Virtuose Haargestaltung: Mode- und Branchenentwicklung im deutschen Friseurhandwerk (1871-1945) 9783412215224, 9783412208837

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Virtuose Haargestaltung: Mode- und Branchenentwicklung im deutschen Friseurhandwerk (1871-1945)
 9783412215224, 9783412208837

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Svenja Kornher

Virtuose Haargestaltung Mode- und Branchenentwicklung im deutschen Friseurhandwerk (1871–1945)

2012 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. Umschlagabbildung: Drei Friseure vor einem Friseursalon in der Fruchtstraße 19 in Berlin-Friedrichshain (Inhaber: Max Paasch); Foto undatiert (1920er Jahre) © akg-images.

© 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: UAB BALTO print, Vilnius Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-20883-7

Für Day Hagen

Danksagung

Ich danke Prof. Dr. Marie-Elisabeth Hilger und Prof. Dr. Angelika Schaser, den beiden Betreuerinnen meiner an der Universität Hamburg 2010 von der Fakultät für Geisteswissenschaften in Verbindung mit dem Fach­bereich Geschichte angenommenen, hier überarbeitet vorliegenden Dissertationsschrift. Beide haben mein Projekt mit Diskussionen und Kritik aufgeschlossen betreut. Prof. Dr. Marie-Elisabeth Hilgers Interesse war motivierend und bestärkte mich darin, Mode- und Branchengeschichte konzeptionell zu verbinden. Für die hier vorliegende Druckfassung bin ich besonders Prof. Dr. Angelika Schaser verbunden, die mich mit zahlreichen Empfehlungen engagiert unterstützt hat. Für inhaltliche Diskussionen, Korrekturen, Ratschläge, Neugier, Formatierungshilfen, Fotos und ihre Gastfreundschaft habe ich vielen zu danken, insbesondere Dr. Diana Bartoszyk, Gabi Brandt, Dr. Gesine Carl, Mitgliedern eines Damenkränzchens, Dr. Tina Dingel, Kirsten Laczka, Anja Nitschke, Alexandra Reibestein, Falko Schnicke, Helena Seidel und Dr. Nicole Tiedemann-Bischop. Meinem Mann danke ich für alles.

Inhalt

I

Einleitung ........................................................................................ 11

II Modebilder...................................................................................... 45

1 Ausbildung des Lockenparadigmas ................................................ 45 2 Männerköpfe .................................................................................. 62 2.1 Legere Frisuren und ornamentale Bärte von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ............................................... 62 2.2 Kurz statt lockig, rasiert statt dekoriert: Wandel um 1900 ....... 74 2.3 Der Kurzhaarschnitt als klassische Grundform der Moderne.. 87 2.4 Paarlauf der inszenierten Dezenz: Anzug und Kurzhaarschnitt ..................................................................... 105 3 Frauenköpfe.................................................................................. 110 3.1 Ondulierte Hochsteckfrisuren im Kaiserreich ....................... 110 3.2 Revolutionär kurzes Haar und seine traditionelle Dekoration nach 1920 ........................................................... 123 3.3 Visionen ‚arteigener‘ deutscher Haarmoden im Nationalsozialismus ......................................................... 143 4 Resümee ....................................................................................... 156 III Branchenbilder .............................................................................. 161

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Entstehungssituation im Kaiserreich ............................................ 162 1.1 Problematische Branchenlegitimierung ................................. 162 1.2 Branchenstrukturanalyse ....................................................... 174 1.3 Durch Handwerksorganisation intensivierte Männerkonkurrenz ............................................................... 194 1.4 Geschlechterkonkurrenzen ................................................... 200 1.5 Situation im Ersten Weltkrieg .............................................. 213 Destabilisierung statt Branchenkonsolidierung in der Weimarer Republik ............................................................ 221 2.1 Orientierung in den neuen Verhältnissen .............................. 221 2.2 Branchenstrukturanalyse ....................................................... 227 2.3 Barbiere versus Perückenmacher: „Schaumschlägerei“ und „Aristokratengehabe“ ..................................................... 245

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|  Inhalt

2.4 Zur innergewerblichen Rekonstitution der Geschlechterverhältnisse ....................................................... 248 2.5 Pessimismus statt Panik – Stimmung in der Wirtschaftskrise .................................................................... 258 3

Problembeständigkeit im Nationalsozialismus ............................. 262 3.1 Gewerberecht und Handwerkspolitik im Nationalsozialismus .............................................................. 262 3.2 Inklusion: Friseurhandwerk in der ‚Volksgemeinschaft‘ ......... 267 3.3 Exklusion: Antisemitismus und Diskriminierung der rassisch Verfolgten .......................................................... 277 3.4 Branchenstrukturanalyse ....................................................... 283 3.5 ‚Volksgemeinschaft‘ als Strukturvorgabe der Geschlechterverhältnisse im Friseurhandwerk ...................... 294 3.6 Kultur- statt Modeschaffen im Zweiten Weltkrieg ............... 300

IV Schluss ............................................................................................. 311 Anhang

Quellen ........................................................................................ 321 Forschungsliteratur ....................................................................... 326 Websites ....................................................................................... 360 Liste der Abbildungen und ihre Nachweise .................................. 361

I Einleitung

Angesichts der mit dem Friseurgewerbe heute typischerweise verbundenen Assoziationen1 – unglaubliche Frisuren, beschränkte Blondinen und effeminierte Homosexuelle – handelt es sich bei diesem Arbeitsfeld offenkundig um einen gesellschaftlichen Ort par excellence für Zuschreibungen von Geschlecht. Nicht nur, dass Frisuren für die Zuordnung von Geschlechtszugehörigkeit sorgen, Friseurarbeit als solche steht für Weiblichkeit. Schließlich gilt sie als geeignet für Frauen und für Männer mit unterstellter weiblicher Seite. Die Wahrnehmung des Gros der Durchschnittsfriseurinnen einerseits und von meist effeminiert wahrgenommenen ‚Promifriseuren‘ andererseits ist dem der Branche anhaftenden Image als Frauenberuf gleichermaßen zuträglich, nämlich statistisch fundiert,2 im Alltag erfahrbar und massenmedial verbreitet. Dieser weithin als plausibel begriffenen, quasi natürlichen Gleichsetzung von Friseurarbeit und Weiblichkeit lässt sich aber einiges entgegnen. Anzufangen ist mit der häufig, aber unbegründet behaupteten Distanz von Mann und Mode. Der modische Formenwandel ist schließlich unübersehbar, das zeigen Dokumentarfilme wie Familienalben und lässt sich erst recht anhand von Führerscheinfotos mit dem beliebten Vergleich vom JetztZustand eines Gegenübers mit der Vergangenheit unkompliziert belegen. Da Männer ihrer eigenen modischen Gestaltung offenkundig Beachtung schenken, kann der modeschaffende Charakter des Friseurberufs also nicht der Grund sein, warum so wenige ihn ausüben. Dennoch gehen viele davon aus, dass Männern, jedenfalls heterosexuellen, das Erlernen eines Mode­ berufs nicht liegt. Es gibt zwar keine Studien, die den Zusammenhang von sexueller Präferenz und Berufswahl untersuchen, wohl aber waren Friseure als Männer in einem Frauenberuf durchaus schon Gegenstand akademischen Interesses. Beispielsweise beobachtete die schwedische Ethnologin Marie Nordberg, dass es heute unter schwedischen Friseuren zwar während der Arbeitszeit 1 2

Beispielhaft zusammengefasst bei Kuhn, Oliver; Wiechmann, Daniel: Mein schwuler Friseur oder wie Sie sich mit 2222 Vorurteilen über Ihre Mitmenschen lustig machen. München 2000. Zum Frauenanteil von aktuell ca. 90% vgl. die Angaben des Zentralverbandes des deutschen Friseurhandwerks: http://www.friseurhandwerk.de/daten-fakten_beschaeftigte,20_23.html. Zugriff am 2.3.2009.

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häufig üblich ist, die Klischees der homosexuellen Subkultur mit einer typischen Gestik und Kleidung an den Tag zu legen, viele diese Rolle aber am Feierabend hinter sich lassen.3 Ohnehin ständig mit dem Vorurteil konfrontiert, nehmen sie unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung mit einer demonstrativen Rollenübererfüllung eine spielerische Haltung zum Stereotyp ein. Dabei scheint es sich weniger um eine entfremdende Unterwerfung unter Stereotype zu handeln, sondern um eine mimetische Aneignung.4 In bester Camp-Tradition wird eine Verhaltensvorgabe durch überzogene Erwartungserfüllung in Frage gestellt.5 Auch eine historisierende Betrachtung kann den starren Blick auf die Frauendomäne Friseurgewerbe aufbrechen, weil Männer und Frauen im Beruf rückblickend in anderer Weise sichtbar werden. So sind vor einhundert Jahren männliche Berufsangehörige in der Mehrzahl gewesen. Das ist mit der gängigen Annahme einer weiblichen Natur, die in der Verweiblichung von Friseurarbeit zum Ausdruck käme, nicht vereinbar. Insofern sind Friseure ein gutes Beispiel für jene Prozesse, die in der Geschlechterforschung Thema sind: die ständigen Zuschreibungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, die die Geschlechterordnung erzeugen und prägen. Diese Vorgänge erstrecken sich auf so unterschiedliche Aspekte wie Objekte (z. B. Frisuren), Räume (wie Boudoir oder Raucherzimmer), Ansichten bis hin zu Praktiken, wie etwa Berufen. Damit bewirken sie eine umfassende Vergeschlechtlichung (Engendering) des Sozialen und Kulturellen. Weil Engen3 Vgl. Nordberg, Marie: Constructing Masculinity in Women’s Worlds. Men Working as PreSchool Teachers and Hairdressers. In: NORA – Nordic Journal of Feminist and Gender Research, 2002, Nr. 1, S. 26–37. 4 Ein lang erprobtes Beispiel für das Unterlaufen von Engendering ist das häufig von Autorinnen praktizierte Durchkreuzen herkömmlicher Topoi durch Mimesis als ironische Schreibtechnik, für das schon u.a Luce Irigary im Feminismus der 1970er Jahre plädierte. Zusammenfassend dazu Stauffer, Isabelle: Weibliche Dandys, blickmächtige Femmes fragiles. Ironische Inszenierungen des Geschlechts im Fin de Siècle. Köln [u. a.] 2008, S. 63. 5 Camp, eine Art selbstbewusster Kitsch, zwischen Extravaganz, leidenschaftlich übertriebenem Ästhetizismus und Groteske anzusiedeln, ist heute, mehrere Jahrzehnte nach dem ersten Erscheinen von Susan Sontags Grundlagenessay, der die Rolle von Homosexuellen im Camp schon deutlich hervorhebt, längst in der Massenkultur angekommen und kaum noch subversiv, vgl. Sontag, Susan: Anmerkungen zu Camp. In: Riese, Utz (Hg.): Falsche Dokumente. Postmoderne Texte aus den USA. Leipzig 1993, S. 109–130. (Engl. Erstabdruck 1964). Zur Kritik an der Subversion auf Massenbasis vgl. Diederichsen, Diedrich: Sexbeat. Köln 2002. Hingegen wird in den Gender- und Queerstudies das Parodieren von Geschlechterrollen als Beitrag zur Auflösung von Heteronormativität begrüßt.

Einleitung  |

dering6 Handlungsräume und -möglichkeiten bestimmt, was nicht zuletzt die Erfahrungen von Frauen in Männerberufen oder von Männern in Frauenberufen zeigen, ist es von höchstem Interesse, die Zuschreibungen zu analysieren. In dieser Studie geht es dabei nicht um den Blick von außen auf die Branche, sondern um die Innensicht. Die seitens des Friseurgewerbes geleistete Betrachtung und das Verständnis der eigenen Arbeit sollen hier als spezifischer Einblick in die Kultur und Gesellschaft, in der das Gewerbe tätig wurde, verstanden werden.7 Damit verpflichtet sich diese Untersuchung einem wissenssoziologisch fundierten, kulturgeschichtlichen, d.  h. deutenden Ansatz,8 bei dem es auf das Selbstverständnis der Friseurinnen und Friseure ankommt, anhand dessen die Bezüge zwischen Arbeitsfeld und politischem, kulturellem wie sozialem Umfeld im „selbstgesponnenen Bedeutungs­ge­webe“9 gezeigt werden sollen. Aufgrund der kleingewerblichen Struktur des Friseurhandwerks und der den Arbeitsalltag charakterisierenden Interaktion sind die innergewerblichen Deutungen mit den Bezügen zur Gesellschaft dicht verwoben. Weil das Gros der Handwerker und Handwerkerinnen allein oder mit sehr wenigen Beschäftigten arbeitete, hatten die meisten einen ziemlich umfangreichen Aufgabenkreis zu bedenken. Es gab kaum die Möglichkeit, sich zu spezialisieren. Stattdessen galt es, gestalterischen, handwerklichen, sozialen und unternehmerischen Belangen möglichst gleichermaßen gerecht zu werden. Durch die dienstleistungstypische Kommunikation mit der Kundschaft war zudem eine ständige Auseinandersetzung mit den Arbeitsergebnissen gegeben. Denn für den geschäftlichen Erfolg war es unabdingbar herauszufinden, welche Formen für wen aus welchen Gründen als tragbar galten und welche Modevorschläge sich nicht durchsetzen würden. 6 7 8

9

Grundlegend zur Begrifflichkeit von Engendering und Doing Gender, die verwendet werden, um Geschlecht als Ergebnis sozialen Handelns herauszustellen, vgl. West, Candace; Zimmermann, Don: „Doing Gender“. In: Gender and Society, 1987, Nr. 1, S. 125–151. Klassische arbeitssoziologische Positionen sprechen vor allem vom sozialen Charakter von Arbeit, so beispielsweise Pierenkemper, Toni: Wirtschaftssoziologie. Köln 1980, S. 290 ff. Ich verstehe hier in Anlehnung an Clifford Geertz Selbstdeutungen als Anhaltspunkte für diejenige Kulturanalyse, die von strukturalistischen Gesetzmäßigkeiten in großen Theorien absieht, vgl. Geertz, Clifford: Blurred Genres. The Refiguration of Social Thought. In: Local Knowledge. Further Essays in interpretative Anthropology. New York 1983, S. 19–35. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: Ders.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt am Main 1983, S. 7–43, hier S. 9.

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Diese Untersuchung steht zwar in der Tradition der Geschichte der Arbeit, bewegt sich dabei aber, bedingt durch die kulturgeschichtliche Herangehensweise, zwischen zwei dort üblichen Ansätzen. Ein großer Forschungsstrang befasst sich – zumeist anhand von philosophischen Reflexionen – mit einer Begriffsgeschichte der Arbeit,10 während die Sozialgeschichte andere Fragen nach Klassenlage respektive -bewusstsein, Milieu und Lebenswelt stellt.11 Die Thematik des ersteren wird hier aufgenommen, und zwar auf Grundlage von Quellen, die handwerklich Arbeitende selbst verfassten. Auch die im zweiten Strang häufig verhandelte Problematik greife ich auf, sie wird hier allerdings nicht im Zusammenhang mit Klassenbewusstsein, dem Organisationsgrad der Arbeiterinnen und Arbeiter bzw. der Handwerkerinnen und Handwerker o.  ä. gesehen, sondern mit den Möglichkeiten, die eigene Berufs- und Geschlechterrolle im Rahmen des gesellschaftlichen Wertesystems zu definieren.12 Diese Reflexion von Beruf und Geschlecht ist gerade vor dem Hintergrund der um 1900 intensiv diskutierten Geschlechterverhältnisse von Interesse. In der als ‚Krise der Männlichkeit‘ bekannt gewordenen Debatte wurden soziale, mediale, wissenschaftliche und politische Modernisierungsprozesse thematisiert. Es waren nicht zuletzt frauenpolitische Bestrebungen, die auf Bildungschancen, Wahlrecht und Mündigkeit für Frauen abzielten, die in Richtung einer öffentlich wahrnehmbaren Gleichheit der Geschlechter wirkten. Gleichzeitig aber arbeiteten wissenschaftliche Diskurse, etwa in der Medizin, einer wachsenden Unterscheidung der Geschlechter zu. Diese 10 Für einen Überblick über die begriffsgeschichtliche Arbeitsforschung, vgl. Aßländer, Michael: Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung. Eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte menschlicher Arbeit. Marburg 2005. 11 Für einen kurzen Forschungsüberblick über die Grundzüge der seit den 1980er Jahren enorm entfalteten Arbeitergeschichte vgl. Welskopp, Thomas: Missglückte Bildungsromane, Naturgeschichten, inverse Heldenepen und Reiseberichte aus dem Land der „guten Wilden“: Zur „Poetik“ der älteren Arbeitergeschichte. In: Hesse, Jan-Otmar; Kleinschmidt, Christian; Lauschke, Karl (Hg.): Kulturalismus, neue Institutionenökonomik oder Theo­ rienvielfalt. Eine Zwischenbilanz der Unternehmensgeschichte. Essen 2002, S.  87–116. Eine aktuelle bspw. historische Herangehensweise an das Thema ‚Arbeit‘ bietet das Projekt ‚Production of Work‘ am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte (Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät) der Universität Wien, Leitung Sigrid Wadauer. 12 Hier ist keine fragmentierende Mikrostudie einer isolierten Lebenswelt beabsichtigt, sondern eine zwischen Mikro- und Makroebene wechselnde Studie eines Berufsfeldes, die auf das Verhältnis von Gewerbe und Gesellschaft zielt. Zu Kritik an der mangelnden Anschlussfähigkeit von lebensweltlicher Alltagsgeschichte im Zusammenhang mit Kulturgeschichte vgl. Burke, Peter: Was ist Kulturgeschichte? Frankfurt am Main 2005, S. 70.

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parallel verlaufenden Entwicklungen der Entdifferenzierung und Differenzierung beschädigten das anerkannte Idealbild von Männlichkeit schließlich nachhaltig.13 Das Konstrukt männlich-neutraler ‚Allgemeinheit‘ und heteronormativer ‚Väterlichkeit‘ verlor an Glaubwürdigkeit. Dadurch, dass sinnliches Begehren Teil von Identitätskonstrukten wurde, wurde schließlich die Vorstellung vom männlichen Subjekt als Vernunftsubjekt unhaltbar, das brachte eine Vieldeutigkeit mit sich, die Debatten um eine angebliche ‚Feminisierung der Kultur‘14 beschwor. Anerkannte Männlichkeit entstand jetzt durch Abgrenzung von Abweichungen wie den ‚Antitypen‘,15 die im Homosexualitätsdiskurs erzeugt wurden.16 Mann-männliches Begehren war auch vorher schon gesellschaftlich nicht akzeptiert worden, aber als sexuelle Orientierung Ende des 19. Jahrhunderts explizit zur Identitätsbestimmung des Subjekts in der bürgerlichen Gesellschaft beitrug, wurde es skandalisiert und kriminalisiert. Die Bedeutung dieses Wandels lässt sich an der großen Verunsicherung erkennen, die durch die Vorstellung, es könne Männer mit weiblichen Anteilen geben, ausgelöst wurde. Diese Krise ist bislang als akademischer, intellektueller und künstlerischer Diskurs aufgearbeitet worden, ihre Wirkung in die weitere Gesellschaft hinein ist jedoch kaum Thema gewesen. Die Studie setzt hier an und wählt als markantes Beispiel für die 13 Aus der Vielzahl der einschlägigen Publikationen seien Le Riders grundlegende Arbeit zu einer prominenten Spur einer erschütterten männlichen Identität um 1900, Otto Weininger, genannt und Brunottes wesentliche Auseinandersetzung, vgl. Le Rider, Jacques: Der Fall Otto Weininger. Wurzeln des Antifeminismus und Antisemitismus. Wien 1985; Brunotte, Ulrike: Zwischen Eros und Krieg. Männerbund und Ritual in der Moderne. Berlin 2004. Vgl. auch den Tagungsband: Brunotte, Ulrike (Hg.): Männlichkeiten und Moderne. Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900. Berlin 2006. 14 Vgl. Le Rider, Fall (1985). 15 Auch wenn Mosses ältere Arbeit in manchen Punkten revidiert wurde, ist seine Formulierung und Definition der ‚Antitypen‘ nach wie vor gültig, vgl. Mosse, George: Das Bild des Mannes – Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit. Frankfurt am Main 1997. Zu seiner Kritik vgl. Micheler, Stefan: Selbstbilder und Fremdbilder der „Anderen“. Eine Geschichte Männer begehrender Männer in der Weimarer Republik und der NS-Zeit. Konstanz 2005. 16 Zu Homophobie und Antisemitismus vgl. beispielsweise Bruns, Claudia: Politik des Eros. Der Männerbund in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur (1880–1934).  Köln 2007. Oder Nieden, Susanne zur: „Heroische Freundesliebe ist dem Judengeiste fremd“. Antisemitismus und Maskulinismus. In: Schoeps, Julius H.; Kotowski, Vera-Elke (Hg.): Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld. Ein Leben im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Berlin 2004, S. 329–342. Vgl. auch die Beiträge bei Nieden, Susanne zur (Hg.): Homosexualität und Staatsräson: Männlichkeit, Homophobie und Politik in Deutschland 1900–1945. Frankfurt am Main 2005.

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Geschlechterfrage im Alltagsrahmen den Friseurberuf. Als Untersuchungsgegenstand ist er gleich in zweifacher Hinsicht lohnend, zum einen praxisbezogen wegen der haarmodischen Umsetzung der Geschlechterrollen und Identitätskonstrukte,17 zum anderen wegen seiner Entwicklung vom Männer- zum Frauenberuf. Erstens ist nach der Visualisierung der im Zusammenhang mit der Krise virulent gewordenen Vorstellung von Männern mit weiblichen Anteilen durch Frisuren zu fragen. Gab es Zusammenhänge zwischen der Debatte um die ‚Krise der Männlichkeit‘ und dem Modediskurs? Es ist zu überlegen, ob einschlägige Veränderungen der Frisurformen zu erkennen sind und inwiefern sich Handwerker und Handwerkerinnen mit Frisuren als Ausdruck von Geschlechterrollen auseinandersetzten. Zweitens ist der enorme Anstieg des Frauenanteils in der Friseurbranche im Untersuchungszeitraum zu besprechen. Von mindestens knapp 10% 1875 ist er in den 1920er Jahren wenigstens im Damenfach auf über 70% angestiegen, heute liegt er über 90%.18 Statistisch gesehen wandelte sich das Geschlechterverhältnis offenbar erheblich. Sind Friseure infolge der ‚Krise der Männlichkeit‘ zum Rückzug aus dem Gewerbe motiviert worden, weil sie befürchteten, dass die Berufsausübung ihrer respektablen Geschlechts­ identität im Wege stehen könnte? Dafür spräche, dass um 1900 in der bürgerlichen Gesellschaft Mode und Männlichkeit längst als Widerspruch galten. Die Debatte der Geschlechterfrage hätte sich demnach als feminine Konnotation der modeschaffenden Friseure ausgewirkt. Weiterhin könnte 17 Gerade im Zusammenhang mit der Erforschung von Handwerksberufen ist die Arbeits­ praxis als wichtiger Ausgangspunkt bestimmt worden, vgl. Reith, Reinhold (Hg.): Praxis der Arbeit: Probleme und Perspektiven der handwerksgeschichtlichen Forschung. Frankfurt am Main 1998. Für die Praxisperspektive waren insbesondere volkskundliche Forschungen (Arbeit und Gerät) einflussreich, zur Entwicklung der oft so genannten, aber inhaltlich kaum sinnvoll zu begründenden ‚Handwerksforschung‘ aus volkskundlicher Sicht: vgl. Reininghaus, Wilfried: Handwerk und Handwerker in Europa und Deutschland. In: Mohrmann, Ruth-Elisabeth; Rodekamp, Volker; Sauermann, Dietmar (Hg.): Volkskunde im Spannungsfeld zwischen Universität und Museum. Festschrift für Hinrich Siuts zum 65. Geburtstag. Münster [u. a.] 1997, S. 381–393. Zum praxeologischen Ansatz als Anregung für die Erforschung von Männlichkeiten vgl. Lengwiler, Martin: Der Wandel von Männlichkeiten im 20. Jahrhundert. In: L’Homme, 2008, Nr. 3, S. 75–94. Zur Praxeologie in den Geschichtswissenschaften vgl. Reichhardt, Sven: Praxeologische Geschichtswissenschaft. Eine Diskussionsanregung. In: Sozial. Geschichte, 2007, Nr. 3, S. 43–65. 18 Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich Band 1883. Berlin 1884, S.  42; http://www.friseurhandwerk.de/daten-fakten_beschaeftigte,20_23.html. Zugriff am 2.3.2009.  

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der Zustrom von Handwerkerinnen in die Branche als Erfolg der seitens der Frauenbewegung geforderten Qualifikation von Frauen verstanden werden. Der Studie dienten friseurgewerbliche Fachzeitschriften und Lehrbücher als Materialbasis. Diese Quellengruppe wurde bislang überwiegend herangezogen, um verbandspolitische Entwicklungen zu untersuchen. Sie enthalten jedoch auch für die Zielrichtung meiner Arbeit Wesentliches. In erster Linie stütze ich mich auf die Deutsche Allgemeine Friseur-Zeitung (DAFZ), die unabhängig von Vereinen oder Verbänden in Berlin über fast den gesamten Untersuchungszeitraum herausgegeben worden ist.19 Daneben ziehe ich auch typische Verbandsorgane wie beispielsweise die Offizielle FriseurZeitung20 und Der deutsche Barbier, Friseur und Perückenmacher21 heran. Wichtig sind auch die zahlreichen, seit ungefähr 1900 erschienenen Fachbücher, insbesondere das erste umfassende Grundlagenwerk des Gewerbes überhaupt, Das moderne Friseurgewerbe in Wort und Bild von Ferdinand Müller, das 1913 erstmals erschien22 und Mitte der 1930er Jahre regimekonform überarbeitet wurde.23 Für das Modekapitel wurde die Fotosammlung des Altonaer Museums benutzt. Bestände des Bundesarchivs (Standort Berlin) und des Berliner Landesarchivs wurden für die den Nationalsozialismus betreffenden Abschnitte ausgewertet.

19 Deutsche Allgemeine Friseur-Zeitung. Fachblatt für das Friseur- und PerückenmacherGewerbe; hg. unter Mitwirkung namhafter Künstler und Berufsgenossen. Berlin 1885– 1969. 20 Offizielle Friseurzeitung. Der Perückenmacher. Der Damenfriseur. Der Herrenfriseur. Fach- und Anzeigenblatt für die deutsche Haarkunst. 1912–1924. Offizielle Friseur-Zeitung. Offizielles Organ des Bundes Deutscher Haarformer. Berlin 1925–1933. 21 Der deutsche Barbier, Friseur und Perückenmacher. Organ des Verbandes Bund Deutscher Barbier-, Friseur- und Perückenmacher-Innungen. Berlin 1893–1900. 22 Müller, Ferdinand: Der moderne Friseur und Haarformer in Wort und Bild. Nordhausen 1913. Die beiden nächsten Auflagen überarbeitete Carl Müller, vgl. Müller, Ferdinand: Der moderne Friseur und Haarformer in Wort und Bild. 3. Aufl., bearb. von Carl Müller. Nordhausen 1925. 23 Vgl. Knöß, Conrad und Roß, Ludwig: Der Friseur. Nordhausen 1936. Kaum verändert wurde es bis Ende der 1960er Jahre in Westdeutschland immer wieder neu aufgelegt, vgl. Knöß, Conrad: Der Friseur. Gießen 1959; während in der DDR in dieser Hinsicht ein Neuanfang begann. In der DDR war zunächst das Fachbuch von Franz Guske wichtig, vgl. Guske, Franz: Die Arbeit des Friseurs. Leipzig 1956. Danach bis zur Wiedervereinigung einschlägig: Franke, Gerhard; Tölke, Arnim: Lehrbuch für Friseure, 2 Bd., Leipzig (1. Aufl. 1966 –7. Aufl. 1988).

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Um den Wandel der Geschlechterverhältnisse im Zusammenhang mit der ‚Krise der Männlichkeit‘ untersuchen zu können, beginnt diese Studie mit der Ausgangssituation Ende des 19. Jahrhunderts und schließt Mitte des 20. Jahrhunderts, um mögliche Auswirkungen thematisieren zu können. Für die Konzentration auf deutsche Verhältnisse sprachen insbesondere unterschiedliche nationale Gesetzgebungen im Handwerksbereich, aber auch die Forschungssituation. So verbreitet der Friseurberuf auch ist, das wissenschaftliche Interesse an diesem Gewerbe ist eher gering. Zwar liefert der einschlägige Ausstellungskatalog von Christina Trupat einen sehr guten Einstieg in die Thematik,24 es ist aber auffällig, dass von 1900 bis heute im deutschsprachigen Raum nur sechs Dissertationen den Friseurberuf, wie er seit dem Kaiserreich besteht, behandelt haben: zwei wirt­schafts­wissen­ schaftliche,25 drei volkskundliche26 und eine berufspädagogische27 – aber 24 Trupat stellt informativ wesentliche Stationen des modernen, dem heutigen Tätigkeitsspektrum vergleichbaren Friseurgewerbes seit seiner Gründung im Kaiserreich dar, vgl. Trupat, Christina: Kopf-Arbeit. Zur Entwicklung des Friseurhandwerks seit 1871. Berlin 1990. Weitere Ausstellungskataloge über das Gewerbe schließen auch die Vorläufer ein, vgl. Vogeding, Ralf: Barbieren – Frisieren – Kurieren: vom Bartscherer zum Haarkünstler. [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Juli - Dezember 1988, Volkskundliche Gerätesammlung des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums in Schleswig, Schloss Gottorf ]. Schleswig 1988. Platow, Jürgen: Bader, Barbiere, Friseure: Bilder und Geschichten eines alten Handwerks; veranschaulicht an Objekten der Sammlung des Berliner Friseurmuseums. Berlin 1992. Dieses Museum ist inzwischen im Handwerksmuseum Alt-Marzahn aufgegangen. 25 Es handelt sich um eine ältere nationalökonomische Studie: Uttenthaler, Maximilian: Das Münchner Friseurgewerbe, seine wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. München 1921; und um eine jüngere betriebswirtschaftliche Arbeit: Korpiun, Michael: Erfolgsfaktoren personendominanter Dienstleistungen. Eine qualitative Analyse am Beispiel der Friseurdienstleistung. Frankfurt am Main [u. a.] 1998. 26 Vgl. Friedrich, Karin: Haare und Zeremonienmeister. Eine ethnologische Studie zum deutschen Friseurhandwerk. Univ. Diss. unveröff. Hamburg 1990. Karin Friedrich promovierte Ende der 1980er Jahre mit einer Untersuchung zeitgenössischer Arbeitsabläufe und der Interaktion in Friseurgeschäften. Ihre theoriegeleitete, genau beobachtende, detailreiche Studie schlüsselt die Dienstleistung hinsichtlich der Veränderung der Kunden und Kundinnen dahingehend auf, dass sie davon absieht, die Haargestaltung als solche in den Vordergrund zu rücken und stattdessen den Blick auf die Interaktionssituation richtet, die sie als Übergangsritual deutet. Stolz, Susanna: Die Handwerke des Körpers. Bader, Barbier, Perückenmacher, Friseur. Folge und Ausdruck historischen Körperverständnisses. Marburg 1992. Mai, Silvia C.E.: Mit Haupt und Haar. Die Entstehung des Friseurhandwerks unter Einbeziehung seiner Entwicklung in Münster. Münster, New York 1995. 27 Vgl. Schweig, Wolfgang: Grundlagen einer Berufsdidaktik des Friseurgewerbes im Berufsfeld Körperpflege. Oldenburg 2000.  

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keine geschichtswissenschaftliche.28 Auch wenn die Volkskundlerinnen Stolz und Mai eine körper- bzw. regionalhistorische Fragestellung verfolgten, fehlt eine historische Gesamtdarstellung.29 Eine weitere Grundlagen­ arbeit vorzulegen, ist wegen der großen bildungspolitischen Bedeutung des Friseurhandwerks als Ausbildungssektor wichtig. Nicht minder relevant ist die Aufklärung über die Rolle der Dienstleistung in unserer Gesellschaft aus historischer Sicht, zum einen im Hinblick auf die unabdingbare Selbstdarstellung, zum anderen konsumethisch im Zusammenhang mit der Niedriglohnproblematik. Gerade die Einengung des Blicks auf einen spezifischen Beruf, verbunden mit einer kulturgeschichtlichen Perspektive, erlaubt es, die in der Forschung geforderte Auflösung der Entität Handwerk voranzubringen.30 In der lange vorherrschenden Vorstellung eines gesamthandwerklichen Kollektivs waren typischerweise eine gemeinsame Mentalität, wirtschaftliche Rückständigkeit und die Neigung zu politischer Radikalität enthalten. Sich von diesem vielfach kritisierten Bild zu distanzieren gelingt, wenn man sich den Konstruktionsprozess ‚des Handwerks‘ vor Augen hält, der aus einer Vielzahl von divergenten Tätigkeiten, Betriebsformen etc. ein Ganzes formt. ‚Das Handwerk‘ muss eher als eine durch Organisationen wie Handwerkskammern und Innungen hergestellte als durch eine innere Kohärenz be-

28 Allerdings bieten die vorliegenden Arbeiten überblicksartiges Wissen zur historischen Entwicklung, vgl. Stolz, Handwerke (1992), Mai, Haupt (1995). Uttenthaler gab einen längeren historischen Abriss, vgl. Uttenthaler, Friseurgewerbe (1921), S. 5–26. 29 So liegen auch nur zwei klassisch institutionelle handwerksgeschichtliche Arbeiten zum Friseurberuf vor, regionalhistorisch fokussiert auf Münster und Celle. Leider gibt es für den deutschen Raum keine verbandshistorische Untersuchung der Branche, so wie sie Steven Zdatny für Frankreich erarbeitet hat, vgl. Zdatny, Steven M.: �������������������������������� Coiffure, Famille, Patrie, Artisan, Collaboration et Résistance 1940–1944. Paris 1999; Zdatny, Steven M.: Hairstyles and Fashion. A Hairdresser’s History of Paris, 1910–1920. Oxford 1999; Zdatny, Steven M.: Fashion, Work and Politics in Modern France. New York 2006. 30 Aus volkskundlicher Sicht vgl. Reininghaus, Wilfried: Handwerk und Handwerker in Europa und Deutschland. In: Mohrmann, Ruth-Elisabeth; Rodekamp, Volker; Sauermann, Dietmar (Hg.): Volkskunde im Spannungsfeld zwischen Universität und Museum. Festschrift für Hinrich Siuts zum 65. Geburtstag. Münster [u. a.] 1997, S. 381–393; oder geschichtswissenschaftlich bei Bergmann, Jürgen: Politische Anschauungen und politische Kultur des Handwerks in der Weimarer Republik im Spannungsverhältnis von Tradition, Ideologie und materiellen Interessen. In: Lehnert, Detlef; Megerle, Klaus (Hg.): Pluralismus als Verfassungs- und Gesellschaftsmodell. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik. Opladen 1993, S. 131–213.  

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gründete soziale Formation gelten.31 Wie mit dem Begriff ‚organisiertes Handwerk‘ zum Ausdruck kommt, unterlag und unterliegt das Verständnis dessen, was ein Handwerk ist, der Festlegung von Handwerksorganisationen.32 Zwar gehört Friseurarbeit demzufolge dazu, die Besonderheit der Branche wie beispielsweise der enorme Einfluss der Kammern und großen Verbände wird aber deutlich, wenn man neben der Definitionsebene Wertvorstellungen berücksichtigt. Diese, und zwar insbesondere das zentrale Idealmodell des begrenzt wettbewerbsorientierten, kalkulierenden Meisters, wurden im ‚organisierten Handwerk‘ von den Handwerksvertreterinnen und -vertretern selbst wie von den dort ebenfalls an wichtiger Stelle wirkenden Justitiaren und Justitiarinnen entworfen. Um die Durchsetzung dieser handwerkspolitischen Zielvorstellung und ihre Auswirkungen auf die davon abweichende Handwerkerschaft herauszuarbeiten, differenzierte Holtwick handwerklich Gewerbetreibende in drei Gruppen, nach Betriebsgröße und Qualifikation.33 Die Kleinsthandwerker, ohne Meistertitel allein oder mit nur wenigen anderen zusammenarbeitend, machten im Kaiserreich und in der Weimarer Republik ungefähr ein Drittel der Handwerker insgesamt aus, die ‚mittleren Handwerker‘ (ca. 60%), zumeist Meister, mit bis zu 20 Beschäftigten, rückten in dieser Zeit mehr und mehr zum handwerklichen Idealmodell auf. Der kleinste Teil (ca. 5%) kann zu den Handwerksunternehmern gerechnet werden, mit entsprechend umfangreicherem Personal und Gewinnmargen. Während die Betätigung der Frauen im handwerklichen Arbeitsprozess bei den Kleinsthandwerkern häufig war, waren sie bei den ‚mittleren Handwerkern‘ insbesondere im Verkauf oder in der Buchhaltung tätig. Ersteres galt als Pfuschertum, letzteres hob die ‚mittleren Handwerker‘ heraus. Das ganz überwiegend klein- und kleinstgewerbliche Friseurhandwerk, sei es von Männern oder Frauen betrieben, gehörte also dieser Differenzierung gemäß tendenziell nicht zu den Handwerken, deren Interessen und Vorstellungen von Handwerksorganisationen wie den Kammern oder dem ADHB (Allgemeiner Deutscher Handwerkerbund) primär verfochten wurden. Entsprechend wichtig ist es, die Besonderheiten der hier interessierenden 31 Zusammenfassung der Handwerksdefinitionsproblematik in der westdeutschen Forschung zwischen den 1960er und 1990er Jahren bei Holtwick, Berufsstand (2000), S. 4f. 32 An dieser Stelle setzte die Novellierung der deutschen Handwerksordnung im Zuge der Anpassung an europäische Verhältnisse an, in denen es kaum einen Meisterzwang gibt, wie er in Deutschland noch heute weitgehend üblich ist. 33 Vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 8ff.

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Branche herauszustellen. Es gilt, die Situation von Friseurinnen angemessen zu berücksichtigen und damit die Geschlechterverhältnisse unter Berufsangehörigen neu zu bewerten (1). Weiterhin ist es im Sinne der Differenzierung ‚des Handwerks‘ wichtig, die Besonderheit des hier interessierenden, zwischen Mode und Körperpflege angesiedelten Arbeitsfeldes als Branchenspezifik zu berücksichtigen (2). (1) Da die Lesart wenigstens der vor dem 20. Jahrhundert bestehenden Handwerksordnungen zumeist recht exklusiv von Männern in Handwerksberufen ausgeht und Frauen auch in der Forschung häufig nur als Mithelfende, Witwen oder randständige Pfuscherinnen wahrgenommen wurden,34 ergibt sich eine Trennung in Haupt- und Nebenschauplatz der Gewerbegeschichte, die jedoch im Friseurhandwerk nicht zutrifft. Denn auch wenn es aufgrund der bisherigen Forschungen so scheint, ist Haargestaltung nicht nur im Rahmen der Berufsausübung von Barbieren, Perückenmachern und Friseuren eine Tätigkeit zwecks Gelderwerbs gewesen. Hier sind Frauen auch innerhalb des regulierten Feldes ihrer Arbeit nachgegangen, so befasste sich beispielsweise das Berliner Innungsstatut der Perückenmacher von 1737 explizit mit diesen Handwerkerinnen. Dort wurde ausdrücklich festgestellt, dass Meister „beliebig viele Gesellen und eine Friseusin halten“35 könnten. Seit dem Rokoko wurde das Damenfrisieren auch von Perückenmachern ausgeführt, die es als offizielle Handwerkskunst betrieben. Nach Ende der Perückenmode blieben mit Frisieren beschäftige Frauen häufig als Dienstmädchen,36 aber auch, und das ist in der Forschung bislang meist zu 34 Schon 1718 und 1788 gab es Beschwerden über die weibliche Konkurrenz beim Perückenmachen, vgl. Uttenthaler, Friseurgewerbe (1921), S.  18, 21. Im heute niedersächsischen Burgdorf klagte beispielsweise ein Friseur um 1800 gegen Frauen, die mit Haarschneiden Verdienste einstrichen, die seiner Meinung nach ihm zustanden, vgl. Bessenrodt, Otto: Haarschneiden in Burgdorf – eine schwierige Sache. In: Unser Kreis, 4.10.1968, zitiert nach Maehnert, Carsten: Geschichte des Celler Friseurhandwerks. Bader, Barbiere, Perückenmacher und Friseure im Wandel der Zeit. Celle 1986, S. 95. 35 Eger, Leo: Das Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk in Berlin. In: Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Großindustrie. Siebter Band. Königreich Preußen. Dritter Teil. Leipzig 1896, S. 449–487, hier S. 454, 455. In Paris gab es Ende des 18. Jahrhunderts eine eigene Organisation der Friseurinnen, vgl. Garrioch, David: Neighbourhood and Community in Paris, 1740–1790. Cambridge [u. a ] 1986, S. 113. 36 Zu deren großem Aufgabenkreis auch das Frisieren gehörte, vgl. Otto, Louise: Die Unzulänglichkeit der gegenwärtigen weiblichen Erwerbszweige. In: Das Recht der Frauen auf Erwerb. Blicke auf das Frauenleben der Gegenwart. Hamburg 1866, S. 19–24, 26–32. Zitiert nach: Kleinau, Elke; Mayer, Christine (Hg.): Erziehung und Bildung des weiblichen  

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wenig beachtet worden, als eigenständige Gewerbetreibende weiterhin tätig. Während Dorothea Schmidt diese Frauen im Blick hat,37 entfallen sie sowohl bei Silvia Mai, die gar nicht darauf eingeht, als auch bei Susanna Stolz, die diese Entwicklungslinie dezidiert negiert.38 In Anbetracht der Ausdehnung ihres Untersuchungsrahmens konnte das komplexe Problem der quellenmäßig schlecht zu erfassenden Frauen im Beruf allerdings auch nur schwer bearbeitet werden. Nur sehr wenige Friseurinnen betrieben um 1900 Geschäfte, die Mehrzahl suchte die Kundschaft auf und hinterließ daher kaum historische Spuren, wie im Kapitel Branchenbilder ausführlich diskutiert werden soll. Die meisten Frauen durchliefen keine reguläre Handwerks­ ausbildung, sondern erwarben das nötige Wissen beispielsweise in Kursen.39 Das bekannteste Beispiel einer Hausfriseurin dürfte Erich Kästners Mutter Ida Kästner (1871–1951) sein. Deren Anstrengungen ermöglichten es, die gymnasiale und akademische Ausbildung des späteren Schriftstellers zu finanzieren.40 Diesen Frauen mit typisch weiblichen, nämlich diskontinuierlichen Berufsbiografien müsste seitens der Forschung ein Entwicklungszweig zugestanden werden. Doch solange von Qualifikationserwerb bestimmte Berufsordnungen den Untersuchungen zugrunde liegen und nicht Können oder

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Geschlechts. Eine kommentierte Quellensammlung zur Bildungs- und Berufsbildungsgeschichte von Mädchen und Frauen, Bd. 2, Weinheim 1996, Eintrag Louise Otto-Peters S. 15–23, hier S. 22. Vgl. Schmidt, Dorothea: Hat das Handwerk ein Geschlecht? Handwerker und Handwerkerinnen in neuerer Zeit. In: Dickmann, Elisabeth (Hg.): Politik und Profession: Frauen in Arbeitswelt und Wissenschaft um 1900. Bremen 1996, S.  11–33. Schmidt zeigt auch am hier interessierenden Beispiel, dass offenbar ein Wechsel in der Beschreibung der Tätigkeiten als männlich oder weiblich stattgefunden hat, sodass nicht mit einer in der Natur angelegten Eigenschaft argumentiert werden kann, die die Wahl des Berufs lenke. Vgl. Mai, Haupt (1994), Stolz, Handwerke (1992), hier S. 320f. In den Diskussionen über die unliebsame weibliche Konkurrenz wird der Berufseinstieg über Schulungskurse verschiedenster Art häufig diskutiert, vgl. Gussmann, Paul: Die Konkurrenz der Friseusen. In: DAFZ, 1905, Nr. 1, S. 8–10. Neben privaten Frisierschulen boten einzelne Friseure und Friseurinnen Kurse an, außerdem waren Frisierkurse beispielsweise auch im Angebot der praktischen Kurse des Lettevereins enthalten, so 1879, vgl. FrauenAnwalt, Nr. 4 (1880): S. 121ff. Zitiert nach Twellmann, Margrit: Die deutsche Frauenbewegung im Spiegel repräsentativer Frauenzeitschriften. Ihre Anfänge und erste Entwicklung, 2 Bde., Bd. 2, Quellen 1843–1889. Meisenheim am Glan 1972, S. 453–455. Vgl. Kästner, Erich: Als ich ein kleiner Junge war. Zürich 1996, S. 117. In seiner Autobiografie beschreibt Kästner (1899–1974) sehr plastisch, wie er ihr beim Frisieren zuhause half, und auch in Emil und die Detektive (1929) taucht das Thema auf. Die Mutter des Hauptpro­ tagonisten Emil ist ebenfalls eine von ihrem Sohn tatkräftig unterstützte Hausfriseurin.

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tatsächliche Erwerbsgrundlage das Zugehörigkeitskriterium zur Berufsgruppe bilden, entfällt diese Traditionslinie. Gerade weil längst erhebliche Kritik am männlich gedachten Normalarbeitsverhältnis geäußert worden ist,41 ist auch handwerksgeschichtlich die Berücksichtigung von Frauen jenseits ihrer Wahrnehmung als Pfuscherinnen, Mithelfenden oder Ausnahmemodell am Platz. (2) Weiterhin soll in dieser Studie die kulturelle Perspektive auch im Anschluss an Forschungsdebatten um die Mode- und Körpergeschichte eingenommen werden. Es ist ein Allgemeinplatz, dass Frisuren wie Kleidung Identität und Status anzeigen können.42 Seitdem die Semiotik die ältere Kostümkunde in den 1960er Jahren ablöste, haben zahlreiche Disziplinen ein reich ausdifferenziertes Bild der keinesfalls immer klaren Bedeutung von vestimentären Praktiken oder kulturellen Strategien am Körper43 erarbeitet. Inwiefern etwas modisch ist, welchen Veränderungen dies unterliegt, wie es sich sozial differenziert oder wie es performanzorientiert zu deuten ist,44 gilt es in einzelnen Zusammenhängen jeweils zu klären. Generell liegt dieser Arbeit ein Modeverständnis zugrunde, nach dem alles, was zu einer bestimmten Zeit – meist nur von kurzer Dauer – üblicherweise getragen wurde, als Mode begriffen wird.45

41 Vgl. dazu beispielsweise in historischer Perspektive die Aufsätze im Themenheft ‚Normale Arbeitstage‘, L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, 2000, Nr. 1. 42 Die Betonung liegt auf Können; dass diese Möglichkeiten mit vorrückender Freizeitkleidung heute bedeutend weniger geworden sind, ist eine verbreitete Beobachtung, vgl. Hill, Andrew: People Dress so Badly Nowadays. In: Breward, Christopher; Evans, Caroline (Hg.): Fashion and Modernity. Oxford [u. a] 2005, S. 67–84. 43 Die Wendung ‚kulturelle Strategie am Körper‘ stellt den Körper nicht allein in den Mittelpunkt, sondern in einen Zusammenhang von sozialen wie kulturellen Faktoren mit einem Handlungsbegriff. Antoni-Komar, Irene: Kulturelle Strategien am Körper. Frisuren. Kosmetik. Kleider. Oldenburg 2006. Obwohl ‚vestimentär‘ sich vom lat. vestimentum ableitet, ist damit in der kulturwissenschaftlichen Forschung üblicherweise nicht nur Bekleidung gemeint, sondern auch Frisuren, Bärte, Schmuck und Make-up oder andere Praktiken, die das Äußere des Menschen gestalten. Damit dient die Wendung ‚vestimentäre Praktik‘ als Oberbegriff, der es im Gegensatz zur Mode vermag, auch Uniformen, Trachten, Funktionsbekleidung (etwa für Sport), Berufskleidung und vieles andere zu bezeichnen. 44 Vgl. Lehnert, Gertrud: Wie wir uns aufführen…Inszenierungsstrategien von Mode. In: Fischer-Lichte, Erika; Risi, Clemens; Roselt, Jens (Hg.): Kunst der Aufführung, Aufführung der Kunst. Berlin 2004, S. 265–271. 45 Ein in der historischen Kleiderforschung mittlerweile weit verbreiteter Ansatz, vgl. Haase, Fiktion (2002) S. 23.   

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Schwieriger als diese Begriffsbestimmung und die Analyse einzelner Moden ist die Erklärung, warum es überhaupt zu einem ständigen modischen Wandel kommt.46 Weil hier auch die Rolle des Friseurhandwerks als Akteur im Modegeschehen Thema ist, ist die Frage unumgänglich. Veränderung als einzige Beständigkeit der Moderne ist in der Nachfolge von und der Auseinandersetzung mit Baudelaire47 unzählige Male wiederholt worden. Elena Esposito hat in ihrer systemtheoretischen Modedeutung dafür die Formulierung „Verbindlichkeit des Vorübergehenden“48 geprägt. Im Hinblick auf die Herausforderungen des Kontingenzproblems moderner Verhältnisse erklärt sie die Funktion von Mode als die eines vorübergehenden Stabilisators. Gerade weil es in der Moderne an einer verbindlichen Ordnung, die jeden dauerhaft auf einen Platz verweist, mangelt, wird ein Ersatz für die vermisste Stabilität gesucht, die Mode bieten könne. Salopp formuliert: Wer der Mode folge, tue dies, weil er/sie weiß, dass es neu ist und andere dies auch wissen. Esposito zitiert hier Baudrillards ‚radikale Sozialität‘.49 Mangels eines gemeinsamen Fundaments stützt sich jeder auf jeden, sodass gemeinsam ein Ersatz für Stabilität gefunden wird.50 Esposito 46 Für einen Überblick vgl. Schnierer, Thomas: Modewandel und Gesellschaft. Die Dynamik von „in“ und „out“. Opladen 1995. Eine einschlägige Sammlung von modetheoretischen Klassikern bietet Bovenschen, Silvia (Hg.): Die Listen der Mode. Frankfurt am Main 1986, S. 156–178. Auf feuilletonistisch beliebte, aber wissenschaftlich unhaltbare Zeitgeisttheorien und Entwicklungszyklenannahmen gehe ich nicht näher ein, Max von Boehn hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprechende modehistorische Bücher veröffentlicht, beispielsweise Die Mode, deren acht Teilbände in den 1920er Jahren erstmals erschienen. Mode zwischen Mittelalter und Gegenwart ist hier, mit zahllosen Anekdoten gespickt, unterhaltsam beschrieben. Noch in den 1980er Jahren ist, von Ingrid Loschek bearbeitet, die sechste Auflage erschienen. Zur Kritik am Zeitgeist als ungenügende Kausalität äußerte sich beispielsweise Steele schon früh, vgl. Steele, Fashion (1985), S. 20–23. Eine ausführliche Auseinandersetzung, wer mit der Vokabel Zeitgeist wie argumentiert, lieferte Schnierer, Modewandel (1995), S.  66–71. Popularität erlangten zyklische Modetheorien wegen der davon erhofften Voraussehbarkeit schließlich in der Planwirtschaft der DDR, vgl. Stitziel, Judd: Fashioning Socialism. Clothing, Politics and Consumer Culture in East Germany. Oxford [u. a] 2005. 47 Vgl. Wilson, Träume (1989), S.  74, zum Zusammenhang von Mode und Moderne seien hier stellvertretend für viele andere Bertschik, Mode (2007), S. 7–21 oder Wilsons eigene vertiefte Auseinandersetzung mit der Ambivalenz der Moderne genannt, vgl. Wilson, Elizabeth: Fashion and Modernity. In: Breward, Christopher; Evans, Caroline (Hg.): Fashion and Modernity. Oxford, New York 2005, S. 9–16. Esposito, Verbindlichkeit (2004), S. 16. 48 Esposito, Verbindlichkeit (2004). 49 Baudrillard, Jean: Der symbolische Tausch und der Tod. Paris 1976, S. 105. 50 Vgl. Esposito, Verbindlichkeit (2004), S. 27.  

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bietet daher einen theoretischen Erklärungshintergrund für das, was in moderner Kleiderforschung Konsens ist, dass sich nämlich nicht genau sagen lässt, wer Mode mache. Gleichwohl ist die Frage nach Einflussfaktoren im Modegeschehen nicht obsolet, schließlich lassen sich verschiedene Beteiligte und damit auch Interessenlagen ausmachen. Es ist zwar zutreffend, dass die funktionale Kurzlebigkeit von Moden beispielsweise für die Textilindustrie günstig ist, dennoch ist die kapitalismuskritische Sicht auf Konsumenten und Konsumentinnen als fremdbestimmte ‚Marionetten‘ überzogen.51 Schon in marxistischer Modekritik der 1980er Jahre wurde die Bedeutung ästhetischer Innovationen subkultureller Milieus für modische Entwicklungen thema­ tisisert.52 Demnach beherrschten Kapitalverwertungsinteressen nicht die stilistische Seite von Moden, wohl aber den Modewechsel als solchen.53 Die Anerkennung des eigenwilligen Zeichencharakters der Mode bestimmte die seit den 1990er Jahren diskutierten Ansätze bis heute.54 Besonders stark war der Einfluss von Baudrillard, für den Mode das postmoderne Spiel der Zeichen par excellence war.55 Mode wird als ein eigenes Phänomen betrachtet, das für sich selbst steht und nicht mit Indikatorfunktionen zusammenfällt. Ein Verständnis von modischer Beteiligung lässt sich auch durch Differenzierung in sozialer Hinsicht gewinnen. Spätestens seit 1911 Simmels Die Mode56 erschien, ist die Trickle-Down-Theorie präsent. Moden würden demzufolge in hierarchisch gegliederten Gesellschaften von oben nach unten weitergegeben. Unten angekommen, müssten oben wieder neue Formen dem distinktiven Statusdenken nützlich werden.57 Simmel war deshalb so überzeugend, weil er historisch differenzierte und immerhin teilweise von 51 Zu den Marionettentheorien vgl. Schnierer, Modewandel (1995), S. 85. 52 Vgl. Haug, Wolfgang Fritz: Warenästhetik und kapitalistische Massenkultur, Bd. 1 ‚Werbung‘ und ‚Konsum‘. Systematische Einführung in die Warenästhetik. Berlin 1980. 53 Vgl. Schnierer, Modewandel (1995), S.  90. Anderen Marionettentheorien zufolge wird hingegen auch die inhaltliche Moderichtung dem Diktat der Industrie unterworfen, vgl. Schnierer, Modewandel (1995), S. 90. 54 Vgl. Vinken, Barbara: Mode nach der Mode. Geist und Kleid am Ende des 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 1993. 55 Vgl. Baudrillard, Jean: Der symbolische Tausch und der Tod. Paris 1976. 56 Simmel, Georg: Die Mode. In: Bovenschen, Listen (1986), (Erstveröffentlichung 1911), S. 179–207. 57 Eine Betrachtung, die Bourdieu noch 80 Jahre später aktuell schien bzw. die er (bzw. der Übersetzer) mit dem Minirock in Hintertupfingen in eine zeitgenössische Redewendung

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vorurteilsgeprägten, so verstandenen allgemein menschlichen Begründungen absah – nicht aber davon, in den ‚die Frau Mode‘ konstituierenden Kanon einzustimmen. Seine Auseinandersetzung um Nachahmung und Distinktion ist bis heute immer wieder aufgegriffen worden.58 Für die modische Verbreitung von unten nach oben, von Randgruppen, Protestund Jugendkulturen in die Eliten argumentierte besonders Carlo M. Sommer. Ansatzpunkt Sommers war hier, dass etablierte Persönlichkeiten zu festgefahren wären, um durch neue Moden eine neue Identität kreieren zu wollen, sodass Innovation in der Regel von Gruppen ausgehe, die ihre Identität noch suchten.59 Günter Wiswede andererseits sah in den 1970er Jahren eher die Mittelschichten (insbesondere junge Leute, die in der Stadt leben) als Modeinitiatoren.60 Bemerkenswert ist der von Diffusions- und Kommunikationsforschung geprägte Trickle-Across-Ansatz von King,61 der die Übernahme von Moden nicht sozial erklärte, sondern den Zeitpunkt für relevant hielt, an dem einzelne sich modisch umorientierten – innerhalb

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kleidete, vgl. Bourdieu, Pierre: Haute Couture und Haute Culture. In: Bourdieu, Pierre: Soziologische Fragen. Frankfurt am Main 1993, S. 187–196, hier S. 191. So beispielsweise in der Design-Trickle-Down-Theorie, bei der Mode von Haute Couture bis zum Kaufhausschick skaliert wird, vgl. Drengwitz, Elke: Das „Trickle-down“ der weiblichen Mode – eine soziologische Designanalyse. In: Böth, Gitta; Mentges, Gaby: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, Bd. 25, Sich kleiden. Marburg 1989, S. 55–76 hier S. 55. In Ansätzen nahm Sombart Drengwitz’ Ausarbeitung vorweg, vgl. Schnierer, Modewandel (1995), S. 4. Für eine weitere Adaption des Trickle-Down vgl. McCracken, Grant: The Trickle-Down Theory Rehabilitated. In: Solomon, Michael R. (Hg.): The Psychology of Fashion. Lexington 1995, S. 39–54. Sommer, Carlo Michael: Soziopsychologie der Kleidermode. Regensburg 1989, hier S. 138, in Bezug auf Randgruppen, die ihre Identität erst noch suchen müssten, ist Sommers Argumentation (S. 139f.) historisch gesehen nur eingeschränkt richtig, denn die Kokotte und der Dandy haben im 19. Jahrhundert zwar das Modegeschehen beeinflusst, sie waren dabei allerdings sowohl stilsicher als auch über ihre festgelegte soziale Außenseiterposition im Klaren. Historische Beispiele für Randgruppen, deren vestimentäre Praktiken sich modisch durchsetzten, gibt es genauso wie Gruppen, die nicht im Modebild auftauchten (frühneuzeitliche Bettler etwa). Aktuellere Beispiele der Aufnahme von subkultureller Inspiration der Mode bei Polhemus, Ted: Streetstyle. From Sidewalk to Catwalk. [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Victoria & Albert Museum, London, November 1994 bis Februar 1995], London 1994. Vgl. Wiswede, Günter: Theorien der Mode aus soziologischer Sicht. In: Specht. Karl Gustav; Wiswede, Günter: Marketing Soziologie. Soziale Interaktion als Determinante des Marktverhaltens. Berlin 1976, S. 393–409. Vgl. King, Charles W.: Mode und Gesellschaftsstruktur. In: Specht, Karl Gustav; Wiswede, Günter: Marketing Soziologie. Soziale Interaktion als Determinante des Marktverhaltens. Berlin 1976, S. 375–392, hier S. 385.

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aller Schichten und Gruppen gebe es so genannte „Frühkäufer“, deren Verhalten von den anderen nachgeahmt werde. Neben der Möglichkeit der sozialen Differenzierung durch Mode sind auch körperliche Aspekte zu bedenken. Gerade im Hinblick auf die Teilnahme an Haarmode sind physische Voraussetzungen häufig entscheidender als der Sozialstatus oder der finanzielle Rahmen. Im Zuge (auch) der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Diskursanalyse seit den 1990er Jahren hat sich eine massive Kritik an dem Verständnis des Körpers als bloßem Konstrukt, wie es vornehmlich seitens der Semiotik geprägt wurde, durchgesetzt.62 Es ist zwar Konsens, dass der Körper als eine historische, soziale und kulturelle Tatsache aufzufassen ist und seine Wahrnehmung diskursiv geprägt wird. Dennoch aber geht Körperlichkeit nicht in Diskurseffekten auf, schließlich ist die menschliche Existenz „untrennbar an den Körper in seiner schieren Materialität gekoppelt“.63 Wegen normativ verwendeter Definitionen ist körperliche Materialität allerdings kulturwissenschaftlich als problematisch angesehen worden. Nicht nur die Wahrnehmung des Körpers, auch biologisch-medizinisch formulierte Gewissheiten sind durch einschlägige historische Forschungen als historisch wandelbar herausgestellt worden.64 Körper und Geschlecht waren infolge des ungeheuren Impulses, den die Diskursanalyse als Ermöglichungsraum für feministische Ermächtigungsstrategien lieferte, ein häufig beforschter Komplex.65 62 Zur Kategorie Körper in der Geschichtswissenschaft vgl. Lorenz, Maren: Leibhaftige Vergangenheit. Einführung in die Körpergeschichte. Tübingen 2000. Zur grundlegenden Kritik am „objektivistischen“ Körperverständnis in der Soziologie vgl. Koppetsch, Cornelia: Körper und Status. Zur Soziologie körperlicher Attraktivität. In: Koppetsch, Körper (2000), S. 7–16. 63 Piller, Gudrun: Private Körper. Spuren des Leibes in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts. Köln [u. a] 2007. 64 Wissen und Erkenntnisstand über körperliche Funktionsvorgänge wandeln sich auch insoweit, als es wissenschaftsgeschichtlich zu berücksichtigen gilt, dass sich Forschung der Wirklichkeit nicht approximativ annähert und an den Kern der Wirklichkeit vordringt, sondern dass auch naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse von zeitgenössischen Diskursen überlagert sind bzw. Technik, Natur und Soziales miteinander interagieren. Am prominentesten dazu Latour und Knorr-Cetina, vgl. Latour, Bruno; Woolgar, Steve: Laboratory Life. The Social Construction of Scientific Facts. Beverly Hills 1979. Latour, Bruno: Science in Action. How to Follow Scientists and Engineers through Society. Milton Keynes 1987. Knorr-Cetina, Karin: Die Fabrikation von Erkenntnis. Zur Anthropologie der Naturwissenschaft. Frankfurt am Main 1984. 65 Vgl. den entsprechenden Forschungsüberblick bei Opitz, Claudia: Um-Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte. Tübingen 2005, S. 115–122.  

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Überwog aus dem Entstehungszusammenhang der Frauengeschichte heraus zunächst das Interesse am weiblichen Körper, so rückte die Geschlechtergeschichte auch Männer und ihre Körper in den Blickpunkt.66 Neben der zentralen Frage, was den Körper jeweils zur Grundlage von Geschlecht mache, war ein weiterer Schwerpunkt körperhistorischer Arbeiten auf den kranken Körper gerichtet.67 Frisuren sind bislang in diesem Zusammenhang nicht thematisiert worden. Dabei sind gerade sie ein günstiger Ausgangspunkt, um die Dimension der Erfahrung anzusprechen. Das gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass die Erfassung von Erfahrung problematisch ist, weil sie immer schon sprachlich vermittelt ist und keine Authentizität als Gegenpol zur diskursiven Prägung bieten kann. Hier ist es hilfreich, Helmut Plessner folgend,68 die beiden Aspekte Leib-Sein und Körper-Haben zu trennen, um den Körper sowohl als Akteur wie auch als Produzenten ästhetischer Prozesse in den Blick bekommen zu können. Eine solche Trennung wird beispielsweise im Konzept Körper-Inszenierungen (Elisabeth Fischer-Lichte) vorgenommen. Mit diesem Ansatz wird ein Lösungsweg aus der zerfahrenen Debatte um ein angemessenes kulturwissenschaftliches Begreifen der Körperthematik angestrebt.69 Diese, zwischen kultureller Einschreibung und natürlicher Materie verhandelt, wird im Konzept Körper-Inszenierungen durch die Betrachtung dessen, was sich zwischen den genannten Polen abspielt, neu formuliert. Es steht daher keine Entscheidung für Kunst oder Natur an, sondern es gilt, das Wechselverhältnis beider zueinander zu untersuchen.70 Dieses performanzorientierte Konzept aus der Theaterwissenschaft ist für die spezifischen Bedingungen von Frisuren, die zwischen Natur und Kultur angesiedelt sind, geradezu maßgeschneidert. Während Kleider den Körper immer schützend umhüllen, eine äußere Haut bleiben, ist das Cha66 So etwa die Forschung zu Männlichkeit und Gesundheit, beispielsweise Dinges, Martin (Hg.): Männlichkeit und Gesundheit im historischen Wandel. Stuttgart 2007. 67 Vgl. den aktuellen Forschungsstand dazu bei Piller, Körper (2007), S. 5. 68 Plessner, Helmut: Philosophische Anthropologie. Frankfurt am Main 1970. 69 Die Extrempositionen kurz aufgreifend, kann der kulturwissenschaftlich debattierte Körper in den 1970er Jahren zwischen Disziplinierungsgewalt und Authentizitätsideal vorgestellt werden; in den 1980er Jahren wurde er mit einer breiten Foucaultrezeption als diskursiver Effekt ohne Materialität gedacht und schließlich mit Judith Butler als Ergebnis kultureller Identitätsstiftungsprozesse verstanden, deren performative Wiederholungen sogar bzw. insbesondere Geschlechtsidentitäten erzeugten. 70 Vgl. Fleig, Anne: Körper-Inszenierungen. In: Fischer-Lichte, Erika; Fleig, Anne (Hg.): Körper-Inszenierungen. Präsenz und kultureller Wandel. Tübingen 2000, S. 7–17, hier S. 11.

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rakteristikum von Haar kein funktionaler Aspekt, sondern seine bezeichnende Materialität zwischen Leiblichkeit und Artefakt. Nun sind auch Textilien ihrerseits in ein kompliziertes Verhältnis zum Körper gesetzt, sie kleiden ihn, aber die Hülle verbirgt nicht nur, sondern formt und akzentuiert den Körper auf spezifische Art, sodass er nicht nur bedeckt, sondern geradezu vorgeführt wird.71 Das Verhältnis von Formung und Körper gestaltet sich im Hinblick auf Frisuren aufgrund der besonderen Materialität von Haar allerdings in anderer Weise als das zwischen Textilien und Körper. Schließlich sind Haare als Körperteil aufzufassen. Ihre leibliche Materialität kann aber durch ihre Verwendung als modisches Accessoire verdeckt werden, damit stehen sie je nach Mode und gesellschaftlich üblichem Körperbegriff offenkundig zwischen Leib-Sein und Körper-Haben. Beide Aspekte werden in der Deutung von Haargestaltung in dieser Arbeit wechselseitig aufeinander bezogen. Dazu zählt nicht zuletzt auch der besondere Aufführungsaspekt von Frisuren, die nicht alle so schnell gewechselt werden können wie die meisten Kleidungsstücke. Zudem hat die unterschiedlich lange Haltbarkeit von Frisuren Einfluss auf die Qualität und Wirkung der Inszenierung wie auf die Körpererfahrung. Friseurarbeit ist also nicht nur als Manipulation der Körpergestaltung zu sehen, sondern auch als Ermöglichung von Körpererfahrung. Das zentrale Anliegen körperhistorischen Arbeitens, „mittels Fragen nach überlieferten Körpervorstellungen [… zu] versuchen, Antworten auf Gesellschaftskonstituierung zu finden“,72 setzte im hier interessierenden Gegenstandsbereich bereits Susanna Stolz in ihrer Dissertation über Die Handwerke des Körpers73 um. Vorwiegend theoretische Texte zum zeitgenössischen Körperverständnis auswertend, stellte sie das Perückenmachen als Entsprechung zur barocken Repräsentation heraus, während sich Hygiene ihr zufolge als Teil bürgerlicher Kultur in rational bestimmter Pflege des Körpers niedergeschlagen und dadurch das Geschäft des Friseurberufs in der bürgerlichen Gesellschaft definiert habe, in der sich im 19. Jahrhundert Bader, Barbiere und Perückenmacher zusammengeschlossen hatten. In 71 Noch 2001 konstatierten Entwistle und Wilson unterschiedliche Perspektiven der auf Mode bzw. auf den Körper orientierten Forschung, Zusammenhänge von Körper und Mode seien explizit wenig thematisiert worden, vgl. Entwistle, Joanne; Wilson; Elizabeth: Introduction: Body Dressing. In: Entwistle, Joanne; Wilson, Elizabeth: Body Dressing. Oxford 2001, S. 1–12. 72 Lorenz, Vergangenheit (2000), S. 13. 73 Stolz, Handwerke (1992).

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Stolz’ Studie spielte vor allem von bürgerlichen Autoritäten wie Ärzten hinterlassenes Quellenmaterial eine Rolle. In meiner Untersuchung hingegen soll Haargestaltung, die eigentliche Friseurarbeit, explizit einbezogen werden. Gestützt auf Überlieferungen handwerklicher Provenienz soll überlegt werden, inwiefern für das Selbstverständnis der Arbeit bzw. ihrer Darstellung nach außen eher Mode oder eher Hygiene als Bezugspunkte in Frage kommen und welche Bedeutung die Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht dabei hat. Theoretisch-methodischer Rahmen: Branchenkultur und Branchenstruktur Das aus dem strategischen Management entlehnte Analyseinstrument Branchenkultur zielt auf die Erklärung von Wirtschaftshandeln in seiner sozialen und kulturellen Einbettung.74 Mit dem Oberbegriff Branchenkultur75 werden branchenintern geteilte Einschätzungen, die in gleichartigen Strategien und identischen Geschäftsmodellen beobachtbar sind, bezeichnet.76 Im Zentrum stehen dabei kulturelle Deutungsmuster.77 Einerseits sind das die konventionellen Regeln, die den Bedarf an der Dienstleistung erzeu-

74 Zur Einbettung von Märkten als grundlegende Kritik des klassischen Liberalismus, insbesondere der Kernaussage der selbstregulierenden Autonomie des Marktes vgl. Polanyi, Karl: The Great Transformation. The Political and Economic Origins of Our Time. Boston 1944. 75 Das Konzept soll hier im Anschluss an die Differenzierung von Schreyögg/Grieb im Sinne einer Branchenkultur als eigenständiger Emergenzebene (anstelle einer branchentypischen Unternehmenskultur oder einem kulturellen Mikrokosmos) verstanden werden, vgl. Schreyögg, Georg; Grieb, Christine: Branchenkultur – ein neues Forschungsgebiet. In: Glaser, Horst; Schröder, Ernst F.; Werder, Axel von (Hg.): Organisation im Wandel der Märkte. Erich Frese zum 60. Geburtstag. Wiesbaden 1998, S. 359–384. 76 Branchenkultur lässt sich auf so unterschiedliche Felder wie Museen, Brauereien oder Versicherungen beziehen. Vgl. Chlebowski, Katharina von: Branchenkultur der Kunstmuseen in Deutschland. Zur Bedeutung von Branchenkultur im Wandelprozess des Organisationsund Führungssystems von Museen. Berlin 2008. Rolinck, Bernd: Branchenkultur. Theoretische Grundlagen und eine empirische Untersuchung in der deutschen Brauereibranche. Berlin 2002. El Hage, Bernard: Der Einfluss der Branchenkultur auf das strategische Management. Am Beispiel der Fertigungstiefe von Schweizer Versicherungsunternehmen. St. Gallen 2006. 77 Vgl. Senge, Konstanze: Der Neo-Institutionalismus als Kritik der ökonomistischen Perspektive. Darmstadt, Techn. Univ., Diss., 2005, S. 27. Online-Ressource http://deposit.ddb. de/cgi-bin/dokserv?idn=977116476, Zugriff am 20.03.2007.

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gen, beispielsweise triviale Selbstinszenierungswünsche durch Frisuren,78 andererseits die Angebotsseite, die die Nachfrage zu beeinflussen versucht. Neo-institutionalistische Ansätze sind hier deshalb vielversprechend, weil ihr zentraler Gegenstand die Analyse des Zusammenhangs von Gesellschaft und Organisationen ist (also beispielsweise eines Gewerbes oder einer Branche), der mit Hilfe des Institutionenbegriffs beleuchtet werden kann.79 Als kleinster gemeinsamer Nenner der zahlreichen Bestimmungen des Begriffs Institution könnte Essers Kurzdefinition gelten. Danach ist eine Institution „eine Erwartung über die Einhaltung bestimmter Regeln, die verbindliche Geltung beanspruchen“.80 Berger/Luckmann folgend ist es sinnvoll, dieses oberflächliche Verständnis von Institutionen mindestens um zwei weitere Merkmale, die über reflexive Habitualisierung sozialer Handlungen hinausgehen, zu ergänzen: zum einen um die Überlieferung von habitualisierten Handlungsmustern von Älteren auf die jüngeren Genera­ tionen und zweitens um den Aufbau legitimierender Erzählungen und Weltbilder. Institutionen und entsprechend auch institutionalisierte Regeln, wie nicht hinterfragte Handlungsmuster, entstehen in Prozessen sozialer Konstruktion. Wesentliche Forschungsbeiträge belegen, wie Firmen und Betriebe Legitimität sowohl in der Gesellschaft als auch in ihrer Branche gewinnen, indem sie institutionelle Regeln, sei es absichtlich oder intuitiv, inkorporieren.81 In dieser Studie interessieren einerseits kulturell bestehende Institutionen wie Mode, Körperpflege und Geschlechtersystem und anderseits Institutionen im klassischen Verständnis wie Innungen oder berufliche Bildung. Sie waren einer Legitimation der Friseurbranche jeweils unterschiedlich nützlich. Mit der Betonung der handlungsrelevanten Alltagswirklichkeit, die auf nicht hinterfragten Selbstverständlichkeiten sozialer Konstruktionen beruht, aber auch durch kognitive Leistungen durchbrochen werden kann,

78 Vgl. Allert, Tilman: Transitorische Prominenz – Gestaltungsoptionen und Gestaltungsrestriktionen in der Haarpflege. In: Janecke, Christian (Hg.): Haar tragen. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung. Köln [u. a] 2004, S. 99–108. 79 „Institutionen fungieren im Neo-Institutionalismus als das Bindeglied zwischen Organisation und Gesellschaft.“ Vgl. Senge, Neo-Institutionalismus (2005), S. 22. 80 Esser, Hartmut: Soziologie. Spezielle Grundlagen, Bd. 5, Institutionen. Frankfurt am Main 2002, S. 2. 81 Vgl. Meyer, John W.; Rowan, Brian: Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony. In: American Journal of Sociology, 1977, Nr. 2, S. 340–363.  

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beschreitet die hier zugrunde gelegte Variante des Neo-Institutionalismus82 einen spezifischen Weg vorbei am ‚Homo oeconomicus‘ und ‚Homo sociologicus‘,83 den beiden „Schreckensmännern“ der Sozialwissenschaften.84 Neo-institutionalistische Vorstellungen sozialen Handelns heben sich sowohl vom perfekt sozialisierten Menschen des Strukturfunktionalismus ab, der sämtliche Normen und Werte internalisiert hat und in seinen Entscheidungen vollständig vorgezeichnet ist, als auch vom stets rational denkenden, allwissenden, gründlich überlegt entscheidenden Individuum, das die neoklassische Ökonomik zugrunde legt.85 Vielmehr verweist die hier referierte Position des Neo-Institutionalismus auf instabile Präferenzordnungen der Akteure und nicht immer intendierte Folgen oder nicht immer bedachte Prämissen intentionalen Handelns,86 d. h. es wird davon ausgegangen, dass Menschen Wahlmöglichkeiten haben. Ob sie diese aber überhaupt erkennen und realisieren, hängt von verschiedenen Faktoren ab.87 82 Da Neo-Institutionalismus keine geschlossene Schule ist, bilden sich Interpretationsrichtungen nicht nur durch Perspektiven eher soziologischer oder ökonomischer Richtung aus, sondern auch hinsichtlich der thematisierten Fragestellungen. 83 Der ‚Homo oeconomicus‘ als rational bestimmte Modellfigur hat eine längere Tradition als der mit Ralf Dahrendorf bekannt gewordene ‚Homo sociologicus‘, vgl. Dahrendorf, Ralf: Homo sociologicus. Opladen 1958, erschien 2006 mittlerweile in der 16. Auflage. ������� Zur Geschichte des Terminus vgl. Camic, Charles: The Matter of Habit. American Journal of Sociology, 1986, Nr. 5, S. 1039–1087. 84 Die Formulierung geht zurück auf Weise und Schmid, vgl. Weise, Peter: Homo oeconomicus und homo sociologicus. Die Schreckensmänner der Sozialwissenschaften, Zeitschrift für Soziologie, 1989, S. 148–161 und Schmid, Michael: Soziales Handeln und strukturelle Selektion. Beiträge zur Theorie sozialer Systeme. Opladen 1998. 85 Allerdings ist zu beachten, dass das Verhältnis von Rationalität und Sozialisation komplexer ist als in dieser groben Skizze. Für eine kritische Auseinandersetzung mit Douglass North, der bei der Beachtung von Institutionen in der Wirtschaftsgeschichte einflussreich war, vgl. die Beiträge bei Pies, Ingo; Leschke, Martin (Hg.): Douglass Norths ökonomische Theorie der Geschichte. Tübingen 2009, inbesondere Schmid, Michael: Douglass C. North und die Institutionenökonomik informaler Regeln, S. 93–135 und die Kommentare von Martin Petrick und Dominikus Pohl (S. 136–142). 86 Damit sind nur die wesentlichsten Punkte der umfassenden und komplizierten Debatte benannt. Im beschränkten Rahmen dieser Arbeit muss das angesprochene Thema holzschnittartig bleiben, insbesondere können Handlungstheorien aus der Psychologie, die ökonomische und soziologische Debatten sinnvoll ergänzen, nicht diskutiert werden. 87 Rolinck beschreibt die Seltenheit der bewussten Überwindung kultureller Selbstverständlichkeiten mit ‚Sternstunden‘, vgl. Rolinck, Branchenkultur (2002), S. 16. Die Theorietradition, der ich mich hier anschließe, vermittelt dabei zwischen kollektivistischen Positionen und methodologischem Individualismus. DiMaggio schlägt vor, zwischen alternativen ko-

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Branchenkultur entsteht dadurch, dass symbolisch und sprachlich verfasstes kontextuales Wissen den Akteuren gemeinsam zur Verfügung steht. Eine Branche kann insofern als Handlungsgemeinschaft aufgefasst werden als die ihr zugehörigen Unternehmen ein vergleichbares Selbstverständnis entwickeln können.88 Daher konstituieren Branchenkulturen den Kontext unternehmerischen und beruflichen Handelns. Sie sind Phänomene eigener Gestalt und Logik und entsprechend beschreibbar in Bezug auf strategisches Handeln, Formen und Inhalte.89 Betriebswirtschaftlich geriet Branchenkultur insbesondere als Barriere für Wandel in den Blickpunkt.90 Die thematische Verwandtschaft zur Debatte um ‚Anpassung oder Verdrängung‘ in der Handwerksforschung ist unübersehbar. Schließlich wurde dabei häufig auf eine spezifische Handwerksmentalität als Anpassung verhindernd oder erschwerend verwiesen.91 Kulturelles Wissen von Branchen in der hier intendierten Form zu fassen, ermöglicht es, Denkhorizonte in die Handwerksforschung einzubringen, die über die dem Handwerk häufig attestierte Traditionalität92 hinausrei-

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gnitiven oder sozial verfügbaren Schemata zu unterscheiden, vgl. DiMaggio, Paul: Culture and Cognition. In: Annual Review of Sociology, 1997, S. 263–287. Vgl. Rolinck, Branchenkultur (2002), S. 27. Für eine vertiefende Ausführung vgl. ebd. S. 147–164. Vgl. Chlebowski, Branchenkultur (2008). Angestoßen wurde diese Perspektive durch die Arbeiten Abrahamsons/Fombruns über die Anpassungsprobleme in der US-Automobilindustrie, insbesondere Abrahamson, Eric; Fombrun, Charles J.: Forging the Iron Cage: Interorganizational Networks and the Production of Macroculture. In: ���������������������� Journal of Management Studies, 1992, Nr. 2, S. 175–194. Abrahamson, Eric; Fombrun, Charles J.: Macrocultures, Determinates and Consequences. In: The Academy of Management Review, 1994, Nr. 4, S. 728–755. Zu emergenten Phänomenen als Faktor im Management vgl. Schreyögg, Georg: Organisation. Grundlagen moderner Organisationsgestaltung. Wiesbaden 2008, S. 340–400. Zwei typische Beispiele von vielen: Kaufhold, Karl Heinrich: Das Handwerk zwischen Anpassung und Verdrängung. In: Pohl, Hans: Sozialgeschichtliche Probleme in der Zeit der Hochindustrialisierung (1870–1914). Paderborn 1979, S. 103–141. Georges, Dirk: 1810/11. Handwerk und Interessenpolitik. Von der Zunft zur modernen Verbandsorganisation. Frankfurt am Main 1993, S. 104f., 112f. Traditionalität war in der älteren Handwerksforschung durchaus positiv belegt, beispielsweise bei: Wernet, Wilhelm: Handwerkspolitik. Göttingen 1952, S. 111. Kritik überwiegt hingegen in neuerer Sicht, exemplarisch dazu: Bergmann, Jürgen: Handwerk und Tradition. Zum Charakter und zur Bedeutung des handwerklichen Traditionalismus bis zum Ende der Weimarer Republik. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 1996, Nr. 10, S. 869–896, hier S. 869.

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chen und die stattdessen mittels des Institutionenbegriffs in den sozialen Bereich hinein verweisen.93 Ein zentraler Aspekt der Branchenkulturanalyse zielt auf die betriebsübergreifende Ähnlichkeit und daraus resultierende Probleme. Die Gleichförmigkeit, nach DiMaggio/Powell als Isomorphismus94 bezeichnet, hat verschiedene Ursachen. Sie geht nicht nur auf den wichtigen gemeinsamen Wissenspool zurück (normativer Isomorphismus),95 sondern auch auf gesetzliche oder standesrechtliche Rahmenbedingungen des Wirtschaftshandelns (erzwungener Isomorphismus)96 sowie drittens auf die Orientierung an den Branchenführern (mimetischer Isomorphismus). Bei letzterem werden Vorgehensweisen erfolgreicher Konkurrenten kopiert, ohne nähere Überprüfung, ob sich dies auch für das eigene Unternehmen positiv auswirken kann. Allerdings besteht eine erhebliche Divergenz der Forschung zum mimetischem Isomorphismus einerseits und zum ‚organisierten Handwerk‘ andererseits. Es stellt sich daher die Frage, ob sich auch im Friseurhandwerk eine Orientierung an den Branchengrößen beobachten lässt oder ob das bereits angesprochene, vom ‚organisierten Handwerk‘ zirkulierte Idealbild des ‚mittleren Handwerkers‘ durchsetzungsfähiger war. Zur Beantwortung ist es deswegen nötig, die Branchenstruktur und die strategischen Möglichkeiten des Friseurhandwerks in die Untersuchung einzubeziehen. Das Besondere des neoinstitutionalistischen Ansatzes ist es, Mode- und Gewerbegeschichte schlüssig aufeinander beziehen zu können. Haarmode ist weder in ihrer Form noch im Hinblick auf ihren gesellschaftlichen Wert unabhängig vom Marktgeschehen zu denken. Umgekehrt ist die Branche nicht mit ihrem Modespektakel gleichzusetzen. Gerade wegen der geringen 93 Dies ist nur eine Möglichkeit zur Überwindung des Topos handwerklicher Traditionalität, auch Arbeiten, die sich typisch sozial- und wirtschaftshistorisch Mentalitätsfragen widmen, wie beispielsweise Reiths Untersuchung der gewerblichen Wirtschaftsmentalität, die nicht traditionell dem Nahrungsprinzip verhaftet blieb, sondern schon vorindustriell vorhandenen ‚Erwerbssinn‘ belegt, vgl. Reith, Reinhold: Lohn und Leistung. Lohnformen im Gewerbe 1450–1900. Stuttgart 1999. 94 Vgl. DiMaggio/Powell, Cage (1983). 95 Normativer Isomorphismus, der durch berufliche Sozialisation, normierte Ausbildungsund Berufswege entsteht, kann besonders in solchen Feldern beobachtet werden, in denen einzelne identitätsprägende Berufsgruppen dominieren, wie im hier gewählten Untersuchungsgegenstand. 96 Standesrechtliche Normen gehören nur dann zum erzwungenem Isomorphismus, wenn sie rechtlich bindend sind.

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Gewinnmargen sind ökonomische Zusammenhänge im Friseurhandwerk zu betonen.97 Daher werden hier hauptsächlich zwei Methoden miteinander kombiniert, die Branchenkultur wird diskursanalytisch aufgeschlüsselt (1) und mit der Untersuchung der Branchenstruktur und der strategischen Möglichkeiten (2) ergänzt. (1) Diskursanalyse Vor dem Hintergrund der Menge an Literatur, die allein in der Geschichtswissenschaft zum Thema Diskursanalyse erschienen ist, ist es überflüssig, bereits mehrfach ausgetauschte Argumente zu wiederholen.98 Es ist jedoch sinnvoll, das diskursanalytisch bestimmte, methodische Vorgehen in Anlehnung an Achim Landwehrs diesbezüglich vorgebrachte Vorschläge hier kurz zu skizzieren. Davon ausgehend, dass gemessen an der Fülle der Aussagen, die an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten grammatikalisch korrekt formuliert werden könnten, ist es auffällig, dass stets nur wenige formuliert werden.99 Das Sagbare unterliegt ganz offenbar spezifischen Beschränkungen und Bedingungen der Macht. Damit verbleibt Diskursanalyse nicht im phantasmatischen Raum, sondern setzt Sprache und Macht in Beziehung.100 Die forschungspraktische Konsequenz daraus, die sorgfältige Kontextualisierung der Quellen, ist historiografischer Usus und erfährt im diskursanalytischen Rahmen nur insofern eine besondere Bedeutung,101 als die Materialität der Quellen besonders beachtet wird.102 Das Besondere an der diskursanalytischen Auswertung der Quellentexte ist zweitens die konsequente Konzentration auf die Positivität der Aussagen. Interessant ist das, 97 Zur kulturwissenschaftlichen Tendenz, Wirtschaftsaspekte unzulässig auszublenden vgl. Berghoff, Hartmut; Vogel, Jakob: Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Ansätze zur Bergung transdisziplinärer Synergiepotentiale. In: Berghoff, Hartmut: Dimensionen eines Perspektivenwechsels. Frankfurt am Main [u. a.] 2004, S. 9–42, hier S. 12. 98 Zumal den theoretisch gehaltenen Diskussionen über Diskursanalyse in der Geschichtswissenschaft kaum praktische Anwendungen der Methode folgten, vgl. Landwehr, Achim: Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse. Tübingen 2001. Zur problematischen und problematisierenden Aufnahme des linguistic turn in der Geschichtswissenschaft vgl. Sarasin, Philipp: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. In: Sarasin, Philipp: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt am Main 2003, S. 10–60. 99 Vgl. Landwehr, Geschichte (2001), S. 12–13. 100 In der Konsequenz, mit welcher in der Postmoderne Sprache als grundsätzlich in Machtbeziehungen eingebunden gesehen wird, werden die Dimensionen, in denen ähnliche Themen verhandelt wurden, wie in der Problematik von Zensur, überschritten. 101 Ebd, S. 108. 102 Die Materialität der Quellen umfasst auch die Medialität der Diskurse, wie sie beispielsweise in der Lese- bzw. Buchforschung thematisiert werden.

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was gesagt oder verschwiegen wird – insoweit gibt es eine Übereinstimmung mit traditionellen Vorgehensweisen. Der große Unterschied liegt aber darin, dass auf Überlegungen darüber, welche Intentionen Autoren und Autorinnen gehegt haben könnten, verzichtet wird. Auch Einfühlen in historische Situationen ist hier nicht beabsichtigt.103 Jenseits von Sprache können sich Aussagen und Deutungen auch visuell manifestieren, insofern ist die Methode nicht auf Texte beschränkt und so werden auch zahlreiche Abbildungen in dieser Untersuchung mit einbezogen. Rainer Wohlfeils Entwurf eines „historischen Dokumen­ten­sinns“104 berücksichtigend, sind Bilder gerade deshalb zu schätzen, weil sie nicht nur aus der Textinterpretation schon Bekanntes repetieren, sondern zu Erkenntnissen verhelfen können, die anderweitig nicht zugänglich wären. Dass Abbildungen ebenso wenig wie mündliche Augenzeugenberichte oder Texte die Realität schlicht wiedergeben, darf wohl mittlerweile als bekannt gelten,105 dennoch kommt Bildern wie Texten ein spezifischer und nicht beliebiger Informations- oder besser ein Aussagewert zu. Darauf stützt sich insbesondere die historische Kostümforschung, für die Werke bildender Kunst nicht selten die einzige Überlieferungsquelle sind. Nicht wenige Forschende in diesem Feld sind studierte Kunsthistorikerinnen und –historiker. Insofern handelt es sich bei Auseinandersetzungen, die auch hier um den 103 Ebd, S. 103. 104 Wohlfeil, Rainer: Methodische Reflexionen zur Historischen Bildkunde. In: Tolkemitt, Brigitte; Wohlfeil, Rainer (Hg.): Historische Bildkunde. Probleme – Wege – Beispiele. In: Zeitschrift für Historische Forschung, 1991, Beiheft 12, S.  17–35, hier S.  18. Eine Bild­ historik wurde lange vor dem geschichtswissenschaftlich stärkeren Interesse an Bildern im Zuge von Mitchells pictorial turn angemahnt bei Wohlfeil, Trudl; Wohlfeil, Rainer: Landsknechte im Bild. Überlegungen zur ‚Historischen Bildkunde‘. In: Blickle, Peter (Hg.): Bauer, Reich und Reformation. Festschrift für Günther Franz zum 80. Geburtstag. Stuttgart 1982, S.  104–119. Der Ausdruck pictorial turn geht zurück auf: Mitchell, William J. Thomas: Picture Theory. Essays on Verbal and Visual Representation. Chicago 1995. Zum pictorial turn S. 11–34. Auch gut zwei Jahrzehnte später wurde eine bildkundliche Methode der Geschichtswissenschaften noch vermisst, vgl. Kraus, Alexander: Die Ikonographie Panofskys auf dem Prüfstein des Historikers. In: Keck, Rudolf W.; Kirk, Sabine; Schröder, Hartmut (Hg.): Bildungs- und kulturgeschichtliche Bildforschung. Tagungsergebnisse – Erschließungshorizonte. Baltmannsweiler 2006, S.  25–37, hier S.  29. Dieser Entwurf ist Paul zufolge leider zuwenig rezipiert worden, wie auch Talkenbergers frühe Anregungen einer anspruchsvolleren Nutzung von Bildquellen, vgl. Paul, Gerhard: Von der Historischen Bildkunde zur Visual History. Eine Einführung. In: Paul, Gerhard (Hg.): Visual History. Ein Studienbuch. Göttingen 2006, S. 7–36, hier S. 10. 105 Eine von vielen Stimmen dazu: Maurer, Michael: Bilder. In: Ders. (Hg.): Aufriss der Historischen Wissenschaften, Bd. 4, Quellen. Stuttgart 2002, S. 402–426, hier S. 404.

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Aussagewert von Bildern für die Forschung geführt werden, um innerfachliche Auseinandersetzungen. So regte Anne Hollander an, vor allem die besondere Darstellungsqualität von Kunst für kostümgeschichtliche Forschungen produktiv zu nutzen,106 Jutta Zander-Seidel machte sich für die Qualitäten der sachkulturellen Überlieferung stark107 und Birgit Haase trat dezidiert für ein Zusammenspiel der divergenten Überlieferungen ein.108 Für so flüchtige Gebilde wie Frisuren allerdings ist das beispielhafte Vorgehen Haases zwar wünschenswert, aber (mit Ausnahme von Perücken) nicht anwendbar. Es ist für die Beschäftigung mit Haarmoden und -stilen unabdingbar, vorrangig Darstellungen jeglicher Art heranzuziehen. Da Frisuren kaum anders überliefert sind, ist dies beinahe die einzige Quelle; verbale Beschreibungen von dreidimensionalen Frisurgebilden sind jenseits von handwerklicher Fachliteratur (und auch hier nur eingeschränkt) in den wenigsten Fällen als Ausgangspunkt für eine Beschäftigung mit Haar geeignet, es sei denn, man erforschte die im Text präsente Haltung dazu, die Formen als solche werden in Deskriptionen selten wirklich klar. Das Problem der kaum beforschten Frisuren liegt zunächst allerdings darin, sie als Untersuchungsgegenstand überhaupt intensiver zu thematisieren, häufig spiegelt sich ihr fluider, temporärer Charakter unbeabsichtigt in oberflächlichen Kommentaren.109 Daher ist es hier Aufgabe, die Frisuren des Untersuchungszeitraums zunächst zu präsentieren. Dazu sind Bilder unabdingbar auch in dominant illustrativer Verwendung notwendig, weil dieses Sujet in der handwerklichen 106 Vgl. Hollander, ������������������������������������������������������������������������������������� Anne: Fashion Art. In: The Idealizing Vision. The Art of Fashion Photography. New York 1991, S. 33. Umgesetzt in einem Ausstellungszusammenhang vgl. Hollander, Anne: Fabric of Vision. Dress and Drapery in Painting. [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, National Gallery, London, 2002]. London 2002. 107 Vgl. Zander-Seidel, Jutta: Bild – Text – Original. Zur Zusammenarbeit von Kunsthistoriker und Restaurator in der historischen Textilforschung. In: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung, 1988, Nr. 2, S. 365–374. 108 Haases Arbeit ist eine außerordentlich instruktive Auseinandersetzung mit historischer Kostümforschung, deren vielschichtige kunsthistorische wie objektwissenschaftliche Interpretationsergebnisse hoffentlich neue Maßstäbe setzen, Haase, Birgit: Fiktion und Realität. Untersuchung zur Kleidung und ihrer Darstellung in der Malerei am Beispiel von Claude Monets Femmes au Jardin. Weimar 2002. Ein detaillierter Überblick über maßgebliche Debatten in der Kostümforschung dort auf S. 11ff. 109 Die Tragik seines beruflichen Handelns beschrieb Alexandre, einer der französischen Starfriseure, als das unglückliche Streben nach einer ewigen wie auch flüchtigen Schönheit, die nur einen Tag andauerte, vgl. Collins, Amy Fine; White, Antoinette: Hair Style. New York 1995, S. 22.

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Fachsprache selbst nicht ganz eindeutig festgelegt ist und auch die Begrifflichkeiten der weit ausgedehnten Definitionslandschaft der Kunstgeschichte hier nicht dienlich sind, d.  h. Frisuren als solche müssen gezeigt werden, bevor sie sinnvoll kommentiert werden können, in diesem Sinne enthalten sie Informationen, die aus Schriftquellen nicht bezogen werden können.110 Die Eignung der Diskursanalyse ist sowohl thematisch wie theoretisch begründet, weil die typisch diskursanalytische Bedeutung von regelhafter Erzeugung und Kommunikation von Wissensbeständen sowohl für das forschungsleitende Theoriekonstrukt Branchenkultur gilt als auch für das Herzstück der Methode der Diskursanalyse, die Diskursformation. Insofern ergänzen sich theoretischer Rahmen und methodisches Vorgehen. Das methodische Vorgehen beginnt bereits mit der Zusammenstellung des Quellencorpus, in diesem Fall der im deutschen Friseurgewerbe zwischen 1871 und 1945 zirkulierenden Fachliteratur. Auswahlkriterium dabei war die Vorannahme, dass dort vor allem Berufsangehörige selbst Aussagen über das Gewerbe träfen, also diskursive Formationen des Selbstbildes der Branche vorzufinden seien. Die in dieser Studie gezeigten Abbildungen sind unter anderem der Friseurpresse entnommen und geben einen Einblick in die Formenwelt und den typischen Stil der Zeit. Wegen dieser Aufgaben sind häufig nur Ausschnitte gewählt worden. Die besondere Ästhetik der Haarmodebilder als solche wird hier verbal und bildlich kaum thematisiert. Auch die herangezogenen Privat- bzw. Portraitfotos dokumentieren nicht die Wirklichkeit als solche. Sie repräsentieren aber durch jeweils unterschiedliche Aufnahmesituationen bedingt je andere Blicke auf die Frisuren und erweitern das Verständnis dessen, was man sich unter jeweils zeitgenössischen Frisuren vorstellen kann und was Friseurinnen und Friseure in ihrer Zeit auf den Köpfen ihrer Mitmenschen gesehen haben könnten. Der Fokus liegt bei den Bildbeschreibungen auf den Frisuren, der Bild- und Aufnahmekontext wird konzentriert auf die Fragestellung bezogen, nämlich unter arbeits­ historischem Aspekt den Standpunkt des Friseurhandwerks zu der mit den eigenen Händen gestalteten Mode zu erklären. Es sind mit wenigen Ausnahmen bevorzugt gerade nicht Prominente ausgewählt worden, weil die Bildauswahl nicht die Frage der Modevorbilder unterschwellig vorab beantworten sollte. Die überwiegend nach Männern 110 Zu den terminologischen Schwierigkeiten, die sogar in der im Vergleich zur Frisurforschung weit entwickelten historischen Kleiderforschung auftreten, vgl. Haase, Fiktion (2002), S. 23.

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und Frauen gegliederte Darstellung befördert zwar einerseits Engenderingprozesse durch Differenzierung, andererseits ist es bei diesem Thema sinnvoll, die Rolle von Männern explizit herauszustellen. Wie das vorgeblich Männlich-Universale ist die Zuschreibung von Mode als weiblich so allgemein, dass in nicht nach Geschlechtern getrennten Abschnitten das Männliche im Allgemeinen der weiblichen Mode unterzugehen drohte. Damit wäre der weit verbreitete Topos, Männer hätten keine Moden, bestätigt worden. Wird Männern eine Geschichte ihres Körpers bzw. ihrer Haare zugewiesen, steuert auch dies der Naturalisierung von Geschlecht entgegen. Keinesfalls waren Männer vergangener Epochen (ebenso wenig wie Zeitgenossen) von der Repräsentation ihres Selbst ausgenommen, die sie über alltägliche und kleinlich erscheinende Beschäftigungen erhoben hätte. Zwar entzogen sie sich in aller Regel Haushaltspflichten und gingen prestigeträchtigerer Erwerbsarbeit nach, aber sie vernachlässigten nicht Fragen ihres Aussehens. Die dezidiert geschlechtsspezifische Betrachtung der Wandlungen der Männer- wie der Frauenmoden ist daher programmatisch als Erinnerung an das Interesse, das auch Männer an ihrem Aussehen hatten, zu verstehen. (2) Branchenstrukturanalyse Mit der betriebswirtschaftlich weit verbreiteten Herangehensweise der Branchenstrukturanalyse nach Michael E. Porter lässt sich die Attraktivität bzw. Problembelastung eines Marktes durch seine Struktur bestimmen.111 Davon ausgehend können im zweiten Schritt die theoretisch bestehenden strategischen Möglichkeiten, Wettbewerbsvorteile zu erlangen, besprochen 111 Gegenüber anderen Ansätzen wie beispielsweise der Portfolio-Analyse ist die Branchenstrukturanalyse nach Michael E. Porter hier geeigneter, vgl. Porter, Michael E.: Wettbewerbsvorteile: Spitzenleistungen erreichen und behaupten. Frankfurt am Main [u. a.] 2000. Zur Portfolio-Analyse und anderen markt- und produktbezogenen Planungsinstrumenten vgl. Guida, Juan José: Mikroökonomie und Management. Die Grundlagen. Stuttgart 2009, S. 182f. Auch nach Porters Kriterien ist die Branche als unattraktiv zu kennzeichnen, sein Ansatz erschöpft sich aber nicht nur in der Schlussfolgerung, das Feld der Konkurrenz zu überlassen wie die Portfolioanalyse, sondern erlaubt, Möglichkeiten und Grenzen unternehmerischen Engagements zu beleuchten. Zwar ist Porters Vorgehen auf Verhältnisse in der Industrie fokussiert, mit spezifischen Abwandlungen bzw. Auslassungen einzelner Aspekte, ist sein Vorgehen im hier interessierenden Bereich aber anwendbar. Das aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht bestehende Problem der Simplifizierung hingegen ist für diese Studie von Vorteil, da aufgrund der historiografischen Zielsetzung und der Quellenlage keine detaillierte Untersuchung im ökonomischen Sinne angestrebt wird. Vielmehr ist die Branchenstrukturanalyse ihrem Prinzip nach als Strukturgeberin bei der Branchenbetrachtung wichtig.  

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werden. Diese Annäherung ist eine gute Möglichkeit, um zwei unerwünschte Effekte zu vermeiden. Erstens hat die bereits geschilderte mangelhafte Berücksichtigung von Frauen im hier interessierenden Gewerbe wie in der Handwerksgeschichte insgesamt zur Folge, dass sich Studien, die dies schon zu ändern versucht haben, zunächst darauf fokussierten, Frauen überhaupt sichtbar zu machen.112 Das ist richtig, muss allerdings, wie längst in der Entwicklung der Frauen- zur Geschlechtergeschichte in anderen Zusammenhängen erarbeitet wurde,113 erweitert werden. Um der Gefahr der Reifizierung der Geschlechterverhältnisse entgegenzuwirken, sollte die Kategorie Geschlecht nicht ausschließlich als deskriptives Strukturprinzip verwendet werden, weil damit stets aufs Neue die unterschiedliche Natur von Männern und Frauen behauptet würde, wie sie eben auch im unterschiedlichen Wirtschaften von Männern und Frauen zum Tragen käme. Was im zeitgenössischen Verständnis als männlicher Ernährer und weiblicher Nebenverdienst galt, sollte sich nicht als männliche Betriebsform und weibliche Sonderkategorie niederschlagen. Vielmehr kommt es darauf an, thematisch bedingte Strukturen, hier der Branche und ihrer Institutionen, zu untersuchen und dabei auf die jeweils vorhandene Relevanz von Geschlecht einzugehen. Zweitens lässt sich vom Ausgangspunkt der Branchenstrukturanalyse aus Abstand zum historiografischen Fahrgleis der zünftlerischen Abschließung des Handwerks halten. Zwar war Marktregulierung im Untersuchungszeitraum in den Forderungen des ‚organisierten Handwerks‘ schon vorhanden, die Situation war aber politisch und gewerberechtlich noch offen. 112 Beispielsweise geht Holtwick detailliert auf die Situation der Frauen im Handwerk ein. Dabei geht er davon aus, dass Frauen zumeist in haushaltsnahen Bereichen arbeiteten und von dort sukzessive ohne größeres finanzielles Risiko in die Selbständigkeit wechselten, jedenfalls bis zur Einführung des Meisterzwangs. In Bereichen wie dem Friseurhandwerk, aber auch anderen Gewerben, in denen die Betriebsgründungskosten gleichfalls gering waren, dürfte diese Art der Geschlechtsspezifik also ohnehin keine Rolle spielen. Vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 58ff. 113 Besonders die Abkehr vom biologischen Determinismus der Geschlechtszugehörigkeit und ihre Interpretation als ein gesellschaftliches Klassifikationsmerkmal neben anderen (race, class) trug zur Entwicklung von Geschlechtergeschichte bei, vgl. Scott, Joan W.: Gender: Eine nützliche Kategorie der historischen Analyse. In: Kaiser, Nancy (Hg.): SelbstBewußt. Frauen in den USA. Leipzig 1994, S.  27–75. (Ersterscheinung 1986). Zur Gefahr der Reifizierung seitens der Soziologie vgl. Gildemeister, Regine; Wetterer, Angelika: Wie Geschlechter gemacht werden. Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung. In: Axeli-Knapp, Gudrun; Wetterer, Angelika: TraditionenBrüche. Entwicklungen feministischer Theorie. Freiburg 1992, S. 201–254.

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Michael E. Porter zufolge sind fünf Wettbewerbskräfte wesentlich dafür, ob unternehmerisches Handeln in einem bestimmten Feld zu einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil führen kann. Als Wettbewerbsfaktoren sind Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern und Wettbewerberinnen, Bedrohung durch neue Anbieter und Anbieterinnen, Verhandlungsstärke der Liefernden, Verhandlungsstärke der Abnehmenden sowie Bedrohung durch Ersatzprodukte zu nennen. Je stärker sich diese fünf Wettbewerbskräfte entfalten, desto unattraktiver ist die betrachtete Branche an sich. Gleichwohl kann bei Wahl und Konzeption günstiger Strategien einzelnen Unternehmen auch hier wirtschaftlicher Erfolg gelingen. Typische Strategien sind Kostenführerschaft (1), Differenzierung (2) und Schwerpunktsetzung (3). Bei der Betrachtung der Strategietypen ist es wichtig zu verstehen, dass ihr eigentlicher Kern Wettbewerbsvorteile sind, die nur dann realisiert werden können, wenn einschlägige Entscheidungen getroffen werden. Es ist nicht möglich, alle Wettbewerbsvorteile miteinander zu vereinbaren. Solche Kombinationen führen in der Regel zu strategischer Mittelmäßigkeit und unterdurchschnittlichen Leistungen, weil die Unentschiedenheit dazu führt, dass ein Unternehmen keinen spezifischen Wettbewerbsvorteil erlangt. Da es in der vorliegenden historischen Branchenbetrachtung nicht darum geht, das Gelingen einzelner Unterneh­ mungen zu begründen, sondern die Branche insgesamt vorzustellen, ist die Differenzierung in Strategietypen nützlich, um potenzielle Entwicklungschancen ansprechen zu können. (1) Kostenführerschaft als die erste hier zu erläuternde Strategie zielt darauf, durch geringere Kosten einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen.114 Sie ist als Strategie nur dann zielführend, wenn Unternehmen in ihrer Branche eine einzigartige Position einzunehmen vermögen. Jenseits von Branchenspezifika lässt sich feststellen, dass Kostenführer meistens keine Luxusgüter verkaufen, sondern Standardprodukte. Hier ergeben sich bessere Chancen zur Ausnutzung größenbedingter oder absoluter Kostenvorteile.115 (2) Als zweiter Strategietyp ist Differenzierung anzusprechen.116 Damit können Unternehmen das Ziel verfolgen, sich auf diejenigen Angebote 114 Vgl. ebd., S. 38. 115 Vgl. ebd., S.  39. Wie das gegenwärtige Beispiel der Wach- und Schließdienste zeigt, ist diese Strategie nicht nur auf industrielle Unternehmungen beschränkt. 116 Vgl. Porter, Wettbewerbsvorteile (2000), S. 40.

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zu fokussieren, die der Kundschaft besonders wichtig sind. Wenn es dem Unternehmen gelingt, sich vor den Verbrauchern spezifisch zu profilieren, wird sich seine Einmaligkeit mit höheren Preisen lohnen. Damit sich Gewinne erzielen lassen, ist es aber nötig, dass die erzielten höheren Preise über den Zusatzkosten der Einmaligkeit liegen. Typischerweise beziehen sich Methoden der Differenzierung auf den Preis, hier wäre das Ziel Preisführerschaft statt wie oben die Kostenführung (a), das Image (b), das Design (c), die Qualität (d) oder der Support/ Service (e). Soll die Differenzierungsstrategie funktionieren, muss sich das Unternehmen, das höhere Preise durchsetzen will, deutlich von der Konkurrenz unterscheiden, d. h. entweder einmalig sein oder mindestens so wahrgenommen werden. Anders als bei der Kostenführerschaft kann es aber mehr als eine erfolgreiche Differenzierungsstrategie innerhalb einer Branche bzw. von der örtlichen Kundschaft erreichbaren Anbietern in einem Stadtteil geben. (3) Die Konzentration auf Schwerpunkte stellt den dritten Strategietyp dar.117 Hier wird ein Segment (oder mehrere) ausgewählt und unter Ausschluss anderer Konkurrenten passgenau angeboten. Es gibt zwei Möglichkeiten der Schwerpunktbildung, entweder bemüht sich ein Unternehmen in seinem Zielsegment um einen Kostenvorteil oder um einen Differenzierungsvorteil. Gliederung Die Darstellung gliedert sich in Einführung, Modebilder, Branchenbilder und Schluss. Die beiden Hauptkapitel folgen jeweils chronologischen Aspekten. Dieser Aufbau erlaubt es, sowohl Entwicklungen über die Zeit als auch thematische Querschnitte zu betrachten. Im Kapitel Modebilder werden die friseurgewerbliche Perspektive auf das Modegeschehen sowie der Grad der modischen Beteiligung von Frauen und Männern beleuchtet. Mit der dezidiert stilkundlichen Betrachtung der Wandlungen der Männer- und Frauenmoden wird erstmals eine systematische Analyse des modischen Frisurenwandels, der für die westliche Kultur typisch ist, vorgelegt. Damit sind zwei Ziele verbunden. Erstens soll hier die eingangs gestellte Frage nach Auswirkungen der ‚Krise der Männlichkeit‘ um 1900 in Bezug auf die Arbeitsergebnisse und ihre gesellschaftliche Bewertung diskutiert werden. Da 117 Vgl. ebd., S. 41.

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Mode zu diesem Zeitpunkt längst weiblich konnotiert war, gilt es herauszufinden, ob sich im Untersuchungszeitraum die Distanz von Männlichkeit und Mode weiter vertiefte. Zweitens ist zu überlegen, inwiefern die Arbeit in einem Modeberuf das branchenkulturelle Selbstverständnis prägte. Da hier das Augenmerk auf Haargestaltung als Formgebung liegt, ist die vorliegende Studie gewissermaßen ‚farbenblind‘. Zwecks Eingrenzung wurden hier weder die Farbigkeit der Haare und Bärte noch das Färben als Tätigkeit eingehender thematisiert – nicht zuletzt sind die Abbildungen schwarzweiß. Für nur kostümhistorisch Interessierte schließt das Kapitel mit einem eigenen Resümee ab. In Branchenbilder geht es neben der ökonomisch-strategischen Analyse um eine Betrachtung der Branche im Spiegel der Berufsorganisationen einschließlich ihrer Ziele und Aufgaben sowie der statistischen und rechtlichen Erfassung. Dabei interessiert vor allem hinsichtlich der Berufscharakterisierung, inwiefern gesellschaftlich anerkannte Regelsysteme oder Wertungen in die sich konsolidierende Branchenkultur übernommen wurden. Befunde der Modeanalyse flossen systematisch in das Kapitel ein, weil Überlegungen zum Verkauf von Friseurdienstleistungen auf ein vertieftes Modeverständnis angewiesen sind. Im Schluss werden die Ergebnisse der gesamten Untersuchung präsentiert.

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1 Ausbildung des Lockenparadigmas Am Beginn des Untersuchungszeitraums waren auf Männer- wie auf Frauenköpfen zahlreiche modische Lockenschwünge aller Art zu sehen. Diese visuelle Präferenz hatte sich spätestens seit dem Barock herausgebildet und erreichte durch technische Erfindungen zwischen Gründerzeit und dem Zweiten Weltkrieg immer neuen Auftrieb. Stock-, Roll-, Ringel-, Schläfen-, Hängelocken und andere Varianten wurden, nachdem Marcel Grateaus Onduliertechnik Anfang der 1870er Jahre in Paris aufkam, durch Erfindung und Weiterentwicklung der Dauerwelle sogar noch bis ans Ende des 20. Jahrhunderts weitergeführt. Für diese Fixierung auf lockiges Haar bei Frauen sind allerdings weniger Impulse der chemisch-technischen Innovationen maßgeblich gewesen, sie ist – so meine These – vielmehr als Resultat einer langfristigen Entwicklung der in den gestalterischen Möglichkeiten reproduzierten Geschlechterdifferenz zu sehen. Daher soll die Diskussion der Haarmode im Untersuchungszeitraum hier in den Kontext einer größeren europäischen Entwicklung eingebettet werden, die sich mindestens im Barock deutlich auszuprägen begann und ihren Abschluss spätestens in den 1980er Jahren fand, als luftgetrocknete Dauerwellen den einstigen Charme des gefällig ondulierten Haars in sein Gegenteil verkehrten.1 Ob die Entwicklung erst im Barock begann, sei hier mangels einschlägiger Forschung offen gelassen. In jedem Fall ist im Barock die Bevorzugung der Locke, wie gezeigt werden wird, eindeutig zu belegen. Da sich die in dieser Studie thematisierte bürgerliche Gesellschaft im Rekurs auf die Adelsgesellschaft ausbildete, sind Barock und Rokoko als die maßgeblichen Stilepochen anzuse1

Da es um das Ende dieser Entwicklung hier nicht mehr gehen soll, sei nur kurz darauf hingewiesen, dass die in der Mode Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre vollzogene Abkehr von der alten Eleganz den ersten Schritt zur Beendigung der visuellen Signatur der Locke darstellte. Die durch jugendkulturelle Proteste angestoßene Entwicklung ließ nicht nur die Kleidung legerer werden, sondern auch Frisuren obsolet werden, die auf einer Frisierqualität der Haare basierten, die durch Dauerwellbehandlungen und anschließende Formung durch Lockenwickler erreicht wurde. Dieser in den Friseurgeschäften und zuhause betriebene Aufwand entfiel mit Fönfrisuren. Deren auf Glanz bedachter Eindruck ließ die Locke schon in den Hintergrund treten, die aber erst mit den durchkrausten Haaren der luftgetrockneten Dauerwellen in den 1970er/1980er Jahren ihren End- bzw. Tiefpunkt erreichte.

