ‚Îwein‘, ‚Ywain‘ und Ívens saga‘. Stuttgart 2008 (Literaturen und Künste der Vormoderne. 4). Zu der Erzählweise von Kämpfen hier bes. S. 107–111. Siehe auch Terrahe, Berufsrisiko, S. 219. Unter dem Gesichtspunkt historischer Konfliktführung: Oliver Bätz: Konfliktführung im ‚Iwein‘ des Hartmann von Aue. Aachen 2003. Unter historischen Gesichtspunkten von großem Interesse Jackson, Chivalry, S. 210–281.  Vgl. Adrian Meyer: Merkantiles Erzählen. Von Kauf und Verkauf in mittelhochdeutscher Literatur. Berlin/Boston 2022 (LTG. 25), S. 63 f. u. S. 88 f.; Markus Stock: Von der Vergeltung zur Münze. Zur mittelalterlichen Vorgeschichte des Wortes Geld. In: Geld im Mittelalter. Wahrnehmung – Bewertung – Symbolik. Hrsg. von Klaus Grubmüller, Markus Stock. Darmstadt 2005, S. 34–51, bes. S. 37 u. 43.; Siehe auch Frey, Spielräume, S. 63 f.; Vogt, Ehre, S. 302 f. Siehe auch Haferland, Interaktion, S. 132 f.; Franzjosef Pensel: Rechtsgeschichtliches und rechtssprachliches im epischen Werk Hartmanns von Aue und im ‚Tristan‘ Gottfrieds von Straßburg. Berlin 1961, bes. S. 194–198. Siehe dazu auch das folgende Kapitel.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

nehmlich die ethische Bedeutung der Kämpfe Aufmerksamkeit erfahren,11 da in der zweiten Hälfte des Romans die Motivation zum Kampf zumeist in der Rettung und Befreiung in Not geratener Frauen liegt. Dabei unterlag der Analyse implizit eine Konzeption des Rittertums, die den Stellenwert kämpferischer Praktiken gegenüber gewaltrestringierenden Verhaltensregeln marginalisiert.

II.1.1 Methodische Einordnung in neuere Forschungsansätze Während die ältere Forschung sich also vornehmlich am Schema des Doppelwegs orientierte und dabei Iweins vorgebliche Schuld sowie deren Tilgung in den Vordergrund stellte, indem sie dem ethischen Gehalt von Iweins Kämpfen besondere Bedeutung zukommen ließ, lässt sich in jüngerer Zeit verstärkt ein Paradigmenwechsel beobachten, der die agonalen und gewaltaffinen Strukturen der mittelalterlichen höfischen Gesellschaft abbildet. Hier ist insbesondere auf vier Arbeiten aufmerksam zu machen, die ich im Folgenden einer kurzen Betrachtung unterziehen möchte: Udo Friedrichs Studie Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter12, Bent Geberts Wettkampfkulturen. Erzählformen der Pluralisierung in der deutschen Literatur des Mittelalters13, Jan Mohrs Aufsatz Der schweifende Blick und die Ordnung des Artushofs14 sowie Jutta Eming erkenntnisreiche Arbeit zur paradoxen Beziehung zwischen Iwein und Gâwein: ‚unsippiu geselleschaft‘. Paradigmen von Freund-

 Vor allem bei Volker Mertens: Laudine. Soziale Problematik im ‚Iwein‘ Hartmanns von Aue. Berlin 1978 (Beihefte zur Zeitschrift für deutsche Philologie. 3) und Kurt Ruh: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 1: Von den Anfängen bis zu Hartmann von Aue. Berlin 1977 (Grundlagen der Germanistik. 7), S. 74. Zuvor schon Thomas Cramer: ‚saelde‘ und ‚êre‘ in Hartmanns ‚Iwein‘. In: Euphorion 60 (1966), S. 30–47., S. 30–47 und Harms, Kampf, S. 127. Dagegen argumentiert schon Hubertus Fischer: Ehre, Hof und Abenteuer in Hartmanns ‚Iwein‘. Vorarbeiten zu einer historischen Poetik des höfischen Epos. München 1983 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur. 3), S. 169: „Denn ebenso willkürlich, wie andere ihre Gewalt einsetzen, um Schlechtes zu tun, setzt der Held seine Gewalt ein, um Gutes zu tun. Ob aber überhaupt dem Recht zum Sieg verholfen werden kann, hängt davon ab, daß sich gerade dieser Eine der Sache annimmt [...], sie mit seiner Ehre verträglich findet und schließlich tatsächlich mit der Kraft seines Armes den Gegner überwindet.“ Grundsätzlich kritisch, hier jedoch im Ansatz zustimmend Czerwinski, Glanz der Abstraktion, S. 467 unter Bezugnahme auf Fischer, Ehre, S. 169: „Folglich liegt die ‚Tugend des ritterlichen Helden‘ immer und unmittelbar in ‚seine(r) Gewalttat‘ und nicht nur dann, wenn ‚alles andere versagt‘, denn solches ‚andere‘ gibt es hier noch nicht.“ Womit auf die in Kap. I.3.1 beschriebene adlige Fehdepraxis verwiesen wird. Vgl. auch Gebert, Wettkampfkulturen, S. 175 mit weiterer Literatur.  Friedrich, Menschentier.  Gebert, Wettkampfkulturen.  Jan Mohr: Der schweifende Blick und die Ordnung des Artushofs. In: Erzählte Ordnungen – Ordnungen des Erzählens. Studien zu Texten vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit. Hrsg. von Daniela Fuhrmann, Pia Selmayr. Berlin/Boston 2021 (Trends in Medieval Philology. 40), S. 60–81.

II.1.1 Methodische Einordnung in neuere Forschungsansätze

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schaft und Konkurrenz in Hartmanns Iwein15. Nicht nur aus den einzelnen Ansätzen, sondern gerade im Dialog zwischen diesen Texten lassen sich wertvolle strukturanalytische Bausteine entnehmen, die besonders geeignet sind, als Grundlage meiner Analyse von manheit und Kampf in Hartmans Iwein zu dienen. Udo Friedrich weist auf das omnipräsente Bezugssystem von Mensch und Tier hin, das sich vornehmlich durch Praktiken der Herrschaft und der Gewalt kennzeichne. Bereits die Unterwerfung des Tieres stelle eine gewaltsame Überschreitung der topischen Demarkation von Natur und Kultur dar, welche letztlich im Pastorat eine alttestamentliche Legitimation von Herrschaft konstruiere.16 Zu den Modellen der Macht- und Herrschaftsrepräsentation, die sich aus den Analogien vom Umgang mit Tieren speisen, gehöre neben Domestizierung17 und Jagd18, die jeweils mit hierarchischen Strukturen operieren, auch das Motiv des Kampfs, das dem Herrscher als agonalem Akteur die Handhabung (kriegerischer) Gewalt attribuiert.19 Die Herrschaftsmetaphorik greift zur demonstrativen Durchsetzung des Rechts gleichzeitig auf herausgehobene Tiere zurück, denn im Kontext rivalisierender Haushalte inszeniert sich der Herrscher nicht nur als kluge, sondern auch als mächtige Ordnungsinstanz: als das stärkste Tier.20

In der Inszenierung des Herrschers als „das stärkste Tier“ finde somit seinerseits eine Überschreitung der besagten Demarkation statt, insofern das Animalische nicht nur unterworfen, domestiziert und ausgemerzt werde, sondern ebenso als „Demonstration von Gewaltüberlegenheit“ einverleibt werden könne. So führt Friedrich „das Tier als Medium feudaler Identitätsstiftung“21 an, das die Überlegenheit nicht nur des Herrschers, sondern auch des kriegerischen Adligen im Allgemeinen über eine Nähe zum Tier codiere. Neben sprachlichen Entsprechungen, Metaphern und Vergleichen zwischen Mensch und Tier verweist Friedrich auf die verschiedenen Zeichensysteme, mittels derer tierische Attribute auf den Menschen übertragen werden können: etwa die Zuschreibung einer mythisierenden Genealogie tierischer oder tiernaher Abstammung22, aber auch Namen23, Wappen24 und Waffen25. An mehreren Stellen äußert

 Jutta Eming: ‚unsippiu geselleschaft‘. Paradigmen von Freundschaft und Konkurrenz in Hartmanns Iwein. In: Freundschaftszeichen. Gesten, Gaben und Symbole von Freundschaft im Mittelalter. Hrsg. von Marina Münkler [u. a.]. Heidelberg 2015 (Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte. Beihefte. 86), S. 103–124.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 148 f.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 173–178.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 178–187.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 187–190.  Friedrich, Menschentier, S. 188.  Friedrich, Menschentier, S. 191.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. u. S. 256–259.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 198–205.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 205–210.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 210–215.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

sich Friedrich hier zu Hartmanns Iwein, vor allem bezüglich der Namen und Wappen, die als gesellschaftliches Wissen und Erkennungszeichen „ererbte und leistungsspezifische Faktoren“26 als „Markierung sozialer Geltung“27 transportieren.28 Adler, Bären, Drachen, Falken, Löwen etc. sind dabei sämtlich Raubtiere und als „stärkste Tiere“29 zu sehen, denen Eigenschaften von Macht, Stärke und kämpferischer Gewaltausübung zugeordnet werden.30 Gerade im Unterschied der Tiersymbolik zwischen Wappen und Waffen sieht Friedrich hingegen die besondere Vereinnahmung tierischer Attribute, da hier die technologische Überwindung des Mängelwesens Mensch zugleich rückgängig gemacht und überboten werde.31 Doch auch der menschliche Körper selbst und hier vor allem der heroische Körper könne durch tierische Qualitäten aufgewertet werden, sodass sich Kultur und Natur, Mensch und Tier, wechselseitig durchdringen, wobei Zähmung und Bändigung auf der einen Seite und Wildheit, Gewalt und Stärke auf der anderen jeweils eine Verbesserung und Veredlung darstellen. Die tierischen Qualitäten seien dabei keinesfalls nur in einem übertragenen Sinne zu verstehen: Friedrich zitiert Aegidius Romanus‘ De regimine principum: „Daher bieten sich bevorzugt solche Soldaten zum Krieg, deren äußere Erscheinung Raubtieren ähnelt.“32 Die diversen Zuordnungen zu Raubtieren ließen dabei nicht nur adligen Elitismus erkennen, wie es sich etwa bei Raubvögeln im Anklang zur höfischen Praxis der Jagd niederschlägt.33 In Bezug auf Herrschaft und Gewaltausübung seien es auch tierische Affekte, die dem Adligen Handlungsspielräume eröffnen und die durch ihre animalischen Charakteristik aufgewertet werden.34 In der heldenepischen Darstellung und noch bis in den höfischen Roman hinein sind Markierungen dieser Art indes weniger moralisch negativ qualifiziert, als daß sie als besondere Gewaltzeichen fungieren: als kriegerischer Körper, als Rüstung und Waffe mit ihren animalischen Signaturen sowie als weniger sozial denn natürlich fundierte Gesten.35

Der Symbiose von Reiter und Pferd, der Friedrich ein eigenes Kapitel widmet, käme vor diesem Hintergrund besondere Bedeutung zu, da das Pferd kein Raubtier sei, son-

 Friedrich, Menschentier, S. 204.  Friedrich, Menschentier, S. 205.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 209.  Friedrich, Menschentier, S. 188.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 227: „Der Feudaladel versteht sich selbst im Horizont natürlicher Dispositionen auch als überlegenes Raubtier und dies eben nicht nur ‚metaphorisch‘.“  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 213 f.  Friedrich, Menschentier, S. 220. homines similiores animalibus bellicosis, vtiliores videntur esse ad bellum. Aegidius Romanus: De regimine principum III,3,3, S. 563. Friedrichs Übersetzung von homines als ‚Soldaten‘ ist freilich etwas frei und auch nicht unproblematisch, da der soldatische Konnex von Dienst, Gehorsam und Bezahlung der animalischen Wildheit zuwiderläuft.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 220 f. u. S. 251–256.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 221–223.  Friedrich, Menschentier, S. 224.

II.1.1 Methodische Einordnung in neuere Forschungsansätze

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dern domestiziert werde, sodass sich der Reiter dessen Kraft und Schnelligkeit aneignen könne.36 Als Symbol adliger Kultur und Überlegenheit37 werden dem Pferd jedoch auch adlige Attribute, zum Beispiel „kriegerisches Selbstverständnis“38, zugewiesen, die auf den Reiter rückübertragen werden können.39 Besagte Überlegenheit manifestiere sich dabei sowohl in der Übung im Reiten als auch in einer angeborenen Begabung, durch die sich die Natur des Adligen offenbare.40 Dies schlage sich auch im mythischen Ursprung des Rittertums nieder.41 Großes Gewicht gibt Friedrich auch den Praktiken der Kriegsführung als zentraler Ausprägung eines adligen Gewaltethos und einer Dynamik, „die sich in Fouragieren, Sturmangriffen, Plünderung, Zerstörung und Brandschatzung, selbst Pogromen und Hinrichtungen niederschlägt“, auch wenn sie „aus der Perspektive höfischer Ethik heraus geradezu als irrationale Komponente des Krieges angesehen“42 werden mag. Dabei konstatiert Friedrich, dass die epischen Entwürfe des Krieges diesem „zentralen pragmatischen Aspekt feudaler Lebenswelt, der ostentativen Gewaltdemonstration, im fiktiven Entwurf Rechnung tragen.“43 Bis in die höfische Literatur hinein behauptet sich dieses auf herausragenden Taten beruhende Prestigestreben neben der komplizierten, auf sichtbarer Demonstration adeligen Status ausgerichteten Repräsentationssymbolik.44

Den Zusammenhang von Kriegsführung zu Interferenzen zwischen Tier und Mensch sieht Friedrich dann vornehmlich im Vokabular der Jagd und den scharen als jagende Meute, wie es in einigen Kriegs- und Schlachtdarstellungen zu finden sei.45 Über das Jagen stellt Friedrich weiterhin den Bezug zum adligen Körper sowie zu Affekten wie

 Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 232.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 242 f. Der Status des Ministerialen, den Friedrich Ottos von Freising Gesta Frederici entnimmt, ist hingegen nicht unbedingt übertragbar. Die Steirische Reimchronik kennzeichnet ihre ministerialischen Hauptakteure als Muster adliger Repräsentation.  Friedrich, Menschentier, S. 234.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 233 f.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 236 u. S. 251–256 besonders bezogen auf die Jagd: „Indem der Heros zusammen mit dem Wilden das Spezifikum des Raubtiers teilt [...], wird die Jagd zum privilegierten Medium einer Annäherung des Adeligen an das Tier“ (S. 256). Eine ähnliche Annäherung beschreibt Friedrich auch im Hinblick auf das Leben in der Wildnis und im Verbund mit Tieren und Tiermenschen wie den Kentauren Schyron. Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 264–269.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 246–249. „Die privilegierte Verbindung von Adel und Pferd läßt sich dadurch als feudaler Ursprungsmythos konstruieren, als ein historisch festmachbarer Gründungsakt des Rittertums“ (S. 246).  Friedrich, Menschentier, S. 273.  Friedrich, Menschentier, S. 271 f.  Friedrich, Menschentier, S. 274.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 275–278.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

manheit her.46 Erecks herze volleclîche manhaft (Er, V. 4289f.) und Alexanders menlich herze47 interpretiert Friedrich als „Unruhe“ und „Drang“, welche sich im Bild der Jagd Ausdruck verleihen:48 Hier wird jeweils die Übersetzung ‚Tapferkeit‘ für manheit gebraucht, was sich auch in der Interpretation niederschlägt, die den Akteuren zwar ein Streben nach „ritterlicher Bewährung“ zuweist, jedoch den aggressiven Charakter unterschlägt, der der von Friedrich beobachteten „Wildheit als Ausdruck adliger Kriegstüchtigkeit“49 durchaus entsprochen hätte. Selbige Wildheit finde sich dann auch in affektdispositiven und humoralpathologischen Ausprägungen des Zorns,50 die sich als „der gerechte Zorn des Herrschers“ und „der unkontrollierbare Zorn des Heros gegenüber[stehen]“51 und damit eine Dualität von situationsbedingtem, habitualisiertem Affekt52 und der animalischen Raserei wilder Tiere aufweise. Am Ende führe alle animalische Attribuierung jedoch zurück in den Raum der Kultur: Was bürgerliche Gründungsmythen der Kultur als blinden Fleck notwendig aussparen, den gewaltsamen Gründungsakt jeder sozialen Ordnung, artikulieren feudale Herrschaftsmodelle noch selbstbewußt: Soziale Ordnung basiert auf überlegener Gewalt.53

Letztere kennzeichne sich vornehmlich als Instrument herrscherlicher (und damit adliger) Unterwerfung, die bisweilen mit dem Pastorat als friedliches und „natürliches und ‚rational‘ begründetes Herrschaftskonzept“54 konvergiere. So fasst Friedrich zusammen: Für eine Kriegerkultur wie den Feudalismus beschränkt sich der Rückgriff auf das Tier aber nicht nur in seiner Projektion auf Untertanen. Die unmittelbare Erfahrung von Gewalt und die enge lebensweltliche Bindung an Tiere bilden spezifisch feudale Aktionsräume aus, die eine Identifizierung mit dem Tier befördern: z. B. exklusive Praktiken wie die Jagd und das Statusprivileg des Reitens, die Praxis des Krieges oder Inszenierungsformen von Herrschaft.55

Friedrichs Ausführungen kulminieren in einer Reihe von Fallstudien, wobei ich mich im Folgenden bei der Aufarbeitung auf das Kapitel zu Chrétiens und Hartmanns Yvain/Iwein konzentrieren möchte, da hier die intensivste Auseinandersetzung mit der gleichzeitigen Zusammengehörigkeit und Trennung (Dissoziation) von Tier und Mensch stattfindet.56

 Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 280–284.  Ulrich von Etzenbach: Alexander. Hrsg. von Wendelin Toischer. Tübingen 1888 (Bibliothek des Litterarischen Vereins Stuttgart. 183), V. 17487. Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 282.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 282 f.  Friedrich, Menschentier, S. 284.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 284–292.  Friedrich, Menschentier, S. 288.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 287.  Friedrich, Menschentier, S. 292.  Friedrich, Menschentier, S. 294.  Friedrich, Menschentier, S. 295.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 358.

II.1.1 Methodische Einordnung in neuere Forschungsansätze

99

Wie eingangs bereits angedeutet, wendet sich Friedrich gegen die alleinige Deutung der beiden Erzählungen als Texte, in denen „ein allzu ambitioniertes Ritterethos in eine Ethik der kollektiven Verantwortung überführt wird.“57 Vornehmlich orientiert an Jacques LeGoffs Aufsatz Lévi-Strauss in Brocéliande58 und Eugene Vances From Topic to Tale59 beschreibt Friedrich die durch umfangreiche Tiersymbolik ausgestatteten Räume, die der Protagonist in Chrétiens Yvain durchwandert60 sowie die sozialen Schnittstellen zwischen Mensch und Tier, die sich aus den Begegnungen mit dem Wilden Mann, dem Einsiedler und der Jagdtätigkeit des wahnsinnigen Yvain ergeben, die jeweils als gesellschaftliche Systeme (Stände) begriffen werden. So sei der Wilde Mann bei LeGoff sowohl Tier, das heißt durch eine vornehmlich tierische Physiognomie geprägt, als auch menschlicher Herrscher über wilde Tiere und stehe damit im Zwischenraum von höfischem Raum und Wildnis oder wiederum Kultur und Natur61 und werde dadurch dem gesellschaftlichen Stand des Bauern zugeordnet.62 Bei Vance offenbare „seine Herrschaft über die ihren Affekten ausgelieferten wilden Tiere [...] die Herrschaftsform des Tyrannen, der Recht qua Gewalt und Furcht errichtet“63, während Friedrich den Wilden Mann vornehmlich als „bäuerliche Hirtenexistenz“64 begreift, in dem sich „eine natürliche Gewaltstufe menschlicher Existenz“65 spiegelt. Der Einsiedler sei bei LeGoff durch die kulturstiftende Praxis des Handels gekennzeichnet,66 bei Vance durch sein Mitgefühl und die Literarizität als Vertreter der Kirche67 und bei Friedrich zusätzlich durch den Ackerbau.68 Unterschiede ergeben sich weiterhin aus der Bestimmung des wahnsinnigen Yvains als Jäger, der für Friedrich zwar in die Wildheit, aber „gerade nicht auf des Niveau des Tieres“ absinkt und durch den Gebrauch einer Waffe ein „überlegenes Gewaltpotential“ verdeutlicht, das ihn letztlich auch weiterhin am „Herrschaftsanspruch des Adels“ teilhaben lässt.69 Die Polyvalenz der Zeichen, die dem Wilden Mann, dem Einsiedler und dem Jäger anhaftet, kulminiere hingegen im Löwen und den Kämpfen gegen die animalisch gezeichneten Gegner, die jeweils durch

 Friedrich, Menschentier, S. 358.  Jacques LeGoff: Lévi-Strauss in Brocéliande. Skizze zur Analyse eines höfischen Romans. In: Ders.: Phantasie und Realität des Mittelalters. Stuttgart 1990, S. 171–200.  Eugene Vance: From Topic to Tale. Logic and Narrativity in The Middle Ages. Minneapolis 1987 (Theory and History. 47).  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 358–362.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 360 f.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 366.  Friedrich, Menschentier, S. 364.  Friedrich, Menschentier, S. 366.  Friedrich, Menschentier, S. 368.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 361.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 364.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 366.  Friedrich, Menschentier, S. 367.

100

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

das unverhoffte Eingreifen des Löwen entschieden werden und damit bei Vance „die Notwendigkeit animalischer Energien“ verdeutliche, die als „konstitutiver Identitätsbestandteil des Ritters“ Bestätigung finden.70 Auch gegenüber einem von LeGoff formulierten „Zusammenfall zweier Identitäten im Löwenritter“ betont Friedrich den Aspekt der Auslagerung beziehungsweise Dissoziation des Wilden und Animalischen.71 Der Löwe sei bei Chrétien einerseits als Wappentier gezeichnet, das heraldische Posen einnimmt, und verweise andererseits durch anthropomorphe Gesten der Unterwerfung sowie den Dienst bei der Jagd auf eine instrumentale Zu- aber auch Unterordnung. Als „Instrument der gerechten Gewalt“ verkörpere der Löwe die „Tierhaftigkeit des Ritters“, dessen „Ethos der Gerechtigkeit“ im Kampf zum Ausdruck komme.72 Bezogen auf Hartmanns Iwein verweist Friedrich zunächst auf Bruno Quasts Das Höfische und das Wilde73, wo die kulturtheoretischen Thesen LeGoffs und Vances aufgegriffen werden74 und der Weg des Helden zur Reintegration in die höfische Gesellschaft durch den Löwen als einem „liminalen Symbol“ begleitet und unterstützt werde, „das nicht nur in sich die Ambivalenz von sozialer Norm und Wildheit repräsentiere, sondern auch mit dem Wiedereintritt in die soziale Gemeinschaft verschwinde.“75 Friedrich weist weiterhin auf die eindeutigere Trennung von Mensch und Tier hin, die in Hartmanns Text vorgenommen werde, insofern die menschlichen Akteure weniger tierische Eigenschaften hätten und der Löwe weniger menschliche.76 Insgesamt sieht Friedrich Hartmanns Iwein in der Nähe legendarischer Erzählmuster, in dem sich auch die Annäherung von Iwein und Löwe vollziehe.77 Auch die Herrschaft des Wilden Mannes (gebûre) über die Tiere sei nicht so sehr von animalischer Gewalt, als von Sprache gekennzeichnet, wodurch sich Domestizierung, friedliches Pastorat und gewaltsame Unterwerfung überlagern.78 Wie bei Chrétien umgibt den Löwen auch bei Hartmann ein umfangreiches symbolisches Geflecht: [A]usgelagertes heraldisches Zeichen prädestinierter Herrschaft, domestiziertes Jagdinstrument, Waffenbruder, Rechts- und triuwe-Symbol, Christusallegorie, Chiffre der Wildheit schlechthin. [...] Der Löwe ist zugleich Waffengefährte – vriunt – des Ritters, wie er auch realer Begleiter in Alltagssituationen (Nahrungsbeschaffung, Wache) ist. Der Assoziationskontext der Heiligenviten, die

 Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 365.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 369. Zitat ebd.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 369. Zitat ebd.  Quast, Das Höfische.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 370 f.  Friedrich, Menschentier, S. 371. Friedrich weist jedoch S. 272 darauf hin, dass in Hartmanns Text explizit auf die immerwährende Zusammenarbeit von Iwein und dem Löwen hingewiesen wird. Siehe Iw, V. 3880–3882.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 372, auch S. 197: „Ein Autor wie Hartmann etwa verzichtet im Iwein auf die Tiermetaphorik, die seine Vorlage, der Yvain Chrétiens, noch selbstverständlich nutzt.“  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 373 f.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 373.

II.1.1 Methodische Einordnung in neuere Forschungsansätze

101

immer wieder Tiere als Begleiter zeigen, strahlt derart in den höfischen Roman auch über das Bildarsenal ein.79

An Friedrichs Studie lässt sich mit Bent Gebert insofern anknüpfen, als sich die Ambiguität der Mensch-Tier-Beziehungen dort in der Aushandlung von Mehrdeutigkeit und Vielfalt in Wettkampfszenarien widerspiegelt. Gegenüber dem kulturgeschichtlichem Ansatz von Friedrich bemüht sich Bent Gebert in seinen Wettkampfkulturen, die soziale Interaktion des Wettkampfes zwischen der Einfachheit kämpferischer Bedingungen (Freund-Feind/Sieg-Niederlage) und der Komplexität narrativer Gestaltung poetologisch aufzuarbeiten.80 Anhand des Kampfes zwischen Gâwein und Gasoein in der Crone Heinrichs von dem Türlin zeigt Gebert gleich zu Anfang seines Buchs, welche Komplexität die sich wiederholenden Schleifen (loops) als Zyklen von Kampf und Erschöpfung erhalten können: „Sie verleihen dem einfach strukturierten Erzählmuster vom Kampf auf Sieg und Niederlage durch paradoxe Verschlingungen eine Dynamik, die von keiner Figur mehr kontrolliert werden kann.“81 Ein Bestandteil dieser Dynamik sei die Durchsetzung von Kämpfen durch Pausen, Gespräche und Grußgesten:82 „Wettkämpfe zeigen sich dabei als einfaches Muster mit komplexer Verkettungsstruktur, episodisch geschlossen und strukturell offen zugleich.“83 Die narrativen Operationen werden dabei auch auf eine gesellschaftliche Geltung rückbezogen, die sich als Formen diskursiver Agonalität niederschlage: Wenn höfische Romane und Heldenepen diese Kampfdynamik von Schließung und Öffnung besonders häufig mit Signalen von Kooperation und Verweigerung verbinden, lässt sich dahinter eine feudale Distinktionspraxis erkennen, in der Gewinn und Verlust von Ehre grundsätzlich auf wechselseitiger Anerkennung beruhen.84

Solche agonalen Schleifen (loops) sieht Gebert auch in anderen Textsorten wie Märtyrer- und Heiligenlegenden, Sangspruchdichtung und Wissensdiskursen, in denen „weniger auf stabile Lösungen als vielmehr auf fortgesetzte Dynamik“85 gezielt werde. Gebert zeigt somit, dass es durchaus von Vorteil sei, den Wettkampf nicht von seinem Ende her als die Eindeutigkeit einer Dichotomie von Sieg und Niederlage zu betrachten, sondern den Vollzug als dynamischen, agonalen Dialog aufzufassen.86 Mit der Implikation

       

Friedrich, Menschentier, S. 374. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 18. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 19. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 20. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 20. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 21. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 21. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 22.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

des Wettkampfs als einer Aushandlung von Vieldeutigkeit verweist Gebert jedoch auf methodischen Schwierigkeiten, Pluralität in den Diskursen des Mittelalters fassbar zu machen.87 Grundsätzlich orientiert er sich an einem dreifachen Aufgabenfeld. Einerseits hätten die historischen Kulturwissenschaften längst erkannt, dass erstens schon der Begriff ‚Kultur‘ einen Deutungszusammenhang aufweise, den das Mittelalter nicht kannte und der eine Eindeutigkeit suggeriere, die nicht haltbar sei, weshalb im modernen Forschungsdiskurs nicht nur von ‚Kulturen‘ im Plural gesprochen werde, sondern auch statt eines generalisierenden Determinismus die Ausprägungen (Artikulationen, Praktiken, Materialitäten) derselben im Vordergrund stünden.88 Da aber auch diese stets – und sei es nur implizit – in einem kulturellen Kontext verortet werden,89 bemüht sich Gebert, ausgehend von den Erzählformen von Wettkämpfen einen heuristischen Kulturbegriff zu erarbeiten. Weiterhin stünden diese Ausprägungen einerseits nicht selten ebenfalls im Zeichen kultureller Pluralität,90 wobei andererseits Vielfalt im Mittelalter „nicht im positiven Sinne als Diversität“91 aufgefasst werde, sondern lediglich als Derivat einer göttlichen und universalen Einheit.92 Der diskursive und vor allem geistlichen Schriften zugewiesene Primat einheitlicher Ordnungen divergiere jedoch von der historischen Beobachtbarkeit gesellschaftlicher Vielfalt:93 „Zwischen programmatisch artikulierten Einheitsansprüchen und realer Vielfalt klafft ein ‚semantic gap‘“94, der sich auch auf Textebene wiederfindet: Wo immer Einheit beschworen und Vielfalt negiert werde, könne letztere als Implikation fortbestehen und werde gleichzeitig verzerrt, wodurch der entsprechende Text als Quelle für Pluralitätskonzepte unbrauchbar werde.95 Die blanke Feststellung von Pluralität, die sich in historischen und literaturhistorischen Studien finden ließe, bliebe so hinter einer Aufarbeitung des Modus ihrer Aushandlung zurück: „im Bereich der Altgermanistik betrifft das vor allem das schwierige Verhältnis von ‚Geistlichem‘ und ‚Weltlichem‘, von ‚religiöser‘ und ‚säkularer‘ Kommunikation.“96 Gebert wendet sich daher dem Feld der Wettkämpfe zu, in denen Pluralität zwar nicht artikuliert, aber ausgehandelt werde, indem sie „diesseits von Diversitäts- oder Kontingenzperspektiven [...] nach Darstellungsmöglichkeiten für Vielfalt suchen.“97

          

Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S.23 f. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 25. Ausführlich Gebert, Wettkampfkulturen, S. 55–68. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 27–29. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 28. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 29. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 30 f. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 31. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 32 f. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 35. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 54.

II.1.1 Methodische Einordnung in neuere Forschungsansätze

103

Gebert erörtert die vorgebliche Dichotomie von „[p]roduktivem Wettkampf“ und „zerstörerischem Streit“98, die literaturwissenschaftlich und soziologisch aufgearbeitet wird. Literaturwissenschaftlich orientiert sich Geberts Studie an den Höfischen Interaktionen99 Harald Haferlands und Udo Friedrichs Aufsatz zur ‚symbolischen Ordnung‘ des Zweikampfs im Mittelalter100. Mit Haferland hebt Gebert das Interaktionsmodell des Agon hervor, der zu gleichen Teilen von Kooperation und Dominationsstreben geprägt sei,101 wodurch eine Ambivalenz entstehe, die jedoch nicht in der Eindeutigkeit von kooperativen Wettkämpfen und feindseligen Ernstkämpfen aufzulösen sei.102 Gebert problematisiert daher Haferlands Ansätze, Aggression und Zuneigung miteinander zu versöhnen: Sie seien erstens nicht nur auf psychosoziale Gegebenheiten der Akteure zu reduzieren103 und zweitens nicht aus der Perspektive individuellen Ehrgewinns und der Identitätsbildung zu verstehen.104 Daran schließt drittens eine Frage der Perspektivierung des Wettkampfs an: „Als kooperative Interaktion scheint das agonale Schema zunächst ein dezentrales Zusammenspiel, das auf keine Einzelpositionen zu reduzieren ist.“105 Wie Gebert beobachtet, steigert sich der Wert des Kämpfers danach, je mehr Gewicht auf seinem Gegner liegt, sodass sich zuletzt auch die finale Kapitalisierung des Kampfes nicht selten einer Auflösung in Sieg und Niederlage entziehe und sich als „offene Rechnung“106 darstelle. Die Diskrepanz von Kooperation und Aggression spiegelt sich bei Friedrichs ‚symbolischer Ordnung‘ in der Spannung zwischen kämpferischen Konfliktlösungsmodellen und adlig-kriegerischer Selbstrepräsentation. Vergesellschaftungsformen werden hier durch kämpferische Gewalt gleichzeitig erzeugt und bedroht.107 Problematisierend verweist Gebert bezüglich des Konfliktlösungsmodells auf die zahlreichen unaufgelösten Kämpfe in der Literatur.108 Weiterhin referiert Gebert drei Aspekte Friedrichs, mit denen sich die Vieldeutigkeit von Kämpfen erfassen lässt: Erstens die Eröffnung von Spielräumen der Aushandlung divergierender Positionen, zweitens die Beobachtbarkeit dieser Aushandlung durch die Betrachtung des Kampfes als Medium der Aushandlung und drittens die Formvariabilität von Kämpfen und die daraus folgende Möglichkeiten hinsichtlich eines offenen Ausgangs.109

 Gebert, Wettkampfkulturen, S. 37.  Haferland, Interaktion.  Friedrich, Ordnung.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 38.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 39.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 39 f.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 40 f.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 41.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 42.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 42.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 43.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 43 f.

104

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Von soziologischer Seite distanziert sich Gebert von Konfliktmodellen, in denen zwar auch die paradoxal aufgefasste Gemeinsamkeit des Strebens nach dem selben Ziel bei gleichzeitiger Opposition zu finden sei und in denen sich konfligierende Gruppen nach außen gegeneinander abgrenzen und nach innen absichern.110 Gleichzeitig würden diese und andere Modelle jedoch auch mit normativen Einteilungen von ‚echten‘ und ‚unechten‘ Konfliktformen operieren, die sie, so Gebert, für die Anwendung auf mittelalterliche Zusammenhänge weitgehend unbrauchbar machen.111 Statt also „theoretische Ordnungswünsche“ zu verfolgen, möchte Gebert bei der Betrachtung von Wettkampferzählungen nicht Einfachheit und Vielfalt gegeneinander ausspielen, sondern sie „als Experimente betrachten, die Differenz vervielfältigen und gleichzeitig begrenzen.“112 Im Zuge der Erarbeitung einer Arbeitsdefinition des Wettkampfs weist Gebert zunächst auf die Divergenzen moderner und historischer Bestimmungen hin, die jeweils unterschiedliche Distinktionen und Beziehungen aufweisen.113 Stattdessen orientiert sich Gebert an der Form des Wettkampfs, als intensivem und diskursiv intensivierendem, nach asymmetrischer Auflösung strebendem und alternierend ausagiertem Vollzug.114 Zuletzt fasst Gebert die „Grenzen des Wettkampfs“ einerseits als ein durch äußere Einflüsse erzwungenes Ende und andererseits als abstrakte „Abbruchprozeduren“115, die je als „Insistieren“, „Blockieren“ und „Stabilisieren“ die Wettkampfsituation auflösen.116 Weiterhin distanziert sich Gebert bei seiner Betrachtung von Hartmanns Iwein zunächst von jenen Arbeiten, die lediglich „den ritualisierten ritterlichen Kampf als Mittel der Konfliktlösung, Pazifizierung und Integration“117 betrachten und verweist auf die von Bruno Quast und Udo Friedrich herausgearbeitete Inkorporierung von Wildheit und Gewalt in die höfische Kultur.118 Ohne das Modell des Doppelwegs zu reaktivieren, weist Gebert darauf hin, dass sich der Weg des Helden zwar als eine sukzessive, stationär gegliederte Ereignisfolge vollziehe, die auch als solche erzählt werde;119 er betont aber auch, dass diese „jedoch kaum mit trennscharfer Phasenstruktur unterlegt“120 sei. Auch das Thema der Identität und Selbstfindung erachtet Gebert mit Jan Mohr und Anette Gerok-Reiter als problematisch, da sich diese vornehmlich aus Negationen ergeben und der Text somit keine positiven Aussagen mache,121 weshalb sich Gebert die Suche nach

           

Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 46–49. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 49–51. Gebert verweist hier u. a. auf Aleida und Jan Assmann. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 52. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 79–84. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 84 f. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 93. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 93 f. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 175. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 176. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 176 f. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 177. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 177.

II.1.1 Methodische Einordnung in neuere Forschungsansätze

105

„narrativen Negationsmustern als Bedingung für individuale Figurenentwürfe“122 zum Ziel setzt. Den Auftakt stellt dafür der finale Gerichtskampf zwischen Iwein und Gâwein dar, den Gebert als „unterlaufen“ erachtet, wobei nicht so sehr die Kampfhandlungen der anonymen Kämpfer im Vordergrund stehen, als zunächst die poetologische Aufbereitung ihrer Beziehung zueinander. Ausgangspunkt von Geberts Analyse ist das „komplizierte Herz“123 Iweins und Gâweins, in dem in einer paradoxen Metapher „Zuneigung und Aggression, minne unde haz“124 beieinander wohnen und nur durch ein want (Iw, V. 7048) voneinander getrennt sind. Gebert betrachtet die Metapher zunächst im Kontext der Szene und als Schlüssel des Gerichtskampfs und beides zusammen, Metapher und Kampf, als Schlüssel für den gesamten Roman. Einerseits lässt das Bild der Herzkammern jenen Widerstreit von persönlicher Affinität und Rivalität für die Figuren latent werden, der beide von Romanbeginn spannungsvoll als Partner und Konkurrenten am Hof verbunden hatte.125

Andererseits sorgt das Nicht-Erkennen dafür, dass der Kampf überhaupt stattfinden kann. Umgekehrt sieht es für den Rezipienten aus, für den Irritation und Handlungsspannung wachsen. Denn die Metapher der Herzkammer speichern [sic!] genau genommen die Paradoxie von Sympathie und Gewalt, die der Wettkampf aufwarf, nur umso tiefer in sich ein.126

Programmatisch sei diese Metapher also insofern, als die „übercodierte Leitunterscheidung von minne und haz“127 auf eine Vielzahl von Szenen mit je unterschiedlicher Intensität rekurriert.128 Gebert deutet die Metapher weiterhin auch dahingehend als spannungsvoll, als die mit Bedeutung aufgeladene Anonymität ihrer eigenen Auflösung entgegenstrebt: Wie bei seinem einleitenden Beispiel beschreibt Gebert den Kampf in der Form von Schleifen, wobei sich die ersten beiden mit Waffen und im Zustand unerkannter Feindschaft und die letzte mit Worten als Streit zwischen Freunden vollziehe.129 Alle drei Schleifen unterlaufen die vorgegebenen Strukturen des Wettkampfs: durch die „absolute Gleichrangigkeit“ der Gegner werde die Entscheidung des Gerichtskampf als Folge des angestrebten Sieges einer Partei ausgesetzt,130 während im Wortstreit jeder die Niederlage  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 178.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 178.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 179; Iw, V. 7021.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 180.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 180.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 181.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 180 f.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 181 f.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 183: „Zwar geben Rechtsstreit und Gerichtskampf die Unterscheidungslogik von Sieg und Niederlage und damit den Bedarf einer asymmetrischen Entscheidung

106

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

für sich reklamiert.131 „Die ausgeprägten Metakommentare der gesamten Passage unterstreichen, dass es dem Roman gezielt auf diese Schleifenkonstruktion ankommt.“132 Auch die Auflösung des Rechtsstreits durch „Fangfrage und Verplappern“ sowie das Heranziehen der von Gâwein behaupteten Unterlegenheit belege, „dass der Gerichtskampf selbst gerade kein Ergebnis förderte.“133 Dabei betont Gebert den narrativen Mehrwert, den der Kampf durch sein mehrschichtiges Verhüllen von Beziehungen generiere. „Trotzdem erscheint der Zweikampf wie ein Emergenzphänomen. Ein tapferer Mann hasst keinen tapferen Gegner, wenn dieser ihm auch Schaden zufügt“134, womit das „Wettkampfparadoxon“ von Kooperation und Aggression auch von Hartmann zur Sprache gebracht werde.135 Auch die ausgedehnte ökonomische Metaphorik wertet Gebert als Zeichen einer Verausgabung innerhalb latenter Wettkämpfe, die ebenso wenig zum Stillstand komme, wie Iwein „zu keinem Erzählzeitpunkt soziale Motive, Verpflichtungen oder Identität zu bündeln und bewusst zu halten vermag.“136 Zuletzt begreift Gebert den Gerichtskampf auch als paradigmatisch für den gesamten Roman, der sich durch wiederholte Schleifenmuster von abwechselnden Riesen- und Gerichtskämpfen sowie durch Umwege in Binnenerzählungen kennzeichne137 und damit in seiner Makrostruktur ähnlich mit Ein- und Auslagerungsbeziehungen experimentiert, wie sich offener Streit der Schwestern zum paradoxen Wettstreit im Herzen der Gerichtskämpfer verpuppt, von wo er wieder zur öffentlichen Konkurrenz um Ehre hervorbricht, die schon zu Romanbeginn die Erzählrunde der Artusritter bestimmte.138

Das enge Nebeneinander von minne und haz spiegele weiterhin auch Differenzen, die der Roman „koordinativ und subordinativ zu ordnen“139 versuche. Relationen von Rittertum und Wildheit, Artus- und Laudinehof sowie die Offenheit für verschiedene erzählerische Strukturmodelle sieht Gebert als Ausweis eines Experiments „höfischer Latenz“, die sich im Austarieren komplexitätssteigernder und -relativierender Elemente vollziehe.140 Höfische Latenz und die Latenz des Höfischen dienen Gebert dann

vor, doch stößt dies allenfalls die Dynamik eines Zweikampfs an, der gleichsam unbegrenzt fortläuft und dabei Innen- und Außenrelationen ineinander übersetzt.“  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 182.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 182.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 184.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 184 f.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 185.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 185.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 185.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 185.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 186.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 186.

II.1.1 Methodische Einordnung in neuere Forschungsansätze

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als Schlagwort seiner weiteren Untersuchung, die er im Anklang an den Gerichtskampf zwischen „Aufdecken“141 und „Verbergen“142 sowie einer abschließenden Konkretisierung höfischer Latenz143 entfaltet. Analog zum ‚komplizierten Herz‘ des finalen Gerichtskampfs sei auch die Eingangsszene von Konkurrenz mit und Hochachtung für Gâwein gekennzeichnet, sodass Gebert Iweins heimliches Ausreiten als unterlaufenen Wettkampf auffasst, über dessen Resultat Iwein im Gegensatz zur öffentlich auserzählten Niederlage Kâlogrêants frei verfügen könne.144 Gebert knüpft in seiner Bewertung von Iweins Auszug stark an die rechtshistorisch ausgerichteten Überlegungen von Volker Mertens an. Gleichzeitig sieht er Iweins Verfehlungen als derart divers, dass sie nicht „auf ein übergreifendes Entwicklungsschema bezogen [sind], wie die Rede von Krise, ‚Lernprozess‘ und Rückkehr insinuiert.“145 Den Weg in die tobesuht und wieder heraus begreift Gebert sodann als Entblößung und schichtenweise Bedeckung nackter Wildheit beziehungsweise wilder Nacktheit,146 wobei die Beziehung zum Löwen die „vormals vertikale Schichtung von Ordnung und Wildheit in das horizontale Nebeneinander von Herr und Tier überführt.“147 Gebert übergeht dabei die von Friedrich herausgearbeitete Namensform als Löwenritter (s. o.) und fasst den Löwen lediglich als „Visitenkarte“148, der „Inneres veräußerlicht“149. Im Rahmen seiner Erörterung des „Aufdeckens“ verfolgt Gebert sodann das „Anklagen“, wobei er in der ersten Begegnung Iweins mit Lunete zunächst eine Verzahnung (meines Erachtens ließe sich auch hier von Schleifen sprechen) von Erkennen/Aufdecken und Verbergen findet, insofern Iweins einstmaliger Gruß am Artushof dazu führe, dass Lunete ihn erkennt und rettet, was sich zunächst durch den Zauberring im Verbergen und durch die Überredung Laudines, Iwein zum Mann zu nehmen, als Aufdecken vollziehe.150 Den Kampf mit Ascalôn erwähnt Gebert dabei nur beiläufig als einen Fall von unterlaufener Anerkennung der höfischen Öffentlichkeit.151 Insgesamt sieht Gebert die dynamische Latenz zwischen

 Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 187–197.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 197–211.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 211–216.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 187, siehe auch S. 212: „Obwohl er [Iwein] in aller Heimlichkeit die Brunnenaventiure aufsucht (und daher selbst potentiellen Misserfolg, besser noch als Kalogreant, verschweigen könnte), fühlt sich Iwein wie unter Beobachtungszwang, fürchtet umso mehr den Spott, sollte er seinen Sieg nicht mit schînlichen dingen belegen können (V. 1526).“  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 188. Den Ausdruck des „Lernprozesses“ übernimmt er von Volker Mertens: Recht und Abenteuer – das Recht auf Abenteuer. Poetik des Rechts im ‚Iwein‘ Hartmanns von Aue. In: Juristen werdent herren uf erden. Recht – Geschichte – Philologie. Kolloquium zum 60. Geburtstag von Friedrich Ebel. Hrsg. von Andreas Fijal. Göttingen 2006, S. 189–210, hier, S. 194.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 188–190.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 190.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 190.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 191.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 192–194.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 193.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Erkennen und Verkennung im Konflikt von Zuneigung und Aggression gespiegelt, die den Roman und das Beziehungsgeflecht der Figuren von Anfang bis Ende durchziehe.152 Geberts Überlegungen zum „Verbergen“ belaufen sich in Bezug auf höfische Latenz zunächst auf Situationen von Unsichtbarkeit, in denen der Text „nicht nur Verborgenes aufdeckt, sondern ebenso dazu tendiert, das Verbergen selbst zu zeigen.“153 Neben dem Aufdecken von Kâlogrêants zuvor unsichtbarer Schande, die als Katalysator der Handlung das Aufdecken der Brunnen-âventiure initiiere,154 begreift Gebert auch die fremde Rüstung Gâweins im Gerichtskampf als sichtbare Unsichtbarkeit.155 Weitere Aktualisierungen derselben sieht Gebert in der Heimlichkeit von Iweins Auszug, natürlich im Zauberring und der daraus folgenden Verborgenheit vor den Gefolgsleuten Ascalôns, aber auch in Lunetes eigener Unsichtbarkeit am Artushof, die nur von Iwein durchbrochen werde, sowie dessen Verschwinden und Auftauchen aus geistiger und räumlicher Wildnis:156 „Narratologisch gewendet schafft Unsichtbarkeit somit paradigmatische Kohärenz der Figur: Man findet Iwein umso leichter, als man sich von dessen Verschwinden erzählt.“157 Gebert beschreibt auch Iweins Kooperation mit dem Löwen und dessen uneindeutiges Verschwinden aus der Handlung unter dem Vorzeichen der Unsichtbarkeit. Basierend auf der Deutung Quasts als einer „liminalen Figuration“158 und „oszillierendem Ineinander“159 von Natur-Kultur, Mensch-Tier, höfisch-wild, innen-außen könne der Bereich der Überschneidung von Iwein und dem Löwen, kurz gesagt, als unsichtbare und latente Löwenhaftigkeit respektive Iweinhaftigkeit verstanden werden, die auch nach dem Verschwinden des Löwen Bestand haben.160 Zuletzt nähert sich Gebert erneut dem Phänomen der höfischen Latenz, das er als poetologisches Programm des Iwein ausmacht: Systematisch seien dem Roman spürbare Differenzen inseriert, die zwischen Verbergen und Enthüllen Pluralität als latentes Muster entfalten.161 Iweins âventiure-Weg sei durch „verschachtelte Ersetzungen (Stellvertretersuche im Gerichtskampf) und untergründige Ambivalenz (Herzmetapher)“162 gekennzeichnet:

 Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 194 f.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 198.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 198 f.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 199.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 200 f., zum Ent- und Verhüllen von Iweins höfischem Körper auch S. 206–209 sowie zum Erwachenstraum S. 209–211.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 201.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 203.  Quast, Das Höfische, S. 114.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 202–205.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 211–216.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 217.

II.1.1 Methodische Einordnung in neuere Forschungsansätze

109

Die strukturelle Spannung höfischer Agonalität wird damit um nichts abgeschwächt (das eben demonstriert der Gerichtskampf), doch weniger sichtbar, weniger reflexiv verfügbar; sie wird im Erzählverlauf dosierbar und aushaltbar, ohne aufgelöst zu werden.163

Wie Bent Gebert organisiert auch Jan Mohr seinen kürzlich erschienen Aufsatz Der schweifende Blick und die Ordnung des Artushofs unter dem dynamischen Paradigma changierender Sichtbarkeit: „Der ‚schweifende Blick‘ kann [...] visibilisieren oder invisibilisieren, und dies in einem unterschiedlichen Verhältnis.“164 Darin gleicht Mohrs Ansatz der Studie von Jutta Eming, in der sie unter anderem die „Visibilität und Invisibilität von Freundschaft im Verhältnis zum Raum“165 in den Blick nimmt und die Beziehung von Iwein und Gâwein einer genauen Lektüre unterzieht. Wo Gebert Zuneigung und Aggression als paradoxe Kräfte wertet, die Iwein und Gâwein gleichzeitig trennen und vereinen, beschäftigt Mohr die Differenz von agonaler Konkurrenz und vorgeblicher Egalität höfischer Ritter im Allgemeinen.166 Im Zentrum der Analyse Mohrs steht der Zweikampf im Artusroman, „[d]enn in ihm konstituiert und stabilisiert die gewaltförmige Kommunikation adliger Körper Sozialität gerade nicht nur als Generator von Hierarchie, sondern auch von Äquivalenz.“167 Sein Ansatz verfolgt dabei zunächst die Emergenz von geselleschaft und einer státen freuntschaft in Pleiers Garel von dem blühenden Tal als einer „Umdeutung/Umakzentuierung“168, die eine im Kampf etablierte „Hierarchie auf Äquivalenz umstellt.“169 Im Paradigma der Sichtbarkeit ordnet Mohr den Kampf im Garel einer Sphäre der Nicht-Öffentlichkeit zu, die andere Spielräume des Abbaus von Hierarchien ermöglicht als die der Öffentlichkeit:170 „Nur der Rezipient darf beobachten, wie ein eigentlich eindeutiges Rangverhältnis in einen Schwebezustand uminterpretiert wird, der es seinerseits erlaubt, auch die andere Alternative gelten zu lassen.“171 Entsprechend betrachtet Mohr auch den Gerichtskampf zwischen Iwein und Gâwein aus der Differenz einer nicht-öffentlichen Hierarchisierung und öffentlich ausgetragener Äquivalenz, der er jedoch auch eine finale Motivierung zuweist: Letzter Gradmesser für die Kampfkraft des Protagonisten ist regelmäßig der arthurische Musterritter schlechthin, Gawein. Im Zweikampf mit ihm darf es keinen Sieger geben; entscheidend ist, dass man Gawein nicht unterlegen ist.172

   hat.       

Gebert, Wettkampfkulturen, S. 217. Mohr, Blick, S. 63. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 105. Es sei angemerkt, dass Mohr Emings Studie nicht rezipiert Vgl. Mohr, Blick, S. 60. Mohr, Blick, S. 62. Mohr, Blick, S. 67. Mohr, Blick, S. 66 f. Vgl. Mohr, Blick, S. 66. Mohr, Blick, S. 67. Mohr, Blick, S. 67.

110

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Mohr orientiert sich vornehmlich an den Aussagen Iweins und Gâweins, wer weniger slege (Iw, V. 7406) ausgehalten hätte, sodass die öffentliche Agonalität des Kampfs in eine nicht-öffentliche Agonalität hypothetischer Unterlegenheit respektive überlegener Höflichkeit überführt werde.173 Dies versteht Mohr als Ausprägung des ‚schweifenden Blicks‘, da Konkurrenz durch die wechselseitige Versicherung einer „Zugehörigkeit zu den – nicht gewaltfähigen Kriegern, sondern: – ‚feinen‘ Rittern“174 umgehend in Egalität oder zumindest gemeinsame Superiorität verwandelt werde,175 ehe – in den Worten Mohrs – der Blick weiterschweife: „was jetzt die Aufmerksamkeit Aller [sic] in Anspruch nimmt, ist die Rückkehr des verschwundenen Iwein.“176 Auch Jutta Eming betrachtet Hartmanns Iwein als „eine Geschichte von Freundschaft und Konkurrenz zwischen adligen Männern“177 und weiterhin als eine konfliktreiche „Verschränkung des Beziehungstyps Freundschaft mit Identitätskonstruktionen einerseits und Männlichkeitsentwürfen andererseits.“178 Die Betonung einer gleichgeschlechtlichen Beziehung verweist auf die besondere Ambivalenz einer „charismatischen Freundschaft“ als das „literarisch inszenierte Begehren vor allem männlicher Adliger, sich in der physischen Nähe eines anderen Adligen aufzuhalten.“179 Deren Beschreibung sei oft nicht von derjenigen heterosexueller Paare zu unterscheiden und wurzele in einer antiken amicitia-Rhetorik von Liebe und Reziprozität, die sich auch in Freundschaft als Kommunikationsform (abgegrenzt von Freundschaft als Interaktionsform) niederschlage.180 Identitätskonstruktion erfolgt für Eming performativ, sodass sie weniger gefestigt als vielmehr durch Handlungen wie âventiure und Kampf fortlaufend erwiesen werden müsse.181 Gleichzeitig vollziehe sich Identität nur durch das feedback einer Spiegelung, in der „ein Freund auf den anderen kontinuierlich als Modell und Affirmation dessen angewiesen ist, was seine Identität als Ritter konstituiert und konstituieren soll.“182 Die höchste Form dieser Spiegelung sei der Kampf zwischen Freunden, „als wichtigste Vollzugsform sowohl von manheit als auch von Freundschaft“183, in der auch der jeweilige Männlichkeitsentwurf bestätigt werde.184 Unter diesen Voraussetzungen ginge es nach Eming im Iwein „um den Kampf mit dem Freund, um den Bezug auf den kampfbereiten

 Vgl. Mohr, Blick, S. 67 f.  Mohr, Blick, S. 68.  Vgl. Mohr, Blick, S. 68 f.  Mohr, Blick, S. 69.  Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 104.  Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 106.  Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 117. Ein ähnliches Begehren beobachtet auch Judith Klinger, Begehren, S. 197–206 in Bezug auf Karl und Roland sowie Lancelot und Galahot.  Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 120.  Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 107 f.  Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 108.  Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 119.  Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 119.

II.1.1 Methodische Einordnung in neuere Forschungsansätze

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Freund, um das Erlebnis einer durchaus positiv aufgefassten Konkurrenz.“185 Daraus folgert Eming: „Freundschaft als Interaktionsform kompensiert im höfischen Roman nicht die Konflikte der hierarchisch und agonal organisierten feudalen Gesellschaft, sondern trägt diese mitten in die Beziehung hinein.“186 Als Ausweis einer performativen (männlichen) Identitätskonstruktion sieht Eming Kâlogrêants âventiure-Definition, die einerseits dezidiert für ein auch weibliches Publikum (die Königin) entfaltet werde187 und andererseits auf den gebûren als Gesprächspartner ausgerichtet sei. Die binäre Logik von Sieg und Niederlage sei daher wohl bewusst unterkomplex formuliert.188 Gâweins Favoritenstatus, den er nicht nur am Artushof sondern häufiger in der erzählten Welt zugewiesen bekommt, begründet „dass die zentralen Konflikte in Hartmanns Iwein beinahe vollständig durch die Freundschaft der männlichen Hauptfiguren Gawein und Iwein generiert werden.“189 Die freundschaftliche Dynamik der beiden Konkurrenten arbeitet Eming an vier Szenen heraus. Sie zeigt, dass Gâwein seinem Freund den Gewinn des Brunnreichs keinesfalls missgönne und das Konkurrenzdenken somit nur in eine Richtung verlaufe.190 Weiterhin agiere Gâwein auf der Turnierfahrt gleichzeitig als Iweins Förderer,191 fordere aber auch dessen Teilnahme ein192 und partizipiere somit öffentlichkeitswirksam an den von beiden gemeinsam vollbrachten Turniersiegen,193 wodurch sich die Freundschaft zwischen Iwein und Gâwein als charismatische Beziehung offenbare. Deren Anziehung sei nicht so sehr vom Geschlecht als vom sozialen Rang gekennzeichnet, was auch im standesspezifischen Rat Gâweins zu erkennen sei.194 Entscheidend sei letztlich aber vor allem, dass ein Großteil von Iweins Erfolgen im zweiten Teil des Romans dadurch zustande kommt, dass Gâwein verhindert ist, „der zugleich das Modell ritterlichen Verhaltens bildet, an dem Iwein sich orientieren muss.“195 Jutta Eming schließt, wo Bent Gebert begonnen hat: beim finalen Gerichtskampf und dem Paradox der sich gleichzeitig liebenden und bekämpfenden Freunde, wobei auch Eming den erzählerischen Aufwand hervorhebt, der betrieben wird, um die Freundschaft von Iwein und Gâwein darzustellen.196 Wie Gebert und Mohr, denen ihre Arbeit freilich vorausgeht, kommt Eming zu dem Ergebnis, dass der grundlegende Konflikt zwischen Rivalität und Freundschaft letztlich nicht beigelegt werde

           

Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 119. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 120. Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 109. Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 110. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 106. Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 112. Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 115. Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 113 u. 116. Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 113. Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 118. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 114. Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 120–122.

112

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

und auch gar nicht beigelegt werden könne.197 Zumindest der Arbeit Geberts zufolge, ist dies jedoch poetologisches Programm. Die hier vorgestellten Studien zeigen alle eine Gemeinsamkeit, an die ich im Folgenden anschließen möchte: Sie fassen Kampf und Gewalt als integrativen Bestandteil höfischen Erzählens auf. Die Arbeit von Udo Friedrich weist dabei gegenüber den anderen drei eine Sonderstellung auf, da hier nicht die Beziehung zwischen Iwein und Gâwein und das Konkurrenzparadigma höfischer Ritter im Vordergrund steht, welches Friedrich freilich bereits in einem früheren Aufsatz umfassend erörtert hat.198 Für das Anliegen meiner Arbeit ist besonders der Aspekt der Umcodierung von Gewalt von Interesse, den Friedrich in der Anknüpfung an tierische Symbolik, Namen und Heraldik herausarbeitet: Wird der Mensch und besonders der Adlige als das stärkste (Raub-)Tier aufgefasst, öffnen sich natural-syllogistische Spielräume der Gewalt- und Herrschaftslegitimation. An diese Spielräume möchte ich mit meinen Überlegungen zur manheit anknüpfen. Weiterhin ist Friedrichs Beobachtung von Interesse, dass Iwein selbst in verwildertem Zustand noch Waffen gebraucht und sich dadurch eine (auch ständisch gedachte) Gewaltüberlegenheit bewahrt. Dies lässt sich auch auf die Kooperation mit dem Löwen übertragen, die Friedrich bei Hartmann sehr viel deutlicher als bei Chrétien als Bündnis zwischen Mensch und Tier auffasst. Die von Friedrich, aber auch schon von Bruno Quast vorgebrachte Liminalität dieses Bündnisses lässt manheit als menschliches Attribut besonders hervortreten. Dies eröffnet die Möglichkeit einer weiteren Differenzierung der Beziehung zwischen Mensch und Tier, insofern manheit als eine spezifisch menschliche Eigenschaft auf ihre animalischen Qualitäten oder ihr Verhältnis zu denselben befragt werden kann. Daher ist in Anschluss an Friedrich und Quast die spezifische Struktur der Zusammenarbeit von Ritter und Löwe zu betrachten, die vornehmlich in einer kämpferischen Allianz zum Tragen kommt, sodass die praktischen Aspekte des gemeinsamen Kampfes aufzuzeigen sind. In diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt die Korrelation von höfischem Erzählen und den Praktiken historischer Kriegsführung, die Friedrich herausgestellt hat, von großer Bedeutung. Diese Beobachtung möchte ich jedoch spezifizieren, indem ich nicht die Makroebene der Kriegshandlungen, sondern die einzelnen Kampfpraktiken als Referenzpunkt für eine Darstellung der Kämpfe im Iwein auseinandersetze. Aufgrund der Analogien zwischen literarischem Zweikampf und historischem Kampfgeschehen sind die dort verhandelten Kampfpraktiken mit Friedrich als Element der höfischen Literatur zu betrachten, wobei kämpferische manheit besonders im Vordergrund steht. Den Ansätzen von Gebert, Mohr und Eming ist der Fokus auf die Iwein-GâweinKonstellation gemeinsam. Besonders Bent Gebert erschließt Hartmanns Iwein von seinem Ende her, um an der Vieldeutigkeit eines eindeutig uneindeutigen Kampfes ein

 Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 122 f.  Vgl. Friedrich, Ordnung, zum Iwein-Gâwein-Kampf bes. S. 129 f. u. S. 132.

II.1.1 Methodische Einordnung in neuere Forschungsansätze

113

konzeptionelles Muster des Romans zu erarbeiten. Ergänzend zu Geberts Ansatz möchte ich Iweins Kämpfe aus der Perspektive der zunächst augenfälligen Eindeutigkeit seiner Siege betrachten und die verschiedenen Ebenen ihrer jeweiligen Bedeutung erkunden. Während Gebert die Metapher des geteilten Herzens am Ende des Romans als Schlüssel seiner Analyse nutzt, möchte ich Iweins manheit als Ruhepunkt betrachten, um den herum und auf dem basierend sich die Handlung des Romans entfaltet. Daher orientiert sich die folgende Analyse an Iweins erstem Kampf und der dort vollzogenen Charakterisierung des Helden und seiner kämpferischen manheit, die von der Initialâventiure bis zum Ende nachzuzeichnen sind. Es lässt sich zeigen, dass die einzelnen Kämpfe nicht nur als Stationen der Handlung, sondern auch konzeptionell aufeinander aufbauen und dabei jeweils pluralisierende Bedeutungsmuster aufweisen, die sich auch auf die Kontextualisierung von manheit auswirken. So sind die von Gebert beobachteten Schleifen der Riesen- und Gerichtskämpfe in einer Art Typologie des Kampfes zu präzisieren. Auf den initialen Kampf gegen Ascalôn folgt jenseits der nicht auserzählten Turniersiege ein Belagerungskampf, dann der Kampf gegen den Drachen, der nur verkürzt geschildert ist und in dem dafür die Dichotomie ethischer Werte am ausgeprägtesten erscheint. Dann folgt der Kampf gegen einen anderweltlichen Unhold und der Gerichtskampf für Lunete, ein Kampf gegen dämonische Ritter und schließlich der Kampf gegen Iweins Freund Gâwein, wiederum in der Form eines Gerichtskampfs. Das übereinstimmende Muster hat Gebert dargelegt, jedoch erscheinen mir die Kämpfe stets durch unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen und einen unterschiedlichen Ablauf gekennzeichnet zu sein, wie im Folgenden auseinanderzusetzen ist. Im Anschluss an Geberts Strukturmodell des Kampfes möchte ich die Darstellung der Kämpfe nicht nur vor dem Hintergrund ihrer asymmetrischen Konstellation eines dichotomen Abbruchs und der daraus folgenden, diversifizierenden Bedeutungsgenerierung betrachten. Vor allem die agonalen Schleifen alternierender Interaktions- und Kommunikationsmuster des Kampfes und das Verhüllen und Offenlegen von Gewalt auf der Textoberfläche ermöglichen es, die heuristische Konzeption von Kulturen der manheit zu entwickeln. Diese Muster waren in den hier vorgestellten Ansätzen häufig auf die sichtbare Performanz von Freundschaft und Identität bezogen. Als symbolisches Kapital unterliegt diskursive manheit ähnlichen performativen Bedingungen wie diese, sodass zu fragen ist, wie praktische manheit als Faktor ritterlicher Identitätsbildung, die im Kampf performativ konstruiert wird, in Erscheinung tritt und dem Protagonisten in der Spiegelung der Gesellschaft erfahrbar wird. Die identitätsbestätigende Funktion des Kampfes, die Eming beschreibt, ist jedoch nicht nur im Modus einer Oppositionen vereinigenden Konkurrenz zu betrachten, wie ihn auch Gebert formuliert, sondern vor allem als Element gesellschaftlicher Alleinstellung aufzufassen, insbesondere wenn die Gegner, wie Friedrich gezeigt hat, anderweltlicher Natur sind. Weiterhin ist der Grundgedanke von Performativität, den Eming in Bezug auf

114

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Freundschaft und Identität veranschlagt, an dieser Stelle zu erweitern.199 Auch wenn für den Kampf geschlechtliche Kategorien zweitrangig sind, möchte ich manheit anders als Eming nicht als ‚Männlichkeit‘ verstehen, sondern als kämpferische Qualität, durch die auch Geschlecht oder vielmehr Gender im Sinne Judith Butlers performativ erzeugt wird. Somit ist die geschlechtliche Ebene von manheit nachrangig zur kämpferischen, was als bedeutsamer Befund zu werten ist, da dies die sprachliche Repräsentation nicht abbildet. Vor dem Hintergrund der schematischen Strukturierung des Kampfes bei Gebert möchte ich für die Analyse der Erzählung eines Kampfes im Wesentlichen drei Phasen unterscheiden: 1. Die Exposition, 2. die Durchführung des Kampfes und 3. die abschließende Kapitalisierung. In der Exposition werden die allgemeinen Bedingungen des Kampfes erörtert, die Beschaffenheit des Gegners, die Motive der Kontrahenten den Kampf zu suchen und der zu erwartende Gewinn. Die Durchführung (2.) des Kampfes selbst ist auf der Handlungsebene wiederum in die drei Phasen von Lanzen- und Schwertkampf sowie die Gestaltung des Sieges geteilt, während auf der Erzählebene zwischen kollektiv und personal fokalisierten Beschreibungen unterschieden werden muss. Darüber hinaus lassen sich Elemente der Digression beobachten, in denen die Erzählung die gesonderte Sphäre des Kampfes verlässt, beispielsweise um noch einmal an die Motivation oder den Ertrag des Kampfes anzuknüpfen, von denen er auf struktureller Ebene geschieden ist. Als Schnittpunkt zwischen der Sphäre des Kampfs und dem „gewöhnlichen Leben“200 (Huizinga) kommt dem Ende des Kampfes besondere Bedeutung zu, sodass ein zentraler Bestandteil der Analyse auf diesem Sphärenwechsel liegt. Darüber hinaus ist der Sieg an den jeweiligen Ertrag des Kampfes gekoppelt, auf dem die weitere Kapitalisierung (3.) beruht, womit zumeist ein weiterer Sphärenwechsel verbunden ist. Wie oben dargestellt, ist der Ort von Kampf und Krieg jenseits des Hofes angesiedelt, sodass die Kapitalisierung notwendigerweise die Grenze des Raums überschreiten muss, um im Raum der (höfischen) Gesellschaft Anerkennung zu erfahren.201 Vor dem Hintergrund der oben angestellten systematischen Überlegungen zum Kampf lassen sich auch dessen Auswirkungen differenzieren: Ein häufiges Resultat des Sieges ist der Gewinn eines materiellen Preises oder eine schon zu Beginn in Aussicht gestellte soziale Erhöhung.202 Darüber hinaus zieht die im Kampf demonstrierte manheit die Anerkennung der Gesellschaft nach sich, was sich in einem Zugewinn an sym-

 Siehe auch Burkhard Hasebrink: Erecs Wunde. Zur Performativität der Freundschaft im höfischen Roman. In: Oxford German Studies 38 (2009), S. 1–11.  Huizinga, Homo Ludens, S. 37. Siehe auch Kap. I.3.2.  Vgl. Quast, Das Höfische, S. 121, der anhand strukturalistischer Raumsemantik die räumliche Trennung zwischen Hof und Wildnis, Kultur und Gewalt stark macht.  Vgl. Mohr, Blick, S. 62. Siehe auch Haferland, Interaktion, S. 138.

II.1.2 Wie man sich verteidigt, ohne angegriffen worden zu sein

115

bolischem Kapital wie Ansehen oder Bekanntheit äußert, das spezifischer als diskursive manheit zu identifizieren ist.203 Zuletzt stellen Sieg und Niederlage eine Tatsache dar, die sich auf die weitere Handlung auswirken kann. Dies beschränkt sich nicht nur auf den Beweis einer kämpferischen Überlegenheit, der vor allem in der Initialaventiure den Status des Helden als herausragender Ritter bestätigt oder etabliert, sondern kann jenseits dessen auch eine symbolische Bedeutung tragen, insofern mit dem Sieg auch Qualitäten jenseits des rein kämpferischen Aspekts zur Anschauung gebracht werden, die einem ethischen oder gesellschaftlichen Wertebereich angehören. Somit soll im Folgenden die Konvergenz von Kampfkraft und Ansehen besondere Aufmerksamkeit erfahren, wobei die manheit des Helden als zentraler Bestandteil der Figurenkonstruktion sowie die Praktik des Kampfes, in der sich manheit offenbart und konstituiert, in den Blick genommen werden.

II.1.2 Wie man sich verteidigt, ohne angegriffen worden zu sein – Kâlogrêants Erzählung Die ersten Kämpfe der jeweiligen Helden sind in den beiden Romanen Hartmanns durch eine besonders umfangreiche Exposition gekennzeichnet, durch die der als Wette charakterisierte Kampf um eine soziale Dimension erweitert wird, insofern nicht nur das Leben und die persönliche Ehre der Protagonisten, sondern auch das Ansehen der Gesellschaft auf dem Spiel stehen. In Bezug auf die oben ausgeführte Überschneidung von Kampf und Spiel, schreibt Huizinga, dass mit dem Sieg „etwas mehr gewonnen [ist] als das Spiel selbst. Man hat Ansehen gewonnen, Ehre davon getragen, und diese Ehre und dieses Ansehen kommen stets unmittelbar der ganzen Gruppe zugute, der der Gewinnende angehört.“204 Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch auch, dass im Falle der Niederlage das Ansehen der ganzen Gruppe Schaden nimmt.205 Iwein wird zu Beginn des Romans als Teil dieser Gruppe genannt (Iw, V. 87–91). Damit ist er zunächst nur einer von vielen und nicht von vorneherein durch heldenhafte Attribute gekennzeichnet.206 Die Erzählung Kâlogrêants sowie das anschließende Streitgespräch mit Keie in Gegenwart der Königin stellen die Ex-

 Vgl. Vogt, Logik, S. 134–143. Symbolisches Kapital ist „das Medium, über das sich gesellschaftliche Anerkennungsprozesse vollziehen“ und dient mit Bourdieu als „Distinktionsmerkmal“ (ebd., S. 134). Siehe auch Mohr, Blick, S. 65 u. 67.  Vgl. Huizinga, Homo Ludens, S. 61.  Vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 240 f.  Vgl. Friedrich, Unterwerfung, S. 156 f., wo auf die Individualität des Heros verwiesen wird, der „immer schon qua Natur herausgehoben“ und „sichtbar als Subjekt individualisiert“ wird. Siehe auch Franziska Wenzel: Keie und Kalogrenant: Zur kommunikativen Logik höfischen Erzählens in Hartmanns ‚Iwein‘. In: Literarische Kommunikation und soziale Interaktion: Studien zur Institutionalität mittelalterlicher Literatur. Hrsg. von Beate Kellner [u. a.]. Frankfurt a. M. 2001 (Mikrokosmos. 64), S. 89–109, hier S. 96: „Kalogrenant wird zu jenem Einzelnen, der stellvertretend für die Gemeinschaft der Artusrunde und ihre Idealität ideale Verhaltensformen körperlich demonstriert.“ Die von Kâlogrêant zur Schau ge-

116

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

position von Iweins Kampf gegen den Brunnenhüter Ascalôn dar.207 Kâlogrêants durch die Niederlage erlittene Schande ist nicht nur seine eigene, sondern auch die seiner Sippe und der gesamten Artusgesellschaft, der er angehört. Doch auch die in Kâlogrêants âventiure-Definition formulierten Werte eines Artusritters stehen zur Disposition: ‚Nû sich wie ich gewâfnet bin: ich heize ein rîter unde hân den sin daz ich suochende rîte einen man der mit mir strîte, unde der gewâfent sî als ich. Daz prîset in unde sleht er mich. Gesige aber ich im an, sô hât man mich vür einen man, unde wirde werder dann ich sî. [...]‘ (Iw, V. 529–37)

Indem Kâlogrêant dieses Handlungsmuster darlegt, formuliert er eine Verhaltensregel und verleiht damit gesellschaftliche Werten Ausdruck, die von der Konvergenz und Divergenz mit beziehungsweise von der Regel abhängig sind, insofern richtiges und falsches Handeln vor dem Hintergrund der Regel normiert erscheinen. Die Frage nach der Übereinstimmung eines solchen Handlungsmusters mit den gesellschaftlichen Werten der Artusrunde wird im Folgenden noch zu thematisieren sein.208 Diesem Handlungsmuster steht mit der Beschuldigung unrechten Handelns durch den stellte höfische Idealität korrespondiert jedoch mit seinem kämpferischen Versagen, das Iweins Handlungen ermöglicht.  Vgl. zur narrativen Funktion homodiegetischen Erzählens Gert Hübner: Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im ‚Eneas‘, im ‚Iwein‘ und im ‚Tristan‘. Tübingen 2003 (Bibliotheka Germanica. 44), S. 127. Zur mythischen respektive antimythischen Dimension der Brunnen-âventiure und Iweins König- und Ehemannwerdung siehe Florian Kragl: Land-Liebe. Von der Simultaneität mythischer Wirkung und logischen Verstehens am Beispiel des Erzählens von arthurischer Idoneität in Iwein und Lanzelet. In: Artusroman und Mythos. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel [u. a.]. Berlin/Boston 2011 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. 8), S. 3–40. Unter dem Gesichtspunkt des Mythischen auch Andreas Hammer: Tradierung und Transformation. Mythische Erzählelemente im ‚Tristan‘ Gottfrieds von Straßburg und im ‚Iwein‘ Hartmanns von Aue. Stuttgart 2007, S. 215–237. Zu den kommunikativen Bedingungen von Kalogreants Erzählung siehe: Wenzel, Keie und Kalogrenant, S. 98–101.  Vgl. Will Hasty: Art of Arms. Studies of Aggression and Dominance in Medieval German Court Poetry. Heidelberg 2002, S. 35. Hastys Betonung von gewalt ist (vornehmlich) in Bezug auf den Iwein allerdings zu widersprechen, da sich das mittelhochdeutsche Wort hier deutlich im semantischen Feld von vis und potestas bewegt, siehe Kap. I.2.1, sowie die Kritik bei Braun, Gewaltforschung, S. 451–454. Zur Bewertung der âventiure-Definition siehe exemplarisch Schulz, Erzähltheorie, S. 276; Joseph M. Sullivan: Kalogreant/Calogrenant, Space and Communication in Hartmann’s Iwein and Chrétien’s Yvain. In: Seminar 42 (2006), S. 1–14, bes. S. 11: „Although Kalogreant’s explanation of a knight’s raison d’être is perhaps ‚primitive‘ [...], lacking any sense of charity or service to others [...], one should [...] not see the definition as fully negative [...]. Indeed, viewed in its communicative context, the statement serves to highlight Kalogreant’s respect for the dignity of his conversation partner, whom he deems worthy to have an understanding of the knight’s role in the world.“

II.1.2 Wie man sich verteidigt, ohne angegriffen worden zu sein

117

Brunnenhüter ein konkurrierendes Wertsystem entgegen, in welchem richtig und falsch anhand rechtlicher Kategorien gemessen werden. Der Beschuldigung sei, so Hübner, allerdings nicht zu trauen, da sie vom Antagonisten geäußert werde:209 ‚rîter, ir sît triuwelôs. mirne wart von iu niht widerseit, unde habt mir lasterlîchez leit in iuwer hôchvart getân. [...] ichn hân wider iuwern hulden mit mînem wizzen niht getân âne schulde ich grôzen schaden hân. [...]’ (Iw, V. 712–728)

Zunächst ist auf die Titulierung rîter hinzuweisen, die gleichzeitig mit einer ethischen Verurteilung einhergeht, woraus hervorgeht, dass ein ethisches Defizit der Ritterlichkeit eines Akteurs vorerst keinen Abbruch tut.210 So wird bereits zu Beginn des Romans die Ambiguität der „evaluativen Struktur“211 verdeutlicht, die die Darstellung des Verhaltens des Artushofes kennzeichnet. Die Erzählung bietet demgemäß zwei heterogene Bewertungsparadigmen an: Der höfische Ritter zieht in Übereinstimmung mit seinen handlungsleitenden Prinzipien auf aventiure aus und erleidet bedauerlicherweise eine Niederlage; der höfische Ritter verhält sich nicht viel anders als ein wildes Tier, das angreift, was ihm vor die Klauen kommt. Die mit der Ich-Erzählung einhergehende Fokalisierung, die den kognitiven Horizont des erlebenden Ichs präsentiert, privilegiert durchweg den ersten Standpunkt, verschleiert den zweiten aber nicht ganz.212

Sowohl Artus und sein Heer als auch Iwein beschließen ebenfalls den Kampf mit dem Brunnenhüter zu suchen, wodurch sie Kâlogrêants „Standpunkt sanktionieren“213. Es ließe sich argumentieren, dass der Sieg eines beliebigen Artusritters über den Brunnenhüter dessen Beschuldigungen entkräftet, was auf homodiegetischer Ebene erklären könnte, warum Artus seinen ganzen Hofstaat zum Brunnen beordert.214 Weiterhin findet sich jedoch auch die Absicht der gewaltsamen Integration des Anderweltlichen in  Vgl. Hübner, Erzählform, S. 178 f.  Eine ähnliche Anrede findet sich auch im ersten Zusammentreffen zwischen Iwein und Lunete im Torhaus der Burg. Iw, V. 1156–1159: ‚ouwê, riter, ouwê! / daz ir her komen sît, / daz ist iuwer jungestiu zît. / ir habet minen herrn erslagen.‘ Auch stellt der Vorwurf der Tötung anscheinend keinen Widerspruch zur Ritterlichkeit Iweins dar. Siehe auch bei Iwein und Harpin (Kap. II.1.6). Selbst der Erzähler bedient sich einer solchen Anrede. Über Keie heißt es wan alsô schalclîchen muot gewan nie riter dehein (Iw, V. 2506 f.).  Hübner, Erzählform, S. 67.  Hübner, Erzählform, S. 180. Zur Bewertung der Brunnen-âventiure siehe auch ebd., S. 180–182.  Hübner, Erzählform, S. 182; Vgl. auch Rudolf Voss: Die Artusepik Hartmanns von Aue. Untersuchungen zum Wirklichkeitsbegriff und zur Ästhetik eines literarischen Genres im Kräftefeld von soziokulturellen Normen und christlicher Anthropologie. Köln/Wien 1983 (Literatur und Leben. N.F. 25), S. 27.  Vgl. Voss, Artusepik, S. 29.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

den arturischen Machtbereich,215 denn Iweins öffentliche Erklärung geht über die Absicht, Kâlogrêants Schande zu rächen, hinaus:216 ‚neve Kâlogrêant, ez richet von rehte mîn hant swaz dir lasters ist geschehen. ich wil och varn den brunnen sehen, unde waz wunders dâ sî.‘ (Iw, V. 805–809)

Zwar lässt sich hier auch schlichte Neugier als Motiv für den Auszug annehmen, da Iwein aber weiß, dass das Wunder des Brunnens an einen Kampf geknüpft ist, der zudem das laster Kâlogrêants verursacht hat, erachte ich den Kampf mit dem Brunnenhüter als das primäre Motiv. Auch Artus’ Erklärung und Aufruf zur Heerfahrt sowie das Einverständnis seiner Ritter richten sich vornehmlich auf das Erreichen des Brunnens (Iw, V. 898–906). Die Heerfahrt der Artusgesellschaft begründet wiederum Iweins heimlichen Aufbruch, dessen Motivation zwar zunächst deutlich auf den Kampf gerichtet ist, jedoch nicht den Brunnenhüter zum Gegenstand kompetitiven Wettstreits macht, sondern Gâwein (Iw, V. 911–922)217, was auf Konkurrenzbeziehungen innerhalb der Artusgesellschaft verweist, die Iweins Ehrgeiz begründen.218 Darüber hinaus richtet sich Iweins Streben jedoch ebenfalls auf das Erreichen des Brunnens und die Ausführung des ihm eigenen Mechanismus (Iw, V. 936–944).219 Auch wenn das Überstehen des Gewitters eine Herausforderung darstellt, die gewiss Tapferkeit (aber nicht zwingend manheit) erfordert,220 so ist der anschließende obligatorische Kampf doch das implizite Ziel der Unternehmung.221 Im Gegensatz zur âventiure-Definition Kâlogrêants ist die Motivation des Ausritts weder bei Iwein noch beim Artushof explizit als Streben nach dem Kampf dargelegt. Das bedeutet, dass Kämpfen um des Kämpfens willen als nicht gesellschaftsfähige Motivation ausgewiesen wird. Stattdessen wird die Bewältigung des Brunnens sowohl in öffentlichen Äußerungen (s. o.) als auch im inneren Monolog Iweins (Iw, V. 937 f.) in den

 Vgl. Mertens, Recht, S. 190 f. Zur Anderweltlichkeit des Brunnenreichs und seinen mythischen Ursprüngen vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 243–260.  Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. Hoffmann, Arbeit, S. 242. Jackson, Chivalry, S. 240 weist darauf hin, dass der Erzähler Iweins Wunsch nach Rache als vrümcheit (Iw, V. 813) bezeichnet.  Siehe Kap. II.2.1 sowie Gebert, Wettkampfkulturen, S. 213 f. sowie Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘.  Vgl. Iw, V. 78, in dem Gâwein gezeigt wird, wie er während des Hoffests seine Waffen pflegt, sodass der Musterritter zu Anfang des Iwein in einem besonders kriegerischen Licht erscheint. Franziska Wenzel sieht darin einen Ausweis Gâweins Idealität im Gegensatz zum schlafenden Keie. Vgl Wenzel, Keie und Kalogrenant, S. 92 f.  Zur „Überbestimmtheit“ von Iweins Auszug vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 242 f.  Sowohl in der Selbstaussage Kâlogrêants als auch in der geschilderten Innensicht Iweins wird die während des Gewitters ausgestandene Todesangst geschildert (Iw, V. 669 u. 998).  Vgl. Kragl, Land-Liebe, S. 21: „Jenes Handeln [in der âventiure, E.F.], das mythisch fundierend wirken soll, wird in seiner Bedeutung vor allem von den Figuren reprogrammiert als – kurz gesagt – ritterlicher Tapferkeitstest.“

II.1.2 Wie man sich verteidigt, ohne angegriffen worden zu sein

119

Vordergrund gerückt, was als ein weiteres Indiz für die ambige evaluative Struktur sowohl des Textes als auch der gesellschaftlichen Ordnung gewertet werden kann. Zugleich erweist sich die âventiure-Definition Kâlogrêants in der Reaktion Iweins und das Artushofs als Konvention im Sinne Andrei Marmors, als deren erstes Kriterium die verbindliche Gültigkeit im Rahmen einer sozialen Gruppe genannt wird, wodurch Konventionen für ihn compliance-dependent sind, insofern sie nur Gültigkeit haben, wenn sie von allen Mitgliedern der Gruppe befolgt werden.222 Die Reaktion der Artusgesellschaft verdeutlicht, dass jeder von ihnen ebenso gehandelt hätte wie Kâlogrêant, sodass der âventiure-Definition lediglich vordergründig eine Absage erteilt wird. Dass die Absicht zu kämpfen in der Erzählung vom Ausritt Iweins und des Hofes nicht explizit wird, lässt sich daher nicht als Ausweis einer gewaltrestringierenden Tendenz werten. Vielmehr erweist sich der verschobene Fokus der Artusgesellschaft als das Resultat einer Ersetzung oder Umcodierung. Indem statt des Kampfs mit dem Brunnenhüter andere Aspekte des Brunnenkomplexes in den Vordergrund gerückt werden, findet eine metonymische Verschiebung statt, die, wie oben dargelegt, als rhetorische Ausprägung einer sublimierenden Legitimationsstrategie aufzufassen ist.223 Nichtsdestotrotz stellt der Kampf mit dem Brunnenhüter nach wie vor den Kern der Brunnenâventiure dar. Wie Hübner betont, bleiben die Identität sowie der Name des Brunnenhüters jedoch sowohl dem Protagonisten als auch dem Rezipienten verborgen, was erneut die Ambiguität der evaluativen Struktur dieser Exposition vor Augen führt:224 Im „Iwein“ schürt die Erzählung die Erwartung, daß es sich beim Brunnenreich um jene Gegenwelt handelt, deren Exponenten der Protagonist im Rahmen einer costume mit vollem Recht anzugreifen und zu besiegen hat, zunächst in jeder Hinsicht. [...] Die Erwartungen erfüllen sich dann aber doch nicht ganz glatt: Der Antagonist Ascalôn hat, erfährt man später, lediglich sein Land verteidigt. Dieses stellt sich keineswegs als erlösungsbedürftige, von zweifelhaften Gesellen geplagte, unhöfische Gegenwelt dar, sondern, vom Zauberbrunnen abgesehen, als eine recht normale Herrschaft. Der Protagonist tötet dann auch weder einen Bösewicht, noch erlöst er ein Opfer [...].225

Somit lassen die Kämpfe Kâlogrêants und Iweins mit dem Brunnenhüter eine gesellschaftliche Norm erkennen, die auf Expansion und die Akkumulation nicht nur von Ehre und Ansehen, sondern auch von Macht und Einfluss gegründet ist,226 worin das zweite Definitionskriterium Marmors bedient wird: Jede Konvention benötigt mindestens einen Grund, warum die Mitglieder der Gruppe, für die die Konvention Gültigkeit

 Vgl Marmor, Conventions, S. 2–5.  Siehe Kap. I.3.2. Zum Begriff der metonymischen Verschiebung siehe Hartmut Bleumer: Historische Narratologie. In: Literatur- und Kulturtheorien in der Germanistischen Mediävistik. Ein Handbuch. Hrsg. von Christiane Ackermann, Michael Egerding. Berlin 2015, S. 213–274, hier S. 248.  Vgl. Hübner, Erzählform, S. 127.  Hübner, Erzählform, S. 165 f.  Vgl. Vogt, Ehre, S. 299.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

besitzt, in der entsprechenden Situation die Konvention befolgen.227 Marmor führt weiterhin aus, dass jede Regel ein entsprechendes Wertsystem mit sich bringt, wie es auch anhand der âventiure-Definition sichtbar wurde: [...] reasons are closely related to values or goodness. A reason to follow a rule necessarily assumes (or, is suggested by the assumption) that following the rule is valuable under the circumstances, that it serves some purpose or point, that it is good in some respect (not necessarily moral, of course).228

Der Spott Keies, die Konkurrenz mit Gâwein und vor allem das später zitierte Negativbeispiel des sich verligenden Ereck229 verdeutlichen den gesellschaftlichen Imperativ, sich durch Kämpfe zu profilieren und damit die compliance-dependency einer solchen Profilierungsnorm. Zutreffend beobachtet Bent Gebert: Dass Normen selbst durch Darstellung von Verletzungen und Überschreitungen konstituiert werden können, stellt vor allem „Vermittlungsmodelle“ vor die schwierige Aufgabe zu beschreiben, auf welche Weise diese Akte auf positive Konzepte von Normen rückbezogen sind: Abweichung von Normativität hätte stets die Markierung von Normativität logisch vorauszusetzen. Nicht immer jedoch stellt höfische Literatur Normen in positiver Form heraus oder bildet explizite Kontrastpaare von Norm und Normabweichung, [...].230

Demgegenüber ist in Bezug auf Kâlogrêants âventiure-Definition eine Normkontrastierung festzustellen, wobei die Konstellation von besonderem Interesse ist, dass hier die Konvention nicht durch ihren Bruch sichtbar gemacht wird, wie es etwa beim Ereck der Fall ist. Stattdessen markiert Kâlogrêants Verbalisierung nicht nur den konventionellen Charakter dieser Norm, sondern legt auch ihren problematischen Status in Bezug auf gesellschaftliche Handlungswerte und gegenüber gegenläufigen Normen offen. Entsprechend gründet sich auch Ascalôns Kampfeswillen auf eine rechtlich fundierte Gegennorm, sodass die eine Norm die andere jeweils delegitimiert oder entkräftet und damit beide Normen eine gewisse Arbitrarität aufweisen, die – nach Marmor – ihren konventionellen Status unterstreicht.231 Aus der erklärten Sicht des Brunnenhüters ist Kâlogrêant ein eindringender Feind, den es im Sinne der Herrschaftswahrung zu vernichten oder zu vertreiben gilt. Dabei ist hinzuzufügen, dass Kâlogrêants Bewaffnung, die er als ausschlaggebenden Faktor seiner Definition des rîters benennt, der Bewaffnung des rîters (Iw, V. 695) Ascalôn gleicht. Damit entsprechen sie der gewonheit (Iw, V. 262), womit die Konventionalität des berittenen Kampfes hier ebenfalls benannt und bestätigt wird. Obwohl die Erscheinung des Brunnenritters äußerlich der von Kâlogrêant entspricht, dieser also nach seiner eigenen Definition den Kampf mit einem solchen Ritter

 Vgl. Marmor, Conventions, S. 5–8.  Marmor, Conventions, S. 5.  Iw, V. 2787–2797.  Gebert, Poetik, S. 158.  Vgl. Marmor, Conventions, S. 8–10. Die Arbitrarität einer Konvention des bedingungslosen Kämpfens wird weiterhin aus der Verwunderung des wilden Mannes ersichtlich. Vgl. Iw, V. 544–549.

II.1.2 Wie man sich verteidigt, ohne angegriffen worden zu sein

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gerade gesucht hatte, will er den Kampf ablehnen, da er sieht, dass der Brunnenritter stärker ist. ‚Dô bot ich mîn unschulde / und suochte sîne hulde: / wan er was merre danne ich.‘ (Iw, V. 730–733) Kâlogrêants Verhalten erscheint ungewöhnlich, da es selten geschieht, dass ein Ritter einen Kampf im Angesicht eines potentiell überlegenden Gegners zu verweigern sucht. Es hat den Anschein, als handle es sich hierbei um eine verschleierte – in der Artusliteratur überaus seltene – präventive Kapitulation, die sich wiederum als ein Anzeichen von zageheit verstehen ließe. Die Erzählung legt zumindest nahe, dass Kâlogrêant Tod oder Schande als mögliche Folgen des Kampfes mehr fürchtet als den Bruch seiner eigenen âventiure-Definition, wodurch er von der damit ebenfalls aktualisierten Norm abweicht, lieber kämpfend zu sterben als dem vorgegebenen Ehrenkodex zuwiderzuhandeln.232 Die Forderung des Brunnenhüters ‚wert iuch, ob ir wolt genesen‘ (Iw, V. 730), greift diese Furcht auf, denn sie eröffnet die Wahl zwischen Kampf und sicherem Tod und lässt weitere Konventionen unberücksichtigt. Schon Rudolf Voss hat darauf hingewiesen, dass Ascalôn zwar eine rechtliche Terminologie ins Feld führt, jedoch nach dem Sieg keinen Anspruch auf Rache, Buße oder Sühne erhebt.233 Damit wäre die Schande des Artusritters hier als einzige Strafe für den Rechtsbruch anzusehen, denn „[f]aktisch leitet den Sieger also kein anderes Interesse als das, seine Überlegenheit zu demonstrieren.“234 Damit entspricht Ascalôns Verhalten in vollem Umfang der âventiure-Definition seines Gegners und bestätigt somit deren Konventionalität. Vor diesem Hintergrund beweist sich die compliance-dependency des Kämpfens, da es für Kâlogrêant im Sinne seiner eigenen Verhaltenskalküle vorteilhafter ist, der Konvention gemeinsam mit seinem Gegner zu folgen, als sie durch eine Flucht zu brechen. Kâlogrêants anfängliche Verweigerung zu kämpfen und schließlich seine Niederlage erscheinen zudem auf der strukturellen Ebene der Erzählung als ein Element der Vorausdeutung, das in Iweins späterem Sieg eine iterative Überbietung durch den Protagonisten fordert. „Selbst Kâlogrêants Niederlage, die dem Sieg Iweins vorausgeht, bestätigt das Muster: Die aventiure ist für den Protagonisten bestimmt.“235 Dies wäre dahingehend zu spezifizieren, dass der Kampf für den Protagonisten bestimmt ist. Es ist jedoch zu betonen, dass ein wesentlicher Effekt in der vorangestellten Erzählung darin besteht, Iwein nicht als primären Aggressor auftreten zu lassen. Indem Kâlogrêant im Roman gleichsam vorgeschickt wird, den Kampf verliert und gedemütigt zurückkehrt, erhält Iweins Handeln erst eine soziale Dimension, kann er doch als Rächer und Verteidiger der Ehre von Sippe und Hofgesellschaft auftreten. Gleichzeitig offenbart der Brunnenhüter bereits an dieser Stelle, dass er trotz seines Beharrens auf rechtliche Kategorien nicht mit den Regeln der höfischen Welt konvergiert. Somit lässt sich Ascalôn zwar nicht in jeglicher Hinsicht als anderweltlich, aber dennoch als Angehöriger einer anderen Welt betrachten, in

 Einen Fall, in dem diese Norm ausformuliert wird, stellt die Steirische Reimchronik dar, in der sie dem Vater des Chronisten in den Mund gelegt wird. Siehe StR, V. 29565–29598.  Voss, Artusepik, S. 27.  Voss, Artusepik, S. 27. Siehe auch Vogt, Logik, S. 106.  Hübner, Erzählform, S. 165.

122

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

der die höfische Etikette offenbar keine Bedeutung hat. Diese Etikette sähe vor, die Niederlage so erträglich wie möglich zu machen.236 Ascalôn tut nichts dergleichen. Zwar tötet er Kâlogrêant nicht, dem Anschein von clementia beziehungsweise ebermde steht jedoch das demonstrative Zurücklassen des Besiegten in einem auch äußerlich sichtbaren Zustand der Schande entgegen.237 Gleichzeitig nimmt Ascalôn das Pferd des besiegten Kâlogrêants mit (Iw, V. 747). Angesichts des finanziellen Werts von Kriegspferden verweist dies nicht nur auf eine ökonomische Kapitalisierung seines Sieges, sondern auch auf einen dadurch erzwungenen Statuswechsel Kâlogrêants, der ohne Pferd für Ascalôn keine Bedrohung mehr darstellt und gleichfalls seine eigene Definition des rîters nicht mehr erfüllt.238 Der Schonung des Gegners als notwendige Bedingung höfischen Verhaltens folgt keine hinreichende Bedingung, vielmehr liefert der Brunnenhüter mit der Beschämung seines Gegners eine legitime Begründung für Iweins Rache.239 Ebenso wie er später in der Niederlage keine Sicherheit leistet und sich Iwein nicht ergibt, fordert er dergleichen nicht von Kâlogrêant, womit er die Schande des Besiegten verabsolutiert und jene Reziprozität verweigert, auf der, nach Haferland, die Praktik des Kampfes, wie Kâlogrêant sie definiert, gegründet ist.240 Offensichtlich ist Ascalôn trotz des Beweises seiner Überlegenheit nicht an einem Zugewinn an Ehre interessiert, der mit der symbolischen Unterwerfung des Sicherheit-Leistens garantiert würde. Dieses Desinteresse weist hingegen auch auf seine eigene Verweigerung der Unterwerfung voraus.

II.1.3 manheit und der reziproke Austausch von Gewalt – Iweins Kampf mit Ascalôn Es ist noch einmal der erhebliche narrative Aufwand hervorzuheben, dessen es bedarf, um Iwein im Kampf gegen Ascalôn nicht als primäreren Aggressor zu konturieren, obwohl die Initiative zum Kampf bei ihm liegt. Durch die Erzählung Kâlogrêants weiß Iwein bereits, dass der Kampf gegen den Ritter nicht optional ist.241 Als Iwein das Brunnen-Wunder ausgelöst hat, erscheint Ascalôn.

 Vgl. Haferland, Interaktion, S. 126 u. S. 135.  Die Sichtbarkeit seiner Schande bringt Kâlogrêant selbst zur Sprache: ‚wære mir diu êre geschehen in dem laste runde ich wart gesehen, mîn handelunge wære gnuoc guot.‘ (Iw, V. 789–791) .  Petrus W. Tax: Stellvertretendes Rittertum, ‚buoze‘ und die Schuldfrage in Hartmanns ‚Iwein‘, ‚Gregorius‘ und Kreuzzugslyrik. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 144 (2015), S. 442–460, hier S. 444. Siehe auch Gebert, Wettkampfkulturen, S. 89 mit einem Verweis auf Iwein.  Vgl. Gerhard Athing: Iweins Kampf mit dem Brunnenherrn Askalon – Rechtsfragen in Hartmanns von Aue Artusroman ‚Iwein‘. In: Rechtshistorische und andere Rundgänge. FS Detlev Fischer. Hrsg. von Ulrich Falk [u. a.]. Karlsruhe 2018, S. 9–30, hier S. 17.  Vgl. Haferland, Interaktion, S. 125 f.  Zur rechtlichen Implikation dieses Wissens vgl. Mertens, Recht, S. 192.

