Verwaltungsintegration in den neuen Bundesländern: Vorträge und Diskussionsbeiträge der Verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung 1992 des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428477296, 9783428077298

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Verwaltungsintegration in den neuen Bundesländern: Vorträge und Diskussionsbeiträge der Verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung 1992 des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
 9783428477296, 9783428077298

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Verwaltungsintegration in den neuen Bundesländern

Schriften reihe der Hochschule Speyer Band 110

Verwaltungsintegration in den neuen Bundesländern Vorträge und Diskussionsbeiträge der Verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung 1992 des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

herausgegeben von

Rainer Pitschas

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Verwaltungsintegration in den neuen Bundesländern: Vorträge

und Diskussionsbeiträge der Verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung 1992 des Forschungsinstituts für Öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer / hrsg. von Rainer Pitschas. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer ; Bd. 110) ISBN 3-428-07729-6 NE: Pitschas, Rainer [Hrsg.]; Verwaltungswissenschaftliche Arbeitstagung (19, 1992, Speyer); Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung (Speyer); Hochschule für Verwaltungswissenschaften (Speyer): Schriftenreihe der Hochschule .. .

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-07729-6

Inhaltsverzeichnis Vorwort des Herausgebers ........ .....................................................

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Begrüßung und Einführung durch den wissenschaftlichen Leiter der Verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung, Univ.-Prof. Dr. Rainer Pitschas ...............

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Eröffnungsvortrag von Staatssekretär Klaus Rüter: Effizienz der von RheinlandPfalz für die neuen Bundesländer geleisteten Verwaltungshilfe ....................

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Erster Teil "Transformation" oder "Integration" Zur Steuerungskonzeption der "inneren" Wiedervereinigung Die Transformation der öffentlichen Verwaltung: Ein neues Kapitel der Verwaltungswissenschaft Von Klaus König, Speyer

29

Rechtliche Grundlagen einer "Verwaltung des Mangels" in den neuen Bundesländern Von Peter J. Tettinger, Bochum Diskussion zu den Referaten von Klaus König und Peter J. Tettinger. Leitung: Rainer Pitschas. I'kricht von Ulrich Wiek............................................

47

65

Rechts- und Verwaltungshilfe in den neuen Bundesländern am Beispiel der Kommunalverwaltung Von Oliver Scheytt, Köln / Berlin

69

Stadtpolitik und -verwaltung in Rußland im Sog des Machtkampfes Von Helmut Wal/mann, Berlin, und Kirk Mildner, Berlin . ................. .. ..

89

Diskussion zu den Referaten von Oliver Scheytt und Helmut Wollmann. Leitung: Rainer Pitschas. Bericht von Claudia Köttig ........................................

111

Inhaltsverzeichnis

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Zweiter Teil

Aufgabenpolitik und VerwaItungsintegration: Das Beispiel der Kommunen Kommunale Wirtschaftsentwicklung -

Anforderungen an die Treuhandanstalt

Von Michael Schöneich, Berlin . .... . . . .. .. . .. . .... . ... . . . . .. .. . ... ...... .. . . . .. ..

117

Probleme der Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung aus kommunaler Sicht am Beispiel der Stadt Suhl / Thüringen Von Wilma Hammernick, Suhl .... .. .... .. .. .... .... .... .. .. ...... .. .. .. ..........

131

Diskussion zu den Referaten von Michael Schöneich und Wilma Hammemick sowie zu dem Statement von Peter von Feldmann. Leitung: Rainer Pitschas. Bericht von Michael Karte............ .. ...................... .. .................. .. ...

141

Transfonnation kommunaler Sozialpolitik. Institutionelle Strukturen, soziale Aufgaben und organisierte Akteure Von Holger Backhaus-Maul, Bremen Diskussion zu den Referaten von Dieter Schimanke (nicht abgedruckt) und Holger Backhaus-Maul. Leitung: Detle! Merten . Bericht von Petra Bülow .... . ... .... ...

143

157

Aufgabenpolitik und Verwaltungsintegration. Empirische Befunde zur Programmund Verfahrenssteuerung ostdeutscher Kommunalverwaltungen durch "westliches" Verwaltungsrecht Von Rainer Pitschas, Speyer

159

Diskussion zu dem Referat von Rainer Pitschas und dem Statement von FrankHartmut Striening. Leitung: Detle! Merten. Bericht von Christian Koch ... ... .. .

185

Dritter Teil

Verwaltungs personal als "Humanressource" im Integrationsprozeß Verwaltungskultur in Ostdeutschland. Empirische Befunde und personalpolitische Ansätze zur Akkulturation ostdeutscher Verwaltungsmitarbeiter Von Christoph Reichard und Eckhard Schröter, Berlin ........ .... ...... .. ....

191

Inhaltsverzeichnis

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Der Beitrag von Fortbildung und Verwaltungsentwicklung am Beispiel Ost-Berlins Von [rene Chowdhuri, Berlin ......... ....... ............... ... ... ............ .....

223

Fortbildung für den Verwaltungsaufbau. Erfahrungen mit innovativer Fortbildung für die öffentliche Verwaltung in den neuen Bundesländern Von Regine Ehrhardt, Berlin .... ........................ ........ ..................

237

Diskussion zu den Referaten von Christoph Reichard / Eckhard Schröter, Irene Chowdhuri und Regine Ehrhardt. Leitung: Rainer Pitschas. Bericht von ]ürgen Wedler ....................................................................................

249

Sachverzeichnis ..........................................................................

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Verzeichnis der Referenten und Diskussionsleiter Dipl.-Soz. Holger Backhaus-Maul

Staatssekretär Klaus Rüter

Irene Chowdhuri

Dr. Oliver Scheytt

Regine Ehrhardt

Prof. Dr. Dieter Schimanke

Dr. Peter von Feldmann

Direktor Michael Schöne ich

Wilma Hammernick

Dipl.-Pol. Eckhard Schröter

Prof. Dr. Klaus König

Frank-Hartmut Striening

Prof. Dr. Dr. Detlef Merten

Prof. Dr. Peter J. Tettinger

Prof. Dr. Rainer Pitschas

Prof. Dr. Hellrnut Wollmann

Prof. Dr. Christoph Reichard

Vorwort des Herausgebers Der Umbruchprozeß, der sich gegenwärtig in den jungen Bundesländern Deutschlands und in den ehemals sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas vollzieht, wird durch einen je radikalen Systembruch und -wechsel gekennzeichnet. Ihn markieren einerseits der Übergang zu einem demokratischen PolitikmodelI, andererseits die Wahl eines privatwirtschaftlichen Marktgefüges als Struktur der nationalen Volkswirtschaft. Diesen Systemwandel namentlich in Ostdeutschland deuten und in seinem Verlauf wirksam steuern zu können, setzt voraus, seine Merkmale und Prozeßabläufe zutreffend zu beschreiben, zu analysieren und in einem Veränderungskonzept "einzufangen". Dies ermöglicht es zu prüfen, ob die seit der Wiedervereinigung in Richtung auf die jungen Bundesländer in Deutschland eingesetzten Maßnahmen der Rechts- und Verwaltungshilfe in Umsetzung des gewählten Steuerungskonzepts ihr Ziel erreicht haben. Anlaß zu entsprechenden Nachfragen gibt die empirische Feststellung, daß es im Zuge des Umbaus der Verwaltung in Ostdeutschland nur sehr zögerlich gelingt, unterschiedliches Recht zu integrieren, unterschiedliche Aufgabenverständnisse und Verhaltensweisen von Verwaltungsangehörigen miteinander zu vereinbaren und auch die Verfahrensgrundsätze der überkommenen Verwaltung mit denen einer ,,klassisch-europäischen" Exekutive auf einen Nenner zu bringen. Auf diesem Hintergrund widmete sich die Verwaltungswissenschaftliche Arbeitstagung 1992 des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, die thematisch an das vom Herausgeber im Dezember 1990 in Dresden durchgeführte Symposium zur "Rechtsvereinheitlichung und Verwaltungsreform in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland" anknüpfte (dazu auch der Tagungsband von Rainer Pitschas (Hrsg): Rechtsvereinheitlichung und Verwaltungsreform in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, 1991), der Entwicklung und Diskussion einer Steuerungskonzeption für die "innere" Wiedervereinigung Deutschlands unter gleichzeitiger Erweiterung des Blicks auf ähnliche Bedarfe in Mittelund Osteuropa. Die Veranstaltung fand vom 30.9. bis 2. 10. 1992 in Speyer statt. Mit der Wahl ihres Zeitpunktes erwies sie zugleich dem zweiten Jahrestag der Wiedervereinigung ehrenvolle Reverenz. Das gewählte Tagungsthema der "Verwaltungsintegration" sollte bereits darauf hindeuten, daß sich das Anliegen der Wiedervereinigung nicht auf einen eher technisch zu bewerkstelligenden "Systemwandel" beschränken läßt. Es umfaßt vielmehr die gesam~staatliche Einheitsbildung und -bejahung, ist "Integration"

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Vorwort des Herausgebers

und nicht bloße Umwandlung, nicht nur Übergang von einem System zum anderen. Die öffentliche Verwaltung ist ein Teil dieser Integration, ihr zu dienen bestimmt. "Verwaltungsintegration" meint insofern den Beitrag, den Handeln und Verfahren der öffentlichen Verwaltungen für die Akzeptanz des neuen Gesamtstaates und damit für staatliche Einheitsbildung leisten müssen. Wer die Diskussion der letzten Jahre seit der Vollendung der äußeren Einheit Deutschlands verfolgt hat, merkt bei der Lektüre dieses Tagungsbandes sehr schnell, daß die Veranstaltung mit dem erwähnten konzeptionellen Fundament quer zum "main stream" der Verwaltungstheorie einerseits, zur herrschenden "Aufbau Ost"-Philosophie andererseits liegt. Sie steht im Gegensatz zu den Anstrengungen einer theoretischen Verwaltungs wissenschaft um die "Transformation" der ehemaligen DDR, insofern sich deren Vertreter in ihrer theoretischen Analyse darauf beschränken, die Entwicklungen auf hohem Niveau abstraktmethodisch zu erklären, aber keine praxisbezogenen Gestaltungsvorschläg!! unterbreiten und das Integrationsziel aus den Augen verlieren. Ein Gegensatz anderer Art läßt sich ferner gegenüber jenen Beiträgen feststellen, die etwas kurzatmig von "Erfolgen im Osten" schwadronieren, eine "nachhaltige" Entwicklung der Verwaltung in den jungen Bundesländern postulieren (was immer "Nachhaltigkeit" in diesem Zusammenhang heißen mag) und dort ein "lean management" einführen wollen. Worum es statt dessen geht, ist die inhaltliche Bestandsaufnahme und Auseinandersetzung damit, wie in der Verwaltungswirklichkeit insbesondere die Kommunalverwaltung der jungen Bundesländer den sich stellenden Herausforderungen begegnet. Dies bedingt die Konzentration auf die Staats- und kommunale Praxis im Sinne einer zunehmenden Annäherung an die Realität. Dem entsprach das Konzept der Tagung. Es suchte nach der praxisgeleiteten Verbindung von empirischer Verwaltungswissenschaft und einer Verwaltungsrechtswissenschaft, die nicht in positivistisch-formaler Argumentation verharrt, sondern ihre wirklichkeitswissenschaftlichen Züge entfaltet. Bezugspunkt dieses Zusammenklangs ist der alltägliche, "arbeitende Staat" (L. v. Stein); ihn zu erfassen, heißt die konkrete und eben auch prozeßhafte Staatspraxis in ihren Veränderungsbedarfen zu reflektieren. Dementsprechend standen auf der Arbeitstagung die konkrete staatliche bzw. kommunale Leistungserbringung und Problemverarbeitung zur Debatte. Daß diese nicht im Wege deskriptiver Kategorisierung geführt worden ist, dürfte die Lektüre der Referate - zu der hiermit eingeladen wird - alsbald zeigen. Der als Ergebnis der Tagung vorgelegte Band enthält die Schriftfassungen der Tagungsvorträge und die Zusammenfassungen der Diskussionen. Verzichtet wurde auf den Abdruck der für die Veranstaltung vorbereiteten Statements; dies erscheint angesichts deren Konzentration auf lediglich punktuelle Problemsichten vertretbar. Auch der Vortrag von Dieter Schimanke, dessen Ausführungen zur Arbeitsmarktpolitik eher am Rande des schwerpunktmäßig den Kommunen zu-

Vorwort des Herausgebers

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gewendeten Interesses lagen, wurde im Einverständnis mit dem Autor nicht abgedruckt. Mein Dank gilt allen, die zum Gelingen der Tagung beigetragen haben, insbesondere meinen wissenschaftlichen Mitarbeitern, die bereitwillig und mit höchstem Einsatz die arbeitsintensive Vorbereitung auf sich genommen haben. Zusätzlichen Dank schulde ich Herrn Dr. Christian Koch, der das Sachverzeichnis erstellt und das Manuskript eingerichtet hat. Für die geduldig und engagiert ausgeführten Schreibarbeiten danke ich darüber hinaus meiner Sekretärin, Frau Michaela Busche. Speyer, Februar 1993

Rainer Pitschas

Begrüßung und Einführung durch den wissenschaftlichen Leiter der Verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung, Universitätsprofessor Dr. Rainer Pitschas Sehr geehrter Herr Staatssekretär, meine Damen und Herren, zur Verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung 1992 des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer heiße ich Sie sehr herzlich willkommen. Mein Willkommensgruß gilt allen Tagungsteilnehmern gleichermaßen; Sie sehen es mir deshalb bitte nach, wenn i~h anläßlich der Begrüßung darauf verzichte, einzelne Gäste namentlich anzusprechen - obschon ich manchen auch gut kenne. Einen besonderen Gruß entbiete ich jedoch dem Vertreter der Landesregierung, Herrn Staatssekretär Rüter, der die anschließende Eröffnungsansprache halten wird. Ich freue mich darüber, daß die Landesregierung auf diese Weise ihr Eintreten für den Einigungsprozeß wiederum nachhaltig bekundet. Allen Teilnehmern wünsche ich sodann einen angenehmen Aufenthalt an dieser Hochschule und in der schönen Stadt Speyer. Wir befinden uns zur Zeit im Hochschulgebäude in der Freiherr-vom-SteinStraße. Aus diesem Namen ergibt sich sogleich die unmittelbare Verbindung zu den zwei zentralen Gegenständen unserer Arbeitstagung, nämlich der kommunalen Selbstverwaltung einerseits und der Rolle der rechtsförmig strukturierten Verwaltung im "arbeitenden Staat" andererseits. Während die Rolle von Verwaltung und Kommunen heute und an den folgenden Tagen immer wieder im Mittelpunkt der Referate und Diskussionen stehen soll, war Anlaß für die Wahl des Themas der diesjährigen Verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung der (vorläufige) Abschluß meines Forschungsprojekts "Rechtsvereinheitlichung in Deutschland und Verwaltungsreform", das vor genau zwei Jahren, im September 1990, im Zuge der Wiedervereinigung hier in Speyer und in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Institut Öffentlicher Dienst e. V. (Bonn) und dem Bundesminister des Innern begonnen wurde.! ! Pitschas, Expose zum Forschungsprojekt "Rechtsvereinheitlichung in Deutschland und Verwaitungsreform. Reorganisationserfordernisse des öffentlichen Dienstes in den neuen Bundesländern auf dem Gebiet der früheren DDR", Speyer 1990 (vvf. Mskr.), mit Nachträgen vom 20. Juni 1991 und 9. Oktober 1991.

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Begrüßung und Einführung

Im Zentrum der Ausgangsüberlegungen zu dieser Forschungsarbeit standen zwei Thesen. Die erste handelte davon, daß die bis zur Wiedervereinigung mit einem sozialistischen Verfassungsverständnis und den Geltungsbedingungen eines leitungsspezifischen Verwaltungsdenkens verknüpfte damalige DDR-Verwaltung danach auf lange Sicht weder strukturell noch personell in der Lage sein würde, das Recht eines komplizierten Verwaltungsstaates wie der Bundesrepublik Deutschland effektiv in die Praxis umzusetzen. Die zweite These ging von der Vermutung umfanglicher Adaptionsprobleme der ehemaligen DDRVerwaltung an die im Prozeß der Politikintegration zu übernehmenden Standards und zu bewältigenden Aufgaben aus. Demzufolge führte der Antrag auf Bewilligung des Forschungsprojekts aus, daß ohne den Aufbau neuer administrativer Strukturen und die massive Zufuhr an Rechts- und Verwaltungshilfe der Wiedervereinigungsprozeß strukturell und funktional in einen Mißerfolg einmünden müsse. 2 In welchem Ausmaß auch und gerade diese Verbindung der öffentlichen und zumal der Kommunalverwaltung sowie des Rechts mit dem sog. Aufschwung Ost heute eine entscheidende Rolle spielt, zeigt die hitzige Diskussion in diesen Tagen zur Genüge. Zudem haben wir zwischenzeitlich lernen müssen, daß der Neubau der öffentlichen Verwaltung in den ostdeutschen Bundesländern nach der Wiedervereinigung und die Implementation des Rechts anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegen und weitaus mehr Zeit benötigen, als Politik und westliche Verwaltungsführungen angenommen hatten. Die neuen Bundesländer sind freilich seit der Wiedervereinigung nicht untätig geblieben. Während in Westdeutschland inzwischen erneut die Diskussion um eine Funktionalreform der Kommunalverwaltungen entflammt, suchen die ostdeutschen Länder numehr verstärkt nach eigenen Wegen, wie sie ihrer Verantwortung für die Bürger durch je genuine Verfassungsrechtsetzung, eigene Landesrechtsentwicklung sowie durch schrittweise Ausprägung und Zusammenführung aufgabenspezifischer Strukturen, Formen und Verfahren ihrer Landes- und Kommunalverwaltung gerecht werden können. Sie erwarten allerdings in diesem von kulturellen Werten geprägten Prozeß der "Verwaltungsintegration" von den Verwaltungswissenschaften und der Rechtswissenschaft eine praxis orientierte Hilfestellung; jene sind dazu aufgefordert, ihr je eigenes Denken und Handlungswissen in den Integrationsprozeß einzubringen. 3 2 Zur Bestätigung dieser Annahmen siehe die Ergebnisse meiner empirischen Vorstudie zu dem im Text erwähnten Forschungsprojekt (FN I) unter dem Titel "Anwendungsprobleme des Verwaltungsverfahrensrechts in der Praxis der Kommunalbehörden in den neuen Bundesländern und Handlungsempfehlungen", Speyer / Bonn 1992 (Typoskript), S. 14 ff. 3 Dazu einerseits Hesse, Der Aufbau der Landesverwaltungen: Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten, in: Pitschas (Hrsg.), Rechtsvereinheitlichung und Verwaltungsreform in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, Königswinter 1991, S. 42 ff.; andererseits Pitschas, Verwaltungsentwicklung in den ostdeutschen Bundesländern, DVBl. 1991, S. 457 ff.

Begrüßung und Einführung

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Im Hinblick hierauf hat unsere Tagung zunächst und in ihren grundsätzlichen Themen das Ziel, den Vorgang der notwendigen Rechts- und Verwaltungsentwicklung analytisch zu erfassen, theoriegeleitet zu diskutieren und ihre Verbindung mit sektoralen Politiken näher zu beleuchten. Ob und in welchem Umfang dabei der Umbau der Verwaltungen in Ostdeutschland nicht nur zu einem neuen Funktions- und Rollenverständnis findet, sondern gleichsam im Wege eines Aufbruchs zu neuen Ufern auch ein neues Kapitel der Verwaltungswissenschaft aufschlägt, wird einleitend Herr Kollege König in seinem Referat erörtern. Der dem Thema eingefügte Begriff der "Transformation" deutet jedenfalls einen grundlegenden Verständniswandel von Verwalten in den neuen Bundesländern an. Dieser zwingt auch die Verwaltungsrechtswissenschaft zu Überlegungen darüber, wie die rechtlichen Grundlagen modifizierter Aufgabenwahrnehmung und eines veränderten Verwaltungsstils beschaffen sein sollten. Es geht darum, unterschiedliches Recht zu integrieren, unterschiedliche Aufgabenverständnisse und Verhaltensweisen von Verwaltungsangehörigen miteinander zu vereinbaren und auch die Verfahrensgrundsätze der überkommenen Bürokratie mit denen einer "modemen" entwickelten Verwaltung auf einen Nenner zu bringen. 4 Mit der schlichten Übernahme "westlicher" Verwaltungsverständnisse lassen sich diese Herausforderungen nicht bewältigen. Es liegt deshalb nahe, in der Verwaltungspraxis nach neuen Wegen zu suchen, die einerseits den Grundprinzipien des demokratischen Sozial- und Rechtsstaates folgen, sich aber andererseits daran orientieren, daß sie in einer unvergleichlichen Situation eigengearteten institutionellen und sozio-ökonomischen Wegmarkierungen unterliegen. Trotz aller Bemühungen um eine "anpassungsgerechte" Rechtsangleichung und Rechtsanwendung zeigt sich nämlich grosso modo, daß man eher rechtliche Grundlagen einer "Verwaltung des Mangels" in den neuen Bundesländern hätte schaffen sollen, statt das komplexe Recht eines entwickelten Verwaltungs staates zu übernehmen. Herr Kollege Tettinger wird auf diese Fragen näher eingehen. In der Rechts- und Verwaltungshilfe in den neuen Bundesländern war und ist deshalb immer wieder zu prüfen, ob und ggf. mit welchen Mitteln der ursprünglich ausgewiesene Gesetzeszweck oder andere instrumentale Überlegungen nunmehr in der Anwendung in den neuen Bundesländern stärker oder anders betont werden müssen. Über einige in der Kommunalverwaltung hierzu gesammelte Erfahrungen wird uns Herrr Scheytt berichten. Vergewissern wir uns ihrer, so mag sich zeigen, daß auch die Kommunalpolitik ihren exekutiven Aufgaben offenbar nur sehr eingeschränkt zu entsprechen vermag. Dies gilt auch und gerade für Fragen der Institutionenentwicklung; es rächt sich hier, daß Verwaltungspolitik bzw. Organisations- und Personalentwicklung zu den eher nachrangigen Politikbereichen zählen und auch personell kaum als 4 Zu dieser Anknüpfung an die sozial wissenschaftlichen Theorieansätze der "Modemisierung" und "Verwaltungsentwicklung" vgl. Pitschas (FN 3), S. 458.

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Begrüßung und Einführung

Felder betrachtet werden, auf denen man als "politischer Hoffnungsträger" Lorbeeren ernten könnte. Die damit am ersten Tagungstag in den Vordergrund gerückten funktionalen Voraussetzungen der "inneren Vereinigung" sowie der Institutionenentwicklung sind in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen. Wie bedeutsam sie sind, zeigt nunmehr in aller Deutlichkeit der Vergleich mit den Entwicklungsprozessen in den ehemals sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas. Auch hier ist erst noch das zu gewährleisten, was als Voraussetzung und Alltag des öffentlichen Handeins gelten muß, nämlich die Funktionsfahigkeit zumal der kommunalen Verwaltung und die "Übersetzung" politischer Programme in öffentliche Daseinsvorsorge unter Ausbau personeller wie finanzieller Ressourcen. Eine zur Situation Ostdeutschlands vergleichende Skizze hierzu wird Herr Kollege Wal/mann vortragen. Vor dem Hintergrund dieser eher "großen Linien" der Verwaltungsentwicklung im Osten scheint es angebracht, einige Schlüsselbereiche der Verwaltungsintegration näher zu diskutieren. Deren Auswahl liegt zugegebenermaßen ein gewisses Vorverständnis von der Notwendigkeit ebenso integrierter Wirtschafts-, Struktur-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik wie der für ihren Erfolg unerläßlichen administrativen Umsetzung zugrunde. Einer entsprechenden Institutionalisierung und 'zugleich verwaltungsförmigen Umsetzung ermangelt es vor allem auf der kommunalen Ebene. Immer wieder wird beispielsweise kritisiert, daß die ostdeutschen Kommunen sich bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu zögerlich verhielten, daß Genehmigungsverfahren zu verkürzen seien und eine durchgreifende "Entbürokratisierung" Platz greifen müsse. Auch die Treuhandanstalt gerät dabei in das Feuer der Kritik, wird ihr doch verschiedentlich vorgehalten, daß sie ihre Tätigkeit mit den Vorstellungen der kommunalen Wirtschaftsförderung in den neuen Bundesländern nicht recht in Einklang zu setzen vermöge. Ob dies wirklich der Fall ist, was ich meinerseits z. B. mit Blick auf das "Berliner Modell" bei der Vermarktung nicht mehr betriebsnotwendiger Grundstücke bezweifle 5, wird uns Herr Schöneich von der Treuhandanstalt näher darlegen. Dabei kann er auf eine gewisse Erfolgsbilanz verweisen: Seine Dienstgeberin hat bis Ende August 1992 knapp über 10000 Einrichtungen an Städte, Gemeinden und Landkreise in Ostdeutschland übergeben. Darunter befinden sich Betriebskindergärten und -sporteinrichtungen, Berufsschulen, Lehrlingswohnheime sowie - dies vor allem - zahlreiche Gewerbeflächen. 6

5 "Berliner Modell" meint die Zusammenarbeit der Berliner Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft (LTG) mit den betroffenen Bezirken (Kommunen) und Wirtschaftsvertretern unter dem Vorsitz der Senatsverwaltung für Wirtschaft bei Ausschreibung und Vergabe nicht mehr betriebsnotwendiger Grundstücke von Berliner Treuhand- Unternehmen, vgl. Berliner Tagesspiegel v. 28.8. 1992, S. 19. 6 Vgl. die Angaben in Süddt. Zeitung vom 12. / 13. 9. 1992, S. 26.

Begrüßung und Einführung

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Für mich besteht allerdings kein Zweifel daran, daß noch immer die Kommunen in Ostdeutschland in ihrer sozio-ökonomischen Entwicklung und der darauf bezogenen Verwaltungskraft gestärkt werden müssen. Wie zahlreich die hierbei auftretenden Schwierigkeiten sind, werden uns das Referat von Frau Hammernick und das Statement von Herrn von Feldmann belegen. Ihre Berichte bzw. Überlegungen machen zugleich deutlich, daß die Fragen der wirtschaftlichen EntwickluVg in ihrer Weichenstellung nicht von den sozialpolitischen Aufgaben der Kommunalpolitik ablösbar sind. Die Tagung beschäftigt sich deshalb auch und ferner mit jenen Problemen der kommunalen Beschäftigungs- und Sozialpolitik, die mit den Entwicklungsprozessen verbunden sind. Eine besondere Rolle spielt hierbei dieArbeitslosigkeit in den Gemeinden: Zwar wird gebaut und im gewerblichen wie industriellen Bereich investiert - aber all' dies schlägt sich nicht durchgreifend auf dem Arbeitsmarkt nieder. Die Arbeitslosigkeit bleibt zweistellig, und wenn man diejenigen hinzurechnet, die über Qualifizierungs- und Arbeitsbeschäftigungsmaßnahrnen finanziert werden, dann liegt die Arbeitslosenquote in den neuen Bundesländern derzeit bei ca. vierzig Prozent. Der soziale Bundesstaat und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse leiden darunter fundamental, wie uns auch der Beitrag von Herrn Kollegen Schimanke am Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns zeigen wird. Angesichts solcher Realitäten geraten die Bemühungen kommunaler Beschäftigungssicherung an ihre Grenzen. Legitimationserfordernissen eigener Art unterliegt auch die Integration der kommunalen Sozialpolitik. Einzelfragen ihrer institutionellen Strukturen, der zu bewältigenden sozialen Aufgaben und zur Organisation ihrer Akteure wird Herr Backhaus- Maul anhand eigener empirischer Untersuchungen behandeln. Seine Ausführungen verbinden sich mit zahlreichen Hinweisen auf die Probleme des Aufbaus einer Sozialverwaltung, wie sie uns in seinem Statement Herr Striening vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg ausbreiten wird. Bei alledem ist allerdings das Ziel der Erörterungen im Auge zu behalten: Es geht stets um die Frage, wie wird die kommunale Verwaltung in den neuen Bundesländern mit den aus diesen Sachproblemen resultierenden Herausforderungen an die Verwaltungsstrukturen fertig, d. h. wie sind Programmvollzug, Organisation und Verfahren der Verwaltungen zu verbessern. Ein Schlaglicht auf den Stand der Bemühungen hierzu in den Kommunalverwaltungen wird mein Referat zum Abschluß des zweiten Tagungstages werfen, indem es einige Defizite der Programmsteuerung durch Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrecht auf der Grundlage empirischer Erhebungen benennt. Im Verwaltungsvollzug ist es vor allem das Personal, dessen Fähigkeiten und Fertigkeiten den Erfolg der Verwaltungsarbeit bestimmen. In ihrem dritten Teil wendet sich deshalb die Tagung der Frage zu, wie sich ostdeutsche Verwaltungsmitarbeiter an die Herausforderungen der Verwaltungsintegration anzupassen vermögen. Letztlich geht es dabei um Fragen eines "interkulturellen" Personalma2 Speyer 110

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Begrüßung und Einführung

nagements. Antworten hierauf verweisen auf jene empirischen Befunde, die uns die Herren Reichard und Schröter vortragen werden. Die notwendige Akkulturation der übernommenen Verwaltungs angehörigen setzt, so läßt sich wohl daraus folgern, eine spezifische Personalentwicklung voraus, die ihrerseits wiederum einen bedeutsamen Beitrag zur Verwaltungsentwicklung in Ostdeutschland erbringen könnte. Über die verschiedenen Beiträge, die hierzu speziell die Fortbildung leisten kann, orientieren uns die Vorträge von Frau Chowdhuri und Frau Erhardt. Ich wünsche mir und Ihnen, daß wir nach diesen beiden Schlußvorträgen einigermaßen Klarheit darüber gewonnen haben, wie unter steigendem Kostendruck und rauher werdendem politischen Klima künftig die Weichen für eine erfolgreiche, sozio-ökonomisch effiziente kommunale Verwaltungspolitik gestellt werden müssen. Hierzu können die nach meiner Überzeugung notwendigen Diskussionen zwischen Wissenschaft und Praxis, ostdeutschen und westdeutschen Verwaltungsexperten während der Tagung beitragen. Sie werden zum Nachdenken über das Thema, zur Erkenntnis künftiger Gestaltungsnotwendigkeiten und schließlich auch zu gezielten Vorschlägen führen. In diesem Sinne bedanke ich mich bei Ihnen schon jetzt für Ihre aktive Teilnahme. Herrn Staatssekretär Rüter gilt nochmals und auch persönlich mein besonderer Dank für seine liebenswürdige Bereitschaft, die Tagung nunmehr mit seiner Ansprache zu eröffnen.

Eröffnungsvortrag von Staatssekretär Klaus Röter: Effizienz der von Rheinland-Pfalz für die neuen Bundesländer geleisteten Verwaltungshilfe Herr Professor Pitschas, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf vorab ein offizielles Wort für die rheinland -pfälzische Landesregierung sagen: Wir freuen uns außerordentlich, daß Sie die "Verwaltungsintegration in den neuen Bundesländern" zu einem Thema Ihrer Fachtagung an der Speyerer Hochschule für Verwaltungswissenschaften gemacht haben. Ich finde, hier läßt sich ein wichtiger Teilaspekt des Prozesses der Deutschen Einigung deutlich machen und mehr noch: die Bedeutung der Verwaltung als Grundlage und Motor der wirtschaftlichen, sozialen undkultuellen Entwicklung in einem Land. Ich kann und will mit meinem Beitrag zur Eröffnung dieser Veranstaltung weder eine wissenschaftliche Analyse noch eine Gesamtdarstellung der Verwaltungshilfe in den neuen Ländern anbieten. Mein Ziel ist bescheidener: Ich versuche, anhand der rheinland-pfälzischen Thüringenhilfe Erfahrungen zu schildern, pauschal und streiflichtartig Hinweise zu geben. Mein erster Hinweis: Für mich, als langjährigen Verwaltungspraktiker mit durchaus selbstkritischer Einstellung zu Verwaltung und Beamtenturn, ist es durchaus eine interessante und letztlich positive Erfahrung, wie leistungsfähig und flexibel im Grunde unser zu Unrecht viel geschmähter Öffentlicher Dienst sich bei diesem "Unternehmen" darstellt. Wir haben das bei uns nur deshalb nicht schätzen können, weil die funktionierende Verwaltung für uns selbstverständlich war wie die geschenkte Demokratie, die im Grunde täglich neu errungen werden muß. Eine weitere Erkenntnis vorab: Verwaltungshilfe ist viel mehr als lediglich Finanzhilfe. Hier geht es darum, daß das Know-how der Verwaltung vermittelt wird, persönlicher Einsatz von erfahrenen westlichen Beamten vor Ort in wirksame Hilfe umgesetzt wird. Wenn man systembedingt bei Null anfangen muß, wie z. B. bei der Katasterverwaltung sowie der Steuerverwaltung, oder ideologisch geprägte Strukturen, wie Polizei und Justiz, erst einmal ein neues Rückgrat bekommen müssen, genügt ein reiner Finanztransfer in keiner Weise: Hier sind Menschen gefordert, die auch unter schwierigen Verhältnissen mit enormem Einsatz ihr Scherflein zum Neuaufbau beitragen. Das verdient Respekt und Anerkennung. 2*

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Klaus Rüter

Soviel einmal als Vorwegbilanz: Unter den Bedingungen einer föderalistischen Staatsstruktur haben wir die Herausforderungen der Hilfe für die neuen fünf Länder relativ gut bewältigt. Allerdings, und dies sei zum Schluß der Vorbemerkungen deutlich gemacht, ist es für mich schwer verständlich, daß wir zum Beispiel "überzählige" Beamte der Bundeswehrverwaltung nicht - unter Beachtung sozialer Gesichtspunkte - nach Thüringen oder Sachsen schicken können, sondern daß letztlich das Freiwilligkeitsprinzip, mit entsprechender finanzieller Zuwendung abgesichert, Maßstab sein mußte. Hier stimmt einiges nicht zusammen, wenn das hohe Beamtenethos bemüht wird, aber letztlich in vielen Fällen der finanzielle Anreiz auschlaggebend sein muß. Wer das beobachtet, fragt sich, ob wirklich der hehre Grundsatz des Artikels 33 Abs. 5 des Grundgesetzes noch mit den heutigen Realitäten übereinstimmt. Nun zur rheinland-pfälzischen Thüringenhilfe: Nach der Wende in der ehemaligen DDR haben sich die Länder in Absprache mit dem Bund überwiegend den unmittelbar benachbarten, im Entstehen begriffenen Partnerländern im Osten zugewandt und Hilfe zugesichert. Rheinland-Pfalz hat sich Thüringen ausgewählt, wohl nicht zuletzt aufgrund bestehender Städtepartnerschaften, etwa zwischen Mainz und Erfurt, Trier und Weimar. In Abstimmung mit den beiden anderen thüringischen Partnerländern Hessen und Bayern wurde im Laufe des Jahres 1990 von der früheren Landesregierung festgelegt, daß Rheinland-Pfalz bei der Verwaltungshilfe die Federführung für die Justizverwaltung, für die Kultur und das Schulwesen, für die Landwirtschaft, für die Landesvertretung beim Bund und für die Landtagsverwaltung erhält. Die Landesregierung beschloß dann das Thüringenhilfeprogramm, das für die Haushaltsjahre 1990 bis 1992 Ausgaben von insgesamt 50 Millionen DM vorsah. Diese Gelder wurden zunächst verstärkt für Projekthilfen eingesetzt; doch bereits Ende 1990 rückte die Verwaltungshilfe, d. h. die Personalhilfe einschließlich der Aus- und Fortbildungsmaßnahrnen in den Vordergrund. Nach den Landtagswahlen im April 1991 setzte die sozial-liberale Landesregierung, wie das auch im Koalitionsabkommen festgelegt worden war, das Hilfsprogramm fort. Da die ursprünglich vorgesehene Summe von 50 Millionen DM bereits in der ersten Jahreshälfte 1992 aufgebraucht war, mußte der Finanzminister für den Rest des Jahres weitere 10 Millionen DM bereitstellen. Im Juni 1992 sprachen sich die Ministerpräsidenten aller Länder für die Fortführung der Verwaltungshilfe über das Jahr 1992 hinaus bis Ende 1994 aus. Auf dieser Grundlage einigten sich vor wenigen Tagen der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Scharping und sein Kollege Bernhard Vogel aus Thüringen auf das Verfahren bei der Fortsetzung der rheinland-pfälzischen Verwaltungshilfe für Thüringen. Das Land Rheinland-Pfalz wird auf der Basis von 200 Beamten und Angestellten für zwei weitere Jahre Personalhilfe vor allem im Wege der Abordnung leisten. Die Gesamtkosten für die Abordnungen werden von den beiden Ländern

Eröffnungsvortrag

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je zur Hälfte getragen. Bei Gesamtaufwendungen von rund 60 Millionen DM werden daher von Rheinland-Pfalz injedem der beiden Jahre weitere 15 Millionen DM aufzubringen sein. Der Schwerpunkt der Hilfsrnaßnahmen des rheinland-pfälzischen Innenministeriums bezog sich zum einen auf die allgemeine Personalhilfe einschließlich der Ausbildung und Fortbildung, sodann auf den zentralen Bereich der Polizei und die besonders wichtige Hilfe für die Kommunen, die auf der unteren Ebene die Voraussetzungen für den Aufbau des demokratischen Staates zu schaffen hatten. Unsere Hilfe umfaßt aber auch spezielle Verwaltungszweige wie die Vermessungs- und Katasterverwaltung, den Rettungsdienst, den Brand- und Katastrophenschutz sowie die Mithilfe beim Aufbau eines thüringischen Verfassungsschutzes. Nur am Rande erwähne ich, daß vom Landessportbund mit Hilfe von Landesmitteln auch Hilfe für die Neustrukturierung des Sports unter dem Aspekt besonders auch des bisher vernachlässigten Breiten- und Freizeitsportes geleistet worden ist. Noch heute sind Rheinland-Pfälzer in Schlüsselfunktionen bei dem Innenministerium, der Polizei, aber auch in Fachressorts in Thüringen tätig. Einige sind endgültig nach Thüringen versetzt worden, andere wollen überwiegend aus familiären Gründen wieder nach Rheinland-Pfalz zurück. Thüringen legte von Anfang an Wert auf langfristige Abordnungen. Angesichts eigener Personalproblerne war dies bei unserer Verwaltung nicht immer, bei den Kommunen nur in Ausnahmefällen möglich. Wenn man den bisherigen Verlauf der Verwaltungshilfe zeitlich untergliedert, so lassen sich nach meiner Auffassung drei Phasen unterscheiden: -

die beginnende Phase der Projekthilfe,

-

die frühe Phase der Personalhilfe für die vordringlich zu bewältigenden Aufgaben vor allem in den Kommunen und

-

die anschließende Phase der ausgesuchten Personalhilfe für spezielle Aufgabenfelder.

Der Versuch, die Effizienz der Verwaltungshilfe zu bewerten, muß die Ausgangssituation in der jeweiligen Phase der Hilfe berücksichtigen. Man muß die spezifischen Probleme kennen, denen die Helferländer jeweils gegenüberstanden. So waren die rheinland-pfälzischen Verwaltungen in der ersten Phase, bei der Festlegung der Projekthilfe, weitgehend auf sich selbst gestellt. Dies galt sowohl für die Bestimmung der vordringlicheren Projekte als auch für die im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel zu treffende Auswahl zwischen den verschiedenen Hilfsmaßnahmen, die zuerst einmal pauschal angefordert wurden. Im Klartext: Es war nicht einfach, eine vernünftige Koordination zustande zu bringen, weil die Adressaten nicht immer wußten, was sie mit Vorrang brauchten.

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Auch für die Rheinland-Pfälzer waren Auswahl und Schwerpunktbildung am Anfang wohl eher zufallsbestimmt. Was war wichtiger: Notfallkoffer oder Gefahrstoffkoffer oder technische Planungshilfen für die Gemeinden? War die kurzfristige Lieferung von 800 Polizeiuniformen nach Jena wirklich wichtiger als andere Hilfsrnaßnahmen? Mir selbst haben Polizeibeamte aus dem Donnersbergkreis mit DeutschlandOst-Erfahrung bestätigt, welche Signalwirkung allein die westliche Polizeiuniform für die Akzeptanz der Polizei bei den Bürgern dort hatte. Als dann in der zweiten Phase die Vordringlichkeit kurzfristiger personeller Hilfen zur Erledigung der elementaren Aufgaben, vor allem bei den Kreisverwaltungen und den Gemeinden erkannt wurde, ergab sich eine neue Fragestellung: Wie sollten die rheinland-pfälzischen Helfer eingesetzt werden? Flächendeckend im ganzen Land Thüringen, unter Berücksichtigung bereits bestehender kommunaler Partnerschaften oder konzentriert nur in bestimmten Landesteilen? Natürlich gab es Reibungsverluste, wenn in einer thüringischen Behörde Helfer aus den verschiedenen Partnerländern, Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern, aufeinandertrafen. Der deutsche Föderalismus zeigte sich hierbei nicht immer von der allerbesten Seite. Bayern, Hessen oder Rheinland-Pfälzer versuchten jeweils, den Thüringern ihr Verwaltungsmodell - insbesondere gilt dies für die Kommunalverfassungen - als das Ideale nahezubringen. Die Verwirrung beim Adressaten kann man sich vorstellen. Nach Ablauf einer gewissen Zeit ist dann aber die Koordination recht gut gelungen. Es gab und gibt regelmäßige Konferenzen auf Staatssekretärsebene, in denen insbesondere die Koordination der allgemeinen Verwaltungshilfe, der Hilfe für Polizei und Verfassungsschutz beim Aufbau der jeweiligen neuen Behörden in Thüringen stattfand. Hier muß ich die gute kollegiale Zusammenarbeit mit Bayern und Hessen sehr loben. Grenzen wurden jeweils nur durch die Kabinettsvorgaben hinsichtlich der finanziellen Belastungen gesetzt. In der noch jetzt andauernden dritten Phase, in der längerfristige Entsendungen von fachlich dringend benötigten Helfern für spezielle Aufgabengebiete im Vordergrund stehen, stellen sich die Probleme zunächst ähnlich dar. Zudem wird zunehmend kritischer beleuchtet, welche Beamten und Beamtinnen auf den Weg nach Osten geschickt werden. In Rheinland-Pfalz macht sich das Fehlen von qualifizierten Beamten in den jeweiligen Verwaltungen stark bemerkbar; es gibt personelle Engpässe. Unser Personalbewirtschaftungsprogramm, mit dem 1 000 Stellen eingespart werden sollen, sorgt für zusätzliche Aufregung, zumal manche Verwaltungen fürchten, daß ihnen die schon längerfristig nach Thüringen abgeordneten Beamten als mehr oder weniger entbehrlich angerechnet werden. In dem Partnerland Thüringen wird angesichts der Konkurrenz mit thüringischem Personal und der Absicht, zunehmend auch thüringische Mitarbeiter auf Führungsfunktionen zu setzen, die Abordnung von Mitarbeitern auch nicht mehr

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als Routineangelegenheit betrachtet. Hinzu kommt, daß nach den neuesten Vereinbarungen ohnehin die Hälfte der Kosten von dem thüringischen Aufnahmeland zu zahlen ist. Der rheinland-pfälzische Wunsch, kurzfristige Abordnungen mit endgültigen Versetzungen zu verbinden, um entsprechende Stellenplanspielräume zu bekommen, wird naturgemäß in Thüringen zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht in jedem Einzelfall positiv entschieden. Das ist auch verständlich. In einem "Spiegel"-Artikel war etwas zu lesen über den Frust der Mitarbeiter, die im Osten ausgeholfen haben, dann zurückkamen und sich zwischen alle Stühle gesetzt fühlten. Ich kann das in dieser Schärfe nicht bestätigen. Richtig ist natürlich, daß wir hier in den wenigsten Fällen Dienstposten freihalten können, da die Arbeit weiterzugehen hat. Wer längere Zeit aus dem heimischen Verwaltungsgeschäft heraus war, braucht natürlich eine gewisse Periode, um wieder Tritt zu fassen. Das ist bei Abordnungen nach Brüssel nicht viel anders. Wir versuchen jedenfalls nach Möglichkeit, einen Thüringen-Aufenthalt bei Beförderungen bei wirklich qualifizierten Beamten angemessen zu berücksichtigen. Dafür gibt es schon einige Beispiele. Allerdings wird es kaum möglich sein, daß ein rheinland-pflilzischer Ministerialrat, der es in Thüringen innerhalb kürzester Zeit zum Ministerialdirigenten gebracht hat, bei uns wieder in dieser Funktion aufgenommen werden kann. Eine Rückkehr in der Beförderungsfunktion gibt es auch in Bayern und Hessen nicht, Einzelfälle und Ausnahmen immer außer acht gelassen. Für uns steht eindeutig fest, daß ohne diese gezielte Personalhilfe der Aufbau einer geordneten Verwaltung überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Das gilt für die Polizei ebenso wie für die rheinland-pfälzische Verrnessungs- und Katasterverwaltung und für den Aufbau des Verfassungsschutzes. Ich erwähnte bereits, daß auch das Engagement der Justiz langfristig angelegt ist. Besonders wichtig ist auch der Aufbau einer funktionsfähigen Steuerverwaltung. Insgesamt haben wir im Verlauf der Verwaltungshilfe gelernt, wie unentbehrlich insbesondere auch die Hilfen auf den Gebieten der Ausbildung und Fortbildung für das Heranbilden qualifizierten Verwaltungspersonals sind. Dies gilt für den Bereich der inneren Verwaltung genauso wie für die Polizei. Rheinland-Pfalz ist federführend beim Aufbau eines Fortbildungsinstituts der Polizei im thüringischen Meiningen. Wir haben dabei erfahren, daß die Beratertätigkeit rheinland-pfälzischer Polizei beamter sich am besten in Thüringen selbst, unter den dortigen Bedingungen, bewährt. Außerdem haben wir den besonderen Wert der Partnerschaften in den verschiedenen Verwaltungsbereichen erkannt. Sie fördern persönliche Begegnungen, die Voraussetzungen für das gegenseitige Kennenlernen und Verstehen sind. Gerade die Bedeutung der kommunalen Partnerschaften liegt nicht nur in der Hilfe beim Aufbau der Verwaltung. Vielmehr wird damit auch der Rahmen für das Mitwirken

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zahlreicher gesellschaftlicher Gruppierungen, von der Feuerwehr über das DRK bis hin zu Sportvereinen und kulturellen Vereinen geschaffen. Abschließend noch einmal zurück zu der Frage der Effizienz der rheinlandpfälzischen Verwaltungshilfe in Thüringen: Zahlen und statistische Grundlagen können nicht alleine entscheidend sein. Die finanziellen Größenordnungen habe ich erwähnt. Im Bereich des Thüringer Innenministeriums waren bisher insgesamt 81 Beamte und Mitarbeiter aus der rheinland-pfälzischen Landes- und Kommunalverwaltung abgeordnet. 12 wurden dauerhaft für den Thüringer Landesdienst gewonnen, und zwar: 2 als Abteilungsleiter im Thüringer Innenministerium, ein Katasteramtsleiter, eine Referentin im Thüringer Landesverwaltungsamt, ein Abteilungsleiter im Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz sowie 2 Referatsleiter. Was diese Beamten und Beamtinnen geleistet haben, möchte ich einmal beispielhaft an der Vermessungsverwaltung dokumentieren: Seit Anfang 1991 hat unsere Vermessungsverwaltung in Thüringen die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die dringend notwendigen Gutachter- und Umlegungsausschüsse geschaffen. Rheinland-Pfalz hat sich insbesondere um die Bereiche Bodenordnung und Grundstücksbewertung bemüht, die für die wirtschaftliche Entwicklung von Thüringen ganz entscheidend sind. Inzwischen wurden für alle Baugebiete vorläufige Bodenrichtwerte ermittelt und etwa 1 500 Gutachten erstellt. Auch die Bodenordnungsverfahren laufen inzwischen in so großer Zahl, daß man sagen kann, daß diese Grundvoraussetzungen für eine flächenbezogene Verwaltungstätigkeit inzwischen in Thüringen mit Erfolg gesetzt sind. Ist damit die Verwaltungshilfe von Rheinland-Pfalz in Thüringen erfolgreich und effizient gewesen? Der Ministerpräsident von Thüringen sagt dies jedenfalls. Ob es nur eine pure Freundlichkeit war, müssen Sie ihn selber fragen. Mein Kollege aus dem Thüringer Innenministerium hat mir vor wenigen Tagen mitgeteilt: "Durch das Zusammenspiel von Abordnung und Hospitanzen ist der Aufbau der Thüringer Verwaltung gewährleistet worden. Auf diese Weise ist auf bestem Weg Gewähr für eine zukünftig eigenständige Tätigkeit gegeben." Anschließend formuliert er neben dem Dank weitere Personalwünsche für die Zukunft. Die Hilfe in Thüringen ist überwiegend ein Geben, aber auch ein Nehmen. Unsere Beamten und Beamtinnen haben etwa gelernt, wie eine besondere Herausforderung bewältigt werden kann: unter schwierigen gesellschaftlichen Umständen in kürzester Zeit eine zumindest halbwegs funktionsfähige öffentliche Verwaltung aufzubauen. Viele möchten die dabei gewonnenen menschlichen und gesellschaftlichen Erfahrungen nicht missen. Sie werden trotz mancher Ent-

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täuschung und manchen Frustes letztlich doch auch diese positive Erfahrung mit zurückbringen und auch ihre eigene Verwaltung mit anderen Augen betrachten. Aber auch die Thüringer mußten umdenken. Sie waren ursprünglich der Meinung, daß sie Thüringen durch Thüringer aufbauen könnten und Fachleute aus den Alt-Bundesländern lediglich beratende Hilfe leisten sollten. Dieser Grundsatz ließ sich schon deshalb nicht verwirklichen, weil kaum geeignete einheimische Bewerber gefunden wurden. Die Verwaltungshilfe konnte nicht in dem gewünschten Maße Hilfe zur Selbsthilfe werden. Vielmehr wurde der Verwaltungsvollzug selbst häufig von den Beratern aus den Partnerländern übernommen. Wenn ich erwähnt habe, daß der Kollege aus dem Thüringer Innenministerium uns wiederum - wie auch den Bayern und Hessen - eine Liste von personellen Wünschen überbracht hat, ist dies wohl der beste Beleg dafür, daß unsere Hilfe effizient und erfolgreich war, allen Mängeln und Koordinierungsproblemen am Anfang zum Trotz. Ich erhoffe mir von Ihrer Veranstaltung möglichst viele wertvolle Anregungen, die wir in die zukünftige Praxis einfließen lassen können. In diesem Sinne wünsche ich der Fachtagung gute Ergebnisse und Ihnen eine gute Zeit im schönen Speyer.

ERSTER TEIL

"Transformation" oder "Integration" Zur Steuerungskonzeption der "inneren" Wiedervereinigung

Die Transformation der öffentlichen Verwaltung: Ein neues Kapitel der Verwaltungswissenschaft Von Klaus König

I. Verwaltungswissenschaft und politischadministrative Veränderung Die originäre Beschäftigung mit dem Erfahrungsgegenstand der öffentlichen Verwaltung - also nicht die fachspezifisch juristische, ökonomische, soziologische usw., sondern im integrativen Sinne verwaltungswissenschaftliche - hat ihre Impulse vor allem aus Veränderungen und Veränderungserfordernissen von Staat und Verwaltung erhalten. Das gilt für die Lehre, von der man erwartet, daß sie die Vitalität öffentlichen Lebens reflektiert, für die Forschung, von der man meint, daß sie den Blick für die Verbesserung öffentlicher Angelegenheiten zu öffnen habe, und für die wissenschaftliche Beratung, die man einzuladen pflegt, wenn man neue Konzepte öffentlichen Verwaltens sucht. So ist es auch kein Zufall, daß Institutionalisierungen der Verwaltungs wissenschaft aus Veränderungsideen hervorgegangen sind. Die namhaften älteren Verwaltungsfakultäten in den Vereinigten Staaten von Amerika sind aus den Reformbewegungen einer politischen Zivilkultur erwachsen. Die Gründung der Ecole National d'Administration in Paris wie der Hochschule für Verwaltungs wissenschaften Speyer hängen beide mit Veränderungsvorstellungen zum öffentlichen Dienst zusammen. Als man in den Ländern der Dritten Welt die nationalen Institute für öffentliche Verwaltung aufbaute, sah man in ihnen Schlüsselgrößen für die Entwicklung von traditionalen und para-traditionalen Gesellschaften. Und schließlich wird die Integration der Europäischen Gemeinschaft von verwaltungs wissenschaftlichen Initiativen in Maastricht und andernorts begleitet. Die Verwaltungswissenschaft zeigt so auch eine hohe Affinität zu bestimmten Veränderungsbegriffen. An erster Stelle ist der der Reform zu nennen.! Verwaltungsreformen sind politisch-administrative Änderungen, in denen sich die rationalwissenschaftlichen Erkenntnisse der Verwaltungswissenschaft und die faktischen Rationalisierungen der Verwaltungspraxis begegnen. Es geht um ein "Prinzip der Mitte"2, weder um vergangenheitsbezogene Restauration noch zukunftsVgl. Gerald Caiden, Administrative Refonn, Chicago 1969. Vgl. Carl Böhret, Refonn, in: Axel Görlitz / Rainer Prätorius (Hrsg.), Handbuch Politikwissenschaft. Grundlagen - Forschungsstand - Perspektiven, Reinbek bei Harnburg 1987, S. 431 ff. !

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bezogene Heilserwartung, sondern um ein bewahrenswertes anerkennendes Voranstreben, das freilich an die systemischen Gegebenheiten gebunden bleibt. Die Mischung von Bewahren und Veränderung heißt nicht, daß nur reaktive Anpassungen an veränderte Umweltbedingungen zur Diskussion stehen. Vielmehr sind Verwaltungsreformen durch ein aktiv-planerisches Moment gekennzeichnet. Ausgangslagen sind zu analysieren, Mängelzustände zu identifizieren, fremde Erfahrungen beizuziehen, alternative Konzepte zu entwerfen, Kosten und Nutzen - auch intangible - abzuwägen, finanzielle und politische Handlungsspielräume auszuloten usw. Ein so begründungspflichtiger Fortschritt bringt die Frage nach Orientierungswissen und damit die Verwaltungswissenschaft in ihrer integrativen Art ins Spiel. Nimmt man das Beispiel der administrativen Gebietsreformen in der alten Bundesrepublik Deutschland, dann bedurfte es zwar vielfaltiger fachwissenschaftlicher Informationen zur Rechtsförmigkeit, zur Wirtschaftlichkeit, zur Siedlungsverdichtung usw. Maßstabsgrößen für geeignete Verwaltungsräume lassen sich dann aber weder einseitig aus betrieblichen Effizienzkriterien noch einseitig aus politischen Partizipationsmerkmalen ableiten. Die Geschichte der Territorialreform zeigt, wie die Regierungspraxis interdisziplinäre Vermittlungen anregt und nutzt. Entsprechend könnte man wichtige Kapitel der Verwaltungswissenschaft als solche der Verwaltungsreform schreiben 3: eben über die Gebietsreform, dann die Funktionalreform, die Reform der Ministerialorganisation, die Reform der Aufgaben- wie der Raumplanung, die Reform von Finanzplanung und Budgetierung, die Reform des öffentlichen Dienstes usw. Diese Bedeutung des Begriffes der Verwaltungsreform ist kein deutsches Spezifikum, sondern gilt für die weltweite Gemeinschaft der Verwaltungswissenschaftler überhaupt. Das Ende des Kolonialismus und die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Ländern der Dritten Welt und den technologisch fortgeschrittenen Staaten haben es der Verwaltungswissenschaft aufgegeben, das Kapitel einer neuen Veränderungskategorie aufzuschlagen, nämlich das der Entwicklungsverwaltung. 4 Es geht dabei um einen umfassenden Veränderungsbegriff bis tief in die Kultur traditionaler und para-traditionaler Gesellschaften hinein. Wir befinden uns im Kontext von Kategorien wie Entwicklungsland, Entwicklungsgesellschaft, Entwicklungswirtschaft, Entwicklungspolitik 5 und damit der Kritik eines Transfers von der okzidentalen Zivilisation geprägter Verwaltungsmuster in eine andere Welt. Dennoch erweist sich die Idee der Entwicklungsverwaltung als ein konzeptioneller Ansatz, auf den in Theorie und Praxis schwer zu verzichten ist. Er läßt 3 Vgl. Dieter Schimanke, Zur Geschichte der Verwaltungsreformen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Klaus König (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung und Entwicklungspolitik, Baden-Baden 1986, S. 101 ff. 4 Vgl. Klaus König, Zum Konzept der Entwicklungsverwaltung, in: ders. (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung und Entwicklungspolitik, S. 11 ff. 5 V gl. Klaus Bodemer I Bernard Thibaut, Entwicklungspolitik, in: Dieter Noh1en (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, München 1991, S. 121 ff.

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sich nach zwei Seiten wenden. Auf der einen Seite geht es um die Entwicklung der Verwaltung, und das heißt, um die Auseinandersetzung mit dem Übergang von traditionalen Mustern zu neuen Differenzierungen in der Wahrnehmung öffentlicher Angelegenheiten. Zum andern geht es um die Verwaltung der Entwicklung, und das bedeutet die Überwindung der Knappheitsphänomene des Südens - auch - durch staatliche Arbeit. Eine an die westlich-industriegesellschaftliche Sichtweise gebundene und entsprechend kritisierte Theorie der Entwicklung ist die der Modernisierung 6 • Die hochentwickelten Länder scheinen demgegenüber keine Modernität anstreben zu müssen: sie sind eben modern. Bei einem solchen Vor-Urteil übersieht man den "Imperativ des Wandels", dem auch Europa, Nordamerika, Japan unterworfen sind. Der deutschen Verwaltung wird das im Zusammenhang mit der Bildung der Europäischen Gemeinschaft deutlich. Es geht nicht nur um den Aufbau einer neuen, supranationalen Regierungs- und Verwaltungsebene, sondern zugleich um die vielfältigen Rückwirkungen auf eine traditionell national begriffene Staatsverwaltung. Wir brauchen in der Verwaltungs wissenschaft ein Konzept, mit dem wir umfassende Veränderungen von Anpassungsleistungen bis zum strukturellen Wandel, und zwar als evolutionären Prozeß, erfassen können. Denn mit dem Reformbegriff greifen wir eher auf partielle Ereignisse zu, selbst wenn man meint - wie am Beginn der siebziger Jahre - , nun breche das Zeitalter der Reformen an. Mit der Kategorie der Modernisierung dürfen wir uns weder in die Richtung vordergründiger technischer Verbesserungen noch die einer Fortschrittsmetaphysik drängen lassen. Veränderungen in der Verwaltung betreffen immer auch humane Aspekte, und Vollkommenheit ist nicht das, was dem historisch erfahrbaren Staat gegeben zu sein scheint. Hingegen ist auf die Interdependenz der sozialen Teilsysteme von Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Kultur usw. zu achten. Es sind die komplementären Veränderungen der verschiedenen Lebensbereiche ins Auge zu fassen, also aktuell: was gemeinsamer Binnenmarkt und Währungsunion für Politik und Verwaltung in Europa bedeuten. Darüber hinaus läßt sich mit dem Begriff der "staatlichen Modernisierung"7 nicht nur nach Leistungssteigerungen des politisch-administrativen Institutionengefüges fragen. Es geht auch um die Modernisierungen durch den Staat. Die Verwaltungswissenschaft muß die öffentlichen Aufgaben voranstellen, bevor sie sich deren sinnvoller organisatorischer, prozessualer, personeller Erledigung zuwendet. 8

6 Vgl. Günter Endruweit, Modemisierung, in: Axel Görlitz / Rainer Prätorius (Hrsg.), Handbuch Politikwissenschaft, S. 305 ff.; Everhart Holtmann, Politik-Lexikon, München u. a. 1991, S. 672. 7 Vgl. Joachim Jens Hesse / Arthur Benz, Die Modemisierung der Staatsorganisation, Baden-Baden 1990. 8 Vgl. Klaus König, Kritik öffentlicher Aufgaben, Baden-Baden 1989.

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11. Merkmale der Verwaltungstransformation Schlagen wir hiernach das neueste Kapitel der europäischen und deutschen Verwaltungsgeschichte auf - den Zusammenbruch des realen Sozialismus in Mittel- und Osteuropa, die Vereinigung Deutschlands, den Weg zu einer neuen Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in Polen, Ungarn, Rußland, der Tschechoslowakei, den Übergang vom DDR-Zentralismus zu den neuen Bundesländern - , dann fehlt uns in der Verwaltungs wissenschaft der eingeführte Schlüsselbegriff für diese Veränderung. Bei der Umgestaltung der Kaderverwaltung, dem Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung, der Abschaffung der sozialistischen Gesetzlichkeit geht es um mehr als um eine Reform des öffentlichen Dienstes, eine Territorialreform, eine Reform von Rechtsförmigkeiten. Das ganze System marxistisch-leninistischer Staatlichkeit steht in Frage und nicht nur die Umstrukturierung von Teilen der öffentlichen Verwaltung. Die ehemalige DDR und unsere östlichen Nachbarn lassen sich auch nicht als Entwicklungsländer, ihre Kaderverwaltung nicht als Entwicklungsverwaltung kennzeichnen. Zwar hört man aus osteuropäischem Munde selbstkritische Worte zur Unterentwicklung. Es gibt auf vielen Gebieten Mängel, Engpässe, Disparitäten. Aber wir sollten diese nicht mit den Knappheitsphänomenen der Dritten Welt auf eine Stufe stellen. Nicht nur im technisch-industriellen, sondern auch im soziotechnologischen Bereich haben die östlichen Länder einen anderen historischen Fundus. Weiter handelt es sich in Mittel- und Osteuropa nicht einfach um einen Modernisierungsrückstand. Was wir dort beobachten - etwa die Umformung der zentralen Staats- und Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft mit welchen Graden von Freiheit und soziale Bindung auch immer - , läßt sich nicht bloß als ein evolutionärer Prozeß begreifen. Entsprechend geht es auch für die real-sozialistische Verwaltung, die ihre wirtschaftlich-organisatorische Funktion marxistischleninistischer Prägung verliert, nicht bloß um Modernisierung. Erst recht können die vielen anderen Veränderungsideen der Verwaltungswissenschaft - wie Organisationsentwicklung oder technische Innovation - , die keine tiefreichendere historische Konnotation haben, dem epochalen Umbruch unserer Tage nicht genügen. Es bleibt also nur, uns für die Verwaltungswissenschaft auf die Suche nach einem neuen Veränderungskonzept zu machen, mit dem wir die Ereignisse in Mittel- und Osteuropa begreifen können. Es ist eine Ironie der Wissenschaftsgeschichte, daß der sich als wissenschaftlich begreifende Marxismus-Leninismus 9 eine reiche Sprache zum Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus hervorgebracht hat, bis dann der Staat kommunistisch abstirbt 10, die umgekehrte Richtung, wie man aus dem realen Sozialismus nun wieder herauskommt, um eine öffentli9 Vgl. Rene Ahlberg, Marxismus-Leninismus, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, S. 363 ff. 10 Vgl. Richard Stüber, Der Leninsche Begriff des sozialistischen Staates und seine Weiterentwicklung, Staat und Recht 1988, S. 408 ff.