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hen, von denen man sich distanzieren wollte. Insofern sind sie als Anfangspunkt dieser Studie geeignet. Der Schwerpunkt dieses Kapitels wird auf dem eigentlichen Untersuchungszeitraum liegen, aber Vorausgehendes soll in aller Kürze aufgegriffen werden und Späteres als Ausblick dienen. Anhand der Erläuterungen der Formen wird es dabei insbesondere um die in die Entwicklung der Formensprache eingeschriebenen Bedingungen gehen, denen die Frisuren im interessierenden Zeitraum unterlagen. Barock und Rokoko Längeres offenes Haar bei Männern, häufig mit Pony, teilweise mit einzelnen längeren lockigen Strähnen, den Cadenettes (Liebeslocken) getragen, war im 16. Jahrhundert sehr beliebt und lockiges, wild bewegtes Haar spielte dabei die Hauptrolle.2 Davon ausgehend kamen schließlich Perücken auf, die den lockigen Charakter einer lebendigen Haartracht weiter ausbauten. Nach den Allongeperücken, deren gewaltige Haarmassen und damit auch Anschaffungskosten den Gebrauch dieses Accessoires auf einen kleinen Kreis beschränkten, wurden weniger mächtige Perückenformen hergestellt. Die Zopfperücke etwa, meist mit Rolllocken an den Seiten (vgl. Abb. 2, ganz links), hielt sich bis zur Französischen Revolution. Während Locken bei der Allongeperücke (vgl. Abb. 1, ganz links) dem Volumen eine bewegte Oberflächenstruktur gaben, erfüllten die Rolllocken eher plastische Aufgaben.

Abb. 1 Barockfrisuren

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Zu einzelnen Frisuren im betreffenden Zeitabschnitt siehe auch Loscheks umfangreiches, rein deskriptives Lexikon: Loschek, Reclams Mode- und Kostümlexikon (1988), S.  225 oder Corson, Richard: Fashions in Hair. The first five thousand years. London 1991, S. 159– 326, leider kaum auf Deutschland bezogen.

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Frauenfrisuren im Barock legten zu Beginn des 17. Jahrhunderts zunächst einmal die in die Haartracht integrierten Kopfbedeckungen ab.3 Teilweise wurde das Haar (oft eine Perücke) recht kurz bzw. eng am Kopf anliegend getragen und hochgesteckt oder mit aufgebauschten Seitenpartien (à l‘arcelet) ausstaffiert. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts wurden für Frauen offene Lockenfrisuren modern (vgl. Abb. 1, rechts). Ein häufig aufwändig verzierter Knoten auf dem Hinterkopf und seitlich hängende gelockte, sehr voluminöse Partien sind neben kurzen Stirnfransen (Garcette) typisch gewesen.4

Abb. 2 Rokokofrisuren

Danach kam der gleichfalls breite Seitenpartien betonende, lockige Hurluberlu auf, der im Rokoko schließlich von der schmalen Fontange (Abb. 2, 2. v. rechts) abgelöst wurde, bei der die Haare über einem hohen Gestell sorgfältig klein gelockt, aufgetürmt und mit Spitzen verziert wurden.5 Später wa3

Nachdem in Deutschland noch viel länger als in Italien und Spanien beispielsweise das Haar verheirateter Frauen zumindest teilweise unter Hauben u.ä. versteckt worden war, löste man sich im Lauf des 17. Jahrhunderts auch von der Schnebbe (kleine dreieckige Haube, die große Teile des Kopfs bedeckte und nur die Seitenpartien herausschauen ließ), vgl. Loschek, Reclams Mode- und Kostümlexikon (1988), S. 255. Corson, Fashions (1991) S. 327–397. 4 Ein Stil, der vor allem durch Anna von Österreich (1601–1666 ¥ Ludwig XIII) bekannt wurde, vgl. Loschek, Reclams Mode- und Kostümlexikon (1988), S. 225. 5 Der Fontange gingen eher in die Breite frisierte Hocksteckfrisuren, die Schleier (Cornette) und zahlreiche Seidenschleifen integrierten, voraus. Für die Fontange selbst war ihre Höhe

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ren auch eng an den Kopf frisierte Locken beliebt, die u. a. durch Bouchers Porträts von Mme. de Pompadour bekannt sind. Betrachtet man die weiblichen (Perücken-)Frisuren im Spätrokoko, so fallen zahllose Spielereien mit Haar auf, sei es mit Haarschmuck, Perlen, Edelsteinen, Spitzen, Litzen, Borten, Bändern, Schleifen, Blumen oder Miniaturen von Kinderwiegen bis hin zu Schiffen. Frauen- wie Männerperücken waren zudem wegen ihrer hellen Farbe und des üblichen Puderns von natürlichen Vorbildern bzw. der Farbigkeit der Haarschöpfe darunter meist weit entfernt. Diese pastellfarbene Tönung demonstrierte im modischen Geschehen das eigentlich typisch barocke Motiv des Wandels, genauer der Vergänglichkeit,6 denn die Träger und Trägerinnen hatten überwiegend nicht das für graue oder weiße Haare typische Alter. Die Perücken selbst nahmen die unterschiedlichsten Formen an, sie gingen zunächst in die Höhe, um nach 1785 lockerer und breiter zu werden. Aber nicht nur die Gestaltung des Umfangs war sehr wandelbar, es gab auch diverse Schmuckformen aus Haar: Roll- wie Anstecklocken, Knoten und ähnliches variierten in Anzahl und Größe. Trotz der im exaltierten Spätrokoko schließlich überbordenden Frisuren, insbesondere der Perückenmode für Frauen, dominierten insgesamt Locken aller Art das Erscheinungsbild, glatte respektive toupierte Flächen standen kaum je allein. Empire Die Beliebtheit von Locken brach auch mit der Französischen Revolution nicht ab; die neuen Modehelden der Republik, Incroyables und Merveilleuses, auf ein möglichst unordentliches fantastisches Äußeres bedacht, lockerten in der Abkehr von adliger Modemacht vieles, nicht aber glätteten sie ihr Haar.7 Wenn auch die Perückenmode beendet wurde und das Schminken für Männer verpönt war, die barocke Bartlosigkeit blieb. Ähnliches gilt für das Empire. Zwar experimentierten Frauen dort mit unterschiedlichen Haarlängen, dennoch: Ob kurz oder lang, das Haar wurde von Frauen wie Männern auf jeden Fall lockig bewegt, mit Anklang an antike Formen getragen. Die Titusfrisur und die längere Variante à la 6 7

und die Verwendung von Spitzen typisch. Vgl. Esposito, Verbindlichkeit (2004), S. 60. Adlige Modemacht ist, wie die Beispiele Luise und Eugénie zeigen, die modisch tonangebend waren, aber an sich Moden des Bürgertums trugen, sehr differenziert zu verstehen, vgl. Bombek, Kleider (2005), S. 299f.

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Abb. 3 Empirefrisuren

Caracalla,8 als typische Grundformen von Männern und Frauen jeweils graduell abgewandelt getragen, waren Stile, die auf Locken basierten.9 Männer kombinierten den Tituskopf oft mit Favoris, seitlichen Bartstreifen vor den Ohren (heute Koteletten). In Deutschland zwar weniger, brachte das Empire jedoch immerhin in der französischen Frauenmode Flechten wieder zurück, wenn auch nur als gliedernde, zarte und schmale ornamentale Bänder. Seltener wurden ganze Kopfpartien geflochten.10 In Linienführung und Silhouette waren diese Frisuren oft an antike Vorbilder angelehnt, allerdings wurden die Frisiertechniken freier umgesetzt. Die deutsche Vertreterin des Empire par excellence, die unglückliche Königin Louise, ist dafür ein gutes Beispiel (vgl. die beiden Darstellungen links in der Abb. 3). Ihre Frisuren folgten sehr häufig antiken Motiven, die lockere Art des Zusammensteckens, die im Vergleich zu den engen, mit dem Lockenstab hergestellten Ringellocken großzügiger schwingenden papillotierten Seitenpartien, lassen den seine Spielräume betonenden Adaptionscharakter deutlich hervortreten, detailgetreues Kopieren war nicht gefragt. 8 9

Vgl. Loschek, Reclams Mode- und Kostümlexikon (1988), S. 226. Ausführlicher zur Frisurenmode um 1800 Antoni-Komar, Irene: „Die Ohren ganz nackt und frey“. Zur Rezeption der Frisur à la Titus am Ende des 18. Jahrhunderts. In: Janecke, Christian (Hg.): Haar tragen. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung. Köln [u. a.] 2004, S. 209–231. 10 Insgesamt kann auch für Frankreich, mit dessen Frisurenmode sich Richard Corson genauer befasste, über die klassische Epocheneinteilung hinweg zusammenfassend festgestellt werden, dass Flechten, die um 1800 noch ein häufigeres, wenn auch immer nur untergeordnetes Frisurelement waren, im Lauf des Jahrhunderts immer weiter zurückgedrängt wurden und schließlich ab den 1860er Jahren (fast) keine Rolle mehr spielten. Corsons Frisurenskizzen belegen dies sehr eindrucksvoll.  

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Biedermeier Das Biedermeier setzte sich mit der „Erfindung der Einfachheit“11 vom repräsentativen Stil des Empire schließlich bewusst ab,12 beim Mobiliar und Interieur ebenso wie bei Frisuren.13 Männer waren abgesehen von Favoris meist glatt rasiert. Bis in die 1820er Jahre hinein lockten sie häufig nicht nur ihr Haar, sondern teilweise auch ihren knappen Bart, der in den 1830er Jahren auch zum Backenbart verlängert wurde. Bartträger machten sich im Vormärz allerdings politisch verdächtig. Während im Militär Bärte vorgeschrieben waren, wurde Zivilisten die Rasur anempfohlen, manchen sogar befohlen, so 1831 kurhessischen Beamten und 1846 preußischen Referendaren und Postbeamten.14 Nach der Revolution verloren füllige Bärte den Charakter demokratischer Gesinnung, nicht zuletzt weil Wilhelm I. eine zurückhaltende Form trug (einen Schnurrbart und tief nach unten gezogene schmale Favoris), die er damit für weite Kreise salonfähig machte.15 Ihr Haupthaar trugen Männer immer noch bewegt und lockig, allerdings eher etwas länger als vorher,16 noch deutlicher ist der Unterschied zum Empire aber bei den Modedamen. Auch wohlhabende Frauen lehnten ihre Frisuren an anspruchslose Formen an. Zum einen nutzten sie den schmückenden Effekt von glatt gehaltenem und dadurch glänzendem Haar. Zum anderen demonstrierten sie 11 Titel einer Ausstellung im DHM, Berlin, vgl.: Ottomeyer, Hans; Schröder, Klaus Albrecht; Winters, Laurie: Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit. [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Deutsches Historisches Museum Berlin, Juni bis September 2007]. Ostfildern 2006. 12 Vgl. Ottomeyer, Hans: Die Erfindung der Einfachheit. In: Ottomeyer/Schröder/Klaus/ Winters: Biedermeier. Ostfildern 2006, S. 44–50, hier S. 46. 13 Vgl. Baireuther, Ingrid: Biedermeier (um 1815–1848). In: Jedding-Gesterling, Maria: Die Frisur: eine Kulturgeschichte der Haarmode von der Antike bis zur Gegenwart; veranschaulicht an Kunstobjekten der Sammlung Schwarzkopf und internationaler Museen. [Katalog zur Ausstellung „Die Frisur. Haarmode aus vier Jahrtausenden“, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg 1990]. Hamburg 1990, S. 165–182. 14 Vgl. Gnegel, Frank: Bart ab. Zur Geschichte der Selbstrasur [Katalog zur gleichnamigen Wanderausstellung des Westfälischen Museumsamtes 1995]. Münster [u. a] 1995, S. 32ff. 15 Vgl. ebd. 16 So war in Deutschland die Frisur à la Franz Schubert beliebt, sie war hoch gekräuselt und gebauscht, in den 1820er Jahren wurden Haare und Bart insgesamt häufiger gelockt und mit Pomade Glanz hineingebracht, während in den 1830er Jahren das gescheitelte Haar glatter und nur in den Spitzen gelockt wurde. Vgl. Loschek, Reclams Mode- und Kostümlexikon (1988), S. 226.  

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Abb. 4 Biedermeierfrisuren

bewusste Zurücknahme als gesuchte Distinktion vom vorangegangenen überlebten Pomp des Ancien Régime. Für Biedermeierfrisuren wurden Haare in der Mitte zusammengebunden, geflochten und am Hinterkopf zusammengesteckt. Diese Grundform wurde insbesondere mit Scheiteln variiert. Die typisch biedermeierliche Geometrisierung17 fand auf Frauenköpfen in Form von expliziter Scheitelziehung ihren Ausdruck, indem T-, Y- und VScheitel den Vorderkopf mit einer auffälligen Linienziehung unterteilten (vgl. Abb. 4, T-Scheitel bei der zweiten Frisur von links). Auch ein weiteres typisches Stilmerkmal der Biedermeiermöbel lässt sich übertragen. Die Materialsinnlichkeit von Holz18 fand ihr Pendant im weiblichen Frisurstil. So wie die Oberfläche von Holz, dessen Herkunft oft einheimisch und wenig edel war, mit polierten Flächen herausgearbeitet wurde, die seine Maserung und Farbe ins Licht rückten, so tauchten nun glatte Haarpartien auf, die auf den natürlichen Glanz des Haares setzten. Das flach am Kopf abgebundene Haar betonte gleichzeitig die Kopfform als solche. Der Rückzug auf einfache Grundformen überwog auch hier in der Haargestaltung. Zugleich brachten aufwändig gestaltete Seitenpartien, insbesondere bei Abendfrisuren, selten geflochten, am häufigsten lockig gehalten (die Schönheitengalerie Ludwigs I. liefert einen interessanten Auszug dieser Mode)19 ein untypisch disharmonisches Moment in die Frisur. Dadurch, dass die exponierte Kopfform zusammenhanglose Anbauten erhielt, entstand ein zergliederter Eindruck. Häufig wurden für diese Extras Haarteile verwendet wie bei17 Vgl. Ottomeyer, Erfindung (2006), S. 53. 18 Vgl. Ebd., S. 51f. 19 Zur Schönheitengalerie vgl. Hase, Ulrike von: Joseph Stieler 1781–1858. Sein Leben und Werk. Kritisches Verzeichnis der Werke. München 1971.

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spielsweise die beliebten Haarkörbe, mehrsträngige zu einem Ring (oder Korb) zusammengefasste Flechten, die auf dem Hinterkopf angebracht waren, oder gleichfalls für den Hinterkopf gedachte Schleifen aus Haar oder angesteckte Seitenlocken.20 Verglichen mit der intensiven Verwendung von Haarteilen bzw. Perücken vorher, im 18. Jahrhundert, und nachher, im Kaiserreich, war die typische Haargestaltung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allerdings dezent und zurückhaltend in Bezug auf modische Verwendung künstlichen Haars, auch wenn nicht vollständig darauf verzichtet wurde. Rokokoähnliche Haarmengen bestimmten erst später das Bild, das sich mit der Ondulation nur partiell wandelte. Bis zu Marcel Grateaus bahnbrechender Erfindung waren Papillotiereisen üblich oder man verwandte Lockenzangen mit zumeist kleinem Durchmesser, um auf Männer- und Frauenköpfen die erwünschte Form, die nicht immer von Natur aus vorhanden war, künstlich zu erzeugen. Gründerzeit In der Gründerzeit21 veränderten sich Bärte und Männerfrisuren merklich, aber nicht radikal. Bärte waren beliebt (sowie oft Merkmal revolutionärer Ansichten)22 und Locken bildeten nicht mehr das grundsätzlich dominierende Frisurelement. Abgesehen von kinnlang geschnittenen Frisuren, die als lockige Version von Karl Marx’ Porträts her bekannt sind, ging die Haar-

Abb. 5 Langhaarmode, Mitte des 19. Jahrhunderts

20 Diese isolierten Frisurenan- und -aufbauten ähnelten den häufig übermäßig voluminösen Keulenärmeln dieser Zeit, zu den Proportionen von Kleidern und Ärmeln vgl. Bönsch, Annemarie: Formengeschichte europäischer Kleidung. Köln [u. a.] 2001, S. 240, 245f. 21 Mit Gründerzeit wird hier die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Börsenkrach 1873 bezeichnet. 22 Vgl. Plutat-Zeiner, Hanna: Historismus (um 1840-um 1900). In: Jedding-Gesterling, Frisur (1990), S. 183–198, hier S. 183–184.  

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Abb. 6 Tiefe Scheitel

länge überwiegend kaum mehr vollständig über die Ohren, die meist halb frei geschnitten wurden (vgl. Abb. 5). War es bis zur Jahrhundertmitte noch üblich, Favoris zu tragen oder aber die Tampeln, die vor dem Ohr gelegenen Partien, länger zu lassen, vollzog sich an Männerköpfen an dieser prominenten Stelle der Beginn eines einschneidenden Wandels, der bei glatt rasierten Gesichtern die Optik maßgeblich bestimmen sollte. Die Tampeln wurden nicht mehr ganz so lang gelassen wie noch kurz zuvor beispielsweise in Kombination mit dem Tituskopf, sondern erheblich gekürzt. Die Haare wurden weiterhin zu glatten oder (natur-)welligen Scheitelfrisuren getragen, in das Gesicht gedrehte ‚Sechser‘23 wurden langsam seltener (vgl. Abb. 14, links),24 gleichwohl waren viele Frisuren dadurch gekennzeichnet, dass das Haar nach vorn frisiert wurde (vgl. Abb. 6). Bei Erwachsenen wurde es insgesamt unüblich, Ponyfrisuren zu tragen. Besonders Freigeister bevorzugten etwas länger gelassenes Haar. Der typische Gründerzeithaarschnitt lag mit ziemlich tiefem Seitenscheitel25 glatt an und zeigte eine beinahe eckig frisierte Vorderpartie (vgl. Abb. 6, rechts). Die kurze Zeitspanne der Gründerzeit26 kann im Hinblick auf Frauenfrisuren tatsächlich als eigener Zeitabschnitt betrachtet werden bzw. als Über23 Bogige Fransen der vor den Ohren gelegenen Partie (Tampelpartie). 24 Insbesondere im Militär hielt sich die „militärische ‚Sechs‘ vor dem Ohr“ noch länger, vgl. Der Herrenfriseur. Der Fassonschnitt. In: DAFZ, 1916, Nr. 6, S. 67–68. 25 Ein Scheitel wird dann als ‚tief‘ bezeichnet, wenn er von der Mittelscheitelposition aus betrachtet weiter nach außen rutscht als über das letzte Augenbrauendrittel. 26 Hier wird mit Gründerzeit die Phase von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Börsenkrach 1873 bezeichnet, kostümgeschichtlich ist damit häufig die Epoche von 1870 bis 1890

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Abb. 7 Gründerzeitfrisuren

gangsepoche.27 Die immer noch flachen Frisuren wurden nun weniger straff getragen, teilweise wurden schon mit dem Brenneisen bogige Elemente geschaffen (vgl. Abb. 7, Mitte), dennoch blieb die Silhouette zunächst recht eng am Kopf verhaftet. Der schlichte Mittelscheitel blieb beliebt, das Haar wurde locker nach hinten frisiert. Die vordere Seitenpartie wurde auf Mundwinkel- oder Kinnlänge gezogen, zugleich wurden die Seiten etwas bauschiger und glänzten nicht selten als spiegelglatte Flächen (vgl. Abb. 7 links).28 Die Darstellung Eugénies, der letzten französischen Kaiserin (1826–1920), zeigt diese Entwicklung in ihrer festlichen Ausprägung (rechts in der Abb. 7). Schmuck der Wahl dieser zu ihrer Zeit bestangezogenen Frau waren über den Nacken herabhängende Locken.29 Dieser flache, noch stark an biedermeierliche Formen angelehnte Stil wurde in den 1860er Jahren sukzessive weiterentwickelt. Der Mittelscheitel wurde meist beibehalten, aber die Vorderpartie wurde nun mit mehr Schwung und Spielraum nach hinten geschlagen. Stocklocken tauchen zunehmend bei Tagesfrisuren auf und Cadogans (Haarbeutel) wurden modern. Ende der 1860er Jahre kamen dafür auch Haarnetze auf, die im Hinterkopfbereich drapiert wurden (vgl. Abb. 8, rechts).30

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gemeint, vgl. Krause, Gisela; Lenning, Gertrud; Rakewitz, Gertraud: Kleine Kostümkunde. Berlin 2003, S. 198. Während für Kleidermoden auch der Ausdruck Zweites Rokoko für die Zeit zwischen 1850 und 1870 gebräuchlich ist (vgl. ebd., S. 191), ist diese Bezeichnung für Frisuren, die erst ab ca. 1870 verstärkt Rokokoelemente aufnahmen, nicht geeignet. Ein Stil, der von der französischen Kaiserin Eugénie ausging, vgl. Loschek, Reclams Modeund Kostümlexikon (1988), S.  227. Auch Winterhalters Gemälde „Kaiserin Eugénie von Frankreich mit ihren Hofdamen“ (1855) gibt von dieser polierten Eleganz ein eindrückliches Beispiel. Vgl. Cox/Widdows, Hair (2005), S. 20. Vgl. Loschek, Reclams Mode- und Kostümlexikon (1988), S. 227.

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Abb. 8 Stil der 1860er Jahre und 1870er Jahre

Locken als haarmodisches Paradigma beider Geschlechter Die Herausbildung der Locke zur dominanten Stilfigur kann nicht nur durch das Vorhandensein ihrer Formen belegt werden, sie ist nachweislich durch die Regeln des modischen Zeichenspiels begründet. Entsprechend war diese Entwicklung weder zufällig noch alternativlos. Zunächst gab es mit glattem Haar und Flechten andere Optionen, die beide im bislang besprochenen Zeitraum auch zu finden sind. Aber, so der Befund, nie an erster Stelle, sondern stets als minder häufig vorkommendes Gestaltungselement. Im Barock und insbesondere im Rokoko gab es aus heutiger Sicht ungeheuerliche Fantasiegebilde aus und mit Haar. An Dekoration kam besonders für Frauenköpfe fast alles in Betracht. Umso augenfälliger ist es, dass das riesige Volumen der Frisuren bevorzugt mit Locken geschmückt wurde, die auch ihrerseits gigantische Ausmaße annehmen konnten. Zurückhaltung wurde jedoch gegenüber Flechten geübt, sie stellten ein Repertoire dar, auf das bei Frauen seltener zurückgegriffen wurde, bei Männern gar nicht. Kopf- und Frisurenformen wurden durch Volumina und manchmal auch Verschnürungen unendlich weit vom ursprünglich vorhandenen Umfang und Aussehen entfernt. Aber mochte das verfeinernde Rokoko übertriebene Vergrößerungen von Perücken und Locken auch akzeptiert haben – der Rückbezug zum eigentlich Möglichen blieb dabei peinlichst genau deutlich. Die mit Baudrillard stets künstlich wirkenden imitierenden Zeichen dieser Zeit rekurrierten weiterhin auf die natürliche Herkunft. Auch die exzentrischsten Perücken imitierten immer noch Haar und gingen nicht in Kopfbedeckungen über. Ihr Imitationscharakter wurde nicht zuletzt dadurch

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demonstriert, dass sie teilweise sogar mit Hauben und kleinen Hüten getragen wurden. Während es für Haar und seine glatte, wie für seine lockige Form viele Varianten gab, die immer erkennbare Varianten des Natürlichen waren, transformierten Flechten Haar in ein Artefakt. „Noch hat man sich von einer Idee der Inhärenz von Sein und Schein nicht verabschiedet und nur der Schwerpunkt hat sich von der einen zur anderen Seite der Unterscheidung verlagert. Es ist nicht die Natur, die den Schein beherrscht, sondern das Spiel der Erscheinungen ist es, das die wahre Natur von Menschen und Dingen erst konstituiert.“31 Eben dieses spielerische Moment des Barock entfiel bei Flechten, die deshalb als partielle Dekoration hin und wieder gebraucht wurden, aber nicht zur dominanten Form aufgestiegen sind. In der Raffinesse des Rokoko war zwar ostentative Naturbeherrschung schließlich an der Tagesordnung, sie rekurrierte aber immer wieder auf die Natur, sie desavouierte sie nicht. Zudem markierten Flechten, die schon um 1800 exklusiv Mädchen und Frauen vorbehalten waren, die Geschlechterdifferenz. Diese eindeutige Symbolfunktion des Äußeren stand dem modischen Zeichenspiel mangels dazu erforderlicher Mehrdeutigkeit entgegen. Empiremoden setzten bei Frauen zwar auch auf Flechtfrisuren, zeittypisch sehr beliebt waren aber bei beiden Geschlechtern antikisierende, lockige Kurzhaarfrisuren, die sich auf Männerköpfen noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts halten sollten. Ein Blick auf die insbesondere im Biedermeier so begehrten Haararbeiten, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschwanden, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Beliebtheit von Flechten. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde es üblich, aus Haar Schmuckstücke wie Ketten, Broschen, Ringe oder Uhrketten anzufertigen.32 Die Stücke dienten der Erinnerung und Verbindung mit geliebten Personen, deren Haar verarbeitet wurde, sodass mit dem Tragen des Schmucks eine emotionale Verbindung geschaffen wurde. Zumeist handelte es sich um das Haar Verstorbener. Das pars pro toto bedeutsame Material, das immerhin unmittelbarer Teil der geliebten Person war, wurde sorgfältig von Natur zu Kultur transferiert. Dafür wurde eine Unzahl komplizierter Flecht- und Klöppeltechniken und eigens dafür entwickelte Handwerksgriffe und Geräte ersonnen. Die große Nachfrage nach solch persönlichen Andenken belegt das breite Interesse an ornamentalem Reichtum. Auf Männer- und Frauenköpfen hingegen war 31 Esposito, Verbindlichkeit (2004), S. 59. 32 Ausführlicher zum Phänomen Haarschmuck vgl. Tiedemann, Nicole: Haar-Kunst. Zur Geschichte und Bedeutung eines menschlichen Schmuckstücks. Köln [u. a.] 2007.  

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dies in keiner Weise gefragt. Selbst die häufigeren Frisurelemente wie komplizierte, achtsträngig geflochtene Haarkörbe, nahmen sich gegen diesen zarten, kunstvollen Schmuck aus Haar primitiv aus. Auch hier also hob sich die Vorliebe für die Locke vom zeitgenössisch üblichen, weitaus größeren Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten ab.

Abb. 9 Schmuck aus Haar: Uhrkette

Bei den Gründerzeitfrisuren hingegen fällt einerseits die beginnende Abkehr der Männer von künstlich erzeugten Locken auf, wie andererseits auf Frauenköpfen die Tendenz, typischerweise vom Mittelscheitel aus kompakt und schlicht frisierte Formen zunehmend zu verzieren. Insbesondere an Hängelocken ist inmitten eines großen Möglichkeitsspektrums die Bevorzugung von Locken zu erkennen. Eine Präferenz mit einschlägiger Vorgeschichte, die sich von den stilistischen Vorlieben im Interieur der gleichen Zeit ganz auffällig unterschied. Im Historismus dieser Zeit wurden insbesondere die Gotik und Renaissance aufgegriffen, deren Stilelemente beispielsweise die Funktionalität von Maschinen verblendeten und die benutzt wurden, um industriell hergestellte Möbel mit dem Formenreichtum handarbeitender Epochen zu beseelen. Thonetstühle sind dafür ein beredtes Beispiel. Zusammengesetzt aus industriell hergestellten Holzformlingen, wurde der erfolgreiche klassische Kaffeehausstuhl später mit Zierelementen aller Epochen bestückt.33 Ähnliches ist bei Haarschöpfen nicht zu beobachten. Herunter hängende Partien am Vorderkopf wie in der Gotik üblich oder Flechtkünste der Renaissance (insbesondere der italienischen), die beispielsweise über Porträtdarstellungen in zahlreichen Museen und über Kunstdrucke bekannt waren, spielten bei Frauenfrisuren der Gründerzeit keine Rolle. Im Kaiserreich schließlich nahmen am Historismus orientierte Frisu-

33 Vgl. Selle, Gert: Geschichte des Design in Deutschland. Frankfurt am Main [u. a.] 1997, S. 49–84.  

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ren (wie die Frauenkleidung) Rokokoelemente auf, bei denen dann wiederum Locken eine prominente Rolle spielten. Die These, dass Locken als haarmodisches Paradigma fungieren, hat bis heute Gültigkeit. Flechten dienen nur noch als postmodernes Zitat. Beispielsweise widerspricht die ehemalige ukrainische Premierministerin Julija Tymoschenko mit ihrer häufig getragenen Zopfkrone dem heute üblichen Aussehen, gerade dem von Politikerinnen. Auch modische Elemente wie der betonte Seitenscheitel und die schräg nach vorn gezogene, einen glatten Pony andeutende Partie nehmen dem traditionellen Eindruck nicht die Dominanz. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Geschäftsfrau evoziert mit ihrer Frisur Eindrücke, die kaum auf für ihre Person passende Symboliken abstellen.34 Ein ähnlicher Bruch wurde von Chanel erzielt. In der Frühjahr-/Sommerkollektion 200835 warb eines der bekanntesten Models der 1990er Jahre überhaupt, Christy Turlington, mit biederer Zopfkrone für Handtaschen, die nicht nur durch saisontypisches Queen-SizeFormat und gestepptes Lackleder als over the top gelten konnten.36 Solche verzopften Frisuren haben aber nur dann eine Chance, stilsicher zu wirken, wenn sie typische Assoziationen von Zöpfen kontrastieren oder konterkarieren. Daher funktioniert das Spiel der Zeichen nur, wenn ihre tradierten Referenzpunkte im kollektiven Wissen geteilt werden. Wäre Politik wie in Baudrillards Sicht nur noch eine Simulation, wäre Tymoschenkos Aussehen ein vor allem für ihre eigene Position gefährliches Spiel mit der Macht. Als Gegenbeispiel der Durchkreuzung herkömmlicher Assoziationen von Flechten kann die Präsentation hochpreisiger Trachtenmode von Lodenfrey im Winter 2007/08 gelten. Sowohl auf der Homepage als auch in der Vogue37 wurden die Kleider in ländlicher Umgebung präsentiert. Während aber im Internetauftritt die Alltäglichkeit von lose fallenden schulterlangen Haaren mit den gezeigten Frauen korrespondierte, die diese Frisuren auch zu anderer Bekleidung hätten tragen können, waren es glamourös drapierte, gerade nicht 34 Auch eingedenk der Unterschiede in den vestimentären Praktiken West- und Osteuropas kann man feststellen, dass Tymoschenko auch dann, wenn sie sich mit offenem lockigem Haar zeigt, damit kaum das von einer Frau ihrer Position und ihres Hintergrundes Erwartete repräsentiert. 35 Beispielsweise in der deutschen Vogue (2008), Nr. 4, S. 17. 36 Ein Styling, das vermutlich auf Odile Gilbert zurückgeht, die aktuell für die Chanelschauen zuständig ist, nach Firmenpolitik werden keine Auskünfte über die kreativen Köpfe und Hände bei den Fotoshootings gegeben. 37 Vgl. Vogue (2007/deutsch), Nr. 9, S. 247–255.

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geflochtenen Haare, die den in der weltweit führenden Modezeitschrift gezeigten Dirndln und Jankern einen exquisit-eleganten Anstrich zu geben vermochten. Flechten also im herkömmlichen Sinne als ländlich oder kindlich zu verstehen, definiert Standards wie auch Möglichkeitsräume und zwar weit über den engeren Rahmen des modischen Formenspiels hinaus. Wie die Situation in den USA zeigt, ist die auf Locken basierende Haarmode sogar ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen der dominanten westlich-weißen Kultur und der afroamerikanischen. Die auf großzügig gelocktes oder glattes Haar bezogene Mode bringt einen Referenzrahmen hervor, der dazu beiträgt, Haare so zu differenzieren, dass es als europäisches, asiatisches oder Afrohaar kategorisiert wird. Als Körpermerkmal wird es im schlechtesten Fall unter ‚Rassenaspekten‘ gewertet, im besten als Gruppenzugehörigkeit thematisiert.38 Weil Afrohaar ein denkbar ungünstiger Ausgangspunkt ist, um Moden der Dominanzkultur mitzumachen, werden mit Glättungsprozeduren entsprechende Anstrengungen unternommen, die Beschaffenheit der Haare so zu modellieren, dass westliche Moden möglich werden. Was den einen als die Erweiterung ihrer Möglichkeiten gilt, ist für andere aber schlicht ein unerträglicher Anpassungsdruck,39 Selbsthass oder Eurozentrismus40 – daher ist das Glätten von Haar einer der umstrittensten Aspekte innerhalb des afroamerikanischen Schönheitsdiskurses. Flechten, cornrows und braids,41 sind beliebte Gestaltungen für Afrohaar und haben gerade deshalb in den USA einige Auseinandersetzungen nach sich gezogen, weil sie für ‚schwarzes‘ Selbstbewusstsein stehen. Nicht überall gern gesehen, an manchen US-Universitäten sogar 38 Zur Problematik von Rassismus vgl. beispielsweise Amesberger, Helga; Halbmayr, Brigitte: Das Privileg der Unsichtbarkeit. Rassismus unter dem Blickwinkel von Weißsein und Dominanzkultur. Wien 2008. 39 Vgl. den Aufruf gegen die Anpassung von Jones, Amelia. The Feminism und Visual Culture Reader. New York 2003, S. 343. 40 �������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Jacobs-Huey, Lanita: From the Kitchen to the Parlor. Language and Becoming in African American Women’s Hair Care. Oxford 2006, S. 7f. 41 Eigentlich müssten als drittes typisches Element noch twists genannt werden. Hier werden Haarsträhnen so stark verkordelt, dass sie ähnlich wie steif geflochtene Zöpfe abstehen. Cornrows sind das weitaus filigranere Pendant zu dem, was in Deutschland häufig mit französischem Zopf bezeichnet wird, die eng anliegenden Flechten liegen direkt auf der Kopfhaut und wirken wie Ähren. Eine anschauliche Übersicht über verschiedene Afrohaarstile findet sich bei: James, Duyan: Hairtalk. Stylish Braids from African Roots. New York 2007. Maßgeblich für das Verständnis dieser Gestaltungen ist neben den komplexen Flecht- und Kordeltechniken auch das charakteristische Hinzufügen von Haarsträhnen – sei es synthetischer oder natürlicher Art.

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verboten, markieren sie ein hochbrisantes Terrain.42 Die demonstrative Naturbeherrschung von Afrohaarstilen, die sich bei cornrows zudem auf die ornamentierte Kopfhaut erstreckt, weicht von westlichen Modeprinzipien auch insofern ab, als hier Symbolik eine große, wenn auch nicht die alleinige Rolle spielt. Diese Frisuren verweisen häufig auf regionale oder ethnische Wurzeln (senegalesische twists beispielsweise) oder stehen für bestimmte rituelle Bedeutungen. Allerdings ist auch zu beachten, dass das geflochtene Haar oft in Formen getragen wird, die mit westlicher Mode korrespondieren, wie beispielsweise layered pixies mit Stufenschnitten.43 Nicht zuletzt treten die thematisierten kulturellen Unterschiede sehr deutlich in der Namensgebung der Räumlichkeiten des hier interessierenden Gewerbes hervor. In einer afroamerikanischen braidery, deren Name sich von to braid für flechten ableitet, stehen eben andere Tätigkeiten im Vordergrund als im ‚Friseurgeschäft‘, dessen Bezeichnung auf friser (französisch für kräuseln) zurückgeht. Wie stark Locken an den modischen Rahmen gebunden sind, d. h. ihre Bedeutung innerhalb einer erarbeiteten Inszenierung erhalten, zeigt die selten genutzte Möglichkeit, Haar offen zu tragen. Zwischen dem ausgehenden Mittelalter und heute ist es meist nur in gebändigter Form modern, bzw. gesellschaftsfähig. Männer wie Frauen trugen ihr langes Haar in der Öffentlichkeit kaum bloß und offen, dies wäre Nacktheit gleichgekommen.44 Als die die Regel bestätigende Ausnahme sind die langen Haare der Protestbewegungen der 1970er Jahre zu nennen. Für den Untersuchungszeitraum lässt sich zeigen, dass die von Männern getragenen Lockenfrisuren des Barock entweder ungefähr auf Schulterhöhe gehalten wurden, also zivilisierend gekürzt, oder mit Cadenettes verkompliziert wurden. Auch die üppige Haarpracht, wie sie Kaiserin Elisabeth von Österreich (‚Sissi‘) in dem bekannten Gemälde von Franz Xaver Winterhalter 1860 zeigte, ist kein bloßer Naturzustand, sie ist im Gegenteil kunstvoll arrangiert und mit Pretiosen geschmückt worden.45 Über die insgesamt nur lose 42 Vgl. Fischer, Jonathan: Ich bin nicht mein Afro. Afroamerikanische Haarfrisuren als Stil und Statement. Eine Geschichte zwischen Anpassung und Abgrenzung. In: Neue Zürcher Zeitung, 28. Dezember 2006. 43 Vgl. James, Hairtalk (2007), S. 134–149, hier S. 141. 44 Und so wird heute etwa in Bewerbungsratgebern davon als unangemessenem Auftreten abgeraten. 45 Dass das ‚Sissi‘-Bild so sehr von diesem auf ihre Haarpracht abstellenden Gemälde geprägt ist, ist kaum Zufall, die Kaiserin Elisabeth betrieb mit ihre Haaren einen auch zu ihrer Zeit

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zusammengesteckte Lockenmasse wurde ein Zopf gelegt. Im Volumen und in der Bewegung des Haares ging er allerdings förmlich unter, ohnehin wurde er von den funkelnden, sechszackigen Brillantsternen in der vorderen Frisurpartie optisch übertrumpft. Diese Version einer Kranzfrisur stellte einen Kompromiss zwischen einer Frisur und einer imposanten Schau von vollem Langhaar dar. Auf Darstellungen, in denen Elisabeth sich als Königin von Ungarn präsentierte, zeigte sie sich hingegen überwiegend mit expliziten Kranzgebilden.46 Sie bestanden aus einem teilweise sogar mehrteilig geflochtenen Diademkranz, an den sich eine häufig ebenfalls geflochtene Hinterkopfgestaltung anschloss, deren Länge einer halblangen Pagenfrisur ähnlich war oder die einen Cadogan imitierte, eine ausgetüftelte Kombination eines traditionell ländlichen Stils mit modischen Formgebungen also.47 An der Person Elisabeths wären zahlreiche Körper-Inszenierungen zu diskutieren, so gibt es noch weitere Porträts von Winterhalter aus den 1860er Jahren von ihr mit völlig gelöstem Haar, während sie beispielsweise als junge Braut mit rigide zusammengestecktem Haar gezeigt wurde.48 Nun ist der Mythos Elisabeth49 hier kein weiter zu verfolgendes Sujet, unter anderem deshalb, weil er für die weitere modische Entwicklung nicht ausschlaggebend gewesen ist. Auf Elisabeths Haar zu verweisen, ist aber wegen der

ungewöhnlichen Aufwand. Vgl. Plutat-Zeiner, Historismus (1990), S. 188. 46 Wie auch ihre so genannte ‚Ungarntochter‘, die später dorthin verheiratete Tochter Marie Valerie, wohl nicht zufällig mit einer mehrteiligen Flechte auf ihrem Verlobungsfoto erscheint. 47 Mit diesem Stil lehnte sich Elisabeth an Formgebungen ihrer Zeit an, wobei sie den Anteil der geflochtenen Partien erhöhte, Corson skizzierte einige vergleichbare englische und französische Frisuren, vgl. Corson, Fashions. (19917) S. 528, Fig. I, S. 532, Fig. C, P, Q. 48 Von der mit ihrem Aussehen sehr beschäftigten Elisabeth sind über 700 Bildzeugnisse in der Österreichischen Nationalbibliothek erhalten, die die visuellen Grundlagen des Elisabeth-Mythos in der Ausstellung „Elisabeth, Kaiserin von Österreich.“, gezeigt vom 4.3. bis 26.4. 1998, thematisierte. Die ÖNB präsentiert Ausschnitte dieses Bildmaterials im Internet, vgl. http://www.onb.ac.at/sammlungen/bildarchiv/ba/praesentationen/ausstellungen/ elisabeth/elisabeth.html. Zugriff am 6.11.2007, vgl. auch den Ausstellungskatalog Mraz, Gerda: Fischer-Westhauser, Ulla: Elisabeth, Kaiserin von Österreich. Wunschbilder oder die Kunst der Retusche. Elisabeth, Prinzessin in Bayern, Kaiserin von Österreich, Königin von Ungarn. [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Österreichische Nationalbibliothek, Wien, März bis April 1998]. Wien 1998. 49 Dieser Mythos beruht vor allem auf ihrer, wenn man so will, besonderen Bildpolitik. Sie ließ sich im Wesentlichen nur in den 1860er Jahren fotografieren und stand danach auch Malern nicht mehr Modell.

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Abb. 10 ‚Sissi‘

Anschaulichkeit des über seine massenhafte Verwendung bei österreichischen Souvenirs weit verbreiteten Bildes von Winterhalter sinnvoll.50 Die dort porträtierte Beschaffenheit ihrer Lockenpracht war für die weitere Mode programmatisch. Es war eben diese Haarqualität, die Marcel Grateau vor Augen hatte, als er im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts seine Ondulationstechnik entwickelte, die die weibliche Mode im Kaiserreich dominieren sollte (vgl. Abb. 10, rechts). Sein Werkzeug war das Lockeneisen, das zu seiner Zeit nicht nur bei Frauen eine Rolle spielte, sondern – wenngleich weniger prominent – zunächst auch noch bei Männern.

2 Männerköpfe 2.1 Legere Frisuren und ornamentale Bärte von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Die zuvor auf Männer- wie Frauenköpfen auftretende visuelle Signatur der Locke hatte für Männer ab Mitte des 19. Jahrhunderts allerdings zunehmend 50 Bezeichnend ist dabei, dass es auch ein Winterhalterporträt gibt, das ‚Sissi‘ mit gelösten Flechten zeigt und sie damit viel erotischer und nahbarer erscheint, dieses Bild aber gerade nicht massenmedial verbreitet worden ist, sondern jenes, das ihr prachtvolles Haar mit einer lose mit Edelsteinen geschmückten Frisur zeigt und ihre Person ebenso kaiserlich wie anziehend und glamourös präsentiert.

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ausgedient und sollte – so meine These – nun verstärkt als Demonstration von Weiblichkeit fungieren. Die Auflösung des männlichen Universalanspruchs, für das allgemein Menschliche zu stehen, verlief zu dieser geschlechterdifferenzierenden Entfaltung der Frisurenoptik nicht zufällig parallel.51 Nachdem unter den Bedingungen des Gleichheitsdiskurses der Aufklärung der Geschlechterunterschied im Zweigeschlechtermodell hergestellt wurde, stiftete der Körper die Begründung des sozialen Geschlechts.52 Im Laufe des 19. Jahrhunderts bildete sich das männlich-heterosexuelle Körper- und Nationenmodell im System der Zweigeschlechtlichkeit insbesondere durch die Produktion von ‚Antitypen‘53 heraus: gleichgeschlechtliches Begehren oder Abweichungen sozialer und ‚rassischer‘ Art waren bevorzugte Themen diskursiv erzeugter Abgrenzung hegemonialer Männlichkeit. Connell folgend zielt hegemoniale Männlichkeit auf Dominanz von Männern nicht nur über Frauen, sondern auch über andere Männer, damit wird ein differenzierter Blick auf ein komplexes Beziehungsgefüge eröffnet,54 das relationale Untersuchungen auch von Männlichkeiten untereinander an51 Zur Kritik am männlich Allgemeinen, die unter anderem in der Gründung und programmatischen Namensgebung der Zeitschrift L’Homme ihre praktische Konsequenz fand, beispielsweise Klinger, Cornelia: Feministische Theorie zwischen Lektüre und Kritik des philosophischen Kanons. In: Bußmann, Hadumod; Hof, Renate (Hg.): Genus, Geschlechterforschung/Gender Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Stuttgart 2005, S. 328–364, hier S. 334. 52 Vgl. den jüngeren Forschungsstand bei Mehlmann, Sabine: Unzuverlässige Körper. Zur Diskursgeschichte des Konzepts geschlechtlicher Identität. Königstein im Taunus 2006. Grundlegend Laqueur, Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud. Frankfurt am Main 1992. Honegger, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib. 1750–1850. Frankfurt am Main 1991. 53 Vgl. Mosse, George: Das Bild des Mannes – Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit. Frankfurt am Main 1997. 54 Vgl. Connell, Robert W.: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Opladen 1999. An Connells ‚Meistererzählung‘ ist nicht seine aus fachhistorischer Sicht verkürzte Entwicklungsdarstellung von (männlich gedachter) Individualität bedeutsam, sie ist als Modell relationaler Männlichkeiten für die Geschichtswissenschaft als wesentlicher Impuls zu nutzen, wie dies in kritischer Auseinandersetzung mit und Erweiterung von Connells Arbeit Martin Dinges getan hat, vgl. Dinges, Martin: „Hegemoniale Männlichkeit“ – ein Konzept auf dem Prüfstand. In: Ders. (Hg.): Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute. Frankfurt am Main 2005, S. 7–33. Zur Diskussion weiterer, langfristig angelegter Erklärungsmodelle der Geschlechtergeschichte vgl. Opitz-Belakhal, Claudia: „Krise der Männlichkeit“ – ein nützliches Konzept der Geschlechtergeschichte? In: L’Homme, 2008, Nr. 2, S. 31–49.

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regt.55 Sie lassen sich nicht zuletzt an modischen Entwicklungen und den Diskrepanzen von inner- und außergewerblichen Einschätzungen von Frisuren aufzeigen. Mit der öffentlichen Diskussion um gleichgeschlechtliches Begehren trat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die verunsichernde Vorstellung von Männern mit weiblichen Anteilen auf.56 Das betraf alle Männlichkeiten gleichermaßen, deren Wahrnehmung sich mit dem Wandel von der Ständezur Leistungsgesellschaft verschoben hatte. Schon um 1800, als ein distinguiertes Äußeres noch zum akzeptierten, nämlich aristokratischen Männlichkeitsmodell gehörte, war ein Dandy wie Beau Brummel wegen seines ausgesuchten Aussehens aufgefallen, aber nicht gesellschaftlich ausgeschlossen worden. Die Situation verschärfte sich nach Durchsetzung bürgerlicher Werte ein Jahrhundert später entscheidend. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Haltung den als effeminiert begriffenen Dandies der zweiten Generation gegenüber durch den Vorwurf der Homosexualität bestimmt, der beispielsweise bei Oscar Wilde auch eine Haftstrafe nach sich zog.57 Femininität bei Männern konnte nun als seelisches wie physisches Merkmal auftreten und war auch im Hinblick auf Frisuren zu beobachten. Gerade weil sich auf Männer- und Frauenköpfen schon längst die Unterscheidung von langem und kurzem Haar geradezu eingebürgert hatte, ist die zusätzliche Geschlechtsspezifik durch Zuschreibung von Locken zur Weiblichkeit und ihre Ablehnung bei Männern als unpassend empfundene Schmückung auffällig. Noch um 1800 hatten parallel zur Blütezeit Winckelmannscher Begeisterung für die Antike, in deren Zentrum die lockige Laokoongestalt stand,58 Locken als selbstverständlicher Teil von Männerfrisuren gegolten, auf Perücken ebenso wie später beim Tituskopf. Einhundert Jahre später war das antike Körperideal zwar nicht obsolet geworden, aber die Imitation 55 Ausführliche Darstellung dieses Ansatzes jüngst bei Lücke, Martin: Männlichkeit in Unordnung. Homosexualität und männliche Prostitution in Kaiserreich und Weimarer Republik. Frankfurt am Main 2008. 56 Im Identitätsfindungsideal der bürgerlichen Gesellschaft gerieten sexuelle Beziehungen zum Ausdruck von Identität. Damit wurde auf gleichgeschlechtliches Begehren als Identitätsmerkmal ein Augenmerk gelegt, das im Zusammenspiel von ärztlichen Autoritäten und bürgerlicher Selbstfindung in die Konstruktion der ‚homosexuellen Persönlichkeit‘ mündete, vgl. Micheler, Selbstbilder (2005), S. 37–52. 57 Zu diesem Wandel vgl. Erbe, Günter: Dandys – Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens. Köln [u. a.] 2002, S. 20. 58 Vgl. Andreae, Bernard: Laokoon und die Kunst von Pergamon. Die Hybris der Giganten. Frankfurt am Main 1991.  

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des Vorbildes fand im Frisurenalltag anders als in der Klassik nur noch sehr vermittelt statt. Eine solche Entfernungsbewegung vom Ideal lässt sich im zunehmenden Verzicht auf lockige Elemente auf Männerköpfen feststellen. Im Deutschen Kaiserreich wurde die lockere, oft lockige und nicht nur vereinzelt gebrannte Frisur (siehe Abb. 16 und 17) um die Jahrhundertwende herum seltener. Auch sorgfältig geschnittene und frisierte Bärte blieben bis 1900 üblich, nach dem Ersten Weltkrieg wurden sie dann schließlich ungewöhnlich.

Abb. 11 Vollbärte

Zwar waren bestimmte Bartmoden, wie beispielsweise von einem Ohr zum anderen reichende Kinnbärte, kombiniert mit einem glatt rasierten Gesicht (vgl. Abb. 6, rechts), im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts seltener geworden, dennoch ist für diese Zeit eine Vielfalt künstlich erschaffener Bartformen charakteristisch. Das Gestaltungsangebot reichte von den üppigsten Exemplaren, den Vollbärten (vgl. Abb. 11), bis zu dem Bewuchs, der sich schließlich am längsten halten sollte, den Schurrbärten. Dazwischen lagen die Formen, die kaum noch über die Kragenspitze reichten wie Backenund Kinnbärte (vgl. Abb. 12, 13). Vollbärte wurden am unteren Ende in die gewünschte Form geschnitten und gebürstet, sie bedurften aber vor allem am Hals und an den Wangen einer kunstvolleren Begradigung und eines Übergangsschnittes zur Haut. Nicht ganz zufällig sind die Beispielköpfe für Backenbärte häufig mit dem nach 1900 schon ziemlich antiquarisch angehauchten ‚Wiener Schnitt‘

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Abb. 12 Backenbärte

Abb. 13 Kinnbärte

dargestellt worden (vgl. Abb. 19). Solche Bärte (und Frisuren) sind besonders in der Mitte des 19. Jahrhunderts beliebt gewesen und manche Männer blieben dieser Mode lange treu. Beispielsweise trug Kaiser Wilhelm I. (1797–1888) seinen Bart ähnlich, wenn auch ein wenig schmaler als hier skizziert, nicht nur in seinen biedermeierzeitlichen Jugendtagen, sondern auch noch als älterer weißhaariger Mann bis in die 1880er Jahre hinein. In den USA begrüßte 1903 eine Modejournalistin das beinahe endgültige Ver-

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schwinden der Backenbärte schließlich enthusiastisch als herausstehendes Merkmal des beginnenden 20. Jahrhunderts.59 In Deutschland wurde es, um auf einen der bekanntesten modehistorischen Topoi zu kommen,60 schließlich mit Wilhelm II. (1859–1941) hochmodern, sich einen ausschweifenden, nach oben gezwirbelten Schnurrbart stehen zu lassen (vgl. Abb. 14, rechts). Im Zuge dessen wurden allerlei nicht zuletzt vom erfolgreichen Berliner Hoffriseur Haby lancierte Hilfsmittel wie Bartbinden, Bartwichse und Schnurrbarttassen verwendet. Dagegen wurden Schnurrbärte zuvor häufiger in eher filigraner Weise getragen, beispielsweise im Stil der 1860er Jahre (vgl. Abb. 14 links).

Abb. 14 Schnurrbärte

Bärte galten innergewerblich in mehrfacher Hinsicht als ein interessantes Feld. Neben ihrer abwechslungsreichen Formenvielfalt boten auch handwerkstechnische Schwierigkeitsgrade Herausforderungen. Das schloss auch Überlegungen zur Kleidsamkeit und individuellen Aussehensoptimierung der Kundschaft ein. Zwar schienen manche dieser Bärte regelmäßige Gesichtszüge zu benötigen,61 andere aber galten geradezu als prädestiniert dafür, Unregelmäßigkeiten auszugleichen62 und boten damit gestalterische Möglichkeiten, die Physiognomie der Kundschaft in ihrer Wirkung zu beeinflussen. Körpergröße, Gesichtsschnitt und -ausdruck etc. fanden explizite Berücksichtigung. Allerdings ist die in der Fachliteratur diskursiv erzeugte Wahrnehmung der Kundenkörper beim Thema Bartschnitt nicht so stark ausgearbeitet worden wie beim Bürstenhaarschnitt, was am Erscheinungs59 Vgl. Corson, Fashions (1991), S. 562. 60 Zur Verbreitung dieser Mode in ganz Europa und in den USA und ihren deutschen Ursprung, vgl. Corson, Fashions (1991), S. 560f. 61 Vgl. Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 296. 62 Vgl. Ebd., S. 293.

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zeitpunkt des ausgewerteten Quellenmaterials liegen könnte. Denn abgesehen von Periodika wurden in Deutschland systematische Lehrbücher erst um 1900 veröffentlicht.63 Barttragen war da schon ziemlich aus der Mode gekommen. Gleichwohl machte man sich um fachliche Fragen der Schnitttechniken als Kern der Handwerkskunst intensive Gedanken. Beim Bartschneiden lag das Augenmerk insbesondere auf der Beherrschung von Handwerkstechniken, die darauf zielten, die Grenzen zwischen Haut und Haar auszutarieren. Der Bart müsse „an seinen äußersten Grenzen, also auf den Wangen, am Ohr, entlang der Kinnlade zum Hals hinunter und um denselben herum ganz kurz verlaufen, so daß er sich als leichter Schatten in Abb. 15 Übergänge der Haut verliert.“64 Die imposanten Formen wurden so in das Gesicht eingepasst, dass das Ornament zur Geltung kam. Gleichzeitig wurden sie mit der Hautoberfläche und den plastischen Gegebenheiten des Gesichts in Einklang gebracht, indem die Fläche zwischen nackter Haut und gewollt behaarter Haut (Bart) sorgsam schattiert wurde, d.  h. die Haare wurden in verlaufender Kürzung von der Haut an länger werdend geschnitten (vgl. Abb. 15, links neben dem Ohr). Ausnahmen waren Bartstile oder Bereiche, bei denen ein hartes, unverbundenes Nebeneinander von Bartkante und Haut beabsichtigt war (vgl. Abb. 15 am Kinn). Die kunstvolle Zierde des männlichen Gesichts wurde aufmerksamen Naturstudien folgend angefertigt. Die handwerklich anspruchsvolle feine Schattierung der Übergänge wies die Kunstfertigkeit der Friseure aus und war zudem eine Schnittstelle der Körper-Inszenierungen, inszeniert einerseits mit Bartschnitt (und meist auch Rasur der nichtbärtigen Gesichtspartien) und andererseits einer durch das Zusammentreffen der natürlichen Mate63 Zu den hier infrage kommenden Publikationen zählen Müllers Standardwerk von 1913 und ein Lehrwerk, aus dem Müller sein Kapitel Der Herrenfriseur übernommen hatte, vgl. Groß, Otto: Der deutsche Barbier, Friseur und Perückenmacher. Ein Leitfaden für die Hand der Schüler in Fortbildungsschulen. Magdeburg 1911. 64 Ebd., S. 293.

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rialien Haut und Haar an den diffizil gestalteten Übergangsstellen herausgehobenen Leiblichkeit. Im Kaiserreich war bis 1900 ein eher legerer Frisurstil üblich, der partiell auf ornamentale Aspekte zurückgriff wie eben Bärte oder Wellenelemente. Neben einigen noch heute bekannten Umrisslinien wie unter anderem dem Bürstenhaarschnitt wurde häufig auch noch etwas längeres Haar (besonders wenn es naturlockig war) getragen. Dafür hatte sich beispielsweise auch Heinrich Wullenweber (vgl. Abb. 16 rechts) entschieden.

Abb. 16 Legere Frisuren, 19. Jhd., letztes Drittel

Er trug seine Lockenpracht, die vermutlich einige Zeit vor der Aufnahme geschnitten worden war, ziemlich lang gehalten in einer dreieckigen Form, dazu einen Bart mit zwei Spitzen (vgl. Abb. 11, obere Reihe rechts). Offensichtlich ist die Mitte ausgedünnt bzw. der Bart dort teilweise weg geschnitten worden. Das Ergebnis dieser handwerklich nicht empfohlenen Methode65 ist ein beinahe transparenter Bart, denn der dahinter liegende Kragen scheint deutlich hindurch.66 Die unregelmäßige Wellung und lockere Frisur Wullenwebers sprechen gegen eine künstliche Erzeugung der Locken. Die Naturlocken der anderen Männer erscheinen weniger ausgeprägt. Der Mann links trug sein Haar insgesamt eher ungeordnet, sodass 65 Vgl. Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 295. 66 Porträts Friedrichs III. (1831–1888) zeigen dagegen sehr volle Versionen dieses Stils.

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hier nicht zu vermuten ist, dass sich die Bewegung in seinem Haar Frisierkünsten verdankte. Der Bürstenhaarschnitt des Mannes in der Mitte war vermutlich durch eine Naturkrause leicht eingebogen. Formen wie diese können als Vorreiter für die im Kaiserreich sukzessiv abnehmende Haarlänge bei Männern gelten. Durch berühmte Träger wie Hindenburg bekannt, kann hier auf die frühe Verwendung dieser auffallend kurzen Haarlänge eines kunstvollen Haarschnitts verwiesen werden. Charakteristisch ist weniger die Kürze der Haare gewesen als die kompakte, kontrollierte Kontur des Schnitts, der wie kaum ein anderer in der Fachliteratur Auseinandersetzungen mit den körperlichen Voraussetzungen nach sich zog. In manchen Fällen wurde gänzlich von dieser Frisurwahl abgeraten.67 Für zahllose Schädel- und Gesichtsformen bestanden förmliche Empfehlungen, welche Version des Schnitts angemessen sei, mitsamt schematischen Skizzen. In der Art von technischen Zeichnungen zeigten sie die Umrisslinien des Kopfes und der Schnittführung an. Eine solche Aufarbeitung gab es weder beim unspezifisch halblang bezeichneten Haarschnitt68 (Oberkopfhaarlänge ca. 10 cm) noch im Damenfach.69 Legere Herrenschnitte schienen offenbar so flexibel frisiert werden zu können, dass die Abstimmung auf die individuellen Gegebenheiten immer noch nach dem Schnitt vorgenommen werden konnte, gleichwohl erschien dies nicht so wichtig, dass es fachkundliche Erwähnung gefunden hätte. Bei Frauen gab es nur Empfehlungen, Frisuren nach Alter oder Anlass zu variieren. Körperliche Merkmale einzelner Kundinnen wurden als Systematisierungsgrundlage einer fachlichen Ästhetik zunächst nicht in Betracht gezogen. Da Kopfformen bei Bürstenschnitten insbesondere unter dem Blickwinkel der handwerkstechnischen Lösung von möglichen Fehlgestaltungen diskutiert wurden, erzeugte der fachliche Diskurs weniger eine systematische Typisierung der vorkommenden Fälle, da er eher unspezifisch im Stil einer losen Sammlung über eine beschreibende Aufzählung eine Anregung zur Beobachtung der Physiognomie des Kundenkörpers gab. 67 An einem „rund-, spitz-, schief- oder unregelmäßig geformten Schädel“ schien die Mühe vergeblich, vgl. Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 274. 68 Es war zwar üblich, auf nötige Rücksichtnahmen auf die vorhandene Kopfform durch da­ rauf abgestimmte Schnitttechniken hinzuweisen, aber das Verhältnis von Frisur- und Kopfform wurde nicht thematisiert, vgl. Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 279–281. 69 Zur geschlechtsspezifisch geprägten Entwicklung der Systematiken, die bei Beratungsgesprächen zur Frisurwahl eine Rolle spielen vgl. Kornher, Svenja: Zur Erfindung der ‚typgerechten‘ Frisur. In: Janecke, Haar (2004), S. 61–82.

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Abb. 17 Gebrannte Frisuren

Im letzten Drittel des Kaiserreichs fand bei Männern, die keine Natur­ locken hatten, aber mit einem flachen Oberkopf unzufrieden waren, das Brenneisen immer noch Verwendung (vgl. Abb. 17). Was auf den Zeichnungen des Lehrbuchs harmonisch aussah, konnte auf realen Köpfen ganz andere Effekte hervorrufen. Dem vermutlich naturkrausen70 Kurzhaarschnitt in Abb. 17 (untere Reihe links) ist mit zwei parallelen Kniffen mit der Brennschere nur zu einer Scheitelbetonung verholfen worden. Das Ergebnis des platten Scheitels daneben, kombiniert mit aufgelockten Seitenpartien, wirkt hingegen ausgesprochen disharmonisch, während bei der Fri70 Die kurzen Haare an der Seite dürften kaum mit einem Brenneisen zu fassen gewesen sein.

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sur rechts durch die Wellung eine Oberflächenstruktur entstand, die kaum Auswirkungen auf die Kontur hatte. Charakteristisch für diese Zeit ist die Vorliebe für einen Mittelscheitel. Damit wurde dann eine sehr auffällige Symmetrie erzielt, wenn auch das Brenneisen benutzt wurde. Der in Abb. 18, links Dargestellte ergänzte die nach oben strebenden Haarsträhnen zusätzlich noch mit ebenso gezwirbelten Schnurrbartspitzen. Nicht minder dezidiert, nur sparsamer ornamentiert zeigte sich der Mann daneben. Sein voluminös nach hinten gestrichener Haarschopf wurde durch die Ondulation der neben dem Scheitel liegenden Haare geteilt; wie ein Handkantenschlag bei Kissen bewirkten Scheitelziehung plus Eisen bei dieser Frisur eine markante Kerbe. Bei der insgesamt flach gehaltenen Frisur rechts wurden die Haare vom Mittelscheitel zu den Seiten hin geführt und die untere Seitenpartie nach hinten gebürstet, an der Linie zwischen beiden Bereichen wurden die vom Oberkopf kommenden Haarspitzen nach innen umgebogen.

Abb. 18 Faible für Mittelscheitel

Die ‚Wiener Frisur‘ (vgl. Abb. 19) konnte zwar allein durch Bürsten in Form gebracht werden (vgl. Abb. 19, links), aber häufig wurde hier auch das Brenneisen eingesetzt, wie die beiden streng definierten, auseinander­ strebenden Bögen rechts und links vom Scheitel in Abb. 19 (rechts) zeigen.71 Typisch für diesen Stil war an sich glattes, sehr flach gehaltenes Haar, das am Oberkopf vom Mittelscheitel aus nach vorn und schräg zur Seite gekämmt wurde und in die Stirn hinein einen Bogen bildete. Diese Frisur kam in den 1860er Jahren auf und hatte ihre Hochzeit im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, sie gehörte aber bis zum Ersten Welt71 Vgl. auch Abb. 12, das Foto links.

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Abb. 19 ‚Wiener Frisur‘

krieg zum gängigen Repertoire. Eine charakteristische Skizze aus der Fachliteratur (vgl. Abb. 19, Mitte) zeigt die Anlage dieser Frisur, für die eine rigide Akkuratesse typisch war.72 Daher wurde ihr zugeschrieben, den Gesichtszügen „etwas Energisches, Männliches“ zu verleihen.73 Zwar konnte dieser Schnitt beginnende Geheimratsecken gut kaschieren bzw. integrieren,74 da aber die erforderliche gerade und vor allem symmetrische Linienführung selten mit dem natürlichen Haarwuchs übereinstimmte, mussten die Konturen durch häufiges Rasieren aufwändig in Ordnung gehalten werden. Während die Zeichnung die Tampelpartie noch im Stil der Gründerzeit wiedergibt (vgl. auch Abb. 12, rechts), sind die Frisuren auf den Fotos schon so kurz gehalten, wie es ab 1900 allgemein üblich wurde. Die ‚Wiener Frisur‘ kann bis zum Hype um den Pilzkopf der Beatles in den 1960er Jahren als die letzte größere Modewelle gelten,75 bei der erwachsene Männer einen Pony trugen. Eine bedeckte Stirn war typischerweise nur für Kinderfrisuren vorgesehen. Die beiden Knirpse in Abb. 20 (links und Mitte) trugen um 1900 den damals noch unspektakulären Bubikopf. Kleine Jungen vor der Einschulung und Künstler waren neben älteren Männern die einzigen, denen in der wilhelminischen Gesellschaft noch längeres Haar zugestanden wurde. Ausgesprochene Langhaarfrisuren (vgl. Abb. 14, Mitte) waren eher selten. Die typische Länge für Jungen variierte zwischen halber Ohrhöhe und maximal dem Kinn, daneben und spätestens ab dem Schulalter galten auch Kurz72 73 74 75

Vgl. Der Wiener Haarschnitt. In: DAFZ, 1916, Nr. 12, S. 130. Linke, Albert: Moderne Herrenfrisuren. In: DAFZ, 1914, Nr. 1, S. 18. Vgl. Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 285. In den 1920er Jahren gab es bei Künstlern, beispielsweise Brecht, einen minoritären Trend dazu, die Haare in die Stirn zu kämmen.

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Abb. 20 Ponyfrisuren für Kinder

haarschnitte, wie sie erwachsene Männer trugen, als passend. Allerdings eben mit dem Unterschied, dass bei Kindern und Jugendlichen das Haar nach vorn frisiert wurde (vgl. Abb. 20, rechts). Erst die mit den Beatles aufgekommene Pilzkopfmode sollte Jahrzehnte später diese lang praktizierte Differenzierung zwischen Jungen und Männern neu austarieren, als sich die gegen Autoritäts- und Vernunftansprüche auflehnenden Jugendlichen und jungen Männer einer Kinderfrisur zuwandten.

2.2 Kurz statt lockig, rasiert statt dekoriert: Wandel um 1900 Der sich in den Jahrzehnten um 1900 vollziehende modische Wandel führte zu kürzeren Haaren und mit Ausnahme von Schnurrbärten zu Bartlosigkeit. Das Aussehen der Männerköpfe änderte sich damit erheblich. Abwechslung in der Haargestaltung hinsichtlich der Umrisslinien und der Oberflächengestaltung wurde nun durch Kurzhaarschnittvarianten erzeugt.76 Mit der abnehmenden Länge in der Männermode begann ein neuer Stil, die Silhouetten wurden enger an die Kopfform gebunden und durch kürzere Schnitte neue optische Effekte erzielt. Was bisher durch Locken und auch Wellen als Oberflächenstruktur geschaffen wurde, wurde nun eher durch meist unauffällige Arrangements von Scheitelziehung und verschiedenen Längen verändert.77 76 Die Mode der kurzen Herrenhaarschnitte setzte nach Leo Egers zeitgenössischen Erfahrungen schon vor 1900 ein, vgl. Eger, Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk (1896), S. 468. 77 Gebrannte Frisuren waren im Herrenfach 1908 noch Prüfungsgegenstand, vgl. Mai, Haupt (1995), S.  119 (Meisterprüfung), S.  109 (Gesellenprüfung). 1938 war diese Anforderung

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Die neue Optik basierte insbesondere auf unterschiedlichen Längen, die den Fall des Haares bestimmten. Angefangen mit Partien, die beispielsweise am Hinterkopfbereich von kurz gehaltenen Konturen (oder auch von der Haut an) bis zum Wirbel hin länger werdend verliefen, gleichmäßig kurzen, abstehenden Partien bis zu längeren, glatten Passagen und zahlreichen Zwischenlängen. Frisurcharakteristiken entwickelten sich je nachdem, wie diese Partien kombiniert wurden, wie lang die Übergangspassagen zwischen verschiedenen Haarlängen gestaltet wurden – oder wie kurz und damit kantig. Ein wesentliches Stilmerkmal konnten dezent aufspringende Haarspitzen sein, die Frisuren eine bestimmte Struktur gaben, und häufig wurden nebeneinander liegende Partien als gegeneinander verlaufende Richtungen frisiert, durch einen Scheitel getrennt oder am Hinterkopf ineinander verlaufend.78 Das Verschwinden von lockigen Elementen wurde innerhandwerklich sehr beklagt.79 Vermutlich nicht zuletzt wegen der verloren gegangenen Möglichkeiten, die im Damenfach immer ausgefeilteren Locken- und Wellentechniken doch auch bei Herrenkunden zur Anwendung bringen zu können. Wie wenig reizvoll dem Gewerbe das Haarschneiden als magerer Rest der vordem als vielfältig begriffenen Techniken und Moden erschien, zeigt ein Vergleich mit der ebenfalls verloren gegangenen Vorliebe für üppige Bärte. Im Gegensatz zum Haarschneiden schätzte Ferdinand Müller, der seit Ende der 1870er Jahre in der Branche war, in seinem Lehrbuch 1913 die Kunst des Bartschnittes als „bedeutend schwieriger“ ein.80 Anders als er annahm, gingen diese gestalterisch-handwerkstechnischen Anforderungen mit dem Verschwinden der Bärte jedoch nicht verloren. Sie verlagerten sich auf die kürzer werdenden Frisuren. Kurzes Haar wie etwa der Bürstenhaarschnitt gewann um 1900 an Beliebtheit. Zwar ist dieser Schnitt bereits im Kaiserreich üblich gewesen und mit Hindenburg gibt es dafür einen auch heute noch bekannten Vertreter dieser Frisur, gerade Militärs machten im Kaiserreich aber meist noch die Ausnahme vom ansonsten überwiegend schlichten Kleidungsverhalten der Männer. Die bunten Uniformen mit glänzenden Epauletten setzten sich für die Gesellen gestrichen worden (S. 109), während sie für die angehenden Meister 1938 noch bestand (S. 123). 78 Vgl. Menzinger, Heinrich: Betrachtungen über Haarschneiden. In: DAFZ, 1906, Nr. 1, S. 4. 79 Vgl. Eger, Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk (1896), S. 468. 80 Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 293.

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vom dezenten Anzug der Zivilisten in jeder Hinsicht ab.81 Wie die gebrannten Frisuren zeigen, gilt ähnliches nur eingeschränkt für die Haargestaltung. Denn der Offiziersschnitt korrespondierte mit ziviler Haarmode, durch „seinen durchgezogenen Scheitel, den Helmstützen und Sechsern vor den Ohren“ wirkte er vergleichsweise verspielt und zeigte eindrücklich die auch bei Männern im späten 19. Jahrhundert vorhandene Bereitschaft, sich mit ihren Haaren zu beschäftigen.82 Wo es nicht ausreichte, die Haarsträhnen über den Ohren nach oben zu bürsten, wurden die sogenannten ‚Helmträger‘ zusätzlich mit dem Brenneisen umgebogen (vgl. Abb. 21).

Abb. 21 ‚Helmträger‘

Spätestens 1914 aber wurde dies auch innergewerblich als ferne Vergangenheit betrachtet, „alles längere Haar und alle auffallenden Falten bzw. Locken sind verpönt.“83 Das Programm für die Zukunft im Herrenfach lautete nun: „Einfach und schlicht soll die moderne Herrenfrisur aussehen, kurz und knapp muß das moderne Haar sein.“84 Die Haarlänge nahm nach der Jahrhundertmitte ab, auf dem Oberkopf konnte sie bis um 1900 noch gut 10 Zentimeter betragen, danach wurden die Schnitte meist deutlich kürzer. Bei diesem Umschwung ist auch der vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges vollzogene Wandel innermilitärischer Männerbilder, genauer des Offiziersbildes als Kern soldatischer und damit hegemonialer Männlichkeit um 81 Vgl. Brändli, Sabina: „Der herrliche biedere Mann“. Vom Siegeszug des bürgerlichen Herrenzuges im 19. Jahrhundert. Zürich 1998, S. 233–236. 82 Vgl. Linke, Albert: Moderne Herrenfrisuren. In: DAFZ, 1914, Nr. 1, S. 18. 83 Ebd. 84 Ebd.

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1900 zu berücksichtigen. Das wilhelminisch-aristokratische Offiziersimage war im Zuge gesamtgesellschaftlicher Veränderungen, aber vor allem auch innermilitärischer Entwicklungen wie der Erweiterung der Rekrutierungsbasis und funktionellen Ausdifferenzierung des Heeres, mit bürgerlichen Werten konfrontiert worden. Der genuin aristokratische Habitus wurde nachhaltig erschüttert. Zuvor war der adlige Männerkörper als von sexueller Virilität entkoppelt so konstruiert worden, dass der Offizier ebenso ein galanter Höfling mit geschliffenen Manieren im Umgang mit der Damenwelt und gewandter Tänzer sein konnte wie zugleich auch ein perfekter Militär.85 Eine nach bürgerlichen Begriffen undenkbare Kombination, verhieß doch eine derart dekorative Männlichkeit Kriegsuntauglichkeit oder gar Homosexualität. Ein verwandter Diskurs war schon um 1800 gegen die höfische Gesellschaft geführt worden und zielte schließlich 1906–1908, von vielen Stimmen getragen und in der entstehenden Massenöffentlichkeit weit verbreitet im Eulenburg-Hertefeld-Skandal, gegen blaublütige, homosexuell etikettierte Offiziere im Umfeld von Wilhelm II.86 Mit dieser Auseinandersetzung begann die Entstehung und Popularisierung der noch lange wirksamen Figur des homosexuellen Staatsfeindes.87 Offenbar drohte männliche Homosexualität, ohnehin unter Strafe gestellt, den verbreiteten männlichen Herrschaftsanspruch zu beschädigen. Am Ende des wilhelminischen Zeitalters galt von den drei konkurrierenden Offiziersbildern, der kühlen Professionalität, des männlich-martialischen Draufgängertums und der pompösprunkhaften neofeudalen Selbstdarstellung, der Öffentlichkeit nur noch ersteres als angebracht.88 Protagonisten des letzteren wurden rüde als „Modefaxen“ und „Potsdamer Pomadenhengste“ abgekanzelt,89 schienen sie doch weder innermilitärisch noch gesamtgesellschaftlich als Vorbilder geeignet und kamen also auch als modische Idole nicht mehr in Frage. 85 Vgl. Funck, Marcus: Bereit zum Krieg? Entwurf und Praxis militärischer Männlichkeit im preußisch-deutschen Offizierskorps vor dem Ersten Weltkrieg. In: Hagemann, Karen; Schüler-Springorum, Stefanie (Hg.): Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege. Frankfurt am Main 2002, S. 69–90, hier S. 78–82. 86 Für eine diskursanalytische Aufarbeitung des Skandals vgl. Bruns, Claudia: Politik des Eros. Der Männerbund in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur (1880–1934). Köln 2008, S. 167–190. 87 Vgl. Zur Nieden, Susanne (Hg.): Homosexualität und Staatsräson: Männlichkeit, Homophobie und Politik in Deutschland 1900–1945. Frankfurt am Main 2005. 88 Vgl. Funck, Krieg (2002), S. 85–86. 89 Ebd., S. 84.

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Abb. 22 Kurzhaarschnitte nach und vor 1900 im Vergleich

Und so zeigte sich der wahrscheinlich während des Ersten Weltkrieges aufgenommene Soldat (vgl. Abb. 22, links) nicht zufällig mit kurzem Haar, frei geschnittenen Ohren und schmalem Schnurrbart ziemlich schnörkellos. In der Schnittführung ist allerdings deutlich eine Kante zu erkennen, das seitliche Deckhaar wurde mit wenig Übergang zur unteren Haarpartie geschnitten. Ob der Schnitt ungerade war oder die holprige Linie auf unachtsames Frisieren zurückgeht, ist nicht zu ersehen, insgesamt ist die Anlage dieser Frisur eher streng und genau. Der Unterschied zum Porträtierten in der Mitte ist zwar nicht auffällig, aber für den Modewandel bezeichnend. Der lockere Fall der längeren Haare mitsamt dem üppigen Schnauz- und Kinnbart gehören in die Jahrzehnte vor 1900. Ähnlich leger hielt es Anita Augspurg, eine der wichtigsten Vertreterinnen der ersten deutschen Frauenbewegung (vgl. Abb. 22, rechts). Sie trug bereits in den 1880er Jahren eine für Frauen damals ungewöhnliche Kurzhaarfrisur.90 Augspurg, die erste promovierte deutsche Juristin, hatte vor ihrem Studium als Schauspielerin und Porträtfotografin gearbeitet und dürfte daher für ihr eigenes, ihre Zeitgenossen oft provozierendes Aussehen und Wirken91 ein ausgeprägtes Gespür gehabt haben. Das zeigte sich nicht zuletzt daran, dass sie keine Frisur trug, 90 Zu Augspurgs kurzem Haar seit ihrer Münchner Zeit vgl. Henke, Christiane: Anita Augspurg. Reinbek bei Hamburg 2000, S. 27f. 91 Augspurgs Verhaftung 1903 wegen des Verdachts der Prostitution ging unter anderem auf ihren Kurzhaarschnitt zurück, der als Travestiehinweis gedeutet wurde, vgl. Henke, Anita (2000), S. 70, dieser Vorfall ist seitens der Frauenbewegung im Zuge der Bekämpfung des §361,6 RStGB, der die Handlungsfähigkeit von Frauen in der Öffentlichkeit einschränkte, öffentlichkeitswirksam thematisiert worden, vgl. Meyer-Renschhausen, Elisabeth: Zur Rechtsgeschichte der Prostitution. Die gesellschaftliche „Doppelmoral“ vor Gericht. In: Gerhard, Ute (Hg.): Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. München 1997, S. 772–783, hier S. 782.

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wie sie seitens der Reformkleidungsbewegung, deren Bekleidungsstil sie teilweise übernahm, vorgeschlagen wurde. Ihr Kurzhaarschnitt ging aber nicht nur über das, was die Reformerinnen forderten, radikal hinaus, ihr Stil war auch für Männer ihrer Zeit nicht üblich. Angefangen mit der spitz gehaltenen Kotelettenpartie, hob sich die von einem Punkt hinter dem Pony aus nach hinten frisierte voluminöse Frisur von männlichen Kurzhaarschnitten, die flacher und überwiegend mit Scheitel nach hinten frisiert getragen werden, deutlich ab.92 Die tatsächlich originelle Silhouette tendierte eher in Richtung der zu ihrer Zeit modischen weiblichen Einschlagfrisur. Ihre Version des Tituskopfes – in Anbetracht ihrer modekritischen Haltung wohl kaum von ihr beabsichtigt – wurde gut 70 Jahre später sogar zum Modeschlager. Die Ablösung aufwändiger Frisiertechniken wie dem Brennen der Haare durch Schnitttechniken wurde innergewerblich nicht nur im Laufe des 19. Jahrhunderts seufzend beobachtet.93 Noch in den 1920er und 1930er Jahren wurde diese Entwicklung rückblickend immer noch stark bedauert.94 In der Situation der sich verschärfenden Ablehnung lockiger Frisurelemente durch die Zuschreibung zur Weiblichkeit war diese fachlich nachvollziehbare Enttäuschung aber immer von der Einsicht in die Gefahren begleitet, die solche Sentimentalitäten für die eigene Männlichkeit der Friseure bedeuteten. Denn dem männlichen Geschlechtscharakter der hegemonialen Männlichkeit zufolge hätte sich eine derartige ästhetische bzw. handwerkstechnische Präferenz eigentlich nicht ausbilden oder überdauern können. Konnten Friseure sich ihrer Qualifikation, ihres Sozialstatus’ und ihrer Vermögenslage 92 So ungewöhnlich kurzes Frauenhaar damals war, so ist Augspurg kein Einzelfall gewesen, beispielsweise hatte sich auch die zeitgenössische Schriftstellerin Ilse Frapan zu einer Kurzhaarfrisur entschlossen, vgl. Kraft-Schwenk, Christa: Ilse Frapan. Eine Schriftstellerin zwischen Anpassung und Emanzipation. Würzburg 1985. 93 Vgl. Eger, Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk (1896), S. 468. 94 Heinrich Menzinger führte Anfang des 20. Jahrhunderts beispielsweise rückblickend aus, „daß sich in den letztverflossenen 30 Jahren, die gebrannte Herrenfrisur durch die Einbürgerung der Haarschneidemaschine fortschreitend in absteigender Richtung befindet und daß dabei der jüngeren Generation allerdings der Gebrauch des Brenneisens fast vollständig abhanden gekommen ist […]“, vgl. Menzinger, Heinrich: Das Haareinbiegen. In: DAFZ, 1906, Nr. 2, S. 40, 41. Sollte das Benutzen der Brennschere im Herrenfach überhaupt wieder eine Chance bekommen können, so müssten die Kunden dazu überredet werden, vgl. Leopold, Hans: Das Haareinbiegen. In: DAFZ, 1905, Nr. 9, S. 244. Auch 10 Jahre später war die Klage über das verschwundene Repertoire der gebrannten Herrenfrisuren noch nicht verstummt, vgl. Die zukünftige Herrenmode. In: DAFZ, 1916, Nr. 7, S. 110.

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wegen kaum den bürgerlichen Machteliten zuordnen, konnten sie immerhin deren Wertung einer angemessenen Optik übernehmen. Das Bedauern über den Verlust gestalterischer Optionen drückte einerseits die Kenntnisnahme der Werthaltung aus, bewahrte allerdings in den Versuchen, trotz allem auch im Herrenfach hin und wieder mindestens leicht lockige, gefällig fallende Elemente dezent anzubringen, eine Eigenständigkeit. Es kann nun nicht darum gehen, dies als Widerständigkeit zu diskutieren, der Widerspruch zwischen innergewerblicher Sicht und gesellschaftlich starker Meinung ist aber deshalb interessant, weil er Friseure in den Grundkonflikt von Expertenstatus und Männlichkeit brachte. Vor dem geschilderten gesellschaftlichen Hintergrund und der langen Wirkung der bürgerlichen Geschlechterordnungen ist es auch kaum erstaunlich, dass in der Modehistorie der prächtige Schnurrbart Wilhelms II. noch heute so präsent ist. So werden Bartträger zu Untertanen der Monarchie wie der Mode, die in Demokratien nur noch Frauen unterwerfe. Hingegen wird hier die Sicht favorisiert, nach der der Monarch den Bart gerade nicht als erster einer gesellschaftlich stilbildenden Elite trug, vielmehr erwies er gemeinsam mit zahllosen anderen der Verbindlichkeit des Vorüber­ gehenden seine Referenz. Gleiches gilt für den von ihm entlassenen Bis­marck oder auch Lassalle und Liebknecht, denen offenkundig eher wenig Kaisernähe nachgesagt werden kann. Manche mögen den Herrscher aber gleichwohl als Vorbild begriffen haben. Nicht von ungefähr hatte der geschäftstüchtige François Haby das Prädikat Hoffriseur so massiv in den Vordergrund seiner Werbung gestellt, dass seine Kollegen sich über den unwürdigen „Missbrauch der Person des Monarchen als Reklametrick“ moralisch entrüsteten.95 Die jungen Männer auf dem Foto in der Abb. 23 geben für Varianten der seit spätestens 1900 beliebten Grundform ein sehr gutes Beispiel, dazu passt auch, dass sie alle glatt rasiert sind. Ein Trend, der von den Friseuren mit Missfallen betrachtet wurde, weil die große Bandbreite ihrer Gestaltungsmöglichkeiten des Kopfes nun auf Frisuren beschränkt wurde.96 Immerhin war wohl nicht zuletzt infolge dieser Schwerpunktsetzung eine erhöhte 95 Vgl. Zeitungsausschnittsammlung in der Akte des Berliner Polizeipräsidiums über Haby: Landesarchiv Berlin A. Pr. Br. Rep. 030, Nr. 10641, Auskunftserteilung über den Friseur François Charles Haby. Beispielsweise Aktenseite 22 Artikel „Der Hoffriseur des Kaisers“ aus der Barbierzeitung vom 4.5.1909, ohne Seitenangabe. 96 Vgl. Menzinger, Heinrich: Betrachtungen über Haarschneiden. In: DAFZ, 1905, Nr. 3, S. 67.

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Abb. 23 Akkurate Kurzhaarmode

Aufmerksamkeit auch seitens der Kundschaft für das noch bei den Frisuren verbleibende Gestaltungsareal üblich geworden und damit zugleich auch eine qualitative Leistungssteigerung des Gewerbes eingetreten. Das war seit der Wende zum 20. Jahrhundert davon überzeugt, dass sich den höheren Anforderungen entsprechend eine neue Qualität bei den Haarschnitten allgemein durchgesetzt habe.97 Gerade von solchen sauber geschnittenen Haaren wurde angenommen, dass sie „bei richtiger Schnittweise unbedingt sitzen“ müssten,98 d. h. aufwändiges Frisieren oder gar ein Brenneisen waren hier überflüssig. Dezenzgebot und Persönlichkeitsbezug als männliche Strategie zur Umgehung von Mode Für die immer unauffälligeren Gestaltungen war das Verschwinden der ‚Wiener Frisur‘ geradezu typisch. Ganz rechts in Abb. 23 ist eine abgemilderte Version aus der Spätzeit dieser Mode zu sehen, der Mittelscheitel ist dort schon zur Seite gerückt und der Bogen über den Geheimratsecken nur noch angedeutet. Die herausgearbeitete Kontur bildete ein für den zeitgenössischen Geschmack zu auffälliges Ornament. Haar und Haut wurden dadurch in Kontrast gebracht, während die ästhetische Entwick97 Vgl. Zimmermann, Franz: Wie heben wir unser Gewerbe? In: DAFZ, 1912, Nr. 15, S. 617, 618. Zu dieser Einschätzung kam Zimmermann anhand von Beobachtungen von Fotografien. 98 Menzinger, Heinrich: Betrachtungen über Haarschneiden. In: DAFZ, 1905, Nr. 10, S. 311.

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lung der Zeit Frisur, Kopfform und Gesicht (-shaut) tendenziell miteinander verband. Dazu gehörte auch, dass tiefe Scheitel seltener wurden (vgl. Abb. 6, rechts). Höher gezogene Seitenscheitel bedingen einen lockeren Fall des Haares, der zumeist gefällig empfundene ovale Gesichts- bzw. Kopfformen erzeugt. Tiefe Scheitel rufen hingegen einen kastigen Eindruck hervor. Das Haar wirkt eher zur Seite gezwungen als locker fallend. Dies alles stand dem erwünschten Eindruck, Männer bemühten sich nicht um ihr Aussehen, entgegen. Daher wurden schließlich andere Inszenierungen bevorzugt. Insbesondere kurz gehaltene Haarschnitte zeigten mangels dafür nötiger Länge selbst bei naturlockigem Haar kaum noch die verunglimpften Locken. Auch der Verzicht auf die einprägsame Optik von Bärten ist typisch für den von einem informellen, aber wirksamen Dezenzgebot gekennzeichneten neuen Stil, der sich spätestens nach 1900 endgültig durchsetzte. Dezenz ist auch das Schlüsselwort, das die modische Markierung der Geschlechterdifferenz treffend beschreibt. Der langjährig bestehende Unterschied von Lang- und Kurzhaar wurde nun nicht noch zusätzlich durch Bärte verstärkt, vielmehr ähnelten glatt rasierte Männergesichter jetzt denen der Frauen. Gerade diese Angleichung hatte die Friseure bewogen, für das männliche Alleinstellungsmerkmal zu werben, das allerdings zu ostentativ geworden war. Diskret, aber nicht weniger funktional in der alltäglichen Demonstration der Zweigeschlechterordnung war es hingegen, Gesichter frei zu zeigen und durch unterschiedliche Frisurstile für Männer und Frauen wie durch geschlechtsspezifische Kleidung zu umgeben, um ihre Zuordnung im bipolaren Rahmen dennoch zu gewährleisten. Bartlose Männer waren in Anbetracht der betont zurückhaltenden Männermode, die sich von der farbig-opulenten Frauenmode kontrastierend abhob, auch keineswegs aus stilistischen Gründen gefährdet, einen effeminierten Eindruck zu machen. Gleichwohl hatten Friseure versucht, Bärte als besonderen Ausweis einer maskulinen Ausstrahlung zu erhalten. Da diese Argumentation für den Bart inhaltlich dieselbe Linie verfolgte, mit der lockige Elemente auf Männerköpfen zum Verschwinden gebracht worden waren, ist die mangelnde Zugkraft der Männlichkeitsattribuierung des Bartes nicht recht verständlich. Diese Gegenüberstellung verdeutlicht den Unterschied der durch Zuschreibung von Weiblichkeit bei Männern unmöglich gewordenen einen Stilrichtung im Gegensatz zu einer formalen Entwicklung, die sich – biologistisch begriffen – eher als Einschreibefläche von Geschlechterkonstruktionen angeboten hätte. Der zeitgleiche Erfolg beider Gestaltungsmerkmale

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demonstriert die Dominanz des Trends zur dezenten Männermode und den spielerischen Charakter von Mode, die keine aus ihrer Form ablesbaren, eindeutigen Symbolisierungen transportiert. Die offenkundige Dezenz der für Männer üblichen Bekleidung und Frisuren hat zu dem weit verbreiteten Urteil geführt, dass es für Männer eigentlich keine Moden gäbe. Nicht zuletzt besteht selbst in Teilen der Modehistoriografie die Ansicht, dass vestimentäre Praktiken von Männern weniger Veränderungszyklen unterlägen als die der Frauen.99 Dem arbeiteten Christopher Breward oder Tina Dingel engagiert entgegen,100 die sich dezidiert mit Mode und Männlichkeit befassten, um diesem Zusammenhang im Modeforschungskontext ein stärkeres Gewicht zu geben. Auch im Friseurgewerbe selbst war im Untersuchungszeitraum die Meinung sehr präsent, dass die beklagten geringen Einnahmen aus dem Herrengeschäft sich durch die nicht vorhandene Mode für Männer und dem fehlenden Geschmack und Formsinn der Kunden erklären ließen.101 Unzufrieden mit den gestalterischen und pekuniären Möglichkeiten im Herrenfach, monierte Franz Zimmermann 1931, dass „Mode, die wir, wenn auch nicht ganz beherrschen, so doch zum größten Teil durch unsere Bedienung unterstützen, […] unser Können und unsere Kunst immer mehr und mehr entbehrlich gemacht“ habe.102 Seit den 1870er Jahren sei keine Verbesserung im Herrenfach eingetreten, sondern eine ständige Verschlechterung. Zudem war es schwierig, einen positiven Begriff von Männermode zu entwickeln. Mode hafte schließlich „immer ein Beigeschmack von Gefallsucht und Eitelkeit an“.103 Diese durch gesellschaftlichen Druck bedingte innergewerbliche Distanz zur eigentlich ersehnten Mode kennzeichnet, wie schon beim Verschwinden von lockigen Elementen diskutiert, einen Grundkonflikt der Friseure. Gerade im Herrenfach drohte ihre Arbeit ständig in Widerspruch zu respektabler Männlichkeit zu geraten. Entsprechend wurde versucht, wenigstens sprachlich eine Lösung zu finden, indem beispielsweise diskutiert wurde, dass Männer eher eine Tracht trügen als eine

99 Vgl. Zusammenfassung der Forschung bei Dingel, Tina: Der männliche Körper als Schaufensterpuppe. In: Cowan/Sicks, Moderne (2005), S. 169–183, hier S. 170. 100 Vgl. Breward, Consumer (1999). Dingel, Tina: Shopping for Masculinity. Dissertation an der Universität Limerick 2008. 101 Vgl. Das Herrenmodebild zu unserer großen Kunstbeilage. In: DAFZ, 1905, Nr. 4, S. 92. 102 Zimmermann, Franz: Wie es früher war. In: DAFZ, 1931, Nr. 8, S. 335. 103 Unsere Herrenfrisuren. In: DAFZ, 1919, Nr. 1, S. 5–6.

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Mode mitzumachen.104 Auch wurde statt Mode Sauberkeit als Begründung für einen Friseurbesuch genannt,105 allerdings weniger als Körperreinigung gedacht, sondern im Sinne des noch heute gebräuchlichen Ausdrucks ‚gepflegtes Äußeres‘. Mit einer auf die Darstellung der Persönlichkeit abhebenden Beschreibung der Tätigkeit versuchten Friseure, die Kundschaft und möglicherweise auch sich selbst tunlichst nicht zu deutlich mit der unliebsamen Nähe zur Mode zu konfrontieren. In der Frisur eine Charakterisierung ihres Trägers zu sehen, versprach eine achtbarere Berufsaufgabe abzugeben, als der Kundschaft ein modisches Aussehen zu verschaffen. Im Kaiserreich schien das Klima für den gewerblichen Bezug auf die Kundenpersönlichkeit günstig, schließlich war die Bedeutung der Darstellung der eigenen Person im öffentlichen Leben enorm. Nicht nur im Hinblick auf die ‚Antitypen‘ bestand die Annahme, aufgrund des Erscheinungsbildes auf den Charakter des Gegenübers schließen zu können.106 Hier spielte für Friseure das Gesicht eine tragende Rolle. Denn dieser Bezugspunkt ermöglichte es, sich von gehaltloser Mode wie von Mode schaffenden Berufen/Industrien zu distanzieren, die, weil sie auch unabhängig von individueller Kundschaft produzieren konnten, als nur zu oberflächlicher Gestaltung fähig abgewertet wurden. Einem der rührigsten Autoren der DAFZ, Heinrich Menzinger, zufolge war „das menschliche Antlitz […] kein Erzeugnis von Gevatter Schuster oder Schneider, das man nach Belieben ändert. Dasselbe ist vielmehr der Spiegel der Persönlichkeit seines Trägers.“107 Letzteres war keine allein friseurhandwerkliche, sondern eine verbreitete Einschätzung, wie sie etwa auch von Simmel geteilt wurde.108 Während die eigentliche Physiognomik Lavaters im 19. Jahrhundert längst als Pseudowissenschaft in Verruf geraten war, war der Körper als lesbare Oberfläche des authentischen Inneren eine nicht nur in der Alltagsmeinung präsente Figur. Wie kulturgeschichtlich

104 Vgl. ebd. 105 Vgl. Zum Herrenfrisieren. In: DAFZ, 1917, Nr. 1, S. 2–3. 106 Dieser Aspekt trug neben anderen zur Formulierung der berühmten These von der Tyrannei der Intimität bei, vgl. Sennett, Richard: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. [Engl. Erstausg. 1974] Frankfurt am Main 2000. 107 Menzinger, Heinrich: Betrachtungen über Bartschneiden. In: DAFZ, 1905, Nr. 3, S. 67. 108 Der sich mehrfach explizit mit der Thematik auseinandersetzte, vgl. beispielsweise Simmel, Georg: Die ästhetische Bedeutung des Gesichts. In: Der Lotse. Hamburgische Wochenschrift für deutsche Kultur, 1901, Nr. 35, S. 180.

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orientierte Wissenschaftsgeschichte zeigt,109 prägte sie geistes- wie naturwissenschaftliches Denken und die Literatur bis ins 20. Jahrhundert. Die Eignung gerade des Gesichts für die Aufschlüsselung der Kongruenz von Außen und Innen wurde zwar als menschliche Eigenschaft vorgestellt, aber alles andere als allgemein gedacht. Schließlich waren es nur Männer, deren Wollen, Erkenntnis und Tatkraft sich als Erregungen,110 „die für das Individuum typisch sind“, als bleibender Ausdruck des Charakters im Gesicht ablagerten.111 Da Frauen weniger als Persönlichkeiten, denn als Geschlechtswesen begriffen wurden, hinterließ das weibliche, im zurückgezogenen Dasein verbleibende Gemüt anders als das Wesen der Männer höchstens weiche Zeichnungen im nur lieblich gedachten Antlitz. Nicht zufällig verkaufte ������������������������������������������������������������� François����������������������������������������������������� Haby seine berühmte Bartwichse im Rekurs auf männliche Tatkraft unter dem Namen ‚Es ist erreicht‘, während er das Damenshampoo ‚Ich kann so nett sein‘ taufte.112 Mit der Bestimmung der Berufsaufgabe als Sorge für den Modus einer glaubwürdigen Persönlichkeit geriet das Gesicht in das Zentrum des fachlichen Diskurses, der sich allerdings in zwei Stränge teilte. Jener, der die angesprochene Bedeutung des Gesichts thematisierte, war kaum verbunden mit dem fachpraktischen Zweig, der sich als eine lose Sammlung von Beobachtungspunkten des Gesichts und deren Berücksichtigung bei der Haargestaltung formierte. Die Unverbundenheit wird insbesondere daran deutlich, dass die körperlichen Gegebenheiten nicht grundsätzlich, sondern vor allem dann in den fachlichen Blick gerieten, wenn es um ausgesprochen kurze Frisuren oder Bärte ging, die nach ihrer Fertigstellung weder korrigiert noch durch Frisieren nachträglich an das Gesicht angepasst werden konnten. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass es für fertige Frisuren gleichfalls keine, das ästhetische Verhältnis von Kopf und Frisur behandelnde Systematik gab. Die Berücksichtigung des Körpers war bei der Arbeit sicher nicht aus109 Zu dieser kulturgeschichtlichen Aufschlüsselung des akademischen Wissens vgl. Person, Jutta: Der pathographische Blick. Physiognomik, Atavismustheorien und Kulturkritik 1870–1930. Würzburg 2005. 110 Vgl. das weit verbreitete Werk Carus, Carl: Ein Handbuch zur Menschenkenntnis. Leipzig 1858, S. 396. Zit. n. Regener, Susanne: Frauen, Phantome und Hellseher. Zur Geschichte der Physiognomik des Weiblichen. In: Schmölders, Claudia (Hg.): Der exzentrische Blick. Gespräch über Physiognomik. Berlin 1996, S. 187–212, hier S. 193. 111 Simmel, Bedeutung (1901), S. 180. 112 Vgl. Schillig, Christiane: „Donnerwetter tadellos!“ Des Kaisers Zwirbelbart und die Geschichte des Frisierhandwerks. In: Monumente. Magazin für Denkmalkultur in Deutschland, 2003, Nr. 3/4, S. 64–67, S. 64.

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geklammert, aber eben nicht zentral im Fachwissen verankert. Insofern scheint, wenn Fachliteratur als Form von abgelagerter Arbeitserfahrung gelten kann, der Kundenkörper als Gestaltungsgrundlage nur geringe Aufmerksamkeit erhalten zu haben. Das sollte sich in den 1920er Jahren interessanterweise ausgehend vom Damenfach gründlich ändern. Aber auch mit der anspruchsvollen, modefernen Charakterisierung der Tätigkeit im Herrenfach schien das Gewerbe nicht das gewünschte Renommee oder die erhoffte Geschäftsbelebung zu erreichen. Das führte dazu, dass auf zeittypischen, physiognomischen Gleisen, nämlich auf das Negative bezogen, argumentiert wurde.113 Misslänge die Beratung bzw. die Gestaltung, bestünde für Kunden die Gefahr, dass unproportionale Formen ihnen das Aussehen eines Verbrechers gäben.114 Ähnlich wie die rassenphysiognomische Argumentation auf Auslese bedacht war und andere Strömungen beispielsweise Atavismus bzw. Degeneration thematisierten, richtete sich auch der friseurhandwerkliche Blick pathografisch aus. In der Wahrnehmung des Kundenkörpers standen Makel jeglicher Art im Vordergrund, sodass sich die Fachliteratur darauf konzentrierte, auf Verbesserungsoptionen von etwaigen Mängeln hinzuweisen, und der Kunde entgegen den anfänglichen Bestrebungen weniger als Persönlichkeit denn als Defizitgestalt begriffen wurde. Sartre folgend,115 ist der Blick der anderen konstitutiv für die Selbstwahrnehmung in zwischenmenschlichen Beziehungen, die gerade in personendominanten Dienstleistungen zentral sind. Der konstitutive Charakter der Begegnung ist ermöglichend für die Selbsterkenntnis, die sich im Miteinander entwickelt. Sie kann allerdings auch limitierend und entfremdend sein, 113 Zur Physiognomik in kriminalanthropologischer Ausprägung vgl. Becker, Peter: Physiognomik des Bösen. Cesare Lombrosos Bemühungen um eine präventive Entzifferung des Kriminellen. In: Schmölders, Blick (1996), S. 163–186. Genau genommen schlug im Friseurgewerbe wie im alltäglichen Verständnis die Physiognomik nur sehr oberflächlich an, denn dort ging man davon aus, eine Handhabe zu besitzen, Masken und Verkleidungen zu durchschauen, vgl. Schmölders, Claudia: Einleitung. In: Schmölders, Blick (1996), S. 7–18, hier S. 12. 114 Vgl. Das Herrenmodebild. In: DAFZ, 1905, Nr. 4, S. 92. 115 Vgl. Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Hamburg 1962. Eine bild- und blickgebundene Ich-Konstitution ist keine Besonderheit Sartres, sondern vor allem mit Lacans Theorie des Spiegelstadiums bekannt geworden, dessen Werk trotz aller Kritik und Weiterentwicklung enorm einflussreich war und nicht zuletzt auch von Sartre rezipiert wurde. Der hier gewählte Bezug auf Sartre ist der Frage nach Entfremdungspotenzialen in der Berufsrolle wegen sinnvoll, weil er sich auf eine in der Interaktion liegende Ermöglichung oder Verhinderung der Selbstbestimmung konzentrierte. Zu Sartre und Lacan, vgl. SchönherrMann, Hans-Martin: Sartre. Philosophie als Lebensform. München 2005, S. 65.

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insofern als die Existenz der Angeblickten eine ihnen selbst nicht zugängliche Dimension annimmt. Sartre stützte sich auf Erkenntnisse zur frühkindlichen Entwicklung, in der sich in der Mutter-Kind-Beziehung die Akzeptanz oder Ablehnung des Kindes ausbildet, das sich in den Augen der Mutter spiegelt und sich mit ihr identifiziert, sodass dessen spätere Selbstund Weltwahrnehmung durch diese Blickerfahrung fundiert wird. Für die hier angesprochene Kundenbeziehung resultiert daraus, dass der ‚heimliche Tod der Möglichkeiten‘ der angeblickten Kunden im defizitär vorstrukturierten Blick der Friseure begründet war. Es lag förmlich in der Natur der Interaktionssituation, die blickgebundene Ich-Konstitution auch in die andere Richtung zu denken. Unter den gegebenen Verhältnissen konnten daher auch Friseure ihrerseits von den Kunden nicht günstig wahrgenommen werden. Entsprechend der aufgezeigten Problematik konnte unter den Bedingungen der fachpraktischen Wahrnehmung der Kunden der Erfolg dabei, Männer stärker für ihre Frisur zu interessieren, nur gering sein. Diese trugen zwar wie dargestellt selbstverständlich zeitgenössische, d. h. modische Varianten, dennoch war die Festlegung von Männlichkeit gemäß bürgerlicher Modalitäten so stark, dass sich der Topos einer fehlenden Männermode innergewerblich verfestigte. Für die Annahme einer männlichen Modeabstinenz ließe sich durchaus die, verglichen mit der weiblichen Frisurmode, geringere Variationsbreite der Herrenfrisuren im Lauf der Zeit anführen. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass zwar einerseits eine Grundform eines Kurzhaarschnitts entwickelt worden ist, die sich seit spätestens 1900 bis heute einer erstaunlich langlebigen Beliebtheit erfreut. Andererseits aber erfuhr die Grundform verschiedene modische Ausformungen, so dass ich hier für die Koexistenz von Konstanz und Wandel in der Frisurenmode plädiere. Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden ist mühelos auch durch dezente Veränderungen gegeben, die als mehr oder weniger zurückhaltende Parallelen zu den starken Wandlungen der Frauenmode zu verstehen sind.

2.3 Der Kurzhaarschnitt als klassische Grundform der Moderne Die um 1900 entstandene Grundform mit zumeist kurz gehaltenem Haar am Oberkopf erfuhr trotz aller Kontinuität bis heute zeittypische charakteristische Ausformungen, beispielsweise in den 1920er Jahren, als es modisch

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wurde, das tendenziell länger gelassene Deckhaar mit Pomade glatt nach hinten zu frisieren, um damit eine spiegelglatte Oberfläche zu erzeugen.116 Wie sehr sich der Geschmack vor und nach dem Ersten Weltkrieg gewandelt hatte, zeigt der Blick auf die mit dieser Frisur ausstaffierten Berliner Flaneure auf dem Tauentzien und der Friedrichstraße. Noch 1914 fand die glatt nach hinten geführte Frisur der internationalen Modevorbilder kaum die Zustimmung der deutschen Friseure. Ihnen fiel zunächst die schärfere Markierung des Gesichts durch die ‚Tolle‘ positiv auf.117 Der „wirkliche germanische Durchschnittsmann“ sah aus fachlicher Sicht aber anders aus, vor allem nicht bartlos.118 Aber die letzte, noch verbleibende Zurschaustellung des männlichen Alleinstellungsmerkmals in Form des Schnurrbarts ging in den 1910er Jahren verloren, „lang herabhängend, lose im Wind flatternd, oder in fester oder offener Form zu Spitzen vereinigt, bald in gerader Linie – in leicht oder stark nach oben geschwungenem Bogen, auch zu Ringen geformt“ – alles passé.119 Übrig blieb, so der enttäusche Friseur Müller weiter, höchstens noch eine „unansehnliche Zahnbürste“. Den gezwirbelten Schnurrbärten in den Illustrationen zum Trotz waren bei Bärten ähnlich wie bei den Frisuren lockig bogige Gestaltungselemente nicht mehr so gefragt wie einst. Entgegen aller Versuche seitens des Friseurgewerbes, explizitere Bartmoden zwecks „Hebung des Herrenbedienungsgeschäftes“ zu forcieren,120 zog das Publikum im Wesentlichen seitdem und überwiegend bis heute unverändert glatt rasierte Gesichter vor.121 116 Vgl. Gumbrecht, Hans Ulrich: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit. Frankfurt am Main 2003, Eintrag zu Pomade auf S. 201. In der Friseurpresse tauschte man sich über die neuen Qualitäten von Pomade aus, die zwar schon vorher beliebt waren, aber wegen ihrer veränderten, dünnflüssigeren Konsistenz andere Effekte erzielten, d.h. das Haar in die erwünschte Richtung dirigierten, dabei aber die Verlaufsstruktur des Haarschnittes stärker sehen ließen, der deswegen eine sorgfältigere Durchführung benötigte, vgl. Fischer, Robert: Haarschneidetechnik. In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 15, S. 14. 117 Ein positive Besprechung bei Wolf, Franz: Moderne Herrenfrisuren. In: DAFZ, 1914, Nr. 9, S. 343. 118 Vgl. Linke, Albert: Das Friseurgeschäft nach dem Kriege. In: DAFZ, 1914, Nr. 17, S. 649, 650. 119 Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 298. 120 Vgl. den gleichnamigen Artikel: Maguhn, Hugo: Hebung des Herrenbedienungsgeschäftes. In: Der deutsche Friseur, 1932, Nr. 18, S. 8–9. 121 Vgl. die wiederkehrenden Artikel zur erwünschten Bartmode beispielsweise von Hugo Maguhn oder Gustav Krügers wie etwa Krüger, Gustav: Charakterköpfe aus dem Volke. In: Der deutsche Friseur, 1933, Nr. 1, S. 12.

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Obwohl diese Entwicklung deutlich zu beobachten war, insistierten innergewerbliche Stimmen auf der als wahrhaft männlich und typisch deutsch verstandenen Bartmode. Gerade seine Abgrenzungsfunktion von Frauen und Kindern war es, die aus Sicht der Friseure für den Bart sprach.122 Bärten kam Friseur Albert Linke (und auch vielen Berufskollegen) zufolge insbesondere während des Ersten Weltkrieges eine patriotische Funktion zu. Denn der Deutsche eifere nicht ausländischen, bartlosen Vorbildern nach, vor allem lege er Wert auf einen ihn würdig aussehen lassenden Bart.123 Die Kriegserfahrungen würden so manchen Jüngling zum Mann reifen lassen, der sich dann auch so zeigen wolle. Anders als Albert Linke es zu Beginn des Ersten Weltkrieges vermutete, sollten aber gerade nach dem Krieg Bärte, zumal die von ihm favorisierten Vollbärte wegfallen. Insbesondere die kriegsbedingte Notwendigkeit, unter Gasmasken glatt rasiert sein zu müssen, galt als ein Grund für die Gewöhnung an die Bartlosigkeit. Daneben bestanden weitere Argumente der Kundschaft, den Barbierbesuch tunlichst zu umgehen und sich selbst zu rasieren. Neben der befürchteten mangelnden Hygiene in den Barbiergeschäften war dies Angst vor einer ruppigen Behandlungsweise oder gar Verletzungen durch das Rasiermesser im Friseurgeschäft. Die während des Ersten Weltkrieges grassierende Bartflechte – den angeblich und wohl auch tatsächlich unsauber arbeitenden Barbieren nachgesagt und von diesen wiederum als von der Front nach Hause verschlepptes Problem bezeichnet – tat ihr übriges.124 Zugleich spielte der wachsende Erfolg der Sicherheitsrasierer, die die Dienste der Friseure entbehrlich machten, eine Rolle. Um 1900 kamen schließlich das beim Selbstrasieren auftretende Verletzungsrisiko vermindernde Geräte wie Barthobel und Sicherheitsrasierer auf,125 die zunehmend erschwinglich wurden. 122 Vgl. Menzinger, Heinrich: Betrachtungen über Haarschneiden. In: DAFZ, 1905, Nr. 3, S. 67. 123 Vgl. Linke, Albert: Das Friseurgeschäft nach dem Kriege. In: DAFZ, 1914, Nr. 17, S 649f. 124 Von den Barbieren wurden unhygienische Zustände meist als Ausnahmeerscheinungen betrachtet bzw. als reguläre Begleiterscheinungen von Barbieren, die entgegen aller Verordnungen ohne Anmeldung eines Gewerbebetriebs arbeiteten, vgl. beispielsweise: Aus Fachkreisen, Neisse. In: DAFZ, 1905, Nr. 1, S.  12. Oder Kühn, Wilhelm: Die Fabel von der Übertragung von Haut- und Geschlechtskrankheiten in Friseurgeschäften. In: DAFZ, 1909, Nr. 4, S. 162. 125 Gnegels Forschungen arbeiten detailliert nicht nur die Besonderheit des Gilletteschen Erfolgs, sondern auch andere zeitgleiche Bemühungen heraus, vgl. Gnegel, Bart (1995), S. 35ff.

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In der Bartlosigkeit wie beispielsweise auch im Industriedesign kündigte sich der spätestens in den 1920er Jahren beinahe allgegenwärtig durchschlagende Trend zur schlichten Gradlinigkeit an.126 Ungeachtet der jeweiligen moralischen Bewertung bestand eine weithin geteilte Einschätzung von Nacktheit als dem Signum von Modernität,127 die weit über die FKK-Bewegung hinaus Schnörkellosigkeit als wünschenswertes Gestaltungsziel für Maschinen, Kleidung oder eben Körper, genauer Gesichter, etablierte. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurden die Frisuren der pomadisierten Flaneure allgemein gebräuchlich und auch in der Fachpresse aufgenommen (vgl. Abb. 25, ganz links). Diese Varianten des Kurzhaarschnitts wurden mit wenigen Abwandlungen seit spätestens den 1920er Jahren immer wieder vorgestellt, ob nun locker nach hinten gestrichen oder mit viel Brillantine bewerkstelligt, so wie es in den 1920er Jahren viele Männer dem Schauspieler Rudolph Valentino begeistert nachmachten.128 Noch Mitte der 1930er Jahre hingen Männer diesem Look an, während er in der Fachpresse längst Überdruss hervorrief.129 1949 schrieb Paul Glaus über seine sehr lang erprobte Art des dazu nötigen Fassonschneidens lakonisch: „Ich sah diesen Schnitt zum ersten Mal als ich 1897 in Italien arbeitete.“130 Stellvertretend für viele andere (deren Haar nicht erheblich weniger wurde und damit eine andere Frisur erzwang) sei hier mit Aufnahmen aus den 1930er und 1960er Jahren das Beispiel Walter Bingels gegeben, der sein Erwachsenenleben lang denselben Haarschnitt trug, ohne damit aus dem optisch üblichen Rahmen zu fallen oder unmodisch zu erscheinen, wie es bei Männern geschehen wäre, die etwa 1860 dieselbe Frisur getragen hätten wie 1830 (vgl. Abb. 24).