II.1.3 manheit und der reziproke Austausch von Gewalt

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dô hôrter daz geriten quam des selben waldes herre. der gruozte in harte verre als vîent sînen vîent sol: ouch verstuont sich der herre Îwein wol daz er sich wern solde, ob er niht dulden wolde beide laster unde leit. (Iw, V. 1000–1007)

Die Motivation Ascalôns ist aus Kâlogrêants Erzählung bereits hinreichend bekannt und muss somit nicht erneut thematisiert werden. Innerhalb der Diegese erweckt der fehlende Hinweis auf die Notwendigkeit der Verteidigung des Brunnenreiches an dieser Stelle jedoch den Anschein, dass Ascalôn Iwein unvermittelt ohne Erklärung zum Kampf fordert und somit als Aggressor auftritt, gegen den sich Iwein wern muss. Über die Rechtmäßigkeit von Ascalôns Aggression wird der Rezipient erst im Nachhinein – und hauptsächlich aus dem Mund der trauernden Witwe – in Kenntnis gesetzt.242 Die von Gerd Hübner hervorgehobene Fokalisierung der verschiedenen Kämpfe im Iwein verleiht dem Ascalôn-Kampf eine Sonderstellung, da hier Iwein ebensowenig wie die Rezipient:innen weiß, wer Ascalôn ist und welche Auswirkungen der Kampf mit sich bringen kann.243 Dem wäre lediglich entgegenzuhalten, dass der Erzähler Ascalôn hier als des waldes herre bezeichnet, was als Andeutung legitimer landesherrlicher Verteidigung verstanden werden kann. Wie Hübner weiterhin bemerkt, ist der abrupte Wechsel der Erzählperspektive zu Beginn der Kampfbeschreibung von Bedeutung.244 Während zunächst Iweins Wahrnehmung des Gewitters und das Herannahen des Gegners aus der Innensicht der Figur dargestellt werden, wechselt die Erzählung nun sprunghaft in eine kollektive Innensicht, die die Verhaltensweise der beiden Gegner parallelisiert. Der Kampf hat ein „kollektives Subjekt“245. ir ietweder was bereit ûf des andern schaden: si het beide überladen grôz ernst unde zorn. (Iw, V. 1008–1011)

Auf diese Weise tritt die jeweilige Motivation der Kämpfer in den Hintergrund und der Kampf wird, ganz im Sinne Stouts, als ein gemeinschaftliches Unterfangen beschrieben: Iwein und Ascalôn kämpfen nicht nur gegeneinander, sondern auch gemeinsam miteinander, da die Aktivität des Kampfes nur durch ihren gemeinsamen

   

Hübner, Erzählform, S. 185 f. Vgl. Hübner, Erzählform, S. 127. Vgl. Hübner, Erzählform, S. 133. Hübner, Erzählform, S. 133. Vgl. auch Voss, Artusepik, S. 30.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Einsatz zustande kommt.246 Durch diesen plötzlichen Wechsel in die kollektive Innensicht verschiebt sich die Perspektive auf den Kampf: Weder ist vom Aggressor noch vom Opfer die Rede, beide Beteiligten wollen den Kampf gleichermaßen und wollen ihn auch gleichermaßen gewinnen. Entsprechend wird auch auf erzählerischer Ebene konsequent eine Hierarchisierung der Figuren vermieden, sodass die Kampfhandlung bis zum Schluss als vollkommen reziprok erscheint und als gemeinschaftlich betriebenes Geschehen glorifiziert wird. dô muosen si zücken diu swert von den sîten. hie huop sich ein strîten daz got mit êren möhte sehen, unde solde ein kampf vor im geschehen. (Iw, V. 1018–1022)

Von religiös konnotierter Gewaltkritik findet sich hier keine Spur.247 Eher ist das Gegenteil der Fall, die Zeugenschaft Gottes wird zur Bekräftigung der kämpferischen Qualität des Kampfes genutzt. Ein solcher Kampf oder vielmehr ein solches Kämpfen sei der Zeugenschaft Gottes würdig (mit êren). Der Irrealis solde bringt zum Ausdruck, dass es nicht ausschließlich um diesen konkreten Kampf geht, sondern um das Kämpfen auf diesem Niveau, also die Qualität des Kämpfens. Damit erfährt die Praktik des Kämpfens hier zum einen eine grundsätzliche Legitimation als gottgefällig. Zum anderen löst dieser Ausdruck des auktorialen Erzählers den Kampf aus seinem politischen oder gesellschaftlichen Kontext heraus und betrachtet – wie Huizinga es für das Spiel formuliert hat – nur den „Ablauf als solchen.“248 Auffällig ist weiterhin der Rekurs auf einen Unsagbarkeitstopos.249 Der Erzähler erklärt, er könne den Kampf zwar mit vielen Worten beschreiben, wolle das aber nicht tun, da er keine verlässliche Quelle über die Details habe, schließlich seien Iwein und Ascalôn alleine und einer hätte nicht mehr davon erzählen können, da er tot sei. ir einer wart dâ erslagen: dern mohte dâ von niht gesagen: der aber den sic dâ gewan, der was wol ein sô hövsch man, er het ungerne geseit sô vil von sîner manheit. (Iw, V. 1037–1042)

   

Den beiderseitigen Willen zur Schädigung des Gegners sieht auch Athing, Kampf, S. 20. Vgl. Hübner, Erzählform, S. 182 f.; Sieverding, Kampf, S. 91; Voss, Artusepik, S. 30. Huizinga, Homo Ludens, S. 60. Vgl. Haferland, Interaktion, S. 83.

II.1.3 manheit und der reziproke Austausch von Gewalt

125

In anonymisierter Weise werden der voraussichtliche Tod des einen Kämpfers und der Sieg und die manheit des anderen zueinander in Beziehung gesetzt, was den Kampf als ein Spiel oder einen Wettkampf um die größere manheit erscheinen lässt. Gleichzeitig bleibt in dieser Ankündigung des Endes der Kollektivcharakter des Kampfes aufrechterhalten. Die attribuierte Zurückhaltung des hövsch man verweist auf die Problematik, dass hier anscheinend die Höfischheit, also der Bezug zum Evaluationsraum der manheit einer genaueren Darstellung und damit der öffentlichen Statuierung derselben im Wege steht.250 Oder wie Harald Haferland es ausdrückt: „Hier findet die höfische Bescheidenheit des Ritters, der nicht viel von sich reden macht, ihre Grenze. So gesehen, dürfte man schließen, daß die Bescheidenheit erst beginnt, wo die Ehre gesichert ist.“251 Der Transfer von praktischer zu diskursiver manheit ist damit von einer externen Vermittlung abhängig, wodurch sich die heterodiegetische narrative Instanz selbst in den Text einschreibt. Daher ist zu beachten, dass der Erzähler Iwein bereits hier im Gewand eines Bescheidenheitstopos manheit attribuiert. Von Iweins manheit wird noch vielfach die Rede sein, ja beinahe die ganze folgende Handlung wird durch seine manheit in diesem Kampf bedingt, worauf im Einzelnen noch einzugehen ist. Dennoch wird durch die Art und Weise der Darstellung zugleich die Qualität des Kampfes im Blick auf die einander ebenbürtigen Gegner betont: wan ein dinc ich wol sage, daz ir deweder was ein zage, wan dâ ergienc wehselslege gnuoc, unz daz der gast dem wirte sluoc durch den helm einen slac zetal unz dâ daz leben lac. (Iw, V. 1045–1050)

Mir erscheint die Wortwahl von gast und wirt bedeutsam, denn die Dichotomie lässt sich bezogen auf den Kampf als eine entpersonalisierte Rollenbeschreibung verstehen, wie sie sich auch in vielen anderen Kämpfen findet.252 Das kollektive Subjekt wird zwar aufgelöst, jedoch nur zu Gunsten einer strukturellen Position. Die im vorangegangenen Vers schon benannte manheit des Siegers, wird durch die Litotes – dehein zage – hier noch einmal hervorgehoben. Gleichzeitig werden die Reziprozität des Kampfes (wehselslege) und die Ebenbürtigkeit der Gegner noch ein letztes Mal betont.

 Vgl. zum Verhältnis von Öffentlichkeit und Höflichkeit Mohr, Blick, S. 67.  Haferland, Interaktion, S. 85.  Vgl. Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, [www.woerterbuchnetz.de/Lexer? lemid=G00337, Zugriff: 29.06.2023], Bd. 1, Sp. 752: gast „fremder feindl. krieger, krieger überhaupt“. Siehe auch Wiebke Ohlendorf: Das Fremde im ‚Parzival‘. Zum Text-Bild-Verhältnis in den Handschriften Cgm 19, Cod. AA 91 und Cpg 339. Berlin [u. a.] 2017 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte. 89), S. 64, wo der Bezeichnung gast eine „negative Implikatur“ zugewiesen ist.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Die Darstellung des Schlags von Iwein durch den Helm Ascalôns wird in den IweinFresken auf Burg Rodenegg bildlich festgehalten und belegt damit seinen Stellenwert in der mittelalterlichen Rezeption.253 Trotz seiner handlungsstrukturellen Bedeutung wird der Schlag jedoch nicht durch rhetorischen Ornat oder sonstige poetische oder narrative Bemühungen gesondert hervorgehoben. Stattdessen vermeidet der Erzähler sogar die Nennung von Iweins Namen. Zunächst schafft Iwein durch diesen Schlag die Voraussetzung für Ascalôns Flucht und damit seinen (vermeintlichen) Sieg, wodurch eine metonymische beziehungsweise indexikalische Folge- oder Wirkungsbeziehung hergestellt wird. Gleichzeitig kann dieser Schlag pars pro toto und somit synekdochisch für den gesamten Kampf stehen. Durch das Zurücktreten des anonymisierten Protagonisten tritt der Schlag in seinen vielfältigen Bedeutungszusammenhängen stärker in den Vordergrund und bezeichnet (in durchaus semiotischem Sinne) respektive visualisiert Iweins manheit, was auch der späteren Bewertung Laudines entspricht: dô het sie daz rehte ersehen daz ir wol was geschehen, unde [er (Iwein)] het ouch den brunnen mit manheit gewunnen unde wert ouch den als ein helt. Si gedâhte: ‚ich hân wol gewelt.‘ (Iw, V. 2677–2682)

Die von Laudine implizit durch ihre Wahl belobigte manheit bezeichnet eben jenen Schlag und den damit errungenen Sieg.254 Nachdem Iwein wahnsinnig geworden ist, liefert der Erzähler eine Aufzählung dessen, was dieser zusammen mit seinem Verstand verloren habe: unde ob im von guotem wîbe ie dehein guot geschah, ob er ie hundert sper zerbrach, geslouc er viur ûz helme ie, ob er mit manheit ie begie deheinen loblîchen prîs, wart er ie hövsch unde wîs,

 Vgl. Matthias Müller: Artusritter im Zwiespalt. Die Ambiguität mittelalterlichen Heldentums als räumlich disponierte Bilderzählung und Argumentationsstruktur im Iwein-Zyklus auf Schloss Rodenegg. In: Ambiguität im Mittelalter. Formen zeitgenössischer Reflexion und interdisziplinärer Rezeption. Hrsg. von Christiane Witthöft, Oliver Auge. Berlin/Boston 2016 (Trends in Medieval Philology. 30), S. 241–272. Zu den Abbildungen der Iwein-Fresken auf Burg Rodenegg siehe: Volker Schupp: Die Ywain-Erzählung von Schloss Rodenegg. In: Literatur und Bildende Kunst im Tiroler Mittelalter. Die Iwein-Fresken von Rodenegg und andere Zeugnisse der Wechselwirkung von Literatur und bildender Kunst. Im Auftrag des Südtiroler Kulturinstitutes. Hrsg. von Egon Kühebacher. Innsbruck 1982, S. 1–11; Volker Schupp, Hans Szklenar: Ywain auf Schloß Rodenegg: eine Bildergeschichte nach dem „Iwein“ Hartmanns von Aue. Sigmaringen 1996, S. 73–105; .  So auch Hübner, Erzählform, S. 188.

II.1.3 manheit und der reziproke Austausch von Gewalt

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wart er ie edel unde rîch, dem ist er nû vil ungelîch. (Iw, V. 3350–3358)

Da einige der aufgezählten Elemente einen Anklang an den Ascalôn-Kampf aufweisen, lassen sich diese Verse auch als eine Bewertung des Ascalôn-Kampfes durch den Erzähler verstehen, aus der hervorgeht, dass Iwein durch seine manheit – also den Sieg über Ascalôn und somit durch jenen Schlag – das Brunnenreich erworben hat.255 Weiterhin tragen Sieg und Landerwerb maßgeblich zu Iweins Selbstbild bei. Als Iwein aus dem Wahnsinn erwacht und über sein vergangenes Leben reflektiert, sind es neben den Attributen von Stand, Jugend, Schönheit und Reichtum seine ritterlichen Erfolge, die besonders hervorstechen. ‚ich was hövsch unde wîs unde het mit manheit prîs an rîterschefte bejagt, [...] ich bejagte swes ich gerte mit sper unde mit swerte: mir ervaht mîn eins hant eine küneginne unde ein rîchez lant.‘ (Iw, V. 3521–3527)

Das positiv gebrauchte Verb bejagen verweist auf die Verfolgung Ascalôns, die somit für Iwein auch im Nachhinein positiv besetzt erscheint.256 Der Sieg über denselben bestimmt weiterhin Iweins gesellschaftliche Stellung in der erzählten Welt sowie seine Einschätzung derselben:257 ‚zwâre doch versihe ich mich, swie swarz ein gebûr ich sî, wær ich noch rîterschefte bî, wær ich gewâfent unde geriten, ich kunde nâch rîterlîchen siten als wol gebâren sô die ie rîter wâren.‘ (Iw, V. 3556–3562)

 Vgl. Hübner, Erzählform, S. 175. Die hundert sper stellen freilich einen Bezug zu außerhalb der Handlungen liegenden Ereignissen her.  Auf die Problematik des jagens von Ascalôn (Iw, V. 1056) ist in Kürze zurückzukommen.  So noch Voss, Artusepik, S. 126. Zur Identität Iweins siehe Haiko Wandhoff: Iweins guter Name. Zur medialen Konstruktion von adliger Ehre und Identität in den Artusromanen Hartmanns von Aue. In: Mittelalter. Neue Wege durch einen alten Kontinent. Hrsg. von Jan-Dirk Müller, Horst Wenzel. Stuttgart/Leipzig 1999, S. 111–126; Klaus Speckenbach: ‚Rîter‘ – ‚geselle‘ – ‚herre‘. Überlegungen zu Iweins Identität. In: Erkennen und Erinnern in Kunst und Literatur. Kolloquium Reisensburg, 4. – 7. Januar 1996. Hrsg. von Wolfgang Frühwald [u. a.]. Berlin/Boston 2011 (Reprint 1998), S. 115–146.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Auch der Zofe der Gräfin von Narison ist sîn manheit wol kunt (Iw, V. 3414). Wie auch in der Aufzählung des Erzählers ließe sich diese Einschätzung auch auf Iweins und Gâweins gemeinsame Turnierfahrt beziehen oder auf eine andere, den Rezipient:innen nicht dargelegte Handlung. Der Kampf gegen Ascalôn hat jedoch zumindest assoziativ an den aufgezählten Taten teil, sodass der Sieg über den Brunnenherrn präsent gehalten wird. Somit wäre mit Iweins Sieg über Ascalôn auch die ihm zugeschriebene manheit als allgemein hochangesehene Tugend begründet, was sich – wie zu zeigen sein wird – in seiner von Lunete betriebenen Erhebung zum Mann Laudines und König des Brunnenreichs niederschlägt. Der Kampf ist nun zwar zu Ende, Iwein ist der Sieger, doch die Bedingungen des Kampfes mit ihren Verbindungen zur Welt fordern nun ihr Recht. Vor dem Beginn des Kampfes erscheinen die Kontrahenten als individuelle, aber, nach der Definition Kâlogrêants, gleichberechtigte Akteure mit einer jeweils eigenen Agenda. Im Kampf wird die Individualität der Gegner nivelliert zu Gunsten der Hervorhebung gemeinschaftlicher manheit, sodass der Kampf in Aufbau und Durchführung symmetrisch gestaltet ist. Zum Ende hin müssen Symmetrie und Kollektivcharakter des reziproken Kampfes jedoch zwangsläufig in der asymmetrischen Hierarchie von Sieger und Verlierer aufgelöst werden.258 Unabhängig von etwaigen gesellschaftlichen und/oder ökonomischen Auswirkungen der Kapitalisierung des Kampfes verändert diese Hierarchisierung das Gefüge der Welt, da hier etwas etabliert wird, was vorher nicht existierte. Die konventionellen Regeln des ritterlichen Kampfs sähen vor, dass der Unterlegene sich an dieser Stelle ergibt und der Sieger daraufhin Gnade gewährt. Kampf und Spiel als Formen sozialer Interaktion müssen nicht nur gemeinschaftlich begonnen, sondern auch gemeinschaftlich beendet werden. Der Verlierer muss also, wenn er weiterkämpfen könnte, seine Niederlage eingestehen, damit auch auf gesellschaftlicher Ebene der Kampf beendet ist. Indem sich der Verlierer in die Hand des Siegers begibt, wird die im Kampf generierte Hierarchie auch außerhalb der Kampf- beziehungsweise Spielsphäre anerkannt und festgeschrieben und kann umgewandelt werden in gesellschaftliches Ansehen.259 Wer den Sieg davongetragen hat, muß der Öffentlichkeit bekannt werden. Hierin finden agonale Kämpfe ihren einzigen Sinn. So gibt es in der höfischen Epik Vorrichtungen, der Öffentlichkeit den Kampfausgang bekanntzumachen, wenn sie nicht dabei ist: Der Unterlegene gelobt, seine Unterlegenheit weiterzusagen. Er unterwirft sich dem Sieger durch einen Eid, der ihn verpflichtet, sich einer ihm vom Sieger benannten Person zur Verfügung zu stellen.260

Auch wenn Ascalôn tödlich verwundet ist, zeigt er sich in der Systematik Huizingas als Spielverderber, denn er entzieht sich der Konvention des höfischen Zweikampfs und beraubt Iwein damit des verdienten Gewinns.261 Huizinga unterscheidet den

   

Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 84 f. Ähnlich Vogt, Ehre, S. 299. Haferland, Interaktion, S. 84. Vgl. Athing, Kampf, S. 26.

II.1.3 manheit und der reziproke Austausch von Gewalt

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Spielverderber vom Falschspieler, dem leichter vergeben wird, da er „dem Scheine nach den Zauberkreis des Spiels immer noch anerkennt. [...] Dadurch, daß [der Spielverderber] sich dem Spiel entzieht, enthüllt er die Relativität und die Sprödigkeit des Spiels.“262 unde als er der tôt wunden rehte het enpfunden, dô twanc in des tôdes leit mêre danne sîn zageheit daz er kêrte unde gap die vluht. (Iw, V. 1051–1055)

Die Frage, was es genau ist, das Ascalôn zur Flucht zwingt, scheint mir hier aufschlussreich: Indem der Erzähler zageheit als Grund größtenteils ausschließt, nimmt er den Antagonisten in Schutz, denn des tôdes leit könnte Ascalôn ebenso dazu zwingen, sich zu ergeben oder den reziproken Gewaltaustausch des Kampfes einzustellen. Seine Flucht ist also nicht so zwingend notwendig, wie es der Erzähler darstellt. Im Zusammenhang mit Ascalôns später enthüllten Funktion als Hüter des Brunnenreichs, ließe sich jedoch argumentieren, dass Ascalôns Verhalten, das ja offenbar in Schutz genommen werden muss, darin begründet liegt, dass er sich für seine Funktion erhalten will, die Iwein im Folgenden vernachlässigen wird. In jedem Fall verstößt er gegen die Konvention, Sicherheit zu leisten. Doch darf hier auch die strukturelle Dimension der Erzählung nicht außer Acht gelassen werden: Im Sinne der ‚Motivation von hinten‘ muss Ascalôn besiegt werden,263 damit Iwein der neue Landesherr werden kann, und er muss fliehen, damit Iwein zumindest in den Umkreis von Ascalôns Burg gelangen kann.264 Ebenso mehrdeutig ist der Vers der herre Îwein jagte in âne zuht (Iw, V. 1056). Ausgehend von der Bewertung Peter Wapnewskis ist eine umfangreiche Forschungsdiskussion um die Wörter âne zuht entstanden.265 Für Wapnewski stellten sie einen

 Huizinga, Homo Ludens, S. 20.  Harald Haferland: ‚Motivation von hinten‘. Durchschaubarkeit des Erzählens und Finalität in der Geschichte des Erzählens. In: Diegesis. Interdisziplinäres E-Journal für Erzählforschung 3.2 (2014), S. 66–95, hier basierend auf dem Konzept von Clemes Lugowski: Die Form der Individualität im Roman. Mit einer Einleitung von Hans Schlaffer. Frankfurt a. M. 1976. Haferland verweist mit Anm. 28 auf die Übereinstimmung zwischen ‚Motivation von hinten‘ und kompositorischer Motivation nach Matías Martínez, Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. München 1999, S. 114 f.  Vgl. Ralf Simon: Einführung in die strukturalistische Poetik des mittelalterlichen Romans. Analysen zu deutschen Romanen der matière de Bretagne. Würzburg 1990 (Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft. 66), S. 49 f. zu den narratologischen Zwängen des Erzählschemas.  Vgl. Peter Wapnewski: Hartmann von Aue. 4. Auflage. Stuttgart 1969, S. 69 f. Eine kritische Haltung des Erzählers sehen auch Rüdiger Krohn und Mireille Schnyder. Vgl. Hartmann von Aue: Iwein. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Hrsg. und übers. von Rüdiger Krohn. Kommentiert von Mireille Schnyder. Stuttgart 2011 [im Folgenden Krohn, Iwein]. Krohn übersetzt ane zuht (V. 1056) mit „wider alle Kampfregeln“. Schnyder im Stellenkommentar, S. 562: „Im Blick auf die folgende Darstellung des Nachjagens scheint die negative Lesart im Sinne einer Verurteilung durch den Erzähler jedoch ein-

130

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

„elementaren Verstoß gegen triuwe und erbermde“ und ein ethisches Werturteil im Sinne von „ohne Sitte/Anstand“ dar, wodurch der defizitäre Zustand Iweins im ersten Handlungsteil zu Tage trete.266 Andere Stimmen sprechen sich für die Bedeutung einer sachlichen Beschreibung aus („ohne Verzug/eilig“, „ohne zu zügeln“), denen auch ich mich anschließen möchte.267 Das gleiche gilt für das Verb jagen. Der Einschätzung Udo Friedrichs, dass diese Kontroverse „wohl mehr noch als den Autor die Exegeten beschäftigt hat“268 ist daher zuzustimmen, denn sie verweist auf das anscheinend starke Bedürfnis der Forschung, an den Modellen des ‚doppelten Kursus‘ und der ihm impliziten Überwindung des Defizitären als Programm des Artusromans festzuhalten.269 Es ist jedoch hervorzuheben, dass der innere Monolog Iweins, in dem der Protagonist seine Handlungsmöglichkeiten abwägt und begründet, die Option, den Gegner zu fangen oder zu erschlagen, durchaus erwähnt.270 Die Verfolgungsjagd zur Burg Ascalôns ist also mit unklaren Bewertungsoptionen versehen, da Verhaltens-

leuchtend.“ Die von Übersetzung und Kommentar suggerierte Eindeutigkeit der Bewertung deckt sich jedoch nicht mit der auf Ambiguität zielenden evaluativen Struktur der Erzählung. Mertens übersetzt neutral „rückhaltlos“, was meines Erachtens angemessen ist und verzichtet auf eine Positionierung im Stellenkommentar. Vgl. Volker Mertens: Stellenkommentar. In: Hartmann von Aue: Gregorius. Der arme Heinrich. Iwein. Hrsg. und übers. von Volker Mertens. Frankfurt a. M. 2008 (DKV im Taschenbuch. 29), S. 942–1064, hier S. 994 mit Verweis auf die Entsprechung in der Vorlage Chrétiens, V. 880 de randon „mit großer Kraft, mit großem Schwung“. Siehe auch Nina Bartsch: Programmwortschatz einer höfischen Dichtersprache. ‚hof‘/‚hövescheit‘, ‚mâze‘, ‚tugent‘, ‚zuht‘, ‚êre‘ und ‚muot‘ in den höfischen Epen um 1200. Frankfurt a. M. 2014 (Deutsche Sprachgeschichte. Texte und Untersuchungen. 4), S. 203 f.  So auch noch Tobias Zimmermann: Den Mörder des Gatten heiraten? Wie ein unmöglicher Vorschlag zur einzig möglichen Lösung wird – der Argumentationsverlauf im Dialog zwischen Lunete und Laudine in Hartmanns ‚Iwein‘. In: Formen und Funktionen von Redeszenen in der mittelhochdeutschen Großepik. Hrsg.von Nine R. Miedema [u. a.]. Tübingen 2007, S. 203–222, hier S. 216.  Vgl. Jackson, Chivalry, S. 241: „[...] comparative studies have shown that this phrase does not necessarily have a moral connotation, that it is applied by other authors to actions, including persuits in combat situations, without moral condemnation, in the sense of ‚at full pelt‘, ‚without reserve‘.“ So auch David le Sage: „Âne zuht“ or „Âne schulde“? The question of Iwein’s guilt. In: The modern language review 77 (1982), S. 100–113, bes. S. 106 f.; Paul B. Salmon: „âne Zuht“: Hartmann von Aue’s criticism of Iwein. In: The modern language review Bd. 69 (1974), S. 556–561. Die Ambiguität der Deutung beobachten Volker Mertens: Der deutsche Artusroman. Stuttgart 1998 (RUB. 17609), S. 83; Mertens, Recht, S. 192 mit Anm. 9 und Cormeau, Störmer, Hartmann von Aue, S. 204.  Friedrich, Ordnung, S. 134.  Zu Wolframs Parzival hat sich eine ähnliche Diskussion an den Wörtchen træclîche wîs (Pz, V. 4,18) entzündet, die auf eine Übersetzung als ‚langsam weise werdend‘ gegenüber ‚gar nicht weise‘ hinausläuft und vor allem für eine metatextuelle Interpretation des gesamten Romans von Bedeutung ist. Vgl. Fabian David Scheidel: Schönheitsdiskurse in der Literatur des Mittelalters. Die Propädeutik des Fleisches zwischen ‚aisthesis‘ und Ästhetik. Berlin/Boston 2022 (LTG. 23), S. 510 f. mit Anm. 157. Scheidel schlägt stattdessen ‚träge in Bezug auf Weisheit‘ als eine konstante Eigenschaft Parzivals vor.  dô gedâhte her Îwein, ob er in / niht erslüege ode vienge (Iw, V. 1062 f.) Vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 261.

II.1.3 manheit und der reziproke Austausch von Gewalt

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weisen beschrieben werden, die sich der ritterlich-höfischen Norm entziehen.271 Dem geordneten, symmetrischen Spiel des Kampfs steht als Folge des Regelbruchs eine chaotische Verfolgung entgegen. Es ist jedoch kaum zu beurteilen, welche Normabweichung schwerer wiegt, die Flucht oder die Verfolgung. In jedem Fall ist das eine als Folge des anderen gekennzeichnet. Statt Norm und Gegennorm, wie sie die Exposition des Kampfes gekennzeichnet hatte, reiht sich an seinem Ende Normenbruch an Normenbruch. Iweins wilde Verfolgung und der Schlag in den Rücken des Gegners mit der expliziten Sorge um den Verlust des Ruhms für den gewonnenen Kampf sorgen ebenso für Irritation, wie die Flucht seines halptôten Gegners und die Todesfalle am Tor, die ebenso wenig in das Repertoire ritterlich-höfischen Handelns gehört, wie der letzte Schlag Iweins.272 Dabei stellen Flucht und Verfolgung sowie die Todesfalle jedoch auch die ersten Ereignisse dar, in denen sich Iweins Erleben von Kâlogrêants Erzählung unterscheidet und somit Iweins eigene âventiure allererst Gestalt annimmt. Damit ist weiterhin die Frage aufgeworfen, was überhaupt als arturische, ritterliche oder höfische Norm des Kämpfens bezeichnet werden kann und aufgrund welcher Aussagen oder vorbildhaften Verhaltensweisen moderne Rezipient:innen und Forscher:innen solche Normen ableiten und erschließen können, sobald der Kampf einmal den Rahmen des konventionsgeleiteten ‚Spiels‘ verlassen hat. Dies beginnt bereits mit dem ‚Sicherheit-Leisten‘, das in beachtlicher Frequenz im Korpus der Artuslitera-

 Vor diesem Hintergrund ist die moralische Eindeutigkeit von „evil act/deed“, wie sie Evelyn Meyer formuliert, zu hinterfragen. Siehe Meyer, Concept, S. 205 f. Das Argument Iwein werde vom Erzähler aufgrund seiner Jungend entschuldigt, da er als „knight-in-training“ noch nicht über ausreichende Affektkontrolle verfüge (ebd.), entbehrt jeglicher Grundlage im Text. Siehe auch dies.: Gender erasures, knightly maidens and (un)knightly knights in Hartmann von Aue’s ‚Iwein‘. In: Neophilologus 91 (2007), S. 657–672, hier S. 664 f. Ebenso ist Darstellung bei Tax, Rittertum, S. 443, Iwein habe „am Anfang seinem Gegner Askalon âne zuht nachgejagt und ihn anschließend getötet“, stark verkürzt. Darüber hinaus scheint für Tax die Deutung von âne zuht als ein ethisches Urteil ein Allgemeinplatz zu sein, dass er keinerlei Forschung heranzieht. Im Vergleich zu Meyer fällt Tax‘ Urteil jedoch sehr viel milder aus. Statt eines Beweises für Iweins ‚evilness‘ lässt „das âne zuht-Motiv Iwein vielleicht in einem etwas negativen Licht erscheinen.“ Tax, Rittertum, S. 444. Tax verweist diesbezüglich auf Jackson, Chivalry, S. 240: „Indeed there is too much that is positive or neutral in terms of temporary aristocratic norms in Hartmann’s account of the circumstances leading up to the combat to justify the grave charge of breach of triuwe laid against Iwein by some modern critics, but by no-one in the text, for the conduct at this stage.“ .  Die Interpretation von Hartmut Bleumer: Im Feld der ‚âventiure‘. Zum begrifflichen Wert der Feldmetapher am Beispiel einer poetischen Leitvokabel. In: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter. Hrsg. von Gerd Dicke [u. a.]. Berlin/New York 2006 (Trends in Medieval Philology. 10), S. 347–367 (hier S. 358: „Iwein tötet Ascalon unritterlich von hinten und verfehlt praktisch das, was er am Artushof später zu repräsentieren vorgibt: das Ideal ritterlicher Werte.“) ist stark verkürzt, nutzt den Begriff ‚(un)ritterlich‘ unreflektiert und geht auf erzählerische Details des Geschehens kaum ein, zumal Iweins im Kampf zur Schau gestellte manheit das Ideal ritterlicher Werte schlechthin ist. Als „unritterlich“ bezeichnet diesen Schlag auch noch Mohr, Blick, S. 65.

132

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

tur zu finden ist und daher als konventionelle Norm betrachtet werden kann.273 Da diese so selten gebrochen wird, gibt es kaum Vergleichsmöglichkeiten, zu denen man Ascalôns Flucht und Iweins Verfolgung in Bezug setzten könnte. Bezüglich des Fallgitters wird an dieser Stelle sogar die Erzählperspektive gewechselt, indem der Erzähler vermittelt, wie das Fallgitter funktioniert, dass es schriete îsen unde bein (Iw, V. 1101) und dass Ascalôn es selbst hat einbauen lassen, anscheinend für genau diesen Zweck.274 Durch die Auflösung eines reziproken Gewaltaustauschs, als der sich der Kampf konstituiert hatte, und der der ritterlichen Konvention entspricht, entsteht hier nur auf den ersten Blick eine Opposition von Jäger und Gejagtem, von aktiv Gewalt Ausübendem und passiv Gewalt Erleidendem, von Täter und Opfer. Eine solche Deutung vernachlässigt hingegen die Implikationen, die das Fallgitter nicht nur für Ascalôns Flucht, sondern auch für seinen Handlungsspielraum bedeutet: In den verschiedenen Abschnitten der Auseinandersetzung inszeniert der Text das kämpferische Spiel als einen reziproken Austausch von Gewalt, wobei manheit den Willen und die Fähigkeit zur Gewaltausübung bezeichnet. Der Text betont entsprechend mehrfach, dass Ascalôn schon so gut wie tot sei (Iw, V. 1051, 1053 u. 1059), wozu offenbar Iweins Schlag von hinten nicht mehr viel beiträgt, obwohl es heißt: ouch het er den wirt erslagen (Iw, V. 1122). Die vom Erzähler vorgenommene Differenzierung, dass Ascalôn durch tôdes leit, also durch körperliches Gebrechen, und nicht durch einen Mangel an Willen und Fähigkeit (zageheit) gezwungen ist, die Flucht anzutreten, ist hier erneut von Bedeutung. Im Hinblick auf die Todesfalle am Tor, die als ein willentlich ausgeführter Gewaltakt zu betrachten ist, folgt daraus, dass Ascalôn durch tôdes leit lediglich die Fähigkeit zur regulären Fortsetzung des Kampfes verloren hat, nicht jedoch den Willen und dass der Kampf als ein Austausch von Gewalt mit seiner Flucht durchaus noch nicht beendet ist, da beide Parteien, wenngleich in unterschiedlicher Weise, nach wie vor willens und fähig sind, sich gegenseitig Gewalt anzutun. Eine entsprechende Absicht Ascalôns ergibt sich auch aus der die Tormechanik kommentierenden Bemerkung des Erzählers sus was beliben manec man (Iw, V. 1094), die auf die wiederholte Tötung eines Feindes des Brunnenhüters hinweist. Die dem Kampf auch in dieser letzten Phase noch zugrundeliegende Reziprozität wird daran ersichtlich, dass Iweins Schlag in den Rücken des Gegners zeitgleich mit dem Herabfallen des Tores geschieht, was sich erneut als wehselslege verstehen lässt.275

 Cormeau, Störmer, Hartmann von Aue, S. 204 argumentieren, der Kampf gegen Ascalôn sei kein Turnier, das eine Regelhaftigkeit zugrunde legt. Allerdings stellt das Turnier im 12. und. 13. Jahrhundert zum einen noch nicht den geordneten Zweikampf späterer Jahrhunderte dar, zum anderen sind auch die meisten anderen Zweikämpfe im Parzival oder Ereck nicht als Turnier dargestellt.  Iw, V. 1085–1098. Vgl. Hübner, Erzählform, S. 128.  Siehe auch die überzeugende Argumentation von Tax, Rittertum, S. 444: „Iwein weiß durch seine Verfolgung Askalons âne zuht seiner eigenen Tötung zu entgehen. Obwohl das âne zuht–Motiv Iwein vielleicht in einem etwas negativen Licht erscheinen lässt, begründet es doch auch, warum er nicht halbiert und getötet wird, sondern überlebt.“

II.1.3 manheit und der reziproke Austausch von Gewalt

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nûne kunde sich der herre Îwein niht gehüeten dâ vor unde valte das tor, unde sluoc zen selben stunden dem wirte eine wunden, unde genas als ich iu sage. er het sich nâch dem slage hin vür geneiget unde ergeben: alsus beleip im daz leben, dô daz tor her nider sleif, deiz im den lîp niht begreif. (Iw, V. 1102–1113)

Die gehäuften Hinweise auf unübliche Handlungsweisen lassen Ascalôn einmal mehr als Angehörigen einer anderen Welt erscheinen.276 Der Kampf hat hingegen seine eigenen (Spiel-)Regeln, denen Ascalôn als Kämpfer, mithin als Partizipierender in der Praktik des Kämpfens, unmittelbar verpflichtet ist. Betrachtet man die reziproke Gewaltausübung als grundsätzlich bindende Regel des Kampfes, wäre Ascalôn in der Klassifizierung Huizingas weder Spielverderber noch Falschspieler. Seine Methoden liefen aber der ritterlichen Ausprägung einer Konvention des Kämpfens zuwider. Zusammengefasst zeichnet sich der Kampf durch die ausgeprägte Betonung der Reziprozität aus, ein Motiv, das sich gegen Ende des Romans im Gâwein-Kampf in der Handelsmetaphorik noch gesteigert findet. Durch diesen Fokus wird die Darstellung des Kampfes als eine Konfrontation zwischen zwei Normhorizonten von Recht und âventiure, wie sie anhand des Kampfes zwischen Ascalôn und Kâlogrêant eingespielt werden, überlagert von einem Wettstreit der manheit zwischen den Kontrahenten. So tritt im Ascalôn-Kampf auch die Ursache für den Kampf mit ihren moralischen Ambiguitäten in den Hintergrund und wirkt nicht direkt in die Wahrnehmung des Kampfgeschehens durch die Rezipienten:innen hinein. Die Rache für Kâlogrêant wird entsprechend nicht mehr erwähnt, da im Folgenden andere Dinge größere Bedeutung erlangen. Hier wäre wohl mit Jan Mohr von einem ‚schweifenden Blick‘ zu sprechen:277 Mit Blick auf den Fortlauf des Romans ist daher die Akquise von diskursiver manheit zu beobachten, die als symbolisches Kapital erst in Iweins Heirat mit Laudine und dann auch in den Bemühungen der Gräfin von Narison und ihrer eifrigen Zofe Früchte trägt.278 Wie im

 Vgl. Warning, Formen, S. 570, wo (mit Bezug auf Chrétiens Yvain) die „tückische Falltüre“ als Ausweis bedrohlicher Anderweltlichkeit bezeichnet wird. Weiterhin problematisieren Cormeau, Störmer, Hartmann von Aue, S. 204 bezüglich des „todbringenden Schwertschlags“ sowie der „niedersausenden Falltür“ die Festlegung eindeutiger Normen.  Vgl. Mohr, Blick, S. 61.  Vgl. Vogt, Ehre, S. 298 f. Elisabeth Schmid spart die Zofe vielleicht zu Unrecht aus ihrer Darstellung von Lüsternheit im höfischen Roman aus. Siehe Elisabeth Schmid: Lüsternheit. Ein Körperkonzept im Artusroman. In: Körperkonzepte im Arturischen Roman. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel. Tübingen 2007 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. 6), S. 131–148.

134

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Folgenden zu zeigen versucht wird, erwirbt sich Iwein selbiges Kapital im liminalen Inkognito des Löwenritters erneut.279 Die Wirkmächtigkeit der Kapitalisierung des Ascalôn-Kampfes überschreitet somit episodische Grenzen und bleibt darüber hinaus auch nicht auf den ökonomischen und symbolischen Gewinn beschränkt, denn die Wirkung des Kampfes verlässt sogar den Bereich der Diegese selbst: Der Kampf gegen Ascalôn erscheint als „Initialaventiure“280 auch als narrativer Auftakt der Erzählung, durch den die Rezipient:innen im Sinne der Sympathiesteuerung einer erzählerischen captatio benevolentiae281 für den Protagonisten eingenommen werden und die Kette der Ereignisse angestoßen wird.282 Wie oben bereits ausgeführt, sieht das Strukturschema des Artusromans einen Helden vor, dessen unveränderliche Idoneität zum Protagonisten auf den kämpferischen Attributen von Stärke und manheit gegründet ist, während ethische oder soziale Werte als zu erwerbende und zu verlierende Variablen den gesellschaftlichen Status des Helden sowie den narrativen Fortgang der Erzählung und jegliche Formen von ‚ob‘- und ‚wie‘-Spannung determinieren.

II.1.4 manheit unde vrümecheit. Die Umcodierung von manheit zum symbolischem Kapital Nachdem im vorangegangenen Abschnitt die narrative Ausgestaltung von manheit als einer personalisierten Eigenschaft im Vordergrund stand, um die herum die Beschreibung des Kampfgeschehens strukturiert ist, soll nun die Wirksamkeit von manheit als einem symbolischen Kapital im Rahmen der sich anschließenden Kapitalisierung des Kampfes herausgestellt werden. Wie eingangs bereits dargelegt, definiert Pierre Bourdieu symbolisches Kapital wie folgt: Die soziale Stellung eines Akteurs ist folglich zu definieren anhand seiner Stellung innerhalb der einzelnen Felder, das heißt innerhalb der Verteilungsstruktur der in ihnen wirksamen Machtmittel; primär ökonomisches Kapital (in seinen diversen Arten), dann kulturelles und soziales Kapi-

 Vgl. zur Liminalität des Helden Quast, Das Höfische, S. 123.  Vogt, Ehre, S. 299.  Vgl. Dimpel, Velten, Sympathie mit einem fundierten Forschungsüberblick. Siehe auch Anna Mühlherr: Die ‚Macht der Ringe‘. Ein Beitrag zur Frage, wie sympathisch man Iwein finden darf. In: Techniken der Sympathiesteuerung in Erzähltexten der Vormoderne. Potentiale und Probleme. Hrsg. von Friedrich Michael Dimpel, Hans Rudolf Velten. Heidelberg 2016 (Studien zur historischen Poetik. 23), S. 125–143; Harald Haferland: Poetische Gerechtigkeit und poetische Ungerechtigkeit. In: Ebd., S. 181–226, bes. S. 199: „Poetische Gerechtigkeit kommt in einem elementaren Sinne ins Spiel, wenn das Siegen gerecht erscheint und das Unterliegen ungerecht.“  Entgegen Alan Robertshaw: Ambiguity and Morality in ‚Iwein‘. In: Hartmann von Aue. Changing Perspectives. London Hartmann Symposium 1985. Hrsg. von Timothy McFarland, Silvia Ranawake. Göppingen 1988 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik. 486), S. 117–128, hier S. 118 f., der den affirmativen Charakter von manheit außer Acht lässt.

II.1.4 manheit unde vrümecheit. Die Umcodierung von manheit zum symbolischem Kapital

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tal, schließlich noch symbolisches Kapital als wahrgenommene und als legitim anerkannte Form der drei vorgenannten Kapitalien (gemeinhin als Prestige, Renommee, usw. bezeichnet).283

Parallel zu den erläuterten Ebenen von ‚innerer‘ und ‚äußerer‘ Ehre284 soll der Zusammenhang dieser beiden – auch sprachlichen – Facetten von manheit beleuchtet werden. Die manheit Iweins, die im Kampf gegen Ascalôn zu Tage tritt, ist durch den Sieg nicht mehr lediglich eine Zuschreibung der Erzählstimme, sondern ein sichtbar gemachtes Merkmal der Figur. Damit stellt manheit als Kampf- und Körperkraft ein Machtmittel und eine zusätzliche Kapitalform dar. In der modernen Zivilgesellschaft sind derartige Machtmittel nur in wenigen Gesellschaftsgruppen relevant und wertvoll genug, um als Grundlage eines symbolischen Kapitals anerkannt zu werden. Dies ist im Mittelalter und besonders in einer stratifikatorischen und als Personenverband geordneten Kriegergesellschaft des Adels anders, sodass Stärke und Kampfkraft in Ergänzung zu den drei von Bourdieu genannten Kapitalformen zu sehen ist. Auf der Grundlage dieses Kapitals der praktischen manheit erfolgt eine Übertragung in das symbolische Kapital der diskursiven manheit, die im Folgenden in der ‚Intrige‘285 Lunetes beobachtet und analysiert werden soll. Es ist dabei nochmals darauf hinzuweisen, dass das symbolische Kapital der diskursiven manheit sehr viel enger mit dem Machtmittel manheit verknüpft ist und entsprechend mit dem gleichen Wort bezeichnet wird. Als eine dritte Ebene ließe sich darüber hinaus ein allgemeineres Ansehen, bei Ludgera Vogt als ‚äußere‘ Ehre bezeichnet,286 festmachen, das als symbolisches Kapital zweiter Ordnung zu betrachten ist, da es seinerseits auf dem symbolischen Kapital der diskursiven manheit beruht. Durch die Beziehungen zwischen den drei Ebenen werden darüber hinaus erneut rhetorische und semiotische Ersetzungen ermöglicht, die im Folgenden anhand der von Lunete vorgenommenen Umcodierung von manheit zu vrumecheit aufzuzeigen sind. Die Erzählung liefert mit der Fokalisie-

 Bourdieu, Raum, S. 10 f.  Vgl. Vogt, Logik, S. 111.  Als ‚Intrige‘ bezeichnet Hübner, Erzählform, S. 123 die Szenen zwischen Laudine und Lunete. Zu Lunetes stufenweise erfolgenden „Überzeugungsarbeit“, jedoch ohne Bezug zu Iweins manheit. Amina Šahinović: ‚ez was guot leben wænlîch hie‘. ‚Iwein‘ und Laudine im Widerspruch. In: Widersprüchliche Figuren in vormoderner Erzählliteratur. Hrsg. von Elisabeth Lienert. Oldenburg 2020. (Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung. Themenheft. 6), S. 297–322, hier S. 304 f. Als „rhetorische Strategie“ fasst es Tobias Bulang: Inszenierungen höfischer Kommunikation im Roman um 1200. Poetologische Lektüren von Hartmanns Lunete und Gottfrieds Brangäne. In: Euphorion 106,3 (2012), S. 277–298, hier S. 286. Zu Lunete als Ratgeberin siehe Joseph M. Sullivan: The Lady Lunete. Literary conventions of counsel and the criticism of counsel in Chrétien’s ‚Yvain‘ and Hartmann’s ‚Iwein‘. In: Neophilologus 85/3 (2001), S. 335–354. Siehe auch mit besonderem Fokus auf das Verhältnis von Laudine und Lunete untereinander: Herta Zutt: Die unhöfische Lunete. In: Chevaliers errants, demoiselles et l’Autre: höfische und nachhöfische Literatur im europäischen Mittelalter. Festschrift für Xenja von Ertzdorff zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Trude Ehlert. Göppingen 1998 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik. 644), S. 103–120.  Vgl. Vogt, Logik, S. 111.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

rung Laudines und Lunetes eine nachträgliche Charakterisierung des erschlagenen Ascalôn, den Iwein für den Fortlauf der Handlung auch noch nach dem gewonnenen Kampf zu überbieten hat. Auf diese Weise tritt die Distinktion zwischen der praktischen manheit des siegreichen Kämpfers und dem daraus resultierenden sozialen Ansehen in der Fremdwahrnehmung deutlich zu Tage. Lunetes erzählerisch aufwändig gestalteten Bemühungen dienen dazu, das eine in das andere zu überführen, was der kompositorisch oder „von hinten“287 motivierten Vorbestimmtheit von Iweins Heirat und Königserhebung288 eine kausale Motivierung hinzufügt. Der Text lässt daher erkennen, dass kämpferische manheit tatsächlich als Grundlage herrscherlicher Idoneität zu betrachten ist. Auch Haiko Wandhoff differenziert unter medientheoretischen Gesichtspunkten zwischen den verschiedenen Ebenen von Ehre beziehungsweise Ansehen, wobei er Iweins Körper und seinen „guten Namen“ einander gegenüberstellt.289 Dabei lässt er allerdings die Implikationen, die aus der manheit des Helden erwachsen, außer Acht. Natürlich ist es Iweins Körper, der kämpft,290 aber in der Darstellung des Textes fungiert der Körper lediglich implizit als Medium von manheit, da nicht Iweins starker Arm, als rein körperlicher Faktor, seinen Sieg gegen Ascalôn herbeiführt.291 Somit kommt dem sichtbaren Körper Iweins vornehmlich als dem Produkt einer medialen Verschiebung Bedeutung zu, da das Geschehen nicht allein durch die physische Präsenz des Körpers beeinflusst wird. Die praxeologischen Ausführungen von Andreas Reckwitz legen nahe, dass das know-how als zentrale Kategorie von Handlungen anzusehen ist und der Körper demensprechend ein kompetent gehandhabtes Werkzeug ist.292 Daher ist die von Iweins Körper ausgeführte und sichtbar gemachte praktische manheit, in welcher körperliche Attribute wie Stärke durchaus enthalten sind, als ausschlaggebender Faktor anzusehen. Weiterhin ist auch Iweins guter Name zwar von Attributen wie triuwe und êre abhängig; dennoch gründet sein Ansehen, wie bereits dargelegt vor allem auf seiner diskursiven manheit als äußerlich zugeschriebener Qualität. Diese ist ihrerseits von Iweins praktischer manheit abhängig, welche durch den Sieg im Kampf als sichtbares Attribut manifestiert wird. Die medientheoretische Herangehensweise Haiko Wandhoffs ist also insofern zu präzisieren, als sowohl Iweins Körper als auch sein Name als

 Haferland, ‚Motivation von hinten‘, S. 76.  Hübner, Erzählform, S. 165.  Vgl. Wandhoff, Name, S. 116 und S. 120.  Die betont muskulöse Körperlichkeit Iweins und Ascalôns auf den Fresken in Rodenegg (erneut als Ausweis einer mittelalterlichen Rezeption) veranschaulicht dies entsprechend (siehe die Abbildung auf dem Buchdeckel).  Iweins Körper gewinnt vor allem in seiner Nacktheit im Zustand des Wahnsinns an Bedeutung, dann allerdings vornehmlich als Ausdruck seines Makels, den zu überwinden das erneute Kleiden in ritterliche Gewänder den Auftakt macht. Haiko Wandhoff weist darüber hinaus auf die Bedeutung der Nacktheit hin, da diese es ermöglicht ihn an körperlichen Zeichen (Narbe) zu erkennen, Wandhoff, Name, S. 119 f. Siehe dazu das folgende Kapitel.  Vgl. Reckwitz, Grundelemente, S. 113 f.

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mediale Repräsentationen seiner manheit fungieren und vor allem auf Grund dieser Repräsentation bedeutungstragend sind. Die neuhochdeutschen Übersetzungen der Passage von Ascalôns Tod bis zur Hochzeit Iweins und Laudines erwecken den Eindruck, als würde hier ohne Unterlass von manheit gesprochen werden. Tatsächlich verwendet der mittelhochdeutsche Text vier verschiedene Wörter, welche die unterschiedlichen Übersetzer:innen jeweils mit ‚Tapferkeit‘ wiedergegeben haben.293 Zwar überschneiden sich die Begriffe in ihrer Bedeutung, doch der Grad an Übereinstimmung ist zu überprüfen. Neben manheit ist hier von vrume(cheit), tiure und biderbe(cheit) die Rede.294 Um die Nuancen der verschiedenen Begriffe herauszuarbeiten, wird daher im Folgenden die Wortwahl genau verfolgt, wobei zu zeigen sein wird, dass im Zuge des fortwährenden Vergleichens zwischen Iwein und Ascalôn die Begriffe tatsächlich in der Erzählung zunehmend synonym verwendet werden, ohne jedoch wirklich synonym zu sein. Durch die In- und Aneinanderreihung sich semantisch überlagernder, auf Kampfkraft bezogener Attribute, können die Zuschreibungsprozesse von manheit als diskursiver Eigenschaft und damit die Genese symbolischen Kapitals in den Blick genommen werden. Die Zuschreibungsprozesse setzen ein mit der Klage Laudines um ihren verstorbenen Mann und der damit einhergehenden Charakterisierung desselben.295 Laudine spricht zu Gott: ‚dû het an in geleit die kraft und die manheit daz im von gehiuren dingen nie mohte misselingen.‘ (Iw, V. 1385–1388)

 Krohn, Iwein; Hartmann von Aue: Iwein. 4., überarbeitete Auflage. Text der 7. Ausgabe von G. F. Benecke, K. Lachmann und L. Wolff. Übersetzung und Nachwort von Thomas Cramer. Berlin/ New York 2001 [im Folgenden Cramer, Iwein] und Hartmann von Aue: Iwein. Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Max Wehrli. Zürich 1992 [im Folgenden Wehrli, Iwein].  Georg Friedrich Benecke: Wörterbuch zu Hartmanns Iwein. 3. Ausgabe bes. von Conrad Borchling, Leipzig 1901, S. 140 gibt manheit lediglich als Tapferkeit an. ‚vrume‘ bezeichnet „alles was ganz das ist was es sein soll, sei es ein lebendes wesen, sei es eine Sache.“ (S. 274) tiure: „vortrefflich, mit allen ritterlichen Eigenschaften ausgestattet.“ (S. 230) biderbe: „bider, brav.“ (S. 21) Demgegenüber nennt das Mittelhochdeutsche Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke. Ausgearb. von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. Mit einem Vorwort und einem zusammengeführten Quellenverzeichnis von Eberhard Nellmann sowie einem alphabetischen Index von Erwin Koller u.a, Nachdr. der Ausg. Leipzig 1854–1866, 4 Bde., Stuttgart 1990 (fortan BMZ), die Bedeutung für biderbe: „vornehm“ und „bei Hartmann von rittern gebraucht mit tiure, wenn gleichbedeutend, und heißt bieder, brav“ (Bd. I, Sp. 361a–362b) und entsprechend für tiure: vornehmlich „von hohem werthe“ und „herrlich, ausgezeichnet, vornehm“ (Bd. III, Sp. 39a–41a) sowie für vrum: „tüchtig, brav, wacker“ und „vollkommen trefflich“ (Bd. III, Sp. 428b–434a) und manheit wiederum „tapferkeit“ (Bd. II/1, S. 32a–34a).  Vgl. Mareike Engel: Laudine trauert. Identitätskonstituierung durch Trauerperformanz in Hartmanns von Aue ‚Iwein‘. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 137/1 (2018), S. 27–46, hier S. 38.

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Daraus leitet Laudine ab, dass der Sieger über ihren Mann niuwan ein zouberære (Iw, V. 1394) sein könne.296 Zum einen stellt dies einen Verweis auf den dem Brunnenhüter anhaftenden Nimbus der Anderweltlichkeit dar.297 Zum anderen lassen sich aber vor allem die Mechaniken der Bewertung ritterlichen Handelns aus der Figurenrede ableiten. Da die Rezipierenden wissen, dass Iwein kein Zauberer ist, lässt dies Laudines Gedanken erkennen, dass hier jemand besiegt wurde, der eigentlich nicht hätte besiegt werden können (und im bisherigen Erzählverlauf anhand der Geschichte Kalogreants ja auch bereits als Sieger markiert wurde). Der Überbietung des Unüberbietbaren liegt hier eine Darstellungskonvention zugrunde, die mit Haferland als „epische Hyperbel“298 bezeichnet werden kann und in superlativen Zuschreibungen gleich mehreren Figuren die Spitzenposition in ihrem Können zuschreibt. Das logische Dilemma, dass sowohl Ascalôn als auch Iwein die Besten sein sollen, lässt sich hier jedoch recht einfach auflösen,299 indem Ascalôn entsprechend des Figurenwissens Laudines der Beste ist/war, Iwein aber über seine strukturelle Position als Protagonist und durch den Beweis im direkten Kampf als solcher legitimiert werden kann. Die Beurteilung Laudines300, die als trauernde Witwe inszeniert ist,301 mag in Zweifel gezogen werden, jedoch offenbart sie die grundsätzliche Subjektivität der Bewertung auf der Ebene der Figuren. Laudines Klage am Grab Ascalôns ist daher von einem besonderen Schwerpunkt gekennzeichnet. ‚geselle, an dir ist tôt der aller tiurste man, der rîters namen ie gewan, von manheit unde von milte. Ezn gereit nie mit schilte dehein rîter als volkomen.‘ (Iw, V. 1454–1459)

Dem steht die in seinem Sieg als objektiv und tatsächlich überlegen dargestellte manheit Iweins gegenüber, was die erzählerische Spannung der Episode ausmacht, denn die von Lunete zu leistende Überzeugungsarbeit erfordert die Dekonstruktion eines Superlativs, der in Laudines Augen nur durch anderweltliche Machenschaften zu

 Vgl. Engel, Laudine trauert, hier S. 39.  Vgl. Hübner, Erzählform, S. 165.  Haferland, Interaktion, S. 83. Als epische Hyperbel bezeichnet Haferland die häufigen Superlative in den Beschreibungen des höfischen Romans, siehe ebd.: „Worüber immer gesprochen wird, immer scheint es schon über den Vergleich hinaus. Personen, Dinge, Handlungen und Ereignisse sind unüberbietbar. [...] Der Superlativ, wie er in der epischen Hyperbel ausgedrückt ist, hingegen hält die Normalform des höfischen Urteils fest, und so ist die höfische Epik von Hyperbeln überzogen, die wie ein Muster im Text wiederkehren.“  Vgl. Mohr, Blick, S. 60.  Zur Figur Laudines aktuell mit umfangreichem Forschungsüberblick Šahinović, ‚ez was guot leben‘.  Vgl. Šahinović, ‚ez was guot leben‘, S. 302–304. Siehe auch Engel, Laudine trauert.

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überwinden war. Es ist festzuhalten, dass Ascalôns Wert (tiure) in diesem Absatz an manheit und die herrscherliche Tugend der milte gekoppelt ist, sodann aber sein kämpferisches Erscheinungsbild (schilte) gesondert hervorgehoben wird.302 Damit werden hingegen auch die Bereiche benannt, in denen sich Iweins Idoneität zu erweisen hat. Dass Laudine darüber hinaus keine anderen Eigenschaften nennt, die Ascalôn als Landesherren und Ehemann (geselle303) ausgezeichnet hätten, legt bereits an dieser Stelle nahe, dass sie auch für Iwein nicht erforderlich sind. Als Lunete beginnt, Laudine von einer Ehe mit Iwein zu überzeugen, fordert sie von ihr die vrümcheit / dar an daz ir iuwer leit / rehte unde redelîche tragt (Iw, V. 1797–1799) und, dass sie die Klage um ihren vrumen herren (Iw, V. 1802) nicht Überhand nehmen lasse und stattdessen versuchen solle, einen ebenso tiuren (Iw, V. 1804) Mann zu finden. Laudine hingegen behauptet, es gäbe keinen tiurern man (Iw, V. 1810) als Ascalôn, worauf Lunete erwidert, dass Laudine in ihrer Position als Herrin des Brunnenreichs dazu verpflichtet sei, einen neuen Brunnenhüter auszuwählen, denn manec vrum rîter kumt noch dar / der iuch des brunnen behert, / enist dâ niemen der in wert (Iw, V. 1828f.).304 Der Ausdruck vrum rîter benötigt an dieser Stelle genauere Aufmerksamkeit: Aus der Perspektive der beiden Frauen sind die Angreifer des Brunnens Feinde, wodurch einerseits ein negatives axiologisches Urteil ausgesprochen wird, wenn auch nicht zwingend ein moralisches im Sinne von ‚böse‘. Dabei zeigt sich, dass das Rittertum dieser Feinde nicht durch ihren Status als Aggressoren gemindert wird und ihnen andererseits mit vrum eine positive Qualität zugewiesen wird, deren semantisches Feld nicht einfach zu bestimmen ist. Aus der Attribuierung zu einer Gruppe adversativer Akteure ergibt sich, dass hier kein moralischer Wert vermittelt werden soll. Im Kontext der Szene sowie in den folgenden Verwendungen liegt eine kämpferische Qualität nahe, jedoch ist diese keinesfalls zwingend, wie das Beispiel von Laudines eigener vrümcheit (Iw, V. 1797) zeigt. So bleibt noch die sperrige Lösung Georg Friedrich Beneckes ‚alles was ganz das ist, was  Vgl. Engel, Laudine trauert, S. 39.  Vgl. Šahinović, ‚ez was guot leben‘, S. 308 f.  Vgl. Achim Masser: ‚ir habt den künec Ascalon erslagen‘. In: ‚Uf der mâze pfat‘. FS für Werner Hoffmann zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Waltraud Fritsch-Rößler. Göppingen 1991 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik. 555), S. 183–204, hier S. 187–191. Massers Überlegung zu einer Kreuzzugsteilnahme Hartmanns (S. 191 f.) sind methodisch nicht haltbar. Interessant ist aber die Beobachtung, dass der Name Ascalôn, der nur ein einziges Mal im Text genannt wird (Iw, V. 2274), einerseits vergleichsweise weit von seiner frz. Vorlage Esclados entfernt ist (S. 184 f.) und andererseits mit der um 1200 politisch/militärisch bedeutsamen Hafenstadt Aschkelon im Königreich Jerusalem übereinstimmt. Eine Anspielung auf die Rückeroberung Aschkelons 1187 durch ein islamisches Heer ließe sich also durchaus vermuten. Weiterhin ist auf Massers Beobachtungen zur verweisen, dass in der Vorlage Chrétiens das Herannahen der Artusgesellschaft von den Gefolgsleuten Laudines als „guerre“ (Kristian von Troyes: Yvain. Der Löwenritter. Textausgabe mit Einleitung, erklärenden Anmerkungen und vollständigem Glossar. Hrsg. von Wendelin Foerster. 3. vermehrte Auflage. Halle a. S. 1906 (Romanische Bibliothek. V), V. 2081) bezeichnet wird und somit noch stärker eine militärische Verteidigung des Brunnenreiches durch den Landesherren impliziert ist (S. 188 f.). Zur Namensgebung bei Chrétien und Hartmann auch Schmid, Chrétiens ‚Yvain‘, S. 143 f.

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es sein soll‘305, die für eine genauere Bestimmung einen Kontext und ein semantisches Feld benötigt, das hier ja gerade ermittelt werden soll. Daraus ergibt sich meines Erachtens der Befund, das vrum/vrume/vrümkeit potentiell allen semantischen Feldern zugewiesen werden kann, statt einem bestimmtem und damit eine allgemeine positive Qualität beschreibt, die jedoch trotzdem unabhängig von ethischen Kategorien ist. Im Kontext der Szene lässt sich diese Qualität jedoch auf eine konkrete praktische Qualität einengen. Gleich im Anschluss sagt Lunete, dass die vereinte vrümcheit (Iw, V. 1847) von Laudines Gefolge noch keinen vrumen man (Iw, V. 1849) ergebe. Hier wird das axiologische Urteil folglich ins Positive umgekehrt und zugleich ein praktisches Werturteil über die Kampfkraft des Gefolges gefällt, das negativ ausfällt. Es findet sich darin einer der ersten Schritte in Lunetes rhetorisch subtil angelegter Argumentation, durch die sie ihre Herrin dazu bringen will, Iwein zu heiraten. Ihrer Rede lässt sich entnehmen, dass der zukünftige Brunnenhüter ein Ortsfremder sein muss, womit für die Rezipierenden zugleich suggeriert ist, dass Iwein in ihren Augen diese Eigenschaft erfüllt. Zugleich legt Lunete nahe, dass bei der Wahl des zukünftigen Brunnenhüters keine moralische Qualität zu fordern ist, sondern eine praktische. Weiterhin klagt Laudine über die realpolitischen Auswirkungen des Todes ihres Ehemannes und Landesherren:306 ‚sît ich âne einen vrumen man mîn lant niht bevriden kann, sô gewinne ich mir gerne einen, unde anders deheinen, den ich sô vrumen erkande daz er mînem lande guoten vride bære unde doch mîn man niht wære.‘ (Iw, V. 1909–1916)

Obwohl der zu bewahrende vride sich nach der mittelalterlichen Terminologie auch auf einen Landfrieden und das Unterbinden adliger Fehden beziehen könnte,307 beläuft sich die Friedenswahrung hier wohl vornehmlich auf die gewaltsame Verteidigung des Brunnens, sodass der vrume man über die praktische Qualität kämpferischer Fähigkeit verfügen muss. Weiterhin sei ein biderbe man (Iw, V. 1925) zu finden, der Laudines Schönheit, Jugend, Geburt, ihrem Reichtum und ihrer Tugend entspricht. Die Rezipierenden wissen, dass Lunete Iwein als einen solchen Mann betrachtet, sodass sich dies als weitere Beurteilung von Iweins manheit durch Lunete auffassen lässt, da es im Kontext der Szene ja immer noch um die Verteidigung des Brunnens geht. Iweins biderbecheit

 Benecke, Wörterbuch, S. 140.  Vgl. Engel, Laudine trauert, S. 38 f.  Die drastischen Auswirkungen, die der Tod eines Landesherren ohne direkten Nachfolger für den Frieden eines Landes haben kann, wird im nachfolgenden Abschnitt zur Steirischen Reimchronik verdeutlicht. Siehe auch Friedrich, Unterwerfung, S. 154.

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entspricht also Laudines hervorragenden Eigenschaften, womit die beiden auch entsprechend einer kompositorischen Motivation einander zugeordnet werden können.308 Der nächste Schritt von Lunetes Intrige liegt nun darin, Laudine davon zu überzeugen, dass es nicht nur stärkere Kämpfer gibt, als Ascalôn einer war, sondern auch, dass gerade der ‚Mörder‘ Ascalôns ein nachweislich besserer Kämpfer ist, womöglich sogar ein Mann von höherem Wert,309 weshalb in diesem Kontext das Wort tiur(r)e vorherrscht, das bei seiner ersten Verwendung in dieser Szene jedoch zu vrümecheit in Beziehung gesetzt wird. Lunete fragt: ‚wænt ir daz elliu vrümecheit mit im ze grabe sî geleit? zwâre desn ist niht. wande man noch hundert rîter siht die alle tiurre sint danne er ze swerte ze schilte und ze sper.‘ (Iw, V. 1933–1938)

Der Argumentation Lunetes folgend, greift der von ihr verwendete Komparativ tiurre Ascalôns vrümecheit auf. tiurre und vrümecheit entsprechen sich also insofern, als dass das eine zur Steigerung des anderen gebraucht werden kann. tiure bezeichnet in dieser Figurenrede also wieder jene Eigenschaft, die den Sieger eines Kampfes auszeichnet. ‚swâ zwêne vehtent umbe den lîp, wederre tiure sî der dâ gesige ode der dâ sigelôs gelige?‘ ‚der dâ gesigt, so wæn ich.‘ (Iw, V. 1956–1959)

Auch hier bleibt die Übersetzung von tiure mit ‚besser‘ in der entscheidenden Frage310 hinter dem mittelhochdeutschen Sinngehalt zurück. Indem der Text oder gar Lunete

 Vgl. Iw, V. 1925–1930. Stark vereinfacht werden Iwein und Laudine, jeweils als der Stärkste und die Schönste etabliert und einander zugeordnet. Das Erzählschema der Brautwerbung ist hier allerdings abgewandelt, insofern die Helfer-Figur auf der Seite der Braut steht. Zur Helferfigur im Brautwerbungsschema siehe Markus Stock: Zwei Männer. ‚Kurzschluss‘ und Optionalität in mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen. In: Historische Narratologie. Hrsg. von Eva von Contzen. Oldenburg 2019 (Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung. Themenheft. 3), S. 51–78, bes. S. 58 mit einem Verweis auf Peter Strohschneider: Einfache Regeln – komplexe Strukturen: ein strukturanalytisches Experiment zum ‚Nibelungenlied‘. In: Mediävistische Komparatistik. Festschrift für Franz Josef Worstbrock zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Wolfgang Harms [u. a.]. Stuttgart [u. a.] 1997, S. 43–76, hier S. 44 f. und die dort ausgeführte Funktion der Helferfigur: „Der bei der Braut präsente Werbungshelfer muss nämlich den absenten Werber im Raum der Evidenz als den Besten repräsentieren. Das führt in der Regel notwendig dann zum Kurzschluss, wenn der Helfer zugleich selbst der Beste ist.“ Im Falle Iweins wirbt Lunete zwar für diesen, gehört jedoch zur Hofgesellschaft der Braut.  Vgl. Hasty, Art, S. 36 f.  Vgl. zu Lunetes Argumentationsstruktur Zimmermann, Mörder, S. 215 f.

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selbst eben nicht bezzer verwendet, wird darauf hingewiesen, dass hier nicht nur oberflächlich eine rhetorische Frage nach der jeweiligen Kampfkraft gestellt wird, sondern dass aus der Sieghaftigkeit zugleich die Idoneität des Siegers hergeleitet werden soll. Insofern ist tiure eher als ‚wertvoll‘ oder gar ‚edel‘ zu verstehen.311 Wie bei vrum ist das zugrundeliegende Wertsystem in diesem Kontext der Kampf. Die Frage, wie es möglich sein beziehungsweise werden kann, den Mörder des Gatten zu heiraten,312 lässt sich auf diese Weise beantworten. Iwein ist somit tiurer als Ascalôn, denn ‚der in dâ jagte unde sluoc, / der ist der tiurer gewesen: / mîn herre ist tôt unde er genesen.‘ (Iw, V. 1967–1970) Nach einiger Entrüstung befindet auch Laudine: ‚mîn herre was biderbe genouc: aber jener der in dâ sluoc, der muose tiurre sîn danne er: ern het in anders her mit gewalte niht gejagt.‘ (Iw, V. 2033–2037)

Erneut wird hier mittels des Komparativs tiurre eine konkrete Qualität (biderbe) aufgegriffen und durch einen allgemeinen Wertbegriff überboten, wobei beide im Kontext des Kampfes gebraucht werden. Wie bei vrum macht es jedoch einen semantischen Unterschied, ob einer besser im Kampf ist als ein anderer oder, ob er einen höheren Wert besitzt. Zugleich lässt sich hier eine Bewertung von Iweins Verfolgung beobachten, die frei ist von ethischer Bewertung oder Verurteilung. Dies liefert einen weiteren Hinweis darauf, dass Iweins Verfolgung vom Text nicht als grundsätzlich problematisch gewertet wird. Schließlich weiß Laudine – und bringt auch zum Ausdruck –, dass Iwein den Brunnenhüter durch seine kämpferische Stärke (gewalte) in die Flucht geschlagen und letztlich getötet hat. Sie hätte also besonderen Anlass, eine moralische Verurteilung der Verfolgung zu äußern. Gerade die bereits herausgestellte Reziprozität des Kampfes hilft dann aber, argumentativ den entscheidenden Sinneswandel bei Laudine herbeizuführen. Eben jene Reziprozität der Kämpfenden befördert auch außerhalb des Kampfes in der Wahrnehmung der evaluierenden höfischen Welt in Gestalt Laudines die Ersetzung des reinen Antagonismus durch die Symmetrie der beiden gegen- und miteinander Kämpfenden: ‚mîn herre wolt in hân erslagen.‘ (Iw, V. 2045) Jedoch verhält sich die Sache bei näherem Hinsehen komplizierter. Der Kampf gegen Kâlogrêant lässt erkennen, dass es nicht zwingend die Gewohnheit Ascalôns war, besiegte Gegner zu töten, wobei Kâlogrêant allem Anschein nach auch keine wirkliche Bedrohung für den Brunnenhüter darstellte, ganz im Gegensatz zu Iwein. Der wiederholte Einsatz des tödlichen Fallgitters weist darauf hin, dass Ascalôn sich schon öfter mittels dieser Installation eines Angreifers oder Verfolgers entledigte, was eine klare Tötungsabsicht zumindest als letzte Ausflucht

 Vgl. BMZ, Bd. III, Sp. 39a.  Zimmermann, Mörder, S. 221 f.

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nahelegt.313 Laudines Argumentation, dass ein Ritter, der ihren Mann verschont hätte, dafür von diesem getötet worden wäre (Iw, V. 2046–2050), lässt sich somit kaum mit den im Text ausgeführten Handlungsweisen Ascalôns in Einklang bringen. Auch die Einordnung dieses Gedankens durch den Erzähler lässt eine dezidierte Agenda Laudines erkennen: sus brâhte siz in ir gemüete / ze suone unde ze güete, / unde macht in unschuldec wider si. (Iw, V. 2051–53) Die Verben bringen und machen kennzeichnen eine aktive Handlung, was die Schlussfolgerung zulässt, dass Laudine sich selbst aktiv überredet, anstatt dass sich ihr Gesinnungswandel passiv der (fehlerhaften) Logik ihrer Argumentation fügt. Akzeptiert man diese Deutung, kann die folgende Bemerkung des Erzählers nur ironisch verstanden werden.314 dô was gereit dâ bî diu gewaltige Minne, ein rehtiu süenærinne under mann unde under wîbe. (Iw, V. 2054–57)

Dieser Kommentar zur Minne erscheint umso verdächtiger, wenn im weiteren Verlauf der Handlung Laudines Motivation stets auf den Pragmatismus des Brunnenschutzes beschränkt bleibt und das Wort ‚minne‘ nicht mehr fällt, nicht einmal im Kontext der Hochzeit.315 si gedâhte: ‚mit mînem lîbe mag ich den brunnen niht erwern: mich muoz ein biderbe man nern, ode ich bin benamen verlorn.‘ (Iw, V. 2058–61)

Wie schon beim Auszug Iweins steht auch hier der Brunnen für etwas Anderes. Dort handelte es sich um eine metonymische Verschiebung, nach der das Erreichen des

 Siehe oben Kap. II.1.3 sowie Iw, V. 1092–1094: sô nam ez [das Falltor] einen val / alsô gâhes her zetal daz im niemen entran.  Vgl. zur ironischen Darstellung Speckenbach, ‚Rîter‘, S. 116–118 mit der Forschungsdiskussion bis dato. Die Bewertung von Laudines Liebe schwankt zwischen den Polen ihrer Rolle als Ehefrau und Landesherrin. Trotz unterschiedlicher Gewichtung der Liebesbeziehung überwiegen jedoch die Stimmen, die ihr landesherrlichen Kalkül betonen. Siehe auch Albrecht Hausmann: Mittelalterliche Überlieferung als Interpretationsaufgabe. „Laudines Kniefall“ und das Problem des „ganzen Textes“. In: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur, 1150–1450. Hrsg. von Ursula Peters. Stuttgart 2001 (Germanistische Symposien. Berichtsbände. 23), S. 72–95, hier S. 90 f.; Mertens, Laudine, S. 14 f.  Von Iweins Minne ist freilich des Öfteren die Rede. Zu Laudines Pragmatismus auch unter rechtlichen Gesichtspunkten vgl. Athing, Kampf, S. 23 f.; Hoffmann, Arbeit, S. 266; Kragl, Land-Liebe, S. 21 f.; Hausmann, Überlieferung, S. 90 f. Siehe verallgemeinernd auch Julia Breulmann: Erzählstruktur und Hofkultur. Weibliches Agieren in den europäischen Iweinstoff-Bearbeitungen des 12. bis 14. Jahrhunderts. Münster 2009 (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit. 13), S. 282.

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Brunnens auf den Kampf mit Ascalôn verwies, während hier die Verteidigung des Brunnens direkt auf den Kampf mit fremden Aggressoren bezogen ist, wie Iwein selbst einer war. Biderbecheit und der pragmatische Gedanke an den Schutz des Brunnens ergeben sodann in der Fortführung des Soliloquiums den Ausschlag für Laudines Bereitschaft zur Vergebung. Gegenüber Lunete spezifiziert sie noch einmal: ‚wan ezn tohte deheinen zagen der mînen herren hât erslagen. hât er die geburt unde die jugent unde dâ zuo die tugent, daz er mir ze herren zimt, unde swenn ez diu werlt vernimt, daz si mirz niht gewîzen kan ob ich genomen habe den man der mînen herren hât erslagen, kanstû mir daz von im gesagen daz mir mîn laster ist verleit mit ander sîner vrümcheit, unde rætest dû mirz danne, nim ich in zeinem manne.‘ (Iw, V. 2087–2100)

Die manheit Iweins, dessen Namen Laudine zu diesem Zeitpunkt freilich noch nicht kennt, erneut durch die Litotes dehein zage ausgedrückt, wird um Stand, Jugend und tugent ergänzt zu vrümcheit. Damit schließt sich der Kreis, denn zu Beginn war Ascalôn durch manheit und vor allem durch vrümecheit (Iw, V. 1802 u. 1933) gekennzeichnet worden. Ein potentieller Nachfolger war zunächst biderbe und dann tiure beziehungsweise tiurer/tiurre als Ascalôn. Sodann ist auch der konkrete Nachfolger zunächst tiurer als Ascalôn, erfüllt die Eigenschaft biderbe und ist zuletzt auch vrume, beziehungsweise verfügt über vrümcheit. Es zeigt sich, dass eine Übersetzung von manlîch, vrume, tiure und biderbe jeweils mit ‚tapfer‘ sogar ohne Berücksichtigung der begrifflichen Problematik von mhd. manheit und nhd. ‚Tapferkeit‘ nicht adäquat ist. Die mittelhochdeutschen Begriffe bewegen sich zwar meistens im semantischen Feld kämpferischer Qualitäten, häufiger aber reichen sie über dieses hinaus und unterlegen einen emphatischen Wertbegriff. Besonders bezüglich der vrümecheit entsteht hier ein Bedeutungsüberschuss, der sich aus der semantischen Polyvalenz verschiedener, jedoch nicht in gleichem Umfang aktualisierter Semantiken speist. Als übergeordnete, allgemeine Werthaftigkeit erfolgt durch die Zuschreibung von vrümecheit eine Akkumulation von positiven Qualitäten. Als Träger dieser akkumulierten Werte hat Iwein auch Anteil an jenen semantischen Bereichen, die nicht auf das Kämpfen bezogen werden können. Dies verdeutlicht die finale Zustimmung zur Heirat und Iweins Königwerdung durch Laudines Adelsversammlung: und als in rehte wart geseit des rîters geburt und sîn vrümecheit zuo der schœne die si sâhen,

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von rehte si des jâhen, ez wære vrum und êre. (Iw, V. 2411–2415)

Die Übersetzungsangebote der Wörterbücher zu vrum und vrümecheit wirken an all diesen Stelle unbefriedigend, zumal die größtenteils antiquierten Ausdrücke wie ‚tüchtig/Tüchtigkeit, brav/Bravheit, wacker‘ sowie ‚vollkommen trefflich‘ oder ‚Trefflichkeit‘316 mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten. Meines Erachtens ist es daher praktikabler, die Bedeutung des Wortes abstrakt als einen besonderen Wert, der einer Person zugewiesen wird, aufzufassen. Dieser Wert entsteht aus dem Verhältnis zwischen einer Qualität, durch die er begründet wird, die aber lediglich wie eine Mindestvoraussetzung wirkt und einem Erfordernis, an dem er je nach Kontext gemessen wird, ohne dabei zwingend an ethische Kategorien gebunden zu sein. Das Verhältnis von Qualität zu Erfordernis, das sich auch als Eignung bezeichnen ließe, ergibt sich hingegen nicht von selbst, woraus hervorgeht, dass sich der Wert nicht in der Qualität erschöpft. Im Falle Iweins ist seine manheit die Eignung sine qua non oder hinreichende Bedingung seiner vrümecheit, die notwendige Bedingung entzieht sich dagegen einer begrifflichen Festlegung, weshalb ich hier von Umcodierung spreche. Diese vollzieht sich von den rein kämpferischen Fähigkeiten der praktischen manheit, die außerhalb des Hofes ausgeübt und zur Anschauung gebracht wird, zu einem Wert, die innerhalb des Hofes Gültigkeit besitzen und den sozialen (in Iweins Fall königlichen) Status der Akteure legitimieren und ihr symbolisches Kapital bestimmen. Es ist hervorzuheben, dass diese Umcodierung einer weiblichen Figur in den Mund gelegt wird, was belegt, dass ein ritterlich-kriegerisches Wertsystem sowohl als Ausdruck einer „Sinnverständigung über höfische Kultur“ gekennzeichnet ist als auch die „grundlegenden Züge des [im 12. Jh.] neuen adligen Selbstverständnisses“ zum Ausdruck bringt, an denen jeweils beide Geschlechter einer Kriegergesellschaft teilhaben.317 Gleichzeitig wird damit jedoch auch die Fallhöhe begründet, von der Iwein durch die Verfehlung der Frist und den Vorwurf Lunetes, triuwelôs (Iw, V. 3183) zu sein,318  BMZ, Bd. III, Sp. 428b–434a.  Vgl. Breulmann, Erzählstruktur, S. 246 f., die jedoch die Leistung Lunetes nicht als solche benennt. Siehe auch Sieverding, Kampf, S. 5. Im Hinblick auf dieses Wertsystem können auch die konkreten Überlegungen von Gert Hübner zu den Bedingungen der Plausibilität von Lunetes Überredung im Rahmen einer historischen Narratologie eindeutig erweitert werden. Vgl. Gert Hübner: Historische Narratologie und mittelalterlich-frühneuzeitliches Erzählen. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 56 (2015), S. 11–54, hier S. 28: „So kann etwa die Überredung Laudines durch Lunete nur unter etlichen Voraussetzungen plausibel gewesen sein, zu denen beispielsweise auch die Wahrscheinlichkeit spezifischer Differenzen zwischen Machtstatus und Erkenntnisvermögen unter Akteuren an Höfen sowie die Wahrscheinlichkeit der Überzeugungskraft kurzfristiger Eigennutzkalküle in Situationen der Statusgefährdung gehört haben müssten.“  Dieser Vorwurf erstreckt sich nicht nur auf Laudine, gegenüber der Iwein wortbrüchig geworden ist, sondern auch auf Lunete selbst, der er seine Königwerdung zu verdanken hat. (Iw, V. 3145–3154) Vgl. Breulmann, Erzählstruktur, S. 292–297 und explizit S. 310. Auch Tax, Rittertum, S. 446; Hammer,

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

betroffen ist. Bevor Lunete am Artushof erscheint, lobt König Artus Iwein und Gâwein bei der Rückkehr von ihrer erfolgreichen Turnierfahrt, sodass die Umwandlung von siegreichem Kampf zu symbolischem Kapital auch von Seiten des Hofs erfolgt: [König Artus] sagte in gnâde unde danc, daz in als ofte wol gelanc. swer gerne vrümclichen tuot, der dem gnâdet, daz ist guot: in gezimet der arbeit deste baz. (Iw, V. 3075–3079)

Es ist nicht eindeutig ersichtlich, ob Artus selbst oder der Erzähler der Sprecher der drei zuletzt zitierten Verse ist. Im ersten Fall müsste es sich um wörtliche Rede ohne irgendeine Form von Inquit-Formel oder ähnliche Markierung handeln, sodass ein Erzählerkommentar hier wahrscheinlicher erscheint. Vor dem Hintergrund von Lunetes Klage nur wenige Verse später, sie habe ihrer Herrin zu viel von Iweins vrümcheit gesagt (Iw, V. 3155f.), erzeugt die Bemerkung einen Widerspruch, der – so es sich nicht um Ironie handelt – die Räume oder, um mit Bourdieu zu sprechen, die Felder von Artushof und Brunnenreich gegeneinander ausspielt: Die Attribuierung von vrümecheit erfolgt am Artushof zum gleichen Zeitpunkt, wie sie Iwein von Lunete als Vertreterin des Brunnenreiches abgesprochen wird. Der Widerspruch lässt sich hingegen auch auf unterschiedliche Wertsysteme zurückführen, die sich auf die Umcodierung von manheit in symbolisches Kapital auswirken. Iweins und Gâweins erfolgreiche Turnierfahrt wird im Kontext des Artushofes als vrümclich (Iw, V. 3077) bewertet, ohne dass eine umfangreiche Umcodierung erfolgt. Das symbolische Kapital, das Iwein durch seine Turniersiege erworben hat, legitimiert hier jedoch lediglich seine Zugehörigkeit zur Artusgesellschaft und nicht die Idoneität zum Königtum, die im Brunnenreich einer Umcodierung von manheit in vrümecheit bedarf. Sobald sich die Zuschreibung der letzteren als Trugschluss erweist, wird aus dem Gatten wieder ein Gattenmörder, wie es in der Anklage Lunetes am Artushof anklingt: ‚in dûhte des schaden niht gnuoc daz er ir den man ersluoc, ern tæte ir leides mêre unde benæme ir lîp unde êre.‘ (Iw, V. 3133–3136)

Tradierung, S. 238 f.; Zutt, Lunete, S. 116 f. Zur Gestaltung Lunetes als ‚Botenfigur‘ siehe Claudia Lauer: Der arthurische Mythos in medialer Perspektive. Boten-Figuren im ‚Iwein‘, im ‚Parzival‘ und im ‚Lanzelet‘. In: Artusroman und Mythos. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel [u. a.]. Berlin 2011 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. 8), S. 41–68, bes. S. 49–54.

II.1.4 manheit unde vrümecheit. Die Umcodierung von manheit zum symbolischem Kapital

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Wie es sich durch die Anklage der untriuwe (Iw, V. 3122) gegen Lunete im weiteren Verlauf der Handlung bewahrheitet,319 wird hier eine Entsprechung zwischen Iwein und Lunete etabliert, da ihr Schicksal als Architektin dieser Umcodierung von der Richtigkeit ihrer Deutungsweise abhängt und, insofern sie falsifiziert wird, von den gleichen Negativbewertungen betroffen ist.320 ‚wand ich het ir ze vil geseit von iuwer vrümcheit; unz daz sie iu mit vrîer hant gap ir lîp unde ir lant, daz ir daz soldet bewarn.‘ (Iw, V. 3155–3159)

Waren das Erschlagen Ascalôns und somit die manheit zunächst noch das Fundament von Iweins vrümcheit und seiner Eignung zum Herrn des Brunnenreichs, so negiert nun das Fehlen von rîters triuwe eben jenen hohen Wert, den vrümecheit beinhaltet, wodurch zuletzt auch ein ethischer Gehalt derselben sichtbar wird. Dennoch – oder gerade deshalb – charakterisiert der Erzähler seinen Helden nach dem Ausbruch von zorn und tobesuht (Iw, V. 3233) als einen [...] degen bewæret ein helt unerværet: swie manhaft er doch wære und swie unwandelbære an lîbe unde an sinne, doch meistert vrou Minne daz im ein krankez wîp verkêrte sinne und lîp. (Iw, V. 3249–3256)

Dass hier dreimal Iweins Kriegerhaftigkeit betont wird, soll zwar hervorheben, wie erstaunlich es ist, dass ihn ein krankez wîp bezwungen hat. Die Unabhängigkeit einer fortwährenden Exzellenz kriegerischen Könnens von sozialen und ethischen Strukturpositionen wird dabei jedoch ebenfalls verdeutlicht. An der Bewertung des Erzählers besteht daher kein Zweifel: der ein rehter adamas rîterlîcher tugende was, der lief nû balde ein tôre gein dem walde. (Iw, V. 3257–3260)

 Zur parallelen Struktur des wechselseitigen Rettens und Gerettetwerdens siehe Breulmann, Erzählstruktur, S. 305–324, hier bes. S. 305–311.  Gleichzeitig entsteht so eine erneute Beziehung zwischen Iwein und Kâlogrêant, denn wie Ascalôn den letzteren bezichtigt Lunete Iwein triuwelos zu sein.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Mit zorn und tobesuht sind hingegen zwei Affekte versammelt, die von der Forschung nicht selten mit Kampf in Verbindung gebracht werden. Klaus Grubmüller nennt zorn als wesentliche, den Kämpfer motivierende Emotion,321 während Bent Gebert für eine Verwendung des mittelhochdeutschen Begriffs tobesuht statt des gebräuchlichen ‚Wahnsinn‘322 plädiert, da jene als „Basisemotion des Kampfes“323 auf den kämpferischen und gewalttätigen Charakter der wilde verweist.324 Der Kampf gegen Ascalôn und die Auseinandersetzung um die Evidenz von Iweins Sieghaftigkeit in diesem Kampf als Grundlage adeliger Herrschaftsfähigkeit stellen nicht nur zwei Schlüsselszenen für die Erzählung des Iwein dar, sondern auch für die Analyse von manheit sowohl im arturischen Diskurs als auch darüber hinaus. So erweist sich praktische manheit als „skillful performance eines kompetenten Körpers“325, wie es Andreas Reckwitz ausdrückt. Bereits mit der Vorgeschichte Kâlogrêants setzen die erzählerischen Bemühungen ein, die mediale oder diskursive Vermittlung von Iweins manheit nicht nur auf eine Attribuierung durch den Erzähler selbst zu beschränken. Nicht einmal Iwein selbst möchte sich die im Kampf gegen Ascalôn vorgeführte manheit attribuieren und die Umwandlung der Kampffähigkeit in symbolisches Kapital wird zwar über die Form des Selbstlobs zunächst als unhöfisch zurückgewiesen,326 damit jedoch gleichzeitig deutlich benannt und hervorgehoben. Demgegenüber steht die ausführliche Szene der Umcodierung durch Lunete, in der auf diegetischer Ebene der Wert von manheit exemplarisch ausgebreitet wird. Nicht nur wird den Rezipient:innen vor Augen geführt, worin der Wert einer praktischen manheit liegt, indem Iweins Eignung zum Ehemann und König unmittelbar darauf gegründet ist. Der Text exemplifiziert auch, dass dieser Wert eben nur durch seine Diskursivierung zustande kommt und dass manheit als symbolisches Kapital einer valorisierenden Instanz bedarf. Diese Instanz steht Frauen in besonderer Weise offen, da hier die Wertzuschreibung dem rein agonalen Vergleich einer ‚monologischen Männlichkeit‘ enthoben ist und damit das gemeinsame Wertsystem beider Geschlechter einer Kriegergesellschaft enthüllt.

 Vgl. Klaus Grubmüller: Historische Semantik und Diskursgeschichte: ‚zorn‘, ‚nît‘ und ‚haz‘. In: Codierungen von Emotionen im Mittelalter/Emotions and Sensibilities in the Middle Ages. Hrsg. von C. Stephen Jaeger, Ingrid Kasten. Berlin/New York 2003 (Trends in Medieval Philiology. 1), S. 47–69, bes. S. 51–54.  Zum Begriff vgl. Dirk Matejovski: Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung. Frankfurt a. M. 1996 (stw. 1213), S. 122–155.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 188, mit Anm. 306.  Vgl. Quast, Das Höfische, S. 121.  Reckwitz, Grundelemente, S. 113.  Vgl. zum Aspekt des Selbstlobs Mohr, Blick, S. 66.

II.1.5 Die strukturelle Bedeutung von manheit in der Schlacht von Narison

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II.1.5 Die strukturelle Bedeutung von manheit in der Schlacht von Narison – Der Kampf gegen Aliers Der Kampf gegen den Grafen Aliers stellt im Gefüge des Romans eine Zwischenstation dar, da Iwein hier noch nicht das Inkognito des Löwenritters angenommen hat und unter eigenem Namen die Gräfin von Narison verteidigt.327 Es sei an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen, dass der Kampf gegen Aliers als einziger für die Akkumulation symbolischen Kapitals im späteren Romangefüge keine Rolle mehr spielt, geschweige denn überhaupt erwähnt wird.328 Dennoch wird das Thema der späteren Kämpfe vorbereitet, insofern es sich bereits hier um einen Verteidigungskampf für eine Dame in Nöten beziehungsweise die gerechte Sache handelt. Es ist bezeichnend, dass in allen Kämpfen außer dem Ascalôn-Kampf die moralischen Verhältnisse in Bezug auf Motivation und Legitimation der Auseinandersetzung völlig eindeutig erscheinen oder zumindest so vermittelt werden.329 Von daher hat es den Anschein, als würde die moralische Ambiguität des ersten Kampfes narrativ bewältigt und beseitigt, wie sich an Laudines abschließender Einordnung und dem Kommentar des Erzählers ablesen lässt. Der Kampf zwischen Iwein und Ascalôn hat also ohne Frage höchste Bedeutung für Iweins Werdegang und für den gesamten Roman, denn „über das Kämpfen und Töten [sollen] Muster sozialer Individuation angeboten werden: die Lehre von der ‚rechten‘ aventiure“330, zumal es, genau wie bei der Unterstützung durch Lunete, gerade Iweins manheit ist, die auch die Gräfin von Narison verleitet, ihm zu helfen.331 Erneut argumentiert hier eine Zofe mit sehr pragmatischen Gesichtspunkten: mir ist sîn manheit wol kunt: wirt er des lîbes gereit, er hât in [Graf Aliers] schiere hin geleit: unde sult ir vor im genesen, daz muoz mit sîner helfe wesen. (Iw, V. 3414–3418)

 Cormeau, Störmer, Hartmann von Aue, S. 210 f. tragen diesem Umstand lediglich implizit durch ihre Kapitelgliederung Rechnung. Auf die Bedeutung der Episode für Iweins Selbstvergewisserung verweist Sosna, Identität, S. 128–132. Siehe auch Gebert, Wettkampfkulturen, S. 189 f.  Anders Hoffmann, Arbeit, S. 285, der den Kampf „insgesamt ins Gefüge des Romans integriert“ sieht. Bezüglich der Beziehung zum Ascalôn-Kampf ist dem sicherlich zuzustimmen (siehe unten), jedoch nicht für das weitere Geschehen. Die anderen Kämpfe der zweiten Romanhälfte, der Kampf gegen Harpin, die Verteidigung Lunetes, der Kampf gegen die Teufelsritter und der Kampf gegen Gâwein tragen sämtlich zur finalen Akkumulation von Iweins Ansehen bei. Selbst der Kampf gegen Ascalôn wird assoziativ und motivisch präsent gehalten. Der Kampf gegen Aliers dagegen ist für das Syntagma der Erzählung unbedeutend.  Vgl. Hübner, Erzählform, S. 127 u. 129.  Bein, Ästhetik, S. 54 f.  Vgl. Wandhoff, Name, S. 120.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Das symbolische Kapital seiner manheit und seines darauf basierenden Ruhms, so ließe sich darüber hinaus noch argumentieren, trägt nicht nur direkt zu seiner Rettung und Heilung bei, sondern führt auch dazu, dass er von der Zofe überhaupt erst erkannt wird: Wie es heißt, wurde im ganzen Land erzählt, dass Herr Iwein verschollen sei (Iw, V. 3372–82), was sich jedoch erst mit seinem Ruhm beziehungsweise seinem Bekanntheitsgrad erklären lässt, der bis zu diesem Kampf und jenseits der Turnierfahrt vornehmlich auf seinem Sieg über Ascalôn und dem anschließenden Erwerb des Brunnenreichs gründet. Zugleich bricht die Zofe darüber in Tränen aus, daz einem alsô vrumen man / diu swacheit solde geschehen / daz er in den schanden was gesehen (Iw, V. 3392–3394). Iweins Verfehlung gegenüber Laudine hat sich somit in den Augen der Zofe nicht auf seine vrümcheit ausgewirkt, da hier nur die manheit ausschlaggebend ist für die Wertschätzung Iweins. Seine Verfehlung gegenüber Laudine beeinträchtigt diese in den Augen der Gesellschaft offensichtlich nicht.332 Erneut können hier Iweins praktische manheit und sein kämpferisches Können als Grundlage diskursiver manheit und einer weiblichen Wertschätzung beobachtet werden. Das symbolische Kapital der diskursiven manheit ist es auch, dass die Gräfin dazu bewegt, ihre anscheinend kostbare Salbe zur Heilung Iweins zu verwenden. Im Anschluss kommt das pragmatische, auf kaufmännische Reziprozität ausgerichtete Kalkül der Gräfin, das sich auch in ihrer Klage über den Verlust der gesamten Zaubersalbe bemerkbar macht (Iw, V. 3687–3694), auch im Hinblick auf Iweins praktische manheit im Kampf gegen Aliers Heer zum Ausdruck. dô liez er sîne vrouwen ab der wer schouwen daz ofte kumt diu vrist daz selch guot behalten ist daz man dem biderben manne tuot: sîne rou dehein daz guot daz si an in het geleit: wande sîn eines manheit tet si unstetlîchen an einen vurt entwîchen. (Iw, V. 3723–3732)

Im Kampf gegen Aliers findet die Praktik kriegerischen Kampfes eine literarische Projektionsfläche, womit sich Iweins Charakterisierung als Krieger bestätigt, denn die Belagerung durch Aliers‘ Heer stellt einen kriegerischen Akt dar ebenso wie die Verteidigung durch Iwein und die Gefolgsleute der Gräfin. Anders als beim Kampf gegen Ascalôn sind im Kampf gegen das Heer des Grafen Aliers die rechtlichen und moralischen Bedingun-

 Es sei angemerkt, dass der Text keine Aussagen über den Transfer von Figurenwissen zwischen dem Artushof und dem von Narison macht. Zum einen ist aber Iwein vornehmlich mit ersterem assoziiert, zum anderen gibt auch Lunete vor, Iwein dort kennengelernt zu haben (Iw, V. 1181–1200), sodass eine Kenntnis der Geschehnisse am Artushof auch jenseits desselben nicht auszuschließen ist.

II.1.5 Die strukturelle Bedeutung von manheit in der Schlacht von Narison

151

gen von vorne herein bekannt, da der Graf als feindlicher Aggressor auftritt.333 Der Text bringt dabei nicht zum Ausdruck, dass Iwein über den Grund, warum er gegen Aliers zu kämpfen habe, in Kenntnis gesetzt wird. Sobald sich Iwein mit Harnisch und Pferd als Kämpfer wieder in seinem eigentlichen Element befindet334, strahlt seine manheit bei der Verteidigung Narisons auf die vormals verzagten Männer der Gräfin ab. daz si von manlîchen siten vil nâch wâren komen: nû wart der muot von in genomen, dô si den gast sâhen zuo den vienden gâhen unde sô manlîche gebâren. (Iw, V. 3714–3719)

Die Heftigkeit des Kampfgeschehens wird einerseits durch die verallgemeinernde Formulierung hie slac, dâ stich! (Iw, V. 3734; auch er sluoc unde stach, Iw, V. 3738) und zum anderen durch die große Zahl an Speeren, die Iwein versticht, verdeutlicht:335 nû wer möhte diu sper / elliu bereiten her / diu mîn her Îwein dâ zebrach? (Iw, V. 3735–3737) Dies impliziert zwangsläufig ein wiederholtes Angreifen, das mit einer vorherigen Versorgung mit neuen Lanzen einhergeht. Angesichts der nur kursorischen Beschreibung des Kampfgeschehens ist es bemerkenswert, dass die taktischen Gesichtspunkte des Reiterkampfs in der Darstellung präsent gehalten werden. Dazu gehört auch, dass die Belagerer anscheinend durch einen Ausfall von der Burg oder Stadt der Gräfin vertrieben werden. Ohne ins Detail zu gehen beschreibt der Erzähler, wie die Männer des Grafen mit großen Verlusten (manigem valle, Iw, V. 3740) von Iwein und den Gefolgsleuten der Gräfin vertrieben werden. die aber der vluht vergâzen, die wurden sam die zagen al meisteil erslagen unde ouch gefangen. (Iw, V. 3744–3747)

 Vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 284, der den Angriff des Grafen direkt auf Iweins Heilung rückbezieht. Siehe auch Cormeau, Störmer, Hartmann von Aue, S. 211; Hübner, Erzählform, S. 191; Jackson, Chivalry, S. 246 f.  Vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 283, zur ritterlichen Einheit von Reiter von Pferd siehe Friedrich, Ritter, S. 230–248.  Siehe dazu Bein, Ästhetik, S. 47, der im Topos des ‚Waldverschwenders‘ lediglich eine Konzentration auf das „Kampf- und Tötungsmaterial“ (ebd., S. 46, Hervorhebung im Original) sehen will, ohne die damit verbundenen kämpferischen Implikationen zu berücksichtigen. Der Topos des ‚Waldverschwenders‘ als einem Kämpfer, für dessen Lanzenverbrauch ganze Wälder abgeholzt werden findet sich prominent in Wolframs Parzival im Turnier vor Kanvoleis (siehe Pz, V. 66,24 auch V. 57,22 f.: Feirefiz Anschevin. der wart ein waltswende) aber auch in Chrétiens Yvain bei der Belagerung von Noroison (Yvain, V. 3228–3232).

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Wie auch andernorts in Hartmanns Texten werden die blutigen Details des Krieges größtenteils ausgeklammert.336 Der zitierte Satz wie auch schon die Teichoskopie der Gräfin evozieren allerdings die Vorstellung eines Gemetzels, wie es in chronikalischen Schlachtbeschreibungen weit detaillierter geschildert wird, wenn z. B. davon die Rede ist, wie einige Kämpfer die Stellung halten und überwältigt werden, während andere auf der Flucht erschlagen werden oder in einem Fluss ertrinken.337 Es scheint, als gehe der Erzähler über derlei blutige Einzelheiten hinweg, indem die Schlacht für gewonnen erklärt wird und ein Einschub folgt, in dem Iweins Tugenden hervorgehoben werden. Auch hier ließe sich also mit Jan Mohr von einem ‚schweifenden Blick‘ sprechen.338 Direkt im Anschluss an den zuletzt zitierten Abschnitt heißt es: hie was der strît ergangen nâch des herren Îweins êren. si begunden an in kêren beide lop unde prîs, er wære hövsch unde wîs, unde in enmöhte niht gewerren, heten si in ze herren ode einen im gelîchen. daz si des beidiu zæme daz in ir vrouwe næme. (Iw, V. 3748–3761)

Die erschlagenen und gefangenen Kämpfer des Grafen Aliers konstituieren den Sieg nach Iweins êren, durch den er von allen geachtet wird. Ganz direkt werden somit die êren des einen und der Tod der anderen einander zugeordnet, ohne dass dies in irgendeiner Weise problematisiert oder abgemildert werden würde. Man wünscht sich Iwein auch zum neuen Landesherren, was sich deutlich als Parallele zum Kampf mit Ascalôn und Iweins Heirat mit Laudine verstehen lässt. Der Graf Aliers ist hingegen noch gar nicht in Erscheinung getreten, geschweige denn besiegt: Sus wart dem grâven Aliere genendeclîchen schiere gevangen unde erslagen sîn her. Dannoch hielt er ze wer mit einer lützeln kraft

 Vgl. Bein, Ästhetik, S. 54.  Eine Passage aus der Livländischen Chronik beschreibt die Verfolgung von aus der Schlacht Fliehenden mit der in der Iwein-Philologie so bedeutsamen Formulierung âne zuht: man slûc ir achte hundert tôt,/ die bliben ûf deme wal./ bie Îsburc nâmen sie den val./ die anderen nâmen dâ die vlucht,/ man jagete sie âne zucht/ vaste hin zû lande wert. (Livländische Reimchronik. Mit Anmerkungen, Namenverzeichnis und Glossar. Hrsg. von Leo Meyer. Paderborn 1876, V. 2120–2125).  Vgl. Mohr, Blick.