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che Verwaltung nach europäischen Standards zu ermöglichen, aber nicht konzeptionell erfaßt ist. 11 Mehrere Stichworte kann man zu einem solchen Umbruch lesen, etwa den der Konversion 12. Aber er hat heute einen immer festeren Platz in der Abrüstungsforschung zur Umstellung von militärisch genutzten Anlagen und Produktionsmitteln auf zivile Nutzung und Produktion ziviler Güter. 13 Wir haben die Transformation als Schlüsselbegriff für die Umwälzung weg vom realen Sozialismus und hin zu einer Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die den Maßstäben von Humanität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Effizient entspricht, vorgeschlagen. 14 Wir befinden uns damit in der Nachbarschaft von Wirtschaftswissenschaftlern, die beim Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft von der Transformation von Wirtschafts systemen sprechen. 15 Inzwischen beginnt sich der Transformationsbegriff auch international in der Verwaltungswissenschaft durchzusetzen. 16 Wir charakterisieren Transformation durch sechs Merkmale 17: Erstens ist die Transformation ein umfassender Systemwandel, eine Veränderung der gesamten Ordnung von Gesellschaft, Wirtschaft, Staat und damit der öffentlichen Verwaltung in all ihren Bezügen. Mit dem Abschied von der real- sozialistischen Kaderverwaltung wird der Schritt zu einem ganz anderen Verwaltungstypus getan. 11 Vgl. Klaus König, Verwaltung im Übergang Vom zentralen Verwaltungsstaat in die dezentrale Demokratie, Die Offentliche Verwaltung, 1991, S. 177 ff. 12 Vgl. Rainer Pitschas, Verwaltungsentwicklung in den ostdeutschen Bundesländern, Deutsches Verwaltungsblatt, 1991, S. 457 ff.; ders., Verwaltungsreform und Reorganisation des öffentlichen Dienstes als Erfolgsbedingungen und Rechtsvereinheitlichung, in: ders. (Hrsg.), Rechtsvereinheitlichung und Verwaltungsreform in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, Königswinter 1991, S. 16 ff. 13 Vgl. Lutz Köllner / Burkhardt J. Huck (Hrsg.), Abrüstung und Konversion: Politische Voraussetzungen und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik, Frankfurt / New York 1990. 14 Vgl. Klaus König, Verwaltung im Übergang; ders., Zur Transformation einer realsozialistischen Verwaltung in eine klassisch-europäische Verwaltung, VerwAreh, 1992, S. 229 ff.; ders., Transformation einer Kaderverwaltung: Transfer und Integration von öffentlichen Bediensteten in Deutschland, Die Öffentliche Verwaltung, 1992, S. 549 ff. 15 Vgl. Volkswagen-Stiftung, Merkblatt für Antragsteller 49, Schwerpunkt: Transformation von Wirtschaftssystemen, Hannover 1990; vgl. Forschungsstelle zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme der Philipps-Universität Marburg, Zur Transformation von Wirtschaftssystemen: Von der sozialistischen Planwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft, Marburg 1990. 16 Vgl. Christoph Reichard, Administrative Culture in Transition: Problems of Intergrating East German Bureauerats into a New Politico-Administrative System (unveröffentlichtes Manuskript, Wien 1992); Michael Benjamin, System change, transformation of administration and personnel management (unveröffentlichtes Manuskript, Wien 1992); Klaus König, The transformation of a ,real-socialist' administrative system into a conventional Western European System, International Review of Administrative Sciences, Volume 57 Number 2, June 1992. 17 Vgl. Klaus König, Transformation der realsozialistischen Verwaltung und entwicklungspolitische Zusammenarbeit, Verwaltungsrundschau, 1992, S. 228 ff.; ders., Zur Transformation.

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Zweitens ist die Transformation mit einem Regimewechsel verbunden. 18 Dessen unabsehbare Symbolik in der ehemaligen DDR war es, daß die Volkskammer am 1. Dezember 1989 den Führungsanspruch "der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei" aus der Verfassung strich. Es folgten demokratische Wahlen. Die Nomenklatura mußte ihre Herrschaftssitze räumen, und eine demokratisch legitimierte Elite rückte in öffentliche Ämter ein. Drittens vollzieht sich die Transformation nicht als eine Art naturwüchsigen sozialen Wandels hinter dem Rücken der historisch Betroffenen. Sie wird vielmehr durch aktive Politik gebahnt. In Polen, in Ungarn, in der Tschechoslowakei, in Rußland und auch in Deutschland gibt es politische Persönlichkeiten, aber auch Organisationen und Bewegungen, die den Umbruch durch ihre Aktivitäten gestaltet haben und noch gestalten. Viertens ist die Transformation durch bestimmte Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen altem und neuem System charakterisiert. Es geht nicht darum, von einer traditionalen Gesellschaft zugunsten der Modeme Abschied zu nehmen. Niemand wird von Polen, Ungarn, Tschechen verlangen, daß sie ihr historisches Erbe verleugnen. Und auch im Falle der DDR gibt es Traditionslinien, etwa Zentren der Industrialisierung schon aus dem 19. Jahrhundert, die trotz aller stalinistischer Beschädigungen bis auf den heutigen Tag wirtschaftliches Potential vorhalten. Und wiederum trotz aller marxistisch-leninistischer Reinigung befand sich die Verwaltung der ehemaligen DDR nie im Zustande der Geschichtslosigkeit. Weite ihrer Teile lagen auf dem Boden eines der großen Verwaltungsstaaten in der europäischen Geschichte. In Stadt und Land gab es eine historisch gewachsene administrative Substanz, die auch im realen Sozialismus nachwirkte. Es lohnt sich jedenfalls auch in neuen Zeiten, über systemische Ähnlichkeitsbeziehungen nachzudenken. Fünftens haben wir es mit einer formal-legalistischen Revolution zu tun. 19 Zwar gab es von Ort zu Ort in Mittel- und Osteuropa auch gewaltsame Aktionen. Aber läßt man die ethnischen Konflikte als nicht für die Transformation spezifisch beiseite, dann fand der Umsturz prinzipiell friedlich statt. Das Monopol des Staates für Rechtsetzung und Gewaltanwendung wurde im Grunde nicht angetastet. Der reale Sozialismus erhielt seinen Abschied durch neue Verfassungsregeln, Gesetze, Vorschriften, Haushaltspläne usw. Schließlich sechstens ist die Transformation staatszentriert. Das bedeutet nicht, daß der Staatsapparat und seine Kader an erster Stelle das Desaster des realen Sozialismus zu verantworten haben. Die Spitze der Herrschaftsordnung hielt der Nomenklatura-Stand. Er, nicht eine wie auch immer zu definierende Arbeiterklasse diktierte. Wir dürfen uns von Formeln wie "administrativ-zentralistisch organisisierter" 20 oder "bürokratischer" Sozia18 Vgl. Klaus von Beyme / Dieter Nohlen, Systemwechsel, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, S. 690 ff. 19 Vgl. Helmut Quaritsch, Eigenarten und Rechtsfragen der DDR-Revolution, VerwArch. 1992, S. 314 ff.

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lismus nicht auf die Spur bringen lassen, mit weniger Staat und Verwaltung wäre der reale Sozialismus ein Erfolg geworden. Aber es war im Rahmen der Umwälzungen in Mittel- und Osteuropa eine sehr schnelle Tat, die schmalen Personalund Organisationsbereiche der "alten Männer im Politbüro" aufzulösen. Es war und ist hingegen ein langwieriges Werk, den von ihnen instrumentalisierten Staatsaparat und seine Kaderverwaltung umzugestalten. Und das schon aus quantitativen Gründen. Denn der zahlenmäßig kleine Stand und die eher kleine Organisation der Nomenklatura bedurfte eines breiten Personalkörpers von mittleren und unteren Kadern, um die Großorganisation des Staatsapparates, um das gesamte politische, soziale, ökonomische, kulturelle Leben zu kontrollieren. 2 !

III. Ansatzpunkte der Verwaltungstransformation Mit dieser Staatszentriertheit der Transformation kommt neben der Rechtswissenschaft und ihrem Bemühen um den Aufbau einer neuen Verfassungs- und Rechtsordnung oder neben der Wirtschaftswissenschaft und ihren Interessen an Unternehmen und Märkten die Verwaltungswissenschaft ins Spiel. Mag man bei religiösen oder ethnischen Umbrüchen wenig von ihr erwarten, so muß sie sich hier zu Wort melden, da sie nun einmal die Wissenschaft vom "arbeitenden Staat" ist. Vier Ansatzpunkte für die Umformung der realsozialistischen Verwaltung sind zu nennen: der Neuzuschnitt der öffentlichen Aufgaben, die Neugestaltung der Verwaltungsorganisation, die Neustrukturierung staatlicher Entscheidungsprozesse und die Neuordnung des öffentlichen Dienstes. 22 In der alten DDR war der Staat entsprechend der marxistisch-leninistischen Doktrin "Hauptinstrument" der Realisierung des Sozialismus. 23 Die Nomenklatura 24 hatte diesen instrumentellen Etatismus zu einer verwalteten Welt ausgebaut, in der es wenig individuelle Lebensbereiche und soziale Nischen gab, schon gar nicht mit gegenläufigen Eigeninteressen. Die parteiliche Ideologie steckte mit der marxistisch-leninistischen Funktionenlehre den Rahmen für die Verwaltungsaufgaben ab, so mit der wirtschaftlich-organisatorischen Funktion, der kulturellerzieherischen Funktion, der Funktion der Regelung des Maßes der Arbeit und der Konsumtion usw. Der systemorientierte Wille der Partei sollte die jeweils "historische Mission" des Staates definieren. Dieser wiederum hatte in den derart 20 Vgl. Gerhard Schulze, Entwicklung der Verwaltungsstruktur in der DDR, in: Klaus König (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1991, S. 45 ff. 2! Vgl. Klaus König, Zum Verwaltungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen der DDR, S. 9 ff. 22 Vgl. Klaus König, Verwaltung im Übergang. 23 Vgl. Staatsrecht der DDR, Lehrbuch, hrsg. von der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR, 2. Aufl., Berlin (Ost) 1984. 24 Vgl. Michael Volensky, Nomenklatura: Die herrschende Klasse in der Sowjetunion, Wien u. a. 1980.

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aufgegebenen Tätigkeitsfeldern die Aufgabenbestände der industriellen Produktion, des Gesundheitswesens, der Schulbildung usw. zu konkretisieren. 25 Dieses vorgebliche Deduktionsgefüge von Ideologie, Parteibeschluß und Staatsordnung bei der Definition der Verwaltungsaufgaben wurde jedoch in der Realität durch die voluntaristischen Akte der Nomenklatura außer Kraft gesetzt. Mit dem politischen Dezisionismus einer solchen Kommandogewalt lassen sich freilich öffentliche Angelegenheiten nicht den Umweltanforderungen adäquat rationalisieren. Die Folgen mißlungener ideologischer Steuerung der Gesellschaft sind bei Menschen, Natur, Wirtschaft zu beobachten. Transformation bedeutet demgegenüber, daß in einer säkularisierten Welt öffentliche Aufgaben nicht anders als durch positive Setzung bestimmt werden können, und zwar im verfassungsrechtlichen Rahmen durch die politisch dazu legitimierten Instanzen und unter rechtsstaatlicher Kontrolle. Die institutionellen Voraussetzungen dafür sind für alle administrativen Ebenen in den neuen Bundesländern geschaffen worden. Offen ist in vielen Bereichen hingegen die materielle Frage, nämlich die Umwidmung der Aufgabenbestände des realen Sozialismus nach Art des öffentlichen Sektors einer Gesellschaft mit liberaler und zugleich sozialer Staatlichkeit sowie einem marktwirtschaftlich ausdifferenzierten ökonomischen System. Dabei geht es in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn und auch in der ehemaligen DDR insbesondere darum, die zentrale Staats- und Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft mit jeweils spezifischen sozialen Bindungen zu transformieren. Insofern muß gegenüber einigen östlichen Versuchen doch betont werden, daß es mit der Deregulierung wirtschaftsleitender Vorschriften, mit der Dezentralisierung unternehmerischer Entscheidungen, mit der Selbstfinanzierung von Wirtschaftsbetrieben allein nicht getan ist. Man kommt um Privatisierung von sozialistischen Staatsunternehmen, mögen sie nun als Volkseigentum, als Genossenschaftseigentum oder sonst deklariert sein, nicht umhin. Auch die sogenannte "kleine Privatisierung" - Handwerk, Gaststätten, Einzelhandel- reicht nicht aus. Es braucht eine kritische Masse privater Verfügungs gewalt über Produktionsmittel, soll der marktwirtschaftliche Wettbewerb funktionieren. 26 Der Übergang zu den Aufgaben des liberalen und sozialen Rechtsstaats betrifft indessen alle Politikfelder: von den kulturellen Angelegenheiten bis zum Gesundheitswesen, vom Umweltschutz bis zur Sozialvorsorge. Überall müssen entsprechende Differenzierungen zwischen individueller Eigenverantwortung, gesellschaftlicher Selbstorganisation und staatlicher Definitionsmacht eingeführt werden. Dabei kommt es in vielem zu einer Zurückführung von Verwaltungsaktivitäten des alten instrumentellen Etatismus. Nur muß man nicht meinen, daß die 25 Vgl. Klaus König, Zum Verwaltungssystem der DDR; Gerhard Schulze, Aufgabenfelder der Verwaltung, in: Klaus König (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen der DDR, S. 71 ff. 26 Vgl. Klaus König, Systemimmanente und systemverändemde Privatisierung in Deutschland, VOP, Verwaltung, Organisation, Personal, 1992, S. 279 ff.

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modeme Staatlichkeit, wie sie für die Mitglieder der europäischen Gemeinschaft charakteristisch ist, einen Minimalismus in der Berücksichtigung öffentlicher Interessen bedeutet. Es sind im Gegenteil nach westlichen Mustern in den neuen Bundesländern Aufgaben des Umweltschutzes, der Stadtsanierung, der Raumordnung usw. substantiell neu in Angriff zu nehmen. 27 Die Folgen der Vereinigung bürden dem Staat eine epochale Aufgabenlast auf. Der sozialtechnologisch bewußte Leninismus hat Organisationsprinzipien wie "demokratischer Zentralismus" oder "doppelte Unterstellung" hervorgebracht 28 , die trotz ihrer dialektischen Fomulierung nichts anderes im Sinne hatten, als die marxistisch-leninistische Macht, die Leitung von der Partei- und Staatsspitze her, die Verbindlichkeit der Beschlüsse, Partei- und Staatsdisziplin durchzusetzen. Demgemäß herrschte in der Horizontalen wie in der Vertikalen des Staatsaufbaus Gewalteneinheit. Zwar gab es eine gewisse Arbeitsteilung zwischen Volksvertretung, Gerichten und der "vollziehend-verfügenden Tätigkeit" - wie man die öffentliche Verwaltung nach sowjetischem Vorbild nannte 29 - einerseits und zentralen, regionalen und lokalen Staatsorganen andererseits. Das war bei der Größenordnung und dem Entwicklungsstand der DDR technisch nicht anders möglich. Aber das einheitliche Befehls- und Subordinationsgefüge war damit nicht in Frage gestellt. Entsprechend gehörte es zu den ersten Schritten der Transformation, die Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative sowie Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung herzustellen. Essentielle Werte der deutschen Staats ordnung sind insofern in der neuen Formalorganisation reflektiert. 30 Eine viel schwierigere Frage ist es hingegen zu ermitteln, welche informalen Organisationsmuster aus der DDR-Geschichte nachwirken, ob nicht problematische Vorstellungen zu Weisungssträngen zwischen politisch organisierten Parlamentsfraktionen und Exekutivinstanzen bestehen, ob das Ressortprinzip im Sinne selbständiger und eigenverantwortlicher Wahrnehmung von Geschäftsbereichen praktiziert wird oder man auf das Wort aus der Regierungszentrale wartet, ob und wie von der Autonomie der kommunalen Selbstverwaltung Gebrauch gemacht oder nach "oben" gesehen wird usw. Wenden wir uns damit den Ablaufmustern und Entscheidungsprozessen der real-sozialistischen Verwaltung zu, dann war ihr Grundkonzept das der Transmission: der Umsetzung des Willens der marxistisch-leninistischen Partei - in der Vgl. Klaus König, Zur Transfonnation. Vgl. Marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie, Lehrbuch, hrsg. vom Institut für Theorie des Staates und des Rechts der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1. Aufl., Berlin (Ost) 1975; Firus Kazenzadek, Demokratischer Zentralismus, in: Klaus Dieter Kerwig (Hrsg.), Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft: Eine vergleichende Enzyklopädie, Bd. I, Sp. 1158 ff., Freiburg 1966; Herwig Roggemann, Die DDRVerfassungen: Einführung in das Verfassungsrecht der DDR, 4. Aufl., Berlin 1989; Wilhelm Bleek, Demokratischer Zentralismus, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, S. 82 ff. 29 Vgl. Gerhard Schulze, Aufgabenfelder der Verwaltung. 30 Vgl. Klaus König, Verwaltung im Übergang. 27

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Realität ihrer Nomenklatura - durch den Staatsapparat. 31 Daran änderte auch ein aufwendiges Beratungssystem in den Partei-, Staats-, Wirtschafts-, Kulturapparaten nichts. Man hat diese Mechanismen bei näherem Zusehen als "konsultativen Autoritarismus" bezeichnet. 32 Es blieb bei einer Kommandoverwaltung, bei der es von denen vor Ort wenig zu sagen gab. Auch das Staats- und Verwaltungsrecht war nichts, was neben oder gar über der Politik stand. 33 Die Formel "Mit Recht leiten" belegt, daß man sich gewisse Vorzüge juristischer Positivität zur Einwirkung auf Wirtschaft und Gesellschaft zu eigen machen wollte. 34 Aber auch diese Instrumentalisierung mißlang, weil ein solches Verwaltungsrecht diffus bleiben mußte. Es konnte nicht jene rationalisierende Kraft für die Verwaltung entfalten, die es als eigenständiges, in seinem Gerechtigkeitswert auch von Gerichten gepflegtes Kommunikationsmedium im Rechtsstaat hat. Deswegen ist es auch nicht damit getan, daß sich die formale Rechtsordnung in den neuen Bundesländern nunmehr immer stärker nach Standards der alten Bundesrepublik verdichtet, und zwar mit Einschluß von Landesverfassungs- und Gesetzesrecht, kommunalem Satzungsrecht usw . Es bedarf einer Rechtskultur, die nicht als Kommandogewalt praktiziert wird. Gerade wenn man an die Regelungsdichte denkt, die Rechtsbestände nach Art der Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft charakterisiert, dann weiß man um die latenten Gefahren bürokratischer Entfremdung. Aber der modeme Staat, der seine Bürger im sozioökonomischen Bereich gleichbehandeln und im technisch-industriellen sichern will, kann in einer komplexen Lebenswelt nicht nach simplen Regeln arbeiten. Um so wichtiger ist es zu lernen, daß der kontinentaleuropäische Legalismus es einschließt, seine Elastizitäten - interpretative Güterabwägung, Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe, Ausübung von Ermessen - im Interesse eben dieser Bürger zu nutzen. Die leninistische Idee von der Umwandlung des ganzen staatlichen Wirtschaftsmechanismus in eine einzige große Maschine, in einen Wirtschaftsorganismus, der so arbeitet, daß sich Hunderte von Millionen Menschen von einem einzigen Plan leiten lassen, ist im realen Sozialismus in einer Volkswirtschaftsplanung umgesetzt worden 35, deren Scheitern über Nationen und Epochen hinweg immer wieder offenkundig geworden ist. Der westliche Wohlfahrtsstaat ist demgegenüber nicht einfach planungsfeindlich. Er kann viele öffentliche Güter und Dienstleistungen nicht anders als planerisch verteilen: von den Kindergärten bis zu den Landstraßen, vom Polizeieinsatz bis zur Grundlagenforschung. 31 Vgl. Klaus König, Kaderverwaltung und Verwaltungsrecht, VerwArch, 1982, S. 37 ff. 32 Vgl. Peter Christian Ludz, Parteielite im Wandel, Köln / Opladen 1968. 33 Vgl. Heidrun Pohl, Entwicklung des Verwaltungsrechts, in: Klaus König (Hrsg.), Verwaltungs strukturen der DDR, S. 235 ff. 34 Vgl. Mit Recht leiten: Aktuelle Fragen der Durchsetzung des sozialistischen Rechts in Betrieben und Kombinaten, Berlin (Ost) 1974. 35 Vgl. Peter Hoß, Staatliche Pläne und Planung, in: Klaus König (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen der DDR, S. 175 ff.; Ralf Rytlewski, Planung, in: DDR-Handbuch, Bd. 2, 3. Aufl., Köln 1985, S. 986 ff.

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Nur genau so wenig wie heute noch den Problemen menschlichen Zusammenlebens mit dem Einheitskodifikat eines allgemeinen Landrechts beizukommen ist, genau so wenig können Wirtschaft und Gesellschaft mit einem einzigen großen Plan gesteuert werden. So steht man in Mittel- und üsteuropa vor der Aufgabe, jenes hochdifferenzierte Netzwerk von Plänen aufzubauen, wie es zum Beispiel in der alten Bundesrepublik die Politikfelder von Umweltschutz, Verkehr, Gesundheitswesen usw. durchzieht. Hieran schließt sich die weitere Aufgabe an, solche arbeitsteilige, fachliche Programmsteuerung durch koordinierende und integrierende Pläne zu ergänzen, also Haushalts- und Finanzplan, räumlichen Entwicklungsplan, Aufgabenplan der Regierung usw. Dabei liegen die besonderen Schwierigkeiten im Budget und den öffentlichen Finanzen. Genau wie das Medium des Rechts war auch das des Geldes im realen Sozialismus nicht so zuverlässig, wie wir es in der klassisch-europäischen Verwaltung gewohnt sind. 36 So wenig wie das Recht trugen die öffentlichen Finanzen zu einer hinreichenden Rationalisierung von Verwaltungsentscheidungen bei. Die Bewirtschaftung knapper materieller Ressourcen dominierte. Zwar galt formell die Einheit von materialer und finanzieller Planung. Aber es kam etwa für ein Gemeindebauvorhaben darauf an, Baumaterialien von Staats wegen zur Verfügung zu haben. Die Etatisierung war demgegenüber sekundär. 37 Heute ist die Funktion des Geldes für die öffentliche Verwaltung der neuen Bundesländer hergestellt. Indessen wirft die Abhängigkeit von Geldtransfers aus dem Westen, ja schon die Verwaltung solcher Quantitäten neue Probleme auf. Hieran können wir die Frage nach einer validen Rechnungskontrolle, überhaupt der Kontrolle, insbesondere der gerichtlichen, für die öffentliche Verwaltung anschließen. Vielfältige institutionelle Lücken sind zu füllen, bevor der Zyklus staatlichen Entscheidens von der Problemidentifikation über die Agendabildung, Gesetzgebung und Planung, den Vollzug, die Kontrolle bis hin zur Rückkopplung zufriedenstellend geschlossen ist. Schließlich bleibt als Ansatzpunkt der Verwaltungstransformation der Personalfaktor. Der reale Sozialismus hat mit der Kaderverwaltung einen eigenen Typus der Staatsfunktionäre im Dienste der marxistisch-leninistischen Partei hervorgebracht. 38 Als Kader galten Personen, die aufgrund ihrer politischen und fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten geeignet und beauftragt seien, Kollektive 36 Vgl. Hajo Riese, Geld im Sozialismus: Zur theoretischen Fundierung von Konzeptionen des Sozialismus, Regensburg 1970; Wesen und aktive Rolle des Geldes in der sozialistischen Planwirtschaft, Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften der DDR: Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Räte, Berlin (Ost) 1989. 37 Vgl. Peter Hoß, Der Staatshaushalt der DDR, in: Klaus König (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen der DDR, S. 199 ff. 38 Vgl. BaUnt Balla, Kaderverwaltung: Versuch zur Idealtypisierung der "Bürokratie" sowjetisch-volksdemokratischen Typs, Stuttgart 1973; Wolfgang Lipp, Bürokratische, partizipative und Kaderorganisation als Instrument sozialer Steuerung, Die Verwaltung, 1978, S. 3 ff.; earl Hermann Ule, Beamter oder Staatsfunktionär?, VOP, Verwaltungsführung, Organisation, Personal, 1990, S. 151 ff.

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von Werktätigen zur Realisierung gesellschaftlicher Prozesse und Aufgaben zu leiten oder als wissenschaftlich ausgebildete Spezialisten an der Realisierung mitzuwirken. 39 Grundqualifikation des Verwaltungskaders war seine politischideologische Eignung. Zwar erscheint auch das Fachliche in der Kaderdefinition. 40 Aber es blieb für die Staatsfunktionäre zweitrangig, diffus, unterschieden von der Professionalität eines Berufsbeamtenturns, wie es von der Sowjetischen Militäradministration 1945 abgeschafft worden war. Man muß sich einen Selektionsmechanismus vorstellen, der von der höheren Schule bis zum akademischen Studienabschluß, von der Übernahme einer Anfangsstelle in der Verwaltung bis zum Aufstieg in Spitzenpositionen der politisch-ideologischen Qualifikation vor dem Sachverstand den Vorrang gibt. Das muß systematisch zur Verdünnung des fachlichen Potentials nach oben hin führen, mag man dem einzelnen auch die Befähigung nicht absprechen. In Polen, in Ungarn, in der Tschechoslowakei, in Rußland führt die Verwaltungstransformation zu der klassichen Frage eines Regimewechsels, nämlich der alten und der neuen Gesichter in Regierungs- und Verwaltungspositionen. Im Falle der DDR brachte die deutsche Vereinigung noch eine weitere Möglichkeit - und angesichts der prinzipiellen Erstreckung der Rechts- und Wirtschaftsordnung der alten Bundesrepublik auf ganz Deutschland auch Notwendigkeit - , nämlich den Personaltransfer von westdeutschen zu ostdeutschen Verwaltungen. Wir müssen also drei Fragen stellen, und zwar erstens, was zu den alten Kadern, zweitens zu den neurekrutierten Kräften aus Ostdeutschland und drittens zum Personaltransfer aus Westdeutschland zu sagen ist. 41 Bereits unter demokratischen Verhältnissen in der DDR waren Kader in Spitzenpositionen in der Verwaltung ausgeschieden, sei es, daß sie nach altem Recht für Staatsfunktionäre entlassen worden waren, sei es, daß sie in den vorzeitigen Ruhestand gegangen waren oder Unterschlupf in anderen Einrichtungen, insbesondere den Betrieben der Staatswirtschaft, gefunden hatten. Die Frage nach Übernahme oder Entlassung der alten Kader stellte sich in der Breite erst mit der Vereinigung Deutschlands. Dabei war man mit quantitativen wie qualitativen Problemen konfrontiert. Quantitativ brauchte man für die Großorganisation des Staatsapparates Verwaltungspersonal aus Ostdeutschland. Der Personaltransfer aus dem Westen konnte in den sonst erforderlichen Größenordnungen nicht in Betracht gezogen werden. Auf der anderen Seite war der Staatsdienst der DDR mit im August 1990 genannten 2125054 Personen nach westlichen Maßstäben 39 V gl. Willi Ehlert / Heinz Joswig / Willi Luchterhand / Karl-Heinz Stiemerling (Hrsg.), Wörterbuch der Ökonomie: Sozialismus, Berlin (Ost) 1973. 40 Vgl. Gert-Joachim Glaeßner, Herrschaft durch Kader, Opladen 1977; ders., Kaderpolitik, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, S. 271 ff. 41 Vgl. Hans-Ulrich Derlien, Regimewechsel und Personalpolitik Beobachtungen zur politischen Säuberung und zur Integration der Staatsfunktionäre der DDR in das Berufsbeamtentum (Verwaltungswissenschaftliche Beiträge der Universität Bamberg, Nr. 27), Bamberg 1991.

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überbesetzt. 42 Zahlenvergleiche fallen bei unterschiedlichen Verwaltungssystemen schwer. Indessen waren in der alten Bundesrepublik rund 7 %, in der ehemaligen DDR aber rund 12 % aller Einwohner im öffentlichen bzw. Staatsdienst tätig. 43 Hinzu kam eine wiederum nach westlichen Standards unpassende Verteilung, und zwar schon wegen der starken Personalausstattung der zentralen Verwaltungen gegenüber einer unzureichenden der lokalen Behörden. Qualitativ betrachtet konnte man mit den Nomenklaturisten und Kadern eines marxistisch-leninistisch-stalinistischen Regimes nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Allerdings ging es dabei nicht einfach um das politische Problem. Denken wir daran, wie die Personalauslese im realen Sozialismus stattfand, dann gibt das Wort von der "politisierten Inkompetenz"44 die Sachlage wider, daß nämlich nicht einfach eine dem westlichen Anforderungsprofil angemessene fachliche Qualifikation unterstellt werden konnte. Dennoch traf der Einigungsvertrag die Grundentscheidung, daß - "im Interesse der Verwaltungskontinuität und der Beschäftigten" - die Angehörigen der öffentlichen Verwaltung in ihren Arbeitsverhältnissen bleiben sollten. 45 Dieser Weiterbeschäftigungsgrundsatz galt indessen nur für die überführten Verwaltungen. Wurde eine Verwaltungsorganisation abgewickelt, dann griff ein befristeter Wartestand ein. Für die Weiterbeschäftigten wurden eigene ordentliche und außerordentliche Kündigungsmöglichkeiten geregelt: und zwar einerseits wegen mangelnder fachlicher Qualifikation oder mangelnden Bedarfs, andererseits wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit sowie einer früheren Tätigkeit beim Staatssicherheitsdienst. Da am Berufsbeamtenturn festgehalten wurde, mußten an dessen klassischen Regeln Abstriche gemacht und ein neuer Personaltypus geschaffen werden, den man als "Beitrittsbeamtenturn" bezeichnet hat. 46 Es wird auf die Bewährung in einem entsprechenden Dienstposten abgestellt, da die Karriere des Kaders nicht an westlichen Laufbahnbefähigungen vergleichbare Bildungsabschlüsse gebunden war. Allerdings greift heute ein umfassendes Netzwerk von Fortbildungsmaßnahmen zu. Wir verfügen über eine Reihe von Einzeldaten zu den quantitativen Auswirkungen der Transformation auf die alten Verwaltungskader. Es gibt aber keine Gesamtbilanz, zumal der Übergangsprozeß nicht abgeschlossen ist. Deswegen 42 Vgl. Hans-Dietrich Weiß, Wiedereinführung des Berufsbeamtenturns im beigetretenen Teil Deutschlands. - Entwicklung und Darstellung des seit dem 3. Oktober 1990 geltenden Beamtenrechts auf der Grundlage des Einigungsvertrages, Zeitschrift für Beamtenrecht, 1991, S. 1 ff. 43 Vgl. ebenda; Mathias Renger, Einführung des Berufsbeamtenturns in den neuen Bundesländern. Mit einem Vorwort von Karl-Heinz Mattem, Regensburg 1991. 44 Vgl. Hans-Ulrich Derlien, Regimewechsel und Personalpolitik. 45 Vgl. Ulrich Battis, Entwicklungstendenzen und Probleme der Einführung des Dienstrechts in den neuen Ländern, Neue Justiz, 1991, S. 89 ff. 46 Vgl. Helmut Goerlich, Hergebrachte Grundsätze und Beitrittsbeamtenturn, Juristen Zeitung, 1991, S. 75 ff.

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beschränken wir uns auf einige Tendenzaussagen. Die Beschäftigung im Verwaltungsdienst auf dem Boden der ehemaligen DDR ist auf der zentralstaatlichen Ebene zurückgegangen. Dazu muß man bedenken, daß zum Beispiel für die alten Industrieministerien in der neuen Bundesverwaltung kein Platz ist. Demgegenüber deutet vieles darauf hin, daß die Beschäftigung in den regionalen und lokalen Verwaltungen, jetzt in den neuen Ländern und Kommunen, eher zugenommen hat. Die Zahl der vom Wartestand betroffenen Mitglieder der Kaderverwaltung ist nicht sicher. Schätzungen belaufen sich auf 200 000 bis 250 000 Personen. Personalchefs übergeordneter Behörden sprechen indessen von dem Eindruck, daß sehr viele wiederum in anderen Behörden untergekommen sind, wobei an den Aufbau der Landesverwaltungen, der Arbeitsverwaltung usw. zu denken ist. Das gilt übrigens auch für die Bediensteten der alten Bezirke. Es gibt allerdings eine branchen spezifische Betroffenheit. Der deutlichste Fall auf der einen Seite ist der diplomatische Dienst der alten DDR, der ganz abgewickelt worden ist. Auf der anderen Seite stehen zunächst unberührt die großen Betriebsverwaltungen - Post, Bahn. Allerdings stellt sich hier die Frage der Überbeschäftigung. Weit über 90 % der im Verwaltungsdienst auf dem Boden der ehemaligen DDR Beschäftigten stammen aus dem alten Kaderstand. Freilich gibt es horizontale wie vertikale Mobilitäten. Mancher mußte sich mit einer niederrangigen Verwendung zufrieden geben. Auch wenn die Spitzenkader weitgehend ausgeschieden sind, kann man keine klare hierarchische Trennungslinie ziehen. Während im militärischen Bereich kein Oberst oder General der DDR-Armee in die Bundeswehr aufgenommen wurde, sind die Verwaltungs verhältnisse diffus, insbesondere wenn die noch bestehenden Staatswirtschaftsbetriebe einbezogen werden. Ordentliche wie außerordentliche Kündigungen werden ausgesprochen, letztere auch wegen einer früheren Tätigkeit beim Staatssicherheitsdienst. Das Problem einer Rekrutierung neuer Verwaltungsleute aus Ostdeutschland steht auf der anderen Seite der friedlichen Revolution im Osten und der rechtsstaatlichen Antwort vom Westen her. Wer sich öffentliche Ämter mit dem Gewehr in der Hand nimmt oder in diese durch Willkür eingesetzt wird, braucht sich nicht die Frage nach der Qualifikation stellen zu lassen. Zwar steht nun jedermann der Weg in den öffentlichen Dienst offen. Aber das marxistisch-leninistische Regime in der DDR war ein so perfektes System der Ausforschung und Unterdrückung, daß sich keine relevanten Gegeneliten mit Verwaltungsqualifikation bilden konnten 47, und Dissidenten wurden oft früh von Bildungswegen ausgeschlossen. So ist zwar von Fall zu Fall versucht worden, mit dem flexibleren Angestelltenrecht zu helfen. Aber im Grunde muß man auf die nachwachsende Generation setzen. Mit der deutschen Vereinigung ist eine "Perpetuierung" der alten Personal verhältnisse prinzipiell in Kauf genommen worden. 48 Das mag Vgl. Hans-Ulrieh Derlien, Regimewechsel und Personalpolitik. Vgl. Hans-Dietrich Weiß, Wiedereinführung des Berufsbeamtentums; Helmut Leeheler, Der öffentliche Dienst in den neuen Bundesländern - Die Lösung neuer Aufgaben mit alten Strukturen?, Zeitschrift für Beamtenrecht, 1991, S. 48 ff. 47

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eine der historischen Lage angemessene Reaktion gewesen sein. Nur darf darüber nicht in Vergessenheit geraten, was ein Unrechtssystem an Lebens- und Arbeitschancen zerstört hat. Der Personaltransfer von westdeutschen öffentlichen Bediensteten in ostdeutsche Verwaltungen ist ein Abschnitt unserer Verwaltungs geschichte, der einer gründlichen Erforschung und wissenschaftlichen Dokumentation wert ist. Das gilt für die erste Phase kommissarischer und beratender Administratoren vom persönlichen Beauftragten des Bundeslandwirtschaftsministers im DDR-Landwirtschaftsministerium über die bis zu 600 Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit, die in der noch bestehenden DDR die Arbeitsverwaltung mit aufgebaut haben, bis zu den sogenannten "Beamten-Shuttles" von Bonn nach BerJin, um in Ostdeutschland die Zentralverwaltungen funktionsfähig zu halten bzw. neu zu gestalten. Der Aufbau von öffentlichen Verwaltungen in den neuen Bundesländern macht dann in einer zweiten Phase kontinuierliche Formen der Personalhilfe erforderlich, an der sich die verschiedenen Verwaltungsebenen und Verwaltungszweige beteiligten, und zwar insbesondere auch auf der Grundlage von Partnerschaften zwischen Ländern oder Kommunen und unter Koordination durch eine Clearing-Stelle in Bonn. 49 Auch zu diesem Personaltransfer liegen wiederum vielfältige Einzeldaten vor, wie zum Beispiel, daß im August 1991 etwa 800 öffentliche Bedienstete aus Nordrhein-Westfalen im Partnerland Brandenburg im Einsatz waren. 50 Aber es fehlt ebenfalls an der Gesamtbilanz, wobei darauf hinzuweisen ist, daß diese Phase vielerorts nicht abgeschlossen ist. Beschränken wir uns deswegen wieder auf Tendenzaussagen, dann ist folgendes festzuhalten: Der Personaltransfer erreichte in der Spitze eine Zahl von mehr als 15 000 Personen. Es gibt Schätzungen, die in der Nähe der 20 OOO-Marke liegen. Die Personalverteilung differiert nach Verwaltungsebenen, Verwaltungszweigen und Personalgruppen wie -rängen. Eine gewisse Verdichtung des Personaltransfers ist auf der Ministerialebene der neuen Bundesländer zu beobachten. Was die horizontale Differenzierung anlangt, so sind Justiz- und Innenverwaltung, welche öffentliche Sicherheit und Ordnung einschließt, einerseits und Finanz- und Wirtschafts verwaltung andererseits die herausragenden Branchen, was durchaus dem historischen Erbe des realen Sozialismus Rechnung trägt. Unter den Laufbahngruppen dominiert der höhere Dienst; es folgen der gehobene Dienst, während mittlerer und einfacher Dienst eine geringere Rolle spielen. 51 49 Vgl. Ulrich Reusch. Starthilfe für die neuen Länder. Aufgaben und Arbeit der Bund-Länder-Clearing-Stelle für die Verwaltungshilfe, Deutschland-Archiv. Zeitschrift für das vereinigte Deutschland, 1991, S. 230 ff.; zu den Aufgaben der Clearing-Stelle vgl. auch: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage ... : Verwaltungsaufbau in den neuen Bundesländern, Bundestagsdrucksache 12/916 (10.7. 1991), S. 2. 50 Vgl. Wolfgang Meyer-Hesemann. Hilfen zum Aufbau von Verwaltung und Justiz in den neuen Ländern - Dargestellt am Beispiel der Zusammenarbeit zwischen den Ländern Brandenburg und Nordrhein-Westfalen, VerwArch, 1991, S. 578 ff.

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Solche Unterschiede können kumulative Effekte hervorrufen. So hatte zum Beispiel im Jahre 1991 im Falle des Landes Brandenburg das Justizministerium im höheren Dienst einen West-Anteil von über 70 %, die Ressorts des Inneren, der Finanzen und der Wirtschaft jeweils über 60 % Angehörige des höheren Dienstes aus Westdeutschland. 52 Geht man noch weiter zu den höheren Rängen der Verwaltungselite, dann kann man feststellen, daß in den Staatskanzleien der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Anfang 1992 15 von 19 Abteilungsleitern, also mehr als drei Viertel, aus Westdeutschland stammten und die Ebene der Amtschefs der Regierungszentrale durchgehend mit Westdeutschen besetzt war.

IV. Verwaltungstransformation und Übergangsperiode Sieht man auf solche Verdichtungen des westdeutschen Moments in der Personalzusammensetzung des Spitzen bereichs, dann kann man nicht davon ausgehen, daß jeder aus der Bundesrepublik entsandte Beamte jene Sensibilität mitbringt, die der schwierigen Übergangsperiode des Systemwandels von Staat, Wirtschaft, Gesellschaft auf ostdeutschem Boden angemessen ist. Es muß eingeräumt werden, daß die professionelle Mobilität über Verwaltungsebenen und Verwaltungszweige hinweg heute nicht zu den Stärken des westdeutschen Berufsbeamtentums gehört. Es gibt nicht wenige, die ganz überwiegend in einer Verwaltungsbehörde beruflich sozialisiert worden sind. Dabei bewegen sich die, die an der Verwaltungstransformation in Ostdeutschland mitwirken, weit über die Grenzlinien von Verhaltensmustern hinaus, wie sie nach organisatorischen Spezifika, Verwaltungsbranchen, lokalen und regionalen Verwaltungstraditionen usw. eingeschliffen zu sein pflegen. Mehr als vier Dekaden der Trennung Deutschlands haben eine kulturelle Differenz hervorgebracht, die auch und angesichts des alten DDREtatismus besonders die öffentliche Verwaltung und ihre soziale Umwelt betrifft. 53 Wenn also das Wort von den "Besser-Wessis" zu dem des Jahres 1991 in Deutschland ausgerufen worden ist, dann sollten wir auch die westdeutschen Beamten nicht aus solcher Kritik ausnehmen. Wenn empirische Untersuchungen darauf hindeuten, daß aus Ostdeutschland stammende Verwaltungsleute ihre westdeutschen Partner unter anderem als arrogant, überheblich, formalistisch 51 Vgl. Jürgen Linde, Der Neuautbau eines Landes: das Beispiel Brandenburg, Staatswissenschaften und Staatspraxis, 1991, S. 282 ff. 52 Vgl. ebenda. 53 Vgl. Christoph Reichard / Man/red Röber, Verwaltungsführungskräfte aus Ost und West - Datenreport Bund -, in: Eckhard Schröter (Hrsg.), Beiträge aus dem Fachbereich 1, Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin, Nr. 26, Berlin 1992; dies., Verwaltungsführungskräfte aus Ost und West - Datenreport Berlin -, in: Eckhard Schröter (Hrsg.), Beiträge aus dem Fachbereich 1, Nr. 27, Berlin 1992.

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einschätzen und sich von ihnen als nicht akzeptiert betrachten, dann müssen wir einhalten und fragen, ob wir uns leisten können, daß ein Dualismus zwischen "Ossis" und "Wessis" in Regierung und Verwaltung jenen Bruch überlagern darf, wie er zwischen Herrschern und Beherrschten aus weislich der friedlichen Revolution auf ostdeutschem Boden bestand. Es gibt durchaus noch Interessenten des alten Systems, die mit Formeln von der "colonial rule" bis zum "bush pay" an der Legende eines Neokolonialismus der Westdeutschen über die Ostdeutschen arbeiten. 54 Das mag die empören, die die Beschädigung von Menschen, die Verwüstung der Natur, die Ruinierung der Wirtschaft durch den realen Sozialismus sehen. Aber Empörung ist keine verwaltungs wissenschaftliche Kategorie. An diesem Standort ist vielmehr über Faktizität, Rationalität und Normativität der Verhältnisse in Staat und Verwaltung zu orientieren und entsprechend wissenschaftlich Kritik zu üben. Zur Faktizität der Verwaltungstransformation gehört es, daß wir es im Falle der alten DDR mit einer verkrusteten Ausgangslage zu tun haben. Im Gegensatz zu anderen osteuropäischen Ländern - zu Polen, zu Ungarn, selbst zur Sowjetunion - stagnierten dort die politischen und administrativen Verhältnisse. Die Parteiführung hatte sich sogar gegen die Perestroika der realsozialistischen Vormacht gewandt. Ist damit die historische Ausgangssituation des Jahres 1989 fixiert, so gilt das nicht für den Endzustand der Verwaltungstransformation. Anders als bei den anderen mittel- und osteuropäischen Ländern sind im deutschen Falle mit dem Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes Staat und Verwaltung der Bundesrepublik die konstitutionellen Vorgaben. Aber das bedeutet im Verfassungsrahmen weder Uniformität noch Statik in Verwaltungsangelegenheiten. In den deutschen Ländern und Kommunen gibt es eine reiche Formenwelt des Regierens und Verwaltens, die sich trotz heutiger Anpassungszwänge die jeweils eigene Bedeutung erhalten hat. Das ist auch in den neuen Bundesländern deutlich. Deswegen wird auch in einer dritten Phase des Personaltransfers versucht, aus Westdeutschland stammende Beamte ständig an sich zu binden, damit sie sich mit "Land und Leuten" identifizieren und eine den regionalen und lokalen Verhältnissen angepaßte öffentliche Verwaltung mit hervorbringen. Neben dieser Formenvielfalt ist zu beachten, daß auch die westdeutsche Verwaltung einer ständigen Veränderung unterworfen ist. Sie wandelt sich unter vielfältigem Modernisierungsdruck. Wir ziehen es daher vor, nicht von einem Modell "Westdeutschland" in Verwaltungsangelegenheiten zu sprechen, sondern von der Transformation in eine klassisch-europäische Verwaltung. 55 Dabei wird berücksichtigt, daß die tradierte öffentliche Verwaltung auf deutschem Boden im interkulturellen Vergleich als "klassisches" Verwaltungssystem begriffen wird. 56 Das teilt sie mit Ländern wie Frankreich oder Österreich, unterscheidet 54 Vgl. Michael Benjamin, System change, transfonnation of administration and personnel management. 55 Vgl. Klaus König, Verwaltung im Übergang; ders., Zur Transfonnation.

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sie aber selbst von der "Civic Culture"-Administration des anglo-amerikanischen Bereichs. 57 Der Europa-Gedanke wird einbezogen, weil wir in der europäischen Integration die zur Zeit größte institutionelle Herausforderung an die Dynamik der öffentlichen Verwaltung sehen. Daraus wird aber bereits ersichtlich, daß sich die Verwaltungstransformation nicht als eine von anderen administrativen Veränderungen isolierbare Übergangsperiode veranstalten läßt. Während in den neuen Ländern noch die etatistischen Reste des realen Sozialismus abgestreift werden, muß man zum Beispiel eine territoriale Verwaltungsreform in Angriff nehmen, weil die lokalen Verwaltungsräume der alten DDR den heutigen Anforderungen nicht entsprechen. Man muß Verwaltungen so modernisieren, daß sie in der Europäischen Gemeinschaft mithalten können usw. Freilich ist die Transformation einer real-sozialistischen Verwaltung in eine klassisch-europäische Verwaltung für sich ein großes historisches Projekt. Ihr steht - wie der Vereinigung Deutschlands überhaupt - jene Art von Perzeption nicht an, mit der wir nach der Aufbauphase in Westdeutschland die Krisen und Konflikte und dann die Reformen und Modernisierungen der alten Bundesrepublik wahrgenommen haben. Wie für die Verwaltungspraxis ist für die Verwaltungswissenschaft mit der Transformation ein neues Kapitel aufgeschlagen worden.

56 Vgl. Ferrel Heady, Public Administration. A Comparative Perspective, 3. Aufl., New York / Basel 1984. 57 Vgl. Klaus König, Zur Transfonnation.

Rechtliche Grundlagen einer "Verwaltung des Mangels" in den neuen Bundesländern Von Peter J. Tettinger

I. Zur nachhaltigen Bedeutung des Verwaltungsrechts für den "Aufschwung Ost" Wenn im Rahmen dieser Arbeitstagung des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer zur Verwaltungsintegration in den neuen Bundesländern I im Anschluß an eine verwaltungswissenschaftliche Betrachtung zur sog. Transformation der öffentlichen Verwaltung 2 eine Diskussion der rechtlichen Grundlagen einer "Verwaltung des Mangels" erfolgen soll, so mit gutem Grund; dies trägt dem zentralen Gewicht des Verwaltungsrechts bei den Bemühungen um eine nachhaltige Vitalisierung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern,3 im Politikerjargon: für den "Aufschwung Ost", Rechnung. Da die öffentliche Verwaltung im freiheitsorientierten und auf Rechtsstaatlichkeit bedachten Verfassungs staat nur als rechtlich gebundene Staatsfunktion zu agieren vermag, leuchtet ein, daß für die zu behandelnde Gesamtthematik dem Verwaltungsrecht in Verbindung mit dem dieses imprägnierenden Verfassungsrecht eine nachhaltige Bedeutung zukommt. Dabei ist es keinesfalls so, daß die öffentliche Verwaltung lediglich als vorwiegend heteronome Staatsfunktion zu betrachten wäre, als bloßer Appendix zur Legislative oder Prolog zur Judikative, auch wenn dies dem Beobachter der bundesrepublikanischen Szene manchmal so scheinen mag. Eine solche Einstufung ist denn auch in der modemen Staatsrechtslehre nicht zu hören und stellte sicherlich eine Verkürzung des mit staatlicher Funktionenaufgliederung Gemeinten dar. Verwaltungshandeln ist - oder sollte jedenfalls sein - schöpferische Realisierung von Gemeinwohlzielen und -aufgaben, die der jeweiligen Organisationseinheit überantwortet sind, wobei das Recht vom Ansatz her für die Verwaltung (klassische Stichworte: Verpflichtung auf Gemeinwohlinteressen, Gesetzmäßigkeit der VerI Manuskript des Vortrags am 30. 9. 1992. Meinem Mitarbeiter, Herrn Ref. Dr. Norhert Zimmermann, gilt Dank für seine Unterstützung bei der Vorbereitung. 2 Dazu ausführlich bereits K. König, DÖV 1992,549 ff.; ders., VerwArch. 83 (1992),

S. 229 ff. 3 Zu dieser AufgabensteIlung näher div. Beiträge in: H. Besters (Hrsg.), Vitalisierung der ostdeutschen Wirtschaft, Gespräche der List-Gesellschaft n. F., Bd. 15, 1992; H. Hill (Hrsg.), Erfolg im Osten, 1992.

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waltung, pflichtgemäße Ermessensausübung) mehr als richtunggebende Direktive und eingrenzende Barriere - gewissermaßen als Leitplanke - denn als Initiativen behindernde Einrüstung und Zementierung verstanden wird. Betrachtet man jedoch die heutige Dichte und Detailgenauigkeit der normativen Vorgaben des allgemeinen und des besonderen Verwaltungsrechts und bezieht auch die strafund haftungsrechtlichen Risiken des entscheidungsfreudig gestimmten Verwaltungsbeamten mit ein, so verfestigt sich der Eindruck, als sei die Verwaltungsrechtsordnung in Deutschland eher zu einem Korsett mit einem Gewirr von Einschnürungen, zu einer Kreativität und Elastizität der Verwaltung und damit auch der vor allem auf gewerbe-, bau- und umweltrechtliche Genehmigungen angewiesenen Wirtschaft behindernden RitteITÜstung mutiert. Vor diesem Hintergrund bleibt eine beträchtliche Portion Skepsis nicht aus, wenn man die Frage stellt: Welches sind nun die Wohltaten, die das "moderne" Verwaltungsrecht westdeutscher Provenienz den neuen Bundesländern nach Überwindung der zentral dirigierten, auf sog. sozialistische Gesetzlichkeit verpflichteten Kaderverwaltung 4 zu vermitteln bestrebt ist?

11. Einigungsvertraglicher Import des bundesdeutschen "Wohlstandsverwaltungsrechts"

1. Vorgaben des Einigungsvertrages Mit dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland trat neben dem Grundgesetz gern. Art. 8 des Einigungsvertrages (EV) im Beitrittsgebiet durchgängig Bundesrecht in Kraft, soweit durch diesen Vertrag, insbesondere dessen Anlage I, nichts anderes bestimmt war. Damit wurden von wenigen Ausnahmen abgesehen - die Segnungen des bundesdeutschen Verwaltungsrechts den Bürgern und Wirtschaftsunternehmen in den neuen Bundesländern mit voller Wucht zuteil: -

Die Geltungskraft des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes wurde dabei vorübergehend auch auf die Ausführung von Landesrecht in den neuen Bundesländern erstreckt. 5

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Die Nichtübernahme des Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch vom 17.5.1990 (BGBI. I S. 926), das freilich über den neu in dieses Baugesetzbuch aufgenommenen § 246 a partiell letztlich doch auch im Beitrittsgebiet Bedeutung erlangt, 6 stellt augenscheinlich eine eher singuläre Ausnahme von überwiegend starren Übernahmen des bundesdeutschen Rechts dar.

4 Zu den bescheidenen Ansätzen der Herausbildung verwaltungsrechtsdogmatischer Grundstrukturen in der ehern. DDR siehe das von der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR in Potsdarn-Babelsberg hrsg. Lehrbuch zum Verwaltungsrecht, 1979 und 2. Auf!. 1988. 5 Vgl. Anl. I, Kap. H, Sachgebiet B, Abschn. III Nr. 1, abgedruckt auch bei Stern / Schmidt-Bleibtreu, Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit, Bd. 2: Einigungsvertrag und Wahlvertrag, 1990, S. 22l.

Rechtliche Grundlagen einer "Verwaltung des Mangels"

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2. Nachdenkliches zum übernommenen bundesdeutschen (Verwaltungs- )Rechtssystem Es darf freilich nicht vergessen werden, daß dieses bundesrepublikanische Verwaltungsrecht in seinem heutigen Zustand - ebenso wie auch das hiermit korrespondierende Verwaltungsprozeßrecht - mit seiner materiellen, organisatorischen und verfahrensrechtlichen Feinziselierung - entstanden keineswegs kraft rechts staatlich gezündetem Urknall, sondern in über vierzigjähriger, durchaus nicht stets gradlinig verlaufender Entwicklung - auf den Zustand dieser neureichen, feinnervigen, ich-betonten, vollkasko-orientierten und nicht selten geradezu streitsüchtigen Gesellschaft zugeschnitten ist, gewissermaßen ein de-Iuxe-Produkt darstellt, während es doch in den neuen Bundesländern nach allseitiger Überzeugung - ähnlich wie in den alten Bundesländern in den fünfziger und sechziger Jahren - darauf ankommt, ein schnellwirkendes und deutlich zielorientiertes Instrumentarium verfügbar zu haben, also eher ein robustes, zuverlässiges Basismodell eines rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, wie ich es in anderem Zusammenhang einmal ausgedrückt habe. 7 Erinnern wir uns: -

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Die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mit ihrer Zuständigkeits-Generalklausel in § 40 und ihrem üppigen Arsenal an Rechtsschutzformen einschließlich solcher des vorläufigen und vorbeugenden Rechtsschutzes datiert vom 21. 1. 1960 (BGBl. I S. 17) und wurde später noch partiell "verfeinert". Sie trat an die Stelle vorher geltender besatzungs- und länderrechtlicher Bestimmungen,8 die weithin beispielsweise nur eine gerichtliche Überprüfung von Verwaltungsakten vorsahen. Die Vorgängerregelung zum heutigen Baugesetzbuch, das Bundesbaugesetz, stammt ebenfalls aus dem Jahre 1960; das opulente, aber für den kommunalen Planungsträger hinsichtlich der Planungssicherheit höchst gefahrgeneigte Bukett gruppenförmig aufgeführter Planungsdirektiven in § 1 Abs.6 BBauG datiert vom 18.8. 1976 (BGBl. I. S. 2221).9 Vor dem BBauG galt in weiten Teilen des alten Bundesgebietes noch das preußische Fluchtliniengesetz aus dem Jahre 1875 (GS S. 561), ergänzt durch sogenannte Aufbaugesetze der Länder, deren Hauptanliegen darin bestand, "die rechtlichen Grundlagen für einen möglichst schnellen Wiederaufbau der zerstörten Städte zu schaffen." 10 Das Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25. 5. 1976 (BGBl. I S. 1253) kam erst nach mühevollen Anläufen zustande und basierte weitgehend auf einer zwischenzeitlich

6 Siehe EV, Anl. I, Kap. XIV, Abschn. I Nr. 1 und Abschn. II Nr. 1; Stern I SchmidtBZeibtreu, a. a. 0., S. 676. 7 Vgl. P. J. Tettinger, DÖV 1991, 1042; siehe auch W. MöscheZ, JZ 1992, 489 ff.

(491 f.). 8 Zu ihnen ausführlich C. H. UZe, in: Festschrift Menger, 1985, S. 81 ff. 9 Maßgebend für diese Novellierung war hier - wie weitenteils auch in anderen Bereichen - die Entwicklung der Rechtsprechung. Vgl. insbes. BVerwGE 45,309 ff.; dazu plastisch zuletzt H. Schulze-Fielitz, Jura 1992,201 ff. 10 So K. H. Friauj, in: I. v. Münch (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, 1. Auf!. 1969, S. 361 f. 4 Speyer 110

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Peter J. Teuinger sukzessiv entwickelten Rechtsprechung. Bereits bei seinem Inkrafttreten wurde eine umfangreiche Verlustliste ungeregelter, nur punktuell geregelter und nicht überzeugend geregelter Komplexe aufgestellt. 11 Es konnte nicht verwundern, wenn dieses Gesetz nunmehr selbst wiederum die Basis für mannigfache weitere judikative Verfeinerungen bildete. Hinzuweisen ist insofern nur auf den isolierten Rechtsschutz gegen mit einem Verwaltungsakt verbundene Nebenbestimmungen (§ 36 VwVfG) 12 Stichwort: modifizierende Auflage - , die Anhörungspflicht vor Erlaß eines begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 28 VwVfG) 13 sowie die große Zahl im Zusammenhang mit der Zulässigkeit und der Abwicklung öffentlichrechtlicher Verträge stehender Rechtsfragen.

-

Der organisatorische Teil der westdeutschen Gemeindeordnungen mit ihren jeweils komplexen Satzungsregelungen und generellen Vorgaben für die innergemeindliche Willensbildung wurde mehrfach - dies läßt sich etwa für NW leicht belegen im Geiste immer rigiderer Anforderungen novelliert, ehe erst in jüngerer Zeit angesichts ersichtlicher judikativer Übersteigerungen gewisse Erleichterungen zugunsten der Gemeinden zu vermerken sind. 14

So berechtigt eine auf solche Beobachtungen gestützte Forderung nach Rechtsvereinfachung oder substantielle Deregulierung auch sein mag, sie stößt freilich in der einheimischen Juristenzunft auf wenig Gegenliebe. 15 Sind die gesetzlichen Vorgaben in ihrer Menge, Kompliziertheit und nicht selten Widersprüchlichkeit im Detail doch schon verwirrend genug, so tragen kommentierende Äußerungen kompetenter Fachjuristen oft weniger zur Aufhellung denn zur weiteren Verunklarung bei. Habilitationsschriften und Dissertationen gefallen sich allzuoft in Forderungen nach immer stärkeren Verästelungen der einzelnen Verwaltungsrechtsgebiete, deren Überschaubarkeit doch bereits für den hiermit befaßten Richter leidet, vom fassungslosen Laien ganz zu schweigen. Manche Fachvertreter des öffentlichen Rechts betrachten Referate und Diskussionen bei den alljährlich stattfindenden Staatsrechtslehrertagungen gewissermaßen als Kür in dieser Verwaltungsrechtskomplikations-Olympiade. Rechtsanwälte greifen begierig in der Wissenschaft vorgefundene Formulierungen auf und vertiefen sie, angereichert durch ihr spezifisches Fallmaterial. Verwaltungsrichter weisen die Qualität der ihnen zuteil gewordenen langjährigen Ausbildung dadurch nach, daß sie nicht nur Kenntnis von den vielfaltigen Rechtsmeinungen nehmen, sondern diese auch mit Fleiß zitieren und sich - seien sie auch noch so avantgardistisch resp. Vgl. H. U. Erichsen, VerwAreh. 69 (1978), S. 305 ff. m. w. N. Siehe U. Laubinger, VerwArch. 73 (1982), S. 358 ff. 13 Vgl. OVG NW, DVBI. 1981, 689; ergänzende Nachweise etwa bei F. O. Kopp, VwVfG, 5. Aufl. 1991, § 28 Rdnm. 1,5, 15,22, 25, 30. 14 FürNW siehe § 23 Abs. 6 GO i. d. F. vom 7.3.1990 (GVBI. S. 141) zu den Folgen der Mitwirkung Befangener an Gemeinderatsbeschlüssen und § 4 Abs. 6 GO i. d. F. vom 27.6. 1978 (GVBI. S. 268) in Orientierung an § 155 a BBauG zur Geltendmachung von Verfahrens- oder Formfehlern bei Satzungen. - Mit Blick auf die neuen Bundesländer siehe G. Schmidt-Eichstaedt, DVBI. 1992,655 f. 15 Bezeichnend etwa die in dem Bericht über eine Hamburger Konferenz zur Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts (NVwZ 1992,862 ff.) wiedergegebenen Tendenzen. 11

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abenteuerlich - zu eigen machen. Oberverwaltungsgerichte lassen es sich in ihren Entscheidungen selbstverständlich nicht nehmen aufzuzeigen, daß sie noch besser den Meinungsstand zu referieren vermögen, was sie denn auch nicht immer, aber immer öfter in mit immer längerer Begründung versehenen Urteilen dokumentieren. Senate des Bundesverwaltungsgerichts gefallen sich nicht selten in der Rolle des noch besser wissenden Oberschiedsrichters. Das Bundesverfassungsgericht reichert die vom Verwaltungsbeamten mehr oder weniger ehrfürchtig beobachtete, da nicht zuletzt haftungsrechtlich für ihn unmittelbar relevante fachgerichtliche Judikatur sodann noch durch originelle, aus abstrakten Verfassungsanweisungen gewonnene Direktiven an. Fachbruderschaftliche Auswüchse zu beklagen, bleibt nur den Mahnpredigten vereinzelter Nonkonformisten im Hochschulbereich, in höchstrichterlichen Sphären den Festansprachen amtierender oder pensionierter Präsidenten sowie im parlamentarischen Raum Sonntagsreden von Oppositionspolitikern überlassen. "Difficile est satiram non scribere!", formulierte Juvenal etwa 100 n. ehr. Er kannte das deutsche Verwaltungsrecht noch nicht, von sich zunehmend hierüber stülpenden Brüsseler Emanationen des EG-Rechts noch ganz zu schweigen. Zu Recht erinnerte der frühere Präsident des BVerwG, Sendler, in einem dem "Rechtsstaat im Bewußtsein seiner Bürger" gewidmeten Beitrag daran, daß trotz eines 17 000 Mann resp. Frau starken Richterheeres in der Bundesrepublik Deutschland - hier sind wir die wahren und ungefährdeten Weltmeister weder das Vertrauen in das Recht gewachsen noch Verfahrensdauern insgesamt - "als Folge u. a. der deutschen Instanzenseeligkeit" - entscheidend abgesenkt werden konnten. 16 Wem aber nützt dies? Auch hierzu Sendler wörtlich: "Wer auf schnelle Rechtsverwirklichung angewiesen ist, bekommt sein Recht viel zu oft zu spät und damit in Gestalt von Steinen statt Brot. Andere freilich wissen sich das zunutze zu machen, diejenigen nämlich, denen es nicht auf Rechtsverwirklichung, sondern auf Zeitgewinn ankommt. Das sind nicht wenige. Aufschiebende Wirkung und jahrelange Verfahrensdauer geben ihnen nahezu die Garantie für die Aufrechterhaltung von Zuständen, von denen sie oft nur zu gut wissen, daß sie schwerlich Rechtens sind. Aber ob diese Möglichkeiten, die der Prozeßhanselei zusätzlichen Auftrieb geben, die Hochachtung vor dem Rechtsstaat mit seinen so leicht zu mißbrauchenden Mitteln steigern? Manchmal hat man jedenfalls den Eindruck, der Rechtsstaat könne gleichsam an sich selbst ersticken oder verfange sich in den eigenen Schlingen so wie weiland Laokoon im Kampf mit den Schlangen." 17 Sein Nachfolger im Amt, Franßen, sieht die zentrale Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit in den kommenden Jahren darin, das in den alten Bundesländern geltende "Wohlstandsverwaltungsrecht" situationsgebunden zu konkretisieren und an veränderte wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse anzupassen:

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NJW 1989, 1761 ff. (1768). A. a. 0., S. 1769.

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"Wenn wir wollen, daß sich in unserer Rechtsordnung auch die Menschen in den neuen Bundesländern mit ihren oft anderen Bedürfnissen und Prioritäten aufgehoben fühlen, müssen wir die Rechtsanwendung entschlacken und von nicht notwendigem Zierrat befreien; erst einen solche Vereinfachung läßt das Wesentliche unseres rechts staatlichen Verwaltungsrechts wieder schärfer und damit auch überzeugender hervortreten." 18 Das auf Optimierung bürgerschaftlicher Partizipation und mehrfach abgesicherte Integration aller auch nur entfernt relevanten Individualinteressen und Gemeinwohlaspekte angelegte und dadurch überkomplizierte bundesdeutsche Verwaltungsrecht, namentlich das opulente Verwaltungsverfahrensrecht, das den Idealvorstellungen mancher Fachvertreter des öffentlichen Rechts und an Tischrundungen orientierter Politstrategen freilich immer noch nicht genügt, ist augenscheinlich in einer Hinsicht völlig untauglich: rasche Entscheidungen zu ermöglichen. Der vom Grundgesetz, namentlich in Art. 19 Abs. 4 GG, garantierte effektive Rechtsschutz heißt - was viele deutsche Juristen augenscheinlich verdrängt haben, was deutschen Gerichten vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg aber mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK mehrfach in Erinnerung gerufen wurde 19 - nicht nur umfassender, sondern auch rascher Rechtsschutz, oder anders gewendet, wie in einem Handbuch vermerkt ist, "Verfahren als Verzögerungschance ist kein grundrechtlicher Wert, den der Gesetzgeber honorieren müßte"; 20 hinzuzufügen wäre: das gilt auch schon für die Verwaltung, insbesondere dann, wenn umfängliche privatwirtschaftliche Investitionen auf dem Spiel stehen.