126 Vgl. Buddensieg, Tilmann: Industriekultur. Peter Behrens and the AEG, 1907–1914. In: Buddensieg, Tilmann; Rogge, Henning (Hg.): Industriekultur. Peter Behrens and the AEG, 1907–1914. Cambridge 1984, S. 9–90. 127 Vgl. Möhring, Maren: Der bronzene Leib. In: Cowan, Michael; Sicks, Kai Marcel (Hg.): Leibhaftige Moderne. Körper in Kunst und Massenmedien 1918 bis 1933. Bielefeld 2005, S. 200–216, hier S. 213. 128 Vgl. Cox/Widdows, Fashion (2005), S. 52. 129 Vgl. Maguhn, Hugo: Zur kommenden Bartmode. In: Der deutsche Friseur, 1937, Nr. 1, S. 5. 130 Vgl. Glaus, Paul: Ist der Fassonschnitt überholt? In: Mitteilungsblatt für den Friseurberuf, 1949, Nr. 6, S. 20. (Übersetzung aus einem nicht genauer genannten Artikel aus Hairdressers Journal).

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Abb. 24 Beständigkeit der Frisurwahl im Privaten

Veränderungen des Grundschnittes in den 1920er und 1940er Jahren Merkliche Veränderungen der Kurzhaarschnittmode waren ab den 1920er Jahren nicht nur mit Tendenzen, das Deckhaar länger zu tragen, wie es die Flaneure auf dem Berliner Tauentzien schon vorgemacht hatten, zu beobachten. Es wurde auch beliebt, das Haar offener oder mit einem Seitenscheitel zu tragen.131 Die zeittypischen Veränderungen variierten dieses nicht aufgegebene Grundmodell mit unterschiedlicher Länge des Deckhaars, Wellenelementen und spitzen Koteletten oder mit einer extrem kurzen Version, dem Rasierschnitt. Modische Welle und spitze Koteletten als Herausforderungen von Männlichkeit Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre wurde insbesondere für festliche Anlässe132 oder sehr modebewusste Männer eine dezente, großzügig wellige Herausarbeitung der Stirnpartie vorgeschlagen (vgl. Abb. 25, 2. von links).133 Ein Vorgehen, das größtes Fingerspitzengefühl verlangte, nicht nur, weil zu aufwändige Haargestaltung für Männer ohnehin nicht mehr als angemessen 131 Ziemlich früh resümierte man die Merkmale des neuen Stils und seine Variationsbreite, vgl. Krüger, Gustav: Von der Wandlung der Herrenmodefrisur. In: Der deutsche Friseur, 1921, Nr. 5, S. 9. 132 Vgl. Häusler, Fritz: Die vornehme wassergewellte Herrenfrisur. In: Der deutsche Friseur, 1929, Nr. 12, S. 4. 133 Vgl. Walter, W.: Der Herrenfriseurberuf. In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 5, S. 12.

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erachtet wurde. Speziell der Wellung von Haar wurde schon lange ein unmännlicher Touch zugeschrieben, onduliertes Herrenhaar sollte nach Möglichkeit eine leichte, natürlich erscheinende Wellung vortäuschen,134 sähe aber meist zu gezwungen aus, und „wirkt zu weiblich und ist unschön.“135 Auch der Trend zu dezidierten Tampelschnitten, der von spitzen bis zu besonders lang gehaltenen Koteletten reichte (vgl. Abb. 25), spielte mit Geschlechterzuschreibungen. Diese optischen Verfeinerungen des schlicht und gradlinig gehaltenen Grundschnitts, die manchem überfeinert vorgekommen sein müssen, waren zurückhaltend, aber markant. Nicht zufällig werden noch heute bei Männern die Koteletten gerade gehalten, während die zugespitzte Form regelrecht für Frauen vorgesehen ist, so wie es schon Anita Augspurg gehalten hatte. Auch wenn die von dieser Gestaltung betroffene Fläche klein ist, so ist die Position zwischen Ohren und Auge dennoch ein prominenter Blickpunkt, an dem mehr oder weniger eindrucksvolle Rahmungen des Gesichts geschaffen werden.

Abb. 25 Variationen mit Pomade, Wellen und Kotelettenformen

Der spielerische Umgang mit Geschlechterzuschreibungen in der Mode rekurrierte auf die durch die Erschütterungen des Ersten Weltkrieges verstärkte Debatte um Geschlechterrollen. Ungeachtet der tatsächlich weniger einschneidend vollzogenen als wahrgenommenen Emanzipationsfortschritte von Frauen wurde ihre Vermännlichung und die Verweiblichung von Männern nach dem Weltkrieg intensiv thematisiert. Gerade unter diesen Bedingungen war die Abgrenzung von Frauen für Männer auch optisch weiterhin geboten – eine elegante Welle oder spitze Tampelschnitte stellten 134 Vgl. Häusler, Fritz: Leicht gewelltes Haar ist sehr beliebt. In: Der deutsche Friseur, 1937, Nr. 23, S. 3. 135 Frisuren des Modebildes. In: DAFZ, 1933, Nr. 10, S. 245ff.

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insofern eine Herausforderung dar. Zumal im liberalen Klima der Weimarer Republik sogar homosexuelle Subkulturen zwar selbstbewusster als zuvor in der Öffentlichkeit wahrnehmbar waren, innerhalb des Kontextes selbst allerdings vehement um Abgrenzung zu effeminiertem Auftreten und zu weiblichen Zuschreibungen zur Homosexualität gerungen wurde. So positionierte sich der männerbündische Antifeminismus der Maskulinisten im hegemonialen Diskurs deutlich als Absage an effeminierte Männer.136 In anderen zahlenmäßig stärkeren Zusammenhängen stand der barsche Appell „Fort mit den Tanten“ für die ablehnende Reaktion auf ein offenbar verbreitetes Phänomen in den eigenen Reihen.137 In den Augen der Kritiker schien ‚weibisches‘ Auftreten dem Ansehen und der Integration von Homosexuellen zu schaden. Wie wenig etwa partiell gebrannte Frisuren (und waren sie noch so dezent mit dem Welleisen erstellt worden) bei Männern akzeptiert waren, zeigen während der nationalsozialistischen Verfolgung von Homosexuellen vorgenommene Einschätzungen, nach denen gewellte oder ondulierte Haare als Zeichen von Homosexualität galten.138 Das 1942 ausgesprochene Dauerwellverbot für Männer verwundert daher nicht.139 Ungeachtet dessen waren gewellte oder gebrannte Frisuren noch 1936 in dem von Conrad Knöß und Ludwig Roß regimekonform überarbeiteten Standardwerk der Branche abgehandelt worden.140 In bestimmten Fällen schienen sogar Dauerwellen im Herrenfach angemessen. Damit wurde aber nicht zur Umkehr bisheriger ästhetischer Praxis aufgerufen, sondern maximal das Tolerierbare im Rahmen der nach wie vor erwünschten, besseren Akzeptanz von friseurhandwerklichen Leistungen im Herrenfach ausgesprochen. Dazu wurde, kaum zufällig kurz nach Einführung der Wehrpflicht 1935, auch auf die Möglichkeiten der Ausgestaltung der beim Mili136 Vgl. Bruns, Politik (2008). 137 Vgl. Micheler, Selbstbilder (2005), S. 181–200. 138 Vgl. ebd., S. 351. 139 Vgl. Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Friseurdienstleistungen. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 3, S. 1–2. 140 Knöß, Conrad und Roß, Ludwig: Der Friseur. Nordhausen 1936. Diese Einschätzung der Einstellung beruht darauf, dass die Autoren nicht nur pflichtgemäß ihre Zustimmung zum Nationalsozialismus etwa im Vorwort äußerten, sondern auch im historischen Rückblick ausformulierten, vgl. Kornher, Svenja: Geschichtsbilder und Traditionsbildung im Friseurhandwerk vom Kaiserreich bis in beide deutsche Staaten. In: Timmermann, Heiner (Hg.): Erinnerung im Wandel. Neuere Forschungen zur Zeitgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der DDR-Geschichte (DDR-Forschertagung 3.–6. November in Weimar 2005). Münster 2007, S. 630–642.

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tär obligat kurz gehaltenen Frisuren eingegangen. Selbst diese würden noch mit Hilfe eines Barteisens in eine gefällige Form gebracht werden können. Der Einzug eines auf Kampfkraft abstellenden Männerbildes im Nationalsozialismus hielt das Gewerbe offensichtlich nicht auf, sich Gedanken über den friseurhandwerklichen, d. h. dekorativen Beitrag zum Aussehen dieser Männer zu machen und Vorschläge zu entwickeln. Da ein solcher Aufwand für Männer aus besagten Gründen nicht selbstverständlich war, war eine Rechtfertigung nötig. Im sachlichen, nur auf den ersten Blick allein auf Fachpraktisches bezogenen Duktus wurde das saubere Aussehen zum Bezugspunkt gewählt, von dem aus intensivere Anstrengungen um die Männerfrisur als angemessen gelten konnten. Denn „so frisiertes Haar legt sich, auch wenn es durch irgendwelche Umstände unordentlich geworden ist, mit einigen Kammstrichen in die saubere Frisur zurück.“141 Sauberkeit lief im Nationalsozialismus schließlich im Herrenfach der Orientierung an der Kundenpersönlichkeit, die nun als „harmonisches Ganzes“ angesprochen wurde, den ersten Rang ab.142 Dennoch blieb letzteres wichtig und wurde fachkundlich entschieden weiterentwickelt. Nachdem körperliche Gegebenheiten zuvor nur für Bärte und Bürstenhaarschnitte systematisch in Bezug zu als vorteilhaft begriffenen Formen gesetzt wurden, ging es jetzt auch um länger gehaltene Männerfrisuren. Dabei wurden Überlegungen zur Passfähigkeit von Kopf und Frisur allein unter dem Aspekt der Verbesserung thematisiert. In der diskursiv erzeugten Wahrnehmung der Kundenphysiognomien konstituierte sich ein generelles Defizit. Nicht zuletzt die beinahe grotesk übertriebenen Gesichtstypologien, die weit über die didaktisch geboten erscheinende Deutlichkeit hinausgingen, demonstrieren dies.143 Das Harmonieversprechen drohte nicht mehr mit einer negativen Wahrnehmung wie seinerzeit physiognomische Argumente, noch führte es zu einer genaueren Bestimmung des friseurhandwerklichen Beitrages zur Persönlichkeit, hingegen schien es für eine Bescheidung auf optische Aspekte der Erscheinung zu stehen. Tatsächlich aber war in dem von der Suche nach Mängeln geprägten Blick auf die Kunden kein sonderlich bescheidenes Verhältnis zur Kundschaft begründet. Die Kunden hätten demnach den Friseur nicht nur aus Gründen 141 Knöß/Roß, Friseur (1936), S. 21. 142 Ebd., S. 17. 143 Während die Darstellung verschiedener Kopfformen (ebd., S. 18) das Typische zeigt, ohne überdeutlich zu werden, geschieht dies bei Bärten (ebd., S. 22, 23).

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der zeitgemäßen Haargestaltung benötigt, sondern zur Verbesserung ihrer Ungestalt. Obwohl also schematische Erfassungen des Kopfes sogar noch eine größere Rolle spielten als zuvor, wurde keine rasseideologisch fundierte Frisurtypologie entwickelt (zumindest nicht im Bereich des Friseurhandwerks veröffentlicht), obwohl es dazu zeitgenössische Vorlagen gegeben hätte.144 Allerdings war das friseurhandwerkliche Interesse an der Kopfform auf Verbesserung bezogen.145 Trotz aller Kritik war letztlich eine Akzeptanz der Kunden vorhanden, während in mit Rassenlehre befassten Werken in ähnlicher Weise gezeigte Kopfformen ein Kriterium der Ablehnung der Person begründen konnten. Was sich wegen der wenig geschäftsförderlichen Konsequenzen wohl kaum zur Übertragung in das Fachwissen anbot. Zwar unterblieb eine zielgerichtete Anlehnung an Rasselehren, dennoch bestanden in der typisierenden Darstellung Gemeinsamkeiten von beruflicher Systematik und Rassetafeln, die den an derartige Schemata gewöhnten Berufsangehörigen die Plausibilität letzterer nahegelegt haben dürften. Jugend und Swing-Stil Auch der Swing-Stil und der Rasierschnitt berühren wegen ihrer zeitgenössischen und nachträglichen Zuschreibungen zeithistorische Fragen aus der Perspektive von Frisurmoden. Der bereits beschriebene typische Jungenschnitt, kurzes Haar mit Pony, wurde weiterhin neben sehr kurzem, fast rasiertem Haar getragen. Im Nationalsozialismus bekam der ohnehin verbrei144 Beispielsweise der populäre ‚Volksgünther‘ von 1928, die ausführlichere Version erschien schon früher, vgl. Günther, Hans F. K.: Rassenkunde des deutschen Volkes. München 1922, zur Karriere Günthers im Nationalsozialismus vgl. Hau, Michael; Ash, Mitchell G.: Der normale Körper, seelisch erblickt. In: Schmölders, Claudia; Gilman, Sander L. (Hg.): Gesichter der Weimarer Republik. Eine physiognomische Kulturgeschichte. Köln 2000, S. 12– 31, hier S. 19. 145 So war in den 1930er Jahren besonders die Verschmälerung breiter Gesichter ein fachkundliches Thema, vgl. Knöß/Roß, Friseur (1936), S. 22. Schmale Köpfe korespondierten mit Günthers positiv gezeichneter ‚nordischer‘, ‚langschädliger‘ Rasse, bei deren Darstellung wählte Günther kaum zufällig Personen mit Frisuren aus, die dieses optische Ideal unterstrichen (kurz gehaltene Seiten, volle Oberkopfpartie), während bei den anderen ‚Rassen‘ entsprechend anders gelagerte Frisuren den gewünschten Eindruck unterstützten; besonders die ungünstig beurteilte ‚dinarische Rasse‘ galt als ebenso ‚breitschädlig‘ wie ‚-gesichtig‘ vgl. Günther, Hans F. K.: Rassenkunde des deutschen Volkes. München 1943, S. 17ff; zur ‚nordischen‘ Kühnheit S. 23; zur ‚dinarischen‘ Derbheit S. 35.

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tete Stil einen formellen Rahmen, in der HJ waren eher unübliche längere Haare zudem nicht erlaubt. Wie der restlichen äußeren Erscheinung war es auch der „Frisur unserer Jungmannen“146 zugedacht, die politisch erwünschte körperliche Stärke und Leistungsfähigkeit zu demonstrieren. Auch optisch sollte das angeblich Verzärtelnde und Verhätschelnde früherer Erziehungsmethoden überwunden werden. Vor diesem Hintergrund ist die Tendenz zu möglichst langem Haar von jugendlichen Luftwaffenhelfern, die zudem in einem klaren militärischen Kontext standen, in dem kurzes Haar generell Norm war, als Renitenz sowohl gegenüber der militärischen Verpflichtung als auch der zivilen Rolle zu sehen.147 Bekannter sind in diesem Zusammenhang heute die swingbegeisterten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die ‚Swing Kids‘ (in Österreich ‚Schlurfs‘),148 die den insbesondere in der US-amerikanischen Filmwelt beheimateten Stil des längeren Deckhaars für sich entdeckten.149 Nacken und Seitenpartien blieben wie bei der kurz geschnittenen Grundform ebenfalls kurz, während das Haar auf dem Oberkopf länger gehalten war, maximal so lang, dass es im Nacken endete.150 Ihre betont lässigen und oft edlen Outfits ergänzten sie mit Frisuren, deren langer „Hot-Schnitt“151 oder „Schlurfhaarschnitt“152 sich von der im Nationalsozialismus offiziell 146 Häusler, Fritz: Frisur unserer Jungmannen. In: Der deutsche Friseur, 1937, Nr. 18, S. 3. 147 Vgl. Schörken, Rolf: Jugendästhetik bei den Luftwaffenhelfern. In: Bucher, Willi; Pohl, Klaus: Schock und Schöpfung. Jugendästhetik im 20. Jahrhundert. [Begleitbuch zur Ausstellung Schock und Schöpfung – Jugendästhetik im 20. Jahrhundert in Stuttgart, Berlin, Hamburg, München, Oberhausen]. Darmstadt 1986, S. 326–331. 148 Vgl. Mode als Zeichen des Widerstandes in Sultano, Gloria: Wie geistiges Kokain …: Mode unterm Hakenkreuz. Wien 1995, S. 92–97 und 305, die Wiener ‚Schlurfs‘ im von Deutschland besetzten Österreich waren eine österreichische Ausprägung dieser ‚Swing Kids‘, allerdings nur auf junge Männer bezogen. Sultanos Interviewpartner Günther Schifter beschrieb das Typische der Frisuren der ‚Schlurfs‘ als „dieses abgehackte so hinten, so dick“. Das lange Deckhaar wirkte von vorne kaum anders als kurzes, nach hinten frisiertes Haar, während es von hinten oder der Seite deutlich wurde, welche Länge die jungen Männer hatten wachsen lassen, allerdings war typischerweise im Nacken Schluss. Heute ist ‚Schlurf‘ in Österreich umgangssprachlich gebräuchlich für männliche Jugendliche. 149 Stars wie Fred Astaire waren in Deutschland aus zahlreiche Filmen bekannt, vgl. Polster, Berndt (Hg.): Swing –Heil – Jazz im Nationalsozialismus. Berlin 1989, S. 231ff. 150 Vgl. Schörken, Jugendästhetik (1986), S. 327. 151 Vgl. Fackler, Guido: Die „Swing-Jugend“ – oppositionelle Jugendkultur im nationalsozialistischen Deutschland, In: Bayerische Blätter für Volkskunde, 3 (2001) 1, S 23–43, hier S. 38. 152 Vgl. Der Herrenhaarschnitt und seine Frisur im Kriege. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 1, S. 2.

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erwünschten rigiden Haarkürze abhob.153 Im Falle einer Verhaftung mindestens wegen anglophiler Tendenzen wurde das Haar meist bei anschließender Bestrafung/Umerziehung in Lagern abgeschnitten.154 Dieser Swing-Stil war mit dem der US-amerikanischen Zooties und später der französischen Zazous in gewisser Weise verwandt.155 Längeres Haar als Protestzeichen konnte also in unterschiedlichen Kontexten und mit differierenden Aussagen als Abgrenzung von etablierten Erwachsenenkulturen oder dem politischen System fungieren. Der ‚deutsche‘ Rasierschnitt Neben solchen längeren Versionen des Grundschnitts entwickelte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg und dann verstärkt ab den 1920er Jahren ein sehr karger Frisurstil, der im Nationalsozialismus seine Blütezeit hatte. Nicht zuletzt trug auch Adolf Hitler selbst diesen Schnitt. Typischerweise waren Nacken- und Seitenpartien nicht nur kurz gehalten, sondern auch mehr oder weniger großflächig rasiert. Die absichtsvoll rasierte Kopfhaut stellte eine fortgesetzte Körperbetonung dar, die schon mit dem nach 1900 ganz überwiegend favorisierten Kurzhaarschnitt begonnen worden war. Nicht zufällig wurde darauf verzichtet, den ganzen Kopf zu scheren. Das war ein Anblick, der für Strafgefangene und später auch KZ-Internierte vorgesehen war. Andererseits war er aber vor dem Zweiten Weltkrieg auch bei Jungen im Grundschulalter üblich156 und ebenso aus Kostengründen im Arbeitermilieu – diese Kopfschur konnte selbst gemacht werden bzw. war 153 So wurde in einem Bericht über einen Fachgruppenabend in Wien gegen den „Schlurfhaarschnitt“ agiert, „pseudoelegante Jünglinge“ seien in der Gefolgschaft nicht zu dulden, vgl. Der Herrenhaarschnitt und seine Frisur im Kriege. In: Der deutsche Friseur, 1943, S. 2. 154 Vgl. Überall, Jörg: Swing Kids. Berlin 2004, S. 21f. 155 Die Zooties waren in den 1930er und 1940er Jahren in den USA eine afroamerikanische und mexikanischstämmige Subkultur, die über Musiker wie Cab Calloway beispielsweise bekannt wurde. Typisch waren modische Übertreibungen wie übermäßig weite Hosen. Zunächst galt es als wenig wahrscheinlich, dass ‚weiße‘ Amerikaner diesen Stil mitmachen würden, und Zooties sind tatsächlich Opfer von rassistischen Übergriffen geworden. In eine ähnliche Richtung gingen die französischen Zazous, die ähnlich wie die Swing-Liebhaber in Deutschland mit Repressalien zu rechnen hatten, auch ihnen drohte der Zwangshaarschnitt, vgl. Steele, Fifty Years (1997) S.  4f. Zu den Zooties und Zazous auch Polhemus, Streetstyle (1995), S.  17–20. Zu den Ähnlichkeiten der deutschen ‚Swing Kids‘ mit den französischen Zazous vgl. Überall, Swing Kids (204), S. 92. 156 Vgl. Maguhn, Hugo: Hebung des Herrenbedienungsgeschäftes. In: Der deutsche Friseur, 1932, Nr. 18, S. 8–9.

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insofern günstig, als dieser ‚Schnitt‘ lange hielt. Insgesamt war der Rahmen der zeitgenössischen Formgebung der Männerfrisuren so abgesteckt, dass sich die im KZ übliche Kopfrasur weniger stark vom Üblichen abhob. Bis in die 1950er Jahre hinein waren kurzgeschorene Köpfe auch als Therapie der Wahl bei Läusebefall üblich, da medikamentöse Behandlungen erst nach dem Zweiten Weltkrieg bezahlbar wurden. Umso auffälliger ist die Beliebtheit der Haargestaltung, die je zur Hälfte eine gängige Frisur wie auch Kopfrasur war (vgl. Abb. 26). Seitens des Friseurgewerbes wurde über diese „deutsche Haartracht“ schon vor dem Ersten Weltkrieg häufig Klage geführt. Sie wurde kaum als Frisur akzeptiert, sondern mehr als „kahler Schädel“ beschrieben.157

Abb. 26 Rasierschnitte

Die Ablehnung des Stils beruhte auf seinem Charakteristikum, dem Kontrast des kahlgeschorenen Kopfhaares an der Stelle, an der selbst beim typischen männlichen Haarausfall das Haar bleibt, den unteren Seitenpartien und dem Nacken einerseits und „dem zurückgebliebenen Büschel“ auf dem Oberkopf andererseits.158 Die als lächerlich empfundene Disharmonie beider Partien159 verstieß gegen das bisher übliche gestalterische Empfinden und den damit verbundenen Qualitätsanspruch. Insbesondere an der rasierten Kopfhaut wurde fachlich Anstoß genommen, hatte man doch in einer langen Tradition vorher immer wieder versucht, mit Perücken und Toupets 157 Zimmermann, Franz: Wie heben wir unser Gewerbe? In: DAFZ, 1912, Nr. 15, S. 617–618. 158 Ebd. 159 Vgl. Vaupel, Heinrich: Der moderne „deutsche“ Haarschnitt. In: Der deutsche Friseur, 1929, Nr. 12, S. 10.

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Kahlköpfigkeit zu kaschieren. Zudem waren Frisurvorschläge üblich, mit denen bei fortgeschrittener Glatzenbildung empfohlen wurde, Partien des verbliebenen Haares lang wachsen zu lassen und meist quer über den Kopf gekämmt über die kahle Stelle zu legen,160 in manchen Fällen förmlich zu kleben.161 Das galt zwar als unschön, wurde aber verglichen mit der haarlosen Alternative für das geringere Übel gehalten. Schon 1912 hatte der Friseur Franz Zimmermann in der DAFZ vermutet, dass diese „deutsche Mode“ niemand außerhalb Deutschlands würde nachmachen wollen.162 Die mindere ästhetische Leistung vor Augen prognostizierte er das Sterben allen fachlichen Strebens. Mit seiner Kritik zielte er nicht nur auf Kunden und Kollegen, er wunderte sich auch, dass „sich unsere Frauen und Mädchen nicht genieren, mit diesen verhunzten Männern zu verkehren.“163 Aber auch in den 1920er Jahren riss die Klage über die im Ausland verlachten „Pudelfrisuren“ nicht ab, der Geschmack der deutschen „Clowns“ wäre schlimmer als jener der Chinesen.164 Dieser Publikumserfolg der Frisurenmode stand offenbar nicht im Zusammenhang mit fachlichen Überzeugungen der Experten, die befürchteten, dass derartig minderwertige Arbeit den Ruf der Branche schädige.165 Entsprechend verstärkten sich die Tendenzen, den Zuständigkeitsbereich der eigenen Expertise dezidiert zu erweitern. Nicht die sowieso gut in Modedingen informierte Oberschicht sei fachlich zu bedenken, vielmehr müsse die bislang vergessene breite Masse in den Blickpunkt rücken, etwa Angestellte und Geschäftsleute. Wie Forschungen Tina Dingels zeigen, versuchte die Textilbranche, Kunden gezielt über Fragen des beruflichen Erfolgs an Mode und Belange des Aussehens heranzuführen.166 Ähnlich ging auch das Fri­ seurgewerbe vor. Da gerade Angestellte auf ein formelles Auftreten zu achten hatten, nahm ein korrekter Haarschnitt hier eine wichtige Stelle ein. Auch wenn weibliche Angestellte in zeitgenössischen Filmen und Büchern ein prominentes Thema gewesen sind, waren doch hauptsächlich Männer an 160 Vgl. Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 285. 161 Vgl. Menzinger, Heinrich: Betrachtungen über Haarschneiden. In: DAFZ, 1905, Nr. 1, S. 3–4. 162 Vgl. Zimmermann, Franz: Wie heben wir unser Gewerbe? In: DAFZ, 1912, Nr. 15, S. 617– 618. 163 Ebd. 164 Vaupel, Heinrich: Der moderne „deutsche“ Haarschnitt. In: Der deutsche Friseur, 1929, Nr. 12, S. 10. 165 Vgl. Der Herr im Beruf und in der Gesellschaft. In: DAFZ, 1929, Nr. 9, S. 241–242. 166 Vgl. Dingel, Körper (2005), S. 169–183.

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diesen Arbeitsplätzen zu finden, deren Zahl zunahm. Insofern belegt die Bezugnahme auf diese Konsumenten das Anpassungsvermögen des Gewerbes. Dem dezenten Habitus dieser Kundschaft entsprechend konnten hier allerdings keine auffälligen Extravaganzen lanciert werden. Für Angestellte gilt wie für die deutsche Gesellschaft insgesamt, dass nach dem verlorenen Weltkrieg ein neues Interesse am Körper entwickelt wurde, das den Hintergrund für die in dieser Zeit zunehmende Popularität des Rasierschnitts darstellt. Materialschlachten im Ersten Weltkrieg und Invalidität hatten die Verletzlichkeit des Körpers in neuer Weise in das Bewusstsein gerückt.167 Die Organisation industrieller Arbeit hatte beispielsweise mit Fließbandarbeit einen neuen Mensch-Maschine-Zusammenhang konstituiert.168 Auch künstlerische Entwicklungen, etwa der Ausdrucks­­ tanz,169 hatten zu neuen Subjektpositionierungen herausgefordert. Die Ästhetisierung des physischen Lebens – von gut besuchten Hygieneausstellungen170 über die Begeisterung für serielle Körper in Ausstattungsrevuen171 bis zu populären Bildbänden über die menschliche Physiologie,172 um einige Aspekte des Trends zu nennen, setzten zwar alle schon im Kaiserreich ein, hatten aber in den 1920er Jahren, in denen das Wort vom technischen Zeitalter das Selbstverständnis prägte, erheblich an Popularität gewonnen. 167 Vgl. zusammenfassend Cowan, Michael; Sicks, Kai Marcel: Technik, Krieg und Medien. Zur Imagination von Idealkörpern in den zwanziger Jahren. In: Cowan/Sicks, Moderne (2005), S. 13–32. 168 Vgl. Gumbrecht, 1926 (2003), S. 122–126. 169 Vgl. Hardt, Yvonne: Politische Körper. Ausdruckstanz, Choreographien des Protests und die Arbeiterkulturbewegung in der Weimarer Republik. Münster 2004. 170 Vgl. Hau, The Cult of Health and Beauty in Germany (2003), S. 135. 171 Vgl. Fleig, Anne, Tanzmaschinen – Girls im Revuetheater der Weimarer Republik. In: Meine, Sabine; Hottmann, Katharina (Hg.): Puppen, Huren, Roboter. Körper der Moderne in der Musik zwischen 1900 und 1930. Schliengen 2005, S. 102–117. 172 Beispielsweise das mehrbändige, in den 1920er Jahren mehrfach aufgelegte „Das Leben des Menschen. Eine volkstümliche Anatomie, Biologie, Physiologie und Entwicklungsgeschichte des Menschen.“, dessen Autor Fritz Kahn noch weitere populärmedizinische Bücher veröffentlichte, vgl. Borck, Cornelius: Der industrialisierte Mensch. Fritz Kahns Visualisierungen des Körpers als Interferenzzonen von Medizin, Technik und Kultur. In: WerkstattGeschichte, 2007, Nr. 47, S. 7–22. Auch Sport und Lebensreformbewegung gehören dazu, vgl. Rabinbach, Anson: Ermüdung, Energie und der menschliche Motor. In: Sarasin, Philipp; Tanner, Jakob (Hg.): Physiologie und industrielle Gesellschaft. Studien zur Verwissenschaftlichung des Körpers im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1998, S. 286–312; Kerbs, Diethart; Reulecke, Jürgen (Hg.): Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880–1933. Wuppertal 1998.

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Der Rasierschnitt fiel in den 1920er Jahren häufig nicht nur als an den Seiten zu kurz geraten aus. Sein Charakteristikum war die großflächige Ausführung der kahlen Partien, die das verbleibende Haar am Oberkopf förmlich als Kappe erscheinen ließ. Damit war eine Frisur kreiert worden, die Haar zum Accessoire machte. Gleichzeitig stellte sich die freigelegte Haut als Entblößung dar. Was im alltäglichen Straßenbild als disharmonischer Kontrast auffallen mochte, konnte in weniger bekleideten Situationen im Sport und in FKK-Kontexten allerdings anders wirken. Für jene bronzenen Leiber des FKK, die antiken Idealen nicht nur ihrer Durchtrainiertheit wegen nahekamen, sondern durch gezielte Hautbehandlungen wie dem Auftragen von dunklen Ölen, Rasieren und vor allem Sonnenbaden eine metallisch anmutende, „stählerne“ Oberfläche erhalten sollten,173 war der Rasierschnitt zwar nicht charakteristisch, kam aber vor, ohne auf diese Kreise beschränkt gewesen zu sein. Bei solchen, auf den Eindruck von Unverletzlichkeit zielenden Körpern, die Bronzestatuen glichen, fügte sich die rasierte Fläche anders in den Gesamteindruck ein als bei bekleideten Körpern. Die metallisch wirkende Haut schien nun größere Teile des Kopfes zu schützen, nur dessen oberer Teil war noch von einem behaarten Streifen bedeckt, der sich wie ein Kopfschmuck ausnahm, etwa wie ein minimaler Federbusch auf Helmen.174 Die Zunahme des in der Friseurpresse beklagten Phänomens Rasierschnitt nach dem Ersten Weltkrieg ist vor allem als Abgrenzungsbewegung zu erklären. Die befürchtete Vermännlichung von Frauen, insbesondere die vielbeachtete Sportlichkeit als Teil des Konstrukts der ‚Neuen Frau‘ hatte zwar nicht die Verwischung der Geschlechtergrenzen zur Folge, wohl aber Annäherungsbewegungen. Im Zuge der populären Eugenik wurden auch Männer als Gattungswesen (wieder-)erkannt, körperliche Fitness, wenn auch in geschlechtsspezifischen Maßen, war für Männer wie Frauen vorgesehen, Frauenkörper aber hatten zudem anmutig zu sein.175 Mit der kompromisslosen Härte des Rasierschnitts konnten seine Träger sich vom weiblich konnotierten Ideal der Anmut distanzieren und so dem Gefühl des 173 Vgl. Möhring, Maren: Der bronzene Leib. Die FKK – Ästhetik in der Weimarer Republik. In: Cowan/Sicks, Moderne (2005), S. 200–216. 174 Auch wenn er formal mit dem Gesamtbild harmonisierte, zeigen Fotos der FKK zwar Rasierschnitte, aber nicht als besonders häufige Frisur. Auch einer der bekanntesten FKKVertreter Hans Surèn zeigte sich mit einer klassischen Kurzhaarfrisur. 175 Vgl. Sobiech, Gabriele: Grenzüberschreitungen. Körperstrategien von Frauen in modernen Gesellschaften. Opladen 1994, S. 65f.

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Verlusts der männlichen Identität begegnen. Wie schon am Beispiel von welligen Frisuren und spitz gehaltenen Tampeln diskutiert wurde, waren Männlichkeiten und Aussehensfragen zwar aufeinander bezogen, die Vielfalt der Formen und Zuweisungen erlaubt aber keinen Rückschluss auf eindeutig visuell gekennzeichnete geschlechtliche oder soziale Identitäten, sondern ermöglicht mehrere Lesarten. Elegante Herren mit welligen Frisuren waren nicht zwangsläufig homosexuell, ebenso wenig wie überzeugte Maskulinisten sich nicht grundsätzlich mit einem Rasierschnitt den Anstrich männlicher Härte gegeben haben dürften.176 Anders als es typische Männerbilder nahelegen, die sich etwa im Rahmen von Auswertungen von in der Weimarer Republik erschienenen Zeitschriften erkennen lassen (wie der proletarische Kämpfer, soldatische Männer, bürgerliche ‚Persönlichkeiten‘ oder sportliche Muskelmänner), müssen einzelne Männer auch nicht selbst solchen Einordnungen gefolgt sein,177 wie die hier angedeuteten Überlegungen zur Frisurwahl erkennen lassen. Insofern sind Überlegungen zur sozialen Passfähigkeit der vorgestellten Frisuren und die gewerbliche Ablehnung weitere Aspekte, die für die Flexibilität von modischen Zeichen­ systemen sprechen und sich gegen eindeutig lesbare Codierungen von Mode anführen lassen. Im Nationalsozialismus wurde selbst in der traditionellen Fachpresse der Tonfall den verachteten Rasierschnitten gegenüber konzilianter. So wurde anlässlich der Olympiade Aufklärung über die Kundenwünsche der ausländischen Gäste und teilnehmenden Sportler gehalten. Während die „Haartrachten der Damen keiner besonderen völkischen Betonung oder Eigenart unterworfen“ seien, gebe es bei den Männern einiges zu beachten.178 Vor allen spezifisch nationalen Vorlieben, wie beispielsweise denen der Skandinavier, die effiliertes Haar ablehnten, oder dem typisch französischen Wunsch nach mittellangem Nackenhaar, gelte es insbesondere die Grundregel zu beachten, dass niemand sein Haar so kurz wie der Deutsche tragen möge.179 Darauf solle immer Rücksicht genommen werden.180 Ein Blick ins 176 Jedenfalls gilt das für Hans Blühers eigene Frisurwahl. 177 Zur Auswertung und zu den begrenzten Schlussfolgerungen auf das Verhalten der Leserschaft vgl. Schmidt, Jens: „Sich hart machen, wenn es gilt.“ Männlichkeitskonzeptionen in Illustrierten der Weimarer Republik. Münster 2000. 178 Vgl. Unsere Aufgabe zur Olympiade. In: DAFZ, 1936, Nr. 21, S. 410. 179 Zur verpönten deutschen Besonderheit auch: Das lange Haar beim Sport. In: Der deutsche Friseur, 1936, Nr. 20, S. 5. 180 Vgl. Unsere Aufgabe zur Olympiade. In: DAFZ, 1936, Nr. 21, S. 410.

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Ausland auf die Köpfe junger Männer im Civilian Conversation Corps in den USA zeigt hingegen auch hier nicht wenige Rasierschnitte par excellence – so ausschließlich deutsch war dieser Stil also wohl nicht.181 1941 wurde der praktische Umgang mit dem kritisierten Kundenfaible offen angegangen. Auch wenn der Rasierschnitt nicht schön wäre, müsste er doch korrekt und sorgfältig ausgeführt werden. Diszipliniert solle man sich vor allem den Kunden gegenüber das eigene ästhetische Missfallen nicht anmerken lassen.182 Auch in der von der Deutschen Arbeitsfront (DAF) bestimmten Fachpresse wurde der Rasierschnitt ästhetisch bemängelt. Insgesamt wurde in Friseure ein sehr kurzer Schnitt für Männer befürwortet, ganz besonders im Zusammenhang mit dem auch in anderen Fachblättern besprochenen Thema Frisur und soldatische Männlichkeit, das rückblickend183 und zeitgenössisch184 aufgegriffen wurde. Aber auch hier wurde die Kombination von kahl und füllig als Imageschaden für das Gewerbe verstanden: „Diese Art Haarschnitte bedeuten für unsere Haarschneidekunst eine Verflachung.“185 Gerade der Militärhaarschnitt galt im Nationalsozialismus als wichtige Aufgabe. Insofern geriet die auch unabhängig von der ideologischen Aufladung fachlich anspruchsvolle Arbeit der fließenden Übergänge bei sehr kurzem Haar hier erst recht in den Blickpunkt. Vorsicht bei der Arbeit mit der Haarschneidemaschine und Aufforderungen, vom Rasieren der Kopfhaut abzusehen, sind auch in dieser handwerklichen Auseinandersetzung mit dem unbeliebten Kundenwunsch die immer wiederkehrenden Aspekte, seitdem diese Gestaltungsform aufkam. Von Adolf Hitlers eigener Frisurwahl, dem prominentesten Beispiel der gescholtenen Frisur (vgl. Abb. 26, rechts), wie seinem nach fachlichen Standards beurteil-

181 Vgl. beispielsweise die Abbildungen in Patel, Kiran Klaus: Erziehungsziel: Männlichkeit. Körperbilder und Körperpraktiken im Nationalsozialismus und im New Deal in den USA. In: Diehl, Paula (Hg.): Körper im Nationalsozialismus. Bilder und Praxen. München 2006, S. 229–248. Allerdings wurde er in Österreich beispielsweise als typisch deutsche „Piefkefrisur, die bis da oben waren abgeschert“ wahrgenommen, vgl. Sultano, Kokain (1995), S. 305. 182 Vgl. Der Rasierschnitt. In: DAFZ, 1941, Nr. 1, S. 22. 183 Vgl. Soldatische Haar- und Barttracht in der Vergangenheit. In: Der deutsche Friseur, Nr. 17, S. 16. 184 Vgl. Krüger, Gustav: Die praktische Herrenfrisur. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 4, S. 4–5. 185 Haarschnitt und Uniform. In: Friseure, Nr. 11, S. 22f.

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ten weder stattlichen noch smarten Bart186 war in der Friseurpresse während des Nationalsozialismus nie die Rede, ganz im Gegensatz zu seiner Politik. Paradebeispiel im öffentlichen wie im imaginären Raum war die Figur des SS-Mannes. Teilaspekt dieser perfekten Oberfläche war ein korrekter Kurzhaarschnitt, nicht notwendig ein Rasierschnitt. Diese Anforderung an das Aussehen ist allerdings im Zusammenhang mit dem militärischen Kontext dieser Figuren zu sehen, der nicht nur in Deutschland untadelige Uniformen und Haarschnitte verlangt(e). Dieses Ideal konnte in Kriegszeiten, zumal an der Front, real nicht aufrechterhalten werden und wurde daher, wie Paula Diehl beim SS-Männerbild gezeigt hat,187 im Imaginären umso intensiver vertreten. Rasierschnitte wurden schon bald nach Kriegsende als typische Ausformung des Martialischen in die Zeit vor dem „Umbruch“ verschoben, so schrieb die Berliner Neue Zeit am 5.12.1945: „Der soldatische Haarschnitt, der ‚runde Teller‘, durch den die Männerköpfe in den letzten Jahren weitgehend uniformiert worden waren, verschwindet restlos.“188 Tatsächlich haben sie, wie gezeigt werden konnte, eine andere und insbesondere längere Geschichte.189 Sie bieten damit ein weiteres Beispiel dafür, dass die Geschichte der Männermode im Nationalsozialismus sich nicht in vermeintlich überzeugenden Gleichsetzungen von kurz bzw. kahl und diktatorisch erschöpft. Zudem kann die sehr stark auf damals gültige, aber heute überholte oral history-Methoden ihrer Zeit basierende Einschätzung Silvia Mais, dass Ra186 Solche Schnurrbärte, die kaum über die äußeren Nasenflügel hinausreichten, entsprachen im Gegenteil genau jener, schon von Ferdinand Müller betrauerten, armseligen ‚Bürste‘, die vom einst so stolzen Schnurrbart der Kaiserzeit übrig geblieben war. Über diesen Bart, den Hitler und Chaplin gemeinsam hatten und dessen Rolle in Chaplins Performanz als großer Diktator vgl. Koch, Gertrud: Hitleriana – Die Mimesis der Groteske. Eine Notiz zu Hitlers Bart. In: Diehl, Paula (Hg.): Körper im Nationalsozialismus. Bilder und Praxen. München 2006, S. 107–110. 187 Vgl. Diehl, Paula: Macht – Mythos – Utopie. Die Körperbilder der SS-Männer. Berlin 2005. 188 Wieder Friseurwettbewerbe. Der militärische Haarschnitt hat ausgedient. In: Neue Zeit, 5.12.45. Zit. Nach R3903, 1358, Bl. 32, Bundesarchiv Berlin. 189 Heute sind eher die jarheads der US-Streitkräfte Sinnbild für radikale soldatische Körperbeherrschung, an den Seiten kahlgeschorene Köpfe erinnern an Henkeltöpfe, neben diesem direkten Bild gilt jarhead auch als Metapher für die erwünschte, beliebig zu füllende inhaltliche Leere von Soldatenköpfen. Spätestens mit der Auseinandersetzung des Golfkriegsteilnehmers Swofford, Anthony: Jarhead: A Marine’s Chronicle of the Gulf War and Other Battles. New York 2003 ist der Begriff in Deutschland bekannt geworden (vgl. den deutschen Titel Swofford, Anthony: Jarhead. Frankfurt am Main 2005.)

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sierschnitte seit Ende der 1920er Jahre als Einheitsschnitt und Zeichen des Hygienebewusstseins entstanden seien und von den Friseuren selbst eingeführt worden wären,190 mit dieser differenzierten Auswertung der Fachliteratur korrigiert werden. Damit ist nicht die Einsicht gewonnen, ‚wie es wirklich gewesen war‘, wohl aber konnte ein weiterer Beleg für die Wirksamkeit der vom Bild der SS-Männer bestimmten Männlichkeitsbilder erbracht werden, die unter anderem auch deshalb noch heute virulent sind, weil sie seinerzeit im imaginären Raum so tief in die Erinnerung eingelagert worden sind.

2.4 Paarlauf der inszenierten Dezenz: Anzug und Kurzhaarschnitt Die Entwicklung zum kurz gehaltenen Haar auf Männerköpfen im 19. Jahrhundert ist in mancher Hinsicht eine schlüssige Parallele zur Männerbekleidung. Beide haben sich als formelle Gestaltung etabliert und konnten trotz aller Alternativen, die sich in Jugend- und Subkulturen vor allem im 20. Jahrhundert entwickelten, als maßgebliche visuelle Signaturen ihre Autorität behaupten. Um 1800 machte Männermode, nicht die der Frauen, mit dem Aufkommen des bis heute aktuellen Herrenanzugs den entscheidenden Sprung in die Moderne.191 Der Anzug, eine an antike Proportionsideale für Männer angelehnte Hülle, adaptiert mit breiten Schultern, einer muskulösen Brust, einem flachen Bauch und einer schmalen Taille den klassischen, heroischmännlichen Akt. Die einen solchen Körper evozierende Form des Anzugs192 modelliert zwar Gesäß, Arme und Beine, stellt sie aber nicht eng umschlossen heraus. Unregelmäßigkeiten der Körperoberfläche werden geglättet, der Körper umschmeichelt, spätestens aber mit dem Wegfall des Korsetts für Männer Mitte des 19. Jahrhunderts193 nicht mehr in Form gepresst. Die 190 Vgl. Mai, Haupt (1995), S. 140. In Mais Arbeit besteht heute, also im Nachhinein hinsichtlich der damals üblichen Methode das nicht unerhebliche Problem der wenig reflektierten Nutzug der Interviews als unmittelbare Berichte über vergangenes Geschehen; mittlerweile würde man das von ihr erhobene Material eher als Einschätzung der Vergangenheit, wie sie Anfang der 1990er Jahre möglich war, betrachten. 191 Vgl. Hollander, Anne: Anzug und Eros. Eine Geschichte der modernen Kleidung. München 1997, S. 17. 192 Vgl. ebd., S. 136. 193 Vgl. Brändli, Sabina: „Der herrlich biedere Mann“. Vom Siegeszug des bürgerlichen Herrenanzuges im 19. Jahrhundert. Zürich 1998, S. 206f.

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ästhetische Überlegenheit des Anzugs besteht nach Hollander darin, dass die Träger in nahezu jeder eingenommenen Körperhaltung perfekt gekleidet sind, weil die verschiedenen Schichten dieser Bekleidung sich immer wieder aufs Neue der Bewegung anpassen und eine geschlossene Hülle bilden, die auch im Sitzen beispielsweise keine Lücke in den obersten Schichten aufklaffen lässt, weil die Jacken entsprechend lang bemessen sind. Wie der Herrenanzug an den Männerkörper, ist der männliche Kurzhaarschnitt an die Kopfform angepasst, sodass Frisur und Kopf als ein Ganzes wahrgenommen werden können. Die Haarlänge und die Frisur selbst sind so gehalten, dass das Haar kaum Veränderungen in der Bewegung zeigt. Kürzen und Schneiden der Haare sind hier maßgebliche Instrumente der Naturbeherrschung, die allerdings eine so dezente Frisur erschaffen, dass ihre Künstlichkeit eher als Körperlichkeit durchgeht. Denn die Betrachtung der Frisur wird so gelenkt, dass sie als integraler Teil des Kopfes wahrgenommen wird, während beispielsweise eine barocke schulterlange Lockenpracht als den Kopf umgebende Haarfülle gesehen wird oder ein Pilzkopf Ohren und Nacken bedeckt, anstatt die Kopfform an diesen Punkten erkennen zu lassen. Dekorative Elemente des Anzugs wie der Frisur sind in das Gesamtschema eines Körperbildes integriert. Gedeckte Farben und dezente Stoffmuster haben eine ähnliche Wirkung wie die beschriebenen zurückhaltenden Oberflächengestaltungen der Frisuren, die von Locken absehen, die künstlich hergestellt spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auf Männerköpfen keine Rolle mehr spielten. Ähnlichkeiten zwischen Kurzhaarschnitt und Herrenanzug bestehen auch in der Entwicklung über das 19. Jahrhundert. Im Vergleich der Kleidung und Frisuren um 1900 wirken die gezierten und modellierten biedermeierlichen Anzüge und die gelockten Haare um 1800 geradezu verspielt. Im Hinblick auf die Frisur war die Vorbildlichkeit der Antike zwar dem Prinzip nach so gegeben wie beim Anzug, sie fand aber eine von der ursprünglichen Inspirationsquelle stark abweichende Ausprägung. Einerseits war die auch mit Kurzhaarfrisuren beabsichtigte Abgeschlossenheit der Körperoberfläche eine maßgebliche Richtlinie.194 Andererseits waren die bei antiken Statuten typischerweise gelockten und ins Gesicht frisierten Haare geradezu gemiedene Merkmale moderner Frisuren seit 1900. 194 Die beispielsweise auch in der FKK, die während der Weimarer Republik nicht mehr nur auf kleine, elitäre Kreise beschränkt war, mit der Rasur des Körpers betont wurde, vgl. Möhring, Leib (2005), S. 208f.

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Hollanders Thesen sind bestechend, wenngleich ihre auf unterschiedlicher männlicher und weiblicher Schneiderkunst fußende Erklärung dem so verstandenen und minderbewerteten technischen Können der Handwerkerinnen sicher nicht gerecht wird.195 Ihr Ansatz ist auf Friseurarbeit ohnehin nur bedingt zu übertragen. Der Hollander zufolge bestehende Unterschied zwischen Herrenschneiderei und perfektionierter Schnitttechnik einerseits sowie der sich vornehmlich Draperien widmenden Damenschneiderei andererseits196 könnte im Friseurhandwerk eher umgekehrt Geltung beanspruchen. Das von Männern wie Frauen betriebene Damenfrisieren im (auch hier langen) 19. Jahrhundert beruht zwar, wenn man so will, auf Drapierungen, nämlich Aufstecktechniken, die ihres Schwierigkeitsgrades wegen allerdings im Zentrum der fachlichen Aufmerksamkeit standen. Aber ob nun Ondulieren, Wasser- oder Dauerwellen sich eher mit Fältelungen oder Schnittkunst vergleichen lassen, kann nur schwer entschieden werden. Fest steht hingegen, dass die Techniken der Materialbeherrschung in der Friseurarbeit so vielgestaltig sind, dass sie kaum typischerweise traditioneller Männer- oder Frauenarbeit zugeordnet werden können. An dieser Stelle ist es wichtig, den Rückstand der neueren Kulturgeschichte gegenüber der jahrhundertelangen Erforschung der Hochkultur zu thematisieren. Zu den elaborierten Ergebnissen etwa im Hinblick auf normierende Funktionen ästhetischer Dispositive beim ‚weiblichen Schreiben‘ in der Literaturwissenschaft197 ist keine Parallele etwa in der Handwerksgeschichte zu beobachten, hier ist Männer- und Frauenarbeit insbesondere durch Quantitäten oder Zuschreibungen begründet. Will man darüber hinausgehen und Vereinfachungen in Form von klaren Di195 Ob nun Frauen oder Männer die besseren ModeschöpferInnen seien, war ein Streit, der in den 1920er Jahren in der Pariser Haute Couture – ‚natürlich‘ ohne Ergebnis – geführt wurde, vgl. Steele, Fifty Years (1997), S. 27–29. 196 Vgl. Hollander, Anzug (1997), S.  140f. Dabei ist Hollander entgegenzuhalten, dass die Empiremode für Männer keine so unmittelbare Adaption der antiken Modevorbilder vorsah wie für Frauen. Das könnte auf den von ihr herausgehobenen Modernitätsvorsprung bezogen sein oder aber damit zusammenhängen, dass Männer um 1800 schon mehrere Jahrhunderte keine Kleider/Umhänge mehr trugen und die Einführung von Kleidern für Männer schlicht gewöhnungsbedürftiger gewesen sein dürfte, als es die so oft beschriebene Umstellung zur langen Hose war. 197 Vgl. die literaturwissenschaftliche Diskussion, jüngst zusammengefasst bei Stauffer, Isabelle: Weibliche Dandys, blickmächtige Femmes fragiles. Ironische Inszenierungen des Geschlechts im Fin de Siècle. Köln [u. a.] 2008, S. 31f. Geschichtswissenschaftlich vgl. Epple, Geschichtsschreibung (2003).  

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chotomien der Geschlechter (Schneidern hier, Drapieren da) aufbrechen, lohnt in praxeologischer Absicht ein Blick auf die unterschiedlichen Schneidetechniken und ihre Möglichkeiten, die ein differenzierteres Bild schon innerhalb des Herrenfachs geben. Die sogenannten Scherenschnitte, die bis zu Hardys durchschlagendem Erfolg mit Messerhaarschnitten in den 1950er Jahren üblich waren, bestimmten vor allem mit der Haarlänge die Gestaltung der Frisur. Schon lange vor dem Messerschnitt aber wurden die gekürzten Haare effiliert, um die Übergänge von längeren zu kürzeren Partien gleichmäßiger aussehen zu lassen, Kanten zu vermeiden, schwierige Übergangsbereiche zu kaschieren oder das Volumen und den Fall des Haares zu verändern. Denn Effilieren ist eine Schneidetechnik, die zum Weichzeichnen von Frisuren- oder Schnittlinien führt, sodass Haarlänge und -masse im Unbestimmten gehalten werden und das Haar flexibel frisiert werden kann. Insofern sind Schnitttechniken und Hochstecken/Drapieren zwar unterschiedliche Herangehensweisen, aber als Varianten von Materialbeherrschung nicht hierarchisch gegeneinander abzusetzen. Ausschlaggebend für die Beständigkeit der um 1900 ausgebildeten körperbetonenden Grundform ist die fast konstant beibehaltene Kürze des Haars, die dazu beitrug, dass die Frisur beinahe als integraler Bestandteil des Kopfes erschien. Zudem beruhte darauf der Eindruck, dass Männer kaum besondere Mühe auf ihr Aussehen verwendeten. Da der modische Formenwandel im Vergleich zur Frauenmode weniger starke Variationen zeigte, schien dies ungeachtet des tatsächlich betriebenen Aufwandes schlüssig. Wer den Anforderungen Genüge tun wollte oder musste, kam um häufigere Friseurbesuche zumeist nicht herum. Während wenigstens bei Wohlhabenden der tägliche Friseurbesuch den vornehmen Herrn noch Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend von der eigenen Gestaltung seiner Haare enthob, hatte sich dies schon wenige Jahrzehnte später entschieden gewandelt. Die spätestens ab den 1920er Jahren durchschlagende Tendenz, das Gesicht (vielleicht noch mit Ausnahme von Schnurrbärten) glatt zu rasieren, intensivierte die dazu erforderliche Häufigkeit der von Männern selbst zu leistenden Arbeit am Körper, die durch technische und in der Mentalität liegende Momente (Selbstrasieren war in Deutschland beliebter als anderswo) vorrangig privat erledigt wurde. Nicht seine Stilbesessenheit, sondern die genaue Einschätzung der Lage macht Oscar Wilde mit seinem Bonmot, nachdem natürlich zu sein eine Pose sei, die sich sehr schwer

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durchhalten ließe, hier zum geeigneten Kommentator.198 Auch Frisuren waren meist Heimarbeit, die Kunden gingen zum Schneiden im Abstand von einigen Wochen in die Geschäfte und frisierten sich täglich selbst. Zwar wusste niemand besser als die Fachleute, wie viel Können und Aufwand in den Schnitten steckte, aber mit wenigen Ausnahmen entwarfen sie die Illusion, dass fertige Männerfrisuren an sich unprätentiös seien und entsprechend zu wirken hätten. Über den Untersuchungszeitraum hinweg ging die den Männern konzedierte Distanz zur Mode Hand in Hand mit der Polarität von männlich (markant, tragbar, praktisch) und unmännlich (wellig, lockig, gefällig). Die damit verbundene Verengung der gestalterischen wie handwerkstechnischen Möglichkeiten wurde stets bedauert, d. h. das Gewerbe passte sich an von außen herangetragene Einstellungen an, aber nicht unter Streichung eigener Orientierungen. Allerdings wurde abgesehen von gelegentlichen, halbherzigen Anläufen nicht versucht, sie zu überwinden. Dem stand der gesellschaftliche Druck erfolgreich entgegen. Vor dem Hintergrund der negativen Zuschreibungen für Männer, die, wenn auch nur optisch, aus dem in der bürgerlichen Kultur erwünschten Rahmen fielen, setzte sich inner- wie außerberuflich die Markierung der ‚Antitypen‘ durch; unter anderem auch gekennzeichnet durch betont lockige Frisuren. Folglich war ungeachtet andersgelagerter, gewerblicher Interessen die Abgrenzung von Praktiken nötig, die die Etikettierung homosexuell erhalten hatten. Berufliche Selbstverwirklichung orientierte sich nicht an fachlichen Herausforderungen, die Virtuosität der Haargestaltung zu steigern, sondern an sozialen Regeln. Die Beschäftigung mit Mode an sich, insbesondere die eben beschriebene Nähe zu den ästhetischen Fallstricken für die Männlichkeit der Friseure, bot kaum Möglichkeiten für eine besonders schlüssige Verbindung von Geschlechter- und Berufsrolle. Zumal, nachdem noch eine der unbestritten männlichsten Beschäftigungen überhaupt entfallen war, das Rasieren des Gesichts. Dies kann auch als Grund für die schließlich resignative Zustimmung zum Rasierschnitt gelten. Diese missliebige Frisurenvorliebe der Kundschaft wurde trotz aller Kritik mehr oder weniger modelliert in das Repertoire übernommen. Dem gewerblich-ästhetischen Empfinden entgegenstehend war dieser Schnitt immerhin das Gegenteil von gefälligeren Formen, die den Ruf ihrer Erzeuger zu beschädigen drohten. 198 Vgl. Wilde, Oscar: Ein idealer Ehemann. Ernst – und seine tiefere Bedeutung. In: Zürcher Ausgabe. Oscar Wilde, Bd. 5. Zürich 2000. (Engl. Ersterscheinung 1895).

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Da Mode wegen der angesprochenen Gefahr der Effeminierung besonders im Herrenfach nur bedingt als gelungene Charakterisierung der Berufsaufgabe galt, wurde stattdessen die Sorge um einen glaubwürdigen Modus der Persönlichkeit als Tätigkeitskern gewählt. Das Verständnis von Frisuren als Ausdrucksform des Charakters schloss an verbreitete Überzeugungen an, nach denen Augen als Spiegel der Seele galten oder das Gesicht die Persönlichkeit widerspiegelte. Unabhängig davon wurde den körperlichen Gegebenheiten der Kundschaft zunehmend mehr Aufmerksamkeit zuteil. Waren es zunächst nur einige Bärte und Bürstenhaarschnitte gewesen, die dazu Veranlassung gaben, so setzte sich in den 1920er Jahren die Überzeugung durch, dass eine Betrachtung des Kundenkörpers generell nach ausgewählten Aspekten sinnvoll sei. Diese Lenkung der beruflichen Körpererfahrung folgte ästhetischen Idealen und handwerkspraktischen Erfordernissen und versteht sich nicht von selbst. Die spezifische Führung des Blicks zeigt in ihrer, im Lauf der Zeit beobachtbaren Intensivierung mehr als eine fortschreitende Ausdifferenzierung im Zuge einer Professionalisierung des Gewerbes bzw. seiner Fachliteratur. Denn obgleich Friseure grundsätzlich am Körper arbeiteten, unterlag dessen Wahrnehmung nicht selbstverständlichen oder dem modischen Wandel angepassten Regeln. Das zeigt erstens die Verschiebung der Aufmerksamkeit für einzelne Ursachen von später nicht korrigierbaren Fehlern hin zu einem Blick auf den Kunden, der generell als defizitär gedacht wurde. Zweitens gab es zu dieser Ausbildung der Arbeitsmethodik eine Alternative, wie der Entwicklungsverlauf im Damenfach belegt, der im Folgenden auszuführen sein wird.

3 Frauenköpfe 3.1 Ondulierte Hochsteckfrisuren im Kaiserreich Anstelle einer sich ausbildenden und dann einige Jahrzehnte beibehaltenen, immer wieder neu variierten Grundform kann man bei der weiblichen Mode im gesamten Untersuchungszeitraum eher von zeittypischen Grundtechniken sprechen. Im Kaiserreich setzte sich die aus Frankreich stammende Marcelondulation nach und nach durch. Marcels Idee war deshalb so erfolgreich, weil seine Technik nicht Locken, die bis dahin schon in allen Formen, Größen, Proportionen und Positionen erprobt worden waren, sondern Wellen formte. Mit der neuen Technik behandeltes Haar fiel schließ-

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lich so gefällig wie geschickt gekämmtes, naturlockiges Haar, nämlich in harmonischen, großzügigen Wellen. Auf seinem Feld revolutionär, leistete Marcel andererseits das, was in der fortschrittlichen Kunst seiner Zeit verpönt war: Naturnachahmung. In den 1870er und 1880er Jahren war die Ondulation jedoch nur einem kleinen Kreis von Konsumentinnen zugänglich. Hochmodern waren Diademzöpfe (vgl. Abb. 27), die teilweise so voluminös waren, dass die Verwendung von Haarteilen offenkundig war. Beispielsweise dürfte die Frau in Abb. 27, links, kaum selbst derart fülliges und langes Haar gehabt haben, dass sie daraus so üppige Zöpfe hätte flechten können, die dafür gereicht hätten, über den Kopf gelegt und im Nacken zusammengedreht zu werden. Mit solchen Flechten demonstrierten die Trägerinnen kein bescheidenes oder ländliches Aussehen, sondern führten ein modisches Accessoire vor. Schließlich entfaltete der Diademzopf seine Wirkung dadurch, dass er sich durch seinen enormen Umfang von Zöpfen aus eigenem Haar unterschied. Außerdem war es wichtig, dass der Gesamteindruck der Frisur, in die er integriert wurde, sich durch andere Elemente, ondulierte Vorderpartien beispielsweise, als modisch auswies und sich nicht in Frisierfertigkeiten erschöpfte, die über schlichtes Flechten nicht hinauskamen. Die vom heutigen Standpunkt aus wenig modisch wirkende Alltagsvariante der Frisur links in Abb. 27 bewegte sich also durchaus im Rahmen eines zeittypischen Aussehens. Auch ist die Herstellung dieser Frisur raffinierter als ländliche Zopfkronen im ‚Defreggerstil‘,199 bei denen rechts und links geflochtene Zöpfe sich überschneidend um den Kopf gelegt werden. Das Arrangement der Porträtierten beruhte auf einem kunstvoll gleichmäßig drapierten Zopf. Wer es sich leisten konnte, wie beispielsweise die letzte französische Kaiserin Eugénie,���������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������������������ kombinierte die Zopfkrone mit einer Ondulation am Vorder200 kopf. Ähnliches ist in Abb. 27 rechts zu sehen, dieses Anfang der 1890er Jahre entstandene Modebild verweist auf die Vorliebe, zur engen Küraß199 Von den losen, ländlichen Zopfkronen wurde im Friseurgewerbe auf den seinerzeit sehr bekannten Genremaler Franz Defregger (1835–1921) zurückgehend als „Defreggerfrisuren“ gesprochen. Diese Haartracht findet sich häufig in den Arbeiten des Malers, der das in der Industrialisierung untergehende Landleben thematisierte. Vgl. Daniger, Franz: Zur Mode. In: DAFZ, 1919, Nr. 1, S. 6 oder: Bekannte Kollegen äußern sich zur kommenden Haartracht. In: DAFZ, 1933, Nr. 25, S. 645–648. 200 Vgl. bei gettyimages „Empress Eugenie“, Bildnummer 2634043, von: W. and D. Downey, Hulton Archive http://www.gettyimages.de/Search/Search.aspx?contractUrl=2&language= de&family=editorial&p=eugenie+de+montijo&assetType=image

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mode eine ebensolche Frisurensilhouette zu wählen und mit einem häufig als ‚Simpelfransen‘ verspotteten Pony zu kombinieren.201

Abb. 27 Diademzopfmode

Auf eine schmale, hochstrebende Optik zielten auch jene Frisuren ab, bei denen die Haare am Hinterkopf zusammengedreht und länglich zusammengesteckt wurden (vgl. Abb. 28). Dabei konnten die beliebten Locken am Oberkopf zur Verwendung gelangen oder die Vorderpartie gewellt werden. Wie schwierig es war, das Brenneisen geschickt anzusetzen, zeigt der Knick in der Haarpartie über der Stirnmitte der in der Abb. 28, rechts porträtierten Frau.

Abb. 28 Schmale Frisuroptik, 1870er–1890er Jahre

201 Vgl. Loschek, Reclams Mode- und Kostümlexikon (1988), S. 425.

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In den 1890er Jahren verschwanden diese Frisuren mitsamt den ‚Raupen‘, auf den Rücken fallenden, lockigen Partien. Nun wurde für Hochsteckfrisuren eine andere Konstruktionsweise modern. Egal, ob besonders festlich oder schlicht, sie bauten auf demselben Grundprinzip auf. Durch Abbindeund Stecktechniken wurde am Wirbel ein später verdeckter Haltepunkt geschaffen, an dem das in mehrere, meist vier Partien abgeteilte und toupierte Haar nacheinander zusammengeführt und befestigt wurde. Zusätzlich zum eigenen Haar wurden meistens Haarteile eingearbeitet, um größere Volumina oder bestimmte Formen zu erzielen. Aus festlichem Anlass wurden Alltagsfrisuren nur insofern verändert, als dass möglicherweise Schmuck oder mehr Haarteile verwendet wurden. In diesen Fällen wurden sie nach Möglichkeit auch besonders sorgfältig hergestellt, d.  h.vor allem gründlich onduliert.202

Abb. 29 Ondulationsmode Ende des 19. Jahrhunderts

Marcels Erfindung hatte den Gestaltungsspielraum erheblich erweitert. War es vordem nur möglich, Haar in den Längen und Spitzen zu locken, konnten nun auch bei nicht naturlockigem Haar die Ansätze anders als glatt gestaltet werden, wie bei der Ballfrisur in Abb. 29, links. Vor allem durch die zeittypische Frisurkonstruktion, bei der die Haaransätze auch an den Seiten und am Hinterkopf zu sehen waren, kamen die ondulierten Partien wirkungsvoll zum Vorschein. Hinter- und Oberkopf wurden mit verschiedenen Steckgebilden geschmückt. Darin befanden sich häufig kunstvoll gearbeitete Haarspangen, beispielsweise ist auf dem Foto rechts in Abb. 202 Vgl. Ballsaison ist Hochsaison. In: DAFZ, 1905, Nr. 1, S. 2–3.

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29 eine Schmuckform zu erkennen, die typischerweise für Korallenkämme verwendet wurde. Diese Frisur ist eine legere Umsetzung des Modebildes daneben, vor allem der Pony ist onduliert, der Haarknoten als solcher ist ziemlich simpel. Die Ondulation verbreitete sich zunehmend und fand schließlich nicht nur bei Festfrisuren oder im Ponybereich Anwendung. Eine beliebte Variante war es, das Haar am Hinterkopf zusammenzustecken und die gesamte Vorderpartie zu ondulieren, meistens im wöchentlichen Rhythmus203 (vgl. Abb. 30, Mitte). Links daneben bei Abb. 30 ist die ausgereiftere Beherrschung der Technik am langgezogenen Wellenbogen zu erkennen. Die Vorderpartie der ‚gnädigen Frau von Lindeiner‘ (Abb. 30, rechts) ist eher glatt gehalten, was möglicherweise daran liegt, dass sie – wie damals üblich – einen tief ins Gesicht gezogenen Hut trug, der Mühe und Kosten eines Friseurbesuchs entbehrlich machte. Auch bei Tagesfrisuren war das Ondulieren nur lohnenswert, wenn als repräsentativ erachtete Situationen in einem Rahmen stattfanden, in dem kein Hut getragen wurde, meistens bei Abendgesellschaften.

Abb. 30 Ondulierte Tagesfrisuren

Ob nun Hüte die Frisuren bestimmten, wie die Friseurpresse annahm, oder Hutformen das Resultat vorangehender Frisurformen waren, wie die Kos­ tümhistorikerin Bönsch es heute versteht,204 muss an dieser Stelle offenbleiben. In den Quellen jedenfalls ist die Klage der Friseure über ihren geringen Einfluss auf das Modegeschehen sehr präsent. Seltener wurde erwogen, ob 203 Vgl. Daniger, Franz: Das Modebild. In: DAFZ, 1906, Nr. 3, S. 45. 204 Zu Haar und Hut vgl. Bönsch, Formengeschichte (2001), S. 250, 251, 253, 255, 257, 259, 262.

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sich Mode von Seiten der daran beteiligten Profis wie der Schneider-, Friseur-, Putz- und Juweliermacherbranche überhaupt effektiv beeinflussen ließe.205 Die prominente Rolle und die Vorbildlichkeit der führenden Modedamen wurden hingegen stets gelobt, mit deren Wissensstand galt es mitzuhalten.206 Denn jede Mode bringe Neues, den Damen einen neuen Reiz, den Friseuren weitere Einnahmen.207

Abb. 31 Frisuren als Gradmesser des Erwachsenwerdens

Wie bei Jungen unterschieden sich auch bei Mädchen die Frisuren von denen der Erwachsenen. Je älter sie wurden, umso aufwändiger wurde das Haar zusammengesteckt (vgl. Abb. 31). Während kleine Mädchen ihr Haar häufig offen, beispielsweise mit Pony trugen (vgl. Abb. 31, rechts), wurden spätestens ab dem Schulkindalter schlichte Zopffrisuren üblich und Haarschleifen verwendet, norddeutsch ‚Butterlecker-‘, österreichisch ‚Mascherlfrisur‘ genannt.208 Bei besonderen Anlässen wurde das Haar meistens nicht 205 Vgl. die Ausführungen zum Pariser Modekomitee von Long, Edward: Frisuren mit Federschmuck. In: DAFZ, 1912, Nr. 1, S. 14–15. 206 Vgl. beispielsweise Klein, Friedrich: Zum Damenfrisieren. In: DAFZ, 1905, Nr. 6, S. 183– 184. 207 Vgl. Klein, Friedrich: Zum Damenfrisieren. In: DAFZ, 1905, Nr. 9, S. 242. 208 ‚Butterlecker‘ ist die hoch- bzw. norddeutsche Version des plattdeutschen ‚Bodderlicker‘ für Schmetterling, eine andere Assoziation der Schleife ist die Fliege (der Herrenbekleidung)

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nur am Oberkopf locker zusammen genommen, unterhalb der Steckpartie wurde das gebrannte Haar auch zu Stocklocken ausfrisiert (vgl. Abb. 31, Mitte).

Abb. 32 Volumenexperimente

Um die Jahrhundertwende begeisterten sich Frauen nicht nur für die Ondulation, egal ob wellig oder glatt, das Interesse galt nun sehr voluminösen Frisuren. In einfacheren Ausführungen wurde das Haar glatt/naturlockig belassen und ein Knoten auf dem Wirbel festgesteckt (vgl. Abb. 32 rechts und Mitte). Dieser bauschige Stil, mit dem beispielsweise auch Rosa Luxemburg häufig dargestellt wurde, konnte auch ohne Haarteile oder Polster erzielt werden. Allerdings war es grundsätzlich nötig, das Haar sehr kräftig zu toupieren, beim abendlichen Auflösen der Frisur war ein entsprechend schmerzhaftes Auskämmen unweigerlich die Folge. Wer das umgehen wollte, nahm den Stil mit einem schlicht auf dem Kopf befestigten flachen Knoten auf, diese Alternative fiel allerdings völlig aus dem Rahmen. Viele hielten glattes Haar ohnehin für unattraktiv. Die Ondulation war allgemein so begehrt, dass sie auch dann angestrebt wurde, wenn das Ergebnis die Anfertigung von ungeschickter Hand verriet, wie die große Bandbreite wahrscheinlich unprofessioneller Wellengestaltungen in Abb. 33 zeigt. Während bei der Frisur links in Abb. 33 die unregelmäßigen Kniffe in den flach gehaltenen Haaren ungünstig hervortreten, ist bei den Frauen in der Mitte und rechts zu erkennen, dass beim voluminöseren Stil mangelhaftes Können weniger leicht auffiel. Deswegen dürfte die Vorliebe für bauschige Frisuren der Ondulationsmode den Weg erleichtert haben. in der österreichischen Wendung ‚Mascherl‘.

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Abb. 33 Außerplanmäßige Ondulation

Da ab der Jahrhundertwende auch nicht wenige Dienstmädchen und andere unterbürgerliche Frauen die Ondulationsmode so formvollendet mitmachten, dass offenbar so manche ‚feine Dame‘ das Interesse am ausgedienten Distinktionsmittel verlor,209 ist es wohl zu einfach, davon auszugehen, dass man aufgrund der Art der Kunstfertigkeit der Ondulationsfrisur sicher auf die soziale Platzierung der Trägerin schließen konnte. Mode wurde innergewerblich kaum noch als Privileg begriffen. So resümierte Friedrich Klein, dass sich die Mode „nicht mehr wie noch vor 150 Jahren auf einige reiche Damen des Hochadels und der Demimonde, die sich mit nichts anderem als ihrer Schönheit beschäftigten“ beschränke.210 Im Gegenteil wäre es geradezu Voraussetzung für die Karriere einer Frisurform, dass auch die „minderbemittelte Frau“ sie tragen könne.211 Sie sei ohnehin aus Mode- und Hausfrauenzeitungen gut informiert.212 Entsprechend fiel ihm die Menge der „gut ondulierten und frisierten Frauen auf“.213 Auch die Geschichte des eng geschnürten Korsetts zeigt eindrücklich, dass vestimentäre Praktiken jenseits von funktionalen oder finanziellen Aspekten auch bei denen vorzufinden waren, die davon gerade ausgeschlossen werden sollten. Das den Bewegungsraum begrenzende Schnüren, zunächst ein Ausweis des Müßiggangs der Bessergestellten, war um 1900 auch in den unteren Schichten verbreitet. So analysierte man 1905 in Die neue Frauenkleidung im Kampf gegen billige Korsetts: „Unsere Köchinnen und jungen 209 Vgl. Long, Edward: Frisuren mit Federschmuck. In: DAFZ, 1912, Nr. 1, S. 14–15. 210 Vgl. Klein, Friedrich: Die Mode. In: DAFZ, 1914, Nr. 4, S. 141. 211 Vgl. ebd. 212 Vgl. Klein, Friedrich: Zur Mode. In: DAFZ, 1914, Nr. 10, S. 387. 213 Vgl. ebd.

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Fabrikarbeiterinnen brechen fast in der Mitte ab, bei all ihrem harten Tagewerk, die feine Taille ist ja das einzige, was sie außer der zierlichen Frisur den reichen Damen nachmachen können, das einzige wodurch sie sich vor weniger kultivierten Genossinnen auszeichnen können.“214

Abb. 34 Frisuren mit Haarteilen am Vorderkopf

Beliebte Varianten der voluminösen Hochsteckfrisuren zeigt die Abb. 34. Von vorne gesehen schossen die Frisuren auffallend in die Höhe. Das Haar wurde kräftig toupiert und meistens wurden auch Haarteile in den vorderen Bereich eingearbeitet, sodass eine entsprechende, in die Stirn fallende Fülle erzeugt wurde. Die Musikerin Olga Zeise (Abb. 34 rechts) war nur eine von vielen Trägerinnen dieses Stils, der im preußischen Königshaus gleichfalls beliebt war. Auf vielen zeitgenössischen Postkarten sind Kaiserin Auguste und Prinzessin Viktoria Louise ähnlich, aber akkurater frisiert abgebildet worden. Auguste präsentierte sich sogar häufig mit einer ausgesprochen steifen und noch umfangreicheren Frisur. Besaß man Naturwellen, konnte man sich auch ohne Ondulation und teures Haarteil einen modischen Touch geben wie Elisa (geb. 1882), Lucie (geb. 1909) und Pauline (geb. 1850) Fichtner, die in Abb. 35 zu sehen sind.215 Das in Wellen gekämmte Haar zeigt zwar, anders als mit einem 214 Die neue Frauenkleidung, 1905, Nr. 1, S.  5–6. Zitiert nach Hettler, Ines: Frauenberufskleidung in Deutschland 1890–1918 als Indikator soziokultureller und sozioökonomischer Prozesse. München 1994, S. 114. 215 Haarqualitäten aus der Familiengeschichte bekannt.

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Abb. 35 Naturwelle statt Ondulation, Alltagsfrisuren ca. 1919

Onduliereisen gebrannte Frisuren, ein unebenmäßiges Wellenbild, folgt aber locker nach hinten oder mit Seitenscheitel frisiert und leicht toupiert den modischen Formen. Die große Variationsbreite der Hochsteckfrisuren beruhte nicht zuletzt darauf, verschiedene Polsterungen und Postiches einzuarbeiten; hauptsächlich wurde zwischen hoher und tiefer Frisur unterschieden. Von Saison zu Saison wurde debattiert, welche Form diesmal denn nun Mode wäre.216 Gerade der offenkundig kunstvoll hergestellte Formenreichtum betonte den Charakter der Künstlichkeit dieser Mode, die ein um 1900 schon mindes­ tens 150 Jahre währendes Versteckspiel mit eigenem und fremdem Haar, Volumen und Haarlängen betrieb, eine „simultane Repräsentation von Vorzeigen und Verdecken“.217 Die sexuelle Konnotation von langem Haar, das im Rätselhaften der verschlungenen Hochfrisuren nicht aufgehoben, aber gezähmt wurde, kann als paradigmatisch für die im Fin de siècle verbreiteten Vorstellungen einer bedrohlichen Weiblichkeit begriffen werden, sei es in Gestalt der Femme fatale oder Femme fragile. Bei aller erotisch aufgelade216 Wie an Franz Danigers in der DAFZ erschienenem Modebild unschwer zu erkennen ist. Annemarie Bönschs Kostümgeschichte, die in Abschnitten von je fünf Jahren vorgeht, berücksichtigt Frisuren explizit und nimmt dabei den Wandel der hohen und tiefen Frisuren auf; würde man den Wechsel von Saison zu Saison beobachten, würde deren Nebeneinander, wie das jährliche Nacheinander zu finden sein, allerdings setzte sich gegen Ende des Kaiserreichs vor dem Bubikopf die tiefe bzw. klein gehaltene Frisur klar durch. 217 Sykora, Katharina: Weibliche Kunst-Körper. In: Welsch, Wolfgang (Hg.): Die Aktualität des Ästhetischen. München 1993, S. 94–115, hier S. 98.

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nen Langhaarphantasie218 ist immer zweierlei zu bedenken. Einerseits galt, wie nicht zuletzt der Loreley-Mythos demonstriert, der Anblick langer, gelöster Frauenhaare als das Verführungsszenario schlechthin. Zeitgenössische Annahmen über den betörenden Duft von Frauenhaaren untermauern dies.219 Andererseits dürfte das lange Haar in erreichbarer Nähe nicht nur nach gegenwärtigem Verständnis häufig nicht sonderlich ansprechend gewesen sein. Denn den zeitgenössischen Gewohnheiten entsprechend und mangels bequemer Möglichkeiten, es zu waschen, war es nicht selten fettig und trotz der berühmten hundert Bürstenstriche oft verklettet.220 Die Attraktivität des Haarduftes schien jenen, die sie mit dem Gebrauch von duftenden Pomaden u.  ä. herstellten, wohl nicht ‚von Natur aus‘ gegeben. So eindrücklich Susanna Stolz den dominanten Anweisungscharakter rationaler Körperpflege im kaiserzeitlichen Hygieneboom herausgearbeitet hat, so dringlich wäre es, mehr über deren Umsetzung zu wissen. Berichte von Friseuren, die sich weigerten, das verschmutzte Haar ihrer Kundschaft – und zwar der wohlhabenden – anzufassen,221 widersprechen dem Bild der sauberen, guten Gesellschaft wenigstens partiell. Zwar war die optische Unterscheidung aufwändig ornamentierter Frisuren von nicht ganz kunstgerecht adaptierten Ondulationen durchaus Grundlage von sozialer Differenzierung, ob aber das obere Ende der Gesellschaft sich in Sachen Sauberkeit der 218 Zur Verführungskraft der Haare zwischen Ästhetisierung und Zivilisierung vgl. Burkart, Günter: Zwischen Körper und Klasse. Zur Kulturbedeutung der Haare. In: Koppetsch, Körper (2000), S. 61–98, hier S. 67ff. 219 So waren nach dem vor allem wegen seiner Reformbekleidung bekannten Jaeger (WollJaeger) lange Frauenhaare verlängerte Duftorgane, vgl. Weinreich, Heinrich: DuftstoffTheorie. Gustav Jaeger (1832–1917). Vom Biologen zum „Seelenriecher“. Stuttgart 1993, S. 128f. Bedeutend in der Erforschung von Düften war im Kaiserreich der Niederländer Zwaardemaker, der sich mit dem Zusammenhang von Sexualität und Zersetzungsgerüchen befasste, vgl. Zwaardemaker, Hendrik: Die Physiologie des Geruchs. Leipzig 1895. 220 Eine persönliche Erinnerung einer Frau an den desolaten Zustand ihrer Haare in den 1880er Jahren wird zitiert in: Trasko, Mary: Daring Do’s: A History of Extraordinary Hair. Paris 1994, S. 102. Fettiges Haar ließ (und lässt) sich kaum wie gewünscht locker frisieren, wie schon Friseure im 19. Jahrhundert beklagten, vgl. Hofmann, Carl: Neue WienerFrisirschule, Wien 1895, S. 1. Dass der Haarboden häufig nicht so gepflegt würde wie die Mundhöhle, kritisierte ein im Anhang der Frisirschule publizierender Arzt, vgl. Wallerstein, G.A.: Das Haar und seine Pflege im gesunden wie kranken Zustande. In: Hofmann, Carl: Neue Wiener-Frisirschule. Wien 1895, S. 67–82, hier S. 82. Wallerstein hatte kummervoll beobachtet, dass das „Gros des Publicums mit Gleichgültigkeit“ über die ärztlichen Vorschriften hinwegzugehen pflege. 221 Vgl. Antoine [Cierplikowski, Antek]: Antoine. New York 1945, S. 36f.

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Haare so vom unteren Ende unterschied, ist zu bezweifeln. Zudem ist die Häufigkeit der Haarwäschen bei Frauen wohl eher im Bereich von ein oder zwei Haarwäschen im Monat anzunehmen, bei Schuppen häufiger.222 Auch ist denkbar, dass bürgerliche Sparsamkeit dazu veranlasste, die Haltbarkeit der kostbaren Ondulation mit hinausgezögerten Haarwäschen zu verlängern. Wohingegen Frauen, die sich mit ‚Do-it-yourself‘-Alternativen oder dem Verzicht auf die begehrten Wellen arrangierten, sich möglicherweise häufiger die Haare wuschen. Beim Stand der Forschung ist dies nicht zu entscheiden. Besinnung auf Flechten: Versuch einer Nationalmode Im Ersten Weltkrieg wurde im Hinblick auf Bekleidung wie Frisuren eine intensive Debatte um nationale Aspekte von Mode – genauer gesagt nur Frauenmode – geführt.223 Das französische Modevorbild war im Kaiserreich bis dahin unangefochten bewundert worden. Gerade das Damenfrisieren galt als mühsam in Frankreich erworbene Kunst, die von einzelnen Friseuren nach Deutschland gebracht worden war und in Frisierschulen weitere Verbreitung fand.224 Nun aber hieß es, sich vom Feindesland zu emanzipieren225 und nach dem Abbruch der Beziehungen nach Paris eine deutsche Mode zu kreieren. Leitend war der Wunsch, eine internationale Mode deutschen Ursprungs zu schaffen,226 für die sich Modeschaffende verschiedener Branchen zusammenfänden und Entwürfe miteinander abstimmten. Die Kundinnen aber, an denen das größte gewerbliche Interesse bestand, die sogenannten besseren Damen, blieben zur Enttäuschung des Friseurhandwerks weiterhin an Frankreichs Ideen interessiert und versorgten sich mit französischen Modezeitschriften über den Umweg der neutralen Schweiz.227 222 Vgl. Einiges über Haarpflege. In: Kochschule und Ratgeber für Familie und Haus. Beilage zum Schweizerischen Familien-Wochenblatt, 20.11.1904, S. 162f–163. 223 So hatte sich schon 1906 eine Münchner Friseur-Modeakademie mit dem Ziel gegründet, deutsche Frisuren zu schaffen. Diese wurde zwar ein Jahr später wieder geschlossen, ihre Intention aber im Ersten Weltkrieg im Münchner Friseurgewerbe wieder aufgegriffen, vgl. Uttenthaler, Münchner Friseurgewerbe (1921), S. 118. 224 Vgl. Deutsche Frisierkunst. In: DAFZ, 1905, Nr. 6, S. 190. 225 Vgl. Müller, Ferdinand: Der Krieg und unser Beruf. In: DAFZ, 1914, Nr. 21, S. 665. 226 Vgl. Zur zukünftigen Mode. In: DAFZ, 1914, Nr. 20, S.  654 und Die Bestrebungen zur Schaffung deutscher Mode. In: DAFZ, 1914, Nr. 21, S. 666. 227 Vgl. Zur Mode. In: DAFZ, 1916, Nr. 1, S. 1.

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Der Kriegssituation angemessen, sollte die deutsche Mode vor allem zweckmäßig und einfach sein.228 Im Zuge der gewünschten nationalen Eigenständigkeit wurden schnell konkret Flechten als „der deutschen Frau würdig“ vorgeschlagen.229 Insgesamt war den dezenten Zopfornamenten aber nur die Rolle eines Accessoires zugedacht, der Gesamteindruck der Hochsteckfrisuren veränderte sich damit meistens nicht (vgl. Abb. 36, Mitte).

Abb. 36 Haarmodevorschläge in den 1910er Jahren

Über die Akzeptanz dieser Vorschläge bei der Kundschaft ist nichts zu vernehmen, diese Entwürfe wichen aber ganz offensichtlich nur minimal von den vorherigen und parallel getragenen internationalen Frisurformen ab. Anders als die lautstark angekündigten Absichtserklärungen verließ diese deutsche Mode kaum den üblichen Rahmen. Dennoch erreichte der von deutscher Seite formulierte Eigensinn in Sachen Mode das Interesse Frankreichs. Dort nahmen Karikaturisten sich des Themas an und zeigten ein vom „ehrenwerten Friseur Krankhund“ in Form eines Schrapnells gestaltetes deutsches „Kriegshaar“.230 Trotz aller Abgrenzung vom einst bewunderten und nun problematischen französischen Modevorbild wurde der Erzfeind in Deutschland unter 228 Vgl. Plauderei über die heutigen Modefrisuren. In: DAFZ, 1919, Nr. 12, S. 457, „Die eingeschlagene, schlicht zurückgenommene Frisur entsprach der gewollten Zweckmäßigkeit und Einfachheit der vergangenen schwereren Jahre. Jetzt sucht die Mode nach einem neuen Stil.“ 229 Der Krieg und die deutsche Mode. In: DAFZ, 1914, Nr. 17, S. 632. 230 Guenther, Nazi Chic (2004), S. 21. Guenther bezieht sich hier auf Radiguet, M.; Arnac, Marcel: Mode in Germany: Ligue contre le mauvais Goût anglo-français. Paris 1914.

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Hinweis auf den „bösen Geist“ der Frau auch entlastet; deren übertriebene Eitelkeit sei nicht typisch französisch, sondern der weiblichen „Hammelnatur“ überhaupt geschuldet.231 Wie Kritiken an aufreizend kurzen Röcken und auffälligen Hackenstiefeln in französischen Zeitungen beweisen würden, sei man in Frankreich „nicht so leichtlebig und oberflächlich wie man glaubt.“232 Die Modedebatten waren tief geprägt von Zerrissenheit, der Akzeptanz von Eitelkeit als Geschäftsgrundlage und einer der ernsten Lage angemessenen Zurückhaltung,233 aber auch fachpraktisch bestanden Widersprüchlichkeiten. Flechten als „deutsche Arbeit“ und „deutsches Können“234 zu favorisieren barg die Gefahr, dass sich Frauen ohne professionelle Hilfe selbst frisieren konnten,235 und so wurden wiederum lockige Haarteile empfohlen und zwar möglichst solche, die vom „Friseur einfrisiert werden müssen“.236

3.2 Revolutionär kurzes Haar und seine traditionelle Dekoration nach 1920 Wohl kaum eine Haarmode ist so in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt wie der Bubikopf. Nur vordergründig ging es bei dem spektakulären Bruch der modischen Entwicklung um gefallene Haarlängen. Vielmehr war ausschlaggebend, dass das nicht mehr zusammengesteckte Haar erwachsener Frauen keine Verweise mehr auf eine vorgeblich verborgene Haarpracht gab. Es wurde stattdessen offen getragen, wie es bis dahin nur bei Mädchen üblich war. Frauenköpfe hatten nun in der Öffentlichkeit kaum ein anderes Aussehen als in intimen Privaträumen. Eine Angleichung an Männermoden fand mit dem Bubikopf nicht statt, insbesondere gegensätzliche Körper-Inszenierungen blieben bestehen. Bereits der vorangegangene Gegensatz zwischen Männern und Frauen war weniger der zwischen Lang- und Kurzhaar, sondern der zwischen der zur Schau getragenen Verhüllung des erotisierten Frauenhaars einerseits und der demonstrativen Ver231 Modebetrachtungen. In: DAFZ, 1916, Nr. 7, Titel. 232 Ebd. 233 Vgl. Zur Mode. In: DAFZ, 1911, Nr. 15, S. 163. 234 Der Krieg und die deutsche Mode. In: DAFZ, 1914, Nr. 17, S. 632. Zur Mode. In: DAFZ, 1918, Nr. 5, S. 187. 235 Vgl. Daniger, Franz: Zur Modefrage. In: DAFZ, 1915, Nr. 7, S. 65. 236 Zum Damenfrisieren. In: DAFZ, 1916, Nr. 22, S. 243.

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sagung einer vergleichbaren Präsentation der Männer andererseits. Mit der Kurzhaarfrisur verschwand zwar die kokette Anstandsbekundung der Steckgebilde, der Kontrast von männlicher Dezenz und weiblicher Dekoration blieb hingegen erhalten. Konstanz lässt sich auch in Anbetracht der verwandten Silhouette des Bubikopfes und seiner Vorläufer konstatieren, der Stil der 1910er Jahre hatte mit der folgenden radikalen Erneuerung zuvor optisch vertraut gemacht. Schon 1912 wurde festgestellt, dass die Köpfe „im allgemeinen klein gehalten“ würden.237 Der variierende Frisurenumfang ging während des Ersten Weltkrieges schließlich deutlich zurück (vgl. Abb. 36, links). Bei den ‚tiefen‘ Frisuren waren antik-griechische Anklänge beliebt. Zwar waren sie nach hinten ausladend, zum Gesicht hin aber war die Form klein und kompakt. Sie nahm in der Silhouette den Bubikopf vorweg, der erst nach dem Ersten Weltkrieg modern wurde. Solche Frisuren wurden auch in den 1920er Jahren noch getragen. Frauen wie beispielsweise die Hamburgerin Gundel Wagner, die sich von ihrem langen Haar nicht trennen wollten, entschieden sich dafür. Die beiden Fotos von ihr in Abb. 37 mit gestecktem wie auch offenem Haar wurden in einem privaten Album gezielt nebeneinander eingeklebt. Mit dieser Präsentation dokumentierte sie sich zugleich innerhalb wie außerhalb der Mode stehend.

Abb. 37 Jungenfrisur

Schon als Hochsteckfrisur stieß diese „kugelrunde Jungenfrisur“ 1913 im Gewerbe auf Missfallen,238 mehr noch wurde aber das schließlich konsequent kurz geschnittene Frauenhaar abgelehnt, das 1914 erstmals als Vor237 Daniger, Franz: Das Modebild. In: DAFZ, 1912, Nr. 1, S. 1. 238 Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 510 vgl. auch Daniger, Franz: Modebericht. In: DAFZ, 1913, Nr. 1, S. 13f., Daniger gestand diese Mode eher jungen Frauen zu und echauffierte sich über ältere Anhängerinnen dieser Mode.

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schlag für „junge Damen in der Sanitätskolonne“ diskutiert wurde.239 Das Urteil: „zu unweiblich“ und „zu herausfordernd“240 war eine Einschätzung, die noch oft wiederholt werden sollte. Um die Herkunft der Bubikopfmode ranken sich heute zahlreiche konkurrierende Erzählungen. Das Narrativ der Ratio, das auf das Modevorbild der US-Krankenschwestern setzt, die während des Ersten Weltkrieges aus zweckmäßigen Gründen kurzes Haar trugen,241 konkurriert mit modeschöpferischer Genialität oder Exzentrik der Unterhaltungsbranche. Aber ob der Bubikopf nun nach dem Ersten Weltkrieg von Coco Chanel lanciert Auftrieb erhielt242 oder ob der französische Starfriseur Antoine den Ausschlag gab, der ihn längst vorher für Eve Lavallière ‚erfand‘,243 die US-amerikanische Tänzerin Irene Castle gleichfalls schon in den 1910er Jahren mit ihrem bobbed look ihr Publikum auch modisch mitriss244 oder doch die praktischen Krankenschwestern den Trend maßgeblich begründeten,245 muss auch in dieser Arbeit offenbleiben.246 Unzweifelhaft hatte der Umschwung viele Impulse. Ansätze zu Entwicklungen speziell deutscher Moden waren spätestens Mitte der 1920er Jahre größtenteils vergessen, der internationale Charakter des Stils, dem auch deutsche Frauen gerecht zu werden verstünden, aus239 Der Krieg und die deutsche Mode. In: DAFZ, 1914, Nr. 17, S. 632. 240 Ebd. 241 Vgl. Brutscher, Georg: Das „junge“ 20. Jahrhundert. In: Jedding-Gesterling, Frisur (1990), S. 199–228, hier S. 210. 242 Eine Ehre, die Chanel oft zugeschrieben wird, beispielsweise Loschek, Reclams Mode- und Kostümlexikon (1988), S. 147, die offenbar wohl aber unverdient ist, vgl. den Kommentar zu Chanels Überschätzung an diesem Punkt von Steele, Paris (1988), S. 247. 243 Antoine beschreibt in seiner Biografie zwei Beispiele von Frauen mit Bobhaarschnitten vor 1914, eine dieser mutigen Kundinnen war die zu ihrer Zeit sehr bekannte Schauspielerin Eve Lavallière, die sich ihm zufolge 1911, damals fünfundvierzigjährig zum Kurzhaarschnitt entschloss, um auf der Bühne jünger zu wirken, vgl. Antoine, Antoine (1945), S. 47f. Antoine verknüpft an dieser Stelle seines Rückblicks den epochalen Umschwung der Mode mit seinem Leben. „On �������������������������������������������������������������������� the way something whispered to me that this call from Eve Lavallière was going to be a turning point in my work and my life.“ Zur zweiten Schnittkundin, vgl. ebd. S. 77f. 244 Vgl. Corson, Fashions (1991), S. 610. 245 Vgl. Der Krieg und die deutsche Mode. In: DAFZ, 1914, Nr. 17, S. 632. 246 Ganz offenbar war Irene Castle ein besonders in den USA beliebtes Modevorbild, vgl. Golden, Eve: Vernon and Irene Castle’s Ragtime Revolution. Lexington 2007, S.  63–76. Der in Deutschland verbreitete Hinweis auf die impulsgebenden US-Krankenschwestern transportiert eindeutig die Vorbehalte gegenüber den USA als kulturellem Vorbild, nicht der Schick einer berühmten Tänzerin galt als ausschlaggebend, sondern eine von Pragmatik bestimmte Gruppengewohnheit.

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drücklich begrüßt.247 Der Bubikopf kann wie der Minirock zu den Beispielen gezählt werden, die eindrücklich demonstrieren, dass nicht exakt entschieden werden kann, wer welche Mode machte, obgleich dies immer wieder überlegt wurde und wird. In der deutschen Friseurpresse wie von ihm selbst wurde Antoine favorisiert, wenn auch neben dem berühmten polnischstämmigen Franzosen hin und wieder der unbekannte österreichische Kollege Franz Müller aus St. Pölten bei Wien ins Spiel gebracht wurde.248 Kurz nach Kriegsbeginn im Herbst 1914, etwa zeitgleich mit der in Deutschland veröffentlichten Kurzhaaridee für Sanitäterinnen, brachte Franz Müller in der Neuen Wiener Friseurzeitung seinen Vorschlag einer kriegsgemäßen, schlichten Haartracht für Frauen vor (‚Bundesfrisur‘, vgl. Abb. 36, rechts). Sie sollte „ohne nachgeäfften Tand der Franzosen und Engländer“ auskommen.249 Der Artikel wurde von den Herausgebern der Zeitung ausdrücklich ohne Kommentar abgedruckt. Der verbissene Gesichtsausdruck der politisch korrekten Kurzhaarigen in der Skizze, die den Schnitt illustrierte, mag allerdings vielleicht doch ein beabsichtigter Kommentar gewesen sein. Die Erfolgsgeschichte des weiblichen Kurzhaarschnitts begann jedenfalls mit seiner innergewerblichen Ablehnung, die sich eindeutig belegen lässt. 1916 verband die deutsche Friseurpresse mit dem in Frankreich beliebten „Bubenkopf alias Wäschermädelfrisur“ eine explizite Anspielung auf die Wiener Provenienz.250 Willy Ring beschrieb den Bubikopf als bolschewistische Tracht der verarmten russischen Mi­ grantinnen in Paris, denen die Coiffeure an der Seine immerhin noch zu ein bisschen Schick verholfen hätten.251 Noch 1919 wurde die „Mode der kurzen Haare“ unter Friseuren insgesamt eher kritisch gesehen.252 Nach der zeitgenössischen Erfahrung der schweren Grippewelle galt das abgeschnittene Haar als Notlösung für Frauen, die körperlich geschwächt ihr krankheitsbedingt ausgedünntes Haar kürzten, weil sich daraus ohnehin keine ansehnliche Hochsteckfrisur mehr machen ließ. Und auch die

247 Vgl. Daniger, Franz: Modebetrachtungen. In: DAFZ, 1924, Nr. 14, S. 329. 248 Vgl. Wie entstand der Bubikopf ? In: DAFZ, 1941, Nr. 1, S. 17 und 27. Auch dem französischen Friseur Henri Labarbe schrieb die Fachpresse den Verdienst zu, vgl. Der Bubikopf und sein Erfinder. In: DAFZ, 1924, Nr. 17, S. 398 249 Umsturz in der Haartracht. In: Neue Wiener Friseurzeitung, 1914, Nr. 19, S. 3–4, hier S. 3. 250 Schädlinge. In: Der deutsche Friseur, 1916, Nr. 5, S. 1. 251 Vgl. Ring, Willy: Bubenkopf-Haarschnitt. In: DAFZ, 1924, Nr. 11, S. 254. 252 Vgl. Die Mode der kurzen Haare. In: DAFZ, 1919, Nr. 6, S. 151.

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„Deutschenliebchen“,253 denen in Belgien nach Kriegsende das Haar abgeschnitten wurde, wurden als ungutes Modevorbild genannt.254 Daneben wurde auch sachlich argumentiert. Die Ablehnung der Damenfriseure habe pekuniäre Gründe, denn nun kämen die im Haarschneiden traditionell besser bewanderten Herrenfriseure im Damenfrisieren zum Zug. Im Diskurs wider den Bubikopf bemühte man sich im Gewerbe neben dem verbreiteten Vermännlichungsvorwurf gleichfalls um nationalistische Argumente, ebenso kreidete man der Frisur auch eine degoutante Herkunft an, die nicht auf historische Motive, etwa mittelalterliche Strafpraxen, rekurrierte, sondern auf zeitgenössische. Neue Modeheldinnen In Deutschland unterbreitete das Gewerbe zögerlich schließlich doch ab 1916 die ersten Vorschläge für „Pagenkopffrisuren“. Zwar wurde auch die ‚gemilderte‘ hochgesteckte Variante besprochen, aber unmissverständlich gründliche Erklärungen in Wort und Bild stellten klar: „Für diese Art von Frisuren muß das Haar der betreffenden Dame abgeschnitten werden.“ Der Bubikopf machte zumeist nicht den Sprung vom kleinen Jungen zur erwachsenen Frau.255 Entgegen der fachlichen Überzeugung, Jugendliche nicht „zu sehr“ zu frisieren,256 waren gerade diese modisch sehr interessiert. Entsprechend waren „jüngere Damen“ eher zum kompromisslosen Kurzhaarschnitt bereit, wie auch die experimentierfreudigen Künstlerinnen der Kino- und Theaterwelt.257 Backfische und junge Frauen ließen Haarschleifen und Stocklocken oder Zopffrisuren mehr und mehr hinter sich.258

253 Ebd. 254 Das stark kritisierte Verhalten des deutschen Heeres gegenüber der belgischen Zivilbevölkerung, ohne den die Bemerkung nicht zu verstehen ist, kam dabei aber nicht zur Sprache. 255 Vgl. Kinderfrisurmoden. In: DAFZ, 1918, Nr. 18, S. 239, Abb. 4 zeigt ein dreijähriges Mädchen mit Bubikopf, gelockt plus Schleife. 256 Backfische. In: DAFZ, 1920, Nr. 6, S. 257–259. Hier wird geraten, Frisuren für Konfirmandinnen und Kommunikantinnen nicht zu sehr zu frisieren. 257 Modebild. In: DAFZ, 1919, Nr. 19, S. 678. Valerie Steele zufolge waren Kurzhaarfrisuren für Frauen in Pariser Avantgardekreisen schon vor dem Ersten Weltkrieg beliebt, Steele, Paris (1988), S. 247. Ähnliches ist von Studentinnen in der Schweiz bekannt, wie A. Augspurg oder I. Frapan. 258 Vgl. Daniger, Franz: Zur Mode. In: DAFZ, 1919, Nr. 6; Pagenfrisuren für junge Damen. In: DAFZ, 1916, Nr. 7, S. 81.

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Eindeutig waren die optischen Altersstufenanzeichen von Frisuren bei Heranwachsenden nun nicht mehr. Die prototypisch auf Berlins Flaniermeilen verorteten,259 typischerweise jungen Protagonistinnen der Bubikopfmode wurden wenig später einschlägig als ‚Neue Frauen‘ klassifiziert.260 Über eine etwaige Distanz der für reifer und seriöser gehaltenen Frauen in Sachen Bubikopf schwieg sich die Fachpresse aus; „eitle Damen“ ließen sich immerhin zweimal wöchentlich ondulieren,261 „feine Damen“ aber, so wurde zu Anfang der Kurzhaarmode bedrückt resümiert, gäbe es nun weniger.262 Dieser Eindruck nahm mit abnehmender Länge der Haare sogar zu. Ebenfalls ausschlaggebend für das Urteil dürfte die Ablösung von der Orientierung an der Modedame gewesen sein. Unabhängig von ihrem Alter per se mit erwachsener Reife assoziiert, wurde ihre führende Position in Modefragen von salopper, moderner Jugendlichkeit ersetzt. Die erforderliche Umstellung auf Backfische als Trendsetter dauerte einige Zeit, 1921 war sie von den Friseuren und Friseurinnen längst noch nicht vollzogen. Praktische Bewährung der Mode? Die taktile Revolution in der weiblichen Kleidermode wiederholte sich auch im Haar,263 wenngleich mit einigen Unterschieden. Das Gesicht umspielende Lockenensembles, Korkenzieherlocken, die über den vom Abendkleid freigelassenen Nacken strichen oder ondulierte, nach vorn gezogene Wangenpartien übernahmen schon vorher ähnliche Funktionen. Auch wurden die Frauenfrisuren nun insgesamt beweglicher. Mit der oft gerühmten revolutionierten Bewegungsfreiheit der weiblichen Bekleidung264 ging dies nicht

259 Vgl. Zimmermann, Franz: Die neuste Mode. In: DAFZ, 1921, Nr. 2, S. 55. 260 Ausführlicher zur ‚Neuen Frau‘: Kessemeier, Gesa: Sportlich, sachlich, männlich. Das Bild der ‚Neuen Frau‘ in den Zwanziger Jahren. Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Körperbilder in der Mode der Jahre 1920 bis 1929. Dortmund 2000. 261 Daninger, Franz: Die Einfachheit der neuen Modefrisuren. In: DAFZ, 1921, Nr. 8, S. 291. 262 Was ist Mode? In: DAFZ, 1921, Nr. 7, S. 249. 263 Vgl. die einschlägige Beschreibung der neuen Kleider parallel zur neuen Frisur in: Die neueste Mode. In: DAFZ, 1920, Nr. 1, S. 17. 264 Beispielsweise bei Bertschik, Mode (2007), S. 195.

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recht zusammen,265 fielen doch nun die vorher strikt gebändigten Haare schnell in die Augen.266 Gerade die Vertreterinnen der viel besprochenen, typischen Frauenberufe der 1920er Jahre, Sekretärinnen und Verkäuferinnen, oder sportgirls dürften in dieser praktischen Hinsicht wenig profitiert haben. Suzanne Lenglen, die erste professionelle Tennisspielerin überhaupt, trug in den 1920er Jahren zwar kurzes Haar, ging aber nur mit Stirnband auf den Platz.267 Etwas anderes war aber entschieden erleichtert worden. Was sich nun problemloser erreichen ließ, war das modische Aussehen. Worauf es ankam, war der Schnitt, nicht das frisierte Arrangement wie bei den Hochsteckfrisuren. Dieser ließ sich zwar mit Wellen und Locken ornamentieren, war aber auch glatt tragbar. Der Aufwand war entschieden geringer und auch Frauen mit kleinerem finanziellen Spielraum liefen damit vergleichsweise weniger Gefahr, eigene unzureichende Frisierkünste ausstellen zu müssen, die anstelle einer unerreichbar teuren Friseurdienstleistung ausreichen mussten,268 wie es während der Ondulations-/Hochsteckmode zuweilen der Fall war. Auf den der Mode inhärenten Wechsel musste aber auch nun nicht verzichtet werden. Den Kundinnen blieben weiterhin Möglichkeiten der Variation und Distinktion und dem Gewerbe zahlreiche Einnahmequellen. Die Lust an Veränderung brachte in den 1920er Jahren eine baldige Überführung des Bubikopfs in einen klassischen Look, und zwar in Wellen gelegt. Schon Antoine hatte in seinen Memoiren dem revolutionären Kurzhaarschnitt Eve Lavallières zwar ein eigenes Kapitel gewidmet, dafür aber die Überschrift The Sculptured Curl gewählt. Nicht die revolutionäre Kürze der Haare, sondern die gestalterische Modellage des Haars und die entspre265 Ähnlich hat die Architekturgeschichte die durchaus bemerkbare, mangelnde Umsetzung des ‚Form folgt Funktion‘-Mottos herausgestellt, vgl. Jeffries, Matthew: Wilhelminischer Monumentalismus. Zur politischen und kulturellen Rolle der Architektur im Deutschen Kaiserreich. In: Müller/Torp, Kaiserreich (2009), S. 233–245, hier S. 240f. 266 Zum unpraktischen Charakter der Mode vgl. Schnierer, Thomas: Die (Ir-)rationalität der Mode und ihre theoretische Bewältigung. In: Soziale Welt, 1995, Nr. 2, S. 223–239. 267 In der zeitgenössischen Kunst greift die Darstellung von Tennisspielerinnen dieses Aussehen in stets gleicher Weise auf, vgl. Nentwig, Janina: Akt und Sport. Anton Räderscheidts „hundertprozentige Frau“. In: Cowan/Sicks, Moderne (2005), S. 97–118, hier S. 102–111. 268 Vgl. die positiven Besprechungen der Konfektionsmode, die es anders als die teure Maßschneiderei vielen erlaubte, modisch aufzutreten. Kombiniert mit erschwinglich verstandener individueller Friseurdienstleistung schien man im Gewerbe von der Möglichkeit, modischen Geschmackssinn für alle ermöglichen zu können, überzeugt zu sein, vgl. Plauderei über die heutigen Modefrisuren. In: DAFZ, 1920, Nr. 12, S. 457.

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chenden Künste des Friseurs standen so (für den Autobiografen ziemlich günstig) im Mittelpunkt. In der deutschen Fachpresse wurde die Begründung für die handgelegte Wasserwelle an traditionelles Empfinden angelehnt formuliert. „Gewelltes Haar passt stets in den Rahmen der Mode, weil es kleidsamer ist und schöner aussieht als glattes.“269

Abb. 38 Gewellte Bubiköpfe

Die bei Haarteilen erprobte Technik der handgelegten Wasserwelle kam hier perfektioniert am ganzen Kopf zur Anwendung, denn die nass geformten Haare konnten nun mit elektrischen Geräten getrocknet werden. Mit verbesserten Dauerwelltechniken kamen auch insgesamt mehr wellige, später lockige Frisuren, die langsam länger wurden, auf. Schließlich ließ sich gelocktes Haar besser in Wellen/Locken frisieren und hielt aufgrund der Dauerwelle auch besser. Wiederum als Lösung für Sport und Beruf propagiert, kam die Kombination Dauerwelle plus Schnitt und Wasserwelle auf.270 Daneben aber erhielt sich das Publikum immer auch den glatten Bubikopf,271 der entgegen allen friseurhandwerklichen Bemühungen beliebt blieb. Für diesen Fall wurde im Gewerbe diskutiert, den Kundinnen immerhin eine leichte Ondulation vorzuschlagen, um den Aufwand und damit die 269 Krüger, Gustav: Das Wasserwellen auf dem lebenden Kopf. In: DAFZ, 1924, Nr. 14, S. 10. 270 Vgl. Modebericht. In: DAFZ, 1928, Nr. 14, S. 405. Frisuren würden nicht nach Schönheit und Vollkommenheit, sondern nach Zweckmäßigkeit ausgesucht, sie folgten einem „Sinnbild des Zweckgedankens“. 271 Vgl. Modebericht. In: DAFZ, 1926, Nr. 6, S. 169.

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Einnahmen zu erhöhen.272 Weil durch die kurz geschnittenen Frisuren kaum noch Haarteile gebraucht wurden, büßte das Haarkonfektionsgeschäft seine Einnahmen erheblich ein. Insgesamt aber war man sich über die Einträglichkeit dieses neuen Looks einig, zwang er doch die „Damen, zum Friseur zu gehen“,273 und zwar häufiger als zuvor. Außerdem wären nun auch Kundinnen, die sich früher selbst frisiert hätten, gewonnen worden.274

Abb. 39 Glatte Bubiköpfe

Wenn auch in den Augen des Friseurgewerbes nur bedingt günstig für die Einnahmen, so bot der glatte Bubikopf Kundschaft und Handwerk gestalterisch vieles. Er ermöglichte zahlreiche Spielereien verschiedener Umrisslinien, etwa kombiniert mit rund oder spitz ins Gesicht frisierten Spitzen oder Ponyvarianten (vgl. Abb. 39). Mit Pony getragen, war die lästige Beweglichkeit der vor die Augen fallenden Haare gebremst, ohne Pony waren vor allem tiefe Seitenscheitel beliebt. Des besseren Halts wegen wurden diese häufig mit einer großzügigen Welle über die Ohren frisiert – oder stattdessen mit einer Haarspange festgehalten, wie es zehn Jahre später noch beliebt war und heute von der verbreiteten Fotografie Sophie Scholls her sehr bekannt ist. Nicht nur die neue Haarlänge galt als aufregend, auch die ständigen Veränderungen der Kurzhaarmode wurden als wild wahrgenommen. Die Gesichter würden durch Frisuren und den verwendeten Haarschmuck so stark 272 Vgl. Modeplauderei. In: DAFZ, 1923, Nr. 10, S. 199. 273 Zimmermann, Franz: Die neue Mode. In: DAFZ, 1921, Nr. 2, S. 55. 274 Vgl. Vöste, Hermann: Die gegenwärtige Wirtschaftslage und das kurze Haar. In: DAFZ, 1926, Nr. 14, S. 421.

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verändert, dass die Trägerinnen im permanenten Wandel kaum wiederzuerkennen wären.275 Neben Diademen waren „wilde große“ Kämme gefragt,276 das Motto insgesamt: „Nur kein ewiges Einerlei in der heutigen Zeit der aufgeregten Menschheit! Man will auffallen und gefallen, mit einem Wort: Das Leben genießen.“277 Dazu passten auch außergewöhnliche Veränderungen der Haarfarbe, wie die weißen Perücken in der Mitte der 1920er Jahre (vgl. Abb. 38, Mitte).278 Sie waren als besondere Ballgarderobe oder zum Fasching gedacht, sogar für Männer wurden sie vorgeschlagen.