II.1.5 Die strukturelle Bedeutung von manheit in der Schlacht von Narison

153

unde tet selhe rîterschaft die nieman gevelschen mohte. (Iw, V. 3759–3765)

Nachdem mit einem zweiten Verweis auf die erschlagenen und gefangenen Gegner innerhalb von fünfzehn Versen die Vortrefflichkeit Iweins herausgestellt ist und sein Sieg bereits festzustehen scheint, wird nachträglich Aliers vergleichsweise geringe, aber eben doch vorhandene Qualität geschildert. In Analogie zum Ascalôn-Kampf verfolgt Iwein den fliehenden Aliers. Diesen kann er jedoch rechtzeitig einholen, bevor er seine Burg erreicht, da der Burgberg sehr steil ist. Ohne dass ein Kampf geschildert wird, nimmt Iwein Aliers gefangen, „nimmt Sicherheit“ und schickt ihn nach Narison. (Iw, V. 3765–3781) Wie Bent Gebert richtig zum Ausdruck bringt, wird es der Komplexität von Hartmanns Text nicht gerecht, wenn unterstellt wird, dass Iweins „ethisches Defizit“ durch die Schonung Aliers‘ „aufgehoben werde“ und er darüber hinaus ein „ethisch anspruchsvolleres Niveau der Selbstdisziplin [demonstriere].“339 Unter anderem unterliegt Geberts Deutung die Spekulation, dass Iwein Ascalôn auch getötet hätte, wenn sich dieser ergeben hätte, wofür es – wie zu sehen war – jedoch keine Indizien gibt. Diese zweite Verfolgung wird nicht von den Worten âne zuht begleitet. Dennoch wird aus dem Text ersichtlich, das Iwein den fliehenden Aliers nur knapp und mit Mühe einholen kann: dô er [Aliers] zuo dem hûse vlôch, nû was der burcberc sô hôch, beidiu sô stechel und sô lanc, daz in sunder sînen danc herre Îwein ergâhte vor dem tor: unde gevienc in dâ vor unde nam des sîne sicherheit daz er gevangen wider reit in der vrouwen gewalt. (Iw, V. 3771–3779)

Der in einiger Detailliertheit geschilderte Hergang der Gefangennahme lässt meines Erachtens nur die Deutung zu, dass Iwein genug Zeit hat, den Fliehenden einzuholen. Bei der Verfolgung Ascalôns hinderte Iwein der schmale Zugang zum Burgtor (Iw, V. 1075f.) daran, diesen festzuhalten, sodass er sich nach vorne beugte um ihn zu schlagen und währenddessen den Mechanismus der Falltür auslöste. Insgesamt lässt der Vergleich der beiden Textstellen nicht den Schluss zu, dass sich Iwein bei der Verfolgung Aliers‘ in irgendeiner Weise anders verhalten hätte, als bei Ascalôn.340 Gleichzeitig erscheint die Semantik ergahen durch seine Verwendung im Kontext des Jagens von Mensch und

 Gebert, Poetik, S. 147.  So ist dann auch eine vereinfachende Gegenüberstellung (Ascalôn: âne zuht; Aliers: mit zuht) wie bei Petrus Tax zurückzuweisen. Siehe Tax, Rittertum, S. 443.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Tier341 nicht weit vom jagen der Ascalôn-Verfolgung entfernt. Der Unterschied zwischen einem Schlag in den Rücken und einer Gefangennahme wird vom Text durch auffallende Ähnlichkeiten der topographischen Gegebenheiten indiziert. Diesbezüglich ist auch anzumerken, dass Aliers doch werlîchen vloch (Iw, V. 3768), was Rüdiger Krohn, Volker Mertens und Thomas Cramer in ihren Übersetzungen jeweils als „unter ständiger Abwehr“, „sich wehrend“ und „immer kämpfend“ übersetzen. Somit ist ein fortwährender Gewaltaustausch zwischen Iwein und Aliers während der Flucht beschrieben.342 Durch die mehrfache Verwendung des Begriffs manheit während des Kampfgeschehens wird nicht nur die besondere Kampfkraft Iweins hervorgehoben, sondern auch das ganze Kampfgeschehen darin sprachlich verdichtet.343 Deutlicher noch als im Kampf gegen Ascalôn steht manheit für kämpferische Handlungen. So werden die Belagerer von Iweins aggressiven Handlungen – also seiner praktizierten manheit – zur Flucht gezwungen. Mit der Glorifizierung von Iweins manheit geht daher auch eine Glorifizierung der sich mit manheit verbindenden Kampfhandlungen einher, sodass die psychologisierenden Argumente Horst Brunners, Hartmann unterdrücke die Brutalität der Schlacht, die „ihm unangenehm“ sei, auch diesbezüglich nicht zu halten sind.344 Auch die rezeptionsästhetische Anknüpfung an Brunner bei Thomas Bein345 übersieht Entscheidendes bei den herausgehobenen Differenzen zwischen der Darstellung Chrétiens und Hartmanns. Im französischen Text ist der Erzähler von vorneherein bemüht, die kämpferische Leistung des Helden im Sinne rhetorischer Evidenz vor Augen zu stellen. Yvains erste Handlung auf dem Schlachtfeld von Narison ist ebenso detailliert wie brutal beschrieben: [...] Si feri de si grant vertu Un chevalier parmi l’escu Qu’il mist an un mont, ce me sanble, Cheval et chevalier ansansble, N’onques puis cil ne releva, Qu’el vantre li cuers li creva, Et fu parmi l’eschine frez. (Yvain, V. 3155–3161) [Yvain] rannte einem Ritter mit solcher Macht gegen den Schild, daß, wie mir scheint, Reiter und Pferd übereinanderpurzelten und er sich nicht wieder erhob, denn das Herz zersprang ihm im Leib und sein Rückgrat war gebrochen.346

 Siehe Mittelhochdeutsches Wörterbuch online: ‚ergâhen swV.‘ [http://www.mhdwb-online.de/wb. php?buchstabe=E&portion=2140, Zugriff: 27.06.2023].  Es sei angemerkt, dass werlichen in diesem Kontext auch bedeuten könnte, dass Aliers flieht, obwohl er noch im Stande wäre zu kämpfen.  Vgl. Brunner, Bild, S. 118 f.  Vgl. Brunner, Bild, S. 120.  Vgl. Bein, Ästhetik, S. 54 f.  Chretien de Troyes: Yvain. Übers. und eingeleitet von Ilse Nolting-Hauff. München 1962 (Klassische Texte des romanischen Mittelalters), S. 163.

II.1.5 Die strukturelle Bedeutung von manheit in der Schlacht von Narison

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Ebenso stellt Chrétien die tatsächlichen Handlungen der Kämpfer am Ende der Schlacht expliziter dar. La chace mout longuemant dure Tant que cil qui fuient estanchent Et cil qui chacent lor detranchent Toz lor chevaus et esboelent. Li vif desor lez morz roelent, Si s’antrasolent et ocïent, Leidemant s’antrecontralïent. (Yvain, V. 3264–3270) Die Jagd währte lange, bis endlich die Fliehenden die Kraft verläßt, und die Verfolger sie niedermetzeln und ihren Pferden den Leib aufschlitzen. Die Lebenden stürzen über die Toten hin und verwunden und töten einander.347

Das Blutbad, das Chrétien in einem rhetorischen Vor-Augen-Stellen beschreibt, ist auf der Ebene der histoire bei Hartmann jedoch keinesfalls getilgt, sondern allenfalls auf discours-Ebene in eine Benennung überführt (erslagen). Der Handlungsablauf bleibt jedoch derselbe. Im obigen Kapitel zum Ablauf mittelalterlicher Schlachten wurde gezeigt, dass das Ende in Flucht und Verfolgung häufig der blutigste Teil einer Schlacht war. Dies ist daher auch als Rezipientenwissen zugrunde zu legen. Dass Hartmann einen sehr gewaltvollen Vorgang erzählt, ohne der Gewalt im Einzelnen nachzugehen und ihr sprachlichen Raum zu geben, heißt nicht, dass der Vorgang weniger brutal wäre. Der große Unterschied zu Chrétien besteht hingegen darin, wie die geänderte Darstellung funktionalisiert wird. Was Brunner auf das Gemüt des Autors und Bein auf die Bestrebung zur „Fiktionalisierung des Genres“348 zurückführt, dient tatsächlich der Idealisierung des Ritterhandwerks, bei Brunner allerdings unter einer verfehlten Prämisse, worin dieses zu bestehen habe: Die grausamen Details lenken den Blick der Rezipient:innen nicht nur von der „symbolischen Struktur des Textes“349, sondern auch von der Idealität des Helden ab, dessen herausragende manheit es zu demonstrieren gilt. Hartmanns Iwein braucht daher auch keinen Vergleich mit Roland in Roncevaux,350 wie er sich im Yvain351 findet, denn nichts verstellt den Blick auf seine Leistung, die prominent im Mittelpunkt des Geschehens steht. Es hat sich bereits gezeigt, dass die Episode intratextuell auf die Ascalôn-Episode bezogen ist352 und daher Analogien aber auch Differenzen zu bemerken sind. Letztere finden sich vor allem in der Darstellung des Kampfes beziehungsweise der Schlacht  Chretien, Yvain, S. 167–169. Übers. von Nolting-Hauff.  Bein, Ästhetik, S. 55.  Bein, Ästhetik, S. 55.  Vgl. Brunner, Bild, S. 118 f.  Siehe Yvain, V. 3235–3237.  Vgl. Breulmann, Erzählstruktur, S. 317, die auf die Ähnlichkeiten zwischen Laudine und der Gräfin von Narison verweist.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

selbst, bei der Iweins Überlegenheit zu keinem Zeitpunkt außer Frage steht. Anders als Ascalôn werden die Gegner mitsamt ihrem Anführer nicht kämpfend, also in einem reziproken und zumindest zeitweise ebenbürtigen Austausch von Gewalthandlungen dargestellt, sodass die legitimatorische Wirkung, die Gewalt im Kampf erhält, entfällt. Gleichzeitig ist das Kampfgeschehen sehr kursorisch und formelhaft wiedergegeben, sodass den Schilderungen von Iweins Handeln jenseits des Gebrauchs der Lanzen kaum eine konkrete Handlung zugewiesen werden kann: Wo bei Chrétien einem Gegner das Herz zerplatzt und daraufhin die Männer der Gräfin neuen Mut fassen, heißt es bei Hartmann lediglich, dass die Kämpfer der Gräfin sehen, wie Iwein seine Gegner angreift und sich manlich (Iw, V. 3719) verhält. Auch die Teichoskopie, mit der auch der ganze erste Abschnitt der Schlacht abgehandelt ist, beschränkt sich auf das Wirken von praktischer manheit, die auf discours-Ebene alleine dafür verantwortlich gemacht wird, dass die Gegner fliehen. Wo die Bezeichnung von Iweins manheit im Kampf gegen Ascalôn im finalen Schlag kulminiert, verweist sie hier auf umfangreiche kämpferische Handlungen, die Chrétien an dieser Stelle auch ausführt. Auf sprachlicher Ebene werden diese Handlungen durch das Wort manheit ersetzt, während sie auf inhaltlicher Ebene in Form einer umgekehrten indexikalischen Zeichenbeziehung als ein Ergebnis von manheit erscheinen. Durch die Unterschlagung von Kampfdetails, wie sie bei Chrétien vorkommen, und der starken Prononcierung von Iweins manheit treten die strukturellen Gegebenheiten in den Vordergrund, etwa die Bezugnahmen auf den Ascalôn-Kampf: Während Iwein in der Brunnenepisode als Aggressor auftritt, ist er nun der Verteidiger der Gräfin, sodass keinerlei moralische Fragwürdigkeiten aufkommen und somit kein Bedarf besteht, Iweins Gewalt durch Verweise auf einen reziproken Austausch zu legitimieren. In beiden Fällen wird Iwein im Anschluss an den Kampf und explizit aufgrund seiner manheit die Ehe mit der Landesherrin und die Landesherrschaft angetragen. Durch die Umkehrung der Rollen vom Aggressor im Brunnenreich zum Verteidiger in Narison und der jeweils gleichen Möglichkeit der Kapitalisierung überschneiden sich Wiederholung und Variation. Dass Iwein diese Möglichkeit in Narison ausschlägt (Iw, V. 3791–3824), vermag den Anschein einer Wiedergutmachung zu erwecken und trägt damit bei zur moralischen Ambiguität, die sich durch die Tötung Ascalôns in den Text eingeschrieben hat und mit der Iweins Handlungseintritt und Erwerb von Ehefrau und Königreich umgeben ist. Wie Gert Hübner und Bent Gebert gezeigt haben, ist die Entfaltung von Uneindeutigkeit, Ambiguität und Latenz integraler Bestandteil des poetologischen Programms von Hartmanns Iwein.353 Da sich die Erzählinstanz einer Auflösung dieser Ambiguität deutlich entzieht, erscheint es müßig, diese zu forcieren, zumal die Ambiguität des Ascalônkampfs dem Roman strukturbildend eingeschrieben ist.

 Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 205 f.

II.1.6 Animalische Gewalt gegen einen dehumanisierten Gegner

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II.1.6 Animalische Gewalt gegen einen dehumanisierten Gegner – Der Kampf gegen Harpin Bezüglich der moralischen Ambiguität im Hintergrund der Motivation zum Kampf erscheint auch der nachfolgende Kampf gegen den Drachen und für den Löwen in besonderen Licht, denn auch diesen kennzeichnet eine anfängliche Uneindeutigkeit: dem hern Îwein tet der zwîvel wê wederm er helfen solde, doch gedâht er daz er wolde helfen dem edeln tiere. (Iw, V. 3846–49)

Iweins Gedankengang und Handlungsweise sind bezeichnend, denn neben dem Kampf gegen Ascalôn gibt es im Roman [...] nur einen weiteren Kampf, in den der Protagonist (und der Rezipient mit ihm) ohne hinreichend klare Vorinformation über die Verhältnisse zieht: die Unterstützung des Löwen gegen den Drachen. In diesem Fall kommt die Restriktion auf Iweins Wissensstand, wie auch sonst häufig, durch Bewußtseinsdarstellung zustande.354

Zum einen deutet Iweins Zweifeln einen Anflug von Arbitrarität der Handlung an (wederm er helfen solde), welche dann mittels einer ideologischen Axiologie (dem edeln tiere) überwunden wird. Was Iwein darüber hinaus jedoch zögern lässt, ist die Sorge, der Löwe könnte, nachdem Iwein ihm geholfen hat, ihn selbst angreifen. Nachdem der Erzähler dies allegorisierend auf den Menschen übertragen hat, heißt es: doch tet er als ein vrum man, er erbeizte unde lief den wurm an unde sluoc in harte schiere unde half dem edeln tiere. (Iw, V. 3861–3864)

Die Entscheidung dem Löwen zu helfen, lässt sich somit auch als eine Vereindeutigung von Ambiguität auffassen, wobei die Verwendung des Wortes vrum dies entsprechend markiert. Der Übersetzung von vrum man als „tapferer Mann“, die Volker Mertens wählt, ist auch nicht unproblematisch, da vrumecheit eine Eigenschaft bezeichnet, die zwar manlîches Handeln mit einschließen kann, aber vornehmlich ein grundsätzlich positives Werturteil ausdrückt. Vornehmlich unter religiösen Gesichtspunkten beobachtet Rudolf Voss: [...] die Opposition von Löwe und Drache verweist kraft der Valenz der Figuren im Sinnbezirk mittelalterlicher Symbolik offensichtlich auf den metaphysischen Gegensatz von Gut und Böse. Indem sich nun Iwein mit Bedacht auf die Seite des Edlen und folglich Werthaltigen schlägt, äu-

 Hübner, Erzählform, S. 127.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

ßert sich im Mitwirken an der göttlichen Weltordnung die Qualität seines Wesens, seine vrümekheit (3861).355

Sowohl der „metaphysische Gegensatz“ als auch die „göttliche Weltordnung“ sind zwar als gesellschaftliche Konstrukte zu erachten, innerhalb derer sich Iwein „auf die Seite des Edlen und folglich Werthaltigen schlägt“. Die Bedeutung von Iweins vrümcheit ist jedoch korrekt benannt. Zur „Qualität seines Wesens“ gehört jedoch auch eine kriegerische Seite, sodass vrum an dieser Stelle sowohl auf Iweins kriegerische Fähigkeiten, als auch auf seine ethische Gesinnung verweist. Der Wert seiner vrümecheit ist hier somit von beiden Aspekten zugleich geprägt und daher nicht nur auf ‚Tapferkeit‘ zu reduzieren. Dies gilt umso mehr als das edle tier fortan an Iweins Seite kämpft und – wie zu zeigen sein wird – für einen Großteil der in den folgenden Kämpfen zur Anschauung gebrachten Gewalt verantwortlich ist.356 Dabei sind Iwein und der Löwe, wie Bruno Quast gezeigt hat, als eine Einheit aufzufassen, die sich nicht nur daran zeigt, dass Iwein für weite Teile der folgenden Handlung unter dem Pseudonym des Löwenritters agiert.357 Chronologisch folgt auf den Kampf gegen den Drachen der Kampf zwischen Iwein und dem Riesen Harpin. Wie Bent Gebert gezeigt hat, ist der Weg Iweins auch jenseits eines Doppelwegschemas durchaus als Folge von Entwicklungsstationen aufzufassen.358 Daher stellt der dem Kampf vorangegangene Abschnitt zwischen dem Ausbruch von Iweins tobesuht und seinem Selbstmordversuch ein Zwischenstadium dar, da es sich motivisch sowohl auf die vorangegangenen Episoden als auch auf die folgenden bezieht, wodurch es sich einer zweiteiligen Doppelwegstruktur entzieht. Si-

 Voss, Artusepik, S. 127.  Vgl. Schuhmann, Körper, mit einer umfassenden Übersicht über die bis dato erschienenen Deutungsansätze der Forschung S. 338–340. Seiner Sichtweise „dass bei Hartmann Iwein den Löwen offensichtlich gar nicht braucht“ (S. 342) kann ich mich in dieser Allgemeinheit nicht anschließen.  Vgl. Quast, Das Höfische, S. 126. Von besonderem Interesse sind weiterhin seine Überlegungen zur Liminalität des Helden, die über die Integration des Wilden, Gewalttätigen, die Einheit Iweins mit dem Löwen kenntlich werden lässt, die Iwein als höfische Gestalt und kriegerisches ‚Tier‘ zugleich erscheinen lassen. Unter anderen Voraussetzungen aber mit einem ähnlichen Ergebnis argumentierte schon Hugh Sacker: An Interpretation to Hartmann’s ‚Iwein‘. In: German Review 36 (1961), S. 5–26, hier S. 16 u. 20. Friedrich, Menschentier, S. 372 f. verweist auf die unterschiedlichen Identifiktationsbeziehungen von Ritter und Löwe bei Chrétien und Hartmann, die bei ersterem stärker heraldisch ausgeprägt sind: Nachdem Iwein den Drachen getötet hat „baut sich der Löwe nicht wie bei Chrétien in heraldischer Geste vor dem Ritter auf, sondern schmiegt sich zu dessen Füßen.“ (S. 372) Statt einem heraldischen Zeichen ähnelt dieses Verhalten hingegen der weitverbreiteten Darstellungspraxis auf mittelalterlichen Sarkophagen, wo ein Löwe zu Füßen der Grabfigur gezeigt wird. Vgl. Kurt Bauch: Das mittelalterliche Grabbild. Figürliche Grabmäler des 11. bis 15. Jahrhunderts in Europa. Berlin/ New York 1976, S. 73 f.; Zur Beziehung von Iwein und dem Löwen siehe auch Schulz, Erzähltheorie, S. 32 f. Xenja von Ertzdorff: Hartmann von Aue: Iwein und sein Löwe. In: Die Romane von dem Ritter mit dem Löwen. Hrsg. von ders. Amsterdam 1994 (Cloe. 20), S. 287–311 betont, dass der Löwe bei Hartmann „tiergemäßer“ (S. 289) sei als bei Chrétien, auch ebd., S. 294 f.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 176 f.

II.1.6 Animalische Gewalt gegen einen dehumanisierten Gegner

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cherlich markieren die erneute Begegnung mit Lunete (Iw, V. 4010–4213) und die beiden ineinander verschränkten Kämpfe gegen den Riesen Harpin und die Ankläger Lunetes einen neuen Auftakt. Im Gegensatz zu den Höhen und Tiefen, die die Figur Iweins bis zu und ab diesem Punkt durchlaufen hat, lässt sich – wie eingangs dargelegt – in Bezug auf seine manheit keine merkliche Veränderung feststellen. Hier ist jedoch zu differenzieren: Iweins kämpferische Fähigkeiten, seine praktische manheit, erscheinen als eine Konstante. Seine auf dieser Eigenschaft fundierte ‚äußere‘, diskursive manheit, unterliegt insofern einer Veränderung, als er sich diese unter dem Pseudonym des Löwenritters erneut erarbeiten muss. Jenseits der Ascalôn-Episode verfügt Iwein als Ritter der Tafelrunde und erfolgreicher Turnierfahrer über zwei Quellen des Ansehens, die nicht auserzählt werden. Demgegenüber wird den Rezipierenden die Mechanik der Generierung von Ansehen und der Ehrakkumulation durch die Demonstration von manheit im inkognito agierenden Löwenritter von Anfang bis Ende in Gänze dargelegt. Entsprechend sind nicht nur die Darstellung von Iweins (Kampf) Handlungen und die in ihnen zum Ausdruck gebrachte manheit zu betrachten, sondern immer auch ihre gesellschaftlichen Auswirkungen. Wie eingangs bereits angedeutet, lag der Schwerpunkt der Forschung vornehmlich auf dem letzteren Aspekt sowie der ethischen Grundlage der Kämpfe, wobei die im Text vorgebrachte Wertschätzung der kämpferischen Leistung unbeachtet blieb.359 Jedoch ist gerade das Zusammenspiel zwischen den Kämpfen und ihrer jeweiligen Kapitalisierung als ein Handlungsmotor aufzufassen, der Iwein nicht nur aus einer ‚persönlichen‘ Krise mit suizidalen Absichten herausführt, sondern auch die erzählerische Struktur des Romans bestimmt. In Bezug auf den Kampf gegen Harpin ist zunächst zu beobachten, wie Iwein seinen Feind tituliert.360 Im Gespräch mit seinem Gastgeber, dem von Harpin geschädigten Burgherrn, nennt Iwein den Riesen angesichts der Schmach, die er dessen Söhnen zuteilwerden lässt, zunächst einen unbescheiden man (Iw, V. 4961) und verspricht im Anschluss ichn sol deheinen rîter schelten: iedoch muoz er entgelten sîner ungewizzenheit. (Iw, V. 4969–4971). Wenig später redet Iwein den risen (die Bezeichnung, die der Erzähler vornehmlich verwendet) als rîter (Iw, V. 5008) an.361 Vordergründig ließe

 Vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 303, der im Sieg über Harpin nicht nur eine Wiederherstellung der „höfische[n] und herrschaftsrechtliche[n] Ordnung des Landes“ sieht, sondern vor allem die „in Gott gründende christliche Ordnung“. Siehe auch Meyer, Concept, S. 198 f.; Tax, Rittertum, S. 446–450 u. 459.  Vgl. Jackson, Chivalry, S. 247.  Vgl. Scott E. Pincikowski: Die Riesen in den höfischen Romanen Hartmanns von Aue. In: Riesen und Zwerge. Bozen 2016 (Runkelsteiner Schriften zur Kulturgeschichte. 10), S. 99–120, der auf das übliche Motiv der höflichen Anrede verweist (S. 101). Pincikowski betont, dass der Riese nicht nur ‚den Anderen‘ der höfischen Gesellschaft darstelle (ebd.) und dieser damit nicht nur den Spiegel vorhalte, sondern auch auf die kritische Seite der Gewalt verweise (S. 102 f.), die den höfischen Ritter ebenso kennzeichne. Pincikowski übersieht dabei, dass gerade die Gewaltausübung dieses höfischen Ritters positiv gekennzeichnet ist, wodurch der didaktische Aspekt in seiner Analyse überbetont wird.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

sich hier von einer Höflichkeitsfloskel sprechen, die in einem Missverhältnis steht zur unmoralischen Verhaltensweise des Riesen.362 Dies gilt jedoch nur, wenn der Ausdruck rîter von ethischen Kategorien bestimmt ist, die Ritterlichkeit zwangsläufig mit moralisch richtigen Handlungen in Verbindung bringen. Die âventiure-Definition Kâlogrêants hat hingegen gezeigt, dass ethische Werte kein zwingender Bestandteil ritterlichen Handelns sind. Vor allem kennzeichnet es jedoch die Ebenbürtigkeit, mit der Iwein seinem Gegner begegnet.363 Obwohl Harpin und Iwein sich in ihrem Auftreten, ihrer Ausrüstung und ihrer Kampfesweise in jeder Hinsicht voneinander unterscheiden, markieren die Anrede Iweins und die verbale Herausforderung zum Kampf den Auftakt zu einem reziproken Austausch von Gewalt. Mireille Schnyder hat ähnliche Formen höflicher Anrede in Hartmanns Ereck untersucht, wobei ihr Befund auf den Iwein übertragen werden kann:364 Genauso wie Harpin reagieren die Riesen im Ereck mit Beleidigungen und darüber hinaus mit einer gesteigerten Misshandlung ihres Opfers, was Ereck zum Angriff verleitet. Zusätzlich zum kommunikativen Registerwechsel, den Schnyder beobachtet, gibt der Erzähler zu verstehen, dass die Gewalt der Riesen der Provokation dient, da sie nicht damit rechnen, dass der Ritter sie angreift.365 Nach mehreren gescheiterten Versuchen Erecks, die Riesen verbal von ihrer Gewalttätigkeit abzubringen, ist seine unmittelbare Reaktion jedoch ein tödlicher Stoß durch das Auge des einen Riesen, der nicht auf Ereck achtet. Der Erzähler kommentiert den Angriff: wie klaine ers wolt trauen, / er stach in zu der erden tot, / als es der hofische gepot. (Er, V. 6501–6503/5515–5517) Wenngleich die Rettung des gequälten Ritters durchaus nobel erscheinen mag, ist es doch beachtlich, dass die Tötung mit einer Qualifizierung als hofisch einhergeht, zumal das Wort in diesem ‚höfischen‘ Roman nur zweimal vorkommt, in beiden Fällen im Zuge einer Rettungsaktion.366 Genauso wie Ereck greift Iwein den Riesen unvermittelt an. Genauer gesagt: Genauso wie im Ereck findet sich im Iwein kein kollektives Subjekt des Kampfes. Stattdessen wird in beiden Texten der unvermittelte Angriff der Helden geschildert: des vreute sich her Îwein daz er [Harpin] ungewâfent schein. under den arm sluog er

 Vgl. Schmid: Chrétiens ‚Yvain‘, S. 135–168, hier S. 152 f.  Anders Hoffmann, Arbeit, S. 301–305, der vor allem die Dämonisierung und ‚Verteufelung‘ Harpins hervorhebt, dabei aber von einer „Depotenzierung des Mythischen“ (S. 304) spricht, welche auch eine Benennung als rîter im Zuge einer Überführung in ‚normalweltliche‘ Kategorien darstellt.  Vgl. Mireille Schnyder: Erzählte Gewalt und die Gewalt des Erzählens. Gewalt im deutschen höfischen Roman. In: Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. Hrsg. von Manuel Braun, Cornelia Herberichs. München 2005, S. 365–379, hier S. 366–368.  dem ritter tâten si dô wê / durch sînen haz wirs dan ê, / wan si enhâten vorhte noch wân, / daz er si getorste bestân. / und als Êrec, der degen balt, / ersach, daz er sîn entgalt, / daz muote in harte sêre. (Er, V. 5495–5500).  Vgl. Julia Stiebritz-Banischewski: Hofkritik in der mittelhochdeutschen höfischen Epik. Berlin/ Boston 2020 (LTG. 19), S. 263.

II.1.6 Animalische Gewalt gegen einen dehumanisierten Gegner

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mit guotem willen daz sper unde nam daz ors mit den sporn, unde het in ûf die brust erkorn unde stach im einen selhen stich daz daz îsensper sich lôste von dem schafte unde im in dem lîbe hafte. (Iw, V. 5025–5032)

Die Riesen in beiden Romanen sind nicht nur wegen ihrer Anderweltlichkeit, sondern vor allem durch ihr unmoralisches und gesellschaftsfeindliches Verhalten als dehumanisierte Unmenschen gekennzeichnet, für die nicht nur kein Tötungsverbot gilt.367 Vielmehr kann, wo jegliche Schonung des Gegners nicht von Nöten ist, die Effektivität tödlicher Gewalt und damit die Qualität der manheit, zu der der jeweilige Ritter imstande ist, ungefiltert zur Schau gestellt werden. Indem dieser dehumanisierte Gegner jedoch gleichzeitig als rîter tituliert wird, wird Harpin als Gegner konstruiert, der sowohl einen ebenbürtigen und somit prestigeträchtigen als auch gewaltvollen Kampf liefert. Harpin führt als Waffe die für Riesen übliche Stange368 mit sich, kämpft zu Fuß und trägt auch keine Rüstung. nû het dem risen geseit sîn kraft unde sîn manheit waz im gewæfen töhte unde wer im geschaden möhte: in dûhte er hete gewæfens gnuoc an einer stangen die er truoc. (Iw, V. 5017–5022)

Wie ist es zu verstehen, wenn die manheit des Riesen als Anlass zur Wahl dieser Waffe dargelegt ist? Zunächst ist zu betonen, dass hier ein zweifellos moralisch äußerst verwerflicher Antagonist mit manheit beschrieben wird, der Begriff hier somit ohne moralische Konnotation verwendet wird. Von Interesse ist hier auch wieder die verzahnte Doppelbedeutung von manheit: Einerseits als eine Verhaltens- und Handlungsweise im Kampf und andererseits als eine von außen zugeschriebene Qualität. Meines Erachtens verweist die Erzählerrede (nu het dem risen geseit) indirekt darauf, dass Harpin sich manheit selbst zuschreibt, weil er die Wahl seiner Waffen an ihr ausrichtet. manheit ist hier als Erfahrung des Riesen markiert, die als das Wissen um gewonnene Kämpfe im praxeologischen Sinne die Interaktion des Akteurs mit seiner Umwelt lenkt. In der Erzählerrede werden kraft und manheit syntaktisch als sprechende Subjekte wiedergegeben, die die Handlungen des Riesen sowie die Wahl seiner Waffe beeinflussen. Harpins

 Vgl. Meyer, Concept, S. 199. Zu Riesen in Hartmanns ‚Iwein‘ und ‚Ereck’: „There is little human about them.“  Vgl. Pincikowski, Riesen, S. 101.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

manheit erfährt hier als zwischen praktischer und diskursiver manheit angesiedelte Eigenschaft eine Problematisierung, die einerseits (praktisch) in seiner Niederlage erkennbar wird, andererseits in der Differenz zum Protagonisten herausgearbeitet wird. Denn vom siegreichen Iwein war im Kampf gegen Ascalôn ja zu erfahren, dass er ungerne von seiner manheit redet (Iw, V. 1040f.). Mithin unterscheidet sich die Ausrüstung des Riesen und in der Folge auch seine Kampfesweise deutlich von Iweins konventionellem Erscheinungsbild als Reiter mit Schwert und Lanze. Dennoch weist die Darstellung des Kampfes einen gewissen Grad an Formalisierung und quid pro quo auf, der der besagten Reziprozität des Kampfgeschehens Ausdruck verleiht. Wie Iwein dem Riesen die Lanze in den Leib bohrt, so schlägt der Riese ihn beim ersten Durchgang halb tot. dô truoc in daz ros dan unz daz er daz swert gewan. Sâ kêrt er wider ûf in [Harpin], unde gestiurte in des sîn sin sîn kraft unde sîn manheit, dô er wider ûf in reit, daz er im eine wunden sluoc. Dô in daz ros vür truoc, dô sluoc der rise im einen slac, daz er gestracter lac vor ûf dem rosse vür tot. (Iw, V. 5039–5049)

Sowohl die Handlungen des Riesen als auch die des Ritters werden in diesem Kampf im Detail geschildert, sodass der jeweiligen manheit eine kämpferische Praktik zugeordnet werden kann. Iweins Kampfesweise zeichnet sich vor allem durch Mobilität und das Verhalten des Pferdes aus, das wie ein unabhängiger Akteur geschildert wird und somit ganz im Sinne der „ethischen Codierung“369 des Pferdes als adliges Superioritätssymbol aufgewertet wird. Auch historisch gesehen entsprechen die Handlung von Reiter und Pferd dem des berittenen Kämpfers, indem Iwein auf den Gegner zureitet, seine Lanze im Vorbeireiten versticht, um außerhalb der Reichweite des Riesen zu wenden, sein Schwert zu ziehen und erneut anzugreifen. Die Handlungen des Riesen beschränken sich demgegenüber auf seine Schläge, die stets in Reaktion auf Iweins An- und Vorbeireiten erfolgen. Gleichzeitig wird der Wucht seiner Schläge bildlich Ausdruck verliehen, wenn er ins Straucheln gerät, als er einmal nicht trifft. (Iw, V. 5060–5065) Der Schlagabtausch lässt die Reziprozität auch eines asymmetrischen Kampfes deutlich zu Tage treten. Die Formulierung sîn kraft unde sîn manheit zur Charakterisierung Iweins entspricht sprachlich exakt der des Riesen. Bei Harpin handelte es sich jedoch um eine durch den Erzähler vermittelte Selbstzuschreibung, also um interne Fokalisierung, während dem nullfokalisierten Erzählerkommentar bezüglich Iweins manheit und kraft eine höhere Glaubwür-

 Friedrich, Menschentier, S. 233–235.

II.1.6 Animalische Gewalt gegen einen dehumanisierten Gegner

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digkeit zugesprochen werden kann.370 Zusätzlich ist die bei Harpin implizite Verstandesebene bei Iwein in den Ausdruck sîn sin ausgelagert.371 Die von Udo Friedrich herausgestellte Opposition, dass Riesen „in ihrer Monstrosität [...] allein auf ihre Kraft“ vertrauten, aber „stets der höheren Waffen- und Kampftechnik des Rittertums“ unterlägen,372 ist daher zu präzisieren. Beide Akteure verfügen gleichermaßen über manheit, welche zwar als verbindendes, Reziprozität ermöglichendes Element zu betonen ist, aber vor allem unterschiedliche Implikationen enthält. Die manheit Iweins ist, wie Friedrich zutreffend beobachtet, als Waffen- und Kampftechnik aufzufassen, während sich Harpins manheit nicht nur durch Kraft, sondern auch durch Erfahrung auszeichnet. Offensichtlich ist der Kampf jedoch nicht ausgeglichen. Beim ersten Durchgang war Iwein einem tödlichen zweiten Schlag nur durch die Geschwindigkeit seines Pferdes entkommen, während er beim zweiten Durchgang in eine todesähnliche Ohnmacht versinkt. Die ritterliche Symmetrie, wie sie den Ascalôn-Kampf gekennzeichnet hatte und im hier vollzogenen Schlagabtausch als kämpferische Reziprozität zu Tage tritt, wird nun durch das Eingreifen des Löwen gebrochen. Die Symmetrie des Kampfes muss früher oder später aufgelöst werden in die Asymmetrie von Sieger und Verlierer. In der Analyse des Ascalôn-Kampfs ist zu sehen gewesen, wie der Erzähler nur gleichsam zögerlich das kollektive Subjekt der Kampfdarstellung aufgibt, das als stilistische Projektion der agonalen Reziprozität gedient hatte. Der Vers dô ersach der leu sîne nôt (Iw, V. 5050) markiert in doppelter Hinsicht den Wendepunkt des Kampfes. Zum einen verweist die Sichtbarkeit von Iweins nôt auf die drohende Niederlage, zum anderen löst er das Eingreifen des Löwen aus. Doch auch die animalische Wildheit des Löwen wird vom Riesen gespiegelt, der als ein ohse erloute. (Iw, V. 5057)373 Abgelenkt durch die Attacke des Löwen schlägt der Riese wild um sich, ohne zu treffen, und Iwein tötet ihn mit einem Stich durch das Herz: ê er erzüge den andern slac, dô hete sich her Îwein mit vil grôzen wunden zwein vil wol an im gerochen unde daz swert durch in gestochen rehte dâ daz herze lît. dô was verendet der strît, [...]. (Iw, V. 5066–5072)

 Vgl. zu den unterschiedlichen Fokalisierungen Hübner, Erzählform, S. 29.  Vgl. Friedrich, Ordnung, S. 132.  Friedrich, Ordnung, S. 145.  Vgl. Bein, Ästhetik, S. 48. Wie schon bei seiner Betrachtung der Schlacht von Narison (ebd., S. 47) ist die Aussage, dass „in Hartmanns Darstellung das Bestialische des Löwenkampfes mit den unblutigen slac- und stich-Aktionen Iweins“ kontrastiert werde (ebd., S. 48), insofern problematisch, als diese den Riesen ja verwunden und damit durchaus blutig sind. Siehe auch Friedrich, Menschentier, S. 369 u. 372, der zeigt, dass die animalischen Züge des Löwen in Hartmanns Text gegenüber der Vorlage gestärkt sind.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Das Wort gerochen (‚rëchen‘) ist hier von besonderem Interesse: Die Tötung des Riesen stellt als ‚Rache‘ eine (im Sinne des bellum iusutm) legitime Reaktion auf die Verletzungen Iweins sowie dessen (Beinahe-)tôt und seine nôt (Iw, V. 5049f.) dar. Gerade als Reaktion auf ein vorangegangenes Übel bewegt sich ‚Rache‘ während eines Zweikampfs aber im Feld des reziproken Gewaltaustauschs. Es ließe sich argumentieren, dass ein bellum-iustum-Argument hier als zusätzliche Legitimation der Tötung Harpins gebraucht wird. Weiterhin betont Thomas Bein die subtile Änderung, die Hartmann an dieser Stelle gegenüber Chrétien vorgenommen hat: Statt ins Herz – als metaphorischem „Sitz des Lebens“374 – trifft Yvain den Riesen in die Leber.375 Daß Hartmann ein anderes Organ wählt, ist keineswegs nur als anatomische Variation zu verstehen. Vielmehr begibt sich Hartmann auf eine kategorial andere Ebene als Chrétien. Es kommt ihm nicht darauf an zu schildern, aufgrund welch schwerer Verwundung der Gegner getötet wird, sondern es kommt nur auf das Ergebnis an: der Riese wird getötet, die dämonische Gefährdung der Welt ist abgewendet.376

Nach dem Sieg etabliert Iwein sein Pseudonym als ‚Ritter mit dem Löwen‘,377 indem er der gesamten geretteten Familie aufträgt, gesammelt die Nachricht über seinen Sieg an Gâwein zu überbringen: vrâger iuch wie ich sî genant, / sô tuot im daz erkant / daz ein leu mit mir sî. (Iw, V. 5122–5126) Eingeleitet wird diese Bitte mit dem Verweis auf die innige Freundschaft, die ihn mit Gâwein verbindet.378 herre, zuo dem rîtet ir unde grüezet in von mir, und vüeret mit iu iuweriu kint diu dâ hier erledeget sint, daz ir swester mit in var, und vüeret ouch daz getwerc dar, des herre hie ligt erslagen, ir sult im des genâde sagen swes ich iu hie gedienet hân: wan daz ist gar durch in getân. (Iw, V. 5113–5122)

Es mag befremdlich erscheinen, dass Iwein seinen Namen nicht preisgeben will, jedoch eine veritable Prozession von befreiten Söhnen, der Tochter des Grafen (Gâweins Neffen und Nichte), dem Grafen selber und zusätzlich dem Zwerg des getöteten

 Bein, Ästhetik, S. 47.  Vgl. Bein, Ästhetik, S. 44 u. 47; Yvain, V. 4238–4243.  Bein, Ästhetik, S. 47.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 190; Ertzdorff, Hartmann, S. 301.  Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 114. Grundsätzlich zur Freundschaft zwischen Iwein und Gâwein auch Gebert, Wettkampfkulturen, S. 178–188.

II.1.6 Animalische Gewalt gegen einen dehumanisierten Gegner

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Riesen zu Gâwein schickt.379 Bis auf den Zwerg, der den Riesen chiastisch zeichenhaft vertritt, hat die Tötung Harpins jeden von ihnen in der ein oder anderen Form gerettet. Damit sind sie alle Zeugen oder vielmehr selbst physische Beweise, mithin Spolien seines Sieges, die nicht nur eine umfangreiche Akkumulation symbolischen Kapitals bei Gâwein und der ihn umgebenden Gesellschaft ermöglichen, sondern meines Erachtens auch ein äußerst ausgeprägtes Streben danach zum Ausdruck bringen. Mit Ludgera Vogt ist zu argumentieren: „Ehre als symbolisches Kapital funktioniert nur dann, wenn der nutzengeleitete Aspekt verschleiert wird.“380 Die Verschleierung liegt hier nicht so sehr im Pseudonym des Löwenritters, sondern in der Markierung als Freundschaftsdienst. Für diesen hätte ein einzelner Bote wohl genügt. Gleichzeitig kann das gesellschaftliche Wissen um die Fähigkeit zur Gewaltausübung, also diskursive manheit, als symbolisches Kapital nur genutzt werden, wenn der gewalttätige Aspekt verschleiert und sublimiert wird, da sonst eine Glorifizierung des ersteren unmöglich ist.381 Im Gegensatz zu der übergeordneten Kategorie der Ehre ist die Funktionsweise diskursiver manheit als symbolischem Kapital hier klar zu benennen: Der tautologische Nutzen von auf manheit basiertem Ansehen besteht darin, angesehen, also bekannt und geschätzt zu sein. Dieses Ansehen eröffnet dann wiederum neue Möglichkeiten weitere Kämpfe zu bestehen, die durch das bereits erworbene Ansehen an den Helden herangetragen werden, wie etwa bei der jüngeren Tochter des Grafen vom Schwarzen Dorn. Auch wenn, wie Hübner sagt, „[d]ie aventiure [...] für den Protagonisten bestimmt“382 ist, muss sich Iwein die Gelegenheit dazu erarbeiten. Wie schon beim heimlichen Auszug am Anfang, konkurriert er dabei mit Gâwein, dessen symbolisches Kapital an diskursiver manheit durchweg größer erscheint.383 Je bekannter die manheit in der Gesellschaft ist, desto größer ist die Chance, aber auch die Notwendigkeit, sie unter Beweis zu stellen und das eigene Ansehen dadurch zu mehren. Wenn man mit Judith Klinger von einem aus manheit hervorgehenden Zwang zur Verausgabung von Leib und Leben spricht,384 kann auf manheit gegründetes Ansehen als Katalysator einer Spirale betrachtet werden, in der die Akteure zwar mit jeder Windung in die Nähe des Todes geraten, aber stets wortwörtlich ‚die Kurve kriegen‘ zu einem erneuten Anwachsen ihres Ansehens.385

 Vgl. Tax, Rittertum, S. 449–451, der hier eine Stellvertretung für „Gaweins avunkulares Versäumnis“ (S. 451) sieht.  Vogt, Ehre, S. 305, Anm. 10.  Die Bezüge von praktischer und diskursiver manheit, von Kampfkraft und symbolischem Kapital ließen sich mit Wolf, Kalküle, S. 235: „als Abgrenzungsversuche gegen ein (scholastisch-normatives) Meinungsmonopol, welches eine Verbindung von Ehre und Caritas anstrebt, verstehen.“  Hübner, Erzählform, S. 165.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 187 f.  Vgl. Klinger, Begehren, S. 194 f. Siehe auch Vogt, Ehre, S. 303.  Vgl. Wolf, Kalküle, S. 234 f., der jedoch nicht auf den Konnex von êre und manheit abhebt.

166

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Iweins Kampf gegen Harpin erweist sich als äußerst facettenreich, denn durch die Trias von Exposition, Durchführung und Kapitalisierung des Kampfes werden je disparate Aspekte der Erzählung aneinandergeknüpft. An erster Stelle ist hier der Löwe zu nennen, der gegen Harpin das erste Mal an Iweins Kampf partizipiert und damit nicht nur hilft, den Kampf zu Iweins Gunsten zu entscheiden, sondern auch das Muster der folgenden Kämpfe initiiert. Die im Vorfeld des Kampfes dargelegte Vergesellschaftung von Ritter und Löwe kulminiert somit in der gemeinsamen Kampfhandlung. Eine solche motivische Verschränkung beobachtet auch Udo Friedrich: „Der Einsiedler korrespondiert der Hilfe des Löwen, der Riese Harpin dagegen der Aggression des Drachen.“386 Zugleich ist die liminale Annäherung von wilder Gewalt und höfischen Werten, die Iwein und der Löwe verkörpern,387 als gesellschaftsstabilisierende, ordnungsstiftende Notwendigkeit von manheit geschildert, insofern Harpins unmoralischer Antagonismus ausgebreitet und demonstrativ überwunden wird. Die demonstrative Überwindung Harpins spiegelt sich in der extensiven Kapitalisierung bei Gâwein, in der der einzelne Kampf in eine Vielzahl von Rettungen überführt und somit ausdifferenziert wird. Gleichzeitig begründet der Kampf die heraldische Funktion des Löwen, die trotz der von Friedrich aufgezeigten Abmilderung dieser Qualität388 hier Einzug hält. Schließlich erscheint der Löwe eben nicht nur als eine Begleitung. Der Text stellt seine wirkungsvolle Assistenz im Kampf deutlich heraus, sodass auch seine Kampfkraft in der diskursiven manheit des Ritters mit dem Löwen aufgeht und durch die Vermittlung an Gâwein publik gemacht wird. Zuletzt zeigt sich in Iweins auch verbaler Auseinandersetzung mit dem als rîter angeredeten Riesen, dass erstens manheit einen Wert darstellt, der keine ethischen Implikationen enthält und zweitens auch der Ritterbegriff im Iwein nicht notwendigerweise mit ethischen Kategorien verknüpft ist.

II.1.7 Die manheit des Löwenritters zwischen Pseudonym und Symbiose – Lunetes Gerichtskampf „Gegen drei starke Männer gibt es kein kämpfen.“ (Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften389)

Auch der Kampf gegen den Truchsess des Brunnenreichs und seine Verwandten wird durch eine umfangreiche Exposition eingeleitet, die nicht zuletzt durch die von Gebert herausgestellten Erzählbewegungen des Verbergens und Aufdeckens gekennzeichnet

 Friedrich, Menschentier, S. 362.  Vgl. Quast, Das Höfische, S. 114.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 273 f.  Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Erster Teil. In: Gesamtausgabe. Hrsg. von Walter Fanta. Bd. 1. Salzburg 2016, S. 36.

II.1.7 Die manheit des Löwenritters zwischen Pseudonym und Symbiose

167

ist.390 Zu den Rahmenbedingungen des Kampfes gehört auch die erneute Überlagerung der ritterlichen Systeme, wie sie bereits beim Ascalôn-Kampf stattgefunden hat. Auf der einen Seite steht Iwein, in dessen âventiure-Modell das Schema der ‚Jungfrau in Nöten‘391 eingelassen ist, während sein Gegner als Ankläger und Kämpfer der Anklage im Gerichtskampf und als Truchsess, dem „obersten Repräsentanten königlicher/fürstlicher Gewalt“392, einem politisch-rechtlichen Modell verpflichtet ist, das demjenigen Ascalôns ähnelt. Die Konstellation, dass Lunetes Verteidiger im Gerichtskampf gegen drei Gegner zu kämpfen habe, geht dabei auf ihren eigenen Vorschlag zurück, den sie vorschnell geäußert hat. Die ausführliche Erklärung Lunetes, wie sie von Affekten (zorn, Iw, V. 4140) gesteuert eine unmögliche Situation heraufbeschworen habe, erscheint mir vornehmlich ‚von hinten‘ motiviert, da sich Iwein und der Löwe der Sache gewachsen zeigen und somit Iweins manheit umso deutlicher hervorsticht: ‚sô wære daz gar wider den siten daz einer kampfte drî man wan die liute gehabent sich daran daz zwêne man sint eines her: so wære diz gar âne wer.‘ (Iw, V. 4326–4330)

Wie bei Robert Musil verweist Lunetes Rede hingegen nicht auf einen rechtlichen Grundsatz393, sondern auf ein common-sense-Wissen, nach dem ein Kampf gegen zwei und erst recht gegen drei Gegner zwangsläufig verloren geht und daher ungebräuchlich ist. Somit wird Iweins manheit durch die Ankündigung der Überzahl erzählerisch vorausgreifend thematisiert, wenn Iwein im Folgenden gleichsam das Unmögliche gelingt. Eine weitere Rahmenbedingung findet sich in dem Umstand, dass Iwein indirekt für seinen eigenen guten Namen kämpft, der wiederum vom Ascalôn-Kampf abhängig ist, denn die Anklage gegen Lunete richtet sich gegen ihre Teilhabe an Iweins Erhebung zum König des Brunnenreichs.394 In ihrer Erklärung bekennt Lunete mehrfach, dass sie Iwein vor dem Fristversäumnis für vollkommen tugendhaft gehalten habe: ouch wundert mich sêre, daz ein alsô vrumer man sô starke missetuon kan: wander was benamen der beste

 Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 207 f.  Vgl. Breulmann, Erzählstruktur, S. 311.  Elisabeth Lalou: Art. ‚Seneschall‘. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 7. Stuttgart 1999, Sp. 1753–1754. Das Amt des Seneschall ist identisch mit dem des Truchsessen, vgl. Sebastian Kreiker: Art. ‚Truchseß‘. In: Lexikon des Mittelalters. Bd 8. Stuttgart 1999, Sp. 1069–1070.  Vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 291 f., dem zufolge der Kampf gegen drei „rechtswidrig“ sei, was er an diesem Zitat belegen möchte.  Siehe erneut Breulmann, Erzählstruktur, S. 311–314.

168

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

den ich dô lebende weste. ouch ist ez niht von den schulden sîn: ez ist von den unsælden mîn. (Iw, V. 4062–4068)

Die Anklage auf Falschheit und Verrat hängt somit von der Frage ab, ob Iwein ein würdiger Herrscher ist. Das kämpferische Gottesurteil, das Lunete fordert (Iw, V. 4146–4161), bestätigt durch seinen Ausgang Iweins vrümecheit. Iwein nennt die Position, die er im Kampf vertritt, im verbalen Schlagabtausch mit seinen Gegnern: Dô sprach der rîter mit dem leun: ‚ir mugt harte vil gedreun: ir müezet mich bestân ode die juncvrouwen lân. Mir hât diu unschuldige magt bî dem eide gesagt daz si wider ir frouwen sî aller untriuwen frî unde daz si ir nie getæte deheine misseræte.‘ (Iw, V. 5263–5272)

Gleichzeitig wird explizit der erste Abschnitt der Handlung mit dem zweiten verknüpft, wenn in diesem Kampf der Löwenritter für den gleichsam mitangeklagten Iwein kämpft.395 Nach der Logik des Ordals (beziehungsweise des Cramschen KampfBeweises396), als das der Kampf hier deklariert wird, beweist Iwein durch seinen Sieg, dass Lunete ihrer Herrin gegenüber nicht untriuwe war und keine valscheit (Iw, V. 4124) beging. Da die Vorwürfe sich direkt auf ihre Beteiligung an Iweins Königwerdung beziehen, bewiese ein Sieg dann auch, dass Lunete Iweins Eignung zum König richtig bemessen hatte. Dabei muss es offen bleiben, welches Gewicht die Rezpient:innen der Aussage als Ergebnis eines Gottesurteils beigemessen haben.397 Für Mertens „befreit [Iwein] gleichzeitig Lunete wie sich selbst von der Beschuldigung, er beweist, daß Lunete doch keinen schlechten Mann zum Herrn gemacht hatte.“398 Iwein erscheint im letzten Moment, denn der Scheiterhaufen ist schon geschichtet und Lunete ist bereits, bis auf das Unterhemd ausgezogen, ûf ir knien an ir gebete / unde

 Zur Stellvertretung Iweins durch den ‚Löwenritter‘ siehe auch Tax, Rittertum, S. 446.  Vgl. Cram, Iudicium belli, S. 10–16. Siehe auch Kap. I.3.2.  Vgl. zu dieser Fragestellung Terrahe, Berufsrisiko, S. 8 mit weiterführender Forschung. Ihr Fazit lautet: „Als kulturelle Grundvoraussetzung, die schon in der Antike wurzelt, muss dabei berücksichtigt werden, dass der mittelalterliche Mensch den Ausgang eines Konfliktes, sei es in der Schlacht oder im Zweikampf, generell als Gottesurteil versteht – eine Auffassung, die Christen und Heiden miteinander teilen.“ (ebd.) Zum Zweikampf als Gottesurteil Friedrich, Ordnung, S. 138 f., mit weiterführender Literatur auch S. 124.  Mertens, Recht, S. 206.

II.1.7 Die manheit des Löwenritters zwischen Pseudonym und Symbiose

169

bat got der sêle pflegen / wan des lîbes het si sich bewegen. (Iw, V. 5158–5160)399 Auch wenn man für die mittelalterliche Literatur nicht von zufälliger Koinzidenz sprechen kann, da sich die jeweilige âventiure ausschließlich für den Helden entfaltet400 bedeutet es doch einen Mehrwert für die heldenhafte Leistung Iweins, wenn herausgestellt wird, wie knapp sein Eintreffen ist. Denn Termindruck und Fristversäumnis sind, wie die Forschung lange erkannt hat,401 grundsätzliche Themen des Romans und je näher (oder größer) die Not für die Dame ist, desto größer ist die Heldenhaftigkeit ihres Retters: nû gâhte er sêre mit sporn, / wande si wære verlorn, / wær er iht langer gewesen. (Iw, V. 5175–5177) In Bezug auf die Modelle der Akkumulation symbolischen Kapitals, wie sie am Ende des Harpin-Kampfes angeklungen sind, ist hier somit in jedem Fall mit einer höheren ‚Rendite‘ zu rechnen.402 Eine weitere Deutung der zeitlichen Verschachtelung vom Harpin- und Lunete-Kampf gründet auf den separaten Sphären von Artuswelt und Brunnenreich.403 Der Kampf gegen den Riesen ist durch die expliziten Bezüge zu Gâwein als Teil der ersteren zu betrachten, während der Kampf gegen den Truchsess, der ja sogar in der Nähe des Brunnens stattfindet, dem Brunnenreich zuzuordnen ist. Somit beweist sich der Löwenritter gleichzeitig in beiden Sphären. Zudem lässt sich eine Parallele zu Iweins primärem Fristversäumnis beobachten. Wurde bereits dieses durch die âventiure-Fahrt mit Gâwein verursacht, führt hier eine weitere auf Gâwein bezogene Handlung beinahe zu einem zweiten Versäumnis. Trotz der erschwerten Kampfbedingungen ist Iwein zuversichtlich, dass er den Kampf gegen drei Ritter bestehen kann, da got unde ir unschulde den gewalt niene dulde daz im iht missegienge, unde daz ouch vervienge der leu sîn geverte daz er die magt ernerte. (Iw, V. 5169–5174)404

 Vgl. Uta Störmer-Caysa: Grundstrukturen mittelalterlicher Erzählungen. Raum und Zeit im höfischen Roman. Berlin/New York 2007, S. 123, die darauf hinweist, dass der Scheiterhaufen sogar bereits unter Lunetes Füßen respektive Knien entzündet worden sein muss, da man einen Menschen nur schwer auf einen bereits brennenden Scheiterhaufen führen kann.  Vgl. Störmer-Caysa, Grundstrukturen, S. 168; Vogt, Ehre, S. 304 f.  Vgl. Warning, Formen, S. 564; Kurt Ruh: Zur Interpretation von Hartmanns ‚Iwein‘. In: Philologia Deutsch. FS zum 70. Geburtstag von Walter Henzen. Hrsg. von Werner Kohlschmidt, Paul Zinsli. Bern 1965, S. 39–51, hier S. 44 f.  Vgl. Störmer-Caysa, Grundstrukturen, S. 121.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 213–215.  Dieser bekannte Topos des Gottesurteils begegnet schon im biblischen Kampf von David gegen Goliath: Siehe Hieronymus: Biblia Sacra Vulgata. Lateinisch-deutsch. Bd. II. Hrsg. von Andreas Beriger [u. a.]. Berlin/Boston 2018 (Sammlung Tusculum), S. 334–339 (Samuel I, 17,37–47).

170

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Durch die Klagen der Gefährtinnen Lunetes ist Iwein für den Kampf motiviert. Diz machte im den muot / ze vehten starc unde guot. (Iw, V. 5217f.) Wie beim Ascalôn- und Harpin-Kampf bringen sich die Kontrahenten in einem symmetrischen Wortgefecht zunächst in Stellung. Auf die Anklage Lunetes und die Elaborierung der Überzahl der Gegner erfolgt die Beteuerung von Lunetes Unschuld. Das Motiv der numerischen Überlegenheit – oder im Falle Iweins: der Ausgewogenheit durch die Unterstützung von Gott und der Wahrheit – wird hier noch einmal wiederholt: ‚waz dâ von, sint iuwer drî? Wænt ir, daz ich eine sî? Got gestuont der wârheit ie: mit den beiden bin ich hie. Ich weiz wol, die gestênt mir: sus bin ich selbe dritte als ir. daran lît, wæne ich, grœzer kraft danne an iuwer geselleschaft.‘ (Iw, V. 5273–5280)405

Zugleich wird die problematische Ambivalenz dieser Argumentation demonstriert, denn der Truchsess erwidert: herre, ze dem [= Gott] drôt ir mir: / ich getrûw im helfe baz danne ir (Iw, V. 5285f.), womit beide Seiten – wie es bei einem Gerichtskampf ja auch sein sollte – den Glauben an die Rechtmäßigkeit ihrer Sache und das daran angeschlossene Gottvertrauen offenbaren. Vor dem Hintergrund der Differenzierung eines Gerichtskampfs sowohl als Kampf-Wette als auch als Kampf-Beweis findet sich so gesehen eine Überlagerung. Auch wenn beide miteinander verknüpft sind, ist die eigentliche Streitfrage dabei nicht so sehr die Schuld oder Unschuld Lunetes, als vielmehr der ethische Wert und die Idoneität Iweins, die vom Löwenritter stellvertretend verteidigt und bewiesen werden.406 Da dieser jedoch gleichzeitig Iwein selbst ist, kann er mittels seiner manheit das Recht des Stärkeren in der Kampf-Wette durchsetzen und die politische Opposition des Truchsessen wortwörtlich mundtot machen. Der als Gottesurteil dargestellte Kampf lässt so eine axiologische Ambivalenz zwischen den Positionen der Kontrahenten anklingen, der sich der Erzähler nur zurückhaltend entgegenstellt. Wenig überraschend liegt seine Sympathie bei seinem Protagonisten407 und der reinen guoten magt (Iw, V. 5229) Lunete, was den auktorial wiedergegebenen Redeanteilen der umstehenden Figuren zu entnehmen ist, die sämtlich auf Lunetes Seite stehen. Der Erzähler verdammt den Truchsess jedoch nicht selbst und er wendet sich auch nicht gegen dessen Gottvertrauen.

 Ein ähnliches Motiv begegnet auch im Kampf von Tristan gegen Morold, vgl. Friedrich, Ordnung, S. 155 f.  Vgl. Tax, Rittertum, S. 451, der jedoch diese spezifische Stellvertretung nicht bemerkt.  Vgl. Dimpel, Velten, Sympathie, S. 22, die einen „Protagonistenbonus“ konstatieren.

II.1.7 Die manheit des Löwenritters zwischen Pseudonym und Symbiose

171

Um den Kampf zu charakterisieren sei zunächst auf die einleitende Ankündigung von Lunete verwiesen, die die besondere Schwierigkeit des Kampfes beschreibt. Sie sagt, als Iwein ihr am Brunnen begegnet: ‚ich weiz ir zwêne, unde ouch niht mê, an den sô volleclîchen stê diu tugent unde diu manheit, die sich sô grôze arbeit durch mich armen næmen an. daz sint ouch zwêne selhe man, ir ietweder slüege âne wer disses volkes wol ein her.‘ (Iw, V. 4086–4094)

Ganz explizit wird manheit hier mit der extensiven Fähigkeit zu töten oder zumindest zu siegen gleichgesetzt. Iwein fragt kurz darauf, wer jene zwei wären, von denen ietweder sô vrum sî. (Iw, V. 4106) Selbstverständlich sind diese zwei Iwein und Gâwein. Erneut findet sich hier ein indizierender Verweis auf das symbolische Kapital, das Iwein unter anderem im Kampf gegen Ascalôn erworben hat, womit die oben angesprochene Dynamik einer Ansehensspirale in ihrer Funktionsweise erkennbar wird: Es zeigt sich, dass die kämpferischen Fähigkeiten Iweins und Gâweins durch den gesamten Roman hindurch miteinander in Beziehung gesetzt werden.408 Sowohl der Graf der HarpinEpisode, als auch die jüngere Tochter des Schwarzdorn-Grafen wünschen sich Gâwein als ihren Streiter, der jedoch beide Male verhindert ist.409 Diese Priorität Gâweins gründet sich auf die ihm gesellschaftlich attribuierte, diskursive manheit. Lediglich Lunete attribuiert anders, denn sie verfügt über ein gesondertes Figurenwissen, was auf ihre Zugehörigkeit zum Brunnenreich und den strukturellen Bezug zu Iweins Kampf mit Ascalôn zurückzuführen ist. Wie zwischen Iwein und Ascalôn erfolgt die Attribuierung diskursiver manheit über eine Mechanik des Vergleichs. Lunete weiß um die anscheinend gesellschaftsübergreifend anerkannte manheit Gâweins, sie weiß aber auch, dass Iwein Ascalôn besiegt hat und glaubt daher zu wissen, dass Iwein und Gâwein einander ebenbürtig sind. Die sô grôze arbeit im Kampf gegen den Truchsess und seine Verwandten besteht darin, dass hier tatsächlich drei Ritter gleichzeitig gegen Iwein kämpfen, während sonst im höfischen Roman solche numerisch ungleichen Kämpfe sukzessive als Reihenkämpfe ausgeführt werden.410 Dabei wird erneut die Gemeinschaftlichkeit des Kampfes, wie auch die gemeinsame Partizipation an der konventionellen Form des Kampfes anfangs durch eine kollektive Beschreibung verdeutlicht.

 Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 187 f.; Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 108 f.  Siehe wiederum Tax, Rittertum, zum „stellvertretenden Rittertum.“  So etwa im Ereck (Er, V. 4207–4226/3215–3234) und in der Crône (V. 6257–6583). Siehe auch Gebert, Wettkampfkulturen, S. 89.

172

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

sus sint diu wort hin geleit, unde wurden ze strîte gereit. Und wâren alle viere zen orsen komen schiere unde liezen von ein ander gân, daz si ir puneiz411 mohten hân. (Iw, V. 5307–5312)

Der Gleichförmigkeit des Verhaltens steht jedoch die Unausgewogenheit der Parteien gegenüber, sodass das kollektive Subjekt des Kampfes prompt in die einzelnen Parteien aufgelöst wird: unde triben alle drî dan / wider ûf den einen man (Iw, V. 5314f.) Auf einer (homo)diegetischen Ebene entsteht Spannung durch die Frage, wie Iwein einen solch unausgewogenen Kampf gewinnen soll, während auf einer strukturellen Ebene nach den Attributen zu fragen ist, die Iwein beigefügt werden. Im Kampf verhält sich Iwein als ein wîse man der sîne rîterschaft wol kan unde sîne kraft mit listen ze rehten staten vristen. (Iw, V. 5317–5320)

Wie im Harpin-Kampf durch den sin (Iw, V. 5042) wird Iweins Kampfpraktik mit einer kognitiven Leistung (list) in Beziehung gesetzt, wobei sîne rîterschaft zum Ausdruck bringt, dass er die konventionellen Praktiken des berittenen Kampfes beherrscht. Gleichzeitig wird damit ein Verhalten eingeleitet, das die Konvention des Kampfes zwar nicht bricht, aber als unorthodox oder eben unkonventionell bezeichnet werden kann und dabei mit dem genannten Ausdruck trotzdem im Rahmen eines konstitutivkonventionellen Wertsystems verortet wird: Alle drei Gegner zerbrechen ihre Lanze an Iweins Schild, sodass Iwein den Truchsess, der ihn jetzt mit dem Schwert attackiert, mit seiner Lanze aus dem Sattel heben und fürs erste kampfunfähig machen kann (Iw, V. 5321–5339). So wird Iweins manheit gegenüber dem Truchsess manifest, da er ihm mit „kontrollierter Kampftechnik (list)“412 die Kapazität genommen hat, den Kampf fortzusetzen. nû riten wider ûf in die zwêne die noch werten, unde pflâgen sîn mit den swerten als guote rîter solden. daz wart in wol vergolden, wande ie sîn eins slac vaste wider ir zwein wac. (Iw, V. 5342–5348)

 Vgl Lexer, Bd. 2, Sp. 308: puneiz, „stossendes anrennen auf den gegner, von einzelnen od. von vielen.“ .  Friedrich, Ordnung, S. 132.

II.1.7 Die manheit des Löwenritters zwischen Pseudonym und Symbiose

173

Dieser Formulierung kommt besonderes Gewicht zu, da sie die einzige in der Darstellung der zweiten Phase des Kampfes ist, in der Iweins aktives Handeln beschrieben wird. Die Verse wande ie sîn eins slac / vaste wider ir zwein wac spielen an dieser Stelle mit einer sprachlichen Doppelbedeutung des Prädikats wëgen, das sowohl ‚wiegen‘ als auch – in Verbindung mit wider – ‚sich (gegen etwas) bewegen‘ bedeutet.413 In der ersten Bedeutung dominiert ein Vergleichsverhältnis, ob Iweins Schlag minder-, mehr- oder gleichwertig ist zu seinen Gegnern und ihren Schlägen. So haben es auch die Übersetzer:innen vornehmlich aufgefasst.414 Demgegenüber legt die zweite Bedeutung den Fokus auf Iweins eigene Kampfhandlung und hebt somit sein kämpferisches Können hervor. Der abstrakten Metapher des Aufwiegens ist daher die konkrete Darstellung, wie sich Iwein gegen die Schläge zweier Gegner zur Wehr setzt, vorzuziehen. Durch das ironische daz wart in wol vergolden ist weiterhin angedeutet, dass die beiden Angreifer in irgendeiner Form Schaden davontragen, sodass insgesamt ein Nachteil auf der Seite der Gegner festzustellen ist. Indem Iwein eine kämpferische Reziprozität in einem unausgewogenen Kampf herstellt, wird seine Kampfkraft durch die Darstellung kämpferischer Praktiken besonders hervorgehoben. Dies bestätigt sich auch durch die abschließende, tautologische Einschätzung des Erzählers: er bedorfte wol kraft unde wer, / wan zwêne wâren ie eins her. (Iw, V. 5349f.) In dieser Passage scheint Iwein seinen beiden Gegnern also ebenbürtig zu sein und der Erzähler versichert uns weiterhin des göttlichen Beistands, den der Held genießt (Iw, V. 5351–5361), bemerkt aber dennoch: ouch wâren si niht zagen die in dâ an vâhten, wande si in brâhten in vil angestlîche nôt. zwâre âne den tôt bekumberten si in sêre: dochn mohten si ime dehein êre vürnamens an gewinnen. (Iw, V. 5362–5369)

Die Beschreibung des Kampfes zeigt Iwein mal als ebenbürtig und seiner êre sicher und mal in angestlîcher nôt, was sich als eine erzählerische Ambiguität verstehen lässt, die dem Kampf nicht nur den Charakter eines dynamischen Aushandlungsprozesses verleiht. Wie Bent Gebert hervorhebt, stellen Wettkämpfe auch einen erzählerischen Weg

 Vgl. Judith Stieglbauer-Schwarz: Wiegen, wägen und bewegen. Etymologie und Wortgeschichte. Frankfurt a. M. [u. a.] 2001 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur. 1787), S. 75. Siehe auch BMZ, Bd. III, Sp. 626b.  Neben der Übersetzung von Mertens: „denn ein Schlag von ihm war immer soviel wie zwei von ihnen“ findet sich bei Krohn, Iwein, S. 347: „denn jeder einzelne Schlag von ihm wog so schwer wie zwei“; Cramer, Iwein, S. 97: „denn ein Schlag von ihm war gut soviel wert wie zwei von ihnen“; Wehrli, Iwein, S. 345: „denn jeder Schlag von ihm allein wog mehr als zwei von ihnen.“

174

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

dar, Pluralität zu entfalten und auszuhandeln.415 Angesichts der ambigen, und vom Erzähler breit dargelegten Ausgangslage einer beiderseitigen Berufung auf Gott und die Wahrheit, lässt die dynamische Darstellung des Kampfes erkennen, dass die durch Iweins letztendlichen Sieg erzeugte Eindeutigkeit nur durch die Linse der finalen, narrativen Motivation als gesetzt anzusehen ist. Im erzählerischen Vollzug, der identisch ist mit der Erzählung des Kampfes, werden die unterschiedlichen Sinnangebote ambivalent zueinander in Beziehung gesetzt, ehe das Eingreifen des Löwen die Pluralität des Kampfes in die Eindeutigkeit des Sieges umwandelt. Der besagte göttliche Beistand ist dabei nicht an Iweins Rechtschaffenheit oder Ähnlichem ausgerichtet, sondern als Folge der für Iweins Erfolg betenden Hofdamen ausgewiesen: Die iuncvrouwen bâten alle got daz er sîne gnâde unde sîn gebot in ze helfe kêrte, unde in ir kempfen êrte, daz er in ze trôste ir gespiln erlôste. nû ist got sô gnædec unde sô guot unde sô reine gemuot daz er niemer kunde sô manigem süezen munde betlîchiu dinc versagen. (Iw, V. 5351–5361)

Der göttliche Beistand hängt, so die Darstellung, von externen Faktoren ab, sodass zu den Äußerungen Iweins und des Truchsessen weitere Sinnangebote hinzukommen und somit auch das folgende Eingreifen des Löwen einer ambigen Bedeutungsstruktur unterliegt. Zugleich überschreitet die Darstellung die Grenze zwischen dem sozialen Raum des Kampfes auf der einen Seite und dem ‚gewöhnlichen Leben‘ sowie dem Feld der den Kampf begleitenden externen Umstände auf der anderen Seite. Die sozialen Bande mit der gespiln und die manigen süezen munde schreiben sich mit in den Aushandlungsprozess des Kampfes ein, wie auch die Rückkehr des bewusstlosen Truchsesses das Eingreifen des Löwen zeitigt: dô dûhte den leun er het zît / sich ze heben in den strît (Iw, V. 5375f.). Dies geschieht hingegen unter unklaren Vorzeichen. Es ist bereits argumentiert worden, dass Iweins Löwe durch die von Isidor von Sevilla und den Physiologus etablierte Christus-Metaphorik als ein göttlicher Begleiter gelesen werden könne.416 Darüber hinaus gibt es jedoch keine direkten Anzeichen das Eingreifen des Löwen als göttlichen Beistand zu werten. Der Löwe aber ist weniger einfache Christusallegorie als eine komplizierte Chiffre übereinander gelagerter Zeichen: als Christusallegorie, als Rechts- und Treuesymbol, nicht zuletzt aber auch als

 Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 21 f.  Vgl. Tax, Rittertum, S. 460; Hübner, Erzählform, S. 196.

II.1.7 Die manheit des Löwenritters zwischen Pseudonym und Symbiose

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reine Naturenergie synthetisiert er all jene Instanzen, die erst ein positives Recht schaffen und für die Iwein selbst eintritt.417

Weiterhin zeichnet sich die Kampfesweise des Löwen – nicht wider Erwarten – durch eine animalische Wildheit und vergleichsweise gesteigerte Brutalität und vor allem durch Tödlichkeit aus418 und „wenn Iwein seine Identität über den Löwen bezieht, übernimmt er dessen semantische Ambiguität.“419 So auch jetzt, da dieser wider die Vereinbarung in den Kampf eingreift und den aus der Ohnmacht erwachten Truchsess attackiert und in gar zervuorte, swaz er sîn geruorte. (Iw, V. 5383f.) Alsdann wendet sich der Löwe den beiden übrigen Kampfgenossen des Truchsessen zu, die manegen slac grôzen heten enpfangen unde gegeben. Werten si nû wol daz leben, daz was in guot vür den tôt. Wande si bestuont ein michel nôt. hie wâren zwêne wider zwein: wandez enmohte der herre Îwein den leun niht vertrîben: dô liez erz ouch belîben. er het sîner helfe wol enborn. (Iw, V. 5392–5301)

Iwein kommt die Hilfe des Löwen gelegen, doch durch die Komplexität der von Udo Friedrich benannten „Chiffre“ ist diese Hilfe mehrdeutig: So ließe sie sowohl die Deutung zu, dass Gott und die Wahrheit als Mitstreiter selbst gegen zwei Gegner nicht ausreichen, als auch die, dass der Löwe als Christussymbol für Gott und die Wahrheit steht.420 Die gemeinsame, in ihrer Gegenseitigkeit geschilderte Praktik des Kampfes, die auf beiden Seiten nôt (Iw, V. 5365 u. 5396) hervorruft, wird in dem Moment aufgelöst, als das (physisch) numerische Gleichgewicht hergestellt ist. Die beiden Parteien werden nun eher in ihrem Gegeneinander als in ihrem Miteinander geschildert. Nicht nur in der Interaktion mit dem Löwen, sondern auch bezogen auf das Kampfgeschehen wird Iweins Innensicht nunmehr prominent ausgeführt. Als der Löwe verletzt wird zerbrach [Iwein] sîne senfte gebærde. von des leun beswærde gewan er zornes alsô vil

 Friedrich, Ordnung, S. 155. Ähnlich Friedrich, Menschentier, S. 374: „Auch bei Hartmann ist der Löwe ein vielfach codiertes Symbol: ausgelagertes heraldisches Zeichen prädestinierter Herrschaft, domestiziertes Jagdinstrument, Waffenbruder, Rechts- und triuwe-Symbol, Christusallegorie, Chiffre der Wildheit schlechthin.“  Vgl. Quast, Das Höfische, S. 118 f.  Quast, Das Höfische, S. 119.  Vgl. Schuhmann, Körper, S. 339 f. Schuhmann sieht den Vers er het sîner helfe wol enborn als Beweis, dass Iwein des Löwen in seinen Kämpfen grundsätzlich nicht bedarf (S. 342).

176

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

daz er sie brâhte ûf daz zil, daz si vil gar verlurn ir kraft unde gehabten vor im zagehaft. (Iw, V. 5416–5422)

Iweins bisherige Handlungen als senfte gebærde zu beschreiben ist sicherlich eine Untertreibung, jedoch bezeichnet der Übergang zum zorn eine Dynamik, die eine Steigerung der Gewaltausübung in der kämpferischen Praktik Iweins zum Ausdruck bringt, die jedoch auch an die Partizipation des Löwen geknüpft ist und somit nicht völlig auf diesen ausgelagert ist. zorn ist dabei im Iwein nicht nur mit Kampf assoziiert, wie etwa im Kampf gegen Ascalôn (Iw, V. 1011), sondern auch mit Iweins tobesuht (Iw, V. 3233). Damit reicht auch Iweins Gewaltausübung in den Bereich gesteigerter Wildheit hinein, die Udo Friedrich im Verbund mit zorn und ‚Wahnsinn‘ als wesentliche Bestandteile sowohl animalischer Affektdispositionen als auch adliger Gewaltüberlegenheit herausstreicht.421 Durch seinen Sieg hat Iwein erneut seine manheit unter Beweis gestellt, jedoch wird sie kaum als solche benannt. Zu Anfang hatte Lunete die Einschätzung gegeben, dass nur zwei Ritter zu diesem Kampf in der Lage seien und über ausreichend manheit verfügten. Als Iwein nach dem Kampf vor Laudine tritt und über die fehlende Huld seiner Herrin klagt (Iw, V. 5469), welche freilich gerade vor ihm steht, nennt Laudine ihn einen vrumen man (Iw, V. 5475). Wie oben ausgeführt, kann vrümecheit durchaus kämpferische Tüchtigkeit beinhalten, ohne darauf beschränkt zu sein. Des Weiteren weiß Laudine nicht um Iweins Identität und kann daher ihre Einschätzung nur auf den Umstand, dass der für sie namenlose Ritter für Lunete gekämpft hat sowie auf den Kampf selbst begründen. Es handelt sich also um eine leicht ambige Aussage, die sich sowohl auf eine allgemeine wie auf eine kriegerische Tugend berufen kann. Eine indirekte Betrachtung von Iweins manheit wird durch die Beschreibung seiner Gegner ermöglicht, die ihn wie guote rîter (Iw, V. 5345) angreifen, die keine zagen (Iw, V. 5362) sind, manegen slac grôzen (Iw, V. 5392) geben und werhaft gnuoc (Iw, V. 5409) sind. Des Weiteren eröffnet der Text verschiedene Möglichkeiten, wie manheit zu konzeptionalisieren ist. Einerseits erscheint manheit als ein Evidenzphänomen, bei dem sich manheit durch den Sieg gleichsam ex post offenbart und somit vornehmlich als ‚Sieghaftigkeit‘ zu verstehen ist. Andererseits erscheint manheit, besonders im Sinne von praktischer manheit, als Handlungsattribut, das spezifisch kämpferisches Können zum Ausdruck bringt. Der Text gibt an verschiedenen Stellen explizit zu verstehen, dass Iwein über dieses Können verfügt. Iweins Klugheit wird zu Anfang des Kampfes betont und seine kraft unde wer (Iw, V. 5349) trägt ebenso zu Iweins Sieg bei, wie sein zorn über die Verwundung des Löwen.422 Diese Attribute können sämtlich als Hilfsmittel oder Bedingungen für beide Bedeutungen von manheit verstanden werden. In jedem Fall ermöglichen sie Iweins

 Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 284–293.  Vgl. Friedrich, Ordnung, S. 147 f.

II.1.7 Die manheit des Löwenritters zwischen Pseudonym und Symbiose

177

Sieg. Darüber hinaus ist natürlich auch das Eingreifen des Löwen eine Bedingung für Iweins Sieg, wobei zu fragen ist, inwieweit Iwein und der Löwe als Einheit aufzufassen sind. Mit Bruno Quast, der sich auf die Aktantentheorie Greimas‘ beruft, wäre der Löwe sowohl als Teil eines gespaltenen Subjektaktanten als auch als Adjuvant zu bezeichnen.423 Daraus konstituiert sich der Löwe als eine Kippfigur, die auf diegetischer Ebene einen Helfer und auf symbolischer Ebene Iweins ausgelagerte ‚Löwenhaftigkeit‘ (Gewalt, Wildheit) verkörpert. Im Kampf gegen Harpin und die Truchsessen greift der Löwe erst ein, als Iwein in Lebensgefahr zu geraten droht und diese Beobachtung lässt sich auch im letzten Kampf, an dem der Löwe teilnimmt, dem Kampf gegen die tiuvels kneht beobachten. Ebenso fordern Iweins jeweilige Gegner auch jedes Mal, dass der Löwe nicht am Kampf teilnehmen dürfe. Sobald er es dann trotzdem tut, zeichnet sich seine Kampfesweise beziehungsweise auch ihre Beschreibung durch eine gesteigerte Körperlichkeit und Brutalität aus, wie bereits im Kampf gegen Harpin. Umso bezeichnender ist es, wenn Iwein im Lunete/Truchsessen-Kampf erst durch die Verwundung des Löwen veranlasst wird, seine Gegner zu bezwingen und über der Sorge um das Wohlergehen des Tiers seine eigenen Wunden zu vergessen scheint. Es ließe sich formulieren, dass der rîter mit dem leun – besonders bezogen auf den Kampf – eine Einheit bildet, sodass erst wenn der Löwe am Kampf beteiligt beziehungsweise in diesen involviert ist, der ganze Ritter kämpft und sich die symbiotische Struktur des Löwenritters auf Iweins Kampfpraktik auswirkt. In den Worten Bruno Quasts: „Wenn und solange sich Iwein über den Löwen identifiziert, partizipiert er an dessen transgressiver Qualität.“424 Darin erhärtet sich auch die besagte Kippfigur, da die ‚Löwenhaftigkeit‘ Iweins selbst dann bestehen bleibt, wenn der Löwe als Adjuvant aus dem aktiven Kampfgeschehen ausscheidet. Eine weitere Steigerung der Identifikation bedeutet das Pseudonym, das Iwein im Gespräch mit Laudine für sich wählt: er sprach: ‚ich wil sîn erkant bî mînem leun der mit mir vert. (5495f.) und stärker: ich heize der rîter mit dem leun: unde swer iu vür dies tage von einem rîter iht sage des geverte ein leu sî, dâ erkennet mich bî.“ (Iw, V. 5502–5506)

Diese Namensgebung unterscheidet sich kategorial von der Bezeichnung des Erzählers der rîter der des leuen pflac (Iw, V. 4741) in der Harpin-Episode und der Selbstbeschreibung nach dem Kampf, vrâger iuch wie ich sî genant, / sô tuot im daz erkant / daz ein leu mit mir sî (Iw, V. 5122–5126) sowie der Erzählernennung zu Anfang des Lunete-

 Vgl. Quast, Das Höfische, S. 119. Siehe auch Algirdas J. Greimas: Strukturale Semantik. Methodologische Untersuchungen. Autorisierte Übersetzung aus dem Französischen von Jens Ihwe. Braunschweig 1971 (Wissenschaftstheorie. Wissenschaft und Philosophie. 4), S. 161–165.  Quast, Das Höfische, S. 126.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Kampfes (s.o. Iw, V. 5263). Die Distinktion von Name (ich heize) und Erkennungszeichen (da erkennet mich bî) lässt die Einheit von Ritter und Löwe beziehungsweise die Löwenhaftigkeit Iweins, die der Name zum Ausdruck bringt, deutlich werden.425 Mit jedem weiteren Kampf, den Iwein zu bestreiten hat, erfolgt einerseits eine genauere Profilierung seiner manheit und verdichtet sich andererseits das Gewebe an Bezügen, das den Roman durchdringt. Durch die Anklage des Truchsesses, sie sei triuwelos, wird nicht nur Lunetes eigene Anklage Iweins gespiegelt. Der Anlass und die Exposition des Kampfes greift gleichermaßen auf die Initialaventiure zurück, insofern hier erneut Iweins Eignung zum Herrscher verhandelt wird. Auch die Kapitalisierung des Kampfes reicht weit über die Grenzen der Episode hinaus, da mit Iweins oder, besser gesagt, des Löwenritters Sieg über den Truchsess und seine Brüder das symbolische Kapital des Löwenritters auch im Brunnenreich und vor allem in den Augen Laudines etabliert wird, um am Ende des Romans die Versöhnung zwischen Iwein und Laudine herbeizuführen. So zeigt sich, dass der Kampf gegen Harpin und der Kampf für Lunete nicht nur chronologisch verflochten sind, sondern auch eine parallele Funktion erfüllen, die vor allem der Vorbereitung auf das Finale dient. Wo der Löwenritter durch den Harpinkampf Ansehen bei Gawein und der Artuswelt akkumuliert, welches auf eine Fusion von Iwein und dem Löwenritter beziehungsweise die Lüftung des „Undercover“426 ausgerichtet ist, vollzieht sich die gleiche Mechanik auch bei Laudine und dem Brunnenreich. Iweins manheit und seine kämpferische Qualität werden im Kampf gegen den Truchsess und seine Verwandten mehr durch praktisches Können oder know-how inszeniert, als in den vorangegangenen Kämpfen. Seine list, durch die er einen Gegner frühzeitig kampfunfähig macht, lässt die dynamischen Aspekte des Kampfes auch im Rahmen konventioneller Kampfpraktiken deutlich werden und offenbart auch den Anspruch der Erzählung, ein vielseitiges und abwechslungsreiches Kampfgeschehen abzubilden. Dies erstreckt sich auch auf das Fechten gegen zwei Gegner, wobei die bildliche Darstellung der sich schnell bewegenden Schläge nicht nur die Dynamik des Kampfes verdeutlicht, sondern auch die zugrundeliegenden Aushandlungsprozesse von so ‚dichten Begriffen‘ wie Wahrheit, Recht und göttlichem Beistand in diese Dynamik einschließt.

 Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 190. Schuhmann, Körper, S. 350 hebt vor allem auf die Bedeutung der Figur des Löwen für die Individuierung der Iwein-Figur mittels eines Attributes ab, das ihn von anderen Figuren unterscheidet: „Der Löwe hat im wesentlichen die gleichen Eigenschaften wie Iwein und ist dieses fehlende spezielle Attribut – aber so ausgeführt, wie man es eigentlich nicht erwarten würde: Nämlich als realer, lebender Körper außerhalb Iweins.“ Zur literarischen Onomastik Karlheinz Hengst: Namen und Literatur. Theorie und Problematik. In: Il nome nel testo 8 (2006), S. 13–18, bes. S. 16: „Von besonderer Relevanz ist bei struktureller Betrachtung die intentionalpragmatische Struktur des künstlerischen Textes. Hierbei stehen insbes. die Redepartien der Figuren sowie des Erzählers im Blickfeld. Dabei gilt es, nach den Tendenzen und Intentionen dieser Äußerungen zu fragen und die Verwendung der Eigennamen dabei zu verfolgen, also zu fragen, wie sie den jeweiligen Zielstellungen entsprechen bzw. dienstbar gemacht werden.“  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 190.

II.1.8 Die Maximierung symbolischen Kapitals

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II.1.8 Die Maximierung symbolischen Kapitals – Der Kampf gegen die tiuvels kneht Der nun folgende Abschnitt des Iwein bis zum ‚Schlimmen Abenteuer‘ ist ganz der (erfolgten und erfolgreichen) Ehrakkumulation des Löwenritters gewidmet.427 Dabei ist besonders hervorzuheben, dass dieser Kampf gegen die tiuvels kneht weder der Artuswelt noch dem Brunnenreich zugeordnet werden kann und weder durch einen freundschaftlichen oder konkurrierenden Bezug zu Gâwein, noch zu Lunete in irgendeinem Verhältnis steht. Die Raumstruktur des höfischen Romans erlaubt und ermöglicht es, dass der Protagonist sich zusätzlich zu den vorangegangenen Kämpfen in einem Bereich profilieren kann, der nicht durch vorgeprägte Strukturen und Abhängigkeiten geprägt ist. Als Auftakt wird berichtet, dass in den selben tagen / diu küneginne [was] wider komen, / die Meljakanz het genomen mit micheler manheit. (Iw, V. 5678–5681) Meljakanz hatte zunächst Keie und anschließend nacheinander sämtliche Artusritter besiegt (Iw, V. 4656–4715). ouch was in niuwelîch geseit von dem risen mære, wie der erslagen wære, den der rîter mit dem leun sluoc. (Iw, V. 4682–4685)

Explizit wird noch einmal darauf verwiesen, wie die von Iwein gerettete Nichte Gâweins von dem Kampf des Löwenritters gegen Harpin berichtet und damit den Ruhm des Löwenritters am Artushof etabliert. Auf der Suche nach einem Kämpfer für ihre Sache wendet sich die jüngere Tochter des Grafen vom Schwarzen Dorn zunächst an Gâwein, doch weil dieser bereits von der älteren Tochter angeworben wurde, macht sie sich auf die Suche nach dem Löwenritter: mir ist sô grôziu manheit vom dem rîter geseit der den leu bî im hât: vind ich den sô wirt mîn rât. (Iw, V. 5725–5728)

Und auch die junge Frau, die die Suche der jüngeren Tochter fortsetzt, kennt nur seine beiden Attribute, den Löwen und seine manheit. Das symbolische Kapital, das hier nicht so sehr Iweins Bekanntheit in der Welt zugrunde liegt, sondern der des Löwenritters, ist somit eindeutig identifiziert.428 Nicht nur Udo Friedrich hat auf die Be-

 Vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 294. Auch Wolf, Kalküle, S. 233 sieht hier weniger eine Tat der erbermde, als des Gewinns von êre. Ludgera Vogt wählt diesen Kampf als besonderen Kristallisationspunkt ihrer Analyse von Ehre in vormodernen Gesellschaften, siehe Vogt, Ehre, S. 298–304.  Vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 294 f.: „Die breit erzählte Suche nach dem Ritter mit dem Löwen entlang der einzelnen Stationen führt seinen inzwischen weit verbreiteten Ruhm gleichsam vor, aufgrund des-

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

deutung des Namens für Angehörige des mittelalterlichen Adels verwiesen, da der Träger des Namens durch diesen auch stets an eine Familie oder ein Geschlecht geknüpft war.429 Dies wird auch im Iwein verdeutlicht, da in jenen Szenen, in denen Iwein von Lunete erkannt und später Laudine vorgestellt wird, auch dessen Vater König Urjên (Iw, V. 1200 u. V. 2111) genannt wird und somit Iweins Zugehörigkeit zu einem königlichen Haus betont wird. Durch seine edle Abstammung partizipiert Iwein am sozialen Kapital (Rang, Prestige) seines Vaters, wohingegen sich der Löwenritter auch dieses erst erarbeiten muss. Dabei lässt der Text seine Rezipient:innen in vollem Umfang an diesem Prozess teilhaben, indem der Löwenritter im ‚Schlimmen Abenteuer‘ auch eine âveniure zu bestreiten hat, die nicht an Iweins soziale Eingebundenheit in das Gesellschaftssystem der erzählten Welt geknüpft ist. Entsprechend wird der Löwenritter in einer umfangreichen Exposition als autarker Akteur etabliert, dessen diskursive manheit sich unabhängig von derjenigen Iweins entfaltet. So sagt die junge Frau zu dem Grafen, den Iwein von Harpin befreit hatte: ‚ich suoche den ich nie gesach unde des ich niht erkenne. ichn weiz wie ich in iu nenne, wander entwart mir nie genant. unde ist mir anders niht erkant, wan daz er einen leun hât. nû ne hân ich sîn deheinen rât: man sagt von im die manheit, unde sol ich mîn arbeit iemer überwinden, sô muoz ich in vinden.‘ (Iw, V. 5820–5830)

Die Antwort des Grafen lässt vielleicht nicht die Intention, aber in jedem Fall die Wirkweise der oben geschilderten ‚Spolien‘ offenbar werden, denn die befreiten Opfer Harpins erzählen anscheinend nicht nur dem vorgeblichen Adressaten Gâwein von den Taten ihres Retters, sondern jeder und jedem, die/der es hören will. Der wirt sprach: ‚ir sît unbetrogen: ern hât iu niht von im gelogen der iu von im tugende seit, wande mich sîn eines manheit von grôzem kumber lôste. Got sande in mir ze trôste. wie gerne ich dem stîge iemer mêre nîge der in her ze mir truoc!

sen er entsprechend und konsequent auch als Kämpe von der jüngeren Schwester gewählt wird. Die Botin macht dies explizit, wenn sie gar diu werlt (V. 6036) nennt, die ihn rühme.“  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 199.

II.1.8 Die Maximierung symbolischen Kapitals

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wander mir einen risen sluoc. Der het mir mîn lant gar verwüestet unde verbrant, unde sluoc mir zwei mîniu kint: unde vieriu, diu noch lebende sint, diu heter gevangen unde wolde si hân erhangen. ich was et niuwan sîn spot. mir sande in unser herre got, daz er mich an im rach. er sluoc in, daz ichz an sach, hie vor mîn selbes bürgetor, dâ lît noch sîn gebeine vor. Er schuof mir michel êre, got pflege sîn swar er kêre.‘ (Iw, V. 5831–5854)

Gleich zu Anfang wird Iweins tugend und manheit betont. Zweimal gibt der Graf weiterhin zu erkennen, dass er meint, Gott selbst habe ihm die Erlösung von Harpin in Gestalt des Löwenritters gesandt. Es werden die Gräueltaten Harpins noch einmal wiederholt, die die Gewaltanwendung des Löwenritters hinreichend legitimieren und durch die die Opposition von wilder und höfischer Gewalt veranschaulicht wird.430 Dazu wird durch den Hinweis auf die unbestattete Leiche des Riesen hervorgehoben, dass der Löwenritter alles Lob durch die Tötung eines anderen erworben hat. Dadurch erfährt die diskursive manheit des Löwenritters eine mediale Verschiebung, da sie nicht mehr lediglich auf Mund-zu-Mund-Propaganda beruht, sondern die Gebeine des Riesen als sichtbares Zeichen seiner manheit und Monument seines Sieges diese zusätzlich bezeugen. Den Rezipient:innen ist alles, wovon der Graf erzählt, bereits bekannt, sodass die Laudatio des Grafen die Mechanik des symbolischen Kapitals im Allgemeinen und einer gewaltinduzierten diskursiven manheit im Besonderen ausbreitet. Die von Ludgera Vogt postulierte „Transformation der ritterlichen Ehre vom bloßen Kampfprodukt zu einer euphemisierenden Synthese von ritterlicher und christlich-sozialer Tugend“431 ist somit zu spezifizieren, denn als diskursives Produkt eines (siegreichen) Kampfes kann manheit keinesfalls nur als zu überwindende Vorstufe gewertet werden. Als gesellschaftliches Wissen um die praktische manheit des Helden braucht diskursive manheit nicht euphemisiert zu werden, da diese selbst schon den Inbegriff ritterlicher Tugend darstellt. Was hingegen euphemisiert und sublimiert wird, ist das zugrundeliegende Gewaltpotential von manheit, das der Leichnam des Riesen sichtbar belegt, in das aber auch der tote Truchsess und seine Brüder sowie Ascalôn miteinzubeziehen sind. Somit verfügt auch manheit über die verschleiernde Wirkung, die Vogt dem symbolischen Kapital zuspricht.432 Im

 Friedrich, Ordnung, S. 145.  Vogt, Ehre, S. 298.  Vgl. Vogt, Logik, S. 135.

182

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Gegensatz zu den bei Bourdieu beschriebenen Verschleierungen von politischer Macht oder Reichtum,433 ist es hier jedoch die Fähigkeit zu töten, die in der „‚sanften‘ Erscheinungsform“434 der manheit die Stellung Iweins beziehungsweise des Löwenritters legitimiert. Entsprechend durchwandert die junge Frau angefangen beim Gespräch mit dem Harpin-Grafen nicht nur die Orte der erfolgreichen Rettungs- und Befreiungskämpfe des Löwenritters, sondern auch seiner Gewalttaten. Die nächste Station ist daher der Brunnen, dâ er den truhsæzen sluoc / unde sîne bruoder überwant (Iw, V. 5874f.). Weiterhin gelangt sie zu Lunete, die ebenfalls voll des Lobes für ihren Streiter im Gottesurteil ist, der für ihre Rettung diese drei Männer getötet hat. Dem entspricht schließlich das Bittgesuch an Iwein, das die sublimierte Gewalt des Rittertums mit Iweins Ansehen (diu werlt, diu iuch prîset, Iw, V. 6036) verknüpft: ‚sît iuch got sô gêret hât, daz alsô gar ze prîse stât vür manegen rîter iuwer lîp, sô êret got unde guotiu wîp, sît ir hövsch unde wîs. nû geruochet iuwern prîs an in beiden mêren, den iuwern an den êren den ir an dem guote.‘ (Iw, V. 6051–6059)

Die Zwischenstation des Kampfs gegen die Teufelsknechte erscheint nun als eine Vereinigung sowie Steigerung von Elementen der beiden vorangegangenen Kämpfe.435 Statt einer Jungfrau in Nöten sind es hier dreihundert und statt eines Riesen oder dreier Ritter sind es nun zwei Riesen, sodass, genauso wie bei Harpin, die Mechaniken der Dehumanisierung greifen und Gewalt sowie Tötung als unproblematisch und gesellschaftlich notwendig erscheinen.436 Im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung ist von Interesse, dass die tiuvels kneht zweimal von den gefangenen Damen als manhaft bezeichnet werden: Sie sint als manhaft, / unde het ir sehs manne kraft, / daz wære ein niht wider in (Iw, V. 6339–6341). Weiterhin sagen sie:

 Vgl. Bourdieu, Praxis, S. 375: „Das symbolische Kapital, gewöhnlich Prestige oder Autorität, stellt nur die umgewandelte, d. h. unkenntlich gemachte und damit offiziell anerkennbare Form der anderen Kapitalarten dar. Reichtum bleibt die Grundlage von Macht, kann jedoch nur unter symbolischen Formen des Kapitals seine Wirkung zeitigen.“  Vogt, Logik, S. 135.  Vgl. Mertens, Stellenkommentar, S. 1038.  Die Notwendigkeit erschließt sich hier vornehmlich aus der gestörten gesellschaftlichen Ordnung, angefangen bei dem Dorf vor der Burg, in dem der Löwenritter und seine Begleitung mit unsîten (Iw, V. 6088) empfangen und zur Umkehr aufgefordert werden (Iw, V. 6130–6153), aber vor allem in dem Verkehrte-Welt-Motiv der erniedrigten Edelfrauen (Iw, V. 6190–6406).