IH. Notwendigkeit einer Flexibilisierung im Sinne stärkerer Mangellageorientierung des Verwaltungsrechts Vor diesem Hintergrund leuchtet ein, daß gerade mit Blick auf die Situation in den neuen Bundesländern aus einer solchen, hier zugegebenermaßen zugespitzten Situationsanalyse Folgerungen gezogen werden sollten. Der Diagnose hat die Therapie zu folgen, so daß eigentlich umgehend auf allen Ebenen breit angelegte Versuche unternommen werden müßten, den beobachteten Mißhelligkeiten entschlossen entgegenzutreten. 1. Verfügbare Ansätze im Sinne einer" Verwaltung des Mangels" Die unmittelbaren Nachkriegsregelungen liegen heute leider weit außerhalb des Blickfeldes der Verwaltungsrechtswissenschaft, obwohl aus dieser AufbauDVBI. 1992, 350. Vgl. nur NJW 1979,477; EuGRZ 1983,371 (382) und 1988,20 (30). 20 So zu Recht E. Schmidt-Aßmann, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. III (1988), S. 639. 18

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phase, wie oben nur punktuell erhellt, wohl mannigfaches Anschauungsmaterial verfügbar wäre. Zu betonen ist allerdings, daß auf der Basis der Verpflichtung auf die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft schon im Unionsvertrag vom 18.5. 1990 21 und der Bindung an die Vorgaben des Grundgesetzes im Einigungsvertrag Wirtschaftslenkungsmaßnahmen, wie sie in der Nachkriegszeit in vielfältiger Weise galten,22 nicht in Frage kommen. 23 Immerhin aber wurden auch anfangs der siebziger Jahre in der Bundesrepublik im Gefolge der ersten Energiekrise wieder Überlegungen angestellt, inwieweit es angebracht erscheinen mochte, unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Determinanten für Zuteilungskriterien bei knappen Ressourcen Grundlinien einer "Verwaltung des Mangels" zu entwickeln. 24 Als zentrale Postulate erwiesen sich in diesem Kontext die hinreichend klare Beschreibung gegebener Kapazitätsgrenzen sowie die Entwicklung überzeugender Verteilungskriterien. Eine Wohlstandsrechtsordnung bemüht sich darüber hinaus freilich selbstverständlich noch um Verteilungsgerechtigkeit in einem höheren Sinne, indem gefragt wird, ob nicht ein Individualanspruch auf staatliche Behebung der bestehenden Kapazitätsgrenzen anzuerkennen sei. Ich erinnere an die feinsinnigen grundrechtsdogmatischen Diskussionen um das Verständnis des Art. 12 GG als Leistungs- und / oder originärer Teilhabeanspruch. 25 Von solchen heutzutage mit Blick auf die Finanzlage leicht esoterisch anmutenden Denkübungen abgesehen, hat jedoch die seinerzeitige Diskussion um die Beschreibung von Kapazitätsgrenzen, gerade etwa auch im Hochschulrecht, und um angemessene Verteilungskriterien ihr besonderes Gewicht. Namentlich die Ausführungen von Wilfried Berg zum Losverfahren, zum Kopf-Prinzip der absoluten Gleichheit, zur Priorität und zur Anciennität als rein formalen Verteilungsmaßstäben über den Grad der Bereitschaft zu finanzieller Gegenleistung bis hin zu rein wertender Gewichtung 26 vermögen nach wie vor in entsprechender Lage eine erste Hilfestellung zu bieten. Die Judikatur zum numerus clausus im Hochschulrecht und zur Wahlwerbung politischer Parteien (Fernsehsendezeiten und Plakatwerbung), vor allem aber zum Subventionsrecht, zum Verkehrswesen (Konzessionsvergabe bei der Güter- oder Personenbeförderung), zum Kommunalrecht (Zugang zu kommunalen Einrichtungen) und zum Gewerberecht (hier insbesondere zur Beteiligung an räumlich begrenzten Märkten) kann zu diesem Komplex noch weiterführende Hinweise 21 Dazu näher P. J. Tettinger, BB 1992,2 ff. 22 Im Überblick hierzu E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., Bd. 2 (1954), S. 211 ff. 23 Daher helfen auch Überlegungen, wie sie etwa F. Rittner, Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1987, S. 525 ff., in einem Kapitel "Bewirtschaftungsrecht" systematisierend zusammengefaßt hat, im vorliegenden Kontext nicht weiter. 24 Siehe namentlich W. Berg, Der Staat 15 (1976), S. 1 ff.; vorher bereits ehr. Tomuschat, Der Staat 12 (1973), S. 433 ff., jeweils m. w. N. 25 Initiiert für den Hochschulsektor durch BVerfGE 33, 303 (332 ff.); 43, 291 (325 f.). 26 A. a. 0., S. 13 ff.

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liefern. Beispielhaft sei hier nur auf eine umfangreiche Rechtsprechung zu § 70 GewO hingewiesen,27 einer Norm, die sich ausdrücklich mit der Verteilung des Mangels - dort eines Platzmangels - beschäftigt. Diese Vorschrift, die zunächst den Grundsatz der Freiheit des Marktzugangs für Aussteller, Anbieter und Besucher apostrophiert, enthält in ihrem 2. Absatz die Befugnis des Veranstalters, bestimmte Gruppen, und in ihrem 3. Absatz die Befugnis, einzelne die Zulassung begehrende Personen nicht in den Teilnehmerkreis aufzunehmen. Erforderlich ist danach allein, daß die Beschränkung aus sachlich gerechtfertigten Gründen erfolgt. Wenngleich in diesem Zusammenhang bisweilen von dem Erfordernis einer "optimalen Mängelverwaltung"28 gesprochen wird, besitzt der Veranstalter anerkanntermaßen einen durchaus weiten konzeptionellen Gestaltungsspielraum. 29 Er kann sich auf die verschiedensten Auswahlkriterien abstützen, so zum Beispiel auf die zeitliche Reihenfolge der Anmeldungen - "Windhundverfahren" - , das Losverfahren, ein rollierendes System mit turnusmäßiger Berücksichtigung, sich an der Attraktivität des betreffenden Standes oder Geschäfts orientieren, bekannte oder bewährte Unternehmen bevorzugen, und dies jeweils solo oder in unterschiedlicher Mischung der einzelnen Kriterien; er muß sich freilich bei seinen Entscheidungen stets konsequent verhalten. Anzumerken ist dabei, daß das in der Praxis wohl lange Zeit am häufigsten verwandte Kriterium, nämlich die Bevorzugung "bekannter und bewährter Bewerber", nur im Falle seiner ausschließlichen Verwendung als rechtsfehlerhaft verworfen wurde. Das Bundesverwaltungsgericht hatte angesichts eines zunehmend härteren Verteilungskampfes bei attraktiven Großveranstaltungen betont, daß dieses Kriterium nur dann innerhalb der grundrechtlich gesteckten Grenzen bleibe, wenn Neubewerbern in einem erkennbaren Turnus eine Zulassungschance eingeräumt werde. 30 Hinsichtlich der gerichtlichen Kontrolldichte mit Blick auf die von der Verwaltung getroffene Entscheidung ist erwähnenswert, daß die Rechtsprechung dem mit der Auswahl nach Maßgabe eigengewählter Kriterien betrauten Veranstalter, soweit über die Attraktivität eines Standes zu entscheiden ist, in diesem Kontext noch einen gesonderten Beurteilungsspielraum zubilligt, da es sich um eine normativ tolerierte Orientierung an stark subjektivierten Vorstellungen im Sinne eines an der eigenen Konzeption ausgerichteten Werturteils handele. 31

27 Dazu ausführlich Sieg / Leifermann / Tettinger, GewO, 5. Aufl. 1988, § 70 Rdnm. 9 ff. m. umfangreichen Nachw. aus der Rspr.; siehe zuletzt auch D. Ehlers, in: Achterberg / Püttner (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, Bd. 1, 1990, S. 98. 28 So zuletzt OVG Saar!., GewArch. 1992,236 f. 29 In diesem Sinne nachdrücklich letztens OVG NW, NVwZ-RR 1992, 477; siehe auch BayVGH NVwZ-RR 1991, 550. 30 BVerwG, GewArch. 1984, 265; ebenso OVG Bremen, GewArch. 1985,386. 31 OVG Lüneburg, NVwZ 1983,49 (50) unter Bezugnahme auf BVerwG, GewArch. 1965, 30 (31); siehe auch vorher bereits OVG Bremen, GewArch. 1964, 245 (246). Restriktiver wieder eine Literaturstimme; vgl. D. Ehlers, a. a. 0., FN 192.

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Die geschilderten Ansätze machen anhand eines konkreten Aufgabenkomplexes deutlich, welch erheblichen Gestaltungsspielraum die für die Verteilung von der Nachfrage nicht genügenden Leistungen Zuständigen selbst nach bundesdeutschem Wirtschaftsverwaltungsrecht nutzen können. Gerade in Zeiten knapper Ressourcen bestehen also durchaus verstärkte Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne einer "Verwaltung des Mangels", sowohl in personeller (Einsatz des verfügbaren Verwaltungspersonals) und finanzieller Hinsicht (Lenkung von Finanzmitteln) als auch in verfahrenstechnischer (Motto: "first things first"; Abfolge der bearbeiteten Vorgänge; Beschränkung auf punktuelle Kontrollen) und in materiell-inhaltlicher Hinsicht (Beurteilung der Entscheidungsreife bei Verwaltungsvorgängen). 2. Zur verfassungsrechtlichen Akzeptanz

Auch aus der inzwischen mehr als vierzigjährigen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts lassen sich deutliche Hinweise entnehmen, daß diesbezüglich keineswegs global rechtsstaatliehe Einwände erhoben werden müßten. Das Rechtsstaatsprinzip enthält schließlich keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote oder Verbote von Verfassungsrang, sondern wird als Verfassungsgrundsatz bezeichnet, der der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten bedürfe. 32 In einer Entscheidung zum Haftentschädigungsrecht aus dem Jahre 1953 bezeichnete das Bundesverfassungsgericht Rechtsfrieden und Rechtssicherheit als von so zentraler Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit, daß um ihretwillen die Möglichkeit einer im Einzelfall vielleicht unrichtigen Entscheidung in Kauf genommen werden müsse. 33 Der rechts staatliche Grundsatz, materielle Gerechtigkeit zu verwirklichen, sei im übrigen nicht allein auf den Einzelfall bezogen, sondern auch auf den Wirkungszusammenhang der Rechtsordnung und ihrer Vollzüge insgesamt. 34 Beurteilungsspielräume der Verwaltung bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe werden "wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie" von daher durchaus anerkannt; 35 für die Bemessung von Ermessensspielräumen wird auf die Besonderheiten des zu regelnden Lebensgebietes sowie die Entwicklung der allgemeinen Rechtslage, denen Rechnung zu tragen sei, verwiesen. 36 Schließlich gebiete deutsches Verfassungsrecht auch nicht etwa, die Form hoheitlicher Maßnahmen so zu wählen, daß der Einzelne 32 BVerfGE 7, 89 (92 f.); zuletzt 74, 129 (152). Siehe insoweit auch Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 259 ff. 33 BVerfGE 2, 380 (404). 34 BVerfGE 60, 253 (268). 35 Vgl. nur BVerfGE 84, 34 (50) unter Bezugnahme auf ältere Judikatur. Siehe insoweit zuletzt mit erfrischender Deutlichkeit R. Herzog, NJW 1992, 2601 ff. 36 So BVerfGE 18, 353 (363). Siehe zuletzt auch BVerwG, NWVBL 1992,394 für das Ordnungsrecht.

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dagegen einen möglichst umfassenden Rechtsschutz habe. 37 Art. 19 Abs. 4 GG erfordere schon gar nicht zwingend ein Vorverfahren. 38 Die Vielfalt der Verwaltungsaufgaben lasse sich ohnedies nicht immer in klar umrissene Begriffe einfangen. Das gelte insbesondere für die Eingriffsermächtigungen im Bereich der Wirtschaftsverwaltung. In diesem Bereich werde der Gesetzgeber nicht ohne Generalklauseln auskommen können, sich vielmehr abstrakter und unbestimmter Formulierungen bedienen müssen, um die Verwaltungsbehörden in die Lage zu versetzen, ihren Aufgaben, den besonderen Umständen des einzelnen Falles und den schnell wechselnden Situationen des wirtschaftlichen Lebens gerecht zu werden. 39 Als Folge des Fehlens einer verfassungsrechtlich eigentlich gebotenen gesetzliche Grundlage wurde zudem mehrfach nicht das Verdikt der Nichtigkeit ausgesprochen, sondern die Notwendigkeit von Übergangsfristen anerkannt, innerhalb derer der Gesetzgeber die Gelegenheit zur verfassungsmäßigen (Neu-)Regelung haben solle. 4O Zur Ausübung des Verwaltungsermessens schließlich gilt: "An die tatbestandliche Fixierung der Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Behörden dürfen keine nach der konkreten Sachlage unerfüllbaren Anforderungen gestellt werden; ganz besonders gilt dies für gesetzliche Vorschriften, die einer (geschichtlich und rechtlich) extrem gelagerten Ausnahmesituation gerecht werden sollen."41 Solche Ansätze sind zwar hilfreich, sie allein dürften freilich ohne zielgerichtete normative Umsetzung und ohne entsprechendes Selbstbewußtsein bei der Wahrnehmung als vorhanden konstatierter Optionen und Gestaltungsspielräume durch die Verwaltung nicht ausreichen, in der gegenwärtigen Phase Remedur zu bieten.

IV. Zentrale Anforderungen der Gegenwart in den neuen Bundesländern Mit Blick auf die derzeitige Situation in den neuen Bundesländern scheint es jedoch wichtig, zunächst einmal vorab darauf hinzuweisen, daß es nicht Ziel sein kann und darf, etwa im Sinne eines Zwei-Klassen-Verwaltungsrechs Unterschiede zwischen West und Ost zu prolongieren oder gar zu zementieren,42 sondern nachfolgende Überlegungen sind zu verstehen als Vorstellungen zur 37 So BVerfGE 10, 89 (105); vgl. auch BVerfGE 70, 35 (56 f.) zum Rechtsschutz gegen Bebauungspläne oder andere grundlegende Planungsentscheidungen. 38 So BVerfGE 60, 253 (291) u. 69, 1 (48). 39 Nachweise bei Leibholz / Rinck / Hesselberger, Grundgesetz-Komm., Rdnr. 1040; vgl. insoweit letztens auch R. Herzog, NJW 1992, 2604. 40

A. a. 0., Rdnr. 1051.

41 BVerfGE 18, 353 (363) zur Rechtsgrundlage für den Interzonenhandel. 42 Zustimmung verdienen insoweit die Bemerkungen von P. Stelkens, DtZ 1990,

305 ff. (308).

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Entschlackung und Flexibilisierung des bundesdeutschen Verwaltungsrechts insgesamt, Überlegungen, deren Impulskraft freilich gerade in den neuen Bundesländern als besonders hoch zu veranschlagen sein dürfte. Als zentrale Punkte seien im folgenden dabei angesprochen: 1. Stärkere materielle Gewichtung der Bedeutung von Privatinvestitionen; 2. Vereinfachung der öffentlichen Planungsverfahren; 3. Beschleunigung der behördlichen Verwaltungsverfahren; 4. Verstärkte Nutzung privater Sachkompetenz insbesondere bei der kommunalen Daseinsvorsorge, und dies namentlich durch a) Einschaltung von Privaten, insbesondere freiberuflich Tätigen in Verwaltungsvorgängen b) vermehrten Zugriff zum Instrumentarium einer "public private partnership" c) Überlegungen zu den Möglichkeiten vollständiger materieller Privatisierung von Verwaltungsaufgaben. 5. Stärkere verwaltungsgerichtliche Tolerierung der besonderen Dringlichkeit von Verwaltungsentscheidungen in Mangellagen (Respektierung zusätzlicher Beurteilungsspielräume). Vorab nur kurz zu der Frage: Wer ist denn eigentlich zur Veränderung aufgerufen? Die Antwort liegt nahe: -

In erster Linie der Bundesgesetzgeber, etwa durch Korrekturen in VwVfG und VwGO. Für breiter angelegte Schritte zu einer Deregulierung speziell mit Blick auf die neuen Bundesländer stünde immerhin die Form eines sogenannten Artikelgesetzes - ggf. mit zeitlichen Begrenzungen - zu Gebote. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist vor diesem Hintergrund möglicherweise das im letzten Jahr in Kraft getretene Gesetz zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Lande Berlin - in bestem Amtsdeutsch: Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz - vom 16. 12. 1991 (BGBL I S. 2174). Hierdurch und aufgrund weiterer spezieller Maßnahmegesetze könnten zeitintensive Planfeststellungsverfahren durch projektbezogene Normierungen ersetzt werden. Ob aber diese entsprechend motivierten normativen Ansätze in der bundesdeutschen Rechtsrealität wirklich überzeugende Erfolge zu erzielen vermögen, kann erst die Zukunft zeigen.

-

Innerhalb des bundesrechtlichen Rahmens verbleiben der Landesgesetzgebung eher bescheidene Aktionsmöglichkeiten, etwa im Rahmen der Ausführungsgesetzgebung zur VwGO (Stichwort: Erweiterung der Ausnahmen von der Notwendigkeit eines Vorverfahrens, noch über § 6 AG VwGO NW hinaus) oder der Kommunalgesetzgebung.

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Peter J. Tettinger Beträchtliches hängt aber auch von der verwaltungsgerichtlichen Judikatur ab, ob sie nämlich bereit ist, besonderen Mangellagen in den neuen Bundesländern bei der Bemessung von Kontrollumfang und -dichte Rechnung zu tragen. Gelegenheit zu entsprechenden Kurskorrekturen besteht freilich nur dann, wenn Verwaltungsbehörden in geeigneten Fällen Initiativkraft aufbringen und ungeachtet sich abzeichnender Rechtsstreitigkeiten unbeirrt entsprechende Gestaltungsspielräume für sich reklamieren.

Zu den Implikationen dieser Postulate für die Verwaltung seien immerhin stichwortartig noch einige Hinweise beigefügt. 1. Zur Forderung nach stärkerer materieller Gewichtung der Bedeutung von Privatinvestitionen Überdenkenswert scheint zunächst vor allem die Frage, ob die Bedeutung privater Investitionen für den angestrebten wirtschaftlichen Aufschwung nicht erheblich stärker als bisher gewichtet werden muß.43 Auch wenn die Lehrbuchweisheit von der "Offenheit der Wirtschaftsverfassung" im Ansatz durchaus Zustimmung verdient, so darf nicht übersehen werden, daß die Privatwirtschaft und nicht etwa die - gerade durch sozialistische Experimente in höchstem Maße diskreditierte - Staatswirtschaft in einer freiheitlichen Ordnung Garant für Wohlstand, Stabilität und Sicherung zukunftstauglicher Arbeitsplätze ist. Die nicht zu unterschätzende Bedeutung einer funktionsfähigen öffentlichen Verwaltung für den Wirtschafts sektor - aber nicht etwa als Wirtschaftssubjekt, sondern in Servicefunktion - hat das Bundesverfassungsgericht jüngst zu Recht pointiert hervorgehoben. In seiner die sogenannte Warteschleifen-Regelung betreffenden Entscheidung heißt es nämlich: ,,Nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik muß dort möglichst rasch eine modeme, effektive und nach rechts staatlichen Maßstäben arbeitende Verwaltung aufgebaut werden. Ohne sie kann weder eine leistungsfähige Infrastruktur entstehen noch die Wirtschaft gesunden. (... ) Die Haushaltslage ist angespannt. In den nächsten Jahren müssen erhebliche öffentliche Mittel für den Aufbau einer modemen Infrastruktur, für die Förderung der Wirtschaft und für soziale Maßnahmen in den neuen Bundesländern aufgebracht werden. Ohne Überforderung von Wirtschaft und Steuerzahlern können diese Aufgaben nur bei sparsamem Umgang mit den öffentlichen Mitteln bewältigt werden."44 Das Gericht hat damit nicht nur deutlich herausgestellt, daß der projektierte "Aufschwung Ost" ohne die Kraft der privaten Wirtschaft nicht zu erreichen ist, sondern, auch wenn es auf manchen befremdlich wirken mag, damit auch die vornehmlich dienende Funktion der öffentlichen Hand angesprochen. Die Ver43 Vgl. insoweit insbes. W . Möschel, JZ 1992,489 ff.; H. Hili, in: ders. (Hrsg.), Erfolg im Osten, 1992, S. 26. 44 BVerfGE 84, 133 (151 f.). - Siehe in diesem Kontext auch A. Leidinger beim 26. Cappenberger Gespräch, Eildienst LKT NW 8/91 , S. 145 ff. (146).

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waltung hat den Rahmen dafür zu schaffen, daß "die Wirtschaft gesundet", sie hat ihre Mittel "zur Förderung der Wirtschaft" sparsam einzusetzen. Deutlicher konnte wohl nicht fonnuliert werden. Staatliche Überbrückungsmaßnahmen sind sozialstaatliche Notwendigkeit, sie sind aber ebensowenig wie staatliche Beschäftigungsgesellschaften geeignet, den erforderlichen Strukturwandel oder einen auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen. Es besteht vielmehr die Gefahr, daß sie - langfristig gesehen - zu Fehlallokationen führen und der öffentlichen Hand wichtige Ressourcen entziehen, die an anderer Stelle dann fehlen. 45 Diese Thematik ließe sich mit Blick auf das Aktionsfeld der Treuhandanstalt noch trefflich vertiefen. In diesem Kontext ist darum auch vennehrt ein Augenmerk auf die Aufgabe der kommunalen Wirtschaftsförderung zu richten. Im Sinne eines Anreizes zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen vor Ort sowie zur langfristigen Einnahrnestabilisierung gehört dieser Bereich seit jeher zum Aufgabenfeld einer Kommune. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei wiederum betont, daß es hier nicht um eigene wirtschaftliche Betätigung, sondern gleichfalls nur um die Förderung der Privatwirtschaft im Wege der Gewerbe- und Industrieansiedlung sowie der Sicherung des Standortes vorhandener Betriebe geht. Das zur Verfügung stehende Instrumentarium der Verwaltung ist zwar begrenzt, aber in der gegebenen Lage wichtig. 46

2. Zur Vereinfachung der öffentlichen Planungsverjahren Bereits vor Unterzeichnung des Einigungvertrages war man sich darüber im klaren, daß das bundesdeutsche Planungsrecht in seiner Gesamtheit kaum geeignet wäre, die anstehenden Planungsverfahren in der gebotenen Kürze zu verwirklichen. 47 Hilfreich für die praktische Zusammenarbeit investitionswilliger Unternehmen mit öffentlichen Verwaltungen wären bereits kleine Schritte wie eine länderübergreifende Einigung auf gleichartige Antragsunterlagen. Insoweit würde schon eine Konkretisierung durch Verwaltungsvorschriften genügen, wie es namentlich im Bereich der Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG in NordVgl. dazu schon H . Hili, a. a. O. Zur kommunalen Wirtschaftsförderung, ihren Zielen, Instrumenten und rechtlichen Grenzen näher div. Beiträge in dem gleichnamigen, von D. Ehlers 1990 hrsg. Sammelband. 47 In den Erläuterungen zur Anlage I, Kap. XIV Abschnitt 11 Ziffer 1 hieß es denn auch bereits bezeichnenderweise: "Um den Besonderheiten ... [des Beitrittsgebietes] Rechnung zu tragen, soll in das BauGB ein neuer § 246 a eingefügt werden, in dem die Maßgaben zusammengefaßt sind, die anstelle oder ergänzend zu den Vorschriften des BauGB ... anzuwenden sind .... Auf Wunsch der DDR erklärten die Maßgaben solche Vorschriften der Baup1anungs- und Zulassungsverordnung der DDR vorübergehend für weiter anwendbar, die bauliche Investitionen planungsrechtlich erleichtern und eine geordnete städtebauliche Entwicklung sichern sollen." Vgl. Stern/ Schmidt-Bleibtreu, Einigungsvertrag und Wahlvertrag, 1990, S. 681. - Zur gegenwärtigen Lage in den neuen Bundesländern siehe etwa G. Schmidt-Eichstaedt, DVBl. 1992, 652 ff. 45

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rhein-Westfalen seit längerem praktiziert wird. 48 Ob freilich mit solchen punktuellen Ansätzen jedoch auch nur die allernotwendigsten Schritte getan sind, muß bezweifelt werden. Gefordert sind rigide Änderungen des Planungsrechts, welche die Verwaltungen in die Lage versetzen, raschere verfahrensdirigierende und abschließende Entscheidungen zu treffen. 49

3. Zur Beschleunigung behördlicher Verwaltungsverfahren Zum Stichwort "Wachstumsbremse Verwaltung"50 hat Hili mit gutem Grund die Frage aufgeworfen: "Muß eine effektive rechtsstaatliehe Verwaltung immer absolut handeln, hundertprozentig richtig, sorgfältig, unter umfassender Rücksichtnahme auf Ressourcen und Folgen, ergebnisverträglich und damit gerecht, oder soll sie vor allem schnell und ,unbürokratisch' handeln, damit Realität schaffen und weiteren Aufbau ermöglichen?"5! Maßstab des Verwaltungshandelns sollte zwar in der Tat Qualität, nicht aber Perfektion sein; erforderlich ist allein Anwendungsgeeignetheit. Als Ansatzpunkte in dieser Richtung seien nur punktuell herausgegriffen: Zusammenlegung einzelner Verfahrensschriue, die konsequente Nutzung von Vorbescheid und Teilgenehmigung als Institute gestufter Verwaltungsverfahren (vgl. nur §§ 8, 9 BlmSchG, §§ 7,7 a AtG), organisatorische Maßnahmen (Stichwort: Antragskonferenzen). Schließlich ist an die Vorteile der sog. "Konvoiplanung"52 und der "Bauartenzulassung" zu erinnern. Erheblichen Zeitgewinn verspricht etwa eine generelle Bauartenzulassung für einzelne Bauelemente nach Maßgabe gesetzlicher Ermächtigungen wie § 33 BImSchG, § 19 WHG sowie §§ 19 ff. StVZO (allgemeine Typengenehmigung). 53

48 Verwaltungsvorschriften des Landes NW zum Genehmigungsverfahren nach dem BlmSchG vom 21. 11. 1975 (MBI. S. 2216), zuletzt geändert durch Erlaß vom 4. 1. 1990 (MBI. S. 227). 49 Vgl. zum abfallrechtlichen Planfeststellungsverfahren bereits P. J. Tettinger, in: Berg- und Energierecht vor den Fragen der Gegenwart, Festschrift für F. Fabricius, 1989, S. 313 f.; ausführlich hierzu A. Kleinschnittger, Die abfallrechtliche PIanfeststellung. Möglichkeiten der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung insbesondere durch Verfahrensstufung, 1992. 50 Vgl. H . Hili, a. a. 0 ., S. 25 unter Bezugnahme auf Wirtschafts woche, Nr. 24 vom 7.6. 1991, Titelblatt. 5! A. a. 0., S. 33. 52 Vgl. Umweltbundesamt (Hrsg.), Forschungvorhaben zur Verbesserung von Zulassungsverfahren für Abfallentsorgungsanlagen, 2. Zwischenbericht (unveröffentlicht), Februar 1990, S. 33. 53 Umweltbundesamt (Hrsg.), ebd., S. 32; weiterführend A. Kleinschnittger, a. a. 0. , S.261.

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4. Zur verstärkten Nutzung privater Sachkompetenz a) Sofern namentlich auf kommunaler Ebene für konkrete Sachstandsermittlungen, fachliche Beurteilungen oder die rasche Umsetzung getroffener Entscheidungen hinreichende Sachkompetenz innerhalb der öffentlichen Verwaltung fehlt und nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beschaffen wäre, erscheint es im Einklang mit entsprechenden betriebswirtschaftlichen Einsichten angezeigt, sich der Hilfe verfügbarer Privatunternehmen zu bedienen, sofern diese über entsprechendes know-how verfügen und ihre Seriosität nachgewiesen haben. b) Vielfach wird es sich auf Feldern wie der Energieversorgung, der Entsorgung, Fachplanungen unterschiedlicher Art, der Umweltverwaltung, aber auch des Sozialwesens (Krankenhäuser u. ä.) anbieten, von den verfassungsrechtlich zulässigen und gesetzlich den Kommunen auch in den neuen Bundesländern ausdrücklich gestatteten Möglichkeiten der Kooperation auf vertraglicher Basis oder der Gründung gemeinsamer Gesellschaften als Wirtschaftsunternehmen Gebrauch zu machen. Namentlich der Entsorgungssektor mit Blick auf Abfall und Abwasser dürfte insoweit besonders im Blickfeld stehen. 54 c) Wie der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium in seinem Gutachten "Gesamtwirtschaftliche Orientierung bei drohender finanzieller Überforderung"55 jüngst monierte, werde bislang noch viel zu wenig die Möglichkeit genutzt, Kosten und damit Belastungen durch Privatisierung zu verringern. Bei genauem Zusehen zeige es sich, daß Kommunen in erster Linie deshalb an ihren Betrieben festhielten, weil von politischer Seite hierauf gedrängt werde und darüber hinaus mit der Besetzung von Führungspositionen in solchen Betrieben verdiente Kommunalpolitiker "belohnt" werden könnten. Eine Privatisierung öffentlicher Unternehmen entlaste die öffentlichen Haushalte aber gerade dann, wenn die Unternehmen defizitär seien. Private Unternehmen könnten die sich bietenden Chancen der Verlustreduktion besser nutzen als öffentliche Unternehmen, in denen der starke Einfluß der Politik den notwendigen Maßnahmen eines effizienten Managements wie Personalabbau, Verbesserung der Leistung und straffere betriebswirtschaftliche Organisation im Wege stünden. Gerade in den neuen Bundesländern biete eine weitgehende Privatisierung öffentlicher Unternehmen die große Chance, beim Ausbau der Infrastruktur schneller voranzukommen und dabei größere Effizienz zu erzielen, da zugunsten privater Betreiber ein weiterer Zugang zum Kapitalmarkt, das bessere Management und die effizientere Organisation spräche. Erlöse aus der Privatisierung stellten zugleich eine Entlastung bei der Kreditaufnahme dar. 54 Vgl. etwa den Bericht über die Tagung des Landkreistages NW zum Thema "Organisationsformen in der öffentlichen Abfallwirtschaft" in Eildienst LKT NW 1992,253 ff.; dezidiert F. Schach, Privatisierung der Abfallentsorgung, 1992. 55 Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), BMWi-Schriftenreihe Nr.78, 1992, S. 48 ff.

Peter J. Tettinger

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Ohne zu solch pauschalen Thesen hier nun Stellung beziehen zu wollen, sei zumindest angemerkt, daß die kommunalen Gebietskörperschaften in den neuen Bundesländern jedenfalls gut beraten sind, wenn sie entsprechende Berechnungen anstellen und ihre einschlägigen Entscheidungen statt an Prestigedenken oder Verbandsinteressen in erster Linie an ökonomischen Kriterien vor Ort ausrichten. 56 5. Zur gerichtlichen Kontrolldichte bei Verwaltungsentscheidungen in Mangellagen

Auch ohne daß die Schwierigkeiten einer grundsätzlichen dogmatischen Abschichtung der Ermessensausübung von der Anwendung wertungsorientierter unbestimmter Rechtsbegriffe 57 hier angesprochen werden müßten, lassen sich zumindest zwei zentrale Postulate formulieren, welche auf die Sicherung der Kreativität und Elastizität der Verwaltung in spezifischen Mangellagen abzielen. a) Im Bereich der Ermessensverwaltung bietet die besondere Lage nach dem Beitritt mannigfache Ansätze zur Abstützung auf spezifische Sacherfordernisse mit der Konsequenz der Verneinung eines Ermessensfehlers. b) Legt man die an der verwaltungs gerichtlichen Rechtsprechung orientierte Typologie zugrunde 58 und bezieht auch die kürzlich vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts publizierten Fehlinterpretationen der jüngsten Judikatur dieses Gerichts hoffentlich abblockenden Überlegungen zur verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte mit ein, 59 so bieten die spezifischen Aspekte einer Mangellage zusätzliche Ansatzpunkte zur Rechtfertigung einer verwaltungsgerichtlichen Kontrollreduktion 6O im Wege der Respektierung eines Beurteilungsspielraums der Verwaltung bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe namentlich des Umwelt- und Wirtschaftsverwaltungsrechts, aber auch des Bau- und Fachplanungsrechts. Zumindest aber den dort zur Verwendung gekommenen Rechtsbegriffen vielfach inhärente Faktoren verwaltungspolitischer Art 61 sollte vermehrt Beachtung geschenkt werden.

56

1ff.

Siehe mit Blick auf die örtliche Energieversorgung P. J. Tettinger, NWVBL 1989,

57 Vgl. aus jüngster Zeit namentlich H. J. Papier u. H. Sendler, in: Festschrift für Ule, 1987, S. 235 ff. u. 337 ff.; E. Franßen und H. H. Rupp, in: Festschrift für Zeidler, 1987, S. 429 ff. u. 455 ff.; ehr. Starck, in: Festschrift für Sendler, 1991, S. 167 ff. Siehe auch P. J. Tettinger, Rechtsanwendung und gerichtliche Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1980; ders., DVBl. 1982,421 ff. 58 Im Überblick siehe etwa H. Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 1992, § 7

Rdnm. 35 ff. m. w. N. 59 R. Herzog, NJW 1992,2601 ff. 60 61

In dieser Richtung wohl auch H. Hili, a. a. 0., S. 37.

Vgl. dazu etwaE. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, a. a. 0., Art. 19 IV Rdnr. 202.

Rechtliche Grundlagen einer "Verwaltung des Mangels"

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V. Ausblick Wenn in der Verwaltungslehre die "Entscheidungsfreudigkeit" als besondere Tugend hervorgehoben wird,62 so geschieht dies mit gutem Grund. In extremen Umbruchsituationen, wie sie hier mit dem Stichwort "Mangellage" noch sehr zurückhaltend umschrieben wurden, ist diese Bereitschaft ganz besonders gefragt. Gesetzgeber und Rechtsprechung sind dann aufgerufen, alle verfügbaren Möglichkeiten zu nutzen, entsprechende Verwaltungsanstrengungen nicht abzublokken, sondern - soweit dies der Verfassungsrahmen erlaubt - zu respektieren. Der Aufruf von Hans Peters, das Verwaltungsrecht müsse "mitten in die heutige Zeit" hineingestellt werden,63 ist aktueller denn je, die Bereitschaft, ihm zu folgen, freilich leider verschwindend gering.

62 Siehe etwa G. Püttner, Verwaltungslehre, 2. Auf!. 1989, S. 330 f. 63 Lehrbuch der Verwaltung, 1949, Vorwort.

Diskussion zu den Referaten von Klaus König und Peter J. Tettinger Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Ulrich Wiek

Pitschas leitete in die Diskussion ein mit dem Hinweis auf die in den Referaten von König und Tettinger vorgestellten zentralen Begriffe der Transformation einerseits und der "public private partnership" andererseits. Auf die Thesen von Tettinger eingehend, gab Stadtrat Dr. Peter von Feldmann, Potsdam, zu bedenken, daß die Bedeutung des Rechtsstaates allgemein und die Rolle der Verwaltung in der Situation des Mangels in den neuen Bundesländern nicht unterschätzt und nicht einer übermäßigen Privatisierung öffentlicher Aufgaben preisgegeben werden sollte. Am Beispiel des Holländischen Viertels in Potsdam stellte er die Notwendigkeit dar, durch raumplanerisches Handeln der Verwaltung einen drohenden Wildwuchs privater Initiativen zu verhindern.

König stimmte hier grundsätzlich zu, wies allerdings darauf hin, daß der Rechtsstaat eine ganz besondere historische Ausprägung sei. Beispielhaft führte er die rechtsstaatliche Fixierung auf den individuellen Rechtsschutz an, dessen Realisierung in der Rechtsprechung oftmals zu einer bestimmten Art von Güterabwägung zwischen öffentlichem Wohl und individuellem Rechtsschutz zwänge. In einer Anmerkung zu von Feldmann legte Prof. Dr. Wolfgang Bernet, JenaLobeda, dar, daß in der DDR-Gesellschaft weniger ein subjektives Versagen im Nichterkennen der Funktionen des Rechts vorliege, sondern eine generelle Reduktion solcher staatlicher Lebensfunktionen, wie sie nun einmal im Westen ausgeprägt seien. Der Verwaltungsakt sei in der offiziellen Sprache der DDR als "Leitungsakt" bezeichnet worden; Verwaltung durfte es nicht geben. Es galt demgemäß, so Bernet, das Recht als Leitungsinstrument einzusetzen. An Tettinger gerichtet stellte Bernet die Frage, ob es nicht auch durch die Überbetonung des Rechts zu einem Spannungsverhältnis zwischen Verwaltung und Rechtsprechung gekommen sei. Bestehe nicht die Gefahr, daß der "Richterstaat" durch fehlende parlamentarische Eingriffe und Vorgaben noch stärker als bisher ausgeprägt würde? Die Forderung Tettingers, mehr privates Know How einzusetzen, bezeichnete Rainer Neumer, Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt, zwar als grundsätzlich unterstützenswert, äußerte aber Zweifel, ob die ostdeutschen Kom5 Speyer 110

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Diskussion

munen hierbei nicht zu sehr überfordert und z. T. nicht auch überfahren würden. Insbesondere in der Zusammenarbeit mit privaten Beratungsunternehmen seien viele kleine Gemeinden zu unerfahren. Hier hätte viel Geld eingespart werden können, wenn frühzeitig der Kontakt zu den jeweiligen Aufsichtsbehörden gesucht und deren Erfahrung genutzt worden wäre. Eine Reduktion des Verwaltungsrechts zum Zwecke der Investitionserleichterung solle man eher vorsichtig beurteilen. Die Fülle an Eingaben und Petitionen der Bürger zeige, daß die neu gemachte Erfahrung eines effektiven Rechtsschutzes für viele eine große Bedeutung besäße, deren positiver Wert nicht unterschätzt werden dürfe.

Tettinger stellte in seiner Antwort auf von Feldmann klar, daß es nicht darum ginge, von rechtlichen Vorgaben leichtfertig abzuweichen; gefordert sei vielmehr ein mutiges Ausnutzen vorhandener Gestaltungsspielräume. Es solle über die "Wohlstandsauswüchse" westdeutschen Verwaltungsrechts nachgedacht werden. Zur planenden Rolle der Verwaltung müsse sehr differenziert Stellung genommen werden. Im Bereich der Bauleitplanung seien die Verwaltungen sicherlich in starkem Maße planerisch und auch regulierend gefordert. Skepsis sei aber insbesondere dann angebracht, wenn von Wirtschaftsplanung durch öffentliche Verwaltungen gesprochen würde. Er sei ganz dezidiert gegen eine solche Wirtschaftsplanung. Das von Bernet angesprochene Spannungsverhältnis zwischen Verwaltung und Rechtsprechung sei, so Tettinger, ohne Zweifel vorhanden. Es läge aber durchaus die Vermutung nahe, daß viele Verwaltungsbeamte die verwaltungsgerichtliche Kontrolle bereits antizipierten, also Entscheidungen aus Angst vor der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung nicht in der sachlich gebotenen Art und Weise treffen würden. Es existiere hier die Notwendigkeit, bestehende Handlungsspielräume auch in Anspruch zu nehmen. Bei entsprechendem Selbstvertrauen könnten nicht zuletzt auch in den Kommunen der neuen Bundesländer durchaus konzeptionelle Überlegungen angestellt werden. Amtsleiterin Felicitas Degenhardt, Landkreis Stralsund, unternahm den Versuch, die Ausführungen für den Bereich der kommunalen Verwaltung zu konkretisieren. Sie wies darauf hin, daß z. Zt. die kommunalen Verwaltungen die Rechtsprechung einer Justiz einbeziehen müßten, die sich selbst noch recht eigentlich im Aufbau befinde. Für die Nutzung privater Sachkompetenz durch die kommunalen Verwaltungen sah sie durchaus sinnvolle Einsatzbereiche, insbesondere bei kommunalen Eigenbetrieben. Am Beispiel des Landkreises Stralsund zeigte sie auf, daß die Einschaltung von Unternehmensberatern vor allem in den Bereichen Buchführung, Steuerrecht und Vertrags wesen zu einer wirksamen Entlastung der Verwaltungen geführt habe. Mangelnde Seriosität einiger Anbieter stelle aber durchaus ein Problem für die öffentlichen Aufgabenträger dar. Hier seien die Industrie- und Handelskammern zunehmend gefordert.

Diskussion

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Pitschas stellte in diesem Zusammenhang die Frage nach der empirischen Absicherung einer Beurteilung der verschiedenen Vorschläge, bestimmte Bereiche zu privatisieren oder nicht zu privatisieren. Hier ergäbe sich nicht zuletzt für die Wissenschaft der dringende Bedarf, den Neuzuschnitt des öffentlichen Sektors durch empirische Forschung zu untermauern. König wies darauf hin, daß eine Privatisierung öffentlicher Aufgaben das Vorhandensein kompetenter Partner voraussetze. Hier seien in der momentanen Situation in den neuen Bundesländern sicherlich Probleme vorhanden. Es sei in solchen historischen Sitationen aber eher normal, daß der Staat wieder erstarke. Dies würde sich sicherlich auch in naher Zukunft in einem vorhersehbaren Anstieg der Staatsquote auf über 50 % zeigen. Dennoch müsse im Einzelfall geprüft werden, ob nicht einzelne Bereiche abgegeben werden können.

Bei der Transformation der Verwaltung gehe es nicht um ein "Modell Westdeutschland". Zu erwarten sei vielmehr Vielfalt, hingegen keine Spaltung, kein Dualismus. Die Rückkopplung derjenigen westdeutschen Beamten, die aus dem Osten wieder zurückkämen, sei wichtig und stelle eine Chance dar. Der Personal(rück)transfer habe den großen Vorteil, daß bestimmte Lebenserfahrungen, die verschiedenen Generationen unserer Gesellschaft verloren gegangen seien, wieder zurückgebracht werden könnten. Dieser Prozeß könne sich durchaus positiv auf die westlichen Verwaltungen auswirken.

S*

Rechts- und Verwaltungshilfe in den neuen Bundesländern am Beispiel der Kommunalverwaltung Von Oliver Scheytt*

A. Einleitung "Durch den Beitritt der alten DDR zur Bundesrepublik haben 16 Millionen Menschen - gewissermaßen kollektiv - ihre Identität verloren. Das ist nichts, was zu bedauern wäre. Bei der großen Mehrheit der westdeutschen Bürger, bei Otto Normalverbraucher ebenso wie bei Politikern, Ministerialen und Journalisten aller Farben ist noch gar nicht begriffen, was dieser Identitätsverlust bei 16 Millionen Ostdeutschen ... bedeutet. Orientierungslosigkeit, Unzufriedenheit, scheinbare Undankbarkeit, Neigungen zum politischen Extremismus von rechts und links - sie haben hier ihre Ursachen - , viel mehr als bei Arbeitslosigkeit oder materiellen Mängeln." 1 Ich habe dieses Zitat deshalb an den Anfang gestellt, weil es mir bei meinen Ausführungen darum geht, Verwaltungshilfe für die Städte, Kreise und Gemeinden in den neuen Bundesländern nicht nur rechtlich und administrativ zu beleuchten, sondern auch im Hinblick auf die Befindlichkeit der Verwaltungen und deren Bediensteten. Sonst würden wir wichtige Faktoren übersehen, die für das Verständnis und das Verstehen hier in diesem Tagungsraum, aber auch im gesamten Prozeß, der die deutsche Einheit zum Ziel hat,2 von grundlegender Bedeutung sind: die erheblichen Divergenzen in Identität, Mentalität und Realität dies- und jenseits der früheren innerdeutschen Grenze. Wer die Gräben, die bestehen, übersieht, wird hineinfallen, statt Brücken zu planen und zu bauen. Ich möchte Sie gleich zu Beginn um Verständnis dafür bitten, daß ich mich der einen oder anderen politischen Aussage nicht enthalte. Dies ergibt sich nicht nur aus meiner Funktion, sondern auch aus meinem Engagement für die Sache. Seit Beginn des Jahres 1990 bin ich in meiner täglichen Arbeit mit sämtlichen

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Herm stud. rer. pol. Georg Spinner habe ich für vielfaltige Unterstützung zu danken. So Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube in einem Vortrag anläßlich der Eröffnung der Messe Urbania am 3. September 1992 in Leipzig. 2 Die Literatur zum Einigungsprozeß ist mittlerweile fast nicht mehr zu übersehen; instruktiv insoweit Eckhard Jesse, Der Umbruch in der DDR und die deutsche Vereinigung im Spiegel der Literatur, in: Eckhard Jesse / Arrnin Müller (Hrsg.), Die Gestaltung der Deutschen Einheit: Geschichte - Politik - Gesellschaft, Bonn 1992, S. 399 ff. 1

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Oliver Scheytt

Problemen beim Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung in den neuen Bundesländern konfrontiert, zunächst als Persönlicher Referent des Hauptgeschäftsführers, dann ab Mai 1990 als Beauftragter des Deutschen Städtetages für die Städte in den neuen Bundesländern und seit dem letzten Jahr zusätzlich auch als Leiter unserer Berlin-Vertretung. Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt auf dem Gebiet der Verwaltungshilfe. Der Begriff "Verwaltungshilfe" ist in der Rechtssprache relativ neu. Nach meinem bisherigen Kenntnisstand ist er entsprechenden Aktivitäten im Rahmen der "Entwicklungshilfe" entlehnt. 3 Ich verstehe im folgenden unter "Verwaltungshilfe" sämtliche Maßnahmen einer Verwaltung, die der Unterstützung einer anderen Verwaltung bei deren Aufbau und Aufgabenerfüllung dienen, insbesondere durch materielle Hilfeleistungen, Entsendung von Personal sowie Aus- und Fortbildungsangebote. 4 Verwaltungshilfe erstreckt sich grundsätzlich auf die gesamte inhaltliche Palette der Verwaltung. Ein Schwerpunkt liegt allerdings im Bereich Organisation und Personal. Meines Erachtens lassen sich fünf Formen oder auch "Idealtypen der Verwaltungshilfe " charakterisieren: Der erste Idealtyp ist die Verwaltungshilfe von der Hand in den Mund: Bei dieser Verwaltungshilfe regiert das Prinzip ,,zufall". Sie war insbesondere zu Beginn der Entwicklung anzutreffen, als die Verwaltungshilfe noch den Charakter der Nothilfe hatte. Ein weiterer Idealtyp ist die Verwaltungshilfe durch einzelne Fachleute, die mehr oder weniger auf eigene Faust, mehr oder weniger reflektiert und rückgekoppelt Hilfe leisten. Dieser Idealtyp läßt sich durch das Prinzip "qualifizierte Einzelinitiative" kennzeichnen. Eine dritte typische Erscheinung ist der Besserwessi, der eigentlich Schlechterwessi genannt werden müßte. Ihn zeichnet das Prinzip des Abenteurers und Aufschneiders, das einseitige Geltungsstreben aus. Als vierte Erscheinungsform sind die verschiedenen Verwaltungshilfe-Institutionen sowie deren Mit- und Gegeneinander zu nennen, angefangen von den Partnerschaften zwischen den Kommunen und Ländern über die verschiedensten Programme von Bund und Bundesländern, bis hin zu den Einrichtungen der Ausund Fortbildung. Diese vierte Stufe ist durch die Prinzipien des institutionellen und politischen Machtkampfes mit dem Ziel der "Markterschließung" und "Marktsicherung" geprägt. Die fünfte Stufe der Verwaltungshilfe ist der "wahre Idealtyp", die ideale Verwaltungshilfe, um die eigentlich alle bemüht sein sollten. Die ideale Verwal3 Vgl. Jürgen H. Wolf!, Die Konzeption der deutschen Verwaltungshilfe, Die Verwaltung 1976, S. 339 ff. 4 Siehe Oliver Scheytt, Verwaltungshilfe für die Kommunen in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, AfK 1991, S. 7.

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tungshilfe wird im Prinzip eine Wunschvorstellung bleiben. Aber da auch ich eine Institution vertrete, die im Institutionenkampf eine Rolle spielt, bin ich natürlich davon überzeugt, daß wir mit unseren Angeboten bereits hier und da den "wahren Idealtyp" verkörpern.

B. Ausgangssituation I. Komplexität der Aufgabe Keine westdeutsche Stadt hat gleichzeitig eine solche Fülle von komplexen Problemen zu bewältigen wie derzeit die ostdeutschen Kommunen: Ein - immer noch - in vollständiger Umwälzung begriffener Verwaltungsapparat muß eine Vielzahl neuer Aufgaben erfüllen - auf der Basis teilweise völlig neuen Rechts mit dafür nicht ausgebildeten Verwaltungskräften. Gleichzeitig besteht ein hoher Erwartungsdruck der Bürgerschaft. 5 Die wahren Dimensionen der Probleme beim Umbau eines auf den "demokratischen Zentralismus" eingeschworenen administrativen Apparates zu einer kommunalen Selbstverwaltung in einem föderal organisierten demokratischen Rechtsstaat sind vielen Verantwortlichen erst in der letzten Zeit wirklich bewußt geworden. Wer jedoch die Berichte aus der kommunalen Partnerschaftsarbeit schon von Anfang des Jahres 1990 aufmerksam liest, erkennt, daß zwar anfangs die relativ problemlose "materielle Unterstützung" der ostdeutschen Stadtverwaltungen mit Büromaterialien und -einrichtungen, Kopiergeräten, Gesetzestexten, Formularen usw. im Mittelpunkt gestanden hat. Diese Phase war jedoch zum Zeitpunkt des Beitritts der DDR am 3. Oktober 1990 vor fast genau zwei Jahren längst schon überwunden. Schon damals wußten die entsandten Berater und Verwaltungshelfer davon zu berichten, daß die wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre darin bestehen würden, die Organisation um- und aufzubauen, Personal umzuschichten und zu entlassen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schulen, Investitionshemmnisse beiseite zu räumen, vor allem durch planungsrechtliche und vermögensrechtliche Entscheidungen. 6 All diese Aufgaben lassen sich aber nicht in einem oder zwei Jahren lösen, wie dies immer wieder und leider immer noch in Verlautbarungen von höherer Stelle anklingt. 5 Oliver Scheytt, Reorganisation der kommunalen Selbstverwaltung, in: Christof Rühl (Hrsg.), Institutionelle Reorganisation in den neuen Ländern - Selbstverwaltung zwischen Markt und Sozialstaat, Marburg 1992, S. 34 ff. 6 Vgl. etwa Rainer Frank, Innovation in Politik und Verwaltung, Demokratische Gemeinde 12/1990, S. 71 ff.; 1/1991, S. 49 ff.; Scheytt, AfK 1991, S. 4 f.; Schrader / Kuske / Kallus, Erfahrungen beim Aufbau und der Arbeit eines Rechtsamtes, LKV 1991, S. 262 ff.; Wolfgang Schräder, Hilfe zum Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung, in: Die Kommunalverwaltung 1991, S. 293 ff.; Schubel / Schwanengel, Funktionelle Probleme beim Aufbau von Landkreisverwaltungen in Thüringen, LKV 1991, S. 249 ff.

Oliver Scheytt

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Bundeskanzler Kohl hat in den letzten Wochen häufiger von "Fehleinschätzungen" gesprochen. Die zehn wichtigsten Fehleinschätzungen werden im folgenden im jeweiligen Zusammenhang benannt. Die erste, wahrscheinlich sogar gravierendste Fehleinschätzung lautet: "Der Einigungsprozeß geht schnell." Ich habe den Eindruck, daß die Hektik, der Zeitdruck und die heraneilenden Wahltermine bei den Akteuren in Bonn und den Landeshauptstädten die Erinnerung an eine wichtige Tugend verdrängt haben: Die Geduld. Leider überträgt sich das auch auf die Lage in den Kommunen.

11. Neubau der Kommunalverwaltungen Allerorten wurde auf kommunaler Ebene bereits im Jahr 1990 klar, daß die herkömmliche zentralistische und durch Aufgabenwahrnehmung in volkseigenen Betrieben geprägte Struktur einen fast vollständigen Umbau, ja Neubau der Kommunalverwaltung erforderlich macht, eine Verwaltungs- und Organisationsreform im weitesten Sinne. Dies hat nicht selten eine Art "Beraterschock" zur Folge gehabt, und zwar auf beiden Seiten: Der im Rahmen der Verwaltungshilfe entsandte westdeutsche Experte sah sich plötzlich einem in dieser Dimension nicht erwarteten Problemberg gegenüber, dessen Aufarbeitung ("wir müssen bei Null beginnen") viel mehr Zeit und Einsatz forderte als zunächst kalkuliert. Und die Ansprechpartner in der ostdeutschen Kommune sahen sich angesichts der Umwälzungen und Neuerungen kaum mehr in der Lage, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen. 7 Hier kam die zweite Fehleinschätzung zum Tragen: "Die Berater werden es schon richten. "

111. Verbesserung der Verwaltungshilfe Aufgrund der Erkenntnis, daß Verwaltungshilfe eine langfristige Aufgabe ist, die nicht" nebenbei" zu erledigen ist, haben sich die um eine qualifizierte Verwaltungshilfe bemühten Akteure dafür eingesetzt, "Verwaltungshilfe von der Hand in den Mund" zu eliminieren, die "qualifizierte Einzelinitiative" zu kanalisieren und das Syndrom "Besserwessi" zu bekämpfen. Die Überlegungen orientierten sich im wesentlichen an folgenden Zielen: 1. Anzustreben ist eine flächendeckende Verwaltungshilfe in Ergänzung bestehender kommunaler Partnerschaften, wie im Verhältnis NRW / Brandenburg weitgehend verwirklicht. 8 7

Scheytt, AfK 1991, S. 5.

Dazu Innenminister des Landes NRW, Partnerschaft vor Ort - Zusammenarbeit von Kommunen aus Nordhrein-Westfalen und Brandenburg, Düsseldorf / Potsdam 1991, sowie Scheytt, Errichtung von Beratungsstellen in Brandenburg und Mecklenburg, Eildienst Städtetag NW 1991, S. 595. 8

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2. Es muß darum gehen, Kontinuität in die Verwaltungshilfe zu bringen, beispielsweise durch längerfristige Partnerschaften und Kooperationen.

3. Ostdeutsche und westdeutsche Verwaltungserfahrungen sind in der täglichen Praxis zu kombinieren. Dieses Ziel kann sowohl durch den Einsatz" westdeutscher Berater" (kurzfristigere Aufenthalte, möglicherweise in regelmäßigen Abständen) als auch durch den Einsatz westdeutscher "Entscheider" (längerfristige Aufenthalte) verfolgt werden. 4. Die erforderliche Flexibilität soll durch die Kombination von Generalisten oder Koordinatoren ("Dolmetscher") einerseits und Spezialisten für die Fachaufgaben der Kommunen andererseits ermöglicht werden. Auch dabei spidt die Einsatzdauer der westdeutschen Fachkräfte eine wesentliche Rolle; die Regelungen der Länder zur Bezuschussung der Entsendung sehen allerdings für Kommunalberater i. d. R. eine Mindestaufenthaltsdauer von mehreren Wochen vor. 5. Erforderlich ist es schließlich, Institutionen und Instanzen, Programme und Projekte zur Organisation und Steuerung der Verwaltungshilfe zu schaffen. Die Landesprogramme sind jedoch sehr unterschiedlich ausgestaltet. 9

c. Rahmenbedingungen, Recht

und Organisation der Verwaltungshilfe I. Allgemeine organisatorische und rechtliche Rahmenbedingungen Selten zuvor hat es in der deutschen Geschichte eine derart komplexe Überlagerung mehrerer Transformations- und Reformprozesse gesellschaftlicher, politischer, rechtlicher und administrativer Art gegeben. Dies führt zu einer tiefen Verunsicherung, zumal sich ständig Veränderungen ergeben. 10 Die allgemeinen Rahmenbedingungen der Verwaltungshilfe sind vor allem durch folgende Unsicherheitsfaktoren geprägt: 11 Zu starker Verunsicherung der Kommunen trägt die mangelnde Finanzausstattung bei. Hierin spiegelt sich die dritte Fehleinschätzung wider: "Der Prozeß der Wiedervereinigung ist ohne Steuererhöhungen zu bewältigen. " Hinsichtlich der strukturellen Rahmenbedingungen sind vor allem zwei Unsicherheitsfaktoren zu berücksichtigen. 12 Zum einen müssen die Kommunen in 9 Siehe Scheytt, AfK 1991, S. 10 ff., sowie die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage "Verwaltungsaufbau in den neuen Bundesländern" v. 10.7. 1991, BTDrs. 12/916, S. 11 ff. 10 Siehe dazu Klaus König, Transformation der realsozialistischen Verwaltung und entwicklungspolitische Zusammenarbeit, Verwaltungsrundschau 1992, S. 228 ff. tl Siehe dazu auch Edzard Schmidt-Jortzig, Die Bedingungen der kommunalen Selbstverwaltung im Ostteil des vereinigten Deutschlands, LKV 1992, S. 65 ff.

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hunderttausenden von Anträgen ihre Ansprüche nach dem Kommunalvermögensgesetz auf die Vermögenswerte geltend machen, die ihnen zustehen. Zum anderen schüren die bevorstehenden Gebietsreformen die Unsicherheit, da noch nicht klar ist, wie zukünftig die Gebietsstrukturen aussehen, welche Einrichtungen bestehen bleiben, zusammengelegt oder aufgelöst werden. "Während die Verwaltungstransformation noch nicht abgeschlossen ist, muß schon eine Verwaltungsreform in Angriff genommen werden". 13 Hinzu kommt der Unsicherheitsfaktor Personal. Erhebliche personalwirtschaftliche Probleme entstehen einerseits durch einen Personalüberhang in einigen Bereichen, während andererseits wichtige Ämter unterbesetzt sind 14. Darüber hinaus führt die Zusammenarbeit der neuen Kräfte und der Mitarbeiter, die durch die Verwaltungskultur der DDR geprägt sind, zu Spannungen: Einer reibungslosen Zusammenarbeit steht oft die (noch) unbewältigte Vergangenheit entgegen. Auch die kurze Wahlzeit der Führungskräfte in den Kommunalverwaltungen trägt nicht gerade zu einer Stabilisierung der Personalsituation bei 15. Dieses Spannungs verhältnis ergibt sich insbesondere aus dem "Paradigmenwechsel", dem die kommunalen Politiker und Verwaltungsbediensteten nach dem Systemwechsel unterworfen sind. Dieser läßt sich mit folgenden Stichworten kennzeichnen: 16 -

Neubestimmung der vertikalen Machtverhältnisse im politisch-administrativen System;

-

Neubestimmung der horizontalen Machtverhältnisse insbesondere in den Beziehungen zwischen Gemeindevertretung und Kommunalverwaltung (neue Rolle der "örtlichen Volksvertretungen" bzw. Gemeindevertretungen); Neubestimmung des Verhältnisses von Kommune und Wirtschaft (statt zentralistischer Kommandowirtschaft geht es nunmehr darum, Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Betätigung zu schaffen und zu sichern);

-

Erlernen und Anwendung komplexer rechtlicher Regelungen auf der Grundlage eines neuen Rechtsstaats-Verständnisses;

12 Vgl. fan Hoesch, Probleme des Verwaltungsaufbaus in den neuen Ländern, DtZ 1992, S. 141. 13 Klaus König, Transformation der realsozialistischen Verwaltung und entwicklungspolitische Zusammenarbeit, Verwaltungsrundschau 1992, S. 230. 14 Siehe dazu Löhr I Scheytt u. a., Personalwirtschaft der Städte in den neuen Ländern (DST-Beiträge zur Kommunalpolitik Reihe A, Heft 19), Köln 1992. 15 Dazu und zu weiteren Problemen des öffentlichen Dienstrechts in den neuen Ländern Ulrich Karpen I Volker Maaß, Der schwierige Weg zur Einheit - Die Umsetzung der beamtenrechtlichen Regelungen des Einigungsvertrages in der Praxis, NVwZ 1992, S. 942 ff. 16 Siehe Helmut Wollmann, Kommunalpolitik und -verwaltung in Ostdeutschland: Institutionen und Handlungsmuster im "Paradigmatischen Umbruch". Eine empirische Skizze, in: Bernhard Blanke (Hrsg.), Lokale Politik im internationalen Vergleich, PVSSonderheft, Opladen 1992.

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Erlernen und Einübung verwaltungsprofessioneller Verfahren und Routinen, die im Verwaltungs alltag der DDR keineswegs üblich und eingespielt waren (Aktenführung, Registratur u. a.).

Besonders problematisch ist die Rechtsnormenflut durch den Einigungsvertrag und die Landesgesetzgebung. Mit der Rechtsnormsetzung nach dem Motto "Wie im Westen, so auf Erden" erlag man der vierten Fehleinschätzung: "Die Überleitung bundesdeutschen Rechts löst die Probleme." Ob neue Gesetze allein auf die durch Kaderverwaltung geprägte Bürokratie Eindruck machen können, zumal wenn ihre Texte kaum bekannt und inhaltlich nur in Kurzschulung vermittelt, aber nicht erarbeitet und verstanden worden sind, steht zu bezweifeln. 17 Beispiele hierfür sind Vollzugs- und Anwendungsdefizite etwa hinsichtlich der Kommunalverfassung und im Vermögensrecht. Hierin spiegelt sich die Differenz zwischen normativer Rechtsgeltung und faktischer Geltung wider. Die Erfahrungen mit dem alltäglichen Regelungsfanatismus der Bundesrepublik gehören aus Sicht vieler ostdeutscher Bürger zu den wichtigsten Ursachen für ihre Enttäuschung und ihren Pessimismus. I8 Gesetze werden vielfach als Relikte des gerade überwundenen Obrigkeitsstaaates aufgefaßt. Diese Einstellung führt gerade auch bei den ehrenamtlichen Kommunalpolitikern zu Friktionen. Damit ist die fünfte Fehleinschätzung: "Nur die SED und die DDR sind an allem schuld" widerlegt.