Abb. 40 Bubikopfverwandlungen

Manches ging den Fachleuten entschieden zu weit, so galten die radikal „kurz geschnittenen Haare und der neueste ‚Wuschelkopf‘“ – nicht selten die Folge von strapaziösen Dauerwellverfahren – als zu extrem.279 Allerdings wurde letzteres vom Gewerbe unterstützt, das für besondere Anlässe vorschlug, sehr krause Haarteile einzufrisieren. Mochte das kurze Haar für Tagesfrisuren passen, so versuchte die Fachpresse immer wieder für Abendfrisuren zu werben, die mithilfe von Postiche als langes Haar gelten konnten. So wurden Bubiköpfe wie beispielsweise in Abb. 40 in mehreren Varianten gezeigt. 275 Vgl. Die Mode im Ausland. In: DAFZ, 1921, Nr. 14, S. 519. 276 Modebild. In: DAFZ, 1923, Nr. 9, S. 179. 277 Neue Modefrisuren. In: DAFZ, 1921, Nr. 16, S. 587. 278 Vgl. Motive der Berliner Modekommission für die weiße Perücke. In: Offizielle Friseurzeitung, 1925, Nr. 1, S. 5. 279 Die neueste Mode. In: DAFZ, 1921, Nr. 1, S. 17.

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Obwohl das zu kurze Haar als männliche Ausartung des Bubikopfes abgelehnt wurde, dem mit fachlicher Beratung entgegengesteuert werden sollte,280 wurde diese ‚Vermännlichung‘ nicht als sexueller Rückzug, sondern als sittliche Bedrohung empfunden, die „den Hang zur Sinnlichkeit in hohem Maße hervortreten“ ließe.281 Diese Reaktion ist vergleichbar mit denen auf eines der bekanntesten Werke des Architekten Adolf Loos, dem Haus am Michaelerplatz in Wien (erbaut 1909–1911). Der schmucklosen Fassade wegen wurde der Bau „Frau ohne Augenbrauen“ genannt oder gar als nackte, rasierte Frau bezeichnet.282 Völliger Verzicht auf Dekoration erschien nicht wenigen als unanständige Herausforderung. Nacktheit als ‚Signum der Moderne‘ war zwar eine weithin geteilte Einschätzung, während aber die Männermode mit glatt rasierten Gesichtern das Thema aufnahm, entwickelte sich die durch einen Mangel an ausgesprochenen Schmuckelementen empfundene Blöße für Frauen nicht zu einem verbreiteten Trend. Der Etonschnitt wurde, sofern er in der Friseurpresse überhaupt auftauchte, mit langen ‚Winkern‘ gezeigt, die über die Wangen reichten (vgl. Abb. 41 links), also ornamental verschönt oder beladen – je nach Standpunkt –, während seine radikale Kürze als eigentliche Charakteristik ohne solch spielerische Elemente wahrgenommen wurde.283

Abb. 41 Radikale Kurzhaarschnitte

In seinen festlichen, voluminösen Versionen übernahm die Ausprägung des Bubikopfes Silhouette und Stilmerkmale der vorangegangenen Einschlag280 Vgl. Daniger, Franz: Die Auswirkungen des Bubikopfs. In: DAFZ, 1924, Nr. 18, S. 429. 281 Die neueste Mode. In: DAFZ, 1920, Nr. 1, S. 17. 282 Dröge, Franz; Müller, Michael: Die Macht der Schönheit. Avantgarde und Faschismus oder die Geburt der Massenkultur. Hamburg 1995. 283 Auch Vicky Baum zeigte sich mit der ornamentbehafteten, abgemilderten Etoncropvariante, vgl. Bertschik, Mode (2005), Abb. 36, n.p.

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frisuren. Der flache Stil hingegen, glatt oder wellig, wies in die Zukunft. 1933 stellte Adolf Weickert erleichtert fest, dass „die Zeiten des gekrausten, furchtbar aufgelockten Haares“ wohl endgültig passé wären.284 So wurde in den frühen 1930er Jahren nicht mehr mit Volumina experimentiert, sondern mit Längen. Der Etonschnitt wurde Anfang der 1930er Jahre vom Pariser Starfriseur Antoine zum ‚coup de vent‘ (vgl. Abb. 41, rechts) weitergeführt.285 Dabei blieb das kurze Haar, die ‚Winker‘ wurden nun als gleichmäßig fransig geschnittene Partie ins Gesicht gekämmt. Diese Haarlänge sollte sich aber erst in den 1950er Jahren weithin durchsetzen, beliebter war es nach dem ersten Jahrzehnt kurzer Frisurmode, das Haar länger wachsen zu lassen. Es wurde dann weniger kinnlang, sondern eher auf Schulterhöhe getragen. Entfaltung der gestalterischen Möglichkeiten als Individualisierungschance für Frauen? Im Zuge des Formenwandels zur Kurzhaarfrisur für Frauen entfaltete sich nicht nur recht schnell die Ausdifferenzierung der neuen Haarlänge zu verschiedenen Frisuren, nunmehr schien sich die fachliche Perspektive auf die Kundinnen verändert zu haben. Solange das Haar lang getragen wurde, gab es im Gegensatz zum Herrenfach wenig Ansätze, Frisuren und ihre Trägerinnen systematisch aufeinander zu beziehen. Anlass und Alter waren bislang primär die Kriterien gewesen, nach denen die Ausgestaltung erfolgte, während bei der Fachliteratur für das Herrenfach schon länger die Beobachtung der körperlichen Gegebenheiten der Kunden und deren Persönlichkeit thematisiert wurden. Den Weg in diese Richtung ging das Gewerbe nun auch im Damenfach, Bezug nehmend auf weibliche Individualität. Auch wenn der Zeitpunkt dieser Entwicklung es nahelegt, kann die Berücksichtigung der weiblichen Individualität im Gewerbe nicht aus dem Trend zur Kurzhaarfrisur abgeleitet werden, wie ein Vergleich mit den Männerfrisuren zeigt. Denn bei denjenigen Herrenfrisuren, die wie die meisten Bubiköpfe vornehmlich durch Frisieren und nicht durch den Schnitt ihre eigentliche Form erhielten, wurden kaum Überlegungen zur Anpassung der Frisur an die Person vorgenommen. Diese waren aus fachlichen Gründen bei Bürstenschnitten angestellt und als fachkundliches Wis284 Weickert, Adolf: Frisur und Mode. In: DAFZ, 1933, Nr. 16, S. 405. 285 Vgl. Ring, Willy: Deutsche „Windstoß“ Frisur. In: Der deutsche Friseur, 1932, Nr. 2, S. 11.

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sen ausgearbeitet worden. Da bei dieser minimalen Haarlänge nach Abschluss des Schnittes wenig Korrekturen möglich waren, wurde es nötig, die Ursachen von möglichen Fehlgestaltungen zu benennen, um ihnen vorzubeugen. Im Zuge dessen war der Kundenkörper in das Blickfeld geraten. Dass nun während der Bubikopfmode ein ähnlicher Körperbezug für Frauen Bedeutung erlangte, der sich bis heute ungebrochen hält, ist trotz der mit gefallenen Haarlängen markierten Zäsur daher nicht als fachpraktische Erfordernis zu erklären. Schließlich konnte nach dem Schnitt die endgültige Gestaltung durch Frisieren beeinflusst werden. Innergewerblich wurde die neue Haarlänge aber als maßgeblicher Impuls verstanden. Beispielsweise meinte Carl Müller 1925, dass der Erfolg der „Bubifrisur“ in ihren „feinsten individuellen Nuancen“ liege und so insbesondere die „auf Jugendlichkeit und Emanzipationslust Anspruch machende Weiblichkeit“ für sich gewonnen habe.286 Genauer besehen sind, wie eben ausgeführt, allerdings nicht die Nuancierungen ausschlaggebend gewesen. Denn die Bandbreite der möglichen Bubikopfvarianten übertraf nicht die Vielfalt der Hochsteckfrisuren, für deren Anpassungen an die jeweilige Kundin eine fachkundliche Empfehlung genauso nötig gewesen wäre, die aber über die höchst unscharfe Feststellung „Eines schickt sich nicht für alle“ hinaus nicht konkretisiert wurde.287 Vielmehr verband sich in der innergewerblichen Perspektive mit den kurzen Haaren der von Müller gleichfalls angesprochene Aspekt der Individualität. Diese zu behaupten, traten Frauen nach dem Ersten Weltkrieg verstärkt an.288 Mit der schon angesprochenen ‚Neuen Frau‘ wurden neue Frauen- bzw. Körperbilder entworfen und die Frage der weiblichen Identität neu verhandelt. Im Friseurgewerbe wurde diese Entwicklung fachkundlich mit der Ausbildung einer Gesichts- und Kopfformentypologie aufgenommen. Hier wurden Überlegungen dazu, welche Frisur zu welcher körperlichen Gegebenheit am besten passe, zusammengefasst.289 So kündigte sich auch die im Herren286 Müller, Ferdinand: Der moderne Friseur und Haarformer in Wort und Bild. 3. Aufl., bearb. von Carl Müller. Nordhausen 1925, S. 471. 287 Daniger, Franz: Modebild. In: DAFZ, 1905, Nr. 3, S. 61. 288 Dazu konzentriert auf junge Frauen: Föllmer, Moritz: Auf der Suche nach dem eigenen Leben. Junge Frauen und Individualität in der Weimarer Republik. In: Föllmer, Moritz; Graf, Rüdiger; Leo, Per (Hg.): Die ‚Krise‘ der Weimarer Republik. Zur Kritik eines Deutungsmusters. Frankfurt am Main [u. a.], S. 287–318. 289 Vgl. Anleitung, um die Frisur der Form des Gesichts anzupassen. In: DAFZ, 1924, Nr. 1, S. 452.  

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fach schon besprochene, negative Prägung des Blicks auf die Kundschaft an, deren „Eigentümlichkeit der Gesichtsbildung“ überwiegend von „Mißgriffen der Natur“ bestimmt war.290 Allerdings wirkte sich dies noch nicht auf die schematische Darstellung aus, nur im Text ist die positive Deutung des ovalen Gesichts und die Problembehaftung des breiten oder länglichen zu erkennen. In der Illustration sind alle drei Formen im Stil der zeitgenössischen Modegrafik gehalten, erst in den 1930er Jahren sollte hier wie im Herrenfach die karikierende Visualisierung mit dem Text gleichziehen. Mit der fachkundlichen Weiterentwicklung griff das Gewerbe insofern weibliche Individualisierungsansprüche auf, als nun jeder Kundin versprochen werden konnte, die Frisurgestaltung individuell auf ihre Person auszurichten. Daran lässt sich zu Recht kritisieren, dass auf schematischem Wege Individualität nur stark reduziert Eingang in gestalterische Überlegungen finden könne. Eine Kritik an der unterkomplexen Sicht auf die Kundschaft lohnt sich aber nicht. Schließlich lässt sich das überkommene Problem von Typisierung und Individualisierung291 mit einer Differenzierung der Begriffe Identität und Individualität leicht lösen.292 Denn Identität und „Selbst-Sein“ sind streng von Individualität und Einzigartigkeit zu unterscheiden. Demgegenüber ist es in der Alltagsmeinung weit verbreitet, vestimentäre Praktiken als Ausdruck von Identität nur dann gelten zu lassen, wenn sie sich von anderen deutlich abheben.293 Als relevant gilt hier, dass Typen für eine Mehrzahl an gleichen Ausführungen stehen, während Individuen immer jeweils nur für sich stehen. Dies lässt sich insofern nicht auf Identität übertragen, als jemand durchaus sein Aussehen, wie auch andere Aspekte der Person, mit anderen teilen kann, ohne seine Identität zu verlieren. Denn das Wissen um sich setzt die Unterscheidung zu anderen nicht voraus. Überspitzt gesagt kann sich aus Individualität sogar ein Identitäts290 Vgl. ebd. 291 Vgl. die aus berechtigten ökonomischen Gründen formulierte Kritik an der Typisierung im Friseurberuf, die die Vermarktung der Friseurdienstleistung als exklusives Unikat verhindere, bei Schweig, Wolfgang: Grundlage einer Berufsdidaktik des Friseurberufs im Berufsfeld Körperpflege. Oldenburg 2000, S. 135ff. 292 Zur folgenden Überlegung vgl. Straub, Jürgen: Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs. In: Assmann, Aleida; Friese, Heidrun: Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität, Bd. 3. Frankfurt am Main 1998, S. 73–104, hier S. 78. 293 Diese Meinung steht in engem Bezug zu Simmels modetheoretischen Überlegungen, die vom Individualisierungstrieb, dem Bestreben, sich von anderen abzusetzen, bestimmt sind, vgl. Simmel, Georg: Philosophische Kultur. Über das Abenteuer, die Geschlechter und die Krise der Moderne. Berlin 1986, S. 53.

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problem entwickeln, weil etwas, das sich von allem unterscheidet, nur noch zu differenzieren, aber kaum noch zu identifizieren ist. Das eigentliche Problem an der Ausrichtung des fachlichen Interesses auf den Körper der Kundinnen ist die damit konstituierte körperliche Grundlage von Individualität. Der Unterschied vom Herren- zum Damenfach ist an dieser Stelle einschlägig. Der Körperbezug bei Männern war zunächst als handwerkstechnische Grundlage zur Erfassung und Vermeidung nicht nachträglich korrigierbarer Fehlgestaltungen bedeutsam geworden. Davon thematisch unabhängig bestand zeitlich parallel ganz selbstverständlich die Berücksichtigung der Kundenpersönlichkeit als fachlicher Standard, der in der Weimarer Republik auch bei Frauen, allerdings anders gelagert, angewandt werden sollte. Es wurde zwar gewerblich diskutiert, dass die Kundenpersönlichkeit sich in der Frisur spiegeln solle, hingegen wurde den Kundinnen nur insofern versprochen, dass ihre Individualität bei der Frisur Berücksichtigung fände, als auf die Gesichtsmerkmale achtgegeben würde. Verhieß das Handwerk bei Männern die Außendarstellung des Inneren, verblieb das Versprechen bei Frauen an der Oberfläche, allein deren morphologische Kenntnisnahme schien die weibliche Individualität zu erschließen. Ist dies als begrenzte Wahrnehmung von weiblicher Persönlichkeit zu verstehen? Schrieb das Gewerbe damit die im Modegeschehen beobachtbare Geschlechterdifferenz fort, wie sie schon zwei Jahrzehnte zuvor von Simmel formuliert worden war?294 Weil Frauen sich anders als Männer kaum beruflich beweisen könnten, müssten sie Simmel zufolge ihre Persönlichkeit mit oberflächlichen Attributen herausstellen, während ein solches Gebaren für Männer entsprechend überflüssig sei. Eine allein durch körperliche Merkmale bestimmte Version von Persönlichkeit konnte daher mit einer entsprechenden Aufmachung reüssieren, während es Männern zugestanden wurde, sich qua beruflicher Leistung selbst zu verwirklichen. Insofern setzte das Gewerbe seine neuartigen Werbeversprechen in traditioneller Weise an. Bei Männern geschah dies unter Verweis auf die Rolle, die die Frisur beim richtigen Auftreten im Berufs- und Geschäftsleben spielte, das den eigentlichen Rahmen der Persönlichkeitsentfaltung abgab. Dieses Motiv wurde auf Frauen bezogen beispielsweise in der Kosmetikindustrie in verkürzter Form aufgenommen, in der Friseurbranche griff man vor allem das zeittypisch beliebte, aber nicht näher ausgeführte Individualisierungs294 Vgl. ebd.

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thema auf. Vergegenwärtigt man sich allerdings die für die Weimarer Republik typische Perspektive auf Massenszenen und die häufig thematisierte Entindividualisierungserfahrung, relativiert sich die Geschlechterdifferenz nicht, sie wird aber unter neuen Voraussetzungen reformuliert. ‚Masse‘ war zwar durch Verstädterungsprozesse in der Industrialisierung schon im Kaiserreich beobachtbar gewesen und als unpersönliches, massenhaftes Sterben im Ersten Weltkrieg als neue Dimension deutlich geworden, in den 1920er Jahren sollte sich allerdings die Kritik an der Vermassung verschieben.295 Nun war das einst am Ideal normativer Männlichkeit gemessene Unvermögen Einzelner (typischerweise Frauen), die in ihrer Entwicklung nicht über das Gattungswesen hinaus gelangten, nicht mehr Ursache der Massenbildung. Diese wurde nun begriffen als Konsequenz aus Rationalisierungs- und Modernisierungsprozessen, die das Selbst schwächten. War es zuvor nur für ‚leistungsstarke‘ Außenstehende möglich, sich über derartige Zusammenhänge aufzuklären, war es Siegfried Kracauer folgend nun der Unterhaltungskultur der Weimarer Republik zu verdanken, dass die entindividualisierte Masse allgemein erkannt werden konnte. Geht man also von einer demokratisierten, kritischen Perspektive aus, stellt sich das friseurhandwerkliche Individualisierungsangebot als Vorschlag dar, der es den Berufsangehörigen ermöglichte, die hinsichtlich der Vermassungsproblematik sensibilisierte Kundschaft für sich zu begeistern, indem ein Weg gefunden wurde, jede Kundin als Individuum anzusprechen, ohne ihr gleichzeitig versprechen zu müssen, dass sie nach Fertigstellung ihrer Frisur aus der Masse herausragen würde. Die Identität blieb so innerhalb der Massenmode gewahrt. In diesem Rahmen verblieben auch die Männer, die sich nach wie vor je nach ihrem Ort im Arbeitsleben mehr oder weniger über Leistung profilieren konnten. Frauen konnten den Anspruch auf ein eigenes Leben weniger im Vollzug solcher Pläne als in der Thematisierung ihrer Individualität verwirklichen – zumindest im Friseurgeschäft. Die sich in der Fachliteratur in den 1920er Jahren manifestierende Beobachtung des weiblichen Körpers stand im Dienst einer innergewerblichen Verbesserung der Gestaltungsfähigkeiten, brachte aber ein neues Problem hervor. Der Bezug auf Individualisierungswünsche von Frauen im Rekurs auf körperliche Grundlagen hatte zur Folge, dass der Körper ins Zentrum rückte. Keineswegs kam dem Gesicht eine vorsprachliche Bedeutung zu, 295 Zur Massenthematik vgl. Kenkel, Karen J.: Das Gesicht der Masse. Soziologische Visionen. In: Schmölders/Gilman, Gesichter (2000), S. 206–227.

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erst der fachkundliche Diskurs prägte die Wahrnehmung von Gesichtern entlang von Grundformen ein. Für den großen diskursiven Einfluss auf die Körperwahrnehmung spricht an diesem Beispiel nicht zuletzt die Verlagerung der fachkundlichen Einsicht in die Notwendigkeit der Berücksichtigung der körperlichen Merkmale vom Herren- zum Damenfach, indem hier der bei den Männern weitgehend vom Körper gelöste Bezug zur Persönlichkeit hergestellt wurde. Besonders zwei Aspekte erscheinen an der skizzierten Entwicklung problematisch. Erstens blieb das Friseurgewerbe der Idee eines glaubwürdigen Modus von Persönlichkeit verhaftet, die als eine Kinderkrankheit auf dem Weg zu einer selbstdefinierten Schönheit von Frauen gesehen worden ist.296 Zweitens wurden Individualisierungsansprüche von Frauen nach dem männlichen Vorbild modelliert, aber gleichzeitig anders als dort ausgehend von körperlichen Gegebenheiten formuliert, sodass ein reichlich instabiler Ausgangspunkt der Selbstbestimmung gewählt wurde. Denn da gerade in den 1920er Jahren Jugendlichkeit als modische Idealvorstellung aufkam, ist damit derjenige Status von Körperlichkeit begehrenswert geworden, der den Gegensatz zur Vergänglichkeit des Leibes darstellt und daher ebenso flüchtig wie kaum diskursiv veränderlich ist, auch wenn mittlerweile zahllose Faktoren zur Verlängerung jener relativ kurze Phase der Jugend bzw. des jugendlichen Aussehens mehr oder weniger überzeugend beigetragen haben.297 Vom lockeren Stil zur starren Form: Anfang der 1930er bis Mitte der 1940er Jahre Typisch für die Weiterentwicklung des Bubikopfes Anfang der 1930er Jahre war die abgezirkelte Frisurplanung seitens des Friseurhandwerks einerseits und andererseits der von den Kundinnen bevorzugte Trend zum lässigen Flapperkopf. Bei ersterem kontrastierten akribisch angelegte Lockenornamente mit glatten und weniger welligen Partien. In Der Deutsche Friseur erwartete man 1932, dass „mit der ausgesprochenen Wellenfrisur wahrschein296 Vgl. Akashe-Böhme, Farideh: Tendenzen: Von der Schönheit zur Schönheit. In: AkasheBöhme, Farideh (Hg.): Reflexionen vor dem Spiegel. Frankfurt am Main 1992, S. 217. 297 Zu dieser Problematik in Bezug auf die Kosmetikindustrie vgl. Ankum, Katharina von: Karriere – Konsum – Kosmetik. Zur Ästhetik des weiblichen Gesichts. In: Schmölders/ Gilman (2000), S. 175–190.

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lich bald Schluß sein“ werde.298 „Immer mehr in den Vordergrund treten wohl geordnete Lockenpartien, meist flach an den Kopf gelegt, abwechselnd mit glatten Strähnen und auch manchmal Flechtpartien, keine Frisuren zum Selberherstellen, nein, die Hand des kundigen Friseurs ist unent­ behrlich.“299 Diese Einstellung zur Mode betonte wiederum die Notwendigkeit von Friseurdienstleistungen. Der nun anvisierte steife Charakter der Frisuren sollte sich im Lauf der 1930er und 1940er Jahre zwar nur langsam, dafür aber umso beharrlicher festsetzen.

Abb. 42 Entfernung vom welligen Look

Die sich vom welligen Look entfernende Entwicklung der 1930er Jahre ist in der Abb. 42 nachzuvollziehen. Links bildeten Locken den Saum der plastisch akzentuierten Wellen, die in den 1920er Jahren handwerklich perfektioniert worden waren und nun am Höhepunkt des Könnens langsam aus der Mode kamen. Das Modebild in der Mitte zeigt hingegen den anvisierten Trend, einen flach gehaltenen Oberkopf mit Rolllocken zu schmücken, diese Frisur ist mit seitlich über dem Ohr zu Wirbeln ausfrisierten Locken dekoriert worden. Wellenlinien wurden nur noch sparsam verwendet, Wellenkanten und -täler wurden typischerweise anders als in den Jahrzehnten zuvor nicht mehr parallel zueinander angeordnet, sondern entfernten sich voneinander, indem sich das Wellental von einem schmaleren Punkt aus am Hinterkopf verbreiterte (vgl. Abb. 42, Mitte). Mit wenig Aufwand frisiert und locker ausgekämmt fielen andernfalls stufig geschnittene Haare (oder aber ein herausgewachsener Bubikopfschnitt) mit einer legereren Oberflä298 Der Apollokopf. In: Der Deutsche Friseur, 1932, Nr. 5, S. 99. 299 Ebd.

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chenstruktur (vgl. Abb. 42, ganz rechts). Während der Trend zum längeren Haar bei den Kundinnen beliebt war, die so die Intervalle der Friseurbesuche verlängerten,300 stieß der Flapperkopf mit „liederlichen Nacken­fran­ sen“301 wegen seiner ungünstigen Auswirkungen auf die Einnahmen im Gewerbe auf Ablehnung. Um Kundinnen vom legeren Stil abzubringen, versuchte das Friseurhandwerk wenigstens bei avancierten Abendfrisuren mit besonders artifiziellen Kreationen zu überzeugen. Haar als Accessoire Ballcoiffuren wurden häufig mithilfe von festigendem Haarlack zu extravaganten, starren Gebilden modelliert. Dabei wurde deren plastische Gestaltung durch den glänzenden Lacküberzug noch verstärkt.302 Bei ausgetüftelten Kombinationen (vgl. Abb. 43, links) wurde wie bei einer Intarsienarbeit in eine kaum plastische Wellenbewegung eine gewebte Haarpartie eingebettet. Auch wurden aus Haar hergestellte, filigrane Reifen oder andere Schmuckstücke wie Blumen und andersfarbige Haarteile verwendet. In Abb. 43, Mitte, hob sich beispielsweise die helle Strähne in der Skizze deutlich vom übrigen Haar ab. Zur Vielfarbigkeit kam ein lebhafter Mustermix

Abb. 43 Haar als Accessoire

300 Vgl. Meyer, Karl: Der nachgewachsene Bubenkopf mit kurzem Nackenschnitt. In: DAFZ, 1930, Nr. 4, S. 89. 301 Der Flapperkopf. In: Der deutsche Friseur, 1930, Nr. 11, S. 14. 302 Vgl. Die modische Lackfrisur. In: Der deutsche Friseur, 1932, Nr. 2, S. 495. Ring, Willy: Tragbare Phantasiefrisuren von dauergewellten Haaren. In: Der deutsche Friseur, 1932, Nr. 22, S. 579. Ring plädierte dafür, die hoch entwickelte Beherrschung des Haarmaterials nicht an Kundenköpfen anzuwenden, sondern dies für Berufsmeisterschaften zu reservieren.

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von glatt, wellig und geflochten und ergänzt um einen schrägen Scheitel; durch die zeittypisch eng gehaltene Umrisslinie erhielt die Frisur gleichwohl eine optische Geschlossenheit. Häufig wurde vorgeschlagen, artifizielle Lockenkränze aus dem Haar der Kundinnen anzufertigen.303 Dabei wurden zahlreiche, gleichmäßige Lockenringe aneinander gereiht (vgl. Abb. 43, rechts).304 Ein weiterer Aspekt der Suche nach neuen, möglichst nicht vorrangig welligen Gestaltungen ist die experimentelle Scheitelziehung und Frisierrichtung. War vorher der Mittel- oder Seitenscheitel die Regel gewesen, wurden nun schräg verlaufende Scheitel propagiert und das Haar in ungewöhnliche Richtungen frisiert, beispielsweise asymmetrisch quer über den Hinterkopf gezogen. Zwar sind ausgesprochene Abendfrisuren per se besonders kunstvoll, aber die Art der virtuosen Beherrschung des Materials ließ das Haar hier zum Accessoire werden. Die Künstlichkeit beruhte bei den verwendeten Haarteilen auf der zur Schau gestellten Transformation des ihnen zugrunde­ liegenden Werkstoffs Haar, der sich damit zwar vom frisierten Haar der Kundinnen abhob, gleichzeitig wurde dabei aber auch die materielle Gemeinsamkeit in den Vordergrund gerückt. Eine solche Kontrastierung thematisierte die durch unterschiedliche Körperbilder von Maschinenkörpern bis zur FKK forcierte Ästhetisierung des physischen Lebens auf besondere Art, nämlich innerhalb einer Materialität. Damit wurden Frisuren als solche dekonstruiert. Die Gestaltung erzeugte zwar ein geschlossenes Bild, die spannungsreiche Kontrastierung ihrer Komponenten aus Natur und Kultur fragmentierte diesen Eindruck aber. Wie avantgardistisch dieses Spiel der Lackfrisuren mit Körper-Inszenierungen war, spiegelte die harsche Ablehnung wenig später im Nationalsozialismus wider; „lackierte Haare“ und „Ausstreifungen der Haarfarbenmode“ wurden in einem Zug mit den zuvor schon scharf attackierten Herrenschnitten und dem ‚coup de vent‘ nun als unnütze, bedeutungslose Phantasien abgelehnt, die „in ihrer Perversität dem gesunden Sinn der deutschen Frau zuwider“ gewesen seien.305 Dabei sollte die starre Formung der Haare den entscheidenden kreativen Impuls für die weitere Entwicklung zur ‚aufsteigenden Linie‘ gegeben haben. 303 Vgl. Lorber, Richard: Die Coronafrisur. In: Der deutsche Friseur, 1932, Nr. 28, S. 927. 304 Vgl. Ornamentfrisur nach klassischem Stil. In: Frisur und Mode. Beilage zur DAFZ, 1933, Nr. 34, n.p. 305 Moderner Haarersatz. In: DAFZ, 1934, Nr. 10, S. 249.

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3.3 Visionen ‚arteigener‘ deutscher Haarmoden im Nationalsozialismus Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten tauchten wieder und erneut vor allem auf weibliche Mode bezogene Überlegungen auf, eine Nationalmode zu kreieren. Am Beispiel der Bekleidung ist dies, wie etwa hinsichtlich der eingerichteten Modeämter, verschiedentlich thematisiert worden.306 Im Friseurhandwerk fanden sich zwar nicht institutionell, wohl aber inhaltlich einige Parallelen. Auch hier wurden Überlegungen angestellt, die davon getragen waren, dass sich im Rahmen einer als international verstandenen Moderichtung die Frisur „doch immer der nationalen Eigenart anpassen“ müsse, und eine „arteigene Kunst“ entwickelt werden solle.307 Nun wurden wieder Antipathien gegen kurzes Frauenhaar formuliert. Das „Rückverwandlungsstereotyp“308 vom Gretchenzopf statt Bubikopf war in der öffentlichen Meinung recht bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten präsent. 1933 wurden selbst im Friseurgewerbe, wo der Bubikopf nach anfänglicher Ablehnung längst als Kassenschlager galt, erneut Stimmen laut, die doch wieder die „frauenhafte“ Welle und vor allem nicht nur längeres, sondern langes Haar favorisierten. Junge Mädchen würden sich wieder als solche bekennen und daher also den anmutigen Zopf dem knabenhaften Flatterhaar vorziehen, und überhaupt: „Platinblond ist abgetan. Kurz, die Mode befreit sich von allen naturwidrigen Extravaganzen.“309 Im ersten Schwung der Begeisterung tauchte beispielsweise auch eine festliche Frisur mit einfrisiertem Hakenkreuz auf, eine derartig plakative Zustimmung zum Regime blieb allerdings die Ausnahme.310 Abgesehen von 306 Zum Frankfurter Modeamt: Junker, Almut (Hg.): Frankfurt Macht Mode. [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Historisches Museum Frankfurt, März bis Juli 1999]. Marburg 1999. Zur Mode und den Modeinstitutionen im ‚Dritten Reich‘: Sultano, Kokain (1995). Zu München: Ley, Andreas: Mode für Deutschland – 50 Jahre Meisterschule für Mode München 1931–1981. [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Mode für Deutschland, Münchner Stadtmuseum. Februar bis April 1981]. München 1981. 307 Bekannte Kollegen äußern sich zur kommenden Haartracht. In: DAFZ, 1933, Nr. 25, S. 645. 308 Bertschik, Mode (2005), S. 276. 309 Moderne Langhaarfrisuren. Frisur-Entwürfe von Kommerzialrat S. Pessl, Wien. In: DAFZ, 1933, Nr. 18, S. 461. Pessls Vision ging weit hinter die Bubikopfmode zurück und fand im Gewerbe kaum Anklang. 310 In der DAFZ, 1933, Nr. 17, S. 449 vorgestellte Vereinsmeisterschaftsfrisieren des V. d. F. Steglitz 1929 wurden Abbildungen abgedruckt, auf denen eine Frisur mit dem linkssei-

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der Kreation einer Nationalmode, deren Definition im Prinzip offenblieb,311 sollte sich das Friseurhandwerk nicht nur um eine Konkretion der optischen Leerformel ‚arteigen‘ bemühen, sondern manchen dieser ersten Reaktionen aus eigenen Reihen in den nächsten Jahren sehr angestrengt entgegensteuern. Zudem entwickelte auch die Kundschaft ähnliche Ideen und bevorzugte Frisurstile, die fachlich aus ästhetischen wie pekuniären Motiven missfielen. Zwar war die Ansicht, dass Moden „nicht von Friseuren gemacht“ werden, sondern unbeeinflussbare „Erscheinungen der Zeitepochen“ seien,312 weiterhin präsent, im Hinblick auf die Kundinnen bildete sich aber innergewerblich ein anderes Selbstbild heraus. Die berufliche Aufgabe bestehe nun darin, „daß die in der Mode von Zeit zu Zeit auftretenden geschmacklichen Verirrungen unterdrückt, bestehende aber nicht immer wieder als unnützer Ballast übernommen, sondern restlos ausgemerzt werden, damit diese Abweichungen vom rechten Wege ihm [dem Friseur] schließlich nicht selbst schädlich werden“.313 Die Aufnahme der NS-Rhetorik von der Ausmerzung von Schädlingen, und seien es auch nur Frisurformen und keine Menschen, zeigt deutlich, wie weit der friseurhandwerkliche Modediskurs von einer servilen „Der-Kunde-ist-König“-Dienstleistungsmentalität entfernt war. Die größte Sorge des Friseurhandwerks galt der mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft verstärkt auftretenden Zopfmode. So beteuerte der ideologisch zweifelsfrei nationalsozialistisch verwurzelte Reichsinnungsmeister der Friseure ‚Pg. Renz‘ immer wieder, dass es nicht gegen nationalsozialistische Ideen verstieße, eine moderne Kurzhaarfrisur zu tragen. Aber die Klagen aus dem Beruf über schlichte Zopfkronen, wie sie Reichstig einfrisierten Hakenkreuzemblem gezeigt wurde, „Meisterkollege H. Jahnke“ hatte die Kreation mit dem „Zeichen des neuen Deutschlands auf schwarz-weiß-rotem Grunde“ erschaffen. Da das Regime, durch den schon 1933 beobachtbaren, sprunghaften Anstieg von Hakenkreuzen in der Werbung aufgeschreckt, mit einem Verbot von politischen Symbolen im Zusammenhang mit kommerziellen Produkten zwecks Privilegierung der Parteioptik reagierte, kann die besprochene Frisur dieser ersten Welle der Zustimmung zugerechnet werden, wie das Verschwinden der Symbolik nicht als Distanz, sondern Befolgen des Verbots gewertet werden kann. �������������������������������������������������������� Zum Verbot vgl. Berghoff, Hartmut: Enticement and Deprivation. In: Daunton, Martin J.; Hilton, Matthew: The Politics of Consumption. Material Culture and Citizenship in Europe and America. Oxford, New York 2001, S. 165–184, hier S. 170. 311 Vgl. Junker, Frankfurt (1999), S. 13. 312 Kollege Willi Cassing, Paris. In: DAFZ, 1933, Nr. 27, S. 697. 313 Weickert, Adolf: Frisur und Mode. In: DAFZ, 1933, Nr. 26, S. 677.

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frauenführerin Gertrud Scholtz-Klink (vgl. Abb. 44, links) trug, waren zahlreich. Das nationalsozialistische Frauenbild war zwar eindeutig hinsichtlich der Frauen zugedachten Rolle als Mutter, Hausfrau und Unterstützerin ihres Mannes, doch über ihr Aussehen gab es innerhalb des Regimes verschiedene Meinungen, die alle mehr oder weniger von einem ‚natürlichen‘ Schönheitsideal ausgingen. Bieder, bezopft und nicht selten uniformiert314 oder im Trachtenlook315 war eine Richtung, sonnengebräunt statt geschminkt eine andere. Nicht nur Make-up, Nagellack, Lippenstift, gezupfte Augenbrauen und Puder lehnten viele für Frauen ab, ebenso Hosen, Zigarettenkonsum und Alkoholgenuss. „Die deutsche Frau raucht/trinkt/ schminkt sich nicht“ wurde plakatiert316 und entsprechend wurde manchen geschminkten Frauen die Teilnahme an NSDAP-Veranstaltungen wie Parteiabenden oder Mutterkreuz-Überreichungen untersagt.317 Parallel dazu aber gedachte das Regime das innerhalb Deutschlands zirkulierende, biedere Frauenbild weder im Land selbst vollständig durchzusetzen noch es nach außen zu tragen. Die ganz offiziell unternommenen Anstrengungen, eine nationale Mode zu kreieren, zielten vielmehr darauf, der Welt eine elegante, spezifisch deutsche Mode vorzuführen.318 Magda Goebbels, die Ehrenvorsitzende des deutschen Modeinstituts, glaubte den ‚Gretchentyp‘ überwunden.319 Sie selbst zeigte sich wie die NS-Prominenz überwiegend auch meist hochmodisch und in manchen Augen nicht selten zu modisch. Diese Widersprüchlichkeit wurde zwar schon zeitgenössisch thematisiert, seitens des Regimes aber nicht aufgelöst. Die betont sportliche und kameradschaftliche Ausrichtung sowie die Uniformierung in NS- Organisationen wie dem BDM ließen nicht wenige 314 Zur Uniformierung von Frauen und Mädchen in BDM, RAD und weiblichem Hilfspersonal der Wehrmacht vgl. Sultano, Kokain (1995), S. 57–64. 315 Neben den Uniformen der verschiedenen NS-Organisationen waren auch Trachten oder trachtenähnliche Bekleidungsstücke gefragt, die Reichsfrauenführerin sah in Trachten „einen Born deutschen Rassebewusstseins“, vgl. Deicke-Mönnighoff, Maren: Und sie rauchten doch. Deutsche Moden 1933–1945. In: Das Zeitmagazin. Beilage zu Die Zeit, 6.5.1983, Nr. 19, S. 36. 316 Während die Tabakindustrie mit Plakaten rauchender Frauen warb, vgl. Berghoff, Enticement (2001), S. 165–184, hier S. 170–171. 317 Vgl. Weyrather, Irmgard: Muttertag und Mutterkreuz. Der Kult um die „deutsche Mutter“ im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 1993, S.  122–124; Sultano, Kokain (1995), S. 70. 318 Vgl. Sultano, Kokain (1995), S. 48f. 319 Vgl. Junker, Frankfurt (1999), S. 13.

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Parteiführer eine ‚Verbengelung‘ befürchten,320 die der Mutterrolle bzw. dem Mutterwerden nach nationalsozialistischer Lesart nicht förderlich sein konnte. Dem sollte vor allem die in dem für junge Frauen zwischen BDM und NS-Frauenschaft gegründeten BDM-Werk Glaube und Schönheit gepflegte weibliche Linie entgegenstehen.321 Auch die Gründung des Hauses der Schönheitspflege 1939 in Berlin322 verpflichtete sich einer weiblichen Attraktivität, bei der keinesfalls auf Kosmetik und elegante Mode verzichtet werden sollte. Für Mütter hielt beispielsweise der im ‚Dritten Reich‘ und der frühen Bundesrepublik viel gelesene, eindeutig nationalsozialistisch ausgerichtete323 Ratgeber für Kindererziehung von Johanna Haarer den einschlägigen Tipp parat, sich während der Schwangerschaft und nach der Geburt nicht gehenzulassen, sondern sich die Anziehungskraft des Mannes durch ein ansprechendes Äußeres weiterhin zu erhalten.324 Modisch auftretende Frauen und ihr Gegenteil prägten beide das Straßenbild, Beschwerden über zu künstlich zurechtgemachte Frauen und ihre Verteidigung durch NS-Größen gingen in der Presse nebeneinander her,325 die 320 Himmler brachte in einer Rede am 18.2.1937 in Bad Tölz vor SS-Gruppenführern zum Ausdruck, dass das Mädchen-/Frauenbild des BDM an Männlichkeit heranreiche und mangels Geschlechterdifferenz Homosexualität zu befürchten sei, d. h. letztlich mangels Interesses an Heterosexualität dem deutschen Volk die Nachkommen fehlen könnten: „… wenn ich Mädel und Frauen sehe […], die mit einem wunderbar gepackten Tornister durch die Gegend ziehen. Da kann einem schlecht werden. […] Ich sehe es als Katastrophe an, wenn wir die Frauen so vermännlichen, daß mit der Zeit der Geschlechtsunterschied, die Polarität verschwindet. Dann ist der Weg zur Homosexualität nicht weit.“ Himmler zit. nach Smith, Bradley; Peterson, Agnes F. (Hg.): Heinrich Himmler: Geheimreden 1933– 1945 und andere Ansprachen. Frankfurt am Main 1974, S. 93–104, hier S. 99. 321 Mehr feminine Züge schon innerhalb des BDM sollten insbesondere durch Bewegungsschulung und Gymnastik erreicht werden, für Glaube und Schönheit sollte besonders rhythmische Gymnastik ein typisches Element werden, vgl. wie Jürgens, Birgit: Zur Geschichte des BDM (Bund Deutscher Mädel) 1923 bis 1939. Frankfurt am Main [u. a.] 1996, S. 93, 96. 322 Vgl. Bleuel, Hans-Peter; Das saubere Reich, Theorie und Praxis des sittlichen Lebens im Dritten Reich. Bern, München 1972, S. 104. 323 In der BRD erschien der erstmals in den 1930er Jahren herausgekommene Ratgeber ohne die eindeutigen ideologischen Passagen zuletzt 1987, über Haarers Buch vgl. Brockhaus, Gudrun: „Dann bist du verloren, liebe Mutter!“ Angst und Rassismus in NS-Elternratgebern. In: Diehl, Paula (Hg.): Körper im Nationalsozialismus. Bilder und Praxen. München 2006, S. 33–50. 324 Vgl. Haarer, Johanna: Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind. München 1942, S. 67, 74, 111. 325 Vgl. Guenther, Nazi Chic (2004), S. 99–103.  

 

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„einheitsgewandete Masse Frau“ gab es nicht.326 Wichtigstes Anliegen des Friseurgewerbes war es daher, sein berufliches Tun als regimekonform und zur ‚nationalen Eigenart‘ passend auszuweisen.327 So berief man sich auf die NS-Politprominenz. Zwar habe Goebbels auf einer Veranstaltung zur kulturellen Dienstgestaltung verlangt, dass aus dem künstlerischen Schaffen nationalsozialistische Grundhaltung sprechen müsse, doch seien Grenzen geboten: „Nase pudern ist nicht Zeichen des inneren Wertes.“328 Moralapostel, die kurzhaarige Frauen kritisierten, blamierten und kompromittierten den Nationalsozialismus und träfen mit ihren Beleidigungen „Ehefrauen und Mütter, die auch mit Kurzhaarschnitt gute deutsche Frauen sind“; Renz zufolge könne man nicht alles vom politischen Gesichtswinkel aus beurteilen, nicht zuletzt, weil man, wie schon Goebbels erklärt habe, Gefahr liefe, „mit Millionen Menschen unseres Volkes in Widerspruch über Dinge zu geraten, die mit dem Nationalbewusstsein gar nichts zu tun haben, sondern die nur ein paar Klugschwätzer in den Nationalsozialismus hineingepfuscht haben“.329 Daneben wurde plakativ Aufklärung der Berufskameraden betrieben. Schon 1933 wurde in kurzen Informationstexten gegen die „immer wieder von neuem auftauchenden Gerüchte, daß jetzt wieder der Zopf getragen würde“, angegangen.330 Breiter angelegt waren historisch argumentierende Artikel und auch Fachveranstaltungen, die das Ziel verfolgten, neben der germanischen Vorzeit des deutschen Volkes331 verschiedene andere Epochen als großartige „vaterländisch deutsche“ herauszustellen,332 deren Frisurstil kopiert werden könne. Dazu gehörte beispielsweise das frühe 19. Jahrhundert, denn schon während der Freiheitskriege sei kurzes Frauenhaar modisch gewesen.333 Und auch im Friseurhandwerk fand sich eine krude NS-Antikenrezeption wieder.334 Im angepeilten Modeziel „nordisch klas326 Sultano, Kokain (1995), S. 13. 327 Vgl. Wann ist der Begriff „Handwerkskultur“ für das Friseurhandwerk von Bedeutung? Erster Preis aus unserem Wettbewerb zur Ausgestaltung unserer Reichsinnungsverbandszeitung. In: Der deutsche Friseur, 1936, Nr. 18, S. 13. 328 Ganz ähnlich auch ein Artikel, den Guenther zitiert, ebd. S. 107. 329 Renz, F.: Berufsehre. In: Der deutsche Friseur, 1937, Nr. 11, S. 10. 330 Aufklärung. In: DAFZ, 1933, Nr. 32, S. 830. 331 Vgl. Die Haartracht der Germanen. In: Der deutsche Friseur, 1938, Nr. 1, S. 14. 332 Gegen den Irrtum. In: DAFZ, 1933, Nr. 33, S. 841. 333 Vgl. ebd. 334 Wie beispielsweise bei Rosenberg, Alfred: Der Mythos des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit. München 1934. Dazu Piper, Ernst: Alfred Rosenberg: Hitlers Chefideologe. München 2005.

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sisch“ wurden „nordische Elemente des Geblüts, der Rasse und Bodenverbundenheit“ mit dem Klassizismus kombiniert, nach den Übertreibungen des Rokoko habe letzterer schon einmal dazu beigetragen, zur deutschen Form zurückzufinden; die „Aufedelung“ und kulturelle „Zeit-Sehnsucht“ bringe aber auch Formen hervor, die aus der Friseurperspektive gesehen zu einfach gehalten seien, daher erklärte Reichsinnungsmeister Renz die Aufgabe des Gewerbes schließlich auch nicht auf einer rasseideologischen Ästhetik basierend, ausschlaggebend wären vielmehr gewerbliche Interessen: „Wir haben manchmal das Einfache, das allzu betont Schlichte in das Schöne umzubiegen, allein schon aus Gründen einer verbesserten Arbeits­ beschaffung!“335 Durch Orientierung auf die Germanen als einzig deutsche Periode der Kulturgeschichte gewönnen viele Frauen den falschen Eindruck, dass sie „den Anforderungen der ‚gegenwärtigen‘ Mode vollauf genügen, wenn sie ihr Haar einfach wieder wachsen lassen.“336 Aus Furcht vor Einnahmerückgängen arbeitete das Gewerbe in den folgenden Jahren diesem ‚falschen Bewusstsein‘ entgegen. Das gleichzeitig verfolgte Modeziel längeren Haares erleichterte die Sache nicht. Um etwaige Zweifel auszuräumen, stellte beispielsweise Herrmann Vöste bei der Erklärung seines Vorschlags für längere Frisuren deutlich klar, dass er „kein Zopfpropagandist“ sei.337 Letztlich wurde den bei der Kundschaft so beliebten Zöpfen auch eine Kompromisshaltung entgegengebracht. Wer sich partout daran festhalten wolle, solle dies auch tun, dennoch wurden vor allem „ältere Anhängerinnen der überlebten Zopfmode“ einer harschen Kritik unterzogen, denn dieses ungute Vorbild verderbe junge Mädchen.338 Nun trat das Friseurhandwerk auch dort auf, wo es die Fachpresse bislang nicht verortete, nämlich auf Trachtenveranstaltungen. Nicht nur die antimodischen Bestrebungen im Nationalsozialismus favorisierten Trachten oder einen vom Trachtencharakter angehauchten Stil, diese Elemente wurden in den späten 1930er Jahren vom internationalen Trend aufgenommen und teilweise sogar von Paris nach Deutschland reimportiert.339 Den bekämpften Zöpfen wies das Gewerbe schließlich seinen Platz bei expliziten Trachten zu.340 Ähnliches wurde Jugendlichen zugestanden, wie den beiden 335 Rückschau und Ausblick. In: DAFZ, 1934, Nr. 9, S. 210, 211. 336 Ebd. 337 Vöste, Herrmann: Etwas längeres Haar. In: DAFZ, 1933, Nr. 34, S. 867. 338 Vgl. Friseurhandwerk und Mode. In: Der deutsche Friseur, 1937, Nr. 4, S. 11. 339 Vgl. Sultano, Kokain (1995), S. 54–57. 340 Vgl. Frisuren zum Volkstrachtenfest. In: DAFZ, 1935, Nr. 2, S. 33.

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Abb. 44 Geduldete Zopfmoden

Konfirmandinnen in Abb. 44, zweite Darstellung von links. War die Konfirmation früher als erster Schritt zum Erwachsenenalter gedeutet worden und ein entsprechender Anlass gewesen, junge Mädchen eher erwachsener als zuvor zu frisieren, war besonders das Mädchen mit den ‚Affenschaukeln‘ (links) gemessen an vordem gültigen Maßstäben trotz der ondulierten Oberkopfpartie sehr kindlich zurechtgemacht. Diese Darstellung ähnelte im Übrigen stark dem sehr bekannten und häufig reproduzierten Konterfei des ca. zehnjährigen Mädchens, das Werbeplakate des BDM zierte.341 Der Unterschied bestand vor allem darin, dass die in der Friseurpresse gezeigten ondulierten Partien dort unprätentiös glatt und mit Spangen festgezurrt gezeigt wurden. Der Bekanntheitsgrad solcher Darstellungen wie auch das Aussehen Scholtz-Klinks dürften nicht wenig dazu beigetragen haben, dass die Erinnerung bzw. Meinungsbildung über das Aussehen von Frauen und Mädchen im Nationalsozialismus heute immer noch von Zopffrisuren ausgeht und die Vielfalt ausgeblendet wird.342 Auch wenn die gewerblichen Modevorstellungen weder früher noch heute Interesse an schlichten Frisuren hatten und haben, die keiner fachlichen Leistung bedürfen, so ist doch auch jenseits des gewerblichen Standpunktes der Zopfstil nicht uneingeschränkt bei Kindern und Jugendlichen (oder deren Eltern) favorisiert worden. Aufnahmen von BDM-Gruppen zeigen zumeist, dass der textilen Uni341 Vgl. Schmidtke, Adrian: Körperformationen. Fotoanalysen zur Formierung und Disziplinierung des Körpers in der Erziehung des Nationalsozialismus. Münster [u. a.] 2007, S. 220. 342 Ebd., zum nicht nur phänotypisch variantenreichen Mädchen- und Frauenbild im Nationalsozialismus auch Miller-Kipp, Gisela: Auch du gehörst dem Führer! Die Geschichte des Bundes deutscher Mädel (BDM) in Quellen und Dokumenten. Weinheim [u. a.] 2002, S. 269f.  

 

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formierung keine gleichförmige Zopftracht entsprach. Auch die zweite Konfirmandin präsentierte einigen Schick. Sie stellte mit einer ebenfalls sehr zart ausgeführten Ondulation eher das dar, was an Flechten friseurhandwerklich – wenn überhaupt – gerade noch gut gelitten war, nämlich in moderne Frisuren integrierte unauffällige Elemente. Im hier untersuchten Feld trat von den beiden BDM-typischen Mädchenbildern,343 dem liebadretten Jungmädel einerseits und ihrem sportlich-burschikosen Pendant andererseits nur die erste Variante auf. Bei Erwachsenen wurden in der Fachpresse nur kleine Haarteile als Zopfornamente in aufwändigere Frisuren eingearbeitet, eine Situation, die an die Verhältnisse im Ersten Weltkrieg erinnert.344 Modediktatur? Ästhetische Präferenzen der Kundinnen in der Kritik Die offiziell politisch rehabilitierten Kurzhaarfrisuren wurden dennoch von vielen Frauen gemieden, sei es aus Bequemlichkeit, Sparsamkeit oder doch einer völkisch-germanisch angehauchten Ideologie wegen. Aber auch andere, weniger weltanschaulich aufgeladene Frisurpräferenzen der Kundschaft stießen auf gewerbliche Antipathien. Zunächst waren dies als zu lang empfundene Haare überhaupt, besonders wenn sie zu einem „kleinen Haarknoten“345 kunstlos im Nacken zusammen geschlungen wurden (vgl. Abb. 45, Mitte). Dabei hatte gerade das Friseurhandwerk selbst den Grundstein für diese Frisur gelegt, denn seit den 1920er Jahren war für Abendgarderobe langes Haar oder eine Haarverlängerung mit Haarteilen, die einen gewellten Kopf mit einem Nackenknoten ergänzten, immer wieder vorgeschlagen worden (vgl. Abb. 45, links). Auch unerwünscht, aber fachlich ignoriert, war die beliebte Alltagsfrisur, die in Abb. 45 rechts zu sehen ist. 343 Ebd., S. 271f. 344 Vgl. Das Profil der Wienerin in vier Jahrzehnten. In: Der deutsche Friseur, 1942, Nr. 12, S. 4–5. 345 Nicht nur im Friseurhandwerk galt diese Frisur als verbreitet. So ist der ‚kleine Knoten‘ beispielsweise die Frisur der Wahl jener in Haarers Ratgeber gezeigten jungen Frau, die die Handhabung der Kinder demonstrierte. In der Frankfurter Zeitung wurde dieser Gestaltung einige Aussagekraft zugeschrieben, vgl. Neumeister, Heddy: Studentin. In: Frankfurter Zeitung 15.2.1934, Beilage für die Frau, S. 1. Zitiert nach Bertschik, Mode (2005), S. 276. Neumeister, selbst promoviert, bezeichnet hier den „kleinen Haarknoten“ der Studentin nicht als Mode, sondern als Weltanschauung, mit dem auch angehende Akademikerinnen demonstrierten, dass sie „eine richtige kleine Frau“ seien. Dieser Ausdrucksweise standen die meist weniger qualifizierten Autoren der Friseurpresse ganz überwiegend nach.

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Abb. 45 Knoten- und Alltagsfrisuren, 1920er bis 1940er Jahre

Immerhin war es hier möglich, den Oberkopf noch mit Wellen zu verzieren, die gegebenenfalls fachkundige Hilfe nötig machten. Mit dem Pageboy und der Olympiarolle (vgl. Abb. 46) pflegte die Kundschaft überdies noch weitere, dem Gewerbe unliebsame ästhetische Präferenzen. Zum Ärger der Friseure wurden der von ihnen lancierten Gestaltungslinie meist schlichtere Formen vorgezogen, etwa ein schulterlanger Pagenkopf mit Innenrolle, wie er beispielsweise bei Greta Garbo bewundert wurde. In Varianten, so wurden für Abendfrisuren (nicht nur beim Pageboy) Diademe oder aus Haar geflochtene Haarreifen verwendet, blieb der Pageboy bis in die 1940er Jahre hinein bei den Kundinnen beliebt. Bei den Friseurinnen und Friseuren hingegen wurde die „Latschenfrisur mit der Dachrinne“346 bekrittelt.347 Ähnlich verhielt es sich mit der Olympiarolle. Die Grundform hatte es schon vorher gegeben, 1936 kam aber eine davon abweichende, schlichter und knapper gehaltene Version auf.348 Die bei den Kundinnen beliebte Olympiarolle sah das Gewerbe ganz anders.349 Nach Ansicht Richard Lorbers konnte nur ein „Berufsschädling“ sie erfunden haben.350 Damit inte­ 346 Kampf um den Kopf. In: Der deutsche Friseur, 1941, Nr. 16, S. 1. 347 Vgl. Richard, P.: Die Pagenfrisur ist ein Unglück für unseren ganzen Beruf, 1937, Nr. 23, S. 425. 348 Ebenfalls wurden die kürzeren und damit besser handhabbaren Haare auch in Richtung einer Olympiarolle geföhnt, d.h. das Haar wurde so stark geföhnt, dass es sich einrollte, ohne festgesteckt werden zu müssen. Vgl. Henkel, Adolf: Schöne und praktische Reisefrisuren. In: DAFZ, 1936, Nr. 16, S. 304. 349 Deshalb gab es davon in der Friseurpresse nur wenige Abbildungen, meist in Rückblicken und dann zusätzlich geschmückt, wie in Abb. 47, rechts, mit zusätzlichen Rolllocken. 350 Vgl. Lorber, Richard: Kampf der Rolle. In: Der deutsche Friseur, 1937, Nr. 1, S. 1.

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Abb. 46 Pageboy und Olympiarolle

grierte er 1937 die dem Primat der vielbeschworenen ‚Volksgemeinschaft‘ dienende nationalsozialistische Schädlingsrhetorik in die fachliche Auseinandersetzung.351 Hier stellt sich anhand der Reichweite der Rede von Schädlingen eine Aneignungspraxis dar, die auf einen auch durch barsch verbalisierte Exklusionsprozesse hergestellten Gemeinschaftsbegriff zielte.352 Nach entsprechender Klassifizierung des Feindes rief Lorber schließlich zu einer einschlägigen Problemlösung auf, die später in größerem und weniger witzigem Zusammenhang als probat erachtet wurde: „Darum alle Kameraden, die es mit dem Naturgeschenk Haar und dem Friseurberuf ehrlich meinen, vor die Front: Krieg der Rolle bis zur Vernichtung.“353 Keineswegs war das Friseurgewerbe ein unpolitischer Ort. Auch als die Verbal­ attacken gegen Vorlieben der Kundinnen zurückgingen, wurden Dominanzansprüche beharrlich verfolgt.

351 Nur zwei Jahre später sollte diese verbreitete Redeweise und Haltung sich in der Verordnung gegen Volksschädlinge, vom 8.9.1939, RGBl. I, S. 1679, niederschlagen, die eine einfache Handhabe gegen jedermann darstellte, der sich auch kleinerer Vergehen gegen die ‚Volksgemeinschaft‘ schuldig oder verdächtig gemacht hatte, vgl. Zierenberg, Malte: Stadt der Schieber. Der Berliner Schwarzmarkt 1939–1950. Göttingen 2008, S. 40. Zur Historisierung der Konstruktion des Schädlings lange vor dem Nationalsozialismus vgl. Jansen, Sarah: „Schädlinge“. Geschichte eines wissenschaftlichen und politischen Konstrukts 1840–1920. Frankfurt am Main [u. a.] 2003. 352 Zur Problematik der Verwendung von ‚Volksgemeinschaft‘ in der Forschung einführend Frei, Norbert: „Volksgemeinschaft“. Erfahrungsgeschichte und Lebenswirklichkeit der Hitler-Zeit, in: Frei, Norbert: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen. München 2005, S.  107–128. Ich werde mich mit der Thematik eingehender im Kapitel Branchenbilder befassen. 353 Vgl. Ebd.  

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Zielvorstellung: die ‚aufsteigende Linie‘ Erst 1938 begannen die Fachleute, ihren Widerstand gegen die unerwünschten Moden langsam aufzugeben und distanzierten sich schließlich selbst von ihrer Kritik an den Kundinnen.354 Stattdessen richtete sich das Engagement der Friseurpresse auf eine gänzlich neue Frisurform, die ‚aufsteigende Linie‘ (vgl. Abb. 47), für die allerdings eine gründliche Abwendung vom bisher Gewohnten erforderlich war. Der neue Frisurentyp wurde (wie schon zuvor der Pageboy) insgesamt schmaler, von vorn war meist nur auf dem Oberkopf Haar zu sehen.355 In der Hochsteckvariante türmten sich auf dem Oberkopf Locken und das knapp schulterlange Haar wurde nun nach oben frisiert und mit Klemmen oder Kämmchen unter dem Lockengebilde befestigt, der Nacken blieb frei (oder das Haar wurde hier zu einem kurzen Zopf gebunden). Auf wellige Partien wurde weitgehend verzichtet. Auch auf Kinderfrisuren hatte die ‚aufsteigende Linie‘ einigen Einfluss, es wurde üblich, kleinen Mädchen eine Rolle auf dem Oberkopf zusammenzustecken, eine sogenannte ‚Monika‘ (vgl. Abb. 47, rechts).

Abb. 47 ‚Aufsteigende Linie‘

Allerdings konnten gewohnte Frisurstile nicht sofort verdrängt werden, wie Beschwerden belegen. Halblanges Haar, gewellt und gelockt frisiert, gehörte bevorzugt zu den „Frisuren, die auch der Fachmann nicht mehr sehen möchte“.356 Die neue Mode wurde nun gezielt mit erprobten Argumenten 354 Vgl. König, Emil: Warum noch immer gegen Page Boy? In: Der deutsche Friseur, 1938, Nr. 1, S. 1. 355 Vgl. Tagesfrisuren für längeres Haar. In: DAFZ, 1936, Nr. 23, S. 427. 356 Bettinger, Georg: Feld-Wald-und-Wiesen-Frisur oder persönliche Note? In: DAFZ, 1936, Nr. 22, S. 425.

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propagiert, nämlich mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, sie mit „einer persönlichen Note“ frisieren zu können.357 Was Frisuren anbelangte, gab das Gewerbe, das sich ansonsten vom angeblich handwerksschädlichen Individualismus der Demokratie distanzierte, die hohe Meinung von der Persönlichkeit nicht auf.358 Obwohl für die ‚aufsteigende Linie‘ immer wieder geworben wurde, schienen viele Frauen diesen Trend zunächst nur bedingt mitgemacht zu haben. Das Friseurhandwerk setzte aber gewissermaßen an seiner ‚Heimatfront‘ den „Kampf um den Kopf“ fort, der deshalb besonders schwierig sei, weil Mode sich eigentlich en passant den Menschen aufzwinge, allein Haarmoden stießen auf Widerstand.359 Aus der Perspektive der Fachpresse erschienen die Kundinnen regelrecht aufsässig. Die kriegsbedingten Einschränkungen und Vorschriften der Gewerbeausübung gaben den Friseuren und Friseurinnen schließlich sogar einen gesetzlichen Rahmen für ein förmliches Modediktat. Schon der amtliche Modebericht 1935 stellte den Grundzug der geforderten Gestaltung ausführlich klar: „Die Nackenlinie bleibt frei. […] In den Nacken herabfallendes Haar ist unpassend für den Stil der kommenden Kleid- und Hutmode.“360 Dieses Credo sollte bis Kriegsende gebetsmühlenartig wiederholt werden, auch unter Hinweis auf die internationale Frisurenmode, die tatsächlich in die gleiche Richtung ging.361 Wie dominant die Fachleute während des Zweiten Weltkrieges ihre Position gegenüber den Kundinnen bestimmten, lässt sich an Warnungen davor erkennen, „nichts gegen den Willen der Kundin“ zu unternehmen.362 Der Mode sollten schließlich „Freundinnen“ gewonnen werden.363 Schließlich verdanke man ihr eine ordnende Funktion des öffentlichen Gesamteindrucks, in dem ohne Mode ein „Durcheinander“ zu befürchten sei.364 Sie motiviere die Soldaten, die vom erfrischenden Bild der gepflegten deutschen Frau seelische Kraft für ihre Zeit in „der grauen Öde des Ostens“ gewönnen.365 Siegerqualitäten der 357 Ebd. 358 Vgl. das Kapitel Branchenbilder. 359 Kampf um den Kopf. In: Der deutsche Friseur, 1941, Nr. 16, S. 1. 360 Amtlicher Modebericht für 1935. In: DAFZ, 1935, Nr. 10, S. 181–182. 361 Vgl. Lindemann, Max: Tragbare Tagesfrisur unter Berücksichtigung der letzten internationalen Richtlinien. In: DAFZ, 1937, Nr. 33, S. 416–417. 362 Lenning, Gertrud: Brauchen wir eine andere Einstellung zur Mode? In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 3, S. 67. 363 Ebd. 364 Ebd. 365 Ebd.

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deutschen Frauen bestimmten sich damit, dem Ausland den deutschen Geschmack vorzuführen, es galt, zum „bestangezogenen Volk“ zu werden.366 Die Kriegssituation führte nicht nur dazu, die Friseurdienstleistungen im Rahmen von Motivation der Soldaten zu verorten, sie wurde durch die verlangte Bewährung der Frauen zu Hause an eine heimische ‚Modefront‘ verlagert. Noch 1943, fast zehn Jahre nach ihrer Einführung, verlegte sich das Friseurgewerbe darauf, die Mode der ‚aufsteigenden Linie‘ schließlich mit Schwarz-Weiß-Malerei anpreisen zu wollen, denn hohe Frisuren gehörten zur „sauberen Mode im angenehmen Gegensatz zu den planlos hängenden halblangen Haaren“.367 Das gewerbliche Interesse an der ‚aufsteigenden Linie‘ beruhte vor allem darauf, dass diese Frisur als zu schwer zum SelbstFrisieren eingeschätzt wurde und man sich eine verstärkte Frequentierung der Geschäfte versprach. Nun tauchte eine neue Idee auf, der Kundschaft diese Richtung schmackhaft zu machen. Die Friseurinnen sollten es mit der eigenen Frisur vormachen und so „suggestiv“ den Geschmack des Publikums beeinflussen.368 Es sei nötig, „daß alle […] in unseren Betrieben beschäftigten Damen ihre persönlichen Wünsche und eventuellen Bequemlichkeiten, die ihnen ihre langgewohnte Frisur bietet, hintanstellen und sich voll und ganz mit ihrer Frisur den gegebenen Richtsätzen unterordnen“.369 In einer „Zeit, wo der Gesamtberuf um die Gesamterhaltung seiner vielen Existenzen ringt“, erschien es der männlich dominierten Fachpresse angemessen, nicht nur den Kundinnen, sondern auch den Kolleginnen das Aussehen zu diktieren. Der mit der exklusiv begriffenen Expertise in Modedingen verknüpfte männliche Dominanzanspruch wurde in der Friseurpresse mit zuvor nicht beobachtbarer Aggression gegenüber Kundinnen und Kolleginnen erhoben. Mochten gestalterische Vorschriften bei der Kleidermode durch Materialknappheit begründet gewesen sein, gab es für die Regelungen im Friseurgewerbe keinen solchen materiellen Hintergrund, Frisuren verbrauchten schließlich kaum Rohstoffe. Umso erstaunlicher ist es, dass kriegsbedingte Einschränkungen beim Dauerwellen und Haarfärben, für die tatsächlich chemische Erzeugnisse benötigt wurden, nur ganz geringfügig ausfielen. Als 366 Ebd. 367 Drei Frisuren zur heutigen Mode. In: DAFZ, 1943, Nr. 2, S. 28. 368 Den neuen Moderichtsätzen angepasst. In: DAFZ, 1935, Nr. 16, S. 301–302. 369 Ebd.

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die so streng verfochtene ‚aufsteigende Linie‘ schließlich akzeptiert war, bekam sie mit der ihr bis heute anhaftenden Bezeichnung ‚Entwarnungsfrisur‘ sogleich einen negativen Touch.370 Schließlich griff dieser Terminus die Situation der Entwarnung nach einem Fliegeralarm auf, spielte also auf das Leben im Bombenkrieg an. Kriegsbedingt hieß „das Gebot der Stunde“ schließlich „Einfachheit“.371 Dem höheren Ziel, den deutschen Menschen kultiviert aussehen zu lassen, sollten eigene gewerbliche Interessen untergeordnet werden. In der Fachpresse erschienen Artikel, die Friseuren und Friseurinnen erklärten, wie sie ihre Kundinnen anleiten könnten, sich zuhause selbst bestmöglich zu frisieren. Dabei wurde auch auf die ‚aufsteigende Linie‘ verzichtet, während sie gleichzeitig in Vorschlägen für Frisuren nach kriegsbedingten Richtlinien beibehalten wurde.372

4 Resümee Im Zusammenhang mit der als ‚Krise der Männlichkeit‘ bekannt gewordenen Modernisierungsdebatte um 1900 trat in der Haarmode eine bedeutende Zäsur ein. Die in der Folge entwickelte modische Repräsentation der Geschlechterdifferenz war als solche zwar keinesfalls neu, wohl aber vertiefte sich der Abstand zwischen Männer- und Frauenfrisuren entscheidend. Locken hatten als geschlechtsunspezifisches, haarmodisches Paradigma ausgedient. Nach 1900 standen sie ausschließlich für Weiblichkeit, Männerhaar wurde so kurz geschnitten, dass selbst Naturlocken kaum hervortreten konnten. Diese Markierung des Geschlechterunterschieds prägte entsprechend dichotome Körper-Inszenierungen aus. An die Stelle des zuvor geteilten, gemeinsamen Referenzpunktes der Locke wurde einerseits für die männliche Haarmode eine verborgene Inszenierung charakteristisch, andererseits hielt sich ostentativ dekorierte Weiblichkeit konstant, selbst dann noch, als kurzes Haar für Frauen modern wurde. Um 1900 wurde Frauenhaar möglichst zivilisiert überformt präsentiert. Die Idealvorstellung von langem, fülligem Frauenhaar bezog sich zwar auf den ‚natürlichen‘ Körper als Voraussetzung, da aber das verlangte Volumen häufig nicht anders erreicht werden konnte, war es üblich, durch künstliche 370 Jedenfalls in Deutschland, im Englischen ist die Bezeichnung ‚victory rolls‘ üblich 371 „Das Gebot der Stunde heißt Einfachheit“. In: DAFZ, 1943, Nr. 11, S. 223. 372 Vgl. Zu unserem Modebild. In: DAFZ, 1943, Nr. 6, S. 123.

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Haarteile nachzuhelfen. Die tägliche Notwendigkeit, sich dem Frisieren zu unterwerfen, war eine Mühe, die wie das Schnüren des Korsetts ganz offensichtlich den Körper für die Zurschaustellung in der familiären und außerhäuslichen Öffentlichkeit inszenierte. Innerhalb der schließlich eingehaltenen Repräsentationsregeln, nach denen das Haar zusammengesteckt wurde, bestand aber ein großer Spielraum, sich mehr oder weniger bekümmert um modische Belange zu zeigen. Wer es nur einigermaßen ordentlich tat, genügte den gesellschaftlichen Ansprüchen an weibliche Frisuren völlig. Diese öffentlich dargestellte Körperbeherrschung funktionierte aber nur als Kontrast zu Intimität, auschließlich in sehr privaten Momenten wurde langes Haar offen gezeigt. Körper und Inszenierung gingen während der alltäglichen Performanz für die Öffentlichkeit ein aufeinander bezogenes, für die Mode der Hochsteckfrisuren charakteristisches Versteckspiel ein. Der Bubikopf beendete diese heuchlerische Koketterie, die Dekorationsfunktion weiblicher Haarmode blieb bei dieser Kurzhaarfrisur und ihren Nachfolgerinnen aber ungebrochen erhalten. Währenddessen galten für Männer andere Regeln. Kurzes Männerhaar fügte sich in eine Inszenierung ein, die die Frisur in die natürliche Kopfform einpasste. Diese Integration der künstlichen Gestaltung in die Natur kaschierte die artifizielle Formung. Die parallel dazu aufgekommene glatte Rasur präsentierte das Gesicht als beinahe unbehaarte Oberfläche, beide Praktiken rekurrierten auf eine plastische und schnörkellose Körperlichkeit. Voraussetzung war allerdings, dass die Körper ständig in ihrer Substanz bearbeitet wurden. Obwohl der Aufwand ganz erheblich war, entstand durch die betont schlichte Optik der gegenteilige Eindruck von Zurückhaltung bei der Gestaltung der eigenen Person. Diese Wahrnehmung wurde auch dadurch gefördert, dass der sehr kurz gehaltene Haarschnitt sich weniger stark von vom männlichen Haarausfall dominierten Frisuren absetzte als längere Varianten. Allein die beim Publikum beliebten Rasierschnitte verließen diesen ästhetischen Rahmen und provozierten mit neuartigen Kontrasten von Haut und Haar. Auch der Blick auf das Friseurhandwerk als Akteur im Modegeschehen weist ein schwieriges Verhältnis zur Institution Mode auf. Die Rollen für Männer und Frauen waren in der bürgerlichen Gesellschaft des Kaiserreichs klar definiert. In diesem Rahmen bewegten sich die Anstrengungen des Gewerbes, das es nur vorsichtig unternahm, über enge Grenzziehungen hinauszukommen. So versuchten Friseure, die bürgerlichen, modemuffligen Männer zu ein bisschen mehr Schick zu bewegen. Gleichzeitig begrenzte ab

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1900 die beunruhigende Vorstellung von Männern mit weiblichen Anteilen den Eifer, Frisuren mit mehr dekorativen Elementen vorzuschlagen. Was womöglich ästhetisch empfehlenswert oder umsatzförderlich gewesen wäre, konnte als Indikator von Homosexualität gewertet werden und unterblieb bis zur Weimarer Republik. Zugleich bemühte man sich, mit dem modischen Tempo der Mode- und Gesellschaftsdamen und ihren in der Fachpresse meist verschwiegenen unbürgerlichen Schwestern, den Kokotten, in Fragen der hohen oder tiefen Coiffure mitzuhalten. Obwohl sich das deutsche Friseurhandwerk auch im Ersten Weltkrieg nicht von internationalen Trends abkoppelte, unternahm es den Versuch, an der ‚Heimatfront‘ eine deutsche Mode zu lancieren, allerdings nur für Frauen. Männer konnten ihren Beitrag zur Nation an der Front leisten. Entsprechend dem minder risikoreichen Einsatz waren diese symbolischen Bemühungen kaum geeignet, das Ansehen des Gewerbes zu steigern. Es gab aber nicht wenige Stimmen, die Zöpfe als deutsche Formgebung und Elemente einer nationalen Mode verstanden wissen wollten, solche Vorschläge blieben aber meist unberücksichtigt. Nach dem Ersten Weltkrieg erzeugten so manche Kundenwünsche Stirnrunzeln – unmäßig eitle, dazu fast bartlose Flaneure mit lang flatterndem Deckhaar spazierten mit unerwünschten Anliegen in die Friseurgeschäfte und junge Frauen verlangten Kurzhaarschnitte. Damit betraten neue Modehelden und -heldinnen die Bühne, nach Sommer beispielgebende Trendsetter, die als junge Menschen auf Identitätssuche eher neue Formen ausprobieren und annehmen als gefestigte Persönlichkeiten.373 Während die Fachpresse sich über die Kunden vom Typ „Der schöne Mann von heute“374 bald wieder beruhigte und zum längeren Haar Extravaganzen wie spitze Koteletten und glatte Pomadenfrisuren lancierte, wurde der Abschied von der vornehmen Modedame bedauert und noch lange gehofft, dass die Hochsteckfrisurära wieder anbräche. Aber auch mit dem Bubikopf – weniger mit dem Etoncrop – schloss das Gewerbe schließlich seinen Frieden. Darin kann man durchaus eine dem Handwerk so häufig attestierte traditionsbewusste Haltung sehen, die sich der Moderne nur zögerlich öffnete – im modeschaffenden Friseurhandwerk wurde tiefgreifender 373 Vgl. Sommer, Carlo Michael: Soziopsychologie der Kleidermode. Regensburg 1989. 374 Bertschik, Mode (2005), S. 188. Bertschik zitiert einen Artikel über männliche Modetypen, vgl. Daniel, Anita: Der schöne Mann von heute. In: Berliner Illustrierte Zeitung, 6.10.1929, S. 1757.

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modischer Wandel, wie er in den 1920er Jahren stattfand, nicht uneingeschränkt begrüßt. Einem ‚gepflegten Aussehen‘ kam im Nationalsozialismus eine ganz besondere Bedeutung zu. Im Herrenfach wurden im Zuge des nun verstärkt verlangten, schneidigen Auftretens mit Uniform Kurzhaarschnitte, so es möglich war (bei Rasierschnitten weniger), nach besten fachlichen Standards an den Mann gebracht. Swingbegeisterte junge Männer fanden anders als bei den von ihnen entsetzten ‚offiziellen Stellen‘ des Regimes keine Erwähnung in der Fachpresse – vermutlich nicht nur aus Gründen der Zensur. Dieser Stil war vorher schon innergewerblich akzeptiert worden. Nicht zuletzt, weil zwar das Deckhaar lang war, meist aber der Nacken und die unteren Seitenpartien kurz gehalten wurden – Friseurarbeit für diese modebewussten jungen Leute also erforderlich blieb. Während die Friseure und Kunden unproblematisch miteinander auskamen, stellten sich aus Sicht der Profis Teile der Damenwelt im ‚Dritten Reich‘ quer: Die einen interpretierten Zopfmoden als adäquaten Ausdruck der Zeit, die anderen hingen an ihrem Look der 1920er Jahre, die nächsten verweigerten sich der friseurhandwerklich erwünschten ‚aufsteigenden Linie‘ mit Pageboyfrisur und Olympiarolle. Die Haltung der Friseurpresse erzeugte das Bild des sanft vorzubringenden Beratungsbedarfs bei Männern oder betonte eine bei unveränderlichen, missliebigen Kundenwünschen eigene Souveränität durch kulante Anpassung und professionelle Zurückhaltung. Die Situation im Damenfach kam hingegen einer männlichen Bezwingung weiblicher Widerspenstigkeit nahe. Die überhöhte eigene Position des Gewerbes im Damenfach wurde außerdem durch Modeempfehlungen im Stile von Verordnungen behauptet, manche Friseure versuchten sogar, sie ungeachtet anderslautender Wünsche der Kundinnen umzusetzen. Im Nationalsozialismus wurde seitens des Regimes wie des Handwerks wiederum das Ziel formuliert, eine nationale Frauenmode zu schaffen. Für manche Kundinnen und einige nationalsozialistische Frauenorganisationen hieß dies, sich vom Hollywoodglamour wegzubewegen und den Zopfstil zu pflegen. Für das Friseurgewerbe wie auch für nicht wenige ‚NS-Größen‘ verblieb das modische Auftreten von geschminkten und modern, im internationalen Stil frisierten Frauen hingegen im nationalstolzen Rahmen.375 Der im Nationalsozialismus wiederholte Anlauf zu einer Natio375 Zur Orientierung am internationalen Luxus der ‚NS‘-Gesellschaft in Bezug auf Mode vgl. Almeida, Fabrice d`: High Society in the Third Reich. Cambridge, Malden 2008, S. 120f.

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nalmode hatte aus Selbsterhaltungsgründen bei den Friseurinnen und Friseuren keinen solchen Flirt mit Flechten zur Folge wie im Ersten Weltkrieg, weil Anhängerinnen des Zopfstils dem auf weibliche Kurzhaarfrisuren abgestellten Handwerk als Kundschaft verloren gegangen wären. In der theoretischen Reflexion kann Modewandel im friseurgewerblichen Feld als Beispiel für Trickle-Across-Effekte in Anlehnung an King376 beschrieben werden: Die Avantgarde in Konsumption wie Produktion geht voran und zieht andere mit. Für die etwaige Gültigkeit von Modewandeltheorien muss aber im Zusammenhang mit Frisuren erstens festgestellt werden, dass kein überzeitliches Modell grundsätzlich zutrifft, sondern in unterschiedlichen Zeitabschnitten verschiedene Verbreitungsrichtungen zu beobachten sind. Zweitens funktionieren zeitspezifische Modelle offenbar auch in anderen Zeiten als eigentlich angenommen, so sind von Sommer thematisierte Außenseiterimpulse für Moden auch vor den 1970er Jahren zu finden. Frisurmoden und ihre innergewerbliche Rezeption spiegelten Aufbrüche in neue Zeiten auf eigene Weise. Meistens setzte nicht das Friseurhandwerk die Trends, sondern Impulse für den modischen Wandel wurden einerseits von avantgardistischen Kunden und Kundinnen – und dazu zählten nicht alle – und manchen professionellen Trendsettern andererseits gegeben. Insgesamt ist das Gewerbe, zumindest seine Fachpresse, im Untersuchungszeitraum kaum Antriebskraft neuer Moden gewesen.

376 Vgl. King, Charles W.: Mode und Gesellschaftsstruktur. In: Specht, Karl Gustav; Wiswede, Günter: Marketing Soziologie. Soziale Interaktion als Determinante des Marktverhaltens. Berlin 1976, S. 375–392.

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Will man branchenkulturelle Entwicklungen verstehen, ist es sinnvoll, das Zusammenspiel verschiedener Institutionen zu betrachten. Neben kulturellen Institutionen wie Mode und Körperpflege spielen auch konventionelle Formen wie Innungen, Kammern, Gewerberecht und berufliche Bildung eine wichtige Rolle. Den größten Raum nimmt die Darstellung der Situation im Kaiserreich ein. Aufgrund der Herausbildung der Friseurdienstleistung am Ende des 19. Jahrhunderts als beruflicher Kernaufgabe im Gegensatz zum früher mehr oder weniger getrennten Perückenmachen, Barbieren und wundärztlicher Tätigkeit ist von der Entstehungssituation der Friseurbranche im heutigen Sinne auszugehen.1 Da sich im Hinblick auf den Fokus der Haargestaltung hier ein neuer Markt an Bestehendes anlehnte,2 bildete der alte Markt die Vorlage für den neuen, insbesondere mit ambulanter Kundenbedienung einerseits und luxuriösen Damenfriseurgeschäften andererseits, wie sie nach französischem Vorbild schon in den 1820er Jahren von den Perückenmachern auch in Deutschland eröffnet wurden.3 In einer Entstehungssituation sind insbesondere zwei Formen der Branchenlegitimierung möglich,4 die kognitive und die soziopolitische. Mit der kognitiven Legitimierung wird die Verbreitung des Wissens über den Markt angesprochen. Kunden und Kundinnen können aufgrund dieses Wissens den Gebrauchswert der Produkte und Dienste anerkennen und neue Marktteilnehmende sind aufgrund des verbreiteten Wissens über den Markt in der Lage, Angebote selbst zu imitieren. Auch die Rekrutierung von Personal setzt kognitive Legitimierung voraus. Die soziopolitische Form der Legitimierung bezieht sich auf die Rolle der Gesetzgeber, die, von 1

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Dazu auch Trupat, Kopf-Arbeit (1990), S. 8. Dagegen plädierte Stolz für die gewerbliche Kontinuität. Zur Entwicklung der Branche, insbesondere im Hinblick auf behördlich bestimmte, etwa durch Vergabe von Lizenzen bewirkte Trennung der Zweige vgl. Uttenthaler, Maximilian: Das Münchner Friseurgewerbe, seine wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. München 1921, S. 25. Vgl. dazu die Forschungsdiskussion bei Rolinck, Branchenkultur (2002), S. 103. Vgl. Eger, Leo: Das Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk in Berlin. In: Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Großindustrie. Siebter Band. Königreich Preußen. Dritter Teil. Leipzig 1896, S. 449–487, hier S. 458. Vgl. Rolinck, Branchenkultur (2002), S. 102.

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der Rechtmäßigkeit einer bestimmten Unternehmung überzeugt, neue Märkte legitimieren, indem sie juristische Normen setzen. Damit können Unternehmen die Sicherheit erhalten, ohne drohende staatliche Beschränkung wirtschaften zu können oder ihre Existenz zu verlieren. Dieser Aspekt ist gerade im Untersuchungszeitraum von Belang, weil die zunächst bestehende Gewerbefreiheit beschränkt wurde. Wie ergiebig auch hier eine geschlechtergeschichtliche Perspektive ist, lässt sich an der Abwehr des organisierten männlichen Gewerbes gegenüber den meist nicht organisierten Friseurinnen erkennen. Trotz der organisatorischen Zersplitterung des Gewerbes in den Bund der Barbiere, der Vereinigung der traditionellen Herrenfriseure, einerseits und dem Bund der Perückenmacher, ursprünglich den Spezialisten im Damenfach, waren sich die untereinander zerstrittenen Handwerker in ihren Abgrenzungsbemühungen gegen die weibliche Konkurrenz über den gesamten Untersuchungszeitraum einig. Diese Abwehr prägte sich sowohl im Zusammenhang mit Organisations-, Qualifikations- und Qualitätsfragen aus als auch im Hinblick auf die handwerklich geleistete Selbstverortung der Berufsaufgabe, die der Legitimierung der Branche dienen sollte. Gerade anhand des Körperpflegeanspruchs entspann sich eine Debatte jenseits des organisatorischen Rahmens, nämlich auf der Ebene des Miteinanders in der Dienstleistungssituation.

1 Entstehungssituation im Kaiserreich 1.1 Problematische Branchenlegitimierung Was in der behördlichen Einordnung des Friseurhandwerks in den Gewerbestatistiken unter der Gewerbegruppe ‚Bekleidung und Reinigung‘ pragmatisch abgehandelt wurde,5 entfaltete sich im friseurhandwerklichen Diskurs als problematische Berufscharakterisierung. Das Selbstbild als mit Mode und Schönheits- wie Körperpflege befasstes Kunstgewerbe6 schlingerte zwischen hygienischer Nützlichkeit und künstlerisch-luxuriöser Körperpflege. Schönheitspflege als Berufsaufgabe wurde innergewerblich im 5 6

Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Berlin 1880, S. 44 und weitere Jahrgänge. Vgl. Müller, Ferdinand: Schönheitspflege. In: DAFZ, 1905, Nr. 9, S. 276.

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Zivilisationsprozess verortet. Damit verband sich der kaum bescheidene Anspruch des Friseurhandwerks, als „Gradmesser der Kulturstufe eines Volkes zu gelten“.7 Diese gesellschaftliche Schlüsselstellung war zwar plausibel aufgrund der Anforderungen, die im Kaiserreich an die tadellose persönliche Erscheinung gestellt wurden und die mit der sozialen Zugehörigkeit noch stiegen,8 ihr stand aber das geringe Prestige des Berufs entgegen.9 Das verdankte sich nicht zuletzt seiner Verbindung mit dem verpönten Oberflächenphänomen Mode. Die deutsche Differenzierung von Kultur und Zivilisation ordnete verfeinerte und damit modische oder durch naturwissenschaftliche Fortschritte gewandelte Lebensbedingungen der Zivilisation zu. Diese stand weit unter der tiefgründigen Kultur, die durch (neuhumanistische) Bildung der Persönlichkeit erreicht werden sollte.10 Auch die von der Kulturkritik angeregte vielgestaltige Körperkulturbewegung,11 die Leiblichkeit an sich positiv bewertete, setzte explizit auf physische Ästhetik, die ganz überwiegend durch Arbeit an sich selbst erlangt werden konnte. Sie war nicht durch kommerzielle Dienstleistungen zu erwerben, die andere am eigenen Körper verrichteten.12 Nicht zuletzt bestand eine elitäre Distanz zur Mode, nachdem sich die bürgerliche Gesellschaft explizit mit der unprätentiösen Schlichtheit der eigenen Erscheinung von der höfischen Gesellschaft abgesetzt hatte. Auch die seit Mitte des 19. Jahrhunderts damit erwachsenen Widersprüche reha7 Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 1. 8 Vgl. die gründliche Aufarbeitung der Ratgeberliteratur bei Stolz, Handwerke (1992), S. 246f. 9 Vgl. als ein Beispiel der zahlreichen Klagen über das geringe Ansehen: Mit dem Kaiser! In: Der deutsche Barbier, Friseur und Perückenmacher, 1895, Nr. 19, S. 237. 10 Dazu eindrücklich Bollenbeck, Georg: Bildung und Kultur – Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters. Frankfurt am Main [u. a.] 1996. Bollenbeck thematisiert insbesondere auch den Unterschied von Kultur und Zivilisation, der die spezifische Situation in Deutschland und Frankreich jeweils besonders markiert. Während in Frankreich ein positiver Bezug zur Zivilisation und damit auch zur Mode bestand, fehlte dieser in Deutschland. 11 Vgl. den Ansatz, die heterogene Körperkultur systematisch aufzuarbeiten von WedemeyerKolwe, Bernd: „Der neue Mensch“. Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Würzburg 2004. 12 Auch wenn entgegen anderslautender Absichtserklärungen der Lebensreformer die Kommerzialisierung (heute gut sichtbar im Fitnesstrend oder bei Biolebensmitteln) selbstverständlich auch in dieser Gegenkultur ihren Platz behauptet(e). So hat beispielsweise gerade die FKK ihren Teil dazu beigetragen, den Körper zu einem beliebten Konsumgegenstand der Moderne zu machen, vgl. Möhring, Maren: Der bronzene Leib. In: Cowan/Sicks, Moderne (2005), S. 200–216, hier S. 209.  

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bilitierten die Beschäftigung mit dem Erscheinungsbild nicht. Denn nach Überwindung biedermeierlicher Schlichtheit hatte auch das Bürgertum begonnen, seinen Reichtum mit kostspieliger Garderobe offen auszustellen. Ungefähr zeitgleich machte die im Zuge von Globalisierungsschüben zunehmende Begegnung mit Natur- oder Kolonialvölkern, sei es persönlich, durch Erzählungen oder Lektüreerfahrung vermittelt, eine verstärkte Abgrenzung von den ‚Wilden‘ nötig.13 Deren Aufmachungen entbehrten offenkundig zivilisatorischer Einflüsse, die nun von Menschen in ‚entwickelten‘ Gesellschaften zwecks Demonstration von kultureller Überlegenheit umso dringender auch mit Kleidung und Frisuren zur Aufführung gebracht werden mussten. In der Friseurpresse rückten der Legitimierung der Arbeit dienliche Betrachtungen von Naturvölkern erst nach dem Ersten Weltkrieg häufiger in die Zeitungsspalten. Ein gutes Beispiel des fachlichen Blicks auf die Abweichungen vom weißen Normalmaß gibt 1913 kurz vor Schluss der realen deutschen Kolonialzeit das gönnerhafte Staunen über die Fähigkeiten, mit den „kurzen krausen Haaren der Negerinnen“ trotz der ungeeigneten Haarqualität eine Vielzahl von Frisuren herzustellen, von denen manche immerhin annehmbar erschienen.14 Neben der Abgrenzung von Fremden wurde die Distinktion von den ‚rohen Massen‘ des Proletariats der eigenen Gesellschaft bedeutsam; die kulturelle Überformung des „Urzustandes“ durch Haargestaltung schien dringend geboten.15 Geschlechtsspezifisch kodiert wurde das Gestaltungsangebot für Männer körperpflegend etikettiert und im Hinblick auf Frauen die Bezeichnung Kunstgewerbe bevorzugt. Diese Profilierung des Damenfachs war ebenso ambitioniert wie funk­ tional. Denn ‚Haarkünstler‘ versuchten an den Außenseiterstatus von Künstlern anzuknüpfen, deren Sonderrolle in der bürgerlichen Gesellschaft sie tendenziell weniger engen Anstandsregeln unterwarf, als es der Handwerkerstatus tat. Am beruflichen Handeln eines Damenfriseurs haftete wegen der Überschreitung von Schicklichkeitsgrenzen durch das Hantieren 13 Zur deutschen Kolonialgeschichte zwischen von zeitlich eng umrissener realer Herrschaft und phantasmatischen Wünschen, einschließlich der Aufforderung zur Differenzierung anstelle einer Beschwörung eines ubiquitären Phänomens, das so weit gefasst nicht mehr greifbar ist vgl. Kundrus, Birthe: Von der Peripherie ins Zentrum. Zur Bedeutung des Kolonialismus für das Deutsche Kaiserreich. In: Müller, Sven Oliver; Torp, Cornelius (Hg.): Das deutsche Kaiserreich in der Kontroverse. Göttingen 2009, S. 359–373. 14 Frauenhaartrachten der fremden Völkerschaften. In: Offizielle Friseurzeitung, 1913, Nr. 3, S. 122–129. 15 Die neue Modefrisur. In: DAFZ 1917, Nr. 2, S. 13.

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Abb. 48 Damenabteilung

mit erotisch konnotiertem Frauenhaar der Touch eines potenziell anrüchigen Körperkontakts. Zusätzlich verschärfte die räumliche Organisation der Geschäfte die berufliche Begegnungssituation. Während Männer in den ihnen vorbehaltenen Geschäftsräumen meistens nebeneinander saßen, wurden Frauen jeweils voneinander getrennt in Kabinen behandelt, weil den Kundinnen Schutz vor den Blicken Fremder geboten werden sollte (vgl. Abb. 48). Diese Intimität stellte für die Arbeit von Friseurinnen kein Problem dar, wohl aber für Friseure. Für den Nutzen des künstlerischen Etiketts in solchen Fällen gab es ein berühmtes Vorbild. Der ‚Erfinder‘ der Haute Couture Charles Frederick Worth (1826–1895) konnte, obgleich er sich den Damen der Pariser Haute volée maßnehmend so näherte, wie es bislang nur Damenschneiderinnen getan hatten,16 in seinem Feld durch eine energisch behauptete Künstlerrolle reüssieren. Nicht nur in Handwerksberufen waren professionelle Kontakte von Männern und Frauen durch Schranken der Sittlichkeit pro­ blembehaftet, wie die Debatte um die Zulassung von Frauen zum Medizinstudium gut belegt. Dort wurde als wichtiges Argument für die Notwendig16 Vgl. Vinken, Barbara: Mode nach der Mode. Geist und Kleid am Ende des 20. Jahrhunderts. Frankfurt 1993, S. 28.

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keit von Ärztinnen vorgebracht, dass die Probleme jener Frauen gelöst werden müssten, die sich nicht von Ärzten behandeln lassen wollten.17 Nachdem auch Universitätsabschlüsse Geschlechtergrenzen nicht in jedem Fall überwinden helfen konnten, erstaunt es nicht, dass Qualifikationen wie der Gesellen- oder Meisterbrief dies ebenfalls nur eingeschränkt vermochten. Daher wurden in der Berufscharakterisierung künstlerische Aspekte aufgegriffen, die auf akzeptierte Außenseiterpositionen rekurrierten, die einen größeren Handlungsspielraum versprachen. Innergewerblich wurde die Problematik ganz überwiegend beredt beschwiegen und nur selten mit der Offenheit angegangen, mit der der Hamburger Friseur Carl Müller sich äußerte.18 Sein Ausgangspunkt war die Einordnung des Damenfrisierens in die Kategorie Frauenberuf, weil die Kundinnen die Kolleginnen aus Gründen der „Schamhaftigkeit der Frauennatur“ oft bevorzugten.19 Das gelte es zu respektieren und keinesfalls als „Prüderie“ zu verachten. Zugleich entfernte er sich von der Vorstellung, dass Berufe entweder dem männlichen oder dem weiblichen Wesen gemäß wären. Ihm schien nach den „Kulturfortschritten“ im 19. Jahrhundert und angesichts von Akademikerinnen Antifeminismus à la Nietzsche gründlich überholt.20 Auch „das Geschrei“ der Männer, die Frauen mit einer Gleichberechtigungsvariante abspeisen wollten, die sie auf Gebiete beschränken würden, „die ihrer Natur von Haus aus zukommen“ würden, lehnte er 1908, im Jahr der erstmalig regulären Zulassung von Frauen zu preußischen Universitäten, ausdrücklich ab.21 Er schob damit aber gleichzeitig auch einer etwaigen Kritik an Männern im Damenfach einen Riegel vor, die als qualifizierte Fachleute bei moralischen Bedenken überzeugen könnten. Friseure sprachen gar nicht über Schicklichkeit und Haptik ihrer Arbeit, nur mittelbar ist von der berufspolitisch aktiven Friseurin Ella Eger als Argument für Frauen im Beruf in die Diskussion eingeworfen worden, dass „Männer wiederholt erklärt [hätten], es sei ihnen unangenehm, in den Frauenhaaren umherzufahren“. Vor dem Hintergrund der zeittypisch weit verbreiteten, erotischen Konnotation von Haar erscheint ein solches Unbehagen 17 Vgl. Usborne, Cornelie: Ärztinnen und Geschlechteridentität in der Weimarer Republik. In: Lindner, Ulrike; Niehuss, Merith (Hg.): Ärztinnen – Patientinnen: Frauen im deutschen und britischen Gesundheitswesen des 20. Jahrhunderts. Köln [u. a.] 2002, S. 73–95. 18 Vgl. Müller, Carl: Die Frau im Friseurberuf. In: DAFZ, 1908, Nr. 5, S. 179–180. 19 Ebd., S. 179. 20 Ebd., S. 179. 21 Ebd., S. 179.

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verständlich. Aufschlussreich ist hier die Berichterstattung in der Königsberger Allgemeinen Zeitung vom großstädtischen Treiben in Berliner Friseurgeschäften; dort seien Friseure mit dem Wesen und Aussehen von Lebemännern zu finden.22 Diese „männlichen Friseusen“ würden von den „Damen der Welt“ den „eigenen Geschlechtsgenossinnen“ vorgezogen. Für die Demonstration loser Sitten der großstädtischen Oberschicht, denen ein degenerierter, adeliger Habitus (Schauplatz ist ein fürstlich eingerichteter Salon) zugeschrieben wurde, bediente sich das Provinzblatt nicht zufällig des Sujets Friseurberuf. Als beliebte Zielscheibe des Spotts konnte hier auf Possierlichkeit angespielt werden,23 etwa mit der Schilderung öffentlicher Gesellenprüfungen, bei denen die Prüflinge in den Haaren gewühlt hätten wie „der Geizige im Geld“, die Darstellung wurde durch die voyeuristisch genossene Unterhaltung, die „ein hübsches Weib mit aufgelöstem Haar“ dem Berichterstatter zu bieten hatte, abgerundet. Die so häufig dem Handwerk attestierte kleinbürgerliche Spießigkeit kommt hier dem Journalisten zu. Geht man wie Mary Douglas davon aus,24 dass der Spielraum für körperliche Ausdrucksmöglichkeiten umso geringer bemessen ist, je stärker die sozialen Zwänge sind, dann wären zwar die gut situierten Kundinnen in ihrem Verhalten eingeschränkt gewesen, nicht aber die sozial niedriger stehenden Friseure. Als Männer hätten sie auch kaum Reputationseinbußen durch unterstellte Pikanterien zu befürchten gehabt. Dennoch war ihr Ruf durch Feminisierung und Charakterisierung als unsolide in Zweifel gezogen worden, während die kokett über Geschlechtergrenzen hinweg agierenden Kundinnen zwar Aufsehen erregten, aber das eher positiv besetzte Etikett ‚weltgewandt‘ erhielten. Bezieht man hier die im Kapitel Modebilder angesprochenen Effekte der blickgebundenen Ich-Konstitution ein, ergibt sich für die Blickrichtung des 22 Vgl. Über Barbieren und Frisieren. In: Der deutsche Barbier, Friseur und Perückenmacher, 1895, Nr. 19, S. 236. Abdruck eines nicht genauer zitierter Artikels von Max Horwitz aus der Königsberger Allgemeinen Zeitung. Ähnliches zur Eleganz der Berliner Herrengeschäfte „Salon pour la coupe des cheveux“ oder „Hair cutting room“ vgl. Eger, Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk (1896), S. 467. 23 In der Entwicklung der Massenpresse im Kaiserreich bildeten insbesondere die durch theatralische und unterhaltsame Episoden erzeugten Effekte den charakteristischen Duktus der Temporalität aus, vgl. Ziemann, Benjamin: Das Kaiserreich als Epoche der Polykontexturalität. In: Müller, Sven Oliver; Torp, Cornelius (Hg.): Das deutsche Kaiserreich in der Kontroverse. Göttingen 2009, S. 51–65, hier S. 53f. 24 Vgl. Douglas, Mary: Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Sozialanthropologische Studien in In­dustriegesellschaften und Stammeskultur. Frankfurt am Main 1998.

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Friseurs (und damit der Gesellschaft) auf die Kundin, dass sie sich mit einer Hochsteckfrisur im Rahmen der von ihr erwarteten Ambivalenz des simultanen Verhüllens und Entblößens ihres Haares bewegte. Die Bevorzugung von Friseurinnen konnte als Vermeidungsritual von auf ihren guten Ruf bedachten Frauen dienen oder aber bei betont tugendhaften Frauen durch Scham begründet sein, begriffen als „Reaktion auf das scheiternde Verhältnis des Individuums zu seinem Idealbild“.25 Da in der Frisiersituation aber auch sachliche Ziele verfolgt wurden, war deshalb ebenso ein unproblematischer Umgang mit männlichen Dienstleistern denkbar. Der Blick der Kundin (und der Gesellschaft) auf den Friseur hingegen konnte in der Bestätigung seiner handwerklichen Expertise liegen wie in einer heterosexuellen Rollenerfüllung. Vorstellbar ist aber auch der Vorwurf eines unmännlichen Desinteresses am weiblichen Wesen. Letzterer ist durch die Erschütterung des bürgerlich-hegemonialen Männlichkeitsstereotyps um 1900 zu erklären. Das einst als von sinnlichem Begehren abgelöst gedachte Männlichkeitskonstrukt von neutraler Allgemeinheit26 hatte eine plurale Sexualisierung und Vieldeutigkeit erfahren. Neben der Neukonstitution von Männlichkeitsformen wie etwa dem virilen Helden formten Dekadenzund Degenerationsdiskurse häufig feminisierte ‚Antitypen‘,27 wie den Dandy, den Homosexellen, den ‚Juden‘ oder eben auch die zwischen dem positiv bewerteten Bonvivant und weibischem Touch nicht recht entschiedene Darstellung der Damenfriseure. Für die Kollegen im Herrenfach stellte sich die Situation völlig anders dar. Ihre Selbstdarstellung, an die sich die Damenfriseure partiell anschlossen, war zeitlich und inhaltlich mit dem bürgerlichen Hygienediskurs verschränkt, der die Sorge um sich selbst in einer Schlüsselstellung etabliert

25 Schäfer, Alfred; Thompson, Christiane: Scham – Eine Einführung. In: Dies. (Hg.): Scham. Paderborn 2009, S. 7–36. 26 Zu dieser pointierten Zusammenfassung vgl. den detaillierter diskutierten Forschungsstand bei Brunotte, Ulrike; Herrn, Rainer: Statt einer Einleitung. Männlichkeiten und Moderne – Pathosformeln, Wissenskulturen, Diskurse. In: Brunotte, Ulrike; Herrn, Rainer (Hg.): Männlichkeiten und Moderne. Bielefeld 2008, S. 9–23. 27 Im heteronormativen Dispositiv werden Abweichungen vom Männlichen weiblich codiert, vgl. Bublitz, Hannelore (Hg.): Das Geschlecht der Moderne. Genealogie und Archäologie der Geschlechterdifferenz. Frankfurt am Main 1998. Zu den ‚Antitypen‘ vgl. Mosse, George: Das Bild des Mannes – Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit. Frankfurt am Main 1997, S. 110f.

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hatte.28 Der gründlichen Aufarbeitung von Susanna Stolz bezüglich der zeitgenössischen hygienischen Ratgeberliteratur als Erziehungsleistung, die damit Körperpflege als Kontext von Friseurarbeit aus ethnologischer Sicht beleuchtete, sind wesentliche Einblicke in die Alltagspraxis und populärwissenschaftliche Vermittlung zu verdanken. Werden aber Anforderungen der historischen Quellenkritik stärker berücksichtigt, zeigt sich, dass die Branche nur sehr bedingt durch die im Windschatten der Hygiene weithin verbreiteten Körperpflegeansprüche profitieren konnte. Unbestritten korrelierte der Anstieg der Zahlen der Friseurbetriebe zeitlich mit der Institutionalisierung der Hygiene und einer einschlägigen Publikationsflut, die Zuordnung des Friseurhandwerks zur hygienischen Nützlichkeit stellt sich aber genauer besehen nicht heraus. Die Richtschnur der Hygiene nach dem schwindenden Einfluss der Religion ergab für das bürgerliche Subjekt einen neuen Sinnhorizont: Anstelle der bislang vorrangig anvisierten Reinheit der Seele wurde die Aufmerksamkeit verstärkt auf die eigene Physis gerichtet.29 Diese populärwissenschaftlich-medizinisch beförderte,30 körperliche Reflexivität konstruierte den modernen Körper. Er wurde permanent beobachtet, wenn nötig behandelt oder reguliert, bei aller Förderung seiner Leistungsfähigkeit konnte er aber auch gelegentlich genossen werden. Neben individuellen und

28 Vgl. Sarasin, Philipp: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765 bis 1914. Frankfurt am Main 2001. 29 Dies gilt nicht nur für die lebensreformerischen Strömungen. Vgl. dazu auch Stolberg, Michael: Der gesunde und der saubere Körper. In: Dülmen; Richard von: Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder 1500–2000. Wien 1998, S. 305–317. Auch wenn Sarasins These des Sinnersatzes, den der Körper in einer säkularisierten Gesellschaft für seelische Belange leisten solle, als einigermaßen gewagt gelten kann, schließen Aussagen der Ratgeberliteratur doch didaktisch einschlägig am etablierten Primat an, etwa bei Weiler 1833: „Eine reine Seele duldet keinen schmutzigen Körper.“ Vgl. Weiler, J: Kosmetikh des weiblichen Geschlechts oder die geheime Kunst, Schönheit und Gesundheit zu vervollkommnen und bis in ins späteste Alter zu erhalten. Kempten 1833, S. 4, zitiert nach Stolz, Handwerke (1992), S. 250. 30 Zum Verhältnis von akademischer Disziplin und ihrer Popularisierung als Überschneidung von publizierenden Ärzten vgl. Sarasin, Maschinen (2001), S. 124, zum Zusammenspiel von Schulmedizin und Naturheilkunde vgl. Hau, Culture (2003), zur diskursiven Verflechtung medizinischer Disziplinen vgl. Meyer-Renschhausen, Elisabeth: Antimodernistischer Protest als Motor der sozialen Rationalisierung? Soziale und alternative Bewegungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Reese, Dagmar (Hg.): Rationale Beziehungen? Geschlechterverhältnisse im Rationalisierungsprozeß. Berlin 1993, S. 142–169.

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schichtspezifischen Herangehensweisen31 an die leibliche Moderne differierten Anteile und Ziele dieser Körperkonstruktion geschlechtsspezifisch. Einerseits gab es Vorstellungen von der „Frau als Hausärztin“32 und als Gattungswesen, andererseits solche von Männern, die aufgrund ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit als individualisiert galten33 und die für ihre Verwendung im Militär und an kräftezehrenden Arbeitsplätzen gestählt wurden. Weil es galt, die Effekte der Selbstregulation nach außen zu tragen, kam dem reinlichen Zustand der Kleidung und des Körpers Zeichenfunktion zu. Das hatte Konsequenzen für das Verständnis von Schönheit und Attraktivität, denn nicht „der Putz, sondern nur die Reinlichkeit macht die Frauen anziehend.“34 Dem Prestige der friseurhandwerklichen Gestaltungsarbeit, die ohnehin dem traditionell abwertenden Modediskurs standhalten musste,35 war dies nicht eben zuträglich. Schließlich zielte die Körperpflegeliteratur im Zuge des bürgerlichen Leistungsethos vornehmlich auf Beeinflussung des Körpers durch Reinigen, Trainieren, Ernähren etc., in klarer Abwen­dung zum „Übertünchen“ und „Verdecken“ dekorativer Maßnah-­

31 Martin Dinges hat gegen den Defizitdiskurs in der die aktuelle ‚Männergesundheitsdebatte‘ prägenden Mangel an Differenzierung mehrfach in aktueller Hinsicht auf geschichtswissenschaftlicher Basis argumentiert, vgl. Dinges, Martin (Hg.): Männlichkeit und Gesundheit im historischen Wandel. Ca. 1800 - ca. 2000. Stuttgart 2007. 32 Wie es schon der Titel des äußert erfolgreichen, beinahe das ganze 20. Jahrhundert über publizierten Ratgebers anzeigte, vgl. die Erstausgabe Fischer-Dückelmann, Anna: Die Frau als Hausärztin. Ein ärztliches Nachschlagebuch der Gesundheitspflege und Heilkunde in der Familie mit besonderer Berücksichtigung der Frauen- und Kinderkrankheiten, Geburtshilfe und Kinderpflege. Stuttgart 1901, (letzte Auflage 1979). 33 Zur geschlechtsspezifischen Disziplinierung und Differenzierung in ‚männliches Individuum‘ und ‚weibliches Gattungswesen‘ im Sport vgl. Sobiech, Gabriele: Grenzüberschreitungen. Körperstrategien von Frauen in modernen Gesellschaften. Opladen 1994. Zur Unterscheidung Gattungs- oder Maschinenkörper vgl. Planert, Ute (Hg.): Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und Nationalismus in der Moderne. Frankfurt am Main 2000. 34 Weiler, Kosmetikh, (1833), S. 4, nach Stolz, Handwerke (1992), S. 250. Zu natürlicher, gesunder Schönheit in Abgrenzung zu gekünstelter Mode in der Auseinandersetzung um Feminismus von Schulmedizin und Lebensreformbewegung, die an diesem Punkt allerdings übereinstimmten, vgl. Hau, Michael: The Cult of Health and Beauty in Germany. A Social History. 1890–1930. Chicago 2003, S. 59–75. 35 Vgl. die friseurhandwerkliche Wahrnehmung u. a. bei Müller, Ferdinand: Zur Rehabilitierung unseres Gewerbes in der Öffentlichkeit. In: DAFZ, 1908, Nr. 12, S. 481–482.  

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men,36 zu denen gerade Haargestaltung zu zählen ist. Die Trennung von Haarwäsche und Frisieren in hygienisch nötig und überflüssig fiel noch leicht, die Übergänge vom Kämmen und Ordnen zum Gestalten der Haare sind aber insofern fließend und nicht einfach in richtig und falsch einzuteilen, als nur frisiertes Haar als geordnet galt und als angemessener Präsentationsmodus angesehen wurde.37 Das kann als exemplarischer Problemfall der Hygiene gelten, die in vielerlei Hinsicht einen stets prekären Normalzustand konstruierte, weil das akzeptable Ausmaß von Pflegeaufwand schwer zu bestimmen war. Während in der innergewerblichen Positionierung als Haargestaltungsberuf im Damenfach der Bezug auf Mode dominierte, wurde im Hinblick auf die Herrenkunden stattdessen Körperpflege genannt, zu der ausdrücklich nicht Eitelkeit, sondern Sauberkeitssinn das bessere Motiv abgäbe.38 Hier war es Gestaltungsziel, die Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Diesem Ziel trug das räumliche Arrangement der Friseurgeschäfte Rechnung. Der typische Barbierladen war ein Männerort, an dem Frauen meistens nicht anzutreffen waren. Wie exklusiv diese Männergemeinschaft war, mögen Kondome als durchaus gebräuchliche Verkaufsartikel illustrieren.39 Da seit 1900 nicht der Verkauf oder die Kontrazeption, wohl aber die Werbung für empfängnisverhütende Mittel verboten war,40 ist bei der verstärkt auferlegten Diskretion, mit der dieses Verkaufsprodukt behandelt werden musste, davon auszugehen, dass dort Themen verhandelt wurden, die nicht vor weiblichen Ohren angesprochen werden sollten. Gleichwohl war Seriosität in jeder Hinsicht leitend. Mochte sich nämlich im Gastgewerbe um 1900 die der Unterhaltung der männlichen Gäste dienliche Sexualisierung von Kellnerinnen schon durchgesetzt haben, so war ‚Mädchenbedienung‘ in 36 Klencke, H.: Diätetische Kosmetik oder Gesundheits- und Schönheitspflege. Eine Volksschrift. Leipzig 1875, S. III-IV, zitiert nach Stolz, Handwerke (1992), S. 249. 37 Vgl. Stolz, Handwerke (1992), S. 251. 38 Vgl. Zum Herrenfrisieren. In: DAFZ, 1917, Nr. 1, S. 2–3. 39 Vgl. Über ein seltsames Polizeistücklein. In: DAFZ, 1905, Nr. 3, S. 73. 40 Seit 1887 waren laut Reichsstrafgesetzbuch nur Abtreibung und Beihilfe, nicht aber Kontrazeption verboten, nach einer Gesetzesänderung 1900 drohte denen, die Verhütungsmittel ausstellten, ankündigten oder bewarben eine Gefängnis- oder Geldstrafe bis 1000 RM, im Gesetzestext fand sich eine ausdrückliche Erwähnung von Barbieren als potenziellen Straftätern in dieser Sache, vgl. Belau, Antje Kristina: Emil Krönigs Scheidenpulverbläser – Geschichte und Anwendung von Scheidenpulverbläsern zur Kontrazeption im gesellschaftlichen Umfeld Deutschlands an der Schwelle des 20. Jahrhunderts. [Elektr. Veröff.], 2006, S. 33–34. URL: http://ub-ed.ub.uni-greifswald.de/opus/volltexte/2006/17/.

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der Männerdomäne Barbierladen nicht gefragt.41 Der Vorteil dieser geschlechtsexklusiven Strategie bestand darin, der Kundschaft Ernsthaftigkeit bei der Gestaltung ihres Äußeren demonstrieren zu können. Damit blieben Modetorheiten ebenso wie frivole Eitelkeiten ausgespart. Diese Konstellation hatte aber auch ungünstige Effekte zur Folge; da die Kunden offen nebeneinander saßen, spielte sich die Dienstleistung in einer männlich bestimmten Semiöffentlichkeit ab, in der sich alle anwesenden Kunden und Handwerker untereinander im Blick hatten und sich durch die gegenseitige Kontrolle hemmten (vgl. Abb. 49). Bei extravaganten Wünschen oder Vorschlägen war so nicht nur die Reaktion der beiden direkt Beteiligten zu bedenken, sondern die eines größeren, anonymen Publikums der Anwesenden. Wie die durchgängigen Debatten um den verwünschten Rasierschnitt zeigen, waren in den Augen der Friseure die Kunden diejenigen, deren Furcht vor Verweiblichung sie um Handwerkskunst und Kreativität brachte. Andersherum konnte das fachgerechte Ausschauhalten nach durch Frisuren zu verbessernden Defiziten der Gesichter das Selbstwertgefühl der Kunden nicht heben. Weitere Probleme resultierten aus dem Sauberkeitsniveau. Generell bestand zeittypisch die Forderung nach Intimisierung der persönlichen Hygienepraxis, weil nur die eigenen Verhältnisse überschaubar waren. Ließen die finanziellen Möglichkeiten es zu, wurde die Körperreinigung zu Hause erledigt. Es war geradezu ein herausstechendes Merkmal der Unterschichten, öffentliche Badeanstalten zu besuchen (bzw. zu sollen), das eigene Bade­ zimmer hingegen war ein Statussymbol der Oberschicht.42 Insofern stand die Inanspruchnahme der Friseurdienstleistung der Intimisierung entgegen. Daher bemühte sich die Branche noch lange nach Etablierung der Geschäfte in den 1870er Jahren um ein Luxusimage. Um möglichst auch zahlungskräftige Kundschaft für den Besuch der Geschäfte zu gewinnen, wurde in kostspielige Einrichtungen investiert.43 Demgegenüber nahmen die wachsenden Vorwürfe gegen das Gewerbe unter hygienischen Aspekten zu. Die Arbeitsräume und Arbeitsweise der Herrenfriseure sind Gegenstand diverser Hygienevorschriften und ärztlicher Mängelberichte gewesen, die die Übertragung ansteckender Krankhei41 Vgl. dazu ausführlich Beneder, Beatrix: Männerort Gasthaus? Öffentlichkeit als sexualisierter Raum. Frankfurt am Main 1997. 42 Vgl. Silbermann, Alphons: Der Deutschen Badezimmer. Eine soziologische Studie. Köln 1991, S. 24. 43 Zum Zusammenhang zwischen Körperpflege und Luxus vgl. ebd., S. 22ff.