II.1.8 Die Maximierung symbolischen Kapitals

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diu rede ist leider âne trôst, wan zuo aller ir kraft sô sint si sô manhaft daz in niemer dehein man den sic mac behaben an. (Iw, V. 6373–6376)

Erneut zeigt sich somit, dass manheit unabhängig von ethischen Kategorien zu verstehen ist und somit auch in Konflikt mit einem herkömmlichen Tugenddiskurs gerät, dem im Kern ein ethisches Normen- und Wertgebäude innewohnt.437 Nicht zuletzt verdeutlicht sich hier die von Udo Friedrich hervorgehobene Ambivalenz adliger Gewaltkompetenz, die stets in Relativität zu ethisch-axiologischen Gesichtspunkten erscheint.438 Dass manheit hier somit auch eine bedrohliche, gesellschaftsschädigende Seite erhält, ist jedoch auch vor dem Hintergrund zu betrachten, dass hier die Zuschreibung von manheit denjenigen in den Mund gelegt wird, die durch sie geschädigt werden. In der Folge ist daher auch die Beziehung zwischen dem symbolischen Kapital, das die Riesen in Form von diskursiver manheit besitzen, und dessen kämpferischem Fundament zu problematisieren. Die Aussage der gefangenen Damen gründet augenscheinlich auf dem Kampf zwischen ihrem jugendlichen Herrn und den Riesen. sîn wille unde sîn muot was gereit und guot: dône was sîn alter vür wâr niuwan ahtzehn jâr, unde was des lîbes als kranc daz er des siges âne danc unde ungestriten muose jehen. (Iw, V. 6351–6357)

Die Darstellung lässt erkennen, dass kein Kampf stattgefunden hat und der junge Herr aufgrund von körperlicher Schwäche und nicht wegen fehlender geistiger und psychischer Eigenschaften ungestriten kapitulieren musste. Die zweimalige Distinktion von kraft und manheit weist darauf hin, dass der junge Herr bereits an der ersten Eigenschaft der Riesen gescheitert ist. Entsprechend kann auch kein skalierender Aushandlungsprozess, kein Wettstreit um die größere manheit stattgefunden haben, da der einen Partei gleichsam die Mindestanforderungen fehlten. Hinzukommt, dass die Damen selbst nicht bei dem ‚Kampf‘ anwesend waren, da sie erst im Nachhinein als Geiseln in die Burg kamen (Iw, V. 6366–6378), sodass ihre Aussage letztlich auf Hörensagen beruht.439 Die Warnung, als die sich die Darstellung der Damen auf der Textoberfläche geriert, er-

 Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 48 f. u. S. 77–79, vornehmlich in Bezug auf den animalischkörperlichen Gegenpol geistiger Tugend.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 365.  Während der Ankunft an der Burg wird freilich eine bedrohliche Stimmung erzeugt, die andeutet, dass hier zuvor andere Ritter ihr Leben gelassen hatten.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

scheint bei näherem Hinsehen vielmehr als eine weitere Demonstration der Funktionsweise von diskursiver manheit als symbolischem Kapital. Wie bei den Kämpfen bilden die unterschiedlichen Formen, in denen den jeweiligen Antagonisten manheit zugesprochen wird, eine Art Typologie. Angefangen bei dem Befund, dass diese Zuschreibung niemals in der gleichen Weise erfolgt, erscheint sie in diesem Fall am ehesten als ein sprachlich verbreitetes Element der öffentlichen Meinung440 oder als sozialer Kredit,441 der hier freilich negativ konnotiert ist. Beide Aspekte sind lediglich bei Gâwein noch ausgeprägter, dessen Kampfkraft fest in der Meinung der gesamten arturischen Öffentlichkeit verankert ist. Wie in beiden Kämpfen zuvor ergeht eine Weigerung der Gegner Iweins, eine Teilnahme des Löwen am Kampf zuzulassen. Die Asymmetrie der Ausgangssituation wird auch hier zur Norm erklärt, welche durch eine Teilnahme des Löwen gestört werden würde (Iw, V. 6693–6713) und wie zuvor greift der Löwe schließlich doch ein. Selbst in der sprachlichen Gestaltung finden sich große Übereinstimmungen, wenn es zum Beispiel heißt: dô vahten si beidenthalben an, / hie der lewe dort der man, / unz der eine war vil schier erslagen. (Iw, V. 6785–6787, vgl. Iw, V. 5405f.: sus vâhten si bedenthalben an, / hie der leu, dort der man.) Obwohl Iweins Gegner durch ihre Riesenhaftigkeit auf Harpin verweisen, zeigt sich doch eine Steigerung gegenüber diesem, da zum einen die Riesen eine Rüstung tragen (Iw, V. 6679–6682).442 Zum anderen verfügt Iwein anscheinend nicht über Pferd und Lanze, sodass er nicht nur der zentralen Taktik-Elemente des ritterlichen Kampfes entbehrt und in seiner Schnelligkeit und Mobilität eingeschränkt ist, sondern auch den symbolischen Status des Reiters einbüßt, den Udo Friedrich als konstitutive Veredlung des Ritters hervorhebt.443 Der Verlauf des Kampfes zeigt hingegen, dass Iwein auch seines Schildes (Iw, V. 6722f.) und teilweise seiner Rüstung beraubt wird, man sach den helm rîsen / unde ander sîn îsen / als ez von strô wære geworht (Iw, V. 6727–6729). Wie auch im Kampf gegen Harpin (und in ähnlichen Worten) zeichnet sich Iwein durch manheit und sin sowie seinen Umgang mit dem Schwert aus, die hier somit als Kern kämpferischer Eigenschaften und Praktiken erhalten bleiben: den edeln rîter unervorht vriste sîn manheit unde sîn sin daz er sô lange vor in unerslagen werte. ouch galt er mit dem swerte

 Vgl. Vogt, Logik, S. 110–113.  Vgl. Vogt, Logik, S. 122.  Auch führen sie statt einer stange (Iw, V. 5021) einen kolben (Iw, V. 6726), was sich gegenüber Harpin ebenfalls als Steigerung verstehen lässt, da es sich hier um eine tatsächliche Waffe handelt, statt eines als Waffe benutzten Objektes.  Vgl. Friedrich, Menschentier, S. 238 f.

II.1.8 Die Maximierung symbolischen Kapitals

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underwîlen einen slac der vil wol zestaten lac. (Iw, V. 6730–6736)

Neben Iweins ungemach sind es vor allem diese Schläge, die das Eingreifen des Löwen bedingen (Iw, V. 6727–6740). Die anschließende Gewaltausübung des Löwen erscheint somit vornehmlich als eine Partizipation an der Kampfhandlung Iweins, die durch dessen ungemach nachträglich legitimiert wird. Die Parallele zwischen Ritter und Löwe setzt sich auch in den folgenden Kampfhandlungen fort, da beide jeweils einen Riesen im Rücken attackieren (Iw, V. 6757 u. V. 6773). Obwohl keiner der beiden Riesen fliehen wollte, lässt der Angriff im Rücken des Gegners doch eine Parallele zum Ausgang des Ascalôn-Kampfes erkennen und ließe sich als Bruch in der Konvention des reziproken Gewaltaustauschs auffassen, durch den sich der Kampf gegen die Riesen trotz der grundsätzlichen Unausgewogenheit bis hierhin ausgezeichnet hatte. Wie jedoch oben argumentiert wurde, flieht Ascalôn auch, um den Mechanismus des Falltors auszulösen und somit den Gewaltaustausch fortzusetzen. Ebenso wenden sich die Riesen stets einem Part von Löwe und Ritter zu, wenn sie sich vom jeweils anderen abwenden. Durch die gemeinsame Kampfhandlung erscheinen Löwe und Ritter somit auch in den Augen der Kontrahenten als Einheit, sodass ein fortgesetzter Gewaltaustausch erhalten bleibt. Das gemeinsame Gewaltpotential von Ritter und Löwe verdeutlicht sich schließlich dadurch, dass nur derjenige Riese, den sie beide gemeinsam angreifen, erslagen (Iw, V. 6787) und getötet wird, während der andere, dem der Löwe het ... benomen / so gâr die kraft unde den sin / daz er vür tôt lac vor in (Iw, V. 6782–6784), verschont wird. Schließlich stellt auch der Siegeslohn eine Entsprechung zur Brunnen-âventiure und den Kämpfen gegen Aliers und Harpin dar. „Ähnlich war auch die Quellenherrin Laudine implizit der Preis für das Bestehen des Quellenabenteuers gewesen. Iwein befreit sich bewußt aus den magischen Zwängen der Aventürewelt,“444 indem er es ablehnt, die Tochter des Burgherren zu heiraten. Sowohl die Deutung dieser Episode als Emanzipation von besagten Zwängen wie auch als souveräner Liebesbeweises vernachlässigt den grundlegenden Effekt der Kapitalisierung seines Sieges, also die Akkumulation symbolischen Kapitals. Wird dieser hingegen berücksichtigt, muss auch Mertens‘ folgende Deutung von Iweins Reaktion auf das Hilfegesuch dahingegen ergänzt werden. In den Versen er sprach: ‚ichn hân gnâden nicht: swem mîns dienstes nôt geschiht unde swer vrumer des gert, dern wirt des niemer entwert.‘ (Iw, V. 6001–6004)

 Mertens, Stellenkommentar, S. 1043.

186

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

sieht Mertens „Iweins neu gefundene Aventüredefinition“, die sich „nicht mehr auf Ehrgewinn oder Verwandtenrache bzw. -hilfe, sondern auf die soziale Verpflichtung des Ritters (und Herrschers)“ beziehe.445 Eine solche Hierarchisierung kann nicht nur im Hinblick auf die ‚Spolien‘ der Kapitalisierung im Harpin-Kampf meines Erachtens nicht aufrechterhalten werden. Dass sich verschiedene Formen von Ehre auch innerhalb sozialer, ethischer und religiöser Dimensionen nicht gegenseitig ausschließen müssen, zeigt Udo Friedrich.446 Entsprechend steht die Akkumulation, Verbreitung und Steigerung von diskursiver manheit nicht im Widerspruch zu karitativen Bestrebungen. Als vermittelndes Medium zwischen Individuum und Gesellschaft operieren Ehre und Ansehen jedoch ebenso wie Kampf im Modus der Reziprozität447 und gerade die gesellschaftlichen Reaktionen auf Iweins Handlungen zeigen häufig eine Verkopplung von diskursiver manheit und einer Akklamation, die auf ethischen Werten basiert, und somit keine Hierarchisierung. Dass Iwein mit Ausnahme des Löwen ausschließlich adlige Damen rettet, um anschließend deren Heiratsangebote abzulehnen, kann zwar auch, wie Mertens nahelegt, mit dessen Liebe zu Laudine in Verbindung gebracht werden.448 Jedoch deutet der Text in der Wiederholung der Heiratsangebote darüber hinaus die Kapitalisierung eines jeden Sieges an, ohne sie auszuerzählen: Vor dem Hintergrund einer sowohl final als auch kausal motivierten Versöhnung mit Laudine muss ein erneuter Landgewinn zwar ausgeschlossen bleiben, trägt aber durch seine Andeutung trotzdem zur Aufwertung Iweins bei. Zudem führt die Rettung der ersten Frau zu einer Steigerung von Iweins Ansehen und der Verbreitung desselben gleichsam durch Mundpropaganda und damit direkt zur Rettung der nächsten Frau. Die Andeutung, wohin die Rettung von dreihundert Frauen aus einem fernen Land führen könnte, bringt in einer solchen Kausalitätskette das vielfach gesteigerte Kapitalisierungpotential zur Anschauung. Gewiss sind Iweins Handlungen von moralischem Wert und werden auch als solche gekennzeichnet. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass Iwein beziehungsweise der Löwenritter von diesen Handlungen profitiert,449 indem sein Ansehen wächst und sich der gesellschaftliche Diskurs seiner manheit verbreitet.450 Somit profitiert er zwar anders als durch seinen Sieg über Ascalôn, da er die strukturgleichen Angebote ablehnt, also nicht durch Heirat und Landerwerb, sondern immateriell und sogar in einem religiösen Sinne: Nachdem Iwein die Damen nach Hause geleitet hat, vil tiure si got bâten, als si von rehte tâten,

 Mertens, Stellenkommentar, S. 1038. So auch Mertens, Laudine, S. 55 und Hoffmann, Arbeit, S. 294 f.  Vgl. Friedrich, Topik der Ehre.  Vgl. Friedrich, Topik der Ehre, S. 316.  Vgl. Mertens, Laudine, S. 55.  Vgl. Wolf, Kalküle, S. 234; siehe auch Vogt, Ehre, S. 298–304.  Bezüglich des Kampfes gegen die tiuvels kneht wird die Kapitalisierung vor allem im GâweinKampf virulent.

II.1.8 Die Maximierung symbolischen Kapitals

187

umb ir herren unde umb ir trôst, der si dâ het erlôst von michelem sêre, daz er im sælde unde êre unde rehtes alters ein leben unde sîn rîche müese geben. (Iw, V. 6859–6866)

Iweins Kapitalisierung erstreckt sich somit nicht nur auf das Diesseits. Weiterhin wird Iwein von der jüngeren Tochter des Schwarzdorngrafen sowie der Hofgesellschaft ihres Verwandten, des Vaters der Botin, wie ein Held begrüßt, ehe er noch für jene gekämpft hat (Iw, V. 6876,5–6876,42). Mit der Aufnahme in eine höfische Gesellschaft sowie durch den betont herzlichen Empfang der Grafentochter werden die beiden ausstehenden Ehrerweisungen, die Rückkehr an den Artushof und die Versöhnung mit Laudine, vorweggenommen. Auch die stetige Krisenhaftigkeit des Termindrucks scheint überwunden, wenn Iwein in aller Ruhe pünktlich zum Kampftermin erscheint.451 Der Kampf gegen die tiuvels kneht erfüllt auf den ersten Blick keine Funktion im Handlungsablauf des Romans, er ist gewissermaßen überflüssig und tritt daher als Kristallisationspunkt des narrativen Gefüges in den Vordergrund, in dem sich die sinnstiftenden Elemente des Romans verdeutlichen. So bedient sich der Text im letzten von drei Kämpfen, an denen der Löwe beteiligt ist, nicht nur der rhetorischen Figur des Trikolons, sondern führt auch zu einer Klimax kämpferischer Verbundenheit, die Elemente aus den vorangegangenen Kämpfern aufgreift und erweitert. In keinem anderen Kampf ist die Gleichförmigkeit kämpferischer Handlungen zwischen Tier und Mensch so ausgeprägt gestaltet wie in diesem, zumal das Eingreifen des Löwen hier das erste Mal nicht ausschließlich als Hilfeleistung, sondern vor allem als Partizipation an Iweins Kampfhandlungen geschildert wird. Somit kulminiert die kämpferische Zusammenarbeit hier in einer kämpferischen Einheit, die durch parallele Handlungen gekennzeichnet ist. Umso deutlicher tritt auch die demonstrative Absicht zu Tage, den Erwerb symbolischen Kapitals im Kampf zu veranschaulichen. Obwohl der Kampf weder mit Gâwein noch mit Lunete, beziehungsweise dem Artus- und dem Brunnenreich in Verbindung steht, erscheint er nicht zuletzt durch die Suche der Botin als Fortsetzung der Bemühungen Iweins (oder vielmehr des Löwenritters), seine manheit sichtbar zu machen und das gesellschaftliche Wissen um selbige auch außerhalb der beiden Reiche zu verbreiten. Gleichzeitig ist schon durch die schiere Zahl der gefangenen und erniedrigten Edelfrauen das Ausmaß sozialer Verantwortung, die Iwein und der Löwenritter durch den Kampf übernehmen, auf ein Maximum ausgerichtet, das nicht auf die Räume beschränkt bleibt, in denen Iwein beheimatet und verwurzelt ist.

 Vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 295.

188

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

II.1.9 Kämpferische und erzählerische Verausgabung – Der Kampf gegen Gâwein oder waz töhte die wæhe? Als letzte Station vor der finalen Versöhnung mit Laudine laufen die narrativen Fäden, die sich seit dem Ausbruch von Iweins Wahnsinn entsponnen hatten, im Kampf gegen Gâwein wieder zusammen. Iwein agiert in diesem Kampf mit einem zweiten oder doppelten Inkognito:452 Gâwein und die umstehenden Zuschauer:innen können ihn weder als ‚Iwein‘ noch als ‚Löwenritter‘ identifizieren, da Iwein den Löwen ohne ersichtlichen Grund zurückgelassen hat.453 Als anonym auftretender Kämpfer kann er damit nicht mit der durch diese beiden Rollen akkumulierten manheit in Verbindung gebracht werden. Trotz seiner Anonymität gegenüber dem Artushof verfügt Iwein aber dennoch über ein Gefolge von Anhängern in Form der Hofgesellschaft des Verwandten: Vrâgt iemen mære, ob dâ zem kampfe wære der wirt von dem si wâren komen, jâ als ichz hân vernomen, allez sîn gesinde wîse unde kinde, wâren komen dar unde heten daz verlobt gar daz si des tages iht nanden swaz si von im erkanden unz der kampf ende hæte. (Iw, V. 6904,1–6904,12)

Daraus ergibt sich eine widersprüchliche Konstellation, in der sich Anonymität und Bekanntheit vereinigen. Die Zeugenschaft, die die Hofgesellschaft des Verwandten im Gerichtskampf leistet, kann dabei als sichtbare Ausprägung eines symbolischen Kapitals gewertet werden, da die Hofgesellschaft als Gefolge des Löwenritters in Erscheinung tritt. Die Zeugenschaft der Hofgesellschaft stellt weiterhin auch einen deutlichen Gegensatz zum Ascalôn-Kampf dar, der ohne Zeugen stattgefunden hatte, was Iwein zur Verfolgung des Brunnenhüters bewegte, da niemen möhte / erziugen diese geschiht (Iw, V. 1068 f.). Oder wie Armin Schulz es ausdrückt: Der Zweck der Geheimnistuerei ist folgender: Es geht darum, daß Geburtsadel immer zugleich auch als Tugendadel behauptet werden soll. Der ideologische Entwurf des höfischen Romans fundiert die Vorrechte des Geburtsadels in einer Leistungsethik. Deshalb muß das individuelle Her-

 Vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 295. So auch schon Gertrud J. Lewis: Das Tier und seine dichterische Funktion in Erec, Iwein, Parzival und Tristan, Bern 1974 (Kanadische Studien zur deutschen Sprache und Literatur 11), S. 81; Harms, Kampf, S. 130. Zur häufigen Anonymität arturischer Ritter siehe auch Schulz, Erzähltheorie, S. 132.  Iw, V. 6902–6904. Mehr dazu im Folgenden.

II.1.9 Kämpferische und erzählerische Verausgabung

189

kommen des Ritters – und damit seine Identität – immer wieder eingeklammert werden, um sicherzustellen, daß er sich auch als Unbekannter vor den Augen der höfischen Öffentlichkeit dasjenige selbst zu erringen vermag, wozu ihn seine Geburt ohnehin prädestiniert.454

Indem der Text den Kampf vor einem zweigeteilten Publikum stattfinden lässt, wird deutlich, dass Iwein seinen Tugendadel bereits unter Beweis gestellt hat und es hier lediglich darum geht, dies auch dem strukturzentralen Artushof zu demonstrieren.455 Da die Passage mit der Hofgesellschaft (ebenso wie deren freundlicher Begrüßung Iweins in Iw, V. 6876,5–6876,42) jedoch nur in einer Handschrift überliefert ist456 und damit als Phänomen eines unfesten Texts zu erachten ist,457 ist die Gültigkeit dieser Deutung von der Überlieferung abhängig. Im Gegensatz dazu kämpft Gâwein, mit Ausnahme seiner Auftraggeberin, vollkommen anonym. Aus der Bedeutung des sich durch den ganzen Roman ziehenden Motivs von Bekanntheit und Zeugenschaft und der mal mehr mal weniger expliziten Rivalität zwischen Iwein und Gâwein458 ergibt sich hier nun ein deutliches Übergewicht für den Protagonisten, der trotz des generellen Inkognitos vor den Augen eines ihm zugneigten Publikums kämpft, während Gâweins Anhängerschaft auf die antagonistische ältere Tochter des Schwarzdorn-Grafen beschränkt bleibt: her Gâwein, der sich heln bat, der het sich selbe wol verholn unde het sich vor enwec verstoln, unde hôrten in des alle jehen, ern möhte den kampf niht gesehen vor ander unmüezecheit. alsô heter sich enseit, unde het sich wider verstoln dar mit vremden wâfen alsô var daz in dâ niemen wan diu magt erkande: der het erz gesagt. (Iw, V. 6884–6894)

Diese Unkenntlichkeit korrespondiert mit Iweins Auszug ins Brunnenreich, dessen Heimlichkeit mit der Superiorität Gâweins begründet wurde.459 Demgegenüber kommentiert oder erläutert der Erzähler Gâweins Verhalten in dieser Situation mit kei Schulz, Erzähltheorie, S. 132.  Vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 297; Hammer, Tradierung, S. 242.  Vgl. Mertens, Stellenkommentar, S. 1044.  Vgl. Joachim Bumke: Der unfeste Text. Überlegungen zur Überlieferungsgeschichte und Textkritik der höfischen Epik im 13. Jahrhundert. In: ‚Aufführung‘ und ‚Schrift‘ in Mittelalter und früher Neuzeit. Hrsg. von Jan-Dirk Müller. Stuttgart 1996 (Germanistische Symposien. Berichtsbände. 17), S. 118–129.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 187–190; zur Beziehung zwischen Iwein und Gâwein siehe besonders Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘ sowie Tax, Rittertum, S. 448–450 u. 457–459, der jedoch nicht auf den Aspekt der Rivalität abhebt.  Vgl. Schulz, Erzähltheorie, S. 132 f.; Iw, V. 911–922.

190

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

nem Wort. Die Handlungen Gâweins sprechen jedoch für sich, denn die Lüge der anderen unmüezecheit (Iw, V. 6889) und die Verkleidung korrespondieren mit dem Antagonismus der älteren Schwester, sodass die (auch von der letzteren) angenommene kämpferische Superiorität des Musterritters Gâwein mit einer moralischen Inferiorität einhergeht.460 Zwar finden sich in der Artusliteratur häufiger inkognito oder unerkannt kämpfende Ritter, jedoch sind diese zumeist die Protagonisten des jeweiligen Romans, deren Handeln vom Erzähler begründet wird und häufig mit einem Habitus der Bescheidenheit einhergeht, wie die oben zitierte Darlegung von Armin Schulz es nahelegt. Schulz spricht an dieser Stelle freilich über den Protagonisten, während Gâwein hier nicht nur als Gegner Iweins, sondern auch als Vertreter der antagonistischen Schwester selbst kurzzeitig zum Antagonisten wird. Daher ist der Beobachtung von Jan Mohr zuzustimmen: Letzter Gradmesser für die Kampfkraft des Protagonisten ist regelmäßig der arthurische Musterritter schlechthin, Gawein. Im Zweikampf mit ihm darf es keinen Sieger geben; entscheidend ist, dass man Gawein nicht unterlegen ist.461

Indem Gâwein durch die Verkleidung seine moralische Inferiorität signalisiert, wäre impliziert, dass er im Kampf unterlegen ist, bevor dieser überhaupt begonnen hat. Jenseits einer solchen implizierten Inferiorität Gâweins lässt sich diese Verkleidung jedoch vor allem als ‚von hinten‘ motiviert betrachten, da die Symmetrie des Inkognitos zunächst zu konstruieren ist. Wie Bent Gebert gezeigt hat, lassen sich der Kampf der Freunde und das anschließende Erkennen als Schlüsselszenen des Romans ausmachen, die ohne ein doppeltes Inkognito nicht zustande kommen könnten, zumal die Dynamik eines Kampfes eine vollkommen andere wäre, wenn einer den anderen oder beide sich gegenseitig erkennen würden.462 Auch, dass Iwein nicht als Löwenritter auf dem Kampfplatz erscheint, da der Löwe weit entfernt zurückgelassen wurde, wird kausal nicht motiviert.463 Es heißt lediglich: ern [= Iwein] wolde in niht zem kampfe hân. (Iw, V. 6903) Da Iwein nicht weiß, wer sein Gegner ist, kann Mertens Überlegung, dass der Löwe zurückbleibt, weil Gâwein weder gegen Iwein noch gegen den Löwenritter kämpfen würde, kausal nicht ins Gewicht fallen.464 Hinzukommt die Besonderheit, dass Iwein keinerlei Informationen über seinen Gegner erhält. Mit der  Vgl. zu Superiorität und Inferiorität im Iwein-Gâwein-Kampf Mohr, Blick, S. 67 sowie einen weiteren Forschungsüberblick zu dieser Diskussion bei Hoffmann, Arbeit, S. 297. Anders Mertens, Laudine, S. 55 f., der von einem juristischen Standpunkt beiden Parteien völlige Rechtmäßigkeit zuspricht. Tax, Rittertum, S. 458 weist mit Alois Wolf: Minne – aventiure – herzenjâmer: begleitende und ergänzende Beobachtungen und Überlegungen zur Literaturgeschichte des volkssprachlichen Mittelalters. Freiburg i. Br. 2007 (Rombach-Wissenschaften. Reihe Litterae. 155), S. 90 darauf hin, dass das abschließende Urteil Artus‘ der älteren Form der Erbteilung gegenüber der neueren Primogenitur den Vorrang gibt.  Mohr, Blick, S. 67.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 178–187.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 191.  Vgl. Mertens, Stellenkommentar, S. 1044.

II.1.9 Kämpferische und erzählerische Verausgabung

191

Ausnahme von Aliers war Iwein die Kampfkraft des Gegners/der Gegner oder das Ausmaß der Bedrohung jedes Mal ausführlich dargelegt worden, sodass den Rezipient:innen hier ein deutlicher Wissensvorsprung zuteil wird, da die Ebenbürtigkeit der beiden Kämpfer den ganzen Roman hindurch hervorgehoben wird. Der Bruch in der kausalen Motivation und die grundsätzliche Auffälligkeit der Bemühungen um Heimlichkeit lassen die Frage in den Vorderrund treten, was durch das Motiv gewonnen ist.465 Darauf ist bei der Betrachtung der Erkennens-Szene zurückzukommen, da sich die Gründe vor allem in der Durchführung der Kampfbeschreibung und in der Gestaltung des ‚Sieges‘ abzeichnen. Die Exposition des Kampfes gegen Gâwein, den Freund und Rivalen, zeichnet sich weiterhin dadurch aus, dass dieser paradoxen Ausgangslage sehr viel mehr Gewicht beigemessen wird, als dem eigentlichen Anlass des Kampfes. Bei Harpin, Lunete und den gefangenen Edeldamen war die Bedrohlichkeit und Dringlichkeit der Situation, die der Kampf beenden sollte, durch demonstrative Markierungen sichtbar hervorgehoben worden.466 Durch das lange Zwischenspiel der Suche nach dem Löwenritter und des ‚Schlimmen Abenteuers‘ entbehrt der Gerichtskampf zum einen der Eile, zum anderen aber der Dramatik. Zwar gibt es auch für diesen Kampf eine Frist, die Iwein aber betont mühelos einhält (Iw, V. 6881), und im Vergleich zu den Kämpfen gegen Harpin und für Lunete steht hier wenig auf dem Spiel. Die Erbstreitigkeiten zweier Schwestern verfügen gegenüber den Gefahren für Leib und Leben, die Iwein sonst abzuwenden hatte, über ein geringeres symbolisches Gewicht, zumal die Lösung des Rechtsstreits unabhängig vom Ausgang des Kampfes herbeigeführt wird.467 Die je unterschiedliche Motivation von Iweins Kämpfen ist bereits beobachtet worden,468 jedoch unterscheidet sich der Gerichtskampf auch darin, was Iwein durch einen Sieg im Sinne der Kapitalisierung gewinnen könnte. Ohne soziale Verpflichtungen, wie im Falle der ersten beiden Kämpfe des Löwenritters, und ohne ein Heiratsangebot (das hier dann auch gar nicht erfolgt), zeigt der Text keine anderen Gratifikationspraktiken außer der Dankbarkeit der jüngeren Schwester und ihrer Verwandten (ausgenommen freilich der Älteren), die hingegen durch die Begrüßung und Bewirtung sowie durch ihre Anwesenheit beim Kampf bereits hinlänglich zum Ausdruck gebracht wurde. Dem steht hingegen der Kommentar des Erzählers entgegen, daz diu werlt nie gewan / zwêne strîtiger man / nâch werltlîchem lône (Iw, V. 6949–6951), was sowohl ökonomisches als auch symbolisches Kapital bedeuten

 Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 197–210.  In allen drei Fällen wird das Elend der betroffenen Figuren deutlich veranschaulicht. Siehe Iw, V. 4914–4955; V. 5148–5166; V. 6190–6233.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 183.  So etwa Mertens, Laudine, S. 55: „Entsprechend sind auch seine Hilfsverpflichtungen von gesteigerter Objektivität: Lunete aus Dankbarkeit, Harpinkampf aus Freundschaft und erbermde, Gräfin vom Schwarzen Dorn als erbetene Hilfe, „Schlimmes Abenteuer” unerbeten, nur aus Erbarmen (v. 6415) – so in der Reihenfolge der Zusagen.“ Dem steht bei Mertens der Kampf gegen Ascalôn gegenüber, bei dem êre das Ziel, êre und lôn der Ertrag gewesen war (vgl. ebd., S. 51).

192

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

kann und in jedem Fall auf einen Profit verweist, der sich von Altruismus, sozialer Verantwortung oder Gerechtigkeitssinn unterscheidet. Sowohl der narrative Aspekt der konstruiert wirkenden Anonymität der Kontrahenten als auch die auf histoireEbene festzustellende Unschwere der Umstände lassen schließen, dass die Gegnerschaft von Iwein und Gâwein das eigentlich Besondere des Kampfes ist, was durch die Strukturposition desselben im Romangefüge noch einmal hervorgehoben wird.469 Der Erzähler eröffnet den Kampf mit programmatischen Worten: Machte ich nû diz vehten von disen guoten knehten mit worten vil spæhe, waz töhte diu wæhe? Wande iu ist ê sô vil geseit von ietweders manheit daz ich iu lîhte mac gesagen daz si niender zwein zagen des tages gelîch gebârten [...]. (Iw, V. 6939–6947)

Der letzte Kampf in Hartmanns Iwein ist zweifelsohne einer der stilistisch und rhetorisch am aufwendigsten gestalteten Kämpfe der mittelhochdeutschen Literatur, sodass die rhetorische Frage waz töhte diu wæhe? an dieser Stelle eine strategisch eingesetzte Untertreibung ist, denn was folgt, ist so nachhaltig rhetorisch überformt, dass es sich in der Tat um eine erzählerische wæhe handelt. Des Weiteren lässt sich hier anhand des von Harald Haferland geprägten Begriffs der epischen Hyperbel ein Bogen zum Ascalôn-Kampf schlagen, denn in beiden wird die Bedeutung des Kampfs durch einen der Hyperbel verwandten Unsagbarkeitstopos ausgedrückt. So bemerkt Harald Haferland: Personen, Dinge, Handlungen und Ereignisse sind unüberbietbar, so unüberbietbar, daß man zuweilen viele Worte machen muß, um zu sagen, daß man keine Worte findet. Oder daß man keine Worte zu finden vorgibt, um viel damit zu sagen.470

Auch hinsichtlich der Analyse des Kampfes sind die Worte des Erzählers zutreffend, denn in diesem finalen Kampf wird wenig Neues über die manheit Iweins und seines Gegners vermeldet. Die Vortrefflichkeit der beiden Kämpfer muss niemandem mehr vor Augen geführt werden, weshalb der Kampf nicht den Charakter einer Bewährungsprobe aufweist. Im Ereck befreit der Held mit seinem letzten Kampf achtzig Jungfrauen (Er, V. 9208/8227) und überwindet Mabonagrin. Dieser war ein ritter so manhaft, das doch er mit seiner craft alle die erslagen hat,

 Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 178–187.  Haferland, Interaktion, S. 83. Zur epischen Hyperbel siehe ebd.

II.1.9 Kämpferische und erzählerische Verausgabung

193

die des nicht wolten haben rat: von tumbes hertzen steure si súchten die abenteure. (Er, V. 9457–9462/8476–8481)

Durch diesen Sieg „widerlegt er dessen und seine frühere Minneauffassung mit Hilfe seines neuen Verhaltens aus richtiger und erprobter Partnerbindung“471, sodass der Kampf ethisch und symbolisch von Bedeutung ist, durch die Niedertracht des Gegners vollkommen legitimiert wird und durch dessen Stärke als finale Herausforderung vor das versöhnliche Ende geschaltet ist. Bis auf die Stärke des Gegners sind die meisten dieser dramaturgischen Aspekte eines finalen Kampfes, wie sie sich auch in vielen anderen Artusromanen finden,472 im Iwein nicht gegeben. Bereits zuvor hat Iwein sogar dreihundert Jungfrauen befreit und Ereck damit überboten,473 das Motiv des Termindrucks kann durch den Lunete-Kampf und das pünktliche Erscheinen zu diesem Kampf als bewältigt gelten.474 So bleibt in diesem Kampf nur noch die Konkurrenz zur Figur Gâweins aufzulösen, der Iwein zum einen dazu verleitet hatte, sich zu „verrittern“475 und der zum anderen aber bei der Suche nach einem Verteidiger oder Helfer stets als Erster angefragt wurde.476 Durch die besondere Konstellation der befreundeten Gegner kann dieser Kampf im eigentlichen Sinne nicht gewonnen werden,477 was der Erzähler mehrfach selbst bekennt: sweder nû hie tôt gelît von des andern hant, unde im darnâch wirt erkant wen er dâ hât erslagen, daz wirt sîn êwigez clagen. möhten si beide nû gesigen ode beide sigelôs geligen ode abe unverwâzen den strît beide lâzen, sô si sich erkannten beide, daz wære in vür die leide daz liebest unde daz beste. (Iw, V. 6960–6971)

 Cormeau, Störmer, Hartmann von Aue, S. 190.  So kämpft auch Parzival inkognito gegen Gawan und anschließend seinen Bruder Feirefiz, Wirnts Wigalois zielt von vorne herein auf den Kampf mit Rôaz etc.  Vgl. Tax, Rittertum, S. 455.  Vgl. Tax, Rittertum, S. 452.  Vgl. Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘, S. 113–116.  Vgl. Mohr, Blick, S. 68; Gebert, Wettkampfkulturen, S. 184 f. Grundsätzlich Eming, ‚unsippiu geselleschaft‘.  Vgl. Mohr, Blick, S. 67.

194

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Und noch einmal: sweder den sic dâ kôs, der wart mit sige sigelôs. (Iw, V. 7069 f.) Chiastisch (und damit bezugnehmend) zur narrativen Problematik des Ascalôn-Kampfs, die in der Frage bestand, wie man sich verteidigt, ohne angegriffen worden zu sein, gilt es nun für Iwein, Sieger eines Kampfes zu werden, den er nicht gewinnen kann. Zum einen deutet der Erzähler als Option an, was dann tatsächlich geschieht, dass sie den strît beide lâzen und sich erkennen, zum anderen stellt er es als einen illusorischen Wunsch dar, denn, sît daz der kampf wesen sol, sô zimt in daz beiden wol daz si enzît strîten. was mugen sie iemer bîten? dâ was diu state unde der muot, [...]. (Iw, V. 6977–6981)

Die von Judith Klinger beschriebene Eigendynamik ritterlicher Bewährung und Verausgabung zwingt durch konventionelle Gesetzmäßigkeiten die Kontrahenten zum Kampf.478 Sehr ausführlich werden die Ebenbürtigkeit der Kontrahenten und die Symmetrie des Kampfes dargelegt, angefangen bei Aussehen (Iw, V. 6907–6917) und Ausbildung (Iw, V. 6992–6996), über den Anlauf der Pferde (Iw, V. 6984–6989/7009– 7014), bis hin zu Ausrichtung und Ziel des Lanzenstoßes (Iw, V. 7076–7115). Seit ihrer Kindheit sind beide Gegner im Kampf geschult, das strîten [...] was ir unmuoze / von kinde gewesen ie (Iw, V. 6992–6996), das heißt, sie befinden sich schon lange in der zyklischen Bewegung von Bedrohung und Bewältigung, die manheit kennzeichnet. Zugleich deutet der Verweis auf die Kindheit auf die frühzeitige Gewöhnung an die Praktik des Kämpfens und dem ihr innewohnenden Aspekt des Tötens, was der Erzähler in einer common-sense-Formel präsentiert: ez lêret diu gewonheit einen zagehaften man daz er getar unde kann baz vehten danne ein küener degen der es niht hât gepflegen. nû was dâ kunst unde kraft: si mohten von rîterschaft schuole gehabt hân. (Iw, V. 6998–7005)

Hier werden zwei kämpferische Eigenschaften einander gegenübergestellt, nämlich Übung oder Training (gewonheit/vehten pflegen) und das psychische wie geistige Gerüst des Kämpfers (zagehaft/küen), wobei ersterem die größere Bedeutung zugesprochen wird. Die Hierarchisierung eines solchen Entweder-Oder lassen Iwein und Gâwein jedoch hinter sich, da sie dezidiert über beides verfügen und mehr noch:  Vgl. Klinger, Begehren, S. 190.

II.1.9 Kämpferische und erzählerische Verausgabung

195

„Wie andere höfische Künste wird der Zweikampf zur ars, zur Schule der Ritterschaft im umfassenden Sinn, zum Medium kultureller Selbstdarstellung des Adels.“479 Die Spielregeln ritterlichen Kampfes zwingen Iwein und Gâwein nicht nur gegeneinander. Genau wie Parzivâl partizipieren beide an einer konventionalisierten Handlungspraxis, der – entsprechend den konstitutiven Konventionen bei Marmor480 – ein Wertsystem zugrunde liegt, in dem nur das Beste adäquat erscheint. sine bürten nochn sacten [diu sper] deweder zenider noch zehô, niuwan ze rehter mâze alsô als ez wesen solde unde ietweder wolde sînen kampf gesellen ûf den sâmen vellen; sô daz ir bêder stich geriet dâ schilt unde helm schiet: wan dâ râmet er des man der den man vellen kan. (Iw, V. 7080–7090)

Der Erzähler gibt zu verstehen, dass Iweins und Gâweins manlîche kraft (Iw, V. 7101) derart ausgeglichen ist, dass sie durch ihre Aggressivität und die Intensität ihres Ansturms stets im Sattel bleiben und nur Speer auf Speer zersplittern. Von grundsätzlicher Gewaltkritik findet sich hingegen keine Spur, denn sein Lob gilt den überragenden Fähigkeiten der Kämpfer.481 Diese werden im Einklang mit dem spezifischen Wertsystem einer Konvention des ritterlichen Kampfes formuliert, da es beiden Kämpfern gelingt, die bestmögliche Handlung (einen Treffer zwischen Schild und Helm) durchzuführen, die der Text als ideale Ausprägung kämpferischer Praktik präsentiert. Um noch einmal Udo Friedrich zu zitieren: Gleichwertige Gegner kämpfen immer wieder mit kraft und kunst, verbinden also Gewalt und technische Geschicklichkeit. [...] Wenn wiederholt betont wird, dass erfolgreicher Kampf auf der Handhabung überlegener Technik beruht, dann feiert der Adel seine eigene Kunstfertigkeit.482

Und sicherlich feiert der Erzähler hier auch seine eigene Kunstfertigkeit, denn die anschließende Metaphorik merkantiler Verausgabung spottet der eingangs aufgeworfenen rhetorischen Frage waz töhte diu wæhe? (Iw, V. 6942).483 Vornehmlich wird hier

 Friedrich, Ordnung, S. 132 f.  Siehe Marmor, Conventions, S. 36 f. sowie Kap. I.3.3.  Vgl. Hasty, Art, S. 38.  Friedrich, Ordnung, S. 132. Hervorhebung im Original.  Zur merkantilen und rechtlichen Terminologie im Iwein-Gâwein-Kampf siehe jüngst Meyer, Erzählen, S. 63 f. u. S. 88 f.; Stock, Vergeltung, S. 37 u. 43; Haferland, Interaktion, S. 132 f., aber auch schon Pensel, Rechtsgeschichtliches, S. 194. Laut Frey, Spielräume, S. 111 verweigere Hartmann eine Beschreibung des Kampfes.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

die Gemeinschaftlichkeit und gleichzeitige Symmetrie des Kampfes betont,484 die der Erzähler zusätzlich hervorhebt, indem er einen Code kriegerischen Einvernehmens zwischen Iwein und Gâwein skizziert, der der âventiure-Definition Kâlogrêants durchaus nicht unähnlich ist, da an beiden Stellen das Einverständnis kämpferischer Reziprozität zur konventionellen Grundregel erhoben wird: si tâten als er ie pflac der ie rehten muot gewan: swie leide dem vrumen485 man von dem andern geschiht, kumt ez von muot willen niht, ob er im den willen trüege daz er in gerne slüege, er ist im doch niht gehaz, unde behagt im baz dabbe dâ bî ein bœser man des er nie schaden gewan. (Iw, V. 7358–7368)

Entsprechend tituliert er Gâwein als Iweins kampf genôz, der die Teilhabe an einem gemeinsamen Gut, in diesem Fall einer gemeinsamen Tätigkeit zum Ausdruck bringt.486 Dabei verschleiert die Handelsmetapher jedoch nicht das Signifikat eines erbitterten Kampfes, sondern betont weiterhin durch das Bild des exzessiven Gebens und Borgens die Aktivität der Gewaltausübung: die schilde muosen si geben ze nôt pfande vür daz leben: die hiuwen si drâte von der hant. [...] ir lîp wart des niht erlân ern müese dâ ze pfande stân: den verzinseten si sâ.

 Gebert, Wettkampfkulturen, S. 181 bemerkt bezüglich der „Herzmetapher“ (Iw, V. 7044–7054) die Ungeschiedenheit Iweins und Gâweins und dass die „Handlungen der Kämpfer [...] stets im Plural geschildert“ werden. Dahingehend konstatiert Gebert mit Frey, Spielräume, S. 63, „dass ein vages Bild des Kampfes“ entstehe. Im Gegensatz zu Frey übersieht Gebert den Kollektivcharakter des Kampfes sowie dessen sprachliche Abbildung, die Frey mehrmals hervorhebt: Siehe Frey, Spielräume, S. 63 u. 107.  An dieser Stelle findet sich eine Abweichung der beiden Leithandschriften A und B, die sich auch in den unterschiedlichen Iwein-Ausgaben niederschlägt. Während B (Hs. 97, Universitätsbibliothek Gießen) – der die hier verwendete Ausgabe von Volker Mertens ebenso wie auch die Ausgabe von Krohn, Iwein folgen – an dieser Stelle vrume liest, weist A (Cpg 397, Universitätsbibliothek Heidelberg) stattdessen biderbe auf, wie es entsprechend auch in den Iwein–Ausgaben steht, die den von Karl Lachmann und Georg F. Benecke besorgten Text nach A verwenden, wie Cramer, Iwein und Wehrli, Iwein. Wie oben ausgeführt stellt vrume ein höheres Werturteil als biderbe dar, sodass die Aussage nach B stärker gewichtet erscheint.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 184 f.

II.1.9 Kämpferische und erzählerische Verausgabung

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ir helme wâren ettewâ sô sêre verschrôten, daz die meilen rôten darabe gên begunden, wande si in kurzen stunden vil wunden enpfiengen, die niht ze verhe giengen. (Iw, V. 7219–7234)

Im letzten Abschnitt der auf hundert Verse ausgebreiteten Handelsmetaphorik wird mit dem Ausdruck pfand die Bedrohung für Leib und Leben, die dem Kampf innewohnt besonders, hervorgehoben und erhhält damit den gleichen Anschein von Uneigentlichkeit, wie zuvor borc und übergelt (Iw, V. 7156/7158 und 7168).487 Dabei belegen der Verlust der Schilde und die blutigen Frakturen der Kettenhemden nicht nur die Ernsthaftigkeit und Intensität des Kampfes, sondern auch die Gefahr, die ihm innewohnt.488 Der poetische Stil sowie die geminderte Dringlichkeit des Gerichtskampfes konterkariert dabei, dass der Kampf eine fortwährende Annäherung an ein tödliches Ende vorführt und so die für manheit konstitutive Verausgabung des eigenen Lebens (metaphorisch wortwörtlich) geleistet wird. Dass diese Annäherung sehr plötzlich umschlagen kann, führt der Text im Kampf gegen Ascalôn vor, wo ein einzelner Schlag die kämpferische Reziprozität aufbricht und den Kampf zu einem tödlichen Ende dirigiert. Außerdem zeigen die Notwendigkeit von Ärzten nach dem Kampf und die allerdings unlange stunt (Iw, V. 7779) der Genesung an, dass beide Kämpfer schwere Wunden erlitten haben. Des Weiteren verleitet die Furcht vor Schande und/oder Tod Iwein und Gâwein dazu, in der zweiten Hälfte des Kampfes, nach einer Ruhepause, umso schneller und härter zuzuschlagen. ezn wac ir êrriu rîterschaft wider dirre niht ein strô, der si begunden aber dô. ir slege wâren kreftec ê, nû kreftiger, unde wart ihr mê. (Iw, V. 7256–7260)

Eine solche Formulierung der Überbietung mag als Hyperbel abgetan werden. Nimmt man sie hingegen ernst, ist mit jedem Schlag eine tödliche Bedrohung verbunden, die das Movens von manheit ist, indem die Furcht vor der Bedrohung überwunden wird.

 Meyer, Erzählen, S. 127 weist mit Pensel, Rechtsgeschichtliches, S. 194–198, auf die Gliederung des Kampfgeschehens hin, dessen metaphorische Darstellung zunächst durch ein Leihgeschäft, dann ein Darlehen und schließlich einen Kauf betrieben werde. Im letzten Abschnitt des Kampfes dominiert hingegen die Metapher des pfands, die von Penesel ebenfalls der Rechtssprache zugeordnet wird (vgl. ebd., S. 198).  Gleichfalls ließe sich auch hier von einer fortschreitenden Entkleidung ritterlicher Attribute sprechen.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Gleichzeitig kann, gemäß den Spielregeln des Kampfes, die Bedrohung nur abgewendet werden, indem ihr Urheber, der Kontrahent, kampfunfähig gemacht wird. Waren die bisherigen Bemühungen dazu ungenügend, hilft nur eine weitere Steigerung der Intensität. Explizit nennt der Erzähler die manec kampf wîse man (Iw, V. 7262) unter den Zuschauern, die das Können der Kämpfer, ihre Ausgewogenheit und letztlich auch die Gefahr für beider Leben bezeugen. In der gesonderten Sphäre des Kampfes, die von den externen Faktoren der Motivation und des Gewinns getrennt ist, jener Sphäre, die dem Spiel ähnelt, veranschaulicht der Erzähler mit großem Aufwand die manheit der beiden Kombattanten und diese allein hat eine Auswirkung auf das weitere Geschehen. Wie oben bereits erwähnt, erklärt sich die dramatische Positionierung des Kampfes am Ende der Erzählung ausschließlich durch die Konkurrenz zwischen Iwein und Gâwein, sodass der Vergleich zwischen den beiden der eigentliche Inhalt des Kampfes ist, der somit sein „Ziel in sich selber hat.“489 Die gleichermaßen herausragende Kampfkraft Iweins und Gâweins bringt daher zunächst die jüngere Schwester zu einer salomonischen Kapitulation,490 die von Artus jedoch nicht berücksichtigt wird. si sprach: ‚ê ein sus gêret man den tôt in mînem namen kür ode sîn êre verlür, mîn lîp unde unser beider lant diu wæren bezzer verbrant. ziuch dich mit guotem heile ze mînem erbeteile.‘ (Iw, V. 7304–7310)

Wie Bent Gebert beobachtet, „geben Rechtsstreit und Gerichtskampf die Unterscheidungslogik von Sieg und Niederlage und damit den Bedarf einer asymmetrischen Entscheidung vor,“491 die letztlich von Artus durch eine „simple Falle“492 herbeigeführt wird, für die es den vorangegangenen Kampf nicht gebraucht hätte.493 Die Falle besteht darin, dass Artus die ältere Schwester durch eine Fangfrage dazu bringt, sich selbst des Erbbetrugs/unrehtes zu bezichtigen (Iw, V. 7653–7663). Der Kampf wird damit nachträglich von seinem externen Anlass entkoppelt, da der Sieg der von Iwein vertretenen Partei im Rechtsstreit nicht die Folge seines Sieges im Kampf ist, wie auch Iweins anfängliche Motivation hinsichtlich des Ertrages unterdeterminiert geblieben ist. Nach der ausgedehnten Klage um die Freundschaft der beiden Gegner, wofür eine

 Huizinga, Homo Ludens, S. 37.  Vgl. Vogt, Ehre, S. 303.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 183.  Gebert, Wettkampfkulturen, S. 183.  Die Deutung von Mertens, Recht, S. 206, dass Gâwein den Kampf gewonnen hat, weil es Iwein als Vertreter der Anklage nicht gelungen sei, vor Sonnenuntergang zu siegen, entbehrt einer Grundlage im Text, vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 183, mit Anm. 289.

II.1.9 Kämpferische und erzählerische Verausgabung

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aufwändige Herzmetapher konstruiert wird,494 und der Gefahr für Leib und Leben der beiden Helden, die gleichfalls in ein metaphorisches Gewand gekleidet ist, wäre also mit Hartmanns eigenen Worten fragen, waz töhte die wæhe? Offenbar steht nicht der Zweck der Handlung im Vordergrund, sondern die Handlung selbst. Zum einen zeigt sich, dass der Kampf, ganz im Sinne Huizingas, sein Ziel in sich selber hat, was umso deutlicher wird, wenn durch ein Unentschieden anscheinend (wortwörtlich) nichts gewonnen wird und so, statt des Sieges, die Praktik des Kämpfens an sich sowie die kämpferische Gemeinschaft mit Gâwein als eigentlicher Sinn des Kampfes zu erachten sind, der somit sein Ziel in sich selbst trägt. Zum anderen verdeutlichen sowohl der rhetorische Aufwand, dessen Bedeutung durch waz töhte die wæhe? noch hervorgehoben wird, als auch die intradiegetisch von Zuschauern und Kombattanten beobachtete und zum Ausdruck gebrachte Gleichwertigkeit der Kämpfer den konventionellen Charakter des Kampfes. Der Kampf als konstitutive Konvention bringt ein im Weber‘schen Sinne wertrationales System mit sich, das sich hier unverstellt von zweckrationalen Überlegungen offenbart. Der Wert des Kämpfens bemisst sich somit nicht nur in Sieg und Niederlage, sondern veranschlagt einen Eigenwert, der hier besonders deutlich wird, da er gerade nicht in Sieg oder Niederlage aufgelöst wird.495 Der Wert der beiden Kämpfer liegt somit nicht im eigentlich von der Erzählung in Aussicht gestellten Ausgang des Kampfes, sondern in der habitualisierten Praktik und der mit ihr verbundenen sillful performance, die beide Kämpfer an den Tag legen. Dieser Habitus lässt sich mit manheit identifizieren, die die Idealisierung des Kämpfens und der Kämpfer, aber vornehmlich Iweins, vollendet. Durch die Dunkelheit der Nacht enden die wehselslege des Kampes und stattdessen erhebt sich ein wehsel maere (Iw, V. 7376), das Iwein mit den Worten ‚nû wir hab verlân unser nîtlîchez spil‘ (Iw, V. 7379) einleitet. Da seine blumige Rede darauf hinausläuft, dass er niemals einen härteren Kampf zu überwinden hatte, ist dieses nîtlîche spil kaum pejorativ gemeint und unterstreicht die Heftigkeit des Kampfes. Zugleich erhärtet diese Formulierung die Betrachtung des Kampfes als Spiel, d. h. als gemeinschaftlich ausgeübten Gewaltaustausch. Weiterhin stellt sich heraus, dass ein tödlicher Schlag wie im Ascalôn-Kampf durchaus auch im Erwartungshorizont der Figuren liegt:496 ‚unde wærer [der Kampf] langer drîer slege, die heten iu den sic gegeben unde mir benomen daz leben: des erlât mich disiu liebiu naht.‘ (Iw, V. 7406–7409)

 Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 178–187.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 183.  Die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs sieht auch Tax, Rittertum, S. 457.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

In gleicher Weise antwortet Gâwein: ‚des ir dâ sorget, daz hât mich in vil grôze sorge brâht: [...] swaz ich noch hân gestriten, sô gewan ich nie sô grôze nôt. ich vürhte laster ode den tôt von iu gewinnen morgen. wir sîn in gelîchen sorgen (Iw, V. 7437 f. u. 7450–7454)

Beide Kontrahenten bringen hier zur Sprache, was Anlass und Ursache jeglicher manheit ist: Furcht. Iwein fasst diese in eine Darstellung von verkehrter Welt. Zuvor habe er den Tag geliebt und die Nacht geschmäht, denn ‚sô der tac üebet manheit unde wâfen sô wil diu naht slâfen. ich minnet unz an diese vrist den tac vür allez daz der ist.‘ (Iw, V. 7388–7392)

Auch vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen zur manheit lässt sich folgern, dass Iwein neben dem Umgang mit Waffen, vor allem den siegreichen und damit êre generierenden Kampf mit dem Tag verbindet und in der Folge liebt. Dasselbe bringt auch die Erzählstimme zum Ausdruck, die einem Kämpfer den Sieg im Kampf als daz liebest (Iw, V. 7068) zuspricht. Wenn sich Iweins Liebe für den Tag nun in haz (Iw, V. 7397) verkehrt, weil dieser Tag ihm, [...] alle [s]în êre vil nâch hæte benomen (Iw, V. 7398 f.), so impliziert dies die Furcht vor der drohenden Niederlage. Wenn die Zuordnung von tac zu manheit durch eine Zuordnung von tac zu Ehrverlust ersetzt wird, liegt dem eine Zuordnung von manheit zu Sieg und Ehrverlust zu Niederlage zugrunde. Umgekehrt verweist manheit daher auf einen Ehrgewinn, wie er für gewöhnlich mit dem Sieg einhergeht. Weiterhin debattieren die noch unerkannten Kämpfer, wer gegen Ende des Kampfes näher an der Niederlage gewesen war. Iwein behauptet, er wäre nach genau drei weiteren Schlägen besiegt gewesen (Iw, V. 7406 f.), worauf Gâwein ihn mit zwei Schlägen unterbietet (Iw, V. 7446–7448). Beide Kämpfer beteuern, dass sie sich lieber ergeben würden als weiterzukämpfen und der Erzähler bestätigt, daz ir ietweder het genomen / des andern dehein arbeit, / daz was ir beider herzeleit. (Iw, V. 7488–7490). Auch diese wehsel maere verfügen hingegen über eine zweite Phase, die gleichfalls von einer Steigerung gekennzeichnet ist, insofern auch hier die gewöhnlichen Zuordnungen verkehrt sind. Nachdem Iwein und Gâwein sich gegenseitig zu erkennen gegeben haben, entbrennt auf über hundert Versen ein Wettstreit497 –  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 184. Einen verbalen Schlagabtausch der gegenseitigen Überbietung beobachtet auch Mohr, Blick, S. 67 f.

II.1.9 Kämpferische und erzählerische Verausgabung

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dirre vriuntliche strît (Iw, V. 7592), hie was zorn âne haz (Iw, V. 7642) – vor König Artus, wer der Verlierer des Kampfes zu sein habe, wobei jeder den anderen zum Sieger kürt (Iw, V. 7523–7646). Die Agonalität der wehsel maere steht damit im Gegensatz zur Agonalität des Kampfes. Auch wenn sich das Streitgespräch vornehmlich wie ein fortwährender Austausch von Höflichkeitsfloskeln liest, was Iwein indirekt bestätigt, indem er diesen Anschein explizit verneint,498 lassen sich in den Argumentationen Iweins und Gâweins doch subtile Unterschiede feststellen, da Iwein die Beziehung zwischen beiden in den Vordergrund stellt und die Schande einer Niederlage als verdiente Strafe für das schädliche Tun seiner Hand gegen den Freund benennt, gleichzeitig aber die Freundschaft als Grund der Kapitulation ausschließt. Demgegenüber benennt Gâwein ausschließlich den Kampf als Grund für seine Unterlegenheit und ruft die Zuschauer als Zeugen seiner Niederlage an: ‚was töhte ob ich mich selben trüge? swaz êren ich mich an züge, doch hânt si alle wol gesehen waz under uns beiden ist geschehen.‘ (Iw, V. 7573–7576)

Auch wenn am Ende der Erzähler den Streit ebenfalls für unentschieden erklärt,499 stimmt die letzte in wörtlicher Rede wiedergegebene Aussage doch mit Artus‘ Urteil überein, sodass ein kompositorisches Moment in der Darbringung der Argumente nicht von der Hand zu weisen ist und den Argumenten Iweins somit indirekt eine Absage erteilt wird. Auf erzählerischer Ebene hat Gâwein jedenfalls das letzte Wort: ‚het erz gehabt an dem tage, mich het brâht in arbeit mîn unreht unde sîn manheit.500 [...] sô half ouch got den rehten ie:

 Iw, V. 7579–7587: [D]er herre Îwein antwurt im dô: / ‚ir wænet lîhte daz alsô / disiu sicherheit geschehe / daz ich ir iu ze liebe jehe. / wæret ir mir der vremdest man / der ie ze kriechen hûs gewan, / ê ich iuch sô bestüende mê, / zwâre ich sichert iu ê. / von rehte sicher ich von diu.‘.  Iw, V. 7641 f.  Auch an dieser Stelle weichen die beiden Fassungen A und B voneinander ab. Während B (Hs. 97, Universitätsbibliothek Gießen) – der die hier verwendete Ausgabe von Volker Mertens ebenso wie auch die Ausgabe von Krohn, Iwein folgen – an dieser Stelle manheit liest, weist A (Cpg 397, Universitätsbibliothek Heidelberg) stattdessen vrümekheit auf, wie es entsprechend auch in den IweinAusgaben steht, die den von Karl Lachmann und Georg F. Benecke besorgten Text nach A verwenden, wie Cramer, Iwein und Wehrli, Iwein. Wie oben gezeigt, sind manheit und vrümekheit zwar keinesfalls synonym, jedoch insofern austauschbar, als das erste eine positive Eigenschaft im konkreten kämpferischen Sinne ist, während das andere eine allgemeinere Qualität in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation und ihren Anforderungen darstellt. Im hier vorliegenden Fall kann aus dem Kontext nicht zwingend gefolgert werden, ob der Gâwein der A-Fassung sich auf Iweins vrümekheit im Kämpfen oder in einem erweiterten Sinne beruft. Mit manheit ist dies in Fassung B vereindeutigt.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

des wære ich tôt von sîner hant, het ez diu naht niht erwant.‘ (Iw, V. 7622–7630)

Schließlich zieht Artus das Urteil auch in direkter Folge der Diskussion an sich. Da seine Fangfrage als Aufforderung zur Selbstbeschuldigung ausschließlich gegen die ältere Schwester gerichtet ist, liegt in Artus‘ Augen das Recht offenbar auf der Seite der jüngeren Schwester, wie es sich bereits nach der Kampfpause angedeutet hatte. Auch hier waren die Ebenbürtigkeit und das Können der Kämpfer der Anlass gewesen, die ältere Schwester zum Einlenken zu bewegen. Als „abgewiesene Handlungsalternative“501 ist hingegen das Nachgeben der jüngeren Schwester zu sehen. Um ein schnelleres Ende des Kampfes herbeizuführen, hätte Artus ihre Kapitulation annehmen und ihr den entstandenen Schaden ersetzen können, was er jedoch ablehnt. Stattdessen beruft er sich am Ende auf Gâweins Eingeständnis der Niederlage, das wiederum mit Iweins manheit begründet ist, und spricht der jüngeren Schwester die Hälfte des Erbes zu, (Iw, V. 7695–7702) wodurch für Iwein der Sieg in einem Kampf entsteht, den er erzählerisch nicht gewinnen kann und auf Handlungsebene nicht gewonnen hat. Nach Gâweins Aussage, auf die sich Artus in seinem Urteil beruft und die er dadurch gleichsam ratifiziert, tritt Iwein als – im Sinne Geberts – latenter502 Sieger über den Musterritter wieder in die Artusgesellschaft ein, womit der erste Teil seines Inkognitos gelüftet ist, während sich der zweite Teil mit der unvermittelten503 Ankunft des Löwen auflöst.504 dô verstuonden si alrêrst sich daz ez der degn mære mit dem leun wære, von dem si wunder hôrten sagen unde der den risen het erslagen. (Iw, V. 7740–7744)

Mit der Erkenntnis der Identität von Iwein und Löwenritter tritt Iwein somit gleichsam an die Seite der sagenhaften Helden alter mæren, da das sagen, der öffentliche Diskurs über den nicht bekannten Helden und die Rede über seine Heldentaten, hier Iweins Ruhm begründen. Die im Wortlaut sehr ähnliche Formulierung der berühmten, aber wohl später entstandenen ersten Strophe des Nibelungenliedes lautet: von

 Als Term entlehnt von Strohschneider, Regeln, S. 73.  Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 213 f. zur ‚höfischen Latenz‘ der Hierarchisierung von Iwein und Gâwein.  Ein wenig inkohärent ist die Aussage, dass der Löwe was [...] uz komen, als ir ê habt vernomen, dâ er in geslozen wart. (Iw, V. 7727–7729), da vorher nicht von einem Einsperren des Löwen die Rede war und es nur hieß, Iwein wolle ihn beim Kampf nicht dabeihaben. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 190–192.  Vgl. Tax, Rittertum, S. 458.

II.1.9 Kämpferische und erzählerische Verausgabung

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küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen505, wobei die Übereinstimmung nicht auf eine Kenntnis Hartmanns zurückgehen muss, sondern auf eine gebräuchliche Formulierung mit Ursprung im mündlichen Erzählen verweisen könnte.506 Iweins Heldenhaftigkeit schlägt sich hier vornehmlich in der Tötung Harpins nieder, die dem ganzen Artushof bekannt ist und für die Iwein nun Gâweins Dank erhält. Das symbolische Kapital von Ansehen und Dankbarkeit, für das Gâwein keinen Empfänger finden konnte, wird nun über Iwein ausgeschüttet (Iw, V. 7756–7762). In der gestaffelten Auflösung von Iweins Anonymität zeigt sich die Akkumulation von Ansehen. Zunächst wird inkognito sein kämpferisches Können gepriesen, dann offenbart sich die Ebenbürtigkeit und Freundschaft mit Gâwein, der doch stets als der beste Kämpfer und gesuchteste Retter genannt wurde. Neben der kämpferischen Ebenbürtigkeit ist es nicht ohne zusätzlichen symbolischen Wert, dass Iwein gerade vom Musterritter Gâwein so geehrt wird und dieser ihm diensthafter ist, danne in der werlde ieman (Iw, V. 7612 f.), da der Wert der Wertschätzung einer Person durch eine andere auch vom Wert des Schätzenden abhängig ist.507 Dies gilt ebenso für Dankbarkeit. Zuletzt wird durch die Vereinigung von ‚Iwein‘ und ‚Löwenritter‘ jedoch auch versteckt eine Überlegenheit Iweins über Gâwein angedeutet. Als rîter mit dem leun, der Iwein ja auch nach seinem Wiedereintritt in die Artusgesellschaft bleibt,508 bilden Mann und Tier eine Einheit, die über zahlenmäßig und/oder anderweltlich bedingt überlegene Gegner triumphieren kann.509 Dem gegenüber legt die Ebenbürtigkeit des ‚halben‘ Iwein mit Gâwein nahe, dass letzterer in einem Kampf mit dem ‚Löwenritter‘ Iwein unterlegen gewesen wäre. Der Löwe erwirkt jedoch nicht nur die Offenbarung der Identität des Löwenritters und Iweins, sondern auch, dass Lunete ihn bei der Suche nach einem ‚neuen‘ Landesherren am Brunnen erkennt: er was ir bî dem lewen erkant (Iw, V. 7950). Ausgerechnet Lunete, die stets am besten über Iweins Identität informiert war, dient der

 Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor, ins Neuhochdeutsche übers. und kommentiert von Siegfried Grosse. Stuttgart 2007 (RUB. 644), V. 1,4.  Vgl. Harald Haferland: Wer oder was trägt einen Namen? Zur Anonymität in der Vormoderne und in der deutschen Literatur des Mittelalters. In: Anonymität und Autorschaft. Zur Literatur- und Rechtsgeschichte der Namenlosigkeit. Hrsg. von Stephan Pabst. Berlin/Boston 2011 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur. 126), S. 49–73, hier S. 63. Alois Wolf: Heldensage und Epos. Zur konstituierung einer mittelalterlichen volkssprachlichen Gattung im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Tübingen 1995 (ScriptOralia. 68), S. 277 f.  Vgl. Vogt, Logik, S. 136–138, die die „Bennenungsmacht“ in hierarchischen Gesellschaften hervorhebt. Gleichfalls stellt das Erfordernis gesellschaftlicher Ebenbürtigkeit, wie sie Vogt benennt (ebd., S. 105), einen Verweis hierarchische Werte dar.  Vgl. Iw, V. 7762.  Zur Frage der Dauer dieses Bündnisses siehe Kap. II.1.6. sowie Friedrich, Menschentier, S. 372. Letztendlich bildet die Frage auch ein Phänomen überlieferungsgeschichtlicher Varianz, da die unterschiedlichen Fassungen an dieser Stelle unterschiedliche Aussagen machen. Vgl. Mertens, Stellenkommentar, S. 1026. Zumindest begleitet der Löwe Iwein noch zurück zum Brunnen und zu seiner Versöhnung mit Laudine. Siehe Iw, V. 7950: er was ir [Lunete] bî dem lewen erkant.

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II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

Löwe als ein Erkennungszeichen. Die Einheit von Iwein und dem Löwen zeigt sich am Ende somit nicht nur im arturischen Raum, sondern auch im Brunnenreich, wodurch Iweins löwenhafte Liminalität perpetuiert wird.510 Zum einen erscheint Iwein am Hof Laudines immer noch als rîter mit dem leun (Iw, V. 8015). Zum anderen äußert der Text nicht, dass sich Iwein von seinem Löwen getrennt hätte, weshalb es meines Erachtens naheliegender wäre, von einer implizierten Fortsetzung ihrer Kooperation auszugehen.511 Die Fassung A verdeutlicht dies noch zusätzlich, indem der in A und B enthaltene Vers [der Löwe] folgt im swar er kêrte (Iw, V. 3880) um die Verse und gestuont im zaller sîner nôt, / unz sî beide schiet der tôt (Iw, V. 3881–3882) ergänzt wird.512 Im Ende des Iwein verflechten sich zuletzt noch einmal die im Laufe der Handlung angesammelten Bezugsfäden. Nicht nur erfolgt ein drittes heimliches Verlassen des Artushofs und ein erneutes Auslösen des Brunnenmechanismus‘.513 Der Anlass zur Versöhnung mit Laudine gestaltet sich ebenso analog zur ersten ‚Intrige‘ Lunetes wie zur soeben erörterten Vereinigung von Iweins doppelter Identität: [Lunete] sprach: ‚der danne weste den rîter der den risen sluoc unde der mich lasters übertruoc, daz er mich von dem rôste hie vor iu erlôste, der iu den selben suochte, ob er komen gerouchte, sô ne wærez niender baz bewant. (Iw, V. 7868–7875)

Wiederum überlistet Lunete ihre Herrin, indem sie die Identität des Ritters verschweigt und stattdessen seine kämpferischen Qualitäten hervorhebt,514 deren Erfordernis durch das Begießen des Steins verdeutlicht wurde. Zu Anfang des Romans begründete die Verknüpfung von praktischer und diskursiver manheit des Ritters, der Ascalôn erschlug, dessen Idoneität zum König des Brunnenreiches. Im Falle des Löwenritters ermöglicht diese Verknüpfung und das durch sie generierte Ansehen Iweins erneuten Zutritt zu Laudine und zur Landesherrschaft.

    

Anders Quast, Das Höfische, S. 126. Zur Kritik an Quast auch Friedrich, Menschentier, S. 372. So auch Ertzdorff, Hartmann, S. 311. Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 191 f.; Friedrich, Menschentier, S. 373. Vgl. Hoffmann, Arbeit, S. 298 f. Vgl. Lauer, Mythos, S. 52 f.; Breulmann, Erzählstruktur, S. 267 f.

II.1.10 Zusammenfassung

205

II.1.10 Zusammenfassung Mit einer beträchtlichen Anzahl von Belegstellen für manheit515 in Hartmanns Iwein zieht sich die Bedeutung kämpferischen Könnens durch den gesamten Text und bestimmt durch das Wirken in den strukturrelevanten Kämpfen den Lauf der Handlung. Das Bedeutungsspektrum von manheit ist dabei ebenso vielfältig wie schillernd. In seiner Grundbedeutung erscheint manheit als kämpferisches Können, als der Wille und die Fähigkeit zu kämpfen und ist frei von moralischen Implikationen. Dies ist nicht allein daran abzulesen, dass sie auch Antagonisten attribuiert wird, sondern kommt auch in der vielfach symmetrischen Gestaltung der Kämpfe zum Tragen, die als ein gemeinschaftliches Spiel und als Wettstreit um die größere manheit erscheinen. Es ist jedoch hervorzuheben, dass in der Regel den Gegnern Iweins lediglich von anderen Figuren manheit oder Kampfkraft zugesprochen wird: Bei Ascalôn war es vornehmlich Laudine (Iw, V. 1457), Harpin tut es selbst (mit Vermittlung des Erzählers, Iw, V. 5043), die Truchsessen und die tiuvels kneht werden jeweils von Lunete (Iw, V. 4080–4092) und den gefangenen Damen (Iw, V. 6339 u. V. 6374) direkt oder indirekt als manlich bezeichnet. Gâweins manheit und Kampfkraft werden häufiger von Figuren benannt, unter anderem von Lunete und dem Grafen der Harpin-Episode und zusätzlich einmal durch den Erzähler (Iw, V. 6955). Lediglich Aliers, dessen Episode ohnehin eine Sonderstellung besitzt, wird vom Erzähler ungevelschte ritterschaft (Iw, V. 3764 f.) bescheinigt. Es zeigt sich also, dass sich Iweins manheit stets in der Überwindung von Gegnern erweist, denen ebenfalls manheit oder Kampfkraft attribuiert wird, wodurch zum einen auf die grundlegende Reziprozität und Symmetrie von Agonalität und Kampf verwiesen wird. Zum anderen lässt die Unterscheidung von Figurenrede und Erzählerrede die Mechanismen einer diskursiven manheit erkennen, da das symbolische Kapital von Iweins manheit von der Bewertung der Figuren abhängig ist und somit auch ihre Beurteilung seiner Gegner ausschlaggebend ist. Vor allem aber unterstreicht die Gegenüberstellung beidseitiger manheit die Bedeutung der Gewalt, die im Kampf gleichzeitig erfahren und ausgeübt wird und damit die zyklische Struktur von manheit und Gewalt offenbart. In seiner Bedeutung als Grundvoraussetzung für den Sieg im Kampf entfaltet der Begriff darüber hinaus ein komplexes System von Bezügen und Verweisen, welche manheit gleichsam transzendieren, denn letztlich liefert der Sieg im Kampf die Evidenz von praktischer manheit. Als Folge des Sieges erscheint manheit daher weiterhin sowohl als persönliches Wissen, als Erfahrung, als auch als das Wissen anderer um das Können des Siegers, welches zu einer Zuschreibung mit manheit führt, die als Ansehen ein symbolisches Kapital darstellt, das den Rang des Siegers in der Gesellschaft bestimmt. Gesellschaftliches Ansehen und Ehre sind daher kaum von manheit zu trennen. Somit ist die von Vogt vorgenommene Einteilung in ‚innere‘ und ‚äußere‘ Ehre dahingehend zu

 Zusammen mit den Adjektiven manlîch und manhaft sind es je nach Fassung um die 30 Belegstellen.

206

II.1 Der Iwein Hartmanns von Aue

spezifizieren, dass Ehre nicht direkt erworben wird, sondern zugleich Folge und Überbegriff anderer Formen von symbolischem Kapital wie milte, mâze oder eben manheit ist und somit ein symbolisches Kapital zweiter Ordnung darstellt. Wie zu sehen war, gipfelt der Weg des Helden in einer gesellschaftsumfassenden Zuschreibung von manheit und erst dadurch in einer Akkumulation von Ehre. Praktische manheit als die Fähigkeit zu siegen erscheint somit wiederum als Grundvoraussetzung kriegerischer und gegebenenfalls männlicher Werthaftigkeit, welche diskursiv ihrerseits mit manheit bezeichnet wird. Es konnte gezeigt werden, dass zwar auf erzählerischer Ebene die Darstellung von Gewalt, von Wunden und ihrer Zufügung, in Hartmanns Iwein im Vergleich zu seiner Vorlage erheblich abgemildert ist. Besonders in der Schlacht von Narison, die sich sowohl thematisch als auch sprachlich in der Nähe historiographischer Schlachtbeschreibungen bewegt, wird auf das Ausmalen blutiger Details zugunsten der Betonung von manheit verzichtet. Die Auslagerung der Beschreibung von Brutalität auf die Handlungen des Löwen kann jedoch meines Erachtens nicht als das Anzeichen einer Auslagerung des gewalttätigen Handelns selbst verstanden werden, da wiederholt und auch bis zum Ende eine Einheit von Ritter und Löwe bekräftigt wird. Darüber hinaus werden auf der Ebene der histoire die gewalttätigen Ereignisse in keiner Weise abgeschwächt oder getilgt, wodurch angezeigt wird, dass sich die (womöglich didaktischen) Bestrebungen zur Idealisierung des Rittertums keinesfalls auf die Restriktion von Gewalt beziehen. Wie bei manheit geht mit rîterschaft keine implizite moralische Wertung einher, wie sich aus zahlreichen Anreden, die gleichzeitig einen Vorwurf enthalten, entnehmen lässt. Gerade der Kampf gegen Harpin und die in ihm zum Tragen kommende Dehumanisierung belegen nicht nur die Gewaltaffinität des höfischen Romans, sondern auch, dass dem Rittertum per se nicht notwendigerweise ein moralischer Wert anhaftet. So gestaltet sich der Text als eine Glorifizierung der ritterlichen Tugend manheit, durch die sich adliges Selbstverständnis und der kriegerische Habitus des Ritters bestätigt finden. Dies steht in engem Zusammenhang mit dem adeligen Vorrecht auf Krieg und Fehde, das mit den Zweikämpfen der âventiure-Handlung durch das tertium comparationis der Kampfpraktiken verbunden ist. Die grausamen Handlungen des Krieges als selbstverständlicher Bestandteil einer adligen Lebenswelt halten in ihren Details nur geringfügig Einzug in die arturische Sphäre. Dennoch muss der Verzicht auf die Ausformulierung von Gewalt nicht auf didaktische Bemühungen, die auf einer Verurteilung kriegerischkämpferischer Gewalt beruhen, zurückgeführt werden. Neben stilistischen Absichten, nach denen auf den rhetorischen Effekt eines Vor-Augen-Stellens von Gewalt zugunsten einer Profilierung abstrakter Attribute verzichtet wird, kann der Verzicht auch vor dem Hintergrund eines Ockhamschen Sparsamkeitsprinzip erörtert werden. Die Details des Kämpfens, das heißt des Verwundens und Tötens, werden zum einen nicht erzählt, weil sie für die Erzählung nicht wichtig sind, zum anderen weil von Seiten der rezipierenden Erzählgemeinschaft kein Interesse an ihnen besteht. Dieser Mangel an Interesse muss jedoch nicht auf einen Versuch der Weltflucht und eine Sehnsucht nach einem utopischen Idealzustand zurückgeführt werden. Statt das Augenmerk darauf zu richten, was

II.1.10 Zusammenfassung

207

der Text nicht tut, nämlich Gewalt auszuerzählen, ist zu betonen, was der Text in großem Umfang beitreibt: die Glorifizierung von praktischer manheit und Kampf. So ist dann auch nicht die Diskrepanz zwischen den Praktiken des berittenen Kriegers und einem Ritter wie Iwein zu betrachten, sondern ihre Übereinstimmung. Ohne jegliche ethisch-didaktischen Ansprüche gänzlich in Abrede stellen zu wollen, unterliegen die individuellen kämpferischen Handlungen Iweins einer kriegerischen Konvention, deren axiologisches Bewertungssystem für die Angehörigen einer hochmittelalterlichen Kriegergesellschaft Gültigkeit besaß. Folglich verleiht der diegetische Diskurs, der sich in der Darstellung und dem Umgang mit diskursiver manheit niederschlägt, einem Wertsystem Ausdruck, das an extradiegetischen Wertdiskursen orientiert ist und dem auf beiden Ebenen die konstitutive Konvention ritterlichen Kampfes zugrunde liegt. Im Laufe des Romans werden die verschiedenen Bedeutungen von diskursiver manheit als einem symbolischen Kapital entfaltet und ausdifferenziert, wie auch die Mechanismen seiner Akquise und Akkumulation vor Augen gestellt werden. Besonderes Gewicht fällt dabei auf die Umcodierung von diskursiver manheit in vrümecheit als eine Bedingung herrscherlicher Idoneität. Dabei ist es bezeichnend, dass im Zuge der Krise Iweins weder seine diskursive noch seine praktische manheit besondere Einbußen erleidet. Selbst im Zustand der tobesuht kann er sich mittels überlegener Gewaltkompetenz am Leben halten und wird als manlîcher Kämpfer erkannt. Durch die Allianz mit dem Löwen wird Iweins Kampfstärke im zweiten Teil des Romans noch gesteigert. Gleichzeitig wird die Ansammlung und Verbreitung von diskursiver manheit an der pseudonymisierten Figur des Löwenritters sowohl typologisch ausdifferenziert und nachvollzogen als auch die dabei zugrundeliegende Mechanik veranschaulicht. Somit bringen die Darstellungen der Praktik des Kämpfens sowie der praktischen manheit als Kern des Rittertums nicht nur die Alltäglichkeit und Selbstverständlichkeit von Krieg und Gewalt zum Ausdruck, sondern verweisen auch auf die diskursiven Formen von manheit als Medium der Selbstinszenierung einer mittelalterlichen Kriegergesellschaft.

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik Eine Analyse der Steirischen Reimchronik stellt sowohl historisch als auch literaturwissenschaftlich orientierte Kulturwissenschaftler:innen vor eine besondere Herausforderung. Bereits im späten 19. Jahrhundert wurden historiographische Unzulänglichkeiten der Reimchronik als Quelle bemängelt und eine Intensivierung methodischer Quellenkritik hat dies noch weiter verstärkt.1 Auch die Literaturwissenschaft hat der Reimchronik den dichterischen Wert, der eine gründliche Aufarbeitung rechtfertigt, aberkannt,2 zumal sich die Reimchronik in ihrer dezidierten Anbindung an die großen Gestalten der höfischen Literatur – vor allem Wolfram von Eschenbach und Hartmann von Aue – einerseits willentlich in die Rolle eines Epigonen3 fügt und sich andererseits durch ihren dezidiert nicht-fiktionalen Erzählanspruch den Grenzen des literarischen Genres entzieht. Entsprechend ist sowohl das Interesse der historischen als auch germanistischen Forschung gering geblieben.4 Auf der Seite der Literaturwissenschaft findet sich noch in Fritz Peter

 Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 160–162; Wenzel, Geschichte zur Steirischen Reimchronik S. 140–190, zum vormals erachteten Quellenwert S. 141 f. Zur grundsätzlichen „Geringschätzung der volkssprachlichen Geschichtsdichtung“: Manfred Groten: Volkssprachliche Geschichtsdichtungen im deutschen Reich im späten 13. Jahrhundert. Melis Stoke und Gottfried Hagen. In: Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichts-darstellungen und ihre kritische Aufarbeitung. Hrsg. von Johannes Laudage. Köln [u. a.] 2003 (Europäische Geschichtsdarstellungen. 1), S. 281–308, hier S. 282. Eine Aufarbeitung des bis dato geführten Forschungsstreits um die Gattungszugehörigkeit der Reimchronik sowie ihre Qualität als Geschichts- respektive Erzählwerk bietet Walter Heinemeyer: Ottokar von Steier und die höfische Kultur. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 73 (1936), S. 201–226, hier S. 201–203.  Siehe etwa Gustav Ehrismann: Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. 2. Teil, Schlussband. München 1935, S. 432 f., der die Reimchronik ausschließlich als Geschichtswerk auffasst, dass trotz der „sprachlichen Begabung“ des Autors und „trotz der höfischen Vorbilder“ in der „Ausdrucksweise kunstlos“ sei. Siehe auch Heinemeyer, Ottokar, S. 202 f. bei dem sich der Trend ablesen lässt, dass die ältere Literaturwissenschaft die Reimchronik eher der Historiographie und vice versa die ältere Geschichtswissenschaft sie der Dichtkunst zuordnet.  Vgl. Heinemeyer, Ottokar, S. 207 f., der dies noch auf den „epigonenhaften Charakter der Literatur des ausgehenden 13. und beginnenden 14. Jhs,“ (ebd., S. 207) zurückführt. Wortwörtlich beklagt der Reimchronist, kein Dichter vom Format Wolframs von Eschenbach oder Hartmanns von Aue zu sein (StR, V. 39190–39200 u. 94891–94898) und er zitiert den letzteren des Öfteren, worauf im Folgenden zurückzukommen ist.  Damit hängt zusammen, dass die Reimchronik durch ihre Gattungszugehörigkeit oftmals nicht zum Gegenstandsbereich germanistischer Forschung gezählt wird, „da eine Chronik per se keine Erzählung darstellt.“ Michael Schwarzbach-Dobson: Exemplarisches Erzählen im Kontext. Mittelalterliche Fabeln, Gleichnisse und historische Exempel in narrativer Argumentation. Berlin/Boston 2018 (LTG. 13), S. 78, Anm. 376. Siehe zuletzt: Václav Bok: Literary Reminiscences in the Characterization of the Bohemian King Wenceslas II (1283–1305) and his Contemporaries in Ottokar from the Geul’s ‚Styrian Rhyhttps://doi.org/10.1515/9783111240275-007

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

209

Knapp einer jener Vertreter, der die Reimchronik anhand vorgefertigter Anforderungen als defizitär bewertet, anstatt sie auf die inhärenten Erzählabsichten zu befragen und entsprechend zu analysieren.5 Hervorzuheben ist demgegenüber die umfangreiche Studie von Ursula Liebertz-Grün, die gemeinsam mit Horst Wenzel den Anstoß für ein neuerliches Interesses an der Steirischen Reimchronik gegeben hat.6 Liebertz-Grün liefert einen fundierten Überblick über die kulturellen und politischen Gegebenheiten, die die Reimchronik verhandelt, wobei sie nur selten und sehr punktuell ins Detail geht und die übergeordneten Erzählzusammenhänge meist außen vor lässt. Gerade in Bezug auf die manheit der Akteure und die Darstellung ihrer Kämpfe und Schlachten ist die erzählerische Gestaltung als Überlagerung literarischer Wertzuschreibungs- und -erzeugungsmuster und als Selbstrepräsentation einer militärisch aktiven, sozialen Gruppe von besonderem Interesse.7 Somit ist der Text ein direktes Zeugnis einer mittelalterlichen Adelskultur und wurde bereits von Horst Wenzel als idealer Gegenstand einer historischen Textwissenschaft beschrieben.8 Ursula Liebertz-Grün hat die Herausforderungen, die eine Analyse der Steirischen Reimchronik mit sich bringt und die in den folgenden Kapiteln sichtbar werden, auf den Punkt gebracht: Der gelernte Leser muß schon die modernen historischen Handbücher und Spezialarbeiten zu Rate ziehen und sich in spätmittelalterlicher Universalgeschichte und österreichisch-steirischer

med Chronicle‘. In: Historiography and Identity VI. Competing Narratives of the Past in Central and Eastern Europe, c. 1200–c. 1600. Hrsg. von Pavlína Rychterová. Turnhout 2021 (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages. 32), S. 207–223. Bok betont besonders den dualen Charakter der Steirischen Reimchronik, which „needs to be seen as both a historical and a literary work.“ (ebd., S. 220) sowie die Verwobenheit von historiographischen und literarischen Erzählelementen.  Vgl. Fritz Peter Knapp: Die Literatur des Spätmittelalters. In den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273–1439, 1. Halbband: Die Literatur in der Zeit der frühen Habsburger bis zum Tod Albrechts II. 1358. Graz 1999 (Geschichte der Literatur in Österreich. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2/1), S. 371–382.  Ursula Liebertz-Grün: Das andere Mittelalter. Erzählte Geschichte und Geschichtserkenntnis um 1300. Studien zu Ottokar von Steiermark, Jans Enikel, Seifried Helbling. München 1984 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur. 5), S. 101–167. Ein internationales Interesse an der Reimchronik begründet sich auch durch die Berichte über Böhmen und Ungarn und den interkulturellen Dialog mit diesen Nachbarländern. Vgl. Bok, Reminiscences.  Unter dem Schwerpunkt einer gruppenorientierten regionalen Geschichtsschreibung hat die Reimchronik zuletzt von Joachim Schneider Aufmerksamkeit erfahren: Joachim Schneider: Dynastischterritoriale Geschichtsschreibung in Bayern und Österreich: Texte und Entstehungsbedingungen – Herkunftsgeschichten und Gründungsmythen. In: Handbuch Chroniken des Mittelalters. Hrsg.von Gerhard Wolf, Norbert H. Ott. Berlin/Boston 2016, S. 225–266, bes. S. 235 f. Siehe auch Winfried Stelzer: Literatur, Geschichtsschreibung und Hagiographie. In: Die Steiermark im Spätmittelalter. Hrsg. von Gerhard Pferschy. Wien [u. a.] 2018 (Geschichte der Steiermark 4), S. 551–583.  Vgl. Wenzel, Geschichte, S. 146.

210

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Landes- und Gesellschaftsgeschichte sachkundig machen und er muß auch zum Vergleich die mittellateinischen Chronisten, die mittelhochdeutschen Geschichtserzähler und Epiker studieren.9

Diesem Imperativ sind die folgenden Kapitel zur Steirischen Reimchronik in großem Maße verpflichtet, denn er bildet die Grundlage einer kulturwissenschaftlichen Textanalyse, die sich nicht auf einen engen und rein auf Fiktionalität ausgerichteten Literaturbegriff beschränkt. Stellvertretend für diesen kann Walter Haugs Ausspruch und ebenso betitelter Aufsatz Warum darf Literaturwissenschaft nicht Literaturwissenschaft sein? gelten, der sich (neben einem Haugs Ansicht nach problematischem Selbstverständnis der Literaturwissenschaft im Allgemeinen) mit Haugs Ablehnung „die Literaturwissenschaft in Kulturwissenschaft überzuführen“10 befasst. Basierend auf Haugs Charakterisierung seines Forschungsinteresses am „einzelnen und vor allem hervorragenden Werk“, das seiner „Interpretationskunst ihren würdigsten Gegenstand“11 liefert, fällt die Reimchronik aus einem derart eng definierten, literaturwissenschaftlichen Gegenstandsbereich vollkommen heraus, was wohlmöglich auch die geringe Aufmerksamkeit erklärt, die der Text bisher erfahren hat. Dabei lässt sich das Selbstverständnis des Adels als Kriegergesellschaft und Erzählgemeinschaft an der Schwelle zwischen Hochund Spätmittelalter an kaum einem mittelhochdeutschen Text so gut aufzeigen wie an der Steirischen Reimchronik Ottokars aus der Gaal und ihrem Bezug zum Adel der Steiermark. Ursula Liebertz-Grün beschreibt in ihrer Studie zur politischen Rhetorik in der Reimchronik die Rezeptionshaltung wie folgt: Ottokars Hinweise auf taktische Finessen und technische Details waren für seine Hörer, die sich notgedrungen auch für das Waffenhandwerk interessieren mußten, vielleicht von praktischem Nutzen. Seine Überlegungen zur Kriegsmoral mochten eine wichtige Rolle in der Verständigung einer gelegentlich auch mit Krieg beschäftigten Kommunikationsgemeinschaft spielen. Aber seine ausführlichen Schlachtbeschreibungen lassen sich nicht vom Nützlichkeitsstandpunkt zureichend erklären, sie verraten vielmehr einen latenten Kriegsenthusiasmus, der in der damaligen, für den Adel bestimmten Literatur allenthalben begegnet und der sich nicht auf das Abwägen politischer Machtchancen reduzieren läßt.12

Während die Produktion und Rezeption der höfischen Literatur im Allgemeinen einer schwer zu bestimmenden sozialen Gruppe zugeordnet wird, erscheint die Reimchro-

 Ursula Liebertz–Grün: Ottokar von Steiermark. Ein Klassiker der deutschsprachigen Geschichtsschreibung des europäischen Mittelalters. In: Die mittelalterliche Literatur in der Steiermark. Akten des Internationalen Symposions Schloß Seggau bei Leibnitz 1984. Hrsg. von Alfred Ebenbauer [u. a.]. Bern [u. a.] 1988 (Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A. 23), S. 165–180, hier S. 165.  Walter Haug: Warum darf Literaturwissenschaft nicht Literaturwissenschaft sein? In: Ders.: Die Wahrheit der Fiktion: Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Tübingen 2003, S. 628–649, Zitat S. 631. Zur Kritik siehe auch das Vorwort von Andreas Kablitz in: Ursula Peters: Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft. Aufsätze 1973–2000, Hrsg. von Susanne Bürkle [u. a.]. Tübingen/Basel 2004, S. IX-XII, hier S. IX.  Haug, Literaturwissenschaft, S. 628.  Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 163.

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

211

nik in mehrfacher Hinsicht als das Sprachrohr einer ziemlich fest umrissenen Anzahl von Menschen, deren Selbstbewusstsein und enger Zusammenhang nicht nur aus dem Text selbst hervorgeht.13 Entsprechend verschiebt sich der Fokus der Analyse gegenüber der Betrachtung des Iwein, da hier nicht nur die Inszenierung von manheit und Kampf zu berücksichtigen ist, sondern besonders ihre Darstellung als Eigenschaft historischer Akteure und als historische Ereignisse. Damit geht jedoch zwangsläufig einher, den historischen Kontext beziehungsweise den Darstellungskontext aufzuarbeiten, wie ihn die Reimchronik präsentiert. Die besondere Komplexität, die die Darstellung von politischen Ereignissen in der Reimchronik bisweilen erreicht, ist unter anderem der situationsabhängigen Heterogenität auch des steirischen Adels zuzuschreiben. Wie Liebertz-Grün gezeigt hat, wechselt die Reimchronik abhängig vom jeweiligen Konfliktfall die Gruppe, die sie vertritt, sodass sich eine Hierarchie von Zugehörigkeiten ablesen lässt:14 An erster Stelle repräsentiert sie die Christenheit, wenn ein Konflikt mit Nicht-Christen besteht, dann das Reich, etwa im Konflikt mit Frankreich.15 Innerhalb der politischen Konflikte im Reich und in Bezug auf das Papsttum gibt sie sich stauferfreundlich, im Streit um die Herzogtümer Österreich und Steiermark vertritt sie das Erbe beziehungsweise die Erbinnen der alten babenbergischen Landesfürsten und auf regionaler Ebene die Interessen des Adels der Steiermark. Bisweilen kam es jedoch auch innerhalb des steirischen Adels zu Parteiungen, wenn dieser sich nicht geschlossen einer großen Konfliktpartei anschloss, sondern mit Blick auf den eigenen Vorteil jeweils unterschiedlichen Parteien anhing. Daneben findet sich bisweilen auch eine ähnliche Abgrenzung gegenüber den Städten Österreichs und der Steiermark und ihren Bürgern sowie dem örtlichen Klerus, die jeweils eigene Partikularinteressen verfolgten, welche nicht immer im Einklang mit den Ambitionen des steirischen Adels waren.16 Entsprechend gestaltet sich die Sympathiesteuerung in der Reimchronik als wechselhaft, worauf ich später zurück Vgl. Winfried Stelzer: Steirische Bildungsverhältnisse und schriftliche Kultur im späten Mittelalter. In: Die Steiermark im Spätmittelalter. Hrsg. von Gerhard Pferschy. Wien [u. a.] 2018 (Geschichte der Steiermark. 4), S. 485–520, der auf die besonderen Produktions- und Rezeptionsverhältnisse in der Steiermark aufmerksam macht: „Schon zuvor ist beim steirischen Adel recht früh das Interesse an der höfischen Epik in der Volkssprache zu greifen. Es mag weiters an das deutsche Epos ‚Biterolf und Dietleib‘ mit dem darin zum Ausdruck kommenden steirischen Landespatriotismus erinnert werden und an das gewichtige deutschsprachige Œuvre Ulrichs von Liechtenstein († 1275). Als Höhepunkt der neuen literarischen Produktion in der Volkssprache darf sicherlich das Riesenwerk der Steirischen Reimchronik Ottokars aus der Gaal gelten [...].“ (S. 494).  Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 139 f.  Zur Darstellung Frankreichs in der Steirischen Reimchronik siehe Georg Jostkleigrewe: Das Bild des Anderen. Entstehung und Wirkung deutsch-französischer Fremdbilder in der volkssprachlichen Literatur und Historiographie des 12. bis 14. Jahrhunderts. Berlin 2008 (Orbis mediaevalis. 9), S. 125–134, S. 230–239 u. S. 250–271.  Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 158–161 zur Stellung von Städten, Bürgern und der Landbevölkerung in der Reimchronik. Zum Klerus siehe vor allem die Ausführungen zu Abt Heinrich II. von Admont, ebd., S. 128–131.

212

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

kommen werde, da zunächst der Text selbst in seiner Beschaffenheit, Überlieferung und Erzeugung sowie in manchen seiner erzählerischen Besonderheiten in den Blick genommen werden muss.

II.2.1 Textgestalt und Überlieferung Die Steirische Reimchronik Ottokars aus der Gaal unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von Hartmanns Iwein und in keiner Weise so augenscheinlich wie im Umfang. Mit ihren 98.595 Versen übersteigt sie die 8166 Verse des Iwein um das Zwölffache und selbst Wolframs Parzival mit 24.630 Versen noch um das Vierfache. Darüber hinaus liegt ein wesentlicher Unterschied im Bekanntheitsgrad, der sich auch in der Forschung widerspiegelt. Während der Iwein zu den absoluten Klassikern der mittelhochdeutschen Literatur gehört, der in vielen kommentierten und übersetzten Ausgaben erhältlich ist, liegt die Steirische Reimchronik lediglich in einer kritischen Edition in der Reihe der Deutschen Chroniken der Monumenta Germaniae Historica von 1890 vor17 und ist im Wesentlichen nicht übersetzt.18 Der Inhalt des erhaltenen Texts der Reimchronik behandelt einen Zeitraum von wenig mehr als einem halben Jahrhundert. Vordergründig stellt der Tod Kaiser Friedrichs II. im Jahre 1250 den Auftakt der Reimchronik dar: dô wart ich gebeten von den, die liep heten ze wizzen diu mære, waz hie geschehen wære nâhen unde wîten sît keiser Fridrichs zîten. (StR, V. 33–38)

diu mære umfasst Ereignisse im Reich und in Frankreich, aber auch im Heiligen Land. Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf den Gebieten Österreich, Kärnten und vor allem der Steiermark sowie deren Nachbarn Böhmen und Mähren sowie Ungarn und Polen. Das letzte berichtete Ereignis, der Aufstand der Stadt Wien gegen Herzog Friedrich den Schönen von Österreich aus dem Hause Habsburg, datiert 1309. Trotz seiner Länge ist das Werk scheinbar unvollendet geblieben, wobei der Herausgeber, Joseph Seemüller, der Ansicht war, dass große Teile innerhalb der Erzählung, wie auch über das Jahr 1309 hin Damit gehört sie zu den wenigen volkssprachigen Chroniken, die überhaupt in die Reihe der ‚Deutschen Chroniken‘ der MGH aufgenommen worden. Zu diesem grundsätzlichen Missstand siehe Groten, Geschichtsdichtungen, S. 282 f.  Bettina Hatheyer: Das Buch von Akkon. Das Thema Kreuzzug in der ‚Steirischen Reimchronik’ des Ottokar aus der Gaal. Untersuchungen, Übersetzung und Kommentar. Göppingen 2005 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik. 709) liefert eine Übersetzung der Verse 44579–53866, mit 9287 Versen nicht einmal 10 Prozent des gesamten Textes.

II.2.1 Textgestalt und Überlieferung

213

aus im Zuge der Überlieferung verloren gingen.19 Auch hierin unterscheiden sich Iwein und die Reimchronik, denn der gesamte Text der letzteren ist nirgendwo vollständig enthalten.20 Dabei ist die Überlieferungslage der Reimchronik vergleichsweise gut. 12 Textzeugen sind auf uns gekommen, von denen lediglich 3 fragmentarisch sind. Der älteste Textzeuge ist eine in 5 Fragmenten überlieferte Pergamenthandschrift aus dem frühen 14. Jahrhundert, der Entstehungszeit der Chronik.21 Keine der 9 vollständigen Handschriften enthält die in der Gesamtheit 98.9595 Verse, sodass es grundsätzlich problematisch erscheint, unabhängig vom Überlieferungszusammenhang eine solche Gesamtheit zu postulieren. Joseph Seemüller hat in Anlehnung an die jeweilige Überlieferung den Text in vier Abschnitte gegliedert: § I (StR, V. 1–44578) erzählt vom Tod Friedrichs II. (1250) bis zum Krieg zwischen Herzog Albrecht von Habsburg und Andreas III. von Ungarn (1291). § II (StR, V. 44579–53866) erzählt von der Belagerung und Zerstörung Akkons. § III (StR, V. 53867–69002) erzählt von Ereignissen zwischen 1291 und 1297 und endet mit dem Tod des Hauptmanns der Steiermark, Abt Heinrich II. von Admont. § IV (StR, V. 69003–98595) erzählt von Ereignissen von 1297 bis 1309. Um einen besseren Überblick zu gewährleisten, sei die Zuordnung der Abschnitte zu den Handschriften, wie sie Joseph Seemüller vorgenommen hat,22 hier tabellarisch aufgeführt, wobei sich die Nummerierung ebenfalls an Seemüller orientiert:23 Nr.

Handschrift

Textteile



Wien, Österr. Nationalbibl., Cod.  (Papier, . Jh)

§ I (StR, V. –), § IV



Stockholm, Königl. Bibl., Cod. D  (Papier, um )

§ IV

 Vgl. Joseph Seemüller: Einleitung. In: Ottokars Österreichische Reimchronik. Nach den Abschriften Franz Lichtensteins. Hrsg. von dems. Hannover 1890 (MGH Dt. Chron. 5,1), S. VII-CXXV, hier S. LIIf.  Vgl. Seemüller, Einleitung, S. XXV.  Vgl. Maja Loehr: Der Steirische Reimchronist: her Otacher ouz der Geul. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 51 (1937), S. 89–130, hier S. 89.  Vgl. Seemüller, Einleitung, S. XXV.  Vgl. Seemüller, Einleitung, S. VII–XXV. In Klammern gesetzte Textzeugen waren Seemüller zum Zeitpunkt der Herausgabe nicht bekannt.  Lotte Kurras: Deutsche und niederländische Handschriften der Königlichen Bibliothek Stockholm. Handschriftenkatalog (Acta Bibliothecae Regiae Stockholmiensis. LXVII), S. 77 f.

214

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

(fortgesetzt) Nr.

Handschrift

Textteile

K frag.

Wien, Österr. Nationalbibl., Cod.  (Pergament, . Hälfte . Jh.)

§ II frag. (StR, V. –)

G frag.

Klagenfurt, Landesarchiv, Cod. GV /– (Pergament, . Hälfte . Jh.)

§ I (StR, V. – u. –)

B frag.

Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. Ser. nova  (Pergament, . Hälfte . Jh.)

§ II frag. (StR, V. –, –, –, –, –, –, –, –)

J frag.