Rechtsanwendung setzt Verständnis der Rechtsnorm voraus. Dieses wird durch die Einführung neuer Rechtsinstrumente und -begriffe zur rechtlichen Bewältigung der Vereinigung zusätzlich erschwert, wie insbesondere das Beispiel des Vermögensrechts verdeutlicht: Dasselbe Regelungsziel "Vorrang der Investition vor Rückgabe" ist durch die zweimaligen Novellen des Vermögensrechts innerhalb von nicht einmal zwei Jahren durch drei sich ablösende, z. T. durch Übergangsvorschriften sich überlagernde Rechtsinstrumente verfolgt worden. Hier zeigt sich die sechste Fehleinschätzung: "Vermögensfragen lassen sich durch Prinzipien lösen. " Zunächst war das einschlägige Rechtsinstrument der Investitionsbescheid (ursprüngliche Regelung in §§ 1 und 2 Abs. 2 Investitionsgesetz i. d. F. des Einigungsvertrages), dann war es die Entscheidung nach § 3 a Investitionsgesetz (in der novellierten, ab März 1991 geltenden Fassung), und nunmehr hat dieses Instrument die Bezeichnung "Investitionsvorrangbescheid" (vgl. § 2 Abs. 1 und §§ 93 ff. Investitionsvorranggesetz vom 14. Juli 1992). Die aktuelle, frühere 17 Rainer Pitschas, Verwaltungsrefonn und Reorganisation des öffentlichen Dienstes als Erfolgsbedingungen der Rechtsvereinheitlichung, in: ders. (Hrsg.), Rechtsvereinheitlichung und Verwaltungrefonn in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, Königswinter 1991, S. 20 ff. 18 Siehe dazu Pitschas, "Transfonnation" oder "Integration"? Wirkungsgrenzen kommunaler Rechts- und Verwaltungshilfe in den neuen Bundesländern, LKV 1992,

S. 388 f.

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Oliver Scheytt

umfangreiche Arbeitshilfen ersetzende Arbeitsanleitung der Bundesregierung nur zum Einsatz dieses Rechtsinstruments umfaßt allein 227 Seiten. 19

11. Rechtliche Grundlagen der VerwaItungshilfe In den Zeiten des Umbruchs geboten es schon die praktische Vernunft und der Gedanke der kommunalen Solidarität, daß die westdeutschen Kommunen auch ohne explizite gesetzliche Regelungen ihren ostdeutschen Partnerkommunen Unterstützung anboten, die weit über das sonst bekannte Maß städtepartnerschaftlicher Zusammenarbeit hinausging. 20 Art. 15 des Einigungsvertrages (Übergangsregelungen für Landesverwaltungen) und Art. 35 GG (Amtshilfe) sind als Rechtsgrundlage für die kommunale Verwaltungshilfe nicht einschlägig. Zwar findet sich in Art. 15 Einigungsvertrag der Begriff der "Verwaltungshilfe" erstmals in einer gesetzlichen Vorschrift des Bundes, er wird jedoch nicht näher definiert. Schon nach seinem Wortlaut ("Hilfe beim Aufbau der Landesverwaltung") umfaßt Art. 15 Einigungsvertrag indes nicht die Verwaltungshilfe für die Kommunen, da unter den Begriff "Landesverwaltung" nicht ohne weiteres die Kommunalverwaltung subsumiert werden kann. Zu diesem Schluß gelangt man hier vor allem deshalb, weil der Einigungsvertrag ansonsten begrifflich jeweils zwischen Ländern und Gemeinden differenziert (vgl. etwa Art. 21, 22, 35 Abs. 3). Besonders hingewiesen sei allerdings auf den Zeithorizont, der der Verwaltungshilfe durch Art. 15 gegeben wird. In Art. 15 Abs. 3 wird die "Verwaltungshilfe bei der Durchführung bestimmter Fachaufgaben" , die "auf Ersuchen der Ministerpräsidenten" der neuen Bundesländer geleistet wird, auf einen Zeitraum "längstens bis zum 30. Juni 1991" (!) begrenzt. Hierin spiegelt sich noch einmal die erste und wohl signifikanteste Fehleinschätzung wider: "Der Prozeß der Einheit geht schnell. " Die Bestimmungen über die "Amtshilfe" (vgl. etwa Art. 35 GG) sind ebenfalls nicht einschlägig. Unter Amtshilfe wird die von einer Verwaltungsbehärde einer Siehe Infodienst Kommunal Nr. 57 vom 25. 9. 1992. Vgl. dazu bereits Scheytt, AfK 1991, S. 6 ff. Rechtliche Bedenken gegen längerfristige intensive partnerschaftliche Hilfe erhebt Heberlein, Kommunale Deutschlandpolitik, NVwZ 1991, S. 531 ff., die vor allem mit der kompetenzrechtlichen Beschränkung der Kommunen auf "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" begründet werden. Dabei werden aber sowohl die - wenigen - gesetzlichen Regelungen zur Verwaltungshilfe und die daraus folgenden Implikationen für die Kommunen außer acht gelassen als auch die Einzigartigkeit dieser für den gesamten Staat und alle Träger der öffentlichen Gewalt exzeptionellen realen Situation, die ein Engagement aller Gebieskörperschaften unverzichtbar macht. Abwegig erscheint daher die Position, daß "der zulässige Rahmen personeller Unterstützung ... überschritten" sei, "wenn diese über die kurzfristige Verwaltungshilfe hinausgeht und längerfristig Bedienstete bindet mit der Folge der Vernachlässigung der Aufgaben in der eigenen Kommunalverwaltung" (Heberlein, S. 536). 19

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anderen Behörde auf deren Ersuchen hin gewährte Unterstützung einer Amtshandlung verstanden. Die Verwaltungshilfe umfaßt nicht lediglich punktuelle Aktivitäten, sondern sie ist regelmäßig auf einen kontinuierlichen Austausch von Unterstützungsleistungen ausgerichtet, insbesondere dann, wenn Personal zur Wahrnehmung von Beratungsaufgaben entsandt wird. Das regelmäßige Zusammenwirken zweier Behörden, das über die ad hoc, ausnahmsweise und punktuell zu leistende Hilfe hinausgeht, ist keine Amtshilfe. 2\ Immerhin lassen sich aber die wesentlichen Grundsätze der § § 4 ff. V wV fG zur Amtshilfe für die organisatorische Ausgestaltung der Verwaltungshilfe heranziehen. 22 Zudem ergeben sich nicht nur aus dem Gedanken der Amtshilfe, sondern auch aus dem bis zur Vollendung des Wiedervereinigungsprozesses fortwirkenden Wiedervereinigungsgebot, in Verbindung mit dem Prinzip der Bundestreue Pflichten des Bundes, der alten Bundesländer und ihrer Kommunen zur Unterstützung der neuen Bundesländer beim Aufbau ihrer Verwaltungen.23 Für die Entsendung von Personal wurde Mitte 1990 durch den neu in das Beamtenrechtsrahmengesetz eingefügten § 123 a eine rechtliche Basis geschaffen, die durch Ausführungsbestimmungen des Bundes und der Länder konkretisiert worden ist, insbesondere auch im Hinblick auf die finanziellen Zusatzleistungen (z. B. Aufwandsentschädigungen).24 Zusammenfassend kann allerdings festgestellt werden, daß es nur wenige rechtliche Regelungen zur Verwaltungshilfe gibt.

III. Organisation der Verwaltungshilfe Mit der Verwaltungshilfe wurde auch in organisatorischer Hinsicht weitgehend Neuland betreten. Daher mußte es zunächst darum gehen, die bereits vorhandenen Erfahrungen, insbesondere im Rahmen der Städtepartnerschaften, zu analysieren und daraus Handlungskonzepte abzuleiten. Solche Erfahrungsanalysen und die daraus gefolgerten Empfehlungen wurden vom Deutschen Städtetag in die Überlegungen zur Ausgestaltung der Bundes- und Länderprogramme für die kommunale Verwaltungshilfe eingebracht. Andererseits haben sich die kommunalen Spitzenverbände darum bemüht, die Erfahrungen mit der Verwaltungshilfe systematisch auszutauschen. Dem dienten vor allem die Konferenzen mit Beratern im Projekt der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände "Hilfe zum Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung in den neuen Bundesländern" (mittler2\ Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Auflage, München 1991, Rdm. 5 u. 8 zu § 4. 22 Siehe Scheytt, AfK 1991, S. 8 f. 23 So auch Hain / Rickhojf, Beamtemechtliche Versetzung und Abordnung im Rahmen des deutschen Wiedervereinigungsprozesses, ZRP 1991, S. 337 f. 24 Diese rechtlichen Regelungen übersieht Heberlein , NVwZ 1991, S. 531 ff., indem er zu dem Schluß kommt, daß längerfristige Entsendungen von Beamten unzulässig sind.

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weile rd. 25 Veranstaltungen mit mehr als 1 000 Teilnehmern). Zudem hat die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) frühzeitig eine Arbeitshilfe "Partnerschaftliche Kommunalberatung"25 erstellt, die bereits im Jahr 1990 im Rahmen des Projektes erschienen ist. Darin werden vor allem folgende Rahmenbedingungen der Kommunalberatung erörtert, die der Reflexion bedürfen: -

Der Beratungsbedarf ist zu ermitteln und die Gegenstände der Beratung sind festzulegen (vgl. auch die Aufzählung des § 5 Abs. 1 VwVfG). Die Grenzen der Beratung sind zu bedenken - Beratung kann nicht eine unzureichende Finanzausstattung beseitigen, sie macht politische Entscheidungen oder Entscheidungsprozesse nicht überflüssig usw. Wer berät, nimmt dem Partner seine selbst zu verantwortende Entscheidung nicht ab, er fördert lediglich Entscheidungsprozesse, vgl. auch § 7 VwVfG. Absprachen und organisatorische Vorkehrungen sind vor allem beim Einsatz mehrerer Berater und bei mehreren entsendenden Stellen erforderlich.

Diese Hinweise sind bis zum heutigen Tage aktuell. Die Erfahrungen lehren, daß Verwaltungshilfe auf der Basis eines "Kontraktes" zwischen den beteiligten Partnern geleistet werden sollte. Sie sollte möglichst auf näher umrissene Projekte ausgerichtet sein. In einem solchen Rahmen lassen sich dann auch konkrete Ziele und Zeitrahmen für die gemeinsamen Vorhaben festlegen. Gegenstände solcher Absprachen sollten auch die Festlegung des Umfangs der zur Verfügung gestellten Ressourcen sein sowie die Verpflichtung des Beratenen, sich bei begonnener Beratung nur nach gemeinsamer Absprache weiterer Berater zu bedienen. Ebenso sind Absprachen sowohl über einzelne Projekte (Benennung von Ansprechpartnern, Klärung von Raumfragen, Laufzeit usw.) als auch über die Steuerung der Beratung erforderlich. Insgesamt ist zu empfehlen, daß Verwaltungshilfe letztlich in Formen und Methoden des "Projektmanagements" zu organisieren ist. Eine Vielzahl von Bemühungen sind nach meiner Erfahrung deshalb gescheitert, weil Verwaltungen jeglicher Provenienz auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene noch viel zu wenig mit derartigen Managementmethoden vertraut sind. Dort, wo die Grundprinzipien des Projektrnanagements eingehalten wurden, sind z. T. hervorragende Erfolge zu verzeichnen. Eine Einzelperson ist meist überfordert, wenn sie allein eine Kommune oder größere Verwaltungseinheiten berät. Daher haben wir uns darum bemüht, die qualifizierte Einzelinitiative durch An- und Einbindung zu unterstützen und zu kanalisieren, etwa durch die Einrichtung von Expertenpools im Rahmen der Projekte und Programme der kommunalen Spitzenverbände, die vom Bund und den alten Ländern ebenfalls unterstützt wurden. 25 Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände (Hrsg.), Arbeitshilfe 1: Partnerschaftliche Kommunalberatung in den neuen Bundesländern, erarb. von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt), Köln 1990.

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Partnerschaftliche und durch Vereinbarungen gestützte Beratung hilft auch, die Idealtypen "Verwaltungshilfe von der Hand in den Mund" und "Besserwessi" zu eliminieren.

IV. Verwaltungshilfe im Bereich von Aus- und Fortbildung Im engen Verbund mit der personellen Verwaltungshilfe durch Entsendung von westdeutschen Fachkräften und dem Austausch durch wechselseitige Besuche und Arbeitsaufenthalte steht die Qualifizierung des Verwaltungspersonals. Es hat sich bald gezeigt, daß diese Aufgabe mit den bisherigen Kategorien und Instrumenten der Aus- und Fortbildung kaum zu bewältigen ist. Auch hier wurde allerdings zunächst "von der Hand in den Mund" gelebt. Folgende Eckwerte kennzeichnen die dabei zu bewältigenden Mengen-, Zeitund Unsicherheitsprobleme: 26 -

Das Mengenproblem: Im wesentlichen haben die Kommunalverwaltungen den bisherigen Personalkörper übernommen und durch die Überführung zahlreicher Einrichtungen und Betriebe zusätzliches Personal bekommen.

-

Das Zeitproblem: Die Fortbildung muß in kürzester Zeit durchgeführt werden; fast alle Mitarbeiter / -innen wollen sich an Qualifizierungsmaßnahrnen beteiligen.

-

Das Unsicherheitsproblem: Aus den in allen neuen Ländern anstehenden Gebiets- und Verwaltungsreformen und den personellen Umschichtungen ergeben sich erhebliche Unsicherheiten für die Planung von Qualifizierungsmaßnahmen.

Daraus ergeben sich folgende Spannungsfelder, die insbesondere bei der Nachqualifizierung von kommunalen Bediensteten zu beachten sind: die Vermittlung von Handlungskompetenz 27 zur (raschen) Herstellung der Funktionsfähigkeit der Verwaltungen korrespondiert mit der Vermittlung von Grundlagen- und Querschnittswissen. Der zeitliche Umfang des Qualifizierungsangebots (Beispiel Brandenburg: 600 Stunden für die Nachqualifizierung zum gehobenen Dienst) widerspricht der Forderung nach der Verfügbarkeit am Arbeitsplatz. Der Umfang des Angebots entspricht mitunter nicht den beschränkten Kapazitäten, weshalb Fortbildungsangebote durch Private einbezogen und deren Angebote für die 26 Siehe dazu auch Joachim Vollmuth, Vom Staatsfunktionär zum Beamten einer rechtsstaatlichen Verwaltung, DÖV 1992, S. 376 ff.; Scheytt / Löhr, Personalwirtschaft der Städte in den neuen Bundesländern (DST-Beiträge zu Kommunalpolitik, Reihe A, Heft 19), Köln 1992, S. 42 ff., sowie das S. 76 ff. dokumentierte Expertengespräch "Qualifizierung" . 27 Siehe dazu Erko Grömig, Vorschläge für die Organisation von Fortbildungsmaßnahmen für Kommunalverwaltungen in den neuen Bundesländern, in: Die Kommunalverwaltung 1991, S. 378 ff.

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Bewährung und die Übernahme in den öffentlichen Dienst anerkannt werden müssen. Immerhin ist es gelungen, eine Vielzahl von Aus- und Fortbildungsinstitutionen aufzubauen 28 • Aber der immense Bedarf kann durch die bestehenden Träger bei weitem noch nicht gedeckt werden. Daher werden die Bemühungen um einen Ausbau der Infrastruktur von Ländern und Kommunen auch mit Unterstützung der westdeutschen Studieninstitute, Verwaltungs- und Fachhochschulen vorangetrieben. Gleichzeitig werden Konzepte für zusätzliche Angebote - etwa in Form von Fernstudienlehrgängen - erarbeitet, u. a. im Rahmen des Projekts "Hilfe zum Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung in den neuen Bundesländern" der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände. 29 Von besonderer Bedeutung für die Zukunft ist die Ausbildung qualifizierter Nachwuchskräfte. Obwohl nach ursprünglichen Befürchtungen im Herbst 1991 in allen neuen Ländern mit der Ausbildung zum mittleren und gehobenen Dienst begonnen wurde, gibt es zahlreiche Städte in den neuen Ländern, die noch keine Ausbildungsplätze eingerichtet haben. Nach groben Schätzungen gibt es in den neuen Bundesländern über 500 000 Bedienstete in den Kommunen. An Ausbildungsplätzen jedoch gibt es erst wenige Hundert. Wir verfügen über kein detailliertes Zahlenmaterial, wissen aber beispielsweise, daß in sämtlichen Kreisverwaltungen Brandenburgs nicht mehr als 130 Auszubildende im mittleren und im gehobenen Dienst sowie bei den Verwaltungsfachangestellten zu verzeichnen sind.

D. Programme und Institutionen der Verwaltungshilfe I. Städtepartnerschaften und kommunale Kooperationen

Basis der Verwaltungshilfe sind die Städtepartnerschaften und kommunalen Kooperationen. Eine bundesweite Umfrage des Deutschen Städtetages Ende des Jahres 1991/ Anfang des Jahres 1992 bei sämtlichen Städten mit mehr als 10 000 Einwohnern in den alten Ländern hat folgende Ergebnisse erbracht 30 : Insgesamt gibt es über 1 000 Beziehungen zwischen west- und ostdeutschen Städten; eine Reihe von Städten unterhält Beziehungen zu mehreren Partnern. Davon sind fast die Hälfte feste Partnerschaften (förmlich vereinbarte Zusammenarbeit für alle möglichen Fälle), mehr als 45 % Freundschaften (Aus28 Vgl. die von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzen verbände aufgrund einer "Fortbildungsdatei" zusammengestellten Übersichten, die im Infodienst Kommunal der Bundesregierung veröffentlicht werden (zuletzt Nr. 50 vom 6. 11. 1992). 29 Vgl. dazu auch Vollmuth, DÖV 1992, S. 379. 30 Siehe dazu im einzelnen Bartella / Scheytt u. a., Die innerdeutschen Städtepartnerschaften (DST-Beiträge zur Kommunalpolitik, Reihe A, Heft 18), Köln 1992.

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tausch ohne förmliche Vereinbarung) und rd. 6 % Kooperationen (förmlich vereinbarte Zusammenarbeit zu einzelnen Projekten). -

Die meisten Beziehungen wurden im Zeitraum nach der Wende (November 1989) bis zu den Kommunalwahlen in der DDR am 6. Mai 1990 neu eingegangen. Im Mai 1990 bestanden bereits rd. 650 Beziehungen. Bis zur Vereinigung beider deutscher Staaten am 3. 10. 1990 sind weitere rund 200 neue Verbindungen hinzugekommen. Alle ostdeutschen Städte mit mehr als 20 000 Einwohnern sind ausnahmslos mit einer partnerschaftlichen Beziehung versorgt, und auch bei den Städten von 10 000 bis 20 000 Einwohnern haben mehr als 95 % einen deutschen Partner gefunden.

Diese eindrucksvollen Zahlen sagen zwar noch nichts über die Qualität und die tatsächlichen Leistungen im Rahmen der Partnerschaften aus. Aus den Praxisberichten und den Verwaltungshilfeprojekten ist jedoch zu folgern, daß ohne diese partnerschaftliche Hilfe der Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung keineswegs bereits so weit vorangeschritten wäre.

11. Länderprogramme zur kommunalen Verwaltungshilfe Daneben bestehen zur Ergänzung der partnerschaftlichen Arbeit der Kommunen Länderprogramme mit dem Ziel einer flächendeckenden kommunalen Verwaltungshilfe. 31 Insoweit sind insbesondere die Verwaltungshilfeprogramme zwischen Nordrhein-Westfalen und Brandenburg und zwischen Baden-Württemberg und Sachsen zu nennen, die auf eine flächendeckende Betreuung mit Unterstützung des Landes abzielen 32. In der Partnerschaft zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt hat sich das Land Niedersachsem demgegenüber bislang kaum engagiert, mit der Erwartung, daß im Rahmen der kommunalen Partnerschaften die notwendige Hilfe geleistet wird 33 • Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Die Verwaltungs hilfe für Thüringen haben sich die Länder Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz mit entsprechenden Koordinationsschwie31 Siehe dazu Scheytt, AfK 1991, S. 10 ff., sowie die Antwort der Bundesregierung vom 10.7. 1991 auf die Große Anfrage "Verwaltungsaufbau in den neuen Bundesländern", BT-Drs. 12/916, S. 11 ff. mit zahlreichen Einzeldaten. 32 Siehe dazu die in FN 8 gegebenen Hinweise und zu den Aktivitäten Baden-Württembergs Scheytt, AfK 1991, S. 10 sowie BT-Drs. 12/916, S. 11. 33 Besondere Aktivitäten haben hier wie im übrigen meist auch in den anderen alten Bundesländern - die kommunalen Spitzenverbände auf Landesebene entfaltet, vor allem zur Vermittlung kommunaler Partnerschaften; siehe etwa die Handreichung des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes: Sachsen-Anhalt - Kontaktwünsche von Vereinen und Gemeinden, Hannover 1990.

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rigkeiten aufgeteilt 34 • Auch im Rahmen der Länderprogramme hat sich das "Partnerschaftsprinzip" bewährt 35.

III. Projekte und Programme des Bundes 1. Bund / Länder-Clearingstelle Verwaltungshilfe Bund und Länder haben bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag die Einrichtung einer Bund / Länder-Clearingstelle zur Abstimmung der Verwaltungshilfen zwischen Bund, Ländern und Kommunen verabredet 36 • Die Clearingstelle wurde mit einer Geschäftsstelle beim Bundesinnenministerium im September 1990 eingerichtet. Die Clearingstelle hat in inzwischen 12 Sitzungen alle wichtigen Themen beim Aufbau der Verwaltungen in den neuen Ländern, insbesondere auch des Aufbaus der kommunalen Selbstverwaltung, behandelt. 37 Trotz einer Reihe sinnvoller Arbeitsergebnisse insbesondere zu Beginn der Arbeit der Clearingstelle, wie der Erstellung von Arbeitsanleitungen zu den Komplexen "Regelungen offener Vermögensfragen" und "Kommunalvermögen", gemeinsamer Initiativen zum Aufbau einer Aus- und Fortbildungsinfrastruktur in den neuen Ländern und der Einrichtung eines Fonds zur Vergabe von Personal-, Ausbildungs- und Fortbildungskostenzuschüssen in Höhe von 100 Mio. DM muß inzwischen bilanziert werden, daß der Föderalismus in der Bewältigung der Folgen der Deutschen Einheit an seine Grenzen stößt. Die Länderegoismen, der Kampf der Programme und Institutionen und das Fehlen politischer Aussagen mit längerfristiger Verbindlichkeit machen die so notwendige Kooperation fast unmöglich. Die siebte Fehleinschätzung lautet daher: "Der Föderalismus fördert den Prozeß der Deutschen Einheit." Im Jahr 1992 hat nur eine Sitzung der Bund / Länder-Clearingstelle stattgefunden, auch, weil die zurückliegenden Sitzungen aus den genannten Gründen ineffektiv waren.

2. Einrichtung eines Fonds zur Vergabe von Personal-, Ausbildungs- und Fortbildungskostenzuschüssen Ende des Jahres 1990/ Anfang des Jahres 1991 wurde eine z. T. überhitzte Diskussion über die längerfristige Entsendung westdeutscher Bediensteter in der Öffentlichkeit geführt. Während der Deutsche Städtetag auf die dienstrechtlichen Vgl. zur Situation in Thüringen Schubel / Schwanengel, LKV 1991, S. 249 ff. Näher dazu Scheylf, Städte, Kreise und Gemeinden im Umbruch, Deutschland Archiv 1992, S. 19 f. 36 Vgl. die Protokollerklärung sowie die Begründung zu Art. 15 Einigungsvertrag, wiedergegeben in: Stern / Schmidt-Bleibtreu, Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit, Bd. 2, Einigungsvertrag und Wahlvertrag, München 1990, S. 115 bzw. 141. 37 Siehe auch die Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 12/916, S. 9 f. 34 35

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Probleme (so war z. B. eine Abordnung von Kommune zu Kommune zunächst nicht möglich), auf die umfangreichen Hilfen im Rahmen der Städtepartnerschaften und die erkennbare Bereitschaft einer Vielzahl westdeutscher Kommunalbediensteter aufmerksam gemacht hat, wurde in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, der Bedarf an westdeutschen Fachkräften in den ostdeutschen Verwaltungen könne mangels Bereitschaft der westdeutschen Beamten mitzuhelfen, nicht gedeckt werden. Der Bund hat daraufhin festgelegt, daß eine steuerfreie Aufwandsentschädigung bis zur Höhe von 2500 DM (ab Besoldungsgruppe A 13) monatlich gezahlt wird. Dieser Betrag ist inzwischen auf rd. 1 750 DM für ,,Neufälle" herabgesetzt worden. Tatsächlich war die Bereitschaft zur Hilfe jedoch sehr groß. Es handelte sich um ein Scheinproblem, dessen wesentliche Hintergründe zum einen darin lagen, daß die beamtenrechtlichen Fragen der Entsendung nicht geklärt waren. Zum anderen entstand erhebliches Durcheinander durch die Konkurrenz von Bundesund Länderprogrammen. Hinzu kam das Fehlen einer Institution, die den Interessentenstrom kanalisierte. Der Bund unterstützt inzwischen aus seinem Fonds für Personal-, Aus- und Fortbildungskostenzuschüsse u. a. den Einsatz von rd. 2 000 Fachkräften in den ostdeutschen Kommunen, personelle Hilfen für die Vermögens ämter (u. a. wurden mehr als 100 Rechtsanwälte als Berater entsandt und deren Arbeit aus diesem Fonds finanziert) und eine Vielzahl von Qualifizierungsmaßnahmen, die auch zum Aufbau einer leistungsfähgen Aus- und Fortbildungsinfrastruktur für die kommunalen Bediensteten beitragen. Allerdings waren schon im September die zur Verfügung gestellten Mittel für 1992 in Höhe von 100 Mio. DM verbraucht. Im Entwurf für den Bundeshaushalt 1993 waren für diese Maßnahmen zunächst lediglich Mittel in Höhe von 75 Mio. DM angesetzt; der Ansatz wurde jedoch mittlerweile, Forderungen der kommunalen Spitzenverbände entsprechend, auf 200 Mio. DM angehoben. Die Finanzierungsschwierigkeiten Mitte des Jahres 1992 hatten bei den ostdeutschen Kommunen erhebliche Verunsicherungen zur Folge. So sind die bei der Gemeinsamen Personalbörse gemeldeten offenen Stellen für westdeutsche Fachkräfte aufgrund der Rücknahme von Stellenangeboten von rd. 500 Stellen Mitte August auf 350 Mitte September zurückgegangen. Nachdem die Finanzierungsprobleme gelöst und zusätzliche Mittel bereits für 1992 zur Verfügung gestellt worden waren, ist die Nachfrage wieder leicht angestiegen.

3. "Gemeinsame Personalbörse des Bundesministers des Innern und der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände" Die Personalbörse basiert auf einer Kooperation des Bundesinnenministeriums mit dem Projekt der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände "Hilfe zum Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung in den neuen Bundesländern". 6"

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Bei ihr sind fünf Mitarbeiter/-innen des Bundesinnenministeriums beschäftigt. Aus einer inzwischen auf rd. 3 000 Bewerber angewachsenen Datei können sich die ostdeutschen Kommunen bei der Vermittlung von Personal helfen lassen. Antragsberechtigt sind alle Kommunen in den neuen Bundesländern, die Personal suchen und die Zuschußmöglichkeiten im Rahmen des Fonds für Personalkostenzuschüsse des Bundes in Anspruch nehmen möchten. Die Mitarbeiter der Personalbörse beraten auch die Bewerber aus den alten Bundesländern. Durch Informationen über das Personalkostenzuschußprogramm des Bundes und durch die Möglichkeit der kostenlosen Hilfe bei der Personalgewinnung wird ein praktischer Beitrag zum rascheren Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung in den neuen Bundesländern geleistet. Durch die Arbeit der Personalbörse sind Vorurteile über die tatsächliche Lage bei der Vermittlung westdeutscher Fachkräfte für längerfristige Einsätze abgebaut worden: Die Zahl der Stellenangebote der ostdeutschen Kommunen ist nicht so hoch wie ursprünglich erwartet. Demgegenüber ist die Zahl der westdeutschen Bewerber höher als ursprünglich angenommen. Derzeit kommt auf jedes Stellenangebot einer ostdeutschen Kommune eine Zahl von ca. 5 bis 7 Bewerbern, die sich bei der Personalbörse gemeldet haben. Die Arbeit der Personalbörse hat auch mit dazu beigetragen, daß die ostdeutschen Kommunen ihren tatsächlichen Personalbedarf klären.

IV. Projekt der Bundesvereinigung "Hilfe zum Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung in den neuen Ländern" Das Projekt der Bundesvereinigung hat das Ziel, Verwaltungshilfe zu ergänzen und zu qualifizieren. Zu den Schwerpunkten der Arbeit zählen die Erstellung von Arbeitshilfen, 38 die Vermittlung von Beratern - mittlerweile werden 170 Kommunen durch rd. 100 Experten beraten - und die Beratung beim Aufbau einer leistungsfähigen Aus- und Fortbildungsinfrastruktur, deren Daten gesammelt und im Infodienst Kommunal veröffentlicht werden. Weitere Schwerpunkte sind der Aufbau einer Berater- und Referentendatei sowie die Vermittlung von Informationen an die Kommunen. 39

38 Themen der Arbeitshilfen sind z. B.: Partnerschaftliche Kommunalberatung in den neuen Bundesländern; Recht der im öffentlichen Dienst stehenden Personen; Kommunaler Sitzungsdienst in der Praxis; Aufbau der Kommunalstatistik in den neuen Bundesländern etc. 39 Siehe auch Wolfgang Schräder, Hilfe zum Aufbau der Kommunalen Selbstverwaltung, in: Die Kommunalverwaltung 1991, S. 293 ff.

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E. Bilanz der Verwaltungshilfe -

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Chancen der Erneuerung

Nach einer thesenartigen Bilanz der bisherigen Ausführungen soll nunmehr nach den Chancen der Erneuerung sowohl für die Verwaltungshilfe als auch für die Verwaltung insgesamt gefragt werden. Die Ausgangslage beim Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung wurde vielfach nicht richtig eingeschätzt. Meist wurde nach dem Motto geplant und gehandelt: "Die neuen Länder sind aufzubauen. Städte, Kreise und Gemeinden gibt es bereits". Das war die achte gravierende Fehleinschätzung im Prozeß der Einigung. In der Realität jedoch ist ein völliger Auf- und Umbau der Kommunalverwaltungen erforderlich. Verwaltungshilfe wurde zunächst "von der Hand in den Mund" geleistet. Die Rahmenbedingungen sind und waren vielfach unzureichend. Die Methoden und Leitlinien des Projektmanagements wurden selten beachtet. Diese Ausgangslage und die Überleitung westdeutschen Rechts und Verwaltungshandelns nach dem Motto "Wie im Westen so auf Erden" haben z. T. zu einem Kampf der Programme und Institutionen geführt. Dabei konnte sich bisher nur mühsam eine "neue Identität" formieren. Inzwischen werden die Anzeichen einer Emanzipation der ostdeutschen Verwaltungen und ihrer Mitarbeiter aber immer deutlicher. Diese ist erwünscht, führt aber zu neuen Problemlagen. Ausgehend von der Einsicht, daß sich die Bundesrepublik insgesamt verändert hat und daß sich eine Übertragung westdeutschen Rechts und westdeutschen Verwaltungshandelns im Maßstab "eins zu eins" nicht empfiehlt, sind die Ziele der Entwicklung und der Verwaltungshilfe zu reflektieren. 40 Viele Äußerungen und Erfahrungen deuten darauf hin, daß schon das bisher zugrundegelegte Zielsystem selbst zu reflektieren ist.

I. Nachhaltigkeit der Entwicklung als Leitbild Auszugehen ist von einem anderen Leitbild für die Entwicklung. Hier möchte ich an die bemerkenswerten Ausführungen von Hermann Hill vor wenigen Wochen bei der Sommerakadernie "Erfolg im Osten" in Wernigerode anknüpfen, der vorgeschlagen hat, sich als Leitbild für den Aufbau der ostdeutschen Verwaltung an dem Begriff der "nachhaltigen Entwicklung" zu orientieren. Dabei geht es darum, beständig, beharrlich und zielstrebig zu arbeiten und unter Wahrung der eigenen Identität des Landes ganzheitlich, prozessual und langfristig orientiert den Aufbau und die Entwicklung zu gestalten. Daraus abgeleitet folgt eine Strategie der Integration von modernem Verwaltungsmanagement und einem Ausbau 40 Hermann Hili, Die neue Verwaltung nachhaltig entwickeln Perspektiven nach zwei Jahren Aufbauarbeit, DÖV 1993, S. 56 ff.

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der Bürgerrechte und der Bürgerorientierung der Verwaltung. 41 Nur so kann die neunte Fehleinschätzung, der Ruf" Wir sind ein Volk", bewältigt werden. Dieses Leitbild der "nachhaltigen Entwicklung" korrespondiert voll und ganz mit den Empfehlungen, die wir auch aus unseren Erfahrungen mit Verwaltungshilfe geben können: Nur wer den Ausgangspunkt der Reorganisation beachtet, den Weg unter Einbeziehung der ostdeutschen Verwaltungen und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschreitet und den Sollzustand auf der Basis einer Reflexion und Neubestimmung des Verwaltungshandelns beschreibt, wird den gestellten Anforderungen gerecht. Es geht nicht um die Modifikation westdeutschen Verwaltungsrechts und -handeins, sondern um die Entwicklung neuer Standards. Eine so ausgerichtete Verwaltungshilfe wird auch den Mahnungen von Kurt Biedenkopf gerecht, der in letzter Zeit sehr eindrucksvoll immer wieder darauf hingewiesen hat, daß eine reine "Autholjagd" die gesamte Gesellschaft ruinieren kann. 42 Noch auf Jahre werden die Produktivitätsraten zwischen den osteutschen und den westdeutschen Ländern weit auseinanderklaffen. Bei der weiteren Ausgestaltung der Verwaltungshilfe sind daher die Befindlichkeiten der ostdeutschen Kommunen und ihrer Mitarbeiter/-innen, die sich im übrigen ständig wandeln, immer wieder bei der Zielsetzung für die weitere Ausrichtung von Programmen zu berücksichtigen. Ohne ein großes Maß an Ortsund Situationskenntnis ist dies nicht möglich. 43 Im übrigen möchte ich bei dieser Gelegenheit eine Lanze für die ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen brechen. So wie "Besserwessis" gerade auch auf kommunaler Ebene kaum anzutreffen sind, jedenfalls dann nicht, wenn es eine langfristige Zusammenarbeit gibt, ist das Vorurteil vom "unfähigen Ossi" falsch. "Wenn ein sehr sachkundiger ,Wessi' mit einem hochmotivierten ,Ossi' in Konkurrenz steht, leistet nicht immer der erstere die bessere Arbeit."44 Im übrigen kann man nicht durch Aufpfropfung Sachsen-Anhaltener zu Niedersachsen, Brandenburger zu Nordrhein-Westfalen machen wollen. Wenn wir vom Postulat einheitlicher Lebensverhältnisse etwas Abstand nehmen und Identitätsfragen mehr Raum geben, sind wir auf dem richtigen Wege. Nur so werden wir auch der zehnten Fehleinschätzung angemessen begegnen können, die lautet: "Die Mauer 41 Hili, DÖV 1993, S. 56 f.; siehe dazu auch Rainer Pitschas, "Transfonnation" oder "Integration"? - Wirkungsgrenzen kommunaler Rechts- und Verwaltungshilfe in den neuen Bundesländern, LKV 1992, S. 385 ff.; ders., Verwaltungsrefonn (FN 17), S. 20 f. (zur nachhaltigen "Entwicklung"), sowie Herwig Roggemann, Die deutsche Einigung als rechts- und verfassungpolitische Herausforderung, Neue Justiz 1992, S. 383. 42 Kurt Biedenkopf, "Die Aufholjagd ruiniert die ganze Gesellschaft". - Eine andere Entwicklungslogik für die neue Bundesrepublik, Blätter für deutsche und internationale Politik 1992, S. 917 ff. 43 Georg Hamburger, Kritische Bilanz der Verwaltungshilfe für die ostdeutsche Kommune, der landkreis 1992, S. 118. 44 Hamburger, der landkreis 1992, S. 118.

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ist weg." Tatsächlich ist die Mauer zumindest in den Köpfen der Menschen noch vorhanden.

11. Konzept für ein Verbundsystem der Verwaltungshilfe Der Deutsche Städtetag hat ein Konzept für ein Verbundsystem der Verwaltungshilfe entwickelt, den Informations-, Beratungs- und Fortbildungsdienst, der im wesentlichen aus einem praxisbezogenen und teilnehmerorientierten Fortbildungsangebot, aus verschiedenen kontinuierlichen Informationsdiensten, einem Beratungsangebot zur Unterstützung der Arbeit vor Ort und der Vermittlung von Hospitationen zur Vertiefung der Fortbildung und Beratung besteht. Alle Angebote werden flexibel gehandhabt und durch regelmäßige Rückkoppelung mit den Adressaten auf den jeweils aktuellen Bedarf der Verwaltungen abgestellt, so daß man nun fast vom "wahren Idealtyp der Verwaltungshilfe" sprechen kann. Mit Unterstützung von Bundesministerien werden zu den Feldern Jugendhilfe und Kulturverwaltung entsprechende Dienste angeboten; weitere Angebote sind in der Entwicklung. Aus der gemeinsamen Arbeit der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, insbesondere im bereits erwähnten Projekt, entstand im Herbst 1990 der "Informations-, Beratungs- und Fortbildungsdienst Jugendhilfe" (IBFJ).45 Rechtsträger ist der Verein für Kommunalwissenschaften e. V. in Berlin. Der IBFJ begleitet und unterstützt den Aufbau und die Entwicklung der öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern. Der I nformations-, Beratungs- und Fortbildungsdienst für die K ulturverwaltungen (IBFK) , an den rund 240 Kommunen und Kreise der neuen Länder angeschlossen sind, unterstützt den Ausbau der kommunalen Kulturverwaltungen durch berufsbegleitende Qualifizierungsmaßnahmen, Beratung und Information. Das auf drei Jahre angelegte Projekt wird seit November 1991 von der Stiftung für kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung im Auftrage der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände durchgeführt. Auch Erfahrungen aus diesen Projekten lehren, daß entsprechende Programme nur dann als wirklich hilfreich angesehen werden, wenn sie die spezifischen Rahmenbedingungen sowie den sich ständig ändernden aktuellen Bedarf berücksichtigen, fachbezogenes, in die Praxis umsetzbares Handlungswissen vermitteln und wenn die Angebote flexibel und problemorientiert gestaltet werden.

45 Siehe dazu im einzelnen Jürgen Blenk, Verwaltungshilfen im Verbundsystem, der städtetag 1991, S. 547 ff.; vgl. auch Joachim Vollmuth, Vom Staatsfunktionär zum Beamten einer rechtsstaatlichen Verwaltung, DÖV 1992, S. 377.

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Die Rückmeldungen aus den Städten, Kreisen und Gemeinden belegen, daß die Informations-, Beratungs- und Fortbildungsdienste (IBF) dem Anspruch an ein Verwaltungshilfe-Ideal bislang gerecht werden konnten. Die überaus positive Resonanz bezog sich insbesondere auf die Informationsmaterialien und auf die Gestaltung der Seminare. Die Qualität der Veranstaltungen ist allerdings wesentlich von den Experten abhängig. Ihre fachliche Kompetenz, ihr Engagement für die Entwicklung in den neuen Ländern und nicht zuletzt ihre didaktischen Fähigkeiten sind entscheidend. Für viele Teilnehmer waren die IBF-Seminare - neben ihrem fachlichen Nutzen - auch eine Möglichkeit zum kollegialen Austausch und Ausgangspunkt für weitere Zusammenarbeit auf Landesebene oder in Arbeitsgemeinschaften. Insofern tragen die IBF zur gegenseitigen Unterstützung und zum Verständnis zwischen den kommunalen Praktikern aus Ost und West bei. Die ausgesprochen positiven Erfahrungen des IBFJ und des IBFK belegen, daß es einen großen Bedarf nach und eine große Bereitschaft zur Fortbildung gibt. Bei diesem Programm sind uns aber auch Defizite in der Fortbildung und bei QualiJizierungsmaßnahmen für die westdeutschen Kommunalverwaltungen bewußt geworden. Für den Bereich kommunaler Kulturarbeit liegt bislang kein schlüssiges Konzept zur fachspezifischen Qualifizierung und Fortbildung von Führungs- und Verwaltungskräften vor. Die in den westlichen Bundesländern übliche Verwaltungsausbildung kann den veränderten Anforderungen an eine qualifizierte Kulturarbeit nach allen Erfahrungen nur in Teilbereichen gerecht werden. Mit den Informations-, Beratungs- und Fortbildungsdiensten wird daher auch ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung eines fachbezogenen, berufsbegleitenden QualiJizierungskonzepts für das westliche Aus- und Fortbildungssystem geleistet. Auf diesem Feld kann man also mit Fug und Recht von einer "Retransformation" sprechen.

Stadtpolitik und -verwaltung in Rußland im Sog des Machtkampfes Von Helmut Wollmann und Kirk Mildner

I. Transformation und Transition in Mittelund Osteuropa - einige vergleichende Bemerkungen 1,2,3 Von den "Regimewechseln", die am Beispiel der "Nachkriegs-Demokratien" West-Deutschland, Japan und Italien, der Demokratisierungsprozesse in Spanien und Portugal und auch der Demokratieansätze in Lateinamerika unter dem Stichwort und Konzept der "transition to democracy" diskutiert und untersucht werden, unterscheidet sich der Umbruchprozeß, der sich gegenwärtig in den ehemaligen sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas abspielt, fundamental dadurch, daß er als radikaler Systembruch und -wechsel nicht nur den Übergang zu einem demokratischen Politikmodell, sondern auch und vor allem den Wechsel zu einem privatwirtschaftlichen Marktmodell bedeutet, wenn er nicht sogar, wie die von kriegerischen Auseinandersetzungen begleiteten Zerfallsprozesse verdeutlichen, die bisherige staatliche Identität in Frage zieht 4 • Bei einer Betrachtung der allgemeinen Umbruchsituation in Mittel- und Osteuropa muß jedoch besonderes Augenmerk auf den unterschiedlichen Verlauf der konkreten Transformationsprozesse in den einzelnen Ländern gerichtet werden.

1 Um zahlreiche Informationen erweiterte Schriftfassung des Vortrags von Hel/mut Wal/mann. Als Ko-Autor ist Kirk Mildner hinzugetreten. 2 Für die Transkription von Eigennamen werden im folgenden die in deutschsprachigen Veröffentlichungen üblichen Transkriptionen (Jelzin, Gorbatschow usw.), ansonsten aber die im wissenschaftlichen Schrifttum international geläufigen Umschreibungen verwendet. 3 Im folgenden werden die Bezeichnungen "Rußland" und "Russische Föderation" synonym verwendet. Hierbei ist zu beachten, daß die offizielle Bezeichnung durch Beschluß des Kongresses der Volksdeputierten vom 17.4. 1992 seither "Rossijskaja Federacija - Rossija" (= RF; "Russische Föderation - Rußland") lautet. Bis dahin war die offizielle Bezeichnung: "Rossijskaja Sovetskaja Federativnaja Socialisticeskaja Respublika" (= RSFSR; Russische Sovjet-, Föderative und Sozialistische Republik), Soweit im folgenden die Abkürzungen "RSFRS" und "RP' verwendet werden, wird diesem Wechsel der Bezeichnungen des Staates im zeitlichen Ablauf Rechnung getragen. 4 Vgl. Claus Offe. Capitalism by Democratic Design?, in: Social Research, vol. 58, no.4, 1991, 867 f.

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Als erstes Arbeitsraster ließe sich eine von Juan Linz und Alfred Stepan 5 vorgeschlagene Typologie verwenden, die die ehemaligen Ostblock-Länder nach dem Grad des faktischen Herrschaftsmonopols des damaligen politischen Regimes einerseits und dem Grad der ("pluralistischen") Ausprägung gesellschaftlicher Kräfte ("civil society")6 und Gegenkräfte ("Gegenelite") andererseits unterscheidet. Danach konnten die kommunistischen Regime in Ungarn und Polen zeitlich am frühesten in dem Maße als "autoritär" betrachtet werden, wie sich das kommunistische Regime gezwungen sah oder bereit fand, die Formierung und Aktivitäten gesellschaftlicher Kräfte und Gegenkräfte zumindest zu dulden. Hierfür bieten die Entwicklung einer wirtschaftlichen Gegenelite in Ungarn und die Katholische Kirche sowie die letztlich erfolgreiche Gewerkschaftsbewegung Solidarnosz in Polen die schlagendsten Beispiele. Vor diesem Hintergrunde erwiesen sich diese Länder denn auch als Musterbeispiel einer "negotiated transition"7. Anders die DDR und die CSSR, die bis zum Herbst 1989 eher als "posttotalitär" einzustufen waren. Praktisch bis in seine letzten Tage setzte das SEDRegime alles, nicht zuletzt den allgegenwärtigen Kontroll- und Unterdrückungsapparat seiner "Staatssicherheit", daran, die Formierung und die Aktivitäten oppositioneller Kräfte und "Gegeneliten" zu unterbinden. Die UdSSR erwies sich im Zuge der von Michail Gorbatschov 1985 eingeleiteten "perestrojka" als ein durchaus ambivalenter Fall. Einerseits war diese als Entwurf und Versuch, das politisch-administrative, aber auch das wirtschaftliche System der Sowjetunion durch eine "Liberalisierung" und "Pluralisierung" von Staat, Ökonomie und Gesellschaft "von oben" zu modernisieren, zweifellos darauf angelegt, Freiräume für demokratische Willensbildungsprozesse und für gesellschaftliche Eigenentwicklungen ("civil society") zu schaffen. Auf der anderen Seite blieb die "real world" von Politik, Verwaltung und Wirtschaft (jedenfalls bis zum Putsch vom August 1991) von der - durch die organisatorische Durchdringung aller staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisationen und Bereiche - organisations strukturell verbürgten Omnipräsenz der Kommunistischen Partei und durch das enge Zusammenspiel der alten Machtblöcke Partei, Staatssicherheit, Armee und militärisch- industrieller Komplex beherrscht. Erst seit dem Kollaps des im August 1991 inszenierten Putsches scheint die politisch-gesellschaftliche Weiche zu einer nicht totalitären Entwicklung in die 5 Vgl. Juan Linz / Alfred Stepan, Democratic Transition and Consolidation: Eastem Europe, Southem Europe and Latin America, 1991, Ms. Von ihnen wird zwischen "Totalitarismus", "Post-Totalitarismus", "Autoritarismus" und "Sultanismus" unterschieden. 6 Vgl. Rainer Deppe / Helmut Dubiel, Ulrich Räder, Einleitung, 1991, in: dies. (Hrsg.), Demokatischer Umbruch in Osteuropa, Frankfurt 1991, S. 11. 7 Vgl. Judy Bau, The End of Communist Rule in East-Central Europe: A FourCountry Comparison, 1991, in: Govemment and Opposition, 1991, S. 368 ff.

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,open society" gestellt. Ein Unterschied zu anderen früheren sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas ist darin zu sehen, daß - vermutlich deutlich stärker als andernorts - die alte kommunistische "Nomenklatura" (ungeachtet des Verbots der KPdSU durch Jelzin im Gefolge des Putsches) noch immer beträchtliche Machtpositionen in Staat und Ökonomie, in Sonderheit in der noch immer dominanten Rüstungsindustrie, innehat und das "ancien regime", in einer "entstalinisierten" Variante, weiterhin die politische Unterstützung erheblicher Bevölkerungsteile, insbesondere außerhalb der Metropolen Moskau und Sankt Petersburg, genießt. Auf der Skala der "Transformationsländer" stellen sich die ehemalige DDR einerseits und die Nachfolgeländer der UdSSR, insbesondere die Russische Föderation, andererseits als "Extremfalle" an den Polen der Skala dar. Vom Umbruchprozeß in den anderen ehemaligen sozialistischen Ländern wiederum ist der Systemwechsel in der ehemaligen DDR dadurch sehr deutlich gesondert, daß deren "Beitritt" zur Bundesrepublik einen Akt der nationalstaatlichen (Wieder-)Vereinigung bildete: Ihr jahrzehntelang verfestigtes Wirtschafts-, Verfassungs-, Politik- und Institutionensystem brach quasi über Nacht zusammen und wurde in allen Dimensionen vom westlichen "Gegenmodell" ersetzt, hinter dem das ganze politische, finanzielle und demographische Gewicht und Übergewicht der alten Bundesrepublik steht. Demgegenüber stellt sich die Russische Föderation als ein politisch-administratives und sozio-ökonomisches System dar, in dem die alten Machtpositionen KPdSU -Verbot hin, Verbot her - noch durchaus präsent und virulent sind, nicht zuletzt auf der regionalen und lokalen Ebene und jedenfalls ausgeprägter "auf dem flachen Land" außerhalb der Metropolen Moskau und Sankt Petersburg als in diesen selbst.

11. Das Erbe: das Stalinsehe Staatsorganisationsmodell Zur Kennzeichnung der staatsrechtlichen und organisatorischen Situation der beginnenden und mittleren achtziger Jahre, an der die im weiteren skizzierte Entwicklung ansetzte, sollen einige Schlüsselelemente dessen in Erinnerung gerufen werden, was in den früheren staatsrechtlichen Abhandlungen der UdSSR als "Sowjetaufbau" ("sovetskoe stroitel' stvo ") bezeichnet wurde. Da dieses stalinistische Staatsorganisationsmodell die Blaupause für die verfassungsrechtlichen und staatsorganisatorischen Umgestaltungen lieferte, die die Länder Mittel- und Osteuropas unter dem Druck der sowjetrussischen Hegemonialmacht in den frühen fünfziger Jahren durchführten (man denke an die Abschaffung der kommunalen Selbstverwaltung in der DDR durch das sog. Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaues und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in

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den Ländern der DDR vom 23. 7. 1952 8 oder das Gesetz über die territorialen Organe der einheitlichen Staatsrnacht vom 30.3. 1950 in Polen 9 ), seien die Grundzüge als weitgehend bekannt vorausgesetzt. Im hochgradig zentralisierten Staats- und Verwaltungsaufbau der UdSSR waren maßgebliche Entscheidungs- und Leitungsstrukturen auf der Unionsebene konzentriert und monopolisiert. Dies galt auch und insbesondere für die Staatswirtschaft, einschließlich des mächtigen "Militärisch-industriellen Komplexes". Auf der "dezentralen" Ebene lagen die maßgeblichen Entscheidungs- und Vollzugs aufgaben bei Verwaltungsapparaten der Regions- (krai) und Gebiets- (oblast' ) Ebene. Diese war das politisch-administrative Rückgrat des Herrschaftssystems der UdSSR. Demgegenüber spielten die Städte und Dörfer politisch wie administrativ eine völlig untergeordnete Rolle. Bezeichnenderweise hatte man sich im Sowjet-Staatsrecht daran gewöhnt, auch die Organe der Regions- und Gebiets-Ebene - ebenso wie die der Städte und Dörfer - als "örtliche" (mestny) zu bezeichnen. Diese (dem west-europäischen Verständnis von kommunaler Selbstverwaltung und dessen Sonderund Gegenüberstellung zu Staat und Staatsverwaltung fremdartige) Begrifflichkeit und Konzeption von "örtlich" (mestny) fand in den frühen fünfziger Jahren Eingang in die Gesetzessprache in Mittel- und Osteuropa, so auch in das (die traditionelle kommunale Selbstverwaltung mit Stumpf und Stil beseitigende) "Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaues und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR" vom 23. 7. 1952). Die KPdSU übte ihr Herrschaftsmonopol institutionell wesentlich dadurch aus, daß sie in allen administrativen und sozialen Organisationen institutionelle und personelle "Doppelstrukturen " aufgebaut hatte und die Parteiorganisationen und -kader mithin an den Entscheidungs- und Vollzugsprozessen in Staat und Wirtschaft unmittelbar mitwirkten. Das Zentralkomitee der KPdSU war, auf dieses alles durchdringende Netz der Untergliederungen der Partei gestützt, das eigentliche Macht- und Entscheidungszentrum der UdSSR. -

Zwar kannte die UdSSR auf allen Ebenen (Union, Republiken, Bezirke, Regionen / Gebiete, Städte) die Einrichtung von gewählten VolksdeputiertenRäten (sovety narodnych deputatov). Jedoch spielten diese, zumal auf der regionalen und lokalen Ebene, politisch und administrativ praktisch keine Rolle. Die eigentliche Machtstruktur wurde von den "Exekutivkomitees"

8 Vgl. Helmut Melzer, Lokale Politikforschung in der DDR zwischen Zentralismus und kommunaler Selbstverwaltung, in: Hubert Heinelt / Hellrnut Wollmann (Hrsg.), Brennpunkt Stadt, Basel usw. 1991, S. 328. 9 Vgl. Zygmunt Niewiadomski, Die Wiedereinführung der komunalen Selbstverwaltung in Polen durch das Gesetz über die territoriale Selbstverwaltung vom 8. März 1990, 1990, in: Archiv für Kommunalwissenschaften 1991, Hjb. II., S. 306 ff.

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("ispolkomy" = ispolnitel'ny komitet) gebildet, deren Mitglieder vom übergeordneten "Ispolkom" vorgeschlagen und vom Sowjet der betreffenden Ebene formal bestätigt wurden ("demokratischer Zentralismus"). Die hierarchische Machtstruktur zeigte sich auch wesentlich darin, daß die "Ispolkomy" - ein weiteres bezeichnendes Merkmal des stalinistischen Staatsrechts und -aufbaues - " doppelt unterstellt" waren, nämlich zum einen (machtpolitisch belanglos) dem Sowjet ihrer jeweiligen Ebene und zum anderen (machtpolitisch entscheidend) dem "Ispolkom" der nächsthöheren Ebene. Das eigentliche politische Kraftfeld blieb in jedem Fall die Parteiführung der entsprechenden Ebene. Auch diese dem Stalinistischen Staatsorganisationsmodell eigentümlichen Figuren des "demokratischen Zentralismus" und der "doppelten Unterstellung" wurden als Schlüsselelemente auch für das kommunistische Regime in der DDR konstitutiv. So waren denn zu Beginn der achtziger Jahre in der UdSSR die "dezentralen" Politik- und Verwaltungsstrukturen von einem Vorrang und Übergewicht der Apparate der Oblast-Verwaltung geprägt. "Die Rolle der Oblast-Organe (lag) in der Durchsetzung der alles durchdringenden bürokratisch-zentralistischen Herrschaft und Kontrolle ... Hinter diesem grenzenlosen Herrschaftsanspruch stand nicht die Herrschaft der Sovets, sondern die Allmacht der Partei- und Exekutivstrukturen" 10. Um diesen Abschnitt mit einem bildhaften Eindruck zu schließen: Vermutlich typisch, residierte der Verwaltungsapparat des Gebiets (Oblast') Sverdlovsk (mit ca. 4 Mio. Einwohnern, einschließlich der Gebietshauptstadt Sverdlovsk I Jekaterinburg mit ca. 1,5 Mio. Einwohnern) in einem das Stadtbild Sverdlovsks dominierenden dreißigstöckigen Hochhaus, während die Stadtverwaltung von Sverdlovsk im Rathaus räumlich sehr viel beengter untergebracht war: eine in Architektur geronnene Widerspiegelung der tatsächlichen Machtund Zuständigkeitsverteilung zwischen Oblast und Stadt. Ein weiteres Stück von architektonisch verlautbarter Herrschaftsstruktur sprang dem Besucher darin ins Auge, daß Stockwerk um Stockwerk auf dem gleichen Flur links die staatlichen Stellen und rechts die "spiegelbildliche" Parteioganisation ihre Büros hatten.

111. Anstöße zur Dezentralisierung des Stalinschen Staatsorganisationsmodells durch "Perestrojka" In ihrer institutionellen Stoßrichtung zielte Gorbatschows Perestrojka darauf, den Griff, in dem die politisch erstarrte KPdSU die Sowjetunion hielt, dadurch 10 So zwei führende Kenner ßes früheren Staatsrechts und der gegenwärtigen Umbruchphase, G. Barabasev / K. Seremet, in: Narodny Deputat, 1991, Heft 14, S. 39.

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zu lockern, daß die Sowjets als gewählte Volksvertretungen wieder mit politischem Leben erfüllt würden, zunächst auf der All-Unions-Ebene und dann auf den dezentralen Ebenen. Auch wenn das Wahlverfahren für einen neuen Volksdeputiertenkongreß der UdSSR am 19. März 1989 von echten demokratischen Wahlen noch weit entfernt war (ein Drittel der Abgeordnetensitze blieb für die KPdSU und ihre Hilfsorganisationen reserviert), so leiteten sie doch jene politischen Erschütterungen ein, die die Herrschaftsstrukturen von Partei und Staat in der UdSSR innerhalb von drei Jahren zum Einsturz bringen sollten. War die Wahl des Volksdeputiertenkongresses der UdSSR - getreu dem Gorbatschow'schen Denk- und Handlungsansatz, die Modernisierung und "Erneuerung" der UdSSR "von oben" zu initiieren - zunächst auf eine politische Mobilisierung auf der Unionsebene gerichtet, so folgten Anfang 1990 Schritte, die auf eine Wiederbelebung der politischen Strukturen auf den "dezentralen" Ebenen zielten. Im Frühjahr 1990 verabschiedete der Volksdeputiertenkongreß der UdSSR ein Gesetz "über die allgemeinen Grundsätze der örtlichen Selbstverwaltung und der örtlichen Wirtschaft in der UdSSR" 11. Mit seiner Verabschiedung sollten die Unionsrepubliken ermutigt und veraniaßt werden, zu seiner Ausfüllung entsprechende Gesetze auf der Republiksebene zu erlassen. Als ein folgenreicher weiterer Schritt der politischen Mobilisierung wurden am 4. März 1990 für die Volksdeputiertenkongresse in den einzelnen Republiken der UdSSR und für die Vertretungsorgane ("sovety", "Sowjets") auf Regions("krai), Gebiets- ("oblast' H), Kreis- ("rajon Stadt- und Dar/ebene Wahlen abgehalten. Gegenüber den noch stark manipulierten Wahlen zum Volksdeputiertenkongreß der UdSSR im März des Vorjahres stellten die Republik-, Bezirksund Kommunalwahlen vom 4. März 1990 insofern einen merklich demokratischeren Urnengang dar, als eine "pluralistische" Konkurrenz zwischen Kandidaten eröffnet wurde, der Wahlakt geheim war und eine korrekte Auszählung der Stimmen gewährleistet schien. Als erheblicher Abstrich ist freilich hervorzuheben, daß die Nominierung der Kandidaten weitgehend fest in den Händen der KPdSU blieb, die dadurch noch einen bestimmenden Einfluß ausübte 12. H

),

Die Republik- und Kommunalwahlen vom März 1990 brachten für die Demokraten und Reformer beachtliche Siege. Vor allem in den Großstädten - an der Spitze Moskau und Leningrad - erlitten die konservativen, dem Parteiestablishment zuzurechnenden Kandidaten vernichtende Niederlagen. Im Moskauer Sowjet ("Mossovet") und im Leningrader Sowjet ("Lensovet") stellten die Demokraten jeweils mehr als 70 % der Abgeordneten. 11 Vgl. den von der einflußreichen Zeitschrift "Sovetskoe Gosudarstvo i Pravo" veranstalteten "Runden Tisch" zu dem Gesetz, in: Sovetskoe Gosudarstvo i Pravo, 1990, Heft

9, S. 28 ff.

12 Vgl. ausführlicher Hel/mut Wal/mann, Change and continuity of political and administrative elites - from Communist to post-Communist Russia, in: Governance, 1993 (im Erscheinen).

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Aufgrund dieser Wahlergebnisse kam es in den folgenden Monaten in zahlreichen Städten - nicht nur in Moskau und Leningrad - zu heftigen Konflikten, in denen die demokratischen und reformerischen Kräfte in den Sowjets als Vertreter der "gewählten Gewalt" (izbrannaja vlast') und die konservativen, in der Regel der Parteinomenklatur angehörenden Kader in den "Exekutivkomitees" ("ispolkomy") und ihren Verwaltungsapparaten als Vertreter der "ausführenden Gewalt" (ispolnitel'naja vlast') um die Macht rangen. In vielen Städten bildeten sich Formen einer "Doppelherrschaft" heraus, indem auf der einen Seite die noch immer weitgehend dem zentralen Staats- und Parteiapparat der Unionsebene hierarchisch unterstellten "Exekutivkomitees" ("ispolkomy") ihre Machtstellung zu behaupten und auf der anderen die "gewählten Organe" ihre Position, teilweise durch Schaffung eigener Verwaltungsstrukturen und Anstellung eigener Verwaltungsstäbe, auszubauen suchten. Besonders dramatisch (und über die Medien weithin publiziert) verliefen die Auseinandersetzungen in Moskau und in Leningrad (hierauf wird weiter unten ein wenig näher eingegangen). In Moskau gelang es der demokratischen Mehrheit im Stadtsowjet ("Mossovet"), der den populären Reformer und Jelzin-Anhänger Gabriil Popov zu seinem Vorsitzenden wählte, in ihren Konflikten mit dem mächtigen, noch immer von den Nomenklaturkadern der Partei beherrschten Verwaltungsapparat der Stadt ("Mosgorispolkom"), diesem durchaus eine Reihe von Zugeständnissen zu entringen 13. Ähnlich verlief die Entwicklung in Leningrad, wo die demokratische Mehrheit den Reformer Anatolij Sobtschak zum Vorsitzenden des Leningrader Stadtsovets ("Lensovet") wählte. Popov und Sobtschak und ihre Anhänger entwickelten in diesen Auseinandersetzungen politische Muskeln, die sie, auf die politische Rückendeckung des Jelzin-Lagers gestützt, in den Stand setzten, im Verlauf des Jahres 1991 die Eroberung der Exekutive in den beiden Schlüsselstädten vorzubereiten und voranzutreiben. In dieser Phase der "Doppelherrschaft", die sich als Ergebnis der Wahlen vom März 1990 in zahlreichen Städten ausprägte, befanden sich die Demokraten und Reformer freilich nicht nur in harten Auseinandersetzungen mit den Nomenklatura-Kadern in den Verwaltungsapparaten, sondern verschlissen und blockierten sich auch untereinander in internen Konflikten und in endlosen Debatten in den Sowjets, was ihnen eine zunehmend kritische Einschätzung (u. a. als "MeetingDemokratie", "mitingaja demokratija") auch in den demokratisch-liberalen Medien eintrug.

13 Vgl. Timothy Frye, The City Soviet stakes its claim, in: RFL, Report on the USSR, August 3rd, 1990, p. 16.

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IV. Dezentralisierung und Demokratisierung der lokalen Ebene als Elemente in Jelzins Konfliktstrategie Nachdem Jelzin und einige führende Reformpolitiker durch den Austritt aus der KPdS U im Juli 1990 klare Verhältnisse geschaffen hatten, zielte ihre Konfliktstrategie gegen die Kommunistische Partei unverkennbar darauf, die Machtbasen der Komunistischen Partei in den "Exekutivkomitees" der Stadtverwaltungen dadurch zu schwächen, daß die Position von Verwaltungschefs geschaffen wurden, die von der Bevölkerung zu wählen seien. In einem ersten Schritt wurden - gleichzeitig mit der Schaffung der neuen Position eines Präsidenten der RSFSR und dessen Wahl am 12. Juni 1991 - die Wahl von Bürgermeistern in den beiden Schlüsselstädten Moskau und Leningrad und der entsprechende Umbau der Verwaltung in diesen Städten gesetzgeberisch vorbereitet 14 - in einer Phase, in der es Jelzin, obgleich Parteirebell und seit Juli 1990 aus der KPdSU ausgetreten, durchaus gelang, Mehrheiten unter den Abgeordneten (überwiegend Kommunisten!) des Obersten Sowjets der RSFSR für seine gegen das konservative Parteiestablishment und die "alten" Machtstrukturen gerichtete Politik zu gewinnen. Am 12. Juni 1991 wurde Boris Jelzin im ersten Wahlgang mit deutlicher Mehrheit zum Präsidenten der RSFSR gewählt - als erster aus wahrhaft freien demokratischen Wahlen hervorgegangener politischer Führer in der russischen Geschichte überhaupt. Gleichzeitig wurden die Reformpolitiker Popov und Sobtschak mit überwältigenden Mehrheiten zu den Bürgermeistern von Moskau bzw. Leningrad gewählt. Mit der Schaffung und Besetzung des Präsidentenamtes durch Jelzin und die Besetzung der Bürgermeisterposten in den beiden Schlüsselstädten Rußlands war eine strategisch überaus wichtige Ausgangsposition für die Auseinandersetzung mit der KPdSU und die Einleitung von weitreichenden politischen und ökonomischen Reformen gelegt. Mit unverkennbarem Blick darauf, den machtpolitischen Vorstoß - über Moskau und Leningrad hinaus - auf die Städte und Dörfer "in der Provinz", 14 Insbesondere die folgenden Gesetze und Verordnungen bereiteten den rasanten Umbau der Verwaltung nach den Juni-Wahlen vor: - Gesetz des Obersten Sowjets der RSFSR über den Präsidenten der RSFSR vom 24.4.1991, - Gesetz des Obersten Sowjets der RSFSR über die Wahl des Präsidenten vom 24.4. 1991, - Verordnung (poloznie) des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR "über den Status und die Struktur der Verwaltungsorgane der Stadt Moskau" vom 19.4. 1991, - Verordnung (polozenie) des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR "über die Durchführung der Bürgermeisterwahlen in Moskau" vom 27.4.91, - Verordnung (polozenie) des Präsidiums des Obersten Sowjets "über die Struktur der Verwaltungsorgane der Stadt Leningrad und die Wahl des Bürgermeisters", Mai 1991, - Verordnung (postanovlenie) des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR "über die Struktur und die Funktionen der repräsentativen und exekutiven Machtorgane in Leningrad".

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also in der Weite Rußlands, auszudehnen, wurde in dieser entscheidenden Phase im Frühjahr und Sommer 1991 des weiteren ein neues "Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung in der RSFSR" vorbereitet und am 6. Juli 1991 vom Obersten Sowjet der RSFSR beschlossen. Die zentralen Regelungen des neuen Gesetzes sind insbesondere in den folgenden Punkten zu sehen: Einleitend umschreibt das Gesetz den Grundsatz der lokalen Selbstverwaltung (mestnoe samoupravlenie) als "System zur Organisation der Aktivitäten der Bürger zur selbständigen, eigenverantwortlichen Entscheidung der Fragen von örtlicher Bedeutung" (Art. 1). Indem es des weiteren vorsieht, daß "die Entscheidungen der örtlichen Volksvertretung (mestny sovet) und der örtlichen Verwaltung, die von diesen innerhalb ihrer Zuständigkeiten getroffen werden, von anderen Organen des Staates ... nicht aufgehoben werden können" (Art. 87, Abs. 2), wird mit dem der Stalinistischen Staatsorganisation eigentümlichen Grundsatz der "doppelten Unterstellung" gebrochen, die den hierarchischen Durchgriff "von oben nach unten" durch die zentrale Staatsund Parteiführung gestattet hatte. Während einerseits die örtliche Volksvertretung (mestny sovet) als das (oberste) örtliche Machtorgan bezeichnet wird (Art. 10 Abs. 1), ist andererseits die Position des Verwaltungschefs ("glava administracii") - mit lokalen Anklängen an die Stellung des RSFSR-Präsidenten - als "starker Mann" ausgestaltet, der für die Dauer von fünf Jahren von der Bevölkerung direkt gewählt werden soll (Art. 30, Abs . 2). Als Termin für die Wahl der örtlichen Verwaltungschefs wurde im Einführungserlaß des Obersten Sowjets vom 6. Juli 1991 der November 1991 genannt. Die machtpolitische Stoßrichtung, die die Reformer mit der Schaffung der Figur eines starken, von der Bevölkerung direkt zu wählenden "Bürgermeisters" ("Mer") 15 offenkundig verfolgten, läßt sich an der ausdrücklichen Vorschrift des Einführungserlasses des Obersten Sowjets ablesen, wonach die Befugnisse des bisherigen "Exekutivkomitees" ("ispolkom") erlöschen, sobald der gewählte neue Verwaltungschef sein Amt aufnimmt, also, in der ursprünglichen gesetzgeberischen Zeitplanung, im November 1991. Durch direkte Wahl durch die Bevölkerung politisch und demokratisch legitimiert und ausdrücklich mit "monokratischer" Leitungsbefugnis ("edinonacalie", Art. 30 Abs. 4) versehen, war die Stellung des neuen Verwaltungschefs unverkennbar darauf angelegt, die bisherige von der kommunistischen Nomenklatura besetzte Verwaltungsführung in den "Exekutivkomitees" und in den Verwaltungsabteilungen zu entmachten.