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Abb. 49 Herrenabteilung

ten wie insbesondere der Bartflechte einzudämmen versuchten. Der Intention dieser Kritik stimmte man im Handwerk zu. Allerdings wurden zu beanstandende Fälle als Ausnahmen bagatellisiert oder die Betreiber galten aus Sicht der organisierten Friseurhandwerker ohnehin als ungelernte Pfuscher.44 Ähnlich gerieten Damengeschäfte nicht in den Fokus der Ärzte und Polizei, wohl aber der Publizistik. Wiederholt wurde es in Fachblättern unternommen, Berichte der Tagespresse zu korrigieren, in denen die Möglichkeit der Ansteckung mit Lepra durch Haarteile behauptet wurde.45 Hier griff man auch auf ärztliche Autoritäten zurück, die solche Zusammenhänge ausschlossen.46 Aber auch andere Hintergrundberichte über die degoutante Herkunft des für Postiche verwendeten Haars bereiteten dem Gewerbe solange Sorgen, bis sich diese Mode überlebt hatte. Diese Beanstandungen trafen zentral in das Körperpflegeselbstbild der Friseure, das gegen die kulturell tief verankerte Abwertung von Mode durch Verwendung von diskreditierten Haarteilen nur schwer aufrechtzuerhalten war. Ins44 Vgl. Pfuscher. In: DAFZ, 1905, Nr. 4, S. 102. 45 Vgl. Zur Mode. In: Offizielle Friseurzeitung, 1912, Nr. 4, S.  153–154. Weitere ärztliche Unterstützung sicherte sich das Gewerbe durch Mediziner, die für die Fachpresse insbesondere mit Artikeln über Kosmetik tätig wurden und dabei eigene Leistungen auf dem Gebiet anpriesen, z. B. Luda, Georg: Die Schönheitspflege. In: DAFZ, 1909, Nr. 1, S. 9. 46 Vgl. Wieder eine unverantwortliche Geschäftsschädigung. In: DAFZ, 1912, Nr. 5, S. 194.

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gesamt konnte sich die Branche mit Hygiene kaum unproblematischer als mit Mode legitimieren.

1.2 Branchenstrukturanalyse Die Struktur der Friseurbranche ist wegen der starken Entfaltung aller Wettbewerbskräfte insgesamt als unattraktiv einzuschätzen. In dem ganz überwiegend kleingewerblich betriebenen Handwerksbereich war die Rivalität bereits im Kaiserreich stark ausgeprägt,47 zugleich war die Bedrohung durch neue Anbietende sehr groß. In der Gewerbefreiheit bestanden keine gesetzlichen Barrieren des Marktzugangs und die Kosten des Selbstständigmachens waren vergleichsweise gering, sodass sich die Zahl der Betriebe im Kaiserreich mehr als verdoppelte, vgl. Abb. 50.48 Zwar war das Bevölkerungswachstum in diesem Zeitraum enorm,49 es wurde jedoch von der Zunahme der Friseurläden deutlich übertroffen. Kamen 1871 auf ein Geschäft noch ca. 2.000 Einwohner und Einwohnerinnen, betrug das Verhältnis 1907 ungefähr 1:1.350, in Berlin und München war die Lage noch ungünstiger.50 Zugleich stieg die Kaufkraft nur leicht an, die Konkurrenzsituation verschärfte sich daher spürbar.51 Es liegen keine Untersuchungen der durchschnittlichen Rentabiliät von Friseurbetrieben im Deutschen Reich vor, doch aufgrund von Befunden einzelner Regionalstudien ist davon auszugehen, dass der Gewinn häufig nur leicht über den Löhnen in der Industrie lag.52 Doch gerade im Hand47 1875 gab es im gesamten Deutschen Reich nur 14 Betriebe mit mehr als fünf Beschäftigten, vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich Band 1883. Berlin 1884, S. 42. 48 Für dieses Diagramm wie die nachfolgenden befinden sich die zugrundeliegenden Zahlen sowie die Quellenangaben im Anhang. 49 Von ca. 41 Mio. E. 1871 auf 64 Mio. E. in 1910, vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, Von der ‚Deutschen Doppelrevolution‘ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914. München 1995, S. 494. 50 Vgl. Sander, Lage (1898), S. 64. 51 Vgl. dazu Maehnert, Geschichte (1986), S. 108ff, zu den starken konjunkturellen Schwankungen vgl. Wehler, Doppelrevolution (1995), S. 552ff. 52 Sander ermittelte 1898, dass von 21 Münchner Geschäften 3 einen Jahresverdienst zwischen 577 und 609 M erzielten, Sander, Lage (1898), S. 34f. In Celle betrug das zu versteuernde Einkommen im Friseurhandwerk Mitte der 1880er Jahre ca. 1000 M, das anderer Innenstadtbetriebe lag hingegen zwischen 1350–1500 M, Maehnert, Geschichte (1986),

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Abb. 50: Betriebszahlen 1875‐1907

60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0

1875

1895

1907

werk kam dem Führen eines eigenen Betriebes auch ungeachtet dürftiger Erträge ein so großes Prestige zu,53 dass eine Schließung vielleicht von außen betrachtet sinnvoll gewesen wäre, ein Marktaustritt aber aus emotionalen Gründen unterblieb, solange sich der Betrieb irgendwie aufrecht erhalten ließ.54 Für die weitere Einschätzung der Wettbewerbssituation ist eine Binnendifferenzierung nach Geschlecht, Tätigkeitsbereichen und Geschäftsformen erforderlich. Es lassen sich drei Anbietergruppen bestimmen: Barbiere und Barbiere mit frisierenden Ehefrauen, Perückenmacher und Friseurinnen. Zeitgenössische Untersuchungen des Gewerbes stimmten darin überein, dass Frauen und Männer, die eine traditionelle Barbier- oder Perückenmacherlehre durchlaufen hatten, beide gleichermaßen im Herren- wie Damenfach S. 111. Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Industrie und Handwerk betrug 1885 622 M, 1895 738 M, vgl. Wehler, Doppelrevolution (1995), S. 591, 606. 53 Eger berief sich auf eine brancheninterne Umfrage, nach der von 44 Meisterbetrieben nur sechs schwarze Zahlen schrieben und im Jahr auf ein Plus von 103 M gekommen seien. In diese Rechnung scheinen allerdings schon „Haushaltungskosten“ als eigentlich nicht betriebliche Ausgabeposten eingeflossen zu sein. Vgl. Eger, Barbiergewerbe (1896), S. 682f. Dazu auch Sander, Lage (1898), S. 34. 54 Beispielsweise trugen zum Erhalt des Ladens auch von der eigentlichen Friseurdienstleis­ tung mehr oder weniger verschiedene Aktivitäten wie der Verkauf von Parfümeriewaren und Kosmetika wie auch von Zigaretten oder Kondomen bei, vgl. Eger, Barbiergewerbe (1896), S. 478, Sander, Lage (1898), S. 37.

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tätig waren.55 Dabei war es aber die Ausnahme, dass Mädchen sich in einem Lehrverhältnis ausbilden ließen, erst recht als Barbiere.56 Eine Perückenfachlehre ging in der Regel mit einer späteren Schwerpunktsetzung auf das Damenfrisieren einher. Häufig kümmerten sich Barbierehefrauen um das Damengeschäft und ihre Männer um die Herrenabteilung.57 Zwischen den Barbier- und Perückenmachergeschäften bestanden gewöhnlich erhebliche Unterschiede. Zum einen gab es zwar kaum einen Perückenmacher/Damenfriseur, der keine Herrenkundschaft hatte,58 andererseits waren zahlreiche Barbiere nicht an Frauenköpfen tätig. Beispielsweise waren 1897 in München von 110 Friseurgeschäften nur 38 auch auf Damenkundschaft eingestellt.59 Um 1900 hatten sich die meisten Betriebe schon darauf beschränkt, die Dienstleistung in den Geschäftsräumen anzubieten. Die Kundschaft zu Hause aufzusuchen, war kaum noch üblich.60 Eger ging für Berlin von 150 Perückenmachern/Damenfriseuren aus, die ein Geschäft betrieben, und nur noch 20 Anbietern, die keinen offenen Laden hatten.61 Große Unterschiede gab es in der Ausstattung der Barbierläden einerseits und der Geschäfte, die nur oder auch Kundinnen offenstanden. Zwar hatte sich in den ersten beiden Jahrzehnten des Kaiserreichs die Ausstattungsqualität insgesamt gehoben,62 die Einrichtung eines Damenfriseurgeschäftes aber war erheblich teurer als die eines Barbierladens.63 Entsprechend war festzustellen, dass sich junge Barbiere oft früher (mit ca. 20–22 Jahren) selbstständig machten 55 Vgl. Eger, Barbiergewerbe (1896), S. 466. 56 Nur sehr selten wurden sie später im Herrenbereich tätig. Häufiger waren mit einem Barbier verheiratete Frauen auch im Herrengeschäft mit Hilfsarbeiten tätig, etwa Kassieren oder Einseifen, vgl. Sander, Paul: Die Lage des Barbier- und Friseurgewerbes auf Grund einer in München veranstalteten Umfrage. München 1898, S. 14. 26% aller Ehefrauen waren mit Einseifen und Abwaschen der Kunden befasst, nur das eigentliche Rasieren kam dem Mann zu. 57 In München quantifizierte Sander den Anteil der im Damengeschäft tätigen Ehefrauen auf 11%, ebd. 58 Vgl. Eger, Barbiergewerbe (1896), S. 466. 59 Vgl. Sander, Lage (1898), S. 15. Die Situation mag sich in Bayern von der im restlichen Reichsgebiet dadurch unterschieden haben, dass hier noch vergleichsweise viele Bader ihr Geschäft betrieben, das allerdings schon zur Zeit von Sanders Untersuchung kaum noch Einkünfte bot, weil auch hier die früher zugestandene wundärztliche Tätigkeit nur noch Ärzten erlaubt war. 60 Vgl. Sander, Lage (1898), S. 15. 61 Vgl. Eger, Barbiergewerbe (1896), S. 466. 62 Vgl. ebd., S. 467. 63 Vgl. ebd., S. 475f.

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als Damenfriseure (meist im Alter zwischen 25 und 30 Jahren).64 Die Lage der Barbiere wurde durchweg als schwieriger beschrieben als die der Damenfriseure. Sowohl die Selbstständigkeit der letzteren war rentabler als auch ihr Lohn. Angestellte Barbiere bekamen im Monat ca. 25 M bis 51 M,65 Damenfriseure zwischen 80 M und 150 M.66 Obwohl die Damenfriseurgeschäfte prinzipiell besser liefen als die Barbierläden, war selbst hier zu beobachten, dass der aus der Handwerksarbeit erwirtschaftete Umsatz gegenüber dem Verkaufsgeschäft, das häufig die Haupteinnahmequelle ausmachte, oft eher unbedeutend war.67 Deshalb waren viele Friseur- wie andere Handwerks- und Arbeiterfamilien auch auf den Erwerb beider Ehepartner angewiesen. Sei es, dass beide im Geschäft tätig waren oder in je verschiedenen Feldern arbeiteten.68 Als dritte Gruppe im Gewerbe sind Friseurinnen zu nennen, die nur ambulant tätig waren. Sie ließen sich ihre Leistungen im Abonnement bezahlen, das im Monat für tägliches Frisieren zwischen 3 und 20 M kostete.69 Weil für das einmalige Erstellen einer Frisur im Geschäft zwischen 50 Pfennig und 1,50 M berechnet wurden, lag hier der Grund für die vehemente Ablehnung der weiblichen Konkurrenz. Zudem war gerade das Damenfach eine lukrative Sparte,70 die umso attraktiver erscheinen musste, je weniger Männer sich frisieren und rasieren ließen. Da im Kaiserreich die Zahl der Friseurbetriebe schneller anstieg als die Bevölkerung wuchs, entstand dadurch gerade im Herrengeschäft ein Überangebot.71 Dagegen gab es weniger Damengeschäfte bzw. Geschäfte mit Damenabteilungen. Für Friseurinnen war es nur begrenzt interessant, sich dort anstellen zu lassen, weil sie durchschnittlich nur mit einer Bezahlung von 70–90 M im Monat rechnen konnten. Da bei einem Abonnementspreis von 20 M nur fünf Kundinnen benötigt wurden, um einen ähnlichen Verdienst zu erzielen, dürfte die Anstellung in einem vornehmen Geschäft für diejenigen, die mit wohl64 65 66 67 68

Vgl. ebd. Das Währungskürzel M steht hier und im Folgenden für die im Kaiserreich gültige Mark. Vgl. ebd., S. 485. Vgl. Eger, Barbiergewerbe (1896), S. 478. Vgl. ebd., wie beispielsweise Erich Kästners Eltern, die u. a. Friseur- und Sattlerarbeit kombinierten, vgl. Kästner, Junge (1996). 69 Vgl. Eger, Barbiergewerbe (1896), S. 482. 70 Vgl. die Einschätzung ebd., S. 482. 71 Vgl. ebd., S. 474. Zwischen 1875 und 1895 hatte die Zahl der männlichen Gewerbetreibenden um 57% zugenommen, die Berliner Bevölkerung aber nur um 32%. In München sah die Situation allerdings günstiger aus als in Berlin, vgl. Sander, Lage (1898), S. 12.  

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habender Kundschaft gut umzugehen wussten, am wenigsten in Betracht gekommen sein. Anders sah es im unteren Preisbereich aus. Hier wären bei einem Abonnementspreis von 3 M ungefähr 24 Kundinnen nötig gewesen, um auf den Angestelltenlohn zu kommen. Selbst wenn alle Kundinnen innerhalb kürzester Zeit zu erreichen gewesen wären, wäre ein mit dem Lohn vergleichbarer Gewinn kaum erreichbar bzw. das erforderliche Arbeitspensum kaum zu bewältigen gewesen, auch wenn man bedenkt, dass die tägliche Arbeitszeit damals und gerade im Friseurgewerbe ohnehin lang war (zwischen 12 und 16 Stunden).72 Die drei Anbietergruppen lassen sich leicht unterscheiden, sie quantitativ zu bestimmen, ist hingegen schwierig. Zwar war mit der Übernahme der Gewerbegesetze des Norddeutschen Bundes für das Kaiserreich ein reichseinheitliches Gesetz für den freien, nicht an geschlechtsspezifische Bedingungen gebundenen Marktzugang geschaffen worden,73 eine nähere Betrachtung zeigt aber, dass auch in der Gewerbefreiheit Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestanden, denn die Grundlagen der Erfassung sind von geschlechtsspezifischen Unterschieden geprägt, die in der Reichsgewerbeordnung (RGO) schon früh ihren versteckten, aber nachhaltigen Niederschlag fanden. Männer im Fokus der Statistik Zunächst war mit der RGO in fast allen Bereichen das Betreiben eines Handwerks ohne Qualifikation und unabhängig vom Geschlecht erlaubt worden, nötig war nur das Anmelden des Gewerbes. Als typisch weiblich begriffene Arbeiten aber, deren Handwerkscharakter zudem umstritten war,74 waren im Kaiserreich sogar per Gesetz von der Anmeldepflicht ausgenommen. Das war eine Möglichkeit für manche Gewerbetreibende, ihre Tätigkeit dieser besonderen Gruppe zuzurechnen und sie aus verschieden­ 72 Würde für die Frisuren wie im Geschäft tatsächlich eine Dreiviertelstunde benötigt, hätte schon die reine Frisierzeit 18 Stunden betragen, vgl. Eger, Barbiergewerbe (1896), S. 471; Sander, Lage (1889), S. 41. 73 Zu den regionalen Unterschieden zwischen 1869 bis 1873 vgl. Becker, Martin: Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis in Deutschland. Vom Beginn der Industrialisierung bis zum Ende des Kaiserreichs. Frankfurt am Main 1995, S. 50. 74 Vgl. Stockmann, Reinhardt: Gewerbliche Frauenarbeit in Deutschland 1875–1980. Zur Entwicklung der Beschäftigtenstruktur. In: Geschichte und Gesellschaft, 1985, Nr. 4, S. 447–475.

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sten Gründen nicht formal anzumelden, insbesondere dann, wenn ihre Arbeit mit traditionell umrissenen Handwerksfeldern korrespondierte, aber nur einen Teilbereich davon ausmachte, wie Weißnäherei, Putzmacherei, Damenschneiderei75 oder eben (Damen-)Frisieren.76 Diese Frauen fehlen entsprechend in den Gewerbestatistiken. Das trifft insbesondere auf viele Friseurinnen zu, jedenfalls dann, wenn sie keine zur Anmeldung verpflichtenden offenen Verkaufs- und Betriebsstätten unterhielten,77 sondern als Hausfriseurinnen ihre Kundinnen zu Hause frisierten.78 Diese weiblichen Arbeiten, um deren Zugehörigkeit zum Handwerk nach 1900 gestritten wurde, waren aufgrund des Arbeitsortes in fremden Haushalten statt in eigenen Werkstätten79 zunächst von den üblichen Gewerberegelungen, insbesondere auch Ausbildungsvorschriften, ausgenommen.80 Sonderregelungen ordneten beispielsweise Frisieren nicht nur den Status weiblich zu, sondern differenzierten Tätigkeiten vor dem Hintergrund der Dichotomie von privat und öffentlich in haushaltsnah und ge75 Vgl. Purpus, Andrea: Frauenarbeit in den Unterschichten. Lebens- und Arbeitswelt Hamburger Dienstmädchen und Arbeiterinnen um 1900 unter besonderer Berücksichtigung der häuslichen und gewerblichen Ausbildung. Münster, Hamburg 2000, S. 228ff. 76 Vgl. Elbers, Auguste: Die Wirkungen der Handwerkergesetze von 1897 und 1908 auf das Schneiderinnengewerbe mit besonderer Berücksichtigung dreier Städte des Rheinlandes. Heidelberg 1914, S.  31. Elbers zitiert bei der Zuordnung der Berufe zu den weiblichen Handwerken das Deutsche Handwerksblatt 1911. 77 Als Erklärung, was nicht als stehender Gewerbebetrieb anzusehen wäre, wird in § 14 Abs.1.1 zu Titel II Stehender Gewerbebetrieb. I Allgemeine Erfordernisse ausgeführt: „Die gewöhnlichen Lohn- und Handarbeiten und die sogenannten weiblichen Arbeiten sind, so lange nicht daraus ein Geschäft mit offener Verkaufs- oder Betriebsstätte gemacht wird, als ‚selbständiger Gewerbebetrieb‘ nicht anzusehen und unterliegen daher nicht der Anzeigepflicht des § 14 der Gewerbeordnung.“ Vgl. Marcinkowski, Friedrich: Die deutsche Gewerbe-Ordnung für die Praxis in der Preußischen Monarchie. Berlin 1896. 78 Ähnlich gingen auch Hausgebrauchsschneiderinnen in privaten Haushalten auf „Stör“, vgl. Elbers, Wirkungen (1914), S. 15–17. 79 Daneben gab es auch andere nicht handwerksgemäße Arbeiten, wie Plätterei und Wäscherei, die typischerweise von schlecht bezahlten, unqualifizierten Frauen verrichtet wurden. 80 Die Handwerksorganisationen verfolgten widersprüchliche Strategien, manche versuchten, Handwerkerinnen die Ausbildung förmlich zu untersagen und zielten gleichzeitig auf ihre Integration in die Innungen, vgl. Rehse, Gertrud: Handwerksmäßige Frauenarbeit unter der besonderen Berücksichtigung der Verhältnisse in Ostpreußen. Königsberg 1926, S. 27–30. Das preußische Handelsministerium sprach Frauen wie Männern 1902 hingegen gleiche Ausbildungsbefugnisse zu, vgl. Brodmeier, Beate: Die Frau im Handwerk in historischer und moderner Sicht. Münster 1963, S. 65ff. oder Schlüter, Anne: Neue Hüte – alte Hüte? Gewerbliche Berufsbildung für Mädchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts – Zur Geschichte ihrer Institutionalisierung. Düsseldorf 1987, S. 181.

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werblich. Im Friseurgewerbe bestand zwar keine Haushaltsnähe, wohl aber verliefen auch hier die Grenzen von fachlichem Können und der Haargestaltung, die Männer und Frauen zu Hause selbst bewerkstelligten, fließend. Hausarbeitsnähe als Kern der Definition von Frauenberufen hat und hatte negative Auswirkungen auf das Prestige und Einkommensniveau dieser Berufe. Wie auch Hausarbeit selbst waren sie von gesellschaftlicher Unsichtbarkeit, Verdrängung und Abwertung betroffen, weil sie das Image der Anspruchslosigkeit kaum abstreifen konnten. Wie wenig solche Tätigkeiten ernst genommen wurden, zeigt ihre mangels Anmeldung eines Gewerbebetriebes häufig ungenügende statistische Erfassung. Aber nur, weil diese Wirtschaftsaktivitäten in den Statistiken meist diffus oder unsichtbar bleiben, sind sie damit nicht gleichzeitig als so unbedeutend einzustufen, wie es im Nachhinein erscheinen mag.81 Diese Aussage Karin Hausens kann gerade am Beispiel des Friseurgewerbes mit einem Vergleich von reichsweiten und regionalspezifischen Gewerbestatistiken unterstrichen werden.82 Abb. 51: Friseure und Friseurinnen im Kaiserreich

100.000 90.000 80.000 70.000 60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0

alle Männer Frauen

1875

1882

1907

81 Zur Aussagefähigkeit der statistischen Erfassung von Frauenarbeit vgl. Hausen, Karin: Geschlecht und Ökonomie. In: Ambrosius, Gerold; Petzina, Dietmar; Plumpe, Werner (Hg.): Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen. München 1996, S. 89–104, hier S. 94f. Leider fehlt dieser Aufsatz in der zweiten Auflage. 82 Da vor 1925 Frauen im Handwerk häufig nicht gesondert erfasst wurden und ‚mithelfende Familienangehörige‘ nur unzuverlässig statistisch ausgewiesen wurden, sind Gewerbesta­ tistiken eine problematische Quelle, vgl. Kerchner, Brigitte: Die „Neuen“ im „alten Mittelstand“: Zur Sozialgeschichte der Frauenarbeit im Handwerk 1897–1922. In: Epkenhans, Michael; Kottkamp, Martin; Snyders, Lothar (Hg.): Liberalismus, Parlamentarismus und Demokratie. Festschrift für Manfred Botzenhart zum 60. Geburtstag. Göttingen 1994, S. 155–190, hier S. 155.

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Reichsweit betrug das Verhältnis von Frauen und Männern im Beruf im Kaiserreich ungefähr 1:9 (vgl. Abb. 51). Zur Besprechung der zu bemängelnden statistischen Erfassung von Frauen soll der Fokus nun auf die selbstständigen Gewerbetreibenden gelegt werden, um auch die Gruppe der von der Anmeldung eines Gewerbes befreiten Hausfriseurinnen in die Überlegungen einbeziehen zu können. Ein Vergleich regional begrenzter zeitgenössischer Untersuchungen von Berlin (Leo Eger, 1896), Posen (Gustav Tietze, 1896) und München (Paul Sander, 1898) zeigt die Schwierigkeiten, Friseurinnen erfassen zu können oder zu wollen, recht deutlich.83 Tietze sah von geschlechtsspezifischen Differenzierungen kommentarlos ganz ab. Eger hingegen machte sie explizit zum Thema.84 In der Erkenntnis, dass die Gewerbestatistiken und Berufszählungen die Hausfriseurinnen nicht verzeichneten, ermittelte er aus Adressbüchern für das Jahr 1890 in Berlin neben 1224 männlichen Selbstständigen (sowohl Barbiere als auch Damenfriseure) 585 Friseurinnen (vgl. Abb. 52). Da Untermieterinnen in seiner Quelle nicht erfasst werden konnten, schätzte er ihre tatsächliche Anzahl sogar noch deutlich höher ein. Ausgehend davon, dass 1895 im Rahmen einer Berliner Volkszählung 1660 Männer in der Haar- und Bartpflege gezählt wurden, müsste, wenn die Anzahl der Friseurinnen vergleichbar angestiegen wäre, die Zahl der Abb. 52: Selbstständige Friseurinnen und Friseure, Berlin 1890/1895

2.500 2.000 1.500

Insgesamt

1.000

Männer Frauen

500 0

1890

1895 (Zählung)

1895 (Schätzung)

83 Eger, Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk (1896); Tietze, Barbiergewerbe 1896; Sander, Lage (1898). 84 Vgl. Eger, Barbiergewerbe (1896), besonders S. 465.

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Frauen im Gewerbe zurückhaltend geschätzt bei ungefähr 800 gelegen haben (714 Hausfriseurinnen plus 40 Witwen und nicht ermittelbare Untermieterinnen). Zwei Jahre nach Eger stellte Sander die Geschlechterverhältnisse Münchens in einer ähnlichen Studie ganz anders dar.85 1895 gab es nach der Münchner Berufs- und Gewerbestatistik 430 Selbstständige, und die Auswertungen des Adressbuchs ergaben für 1895 22 selbstständige Friseurinnen, einen Anteil von gut 5%. Die geringe Zahl der Friseurinnen in München ist im Vergleich mit den Angaben für das Reich und für Berlin auffällig. Sprach Eger noch ganz plastisch vom großen „Heer der weiblichen Friseure, die kein offenes Geschäftslokal haben“,86 so erschöpfte sich Sanders Beschäftigung mit Friseurinnen in der lapidaren Bemerkung: „Diese scheiden aus unserer Betrachtung aus.“87 Ob nun die Verhältnisse in Berlin und München das jeweils andere Ende einer Möglichkeitsskala abbildeten, in Sanders vielleicht patriarchalisch gefärbtem Standpunkt Handwerkerinnen ohnehin nur Bedeutungslosigkeit zukam, oder ob eine bislang nicht geleistete, systematische Auswertung von Adressbüchern reichsweit heute noch ein ganz anderes Bild erzeugen würde, muss an dieser Stelle offenbleiben. Bezeichnend ist, dass beide Forscher Witwen, die selbstständig Geschäfte führten, zu den männlichen Gewerbetreibenden rechneten. Nicht die offenkundige Leistung dieser Frauen zählte, sondern die Betriebsgründung unter dem Namen ihrer Männer degradierte sie zu Platzhaltern der Verstorbenen. Dadurch geschieht zweierlei: nicht nur wurde die tatsächlich vorhandene alleinige Betriebsführung der Frauen dethematisiert, sondern auch die Möglichkeit des beruflichen Miteinanders von Eheleuten, das durchaus nicht selten der Fall war. Der Anteil von Frauen in der Branche geht aus offiziellen Statistiken daher kaum hervor, dennoch zeigt eine genaue Durchsicht der Quellen, dass Frauenarbeit im Friseurgewerbe auch im Kaiserreich bereits relevant und in der Zunahme begriffen war. Die gezielte Berücksichtigung von Handwerkerinnen ist nicht nur geschlechtergeschichtlich geboten, schließlich verändert sie auch die Zahlenverhältnisse insgesamt wie schon die Untersuchung Egers belegte.

85 Vgl. Sander, Lage (1898). 86 Vgl. Eger, Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk (1896), S. 464. 87 Vgl. Sander, Lage (1898), S. 9.

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Von einer Verhandlungsstärke der Liefernden ist im Kaiserreich in den Fällen auszugehen, wo bei Geschäftsgründungen mit wenig Eigenkapital auf Lieferantenkredite (typischerweise von Ladeneinrichtungsherstellern) und Starthilfen von Hausbesitzern zurückgegriffen wurde.88 Dadurch entstanden sowohl starke Abhängigkeiten als auch negative Effekte auf die gesamte Branche. Schließlich wurden die im Gewerbe ohnehin schon niedrigen finanziellen Hürden des Selbstständigmachens durch zusätzliche Kreditmöglichkeiten noch tiefer gelegt. Für die ungünstige Lage des Gewerbes sind insbesondere die Wettbewerbsfaktoren Verhandlungsstärke der Abnehmenden und die Bedrohung durch Ersatzprodukte relevant, die sich ausgerechnet im branchendominanten Herrengeschäft zunehmend auswirkten. Was schon das Modekapitel zeigte, verdeutlicht sich durch die ökonomische Betrachtung: Weil Männer nur verbal, nicht aber praktisch Abstand zur Mode wahrten und Frauen gerade im Kaiserreich zwar modisch interessiert waren, aber häufig mit ‚Doit-yourself‘-Lösungen auskamen, beruhte der Markt für Friseurdienstleistungen nicht auf weiblicher Konsumlust, sondern bestand im Wesentlichen durch die Nachfrage der männlichen Kundschaft. Wie die zeitgenössischen Untersuchungen kurz vor 1900 zeigen, hielt die Branche ihr weitaus größtes Angebot im Herrenfach vor, fing aber an, das Engagement im Damenfach auszubauen.89 Ein Blick auf die durchschnittlichen Preise um 1900 (vgl. Abb. 53) zeigt, welchen Einfluss die modischen Entwicklungen geschäftlich gehabt haben. Die niedrigen Preise im Herrenfach spiegeln das vorgebliche Desinteresse der Kundschaft wider, die tatsächlich und interessanterweise unabhängig von ihrer Schichtzugehörigkeit den Anspruch hatte, Haargestaltung professionell erledigen zu lassen. Bei Frauen hingegen war die Inanspruchnahme der Friseurdienstleistung vor allem in den Oberschichten oder zu besonderen Anlässen üblich. Deshalb gab es in proletarischen Stadtvierteln keine an

88 Vgl. Die Abzahlungsgeschäfte in unserem Gewerbe. In: Der deutsche Barbier, Friseur und Perückenmacher, 1895, Nr. 3, S. 27–28. 89 Vergleicht man im Zeitraum zwischen 1875 und 1895 die Entwicklung der Barbierläden mit der derjenigen Betriebe, die aus dem Perückenmachen kamen, so ergibt sich für die erste Gruppe ein Sprung von 197 auf 213 und für die zweite Gruppe ein Anstieg von 48 auf 215, vgl. Uttenthaler, Friseurgewerbe (1921), S. 26.

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Frauen adressierte Friseurgeschäfte und dementsprechend war es möglich, in diesem Tätigkeitsspektrum höhere Preise durchzusetzen (vgl. Abb. 53).90 Abb. 53: Preise in Berliner Friseurgeschäften 1896, nach Geschäftslage (I schlecht - V sehr gut), Angabe in Pfennigen

Rasieren

I

II

III

IV

V

5

10

15

25

50

Frisieren

10

10

25

35

50

Haarschneiden

15–20

25

35

50

75–100

Haar- u. Bartschnitt



40

50

75

100

Damenfrisieren



50

75

100

150

Abendfrisuren







-

200–300

Shampoonieren



75

100

150

200

Nachdem Frisieren und Bartpflege nicht mehr nachgefragt wurden, blieb immerhin die lukrativste Einnahme im Herrengeschäft erhalten, das Haarschneiden. Dennoch verringerten sich die Einnahmemöglichkeiten modebedingt um ungefähr die Hälfte. Dies gilt für alle Geschäftslagen gleichermaßen. In dieser Situation setzte das Gewerbe auf das Damengeschäft; insbesondere das Preisniveau war vielversprechend. Geht man zeitgenössischen Quellenangaben folgend davon aus, dass für einen Herrenhaarschnitt (samt Frisieren) wie für eine Damenfrisur 45 Minuten benötigt wurden,91 ist zu erkennen, dass Friseurdienstleistungen für Frauen vergleichsweise teurer berechnet wurden als die für Männer. Rechnet man den Umsatz auf eine Stunde hoch, so ergibt sich für den Herrenhaarschnitt ein Preis von 0,80 M,92 für Damenfrisieren hingegen 1 M. Auffällig ist aber, dass für eine nur sehr kurzfristig haltbare Leistung wie Damenfrisieren grundsätzlich mehr verlangt werden konnte als etwa für einen Herrenhaarschnitt, der deutlich länger vorhielt. Ein professionell gepflegtes Aussehen kostete den Kunden wesentlich weniger als die Kundinnen. Nimmt man an, dass die 90 Nach Eger, Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk (1896), hier S. 471, zur Angabe für die Ball- und Theaterfrisuren vgl. S. 472. 91 Zur Zeitangabe vgl. Uttenthaler, Münchner Friseurgewerbe (1921), S. 44. 92 Das Währungskürzel M steht hier und im Folgenden für die im Kaiserreich gültige Mark.

Entstehungssituation im Kaiserreich  |

Ansprüche der Kundschaft der mittleren Geschäftslage (III) eher bescheiden waren, so ergeben sich modellhaft für einen Monat berechnet folgende Unterschiede: Ließ sich ein Mann um 1900 vielleicht einmal im Monat die Haare und den Bart schneiden, bezahlte er 0,75 M. Einen bartlosen Mann kostete wöchentliches Rasieren 0,60 M,93 zusammen mit dem monatlichen Haarschneiden (0,35 M) wären es 0,95 M. Frauen hingegen, die sich zweimal im Monat das Haar fachlich versiert ondulieren und frisieren ließen und sich in der Zwischenzeit die Haare täglich selbst hochsteckten, kamen auf Ausgaben von 1,50 M. Da es im Kaiserreich für Männer wie für Frauen (und zwar nicht nur den unterprivilegierten) durchaus üblich war, sich mit leicht herausgewachsenen Haarschnitten oder improvisierten Hochsteckfrisuren zu begnügen, ist die hier angenommene Frequenz der im Kundenverhalten ablesbaren, tendenziell verzichtbaren Inanspruchnahme der Leistung sogar eher hoch angesetzt. Für wohlhabende Kundschaft (Geschäftslage V) kann man, selbst wenn man von täglichem Rasieren und einem Haarschnitt im Monat ausgeht, die Ausgaben eines Mannes auf ca. 15 M schätzen. Wenn Frauen sich hier einmal wöchentlich das Haar waschen ließen und ihnen Fachleute drei Hochsteckfrisuren in der Woche anfertigten, bezahlten sie ca. 20 M. Darin sind besonders aufwändige Kreationen, wie sie für Abendveranstaltungen üblich waren, noch nicht als höherer Posten berücksichtigt. Neben der höheren Preislage begründete der bis dahin noch nicht bestehende Massenmarkt im Damengeschäft die Hoffnungen auf ein Wachstum dieses Erwerbszweiges. Allerdings leitete sich aus der schon im Haarmodenkapitel dargestellten, legeren Inanspruchnahme der Friseurdienstleistung andererseits auch die Verhandlungsstärke der Abnehmenden ab. Eng damit verbunden war die Bedrohung durch Ersatzprodukte, d. h. die Umgehung der Friseure und Friseurinnen durch ‚Do-it-yourself‘-Varianten. Das grundsätzliche Problem der Branche lag vor allem in den Möglichkeiten der Kundschaft, sich selbst zu rasieren oder zu frisieren, weniger in der drückenden Konkurrenz. Grundvoraussetzung war eben nicht das Angebot einer knappen Ware, sondern das eines im Sinne Hobbes’ frei zugänglichen Gutes, für das es streng genommen keinen Markt geben kann. Dabei war nicht nur entscheidend, dass jenseits idealtypischer Marktdefinitionen dennoch 93 Aus der Berichterstattung des hier nicht weiter interessierenden Kampfes um die im Kaiserreich erst noch einzuführende Sonntagsruhe ist bekannt, dass zahlreiche Männer sich einmal in der Woche, nämlich am Sonntag, rasieren ließen.

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eine Bedürfnislage bestand, wenn auch eine für die Branche ungünstige. Schließlich ist mit Porter maßgeblich, dass die Befriedigung der Bedürfnisse von Abnehmer(-innen) zwar grundlegende Voraussetzung der Branchenrentabilität sein mag, dafür aber nicht allein ausreichend ist. Über Rentabilität entscheidet hingegen, ob die Unternehmen den für die Abnehmenden geschaffenen Wert „für sich behalten können, oder ob dieser Wert von anderen wegkonkurriert wird“.94 Ein solches Gelingen hängt maßgeblich von der gewählten Strategie ab, mit der Wettbewerbsvorteile gesichert werden können. Strategische Optionen Für das Friseurgewerbe kamen im Kaiserreich Differenzierungsstategien und die Konzentration auf Schwerpunkte infrage. Kostenführerschaft, durch geringe Kosten einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen,95 dürfte hingegen kaum vorgekommen sein. Die kleingewerbliche Betriebsstruktur eröffnete kaum Chancen zur Ausnutzung größenbedingter oder absoluter Kostenvorteile.96 Eine Ausnahme war vielleicht jener männlich geführte Betrieb, der 1890 als einziger in Berlin 14 Beschäftigte hatte.97 Besonders in den Ladengeschäften bestanden kaum Aussichten auf Kostenführerschaft. Zwar war der Trend weg von der ambulanten Bedienung der Kundschaft zu Hause insofern günstig, als zeitraubende Wege gespart wurden und theoretisch in der gleichen Arbeitszeit mehr Leistungen erbracht werden konnten. Gerade in der Herrenabteilung konnte so effizienter gearbeitet werden, denn hier herrschte in der Woche tagsüber Geschäftsstille, während die Abendstunden, Samstag und auch Sonntag Stoßzeiten waren.98 Andererseits brachte die Unterhaltung von Geschäftsräumen Nachteile mit sich. Zum einen, weil die gewachsenen Ansprüche an 94 Porter, Wettbewerbsvorteile (2000), S. 34. 95 Vgl. ebd., S. 38. 96 Vgl. ebd., S.  39. Wie das gegenwärtige Beispiel der Wach- und Schließdienste zeigt, ist diese Strategie nicht nur auf industrielle Unternehmungen beschränkt. 97 Vgl. Eger, Barbiergewerbe (1896), S. 465. Im selben Jahr arbeiteten 914 Friseurgewerbetreibende (die Angaben fassen immer männlich und weiblich zusammen) allein, 571 hatten einen Beschäftigten (B.), 249 hatten zwei B., 49 hatten drei B., 18 hatten vier B., jeweils sechs hatten fünf bzw. sechs B., und einer hatte sieben B. Vermutlich handelt es sich bei dem Betrieb mit 14 Angestellten um Haby, der 1894 18 Beschäftigte hatte, vgl. Landesarchiv Berlin, A. Pr. Br. Rep. 030 Nr, 10641. 98 Vgl. Eger, Barbiergewerbe (1896), S. 469.

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die Geschäftsausstattung in technischer Hinsicht (besonderes Mobiliar, Heißwasserzubereitung und Trocknungsanlagen) die Einrichtungs- und Unterhaltungskosten erhöhten.99 Zum anderen stiegen mindestens in Berlin die Mieten in den 1870er bis 1890er Jahren kräftig an, sodass sich wenig Möglichkeiten der Kostensenkung boten.100 Diese wären jedoch umso interessanter gewesen, als die Miete offenbar der größte Ausgabeposten war.101 Hier waren diejenigen im Vorteil, denen die Immobilie gehörte, in der sie ihr Geschäft betrieben. Da Hausbesitz im Handwerk (wenngleich typischerweise weniger im Friseurgewerbe) eine verbreitete Art der Vermögensbildung darstellte,102 dürfte diese Kostenersparnis zwar nicht ubiquitär, aber wohl auch nicht nur vereinzelt der Fall gewesen sein.103 Eine Option war es, statt teurerer Facharbeit ausgebildeter Kräfte auf Auszubildende zurückzugreifen. Allerdings war dieser Schritt im gesamten Handwerk und so auch in diesem verbreitet (‚Lehrlingszüchterei‘)104 und konnte daher kaum Einzelnen als singulärer Kostenvorteil dienen. Ähnli99 Darin stimmen die zeitgenössischen Untersuchungen Egers, Tietzes und Sanders überein. Eger spricht dabei ausdrücklich nicht nur die im Durchschnitt gehobene Eleganz der Geschäfte an, sondern auch die „Anforderungen an Luxus und Bequemlichkeit, die selbst der den ärmeren Volksschichten Angehörige heute zu stellen“ pflege (S. 467). 100 Vgl. ebd., S. 468, 473. Eger schätzte die Steigerung aller Geschäftsunkosten, bei denen die Miete aber den größten Anteil hatte, zwischen 1871 und 1891 auf 58%. 101 Vgl. ebd., S. 473. Zum Vergleich: der Hoffriseur Haby zahlte eine Jahresmiete von 7000 M, vgl. Landesarchiv Berlin, A. Pr. Br. Rep. 030 Nr, 10641. 102 Zum Hausbesitz im Handwerk vgl. Haupt/Crossick, Kleinbürger (1998), S. 165f. Bei dieser Art der Vermögensbildung war das Friseurhandwerk unterrepräsentiert, vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 42. 103 So errichtete beispielsweise 1864 der Zimmermeister Christian Bötel (1825–1869, vgl. Abb. 6, rechts) in Hamburg-Ottensen ein Wohn- und Geschäftshaus, das er Friedrich Bötel vererbte, der dort schließlich (1921) ein Friseurgeschäft eröffnete. Heute ist das Haus in der Bahrenfelderstr. 147–151 immer noch im Familienbesitz, in den Geschäftsräumen befindet sich ein Lebensmitteldiscounter. Diese Information verdanke ich dem Stadtteilarchiv Ottensen. 104 Es gab regional erhebliche Unterschiede, in der Praxis auf die billige Arbeitskraft der Lehrlinge zurückzugreifen. Während dies gerade in Posen sehr verbreitet war, war es etwa in Oldenburg weniger der Fall. Anlässlich einer Überprüfung des Reichsamts des Inneren stellte der Stadtmagistrat Oldenburg 1899 hier das unspektakuläre Zahlenverhältnis von 28 Selbstständigen zu 19 Gesellen zu sechs Lehrlingen fest, vgl. Brümmer, Elke: Der Wandel handwerklicher Berufsausbildung in Oldenburg. Oldenburg 2006, S. 318; Tietze, Gustav: Das Barbiergewerbe unter besonderer Berücksichtigung der Posener Verhältnisse. In: Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf seine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Großindustrie. Siebter Band. Königreich Preußen. Dritter Teil. Leipzig 1896, S. 561–572, hier S. 566.

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ches gilt für Männer, die durch die Arbeit ihrer fachfremden Ehefrauen unterstützt wurden, die in der Regel die Wäsche und Reinigung übernahmen, in Barbiergeschäften vereinzelt das Einseifen und Abwaschen besorgten und auch durch Verkaufen und Kassieren zum Geschäft beitrugen, wodurch Aushilfen eingespart werden konnten.105 Eine andere Strategie wählten die sogenannten ‚Hausfriseusen‘, die ihre Kundinnen zuhause aufsuchten. Sie sparten die Geschäftskosten, verlangten aber nur ein Viertel bis zur Hälfte des in den Geschäften üblichen Preises. Der Nachteil der durch die Wege verlorenen Zeit ließ sich bei den Hausfriseurinnen zudem mindestens theoretisch damit ausgleichen, dass ihre Kundschaft vermutlich nicht erwerbstätig war und sie über den Tag, wenigstens über den Vormittag,106 gleichmäßiger ausgelastet waren als die Barbiere, wenngleich sie in der Ballsaison auch nachmittags und abends viel zu tun gehabt haben dürften. Friseurinnen waren der an ein Geschäftslokal gebundenen Konkurrenz sicher überlegen, allerdings dürften sie sich untereinander stark konkurrenziert haben. Insofern ist ihr Geschäftsmodell, schon allein aufgrund seiner Verbreitung, nicht als Kostenführerschaft zu verstehen. Differenzierungsstrategien wurden im Friseurgewerbe besonders im Geschäftsfeld Damenfrisieren angewandt. Es wurden zwar alle Varianten der Differenzierung versucht, aber erfolgreich war meistens nur die Profilierung über das Image, das Design, eine spezifische Qualität und den Service. Preisdifferenzierung hingegen schlug fehl. Zeitgenössische Untersuchungen nennen gegenseitige Unterbietung als beliebte Strategie der Barbiergeschäfte. Da Preisführerschaft als Strategie eigentlich nur bei einem großen Marktanteil oder besonderen Kostenvorteil gelingen kann, ist sie häufig in der Industrie erfolgreich, im hier interessierenden Kleingewerbe nicht. Die Konkurrenzsituation, insbesondere im Hinblick auf die Barbiergeschäfte, ist als sehr problematisch zu verstehen, weil es offenbar nur eine regionale 105 Vgl. Sander, Lage (1898), S. 14. 106 Bei bürgerlichen Damen begann die Besuchszeit, in der sie sich zwar häuslich, aber doch repräsentativ zeigten, um 11 Uhr, d.h. bis dahin dürfte sich die Nachfrage nach dem Kommen einer Hausfriseurin konzentriert haben, wenn es nicht um aufwändige Abendfrisuren oder andere besondere Veranstaltungen ging. Zur Tagesplanung vgl. Häntzschel, Günter (Hg.): Bildung und Kultur bürgerlicher Frauen 1885–1918. Eine Quellendokumentation aus Anstandsbüchern und Lebenshilfen für Mädchen und Frauen als Beitrag zur weiblichen Sozialisation. Tübingen 1986. Hier: Lütt, Isa von der: Lebensweise der eleganten Frau (1882), S. 246.

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Preisdifferenzierung nach Geschäftslage gab. Innerhalb von benachbarten Läden eines Stadtteils konnte aber kaum ein Betrieb die Führung übernehmen. Weil es auch nicht dazu kam, dass die anderen Mitbewerber diese Strategie aufgaben, verschlechterte sich die Branchenstruktur erheblich. Die Erklärung dafür liegt jenseits der Einfallslosigkeit der Wettbewerber. Denn für das geringe Preisniveau dürfte gerade im Herrenfach nicht nur die mangelnde Anerkennung von Mode seitens des Publikums bedeutsam geworden sein. Im Sinne der hier verfolgten Frage nach der kulturellen Dimension des Wirtschaftens ist die Wertschätzung der eigenen Arbeit der Betriebsinhaber entscheidend. Wie beschrieben, war für Herrenfriseure der Verlust von reputierten Handwerkstechniken, die nach 1900 nur noch auf Frauenköpfen gefragt waren, spürbar. Weiterhin war auch der bei Kunden beliebte Rasierschnitt kein Anlass, im Herrenfach einen Berufsstolz zu entwickeln.107 Die aus fachlich begründeter Sicht häufig nur dürftig empfundenen Leistungen bildeten keinen geeigneten Ausgangspunkt dafür, dass die Handwerker auf eine bessere Bezahlung gedrungen hätten. Dieses Argument stützt sich auf Frustrationserfahrung, nicht auf die oft behauptete und mit dem Ideal des ‚mittleren Handwerkers‘ verbreitete Handwerksmentalität, nach der sich Handwerkerinnen und Handwerker auf die Qualität und nicht auf den Profit fokussieren würden. Imagebildung war im Kaiserreich bereits eine gebräuchliche Strategie, wie etwa die Entstehung der Marken Maggi oder Persil belegen.108 Die dahinterstehenden Unternehmen waren darum bemüht, sich auf einem von standardisierten Produkten bestimmten Massenmarkt zu profilieren. Auf die Friseurbranche bezogen, bemühten sich Barbiere um ein möglichst elegantes Profil, das sie aus der Mitte der zahlreichen, benachbarten Geschäfte hätte herausragen lassen. Vorbild für die ebenerdigen Barbierläden waren die diskret in höheren Stockwerken ansässigen, meist recht erfolgreichen Damenfriseure. Diese scheinen sich kaum um die öffentlichkeitswirksame Aufklärung über ihre Dienste bemüht haben zu müssen. Anders sah es bei den Barbiergeschäften oder den kombinierten Herren- und Damengeschäften mit ihren zeittypisch gestalteten Ladenfronten aus. Bei ihnen waren nicht nur die Schaufenster beschriftet, auch zahlreiche, außen ange107 Mit dem Rasierschnitt höre der „Herrenfriseur als Kunsthandwerker auf und das Streben nach fachlich Höherem erstirbt“. Zimmermann, Franz: Wie heben wir unser Gewerbe? DAFZ, 1912, Nr. 15, S. 617f. 108 Persil warb auch in der Fachpresse, vgl. die Anzeige in der Offiziellen Haarformerzeitung, 1930, Nr. 15, S. 299.

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brachte Schilder informierten über das Leistungsspektrum. Hier bestand aufgrund der Entstehungssituation die Notwendigkeit der Verbreitung des Wissens über die Angebote, d.  h. die Notwendigkeit, den neuen Markt kognitiv zu legitimieren.109 Das Geschäft so zu bewerben, zielte gleichermaßen darauf, die Dienstleistungen vor denen der konkurrierenden Damenfriseure und Hausfriseurinnen herauszustellen, wie sich vor den Möglichkeiten des eigenen Könnens der Kundinnen und Kunden fachlich zu profilieren. Diese verbreitete Herangehensweise war aber nicht geeignet, sich als einzigartig zu positionieren. Schließlich funktionierte die katalogische Auflistung des Könnens an den Ladenfronten stärker als Information über das neuartige Angebot und diente weniger einer betriebsspezifischen Identitätsstiftung. Eine in der Klassengesellschaft des Kaiserreichs begehrte Imagebildung war die Erlangung des Prädikats Hoffriseur, die beispielsweise im Falle Habys recht erfolgreich war. Ungleich verbreiteter und daher eben nicht einzigartig (oder selten) war die Präsentation von bei Frisierwettbewerben erhaltenen Medaillen und Urkunden in den Geschäftsräumen oder in den Schaufenstern. Auf Differenzierung durch Design setzten gerade die Branchenführer. Über erfolgreiche Kollegen wie Eduard Trost, Besitzer des literarisch verewigten Berliner Geschäftes Damentrost,110 das in der Branche als eines der größten der Welt galt, oder Effenberger/Ray, der sein Geschäft in der berühmten Londoner Bondstreet begründet hatte, berichtete die Fachpresse regelmäßig.111 Auch Haby spielte als außerordentlich geschäftstüchtiges Vorbild eine große Rolle. Sein legendärer Ruf verdankte sich nicht nur dem Erfolg seiner oft kopierten Bartpomade und dem Bartbinder112 oder seiner Position als Hoffriseur, sondern insbesondere der ungewöhnlichen, von Henry van de Velde gestalteten Geschäftsausstattung.113 Diese Kollegen 109 Vgl. die zusammenfassende Diskussion bei Rolinck, Branchenkultur (2002), S. 101–104. 110 So bei Sudermann, Hermann: Purzelchen. Ein Roman von Jugend, Tugend und neuen Tänzen. Stuttgart, Berlin 1928, S. 9. 111 Bzw. Ray verfasste selbst Artikel über die Situation in London, beispielsweise in Effenberger, J.F. Londoner Briefe. In: DAFZ, 1908, Nr. 6, S. 223. 112 Wie jeder Blick auf die Anzeigen in der Fachpresse um 1900 nachdrücklich zeigt, war die Attribuierung à la Haby das herausstechende Merkmal von Bartpflegeprodukten. 113 Die Jugendstileinrichtung gilt als van de Veldes berühmtestes Werk, vgl. Föhl, Thomas: Henry van de Velde und Eberhard von Bodenhausen. Wirtschaftliche Grundlage der gemeinsamen Arbeit. In: Sembach, Klaus-Jürgen; Schulte, Birgit (Hg.): Henry van de Velde. Ein europäischer Künstler seiner Zeit. Köln 1992, S. 169–206, hier S. 194–195. Zu Haby

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und andere ‚erste Adressen‘ galten als nachahmenswert in jeder Hinsicht, so hinsichtlich des hohen Preisniveaus, der Fertigkeiten,114 aber vor allem in der Ausgestaltung der Geschäftslokale. Ein reüssierender Friseur als „aufmerksamer Beobachter der eleganten Welt“115 schloss in einer offenbar weitverbreiteten Vorstellung mit dem Interieur an die Vorlieben seiner Oberschichtkundschaft an. Das Konsumangebot bezog sich ebenso auf die Friseurdienstleistung wie auf die Räumlichkeit.116 So zogen Eger zufolge die Barbiere nach 1870 im „allgemeinen Aufschwung“ aus den dunklen Kellern, in denen sie bisher ihr Gewerbe „bescheiden“ betrieben hatten, und eröffneten „luxuriös und den neuzeitlichen Anforderungen der Bequemlichkeit und der Gesundheitspflege entsprechend ausgestattete Barbier- und Haarschneide-Salon[s]“117 Wer diese Geschäfte besuchte, konnte dort je nach Herkunft entweder ein gewohntes Ambiente vorfinden oder aber sich in der Konsumsituation ähnlich wie in den zeitgleich entstehenden, aufwändig inszenierten Kaufhäusern in ein materiell besser ausgestattetes Leben hinein(ver)setzen. Das galt für Männer wie für Frauen. Im Gewerbe war man sicher, die Kundschaft unabhängig von ihrem Geschlecht mit der Kombination aus Luxus und vorbildlicher Hygiene von sich überzeugen zu können. Wie die Forschungen Christopher Brewards und Tina Dingels über Männlichkeit und Konsum im Textilbereich zeigen,118 war diese keineswegs allein auf Konsumentinnen fokussierte Geschäftspolitik keine Branchenspezifik. Das ist wichtig zu betonen, weil das Bild der vom Warenhaus manipulierten Konsumentin, angefangen mit Zolas Au Bonheur des

vgl. Schillig, Christiane: „Donnerwetter tadellos!“ Des Kaisers Zwirbelbart und die Geschichte des Frisierhandwerks. In: Monumente. Magazin für Denkmalkultur in Deutschland, 2003, Nr. 3/4, S. 64–67. 114 Vgl. Müller, Carl: Der Intellekt in unserem Gewerbe. In: DAFZ, 1908, Nr. 2, S. 56–57f. 115 Daniger, Franz: Plauderei über die Kunst des Damenfrisierens. In: DAFZ, 1917, Nr. 11, S. 121. 116 Zur räumlichen Dimension in der Konsumsoziologie, die zwischen dem Raum als Mittel oder Zweck des Konsums differenziert und kommerzielle und nicht-kommerzielle Raumaspekte abwägt vgl. Hellmann, Kai-Uwe: Räume des Konsums: Zur Einführung. In: Hellmann, Kai-Uwe; Zurstiege, Udo: Räume des Konsums, Über den Funktionswandel von Räumlichkeit im Zeitalter des Konsums. [elektr. Ressource] Wiesbaden 2008, S. 9–15. 117 Eger, Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk (1896), S. 459. 118 Vgl. Breward, Consumer (1999) oder Dingel, Tina: Shopping for Masculinity. Dissertation an der Universität Limerick 2008, Veröffentlichung in Vorbereitung.

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Dames (1883), durch den zeitgenössischen kulturkritischen Diskurs bis heute fest zementiert zu sein scheint.119 Viele Friseure brachten sich mit dieser Orientierung an den Branchenführern aber in große Schwierigkeiten. Anders als ihre Vorbilder verlangten sie, geleitet von der diskrepanten Berufscharakterisierung von hygienischer Notwendigkeit eines Luxusgewerbes, für ihr Angebot zu niedrige Preise. Sie finanzierten die Geschäftsgründung in Ignoranz realistisch erwartbarer Umsätze mit Krediten, die häufig nicht bedient werden konnten und daher die Existenz bedrohten oder gar kosteten.120 Die auf Qualität zielende Differenzierungsstrategie kann als schlechthin handwerklich gelten. Schließlich setzte sich, wie im Haarmodenkapitel schon angesprochen, das Handwerk mit der Berufung auf Qualität vor allem von der Industrie ab. Wesentlich war dabei der Bezug auf Personalität als Qualitätsgarant.121 Mit Personalität, die handwerksrechtlich als Abgrenzungskriterium von anderen Gewerben fungierte, ist die persönlich geprägte Arbeits- und Fertigungsweise gemeint, die Handwerksbetriebe als solche charakterisiert. Dazu zählt neben der Mitarbeit der Inhabenden die individuelle, an Person und Eigenschaft der im Handwerk Tätigen gebundene Leistung. Diese im allgemeinen Handwerksdiskurs vertretene Position fand auch im hier interessierenden Gewerbe Eingang, insbesondere als Vorstellung, dass Selbstständigkeit ein Ausdruck von Individualität sei. Weil Qualitätsarbeit ein allgemein handwerklich behaupteter Vorzug war, konnte sie aber kaum als Grundlage einer solitären Vorrangstellung vor anderen Handwerkern und Handwerkerinnen dienen. Da es sich im Friseurgewerbe um eine personendominante Dienstleistung handelt, ist in Bezug auf Qualität auch die Interaktionsebene zu beachten. Aufgrund der zeittypisch erotischen Aufladung von Frauenhaar stellte der professionelle Umgang von Männern und Frauen über die Ge119 Vgl. Briesen, Detlef: Warenhaus, Massenkonsum und Sozialmoral. Zur Geschichte der Konsumkritik im 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2001. 120 Zur Kritik an unmäßig starker Abhängigkeit von Krediten von Liefernden und Hausbesitzenden bei Geschäftsgründung vgl. Die Abzahlungsgeschäfte in unserem Gewerbe. In: Der deutsche Barbier, Friseur und Perückenmacher, 1895, Nr. 3, S. 27–28. Dazu auch Egers klassisch formulierte Warnung davor, die opulente Geschäftsausstattung als Ergebnis guter Geschäfte zu deuten, sondern zu bedenken, „daß auch hier nicht alles Gold ist, was glänzt“. Vgl. Eger, Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk (1896), S. 467. 121 Zu Personalität besonders im Zusammenhang mit ihrer Funktion im Handwerksrecht und in der Deregulierungsdebatte vgl. Pohl, Wilma: Regulierung des Handwerks. Eine ökonomische Analyse. Wiesbaden 1995, S. 176ff.

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schlechtergrenzen hinweg die Anstandsordnung in Frage. Daher hatten Friseurinnen hier häufig einen gewichtigen Vorteil. Hausfriseurinnen konnten zusätzlich damit punkten, dass sie einen besonderen Service anboten. Ihre Kundinnen sparten sich den Weg zum Friseurgeschäft an sich und auch die Mühe, improvisierte Frisuren zu erstellen, bis sie dort angelangten. Die Mobilität der Handwerkerinnen bei gleichzeitiger Immobilität der Kundinnen ging in diesem Sinne mit einer gesteigerten Bequemlichkeit der Kundschaft einher, die insofern doppelt profitierte. Mit diesem Servicevorsprung konnten die Friseurinnen mindestens im oberen Preissegment eine günstige Marktposition erlangen. Hausfriseurinnen können daher als gutes Beispiel für den Strategietyp Konzentration auf Schwerpunkte122 in der Variante Differenzierungsvorteil gelten. Hierunter fallen insbesondere jene, die es schafften, relativ hohe Preise für die Abonnements durchzusetzen. Ihre Abnehmerinnen hatten außergewöhnliche Bedürfnisse, denen sie unter Ausschluss anderer Anbieter und Anbieterinnen passgenau in besonderer Weise gerecht wurden. Ihre Kolleginnen hingegen, die im Niedrigbereich angesiedelt waren, besaßen nur den Kostenvorteil durch eingesparte Geschäftsmieten. Aufgrund der großen Konkurrenz untereinander und den geringen Gewinnen konnten sie sich im Wettbewerb nicht besonders erfolgreich behaupten. Insgesamt lassen sich in der ungünstigen Branchensituation des Friseurgewerbes im Kaiserreich innerhalb der von der Forschung identifizierten Strategien vor allem zwei erfolgreiche Varianten erkennen. Erstens bestanden durch die Konzentration auf Schwerpunkte für Hausfriseurinnen gute Möglichkeiten, einen Differenzierungsvorteil herauszuschlagen. Zweitens konnten sich Branchenführer wie beispielsweise der Hoffriseur Haby durch Differenzierung über Image und Design Wettbewerbsvorteile verschaffen. Tatsächliche Kosten- oder Preisführerschaft hingegen dürfte kaum jemandem gelungen sein. Wohl aber resultierte aus unzähligen Versuchen, solche Vorteile zu realisieren, eine weit verbreitetes, unrentables Preisniveau, sodass die Branche als Ganze in Mitleidenschaft gezogen wurde. Auf diese Situation reagierte die friseurgewerbliche Interessenpolitik zum Teil in Übereinstimmung mit gesamthandwerklichen Verbänden, zum Teil differierten die Positionen allerdings.

122 Vgl. Porter, Wettbewerbsvorteile (2000), S. 41.

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1.3 Durch Handwerksorganisation intensivierte Männerkonkurrenz Obwohl Handwerksorganisationen in der Situation der Gewerbefreiheit lange nicht so einflussreich waren, wie sie selbst es vehement wünschten, zeichnete sich Ende des 19. Jahrhunderts ein Wandel ab. Mit der Erweiterung der RGO gelang es dem ‚organisierten Handwerk‘ partiell, den öffentlich-rechtlichen Charakter handwerklicher Selbstverwaltungsorgane wieder herzustellen. 1881 erhielten Innungen den Status einer fachlichen Selbstverwaltungskörperschaft, 1897 erlangten Handwerkskammern entsprechende räumliche Funktionen.123 Diesen Korporationen kam zunächst die Vertretung der Interessen des Handwerks zu, sowie konkret die Regelung der handwerklichen Ausbildung. Mehr und mehr waren Innungen und Kammern daran beteiligt, ein den ‚mittleren Handwerkern‘ angepasstes Idealbild des Handwerks zu entwerfen und durchzusetzen. Zentrale Forderungen waren die Erlaubnis der Festsetzung von Mindestpreisen (Abschaffung des §100q RGO), die Einführung obligatorischer Zwangsinnungen und des Meisterzwangs.124 Zwar wirken handwerkliche Diskussionen über Preisabsprachen heute zunächst rückschrittlich und die Zunftvergangenheit verklärend. Hält man sich aber vor Augen, dass Kartelle im Kaiserreich eher in einen förderlichen als in einen hinderlichen Gesetzesrahmen eingestellt waren, sie in der Weimarer Republik gesetzlich kaum eingeschränkt waren,125 erst im Nationalsozialismus verboten wurden und dies in der Bundesrepublik seit 1957 und bis heute bleiben sollten,126 erscheinen die Bemühungen um das Recht, wettbewerbsbeschränkend Mindestpreise festsetzen zu können, deutlich

123 Vgl. Ambrosius, Gerold: Staat und Wirtschaftsordnung. Eine Einführung in Theorie und Geschichte. Stuttgart 2001, S. 75. Zum Erfolg des Organisationsmodells der Innungen vgl. Holtwick, Berndt: Der zerstrittene Berufsstand. Handwerker und ihre Organisationen in Ostwestfalen-Lippe 1929–1953. Paderborn, München, Wien, Zürich 2000, S. 86ff. 124 Vgl. John, Peter: Handwerk im Spannungsfeld zwischen Zunftordnung und Gewerbefreiheit. Entwicklung und Politik der Selbstverwaltungsorganisationen des deutschen Handwerks bis 1933. Köln 1987, S. 353. 125 Die spätere Entwicklung dieser Thematik soll hier nicht weiter verfolgt werden, zur gesamthandwerkspolitischen Einstellung in der Weimarer Republik vgl. Bergmann, Anschauungen (1993), S. 158. 126 Vgl. ebd.

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weniger antiquiert.127 Der Wunsch nach verbindlichen Preisfestsetzungen in den Innungen ist daher als Versuch des Kleingewerbes zu verstehen, wie andere Branchen auch von den Chancen privatautonomer Marktregulierungen zu profitieren, die durch die Gesetzgebung ungleich verteilt waren. Für diejenigen, die nicht daran teilzuhaben vermochten, stellten ständische Gedanken einen relevanten Lösungsansatz dar, diese Benachteiligung zu beheben. Zu bedenken ist, dass nicht nur im Handwerk, sondern in der wilhelminischen Gesellschaft insgesamt, die mit der Gewerbefreiheit bedingte Wettbewerbsordnung nicht als vollendet betrachtet worden war. Weil keine Entscheidung für die Wettbewerbsfreiheit als solche getroffen worden war, sondern wirtschaftliche Freiheit gegenüber staatlichem Zwang geschützt werden sollte, richtete sich die Gesetzgebung im Kaiserreich kaum gegen die Ausschaltung der Wettbewerbsfreiheit durch private Verträge.128 Die Zielvorstellung der handwerklichen Berufsstandspolitik blendete Frauen aus und umkreiste einen begrenzt wettbewerbsorientierten, kalkulierenden 127 Gleichwohl bleibt ein deutlicher Unterschied zwischen Preisabsprachen unter freiwillig zusammengeschlossenen Unternehmern, deren Verbindung keine staatlichen Funktionen zukam, und den Innungen als staatlich legitimierten Korporationen bestehen. Kartelle konnten u.a. nur ohne Außenseiter, die andere Ziele verfolgten, funktionieren, während letztere in ihrem Einflussbereich bindende Selbstverwaltungsbefugnisse besaßen, das Außenseiterrisiko im Prinzip der Zwangsinnung also ausgeschaltet wurde. Bei der Differenzierung von Kartellen der Industrie und Handwerkskorporationen sollte allerdings der korporatistische Aspekt nicht überbewertet werden, vielmehr ist die Durchsetzungsmöglichkeit privatautonomer Marktregelungen für den Unterschied von Handwerk und Industrie in diesem Punkt maßgeblich. Langfristige Kartellierungsfähigkeit, die an einen äußeren Organisationszwang gebunden war, wie beispielsweise mit Absatz- und Materialsperren, lag insbesondere in der Grundstoff-, Schwer- und Produktionsgüterindustrie vor, weiterverarbeitende Industrie und Handel waren hingegen selten in der Lage Kartelle zu bilden, nicht zuletzt wegen der Vielzahl der Betriebe und deren unterschiedlicher Interessenlagen, die es unmöglich machte, Druck auf Außenseiter auszuüben. Nach Freise, Harald: Wettbewerb und Politik in der Rechtsordnung des Nationalsozialismus. Primat der Politik in der Rechtsordnung des Nationalsozialismus. Baden-Baden 1994, S. 22–29. 128 Ebd. Zur alt-liberalen Rechtsauffassung, die im Kaiserreich dominant war, nach der eine Steuerung der Wirtschaft durch öffentliches Recht abgelehnt wurde und dem Wandel des Rechts in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus vgl. Bähr, Johannes: „Recht der staatlich organisierten Wirtschaft“. Ordnungsvorstellungen und Wandel der deutschen Wirtschaftsrechtslehre im „Dritten Reich“. In: Bähr, Johannes; Banken, Rolf (Hg.): Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus. Studien zur Entwicklung des Wirtschaftsrechts im Interventionsstaat des „Dritten Reichs“. Frankfurt am Main 2006, S. 445–472.

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Meister. Entsprechend wurde sowohl versucht, gegen allzu expansive Handwerksunternehmer vorzugehen129 wie auch intensiv gegen die Kleinstunternehmer zu agieren, denen eine defizitäre Selbstständigkeit vorgeworfen wurde, deren Folge die dem Handwerksstand unwürdige Proletarisierung wäre.130 Mit der Betonung auf Stabilität statt auf dynamischer Expansion und gegen prekäre Selbstständigkeit gerichtet131 profilierten Kammern und Innungen den Handwerksstand unter dem Etikett ‚Pflege des Gemeingeistes‘. Das führte bis in die 1930er Jahre hinein zu Konflikten innerhalb des Handwerks wie gleichermaßen zur Verfestigung des Idealbildes und seiner Außendarstellung. Gerade in der hier interessierenden Branche implizierte dieser allgemeine Trend Probleme. Denn das Friseurgewerbe, sei es von Männern oder Frauen betrieben, war schon aufgrund seiner ganz überwiegend kleingewerblichen Struktur vom Ideal des ‚organisierten Handwerks‘ weit entfernt. Gleichwohl bildeten sich auch hier Handwerksorganisationen als Inte­ ressenverbände aus. Die Branche spaltete sich infolgedessen organisatorisch in Barbiere und Damenfriseure. Der Bund deutscher Barbier-, Friseur- und Perückenmacherinnungen (Präsident Fritz Wollschläger, gegr. 1872) erhielt 1887 Korporationsrechte und vereinigte 1891 298 Innungen mit 19.889 Mitgliedern (8.778 Meister, 5.656 Gehilfen, 5.455 Lehrlinge).132 Der Bund der deutschen Perückenmacher, Damen- und Theaterfriseurinnungen (Korporationsrechte 1891, Präsident Richard Thomas, ab 1910 Carl Valentin Müller, gegr. 1875) war hingegen ganz anders aufgestellt. Er vereinigte nur 34 Innungen mit ca. 1.000 Mitgliedern.133 Der Barbierbund war nicht nur auf die Branche bezogen zahlenmäßig weitaus bedeutender als der Zusammenschluss der Damenfriseure, er war um 1900 nach den Innungsbünden des

129 Vgl. Georges, Handwerk (1993), S. 165. 130 Vgl. ebd., S. 70ff. 131 Vgl. den gleichnamigen Sammelband von Wengenroth, Ulrich (Hg.): Prekäre Selbständigkeit. Zur Standortbestimmung von Handwerk, Hausindustrie und Kleingewerbe im Indus­ trialisierungsprozess. Stuttgart 1998. 132 Vgl. Brockhaus’ Konversationslexikon. Leipzig, Berlin und Wien, 1894–1896, Bd. 2, S. 399, Stichwort Barbier. 133 Vgl. Brockhaus’ Konversationslexikon. Leipzig, Berlin und Wien, 1894–1896, Bd. 7, S. 366, Stichwort Friseur; Dieser in Berlin gegründete Innungsbund war ursprünglich aus einer Genossenschaft entstanden. Neujahrswunsch 1925. In: Offizielle Haarformerzeitung, 1925, Nr. 1, S. 4–6.

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Bäcker-, Fleischerei- und Schneiderhandwerks auch der viertgrößte im Kaiserreich.134 Ein reichsweiter gemeinsamer Interessenverband aller im Friseurgewerbe Tätigen kam im Kaiserreich nicht zustande. Die Barbiere versuchten aber, die Möglichkeiten der fakultativen Zwangsinnungen für ihre Ziele immerhin in kleineren räumlichen Einheiten zu nutzen. Da es bedeutend mehr Barbiere als Damenfriseure gab und sie damit leicht die Mehrheit der Friseurhandwerker in einem Innungsbezirk stellen konnten, war ihr Vorgehen vielerorts erfolgreich. Dabei waren sie aber darauf angewiesen, dass entweder die zuständigen Kammern ihnen zustimmten135 und die berufliche Gemeinsamkeit der Friseurzweige anerkannte, sodass etwa vorhandene Damenfriseurinnungen mit den Barbierfriseurinnungen zusammengeschlossen wurden oder einzelne Damenfriseure der Innung beitreten mussten. Insbesondere jene Damenfriseure, die an den Fachschulen der Barbiere gegen eine attraktive Bezahlung Frisieren und Perückenmachen unterrichteten und damit der Barbierinnung beigetreten waren, dienten als Anlass dafür, die Gemeinsamkeit der verschiedenen Friseurtätigkeiten zu begründen.136 Gelang es den Damenfriseuren hingegen, die Kammern von den beruflichen Unterschieden zu überzeugen137 oder waren die Mitglieder der Bar­ bier­innung nicht an der Schaffung einer Zwangsinnung interessiert, unterblieb ein Zusammenschluss.138 Hausfriseurinnen waren meist aus vielerlei Gründen in keinem eigenen Verband organisiert – sie können aber in Innungen, Verbänden oder Vereinen Mitglieder gewesen sein, wie dem Fachverein der Friseurinnen von GroßBerlin.139 Der Fachverein der Friseurinnen von Groß-Berlin gab keine eigene Zeitung heraus, die als Quelle zur Verfügung stünde, wie es beispielsweise 134 Vgl. die Aufstellung im Heft des Min.-Bl- der Handels- u. Gewerbevereine. In: DAFZ, 1905, Nr. 5, S. 129. 135 Beispielsweise in Magdeburg, vgl. Niederschrift der Versammlungen des ordentlichen 45. Bundestages deutscher Haarformer vom 18. und 19. Juli 1921. In: Offizielle Friseurzeitung, 1921, Nr. 15, S. 712–721. 136 Vgl. Geschichte der Berliner Perückenmacher- und Friseurinnung. In: Offizielle Friseurzeitung, 1913, Nr. 1, S. 45–46. 137 Vgl. die Rolle der Barbierzwangsinnungen in der resümierende Besprechung der 12 jährigen Tätigkeit der Kammern: Die Handwerkskammer. In: Offizielle Friseurzeitung, 1913, Nr. 4, S. 154–156. 138 Beispielsweise bestand ein einvernehmliches Verhältnis in Düsseldorf, vgl. Für unser Gewerbe. In: Offizielle Friseurzeitung, 1912, Nr. 1, S. 16. 139 Vgl. Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 104.

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für Schneiderinnen mit der Deutschen Schneiderinnenzeitung der Fall war, die maßgeblich von der in der bürgerlichen Frauenbewegung aktiven Maria Lischnewska geprägt wurde.140 Allerdings ist durch den engen Zusammenhang mit dem 1909 gegründeten Verband für handwerksmäßige und fachgewerbliche Ausbildung der Frau die Zielrichtung des Vereins zu erfassen, nämlich eine reguläre Lehrzeit für Mädchen durchzusetzen. Das im Kaiserreich bis 1908 gesetzlich festgeschriebene Versammlungsverbot für Frauen (und auch für Lehrlinge) dürfte einen nachhaltigen Einfluss auf das Mitwirkungsinteresse von Frauen an Handwerksorganisationen gehabt haben.141 Es dürfte auch bei den Friseurinnen viele gegeben haben, die ein berufspolitisches Engagement von Frauen als unangemessen erachteten. Deshalb setzte das frauenpolitische Engagement für berufliche Gleichberechtigung an dieser Stelle an. Eine der zentralen Forderungen des Verbandes für handwerksmäßige und fachgewerbliche Ausbildung der Frau war die explizite Beteiligung von Frauen an der Innungsarbeit.142 Teilweise gab es in den Innungen Bestrebungen, Friseurinnen zum Beitritt zwingen zu wollen,143 genauso aber bestand an ihrer Organisation ein Desinteresse, das dem renommierten Perückenmacher Paul Gussmann 1905 nicht nachvollziehbar erschien, als er die nicht ganz ernst gemeinte Frage stellte, ob die Leipziger Zwangsinnung Frauen etwa aus Angst „daß die Damen zuviel reden würden“ ausklammere.144 Seiner Erfahrung nach wäre die Qualität der männlichen Redebeiträge kein Anlass, eine Verschlechterung der Debatten zu befürchten. Es ist also nicht davon auszugehen, dass Friseurinnen, wie dies für die Schneiderinnen festgestellt wurde,145 in zünftiger Tradition von der beruflichen Interessenvertretung, wie sie Männer wahrnahmen, generell ausgeschlossen werden sollten. Während der Barbierbund wegen der verbreiteten Ausübung beider Geschäftszweige, des Herren- und Damenfrisierens zugleich, die Verschmelzung zu einem Friseurberuf vertrat und sich als Vertretung aller im Friseurgewerbe Tätigen verstand, ging der Bund der deutschen Perückenmacher, 140 Vgl. Kerchner, Neuen (1994), S. 178. 141 Zur Benachteiligung von Frauen durch die zwischen 1848 bis 1908 gültige Fassung des Vereinsgesetzes vgl. Gerhard, Ute: Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Reinbek 1996, S. 280f. 142 Vgl. Kerchner, Neuen (1994), S. 156. 143 Vgl. Rehse, Frauenarbeit (1926), S. 27–30. 144 Vgl. Gussmann, Paul: Die Konkurrenz der Friseusen. In: DAFZ, 1905, Nr. 1, S. 8–9. 145 Vgl. Kerchner, Neuen (1994).

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Damen- und Theaterfriseurinnungen auf Distanz und behauptete die Eigenständigkeit des lukrativen und innergewerblich gut reputierten Damenfriseurfaches. Beide Organisationen verfeindeten sich im Laufe der Zeit regelrecht. Gleichwohl erschien vielen eine einheitliche und damit schlagkräftig organisierte Interessenvertretung wichtig.146 Der „Damenfriseurfimmel“147 verhindere aber die nötige berufliche Solidarität und schaffe Kollegen ersten und zweiten Grades148 – so der Vorwurf der Barbiere an die Damenfriseure, die wiederum schlechte Leistungen der Barbiere als berechtigten Grund für die Deklassierung des fachlichen Niveaus anführten.149 Zwar bestritten die Damenfriseure nicht, auch im Herrenfach tätig zu sein, aber für sie war neben der einschlägigen fachlichen Richtung während der Ausbildung maßgeblich, ob das Perückenmacherfach beherrscht wurde. Nur diese, in Anbetracht ihrer ökonomisch kaum noch verwertbaren, also überflüssigen Kenntnisse unterschieden in ihren Augen den echten Könner vom beiläufigen, möglicherweise nur in Kursen und nicht im Lehrverhältnis ausgebildeten Damenfriseur. Ein kollegiales Verhältnis sei nur möglich, „wenn die Interessenssphären reinlich ohne Neid geschieden“ würden, d. h. Rückzug der Barbiere vom Damenfrisieren und Haarersatzfertigung/-verkauf bei eigener fortgesetzter Betätigung im Herrenfach.150 Kontrastierend zu dieser selbstbewussten Position beschrieben sich die Damenfriseure als dem Fanatismus und der Aggression des Barbierbundes ausgeliefert151 und sahen sich als Gewaltopfer. In dieser Positionierung als schwach und einem moralisch verwerflichen, körperlich stärkeren Angreifer unterlegen, vereinnahmten diese Handwerker, deren Männerrolle sonst als Oberhaupt im patriarchalischen Familienmodell hegemonial-männlich festgeschrieben war, bemerkenswert explizit eine inferiore Rolle. Die Barbiere plädierten in der Auseinandersetzung für einen Arbeitsbereich jenseits der Geschlechtergrenzen, während die Damenfriseure auf ihre exklusive Zuständigkeit für Kundinnen pochten. Obwohl beide Seiten gerade nicht mit Geschlechtsspezifik argumentierten, indem einerseits auf den 146 Vgl. Riese, Eduard: Allgemeine Betrachtungen über unser Gewerbe. In: DAFZ, 1905, Nr. 5, S. 128–129. 147 37. Verbandstag der deutschen Perückenmacher und Damen- und Theaterfriseure. In: DAFZ, 1913, Nr. 18, S. 703. 148 Vgl. Schädlinge. In: Der deutsche Friseur, 1916, Nr. 5, S. 1. 149 Vgl. Dünkel der Damenfriseure? In: Offizielle Friseurzeitung, 1918, Nr. 23, S. 567. 150 Ebd., S. 297. 151 Vgl. Zur Frage der Verwandtschaft. In: Offizielle Friseurzeitung, 1914, Nr. 12, S. 296–297.

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Status quo der umfassenden Betätigung verwiesen und andererseits auf die spezifische Qualifikation im Perückenmacherfach rekurriert wurde, kann von einer Dethematisierung der Kategorie Geschlecht nicht die Rede sein. Denn allein das Interesse am einträglichen Damenfach motivierte die eigentlich erstaunliche Auseinandersetzung des mitgliederstarken Bundes der Barbiere mit den zahlenmäßig kaum ins Gewicht fallenden Damenfriseuren, die ebenso gut hätten ignoriert werden können. Beide Bünde waren sich nur in ihrer Ablehnung der weiblichen Konkurrenz einig.

1.4 Geschlechterkonkurrenzen Insbesondere die Ausbildung bot den Handwerkern Möglichkeiten, gegeneinander und stärker noch Friseurinnen abwehrende Argumentationsmuster zu entwickeln. Im beruflich zunächst nur selten ausgeübten Damenfrisieren gab es um 1900 kaum Möglichkeiten, das Wissen in regulären Lehrverhältnissen zu erlernen. Dem großen Interesse am lukrativen Geschäftsfeld entsprechend wurden die dafür nötigen Kenntnisse beispielsweise in Fortbildungsschulen angeboten. Insbesondere die Barbiere bemühten sich, ihren Lehrlingen die ihnen teilweise fehlenden Kenntnisse im Damenfrisieren und Perückenmachen in Schulen beibringen zu lassen. Mit der Ergänzung der betrieblichen Ausbildung durch Lehrwerkstätten versuchten sie, sich als besonders fortschrittlich zu profilieren. In den Auseinandersetzungen selbst kam der Bezug auf die Industrie zwar nicht vor, das dort eingeführte Prinzip der Lehrwerkstätten war im gesamten Handwerk aber ebenso bekannt wie stark kritisiert. Schließlich drohte das Kernstück des handwerklichen Selbstverständnisses, die traditionelle Werkstattlehre, verloren zu gehen, weshalb sich das ‚organisierte Handwerk‘ lange gegen die Gleichwertigkeit des Facharbeiter- und Gesellenbriefs sperrte. Es ist also umso bemerkenswerter, dass die Barbiere ausgerechnet Argumente der Industrie für die innergewerbliche Profilierung benutzten.152 Die schulischen Ausbildungsanteile betrachteten die Perückenmacher im Prinzip ähnlich, aber unter anderen Vorzeichen. Barbierlehrlinge würden 152 Zur Lernortdiskussion und den Abgrenzungsbemühungen von Industrie und Handwerk voneinander vgl. Stratmann, Karlwilhelm: „Zeit der Gärung und Zersetzung“. Arbeiterjugend im Kaiserreich zwischen Schule und Beruf. Zur berufspädagogischen Analyse einer Epoche im Umbruch. Weinheim 1992, S. 233ff.

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das Damenfrisieren in der Schule erlernen müssen, was sie bei den grundsätzlich im Damenfach unbewanderten, ausbildenden Barbierherren nicht könnten. Der Lernerfolg wäre sehr begrenzt,153 Fortbildungsschulen wurden so gesehen zu unzureichenden Nachhilfeinstituten, die die Mängel einer notdürftigen Ausbildung auszugleichen hätten. Die „Meisterwerkstattlehre“ der damenfrisierenden Perückenmacher sei hingegen die traditionell und qualitativ mustergültige Messlatte.154 Damit schlossen die in der Friseurbranche minoritären Damenfriseure erfolgreich an die gesamthandwerklich formulierte Kritik an den Ausbildungsverhältnissen in der Industrie an.155 Allerdings hielten beide Friseurbünde prinzipiell an der Handwerkslehre fest. Auch die Barbiere räumten der schulischen Wissensvermittlung nur eine untergeordnete Rolle ein, die Kritik an den Kolleginnen entspann sich daher insbesondere im Zusammenhang mit privatwirtschaftlich angebotenen Kursen. Neben einzelnen Friseuren und Friseurinnen führten ambitioniert betitelte Privatinstitute, etwa Ferdinand Müllers Hochschule für das Friseur und Perückenmachergewerbe,156 einschlägige Kurse durch. Wahrscheinlich waren schon Ende der 1870er Jahre in größeren deutschen Städten Fachschulen für Damenfriseure gegründet worden, die die hoch entwickelte französische ‚Frisierkunst‘ in Deutschland populär gemacht hatten.157 Vereinzelt gab es trotz des Engagements der Frauenbewegung für reguläre Lehrzeiten für 153 Vgl. Eger, Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk (1896), S 466. 154 Zur Frage der Verwandtschaft. In: Offizielle Friseurzeitung, 1914, Nr. 12, S. 296f. 155 Die hier zitierte Debatte steht am Ende einer Entwicklung, an deren Beginn, rechtlich gesehen, die Novelle der RGO 1897 stand, die in Teil III „Lehrlingsverhältnisse“ eine Trennung von „Allgemeinen Bestimmungen“ und „Besondere Bestimmungen für Handwerker“ vorgenommen hatte, also mit der Koppelung der Ausbildungsbefugnis an den Nachweis einer einschlägigen Lehre jene auf das Handwerk beschränkte. Zugleich galt aber auch hier, dass die zur Erlangung der Ausbildungsberechtigung erforderliche Lehrzeit auch in einem dem Gewerbe zugehörigen Großbetrieb erfolgen konnte oder durch den Besuch von Lehrwerkstätten bzw. sonstiger gewerblicher Bildungsanstalten. Die Anerkennung der außerhandwerklichen Ausbildungsstätten lag bei den Landeszentralbehörden, nicht den Handwerksorganisationen, erst mit dem ‚kleinen Befähigungsnachweis‘ 1908 bekamen Handwerkskammern durch gutachterliche Äußerungsrechte hier Mitspracherechte. Vgl. Stratmann, Zeit (1992), S. 235f. 156 Der ehrgeizige Name zog zwar innergewerblichen Spott auf sich, vgl. Schanzenbach, J.: Die Frau im Friseurgewerbe. In: DAFZ, 1912, Nr. 16, S. 624, die Müllersche Schule entwickelte sich aber recht erfolgreich, vgl. Ferd. Müllers Privatfrisierschule und F.R. Müller Gebrüder, Berlin, C. 1903 gegründet. In: DAFZ, 1928, Nr. 10, S. 277–282. 157 Vgl. Deutsche Frisierkunst. In: DAFZ, 1905, Nr. 7, S. 190.

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Mädchen auch Angebote von Frauenbildungsvereinen wie in Chemnitz.158 Es hat aber in Deutschland schon mindestens im 18. Jahrhundert Frisierkurse gegeben, immerhin riefen sie Beschwerden hervor, dass Kammerdiener und Frauen solche Schulungen anböten.159 Das Spektrum der an diesen Kursen Interessierten war groß. Es reichte von im Herrenfach ausgebildeten Friseuren über Ehefrauen und Töchter von Friseuren,160 die die Kenntnisse im Geschäft des Ehemannes oder Vaters anwenden wollten, bis zu Frauen, die sich auf Grundlage der Kurse eine eigene berufliche Existenz schaffen wollten. In der Friseurpresse war man sich gleichwohl darüber einig, dass diese Form der Ausbildung ungenügend sei. Besonders bei den Damenfriseuren war es alles andere als akzeptiert, dass Barbiere sich dort im Damenfrisieren fortbildeten. Während diese Kurse für Frauen aus Friseurfamilien meistens noch knapp geduldet wurden, weil sie den Männern nur eine „Stütze im Geschäft sein wollten“,161 waren die selbstständigen Friseurinnen in beiden Lagern ständig Stein des Anstoßes. Schlecht ausgebildet, könnten sie nur geringe Preise verlangen und verdürben die Einkommenschancen des gesamten Gewerbes. Die „Massenausbildung“ in Kursen führe zu einem Überangebot an Kräften.162 Zwar wurde die Arbeitsqualität der angestellten Kursfriseurinnen stets bemängelt, Franz Zimmermann stellte diesem Topos aber ausdrücklich die Beobachtung entgegen, dass Friseurinnen ohne reguläre Lehrzeit auch in erstklassigen Geschäften beschäftigt seien.163 Da im Kaiserreich wiederholt die Rede davon war, dass gute Friseurinnen gesucht seien, und kaum traditionell handwerklich ausgebildete Frauen zur Verfügung standen, war dies nicht erstaunlich, ebenso wenig wie die Annahme vieler Mädchen (und ihrer Eltern), ihr Auskommen ohne Lehre und mit kurzem Frisierkurs finden zu können. Als Lösung des sachlich nicht begründeten, aber seitens der männlichen Handwerker konstatierten Kursfriseusenproblems galt die Schließung der Schulen bzw. mindestens die strenge Prüfung der Schülerinnen und Schüler. 158 Dagegen klagte der Bund deutscher Perückenmacher, Damenfriseur- und Theaterfriseurinnung, vgl. Die Friseurin für Hausbedarf. In: Offizielle Friseurzeitung, 1919, Nr. 10, S. 379. 159 Vgl. Uttenthaler, Friseurgewerbe (1921), S. 21. 160 Vgl. Gussmann, Paul: Die Konkurrenz der Friseusen. In: DAFZ, 1905, Nr. 1, S. 8f. 161 Ebd. 162 Müller, Carl: Die Frau im Friseurberuf. In: DAFZ, 1908, Nr. 5, S. 179f, hier S. 180. 163 Vgl. Zimmermann, Franz: Das Schaufenster im Kriege. In: Der deutsche Friseur, 1917, Nr. 9, S. 3.

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Wer sich nach einer Friseurlehre dort fachlich fortbilden wolle, solle daran nicht gehindert werden, die Teilnahme an den Kursen müsse aber auf Berufsangehörige beschränkt bleiben.164 Im Zuge der engeren gesetzlichen Regelungen der Ausbildungsverhältnisse wurde auch versucht, auf die Schließung oder strengere Kontrolle und Konzessionierung der Schulen zu drängen.165 Mindestens aber wurde die gesetzliche Lücke, die eine Ausbildungsform jenseits der Lehre ermöglichte, thematisiert. Denn es war erlaubt, Dienstmädchen das Frisieren beizubringen, da diese Fertigkeiten von deren Arbeitgebern oft verlangt würden.166 Es konnte trotz vieler Diskussionen und Hinweise darauf, dass es immer weniger Hauspersonal gebe und die Zofentätigkeit nur vorgeschoben sei, nicht verhindert werden, dass Frauen, die angaben, ihr Wissen nur ‚in Stellung‘ anwenden zu wollen, die Kurse besuchten, um später als selbstständige Friseurinnen zu arbeiten. Solange sie nicht ihrerseits wieder selbst Kursfriseurinnen unterrichteten167 oder Haararbeiten anfertigten, arrangierte man sich halbwegs mit ihnen.168 Dazu dürfte die Qualität der handwerklichen Berufsbildung erheblich beigetragen haben, die weder gesamthandwerklich noch bei den Damenfriseuren oder den Barbieren in einem tadellosen Ruf stand. Die gegenwärtige Institutionalisierung der beruflichen Bildung war damals noch in der Entwicklung begriffen. Gerade vor dem Hintergrund des 164 Vgl. Schanzenbach, J.: Die Frau im Friseurgewerbe. In: DAFZ, 1912, Nr. 16, S. 624. Als vorbildlich galten die englischen Verhältnisse, dort war Frauen der Besuch der Frisierschulen angeblich generell verboten, um die Konkurrenz klein zu halten. Vgl. Scherf, Luis: Die Friseurin. In: DAFZ, 1905, Nr. 4, S. 99f. 165 Vgl. Gewerbliche Privatschulen. In: DAFZ, 1909, Nr. 8, S.  354. Die Konzessionierung beuge der Massenausbildung vor und sichere gleichzeitig auch die Deckung des Arbeitskräftebedarfs. 166 Die Möglichkeiten des Wissenserwerbs jenseits regulärer Ausbildungsverhältnisse schränkte etwa die Münchner Handwerkskammer schon 1911 ein, indem sie verfügte, dass alle Lernenden vertraglich abgesichert ein dreijähriges Ausbildungsverhältnis eingehen mussten, unabhängig von häufig vorgebrachten Angaben der am Wissenserwerb interessierten Hausgebrauchslehrlinge, Zofen und deren Ausbilder, dass nicht die Absicht bestehe, die erworbenen Kenntnisse später als Selbstständige gebrauchen zu wollen. Spätere Versuche, verschärfte Regelungen einzuführen, um den Kursen ein Ende zu bereiten, scheiterten zunächst an den Kriegsverhältnissen. Ähnliche Differenzierungen wurden auch in Magdeburg diskutiert, vgl. Der 29. Verbandstag deutscher Perückenmacher- und Friseurinnungen zu Magdeburg. In: DAFZ, 1905, Nr. 9, S. 251f. 167 Das störte auch die Besitzer der angefeindeten Schulen, vgl. Gussmann, Paul: Die Konkurrenz der Friseusen. In: DAFZ, 1905, Nr. 1, S. 8f. 168 Vgl. Frauen im Friseurberuf. In: DAFZ, 1912, Nr. 9, S. 372.

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inzwischen durchgesetzten Idealbildes des ‚mittleren Handwerks‘ liegt es heute nahe, die Bedeutung eines um 1900 erworbenen Gesellenbriefs zu überschätzen. Zeitgenössische Friseure waren eher kritisch. So trat Paul Gussmann vor dem Hintergrund eigener schlechter Erfahrungen während seiner Lehrzeit (1873–1877) für eine schärfere Kontrolle der Ausbilder ein.169 Julius Herrgut forderte bei mangelhafter Qualität der Ausbildung sogar, den Ausbildern offizielle Verbote zu erteilen.170 Auch gesamthandwerklich wurden die Ausbildungsverhältnisse ungünstig beurteilt, daher waren die Innungen von den Handwerkskammern mit der Verbesserung der Situation beauftragt worden. Die Problematik wurde insbesondere unter dem Schlagwort ‚Lehrlingszüchterei‘ debattiert,171 nicht wenige bildeten weitaus mehr Lehrlinge aus als sie Gesellen beschäftigten, die Gesetzgebung beschränkte daher die Zahl der Lehrlinge pro Lehrjahr in einem Betrieb. Auch im Barbiergewerbe war aus guten Gründen von ‚Lehrlingszüchterei‘ die Rede172 und die respektlose Behandlung der Auszubildenden ein Thema. Die typisch handwerkliche Auffassung des Ausbildungsverhältnisses als Erziehungs- und nicht als Arbeitsverhältnis war Grundlage des Züchtigungsrechts des Meisters, der an die Stelle des Vaters träte und dessen Befugnisse übertragen bekommen habe.173 Unbeherrschte körperliche Gewalt wurde zwar nicht gutgeheißen, aber eine generelle Ablehnung fand sich in der Fachpresse nicht. Diese setzte darauf, das Recht der Meister auf die erwünschte Autorität zu bekräftigen,174 mahnte dabei aber auch zu einer fachlich wie methodisch niveauvollen Ausbildung. Abgesehen von stärkeren Formalisierungen des Ausbildungsverhältnisses verblieben die Bemühungen um eine Qualitätssteigerung der beruflichen Bildung aber nur im Rahmen von kaum überprüfbaren Selbstverpflichtungen.175 Schließlich war das Ausbildungsverhält169 Vgl. Gussmann, Paul: Der Lehrlingsmangel im Friseur- und Perückenmachergewerbe. In: DAFZ, 1909, Nr. 6, S. 252f. 170 Vgl. Herrgut, Julius: Zum Lehrlingsmangel in unserem Gewerbe. In: DAFZ, 1909, Nr. 8, S. 353. 171 Vgl. Georges, 1810/11, (1993), S. 111. 172 Vgl. Brümmer, Wandel (2006), S. 318 und Tietze, Barbiergewerbe (1896), S. 566. 173 Vgl. Rechtssprechung. Bezüglich des Züchtigungsrechts des Meisters. In: DAFZ, 1905, Nr. 3, S. 73. 174 Vgl. Die Stellung der Meister und Lehrlinge zum Gesetz. In: DAFZ, 1906, Nr. 4, S. 103. 175 Ganz ähnlich war die Haltung des ADHB zu Ausbildungsfragen, vgl. Georges, 1810/11, (1993), S. 175, 265.

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nis selten formal fixiert,176 die Lerninhalte waren nicht festgelegt und die Lehrlinge wurden üblicherweise in erheblichem Maße zu berufsfremden Arbeiten, etwa Hilfstätigkeiten in der Landwirtschaft oder wie der junge Paul Gussmann zum Heizen und Frühstückmachen herangezogen. Daraus erwuchsen Probleme, die Qualität der Ausbildung zu bestimmen bzw. die Tatsache einer ungenügenden Ausbildung belegen zu können.177 Der seitens der Friseurorganisationen behauptete Qualitätsunterschied der schulischen oder betrieblichen Ausbildung ist in Anbetracht des zweifelhaften Niveaus der Handwerkslehre im Kaiserreich nicht nachvollziehbar, sie diente vor allem der Abgrenzung gegenüber der weiblichen Konkurrenz. Allerdings zeichnete sich in der handwerkspolitischen Debatte um 1900 schon längst ab, dass Gesellen- und Meisterbriefe zwar keine verbindliche Aussage über das Können der Zertifizierten machten, sie aber gewerberechtlich an Bedeutung gewinnen würden. Denn der 1908 nach langem Drängen seitens des ‚organisierten Handwerks‘ eingeführte ‚kleine Befähigungsnachweis‘ band weiterhin die Selbstständigkeit nicht an einen Meisterbrief, beschränkte aber die Möglichkeit der Ausbildung von Lehrlingen auf Meister und Meisterinnen.178 Lehrlinge waren wichtige, günstige Hilfskräfte und in vielen Fällen ausschlaggebend für das Bestehen von Betrieben, wenngleich weniger wichtig für Hausfriseurinnen. Sie waren im Gegensatz zu Hausgebrauchsschneiderinnen meist allein unterwegs. Aber für jene Frauen, die Friseurgeschäfte betrieben, war diese Anleitungsbefugnis von Bedeutung. Insofern wurden formale Qualifikationen schon ab 1908 für Gewerbetreibende wichtig. Das galt nicht nur für die Meisterprüfungen, sondern auch für Gesellenprüfungen, deren erfolgreiches Bestehen seit 1913 Voraussetzung für den Meisterbrief war.179 Im Allgemeinen sollte eine Handwerksausbildung nicht kürzer als drei Jahre und nicht länger als vier Jahre dauern. Während der Barbierbund für eine dreijährige Lehrzeit aller Lehrlinge eintrat, wandten sich die Damenfriseure dagegen. Zwei Jahre reichten, wenn das Rasieren nicht erlernt

176 Erst 1878 wurde die Vertragsfreiheit von Lehrverhältnissen beseitigt, vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 82. 177 Vgl. Georges, 1810/11 (1993), S. 253. 178 Vgl. Pätzold, Günter: Quellen und Dokumente zur Geschichte des Berufsbildungsgesetzes 1875–1981. Quellen und Dokumente zur Geschichte der Berufsbildung in Deutschland. Köln 1982, S. 14. 179 Vgl. John, Handwerk (1987), S. 355.

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werde, was bei Mädchen unangemessen sei.180 Kurz vor dem Ersten Weltkrieg setzten nicht wenige Handwerkskammern die Ausbildungszeit für Friseurinnen schließlich auf zwei Jahre fest.181 Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Dauer der Lehrzeit beruhten auf verschiedenen Ausbildungs- und Prüfungsinhalten. Während Jungen meistens das Damen- und Herrenfach erlernten und für sie eine Teilausbildung zunächst untersagt war,182 wurden Mädchen auf das Damenfach beschränkt.183 Die verbreitete kürzere Lehrzeit hier wie auch in anderen Gewerben mit hohem Frauenanteil führte dazu, dass der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag in seinen 1912 aufgestellten Leitsätzen dazu aufforderte, weibliche Lehrlinge nicht gegenüber männlichen Lehrlingen mit einer kürzeren Ausbildungszeit zu bevorzugen.184 Dagegen kritisierte die berufspolitisch aktive Friseurin Ella Eger „die mangelhafte kurze Lehrzeit“, die die Friseurinnen die fachliche Anerkennung koste.185 Mit dem ‚kleinen Befähigungsnachweis‘ setzten daher verstärkt Diskussionen darüber ein, ob Handwerkerinnen unter die RGO fallen sollten.186 In dieser Situation mischte sich die Frauenbewegung ein. Die proletarische und die bürgerliche Richtung thematisierten jeweils sehr unterschiedlich die Benachteiligung von Frauen, auch hinsichtlich der gewerblichen Berufsausbildung.187 Wenngleich das Engagement bürgerlicher Frauen als Versuch, Handwerkerinnen und Arbeiterinnen von oben herab emanzipieren

180 Vgl. Die Frau im Friseurgewerbe. In: Offizielle Friseurzeitung, 1912, Nr. 6, S. 239–241, hier S. 240. 181 Beispielsweise Darmstadt, Dortmund, Frankfurt und Giegnitz, vgl. Schlüter, Hüte (1987), S. 185. 182 Vgl. Maehnert, Geschichte (1986), S. 124. 183 Vgl. Mai, Haupt (1995), S. 109, 112, 114; Schlüter, Hüte (1987), S. 188 und Uttenthaler, Münchner Friseurgewerbe (1921), S.  43, dieser Verteilung der Ausbildungsinhalte entsprach wohl auch überwiegend die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. 184 Vgl. Schlüter, Hüte (1987), S. 185. 185 Eger, Ella: Die Frau im Friseurgewerbe. In: DAFZ, 1913, Nr. 13, S. 500. 186 Zur reichsweiten Diskussion der ‚Frauenfrage‘ im Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertag vgl. Schlüter, Hüte (1987), S. 177ff. 187 Am Beispiel der Positionen Maria Lischnewskas und Dora Landés von Marianne Friese erörtert, vgl. Friese, Marianne: Maria Lischnewska und Dora Landé (1861–1923). In: Kleinau, Elke; Mayer, Christine (Hg.): Erziehung und Bildung des weiblichen Geschlechts. Eine kommentierte Quellensammlung zur Bildungs- und Berufsbildungsgeschichte von Mädchen und Frauen. Weinheim 1996, S. 35–39, hier S. 37.

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zu wollen, gewertet werden muss188 und die aus finanziellen Gründen eingeschränkten Ausbildungschancen von Arbeitertöchtern dabei tendenziell überschätzt wurden, brachte der Verband für handwerksmäßige und fachgewerbliche Ausbildung der Frau das Problem doch auf den Punkt. Gleichwertige Bildungsabschlüsse von Frauen und Männern im Handwerk waren der Schlüssel zur Chancengleichheit, frauenspezifische Regelungen brachten die Frauen meist ins Hintertreffen.189 Entsprechend versuchte die bürgerliche Frauenbewegung, Handwerkerinnen für formale Ausbildungsverhältnisse und ihr Engagement in den Innungen und Kammern zu gewinnen. Eine bessere gewerbliche Bildung der Mädchen sei vor dem Hintergrund der zunehmenden lebenslangen Erwerbstätigkeit von Frauen nötig und überdies allen zuträglich. Sie diene der Wirtschaft, die sich auf tüchtigere weibliche Arbeitskräfte stützen könne und würde die Frauenlöhne heben. Frauen würden so vor der Prostitution bewahrt und Männer vor weiblicher ‚Schmutzkonkurrenz‘ geschützt. Die zweifelhafte Qualität der Handwerksausbildung war hier kaum Thema, Qualität und Qualifikation wurden synonym gedacht. Entsprechend fanden gegen Frauen gerichtete Argumentationen der männlich dominierten Handwerksorganisationen Zustimmung, sodass die unter strategischen Aspekten als positiv zu bewertende Situation der Friseurinnen sogar gegenteilig wahrgenommen wurde. Zugleich wurden bürgerliche Moralvorstellungen in den Kontext beruflicher Bildung bzw. von Frauenarbeit transportiert. Die Annahme, dass Frauen ubiquitär von einem ungewollten Einstieg in Prostitution bedroht seien, war leitend.190 Dabei wurde darauf verzichtet, Prostitution, Zwangsprostitution und Frauenhandel zu differenzieren, weil die Arbeit von Prostituierten grundsätzlich inakzeptabel war. Der Verband für handwerksmäßige und fachgewerbliche Ausbildung der Frau engagierte sich auch explizit im Friseurgewerbe, das 1913 das Thema einer Hauptversammlung war.191 Dort trugen Verbandsmitglieder ihre Position 188 Übereinstimmende Einschätzung sowohl von Andrea Purpus als auch Anne Schlüter, vgl. Purpus, Frauenarbeit (2000), S. 241; Schlüter, Hüte (1987), S. 108. In manchen Fällen versuchten Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung nicht nur die Handwerkerinnen zu überzeugen, sondern zeigten weibliche Gewerbetreibende, die sich nicht offiziell angemeldet hatten, bei der Polizei an. 189 Vgl. Schlüter, Hüte (1987), S. 121. Neben gleichen Bildungsanforderungen war daher teilweise auch Koedukation eine wichtige frauenpolitische Forderung. 190 Vgl. Sabelus, Esther: Die weiße Sklavin. Mediale Inszenierungen von Sexualität und Großstadt um 1900. Berlin 2009. 191 Vgl. Die Frau im Friseurgewerbe. In: Offizielle Friseurzeitung, 1912, Nr. 6, S. 239–241.

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vor, die Nationalökonomin Käthe Lux referierte die Ergebnisse einer Befragung von Friseurinnen, und verschiedene Stimmen aus dem Gewerbe äußerten sich zur Qualifikation von Friseurinnen.192 Bei dieser Aussprache stritt der Hamburger Damenfriseur und Fachbuchautor Carl Müller energisch für seine Kolleginnen und ging engagiert gegen den Prostitutionsverdacht vor, der von Lux und Lischnewska gegenüber Friseurinnen, die das Frisieren nur als Deckmantel verwendeten, vorgebracht worden war. Mit „altjungferlicher Weisheit“193 könne man diese Anschuldigung in jedem Gewerbe erheben, auf eine genaue Nachfrage sei seitens des Berliner Polizeipräsidiums aber kürzlich festgestellt worden, dass dieser Verdacht im Friseurhandwerk unhaltbar wäre.194 Hier kontrastierten zwei Diskurse. Dem abolitionistischen, der Frauen zu potenziellen Opfern stilisierte und frauenpolitische Forderungen als Schutzmaßnahmen durchzusetzen versuchte, stand die Expertise gegenüber, die sich unter Berufung auf eine rationale Herangehensweise und Polizeiinformationen als Fachgutachter autorisierte.195 Mit dem Verweis auf die zeitgenössisch verbreitete moralische Panik,196 die sich anhand des Problemkomplexes amoralisch begriffener Sexualität ausbildete, hatten die Vertreterinnen der Frauenbewegung die Handwerkerinnen zwar zu unterstützen versucht, sie damit aber gleichzeitig sexualisiert und so die moralische Bedenklichkeit von öffentlich agierenden Frauen thematisiert. Carl Müller hingegen zielte auf die Abwendung eines schlechten Images seines Gewerbes und griff weitere männliche Stimmen im Gewerbe auf, die sich schon früher in der Fachpresse gegen die innergewerblich einst weit verbreitete Prostitutionsunterstellung ausgesprochen hatten. Der Verzicht auf ein antifeminines Ressentiment dieser Art gehörte im gesamten Friseurgewerbe auch zukünftig zum guten Ton, während anders gelagerte Animositäten weiter gepflegt wurden. Nicht einmal ein reichsweit bekannt gewordener Kriminalfall änderte daran etwas. Nur in der Sensationspresse, 192 So der Vorsitzende des Barbierbundes Brandt, der Damenfriseur Carl Müller als Vertreter der Hamburger Gewerbekammer, Ella Eger, Vorsitzende des Fachvereins der Friseurinnen von Groß-Berlin und Carl Valentin Müller, Vorsitzender des Damenfriseurbundes. 193 Die Frau im Friseurgewerbe. In: Offizielle Friseurzeitung, 1912, Nr. 6, S.  239–241, hier S. 241. 194 Vgl. ebd., S. 240. 195 Vgl. Sabelus, Sklavin (2009), S. 89f. 196 Vgl. Cohen, Stanley: Folk Devils and Moral Panics. The Creation of the Mods and Rockers. St. Albans 1973; Zur Kritik an Cohen vgl. Peters, Helge: Devianz und soziale Kontrolle. Eine Erklärung abweichenden Verhaltens. Weinheim 1995, S. 95.

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nicht aber in Fachorganen wurde intensiv über einen Mord im Berliner Scheunenviertel berichtet, den eine zwischen Friseur- und Sexarbeit wechselnde Täterin zusammen mit einer Bekannten vorsätzlich und besonders gewalttätig begangen hatte.197 Während die ‚Frauenfrage‘ besonders im Zusammenhang mit der Lehrlingsausbildung verhandelt wurde, waren die Debatten um den Meisterzwang überwiegend vom Streit zwischen Barbieren und Damenfriseuren geprägt. Im Friseurgewerbe war ein handwerkshistorisch bedeutsames Desinteresse am Meisterzwang weit verbreitet. In der Branche war man sich vor 1908 über die Überflüssigkeit des Meisterbriefs weitgehend einig, das Pu­ blikum interessiere sich jedenfalls nicht dafür,198 im Friseurhandwerk müsse man sich nicht für die Vergabe öffentlicher Aufträge qualifizieren und solange auch Gesellen Lehrlinge ausbilden dürften, sei er entbehrlich.199 Beim Verbandstag des Bundes Deutscher Barbier-, Friseur- und Perückenmacherinnungen 1905 lehnte man die Einführung sogar noch ausdrücklich ab.200 Damit hatte sich die mitgliederstärkste Organisation der Branche und der viertstärkste Innungsverband im Reich201 gegen die vom ‚organisierten Handwerk‘ vertretene Position, die auf Einführung des ‚Befähigungsnachweises‘ zielte, entschieden. Dieser Befund demonstriert nachdrücklich, dass zwar der Allgemeine Deutsche Handwerkerbund ziemlich durchsetzungsfähig war, es aber neben dem anderen Konkurrenzverband der gesamten Handwerkerschaft, dem liberaler eingestellten Centralausschuss der vereinigten Innungsverbände Deutschlands (CID) mindestens einen großen Berufsverband gab, der den Meistertitel als Qualitätsausweis sah (oder so profilieren 197 Vgl. Landesarchiv Berlin, A. Pr. Br. Rep. 030-03 Tit. 198 B, Nr. 98. Die 1916 schließlich hingerichtete Johanna Ullmann (geb. 1890) hatte als Jugendliche zunächst in der Prostitution gearbeitet. Danach hatte sie geradezu idealtypisch versucht, in einem dem Barbiergeschäft ihres Verlobten Ludwig Woitas angegliederten Damenbereich mit Frisieren Geld zu verdienen. Als Motiv für den Mord an der Prostituierten Martha Franzke, die zu ihren Kundinnen und Bekannten gehörte, gab sie an, dass ihr Geschäft in der Kriegszeit schlecht ginge. Außerdem übe Woitas noch von der Front Druck auf sie aus, weil er ihren Ausstieg aus der Sexarbeit als nur vorübergehend ansah. Der (in unvollständigen Akten im Landesarchiv Berlin überlieferte) Fall wurde als literarische Vorlage genutzt, vgl. Stürickow, Regina: Habgier. Berlin 2003. 198 Vgl. Der Meistertitel. In: DAFZ, 1905, Nr. 1, S. 9. 199 Ebd. 200 Vgl. Der 21. Verbandstag des Bundes Deutscher Barbier-, Friseur- und Perückenmacherinnungen zu Mainz am 17.–19. Juli 1905. In: DAFZ, 1905, Nr. 8, S. 20–221. 201 Vgl. Heft des Min.-Bl. Der Handels und Gewerbevereine. In: DAFZ, 1905, Nr. 5, S. 132.