Klagenfurt, Landesarchiv, Cod. GV /– (Pergament, . Hälfte . Jh.)

§ I frag. (StR, V. –, –, –, –)

(J‘) frag.

Klagenfurt, Landesarchiv, Cod. GV /– (Pergament, . Hälfte . Jh.)

§ I frag. (StR, V. –, –)



Wien, Österr. Nationalbibl., Cod.  (Papier, ./. Jh.)

§ I, § II, § III



Admont, Stiftsbibl., Cod.  (Papier, . Jh.)

§ I, § II, § III



Wolfenb., Herz. Aug. Bibl., Cod.  Gud. Lat. ° (Papier, . Jh.)

§ II

 Vgl. Seemüller, Einleitung, S. XI–XV. So auch die weiteren Fragmente der 3. Handschrift.  Vgl. Hermann Menhardt: Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der österreichischen Nationalbibliothek. 3. Band. Berlin 1961 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin – Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 13), S. 1515.  Seemüller kannte lediglich 4 der heute 5 Fragmente. Das 5. (Cod. GV 6/29–3) hat Seemüller wenige Jahre nach der Herausgabe der Reimchronik selbst gefunden, vgl.: Joseph Seemüller: Ein neues kärntisches Bruchstück der Reimchronik Ottokars. In: Carinthia I. Mittheilungen des Geschichtsvereines für Kärnten 91 (1901), S. 161 f.  Hermann Menhardt: Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der österreichischen Nationalbibliothek. 2. Band. Berlin 1961 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin – Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 13), S. 840.  Vgl. Seemüller, Einleitung, S. XVIII–XXI.  Vgl. Seemüller, Einleitung, S. XXIf.

II.2.1 Textgestalt und Überlieferung

215

(fortgesetzt) Nr.

Handschrift

Textteile



St. Gallen, Stiftsbibl., Cod.  (Papier, )

§ II



Jena, Universitäts- und Landesbibl., Ms. Rec. adj. f.  (Papier, . Hälfte . Jh.)

§ II

() frag.

Berlin, Geh. Staatsarchiv Preuß. Kulturbesitz, XX. HA Hs. , Bd.  (Pergament, ./. Jh.)

§ II frag. (StR, V. –)

() frag.

München, Staatsbibl., Cgm /a (Pergament, um Mitte . Jh.)

§ II frag. (StR, V. –, –)

()

Lüneburg, Ratsbücherei, Ms. Hist. C °  (Papier, )

§ II

()

Stuttgart, Landesbibl., Cod. HB XIII  (Papier, )

§ II

Die größte Textmenge liefern hiernach der Wiener Cod. 3047 (HS 4) und die Admonter Handschrift (5), die jeweils Abschnitte § I bis III haben, während der § II, die Belagerung

 Das Jahr der Abfassung ist in der HS notiert, siehe S. 163 des Digitalisats [http://www.e-codices. unifr.ch/de/csg/0658/163/0/, Zugriff: 24.11.2021].  Vgl. Franzjosef Pensel: Verzeichnis der altdeutschen und ausgewählter neuerer deutscher Handschriften in der Universitätsbibliothek Jena. Berlin 1986 (Deutsche Texte des Mittelalters. 70/2), S. 498–500, hier S. 498.  Vgl. Ralf G. Päsler: Katalog der mittelalterlichen deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg. Nebst Beschreibungen der mittelalterlichen deutschsprachigen Fragmente des ehemaligen Staatsarchivs Königsberg, auf der Grundlage der Vorarbeiten Ludwig Deneckes. München 2000 (Schriften des Bundesinstituts für Ostdeutsche Kultur und Geschichte. 15), S. 202.  Vgl. Karin Schneider: Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Die mittelalterlichen Fragmente Cgm 5249–5250. Wiesbaden 2005 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis. V,8), S. 59.  Vgl. Joseph Seemüller: Das Münchener Bruchstück der österreichischen Reimchronik. In: ZfdA 38 (1894), S. 368–376.  Das Jahr der Abfassung ist in der HS notiert, siehe Bl. 259r. Vgl. Martin Wierschin: Handschriften der Ratsbücherei Lüneburg. Miscellanea und Historica. Wiesbaden 1969, S. 189 f., hier S. 190.  Das Jahr der Abfassung ist in der HS notiert, siehe Bl. 172v. Vgl. Maria Sophia Buhl, Lotte Kurras: Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart. Bd. 4,2: Codices physici, medici, mathematici etc. (HB XI 1–56), Poetae (HB XII 1–23), Poetae Germanici (HB XIII 1–11), Vitae Sanctorum (HB XIV 1–28). Wiesbaden 1969 (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. II,4,2), S. 89 f., hier S. 89.

216

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Akkons, der am häufigsten überlieferte Textteil ist.38 Daneben war die Reimchronik auch vielfach Grundlage für spätere Chroniken, die allerdings in Sachen Ausführlichkeit beziehungsweise Textvolumen weit hinter der Reimchronik zurückbleiben.39 In meiner Analyse beschränke ich mich auf Ereignisse in § I, der in den Handschriften 1, 3G, 4 und 5 überliefert ist. Des Weiteren lässt sich ein Verhältnis von Textmenge und Verszahl zu erzähltem Geschehen und behandeltem Zeitraum beobachten, welches auf eine sehr ungleichmäßige Gewichtung verweist, da schon im ersten Teil (§ 1), der bis in das Jahr 1291 reicht, nahezu 45 Prozent des Textes versammelt sind, die 41 Jahre oder 70 Prozent des behandelten Zeitraums beinhalten.40 Daraus ergibt sich eine Dehnung des Verhältnisses von Stoff und Text in den Abschnitten § III und § IV und mit anderen Worten eine größere Ausführlichkeit, was auch auf die Lebenszeit des Autors zurückzuführen sein könnte. Obwohl Ottokar aus der Gaal bei einer Geburt zwischen 1260 und 126541 einiges selbst miterlebt hat und durch seine politischen und gesellschaftlichen Beziehungen später auch (am Rande) in diese involviert war, kann er für die ersten Jahrzehnte kaum als Zeitzeuge im eigentlichen Sinne betrachtet werden, da ein großer Teil der erzählten Ereignisse vor seiner Geburt oder während seiner Kindheit stattfanden.42 Hier ließe sich eine Unterscheidung in einen historiographischen und einen gleichsam tagespolitischen oder zeitgeschichtlichen Teil vornehmen, indem die Herrschaftszeit der Habsburger in den bewusst miterlebten Lebensabschnitt fällt und entsprechend über größere Ausführlichkeit verfügt. Natürlich stellen derlei Berechnungen lediglich einen groben Richtwert dar, der ausschließlich der Orientierung dienen soll, da das jeweilige Fortschreiten von Stoff und Text nicht zuletzt durch die zahlreichen Vor- und Rückgriffe keinesfalls als proportional bezeichnet werden kann.

 Vgl. Stelzer, Literatur, S. 568.  Vgl. Rolf Sprandel: Chronisten als Zeitzeugen. Forschungen zur spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung in Deutschland. Köln [u. a.] 1994 (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter. N.F. 3), S. 129–144, bes. S. 129 f.  Der Tod Ottokars II. Přemysl, 1278, der den Herrschaftsantritt der Habsburger in Österreich und Steiermark markiert, liegt um den Vers 17000. Somit entsprechen etwa 17 Prozent der Textmenge 28 Jahren oder 47 Prozent des erzählten Zeitraums. Rechnet man die knapp 9300 Verse der Belagerung Akkons heraus, werden auf den verbleibenden ca. 46000 Versen (also etwa 46 Prozent der gesamten Textmenge) 18 Jahre oder dreißig Prozent des erzählten Zeitraums behandelt. Es sei angemerkt, dass bereits Seemüller auf eine zeitliche Lücke zwischen den Versen 69002 und 69003 hingewiesen hat, in der nach der Zuordnung zu historischen Daten der Bericht über drei Jahre (1294–1297) fehlt. Vgl. Seemüller, Einleitung, S. 912, Anm. 5.  Winfried Stelzer: Art. Ottokar aus der Gaal. In: Neue Deutsche Biographie 19. Berlin 1999, S. 716 f., basierend auf Loehr, Reimchronist, S. 94 in Übereinstimmung mit Seemüller, Einleitung, S. CII.  Joseph Seemüller hat die historiographischen Quellen, die dem Autor der Steirischen Reimchronik neben schwer nachweisbaren, mündlichen Berichten wahrscheinlich als Vorlage gedient haben, im Einzelnen aufgeführt. Siehe Seemüller, Einleitung, S. LVIII–LXXV. Neben regionalen Quellen wie den Annales Sancti Rudperti Salisburgensis nutzte der Autor auch italienische, elsässische und thüringische Quellen (vgl. ebd., S. LVIII).

II.2.2 Autorschaft und Erzählperspektive: Der steirische Adel

217

II.2.2 Autorschaft und Erzählperspektive: Der steirische Adel Anhand von überlieferten Urkunden lassen sich sowohl die Person des Autors und zumindest eines wahrscheinlichen Auftraggebers als auch teilweise die Zusammensetzung des Publikums als ein konkreter Personenkreis identifizieren, sodass die Selektion der erzählten Ereignisse sowie die Perspektive und entsprechende Färbung, die die Reimchronik in sozialen und politischen Fragen annimmt, einem entsprechenden Interesse zugeordnet werden kann.43 Dabei ist die gesellschaftliche und politische Stellung der steirischen Adligen für das Anliegen dieser Arbeit besonders aufschlussreich, da diese größtenteils einem Ministerialadel von Dienstleuten des Herzogtums Steiermark angehörten oder (unter anderem im Fall des Autors) Dienstleute dieser Dienstleute waren. Zum einen stellt der steierische Adel damit einen Teil jener Gruppe dar, aus dem sich das Gros berittener Krieger rekrutierte, was sich an der Teilnahme steirischer Herren in den zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen, von denen die Reimchronik berichtet, ablesen lässt.44 Zum anderen ergibt die weitreichende Zugehörigkeit zum Ministerialadel, als einer gleichsam adelsgesellschaftlichen Mittelschicht, eine besondere Perspektive auf die politischen Geschehnisse der Zeit.45 Die Reimchronik vertritt eine soziale Gruppe von kleineren und größeren Landherren unterhalb des Ranges der herzoglichen Landesfürsten, die sich selbstbewusst von diesem abgrenzten, indem sie ihre Rechte und Interessen gegenüber den Herzögen verteidigten und die Geschichte des Landes mitbestimmten. Dabei gehörte es weiterhin zum Selbstverständnis des steirischen Adels, die eigenen Interessen und als alt hergebracht angesehenen Rechte mit Waffengewalt zu verteidigen.46 Situationsabhängig bezieht die Steirische Reimchronik dabei auch den Adel von Österreich und Kärnten mit ein, mit dem der steirische Adel vielfach durch Lehns- und Verwandtschaftsbeziehungen verbunden war und der eine ähnliche Stellung gegenüber den jeweiligen Herzögen von Österreich und Kärnten innehatte.47

 Vgl. Stelzer, Literatur, S. 568. Durch Wenzel, Geschichte, S. 140–146, sind die gemeinschaftsstiftenden erzählerischen Aspekte und historische Selbstvergewisserung einer Bezugsgruppe hervorgehoben worden. Zum österreich-steirischen Literaturbetrieb im 13. Jh. siehe auch Bumke, Mäzene, S. 202 f.  Vgl. Sprandel, Chronisten, S. 132 f. weist darauf hin, dass spätere Chroniken, die die Reimchronik als Quelle benutzen, die Bedeutung der Steirer erheblich weniger hervorheben.  Vgl. John B. Freed: Noble Bondsmen. Ministerial Marriages in the Archdiocese of Salzburg, 1100–1343. Ithaka, NY/London 2015, Project MUSE 2019 [https://muse.jhu.edu/book/68535, Zugriff: 06.02.2021], Kap. 1, dessen Aussagen aufgrund der regionalen Verflochtenheit auf die Nachbarländer Salzburgs übertragen werden können. Zum Vergleich zwischen dem Salzburger Land und der Steiermark siehe Heinz Dopsch: Ministerialität und Herrenstand in der Steiermark und in Salzburg. In: Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark. Jahrgang 62 (1971), S. 3–31. Zum gesellschaftlichen Rang siehe Arnold, Knighthood, S. 73. Weiterhin verweist Arnold auf die Lehnsmannschaft des Steirers Ulrichs von Liechtenstein zum salzburgischen Erzbischof, ebd., S. 104f.  Vgl. Arnold, Knighthood, S. 238.  Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 136–140.

218

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Obwohl als Gruppe reich und mächtig, gehörten steirische Adlige dennoch nicht zu den großen Figuren der historischen Bühne:48 Neben dem Landesfürsten und im späten 13. Jahrhundert zum Teil in Personalunion mit diesem, bestimmten – von Kaiser und Papst einmal abgesehen – vor allem die Könige von Böhmen und Ungarn, die Herzöge von Bayern und Kärnten, der Erzbischof von Salzburg und der Patriarch von Aquileia die politischen Entwicklungen. Mit diesen Machthabern hatte sich der steirische Adel in vielfach wechselnden Bündnissen zu arrangieren.49 Aufgrund der vergleichsweise inferioren Position der Steirer waren ihre Konflikte zumeist in übergeordnete Konflikte zwischen den größeren Mächten integriert, sofern die steirischen Interessen mit denen der einen oder anderen großen Konfliktpartei konvergierten oder eine zuvorkommende Behandlung durch dieselbe zu erwarten war.50 Der Blick auf die großen Akteure erfolgt somit meist aus einer politischen Froschperspektive. Entsprechend werden die jeweiligen Machthaber gemessen an deren Behandlung des vornehmlich steirischen aber auch österreichischen und kärntnerischen Adels in der Reimchronik bewertet. Diese komplexen textimmanenten politischen Tendenzen hat Ursula Liebertz-Grün herausgearbeitet, die vornehmlich auf die Sichtweise des steirischen Adels auf die geschilderten Ereignisse zurückzuführen sind.51 Die Bedingungen und Techniken erzählerischer Sympathiesteuerung unterliegen daher besonderen Umständen, die nicht nur die Bewertung, sondern auch die Darstellung von Handlungen beeinflussen. Wie bereits angemerkt, lässt sich der Autor der Steirischen Reimchronik mit einiger Sicherheit als der steirische Niederadlige Ottokar aus der Gaal identifizieren. Maria Loehr hat ausgehend von der indirekten Selbstbezeichnung Ottacker (StR, V. 18169) einen Vergleich mit steirischen Urkunden angestellt, in denen ein Ottocharus oder Ottacharus de Geula sowie dessen Vater und Bruder vermehrt im Umfeld – und Ottokar selbst im Dienste – der steirischen Liechtensteiner genannt werden, dem Adelsgeschlecht, dem auch der Dichter Ulrich von Liechtenstein angehörte.52 Im Be-

 Zum Besitz ministerialadliger Familien siehe Roman Zehetmayer: Vogtei und Herrschaftsauf des österreichischen und steirischen Adels im Hochmittelalter. In: Kirchenvogtei und adlige Herrschaftsbildung im europäischen Mittelalter. Hrsg. von Kurt Andermann, Enno Bünz. Ostfildern 2019 (Vorträge und Forschungen. 86), S. 225–260, hier S. 251–254, der unter anderem die Besitztümer der Herren von Stubenberg und von Wildon beschreibt, die auch in der Reimchronik des Öfteren genannt werden. Zu den Besitztümern des Grafen Ulrich von Heunburg, von dem im Folgenden noch mehrfach die Rede sein wird siehe Franz Hartl: Die Grafen von Heunburg. In: Die Kärntner Landesmannschaft 9/10 (2001), S. 10–22, hier S. 11 f. und Heinz Dopsch: Die Grafen von Heunburg. In: Carinthia I (1970), S. 311–342, hier S. 322–335. Roland Schäfer weist darauf hin, dass die Grafen von Heunburg eines von lediglich drei sog. hochfreien Geschlechtern, d. h. keine Ministerialen waren. Vgl. Schäffer, Roland: Der steirische Adel (1282–1519). In: Die Steiermark im Spätmittelalter. Hrsg. von Gerhard Pferschy (Geschichte der Steiermark 4), Wien [u. a.] 2018, S. 261–278, hier S. 261.  Vgl. Sutter, Steiermark, S.11 f.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 108.  Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 115–140.  Vgl. Loehr, Reimchronist, S. 90–93.

II.2.2 Autorschaft und Erzählperspektive: Der steirische Adel

219

sonderen stand dieser Ottokar in einem Lehnsverhältnis zu Ulrichs Sohn, Otto II. von Liechtenstein, wie aus einer Urkunde von 1304 zu entnehmen ist.53 Dem entspricht wiederum die Aussage der Reimchronik, Otto II. von Liechtenstein, sei Ottokars Herr: [...] wan mîn her Ott von Liehtensteine, den ich mit dienste meine und mit triwen bin holt. swelch herre daz umb mich versolt, als er mit güete hât getân, des mües ich immer frum hân an guote und an êren. (StR, V. 8120–8126)54

Die Identität des Reimchronisten mit Ottokar aus der Gaal erhärtet sich weiterhin durch die belobigende Hervorhebung Ottos II. von Liechtenstein in der Reimchronik: darnâch der kunic spehte, wen er ze houbetman hie macht. het er darumbe iht gewacht, daz endorft in wênic riwen: an manheit, witzen und an triwen was er volkomen, der dâ ze houbtman wart genomen. hôret, wen ich meine: hern Otten von Liehtensteine diu êr enpholhen wart. (StR, V. 18636–18645)

 Ego Otto de Liechtanstayn, camerarius Styriæ, scire cupio præsentium quoslibet auditores, quia honesto uiro Ottocharo de Geula, bona si qua habet in Spilbergh, in Mæsbiah, apud aquam Vndreb, quorum collatio ex antiquo per prædecessores meos, ad me directo dominio noscitur pertinere, ipsi Ottocharo prædicto iure contuli feudali perpetuo possidenda pacifice & quiete. Insuper ipse Ottocharus, in Pourendorf duos mansos, quandoque dominum Mangoldum iure proprietatis respicientes, sua pecunia comparauit, quorum proprietatem mihi prædictus Ottocharus exhibuit, motus libera facultate. Quæ bona prædicta omnia, uoluntarius resignauit, petens omni instantia et affectu, quatenus ipsa bona, libere & voluntarie resignata, delictæ conthorali suæ, dominæ Elisabeth, & ipsorum hæredibus sexus utriusque, conferrem titulo feudali. Quod feci, ad præfati Ottochari & amicorum suorum mihi fidelium instantiam specialem, dans sibi suisque hæredibus hanc literam in testimonium super eo, sigilli mei munimine roboratam. Actum in Iudenburgh: anno Domini 1304, feria sexta, in die beati Georgij martyris. Zitiert Wolfgang Lazius: De aliquot gentium migrationibus sedibus fixis, reliquiis, linguarumque, initiis (et) immutationibus ac dialectis. Basel 1572, Digitalisat S. 240. [https://www.digitale-sammlungen. de/de/view/bsb11198030?page=238, Zugriff: 21.06.2021]. Abgedruckt bei nach Loehr, Reimchronist, S. 91. Das Original ist nicht erhalten. Siehe auch Bumke, Mäzene, S. 274, der ein „persönliches Abhängigkeitsverhältnis“ zwischen Ottokar und Otto von Liechtenstein nicht bezweifelt, jedoch davor warnt, dies als Zeugnis für eine alleinige Auftraggeberschaft des Letzteres aufzufassen.  Auf dieses Zitat verwies bereits Joseph Seemüller, Einleitung, S. XCIV.

220

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Ein weiteres Indiz liefert der Zusammenhang von Reimchronik und Diplomatik in Bezug auf die Familie Ottokars, nach dem die in Urkunden belegten politischen Beziehungen zu historischen Persönlichkeiten häufig der politischen Tendenz der Reimchronik entsprechen. Auch genießt neben den Liechtensteinern vor allem die Babenbergerin Gertrud von Baden-Österreich in den Augen der Reimchronik großes Ansehen. Der Zeugenliste einer Urkunde55 lässt sich entnehmen, dass Ottokars Urgroßvater, Dietmar von Stretwich,56 zu den Gefolgsleuten Gertruds gehörte,57 sodass sich das Interesse der Reimchronik für die Fürstin und ihre Nachfahren nicht nur mit der Bedeutung der Babenberger und ihres Erbes, sondern auch mit persönlichen und familiären Beziehungen begründen lässt. Des Weiteren lässt sich mit der sozialen Stellung Ottokars aus der Gaal und seiner Familie wie auch seines gesellschaftlichen Umfelds auf die Thesen Erich Köhlers zur Entstehung des mittelhochdeutschen Minnesangs verweisen, der die dichterische Tätigkeit vor allem dem Stand des niedrigeren Adels und der Ministerialität zuordnet.58 Der Minnesänger Ulrich von Liechtenstein, wie auch sein Sohn Otto II. waren zwar Ministeriale und Dienstleute des Herzogs der Steiermark,59 gehörten jedoch gleichzeitig zu den reichsten und mächtigsten weltlichen Herren des Landes und stellten damit – regional gesehen – die Oberschicht dar.60 Ähnliches gilt für die Familie Ottokars. Seine als milites und domines de Stretwik61 bezeichneten Vorfahren waren zwar ihrerseits Dienstleute, vornehmlich des Bistums Seckau und der Liechtensteiner, verfügten jedoch über  Vgl. Urkunde Nr. 458 vom 19. April 1259. In: Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich, vorb. von Oskar Mitis, bearb. von Heinrich Fichtenau und Erich Zöllner, 2. Band: Die Siegelurkunden der Babenberger und ihrer Nachkommen von 1216 bis 1279. Wien 1955 (Publikationen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. 3.2), S. 324–326.  Mit der Generation Ottokars und seines Bruders übernimmt die Familie den Namen ouz der Geul oder de Geula, während der Vater sowohl als de Stretwic als auch als de Geula urkundet. Der Namenswechsel geht einher mit einem Wechsel des Siegels, vgl. Loehr, Reimchronist, S. 96.  Vgl. Loehr, Reimchronist, S. 102.  Vgl. Erich Köhler: Vergleichende soziologische Betrachtungen zum romanischen und zum deutschen Minnesang. In: Der Berliner Germanistentag 1968. Vorträge und Berichte. Hrsg. von Karl Heinz Borck, Rudolf Henss. Heidelberg 1970, S. 61–76. Siehe auch den Forschungsüberblick bei Ursula Peters: Niederes Rittertum oder hoher Adel. Zu Erich Köhlers historisch-soziologischer Deutung der altprovenzalischen und mittelhochdeutschen Minnelyrik. In: Dies.: Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft. Aufsätze 1973–2000. Hrsg. von Susanne Bürkle [u. a.]. Tübingen/Basel 2004, S. 1–18; dies.: Von der Sozialgeschichte zur Familienhistorie: Georges Dubys Aufsatz über die Jeunes und seine Bedeutung für ein funktionsgeschichtliches Verständnis der höfischen Literatur. In: Ebd., S. 153–174, bes. S. 155–157. Peters Kritik an Köhlers Thesen beläuft sich darauf, dass Köhler den von George Duby übernommenen Ansatz von der höfischen Literatur als Sprachrohr einer inferioren Gruppe von den Jeunes oder juvenes innerhalb der adligen Familie auf eine ständische Ebene übertragen habe.  Vgl. Sandra Linden: Biographisches und Historisches (II.): Eine Spurensuche zu Ulrich von Liechtenstein. In: Ulrich von Liechtenstein. Leben – Zeit – Werk – Forschung. Hrsg. von ders., Christopher Young. Berlin/New York 2010 (De-Gruyter-Lexikon), S. 45–98, hier S. 55.  Vgl. Linden, Biographisches, S. 58; Arnold, Knighthood, S. 104 f.  Urkunde Nr. 458 vom 19. April 1259 in: Urkundenbuch 2, Siegelurkunden, S. 324–326, hier S. 326.

II.2.3 Chronikalisches Erzählen und emplotment

221

einen ansehnlichen Besitz.62 Das in der Steirischen Reimchronik zum Ausdruck gebrachte Selbstbewusstsein der steirischen Herren und ihre entsprechende Glorifizierung haben daher durchaus eine reale Grundlage, da sich der politische Einfluss und auch die militärische Macht dieser Gruppe in den dort geschilderten Ereignissen wiederspiegelt. Wie schon bei den historischen Personen des Autors, Ottokar aus der Gaal, und seines Mäzens, Otto II. von Liechtenstein, ist im Folgenden das Zusammenspiel des chronikalischen Berichts mit zeitgenössischen Urkunden besonders ertragreich, da der narrativen Ausgestaltung der Reimchronik die sachlichen Verlautbarungen des Urkundentexts gegenüberstehen. Zunächst sind jedoch einige methodische Vorüberlegungen anzubringen, um der komplexen Erzählsituation der Steirischen Reimchronik gerecht zu werden.

II.2.3 Chronikalisches Erzählen und emplotment Sowohl der Umfang der Steirischen Reimchronik als auch ihre besondere Überlieferungslage ist vor dem Hintergrund jener Differenzen zu betrachten, die sich zwischen Chronik und Hartmanns Iwein als Teil der fiktionalen Literatur aufzeigen lassen. Die Reimchronik ist kein Roman, dessen Makrostruktur einen konzeptionell durchdachten Handlungs- und Spannungsbogen aufweist, sondern ein Text, der (mit einigen Vorausund Rückgriffen) einem fortlaufenden Zeitgeschehen folgt und dabei weniger einen kohärenten Strang von Ereignissen widergibt, als vielmehr eine Reihe einzelner Episoden, die zumeist nicht an grundsätzliche narratologische Prinzipien wie Präfiguration und Finalität gebunden sind: Nicht jedes als bedeutend erachtete und damit erzählenswerte Ereignis muss in diesem Rahmen auch für folgende Ereignisse von Bedeutung sein.63 Nichtsdestotrotz gehört die Reimchronik zu den erzählenden Texten, was sie mit dem Iwein und der höfischen Literatur gemein hat und was sich besonders an zahlreichen szenischen Episoden erkennen lässt, in denen die wörtliche Rede der Akteure wiedergegeben ist oder der Detailgrad der Darstellung sprunghaft ansteigt.64 Weiterhin ist hervorzuheben, dass sich der Erzähler der Reimchronik in eine Nachfolge Hartmanns von Aue und Wolframs von Eschenbach stellt und die literarischen Repräsentations- und Darstellungsformen des höfischen Romans adaptiert.  Vgl. Loehr, Reimchronist, S. 96.  Zur „Frage nach ‚Erzählhaftigkeit‘ von Chroniken, d. h. dem narrativen Gehalt von Historiographie“ siehe Schwarzbach-Dobson, Erzählen, S. 80 f.  Vgl. Gesine Mierke: „lustsam und redebaere“. Politische Rhetorik in der ‚Steirischen Reimchronik’ und der ‚Kreuzfahrt Landgraf Ludwigs des Frommen‘. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke [u. a.]. Berlin 2019 (Hamburger Beiträge zur Germanistik. 60), S. 141–166, bes. S. 147–154. Mierke verweist weiterhin auf die Zitate aus der höfischen Literatur, die in diese Redeszenen integriert sind (ebd., S. 148). Siehe auch Emil Henrici: Die Nachahmung des Iwein in der Steirischen Reimchronik. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 30 (1886), S. 195–204, hier S. 196 f.

222

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Schon Emil Henrici hat 1886 bemerkt, dass zahlreiche Passagen der Reimchronik direkt aus dem Iwein zitiert sind oder eine hohe Übereinstimmung mit ihm haben.65 Dabei ist zu fragen, ob sich die Überschneidungen auf den sprachlichen Ausdruck beschränken und lediglich als stilistische Nachahmung des berühmten Dichters zu sehen sind, die dem Autor der Reimchronik zusätzlich die Arbeit des Reimens und Formulierens erleichtern, oder ob der Sinngehalt Hartmannscher Verse die Sichtweise des Chronisten in einer Weise widerspiegelt, die sich auf ein auf Dauer gestelltes Wertesystem zurückführen lässt? Darüber hinaus ist mit Hayden White von einem ausgeprägten emplotment66 zu sprechen, das einzelne Episoden in unterschiedliche Plotstrukturen überführt. White definiert das emplotment übergreifend als den Weg „by which a sequence of events fashioned into a story is gradually revealed to be a story of a particular kind.“67 Er benennt weiterhin vier Modi des emplotments: Romanze, Satire, Komödie und Tragödie: Romanze als die Geschichte ultimativen Triumphs; Satire als ein grundsätzliches Scheitern an der Welt und letztlich am Tod; Komödie als einen kurzzeitigen und damit vergänglichen Sieg über die Probleme des Lebens und der Welt und Tragödie als Geschichte einer traurigen, aber letztlich lehrreichen und damit nicht endgültigen Niederlage.68 So ist beispielsweise die ‚Tragödie‘ der Babenbergerinnen Gertrud und Margarethe in die ‚Satire‘ vom Aufstieg und Fall des Böhmenkönigs Ottokar II. Přemysl sowie die ‚Romanze‘ des Habsburgers Rudolf I. eingelassen, wie im Folgenden nachzuweisen ist. Vor dem Hintergrund des emplotments sind daher die Eigenschaften chronikalischen Erzählens zu betrachten, das sich oft derselben Erzählmuster bedient wie fiktionale Literatur.69 Entsprechend ist bisweilen

 Vgl. Henrici, Nachahmung, S. 195–204.  Vgl. Hayden White: Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe. 40thAnniversary Edition. With a New Preface. Foreword by Michael S. Roth. Baltimore 2014, S. 7–10; Hayden White: Der historische Text als literarisches Kunstwerk. In: Ders.: Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses. Einführung von Reinhart Koselleck. Stutgart 1986 (Sprache und Geschichte. 10), S. 101–122. Obwohl sich Whites Ausführungen vornehmlich auf die moderne Geschichtsforschung beziehen und narrative Muster geschichtswissenschaftlicher Darstellungen betreffen, lassen sich seine Beobachtung und das daraus hervorgehende Vokabular auch auf die Erzählweise mittelalterlicher Chronisten übertragen. Siehe auch Hans-Jürgen Goertz: Unsichere Geschichte. Zur Theorie historischer Referentialität. Stuttgart 2001, S. 11–31. Zur Verbindung von emplotment und Narratologie siehe auch Jörg Schönert: Zum Status und zur disziplinären Reichweite von Narratologie. In: Geschichtsdarstellung. Medien – Methoden – Strategien. Hrsg. von Vittoria Borsò, Christoph Kann. Köln [u. a.] 2004 (Europäische Geschichtsdarstellungen. 6), S. 131–143, bes. S. 142.  White, Metahistory, S. 7. Siehe auch Werner Paravicini: Die Wahrheit der Historiker. München 2010 (Historische Zeitschrift. Beihefte. N.F. 53), S. 47.  Vgl. White, Metahistory, S. 7–10. Die aufgeführten archetypes können sich dabei auch überscheiden, in Form einer tragischen Satire oder satirischen Tragöde etc. In dieser Einteilung beruft sich White auf Northrop Frye: The Anatomy of Critizism. Four Essays. Princeton 1957, S. 158–238.  Vgl. Monika Unzeitig: Mythisches und chronikales Erzählen in der Historia Regum Britanniae des Geoffrey of Monmouth und im Prosalancelot – ein Vergleich. In: Artusroman und Mythos. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel [u. a.]. Berlin 2011 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. 8), S. 165–182,

II.2.3 Chronikalisches Erzählen und emplotment

223

auch die Figurencharakterisierung von fiktionalen Aktantenmodellen bestimmt,70 beispielsweise wenn Gertrud vornehmlich in der Rolle des geschädigten Opfers erscheint und Dienstleute Ottokars II. Přemysl als willfährige Handlanger inszeniert werden. Die Reimchronik und ihr Erzähler erheben den Anspruch, historische Fakten wahrheitsgetreu zu vermitteln (StR, V. 33–55), wobei es in dieser Analyse nicht so sehr darum geht, dies zu überprüfen oder gar zu widerlegen, sondern den Modus des Erzählens zu beleuchten,71 wobei die Darstellung von Kämpfen und der manheit der Akteure besonders im Vordergrund steht. Damit stellen sich meine Überlegungen in die Tradition der vornehmlich von Hans-Werner Goetz skizzierten „Vorstellungsgeschichte“72, die den Schwerpunkt geschichtswissenschaftlicher Analyse auf die „Wahrnehmungs- und Deutungsmuster“73 historischer Texte und die „Konstruktion der Vergangenheit“74 als narrative Kategorien legt, wobei sich Goetz von Hayden Whites Konzept des emplotments beeinflusst zeigt.75 Goetz beschäftigt sich dabei – ebenso wie Hans-Jürgen Goertz76 – mit der Frage, wie sich historischer Erkenntnisgewinn vollziehen soll, wenn historische Fakten lediglich das Produkt einer vielfachen Brechung von Wahrnehmung und (Re-)Konst-

hier S. 165 f. Zur Durchdringung von historiographischem und fiktionalem Erzählen siehe auch Schwarzbach-Dobson, Erzählen, S. 80.  Vgl. Schulz, Erzähltheorie, S. 16 f.  Zur Wahrheit bzw. Faktizität und Fiktionalität historischer Ereignisse siehe Otto Gerhard Oexle: Von Fakten und Fiktionen. Zu einigen Grundsatzfragen der historischen Erkenntnis. In: Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung. Hrsg. von Johannes Laudage. Köln [u. a.] 2003 (Europäische Geschichtsdarstellungen. 1), S. 1–42, bes. S. 4–9.  Hans-Werner Goetz: „Vorstellungsgeschichte“: Menschliche Vorstellungen und Meinungen als Dimension der Vergangenheit. Bemerkungen zu einem jüngeren Arbeitsfeld der Geschichtswissenschaft als Beitrag zu einer Methodik der Quellenauswertung. In: Ders.: Vorstellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellungen im Mittelalter. Hrsg. von Anna Aurast [u. a.]. Bochum 2007, S. 3–18. Erstmals veröffentlicht in: Archiv für Kulturgeschichte 61 (1979), S. 253–271.  Hans-Werner Goetz: Wahrnehmungs- und Deutungsmuster als methodisches Problem der Geschichtswissenschaft. In: Ders.: Vorstellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellungen im Mittelalter. Hrsg. von Anna Aurast [u. a.]. Bochum 2007, S. 19–32. Erstmals veröffentlicht in: Wahrnehmungs- und Deutungsmuster im europäischen Mittelalter. Hrsg. von Hartmut Bleumer, Steffen Patzold. Berlin 2003 (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. 8,2), S. 23–33. Siehe auch Hartmut Bleumer, Steffen Patzold: Wahrnehmungs- und Deutungsmuster in der Kultur des europäischen Mittelalters. In: Wahrnehmungs- und Deutungsmuster im europäischen Mittelalter. Hrsg. von dens. Berlin 2003 (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. 8,2), S. 4–20.  Hans-Werner Goetz: „Konstruktion der Vergangenheit“. Geschichtsbewusstsein und „Fiktionalität“ in der hochmittelalterlichen Chronistik, dargestellt am Beispiel der Annales Palidenses. In: Ders.: Vorstellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellungen im Mittelalter. Hrsg. von Anna Aurast [u. a.]. Bochum 2007, S. 523–546 Erstmals veröffentlicht in: Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichts-darstellungen und ihre kritische Aufarbeitung. Hrsg. von Johannes Laudage. Köln [u. a.] 2003 (Europäische Geschichtsdarstellungen. 1), S. 225–258.  Vgl. Goetz, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, S. 22 f. u. ders., „Konstruktion der Vergangenheit“, S. 524.  Vgl. Goertz, Unsichere Geschichte, S. 11–31.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

ruktion erscheinen. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht die Faktizität der erzählten Ereignisse der Gegenstand meiner Analyse, sondern die Art ihrer Darstellung in der Reimchronik: So dienen die Darstellungen von Kämpfen und Schlachten sowie die Gestaltung von manheit vornehmlich als adlige Selbstrepräsentation und sind damit als Ausweis der im kulturellen Bewusstsein verankerten Wertvorstellungen einer kriegergesellschaftlichen Mentalität zu betrachten,77 die durch manheit und kämpferische Handlungen abgerufen werden. Der durchaus vorhandene erzählerische Gestaltungswille der Reimchronik wird eine zentrale Stelle in der Analyse des Textes einnehmen, da sich nicht zuletzt anhand der angesprochenen szenischen Verdichtungen der Schwerpunkt des Interesses der Reimchronik ermitteln lässt. Weiterhin lassen sich Chronik und Roman jeweils als die Erzählung einer Reihe von Ereignissen auffassen, deren Beginn und Ende den Autor:innen bei der Niederschrift vielfach bekannt sein dürfte. Im Roman geht das Ende der Erzählung meist mit einem Höhepunkt (Hochzeit, Krönung etc.) oder Tiefpunkt (Tod, Versagen) einher, die markieren, dass es keinen Mehrwert bedeutet, die Erzählung fortzusetzen. Die Geschichte von Iwein ist mit der Versöhnung mit Laudine und dem Wiedereintritt in die Artusgesellschaft zu Ende. Lediglich ein Ausblick auf erfolgreiche Jahre der Landesherrschaft und das erfüllte Leben Lunetes werden angehängt, was einem märchenhaften „... und sie lebte glücklich bis an ihr Lebensende“ entspricht. Ähnliches findet sich im Parzival. Selbst bei einem tragischen Ende, vor allem dem Tod der Protagonistin oder des Protagonisten, wie etwa im Tristan oder dem Nibelungenlied, ist das weitere Leben der anderen Figuren kaum von Bedeutung, da sie nicht im Zentrum des Interesses der Erzählung stehen. Demgegenüber hat die Chronik als Ganzes eigentlich kein Ende, sie hört lediglich auf,78 sei es gewollt, etwa durch das Erreichen der Gegenwart oder eines angestrebten Ziels der Erzählung, sei es ungewollt, wie es wohl im Falle der Steirischen Reimchronik durch Überlieferungsumstände oder den Tod des Autors zustande kam.79 Somit kann der Steirischen Reimchronik kein übergeordnetes emplotment zugesprochen werden. Der Stoff der Chronik, die historischen Ereignisse, setzen sich fort, während dem Stoff des Romans ein an realen Gegebenheiten gemessen willkürliches Ende gesetzt ist, das lediglich in der Makrostruktur des narrativen Rahmens befriedigt. Freilich lassen sich auch im Kontinuum der Historie mehr oder minder sinnvolle Zäsuren setzen, etwa das Ende eines Krieges oder der Tod eines Herrschers, jedoch bleibt der künstliche Abbruch einer solchen Setzung sehr viel bewusster, da er das zugrundeliegende emplotment verdeutlicht: Die Rymkronyk van Jan van Heelu betreffende den slag van Woeringen endet mit dem Sieg Johanns von Brabant in der entsprechenden Schlacht,80 und die Vita Heinrici

 Vgl. Goetz, „Konstruktion der Vergangenheit“, S. 527.  Vgl. White, Metahistory, S. 6, der hier ‚Chronik‘ nicht als Erzählwerk begreift, sondern schlicht als eine Aneinanderreihung von Daten ohne explizite Bezugnahme.  Vgl. Knapp, Literatur, S. 371.  Rymkronyk, V. 8781–8855.

II.2.3 Chronikalisches Erzählen und emplotment

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IV imperatoris mit dem Tod Kaiser Heinrichs,81 während die Gesta Friderici I imperatoris im Jahre 1160 willkürlich enden, wobei allerdings suggeriert wird, dass sich Friedrich auf dem Höhepunkt seiner Macht befindet.82 Doch auch innerhalb der Chronik lassen sich Gliederungen vornehmen, die den Vorgaben des emplotments folgen und die auch die hier behandelten Passagen und ihre Auswahl beeinflussen. Sowohl die Inszenierung von praktischer manheit und die Darstellung von Kämpfen und Schlachten als auch die Zuschreibungsmechanismen einer ‚äußeren‘ diskursiven manheit sind somit vor dem Hintergrund ihrer Position in der Plotstruktur zu beleuchten. Parallel zu einer fehlenden übergeordneten Plotstruktur hat die Steirische Reimchronik auch keinen Protagonisten, wie man sie den zuletzt genannten Chroniken zuordnen könnte, sondern sympathisiert lediglich mit bestimmten sozialen Gruppen oder einzelnen namentlich genannten Vertretern derselben, die sie repräsentiert. Diese werden jedoch selten eingeführt oder vorgestellt, was neben der Überlagerung der Plotstrukturen zur Unzugänglichkeit der Erzählung beiträgt. Damit unterliegt die positive Sympathiesteuerung einer besonderen impliziten Hermeneutik, da die Hintergründe der Akteure meist nicht dem Text der Reimchronik selbst zu entnehmen sind. Methodisch halte ich den Import solcher textexternen Daten in Einzelfällen für vertretbar, da sie insbesondere in Bezug auf die politisch-feudale Einbindung auch das Wissen der Rezipient:innen darstellen. Demgegenüber lassen sich hingegen deutliche Antagonisten erkennen,83 bei denen die negative Sympathiesteuerung – gleichsam die Antipathiesteuerung – der Reimchronik mit ausgeprägter Intensität84 betrieben wird und von einer Fülle diskreditierender Informationen begleitet ist. Wie bereits erwähnt, stehen die steirischen Akteure jedoch häufig im Dienst eines dieser Antagonisten oder sind zumindest mit ihm verbündet. Daraus folgt die Tendenz der Reimchronik, die (vor allem kämpferischen) Handlungen der Steirer zu loben und gleichzeitig zu verschweigen, wessen Interessen diese Handlungen dienen und wer durch die Kämpfe und Siege der Steirer vornehmlich profitiert. Dies sind nämlich zumeist die besagten Antagonisten, von deren moralischer Verurteilung die steirischen Gefolgsleute auf diese Weise freigehalten werden, weshalb ich dieses erzählerische Verfahren als verschleiernde Sympathiesteuerung bezeichnen möchte, deren Techniken im Folgenden aufzuzeigen sind.

 Vita Heinrici IV. Imperatoris. Hrsg. von Wilhelm Eberhard. Hannover/Leipzig 1899 (MGH SS rer. Germ. 58), S. 43.  Otto von Freising, Rahewin: Gesta Friderici I. Imperatoris. Hrsg. von Georg Waitz. Hannover/Leipzig 1912 (MGH SS rer. Germ. 46), S. 345 f.  Zur Problematik der ‚Tendenz‘ siehe auch Goetz, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, S. 20 f. u. ders., „Konstruktion der Vergangenheit“, S. 523 f. Jeweils geht es dort um die frühen methodischen Bemühungen, durch die Tilgung tendenziöser Verformungen auf eine wahrhaftigere Faktenlage oder die „historische Wirklichkeit“ zu stoßen, was freilich längst überholt ist. Als Zeugnis für die historische Perspektive, die in einer Quelle vertreten wird, bleibt die Tendenz der beste Anhaltspunkt und bedarf besonderer Aufmerksamkeit, wie Goetz ausdrücklich betont.  Vgl. Dimpel, Velten, Sympathie, S. 15 f.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Im Rahmen der Plotstruktur ist weiterhin zu berücksichtigen, dass das Ende des jeweiligen Plots dem Autor/der Autorin zum Zeitpunkt der Niederschrift bekannt ist. Somit lassen sich Elemente der Präfiguration auch in der Chronik nicht ausschließen, vor allem, wenn zusätzlich zum generellen emplotment narrative Muster und Schemata aus der fiktionalen Literatur übernommen werden. Die vorausdeutenden Eigenschaften eines Ereignisses oder einer Handlung sind in der Chronik jedoch bedeutend weniger eindeutig, was ich anhand eines Beispiels erläutern will: Ein geläufiges narratologisches Prinzip ist ‚Tschechows Gewehr‘, an welchem die erzählerischen Bedingungen von Präfiguration und Wahrheitsgehalt von Chronik und Roman verdeutlicht werden können.85 In wenigen Worten: wenn im ersten Akt eines Dramas ein Gewehr an der Wand hängt, muss es in einem späteren Akt abgefeuert werden. Wenn es jedoch nicht abgefeuert wird und es keinen ersichtlichen Grund gibt, warum es an der Wand hängt, ließe sich dies als Irreführung der Rezipienten oder als abgewiesene Alternative86 bezeichnen. Auf der anderen Seite erzeugt das Gewehr jedoch auch Spannung, da die Rezipient:innen erwarten, dass etwas mit dem Gewehr geschieht. In diesem Beispiel ließe ein ‚Gewehr an der Wand‘ im Bericht einer Chronik mehrere mögliche Deutungen zu, je nachdem, ob das Gewehr später benutzt wird oder nicht. Wird es nicht benutzt, kann die vorangegangene Erwähnung des Gewehrs lediglich einen dokumentarischen Zweck erfüllen (womit allerdings immer die Andeutung einer Vorausdeutung einhergeht), wird es hingegen benutzt, überlagert sich in der Rezeption die dokumentarische mit der (nun bewahrheiteten) vorausdeutenden Funktion. Umgekehrt ruft es bei den Rezipient:innen nämlich auch Irritationen hervor, wenn plötzlich ein Gewehr benutzt wird, das vorher nicht erwähnt wurde, wenn also einem Ereignis die kausale Herleitung fehlt. Daraus folgt, dass das Gewehr genau aus dem Grund an der Wand hängt, weil es später abgefeuert werden soll, wodurch sich auf intradiegetischer und extradiegetischer Ebene Kausalität und Finalität durchkreuzen. ‚Weil das Gewehr an der Wand hängt, kann es abgefeuert werden‘, bezeichnet eine intradiegetische Kausalität. ‚Damit das Gewehr abgefeuert werden kann, hängt es an der Wand‘, die extradiegetische, erzählerische Finalität. Der Wahrheitsanspruch der Chronik begründet hingegen eine weitere, extradiegetische Kausalität. Die Chronik behauptet entsprechend ihres dokumentarischen oder referentiellen Anspruchs, dass das Gewehr wirklich an der Wand hing und abgefeuert wurde und die intradiegetische Kausalität lediglich die Kausalität der Wirklichkeit abbildet.87 Auch hier würde der Roman dasselbe behaupten, allerdings wird der lediglich innerhalb der Diegese verhaftete Wahrheitsgehalt eines Romans auf

 Unter anderen Voraussetzungen findet sich dieses Beispiel bei Philip Seargeant: The art of political storytelling. Why stories win votes in post-truth politics. London 2020, S. 193 f.  Strohschneider, Regeln, S. 73.  Vgl. zum Wirklichkeits– und Wahrscheinlichkeitsbezug historiographischen Erzählens Hübner, Historische Narratologie, S. 20–26.

II.2.3 Chronikalisches Erzählen und emplotment

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Grund des Fiktionsvertrags ohnehin nicht angezweifelt.88 Lediglich seine Plausibilität und Kohärenz, also die Wahrscheinlichkeit der Ereignisfolge kann hinterfragt werden.89 Selbst wenn sich der Wahrheitsgehalt des Fiktionalen einmal anzweifeln lässt, wie es bei der Berührung von Historiographie und Literatur im Heldenepos bisweilen möglich ist, tut dies der Popularität einer Erzählung keinen Abbruch.90 So hat Peter Johanek diesbezüglich auf das im Mittelalter verbreitete Wissen um die anachronistische Zeitgenossenschaft Dietrichs von Bern (Theoderich der Große, 451/456–526 n. Chr.) und König Etzels (Attila, gest. 453 n. Chr.) hingewiesen,91 deren Begegnung in literarischen Erzeugnissen jedoch unverändert wiederkehrt. Für die Rezipient:innen präsentieren sich Chronik und Roman somit jeweils als eine Zusammenstellung wahrer Ereignisse, wobei sich der Wahrheitsanspruch unterschiedlich herleitet.92 Im Falle des chronikalischen Erzählens handelt es sich zunächst vor allem um eine Behauptung und eben einen Anspruch, der durch rhetorische Wahrscheinlichkeit in Form von Plausibilität und Kohärenz untermauert wird.93 Darüber hinaus finden sich gelegentlich Anklänge an narrative Schemata,94 denen ohnehin eine grundsätzliche Wahrscheinlichkeit unterstellt wird, da sie als common-sense-Wissen

 Zur historischen ‚Wahrheit‘ in fiktionalen Texten siehe Alfred Ebenbauer: Das Dilemma mit der Wahrheit: Gedanken zum ‚historisierenden Roman‘ des 13. Jahrhunderts. In: Geschichtsbewußtsein in der deutschen Literatur des Mittelalters. Tübinger Colloquium 1983. Hrsg. von Christoph Gerhardt [u. a.]. Tübingen 1985, S. 52–71. Im selben Band findet sich auch der Aufsatz Klaus Grubmüller: Minne und Geschichtserfahrung: zum ‘Frauendienst’ Ulrichs von Liechtenstein. In: Geschichtsbewußtsein in der deutschen Literatur des Mittelalters. Tübinger Colloquium 1983. Hrsg. von Christoph Gerhardt [u. a.]. Tübingen 1985, S. 37–51, bes. S. 38 f. Grubmüllers Ausführungen zu Ulrich von Liechtenstein weisen einige Berührungspunkte mit dem Text der Reimchronik auf, da der Tod Herzogs Friedrich von Österreich und Steiermark, den Grubmüller als Ausgangspunkt seiner Überlegung zum Wirklichkeitsanspruch des Frauendiensts wählt, den Auftakt zur Erzählung der Reimchronik bietet (StR, V. 975–999). Während die Schlacht an der Leitha 1246, auf die Grubmüller verweist, jenseits des berichteten Zeitrahmens der Reimchronik liegt, taucht Ulrich von Liechtenstein als historischer Akteur des Öfteren auf.  Vgl. White, Text, S. 111 f., der hier Claude Lévi-Strauss zur „Kohärenz der Serie“ historischer Fakten zitiert.  Eine solche Berührung findet sich auch in der anglonormannischen Artus-Tradition, wo die Kenntnis des chronikalischen Berichts Geoffreys von Monmouth verbreiteter war als im Reich. Vgl. Peter Johanek: Die Wahrheit der mittelalterlichen Historiographen. In: Historisches und fiktionales Erzählen im Mittelalter. Hrsg. von Fritz Peter Knapp, Manuela Niesner. Berlin 2002 (Schriften zur Literaturwissenschaft. 19), S. 9–26, hier S. 16.  Vgl. Johanek, Wahrheit, S. 13 f.  Zu den Gemeinsamkeiten von literarischem und historiographischem Wahrheitsanspruch vgl. Johanek, Wahrheit, S. 15 u. 22.  Vgl. Schwarzbach-Dobson, Erzählen, S. 80; Johanek, Wahrheit, S. 18.  Zu beachten ist hier die Unterscheidung der Erzählgattungen argumentum, fabula und exemplum bzw. historia, die jeweils mit unterschiedlichen Modi von Wahrscheinlichkeit operieren. Vgl. Schwarzbach-Dobson, Erzählen, S. 7 f. u. 52–61.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

vorliegen.95 So beschreibt Michael Schwarzbach-Dobson den Forschungskonsens einer „Interdependenz historiographischen und ‚literarischen‘ Schreibens“: [D]ie Historiographie benötige [so der Konsens] narrative Verknüpfungen, um die Kontingenz historischer Ereignisse in sinnhafte Kohärenz zu verwandeln, literarische Texte hingegen lehnen sich an der faktizistischen Referenz der Historiographie an, um eigene Referenzmodi hervorzubringen.96

Damit unterscheidet sich die Steirische Reimchronik sowohl von einem Roman als auch von anderen wie den oben genannten Chroniken durch die Auswahl der erzählten Ereignisse und deren Beziehung untereinander. Während ein Roman wie der Iwein zumeist den chronologisch angeordneten Handlungen einer einzelnen Figur (oder den jeweiligen Binnenerzählern) folgt und Chroniken häufig einen spezifischen Gegenstand behandeln,97 verfügt die Steirische Reimchronik lediglich über einen lokalen, thematischen Schwerpunkt und berichtet mehr oder weniger chronologisch alles, was dem Autor für sein Publikum und/oder seine(n) Auftraggeber berichtenswert erschien. Im Rahmen historiographischer Referentialität entsteht so ein komplexes Gefüge von Beziehungen zwischen den erzählten Ereignissen und Referenzen auf solche, die nicht erzählt werden. Die Bedeutung eines Ereignisses oder seine Auswirkung auf ein späteres werden zumeist erst im Zuge der Erzählung des späteren ersichtlich. Im Beispiel von ‚Tschechows Gewehr‘ liegt die Funktion der Vorausdeutung in der Funktionsweise eines Gewehrs und seiner Semantik begründet und ist daher begrenzt. Demgegenüber sind die kausalen und thematischen Bezüge zwischen zwei Ereignissen inmitten einer Menge anderer Ereignisse erst im Nachhinein ersichtlich und erzeugen dadurch häufig keine Erwartungshaltung oder entsprechende Spannung. Einen Sonderfall stellen in diesem Zusammenhang jene Situationen dar, von denen die Reimchronik nicht lediglich berichtet, sondern wo sie gleichsam szenisch wird,98 durch die Wiedergabe von (heimlichen) Wortwechseln, von Monologen und Gedanken oder Gefühlen. Einerseits können Rezipient:innen, die nicht über den gleichen oder einen ähnlichen Kenntnisstand über den Ablauf der Ereignisse verfügen wie der Autor, nicht ersehen, warum eine bestimmte Szene durch eine szenische Ausgestaltung derart hervorgeben wird. Anderseits ist die Hervorhebung deutlich wahrnehmbar und markiert Bedeutung, ungeachtet der Frage, ob sich diese Bedeutung auf die Hervorhebung der Szene bezieht oder ob sie bedeutungsstiftend für ein späteres Ereignis ist. Auf die Eigenheiten chronikalischen Erzählens wird im Zuge der Analyse von manheits-Konzepten in der Steirischen Reimchronik zurückzukommen sein, da gerade in

 Vgl. Clifford Geertz: Common sense als kulturelles System. In: Ders.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Übersetzt von Brigitte Luchesi, Rolf Bindemann. Frankfurt a. M. 2009 (stw 696), S. 261–288.  Schwarzbach-Dobson, Erzählen, S. 80.  Wie etwa die Schlacht von Worringen, das Leben Kaiser Heinrichs IV. oder die Taten Friedrich Barbarossas (s. o.).  Vgl. Mierke, „lustsam und redebaere“, S. 143–147.

II.2.3 Chronikalisches Erzählen und emplotment

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Bezug auf die Charakterisierung der Akteure narrative Muster besonders zum Tragen kommen. An dieser Stelle sei lediglich auf die unterschiedlichen Erzählzusammenhänge von Hartmanns Iwein und der Steirischen Reimchronik hingewiesen, die auch insofern von Interesse sind, als die geschilderten Ereignisse der Reimchronik größtenteils zu Lebzeiten des Autors und seiner Zeitgenossen und auch seiner Auftraggeber und – bezogen auf Österreich und die Steiermark – auch im selben geographischen Raum stattgefunden haben. Daraus ließe sich folgern, dass andere Anforderungen an den Wahrheitsanspruch der Chronik gestellt werden, als es in anderen Chroniken der Fall ist, die zeitlich und räumlich weiter entfernte Ereignisse berichten.99 Vor allem ergibt sich daraus jedoch eine interpretatorische Herausforderung. Wie zu sehen war, gestaltet sich Hartmanns Iwein in weiten Teilen als die Erzählung von den Kämpfen eines von herausragender manheit gekennzeichneten Ritters, dessen Erfolg und Ansehen von dieser Qualität abhängt. Entsprechend augenfällig sind die Ausprägungen von manheit und ihre Ausgestaltung im Rahmen der erzählten Kämpfe. Demgegenüber gestaltet sich die Analyse von manheit in der Steirischen Reimchronik und ihrer Bedeutung für die von und in ihr repräsentierte Gesellschaft sowie überhaupt die Betrachtung von Kämpfen und Konflikten bedeutend schwieriger und gleichzeitig in bestimmter Hinsicht als ergiebiger. Wie bereits angedeutet wurde, verfügt die Reimchronik weder über einen einzigen Protagonisten noch einen Fokuspunkt panegyrischer Darstellung und ist daher weder Heldengeschichte noch Herrscherlob, wenngleich beide Erzählmuster gelegentlich durchscheinen und die Leistungen der steirischen Herren besonders hervorgehoben werden und daher im Folgenden auch im Zentrum der Textanalyse stehen werden. Angesichts der geschilderten Problematik sowohl einer verschleiernden Sympathiesteuerung als auch eines fortlaufenden Anhäufens von Ereignissen und Episoden, die sich aufgrund von Zeitsprüngen und Themenwechseln und wegen der besagten Verschleierungstechnik oft nicht recht zu einem linearen Strang fügen lassen, ist es von Nöten, sich bei der Bearbeitung der Steirischen Reimchronik von internen Strukturen des emplotments leiten zu lassen und chronologische Abschnitte sowie bedeutsame Zusammenhänge selbst hervorzuheben. Für die Betrachtung von manheit sowie von Kampfdarstellungen ist es daher unerlässlich, den jeweils übergeordneten Kontext aufzuzeigen, wobei die Analyse auch bisweilen den textlichen Rahmen der Reimchronik zu verlassen hat. Wie bereits deutlich geworden ist, handelt es sich bei den meisten in der Chronik geschilderten Kämpfen um Schlachten, also um kriegerische Zusammenstöße kleinerer oder größerer Verbände im Rahmen politischer Konflikte. Daher bedarf die Analyse eines Kampfes zusätzlich zum eigentlichen Kampfgeschehen einer Betrachtung sowohl der Motivation (Exposition) als auch der nachfolgenden Kapitalisierung des jeweiligen Kampfes, denn lediglich vor dem Hintergrund aller drei Parameter lässt sich die jeweilige Gewichtung des Erzähltexts nachvollziehen. Im Falle des Iwein waren Exposition

 Siehe etwa die Darstellung der Belagerung Akkons in StR, V. 44579–53866. Vgl. Hatheyer, Buch von Akkon, S. 490–508.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

und Kapitalisierung häufig in wenigen Versen abgehandelt,100 sodass der Überblick warum und wofür gekämpft wird, vergleichsweise übersichtlich ausfällt. Demgegenüber gestalten sich die Exposition und Kapitalisierung in der Steirischen Reimchronik deutlich komplexer, da sie mit den politischen Verstrickungen in der Steiermark während einer äußerst bewegten Zeit der örtlichen Geschichte einhergehen. Zunächst sei daher ein kurzer historischer Überblick über die Jahre vom Tod des letzten staufischen Kaisers, Friedrich II., beziehungsweise des letzten babenbergischen Herzogs von Österreich und der Steiermark bis zur Übernahme der Herrschaft durch die Habsburger geboten. Diesen Zeitraum behandelt die Steirische Reimchronik in den ersten 18.000 Versen, auf die ich mich bei meiner Analyse weitestgehend beschränken werde.

II.2.4 Das ‚Österreichische Interregnum‘ in der Reimchronik: Historischer Überblick Zwar beginnt die Reimchronik mit dem Tod Kaiser Friedrichs II. und dem Schicksal seiner Söhne, Konrad IV., König des Heiligen Römischen Reichs, und Manfred101, König von Sizilien. Nach knapp tausend Versen und dem Tod Manfreds 1266102 in der Schlacht von Benevent richtet sich das Augenmerk des Erzählers jedoch auf das Reich und besonders die Steiermark und macht dabei auch einen erheblichen Zeitsprung: nû hân ich iu ein teil geseit und mit worten gekleit waz leides, angst und nôt nâch keiser Fridrichs tôt geschach in welhischen landen, [...] dâmit wil ich kêren her zu tiutschen landen wider. dâ wart ûf unde nider unstift und urliuge, ich wæn ez wol erziuge mit Stîre und mit Ôsterrîch. wand duo der edel herzog Friedrich, unser rehter herr erstarp, der des leider niht erwarp, daz im got gæb dehein erben. (StR, V. 975–999)

 Gerade bezüglich der Schlacht zur Verteidigung von Narison (Kap. II.1.5) beschränkt sich die Exposition, dass Iwein gegen Aliers zu kämpfen habe, da dieser durch sînen übermuot (Iw, V. 3409) die Gräfin bedränge, auf wenige Verse, während die Kapitalisierung aus einem abgewiesenen Heiratsund Landesherrschaftsangebot besteht (Iw, V. 3791–3824).  In der Reimchronik wird er Mehtfrid genannt.  Die Reimchronik nennt das Jahr 1265.

II.2.4 Das ‚Österreichische Interregnum‘ in der Reimchronik: Historischer Überblick

231

Mit dem Tod Herzog Friedrichs II. von Österreich und Steiermark aus der Familie der Babenberger in der Schlacht an der Leitha 1246 erhält die Reimchronik gewissermaßen einen zweiten Auftakt. Dieser offenbart eines, wenn nicht das zentrale Thema ihres Erzählens, nämlich die Herrschaft über Österreich und die Steiermark, welche zum Zeitpunkt der Abfassung seit etwa 30 Jahren und in der dritten Generation in der Hand der Habsburger lag.103 Der letzte babenbergische Herzog war zu diesem Zeitpunkt bereits seit über 50 Jahren verstorben. Die Zeit zwischen dem Tod Herzog Friedrichs II. bis zur Übernahme der Herrschaft durch die Habsburger 1278 wird gerne als ‚Österreichisches Interregnum‘ bezeichnet,104 analog zum nahezu zeitgleichen Interregnum im Reich, das vom Tod Kaiser Friedrichs II. bis zur Königswahl Rudolfs I. von Habsburg 1273 andauerte. Für diese Zeitspanne wird der rote Faden der Erzählung der Reimchronik zumeist von Personen bestimmt, die in ihrer Darstellung als Antagonisten erscheinen und höchste Kritik, Verunglimpfung oder Schmähung erfahren. Dazu gehört vor allem der böhmische König Ottokar II. Přemysl (K. 1253–1276), aber auch König Béla IV. von Ungarn (K. 1235–1270) und der salzburgische Erzbischof-Elekt, Philipp von Spanheim (Ezb. 1247–1257)105, unter denen zahlreiche Konflikte ausgetragen wurden und von denen jeder österreichische, steirische und gelegentlich auch kärntnerische Dienstleute und Verbündete hatte. Für einen besseren Überblick seien im Folgenden die Ereignisse des ‚Österreichischen Interregnums‘ mit einigen Eckdaten skizziert. Nachdem Herzog Friedrich II. kinderlos gestorben war, bemühten sich die anrainenden Fürsten, allen voran die Könige von Böhmen und Ungarn, mit der Unterstützung des österreichischen und steirischen Adels um die herrenlos gewordenen Länder, was zu zahlreichen Feldzügen zwischen den beiden führte. Durch das Privilegium Minus galten sowohl Friedrichs Schwester Margarete, als auch seine Nichte Gertrud als erbberechtigt, da das Privilegium den babenbergischen Herzögen von Österreich eine

 Genaugenommen verwaltete König Rudolf I. die beiden Länder lediglich für das Reich (vgl. Sutter, Steiermark, S. 127), ehe seine Söhne Albrecht und Rudolf 1282 mit den Ländern belehnt wurden und von Albrecht ab 1283 bis zu seinem Tod 1308 alleine regiert wurden. Ihm folgte sein Sohn Friedrich, genannt der Schöne.  So etwa bei Zehetmayer, Vogtei, S. 226; Folker Reichert: Landesherrschaft, Adel und Vogtei. Zur Vorgeschichte des spätmittelalterlichen Ständestaats im Herzogtum Österreich. Köln/Wien 1985 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte. 23), S. 41 f.; Alfons Huber: Die steirische Reimchronik und das österreichische Interregnum. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 4 (1883), S. 41–74.  Philipp von Spanheim vollzog nie die Weihe zum Erzbischof, die ihn von der Erbfolge im Herzogtum Kärnten ausgeschlossen hätte und regierte die Diözese lediglich als Elekt. Vgl. Hans Wagner: Vom Interregnum bis Pilgrim von Puchheim. In: Geschichte Salzburgs. Stadt und Land, Bd. I.1. Hrsg. von Heinz Dopsch. Salzburg 1981, S. 437–486, hier S. 437; Heinz Dopsch: Philipp v. Spanheim. In: Neue Deutsche Biographie. 20. Berlin 2001, S. 380 f.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

weibliche Nachfolge zusicherte.106 Entsprechend waren die unverheiratete Gertrud und die verwitwete Margarete begehrte Ehepartnerinnen.107 Nach dem Tod ihres Onkels, Herzog Friedrichs II., heiratete Gertrud noch im gleichen Jahr Vladislav von Mähren, – die Reimchronik nennt ihn Heinrich108 – den ältesten Sohn des Königs von Böhmen, Wenzel I. Přemysl. Dieser verstarb jedoch bereits im folgenden Jahr, worauf Gertrud den Markgrafen Hermann VI. von Baden heiratete, mit dem sie zwei Kinder, Friedrich und Agnes, zeugte, bevor auch dieser 1250 starb. 1252 heiratete Gertrud schließlich Roman von Halicz, den Sohn eines russischen Fürsten und Verbündeten des ungarischen Königs Béla IV.109 Obwohl die Ehe nach einem Jahr wieder geschieden wurde, entsprang ihr eine Tochter, die in den 1260er Jahren den Sohn von Stephan Guthkeled110, dem ungarischen Statthalter der Steiermark, heiratete.111 Alldieweil urkundete Gertrud mit dem Titel ducissa austrie et styrie. Auch Hermann von Baden und der gemeinsame Sohn Friedrich hatten jeweils den Titel dux austrie et styrie angenommen und bemühten sich, diesen auch politisch durchzusetzen.112 Nach Hermanns baldigem Tod und wohl aufgrund von Friedrichs jungem Alter gelang dies für Österreich als größtem Machthaber der Region vornehmlich dem böhmischen König Wenzel I. und

 Vgl. Sabine Penth: Margarete von Babenberg: Römische Königin, Herzogin von Österreich, Königin von Böhmen. In: Frauen der Staufer. Hrsg. von Karl-Heinz: Rueß. Göppingen 2006 (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst. 25), S. 90–112, hier S. 95. Die Problematik einer solchen Berufung benennt Wolfgang Stürner: Friedrich II. Bd. 2: Der Kaiser. Darmstadt 2000 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), S. 566. Zum Privilegium minus und den darin getroffenen Erbschaftsregelungen siehe ausführlich Erich Zöllner: Das Privilegium minus und seine Nachfolgebestimmungen in genealogischer Sicht. In: Ders.: Probleme und Aufgaben der österreichischen Geschichtsforschung. Ausgewählte Aufsätze. Hrsg. von Heide Dienst, Gernot Heiß. München 1984, S. 236–262; Heinrich Appelt: Privilegium minus. Das staufische Kaisertum und die Babenberger in Österreich. Wien [u. a.] 1976 (Böhlau-Quellenbücher), S. 55–62. Ungeachtet der rechtlichen Lage nutzen beide Babenbergerinnen das Privilegium minus jedoch zur Legitimation ihrer Herrschaftsansprüche und die Darstellung in der Steirischen Reimchronik macht deutlich, dass die Nachfolge zumindest über großen ideellen Wert verfügte.  Die Reimchronik nennt außerdem noch eine weitere Schwester Friedrichs II., Konstanze, die mit dem Markgrafen Heinrich von Meißen verheiratet, jedoch bereits 1243 gestorben war. Vgl. StR, V. 1273–1278.  Vgl. StR, V. 1189–1194.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 119; Hermann Meier: Gertrud, Herzogin von Österreich und Steiermark. In: Zeitschrift des historischen Vereins der Steiermark 23 (1927), S. 5–38, hier S. 10.  Die Reimchronik nennt ihn Stephan von Agrim (StR, V. 2351), gelegentlich auch Herzog Stephan von Slavonien Vgl. Sutter, Steiermark, S. 110; Jörg Konrad Hoensch: Přemysl Otakar II. von Böhmen. Der goldene König. Graz [u. a.] 1989, S. 114.  Vgl. Hoensch, Přemysl Otakar II., S. 40 f. u. StR, V. 2621–2643. Siehe auch Sutter, Steiermark, S. 119.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 118 f. Zur Darstellung des böhmischen Königs in der Reimchronik siehe Václav Bok: Zum Bild des böhmischen Königs Premysl Otakars II. in der ‚Steirischen Reimchronik’. In: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Matthias Meyer, Hans-Jochen Schiewer. Tübingen 2002, S. 33–54.

II.2.4 Das ‚Österreichische Interregnum‘ in der Reimchronik: Historischer Überblick

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seinem Sohn, dem späteren König Ottokar II. Přemysl, der von Teilen des österreichischen Adels 1251 zum Herzog berufen wurde113 und 1252 die Babenbergerin Margarete heiratete, um das Herzogtum durch ihren Erbanspruch zusätzlich abzusichern,114 ehe er 1253 seinem Vater auf den böhmischen Thron folgte. In der Steiermark stimmten Teile des Adels ebenfalls für Ottokar, andere bevorzugten den Herzog von Bayern und wieder andere den Sohn König Bélas IV.,115 der sich schlussendlich insofern durchsetzen konnte, als im Frieden von Ofen zwischen Béla und Ottokar 1254 die Steiermark anhand des Besitzes und Einflussbereichs ihrer jeweiligen Unterstützer zwischen ihnen aufgeteilt wurde.116 Der steirische Adel erhob sich jedoch bald gegen den oben genannten ungarischen Statthalter, sodass der Frieden nicht lange Bestand hatte.117 1260 konnte Ottokar II. Přemysl mit Unterstützung aus Österreich, Steiermark und Kärnten durch den Sieg in der Schlacht von Kressenbrunn (heute Groißenbrunn) gegen die Truppen Bélas und im anschließenden Frieden von Wien (1261) das komplette Herzogtum Steiermark an sich bringen.118 Auch wenn sich die Ungarn aus der Steiermark zurückziehen mussten, stellten sie weiterhin einen empfindlichen Störfaktor im politischen Gefüge der Länder Ottokars dar. In mehreren nachfolgenden Konflikten unterstützten sie entsprechend die jeweiligen Gegner des Böhmenkönigs, nicht zuletzt Rudolf von Habsburg in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen. Die nächste bedeutende politische Umwälzung erfolgte zunächst durch den kinderlosen Tod Herzog Ulrichs III. von Kärnten im Jahr 1269, der in einem von der Forschung als widerrechtlich bezeichneten Vertrag119 seinen Cousin Ottokar als Erben einsetzte, womit Ulrichs jüngerer Bruder, der Erzbischof-Elekt von Salzburg, Philipp von Spanheim, übergangen wurde. In der Folge beanspruchte letzterer das Land für sich und wurde so zu

 Vgl. Hoensch, Přemysl Otakar II., S. 156; Arnold, Knighthood, S. 89.  Vgl. Penth, Margarethe, S. 97 f.  Vgl. Gerhard Pferschy: Ottokar II. Premysl, Ungarn und die Steiermark. In: Ottokar-Forschungen. Hrsg. von Andreas Küsternig, Max Weltin. Wien 1978–1979 (Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich. N.F. 44), S. 73–91, hier S. 73; Hans Pirchegger: Die Herren von Pettau. In: Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark Jahrgang 42 (1951), S. 3–37, hier S. 13.  Vgl. Pferschy, Ottokar, S. 77 mit der entsprechenden Überlieferung.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 110; Pferschy, Ottokar, S. 82.  Vgl. Karl Lechner: Die Babenberger. Markgrafen und Herzöge von Österreich 976–1246. Wien [u. a.] 1976 (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung. 23), S. 304; Sutter, Steiermark, S. 110–112.  Vgl. Alfred Ogris: Die Beziehungen König Ottokars zum Herzogtum Kärnten vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung im 13. Jahrhundert. In: Böhmisch-österreichische Beziehungen im 13. Jahrhundert. Österreich (einschließlich Steiermark, Kärnten und Krain) im Großreichprojekt Ottokars II. Premysl, König von Böhmen. Vorträge des internationalen Symposions vom 26. bis 27. September 1996 in Znaim. Hrsg. von Marie Bláhová, Ivan Hlavácek. Prag 1998, S. 69–76, hier S. 72; siehe auch ders.: Der Kampf König Ottokars II. von Böhmen um das Herzogtum Kärnten. In: Ottokar-Forschungen. Hrsg. von Andreas Küsternig, Max Weltin. Wien 1978–1979 (Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich. N.F. 44), S. 92–141, hier S. 94 f.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

einem Gegenspieler Ottokars II.,120 obwohl dieser ihm zehn Jahre zuvor noch bei der Verteidigung seines Erzbistums beigestanden hatte.121 1257/1258 war Philipp von Spanheim „wegen ungeistlichen Verhaltens“122 vom Papst suspendiert, abgesetzt und gebannt worden,123 hatte das Erzbistum jedoch mit der besagten Unterstützung Ottokars gegen den neuen Erzbischof Ulrich, den vormaligen Bischof von Seckau, verteidigen können.124 Während hier der von der Steirischen Reimchronik besonders geschätzte Teil des steirischen Adels, wie etwa Ulrich von Liechtenstein, auf der Seite Ulrichs von Seckau dem böhmisch-spanheimischen Bündnis 1259 unterlag, standen selbige Adlige im Krieg um das Herzogtum Kärnten zwischen Ottokar und Philipp 1270 auf der Seite des siegreichen böhmischen Königs.125 Ebenfalls an beiden Kriegen beteiligt waren Kämpfer aus Ungarn, die als ewige Widersacher Ottokars an die Seite Ulrichs von Seckau getreten waren126 und die nach der Eroberung Kärntens durch Ottokar mehrfach aber mit geringem Erfolg dessen Länder heimgesucht hatten.127 Mit Böhmen, Mähren, Österreich, der Steiermark und Kärnten sowie Krain, Friaul und der Windischen Mark verfügte Ottokar II. Přemysl ab 1270 über eine immense Machtfülle, die ihn nicht zuletzt aufgrund der böhmischen Kurstimme zum römischdeutschen König prädestinierte. Unter Ausschluss seiner Kurstimme, beziehungsweise durch ihre Übertragung auf den Herzog von Niederbayern128 wurde 1273 jedoch der schwäbische Graf Rudolf von Habsburg zum König gewählt, der sich sogleich bemühte, die Länder und Gebiete zurückzugewinnen, die seit dem Tod Kaiser Friedrichs II. dem Reich verlorengegangen waren. Das Kernobjekt dieser sogenannten Revindikationspolitik stellten dabei Österreich und die Steiermark dar.129 Mit politischem und diplomatischen Geschick gelang es Rudolf einen reichsrechtlichen Prozess gegen Ottokar anzustrengen, in dessen Folge der Böhmenkönig 1276 unter militärischem Druck auf Österreich, Steiermark, Kärnten und andere Gebiete verzichten musste sowie für seine Erbländer Böhmen und Mähren den Lehnseid zu leisten hatte. Der Frieden zwischen dem böhmischen und dem römisch-deutschen König währte jedoch nicht einmal zwei Jahre, sodass sich im August 1278 ihre Heere erneut gegenüberstanden. Im Gegensatz zu 1276 wähnte sich Ottokar dieses Mal jedoch in der stärkeren Position, da Rudolf nur geringe Unterstützung

 Vgl. Sutter, Steiermark, S. 100.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 108.  Sutter, Steiermark, S. 108.  Vgl. Wagner, Interregnum, S. 440; Freed, Bondsmen, Kap. 1.4.  Vgl. Wagner, Interregnum, S. 440.  Vgl. Dopsch, Philipp von Spanheim, S. 380, zur Teilnahme der Steirer im Krieg 1259 siehe Kap. II.2.6, zu 1270 siehe StR, V. 10539–10656.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 110; Pferschy, Ottokar, S. 80.  Vgl. Pferschy, Ottokar, S. 88.  Vgl. Karl-Friedrich Krieger: Die Habsburger im Mittelalter. Von Rudolf I. bis Friedrich III. 2., akt. Auflage. Stuttgart 2004 (Urban-Taschenbücher. 452), S. 20 f.; ders.: Rudolf von Habsburg. Darmstadt 2003 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), S. 98 f.  Vgl. Krieger, Habsburger, S. 38; ders., Rudolf, S. 120 f.

II.2.5 Axiologische Grundlagen der manheit

235

aus dem Reich erhalten hatte. Es kam zur besagten Feldschlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen, in der Ottokar II. Přemysl getötet wurde und die umkämpften Länder in die Hand der Habsburger gelangten. Sowohl 1276 als auch 1278 standen der Adel von Österreich und Steiermark auf der Seite Rudolfs von Habsburg.130 1282 belehnte dieser seine Söhne Albrecht und Rudolf mit den Herzogtümern Österreich und Steiermark, wobei Albrecht 1283 durch die Rheinfelder Hausordnung alleiniger Herzog wurde131 und der Grundstein der habsburgischen Hausmacht gelegt wurde. Die historische Zäsur, die der Tod Ottokars II. Přemysl 1278 einerseits und die Belehnung 1282 andererseits darstellten, findet in der Reimchronik keinen Wiederhall. Wie der Lauf der Geschichte geht auch der Bericht der Reimchronik über die Zäsur hinweg. Die hier aufgeführten komplexen Verflechtungen und historischen Hintergründe sind maßgeblich für die Beurteilung der Kennzeichnung derjenigen Protagonisten als manlich, deren Handlungen auf das politische Gefüge der Jahre bis zur Herrschaftsübernahme der Habsburger Einfluss genommen haben: Es handelt sich unter anderem um den bereits erwähnten Ulrich von Liechtenstein, den steirisch-kärntnerischen Ministerialen Siegfried von Mahrenberg132 und den steirisch-kärntnerischen Grafen Ulrich von Heunburg. Die folgende Textanalyse soll also neben den in der historischen Forschung bereits rezipierten Ereignissen, die hier kontextuell zum besseren Verständnis eingebunden werden, die in den vorangehenden Kapiteln bereits erarbeiteten Konzepte von manheit und der Legitimation von Gewalt im Kampf veranschaulichen und darlegen, wie sie in der Reimchronik realisiert sind. Im Vordergrund steht daher erneut die Darstellung von Praktiken des Kämpfens. Darüber hinaus berichtet die Steirische Reimchronik im Unterschied zum höfischen Roman von den historischen Personen, für die sie auch verfasst wurde. Die hier vorauszusetzende Identität von Rezipient:innen und Akteur:innen erlaubt es zu beobachten, wie sich der steirische Adel als Erzählgemeinschaft von sich selbst erzählt. Deshalb sind die historisch-politischen Umstände in die Analyse einzubinden, da sie zum Hintergrundwissen der Rezipient:innen gehören und somit für das Verständnis der Reimchronik unverzichtbar sind.

II.2.5 Axiologische Grundlagen der manheit – Das Erbe der Babenberger Die Sicht der Steirischen Reimchronik auf die hier geschilderten Ereignisse ist zum einen durch den Rückblick und die Kenntnis der späteren Entwicklungen und zum anderen durch ihren eigenen Standpunkt gekennzeichnet, der die verschiedenen Sympathien  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 124–126; Pferschy, Ottokar, S. 90.  Vgl. Krieger, Habsburger, S. 76.  Die Reimchronik nennt ihn von Merenberc her Sîfrit (StR, V. 5599). Der Ort Mahrenberg heißt heute Radlje ob Dravi, Slovenien.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

und Antipathien verhandelt und vermittelt. Vor dem Hintergrund der historischen Umstände in der Folge des Todes des letzten babenbergischen Herzogs ist somit die Darstellung der politischen Ereignisse in der Reimchronik zu betrachten, da diese nicht nur das axiologische Grundgerüst zum Ausdruck bringen, durch das die Kämpfe und die Kontextualisierung von manheit determiniert werden. Auch das übergeordnete emplotment, innerhalb dessen sich die Kämpfe der Steirer ereignen, vollzieht sich in Anlehnung und Distanzierung von historischen Akteur:innen und ist vornehmlich an den Aufstieg des böhmischen Königs geknüpft. Wie bei der Analyse des Iwein mehrfach deutlich geworden ist, beinhaltet die Zuschreibung von manheit allein kein Urteil über den ethischen Wert ihres Trägers, sodass die axiologischen Elemente der Figurencharakterisierung anders zu verorten sind. Ein wesentlicher Aspekt dieser Charakterisierung ist die Zugehörigkeit des Protagonisten zum Artushof und damit zu einer Gruppe, deren axiologischer Wert im Roman zumeist stillschweigend vorausgesetzt wird. Demgegenüber werden die Ehefrauen der arturischen Protagonisten stets als Außenstehende des Artushofs dargestellt, sodass eine Gruppenzugehörigkeit für die Heiratsbestrebungen des Protagonisten nicht ausschlaggebend ist. Neben der minne sind es häufig äußere Kriterien, die eine Hochzeit wünschenswert erscheinen und häufig die minne auch erst entstehen lassen. Laudine im Iwein, Condwiramurs im Parzival und Larie im Wigalois sind nicht nur schön und höfisch, sondern auch sämtlich Landesherrinnen (oder Erbinnen), die dem jeweiligen Protagonisten ein Königreich einbringen. Damit nimmt der höfische Roman eine erhebliche Komplexitätsreduktion vor, da die gesellschaftliche Eingebundenheit und Gruppenzugehörigkeit der Frau realhistorisch nicht nur von großer Bedeutung war, sondern in der Reimchronik zu einem wichtigen axiologischen Marker stilisiert wird, ähnlich wie die Zugehörigkeit des Artusritters zum entsprechenden Hof. In Kap. II.2.9 ist auf die Hochzeit des bereits erwähnten Grafen Ulrich von Heunburg einzugehen, der eine Tochter aus der Familie des alten österreich-steirischen Herzogsgeschlecht der Babenberger heiratet, wobei auch hier die Eheschließung mit einem Hinweis auf die manheit des Grafen legitimiert und begründet wird. Der gesellschaftliche Rang seiner Braut bemisst sich hingegen durch die babenbergische Nachkommenschaft als Gruppenzugehörigkeit, auf die in der Reimchronik auffallend großes Gewicht gelegt wird und die sich nicht nur auf den Namen und eine Ansammlung von Rechten und Besitztümern beschränkt. Immer wieder wird im Text das Andenken an das alte Herzogsgeschlecht133 beschworen und zu einer Identifikationsinstanz erhoben, der die Reimchronik trotz ihrer Vergangenheit die Treue hält und damit einen ideellen Gegenpol zu der ganz rea-

 Bisweilen erstreckt sich dies auch auf die den Babenbergern als Markgrafen der Steiermark vorangegangenen Ottokare. Siehe Friedrich Hausmann: Die steirischen Otakare, Kärnten und Friaul. Besitz, Dienstmannschaft, Ämter. In: Das Werden der Steiermark. Die Zeit der Traungauer. Festschrift zur 800. Wiederkehr der Erhebung zum Herzogtum. Hrsg. von Gerhard Pferschy. Graz [u. a.] 1980 (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchives. 10), S. 225–275.

II.2.5 Axiologische Grundlagen der manheit

237

len Macht der zur Zeit der Abfassung der Reimchronik regierenden Habsburger bietet.134 So enthalten die Erwähnungen der Babenberger stets die Mahnung, die Rechte und Freiheiten der Steirer zu respektieren. Nach der durch das Reichsheer 1276 erzwungenen Unterwerfung Ottokars II. Přemysl unter König Rudolf I. von Habsburg, beschreibt die Reimchronik den Reichstag in Nürnberg zunächst in Form einer Mauerschau, in der der Bischof Brun (Bf. 1247–1281) von Olmütz (heute Olomouc, Tschechien) dem böhmischen König die Namen der versammelten Großen nennt. nû kom ouch kunic Ruodolf dar, als er in wold enphâhen. nâch im begunden gâhen die Stîrære alle besunder. den kunic von Bêheim nam wunder, wer die grôzen schocke wæren. (StR, V. 14544–14549)

Die Glorifizierung der Steirer schlägt sich hier in zweierlei Weise nieder. Zum einen gehen die steirischen Großen mit ihrem Gefolge als erste hinter dem römisch-deutschen König, womit ihrem Rang Ausdruck verliehen wird. Zum anderen ist der böhmische König über die Größe dieses Gefolges verwundert, wobei der militärische Ausdruck schocken hier direkt auf die militärische Macht der Steirer verweist. Im Gespräch zwischen Brun und Ottokar wiederholt sich mehrfach das Muster, dass ein Name genannt wird – unter anderem auch Otto von Liechtenstein (StR, V. 14603)135 –, worauf sich Ottokar widerholt über die Größe von dessen militärischem Gefolge wundert, da diese Herren ihn selbst nur mit einem sehr viel kleineren Gefolgte unterstützt hätten. Dies führt Brun auf die schlechte Behandlung der Steirer durch Ottokar zurück: swer mit in [den Steirern] wil wandeln, der leist in, swaz er in gelob, unde setz in niht vil ob fremder halsherren; swer in wil verkêren iriu altiu reht, diu in habent gemachet sleht die fursten biderb unde wacker, von Stîre marcgrâf Ottacker unde herzog Liupolt,

 Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 43–46, die die Verherrlichung der „guten alten Babenbergerzeit“ im Gegensatz zu den „Habsburgischen Ausbeutern“ auch bei dem nahezu zeitgenössischen Seifried Helbling feststellt.  Es sei hinzugefügt, dass Otto von Liechtenstein hier nach Friedrich V. von Pettau als zweiter nicht-gräflicher Anhänger Rudolfs von Habsburg genannt wird.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

dem werdent si nimmer holt, ouch wirt der dienest nimmer guot âne willigen muot. (StR, V. 14632–14644)

In der Überhöhung der Babenberger ein politisches oder ideologisches Motiv zu sehen, erhärtet sich durch die Tatsache, dass sich der steirische Adel während der Herrschaft Herzogs Friedrichs II. zweimal (1230–1231 und 1236–1239) gegen diesen erhob. Dies geschah mit der dezidierten Bestrebung, einen Herzog aus einer anderen Familie zu erhalten.136 Mithin war die tatsächliche Loyalität der Steirer zu den Babenbergern zur Zeit ihrer Herrschaft nicht völlig gegeben. Dennoch spiegelt diese kurze Episode nicht nur das Selbstbild der Steirer wider, sondern enthält auch die Mahnung, ihre militärische Macht und den Vorteil ihres Wohlwollens nicht zu unterschätzen. Darüber hinaus lässt sich hier auch eine Vorausdeutung im Sinne eines ‚Gewehrs an der Wand‘ erkennen, wobei die Analogie an dieser Stelle besonders passend ist, da die militärische Macht der Steirer und ihre Loyalität zu Rudolf von Habsburg als der ausschlaggebende Faktor in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen im übernächsten Jahr gezeichnet werden, der die Niederlage und den Tod Ottokars II. Přemysl herbeiführt. Gegenüber der Idealisierung der Babenberger erscheinen sowohl der böhmische als auch der ungarische König als tyrannische und illegitime Herrscher, wenngleich beide – zumindest zeitweilig – von Personen unterstützt wurden, die in der Reimchronik durchweg positiv dargestellt sind. So versuchte nicht nur Gertrud von Baden-Österreich – die Tochter des vorletzten und Nichte des letzten babenbergischen Herzogs – durch die Unterstützung verschiedener Machthaber den Erhalt ihres Titels zu sichern, erst mit dem böhmischen Prinzen, dann mit der Hilfe des Markgrafen von Baden, schließlich vor allem in einer Allianz mit dem König von Ungarn, der dadurch seinen Anspruch auf die Steiermark festigen konnte.137 Auch der österreichische und steirische Adel bemühte sich um einen neuen Landesherrn, der ihnen ihre Rechte und Freiheiten ließ und gleichzeitig die Ordnung in den Ländern aufrechterhielt. Eine entsprechende Absicht schreibt auch die Steirische Reimchronik dem Adel zu: dô wurden si ze râte die wægist und die besten, wand si fürwâr wol westen, die wîl daz lant wære rehter herren lære, sô liez sich niemen lenken. darumb solt man gedenken, wie man gewunne die hêrschaft, diu mit gefuoge und mit kraft,

 Vgl. Zehetmayer, Vogtei, S. 255–257.  Vgl. Pferschy, Ottokar, S. 77 f.; Meier, Gertrud, S. 10.

II.2.5 Axiologische Grundlagen der manheit

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mit liebe und mit slihte daz lant wol verrihte. (StR, V. 1382–1392)

Daraus ergaben sich wechselhafte Allianzen mit Béla IV. respektive Ottokar II., die beide jeweils erst ins Land gerufen und dann als Tyrannen bekämpft wurden. Die oben erwähnten Parteiungen des steirischen Adels tragen diesem Umstand Rechnung und obwohl die Steirische Reimchronik diese Spaltungen nicht verschweigt,138 verschleiert sie weitestgehend die Unterstützung durch den steierischen Adel, ohne den Ottokar das Herzogtum Steiermark niemals hätte an sich bringen können. Jörg Hoensch hat in seiner Biographie Ottokars II. Přemysl mehrfach auf die Allianzen verwiesen, die zwischen diesem und Teilen des österreichischen und steirischen Adels bestanden. Zu den wichtigsten Alliierten Ottokars gehörte dabei unter anderem Ulrich von Liechtenstein.139 Entsprechend charakterisiert die Reimchronik Ulrich zwar als witzic unde menlich und volkomen an triwen (StR, V. 1972 f.), zählt ihn aber auch zu den anfänglichen Unterstützern Ottokars, legitimiert dies hingegen mit einem Verweis auf die Tradition. Ulrich und andere stimmen für Ottokar, sit daz reht wære daz, daz von alter einer hant Ôsterrîch und Stîrlant solt dienstes wesen undertân. darumbe si ze herren hân wolden den, der gewalticlich het besezzen Ôsterrîch. (StR, V. 1992–1998)

Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass der steirische Adel anscheinend bereits 1237 bestrebt war, die Herrschaft der Babenberger und den durch die Personalunion seit 1192 bestehenden Verband mit Österreich aufzulösen140 und diese Möglichkeit auch nach der Machtübernahme der Habsburger noch nicht ausgeräumt war.141 Somit stellt die Begründung Ulrichs vornehmlich eine Legitimation seines Handelns durch den Erzähler da. Weiterhin wird berichtet, dass Ulrich von Liechtenstein zu denjenigen gehört, die sich nicht von König Béla bestechen ließen und daher weiterhin zu Ottokar hielten:

 Vgl. StR, V. 1987–2004.  Vgl. Hoensch, Přemysl Otakar II., S. 42–45, 114, 154 f., 193 u. 209, ebenfalls Pferschy, Ottokar, S. 74 f., 80 u. 82.  Vgl. Zehetmayer, Vogtei, S. 257; Sutter, Steiermark, S. 108. Zum Zusammenschluss der Länder siehe Arnold, Knighthood, S. 61 u. 77.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 127–132.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

nû wâren dâ der alten Stîrærherren etelich, von Liehtenstein her Uolrich und von Offenberge her Dietmâr, die des kleine nâmen war, swaz der kunic Wêlân grozer gâbe het getân datze Stîr den herren. (StR, V. 2294–2301)

Entsprechend gestaltet die Reimchronik die jeweilige Machtübernahme Ottokars und Bélas nicht als das Resultat einer freien Wahl des Adels als vielmehr eine Art feindlicher Übernahme. Im Falle Bélas IV. wird lediglich von der grozen gâbe und dem guot, daz der von Ungern gap (StR, V. 2171) gesprochen, während die Namen derjenigen, die guot und gâben erhielten, verschwiegen bleiben. Eine Ausnahme bildet Gertrud, deren Unterstützung Bélas hingegen wiederum als eine Folge der Tyrannei Ottokars erscheint.142 Dass Gertrud ihre Besitzansprüche an Béla übergeben habe, wird schon von der älteren Forschung bestritten,143 dass Béla seinen Herrschaftsanspruch auf ihr Erbrecht stützte, hingegen nicht.144 Auch die Übernahme des österreichischen Herzogstitels durch Ottokar II. Přemysl geht in der Reimchronik nicht auf die Bestrebungen des österreichischen Adels zurück: Nach dem Tod Hermanns von Baden hätten österreichische Adlige zunächst versucht, einen Sohn der Babenbergerin Konstanze und Heinrichs von Meißen als neuen Landesherren zu gewinnen.145 Auf Zwischenstation in Prag hätte Wenzel I. jedoch versucht, sie von seinem Sohn Ottokar als Kandidaten für die Landesherrschaft zu überzeugen, zunächst mit zuvorkommender Gastfreundschaft, dann mit Bedrohung, Erpressung und wohlmöglich auch Bestechung.146 Die Wahrhaftigkeit dieses ausführlichen Berichts ist allerdings höchst fraglich147 und dient somit vornehmlich dazu, Ottokar bereits bei seinem Herrschaftsantritt zu diskreditieren. Auch die Eheschließung zwischen Ottokar und der etwa 27 Jahre älteren Margarete, hinter der das offensichtliche politische Kal Vgl. StR, V. 2460–2484: sterclich begund er [Béla IV.] werben, / daz diu herzogin Gedrût / næm zuo der ê und ze trût / von Riuzen des kunigs suon. / daz muoste si darumbe tuon, / wand si het in geladen / uf kunic Ottackers schaden. / kunic Wêlân muost si volgen, / daz er ir iht wær erbolgen, / dem herzogen von Ôsterrîch, / wand si het im heimelich / mit boten und mit briefen sleht / gegeben allez ir reht / an Ôsterrîch und an Stîrlant, / daz daz stüend in sîner hant. / waz er gegen ir tæte? / ir wart gemachet stæte / mit hantvesten guldîn, / si solde des gewis sîn, / daz sînes hazzes burde / niht entladen wurde / gegen dem herzogen von Osterrîch, / ir müest ê vesticlich / ir schade werden verriht / und nâch ir willen versliht.  Vgl. Meier, Getrud, S. 10.  Vgl. Pferschy, Ottokar, S. 77.  Vgl. StR, V. 1555–1576. Die historische Konstanze war freilich bereits 1243 verstorben. Vgl. Seemüller, Stellenkommentar.  Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 121.  Vgl. Penth, Margarethe, S. 97; Hoensch, Přemysl Otakar II., S. 38–43.

II.2.5 Axiologische Grundlagen der manheit

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kül stand, über das babenbergische Erbe Ottokars Herrschaftsanspruch auf Österreich und Steiermark zu erhärten, wird zusätzlich in ein sinisteres Licht gerückt, indem die Reimchronik Ottokars Umgang mit der Trägerin dieses Erbes und damit Stellvertreterin des Herzogsgeschlechts auf drastische Weise verunglimpft und einen schon vor der Hochzeit angestrebten Ehebruch andeutet.148 Wie auch in anderen Belangen, ist die Parteinahme des Erzählers auf unterschiedlichen Ebenen zu differenzieren. Als Vertreterinnen der Babenberger sympathisiert er mit beiden von ihnen, favorisiert jedoch Gertrud vor Margarete,149 die im Kampf um die babenbergischen Herzogtümer als Rivalinnen zu betrachten sind, da jede von ihnen als ducissa austrie et stirie urkundete und einen unterschiedlichen Machthaber bei der Machtübernahme in Österreich und Steiermark unterstützte.150 Daraus musste sich jedoch auch ergeben, dass beide Frauen in den Augen des jeweils gegnerischen Fürsten als illegitime Prätendenten und damit als Feinde erscheinen. Dies gilt vor allem für Gertrud von Baden-Österreich und ihren Widersacher Ottokar II. Přemysl. Sehr ausführlich schildert die Reimchronik die Übel, die dieser der Babenbergerin antut, darunter auch die Tötung ihres Sohnes Friedrich von Baden, der gemeinsam mit dem Enkel Kaiser Friedrichs II. 1268 in Neapel hingerichtet wurde. Die Reimchronik beschuldigt Ottokar den Papst bestochen zu haben, um die Ermordung der beiden Fürstensöhne zu befürworten. ouch gap darumbe grôzez guot kunic Ottacker, der hêre, daz diu herzensêre an der edlen fruht geschach. der frumt ez durch den gemach, daz er dester sicherlich wielte Stîr und Ôsterrîch,

 Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 115 f. Der Text der Reimchronik legt Ottokars Vater Wenzel I. die folgenden Worte in den Mund: Damit Österreich als ledig gewordenes Lehen nicht zurück an das Reich falle, [...] sult ir ze rehter ê / die kunigin Margreten nemen. / ir geburt mac iu wol zemen, / wand si ist ân underwint / herzog Liupoltes kint. / ist aber si in der gestalt, / daz si iuch lîhte dunket zalt, / des ergetzet iwern lîp: / ir vindet zWienen schœne wîp, / der minne sô süezet, / daz ir iu sanfte büezet, / swes ir habt gebresten dort.’ / der sun merkte des vater wort / und wurden des ze râte, [...]. (StR, V. 1805–1817) Die Betonung ihrer Abstammung findet sich entsprechend auch bei der Erzählung vom Ende der Ehe. Die Reimchronik berichtet von den vergeblichen Versuchen sich von Margarete aufgrund von Kinderlosigkeit scheiden zu lassen, schließlich ihrer Verstoßung und der Hochzeit mit einer Enkelin des Königs von Ungarn: wie man der hôchzît beginne / oder wie dem ende wære, / daz ist mir sô unmære, / daz ich dâvon niht wil sagen, / wand mich lust baz ze klagen / die untriu und die unzuht,/ die an herzog Liupolts fruht, / der kunigin Margreten, geschach. / Ôsterrîch grôz ungemach / widerfuor bî dem jâr. (StR, V. 9339–9348) Vgl. Penth, Margarethe, S. 98. Schlussendlich wird auch im Nachruf auf Ottokar, auf den später noch näher einzugehen ist, die Promiskuität und Treulosigkeit gegenüber seiner Gemahlin aufgeführt.  Vgl. Loehr, Reimchronist, S. 102.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 118.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

darumb frumt er den grôzen mein. mit boten wart er enein mit dem bâbst, der was unguot, daz die herren in ir bluot der Karlot sold ertrenken. (StR, V. 3146– 3157)151

Eine tatsächliche Einwirkung Ottokars auf die Hinrichtung ist nicht nachzuweisen, bewirkt hier aber erneut vor allem seine Diskreditierung.152 Was in der Reimchronik hingegen verschwiegen wird, sind Friedrichs Selbstbetitelung in einer Urkunde von 1259, der sich ebenfalls als dux austrie et stirie bezeichnete, sowie dessen entsprechende Ansprüche: uns, dem edlen Herzog von Österreich und Steiermark, gehören beide Länder nach Erb- und Nachfolgerecht von unseren Vorfahren sei alters her mit Alloden und anderen Rechten und Privilegien, ebenso vom kaiserlichen Hof vielfach ausgestattet, wenn auch die Nachbarkönige sie uns heute gewaltsam vorenthalten.153

Wäre Konradin in Italien siegreich gewesen, hätte er mit einiger Sicherheit den römisch-deutschen Thron bestiegen und seinen Gefolgsmann Friedrich mit den beiden Herzogtümern belehnt.154 Die Niederlage des letzten Staufers bei Tagliacozzo benahm Ottokar somit sowohl eines direkten Konkurrenten um die Krone des Reichs als auch um den doppelten Herzogshut, sodass ihm die Hinrichtung beider Rivalen sehr gelegen gekommen sein muss. Wie gesagt hat die Steirische Reimchronik keinen eigentlichen Protagonisten. Obwohl also die Babenbergerinnen selten als Akteur:innen in Erscheinung treten, dienen sie und ihr genealogisches Umfeld als Anker der Sympathiesteuerung gegen die meist eindeutig gekennzeichneten Antagonisten. Jenseits der Babenbergerinnen und ihrer Vorfahren liegt das Interesse der Reimchronik bei den Angehörigen des regionalen Adels, deren Taten oder Schicksale wiedergegeben werden und die als Repräsentanten des Selbstwertgefühls agieren, das die Steirische Reimchronik ihren Rezipient:innen vermittelt. Dabei

 Wenig später prophezeit die Reimchronik, dass all jene die am Tod Friedrichs und Konradins beteiligt waren und davon profitierten, eines langsamen Todes sterben würden, angefangen bei Ottokar. Vgl. StR, V. 3553–3568.  Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 116.  Urkundenbuch des Herzogthums Steiermark. 3. Band 1246–1260. Hrsg. von der Historischen Landeskommission für Steiermark. Bearb. von Josef von Zahn. Graz 1903, S. 351, Nr. 263: nobis illustri duci Anstrie et Stirie, ad quos terra untraque pertinet hereditatis iure et successionis a nostris progenitoribus ex antiquo, cum allôdiis et aliis iuribus et privilegiis nichilominus ab aula imperiali multipliciter predotatis, licet reges conterminales confinium nostrum eas in presenciarum detineant per potentiam violentam, [...]. Vgl. Meier, Gertrud, S. 13 mit Teilen der Übersetzung.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 118.