15 Zwar überließ es das Gesetz ausdrücklich der jeweiligen örtlichen Volksvertretung, die Amtsbezeichnung des "Verwaltungschefs" zu bestimmen. Jedoch wurde es in Anknüpfung an Moskau und Leningrad / St. Petersburg, wo - in Übernahme des französischen "maire" - von "mer" gesprochen wird, üblich, die örtlichen "Verwaltungschefs" "mer" zu nennen.

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Helmut WolJmann und Kirk Mildner Aber auch gegenüber der örtlichen Volksvertretung (sovet) wird die ohnedies mächtige Stellung des Verwaltungschefs, die sich aus seiner Volkswahl und dem umfangreichen Befugniskatalog (Art. 31) ergibt, durch das Recht verstärkt, gegen Entscheidungen des Sowjets innerhalb von fünf Tagen mit aufschiebender Wirkung Widerspruch einzulegen, wenn eine Entscheidung nach seiner Auffassung gegen die Gesetze verstößt oder durch andere Entscheidungen des Sowjets finanziell, materiell-technisch oder organisatorisch nicht hinreichend abgesichert ist (Art. 34-1). Der Sowjet stimmt daraufhin erneut über seine Entscheidung ab. Sprechen sich wiederum mehr als die Hälfte der Abgeordneten für die Annahme aus, ist der Einspruch des Verwaltungschefs abgelehnt. Diesem bleibt jedoch auch nach der Ablehnung seines Widerspruchs die Möglichkeit, vor einem Gericht oder dem nächsthöheren Sowjet die Entscheidung anzufechten (Art. 34-4). Auf der anderen Seite kann der Verwaltungschef vom Sowjet abgewählt werden (Art. 35): Der Vorsitzende des Sowet, die ständige Kommission oder mindestens ein Drittel der Abgeordneten haben das Recht, einen Mißtrauensantrag gegen den Verwaltungschef sowie einzelne Abteilungsleiter der Stadtverwaltung zu stellen. Das Mißtrauen gilt als ausgesprochen, wenn mehr als 2/ 3 der Abgeordneten für den Antrag stimmen. Danach folgt die Abstimmung über seine Abberufung.

-

Aus der Fülle der sonstigen Bestimmungen (das Gesetz umfaßt über hundert teilweise außerordentlich detaillierte Vorschriften) seien an dieser Stelle lediglich die Vorschriften über Haushalt und Finanzen der Städte hervorgehoben. In Art. 43 spricht das Gesetz ausdrücklich davon, daß die örtlichen Sowjets ihren Haushalt selbständig im Interesse der Bevölkerung beschließen (Art. 43 -1). Zwar wird des weiteren geregelt, wie die Städte mit Einnahmen und Ausgaben budgetär zu verfahren haben. Jedoch trifft das Gesetz keine Aussagen darüber, welche Einnahmequellen, insbesondere steuerlicher Art, die Städte tatsächlich besitzen sollen.

-

Verwiesen sei ferner die in der Einführungsverordnung vom 6. Juli 1991 hinzugefügte Vorschrift, daß die lokalen Volksvertretungen sog. ,,kleine Sowjets" (malye sovety) bilden können, die aus einem Zehnten der (gesetzlichen) Mitgliederzahl des Plenums bestehen. (Angesichts der großen Mitgliederzahl, die die Stadtsowjets - in Anknüpfung an die frühere entsprechende Praxis - aufweisen 16, gewann diese Vorschrift in der kommunalen Paxis große Bedeutung.)

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Schließlich sei hervorgehoben, daß - wiederum als Abkehr Von dem Stalin' schen Staatsorganisationsmodell - die Bezeichnung und Konzeption der "örtlichen" ("mestny") Selbstverwaltung nunmehr allein auf die Städte (goroda), Kreise (rajony), Dörfer (poselki) usw. gemünzt sind, die Regionen (krai)

16 In einer Millionenstadt beläuft sich die Zahl der Abgeordneten des Stadtsowjets auf ca. 200!

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und Gebiete (oblast') aber nicht mehr einbeziehen. Diese konzeptionelle und rechtliche "Entörtlichung" der Gebietsebene wurde durch das Gesetz der RSFSR "über die Regionen und Gebiete" vom 5. 3.1992 übernommen. Sie wurde verfassungsrechtlich und politisch dadurch abgeschlossen, daß aufgrund des "Föderativvertrages" vom 31. 3. 1992 und der hierin verfolgten "Födera1isierung" Rußlands die Regionen (krai) und Gebiete (oblast') zusammen mit den Republiken auf dem Gebiet der RSFSR - zu (den deutschen Bundesländern vergleichbaren) "föderativen Einheiten" (,,federativnye subekty") aufgewertet wurden. Das neue Selbstverwaltungsgesetz stieß bei seiner Verabschiedung auf ein gemischtes Echo. Einerseits wurde es - insbesondere auch in der fachwissenschaftlichen Diskussion - als ein wichtiger und mutiger Schritt, wenn nicht gar als Durchbruch begrüßt 17. Andererseits aber war die Enttäuschung - zumal bei kommunalen Praktikern - groß 18. Vor allem wurde das Ausbleiben einer wirklichen Umverteilung der Finanzmittel und einer tragfähigen finanziellen Ausstattung der Städte moniert.

V. Exkurs: Reformpolitik und Verwaltungsumbau in den "Schlüsselstädten" Moskau und Leningrad / St. Petersburg Wie bereits erwähnt, stellten die Wahl Jelzins zum Präsidenten Rußlands am 12. Juni 1991 und die gleichzeitige Wahl der beiden prominenten Reformpolitiker Gabriil Popov und Anatolij Sobtschak zu den Verwaltungschefs ("Mery" = Oberbürgermeister) von Moskau bzw. St. Petersburg einen entscheidenden Schachzug im Ringen der Reformkräfte mit der KPdSU um die Macht im Lande dar.

Zwar in dem strategischen Ziel eins, ihre neuen Ämter in den beiden Schlüsselstädten zu reformpolitischen Bastionen für die Konfrontation mit der KPdSU auszubauen, weist ihrer beider Vorgehen bemerkenswerte Unterschiede in Taktik, Verlauf und Ergebnis auf. In Moskau schritt Popov dazu, die politischen und administrativen Strukturen der Stadt regelrecht umzukrempeln. Das Wahlergebnis vom 12. Juni 1991 wirkte regelrecht als Katalysator: Nur einen Tag nach seiner Wahl erließ Popov eine 17 Vgl. den von der Fachzeitschrift ,,Narodny Deputat" ("Volksdeputierter") anläßlich der Verabschiedung des Selbstverwaltungsgesetzes der RSFSR veranstalteten "Runden Tisch", in: Narodny Deputat, 1991, No. 12, S. 26 ff. 18 Im Juli 1991 nach der Verabschiedung des neuen RSFSR-Gesetzes über die örtliche Selbstverwaltung - wandten sich Vertreter von 45 Großstädten (in der "Vereinigung der russischen Städte") an Präsident Jelzin und den Volksdeputiertenkongreß der RSFSR und beklagten sich über das neue "Selbstverwaltungsgesetz", weil es - wie früher - den Städten das Recht vorenthalte, selbständig das kommunale Budget zu formulieren, Abgaben und Steuern festzusetzen, über das kommunale Eigentum und Grundeigentum zu ,verfügen, vgl. Narodny Deputat 1991, Heft 11, S. 38.

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Verordnung "über die Sicherung der operativen Leitung der städtischen Wirtschaft", welche die Übergangsperiode bis zur Einführung neuer Verwaltungsstrukturen regelte. Diese neuen Strukturen ließen nicht lange auf sich warten. Am 2l. Juni 1991 holte Popov zum Schlag gegen die alte Verwaltung aus: In nicht weniger als 11 Verordnungen wurden nicht nur völlig neue Verwaltungsorgane geschaffen, sondern auch die alten entmachtet. Im Zuge dieser Maßnahmen wurde die bisherige Struktur der Stadtbezirke (gorodskie rajony) mit ihren gewählten Stadtbezirks vertretungen praktisch aufgelöst und durch ein System von administrativen Bezirken (mit von Popov zu ernennenden "Präfekten") und "munizipalen Bezirken" (mit entsprechend zu ernennenden "Subpräfekten") ersetzt - bis in die französische Terminologie eine Vorliebe für einen zentralistischen Verwaltungsstil verratend. Zur Durchsetzung dieser auf die Schwächung der KPdSU-Organisationen in einzelnen Stadtbezirken Moskaus sowie auf Straffung der administrativen Strukturen angelegten Strategie nahm es Popov in Kauf, ja legte er es darauf an, daß das Moskauer Stadtparlament ("Mossovet") - ungeachtet seiner demokratischen, mit Popov politisch durchaus verbundenen Mehrheit - zunehmend an den Rand gedrängt wurde. In seiner Personalpolitik scheute er sich nicht, bei der Ernennung der Präfekten auf alte Verwaltungskader mit zum Teil langjähriger Parteikarriere zurückzugreifen 19. Dadurch, daß Popov die territorial-administrative Neuordnung Moskaus eher hemdsärmelig, sprunghaft und auf Konfrontationskurs gegenüber Mossovet und den Rajsovets gestimmt in Angriff nahm, entzog er von Anfang an einem ausbalancierten Verhältnis zwischen den Vertretungsorganen und der Verwaltung in Moskau den Boden. Spätestens nach dem Putsch zeigten sich die fatalen Folgen dieser Politik. Der wesentlicher Aufgaben beraubte Stadtsowjet verstrickte sich in Debatten über seine und des Bürgermeisteramtes Zuständigkeiten und führte hierüber gegen diesen eine Fülle von Gerichtsprozessen 20; Stadtsowjet und Stadtverwaltung blockierten sich wechselseitig; das Moskauer Verwaltungsystem war zerrüttet. Politisch entnervt trat Popov dann im Frühjahr 1992 von seinem Posten zurück. In Leningrad / St. Petersburg vollzog sich die Reorganisation der Verwaltung weniger radikal und behutsamer. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sie liegen zum einen in der Ungleichzeitigkeit der Ereignisse zwischen Zentrum und Peripherie - und Leningrad war im Verhältnis zu Moskau noch immer beinahe politische Peripherie - , zum anderen in den unterschiedlichen Persönlichkeiten Popov und Sobtschak und deren Verhältnis zu Jelzin begründet. 19 So ernannte Popov u. a. Nikol'skij (ehemaliger 2. Sekretär des ZK der KPdSU Georgiens) und Brjatcin (ehemaliger Moskauer Parteiführer), siehe Boris Kargalickij, "Bürgermeister '" maßlos", in: Narodny Deputat, 1991, Heft 17, S. 44. 20 Vgl. hierzu u. a.: "Mit wem sind Popov und Sobtschak im Konflikt?, in: Norodny Deputat, Nr. 3 1992, S. 23; "Prokuror-Mossovet", KommersantNo. 28,6.-13.6. 1992, S. 22. In abgeschwächtem Maße gilt dies auch für St. Petersburg, vgl. "Wem ist die dritte Macht in Petersburg untergeordnet?", in: Vecemij Peterburg, 24.3.92, S. 2.

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Der Leningrader Bürgermeister ließ sich Zeit mit dem Aufbau seiner Verwaltung. Erst am 23. 7. 1991- zu diesem Zeitpunkt war die territorial-administrative Neuordnung Moskaus bereits beschlossene Sache - erließ er eine Anordnung über "die vorläufigen Strukturen der Leningrader Verwaltung". 21 Die behutsame Neuordnung der Stadtbezirksverwaltung - der Zuschnitt der Stadtbezirke und die Vollmachten der Bezirksvertretungen (rajsovety) wurden nicht angetastet - erfolgte erst am 15. August, vier Tage vor Ausbruch des Putsches. 22 An die Stelle der alten "Exekutivkomitees" der Stadtbezirke (rajispolkomy) trat die neue Stadtbezirksverwaltung, deren Verwaltungschef (glava administracii) zwar von Sobtschak ernannt wurde, jedoch von der entsprechenden Stadtbezirksvertretung zu bestätigen war. Unter den 20 im August neu ernannten Verwaltungschefs der Stadtbezirke waren allein 14 Vorsitzende der Bezirksvertretungen, also neue reformorientierte Kräfte, die nach den März-Wahlen 1990 an die Spitze der Stadtbezirksvertretungen (rajsovety) gekommen waren. Lediglich 6 neue Bezirksverwaltungschefs arbeiteten vorher in der Verwaltung - vier als Vorsitzende des alten Bezirksexekutivorgans (rajispolkom) und zwei als stellvertretende Vorsitzende. Diese Penetration der Verwaltung mit neuen Kräften war ein wichtiger Schritt in Richtung Demokratieentwicklung und verminderte in Leningrad / St. Petersburg die Spannungen zwischen den gesamtstädtischen und stadtbezirklichen Vertretungsorganen einerseits und der Stadtverwaltung, an deren Spitze Sobtschak, andererseits. Es dürfte wesentlich Sobtschaks Führungsstil zuzuschreiben sein, daß an der Neva die politischen Konflikte "zivilisierter" ausgetragen werden. 23 Man nimmt aufeinander in gewissem Maße Rücksicht und stimmt seine Politik im Vorfeld mit der anderen Seite ab. So gibt es vor der Verabschiedung von Verordnungen vielfältige Beratungen zwischen den entsprechenden Kommissionen des Petrosovets und den Komitees der Bürgermeisterverwaltung ("Merija"). Vielleicht noch wichtiger für die besondere Ausprägung des "Petersburger Weges" ist das Entstehen einer zweiten horizontalen Machtebene in den Stadtrajons. Diese Stadtrajons zählen bis zu 500 000 Einwohner - sind also durchaus mit deutschen Großstädten zu vergleichen. Das Verhältnis zwischen Rajsovets und Rajverwaltung wird von beiden Seiten als konstruktiv, bisweilen sogar freundschaftlich beschrieben. Sowohl bei Verwaltungsangestellten wie auch Deputierten gibt es ein ausgeprägtes "Rajonbewußtsein" und den Willen, eine bestimmte "Rajonpolitik" zu vertreten 24 • 21 Rasporazenie mera Leningrada ot 23.7.91 No. 128, "ob utverZdenii vremennoj struktury i statnogo raspisanija merii Leningrada". 22 Rasporazenie mera Leningrada ot 15. 8. 91 goda No. 259",0 rajonom zvene organov upravlenija v Leningrade". 23 Zur politischen Kultur Petersburgs im Vergleich zum übrigen Rußland siehe u. a. "Unsere Deputierten sehen auch besser aus", in: Smena v. 9. Juli 1992, Petersburg, S. 1. 24 Wenigstens einmal pro Monat treten die Vorsitzenden aller Rajsovets und die glava administracii zusammen, um ihre Politik aufeinander abzustimmen und gemeinsame

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Natürlich sind auch in Petersburg die Probleme in der Phase des totalen Umbaus von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft enorm und von den neuen politischen Kräften kaum zu bewältigen. Privatisierung, ständiger Produktionsrückgang in der Industrie, steigende Kriminalität, stockende Konversion der ortsansässigen Rüstungsunternehmen, katastrophale Wohnungsnot, mangelnde Legitimation innerhalb der Bevölkerung und Knappheit der Finanzmittel drohen den Idealismus und Reformwillen der neuen Elite zu ersticken. Doch trotz aller Probleme wurden in Petersburg zumindest innovationsfähige Politik- und Verwaltungsstrukturen geschaffen, die auf eine Verbesserung der Lage hoffen lassen. 25

VI. Entwicklungslinien der lokalen Selbstverwaltung nach dem Putsch und in der "Periode der radikalen ökonomischen Reformen" Schien der Weg zu einer entschiedenen Dezentralisierung der Russischen Föderation (durch Stärkung der Stellung und Zuständigkeiten der lokalen Handlungsebene, also der Städte und Dörfer) und zu einer weiteren Demokratisierung (durch kurzfristige Volkswahl der Verwaltungschefs = Bürgermeister der Städte und Dörfer) vorgezeichnet, nicht zuletzt als Hebel Ielzin'scher Reformpolitik zur Schwächung der fortbestehenden Machtpositionen der Kommunistischen Partei in den regionalen und lokalen Verwaltungsapparaten, so leiteten der Sieg leizins über die Putschisten, das Verbot der Kommunistischen Partei, die Zerschlagung ihrer organisatorischen Infrastruktur und die Verschärfung der Reformpolitik 26 - bemerkenswerter- und auf den ersten Blick paradoxerweise - eine "Rehierarchisierung" und "Rezentralisierung" des Herrschaftssystems auf Kosten der lokalen Selbstverwaltung ein. Diese Tendenz folgte vor allem daraus, daß Ielzin und seine Reformmannschaft danach strebten, sich zur Durchsetzung der ökonomischen Reformpolitik (insbesondere Preisfreigabe, Privatisierung der Wirtschaftsunternehmen, Privatisierung von Grund und Boden usw.) auf einen "vertikalen", von der föderalen 1{egierungsebene über die Regionen (krai) und Gebiete (oblast) bis zu den Kreisen (krai), Projekte zu beraten. Diese Versammlungen besitzen zwar keine Beschlußkraft, doch finden an die Merija weitergeleitete Empfehlungen in der Regel Berücksichtigung bei der Ausarbeitung bestimmter Projekte und Verordnungen: Weder der Petrosovet noch Sobtschak können diesen Zusammenschluß kommunaler Verwaltungs- und Sovetspitzen ignorieren. 25 Als Indiz für die Innovationsfähigkeit der Petersburger Rajonverwaltungen mag die Einrichtung von fünf sogenannten "administrativnye okrugi" (Verwaltungskreise) innerhalb des Krasnovardejski Rajon gelten (April 1992). Jeder dieser Kreise, die bis zu 70 000 Einwohner zählen, besitzt eine kleine Verwaltung, deren Hauptaufgabe neben der Organisierung von sozialen Leistungen und der "Humanitären Hilfe" (gumanitamaja pomosc') die Verbesserung des Kontaktes zur Bevölkerung ist. 26 Vgl. ausführlicher Hel/mut Wol/mann, Change and continuity, a. a. O.

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Städten (gorod) und Dörfern reichenden Strang von politischen Gefolgsleuten des Präsidenten zu stützen, anstatt sich auf die im Gesetz über die lokale Selbstverwaltung für November 1991 vorgesehene Wahl der Verwaltungschefs auf der lokalen Ebene zu verlassen. Mochten bei Ielzins Entscheidung für die Wiedereinführung einer vertikal-autoritären Herrschaftsstruktur auch alte, auf hierarchische Befehlsstränge eingeübte politische Instinkte und Reflexe eines Nomenklaturisten eine Rolle gespielt haben, ausschlaggebend dürfte die während des Putsches gemachte Erfahrung gewesen sein, daß sich die "Exekutivkomitees" (ispolkomy) und teilweise auch die Volksvertretungen (sovety) der regionalen und lokalen Ebene während des Putsches als unsichere Kantonisten erwiesen und sich teilweise - die Vorsitzenden der "ispolkomy" sogar überwiegend - offen auf die Seite der Putschisten geschlagen hatten. So zogen es Ielzin und seine Mannschaft ("komanda") offenbar vor, ihr Heil in der Etablierung eines hierarchisch-vertikalen, über die Regionen und Bezirke in die Kreise und Städte reichenden Herrschaftsstranges zu suchen, anstatt sich auf die Unsicherheiten einer Volkswahl der regionalen und lokalen Verwaltungschefs einzulassen. So kann es nicht verwundern, daß die Sonderverordnung "über die Organisation der ausführenden Gewalt in der Periode der radikalen ökonomischen Refonn", die Ielzin vom Volksdeputiertenkongreß verlangte und am 1. November 1991 - mit einer Befristung zum 1. Dezember 1992 - erhielt, aus dem Modell der lokalen Selbstverwaltung, wie es das Gesetz über die lokale Selbstverwaltung vom 6. Iuli 1991 statuierte, gleich zwei wesentliche Stücke - zumindest vorübergehend - herausbrach: -

Zum einen wurde in der Verordnung dem Präsidenten die Sondervollmacht erteilt, die Verwaltungschefs (glavy administracii) auf der Regions- (krai), Gebiets- (oblast), Kreis- (rajon) und Stadtebene unmittelbar (oder im Wege der Delegation) zu ernennen - freilich mit Zustimmung ("soglacovanie") der jeweiligen Volksvertretung (sovet). Mit dieser Sondervollmacht des Präsidenten wurde zugleich die im Gesetz über die lokale Selbstverwaltung vorgesehene Wahl der Verwaltungschefs - zunächst einmal bis Dezember 1992 - aufgeschoben 27 • Als einer der Punkte des Kompromisses, der - als der Machtkonflikt zwischen Präsidenten und Volksdeputiertenkongreß im Verlaufe von dessen 7. Sitzungsperiode im Dezember 1992 das Land an den Rand eines Bürgerkrieges brachte - zwischen den Kontrahenten ausgehandelt wurde, wurde die Wahl der regionalen und lokalen Verwaltungschefs inzwischen noch einmal hinausgeschoben - bis zur Wa!Il der Volksvertretun-

27 Die Sondervollmacht und die auf sie gestützte Struktur der vom Präsidenten ernannten regionalen und lokalen Verwaltungschefs stieß denn auch auf die erbitterte Kritik aus dem liberalen und demokratischen Lager. Selbst solche, die ansonsten mit Ielzin politisch sympatisierten, sprachen von einer ,,neuen Oligarchie" und der "größten Gefahr für die Demokratie", so z. B. Sergei Peruansky, zit. nach Julia Wishnevsky , "Russia: Liberal Media Criticize Democrats in Power", in: RFE / RL Research Report, 10 January 1992, p. 6 ff.

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Helmut Wollmann und Kirk Mildner gen, die - bei nonnalem Gang der Dinge - im Frühjahr 1994 stattfinden werden. Man erinnere sich: ursprünglich war die Wahl der lokalen Verwaltungschefs für November 1991 vorgesehen!

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Zum anderen wurde die Regelung des Gesetzes über die örtliche Selbstverwaltung, nach der die von der örtlichen Volksvertretung (mestny sovet) im Rahmen ihrer Zuständigkeiten getroffenen Entscheidungen von einer höheren Entscheidungsebene nicht aufgehoben werden können (Art. 87 Abs. 2), durch die Verordnung vom 1. 11. 1991 verwässert - in nicht sonderlich klaren Fonnulierungen über die "Unterstellung" der "unteren" Entscheidungsebene und das Recht der "oberen" zur "Aufhebung" von Entscheidungen der "unteren" Ebene. Damit feiert das dem Stalin'schen Staatsorganisationsmodell eigentümliche Prinzip der "Unterstellung" (podcinennost') fröhliche Urstände, wo doch die erwähnte Bestimmung des Gesetzes über die lokale Selbstverwaltung einen Schluß strich unter dieses Kapitel zentralistischer Kommandoregierung ziehen sollte. Damit erhält die überkommene Neigung der Gebietsverwaltungen, in die Angelegenheiten der lokalen Ebene ständig hineinzureden und hineinzuregieren, neue Nahrung.

Eine weitere - verfassungsrechtlich abgesicherte - Stärkung erfuhr die Ebene der Regionen (krai) und Gebiete (oblast) durch den "Föderativvertrag" (,,federanativny dogovor"), der am 31. 3. 1992 zwischen der Bundesebene und den 18 auf dem Gebiet der Russischen Föderation liegenden Republiken unterzeichnet wurde und dem sich am gleichen Tage die 6 Regionen (krai), 49 Gebiete (oblast') sowie die beiden ("gebietsfreien", in ihrem Status den bundesdeutschen "Stadtstaaten" vergleichbaren) Städte Moskau und St. Petersburg anschlossen; damit umfaßt die Russische Föderation insgesamt 86 (!) "föderative Gliedeinheiten" ("federativnye subekty"). Der Abschluß des Föderativvertrags und die Zugeständnisse, die hierin die Bundesebene den "föderativen Subjekten" in der gesamt staatlichen Zuständigkeitsverteilung machte, sind als Versuch der Jelzin-Regierung zu sehen, der zentrifugalen, wesentlich ethnisch und nationalistisch angetriebenen Dynamik des Transfonnationsprozesses Rechnung zu tragen und sie zugleich zu bändigen. Unter anderem ist vorgesehen, daß sich die Bundesebene in wesentlichen Feldern der Gesetzgebung künftig nur noch auf eine Rahmengesetzgebung beschränkt, während die diese ausfüllende und konkretisierende Gesetzgebung bei den "föderativen Subjekten", also auch bei den Regionen und Gebieten, liegt. Dies gilt beispielsweise auch für die Regelung der lokalen Selbstverwaltung. Derzeit wird vom Obersten Sowjet der RF der Entwurf eines Rahmengesetzes über die lokale Selbstverwaltung vorbereitet, das das geltende Gesetz vom 6. Juli 1991 ablösen soll; die Einzelregelungen sollen dann von den einzelnen "föderativen Subjekten", also auch von den Regionen und Bezirken in eigener (der bundesdeutschen Landesgesetzgebung vergleichbaren) Nonnsetzungsbefugnis geregelt werden.

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Das zentralistische Gängelband vor Augen, an dem die Bezirke in der Vergangenheit "ihre" Kreise und Städte zu führen bestrebt waren, fürchten die Kommunalpolitiker, insbesondere die Mitglieder der Stadtsowjets, daß diese verfassungsrechtliche Aufwertung der Bezirke zu "föderativen Subjekten" diese ermutigen wird, den zentralistischen Griff, in dem sie "ihre" Kreise und Städte halten, eher zu verstärken als ihn zu lockern. Insbesondere schwant ihnen nichts Gutes, wenn sie an die neue Zuständigkeit der Bezirke denken, eigene Vorschriften zur lokalen Selbstverwaltung auf der Grundlage des Rahmengesetzes des Bundes zu erlassen. Der verfassungsrechtliche und -politische Bedeutungsgewinn, der den Regionen (krai) und Gebieten (oblast') zugewachsen ist und in dem die Kommunalpolitiker - verständlich - eine mögliche Bedrohung für die Entfaltung und Festigung lokaler Selbstverwaltung erblicken, erhielt in jüngster Zeit dadurch weiteren Auftrieb, daß die Schar der von Jelzin (im Verlaufe der ersten Monate von 1992) ernannten Verwaltungschefs (glavi administracii) der Regionen bzw. Gebiete eine zusätzliche Aufwertung erfahren hat: Im Vorfeld der 7. Sitzungsperiode des Volksdeputiertenkongresses im Dezember 1992 - in einem offenkundigen Manöver Jelzins, seine politischen Bataillone für die Auseinandersetzung mit der konservativen Mehrheit im Kongreß zu stärken - wurde eine Vereinigung der Gebietsverwaltungschefs initiiert, die offiziell die klingende Bezeichnung "Vereinigung der Gouverneure Rußlands" (sojuz guvernatorov Rossii) trägt 28 : Waren bislang die Gebietsverwaltungschefs gelegentlich und informell- mit achtungserheischendem historischen Anklang an die Gouverneure des zaristischen Rußlands - Gouverneure genannt worden, so wurde ihnen dieser klangvolle Titel nunmehr offiziell zugestanden 29. Vieles deutet darauf hin, daß sich mit den "Gouverneuren" eine "Mittelinstanz" etabliert, die, bis in die Namensgebung zentralistische Verwaltungstraditionen Rußlands rezipierend, der kräftigen Entfaltung lokaler Selbstverwaltung im Wege steht, wenn nicht einen Riegel vorschiebt. Vordem Hintergrund dieser Entwicklungslinien kann es nicht verwundern, daß auf der Ebene der Kreise und Städte die Klage, ja die Wut darüber verbreitet sind, daß die Entwicklung zur lokalen Selbstverwaltung, die mit dem Gesetz vom Juli 1991 eröffnet schien, mitnichten eingelöst worden und die Abhängigkeit der Kreise und Städte - insbesondere von der Gebietsebene (oblast) - noch immer ungebrochen ist. Verbreitet wird die Situation aus der Sicht kommunaler Praktiker so gesehen, daß in den Städten "der Provinz", also in der Weite Rußlands außerhalb Moskaus, und selbst in den Großstädten mit einer Million Einwohnern und mehr, oft genug "Hauptstädte" der Gebiete, "alles irgendwie Wichtige nicht Vgl. Iszvestija v. 17. 11. 1992, S. 1. Zu den verfassungspolitischen Implikationen dieser Episode und zur RoUe, die die "Gouverneure" im Verlauf des Konfliktes zwischen Präsidenten und Volksdeputiertenkongreß im Dezember 1992, einschließlich der Ernennung des "Kompromißkandidaten" A. Tschernomyrdin spielten, durchaus mit einem "Bumerang"-Effekt für Jelzin, vgl. Wal/mann, a. a. O. 28

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auf der städtischen, sondern auf der Gebiets- (oblast) Ebene entschieden (wird) . . . Das Gesetz über die kommunale Selbstverwaltung, von dem wir so viel erwarteten, gab den Städten faktisch keinerlei Selbstverwaltung" 30. Erscheint diese Einschätzung vor dem Hintergrund der ansonsten verfügbaren Informationen mit Blick auf die Millionenstädte in der Weite Rußlands, einschließlich der Gebietshauptstädte, plausibel, so dürfte sie noch zugespitzter für die mittleren und kleineren Städte gelten, zumal diese ihrerseits - der in Deutschland geläufigen administrativen Stufenfolge Regierungsbezirk, Kreis und Kommune vergleichbar - einem Kreis (rajon) unterstellt sind und insoweit in einer doppelten Abhängigkeit (vom Kreis und dieser wiederum vom Gebiet) stehen. Die Abhängigkeit der Städte von Bundes- und Bezirksebene wird durch das bestehende Steuer- und Haushaltssystem verstärkt. Zwar sichert das Gesetz "über die Grundsätze von Budgetstruktur und -prozeß" vom 10. 10. 1991 auch den Städten die "Selbständigkeit" des Budgets zu (Art. 9), in Sonderheit "durch die Existenz eigener Einnahmequellen und durch das Recht, die Richtung ihrer Nutzung und Verausgabung zu bestimmen". Jedoch wird der nach wie vor bestehende zentralistische Bias des Steuersystems und seiner Verteilungsregeln im Gesetz "über die Grundlage des Steuersystems" vom 27. 12. 1991 augenfallig, wo die bislang und für absehbare Zeit einnahme stärksten Steuern (Mehrwertsteuer, sog. Gewinnsteuer für Unternehmen, Einkommensteuer für natürliche Personen) dem Bund zugeordnet werden, während den Einzelrepubliken, Regionen und Gebieten verhältnismäßig bedeutungslose Steuerquellen ars eigene Einnahmen und den Städten die Einnahmen aus Bagatellsteuern wie Hunde-, Reklameusw. Steuer zugewiesen werden. Der zentralistische Grundzug einer Verteilung von "oben nach unten" ist auch daran mit Händen zu greifen, daß die Steuerverteilung durch jährliches Bundesgesetz vorgenommen wird 31 und hierbei allein das Verhältnis Bund einerseits und Einzelrepubliken, Regionen, Gebiete (d. h. im neueren Verständnis: "föderative Subjekte") andererseits betrifft, die Städte also nicht in die binnenföderative Steuerverteilungsformel einbezieht. Die Verteilung der den "föderativen Subjekten" zugewiesenen Steuermittel auf "ihre" jeweiligen Kreise und Städte wird von ihnen in eigener Befugnis entschieden. Nimmt man die Tatsache hinzu, daß die Regionen und Gebiete in der Turbulenz der gegenwärtigen Umbruchphase ihre Entscheidungen über die Verteilung der Steuermittel auf die Kreise und Städte vierteljahresweise treffen, wird vollends augenfallig, in welcher finanziellen Abhängigkeit von der Gebietsebene sich die Kreise und Städte befinden - auch die Millionen- und Gebietshauptstädte. Hinzu kommt, daß die Einkünfte der Kommunen aus den "örtlichen Steuern" bislang minimal 30 So Jurij Khrenov, in: Narodny Deputat, 1992, Heft 1, S.40, mit Bezug auf die Stadt Voronez (mit ca. 1 Million Einwohnern). Dies war auch der Tenor der Einschätzungen, die den Verf. insbesondere von Vertretern der Stadtparlamente von Jekaterinburg und Saratov - beides Gebietshauptstädte mit 1 Mio. Einwohnern und mehr - im Rahmen von Interviews im Dezember 1992 mitgeteilt wurden. 31 Vgl. z. B. Gesetz über das budgetäre System der RF im Jahr 1992 v. 17.7.1992.

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sind 32 • Damit erweist sich das nach wie vor ausgeprägt zentralistische Finanzsystem der RF als gewaltiges Hindernis für die Städte in ihrem Streben nach größerer Selbständigkeit und erweitertem Handlungsspielraum.

VII. Zusammenfassung und Ausblick Richtung und Tempo des in den letzten zwei Jahren in Gang gekommenen Aufbaues der institutionellen und personellen Strukturen der kommunalen Selbstverwaltung (mestnoe samoupravlenie) in den Kreisen (rayon), Städten und Dörfern Rußlands werden durch eine Reihe von Ausgangs- und Rahmenbedingungen beeinflußt (und beschränkt), die - im Vergleich mit den anderen osteuropäischen Reform- und Transformationsländern - in Rußland spezifische Ausprägungen haben und in ihrem Zusammenwirken bislang einen von diesen deutlich unterschiedenen Entwicklungspfad der lokalen Selbstverwaltung wiesen und diese voraussichtlich bis auf weiteres strukturieren werden. Zum einen ist daran zu erinnern, daß Rußland eine - über die siebzigjährige Periode kommunistischer Herrschaft in das zaristische Rußland zurückzuverfolgende - zentralistische Herrschaftsstruktur und -tradition eigentümlich ist, der autoritäre, wenn nicht totalitäre Herrschaftsformen "von oben" ebenso vertraut wie dezentrale, geschweige demokratisch bestimmte Entscheidungsspielräume "von unten" fremd waren. Historische Vorbilder in der eigenen Geschichte oder gar wiederbelebbare Erinnerungen an dezentrale Politik - und Verwaltungsstrukturen können mithin in Rußland weder Hebamme sein noch Pate stehen bei dem Versuch, eine wesentlich in lokaler Selbstverwaltung wurzelnde politisch-administrative Dezentralisierung des historisch hochzentralisierten Politik- und Verwaltungssystems der früheren UdSSR und von Rußland hervorzubringen. Zum andern zeigt sich, daß die Einführung der lokalen Selbstverwaltung in den letzten zwei Jahren in den Sog des gesamtpolitischen Ringens um die politische und ökonomische Macht in Rußland gerissen worden ist. Während sich der Konflikt zwischen dem Präsidenten und dem Volksdeputiertenkongreß vordergründig um die verfassungsrechtliche und -politische Gewichts- und Machtverteilung - "Präsidialsystem" versus "Parlamentarisches Regierungssystem" dreht, ist im Kern die politische und ökonomische Machtfrage zwischen dem 32 Diese Entscheidungsmacht der Gebiete (oblast) führt dazu, daß die städtischen Haushalte eine durchaus unterschiedliche Zusammensetzung der ihnen vom Oblast zugewiesenen Steuermittel aufweisen. Den Verf. vorliegende Haushaltsübersichten aus den Großstädten Jekaterinburg und Saratow deuten auf ein Muster hin, wonach die ihnen zugewiesenen Anteile an der Gewinnsteuer (für Betriebe) und Einkommensteuer (für natürliche Personen) den überwiegenden Teil der Einnahmen (in Saratov 76 Prozent, in Jekaterinburg 88 Prozent) ausmachen. Der Anteil der Einnahmen aus örtlichen Steuern ist bislang minimal (in Jekaterinburg 0,3 Prozent). Näher hierzu Hel/mut Wol/mann, Kommunale Selbstverwaltung in Rußland im Bann der Machtfrage, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, 1993, Hlbd. I.

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Präsidenten und seinen Reformkräften einerseits und politischen Gruppierungen andererseits gestellt, zu denen - neben der konservativen Mehrheit des um seinen ehrgeizigen Vorsitzenden Ruslan Chasbulatov ge scharten Volksdeputiertenkongresses - der immer einflußreichere Verband der Direktoren der großen Staatsbetriebe - an seiner Spitze A. Wolskij - gehören. Zunächst - etwa zwischen Beginn und Spätsommer 1991 - waren die Überlegungen zur Dezentralisierung und Reorganisation der politischen und administrativen Institutionen auf der lokalen Ebene in die machtpolitische Auseinandersetzung zwischen dem Jelzin'schen Reformlager und dem konservativen Establishment der KPdSU insofern eingebunden, als die Reformer den Umbau der Kommunalverwaltung auch als Mittel begriffen und anstrebten, die Machtpositionen zu schleifen, die die KPdSU in den Verwaltungsapparaten, insbesondere in den "Exekutivkomitees" ("ispolkomy") auf der Gebiets- und der lokalen Ebene besaßen. Ein wesentliches Instrument, um dieses wichtige Stück Machtwechsel herbeizuführen, wurde darin gesehen, den Verwaltungschef durch die Bevölkerung wählen zu lassen und auf diesem Wege die Nomenklaturisten der KPdSU aus ihren Führungspositionen in den Verwaltungsapparaten zu vertreiben. Hierauf zielten unverkennbar die Wahlen für die Bürgermeisterposten in Moskau und Leningrad am 12. Juni 1991 ebenso wie die entsprechenden Vorschriften in dem neuen Gesetz "über die örtliche Selbstverwaltung" vom 6. Juli 1991. Sodann - nach dem August-Putsch und der Entscheidung der Je1zin-Regierung, einen Kurs "radikaler ökonomischer Reformen" einzuleiten - war in der Frage der weiteren politischen und administrativen Dezentralisierung des Landes und der Stärkung der örtlichen Selbstverwaltung ein regelrechter "StrategiewechseI" der Je1zin-Regierung zu beobachten. Statt das im "Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung" vom 6. Juli 1991 bereits programmierte Verfahren demokratischer Wahlen - gesetzgeberisch geplant war ein Wahltermin im November 1991! - einzuschlagen, entschied sich Jelzin für den eher hierarchisch-apparativen, wenn nicht autoritären Weg der Ernennung ihm politisch loyaler gebietlicher und lokaler Verwaltungschefs - im offenkundigen Bestreben, sich zumindest vorübergehend eine eigene, in die Bezirke, Kreise und Städte reichende personelle Machtstruktur und Herrschaftsressource zu schaffen. Damit sind die Kreise und Städte unter eine Kuratel des Präsidenten gestellt, die sie vor allem in einer an das Stalinistische Staatsorganisationsmodell in gewisser Weise anknüpfenden - Dominanz und Kontrolle durch die Gebiete (oblast') erfahren. Eine weitere Unsicherheit über den weiteren Gang der Dezentralisierung rührt von der im "Föderativvertrag" vom 31. März 1992 verfassungsrechtlich eingeleiteten "Föderalisierung" der RF, aufgrund deren sich die Gesetzebungskompetenz des Bundes künftig auf Rahmengesetzgebung beschränkt, deren Ausfüllung den 86 föderativen Einheiten ("föderativen Subjekten") überlassen bleibt. Ein entsprechender Entwurf eines Rahmengesetzes zur örtlichen Selbstverwaltung wird derzeit vorbereitet.

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Schließlich ist darauf zu verweisen, daß, wie die medienträchtigen turbulenten Ereignisse in der Hauptstadt Moskau exemplarisch zeigten, die Entfaltung leistungsfähiger politischer und administrativer Strukturen auf der lokalen Ebene durch permanente Konflikte zwischen den lokalen Volksvertretungen (sovety) einerseits und den (überall - außer in Moskau und St. Petersburg - vom Präsidenten unmittelbar oder mittelbar ernannten) Verwaltungschefs und ihren Verwaltungsapparaten andererseits gestört und gebremst wird. In diesen lokalen Konflikten zwischen Stadtsowjet und von lelzin ernanntem Verwaltungschef spiegelt sich in bezeichnender Weise die auf der Bundesebene entbrannte Auseinandersetzung zwischen Volksdeputiertenkongreß und Präsidenten wider - mit durchaus gleichlaufenden Phasen und Positionsverschiebungen. Konnte lelzin auch in den lokalen Sowjets, die - zusammen mit dem Volksdeputiertenkongreß der RSFSR und den Sowjets der Bezirke - im März 1990 gewählt worden waren und in denen - ebenso wie in jenen - überwiegend Mitglieder der Kommunistischen Partei saßen, mit mehrheitlicher Unterstützung so lange rechnen, wie er die alten vom ultrakonservativen Establishment der KPdSU beherrschten Machtverhältnisse umzukrempeln trachtete, schlug die Stimmung und die Gefolgsbereitschaft gegen Ende 1992 um, als deutlich wurde, daß lelzin und seine "Reformmannschaft", an deren Spitze Egor Gaidar, sich anschickten, mit radikalen ökonomischen Reformen ernst zu machen und vor Grundprämissen des sozialistischen Systems, wie der Ächtung des Privateigentums an Produktionsmitteln und Grund und Boden, und vor tradierten Besitzständen, vor allem in den staatlichen Großbetrieben, zumal im militärisch-industriellen Komplex, nicht Halt zu machen. Zudem führen die sozialen Folgen der enormen Preissteigerungen, die der Preisfreigabe ab Anfang 1992 auf den Schritt folgten, und die um sich greifende Verelendung dazu, daß sich auch und gerade im lokalen Kontext die Reihen der Befürworter der radikalen Wirtschaftsreformen lichten und die lokalen Sowjets in ihren Mehrheiten "nach rechts" rücken. Damit ist ähnlich wie im Volksdeputiertenkongreß auf RF-Ebene - in den lokalen Sowjets ein bemerkenswerter Positions wechsel eingetreten. Stritten die lokalen Sowjets bis zum Putsch (und über ihn hinaus), im Schulterschluß mit leizins Reformern, oft mehrheitlich gegen die lokalen "Exekutivkomitees" (ispolkomy) als Vertreter des alten Kommandosystems, liegen sie seither vielfach im Konflikt mit den von lelzin ernannten lokalen Verwaltungschefs, indem sie - teilweise ursprünglich durchaus reformbereite Kommunisten - nunmehr leizins "radikale" Reformen und die von seinen lokalen Statthaltern unternommenen entsprechenden Umsetzungsschritte bekämpfen.

Postscriptum (April 1993): Angesichts der dramatischen Entwicklung, die der Machtkampf in Rußland zwischen dem Präsidenten und dem Volksdeputiertenkongreß bis zur Drucklegung des Bandes genommen hat (und deren Auswirkungen auf die lokale Politik- und Verwaltungsebene in diesem Aufsatz nicht mehr erörtert werden konnten), ist darauf zu verweisen, daß die Überarbeitung des in Speyer gehaltenen Referats im Dezember 1992 abgeschlossen wurde.

Diskussion zu den Referaten von Oliver Scheytt und Hellrnut Wollmann Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Claudia Köttig Die Schwerpunkte der von Rainer Pitschas im Anschluß an die Vorträge von Oliver Scheytt und Hellrnut Wal/mann geleiteten Diskussion waren die Problemkreise der Übertragbarkeit des westlichen Rechts- und Verwaltungs systems auf die neuen Bundesländer und die osteuropäischen Staaten, der Fragen nach einem Identitätsverlust der Menschen der ehemaligen DDR sowie der Erfahrungen, Erfolge und weiteren Anforderungen an die Verwaltungshilfe für die neuen Bundesländer.

I. Übertragbarkeit des westlichen Rechtsund Verwaltungssystems Schon in seiner Überleitung zur Diskussion stellte Pitschas Überlegungen zu einer Art "Retransformation" in Bezug auf die Bemühungen des Westens in den neuen Bundesländern, insbesondere auch angesichts der Erfahrungen in Rußland an. Man diskutiere, so meinte er, den Umbau der Verwaltung der ehemaligen DDR so, als ob ganz neu angefangen werde, ohne zu bedenken, daß es auch schon bestehende Strukturen zu analysieren und zu berücksichtigen gelte. Prof. Konrad Walz, Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Köln, beanstandete ebenfalls, daß Kenntnisse über das Staats- und Verwaltungsrecht vor allem der ehemaligen DDR, aber auch der übrigen osteuropäischen Länder, kaum vorhanden seien. Wer aber Verwaltungshilfe leisten wolle, dürfe das westliche Rechts- und Verwaltungssystem nicht einfach nur "überstülpen" wollen, sondern müsse sich zuvor der früheren Verwaltungsstrukturen und prinzipien bewußt werden. Angesichts der weitgehenden Erstarrung des westlichen Rechtssystems einerseits, der dynamischen Entwicklungsprozesse im Osten mit ihren erheblichen Destabilisierungsgefahren andererseits, müsse über Frühwarnsysteme und Folgenabschätzung bei der Einführung neuer Regelungen nachgedacht werden.

Wal/mann verwies diesbezüglich auf die Notwendigkeit, aber auch auf die Schwierigkeiten einer vergleichenden Verwaltungswissenschaft. So sei beispiels-

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weise schwer zu beantworen, was an Selbstverwaltungstraditionen 1952 in der DDR überhaupt vorhanden gewesen sei. Jedenfalls aber habe die Vorstellung der Autonomie der Kommunalpolitik im System der einheitlichen Staatsrnacht keinerlei Stellenwert gehabt. Insgesamt wisse man sehr wenig über Verwaltung in der ehemaligen DDR; die Rekonstruktion durch Befragung von Zeitzeugen werde zu einer wichtigen Aufgabe sozialwissenschaftlicher Forschung. Die idealtypische Gegenüberstellung von Prägemustern (Kaderverwaltung - westlicheuropäische Verwaltung) führe allerdings zu falschen empirischen Einschätzungen. Bezüglich der Vergleichbarkeit mit den mittel- und osteuropäischen Ländern sei im übrigen nicht zu verkennen, daß in den neuen Bundesländern ganz erhebliche finanzielle und personelle Hilfestellungen stattgefunden hätten, worauf die anderen Länder weitgehend verzichten müßten.

Scheytt bekräftigte die Notwendigkeit, Verwaltungshilfe auch für die osteuropäischen Staaten zu leisten, wobei man wiederum modifiziert gegenüber den Erfahrungen mit den neuen Bundesländern vorgehen müsse. Die kommunalen Spitzenverbände beabsichtigten, sich zunächst auf die Verwaltungshilfe für Polen zu konzentrieren, um einen gewissen Modellfall zu erhalten.

11. Identitätsverlust der Menschen der ehemaligen DDR Dr. Jürgen Neubert, Oberbürgermeister, Stadtverwaltung Dessau, nahm Stellung zu einem von Scheytt angeführten Zitat, wonach 16 Mio. DDR-Bürger im Zuge der deutschen Einigung Identitätsverluste erlitten hätten. Dieses Urteil könne er keinesfalls teilen, vielmehr seien unendlich viele Menschen erst unter den jetzigen freiheitlich-demokratischen Rahmenbedingungen imstande zu tun, woran sie früher durch repressive und restriktive Maßnahmen gehindert worden seien. Gerade Quereinsteiger in der Verwaltung beispielsweise könnten in diesem Prozeß der Selbstbefreiung heute lang gehegte Zielsetzungen verwirklichen. Die neuen Bedingungen seien für fast alle kein Identitätsverlust, sicherlich aber eine große Herausforderung zur Selbstveränderung. Zu diesen Ausführungen Neuberts gab es unter allen Diskussionsteilnehmern breite Zustimmung.

111. Perspektiven der Verwaltungshilfe In seiner Stellungnahme zu den menschlichen Schwierigkeiten im Rahmen der Verwaltungshilfe verwies Neubert auf ein von ihm entwickeltes "Vier-FelderSchema": Dies bestehe aus Ostbürgern und Westbürgern, Handlungsträgern und Mitläufern. Fraglos gäbe es in der alten Bundesrepublik Personen, die für sich in Anspruch nehmen könnten, Träger dieses Systems zu sein; die Mehrzahl jedoch sei Nutznießer von Engagement und Kreativität jener. In der ehemaligen DDR seien diese beiden Gruppen gleichermaßen zu finden gewesen, wobei es

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hier unter den Handlungsträgern solche gegeben habe, die eine Verbindung mit dem System eingegangen seien, und andere, die sich dem verweigert hätten. Konflikte entstünden dann, wenn Nicht-Handlungsträger aus den alten Bundesländern sich Attribute von Handlungsträgern zurechneten, damit auf die kompetenten und motivierten Personen aus der ehemaligen DDR träfen und hier mit Arroganz und "Besserwisserei" aufträten. Bezugnehmend auf das von Scheytt vorgestellte Modell der "idealen Verwaltungshilfe" käme man, so Neubert, zu einem Grundprinzip dessen, was Verwaltungshilfe eigentlich sein solle: Hilfe zur Selbsthilfe. Entsprechend würden in den neuen Bundesländern weniger die "Entscheider" gebraucht, sondern vielmehr die "kooperativ Mitwirkenden". In Übereinstimmung mit Neubert sprach sich Manfred Willhöff, Referent, Deutscher Landkreistag, Bonn, für das "gemischte Doppel", bestehend aus "Wessi und Ossi", aus, wobei sich der "Wessi" nur so weit wie erforderlich einbringen und sich auch wieder zurücknehmen solle. Ursache der von Scheytt vorgetragenen Fehleinschätzungen in der Beratungstätigkeit seien, so Willhöjf, mangelnde Kenntnis auch seitens der Verwaltungswissenschaft; von ihr wünsche er sich verstärkt Beiträge für die Praxis der Verwaltung. Als positives Beispiel für Verwaltungshilfe hob er Niedersachsen hervor, das als Partnerland von SachsenAnhalt für dieses nicht das eigene Modell der Samtgemeinde propagiere, sondern das angemessenere der Amtsverfassung Schleswig-Holsteins. Dr. Rudolf Heckel, Erster Stellvertreter des Landrates, Landkreis Potsdam, schilderte seine Sicht der Verwaltungshilfe am Beispiel Potsdam-Land, das von Anfang an eine Partnerschaft mit dem Kreis Siegburg begründet habe. Zwischen den in der Verwaltung aus Ost und West Tätigen hätten sich Freundschaften entwickelt und man habe gelernt, sich zu verstehen. "Gräben" zwischen den Mitarbeitern entstünden seiner Ansicht nach vor allem durch das Wissen um die erheblichen Vergünstigungen und Zuwendungen für die West-Mitarbeiter. Demgegenüber gab Pitschas zu bedenken, daß in einer Gesellschaft, die ihre Entwicklung über Geld steuere, der moralische Anspruch allein noch nicht genüge. In weiteren Diskussionsbeiträgen wurden vor allem noch Fragen nach der voraussichtlichen Dauer der Verwaltungshilfe im kommunalen Bereich sowie nach den Qualifikationskriterien für die Person der Verwaltungshelfer gestellt.

IV. Zusammenfassende Stellungnahme der Referenten Die Ostdeutschen hätten, so Wollmann, in der Anfangszeit "Beihilfe geleistet" zu der Arroganz der "Wessis", indem vorübergehend alles aus dem Westen verherrlicht worden sei. Inzwischen kehre wieder mehr Gelassenheit ein. Zur Hilfe für die ostdeutschen sowie mittel- und osteuropäischen Länder schlug Wollmann vor, bezüglich der Vermittlungsinhalte zwischen "Kontextwissen" und "instrumentellem Wissen" zu unterscheiden, sowie bezüglich der Vermittlungs8 Speyer 110

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Diskussion

strategie zwischen "Belehrung" und "Dialog". Nach seinen Erfahrungen lieferten die westlichen Berater nach dem Prinzip "hit and run" oft Informationen ab, die völlig unbrauchbar seien. Viel nötiger seien demgegenüber aber der dialogische Transfer von neuen Denkstrukturen und der Neudefinition von Wirklichkeit.

W ol/mann äußerte zugleich seine Skepsis gegenüber Organisationen, die auch im Rahmen von Verwaltungshilfe auf der Suche nach neuen Aufgaben inhärent expansiv seien. Seiner Ansicht nach sei auch der Auswurf von 2 500,- DM netto extra für West-Mitarbeiter ein fataler Einfall gewesen, der größten Verdruß erzeuge. Auch aus diesem Grund müßten andere Formen der Verwaltungshilfe gefunden werden. Besonders wirksam sei Verwaltungshilfe tatsächlich dort gewesen, wo sie sich dialogisch, im wechselseitigen Lernen im Rahmen von Partnerschaften vollzogen habe. Scheytt äußerte sich abschließend zu den Diskussionsbeiträgen in einer zusammenfassenden Stellungnahme: Bei allen noch anstehenden Problemen solle man die schon erzielten Fortschritte nicht vergessen und etwas mehr Gelassenheit einkehren lassen. Wenn die politische Kultur in den neuen Ländern bisher noch parteiübergreifend gestaltet sei, so habe er die Sorge, daß nunmehr der politische Kampf einsetzen werde und damit die gewonnene politische Kultur in Gefahr gerate. -

"Gräben" und "Mauem" seien zu überwinden, um ein gesamtdeutsches Ideal weiter verfolgen zu können.

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Ein verfügbares Frühwarnsystem könne dadurch bedient werden, daß Regierungsüberlegungen vorher den Praktikern mitgeteilt und diese dazu befragt würden (Beispiel: Aufwandsentschädigung). Die Dauer der Verwaltungshilfe sei bis 1994 dimensioniert und der Deutsche Städtetag beabsichtige auch keine Perpetuierung von Instanzen; vielmehr werde angestrebt, daß sich alle Verwaltungshilfeinstanzen selbst überflüssig machten. Allerdings fehle es an einer Perspektivendiskussion.

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Die Personalauswahl sei sehr wichtig und solle in der Entscheidungsmacht der zu Beratenden selbst liegen. Der Deutsche Städtetag habe bereits 1990 einen Bericht über die DDR-Kommunalverwaltung verfaßt, um bei jedem Berater mehr Verständnis für die vorherige Situation in der DDR zu wecken. Insofern müsse bei den Beratern die Mentalität vorhanden sein, sich auf die Auseinandersetzung mit dem bisherigen System einzulassen. Die Partnerschaften seien sicherlich das Ideal der Verwaltungshilfe.

Als Perspektive für Mittel- und Osteuropa schloß Scheytt mit einer Äußerung des tschechischen Botschafters: "Auch wir sind eure neuen Bundesländer".

ZWEITER TEIL

Aufgabenpolitik und Verwaltungsintegration: Das Beispiel der Kommunen

8*

Kommunale Wirtschaftsentwicklung Anforderungen an die Treuhandanstalt Von Michael Schöneich

I. Einführung Nennt man das Stichwort "Wirtschaftsentwicklung" im Zusammenhang mit der Treuhandanstalt (THA), so eröffnet dies häufig - vor allem in den neuen Bundesländern - eine heftige politische Kontroverse. Kritisch wird gefragt, ob denn die Treuhand alles so richtig mache, ob sie nicht die Privatisierung zu stark forciere und dagegen die langfristige Sanierung von Unternehmen zu wenig unterstütze, und überhaupt müsse doch von ihr verlangt werden, daß sie aktiv eine zukunfts orientierte Wirtschafts- und Strukturpolitik steuere. Angesichts solcher Fragen und Einwände empfiehlt es sich auch hier, zunächst einen Blick ins Gesetz zu tun. Dort, nämlich in § 1 Abs. 1 Satz 1 des Treuhandgesetzes vom 17. Juni 1990, findet sich die apodiktische Formulierung: "Das volkseigene Vermögen ist zu privatisieren." Da dieser kurze Gesetzesbefehl auch durch den Einigungsvertrag (EV) nicht entscheidend verändert oder ergänzt wird -

Art. 25 Abs. 1 EV bestimmt: "Die Treuhandanstalt ist auch künftig damit beauftragt, gemäß den Bestimmungen des Treuhandgesetzes die früheren volkseigenen Betriebe wettbewerblich zu strukturieren und zu privatisieren",

lautet die vorherrschende Interpretation des Treuhand-Auftrages: Vorrangig ist die Privatisierung der Hauptauftrag der Treuhandanstalt. Dies setzt bisweilen eine entschlossene Sanierung voraus und zwingt in Einzelfällen auch zu behutsamen Stillegungen. Hingegen ist eine Verpflichtung zu strukturpolitischen Maßnahmen oder zur Wirtschaftsförderung im engeren Sinne nicht gegeben. Ergänzend kann man hinzufügen: Erstens ist eine rasche und konsequente Privatisierung der beste Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der neuen Bundesländer. Zweitens: Die historisch einmalige Aufgabe, eine ganze Volkswirtschaft durch Privatisierung in die soziale Marktwirtschaft zu überführen, hat einen Prozeß des wirtschaftlichen Umbaus ausgelöst, der tief in das tägliche Leben der Menschen einschneidet. Von daher kann und darf die THA zu keinem Zeitpunkt bloß eine betriebs wirtschaftliche Vollzugsanstalt sein. Höchste Priorität muß die Rettung möglichst vieler Unternehmen haben. Wenn also nach diesem Grundsatz der Privatisierungsauftrag erfüllt wird, dann ist das der beste Dienst,

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Michael Schöneich

den die Treuhandanstalt der Wirtschaftsentwicklung erweisen kann. Weitergehende Wirtschafts- und Strukturpolitik - etwa im Sinne von Ansiedlungspolitik darf man dann getrost dem Bund, den Ländern und den Kommunen überlassen. Die Betonung des gesetzlichen "Kernauftrags Privatisierung" - hierbei ging es anfangs um 8 500 ehemals volkseigene Betriebe, aus denen durch Entflechtungen und Abspaltungen 12 000 wurden, von denen jetzt nach ca. 2 Jahren über 2/3 privatisiert worden sind (zusätzlich: ca. 1 700 Stillegungen) - ist gleichwohl nicht alles. Seit Beginn ihrer Arbeit sind der THA weitere wichtige Aufgaben übertragen worden, die ebenfalls etwas mit Wirtschaftsentwicklung, insbesondere kommunaler Wirtschaftsentwicklung zu tun haben. Ich nenne hier nur den Restitutionsauftrag, d. h. die Verpflichtung, an private und öffentliche Hände Alteigentum zurückzugeben sowie den Auftrag, zur Herstellung kommunalen Verwaltungsvermögens beizutragen. 11. Vermögensübertragung

1. Übertragung kommunalen Verwaltungsvermögens sowie Rückgabe des Alteigentums ("Restitution ") a) Verwaltungsvermögen Ein wichtiger Schritt zur Demokratisierung und zum Aufbau dezentraler Verwaltungsstrukturen im Gebiet der ehemaligen DDR war die Einführung der kommunalen Selbstverwaltung mit Inkrafttreten der Kommunalverfassung vom 17. 5. 1990. Entsprechend dem Verwaltungsprinzip "Der Aufgabe muß die Ausstattung folgen" wurde auch der Kreis der Berechtigten im Rahmen der Neuordnung der Eigentumsverhältnisse erweitert. Der Gesetzgeber stellte also bei dem Versuch, das ehemalige Volksvermögen möglichst lückenlos aufzuteilen, neben die Privatisierungs- auch eine Kommunalisierungspflicht und legte dafür bereits in § lAbs. 1 S. 2 u. 3 des Treuhandgesetzes den Grundstein. Es heißt dort im Anschluß an den eingangs zitierten Satz "Das volkseigene Vermögen ist zu privatisieren": "Volkseigenes Vermögen kann auch in durch Gesetz bestimmten Fällen Gemeinden, Städten, Kreisen und Ländern sowie der öffentlichen Hand als Eigentum übertragen werden. Volkseigenes Vermögen, das kommunalen Aufgaben und kommunalen Dienstleistungen dient, ist durch Gesetz den Gemeinden und Städten zu übertragen." Sprachlich nicht sehr schön, doch inhaltlich durchaus klar, begegnet uns diese Formulierung kurze Zeit später leicht abgewandelt im Kommunalvermögensgesetz vom 6. Juli 1990. Dort heißt es in § 1: "Volkseigenes Vermögen, das kommunalen Aufgaben und kommunalen Dienstleistungen dient, wird den Gemeinden, Städten und Landkreisen kostenlos übertragen." An dieser Stelle beginnt nun eine Entwicklung, die man aus der Sicht der Kommunen als Trauerspiel, vom Standpunkt formaler Rechtsbetrachtung und

Kommunale Wirtschaftsentwicklung

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sauberer Dogmatik als begrüßenswerte Klärung bewerten kann. Zunächst kam zu den erwähnten Vorschriften des Treuhand- und des Kommunalvermögensgesetzes mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 noch der Einigungsvertrag hinzu, der in seinem Artikel 21 unter der Überschrift "Verwaltungsvermögen" diesen Begriff schärfer konturiert und festlegt, wer welche Teile des öffentlichen Vermögens der DDR erhalten soll. Artikel 21 Abs. 1 S. 1 EV regelt dies wie folgt: "Das Vermögen der Deutschen Demokratischen Republik, das unmittelbar bestimmten Verwaltungsaufgaben dient (Verwaltungsvermögen), wird Bundesvermögen, sofern es nicht nach seiner Zweckbestimmung am I. Oktober 1989 überwiegend für Verwaltungsaufgaben bestimmt war, die nach dem Grundgesetz von Ländern, Gemeinden (Gemeindeverbänden) und sonstigen Trägem öffentlicher Verwaltung wahrzunehmen sind." Da diese Bestimmung in Abs. 2 ergänzt wird durch den Satz "Soweit Verwaltungsvermögen nicht Bundesvermögen gemäß Absatz I wird, steht es mit Wirksamwerden des Beitritts demjenigen Träger öffentlicher Verwaltung zu, der nach dem Grundgesetz für die Verwaltungsaufgaben zuständig ist", ergoß sich sofort nach der deutschen Einigung eine Aut von Kommunalisierungsanträgen über die Treuhandanstalt. Zum einen hatte die Bundesregierung erklärt, die Gemeinden sollten alle ihre Anträge dorthin richten, zum anderen hatte sich sofort die Auffassung verbreitet, daß aufgrund der Formulierung "es steht mit Wirksamwerden des ~eitritts ... zu" in allen Fällen zugunsten der Kommunen ein Eigentumsübergang kraft Gesetzes stattgefunden habe, so daß der beantragte Zuordnungsbescheid nur noch deklaratorisch einen bereits vollzogenen Eigentumswechsel bestätige. Beides - sowohl der Weg tausender von Anträgen an die Treuhandanstalt, als auch die Annahme eines Eigentumsübergangs kraft Gesetzes - erwies sich als Irrtum. Am 22. März 1991, als bereits ca. 60 000 Kommunalisierungsanträge der Treuhandanstalt vorlagen, verabschiedete der Bundestag das "Vermögenszuordnungsgesetz" (VZOG) und schuf damit eine Verfahrensregelung, die für die Mehrheit dieser Anträge die Oberfinanzdirektionen für zuständig erklärte. Die Präsidentin der Treuhandanstalt (THA), hier übrigens als Bundesbehörde, war nur noch zuständig für solche Kommunalisierungsanträge, die sich auf Vermögensgegenstände in Treuhandeigentum oder -verwaltung bezogen. Dies ist soweit durchaus eine vernünftige Regelung, als sie die Zuordnung des Verwaltungsvermögens auf mehrere Behörden dezentralisiert und dies praktisch bedeutet, daß die Kommunen z. B. alle Verwaltungsvermögensgegenstände, für die sie bereits als "Rechtsträger" im Grundbuch eingetragen waren, von den Oberfinanzdirektionen erhalten, während die THA nur über die Zuordnungen zu entscheiden hat, wo sich die Objekte in ihrer Hand befinden. Wenige Monate, nachdem entsprechend dieser Zuständigkeits- und Verfahrensregelung die Zuordnung des Verwaltungsvermögens angelaufen war, begann nach eingehenderer Analyse der vorgenannten Rechtsvorschriften eine Diskussion, die vor allem auf den § 11 Abs. 2 THG abstellte. Dort heißt es:

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Michael Schöneich "Vom 1. Juli 1990 an sind die in Abs. 1 bezeichneten Wirtschaftseinheiten Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Die Umwandlung bewirkt gleichzeitig den Übergang des Vermögens aus der Fondsinhaberschaft der bisherigen Wirtschaftseinheit sowie des in Rechtsträgerschaft befindlichen Grund und Bodens in das Eigentum der Kapitalgesellschaft."