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wollte), nicht aber als zwingende Voraussetzung für die Lehrlingsausbildung oder Betriebsführung.202 Nach der gesetzlichen Einführung des ‚kleinen Befähigungsnachweises‘ dachte man allerdings auch im Friseurgewerbe schnell um und setzte auf die Chance, dass sich damit das Niveau der handwerklichen Bildungseinrichtungen und der Allgemeinbildung erhöhen würde.203 In Anbetracht des bisherigen Ausbildungslevels wurde zunächst noch Rücksicht auf die Prüflinge genommen, geplant war aber, zukünftig die Anforderungen erheblich zu steigern. Die Barbiere zielten damit auf mehr Selbstdisziplin und Ehrgeiz des Nachwuchses und versuchten, die Meisterkurse zu verbessern.204 So wie in den Fachschulen Unterricht im Herrenfach, Perückenmachen und Damenfrisieren erteilt wurde, nahm man in die Vorbereitungskurse für die Meisterprüfungen wiederum das Perückenmachen auf. Ziel war dabei, dass alle drei Zweige der Branche in der Prüfung abgedeckt werden konnten. Diese Vollprüfung korrespondierte mit der Auffassung, den Friseurberuf als ein Gewerbe zu begreifen.205 Die Damenfriseure hingegen warfen ihren Kollegen wiederum ungenügende Kenntnisse im Damenfach vor, daher schlugen sie Teilprüfungen vor. Entsprechend der jeweils bestandenen Prüfungsteile dürfe man in den jeweiligen Gewerbezweigen den Meistertitel tragen und ausbilden. Dieses Kompetenzgerangel entwickelte sich auch in anderen Branchen, in denen sogenannte verwandte Gewerbe sich gegenseitig Konkurrenz machten.206 Je nach Kammerbezirk waren die Voll- oder Teilprüfungen schließlich reichsweit unterschiedlich festgelegt worden. Obwohl 1914 in Preußen die Teilprüfungen207 wie von den Damenfriseuren gewünscht obligatorisch wurden,208 wurde die innergewerbliche Auseinandersetzung vom Streit um 202 Der CID beharrte zwar auf dem gesetzlichen Schutz des Meistertitels, wollte daran aber keine Exklusivrechte gebunden wissen, bewegte sich allerdings in den 1890er Jahren auf den ADHB zu, ohne dessen Positionen zu übernehmen, vgl. Georges, 1810/11 (1993), S.127f, 175f, 210f. 203 Vgl. Der kleine Befähigungsnachweis. In: DAFZ, 1908, Nr. 9, S. 348. 204 Vgl. Bauer, Franz: Das Gesellstück im Friseurgewerbe. In: Der deutsche Friseur, 1916, Nr. 6, S. 2, 5. 205 Vgl. Voll- oder Teilprüfung? In: Der deutsche Friseur, 1916, Nr. 19, S. 1f. 206 Insbesondere der ADHB versuchte, den Meisterbrief als Abgrenzungsinstrument einzuführen, vgl. Georges, 1810/11 (1993), S.165. 207 Vgl. Ministerialerlaß Meisterprüfung im Barbier-, Friseur- und Perückenmachergewerbe. In: Offizielle Friseurzeitung, 1914, Nr. 5, S. 139. 208 Vgl. Der Tüchtigkeit freie Bahn. In: Offizielle Friseurzeitung, 1917, Nr. 1, S. 21f.

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die Meisterprüfung ständig angefacht statt befriedet. Denn dass nur als Herrenfriseure geprüfte Meister auch im Damenfrisieren ausbildeten, war eher die Regel als Anlass behördlicher Einmischungen.209 Schließlich wurde die von den Barbieren präferierte Vollprüfung 1916 eingeführt.210 Friseurinnen, die meist gar keine Handwerkslehre durchlaufen hatten, konnten sich wie ihre männlichen Kollegen im Rahmen von Übergangsregelungen zur Meisterprüfung anmelden, beispielsweise nach fünfjähriger Berufstätigkeit. Diese Möglichkeit bestand aber nur, wenn sie ihr Gewerbe offiziell angemeldet hatten,211 was häufig nicht der Fall war. Jenen Handwerkerinnen aber, die ihre Tätigkeit nicht als typisch weibliche Arbeit, sondern als Berufsarbeit betrachtet und offiziell hatten registrieren lassen, wurden Wege zum Meisterbrief geebnet. So wurde beispielsweise in Hamburg 1909 ein spezieller Meisterprüfungskurs für Frauen eingerichtet.212 Offenbar war die Resonanz bei den potenziellen Meisterinnen reichsweit groß, Friseurinnen waren die drittgrößte Gruppe weiblicher Handwerkerinnen, die zwischen 1912 und 1927 eine Meisterprüfung ablegten.213 Gerade sie hatte man 1914 bei dem Ministerialerlass, der zunächst Teil- statt Vollprüfungen durchsetzte, im Blick gehabt, da die Friseurhandwerkerinnen mangels Ausbildung und Praxis im Herrenfach andernfalls keine Prüfung hätte ablegen können.214 Als „Fräulein Meister“ wurden die ersten in nennenswertem Umfang auftretenden traditionell qualifizierten Kolleginnen 1912 von der Friseurpresse immerhin stolz begrüßt, sowie die frauenpolitisch geforderte Besetzung der Prüfungskommissionen auch mit Frauen ausdrücklich gelobt.215 Es waren mit der Beschränkung von Frauen auf das Damenfach sehr wohl frauenspezifische Regelungen im neu strukturierten Ausbildungswesen zum Tragen gekommen, allerdings war mit der Gleichrangigkeit der von 209 Nicht selten bildeten die frisierenden Ehefrauen von Herrenfriseuren die weiblichen Lehrlinge aus, ohne tatsächlich selbst eine berufliche Qualifikation zu besitzen, vgl. Die Friseurin. In: Offizielle Friseurzeitung, 1912, Nr. 3, S. 113f. 210 Vgl. Nachwuchsfrage und Gehilfenmangel. In: Offizielle Friseurzeitung, 1924, Nr. 13, S. 6f. 211 Vgl. Schlüter, Hüte (1987), S. 184. Zu den Übergangsregelungen vgl. auch Holtwick, Berufsstand (2000), S. 74. 212 Vgl. Meisterkursus für Friseurinnen in der Gewerbekammer zu Hamburg. In: DAFZ (1909), Nr. 11, S. 424. 213 Nach Schlüter, Hüte (1987), S. 189. 214 Vgl. Ministerialerlaß Meisterprüfung im Barbier-, Friseur- und Perückenmachergewerbe. In: Offizielle Friseurzeitung, 1914, Nr. 5, S. 139. 215 Fräulein Geselle und Fräulein Meister. In: DAFZ, 1912, Nr. 9, S. 372.

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Friseurinnen und Friseuren erworbenen Abschlüsse eine Gleichstellung erreicht. Was formal gelang, bei den Handwerksorganisationen akzeptiert und auch nicht selten von den Handwerkerinnen selbst angenommen wurde, missglückte häufig im familiären Bereich. Dort konnte die gewerberechtlich verankerte Chancengleichheit keinen Einfluss nehmen, denn Mädchen hatten verglichen mit Jungen geringere Aussichten auf eine Ausbildung. In vielen Familien war es Gewohnheit und oft auch wirtschaftliche Notwendigkeit, die Töchter nicht in langen Phasen ausbilden zu lassen, sondern nach kurzer Wissensaneignung (wenn überhaupt) erwerbstätig werden zu lassen, um sie schnellstmöglich zum Familieneinkommen bzw. zum eigenen Unterhalt beitragen zu lassen. Bedingt durch die Kriegsverhältnisse entwickelte sich das durchschnittliche Qualifikationsniveau von Friseurinnen und Friseuren nicht kontinuierlich, wie Uttenthaler anhand von Ausbildungsbefugnissen in München nachwies und wie es wohl auch anderswo ähnlich gewesen sein dürfte. 1913, in dem Jahr, in dem generelle Übergangsregelungen für die Ausbildungsberechtigungen ohne Meisterbrief aufgehoben wurden,216 führten dort von 319 Ausbildungsberechtigten nur 136 einen Meistertitel, 1920 durften 490 Friseurhandwerkerinnen und -handwerker Lehrlinge ausbilden, der größte Teil von ihnen war dazu aber nicht per Meisterbrief berechtigt, sondern durch Genehmigungen der unteren Verwaltungsbehörden.217 Eine etwas anders gelagerte 1931 durchgeführte Untersuchung ergab, dass reichsweit nur 27% aller Inhaber von Handwerksbetrieben aller Gewerbe, die nicht notwendig auch Ausbildungsbetriebe waren, einen Meistertitel führten.218 Während sich in den 1930er Jahren schon längst der Meistertitel als innerberufliches Statussymbol etabliert haben sollte, kam dies im Kaiserreich vor allem der Selbständigkeit zu. Nicht Meister, sondern Prinzipal war der eigentlich angestrebte Titel. Gesellen- und Meisterbrief sollten in der innergewerblichen Diskussion die Geschlechterverhältnisse je unterschiedlich strukturieren. Die Gesellenprüfung gab den geschlechtersegregierenden Referenzpunkt ab, mit dem männlich dominierte Friseurorganisationen sich von Frauen abzugrenzen versuchten und zum ansonsten kaum erreichbaren Ideal des ‚mittleren Handwerkers‘ aufschlossen. Die Haltung zum Meisterbrief strukturierte die 216 Am 1.10.1913 liefen die Übergangsbestimmungen ab, vgl. Elbers, Wirkungen (1914), S. 28. 217 Vgl. Uttenthaler, Münchner Friseurgewerbe (1921), S. 88. 218 Vgl. John, Handwerk (1987), S. 355.

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Verhältnisse unter Männern. Denn nur die kleine Gruppe der Damenfriseure stimmte mit dem ‚organisierten Handwerk‘ überein, der zahlenmäßig starke Barbierbund vertrat eine eigene Position.

1.5 Situation im Ersten Weltkrieg Nun endlich ist das faule Spiel zu Ende Los Michel! Nimm dein Schwert in beide Hände. Damit dein Hieb im Kreise keinem fehlt, Der dich voll Hinterlist so oft gequält.219 Carl Valentin Müller, 2. August 1914 Kriegseuphorisch wie viele, wenn auch nicht alle Deutsche, nahm der Vorsitzende des Damenfriseurbundes, Carl Valentin Müller, einen Tag, nachdem Deutschland Russland den Krieg erklärt hatte, reimend Stellung. Der Fachbuchautor Ferdinand Müller, der später schwer an der Trauer um seinen gefallenen Sohn tragen sollte, hielt zu Kriegsbeginn einen Aufruf für angemessen, „die frech gewordene Nachbarschaft zur Ordnung zu bringen und den Begriff vom deutschen Wesen in ihrer Auffassung richtig zustellen“.220 Solche martialischen Töne waren üblich, um den angeblichen Verteidigungskrieg der Deutschen zu begründen, die nicht angegriffen worden waren, sondern selbst die maßgeblichen Aggressoren waren. Damit demonstrierte das Friseurgewerbe seine Entschlossenheit, auf Distanz zu den bewunderten französischen Kollegen zu gehen, mit denen insbesondere die organisierten Damenfriseure bis Kriegsausbruch noch gute Kontakte gepflegt hatten. Bei Gelegenheiten internationaler Treffen, etwa dem Internationalen Kongress der Friseure in Paris, waren sich – jedenfalls aus Sicht der Fachpresse der damaligen Sieger – noch 1912 ältere deutsche und französische Friseure respektvoll als ehemalige gegnerische Kriegsteilnehmer beim fachlichen Austausch begegnet.221 Zwei Jahre später sah man sich mit dem Problem konfrontiert, den Kollegen nicht als Angehörigen desselben Berufs gegenüber zu treten, sondern als feindlichen Soldaten.222 219 Gedicht datiert vom 2. August 1914. In: Offizielles Friseurzeitung, 1914, Nr. 17, S. 445. 220 Müller, Ferdinand: Der Krieg und unser Beruf. In: DAFZ, 1914, Nr. 21, S. 665. 221 Vgl. Internationaler Kongreß der Coiffeure zu Paris. In: Offizielle Friseurzeitung, 1912, Nr. 1, S. 20–21. 222 Vgl. Unsere Kollegen in Frankreich. In: Offizielle Friseurzeitung, 1914, Nr. 17, S. 445.

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Für die schwierige Behauptung der Existenzberechtigung im Krieg nahm das Gewerbe Bezug auf den Entwurf einer nationalen Mode und verwies verstärkt auf „die gesundheitspflegliche Bedeutung des Berufes“.223 Längst stehe Friseurarbeit nicht mehr nur für Luxus oder Bequemlichkeit, sondern für Reinlichkeit. Die große Zahl der nun Vollbart tragenden Männer deute auf das Gewerbe als ein nötiges „Stück Kultur“,224 das Unordentlichkeit und Verwilderung entgegenarbeite. Kritik erfuhr die Branche insbesondere wegen der von patriotischer Seite beanstandeten Berufsbezeichnung.225 Mittlerweile war ‚Friseur‘ allgemein gebräuchlich geworden, weil sich auch Barbiere seit ihrem Einstieg in das Damenfach am Ende des 19. Jahrhunderts diesen Namen gegeben hatten und die Damenfriseure sich zunehmend von der meist nur noch zusätzlich geführten Bezeichnung Perückenmacher trennten. Da sich das Gewerbe darauf berufen konnte, dass ‚Friseur‘ zwar kein deutsches Wort sei, gleichwohl aber auch kein französisches, galt die deutsche Verballhornung des französischen ‚friser‘ vermischt mit ‚coiffeur‘ zwar als unbefriedigend, wurde aber toleriert – anders als etwa ‚Shampooing‘ oder Maniküre.226 Gegen die Entfernung von Geschäftsschildern mit französischem und englischem Vokabular argumentierte man immer wieder mit der ungünstigen Geschäftslage im Krieg, fühlte sich aber von der Kundschaft, die die Abnahme verlangte, gedrängt. Latent des mangelnden Patriotismus verdächtigt, gab Carl Valentin Müller schließlich für alle seine Kollegen die Erklärung ab, dass ihre „treudeutsche Gesinnung nicht gelitten hat, obwohl manches Fremdwort auf dem Boden des Berufes unbeanstandet Wurzeln schlug“.227 Eine weitere Entscheidung über die Standesbezeichnung solle in Ruhe nach dem Krieg getroffen werden. Reflexionen um den berufsspezifischen Arbeitsalltag schlossen insbesondere Motivationsaufrufe ein, etwa sich die Belebung des Herrengeschäfts, wie sie im Deutsch-Französischen Krieg zu beobachten gewesen wäre, positiv vor Augen zu halten,228 überhaupt „Angstmeiereien“ nicht Überhand 223 Müller, Carl Valentin: Die Lebensgrenze unseres Handwerks. In: Offizielle Friseurzeitung, 1917, Nr. 18., S. 285ff., hier S. 286. 224 Ebd. 225 Vgl. Kann das Wort „Friseur“ verdeutscht werden? In: Offizielle Friseurzeitung, 1914, Nr. 18, S. 452. 226 Vgl. Zimmermann, Franz: Der Einfluß des Krieges auf unser Gewerbe und unsere Lieferanten. In: DAFZ, 1914, Nr. 17, S. 633–664. 227 Müller, Carl Valentin: Fremdworte im Friseurberuf. In: Offizielle Friseurzeitung, 1915, Nr. 12, S. 185f. 228 Vgl. Einst und Jetzt. In: Offizielle Friseurzeitung, 1915, Nr. 2, S. 28f.

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nehmen zu lassen, sondern stattdessen „die militärischen Tugenden Mut und Vertrauen auch auf das Geschäftsleben“ zu übertragen.229 Auch wenn nicht jeder ein Hindenburg sei, käme auch einem Friseur einige Bedeutung als „tüchtiges Glied in der Kette des Wirtschaftslebens“ zu.230 Auch wurde davor gewarnt, demotivierende Gespräche über problematische Kriegsphasen zu führen. Das sei erstens geschäftsschädigend, denn Trübsinnige wollten nichts beim Friseur, und zweitens solle man Rücksicht auf Angehörige von Soldaten nehmen.231 Untersuchungen der gesamthandwerklichen Situation ergaben aufgrund der großen Zahl der Betriebsschließungen, dass das Handwerk größtenteils wohl kaum zu den Kriegsgewinnern gehört haben dürfte.232 Damit ist über die Situation des Friseurgewerbes nichts Spezifisches festgestellt, aber glänzende Bilanzen dürften auch hier wahrscheinlich selten gewesen sein, wie an der innergewerblichen Beobachtung, dass viele kleine Betriebe schließen müssten, ablesbar sein könnte. Berufsstandspolitisch wurde diese Entwicklung von beiden Friseurbünden positiv als Gesundschrumpfung der von den „Billiganbietern“233 gereinigten Branche aufgenommen.234 Während der Krieg auf die Gewerbetreibenden selbst eher negative Auswirkungen gehabt haben dürfte, sieht dies für die Handwerksorganisationen schon anders aus.235 Ihre in der schwierigen Kriegswirtschaft nötige Vermittlerrolle zwischen Staat und Betrieben (insbesondere nicht kriegswichtigen) bei der Verteilung von Aufträgen und knappen Materialien verschaffte ihnen einiges Ansehen, wie beispielsweise auch dem Barbierbund bei der Verteilung der an sich unspektakulären, aber knappen Rasierseife,236 auch warben Innungen dafür, sich für die Belange von Ehefrauen eingezogener Geschäftsinhaber einzusetzen.237

229 Im Zeichen des Krieges. In: Offizielle Friseurzeitung, 1914, Nr. 18, S. 451. 230 Reformen, die der Krieg auferlegte. In: Offizielle Friseurzeitung, 1916, Nr. 4, S. 5f. 231 Vgl. Die Unterhaltung im Friseurgeschäft. In: DAFZ, 1918, Nr. 8, S. 81f. 232 So ruhte jeder dritte Handwerksbetrieb, weil der Inhaber einberufen wurde, vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 91f. 233 Die Lage des Friseurgewerbes. In: Offizielle Friseurzeitung, 1914, Nr. 20, S. 477. 234 Für die Barbiere vgl. Die Geschäftslage im Friseurgewerbe. In: Der deutsche Friseur, 1917, Nr. 9, S. 6. 235 Holtwick, Berufsstand (2000), S. 92. 236 Vgl. Maehnert, Geschichte (1986), S. 115 oder Schädlinge. In: Der deutsche Friseur, 1916, Nr. 5, S.1. 237 Vgl. Aus der Friseurwelt. In: Offizielle Friseurzeitung, 1914, Nr. 20, S. 477.

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Geschlechterverhältnisse im Ersten Weltkrieg Auch in der Friseurbranche konnte von Regeneration der Männlichkeit, die man sich in weiten Kreisen der wilhelminischen Gesellschaft vom Krieg erhofft hatte, nicht die Rede sein. Im Berufsstereotyp kaum wiederzufindende Männerbilder und der Einstieg von Friseurinnen in die Männerdomäne Herrenfach beschädigten die beanspruchte Hegemonie. Da das Image des Berufs ohnehin darunter litt, dass keine beeindruckenden Körperkräfte benötigt wurden, war die nun verlangte soldatische Männlichkeit kaum mit dem typischen Bild von Friseuren vereinbar, die sich in offensichtlicher Erklärungsnot befanden. Entsprechend verteidigten sie sich damit, dass die körperliche Eignung der Berufsangehörigen für andere Berufe nun einmal nicht gegeben sei.238 Dennoch wurde in der DAFZ in Anbetracht der gerade in der Presse verbreiteten Spottlust am Friseurgewerbe den Journalisten selbstbewusst ein Fronteinsatz empfohlen, zwecks Kenntnisnahme des hervorragenden Benehmens der Friseure dort, das für die Presse ein dringend benötigtes Vorbild einer ehrenwerten und mannhaften Haltung sei.239 Die Kritik an Friseurinnen als schlecht ausgebildeter, preisdrückender Konkurrenz riss nicht ab. Vielmehr verschärfte sie sich um einen weiteren Aspekt, die berufsspezifische Variante der Frauen, die kriegsbedingt Männerarbeit verrichteten. Diese ‚Raseusen‘ schienen in Deutschland noch ziemlich ungewöhnlich zu sein, in Skandinavien hingegen waren sie laut Fachpresse der Normalfall.240 Weibliche Barbiere erregten nicht nur in der Friseurpresse Aufsehen, sondern waren auch in Tageszeitungen Thema. Deren Berichterstattung brachte das Friseurgewerbe erheblich auf, das meinte, um die Ehre der Friseurinnen streiten zu müssen. 1913 hieß es noch, dass diese Kolleginnen zwar technisch gut seien,241 aber schüchterne Männer, „die nur in vollendeter nicht in werdender Schönheit sich vor weiblichen Augen zeigen wollten“, die Bedienung von Frauen scheuten.242 Das Bild des reservierten Kunden wurde aber bald aufgegeben und stattdessen das Gegenteil bemüht. Zunächst wurden moralische Bedenken gegen den Einsatz von Frauen im Herrengeschäft vorgebracht,243 die wenig 238 Vgl. Luxusgewerbe und Krieg. In: DAFZ, 1917, Nr. 2, S. 173. 239 Vgl. Keine Friseurgehilfinnen! In: Offizielle Friseurzeitung, 1915, Nr. 8, S. 123f, hier S. 124. 240 Vgl. Die Raseuse. In: DAFZ, 1913, Nr. 6, S. 224. 241 Ebd. 242 Der weibliche Barbier. In: DAFZ, 1913, Nr. 10, S. 383. 243 Ebd.

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später schon als handfeste Vorwürfe greifbar waren. Denn wie man tagtäglich in der Straßenbahn beobachten könne, nähmen sich Männer gegenüber den Schaffnerinnen in aller Öffentlichkeit anzügliche „Flegeleien“ heraus.244 In der Abgeschlossenheit der Geschäftsräume sei weitaus Schlimmeres zu erwarten. Denn wie viel „anders kommt ein weibliches Wesen mit dem Manne in körperliche Berührung, wenn es Herrenfriseur spielen soll. Was sich an Unverschämtheiten handgreiflicher Natur und gepfefferten Redensarten ereignet, ist jedem Prinzipal mit erschreckender Häufigkeit von seinem weiblichen Personal berichtet worden“.245 Solange die deutsche Herrenkundschaft, namentlich die „besseren Elemente der Großstädte“, es an Respekt gegenüber den Friseurinnen vermissen lasse, müsse der Beruf zum Schutze seines Ansehens Frauen aus dem Herrengeschäft heraushalten. Während beispielsweise die berufspolitisch aktive Friseurin Ella Eger dieselbe Meinung vertrat,246 nahm ihre Kollegin Martha Ronge die offenen Worte über die sexualisierte Beziehung der Kunden zu Herrenfriseurinnen zum Anlass, die ihrer Meinung nach anrüchige Rolle von Männern im Damenfrisieren zu monieren.247 Während Frauen zu Hause in ihren Schlafzimmern bedient würden – zu denen männliche Damenfriseure aus offensichtlichen Gründen wohl niemals Zutritt bekämen – würden Männer in Friseurgeschäften in offenen Räumen bedient, in denen die Kolleginnen nichts zu befürchten hätten. Nachdem Friseurinnen den Damenfriseuren ihren Verdienst bislang gegönnt und keine Verdächtigungen über das Geschehen in den Damenkabinen kolportiert hätten, wie sie nun in der umgekehrten Konstellation üblich seien, hielt Ronge die unsittlichen Unterstellungen nur für Konkurrenzneid. Ebenso gut müsse man dann den Rückzug der Männer aus dem Damengeschäft verlangen. Empört verwies Walter Rühs darauf, dass Friseure „in den letzten 150 Jahren nie das Vertrauen enttäuscht“ hätten, denn die „Frauen sind in den Kabinen der Damenfriseurgeschäfte und in dem eigenen Schlafzimmer vor jeder Ungehörigkeit immer sicher gewesen“.248 Da bedauerlicherweise bis heute eine Geschichte der Umkleidekabine fehlt, dies aber aus guten 244 Keine Friseurgehilfinnen! In: Offizielle Friseurzeitung, 1915, Nr. 8, S. 123f, hier S. 123. 245 Ebd. 246 Eger, Ella: Zur Frage der weiblichen Arbeitskräfte im Herrensalon. In: DAFZ, 1914, Nr. 9, S. 95. 247 Vgl. die Stellungnahme Martha Ronges. In: DAFZ, 1915, Nr. 8, S. 124. 248 Rühs, Walter: Zur Konkurrenz der Geschlechter. In: DAFZ, 1915, Nr. 9, S.  139f, hier S. 139.

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Gründen als gegenwärtiges kulturwissenschaftliches Desiderat gilt,249 kann an dieser Stelle nur darauf hingewiesen werden, dass Umkleide- und auch Friseurkabinen zeitgenössisch wohl doch Anlass zur Annahme von ungebührlichem Verhalten gegeben haben dürften.250 Jedenfalls wehrte sich Rühs weiterhin mit dem Hinweis, dass sich die Kundinnen selbst bislang nicht im Sinne Ronges geäußert hätten. Im Übrigen hätten auch Damenschneider, die beim Maßnehmen „den Körper der Frau berühren müssen“, niemals zu Klagen oder Ärgernis Anlass gegeben.251 Im Gegenteil, die „modekundige und vornehme Damenwelt“ habe den Damenfriseur als Künstler geachtet.252 Wie im Zusammenhang mit der Berufscharakterisierung diskutiert, dürften sich Dienstleistungsverhältnisse zwischen den Geschlechtern nicht ganz so unkompliziert gestaltet haben wie behauptet. Während der männliche Geschlechtscharakter als Begründung diente, Friseurinnen den Zugang zum Herrengeschäft zu verschließen, wurden genau jene männlichen Eigenschaften, die „empfindsame Kunden lüstern unter der Serviette erschaudern“ ließen,253 bei der Betrachtung der Damenfriseure außer Acht gelassen, die aufgrund ihres selbst verliehenen Künstlerstatus eine Sonderrolle beanspruchten. Nur fachliches Können sei in der Frage wichtig, wer sich in welchem Gebiet betätigen dürfe. Sollten Frauen Männer tatsächlich einmal verdrängen, was, wenn es notwendig gewesen wäre, „längst geschehen“ wäre,254 müsse man eine solche Entwicklung eben hinnehmen.255 Doch schon bevor Frauen sich im Herrenfach hätten fachlich bewähren können, wurde angestrebt, sie vor den behaupteten Gefahren dieses Arbeitsplatzes durch Fernhalten zu ‚beschützen‘. Die Strategie ‚Frauenarbeitsschutz‘ war schon in anderen Branchen zur Ausschaltung der weiblichen Konkurrenz erprobt worden und hatte erfolgreich auf die Durchsetzung des auch in 249 Zur Forschungslücke hinsichtlich der die Schlüssellochperspektive befördernden Orte Umkleidekabine und Damentoilette vgl. Lancaster, Bill: The Departmentstore. New York 1995, S. 178. 250 Schon im Warenhausklassiker Au Bonheur des Dames (Erstausgabe 1883) wurde die Umkleidekabine als halböffentlicher Ort von Intimität dargestellt, vgl. Zola, Emile: Das Paradies der Damen. Frankfurt am Main 2007, S. 526f. 251 Ebd. 252 Ebd. 253 Vgl. Keine Friseurgehilfinnen! In: Offizielle Friseurzeitung, 1915, Nr. 8, S. 123f., hier S. 124. 254 Vgl. Zur Ausbildung weiblicher Personen im Herrenfach. In: Der Deutsche Friseur, 1917, Nr. 6, S. 7–8. 255 Vgl. Rühs, Konkurrenz (1915), S. 140.

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Arbeiterkreisen verbreiteten bürgerlichen Frauen- und Familienideals Bezug genommen.256 Ähnliches versuchten Friseure. Ausgerechnet vor dem Hintergrund des gerade nicht besonders virilen Friseurbildes bemühte sich Carl Valentin Müller um Beschwörung der Gefahr für Leben, Gesundheit und Sittlichkeit der zum Herrenfach umgeschulten Friseurinnen. Damit konstatierte er eine naturbedingte Schwäche von Frauen einerseits und stellte andererseits die Arbeit im Herrengeschäft, insbesondere „die vorgebeugte Haltung“ als unmäßig kräftezehrende Belastung der „Helferinnen“ so dar, dass Frauenarbeit keinen Ersatz für die zu Kriegs- und Hilfsdienst verpflichteten Männer bieten könne.257 Wie wenig Unterstützung die Friseurinnen aus den eigenen Reihen bekamen, zeigen die Reaktionen der Kollegen, die das Kundenverhalten zwar nicht für richtig, aber für unabänderlich hielten und zwecks Begrenzung ihrer Konkurrenz den Ausschluss der Frauen vom Herrenfach befürworteten. Selten waren Stimmen wie die jenes Friseurs, der für die Kolleginnen mit dem Hinweis eintrat, dass Frauen überall mit despektierlichem Verhalten rechnen müssten und diese Herausforderung gerade beruflich mit Charakterstärke meistern könnten und würden.258 Friseurinnen im Herrenfach provozierten die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Geschlechterverhältnissen auf berufsspezifische Weise. Wenn die bürgerliche Moral Männern zwar nicht gerade vorschrieb, Frauen je nach ihrer sozialen Herkunft zu hofieren oder zu inkommodieren, so wurde ihnen doch prinzipiell zugestanden, es nach Gutdünken an Respekt mangeln zu lassen. Frauen hatten sich insbesondere in Dienstleistungsverhältnissen dann mit Taktlosigkeiten oder ärgeren ‚Kavaliersdelikten‘ zu arrangieren, wenn sie in der sozialen Hierarchie unter den Männern standen, denen sie in beruflichem Kontext begegneten. Solche Erfahrungen hatten Dienstmädchen bekanntlich schon lange machen müssen, ein Blick auf die Krankenschwestern und Etappenhelferinnen im Ersten Weltkrieg zeigt ähnliches.259 256 Vgl. Schmitt, Sabine: Der Arbeiterinnenschutz im deutschen Kaiserreich. Zur Konstruktion der schutzbedürftigen Arbeiterin. Stuttgart 1995, S. 16f. Für einen Forschungsüberblick vgl. Gerhard, Ute: Geschlecht: Frauen im Wohlfahrtsstaat. In: Lessenich, Stephan (Hg.): Wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe. Historische und aktuelle Diskurse. Frankfurt am Main [u. a.] 2003, S. 267–286. 257 Vgl. Müller, Carl Valentin: Die Lebensgrenze unseres Handwerks. In: Offizielle Friseurzeitung, 1917, Nr. 18, S. 285f. 258 Vgl. die Replik von M. Sz. zu Frau Ella Eger: Zur Frage der weiblichen Arbeitskräfte im Herrensalon. In: DAFZ, 1915, Nr. 9, S. 95. 259 Folgendes nach Schönberger, Bianca: Mütterliche Heldinnen und abenteuerlustige Mädchen. Rotkreuz-Schwestern und Etappenhelferinnen im Ersten Weltkrieg. In: Hagemann,  

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Anders als es die vor allem zeitgenössisch verbreitete Rede vom Emanzipationsschub der Frauen im Krieg durch den kriegsbedingten Einsatz von Frauen an Männerarbeitsplätzen nahelegt,260 haben sich die Verhältnisse eben nicht so eindeutig zugunsten von Frauen verschoben, unter anderem wegen der Unterschiede zwischen Frauen. So entsprachen die Krankenschwestern nicht nur dem weiblichen Arbeitsideal der Pflege und Fürsorge, sie waren ganz überwiegend gut sozial situiert, sodass sie es sich meist leisten konnten, über ihre geringe Entlohnung hinwegzusehen und ihr nationales Engagement fast gänzlich idealistisch zu betreiben. Die Etappenhelferinnen hingegen, die im Heer beispielsweise mit Verwaltungs- und Schreibarbeiten frontnah tätig waren und zuvor damit beschäftigte Soldaten ablösten, die dadurch an die Front versetzt werden konnten, vermochten keinen Idealismus für sich zu verbuchen. Sie stammten häufig aus den unteren Mittelschichten und waren auf den vergleichsweise hohen Verdienst angewiesen, weswegen ihnen weniger Patriotismus als materialistisches Interesse nachgesagt wurde. Schlimmer noch, nicht zuletzt aufgrund ihrer finanziellen Unabhängigkeit galten sie als moralisch unsolide Bedrohung der sozialen Ordnung. Im ständigen Kontakt mit männlichen Militärs machten beide Frauengruppen ganz unterschiedliche Erfahrungen. Anders als die geschätzten Schwestern erfuhren die Etappenhelferinnen vielfach Missachtung. Während die Krankenschwestern das öffentlich weitgehend geachtete weibliche Komplementärbild zum soldatischen Mann abgaben und sich ihr Frauenbild später in einer entsprechenden Erinnerungsliteratur niederschlug, blieben die Etappenhelferinnen, deren Gruppe fast genauso umfangreich war wie die der Schwestern, in der Öffentlichkeit nicht präsent. Zwar konnten die ‚Herrenfriseusen‘ die typisch weibliche Körperpflegearbeit für sich reklamieren, aber ohne die idealistische Aufopferung der Krankenschwestern bieten zu können, geriet ihnen die offen thematisierte Nähe zum Männerkörper explizit zum Nachteil. Indessen teilten sie mit den Etappenhelferinnen häufig den herkunftsbedingten Mangel an Respekt, den manche Kunden ihnen gegenüber bezeugten. Während sich diese nach Kriegsende anderen, nicht in jedem Falle, aber möglicherweise weniger angefeindeten Aufgaben zuwandten, mussten die Friseurinnen weiterKaren; Schüler-Springorum, Stefanie (Hg.): Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege. Frankfurt am Main 2002, S. 108–127. Zu den Etappenhelferinnen auch Daniel, Ute: Frauen in der Kriegsgesellschaft 1914–1918: Arbeiterfrauen in Beruf, Familie und Politik des Ersten Weltkriegs. Göttingen 1998, S. 93. 260 Die von der Forschung längst korrigiert worden ist, vgl. Daniel, Frauen (1998).

Destabilisierung statt Branchenkonsolidierung  |

hin mit schwierigen Kunden und blockierenden Kollegen umgehen, die ihrerseits das heikle Thema Körperkontakt mit Kundinnen nach Möglichkeit aussparten. Der Erste Weltkrieg kann kaum als Emanzipationsschub für Friseurinnen gesehen werden. Das trotz aller Kritik beharrliche Vorrücken von Frauen in das Herrenfach spricht zwar zunächst für ein erhebliches Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen, angesichts des fachlich als kaum inspirierend wahrgenommenen und pekuniär wenig lohnenden Geschäftszweiges ist die Öffnung dieses Handlungsraums für Frauen aber kein Gewinn gewesen. Ihre männlichen Kollegen verloren insofern zusätzlich an Terrain, als im Ersten Weltkrieg die mangelnde Akzeptanz von Männern im Friseurhandwerk in der Gesellschaft erstmals innergewerblich offen problematisiert wurde. Die Kriegsverhältnisse können als Katalysator der Entwicklung des Gewerbes hin zu einem Frauenberuf gewertet werden.

2 Destabilisierung statt Branchenkonsolidierung in der Weimarer Republik 2.1 Orientierung in den neuen Verhältnissen Weite Teile des Handwerks standen der Revolution kritisch gegenüber, kriegsmüde traten sie ihr aber nicht tatkräftig entgegen.261 Auch die neuen Verhältnisse in der ersten deutschen Demokratie boten Anlässe, die Situation des Handwerks als bedroht wahrzunehmen. Höhere Steuern und Finanzprobleme des Staates durch Reparationsverpflichtungen gehörten ebenso dazu wie die seit langem abgelehnte Arbeiterbewegung als politisch bedeutsame Einflussgröße. Bürgerkrieg, Streiks, Einführung des Achtstundentages und Sozialisierungsdebatten haben zahlreiche Deutungen nach sich gezogen, für den Mittelstand gaben sie vor allem Anhaltspunkte für ein Bedrohungsszenario ab. In der Friseurpresse stimmte man sich Ende 1918 auf die neue Situation jedoch zunächst positiv ein: „Vor Empörung über das entstandene Unglück zitternde Hände der eigenen Soldaten und Arbeiter reichen uns heute eine junge Freiheit und da muß das deutsche Volk in allen Himmelsrichtungen 261 Zum Stimmungsbild in Bezug auf das Handwerk vgl. den Überblick bei Holtwick, Berufsstand (2000), S. 91f.

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beweisen, daß es fähig ist, eine musterhafte Selbstregierung zu schaffen, in der die Menschenwürde emporwächst.“262 So wurde die neue Republik anfangs begrüßt, in der Tüchtigkeit – die handwerkliche Tugend überhaupt – gefragt sei, wohl nicht zuletzt um den neuen Machthabern in der revolutionären Übergangsregierung, dem Rat der Volksbeauftragten, entgegenzukommen.263 Zugleich wurde mit der das Frauenwahlrecht selbstverständlich ansprechenden Aufforderung an die Wählerinnen und Wähler, ihre Rechte wahrzunehmen, vehement zur Mitarbeit in der jungen Demokratie aufgerufen.264 Gerade Friseurinnen und Friseure würden durch tägliche Kunden­ gespräche so viel Gelegenheit haben, sich zu informieren und politische Argumente abzuwägen, dass den Gewerbetreibenden ihre individuelle Meinungsbildung sogar leichter fallen müsse als anderen.265 Jeder könne und solle in der Republik an seinem Platz mitwirken, „das arbeitende Bürgertum“ könne nicht „mit hängender Lippe und am schmalen Geldbeutel krampfhaft geballter Hand“ nur oberflächlich die neuen Verhältnisse unterstützen.266 Ein Jahr später war im Friseurhandwerk diese Vorausahnung mindestens partiell eingetreten. So rief Fritz Raffert im Fachblatt der Damenfriseure angesichts der ernsten Lage im Gewerbe zu mehr politischer Widerständigkeit auf und verlangte von den Fachorganisationen, das Gewerbe nicht nur in Modefragen zu vertreten, sondern stärker auch in wirtschaftlicher Hinsicht.267 Die nur bedingt akzeptierte, zuweilen auch als verewigter „Saustall“ abgelehnte Republik schien dem Friseurgewerbe wie weiten Teilen des Handwerks unter einer rechtsorientierten Regierung mit „ehrlichem Willen“ zum Aufbau immerhin noch am leichtesten erträglich.268 Diese Einstellung, möglichst kompromisslos allein auf Durchsetzung eigener Interessen mit wenig Sinn für größere gesellschaftliche Zusammenhänge zu dringen, war hier wie anderswo im Handwerk beobachtbar.269 Im Friseurge262 Heimkehr. In: Offizielle Friseurzeitung, 1918, Nr. 23, S. 553f., hier S. 554. 263 Vgl. Robine, Werner: Soziale und praktische Fragen im Friseurgewerbe. In: DAFZ, 1919, Nr. 1, S. 6. 264 Vgl. Müller, Carl Valentin: Glückliches Neues Jahr! In: Offizielle Friseurzeitung, 1919, Nr. 1, S. 10. 265 Vgl. Heimkehr (1918), S. 554. 266 Ebd. 267 Vgl. Raffert, Fritz: Der Haarformerberuf und seine Organisationen. In: Offizielle Friseurzeitung, 1919, Nr. 23, S. 1133. 268 So leben wir! In: Offizielle Friseurzeitung, 1920, Nr. 11, S. 538. 269 Zum dominant instrumentellen Politikverständnis im konservativen Handwerk vgl. Bergmann, Anschauungen (1993), S. 165f.

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werbe stellte sich die Situation als eine Art Notlösung dar, in der man wie viele andere Deutsche auch über das Ende des monarchischen Obrigkeitsstaates froh war, weil der „Ordnungsstaat streng klassifizierter Herden mit wenig rühmlicher Oberschicht“ passé war, andererseits wurde aber die „Republik von Proletariers Gnaden“ als „ein bitteres Gegenstück“ auch nicht willkommen geheißen: „Wir können Deutschland nicht verproletarisieren, die Verluste an Menschen, Kulturgütern und Werten sind hoch genug!“270 Insbesondere rückten ungünstige Aspekte der neuen Zeit wie etwa der Berliner Friseurgehilfenstreik in den Mittelpunkt.271 Zwar wurde bezweifelt, dass „Friseure in dem Sozialismus oder Kommunismus ihr Ideal er­ blicken“272 würden oder dass entsprechende Änderungen, gar ein Betriebsrätegesetz im Friseurhandwerk, angewandt werden könnten, dennoch sei Vorsicht angebracht.273 Obwohl weibliche Angestellte zwar seit längerem und nicht erst im Ersten Weltkrieg sehr gesuchte Mitarbeiterinnen waren und dies auch zu Beginn der Weimarer Republik so bleiben sollte,274 entspann sich auch in dieser Branche der weit verbreitete Demobilmachungsdiskurs.275 Friseurinnen wurden primär als Stellvertreterinnen vordem einberufener Friseure wahrgenommen, deren Arbeitsplätze sie entsprechend in der Demobilmachungsphase wieder verlassen sollten. Die Fachpresse äußerte größte Sor270 So leben wir! In: Offizielle Friseurzeitung, 1920, Nr. 11, S. 538. 271 Vgl. Ein Urteil über den Berliner Friseurgehilfenstreik. In: Offizielle Friseurzeitung, 1920, Nr. 16, S. 775–778. 272 Wieland, E.: Politik im Friseurgewerbe. In: DAFZ, 1920, Nr. 12, S. 460f. 273 Vgl. Raffert, Fritz: Der Haarformerberuf und seine Organisationen. In: Offizielle Friseurzeitung, 1919, Nr. 23, S.  1133. Besonders ablehnend reagierte das Gewerbe auf die Einführung des Achtstundentages. Weil die Kundschaft erst nach der Arbeit käme, müssten die Geschäftsöffnungszeiten länger sein als die Arbeitszeiten. Vor dem Hintergrund der Tätigkeit einer ‚Sozialisierungskommisssion‘, die die Möglichkeiten prüfte, das Handwerk in Genossenschaften umzuwandeln und zu ‚kommunalisieren‘, war durchaus Anlass gegeben, sich diesen Fragen zu stellen. Der 1919 neu gegründete Reichsverband des deutschen Handwerks konnte schließlich erfolgreich gegen die Bestrebung der Kommission agieren, vgl. Georges, 1810/11, (1993), S. 297f. 274 Vgl. Personalmangel. In: Offizielle Friseurzeitung, 1919, Nr. 8, S. 284. 275 Grundlegend zur Arbeitsmarktsituation in der Nachkriegszeit vgl. Rouette, Susanne: Sozialpolitik als Geschlechterpolitik. Die Regulierung der Frauenarbeit nach dem Ersten Weltkrieg. Frankfurt am Main [u. a.] 1993. Zum Konstruktionscharakter der Demobilmachungskrise in der Übergangssituation zur Bestätigung der unsicheren Rolle der Verwaltungselite, vgl. Bessel, Richard: Germany after the First World War. Oxford 1993. Ähnliche Selbstvergewisserungsansätze sind im Friseurbereich denkbar.  

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gen, dass in Deutschland, ähnlich wie angeblich in den USA oder Großbritannien, Friseure von Friseurinnen auf Dauer verdrängt würden, die auch nach Kriegsende „den Männern durchaus keinen Platz machen“ wollten.276 Zwar ist der Arbeitsmarkt in der Nachkriegszeit schwer einzuschätzen277 und für das Friseurhandwerk liegt keine Statistik vor, dennoch ist zu beweifeln, dass Frauen, namentlich die ‚Raseusen‘, tatsächlich der Grund für die Arbeitslosigkeit von Herrenfriseuren gewesen sein könnten. Da – wie im Haarmodenkapitel dargestellt – spätestens nach dem Ersten Weltkrieg durch Selbstrasieren ein Großteil des Herrengeschäftes weggebrochen war, war es für Berufsangehörige ohne Kenntnisse im Damenfach vielfach schwierig, eine Stelle zu finden. Neben dieser Stellenknappheit im Herrenfach, die Friseure stärker betraf als Friseurinnen, wurden die Gründe dafür, dass Friseure in Fabriken anstatt im erlernten Beruf arbeiteten,278 ganz offen jenseits der angeblich gefährlichen weiblichen Konkurrenz verortet. Neben der höheren Bezahlung galten bequemere Arbeitszeiten als ausschlaggebend.279 Als größte Belastungsprobe der Branche sollte sich allerdings die Hyperinflation erweisen. Zumeist setzen Fragestellungen zur sozialen und politischen Destabilisierung durch den Währungsverfall in der Weimarer Republik280 bei den Verlierern und Verliererinnen der Inflation an: bei denen, die im Bezug von Sozialleistungen standen, die größere Ersparnisse zurückgelegt hatten, die von Kapitalrenten lebten, die Kriegsanleihen gezeichnet oder Hypothekarkredite gegeben hatten. Zwar waren, wie die Forschungsdiskussionen um die vermutete Vernichtung des Mittelstandes zeigen,281 die 276 Weibliche Lehrlinge und Personalmangel. In: Offizielle Friseurzeitung, 1919, Nr. 20, S. 940f, hier S. 940. 277 Zur reichsweiten Problematik vgl. Rouette, Sozialpolitik (1993). Zu München vgl. Geyer, Martin H.: Verkehrte Welt. Revolution, Inflation und Moderne, München 1914–1924. Göttingen 1998, S. 130–135. 278 Vgl. Die gegenwärtige Notlage im Friseurgewerbe. In: Offizielle Friseurzeitung, 1921, Nr. 12, S. 682. 279 Vgl. Beschränkung der Lehrlingszahl und Lehrlingsmangel. In: Der deutsche Friseur, 1924, Nr. 9, S. 9. 280 Eine solche Fragestellung ist, selbst nachdem in der Forschung schon lange die positive gesamtwirtschaftliche Wirkung der Inflation 1914–1923 herausgehoben worden ist, dennoch nicht obsolet, weil sich Verlierergruppen ungeachtet der durch die gemäßigte Geldentwertung bewirkten Normalität auch schon vor der Hyperinflation ausmachen ließen, zur Inflationsforschung Geyer, Welt (1998), S. 21f. 281 Vgl. die Zusammenfassung bei Kolb, Eberhard: Die Weimarer Republik. München 2002, S. 206.

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Auswirkungen der Hyperinflation von 1923 wegen der damit verbundenen Entschuldungsmöglichkeiten für den Mittelstand nicht nur negativ, sie trafen aber auch das Handwerk schwer. Für viele ohnehin schon instabile Betriebe, zu denen typischerweise kleingewerbliche Friseurgeschäfte gehört haben dürften, verschärfte sich die Lage erheblich, wie auch insbesondere für ältere Handwerker und Handwerkerinnen, deren Altersvorsorge nach dem Wertverfall ihrer Sparguthaben u.  ä. oft hinfällig geworden war.282 Spendenaufrufe in der Friseurpresse zugunsten des bekannten Fachautors, Perückenmachers und Damenfriseurs Paul Gussmann beispielsweise283 belegen die Solidaritätsbemühungen wie auch das Erschrecken angesichts der Verarmung eines bewunderten, einst erfolgreichen Kollegen.284 In der von Sorgen geprägten Zeit war innergewerblich die Konsum- und Lebenslust in der Krise kaum nachvollziehbar, perplex kommentierte die Friseurpresse 1922 die Situation als eine Welt, die trotz „allen Elends […] lustig flirtet“.285 Rege Nachfrage wurde zwar theoretisch begrüßt, zu interessiertes weibliches Konsumverhalten aber auch als unangemessen verschwenderisch und leichtfertig286 getadelt. So entrüstete sich etwa Franz Daniger, dass entgegen „aller Teuerung, welche in unheimlichem Maße herrscht, […] noch eine erhebliche Anzahl Damen“ frage, wie die kommende Modefrisur aussähe.287 Die Sparsamkeit der Herrenkunden, die das professionelle Haarschneiden als „unökonomische Ausgabe“ möglichst vermieden, wurde hingegen nur verständnisvoll bedauert.288 Das schon länger von institutionalisierter Sparsamkeit geprägte bürgerliche Frauenbild,289 das offenbar auch im Friseurhandwerk präsent war, stand einer dem eigenen Umsatz zuträglicheren positiven Beurteilung der weiblichen Nachfrage deutlich entgegen. In der Konsum- und Modekritik spielte das gesamtgesellschaftlich verbreitete und so auch im männlich dominierten Gewerbediskurs vertretene 282 Vgl. Ritter, Gerhard: Der Sozialstaat. Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich. München 1991, S. 104. 283 Vgl. Helft Paul Gussmann! In: DAFZ, 1925, Nr. 5, S. 159. 284 Vgl. Ist eine neue Verelendung des Friseurberufs zu erwarten? In: Der deutsche Friseur 1926, Nr. 23, S. 12f. 285 Modebericht. In: DAFZ, 1922, Nr. 14/15, S. 415. 286 Ebd., S. 413 oder Daniger, Franz: Zur Mode. In: DAFZ, 1922, Nr. 17, S. 467. 287 Vgl. Daniger, Franz: Zur Mode. In: DAFZ, 1922, Nr. 17, S. 467. 288 Krüger, Gustav: Von der Wandlung der Herrenmodefrisur. In: DAFZ, 1921, Nr. 5, S. 9. 289 Zur im deutschen Hausfrauenbild konstitutiven Sparsamkeit vgl. Reagin, Nancy R.: Sweeping the German Nation. Domesticity and National Identity in Germany, 1870–1945. Cambridge [u. a.] 2007, zur Begründung des Sparsamkeitsideals im Kaiserreich S. 37.  

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Stereotyp der maßlosen Konsumentin eine wichtige Rolle. Erst kurz zuvor hatte es sich im Ersten Weltkrieg im doppelköpfigen Bild der unsoliden Kriegerfrau290 einerseits und der vorbildlich mit knappen Mitteln hauswirtschaftenden Patriotin291 andererseits niedergeschlagen. Ungeachtet eigener ökonomischer Interessen wurde in der Fachpresse die viel zitierte Figur der eigentlich einträglichen Friseurkundin zunächst meist nicht positiv beschrieben. Ihr wesentliches Merkmal war es, ohne männliche Kontrolle über selbst verdientes Geld zu verfügen. Daher waren später Anstrengungen nötig, zur Akzeptanz des „oft auf leichte Art“ ausgegebenen Gehalts weiblicher Angestellter zu motivieren.292 Was heute rational besehen für eine Förderung des Geschäfts hinderlich war, schien damals kulturell kodiert angemessen. Nicht um Legitimität zu gewinnen, sondern weil es eigenen Wertvorstellungen zuwiderlief, pflegte die Branche in der problematischen Inflationszeit am Beginn der Bubikopfära wenig einträgliche Überzeugungen. Nachdem sich die Lage mit der Währungsreform verbesserte,293 änderte sich langsam auch die Einstellung den Kundinnen gegenüber. Aber noch 1927 rief Ludwig Brandt-Möller dazu auf, mit Frauenrechten und der Demokratie besser umgehen zu lernen und zu akzeptieren, dass Frauen ihr eigenes Geld ausgäben.294 Die in der gesamtdeutschen Gesellschaft spürbare Erschütterung durch die Inflation ließ das sozialmoralische System aus den Fugen geraten,295 was im veränderten Konsumverhalten der Kundschaft schließlich berufsspezifisch spürbar wurde. Zum einen konnte die ehemals prestigeträchtige Kundschaft, deren Besserstellung dem Publikum wie dem Handwerk einst selbstverständlich schien, ihren gewohnten Lebensstil im Zuge der Nivellierungstendenzen der Einkünfte nicht mehr aufrechterhalten. Dass sogar diese Konsumenten die Geschäfte weniger frequentierten als sonst, schien der Presse der Indikator schlechthin für die ungünstig eingeschätzte Geschäftslage zu sein. Allerdings ist ohne wirtschaftshistorische Untersuchung 290 Vgl. Kundrus, Birthe: Kriegerfrauen. Familienpolitik und Geschlechterverhältnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Hamburg 1995, S. 200–220. 291 Vgl. Reagin, Sweeping (2007), S. 72–78. 292 Daniger, Franz: Betrachtungen über die geschäftliche Lage unseres Gewerbes. In: DAFZ, 1922, Nr. 22, S. 381. 293 Vgl. Büttner, Ursula: Weimar. Die überforderte Republik 1918–1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur. Stuttgart 2008, S. 180f. 294 Vgl. Brandt-Möller, Ludwig: Die jetzige Zeit/Die Zukunft. In: Offizielle Friseurzeitung, 1927, Nr. 7, S. 5–10, hier S. 8. 295 Vgl. Büttner, Weimar (2008), S. 179.

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an dieser Stelle keine Aussage darüber zu machen, ob diese belegbare Einschätzung rechnerisch nachvollziehbar ist oder es sich nur um eine in friseurgewerblicher Sphäre gespiegelte Deprivationserfahrung des als Sozialformation irreparabel beschädigten Bürgertums handelt.296 Denn die neureichen ‚Raffkes‘, die für ihre Repräsentation und die ihrer Begleiterinnen kaum Kosten scheuten, schienen dem auf Gediegenheit abstellenden Handwerk trotz dieser sich bietenden Verdienstchancen kaum willkommen. Auch der insbesondere bei jungen Leuten merklich gewandelte Umgang mit Geld lässt über den Umsatz in Friseurgeschäften andere Vermutungen zu. Die Inflationssituation legte anstelle von langfristigen Spar- und Anschaffungsplänen den kurzfristigen Konsum nahe. Solche Leichtfertigkeit hatte das Gewerbe nicht zufällig beim eigenen Nachwuchs ebenso getadelt wie bei jungen Kundinnen. Daher ist anzunehmen, dass viele zwar ihr Erspartes verloren hatten und in der Inflation auch keine neuen Rücklagen bilden konnten, andererseits aber kurzfristig gesehen die Kassen in den Friseurgeschäften abends (mit zu diesem Zeitpunkt meist schon ziemlich wertlosem Geld) gefüllt waren. Es muss hier aber offenbleiben, inwiefern dies Friseurinnen und Friseure mehrheitlich zur fröhlichen Teilnahme am ‚Tanz auf dem Vulkan‘ bewogen haben könnte.

2.2 Branchenstrukturanalyse Wenn auch stark relativiert, gelten die ‚Goldenen Zwanziger‘, die kurze Spanne zwischen 1924 und 1929, in der Forschung insgesamt als Stabilitätsphase der Weimarer Republik.297 Ähnliches kann für das Friseurhandwerk festgestellt werden. Zwar war die Branche für den Bubikopf verantwortlich, die visuelle Signatur dieser Zeit schlechthin, aber vom Glanz der sogenannten ‚Goldenen Zwanziger‘ fiel auf die Gewerbetreibenden selbst meist weniger ab. Ab Mitte der 1920er Jahre wurde die Situation immerhin 296 Nach Mommsen war schon seit zwei Jahrzehnten die bürgerliche Lebensform ausgehöhlt und das bildungsbürgerliche Selbstverständnis in Auflösungsprozessen begriffen, die ein Bewusstsein für eine Krise nicht nur in finanzieller, sondern auch in sozialer und politischer Hinsicht entstehen ließen, vgl. Mommsen, Hans: Die Auflösung des Bürgertums seit dem späten 19. Jahrhundert. In: Kocka, Jürgen (Hg.), Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert. Göttingen 1987, S. 288–315. 297 Zur Relativierung der ‚guten‘ Jahre der Weimarer Republik, vgl. Kolb, Republik (2002), S. 209–211.

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nicht mehr als so problematisch beschrieben wie zuvor, die Geschäfte waren durch den bislang unbekannten, regen Zuspruch von Kundinnen deutlich belebt worden,298 die Aufschwungstimmung war aber ziemlich gedämpft.299 Das ist vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosenquote mit der dadurch begrenzten Kaufkraft der Kundschaft durchaus nachvollziehbar.300 Abb. 54: Gewerbeentwicklung 1907–1933

250.000 200.000 150.000

Berufsangehörige

100.000

Betriebe

50.000 0

1907

1925

1933

Die Zahl der Betriebe 1925 überstieg das Vorkriegsniveau (1907) um 7%, das Bevölkerungswachstum lag vergleichbar hoch.301 Die bubikopfbedingte Nachfragesteigerung belebte die Branche offenbar, denn wie die starke Zunahme der Berufsangehörigen um 27% zeigt, konnte mehr Personal eingestellt werden. Offenbar konnten die Betriebe bis zur Weltwirtschaftskrise kurzfristig etwas Stabilität gewinnen. Bei den relativ geringen Kosten des Selbstständigmachens ist im hier interessierenden kleingewerblichen Bereich der Anstieg der Berufsangehörigen allerdings zugleich als eine Quelle verstärkter Bedrohung durch neue Anbietende zu betrachten. Die Kurzhaarfrisurmode für Frauen veränderte auch die Rivalität. War die Position der Hausfriseurinnen und Damenfriseure im Kaiserreich als 298 Deswegen wurde die Bubikopfmode ganz überwiegend als günstiger Einfluss auf die Geschäftslage beurteilt, vgl. beispielsweise Vöste, Hermann: Die gegenwärtige Wirtschaftslage und das kurze Haar. In: DAFZ, 1926, Nr. 16, S. 428. 299 Vgl. Nach Inflation geht es wieder aufwärts. In: DAFZ, 1927, Nr. 1, S. 17. 300 Vgl. Kolb, Republik (2002), S. 211. 301 Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Berlin 1934, S. 5; Büttner, Weimar (2008), S. 212, 572.

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relativ gut einzuschätzen, so dürfte sich die Situation leicht zugunsten der Barbiere verschoben haben. Durch die Nachfrage nach weiblichen Kurzhaarschnitten waren schlagartig Kenntnisse im Haarschneiden von zentraler Bedeutung. Anders als Barbiere und Damenfriseure, die längst auch an Männerköpfen tätig geworden waren, waren Friseurinnen mit dieser Aufgabe weniger vertraut. Der Vorteil der Barbiere lag zudem noch darin begründet, dass eines ihrer großen Probleme, nämlich die ungleiche Auslastung über den Tag, nun durch Kundinnen wenigstens ansatzweise behoben werden konnte. Sie waren häufig nicht erwerbstätig und daher bei ihrem Friseurbesuch weniger auf die Abendstunden oder Wochenenden angewiesen.302 Allerdings brachte die Umstellung auf den Bubikopf nicht allein für Friseurinnen die Notwendigkeit einer gründlichen Weiterbildung. Wasserwellen legen war selbst für im Perückenmachen bewanderte Damenfriseure eine Herausforderung. Sie beherrschten diese Technik zwar bei Haarteilen, die Anwendung auf dem ganzen Kopf war aber insofern neu, als dies noch ganz andere Fähigkeiten erforderte (beispielsweise die Partien so zu gestalten, dass ein harmonisches Ganzes entstand). Ähnliches gilt für das Dauerwellverfahren, das eine recht junge Erfindung war. Die Wickeltechnik als solche dürfte den Damenfriseuren ebenfalls aus dem Perückenfach her vertrauter gewesen sein als den Hausfriseurinnen und Barbieren, insgesamt aber war der Vorgang völlig neu und als solcher erst zu erlernen. Wie beim Wasserwellen ist der Wissensvorsprung hier nicht als entscheidend zu beurteilen. Entsprechend groß dürfte das Interesse aller Berufsangehörigen gewesen sein, sich anhand von beispielsweise im Klett Verlag publizierter Fachliteratur oder durch Besuch von Kursen weiterzubilden.303 Damit klang auch die frühere Ablehnung privater Fachschulen etwas ab. Nach wie vor war das Damenfach das erfolgversprechendste des Gewerbes, doch jetzt hatten auch die Barbiere hier eine große Chance. Die Bedrohung durch Ersatzprodukte war nun besonders im Herrenfach unverkennbar. Das traditionelle Barbieren war kaum noch gefragt, da spätestens nach dem Ersten Weltkrieg durch den unaufhaltsamen Verkauf von 302 1925 waren ca. 36% aller Frauen erwerbstätig, vgl. Büttner, Weimar (2008), S. 254. 303 Nachdem seit dem Kaiserreich der Berliner Stegemann Verlag nicht nur die DAFZ herausgegeben hatte, sondern auch einzelne Fachbücher, hatte der Klett Verlag, offenbar in Zusammenarbeit mit dem Bund deutscher Friseure (vgl. die Todesanzeige für Verlagsdirektor Dr. Robert Klett, Berlin. In: Der deutsche Friseur, 1931, Nr. 16, S. 5) hier ein Geschäftsfeld für sich entdeckt und mehrere Bände herausgegeben.

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Sicherheitsrasierern mit verringertem Verletzungsrisiko professionelle Fertigkeiten endgültig überflüssig wurden.304 Im Damenfach aber war mit dem Bubikopf eine ganz andere Situation eingetreten. Anders als bei der Mode der Hochsteckfrisuren konnten die Kundinnen friseurgewerbliche Angebote nicht mehr mit selbst aufgesteckten Frisuren umgehen, sie benötigten wenigstens einen professionellen Haarschnitt. Entsprechend hatte sich die Verhandlungsstärke der Abnehmer und Abnehmerinnen mittlerweile modisch bedingt verändert. Die jetzt bei vielen Männern gefragten Wandlungen wie etwa längeres, pomadisiertes Deckhaar stellten zwar das Gegenteil der früheren legeren Inanspruchnahme der Friseurdienstleistung dar (und wellige Partien sowie spitze Koteletten erst recht), aber solche Varianten des Kurzhaarschnitts wie auch der beliebte Rasierschnitt erlaubten es den Kunden dennoch, das der männlichen Rolle konforme, angebliche Desinteresse an Mode und an der eigenen Erscheinung zu behaupten und das Preisniveau niedrig zu halten. Anders aber verhielt es sich im Damenfach. Auch Kundinnen mit geringem finanziellem Spielraum ließen sich wenigstens die Haare schneiden. Solche, die es sich leisten konnten, die Gefallen an lockigen Formen fanden und/oder Distinktion nach unten beweisen wollten, ließen sich das Haar ondulieren, in Wasserwellen legen und sorgten mit einer Dauerwelle für eine stabile Basis der Frisiertechniken. Die aufwändigere, begehrte Wellenoptik wurde meist durch Wasserwellen und weniger durch Ondulieren erzeugt, d. h. die Frisur wurde im nassen Haar geformt und hielt bis zur nächsten Wäsche. Auch in diesen Fällen war, abgesehen von Ausnahmen wie etwa der mondänen Schauspielerin Fritzi Massary, professionelle Haargestaltung nicht täglich nötig.305 Die meisten Frauen konnten die einmal gelegte Frisur bis zur nächsten Wäsche selbst erhalten, indem sie das Haar morgens wieder in die gewünschte Form kämmten. Diese Wellen hielten nicht nur in naturlockigem, sondern auch in dauergewelltem Haar besser als in glattem, daher wurde dieses ab Mitte der 1920er Jahre handwerkstechnisch erheblich verbesserte, aber nach wie vor ziemlich experimentelle Verfahren außerordentlich beliebt.306 Zumal damit im Vergleich zu den sich sonst schnell ver­ flüchtigenden friseurhandwerklichen Arbeitsergebnissen eine ziemlich dauerhafte Leistung erworben wurde, denn die Dauerwellen prägten die 304 Vgl. Gnegel, Bart (1995), S. 49ff. 305 Vgl. Unsere Bühnensterne. In: DAFZ, 1924, Nr. 22, S. 545. 306 Vgl. Trupat, Kopf-Arbeit (1990), S. 57f.

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Haarstruktur so lange, bis die behandelten Partien abgeschnitten wurden. Eine solche Wertbeständigkeit der Haarform hatte das Gewerbe, abgesehen von den seit gut 100 Jahren kaum noch nachgefragten Perücken, überhaupt erstmals anzubieten. Aufgrund der Schlüsselstellung, die Locken als visueller Signatur der weiblichen Haarmode zukam, ist die Begeisterung der Fachleute wie der Kundschaft für die neue Technik nur allzu erklärlich. Allerdings konnten sich im Zuge der Dauerwellbegeisterung auch Nachteile ergeben: Manche Kundinnen kamen nur noch alle sechs Monate zum Friseur, nicht wenige Geschäfte warben sogar damit, dass Dauerwellen es ermöglichen würden, mit zwei Friseurbesuchen im Jahr auszukommen.307 Wie im Kapitel Modebilder deutlich wurde, waren Frauen schon in der Zeit der Hochsteckmoden im Hinblick auf alternative Varianten der Ondulation erfinderisch bzw. genügsam gewesen, wenn das kostspielige Modeideal nicht erreichbar war. Ähnliches war auch jetzt zu beobachten: Der eigentlich kinnlange Bubikopf wurde, dem Friseurgewerbe verhasst, als Flapperkopf oft deutlich länger getragen. Wenn eine Dauerwelle gemacht worden war, begnügten sich offenbar nicht wenige Kundinnen mit Wellen, die sich daraus ergaben und sparten sich eine formvollendete Wasserwelle oder Ondulation. Bei dem damaligen Experimentcharakter der Dauerwellen könnten auch schlechte Erfahrungen (unmäßige Hitze bzw. Verbrennungen, Haarausfall und -bruch, Knicke statt Wellen usw.) dazu geführt haben, Friseurgeschäfte möglichst zu meiden. Zudem bescherte gerade das Dauerwellen dem Gewerbe einen neuen Wettbewerbsdruck, die Verhandlungsstärke der Lieferanten nahm zu. Schon im Kaiserreich spielten Friseurmobiliarhersteller wegen der Finanzierungshilfen eine wichtige Rolle, jetzt kamen Unternehmen der Kosmetikchemie verstärkt als neue Akteure hinzu. Da nach der Inflation wohl die wenigsten Gewerbetreibenden über entsprechende Mittel verfügt haben dürften, die es ermöglicht hätten, den enormen Preis der Dauerwellapparate aufzubringen,308 dürfte die Anschaffung in vielen Fällen nur mit einer zusätzlichen Kreditbelastung zu decken gewesen sein oder aber durch Abzahlungsvereinbarungen mit den Geräteherstellern.

307 Zur Kritik daran vgl. Übertriebene Reklame – Gefahr für die Dauerwellerei. In: Offizielle Haarformerzeitung, 1929, Nr. 1, S. 10. 308 Vgl. Was kostet uns eine Dauerwelle? In: Der deutsche Friseur, 1931, Nr. 3, S. 14.

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Abb. 55: Preisspanne im Dauerwellgeschäft

Preis

Umsatz/Std.

Gutachterberechnung

20 RM

7,28 RM

Teuerste Geschäftlage

50 RM

18 RM

Niedrigpreis

12 RM

4,37 RM

Probleme entstanden auch dort, wo sich Herstellerfirmen direkt an Endverbraucherinnen wandten. In von ihnen ausgestatteten Friseurgeschäften machte die Industrie ihre Berechnung der Unkosten des Friseurhandwerks im Dauerwellbereich, die bei 3 RM lagen, öffentlich, um die Kundschaft mit niedrigen Preisen zu überzeugen. Ein Endpreis von 12 RM schien angemessen, für die Kundinnen, weil er um ein Vielfaches höher lag als beispielsweise eine Ondulation und für so manche Berufsangehörige, weil der Umsatz pro Stunde im Vergleich mit anderen Leistungen immer noch sehr hoch war. Ganz anders nahm sich die Kalkuation in der Wahrnehmung der Fachleute des Friseurgewerbes aus, die die Selbstkosten auf ca. 15 RM berechneten. Namentlich mit Schwarzkopf geriet das Gewerbe dadurch in einen Konflikt, der die gegenteiligen Interessenlagen deutlich machte. Von der Überwindung der Problemlage durch den Verzicht auf solche Werbemaßnahmen berichtete die Fachpresse schließlich versöhnlich, da „die Firma geglaubt hat, in loyaler Weise ihre Interessen mit denen des Friseurhandwerks verbinden zu können“.309 Über die Berechtigung der jeweiligen Kalkulationen lässt sich heute nur schwer ein Urteil abgeben, ganz offensichtlich ist aber mindestens eine gewichtige Verhandlungsstärke der Liefernden zu konstatieren. Leider liegen für die Weimarer Republik und die Zeit des Nationalsozialismus keine zeitgenössischen, wissenschaftlichen Untersuchungen der Branche vor wie für das Kaiserreich,310 noch kann auf Unternehmensgeschichten von hier interessierenden Größen der Kosmetikchemie zurück-

309 Die Werbemaßnahmen in der Firma Hans Schwarzkopf zu Berlin für Dauerwellen. In: Der deutsche Friseur, 1931, Nr. 3, S. 7. 310 Uttenthalers Studie über die Münchner Verhältnisse erschien schon 1921.

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gegriffen werden,311 sodass nur sehr vorsichtig Aussagen über Preise gemacht werden können. Grundlage dafür sind ähnlich dem obigen Fall Artikel über Kalkulationsfragen, die während der Hyperinflation und im Zuge der Weltwirtschaftskrise erschienen. Da es Innungen weiterhin verboten war, verbindliche Preise festzusetzen oder auch nur vorzuschlagen, war eine Berichterstattung über Preise und Kalkulationen nur dann möglich, wenn sich die Fachpresse beispielsweise auf Gerichtsverfahren bezog, wie in der Wucherpreisfrage zu Beginn der 1920er Jahre, oder auf Gutachten, wie Anfang der 1930er Jahre.312 Für ein durchschnittliches Geschäft in mittlerer Lage dürften sich die Preise im in Abb. 56 gezeigten Rahmen bewegt haben.313 In dieser Aufstellung ist die zeitliche Dimension einbezogen worden, um die Rentabilität der Leistungen besser miteinander vergleichen zu können. Außerdem ist es so möglich, Entwicklungen zwischen 1923 und 1931 aufzeigen zu können, ohne eine Bereinigung der Preise vom Inflationseinfluss vornehmen zu müssen. So war noch 1923 Rasieren einträglicher als Haarschneiden, mit der schwindenden Nachfrage danach hatte sich 1931 schließlich aber auch der Preis drastisch zurückentwickelt. Vordem war der auf eine Stunde berechnete Umsatz beider Leistungen noch vergleichbar, schließlich war Anfang der 1930er Jahre Rasieren nur noch in etwa die Hälfte wert.

311 Beispielsweise konnte Wella sein Geschäft mit Dauerwellgeräten und -flüssigkeiten nach dem Ersten Weltkrieg erheblich ausbauen. Zur Firmengeschichte vgl. http://www.wellaprofessionals.de/verbraucher/ueber_wella/geschichte/index.php?, Zugriff am 10.01.2010. 312 Vgl. den Überblick bei Kolb, Eberhard: Die Weimarer Republik. München 2002, S. 202– 211. Zur Preisregulierung vgl. Geyer, Martin H.: Verkehrte Welt. Revolution, Inflation und Moderne, München 1914–1924. Göttingen 1998, S.  167–204, hier S.  177. Für die juristische Perspektive vgl. Lessing, Volker: Die Preistreiberei als Problem des Wirtschaftsstrafrechts. (Die Entwicklung und heutige Bedeutung des Preisüberhöhungsverbots gemäß § 2a WiStG). Göttingen 1973, S.  1–48. Zur Wirtschaftslenkung vgl. Reidegeld, Eckart: Sozialpolitik in Demokratie und Diktatur 1919–1945. Wiesbaden 2006, S. 44f. 313 Zu den Währungskürzeln: M steht für die Rentenmark, die 1923 gültig war, RM für die 1924 schließlich eingeführte Reichsmark.

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Abb. 56: Durchschnittspreise am Anfang und am Ende der Weimarer Republik

1923 Umsatz pro Std.

Preis

Leistung

Preis

1931 Umsatz pro Std.

360 M

60 M

Rasieren (10 Min.)

0,25 RM

1,5 RM

347 M

260 M

Herrenhaarschnitt (45 Min.)

2 RM

2,7 RM

200 M

150 M

Damenfrisieren mit Ondulation (45 Min.) (27 Min.)

1,5 RM

3,3 RM

_

_

Dauerwelle Innungskalkulation (Unkosten 15 RM, 165 Min.)

20 RM

7,3 RM

Auch die Differenz des Herren- und Damengeschäftes veränderte sich, wie ein Vergleich der Rentabilität von Herrenhaarschnitt (einschließlich Frisieren) und Damenfrisieren zeigt.314 Waren die Umsätze im Damenfach um 1900 noch vielversprechend erschienen (1 M Umsatz pro Stunde statt nur 0,80 M beim Rasieren),315 so stellte sich dies 1923 anders dar: 347 M im Vergleich zu 200 M. Anfang der 1930er Jahre hatte sich das Verhältnis wieder umgekehrt und es war mit Damenfrisieren wie schon drei Jahrzehnte zuvor erneut ungefähr 25% mehr Umsatz zu erzielen als mit Herrenhaarschnitten. Zudem versprach das Dauerwellgeschäft einige Möglichkeiten,316 hier waren aber die Investitionskosten ziemlich hoch, so kosteten dafür nötige Geräte ungefähr 800 RM.317 Das war weit mehr, als üblicherweise für 314 Die Unkosten können als vergleichbar hoch gelten, d.h. Anschaffungskosten für das Handwerkszeug, Wasserkosten und die Installation/der Betrieb von Geräten für die Warmwasserzubereitung dürften in den 1920er Jahren im Herren- wie im Damenfach angefallen sein. 315 Das Währungskürzel M steht hier für die im Kaiserreich gültige Mark. 316 Zur Entwicklung der Dauerwelle (Verfahren, Patente, Anwendung) vgl. Trupat, Kopf-Arbeit (1990), S. 57–65. 317 Vgl. Was kostet uns eine Dauerwelle? In: Der deutsche Friseur, 1931, Nr. 3, S. 14. Da zu diesem Thema bislang nicht geforscht wurde, ist hier nur sehr vorläufig zu urteilen. Hans Sievers, der eine populärwissenschaftliche Arbeit über die Geschichte des Friseurgewerbes schrieb, nannte als Anschaffungspreis 280 RM und beurteilt die Rentabilität dieser Inves­ tition günstiger, vgl. Sievers, Hans: Was für’n haariges Jahrhundert! Illustrierte Geschichte der Frisurmode von 1900 bis heute. Darmstadt 1982, S. 47.

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Werkzeuge ausgegeben wurde und bewegte sich eher im Preisbereich der Ladeneinrichtung oder der Installation von Warmwasserzubereitungsanlagen. Ganz so attraktiv wie der Bubikopf war das Friseurgewerbe als Feld unternehmerischer Tätigkeit nicht, allerdings verdankte das Handwerk der neuen Mode den Aufschwung im Damenfach, denn ‚Do-it-yourself‘-Praktiken gingen zurück und damit nahm die Bedrohung durch Ersatzprodukte ab. Zugleich waren die Konkurrenz und die Verhandlungsstärke der Liefernden relativ hoch, vor allem aber war die Rivalität im chancenreichen Damenfach stark ausgeprägt. Strategische Optionen Die Veränderung der Wettbewerbsfaktoren beeinflusste auch mögliche Strategien. Kostenführerschaft war durch die im Damenfach nötigen Investitionen eher noch schwieriger geworden als früher und dürfte als Option aus überwiegend denselben wie in dem das Kaiserreich betreffenden Abschnitt dargelegten Gründen meist ausgeschieden sein. Für die besondere Situation in der Weimarer Republik ist zu sagen, dass hohe Mieten und die gesetzliche Einflussnahme darauf in der Fachpresse intensiv diskutiert wurden und die Brüningsche Deflationspolitik Maßnahmen zum Preisabbau vorsah, die auf die Kosten wie Kalkulationsmöglichkeiten ebenfalls spezifisch Einfluss nahmen und die Lage wenig aussichtsreich erscheinen ließen.318 Im Bereich der Differenzierungsstrategien [Preis (a), Marken (b), Design (c), Qualität (d), Service (e)] dürfte Preisführerschaft ähnlich wie zuvor kaum tatsächlich vorgekommen, der Versuch dazu aber zahlreich unternommen worden sein. (a) Die verzweifelten Versuche, die Preisführerschaft zu erlangen, führten innergewerblich zu einem heftigen Streit um das niedrige Preisniveau. Angesichts der geringen Bezahlung wurde die chemische Manipulation der Haarstruktur schließlich deprimiert in „Trauerwelle“319 umgetauft und dem ruinösen Preiskampf ein treffender Name gegeben. 318 Vgl. beispielsweise Wie stehen wir beim Preisabbau? In: Offizielle Haarformerzeitung, 1930, Nr. 15, S. 299–300. 319 Vgl. Grieser, F.: Dauerwellen – Ein Rückblick und ein Ausblick. In: DAFZ, 1930, Nr. 3, S. 70.

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(b) Markenbildung Die bisherige Markenbildung hatte sich mit dem in der Republik überflüssigen Titel ‚Hoffriseur‘ überlebt, neue Wege zeichneten sich langsam ab. Die Markenproblematik wurde im Friseurgewerbe insbesondere in Form von Auseinandersetzungen um Patente und Markennamen thematisiert, wie sie große Unternehmen in den Werbespalten der Fachpresse führten.320 Daneben bestand ein innergewerblicher Streit um Werbung. Die einen plädierten für Gemeinschaftswerbung,321 und hier ging es insbesondere um das Herrenfach, die andern dafür, dass einzelne Geschäfte ihre Leistungen präsentieren sollten. Ganz offenbar trafen individuelle Werbeanstrengungen nicht unumstritten auf Zustimmung, weil in Teilen des Gewerbes berufsständisches Gedankengut damit unvereinbar war. So sah beispielsweise Heinrich Döhrmann in Maßnahmen, die das Fortkommen Einzelner förderten, eine Zerstörung des Zusammenhalts des Berufsstands.322 Insgesamt bestand aber darüber ein Konsens, dass das Herrenfach ein besseres Image und daher auch moderne Werbemethoden brauche. Denn die Akzeptanz von bürgerlichen Wertvorstellungen, die die männliche Zurückhaltung beim Konsum von Friseurdienstleistungen bzw. ihrer Wertschätzung begründete, war auch innergewerblich ein Hemmnis, um eigene Wirtschaftsinteressen zu vertreten. Über den Werbeerfolg Einzelner lässt sich aufgrund des untersuchten Materials aber kaum etwas sagen. (c, d) Design, Qualität Ganz allgemein wurde es in dieser wie in anderen Branchen auch üblich, die Geschäftsfronten zeittypisch neu zu gestalten. Opulent beschriftete Glastafeln verschwanden zugunsten schlichter Schrifttypen und Schilder. Die Läden, egal welchem Verband zugehörig, trugen meist nur noch die schlichte Bezeichnung Friseur, die die Branche genauso kennzeichnete wie die nostalgische Beibehaltung der nach wie vor ausgehängten Rasierbecken. Zwar war die auf Repräsentation ausgelegte, leitende Konsumkultur des Kaiserreichs zerbrochen, unter deren Bedingungen sich das Gewerbe in den 320 Beispielsweise inserierte ein Büstenhersteller „Berndt bleibt Berndt trotz Nachahmungen“, In: DAFZ, 1925, Nr. 11, S. 220. 321 Diesbezüglich legte der Verlag der Zeitung des Bundes der deutschen Friseure sogar Broschüren auf (Der elegante Herr, Die elegante Dame), vgl. Verschafft Euch Geltung! In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 19, S. 17. 322 Vgl. die Leserbriefe unter Kritische Bilanz. Wie die Kollegen unser Spezialheft „Wie fördern wir die Belebung des Herrenfriseurgeschäfts“ urteilen. In: Der deutsche Friseur, 1931, Nr. 10, S. 14–15.

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Spagat von Hygiene und Luxus manövriert hatte, doch wurden in den neuen Verhältnissen noch kaum alternative Möglichkeiten der besonderen Positionierung gefunden. Die weiterhin beobachtbare Tendenz zur Spaltung der Berufscharakterisierung wurde zudem in der Gewerbestatistik aufgegriffen, in der die im Damen- und Herrenfach tätigen Betriebe entweder der Kategorie Gesundheitswesen (Barbiergewerbe) oder Bekleidung (Perückenmachergewerbe) zugerechnet wurden.323 Sowohl der Referenzpunkt Hygiene als auch das Luxusimage wurden innergewerblich unter neuen Aspekten weiter belebt. Der eine mit intensiv beworbenen Verkaufsprodukten wie Odol, einer sehr positiven Berichterstattung über große Hygieneausstellungen, die nach dem Krieg gesamtgesellschaftlich größeren Zuspruch erfuhren als vorher324 und der Betonung der naturwissenschaftlichen Grundlagen, der andere mit Stars als Modevorbildern und nach wie vor erstrebten, noblen Geschäftseinrichtungen. Eher wurden also unbestritten positiv konnotierte Zivilisationselemente betont und Seiten der Massenkultur in den Vordergrund gestellt, als dass sich die zu Beginn der Republik befürchtete Verproletarisierung in der Branchenkultur bemerkbar gemacht hätte. Aber auch jetzt erwies sich Körperkultur als keine besonders günstige Anschlussmöglichkeit des Gewerbes. Einerseits wandten sich viele Körperpraxen zwecks Selbstfindung oder Stärkung des Nationalgefühls wie -körpers zu und hoben damit über alle Differenzen hinweg auf Oberflächenphänomene ab, angefangen bei FKK-Gruppen, Muskelkonkurrenzen, über Ausdruckstanz bis zum Boxen, andererseits war friseurhandwerkliche Arbeit am Kundenkörper aber weiterhin nicht das, was Menschen, die den Körper als ‚wahren‘ Ausdruck der menschlichen Natur, als Ort der Bildung, Selbstfindung oder als Instrument von Leistungsfähigkeit begriffen, übermäßig wertgeschätzt hätten. Die „Kontraste in der Körperpflege“325 ließen sich trotz des gemeinsamen Bezugs auf die gängige Vokabel der gewerblichen Selbstbeschreibung nicht überbrücken. Die FKK beispielsweise lobte sich dafür, anstelle von in Friseurgeschäften benutzten Gerätschaften, die Gasmasken, dem elektrischen Stuhl oder Malkästen ähneln würden, „natürli323 Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Berlin 1928, Angaben für das Barbiergewerbe S. 86, für das Perückenmachergewerbe S. 89. 324 Vgl. Hau, Culture, (2003), S. 135. 325 So paradigmatisch in der Gegenüberstellung beider Ansätze in: Lachendes Leben, 1932, Nr. 12, abgedruckt in Rautenberg, Thomas; Andritzky, Michael (Hg.): „Wir sind nackt und nennen uns Du“. Von Lichtfreunden und Sonnenkämpfern. Eine Geschichte der Freikörperkultur. Gießen 1989, S. 104f.

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che“ Körperpflege mit Gymnastik, Sport und Spiel, Öl und Brausen zu betreiben.326 Vorstellungen von erfolgversprechender Geschäftspolitik gingen immer noch zentral von Qualitätsarbeit aus.327 Weiterhin war man zwischen der Bedeutung der Persönlichkeit der Geschäftsinhaber328 und rationalem, gerade nicht auf persönlicher Ebene angesiedeltem Verhalten nicht ent­schie­ den,329 wobei die verstärkt aufkommende Verkaufspsychologie sich in Überlegungen zur Notwendigkeit von Suggestionsfähigkeit niederschlug.330 Argumentative Festigkeit bestand hingegen ungebrochen mit den Hinweisen auf US-amerikanische Strategien und der bekräftigten Einschätzung des kaufmännischen Denkens als Schlüssel zum geschäftlichen Vorwärtskommen.331 Damit blieb auch die Kritik am branchenkulturellen Mythos aktuell, der sich um das Luxusimage des Gewerbes rankte, in Form von Beanstandungen der nach wie vor beliebten, anspruchsvollen Interieurs, mit denen die Friseurgeschäfte ungeachtet der tatsächlich vorhandenen finanziellen Möglichkeiten zu vorbildlichen Luxustempeln332 gemacht werden sollten.333 Stattdessen wurde versucht, der Branchenkultur einen Richtungswechsel zu geben. Erstens sollte der Kundschaft wie schon im Kaiserreich die körperpflegende Berufscharakterisierung zwecks Legitimierung nahegebracht werden, zugleich galt es, auch die Kollegenschaft für Veränderungen in Richtung von hygienischer Sachlichkeit als Norm zu gewinnen. Damit hätte eine Grundlage für strengere Kalkulation und striktere Geschäftsführung gelegt werden sollen. Nach wie vor scheint aber die auf Differenzierung durch Design setzende Strategie nicht konsequent, d.  h. inklusive 326 Ebd. 327 Vgl. Dittmann, Willy: Mechanisierte Qualitätsarbeit. In: Der deutsche Friseur, 1928, Nr. 8, S. 13f. 328 Vgl. Ist eine neue Verelendung des Friseurberufs zu erwarten? In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 23, S. 12f. 329 Vgl. Beiersdorf, Paul: Das moderne Friseurgeschäft. In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 8, S. 6–8. 330 Vgl. Persönlichkeit im Geschäft. In: Der deutsche Friseur, 1932, Nr. 5, S. 14. 331 Vgl. Brandt, Ludwig: Die jetzige Zeit/Die Zukunft. In: Offizielle Friseurzeitung, 1927, Nr. 7, S. 5–10, hier S. 8. 332 Vgl. Muehlenthal, J: Moderne Geschäftskultur. In: Der deutsche Friseur, 1929, Nr. 14, S. 14f. 333 Paul Trede beispielsweise konnte sich 1925 die kostspielige Renovierung seines Ladens in der Berliner Motzstraße nur wegen eines Lottogewinns erlauben, immerhin musste er sich für diese Investition nicht verschulden. 1988 ging das Originalmobiliar in den Besitz des Berliner Museums für Verkehr und Technik über, vgl. Trupat, Kopfarbeit (1990), S. 109f.

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Durchsetzung eines entsprechend höheren Preisniveaus, angewandt worden zu sein. (e) Service Die Hausfriseurinnen hatten ganz erheblich an Terrain verloren und zwar nicht nur dadurch, dass sie sich in die ihnen bislang unbekannten Techniken des Haarschneidens und Wasserwellens einarbeiten mussten. Ihr einstiger Differenzierungsvorteil, der Service, zu den Kundinnen zu kommen, war in einer Zeit, in der Frauen sich nicht jeden Tag um aufwändige Frisuren kümmern mussten, nicht unbedingt erforderlich, weil die glatt belassenen oder wassergewellten Haare bis zur nächsten Haarwäsche jeweils nur gekämmt werden mussten. Wollten Kundinnen sich die Haare machen lassen (Waschen und Frisieren), konnten sie ebenso gut in ein Friseurgeschäft gehen. Auch der moralische Vorteil der Friseurinnen, der sich durch ihre nicht zu beanstandende Nähe zu den Kundinnen ergab, ging unter den neuen Bedingungen verloren. Denn zum einen dürfte mit dem Aufkommen der Bubikopfmode die Nachfrage nach dem Kurzhaarschnitt so groß gewesen sein, dass Friseurinnen (und Damenfriseure) selbst, wenn sie das Haarschneiden beherrschten, den Andrang allein nicht hätten bewältigen können. Daher legen schon die Zahlenverhältnisse es nahe, dass etwaige Bedenken im modischen Sog kaum noch eine Rolle spielten. Zum anderen hob der neue Charakter der Frisur das Verständnis der Arbeitssituation als Verführungsszenario insofern auf, als die erotische Konnotation von langem Frauenhaar beim Bubikopf kaum noch eine Rolle spielte. Auch der außerberuflich legerere Umgang der Geschlechter miteinander, wie er etwa in der Kameradschaftsehe oder beim Sport populär wurde, dürfte zunehmend zur Entspannung des beruflichen Miteinanders geführt haben. Auch wenn in den zitierten Bereichen Gleichberechtigung nicht schon verwirklicht worden war, zeichneten sich hier wichtige Entwicklungslinien zu einem eher unbelasteten Miteinander ab. Nach der Hyperinflation waren im Gewerbe zwei Schwerpunktstrategien zu beobachten: Neben dem Versuch einer Belebung des Herrengeschäftes durch Erweiterungen des Angebots (a) stand die Verschlankung des Leistungsspektrums im Damenfach mit der Konzentration auf das Haarschneiden (b). (a) Belebung des Herrengeschäftes durch Erweiterungen des Angebots Es wurde versucht, das Herrengeschäft durch Wiederbelebung betont männlicher, aber mittlerweile nahezu verschwundener Tätigkeiten der Bartpflege und Frisierdienstleistungen einträglicher werden zu lassen. An-

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stöße versprach man sich inner- wie außergewerblich auch aus den USA.334 Obwohl die Rationalisierung dort viel weiter fortgeschritten sei, böten Friseurgeschäfte ein deutlich breiteres Leistungsspektrum an und man spare nicht aus rationalen Gründen an der Verweildauer beim Friseur, wie es deutsche Selbstrasierer täten. Im Amerikadiskurs der Zwischenkriegszeit bestand neben der Bewunderung der Modernität aber auch das Bild einer entfremdeten, seelenlosen Zukunft, in der das Individuum unterzugehen drohte.335 Dahingehend hatten Friseure beispielsweise noch um 1900 den US-Trend zur Bartlosigkeit als Zerstörung der lebenswarmen männlichen Physiognomie abgelehnt, der den Maschinenmenschen, nicht aber dem ‚Volk der Dichter und Denker‘ angemessen sei.336 Zwei Jahrzehnte später schien eine Kehrtwende vollzogen zu sein, denn man konnte dem überseeischen, konsumorientierten Hedonismus einen Vorbildcharakter abgewinnen. Wenn sich Neuerungen von dort wie höhenverstellbare Ölpumpstühle in deutschen Friseurgeschäften verbreitet hätten, warum dann nicht auch Gesichtsbehandlungen für Männer wie heiße Kompressen oder Massagen?337 Auf eine solche Orientierung gab es zwei typische Reaktionen. Zum einen verstanden viele die US-Amerikaner als durch Massenkonsum geformte Zivilisationsmenschen, deren Uniformität vom eigenen Äußeren über Gebrauchsgegenstände aller Art, vornehmlich elektrischer, bis zur Architektur reichte.338 In dieser negativen Sichtweise schien die Situation in den USA kaum günstige Impulse geben zu können. Andererseits bestand mit der positiv besetzten Vorstellung von Modernität 334 Zur Rolle des Amerikanismus in der Weimarer Republik als Hoffnung auf einen voraussetzungslosen Neuanfang vgl. Peukert, Detlev: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne. Frankfurt am Main 1987, S. 181ff. und Klautke, Egbert: Unbegrenzte Möglichkeiten. „Amerikanisierung“ in Deutschland und Frankreich (1900–1933). Stuttgart 2003, S. 185. 335 Zur Diskussion um Entfremdung in Arbeitszusammenhängen in den USA vgl. Nolan, Mary: Visions of Modernity. American Business and the Modernization of Germany. New York 1994, S. 98–103. Zur Gleichzeitigkeit der widersprüchlichen Anziehung und Ablehnung der USA: Lüdtke, Alf; Marßolek, Inge; Saldern, Adelheid von (Hg.): Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 1996. 336 Vgl. Menzinger, Heinrich: Betrachtungen über Haarschneiden. In: DAFZ, 1905, Nr. 3, S. 67. 337 Vgl. Hempel: Der Herr. In: DAFZ, 1928, Nr. 22, S. 627. 338 So beschrieb einer der zahlreichen deutschen Amerikareisenden der Zwischenkriegszeit, Arthur Feiler, das Aussehen der Männer als auffallend monoton, nämlich gleich gekleidet und gleich frisiert, vgl. Feiler, Arthur: America seen through German Eyes. New York 1928, S. 122.

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eben doch eine Chance, zu verstärkter Inanspruchnahme von friseurhandwerklichen Leistungen motivieren zu können, ohne Gefahr zu laufen, die Kundschaft mit unmännlich geltender Aufmerksamkeit für Aussehensfragen zu verschrecken. In dieser Hinsicht völlig unbefangen, versuchten Teile des Gewerbes Anregungen zur Erweiterung des Herrenfachs mit Leistungen wie Wasserwellen, Färben oder Dauerwellen zu geben. Dabei war man sich über den femininen Touch durchaus klar. Aber wie Hugo Maguhn ausführte, könne man den ohnehin bestehenden Trend zur „Verweiblichung des männlichen Geschlechts“ auch für eigene Zwecke nutzen; als Hilfestellung dabei, Kunden auf eventuell heikle Themen anzusprechen, regte Maguhn, der als Herrenfriseur mit der besonderen Stimmung im Männerort Barbierladen vertraut war, aufgrund der einschlägigen Erfahrungen des Gewerbes mit Kundinnen an, durch Einrichtung von Einzelkabinen auch für Männer eine Situation herzustellen, in der Friseure Vorschläge machen könnten, auf die sich die Kunden ansonsten, nämlich „vor anderen, nicht einlassen“339 würden. Nach wie vor hatten solche Ansätze deshalb kaum eine Chance, weil im Zuge der Veränderungen der Männlichkeitsbilder um 1900 die verunsichernde Vorstellung von Männern mit weiblichen Anteilen nachhaltig Eingang auch in die Frisurengestaltung gefunden hatte. Andererseits zeigt ein Blick auf die textile Männermode, dass feminin begriffene Elemente hier durchaus noch zu finden waren, beispielsweise war zu Beginn der 1920er Jahre ein Stil aufgekommen, bei dem körperbetonte, taillierte Schnitte in Richtung einer Biedermeiersilhouette wiesen. Nach der Hyperinflationszeit aber wurde schnell wieder ein Erscheinungsbild beliebt, das auf einen muskulösen und kräftigen Körper zielte und das auf lockeren Schnitten basierte.340 Die zeittypischen Varianten des kurzen Grundhaarschnitts (wellige Partien, langes Deckhaar, spitze Koteletten) dürften so gesehen als zur ersten Phase passend gelten, waren aber wie im Haarmodenkapitel beschrieben bis weit in die 1930er Jahre hinein üblich. Wenn auch nicht als dominanter Trend, so konnten sich diese Varianten doch halten. Vereinzelt mag es also durchaus gelungen sein, Herrenkundschaft gezielt mit Angeboten anzusprechen, die mit Bartgestaltungen erfolgreich auf 339 Maguhn, Hugo: Einzelkabinen im Herrensalon. In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 4, S. 10. Zugleich sprach er damit eine Praxis an, die vornehme Geschäfte im Kaiserreich wie z. B. Haby schon vorgemacht hatten, vgl. Landesarchiv Berlin, A. Pr. Br. Rep. 030 Nr, 10641, Bl. 14 Rückseite. 340 Vgl. Kessemeier, Bild (2000), S. 221–224.

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männliche Alleinstellungsmerkmale setzten. Sicher ging in manchen Fällen auch eine gegenteilige Geschäftspolitik auf, die sich auf als feminin begriffene Gestaltungselemente konzentrierte. Solche Beispiele zeigen die Nischenpotenziale auf, wie andererseits aber eben auch die der gesamten Branche fehlende Möglichkeit, an diese anzuknüpfen. Denn der Trend zur Bartlosigkeit und die selbst innerhalb der homosexuellen Subkultur verbreitete Distanz zu einem effeminierten Habitus gaben prinzipiell eine andere Richtung vor. (b) Verschlankung des Leistungsspektrums im Damenfach Während viele Berufsangehörige darum bemüht waren, die wellige Optik auf Frauenköpfen beizubehalten und ihr Geschäft vor allem mit den dazu erforderlichen Leistungen zu beleben, erprobten nicht wenige auf kurzhaarigen Frauenköpfen das, was bei Männern schon längst üblich war: eine schlichte, mit dem zeittypischen Sachlichkeitsgebot auffallend korrespondierende Formgebung. Das kann durchaus eher unbeabsichtigt an den mangelnden Kenntnissen einschlägiger Frisiertechniken gelegen haben. Genauso ist aber auch eine bewusste Entscheidung für eine avantgardistische Reduktion der Gestaltung denkbar, mit der sich Friseure schwerpunktmäßig an jene Kundinnen wandten, die sich mit glatten Bubiköpfen für einen nicht ornamentierten Stil entschieden hatten. Die beiden großen, in den Frauenzeitschriften zirkulierenden Trends Girl und Garçonne wurden damit aber nicht bedient. Schließlich gehörten auch bei der Garçonne typisch weibliche Elemente dazu. Damit wurden männlich definierte Kleidungsstücke im Sinne der nach wie vor erwünschten Geschlechterdualität so abgemildert, dass eine eindeutige Zuordnung zum weiblichen Geschlecht möglich blieb. Viele trugen anstelle von noch zu gewagt geltenden Hosen Hosenröcke, im Stil von Oberhemden geschnittene Hemdblusen konnten tief aufgeknöpft ein Dekolleté wie Abendkleider bieten,341 Schlipse wurden mit glänzenden Seidenstrümpfen kombiniert und Kurzhaarschnitte meist nicht nur mit Kleidern oder Röcken getragen, die keine Zweifel an der Weiblichkeit aufkommen ließen, sondern auch in gefällige Wellen gelegt. Abgesehen von jenen lesbischen Subkulturen, die einen symbolischen Kleidungsstil pflegten, waren Etonschnitte rar. Die große Chance, sich im Damenfach auf das Haarschneiden zu beschränken, bot sich vor allem in den Geschäften, die von weniger wohlhabenden Kundinnen frequentiert wur341 Vgl. ebd., S. 61.

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den, die hinsichtlich der Haarlänge modisch mithielten, aber aus Sparsamkeitsgründen ihren Bubikopf glatt trugen. Diese Strategie kam, wie die Frisur als solche, bei vielen Berufsangehörigen nicht gut an. Manche hielten den größten Teil der Bubiköpfe für „verunstaltet“342 und empörten sich darüber, dass die Herrenfriseure sogar dafür geworben hätten, so zu schneiden, dass das Frisieren wegfiele. Diesbezüglich wurde selbst im Fachblatt des Barbierbundes Kritik am Verständnis des Damenfaches in den eigenen Reihen geübt: „Am meisten gesündigt haben aber die Kollegen, die selbst nicht Damenfriseure sind. Jeder von ihnen wollte die Kundin fertig bedienen und hielt es nicht für angebracht, einem Damenfriseur oder einer Friseurin das Schlußwort, das eigentliche Frisieren zu überlassen.“343 Neben den finanziellen Einbußen durch betont unprätentiöse Bubiköpfe sprach das verbreitete zeitgenössische ästhetische Empfinden im Gewerbe wie der Gesellschaft gegen eine dezidierte Zurückhaltung gegenüber aufwändigeren Haargestaltungen. Frauenfrisuren allein auf Basis eines Schnitts zu gestalten war eine Idee, deren Zeit noch kommen sollte. Erst als gut 40 Jahre später der Londoner Herrenfriseur Sassoon weltweit Karriere machte, begannen Frauenköpfe der westlichen Welt, grundlegend verändert auszusehen. Dies ist möglicherweise nur deshalb gelungen, weil in den 1960er und 1970er Jahren viele junge Leute sich aus einer Protesthaltung heraus ohnehin längst konventionellen Frisuren der Vorgängergeneration verweigert hatten. Von diesem Ausgangspunkt aus konnten sie sich leicht für Sassoons Stil begeistern, der sich wie Quant, Courrèges oder Saint Laurent entschieden von der alten Eleganz des Establishments absetzte.344 Eine derartig breite jugendkulturelle Protestbewegung, die Identität so stark mit Konsum bzw. dem vorgeblichen Verzicht darauf verband, hatte es in den 1920er Jahren nicht gegeben. Auch wenn der avantgardistische Etoncrop der 1920er Jahre verglichen mit dem Bubikopf als eine gründlichere Abkehr 342 Ist eine neue Verelendung des Friseurberufs zu erwarten? In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 23, S. 12f. 343 Ebd. 344 Nicht erst als Jugend- und Protestbewegungen seit Ende der 1960er Jahre zur Massenkultur wurden, waren Einschnitte der modischen Entwicklungen zu beobachten. Im europäischen Epizentrum der Mode, Paris, rief der junge Ungaro bei Eröffnung seines Hauses 1965 Erstaunen hervor, weil er als Prêt-à-porter-Vertreter keine Abendmode anbot. Altmeister Balenciaga, Diors sagenhafter Konkurrent schloss im Unverständnis mit den neuen Entwicklungen drei Jahre später sein Haus, vgl. Steele, Fifty Years (1997), S. 68f.

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verflossener Weiblichkeitsbilder zu deuten ist, haftete dem meist getragenen, halblangen, oft welligen Bubikopf hingegen immer noch ein halbwegs gewagter Touch an,345 der Diskussionen über Vermännlichung von Frauen schon genügend Anlass gab. Die Radikalität des Etoncrop war als Teil übermoderner, „perverser Launen der schlecht erzogenen Weiblichkeit“ dem Massen- und in der Fachpresse vertretenen Friseurgeschmack der Zeit zu weit voraus.346 Die harsche Kritik ist als branchenkulturelle Verfestigung in der Orientierung an der Strategie der immer noch bewunderten Damenfriseure zu verstehen. Dies war insofern ungünstig, als deren Geschäftspolitik anders als zuvor nur noch unter besonderen Umständen aufging, weil mit der erheblich gestiegenen Zahl der Anbietenden das einst hohe Preisniveau im Damenfach nicht gehalten werden konnte. Dagegen dürfte eine Geschäftsstrategie, die erstens auf die vorhandene Kapazität des im Haarschneiden bewanderten Personals setzte und zweitens auf teure Investitionen verzichtete, nicht ungeschickt gewesen sein. Zumal mit dem Zustrom von Damenkundschaft der im Herrenbereich übliche Leerlauf an langen Zeiten des Tages reduziert wurde. Das traf erst recht für die Läden im unteren Preisbereich zu, wo die Kosten für Investitionen in Dauerwellgeräte kaum wieder hereingeholt werden konnten und es unmöglich war, etwa für Dauerwellen Preise über dem Selbstkostenniveau durchzusetzen. Die beiden Schwerpunktstrategien nahmen jeweils unterschiedlich die Debatten um Vermännlichung und Verweiblichung von Frauen und Männern auf. So war es im Herrenfach vereinzelt möglich, das Geschäftsprofil entweder auf die Betonung von Männlichkeit auszulegen oder ein modisches Spiel mit weiblichen Konnotationen zu betreiben. Die auf stilistische Simplifizierung abstellende Geschäftspolitik im Damenfach bescherte der weiblichen Avantgarde die Signatur des Herrenschnitts und der Durchschnittskundin ein schlichtes Aussehen. Ersteres wird vereinzelt als Übertretung der optischen Geschlechtergrenzen erfolgreich gewesen sein, häufiger aber dürfte letzteres Kundinnen mit geringem Budget und großem Interesse am Auftreten als ‚Neue Frau‘ überzeugt haben. Trotz des Modeschlagers Bubikopf bedeuteten die ‚Goldenen Zwanziger‘ für das Gewerbe zwar eine Verbesserung gegenüber der Vorkriegssituation 345 Vgl. Weg mit der Pagenfrisur. In: DAFZ, 1922, Nr. 23, S. 616. 346 Vgl. Ist eine neue Verelendung des Friseurberufs zu erwarten? In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 23, S. 12f., hier S. 13.

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und der Inflationszeit, wirklich günstig war die Lage aber nicht – und zwar nicht nur aus ökonomischen Gründen. Denn das Berufsprestige konnte vor dem Hintergrund von auf Naturerfahrung und kräftigenden Selbsttechniken ausgelegter Körperpflege weiterhin nur bedingt erstrahlen. Der modische und soziale Wandel veränderte auch die Wettbewerbsvorteile – Friseurinnen verloren ihren moralischen Vorsprung und gerieten in Ermangelung der benötigten Kenntnisse im Haarschneiden zunächst ins Hintertreffen. Da sich jedoch alle Anbietergruppen in neue Arbeitstechniken (Dauerwelle, Wasserwellen, Damenhaarschnitte) einarbeiten mussten, waren etwaige Vorkenntnisse hilfreich, aber auf längere Sicht kaum ausschlaggebend. Besondere Unterschiede im Hinblick auf jeweils verfolgte Strategien ergaben sich hier in drei langfristig ausgebildeten Orientierungen. Dazu zählten die traditionelle Bewunderung der Damenfriseure, die prägende visuelle Signatur der Locke und das Selbstverständnis als Luxusberuf, das die Vorstellung von Qualitätsarbeit bestimmte. Das führte dazu, beim Erscheinungsbild der Kundinnen auf maximale Ornamentik zu setzten, ein entsprechend breit gefächertes Angebot vorzuhalten und, wenn möglich, die Ladeneinrichtung aufwändig zu gestalten. Das geschäftliche Gelingen hing in diesen Fällen vom Preisniveau und der Nachfragestärke ab, die aufgrund der großen Konkurrenz, die in der Weimarer Republik auch im Damenfach bestand, wohl eher selten günstig zu beurteilen gewesen sein dürfte. Davon setzten sich in jeder Hinsicht diejenigen ab, die sich auf denkbar schlichte Bubiköpfe beschieden. Dies konnte ebenso das Ergebnis einer genauen strategischen Überlegung sein wie auch ein beiläufiges Resultat einer im traditionellen Barbieren angewöhnten Schlichtheit der Gestaltung. Diese Geschäftspolitik korrelierte mit der Sparsamkeit, die in weiten Kreisen der Bevölkerung nötig war, daher dürfte sie vergleichsweise erfolgreich gewesen sein. Die heftige Kritik daran basierte sicherlich nicht nur auf einer anders gelagerten ästhetischen Vorliebe. Hier standen sich zwei Strategien gegenüber, die auf Kalkül basieren konnten, gewiss aber auch kulturell geprägt waren.

2.3 Barbiere versus Perückenmacher: „Schaumschlägerei“ und „Aristokratengehabe“ Innerhalb der gesamten Handwerkerschaft waren die Interessenlagen ins­ gesamt, sowie die der Organisationen und der darin Vertretenen trotz der Betonung der mittelständischen Gemeinsamkeiten weiterhin höchst

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unterschiedlich,347 sodass es Ende der 1920er Jahre hieß, es sei leichter, einen Sack Flöhe zu hüten, als den gewerblichen Mittelstand zu organisieren.348 Der auch in der Weimarer Republik fortgesetzte Streit zwischen Barbier- und Damenfriseurbund war nur eine spezielle Variante davon. Das etablierte Gegeneinander wurde nun um zeitgenössische Aspekte und Anspielungen erweitert, die das Interesse am aktuellen politischen Geschehen spezifisch belegen. Die von den Barbieren gewünschte Gründung eines alle Friseurbünde zusammenfassenden Verbandes gelang nicht. Eine geschlossene Organisation zwecks Verbesserung der wirtschaftlichen Lage nicht nur im In-,349 sondern auch im Ausland schien zwar wünschenswert,350 aber schon die wiederholt angestrengte deutsche Vereinigung der Berufsverbände fand in der Weimarer Republik nicht statt.351 Die Zwistigkeiten der „Herrenfriseure, Gesichtsbarbiere, Damenfriseure und Nackenbarbiere, Haarformer und Achselhöhlenbarbiere“ schienen Hugo Maguhn 1926 in keiner Weise förderlich,352 der sich als gelernter Barbier typischerweise für einen Zusammenschluss aussprach. Der Barbierbund argumentierte gegen die kleinere Gruppe der Damenfriseure nach wie vor mit dem Hinweis auf seine große Mitgliederzahl. Deren „Aristokraten­ gehabe“353 sei in der neuen Demokratie fehl am Platze, anders als der „Wille der vielen – der ja stets das größte Geheimnis der Geschichte“ gewesen wäre.354 Mochten Mehrheitsverhältnisse im innerberuflichen Clinch auch als Argument gelten, diese Begründung führte nicht zur Selbstbescheidung im Friseur- oder im Gesamthandwerk. Im Gegenteil wurde meist typisch mittelständisch von der Politik die Berücksichtigung der handwerklichen 347 Vgl. die Darstellung der innerhandwerklichen Auseinandersetzungen um die Einführung einer Reichshandwerksordnung in der Weimarer Republik bei John, Handwerk (1987), S. 386–403. 348 Vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 98. 349 Vgl. Die Organisation des Friseurgewerbes. In: DAFZ, 1919, Nr. 11, S. 233. 350 Vgl. Pönsch, Herbert: Friseurgewerbe und Nationalökonomie. In: DAFZ, 1928, Nr. 20, S. 581. 351 Vgl. beispielsweise Die Vereinigung der drei Berufsverbände gescheitert! In: Der deutsche Friseur, 1923, Nr. 3, S. 5–6. Bei den Arbeitnehmerverbänden sah es nicht anders aus, so löste sich der Berliner Damenfriseur- und Perückenmachergehilfenverein DPGV wieder vom Friseurgehilfenverband, vgl. Elster, A. Georg: Die betrogenen Verräter. In: DAFZ, 1921, Nr. 1, S. 21. 352 Vgl. Maguhn, Hugo: Einzelkabinen im Herrensalon. In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 4, S. 10. 353 Walter, W.: Der Herrenfriseurberuf. In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 11, S. 15. 354 50 Jahre Bund deutscher Friseure. In: Der deutsche Friseur, 1921, Nr. 13, S. 9–14.

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Sonderbelange verlangt. Nach wie vor wies das Handwerk recht selbstbewusst gerade wegen seiner geringen Beschäftigtenzahl im Vergleich zu Industrie und Arbeiterschaft auf seine, wenn auch nicht quantitativ begründbare, so doch qualitativ behauptete Bedeutung hin.355 Wichen die den Damenfriseuren zahlenmäßig bei weitem überlegenen Barbiere an dieser Stelle vom verbreiteten Handwerksdiskurs ab,356 so schlossen die Damenfriseure gerade hier an. Sie verstanden es zugleich, sich auf die neuen Verhältnisse in der Republik mindestens rhetorisch passend einzustellen. Der ihnen gegenüber im Krieg von den Barbieren erhobene Vorwurf einer unpatriotischen Haltung wegen fachlicher Kontakte nach Frankreich wurde jetzt mit dem Weltoffenheit betonenden Selbstbild der Damenfriseure pariert. Sie begriffen sich nun – ihr kurz zuvor abgegebenes ‚deutsches Treuewort‘ ausblendend – als mit den Kollegen anderer Länder verbundene Weltbürger. Die „verletzende Prahlerei mit dem Deutschtum“, devote Autoritätshörigkeit und „Titelkult“ zählten ihnen zufolge zu den „Grundzügen der relativen Sünden, die uns [Deutsche] im Krieg unbeliebt machten“.357 Allerdings schlossen sie die im Krieg begonnenen Überlegungen über den Gebrauch von Fremdwörtern in ihrem Gewerbe 1919 damit ab, sich Haarformer zu nennen.358 In der Auseinandersetzung mit dem Barbierbund pflegte man ungute Erinnerungen an das Kaiserreich. Die „alte konservative Regierung“ hätte zwar zugegeben, „daß unsere Bedrückung und Vergewaltigung durch die Barbiere in der Geschichte des Handwerks ohne Beispiel sei“, aber nicht geholfen,359 „Das ist nun vorbei, denn wir werden uns von 355 Vgl. Bergmann, Anschauungen (1993), S. 178. 356 Im Friseurhandwerk waren 98% dem Barbiergewerbe zuzurechnen und nur noch 2% der Perückenmacherei, vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Berlin 1930, Angaben für das Barbiergewerbe S. 97, für das Perückenmachergewerbe S. 96. 357 Heimkehr. In: Offizielle Friseurzeitung, 1918, Nr. 23, S. 553–554, hier S. 554. 358 1919 wandelte der Bund der deutschen Perückenmacher, Damen- und Theaterfriseurinnungen seinen Namen in Bund deutscher Haarformer, Perückenmacher, Damen- und Theaterfriseurinnungen um, vgl. Landesarchiv Berlin, A. Pr.Br. Rep. 030 Nr. 2350. Schreiben des Zentralvorstandes des Bundes der deutschen Perückenmacher, Damen- und Theaterfriseurinnungen Valentin Müller an das Polizeipräsidium von Berlin vom 20.08.1919. Auch die Friseur- und Perückenmacherinnung in Berlin benannte sich ein Jahr später, im Juli 1920, in Haarformerinnung um, vgl. Aus Innungen und Vereinen. In: Offizielle Friseurzeitung, 1920, Nr. 15, S. 730. 359 Vergewaltigung nicht als sexuelle Gewalt, sondern als Überwältigung aufgefasst, war eine typische Formulierung im zeitgenössischen, allgemeinen Handwerkstenor, vgl. Bergmann, (1993), S. 189.

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den gemischten Barbierinnungen nicht mehr in einen Sack stecken lassen,“ da die Innungsgesetzgebung nicht revidiert wurde, sollten sie sich aber fortgesetzt über den der neuen Staatsform unangemessenen Zwang der gesetzlich verankerten fakultativen Zwangsinnungen beschweren, der es ermöglichte, dass sie auch „in der freien Republik“ gegen ihren Willen gemeinsam mit den Barbieren in einer Innung zusammengefasst werden konnten.360 Sie bemängelten auch weiterhin das angeblich geringe Leistungsniveau der Herrenfriseure,361 das den von ihnen belächelten „Barbieren und Schaum­ schlägern“362 allerdings auch selbst negativ auffiel.363 Zwar hatte sich durch die Bubikopfmode der technische und gestalterische Wandel im Friseurhandwerk so tiefgreifend ausgewirkt, dass eine organisatorische Trennung der beiden Verbände noch weniger als zuvor nachvollziehbar war. Gleichwohl verweigerten sich die Damenfriseure nach wie vor einem Zusammenschluss und erhielten damit dem Damenfach immer noch ein besonderes Flair. Gerade die organisatorische Konkurrenz unter Männern dürfte zum großen Interesse an der designorientierten Differenzierungsstrategie beigetragen haben, die zu kaum einem geschäftlichen Erfolg führte, weil sie häufig unwirtschaftlich umgesetzt wurde.