II.2.6 Kämpferische manheit im Horizont chronistischer Sympathiesteuerung

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stehen kriegerische Handlungen immer wieder im Vordergrund, wobei die manheit und Kampfkraft der Steirer nicht selten als der entscheidende Faktor dargestellt wird.

II.2.6 Kämpferische manheit im Horizont chronistischer Sympathiesteuerung – Siegfried von Mahrenberg und Ulrich von Liechtenstein Im Folgenden sei zunächst das emplotment um Siegfried von Mahrenberg155 betrachtet, wobei es sich dabei nicht um eine Erzählung im eigentlichen Sinne handelt, sondern um einen Bezugsbogen, der sich zwischen zwei berichteten Ereignissen und zwei Erwähnungen in wörtlicher Rede spannt. Gemeinsam verdeutlichen sie in eindrücklicher Weise sowohl die komplizierten politischen Konstellationen in den Jahren bis zur Herrschaftsübernahme der Habsburger als auch die diesbezügliche Parteinahme der Reimchronik und damit ihre besondere Erzählweise. Dabei liegt das besondere Augenmerk auf der Darstellung kriegerischer Unternehmungen, die als besonderer Ausweis einer verschleiernden Sympathiesteuerung gewertet werden können. Die erste Erwähnung des Mahrenbergers erfolgt im Rahmen von Ereignissen um das Jahr 1258. Einerseits handelt es sich auf einer höheren politischen Ebene um einen Bestandteil des Konflikts zwischen Ottokar II. Přemysl und König Béla IV. von Ungarn um das Herzogtum Steiermark. Andererseits geht es auf einer niedrigeren Ebene – Gerhard Pferschy spricht zurecht von einem Stellvertreterkampf156 – um den Streit um das Erzbistum Salzburg zwischen dem alten Erzbischof-Elekt, Philipp von Spanheim, dem Bruder des Herzogs Ulrich III. von Kärnten und dem neuen von der Kurie in Rom bestimmten Erzbischof Ulrich, vormals Bischof von Seckau.157 Beide Konflikte sind miteinander verknüpft, da die Spanheimer Brüder zu dieser Zeit Bundesgenossen Ottokars waren, während Ulrich von Seckau die Ungarn um Hilfe gebeten hatte.158 Die Sympathiesteuerung in der Reimchronik gestaltet sich hier besonders wechselhaft, da im Rahmen des ersten Konflikts beide Könige antagonistische Züge tragen, während im zweiten Konflikt Philipp von Spanheim deutlich als Antagonist gekennzeichnet ist. Die Partei des Seckauers ist nicht nur deswegen positiv dargestellt, weil Ulrich von Liechtenstein zu deren Anhängern gehört, sondern auch weil dem

 So findet sich der Name bei Pferschy, Ottokar, S. 78. Auch ders.: Zur Beurteilung Siegfrieds von Mahrenberg. In: FS Friedrich Hausmann. Hrsg. von Herwig Ebner. Graz 1977, S. 367–378. Die Reimchronik nennt ihn von Merenberc her Sîfrit (StR, V. 5599), während er in einer Urkunde, von der noch zu sprechen sein wird, Siurido de Merenberch genannt wird.  Pferschy, Ottokar, S. 80.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 108; Freed, Bondsmen, Kap. 1.4.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 108; Pferschy, Ottokar, S. 78 u. 80.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Spanheimer in der Reimchronik zahlreiche Übeltaten vorgeworfen werden,159 die einen Kriegszug gegen ihn legitimieren. Die Reimchronik berichtet, dass Siegfried von Mahrenberg mit manigem lugemære (StR, V. 5592) beim ungarischen Statthalter von Steiermark, Stephan Guthkeled, angezeigt und seine Burg daraufhin von diesem belagert wurde.160 Der Mahrenberger [...] fuor mit sîner maht für sîn hûs ze Merenberc. er wânt, daz er dâ heldes werc solde volfüeren. dô begund zuo rüeren von Merenberc her Sîfrit; dem volgten an die Unger mit, swaz herren was über al bi der Trâ hin zetal, die kômen her enouwe, dô fuor der von Pettouwe mit sîner maht gegen in. (StR, V. 5594–5606)

Ganz deutlich werden die Ungarn als illegitime Aggressoren geschildert. Durch die Einfügung des lugemære erscheint Siegfried von Mahrenberg als das Opfer von Intrige und ungarischer Willkürherrschaft und die Steirer als aufrechte Verteidiger ihrer Freiheit, deren Gewaltanwendung vollkommen legitimiert ist. Dies gilt auch für Siegfried von Mahrenberg, der sich lediglich verteidigt und gleichsam aus Notwehr in eine Kampfhandlung eintritt, die er nicht selbst begonnen hat. Unterstützt von einem weiteren steirischen Ministerialadligen, dem von Pettouwe (StR, V. 5604), sowie weiteren regionalen herren wird der ungarische Statthalter durch den menlichen sin (StR, V. 5606) der Beteiligten in die Flucht geschlagen, wobei dieser nur dank seines schnellen Pferdes entkommen kann, während der Unger an der selben vart vil wart erslagen und gevangen (StR, V. 5638 f.). Auf der Grundlage einer soliden Legitimation kann in der Folge die kämpferische Gewalt der Steirer glorifiziert werden. und dô der tac mit sîner maht her für begunde glesten, dô hazzet man die lesten und wurden die die hêrsten, die des allerêrsten an die vînde sluogen. niht lenger si vertruogen die hôchvart und den übermuot,

 Vgl. StR, V. 5259–5373 und 5486–5510.  Vgl. Pferschy, Ottokar, S. 81.

II.2.6 Kämpferische manheit im Horizont chronistischer Sympathiesteuerung

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den mit der lantliute guot die Unger heten hie getriben. (StR, V. 5614–5623)

Worin das die erste Episode auslösende lugemære bestanden haben könnte, konnte von der Forschung nicht geklärt werden,161 im Erzähltext der Reimchronik liefert es jedoch die einzige Begründung für die Belagerung der Burg Mahrenberg durch den ungarischen Statthalter und den darauf folgenden Aufstand. Gerhard Pferschy vermutet, dass der Angriff auf die Burg eigentlich dem Zugang nach Kärnten gegolten hatte und die Verteidigung der Burg zusammen mit der anschließenden Vertreibung der Ungarn somit eigentlich Aktionen im Rahmen des Konflikts um das Erzbistum Salzburg waren.162 Beides wäre damit gänzlich zu Gunsten Ulrichs von Kärnten und vor allem seines Bruders, Philipp von Spanheim sowie Ottokars II. Přemysl, den Antagonisten der Reimchronik, geschehen. Es ist jedoch bezeichnend, dass der Text diese Verbindung nicht zu erkennen gibt, da sich in der Folge das Muster der verschleiernden Sympathiesteuerung offenbart, indem die Taten der Steirer gerühmt werden und zugleich unterschlagen wird, wer davon profitiert. Wie bereits an diversen Punkten dieser Arbeit deutlich wurde, dürfen das Resultat und die Kapitalisierung eines Kampfes bei der Betrachtung desselben nicht übersehen werden, insbesondere wenn der Text diese nicht selbst benennt. Wie der Aufstand der Steirer belegt, gehörten Mahrenberg und das umliegende Gebiet seit dem Frieden von Ofen 1254 zum ungarischen Herrschaftsgebiet. Indem die Reimchronik den Fokus auf die wehrhafte Selbstbehauptung der Steirer legt, unterschlägt sie, wem die Vertreibung der Ungarn in erster Linie genutzt hat. Die Verknüpfung der Episode des Mahrenbergers mit dem Salzburger Bistumsstreit bestätigt sich auch durch die Darstellung der folgenden Ereignisse, denn die auf den Aufstand folgende Strafexpedition der Ungarn richtet sich zunächst gegen die steirisch-salzburgische Festung Pettau (Ptuj)163 (StR, V. 5714–5767), die der neue Erzbischof, Ulrich, vormals Bischof von Seckau, den Ungarn verpfändet, um als Gegenleistung Unterstützung für seinen Kriegszug gegen Philipp von Spanheim zu erhalten (StR, V. 5768–5911).164 Die ausführliche Szene von der Belagerung Pettaus bis zu seiner Verpfändung um silbers driu tûsent marc (StR, V. 5909) kulminiert im Ratschlag eines wîsen (StR, V. 5880) unter den Ratgebern Ulrichs von Seckau: ‚herr, ir sult ûf sehen! iu ist ze spiln geschehen ein harte gâch geteiltez spil. swer ez reht verstên wil,

 Vgl. Pferschy, Beurteilung, S. 373 mit Verweis auf Huber, Reimchronik, S. 54.  Vgl. Pferschy, Beurteilung, S. 373.  Vgl. Pferschy, Ottokar, S. 80 f. der auf die Lehnsmannschaft der Herren von Pettau zum Salzburger Erzbistum verweist.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 110.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

als ich hin vor vernomen hab, sô ist bezzer kamph denn hals ab. [...]‘ (StR, V. 5881–5886)

Darin tritt nicht nur eine deutliche Entsprechung von Kampf und Spiel zu Tage, die hier freilich auf metaphorischer Ebene bemüht wird. Auch das Paradigma, lieber zu kämpfen als zu sterben, kann als topisches Arsenal eines kriegerischen Habitus gewertet werden, das bereits den Kampf zwischen Kâlogrêant und Ascalôn argumentativ unterstützt.165 Da weder der Bischof noch der Pettauer in der Lage sind, die ungarischen Belagerer zu vertreiben, wird Pettau schließlich verpfändet und damit die Unterstützung der Ungarn gegen Philipp von Spanheim gewonnen.166 Im Anschluss vollzieht der militärische Einsatz der Steirer eine 180°-Wende, der die Darstellungstendenz der Reimchronik, die auf der Seite der Steirer steht, entspricht. Als Verbündete von Béla und Ulrich von Seckau ziehen die Steirer, unter ihnen auch Ulrich und Otto von Liechtenstein (StR, V. 5944 f.), gegen Philipp von Spanheim und seinen Bruder Herzog Ulrich von Kärnten, die nach Pferschy die primären Nutznießer der Verteidigung Mahrenbergs durch die Steirer waren.167 Indem die Reimchronik diesen politischen Richtungswechsel nachvollzieht, offenbart sie nicht nur ihre tendenziöse Erzählhaltung. Gleichzeitig wird auch die verschleiernde Sympathiesteuerung daran ersichtlich, dass von Siegfried von Mahrenberg im Folgenden nicht mehr die Rede ist, da dieser zu den Gefolgsleuten des kärntnerischen Herzogs gehörte, der jetzt von den übrigen Steirern bekämpft wird.168 In diesem Feldzug wird Ulrich von Liechtenstein als Ratgeber und Kämpfer besonders positiv dargestellt; einerseits ist er der Grund für die anfänglichen Erfolge, andererseits betont der Text seine Unschuld am letztlichen Scheitern. Bereits die erste Kampfhandlung gegen ein Heer Ulrichs von Kärnten erfolgt auf den Rat des Liechtensteiners. Aufgrund der persönlichen Nähe zwischen dem Reimchronisten und der Familie der Liechtensteiner spricht Pferschy dem Bericht einen gewissen Wahrheitsgehalt zu.169 Alfons Huber, auf den sich Pferschy in seiner Betrachtung bezieht, ist dem Bericht der Reimchronik gegenüber skeptischer, gibt aber zu, dass ihre Darstellung des Konflikts zwischen Ulrich von Seckau und Philipp und Ulrich von Spanheim mit einer anderen Quelle, den An-

 Siehe Kap. II.1.2.  des bischolfs er [der König von Ungarn] sich underwant / mit triwen unde mit genâden, / sîn frum und hern Philippen schaden / lobte der kunic ze mêren, / ouch gebôt er den herren / von Stîre, daz si niht verbæren / unde im gehultic wæren. / mit triwen si gelobten daz. / der bischolf sich dô vermaz / hinz Salzpurc ze rîten, / niht lenger wold er bîten. (StR, V. 5924–5934).  Vgl. Pferschy, Beurteilung, S. 372 f.  In einer Urkunde erscheint er 1259 als Zeuge eines Landgerichts, woraus Pferschy ableitet, dass er sich den Ungarn neuerlich unterworfen habe. Vgl Pferschy, Ottokar, S. 81.  Vgl. Pferschy, Beurteilung, S. 373.

II.2.6 Kämpferische manheit im Horizont chronistischer Sympathiesteuerung

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nales Sancti Rudperti Salisburgenses im Wesentlichen übereinstimmt.170 Neben den umfangreichen Ergänzungen der Reimchronik unterscheidet sie sich von den Annales jedoch gerade durch den anfänglichen Verlauf der Schlacht. Letztere berichten, Herzog Ulrich von Kärnten verfolgte diese [die Kämpfer Erzbischof Ulrichs] heimlich im Rücken mit einem Heer, um demselben zu schaden. In der Dämmerung wurde von beiden Parteien heftig gekämpft und viele von beiden Parteien verletzt und getötet.171

Demgegenüber schildert die Reimchronik explizit einen Angriff durch die Steirer, eingeleitet durch Ulrich von Liechtenstein: die aber menlich wâren, die sach man dem gelîch gebâren. doch frâgtens algemeine den von Liehtensteine, waz er ervinden möhte, daz in ze tuon töhte. der sprach: ‚niht bezzers ich kan, wan daz wir si rennen an. uns geschiht, daz uns geschehen sol, und anders niht, daz weiz ich wol.‘ (StR, V. 6056–6065)

Deutlich wird manheit als eine Disposition gekennzeichnet, die bestimmte Verhaltensweisen fordert. Auf die Frage, welche dies sein sollen, gibt der Lichtensteiner ein kämpferisches Verhalten vor, das im berittenen Ansturm und der Begierde zum Kampf (si wolden strîten, StR, V. 6068) zum Ausdruck kommt. Im anschließenden Gefecht werden die Kärntner in die Flucht geschlagen, wobei einige ums Leben kommen. Zwei von ihnen nennt der Reimchronist mit Namen: dô wart der Libentzær erslagen, und den Dresnikær, den muoz ich klagen, der wart dâ gar verchwunt, daz wart mir von in getân kunt. (StR, V. 6088–6091)

 Vgl. Huber, Reimchronik, S. 56. Siehe auch Annales Sancti Rudperti Salisburgenses a. 1–1286. In: Annales Austriae. Hrsg. von Wilhelm Wattenbach. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) IX. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1851, S. 758–810, hier S. 794 f. Die Annales Sancti Rudperti Salisburgenses haben als eine der wichtigsten Quellen für den Text der Steirischen Reimchronik zu gelten und dienten wohl auch als Vorlage für diese Episode. Siehe Seemüller, Einleitung, S. LVIII–LXI.  Annales Salesburgenses, S. 794: [...] dux Ulricus Karinthie eum clam a tergo cum milicia insequitur, volens ipsi nocere; ubi in crepusulo fuit a partibus utriusque graviter dimicatum, aliquantis ex utraque parte vulneratis et occisis. Übers. E.F.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Bei den engen politischen und persönlichen Beziehungen zwischen Steiermark und Kärnten verweist dieses Zusammentreffen auf die nicht minder blutige Intensität regionaler Konflikte, in denen Menschen gegeneinander kämpften, die sich persönlich kannten.172 Dessen ungeachtet entspricht das Verhalten der Steirer den üblichen Praktiken des Kampfes, einschließlich des Versuchs Gefangene zu machen: die Stîrær begunden jagen manigen edlen zagen von Kernden, wand si fluhen hin, gegen dem Tûren stuont ir sin. (StR, V. 6092–6095)

In der Ergänzung der Salzburger Annalen durch die Reimchronik, denen sie im vorangegangenen Bericht von der Absetzung Philipps von Spanheim und der Wahl Ulrichs von Seckau zum Salzburger Erzbischof bisweilen sogar wörtlich gefolgt war,173 dient das siegreiche Gefecht der Steirer vornehmlich der Glorifizierung Ulrichs von Liechtenstein. Diese Beobachtung ist dabei unabhängig vom Wahrheitsgehalt des Berichts und gilt auch für das zweite Gefecht dieses Feldzugs, in dem Steirer (vornehmlich aufgrund eigener Fahrlässigkeit) besiegt wurden: ich hân fürwâr vernomen, daz ir lutzel dâ wâren, die den gemach verbâren, wan die von Liehtensteine: die ahten harte kleine ûf den roup noch ûf den gemach. dâvon man die herren sach menlich ze wer komen dâ. die Kernær riefen: vâhâ, vâ!’ des wertens sich under iren danc. doch dô si überkraft betwanc, dô muosten ouch die herren bî der Ens ze tal kêren, dâ in dô niemen zogte nâch. (StR, V. 6143–6156)

Die manheit Ulrichs und Ottos von Liechtenstein tritt somit nicht nur im Kontext einer gesteigerten Wachsamkeit und Kampfbereitschaft zu Tage, sondern beweist sich auch im Kampf gegen eine Überzahl. Sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung erscheint die manheit der Liechtensteiner als Ausdruck kämpferischen Könnens und Wollens und bleibt durchweg positiv konnotiert. Die mit dem Kampf einhergehenden

 Vgl. Freed, Bondsmen, Kap. 2 u. 5, der mehrere Eheschließungen zwischen den salzburgischen Ministerialen von Leibnitz (Libentz) und steirischen Ministerialen belegt.  Vgl. Huber, Reimchronik, S. 54.

II.2.7 Kriegerische Gewalt zwischen Auratisierung und Dehumanisierung

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Tode werden zwar bedauert, das Kämpfen der Liechtensteiner wird jedoch jeweils als richtige Verhaltensweise legitimiert. Am Zug gegen die Spanheimer Brüder waren die Ungarn allem Anschein nach nicht beteiligt. Allerdings löste sich mit dem Aufstand der Steirer auch die im Frieden von Ofen festgelegte Teilung der Steiermark zwischen Ungarn und Ottokar II. Přemysl auf, da sich die Steirer nun wieder Ottokar zuwandten, während die Ungarn mehrere großangelegte Kriegszüge unternahmen.174 Diese konnten von Ottokar als Bruch des Friedens von Ofen aufgefasst werden175 und führten damit zur Entscheidungsschlacht bei Kressenbrunn, bei der die Steirer wiederum auf der Seite des Böhmen standen.176 Ottokar konnte die Schlacht für sich entscheiden und damit die Herrschaft über die Steiermark für die nächsten sechzehn Jahre sichern. Da sich die hier verhandelten Ereignisse sämtlich auf steirischem Boden zutragen, ist es zwar nicht verwunderlich, dass die steirischen Adligen wesentlichen Anteil an den kriegerischen Auseinandersetzungen haben. In der Darstellung lässt sie die Reimchronik jedoch besonders als treibende Kraft hinter den historischen Umwälzungen hervortreten, da sie durch ihre manheit die politischen Entwicklungen beförderten.

II.2.7 Kriegerische Gewalt zwischen Auratisierung und Dehumanisierung – Die Schlacht von Kressenbrunn Wie bereits deutlich geworden ist, lässt sich die Erzählung der Steirischen Reimchronik vielfach durch das emplotment des böhmischen Königs Ottokar II. Přemysl strukturieren, der in der Schlacht von Kressenbrunn einen Höhepunkt seiner Macht erreicht, da er durch den Sieg die Herrschaft über die Steiermark gewinnt. Weil der Text den König jedoch weitestgehend als Antagonisten kennzeichnet, wird dieser Triumph erzählerisch kaum als solcher benannt, geschweige denn hervorgehoben. Anhand der Darstellung der Schlacht von Kressenbrunn werden die eingangs erwähnten methodischen Herausforderungen einer Analyse dieses Textes ersichtlich. Entsprechend soll auch nicht der Versuch unternommen werden, den tatsächlichen Hergang der Schlacht zu rekonstruieren, sondern lediglich auf die Besonderheiten der Erzählweise der Reimchronik aufmerksam gemacht werden. Dabei sind vor allem zwei Tendenzen aufzuzeigen: Einerseits werden die kriegerischen Handlungen der Steirer, teilweise im direkten Widerspruch zu anderen Quellen, besonders hervorgehoben. Andererseits wird die politische Bedeutung dieser Handlungen ausgeblendet, da es vornehmlich Ottokar II. ist, der von ihnen profitiert. Auch die Verbindung zwischen dem Aufstand der Steirer und der Schlacht von Kressenbrunn wird in der Reimchronik lediglich angedeutet, insofern die Ungarn gerten

 Vgl. Sutter, Steiermark, S. 109.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 110.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 110; Hoensch, Přemysl Otakar II., S. 114 f.; Pferschy, Ottokar, S. 81–83.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

sêre phandes, / daz si Stîr des landes / ze unreht wæren entwert (StR, V. 6722–6724). Deshalb rüsten sie für den Kriegszug, der zur Schlacht von Kressenbrunn führt. Die Motivation der Ungarn ist hier deutlich benannt. Im Gegensatz dazu und zu anderen Quellen, die zumeist die Herrschaft über die Steiermark als Anlass der Schlacht benennen,177 verschweigt dies die Reimchronik für die Partei Ottokars und der mit ihm kämpfenden Steirer. Stattdessen werden in der Reimchronik die Anführer beider Heere gleichermaßen verunglimpft. Die Ungarn werden als tyrannische Herrscher beschrieben. Damit wird einerseits das Bündnis der Steirer mit Ottokar legitimiert (StR, V. 6289–6314). Andererseits erfolgt die Verunglimpfung Ottokars lediglich indirekt, sodass sich hier eine verschleiernde Sympathiesteuerung feststellen lässt, da die kämpferische Leistung der Steirer hervorgehoben wird, der Nutznießer dieses Kampfes, Ottokar, aber implizit als Antagonist markiert wird: Direkt im Anschluss an die Machtübernahme Ottokars in der Steiermark (StR, V. 6500–6507) wird die Vertreibung von Gertrud von Baden-Österreich durch Ottokar II. Přemysl und seinen Statthalter Brun von Olmütz berichtet sowie Gertruds Tod im Exil in Meißen mit einer langen Klagerede Getruds eingeschoben (StR, V. 6515–6691). Bereits die ältere Forschung hat Ende des 19. Jahrhunderts darauf hingewiesen, dass Vertreibung und Tod Gertruds nicht vor 1270, also erst etwa 10 Jahre später, erfolgt seien.178 Hier zeigt sich erneut, dass der Reimchronik Handlungen gegen die Babenbergerinnen stets zur Diskreditierung des Handelnden, meist Ottokar II. Přemysl dienen. Der Anachronismus wird mithin an dieser Stelle dazu genutzt, um ein negatives Licht auf Ottokar zu werfen, der doch gerade auf Bitten der Steirer und mit ihrer Unterstützung zum Landesherren geworden war, was der Text jedoch weitestgehend unterschlägt. Weiterhin wird erneut auf die Ehe Gertruds mit dem russischen Verbündeten Bélas IV. sowie die Ehe ihrer Tochter mit dem Sohn Stephan Guthkeleds hingewiesen und damit angedeutet, dass Vertreibung und Tod Gertruds ein weiterer Anlass für den Kriegszug der Ungarn waren.179

 Continuatio Sancrucensis II. a 1234–1266. In: Annales Austriae. Hrsg. von Wilhelm Wattenbach. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) IX. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1851, S. 637–646, hier S. 644: Illo tempore facta est pax inter ducem Austrie et regem Ungarie, et terra Styrie que a rege Ungarie detenta fuerat, reddita est duci Austrie. Hermanni Altahensis annales a. 1137–1273. In: Annales et historiae Altahenses. Hrsg. von Philipp Jaffè. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) XVII. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1861, S. 381–407, hier S. 401 f.: Otakarus rex Boemie dux Austrie, dolens quod aliquando coactus esset a Bela rege Ungarie relinquere sibi ducatum Styrie, congregato valido exereitu castra metatus est eitra fluvium Mariha. [...] Otakarus itaque rex, obtenta tali victoria, progressus cum exercitu suo in Ungariam, abinde post paucos dies sub quadam forma compositionis recedit, ducatu Styrie cum civitate Bittovia [Pettau], quam adhuc Ungari tenebant, sibi plenarie restituto.  Vgl. Huber, Reimchronik, S. 59; Franz von Krones: Die Herrschaft König Ottokars II. von Böhmen in Steiermark. In: Mitteilungen des Historischen Vereins für Steiermark 22 (1874), S. 41–146, hier S. 93 f. So auch noch hundert Jahre später Hoensch, Přemysl Otakar II., S. 156.  StR, V. 6709–6720.

II.2.7 Kriegerische Gewalt zwischen Auratisierung und Dehumanisierung

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Des Weiteren ist das Gefecht bei Laa, bei dem mehrere ranghohe österreichische Adlige von den Ungarn in einen Hinterhalt gelockt und getötet werden, im Vergleich zu anderen Quellen180 in der Reimchronik stark erweitert. Grundsätzlich übertrifft der Umfang der dortigen Darstellungen alle anderen Quellen. Die ausführliche und mit wörtlicher Rede ausgeführte Klage Ottokars um die getöteten Adligen (StR, V. 6841–6876) sowie seine anschließenden Racheschwüre dienen in der Reimchronik unmittelbar als Motivation für die Schlacht. Ottokars Rede lautet: ‚[...]daz uns der kunic [Béla] strîtes gewer, der dâ gegen uns lît, swer mir darzuo rât gît, dem wil ich gerne volgen. billich bin ich erbolgen den Ungern allenthalben umb diu leit, diu mir die Valben habent getân vor Lâ.‘ (StR, V. 6961–6968).181

Der Rat, den Ottokar daraufhin erhält, ist mit Kurt-Georg Cram als ‚Herausforderung am Fluss‘ zu bezeichnen.182 Dabei handelt es sich um ein – seitens der Forschung meist als topisch erachtetes und niemals tatsächlich eingetretenes183 – Arrangement, nach dem einer der beiden Heerführer dem anderen anbietet sich zurückzuziehen, damit dieser mit seinen Truppen ungestört übersetzten kann oder selbiges vom anderen fordert. Die Heere Ottokars II. Přemysl und Bélas IV. waren durch die March, einen Nebenfluss der

 Vgl. Continuatio Sancrucensis II., S. 644: Hoc anno intraverunt Ungari Austriam, et occurrerunt illis quidam de Austria; sed heu pugnantibus eis occisi sunt duo fratres Otto comes de Hardek et frater eius Chunradus comes de Playgen, et dominus Chrafto de Sleunz, et dominus Chadoldus Orphanus, in die sanctorum Iohannis et Pauli maryrum. Hermanni Altahensis Annales, S. 402: Eidem etiam Otakaro regi Boemie prius, videlicet in festo sanctorum Iohannis et Pauli, tristem abtulerat se fortuna. Nam cum decem vel plura milia hostium insultum facerent in Austriam circa castrum quod Steutz dictum, duo fratres sanguine nobilissimi, iuvenes electi, Otto videlicet comes de Hardekke et Chunradus comes de Plain, ac cum ipsis Chrafto de Sleuont et Chadoldus dictus Orphanus quasi cum 400 viris eis incaute occurrerunt, quibus fere omnibus occisis, paucissimi evaserunt.  Siehe auch StR, V. 6903–6906.  Vgl. Cram, Iudicium belli, S. 64–86, zur Schlacht von Kressenbrunn S. 76–79 sowie der quellenbezogene Anhang S. 203–207. Cram sieht in der ‚Herausforderung am Fluss‘ ein Element topischer Schlachtbeschreibungen, das vornehmlich dazu diene, der Schlacht den Anschein regelgeleiteter Agonalität zu verleihen (Vgl. ebd., S. 15–18).  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 61 zu einer ebensolchen Herausforderung in der Chronik Bertholds von Reichenau und Brunos Buch vom Sachsenkrieg: „Beide Autoren verbiegen einen im Kern noch erkennbaren Vorgang – ein ergebnisloses Gegenüberliegen beider Heere am Neckar – auf eine solche Weise, dass das von ihnen favorisierte Heer einen nach ihrer Meinung möglichst günstigen Eindruck macht.“

252

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Donau184 voneinander getrennt, den eines der beiden Heere überqueren musste, damit die Schlacht stattfinden konnte. Die Continuatio Sancrucensis secunda berichtet lediglich, dass die Ungarn die March überschritten und die Schlacht begonnen hätten,185 während die Annales Hermanni Altahensis den Hergang etwas ausführlicher beschreiben und berichten, Ottokar habe seine Truppen von sich aus vom Ufer weg bewegt, was die Ungarn als Flucht gedeutet hätten, sodass sie über den Fluss gesetzt wären.186 Die Überquerung der March findet sich somit auch in vielen anderen Quellen, jedoch nur die Steirische Reimchronik und ein in die Annales Otakariani eingefügter Brief Ottokars II. an Papst Alexander IV. mit einem Bericht über den Verlauf der Schlacht enthalten das Motiv der ‚Herausforderung am Fluss‘. In den Annales Otakariani heißt es, dass die Ungarn gewählt hätten, selbst den Fluss zu überqueren. Dies hätten sie dann aber heimlich in der Nacht begonnen, um das Lager Ottokars zu überfallen, dessen Truppen sich im Glauben an den vereinbarten Waffenstillstand teilweise vom Lager entfernt hätten.187 Auch die Reimchronik berichtet von einem vorzeitigen Bruch des Waffenstillstands durch die Ungarn (StR, V. 7126–7148) und einem überraschenden

 Die March mündet westlich von Bratislava in die Donau und ist heute der Grenzfluss zwischen Österreich und der Slowakei. Nach ihr ist auch die Schlacht auf dem Marchfeld benannt, was der Name der älteren Forschung für die Schlacht von Dürnkurt und Jedenspeigen ist, die 30 Km nördlich vom heutigen Groißenbrunn ausgetragen wurde.  Continuatio Sancrucensis II., S. 644: Postea venit cum exercitu magno rex Ungarie et filius eius Stephanus iuxta fluvium Marcham; contra quos venit Otakorus dux Austrie, et in die sancte Margarete cum pax esset inter eos die illo, transivit exercitus regis Ungarie Marham fluvium et commiserunt prelium.  Hermanni Altahensis annales, S. 401: Tamdem post plures dies Otakarus rex Boemie pro commodo equorum et hominum volens ad superiores partes fluminis se transferre, Stephanus rex, putans ipsum velle fugere, insecutus est eum, et congressione facta aput villam que Chressinprunne dicitur, victi sunt Ungari. Ebenfalls auf das Motiv der Flucht beziehungsweise des Anscheins von Flucht verweist die Erfurter Peterschronik, siehe Cronica S. Petri Erfordensis moderna a. 1072–1335. In: Monumenta Erphesfurtensia. Sac. XII. XIII. XIV. Hrsg. von Oswald Holder Egger, Hannover/Leipzig 1899 (MGH SS rer. Germ. 42), S. 117–389, hier S. 250: Cums igitur ex utraque parte apud Maram flurium convenissent exercitus et castra fixissent ibidem, ecce rex Boemus Ottonis marchionis Brandenburgensis, qui eidem in adiutorium venerat, utili acquiescens consilio, quibusdam armatis post tergum relictis, tamquam fugiendo secessit retrorsum. Eine ältere Einschätzung der Quelle bezüglich ihrer zeitlichen (16 Jahre) und räumlichen Entfernung siehe Cram, Iudicium belli, S. 204.  Annales Otakariani a. 1254–1278. In: Cosmae chronica Boemorum. Hrsg. von Rudolf Köpke. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) IX. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1851, S. 181–194, hier S. 185: E quibus disiuncte partibus alteram pars adversa elegit, ut videlicet nos cederemus et nostra cessione eisdem locum transeundi daremus. Et ut id posse fieri videretur quovis impedimento cessante, dicti reges et eorum bani et comites treugas constitutas et suis iuramentis firmatas per totum diem beatae Margaretae festum proximo praecedentem et medietatem ipsius festi diei nobis mediantibus idoneis nunciis remiserunt. Verum hiidem sua pacta et iuramenta soliti violare, per vada inventa et sibi aptata olim noctu ad nostram partem cum omni suo exercitu transierunt. Et cum diceremus „Pax et securitas! subito cum inenarrabili multitudine contra nos inprovisos apparuerunt in campo!.

II.2.7 Kriegerische Gewalt zwischen Auratisierung und Dehumanisierung

253

Angriff auf das Heer Ottokars. Ein Unterschied zwischen dem Brief Ottokars und der Reimchronik findet sich in der Zusammensetzung der Nachhut, die dem abziehenden Heer des Königs den Rücken deckt. In seinem Brief führt Ottokar selbst das Rückzugsgefecht.188 Demgegenüber platziert die Reimchronik das steirische Aufgebot zusammen mit dem kärntnerischen in die Nachhut (StR, V. 7109–7114), sodass diese nun statt Ottokar und seiner Leibgarde dem ersten Angriff der Ungarn standzuhalten haben, ehe das bereits in Teilen abmarschierte Heer Ottokars ihnen beistehen kann. Die Reimchronik bedient sich eines elaborierten Vergleichs, um die Kampfkraft der Steirer und ihr Wirken zu beschreiben: swer reht hiet war genomen, wie dâ striten die von Stîr, reht als der schûr marbe zwîr sleht ab dem durren boum, alsô tranten si den soum, dâ botich und hals an einander stôzet. manic hals wart dâ geblôzet des houbtes, daz ê darûf was. (StR, V. 7289–7296)

Doch auch die Gewalttaten der übrigen Verbündeten Ottokars II. Přemysl werden lobend hervorgehoben (StR, V. 7314–7499) und ähnliche Vergleiche wie bei den Steirern verwendet: die sach man sô strîten, swaz in enkegen reit, daz wart vor in nider geleit als der hanf vor der eiden, ez was niht guot ze scheiden. (StR, V. 7357–7361)

Jene, die dort so zahlreich enthauptet werden, sind vornehmlich Ungarn, sodass hier auf Seiten des Erzählers eine recht deutliche Dehumanisierung des Gegners festzustellen ist. Zusätzlich kennzeichnen die Vergleiche der getöteten Ungarn mit morschen Ästen (marbe zwîr) und hanf und des kriegerischen Verhaltens der Steirer mit Unwetter (schûr) und Egge (eide) die Asymmetrie als natürliche Ordnung des jeweiligen Bildbereichs, was eine zusätzliche Legitimation der Sieger und durch die Dehumanisierung der Gegner bewirkt. Nachdem die Schlacht für die Ungarn verloren ist, gibt der Reimchronist des Weiteren eine Aufzählung der für Béla IV. kämpfenden Völker:

 Annales Otakariani, S. 185: Et cum in spe treugarum vir decima pars nostri ezercitus penes nos pro nostrae personae custodia remansisset, [...].

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

in sînem dienst er dar brâht liut von manigen sprâchen: Zôkel und Walachen die kômen allenthalben gesamnet mit den Valben, Sirven unde Niugære, Turken unde Tâtrære, Râzen, Pozzen und Krawâten, ir hêrschaft die herren hâten zUngern von dem kunic rîch, darumb si muosten dienstlich kunic Wêlân wesen undertân. (StR, V. 7391–7402)

Eine ähnliche Aufzählung findet sich auch in Ottokars Brief an Papst Alexander IV., in dem einige der genannten Völker zudem als Schismatiker und Ketzer bezeichnet werden.189 Die Aufzählung solch vieler Völker stellt dabei nicht nur die Macht des besiegten Ungarnkönigs – und damit die Macht Ottokars – heraus, sondern betont auch in der Akkumulation die Fremdheit des Gegners, was zwar keine Dehumanisierung im eigentlichen Sinne befördert und auch – im Gegensatz zu Ottokars Brief an den Papst – nur bedingt das mittelalterliche Unterscheidungsparadigma christlich versus heidnisch bedient. Sehr wohl ist aber diese Darstellung von einem active othering getragen: Durch „die bewusste Darstellung von Alterität, im Gegensatz zur eher unbewussten Wahrnehmung von Andersheit beziehungsweise Fremdheit“190, diskreditiert die Darstellung den eigentlich christlichen Nachbarn. Entsprechend unternimmt der Reimchronist keine Bemühungen die geschilderte Gewalt durch weitere Argumente zu legitimieren. Obwohl die guten Beziehungen des christlichen Königreichs Ungarn zu heidnischen Nachbarvölkern häufig Kritik erfuhren und den Ungarn auf Grund ihrer Kampfesweise bisweilen  Vgl. Annales Otakariani, S. 184 f.: Quia pium patorem suarum a lupis liberatio ovium delectat, ac benignum patrem iocundum reddit cum salute prosperitas filiorum, gravis belli, quod adversus Belam et natum eiusdem Stephanum, Ungariae reges illustres, et Danielem regem Rusiae et filios euis,et cateros Ruthenorum ac Tataros, qui eidem in auxilium venerant, et Boleslavum Cracoviensem et Lestkomen iuvenem, Lusiciae duces, et innumeram multitudinem inhumanorum hominum Comanorum et Ungarorum et diversorum Sclavorum, Siculorum quoque et Walachorum, Bezzerminorum et Hysmahelitarum, scismaticorum etiam, utpote Graecorum, Bulgarorum, Rusciensium et Bosnensium haereticorum, auctore Deo gessimus, et victoriae nobis datae coelitus, et post vicloriam inter nos ex parte una et dictos reges es altera concordine reformatae processum non ab re paternitati vestrae duzimus praevia veritate praesentibus declarandum.  Kristin Skottki: Christen, Muslime und der Erste Kreuzzug. Die Macht der Beschreibung in der mittelalterlichen und modernen Historiographie. Münster 2015 (Cultural Encounters and the Discourses of Scholarship. 5), S. 170. Hervorhebungen im Original. Zum active othering siehe auch Daniel G. König: Medieval Western European Perceptions of the Islamic World. From ‚Active Othering‘ to ‚the Voices in Between‘. In: Christian-Muslim Relations. A Bibliographical History. Bd. 4 (1200–1350). Hrsg. von David Thomas, Alex Mallett. Leiden/Boston 2012 (History of Christian–Muslim Relations. 17), S. 17–28.

II.2.7 Kriegerische Gewalt zwischen Auratisierung und Dehumanisierung

255

der Anschein von ‚Fremdheit‘ zugesprochen wurde,191 legen die Ehebündnisse von Gertrud von Baden-Österreich und ihrer Tochter sowie die Eingebundenheit der Steirer in die ungarische Regierung der Steiermark zumindest nahe, dass Formen des othering der Ungarn im Text nicht als Strategie einer allumfassenden Dehumanisierung der Ungarn fungieren. Stattdessen wird die kämpferische Leistung der Steirer noch zusätzlich gepriesen: swer gerne frumiclichen tuot, der dem lônet, daz ist guot, in lust der arbeit dester baz. die Stîrær wol verdienten daz des tages – si teten frumiclich – daz si der kunic solt machen rîch umb ir frumiclich gebârd. wand dô der strit erhaben wart, des wart gen in begunnen. die herren wol versunnen von dem êrsten hinz dem lesten wâren dâ die besten. (StR, V. 7302–7313)

Die Mühe und das Leid (arbeit) des Kämpfens und Tötens ist nicht nur frume und belohnenswert, sondern bereitet aufgrund dessen auch lust (Wohlgefallen, Freude, Vergnügen) beziehungsweise lustet die Steirer, weshalb sie am besten gekämpft hätten. Weiterhin korrespondiert die den Steirern zugesprochene frumecheit mit der oben ausgeführten Umcodierung von manheit in eine übergeordnete Tugend situativer Idoneität, deren Fundament weiterhin manheit ist. Sowohl durch die angewandte Gewalt als auch durch ihre letztliche Sieghaftigkeit ist deutlich zu erkennen, dass sich das Lob des Reimchronisten auf die manheit der Steirer bezieht, die er ihnen somit ‚von außen‘ attestiert, nachdem sich ihre praktische manheit im siegreichen Kampf als skillful performance offenbart hatte. Zu diesem Zweck rekurriert der Chronist schließlich auf Hartmanns Iwein, denn die Verse über die Freude am Kampf stellen eine nahezu wörtliche Übernahme aus der Passage des Iwein dar, in der Iwein und Gawein nach ihrer gemeinsamen Turnierfahrt am Artushof empfangen werden: [König Artus] sagte in gnâde unde danc, daz in als ofte wol gelanc. swer gerne vrümclichen [sic!] tuot, der dem gnâdet, daz ist guot: in gezimet der arbeit deste baz. (Iw, V. 3075–3079)192

 Vgl. Sutter, Steiermark, S. 99 u. 104.  Vgl. Henrici, Nachahmung, S. 200. Henrici formulierte überspitzt, dass sich in der Reimchronik so viele Anleihen an den Iwein fänden, „dass ihre aufzählung einer widergabe des ganzen Iwein fast

256

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Weiterhin tritt durch die Betonung der kämpferischen Leistung auch das Ziel des Kampfes in den Hintergrund. Der Sieg in Kressenbrunn 1260 und der Frieden von Wien im darauffolgenden Jahr zementierten Ottokars II. Přemysl Herrschaft über die Steiermark für die nächsten 16 Jahre. Wiewohl das Ereignis der Schlacht als solches ebenso berichtenswert erscheint wie die kämpferischen Leistungen und die damit verbundene Gewalt, werden die für die Motivation antizipierten Folgen ebenso wie die tatsächlichen Folgen der Schlacht weitestgehend ausgeblendet. Dies spiegelt sich auch in der Darstellung des Friedens von Wien von 1261 wider, in der nicht vom Verzicht der Ungarn auf die ihnen im Frieden von Ofen 1254 zugesprochenen Teile der Steiermark die Rede ist, sondern ausschließlich von den Eheschließungen, die den Friedensschluss begleiteten.193

II.2.8 Narrative Funktionen eines tragischen emplotments – Noch einmal Siegfried von Mahrenberg Auch bei seinem zweiten Auftritt in der Reimchronik wird Siegfried von Mahrenberg als das Opfer einer Verleumdung inszeniert und des Verrats bezichtigt, diesmal jedoch gegen einen anderen Landesherrn.194 Obwohl also zwischen der ersten Erwähnung in V. 5599 und dem nächsten Auftritt beinahe sechstausend Verse beziehungsweise 10 Jahre liegen, wird über das Motiv der Verleumdung eine Brücke zwischen den beiden Episoden geschlagen.195 Bei einem Umritt Ottokars II. Přemysl durch die Steiermark 1270/71196 habe der Mahrenberger diesem wegen Krankheit nicht seine Aufwartung gemacht und war von einer nicht namentlich genannten Person verleumdet worden (StR, V. 11836–11839). Die Reimchronik berichtet von der vergnüglichen Reise Ottokars durch die Steiermark, wo er überall freudig empfangen wurde. Zurück in Prag beauftragte er jedoch Ulrich von Drnholec, den böhmisch-mährischen Landeshauptmann von Kärnten197 Siegfried von Mahrenberg gefangen zu nehmen.

gleichkäme.“ (S. 196) Weiterhin gibt er alle Stellen des Iwein an, die sich in der Reimchronik wiederfinden. Henrici weist weiterhin darauf hin, dass die Entlehnungen „keineswegs immer angemessen“ (S. 197) seien und man daher die intertextuellen Bezüge nicht zu stark interpretieren dürfe. Dem wäre insofern zuzustimmen, als Artus‘ Lob in diesem Kontext mit Iweins Fristversäumnis kollidiert, sodass die im Iwein verhandelte Werteambiguität nicht auf die Passage der Reimchronik übertragen werden kann. Siehe Kap. II.1.4.  StR, V. 7626–7660. Zum Inhalt des Friedensabkommens siehe Sutter, Steiermark, S. 110 f.; Hoensch, Přemysl Otakar II., S. 118 u. 120; Pferschy, Ottokar, S. 83.  Vgl. Pferschy, Beurteilung, S. 377.  Vgl. Seemüller, Einleitung, S. 156, Anm. 3.  Vgl. Pferschy, Beurteilung, S. 376.  Vgl. zwei Urkunden von 1274 und 1275 bei Karlmann Tangl: Die Grafen von Heunburg. 2. Abtheilung: Von 1249–1322. Wien 1860, S. 18, die Ulricus de Durenholz als ehemaligen Capitaneus Carinthiae

II.2.8 Narrative Funktionen eines tragischen emplotments

257

dâ [in Prag] liez er [Ottokar] sich nider und schict heimlich her wider zuo dem von dem Durrenholz, ob ieman wær sô stolz, der die manheit begienge, daz er den Merenbergær vienge mit untriwen und mit meine, ez wær grôz oder kleine, swes er darumbe gerte, daz man in des zehant gewerte. (StR, V. 11883–11892)

Erneut findet sich hier die Verwendung von manheit ohne tugendhafte Konnotation, denn die Gefangennahme des Mahrenbergers stellt aus der Sicht der Reimchronik ein Verbrechen (missewende, V. 11898) dar: Die beteiligten Männer schlagen der triwe hals unde hende ab (StR, V. 11896 f.). Ähnlich wie bei der Exposition des Kampfes zwischen Iwein und dem Truchsess198 oder zwischen Iwein und den Teufelsrittern199 dient die Verwendung von manheit hier wohl vor allem der Aufwertung Siegfrieds von Mahrenberg. Die an manheit geknüpfte Leistung bezieht sich somit weniger auf die Fähigkeiten der Ausübenden, als vielmehr auf das Ausmaß der Herausforderung, die in diesem Fall die Gefangennahme des Mahrenbergers darstellt. Diese erfolgt entsprechend in einem Akt der Heimtücke, der zusätzlich einer praktizierten Frömmigkeit gegenübersteht: owê der missewende, daz er sich ie sô vergaz! wand dô der Merenbergær az nâch sîner bete sîn brôt, dô brâht er in in nôt, wand er in ob dem tische vienc. (StR, V. 11898–11903)

Mit großer Ausführlichkeit werden sodann die Martern, die Ottokar II. Přemysl Siegfried von Mahrenberg zufügen lässt, geschildert: der kunic hiez in zehant an legen manic marter, ie harter unde harter hiez in der kunic pînen. daran liez er schînen, daz vor ungüete sîn gîtic herze glüete, als ein heizez îsen tuot.

ausweisen. Siehe auch Sáša Dušková: Wollte Premysl Ottaker II. im Jahre 1270 eine neue Abteilung seiner Kanzlei errichten? In: Folia diplomatica II (1976), S. 65–75, hier S. 74 f.  Siehe Kap. II.1.7.  Siehe Kap. II.1.8.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

mit des Merenbergær bluot hiez er leschen sînen durst. (StR, V. 11912–11921)

Siegfried von Mahrenberg wird von einem Pferd geschleift (StR, V. 11925–11926) und mit dem Kopf nach unten an einen Galgen geschmiedet (StR, V. 11932–11937), wobei er weiterhin seine Unschuld beteuert (StR, V. 11946–11951), bis er in der zweiten Nacht von einem suppan mit einer Keule erschlagen wird (StR, V. 11958–11963). Die Betonung eines slavischen Adelstitels mag auch hier als Moment des otherings verstanden werden. Die Ausführlichkeit dieser Episode und der Detailreichtum ihrer Schilderung erklärt sich zum einen durch die steirische Abkunft Siegfrieds von Mahrenberg und dient wiederum vornehmlich der Diskreditierung Ottokars. Zusätzlich dient sie aber auch als eine Legitimationsgrundlage für den Abfall der Steirer von Ottokar und ihre Unterstützung Rudolfs von Habsburg.200 Zum anderen entfaltet sich so eine Episode von einigem Erinnerungswert, auf den sich die Reimchronik zu einem späteren Zeitpunkt stützen kann, da die Mörder Ottokars – unter ihnen der Neffe Siegfrieds – in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen Rache für den Tod Siegfrieds von Mahrenberg explizit als ihr Motiv für den Mord angeben.201 In einem kurzen Exkurs seien hier noch einige Details zu den politischen Umständen in Österreich und der Steiermark aufgeführt, die das Verständnis der Episoden um Siegfried von Mahrenberg stärken können und als Beispiel einer verschleiernden Sympathiesteuerung gewertet werden können.202 Zunächst lässt sich der Tod Siegfrieds von Mahrenberg mit diplomatischen Zeugnissen auf die Zeit zwischen dem 6. Dezember 1271 und Ende Februar 1272 datieren.203 In diesem Zusammenhang stellt die Darstellung in der Reimchronik die einzige Nachricht von der Art seines Todes dar,204 wie sich auch jenseits derselben kein Hinweis auf den Inhalt der Verratsbeschuldigung finden lässt.205 Eine diesbezüglich naheliegende Vermutung liefert eine Urkunde Gertruds von Baden-Österreich, datiert auf den 5. Januar 1263, also zwei Jahre nach der Machtübernahme Ottokars in der Steiermark und acht Jahre vor dem Tod Siegfrieds von Mahrenberg. In dieser bestätigt Gertrud als ducissa Stirie ihrem fideli ministeriali Siurido de Merenberch,

 Vgl. Pferschy, Beurteilung, S. 378.  Dazu unten Kap. II.2.11.  Siehe dazu auch Pferschy, Beurteilung.  Vgl. Pferschy, Beurteilung, S. 376; Seemüller, Einleitung, S. 158 zu V. 11955.  Gerhard Pferschy, Beurteilung, S. 376 hält die Angabe der Folterung für verlässlich, da die Continuatio Vindobonensis den Neffen Siegfrieds von Mahrenberg, Berthold von Emmerberg, ebenfalls als Mörder Ottokars in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen benennt. Vgl. Continuatio Vindobonensis a. 1267–1302. 1313–1327. In: Annales Austriae. Hrsg. von Wilhelm Wattenbach. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) IX. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1851, S. 479–842, hier S. 710.  Vgl. Pferschy, Beurteilung, S. 373.

II.2.8 Narrative Funktionen eines tragischen emplotments

259

dass er über alle zum Herzogtum der Steiermark gehörenden Besitztümer und Lehen, die er von uns besitzt, die freie Gewalt haben möge, über sie zu verfügen, sie zuzuteilen und zu vererben, in dem Maß, wie es seinem Wohlergehen und seiner Förderung weiterhelfen sehen möge.206

Man kann Gerhard Pferschy sicherlich zustimmen, dass die Bedeutung dieser Urkunde aufgrund der zeitlichen Entfernung zu Siegfrieds Tod nicht überschätzt werden sollte,207 da sich die politischen Verhältnisse in diesen Jahren nicht nur durch Ottokars Konsolidierung seiner Herrschaft in der Steiermark, sondern auch durch den Tod des Herzogs von Kärnten bedeutend gewandelt hatten. Obwohl die Überlegungen Pferschys bisweilen spekulativ anmuten, sei der bereits im Zusammenhang mit dem Aufstand des Mahrenbergs erwähnte Hinweis auf dessen Beziehung zum Kärntner Herzog hier noch einmal herangezogen. So soll zum einen Siegfried von Mahrenberg der Unterhändler gewesen sein, der 1263 – dem gleichen Jahr wie die Erstellung der oben genannte Urkunde – die Ehe zwischen Ulrich III. von Kärnten und Gertruds Tochter Agnes arrangierte. Pferschy gründet diese Annahme darauf, dass sich Siegfried bereits am 18. Januar und im Laufe des Jahres noch mehrere Male unter den Zeugen der herzoglichen Urkunden befand.208 Weiterhin sieht Pferschy den Grund für die Hinrichtung Siegfrieds in dessen Beziehung zu den Spanheimern und konkret in seiner Unterstützung Philipps von Spanheim im Erbfolgestreit um das durch den Tod Ulrichs 1269 vakant gewordene Herzogtum Kärnten.209 Somit ist festzuhalten, dass die Darstellung der Reimchronik in großen Abschnitten von einem tragischen emplotment um Siegfried von Mahrenberg getragen ist, also von der Geschichte eines mehrfach zu Unrecht beschuldigten Mannes, seines grausamen Todes und schließlich der Rache seiner Verwandten. In der ersten Episode führt seine Verleumdung zu einem Aufstand gegen die ungarische Willkürherrschaft, der weite Teile des steirischen Adels mitreißt und bei dem der Mahrenberger selbst heldes werc (StR, V. 5596) im Kampf um seine Burg vollbringt. Die zweite Episode stellt hingegen dar,

 Urkunde Nr. 463 in: Urkundenbuch 2, Siegelurkunden, S. 330: Noscant igitur tam presentes quam futuri, quod nos Gerdrudis ducissa Stirie fideli ministeriali nostro Siurido de Merenberch concedimus per presentes, quatinus de omnibus proprietatibus et feodis ad ducatum Styrie pertinentibus, que a nobis possidet, ordinandi conferendi legandi prout saluti sue ac promotioni viderit expedire, liberam habeat facultatem. Für die Übersetzung danke ich Adrian Kammerer.  Vgl. Pferschy, Beurteilung, S. 369.  Vgl. Pferschy, Beurteilung, S. 369 mit Verweis auf Meier, Gertrud, S. 14 f. Die Urkunden vom 18.01. und u. a. 21.05. und 03.06.1263 siehe Nr. 91, 98, 100 u. 101 in: Urkundenbuch des Herzogtums Steiermark. Vierter Band. 1. Lieferung 1260–1265. Hrsg. von der Historischen Landeskommission für Steiermark. Unter der Leitung von Heinrich Appelt, mit Benützung der Vorarbeiten von dems. und Berthold Sutter. Bearb. von Gerhard Pferschy. Wien 1975, S. 58–64.  Vgl. Pferschy, Ottokar, S. 89 mit dem zusätzlichen Verweis auf das von Philipp von Spanheim im Kampf gegen Ottokar II um das Hztm. Kärnten eingegangene Bündnis mit den Ungarn. So auch zuletzt Dušan Kos: In Burg und Stadt. Spätmittelalterlicher Adel in Krain und Untersteiermark. Wien/München 2006 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. 45), S. 377 f. Siehe auch Pferschy, Beurteilung, S. 376 f.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

wie dieser von einem rachsüchtigen und despotischen Herrscher hingerichtet wird, wobei der böhmische König dem Mahrenberger indirekt manheit zuspricht, sodass er nicht im Kampf überwältigt, sondern hinterrücks gefangen genommen wird. Die Drastik der zweiten Episode ist zwar zuvörderst auf die bereits erwähnte Tötung Ottokars II. Přemysl zu beziehen und stellt durch das gemeinsame Motiv der jeweiligen Wehrlosigkeit auch eine Vorausdeutung dar. Viel eindrücklicher ist hingegen, dass die Reimchronik an keiner Stelle auf das enge Verhältnis zwischen Siegfried von Mahrenberg und Herzog Ulrich von Kärnten zu sprechen kommt, das sich aus einer beträchtlichen Anzahl von Urkunden ermitteln lässt. Eine solche Leerstelle kann in diesem Falle nur schwerlich interpretiert werden, jedoch ist es wichtig sie festzustellen, da sie als Vergleichsfolie für andere emplotments dienen kann, wie im Folgenden auszuführen ist. Auf mehreren Wegen findet sich hier nämlich eine Überleitung zum oben genannten steirisch-kärntnerischen Grafen Ulrich von Heunburg. Zum einen steht dieser in den genannten Urkunden Ulrichs von Kärnten stets vor Siegfried von Mahrenberg, zum anderen wird er nach dem Tod des Herzogs der zweite Ehemann von dessen Witwe Agnes, der Tochter von Gertrud von Baden-Österreich und Markgraf Hermann VI. von Baden. Somit stehen in den herzoglichen Urkunden die Namen zweier Männer nebeneinander, von denen der eine im gleichen Zeitraum ermordet wird, in dem der andere die Witwe des Herzogs zur Frau bekommt. Beide Ereignisse hängen mit den politischen Entwicklungen in Kärnten und der Steiermark zusammen, die den Aufstieg Ottokars II. Přemysl begleiten. Im Erzähltext der Reimchronik liegen sie hingegen über neuntausend Verse auseinander, was im Folgenden zu diskutieren ist.

II.2.9 Sozialer Aufstieg durch manheit und der fiktionale Referenzrahmen – Ulrich von Heunburg Mit einiger Wahrscheinlichkeit hat Ottokar aus der Gaal den Grafen Ulrich von Heunburg persönlich gekannt, was auf die regionale Vernetzung im sozialen Umfeld von Autor und Akteuren der Reimchronik zurückzuführen ist und sich auch aus der Diplomatik ergibt. Zwar findet sich keine Urkunde, in der Ulrich von Heunburg und Ottokar aus der Gaal gemeinsam genannt werden, jedoch sind einige Schriftstücke erhalten, in denen Ottokar als Zeuge in Urkunden der Liechtensteiner auftritt,210 die selbst wiederum häufig die Urkunden Ulrichs von Heunburg oder mit ihm gemeinsam die Urkunden anderer bezeugen.211 Zuletzt findet sich eine Urkunde aus dem Jahr 1318, in der Ottokar als Spruchmann und der Sohn Ulrichs, Graf Hermann von Heunburg, als Zeuge

 Vgl. Loehr, Reimchronist, S. 89 u. 120.  Vgl. Tangl, Grafen, S. 9, 24 u. 32.

II.2.9 Sozialer Aufstieg durch manheit und der fiktionale Referenzrahmen

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auftreten.212 Eine weitere Urkunde aus dem selben Jahr belegt, dass dieser Hermann gemeinsam mit Eckerlein aus der Gaal, dem Sohn Ottokars, als Bürge in einem Vertrag zwischen König Friedrich dem Schönen von Habsburg und dem Erzbischof von Salzburg aufgetreten ist.213 Des Weiteren ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich hinter dem am Schluss vieler Zeugenlisten stehenden et alii quam plures et cetera oder auch vnd ander frum leut214 kleinere Herren wie der Autor der Reimchronik verbergen.215 Die erste Erwähnung Ulrichs von Heunburg und seiner manheit in der Reimchronik erfolgt im Bericht über seine Eheschließung mit Agnes, der Tochter von Gertrud von Baden-Österreich und Witwe des Herzogs Ulrich von Kärnten. si [Agnes] nam darnâch ze wîbe die juncfrouwen minniclich von Kernden herzog Uolrîch. daz diu hôchzit geschach, der lenge mir daran verjach von Schrancpoum her Kuonrât, billich erz gemerket hât, wand er ist dô ritter worden: nâch rehter zal orden er zalt nâch Krists geburt gar zwelf hundert und driu und sehzic jâr. unlang er ir ze wîbe phlac, wand er schiere tôt gelac. darnâch man die frouwen swuor von Hiunburc grâf Uolrichen, [...]. (StR, V. 2656–2670)

An dieser Stelle werden in kurzer Folge drei Ereignisse geschildert, die in einem Abstand von acht beziehungsweise fünfzehn Jahren zu dem liegen, was die Reimchronik davor und danach berichtet. Von der Schilderung des Friedens von Ofen, 1254, und dessen Ratifikation im folgenden Jahr (StR, V. 2491–2587) leitet die Reimchronik über zu der im Frieden enthaltenen Abfindung Gertruds von Baden-Österreich (StR, V. 2588–2606)216 und dann unmittelbar zum obigen Zitat, der ersten Eheschließung von Agnes217 mit dem Herzog 1263, dessen Tod 1269 und der zweiten Eheschließung mit Ulrich von Heunburg 1270/71. Innerhalb weniger Verse macht die Reimchronik also einen zweifachen  Vgl. Loehr, Reimchronist, S. 129.  Vgl. Loehr, Reimchronist, S. 113; Tangl, Grafen, S. 128.  Etwa bei Tangl, Grafen, S. 94 u. 119 Siehe auch et alii quam plures fide digni, ebd., S. 15.  Zur Funktion und Bedeutung von Zeugenlisten siehe Harry Bresslau: Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien 1. Leipzig 1889, S. 790–818.  Zur Abfindung siehe Sutter, Steiermark, S. 117 f.; Meier, Gertrud, S. 12 f.  Obwohl später geboren, wird erst die Ehe der Tochter aus Gertruds dritter Ehe erwähnt (StR, V. 2635–2643), ehe die Reimchronik auf die Kinder mit Hermann von Baden zu sprechen kommt (StR, V. 2644–2655). Von ihrem Sohn Friedrich, der gemeinsam mit Konradin 1268 hingerichtet wurde, wird an dieser Stelle ebenfalls nichts berichtet.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Zeitsprung, womit eine erzählerische Strategie verfolgt wird, die die politischen Verbindungen des Herzogs von Kärnten und vor allem des Grafen von Heunburg zu Ottokar II. Přemysl verschleiern soll. Angesichts des großen Gewichts, das die Reimchronik auf Gertruds Schicksal und das ihrer Kinder legt und der häufigen Erwähnung Ulrichs von Kärnten erscheint es sonderbar, dass die erste Eheschließung von Agnes nicht mehr Aufmerksamkeit erfährt und mehr den Charakter einer nebensächlichen Erwähnung hat, denn eines ausführlichen Ereignisberichts. Darüber hinaus werden die Jahre zwischen 1261 und 1268 in der Reimchronik überhaupt übersprungen, also die Jahre der Machtkonsolidierung Ottokars II. Přemysl in der Steiermark.218 Jörg Hoensch verweist in seiner Biographie Ottokars II. Přemysl in diesem Zusammenhang auf dessen Mitwirkung am Zustandekommen der Hochzeit, sowie die Verhandlungen zwischen dem von Ottokar als capitanus Styrie eingesetzten Bischof Bruno von Olmütz und dem Kärntner Herzog.219 Viel auffälliger ist dagegen der zweite Zeitsprung zum Tod des Herzogs und der Neuvermählung seiner Witwe in den Jahren 1269–1271.220 Ersteres wird an der chronologisch entsprechenden Stelle nochmals erwähnt (StR, V. 10153 f.), hier allerdings eingebunden in die Streitigkeiten um die Nachfolge des Patriarchats von Aquileia, bei dem Ulrich von Kärnten für seinen Bruder Philipp geworben hatte.221 Mit dem kinderlosen Tod Herzog Ulrichs 1269 war das Herzogtum Kärnten zur Streitsache zwischen Philipp und Ottokar II. Přemysl geworden222 und die im Folgejahr geschlossene Ehe der reichen Herzogswitwe Agnes mit Graf Ulrich, dem Lehnsmann des verstorbenen Herzogs, lässt auf dessen Anhängerschaft zu Ottokar II. Přemysl oder auf dessen Bemühung schließen, den mächtigen Grafen für die Herrschaft in Kärnten und den Krieg gegen Philipp an sich zu binden.223 Zudem wurde Ulrich von Heunburg 1270 von Ottokar zum Landeshauptmann von Kärnten berufen, was als weiterer Hinweis für eine zumindest zeitweilige Allianz zu sehen ist.224 Denn auf der anderen Seite wurde Agnes dazu genötigt, große Teile ihres Besitzes, sowohl ihres Wittums als auch ihres mütterlichen Erbes, an Ottokar abzutreten. Auch der Anspruch auf den Titel des Herzogs von Österreich und Steiermark, den das babenbergische Erbe beinhaltete, gelangte durch die Ehe mit Ulrich in die Hände eines Mannes, der niemals mächtig genug sein würde, diesen Anspruch gegen den Böhmenkönig durchzusetzen. Die Continuatio Vindobonensis bezeichnet die Ehe zwischen Agnes und dem nicht einmal  Vgl. Hoensch, Přemysl Otakar II., S. 130–142, dessen Kapitel zu 1262–1265 „Ausbau der inneren Machtstellung“ lautet.  Vgl. Hoensch, Přemysl Otakar II., S. 138. Siehe auch Max Eisler: Geschichte Brunos von Schauenburg. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Mährens und Schlesiens 8 (1904), S. 239–295, hier S. 275.  Vgl. Tangl, Grafen, S. 19 f.  Siehe StR, V. 10121–10170.  Vgl. Sutter, Steiermark, S. 100.  Zur Beteiligung Ottokars II. Přemysl an der Hochzeit siehe die übernächste Anmerkung.  Vgl. Ogris, Beziehungen, S. 75.

II.2.9 Sozialer Aufstieg durch manheit und der fiktionale Referenzrahmen

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reichsunmittelbaren Grafen als eine „Erniedrigung des Geschlechts“225 (der Babenberger). Wie um dem zu widersprechen, charakterisiert der Erzähler der Reimchronik den Bräutigam, Ulrich von Heunburg, zunächst als Abkömmling seines tugendreichen Vaters: darnâch man die frouwen swuor von Hiunburc grâf Uolrichen, dâ was si wærlichen wol mit behalten. billich muoz er tugent walten: diu ist im von art geslaht, wande grâf Wilhalm braht sô hôhen lop in sîn grap, daz man im von rehte gap an miltikeit den prîs, und daz er menlich und wîs und gar getriwe wære, daz was von im ein mære. des genôz ouch billich sîn sun grâf Uolrich, der ouch in sîner jugent manheit unde tugent phlac und noch hiute phligt. (StR, V. 2670–2687)

Die art des Grafen Wilhalm von Heunburg vererbt sich, wie auch bei Gahmuret und Parzivâl, vom Vater auf den Sohn und besteht aus den Tugenden miltikeit beziehungsweise milte, manheit und wîsheit sowie triuwe. Bemerkenswert ist hier, dass sich ein Lob auf die milte Wilhalms von Heunburg auch in der Spruchdichtung Bruder Wernhers und dem Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein findet.226 Die manheit seines

 Item eodem anno [1270] dux Ulricus Karinthie in Sibidata obiit, ibidem sepultus. Et rex Othakarus de terra Karinthie se intromisit. Eodem anno illustris domina Agnes, pronepos incliti Leupoldi ducis Austriae, relicta Ulrici ducis Karinthie, ad generis depressionem ab Othokaro rege Bochemie cuidam comiti Ulrico, dictus de Hounburch, tradita est in uxorem. Continuatio Vindobonensis, S. 703. „Im selben Jahr starb Herzog Ulrich von Kärnten in Cividale und wurde dort begraben und König Ottokar übernahm das Land Kärnten. Im selben Jahr wurde die vornehme Herrin Agnes, Urenkelin des berühmten Herzog Leopold von Österreich, verlassen von Herzog Ulrich von Kärnten, zur Erniedrigung des Geschlechts von König Ottokar von Böhmen einem gewissen Grafen Ulrich, genannt von Heunburg, zur Frau gegeben.“ [Übers. E.F.] Siehe auch Tangl, Grafen, S. 19 f., dessen Deutung der „Äußerung, die ohne Zweifel allgemein bekannt wurde und beide Brautleute tief verletzen musste“ (S. 20), freilich methodisch überholt ist.  Vgl. Bumke, Mäzene, S. 270 f. Eine sprachliche Nähe der Reimchronik zu Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst ist der Formulierung von Heunenburc der milte man / der het ez vil ungerne lân, / er wær mit rittern ouch dar komen, Ulrich von Liechtenstein: Frauendienst. Hrsg. von Franz Viktor Spechtler. Göppingen 2003 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik. 485), V. 189,3–5 (ähnlich auch V. 251,6–8), jedoch nicht zu entnehmen. Gleiches gilt auch für den Sangspruch II.32 des Bruder Wernher: [...] got

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Sohnes wird dabei jedoch noch hervorgehoben, indem sie als eigentlicher Bestandteil des Tugendkatalogs separat und explizit genannt wird. Der Gegenwartsbezug betont manheit unde tugent des jungen Grafen noch weiter, da er nicht nur auf die langjährige Beständigkeit Ulrichs verweist, sondern auch der Erzähler durch seine Kenntnis derselben dafür bürgt.227 Wie oben erwähnt, ist Gahmuretes art und an geborniu manheit die Grundlage für Parzivâls kämpferische Fähigkeiten: der junge süeze âne bart, den twanc diu Gahmuretes art und an geborniu manheit, daz ors von rabbîne er reit mit volleclîcher hurte dar, er nam der vier nagele war. des wirtes ritter niht gesaz, al vallende er den acker maz. (Pz, V. 174,23–30)

Ottokar aus der Gaal hat Wolfram von Eschenbach nachweislich rezipiert.228 Die intertextuell hergestellte Parallele von Wilhalm und Ulrich von Heunburg und Gahmuret und Parzivâl evoziert den Eindruck, dass die manheit Ulrichs derjenigen Parzivâls entspricht, sodass die Zuschreibung von Ulrichs manheit durch den Erzähler der Reimchronik auf kämpferische Leistungen verweist. Die Zuschreibung von manheit, sei es durch die Erzählinstanz oder durch intradiegetische Stimmen, beruht immer auf der praktischen manheit des jeweiligen Akteurs. Vor diesem Hintergrund überschreitet der Sinngehalt einer Zuschreibung von manheit unde tugent eine pleonastisch wirkende Formelhaftigkeit und verweist auf konkrete kämpferische Handlungen, zumal die manheit hier gephlegt wird und wurde, was deutlich einen praktischen Bezug einbringt. Die Eignung Graf Ulrichs als Ehemann der Fürstin wird zunächst mit seiner tugent begründet, die sich ihrerseits aus der Tugend seines Vaters herleitet, der zwar durchaus menlich ist, wo diese Eigenschaft aber lediglich als Bestandteil eines Tugendkatalogs aufgezählt wird. Ulrichs damalige und fortwährende manheit unde tugent wird gesondert genannt und lässt eine konkrete Trennung von Handlungsräumen erkennen. Wenngleich manheit eine ritterlich-höfische Tugend wie die anderen ist, ist der Raum ihrer Ausführung doch nicht der Hof. Wie bei Iwein zu sehen war, spielt das Ansehen, das mit manheit einhergeht, am Hof eine bedeutende Rolle, insbesondere in der Eignung zum Ehemann. Der Beweis

miltern hêrren nie geschuof, / dan grâven Wilhalm von Hûnesburc (nach der normalisierten Fassung zitiert), siehe Bruder Wernher: Sangsprüche. Transliteriert, normalisiert, übersetzt und kommentiert von Ulrike Zuckschwerdt. Berlin/Boston 2014 (Hermaea. 134), S. 302–309, hier S. 303.  Am Rande ermöglicht dies einen Hinweis auf den Zeitraum der Abfassung dieses Abschnittes. Die Hochzeit Ulrichs von Heunburg mit Agnes datiert man auf das Jahr 1270, seinen Tod ferner zwischen 1307 und 1308 und somit kurz vor Ende des von der Reimchronik behandelten oder zumindest des von ihr überlieferten Zeitraums. Zum Tod Ulrichs von Heunburg vgl. Tangl, Grafen, S. 103.  Siehe StR, V. 45313–45327 u. V. 39190–39200.

II.2.9 Sozialer Aufstieg durch manheit und der fiktionale Referenzrahmen

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oder vielmehr das Erweisen von manheit vollzieht sich hingegen außerhalb des Hofes, auf Schlachtfeldern oder im Turnier, das gleichsam als Zwischenraum anzusetzen ist. Wenn nun Ulrich von Heunburg manheit attribuiert wird, lässt dies auf erfolgreiche kriegerische und kämpferische Handlungen schließen. So kann beispielsweise aus der anhand von Urkunden nachweisbar engen Beziehung zwischen dem Grafen und seinem Lehnsherrn, Herzog Ulrich III. von Kärnten, gefolgert werden, dass eine Beteiligung Ulrichs in der Schlacht von Kressenbrunn 1260 durchaus wahrscheinlich ist.229 In der Reimchronik heißt es entsprechend zur Teilnahme an der Schlacht von Kressenbrunn: im [Ottokar II. Přemysl] brâht ouch manigen wîgant / herzog Uolrich von Kerndenlant. (StR, V.6760 f.) Wie bereits erläutert, stellte die Schlacht von Kressenbrunn den Höhepunkt des Krieges zwischen Ottokar II. Přemysl und Béla IV. von Ungarn um das Herzogtum Steiermark dar, das durch den Frieden von Wien von 1261 an Ottokar fiel. Von den Kärntnern und Herzog Ulrich heißt es in der Reimchronik: ouch schuofz der Kernær herre so wol, daz man sin ere noch hiut darumbe prîsen sol. si nâmen ungefüegen zol von kunic Wêlâns gesinde. herzog Uolrich vaht swinde und her Philip sin bruoder. der Unger manic fuoder von in beiden wart erslagen. (StR, V. 7314–7322)

Graf Ulrich ist somit mit einiger Sicherheit zu den wigant von Kerndenlant und den kernær herren zu zählen und damit ebenso wie sein Herzog im Gefolge oder unter den Bundesgenossen Ottokars zu verorten. Es sei daher erneut auf die Gemeinsamkeiten zwischen der literarischen Figur des Iwein und der historischen Person Ulrichs von Heunburg, wie ihn die Steirische Reimchronik darstellt, hingewiesen. Hier wie dort wird die manheit des Bräutigams als der ausschlaggebende Faktor gekennzeichnet, um die Ehe zwischen einer höherstehenden Dame und einem ihr gesellschaftlich untergeordneten Mann zu legitimieren. Dieses Phänomen entspricht somit dem von Georges Duby herausgearbeiteten Lebensmodell der Jeunes230 und den Aufstiegsbestrebungen kleinerer Adliger, die Erich Köhler in der Folge als einen sozialgeschichtlichen Kern der höfischen Ritterliteratur beschrieben hat.231 Die Jeunes bilden in der adligen Welt den Gegensatz zu den Seniores, wobei sich Aspekte von Ehe und Herrschaft überschneiden, welche die Jeunes je-

 Vgl. Tangl, Grafen, S. 10 f.  Vgl. Georges Duby: Les ‚jeunes‘ dans la société aristocratique dans la France du Nord–Ouest au XIIe siècle. In: Ders.: Hommes et structures du moyen âge. Recueil d’articles. Paris 1984 (Le savoir historique. 1), S. 213–225, erstmals in: Annales. Economies, Sociétés, Civilisations 19,5 (1964), S. 835–846.  Vgl. Köhler, Betrachtungen, S. 61–76.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

weils anstreben und über die die Seniores bereits verfügen. Dies betrifft sowohl die Erben, die zu Lebzeiten des Vaters von der Herrschaft ausgeschlossen sind, wie die nachgeborenen Söhne, die von der Erbschaft ausgeschlossen sind, als auch niederadlige Herren. Die Dynamik der im Dienst eines Fürsten und/oder durch die Ehe mit einer reichen Erbin enthaltenen Aufstiegschancen können somit als grundlegende Mechanik sozialer Mobilität verstanden werden. Neben der Treue lag das Element des Dienstes für einen Herrn vornehmlich in militärischer Leistung und Leistungsbereitschaft, die sich im Mittelhochdeutschen als manheit niederschlägt.232 Ursula Peters hat den forschungsgeschichtlichen Weg, den sowohl Dubys Jeunes als auch Köhlers Niederadlige in der germanistischen beziehungsweise romanistischen und sozialgeschichtlichen Forschung gegangen sind, nachgezeichnet. Zurecht weist sie auf die begrenzte Tragweite hin, die den Jeunes als alleinigem Deutungsansatz in der literaturwissenschaftlichen Forschung zukommen, jedoch ist die situative Gültigkeit der zugrundeliegenden Dynamik nicht grundsätzlich abzustreiten.233 Zwar war Ulrich zum Zeitpunkt seiner Hochzeit mit Agnes alleiniger Graf von Heunburg, bis zum Tod seines älteren Bruders 1256 war er jedoch nur der Zweitgeborene gewesen.234 Jedenfalls bot der Krieg um die Steiermark dem kärntnerischen Grafen die Möglichkeit, durch manheit und triuwe seinem Herzog und dem böhmischen König seinen Wert zu beweisen und entsprechend belohnt zu werden. Wie es scheint, hat sich Ottokar II. Přemysl die Vermählung Ulrichs mit einer Fürstin teuer bezahlen lassen, da nicht nur die Braut auf ihr babenbergisches Erbe und das Wittum als Herzogin von Kärnten zugunsten des Böhmen verzichten musste, sondern auch Ulrich auf die Grafschaft Perneck in Österreich und die Stadt Drozendorf. Dies ergibt sich aus der Urkunde eines Abkommens vom 22. Oktober 1279 zwischen König Rudolf I. von Habsburg und dem Ehepaar Agnes und Ulrich von Heunburg.235 Nach dem Tod Ottokars II. in der Schlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen 1278 gegen König Rudolf I. und der Übernahme der Herzogtümer Österreich, Steiermark und

 Vgl. Peters, Rittertum, die vermehrt auf die Tapferkeit der Jeunes hinweist.  Vgl. Peters, Rittertum, S. 1–18 sowie Peters, Sozialgeschichte, S. 153–174.  Vgl. Tangl, Grafen, S. 2–7.  Der lateinische Text der Urkunde findet sich in: Philipp Jakob Lambacher: Oesterreichisches Interregnum oder Staatsgeschichte der Länder Oesterreich, Steyer, Krain, und der windischen Mark, von dem Todfalle Friederich des Streitbaren, letzten Herzogs von Oesterreich und Steyer des babenbergischen Geschlechts, bis auf die Einsetzung der neuen Herzoge des Durchläuchtigsten Hauses Habsburg mit Urkunden erwiesen und ausgeführet. Wien 1773, Anhang S. 173–180. Eine Übersetzung der Urkunde bei Tangl, Grafen, S. 30–34. Die Angabe zu den Verlusten des Ehepaares in der Urkunde S. 173 f., in der Übersetzung S. 31.

II.2.9 Sozialer Aufstieg durch manheit und der fiktionale Referenzrahmen

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Kärnten konnte das Brautpaar mit dem neuen Herren neu verhandeln, da die Zugeständnisse des vorherigen Vertrags mit Ottokar II. Přemysl ungültig seien, weil alles, was wir mit dem König von Böhmen verhandelt und in der vorerwähnten Angelegenheit abgeschlossen haben, uns durch seine gewaltthätige Schlechtigkeit und schreckenerregende Einschüchterung, welche ganz wohl auch Standhafte wankend und nachgiebig machen konnte, entpresst und abgenöthiget worden sei.236

Dieses Mal verzichtete Agnes zugunsten Rudolfs I. auf ihr babenbergisches Erbe237 und wurde gemeinsam mit ihrem Gatten umfangreich entschädigt:238 Die Summe der Entschädigung für den Verzicht auf die babenbergischen Güter betrug 6000 Mark Silber und belegt, was für eine ‚gute Partie‘ Agnes gewesen war, die der Graf durch seine manheit gemacht hatte. Vor dem Hintergrund sekundärer Quellen erscheint die Teilnahme Ulrichs von Heunburg an kriegerischen Handlungen im Vorfeld seiner Vermählung als wahrscheinlich. Damit findet sich hier erneut ein komplexer Fall von verschleiernder Sympathiesteuerung, insofern im Rahmen der Begründung für die Eheschließung Ulrichs Kooperation mit Ottokar II. Přemysl keine Rolle spielt. Vielmehr wird er auf der Grundlage der ihm attestierten manheit und in seiner Eigenschaft als Schwiegersohn der Babenbergerin Gertrud gelobt. Bezogen auf seine anhaltende manheit und tugent (StR, V. 2686) heißt es: dâvon dester ringer wigt die herzogin Gedrûten, si geb im [Ulrich] die trûten, ir tohter, ze wîbe. dô mohte sînem lîbe niht lieber geschehen sîn; daz nun ich ûf die triwe mîn, daz si wol an im gefuor. ez hienc gelîch an einer snuor ir beider herze und ir wille. (StR, V. 2688–2697)

 Quod quidquid cum Rege Boemiae tractavimus, vel contraximus in premissis, hoc totum a nobis extorsit eius improbitas violenta, et terribilis metus incussio nobis facta, qui merito cadere poterat in constantes. Lambacher, Interregnum, S. 174. Übers. Tangl, Grafen, S. 31.  Ego Agnes predicta praedicto Domino [Rudolf] cum humilitate debita supplicavi, ut jura mihi in praedictis terris competentia ex successione Progenitorum meorum, et maxime bonae memoriae quondam Friderici Ducis Austrie Propatrui mei, cujus bona et proprietates ad me spectare dicebam, recognosceret gratiose. Lambacher, Interregnum, S. 173. Siehe zur Übergabe des Erbanspruchs auch Dopsch, Grafen von Heunburg, S. 321f.  Der Hauptteil der hier genannten Urkunde handelt von der Verpfändung zahlreicher Güter an das Ehepaar für eine hier nicht genannte Summe, die sich aber aus der Rückzahlung als 6000 Mark Silber bestimmen lässt, welche Herzog Albrecht von Habsburg 1287 auszahlen ließ. Vgl. Tangl, Grafen, S. 48 f. Die Bestätigung der Zahlung von Ulrich von Heunburg in: Monumenta Augustae Domus Austriacae. Bd. 4.2. Hrsg. von Marquart Herrgott, Martin Gebert. Wien 1772, S. 101. Die Reimchronik zeigt sich an dieser Stelle gut informiert, denn sie berichtet, Ulrich von Heunburg besitze wol sehs tûsent marc / in sîner gewalt, / die im het gezalt / der herzoge Albreht / für sîner hûsfrouwen reht, / diu si ûf Stîre jach (StR, V. 55874–55879).

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Ursula Liebertz-Grün hat auf die Sympathie des Reimchronisten zur Babenbergerin Gertrud hingewiesen und damit sein Interesse an ihrem Schwiegersohn begründet.239 Gleichzeitig steht aber auch die Abneigung der Reimchronik gegenüber Ottokar II. Přemysl außer Frage,240 in dessen Dienst oder zu dessen Nutzen die Handlungen Ulrichs von Heunburg bis zu seiner Vermählung geschehen sind. Indem die Reimchronik diese Handlungen lediglich andeutet und die Eheschließung als den persönlichen Gewinn des Grafen, in einen zeitlich und thematisch von den politischen Umständen der Handlungen abgegrenzten Kontext der Darstellung einfügt, wird das Lob für Ulrich nicht durch die Kritik an Ottokar II. Přemysl überschattet. Vor diesem Hintergrund ist daher auch der Deutung von Heinz Dopsch zu widersprechen, dass die Reimchronik von der „Ehe der Kärntner Herzogswitwe und Babenberger-Enkelin Agnes als einer ausgesprochenen Mesalliance, zu der die Braut von König Ottokar gezwungen wurde“241 berichten würde. Vielmehr werden der kriegerische Tugendadel Ulrichs und der fürstliche Geburtsadel von Agnes als ebenbürtig und sich gegenseitig entsprechend herausgestellt.242 Somit verwundert auch die nächste Erwähnung Ulrichs von Heunburg in der Steirischen Reimchronik nicht, denn sie zeigt ihn erneut am Rande großer politischer Ereignisse, allerdings mit anderen, gleichsam unproblematischeren Bündnispartnern als in Kressenbrunn. Wie ein Großteil des übrigen Adels Österreichs, Kärntens und der Steiermark, kämpfte der Graf an der Seite König Rudolfs I. von Habsburg in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen 1278 gegen Ottokar II. Přemysl. In der Reimchronik erscheint er als erster namentlich genannter Gefolgsmann des römisch-deutschen Königs und führt dem Heer Rudolfs 200 Bewaffnete zu.243 Anhand der Urkunde Rudolfs I. ist zu sehen, worin dann auch hier der Lohn des Grafen bestand, den er durch den Dienst für Rudolf erwarb und der in dieser Bündniskonstellation von der Reimchronik auch ausgeführt wird: von den Kernæren: manigen satel læren sach man si und rûmen. an manheit sich niht sûmen von Hiunburc grâf Uolrich wolde, als er ouch billichen solde; wand daz er sî fruot, milt und menlich gemuot daz ist von arte im geslaht, wand ez sîn vater darzuo brâht, der tugentrîche grâf Wilhalm, [...]. (StR, V. 16323–16333)

 Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 116.  Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 115–122.  Dopsch, Grafen von Heunburg, S. 342.  Zu Tugendadel und Geburtsadel siehe Friedrich, Menschentier, S. 250.  StR, V. 15096–15101: von Hiunburc grâf Uolrich / dem kunic dient sô schône, / daz im sîn got lône: / er brâhte zuo dem her / dem kunige ze wer / werlicher liute wol zwei hundert.

II.2.9 Sozialer Aufstieg durch manheit und der fiktionale Referenzrahmen

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Wie schon zuvor mündet die Darstellung der Reimchronik in einem Lob des Vaters und vor allem dessen milte (StR, V. 16334–16349). Anschließend werden Ulrichs manheit und seine kämpferischen Handlungen direkt aufeinander bezogen, wobei der Erzähler mehrfach die Wahrhaftigkeit seiner Darstellung betont: milt und an manheit veste ist der sun [Ulrich] wol nâch im gerâten, als ich noch vernim und ouch von der wârheit weiz. manigen bluotvarben sweiz des tages er verrêrte, mit sîner hant er mêrte den vînden angest unde nôt. (StR, V. 16350–16357)

Zunächst ist hier die parallele Struktur zu beachten, die Ulrichs Erwähnung als zweiter Ehemann von Agnes und als Kämpfer für Rudolf von Habsburg miteinander verbindet. In beiden Episoden finden sich dieselben distinkten Elemente in derselben Reihenfolge. Auf eine allgemeine Zuschreibung von manheit folgt ein Lob der (implizit vererbten) Tugenden seines Vaters, eine erneute Bestätigung dieser manheit, eine Verbürgungsformel des Erzählers sowie eine Passage, in der das Vorherige in ein direktes oder indirektes Lob von Ulrich selbst überführt wird. In der ersten Passage mündet die Bekräftigung seiner manheit in der Zufriedenheit Gertruds mit ihrem Schwiegersohn und einer glücklichen Ehe. In der zuletzt zitierten Passage konkretisiert sich Ulrichs manheit in seinen kämpferischen Handlungen. Die parallele Struktur der beiden Episoden erlaubt es, die Konkretisierung, die Ulrichs manheit hier erfährt, auf die erste Episode zurück zu beziehen, sodass sich die Korrelation von manheit und Kampf auch dort erweist. Des Weiteren sind Ulrichs mit manheit attribuierten Handlungen durch das vergossene Blut deutlich als Gewaltausübung gekennzeichnet, wodurch auch die Korrelation von manheit und Gewalt einmal mehr offenbar wird. Die Erweckung von Angst und Not bei seinen Gegnern expliziert darüber hinaus auch die eine Hälfte der reziproken Struktur von manheit und Kampf, insofern die auch sonst häufig mit Kampf assoziierte nôt244 durch manheit zu bewältigen ist. Zusammenfassend stellt die Einbindung Ulrichs von Heunburg das Bindeglied eines emplotments dar, in dem eine ‚Tragödie‘ – im Sinne Hayden Whites – in eine ‚Romanze‘ überführt wird. Die Reimchronik lässt das traurige Schicksal der Babenbergerin Gertrud in der Heldengeschichte Rudolfs von Habsburg aufgehen, indem das Gertrud zugefügte Übel von Rudolf an ihrer Tochter wiedergutgemacht wird. Die Verschleierung der Kooperation Ulrichs mit Ottokar II. Přemysl führt weiterhin dazu, dass ersterer kaum Berührungspunkte mit dem antagonistischen Böhmenkönig hat und somit nicht von dessen Makel behaftet ist. Des Weiteren stellt die Einführung Ulrichs von Heunburg

 Vgl. Art. ‚not‘. In: Lexer, Sp. 103.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

den Auftakt zu einer weiteren Plotstruktur dar, die jedoch den Rahmen dieser Analyse verlässt und hier lediglich als Ausblick anzuführen ist: Als wesentlicher Akteur im Adelsaufstand des sogenannten ‚Landsberger Bunds‘ der Steiermark 1292 gegen den habsburgischen Herzog Albrecht I. von Österreich und Steiermark und die mit ihm verbündeten meinhardinischen Herzöge von Kärnten wird nun auch Ulrich von Heunburg als tragische Figur dargestellt. Wichtigster Verbündeter der Aufständischen war dabei der Erzbischof von Salzburg, was erneut die politischen Verflechtungen der Zeit und der Region verdeutlicht.245 Mit der Niederlage im Aufstand geht nicht nur Ulrichs Kapitulation und Gefangenschaft einher (StR, V. 63044–63090). In der Darstellung der Reimchronik koinzidiert beides mit dem Tod von Agnes. Im Kummer über den Tod seiner Frau kapituliert Ulrich und bittet den Herzog ihn aus der Gefangenschaft zu entlassen. Als gebrochener Mann kehrt er nach Hause zurück (StR, V. 63247–63302). der von Hiunburc warp an den herzogen, sît im got het enzogen sîner freuden wunne, sô sold er im gunne her wider heim ze varn: er wolt nû freude sparn und leben, als im wær geschehen: er wurde nimmer mêr ersehen in frôlichem muot, lîp unde guot daz müest im furbaz leiden. (StR, V. 63271–63282)

Damit wird der über fast zwei Drittel des Textvolumens gespannte Bogen des emplotments von Ulrich von Heunburg geschlossen, der mit der Hochzeit von Agnes eingeleitet wurde. Nur einmal noch taucht der Graf in der Reimchronik auf, als Ratgeber für Albrechts Sohn Herzog Rudolf III. von Österreich und Steiermark (StR, V. 78919–78935). Zuvor findet sich jedoch eine Passage in der Reimchronik, die nicht nur ihren erzählerischen Gestaltungswillen verdeutlicht, sondern auch die manheit eines Akteurs in besonderem Maße narrativ verhandelt. Jenseits des emplotments des ‚Österreichischen Interregnums‘ präsentiert die Steirische Reimchronik manheit in einem narrativen Rahmen, der sehr viel offensichtlicher an fiktionalisierenden Schemata partizipiert und somit als Scharnier zwischen der stark kontingenz- und komplexitätsreduzierenden höfischen Literatur und dem chronikalischen Erzählen in weiten Teilen der Reimchronik gelten kann. Diese ereignet sich im Kontext des gerade erwähnten Aufstandes des sogenannten ‚Landsberger Bunds‘ der Steiermark an dem Ulrich von Heunburg maßgeblich beteiligt war.

 Vgl. Wagner, Interregnum, S. 452–462.

Exkurs manheit zwischen fiktionalem Erzählschema und Geschichtsdeutung

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Exkurs manheit zwischen fiktionalem Erzählschema und Geschichtsdeutung – Wilhelm von Schärfenberg und der Zwerg Die kurze Episode um Wilhelm von Schärfenberg, die ich hier in einem Exkurs auseinandersetzen möchte, betrifft das Jahr 1293 und behandelt damit einen anderen Zeitraum und auch einen anderen narrativen Rahmen als das anfängliche emplotment der Steirischen Reimchronik um Ottokar II. Přemysl, dessen Ende in den nachfolgenden Kapiteln zu erörtern ist. Stattdessen fällt die Episode in die Regierungsjahre Albrechts von Habsburg, Rudolfs Sohn, der seit 1282 unter anderem Herzog von Österreich und der Steiermark war. Ein zentraler Akteur dieser Episode, der jedoch bemerkenswerterweise selten in Erscheinung tritt, ist Graf Ulrich von Heunburg, weshalb ich die folgenden Ausführungen an dieser Stelle einfügen möchte, bevor die Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen und das Ende Ottokars II. Přemysl behandelt wird. Die Episode um Wilhelm von Schärfenberg setzt sich aus zwei getrennten Abschnitten zusammen, die jedoch deutlich aufeinander bezogen sind. Der erste Abschnitt beinhaltet die Schlacht auf dem Wallersberg 1293, in der Nähe der Burg Griffen, welche das endgültige Ende des Aufstandes des Landsberger Bundes mit sich brachte. Der Landsberger Bund war ein Zusammenschluss einiger steirischer und kärntnerischer Adliger (u. a. Ulrich von Heunburg), die sich mit Unterstützung Herzog Ottos von Niederbayern und des Salzburger Erzbischofs gegen den österreichisch-steirischen Herzog Albrecht I. von Habsburg und seinen Verbündeten Herzog Meinhard von Kärnten auflehnten.246 Der zweite Abschnitt ist der Bericht einer sagenhaften Begegnung Wilhelms von Schärfenberg mit einem Zwerg.247 Es ist das einzige Mal im weitreichenden Erzählgefüge der Reimchronik, dass diese anderweltliche Phänomene beschreibt und sich mit dem Auftreten des Zwerges an einem Figureninventar bedient, wie es aus fiktionalen Erzählgattungen bekannt ist.

 Vgl. Sutter, Steiermark, S. 131 f. Den nach wie vor ausführlichsten Überblick über den Landsberger Bund gibt Alfons Dopsch: Ein antihabsburgischer Fürstenbund im Jahre 1292. In: Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 22 (1901), S. 600–638, zur Schlacht auf dem Wallersberg sagt Dopsch hingegen nichts, da diese nicht mehr 1292 stattfand und auch lediglich als Ausläufer des Aufstandes aufzufassen ist. Eine Beschreibung des Schlachtgeschehens findet sich bei Tangl, Grafen, S. 84 f. die sich jedoch im Wesentlichen auf den Text der Reimchronik stützt. Obwohl Tangl methodisch überholt ist, ist der Wert seiner Urkundenkenntnis dennoch groß, da sich anhand dieser etwa belegen lässt, wann sich Ulrich von Heunburg in Griffen aufhielt, ebd., S. 83 u. 91 f. Oberflächlich zum Aufstand auch Krieger, Habsburger, S. 80. Siehe auch Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 28, 122 u. 135 f. zur Darstellung des Aufstandes in der Reimchronik.  Diese Erzählung findet sich auch in den Deutschen Sagen der Gebrüder Grimm von 1816, wo als Quelle die erste Ausgabe des Texts der Steirischen Reimchronik von Hieronymus Pez angegeben wird, siehe Deutsche Sagen. Hrsg. von den Brüdern Grimm. Berlin 1816, S. 34–38. Interessanterweise findet sich in Franz Pehr: Kärntner Sagen. Klagenfurt 1913, S. 79 eine Version, in der statt des Zwerges eine Jungfrau erscheint.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Als einer der letzten verbleibenden Aufständischen des Landsberger Bundes verschanzte sich Ulrich von Heunburg in der Burg Griffen (StR, V. 58065–58095), um Verstärkung abzuwarten und den Kampf gegen den Marschall Meinhards, Heinrich Tolde, fortsetzen zu können: swie gerne im der ellensrîch, von Hiunburc grâve Uolrich, mit manlichen siten hete widerriten, do vermohte sîn niht der reine, wand er der liute het ze kleine. (StR, V. 61765–61770)

Dies ist die letzte Erwähnung Ulrichs von Heunburg bis zum Ende der Episode. Zu beachten ist jedoch, dass hier sowohl dessen kämpferische manheit hervorgehoben wird als auch ein Grund genannt wird, warum er trotz dieser manheit nicht kämpft. In einer subtilen Form verschleiernder Sympathiesteuerung verlässt Ulrich damit die Bühne des Geschehens, wand er der liute het ze kleine (StR, V. 61770), während bis dahin seine Handlungen im Rahmen des Aufstandes durchaus berichtet wurden.248 Zu den mit Geld und Versprechungen angeworbenen Unterstützern gehört nämlich auch Wilhelm von Schärfenberg, der eigentlich ein Lehnsmann Herzog Meinhards ist und von diesem als sîn selbes kinde (StR, V. 61836) behandelt und reich beschenkt worden war.249 Die Reimchronik hält sich mit ihrem Urteil über die Untreue des Schärfenbergers nicht zurück: ach des lasters und der scham, daz er ê niht urloup nam von den herzogen hêr, daz was ein grôz unêr. (StR, V. 61839–61842)

Stellvertretend für Ulrich von Heunburg tritt Wilhelm von Schärfenberg im Folgenden nicht nur in die Rolle des Hauptakteurs auf der heunburgischen Seite des Konflikts, sondern auch in die des Befehlshabers der heunburgischen Kämpfer. Vor diesem Hintergrund rücken die narrativen Schemata des zweitens Abschnitts der Episode um Wilhelm von Schärfenberg besonders in den Vordergrund, da sie maßgeblich zu seiner Charakterisierung beitragen und auf dessen Handlungen als wichtigster Akteur seiner Partei rückbezogen werden können. Dies erhärtet sich auch durch die Überleitung des ersten zum zweiten Abschnitt. In der Schlacht auf dem Wallersberg tödlich verwundet, überreicht er seinem siegreichen Gegner, einem Konrad von Auffenstein, ein vingerlîn:

 Siehe StR, V. 60575–60823.  StR, V. 61799–61842.