Praktische Schlußfolgerung war sehr bald, daß zunächst einmal Vermögensgegenstände der volkseigenen Betriebe - einschließlich der zahlreichen Verwaltungsvermögensgegenstände wie Schulen, Kindergärten, Sportstätten, Kulturhäuser und dergleichen - mit Wirkung vom 1. Juli 1990 in das (privatrechtIiche) Eigentum der Treuhand-Kapitalgesellschaften gefallen sind. Insofern habe also kein Eigentumsübergang zugunsten der Kommunen stattfinden können, denn bereits zum 1. Juli 1990 sei ein vollständiger Eigentumswechsel zugunsten der Treuhandgesellschaft erfolgt, und daran könne auch nichts mehr das Kommunalvermögensgesetz vom 6. Juli 1990 bzw. der noch spätere Einigungsvertrag ändern - formalrechtlich durchaus eine mögliche Interpretation, zumal wie erwähnt, § 1 Kommunalvermögensgesetz mit den Worten beginnt "Volkseigenes Vermögen .. .", bzw. Art. 21 Einigungsvertrag mit der Formulierung "Das Vermögen der Deutschen Demokratischen Republik ...". Dennoch, es fällt schwer, nicht an Rabulistik zu denken, wenn den Kommunen unter Berufung auf den sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz zunächst entgegengehalten wird, daß sie nicht kraft Gesetzes direkt Eigentümer des Verwaltungsvermögens geworden sind, ihnen aber auch kein Eigentums-Übertragungsanspruch zustehe, weil ja bei Inkrafttreten des Kommunalvermögensgesetzes infolge des § 11 Abs.2 THG insofern kein "volkseigenes Vermögen" mehr vorhanden war, sondern nur noch Privateigentum der Treuhand-Kapitalgesellschaft. Aus Einsicht in die herben Konsequenzen und praktischen Unzuträglichkeiten der geschilderten Rechtsauslegung (z. B. befanden sich von den ca. 1 000 Berufsschulen der ehemaligen DDR ca. 800 in Rechtsträgerschaft der volkseigenen Betriebe, bräuchten somit also nicht an die kommunalen Schulträger herausgegeben und könnten mithin privatisiert werden) hat sich der Gesetzgeber in diesem Sommer zu einer wenig überzeugenden Rettungstat aufgerafft: Im Rahmen der Beratung des 2. Vermögensrechtsänderungsgesetzes verständigte man sich auf die Kompromißlösung, "die fehlende Abstimmung zwischen § 11 Abs. 2 THG einerseits und Art. 21 EV andererseits flexibel auszugleichen" (so der Bundestags-Rechtsausschuß It. Drucksache 12/2944 vom 25. 6. 1992). Die Frage, ob man den Kommunen Ansprüche auf Übertragung von Verwaltungsgegenständen gegen TH-Unternehmen geben solle, glaubte man verneinen zu müssen. Dies ziehe für die Unternehmen zu viele Risiken nach sich (!?) Statt dessen wurde am 22. 7. 1992 eine Ergänzung des VZOG durch einen § 7 a mit der Überschrift "Kommunale Vorhaben" vorgenommen, der bestimmt:

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"Der Präsident der Treuhandanstalt wird ermächtigt, Kommunen auf deren Antrag durch Bescheid Einrichtungen, Grundstücke und Gebäude, die zur Erfüllung der kommunalen Selbstverwaltungsaufgaben benötigt werden, nach Maßgabe des Art. 21 des EV zu übertragen, wenn sie im Eigentum von Unternehmen stehen, deren sämtliche Anteile sich unmittelbar oder mittelbar in der Hand der Treuhandanstalt befinden. Im Falle der Übertragung nach Satz 1 sind die Eröffnungsbilanz des Treuhandunternehmens und die Gesamtbilanz der Treuhandanstalt in entsprechender Anwendung des § 36 des DM-Bilanzgesetzes zu berichtigen. Die Treuhandanstalt haftet aufgrund von Maßnahmen nach Satz 1 über die Vorschriften des Abschnitts 3 des DM-Bilanzgesetzes hinaus nicht. Satz 1 gilt nicht für Einrichtungen, Grundstücke und Gebäude, die der gewerblichen Nutzung zugeführt oder in eine Unternehmenseinheit einbezogen wurden und nicht ohne erhebliche Beeinträchtigung des Unternehmens übertragen werden können (betriebsnotwendige Einrichtungen, Grundstücke oder Gebäude). Mit der Übertragung tritt die Kommune in alle in Bezug auf die Einrichtung, das Grundstück oder das Gebäude jeweils bestehenden Rechtsverhältnisse ein." Diese komplizierte und mit vielen Einschränkungen versehene ErmächtigungsRegelung stellt also einen Teil der Kommunalvermögens-Übertragung in das Ermessen der Treuhand-Präsidentin. Diese hat zwar umgehend erklärt, daß die Kommunalisierung grundsätzlich fortzusetzen ist und daß sie deshalb von der Ermächtigung des § 7 a VZOG Gebrauch mache, aber geblieben ist, daß Kommunalvermögensgegenstände aus Treuhand-Unternehmen nur noch nach pflichtgemäßer Ermessensentscheidung im Einzelfall übertragen werden können. Kritisch könnte man sagen, die ostdeutschen Kommunen sind nicht mehr Anspruch-, sondern nur noch Bittsteller, und sie haben auch immer dann das Nachsehen, wenn die Teuhandanstalt das jeweilige Unternehmen mitsamt dem Verwaltungsvermögen bereits verkauft hat oder etwa den begehrten Verwaltungsvermögensgegenstand für "betriebsnotwendig" erklärt. Die breite Darstellung einer bewegten Rechtsentwicklung innerhalb von zwei Jahren, ausgehend von schlecht abgestimmten Volkskammer-Gesetzen hin zu halbherzigen und die Kommunen benachteiligenden Reparaturversuchen des Bundesgesetzgebers, ist nur ein Beispiel für viele Fälle, wo sich den großen Erwartungen und Anforderungen der Kommunen in den neuen Bundesländern Hürden entgegenstellen, was sich in dem geschilderten Fall zu einem scharfen Interessengegensatz zwischen Treuhandanstalt einerseits und dem kommunalen Bereich andererseits auswächst. Zugespitzt kann man nämlich sagen: Die beschriebenen Rechtskonstruktionen bewirken, daß die Kommunalisierung zu Eingriffen ("Enteignungen") in Treuhand-Unternehmen führt, mithin: die Kommunalisierung wird zum Störenfried der Privatisierung und ist aus fiskalischen Gründen unerwünscht, weil sie etwas unentgeltlich weggibt, für das man im Falle der Privatisierung Erlöse erzielen könnte. Angemerkt sei noch, daß die Übertragung des Verwaltungsvermögens, soweit es sich bereits in Rechtsträgerschaft der Kommunen befand, also durch die Oberfinanzdirektion vorzunehmen ist, sich vergleichsweise unproblematisch ge-

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staltet. Hier sind es vor allem die Grundstückszuschnitte, die notwendige Beibringung der Nachweisunterlagen und die jeweilige durch die Vielzahl der Anträge ausgelöste Verfahrens dauer, was die Kommunen verdrießt und in die Kritik an den "ungeklärten Vermögensverhältnissen" einstimmen läßt. Gleichgültig aber, ob Oberfinanzdirektion oder Treuhandanstalt zuständig ist, es findet gegenwärtig ein mühseliger und zeitaufwendiger Prozeß der Einzelübertragung statt, und in der Regel vergeht mehr als ein Jahr zwischen Eingang des Kommunalisierungsantrages und dem Erlaß eines Zuordnungs- Bescheides bzw. dem nachfolgenden Eintragungsersuchen, das erst als öffentliche Urkunde den Grundbuch-Beamten bewegt, aus dem Flurstück mit der Bezeichnung "Eigentum des Volkes" ein Grundstück mit der Bezeichnung "Eigentum Stadt Magdeburg" oder dergleichen zu machen. b) Restitution Eine zweite Möglichkeit, unentgeltlich Vermögensgegenstände aus dem ehemaligen "Volkseigentum" zu bekommen, ist den Kommunen durch Art. 21 Abs. 3 EV eröffnet. Dort heißt es: "Vennögenswerte, die dem Zentral staat oder den Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden) von einer anderen Körperschaft öffentlichen Rechts unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden sind, werden an diese Körperschaft oder ihrer Rechtsnachfolgerin unentgeltlich zurückübertragen. " Hinter dieser etwas umständlichen Formulierung steckt wie im Vermögensgesetz der Grundsatz "Rückgabe vor Entschädigung" . Zentrale Anspruchsvorausset zung für den kommunalen Antragsteller ist daher auch der Nachweis des Voreigentums (in der Regel vor dem 8. Mai 1945). Auf den Anspruchsgrund "Restitution" stützen sich ebenfalls einige Tausend Kommunalisierungsanträge - ein Beispiel aus Thüringen: Dort gibt es insgesamt 360000 ha Wald, von denen ca. 80000 ha als ehemaliger Kommunalwald restituiert werden sollen. c) Grenzen der Kommunalisierung Die zahlreichen Hürden, die inzwischen gegenüber den kommunalen Anträgen auf Übertragung von Verwaltungsvermögen errichtet worden sind, hatte ich oben bereits erwähnt und insbesondere die Neuregelung des § 7 a VZOG hervorgehoben. Wie dort führt auch nach herrschender Meinung der Einwand "Betriebsnotwendigkeit" zum Ausschluß der Rückübertragung von Alteigentum. Es soll also nicht der Restitutionsanspruch der Kommune auf Kosten der Lebensfähigkeit des Unternehmens durchgesetzt werden können. Inkonsequent ist allerdings, daß man diesen Rechtsgedanken aus dem Vermögensgesetz entnimmt, ohne den Kommunen in solchen Fällen einen Entschädigungsanspruch zuzubilligen, wie dies bei privaten Restitutionsgläubigern der Fall ist.

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Richtig ist natürlich, daß es hierfür keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage gibt, weil das Vermögensgesetz nicht direkt anwendbar ist. Um so mehr ist es geboten, im Rahmen des angekündigten "Entschädigungsgesetzes" die Kommunen mit einzubeziehen und den privaten Restitutionsgläubigern gleichzustellen. Ein zweiter rechtlicher Streitpunkt bzw. eine Regelungslücke ist unlängst, zunächst einmal von der Bundesregierung, aus der Welt geschafft worden. Immer wieder war die rechtliche Behandlung kommunaler Ansprüche in der Gesamtvollstreckung zum Problem geworden. Nachdem nun der Bundestags-Rechtsausschuß anläßlich der oben erwähnten Beratung des zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes die Kommunalisierungsansprüche für "gesamtvollstreckungsfest" erklärt hatte, formulierte der BMF entsprechend in einem Erlaß vom 24. 7. 1992, daß von der Ermächtigung des § 7 a VZOG auch dann noch Gebrauch gemacht werden könne, wenn sich das Treuhand-Unternehmen bereits in der Gesamtvollstreckung befinde. Im Ergebnis ist dies sicherlich eine kommunalfreundliche Entscheidung, nur wird man abwarten müssen, wie diese bereits mehrfach rechtshängige Frage von den Verwaltungs- und den Konkursgerichten beurteilt wird. d) Zwischenbilanz Zur Veranschaulichung des aufwendigen "Massengeschäfts" bei der Kommunalisierung von Verwaltungsvermögen bzw. Alteigentum ein paar Zahlen: Mit Stichtag 31. August 1992 waren der Treuhandanstalt 156 000 Kommunalisierungsanträge zugegangen. Davon waren 108 000 an die Oberfinanzdirektion der neuen Bundesländer abzugeben. Von den verbleibenden 48000 Anträgen, die in die Zuständigkeit der Treuhandanstalt fallen, konnten inzwischen 8 173 durch Bescheid erledigt sowie 1 912 anderweitig geregelt werden. Dies ergibt eine "Erledigungsquote" von mehr als 20 %. Mit den positiven Bescheiden wurden den Kommunen u. a. übertragen: ca. 500 Betriebskindergärten, ca. 500 Betriebssportanlagen, 200 Berufsschulen, 120 Lehrlingswohnheime, 80 Betriebskulturhäuser, 70 Betriebspolikliniken und einige Tausend ha Gewerbeflächen sowie land- und forstwirtschaftliche Immobilien. Diese Übertragung von nahezu 6000 Vermögensobjekten an die Kommunen ist angesichts der vorher erwähnten Probleme ein erfreulicher Fortschritt. Dennoch: Die Klärung der Eigentumsverhältnisse in den neuen Ländern ist auch für die Kommunen von größter Dringlichkeit. Von daher muß das Kommunalisierungstempo weiter forciert werden. Große Sorgen bereitet derzeit noch, daß zu dem bereits vorhandenen Antragsberg wöchentlich weitere 500-600 kommunale Anträge hinzukommen und diese Flut voraussichtlich noch bis zum Ende der Antragsfrist (30.6. 1994) anhalten wird. Darüber hinaus ist es für beide Seiten unerfreulich, daß mehr als die Hälfte der Kommunalisierungsanträge mit einem Ablehnungsbescheid beantwortet werden muß. Es sind vor allem die kleinen Kommunen, die die Erfolgsaussichten der unentgeltlichen Kommunalvermögens-

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übertragung falsch einschätzen und weitaus mehr beantragen, als ihnen das Recht zubilligt.

2. Übertragung kommunalen Finanzvermögens Erheblich größeres wirtschaftliches Gewicht als die Summe der massenhaft beantragten Einzelgegenstände des Verwaltungs- und Restitutionsvermögens haben diejenigen Teile des ehemaligen "Volkseigentums", die man als kommunales Finanzvermögen bezeichnet. Hierfür sind nach grober Schätzung in der THEröffnungsbilanz vorsorglich einmal 2,6 Mrd. DM an Rückstellungen eingeplant worden. Definiert wird der Begriff "Finanzvermögen" durch Art. 22 EV als öffentliches Vermögen, das nicht unmittelbar bestimmten Verwaltungs aufgaben dient. Praktisch handelt es sich dabei u. a. um zahlreiche für die kommunale Daseinsfürsorge überaus wichtige Unternehmen wie Wasser- und Abwasserbetriebe, Energieversorger, Verkehrsbetriebe und Wohnungsbaugesellschaften. a) Wasser- und Abwasserunternehmen Entsprechend der Gliederung in 15 Bezirke verfügte die DDR über 15 regionale Wasser- und Abwasserkombinate, die sogenannten WABs. Diese wurden ebenfalls zum 1. 7. 1990 in Kapitalgesellschaften der Treuhandanstalt umgewandelt und sind gemäß Kommunalvermögensgesetz vollständig den Städten und Gemeinden zu übertragen. Die einschlägige rechtliche Grundlage in § 4 Abs. 2 KVG gibt allerdings noch immer Rätsel auf. Es heißt dort: "Sofem Betriebe und Einrichtungen, die nach Grundsätzen dieses Gesetzes in kommunales Eigentum überführt werden müssen, bereits in Kapitalgesellschaften umgewandelt worden sind, gehen die entsprechenden ehemals volkseigenen Anteile in das Eigentum der Gemeinden und Städte über." Bis heute gibt es keine Übereinstimmung darüber, was eigentlich "die entsprechenden ehemals volkseigenen Anteile" sind, die in das Eigentum der Kommunen übergehen sollen. Klar ist nur, daß die Kommunen im jeweiligen WAB-Bezirk Anspruch auf Übertragung von 100 % der Geschäftsanteile bzw. Aktien haben. Unklar ist allerdings, nach welchem Quotierungsschlüssel diese Geschäftsanteile / Aktien unter die Anspruchsberechtigten zu verteilen sind. Um hier rasch vorwärts zu kommen und diese Verteilung des WAB-Vermögens den Kommunen selbst zu überlassen, ist Anfang 1991 das "Vereinsmodell" entwickelt worden. Danach schließen sich die Kommunen im jeweiligen Bereich auf freiwilliger Basis zu einem Eigentümer-Verein zusammen und dieser eingetragene Verein übernimmt sodann per Vertrag die Gesamtheit der Aktien- bzw. GmbH-Anteile von der Treuhandanstalt.

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Anschließend findet in kommunaler Regie eine Neustrukturierung der Wasserund Abwasserunternehmen statt, was praktisch meist auf eine Verteilung des Vermögens auf kommunale Zweckverbände bzw. Stadtwerke und damit letztlich auf eine Liquidierung der Gesellschaften hinausläuft. Bisher sind nach diesem Modell 12 von 15 Wasser- und Abwasserunternehmen auf kommunale Eigentümervereine übertragen worden. Die anschließende "Entflechtung im Verein" entzieht sich dem unmittelbaren Einfluß der Treuhandanstalt, gleichwohl ist uns bekannt, daß dieser Prozeß, der angesichts der kleinteiligen kommunalen Landschaft eine schwierige Willensbildung über komplizierte gesellschaftsrechtliche und technische Fragen voraussetzt, ebenfalls viel Ungeduld und Unmut verursacht. b) Energieversorgungsunternehmen Ähnlich wie im Wasser-Abwasserbereich wurde in der früheren DDR die Versorgung mit "leitungsgebundenen Energien", also mit Strom, Gas und Fernwärme, durch 15 Energieversorgungskombinate auf Bezirksebene vorgenommen. Auch diese Kombinate wurden per Treuhandgesetz in Aktiengesellschaften umgewandelt. Aufgrund einer nicht unproblematischen Entscheidung des Bundeskartellamtes mußte jedoch der Gasbereich abgetrennt werden; er wird auf Bezirksebene in GmbHs fortgeführt. Das durch den Einigungsvertrag modifizierte Kommunalvermögensgesetz gebietet nun für den Bereich der leitungsgebundenen Energien die teilweise Privatisierung und die teilweise Kommunalisierung. Dies soll in der Weise geschehen, daß den Kommunen von den bestehenden Gesellschaften bis zu 49 % der Gesellschaftsanteile zu übertragen sind, während der übrige Anteil, nämlich 51 % mithin die Mehrheit - an Private von der Treuhand veräußert werden kann. Es soll jetzt hier nicht auf den viel gescholtenen "Stromvertrag" zwischen der damaligen DDR, der THA und den drei großen westdeutschen Energieversorgungsunternehmen eingegangen werden. Erwähnenswert ist vielmehr, daß ergänzend hierzu die kommunalen Spitzenverbände, die großen westdeutschen Energieversorgungsunternehmen sowie die Treuhandanstalt in einer sogenannten "Grundsatzverständigung" vom Februar 1991 gemeinsame Grundsätze zur Bildung von Stadtwerken verabschiedet haben. Dieser Erklärung zufolge sollte die Bildung von Stadtwerken auch für den Strombereich nicht ausgeschlossen sein. Als Grundlage sollte hier gelten, daß eine etwa gleichgewichtige Beteiligung von Energiewirtschaft und Kommunen erfolgt, wobei auch eine Mehrheitsbeteiligung der Städte möglich sein sollte. Gleichwohl, die vom Gesetzgeber vorgesehene Lösung und der Stromvertrag bleiben politisch und rechtlich umstritten. Zwischenzeitlich haben ca. 150 Städte und Gemeinden aus den neuen Bundesländern die Feststellung der Verfassungswidrigkeit beantragt, was zunächst einmal den Stillstand der Kommunalisierung

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des Strom- und Gasbereiches bedeutete. Zwischenzeitlich gibt es aber "Lokkerungsübungen" und die ersten Verständigungen zwischen Kommunen und Versorgungswirtschaft über Partnerschaften im Rahmen von Stadtwerken, die von der Verteilung 49 % zu 51 % abweichen, d. h. auch kommunale Mehrheiten zulassen. Hier stellt sich also der Treuhandanstalt die Anforderung, nicht zu blockieren, sondern überall dort, wo man sich bereits vor dem Karlsruher Richterspruch geeinigt hat, wenn irgendwie möglich Abspaltungen und Vorab-Übertragungen vorzunehmen. Hierdurch werden Schwebezustände beendet und klare Eigentumsverhältnisse geschaffen, die auch im Geiste der Grundsatzverständigung die erforderlichen schnellen und umfangreichen Investitionen ermöglichen, die derzeit noch der Energiewirtschaft fehlen. Daneben geht es auch darum, Fortschritte mit der Kommunalisierung eines Bereiches zu erzielen, der arn ehesten den Kommunen auch einmal Geld-Einnahmen ermöglicht. Bislang hat nämlich die Kommunalisierung vorwiegend im Bereich von Einrichtungen und Unternehmen stattgefunden, die den Kommunen zusätzliche Personalkosten und insgesamt erhebliche Defizite bescheren. Letzteres gilt vornehmlich für den nun anzusprechenden Bereich der Kommunalisierung von ÖPNVBetrieben. c) ÖPNV-Betriebe Im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) geht es um die Übertragung der ehemals VEB-Kraftverkehrsgesellschaften, nun ebenfalls THKapitalgesellschaften, die zunächst noch gemischte Betriebe mit Bus-, Taxi- und Güterverkehr darstellen. Vor der Übertragung muß also die Treuhandanstalt die Unternehmen entflechten. Dazu gehört vorrangig die Abtrennung des öffentlichen Personennahverkehrsteils von den übrigen Bereichen. Dann kommt die Übertragung dieses ÖPNV-Teiles auf den sich räumlich anbietenden Landkreis bzw. die kreisfreie Stadt sowie die Privatisierung der übrigen Betriebsteile. Auch hier gehen der Kommunalisierung langwierige Verhandlungen voraus, bei denen um die mit zu übertragenden Immobilien, die ökologischen Altlasten und vor allem die Altschulden gerungen wird. In mehr als der Hälfte der Fälle hat man sich inzwischen mit den über 200 Landkreisen und kreisfreien Städten geeinigt, und es besteht Übernahmebereitschaft bzw. hat die Übernahme bereits stattgefunden. Letzteres konnte allerdings nur durch weitgehende Zugeständnisse der Treuhandanstalt bei der Altschuldenübernahme erreicht werden. d) Übrige Bereiche des Finanzvermögens Wenig Anforderungen an die Treuhandanstalt stellt die in Art. 22 Abs. 4 EV ausführlich geregelte Kommunalisierung des zur Wohnungsversorgung genutzten volkseigenen Vermögens. "Dieses Vermögen geht mit Wirksamwerden des Bei-

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tritts mit gleichzeitiger Übernahme der anteiligen Schulden in das Eigentum der Kommunen über", heißt es wörtlich. Auch hierbei ergeben sich durch Grundstückszuschnitte und Gemengelagen komplizierte Zuordnungsfragen, die die zuständigen Oberfinanzdirektionen zu lösen haben. Die Treuhandanstalt hingegen, die über Betriebswohnungen, Arbeiterunterkünfte und MfS-Objekte verfügt, kann diese privatisieren, d. h. gegen Entgelt veräußern, es sei denn, daß dem ein privater oder kommunaler Restitutionsanspruch entgegensteht. Nennt man schließlich noch ehemalige Datenverarbeitungszentren, kommunal genutzte Heizwerke oder Deponien, so ist es müßig darüber zu streiten, ob es sich hier um Finanz- oder Verwaltungsvermögen handelt. Entscheidend ist wiederum, durch Verhandlungen mit den Kommunen rasch klare Eigentumsverhältnisse und eindeutige Verantwortlichkeiten zustande zu bringen. Bei der Vielzahl von Deponien etwa ist dies nicht ganz so einfach. Hier gibt es Tausende von Standorten, die überwiegend mit Hausmüll beschickt worden sind, von daher kommunalisierungsgeeignet erscheinen. Allerdings kommt in den Antragszahlen bisher wenig kommunale Übernahmebereitschaft zum Ausdruck. Hier wird überlegt, ob und wie von der neu geschaffenen Möglicheit der (Zwangs-)Zuordnung, d. h. ohne kommunalen Antrag, im "öffentlichen Interesse" Gebrauch gemacht werden soll (siehe jetzt § 1 Abs.6 VZOG).

3. VelWertung der Treuhand-Liegenschaften Neben der Übertragung von Infrastruktureinrichtungen, die zur kommunalen Daseinsvorsorge notwendig sind, ist es gleichermaßen wichtig, daß die Kommunen die Verfügbarkeit über Grundstücke erhalten, die sie beplanen und selbst baulich gestalten können. Letzteres ist ebenfalls eine elementare Voraussetzung kommunaler Selbstverwaltung ebenso wie der kommunalen Wirtschaftsentwicklung. Auch bei diesem Thema "Grundstücke" richten sich größte Erwartungen an die Treuhandanstalt, zumal bekannt ist, daß diese über ca. 4 Mio. ha Bergbau-, Industrie- und sonstige Grundstücksflächen verfügt, insgesamt also weit mehr als die Hälfte der Gesamtfläche der ehemaligen DDR in "treuen Händen" hat. Der gewaltige Immobilienbestand weckt vor allem große Begehrlichkeiten auf seiten der Kommunen, insbesondere den Wunsch, möglichst viele Grundstücke aus diesem Treuhand-Bestand vorzugsweise kostenlos oder zumindest verbilligt zu erlangen. Dennoch, die Gesetzeslage bestimmt grundsätzlich die Privatisierung dieser Vermögenswerte und der vorgeschriebene Weg ist die Verwertung, d. h. die Veräußerung gegen Entgelt nach entsprechender Ausschreibung. Pauschal muß also - entgegen den großen Erwartungen - gesagt werden, daß der Verkauf zum Verkehrswert die Regel ist und die verbilligte Abgabe oder sogar die kostenlose Übertragung von Verwaltungsvermögen und von kommunalem Alteigentum die Ausnahmen darstellen.

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Michael Schöneich

Eine dritte Ausnahme bilden schließlich die Fälle, in denen eine verbilligte Veräußerung bundeseigener Liegenschaften an die Kommunen ausdrücklich zugelassen ist (hier sind Nachlässe zwischen 15 und 75 % möglich). Das gilt aber nur für bestimmte Bundesliegenschaften (nicht für Treuhand-Grundstücke), z. B. für vormalige NV A-Grundstücke, die für besondere Zwecke, etwa den sozialen Wohnungsbau oder Verwaltungseinrichtungen verwendet werden sollen (Näheres siehe hierzu in den BMF-Richtlinien, Info-Dienst Kommunal Nr. 37). Wenn aber den Kommunen schon kein unentgeltlicher oder verbilligter Erwerb möglich ist, dann besteht zumindest der Wunsch, daß die Kommunen bei Grundstückserwerbsinteressen bevorzugt behandelt werden. Dies muß die TreuhandLiegenschaftsgesellschaft (TLG) gewährleisten. Sie legt auch Wert auf eine größtmögliche Beteiligung der Kommunen am Verkaufsprozeß. Insbesondere geht es dabei um die vorherige Abstimmung mit den Trägem der Planungs hoheit und um die Frage, ob die Kommune gegebenenfalls selbst Interesse am Grundstückserwerb hat. Ist dies der Fall, so findet eine Einzelvergabe an die Kommune statt (Verkauf entsprechend dem Verkehrswertgutachten), ansonsten ein Verkauf nur im öffentlichen Wettbewerbsverfahren. Wichtig ist schließlich noch, daß die Kommunen bei Grundstückserwerbsinteressen die Instrumente des Planungsrechts zu nutzen wissen. Denn je nachdem, wie man diese einsetzt, können sich hohe oder niedrige Verkehrswerte ergeben.

IH. Schlußbemerkungen Oie kOll1ll1unalen Anforderungen und Ln' artuilgell an die Treuhandanstalt vor dem Hintergrund des Bemühens um eine Wirtschaftskraft, Arbeitsplätze und Lebensqualität sichernde Gemeinde-Entwicklung sind groß, meist zu groß. Sie laufen häufig auf eine Überforderung des der Treuhandanstalt vorgegebenen rechtlichen Rahmens - soweit dieser klar ist - und ihrer Personal- und Verwaltungskapazität hinaus. Von daher ist auf jeden Fall ein zeitaufwendiger und ständig neue Klärungen erfordernder Prozeß um die Verteilung des "öffentlichen Vermögens" der ehemaligen DDR erforderlich. Wenn also die Treuhandanstalt Ende 1993 ihr sogenanntes "operati ves Privatisierungs geschäft" abgeschlossen haben dürfte, dann ist z. B. die Zuordnung des öffentlichen Vermögens noch längst nicht beendet. Ich erinnere noch einmal daran, daß der Gesetzgeber den Städten, Gemeinden und Landkreisen für die Kommunalisierungsanträge eine Frist bis zum 30. 6. 1994 eingeräumt hat. Vermutlich werden sich bis dahin auch noch deutlicher die rechtlichen und organisatorischen Fehlkonstruktionen der gegenwärtigen Verteilungspraxis zeigen. Dennoch, blickt man etwa auf die gegenwärtigen Prozeßzahlen, so stellt sich das Ganze durchaus friedlich dar: Bei über 8000 Vermögenszuordnungs-Bescheiden aus der Treuhandanstalt gibt es erst 250 Verwaltungspro-

Kommunale Wirtschaftsentwicklung

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zesse, das ist eine "Streitquote" von 3 %. Im übrigen gilt: Die THA mit ihrer temporären, da vorübergehenden "Verteilungsfunktion", hat Voraussetzungen zu schaffen. Aus heutiger Sicht ist dies eminent wichtig, da erst die Privatisierung bzw. Zuordnung des öffentlichen Vermögens die Möglichkeiten entstehen läßt, etwas zu unternehmen, zu gestalten oder marode Infrastrukturen zu erneuern. Kurzfristig hat also die THA für die Wirtschafts funktion eine vordringliche Schlüsselfunktion - langfristig wird man ihr Wirken vielleicht als "Episode" betrachten.

9 Speyer 110

Probleme der Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung aus kommunaler Sicht am Beispiel der Stadt Suhl/ Thüringen Von Wilma Hammernick

I. Nach den Kommunalwahlen im Mai 1990 waren die Landkreise, die kreisfreien Städte sowie die kreisangehörigen Städte und Gemeinden in ihren DDR-Gebietsgrenzen die ersten arbeitsfähigen Strukturen vor der Gründung der neuen Länder. Die Verantwortung, die den kommunalen Parlamenten und den Verwaltungen für die Sicherung des gesellschaftlichen Lebens auferlegt wurde, ist bis zum heutigen Zeitpunkt nicht eingeschränkt, auch bedingt durch einige Besonderheiten im Verwaltungsaufbau in der Thüringer Landespolitik im Vergleich zu den anderen neuen Ländern. In Thüringen wurde als Mittelbehörde zwischen der Landesregierung und den kommunalen Gebietskörperschaften ein Landesverwaltungsamt eingerichtet. Damit entschied man sich gegen eine zweigliedrige Verwaltung wie z. B. im Saarland und gegen die Einrichtung von Regierungsbezirken. Die Kompetenzabgrenzung zwischen den Ministerien und dem Landesverwaltungsamt einerseits sowie zwischen dem Landesverwaltungsamt und den Kommunen andererseits ist noch nicht abgeschlossen und kann Verwaltungsentscheidungen blockieren. Der Aufbau strukturpolitischer Instrumente der Wirtschaftsförderung, wie die Einrichtung einer Wirtschaftsförderungs- und einer Landesentwicklungsgesellschaft sowie einer Aufbaubank erfolgte relativ spät. Eine weitere Besonderheit der Landesverwaltung, die allerdings auch die anderen neuen Bundesländer betrifft, stellt das noch fehlende strukturpolitische Konzept für die Entwicklung des Landes dar - das Landesentwicklungsprogramm liegt bisher nur in einem nicht bestätigten Entwurf vor. Durch das fehlende Grundsatzdokument bedingt, gibt es bisher auch noch keine Regionalpläne für die im Landesplanungsgesetz festgelegten 4 Planungsregionen. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Probleme in der Landesverwaltung wird die Bedeutung einer funktionierenden Kommunalverwaltung deutlich erkennbar. Der im Mai 1990 begonnene Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung ist in Grundzügen durchgesetzt, aber noch nicht abgeschlossen. Die ständig praktizierten Veränderungen in den Strukturen der Kommunalverwaltungen Ämter werden zusammengefaßt oder innerhalb der Dezernate neu zugeordnet; 9"

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Wilma Hammemick

Dezernate werden aufgelöst oder wieder neu gegründet, wenn Defizite erkennbar werden - zeigen den Anpassungsbedarf an die Bedingungen einer funktionierenden Verwaltung. Umstrukturierungen finden auch in der Parlaments arbeit mit Auflösung oder Neugründung von Ausschüssen statt. Der gegenwärtige Aufbau ist mit großer Wahrscheinlichkeit aber nur bis 1994 gültig. Die Kreise und Gemeinden sind auf Dauer in den übernommenen Strukturen weder zur effektiven Erfüllung der Selbstverwaltungsaufgaben, noch zur Lösung der übertragenen staatlichen Aufgaben in der Lage. Die Aufteilung Thüringens in 35 Landkreise mit einer Einwohnergröße ab 35 000 Einwohner sichert nicht die notwendige Wirtschaftlichkeit und Finanzkraft und muß mit einer Gebietsreform neu geordnet werden. Dieser Prozeß wird gegenwärtig schon mit großen Emotionen vorbereitet und erschwert notwendige sachliche Festlegungen, z. B. Standortentscheidungen.

11. Die Stadt Suhl mit einer Einwohnerzahl von 53 500 geht davon aus, daß der kreisfreie Status auch nach der Gebietsreform erhalten bleibt. Suhl ist gemeinsam mit der Nachbarstadt Zella-Mehlis im Entwurf des Landesentwicklungsprogramms für Thüringen als Mittelzentrum mit Teilfunktionen eines Oberzentrums für die Planungsregion Südthüringen vorgesehen. Aufgrund der fehlenden bestätigten Entwicklungsprogramme für das Land und die Regionen ist das eigene Stadtentwicklungskonzept als Grundlage des Verwaltungshandelns von großer Bedeutung. Im November 1991 wurde der Stadtverordnetenversammlung Suhl ein Entwurf für ein Stadtentwicklungskonzept mit einem Maßnahmekatalog zu einzelnen Handlungsfeldern vorgelegt und als Arbeitsgrundlage bestätigt. Im Dezember 1992 erfolgte eine erneute Festlegung der Stadtentwicklungsziele, die sich in drei Problemfelder der Gestaltung der Stadt einordnen lassen als: 1. Wirtschaftsstandort mit einem ausreichenden Arbeitsplatzangebot; 2. Regionales Zentrum für Verwaltung, Bildung, Handel, Kultur, Tourismus und Sport; 3. Wohnstandort und attraktiver Lebensraum mit einem ausreichenden Wohnungsangebot. Diese Problemfelder werden durch einzelne Analysen und Teilkonzepte untersetzt. Als Grundlage des Stadtentwicklungskonzeptes wurde ein Vergleich der Einwohnerzahlen ab 1989 und eine Vorausberechnung bis zum Jahr 2000 durchgeführt. Den zum 31. 12. 1989 ausgewiesenen 56125 Einwohnern folgte ein Rückgang auf 53 575 zum 30.6. 1992. Dieser EinwohnerfÜckgang weist eine nicht

Probleme der Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung

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nur für Suhl zutreffende Tendenz aus, bedingt durch einen Geburtenrückgang und Wanderungsverluste. Die Ursache für den Geburtenrückgang (in Suhl wurden bis 1980 jährlich ca. 820 Kinder geboren, 1990 waren es nur noch 681 Geburten und 1992 werden 600 Geburten erwartet) sind in der Begründung durch soziologische Studien zu untersetzen - aber auch ohne bisher vorliegende ausreichende Befragungsergebnisse werden Tendenzen der Gründe erkennbar: -

die völlige Umgestaltung der Lebensverhältnisse in den neuen Ländern mit dem Hauptunsicherheitsfaktor der drohenden oder der erlebten Arbeitslosigkeit,

-

der Wertewandel, der sich in einer starken Hinwendung zu den materiellen Werten zeigt,

-

die nicht ausreichende Familienpolitik als Befürwortung zur Entscheidung für Kinder und

-

die immer sichtbarer werdenden Einschränkungen der Entwicklungsmöglichkeiten der Frauen.

Das in der DDR recht umfassend entwickelte Selbstverständnis des Verhältnisses der Männer und der Frauen mit gegenseitiger Akzeptanz und Angleichung der Rollenverteilung im Familienleben ist in Veränderungen begriffen - eine der in diesem Maße nicht vorhersehbaren Entwicklungen in den neuen Ländern. Die Wanderungsverluste betreffen Städte und Gemeinden in allen neuen Ländern mit unterschiedlichen Auswirkungen. Die Stadt Suhl ist durch Abwanderungen auf Grund der grenznahen Lage nicht in dem Maße betroffen, daß vorerst eine beunruhigende Entwicklung eintritt. Viele Arbeitnehmer entscheiden sich für einen vorübergehenden Zeitraum für eine Arbeitsaufnahme in Bayern oder Hessen. Für das Land Thüringen werden gegenwärtig 50 000 Pendler geschätzt. Die genaue Anzahl ist durch konkrete Angaben zur Zeit nicht nachweisbar. Diesen Übergangsproblemen muß durch Gegenmaßnahmen begegnet werden. Bis zum Jahr 2000 wird mit einem weiteren Bevölkerungsrückgang auf ca. 52 000 Einwohner auf Grund der fehlenden Geburten gerechnet, begrenzt aber durch die Integration von Ausländern und durch einen eventuellen Wanderungsgewinn ab Ende der neunziger Jahre, wenn es gelingt, die Entwicklungspotentiale der Stadt Suhl mit ihrer Zentrums lage in der Bundesrepublik voll auszuschöpfen. Um den Bevölkerungsrückgang zu begrenzen, muß als wichtigste Maßnahme die Entwicklung der Stadt als Wirtschaftsstandort - das erste Stadtentwicklungsziel - durchgesetzt werden. Bis zum Jahre 1989 waren in Suhl etwa 38 000 Arbeitsplätze vorhanden. Der mit der Einführung der Marktwirtschaft verbundene wirtschaftliche Umbruch konnte in den eingetretenen Dimensionen nicht vorhergesehen werden. Die offizielle Arbeitsmarktstatistik weist im September 1992 13,1 % Arbeitslose aus; dieser Wert berücksichtigt nicht die ABM-Stellen, die "Kurzarbeit Null" und die

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Wilma Hammemick

Beschäftigungsgesellschaften. Nach Schätzungen sind gegenwärtig weniger als die Hälfte der vor der Wende ausgewiesenen Arbeitsplätze mit einer noch sinkenden Tendenz vorhanden. Die Ausgangsposition von Suhl für die wirtschaftliche Umgestaltung ist dabei aber noch günstiger einzuschätzen als die Situation in vielen anderen Städten und Gemeinden. Suhl ist nicht durch eine industrielle Monostruktur gekennzeichnet und weist mit der Jagd- und Sportwaffenherstellung eine jahrhundertealte Handwerkstradition und einen überlebensfahigen Industriezweig auf. Der Hauptbetrieb - die Suhler Jagd- und Sportwaffen GmbH - wurde nach einem Abbau von 1 940 Arbeitsplätzen auf 400 Arbeitsplätze im August 1992 privatisiert. Insgesamt sind zur Zeit noch etwa 2 500 Arbeitsplätze in der Industrie vorhanden; davon werden aber mit weiteren Privatisierungen noch Einsparungen erwartet. Der Rückgang der Arbeitsstellen in der Industrie weist die gravierendsten Einschnitte auf, bedingt durch den Wegfall der europäischen Märkte, die niedrige Produktivität der Betriebe, altlastenbehaftete Produktionsstandorte und die Konkurrenz der wirtschaftlichen Unternehmen in den alten Bundesländern. Es gab vor der Wende nur wenige eigenständige Handwerksbetriebe und keinen industriellen Mittelstand. Die Liquidation eines Werkes, der Suhler SIMSONMopedfabrik, hatte den Wegfall von 3500 Arbeitsplätzen zur Folge. Diesem Wegfall steht eine zögernde, schwierige und vorsichtige Neuschaffung von Arbeitsplätzen durch Existenzgründer bzw. der ebenfalls schwierige Erhalt bestehender Arbeitsplätze nach Privatisierungen gegenüber. Gemildert wird die Gesamtsituation auf dem Arbeitsmarkt in Suhl - wie auch in anderen Städten mit zentralen Funktionen - durch eine Verlagerung von Arbeitsplätzen aus dem sekundären in den tertiären Sektor.

III. Im Prozeß der Gestaltung des Arbeitsmarktes kann die kommunale Wirtschaftsförderung bestimmte Grundlagen schaffen durch -

ein verfügbares und finanziell annehmbares Angebot an Gewerbeflächen für Industrie, Handwerk und Gewerbe;

-

eine durchsetzbare Standortkonzeption für Handel, Dienstleistungen und freie Berufe.

Für das Stadtentwicklungskonzept ist eine Gewerbeflächenkonzeption durch das Amt für Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung erarbeitet worden, eine Handelsflächenkonzeption liegt nach Auftragsvergabe an eine Unternehmensberatungsfirma vor und eine Büroflächenkonzeption wird für 1993 vorbereitet. Die der Konzeption vorausgehende Gewerbeflächenanalyse brachte das Ergebnis, daß selbst bei einem drastischen Rückgang der industriellen Arbeitsplätze die vorhandenen Gewerbeflächen nicht ausreichen. Dies ist bedingt durch Kon-

Probleme der Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung

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zentration veralteter, altlastenbehafteter Produktionsstätten auf flächenmäßig eingeschränkten, oft in ungünstigen innerstädtischen Lagen angesiedelten Standorten mit vielfach ungeklärten Eigentumsverhältnissen oder Rückübertragungsansprüchen. Es wurde erkennbar, daß für den Erhalt industrieller Arbeitsplätze in erster Linie für zwei Gruppierungen neue Flächen ausgewiesen werden müssen: -

für Existenzgründungen des Mittelstandes und des Handwerkes auf eigenem Grund und Boden und

-

für Verlagerungen vorhandener privatisierter Betriebsstätten aus den Altstandorten zum Aufbau marktfähiger Produktionsbedingungen. Erst danach folgt als dritte Gruppierung

-

die Neuansiedelung von Produktionsstätten aus anderen Regionen in untergeordnetem Maße, worum in Konkurrenz zu anderen Standorten in den alten und den neuen Bundesländern sehr geworben werden muß.

Der Erhalt einer Stadt als Wirtschaftsstandort muß aus dem vorhandenen industriellen Potential erfolgen. Neuansiedlungen oder Verlagerungen industrieller Arbeitsplätze in Größenordnungen finden nicht statt, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Diese Erfahrung haben inzwischen alle Städte und Gemeinden in den neuen Ländern machen müssen. Topografisch bedingt gab es in Suhl nur eine Möglichkeit für den Aufbau eines neuen Gewerbegebietes: ein ca. 50 ha großes abgeholztes Gelände der ehemaligen Offiziershochschule der Grenztruppen in der Gemarkung der Stadt Suhl und zweier Nachbargemeinden, den Gewerbepark Friedberg. Nach dem Verzicht der Bundeswehr auf das Objekt wurde im Januar 1991 eine Vertragsgemeinschaft der Stadt Suhl mit den beiden Gemeinden gegründet und im November 1991 mit der Erschließung begonnen. Im Juli 1992 wurden mit der ersten Hochbaumaßnahmne, einem Druckereineubau, die Baurnaßnahmen fortgesetzt. Weitere 26 Investitionen im ersten Bauabschnitt werden folgen. Grundlage der Schaffung des Gewerbeparks war die Aufnahme eines Kommunalkredits durch die Stadt Suhl und die Bewilligung eines Förderantrages aus dem Bund / Länder-Programm Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der wirtschaftsnahen Infrastruktur. Ohne diese staatlichen Mittel war der Beginn der Realisierung des Gewerbeparks und ist die Weiterführung nicht möglich. Eine weitere Grundlage für den Erschließungsbeginn war eine konzentrierte Parallelarbeit -

zur Flächennutzungs- und Bebauungsplanung,

-

zum Erschließungsprojekt,

-

zur Umweltverträglichkeitsprüfung,

-

zur Landschaftsplanung,

-

zum Flächenerwerb,

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-

Wi1ma Hammernick zur Verhandlung mit Investoren unter Beachtung des Grundsatzes, daß 50 % der anzusiedelnden Betriebe auf geförderten Flächen produzierende Betriebe sein müssen.

Das Angebot an verfügbaren Gewerbeflächen ermöglicht eine aktive Standortwerbung. Da die Verkehrsanbindung neben dem Arbeitskräftepotential als entscheidender "harter" Standortfaktor große Bedeutung besitzt, wird mit der Aufnahme der Thüringer-Wald-Autobahn in die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (DE 16) und einer eventuellen direkten Anbindung des Gewerbeparkes an die Autobahn Bamberg-Erfurt die Attraktivität des Standortes noch erhöht, so daß mit einer vollen Belegung auch des zweiten Bauabschnittes gerechnet werden kann. Dieses Ergebnis zeigt eine optimistische Ausgangssituation, die aber am Schluß meiner Ausführungen relativiert wird. Neben der Entwicklung des Gewerbeparks Friedberg wurde nur noch ein ca. 3,5 ha großes Gewerbegebiet als Mischgebiet für Handwerksbetriebe mit Wohnfunktion erschlossen, um 16 Handwerkern auf eigenem Grund und Boden die Existenzgründung zu ermöglichen. Eine weitere Ausweisung neuer Gewerbeflächen erfolgt nicht. Nach Belegung der neuen flächen muß eine Sanierung der Altstandorte und eine Wiederbelegung z. T. durch Umnutzung erfolgen. Dieser Prozeß der Sanierung der Altstandorte ist aber gegenwärtig finanziell nicht untersetzbar und wird für die nächsten Jahre eine Hauptaufgabe der Wirtschaftsförderung in Zusammenarbeit mit dem Stadtplanungsamt, dem Umweltamt und dem Naturschutz darstellen. Ergänzend zum sekundären Bereich untersuchen wir gegenwärtig die Möglichkeit der Einrichtung eines Technologie- und Gründerzentrums. Entscheidend wird die finanzielle Sicherung des Zentrums durch die Träger, die Stadt und den Landkreis Suhl, die IHK usw. sein.

IV. Für die Entwicklung des tertiären Sektors - widergespiegelt im 2. Stadtentwicklungsziel der Zentrumsfunktion für Südthüringen -liegen in Suhl insbesondere für den Verwaltungsbereich und die Handelsstruktur gute Voraussetzungen vor. Durch vorhandene Verwaltungsgebäude konnten relativ problemlos neue Verwaltungseinheiten wie das Arbeitsamt, das Finanzamt, Versicherungen, Banken u. a. räumlich untergebracht werden. Auch die Gebäude der ehemaligen Offiziershochschule wurden in diesen Prozeß einbezogen und bilden als Verwaltungsstandort einen Bereich des Gewerbeparks Friedberg. Durch die Ansiedlung der Behörden wird die angestrebte oberzentrale Funktion der Stadt Suhl als Verwaltungsstandort untersetzt.

Im Handelsbereich muß die oberzentrale Funktion durch die Ausbildung eines attraktiven Stadtzentrums erreicht werden. Die Möglichkeiten dafür sind gegeben,

Probleme der Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung

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da noch bebaubare, verfügbare Flächen als Handelsflächen geplant werden können und durch Vereinbarungen mit ausgewählten Investorengruppen bereits die konkrete Umsetzung erfolgt. In den neuen Ländern tritt vielfach der auch aus den alten Bundesländern bekannte Widerspruch der Bebauung von Sondergebieten außerhalb der Stadtzentren zu den Innenbereichen der Städte auf. Die gegenwärtig in Thüringen geplanten Sondergebiete weisen Verkaufsflächen nach, für die die vorhandene Kaufkraft nicht ausreichend ist. Mit dem Aufbau der Landesverwaltung sind raumordnerisch begründete Korrekturen in den Ausweisungen der Sondergebiete durchzusetzen. In der für Suhl und Zella-Mehlis ausgearbeiteten Handelskonzeption werden Verkaufsraumflächen in Beziehung zur Einwohnerzahl und damit zur vorhandenen Kaufkraft empfohlen - standortkonkret festgelegt für zwei Sondergebiete und für Handelsflächen in den Stadtzentren. Die Durchsetzung der empfohlenen Struktur sichert die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen und verhindert Kaufkraftabflüsse, die derzeit noch in starkem Maße zu verzeichnen sind. Die Gaststättenstruktur ist quantitativ noch nicht ausreichend, aber qualitativ schon mit einem recht hohen Niveau ausgestattet. Eine aktive Standortpolitik bezieht aber nicht nur die Gewerbe-, Verwaltungs- und Handelsflächen ein, sondern muß auch die "weichen Standortfaktoren" Kultur und Bildung, Freizeitund Sporteinrichtungen und Umweltqualität berücksichtigen. Durch die staatlich geförderte Entwicklung der Stadt Suhl zu einer der ehemaligen Bezirksstädte der DDR ist eine ausgebildete, in ihren Kapazitäten überdurchschnittliche kulturelle und sportliche Infrastruktur vorhanden mit -

einer Stadthalle (für Fernsehübertragungen geeignet),

-

einem Sinfonieorchester,

-

einem Knabenchor, einer Singakademie,

-

einem Tierpark,

-

dem Suhler Waffenmuseum,

-

dem weltbekannten Suhler Schießsportzentrum (Bundes- und Landesleistungszentrum im jagdlichen Schießen),

-

mehreren Bibliotheken,

-

und einer Schwimmhalle. Die Aufzählung ist noch nicht vollständig.

Die vorhandene Struktur wird durch die Einwohner von Stadt und Umland sehr gut angenommen und stellt einen nicht zu unterschätzenden Faktor der Wirtschaftsförderung bei Standortentscheidungen dar. Die finanziellen Belastungen sind aber für den Haushalt der Stadt auf Dauer nicht tragbar, so daß einzelne

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Wilma Hammemick

Einrichtungen privatisiert werden müssen - bis zur Entscheidung der Schließung. Die Größe der Stadt ist für die Tragfähigkeit der vorhandenen Einrichtungen nicht ausreichend, eine Erkenntnis, die gefühlsmäßig nur schwer anzunehmen ist.

V. Neben den Stadtentwicklungszielen - Wirtschaftsstandort und Zentrumsfunktion für Südthüringen - ist für die Stadt Suhl der Nachweis ausreichender Wohnbedingungen ein wichtiger Faktor für den Erhalt der Bevölkerungszahl. Suhl verfügt über einen Wohnungsbestand von 23300 Wohneinheiten; davon befinden sich 2/3 der Wohnungen in Wohnblöcken mit Plattenbauweise mit einer Durchschnittsgröße von ca. 60 m2 . Das größte eigenständige Wohngebiet - das Neubaugebiet Suhl-Nord mit 13 500 Einwohnern - entwickelt sich zum Problemgebiet. In Suhl-Nord sind auf engem Raum eine Vielzahl von Wohnungen mit einer geringen Durchschnittsgröße ohne ausreichende infrastrukturelle Einrichtungen, Parkflächen und Grünflächen konzentriert, worunter die Wohnqualität leidet. Es wird versucht, mit dem Neubau von Sport- und Freizeiteinrichtungen und mit Angeboten für Jugendarbeit eine Begrenzung der sich entwickelnden Probleme zu erreichen. Unübersehbar ist aber die Tendenz, daß Familien, die materiell den Eigenheimbau oder die Eigentumswohnung sichern können, aus dem Wohngebiet Suhl-Nord wegziehen. Mit dem Flächennutzungsplan wird dem Bedarf an Wohnstandorten Rechnung getragen - es werden neben neuen Gewerbeflächen auch Gebiete für Eigenheimbau ausgewiesen. Trotz der Probleme, die mit der Planung und Erschließung der Wohnungsbaustandorte verbunden sind, wurden die ersten Eigenheime bereits gebaut. Eine Wohnanlage mit 53 Eigentumswohnungen wird ebenfalls noch in diesem Jahr begonnen. Das Angebot attraktiver Wohnstandorte muß bei Standortwerbungen für Ansiedlungen von Arbeitsstätten nachweisbar sein. Die Konkurrenz der Städte und Gemeinden in den neuen Bundesländern mit einem inzwischen erkennbaren Überangebot an Gewerbeflächen sowie die Konkurrenz der Städte und Gemeinden in den alten Bundesländern mit einer entwikkelten Infrastruktur ist sehr ausgebildet, so daß der eigene Standort nur bei Sicherung aller genannten Faktoren - Gewerbeflächen, Infrastruktur, Wohnstandort - konkurrenzfähig bleibt. VI.

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daß kommunal schon sehr umfassende Aktivitäten zur Wirtschaftsförderung nachweisbar sind. Trotzdem ist der Aufschwung Ost nur zögernd zu spüren. Die Gründe dafür liegen nicht im

Probleme der Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung

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kommunalen Bereich. Das Gewerbeflächenangebot ist inzwischen in den neuen Ländern ausreichend und auch die Verwaltungen sind im wesentlichen auf die Anforderungen eingestellt. Die Gründe sind gesamtstaatlich nachweisbar: Die Wirtschaftsstruktur der Bundesrepublik nach der Vereinigung entspricht nicht den Anforderungen. Die in den alten Ländern vorhandenen industriellen Kapazitäten können den Bedarf der neuen Länder (gestützt durch Arbeitskräfte aus den neuen Ländern) gut abdecken. Es besteht keine Notwendigkeit, Konkurrenzkapazitäten zu erhalten oder neu aufzubauen. Die alten Märkte der neuen Länder sind verloren und die neuen Märkte sind besetzt. Eine Veränderung der Wirtschaftsstruktur oder auch der Verwaltungsstruktur würde bedeuten, vorhandene Kapazitäten zu verlagern, z. B. Umzug von Bundesbehörden in die neuen Länder. Die Reaktionen seitens der alten Länder sind bekannt - es ist vorerst keine Bereitschaft zu Veränderungen zu erkennen. Wenn aber im gesamtstaatlichen Rahmen die neuen Länder den Anschluß an die alten Länder nicht erreichen, wird das Auswirkungen auf die Bundesrepublik haben, die man zum jetzigen Zeitpunkt ebensowenig einschätzen kann wie man vor zwei Jahren die Kosten der Einheit einschätzen konnte. Ein weiteres gesamtstaatliches Hemmnis liegt in einem Grundelement der Marktwirtschaft begründet - dem Privateigentum. Bei 2 Millionen vorliegenden Anträgen auf Rückgabe von Eigentum kann sich in den neuen Ländern keine Eigentumsstruktur entwickeln - es gibt ein fünf Länder umfassendes Gebiet der Vermieter und der Mieter. In Suhl liegen 2000 Anträge auf Rückführung vor- dem stehen etwa 70 Flächenbereitstellungen nach dem Investitionsvorranggesetz gegenüber. Durch nicht vorhandenes Eigentum werden Existenzgründungen erschwert oder verhindert. Bei Akzeptanz der nach 40 Jahren vorliegenden Eigentumsverhältnisse durch Umkehr des Prinzips Rückgabe vor Entschädigung hätten die Städte und Gemeinden die Möglichkeit des Verkaufs der Flächen und Gebäude mit der eigenen Entscheidung des Einsatzes der finanziellen Erlöse erhalten müssen. Dadurch hätte sich eine kreditwürdige Eigentumsstruktur entwickeln können und die immense Verschuldung der Kommunen wäre begrenzt worden. Da die genannten gesamtstaatlichen Hemmnisse fundamental sind, können alle kommunalen Aktivitäten nur in eingeschränktem Maße entlastend wirken. Die Grenzen des eigenen Handeins werden ständig erkennbar. Es ist erforderlich, daß durch die Bundesregierung Programme erarbeitet und gesamtstaatliche Entscheidungen vorbereitet werden, in die sich die kommunalen Aktivitäten einordnen lassen.

Diskussion zu den Referaten von Michael Schöneich und Wilma Hammernick sowie zu dem Statement von Peter von Feldmann Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Michael Korte Die Diskussion im Anschluß an die Vorträge von Michael Schäneich, von Frau Wilma Hammernick und das Statement von Dr. Peter von Feldmann hatte im wesentlichen die wirtschaftlichen Probleme und Sorgen der Kommunen in den neuen Bundesländern zum Gegenstand. Diskussionsteilnehmer waren neben den Vortragenden hauptsächlich Vertreter der Kommunen aus den neuen Bundesländern. Zentrales Thema der Diskussion war die Rolle der Treuhandanstalt in den neuen Bundesländern. Wie Schäneich in seinem Vortrag eingangs erwähnte, ist es nach § 1 TreuhandG ausschließlich die Aufgabe der Treuhandanstalt zu privatisieren. Strukturpolitische und wirtschaftsfördernde Maßnahmen würden nicht zum Aufgabenbereich gehören. Dies wurde von den Diskussionsteilnehmern kritisiert, da die Privatisierungen im kommunalen Bereich erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur hätten. In seiner diesbezüglichen Stellungnahme stellte Schäneich klar, daß unabhängig vom Gesetzeswortlaut - den Maßnahmen der Treuhandanstalt de facto sogar eine Schlüsselrolle im Bereich der Wirtschaftsstruktur der Gemeinden zukomme. Dennoch könne die Treuhandanstalt aufgrund ihres Auftrages und der Bindung an die Bundeshaushaltsordnung nicht - wie oft gefordert - den Kommunen beim Kauf von Grundstücken Sonderkonditionen einräumen. In diesem Zusammenhang wurde auch das Verkehrswertprinzip kritisiert: Wenn den Kommunen Grundstücke angeboten würden, was nach Auffassung der Kommunen leider viel zu selten der Fall sei, sei der Verkehrswert für die Möglichkeiten der Kommunen zu hoch angesetzt. So könnten oft strukturpolitisch wichtige Grundstücke aus finanziellen Gründen nicht erworben werden. Angesichts der noch sehr unbestimmten wirtschaftlichen Situation in den neuen Ländern, so Schäneich, sei eine objektive Verkehrswertbestimmung kaum möglich. Wenn sich ein hoher Verkehrswert begründen lasse, liege es natürlich im Interesse der Treuhandanstalt, auch einen entsprechend hohen.. Preis zu bekommen. Übereinstimmendes Urteil der Diskussionsteilnehmer zu diesem Thema war, daß die Treuhandanstalt trotz aller Probleme ihre Handlungsspielräume mehr in Richtung auf ein kommunalfreundliches Verhalten ausnutzen sollte.

142

Diskussion

Weiteres Thema waren die von vielen Seiten vorgeschlagenen Gesetzesänderungen: Gesetze sollten vereinfacht und dadurch Verfahren beschleunigt werden. Dagegen hatte sich von Feldmann bereits in seinem Statement ausgesprochen. Eine Verfahrensstraffung liefe nach seiner Ansicht - gerade im Baurecht auf eine Streichung der diversen Mitwirkungsrechte hinaus. Dies sei aus baulichen und rechtsstaatlichen Gründen sehr bedenklich. In diesem Sinne äußerte sich auch eine Diskussionsteilnehmerin, die im Bereich der juristischen Fortbildung in den neuen Ländern tätig ist. Die Unsicherheit in allen rechtlichen Fragen sei aufgrund der plötzlichen Einführung des unbekannten und marktwirtschaftlich orientierten westdeutschen Rechtssystems ohnehin schon sehr groß. Sollten jetzt erneut Änderungen eingeführt werden, so würden sich die Unsicherheiten noch verstärken. Rechtsänderungen sollten mittelfristig daher nicht stattfinden. Schöneich wies darauf hin, daß die Gesetze allein nicht für alle Mißstände verantwortlich gemacht werden könnten, da ein guter Jurist auch mit schlechten Gesetzen gut arbeiten könne, wogegen ein "Esel" auch mit guten Gesetzen nichts anfangen könne. Frau Hammernick beklagte in ihrem Vortrag über die Stadt Suhl unter anderem eine rapide abnehmende Bevölkerungszahl. Neben einem Geburtenrückgang sei die Abwanderung vieler Arbeitnehmer dafür verantwortlich. Nach einiger Zeit würden die Familien dann auch in den Westen ziehen. Ein Diskussionsteilnehmer machte jedoch darauf aufmerksam, daß dies nicht unbedingt negativ zu bewerten sei. Schließlich würde eine hohe Arbeitslosenquote die Sozialnetze im Osten nur unnötig belasten. Frau Hammernick entgegnete, daß oft gerade die Auswanderer auch in den neuen Ländern Arbeit finden könnten. Weiterhin wurde von den Diskussionsteilnehmern einstimmig eine mangelnde Unterstützung der neuen Verwaltung durch Wissenschaft und Rechtsprechung konstatiert. Hier kam man zu dem Ergebnis, daß Verwaltungsentscheidungen oft keinen Aufschub zuließen. Wissenschaftliche Arbeiten zu neuen Vorschriften erschienen daher zwangsläufig zu spät. Schnelle Hilfe durch Gerichtsentscheidungen sei ebenfalls nicht zu erwarten, da die Gerichte oft hoffnungslos überlastet seien. Als großes Problem sahen die Teilnehmer die teilweise unüberschaubaren Altlasten und Altschulden an. Trotz eines Moratoriums bestand Einigkeit, daß hier eine interessengerechte politische Entscheidung erforderlich sei. Die Kommunen seien jedenfalls nicht in der Lage, die Probleme alleine zu bewältigen. Wiederum wurde die Vorgehensweise der Treuhandanstalt kritisiert; sie verkaufe oft Teilbetriebe mit großen Freiflächen: Die Restflächen seien dann in der Regel wirtschaftlich nicht sinnvoll nutzbar und belasteten die Gemeinden. Am Ende der Diskussion wurde die Treuhandanstalt nochmals - innerhalb der ihr gezogenen Grenzen - zu kommunalfreundlicherem Verhalten aufgefordert.

Transformation kommunaler Sozialpolitik Institutionelle Strukturen, soziale Aufgaben und organisierte Akteure Von Holger Backbaus-Maul

I. Die deutsche Vereinigung als Institutionentransfer? Spätestens seit 1990 besteht in der deutschen Politik ein Konsens darüber, daß der ,,real-existierende Sozialismus" der ehemaligen DDR - insgesamt betrachtet - ein abzulehnendes Gesellschaftsmodell ist. Dabei ist zu bedenken, daß die sozialkulturellen Traditionen der DDR-Gesellschaft den Zusammenbruch des Staates überdauern. Der DDR-Staat und seine spezifische Wohlfahrtskultur waren durch ein staatliches Sozialpolitik- und Versorgungsmonopol sowie eine entsprechende Versorgungsgarantie geprägt 1. In der Formel der "staatlichen Versorgung von der Wiege bis zur Bahre" kommt dieses staatszentrierte Wohlfahrtsverständnis anschaulich zum Ausdruck. Für die Bürger und Klienten bedeutete ein derartiges Sozialpolitikverständnis eine zweifache Unterforderung: Erstens wurden sie politisch und moralisch unterfordert, da sich die staatliche Normsetzung auf plakative Parteiparolen beschränkte, denen nicht qua Einsicht, sondern vor dem Hintergrund manifester staatlicher Sanktionsandrohungen Folge zu leisten war. Zweitens wurden nicht Kompetenzen im Sinne einer sozialen Selbsttätigkeit und Selbstorganisation gefördert, sondern es wurde eine Mentalität des geduldigen Wartens auf eine fürsorgerische Fremdversorgung seitens des allzuständigen Staates begünstigt. 2 Vor dem Hintergrund dieser "Verstaatlichung von Gesellschaft" mit einer starken Fremdbestimmung und geringen Möglichkeitsspielräumen für eine soziale Selbsttätigkeit, ist der abrupte Übergang vom "real-existierenden Sozialismus" zur "sozialen Marktwirtschaft" nicht nur eine unerwartete und völlig neuartige politisch-administrative Aufgabe, sondern unter sozial-kulturellen Gesichtspunkten betrachtet zugleich auch höchst voraussetzungsreich. 1 Vgl. Sigrid Meuschel, Wandel durch Auflehnung. Thesen zum Verfall bürokratischer Herrschaft in der DDR, in: Berliner Journal für Soziologie, Heft 1, 1991, S. 15 ff. 2 Vgl. Detlef Pollack, Sozialstruktur und Mentalität in Ostdeutschland, in: Archives Europeennes de Sociologie, Heft 2, S. 381 ff.