2.4 Zur innergewerblichen Rekonstitution der Geschlechterverhältnisse Statistisch betrachtet veränderten sich die Geschlechterverhältnisse erheblich (vgl. Abb. 57). Bei der Berufszählung 1925 ergaben beide Zweige zusammengenommen einen Frauenanteil von 23%. Da von allen Erwerbstätigen im Deutschen Reich 1925 ca. 36% Frauen waren,364 ist der Frauenanteil in der Friseurbranche von 23% sogar niedrig – dass Frauen allerdings in dem Branchenzweig, der sich auf das Damenfrisieren konzentrierte, beinahe drei Viertel ausmachten, belegt, dass sie nach wie vor vorzugsweise in den 360 Niederschrift der Versammlungen des ordentlichen 45. Bundestages deutscher Haarformer vom 18. und 19. Juli 1921. In: Offizielle Friseurzeitung, 1921, Nr. 15, S. 712–721. 361 Vgl. Dünkel der Damenfriseure? In: Offizielle Friseurzeitung, 1918, Nr. 23, S. 567. 362 Repschläger, Wilhelm: Wie steht es mit der Einheitsfront? In: Der deutsche Friseur, 1924, Nr. 11, S. 7f. 363 Vgl. Maguhn, Hugo: Einzelkabinen im Herrensalon. In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 4, S. 10. 364 Vgl. Büttner, Weimar (2008), S. 254.

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Bereichen arbeiteten, in denen weibliche Kundschaft und damit höhere Gewinne überwogen. Auch wenn während des Ersten Weltkrieges die ‚Raseuse‘ viel Aufsehen erregt hatte, spricht der hohe Männeranteil im Gewerbe insgesamt und in den traditionell den Barbieren zuzurechnenden Betrieben nicht dafür, dass Frauen ihre männlichen Kollegen im Herrenfach nach Kriegsende langfristig verdrängt hätten. Abb. 57: Frauen und Männer  im Friseurhandwerk  1925

100% 75% 50% 25% 0%

Frauen Männer

Käthe Gaebel wies 1931 auf den erheblichen Anstieg des Frauenanteils nach Angaben des Bundes deutscher Friseure für seinen Einflussbereich im Gewerbe hin.365 Männer- und Frauenanteile glichen sich immer weiter an,366 insbesondere nahm die Zahl der weiblichen Auszubildenden gewaltig zu.367 Zudem war die Zahl der sogenannten ‚mithelfenden‘ Familienangehörigen beachtlich. Nach wie vor bestand in vielen Fällen eine Arbeitstei365 Nach Gaebel, Käthe: Die Frau im Handwerk. Bernau 1931. Zit. nach Kopien in R3903 Bl. 2–4, Bundesarchiv Berlin. 366 Etwas andere Zahlen werden in der Friseurpresse diskutiert, dabei zeigt sich der Anstieg des Frauenanteils sogar noch deutlicher. Bei den Beschäftigten betrug nach Angaben des ca. 48.000 selbstständige Betriebe vertretenden Bundes deutscher Friseure der Anteil von Frauen und Männern ca. 1:1, bei den Lehrlingen 1:2,5. Vgl. Döhrmann, Heinz: Mein Beruf als Kultur- und Wirtschaftsfaktor. In: Der deutsche Friseur, 1931, Nr. 9, S. 15f. Ungefähr 8.000 Betriebe (ca. 14% der Friseurbranche), zumeist Haarformer, standen außerhalb dieser Organisation; die Haarformer ihrerseits gaben an, dass ungefähr zwei Drittel ihrer Lehrlinge Mädchen wären. Vgl. Pracht, F.: Zur sog. Vollprüfung und ihrer Auswirkung. In: Offizielle Friseurzeitung, 1930, Nr. 10, S. 181, 182. 367 Nach Gaebel, Frau (1931). Zit. nach Kopien in R3903 Bl. 2–4, Bundesarchiv Berlin.

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lung, nach der Männer das Herrengeschäft und ihre Frauen die Damenabteilung leiteten. Weil letztere nicht als Inhaberinnen auftraten und nicht formal qualifiziert waren, wurden sie ganz unabhängig davon, dass sie im hier interessierenden Gewerbe nicht allein mit Buchhaltung oder Reinigungsarbeiten, sondern mit handwerklichen Tätigkeiten befasst waren, immer noch als ‚Mithelfende‘ gezählt. Käthe Gaebel bezifferte ihre Anzahl 1931 auf ca. ein Drittel der Gesellinnen.368 Da Friseurinnen mittlerweile genauso viel verdienten wie ihre männlichen Kollegen,369 dürfte das Argument der weiblichen Bevorzugung wegen geringerer Kosten für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen hier nicht zutreffen. Ganz offenbar war das Friseurgewerbe nach dem Ersten Weltkrieg nun auch nach der offiziellen Statistik zu den gemischten Berufen zu rechnen, die von Männern und Frauen gleichermaßen ausgeübt wurden. In dieser Situation reproduzierte die Branche die Geschlechterordnung insbesondere im Hinblick auf die angeblich geschlechtsspezifische Berufseignung und die Figur des Meisters. Geschlechtsspezifische Berufseignung Gerade im Zusammenhang mit der Ausbildungsproblematik entfaltete sich ein neues Feld, auf dem die Kategorie Geschlecht inszeniert wurde. So war 1928 die Vollprüfung bestätigt worden, weiterhin aber nur für Jungen das Erlernen des Damen- und Herrenfachs obligatorisch, während weibliche Lehrlinge in letzterem keine Prüfung abzulegen hatten. Immerhin wurde explizit durch einen Prüfungserlass verfügt, dass Mädchen im Haarschneiden auszubilden seien, wodurch Friseurinnen im Damenfach den Bedingungen der Bubikopfmode genügen konnten und völlig unabhängig von männlichen Kollegen arbeiten und ein Damengeschäft führen konnten.370 Nachdem sich auch Mädchen zunehmend in formalisierten Ausbildungsverhältnissen befanden, wurden Berufsanfänger und -anfängerinnen in punkto Geschlechtscharakter miteinander verglichen. Jungen wurde (mit alterstypischer Zerrissenheit entschuldigt) die Tendenz zugeschrieben, die Lust an der Ausbildung zu verlieren, während Mädchen konsequent wiss368 Vgl., ebd. 369 Vgl. Tarifvertrag für das Berliner Friseurgewerbe. In: DAFZ, 1929, Nr. 28, S. 646. 370 Vgl. Gaebel, Käthe: Die Frau im Handwerk. Bernau 1931. Zit. nach Kopien in R3903, 1382 Bl. 2–4, Bundesarchiv Berlin.

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begierig371 und geschickt im Kundenumgang seien.372 Dafür allerdings war auch die Liste ihrer schlechten Eigenschaften lang: nicht am Saubermachen – der ersten hygienischen Pflicht – interessiert, eitel, dünkelhaft, vergnügungssüchtig und nur auf das Trinkgeld aus.373 Dieses negative Bild stand im Gegensatz zu der im Gewerbe beobachtbaren Akzeptanz von weiblichen Lehrlingen. Deren offenkundiger Beliebtheit versuchten Teile der Presse mit Appellen zum Erhalt des starken Männeranteils entgegenzusteuern und plädierten dafür, mehr Jungen auszubilden.374 Nicht zuletzt beförderten schließlich in den 1920er Jahren auch in der Friseurpresse zirkulierende, neu aufgekommene arbeitspsychologische Erkenntnisse die Diskussion um geschlechtsspezifische Eignung. Dazu dürfte nicht unwesentlich beigetragen haben, dass der zunächst in der Arbeitspsychologie tätige und später vor allem als Sportpsychologe bekannt gewordene Robert Werner Schulte (1897–1933)375 in der Ferdinand Müllerschen Frisierschule einen Kooperationspartner für seine Forschung fand.376 Verschiedene psychotechnische Apparate wurden in der Fachpresse vorgestellt und der Besuch von Schultes Vorlesungen in Berlin empfohlen.377 In der fachgewerblichen Diskussion der arbeitspsychologischen Möglichkeiten wurden bei der Prüfung der Voraussetzungen Sozialisation und körperliche Merkmale kombiniert und zu einer naturalisierten Vorstellung von Geschlecht im berufsspezifischen Kontext verdichtet. Dass Mädchen Jungen gegenüber einen Vorsprung bei der Auffassungsgabe beim Frisieren hätten, erschien zunächst aufgrund ihrer Erfahrung mit ihrem eigenen Haar plausibel. Die Probleme der Jungen, sich in der Ausbildung entsprechende Fertigkeiten anzueignen, wurden nicht in einem generellen Unvermögen gesehen. Vielmehr wäre die Schwierigkeit, Modelle zu finden, ausschlaggebend, denn die Angst vor einer möglichen Imperfektion sei gerade bei der weibli371 Vgl. Der Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Lehrling. In: Offizielle Friseurzeitung, 1921, Nr. 8, S. 357f. 372 Vgl. Alert, Eugen: Unsere Frauen und Töchter. In: DAFZ, 1929, Nr. 10, S. 275f. 373 Vgl. Der Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Lehrling. In: Offizielle Friseurzeitung, 1921, Nr. 8, S. 357f. 374 Vgl. Pflegt den Lehrling. In: Offizielle Friseurzeitung, 1927, Nr. 4, S. 8. 375 Vgl. Lück, Helmut E.; Miller, Rudolf: Illustrierte Geschichte der Psychologie. Weinheim 2005, S. 266f. 376 Auch auf die Mitteilungen des Forschungsinstituts für rationale Betriebsführung im Handwerk von Eugen Sauer wurde hingewiesen, vgl. Eignungsprüfungen für Friseure. In: Der deutsche Friseur, 1921, Nr. 3, S. 8. 377 Vgl. Wer ist geeignet? In: Offizielle Friseurzeitung, 1920, Nr. 8, S. 447.

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chen Kundschaft groß. Abgesehen davon, dass Mädchen sich als Berufsanfängerinnen schneller zurechtfänden, würden Frauen zudem anders als manche Männer später niemals im Beruf versagen. In solchen Fällen schien dann insbesondere eine „zu massive Körperkonstitution“ hinderlich.378 Männern von „vierschrötiger Natur“, die Friseure nur bei Männern, nie bei Frauen monierten, mangele es am erforderlichen und in ihrem Falle auch nicht entwicklungsfähigen „feinen Gefühl in den Fingern“, sodass häufig schon Berufsfremde – insbesondere die Kundschaft – ihre mangelnde Eignung erkennen könnten. War eine tendenziell zartgliedrige Konstitution mit dem gesamtgesellschaftlich gefragten Männerbild eher nicht vereinbar, erschien sie innergewerblich in vergleichsweise günstigem Licht, wenn auch nach wie vor Schwächlichkeit explizit als Hinderungsgrund für die Aufnahme einer Friseurlehre genannt wurde. Der Typ, „der am besten zum Friseur geeignet ist“, wurde als „schlank und beweglich“ vorgestellt.379 Angehende Friseure wurden unter körperlichen Aspekten beurteilt, Berufsanfängerinnen hingegen aufgrund ihrer Sozialisation, insofern galten mit langem Haar vertraute und in manueller Feinfühligkeit entwickelte Mädchen als die erfolgversprechenderen Lehrlinge. Gesamtgesellschaftlich verbreitete Vorstellungen über ernstzunehmende, mannhafte Staturen waren mit dem erwünschten Bild des gewandten Friseurs wenig vereinbar. Hier zirkulierten außer- wie innergewerblich auch in den 1920er Jahren Vorstellungen wie schon im Kaiserreich.380 Die Debatte um die Brauchbarkeit arbeitswissenschaftlicher Methoden war vom Dominanzanspruch des ausbildenden Meisters durchzogen, schließlich war er es, der die Entscheidung fällte. Ihm riet die Presse, weder zu viel auf Eignungstests noch auf Schulnoten zu geben, sondern die Entwicklungsfähigkeit junger Menschen im Blick zu behalten. Maskuline Profilierung des Friseurmeisters Im Zuge der Profilierung handwerklicher Qualitätsarbeit rückten Ausbildungsthemen in den Vordergrund, die die Figur des Handwerksmeisters 378 Psychotechnische Eigenschaften. In: Der deutsche Friseur, 1929, Nr. 23, S. 17f. 379 Probezeit des Lehrlings. In: Der deutsche Friseur, 1931, Nr. 8, S. 15f., hier S. 15. 380 Vgl. etwa die vielsagende Karikatur ‚Der moderne Haarkünstler‘ von Pem aus „Le Souriere“, 1928, abgedruckt bei Lothar, Rudolf: Intime Körperbehandlung vom Kopf bis zur Hüfte. In: Schidrowitz, Leo (Hg.): Sittengeschichte des Intimsten. Intime Toilette, Mode und Kosmetik im Dienst der Erotik. Wien [u. a.] 1929, S. 9–78, Abb. n.p.  

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sowohl in Bezug auf seine Rolle als Ausbilder prägten als auch seine Dominanz in gemeinsam mit Ehefrauen geführten Friseurbetrieben festschrieben. In der Lehre gebe der handwerkliche Ausbilder, seiner „Natur nach ein schöpferischer Mensch“, den Berufsgedanken als Lebensaufgabe weiter,381 indem neben fachlichem Wissen und Können hohe sittliche Werte vermittelt würden.382 Daher sei die Ausbildung als Erziehungs- und nicht als Arbeitsverhältnis zu werten.383 In dieser Argumentation begründete das Fri­ seurgewerbe (wie das Gesamthandwerk auch) die Besonderheit seines Berufsstandes in Abgrenzung zur Industrie, insbesondere wurden so aber auch die sozialen Binnenverhältnisse patriarchal strukturiert. Auch wenn Friseure in ihrer Beurteilung nicht völlig übereinstimmten, war die Arbeit von Ehefrauen, ob nun geachtet oder nicht, im Geschäft üblich, meist nicht vorhandene Bildungszertifikate waren dabei kein Thema. Immerhin war man sich nun über die Notwendigkeit einig, nicht nur die Ausbildung der Söhne, sondern auch die der Töchter im formalen Rahmen stattfinden zu lassen, speziell unter dem Motto ‚Qualifikation statt Mit­ gift‘.384 Dennoch fungierte die Qualifikationsfrage weiterhin als geschlechtertrennend. Obwohl wie gehabt das Geschlecht der Qualifikation männlich (gedacht) war, war das Gros der im Damenfrisieren tätigen Männer wie die Friseurinnen gleichermaßen nicht einschlägig formal qualifiziert. Die Kritik an der Kursausbildung wurde aber wie früher zuvorderst an ‚berufsfremde‘ Frauen adressiert. Zudem erlaubte seit 1929 ein Erlass des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe nur Berufsangehörigen und deren Ehefrauen, Unterricht im Damenfrisieren zu nehmen.385 Patriarchal geprägte Vorstellungen über den Berufseinstieg wurden so in eine offizielle Norm gegossen. Die innergewerblich breite Zustimmung für solche, die inferiore Position der Ehefrauen fördernde Ausnahmen ist wesentlich auf die männliche Schüsselstellung in den Familien zurückzuführen. Zwar hatte die Weimarer Verfassung die Gleichheit der Geschlechter in Politik, Staat und auch in der Ehe garantiert, dennoch war außerhäusliche Erwerbsarbeit von Frauen schon seit dem Kaiserreich von der Zustimmung des Ehemanns abhängig und sollte dies auch bis in die Bundesrepublik hinein (bis 1977) 381 Berufserziehung im Handwerk. In: DAFZ, 1926, Nr. 8, S. 241. 382 Vgl. Rotten, E.: Berufswahl und Handwerk. In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 3, S. 6. 383 Vgl. Der Kampf um den Lehrling. In: Der deutsche Friseur, 1921, Nr. 21, S. 9. 384 Alert, Eugen: Unsere Frauen und Töchter. In: DAFZ, 1929, Nr. 10, S. 275. 385 Vgl. Privatunterricht im Damenfrisieren. In: Der deutsche Friseur, 1931, Nr. 1, S. 11.

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noch bleiben.386 Die Praxis der Ausnahmeerteilungen bestätigte die gesetzlich festgelegte Autorität des Ehemannes über die Ehefrau in Fragen der Erwerbstätigkeit, die er untersagen oder auch einfordern konnte. Nicht nur in ehelichen Begründungszusammenhängen, auch in der kämpferischen und autoritären Aufladung des Meistertitels als patriarchalem Prädikat wurde der Meister zur zentralen Figur stilisiert, indem bei der Deutung der Geschlechterverhältnisse Gegenwartserfahrungen der Weimarer Republik mit Kriegserfahrungen verknüpft wurden.387 Nachdem die Frauenbewegung im Kaiserreich die Beschränkung von weiblichen Handlungsmöglichkeiten erheblich infrage gestellt hatte, knüpfte die gesamtgesellschaftlich mit Verve geführt Auseinandersetzung um ‚Weiblichkeit‘ und ‚Männlichkeit‘ mit der Zuweisung von geschlechtsspezifischen Aufgaben an Front bzw. ‚Heimatfront‘ im Ersten Weltkrieg eher wieder an traditionelle Rollenbilder an. Zwar unter neuen Belastungen und häufig kaum über das Kriegsende hinaus konnten Frauen ihre Handlungsräume im Krieg erweitern, während viele Männer, mindestens ihrer Ernährerrolle, häufig ihrer Gesundheit (wenn nicht ihres Lebens) beraubt, meist nicht erstarkt aus der Kriegssituation hervorgingen.388 Friseure hatten sich im Ersten Weltkrieg teils selbst in eigener Vorstellung nur begrenzt mannhaft geschlagen, und in fremder noch weniger. Sie hatten kaum an der einst gesellschaftlich erhofften Erstarkung der Männlichkeit im Kriegsgeschäft teilhaben können. Im Tenor der Fachpresse aber zeichnete sich der Anspruch ab, dass Friseure dies als Meister nachholen könnten, indem sie sich im schwierigen Lebenskampf anders als die „Empfänger großer Gehälter“ als „Helden“ bewährten.389 In dieser nahezu klassenkämpferischen Sicht auf den täglichen Männlichkeitswettstreit gewön386 Zum Wandel des § 1356 BGB vgl. Funder, Maria: Gender: (K)ein Thema der Wirtschaftssoziologie? In: Niechoj, Torsten; Tullney, Marco (Hg.): Geschlechterverhältnisse in der Ökonomie. Marburg 2006, S. 35–72, hier S. 42f. und Schwab, Dieter: Gleichberechtigung und Familienpolitik im 20. Jahrhundert. In: Gerhard, Frauen (1997), S. 790–827. 387 Diese spezifische Fragestellung, die in den Vordergrund stellt, dass die Verbindung dieser Aspekte nicht selbstverständlich ist, geht zurück auf Kundrus, Birthe: Geschlechterkriege. Der Erste Weltkrieg und die Deutung der Geschlechterverhältnisse in der Weimarer Republik. In: Hagemann/Schüler-Springorum, Heimat-Front (2002), S. 171–187, hier S. 182. 388 Kurz zu den Grundzügen der Geschlechterthematik der Zwischenkriegszeit vgl. Föllmer, Moritz; Graf, Rüdiger (Hg.): Die „Krise“ der Weimarer Republik. Zur Kritik eines Deutungsmusters. Frankfurt am Main [u. a.] 2005, S. 27f. 389 Heidmann, Paul: Von der Gehilfen zur Meisterprüfung. In: Der deutsche Friseur, 1929, Nr. 3, S. 22–23.  

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nen diejenigen, die als Familienernährer mehr Härten durchzustehen hätten, eher als die Privilegierten. Unter Ehraspekten ausgefochtene hegemoniale Männlichkeit schien andere Hierarchien als die gewohnten zu ergeben, schließlich könnten Friseure die durch die Meisterprüfung erworbene Ehre mit dem entsprechenden Titel stolz vorweisen.390 Dieses geradezu kompensierende Meisterkonzept dürfte im Gegensatz zu Gewerben, für die schwere körperliche Arbeit typisch war, ziemlich berufsspezifisch gewesen sein. Das im gesamtgesellschaftlichen Rahmen auf durchsetzungsfähige, harte Männlichkeit abstellende Bild des Meisters wurde in der Ausbildungssituation nicht minder eindrucksvoll skizziert: „Der Meister ist Familienvater, Unternehmer, Techniker, Arbeiter, Besitzer und Kleinkapitalist zugleich.“391 Denn als nötiger Erfolgsschlüssel für diese vielgestaltigen Aufgaben, insbesondere der erzieherischen, galt Autorität. Gerade im „Handwerk mit seiner Meisterlehre“ und in seinen Familien werde der nötige „Humusboden“ geboten, der den „Autoritätsgedanken“ gedeihen lasse.392 Diese klassische Wachstumsmetapher stützte die konservativ-naturhafte Ordnungsvorstellung, die als „Macht der natürlichen Tatsachen und Kräfte“ die „drei naturgewollten Organe der menschlichen Gesellschaft“ fundierten: „Familie, Berufsstand und Staat“.393 Im handwerklichen Ausbildungsmodell wurde dem Lehrherrn betrieblich und familial ein traditionell vorhandenes hegemoniales Männlichkeitsbild zugeschrieben, das allerdings schon um 1900 gründliche Erschütterungen erfahren hatte und insofern nur einen begrenzt erfolgversprechenden Referenzpunkt abgeben konnte. Von der geringen Bedeutung des wirtschaftlich angeschlagenen Handwerks gedrückt sowie von weiblicher Konkurrenz herausgefordert, schienen zur Konsolidierung des friseurhandwerklichen Selbst- und Männlichkeitsbildes außerhalb menschlichen Einflusses stehende Faktoren wie die naturhafte Ordnungsvorstellung ebenso nötig gewesen zu sein wie das qua Meisterprüfung beanspruchte Heldenimage. Da das Patriarchat gesamtgesellschaftlich wie auch im Friseurgewerbe gerade im Ökonomischen und Politischen erheblich unter Druck geraten war, aber im Privaten eine Blütezeit erlebte,394 war der 390 Ebd. 391 Berufserziehung im Handwerk. In: DAFZ, 1926, Nr. 8, S. 241. 392 Der Kampf um den Lehrling. In: Der deutsche Friseur, 1921, Nr. 21, S. 9. 393 Ebd. 394 Vgl. Klinger, Cornelia. Von der Gottesebenbildlichkeit zur Affentragödie. In: Brunotte, Ulrike; Herrn, Rainer (Hg.): Männlichkeiten und Moderne. Bielefeld 2008, S. 25–36, hier S. 32.

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handwerkliche pater familias weniger ein traditionelles Relikt als ein gerade unter zeitgenössischen Bedingungen günstiger Ausgangspunkt männlichen Dominanzstrebens, das nach behaupteter kriegerischer Bewährung im Meisterbrief seine spezifische Gestalt annahm. Denn deren Form konnte von Frauen durch Qualifikationserwerb kopiert, nicht aber inhaltlich identisch gefüllt werden. Hätte man, wie seitens der Gewerkschaften und Industrie verfochten, das Ausbildungs- als Arbeitsverhältnis begriffen, wäre eine solche Fundierung des Männlichkeitsbildes verloren gegangen. Die Diskrepanz von Wunsch und Wirklichkeit trat nicht zuletzt an der innergewerblich offen formulierten Beanstandung der idealisierten Ausbildungsverhältnisse zutage, die sich in Anregungen zur Verbesserung der Situation respektive der Kritik an den Lehrlingen spaltete. Lange schon wurde in der Friseurpresse thematisiert, dass Handwerker ihre Situation selbst als kaum erstrebenswert einschätzten und ihre eigenen Kinder nach Möglichkeit in nichthandwerklichen Berufen, möglichst akademischen, ausbilden ließen.395 Allerdings solle man Söhne nur dann, wenn sie selbst wirkliches Interesse am Beruf hätten, in die Lehre nehmen.396 Die schlechten Konditionen einer gering bezahlten Lehre, bei der die Auszubildenden häufig mit „privaten Arbeiten“ beschäftigt würden oder Hilfstätigkeiten verrichten müssten, anstatt fachlich unterwiesen zu werden, ließ dem Friseur Julius Wery beispielsweise sogar die Attraktivität der eigentlich verhassten Frisierschulen plausibel werden.397 Ohnehin führe die in Friseurgeschäften beliebte Praxis, weibliche Auszubildende nicht zur Abschluss­prü­ fung zu schicken und eher informell auszubilden dazu, dass diese Mädchen, den Kursfriseusen ähnlich, mangelhaft ausgebildet als Hausfriseurinnen arbeiten würden.398 Aber auch das Niveau der beruflichen Bildung der Jungen ließ manchem die Durchführung strengerer Kontrollen der Ausbilder oder der Unterbringung geraten sein.399 Auch schien es wichtig, Verständnis für die Jugendlichen aufzubringen. Deren Motivation solle schon bei 395 Im Kaiserreich beispielsweise Zur Schulentlassung unserer Söhne. In: DAFZ, 1905, Nr. 4, S. 98f. Für ein Beispiel in der Weimarer Republik vgl. Handwerk, Bildung, Staat. In: DAFZ, 1919, Nr. 11, S. 233. 396 Vgl. Pracht, Hans: Vater und Sohn im Geschäft. In: Offizielle Friseurzeitung, 1932, Nr. 14, S. 234. 397 Wery, Julius: Der Herrenfriseur. In: DAFZ, 1920, Nr. 2, S. 71. 398 Vgl. Schaar, Karl: Wo bleiben Standesehre und Standesbewusstsein? In: DAFZ, 1920, Nr. 18, S. 673. 399 Vgl. Lübering: Der Lehrling als Glied der Berufsgemeinde. In: Der deutsche Friseur, 1926, Nr. 2, S. 14.

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der Auswahl der Lehrlinge vorrangig berücksichtigt werden400 und sei auch danach so wichtig, dass es ratsam sei, Auszubildende, die die Lust zu dem Beruf verloren hätten, aus dem Lehrvertrag zu entlassen,401 anstatt auf Vertragserfüllung zu bestehen oder mit einer Geldstrafe zu bedrohen.402 Eine ganz andere Sicht nahmen vor allem jene ein, die das Problem in erster Linie beim beruflichen Nachwuchs sahen, der ohne „väterliche Zucht“ aufgewachsen und infolgedessen „hochmütig“ und schwierig im Umgang sei.403 Die jungen Leute würden oft die falsche Berufswahl treffen und seien, von der charakterlosen Vorstellung, leichtes Geld verdienen zu wollen geleitet, schnell unzufrieden.404 Verständnis für derartig „ungezogene“ und „sittlich verwahrloste Flegel“ sei allerdings „falsche Humani­tätsduselei“.405 Die hier demonstrierte Geringschätzigkeit gegenüber den Auszubildenden und die in expliziter Abgrenzung zu anderen Methoden geforderte strenge Härte geben ein typisches Beispiel weit verbreiteter autoritärer Erziehungsvorstellungen ab. Beinahe trotzig wurde für sie offenbar nicht in Unkenntnis neuer pädagogischer Ansätze plädiert, wie sie etwa mit Ellen Keys Das Jahrhundert des Kindes populär wurden.406 Auch hatte die Jugendbewegung zuvor schon Vater-Sohn-Autoritätskonflikte stark thematisiert und alternative Umgangsformen der Generationen zur Diskussion gestellt.407 Die gesamtgesellschaftlich sowie im Friseurhandwerk starke, wenngleich nicht durchgängig vorhandene Autoritätsfixierung kann durchaus als gewerbliche Anschlussfähigkeit an den Nationalsozialismus begriffen werden. Auch ohne der Nazifizierungsthese zuzustimmen, bot der auch im Friseurhandwerk verbreitete Handwerkstenor in der Weimarer Republik der NS400 Vgl. Born, Karl: Der Nachwuchs in unserem Spezialberufe. In: Offizielle Friseurzeitung, 1924, Nr. 13, S. 67. 401 Vgl. Der Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Lehrling. In: Offizielle Friseurzeitung, 1921, Nr. 8, S. 357f. 402 Vgl. Wery, Julius: Der Herrenfriseur. In: DAFZ, 1920, Nr. 2, S. 71. 403 Die Notwendigkeit und der Schutz des guten gewerblichen Nachwuchses. In: DAFZ, 1921, Nr. 17, S. 632f. 404 Vgl. Schön, A.: Die Heranbildung des tüchtigen fachgewerblichen Nachwuchses. In: DAFZ, 1926, Nr. 10, S. 293. 405 Vgl. Schön, A.: Erziehung der Jugendlichen zur Persönlichkeit. In: DAFZ, 1929, Nr. 28, S. 255. 406 Vgl. den Sammelband Baader, Meike Sophia; Jacobi, Juliane; Andresen, Sabine (Hg.): Ellen Keys reformpädagogische Vision: „Das Jahrhundert des Kindes“ und seine Wirkung. Weinheim [u. a.] 2000. 407 Zur Situation der Jugend, allerdings mehr auf Gymnasiasten und Hochkultur im traditionellen Sinne in München bezogen, vgl. Geyer, Welt (1998), S. 70–75.  

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DAP deutlich Anschlussmöglichkeiten für die von ihr stets thematisierte „Notlage des Mittelstandes“.408 Das Lob handwerklicher Wertarbeit und die versprochene Fortsetzung der glänzenden Handwerksvergangenheit in der Zukunft des nationalsozialistischen Staates versprach Besserung.409 Daneben korrespondierten auch im Friseurgewerbe präsente, konservativ naturhaft-organisch begründete Entwürfe einer Ständeordnung mit nationalsozialistischen Vorstellungen von Gesellschaft.410 Wie begrenzt solche Einflüsse schließlich waren, zeigt die letztlich bescheidene Entwicklung des nationalsozialistischen Kampfbundes des gewerblichen Mittelstandes,411 ebenso wie die nicht geringe handwerkliche Wählerschaft der liberalen Parteien nach 1933. Dennoch war die NSDAP für viele und nicht nur für die wirtschaftlich angeschlagenen Handwerker attraktiv.412

2.5 Pessimismus statt Panik – Stimmung in der Wirtschaftskrise Mit der Weltwirtschaftskrise verschlechterte sich auch die Situation in Deutschland erheblich. Mit der Brüningschen Deflationspolitik wurde Anfang der 1930er Jahre staatlicherseits wiederum Einfluss auf die Preisbildung genommen.413 Um die erwünschte Preissenkung durchzuführen, ging Preiskommissar Goerdeler beispielsweise auch gegen Absprachen und Tricks der Innungen vor, mit denen das offizielle Festsetzungsverbot geschickt umgangen werden sollte, wie etwa eine Postkartenaktion, an der sich alle Interessierten mit ihren Angaben über angemessene Preise beteiligen konnten. Über die Berichterstattung zu dieser letztlich verbotenen Aktion hatten Friseurorganisationen versucht, allgemein vorbildliche, höhere Preisvorstellungen publik zu machen.414 Neben dem Preisniveau dürfte auch eine 408 Holtwick, Berufsstand (2000), S. 152. 409 Vgl. Haupt, Heinz-Gerhard: Die radikale Mitte. München 1985, S. 260ff. 410 Vgl. John, Handwerk (1987), S. 439–448. 411 Zur kurzfristigen Existenz des Kampfbundes vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S.  186– 187. 412 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Childers, Timothy: The Middle Classes and National Socialism. In: Blackbourne, David; Evans, Richard (Hg.): The German Bourgeoisie. London 1991, S. 311–323, hier S. 319. 413 Um Preissteigerungen im Handwerk zu vermeiden, wollte die Regierung Luther den Einfluss der Innungen mit einem Preisabbaugesetz begrenzen, vgl. Holtwick Berufsstand (2000), S. 111, zur Deflationspolitik vgl. Reidegeld, Sozialpolitik (2006), S. 263. 414 Der Reichskommissar für Preisüberwachung teilt uns mit. In: DAFZ, 1932, Nr. 2, S. 41.

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geringe Nachfrage große Probleme verursacht haben, denn die Umsätze verringerten sich dramatisch. Der Umsatz der Branche hatte sich innerhalb von fünf Jahren nahezu halbiert; von 400 Mio. RM 1928 ging er auf 220 Mio. RM 1933 zurück.415 Zugleich stiegen die Betriebszahlen ganz erheblich, der Zuwachs zwischen 1925 und 1933 betrug 72%, die Zahl der Berufsangehörigen nahm im selben Zeitraum sogar um 75% zu, die der Bevölkerung hingegen nur um 6%.416 Entfielen Mitte der 1920er Jahre auf ein Friseurgeschäft noch gut 1.130 Einwohner und Einwohnerinnen, so betrug die Relation 1933 1:690. Der sprunghafte Anstieg der Betriebszahlen ist wenigstens zum Teil mit der 1929 in Kraft getretenen Handwerksnovelle zu erklären.417 Sie legte die Grundlage für die Abgrenzung des handwerklichen Berufsstandes von anderen Tätigkeiten, Handwerksbetriebe mussten sich in eine Handwerksrolle eintragen lassen.418 Wer und welche Tätigkeiten als handwerklich zu begreifen waren, ließ sich somit erstmals zweifelsfrei erfassen, damit war nun auch die ‚Hausfriseuse‘ zu fixieren. Zugleich wurde damit ein gesetzlicher Ausgangspunkt für die Rede von den ‚Berufsfremden‘ geschaffen.419 Diese konnten nun zunehmend als Störenfriede der Gemeinschaft ausgemacht werden, weil innerhalb der Innungs-/Kammerbezirke bekannt war, wer formal qualifiziert war und wer allein durch den Eintrag in die Handwerksrolle als zum Beruf zugehörig galt. Durch diese neue Grundlage veränderte sich auch die Statistik. Die Erfassung wurde nun beinahe lückenlos, auch dies kann unter anderem ein Grund für die Zunahme der Betriebe gewesen sein. Eine zeitgenössisch und im Nationalsozialimus immer wieder diskutierte Erklärung für die massenhaften Neugründungen war die Annahme, dass es sich um stellenlose Handwerker handelte, die mit der Selbstständigkeit der Arbeitslosigkeit entgehen wollten. Der an diese Kleinsthandwerker gerichtete Vorwurf der Notselbstständigkeit war seitens der Handwerksorganisationen mit dem Vorwurf der unsoliden Geschäftsgrundlage verknüpft. Da 415 Vgl. Die Not des Friseurgewerbes im Spiegel der Statistik. In: DAFZ, 1934, Nr. 26, S. 658. 416 Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Berlin 1929, S.  103, S.  107, für 1933 vgl. den Band 1938, S.  154. Bevölkerungswachstum nach Büttner, Weimar (2008), S. 212, 572. 417 Vgl. Von einem neuen Frontalangriff gegen das Handwerk? In: Offizielle Friseurzeitung, 1929, Nr. 1, S. 6. 418 Vgl. Ambrosius, Staat (2001), S. 76. 419 Vgl. Wichelhaus, Franz: Lebensfragen des Friseurhandwerks. In: Der deutsche Friseur, 1930, Nr. 14, S. 16, 18.

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allerdings die Friseurbranche ohnehin schon lange kleingewerblich geprägt war, ist hier keine Veränderung zu beobachten.420 Die Vorhaltung der Notselbstständigkeit auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen, erforderte eine Untersuchung, die hier nicht geleistet werden konnte. Daher ist Holtwicks aus Insolvenzstatistiken gewonnener Befund zur betrieblichen Solidität interessant, obgleich sein Untersuchungsraum Ostwestfalen-Lippe nur bedingt als repräsentativ angesehen werden kann. Das Friseurgewerbe war dort, wie beispielsweise auch Nahrungsmittelhandwerke in der Weimarer Republik, relativ krisenfest und gerade nicht überproportional bei den Insolvenzen vertreten,421 sodass aufgrund der vorliegenden, unbefriedigenden Forschungssituation zunächst nur bedingt von einer ungewöhnlichen Instabilität dieser Unternehmungen auszugehen ist. Dennoch ist es statistisch gesehen frappierend, dass parallel zu den gestiegenen Betriebszahlen der Umsatz je Betrieb insgesamt von 5.880 RM (1928) auf 2.330 RM (1933) sank.422 Die „Gedanken an den stillen Geschäftstagen“ waren so deprimierend,423 dass die Presse von einem Motivationskurs durchzogen war, der auf der Basis von Kritik an Fatalismus und Genörgel den festen Glauben an eine bessere Zukunft beschwor.424 Dazu gehörte das Plädoyer für die Erziehung des Publikums zur intensiveren Inanspruchnahme der Friseurdienstleistungen,425 und zwar nun ohne Unterschied zwischen Männern und Frauen, die Hoffnung auf „fieberhaft“ betriebene Verbesserungen der Dauerwelle426 oder auch Ermahnungen, „auf einen freundlichen Eindruck der Räume“ zu achten.427 Wichtig schien nur eines: „Arbeiten und nicht verzweifeln“.428 Die schlechte Situation muss als ruinö-

420 1926 arbeiteten 57% aller Friseurbetriebe ohne Beschäftigte (B.), 27,3% mit einem B., 11,6% mit 1–2 B. und nur 4,1% mit mehr als 4 B. Nach Gaebel, Käthe: Die Frau im Handwerk. Bernau 1931. Zit. nach Kopien in R3903, 1382 Bl. 2–4, Bundesarchiv Berlin. 421 Vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 135. 422 Vgl. Die Not des Friseurgewerbes im Spiegel der Statistik. In: DAFZ, 1934, Nr. 26, S. 658. 423 Schlokermann, P.: Gedanken an den stillen Geschäftstagen. In: Offizielle Friseurzeitung, 1930, Nr. 23, S. 483. 424 Vgl. Repschläger, W.: Wozu Organisation? In: Der deutsche Friseur, 1932, Nr. 5, S. 15f. 425 Vgl. Weickert, A.: Wovon man spricht! In: DAFZ, 1929, Nr. 3, S. 65. 426 Vgl. Müller, Carl: Unser Fachwissen und die Berufsfrage. In: DAFZ, 1929, Nr. 25, S. 673. 427 Vgl. Triebkräfte für das Gedeihen der Geschäfte. In: Offizielle Friseurzeitung, 1927, Nr. 13, S. 6. 428 Schlokermann, P.: Gedanken an den stillen Geschäftstagen. In: Offizielle Friseurzeitung, 1930, Nr. 23, S. 483.

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ser Wettbewerb bezeichnet werden,429 denn mangels besserer Alternativen verblieben auch Anbieter und Anbieterinnen am Markt, die nur wenig gewinnbringend arbeiteten, sodass kaum Marktmechanismen in Gang kamen, die Betriebsschließungen erzwungen hätten. Die Herangehensweise der Friseurpresse ist als konstruktiver Beitrag zur Überwindung von Frustration und Desinteresse zu charakterisieren. Entsprechend stellt sich die Stimmung als gedrückt dar und nicht als krisenhafte Panik, wie sie in der Nachfolge Theodor Geigers dem Mittelstand immer wieder bescheinigt wurde. Wie sehr das Krisennarrativ als Mittel der Dramatisierung in zahlreichen Bereichen genutzt und damit als Phänomen erst konstituiert wurde, ist unlängst in einem von Moritz Föllmer und Rüdiger Graf herausgegebenen Sammelband eindrücklich demonstriert worden.430 Diese aktuelle Position ist mit der u. a. von Heinz-Gerhard Haupt und Geoffrey Crossick schon länger vertretenen energischen Zurückweisung der so einprägsam attestierten Panik vereinbar. Die schwierige ökonomische Lage, in dem hier interessierenden wie auch in anderen Gewerben regelmäßig als Verelendung diskutiert,431 kann nach Haupt/Crossick nämlich weniger als Ausnahmesituation, sondern als langfristige, traurige Gewöhnung im Handwerk gewertet werden, weswegen sich die politische Rechtsdrift des Handwerks nach der Weltwirtschaftskrise nicht stichhaltig aus der ökonomischen Lage ableiten lässt.432

429 Zu den Formen ruinöser Konkurrenz vgl. Pohl, Regulierung (1995), S. 154–156. 430 Föllmer/Graf, Krise (2005). 431 In der Forschung ein frühes Beispiel der Thematisierung von Problemlagen unter dem heute beliebten Schlagwort Prekariat, vgl. Wengenroth, Ulrich (Hg.): Prekäre Selbständigkeit. Zur Standortbestimmung von Handwerk, Hausindustrie und Kleingewerbe im Industrialisierungsprozeß. Stuttgart 1989. 432 Zudem belegt die europäische Sicht auf das Handwerk im 19. Jahrhundert trotz schlechter wirtschaftlicher Situation relativ vielfältige politische Orientierungen, auch haben sich weniger die Einstellungen in der Handwerkerschaft verändert, sondern das politische Sys­ tem, in dem die Anforderung, sich mit konstanten Orientierungen auseinandersetzen zu müssen, Radikalisierung zur Folge haben konnte, vgl. Haupt/Crossisck, Kleinbürger (1998), S. 205–221. Auch für die Gesamtgesellschaft wird heute in Frage gestellt, ob Krisenprozesse in der Weimarer Republik als objektiv gegebene Faktoren den Nationalsozialismus begünstigt haben können oder ob Stilisierungen von Krisen zwecks Zuspitzung der Situation Veränderungen provozieren sollten, vgl. Föllmer/Graf, Krise (2005), S. 22ff.

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3 Problembeständigkeit im Nationalsozialismus 3.1 Gewerberecht und Handwerkspolitik im Nationalsozialismus Nach der Machtübergabe an die NSDAP 1933 wurde die bestehende pluralistische Ordnung beseitigt und auch das Handwerk ‚gleichgeschaltet‘,433 mindestens 51% der leitenden Positionen in den Handwerksorganisationen mussten mit NSDAP-Mitgliedern besetzt werden.434 Mit mehreren Verordnungen über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks wurden Umstrukturierungen durchgeführt.435 Dabei war bei allen einschlägig ideologisch untermauerten Versprechen an das Handwerk nicht seine ständische Selbstverwaltung das Ziel,436 sondern die staatliche Wirtschaftslenkung, ausgerichtet auf das Ziel der Aufrüstung.437 Am 15.01.1934 wurde in den Innungen das Führerprinzip durchgesetzt, statt freier demokratischer Wahlen wurden die Obermeister von den zuständigen Handwerkskammern nach Anhörung der Fachverbände bestellt. Fortan bestand grundsätzlich ein Zwang zur Mitgliedschaft in den Innungen; Obermeister konnte nur werden, wer einen Meisterbrief besaß. Im Rahmen dieses Umbaus wurden ca. 85% der Handwerkselite ausgetauscht, die Belange der Kleinsthandwerker kaum berücksichtigt.438 Ende 1934 wurde der gerade erst gebildete ‚Stand‘ des Handwerks als ‚Reichsgruppe‘ in die gewerbliche Wirtschaft eingegliedert.439 Ungeachtet des neuen, modernen Namens versuchte das Regime immer wieder, an die Traditionsorientierung im Handwerk anzuschließen,440 etwa 433 Vgl. Steinbach, Peter: Politische Herrschaft durch Gleichschaltung. In: Megerle, Klaus (Hg.): Warum gerade die Nationalsozialisten? Berlin 1983, S. 199–238. 434 Vgl. Freise, Wettbewerb (1994), S. 243ff. 435 Zur Entwicklung des Handwerks im Nationalsozialismus vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 187ff. 436 Zu den (meist nur) terminologischen Anleihen des Handwerks und der NSDAP bei Othmar Spanns Ständestaatkonzept und den inhaltlichen Differenzen vgl. Barkai, Avraham: Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus. Ideologie, Theorie, Politik. 1933–1945. Frankfurt am Main 1988, S. 110ff. 437 Vgl. Ambrosius, Staat (2001), S. 77. 438 Vgl. Eyll, Klara van: Berufsständische Verwaltung und Verbände. In: Jeserich, Kurt G. A.; Pohl, Hans; Unruh, Georg-Christoph (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 4. Stuttgart 1985, S. 682–695. 439 Vgl. Ambrosius, Staat (2001), S. 77. 440 Vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 189–190.

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mit der Neuerfindung eines Handwerkszeichens, während die Handwerker selbst stärker an ihrer Gegenwart interessiert waren und weiterhin staatliche Unterstützung verlangten. Die gab es vor allem in Form propagandistischer Schelte gegen Kapitalisten im Handwerk einerseits und Kleinstunternehmer andererseits, einer zuvor bereits im ‚organisierten Handwerk‘ verfolgten Argumentationslinie.441 Das langfristig bestehende naturhaft-organische Einheitsbild des Handwerks mit dem Reifestufenmodell Lehrling – Geselle – Meister wurde im Nationalsozialismus schließlich als Weg der Klassenüberwindung vorgeschlagen.442 Die Aufstellung aller Handwerksberufe am 30.6.1934 schloss den Definitionsprozess des Handwerks ab. Seit diesem Zeitpunkt sind sämtliche handwerksmäßigen Tätigkeiten als solche erfasst, diese Aufstellung ist bis heute Grundlage für die gesetzlichen Regelungen des Bereichs.443 Entgegenkommen zeigte das NS-Regime dem ‚organisierten Handwerk‘ schließlich auch in der Erfüllung lang gehegter Wünsche zur Marktkontrolle. Die Festsetzung eines Mindestpreises war aber nicht gewährt worden. Politisch war nicht nur in der hier interessierenden Branche ein vergleichsweise niedriges Preisniveau erwünscht, um für die Bevölkerung zufriedenstellende Konsummöglichkeiten zu erhalten, die als förderlich für die Zustimmung zum Regime galten.444 Immerhin machte die Dritte Verordnung über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks den Meisterbrief für alle, die nach dem 18.1.1935 selbstständig werden wollten, verbindlich. Übergangsregelungen wurden bis 1939 erlassen, aber wegen des Kriegsbeginns zunächst immer wieder verlängert.445 Dennoch bildete sich nun der Handwerksmeister als allgemeingültiges Modell aus. Spontane Betriebsgründungen, etwa als Alternative zur Arbeitslosigkeit, waren damit ausgeschlossen, denn der Erwerb des Meisterbriefs verlangte langfristige Planungen und einiges Kapital.446 Die Ver441 Vgl. ebd., S. 193. 442 Vgl. Mason, Timothy: Zur Entstehung des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934. In: Mommsen, Hans (Hg.): Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik. Düsseldorf 1974, S. 322–351. 443 Vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 183. 444 Vgl. Die Preisgestaltung. In: DAFZ, 1934, Nr. 25, S. 616. Hildebrand, Klaus: Das Dritte Reich. München 2003, S. 56. 445 Vgl. ebd., S. 197. Wer nach dem 1.1.1900 geboren worden war und wer den Betrieb nach dem 31.12.1931 gegründet hatte, musste die Prüfung ablegen. 446 Zum Meisterbrief als ebenso potenziell leistungsfördernde wie mittelstandsprotektionistische Erhaltungsintervention vgl. Boyer, Christoph: „Deutsche Handwerksordnung“ oder

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drängung des Kleinsthandwerks ging in Richtung der Homogenisierung des Handwerks und ermöglichte dem ‚mittleren Handwerk‘ die Distinktion nach unten. Bei aller Anknüpfung an die traditionelle Rhetorik vorzugsweise von ‚Arbeit und Ehre‘ wurde politisch ein striktes Leistungsbekenntnis abgegeben (u.  a. mit dem Reichsberufswettkampf ) und auch im Handwerk Rationalisierung befürwortet. Kriegswirtschaftliche Erfordernisse ließen es dem Regime schließlich geboten erscheinen, die Ausbildung zu normieren und das Ausbildungsmonopol des Handwerks aufzugeben, d.  h. Facharbeiterbrief und Gesellenbrief erhielten denselben Status.447 Die Betonung der ökonomischen Leistungsfähigkeit zielte schließlich auf eine (so wörtlich) ‚Ausmerze‘ der Kleinbetriebe, denen unzureichende fachliche und materielle Grundlagen vorgeworfen wurden.448  

Neuorganisation des Friseurgewerbes In der Friseurbranche fiel die ‚Gleichschaltung‘ ihrer Organisationen mit ihrer Zwangsvereinigung zusammen. Nach Initiative des Kampfbundes des gewerblichen Mittelstandes449 wurde zunächst die Bildung einer gemeinsamen Innung betrieben, der Zunft der deutschen Friseure. Die kleinliche, organisatorische Zersplitterung habe das Fortkommen bislang behindert, das nun durch geschlossene Eingliederung des gesamten Gewerbes in den nationalsozialistischen Ständestaat Förderung erhalten sollte, neben den Innungen betraf dies auch die in die NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation) zu integrierende Gehilfenschaft.450 Diese Pläne zur Schaffung einer gemeinsamen Berufsorganisation griffen auf Bestrebungen des Bundes deut„zügellose Gewerbefreiheit“. Das Handwerk zwischen Kriegswirtschaft und Wirtschaftswunder. In: Broszat, Martin; Henke, Klaus-Dietmar; Woller, Hans (Hg.): Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. München 1988, S. 427–467, hier S. 428. 447 Vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 202. 448 Vgl. ebd., S. 205, 206f., 210. Zudem wurde eine Altersvorsorge verpflichtend, die die Betriebskosten in die Höhe trieb, sodass noch mehr Betriebe Schwierigkeiten bekamen; anstelle von Steuersenkungen stiegen die Ausgaben, beispielsweise forderten neue Organisationen Beiträge und Spenden. 449 Vgl. Kampfbund, Zunft, Ständischer Staat. In: Offizielle Friseurzeitung, 1933, Nr. 8, S. 117–119. Der Kampfbund wurde allerdings schon im August 1933 aufgelöst, vgl. Benz, Wolfgang: Geschichte des Dritten Reiches. München 2000, S. 47. 450 Vgl. ebd.

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scher Friseure zurück, hätten dagegen aber bei den Haarformern auf Ablehnung stoßen müssen. Nachdem deren geschäftsführender Bundesvorsitzender Carl Valentin Müller im Februar 1933 verdrängt worden war,451 bejubelte man aber in der Offiziellen Friseurzeitung die „einzigartige Aktivlegitimation der nationalen Regierung, die ihre Krönung in der überwältigenden Mehrheit für das Ermächtigungsgesetz gefunden“452 habe. Als „erste nationale Tat“ würde dem Handwerk wie der Gesamtwirtschaft „eine ungestörte vierjährige Sammlungs- und Aufbauzeit“453 gegeben. „So ergibt sich für den deutschen Haarformer: Reorganisation seiner berufsständischen Vertretungen, straffe Zusammenfassung des Berufes und deutsche Art!“454 Diese zuvor vehement abgelehnte Vereinigung wurde nun politisch willfährig begrüßt, aber immerhin im Hinblick auf eine bislang vertretene Position bezogen, die sich auf fachliche Überlegenheit stützte. Eine wie in demokratischen Verhältnissen übliche Benachteiligung der Leistungsfähigeren sei wegen des Führerprinzips nämlich nicht zu erwarten, denn nur „der Tüchtigste soll Führer werden“.455 Damit vollzog das Fachblatt eine gründliche Kehrtwende. Anstelle der Zunft der deutschen Friseure gründete man die Reichsinnung der Friseure. Dafür wurde auf dem 62. Bundestag des Bundes der deutschen Friseure in Dresden im Juli 1933 die Vereinigung der beiden konkurrierenden Fachverbände formal vollzogen, die bisherigen Vorsitzenden Brandt und C. V. Müller mussten zugunsten des NSDAP-Parteimitgliedes und Fachkollegen Franz Renz weichen.456 Die Vereinigung fiel auch dadurch unproblematisch aus, da Brandt und Müller noch in den 1930er Jahren verstarben.457 Renz blieb auch nach der Neuorganisation der gewerblichen Wirtschaft458 1934 als Reichsinnungsmeister der Friseure bis Kriegsende an 451 Die Offizielle Friseur-Zeitung nannte bis zu ihrer vierten Ausgabe 1933 Carl Valentin Müller als den Geschäftsführenden Vorsitzenden des Haarformerbundes. 452 Deutsche Haarformer. In: Offizielle Friseurzeitung, 1933, Nr. 7, S. 97. 453 Ebd. 454 Ebd. 455 Kampfbund, Zunft, Ständischer Staat. In: Offizielle Friseurzeitung, 1933, Nr. 8, S. 117–119, hier S. 117. 456 Vgl. Eilbericht vom 62. Bundestag des Bundes deutscher Friseure in Dresden. 16. und 17. Juli. In: DAFZ, 1933, Nr. 21, S. 550. 457 Vgl. Schreiben Fritz Keppels an Franz Renz vom 29.9.1933, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13979, Bundesarchiv Berlin. C.V. Müller starb 1936. Vgl. Pracht, Friedrich: Valentin C. Müller. In: DAFZ, 1936, Nr. 19, S. 382. 458 Vgl. Ambrosius, Staat (2001), S. 77.

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der Spitze der Berufsorganisation im Friseurhandwerk. Im Zuge der auf Vereinheitlichung zielenden organisatorischen Veränderungen Ende 1934 bildete sich allerdings wiederum eine strukturelle Dualität aus.459 Einerseits gab es die Reichsgruppe Handwerk, zu der die Reichsinnung der Friseure als Fachverband mit Renz gehörte, daneben bemühte sich die DAF um Handwerksbelange; in der hier interessierenden Reichsbetriebsgemeinschaft 18, Handwerk, Fachschaft Friseure460 hatte Reichsfachschaftswalter Otto Klasen die führende Funktion inne. Der Vereinigungspolitik entsprechend sollte auch die den Haarformern verhasste Vollprüfung nicht rückgängig gemacht werden, die Differenzierung nach Geschlecht der Auszubildenden wurde aber zuerst beibehalten. Jungen hatten zunächst eine vierjährige Lehrzeit in allen Zweigen des Gewerbes zu durchlaufen, für Mädchen war eine reguläre Lehrzeit ohne das Herrenfach in dreieinhalb Jahren vorgesehen.461 Die Lenkung der Arbeitskräfte zur Durchführung der Kriegsvorbereitung hatte aber im hier besprochenen Gewerbe wie für alle anderen Berufe Ausbildungsverkürzungen zur Folge.462 So wurde die Lehrzeit 1939 auch im Friseurhandwerk für alle Auszubildenden unabhängig vom Geschlecht schließlich auf drei Jahre heruntergesetzt.463 Der Zustrom von Mädchen in das Gewerbe war weiterhin groß, dennoch blieb die Mehrheit der Auszubildenden männlich, die angehenden Friseurinnen machten 1938 aber schon 39% aus.464 Die innerberuflichen Differenzen waren mit der nationalsozialistischen Neuordnung des Friseurhandwerks wohl kaum so bereinigt wie propagiert, wurden aber nicht mehr in der Fachpresse ausgetragen. Das gilt nicht nur für die Vereinigung der beiden Friseurbünde,465 auch in den Innungen bestanden 459 Dazu ausführlich Chesi, Valentin: Struktur und Funktionen der Handwerksorganisation in Deutschland seit 1933. Berlin 1966, S. 105. 460 Sie gab kurzfristig eine Fachzeitschrift heraus: Friseure. Fachliches Schulungsblatt der Deutschen Arbeitsfront für das Friseurhandwerk. Sie erschien von 1934–1939. 461 Vgl. Die Neuordnung der Berufsausbildung vom Lehrling zum Meister beendet! In: Der deutsche Friseur, 1937, Nr. 23, S. 9. 462 Vgl. Chesi, Struktur (1966), S. 96. 463 Vgl. Kolbenschlag: Die Lehrzeitverkürzung im Friseurhandwerk: Der deutsche Friseur, 1939, Nr. 1, S. 4. 464 Vgl. Jahresbericht 1938/39 des Reichsinnungsverbandes des Friseurhandwerks. In: Reichs­ innungsverband des Friseurhandwerks (Hg.): Vom deutschen Friseurhandwerk 1938/39. Berlin 1939, S. 39–96, hier S. 53. 465 So weigerte sich der Vorsitzende der Haarformerinnung in Magdeburg, Behne, die Organisation aufzulösen und „sich den Anordnungen des Bundes [Deutscher Friseure] der

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aufgrund der ihnen weiterhin untersagten Preisregulierung und der Beschränkung der Betriebszahlen erhebliche Spannungen. Gerade dort, wo die Zustimmung zum Regime groß war, war auch die Unzufriedenheit mit der Handwerkspolitik groß. Entsprechend stark war der Druck auf die Obermeister. Beispielsweise beschwerte sich Fritz Keppel aus Essen bei Franz Renz über die schwer zu disziplinierenden Innungsmitglieder, weil jeder „mehr oder weniger Anhang bei den politischen Stellen [hat], oder in der SA [ist] oder Freunde in der Bewegung [hat], die Beziehungen nach oben haben“.466

3.2 Inklusion: Friseurhandwerk in der ‚Volksgemeinschaft‘ Die Rolle des Friseurhandwerks im ‚Dritten Reich‘ wurde seitens der Presse und Fachorganisationen inhaltlich in Bezug auf den im Nationalsozialismus rassisch-völkisch definierten Gemeinschaftsgedanken festgelegt. Dabei war die Nähe der NS- und Handwerksrhetorik etwa im Hinblick auf das Arbeitsethos ein wichtiger Ausgangspunkt.467 Die Betonung der bedeutsamen Rolle des Handwerks als wichtige Stütze des Staates knüpfte zudem an ältere, seit dem Kaiserreich bestehende Mittelstandstraditionen an,468 ebenso wie die Reden wider die ‚Schmutzkonkurrenz‘ über ungehemmten Materialismus oder das Lob handwerklicher Wertarbeit, seiner hohen traditionellen Kultur469 und seines schöpferischen Charakters.470 Neu war hingegen die verschärfte Priorität der Gemeinschaft. Unter dem Diktum ‚Gemeinnutz geht vor Eigennutz‘471 und der Volks- und Führerideologie folgend, ging es um eine hierarchische Struktur der Ein- und Unterordnung. heutigen Weltanschauung gemäss zu fügen“. Vgl. Beschluss des Vorstandes des Bundes Deutscher Friseure vom 14.11.1933, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13979, Bundesarchiv Berlin. 466 Schreiben Fritz Keppels an Franz Renz vom 29.9.1933, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13979, Bundesarchiv Berlin. 467 Dazu Saldern, Adelheid von: Mittelstand im „Dritten Reich“. Handwerker – Einzelhändler – Bauern. Frankfurt am Main [u. a.] 1979, S. 211ff. 468 Vgl. Aus der Groß-Berliner Friseurzunft. In: DAFZ, 1933, Nr. 14, S. 366. 469 Vgl. Von der Seine an die Elbe. In: Der deutsche Friseur, 1937, Nr. 20, S. 7. 470 Vgl. Deutsche Mode. Können und Leistungen entscheiden – Berliner Modekommission zeigt ca. 75 Frisuren. In: DAFZ, 1933, Nr. 30, S. 769. 471 Vgl. Schmitz-Berning, Claudia: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin, New York 1998, S.  260; Disziplinierte Freiheit. Verordnung gegen Preissteigerungen vom 16.1.1934. In: DAFZ, 1934, Nr. 18, S. 441.  

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In der ‚Volksgemeinschaft‘, die kein beliebiges Kollektiv war, sondern eine „gerichtete Gemeinschaft“,472 in der jede ihren und jeder seinen Platz hatte, kam auch dem Friseurgewerbe seine Aufgabe zu. Reichsinnungsmeister Franz Renz erklärte, dass das Friseurhandwerk sich vom Etikett ‚Not leidend‘ zu lösen habe und in den neuen politischen Verhältnissen als „Freund und Berater“ auftreten und sich wie alle anderen Handwerke auch in die „Marschkolonne der Berufskameraden“ eingliedern solle.473 Zum Zwecke der dem Regime dienenden Effizienz und Leistungsfähigkeit einer prosperierenden Wirtschaft seien „persönliche Momente“ und „Frei­hei­ ten“474 sowie Rücksichtnahme auf Schwächere als falsch verstandenes Solidarprinzip aufzugeben.475 Stattdessen seien „urdeutsche Art“, die in Verantwortungsgefühl zum Ausdruck käme, und Schaffensfreude zu pflegen.476 Ein Beruf sei mehr als nur Broterwerb und daher könne – so die Motivationsbotschaft – mit Erfolg rechnen, wer sich trotz Krise die Berufsfreude bewahre.477 Dennoch sei nicht „Selbstsucht“, sondern „Freude am Schaffen“ das mit friseurhandwerklicher Arbeit zu verfolgende Ziel.478 Die Volkstumsideologie479 enthielt die Aufforderung, sich den Erfordernissen der Gemeinschaft zu beugen – ohne aber gleichzeitig selbst Forderungen zu erheben. Dafür fand die DAFZ markige Worte: „Der nationalsozialistische Staat will keine Schlappen und keine Waschweiber, die nichts anderes können als die Autorität des Staates zu Hilfe zu rufen, sondern will freie Männer, die diszipliniert ihre eigenen Angelegenheiten ordnen.“480 So wurde den traditionell protektionistischen Ansprüchen des Handwerks Einhalt geboten, die gerade auch im mit den typischen Sorgen eines Kleingewerbes behafteten Friseurhandwerk üblich waren. DAF-Leiter Ley erklärte dem Handwerk 1936 ausdrücklich, dass es nur insoweit eine Exis472 Ley, Robert: Disziplin, Freiheit und Gefolgschaft. Aufruf vom 11.12.1934. In: Rühle, Gerd (Hg.): Das Dritte Reich. Dokumentarische Darstellung des Aufbaues der Nation. Teil 2: Das zweite Jahr 1934. Berlin 1935, S. 391. 473 Rückblick und Ausblick 1936/37. In: Der deutsche Friseur, 1937, Nr. 1, S. 12. 474 Die sozialen Ziele der Fachschaften. In: DAFZ, 1934, Nr. 6, S. 132. 475 Vgl. Nationalsozialistische Betriebsführung im Friseurgewerbe. In: DAFZ, 1933, Nr. 34, S. 900. 476 Aus der Groß-Berliner Friseurzunft. In: DAFZ, 1933, Nr. 14, S. 366. 477 Vgl. Die Gegenwart ist tot – es lebe die Zukunft. In: DAFZ, 1933, Nr. 1, S. 5. 478 Käte Epting wird befragt. In: DAFZ, 1933, Nr. 22, S. 469. 479 Vgl. Saldern, Mittelstand (1979), S. 212. 480 Disziplinierte Freiheit. Verordnung gegen Preissteigerungen vom 16.1.1934. In: DAFZ, 1934, Nr. 18, S. 441.

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tenzberechtigung habe, als es Deutschland diene. Nicht die Richtigkeit des Genossenschafts- oder Innungsgedankens sei zu erwägen, sondern alles gehe von der nationalsozialistischen Weltanschauung und dem Dienst für Adolf Hitler aus. Nicht der Schutz einzelner Menschen oder Gruppen, allein die positive Entwicklung Deutschlands sei voranzubringen.481 Es ist keine Besonderheit des friseurhandwerklichen Diskurses gewesen, dass im Nationalsozialismus in den Vorstellungen über das Wirtschaften zwar Arbeitsethos und Gemeinschaftsrhethorik dominierten, aber keine klare Kontur eines Wirtschaftssystems des ‚Dritten Reichs‘ hervortrat, das sich als „Lenkungswirtschaft“ mit erwünschtem Gewinnstreben und unter Zulassung von Privateigentum skizzieren lässt.482 Da sich zentrale Steuerung und nur dezentral erreichbare Effizienz ausschließen, lag hier ein Dilemma vor, dem der Staat mit vielen Plänen, vor allem aber uneingestandener Improvisation begegnete.483 Diese Forschungsergebnisse verweisen vor allem auf die Möglichkeit des Regimes, Zwangsmaßnahmen durchzuführen wie die Unmöglichkeit, Produktivität zu erzwingen. Für das hier interessierende Handwerk fordert aber insbesondere ein etwas anders gelagerter, ebenfalls widersprüchlicher Aspekt eine Erklärung, und zwar das in den Quellen präsente, schwer nachvollziehbare Verhältnis von Gemeinnutz und Eigennutz. Für dessen Verständnis ist es sinnvoll, zunächst von Ordnungsvorstellungen wie dem tatsächlich programmatisch vertretenen Ständestaat abzusehen. Neben diesem handwerkshistorischen Zugang, der als eine ideengeschichtliche Variation der zünftlerischen Traditionsfixierung gelten kann, versperrt auch die klassische Frage nach Planoder Marktwirtschaft, die sich in dieser Form erst nach 1945 stellte, den Blick auf das, was das damalige Wettbewerbsverständnis prägte. Die Pro­ 481 Vgl. An das deutsche Handwerk! Rede Leys auf einer Handwerkstagung vom 3.–5.11.1936. In: Ley, Robert. Wir alle helfen dem Führer. Deutschland braucht jeden Deutschen. München 1937, S. 85–86. 482 Vgl. beispielsweise Buchheim, Christoph; Scherner, Jonas: Anmerkungen zum Wirtschaftssystem des „Dritten Reichs“. In: Abelshauser, Werner; Hesse, Jan-Otmar; Plumpe, Werner (Hg.): Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen. Neuere Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des Nationalsozialismus. Festschrift für Dietmar Petzina. Essen 2003, S. 81–97 und die anderen Beiträge in diesem Band. Detailliert zur (wider Erwarten) erzielten Effizienz, mindestens der Rüstungswirtschaft, vgl. Tooze, Adam: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. Bonn 2007. 483 Vgl. Plumpe, Werner: „Steuerungsprobleme“ in der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte des Nationalsozialismus. In: Bender, Gerd; Kiesow, Rainer Maria; Simon, Dieter: Die andere Seite des Wirtschaftsrechts. Frankfurt am Main 2006, S. 19–30, hier S. 21.

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blematik lässt sich hingegen über den nationalökonomischen Diskurs beleuchten.484 Dort wurde der Gemeinwohlbegriff in germanisch-deutscher Tradition gegen die liberale, angelsächsische Haltung abgegrenzt. In der ‚deutschrechtlichen‘ Definition von Privateigentum sollte das Eigentum den sozialen Erfordernissen der ‚Volksgemeinschaft‘ untergeordnet werden, weil das Recht am Eigentum die sittliche Verpflichtung gegenüber dem sozialen Ganzen einschlösse. Dementsprechend sollte der Wettbewerb solange kontrolliert werden, bis die Gemeinwohlbindung des Eigentums sich durchgesetzt hätte, in der Übergangsphase konnten Beschränkung und Überwachung möglicherweise nötig sein. In diesem Verständnis musste der Staat weniger eingreifen, sondern vielmehr erziehen – je nach erreichter ‚Kulturstufe‘ mehr oder weniger. Diesem Erziehungsauftrag entsprechend wurde auch dem Friseurhandwerk immer wieder eine Orientierung am sozialen Ganzen gegeben, wie auch die Option genannt, Zwang anzuwenden. Da das hier interessierende Gewerbe nicht im Zusammenhang mit der Rüstung stand, bestand überdies kein staatliches Interesse, kleingewerblichen Belangen, schon gar nicht denen eines Konsumgüterhandwerks, mit von dieser Seite geforderten Wettbewerbsbeschränkungen, die über den 1935 eingeführten Meisterzwang hinausgingen, entgegenzukommen.485 Regimestabilisierende Berufscharakterisierung „Ich hoffe und wünsche, daß der deutsche Friseur das segensreiche Wirken unseres nationalsozialistischen Dritten Reiches mit Stolz und Freude sieht, auf daß er selbst darum nochmals umso mehr zum bewußten Kulturschöpfer und Träger werde! […] Nach deutscher Landessitte gehört ein gepflegtes Aussehen zur zivilisatorischen Bedingung. Hierzu benötigen die Volksgenossen die Hilfe des Friseurs, der durch Ausübung der Haar- und Bartpflege zunächst ein Diener der

484 Vgl. Hesse, Jan-Otmar: Zur Semantik von Wirtschaftsordnung und Wettbewerb in nationalökonomischen Lehrbüchern der Zeit des Nationalsozialismus. In: Bähr, Johannes; Banken, Ralf (Hg.): Wirtschaftssteuerung (2006), S. 473–510. 485 Für eine Zusammenfassung der hier nicht aufgegriffenen, älteren (namentlich von Winkler und von Saldern geprägten) Forschungsdebatte um Vernachlässigung oder Förderung des Handwerks im Nationalsozialismus vgl. Seumer, Markus: Vom Reinigungsgewerbe zum Gebäudereiniger-Handwerk. Die Entwicklung der gewerblichen Gebäudereinigung in Deutschland (1878 bis 1990). Stuttgart 1998, S. 11f.

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Zivilisation ist, die ihm dafür die materiellen Lebensgüter zum Erarbeiten hinhält.“486 So holprig wie weltanschaulich gefestigt schilderte der Friseur Heinz Döhrmann, der 1936 den ersten Preis beim Wettbewerb zur Ausgestaltung der Reichsinnungsverbandszeitung gewann, die Bedeutung des im Nationalsozialismus viel benutzten Begriffs „Handwerkskultur“ für das Friseurhandwerk.487 Der schon in den Jahrzehnten zuvor betonte Bezug von Friseurhandwerk und Zivilisation erfuhr hier eine Verschiebung zugunsten der Bedeutung von Handwerkern. Sie waren nicht mehr nur passive Träger der Kultur, ihre Rolle wurde als Teilhabe am zivilisierenden Schöpfungsprozess in der nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘ bedeutsamer ausgestaltet. Weiterhin behauptete das Gewerbe, durch den im Nationalsozialismus angeblich einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung Konsumwünsche erfüllen zu können, die über das Lebensnotwendige hinausgingen.488 Mode sei nun nicht mehr nur Vorrecht und Spielzeug bevorzugter Kreise.489 Die mit der Idee der ‚Volksgemeinschaft‘ verbundene soziale und wirtschaftliche Gleichstellung der ‚Volksgenossen‘ auf möglichst hohem Niveau versprach, handfeste Vorteile zu bieten. Die vom Regime abgesegnete Charakterisierung von Friseurdienstleistungen als dem Entwicklungsstand des deutschen Volkes angemessen hätte den von bürgerlicher Sparsamkeit geprägten Blick auf die dadurch bislang tendenziell in Frage gestellte Notwendigkeit der eigenen Arbeit umlenken sollen. Dabei ist zu beachten, dass im Nationalsozialismus nicht etwa eine gezielte Kaufkraftpolitik den anvisierten Massenwohlstand tatsächlich schon geschaffen hatte, sondern diesbezüglich vor allem Hoffnungen auf einen rassistischen Expansionskrieg gehegt wurden.490 Im Sinne der ‚Volksgemeinschaft‘ nahm auch der Servicegedanke eine spezifische Form an. Das Verständnis vom Kundendienst wandelte sich 486 Wann ist der Begriff „Handwerkskultur“ für das Friseurhandwerk von Bedeutung? Erster Preis aus unserem Wettbewerb zur Ausgestaltung unserer Reichsinnungsverbandszeitung. In: Der deutsche Friseur, 1936, Nr. 18, S. 13. 487 Zur verbreiteten Rede von der Handwerkskultur vgl. Chesi, Struktur (1966), S. 129. 488 Vgl. Jahresbericht 1938/39 des Reichsinnungsverbandes des Friseurhandwerks. In: Reichs­ innungsverband, Friseurhandwerk (1939), S. 39–96, hier S. 43. 489 Vgl. Lenning, Gertrud: Brauchen wir eine andere Einstellung zur Mode? In: DAFZ, 1943, Nr. 3, S. 67. 490 Vgl. dazu aus konsumgeschichtlicher Perspektive Torp, Konsum (2006), S. 56f.

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durch Aufwertung der ‚arischen‘ Berufsangehörigen zu Angehörigen der ‚Herrenrasse‘: „Wir aber wollen nicht Diener von Herren sein! Wir wollen als Herrenmenschen leistungs- und aufgabenerfüllend unserer Volksgemeinschaft dienen.“491 „Gleichschaltung aller Kunden“492 im Ständestaat bedeutete weder – wie bislang üblich – ein besonderes Entgegenkommen bei hohen Trinkgeldern zu zeigen noch aber den groben Umgangston der Arbeiterschaft zu akzeptieren.493 Damit hätte die harmonische Gleichstellung aller ‚Volksgenossen‘ als Regulierung des Prestigeproblems der Branche fungieren sollen. In der Fachliteratur war bis dato einerseits weniger übertriebene Höflichkeit gegenüber höheren Schichten angemahnt worden, weil dies dem eigenen Ansehen schade. Andererseits war die Rede von korrekter, möglicherweise belehrender Behandlung der Arbeiterschaft, mit der sich das Gewerbe über diesen Teil der Kundschaft erhob. Die Vorstellung von der ‚Gleichschaltung‘ der Kundschaft setzte das bisherige Dienstleistungsideal geschickt mit eigenen Akzenten fort, nun sollte die unerwünschte Referenz an die elegante Welt entfallen, die Distanz zur Arbeiterschaft gleichwohl nicht völlig eingeebnet werden. Auch Fragen der gewerblichen Hygiene wurden weniger im Hinblick auf die Wichtigkeit von Verordnungen angegangen, sondern vielmehr als gesundheitliche Erfordernisse des ‚Gemeinnutzes‘.494 Bei der neu modellierten Berufscharakterisierung, die sich nach wie vor auch auf das Modegeschehen bezog, wirkte sich vor allem die zentrale Rolle des Körpers in der nationalsozialistischen Ideologie wesentlich aus. Die Konzeption der Gesellschaft als ‚Volkskörper‘ brachte zahllose Praktiken der Formierung, Produktion und Selektion von Körpern hervor, die den ‚Neuen Menschen‘, vor allem seinen neuen Körper erzeugen sollten. Im Gegenzug sollte der ‚rassisch und biologisch minderwertige‘ Körper verschwinden. Dass ein ‚gepflegtes‘ Äußeres hier nicht mehr als Oberflächenphänomen gesehen wurde, sondern als integraler Bestandteil des „Vollmenschen“, war Ausgangspunkt des beruflichen Selbstverständnisses, das darauf setzte, die Schönheitspflege von dem ihr angeblich irrtümlich angedichteten Image 491 Zimmermann, Hermann: Schaffendes Friseurhandwerk. Erfahrungen und Betrachtungen eines Gaufachschaftsverwalters. Breslau 1941, S.  16. (Bundesarchiv Berlin, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13981). 492 Vgl. Kampf gegen das Trinkgeldunwesen im Friseurberufe. In: DAFZ, 1933, Nr. 15, S. 393. 493 Vgl. Merkwürdige Beobachtung im Frisiersalon. In: DAFZ, 1933, Nr. 17, S. 451. 494 Vgl. Aus der Zunftbewegung. In: DAFZ, 1933, Nr. 18, S. 470.

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der Leichtsinnigkeit und Koketterie zu befreien.495 Im Gegenteil wurde der im Nationalsozialismus oft beschworene ‚Lebenskampf‘ mit dem Slogan der Gemeinschaftswerbung der Fachschaft der Friseure „Die sich pflegen sind anderen überlegen“ auf Fragen des Aussehens ausgedehnt.496 Gleichzeitig waren Frisuren nur ein Teil des gewünschten Gesamtkonzeptes der „Edelmenschen im geistigen wie körperlichen Sinne“.497 Kennzeichnend dafür war die Betonung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die zuallererst die Berufsangehörigen selbst zu zeigen hätten, insbesondere der Nachwuchs.498 So wurde 1938 beim Reichsberufswettkampf dem fachlich besten Friseurlehrling keine Ehrung zuteil, weil er „in der sportlichen Prüfung völlig versagte“.499 Die Aufwertung von Körperlichkeit im Funktionskontext von Wehrhaftigkeit und Fruchtbarkeit500 hatte im Gegensatz beispielsweise zu Auffassungen der Lebensreformbewegung nicht gleichzeitig die Abwertung seiner dekorativen Ausschmückung etwa durch Haargestaltung zur Folge. Inszenierung beruflicher Ideale Zirkulierten in der Friseurpresse bislang Idealvorstellungen von eleganten Geschäften, so standen nun vor allem Inszenierungen des Reichsinnungsverbandes im Mittelpunkt. Die politisch gewollte Ästhetisierung von Handwerkskultur schloss an ältere Inszenierungen aus dem Kaiserreich oder der Weimarer Republik an.501 Sie fand schon im August 1933 in Form des „Aufmarsches des deutschen Handwerks“ bei der Leipziger Herbstmesse ihren Ausdruck und blieb mit Veranstaltungen wie der Handwerkerwoche, Reichshandwerkertagen502 oder lokalen Festumzügen503 fortwährend 495 Vgl. Erfolgreiche Schönheitspflege. In: DAFZ, 1939, Nr. 1, S. 20. 496 Slogan der Plakate der Gemeinschaftswerbung des Friseurhandwerks, vgl. Reichsinnungsverband, Friseurhandwerk (1939), S. 83. 497 Ein mahnendes Wort für Turnen und Sport. In: Der deutsche Friseur, 1938, Nr. 3, S. 6. 498 Vgl. Frisur unserer Jungmannen. In: Der deutsche Friseur, 1937, Nr. 18, S. 3. 499 Ein mahnendes Wort für Turnen und Sport. In: Der deutsche Friseur, 1938, Nr. 3, S. 6. 500 Vgl. die Ausführungen zu Frisuren im Nationalsozialismus im Kapitel Modebilder. 501 Vgl. Tschoeke, Jutta: Blick zurück im Stolz – Handwerkerfeiern als Mittel der Identitätsbewahrung. In: Leute vom Fach. Nürnberger Handwerk im Industriezeitalter. Nürnberg 1988, S. 186–197. Mummenhoff, Ernst: Das Hans-Sachs-Fest in Nürnberg am 4. und 5. November 1894. Nürnberg 1899, S. 37. 502 Vgl. Chesi, Struktur (1966), S. 128f. 503 Vgl. Freitag, Werner: Ein „Handwerkerfest“ 1933. Dörfliche Horizonte und NS-Politik. In: 79. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensburg, 1991, S.  257–

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präsent. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten solch vaterländische Darbietungen im historischen Gewand vorerst abgenommen, erst im Nationalsozialismus sollten sie wieder einen Aufschwung erleben. Historische Inszenierungen des Handwerks können als ideologische Verbrämung der Handwerkerforderungen gesehen werden,504 sicher sind sie Beispiel einer invented tradition,505 eine Form der regimeaffirmativen, öffentlichkeitswirksamen Legitimation des Handwerks in der modernen Industriegesellschaft.506 Im Nationalsozialismus wurden Handwerksorganisationen in spezifischer Weise in die Herrschaftsstruktur des Regimes eingebunden und fanden verstärkt einen ihren repräsentativen Anspruch unterstreichenden, architektonischen Ausdruck. So wurde nicht nur ein Haus des Handwerks begründet, neben verbandseigenen, friseurgewerblichen Meister- und Fortbildungsschulen betrieb die DAF das im Juni 1939 von Ley eingeweihte Haus der Schönheitspflege und die Reichsfachschule der Friseure im Zentrum Berlins.507 Ebenfalls zentral in der Reichshauptstadt gelegen war das bereits 1938 eröffnete Haus des Friseurhandwerks, neben Schulungsräumen befand sich dort auch die Geschäftsstelle des Reichsinnungsbundes.508 Die Gründungen wurden in der Fachpresse ausführlich vorgestellt. Mit der Bubikopfmode war das Interesse an Schulungsangeboten gestiegen, die dem Mithalten im modischen Wandel von allen Berufsangehörigen gleichermaßen dienten. Die vorangegangenen, negativ geprägten Debatten über den Erwerb beruflichen Wissens in privaten Fachschulen waren abgeebbt. Nun trat wiederum eine Berichterstattung über Schulen in den Blickpunkt, die diesmal die besondere Förderung der Leistungsfähigkeit des Handwerks durch das Regime herausstellte. Durch Einführung des Meisterzwangs war die Zahl der interessierten Prüflinge so stark angestiegen, dass viele mit der Vorbereitung befasste Handwerkskammern in organisato279. 504 Vgl. Chesi, Struktur (1966), S. 129. 505 Vgl. Hobsbawm, Eric; Ranger, Terence: The Invention of Tradition. Cambridge 1994. 506 Vgl. Saldern von, Adelheid: Leistungsdruck im Handwerk während der NS-Zeit. In: Großbölting, Thomas (Hg.): Unternehmerwirtschaft zwischen Markt und Lenkung. Organisationsformen, politischer Einfluß und ökonomisches Verhalten 1930–1960. München 2002, S. 39–68, hier S. 48. 507 Vgl. Hochschule der Schönheitspflege. In: Allgemeine Zeitung, 7.6.1939. Zeitungsauschnitt in: NS75/VI, 16593, Bundesarchiv Berlin. 508 Vgl. den anlässlich der Eröffnung herausgegebenen Band: Reichsinnungsverband, Friseurhandwerk (1939).

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rische und personelle Nöte kamen. Hier sprangen finanzielle und organisatorische Hilfen der reichsweiten Handwerksorganisationen ein, die teils auch selbst überregionale Fach- und Meisterschulen unterhielten oder bezuschussten.509 Das Haus des Friseurhandwerks ist für die Inszenierung der nationalsozialistischen Förderung des Handwerks ein besonders gutes Beispiel. Dieser Bau, das „Kraftzentrum der Friseurhandwerksförderung“,510 trat mit seiner Eleganz vorbildlich an die Stelle der vordem in der Fachpresse herausgehobenen, vornehmen Geschäfte. Die das Gewerbe repräsentierende Villa führte verschiedenartige Aspekte des Gewerbes an einem zentralen Punkt umfassend zusammen, wie die Nutzung der Räumlichkeiten zeigt. Die Architektur vereinte sowohl Büros der Verwaltungsapparate der verschiedenen Verbände, einen Vortragssaal, eine Bibliothek, Musterschaufenster, Arbeitsund Schulungsräume für Theorie und Praxis als auch einen repräsentativen Empfangsraum, aufwändige Glasfenster als Bauschmuck, verschiedene physikalisch-technische und chemische Laboratorien, Warteräume und auch eine Kantine. Ob diese Einrichtung bei den Berufsangehörigen weniger Bewunderung und Imitationsimpulse auslöste als dies die ersten Geschäfte bislang getan hatten, ist ungewiss. Sicher aber dürfte dieser Ort eine spezifische Symbolik ausgestrahlt haben, die nicht nur in ihrer Gemeinschaftsbetonung als typisch nationalsozialistisch gelten kann, die Herausstellung der naturwissenschaftlichen und verwaltungstechnischen Rahmenbedingungen zur rationalen Leistungsförderung des Gewerbes ist ebenso einschlägig. Gleiches gilt für die Gegensätze zwischen den nüchternen Schulungsräumen und dem festlichen Vortragssaal sowie für den scharfen Kontrast der Laboratmosphäre zur Mittelalteroptik der Glasmalerei511 im Treppenhaus, die einen ambivalenten Orientierungsrahmen bildeten. Gerade die Fenstergestaltung bestätigt aber die in der Forschung oft thematisierte handwerkliche Verklärung der Vergangenheit als Anschlussstelle nationalsozialistischer Ideologie nicht.512 Die Retrospektive mittels einer 509 Vgl. Chesi, Struktur (1966), S. 76f. 510 Reichsinnungsverband, Friseurhandwerk (1939), S. 19. 511 Vgl. Schulz, Maria-Katharina: Glasmalerei der klassischen Moderne in Deutschland. Frankfurt am Main 1987, S. 12f. 512 Ähnliches ließe sich auch anhand der altdeutschen Optik konstatieren, die die Aufenthaltsräume des Hauses der Schönheitspflege, beispielsweise mit schmiedeeisernen Lampen, die von „deutscher Handwerkskunst“ zeugen würden, prägte, vgl. „Haus der Schönheitspflege“.

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‚altertümelnden‘ Frisurenschau konnte der damit politisch gewollten Einbindung der Branche513 genau besehen nicht nützlich gewesen sein. Der nationalsozialistischen Mittelalterromantik514 geschuldet, wurden nun neben Barock, Rokoko und Biedermeier auch Epochen illustriert, in denen Haare unter Kopfbedeckungen verschwanden. Es ist fraglich, ob eine solche, das berufliche Leistungsspektrum aussparende Motivwahl, die in der Fachpresse bislang unterblieben war, die Friseurinnen und Friseure überzeugte. Zudem hatte sich das Genre Modefotografie auch in Deutschland längst etabliert,515 sodass die ältliche Glasmalerei mit den Sehgewohnheiten der Besucherinnen und Besucher kaum korrespondiert haben dürfte. Da Gespür für optische Aktualität aber gerade das Charakteristikum des Fachpublikums war (oder jedenfalls hätte sein sollen), dürften die große zeitliche Distanz wie das vergleichsweise schwerfällige Ausdrucksvermögen dieser Glasmalerei kaum Zuspruch gefunden haben. Während beispielsweise Leni Riefenstahl bekanntlich in Film und Fotografie eine ebenso künstlerisch beachtliche wie moralisch problematische Leistung gelungen ist,516 regimeaffirmative Kunst also nicht notwendig als plump einzustufen ist, sind diese Treppenhausfenster sicher politisch willfährig gewesen, ihre propagandistische Eignung war hingegen fraglich. Anders als im Falle von der Konkurrenz zur Industrie betroffener Gewerbe war es im Friseurhandwerk überflüssig, die Daseinsberechtigung in der Moderne mit historisierenden Praktiken zu demonstrieren. Dass dies trotzdem geschah, belegt, dass damit keine möglicherweise in anderen Handwerkszweigen gewünschten Vergangenheitsverklärungen bedient wurden. Vielmehr sollte damit in einer modernen Einrichtung die politisch gewollte Aufladung der Handwerksgeschichte als „Kraftquell nationaler und sozialer Kultur“517 an das Gewerbe

Reichsfachschule der Friseure ist eröffnet. In: DAF. Friseure. Fachliches Schulungsblatt der DAF für das Friseurhandwerk, 1939, Nr. 5. Zeitungsausschnitt in: NS/5/VI, 16593, Bundesarchiv Berlin. 513 Vgl. Fischer, Lysander: Betrachtungen zu den Glasmalereien des Hauses des Friseurhandwerks. In: Reichsinnungsverband, Friseurhandwerk (1939), S. 34–37, hier S. 35. 514 Vgl. Wolnik, Gordon: Mittelalter und NS-Propaganda. Mittelalterbilder in den Print-, Ton- und Bildmedien des Dritten Reiches. Münster 2004. 515 Vgl. Beckers, Marion; Moortgat, Elisabeth: Yva. Photographien 1925–1938. [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Verborgenen Museum 2001]. Berlin 2001. 516 Vgl. Kinkel, Lutz: Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das ‚Dritte Reich‘. Hamburg, Wien 2002. 517 Fischer, Betrachtungen (1939), S. 34.

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herangetragen werden, dessen zeitgenössische Forderungen im Nationalsozialismus, abgesehen vom Meisterbrief, kaum Erfüllung fanden. Die politischen Vorgaben zur Rolle des (Friseur-)Handwerks in der ‚Volksgemeinschaft‘ hoben die kapitalistische Wirtschaftsordnung nicht zugunsten einer ständestaatlichen Konzeption auf. Andersherum wurde versucht, das Friseurhandwerk darauf zu verpflichten, anstelle eigener vorrangig Staats- und Kundeninteressen im Blick zu haben. Diesem Zweck sollten rhetorische wie sowohl historisierende als auch modern funktionale Inszenierungen dienen, die der Gemeinschaftsbetonung eine Inhaltsausrichtung und Verortung gaben.

3.3 Exklusion: Antisemitismus und Diskriminierung der rassisch Verfolgten Verglichen mit dem Kaiserreich und der alltäglichen Situation im Nationalsozialismus waren antisemitische Töne im Diskurs der Handwerksorganisationen nun deutlich leiser zu hören, die Diskriminierung von Juden wurde eher passiv abgewartet als aktiv betrieben.518 Ein Forschungsbefund, der sich auch in der Auswertung der Friseurpresse wiederfindet, berufsspezifisch wurden im Nationalsozialismus eher wenig antisemitische Äußerungen laut.519 Gerade im Hinblick auf das Friseurhandwerk muss aber festgehalten werden, dass Antisemitismus zwar im ADHB während Deutschlands letzter Monarchie präsent gewesen ist, nicht aber in der friseurgewerblichen Fachliteratur des Kaiserreichs.520 Aus der damals und im hier interessierenden Zeitabschnitt geübten Zurückhaltung der Fachpresse kann allerdings nicht geschlossen werden, dass Antisemitismus im Friseurgewerbe keine Rolle gespielt habe, auch wenn es dazu wegen der relativ geringen Zahl der jüdischen bzw. nicht als ‚arisch‘ klassifizierten Handwerkerinnen und Handwerker vergleichsweise seltener 518 Zum antisemitischen Verhalten im Handwerk vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 218. 519 Vgl. Renz: Mode im Kriege. In: Der deutsche Friseur, 1942, Nr. 10, S. 2. Auch Maehnerts Untersuchung bestätigt die im Vergleich zum Kaiserreich auffallend geringen Angriffe auf die jüdische Kollegenschaft im Celler Friseurgewerbe. Vgl. Maehnert, Geschichte (1986), S. 128. 520 Nur vereinzelt klang am Ende der Weimarer Republik die antisemitische Stimmung an. Vgl. beispielsweise Nissen, Richard: Wie der erste Damenfriseur in Berlin entstand. In: DAFZ, 1932, S. 9.

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gekommen sein mag (1). Zum einen hatte die von der Bevölkerung und so auch vom Friseurhandwerk getragene Politik Auswirkungen, die außer- wie innergewerblich auftraten (2), zum anderen ist der oft sachliche Tonfall, mit dem Berufsangehörige auf die ausgegrenzte Kollegen- oder Kundschaft zu sprechen kamen, weniger als Zurückhaltung denn als akzeptierte Normalität der Diskriminierung zu verstehen (3). (1) Propaganda, Boykottaktionen, Gesetzgebung und die gesamtgesellschaftliche Verdrängung von ‚Nichtariern‘ machten die veränderte Situation schließlich mehr als deutlich. So sind bei den Novemberausschreitungen 1938 (‚Reichskristallnacht‘) auch Friseure und Friseurinnen betroffen gewesen, beispielsweise in Köln, wo der jüdische Friseur Moritz Spiro aus KölnEhrenfeld beim Versuch, sein Geschäft während der Ausschreitungen zu schützen, so schwer verletzt wurde, dass er kurz darauf starb.521 Ähnliche Gewalttaten, auch gegenüber eigenen Berufsangehörigen, dürfte die Branche auch an anderen Orten erlebt haben. Bei der Beurteilung der Lage im Gewerbe ist es allerdings nicht unwichtig, sich vor Augen zu führen, dass es im Vergleich zu anderen Berufsgruppen relativ wenige jüdische oder als ‚nicht arisch‘ eingestufte Friseurinnen und Friseure gegeben haben dürfte. Betrachtet man alle Gewerbe, so hatte es 1933 in Industrie und Handwerk zusammen noch 19.319 jüdische Selbstständige gegeben, Mitte 1935 waren es im gesamten Handwerk nur noch ca. 8.500, die meisten davon im Bekleidungsgewerbe.522 Wie viele davon im Friseurbereich tätig waren, ist unbekannt, ebenso wie die Zahl derjenigen, die sich nicht zum jüdischen Glauben bekannten, aber wegen jüdischer Vorfahren als Nichtarier zu den rassisch Verfolgten zu zählen sind. Die Motivation für eine konkurrenzbedingte antisemitische Aggression, wie sie in der Ärzteschaft, unter Juristen, im Einzelhandel oder im Textilbereich vorhanden war, blieb hier weitgehend aus, weil der Wettbewerbsdruck zwar groß war, die Verdrängung der aus rassistischen Gründen unerwünschten Konkurrenz bei ihrer geringen Zahl aber kaum vielversprechend gewesen sein dürfte. Zudem waren im nationalsozialistischen Propagandabild keine Stereotype von jüdischen Handwerkern oder auch Arbeitern vorhanden, auf die sich die Gesetzgebung hätte fokussieren wollen, wie etwa bei den ge521 Vgl. Barkow, Ben; Gross, Raphael; Lenarz, Michael: Novemberpogrom 1938. Die Augenzeugenberichte der Wiener Library, London. Frankfurt am Main 2008, S. 353. 522 Vgl. Barkai, Avraham: Vom Boykott zur „Entjudung“. Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden 1933–1943. Frankfurt am Main 1988, S. 140, Zahlenangaben bezogen auf das ‚Altreich‘.

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nannten Akademikern.523 Nachdem schon mit den ersten Boykottaktionen im April 1933 Diskriminierung und Verdrängung begonnen hatten, wurden parallel erlassene antijüdische Maßnahmen mit den Verordnungen zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in einen gesetzlichen Rahmen gestellt,524 der die Ausgrenzung zunehmend festschrieb. Die Diskriminierung seitens des Staates im gewerblichen Bereich wurde aber vor allem wirksam, als zum 31.12.1938 die Handwerkskammern, der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben folgend, jüdische Betriebe aus der Handwerksrolle löschten.525 So hatten sich bis 1938 jüdische Handwerksbetriebe länger halten können als Einzelhandelsgeschäfte oder Vertreter der freien Berufe und auch die Situation der Arbeiter und Angestellten, von denen ca. die Hälfte arbeitslos war, sah schlechter aus.526 Allerdings waren viele jüdische Handwerksbetriebe unter den ungünstigen Bedingungen wirtschaftlich stark heruntergekommen. So gab es hier, nachdem es Juden und Jüdinnen untersagt wurde, Handwerksbetriebe zu führen, im Gegensatz zur Situation bei lukrativ eingeschätzten Unternehmen527 ein auffallend geringes Interesse an ihrer Übernahme. Bis März 1939 waren alle jüdischen Betriebe liquidiert worden, die wenigsten wurden dabei ‚arisiert‘.528 (2) Wenngleich es für Gewerbetreibende untereinander womöglich weniger Anreize zur rassistischen Diskriminierung gab als in akademischen Berufen oder im Einzelhandel, so gab es Anlässe genug, sich mit den Machtverhältnissen auseinanderzusetzen und zwar nicht nur jenseits der Branche, sondern gerade auch in Bezug auf die eigene Arbeit. In der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12.11.1938 wurde es Juden und Jüdinnen noch erlaubt, ihre Tätigkeit „in bescheidenem Umfang“ fortzusetzen, vorausgesetzt, sie beschränkten sich auf jüdische Kundschaft.529 Die Verordnung wurde 1942 nach der Einfüh523 Vgl. ebd., S. 31. 524 Vgl. Hildebrand, Klaus: Das Dritte Reich. München 2003, S. 3. 525 Vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 217. (RGBl. 1938 I, S. 1580). 526 Vgl. Barkai, Boykott (1988), S. 140. 527 Etwa Banken, vgl. Köhler, Ingo: Die „Arisierung“ der Privatbanken im Dritten Reich. Verdrängung, Ausschaltung und die Frage der Wiedergutmachung. München 2005. 528 Vgl. Barkai, Boykott (1988), S. 140. Da ‚Arisierung‘ bislang vor allem Hinblick auf große Firmen oder regionsspezifisch beforscht wurde, ist es für das gesamte Reichsgebiet nicht möglich, neuere Zahlen zur Situation kleinerer Unternehmungen zu nennen. 529 Vgl. Walk, Joseph (Hg.): Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Heidelberg 1996, S. 300.

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rung des ‚Judensterns‘ mit dem Verbot, in nichtjüdischen Geschäften jüdische Kundschaft zu bedienen, noch bekräftigt.530 Das mag im Vergleich zu den Schwierigkeiten der zunehmend ausgegrenzten und verfolgten jüdischen Bevölkerung eine Bagatelle gewesen sein, dennoch verdeutlichen solche Bestimmungen, wie lückenlos die Diskriminierung geplant war und wie weit sie sich in die deutsche Gesellschaft hinein erstreckte. In Anbetracht der Bedrohung derjenigen, die entgegen der Bestimmungen mit ‚Nichtariern‘ privat oder geschäftlich weiterhin Kontakt hielten,531 stellte die Übertretung dieser Anordnungen eine so große Herausforderung dar, dass die Distanzierung von der jüdischen Bevölkerung die Folge war. Ob tatsächlich, wie die Friseurpresse berichtete, 99,9% aller Berufskameraden gewusst haben, „was zu tun ist“, im Gegensatz zu den „Judenknechten“, die „falsches Mitgefühl“ oder „krasser Materialismus“ zum unerwünschten Umgang mit Juden bewogen hätte, muss hier offenbleiben, in Artikeln über das „Bedienungsverbot von Juden“ wurde aber denen, die sich nicht politisch konform verhielten, eine „entsprechende Behandlung“ angedroht.532 Das Spektrum der Reaktionen auf die schließlich im Zweiten Weltkrieg vom Reichsinnungsmeister einschlägig formulierte Parole: „Friseure, die Finger weg vom Juden“533 war groß. Es reichte von banger Zurückhaltung oder ängstlicher Befolgung des Verbotes534 bis zu offensichtlicher Zustimmung, die beispielsweise 1942 im Geschäft von V. Heeb in Hanau mit dem Schild „Juden haben keinen Zutritt“ im Schaufenster gezeigt wurde.535 Eher selten war wohl ein Aufbegehren wie vom Stettiner Friseurmeister August Reeck, der sich im September 1937 (also vor dem offiziellen Verbot) darü530 Vgl. ebd., S. 372. Ab 12.05.1942 durften Juden keine arischen Friseure mehr aufsuchen. Vgl. Broszat, Martin; Frei, Norbert (Hg.): Das Dritte Reich im Überblick. Chronik, Ereignisse, Zusammenhänge. München 1992, S. 267. 531 Seit 24. Oktober 1941 drohten denjenigen, die „in der Öffentlichkeit freundschaftliche Beziehungen zu Juden“ zeigten, Haftstrafen, vgl. Longerich, Peter: „Davon haben wir nichts gewusst!“ Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933–1945. München 2006, S. 181. 532 Vgl. Renz: Bedienungsverbot für Juden. In: Der deutsche Friseur, 1942, Nr. 15, S. 2. 533 Vgl. Renz: Judenbedienung im Friseurhandwerk. In: Der deutsche Friseur, 1942, Nr. 12, S. 15. 534 Vgl. das von Asaria geschilderte Verhalten von Friseuren im Kreis Simmern im Hunsrück: Asaria, Zvi: Die Juden in Köln. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Köln 1959, S. 334. 535 Vgl. die von Franz Weber 1942 aufgenommene Fotografie http://bpkgate.picturemaxx. com/?LANGUAGE=DE_DE, Zugriff am 16.3.209, Bildnummer 30008496.

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ber beschwerte, dass ihm die DAF verboten habe, in seinem Geschäft jüdische Kundschaft zu bedienen.536 Michael Wildt folgend transformierte die antisemitische Exklusionspraxis – und damit eben nicht nur staatliche Repression, sondern auch alltägliches Handeln – die deutsche Gesellschaft maßgeblich in eine aggressive, rassistische Volksgemeinschaft.537 So wurden die auch im Friseurhandwerk vollzogenen rassistischen Grenzziehungen Teil jenes Herstellungsprozesses der ‚Volksgemeinschaft‘, die zwar erwünscht, nicht aber gegeben war.538 In ihrer Formierung durch soziale Anpassung an eine leistungsorientierte, hierarchisch gegliederte Gesellschaft, in der ‚gut geartete‘ Mitmenschen erzogen und ‚ungeartete‘ ausgemerzt werden sollten,539 nahm antisemitische Politik einen zentralen Stellenwert ein. Sie machte jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen zu Staatsbürgern/-bürgerinnen minderen Rechts, verursachte aber auch Veränderungen in der nichtjüdischen Bevölkerung. In der Herstellung der ‚Volksgemeinschaft‘ durch Gewalt war Distanzierung von den Opfern ein erster Schritt der Selbstermächtigung der Gruppe. Insofern ist auch die Ablehnung jüdischer Kundschaft ein Teil dieses fatalen Vergemeinschaftungsprozesses gewesen. (3) Das Geschäftsleben war aber nicht nur im direkten Kundenkontakt von rassistischer Grenzziehung geprägt. Die Rassepolitik des Regimes erschien zahlreichen Friseuren so selbstverständlich, dass – wie folgende Momentaufnahmen aus den Akten des Reichswirtschaftsministeriums zeigen – sie als unkritische bzw. nicht kritisierte Voraussetzung mindestens im Schriftverkehr zu Tage trat. So kam die antijüdische Haltung 1935 mit der völlig unaufgeforderten Eingabe von Emil Teichmann an das Wirtschaftsministerium zum Ausdruck. Der nicht vertrauenswürdige „Jude Kormann“ beherrsche den Haarmarkt, eine für die deutsche Theater- und Maskenbildnerei unhaltbare Vorrangstellung, die zudem Betrug mit Devisen Vorschub leiste.540 In Teichmanns Augen 536 Vgl. den Vermerk des Reichs- und Wirtschaftsministeriums vom 13.9.1937 in: Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13981, Bd. 4, 1937, Bundesarchiv Berlin. 537 Vgl. Wildt, Michael: Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939. Hamburg 2007. 538 Vgl. Mommsen, Hans: Volksgemeinschaft. In: Stern, Carola (Hg.): Lexikon zur Geschichte und Politik im 20. Jahrhundert, Bd. 2, L-Z. Köln 1971, S. 830. 539 Vgl. Peukert, Detlev: Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde. Anpassung, Ausmerze und Aufbegehren unter dem Nationalsozialismus. Köln 1982. 540 Vgl. Eingabe Emil Teichmanns vom 23.11.1935 an den Herrn Reichswirtschaftsminister Dr. Schacht. Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980, Bundesarchiv

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schien das Regime den ‚arischen‘ Berufsgenossen einen Gefallen schuldig zu sein, weil das Friseurgewerbe nicht von der staatlichen Förderung durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen profitieren könne, schlug er zum Ausgleich die Überführung des Haarhandels in „deutsche Hände“ vor. Auch in der Auseinandersetzung zwischen der Handwerkskammer Breslau und Wilhelm Ludwig, an dessen Geschäftspraxis erhebliche Kritik bestand, zeigt sich die Normalität der antijüdischen Diskriminierung. Es sei Ludwigs Aufgabe gewesen, das Geschäft wieder auf die Höhe zu bringen, zugleich gestand die Kammer es ihm in einem Normalität erzeugenden, nüchternen Tonfall zu, dass er einen erheblichen Verlust wegen des Wegfalls der jüdischen Kundschaft „durch Auswanderung, Verzug usw.“ zu verkraften gehabe habe.541 Hans Paecht bemühte sich 1935, den Vorwurf der Schleuderpreise abzuwehren, indem er versuchte, aus der antijüdischen Stimmung einen Vorteil herauszuschlagen. Bei der Übernahme seines Friseurgeschäftes seien die Bedingungen des jüdischen Vorbesitzers so hart gewesen, dass er zwar zunächst versucht habe, das Preisniveau der Nachbarschaft zu halten, aber recht bald gezwungen gewesen wäre, durch niedrige Preise so viel Kundschaft als möglich für sich zu gewinnen, um überhaupt Umsatz zu machen.542 In anderer Weise dürfte sich Adolf Weickert, der seit langem in Berlin private Fortbildungslehrgänge für das Friseurgewerbe anbot, über antijüdische Diskriminierung in seinem Gewerbe klar geworden sein.543 Gesetzliche Bestimmungen, die die Teilnahme an Frisierkursen auf Berufsangehörige beschränkten, konnten umgangen werden, wenn die Schulbehörde Ausnahmen zuließ. In der Regel war dies dann der Fall, wenn Inhaber von Friseurgeschäften solche ‚Umschulungen‘ für ihre zukünftigen Ehefrauen beantragten, die nach der Eheschließung ihren erlernten Beruf aufgeben Berlin. 541 Schreiben der Handwerkskammer zu Breslau 17.1.1938 an den Herrn Reichs- und Preußischen Wirtschaftsminister betreffend der Eingabe des Friseurmeisters Wilhelm Ludwig an den Herrn Reichs- und Preußischen Wirtschaftsminister, in R 3101, 13981, Bd. 4, 1937, Bundesarchiv Berlin. 542 Vgl. Schreiben von Hans Paetz, Friseur in Gelsenkirchen, an das Reichs- und Innenministerium in Berlin, 24.10.1935. Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980, Bundesarchiv Berlin. 543 Vgl. A. Pr. Br. Rep. 057 Nr. 2167. Private Fortbildungslehrgänge für das Friseurgewerbe von Adolf Weickert, Berlin SW 68, Markgrafenstraße, Landesarchiv Berlin. Die folgenden Beispielfälle sind in dieser Akte dokumentiert.

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und im Geschäft arbeiten wollten,544 wenn Frauen für ihre Dienstboten, von denen sie Frisierkenntnisse verlangten, die Teilnahme an den Kursen beantragten545 oder wenn das in den Lehrgängen erworbene Wissen für eine Berufstätigkeit im Ausland dienen sollte. Edith Ziel aus New York wurde die Teilnahme bei Weickert im Juni 1933 problemlos genehmigt,546 Marianne Levy wiederum, die 1934 einen Neubeginn als Friseurin in Palästina plante, verweigerte man diese.547 Lapidar und beinahe einzigartig wurde die Ausnahmegenehmigung in ihrem Fall nicht erteilt, weil die Schulbehörde Levy gegenüber restriktiver argumentierte als bei anderen Interessentinnen und die ansonsten vernachlässigte Bestimmung, nur Berufsangehörige zu den Kursen zuzulassen, strikt anwandte. Zwar hatte Weickert, der seinen Lebensunterhalt mit der Lehrtätigkeit finanzierte, sich wohl kaum nur uneigennützig für Levy eingesetzt, immerhin hatte er aber die Aufnahme von Levy überhaupt erwogen und noch versucht, durch Hinweis auf ihre Teilnahme an Frisierkursen in Frankreich eine fachliche Zugehörigkeit zu begründen.548 Diese Schlaglichter verdeutlichen, dass das Friseurhandwerk keineswegs eine Nische unproblematischen Alltagslebens in der Diktatur war, sondern rassistische Diskriminierung in verschiedener Form und Dimension auch im hier interessierenden Gewerbe an der Tagesordnung war.

3.4 Branchenstrukturanalyse Die gewerberechtlichen Veränderungen und die gesellschaftlichen Inklusions- wie Exklusionspraktiken wirkten sich auf die Branchenstruktur und Strategiefindung unterschiedlich aus. Die Wettbewerbsfaktoren Rivalität 544 Beispielsweise beantragte Weickert, die Verlobte des Friseurs Rudolf Bull, die Buchhalterin Gertrud Schenk, zu unterrichten, vgl. Schreiben Weickert an den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg und von Berlin vom 10.5.1933, was im Antwortschreiben vom 18.5.1933 bewilligt wurde. 545 Vgl. den Antrag von Charlotte Kiekbusch, die bei Frau Major von Willich, Schloss Caputh, ‚in Stellung‘ gehen wollte, zu unterrichten vom 30.8.1933, am 14.9.1933 genehmigt. 546 Ausnahmeerlaubnis 30.5.1933 angefragt, 7.6.1933 genehmigt. 547 Ausnahmeerlaubnis 6.3.1934 angefragt, 15.3.1934 verweigert. 548 Da er seine arische Abstammung 1934 hatte nachweisen müssen und seine Mitgliedschaft bei der Demokratischen Partei von 1928 bis 1930 als „durch die Verhältnisse gezwungen“ rechtfertigte, dürften ihm die mit dem Antrag auf Zulassung Levys verbundenen Probleme klar gewesen sein.

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unter den bestehenden Wettbewerbern/Wettbewerberinnen und Bedrohung durch neue Anbieter/Anbieterinnen sind in den neuen Verhältnissen anders zu beurteilen als vorher. Bevor sie ausführlicher dargelegt werden (b), sollen zunächst kurz die drei im hier interessierenden Zeitabschnitt weniger veränderten Faktoren angerissen werden, die Verhandlungsstärke der Liefernden und der Abnehmenden sowie die Bedrohung durch Ersatzprodukte (a). (a) Hinsichtlich des beachtlichen Einflusses der Liefernden dürfte sich faktisch kaum etwas verändert haben.549 Klagen des Gewerbes darüber, dass die “erwerbslosen Berufsangehörigen durch Pumpwirtschaft unserer Einrichtungsindustrie sich selbständig machen konnten“550 weisen darauf hin. Vertreter der Friseurorganisationen beanstandeten mit markigen Worten das Verhältnis von Industrie, Handwerk und Staat. Der Reichsfachschaftswalter der Friseure Klasen (DAF) kritisierte zwar, dass die „dem Friseurhandwerk eigentlich dienende Industrie in verstärktem Maße den Friseur abhängig zu machen“551 versuche. Die Ankündigung, um den Schutz des Handwerks kämpfen zu wollen, war aber wohl kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Die Verhandlungsstärke der Abnehmer und Abnehmerinnen wurde insofern für die Branche in ungünstiger Weise ideologisch gestützt, als materielle Interessen der Gewerbetreibenden als nachrangig gegenüber den Pflichten an der ‚Volksgemeinschaft‘ definiert wurden. In Friedenszeiten wurde mit der Gemeinschaftsrhetorik zunächst allerdings eher die Rolle angesprochen, die das Gewerbe im Staat zu erfüllen hatte. Während des Zweiten Weltkrieges versuchte des Regime, im Rahmen der ‚Volksgemeinschaft‘ die Position der Kundschaft gegenüber dem Friseurhandwerk zu stärken. Zur Bedrohung durch Ersatzprodukte kann das gelten, was im Abschnitt zur Weimarer Republik bereits ausgeführt worden ist. Wie im Kapitel Modebilder dargestellt wurde, kann entgegen der durchaus verbreiteten Vorstellung von einer typisch nationalsozialistischen Zopfmode davon keine Rede 549 Da es, wie bereits dargelegt, kaum Forschung zu hier relevanten Firmen gibt, kann das Verhältnis der Kosmetikchemie zum Friseurgewerbe nicht weiterführend behandelt werden. 550 Zimmermann, Hermann: Schaffendes Friseurhandwerk. Erfahrungen und Betrachtungen eines Gaufachschaftsverwalters. Breslau 1941, S.  8. (Bundesarchiv Berlin, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13981). 551 Tagung der Kreis- und Ortsfachschaftswalter im Gau Groß-Berlin. In: Friseure. Fachliches Schulungsblatt der DAF, 1937, Nr. 5. Zeitungsausschnitt in NS/5/VI, 16590, Bundesarchiv Berlin.

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sein. Abgesehen von Einzelfällen war es nicht üblich, mit eigenen Flechtkünsten den Friseurbesuch zu umgehen. Etwas anders sah es hingegen mit dem ‚kleinen Knoten‘ aus. Nachdem der kinnlange Bubikopf häufig zum längeren Flapperkopf geworden war, weil seine Trägerinnen den Friseurbesuch zeitlich möglichst weit nach hinten verschoben hatten, schlugen nicht wenige ihr noch länger gewachsenes Haar nun zu einem Knoten ein. Dennoch lösten sie Kurzhaarfrisuren nicht völlig ab, sie waren mit ihrer Vorliebe dem Gewerbe, das anders als die spätere Forschung nicht wissen konnte, wie sich die Dinge entwickeln würden, aber ein Dorn im Auge. Ähnliches kann für die Olympiarolle und den Pageboy gelten. (b) Die wirtschaftlichen Probleme im Friseurgewerbe resultierten insbesondere aus der vorangegangenen, enormen Steigerung der Betriebszahlen um 72% zwischen 1925 und 1933, ohne dass dies von einer vergleichbaren Umsatzentwicklung begleitet worden wäre. Die Fachpresse beklagte nicht ohne Grund die „Lebensgefahr für den ganzen Beruf“.552 Auch der Reichswirtschaftsminister nahm die Situation des Gewerbes als höchst problematisch wahr und zählte es auch 1938 noch zu den außergewöhnlich ‚über­setzten‘.553 Abb. 58: Betriebszahlen 1875‐1939

100000 80000 60000 40000 20000 0

1875 1895 1907 1925 1933 1937 1938 1939

552 Die Not des Friseurgewerbes im Spiegel der Statistik. In: DAFZ, 1934, Nr. 26, S. 658. 553 Vgl. Jahresbericht 1938/39 des Reichsinnungsverbandes des Friseurhandwerks. In: Reichsinnungsverband, Friseurhandwerk (1939), S. 39–96, hier S. 52.