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‚von Oufenstein friunt mîn, nemt ditze vingerlîn, des darf iuch nimmer geriwen, wand habt daz ûf mînen triwen, die wîl ez ist in iur gewalt, rîchtuomes manicvalt, darzuo werltlicher êre zerint iu nimmer mêre.‘ (StR, V. 62350–62357)

Die Erzählung, wie Wilhelm zu diesem Ring gekommen ist, stellt den zweiten Abschnitt der Episode dar und führt, wie bereits angedeutet, in einen durch Märchenschemata fiktionalisierten Erzählraum. Gleich zu Anfang dieses Abschnittes stellt die Reimchronik einen Bezug zwischen dem Ring und dem Ausgang der Schlacht her und betont damit auch den Zusammenhang der beiden Teilepisoden noch einmal: swaz ez [das vingerlîn] halt ander tugent hât daz ist mir ein fremdez mære: ez was ie niht sigebære, daz schein dâ wol des tags: weder stichs noch slags ez in leider nie gewac. (StR, V. 62525–62530)

Vor allem sind die beiden Episoden jedoch intensiv durch das Thema manheit versus zageheit miteinander verknüpft. Das Gefecht auf dem Wallersberg zwischen den Heunburger Kämpfern, allen voran Wilhelm von Schärfenberg, und den Gefolgsleuten Herzog Meinhards unter der Führung von Heinrich Tolde und dem besagten Konrad von Auffenstein beginnt mit dem Auszug der Ersteren aus der Burg Griffen (StR, V. 61934–61978). Bereits hier zeigt sich Wilhelms Unstern, wan daz er der platten hete niht (StR, V. 61946)250 und damit ungenügend gerüstet ist, sich aber dennoch am Kampf beteiligt. Das Ausmaß seiner Wunden zeigt dabei, dass er sich auch nicht zurückgehalten hat, wobei die fehlende Rüstung wohlmöglich eine Vorausdeutung auf die Art seiner Verwundung beinhaltet:251

 Unter platten ist hier kein voller Plattenpanzer zu verstehen, sondern ein Plattenrock, bei dem einzelne Eisenplatten auf einem Stück Stoff oder Leder angebracht werden, das über dem Torso getragen wird. Eine bildliche Darstellung dieser frühen Vorstufe des Brustharnischs findet sich an der Skulptur des Hl. Mauritius im Dom St. Mauritius von Magdeburg.  Zum narratologischen Potential von Rüstungen und Rüstungsteilen siehe Pia Selmayr: Die Rüstung des Helden. Gattungsinterferenzen zwischen aventürehafter Dietrichepik und spätem Artusroman. In: Gattungsinterferenzen. Der Artusroman im Dialog. Hrsg. von Cora Dietl [u. a.]. Berlin 2016 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. 11), S. 57–78.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

ligent man den [Scherfenbergær] vant niderhartes in dem sant: durch in gestochen was ein sper, darzuo het er siben wunden in ein bein. (StR, V. 62336–62340)

Wenngleich die Benennung der Wunden auf die Körperlichkeit des Kampfes verweist,252 wird in der Reimchronik keine aktive Kampfhandlung des Schärfenbergers geschildert, sodass die Frage nach seiner manheit hier zunächst offenbleiben muss. Sie ist das Thema der zweiten Teilepisode. Die ausführlichen Schlachtreden Heinrich Toldes und Konrads von Auffenstein bilden den Auftakt der Schlacht bei der anderen Partei (StR, V. 62008–62074). Die erste Rede fordert die Kämpfer auf, im Kampf menlich (StR, V. 62017) zu handeln, damit sie den Lohn Herzog Meinhards und die Anerkennung ihrer Damen erlangen. Letzteres greift auch die zweite Rede auf und führt es auf die bereits zitierte Formel: ‚[...] wir suln hiut alsô varn und solhez vehten lâzen schouwen, daz sich dâ heime von den frouwen kriege hebent umb die man, welher daz beste hab getân.‘ (StR, V. 62066–62070)253

Auch ohne die Verwendung des Wortes ist kämpferische Leistung als Kernelement von praktischer manheit klar das Thema dieser Rede. Zudem verweisen beide Reden auf eine in der Vergangenheit geschehene zegeliche tât (StR, V. 62026), die es nun wiedergutzumachen gilt, wobei hier dem Auffensteiner auch eine deutliche Hofkritik an ‚verweichlichter‘ Prunksucht in den Mund gelegt wird, der sich die angesprochenen Kämpfer vormals schuldig gemacht hätten.254 Doch auch die Frage nach Recht und Gottgefälligkeit der beiden Parteien wird szenisch aufgegriffen. Heinrich Tolde hört einen gegnerischen Kämpfer, daz er unser frouwen bat, / daz siz an der stat / an daz reht setzen solde (StR, V. 62093–62095) und antwortet: ‚[...] ob ez an daz reht got hiute hie sezt, sô werdet ir gelezt, wande ir ze diser zît

 Vgl. MacInnes, ‚one man slashes‘, S. 61–78.  Zum Kontext weiblicher Valorisierung von Kampf und Gewalt siehe Kapitel I.1.  StR, V. 62054–62065. Auf ein ähnliches Motiv der Hofkritik verweist auch Stephen Jaeger, Entstehung, S. 242–264 bei klerikalen Hofkritikern wie Siegfried von Gorze oder Saxo Grammaticus. Zum Zusammenhang von effeminiertem Rüstungsprunk und Feigheit siehe auch Stiebritz-Banischewski, Hofkritik, S. 204–206.

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wider iurn rehten herren sît und habt iur zuht an im zebroche daz wirt an iu gerochen noch hiut an disem tac mit manigem herten slac.‘ (StR, V. 62100–62108)

Im Vorhinein wird somit die Gewalt der einen Seite durch den Treuebruch an Herzog Meinhard rechtlich legitimiert und als gottgefällig dargestellt. Wie Ursula LiebertzGrün dargelegt hat, steht die Reimchronik dem Aufstand von 1292 nicht vollkommen kritisch gegenüber, da sich die Aufständischen durchaus im Recht befanden.255 Dies erstreckt sich jedoch nur bedingt auf die Bemühungen Ulrichs von Heunburg, die im Hinblick auf ihr letztendliches Scheitern in der Reimchronik bedauert werden. Anders als in den bisher behandelten Kämpfen ist hier nicht nur die Frage des Rechts ambig. Die Reimchronik lässt auch kaum eine klare Bevorzugung der einen oder anderen Partei erkennen, da auf beiden Seiten Angehörige des regionalen Adels kämpfen: Nach einem ersten Aufeinandertreffen der gegnerischen Parteien, bei dem sich die scharn der berittenen Kämpfer gegenseitig durchbrechen, kehren und erneut angreifen (StR, V. 62121–62146), zeigt sich, dass die vorangegangenen Reden nur mäßigen Erfolg aufweisen. Einer der Ritter der herzoglichen Partei was der fluht niht frî (StR, V. 62159), da ihn die zagheit het getriben (StR, V. 62162), obwohl man des want, er wær des lîbes ein wigant. (StR, V. 62158), er also allem Anschein nach die körperlichen Anlagen zum Kampf besitzt. Des Weiteren verfügt er über ein starkez grôzez ros (StR, V. 62212) und ist mit einer brunne wîz (StR, V. 62224) und einem verzimiertem helm (StR, V. 62226), also mit prunkvoller Rüstung ausgestattet.256 In einer Rede greift dieser Ritter die Motive der Motivation aus den vorangegangenen Schlachtreden auf und entkräftet sie, wobei seine Überzeugung ist, dass die Schlacht nicht zu gewinnen sei (StR, V. 62168 f.). Das Streben Heinrich Toldes nach den roten Mündern der Damen sei aufgrund seines fortgeschrittenen Alters unangemessen und auch der Lohn Herzog Meinhards käme daher vor allem den Kindern Heinrichs zu Gute (StR, V. 62172–62193). Auch die in der Rede des Auffensteiners enthaltene Drohung, er werde jeden, der nicht tüchtig kämpft, vor dessen amie zur Rede stellen (StR, V. 62054–62065), weist der fliehende Ritter von sich: ‚unde welch ein mære seit uns der Oufensteinære! swer sich hie niht lâz bern, den wil er behern dâheim vor sîner frouwen: mich mac diu mîne schouwen

 Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 135.  Vgl. zur Verbindung von Hofkritik und Rüstungsprunk Stiebritz-Banischewski, Hofkritik, S. 204–206.

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und triuten lieber gesunden denn salben harte wunden.‘ (StR, V. 62201–62208)

Damit wird einer Spirale von Kampf und Ehrgewinn hier eine deutliche Absage erteilt, insofern der durch die harten wunden ausgedrückten Todesnähe des Kämpfens ein angenehmes Leben vorgezogen wird. Indirekt bewahrheitet sich jedoch auch das hofkritische Element der Rede des Auffensteiners sowie dessen implizite Drohung, da der Fliehende zwar über ein kostbares Pferd und glänzende Waffen verfügt, es ihm jedoch offenbar an manheit und Kampfbereitschaft fehlt. nû het sich gefuoget daz, daz ein ritter manheit vol, hiez her Fridrich der Kanol, zuo dem strît wold îlen, und an den selben wîlen, dô im her was gâch, den fluhtigen er ersach. (StR, V. 62214–62220)

Der zagheit des fluhtigen wird so die manheit eines anderen Ritters entgegengestellt, und obwohl dieser nur zwei weitere Kämpfer (zwêne knehte, StR. V. 62241) bei sich hat, kämpft er gegen den Fliehenden und dessen drei knehte. Der Text der Reimchronik macht keine eindeutige Aussage, zu welcher Partei Friedrich der Kanol gehören soll, sodass unklar bleibt, ob Friedrich den anderen angreift, weil dieser flieht oder weil er zur gegnerischen Partei gehört: dô diser guote ritter kôs, daz jener was fluhtic, er sprach: ‚sô muoz ouch ich den sic an iu hie bejagen.‘ (StR, V. 62234–62237)

In der mehrfachen Wiederholung der ungleichen Anzahl an Kämpfern betont die Reimchronik die Unterzahl Friedrichs und damit dessen kämpferische Leistung: hie wâren drî wider viere, wande diser ritter ziere niht wan zwêne knehte hâte: mit den überwant er drâte den hern und die kneht drî. der zagheit frî âne verchwunden hete überwunden selp dritte dise viere. (StR, V. 62239–62247)

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Während Friedrich der Kanol seinen êrbæren gewin (StR, V. 62250), den gefangenen Fliehenden, zurück auf das Schlachtfeld führt, wird dessen Schande ersichtlich, wobei hier wohl nicht nur von einem Verlust symbolischen Kapitals zu sprechen wäre, sondern von Negativkapital, da sich das Wissen um seine Niederlage gesellschaftlich verbreitet (StR, V. 62251–62255). Das Bemühen gegnerische Kämpfer und Fliehende gefangen zu nehmen wurde bereits als wesentliche Motivation für das Kämpfen in mittelalterlichen Schlachten ausgewiesen und kennzeichnet hier auch das Handeln der übrigen Teilnehmer der Schlacht (StR, V. 62256–62281), sodass die kurze Episode zwischen dem Fliehenden und Friedrich von Kanol (sollten diese denn gegnerischen Parteien angehören, was ich für wahrscheinlicher halte) pars pro toto für eine Reihe von Ereignissen gesehen werden kann. Neben dem Gewinn an ökonomischem und symbolischem Kapital einer Gefangennahme findet sich hier jedoch auch eine taktische Implikation. So bestehen mittelalterliche Heere aus den Gefolgsleuten einzelner Herren, sodass bisweilen – ebenfalls pars pro toto – der Name eines Adligen für eine schar von Kämpfern steht, und da der Sieg in der Schlacht häufig durch den Tod oder die Gefangennahme des Anführers zustande kam, konnte es taktisches Gewicht haben, gezielt gegnerische Hauptleute zu suchen und gefangen zu nehmen. So werden in der Erzählung der Reimchronik gegen Ende der Schlacht die gegnerischen Anführer Wilhelm von Schärfenberg und von Wîzenecke her Fridrich gesucht. Die Gefangenahme des letzteren, der vil sêre seinen lîp und seine êre (StR, V. 62306 f.) verteidigt, ist hier besonders vor der Folie des AscalônKampfes in Hartmanns Iwein zu betrachten, in dem ebenfalls eine Gefangenahme oder das ‚Sicherheit leisten‘ verweigert wird.257 der Oufensteinær zehant bî dem wâpenrock erkant von Wizenecke hern Fridrich. er riet im guotlich, daz er im gæbe daz swert; des verzêch in der helt wert unde volgt dô niht der bet; unz erz nâch grôzem schaden tet. ein kneht in sînem zorn, was von der Etsch geborn unde hiez der Hackære, rand an den Wîzeneckære und brach im den helm ab, mit dem swert er im gap durch die beckelhûben einen slac, daz er darnider gelac und daz daz heize bluot

 Siehe Kap. II.1.2.

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durch die beckelhûben wuot. allerêrst er gert, daz man næm sîn swert unde daz man in liez leben. (StR, V. 62308–62328)

Der sprechende Name des Hackære könnte hier auch als ein Fiktionssignal aufgefasst werden, was mit einem nicht vollkommen unproblematischen Hergang zusammenhängt, da die zentrale Handlung eine große Gewalttat darstellt, die auf diese Weise einem letztlich namenlosen Akteur zugeschrieben wird. Dennoch lässt dieser Abschnitt die legitimierenden Aspekte einer Gewaltdynamik des Kampfes erkennen. Nach den inhärenten Regeln des Kampfes setzt sich die Gewaltausübung so lange fort, bis eine Partei nicht mehr Willens oder fähig ist den Kampf fortzusetzen. Die Gewalt erscheint also insofern legitimiert, als der Weizenecker sie freiwillig auf sich nimmt und sich der Konsequenzen eines fortgesetzten Kampfes bewusst ist. Dies bestätigt dann auch der Auffensteiner: ‚nû woldet ir iuch niht ergeben / [...] die wîle man iuch sach / des lîbes gesunden.‘ (StR, V. 62329–62332). Später berichtet die Reimchronik, dass Friedrich von Weizeneck nach sieben Tagen an seinen Wunden gestorben ist (StR, V. 62505–62509). Im Anschluss an die erzwungene Kapitulation des Weizeneckers erfolgt die Auffindung des tödlich verwunderten Schärfenbergers und die Übergabe des Ringes. Sodann reicht die Reimchronik eine Erzählung nach, wie Wilhelm von Schärfenberg zu diesem Ring gekommen ist, der seinem Träger zu Glück und Wohlstand verhelfen soll. Durch die enge Verknüpfung des Schlachtgeschehens mit der RingErzählung sind auch die in ersteres integrierten Erzählelemente, wie die Schlachtreden und die Antwort des fliehenden Ritters sowie dessen Begegnung mit Friedrich dem Kanol und die Kapitulation Friedrichs von Weizeneck auf den Gehalt der RingErzählung zu beziehen, da sie jeweils unterschiedliche Handlungsweisen beschreiben, die auf die Bedingungen der Teilhabe am Kampfgeschehen hinweisen. In der Ring-Erzählung wird Wilhelm von Schärfenberg eines Tages von einem prächtig gekleideten und geschmückten getwerc aufgesucht, das ihn bittet für ihn als Stellvertreter zu kämpfen. Der Grund, weshalb die Wahl des Zwergenkönigs auf Wilhelm von Schärfenberg fällt, ist dessen diskursive, also zugesprochene manheit, die hier – wie im Iwein – als Grundlage einer möglichen weiteren Akkumulation von ökonomischem und symbolischem Kapital erscheint: [das getwerc] sprach: ‚daz ich dich erkenne und mit namen hie nenne, daz ensol dir niht wesen leit. ich suoche dîn manheit. mir ist sô vil geseit von dîner werdikeit, daz ich suoch dîn triwe.‘ (StR, V. 62564–62570)

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manheit steht hier zwar an erster Stelle, was aufgrund der Anforderung zum Kampf auch nicht verwundert, aber werdikeit und triwe (triuwe) sind ebenso gefordert, was insofern bedeutsam ist, als Wilhelm sein Versprechen bricht und dem Zwerg nicht beisteht. Zunächst erklärt sich Wilhelm jedoch bereit, wobei auch er sich auf seine manheit beruft: ‚sît ir mir sô wol getrût unde ûf mîn manheit bût, sô sî iu daz geseit, daz ich benamen wil bereit ziwerm dienste sîn. ob ich daz leben mîn behalte unzen dar, swie ich halt gevar, daz wirt alles gewâgt.‘ (StR, V. 62624–62632)

Als Zeichen der Vereinbarung überreicht der Zwerg ihm den Ring, der ihn reich machen soll, solange er lebt (StR, V. 72671–62681). Gleichzeitig wird die Vereinbarung von einem Tabu begleitet, da Wilhelm niemandem von der Abmachung mit dem Zwerg erzählen darf, vor allem nicht seiner Frau (StR, V. 62664–62670), wodurch die Erzählung nicht nur in die Nähe des Erzählschemas der gestörten Mahrtenehe rückt, sondern auch Bezüge zum Iwein aufweist.258 Der Schema-gemäße Tabubruch stellt sich

 Die Forschungsliteratur zum Tabu und zu von Tabus bestimmten Erzählschemata wie der gestörten Mahrtenehe ist überaus umfangreich, sodass hier nur auf zwei jüngere Sammelbände verwiesen sei: Alexander Dingeldein, Matthias Emrich (Hrsg.): Texte und Tabu: zur Kultur von Verbot und Übertretung von der Spätantike bis zur Gegenwart. Bielefeld 2015 (Mainzer historische Kulturwissenschaften. 21) und Martin Baisch, Elke Koch (Hrsg.): Neugier und Tabu. Regeln und Mythen des Wissens. Freiburg 2010 (Rombach-Wissenschaften. Reihe Scenae 12). Bei letzterem siehe v. a. den Aufsatz von Ingrid Kasten: Tabu und Lust. Zur Verserzählung ‚Der Ritter von Staufenberg‘. In: Ebd. S. 235–252, zum Begriff des Tabus bes. S. 236: „In der Forschung hat es sich eingebürgert, das Seh- oder auch Sprechverbot in den mittelalterlichen Erzählungen als ‚Tabu‘ zu bezeichnen.“ Zur gestörten Mahrtenehe siehe ebd., S. 239 f. u. außerdem Christoph Huber: Mythisches erzählen. Narration und Rationalisierung im Schema der ‚gestörten Martenehe‘ (besonders im ‚Ritter von Staufenberg‘ und bei Walter Map). In: Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform in Mittelalter und früher Neuzeit. Hrsg. von Udo Friedrich, Bruno Quast. Berlin 2004 (Trends in Medieval Philology. 2), S. 247–273, zum „notwendigen Bruch des Tabus“ bes. S. 252; sowie die Untersuchung zu Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur in Armin Schulz: Poetiken des Hybriden. Schema, Variation und intertextuelle Kombinatorik in der Minne- und Aventiureepik: Willehalm von Orlens, Partonopier und Meliur, Wilhelm von Österreich, Die schöne Magelone. Berlin 2000 (Philologische Studien und Quellen. 161), S. 82–120. Der Bezug zum Iwein findet sich vor allem im Ring als Zeichen einer Vereinbarung, die gebrochen wird. Siehe zum Iwein und dem Schema der ‚gestörten Mahrtenehe‘ Schulz, Erzähltheorie, S. 278 sowie Simon, Einführung, S. 49–54.

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dann auch folgerichtig ein,259 da Wilhelm seinem Beichtvater von der Abmachung erzählt, der wiederum von Wilhelms Ehefrau und ihren Freunden genötigt wird, das Geheimnis preiszugeben, worauf Frau und Freunde begunden [...] swachen / den fürsaz, den er het (StR, V. 62815 f.). Schließlich gibt Wilhelm widerwillig nach: daz er belîben wolde, des wart er überret mit vil grôzer bet. doch was er unfrô. (StR, V. 62869–62872)

Das mythisch-finale Erzählschema des unheilbringenden Tabubruchs wird hier insofern kausal untermauert, als Wilhelms Wortbruch gegenüber dem Zwerg eine Folge der Überredung durch seine Frau ist, welche wiederum als Konsequenz des Tabubruchs (Beichte) zu betrachten ist. Diese Kausalitätskette wird mit einiger Ausführlichkeit geschildert, was sich auch auf die Charakterisierung der manheit Wilhelms von Schärfenberg auswirkt. Auf der einen Seite fällt seiner Frau und den Menschen in seiner Umgebung auf, dass er sich blûclich (StR, V. 62698) verhält und den Grund dafür verschweigt. Auf der anderen Seite bereitet er sich allem Anschein nach auf den Kampf vor, indem er sein Pferd besonders pflegen lässt und seine Rüstung vorbereitet (StR, V. 62706–62712). Als letzter Schritt einer Vorbereitung auf den Kampf ist dann auch das Ablegen der Beichte und das Empfangen der Hostie zu verstehen, wie es auch bei größeren Schlachten üblich war.260 Dies lässt auf eine Kampfbereitschaft schließen, die durchaus der ihm attribuierten manheit entspricht. Ausführlich werden dagegen die drastischen Methoden geschildert, mit denen die Ehefrau und ihre friunt den Bruch des Beichtgeheimnisses forcieren, indem sie, nach gescheiterten Bitten, dem Priester gleich mehrere Messer an den Hals setzen (StR, V. 62725–62799). Sorgfältig und nicht ohne misogyne Untertöne wird so der Vertragsbruch Wilhelms vorbereitet und das final motivierte Tabu-Schema durch die Handlungen der Ehefrau kausal eingeholt.261 Dazu gehört auch die Argumentationsstruktur, durch die Wilhelm schließlich überzeugt wird und die wenig stichhaltig wirkt, da jedes Argument der Frau durch die Aussagen des Zwerges entkräftet werden kann. Dass dieser ein geist oder ein betroc (StR, V. 62834) sei, kann Wilhelm noch mit einem Verweis

 Auf die Zwangsläufigkeit des Tabubruchs im Märchen verweist auch Uta Miersch: Verbot und Tabu im Märchen. In: Texte und Tabu: zur Kultur von Verbot und Übertretung von der Spätantike bis zur Gegenwart. Hrsg. von Alexander Dingeldein, Matthias Emrich. Bielefeld 2015 (Mainzer historische Kulturwissenschaften. 21), S. 105–121, hier S. 106 f.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 64 f. u. Strickland, War and Chivalry, S. 58–68 mit zahlreichen Beispielen.  Die Misogynie dieser Szene sehe ich vor allem darin, dass die Schilderung der Maßnahmen der Ehefrau sie deutlich als Antagonistin der Szene zeigt.

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auf das Glaubensbekenntnis des Zwerges262 (StR, V. 62636–62645) zurückweisen: ‚er hât mir vor genant, / waz guot ist an dem gelouben‘ (StR, V. 62837 f.). Dass es, wie die Frau meint, ein grôz mein und ein itwîz grôz (StR, V. 62851 f.) sei, wenn er Leib und Ehre verlöre, ohne dass jemand bei ihm wäre, kann durch den Wunsch des Zwerges einen Knappen mitzubringen, verneint werden (StR, V. 62662). Zudem bietet der Zwerg Wilhelm einen Gürtel an, mit dem er den Kampf mit Leichtigkeit gewinnen könnte: ‚unde wizz, helt guot, mit einem gurtel sô guot zder zît ich dich bewar, den er bringet dar, ob er zweinzic manne sterke phlæge, daz im daz niht gen dir wæge, dû werdest an im sigehaft. bist ot alsô manhaft, als man von dir giht, sô misselingt dir niht.‘ (StR, V. 62612–62621)

So ist dann das letzte Argument der Ehefrau, wurdet ir ouch dâ erslagen, / sô wær diu sêle verlorn (StR, V. 62859 f.) nicht wirklich nachvollziehbar, zeitigt jedoch anscheinend Erfolg, denn Wilhelm antwortet: ‚ach daz ich ie wart geborn! / nû muoz ich belîben!‘ (StR, V. 62861 f.), wobei er auch die Konsequenzen seines Handelns bedenkt: ‚ditz ist mîner êren slac / und aller der sælden, der ich phlac / und die ich fürbaz haben solde!‘ (StR, V. 62866–62868), was sich neben einer allgemeinen Klage auch auf die Belohnung des Zwerges beziehen ließe. Zu Anfang der Diskussion beharrt Wilhelm jedoch wiederholt auf der ihm vom Zwerg ebenfalls zugeschriebenen triwe: ‚ich lieze auch ê villen, ê ich mit solher ungenuht mîn triwe bræche und mîn zuht, die ich dem kleinen hân gegeben. warzuo solde ich leben, swenn ich des sold ab gân, des ich gelobet hân dem kunic bî mînen triwen? ez müest mich immer riwen, solde ich dem werden alsô lughaft werden.‘ (StR, V. 62821–62831)

 Analog zum Tabu-Geschehen findet sich auch in der Melusine-Erzählung Thürings von Ringolthingen ein christliches Glaubensbekenntnis der anderweltlichen Titelheldin. Vgl. die gleichfalls funktionalisierende Deutung bei Nina Scheibel: Ambivalentes Erzählen – Ambivalenz erzählen. Studien zur Poetik des frühneuhochdeutschen Prosaromans. Berlin/Boston 2020 (Narratologia. 67), S. 166 u. S. 227–230.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Das große Beharren auf der triwe ist dabei auch im Kontext der vorausgestellten Fehde zwischen Ulrich von Heunburg und Herzog Meinhard zu sehen, der der Lehnsherr Wilhelms von Schärfenberg ist, und den dieser durch seine Unterstützung Ulrichs verraten hat. Wie Ellen Widder anhand des Liber certarum historiarum des Abtes Johann von Viktring aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts nachweist, sind die Meinhardiner in besonderer Weise mit einem sagenhaften Zwergenvolk der östlichen Alpen verknüpft.263 Statt der expliziten Beziehung im sechsten Buch des Liber, nach welchem die Zwerge nach dem Aussterben der Meinhardiner zu verschwinden scheinen,264 lässt die Reimchronik lediglich einen impliziten Bezug zwischen Herzog Meinhard und dem Zwerg erkennen, da Wilhelm von Schärfenberg beiden gegenüber eidbrüchig wird. Ebenfalls in beiden Teilen der Episode findet sich eine Anwerbung zum Kampf aufgrund von Wilhelms Ansehen, seiner diskursiven manheit, sowie ein Stellvertretertum Wilhelms, der einmal den Zwerg im Kampf vertreten soll und im ersten Teil der Episode Ulrich von Heunburg als wichtigsten Akteur und kämpferischen Befehlshaber ersetzt. Während Wilhelm jedoch in der Zwergenepisode, die erzählerisch nachgeschaltet, chronologisch jedoch vor der Schlacht auf dem Wallersberg stattfindet, nicht kämpft und damit wortbrüchig wird, kämpft er anschließend gegen die Männer des Herzogs, wird dadurch ebenfalls wortbrüchig und findet den Tod in der Schlacht. Auf diesen zielt auch das Ende der Zwergenepisode, denn ein halbez jâr (StR, V. 62874) nach dem Wortbruch begegnet Wilhelm dem Zwerg erneut und wird von diesem verflucht: [...] ‚swer iuch hât gezalt, daz ir an manheit wæret balt, der hât iuch sêr an gelogen. wie habt ir mich betrogen, verrâten und gevient! ir habt an mir verdient gotes und guoter wîbe haz. ouch sult ir wizzen daz, ir sît fürbaz unsigbære, und ob daz vingerlîn niht wære, daz ich iu leider hân gegeben, sô müest ir armuot geleben an kinden und an wîbe und an iur selbes lîbe. daz hât daz vingerlîn erwant.‘ (StR, V. 62882–62896)

 Vgl. Ellen Widder: Herzog Heinrich und seine Zwerge. Eine alpenländische Miniatur. In: Riesen und Zwerge. Bozen 2016 (Runkelsteiner Schriften zur Kulturgeschichte. 10), S. 189–198.  Johann von Viktring: Liber certarum historiarum. 2 Bände. Hrsg. von Fedor Schneider. Hannover/Leipzig 1909–1910 (MGH, SS rer. Germ. 36, 1–2), Bd. 2, S. 192 f.: Principe subducto nichil de eis amplius est auditum (S. 193).

Exkurs manheit zwischen fiktionalem Erzählschema und Geschichtsdeutung

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fürbaz unsigbære zu sein, kann hier sicherlich als Fluch verstanden werden, der sich durch Wilhelms Tod auf dem Schlachtfeld erfüllt, insbesondere, wenn der Zwerg hier stellvertretend für Herzog Meinhard steht. Hier ließe sich auch ein Zusammenhang zwischen dem Fluch und dem Fehlen von Wilhelms platten postulieren. Sowohl der Fluch als auch des tiuvels tucke (StR, V. 61952), wie die Begründung an der entsprechenden Stelle lautet, verweisen auf anderweltlich-überirdische Phänomene, sodass in der Zwergenepisode eine zusätzliche, motivisch verwandte Begründung nachgereicht wird. Folglich bedarf es einer Differenzierung zwischen dem Versprechen zur Hilfeleistung und dem Verbot, davon zu erzählen, welche es ermöglicht, die Kausalketten von Wortbruch auf der einen Seite und Tabubruch auf der anderen voneinander abzugrenzen und die Mechanik ihrer Verschränkung aufzuzeigen. So erscheint die Formulierung des Tabus kausal zunächst unterdeterminiert und ist, mit den Worten Haferlands, ‚von hinten‘ motiviert, da sich die im Tabu enthaltene Warnung oder Drohung durch den Tabubruch bewahrheitet und verwirklicht. Die narrative Mechanik des Tabus, das, wie Lutz Röhrich formuliert hat, „scheinbar nur dazu da [ist], um übertreten zu werden“265, erwirkt die Konstellation, dass Wilhelm von Schärfenberg zwar kämpfen möchte, aber nicht kann, weil er nicht wider das Erzählschema handeln kann und sich deshalb dessen Zwang unterwirft: ‚nû muoz ich belîben!‘ (StR, V. 62862) Gleichzeitig ist nämlich auch der Wortbruch kausal unterdeterminiert, da die Argumente der Ehefrau auf der Grundlage des Textes wenig stichhaltig sind, während der Tabubruch ein Bestandteil der Vorbereitungen auf den Kampf ist und damit dem daraus resultierenden Wortbruch diametral entgegen steht. Aus dieser Konstellation ergibt sich eine Betonung der kompositorisch motivierten Handlungsfolgen gegenüber der kausalen Verkettung. Die Finalität der Komposition gestaltet sich auf der Erzählebene als eine Vorbestimmung sowohl von Wilhelms Wortbruch und seiner Verfluchung durch den Zwerg als auch seines Todes in der Schlacht auf dem Wallersberg. Wilhelms Niederlage stellt so eine Folge des Fluchs unsigbære zu sein dar, sodass sein Tod final gesehen bereits feststeht, ehe Ulrich von Heunburg ihn überhaupt anwirbt. Dies zeigt sich auch an einer unscheinbaren Formulierung kurz nach der Anwerbung: der Scherfenbergær tet dâ schîn, / daz im silber liep was. (StR, V. 61844 f.) Nachdem dieser gerade eine Bestechung angenommen hat, erzeugt dieser Satz anfänglich keinen Verdacht. Mit Blick auf einen magischen Ring, der Wohlstand verleiht, ist er jedoch von Interesse, da rückblickend selbst die Einbindung des Schärfenbergers in den Aufstand Ulrichs von Heunburg als eine Folge der Rings verstanden werden kann. Sowohl das Erzählschema der Zwergenepisode als auch die Einbindung in die Fehde Ulrichs von Heunburg werden durch Wilhelms diskursive manheit angestoßen. Gleichzeitig verhindert und verunmöglicht das besagte Erzählschema aber auch

 Lutz Röhrich: Tabus in Bräuchen, Sagen und Märchen. In: Sage und Märchen. Erzählforschung heute. Hrsg. von dems. Freiburg [u. a.] 1970, S. 125–142, hier S. 128, zitiert nach Miersch, Verbot, S. 106.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

eine Aktualisierung von Wilhelms praktischer manheit, da diese dem Erzählschema zuwiderliefe. Die ineinander verstrickten Episoden der Schlacht am Wallersberg und der Begegnung mit dem Zwerg verdeutlichen die Komplexität des Erzählens,266 die die Steirische Reimchronik bisweilen aufweist und die einer dringenden Aufarbeitung bedarf. Meines Erachtens ist es dabei nicht damit getan, die Problematik einer diskursiven manheit ohne entsprechende Handlungen aufzuzeigen. Abstrahiert man das hier zuletzt Ausgeführte, ergibt sich das Bild einer Erörterung von manheit unter den richtigen wie den falschen Umständen. Als verhinderter Stellvertreter des Zwerges wird Wilhelm von Schärfenberg zum scheiternden Stellvertreter Ulrichs von Heunburg. Indem der Text dieses Scheitern narrativ als vorbestimmt kennzeichnet, wird jedoch auch eine Entlastung Wilhelms vorgenommen, da seine manheit lediglich durch den Zwerg in Abrede gestellt wird, dessen Fluch der unsigbærecheit die Konnotation von manheit, im Kampf siegreich zu sein, negiert. In gewisser Weise wirkt sich diese Entlastung auch auf Ulrich von Heunburg aus, dessen letztliches Scheitern durch das Scheitern seines Stellvertreters überlagert wird.

II.2.10 manheit und die Funktion intertextueller Referenzen in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen Die Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen am westlichen Ufer der March am 26. August 1278 war ein entscheidender Wendepunkt in der Geschichte Österreichs und der Steiermark, des Reichs und dessen Königs Rudolf I. von Habsburg sowie seines Widersachers Ottokar II. Přemysl und dessen Erbländer Böhmen und Mähren. Der Tod eines Königs, insbesondere auf dem Schlachtfeld, stellt immer ein Ereignis von historischer Tragweite dar, das auch in der chronikalischen Überlieferung auffallend wiederkehrend ist.267 Die Bedeutung dieses Ereignisses lässt sich bereits am Verhältnis von Text und Zeitraum beziehungsweise Erzählzeit und erzählter Zeit erkennen. Die ersten Regierungsjahre König Rudolfs I. von Habsburg 1273–1276 werden auf knapp eintausend Versen abgehandelt (StR, V. 12713–13675), während der zweijährige Prozess der  Diese wäre sogar noch zu erweitern, wenn man die Übergabe des Rings als Auftakt eines emplotments um Konrad von Auffenstein begreift, der in der Folge zu einem der reichsten Männer in Kärnten aufsteigt. So hat es jedenfalls die ältere Forschung gesehen, siehe Richard Streun: Der Schärfenberger Ring. In: Mitteilungen des historischen Vereins für Krain (1850), S. 4 f. u. S. 19. Zur Begüterung Konrads siehe StR, V. 62913–62928.  Vgl. die Zusammenstellung der Quellen bei Andreas Kusternig: Erzählende Quellen des Mittelalters. Die Problematik mittelalterlicher Historiographie am Beispiel der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen 1278. Wien/Köln 1982 (Böhlau-Studien-Bücher). Zum erinnerungskulturellen Aspekt siehe Dorothea Klein: Habsburgs Glück und Ottokars Ende. Literarische Erinnerungen an die Schlacht bei Dürnkrut am 26. August 1278. In: Geschichte in Geschichten. Hrsg. von Friederike Felicitas Günther, Markus Hien. Würzburg 2016 (Würzburger Ringvorlesungen. 14), S. 35–56 u. bes. S. 40.

II.2.10 manheit und die Funktion intertextueller Referenzen

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Herrschaftsübernahme der Habsburger in Österreich und der Steiermark einschließlich der Schlacht beinahe 4800 Verse einnimmt (StR, V. 13676–18424), von denen wiederum über zweitausend der Schlacht selbst gewidmet sind (StR, V. 14995–17204).268 Weiterhin entfaltet die Reimchronik einen Bogen zwischen der ersten und den beiden folgenden Erwähnungen des Grafen Ulrich von Heunburg und in ähnlicher Weise kulminiert auch der Bericht von Siegfried von Mahrenberg in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen, da die Mörder Ottokars II. Přemysl ihre Tat mit dem grausamen Tod des Mahrenbergers begründen. Wie auch bei der Schlacht von Kressenbrunn und den anderen behandelten Kriegszügen darf die einzelne Schlacht nicht außerhalb des sie umgebenden historischen Kontexts betrachtet werden: Die historisch-politischen Entwicklungen, die die beiden Parteien und ihre Anhänger an den Punkt der direkten militärischen Konfrontation führten, schlagen sich auch im Kampfgeschehen und seiner Überlieferung nieder. Im Unterschied zu den internen politischen Entwicklungen in Österreich, der Steiermark und Kärnten, die sich nachhaltig auf die Sprache und Gestaltung der Steirischen Reimchronik auswirkten und den zum Verständnis erforderlichen Kontext für die berichteten Ereignisse und die konkreten Konnotationen von manheit lieferten, ist der Gang der Ereignisse, die zur Wahl Rudolfs von Habsburg zum römisch-deutschen König und letztlich zur hier erörterten Schlacht führten, nicht in gleicher Weise ausschlaggebend.269 Dies gilt besonders für den Erzählkontext der Reimchronik, da hier der Krieg, der in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen gipfelt, vornehmlich dadurch motiviert ist, dass Ottokars Frau ihn in einem langen Monolog dazu provoziert, die gerade geschworenen Friedenseide (StR, V. 14711–14737) zu brechen und Rudolf den Krieg zu erklären (StR, V. 14761–14935). Die Darstellung der Schlacht bietet dabei in mehrfacher Hinsicht und auf unterschiedlichen Ebenen Anknüpfungs- und Kulminationspunkte des bisher Dargelegten: An erster Stelle betrifft dies die Darstellung des Kampfes. Bei der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen waren vor allem berittene Kämpfer im Einsatz, da die topografischen Bedingungen, etwa die Beschaffenheit des Bodens und die Entfernung zwischen den gegnerischen Heerlagern, dies begünstigte.270 Somit bietet die Reimchronik wertvolle Hinweise über die Praktiken, Konventionen und taktischen Hintergründe des berittenen Kampfes und ihre Bedeutung für die Darstellung von manheit und Gewalt. Sowohl

 Eine solcher Verweis auf die Gewichtung von Versen und erzähltem Inhalt auch bei Klein, Habsburgs Glück, S. 42, die allerdings nicht auf das Übergewicht der Schlachtdarstellung eingeht.  Zu einem Überblick über diesen Kontext siehe Krieger, Habsburger, S. 33–55 auch ders., Rudolf, S. 89–102; Sutter, Steiermark, S. 97–106 u. 120–129; Hoensch, Přemysl Otakar II., S. 200–254.  Vgl. Andreas Kusternig: Probleme um die Kämpfe zwischen Rudolf und Ottokar und die Schlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen am 26. August 1278. In: Ottokar-Forschungen. Hrsg. von dems., Max Weltin. Wien 1978/79 (Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich. N.F. 44), S. 226–311, hier S. 294 f. mit Anm. 401, der die Distanz, die einige der Kämpfer im Zuge der Schlacht zurücklegen mussten, mit 5–6 km berechnet.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

die Beziehung zwischen praktischer und diskursiver manheit als auch zwischen manheit und zageheit beziehungsweise angest, welche bereits bei Ulrich von Heunburg eine Rolle spielte, treten im Zuge der Schlachtbeschreibung deutlich zu Tage. Auch die Bezüge von manheit und Gewalt sowie ritterschaft lassen sich anhand des Berichts der Reimchronik darlegen. Horst Wenzel hat auf die differenzierte Darstellungsweise von Kriegspraktiken in der Reimchronik hingewiesen, die sich keinesfalls auf die Wiedergabe eines wie auch immer gearteten Ideals höfischer Ritterschaft beschränkten, sondern dieses auch in Frage stellten, wenn es dem Zweck erfolgreicher Kriegsführung zuwiderlaufe.271 Wie bei der Schlacht von Kressenbrunn sind auch hier eine Anzahl direkter Iwein-Zitate verwendet. So ist in der Reimchronik der Bannerträger der österreichischen Kämpfer der greise Otto II. von Haslau (StR, V. 15781–15797)272; aufgrund seines hohen Alters muss dieser – anscheinend mitten im Schlachtgeschehen – die banier an Heinrich von Liechtenstein abgeben. Zur Schilderung seiner Altersschwäche übernimmt der Text der Chronik eine Passage aus dem Iwein.273 dem alten Haslouwær man jach, daz ze manheit sîn muot wær bereit unde guot. nû was sîn alter fürwâr vil mêre denne hundert jâr; daz machte in des lîbes kranc. durch zuht im under sînen danc nam die banier der biderb und der zier von Liehtenstein her Heinrich. (StR, V. 16218–16227)

Im Iwein sagen die in der Burg der Teufelsritter gefangenen Frauen fast das gleiche über ihren ehemaligen Landesherrn: sîn wille unde sîn muot was gereit unde guot: dône was sîn alter vür wâr niuwan ahtzehn jâr, unde was des lîbes als kranc daz er des siges âne danc und ungestriten muose jehen. (Iw, V. 6351–6357)

Neben dem Alter ist es vornehmlich die Ersetzung von wille durch manheit, die auffällt. In beiden Texten wird die Bewertung von außen vorgenommen, im Iwein durch die gefangenen Frauen, in der Reimchronik durch eine nicht näher bestimmte, aber

 Vgl. Wenzel, Geschichte, S. 146–159.  Vgl. Kusternig, Probleme, S. 279 f. mit Anm. 322.  Vgl. Henrici, Nachahmung, S. 202.

II.2.10 manheit und die Funktion intertextueller Referenzen

287

zweifelsfrei homosozial männliche Gruppe (man). Obwohl in beiden Texten sowohl der Wille als auch die Unfähigkeit zum Kampf des jeweils Beschriebenen ausgedrückt wird, ist im Iwein der namenlose Landesherr zwar willens aber tatsächlich nicht fähig zu kämpfen, da er âne danc (unwillkürlich274) und ungestriten (ohne gekämpft zu haben275) unterliegt. ‚wille unde muot‘ stehen als geistige oder psychische Attribute der Schwäche des lîbes gegenüber. Die Änderung von ‚wille unde muot‘ zu ‚muot ze manheit‘ verweist sowohl auf die skillful performance praktischer manheit, als auch auf die mentalen Voraussetzungen einer solchen performance. Von Bedeutung ist auch die subtilere Änderung von ‚âne danc‘ zu ‚under sînen danc‘ (gegen seinen Willen276), welche die Scheidung von körperlicher und psychischer Unfähigkeit veranschaulicht. Obwohl dem jungen Landesherren im Iwein der Wille konzediert wird, ist sein Körper zu schwach, um das Fundament der psychischen Eigenschaft eines erfolgreichen Kämpfers zu bilden. Der Haslauer der Chronik hingegen verfügt über diese psychischen Eigenschaften im vollen Umfang, aber das körperliche Fundament ist durch sein Alter erodiert, sodass er under sînen danc die Führung der österreichischen Kämpfer abtreten muss.277 Des Weiteren lässt sich in der Darstellung der Schlacht die Bewertungstendenz der Geschehnisse durch den Erzähler der Reimchronik beobachten: Grundsätzlich steht er auf der Seite Rudolfs, der als Befreier von der Willkürherrschaft Ottokars inszeniert ist, und berichtet vornehmlich den Ablauf der Ereignisse in Rudolfs Heerlager. Da hier nun, im Gegensatz zu den vorangegangenen Schlachten, sowohl die kämpfenden Steirer, Österreicher und Kärntner, als auch der sie befehligende Machthaber in der Gunst der Reimchronik stehen, gibt es offensichtlich keinen Bedarf mehr, die übergeordneten politischen Implikationen der Kampfhandlungen zu verschleiern. Mit einer sowohl moralischen als auch juristischen Legitimation ausgestattet, können die steirischen Kämpfer Rudolfs in ihrer Gewaltausübung glorifiziert werden, wie im Folgenden zu zeigen ist. Vor dem Hintergrund des bekannten Ausgangs der Schlacht, der Niederlage und dem Tod Ottokars, gesteht die Reimchronik diesem ein schmales Lob zu. Ottokar sei der aller tiurste man, / der ie getruoc krône (StR, V. 16736 f.).278 tiure

 BMZ, Bd. 1, Sp. 351a.  BMZ, Bd. 3, Sp. 691b.  BMZ, Bd. 1, Sp. 351a.  Der in der Reimchronik genannte Heinrich (II.) von Liechtenstein gehörte der niederösterreichischen Linie von Liechtenstein-Nikolsburg an und nicht der steirischen Linie von Liechtenstein-Murau, wie Ulrich von Liechtenstein und sein Sohn Otto II. Der Annahme von Kusternig, Probleme, S. 280, diese Passage sei „von persönlichen Interessen des Liechtenstein’schen Dienstmannen Otacher gefärbt“ muss daher widersprochen werden, da sich jenseits politischer Aktivitäten der Familie Liechtenstein-Nikolsburg in Steiermark keine Beziehungen zu Ottokar aus der Gaal feststellen lassen. Zu den beiden Linien siehe Gerald Schöpfer: Klar und fest. Geschichte des Hauses Liechtenstein. Riegersburg 1996 (Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Sonderband. 2), S. 9–11, zu Ulrich und Heinrich I. und II. von Liechtenstein S. 11–20.  Siehe auch Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 115.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

beschreibt jedoch – ebenso wie manheit – keinen ethischen Wert, da unmittelbar im Anschluss an Ottokars Tod seine charakterlichen Schwächen, die zu seinem Niedergang führen, betont werden. Es ist zu beachten, dass der Erzähler der Reimchronik nur bei zwei der berichteten Ereignisse klagende Worte nutzt: bei der Ermordung des böhmischen Königs und bei der Flucht zweier steirischer Adliger zu Beginn der Schlacht.279 Trotz des Todes Ottokars wird die im Zuge der Schlacht ausgeübte Gewalt nicht nur als gottgefällig, sondern auch – wie Ursula Liebertz-Grün gezeigt hat – als Werk der Gerechtigkeit inszeniert.280 Zunächst seien einige Eckpunkte der Schlacht, die nach der umfangreichen Quellenanalyse von Andreas Kusternig als relativ gesichert gelten können, in Kürze wiedergegeben.281 Beide Heere waren in drei Abteilungen, sogenannte Treffen untergliedert, die nacheinander in die Schlacht eingriffen. Auf der Seite Rudolfs bildeten seine ungarischen Verbündeten das erste Treffen, das zweite Treffen die Österreicher und das dritte die Steirer, Kärntner und Salzburger sowie die Unterstützung aus dem Reich. Diesem dritten Treffen, das wohl auch die meisten schwer gepanzerten Reiter enthielt, gehörte auch Rudolf mit seiner Leibgarde an. Ottokars erstes Treffen bestand aus seinen Gefolgsleuten aus Böhmen und Mähren, im zweiten Treffen standen seine Verbündeten aus dem Reich (Thüringen und Meißen, Brandenburg und Bayern), die den am schwersten bewaffneten Teil seines Heeres bildeten, sowie Ottokar selbst. Das dritte Treffen bildeten leicht bewaffnete Zuzüge aus Polen und Schlesien.282 Zu Anfang der Schlacht bekämpften die ungarischen Truppen das erste Treffen Ottokars und schlugen es in die Flucht.283 Ottokars zweites Treffen war den österreichischen Verbündeten Rudolfs in dessen zweitem Treffen überlegen, sodass Rudolfs drittes Treffen, in dem auch er selbst stand, gegen das zweite Treffen Ottokars anrückte. Dabei wurde Rudolf von einem

 Zum Tod Ottokars II. Přemysl siehe unten. Die fliehenden Steirer, die der Reimchronist nur durch ihr Wappen zu erkenn gibt, sind ein Pfannberger und ein Pettauer. Vgl. Kusternig, Probleme, S. 292 f. mit Anm. 388. Die Reimchronik bezeichnet ihre Flucht als ein halsslac, den tet diu Schand froun Êren (StR, V. 15936 f.)  Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 115 u. 120 f. mit dem Verweis auf das fingierte Gespräch zwischen König Ottokar und dem Bischof Brun von Olmütz (u. a. böhmischer Statthalter der Steiermark zwischen 1262 und 1269). Zu Brun siehe auch Kusternig, Probleme, S. 86–88 und StR, V. 6500–6507. In dem Gespräch zählt der Bischof gegenüber Ottokar auf, welche Maßnahmen Rudolf als König unternommen hatte, um einen Krieg mit Ottokar zu vermeiden, sodass der Krieg sogar im Mund eines Parteigängers Ottokars als legitime ultima ratio erscheint: ‚swes der kunic gegen iu jach, / daz reht er daran niht zebrach‘ (StR, V. 14411 f.).  Der Versuch einer Rekonstruktion des Schlachtverlaufs, welcher bereits mehrfach – auch unter Verwendung der Steirischen Reimchronik – erfolgt ist, soll hier nicht erneut unternommen werden. Siehe vor allem Kusternig, Probleme, S. 275–304.  StR, V. 15565–15635. Die Auflistung der Reimchronik ist hier bisweilen missverständlich. So teilt sie die Ungarn in zwei Treffen (scharn) und gibt statt der genannten drei hier vier Treffen an. Auch das böhmische Heer ist in der Reimchronik in sehs scharn geteilt, wobei lediglich zwischen den genannten Regionen differenziert wird.  Vgl. Kusternig, Probleme, S. 291 f.

II.2.10 manheit und die Funktion intertextueller Referenzen

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feindlichen Kämpfer vom Pferd gestoßen und konnte nur durch den raschen Eingriff seiner Leibgarde gerettet werden.284 In diesem Stadium erfolgte weiterhin ein von Rudolf im Voraus befohlenes Umgehungsmanöver, das bei den Kämpfern Ottokars Verwirrung und Panik auslöste, sodass diese die Flucht ergriffen und die restlichen Kämpfer, unter anderem das noch unbeteiligte dritte Treffen Ottokars, mit sich fortriss.285 Auf der Flucht wurde Ottokar erschlagen, womit die Schlacht endgültig verloren war. Die Steirische Reimchronik liefert ausführliche Introspektionen in die Emotio286 nen der Kämpfer Rudolfs im Vorfeld der Schlacht wie auch in ihrem Verlauf, welche einen Blick auf die psychischen Gegebenheiten des mittelalterlichen Krieges eröffnen, die wiederum Rückschlüsse auf die zugrundeliegende Mentalität einer Kriegergesellschaft zulassen. Dabei beschränkt sich die Beschreibung der Reimchronik nicht auf reine Panegyrik, sondern stellt auch (charakterliche) Schwächen der Kämpfer auf Rudolfs Seite aus, sodass der Eindruck einer distanzierten Sachlichkeit oder neutralen Berichterstattung entsteht. Zunächst werden die Emotionen der Kämpfer in Rudolfs Heer am Tag vor der Schlacht geschildert, die von Vorfreude und Kampfeslust gekennzeichnet sind: den kunic maniger bat, daz er in schüef an die stat, dâ er wær bî den êrsten, die dûhten sich die hêrsten, die man aht für guote ritter. dehein stat dûhte si ze bitter, swâ man prîs bejagen solde. iegelicher dô wolde zaller vordrist wesen. ûz wurden dô gelesen, die ez spâte unde fruo mit [ellen]287 heten brâht darzuo, daz man in ellens jach. (StR, V. 15519–15531)

 Vgl. Kusternig, Probleme, S. 293 f.  Vgl. Kusternig, Probleme, S. 295–298. An dieser Stelle widerspricht Kusternig der Reimchronik in direkter Weise, da diese die Pôlân (StR, V. 16209) an der Schlacht beteiligt zeigt.  Zwei Studien zum Verhältnis von Emotionen und spätmittelalterlicher Kriegsdarstellung siehe Andrew Lynch: Emotion and medieval ‚violence‘. The Alliterative Morte Arthure and The Siege of Jerusalem. In: Writing war in Britain and France, 1370–1854. A history of emotions. Hrsg. Von Stephanie Downes [u. a.]. London [u. a.] 2019 (Themes in Medieval and Early Modern History), S. 37–56; Craig D. Taylor: Confessing the emotions of war in the Late Middle Ages. Le livre des fais du bon messire Jehan le Maingre, dit Bouciquaut. In: Hrsg. von Stephanie Downes [u. a.]. Writing war in Britain and France, 1370–1854. A history of emotions. London [u. a.] 2019 (Themes in medieval and early modern history), S. 23–36. Siehe auch Klinger, Begehren.  Meines Erachtens ist hier gegen den Editionstext die Lesart ell oder ellen vorzuziehen, die dem Apparat zufolge die Handschriften 1 (Wien, Cod. 3040) und 4 (Wien, Cod. 3047) haben, da das alle des Editionstexts weder syntaktisch noch semantisch in den Satz passt.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Der Erzähler der Reimchronik distanziert sich hier zwar von einer Gleichsetzung von Ritterlichkeit und Ruhmbegierde, lässt aber gleichzeitig erkennen, dass eine solche Gleichsetzung durchaus üblich war. Unter den vordersten Kämpfern sein zu wollen, geht mit einer Selbstzuschreibung von gesellschaftlichem Wert einher (die dûhten sich die hêrsten). Auch als guote ritter geachtet zu werden und nach prîs zu jagen, wird im zitierten Text als konventionalisierte gesellschaftliche Zuschreibung gekennzeichnet. Der kritische Blick des Erzählers lässt erkennen, dass ‚äußere‘ manheit als eine solche Zuschreibung nicht unproblematisch ist, wenn ihr die Grundlage der praktischen manheit fehlt oder beide nicht direkt aufeinander bezogen werden können. Dies wird im zweiten Teil des Zitates deutlich. Von den Bewerbern auf eine Position in der vordersten Reihe werden schließlich nur die ausgewählt, die bereits über das erforderliche symbolische Kapital verfügen (denen man ellens jach), das sie sich durch die langanhaltende Ausübung des zugrundeliegenden Attributs erworben oder erarbeitet haben. Diese Ausübung kann sich jedoch nur auf Praktiken beziehen, denen das Attribut mit ellen diskursiv zugeordnet wird. Im Kontext der Schlachtaufstellung ist es naheliegend, dass diese Praktiken einem kriegerischen Bereich angehören. Damit ist in wenigen Versen die Ansehensspirale der manheit komprimiert abgebildet, die im Iwein ausführlich nachvollzogen wird. Die Evidenz praktischer manheit im Kampf führt zu symbolischem Kapital (diskursiver manheit), welches Gelegenheiten zu weiteren Kämpfen eröffnet, mit denen weiteres symbolisches Kapital akkumuliert werden kann und so weiter. Gegenüber der Kampf- und Ehrbegierde des Tages zeichnet die Reimchronik ein anderes Bild von der Nacht und dem Morgen vor der Schlacht. Explizit werden die Vorkehrungen mancher Kämpfer für den Fall ihres Ablebens geschildert. Neben Gebeten und Beichten heißt es auch: sîn getriwen kneht sumlicher bat, ob er dâ wurd erslagen, waz er her heim solt sagen sîn friunden und dem wîbe. (StR, V. 15676–15679)288

Die Vorkehrungen für den Fall des Ablebens in der Schlacht verweisen deutlich auf die von Judith Klinger betonte Todesnähe, die einem Habitus der manheit zugrunde liegt und seinen Wert bestimmt,289 die aber in der höfischen Literatur nicht in diesem Maße ausformuliert wird. Wie Tina Terrahe gezeigt hat, wird der Horizont des Todes

 Jenseits dessen finden sich als Vorkehrungen für ein Ableben in der Schlacht auch urkundlich nachweisbare Schenkungen an geistliche Einrichtungen. Vgl. Loehr, Reimchronist, S. 92–94. Sie sieht die Urkunde, die Ottokar aus der Gaal als Lehnsmann Ottos II. von Liechtenstein ausweist, als eine ebensolche Absicherung für den Fall des Ablebens. Vgl. zur Praxis allgemein Prietzel, Kriegführung, S. 184–190. Siehe auch Tangl, Grafen, S. 28 f.  Vgl. Klinger, Begehren, S. 195.

II.2.10 manheit und die Funktion intertextueller Referenzen

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oder des Sterbens lediglich durch die Antagonisten eingeholt290 und Protagonisten wie Iwein reflektieren kaum jemals die Möglichkeit ihres Todes. Als Gegensatz zur oben genannten Vorfreude hält nun auch die besagte angst Einzug, die jedoch bereits hier mit dem Gegenteil von manheit verknüpft ist. etlicher sînem lîbe gerehte sîn harnasch. manigen zagen erlasch freud und hôchgemüete hie, dô ez an den ernest gie und daz ein ende het der schimph. (StR, V. 15680–15685)

Gerade im Hinblick auf die Dichotomie von manheit und zageheit liefert der Text wertvolle Hinweise auf das jeweilige Verhältnis zur Gewalt im Vorfeld einer Schlacht und zur Wirkung von manheit. In einer – wie so oft fingierten – Redeszene zwischen König Rudolf und dem vornehmlich mit der Moral der Kämpfer beschäftigten Bischof von Basel werden die Selbstverständlichkeit von zageheit im Angesicht einer Schlacht sowie die Notwendigkeit ihrer Überwindung expliziert.291 König Rudolf spricht: ‚wande daz vil dick geschiht, daz zageheit und ellen mit einander kriegen wellen, swelhez den man zieh an sich, unde dâvon, dunket mich, verkêret sich begarbe an den liuten diu varbe. daz ist doch ân ir schulde. [...]‘ (StR, V. 15908–15915)

Die Selbstverständlichkeit (vil dick) von Furcht vor der Schlacht, wie sie psychisch durch zageheit und körperlich durch den Farbwechsel (wohl im Gesicht) zum Ausdruck gebracht wird,292 verweist auf die diskursiv geforderte Disposition des Mutes, die als notwendig für die Kampfteilnahme dargestellt wird. ellen (Mut293) beschreibt hier eine psychische Eigenschaft, die als Bestandteil von manheit aufgefasst werden kann. Der innere Konflikt zwischen zageheit und ellen nimmt den physischen Kampf mit dem Gegner vorweg, spiegelt ein Sieg der zageheit doch bereits die Niederlage im und sogar vor dem eigentlichen Kampf. Dies wird auch ersichtlich, wenn die empfun Vgl. Terrahe, Berufsrisiko, bes. S. 5 u. 217.  Vgl. Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 162.  Vgl. Ulrich Ernst: Haut-Diskurse. Semiotik der Körperoberfläche in der Erzählliteratur des hohen Mittelalters. In: Körperkonzepte im arthurischen Roman. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel. Tübingen 2007, S. 149–200, bes. S. 195; Caroline Oster: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen. Berlin 2014 (LTG. 6), S. 20 f.  BMZ, Bd. I, Sp. 429a.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

dene Furcht auf kämpferische Erfahrung und das damit verbundene Training bezogen wird: daz herz begunde wê tuon manigen vor vorhten und daz houbt, der noch nie was betoubt mit deheinem slage. (StR, V. 15692–15695)

Wie der Kampf zwischen Iwein und Gawein verdeutlicht, ist Übung (gewonheit, Iw, V. 6998294) ein wesentliches Mittel zur Überwindung von zageheit. Die Reimchronik lässt jedoch auch weitere Strategien erkennen, mit denen Furcht und zageheit im Bann gehalten werden. Neben der Absicherung des Seelenheils in mehreren Messen (StR, V. 15700–15725) wird in letzten (auch taktischen) Vorbereitungen der Kampfgeist der Kämpfer gestärkt: manic edel kneht, biderb unde frumic, bâten dô den kunic, daz er si ritter werden liez. niemen er des verstiez, der sîn ot an in gert. über schilt und über swert was dâ kurz der segen: er bat si manheit phlegen. alsô verriht er si dâ. (StR, V. 15850–15859)295

Weiterhin gewährt die Reimchronik einen Einblick in die Verzahnung von psychologischen und taktischen Gesichtspunkten, die vor dem Hintergrund der Bedingungen der berittenen Kampfesweise ausschlaggebend sind. nû was ouch daz her bereit und verwappent gar, daz si nindert schinen bar, und diu ros unz ûf den huof. der rotmeister schuof umbe den spiz vorn: darzuo gehôrten niht tôrn, si muosten manheit walten,

 Siehe Kap. II.1.9.  Zu Ritterschlägen/–weihen im Vorlauf von Schlachten im 14. Jahrhundert Prietzel, Kriegführung, S. 247–258. Seiner Annahme „die offensichtlich große Anzahl von Ritterschlägen vor den Gefechten und die Aufmerksamkeit, welche diese Vorgänge in den Chroniken erfahren, sind im 14. Jahrhundert neu“, kann jedoch auf der Grundlage der Steirischen Reimchronik widersprochen werden. Siehe auch Keen, Rittertum, S. 124–126, der die Einschwörung der Geritterten auf „hardiesse (Kühnheit) loyauté (Treue), prouesse (Tapferkeit)“ (ebd., S. 126) betont.

II.2.10 manheit und die Funktion intertextueller Referenzen

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die den spiz solden halten, unde haben vesten muot. (StR, V. 15834–15843)

Diese kurze Sequenz enthält einige Schlüsselbegriffe296 des berittenen Kämpfers. Nicht nur die Panzerung der Pferde und die organisatorische Funktion des Rottmeisters297 werden benannt, sondern auch die Formation der Reiter in einem Keil (spiz298) und die Bedeutung der manheit jener, die an der Spitze des Keils reiten. Implizit ist darin auch die Verknüpfung von ‚innerer‘ und ‚äußerer‘ manheit enthalten, da jene Rottmeister zu wissen scheinen, wer von ihren Kämpfern besonders für diese exponierte Position geeignet ist. Nicht nur ist der Erfolg des Ansturms von dessen Spitze abhängig, sondern auch die Geschlossenheit des Verbands und die hier maßgeblich thematisierte Kampfmoral. Damit wird neben der rein kämpferischen Qualität von manheit, die im Moment des Zusammenstoßes von Bedeutung ist, auch auf eine geistige oder psychische Qualität verwiesen, die nicht nur die Überwindung von zageheit beim einzelnen Kämpfer andeutet, sondern auch als integraler Bestandteil taktischer Konventionen zum Funktionieren des gesamten Systems beiträgt. Die geistige Komponente von manheit wird hier nicht nur durch die tôrn verdeutlicht, sondern auch durch die scheinbar tautologische Wiederholung vester muot noch einmal betont. Dazu kommen Anfeuerungen (‚rît zuo, rît zuo!‘, StR, V. 15861) und Ermahnungen, die auf den Anlass der Schlacht und ihre Rechtfertigung (daz si des tages dem rîch / alsô gestüenden bî, StR, V. 15886 f.) und auf die schädlichen sozialen Auswirkungen einer Fahnenflucht (daz si hinnâch beliben frî / arcwâns und verdenkens / und an ir êren krenkens, StR, V. 15888–15890) verweisen. Diese richten sich erneut vor allem an die zagen, denen die Furcht wortwörtlich ins Gesicht geschrieben ist: dô si sich begunden muschen die zagen und die wol gemuoten, für einen merkære guoten pruofte ich gewislichen von Basel bischolf Heinrichen.

 Vgl. Ernst Englisch: Ottokars Steirische Reimchronik. Versuch einer realienkundlichen Interpretation. In: Die Funktion der schriftlichen Quelle in der Sachkulturforschung. Hrsg. von Heinrich Appelt. Wien 1976 (Sitzungsberichte. Österreichische Akademie der Wissenschaften. 304,4. Veröffentlichungen des Instituts für Mittelalterliche Realienkunde Österreichs. 1), S. 7–54.  Vgl. Kusternig, Probleme, S. 278 f.  Hier ließe sich auch argumentieren, dass mit den spiz halden der Spieß eines Fußkämpfers benannt ist, wie auch in der Frühen Neuzeit der Term ‚Rotte‘ meist für Gruppen von Lanzknechten genutzt wurde. Werner Rösener benennt die ‚Rotten‘ im 12.–13. Jahrhundert als Bestandteil des angeblich verhassten Söldnerwesens, vgl. Rösener, Rittertum, S. 38 f. u. 57 f. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass in der Reimchronik rotte sehr wohl für Reiter genutzt wird und der Kontext einen abwertenden Unterton verneint. Im Gegenteil, a.a.O. in der Reimchronik wird an exponierter und damit prestigeträchtiger Stelle Otto von Liechtenstein mit seinen erbæren rotten (StR, V. 13612) im Gefolge Rudolfs von Habsburg genannt. Zudem deuten die hier im Kontext genannten Pferde (ros) darauf hin.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

der was des tages dâ nutze. an swelhes antlutze diu varb sô dick verswant, an dem pruoft er zehant, daz si niht ellens wolden phlegen. (StR, V. 15874–15883)

Der Kampf zwischen zageheit und ellen verdeutlich, dass manheit im Kampf keine Selbstverständlichkeit und daher entsprechend besonders ist. Der Wert und die Bedeutung, die ihr in Texten wie dem Iwein zugewiesen wird, ist somit vor allem vor dem Hintergrund der zageheit verständlich, die kämpferische Handlungen verhindert. Damit geht einher, dass das Kämpfen und die darin umgesetzte Gewalt als etwas Positives gesehen wird, das durch manheit ermöglicht wird: „In the discourse of medieval war poetry, descriptions of killing and maiming [...] are likely to be treated as ethically and emotionally positive, indeed honorific, matters, and presented to readers as honourable to behold.”299 Zusätzlich findet sich in der Darstellung der Reimchronik auch ein Verweis auf die interne Zusammengehörigkeit der Kämpfer, was nicht nur auf die Bedeutung des gemeinsamen, geschlossenen Angriffs verweist, sondern auch auf eine kameradschaftliche Verbundenheit, die in den auf Einzelkämpfer fokussierten, literarischen Darstellungen meist fehlt: dô wart ein umbekaphen: iegelicher suochte tougen sînen friunt mit den ougen unde sprach: ‘friunt, wart ûf mich, daz selbe tuon ich ûf dich.’ (StR, V. 15924–15928)

Damit bringt die Reimchronik sämtliche Eigenschaften eines kriegerischen Tugendkatalogs zum Ausdruck, wie sie Amalie Fößel benennt: Neben der im Raum geformten körperlichen Kraft der Krieger zeichnet sich eine positiv besetzte kriegerische Männlichkeit zudem durch Können und Kameradschaft sowie einen gemeinsamen ehrbasierten Verhaltenskodex aus.300

Der Zusammenhalt der Kämpfer gewinnt vor allem vor dem Hintergrund der Kampfesweise der berittenen Krieger an Bedeutung, die zwar gegenüber den Unberittenen zahlenmäßig in der Unterzahl waren, aber sowohl in der Schlacht als auch in der Darstellung der Reimchronik die meiste Aufmerksamkeit erfahren. An vielen Stellen ist von rotten, schocken oder scharen301 die Rede, die jeweils einen Verband berittener Kämpfer bezeichnen. Auf dem Schlachtfeld sollen diese als Einheit agieren, sodass

 Lynch, Emotion, S. 38.  Fößel, Einführung, S. 18.  Siehe bspw. ‚rotten‘ StR, V. 16045, ‚schock(en)‘ V. 16117, ‚schar(en)‘ V. 16058.

II.2.10 manheit und die Funktion intertextueller Referenzen

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der Zusammenhalt des Verbandes – und hier das aufeinander Warten – große taktische Bedeutung erfährt, insofern ein einzelner Reiter besonderer Gefahr ausgesetzt war. Der Begriff schar wird hier vornehmlich für eine größere Heeresabteilung, ein sog. ‚Treffen‘ (siehe oben) genutzt, während die beiden anderen kleinere Verbände von 20 bis 40 Reitern bezeichnen. Das Zentrum dieser Kämpfergruppen, sowohl der kleineren Gruppen als auch des gesamten Treffens, stellten dabei die jeweiligen Banner (banier/sturmvane) dar, die, wie bereits bei Otto von Haslau zu sehen war, von besonders erprobten Kämpfern getragen wurden. Die Sichtbarkeit des Banners war von größter Bedeutung für den Zusammenhalt der Formation und für den Erfolg in der Schlacht, denn sie dienten zur Orientierung auf dem Schlachtfeld und zur Unterscheidung von Freund und Feind.302 Auch wenn dies in der Reimchronik nicht explizit gesagt wird, wird die sturmvane hier als übergeordnetes Feldzeichen dargestellt,303 das dem Burggrafen von Nürnberg anvertraut wurde, den man volkomen hieze an manheit und an êren (StR, V. 15770 f.). Neben dem König wurde zudem auch den Bannern und der sturmvane ein besonderer Schutz zuteil: dem sturmvanen schuof man huot und ouch dem kunic Ruodolfen, die im solden sîn geholfen, swâ man in dem strît vernæme, daz ein storîe an in kæme, diu in sunderlichen vêht. (StR, V. 15844–15849)

Zuletzt ermahnt in der Darstellung der Reimchronik der Bischof von Basel, der bereits mehrfach die Kämpfer angespornt hatte, die Österreicher als erstes Treffen nach den Ungarn zur manheit: von Basel bischolf Heinrich vor der schar von Ôsterrîch ûf einem rosse reit. er zalt in vor und seit, si solden menlich vehten, wand si wan nâch dem rehten des tages rungen unde striten. swelhes verch dâ wurd versniten, ob er dâvon sturbe, der tôt der sêl erwurbe wonung in der engel kôr.

 Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 205–224 mit reichlichen Quellenbelegen.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 200.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

maniger slaht zalt er in vor, dâmit er si erheizte ûf degenheit und reizte und ûf baltlich gebârn. (StR, V. 16077–16091)

In dieser kurzen Passage wird eine Vielzahl von Legitimationsformen aufgewendet, die die kriegerische Gewalt in der Schlacht betreffen: Nicht nur wird sichergestellt, dass der bevorstehende Kampf gerecht und gottgefällig ist. Indem der Bischof dazu aufruft, menlich zu vehten, wird die tödliche Gewalt des Krieges auch sublimiert als eine standesgemäß positiv konnotierte Handlungsform. Das vehten evoziert das spezifische Regelwerk eines reziproken und gemeinschaftlichen Gewaltaustauschs, der die (spielerische) Praktik des Kampfes (ringen unde striten) auszeichnet und dabei vor allem die ethisch problematische Dichotomie von Täter und Opfer auflöst. Durch das Wort menlich ist diese jedoch keinesfalls getilgt, sondern ebenfalls sublimiert, da die Implikationen von manheit sich nicht auf eine Überwindung von zageheit beschränken, sondern auch kämpferische Aggression und kämpferisches Können beinhalten. Die Aufforderung menlich zu vehten bedeutet also im Kern erfolgreich zu töten, steht hier jedoch – zumal aus dem Mund eines Bischofs – für eine legitime sowie ethisch und axiologisch positive Verhaltensweise.304 Es ist somit deutlich zu erkennen, dass manheit als psychische Bewältigungsstrategie gegen zageheit, vorht und angest (wortwörtlich) ins Feld geführt wird, um die Kämpfer zu motivieren. Diese Motivation ist hierbei nicht auf Standhaftigkeit und die Überwindung der genannten Hemmnisse beschränkt, sondern fordert und fördert eine aktive Gewaltausübung der Akteure. Dabei werden gerade Geschichten über Krieger dazu genutzt, kriegerisches Verhalten zu evozieren, was einen expliziten Verweis auf eine kriegerische Erzählgemeinschaft darstellt, die sich vor der Schlacht ihrer eigenen (kriegerischen) Werte versichert. Vor dem Hintergrund der direkten IweinZitate, die auch im Zuge der hier verhandelten Schlacht zum Einsatz kommen und damit an die Darstellung kriegerischer Praktiken im Iwein anknüpfen (s. u.), liegt es nahe, dass der Erzähler durch den Ausdruck maniger slaht zalt er in vor (StR, V. 16088) auch fiktive Schlachten einschließt, zumal nicht nur in der Reimchronik literarische Figuren als Muster idealer Kriegerhaftigkeit ausgeführt werden,305 die als Vorbilder einer Praktik des Kämpfens sowie praktischer manheit gesehen werden können.

 Vgl. Lynch, Emotion, S. 38.  Siehe etwa in der Rymkronyk der Schlacht von Worringen, V. 3921–3941: Der edelre Machabese yeeste, / Dat es die hoegheste ende die meeste, / Die men van ridderscape mach tellen, / Hoe Roelant ende sine ghesellen / Te Ronchevale verslagen bleven, / Dat vint men al bescreven; / Van den tornoye ende van den stride / Van Troyen weet menich herde wide; / Van Waleweyne ende van Perchevale, / Kent men die aventure wale; / Hoe Alexander hem dede wiken / Met crachte alle riken, / Ende staen aen sine ghenade, / In dese yeeste vint men dade / Groot van ridderscape gesciet; / Maer nochtan en vint men niet / In enghene yeeste, van alle desen, / Noch in ghene, die men mach lesen, / Soe groote daet, op enen dach, / Als men voor Woeronc vallen sach, / Van gerechten ridderscape.

II.2.10 manheit und die Funktion intertextueller Referenzen

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Interessanterweise gibt die Reimchronik, die sonst bis auf die Aufstellung des Heeres von Ottokar II. Přemysl vornehmlich auf das Heer Rudolfs konzentriert ist, ebenso die nahezu identische Ansprache der die böhmischen Truppen ermutigenden barfüez und bredigære wieder. Auch diese fordern dazu auf, menlich und werlich zu sein und versichern, das Recht sei auf ihrer Seite und der Einzug der Gefallenen in Abrahames schôz sicher (StR, V. 16093–16111).306 In Bezug auf eine solche Motivierungspraxis verweist Malte Prietzel auf die für die Kampfmoral und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Kämpfer überaus wichtigen Schlachtrufe, die neben ihrer psychologischen Bedeutung auch eine wenngleich nicht immer zuverlässige gegenseitige Identifizierung zwischen Verbündeten auf dem Schlachtfeld ermöglichte.307 Entsprechend werden diese in der Reimchronik ausgeführt: ‚hie Rôme!‘ was der Tiutschen krîe, / sô riefen die Bêheim dâ / ‚Budewezze Brôhâ!‘ (StR, V. 16074–16076). Der Schlachtverlauf selbst ist als ein dynamischer Schlagabtausch der beiden Heere geschildert, wenngleich der Fokus deutlich auf den Taten der Kämpfer auf Rudolfs Seite liegt, sodass die Verschmelzung vom Motiv des Zweikampfs mit dem der Schlacht propagandistisch nutzbar gemacht wird.308 Entsprechend wird König Otto-

 Zu religiösen Handlungen im Vorfeld hochmittelalterlicher Schlachten siehe Prietzel, Kriegführung, S. 64–70. Zum literarischen Muster der Heilsversicherung in der Reimchronik auch Dorothea Klein: Habsburgs Glück und Ottokars Ende. Literarische Erinnerungen an die Schlacht bei Dürnkrut am 26. August 1278. In: Geschichte in Geschichten. Hrsg. von Friederike Felicitas Günther, Markus Hien. Würzburg 2016 (Würzburger Ringvorlesungen 14), S. 35–56, hier S. 44.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 66 u. 68 f. 308 Nachträglich wurde die Schlacht zu einem Zweikampf der zwei Monarchen stilisiert und Rudolf selbst die Tötung Ottokars zugeschrieben. Vgl. Klein, Habsburgs Glück, S. 41 mit Anm. 20 in der auf den Text der Böhmenschlacht verwiesen wird, die einen ebensolchen Zweikampf insziniert. Jenseits des offensichtlich propagandistischen Effekts des im Zweikampf der Könige siegreichen Habsburgers, lässt bereits die zeitnahe Darstellung der Schlacht als einem Kampf zwischen Königen sowie wappensymbolisch zwischen Adler (Reich/Rudolf) und Löwe (Böhmen/Ottokar) erkennen, dass die Betrachtung einer  harm. / Schlacht als Zweikampf ihrer Heerführer durchaus verbreitet war: Deme beheym was zorn un Want hye dat vnsanfte leit / Dat in der Romer ouer reit. / Wey wi stolzeliche dar / Dye vlogel erswanc der  demppent / Vnde adel ar / Ind gayn des lewen clayn hie. / Wye doynt de ors! da můdēt sie: / Si scůment vn  ouch sere wrempent / Sich van mangen wůnden, / Dey kŏnínge beyde hayn beslayn. / Nů můssent sůchten vn clayn / Vnde vleín gode vmb ir lijf / Alle reyne sůysse wijf. / Dye ors in beyden lagen doit. / Des iamerde mich ir beyder noit. / Ir beyder ellent dat was starc. / Vnder ín sich eyn lewe barch, / Der ouch geyn deseme lewē vacht: / Sůlzger kouerůnge macht. / Halpt up eyn ander kastelayn / Deme Romer: da war is gedayn, / Als hey is ouch hait gemachít me. / Ouch důyt mir dat vallen we / Dat der beheym neder viel: / Vsz síme yedelen  roit. / Do lach d’ beheymm’ vůr dem rom’ doit. Fragment einer niederrheiverge wiel / Eyn vrsprůnc heis vn nischen Chronik, das herausgegeben wurde von Hans Ferdinand Massmann: Bruchstücke vom Niederrhein. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 3 (1843), S. 1–24, hier S. 14, V. 244–271. Der hier zitierte Abschnitt wurde entgegen der Ansicht des Herausgebers der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen zugeordnet. Vgl. Joseph Seemüller: Über die niederrheinische Reimchronik der Schlacht bei Göllheim. Separatdruck aus dem ‚Festgruss aus Innsbruck an die 42. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Wien‘. Innsbruck 1893, S. 3, zu einer Datierung zwischen 1298 und 1304 siehe ebd., S. 27 f. Siehe auch Kusternig, Probleme, S. 309 f. mit den Anm. 382–387, wo die Darstellung des (erfun-

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

kar II. Přemysl als kunic Ruodolfes strîtgenoz (StR, V. 15604) tituliert und auch das Schlachtgeschehen wird als ein Miteinander der beiden Heere geschildert. Das Miteinander ist dabei ganz wörtlich zu verstehen, da sich die gegnerischen Scharen im sogenannten Mêlée, im Getümmel des Nahkampfs, miteinander verstricken. do si kômen ze stôze mit starken und mit grôzen drucken zesamde, und wie sich diu rotte klamde und in einander flaht, diu dâ des êrsten vaht! [...] der halden was sô veste, daz si niht lîhte wârn ze klieben. (StR, V. 16163–16179)

Wenige Verse zuvor klagte der Erzähler noch, dass ihm ein gelîchnusse (StR, V. 16159) fehle, um den Schlachtlärm zu schildern. Um den Kampf selbst zu beschreiben, nutzt er, wie schon in vorherigen Schlachten, einen naturalisierenden Vergleich mit Pflanzen, der das Hin- und Herwogen des Schlachtgeschehens illustriert: an si dringen unde schieben sach man ir widerwinde, die hielten ouch sô swinde, nemet war unde goum, als dâ einen stalboum ein grôzer wint rüeret, den sîn kraft füeret, ieze her, ieze hin: alsô pruofte man an in hin und her widerwanc. sô lange werte daz gedranc, man hiet mit sanfter île geriten wol ein mîle. (StR, V. 16180–16192)

Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch von Benecke, Müller, Zarnke (BMZ) erläutert den Gebrauch von mîle zur Zeitbestimmung und verweist auf die Deutung von Ludwig Ettmüller als etwa zwei Stunden.309 Das ieze her, hieze hin des stalboums („starker waldbaum“310) beschreibt die beiden Scharen, die einander kämpfend gegenüberstehen und versuchen die gegnerischen Reihen zu durchbrechen. Der Erzähler der Reimchronik gibt zu verstehen, dass ein solches Gedränge unter Einhaltung der Formation

denen) Zweikampfs zwischen Rudolf und Ottokar anhand der Quellen nachgezeichnet wird. Siehe auch Wenzel, Geschichte, S. 162.  BMZ, Bd. II/1, Sp. 170a. Siehe auch Harald Witthöft: Art. ‚Meile‘. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 6. Stuttgart 1999, Sp. 471 f.  Lexer, Bd. 2, Sp. 1130.

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zu geschehen hatte, da der geschilderte Durchbruch der Österreicher schließlich zu vielen Toten auf der Seite des Böhmenkönigs führt: dô brach des rîches teil durch. wartâ der schedelichen furch, die durch die Bêheim ieren von Ôsterrîch die zieren, dô si die schar durchbrâchen! si sluogen unde stâchen. woy, wie dô wart gedrenget, dô die schar gemenget under einander wurden beide! dô wart diu grüene heide mit bluote gemachet naz. die von Ôstrîch erzeigten daz, daz si den Bêheim wâren gram. (StR, V. 16193–16205)

Die bildhafte Beschreibung des Blutvergießens, das die Österreicher, Steirer und selbst die ungarischen Verbündeten begehen, erklärt sich nicht nur durch die Sympathie des Reimchronisten gegenüber diesen Gruppen, sondern beweist auch, dass die geschilderten Handlungen keiner Verschleierung bedürfen und damit legitimiert sein müssen. Eine sehr ähnliche Formulierung findet sich unter anderem auch in Wolframs Willehalm:311 Vivianz vast ungespart sluoc den künic durh den gekronten helm, daz beidiu gras und der melm under im wart von bluote naz. (Wh, V. 24,26–24,30)

Die kämpferische Leistung sowohl Vivianz’ als auch der Steirer werden nicht nur betont, sondern sind auch legitimiert und im Falle der letzteren auch motiviert durch die Gegnerschaft zum antagonistischen Böhmenkönig: dem rîch si [die Stirær] michel êre des tages dâ ervâhten. vil wol si gedâhten, waz in angemach und smæhe in übel und in gæhe der kunic von Bêheim het erzeiget. darumbe wart von in geveiget, swaz in des tages widerdraft.

 Die Formulierung ‚nass von Blut‘ findet sich in vielen Variationen in der mittelhochdeutschen Literatur, beispielsweise dreimal in Wolframs Willehalm, (Wh., V. 24,29; V. 335,23; V. 452,14 und dreimal in der Steirischen Reimchronik (StR, V. 16204; V. 16849; V. 93169), zehn Mal in Konrads von Würzburg Trojanerkrieg sowie in unterschiedlicher Häufigkeit in den Varianten des Nibelungenliedes.

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

ez wart von sô vil ritterschaft nie begangen bezzer tât. (StR, V. 16282–16291)

Die ritterschaft der Steirer zeichnet sich in ihrer Kampfkraft aus, aber erneut auch im Einhalten der Formation und der Demonstration von manheit. mit deheinen dingen liezen si sich dringen von dem sturmvanen. niemen dorft si manen, swaz ze manheit gezug. (StR, V. 16305–16309)

Die Fahne oder das Banner als Kern einer jeden Reitergruppe, hier wohlmöglich sogar des gesamten Treffens, sollte den Zusammenhalt der Formation auf dem Schlachtfeld gewährleisten. Die manheit der Steirer wird somit als schlachtentscheidend dargestellt, indem der Erzähler versichert, dass der Burggraf von Nürnberg, der Träger der sturmvane, dem König gesagt haben solle, daz er vil nâhen het verzagt des siges, der sît geschach, unz er die Stîrær sach begên solich frumikeit: ûz sînem herzen dô verjeit guot geding die vorht. (StR, V. 16314–16321)

Ähnlich wie im Iwein deutet die Verwendung von frumikeit gegenüber manheit hier auf einen ethischen oder axiologischen Mehrwert, der die Leistung der Steirer besonders betont. Der Burggraf von Nürnberg, den die Reimchronik hier als Gewährsmann für ihre Glorifizierung in den Vordergrund rückt, wurde zu Beginn der Schlacht als volkomen an manheit geschildert. Gemeinsam mit Rudolf kämpfte er mit den Steirern im dritten und letzten Treffen,312 sodass sein Zeugnis von der manheit der Steirer intradiegetisch kohärent ist. Wie bei Iweins Gawein-Kampf hängt die „Benennungsmacht“313 vom Rang des Zeugen ab und steigert dabei die ihm in den Mund gelegte Aussage. Weiterhin wird das oben bereits erläuterte Prinzip wiederholt, dass auch die Ansicht von manheit (bzw. frumikeit) die Furcht vertreibt. Somit markiert die Sichtbarkeit von manheit das Bindeglied zwischen praktischer und diskursiver manheit, da lediglich erstere sichtbar ist und als Grundlage einer Zuschreibung der letzteren fungieren kann. Die

 Vgl. Kusternig, Probleme, S. 236 f. mit Anm. 48 u. S. 293 mit Anm. 393. Nach dem König war der Burggraf von Nürnberg aus dem Reich der ranghöchste weltliche Teilnehmer der Schlacht auf Rudolfs Seite.  Vogt, Logik, S. 137.

II.2.10 manheit und die Funktion intertextueller Referenzen

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Auswirkung der Abwesenheit von Zeugen im Ascalôn-Kampf respektive ihrer Anwesenheit im Gawein-Kampf beinhaltete bereits die Bedeutung von Sichtbarkeit für das Wertsystem vor allem der ‚äußeren‘ manheit. Im Rahmen der diskursiven Vermittlung verbürgt Sichtbarkeit Evidenz, sodass den Figuren nicht nur innerhalb der Exegese manheit zugeschrieben wird, sondern sich diese Evidenz auch auf die Rezipient:innen ausdehnt. Eine Besonderheit der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen stellt ein vornehmlich von der Reimchronik berichtetes militärisches Manöver dar,314 das in der älteren militärgeschichtlichen Forschung eine ähnliche Debatte um die ethische Bewertung von kriegerischen Handlungen ausgelöst hat wie die Verfolgung Iweins âne zuht in der Literaturwissenschaft.315 Der Reimchronik zufolge betraute Rudolf den steirischen Ministerialen Ulrich von Kapellen (StR, V. 15814) mit der Führung dieses Manövers, dessen Details ausführlich geschildert werden: Vor dem Beginn der Schlacht befielt Rudolf, dass sich ein kleines Kontingent von etwa fünfzig bis sechzig gepanzerten Reitern samt ihrer Knappen in einem nahen Wäldchen verborgen hält. Zu geeignetem Zeitpunkt solle es dem böhmischen Heer in den Rücken fallen (StR, V. 15803–15809), was der älteren Forschung zufolge gegen jede ritterliche Regel verstieß, obwohl es zahlreiche Beispiele für ähnliche Praktiken gibt, die offenbar eher eine militärische Taktik darstellt als einen ethischen Verstoß.316 Auch die negativ konnotierte Bezeichnung ‚Hinterhalt‘, die Andreas Kusternig verwendet, unterschlägt die Selbstverständlichkeit, mit der berittene Kämpfer ihre Geschwindigkeit und Mobilität ausnutzten, um sich in eine vorteilhafte Situation und Position zu bringen.317 Dass dabei eine gewisse Heimlichkeit vonnöten ist, kann meines Erachtens nicht als Grundlage einer ethischen Bewertung herangezogen werden. Vielmehr stellte eine Umgehung des Feindes ein Risiko dar, da erstens das Hauptheer dadurch geschwächt wurde, zweitens der Erfolg nur eintreten konnte, wenn die Umgehenden lange unbemerkt blieben, und drittens die Gefahr bestand, dass den Umgehenden ihrerseits in den Rücken gefallen wurde.318 Doch auch die Reimchronik schreibt

 Lediglich das Chronicon Colmariense berichtet mit leichten Abweichungen von einem solchen Manöver. Vgl. Chronicon Colmariense a. 1218–1304. In: Annales Colmarienses, Basileenses, Chronicon Colmariense. Hrsg. von Philipp Jaffé. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) XVII. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1861, S. 240–270, hier S. 251.  Zur älteren Forschung siehe Kusternig, Probleme, S. 287 f., die versucht haben soll, die Unritterlichkeit dessen zu verschleiern, was Kusternig selbst als „Hinterhalt“ bezeichnet (ebd., S. 287).  Unter anderem auch in der Schlacht von Brémule, siehe Kap. I.2.2.  Kusternig, Probleme, S. 288. So auch noch Klein, Habsburgs Glück, S. 39.  So ist dann auch entgegen der Auffassung von Kusternig einer der Vertreter der älteren Forschung, Oswald Redlich, insofern zu rehabilitieren, als nicht die Umgehung als solche, „aller Gewohnheit und Rittersitte“ widerspräche, wie Kusternig es darstellt, sondern das lange Warten der Umgehenden. Vgl. Oswald Redlich: Rudolf von Habsburg. Das Deutsche Reich nach dem Untergange des alten Kaisertums. ND der Ausg. Innsbruck 1903. Aalen 1965, S. 321. Die Perzeption als Bruch einer ritterlichen Konvention verweist damit einmal mehr auf die Fehlerhaftigkeit, aber auch Langlebigkeit einer solchen Konstruktion. So auch noch Klein, Habsburgs Glück, S. 39 oder die populärwissenschaft-

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

dem Umgehungsmanöver Ulrichs von Kapellen zumindest eine gewisse Ehrenrührigkeit zu, insofern die daran beteiligten Kämpfer gezwungen seien abzuwarten und lange nicht am Kampf beteiligt sein könnten, was mit den ersten beiden der oben genannten Risiken korrespondiert. Entsprechend fürchten die beiden steirischen Anführer einen Ehrverlust, wenn ihre Mitstreiter sehen, dass sie sich zu Beginn der Schlacht vom Schlachtfeld entfernen (StR, V. 15818–15825).319 Die negativen ethischen Implikationen, die mit der Bezeichnung ‚Hinterhalt‘ erweckt werden, stehen weiterhin im Widerspruch zur zeitgenössischen Konzeption von Ritterlichkeit, wie sie die Reimchronik präsentiert, in der keine moralische Wertung dieses Manövers als ‚unritterlich‘ vorgenommen wird.320 Wie oben bereits angedeutet, gibt die Reimchronik sehr deutlich zu verstehen, was sie unter ‚Ritterlichkeit‘/ritterschaft versteht. Bereits vor seiner Wahl zum König heißt es, Rudolf wäre ganzer manheit ein reck (StR, V. 12074) und während des Kriegszuges von 1276, der in der Kapitulation und Unterwerfung Ottokars gipfelte, wird Rudolf von Habsburg von der Reimchronik mittels eines Zitats aus dem Iwein gelobt:321 unz für Wienen fuor er dô, diu wart von im besezzen. kunic Ruodolf der vermezzen was ze urliuge wîs, wand er manigen hôhen prîs damit het bejagt. (StR, V. 13920–13925)

Im Iwein reflektiert der Titelheld über sein Leben vor dem Anfall von tobesuht, das ihm beim Erwachen wie ein Traum erscheint. Dabei sind an dieser Stelle die Unterschiede in den verschiedenen handschriftlichen Fassungen des Iwein zu beachten:

liche Darstellung von Karl-Friedrich Krieger: Die Schlacht bei Dürnkrut 1278. In: Höhepunkte des Mittelalters. Hrsg. von Georg Scheibelreiter. Darmstadt 2004, S. 154–165, hier S. 163, der sich im Wesentlichen auf Kusternig beruft. Auch Hoensch, Přemysl Otakar II., S. 246 f. spricht von „Hinterhalt“ und „Kriegslist“, wobei die letztere Bezeichnung weniger problematisch erscheint.  Vgl. Klein, Habsburgs Glück, S. 45, die zwar festhält, Ulrich von Kapellen und Konrad von Sumerau „wollten nicht als Drückeberger gelten“, jedoch nicht bemerkt, dass das Manöver ansonsten nicht weiter problematisch ist. Unter dem Eingeständnis es nicht sicher zu wissen (ob daz also geschæhe, des enweiz ich niht die wârheit. Str, V. 16056 f.), berichtet die Reimchronik, dass auch Ottokar eine kleine Abteilung zurückgehalten habe, damit sie zu einem Zeitpunkt, wenn die Kämpfer beider Seiten bereits erschöpft seien, mit hurte zuo ruorte / und die Tiutschen zefuorte, (StR, V. 16042–16057, Zit. V. 16053 f.). Dies wird von Kusternig, Probleme, S. 296 mit Anm. 406 jedoch bestritten. Kusternig vermutet entgegen dem Bericht der Reimchronik, dass Milota von Dedič, ehemals böhmischer Landeshauptmann von Steiermark (Vgl. Pferschy, Ottokar, S. 89 f.), das erste Treffen Ottokars befehligte, während die Reimchronik diesen nach dem Angriff Ulrichs von Kapellen die Flucht ergreifen lässt. (StR, V. 16551–16569).  Vgl. Wenzel, Geschichte, S. 160.  Vgl. Henrici, Nachahmung, S. 200.

II.2.10 manheit und die Funktion intertextueller Referenzen

‚ich was hövesch unde wîs und hân vil manegen herten prîs ze rîterschefte bejaget, [...]. (ADEacd-Fassungen)322

303

‚ich was hövsch unde wîs unde het mit manheit prîs an rîterschefte bejaget, [...].‘ (Iw (Bb), V. 3521–3523)

Die syntaktische Struktur der Verse in den Iwein-Fassungen und in der Reimchronik sind weitestgehend übereinstimmend. Wenn man also die Zitathaftigkeit dieser Passage anerkennt, läge der Gedanke nahe, dass dem Autor der Reimchronik offenbar eine der Fassungen der Gruppe ADEacd des Iwein vorlag, da das Wort manheit nicht übernommen wurde. Dies gilt nicht nur für manheit, sondern auch für hövesch und rîterschaft, die im Kontext der Beurteilung gesellschaftlicher Wertzuschreibung von Bedeutung sind und in der Reimchronik ebenfalls fehlen. Stattdessen erfährt das Wort wîs eine Konkretisierung, zur urluige wîs, was einen Verweis auf Kriegskunst und taktisches Geschick darstellt. In der Reimchronik geht es an dieser Stelle nicht darum, Rudolfs kämpferisches Können zu loben, sondern seine Fähigkeiten als Feldherr und Kommandant.323 Einen Bezug von Rudolf zu Iwein ist hier nicht gänzlich auszuschließen, zumal sich Iwein im Anschluss an diese Passage selbst in einen Krieg stürzt. Entsprechend wird der König, als er den Befehl für das Umgehungsmanöver gibt, mit den Worten wand er ûf urluiges gewin hete beidiu kunst und sin (StR, V. 15801 f.) charakterisiert. Damit wird einer ethischen Kritik des Manövers im Text der Reimchronik eine Absage erteilt. Auch Rudolfs kämpferisches Können wird in der Schlacht zur Anschauung gebracht. Mitten im Kampfgeschehen wird er von dem böhmisch-mährischen Adligen Herbot von Fullenstein324 angegriffen, der zuvor Ottokar II. versprochen hatte, Rudolf zu töten (StR, V. 16006–16019): kunic Ruodolf liez dâ sehen, daz im manic êre was geschehen in manigen herten strît, und daz er dâ und zaller zît ze ritterschaft wol kunde,

 Zu den Lesarten der Iwein-Hss siehe den Anhang in: Iwein. Eine Erzählung von Hartmann von Aue. Mit Anmerkungen von Georg Friedrich Benecke und Karl Lachmann, 4. Ausgabe. Berlin 1877 [im Folgenden Benecke, Lachmann: Iwein], S. 259–359, hier S. 455. Der Text hier ist zitiert nach der Ausgabe von 2001 mit Übersetzung und Nachwort von Thomas Cramer, die dem Text der 7. Ausgabe von G. F. Benecke, K. Lachmann und L. Wolff folgt: V. 3521–3523. Die Ausgabe von Volker Mertens, die ich im vorangegangenen Abschnitt vornehmlich verwendet habe, folgt demgegenüber der Fassung B.  Darüber hinaus wird Rudolf in der Reimchronik als friedliebender Herrscher gezeigt, siehe Albrecht Hagenlocher: Wunschvorstellungen gewaltlosen Friedens in der deutschen Literatur um 1300. In: Kampf und Krieg. Hrsg. von Wolfgang Haubrichs. Stuttgart 1998 (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. 28, 109), S. 59–73, hier S. 68.  Ein Herbot von Fullenstein lässt sich 1273 als Truchsess des Bischofs Brun von Olmütz nachweisen. Vgl. Urkunde Nr. 76 in: Codex Diplomaticus et Epistolaris Moraviae. Hrsg. von Antonii Boczek. Olmütz 1845, S. 108 f.

304

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

wand er sich an der stunde an dem von Fullensteine rach: durch des helmes venster er im stach niderhalp dem schophe beidiu ougen ûz dem kophe, daz er sich sterbens muost genieten. (StR, V. 16419–16429)

Nicht nur ist in diesen Versen ritterschaft direkt auf tödliche Gewalt bezogen und der König des Heiligen Römischen Reichs als der Ausführende dieser Gewalt gezeigt, wobei eine deutliche Trennung zwischen dem ausübenden ‚Täter‘ und dem ‚Opfer‘ festzustellen ist. Rudolfs Gewalt ist überdies durch die erklärte tödliche Absicht im Angriff des Fullensteiners als Notwehr vollends legitimiert. Es lässt sich daher erkennen, dass sich auch der Begriff der ritterschaft an erfolgreich angewandter Gewaltausübung misst.325 Entsprechend bringt der Text der Tat jedoch auch ein gewisses Maß an Bewunderung ob ihres Erfolges entgegen, die sich auch im Bericht über das von Rudolf befohlene Umgehungsmanöver beobachten lässt. Im selben Satz werden Gewalt und ritterschaft auch mit êre und Kampf in Verbindung gebracht, sodass eine parallele Struktur zu erkennen ist, in der êre und ritterschaft sowie Kampf und Gewalt einander zugeordnet sind. Die êre des Königs stellt in diesem Kontext daher ‚äußere‘ oder diskursive manheit dar, während die Gewaltausübung als Kennzeichnen seiner kämpferischen Fähigkeiten dient und damit seine praktische manheit sichtbar macht. Die Validität einer solchen Zuordnung wird nicht zuletzt durch das Lob bestätigt, das Rudolfs kämpferische manheit in der Reimchronik sowohl anlässlich seiner Wahl zum König als auch bei seinem Tod erfährt.326 Nach dem Bericht der Reimchronik war das von Rudolf befohlene Manöver in mehrfacher Hinsicht entscheidend für den Ausgang der Schlacht. So wird beschrieben, wie Ulrich von Kapellen an der Spitze seiner Männer die gegnerischen rott enzwei spielt, als ein tuoch mit einer schære / tuot ein snîdære (StR, V. 16520–16522), wodurch der alles entscheidende Zusammenhalt der böhmischen Formation gebrochen wird, was Verwirrung und Panik unter den böhmischen Kämpfern auslöste, die schwerwiegende Folgen hatten (StR, V. 16527–16531). Nicht nur, dass die bereits Kämpfenden die Flucht ergriffen, sie erweckten damit auch bei dem noch in der Reserve wartenden Kämpfern des böhmischen Heeres den Eindruck, die Schlacht sei verloren, sodass diese ebenfalls die Flucht ergriffen, wodurch die zahlenmäßige Überlegenheit

 So auch in der Rymkronyk, V. 5811–5825: Daer wert soe coenlike toe ghereden / Ende soe ridderlike ghestreden, / Dat was een die meeste daet, / Beide in werke ende in ghelaet, / Ende van ridderscape die meeste, / Die men vint in eneghe yeeste. / Men vint in vele yeesten genoech, / Dat een man liede vele versloech; / Maer men heeft niet gelesen, / Noch van gygante noch van resen, / Dat eneghe yeeste cont doet / Van ridderscape hoeger ontmoet, / Dan tusschen hen tween wert gedaen. Wie zu sehen war, üben vor allem dehumanisierte Gestalten in besonderem Maße Gewalt aus. Diese wird von den Rittern in Worringen jedoch noch überboten.  Vgl. StR, V. 12664 u. 38821.