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Im Mittelpunkt politisch-administrativer Strategien steht die Übertragung des westdeutschen Institutionensystems auf das Gebiet der ehemaligen DDR. Diese Strategien gingen von der Vorstellung aus, daß die in den Altbundesländern bewährten gesetzlichen Regelungen, politisch-administrativen Strukturen und Förderprogramme in den neuen Bundesländern unverändert zur Anwendung gebracht werden könnten und ihr Vollzug letztlich nur eine Frage der Zeit sei. 3 Damit die übertragenen Institutionen in den neuen Bundesländern aber funktionieren und Leistungen erbringen können, benötigen sie einen sozial-kulturellen Unterbau, d. h. sie müssen sozial akzeptiert, unterstützt und genutzt werden. Angesichts des sozialen Zustandes der ehemaligen DDR ist es höchst fraglich, ob die Übertragung gesetzlicher, politischer und administrativer Institutionen ausreichend ist, um die negativen sozialen Folgen des vorangegangenen Gesellschaftssystems zu beheben oder zumindest zu minimieren sowie die institutionellen Regelungen der bundesdeutschen Gesellschaft wirksam zu implementieren und sozial-kulturell zu verankern. In der DDR-Gesellschaft erfolgte die soziale Integration aufgrund von Zwang und Privilegierung und nicht zuletzt durch Anpassung mangels fehlender Alternativen. Mit dem gesellschaftlichen Zerfall der DDR und der Selbstauflösung des "Staatsapparates" wird ein Mangel an sozialer Integration 4 bzw. eine "Vergesellschaftungslücke" 5 sichtbar: Es fehlt an geeigneten sozial-kulturellen Grundlagen, an die im Prozeß des Institutionentransfers angeknüpft werden kann. Demzufolge müßten im Prozeß der deutschen Vereinigung mittels politisch-administrativer Strategien nicht nur Institutionen übertragen werden, sondern insbesondere sozialkulturelle Entwicklungen gefördert werden, die für die Wirksamkeit der übertragenen Institutionen unabdingbar sind. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang eine soziale Akzeptanz gegenüber den übertragenen Institutionen, eine soziale Bereitschaft zu finanzieller und ideeller Unterstützung als Form sozialen Engagements, eine soziale Selbsttätigkeit im Sinne von Selbsthilfe und Hilfe für andere sowie eine Befähigung und Bereitschaft, als sozial-politischer Akteur zu handeln. 3 Siehe zur staatlichen Strategie der Problemvereinfachung Gerhard Lehmbruch, Die deutsche Vereinigung: Strukturen und Strategien, in: Politische Vierteljahresschrift, Heft 4, 1991, S. 585 ff. 4 Zum Stellenwert der verschiedenen kulturellen, politischen und ökonomischen - Integrationsmodi im Transforrnationsprozeß der DDR-Gesellschaft siehe Claus Offe, Die Integration nachkommunistischer Gesellschaften: die ehemalige DDR im Vergleich zu ihren osteuropäischen Nachbam, Vortrag auf dem 26. Deutschen Soziologentag, Düsseldorf, 28.9.-2.10.1992, Ms., Bremen. 5 Helmuth Berking / Sighard Neckel, Außenseiter als Politiker. Rekrutierung und Identi täten neuer lokaler Eliten in einer ostdeutschen Gemeinde, in: Soziale Welt, Heft 3, 1991, S. 283 ff.

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Im folgenden wird der Prozeß des Institutionentransfers am Beispiel der kommunalen Sozialpolitik erörtert, wobei die Frage nach den sozial-kulturellen Grundlagen dieser Institution im Vordergrund steht. Eingangs werden wesentliche Strukturelemente und ordnungspolitische Grundprinzipien des lokalen sozialen Versorgungssystems der ehemaligen DDR herausgearbeitet, um daran anschließend sozial-kulturell bedingte Dilemmata zu diskutieren, die infolge der Übertragung der Institution kommunaler Sozialpolitik in den neuen Bundesländern auftreten.

11. Strukturelemente und Grundprinzipien

1. Institutionelle Strukturen des lokalen sozialen Versorgungssystems Versucht man, das Gesellschaftssystem der ehemaligen DDR zu kennzeichnen, so ist von einer hierarchischen und staatszentrierten, durch die SED weitgehend gesteuerten und kontrollierten Gesellschaft auszugehen. Staatliche Herrschaft wurde in der DDR repressiv ausgeübt, so daß sich erst sehr spät im Prozeß des Zerfalls staatlicher Herrschaft oppositionelle Gruppen bzw. Bürgerbewegungen organisieren konnten. In wirtschaftlicher Hinsicht stellte die DDR durchaus eine Industriegesellschaft dar, wenn auch mit geringer Arbeitsproduktivität und einem relativ großen Beschäftigtenanteil im landwirtschaftlichen Sektor. Der entsprechend hohe Arbeitskräftebedarf hat nachhaltig den Charakter der DDR als erwerbszentrierte Gesellschaft geprägt. 6 Unter sozial-strukturellen Gesichtspunkten betrachtet, war die DDR keine moderne Gesellschaft, da der Grad der sozialen Differenzierung gering war. 7 Diese geringe soziale Differenzierung war durchaus politisch intendiert und Ausdruck der politischen Idee einer Gesellschaft von Gleichen in einem "Arbeiter- und Bauernstaat" , die insbesondere mittels nivellierter Einkommen verwirklicht werden sollte. Die unterbundene soziale Differenzierung - wenn man von der Schicht der Privilegierten einmal absieht - wirkte sich negativ auf die individuelle Engagement- und Leistungsbereitschaft aus, da es an den entsprechenden sozialen und monetären Anreizen weitgehend fehlte. Unter den skizzierten gesellschaftlichen Bedingungen kam der Sozialpolitik eine herausragende Bedeutung zu: Sozialleistungen oder auch nur Leistungsversprechen sollten dazu beitragen, die ökonomischen und politischen Mängel und die Zumutungen des DDR-Systems zu kompensieren sowie soziale Akzeptanz zu erzeugen. 8 Der Bevölkerung stand eine soziale Grundversorgung mit einer 6 Die Erwerbsarbeitsorientierung hatte im Lebenskonzept der DDR-Bürger/-innen eine zentrale Bedeutung. Sowohl Männer als auch Frauen stellten sich auf eine lange, kontinuierliche Erwerbstätigkeit in stabilen Beschäftigungsverhältnissen ein. Selbst im Rentenalter wurde häufig noch einer Nebenerwerbstätigkeit nachgegangen. 7 Rainer Geißler, Die ostdeutsche Sozialstruktur unter Modemisierungsdruck, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 29/30, 1992, S. 15 ff.

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geringen finanziellen Eigenbeteiligung zur Verfügung, wobei die Qualität der Leistungen relativ niedrig war und kaum Möglichkeiten der Leistungswahl bestanden. Konstitutives Merkmal sozialistischer Sozialpolitik war ein staatliches Politik- und Organisationsmonopol, was bedeutete, daß die Politikformulierung zur exklusiven Staatsaufgabe erhoben wurde. Demgegenüber wurde die Leistungserbringung in erster Linie örtlichen Staatsorganen, staatlichen Betrieben und staatlichen Massenorganisationen übertragen, so daß der konkreten Ausgestaltung des lokalen sozialen Versorgungs systems eine besondere soziale Bedeutung zukam. 2. Aufgabenbereiche im lokalen sozialen Versorgungssystem

Die Leistungspalette des lokalen sozialen Versorgungssystems der ehemaligen DDR reichte von mobilen und ambulanten sozialen Diensten bis hin zu stationären Einrichtungen, die insbesondere der sozialen Betreuung und medizinischen Versorgung der erwerbstätigen Bevölkerung dienten. Hinzu kam eine Vielzahl von Kindereinrichtungen, die den hohen Arbeitskräftebedarf durch die verstärkte Rekrutierung von Frauen decken sollten. Als eigenständige soziale Aufgabenbereiche sind die Jugendhilfe, die Altenhilfe und die Sozialfürsorge zu nennen: 9 -

Die Jugendhilfe wurde in der DDR als eine fürsorgerische und politische Aufgabe des Staates begriffen, die sich auf Jugendliche bezog, die als schwererziehbar galten oder in problematischen familialen Verhältnissen lebten. 10 Oberstes pädagogisches Ziel der Jugendhilfe war die Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit. Da der Jugend im sozialistischen Gesellschaftsmodell eine hohe Priorität zukam, wurden Leistungen in diesem Bereich primär in staatlicher Trägerschaft erbracht. Trotz der hohen staatlichen Wertschätzung der Jugendhilfe gab es in diesem Bereich nur eine geringe Zahl hauptamtlicher Mitarbeiter / innen (l 5(0) und eine große Zahl ,,Ehrenamtlicher" (38 0(0). Ein wesentlicher Grund für die geringe Zahl hauptamtlicher Mitarbeiter / innen ist darin zu sehen, daß sich die Jugendhilfe in der DDR auf den relativ engen Bereich der Fürsorge beschränkte und das weite Feld der Jugendsozialarbeit außer acht ließ.

8 In der Ära Honecker wurde der aktuelle gesellschaftliche Entwicklungsstand als real-existierender Sozialismus dargestellt und damit der Kommunismus als reale Gesellschaftsform in weite Ferne gerückt. 9 Siehe als Überblick Holger Backhaus-Maul / Thomas Olk, Von der "staatssozialistischen" zur kommunalen Sozialpolitik, erscheint in: Archiv für Kommunalwissenschaften, Heft 2, 1993. 10 Johannes Münder / Bernd Seidenstücker (Hrsg.), Jugendhilfe in der DDR, Münster, 1990.

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Kennzeichnend für die Altenhilfe in der ehemaligen DDR war die schlichte Alternative zwischen einer Betreuung durch Familienangehörige oder die Unterbringung in einer stationären Einrichtung, da ambulante soziale Dienste nur rudimentär vorhanden waren. II In diesem Zusammenhang ist auf eine relativ hohe Unterbringungsquote in Altenheimen hinzuweisen, die in den schlechten häuslichen Wohnbedingungen alter Menschen in Privathaushalten und der staatlichen Subventionierung der Heimunterbringung ihre Ursachen hatte. Da die - wie es "liebevoll" im DDR-Jargon hieß - "Veteranen der Arbeit" nicht von besonderer gesellschaftspolitischer Bedeutung waren, wurden auch konfessionelle Träger an der Erbringung von Altenhilfeleistungen beteiligt. Im Vergleich zur Jugend- und Altenhilfe hatte die Sozialfürsorge im Laufe der DDR-Geschichte eine abnehmende und am Ende nur noch marginale Bedeutung. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfüllte die DDR-Sozialfürsorge die Funktion des untersten sozialen Sicherungssystems, während sie später kein Regelversorgungssystem mehr darstellte, sondern nur noch die Versorgung eines kleinen, sozial randständigen Personenkreises, der sich 1989 auf ca. 5 500 Personen belief, sicherstellte. Die Sozialfürsorge hatte in der DDR ein entsprechend negatives Image. 3. Organisierte Akteure im lokalen sozialen Versorgungssystem

Untersucht man das lokale soziale Versorgungssystem daraufhin, welche Akteure an dessen Gestaltung mitwirkten, so war der Kreis der Beteiligten insgesamt relativ klein sowie in seiner Organisationsweise und inhaltlichen Ausrichtung ausgesprochen staatszentriert: -

Die Sicherstellung der sozialen Versorgung war eine Aufgabe der örtlichen Staatsorgane und somit von zentral staatlichen Entscheidungen und Mittelzuweisungen abhängig. Von einer Entscheidungsautonomie der örtlichen Staatsorgane im Sinne einer kommunalen Selbstverwaltung kann nicht gesprochen werden. 12

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Als wesentlicher, wenn auch nicht primär sozialpolitischer Akteur waren die örtlichen Betriebe tätig. Ihnen war es möglich, Kooperationsverträge mit örtlichen Staatsorganen über die Erbringung sozialer Leistungen abzuschließen sowie der Gemeinde soziale Einrichtungen zu schenken oder betriebliche Einrichtungen der Öffentlichkeit zur Mitnutzung zur Verfügung zu stellen.

II Vgl. Klaus-Peter Schwitzer, Altenreport '90. Zur sozialen Lage von Altersrentnerinnen und Altersrentnem in der ehemaligen DDR, in: Blätter der Wohlfahrtspflege, Heft 10 / ll, 1990, S. 262 ff. 12 Vgl. Sighard Neckel, Das lokale Staatsorgan. Kommunale Herrschaft im Staatssozialismus der DDR, in: Zeitschrift für Soziologie, Heft 4, 1992, S. 252 ff.

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An der konkreten Erbringung sozialer Versorgungsleistungen waren staatliche Massenorganisationen beteiligt, deren Führungspositionen mit SED-Kadem 13 besetzt waren und deren Finanzierung fast ausschließlich aus dem Staatshaushalt erfolgte. Darüber hinaus wurde die Loyalität der Massenorganisationen gegenüber der SED durch eine ge zielte Bündnispolitik sichergestellt: Alle "gesellschaftlich relevanten Organisationen" waren in der sogenannten Nationalen Front unter Führung der SED zusammengeschlossen. Von einer Autonomie der Massenorganisationen kann unter Bedingungen von politischer Kontrolle und finanzieller Abhängigkeit nicht gesprochen werden.

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Demgegenüber verdienen konfessionelle Organisationen, wie das Diakonische Werk und der Caritasverband, die in staatlich limitierten - politisch als nicht relevant eingestuften - Aufgabenbereichen relativ eigenständig wirken konnten, eine besondere Aufmerksamkeit. Konfessionelle Organisationen konnten in der DDR durchaus ein eigenes Organisations- und Leistungsprofil entwickeln, da sie als kirchennahe oder kirchliche Organisationen sowohl über Eigenmittel als auch über eigene fachliche und wertbezogene Orientierungen verfügten. Damit bestanden zumindest innerhalb staatlich gewährter Nischen unter dem Dach der Kirchen sozialpolitische Gestaltungsoptionen.

Somit gab es keine dem Staat gegenüber eigenständige kommunale Sozialverwaltung und keine eigenständigen, von staatlichen Vorgaben unabhängigen Organisationen, die entsprechend selbstgesetzter Prioritäten soziale Dienstleistungen erbringen und als sozialpolitische Akteure hätten handeln können. Selbst konfessionelle Organisationen arbeiteten in der DDR unter relativ restriktiven staatlichen Auflagen. Auf seiten der Bürger und Klienten hat die Wohlfahrtskultur der DDR eine Mentalität und Erwartung des staatlich Versorgtwerdens in sozialen Belangen hervorgebracht. Damit wurde dem Staat auch jegliche sozial-politische Verantwortung zugewiesen, sei es für das Zustandekommen der Versorgung, als auch für deren Defizite und Folgen. Unter diesen Bedingungen konnten sich individuelle Verantwortlichkeiten und soziale Betätigungsformen kaum entfalten. Nur dort, wo die staatliche Versorgung auf Dauer unzureichend war - sei es in Betrieben oder in Privathaushalten - , entwickelte sich eine individuelle Selbsttätigkeit zum Zweck des Tausches von begehrten und knappen Gütern und Dienstleistungen, wobei aber unter diesen Mangelbedingungen nicht von einem sozialen, freiwilligen und organisierten Handeln gesprochen werden kann. Zudem war für derartige "Tauschbeziehungen" in der Regel die Not- und Mangelsituation 13 Vgl. Gerd-Joachim Glaeßner, Vom "demokratischen Zentralismus" zur demokratischen Verwaltung? Probleme des Umbaus einer Kaderverwaltung, in: Arthur Benz I Heinrich Mäding I Wolfgang Seibel (Hrsg.), Verwaltungsreform und Verwaltungspolitik im Prozeß der deutschen Einigung, Baden-Baden, 1993, S. 67 ff.

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der DDR konstitutiv, so daß mit dem Zerfall der DDR auch derartige Handlungsformen ihrer primären Motivgrundlage verlustig gingen.

III. Die Herausbildung einer kommunalen Sozialpolitik im Prozeß der staatlichen Vereinigung in den neuen Bundesländern 1. Institutionelle Aspekte Von grundlegender Bedeutung für den Aufbau einer kommunalen Sozialverwaltung ist die Übertragung bundesdeutscher Sozialgesetze, wie des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) auf das Gebiet der ehemaligen DDR. Hierbei handelt es sich um Gesetze, die das Ergebnis langjähriger sozialpolitischer Diskussionen in der alten Bundesrepublik darstellen und somit in sozialer und politischer Hinsicht höchst voraussetzungsreiche Institutionen sind. Bereits zu DDR-Zeiten wurde in Anlehnung an die Bestimmungen des BSHG ein DDR-Sozialhilfegesetz erlassen, das zum 1. 1. 91 durch das BSHG abgelöst wurde. Ein wesentlicher Regelungsgegenstand des BSHG ist die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und frei-gemeinnützigen Trägern bei der Leistungserbringung im Sinne eines bedingten Vorrangs zugunsten frei-gemeinnütziger Träger. Das KJHG wurde in den neuen Bundesländern mit dem Einigungsvertrag und damit drei Monate früher als in den Altbundesländern - eingeführt. Im Hinblick auf die exemplarische Frage der Zusammenarbeit von öffentlichen und frei-gemeinnützigen Trägern erweist sich das KJHG als anspruchsvoll, da es nicht nur einen bedingten Vorrang von Wohlfahrts verbänden gegenüber öffentlichen Leistungsträgern, sondern einen grundlegenden Vorrang selbstorganisierter Hilfeformen vorsieht. Der in bei den Gesetzen zum Ausdruck kommenden ordnungspolitischen Priorität zugunsten von Formen der frei-gemeinnützigen Leistungsträgerschaft und der sozialen Selbsthilfe liegt das im wesentlichen durch die katholische Soziallehre inspirierte Subsidiaritätsprinzip zugrunde. Der besondere Stellenwert frei-gemeinnütziger Leistungsträger ist in Art. 32 des Einigungsvertrages festgehalten, der festlegt: "Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege und die Träger der Freien Jugendhilfe leisten mit ihren Einrichtungen und Diensten einen unverzichtbaren Beitrag zur Sozialstaatlichkeit des Grundgesetzes. Der Auf- und Ausbau einer Freien Wohlfahrtspflege und einer Freien Jugendhilfe in dem in Artikel 3 genannten Gebiet wird im Rahmen der grundgesetzlichen Zuständigkeiten gefördert". Die Übertragung des BSHG und des KJHG machen - anhand des sozialpolitisch bedeutsamen Aspekts der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und freien Trägern - den sozial-kulturellen Gehalt dieser Gesetze deutlich: Selbstorganisiertes soziales Engagement, frei-gemeinnützige Träger und eine Zusammenarbeit mit der öffentlichen Seite werden als sozial-kulturell gegeben vorausgesetzt. Das

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bundesdeutsche Subsidiaritätsprinzip ist aber den wohlfahrtskulturellen Traditionen der DDR, insbesondere dem staatlichen Sozialpolitik- und Versorgungsmonopol, diametral entgegengesetzt, und somit in den neuen Bundesländern sozial nicht verankert. Um dennoch das Funktionieren dieser Gesetze zu ermöglichen, reicht es nicht aus - wie in Anlage I des Einigungsvertrags, Abschnitt III, Absatz 3 vorgesehen - , das Angebot an sozialen Diensten und Einrichtungen in den neuen Bundesländern auf dem bereits zu DDR-Zeiten "örtlich vorhandenen Umfang" zu belassen. 2. Soziale Aufgaben

Im folgenden soll erläutert werden, zu welchen sozial-kulturell bedingten Friktionen es bei der Übertragung von gesetzlichen Regelungen und sozialpolitischen Prinzipien der alten Bundesrepublik auf einzelne soziale Aufgabenbereiche in den neuen Bundesländern kommt. Die Sozialhilfe ist ein administrativ relativ leicht durchführbarer Aufgabenbereich. Das Niveau der Sozialhilfezahlungen hat sich in den neuen Bundesländern relativ zügig an die durchschnittliche Leistungshöhe in den Altbundesländern angeglichen. Zieht man in Betracht, daß es sich bei der "Hilfe zum Lebensunterhalt" um befristete Überbrückungshilfen handeln soll, so fehlt es in den neuen Bundesländern auf administrativer Seite aber vielfach noch an flankierenden Maßnahmen, wie Beratungsangeboten, die geeignet sind, einen Ausstieg aus dem Sozialhilfebezug bzw. die Erwirtschaftung des eigenen Lebensunterhalts zu fördern. Anhand der Deutungen und der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen seitens der Klienten wird sichtbar, wie Einstellungen aus DDR-Zeiten fortwirken. So kommt es vor dem Hintergrund einer als diskriminierend empfundenen DDRSozialfürsorge insbesondere bei älteren Menschen häufig zu einer Nichtinanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen. Es entstehen aber auch verschiedenartige, bisweilen absurde Fehldeutungen aufgrund von unzureichenden Kenntnissen und Erfahrungen, etwa wenn Antragsteller erwarten, daß ihre "einigungsbedingten" Einkommenseinbußen durch Sozialhilfeleistungen kompensiert werden würden, da es entsprechend den "amtlichen" Regierungsverlautbarungen niemandem schlechter gehen solle. In der Altenhilfe der neuen Bundesländer finden vorrangig das Versorgungsprinzip "ambulant vor stationär" und das Subsidiaritätsprinzip Anwendung. Die Übertragung dieses Versorgungsprinzips hat zur Folge, daß im ambulanten Bereich eine flächendeckende standardisierte Grundversorgung geschaffen wird, die am westdeutschen Versorgungsniveau in diesem Bereich ausgerichtet ist. Fraglich ist hierbei, ob angesichts der besonderen sozialen Situation in den neuen Bundesländern, die sich u. a. in gelockerten familialen Banden, einer hohen Frauenerwerbsquote und nicht zuletzt auch schlechteren Wohnbedingungen äu-

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ßern, in größerem Umfang als in Altbundesländern (teil-)stationäre Einrichtungen erforderlich sind. Im Altenhilfebereich kann am Beispiel des Einsatzes von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aber auch gezeigt werden, wie gesetzliche Regelungen der alten Bundesrepublik - entgegen ihrer gesetzlichen Bestimmung - auf die besondere soziale Situation und die Bedarfe in den neuen Bundesländern angewandt werden: So werden ABM-Stellen in erster Linie nicht für Zusatz-, sondern für Regelaufgaben im Altenhilfebereich eingesetzt. Man könnte hierin u. a. ein Beispiel für "ostdeutsche Lockerungsübungen" sehen, bei denen gesetzliche Regelungen und Fördermaßnahmen nicht entsprechend den in den Altbundesländern geltenden Bestimmungen, sondern in bezug auf die besonderen sozialen Bedingungen in den neuen Bundesländern eingesetzt werden. Besondere Aufmerksamkeit kommt im Altenhilfebereich der ordnungspolitischen Gestaltung der Trägerschaft von Einrichtungen und Diensten entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip ZU. 14 Wie bereits festgestellt, waren das Subsidiaritätsprinzip und eine Freie Wohlfahrtspflege keine Bestandteile der DDR-Wohlfahrtskultur. Die Altenhilfeeinrichtungen und -dienste befanden sich zu DDRZeiten überwiegend in Trägerschaft der örtlichen Staatsorgane, staatlichen Betrieben und staatlichen Massenorganisationen. Aus dem Subsidiaritätsprinzip und den daraus erwachsenden gesetzlichen Regelungen wird - wie in den Altbundesländern - die Notwendigkeit abgeleitet, die Mehrzahl der Einrichtungen und Dienste auf ein weltanschaulich möglichst pluralistisches Spektrum von Wohlfahrtsverbänden zu übertragen. Um das Subsidiaritätsprinzip überhaupt zur Anwendung bringen zu können, wurden in den neuen Bundesländern Wohlfahrtsverbände entweder neu aufgebaut oder es wurde an bestehende Organisationsstrukturen angeknüpft, 15 wobei die zu bildenden Wohlfahrtsverbände entsprechend dem westdeutschen Verständnis von Freier Wohlfahrtspflege in der Lage sein sollen, die gesamte Palette sozialer Dienstleistungen flächendeckend zu anzubieten. 16

14 Vgl. Deutscher Vereinfür öffentliche und private Fürsorge (Hrsg.), Die Zusammenarbeit öffentlicher und freier Träger der sozialen Arbeit in den neuen Bundesländern. Dokumentation einer Fachtagung des Deutschen Vereins in Dresden, Frankfurt 1992; ferner Deutscher Caritasverband (Hrsg.), Caritas im geeinten Deutschland, Freiburg 1992, sowie Friedrich-Ebert-StiJtung (Hrsg.), Zukunft sozialer Einrichtungen und sozialer Dienste in den neuen Bundesländern, Bonn 1992. 15 Zum Aufbau von Wohlfahrtsverbänden in den neuen Bundesländern siehe Holger Backhaus-Maul/ Thomas Olk, Intennediäre Organisationen und kommunale Sozialpolitik, in: Zeitschrift für Sozialrefonn, Heft 11/12, 1991, S. 676 ff. sowie Norbert Wohlfahrt, Kommunale Sozialpolitik zwischen Bürokratie, Verbänden und Selbsthilfe, in: Volker von Eichener u. a. (Hrsg.), Organisierte Interessen in Ostdeutschland, Bd.2, Marburg 1992, S. 383 ff. 16 Zu den Aufgaben von frei-gemeinnützigen Wohlfahrtsverbänden siehe Volker Neumann, Der Verband der freien Wohlfahrtspflege als Rechtsbegriff, in: Beiträge zum Recht der sozialen Dienste und Einrichtungen, Bd. 4, 1988, S. 1 ff.

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Fraglich ist, ob die ihrem Selbstverständnis zufolge wertorientierten westdeutschen Wohlfahrtsverbände der besonderen sozial-kulturellen Situation in den neuen Bundesländern angemessen sind und einen Beitrag zur sozialen Integration in den neuen Bundesländern leisten können. Ein illustratives Beispiel hierfür sind etwa die katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen, die in den neuen Bundesländern in einem relativ atheistischen Umfeld mit einer nicht-restriktiven Abtreibungsregelung aufgebaut wurden. Die relativ geringe soziale Verankerung von Wohlfahrtsverbänden ist aber auch unter Leistungsgesichtspunkten von Relevanz, da sie weder in einem nennenswerten Umfang über ehrenamtliche Mitarbeiter / innen noch über Spenden und Eigenrnittel verfügen. Staatlicherseits wird versucht, diese nicht zuletzt auch sozial-kulturell bedingte Leistungsschwäche von Wohlfahrtsverbänden in den neuen Bundesländern durch entsprechende Bundes- und Landesprogramme bzw. den verstärkten Einsatz öffentlicher Mittel zu kompensieren. In der Jugendhilfe ist die Möglichkeit der Übertragung von gesetzlichen Regelungen und sozialpolitischen Prinzipien angesichts der besonderen Bedeutung, die Jugendlichen im Vergleich zu alten Menschen im "real-existierenden Sozialismus" zukam, ungleich schwieriger. 17 Die Betreuung von Jugendlichen war eine staatliche Aufgabe. Mit dem Zerfall der DDR kam auch das Ende der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) und der Mehrzahl der von ihr betriebenen Jugendclubs, von denen nur wenige in kommunaler Trägerschaft fortgeführt werden. Das Subsidiaritätsprinzip und die entsprechenden gesetzlichen Regelungen stießen im Jugendbereich auf massive sozial-kulturelle Grenzen: So waren die Jugendverbände der Altbundesländer bisher kaum in der Lage, Verbandsstrukturen auf kommunaler Ebene in den neuen Bundesländern aufzubauen, und dort, wo Jugendverbände gegründet wurden, verfügen sie nur über sehr wenige Mitglieder. Den übertragenen Jugendverbänden gelingt es nicht, Jugendliche an sich zu binden, während gleichzeitig in den Jugendszenen der neuen Bundesländer deutliche Selbstorganisations- und Gruppenbildungsprozesse stattfinden. Die dabei zum Ausdruck kommende Distanz gegenüber verbandlichen Organisationen dürfte insbesondere auf negative Erfahrungen mit Massenorganisationen zurückzuführen sein.

3. Organisierte Akteure Inwiefern die übertragenen institutionellen Regelungen wirksam werden, hängt insbesondere davon ab, welche sozialen Akteure und Akteurkonstellationen vorhanden sind. 17 Siehe am Beispiel von Leipzig Gisela Ulrich, Zur Situation der Jugendhilfe in Leipzig, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 38, 1992, S. 29 ff.

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Auffallend ist der ausgeprägte Pragmatismus bei sozialpolitischen Akteuren auf kommunaler Ebene in den neuen Bundesländern, der durchaus als Ablehnung oder Abkehr von politisch-ideologischen Denkmustern zu verstehen ist. 18 Entwirft man eine - vorläufige - Typologie sozialpolitischer Akteure auf kommunaler Ebene, so fallen zwei Gruppen besonders ins Gewicht: a) Akteure, die strategisch handeln, um eigene Machtinteressen und Organisationsziele durchzusetzen, 19 und b) Akteure mit einer ausgeprägten Sachorientierung, die aber nicht in jedem Fall mit Sachkompetenz gleichgesetzt werden kann. Noch relativ selten sind in der kommunalen Sozialpolitik hingegen c) parteipolitisch und d) verwaltungsfachlich orientierte Akteure vertreten. 20 Von grundlegender Bedeutung für die Herausbildung funktionierender Akteurkonstellationen in der kommunalen Sozialpolitik ist die Art und Weise der Personalrekrutierung. Die Institution der ,,runden Tische" ist unter diesem Gesichtspunkt nicht so sehr als ein politisches Entscheidungsgremium, sondern vielmehr als eine "Kombination aus Bewerbungsverfahren und Probezeit" zu bewerten. Als personalpolitisches Ergebnis aus der Zeit der "runden Tische" ist festzustellen, daß Mitglieder der evangelischen Kirche und Personen aus den Bürgerbewegungen wichtige Positionen in der kommunalen Sozialpolitik, insbesondere in der Sozialverwaltung, eingenommen haben. 21 Kennzeichnend für die personelle Situation in der kommunalen Sozialpolitik insgesamt ist der sehr geringe Anteil ehrenamtlich Engagierter - sei es in kommunalen Ausschüssen, Parteien oder Wohlfahrtsverbänden. Als Erklärung hierfür wird üblicherweise angeführt, daß sich der gesellschaftliche Umbruch auf sämtliche Alltagsroutinen auswirkt und keine Zeit für ein freies soziales Engagement läßt. Eine große Gruppe, auf die dieses ,,zeit"-Argument beispielsweise nicht zutrifft, sind die Vorruheständler. Aber warum sollten sie sich ehrenamtlich engagieren, wenn dieses keine sozial-kulturelle Selbstverständlichkeit ist, es an Kompetenzen und Erfahrungen mangelt sowie kaum soziale Anreize und öffentliche Unterstützungen für soziales Engagement vorhanden sind. Betrachtet man das Feld der kommunalen Sozialpolitik, so nehmen Dezernenten und Amtsleiter / innen eine herausragende Position in diesem Politikfeld ein. Sie sind es, die neben dem Aufbau der kommunalen Sozialverwaltung maßgeblich die Entwicklung der Freien Wohlfahrtspflege mitsteuern und die kommunale 18 Dabei ist in Rechnung zu stellen, daß der real-existierende Sozialismus als politische Ideologie zwar nicht besonders erfolgreich war, aber persönlichkeitsprägend wirkte. 19 Siehe hierzu auch Rainer Paris, Solidarische Beutezüge. Zur Theorie der Seilschaft, in: Merkur, Heft 12, 1991, S. 1167 ff. 20 Zu Machterwerbs- und Koalitionsstrategien alter und neuer Eliten am Beispiel einer Kommune in den neuen Bundesländern siehe Helmuth Berking / Sighard Neckel, Alte Kader, neue Eliten. Macht und Konflikt in einer ostdeutschen Stadt, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Heft 3, 1992, S. 79 ff. 21 Zur Illustration siehe auch Lothar Rochau, Die Chancen sind unendlich groß. Interview, in: Sozialmagazin, Heft 4, 1991, S. 28 ff.

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Sozialpolitik prägen. Wesentlicher Grund für ihre relative Stärke ist nicht nur die Schwäche der anderen Akteure, sondern (immer noch) die große Bedeutung der öffentlichen Sozialverwaltungen als Hauptträger sozialer Dienste und Einrichtungen und damit als einer der größten örtlichen Arbeitgeber. So sind beispielsweise dem Sozialdezernenten einer knapp 300 000 Einwohner zählenden Stadt 1992 noch 4500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unterstellt gewesen - eine Tatsache, die insbesondere auf den hohen Bestand an öffentlichen Betreuungseinrichtungen für Kinder zurückzuführen ist. In ihrer Arbeitgeberfunktion ist die öffentliche Sozialverwaltung für politisch unbelastete und befähigte Leute aus Kirchengemeinden, Bürgerbewegungen, sozialen Initiativen und Vereinen sowie Wohlfahrtsverbänden besonders attraktiv. Infolgedessen findet eine Personalabwanderung und eine Konzentration sozialpolitischer Kompetenzen in kommunalen Sozialverwaltungen statt. Hingegen sind auf seiten von Kommunalparteien eher selten profilierte Sozialpolitiker / innen auszumachen. Wohlfahrtsverbände haben auf kommunaler Ebene in den neuen Bundesländern als sozialpolitische Akteure eine geringe Bedeutung. Ihr Aufbau als Leistungsträger wird seitens der kommunalen Sozialverwaltungen dann gefördert, wenn sie als wirtschaftlich günstigere Betriebsform im Vergleich zur öffentlichen Trägerschaft bewertet werden. Die Unterstützung von Wohlfahrtsverbänden wird vielerorts dadurch abgesichert, daß Verbandsfunktionäre gleichzeitig als leitende Mitarbeiter in der Kommunalverwaltung tätig sind. Dennoch läßt sich aufkommunaler Ebene nicht von entwickelten korporatistischen Strukturen im Sinne einer institutionalisierten Beteiligung von Wohlfahrtsverbänden an der Sozialpolitikformulierung sprechen; aber in Einzelfällen bestehen auf örtlicher Ebene personelle Verflechtungen zwischen der Sozialverwaltung und in der Regel ein oder zwei Wohlfahrtsverbänden. Im Vergleich zu Wohlfahrtsverbänden haben es Formen der sozialen Selbstorganisation im Sozialbereich der neuen Bundesländer aus mehreren Gründen besonders schwer: -

Zu DDR-Zeiten waren derartige sozialpolitische Handlungsformen verboten, so daß es beim Zerfall der DDR nur wenige Ansätze zur sozialen Selbstorganisation auflokaler Ebene gab. 22 Die prioritäre öffentliche Förderung der Institution der Freien Wohlfahrtspflege schmälerte zudem die Förderchancen für selbstorganisierte Initiativen und Vereine.

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Derartige Handlungsformen waren eng verknüpft mit den Bürgerbewegungen. Konstitutiv für diese oppositionellen Gruppen war in erster Linie der DDRStaat. Mit dem Ende dieses "Gegners" entfiel auch ein wesentlicher Gründungsanlaß dieser Gruppen, so daß ihre Bestandsnotwendigkeit zumindest in Frage gestellt wurde. Zudem ließ die Geschwindigkeit des staatlichen

22 V gl. Ronald Schulz, Der Aufbruch der Selbsthilfebewegung in der DDR, in: Psychosozial, Heft 1, 1991, S. 115 ff.

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Einigungsprozesses diesen relativ fragilen Organisationen nur selten die für ihre Entwicklung notwendige Zeit. Abschließend ist festzuhalten, daß zunächst kommunale Sozialverwaltungen sowohl in ihrer administrativen Funktion als auch als Träger von Diensten und Einrichtungen auf- und auszubauen waren, um nach dem Zerfall der DDR eine ununterbrochene soziale Grundversorgung sicherzustellen. 23 Dabei mußte an bestehende Organisationsstrukturen angeknüpft und vorhandenes Personal übernommen werden, so daß der Bereich der öffentlichen sozialen Versorgung trotz des grundlegenden Systemwandels eine bemerkenswerte Kontinuität aufweist. 24 Die kommunale Sozialverwaltung und ihr Führungspersonal sind vielerorts der einzige Akteur in der kommunalen Sozialpolitik, so daß sie vor Ort die Entstehung und Entwicklung von Organisations- und Leistungsstrukturen sowie Akteurnetzwerken selbst initiieren und fördern müssen. In dieser Situation ergeben sich für Dezernenten und Amtsleiter / innen erhebliche Handlungsspielräume, die aber letztlich leerlaufen, wenn es keine anderen kooperations- und leistungsfahigen sozialpolitischen Akteure auf kommunaler Ebene gibt. Die Vorteile von Konkurrenz und Kooperation zwischen organisierten sozialpolitischen Akteuren - wie das Einwerben von sozialer Akzeptanz und Unterstützungsbereitschaft sowie das Entstehen synergetischer Effekte aufgrund von effektiver Kooperation - können unter diesen Bedingungen nicht zum Tragen kommen. Die erfolgreiche Entwicklung von nicht-administrativen Akteuren in der kommunalen Sozialpolitik hängt nicht zuletzt davon ab, ob es Sozialverwaltungen gelingt, ihre herausragende Stellung mittelfristig abzubauen oder gerade dafür zu nutzen, daß andere sozialpolitische Akteure und Leistungsträger ihre Bedeutung steigern können. Der gesellschaftliche Vereinigungsprozeß wird sich - wie am Beispiel der kommunalen Sozialpolitik gezeigt wurde - nicht in einer Übertragung institutioneller Regelungen erschöpfen oder darauf reduzieren lassen. Vielmehr werden die Institution der kommunalen Sozialpolitik und die sie tragenden Akteure in den neuen Bundesländern nachhaltig durch eine Mischung unterschiedlicher sozial-kultureller Einflüsse - aus Zeiten der ehemaligen DDR und BRD sowie des Vereinigungsprozesses - geprägt. Gewißheit besteht aber zumindest darin, daß es in den neuen Bundesländern nicht zu einem schlichten Duplikat der westdeutschen Institution kommunaler Sozialpolitik kommen wird, sondern zu etwas durchaus Neuartigem. Beim Vereinigungsprozeß handelt es sich eben nicht um die schlichte räumliche Ausdehnung des westdeutschen Institutionensystems, 23 Vgl. auch Ronald Schulz, Erfahrungen mit dem Aufbau einer kommunalen Sozialverwaltung, Ms., Halle 1992. 24 Vgl. Hellmut Wollmann, Kommunalpolitik und -verwaltung in Ostdeutschland: Institutionen und Handlungsmuster im "paradigmatischen" Umbruch. Eine empirische Skizze, in: Bernhard Blanke (Hrsg.), Staat und Stadt. Systematische, vergleichende und problemorientierte Analysen "dezentraler" Politik, Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 22, S. 237 ff.

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sondern vielmehr um einen grundlegenden, sozial-kulturell tiefgreifenden Transformationsprozeß mit erheblichen Gestaltungsoptionen für die daran beteiligten Akteure. 25

25 Vgl. Klaus König, Zur Transfonnation einer real-sozialistischen Verwaltung in eine klassisch-europäische Verwaltung, in: Verwaltungsarchiv, Heft 2, 1992, S. 229 ff.

Diskussion zu den Referaten von Dieter Schimanke und Holger Backhaus-Maul Leitung: Detlef Merten Bericht von Petra Bülow In die Diskussion führte Merten mit der zusammenfassenden Feststellung ein, daß hinter den von beiden Referenten vorgestellten Problemen die fundamentalen Unterschiede zwischen dem freiheitlichen Rechtsstaat und einem totalitären System sichtbar würden. Es habe sich herausgestellt, daß die Rückanknüpfung an die vortotalitäre Epoche in den neuen Bundesländern jetzt wesentlich schwieriger sei als sie seinerzeit in den alten Bundesländern nach dem Ende der nationalsozialistischen Epoche war.

Bernet wies unter Bezugnahme auf den Begriff des aktiven Staates darauf hin, daß die Bundesanstalt für Arbeit ihre starke Position, die sie innehabe, beibehalten müsse. Den massiven Anläufen, diese Position durch die Zulassung privater Arbeitsvermittler zu schwächen, müsse entgegengetreten werden. Gerade für die neuen Bundesländer wäre die Zulassung privater Arbeitsvermittier katastrophal, da sich der Graben zwischen denjenigen, die sich diese leisten könnten, und denjenigen, die auf das Arbeitsamt angewiesen seien, weiter auftun könnte. Schimanke ergänzte die Ausführungen Bernets dahingehend, daß bereits jetzt eine Ausnahme vom Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit bestehe, die sich jedoch auf besondere Gruppen, wie etwa Führungskräfte, beschränke. Er betonte ebenfalls, daß der Bundesanstalt für Arbeit mit den Instrumenten der Arbeitsvermittlung neben der Qualifizierung von Arbeitnehmern Instrumente zur Verfügung stünden, einen sich abzeichnenden Strukturwandel frühzeitig zu begleiten. Die Arbeitsvermittlung sei in den alten Bundesländern gerade bei Umbrüchen auf dem Arbeitsmarkt ein wichtiges Instrument. Die Ausführungen von Backhaus-Maul ergänzte Brunhilde Dathe. Bezirksstadträtin in Berlin-Hohenschönhausen, mit dem Hinweis, daß die Probleme bei der Übertragung bewährter Strukturen, die es im Sozial- und Gesundheitsbereich der DDR durchaus gegeben habe, auch daher kämen, daß keine Evalution von in der Praxis gut laufenden Modellen, wie etwa den Polikliniken, stattgefunden habe. Dies bereite beim Versuch, solche Modelle beizubehalten und auf die jetzt geltenden gesetzlichen Grundlagen zu stellen, erhebliche Schwierigkeiten.

Dathe wies weiter darauf hin, daß die im Referat von Backhaus-Maul ausgeklammerte Versorgung Behinderter und psychisch Kranker ebenfalls in erster

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Diskussion

Linie stationär erfolgte und komplementäre Einrichtungen völlig fehlten. Dies erschwere Enthospitalisierungsprogramme. Dazu komme, daß die Übertragung von Einrichtungen auf freie Träger der Wohlfahrtspflege schon am Fehlen der grundlegenden Voraussetzungen, z. B. der problemlosen Übertragung von Grundstücken oder Regelungen für die Finanzierung, scheitere. Sie forderte, daß staatliche Macht eingesetzt werden müsse, um Strukturierungsprozesse voranzubringen. Fehlende staatliche Kompetenz habe beispielsweise bei der Übertragung der Sozialstationen im Land Berlin dazu geführt, daß ein vorhandenes Versorgungssystem zusammengebrochen sei. Im Land Berlin sei ein flächendeckendes Versorgungsnetz vorhanden gewesen, das von westlicher Seite völlig ignoriert worden sei. Bei der Neustrukturierung sei daher davon ausgegangen worden, daß beim Punkt Null anzufangen sei. Erst im Winter 1990/1991 sei klar geworden, daß es Hilfen für die Volkssolidarität, die den Bereich der haus wirtschaftlichen Pflege abgedeckt hatte, geben müsse. Das derzeit fehlende Engagement von Bürgern der neuen Bundesländer führte sie darauf zurück, daß in der DDR ein ganz anderes Rollen- und Selbstverständnis der Bürger bestehe und das Wissen darüber, was jemand, der staatlich betreut werde, dürfe und wie ihm bei seiner individuellen Lebensgestaltung Hilfe gewährt werden könne, fehle.

Gerhard Jacob, Kreisdirektor in Güstrow, sah hingegen in erster Linie die Aversion der Bürger gegen die Mitwirkung in Organisationen als Grund für fehlendes Engagement. Er gab aber auch zu bedenken, daß ein ehrenamtliches Engagement in den neuen Bundesländern einen Zeitaufwand erfordere, der mit dem in den alten Bundesländern nicht vergleichbar sei. Er bestätigte, daß bei der Alten- und auch Jugendbetreuung in der DDR die Hospitalisierung im Vordergrund gestanden habe und deshalb die Förderung des Staates eine institutionalisierte und weniger eine personelle Förderung gewesen sei. Einrichtungen habe es zwar flächendeckend und in ausreichender Zahl, aber auf einem niedrigen Niveau gegeben. Insbesondere der Bereich der Jugendbetreuung sei zur Zeit das größte Problem; Wohlfahrts verbände, die es durchaus gebe, seien überfordert, so daß diese Aufgaben überwiegend von den Jugendämtern wahrgenommen würden. In seinem Schlußwort sah Backhaus-Maul die Zukunft der Wohlfahrtsverbände darin, daß sie quasi-staatliche Organisationen würden: Organisationen, die nicht mehr auf der Arbeit von Ehrenamtlichen beruhen und Spenden als nennenswerte Finanzierungsgrundlage nutzen würden. Aus der Sicht des Staates blieben aber Wohlfahrtsverbände eine gute Organisationsform, die sich im Vergleich zu öffentlichen Einrichtungen betriebswirtschaftlieh eher rechnen würde. Die gleiche Entwicklung sei anband von Wertwandel und Abnahme der Zahl Ehrenamtlicher auch schon in den alten Bundesländern festzustellen. Sie würde durch die Entwicklung in den neuen Bundesländern seiner Ansicht nach beschleunigt werden.

Aufgabenpolitik und Verwaltungsintegration Empirische Befunde zur Programm- und Verfahrenssteuerung ostdeutscher Kommunalverwaltungen durch "westliches" Verwaltungsrecht Von Rainer Pitschas

I. Verwaltungsintegration in den "neuen" Bundesländern

1. Die Herausforderung der" inneren" Wiedervereinigung Auf dem Weg zur "inneren Einheit" Deutschlands stehen, wie immer deutlicher wird, der wirtschaftliche Erfolg in den jungen Bundesländern und der soziale Ausgleich mit den Lebensbedingungen des "Westens" im Vordergrund sorgenvoller Überlegungen zur Zukunft unserer binnenstaatlichen Entwicklung. Selbstverständlich ist die Gestaltung der deutschen Einheit auch ein europäisches Problem. I Aber der Wiederaufbau der ostdeutschen Länder bildet doch in erster Linie ein Grundanliegen nationaler Wirtschafts- und Sozialpolitik. Nicht von ungefahr ist deshalb die Rede davon, daß wir vor einer grundsätzlichen "Weichenstellung" ständen, bei der sich entscheiden werde, "ob die neuen Länder zu einem strukturellen Armenhaus in Deutschland" würden oder ob der Aufschwung gelänge. 2 Die Entwicklung in Ostdeutschland und - wie ich hinzufüge - ihre Vermittlung in den Staaten Mittel- und Osteuropas - scheint daher die Schicksalsfrage dieses Jahrzehnts zu sein. Um ihre Entscheidung zum "Guten" durch innerdeutsche Anstrengungen herbeizuführen, werden allerdings nach meinem Eindruck noch viel zu oft altüberlieferte Rezepturen empfohlen, wie z. B. die einer inländischen Mehrwertsteuerdifferenzierung oder der Bereitstellung zusätzlicher Bundesmittel zur Förderung von Investitionen in Ostdeutschland. 3 Doch hängt nicht alles am Geld allein! Viel zu selten sehen sich "neue" Fragen aufgeworfen und beantwortet, etwa die I Sedemund, EuZW 1990, S. 11 ff.; J. Becker / G. Kronenbitter (Hrsg.), Wiedervereinigung in Mitteleuropa. Außen- und Innenansichten zur staatlichen Einheit Deutschlands, 1992; W. Zippel (Hrsg.), Deutsch-deutsche Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften, 1991. 2 Blessing, in: Rheinischer Merkur v. 4.9. 1992, S. 4. 3 Siehe auch Vogt, Die Investitionsförderung in Deutschland reicht aus, FAZ v. 6. 1. 1993, S. 11.

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nach den Maßstäben für die Verteilung standortgebundener Lebensqualität, deren Ungleichheiten sich nicht nur finanziell kompensieren lassen. Zu diesen Fragen gehört ferner jene, wie die Hilflosigkeit von alt und jung in einem Strom neuer Gefühle zu bewältigen wäre, die mit Altgewohntem kollidieren. Die Unterstützung für die Bürger auf der Suche nach einem Halt in einer bisher anders und gradlinig geordneten Welt zu organisieren, ist nämlich eine nicht minder komplizierte Aufgabe in dem "kalten", in vier Jahrzehnten herangewachsenen Rechtsstaat Deutschland als jene, Finanzressourcen für den wirtschaftlichen Aufbau Ostdeutschlands zu erschließen. 4

2. Einheitsbildung durch Verwaltungsintegration In diesen Kontext gehört wie von selbst die Frage nach der Aufgabe und Leistungsfähigkeit einer Ordnungs- und Sicherheits-, Wirtschafts- und Jugend-, Sozial- und auch Gesundheitsverwaltung - ich erinnere hier nur an die Sozialpsychiatrischen Dienste - und weitergehend nach dem rechts- wie sozialstaatlichen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung schlechthin. Das Thema der "Verwaltungsintegration" bezieht hieraus seine eigentliche Bedeutung. Freilich bedarf es, um seine Dimensionen tiefgründig zu erschließen, der prinzipiellen Erweiterung des überkommenen Integrationsbegriffs. Denn in seiner ehrwürdigen Sinngebung bezieht sich zwar der Begriff der "Integration" auf die kontinuierliche Erneuerung des Staates als rechtlich organisierter Macht- und Wirkungseinheit durch staatliche Entscheidungen; er umschließt dadurch den Prozeß der staatlichen Einheitsbildung. 5 Der eigenständige - oder, um präziser zu sein - der "autonome" Beitrag der Verwaltung und insbesondere des Verwaltungsverfahrens kommt aber bislang in der Betrachtung dieses Prozesses zu kurz. 6 So trägt auch der Aufbau von in allen Teilen Deutschlands gleichermaßen rechtsstaatlich legitimierten Verwaltungsstrukturen und die für die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im sozialen Bundesstaat unverzichtbare Entwicklung vergleichbarer "Verwaltungskraft" in bisher nicht gekanntem Maß zur Integration des deutschen Gesamtstaates bei. Verfehlt die Verwaltung ihren Anteil hieran, dann büßt sie die prinzipielle Fähigkeit ein, ebenso Voraussetzung wie kooperative Steuerungsinstanz und Partner sinnhaft sozialen Handeins der Bürger in einem Staatswesen zu sein. Die staatliche Integration nähme unermeßlichen Schaden.

4 Eindringlich zu diesem Punkt die Ausführungen bei v. Dohnanyi, Das deutsche Wagnis, 1991, S. 287 ff. 5 Dazu näher Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Auf!. 1968, S. 119 ff., 475 ff., 482 ff.; Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 80 ff. 6 Ähnlich Hanke, Die "Dritte Republik": Wandel durch Integration?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 41/92, S. 13 ff.

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3. Begriff und Reichweite der Verwaltungsintegration Diesen abzuwenden bedeutet für die neuen Länder, daß die territoriale wie funktionale Verwaltungsreform und die Reorganisation des öffentlichen Dienstes die entscheidenden Erfolgsbedingungen der Rechtsvereinheitlichung und des sozio-ökonomischen Strukturwandels darstellen. 7 Verwaltungs integration meint dementsprechend und einerseits die vor allem demokratisch-rechtsstaatlich getragene, aber durchaus gewachsene Muster von Rechts- und Verwaltungskultur berücksichtigende, dabei innovative Überführung einer real-sozialistischen Kaderverwaltung in eine klassisch-europäische staatliche Bürokratie ("Transformation"). Diese entsagt der Anleitung durch die marxistisch-leninistische Maxime des "demokratischen Zentralismus" zugunsten einer Unterwerfung unter die Ergebnisse repräsentativer (demokratischer) Entscheidungsfindung im Staat. Zu ihrer Rechtfertigung greifen Legitimation durch Konsens und Legitimation durch Verfahren der staatlichen Entscheidungen wie in einem "Knotenpunkt" ineinander. 8 Jenseits dieser systemischen Veränderungsprozesse, in deren Mittelpunkt die demokratische und funktionale Einordnung öffentlicher Verwaltung in das grundgesetzlich vorgegebene Staatsgefüge steht 9 , umschließt der Begriff der Verwaltungsintegration zum anderen den aufgabenbezogenen, organisations- und verfahrensgesättigten Umbau der überkommenen Verwaltungsstrukturen. Hierbei geht es beispielsweise um den Neuzuschnitt des öffentlichen Sektors, um reflektierte Aufgabenpolitik unter den spezifischen Politikbedingungen der jungen Bundesländer, um deren Spiegelung in der Aufbau- und Ablauforganisation in Ländern und Kommunen, um notwendige Innovationen in diesen Prozessen, kurz: um Verwaltungsentwicklung. 1O Und schließlich ist das Personal der öffentlichen Verwaltung in besonderer Weise betroffen. Denn alle skizzierten Veränderungsvorgänge haben personelle Konsequenzen, die darauf abzielen müssen, unter dem verfassungsrechtlichen Gebot der "Geeignetheit" die berufliche Qualifikation für das künftige Verwaltungshandeln mit sozialen Notwendigkeiten und der 7 In diesem Sinne sind wohl die Hinweise von Diederich, Rechtsstaatliehe Verwaltung im Aufbau I - Kreisreform und Ämterverfassung -, 1992, S. 13 ff., zu verstehen; systematisierend vgl. Pitschas, Verwaltungsreform und Reorganisation des öffentlichen Dienstes als Erfolgsbedingungen der Rechtsvereinheitlichung, in: ders. (Hrsg.), Rechtsvereinheitlichung und Verwaltungsreform in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, 1991, S. 16 ff. 8 Hierzu vgl. näher Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 11. Aufl. 1991, S. 115; Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 230 f., 231 f. 9 Siehe in bezug auf die Wiedervereinigung auch Roggemann, Die deutsche Einigung als rechts- und verfassungspolitische Herausforderung, Neue Justiz 1992, S. 377 (382 f.). 10 Ihre einzelnen Dimensionen entfaltet näherhin der Bericht von Reichard, Auf dem Wege zu einer neuen Verwaltung in Ostdeutschland, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis, Bd.2 (1991), S. 389 ff.; siehe auch Pitschas (FN 7), S.20; ders., LKV 1992, S. 385 ff.; ders., Neue Justiz 1993, S. 49 ff.

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"Perpetuierung" der alten Personalverhältnisse 11 abzustimmen. Der aus diesem Bemühungen um eine "Personalintegration" 12 ersprießende sog. Typus des "Beitritts beamten" kennzeichnet den tiefen Einschnitt, der bei alledem der bisherigen typusbestimmenden Qualifikationsbindung westdeutscher Beamter und Angestellter im öffentlichen Dienst nunmehr zugefügt wird. 13 4. Integrationsverantwortung und Kommunalverwaltung Der in diesem Sinne als Transformation, Verwaltungs- und Personalentwicklung zeitlich synchron und wechselbezüglich zu gestaltende Prozeß der "Verwaltungsintegration" ist angesichts der überragenden Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung in unserem politischen System auch und vor allem kommunale Aufgabe. Oder anders ausgedrückt: Politiker und Verwaltungsexperten, Unternehmen und Kunden, Bürger als Betroffene, viele Laien sind sich darin einig, daß ohne eine funktionierende Kommunalverwaltung "nichts geht". Aufgaben wie die der (Privatisierung und) Sanierung von Unternehmen bzw. von Kommunalvermögen, der Wirtschaftsförderung und Arbeitsplatzsicherung, der Restrukturierung kommunaler Daseinsvorsorge und vieles mehr hängen maßgeblich von der Funktionsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung in ihrer Teilhabe an der politischen Willensbildung und exekutivischen Verantwortung ab. Den damit verbundenen Herausforderungen haben sich die ostdeutschen Kommunalverwaltungen schon längst und auch mit einigem Erfolg gestellt. 14 Ich halte es deshalb nicht für richtig, heute - zwei Jahre nach der Wiedervereinigung - pauschal über immer noch nicht funktionierende Verwaltungseinheiten in allen Gegenden Ostdeutschlands Klage zu führen. Freilich ist nicht zu übersehen, daß trotz der bisher schon zu verzeichnenden enormen Veränderungen in ihren Verwaltungsstrukturen die Kommunen ungeheure Nachholinvestitionen und "Aufgabenberge" vor sich haben, die bei äußerst knapp bemessenen Haushalten mit einer noch empfindlich zu verringernden Personal stärke und einer insgesamt doch in bezug auf Integrationsanforderungen unerfahrenen Verwaltung bewältigt werden müssen. Dies gilt trotz aller Verwaltungshilfe. In dieser Situation stößt sich die Integrationsaufgabe der Kommunalverwaltung ziemlich unsanft an den Rechtstatsachen und Verwaltungsrealitäten.

11 Diese Bezüge arbeitet insbesondere heraus Derlien, Integration der Staatsfunktionäre der DDR in das ' Berufsbearntentum: Professionalisierung und Säuberung, in: W. Seibei / A. Benz / H. Mäding (Hrsg.), Verwaltungsreform und Verwaltungspolitik im Prozeß der deutschen Einigung, 1993, S. 190 ff. 12 So der Ausdruck bei König, Transformation einer Kaderverwaltung: Transfer und Integration von öffentlichen Bediensteten in Deutschland, DÖV 1992, S. 549 (554). 13 Goerlich, Hergebrachte Grundsätze und Beitrittsbearntentum, JZ 1991, S. 75., 14 Zöllner, Kommunale Selbstverwaltung in den neuen Ländern unter dem Diktat der Realitäten, LKV 1992, S. 226 ff.

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11. Strukturprobleme der Verwaltungsintegration 1. Rechtsvereinfachung als Variable" gelungener" Verwaltungsintegration Die Vereinfachung des von der Verwaltung anzuwendenden Rechts gehört in diesem Zusammenhang zu den immer wieder empfohlenen grundsätzlichen Hilfen für den Integrationsprozeß. Darin geborgene Forderungen nach "einfachem" Recht sind uns seit langem "wohlvertraut". Im modernen Verwaltungsstaat ist freilich das Problem der Rechtsvereinfachung schwer zu lösen; komplexe Sachverhalte lassen sich kaum über einfache "Formeln" steuern. Gleichwohl muß der Gesetzgeber immer wieder an seine Pflicht erinnert werden, für den Bürger klare und verständliche Normen zu schaffen. 15 Und gewiß erschwert es gerade der im Gegensatz hierzu stehende übertriebene Perfektionismus und der hohe Abstraktionsgrad unserer Rechtsordnung in erheblichem Maße, daß diese auch von den Menschen in den neuen Bundesländern anerkannt und verstanden wird. Müssen also Bürger (und Verwaltung) Ostdeutschlands erst noch "lernen, daß sie ihre individuellen Rechte auch wahrnehmen müssen und dem vielfach Suchund Auswahlprozesse vorangehen, ... umgekehrt aber auch die Ausübung von Freiheit gemeinwohlverträglich und -bestimmt erfolgen muß"? 16 Oder liegt, wie ich meine, das Problem nicht eigentlich viel tiefer, als es diese ziemlich eindimensionale Aufforderung und letztlich auch der Einigungsvertrag in seinen Vorgaben zur Rechtsvereinheitlichung 17 lokalisiert? Hat sich - so ist m. E. zu fragen vielleicht unser Recht in Ost und West in seinen Steuerungsfunktionen nicht schon längst von seiner "Basis" entfernt? Für Antworten auf diese Fragen fehlt es, was den öffentlich-rechtlichen Teil der Rechtsordnung in seiner Geltung für die neuen Bundesländer anbelangt, schlicht an empirischen Daten. So bleibt zu klären, was eigentlich Bürger und Verwaltung zu den Möglichkeiten und Grenzen meinen, die Aufgabenwahrnehmung über "westliches" Recht zu steuern. Einige Ergebnisse meiner entsprechenden Rechtstatsachenforschung sollen im folgenden vorgetragen werden; sie lassen die Rechtsvereinfachung als eine Variable "gelungener" Verwaltungsintegration erkennen.

2. Verwaltungsintegration und Verwaltungsverfahren Materiell "einfaches" oder auch kompliziertes Recht läßt sich ohne Verfahren weder finden noch anwenden. Über den Wechselbezug des Verfahrens- zum materiellen Recht besteht denn heute auch kein Zweifel mehr. 18 Dementsprechend 15 16

Röhl, Rechtssoziologie, 1987, S. 263 f. Hili, Effektive Verwaltung in den neuen Bundesländern, NVwZ 1991, S. 1048

(1049). 17 Vgl. Art. 8 ff. Einigungsvertrag ("Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands") vom 31. August 1990 (BGBI. II, S. 889). 11*

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kommt dem Vollzug des Rechts entscheidende Bedeutung für die Verwaltungsintegration zu. Erforderlich ist die geeignete Anpassung von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsorganisation in den neuen Bundesländern an den Standard der westdeutschen Verwaltung - dies allerdings unter dem gleichzeitigen Vorbehalt, andere Lösungen für auftretene Probleme wählen zu können, also für Innovationen offen bleiben zu dürfen. Umbau und Ausbau der öffentlichen Verwaltung müssen auf diese Weise und in Übereinstimmung mit der Reorganisation des öffentlichen Dienstes anders als bisher und sorgfältig gesteuert werden. 19 Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Übernahme von Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrecht in den neuen Bundesländern. 20 Aufgeworfen werden hierdurch zunächst eine Reihe rechtsdogmatischer Fragen. Sie leiten sich vor allem aus den fortwirkenden Unterschieden in den Auffassungen der früheren DDR über das Verwaltungsrecht einschließlich des Verwaltungsverfahrensrechts und der Bundesrepublik Deutschland als eines sozialen und demokratischen Rechtsstaates her. Die Fragen betreffen sowohl die Handlungsformen des Verwaltungsakts und des öffentlich-rechtlichen Vertrags als auch die Anwendung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen sowie die Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern. 21 Indessen reichen sie weit darüber hinaus. Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung in den neuen Bundesländern fragen sich, wenn sie mit dem Bürger als jeweiligem Kommunikationspartner in das Verwaltungsverfahren eintreten, überaus häufig nach der Reichweite von "gerechtem" Recht als Steuerungsmedium. Von verfahrensprägender Bedeutung erweist sich auf diese Weise im Verwaltungsalltag das Bewußtsein vom Recht und seiner Bedeutung im Verwaltungsverfahren. Dieser gedankliche Ansatz verwundert nicht: Der Ausbau des Verwaltungsverfahrens in rechts-, demokratie- und sozialstaatlicher Hinsicht als "Grundgesetz" der Verwaltung war in der "alten" Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten nur deshalb möglich, weil es hier einen vorzüglichen gehobenen (und mittleren) Verwaltungsdienst gab und gibt. Dieser hat seine Kenntnisse in einem praxisbezogenen Fachhochschulstudium erworben. Eine solche Vor- bzw. Ausbildung läuft in den neuen Bundesländern erst langsam an. Schon deshalb Hierzu statt aller und m. w. Nachw. Pitschas (FN 8), S. 12 ff., 28 ff., 80 ff. Ebenso Scheytt, Reorganisation der kommunalen Selbstverwaltung, in: C. Rühl (Hrsg.), Institutionelle Reorganisation in den neuen Ländern - Selbstverwaltung zwischen Markt und Zentral staat, 1992, S. 23 (32 f., 41). 20 Stelkens, Fragen zum Verwaltungsverfahrensgesetz nach dem Einigungsvertrag, DtZ 1991, S. 264ff.; ders., Die Überführung des sozialistischen Verwaltungsrechts, insbesondere des Verwaltungsverfahrensrechts der früheren DDR in das rechtsstaatliehe Verwaltungsrechtssystem der Bundesrepublik Deutschland, DVBl. 1992, S. 248 (249 ff., 256). Ein aktuelles Beispiel für die gegenläufige Tendenz des Gesetzgebers bildet die "Verkehrswegeplanung in Deutschland", vgl. nur den gleichnamigen (kritischen) Bericht von Blümel, in: W. Blümel/ S. Magiera / D. Merten / K.-P. Sommermann, Verfassungsprobleme im vereinten Deutschland, Speyerer Forschungsberichte Nr. 117, 1993, S. 1 ff. 21 Zu den Einzelheiten vgl. bes. Stelkens, DtZ 1991, S. 268 ff. 18

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- und im Hinblick auf die weitere Personalsituation - ist das Verwaltungsverfahren der Gefahr tiefgreifender Defizienzen ausgesetzt. M. a. W. müssen auch die personellen Voraussetzungen für die Anwendung des Verwaltungsrechts im Verwaltungsverfahren "stimmen". Aus diesem Grunde rücken auch die Anwendungsprobleme des Verwaltungsverfahrensrechts in den Mittelpunkt einer effizienzbezogenen Verwaltungsintegration. Die hierzu vermuteten und im Verlauf eigener empirischen Untersuchungen bestätigten komplexen Implementationsprobleme des Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts lassen sich wie unter einem Brennglas in der Kommunalverwaltung am besten analysieren. Denn die Gemeinde-, Stadt- und Kreisverwaltungen vollziehen im gegliederten Verwaltungssystem, das derzeit auch die ostdeutschen Bundesländer aufbauen, den bei weitem größten Teil der staatlichen Aufgaben. Wegen der auf kommunaler Ebene zugleich vorfindlichen Selbstverwaltung unterliegt dieser Aufgabenvollzug einem zusätzlichen "Härtetest": Effizienzanforderungen und -gebote an den Verwaltungsvollzug müssen sich mit den Maßgaben der kommunalen Selbstverantwortung und partizipatorischen Aufgaben bestimmung auseinandersetzen. Erst in den Kommunen zeigt sich deshalb, was "Verwaltung des Mangels" heißt; hier gewinnt auch die Anwendung des Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrenrechts ihre - oftmals verfehlte, gleichwohl unabdingbare - Nähe zum Adressaten dieser rechtlichen Steuerungsinstrumente, den Bürgern.