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Vor Einführung des Meisterzwangs 1935 ergriff der Staat kaum konkrete Maßnahmen, um einen Rückgang der Betriebszahlen einzuleiten. Die geringe Schrumpfung bis Ende der 1930er Jahre ist wohl am ehesten damit zu erklären, dass es nur wenige Kleingewerbetreibende in der verbesserten Arbeitsmarktsituation (1936 beinahe Vollbeschäftigung)554 attraktiver fanden, ihr Auskommen jenseits der Selbstständigkeit und möglicherweise auch außerhalb ihres erlernten Berufes zu finden.555 Die Begrenzung der Konkurrenz durch Diskriminierung der als nicht ‚arisch‘ eingeordneten Bevölkerung war auch in zeitgenössischer Perspektive556 – rein quantitativ betrachtet – nicht besonders relevant und wurde im Zusammenhang mit der hier interessierenden Branche selbst propagandistisch kaum als Berufsbereinigung angesprochen.557 Abb. 59: Friseurbetriebe nach Umsatz 1935 

50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0

Den Massenhandwerken, wie gerade dem hier interessierenden, ging es nach wie vor weniger gut, bessere Aussichten hatten enger mit der Rüstungswirtschaft verbundene Branchen.558 Wie es um die Situation im Gewerbe be554 Vgl. Benz, Geschichte (2000), S. 97. 555 Vgl. Boyer, Handwerksordnung (1988), S. 431. 556 Zur zeitgenössischen Einschätzung des im Einzelhandel quantitativ wirksamen Betätigungsverbots für Juden vgl. Chesi, Struktur (1966), S. 114. 557 Eine Ausnahme ist: Friseurhandwerk im 6. Kriegsjahr. In: Wirtschaftspolitischer Dienst, 26.10.1944. In der Zeitungsausschnittsammlung in: NS/5/VI, 16590, Bundesarchiv Berlin. 558 Vgl. Boyer, Handwerksordnung (1988), S. 432.

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stellt war, mag eine Gegenüberstellung der Umsätze (vgl. Abb. 59)mit in anderen Bereichen üblichen Durchschnittsgehältern zeigen, die zwar keinen sauberen Vergleich erlaubt, allerdings recht anschaulich ist. 1936 verdiente ein Arbeiter im Durchschnitt 1.761 RM im Jahr, eine Arbeiterin 952 RM, ein Angestellter ca. 3.000 RM, seine Kollegin ungefähr die Hälfte.559 Ungefähr die Hälfte der Frieseurbetriebe insgesamt erzielte nur Umsätze auf dem Lohnniveau von Arbeitern (wenn überhaupt), ca. ein Drittel dieser Betriebe setzte sogar nicht mehr als 1.000 RM um. Da 62 % der Bevölkerung über weniger als 1.500 RM Jahreseinkommen verfügten, können viele selbstständige Friseure und Friseurinnen zu dieser großen Gruppe der schlechter Gestellten gezählt werden. Insofern dürfte im Vergleich mit anderen die Beurteilung der eigenen Lage als sehr schwierig, aber eben nicht ungewöhnlich ausgefallen sein, was zur Weiterführung unrentabler Betriebe beigetragen haben dürfte und insgesamt zur ruinösen Konkurrenz führte. Die Situation war nicht nur wegen der wirtschaftlichen Probleme angespannt, sondern auch vom rüden Ton der ‚Bereinigung‘ bestimmt, gleichzeitig aber intervenierte der Staat bis zur Einführung des Meisterzwangs 1935 kaum, obwohl seitens des Handwerks Festsetzungen von Mindestpreisen u. ä. vehement gefordert wurden. Innergewerbliche Ansätze zur Regulierung der Konkurrenz Die innergewerblichen Ansätze zur Regulierung der Konkurrenz setzten darauf, sich gute Beziehungen zum Regime zunutze machen zu wollen sowie auf den Ausschluss von ‚Berufsfremden‘ und Frauen. In- und Exklusionsüberlegungen spielten eine wichtige Rolle. Ob, wie nun behauptet, in den 1920er Jahren tatsächlich 25.000 ‚Berufsfremde‘ im Friseurhandwerk ihr Auskommen suchten und sich davon 15.000 selbstständig machten, die nach den Bestimmungen des ‚großen Befähigungsnachweises‘ kaum eine Chance hatten, ihr Geschäft langfristig weiterzuführen, müsste erst noch überprüft werden.560 Die Rede von den ‚Berufsfremden‘ war zwar nicht erst im Nationalsozialismus aufgekommen, trug aber hierfür typische Züge. Der mit der angeblichen Fremdheit erprobte Vorwurf wurde in den neuen Bedeutungsrahmen der Gemeinschaftsrhetorik, hier im Zusammenhang mit 559 Vgl. Tooze, Adam: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. Bonn 2007, S. 174. 560 Vgl. ebd., hier S. 51.

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dem Ausschluss aus der Geschäftswelt, gestellt. Insofern können der Wortgebrauch und die berufsspezifische Einordnung in ‚fremd‘ und ‚eigen‘ als die nationalsozialistische Herrschaft im Alltag stützend begriffen werden. Bevor kurz vor dem Zweiten Weltkrieg Maßnahmen wie der Meisterzwang (oder später Bedürfnisprüfungen) Geschäftsgründungen reglementierten, versuchten Organisationen des Friseurhandwerks andere Möglichkeiten zur Begrenzung der Konkurrenz durchzusetzen. Bei selbstständigen männlichen Kleinsthandwerkern war das Argument der besseren Ver­ wendung als Arbeitnehmer in anderen (Rüstungs-)Betrieben üblich. Insbesondere aber gerieten im Kundenhaushalt durchgeführte Friseurdienstleistungen in die Kritik. Zwar wurde die Diskussion unter dem geschlechtsneutralen Titel „ambulante Ausübung des Gewerbes“ geführt, gemeint waren damit aber vorrangig die traditionell abgelehnten ‚Hausfriseusen‘, die nun unter „Lauffriseusen“561 firmierten. Die Einschränkung ihrer Tätigkeiten wurde nicht nur von Friseurorga­ nisationen, lokalen Behörden und dem Reichswirtschaftsministerium debattiert, auf lokaler Ebene wurden auch die Innungen aktiv. Häufig wurde gegen die Betätigung von Frauen deren Versorgung durch einen gut verdienenden Ehemann angeführt.562 Beispielsweise gingen die Friseurinnung Charlottenburg und die Handwerkskammer Berlin in dem Bestreben, das ordentliche Mitglied Ella Glaubig vom Markt drängen zu wollen, sogar so weit, den Arbeitgeber ihres Ehemannes anzuschreiben. Es wurde darum gebeten, auf Herrn Glaubig so Einfluss zu nehmen, dass er seine Frau zur Aufgabe der „wirtschaftlich entbehrlichen Tätigkeit“563 bewege. Ella Glaubig konnte sich dagegen allerdings erfolgreich wehren. Ihre Beschwerden an den „geehrten Führer und Reichskanzler“564 hatten das Engagement des Reichswirtschaftsministeriums zur Folge. Von dort wurde ihr bestätigt, dass die „Einschaltung Dritter“ nicht richtig gewesen sei und versichert, dass sie 561 Schreiben des Regierungspräsidenten Aachen an den Reichs- und Preußischen Wirtschaftsminister vom 11.10.1934, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980, Bundesarchiv Berlin. 562 Schreiben des Regierungspräsidenten Köln an den Reichs- und Preußischen Wirtschaftsminister vom 15.7.1935, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980, Bundesarchiv Berlin. 563 Schreiben der Handwerkskammer Berlin an Firma A. Gakkus, Berlin Charlottenburg vom 20.8.1935, Bundesarchiv Berlin, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980. 564 Schreiben Ella Glaubigs an Adolf Hitler vom 28.8.1935, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980, Bundesarchiv Berlin.

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als pflichtbewusstes, d. h. Beiträge zahlendes Mitglied keine weiteren „Eingriffe in das [ihr] zustehende Recht auf ungestörte Ausübung [ihres] Gewerbes“ zu erwarten habe.565 Wie häufig Frauen bzw. Ehepaare einem solchen Druck nachgaben und sich aus dem Gewerbe zurückzogen, ist unbekannt. Die Begründung für das erwünschte Verbot der Berufsausübung jenseits von Geschäftsräumen wurde in der Übervorteilung der Kollegenschaft gesehen, die durch den Betrieb von Läden erheblich höhere Kosten trug. Im Rahmen der Gewerbeordnung hätte ein solches Verbot nicht erteilt werden können,566 so wurden auf Reichsebene lokale Vorstöße in diese Richtung aus rechtlichen Gründen stets aufgehoben.567 Daher versuchte es das Handwerk mit dem Argument der besseren hygienischen Standards, die in Geschäften, nicht aber privat aufrechtzuerhalten seien.568 Mehr noch, die so wichtige polizeiliche Kontrolle könne nur in Ladenlokalen durchgeführt werden. Allerdings konnten Friseurorganisationen auch so die zuständigen Behörden nicht für ein Verbot gewinnen, zumal sich die Branche weiterhin offen gegen Hygieneauflagen wandte, beispielsweise wurde der Gebrauch von eigentlich untersagten Rasierpinseln gerechtfertigt.569 Der einzig legitime Weg, um Marktaustritte zu erzwingen, bestand trotz aller Eingaben nur im Falle von Pflichtverletzungen. Dabei musste Geschäftsinhabern entweder nachgewiesen werden, Steuern und Sozialabgaben ganz oder teilweise nicht geleistet zu haben, ihren Pflichten aufgrund einer mangelhaften Kalkulation nicht nachgekommen zu sein oder aber, dass sie belegbar nur mangelhafte Arbeit leisteten. Zwar ließen sich feh565 Schreiben des Reichs- und Preußischen Wirtschaftsministeriums an Ella Glaubig vom 25.9.1935, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980, Bundesarchiv Berlin. 566 Vgl. die Gesetzesauslegung in einem diesbezüglichen Schreiben des Oberregierungsrates Peters an den Reichs- und Preußischen Wirtschaftsminister vom 23.4.1935, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980, Bundesarchiv Berlin. 567 Vgl. Schreiben der Handwerkskammer Aachen an den Regierungspräsidenten in Aachen vom 13.4.1935, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980, Bundesarchiv Berlin. 568 Vgl. Schreiben des Regierungspräsidenten Aachen an den Reichs- und Preußischen Wirtschaftsminister vom 11.10.1934, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980, Bundesarchiv Berlin. 569 Vgl. Niederschrift über die Beratung des II. Entwurfs einer Verordnung des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren, betreffend die Friseurhandwerksbetriebe, im Reichsgesundheitsamt am 30.10.1935, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980, Bundesarchiv Berlin.

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lende Beträge und Strafzahlungen einfordern, aber im Wesentlichen konnte maximal eine Verletzung des handwerklichen Ehrenrechtes beanstandet werden. Meistens waren die Verfehlungen ohnehin nicht zu belegen und wenn, dann folgten kaum wirkungsvolle Sanktionen.570 Die ‚organisierte Handwerkerschaft‘ konnte das von ihr hier als Strafmaß gewollte Verbot der Berufsausübung nicht durchsetzen.571 Erst mit verschärften Verordnungen, wie der mit dem Vierjahresplan eingeführten Bedürfnisprüfung von 1939,572 nach der arbeitseinsatzfähige Handwerker, die nicht die erforderlichen fachlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllten, aus der Handwerksrolle gelöscht werden sollten, wurde tatsächlich ein Rückgang der Betriebszahlen forciert, der die Leistungsfähigeren schützen und zu einem Zustrom von Arbeitskräften für die Rüstung führen sollte.573 War Begrenzung der Konkurrenz gerade das Argument gewesen, mit dem Handwerksorganisationen ihrer Forderung nach dem Meisterzwang erfolgreich hatten Nachdruck verleihen können, so gereichte diese Argumentation dem Handwerk ab 1939 zum Nachteil.574 Nachdem damit die Entbehrlichkeit von Teilen des Handwerks aufs Tapet gebracht worden war, kosteten die die Selbstständigkeit limitierenden Maßnahmen schon während der Kriegsvorbereitung vielen die Existenz ihres kleingewerblichen, also oft wenig produktiven Friseurbetriebes. Gerade für nicht rüstungsbeteiligte Handwerkszweige wie das hier interessierende war die Situation nach 1939 besonders ungünstig geworden. Die das Gewerbe vertretenden Organisationen hatten kaum Möglichkeiten, die Relevanz der Branche für den 570 Vgl. die ausführliche Diskussion anhand der Auseinandersetzung um den Pforzheimer Friseur Willi Hönniger im Gesprächsprotokoll des Rechtsanwalts Carl Eiermann mit dem Geschäftsführer der Badischen Handwerkskammer, Karlsruhe vom 10.9.1935, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980, Bundesarchiv Berlin. 571 Vgl. Chesi, Struktur (1966), S. 45. 572 Die Bedürfnisprüfung galt seit dem 22.2.1939 und wurde nach Kriegsbeginn im Dezember 1939 zunächst wieder aufgehoben, einberufungsbedingte Betriebsstilllegungen führten dann ohnehin zu einem Rückgang der Betriebszahlen, vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 206. 573 Insgesamt lässt sich feststellen, dass tendenziell bei steigenden Beschäftigtenzahlen die Betriebszahlen schrumpften. Das Beispiel der ostwestfälischen Friseurbetriebe ist sicher nicht repräsentativ, gibt aber einen Einblick. Die Zahl der Beschäftigten pro Friseurbetrieb in Ostwestfalen-Lippe entwickelte sich wie folgt: 1913: 0,9 Beschäftigte (B.), 1926: 0,94 B., 1937: 0,92 B., 1938: 0,84 B., 1939: 1,27 B., vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 212. 574 Vgl. Chesi, Struktur (1966), S. 115.

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Krieg zu begründen, die aber nötig war, um Betriebsstilllegungen und den Abzug von Beschäftigten zu verhindern.575 Ein entsprechender Mangel an Fachkräften war hier besonders stark zu spüren, weil sich im Zuge der auf Rüstung ausgerichteten Wirtschaft ein verstärkter Arbeitskräftebedarf entwickelte, den die wegen der höheren Löhne attraktivere Industrie insgesamt besser zu decken vermochte. Ob dies auch im Friseurgewerbe zutrifft, ist bislang nicht untersucht worden.576 Neben der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Betriebe konnte bei der Beurteilung der Bedürfnislage auch die Gesinnung maßgeblich werden. Politisch konforme Handwerker, die „Berufsständearistokratie“,577 hatten es zwar insgesamt leichter, aber letztlich war nicht allein die Weltanschauung ausschlaggebend. Dennoch konnte sie, wie das Beispiel des SS-Angehörigen und Friseurs Wieber in Burgdorf zeigt, selbst sicher nicht generell regimefeindlichen Handwerkern zum Fallstrick werden.578 Nachdem Wieber während des Röhm-Putsches den Gehorsam verweigert hatte, wurde er aus der SS ausgeschlossen. Außerdem galt er als prinzipiell politisch unzuverlässig, sodass die Handwerkskammer ihr Veto gegen die von ihm geplante Geschäftseröffnung einlegte.579 Der eigentlich bedeutsame Rückgang der Betriebszahlen fand aber erst im Krieg statt. Kriegsbedingte Stilllegungen sind von anderen kaum zu differenzieren, sodass sich die Auswirkungen dieser Politik schwer abzuschätzen lassen.580 Es ist aber davon auszugehen, dass die nationalsozialistische Handwerkspolitik sich in der hier interessierenden Branche als Machtzugewinn der Handwerksorganisationen auswirkte,581 bei den Gewerbetreibenden selbst aber negativ auf die Stimmung drückte. Die Existenzberechtigung vieler Betriebe wurde an ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gekoppelt, die in Anbetracht weit verbreiteter geringer Umsätze bei den meisten fraglich war. Daher dürfte die seitens des Reichsinnungsverbandes begrüßte ‚Bereinigung‘ bei vielen eher befürchtet als begrüßt worden sein. 575 Zu den Einsatzmöglichkeiten der Kammern, sich für die Erhaltung von Betrieben zu verwenden vgl. ebd., S. 98. 576 Vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 216. Für diese plausible These gibt es im Friseurhandwerk leider nur einen Beleg. Maehnert wies für Celle nach, dass Friseurbetriebe wegen höherer Löhne Gesellen an die Industrie verloren, vgl. Maehnert, Geschichte (1986), S. 122. 577 Saldern, Mittelstand (1979), S. 136. 578 Nach Saldern, Leistungsdruck (2002), S. 51. 579 Vgl. ebd. 580 Vgl. Boyer, Handwerksordnung (1988), S. 433. 581 Vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 206.

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Nur diejenigen, deren Betriebe einigermaßen stabil und deren Meinung und Verhalten politisch konform waren, dürften sich über die Aussicht auf eine geschrumpfte Kollegenschaft gefreut haben. Die auf die Reduktion der Konkurrenz abzielende Politik des ‚organisierten Handwerks‘ ist in der Beurteilung der insgesamt sehr ungünstigen Branchenstruktur tendenziell als Verbesserung der unternehmerischen Chancen zu sehen, die aber in der Situation der ruinösen Konkurrenz kaum gegeben waren. Strategische Optionen Da es aus verschiedenen Gründen schwierig ist, konkrete Angaben über Preise und Unkosten zu machen, kann an dieser Stelle nicht einmal ansatzweise ein Einblick in die Rentabilitätsverhältnisse des Damen- und Herrenfachs gegeben werden, wie es für den vorangegangenen Zeitabschnitt noch möglich war. Dies ist liegt zum einen daran, dass die Branche seit Beginn der 1920er Jahre kaum noch wirtschaftswissenschaftlich untersucht wurde, zum anderen ist hier erneut die Zeitdimension zu thematisieren. In den Artikeln, die sich mit Kalkulationsfragen und ‚Preisdrückerei‘ befassen, ist nun nicht mehr nur von Geschäften unterschiedlichen Preisniveaus die Rede, sondern auch davon, dass die für die einzelnen Leistungen aufgewendete Zeit sehr unterschiedlich einzuschätzen sei. Beispielsweise war vordem für einen Herrenhaarschnitt mit Waschen und Schneiden eine Dauer von 45 Minuten angenommen worden, in den 1930er Jahren gingen einige Autoren hingegen davon aus, dass man mit 20 Minuten auskäme.582 Aufgrund der starken Konkurrenz ist aber kaum anzunehmen, dass es möglich gewesen wäre, den schleppenden Geschäftsgang mit einem ausgeklügelten Zeitmanagement zu verbessern. Der im Nationalsozialismus inhaltlich und gewerbepolitisch neu bestimmte Rahmen wirkte sich partiell auf die typischen Strategien aus, anstelle von Differenzierung und Schwerpunktsetzung überwog ein breites Angebot. Kostenführerschaft dürfte nach wie vor angestrebt, aber nur selten erreicht worden zu sein. Offenbar gab es nicht selten Versuche, die Kosten damit zu drücken, dass Sozialversicherungsabgaben nicht geleistet wurden.583 582 Vgl. das Schreiben von Adolf Henkel, gerichtlich vereidigter Sachverständiger in Friseurfragen, an die Zwangsinnung für das Friseur- und Perückenmacher-Handwerk vom 6.9.1933, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13979, Bundesarchiv Berlin. 583 Vgl. die ausführliche Diskussion anhand der Auseinandersetzung um den Pforzheimer Friseur Willi Hönniger im Gesprächsprotokoll des Rechtsanwalts Carl Eiermann mit dem

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Mangels vorliegender Untersuchungen ist dies aber nicht zu quantifizieren oder in Relation zu früheren Verhältnissen zu setzten. Da die Abgabenlast im Handwerk gestiegen war,584 herrschten indes andere Bedin­gungen. Während in der Weimarer Republik im friseurhandwerklichen Diskurs erfolgversprechende Geschäftsstrategien wie die Belebung des Herrengeschäftes durch Erweiterung des Angebots und Verschlankung des Leistungsspektrums im Damenfach zu erkennen waren, entfielen diese Debatten und Strategien nunmehr. Aufgrund der Anforderungen an ein betont männliches, d. h. eher wenig dekoriertes Aussehen dürften Geschäfte, die in der Weimarer Republik eine Nische mit aufwändiger Herrenbedienung gefunden hatten, unter Druck geraten sein, nicht zuletzt deshalb, weil die in der Republik eingenommene liberale Haltung gegenüber Homosexuellen sich in ihr Gegenteil verkehrt hatte. Optische Anzeichen von Homosexualität konnten verheerende Folgen haben und dürften kaum noch Grundlage für eine spezifische Geschäftspolitik gewesen sein. Die Verschlankung des Leistungsangebots des Damenfaches, die in der Fachpresse vorher als Zielscheibe der Kritik reichlich präsent war, stellte nun kein Thema mehr dar. In Anbetracht der Tendenz zum längeren Haar (kleiner Knoten, Pageboy, Olympiarolle) waren es weniger die Kollegen als die Vorlieben der Kundinnen, die als geschäftsschädigend begriffen wurden. Da keine berufsständische Ordnung eingeführt wurde, waren Differenzierungsstrategien nach wie vor erlaubt, allerdings wurde die Profilierung Einzelner durch die Betonung von Gemeinschaftswerbung durchaus gehemmt. Gerade der Gemeinwohlgedanke dürfte die Qualitätsorientierung befördert haben. Zudem wurde im Nationalsozialismus großer Wert auf die Förderung des Gewerbes durch Schulungseinrichtungen gelegt. Damit wurde weiterhin breitenwirksam die Orientierung an handwerklicher Qualitätsarbeit vermittelt. Durch besondere Leistungen herauszuragen, dürfte daher fortgesetzt wenig zur erfolgreichen strategischen Profilierung Einzelner beigetragen haben. Zwar wurde das Herrenfach im Nationalsozialismus nicht außer Acht gelassen, es hatte aber eher Routinecharakter, sodass eine fachliche Verbesserung weiterhin hauptsächlich im Damenfach in Frage kam. Damit war vor allem eine Orientierung in die traditionelle Richtung verbunden, die Geschäftsführer der Badischen Handwerkskammer, Karlsruhe vom 10.9.1935, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13980, Bundesarchiv Berlin. 584 Vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 205, 206, 210.

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darauf setzte, Kundinnen möglichst viele Dienstleistungen zu verkaufen und das Herrengeschäft nebenbei laufen zu lassen. Dafür spricht auch die Entwicklung der Geschäftsausrichtung. Bestanden noch 1913 80% reine Herrengeschäfte, 16% gemischte Betriebe und 4% reine Damengeschäfte, so hatte sich 1937 die Zahl der reinen Herrengeschäfte fast halbiert (47%) und die der gemischten auf 40% erhöht, der Anteil der nur an Kundinnen adressierten Geschäfte betrug inzwischen 13%.585 In Friedenszeiten war die Branchenstruktur während des Nationalsozialismus sehr ungünstig. Jenseits von handwerklicher Qualitätsarbeit sind keine besonderen Geschäftsstrategien diskutiert worden. Der auf Qualität bezogene, breitenwirksame Ansatz baute zudem geschlechtsspezifisch ausgeprägte Geschäftsausrichtungen ab. Dafür sprechen der große Trend zu gemischten Betrieben und der zahlenmäßige Rückgang der Herrengeschäfte.

3.5 ‚Volksgemeinschaft‘ als Strukturvorgabe der Geschlechterverhältnisse im Friseurhandwerk Anhand der nationalsozialistischen Gemeinschaftsrhetorik lässt sich die anvisierte Beziehungsgestaltung der Geschlechter im Gewerbe unter zwei Aspekten beleuchten. Ausgehend von der Rolle des Friseurhandwerks im Wirtschaftsgefüge leitete sich die Ordnung der Betriebsgemeinschaft ab, die auch die innergewerblichen Geschlechterverhältnisse strukturieren sollte. In den während des Nationalsozialismus entwickelten Vorstellungen von der Arbeitswelt sollten die arbeitenden ‚Volksgenossen‘ einander in der ‚Betriebsgemeinschaft‘ als Individuen gegenübertreten, anstelle der vordem angeblich entfremdenden Begegnung Angehöriger verschiedener Klassen.586 Merkmal der Gleichheit der Arbeitenden war die Zugehörigkeit zur ‚ari585 Vgl. Strukturwandel im Friseurhandwerk. In: Münchner Neueste Nachrichten, Nr. 245, 9.9.1937. R 3903, 1358, Bundesarchiv Berlin. Offenbar ist hier die Problematik der Hausfriseurinnen nicht berücksichtigt worden, dennoch verdeutlicht der Anstieg der gemischten Betriebe die Verschiebungen. Die Zahlenangaben können nur als Trend begriffen werden. 586 Zu den harmonisierenden Vorstellungen der straff auszurichtenden Betriebsorganisation, die zunächst als Werksgemeinschaft konzipiert wurde und dann unter antisemitischen Bedingungen neu formuliert wurde vgl. Reidegeld, Eckart: Staatliche Sozialpolitik in Deutschland, Bd. 2, Sozialpolitik in Demokratie und Diktatur 1919–1945. Wiesbaden 2006, S. 327ff, S. 398ff.

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schen Rasse‘. Sie war nach der 1938 erlassenen Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben Voraussetzung dafür, Betriebsführer oder Gefolgschaftsmitglied werden zu können.587 Doch so sehr anstelle der Differenzen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerposition eine Interessenkonflikte harmonisierende Zusammenfassung aller ‚arischen‘ Berufsangehörigen, ob nun in der Ausbildung befindlich, angestellt oder selbstständig, in den Fachschaften des Handwerks betont wurde, die Differenzierung in Lehrling, Geselle und Meister war noch vertieft worden. Die Profilierung jedes Arbeitgebers im Friseurhandwerk zur Führungspersönlichkeit wurde den Innungen als „Gemeinschaftsträgern“588 aufgegeben. Den Meistern kam eine tragende Rolle bei der „Herausbildung eines fachlich und weltanschaulich tüchtig geschulten Standes von Arbeitnehmern“589 zu. Gerade bei den überschaubaren Verhältnissen des Friseurgewerbes mit typischerweise geringen Beschäftigtenzahlen sei die „Erfordernis des Dienens“590 zu betonen, um die Autoritätsverhältnisse klar herauszustellen. Insbesondere in der Lehrzeit solle mehr Strenge üblich werden. Dazu sollten die Prüfungen erschwert und fachschulische Ausbildungsanteile möglichst zugunsten der betrieblichen Meisterlehre zurückgedrängt werden,591 da nur dort die ordnungsgemäße Unterordnung erlernt würde, die nicht zuletzt wichtige Grundlagen soldatischer Tugenden lege.592 Berufliche Bildung ging hier geschlechtsspezifisch begriffen mit einer Form von Grundwehrbildung zusammen. Diese gesamthandwerkliche Aufgabenstellung schloss eng an die zuvor betriebene Profilierung des Friseurmeisters an, die nun jedoch nicht mehr nur auf die Vorrangstellung in Familie und Betrieb sowie Stärke im Lebenskampf abzielte, sondern auf militärische Einsatzfähigkeit. Mochte dies Friseuren zuvor wegen angeblich zartgliedriger Konstitution und mangelndem Training der Körperkraft in der Berufsausübung eher abgesprochen worden sein, galt als Beweis ihrer Kampfkraft nun allein ihre Männlichkeit. Die binäre Struktur der ‚Volksgemeinschaft‘ wies Frauen und Männern jeweils besondere Plätze zu. Die durch hierarchische Wertung geschaffenen Vor587 RGBl, 1, 1938, 1580. 588 Vgl. Nationalsozialistische Betriebsführung im Friseurgewerbe. In: DAFZ, 1933, Nr. 34, S. 900. 589 Ebd. 590 Ebd. 591 Vgl. Friseurberuf und Ständestaat. In: DAFZ, 1933, Nr. 16, S. 447. 592 Vgl. Soldat und Beruf. In: Der deutsche Friseur, 1937, Nr. 8, S. 11.

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stellungen von Über- und Unterordnung ließen sich allerdings nicht so einfach umsetzen, wie es der häufige Bezug auf den Vorbildcharakter des Militärs als straffer Organisation verhieß. Nicht zufällig oder dem üblichen Sprachgebrauch folgend, das Allgemeine in der männlichen Form zu fassen, war im obigen Zitat in erster Linie von ‚freien Männern‘ die Rede, die der nationalsozialistische Staat im Gegensatz zu „Schlappen und […] Waschweiber[n]“593 wolle. Die ‚rein arische‘, nationalsozialistische Berufsgemeinschaft war als männlich wie militärisch straff organisiert gedacht.594 Der „Führer der Groß-Berliner Friseurzunft“ beispielsweise zeichnete sich entsprechend nicht nur durch eine langjährige NSDAP-Mitgliedschaft aus, sondern stand als Teilnehmer des Ersten Weltkrieges für ein soldatisches Männlichkeitsbild.595 In der DAFZ wurde zwecks Umstrukturierung des Friseurgewerbes mit militärischen Organisationsformen für die ‚Gleichschaltung‘ geworben, indem angemahnt wurde, dass „auch in der Feldschlacht oder im Grabenkriege […] nicht jeder einzelne Soldat dahin rennen [kann], wohin es ihm beliebt“.596 Das Männlichkeitsbild wurde durch Aufmärsche von Handwerkern etwa bei Handwerkswochen eindrücklich demonstriert, beispielsweise marschierten Friseurlehrlinge in Hamburg im Gleichschritt zu einer fachlichen Schulung – angehende Friseurinnen gerieten nicht ins Foto.597 Eines von vielen anderen Beispielen wäre die Besprechung einer Frisurendemonstration, die einschlägig verbalisiert zur „machtvolle[n] Heerschau deutschen Hand­ werks­könnens“598 wurde. Friseurinnen hingegen wurden dem nationalsozialistischen Frauenbild599 konform anfänglich auf ihre Aufgaben als Hausfrau und Mutter orien593 Disziplinierte Freiheit. Verordnung gegen Preissteigerungen vom 16.1.1934. In: DAFZ, 1934, Nr. 18, S. 441. 594 Vgl. Die sozialen Ziele der Fachschaften. In: DAFZ, 1934, Nr. 6, S. 132. 595 Vgl. Der Führer der Groß-Berliner Friseurzunft. In: DAFZ, 1933, Nr. 11, S. 332. 596 Die sozialen Ziele der Fachschaften. In: DAFZ, 1934, Nr. 6, S. 132. 597 Vgl. Friseurnachwuchs wird geschult. In: Hamburger Tageblatt, 28.1.1935. Zeitungsausschnitt in NS/5/VI 16593. Auch bei der Berichterstattung über die Reichsberufswettkämpfe wurde betont, dass die männlichen Lehrlinge in SA-Uniform erschienen seien, während die Fotos die Teilnehmer im weißen Kittel zeigten. Vgl. Die höchste Entscheidung im Reichsberufswettkampf. In: Friseure. Fachliches Schulungsblatt der DAF, 1937, Nr. 5. Zeitungsausschnitt in NS/5/VI 16590, Bundesarchiv Berlin. 598 Von der Seine an die Elbe. In: Der deutsche Friseur, 1937, Nr. 20, S. 7. 599 Wenn auch, wie die Forschungen Gisela Bocks gezeigt haben, der Mutterkult der Reinhaltung der ‚arischen Rasse‘ nachgeordnet war, sodass Frauen nicht nur selbst unterschiedliche

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tiert.600 Der „ideologische Eiertanz“601 um die mütterliche Frauenrolle und die im Rahmen der Rüstungsanstrengungen und Kriegswirtschaft nötige weibliche Berufstätigkeit in allen Wirtschaftszweigen gab der idealisierenden Rede der ‚deutschen Mutter‘ ebenso Raum wie der pragmatischen Einstellung zu Frauenarbeit, die bei Bedarf gefordert und forciert wurde.602 Da zu den Überzeugungen, die eine Schnittmenge des Handwerks mit dem Nationalsozialismus bildeten, die Verquickung von Betriebs- und Familiengemeinschaft gehörte,603 die dem organischen Dreiklang von Lehrling, Geselle und Meister förderlich wäre,604 kam Frauen eine spezifische Rolle zu. Die Vorstellung von Frauen im Handwerk beschränkte sich in Friedenszeiten auf die ‚Meisterfrau‘, die mütterlich zwischen Meister und ‚Gefolgschaft‘ vermitteln sollte.605 Schon bald nach der Machtübergabe wurde in der Friseurpresse ihr Bild „in einer sauberen Schürze, die ihre Kinder hegt und pflegt“606 gezeichnet. So wurden die bislang gültigen Stereotype der ‚im Geschäft mithelfenden tüchtigen Kollegenfrau‘ oder der ‚unseligen Hausfriseuse‘ weitgehend abgelöst. Parallel dazu wurde in der Friseurpresse der Rückzug von Handwerkerinnen aus den Geschäften, in denen nun verstärkt Männer ihr Auskommen finden sollten, durch „Aufhebung des Doppelverdienertums“607 und der erzwungenen „Überführung“608 von weiblichen Arbeitskräften in die Hauswirtschaft, diskutiert.

Haltungen zur politisch erwünschten Mutterschaft einnehmen konnten, sondern auch als Mütter nicht grundsätzlich politisch hofiert wurden, vgl. Bock, Gisela: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik. Opladen 1986. Zum Mutterbild auch Weyrather, Irmgard: Muttertag und Mutterkreuz. Der Kult um die ‚deutsche Mutter‘ im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 1993. 600 Vgl. Rückschau und Ausblick. In: DAFZ, 1934, Nr. 9, S. 210–211. 601 Miller-Kipp, Gisela: Auch du gehörst dem Führer. Die Geschichte des Bundes deutscher Mädel (BDM) in Quellen und Dokumenten. Weinheim und München 2002, S. 275. 602 Zur Frauenarbeit im Nationalsozialismus vgl. den Überblick bei Kompisch, Täterinnen (2008), S. 37–45. Zur berufslenkenden und berufserziehenden Rolle des BDM vgl. MillerKipp, Auch du (2002), S. 114–125, 159–188. 603 Vgl. Saldern, Leistungsdruck (2002), S. 51. 604 Vgl. Zeleny, Karl: Das Handwerk. In: Peppler, Karl (Hg.): Die deutsche Arbeitskunde. Leipzig 1940, S. 91–99, hier S. 93. 605 Vgl. Das deutsche Handwerk und seine Aufgaben im Dritten Reich. In: Der deutsche Friseur, 1936, Nr. 22, S. 13–14. 606 Gleichschaltung im Berliner Friseurgewerbe. In: DAFZ, 1933, Nr. 13, S. 325. 607 Aus der Groß-Berliner Friseurzunft. In: DAFZ, 1933, Nr. 14, S. 366. 608 Generalangriff gegen Arbeitslosigkeit. In: DAFZ, 1933, Nr. 18, S. 474.

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Gerade dieser Rekurs auf die schon in der Weimarer Republik begonnene und im Nationalsozialismus zunächst fortgeführte Doppelverdiener­ kampagne,609 die eigentlich auf Beamtinnen und Frauen im öffentlichen Dienst bezogen war, belegt die Reichweite solcher Debatten, deren sozialpsychologische Wirkung in der Befürwortung der bürgerlichen Kleinfamilie mitsamt der Demoralisierung von Frauen lag, die sich solchen Begrenzungen widersetzten.610 Diese auf die Verminderung der weiblichen Konkurrenz abzielenden Ansätze waren für die männlich dominierte Fachpresse insofern attraktiv, als sie das Problem der Arbeitslosigkeit der Friseure auf Kosten der Kolleginnen zu lösen verhießen. Das Augenmerk, das in der Fachpresse nun auf den Frauen im Gewerbe lag, konzentrierte sich auf ihr Aussehen, Friseurinnen sollten vor allem eines sein: vorbildlich frisiert.611 Nachdem sie seit dem Kaiserreich durch berufliches Wissen und Können und verstärkt auch durch Qualifikation ihren Platz im Gewerbe behauptet hatten, war die auch im Nationalsozialismus übliche Bestimmung der Frauenrolle durch Eheschließung und Mutterschaft mit dem nun deutlich intensiviert verlangten perfekt-frisierten Aussehen durch ein weiteres Merkmal von beruflicher Gleichstellung mit Männern entfernt worden. Jenseits der Fachpresse dürfte dieses Frauenbild allerdings kaum auffindbar gewesen sein. Wie sehr Friseurinnen durch innergewerblich bedingte Ressentiments gegen Frauenerwerbsarbeit tatsächlich ins Hintertreffen gerieten, ist vor dem ungebrochenen Zustrom von Frauen in das Gewerbe fraglich. So herrschte 1936 in vielen Branchen eine besonders hohe Nachfrage nach Arbeitskräften und so auch im Damenfach, der Domäne der Friseurinnen, während es zahlreiche stellensuchende Herrenfriseure gab, die ohne die benötigten Kenntnisse im Damengeschäft aber nicht gebraucht wurden, wie die bereits angesprochene Entwicklung der Marktanteile von gemischten und reinen Damen- bzw. Herrengeschäften deutlich macht. Diesem Umstand plante der Reichsinnungsverband mit Förderlehrgängen 609 Die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik wiederbelebt wurde, zur Geschichte der Kampagne vgl. Wunder, Anke: Pflichten statt Rechte? Die Mobilisierung und Demobilisierung von Frauenarbeit im Kontext des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Wiesbaden 2004, S. 110–115. 610 Vgl. Hagemann, Karen: Frauenalltag und Männerpolitik: Alltagsleben und gesellschaftliches Handeln von Arbeiterfrauen in der Weimarer Republik. Bonn 1990, S. 465. 611 Vgl. Müller, Bernhard: Wie uns die Kundschaft haben möchte. In: DAFZ, 1933, Nr. 1, S. 13.

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vom Herren- zum Damenfriseur abzuhelfen.612 Dabei schien der ausdrückliche Hinweis darauf erforderlich, dass die Teilnehmer keine Schwestern oder Bräute mitbringen könnten. Die Wünsche potenzieller Teilnehmer und die bisherige, wenigstens noch partiell bestehende Praxis des Berufseinstiegs für Frauen durch Kurse wurden so von vornherein abgewiesen. Es ist auch in Rechnung zu stellen, dass die Arbeitgeberseite in der Privatwirtschaft auf günstige, ungelernte, typischerweise weibliche Arbeit entgegen dem politischen Willen häufig nicht verzichten wollte. Da beispielsweise laut Tarifordnung Friseurinnen in Berlin nur 90% des Männerlohnes erhielten, dürfte dies für ihre Einstellung gesprochen haben.613 Zudem kann von einem nennenswerten Rückgang der Frauenerwerbsarbeit auch vor verstärkter Nutzung weiblicher Arbeitskraft für Rüstungsziele ab 1936 keine Rede sein.614 An dieser Stelle tritt die Diskrepanz zwischen inner- und außergewerblichem Diskurs, d. h. von beruflichen und politischen Zielen, hervor. Einerseits konnte sich der von Männern geführte Gewerbediskurs auf den im Nationalsozialismus anerkannten männlichen Dominanzanspruch stützen, andererseits hatten die seit 1935 forcierten Rüstungsanstrengungen eine Arbeitskräftelenkung notwendig werden lassen, um den Personalbedarf der Rüstungsindustrie sicher zu stellen. Während andere Handwerke (etwa u. a. Zulieferer) es wie schon angesprochen vermochten, ihre Bedeutung zu begründen und ihre Fachkräfte zu behalten, stand dem allein dem privaten Konsum dienlichen Friseurhandwerk keine so gute Verteidigungsstrategie offen. Im Zuge dessen erschien es nötig, zu untersuchen, inwiefern im Friseurhandwerk Arbeitskräfte freigemacht werden könnten, und das waren in Friedenszeiten männliche. Entsprechend wurde Friseurarbeit explizit als zum „Aufgabenkreis der Frau“615 gehörig begriffen. Da „der Mann, seinem Wesen entsprechend, auf diesem Gebiet geringere Leistungen erzielt“,616 könne er Frauen nicht ersetzten, befand der Hauptschriftleiter des HJ612 Vgl. Die große Reichsfachveranstaltung des Reichsinnungsverbandes des Friseurhandwerks in Weimar. In: Der deutsche Friseur, 1936, Nr. 20, S. 11–18. 613 Vgl. die vom Treuhänder der Arbeit für das Wirtschaftsgebiet Brandenburg erlassene Tarifordnung vom 17.08.1934, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13979, Bundesarchiv Berlin. 614 Vgl. Wunder, Pflichten (2004), S. 114. 615 Kaufmann, Günter: Die Rolle der Frau im Berufsleben und der RBWK, 1935. In: Der Reichsberufswettkampf. Die berufliche Aufrüstung der deutschen Jugend. Berlin 1935, S. 24. Zit. nach Miller-Kipp, Auch du (2002), S. 162. 616 Ebd.

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Führerorgans „Wille und Macht“, Günter Kaufmann. Über die NSK (Nationalsozialistische Parteikorrespondenz) sollte die Eignung für Frauen im Friseurgewerbe schließlich weiträumig bekräftigt werden.617 Die Vorstellung der Berufsgemeinschaft wurde von der nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘ insbesondere geschlechtsspezifisch überformt. In der Fachpresse hielt man nach wie vor am Friseur als respektablem Handwerker fest,618 nicht zuletzt um mit aller Kraft das Image der Branche qua männlichem Dominanzanspruch hochzuhalten, „weil in Bezug auf unsere weltanschauliche Ausrichtung unsere männliche Jugend in jeder Weise im Vorteil ist“.619 Hingegen wurde außergewerblich unter den Bedingungen der Aufrüstungspolitik für Friseurinnen als den eigentlichen Fachfrauen in Sachen Haargestaltung geworben und der Arbeitseinsatz von Männern in Friseurgeschäften deutlich in Frage gestellt. Da gender status beliefs620 – Annahmen über Status und Wertunterschiede zwischen den Geschlechtern – gerade wegen ihrer dezenten Wirksamkeit so bedeutungsvoll sind, lässt bereits ihre explizite Beschwörung zwecks gewollter Aufwertung der Branche erkennen, dass die Rolle von Friseuren problematisch war.

3.6 Kultur- statt Modeschaffen im Zweiten Weltkrieg Nach der gescheiterten ‚Blitzkrieg‘-Strategie waren die Konsummöglichkeiten doch stark eingeschränkt worden und die Wirtschaft wurde noch stärker als zu Beginn des Krieges auf Kriegsbelange hin ausgerichtet.621 Daher stellte sich die Frage nach der Notwendigkeit friseurhandwerklicher Leistungen neu, was zu einer Verschiebung der Berufscharakterisierung führte. War schon seit 1933 von vornherein nicht mehr so betont von einem Luxusgewerbe die Rede gewesen, sondern von einer der Zivilisationsstufe des deutschen Volkes angemessenen Dienstleistung am Körper, so tauchten 617 Vgl. Buresch-Riebe: Frauen im Friseurhandwerk. In: NSK, Nr. 25 vom 1.11.1938. 618 Noch in Buresch-Riebes oben genanntem Artikel wurde ein Friseur zitiert, der die Familienorientierung der Friseurinnen als leistungsminderndes Manko ansprach. 619 Zimmermann, Hermann: Schaffendes Friseurhandwerk. Erfahrungen und Betrachtungen eines Gaufachschaftsverwalters. Breslau 1941, S.  10. (Bundesarchiv Berlin, Reichs- und Preußisches Wirtschaftsministerium, R 3101, 13981). 620 Dazu Ridgeway, Cecilia L.: Interaktion und die Hartnäckigkeit der Geschlechter-Ungleichheit in der Arbeitswelt. In: Heintz, Bettina (Hg.): Geschlechtersoziologie. Wiesbaden 2001, S. 250–275, hier S. 256. 621 Vgl. Holtwick, Berufsstand (2000), S. 221.

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jetzt Beteuerungen über die friseurhandwerklichen Verdienste um die den Deutschen angeborene Sauberkeit auf.622 Die Auseinandersetzungen um die beruflichen Aufgaben waren von Positionsbestimmungen durchzogen, die das Gewerbe gegen offensichtliche Vorwürfe verteidigten. Dass das Gewerbe in diesem Zusammenhang oft seine weltanschauliche Festigung he­ rausstrich, war nicht nur politisch willfährig, sondern offenbar auch ein Versuch, sich dem kritischen Publikum zu empfehlen. Vorwürfe gegen den angeblich überflüssigen Charakter der Branche aufgrund seiner „mangelnden kriegsentscheidenden Art“623 wies Reichsinnungsmeister Renz unter Hinweis auf selbstkritisch durchgeführte Maßnahmen zur Einschränkung der Leistungen auf schlichte Frisuren zurück. Auch Zuspruch bei „Tagesund Familiensorgen“624 sei selbstverständlich eine wichtige Pflicht. Mehr Berufsprestige, nicht zufällig an regimeaffirmative Nützlichkeit gekoppelt, versprach man sich aber von der politischen Beeinflussung der Kundschaft.625 Über die propagandistische Eignung des Gewerbes war man sich aber in der Folgezeit uneinig, „aktive politische Gespräche“626 gehörten nicht zu den Aufgaben des Friseurs, wohl aber seien „staatsfeindliche Gespräche“ zu stoppen und „Gerüchte“ nicht weiter zu tragen.627 Vor allem das Interesse, das gegebenenfalls auch die Gestapo für unerwünschte Konversation zeigen konnte, war eine weitaus mächtigere Kontrollinstanz, die es verhindern konnte, dass Regimekritik öffentlich wurde.628 Die Warnung vor den Folgen von Kolportage für die ‚Volksgemeinschaft‘ und das eigene Leben wurde durch Mitteilungen über zum Tode verurteilte Friseure, „einigen Aussätzigen des Berufes“, effektvoll demonstriert.629 Von der im Ersten Weltkrieg innerberuflich geforderten Zurückhaltung bei Gesprächen über den Krieg aus Rücksichtnahme auf die Gefühlslage der Kundschaft, die vielleicht Todesfälle zu beklagen hatte oder sich um Angehörige an der Front sorgte, war diese Verpflichtung und Selbstverpflichtung zur Regimetreue weit entfernt. 622 Vgl. Sauberkeit. Sachlichkeit. Hygiene. Der deutsche Friseur, 1941, Nr. 22, S. 1. 623 Renz: „Wir wissen es selbst!“ In: Der deutsche Friseur, 1942, Nr. 5, S. 6. 624 Renz: Unsere Aufgabe im Kriege. In: Der deutsche Friseur, 1942, Nr. 9, S. 1. 625 Vgl. Zum Jahresende. In: Der deutsche Friseur, 1941, Nr. 27, S. 1. 626 Vorsicht – alle hören mit. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 1, S. 11. 627 Plaudereien im Friseurstuhl. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 14, S. 2. 628 Vgl. Wagner, Herbert: Die Gestapo war nicht allein. Politische Sozialkontrolle und Staatsterror im deutsch-niederländischen Grenzgebiet 1929–1945. Münster 2004, S. 348. 629 Renz: Im Namen des Volkes. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 15, S. 9.

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Um die offenkundige Verbindung des Berufs mit Mode zu rechtfertigen, räumte Renz ein, dass schon „immer, nicht erst im Kriege […] für uns Nationalsozialisten das Wort ‚Mode‘ einen etwas ‚fremden Beigeschmack‘“630 gehabt habe, sich zeittypisch zu frisieren, hielt er aber für richtig. Damit konnte berufsspezifisch an die gesamtgesellschaftliche Überzeugung angeschlossen werden, nach der besonders das Bild von Frauen für die Darstellung gesellschaftlicher Zustände geeignet wäre.631 Zwar war die eigentlich erwünschte Distanzierung vom verpönten, aber wohl unumgänglichen Modebegriff kaum erreichbar, seine positive Besetzung aber dennoch möglich. Der deutsche Friseur mahnte schon in der ersten Ausgabe nach Kriegsbeginn die Bereitschaft an, „im fachlichen Streben und Schaffen dem Ernste der Stunde Rechnung zu tragen“.632 Fragen des modischen Geschmacks gelte es zurückzustellen. Da im Nationalsozialismus „Modeauswüchse“ ohnehin verhindert worden wären, würde der „Wechsel von der Mode- zur Zweckfrisur“633 den Kundinnen leicht fallen. Bisher angestrebte Verschönerungsziele wurden in einen neuen Begründungszusammenhang gestellt. Da „Stimmung und Schaffenskraft des Mannes und besonders der Frau von dem Bewußtsein eines ordentlich und gewissenhaft gepflegten Äußeren“ abhingen, leiste das Friseurhandwerk als „Wächter eines Teils der Volks­ gesundheit“634 einen wichtigen Beitrag. Diese Motivationsquelle würde erstens den jetzt im Erwerbsleben willkommenen Frauen dienen, die auf ihr Aussehen besonders zu achten hätten. Entsprechend zeigte die Friseurpresse nicht zufällig zahlreiche Darstellungen und Frisurempfehlungen für Uniformträgerinnen und unterstützte damit den Einsatz von Frauen bei zahlreichen Dienststellen. Hier wäre eine Distanzierung aus fachlich-ästhetischen Gründen, etwa in Tradition der lange schwelenden Konkurrenz von Haar- und Hutgestaltung denkbar gewesen. Stattdessen wurde ohne Gegenstimme debattiert, wie Schiffchen und andere Berufsmützen mit der Haarmode vereinbar wären. Zweitens beförderten frisch frisierte Frauen 630 Renz: Mode im Kriege. In: Der deutsche Friseur, 1942, Nr. 10, S. 2. 631 Vgl. Frietsch, Elke; Herkommer, Christina: Nationalsozialismus und Geschlecht. Eine Einführung. In: Frietsch, Elke; Herkommer, Christina: Nationalsozialismus und Geschlecht. Zur Politisierung und Ästhetisierung von Körper, ‚Rasse‘ und Sexualität im ‚Dritten Reich‘ und nach 1945. Bielefeld 2009, S. 9–48, hier S. 21. 632 Bereitschaft, das Gebot der Stunde. In: Der deutsche Friseur, 1939, Nr. 18, S. 1. 633 Aufgaben, die uns die Zeit stellt. In: Der deutsche Friseur, 1939, Nr. 19, S. 1. 634 Moderichtlinien des Reichsinnungsverbandes des Friseurhandwerks. In: Der deutsche Friseur, 1941, Nr. 6, S. 2.

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ausdrücklich auch die psychische Stabilisierung der Frontsoldaten, die ihre Frauen beim Heimaturlaub „lieber gepflegter vorfinden“635 wollten. Traute Davier verteidigte darüber hinaus die Wünsche der Friseurkundinnen damit, dass Frontsoldaten, die zum Friseur gingen, auch keine Kritik auf sich zögen.636 Obwohl die Ausrichtung der Geschäfte immer noch die starke männliche Nachfrage widerspiegelte, war Konsum nun vor allem weiblich gedacht und nur begrenzt positiv konnotiert. Daher stellte bei der Überwindung der Kritik an der Friseurarbeit der Rekurs auf den emotionalen Rückhalt der Frauen an der ‚Heimatfront‘637 eine den eigenen Anliegen dienliche Funktionalisierung dar. Diese gewerbespezifische Selbstrechtfertigung transportierte auch insofern Zustimmung zum Krieg, als sich in der Friseurpresse an dieser und anderer Stelle keine resignativen Töne vernehmen ließen. Mögen die Gleichschaltung der Fachblätter sowie Zensur und Selbstzensur in der Diktatur dies verhindert haben, so ist dennoch nicht zu übersehen, dass in der Friseurpresse ein konstruktiver Beitrag geleistet wurde, dessen Intensität nicht vollständig durch die Kontrollen des Regimes zu erklären ist. Diese mögen Widerständigkeit und Äußerungen von Bedenken verhindert, nicht aber Zuarbeit in Form von modischer Kreativität motiviert haben, die das Friseurgewerbe auch in Kriegsverhältnissen noch aufbrachte. Schwer konfrontiert wurde das Gewerbe vor allem mit der Beschuldigung, dass Friseure ein „unmännliches Handwerk“638 betrieben. Vor dem Hintergrund des Männlichkeitsbildes beispielsweise, das traditionell von der Industriearbeiterschaft vertreten wurde und vom Stolz auf deutsche Qualitätsarbeit getragen auf die Beherrschung der Maschinen durch den Arbeiter setzte,639 den in der nationalsozialistischen Kunst verherrlichten athletischen Körperidealen oder dem zur Raumeroberung nötigen Kampfgeist, musste eine den Wünschen der Kundschaft entgegenkommende Dienstleistung, die keinerlei Kraftaufwand erforderte, ohne männliche At635 Ich möchte von Fräulein Müller bedient werden. Gedanken einer Kundin. In: Der deutsche Friseur, 1941, Nr. 13, S. 10–11, hier S. 10. 636 Vgl. Davier, Traute: Von den berechtigten Ansprüchen der Frau. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 6, S. 14. 637 Vgl. Kompisch, Täterinnen (2008), S. 45. 638 Aufgaben, die uns die Zeit stellt. In: Der deutsche Friseur, 1939, Nr. 19, S. 1. 639 Vgl. Lüdtke, Alf: Ehre der Arbeit: Industriearbeiter und Macht der Symbole. Zur Reichweite symbolischer Orientierungen im Nationalsozialismus. In: Tenfelde, Klaus (Hg.): Arbeiter im 20. Jahrhundert. Stuttgart 1991.

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tribuierung auskommen. Dagegen setzte die die Wehrfähigkeit der Berufsangehörigen anführende Fachpresse auf den einschlägigen Aspekt von Männ­lichkeit. Sie verwies, nicht zuletzt mit Leserbriefen von Front­sol­ daten,640 stolz auf die Einberufung vieler „Berufskameraden“.641 Das war eine schon im Ersten Weltkrieg angewandte Strategie, die allerdings weniger ihren öffentlichkeitswirksamen Erfolg belegt als die schon länger bestehenden Vorurteile gegen Friseure, die innerberuflich jetzt allerdings erstmals derartig offen ausgesprochen wurden. Nach den ersten Kriegsjahren wurde es auch im Friseurbereich immer schwerer, der Nachfrage gerecht zu werden. Friseure beschwerten sich über die Einschränkung des Leistungsangebots, weil benötigte Geräte und Materialien nicht besorgt oder repariert werden konnten. Sie wurden spöttisch darauf hingewiesen, dass „ein Krieg wohl ohne Dauerwellen, ohne Färben und ohne Bleichen, nicht aber ohne Soldaten, Waffen und Munition geführt werden kann“.642 Aber auch die Kundschaft beklagte sich, insbesondere über lange Wartezeiten, u. a bei den „Dienststellen der Partei“.643 In dieser Situation suchte und fand das Gewerbe seinen Vorteil und beschränkte sich auf besonders gewinnbringende Dienstleistungen im Damenfach. Dieser Praxis trat der Reichsinnungsverband zunächst lediglich verbal entgegen. Es wurde untersagt, „nur nach rein materiellen Gründen die Arbeitsleistungen auszuwählen“, denn in „erster Linie habe das Gewerbe den Bedürfnissen der Kundschaft Rechnung zu tragen“644 und das eigene Gewinnstreben hintanzustellen. Insbesondere hatte sich die Situation im Herrenfach verändert. Die Einberufung der Inhaber oder Mitarbeiter und die Schließung der ohnehin eher unrentablen Herrenabteilungen,645 um die Arbeitskräfte besser im florierenden Damenfach einsetzen zu können, hatte wohl erstmals einen spürbaren Mangel an Herrenfriseuren zur Folge. Friseurinnen, die in der Ausbildung immer noch aus dem Herrenfach herausgehalten worden waren, sollten nun verstärkt gerade dort eingesetzt werden. Dabei wurde es den Geschäftsinhabern seitens des Reichsinnungs640 Vgl. Die Stimme der Front. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 11, S. 4. 641 Aufgaben, die uns die Zeit stellt. In: Der deutsche Friseur, 1939, Nr. 19, S. 1. 642 Renz, Franz: Ich muß! … In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 15, S. 4. 643 Mobilisierung des Friseurhandwerkes für den Sieg. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 4, S. 1–2. 644 Kriegswichtig oder nicht! In: Der deutsche Friseur, 1941, Nr. 22, S. 7. 645 Vgl. Gegenwarts- und Zukunftsfrage im Friseurhandwerk. In: DAFZ, 1941, Nr. 3, S. 74– 77.

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führers aufgegeben, Hemmungen der weiblichen Angestellten und „Vorurteile“646 der Kunden abzubauen. Unter Vorurteil war nach wie vor mangelnder Respekt vor Friseurinnen zu verstehen, die ihrerseits charakterstark für „Sittlichkeit“ eintreten sollten.647 Immerhin unterblieb die ablehnende Reaktion auf Friseurinnen im Herrenbereich, die die Situation im Ersten Weltkrieg geprägt hatte – wenigstens in der Fachpresse. Durch Einberufung von Geschäftsinhabern rückten Friseurinnen insgesamt verstärkt in das innerberufliche Interesse, zunächst weniger als Meisterinnen, also Fachleute, sondern in ihrer Rolle als Meisterfrauen, die ihre Männer vorübergehend vertraten. Wenn sie nicht selbst den ‚großen Befähigungsnachweis‘ besaßen, konnten diese Frauen mit einer ab 1939 gewerberechtlich verankerten Erlaubnis den Betrieb während der durch Einberufung bedingten Abwesenheit der Männer auch ohne den dazu seit 1935 nötigen Meistertitel zu besitzen führen.648 Als ihr großes Plus wurde stets angeführt, dass sie Steuern zahlten, statt Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen.649 Vorrangig wurde der vorbildliche Beitrag dieser Frauen zur ‚Volksgemeinschaft‘ und ihren Kriegszielen thematisiert. „Die Front kämpft. Die Heimat gibt der Front. Der Betrieb ist geöffnet ge­blieben.“650 Diese Betonung sachlicher Erfordernisse und Zusammenhänge stand einer etwaigen Aufwertung der Leistungen der Frauen entgegen. Zwar immerhin ausgerüstet mit einer Ausbildung und beruflichen Erfahrungen, waren diese Geschäftsfrauen in der Debatte um ihren Arbeitswillen dennoch eine inferiore Figur, fehlte ihnen in dieser Sicht doch der Mann, der „tüchtige Fachkenner“.651 Sie würden sich mit dem Gedanken daran motivieren, ihm das Geschäft bei seiner Rückkehr so zu übergeben, das er sein Schaffen neu beginnen könne. Die Vorstellung von Frauen als Platzhalterinnen war nicht neu, dennoch erstaunt es, wie hartnäckig in der Branche, in der Frauen traditionell eine tragende Rolle spielten und Ausbildungsstandards inzwischen auch für Frauen üblich waren, immer noch zentral auf den Fachmann rekurriert wurde. Ungeachtet aller gemeinsam getragener Verantwortung wurde ein partnerschaftliches Interesse am Geschäft nicht auch nur ansatz646 Wozu uns das kommende Jahr verpflichtet. In: DAFZ, 1943, Nr. 1, S. 13. 647 Gegenwarts- und Zukunftsfrage im Friseurhandwerk. In: DAFZ, 1941, Nr. 3, S. 74–77. 648 Vgl. Berger, Hermann: Die Frau des eingerückten Gewerbetreibenden. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 16, S. 4. 649 Vgl. Die Stimme der Front. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 11, S. 4. 650 Klenk: Achtung vor der Meisterfrau. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 12, S. 10. 651 Ebd.

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weise berührt, beispielsweise mit Aufforderungen, die fehlende Meisterprüfung nachzuholen, um den erst jüngst eingeführten Qualifikationsstandard zu erfüllen, denn damit wäre der formal begründbare Abstand zwischen den Geschlechtern eingeebnet worden. Als Reaktion auf überlaufene Friseurgeschäfte erließ der Reichsinnungsmeister des Friseurhandwerks im Dezember 1941 schließlich eine Anweisung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Friseurdienstleistungen, die die Prioritäten des Regimes klar herausstellte: „Es gilt in erster Linie sicherzustellen, daß der männlichen Bevölkerung die Haare geschnitten werden, in zweiter Linie, daß der weiblichen berufstätigen Bevölkerung die Haarpflege zuteil wird, die für die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit unerläßlich ist. Alles andere hat zurückzustehen.“652 Entsprechend wurden Maßnahmen formuliert, die in vier Etappen die Umsetzung versprachen. Zunächst waren ab Dezember 1942 nur Dauerwellen für Männer, Kinder und Jugendliche verboten worden. Dem Vorschlag des Reichsinnungsverbandes, ungeachtet der Kundenwünsche nach der Modelinie zu arbeiten, wurde dabei nicht entsprochen. Männern sollte grundsätzlich der Vorrang eingeräumt werden. Es wurde zur Ehrenpflicht, nicht aber Verordnung gemacht, Fronturlauber und Verwundete vorzugsweise zu bedienen. Friseurinnen, die im Stadtkern arbeiteten, sollten nach Möglichkeit in Geschäfte an den Stadtrand geschickt werden. Der Geschäftsalltag sollte mit Einführung von Bestellsystemen zunehmend durchgeplant und damit effizienter werden. Das Leistungsspektrum sollte eingegrenzt werden, um die Wartezeiten zu verkürzen; für Männer kamen nur noch Schneiden, Waschen und Rasieren in Frage, bei Kundinnen nur Waschen und Frisieren. 653 Doch bevor das Handwerk solche Maßnahmen hätte selbstverantwortlich durchführen können, wurde die Verordnung zur Freimachung von Arbeitskräften für kriegswichtigen Einsatz erlassen.654 „Um Arbeitskräfte aus Handel, Handwerk und Gewerbe unmittelbar oder mittelbar (Einsparung von Kohle, Energie und Dienstleistung aller Art) weitestgehend für Aufgaben der Reichsverteidigung frei zu machen“,655 sollten der Parfümeriehandel 652 Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Friseurdienstleistungen. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 3, S. 1–2. 653 Vgl. ebd. 654 Vgl. Aufruf des Reichshandwerksmeisters zur Stilllegungsaktion. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 4, S. 1. und Mobilisierung des Friseurhandwerks für den Sieg. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 4, S. 1–2. 655 Ebd.

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und die Kosmetikabteilung geschlossen werden, bei Herrenkunden nur Schneiden, Waschen und Rasieren, bei Frauen nur Waschen und Frisieren (Wasserwelle oder Ondulieren) erlaubt werden.656 Trotzdem versicherte die Fachpresse der Leserschaft, dass das Gesetz nicht bedeute, dass Friseurdienstleistungen überflüssig seien. Allerdings wurde Geschäftsinhabern, die sich über die Beschränkungen hinwegsetzten, die Betriebsschließung und ihre Versetzung mitsamt ihrer Angestellten in die Rüstungsindustrie angedroht.657 Da die Regelungen auch als Reaktion auf die Beschwerden der Bevölkerung zurückgingen, die über Schwierigkeiten klagte, einen Friseurtermin zu bekommen, war dies glaubhaft. Nach wie vor schien es richtig, den Zivilisationsgrad des deutschen ‚Kulturvolkes‘ aufrechtzuerhalten,658 das immerhin besser frisiert sein sollte als das der „Polen und Ostarbeiter“.659 Deren Haar sollte allein aus „hygienischen Gründen“ behandelt werden.660 Für Männer war darunter Haarschneiden und Rasieren zu verstehen, Frauen hatten schlicht Anspruch auf „Haarordnung“, nicht aber auf Ondulationen oder Wasserwellen. Hygiene war hier als Prävention zu verstehen, die verhinderte als jemand, der sein Äußeres vernachlässigte, im Straßenbild zu erscheinen. Dennoch war den Zwangsarbeitern gegenüber ein geringeres Gestaltungsniveau geboten, um den Abstand zum angeblich überlegenen deutschen Volk darstellen zu können. Ungeachtet der Marginalie, die dies im Vergleich zu den meisten anderen Lebens- und Arbeitsbedingungen der ‚Gemeinschaftsfremden‘ darstellte, zeigt die Ausformulierung die Akribie, mit der Distanz allumfassend hergestellt werden sollte. Die 1939 mit der Wehrkraftschutzverordnung erlassenen Aufforderungen, private Kontakte mit Kriegsgefangenen zu unterlassen, erst recht sexueller Art, die die „Reinheit des Blutes“ zerstört hätten,661 wurden um solche, die sich auf berufliche Begeg656 Zu der Zuständigkeit der Handwerksabteilungen in den Gauwirtschaftskammern, die den Gauleitern die ihrer Meinung nach infrage kommenden Betriebe vorschlugen, vgl. Boyer, Handwerksordnung (1988), S. 433. 657 Vgl. Wer nicht hören will, muß fühlen! In: Der deutsche Friseur, 1942, Nr. 17, S. 9. 658 Vgl. Die Stimme der Front. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 11, S. 4. 659 Anweisung des Reichsinnungsmeisters des Friseurhandwerks zur Regelung der Behandlung von Polen und Ostarbeitern in Friseurbetrieben vom 5. Juli 1943. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 11, S. 2–3. 660 Ebd. 661 Mit der Wehrkraftschutzverordnung wurde der Umgang von Deutschen und Kriegsgefangenen unter Strafe gestellt, in der Folge wurden besonders deutsche Frauen kriminalisiert, vgl. Roth, Thomas: „Gestrauchelte Frauen“ und „unverbesserliche Weibspersonen“. Zum

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nungen erstreckten, ergänzt. Das abgegrenzte Miteinander wurde lückenlos geplant. An dieser Stelle zeigt sich auch die Normalvorstellung von männlichem und weiblichem Aussehen. Haarschneiden und Rasieren waren unabhängig von ihrer rasseideologischen Einordnung für Männer die Norm. Hingegen konnte das Haar deutscher Frauen durch spezifische Gestaltungstechniken in Form gebracht werden, die den Zwangsarbeiterinnen nicht zustanden. Die geschlechtsspezifische Konstruktion von nötig und verzichtbar basierte auf der Vorstellung, dass Haargestaltung bei Männern zweckdienlich sei, bei Frauen aber schmückend. Inwiefern die Bestimmungen bei den ‚Gemeinschaftsfremden‘ oder den ‚Volksgenossen‘ umgesetzt wurden, muss an dieser Stelle offenbleiben – bemerkenswert ist allerdings, dass es im Gewerbe Tendenzen gab, die rigiden Handlungsanweisungen zur Sicherstellung der Bevölkerung mit Friseurdienstleistungen für die Erweiterung ihres Handlungsspielraums zu nutzen. So kamen manche Friseurinnen und Friseure wegen der erteilten Belehrungen, welche Frisuren sie „noch als zeitgemäß anfertigen“ dürften, auf die Idee, Kundinnen mit abweichenden Wünschen „gegen entsprechende Sonderleistungen“ (sprich Bestechungsgeld) entgegenzukommen.662 Andere wiederum folgerten aus den Vorgaben das Recht, den Kundinnen „eine bestimmte Frisur aufzuzwingen“ oder ihnen einen Kurzhaarschnitt zu oktroyieren, worin sie durchaus partiell Zustimmung in der Bevölkerung fanden.663 Offenbar wollten manche Handwerkerinnen und Handwerker die einschränkenden Reglements ihrer Arbeit an die Kundschaft weitergeben, diese Selbstermächtigung wäre eine neue Qualität in den Kundenbeziehungen gewesen – doch so strikt wie in anderen Bereichen wollten die Verantwortlichen der Branche Moderichtlinien und berufliche Expertise im Nationalsozialismus nicht angewendet wissen. Viele Obermeister wie auch der Reichsinnungsmeister, lehnten diese ebenso ‚totalitär‘ motivierte wie frauenspezifische Modekritik ab. Vertraten sie doch ein Gewerbe, das sich in erster Linie als beratend verstand. Der erwünschten Entwicklung des Friseurs vom „lästigen, zeitraubenden Übel zum Helfer und Pfleger der Stellenwert der Kategorie Geschlecht in der nationalsozialistischen Strafrechtspflege. In: Frietsch/Herkommer, Nationalsozialismus (2009), S. 109–140, hier S. 115–118. 662 Vgl. Renz: Ein Appell an Kundin und Friseur. In: Der deutsche Friseur, 1943, Nr. 15, S. 11– 13, hier S. 11. 663 Vgl. ebd.

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Menschen“664 wären Zwangsmaßnahmen kaum zuträglich gewesen. In Anbetracht der durch öffentliches Abschneiden ihrer Haare demonstrierten Demütigungen von ‚arischen‘ Frauen, die sich des Kontaktes mit Juden schuldig gemacht hatten, dürfte die Furcht davor, dass ein harsches Hinweggehen über die Wünsche der Kundinnen dem Gewerbe reichlich negative Assoziationen beschert hätte, groß gewesen sein.

664 Renz: Luxus oder Notwendigkeit? In: Der deutsche Friseur, 1942, Nr. 6, S. 11.

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IV Schluss

Die um 1900 intensiv als ‚Krise der Männlichkeit‘ diskutierte Geschlechterfrage und ihre Nachfolgedebatten wirkten weit in Alltagsbereiche der deutschen Gesellschaft hinein und sind auch im Friseurhandwerk wahrnehmbar gewesen. Hier ist vor allem im Hinblick auf die Haarmode deutlich eine entsprechende Zäsur zu belegen, während Konflikte zwischen Berufs- und Männlichkeitsrolle nicht direkt ausgelöst wurden. Der tiefe Einschnitt im Formenwandel der Frisurmoden beider Geschlechter wurde durch die in der Krise virulent gewordene Vorstellung von Männern mit weiblichen Anteilen verursacht. Locken, bis dahin das geschlechterübergreifend gültige Paradigma der Haarmode, wurden nun als feminin begriffen und folglich für Männer tabuisiert. Zuvor waren sie auch im Herrenfach selbstverständlich nachgefragt worden, vollständig künstlich gelockte Frisuren ebenso wie mit der Brennschere bewerkstelligte Akzentuierungen nur einzelner Haarpartien, beispielsweise in das Gesicht gedrehte ‚Sechser‘ oder ‚Helmträger‘ über den Ohren. Vollbärte erhielten durch Kräuselungen mehr Fülle, Kinn- und Backenbärte bekamen mit dem heißen Eisen den letzten Schliff, der für besondere Formen sorgte. Zwecks sauberer, gefälliger Kontur wurden bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Bärte aller Art ebenso umgebogen wie Schnurrbärte in die Höhe gezwirbelt. Während die Herrschaft des berühmtesten Protagonisten der letztgenannten Mode, Kaiser Wilhelm II, noch zwei Jahrzehnte ungebrochen blieb, mussten Locken auf Männerköpfen schon um 1900 abdanken. Damit verschärfte sich die optische Trennung der Geschlechter, der Unterschied lag nicht mehr nur in der Haarlänge. Vielmehr wurde die Differenz einerseits durch männliche Schnörkellosigkeit angezeigt, erreicht durch Rasur des Gesichts und dezente Frisuren, andererseits mittels weiblicher Dekorationsbetonung mit Ondulations-, Wasser- und Dauerwellen vorangetrieben, die auch später nach dem Erfolg der weiblichen Kurzhaarmode gültig blieb. In handwerklicher Sicht schien nach dem Dezenzgebot für Männer das Damenfach effekt- und damit zugleich anspruchsvollere Entfaltungsmöglichkeiten bieten zu können. Die Chancen, das fachliche Können im Herrenfach unter Beweis zu stellen, verlagerten sich auf das Haarschneiden, das aber zunächst nur als wenig interessante Aufgabe galt. Aufgrund der dabei tatsächlich bestehenden Unterschiede zwischen dem großen handwerk­

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lichen Aufwand einerseits und der schlichten Wirkung andererseits, war Virtuosität im Umgang mit Kamm und Schere allerdings sehr wohl nötig geblieben. Ähnliches gilt für den gewerblich verpönten, bei Kunden jedoch beliebten Rasierschnitt. Die erforderliche, penible Arbeitsweise führte aber zu einem (mindestens für die Friseure) ästhetisch unbefriedigenden Ergebnis. Mochten mehr oder weniger karge Frisurstile den Fachleuten auch nicht gefallen haben, die Furcht der Kundschaft vor einem effeminierten Aussehen war innergewerblich akzeptiert, sodass entsprechenden Wünschen höflich Rechnung getragen wurde. Im Damenfach war es hingegen über den gesamten Untersuchungszeitraum möglich geblieben, die vollendete Beherrschung des Werkstoffs Haar mit Ergebnissen zu präsentieren, die den dahinterstehenden Aufwand signalisierten. Ob ondulierte Wellenmeere im Kaiserreich, wassergewellte Bubiköpfe oder die in den 1930er und 1940er Jahren beliebten, starren Lockenarrangements, die offen getragen bzw. auf dem Oberkopf zur ‚aufsteigenden Linie‘ gebündelt wurden, die artifizielle Machart dieser Moden vermochte es, die Berufskunst unvermittelt zu demonstrieren. Für die handwerkliche Entfaltung des Friseurhandwerks war diese Zeit, in der sich Eleganz zwar von Pomp zu Sachlichkeit wandelte, aber durchgehend gefragt war, an sich günstig. Bis zum Ersten Weltkrieg war es allerdings weit verbreitet, dass Frauen sich die Haare selbst machten. Anders als Männer aller Schichten erlaubten sich nur wenige den Konsum professioneller Haargestaltung. Die ‚Do-it-yourself‘-Varianten waren zahlreich und wirkten keineswegs alle unbeholfen, insbesondere die um 1900 aufgekommene Mode sehr voluminöser Frisuren trug zur Verbreitung der Ondulationsmode bei. Zahlreiche, nicht kunstgerechte Wellenführungen und so mancher Knick gingen unauffällig in der bauschigen Fülle unter. In den 1920er Jahren änderten Frauen jedoch ihr Konsumverhalten. Um den Kurzhaartrend mitzumachen, beanspruchten und bezahlten sie Profis – mindestens für einen Haarschnitt. Anders als es das Gewerbe wünschte, trugen viele Frauen aber ihren Bubikopf glatt. Nach dem ersten Jahrzehnt weiblicher Kurzhaarmode (im 20. Jahrhundert) wurde es beliebt, das Haar schulterlang als Flapperkopf oder Pageboy zu tragen, kunstvoll eine Olympiarolle zu stecken oder simpel zu einem kleinen Knoten einzuschlagen. Um diese Trends mitzumachen, bedurften Frauen nur selten fachkundiger Hilfe. In der nachvollziehbaren Furcht vor der Rückkehr zu den Verhältnissen vor dem Ersten Weltkrieg schlug das Friseurgewerbe seinen potenziellen Kundinnen daher prinzipiell Formen und Dienstleistungen vor, die ihnen mög-

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lichst viele Friseurbesuche abverlangt hätten, wie gerade Wasser- und Dauerwellen und später die ‚aufsteigende Linie‘. Mindestens in der Fachpresse wurde den zu mehr Konsum zu bewegenden Frauen gegenüber ein durchaus herrischer Tonfall angeschlagen. In den letzten 140 Jahren wandelte sich die Friseurbranche in vielen Aspekten vom Männer- zum Frauenberuf, am Ende des Untersuchungszeitraums war die Phase eines gemischten Berufes erreicht. Obwohl die Rolle von Friseurinnen bereits im Kaiserreich nicht zu unterschätzen ist, kann das Friseurhandwerk in seiner Entstehungszeit sogar in doppelter Hinsicht als Männerdomäne angesehen werden. Erstens stützte sich das im Gegensatz zu seinen Vorläufern allein auf Haargestaltung fokussierte Gewerbe während seiner Anfänge im Kaiserreich ganz überwiegend auf männliche Nachfrage. Männer aller Schichten betrieben einen beachtlichen Repräsentationsaufwand, der im Spiegel der Friseurbranche sogar messbar ist. Denn der männliche Konsum übertraf die Nachfrage der Zeitgenossinnen bei weitem, an Frauen hingegen konnte die Branche bis in die 1920er Jahre hinein kaum verdienen. Gut 80% aller Geschäfte im Kaiserreich richteten sich allein an Männer, 1937 galt das nur noch für die Hälfte der Friseurbetriebe. Zum Zweiten war ein männerexklusives Interaktionsarrangement vorherrschend, das sich im Lauf der Zeit nicht veränderte. Abgesehen von Ausnahmen vor allem während der beiden Weltkriege überließen die Kunden das Schneiden, Frisieren und Rasieren ihrer Haare und Bärte allein männlichen Friseuren. Mit Verbreitung des Sicherheitsrasierers in den 1910er Jahren kam Bewegung in die Branche, denn das Selbstrasieren nahm zu. Durch den Wegfall des Rasiergeschäftes richtete sich das Interesse der meist ohnehin tendenziell instabilen Kleinbetriebe auf das Damenfrisieren. Dieses Geschäftsfeld war anfänglich lukrativer, weil hier wohlhabende Konsumentinnen überwogen. Insgesamt waren die Gewinnspannen dort höher und der Konkurrenzdruck niedriger. Am Ende des Ersten Weltkrieges betrug der Anteil der reinen Damengeschäfte 4% und erst 16% waren zugleich an Männer und Frauen adressiert. Diese Geschäfte wurden häufig von Paaren betrieben, die Damenabteilung wurde von den Frauen geführt, deren Männern der Barbierbereich oblag. Viele Friseurinnen unterhielten allerdings gar keine Geschäftsräume, sie kamen zu den Kundinnen nach Hause. So sparten sie Mietkosten und konnten mit ihrem Serviceangebot überzeugen, vor allem aber hatten sie dank der mit der erotischen Konnotation von Frauenhaar spielenden Hochsteckfrisurenmode bis zum Ersten Weltkrieg

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erhebliche Vorteile. Denn in dieser moralisch überformten Situation bevorzugten Frauen häufig Friseurinnen, seien es Hausfriseurinnen oder in Geschäften tätige Handwerkerinnen. Damenfriseure etikettierten ihre Arbeit deshalb als künstlerischen Sonderfall, der es erlaubte, die Grenzüberschreitung zu überspielen. In der berufspolitischen Debatte allerdings reflektierten Männer nie ihre moralisch bedingte Unterlegenheit. Stattdessen wiesen sie ihren, zum Teil auch der Prostitution beschuldigten Kolleginnen den Status Geschlechtswesen zu und etablierten sich selbst als qualifizierte, geschlechtslose Fachleute. Mit der Bubikopfmode fiel schließlich die Erotisierung von Frauenhaar weitgehend weg. Damit waren nun Friseure im Vorteil, die im Gegensatz zu Friseurinnen über Kenntnisse im Haarschneiden verfügten. Allerdings waren durch den modischen Wandel auch Kenntnisse im Dauer- und Wasserwellen erforderlich, die sich alle Berufsangehörigen gleichermaßen neu aneignen mussten, insofern fand ein genereller Neubeginn für alle statt. Im Zuge der Umwandlungen hatte sich der Anteil der gemischten Geschäfte in den 1930er Jahren auf 40% erhöht, ca. 13% der Läden standen nur Kundinnen offen. Lediglich im Damenfach arbeiteten sowohl Männer als auch Frauen. Der Frauenanteil stieg dort schon in den 1920er Jahren von mindestens 10% auf nachweislich über 70%. Parallel zum weiblichen Konsum, den sich mehr und mehr Kundinnen auch aus unteren Schichten leisteten, nahm daher auch die Zahl der Friseurinnen zu. Bedingt durch den Zustrom von Friseurinnen wurde die einstige Männerdomäne schließlich zum gemischten Beruf, Männer wie Frauen fanden hier ihren Platz. Noch in den 1930er Jahren strömten nicht nur zahlreiche Mädchen, sondern auch und sogar viel mehr junge Männer weiterhin in diesen Beruf. Statistisch gesehen entwickelte sich zunehmend ein Gleichgewicht. Auch war in dieser Branche die gemeinsame Führung von Geschäften längst verbreitet, indem das Damengeschäft in der Hand der Friseurinnen lag, die Fach- statt Hilfsarbeit leisteten. Gleichwohl entwickelte sich die patriarchale Handwerksgemeinschaft von den 1870er Jahren bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nicht zum kollegialen Miteinander. Vor allem wegen der männlichen Dominanz in der Fachpresse und in den Berufsverbänden ist im Zusammenhang mit dem innergewerblichen Geschlechterverhältnis überhaupt nicht von einem Wandel vom Männerzum gemischten Beruf zu sprechen. Gerade die Intensivierung der Handwerksorganisation im 19. Jahrhundert führte dazu, dass im gesamten Handwerk das männliche Idealbild des Meisters verbreitet wurde. In der

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Friseurbranche traten mit dem mitgliederstarken Bund der Friseure und den minoritären Haarformern zwei Organisationen an, die den typisch handwerklichen Streit unter verwandten Gewerben als berufsspezifische Männerkonkurrenz ausfochten. Insbesondere vor dem Hintergrund der sich stetig verschlechternden ökonomischen Situation und der berufspolitischen Konzentration auf Lösungsstrategien, die auf Minimierung der Konkurrenz abzielten, ist es nicht erstaunlich, dass Friseurinnen fortwährend als die entbehrlichen Mitbewerberinnen galten. Ihnen wurde besonders die fehlende formale Qualifikation vorgehalten, mit der die Handwerker ihr höheres Können begründeten. In Anbetracht des geringen Niveaus der beruflichen Bildung damals ist der Nachweis einer absolvierten Handwerkslehre jedoch tatsächlich kein besonders aussagekräftiges Qualitätszertifikat gewesen. Da Gesellen- und Meisterbriefe aber gewerberechtlich zunehmend wichtiger wurden, gewann diese Argumentation langfristig, spätestens mit dem 1935 eingeführten Meisterzwang, dennoch an Bedeutung. Dieser Streit um Möglichkeiten der Marktzugangsregulierung beförderte die gemeinsame Abwehr gegenüber der weiblichen Konkurrenz. Zugleich eröffnete sich Friseuren beider Verbände ein Zugang zu einer akzeptablen Männlichkeit. Aus der Untersuchung der Gewerbegeschichte ging zwar hervor, dass die Auseinandersetzung mit Männlichkeitsbildern Friseure kaum in Konflikte mit Berufs- und Geschlechterrollen brachte, andererseits konnten sie in ihrem Arbeitsalltag lang tradierte Männerbilder, die auf Virilität und Körperkraft setzten, nicht unter Beweis stellen, aber in Friedenszeiten wurde dieser Unterschied selten innergewerblich reflektiert. Nachdem Friseure bereits während des Ersten Weltkrieges damit konfrontiert worden waren, dass sie beruflich keine männliche Stärke zeigen konnten, betrachteten sie sich in der Weimarer Republik weiterhin als gut reputierte Meister, angeblich mit fachlichem Vorsprung vor Friseurinnen. Schließlich konturierten sie sich als Helden im Existenzkampf. Im Nationalsozialismus nahmen sie das ihnen in der sogenannten ‚Volksgemeinschaft‘ zugewiesene soldatische Handwerkerbild an. Dennoch wurde ihnen während des Zweiten Weltkrieges vorgeworfen, dass sie als Männer besser an anderen Arbeitsplätzen ihren Dienst täten. Im Zuge dessen wurde in der Fachöffentlichkeit die Differenz der Männer- und Berufsrolle weitaus direkter als zuvor debattiert. Insgesamt konnte die überwiegend geglückte Behauptung einer wenigstens gebilligten Männlichkeit im Friseurgewerbe insbesondere durch Bezugnahme auf den gesamthandwerklichen Diskurs gelingen. Zwar stimmte

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der Bund der Friseure, also der größte Teil des Friseurgewerbes, an zentralen Punkten gerade nicht mit den Positionen des einflussreichen Allgemeinen Deutschen Handwerkerbundes überein, aber im Hinblick auf ihre Männerrolle schlossen diese Friseure sich dem ‚organisierten Handwerk‘ an und profilierten sich über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg als Handwerkspatriarchen. Für die wirtschaftliche Situation dieses Handwerkszweigs war vor allem das problematische Überangebot typisch, das die Branchenstruktur durchgehend bestimmte. Die zunächst ungünstige Lage um 1900 verschlechterte sich kontinuierlich hin zum ruinösen Wettbewerb. Ohne dass ein vergleichbares Bevölkerungswachstum stattgefunden hätte, hatte sich schon zwischen 1875 und 1907 die Zahl der Geschäfte mehr als verdoppelt, zwischen 1925 und 1933 kam noch einmal eine Steigerung um ca. 72% hinzu – entsprechend konnte auch die für diese Zeit emblematische Bubikopfmode nicht zum Kassenschlager werden. Geschichtswissenschaftlichen Korrekturen zum Trotz ist die Rede von den ‚Goldenen Zwanzigern‘ gerade auch wegen der innovativen Optik der Zeit immer noch verbreitet. Vor allem der Bubikopf spielt dabei eine große Rolle, doch ungeachtet seiner modischen Bedeutung bereitete er dem Friseurhandwerk in ökonomischer Hinsicht keinen goldenen Boden. Die Lage änderte sich auch im Nationalsozialismus nicht. Zwar dürfte der Konsum von Friseurdienstleistungen kaum zurückgegangen sein, weil – anders als das Klischee es will – keine Rückentwicklung zur anspruchslosen Zopfmode stattfand. Andererseits konnte sich die Branche von den massiven Umsatzeinbußen (fast 50%) zwischen 1925 und 1933 kaum erholen. Auch wurde der 1935 eingeführte Meisterzwang aufgrund von bis Kriegsende immer wieder verlängerten Übergangsregelungen noch nicht wettbewerbsbegrenzend wirksam, sodass die Probleme, die aus der enormen Steigerung der Betriebszahlen zwischen 1925 und 1933 resultierten, bis zum Zweiten Weltkrieg bestehen blieben. Die ungünstige Lage ging auch auf das geringe Preisniveau zurück. Es hat dem in seiner gestalterischen Virtuosität beengten Handwerk von Anfang bis Ende des Untersuchungszeitraums an Berufsstolz gemangelt, um im Herrenfach angemessene Preise durchzusetzen. Zudem war es erfolglos, den Kunden statt Mode Körperpflege und Persönlichkeitsprofilierung anbieten zu wollen, weil Friseurarbeit als Oberflächenmanipulation statt als Tiefsinn oder hygienische Nützlichkeit galt. Bis zum Ersten Weltkrieg waren die Verhältnisse im Damenfach völlig andere, weil Konsumentinnen im Wesentlichen zu den vermögenden Oberschichten gehörten oder andern-

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falls nur für seltene festliche Anlässe professionelles Können in Anspruch nahmen, das ihnen kostbar schien und einen entsprechenden Preis wert war. Mit der Kurzhaarmode steigerte sich die Nachfrage, sodass sich auch in dieser Sparte Massenkonsum entwickelte. Die ursprünglich höheren Preise und Gewinnspannen ließen sich dagegen nicht auf breiter Basis durchsetzen, vielmehr wurden auch im Damenfach instabile Verhältnisse üblich. Mode, geschlechtsspezifisch codierte Handlungsräume und der allgemeine Handwerksdiskurs als maßgeblich zu berücksichtigende Faktoren der soziokulturellen Einbettung von Wirtschaftshandeln bestimmten die Möglichkeiten, Friseurdienstleistungen zu verkaufen ebenso unterschiedlich, wie Friseurinnen und Friseure ihrerseits Handlungsspielräume nutzten. Wie die Untersuchung des Modewandels zeigte, gab meistens nicht das Friseurhandwerk die Trends vor, sondern modischer Wandel wurde nur von einer schmalen Avantgarde der Kundschaft wie auch der Fachleute initiiert. Besonders anhand des den Friseuren unliebsamen Trends zur dezenten Männerfrisur und der zögerlichen Aufnahme des Bubikopfes war zu erkennen, dass das Gewerbe eher nicht als Antriebskraft neuer Moden fungierte. Die Branche orientierte sich maßgeblich an den Verhaltensvorgaben der Geschlechterstereotype, gerade im ursprünglich dominanten Geschäftsfeld Herrenfach ging dies zu eigenen Ungunsten. Die durch die ‚Krise der Männlichkeit‘ ausgelöste Zurückhaltung bei aufwändiger Haargestaltung wurde überwiegend akzeptiert, selbst dann noch, als nach dem Aufkommen von Sicherheitsrasierern in den 1910er Jahren ‚Do-it-yourself‘-Praktiken das Rasiergeschäft zerstörten und wesentliche Einnahmequellen verschwanden. Umso mehr war das Gewerbe an der sich im Damenfach bietenden Chance interessiert, auch wenn bei Erweiterung dieses Marktes in der Klassengesellschaft des Kaiserreichs geprägte Einstellungen mittelfristig hemmend waren. So trugen sich Friseure in der Weimarer Republik anfänglich mit Bedenken gegenüber weiblicher Konsumlust, weil bürgerliche Sparsamkeit hochgehalten und auch die Ablösung der mondänen Modedame von der wenig elitären ‚Neuen Frau‘ zunächst nicht begrüßt wurde. Nach Überwindung dieser kulturellen Wandelbarrieren wurde dann allerdings intensiv versucht, das Einträglichste aus Frisuren herauszuholen, nämlich Formen vorzuschlagen, die den Kundinnen möglichst viele Friseurbesuche abverlangt hätten, wie gewellte Bubiköpfe und die ‚aufsteigende Linie‘. Auch diese Studie bestätigt den weit verbreiteten modehistorischen Topos weiblicher Langhaarerotik, der auch durch die im Kapitel Branchenbilder dar-

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gestellten moralisch-strategischen Vorteile der Friseurinnen im Damenfach belegt wird. Andererseits aber zeigt die erfolgreiche Behauptung von Männern im Damenfach, die auf betonter Sachlichkeit in der Interaktionssituation und künstlerischer Außenseiterposition beruhte, die Möglichkeit der Umgehung rigider Anstandsregeln. Gerade im Hinblick auf den Einfluss kultureller Überzeugungen auf Wirtschaftshandeln ist der Handlungsspielraum von Damen­ friseuren bedeutsam. Denn in Anbetracht ihres kreativen Umgangs mit moralischen Bedenken, der das berufliche Agieren im Damenfrisieren über Geschlechtergrenzen hinweg begründen konnte, ohne dass offen gegen herrschende Sitten opponiert wurde, kann von generellen Wandelbarrieren im Friseurgewerbe nicht die Rede sein. Diese Friseure hatten ‚typisch männlich‘ und keinesfalls durch etwaige Krisen verunsichert begonnen, ein Marktsegment zu erobern und auszubauen. Das wichtigste Ergebnis der Auseinandersetzung mit kulturellen Barrieren, die wirtschaftliche Wandlungsprozesse blockieren können, betrifft die Fixierung auf Qualitätsarbeit. Im gesamten Untersuchungszeitraum wurde individuell geleistete Qualitätsarbeit kontinuierlich als die Erfolgsstrategie schlechthin diskutiert. Qualität, eng gekoppelt an Personalität, die für individuelle Leistungserbringung und den Stolz auf die Selbstständigkeit stand, war gesamthandwerklich der Ausgangspunkt, um sich von der Industrie abzugrenzen. Ohne dass diese Grenzziehung im hier interessierenden, personendominanten Dienstleistungsgewerbe nötig gewesen wäre, floss die Argumentation des ‚organisierten Handwerks‘ aber auch in den friseurhandwerklichen Diskurs ein. Die im Handwerk verbreitete Fokussierung auf einen geradezu romantischen Qualitätsbegriff, der arbeitsethisch als Wert für sich selbst steht,665 ist häufig als Kontrapunkt wirtschaftlichen Denkens gerügt worden. Qualitätsorientierung kann als idealtypisches Beispiel für eine Institution gelten, die in Branchenkulturstudien als Blockade rationalen Handelns, verstanden im Sinne von Nutzenmaximierung, identifiziert wird. Das ließ sich anhand der starken Fokussierung auf die geradezu verherrlichten Locken – der Signatur europäischer Frisurmode schlechthin – bestätigen, die dazu beigetragen hat, das im Untersuchungszeitraum meistens nur bedingt rentable Dauerwellgeschäft zu etablieren. Komplexer zu deuten ist die Überschneidung der Orientierung an Branchengrößen (mimetischer Isomorphismus), deren Läden und Leistungen als vorbildlich galten, mit dem seitens des ‚organisierten Handwerks‘ verbreiteten Idealbild des ‚mittleren Handwerkers‘. Denn diese Meisterfigur stand zugleich 665 Beispielsweise bei Sennett, Richard: Handwerk. Berlin 2007.

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für Qualitätsarbeit wie auch für eine nur begrenzte Wettbewerbsorientierung. Da zwischen mimetischem Isomorphismus und dem idealisierten Durchschnitt logische Differenzen bestehen, war es wichtig, dem Mythos der handwerklichen Qualitätsarbeit genauer nachzugehen. Häufig verwischten sich die Unterschiede zwischen Qualitätsansprüchen, Prestigestreben und Luxusimage. In diesen Fällen überwog die Orientierung an den Branchenführern, deren Vorgehensweisen kopiert wurden, ohne kritische Überprüfung, ob sich dies auch für den eigenen Betrieb positiv auswirken würde. Besonders in der Entstehungssituation im Kaiserreich war das Vorbild erfolgreicher Kollegen der Grund dafür, hohe Investitionskosten in Kauf zu nehmen. Typischerweise wurden die vornehmen Geschäfte der Damenfriseure mit aufwändigen Ladeneinrichtungen und auch technischen Geräten nachgeahmt, nicht aber das Preisniveau. Da Rentabilitätsaspekte übersehen wurden, war der geschäftliche Erfolg, wenn er überhaupt zu erzielen war, nur gering. Gerade das seitens der Handwerksorganisationen verbreitete Ideal des ‚mittleren Handwerkers‘, der nur begrenzt profitorientiert war, trug zur Vermischung von Qualitäts- und Luxusangebot erheblich bei. Aufgrund der überwiegend sehr ungünstigen Branchensituation waren strategische Erfolge in den 1920er und 1930er Jahren kaum auszumachen. Innerhalb des bescheidenen Rahmens und sicherlich auch vom moderaten Idealbild des ‚mittleren Handwerkers‘ geprägt, dürften aber jene Betriebe mindestens Stabilität gewonnen haben, die anstelle einer prätentiösen Qualitätsorientierung auf zurückhaltend solide Frisur- und Geschäftsgestaltungen setzten. So umgingen sie das in den 1920er Jahren einsetzende, aber eher unrentable Dauerwellgeschäft und sparten sich hohe Investitionskosten. Handwerksorganisationen und Branchenführer mahnten durchweg an, in stärkerem Maße kaufmännisch zu denken und künstlerische Ambitionen, d. h. nach höchsten Qualitätsmaßstäben strebende Ziele, zu Gunsten realistischerer Ansprüche zurückzustellen. Demgegenüber ist zu bedenken, dass die Situation des Friseurgewerbes insbesondere dadurch geprägt war, dass es Dienstleistungen anbot, die mit dem oft großen persönlichen Geschick der Kundschaft konkurrierten. ‚Do-it-yourself‘-Varianten beim Rasieren und Frisieren waren zu verschiedenen Zeitpunkten immer wieder dazu geeignet, den Beruf mehr oder weniger überflüssig zu machen. In dieser Situation war das Beharren auf professioneller Qualität eine grundlegende Strategie. Nur mit mustergültiger Haargestaltung, an die die Bemühungen der Kundschaft nicht heranreichten, konnte sich das Friseurhandwerk profilieren.

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Nachdem das Rasiergeschäft entfallen war, bot insbesondere das Damenfach Potenziale, den Markt für Friseurdienstleistungen zu erweitern. Die häufig nur provisorischen Steckfrisuren ließen modisches Interesse ebenso erkennen wie den vor dem Hintergrund des herrschenden Ideals möglichst perfekter Eleganz verständlichen Wunsch nach einer fachgemäßeren Ausführung. Den versprach das Gewerbe einzulösen. Die Hoffnung auf Marktwachstum konnten hier nur diejenigen haben, die darauf vertrauten, dass sich die Qualität virtuoser Haargestaltung schließlich als Standard durchsetzen würde. Der strategische Fokus auf Qualität ist daher weniger als ökonomisch blockierende Handwerksmentalität, sondern insbesondere als funktional zu begreifen.

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Liste der Abbildungen und ihre Nachweise  |

Liste der Abbildungen und ihre Nachweise Das zentrale geschichtswissenschaftliche, nicht kunsthistorische Anliegen war es, den Charakter der jeweiligen Frisuren zu zeigen, nicht den der verwendeten Bildmaterialien. Daher sind (ohne dass dies jeweils näher angegeben wurde) beinahe alle benutzten Vorlagen als Bildausschnitt verwendet und manche auch bearbeitet worden. So wurde in einigen Fällen der Hintergrund vereinfacht. Die einzelnen Frisurdarstellungen innerhalb der Abbildungen sind für die Nachweise in der Abfolge von links nach rechts mit Nummern bezeichnet worden und in Klammern hinter die erklärenden Angaben über die gezeigte Person, die benutzte Vorlage usw. gesetzt worden. Abb. 1: Barockfrisuren Müller, Das Friseurgewerbe in Wort und Bild. Nordhausen 1913, S. 78 (1, 2); Müller, Carl: Der moderne Friseur und Haarformer. Leipzig 1925, S. 101 (3, 4); [alle Privatbesitz]. Abb. 2: Rokokofrisuren Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 80 (1); Müller, Carl: Der moderne Friseur und Haarformer. Leipzig 1925, S. 106 (2), S. 102 (3), S. 107 (4); [alle Privatbesitz]. Abb. 3: Empirefrisuren Müller, Friseurgewerbe (1913). S. 508 (1, 2); Knöß, Conrad; Roß, Ludwig: Ein Hand- u. Nachschlagebuch für Damen- u. Herrenfriseure, Haarfärber, Schönheitspfleger u. Perückenmacher. Nordhausen 1936, S. 443 (3); [alle Privatbesitz]. Abb. 4: Biedermeierfrisuren Franke, Gerhard; Tölke Arnim: Lehrbuch für Friseure, Bd. II, Kunsterziehung – Biologie der Haut und des Haares. Leipzig 1967, S. 276 (1), S. 277 (2); [VEB Fachbuchverlag Leipzig, heute Carl Hanser Verlag]; Müller, Fri­ seurgewerbe (1913), S. 510 (3, 4); [beide Privatbesitz]. Abb. 5: Langhaarmode, Mitte des 19. Jahrhunderts Unbekannte (1–3); [alle Privatbesitz]. Abb. 6: Tiefe Scheitel Unbekannte, (1–2); [beide Privatbesitz]; Christian Bötel (1825–1869), (3); [Stadtteilarchiv Ottensen]. Abb. 7: Gründerzeitfrisuren Unbekannte, (1–2); [beide Privatbesitz]; Eugénie de Montijo. Mallemont, A.: L’art de la coiffure française, historique de la coiffure de dames depuis les

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Gaulois jusqu’à nos jours d’après les documents authentiques. Paris 1912, S. 223, Zeichnung nach einem Gemälde von Winterhalter (1855) (3); [Privatbesitz]. Abb. 8: Stil der 1860er und 1879er Jahre Unbekannte, (1–3); [alle Privatbesitz]. Abb. 9: Schmuck aus Haar: Uhrkette Uhrkette; [Privatbesitz]. Abb. 10: ‚Sissi‘ Kaiserin Elisabeth von Österreich. Bonbondose, Aufdruck nach einem Gemälde von Winterhalter (1865), (1); Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 488 (2); [alle Privatbesitz]. Abb. 11: Vollbärte Unbekannt, (1); Müller, Das Friseurgewerbe in Wort und Bild. Nordhausen 1913. S. 294 (2, 3); [alle Privatbesitz]. Abb. 12: Backenbärte Unbekannt, (1); Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 297 (2, 3); [alle Privatbesitz]. Abb. 13: Kinnbärte Unbekannt, (1); Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 294 (2, 3); [alle Privatbesitz]. Abb. 14: Schnurrbärte Unbekannt, (1–3); [alle Privatbesitz]. Abb. 15 Übergänge Unbekannt; [Privatbesitz]. Abb. 16: Legere Frisuren, 19. Jhd., letztes Drittel Heinrich Wullenweber und Unbekannte, (1–3); [Altonaer Museum]. Abb. 17: Gebrannte Frisuren Obere Reihe: Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 288 (1), S. 289 (2, 3); untere Reihe: Unbekannte, (1–3); [alle Privatbesitz]. Abb. 18: Faible für Mittelscheitel Unbekannte, (1, 3); [beide Privatbesitz]; Unbekannter (2); [Altonaer Museum]. Abb. 19: ‚Wiener Frisur‘ Unbekannte (1, 3); Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 285 (2); [alle Privatbesitz]. Abb. 20: Ponyfrisuren für Kinder Karl-Heinz Fichtner (1), [Privatbesitz]; Walter Bingel (2), [Dr. Gisela Bingel-Dickow]; Unbekannt (3); [Altonaer Museum].

Liste der Abbildungen und ihre Nachweise  |

Abb. 21: Helmträger Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 284f. (1, 2), Unbekannt (3); [Alle Privatbesitz]. Abb. 22: Kurzhaarschnitte nach und vor 1900 im Vergleich Unbekannte um 1900 (1, 2); [Altonaer Museum]; Anita Augspurg (3); [bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte]. Abb. 23: Akkurate Kurzhaarmode Unbekannte (1–3); [Altonaer Museum]. Abb. 24: Beständigkeit der Frisurwahl im Privaten Dr. Walter Bingel (1–3); [Dr. Gisela Bingel-Dickow]. Abb. 25: Variationen mit Pomade, Wellen und Kotelettenformen Der deutsche Friseur, 1924, Nr. 10, S. 3 (1); DAFZ, 1932, Nr. 25, S. 735 (2, 3); DAFZ, 1932, Nr. 3, S. 73; [alle Privatbesitz]. Abb. 26: Rasierschnitte Unbekannt (1); [Stadtteilarchiv Ottensen]; Köhler, Erwin: Die Form, DAFZ, 1932, Nr. 12, S. 178 (2); [Privatbesitz]; Adolf Hitler (3); [Stadtteilarchiv Ottensen]. Abb. 27: Diademzopfmode Unbekannte (1); [Privatbesitz]; Emilie Timmann (2); [Altonaer Museum]; Modebild, Neue Wiener Modezeitung, 1890, Nr. 19, n.p. (2); [Universitätsbibliothek Wien]. Abb. 28: Schmale Frisuroptik Unbekannte (1, 3); [Privatbesitz]; Modebild, Neue Wiener Modezeitung, 1890, Nr. 17, n.p. (2); [Universitätsbibliothek Wien]. Abb. 29: Ondulationsmode, Ende des 19. Jahrhunderts Modebild, Neue Wiener Modezeitung, 1891, Nr. 19, n.p. (1). Modebild, Neue Wiener Modezeitung, 1890, Nr. 13, n.p. (2); [beide Universitätsbi­ bliothek Wien]; Unbekannte (3); [Privatbesitz]. Abb. 30: Ondulierte Tagesfrisuren Unbekannte (1), Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 494 (2); [beide Privatbesitz]; Maria v. Lindeiner (3); [Stadtteilarchiv Ottensen]. Abb. 31: Frisuren als Gradmesser des Erwachsenwerdens um 1900 Unbekannte (1–3); [Alle Privatbesitz]. Abb. 32: Volumenexperimente Unbekannte (1–3); [Alle Privatbesitz]. Abb. 33: Außerplanmäßige Ondulation Unbekannte (1, 2); [Altonaer Museum]; Helene Bingel (3); [Dr. Gisela Bingel-Dickow].

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Abb. 34: Frisuren mit Haarteilen am Vorderkopf Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 424 (1), S. 425 (2), [beide Privatbesitz]; Olga Zeise (1864–1945), 1912, (3); [Altonaer Museum]. Abb. 35: Naturwelle statt Ondulation, Alltagsfrisuren ca. 1919 Elisa (geb. 1882), Lucie (geb. 1909) und Pauline (geb. 1850) Fichtner (1– 3); [alle Privatbesitz]. Abb. 36: Haarmodevorschläge in den 1910er Jahren Mode 1913/14 London. In: Müller, Friseurgewerbe (1913), Tafeln 3, 15, n.p. (1, 2); [beide Privatbesitz]; Umsturz der modernen Haartracht, Neue Wiener Friseurzeitung, 1914, Nr. 19, S. 3–4, hier S. 4; (3) [Universitätsbibliothek Wien]. Abb. 37: Jungenfrisur Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 511 (1–2); [Privatbesitz]; Gundel Wagner, erstes Drittel 20. Jahrhundert, (3–4); [Altonaer Museum]. Abb. 38: Gewellte Bubiköpfe Unbekannte (1); Der deutsche Friseur, 1924, Nr. 20, n.p. (2); Der deutsche Friseur, 1924, Nr. 12, n.p. (3); [alle Privatbesitz]. Abb. 39: Glatte Bubiköpfe Der deutsche Friseur, 1924, Nr. 8, S. 4 (1); Der deutsche Friseur, 1924, Nr. 13, S. 5 (2); Unbekannte (3); [alle Privatbesitz]. Abb. 40: Bubikopfverwandlungen Der deutsche Friseur, 1924, Nr. 10, S. 9 (1); Der deutsche Friseur, 1925, Nr. 8 n.p. (2); Der deutsche Friseur, 1924, Nr. 23, n.p. (3); [alle Privatbesitz]. Abb. 41: Radikale Kurzhaarschnitte Der deutsche Friseur, 1925, Nr. 19, Titel (1); Unbekannte (2), Die kombinierte Windstossfrisur. In: Frisur und Mode, Beilage DAFZ 1932, Nr. 2, n.p. (3); [alle Privatbesitz]. Abb. 42: Entfernung vom welligen Look Frisur und Mode. Beilage DAFZ, 1931, Nr. 25. n.p (1); Frisur und Mode. Beilage DAFZ, 1932, Nr. n.p. (2); Lucie Fichtner (1909–1987), ca. 1930 (3); [alle Privatbesitz]. Abb. 43: Haar als Accessoire Kopmann, Otto: Eigene Ideen. In: DAFZ, 1932, Nr, 21, S. 610 (1); Was bringt Wien? In: DAFZ, 1932, Nr. 34, S. 871 (2); Ornamentfrisur nach klassischem Stil. Frisur und Mode, DAFZ, 1933, Nr. 34, n.p (3); [alle Privatbesitz].

Liste der Abbildungen und ihre Nachweise  |

Abb. 44: Geduldete Zopfmoden Gertrud Scholtz-Klink, Reichsfrauenführerin, (1902–1966), (1); [Bundesarchiv, Bild 146II–104]; Zur Berufswahl. Friseure. Fachzeitschrift für das Friseur-Handwerk, 1935, Nr. 3, S. 3 (2); [bpk/Staatsbibliothek zu Berlin/ Dietmar Katz]. Abb. 45: Knoten- und Alltagsfrisuren, 1920er bis 1940er Jahre Modebild. In: Der Deutsche Friseur, 1932, Nr. 2, n.p. (1); Das lange Haar in unserem Blickfeld. In: Der deutsche Friseur, 1942, Nr. 11, S. 2–3 (2); [beide Privatbesitz], Dora Horn (1927–1998); [Falko Schnicke]. Abb. 46: Pageboy und Olympiarolle Die Pagenfrisur – ein Unglück für alle in unseren Beruf, DAFZ, 1937, Nr. 23, S. 425 (1); Tagesfrisuren für längeres Haar, DAFZ, 1936, Nr. 23, S. 453 (2, 3); [alle bpk/Staatsbibliothek zu Berlin]. Abb. 47: ‚Aufsteigende Linie‘ Der deutsche Friseur, 1942, Nr. 11, Frisur Mode Schönheit Beilage, n.p., (1); [Privatbesitz]; Wiener Modell, Der Deutsche Friseur, 1942, Nr. 1, n.p. (2); [bpk/Staatsbibliothek zu Berlin]; Titelbild, Der deutsche Friseur, 1942, Nr. 8, n.p. (3); [bpk/Staatsbibliothek zu Berlin]. Abb. 48: Damenabteilung Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 480; [Privatbesitz]. Abb. 49: Herrenabteilung Müller, Friseurgewerbe (1913), S. 244; [Privatbesitz]. Abb. 50: Betriebszahlen 1875–1939 Betriebe

1875

1895

1907

20.726

30.230

53.264

Angaben nach: Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich Band 1880. Berlin 1880, S. 44, für 1875, und weitere Bände (für 1895 vgl. den Band 1900, S. 37, für 1907 vgl. den Band 1909, S. 83). Abb. 51: Friseure und Friseurinnen im Kaiserreich 1875

1882

1907

Alle

27.073

34.553

92.802

Männer

24.380

31.690

83.643

Frauen

2.693

2.843

9.153

Angaben nach: Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich Band 1883. Berlin 1884, S. 42, für 1875, und wei-

365

366

|  Anhang

tere Bände (für 1882 vgl. den Band 1890, S. 28, für 1907 vgl. den Band 1909, S. 83). Abb. 52: Selbstständige Friseure/Friseurinnen in Berlin 1890er Jahre 1890

1895 (Zählung)

1895 (Schätzung)

alle

1.809

2.104

2.470

Männer

1.224

1.660

1.660

Frauen

585

444

800

Nach: Eger, Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk (1896), Zahlen für 1890, vgl. S. 475, für 1895, vgl. S. 465. Abb. 53: Preise in Berliner Friseurgeschäften, 1896 Nach: Eger, Barbier-, Frisier- und Perückenmacherhandwerk (1896), S. 471–472. Abb. 54: Gewerbeentwicklung 1907–1933 Berufsangehörige Betriebe

1907 92.802 53.264

1925 116.937 56.865

1933 205.711 95.652

Nach: Statistisches Reichsamt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Berlin 1930, S. 105, S. 106, für 1925. Für 1933 vgl. den Band 1938, S. 140. Abb. 55: Preisspanne im Dauerwellgeschäft Nach: Was kostet uns eine Dauerwelle? In: Der deutsche Friseur, 1931, Nr. 3, S. 14 und Die Werbemaßnahmen in der Firma Hans Schwarzkopf zu Berlin für Dauerwellen. In: Der deutsche Friseur, 1931, Nr. 3, S. 7. Abb. 56: Preise Anfang und Ende der Weimarer Republik Nach: Ring, Willy: Die wirtschaftliche Not des Friseurgewerbes. In: DAFZ, 1923, Nr. 1, S.  15–16f., für 1923. Angaben für 1931 (Rasieren, Haarschneiden) nach: Wie lange soll die Bedienung dauern? In: Der deutsche Friseur, 1931, Nr. 7, S. 14; Dauerwellpreise nach Tiemann, Heinrich: Der deutsche Friseur, 1931, Nr. 8, S. 14f. Abb. 57: Frauen und Männer im Friseurhandwerk 1925 Nach: Statistisches Reichsamt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Berlin 1930, Angaben für das Barbiergewerbe S. 97, für das Perückenmachergewerbe S. 96.

Liste der Abbildungen und ihre Nachweise  |

Abb. 58: Zahl der Friseurbetriebe von 1875–1939 Jahr

1875

1895

1907

1925

1933

1937

1938

1939

Betriebe

20726

30230

53264

54888

94323

95980

92677

87706

Nach: Die Not des Friseurgewerbes im Spiegel der Statistik. In: DAFZ, 1934, Nr. 26, S. 658, für 1925 und 1933. Zahlen für 1937–1939 bei Statistisches Reichsamt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1939/40. Berlin 1940, S. 163. Abb. 59: Friseurbetriebe nach Umsatz 1935 Umsatz

Unter 2000 RM

20005000 RM

500010000 RM

1000015000 RM

1500020000 RM

Zahl der Betriebe

49160

30913

11979

2850

989

Nach: Jahresbericht 1938/39 des Reichsinnungsverbandes des Friseurhandwerks. In: Reichsinnungsverband, Friseurhandwerk (1939), S. 39–96, hier S. 52.

367

Ruth SpRengeR

Die hohe KunSt DeR heRRenKleiDeRmacheR

Schneiderkunst im Anzug! oder: Maßgeschneidert, was ist das eigentlich? Über dem vielfach strapazierten Begriff scheint der Maßschneider beinah vergessen. Er zeichnete für die modische Eleganz des Gentleman verantwortlich, wurde als solcher zum heimlichen Schöpfer der zweiten Haut des Mannes. Aber was macht(e) den Anzug zum ästhetisch überlegenen und zugleich erfolgreichsten Kleidungsstück der Herrengarderobe? Wer schuf das bürgerliche Gesetzbuch der Herrenmode? Woraus bezieht der Anzug seine ungebrochene Modernität und seine erotische Strahlkraft? Woran erkennt man bis heute zweifelsfrei die hohe Kunst der Herrenkleidermacher(innen) und wie entsteht sie? Instanzen und Ikonen männlicher Eleganz kommen ebenso zur Sprache wie Herrenmode-Liebhaber Adolf Loos und der Wiener Schneider–Poet Josef Gunkel. Am Schneider–Meisterwerk Alfred Konsals wird der Kunstbegriff der Herrenkleidermacher beispielhaft erschlossen. 2009. 242 S. gb. m. Su. 210 x 270 mm. iSbn 978-3-205-77757-1

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43(0)1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau.at | wien köln weimar