II.2.10 manheit und die Funktion intertextueller Referenzen

305

des böhmischen Heeres keinen Einfluss auf den Ausgang der Schlacht nehmen konnte (StR, V. 16551–16574).327 Viermal wird in den Versen, die den Einsatz Ulrichs von Kapellen betreffen, das Wort menlich gebraucht, davon zweimal auf die Kampfhandlungen Ulrichs und seiner beiden Scharen bezogen. Hier häufen sich erneut die direkten Zitate aus dem Iwein. alrêrst man stach und sluoc. si kêrten gegen der hert; dô wart alrêrst gebert und menlich gevohten. swen si übermohten, der liez man nieman genesen. (StR, V. 16532–16537)

Wie bereits in der Schlachtbeschreibung des Iwein wird das Kämpfen zunächst auf das formelhafte Schlagen und Stechen reduziert,328 wobei auch hier das menlich vehten, das in der Ermutigungsrede des Bischofs von Basel zu Beginn der Schlacht verwendet wurde, auf die zugrundeliegende Gewalt des erfolgreichen Kämpfens verweist. So ist auch das genesen lazzen im hier zuletzt zitierten Vers ein deutlicher Ausdruck für die ausgeübte körperliche Schädigung, die eine weitere, wenngleich subtilere Anspielung auf den Iwein enthält, wo das Wort genesen neben der Drohung des Brunnenhüters Ascalôn zweimal329 im Zusammenhang mit dem vom Brunnen ausgelösten Unwetter einhergeht. Sowohl der Ansturm Ulrichs von Kapellen als auch das Unwetter werden mit den selben Begleiterscheinungen gekennzeichnet: In der Reimchronik krach (StR, V. 16524), doner (StR, V. 16525) und sûse (StR, V. 16527); im Iwein sius(en) unde ein/der dôz (Iw, V. 994 u. V. 7822) und donreslac (Iw, V. 651), wodurch der Heftigkeit des Ansturms die verheerende Wirkung des magischen Gewitters zugeordnet wird. Die nobilitierende Darstellung des steirischen Anführers als einem siegreichen Kämpfer schlägt sich nicht nur in seiner eigenen manheit nieder, sondern weiterhin auch in ihrer motivierenden Auswirkung als sichtbare manheit, wie sie die Steirer oben bereits an den Tag legten und wie es im Iwein bei den Männern der Gräfin von Narison zu beobachten war.330

 Auch hier findet sich ein expliziter Widerspruch zwischen der Darstellung der Reimchronik und der Rekonstruktion der Schlacht von Kusternig, Probleme, S. 295, da dieser angibt, dass die im dritten Treffen Ottokars stehenden Polen nicht wirklich an der Schlacht teilnahmen, während in der Reimchronik geschildert wird, dass die Österreicher so viele Polen getötet und das Land mit ihnen „gedüngt“ hätten, dass diese die banier mit dem wîzen strich gescheltent und gefluochent und nie wieder gegen das Reich Krieg geführt hätten (StR, V. 16205–16217).  Siehe Kap. II.1.5.  Iw, V. 998 u. V. 7811.  Henrici, Nachahmung, S. 201.

306

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

zageheit heten gevangen etlich, dô si sô lange striten, daz si von menlichen siten vil nâhen wâren komen: der muot wart gar von in genomen. dô si den Kappellære sâhen zuo den vînden sô gâhen und sô menlich gebâren, die ê verzaget wâren, die bekoberten sich ûf in und geviengen menlichen sin. (StR, V. 16540–16550)

si wârn ê vaste in getân, und heten joch die wer verlân, und alsô gar überriten daz sì von manlîchen siten vil nâch wâren komen: nû wart der muot von in genomen, dô si den gast sâhen zuo den vienden gâhen unde sô manlîche gebâren. die ê verzaget wâren, die sâhen alle ûf in unde geviengen manlîchen sin. (Iw, V. 3711–3722)

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass hier die Reimchronik der Bb-Fassung des Iwein näher steht, da es in der A-Fassung heißt, daz sie von uromelichen siden vil nager warē cŏm’.331 Auf intertextueller Ebene nimmt hier die Reimchronik eine Zuordnung Ulrichs von Kapellen zu Iwein vor, da die Reaktion der jeweiligen Kampfgenossen auf die Kampfhandlungen der zentralen Akteure jeweils die selbe ist. Eine ähnliche Zuordnung Ulrichs lässt sich auch zu Iweins Löwen beobachten, denn der Wortlaut, mit dem sein Angriff eingeleitet wird, entspricht dem des Angriffs des Löwen auf den Truchsess und seine Brüder im Iwein:332 in dûht, er hiete zît sich ze heben in den strît [...]. (StR, V. 16515 f.)

dô dûhte den leun er het zît sich ze heben in den strît [...]. (Iw, V. 5375)

Wie in mehreren Kämpfen Iweins dargelegt, geht die Kampfesweise des Löwen mit größerer Aggressivität und Brutalität beziehungsweise einer entsprechenden Darstellung einher. Dabei dienen die Bezüge zu Hartmanns Iwein einer Glorifizierung der Kampfkraft und ganz dezidiert der manheit der steirischen Kämpfer und ihres Anführers, Ulrich von Kapellen, was rückwirkend auch aus rezeptionsgeschichtlicher Sicht die Signifikanz der Glorifizierung Iweins bestätigt. Sowohl in der fiktiven Schlacht gegen den Grafen Aliers als auch in Dürnkrut und Jedenspeigen werden die jeweiligen Feinde von den durch die vorbildhafte manheit eines Einzelnen angespornten

 Siehe das Digitalisat der Hs. A: Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 397, Bl. 59r. [https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg397/0127, Zugriff: 27.06.2023]. Die oben zitierte Ausgabe mit dem Lachmann-Text von 2001 hat an dieser Stelle daz sî von vrävellîchen siten vil nâhen wâren komen (V. 3714 f.). Das Wort vrävellîchen findet sich in den Hss. D, E, c und d. Siehe erneut die Lesarten in: Benecke, Lachmann: Iwein, S. 460. Damit wäre die Vorlage der Reimchronik keiner der bekannten Iwein-Fassungen zuzuordnen, da sich an zwei Stellen ein jeweils exklusiver Wortgebrauch feststellen lässt. Natürlich könnte dies auch auf eine (un)bewusste Änderung des Autors oder eines Schreibers zurückgehen.  Vgl. Henrici, Nachahmung, S. 202.

II.2.11 Der Verlust kämpferischer Handlungsmacht

307

Kämpfern in die Flucht geschlagen. Die Sichtbarkeit von manheit wirkt sich dabei auf Freund und Feind gleichermaßen aus und wird vom Text exakt benannt: dô kunic Ottacker erspehte, daz in von niwen dingen vêhte ein schar, diu noch was geruot, vil sêre in daz muot. (StR, V. 16551–16554)

Ebenfalls in beiden Schlachten kommt den Flüchtenden ein Fluss in die Quere, der in der Reimchronik zahlreichen Kämpfern zum Verhängnis wird.333 Vor allem treten jedoch die jeweiligen Anführer die Flucht an. Während der Graf Aliers im Iwein dabei gefangen genommen wird, gleicht das Schicksal Ottokars II. Přemysl eher dem des Brunnenhüters Ascalôn.334

II.2.11 Der Verlust kämpferischer Handlungsmacht – Das Ende Ottokars II. Přemysl Es ist bereits hinlänglich deutlich geworden, dass der böhmische König über weite Strecken der Reimchronik als Antagonist gekennzeichnet ist, wie auch die erzählten Ereignisse maßgeblich durch dessen Aufstieg und den im Folgenden zu behandelnden Fall strukturiert sind. Entsprechend ist das Ende Ottokars II. Přemysl vornehmlich im Rahmen eines emplotments zu betrachten, das in der Klassifikation Hayden Whites als ‚Satire‘ zu bezeichnen ist, also als ein Drama dominated by the apprehension that man is ultimately a captive of the world rather than its master, and by the apprehension that, in the final analysis, human consciousness and will are always inadequate to the task of overcoming definitively the dark force of death, which is man’s unremitting enemy.335

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Ottokars Tod in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen mit einigem rhetorischen Aufwand inszeniert ist. Weiterhin wird sein Tod nicht als Bestandteil einer ‚Romanze‘ Rudolfs I. und dessen Triumphs erzählt, sondern als das Scheitern eines Mannes an den Versuchungen von frou Werlt (StR, V. 16791)336 und seinen als verwerflich dargestellten Ambitionen. Indem das Ende der Schlacht nicht ausdrücklich vorweggenommen wird, wird ver Vgl. Iw, V. 3732 u. V. 3742 und StR., V. 17096–17104.  Siehe Kap. II.1.3.  White, Metahistory, S. 8.  Zum Motiv von ‚Frau Welt‘ vornehmlich in Bezug auf Konrads von Würzburg Der Welt Lohn siehe Manfred Kern: Theater der Eitelkeit in Text und Bild. Frau Welt und Herr Mundus. In: Imaginative Theatralität. Szenische Verfahren und kulturelle Potenziale in mittelalterlicher Dichtung, Kunst und Historiographie. Hrsg. von dems. Heidelberg 2013, S. 367–385; Thomas Bein: ‚Frau Welt‘, Konrad

308

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

mieden, dass die gesamten Kampfhandlungen in der Tötung des böhmischen Königs kulminieren und damit an Bedeutung verlieren. Gleichfalls distanziert sich die Reimchronik gegen Ende der Schlacht von einem Erzählschema des ‚Zweikampfs der Könige‘, in dem der Tod des einen den Triumph des anderen erwirkt, auch wenn dies historisch gesehen der Fall war. Wie zu zeigen sein wird, ist Ottokars Tod fest in den regionalpolitischen Angelegenheiten der Steiermark verankert, was gleichzeitig die Kohärenz eines emplotments als ‚Satire‘ befördert. Wie bereits gesagt, drückt der Erzähler der Reimchronik sein Bedauern über dessen Tod aus und zeigt ihn im Kampfgeschehen als vorbildlichen Ritter, der in vorderster Front kämpft (StR, V. 16172 f.). Kurz bevor der Angriff Ulrichs von Kapellen das Ende der Schlacht einleitet, werden noch einmal die kämpferischen Qualitäten Ottokars II. Přemysl hervorgehoben, wobei hier erstmals sein Untergang antizipiert wird. wand er het ze ritterschefte beidiu sinne unde krefte und liutsæligen gelimph. [...] ouch was der ellensrîch sô gar unverzagt, hiet im sant Peter gesagt, er wurde dâvon kranc, ein schemelicher wanc wær von im nimmer geschehen. (StR, V. 16499–16511)

Trotz solchen Lobs ergreift Ottokar die Flucht, als sich sein Heer unter dem Ansturm Ulrichs von Kapellen aufzulösen beginnt. Dabei heißt es in der Reimchronik, dass seine eigene Reserve, welche als Gegenstück zu der Schar von Ulrich von Kapellen genannt wird (StR, V. 16042–16055), unter der Führung des mährischen Adligen Milota337 bereits ebenfalls geflohen war (StR, V. 16555–16573).338 Die Flucht der böhmischen Reserve lässt sich als Auftakt einer mehrstufigen Inszenierung erkennen, die im Tod Ottokars

von Würzburg und der Guter. Zum literarhistorischen Umgang mit weniger bekannten Autoren. In: ‚swer sînen vriunt behaltet, daz ist lobelîch‘. Festschrift für András Vizkelety zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Márta Nagy, Lázló Jónácsik. Budapest 2001 (Abrogans 1, Budapester Beiträge zur Germanistik. 37), S. 105–115. Bezogen auf die Reimchronik in Kürze Klein, Habsburgs Glück, S. 47. Siehe auch Daniel Schäfer: Texte vom Tod. Zur Darstellung und Sinngebung des Todes im Spätmittelalter. Göppingen 1995 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik. 620), S. 250–253.  Dieser wird in StR, V. 10804–10806 u. V. 13679–13683 als böhmischer Hauptmann der Steiermark benannt.  Vgl. Kusternig, Probleme, S. 287, der auf S. 296 darauf hinweist, dass es sich bei dieser Reserve um eine Erfindung des Reimchronisten handle.

II.2.11 Der Verlust kämpferischer Handlungsmacht

309

II. mündet und dabei schrittweise seine Verfehlungen in Zusammenhang mit seinem Scheitern und einem Verlust von Handlungsmacht oder agency rückt. Die Inszenierung bleibt dabei weiterhin den narrativen Strukturen des Kampfes verpflichtet, in denen sein Tod als Folge einer Verkettung kämpferischer Niederlagen dargestellt wird. Wie bei einem Zweikampf zwischen Rittern (man denke an die aventiure-Definition Kâlogreants) wurden am Anfang der Schlacht die beiden Heere als eine symmetrische Opposition beschrieben, die durch die gleiche Anzahl von Treffen und eine ähnliche geistliche Unterstützung zum Kampf formiert waren. Die Überführung in die Asymmetrie von Sieg und Niederlage wird in dieser Schlacht vornehmlich durch das Manöver Ulrichs von Kapellen bedingt, das damit dem entscheidenden Schlag eines Zweikampfs entspricht. Indem der Text die Reserve unter Ulrichs Führung als ausschlaggebenden Faktor darstellt, während die böhmische Reserve als entsprechendes Gegenstück die Flucht ergreift, wird nicht nur erstere aufgewertet, sondern auch zum Ausdruck gebracht, dass Ottokar als Heerführer nicht über die kämpferischen Mittel verfügt, um dem Angriff Ulrichs zu widerstehen oder ihn zu erwidern. Als Entsprechung von kämpferischer manheit im Sinne einer Kapazität und Kompetenz der Gewaltausübung ist diese Kapazität im übergeordneten Kontext der Schlacht auf die kriegerische Beteiligung bezogen, die die jeweiligen Gefolgsleute zu leisten bereit sind. Dies wurde bereits im Zuge der ‚Mauerschau‘ deutlich, als sich die steirischen Adligen in sehr viel größerer Anzahl und mit größerem Gefolge als Bundesgenossen Rudolfs präsentierten, als sie es in vorherigen Jahren bei Ottokar getan hatten.339 Die Flucht des Anführers der Reserve, Milota, wird damit begründet, dass dieser an seinen Bruder denkt, den Ottokar hatte hinrichten beziehungsweise verbrennen lassen.340 Wie Ottokars Tod letztlich als Folge der Hinrichtung Siegfrieds von Mahrenberg dargestellt wird, so ist nun an dieser Stelle die Hinrichtung eines anderen Adligen als Ursache dafür benannt, dass er im Stich gelassen wird. Hier ist der Anlass seiner Tötung bereits vorwegnehmend angedeutet. An erster Stelle der schrittweisen Entmachtung Ottokars II. steht die Flucht seines Heeres und somit der Verlust seiner Befehlsgewalt als Feldherr, die be-

 Siehe Kap. II.2.5 u StR, V. 14544–14644.  StR, V. 16558–16565: nû hôret, waz her Milot tuo. / er gedâht daran zehant, / daz im sîn bruoder was verbrant / in dem turn datz dem Eichorn. / dâvon was ez gar verlorn, / swaz man nâch im moht gesenden, / er begunde dannen wenden / und kêrte bî der March zetal. Diese Ereignisse werden in der Reimchronik nur am Rande erwähnt. Am ausführlichsten finden sie sich in einer fünfzehntausend Verse später wiedergegebenen Rede eines steirischen Adligen, siehe StR, V. 31613–31624: kunic Ottacker von Bêheim / hiet iuz niht alsô vertragen: / zwên herren von im tôt lâgen / von semlichen schulden, / die muosten daz dulden, / daz ers in einem turne tôt. / die dâ liten dise nôt, / daz was des Mîssouwære vater, / unde einen suppan hât er, / hiez her Benesch von Merhæren – / man seit, daz si brüeder wæren, / er und her Milot. Der erwähnte Mîssouwære ist Otto von Maissau, der zum einen bei der ‚Herausforderung am Fluss‘ in der Schlacht von Kressenbrunn als Botschafter erwähnt wurde (StR, V. 6989–7104, siehe auch Kap. II.2.7), dessen Hinrichtung jedoch zum anderen im Kontext der Auseinandersetzung zwischen Rudolf von Habsburg und Ottokar von Böhmen in einem Atemzug mit der Hinrichtung Siegfrieds von Mahrenberg genannt wird (StR, V. 13332–13345).

310

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

deutet, andere Männer für sich kämpfen zu lassen. Mit einem Gefolge von drei Kämpfern verlässt Ottokar das Schlachtfeld und wird dabei von einer namentlich und zahlenmäßig nicht spezifizierten Gruppe verfolgt: ûz dem strîte ûf den plân, dâ wolt mit in [den Verfolgern] gevohten hân kunic Ottacker der ziere: dô wurden der viere die zwêne ze tôd erslagen. dô muost er sich lâzen jagen, war dennoch der eine kam, ze der zît ich des niht vernam; ich hôrte aber hernâch jehen, er wær ouch tôter dâ gesehen. (StR, V. 16583–16592)

Die Verfolgung geht erwartungsgemäß mit einem Ortswechsel einher, der hier jedoch zusätzlich semantisch codiert ist, da der spezifische Raum der Schlacht verlassen wird. Wiederum wird Ottokars Untergang als ein Verlust von Handlungsmacht inszeniert, da er jenseits der Schlacht einen neuen Kampf beginnt, in dem er seiner letzten Gefolgsleute beraubt wird. Entsprechend hebt dann die zweite Klage des Erzählers an: owê des schaden, owê! ich furht, daz ez niht wol ergê, sit er aleine ist beliben. vaste si in umbetriben; doch wizzet sicherlich, daz von Bern an hern Dietrich solich ellen nie wart schîn gegen Sîfriden dem hurnîn in dem rôsengarten, als man von Bêheim den zarten dâ sach begên und tuon. (StR, V. 16593–16603)341

Der Vergleich mit Dietrich von Bern aus dem Rosengarten zu Worms, in dem Dietrich letztendlich siegreich ist,342 stellt einerseits die Kampfkraft Ottokars II. Přemysl noch ein letztes Mal heraus, verdeutlicht jedoch durch den Gegensatz zum Rosengarten auch den finalen Verlust von Handlungsmacht, da Ottokar in der Steirischen Reim-

 Der Vergleich Ottokars II. Přemysl mit Dietrich von Bern gilt als das „älteste Rezeptionszeugnis“ des Rosengarten zu Worms. Siehe Joachim Heinzle: Einführung in die mittelhochdeutsche Dietrichepik. Berlin/New York 1999, S. 178 f.  Siehe Rosengarten. Teilband I: Einleitung, ‚Rosengarten‘ A. Hrsg. von Elisabeth Lienert [u. a.]. Berlin/Boston 2015 (Texte und Studien zur mittelhochdeutschen Heldenepik. 8,I), V. 399,2–402,2. Dietrichs Sieg ist allerdings keinesfalls eine eindeutige Angelegenheit, wie Gebert, Wettkampfkulturen, S. 307 zeigt.

II.2.11 Der Verlust kämpferischer Handlungsmacht

311

chronik trotz dieser Kampfkraft um sein Leben feilschen und flehen muss. Durch diese Verschränkung des siegreichen Dietrich mit dem sieglosen Ottokar wird die paradoxale Schwebe betont, die seine Niederlage für einen kurzen Moment hinauszuzögern scheint. Aus dieser Schwebe heraus erfolgt auch sein Versuch sich zu ergeben (StR, V. 16604–16614), der damit nicht aus einer dezidierten Situation der Niederlage hervorgeht. ûf die red si ahten niht. vil gar was ez enwiht, swaz er gebitten mohte, lutzel im daz tohte. die rede wil ich machen kurz. den kunic si mit einem sturz von dem rosse brâhten. als lanc si mit im vâhten, unz daz er werlôs beleip. (StR, V. 16615–16623)

Hier ist der Moment markiert, an dem Ottokar im Kampf unterliegt und damit nach dem Verlust seiner Kapazität als Feldherr und seines Gefolges auch seiner Fähigkeit zur wer – zur Fortsetzungen des Gewaltaustauschs – benommen ist. Es muss noch einmal hervorgehoben werden, dass die Anzahl von Ottokars Gegnern zu keiner Zeit genannt wird und auch die Namen von zweien lediglich angedeutet werden. Damit geht einher, dass das Kräfteverhältnis sowohl des ersten Kampfs, in dem Ottokars Gefolge umkommt, als auch des zweiten Kampfs, in dem er schließlich unterliegt, unklar ist beziehungsweise das Ausmaß seiner Unterlegenheit hinter dem Pronomen si verborgen bleibt. Auch dies lässt sich als Form einer verschleiernden Sympathiesteuerung verstehen, da so die Tötung eines Einzelnen durch eine Gruppe im Rahmen einer Prämisse von Fairness weniger akzentuiert ist. Damit, dass si mit im vâhten, ist jedoch ausgedrückt, dass auch hier noch ein Gewaltaustausch stattfindet, der jedoch schnell zu einem Ende kommt. Genauso wie sich der Verlust von Ottokars Handlungsmacht in mehreren Etappen vollzieht, ist auch seine Tötung durch einen stufenhaften Aufbau gekennzeichnet, der je durch erneute Gnadengesuche unterbrochen wird. Mit Bent Gebert ist auch hier von loops oder Schleifen zu sprechen,343 die jedoch nicht auf eine Fortsetzung reziproken Gewaltaustauschs bezogen sind, sondern – um im Bild zu bleiben – eine deutliche Abwärtsspirale von Niederlagen und neuerlichen Gnadengesuchen vollziehen. Begin-

 Vgl. Gebert, Wettkampfkulturen, S. 19.

312

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

nend mit seiner Wehrlosigkeit (werlôs) erfolgt die nächste Schleife im dezidierten Tötungsversuch eines einzelnen Verfolgers: der eine dô ûf in treip, sînes sterbens den gelust, darumb er im in die brust ein gespiztez swert stach, daz man ez anderhalben sach. dannoch wând er genesen. (StR, V. 16624–16629)

Der Text gibt deutlich zu erkennen, dass der Sieg im Kampf hier nicht das primär angestrebte Ziel dieses Verfolgers darstellt, sondern eine dezidierte Tötungsabsicht vorliegt. Das folgende Gnadengesuch wird wiederum abgelehnt, wobei als Motiv zur Tötungsabsicht die Rache für Siegfried von Mahrenberg genannt hat, den Ottokar aufgrund von Verleumdungen hatte verhaften, foltern und schließlich zu Tode kommen lassen.344 ‚ir gelt mir den ôheim, von Merenberc hern Sîfrit‘, sprach der eine, ‚des ich mit nihten wird ergetzet, wan daz ir hie geletzet wert von mîner hant.‘ nieman in des erwant, er hurte sô hin und stach daz mezzer in in bî dem halse ze tal. (StR, V. 16638–16647)

Die ausführliche Schilderung des Todes Siegfrieds von Mahrenberg eröffnet den dramaturgischen Bogen zur Tötung Ottokars, dessen Untergang auf vorherige Akte der Tyrannei zurückgeführt wird und so die Kohärenz des satirischen emplotments gewährleistet. Zusätzlich bewirkt die ausgedehnte Folterszene eine Legitimation der Tötung, wobei die Reimchronik sowohl die Namen als auch die Anzahl der Täter verschleiert. Aus einer nachträglichen Benennung lässt sich entnehmen, dass der eine, der Ottokar mit dem swert durchbohrte, und der eine, der ihm das mezzer in den Hals stieß, nicht derselbe Mann waren. Der Erzähler differenziert im Nachhinein zwischen einem, dem Ottokar einmal beroubt ein teil sîner êren (StR, V. 16668 f.) und einem anderen, dessen Wappen beschrieben wird und der eine familiäre Beziehung zu Siegfried von Mahrenberg aufweist.345 Dieser andere wird derjenige sein, der seine Handlung mit der Rache für den  StR, V. 11836–11971 und Kap. II.2.8.  StR, V. 16675–16684. Der Herausgeber der Reimchronik, Josef Seemüller, Einleitung, S. 221 vermutet hinter der Beschreibung Berthold von Em(m)erberg. Einen Angehörigen dieser Familie sieht auch Kusternig, Probleme, S. 298 f. u. S. 309.

II.2.11 Der Verlust kämpferischer Handlungsmacht

313

ôheim, von Merenberc her Sîfrit begründet, sodass die Verletzung mit dem swert und der Tod durch das mezzer nicht von demselben Verfolger ausgeübt werden. Die Dramaturgie der Entmachtung vollendet sich, indem die Verfolger den toten oder sterbenden König liegen lassen, der im Anschluss von Plünderern seiner Rüstung beraubt wird, was als eine wortwörtliche Entkleidung sowie Wegnahme von Schutz und Verteidigung auch jenseits des Todes anzusehen ist. Dorothea Klein hebt diesbezüglich die antithetische Darstellungsweise der Reimchronik hervor, die den vormals ‚goldenen‘ König nun nackt im Staub liegen lässt.346 dô si von im wâren geriten, die sîn verch heten versniten, dô wart der ellenthaft, der an menlicher kraft nie het gewannen meil, den buoben ze teil. die machten in blôz unde bar, wand si zugen im ab gar harnasch unde kleider, alsô daz er der beider mit nihtiu was bedact. (StR, V. 16705–16715)

Im Anschluss an Klein findet sich hier die Gegenüberstellung von makelloser menlicher kraft und den räuberischen bouben. Malte Prietzel macht darauf aufmerksam, dass das Ausmaß der Leichenschändung im Vergleich zu früheren Quellen in der Reimchronik stark zurückgenommen ist.347 Es ist als zentrales Element eines satirischen emplotments zu verstehen, dass selbst ein kunic von hôher art (StR, V. 16660) und ein Mann von so großer manheit am Ende den bouben zum Opfer fällt. Dass solch ein unrühmliches Ende jedoch nicht vollkommen unverdient ist, macht die Reimchronik im anschließenden Nachruf deutlich, sodass die im Text verwendeten Klageformeln (owê des schaden, owê! StR, V. 16593) konterkariert werden. Zwar preist ihn die Reimchronik in einer epischen Hyperbel als aller tiuriste man, der ie getruoc krône (StR, V. 16736 f.), fügt jedoch direkt hinzu wan daz er nâch der Werlde lône / mit aller sîner maht / alze sêre vaht. (StR, V. 16738–16740). Dies mündet in eine ausführliche Klage über die Versuchungen der Welt, denen Ottokar erlegen ist und ihre verräterische Treulosigkeit, der er zum Opfer gefallen ist:348 sich, Werlt, daz ist dîn solt. / wê im, der dir ist holt, / und wê im, den dû triutest! (StR, V. 16883–16885) Daran ist noch eine Aufzählung der Untaten geknüpft, die er um der werlt lôn begangen hatte, angefangen bei einer Schuldzuschreibung am Tod Konradins und Friedrichs von BadenÖsterreich, dem letzten Staufer und dem einzigen Sohn der Babenbergerin Gertrud.

 Vgl. Klein, Habsburgs Glück, S. 45 f.  Vgl. Prietzel, Kriegführung, S. 162.  StR, V. 16741–16909. Vgl. auch Liebertz-Grün, Mittelalter, S. 115.

314

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Zu den im Nachruf versammelten Untaten Ottokars II. zählt die Reimchronik dann weiterhin die Vertreibung Gertruds aus Österreich mit erneuter Anknüpfung an die alte Herzogsfamilie (herzog Fridrichs bruoder kint, StR, V. 16972), den Einzug ihres Erbes, durch den ihr nicht einmal ein Dach über dem Kopf geblieben sei sowie die Aufzählung weiterer Sünden wie Kirchenfrevel (StR, V. 16996–16998), Meineid (StR, V. 17005–17026), Promiskuität und Untreue gegenüber seiner Frau Margarete, Gertruds Tante (StR, V. 17029–17053). Der Nachruf auf den Böhmenkönig, der immerhin auch 27 Jahre Herzog von Österreich und 17 Jahre Herzog der Steiermark war, zeichnet ihn somit in außerordentlich schlechtem Licht und stellt seinen Tod als gerechte Strafe dar.349 Die Reimchronik beschreibt einen Herrscher, dessen negatives Profil im Text extensiv zur Schau gestellt wird, der aber dennoch ebenfalls mit den Attributen ritterschaft und manheit belegt wird (StR, V. 16499 u. 16708). Die anhand des Iwein dargestellte moralisch neutrale Verwendung der manheit erscheint als wichtiges Instrument narrativer Historiographie, in der ein grundsätzlich vorgegebener Lauf der Ereignisse erzählt werden muss, an den aber erst im Text gesetzte Wertungen angelagert werden können. Die Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen ist zwar verloren, jedoch erzählt die Reimchronik noch den grausamen Rest, den das Ende vieler Schlachten zur Folge hatte. Die Fliehenden werden getötet oder gefangen genommen, viele von ihnen ertrinken in der March (StR, V. 17096–17101) und ihre Leichen werden später von den Bewohnern des Marchufers aus dem Wasser gezogen und geplündert (StR, V. 17280–17289). Die Überlebenden suchen nach vermissten oder getöteten Verwandten; Knechte suchen ihre Herren (StR, V. 17184–17190); die Gefangenen werden zusammen getrieben (StR, V. 17166–17183). Die Reimchronik liefert dabei ein ambiges Bild des materiellen Profits, der sich aus der Gefangennahme gegnerischer Kämpfer ergibt und der als Indikator eines erfolgreichen Kampfes zu betrachten ist. Einerseits rühmt sie dementsprechend die steirischen und österreichischen Kämpfer: ouch sûmten sich niht die, die dâ gestriten heten hie unz an des siges drum, si schuofen sô irn frum, do der strît was ergangen, mit êrbæren gevangen, daz Stîre unde Ôsterrîch an silber wæren worden rîch, der si beschetzen lâzen hiet. (StR, V. 17139–17147)

Andererseits gibt die Reimchronik an, dass man König Rudolf geraten habe, alle Gefangenen für sich einzufordern, um sie als Druckmittel für die Verhandlungen mit

 Vgl. Klein, Habsburgs Glück, S. 47.

II.2.12 Zusammenfassung: Die manheit der Steirer

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den Böhmen zu nutzen (StR, V. 17148–17159): ob daz der kunic alsô tuo, daz gehôrt ir wol hernâch (StR, V. 17160 f.). Diese Ankündigung läuft jedoch ins Leere, da in den nachfolgenden Versen und während der gesamten Friedensverhandlungen nie wieder von den Gefangenen die Rede ist. Mit der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen und dem Tod Ottokars II. Přemysl endet der strukturelle Handlungsbogen, der sich am sogenannten ‚Österreichischen Interregnum‘ orientiert, wobei sich auch diese Zäsur vornehmlich aus dem nachzeitigen Wissen um die lange Dauer und relative Stabilität der habsburgischen Herrschaft über Österreich und die Steiermark herleitet und entsprechend im Text nicht als solche gekennzeichnet ist. Umso entscheidender ist daher das emplotment als ein analytisches und interpretatorisches Werkzeug, das es ermöglicht interne Handlungsstrukturen hervorzuheben, ohne sich dabei zu sehr auf große geschichtliche Narrative wie den Niedergang der Přemysliden oder den Aufstieg der Habsburger zu versteifen. Als zentrale Elemente der Darstellung stehen hier erneut die Handlungen steirischer Adliger sowie ihre manheit im Vordergrund, da ihnen nicht nur der entscheidende Beitrag zum Sieg in der Schlacht zugeschrieben wird, sondern auch der Tod Ottokars als Folge interner steirischer Auseinandersetzungen dargestellt wird. In Bezug auf Letzteres offenbart die Reimchronik dabei eine ambige Bewertungshaltung, da einerseits die Tötung des Königs bedauert wird, dies andererseits aber durch die nachgeschobene Aufzählung seiner Untugenden relativiert wird. Es ist an dieser Stelle zu differenzieren, dass die Handlung der Mörder und der Tod des Königs eine jeweils eigene Legitimation erhalten. Den Mördern wird das Motiv der Rache in den Mund gelegt, was durch die im Vorhinein ausführlich dargelegte Hinrichtung Siegfrieds von Mahrenberg vorbereitet wird und dadurch mehr Gewicht erhält, während sein Tod zwar vorgeblich bedauerlich, letztlich aber gerecht und verdient erscheint. Die Erzählinstanz der Reimchronik gibt sich damit zwar den Anschein von Neutralität, lässt aber durch eine verschleiernde Sympathiesteuerung gleichzeitig den finalen Triumph der Steirer über den Antagonisten hervortreten.

II.2.12 Zusammenfassung: Die manheit der Steirer Es konnte gezeigt werden, dass die Steirische Reimchronik den steirischen Adel in Form einer textuellen Selbstrepräsentation als eine Kriegergesellschaft portraitiert, indem die kämpferischen Qualitäten und die manheit der (überwiegend) steirischen Akteure hervorgehoben werden. Dies geschieht unabhängig von der übergeordneten politischen Legitimation des jeweiligen Krieges. Bei der Schlacht von Kressenbrunn um die Herrschaft über die Steiermark entfaltet die verschleiernde Sympathiesteuerung, die in der Darstellung des ‚Österreichischen Interregnums‘ in der Chronik dominiert, ihre Wirkung, indem die kämpferischen Handlungen der Akteure glorifiziert werden, ohne den Anlass des Kampfes und seine Kapitalisierung in den Blick zu nehmen. Indem die Verbindung zu Anlass und Konsequenz der Kampfereignisse in der

316

II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

Chronik verschleiert wird, löst sich der Kampf auf der Ebene der Darstellung von seinen politischen Umständen und trägt damit seinen Zweck in sich selbst, wie es Johan Huizinga für das Spiel formuliert hat. Dadurch entfällt jedoch auch die Legitimation der im Kampf ausgeübten Gewalt im Rahmen eines Konzeptes von bellum iustum. Die gegnerischen Ungarn sind zwar alles andere als Sympathieträger und ihre Darstellung ist von dehumanisierenden Untertönen begleitet, aber einen wirklichen Grund sie zu bekämpfen und zu töten gibt der Text nicht zu erkennen. Demgegenüber tritt ein handlungsbezogenes Wertesystem des Kampfes in Kraft, innerhalb dessen die Qualität einer Handlung bewertet wird, wie es Andrei Marmor für konstitutive Konventionen beschrieben hat.350 Dieses bewirkt eine Legitimierung von Gewalt und kämpferischen Handlungen jenseits politischer und ethischer Kategorien. Die Qualität der kämpferischen Leistung der Steirer in Kressenbrunn bietet darüber hinaus auch einen Hinweis auf die individuelle, psychische Legitimation von Gewalt. Mühe und Not des Kampfes werden als Anlass zur lust geschildert, für diejenigen, die im Kampf die Besten sind, wobei der Text der Reimchronik Bezug auf den Iwein nimmt und die Wertzuschreibungsmodelle des arturischen Romans und seiner Hofdarstellung integriert. Direkte Zitate aus dem über hundert Jahre früher entstandenen höfischen Roman belegen dabei nicht nur die longue durée Hartmannscher Texte und arturischer Idealität. Indem eine Aussage aus dem Munde König Artus‘ zur Beschreibung steirischen Kampfgeists gebraucht wird, rekurriert der Text auch auf ein System von Wertvorstellungen, das lediglich dann funktionieren und Gültigkeit besitzen kann, wenn es im Bewusstsein der Rezipient:innen verankert ist. Ein kriegerisches Wertesystem, das an der skillful performance von Gewalt orientiert ist, lässt sich gleichzeitig auch als zentrales Element von ritterschaft beobachten, wie es nicht zuletzt am römisch-deutschen König Rudolf I. von Habsburg in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen verdeutlicht wird. Die Legitimation dieser Schlacht gestaltet sich im Vergleich zur Schlacht von Kressenbrunn einerseits wesentlich einfacher, da die Steirer an der Seite Rudolfs gegen den dezidierten Antagonisten der Reimchronik ins Feld ziehen. Andererseits stammen ihre Gegner diesmal aus dem Reich und gehören damit nicht nur als Standesgenossen zu einer ähnlichen sozialen Gruppe. Vor diesem Hintergrund ist zu beachten, dass in der Darstellung der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen jenseits der anfänglichen Ansprachen vor allem den Steirern (StR, V. 16309) und – als einem von ihnen – Ulrich von Heunburg (StR, V. 16326 u. 16350) praktische manheit zugesprochen wird. Anders als bei Kressenbrunn wird die Verherrlichung der Steirer hier vor allem durch die Attribuierung von manheit betrieben. Der Erzähler der Reimchronik bezeichnet nicht nur die Eigenschaft der Kampfkraft mit manheit, sondern auch die kämpferischen Handlungen der Steirer, sodass eine sublimierende Verschiebung zu beobachten ist, die die Kampfkraft der Steirer betont. Dies wird besonders an dem

 Vgl. Marmor, Conventions, S. 36 f.

II.2.12 Zusammenfassung: Die manheit der Steirer

317

von Ulrich von Kapellen befehligten Umgehungsmanöver ersichtlich, das nicht nur – wiederum mittels eines Iwein-Zitats – die Kampfmoral der anderen Kämpfer Rudolfs hebt und damit den Sieg in der Schlacht herbeiführt. Die manheit Ulrichs überschreibt auch die Gewalt, die mit diesem Manöver einhergeht und die damit indirekt glorifiziert wird. Ein anderer Ulrich, der Graf von Heunburg, erwirbt durch seine manheit die Hand einer reichen Witwe. Dem Text der Reimchronik ist es dabei deutlich um eine gesellschaftliche Erhöhung des Grafen zu tun, damit dessen Heirat mit einer Fürstentochter der Anschein einer Mesalliance genommen wird. Das bedeutet, dass Ulrichs Idoneität zum Gemahl, genau wie Iwein, in seiner manheit gründet. Die dabei vollzogene Zuordnung von kämpferischem Tugendadel und fürstlichem Geburtsadel entspricht daher dem im höfischen Roman vielfach wiederholten Schema der (Be)freiung einer Landesherrin durch den ritterlichen Protagonisten. Im Gegensatz zu diesem endet der Erzählstrang von Ulrich von Heunburg jedoch nicht mit einer auf Dauer gestellten Verbindung wie im Falle Iweins. Stattdessen offenbart sich das insgesamt tragische emplotment des an seinen Ambitionen scheiternden Grafen, das durch die Eheschließung mit Agens von Baden-Österreich eingeleitet wird und an dessen Ende die Niederlage gegen die Habsburger und der Tod von Agnes stehen. Wie eingangs erläutert, kann eine Analyse der Steirischen Reimchronik nicht auf die Unterstützung durch die historische Forschung und ein Studium der entsprechenden Urkunden und parallelen Chroniken verzichten. Der Fall Ulrichs von Heunburg demonstriert dies in eindrücklicher Weise, da nicht nur sein politischer Seitenwechsel ins Lager König Rudolfs einen Blick auf die ökonomischen Vorteile ermöglicht, die ihm aus der Ehe mit Agnes erwuchsen. Auch liefert die Situierung des Berichts von seiner Hochzeit im Umkreis der davor und danach erzählten Ereignisse aufschlussreiche Hinweise auf das erzählerische Kalkül der Reimchronik und deckt durch einen Abgleich mit der historischen Ereignisfolge die zugrundeliegende verschleiernde Sympathiesteuerung als Textfunktion auf. Als Erzähltext weist die Steirische Reimchronik eine Überschneidung von kompositorischer Komplexitätsreduktion und gesellschaftsstruktureller Komplexitätssteigerung auf, die im Vergleich zu anderen literarischen Gattungen wie dem höfischen Roman jedoch auf den historiographischen Anspruch des Genres oder zumindest dieses Vertreters zurückzuführen sind. Wie die Hochzeit Ulrichs von Heunburg, die aufeinander bezogenen Tode Siegfrieds von Mahrenberg und Ottokars II. Přemysl mit dem grundsätzlichen emplotment des Böhmenkönigs sowie die eingeschobene Erzählung vom Ring des Schärfenbergers zeigen, verfügt die Reimchronik durchaus über kompositorische Verfahren, die sich jedoch stets nur auf einzelne Erzählstränge beschränken, während der übergeordnete Verlauf einer chronologischen Ereignisfolge weitestgehend verpflichtet bleibt. Entsprechend macht die Chronik selten von Erzähltechniken Gebrauch, die durch Muster von Wiederholung und Überschneidung und durch Strukturen von Ähnlichkeit und Differenz zusätzliche Sinnzusammenhänge erzeugen. Gleichfalls ist es dem Text wenig um Mehr- oder Vieldeutigkeit zu tun, da die manheit der Steirer sowie ihre politischen und militärischen Handlungen als eindeutiges Darstellungsziel unverkenn-

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II.2 manheit und Kampf in der Steirischen Reimchronik

bar sind. An dieser Stelle setzt jedoch die gesellschaftsstrukturelle Komplexitätssteigerung ein, da die Beziehung der historischen Akteure untereinander und vor allem die Beziehung des steirischen und österreichischen Adels zu den verschiedenen Landesherren und auch die Haltung der Erzählinstanz gegenüber letzteren mal mehr mal weniger deutlich benannt werden. Ohne naiv von einem reinen Abbildungsverhältnis sprechen zu wollen, verfolgt die Darstellung der Reimchronik eine politische Agenda, die sich an historischen Strukturen orientiert, auf die sie rekurriert, die sie verschleiert oder schönt. Von erzähltheoretischer Seite lassen sich somit zentrale Akteure der Reimchronik mit wenigen Ausnahmen nicht in prototypische Figurenrollen oder Aktantenmodelle einfügen und bleiben damit unterdeterminiert. Besonders bedient sich die Reimchronik jedoch solcher Figurenmuster, wie sie der höfische Roman initiiert: Ansehen, Wert und Bedeutung der Akteure, kurz ihr symbolisches und soziales Kapital sind an praktische manheit gebunden, sodass sich Akteure wie Ulrich und Otto von Liechtenstein, Ulrich von Kapellen und Ulrich von Heunburg vor allem durch ihre diskursive manheit und ritterschaft auszeichnen. Damit repräsentieren die steirischen Adligen eine Kriegergesellschaft, die sich im Erzählen von sich selbst ihre eigenen Helden schafft.

III Fazit: manheit und Kampf. Die Umcodierung von Gewalt

In dieser Arbeit werden mehrere Phänomene behandelt, die aufs Engste miteinander verknüpft sind und sich daher gegenseitig bedingen. manheit oder präziser praktische manheit offenbart sich ausschließlich im Kampf, der wiederum nicht ohne Gewalt stattfinden kann, was manheit allererst erforderlich macht. Alle drei Bestandteile dieses zyklischen Verbandes stehen in direkter Verbindung zur praktischen Seite des Rittertums und damit zur adligen Gesellschaft des 12. bis 14. Jahrhunderts. Unter diesen Voraussetzungen bedurfte das close reading von Hartmanns Iwein und der Steirischen Reimchronik eine entsprechende Anzahl von Vorarbeiten, um die Perspektive herauszuarbeiten, mit der manheit, Gewalt, Kampf und Rittertum zusammengelesen und analysiert werden. So war einerseits der Unterschied zwischen manheit und ‚Tapferkeit‘ aufzuzeigen und andererseits die dem mittelhochdeutschen Wort manheit eigene Gender-Konnotation von modernen Männlichkeitsbegriffen abzugrenzen. Die hier vorgelegte Analyse hat mit großer Deutlichkeit gezeigt, dass eine Übersetzung mit ‚Tapferkeit‘ den Bedeutungsgehalt des Wortes manheit eher verunklart als erhellt, da sich große Divergenzen der semantischen Felder erkennen lassen, die die beiden Begriffe kennzeichnen. Der Bedeutungsverlust einer solchen Übersetzung beschränkt sich nicht nur auf die Interpretationen der altgermanistischen Forschung. Eine selbstverständliche und unreflektierte Übertragung der semantischen Implikationen von ‚Tapferkeit‘ auf das mittelhochdeutsche manheit befördert auch ein unzureichendes Textverständnis bei jenen, die lediglich die neuhochdeutschen Übersetzungen mittelalterlicher Texte rezipieren. Wie zu Anfang dieser Arbeit gezeigt wurde, kennzeichnet sich die diskursive Verwendung von ‚Tapferkeit‘ vornehmlich durch Passivität und Duldsamkeit gegenüber äußeren Widrigkeiten und kann damit niemals ethisch negativ konnotiert sein. Demgegenüber erscheint manheit nach modernem Verständnis ethisch neutral, da sie auch zur Beschreibung von Antagonisten und ethisch negativ beurteilten Akteuren oder Handlungen gebraucht wurde. Eine Verortung von manheit in einem sozialgeschichtlich-kulturwissenschaftlichen Kontext war von der altgermanistischen Forschung bis dato nicht unternommen worden. Die manheit höfischer Heldenfiguren ist von der Forschung dabei durchaus bemerkt worden, wobei die direkten Bezüge zwischen manheit und Kampf sowie manheit und Gewalt als einer Spirale der Verausgabung aufgedeckt wurden. Es konnte gezeigt werden, dass praktische manheit ausschließlich im Kontext des Kämpfens aktualisiert wird und damit immer an eine Ausübung von Gewalt gebunden ist. Historische Gewaltformen sind seit längerem ein intensiv bearbeiteter Gegenstand der historischen, soziologischen und auch der literatur-wissenschaftlichen Forschung gewesen. Diese Arbeit beschäftigte sich mit jenen Gewalthandlungen, die hinter den Legitimations- und Sublimierungsstrategien einer vordergründingen Darstellung als manheit oder Kampf verborgen liegen. Gewalt erwies sich hier keinesfalls als getilgt, bewältigt oder verdrängt, sondern als gesellschaftlich integriert und geachtet. Neben dem auch räumlich abgegrenzten Bereich des Schlachtfelds als deren eigentlichem Ort trat zum einen die performance von praktischer manheit vor einem homosozialen Umfeld männlicher Krieger in den Vordergrund. Zum anderen ergab https://doi.org/10.1515/9783111240275-008

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III Fazit: manheit und Kampf. Die Umcodierung von Gewalt

sich eine Valorisierung diskursiver manheit im höfischen Raum durch eine heterosoziale Gesellschaft. Das Kämpfen und die Gewaltausübungen erscheinen als eine skillful performance, deren sichtbarstes Zeichen der Sieg im Kampf ist. Die performance des Kämpfers und seine Siege bedingen weiterhin seine Beurteilung im Diskurs. Auch wenn kämpferische Gewalt nicht zwingend tödlich sein musste, schloss sie doch die Verwundung und Verletzung des Gegners und auch dessen Tod nicht aus. Im Gegenteil, auch wenn der Sieg im Kampf nicht durch den Tod des Gegners eintrat, forderte eine beidseitige Eskalation von Gewalt im Kampf, dass dieser potentiell auch bis zum Tod eines Kämpfers fortgesetzt werden könnte. Nach dem Kampf zwischen Iwein und Gawein beteuern beide Kontrahenten, dass die im Kampf vollführte Eskalation der Gewalt sie beinahe das Leben gekostet hätte. Das bedeutet, dass manheit ultimativ immer die Fähigkeit im Kampf zu töten bezeichnete, worunter non-lethale Gewaltformen subsumiert sind. Wenn eine solche Fähigkeit als ethisch neutral gewertet wurde und gleichzeitig die wichtigste Tugend des Kämpfers und des Ritters bezeichnete, bedeutet dies zwangsläufig, dass eine narratologische Axiologie andere Wege gehen musste, um mittels einer externen Legitimation (oder auch Delegitimation) den ethischen Wert (oder Unwert) eines Kämpfers und seiner Handlungen auszudrücken. Dabei sind Kämpfen und manheit lediglich innerhalb eines ethischen Wertsystems neutral, das heißt, einem Kampf oder einer manlichen Handlung kann sowohl eine ethisch negative als auch eine ethisch positive Färbung beigefügt werden. Jenseits dessen bezeichnete manheit jedoch durchweg eine positive Qualität, ebenso wie der ritterliche Kampf im Rahmen einer auf kriegerische Agonalität ausgerichteten Gesellschaft eine positiv bewertete Handlungsform darstellt. Zuletzt bewirkt eine Ersetzung ethisch neutraler manheit durch ethisch positive Tapferkeit in der Rezeption eine Verlagerung, die die Gewaltbezogenheit eines auf manheit fußenden Wertsystem unterschlägt. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass sich die Protagonisten des höfischen Romans und Ritter im Allgemeinen vornehmlich durch eine ethisch positive Eigenschaft auszeichnen, benötigt es großen argumentativen Aufwand, ihre (in moderner Sicht) ethisch fragwürdigen Handlungen zu begründen. Dabei bleiben immer einige Lücken übrig, die nur notdürftig geschlossen werden können, wie es das lange Beharren der Forschung auf einer Überbetonung des ethischen Wertes sowohl der Kämpfe Iweins im zweiten Teil des Romans als auch des Rittertums im Allgemeinen belegt. Der lange argumentative Weg, Gewalt positiv umzudeuten, wird verkürzt, wenn Gewalt zunächst als praktische manheit und Kampf umcodiert wird. Diese bedarf sodann lediglich einer Legitimation, um ethisch positiv zu erscheinen. Die Autoren des hohen Mittelalters nutzten, wie die Textanalyse gezeigt hat, diesen kürzeren Weg bei der Beschreibung adliger Gewaltausübung. Im ersten Teil dieser Arbeit habe ich die verschiedenen Aspekte beleuchtet, die es ermöglichten, den sozialen Wert des Kämpfens und der praktischen manheit jenseits ethischer Gesichtspunkte zum Ausdruck zu bringen. Dies geschieht zum einen durch die spielerischen Elemente des Kampfes, die diesem nicht nur auf struktureller Ebene ein Regelsystem unterlegen, das Gewaltausübung fordert und damit legitimiert. Gleich-

III Fazit: manheit und Kampf. Die Umcodierung von Gewalt

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zeitig stiftet die spielerische Besonderheit des Kampfes auch ein Sinnangebot, das kämpferische Praktiken aus dem Alltag heraushebt und den Ausübenden entsprechend auszeichnet. In diesem Zusammenhang steht weiterhin die Beschaffenheit des Kampfes als konstitutive Konvention, die über die besagten Regeln des Kampfes und seiner Durchführung (zu Pferd, in scharen, mit Schwert und Lanze) hinaus auch ein eigenes Wertsystem begründet, das kämpferischen Handlungen eine zusätzliche Qualität beimisst. Diese Handlungen werden im höfischen Roman jedoch lediglich angedeutet, was ein Verständnis der historischen Praktiken des Kämpfens unabdingbar macht. Unzweifelhaft bezieht sich die Figur des höfischen Ritters auf eine Gruppe realer historischer Akteure, deren Kampfpraktik sich vornehmlich in zeitgenössischen Quellen niederschlägt, aber auch durch archäologische Funde gesichert ist und von der geschichtswissenschaftlichen Forschung bestätigt wird. Diese Darstellungen sind daher nicht gänzlich von historischen Praktiken des Kämpfens und von historischen Kämpfern zu trennen, sodass die historische Rezeption poetischer Referentialität durch den Blick auf die historiographische Referentialität bei der heutigen Rezeption nachvollzogen werden kann. Die historische Rezeption poetischer Referentialität bezieht sich dabei auch auf das Konzept von ritterschaft, das über weite Strecken untrennbar mit manheit und den Praktiken des Kampfes verknüpft war. rîter/ritter ist zwar ein äußerst vielschichtiger Begriff, jedoch ist ein Schwerpunkt militärischer oder kriegerischer Bedeutungsfelder für den untersuchten Zeitraum nicht in Abrede zu stellen. Vor diesem Hintergrund ist die Bezeichnung der Protagonisten höfischer Romane als rîter/ritter auch zwingend in einem kriegerischen Kontext zu betrachten. Ethische Werte bleiben hier gewiss nicht außen vor, doch die primäre Bedeutung des rîters/ritters als Kämpfer darf nicht unterschlagen werden. Auf der Basis der Analyse von manheit und Kampf in zwei Texten aus unterschiedlichen narrativen Gattungen ergibt sich ein Bild des Rittertums, in dem kämpferisches Können und das Potential zur Gewaltausübung deutlich vor einer ethischen Einordnung rangieren. Weiterhin wird im Iwein und in der Steirischen Reimchronik für die Beschreibung antagonistischer Akteure nicht nur manheit verwendet, sondern auch die Bezeichnung rîter/ritter, woraus gefolgert werden kann, dass auch letztere ethisch neutral beurteilt wurden. Die ethisch positiven Konnotationen der ‚Ritterlichkeit‘ stellen neben den kämpferischen Qualitäten des Ritters zwar eine – auch historisch – oft geforderte Eigenschaft dar, die jedoch keinesfalls obligatorisch war. Hier wären im Sinne der Ritterforschung ergänzende Studien in Richtung weiterer Textgattungen wie der Heldenepik und Kleinepik wünschenswert. Die auch in der gegenwärtigen Forschung noch fortexistierende Vorstellung einer ‚Ritterideologie‘, die primär an ethischen Werten ausgerichtet ist, bedarf jedenfalls einer dringenden Überarbeitung, zu der diese Arbeit beiträgt. Der kriegerische Kontext der ritterschaft ließ sich auch an der Darstellung derselben in der Steirischen Reimchronik ablesen. In seiner ritterschaft vereint der habsburgische König Rudolf I. nicht nur taktisches Geschick, sondern auch praktische manheit, die sich in kämpferischer Gewaltausübung niederschlägt. In gleicher Weise wird die Kampfkraft der steirischen Kämpfer – vor allem in den Schlachten von Kres-

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III Fazit: manheit und Kampf. Die Umcodierung von Gewalt

senbrunn und Dürnkrut/Jedenspeigen – besonders gelobt. Im Zuge einer verschleiernden Sympathiesteuerung wird jedoch in der ersten der genannten Schlachten sowohl der Anlass und die zugrundeliegende Motivation der Kämpfer als auch das Resultat, der vollständige Erwerb der Steiermark in das Machtgefüge des böhmischen Königs Ottokars II. Přemysl, hinter einer Zurschaustellung steirischer manheit verborgen. Demgegenüber kann die kriegerische Gewalt in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen als politisch-rechtlich und religiös legitimiert erachtet werden, sodass der oben genannte kurze Weg einer Legitimation von manheit und Kampf in einer uneingeschränkten Glorifizierung steirischer Kampfkraft mündet. Explizit wirkt sich diese bei dem steirisch-kärntnerischen Grafen Ulrich von Heunburg aus, der in der Darstellung der Steirischen Reimchronik besonderes Ansehen genießt, da er neben seiner regionalen Zugehörigkeit auch mit der Babenberger-Tochter Agnes verheiratet ist. Die politische Komplexität des sogenannten ‚Österreichischen Interregnums‘ spiegelt sich dabei in der Erzählweise der Reimchronik wider, wobei nicht nur ihre verschleiernde Sympathiesteuerung zu durchleuchten war, sondern überhaupt das erzählte Geschehen mittels Einordnung in die historischen Umstände und das zugrundeliegende emplotment kontextualisiert werden konnte. Mir war es dabei ein besonderes Anliegen, den Text auch nachfolgenden Analysen zu erschließen, da eine gründliche Aufarbeitung der komplexen Erzählzusammenhänge der Steirischen Reimchronik nach wie vor ein weitreichendes Forschungsdesiderat darstellt. Zu einer solchen Erschließung bot der Schwerpunkt der Darstellung militärischer Auseinandersetzungen in der Reimchronik die Möglichkeit, durch einen impliziten Vergleich mit Hartmanns Iwein die Besonderheiten chronikalischen Erzählens sichtbar zu machen. Die Umcodierung von Gewaltausübung in Praktiken des Kämpfens sowie praktische manheit liefert entscheidende Einblicke in das Wertesystem des Adels im 12., 13. und frühen 14. Jahrhundert. Als Kriegergesellschaft legitimierte diese vergleichsweise kleine soziale Gruppe ihren Herrschaftsanspruch über den Großteil der Bevölkerung, des Landes und der Ressourcen durch das Recht auf den Gebrauch von Waffen und das Führen von Kriegen und damit das Ausüben von Gewalt. Zum einen nutzte diese Gruppe die mit ihrer Macht verbundenen Privilegien, um sich auf die Gewaltausübung zu spezialisieren. Zum anderen nutzten sie den aus diesen Privilegien erwachsenen Wohlstand, um neben immer fortschrittlicherem Kriegsgerät auch Texte und Bilder produzieren zu lassen. Die Erzählgemeinschaft des Adels erschuf sich damit ein maßgeschneidertes Identifikationsangebot, in dem das – manchmal sogar als gottgegeben bezeichnete – Recht zur Gewaltausübung und die Praktiken des adligen Kämpfers und Kriegers als die des rîters/ritters verherrlicht wurden. Die diskursive Glorifizierung von Praktiken des Kämpfens und praktischer manheit sowohl in höfischen Romanen wie dem Iwein Hartmanns von Aue als auch der Steirischen Reimchronik lässt das Bedürfnis erkennen, das tödliche Handwerk des Krieges aufzuwerten. Der dazu in den Texten veranschaulichte Wert von manheit und Kampf und das diesem zugrundeliegende System einer durch Praktik und Konventionen geprägten Wertzuschreibung ist daher nicht nur auf diskursive Darstellungsformen und -gewohnheiten zurückzuführen. Seine Gültigkeit

III Fazit: manheit und Kampf. Die Umcodierung von Gewalt

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überschreitet die Grenzen des Diskurses und kann als Ausweis einer kriegeradligen Mentalität gewertet werden: Vor dem Hintergrund einer hohen Präsenz kriegerischer Auseinandersetzungen und dem umfassenden Gewaltprivileg des Adels erscheint das hier aus den Texten erarbeitete Wertsystem von manheit und Kampf als Ausdruck einer Mentalität, in der Gewaltausübung nicht nur legitimiert, sondern vor allem nobilitiert ist.

Literatur Quellen Aegidius Aureaevallensis: Gesta episcoporum Leodensium. Hrsg. von Johannes Heller. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) XXV. Hrsg. von Georg Waitz. Hannover 1880, S. 1–129. Aegidius Romanus: De regimine principum libri III. Recogniti et una cum vita auctoris per F. Hieronymum Samaritanium. Aalen 1967 [Neudruck der Ausgabe Rom 1607]. Annales Otakariani a. 1254–1278. In: Cosmae chronica Boemorum. Hrsg. von Rudolf Köpke. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) IX. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1851, S. 181–194. Annales Sancti Rudperti Salisburgenses a. 1–1286. In: Annales Austriae. Hrsg. von Wilhelm Wattenbach. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) IX. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1851, S. 758–810. Annales Stadenses auctore M. Alberto ab O. c. – 1256. Hrsg. von Johann Martin Lappenberg. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) XVI. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1859, S. 271–378. Aristoteles: Die Nikomachische Ethik. Übers. und hrsg. von Ursula Wolf. Reinbek bei Hamburg 2017 (rowohlts enzyklopädie). Aurelius Augustinus: Contra Faustum Manichæum libri XXXIII. In: Sancti Aureli Augustini: De Utilitate Credendi, De Duabus Animabus, Contra Fortunatum, Contra Adimantum, Contra Epistulam Fundamenti, Contra Faustum. Hrsg. von Joseph Zycha. Prag [u. a.] 1891 (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum. 25,1), S. 251–797. Aurelius Augustinus: De civitate Dei. Libri XXII. Hrsg. von Bernhard Dombart, Alfons Kalb. 2 Bde. Turnhout 1955 (Corpus Christianorum. Series Latina. XLVII/XIV, 1 u. 2). Aurelius Augustinus: Epistolae, recensuit et commentario critico instrixit Al. Goldbacher. Pars IV. Ep. 185–270. Wien/Leipzig 1911 (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum. 57). Aurelius Augustinus: Vom Gottesstaat. Vollständige Ausgabe in einem Band. Aus dem Lateinischen übertragen von Wilhelm Thimme. Eingeleitet und kommentiert von Carl Andersen. München 2007. Bernhard von Clairvaux: Liber ad milites templi de laude novae militiae. In: Ders.: Opera omnia, Bd. 1. Hrsg. von Jacques-Paul Migne, Paris 1859 (Patrologia Latina. 182), Sp. 921–941. Bernhard von Clairvaux: Liber ad milites templi de laude novae militiae. In: Ders.: Sämtliche Werke. Lateinisch/Deutsch, Bd. 1. Hrsg. von Gerhard B. Winkler. Innsbruck 1990, S. 257–326. Bonizo von Sutri: Liber de vita christina. Hrsg. von Ernst Perels. Berlin 1930 (Texte zur Geschichte des röm. u. kanon. Rechts im Mittelalter I). Bruder Wernher: Sangsprüche. Transliteriert normalisiert, übersetzt und kommentiert von Ulrike Zuckschwerdt. Berlin/Boston 2014 (Hermaea. 134). [Chretien de Troyes] Kristian von Troyes: Yvain. Der Löwenritter. Textausgabe mit Einleitung, Erklärenden Anmerkungen und vollständigem Glossar. Hrsg. von Wendelin Foerster. 3. vermehrte Auflage. Halle a.S. 1906 (Romanische Bibliothek. V). Chretien de Troyes: Yvain. Übers. und eingeleitet von Ilse Nolting-Hauff. München 1962 (Klassische Texte des romanischen Mittelalters). Chronica Regia Coloniensis. Hrsg. von Gerog Waitz. Hannover 1880 (MGH, SS rer. Germ. 18). Chronicon Colmariense a. 1218–1304. In: Annales Colmarienses, Basileenses, Chronicon Colmariense. Hrsg. von Philipp Jaffé. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in folio) XVII. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Hannover 1861, S. 240–270. Codex Diplomaticus et Epistolaris Moraviae. Hrsg. von Antonii Boczek. Olmütz 1845.

https://doi.org/10.1515/9783111240275-009

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Literatur

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Literatur

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Forschung Gadi Algazi: The Social Use of Private Ware: Some Late Medieval Views Reviewed. In: Zur Sozial- und Begriffsgeschichte des Mittelalters. Hrsg. von Shulamit Volkov [u. a.]. Gerlingen 1993 (Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte. 22), S. 253–274. Gadi Algazi: Herrengewalt und Gewalt der Herren in späten Mittelalter. Herrschaft, Gegenseitigkeit und Sprachgebrauch. Frankfurt a. M. 1996. Gerd Althoff: Nunc fiant Christi milites, qui dudum extiterunt raptores. Zur Entstehung von Rittertum und Ritterethos. In: Saeculum 32/4 (1981), S. 317–333. Gerd Althoff: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde. Darmstadt 1997. Gerd Althoff: Schranken der Gewalt. Wie gewalttätig war das ‚finstere Mittelalter‘? In: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Gründe, Begründungen, Bilder, Bräuche, Recht. Hrsg. von Horst Brunner. Wiesbaden 1999, S. 1–23. Gerd Althoff: „Selig sind, die Verfolgung ausüben“. Päpste und Gewalt im Hochmittelalter. Darmstadt 2013. Arnold Angenendt: Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert. Münster 2007. Arnold Angenendt: Die Kreuzzüge: Aufruf zum „gerechten“ oder zum „heiligen“ Krieg? In: Krieg und Christentum: Religiöse Gewalttheorie in der Kriegserfahrung des Westens. Hrsg. von Andreas Holzem. Paderborn 2009 (Krieg in der Geschichte. 50), S. 231–367. Heinrich Appelt: Privilegium minus. Das staufische Kaisertum und die Babenberger in Österreich. Wien [u. a.] 1976 (Böhlau-Quellenbücher), S. 55–62. Benjamin Arnold: German Knighthood. 1050–1300, Oxford 1985. Gerhard Athing: Iweins Kampf mit dem Brunnenherrn Askalon – Rechtsfragen in Hartmanns von Aue Artusroman ‚Iwein‘. In: Rechtshistorische und andere Rundgänge. FS Detlev Fischer. Hrsg. von Ulrich Falk [u. a.]. Karlsruhe 2018, S. 9–30. Leopold Auer: Mittelalterliches Kriegswesen im Zeichen des Rittertums. In: Krieg im mittelalterlichen Abendland. Hrsg. von Christoph Kaindel, Andreas Obenaus. Wien 2010 (Krieg und Gesellschaft), S. 65–79. David S. Bachrach, Bernard S. Bachrach: Warfare in medieval Europe, c.400–c.1453. London 2017. Martin Baisch, Elke Koch (Hrsg.): Neugier und Tabu. Regeln und Mythen des Wissens. Freiburg 2010 (Rombach-Wissenschaften. Reihe Scenae 12). Robert J. Bartlett: Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt. Eroberung, Kolonisierung und kultureller Wandel von 950 bis 1350. München 1996. Ulrich Barton: ‚Manheit‘ und ‚minne‘. Achills zweifache Erziehung bei Konrad von Würzburg. In: Dichtung und Didaxe. Lehrhaftes Sprechen in der deutschen Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Heinrike Lähnemann, Sandra Linden. Berlin [u. a.] 2009, S. 189–204. Nina Bartsch: Programmwortschatz einer höfischen Dichtersprache. ‚hof‘/‚hövescheit‘, ‚mâze‘, ‚tugent‘, ‚zuht‘, ‚êre‘ und ‚muot‘ in den höfischen Epen um 1200. Frankfurt a. M. 2014 (Deutsche Sprachgeschichte. Texte und Untersuchungen. 4). Oliver Bätz: Konfliktführung im ‚Iwein‘ des Hartmann von Aue. Aachen 2003. Kurt Bauch: Das mittelalterliche Grabbild. Figürliche Grabmäler des 11. bis 15. Jahrhunderts in Europa. Berlin/New York 1976.

Forschung

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Forschung

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Literatur

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Forschung

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Literatur

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Forschung

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Literatur

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Forschung

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Literatur

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Forschung

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Literatur

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Forschung

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Forschung

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Ansgar Nünning: Wie Erzählungen Kulturen erzeugen: Prämissen, Konzepte und Perspektiven für eine kulturwissenschaftliche Narratologie. In: Kultur – Wissen – Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften. Hrsg. von Alexandra Strohmaier. Bielefeld 2014 (Kulturund Medientheorie), S. 15–54. Jörg Oberste: Der „Kreuzzug“ gegen die Albigenser. Ketzerei und Machtpolitik im Mittelalter. Darmstadt 2003. Jörg Oberste: Krieg gegen Ketzer?: Die „defensores“, „receptatores“ und „fautores“ von Ketzern und die „principes catholici“ in der kirchlichen Rechtfertigung des Albigenserkrieges. In: Krieg und Christentum. Religiöse Gewalttheorie in der Kriegserfahrung des Westens. Hrsg. von Andreas Holzem. Paderborn [u. a.] 2009 (Krieg in der Geschichte. 50), S. 368–391. Otto Gerhard Oexle: Von Fakten und Fiktionen. Zu einigen Grundsatzfragen der historischen Erkenntnis. In: Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung. Hrsg. von Johannes Laudage. Köln [u. a.] 2003 (Europäische Geschichtsdarstellungen. 1), S. 1–42. Alfred Ogris: Der Kampf König Ottokars II. von Böhmen um das Herzogtum Kärnten. In: Ottokar. Forschungen. Hrsg. von Andreas Küsternig, Max Weltin.Wien 1978–1979 (Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich. N.F. 44), S. 92–141. Alfred Ogris:Die Beziehungen König Ottokars zum Herzogtum Kärnten vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung im 13. Jahrhundert. In: Böhmisch-österreichische Beziehungen im 13. Jahrhundert. Österreich (einschließlich Steiermark, Kärnten und Krain) im Großreichprojekt Ottokars II. Premysl, König von Böhmen. Vorträge des internationalen Symposions vom 26. bis 27. September 1996 in Znaim. Hrsg. von Marie Bláhová, Ivan Hlavácek. Prag 1998, S. 69–76. Wiebke Ohlendorf: Das Fremde im ‚Parzival‘. Zum Text-Bild-Verhältnis in den Handschriften Cgm 19, Cod. AA 91 und Cpg 339. Berlin [u. a.] 2017 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 89). Norbert Ohler: „Pax Dei“ und „Treuga Dei“. Bischöfe übernehmen die vornehmste Aufgabe des Königs. In: Krieg und Christentum: Religiöse Gewalttheorie in der Kriegserfahrung des Westens. Hrsg. von Andreas Holzem, Paderborn 2009 (Krieg in der Geschichte. 50), S. 305–322. Elsbeth Orth: Formen und Funktion der höfischen Rittererhebung. In: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur. Hrsg. von Josef Fleckenstein. Göttingen 1991 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. 100) S. 128–170. Caroline Oster: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen. Berlin 2014 (LTG. 6). Werner Paravicini: Die ritterlich-höfische Kultur im Mittelalter. München 1999 (Enzyklopädie deutscher Geschichte. 42). Werner Paravicini: Die Wahrheit der Historiker. München 2010 (Historische Zeitschrift. Beihefte. N.F. 53). Werner Paravicini: Adlig leben im 14. Jahrhundert Weshalb sie fuhren: Die Preußenreisen des europäischen Adels. Teil 3. Göttingen 2020(Vestigia Prussica. Forschungen zur ost- und westpreußischenLandesgeschichte. 2). Ralf G. Päsler: Katalog der mittelalterlichen deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg. Nebst Beschreibungen der mittelalterlichen deutschsprachigen Fragmente des ehemaligen Staatsarchivs Königsberg, auf der Grundlage der Vorarbeiten Ludwig Deneckes. München 2000 (Schriften des Bundesinstituts für Ostdeutsche Kultur und Geschichte. 15). Giles Pearson: Courage and Temperance. In: The Cambridge Companion to Aristotle’s Nicomachean Ethics. Hrsg. von Roland Polansky. New York 2014 (Cambridge companions to philosophy), S. 110–134. Franzjosef Pensel: Rechtsgeschichtliches und rechtssprachliches im epischen Werk Hartmanns von Aue und im ‚Tristan‘ Gottfrieds von Straßburg. Berlin 1961. Franzjosef Pensel: Verzeichnis der altdeutschen und ausgewählter neuerer deutscher Handschriften in der Universitätsbibliothek Jena. Berlin 1986 (Deutsche Texte des Mittelalters. 70/2), S. 498–500.

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Literatur

Sabine Penth: Margarete von Babenberg: Römische Königin, Herzogin von Österreich, Königin von Böhmen. In: Frauen der Staufer. Hrsg von . Karl-Heinz Rueß. Göppingen 2006 (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst. 25), S. 90–112. Ursula Peters: Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft. Aufsätze 1973–2000. Hrsg. von Susanne Bürkle [u. a.]. Tübingen/Basel 2004. Ursula Peters: Niederes Rittertum oder hoher Adel. Zu Erich Köhlers historisch-soziologischer Deutung der altprovenzalischen und mittelhochdeutschen Minnelyrik. In: Dies.: Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft. Aufsätze 1973–2000. Hrsg. von Susanne Bürkle [u. a.]. Tübingen/Basel 2004, S. 1–18. Ursula Peters: Literaturgeschichte als Mentalitätsgeschichte? Überlegungen zur Problematik einer neueren Forschungsrichtung. In: Dies.: Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft. Aufsätze 1973–2000. Hrsg. von Susanne Bürkle [u. a.]. Tübingen/Basel 2004, S. 75–94. Ursula Peters:Von der Sozialgeschichte zur Familienhistorie: Georges Dubys Aufsatz über die Jeunes und seine Bedeutung für ein funktionsgeschichtliches Verständnis der höfischen Literatur. In: Dies.: Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft. Aufsätze 1973–2000. Hrsg. von Susanne Bürkle [u. a.]. Tübingen/Basel 2004, S. 153–174. Gerhard Pferschy: Zur Beurteilung Siegfrieds von Mahrenberg. In: FS Friedrich Hausmann. Hrsg. von Herwig Ebner. Graz 1977, S. 367–378. Gerhard Pferschy: Ottokar II. Premysl, Ungarn und die Steiermark. In: Ottokar-Forschungen. Hrsg. von Andreas Küsternig, Max Weltin.Wien 1978–1979 (Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich. N.F. 44), S. 73–91. Scott E. Pincikowski: Die Riesen in den höfischen Romanen Hartmanns von Aue. In: Riesen und Zwerge. Bozen 2016 (Runkelsteiner Schriften zur Kulturgeschichte. 10), S. 99–120. Steven Pinker: Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit. Bonn 2011 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. 1225). Hans Pirchegger: Die Herren von Pettau. In: Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark Jahrgang 42 (1951), S. 3–37. Tony Pollard: Shooting arrows. Cinematic representations of medieval battles. In: Writing Battles. New Perspectives on Warfare and Memory in Medieval Europe. Hrsg. von Rory Naismith. London 2020, S. 177–206. Walter Pötscher: Art. ‚Virtus 2‘. In: Der Kleine Pauly 51. Stuttgart 1964–1975, Sp. 1297. Felix Prautzsch: Heilige und Heiden im legendarischen Erzählen des 13. Jahrhunderts. Formen und Funktionen der Aushandlung des religiösen Gegensatzes zum Heidentum. Berlin/Boston 2021 (LTG. 20). Neil Price [u. a.]: Viking warrior women? Reassessing Birka chamber grave Bj.581. In: Antiquity 93 (2019), S. 181–198. Malte Prietzel: Kriegführung im Mittelalter: Handlungen, Erinnerungen, Bedeutungen. Paderborn 2006 (Krieg in der Geschichte. 32). Malte Prietzel: Was ist Krieg im Mittelalter? Töten, um zu herrschen. In: Krieg im Mittelalter. Hrsg. von Gert Althoff [u. a.]. Darmstadt 2017 (Damals. Sonderband). Friedrich Prinz: Klerus und Krieg im frühen Mittelalter. Untersuchungen zur Rolle der Kirche beim Aufbau der Königsherrschaft. Stuttgart 1971 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 2). Horst Peter Pütz: Iwein – zwischen Waldschrat und Waldtor: Aspekte einer Deutung aus mittelalterlicher Sicht. In: „in tiutscher zungen rehtiu kunst“ (Rudolf v.E., Alexander, V. 3168). Festgabe für HeinzGünter Schmitz zum 65. Geburtstag. Hrsg. von dems.,Gerhard Schildber-Schroth. Frankfurt a. M. 2003, S. 27–38. Bruno Quast: Das Höfische und das Wilde: Zur Repräsentation kultureller Differenz in Hartmanns,Iwein‘. In: Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institutionalität mittelalterlicher Literatur. Hrsg. von Beate Kellner [u. a.]. Frankfurt a. M. 2001 (Mikrokosmos 64), S. 111–128.

Forschung

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Claus-Dieter Rath: Sublimierung und Gewalt. Elemente einer Psychoanalyse der aktuellen Gesellschaft. Gießen 2019 (Bibliothek der Psychoanalyse). Andreas Reckwitz: Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. In: Unscharfe Grenzen. Perspektiven der Kultursoziologie. Hrsg. von dems. Bielefeld 2008, S. 97–130. Oswald Redlich: Rudolf von Habsburg. Das Deutsche Reich nach dem Untergange des alten Kaisertums. ND der Ausg. Innsbruck 1903. Aalen 1965. Jan-Philipp Reemtsma: Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne. Hamburg 2008. Folker Reichert: Landesherrschaft, Adel und Vogtei. Zur Vorgeschichte des spätmittelalterlichen Ständestaats im Herzogtum Österreich. Köln/Wien 1985 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte. 23). Christine Reinle: Bauernfehden. Studien zur Fehdeführung Nichtadliger im spätmittelalterlichen römischdeutschen Reich, besonders in den bayerischen Herzogtümern. Stuttgart 2003 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte. 170). Christine Reinle: Bauerngewalt und Macht der Herren. Bauernfehden zwischen Gewohnheitsrecht und Verbot. In: Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. Hrsg. von Manuel Braun, Cornelia Herberichs. München 2005, S. 105–122. Alan Robertshaw: Ambiguity and Morality in ‚Iwein‘. In: Hartmann von Aue. Changing Perspectives. London Hartmann Symposium 1985. Hrsg. von Timothy McFarland, Silvia Ranawake. Göppingen 1988 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik. 486), S. 117–128. Lutz Röhrich: Tabus in Bräuchen, Sagen und Märchen. In: Sage und Märchen. Erzählforschung heute. Hrsg. von dems. Freiburg [u. a.] 1970, S. 125–142. Jörg Rogge: Das Kriegswesen im späten Mittelalter und seine Erforschung. Neure englische und deutsche Arbeiten zu Krieg, Staat und Gesellschaft. In: Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit 08/01 (2004), S. 20–33. Jörg Rogge: Kriegserfahrungen erzählen. Einleitung. In: Kriegserfahrungen erzählen. Geschichts- und literaturwissenschaftliche Perspektiven. Hrsg. von dems. Bielefeld 2016 (Mainzer Historische Kulturwissenschaften. 37), S. 9–30. Jörg Rogge: Kämpfer als Schreiber. Bemerkungen zur Erzählung von Kampferfahrung und Verwundung in deutschen Selbstzeugnissen des späten Mittelalters. In: Kriegserfahrungen erzählen. Geschichts- und literaturwissenschaftliche Perspektiven. Hrsg. von dems. Bielefeld 2016 (Mainzer Historische Kulturwissenschaften. 37), S. 73–106. Jörg Rogge: Kämpfer und ihre Körper. Bemerkungen zur „kriegerischen Männlichkeit“ im späten Mittelalter. In: Gewalt, Krieg und Geschlecht im Mittelalter. Hrsg. von Amelie Fößel. Berlin 2020, S. 125–138. Volker Rödel: Wie wurde man und wer war Ritter? In: Politik und Kultur der Stauferzeit. Hrsg. von Andreas Imhoff. Annweiler 2016 (Beiträge zur Geschichte des Trifels und des Mittelalters. 5), S. 233–250. Werner Rösener: Rittertum und Krieg im Stauferreich. In: Staat und Krieg. Vom Mittelalter zur Moderne. Hrsg. von ders. Göttingen 2000, S. 37–63. Kurt Ruh: Zur Interpretation von Hartmanns ‚Iwein‘. In: Philologia Deutsch. FS zum 70. Geburtstag von Walter Henzen. Hrsg. von Werner Kohlschmidt, Paul Zinsli. Bern 1965, S. 39–51. Kurt Ruh: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 1: Von den Anfängen bis zu Hartmann von Aue. Berlin 1977 (Grundlagen der Germanistik. 7). Hugh Sacker: An Interpretation to Hartmann’s ‚Iwein‘. In: German Review 36 (1961), S. 5–26. Amina Šahinovic: ‚ez was guot leben wænlîch hie‘. ‚Iwein‘ und Laudine im Widerspruch. In: Widersprüchliche Figuren in vormoderner Erzählliteratur. Hrsg. von Elisabeth Lienert. Oldenburg 2020. (Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung. Themenheft. 6), S. 297–322. Paul B. Salmon: „âne Zuht“: Hartmann von Aue’s criticism of Iwein. In: The modern language review Bd. 69 (1974), S. 556–561.

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Literatur

Daniel Schäfer: Texte vom Tod. Zur Darstellung und Sinngebung des Todes im Spätmittelalter. Göppingen 1995 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik. 620). Monika Schausten: Erzählwelten der Tristangeschichte im hohen Mittelalter. Untersuchungen zu den deutschsprachigen Tristanfassungen des 12. und 13. Jahrhunderts. München 1999 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur. 24). Monika Schausten: Beim Barte des Kaisers. Soziales Chaos und poetische Ordnung in Konrads von Würzburg ‚Heinrich von Kempten‘. In: Erzählte Ordnungen – Ordnungen des Erzählens. Studien zu Texten vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit. Hrsg. von Daniela Fuhrmann, Pia Selmayr. Berlin/ Boston 2021 (Trends in Medieval Philology. 40), S. 230–249. Nina Scheibel: Ambivalentes Erzählen – Ambivalenz erzählen. Studien zur Poetik des frühneuhochdeutschen Prosaromans. Berlin/Boston 2020 (Narratologia. 67). Georg Scheibelreiter: Die barbarische Gesellschaft. Mentalitätsgeschichte der europäischen Achsenzeit 5.–8. Jahrhundert. Darmstadt 1999. Fabian David Scheidel: Schönheitsdiskurse in der Literatur des Mittelalters. Die Propädeutik des Fleisches zwischen ‚aisthesis‘ und Ästhetik. Berlin/Boston 2022 (LTG. 23). Robert Scheuble:,mannes manheit, vrouwen meister‘. Männliche Sozialisation und Formen der Gewalt gegen Frauen im Nibelungenlied und in Wolframs von Eschenbach Parzival (Beiträge zur Mittelalterforschung. 6), Frankfurt a. M. [u. a.] 2005. Wulf Schiefenhövel: Aggression und Aggressionskontrolle am Beispiel der Eipo aus dem Hochland von West-Neuguinea. In: Töten im Krieg. Hrsg. von Heinrich von Stietencron, Jörg Rüpke. Freiburg/ München 1995 (Veröffentlichungen des Instituts für historische Anthropologie. 6), S. 339–362. Birte Schiffhauer: Determinanten von Anthropomorphismus und ihre Bedeutung für Dehumanisierung. Zuschreibung und Absprechen von Menschlichkeit gegenüber Menschen und nicht-menschlichen Entitäten. Bielefeld 2015. Wolfgang Schmale: Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450–2000). Wien [u. a.] 2003. Elisabeth Schmid: Weg mit dem Doppelweg. Wider eine Selbstverständlichkeit der germanistischen Artusforschung. In: Erzählstrukturen der Artusliteratur. Forschungsgeschichte und neue Ansätze. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel, Peter Ihring. Tübingen 1999, S. 69–85. Elisabeth Schmid: Lüsternheit. Ein Körperkonzept im Artusroman. In: Körperkonzepte im Arturischen Roman. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel. Tübingen 2007 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. 6), S. 131–148. Elisabeth Schmid: Chrétiens ‚Yvain‘ und Hartmanns ‚Iwein‘. In: Höfischer Roman in Vers und Prosa. Hrsg. von René Pérennec. Berlin 2010 (Germania litteraria mediaevalis Francigena. Handbuch der deutschen und niederländischen mittelalterlichen Sprache. Formen, Motive, Stoffe und Werke französischer Herkunft (1100–1300). 5), S. 135–167. Klaus M. Schmidt: Psycholexikologische Annäherungen an Gewalt und Krieg im Mittelalter. Suchstrategien mit der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank (MHDBDB). In: Krisen, Kriege, Katastrophen. Zum Umgang mit Angst und Bedrohung im Mittelalter. Hrsg. von Christian Rohr [u. a.]. Heidelberg 2018 (Interdisziplinäre Beiträge zu Mittelalter und Früher Neuzeit. 3), S. 233–291. Sigrid Schmitt: Schutz und Schirm oder Gewalt und Unterdrückung? Überlegungen zu Gadi Algazis Dissertation „Herrengewalt und Gewalt der Herren in späten Mittelalter“. In: Vierteljahresschrift zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 89 (2002), S. 72–78. Joachim Schneider: Dynastisch-territoriale Geschichtsschreibung in Bayern und Österreich: Texte und Entstehungsbedingungen – Herkunftsgeschichten und Gründungsmythen. In: Handbuch Chroniken des Mittelalters. Hrsg.von Gerhard Wolf, Norbert H. Ott. Berlin/Boston 2016, S. 225–266. Karin Schneider: Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Die mittelalterlichen Fragmente Cgm 5249–5250. Wiesbaden 2005 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis. V,8).

Forschung

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Mireille Schnyder: manlîch sprach daz wîp. Die Einsamkeit in Wolframs Willehalm. In: Homo Medietas: Aufsätze zu Religiosität, Literatur und Denkformen des Menschen vom Mittelalter bis in die Neuzeit. Festschrift für Alois Maria Haas zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Claudia Brinker-von der Heyde, Niklaus Largier. Bern 1999, S. 507–520. Mireille Schnyder: Erzählte Gewalt und die Gewalt des Erzählens. Gewalt im deutschen höfischen Roman. In: Gewalt im Mittelalter. Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. Hrsg. von Manuel Braun, Cornelia Herberichs. München 2005, S. 365–379. Jörg Schönert: Zum Status und zur disziplinären Reichweite von Narratologie. In: Geschichtsdarstellung. Medien – Methoden – Strategien. Hrsg. von Vittoria Borsò, Christoph Kann. Köln [u. a.] 2004 (Europäische Geschichtsdarstellungen. 6), S. 131–143. Gerald Schöpfer: Klar und fest. Geschichte des Hauses Liechtenstein. Riegersburg 1996 (Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Sonderband. 2). Gero Schreier: Ritterhelden. Rittertum, Autonomie und Fürstendienst in niederadligen Lebenszeugnissen des 14. bis 16. Jahrhunderts. Ostfildern 2019 (Mittelalter-Forschungen. 58). Dominik Schuh: Ernstes Spiel mit scharfen Waffen. Ritterliches Turnier und männlicher Wettbewerb. In: Geschlecht in Literatur und Geschichte. Bilder – Identitäten – Konstruktionen. Hrsg. von Heinz Sieburg. Bielefeld 2014 (Lettre), S. 107–128. Martin Schuhmann: Körper im Text – der Löwe und der Löwenritter. In: Körperkonzepte im Arturischen Roman. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel Tübingen 2007 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. 6), S. 337–352. Larissa Schuler-Lang: Wildes Erzählen – Erzählen vom Wilden: ‚Parzival‘, ‚Busant‘ und ‚Wolfdietrich D‘. Berlin [u. a.] 2014 (LTG. 7). Armin Schulz: Poetiken des Hybriden. Schema, Variation und intertextuelle Kombinatorik in der Minneund Aventiureepik: Willehalm von Orlens, Partonopier und Meliur, Wilhelm von Österreich, Die schöne Magelone. Berlin 2000 (Philologische Studien und Quellen. 161). Armin Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Studienausgabe. 2., durchgesehene Auflage. Hrsg. von Manuel Braun , [u. a.] Berlin [u. a.] 2015. Volker Schupp: Die Ywain-Erzählung von Schloss Rodenegg. In: Literatur und Bildende Kunst im Tiroler Mittelalter. Die Iwein-Fresken von Rodenegg und andere Zeugnisse der Wechselwirkung von Literatur und bildender Kunst. Im Auftrag des Südtiroler Kulturinstitutes. Hrsg. von Egon Kühebacher. Innsbruck 1982, S. 1–11. Volker Schupp, Hans Szklenar: Ywain auf Schloß Rodenegg: eine Bildergeschichte nach dem „Iwein“ Hartmanns von Aue. Sigmaringen 1996. Michael Schwarzbach-Dobson: Exemplarisches Erzählen im Kontext. Mittelalterliche Fabeln, Gleichnisse und historische Exempel in narrativer Argumentation. Berlin/Boston 2018 (LTG. 13). Philip Seargeant: The art of political storytelling. Why stories win votes in post-truth politics. London 2020. Joseph Seemüller: Einleitung. In: Ottokars Österreichische Reimchronik. Nach den Abschriften Franz Lichtensteins. Hrsg. von dems Hannover 1890 (MGH Dt. Chron. 5,1), 1. Halbband, S. VII-CXXV Joseph Seemüller: Über die niederrheinische Reimchronik der Schlacht bei Göllheim. Separatdruck aus dem ‚Festgruss aus Innsbruck an die 42. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Wien‘. Innsbruck 1893. Joseph Seemüller: Das Münchener Bruchstück der österreichischen Reimchronik. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 38 (1894). Joseph Seemüller: Ein neues kärntisches Bruchstück der Reimchronik Ottokars. In: Carinthia I. Mittheilungen des Geschichtsvereines für Kärnten 91 (1901), S. 161 f. Marco Seliger: Krieg in Afghanistan. „Er oder ich – darum ging es“. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 19.04.2010 [https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/krieg-in-afghanistan-eroder-ich-darum-ging-es-1972003.html,Zugriff:18.04.2023].

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Literatur

Pia Selmayr: Die Rüstung des Helden. Gattungsinterferenzen zwischen aventürehafter Dietrichepik und spätem Artusroman. In: Gattungsinterferenzen. Der Artusroman im Dialog. Hrsg. von Cora Dietl [u. a.]. Berlin 2016 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. 11), S. 57–78. Norbert Sieverding: Der ritterliche Kampf bei Hartmann und Wolfram. Seine Bewertung im ‚Erec‘ und ‚Iwein‘ und den Gahmuret- und Gawan-Büchern des ‚Parzival‘. Heidelberg 1985. Ralf Simon: Einführung in die strukturalistische Poetik des mittelalterlichen Romans. Analysen zu deutschen Romanen der matière de Bretagne. Würzburg 1990 (Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft. 66). Kristin Skottki: Christen, Muslime und der Erste Kreuzzug. Die Macht der Beschreibung in der mittelalterlichen und modernen Historiographie. Münster 2015 (Cultural Encounters and the Discourses of Scholarship. 5). Wolfgang Sofsky: Traktat über die Gewalt. Frankfurt a. M. 1996. Anette Sosna: Fiktionale Identität im Höfischen Roman um 1200: Erec, Iwein, Parzival, Tristan. Stuttgart 2003. Klaus Speckenbach: ‚Rîter‘ – ‚geselle‘ – ‚herre‘. Überlegungen zu Iweins Identität. In: Erkennen und Erinnern in Kunst und Literatur. Kolloquium Reisensburg, 4. – 7. Januar 1996. Hrsg. von Wolfgang Frühwald [u. a.]. Berlin/Boston 2011 (Reprint 1998), S. 115–146. Winfried Speitkamp: Ohrfeige, Duell und Ehrenmord. Eine Geschichte der Ehre. Stuttgart 2010. Winfried Speitkamp: Einleitung. In: Gewaltgemeinschaften. Von der Spätantike bis ins 20. Jahrhundert. Hrsg. von dems. Göttingen 2013, S. 7–14. [= Speitkamp, Gewaltgemeinschaften (1)] Winfried Speitkamp: Gewaltgemeinschaften. In: Gewalt. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Christian Gudehus, Michaela Christ. Stuttgart/Weimar 2013, S. 184–190. [= Speitkamp, Gewaltgemeinschaften (2)] Winfried Speitkamp: Gewaltgemeinschaften in der Geschichte. Entstehung, Kohäsionskraft und Zerfall. Göttingen 2017, S. 7–10. Rolf Sprandel: Chronisten als Zeitzeugen. Forschungen zur spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung in Deutschland. Köln [u. a.] 1994 (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter. N.F. 3). Franz-Bernhard Stammkötter: Art. ‚Tapferkeit‘. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 8. Stuttgart 1999, Sp. 464. Carlos Steel: Thomas’ Lehre von den Kardinaltugenden (S.th. II-II, qq. 47–170). In: Thomas von Aquin: Die Summa theologiae. Werkinterpretationen. Hrsg. von Andreas Speer. Berlin/Boston 2012, S. 322–342. Alexandra Stein: ‚wort unde werc‘. Studien zum narrativen Diskurs im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach. Frankfurt a. M. [u. a.] 1992 (Mikrokosmos. 31). Winfried Stelzer: Art. ‚Ottokar aus der Gaal‘. In: Neue Deutsche Biographie 19. Berlin 1999, S. 716 f. Winfried Stelzer: Steirische Bildungsverhältnisse und schriftliche Kultur im späten Mittelalter. In: Die Steiermark im Spätmittelalter. Hrsg. von Gerhard Pferschy. Wien [u. a.] 2018 (Geschichte der Steiermark. 4), S. 485–520. Winfried Stelzer: Literatur, Geschichtsschreibung und Hagiographie. In: Die Steiermark im Spätmittelalter. Hrsg. von Gerhard Pferschy. Wien [u. a.] 2018 (Geschichte der Steiermark. 4), S. 551–583. Julia Stiebritz-Banischewski: Hofkritik in der mittelhochdeutschen höfischen Epik. Berlin/Boston 2020 (LTG. 19). Judith Stieglbauer-Schwarz: Wiegen, wägen und bewegen. Etymologie und Wortgeschichte. Frankfurt a. M. [u. a.] 2001 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur. 1787). Andrea Stieldorf: Das Bild vom König als Krieger im hochmittelalterlichen Reich. In: Der König als Krieger. Zum Verhältnis von Königtum und Krieg im Mittelalter. Beiträge der Tagung des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 13. – 15. März 2013. Hrsg. von Martin Clauss [u. a.]. Bamberg 2015 (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien. Vorträge und Vorlesungen. 5), S. 23–64. Karlheinz Stierle: Semiotik als Kulturwissenschaft: A. J. Greimas, Du Sens. Essais sémiotiques. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur Bd. 83, H. 2 (1973), S. 99–128.

Forschung

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Literatur

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Forschung

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Literatur

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Register Albrecht I. von Habsburg 42, 44, 231, 235, 267, 270–271 Alteritätshermeneutik 89 Ambiguität 56, 58, 61, 101, 117, 119, 130, 133, 149, 156–157, 173–176, 314–315 – Ambiguitätstoleranz 37 Aristoteles 15 Augustinus 53–55, 57–58, 62 Béla IV. von Ungarn 231–233, 239–240, 243, 246, 250–251, 253, 265 Bourgthéroulde, Schlacht von 49 Brémule, Schlacht von 47–49 Codex Manesse. Siehe Große Heidelberger Liederhandschrift 42 De laude novae militia 77 Der Welsche Gast 77 Dürnkrut und Jedenspeigen, Schlacht von 233, 235, 238, 258, 266, 268, 271, 284–285, 297, 301, 306–307, 314–316, 324 emplotment 222–226, 229, 236, 243, 249, 259–260, 269–271, 284, 307–308, 312–313, 315, 317, 324 Ereck 18, 21–23, 91–92, 120, 132, 160–161, 171, 192–193 Erzählgemeinschaft 26, 58, 66–67, 90, 206, 210, 235, 296, 324 fortitudo 13–14, 77 Frauendienst 227, 263 Friedrich I. Barbarossa 84 Friedrich II. (Herzog) 231 Friedrich II. (Kaiser) 212, 230–231, 234, 241 Friedrich von Baden-Österreich 241–242, 313 Gender 10, 14–16, 114, 321 Gertrud von Baden-Österreich 220, 222–223, 231–232, 238, 240–241, 250, 255, 258–262, 267–269, 313 Gewaltgemeinschaft 19, 28 Gottfried von Straßburg 20–23 Griffen 271–273 Große Heidelberger Liederhandschrift 42

https://doi.org/10.1515/9783111240275-010

Hartmann von Aue V, 7, 9–10, 14, 18, 21, 37, 85–86, 89–91, 93–94, 96, 98, 100, 106, 110–112, 115–117, 122, 126–127, 137, 152–156, 159–160, 164, 192, 199, 203, 205–206, 208, 212, 221, 229, 255, 277, 306, 316, 321, 324 Heinrich Tolde 272, 274–275 Heinrich von Kempten 75 Hermann VI. von Baden 232, 260 Historia Ecclesiastica 19, 38 Iwein 10–11, 37, 46, 59, 86, 89–91, 93, 95–96, 98, 100, 104, 108, 110–112, 123, 148, 156, 160, 166, 176, 179–180, 192–193, 204–206, 211–213, 221–222, 228–229, 236, 255, 277–278, 286–287, 290, 294, 296, 300, 302–303, 305–307, 314, 316–317, 321, 323–324 Kant, Immanuel 4 Konradin 242, 261, 313 Konvention 7, 61, 65, 67–71, 72, 73, 90, 92, 119–121, 128–129, 132–133, 138, 162, 171–172, 178, 185, 194–196, 199, 207, 285, 293, 301, 316, 323–324 Kraubath, Schlacht von 42 Kressenbrunn, Schlacht von 233, 249–251, 256, 265, 285–286, 309, 315–316, 324 Kriegergesellschaft 10, 26–28, 32, 37–38, 51, 53, 58, 66–67, 74, 90, 135, 145, 148, 207, 210, 224, 289, 315, 318, 324 Legenda Aurea 70 Legitimation 7, 10, 35–36, 39–40, 47, 53–54, 56–60, 62–67, 75, 82–83, 86, 90, 95, 112, 119, 122–124, 138, 145–146, 149, 156, 164, 181, 185, 193, 235–236, 239, 244, 249–250, 253–254, 258, 265, 275, 278, 287, 296, 299, 304, 312, 315–316, 321–322, 324 Liber de vita christiana 77 Livländische Chronik 152 Livre de chevalerie 77 Llull, Ramón 39 Meinhard von Görz-Tirol 271, 273–275, 282–283 Mentalität 7, 34, 37, 68, 74–75, 77, 90, 224, 289, 325 – mentalitätsgeschichtlich 6, 46, 77

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Register

Nibelungenlied 202, 224 Nikomachische Ethik 15 Ofen, Frieden von 233, 245, 249, 256, 261 Ordericus Vitalis 19, 47–49, 51, 56, 83 Ottokar aus der Gaal 10, 90, 210, 212, 216, 218–221, 260, 264, 287, 290 Ottokar II. Přemysl 216, 222–223, 231, 233–235, 237–241, 243, 245, 249–254, 256–260, 262, 265–269, 271, 284–285, 287–289, 297–298, 302–303, 307–315, 317, 324 Parzivâl 11, 42, 71–72, 86, 132, 236, 263–264 Philipp der Kanzler 13 Philipp von Spanheim 231, 233–234, 243, 245–246, 248, 259, 262 Plotstruktur 222, 225–226, 270 Praktik 5–6, 8, 10–11, 26–28, 33, 38, 40–41, 46, 49, 51, 53, 58–60, 68–70, 72, 83, 89–91, 93–95, 97, 112, 115, 122, 124, 133, 150, 162, 172–173, 175–178, 184, 194–195, 199, 206–207, 235, 248, 285–286, 290, 296, 301, 323–324 Praxis 7, 29, 33, 41, 96, 99, 290 Propaganda 36, 49, 53, 56, 58, 181, 186, 297 Reimund von Lichtenberg 21 reziprok 19, 31, 34, 59, 65–66, 86, 90, 124, 128–129, 132–133, 156, 160, 164, 185, 269, 296, 311 – Reziprozität 34, 110, 122, 125, 132–133, 142, 150, 162–163, 173, 186, 196–197, 205 Ritterspiegel 77 Rosengarten zu Worms 310 Rudolf III. von Österreich und Steiermark 270 Rudolf von Habsburg 222, 231, 233–235, 237–238, 258, 266–269, 284–285, 287–289, 291, 297, 300–304, 307, 309, 314, 316–317, 323 Rymkronyk van Jan van Heelu betreffende den slag van Woeringen 17, 45, 224 skillful performance 16, 38, 75, 89, 148, 255, 287, 316, 322

Steirische Reimchronik 10, 17, 38, 42–44, 59, 89–90, 97, 121, 140, 208–212, 216–218, 221, 224–225, 228–230, 232, 234–235, 238–242, 247, 249, 252, 265, 268, 270–271, 284–285, 288–289, 292, 299, 311, 315, 317, 321, 323–324 Sublimierung 53–54, 64, 73, 86, 90, 119, 165, 181–182, 296, 316, 321 Summa de bono (Philipp der Kanzler) 13 Symbolisches Kapital 8, 54, 73, 89, 113, 115, 133–135, 137, 145–146, 148–150, 165, 169, 171, 178–179, 181, 183–185, 187–188, 191, 203, 205–207, 277–278, 290, 318 – Kapitalisierung 63, 66, 103, 114, 122, 128, 134, 156, 159, 166, 178, 185–187, 191, 229–230, 245, 315 Sympathiesteuerung 32, 134, 211, 218, 225, 229, 242–243, 245–246, 250, 258, 267, 272, 311, 315, 317, 324 Tagliacozzo, Schlacht von 242 Thomas von Aquin 13, 55 Tristan 20–22, 23, 224 Trojanerkrieg 22–23, 70 Ulrich von Heunburg 218, 235–236, 260–262, 264–272, 275, 282–286, 316–318, 324 Ulrich von Liechtenstein 217–218, 220, 227, 234–235, 239, 243, 246–248, 263, 287 Ulrich von Seckau 234, 245, 248 Wallersberg, Schlacht auf dem 42, 271–273, 282–284 Wenzels I. Přemysl 232, 240–241 Wigalois 11, 92, 236 Willehalm 14, 51, 299 Wolfram von Eschenbach 11, 25, 51, 208, 212, 221, 264, 299 Worringen, Schlacht von 45 Zweikampf 19, 38, 41, 43, 45–46, 59, 62, 70, 91, 106, 109, 112, 132, 168, 190, 195, 206, 297, 309