3. Anwendungsprobleme des Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts Zumal in diesem Verhältnis weist die Übernahme des Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts zahlreiche Anwendungs- und Verständigungsprobleme auf. Deren Verständnis und Sinn wurzelt nämlich in den Grundzügen des demokratischen Rechts- und Sozialstaates; es wird aus den Freiheitsrechten des Grundgesetzes abgeleitet. 22 Man mag darüber streiten, ob es in der früheren DDR bereits Ansätze zu einem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht gab. 23 Unstreitig dürfte indessen sein, daß ein allgemeiner Individualrechtsschutz nach westlich-europäischem Muster nicht hatte eingeführt werden sollen. Im Grunde widersprechen auch solche freiheitsgeprägten formalisierten Regeln denen einer Kaderverwaltung. Und mit dem westlichen Verwaltungsverfahrensrecht ist es auch nicht vergleichbar, wenn man von dem Verwaltungsweg als "Rechtsweg" sprach. 24 22 Kopp. Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971; Pitschas (FN 8). S. 401 ff., 441 ff. ("Verfassung als Verfahrensordnung"). 23 Dazu der Überblick bei Bönninger. Überlegungen zu Grundzügen des Verwaltungsverfahrens, in: W. Blümel / W. Bemet (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht, Speyerer Forschungsberichte Nr. 90. 1990, S. 3 ff. 24 Zu alledem siehe Schulze-Fielitz. Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vorrechtsstaatlichen Vergangenheit, DVBI. 1991, S. 893 (897 ff.).

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Die rechts- und sozialstaatliche Erneuerung der öffentlichen Verwaltung in Ostdeutschland muß daher, so die Vermutung, zu beträchtlichen Anwendungsproblemen des Verwaltungs- einschließlich des Verwaltungsverfahrensrechts führen. Denn es bedingt als ein hochkompliziertes Normengefüge die Interpretation nach westlichen Auslegungs- und Anwendungsmethoden unter Beachtung geschriebener und ungeschriebener Verfassungsgrundsätze. Hinzuzunehmen ist die Fülle bisher unbekannter materieller Verwaltungsvorschriften. Ein erhebliches Problem stellt schließlich dar, daß in der Vergangenheit rechtskulturell Sprache und Verständigungsweisen entstanden sind, die insbesondere zu den Begriffen des Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts divergierende Inhalte kreiert haben. 25 Im Zusammenhang hiermit lassen sich ferner zahlreiche rechtstatsächliche Probleme des realen Verwaltungsverfahrens vermuten. Welche "Störungen" aber die Überleitung "westlicher" Verfahrensgrundsätze aufwirft, welche Verfahrensfehler in welchem Ausmaß auftreten, ob sich überhaupt in der Verwaltungspraxis Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit und Verbindlichkeit von übergeleiteten Verwaltungsentscheidungen ergeben und wie auch die Bürgernähe von Verwaltungsverfahren zu beurteilen ist, erscheint allerdings heute - nach mehr als zwei Jahren der Wiedervereinigung - noch immer als eine "black box". Ermittelt man hierzu empirische Belege, so geben diese auch Aufschluß darüber, worin letztlich die Anwendungsdefizite des Rechts begründet liegen. Analyse und Interpretation entsprechender Ergebnisse führen in den Bereich der "Verwaltungskultur" hinüber. In die Auseinandersetzung hiermit ist zugleich die Problematik der technikunterstützten Informationsverarbeitung in den Kommunen und - weitergehend - die Frage nach einem adäquaten "Verwaltungsmanagement" einzubeziehen. Denn die "Wende" hat auch zu einem Umstrukturierungs- und Aufbauprozeß bei der Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnik in der Verwaltung geführt. Spürt man ihm nach, so begegnet dem Verwaltungs wissenschaftler und -informatiker immer wieder ein relativ optimistisches Verständnis über die Möglichkeiten und Nutzbarkeit der "westlicherseits" angebotenen Hard- und Software. Allerdings zeigt näheres Hinsehen alsbald, daß die Fragestellungen, die sich an einem idealtypischen Bild orientieren, wie es die alten Bundesländer aufweisen 26, in den ostdeutschen Ländern weithin nicht geläufig sind. Dies gilt sowohl für die in den Entwicklungsdimensionen der Büro- und Kommunikationstechnik möglichen Verwaltungsformen als auch für den denkbaren Ausbau der Verwaltungsinfrastruktur und für die kaum problembewußte Sicht der Sozialverträglichkeit moderner Computertechnologie. 27

Vgl. auch Stelkens, DVBI. 1992, S. 249 f. Dazu statt aller Reinermann, Perspektiven der Verwaltungsautomation, Informatik und Recht 1988, S. 117 ff.; Weinberger (Hrsg.), Informations- und Kommunikationstechniken in der kommunalen Praxis, 1988. 25

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III. Rechtstatsachen zur Verwaltungsintegration 1. Das Forschungsprojekt "Aufgabenpolitik und Verwaltungsveifahren der Kommunalbehörden in den neuen Bundesländern" Wie aber stellen sich die Anwendungsprobleme des Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts konkret in derPraxis dar? Wie wird die Rechtsanwendung von den Bürgern beurteilt, die als "Gegenüber" der öffentlichen Verwaltung in den Kommunalbehörden der neuen Bundesländer erneut mit den Unzulänglichkeiten einer staatlichen Bürokratie konfrontiert werden? Und wie schließlich erleben sie die Aufgabenpolitik der Kommunen in den einzelnen Politikfeldern? Empirische Befunde hierzu sind von mir im Rahmen eines vom Bundesministerium des Innern in Verbindung mit dem Wissenschaftlichen Institut für den öffentlichen Dienst e. V. (WIÖD) geförderten Forschungsvorhabens zur "Rechtsvereinheitlichung und Verwaltungsreform in den neuen Bundesländern" für das gekennzeichnete Teilprojekt ,,Aufgabenpolitik und Verwaltungverfahren" erhoben worden. Im folgenden werden einige dieser Befunde dargestellt und einführend kommentiert. Die Aussagen konzentrieren sich auf das Verwaltungsrecht in den ausgewählten Aufgabenfeldern der kommunalen Wirtschaftsförderung und der kommunalen Sozialleistungen in Verbindung mit den dazu in den kommunalen Behörden jeweils durchgeführten Verwaltungsverfahren. Weil und soweit dieses auch und vor allem rechtlich ausgeformt ist, haben wir es zugleich mit relativ konsistenten Ergebnissen der Einschätzung der Integrationskraft des "westdeutschen" Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts durch Bürger wie Verwaltungsmitarbeiter in den neuen Bundesländern zu tun. Lassen Sie mich dazu schon vorab eine knappe Bemerkung zum Fazit machen, auch wenn die vertiefende Analyse und Interpretation der bisher gewonnenen Daten noch aussteht. Die Präsentation der Rohdaten liefert, so zeigt sich schon jetzt, einige interessante Hinweise zum Verständnis des Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts durch die Bürger und Verwaltungsmitarbeiter in Ostdeutschland einerseits, zur Beurteilung der Tätigkeit ostdeutscher Kommunalverwaltungen auf bestimmten Aufgabenfeldern im Spiegel der Bürgerbewertung andererseits. Ihnen zufolge führt kein Weg daran vorbei, die bisher eingeschlagene Strategie der Verwaltungsintegration und "Vereinfachungsgesetzgebung" zu revidieren. Doch zunächst noch einige Erläuterungen zu den maßgeblichen Perspektiven meiner Untersuchung.

27 Siehe nur die Hinweise in KGSt: Technikunterstützte Infonnationsverarbeitung (TuI) in der Kommunalverwaltung der DDR. Verwaltungspolitische Empfehlungen, KGSt-Bericht 10 /1990.

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Rainer Pitschas a) "Außensicht" der Bürger

Wie reagieren, so war in bezug hierauf einerseits zu fragen, die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR auf die skizzierten Integrationsprobleme? Spiegelt der Satz Bärbel Bohleys: "Wir haben Gerechtigkeit erwartet und den Rechtsstaat bekommen" die Befindlichkeit der Menschen in den jungen Bundesländern tatsächlich und dann auch im Umgang mit den Kommunalverwaltungen wider? 28 Immerhin ist dazu zu bedenken, daß im Erleben des einzelnen die Prozesse der Rechtsvereinheitlichung und des Aufbaus neuer Kommunalverwaltungen mit eindrucksvollen Veränderungen in seinem Alltag verbunden sind. Bei Kontakten mit örtlichen Behörden muß sich der neue Bundesbürger auf gewandelte Verwaltungsstrukturen und -verfahren, auf teil weise neues bzw. altes, aber verunsichertes Verwaltungspersonal sowie auf ein für ihn neues Verwaltungsrecht einstellen. Auf der Seite der Bürger hierzu bestehende Vorbehalte, Anregungen und auch Überlegungen auf repräsentative Weise zu erfahren, ist für eine erfolgreich sein wollende Rechts- und Verwaltungshilfe ganz allgemein, aber auch für zukünftige konkrete Gestaltung der Rechts- und Verwaltungsentwicklung in einzelnen Aufgabenfeldern einschließlich ihrer Personalrekrutierung unverzichtbar. Die Kenntnis darüber ermöglicht es zudem, Verwaltungsleistungen und deren Qualität zu bewerten, jedenfalls einzelne ihrer für die neuen Bundesländer spezifischen "Faktoren" herauszuschälen. 29 b) "Innenansichten" des Verwaltungspersonals Die Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten aufgabendifferenzierter Verwaltungsintegration auszuschöpfen, heißt ferner, nach den "Innenansichten" zu fragen, die im Verwaltungssystem der Kommunalbehörden bestehen. Es gilt m. a. W., nach den Einstellungen und Wertpräferenzen derjenigen zu fragen, die dem Bürger im Verwaltungshandeln als Personen entgegentreten, also der Verwaltungsmitarbeiter. Der Nutzen dieses Forschungsansatzes ergibt sich letztlich daraus, daß die erwartete und notwendige Bürgernähe, die innovations- und situationsgerechte Anpassungsfähigkeit der Verwaltung in Ostdeutschland weitgehend von der Rekrutierung der "richtigen" Mitarbeiter und deren situativem Verhalten abhängt. Namentlich die Führungskräfte innerhalb der öffentlichen Verwaltung erweisen sich heute durchweg als "Mitspieler" in allen politisch-administrativen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen. 30 Sie sind maßgeblich Akteure der 28 Wohl doch, wie uns die Umfrageergebnisse von R. Köcher (Institut für Demoskopie Allensbach) belehren, vgl. ihren Bericht "Im neuen Staat nicht zu Hause", in: Rheinischer Merkur vom 15.11.1991, S.lOf. 29 Zu dieser Notwendigkeit auch Mitschke, Betriebswirtschaftliche Lenkungsinstrumente als Chance beim Verwaltungsaufbau in den neuen Bundesländern, LKV 1992, S. 273 (277 f.). 30 Jann, Verwaltung im politischen Prozeß, VR 1984, S. 37 ff.

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Rechts- und Zweckkonkretisierung im Verwaltungsstaat auf allen Verwaltungsebenen, indem sie je eigenständig die aufgegebenen Verwaltungszwecke in operatives Handeln umsetzen und das aktuell-konkret zur Anwendung zu bringende Recht erst kommunikativ herausbilden. 31 Die Problemlösungskapazität dieser Führungskräfte - und mehr noch: die aller Mitarbeiter - bestimmt das Tempo der Verwaltungsentwicklung ebenso wie deren Leistungsfähigkeit sowie Bereitschaft, sich auf das neue Verwaltungsrecht und -verfahren "einzulassen" bzw. sich dessen Sinn zu erschließen. Darüber hinaus beeinflussen die Akteure innerhalb der Verwaltung zugleich und wesentlich über die daraus resultierenden Handlungs- und Verhaltens sequenzen die "Außensicht" der Bürger von "ihren" Kommunalverwaltungen. Und schließlich offenbaren die bisher verfügbaren empirischen Daten, daß es nur mühsam gelingt, den größten Teil der übernommenen Mitarbeiter aus dem ehemaligen DDRVerwaltungsapparat wirksam zu integrieren statt sie nur formal einzugliedern. 32

2. Anlage der Untersuchung Da in Anbetracht des akuten Mangels an aktuellen verwaltungs- und rechtstat sächlichen Informationen selbst eine noch so umfassende Literaturanalyse keine verallgemeinerungsfähigen Ergebnisse zeitigen könnte, wurde die Nachfrage nach dem Stand der Verwaltungsintegration durch "Recht" und "Verwaltungsverfahren" auf der Ebene der Beziehung Kommunalverwaltung - Bürger als empirische Untersuchung angelegt. a) Repräsentative Bevölkerungsbefragung zur Verwaltungsintegration Auf der einen Seite stand in deren Mittelpunkt eine gemeinsam mit dem WIÖD und dem Leipziger Institut für empirische Forschung durchgeführte Bevölkerungsbefragung 33 zu den aus der Sicht des Bürgers bestehenden Einschätzungen der Verwaltungsleistungen sowie zu Vorbehalten, Einstellungen und Wertpräferenzen; nachgefragt wurden ferner Anregungen zur Rechtsvereinheitlichung und zum Verwaltungshandeln in verschiedenen Politik- bzw. Aufgabenfeldern. Vor31

32

Pitschas (FN 8), S. 34 ff., 82 ff. Einige Hinweise bei Röber I Schröter, Verwaltungsführungskräfte aus Ost und West

- ein Vergleich ihrer Rollenverständnisse und Werthaltungen, in: Jahrbuch zur Staatsund Verwaltungswissenschaft, Bd. 5 (1991), S. 209 (217 f., 219, 220 f., 223). 33 Zu deren Grundannahmen siehe Pitschas, Expose zum Forschungsprojekt "Rechtsvereinheitlichung in Deutschland und Verwaltungsreform. Reorganisationserfordernisse des öffentlichen Dienstes in den neuen Bundesländern auf dem Gebiet der früheren DDR", 1990 (vvf. Mskr.), mit Nachträgen vom 20.6. 1991 und 9. 10. 1991. Die im Text nachfolgende Auswertung basiert auf der namens des Instituts von Haas I Schmidt im Rahmen des Forschungsprojekts erstellten methodischen Dokumentation der Umfrage und des Tabellenbandes hierzu.

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gegeben war, dies aufrepräsentative Weise am Beispiel Brandenburgs und Sachsens zu ermitteln. Die maßgebliche Zielgruppe bildete die deutschsprachige Wohnbevölkerung in beiden Bundesländern im Alter von achtzehn bis sechzig Jahren. Als Auswahlmerkmale für die Ermittlung der repräsentativen Stichprobe wurden Bundesland, Ortsgröße, Geschlecht und Alter festgelegt. Die Stichprobengröße betrug N = 500 in entsprechender regionaler Verteilung der sampie points. Die Daten der Repräsentativerhebung wurden mittels mündlicher Interviews in den Haushalten der Zielpersonen gewonnen. Die durchschnittliche Interviewdauer lag bei 45 Minuten; Befragungszeitraum war die Zeit vom 13. Februar bis 25. Februar 1992. Insgesamt wurden 600 Fragebögen und 105 Interviewer eingesetzt. Mit 498 Personen wurden Interviews durchgeführt. Die Ausschöpfungsrate lag damit bei 83 %; sie bedeutet für das Quota-Auswahlverfahren einen vertretbaren Realisierungsanteil. Insgesamt traten 42 Befragungsausfälle infolge der Verweigerung der Teilnahme am Interview auf. Im Verlauf der Studie ergab sich einerseits ein großes Interesse bei den Bürgern in bezug auf die Themen und das Anliegen der Befragung. Probleme im Umgang mit Rechtsfragen und kommunalen Behörden sind zudem für nicht wenige Ostdeutsche alltäglich. Die Gelegenheit, im Interview aus individueller Sicht diese Probleme mitzuteilen und zu reflektieren, wurde offensichtlich gerne wahrgenommen. Andererseits ist bei vielen Bürgern Mißtrauen und Ablehnung gegenüber der Meinungsumfrage festzustellen gewesen. Der Hintergrund hierfür dürfte vielgestaltig sein. Im Vordergrund standen m. E. die Angst vor kriminellen Haustürgeschäften ebenso wie politischer Überdruß oder Datenschutzdenken - wohl auch verbreitet Resignation bzw. Desinteresse. Der Feldphase war ein zweistufiger Pre-Test vorgeschaltet. Auf Probeinterviews auf einer ersten Stufe folgte in einer zweiten Stufe eine Gruppendiskussion mit zehn Personen, deren Teilnehmer nach Alter, Geschlecht und Profession durchmischt waren. Zugleich kamen in der Diskussion sehr verschiedenartige Erfahrungen in bezug auf Kontakte mit kommunalen Verwaltungen und hinsichtlich persönlicher Kenntnisse des Bundesrechts zum Ausdruck. Dementsprechend wurden die während des Pre-Tests aufgenommenen Hinweise und Korrekturen permanent in den Fragebogen eingearbeitet. b) Verwaltungsintegration aus der Sicht von Verwaltungsmitarbeitern Die Sicht der Bürger auf Rechtsanwendung und Verwaltungsverfahren bildet nur einen Ausschnitt aus der Vielschichtigkeit der Perspektiven zur intensiven Verbindung von fachlicher Aufgabenwahrnehmung mit den Maßgaben des Sach- und Verwaltungsverfahrens einerseits sowie der "institutionellen Ambiance" und der personalkulturellen Voraussetzungen andererseits. Mit Blick hierauf erscheint die Aufgabenbewältigung im Zusammenhang des Verwaltungsverfah-

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rens des Bundes und des jeweiligen "neuen" Bundeslandes sowie die Implementation des Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts in der Praxis der Kommunalbehörden als ein Steuerungsproblem in einem Mehr-Ebenen-Geflecht. Dessen Diagnose und Auflösung unterliegt den Bedingungen der je spezifischen institutionellen Arrangements, in denen sich das Handeln der Kommunalverwaltung abspielt. 34 In diesem komplexen Steuerungszusammenhang prägt auch die "Innenansicht" des Verwaltungsverfahrens die Praxis der Kommunalbehörden. Wie die kommunalpolitische Führung, die Verwaltungsführung und die Verwaltungsmitarbeiter den Rahmen für die Anwendung des Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts in der Interdependenz einerseits zum Bürger, andererseits zur Verwaltungsrechtsprechung abstecken sowie ausschöpfen, bestimmt die Reichweite und Problemtiefe des Aufgabenvollzugs mit. Diese "Innenansicht" der Anwendung des Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts im Rahmen spezifischer Aufgabenvollzüge stand daher im Vordergrund des weiteren Interesses an der Erhebung empirischer Daten zur Verwaltungsintegration. Die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der hierzu mit Verwaltungsangehörigen aller kommunalen Verwaltungsebenen geführten Interviews weist denn auch die Vollzu[?sprohlematik des Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts auf der KOllllllunalebcnc als ein Paradigma für die Auseinandersetzungen um die zukünftige Konstruktion der Kommunalverwaltung in der gesamten Bundesrepublik Deutschland aus. Die im Rahmen der hiesigen Untersuchung durchgeführten Interviews offenbaren jedenfalls sehr deutlich den Bedarf der ostdeutschen kommunalen Praxis nach der Entwicklung eines eigenständigen Konzepts von Rechtsanwendung und Verwaltungsmanagement - angelehnt an die westdeutschen Erfahrungen und dennoch den eigenen Weg suchend. Als empirisches Feld für die diesem (teilweisen) Ergebnis zugrundeliegenden Erfahrungen wurden eher gesellschaftspolitisch orientierte "Betreuungsverwaltungen" einerseits, eher wirtschaftspolitisch orientierte "Leistungsverwaltungen" andererseits gewählt. Dabei ist versucht worden, aus der Sicht der betroffenen Aufgabensektoren sowie aus der Perspektive der Gesprächspartner die Anwendungsprobleme breitflächig zu erfassen. Demgemäß standen im Vordergrund der Interviews differenzierte Fragen nach den Hindernissen der Rechtsanwendung bei den entsprechenden Aufgabenvollzügen. Insgesamt erstreckten sich die Befragungen auf vier Landkreise im Bundesland Brandenburg. Es handelte sich um die Landkreise Königs Wusterhausen, Eberswalde und Nauen sowie Neuruppin in Brandenburg. In den drei erstgenannten Landkreisen wurden jeweils Gesprächspartner aus den S?zia!- und Jugendämtern, 34 Zu dieser Verbindung von Steuerungsprozeß, institutionellem Rahmen und Akteurperspektive vgl. Mayntz, Politische Steuerung und gesellschaftliche Steuerungsprobleme - Anmerkungen zu einem theoretischen Paradigma, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, Bd. 1 (1987), S. 89 (92, 93, 103 ff.).

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den Bauämtern, den Ämtern für Wohnungsförderung und für Wirtschafts- und Verkehrsförderung befragt. Im Landkreis Neuruppin wurden Gespräche mit Mitarbeitern aus dem Amt für offene Vermögensfragen und dem DatenverarbeitungsAmt geführt. Im Land Sachsen konnten als Ergebnis der ersten Erhebungsphase die Daten aus Interviews in den kreisfreien Städten Chemnitz und Radebeul eingebracht werden. In jeder Dienststelle wurden durchschnittlich zwei bis drei Mitarbeiter befragt. Eine Reihe von Vorabgesprächen mit den jeweiligen politischen Spitzen der Verwaltung ging den Interviews voraus. Als Grundlage der Interviews diente ein strukturierter Fragebogen, der geschlossene und offene Fragen enthielt. Der zeitliche Umfang der Gespräche war zwar variabel, doch ergab sich im Einzelfall eine Interviewdauer von bis zu zwei Zeitstunden. Dabei spielte in vielen Fällen der Wunsch der Gesprächspartner eine Rolle, ihre besondere Situation einem "Außenstehenden" möglichst ausführlich zu schildern. Selbstverständlich können die nunmehr anschließenden und auf einer ersten Auswertung der Interviewdaten beruhenden Aussagen keinen Anspruch auf umfassende Repräsentativität erheben. Jedoch kann in Anspruch genommen werden, mit der Untersuchung den institutionellen, organisatorischen und sozialpsychologischen Bedingungsrahmen der Rechtsanwendung und des Verfahrenshandelns auf seiten der Bediensteten zumindest sichtbar zu machen.

IV. Ergebnisse der Repräsentativbefragung I. Erneuerung der kommunalen Wirtschafts- und Sozialverwaltung a) Kommunale Wirtschaftsverwaltung Der Auf- und Ausbau der kommunalen Wirtschaftsverwaltung und Wirtschaftsförderung spielt in den jungen Bundesländern eine bedeutsame Rolle im Bemühen, die Versorgung der Bevölkerung mit wirtschaftlichen Dienstleistungen sicherzustellen. Die hierauf konzentrierten Anstrengungen der öffentlichen Verwaltung werden in der Bevölkerung auch weithin anerkannt; mehr als die Hälfte der Befragten attestieren der kommunalen Wirtschaftsverwaltung, daß es ihr gelungen sei, durch ihre Gewerbe-, Handwerks- und Ansiedlungspolitik die ökonomische Infrastruktur nachhaltig zu verbessern. Allerdings sind Zweifel darüber verbreitet, ob es gelingen wird, diesen Erfolg auszubauen. Knapp die Hälfte der Befragten äußert sich in dieser Hinsicht skeptisch. Auf jeden Fall müsse, so wird empfohlen, die Konkurrenz privater Anbieter in Handel und Gewerbe gestärkt werden. Und in der Tat dürfte es im marktwirtschaftlichen System die richtige Strategie sein, auf Privatinitiative zu setzen. Demgegenüber plädieren

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manche für eine hoheitliche Bedarfslenkung (37, I %), wogegen sich allerdings starker Widerspruch (34,3 %) erhebt. Die Erneuerung der kommunalen Wirtschaftspolitik bildet sonach ein durchaus umstrittenes Feld der lokalen Politik in den Städten und Landkreisen. Die Problematik einer Neudefinition des kommunalen Sektors in Auseinandersetzung mit der Treuhandanstalt Berlin ist Teil dieses Streits. Zahlreiche situative Bedingungen und ein je feldspezifisches institutionelles "Ambiente" beeinflussen im übrigen die hier in Gang gesetzten Prozesse der Wechselwirkung von Wirtschaftsund Verwaltungsentwicklung. Einen wesentlichen Akzent markiert dabei der Wunsch der Bevölkerung, daß die Landkreise und Gemeinden bzw. Städte in der kommunalen Wirtschaftspolitik mehr miteinander zusammenarbeiten sollten. 60,6 % der Befragten sprechen sich dafür aus, die wirtschaftlichen Initiativen der Kommunen zu koordinieren und an die Stelle eigensinniger kommunaler Wirtschaftsförderung eine kooperative Förderungspolitik zu setzen. Ich entnehme daraus ein gewichtiges Votum zugunsten der regionalen Wirtschaftsstrukturpolitik, die - wie ich darüber hinaus meine - in eine integrierte und potentialorientierte Infrastrukturpolitik eingebettet werden sollte. Dies machen auch die Interviews deutlich, soweit sie den befragten Bürgern ein Urteil über den Auf- und Ausbau der technischen Infrastruktur abverlangen. b) Förderung der technischen Infrastruktur Entsprechende Fragen richteten sich auf Ansatz und Ausmaß einer die technische Infrastruktur in den Kommunen fördernden Verwaltungsentwicklung. Diese meint die demokratisch-rechts staatlich und sozial staatlich verankerte Berufung bzw. Erweiterung von Zuständigkeiten, Handlungsspielräumen und Ressourcen der öffentlichen Verwaltung, um in den Städten und Landkreisen den gegebenen Nachholbedarf an leistungsfähiger und zukunftsorientierter Bau-, Umwelt-, Verkehrs- und Informationstechnik im Rahmen infrastrukturbezogener Kommunalpolitik zu decken. Dieser institutionelle Ansatz staatlicher Steuerung der Infrastrukturentwicklung ist seinerseits untrennbar mit der Modernisierung und strukturellen Neuordnung von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik verbunden. Denn erfolgreiches Wirtschaften setzt nicht nur eine leistungsfähige und stabile allgemeine Infrastruktur (Verkehrserschließung, Sicherung der Energieversorgung oder gesunde Umwelt) voraus, sondern bedingt auch und ebenso die organisierte Erzeugung bzw. Nutzung des technischen Fortschritts für unternehmerisches Handeln sowie die entsprechende Innovationsorientierung der Betriebe bzw. des Handwerks. 35

35 Zu den Gründen hierfür und den daraus resultierenden Steuerungsanforderungen siehe nur Pitschas, Verwaltungsrefonn in den neuen Bundesländern und technische Infrastruktur, in: W. Seibei u. a. (FN 11), S. 392 ff.

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Freilich erweist sich ein solcher "Modernisierungsschub" nicht als unumstritten, wie sich z. B. im Bereich der Verkehrswege zeigt. Zwar fordert die Bevölkerung vor allem den Ausbau der Straßen (57,5 %), doch erhebt sich hiergegen auch erheblicher Widerspruch. Etwas mehr als ein Fünftel aller Befragten plädiert dafür, auf großräumige Verkehrs investitionen zu verzichten. Nahezu alle befragten Bürger sind darüber hinausgehend der Meinung, daß sie an Planung und Ausbau der technischen Infrastruktur verstärkt beteiligt werden müßten (80,9 %). Es läßt sich insoweit absehen, daß der in den westlichen Bundesländern herrschende Konflikt zwischen dem Ausbau der technischen Infrastruktur und der Sozialverträglichkeit der Technik auch in den neuen deutschen Bundesländern wiederaufleben wird. Der dabei von politischer Seite immer wieder in das Feld geführte Knappheitsfaktor "Zeit" sollte jedenfalls nicht dazu anhalten, die Beteiligungschancen und -wünsche örtlich-räumlich oder subjektiv-rechtlich betroffener Planungsbeteiligter bzw. Bürger zu verringern. c) Kommunale Sozialverwaltung In der ehemaligen DDR waren die Städte bzw. Kreise für Jugendhilfe und sozialfürsorgerische Leistungen zuständig. Diese Aufgaben haben nach der Wiedervereinigung die Jugend- und Sozialverwaltungen in den Kreisen und Städten übernommen. Jugendhilfe und Sozialhilfe werden weithin als kommunale Sozialleistungen erbracht. Wie sich dazu aus anderen Untersuchungen ergeben hat, scheint es ein besonderes Anliegen der früheren DDR-Bürger zu sein, diese und weitere sozialpolitische Aktivitäten des Staates noch zu entwickeln und auszubauen, um eine höhere Grundversorgung für alle Staatsbürger zu gewährleisten und das soziale Gefälle innerhalb der Bevölkerung auszugleichen. 36 In der Tendenz bestätigen die hier vorgestellten Umfrageergebnisse diese Einschätzung. Knapp die Hälfte aller Befragten hält die Tätigkeit der Jugendund Sozialbehörden für nicht ausreichend; noch 46 % der Umfrageteilnehmer sind der Auffassung, daß die kommunale So~ialpolitik nur zu einem Teil dem augenblicklichen Bedarf an sozialer Daseinsvorsorge gerecht wird. Die darin enthaltene starke Kritik an der Arbeit der behördlichen Jugend- und Sozialverwaltung fügt sich in den verbreiteten Unmut im Osten Deutschlands gegenüber der staatlichen und kommunalen Sozialpolitik ein. Es verwundert daher auch nicht, daß 23,7 % der Interviewpartner speziell die Struktur der neuen Sozialämter in den Städten und Gemeinden für wenig geeignet halten, die gegenwärtigen sozialen Probleme erfolgreich zu bearbeiten. In diesem Zusammenhang scheinen viele der Befragten auch über persönliche Erfahrungen aus dem Umgang mit der kommunalen Sozialverwaltung zu verfü36 Backhaus-Maull Olk, Die Konstitution kommunaler Sozialpolitik: Probleme des Aufbaus sozialer Versorgungsstrukturen in den neuen Bundesländern, in: C. Rühl (FN 19), S. 83 (107 ff.).

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gen. Denn 24,9 % der Befragten hatten bereits - verständlich in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und knapper Renten im Osten Deutschlands - mit Sozialämtern mehrfachen Kontakt. Es stimmt deshalb besonders nachdenklich, daß ein erheblicher Teil der Interviewpartner strukturelle Änderungen in der Aufbau- und Ablauforganisation der Sozialverwaltung im Verhältnis zu früher nicht feststellen konnte. Diese Sichtweise verbindet sich darüber hinaus mit einer impliziten Bürokratieschelte: Über Dreiviertel der befragten Bürger waren sich über die Zuständigkeiten der Sozialämter überhaupt nicht bzw. teilweise nicht im klaren, weil sie so "undurchsichtig" seien. Insgesamt entnehme ich daraus eine hohe Unzufriedenheit zumindest des aktuellen Klienteis der Sozialhilfeverwaltung mit "ihrer" Behörde. Man hatte wohl mit dem Übergang auf ein "westliches" Jugend- und Sozialhilferecht auch andere Standards des Verwaltens erwartet. Ohnmächtig scheint man nun den strukturellen Auswirkungen des erneuerten Behördenhandelns gegenüberzustehen. Dafür, daß diese Annahme dem wirklichen Empfinden vieler Bürger entsprechen könnte, streitet die überaus hohe Zahl derjenigen, die der Auffassung sind, der Hilfesuchende werde in Ostdeutschland im Bereich der heutigen Sozialhilfe von der Verwaltung "bevormundet". 33,2 % der Befragten sind strikt dieser Auffassung; und immerhin noch 38,7 % meinen, daß es zwar nicht durchweg, aber immer wieder zu Erscheinungen einer solchen in Westdeutsch land schon längst überholt geglaubten autokratischen Sozialleistungsverwaltung komme. Es überrascht denn auch nicht, daß in zahlreichen Interviews die Auffassung geäußert wird, der Bürger solle unmittelbar auf die Entscheidungen der Jugendund Sozialbehörden Einfluß nehmen können. Verwiesen wird hierzu auf die in der ehemaligen DDR im Gesundheits- und Sozial wesen vorhandenen Kommissionen, die mit Bürgern besetzt waren. Mehr als die Hälfte unserer Interviewpartner wünschte sich eine solche Chance zur Mitarbeit; und noch 30,8 % unter ihnen waren der Auffassung, daß zumindest in einigen Bereichen solche partizipatorische Gestaltung der Jugend- und Sozialverwaltung jenseits der Ausschußmitwirkung möglich sein sollte.

2. Bundesrecht und Kommunalbehörden Wie wir wissen, lassen das Kinder- und Jugendhilferecht sowie das Sozialhilferecht eine solche Einflußnahme auch bedingt ZU 37 • Es spricht indessen vieles dafür, daß die Kenntnis dieser Möglichkeiten in der Bevölkerung weithin fehlt - wie überhaupt nur ein geringer Teil der Bürger in Ostdeutschland in der Lage zu sein scheint, das "neue" Verwaltungsrecht zu überschauen und ggf. dessen Anwendung in den eigenen Belangen herbeizuführen und zu kontrollieren. Nahe37 Pitschas, Entwicklungstendenzen und Anforderungen im Politikfeld Gesundheit und Soziales, in: W. Blümel / H. Hill (Hrsg.), Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung, 1991, S. 149 (174,178).

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zu 40 % unserer Interviewpartner machen geltend, daß sie über das nunmehr geltende Verwaltungsrecht "nichts wissen". Darüber hinaus geben Dreiviertel der Befragten zu Protokoll, daß ihnen die innerhalb der Verwaltung geltenden Vorschriften ("Verwaltungsvorschriften") ein "Buch mit sieben Siegeln" wären. Nun werden auch viele Bürger Westdeutschlands über das "Binnenrecht" der deutschen Verwaltung kaum oder nur wenig Kenntnisse haben. So überrascht die skizzierte Unwissenheit über das geltende Recht kaum. Bedenklich ist allerdings das mit dem beschriebenen Gefühl der Unkenntnis verbundene Eingeständnis, über die subjektiv-rechtlich verankerten oder eben in Verwaltungsregelungen typisierten Leistungsansprüche nur wenig Bescheid zu wissen. Über 80 % der Befragten sind der Auffassung, daß sie noch zu wenig über die Leistungen, die sie beanspruchen könnten, orientiert seien. Dies verweist auf erhebliche Informationsdefizite in bezug auf den im Gefolge der Rechtsvereinheitlichung eingetretenen Rechtswandel. Sie hätten durch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit schon längst ausgeräumt sein müssen. Im übrigen wird auch der inhaltlich andere Charakter des "neuen" Verwaltungsund Verwaltungsverfahrensrechts gegenüber dem ehemaligen DDR-Verwaltungsrecht von Ostdeutschen nur teilweise erkannt bzw. begrüßt. Unsere Interviewpartner halten zu 30 % das ehemalige DDR-Recht für unbedingt akzeptabel; weitere 22,2 % sind jedenfalls teilweise dieser Ansicht und 24,5 % wollen sich - vor die Frage gestellt, ob das Verwaltungsrecht in der ehemaligen DDR als Instrument der SED bei den Bürgern weniger als das "neue" Recht akzeptiert war - nicht entscheiden. Der zum früheren Recht gegenläufige Wertcharakter des in der Rechtsvereinheitlichung übernommenen "westlichen" Verwaltungsrechts scheint also bislang nur einem geringeren Teil der Bürger durchgreifend vermittelt worden zu sein. Hier schließt sich dann der Kreis der eingangs getroffenen Feststellung, daß nahezu die Hälfte der ostdeutschen Bürger nicht in der Lage ist, das "neue" Recht zu überschauen und weitaus mehr Bürger die durch dieses Recht gewährleisteten Ansprüche nicht kennen. Insgesamt läßt sich deshalb von einer sehr gespaltenen Akzeptanz des neuen Verwaltungsrechts sprechen (71 %). Ein Zehntel aller Befragten hält sogar das" westliche" Verwaltungsrecht für schlechter als das ehemalige DDR-Verwaltungsrecht!

3. Das Verwaltungsverfahren der Kommunalbehörden Es liegt auf der Hand, daß vor diesem Hintergrund die Rechtsanwendung durch die Verwaltungsbehörden erheblichem Mißtrauen ausgesetzt ist. Das Fazit aus der berichteten Bevölkerungsbefragung lautet denn auch, daß die öffentliche Verwaltung gegenüber den Bürgern um ihre Anerkennung noch stark zu ringen hat. Fast die Hälfte der Bürger (43,5 %) ist mit der Arbeit der Verwaltungsbehärden oft nicht einverstanden; das der Kommunalverwaltung entgegengebrachte Vertrauen ist überaus fragil.

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a) Rechtsbewußtsein und Verfahrensverständnis So wird von etwa einem Drittel der Befragten das nunmehr eingeführte Verwaltungsverfahren im Verhältnis zu dem in der früheren DDR praktizierten häufig als nachteilig bewertet. 29,4 % der Befragten schließen aus dem Umgang mit ihren Kommunalbehörden, daß Unterschiede im Vergleich zu der Zeit vor der Wiedervereinigung in bezug auf die Organisation der Behörde und den Ablauf der Verfahren nicht existieren. 31,7 % der Interviewpartner sind der Auffassung, daß nur teilweise Unterschiede zu der Zeit vor der Wiedervereinigung festgestellt werden können. Die Gründe, die hierfür ins Feld geführt werden, variieren stark. So sind zahlreiche Bürger der Auffassung, daß ihre Wünsche von der örtlichen Behörde nicht voll und ganz ernst genommen werden würden. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten gibt zu Protokoll, daß ihnen die Verfahrensschritte nicht ausreichend erklärt würden. Nahezu alle unsere Interviewpartner vertreten darüber hinaus die Ansicht, daß seit der Wiedervereinigung die Behördengänge umständlicher und mit mehr Formalitäten verbunden seien (92,6 %)! Dies wäre, wie mir scheint, vom einzelnen noch zu ertragen, wenn die Verwaltung ihrerseits in dem Dickicht strenger Formenbindung und weitverzweigter Zuständigkeiten mit engen Spezialisierungen und Kompetenzabgrenzungen die Bürger hinreichend informieren und beraten würde. Zwei Drittel unserer Gesprächspartner waren demgegenüber jedoch der Auffassung, daß die Kommunalverwaltungen den Bürger zu wenig im Umgang mit dem geltenden Recht und den Behördenangelegenheiten zur Seite stehen würden. Dem korrespondiert, daß 58,7 % aller Befragten sich unsicher waren, an welche Behörde sie sich mit ihrem Anliegen wenden müßten. b) Verfahrensfehler und Fehlerkontrolle Es nimmt denn auch nicht Wunder, daß nach der persönlichen Erfahrung unserer Interviewpartner die Behörden in der Zeit nach der Wiedervereinigung oftmals Verwaltungsentscheidungen getroffen hätten, mit denen der einzelne nicht ganz einverstanden war. Dies betrifft mehr als die Hälfte der interviewten Personen. Und noch ein starkes Drittel der Befragten gibt an, daß dem mangelnden Einverständnis ein ausgesprochener Verfahrensfehler zugrunde gelegen hätte. Was die Behandlung solcher Verfahrensfehler durch die Behörde aus der Sicht der Bürger anbelangt, so wird häufig dazu angemerkt, daß diese von der Verwaltung selbst oftmals nicht bereinigt werden würden. Überhaupt gäben die kommunalen Dienststellen häufig nicht offen zu, daß sie einen Bürger falsch behandelt hätten. Es mag von daher kommen, daß auch die Möglichkeiten der verwaltungsinternen Kontrolle gegen Verwaltungsentscheidungen als nicht sehr erfolgreich eingeschätzt werden. Über die Hälfte der Befragten sind sich jedenfalls nicht sicher darüber, daß mit der Einführung des Bundesrechts die Chance, gegen Entschei12 Speyer 110

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dungen der Behörden förmlichen Widerspruch einlegen zu können, im Vergleich zur früheren Eingabenpraxis wesentlich wirkungsvoller geworden seien. Und noch 17,3 % aller Befragten verneinen eine bessere Wirksamkeit rundheraus. Dies hängt u. a. damit zusammen, daß nach Auffassung knapp der Hälfte unserer Interviewpartner von den Behörden häufig auf ein bestehendes Widerspruchsrecht überhaupt nicht bzw. nach Ansicht weiterer 24,5 % nur teilweise hingewiesen werde. Eine wesentliche Rolle für die wirksame Kontrolle des Verwaltungshandelns spielt in unserem Verständnis des Verwaltungsrechts die ausgebaute Verwaltungsrechtsprechung. Als "fleet in being" übt sie aufgrund der Wechselbezüglichkeit von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsgerichtsbarkeit erhebliche Vorwirkungen zugunsten der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns auf das Verwaltungsverfahren aus. 38 Die von uns befragten Bürger Ostdeutschlands zeigen sich indessen bezüglich dieser Vorwirkung skeptisch (47,7 %). Eine starke Minderheit meint sogar, daß sich durch die Existenz und Tätigkeit der Verwaltungsgerichte das Arbeitsverhalten der Behörden überhaupt nicht geändert habe. c) Vertrauen in die Verwaltung Dieser erste Überblick über die Auswirkungen der Rechtsvereinheitlichung und der Einrichtung neuer Verwaltungsverfahren auf das Verhältnis der Kommunalverwaltung zum Bürger bedarf einer Vertiefung in weiteren Analyseschritten. Generell erkennbar ist jedoch schon jetzt, daß auch und vor allem das Vertrauen in die kommunale Verwaltung erheblich in Mitleidenschaft gezogen ist. Fast die Hälfte aller Befragten verneint, daß sie seit der Wiedervereinigung und seit der Einführung des Bundesrechts wesentlich mehr Vertrauen in die Behördenarbeit gewonnen hätte. Und noch 37,8 % der Befragten zeigen sich in der Antwort auf die entsprechende Frage unentschieden. Zwei Drittel aller Interviewpartner führen diesen Vertrauensmangel darauf zurück, daß es in den Behörden nach wie vor sog. "alte Seilschaften" gäbe. Nicht gerade vertrauensbildend wirkt auch, daß sich viele Bürger ganz allgemein in der Begegnung mit der Verwaltung von den Mitarbeitern bevormundet fühlen. Es liegt in der Konsequenz dieser Wahrnehmung des Behördenverhaltens, daß über 80 % aller Interviewpartner der Meinung sind, daß der Bürger in Angelegenheiten der kommunalen Selbstverwaltung viel stärker beteiligt werden müßte. In diesem Ergebnis leuchtet ein heller Widerschein zu der in der "alten" Bundesrepublik Deutschland mittlerweile intensiver geführten Debatte um den Ausbau der kommunalen Selbstverwaltung auf. 38 Die vollständige Auswertung der zu diesen "Innenansichten" in halboffenen Interviews im Rahmen des o. g. Forschungsprojekts (FN 33) erhobenen Daten findet sich in meiner Studie "Anwendungsprobleme des Verwaltungsverfahrensrechts in der Praxis der Kommunalbehörden in den neuen Bundesländern und Handlungsempfehlungen", Typoskript, Bonn 1992.

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V. Verwaltungsintegration im Urteil der Mitarbeiter

1. Spektrum der 1ntegrationsproblematik Der Verlauf der Verwaltungsintegration wird aus der hiesigen Perspektive durch ein außerordentlich breites Spektrum der Einstellungen von befragten Verwaltungsangehörigen geprägt. Innerhalb dieses Spektrums ergibt sich ein Spannungsbogen, der von einer durchaus positiven Würdigung der Verwaltungstätigkeit unter den neuen Systembedingungen bis hin zur hochgradigen Ablehnung des bürokratischen Verwaltungssystems westdeutscher Provenienz und damit verbundener Distanz gegenüber westlicher Verwaltungshilfe reicht. Im folgenden sollen aus dem erwähnten Spektrum die Aussagen ostdeutscher Verwaltungsmitarbeiter zum Recht als Steuerungsmedium, zum Umgang mit dem Verwaltungsverfahrensrecht und zur Verwaltungskontrolle durch Rechtsbehelfe und Klagen vor dem Verwaltungsgericht kommentiert werden. Im Hinblick auf diese ausgewählten Empiriedaten zeigt sich, daß zur "Außensicht" der Bürger auf das Verwaltungshandeln und -verfahren die "Innenansichten" des Verwaltungspersonals weitestgehend deckungsgleich stehen.

2. Verwaltungsrecht als Steuerungsmedium In den Befragungen erweist sich durchgehend die Anleitung des eigenen Verwaltungshandelns durch rechtliche Vorschriften als ein ambivalentes Faktum. Zwar werden die Rechtsgrundlagen teilweise als klar und verständlich bezeichnet, überwiegend aber als undurchschaubar und diffus kritisiert. Sowohl von östlichen als auch von westlichen Mitarbeitern wird gesprächsweise zum Ausdruck gebracht, daß es eine verwirrende Rechtsquellenvielfalt gebe. Dies hindert allerdings nicht, gleichzeitig zu bemängeln, daß Landesgesetzgebung und Ministerialverwaltung mit dem Erlaß von Gesetzen und von Rechtsverordnungen nicht nachkämen. Es ist die Rede von ,,Flickwerk" und von fehlenden ,,Netzwerken"; immer wieder wird aber auch das "neue" Recht als "übergestülpt" bezeichnet. Zahlreiche dieser und weiterer Aussagen zum Recht als Steuerungsmedium sollten allerdings mit Vorsicht gewertet werden. Schon der verwendete Rechtsbegriff erscheint häufig unklar, die Natur der Rechtsquellen - selbst die Unterscheidung legislativer und administrativer Normsetzung - wirkt noch diffus. Auch die Formenvielfalt des administrativen Binnenrechts erscheint nicht voll erschlossen. Es mag daher rühren, daß auf der kommunalen Ebene Förmlichkeit und Veröffentlichung des Satzungsrechts durchgängig nicht geWährleistet sind. Ein besonderes Problemkapitel dürfte die Bauleitplanung darstellen. Zwar werden die Möglichkeiten des § 246 a BauGB mit Erfolg genutzt. Doch wird das Fehlen von Bauleitplanungen allgemein beklagt. Als ein Hauptgrund dafür wird angegeben, daß die Kommunen kaum über hinreichende Finanzmittel für die Planung verfügten. Auch werden Planentwürfe an Private vergeben, doch 12*

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würden hierbei häufig, so heißt es, wegen mangelnder Rechtskenntnisse der Auftragnehmer Schwierigkeiten auftreten. Im übrigen wird immer wieder betont, daß bei der Übernahme alter Planungen Friktionen mit der Baunutzungsverordnung entstehen würden. Mancherlei Hinweise in den Gesprächen verdichten sich zu der Annahme, daß Planung überhaupt nur .punktuell oder "parallel" zur Bebauung stattfindet. Im übrigen wird berichtet, daß Abhängigkeiten von Investoren entständen und die kommunalen Planungsintentionen beeinträchtigten. In einem Kreis haben fast alle Gemeinden die eigenen Gewerbegebiete bereits ausgewiesen. Insgesamt zeigt sich, daß die rechtliche Bedeutung der Bauleitpläne nicht hinreichend bekannt ist. Daß Bürger die Auslegungsphase im Planverfahren nicht verstehen bzw. zu Interventionen nutzen, überrascht daher nicht.

3. Verständnis des Verwaltungsverfahrensrechts In einer Situation, in der zahlreiche Antworten der Gesprächspartner erkennen lassen, daß zwischen Gesetz und Sekundärliteratur nicht hinreichend unterschieden wird und es deshalb am Normbegriff überhaupt mangelt, steht das Verwaltungsverfahrensrecht in größter Gefahr, als "quantite negligeable" eingeschätzt zu werden. Bestätigung findet diese Vermutung in Antworten wie jenen, daß Verfahrensrecht kein Problem darstelle, weil der rechtliche "Durchlauf' in der Stadtverwaltung keine Schwierigkeiten bereite. Auch Hinweise darauf, daß keinerlei Verfahrensfehler und Verfahrensprobleme aufträten, weil der Bürger erst zum Sachbearbeiter und dann bei Ablehnung seines Begehrens zum Amtsleiter gehe, machen deutlich, daß Reichweite und Problematik des Verwaltungsverfahrensrechts von vornherein teilweise nicht erfaßt werden. Häufig leiten Antworten auf Nachfrage in materielle Rechtsprobleme über oder sie behandeln Verfahrensrecht, Formularsystem und Aktenführung synonym. Die rechtliche Bedeutung von Verfahrensbestimmungen für das Verwaltungsverfahren wird in der Regel also nicht verstanden. Es kann daher auch nicht erwartet werden, daß Kenntnisse über Verfahrensrecht und -pflichten bestehen. Dies verdeutlicht nicht nur der Hinweis eines Westmitarbeiters über die breite Unkenntnis des Sozialgesetzbuchs Teil I und X, sondern auch die Kritik einer Mitarbeiterin in einem Sozialamt, daß bei der Schulung zum Verwaltungsverfahrensrecht das Ordnungsamt dominiert und man nichts verstanden habe. Im übrigen demonstriert die weitere Bemerkung, daß Begründungen früher "unanständig" und teilweise auch untersagt waren, eine direkte Verbindungslinie des früheren Regelverständnisses zum heute praktizierten Verfahrensverständnis; Nachhalleffekte offenbaren sich insofern allerorten. Insbesondere übernommene Verwaltungsmitarbeiter, die in der früheren DDR in demselben Sachgebiet wie derzeit beschäftigt waren, scheinen zur Ansicht zu neigen, daß sich Probleme deshalb nicht stellten, weil die Verwaltungspraxis früher ähnlich gewesen sei. Verfahrens-

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fehler werden deshalb auch nur selten in ihrer unmittelbaren Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidungen geprüft. Diese hier nur knapp skizzierten Ergebnisse der Befragung belegen, daß sich fehlendes Wissen um die rechtliche Bedeutung des Verwaltungsverfahrens einerseits aus dem Unverständnis von der besonderen Rolle des Verfahrensrechts speist. Andererseits ergibt sich die allgemein zu verzeichnende Unterschätzung der Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts aus einem grundsätzlichen Mangel an Bewußtsein von der Bedeutung des Rechts überhaupt.

4. Verwaltungskontrolle durch Rechtsbehelfe Wenn bereits das allgemeine Verständnis für die Bedeutung von Recht wenig ausgeprägt erscheint, so sind Folgeprobleme in der Rechtsanwendung zu erwarten. Westliche Mitarbeiter bestätigen denn auch, daß allgemein die Aufbereitung von Tatbeständen schwer fällt und es Schwierigkeiten in der Subsumtion gäbe. Vor allem unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensnormen bereiten nach diesen Angaben in der Rechtsanwendung große Schwierigkeiten. Gleichwohl ausgeübtes Ermessen werde, so offenbaren Nachfragen, aus der "Natur der Sache" entwickelt - und zwar insbesondere dann, wenn der zuständige Mitarbeiter im fraglichen Verwaltungsbereich bereits vor der Wiedervereinigung tätig war. Der damit verbundenen Konsequenzen für die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen sind sich die befragten Verwaltungsmitarbeiter auch bewußt. Aus zahlreichen Gesprächen ergeben sich Hinweise darauf, daß Abhilfen häufig, so z. B. die Rücknahme von Verwaltungsakten auf der Grundlage von Widersprüchen, auf der Tagesordnung stehen. Indiz dafür sind auch Bemerkungen wie jene, daß man Fehler mit Zweitbescheiden korrigiere, daß Widersprüchen "im Vergleichswege abgeholfen" werde und auch, daß es noch nicht sehr viele Widersprüche gebe, weil die Bürger die "richtige" Rechtslage von selbst "einsähen". Nicht ausgeschlossen werden kann, daß tatsächlich viele Widersprüche unbegründet sind, weil die Bürger die Rechtslage bzw. ihre Erfolgsaussichten nicht einschätzen können. Allerdings bleibt vielen Mitarbeitern auch das in der Verwaltungsgerichtsordnung geregelte Widerspruchsverfahren unklar. Es mag daher kommen, daß immer wieder behauptet wird, Rechtsmittelbelehrungen würden von den Bürgern nicht verstanden, überhaupt nicht wahrgenommen oder die Bürger würden weiterhin Eingaben beim Ministerium einreichen. Gleichwohl wird allgemein bestätigt, daß zahlreiche Widersprüche in der Praxis vorliegen würden. Schwerpunkte sind offenkundig der Vermögens- und Baubereich. Aber auch in anderen Verwaltungsbereichen würden sich die Hinweise mehren, so heißt es, daß eine allgemeine Widerspruchswelle beginne. Damit steht nach allen Erfahrungen der Weg zu den Verwaltungsgerichten ins Haus. Bisher noch scheinen aber Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht eher zurückzutreten. Sie betreffen etwa die "Kioskwelle" und nun allmählich

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auch Werbeanlagen. Zahlenmäßig sind die Kommunen jedoch stärker in Arbeitsgerichtsprozesse verwickelt. In allgemeiner Hinsicht dürfte allerdings in der Verwaltung die Furcht vor Verwaltungsstreitigkeiten beträchtlich sein, weil und soweit der Vorschlag unterbreitet wird, Klageverfahren durch Rechtsänderung gänzlich auszuschließen.

VI. Bilanz: Zur Notwendigkeit eines Integrationsmanagements Die Bevölkerungsbefragung läßt in ihren Ergebnissen eine relativ große Unzufriedenheit der Bürger mit der Aufgabenpolifik der Kommunalverwaltung in den Feldern der kommunalen Wirtschafts förderung und sozialen Daseinsvorsorge erkennen. Viele Gesichtspunkte der Kritik dürften allerdings darauf zurückzuführen sein, daß die Bürger Ostdeutschlands die Normenflut und Bürokratisierung, wie sie aus dem Transfer des westdeutschen Verwaltungsrechts und der administrativen Orientierungsmuster folgen, als überaus belastend empfinden. Signifikant ist besonders die sehr gespaltene Akzeptanz des Bundesrechts auf der einen Seite, das mangelnde Vertrauen in die ,,neue" Verwaltung andererseits. Indem sie in ihrer Kritik am Verwaltungsverfahren der Verwaltung den Spiegel vorhalten, artikulieren die Befragten eine grundlegend andere Vorstellung von "öffentlicher Verwaltung", als sie in Westdeutschland praktiziert wird. Dies sollte vor allem den westdeutschen Verwaltungen zu denken geben. Sie haben zu überlegen, ob die hiesige "Verrechtlichung" des Aufgabenvollzugs und die hochgradige Bürokratisierung des Verwaltungsverfahrens noch den Bedürfnissen der Bürger entspricht. Die durch diese Feststellungen gekennzeichneten defizitären Verlaufslinien der Verwaltungsintegration werden aus der Sicht der Verwaltungsmitarbeiter weitgehend bestätigt, was Rechtsbewußtsein und Verfahrensverständnis anbelangt. Wie sollte auch das Recht für den Bürger in seiner Anwendung überschaubar sein, wenn die dafür verantwortlichen Verwaltungsmitarbeiter die "Qualität" von Recht selbst noch erkennen müssen und die Probleme der Rechtsanwendung weitgehend durch Pragmatismus lösen. So überfordert die Komplexität des legislatorischen und administrativen Regelwerks sowohl die Bürger als auch die Verwaltungsangehörigen in den neuen Bundesländern. Konsequent scheint daher die Schlußfolgerung, im Wege einer speziell auf Ostdeutschland beschränkten Rechtsvereinfachung den skizzierten Defiziten Rechnung zu tragen. Ein solches rein legislatorisches "Prisma" verkennt indessen - worauf sowohl die Bevölkerungsumfrage wie die Interviews der Mitarbeiter einheitlich hinweisen - , daß auch vereinfachtes Recht für den einzelnen Bürger durch die Verwaltung rechtsstaatlich korrekt umgesetzt werden und sozialstaatlich seine Erfüllung finden muß. Doch genau in diesen Bereichen liegen die wesentlichen Defizite. Angesichts der berichteten Brüchigkeit rechtsumsetzender Strukturen wie z. B.

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rechtlich geleiteter Entscheidungsfindung, hilft auch eine vereinfachte Nonngebung nicht weiter. Veränderungsstrategien im Übergang müssen deshalb und vielmehr den langfristigen Lernprozeß des Aufbaus eines Bewußtseins von Recht und von der Bedeutung des Verwaltungsverfahrens im Auge behalten. Hierzu muß der kurzfristig orientierte paternalistische Hilfeansatz des "Westens" in einen integrierten Ansatz der Personalentwicklung überführt werden. Immer notwendiger wird ein Integrationsmanagement, das den gesamten "Komplex" der Verwaltungsentwicklung in den neuen Bundesländern unter Einschluß des "helfenden" Partners im Westen als wechselseitigen Lernprozeß mit langfristigen Perspektiven ausgestaltet. Die Rechts- und Verwaltungstatsachenforschung lehrt uns, daß dieses zeitliche Moment im Integrationsmanagement eine entscheidende Rolle spielt.

Diskussion zu dem Referat von Rainer Pitschas und dem Statement von Frank-Hartmut Striening Leitung: Detlef Merten Bericht von Christian Koch

I.

Mit dem Referat von Pitschas sowie mit einem Statement von Frank-Hartmut Striening, ehemaliger Referatsleiter im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg, Potsdam, zu Problemen des Aufbaus der Sozialverwaltung bot sich eine tragfähige, empirisch unterfangene und angereicherte Diskussionsgrundlage, vornehmlich basierend auf der Erkenntnis, daß aus dem Transformationsprozeß längst ein umfassender Auftrag zur Verwaltungsintegration erwachsen ist. Zum einen hatte Striening die Notwendigkeit von Kompromißlösungen im Umgang mit einigen spezifischen Fragestellungen des Sozialleistungsrechts hervorgehoben und an Beispielen plausibel dargetan, wie über den westlich geprägten Umsetzungs-, Übersetzungs- und Überformungsprozeß hinaus in der Zusammenarbeit west- und ostdeutscher Mitarbeiter der Sozialverwaltungen zunehmend eine wechselseitige Auseinandersetzung mit den spezifischen Prägungen erkennbar wird - als Verständigungsbasis für die notwendige Verwaltungsintegration. Aus den verwaltungsorganisatorischen Anforderungen des "Flächenstaates" Brandenburg und angesichts der weit verbreiteten Erwartungshaltung gegenüber den Standards "westlicher" Leistungserbringung im Sozialbereich, einer Erwartung, der sich die ostdeutschen sozialpolitischen Ressorts und Sozialverwaltungen unmittelbar ausgesetzt sähen, ergäben sich überdies Spannungslagen zwischen politischem Programm und nach "westlichem" Standard sozial(verwaltungs)rechtlich vertretbaren Gestaltungsmöglichkeiten. Zum anderen hatte es Pitschas übernommen, die Aktzeptanzgrenzen schlichter Übertragungsversuche westlicher Institutionen und Organisationsmodelle in der Sicht der Betroffenen auch empirisch nachzuweisen, unter anderem mit dem Ergebnis, daß einem unbedingt, nachhaltig und beschleunigt eingesetzten integrativen Konzept gegenüber einseitig überformenden Lösungen Vorrang eingeräumt werden sollte. Denn zu besorgen sei, daß aus vorerst nur gespaltener Akzeptanz

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des westlichen Verwaltungsrechts heraus sich unterschiedliches Recht auch einzubürgern beginne. Aber nicht nur das Fortleben überkommener Strukturen, sondern auch die Überforderung selbst der motivierten Mitarbeiter angesichts hochgradiger Komplexität des Regelwerks insgesamt und im Hinblick auf die Verrechtlichung von Aufgabenbereich und Handlungsumfeld würden ein Integrationsmanagement unabdingbar erscheinen lassen, in dem die unterschiedlichen Verwaltungskulturen aufgabenbezogen zusammengeführt werden könnten.

11. Dieses Wechselspiel von Implementationsanforderungen und Integrationszielen aufnehmend betonte Dr. Hans-Michael von Heinz, Ltd. Verwaltungsdirektor, Bonn-Bad Godesberg, zunächst die echte Herausforderung, der sich das rechtsund sozialstaatsbezogene Wertesystem der "alten" Bundesrepublik nunmehr schon seit geraumer Zeit ausgesetzt sehe. Hervorzuheben und einzufordern sei - der Charakterisierung der Beamtenschaft als Träger institutionellen Lernens (Zacher) entsprechend - , daß die öffentliche Verwaltung diese Herausforderung auch annehme. Auf die von Striening geschilderten Fälle zur Erprobung weiterer ungewohnter Handlungsformen im Sozialleistungsrecht (Leistung unter Vorbehalt, vorläufige Leistung) eingehend, machte von Heinz auf Anwendungsprobleme aus der Fortgeltung vorkonstitutionellen ostdeutschen Rechts aufmerksam. Beispielsweise werde die in Art. 19 des Einigungsvertrags festgeschriebene grundsätzliche Fortgeltung von Entscheidungen, die vor Wirksamwerden des Beitritts getroffen worden sind, im Hinblick auf die §§ 44 ff. SGB X, dort vor allem § 48 Abs. 3, angesichts möglicher Perpetuierung von Unrecht bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung fragwürdig, sei aber in bestimmten Fällen nicht zu vermeiden. Gerade in der Akzeptanz des belastenden Verwaltungsakts könne sich - so nahm Amtsleiter Bernd Lange, Landratsamt Rudolfstadt, über das Sozialrecht hinausweisend vor allem die Eingriffsverwaltung in den Blick - die Überlegenheit von Integrationskonzepten gegenüber dem Transformationsgedanken zeigen. Auch an diesem Aspekt werde deutlich, daß ein neues staatliches Gebilde neue Anforderungen an alle Träger der öffentlichen Verwaltung stelle. Wenn man schon grundsätzlich frage, ob eine "neue Republik" entstanden sei, dann helfe nur noch ein Integrationskonzept als Antwort. Dies bedinge aber auch, sich intensiv mit ostdeutschen "Befindlichkeiten" auseinanderzusetzen: Angetreten mit dem Ziel, die erstarrte sozialistische Bürokratie bzw. parteiorientierte Kommandostruktur abzuschaffen, sehe man sich nun mit den komplexen Anforderungen westdeutscher Verwaltungsorganisation konfrontiert, mit einem vollkommen neuen institutionellen und insbesondere rechtlichen Kontext. Mißverständnisse und Fehleinschätzungen habe es auf beiden "Seiten" gegeben. So wies Merten auf die Gefahr hin, offenbare Unzufriedenheiten der ostdeut-

Diskussion

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sehen Bevölkerung, die das materielle (Leistungs- und Eingriffs-)Recht betreffen, könnten - in westlicher Einschätzung - als Unzufriedenheit mit der Bürokratie mißverstanden worden sein. Nach Ansicht von Ministerialdirigent Dr. Heinrich Heffter, Abteilungsleiter im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit, Dresden, könne Skepsis des Bürgers gegenüber der Verwaltung durchaus als Normalzustand angesehen werden. Gründe für eine Kumulierung der Unzufriedenheit, wie sie in den von Pitschas vorgetragenen empirischen Forschungsergebnissen deutlich werde, könnten in der allzu kurzfristigen Veränderung des gesamten Umfelds für Ostdeutschland liegen, insbesondere in der persönlichen Umstellung im Kontakt des betroffenen Bürgers mit der Verwaltung, die ohne Einarbeitungszeit mit einer Vielzahl von Verwaltungsvorgängen konfrontiert würde. Das methodische Problem der empirischen Erfassung dieser Unzufriedenheit liege allerdings - so Backhaus-Maul zu der Personalentwicklung im Integrationszusammenhang - auch im Zeitpunkt der Datenerhebung begründet: Im Februar 1992 sei der Personalaustausch, die "Rotation", noch in vollem Gange gewesen, die ostdeutschen Verwaltungsmitarbeiter noch zu sehr befangen in der Tradition der "DDR-(Personal-)Fürsorgeverwaltung", auch noch keineswegs nachhaltiger geprägt von Weiterbildungsmaßnahmen. Walz nahm den Gesichtspunkt "Verlust der homogenen Betreuungsgesellschaft" auf. Die neuen Chancen der Repräsentation würden vielfach noch eher als Mühsal empfunden, die vielfältigen Herausforderungen und unerfüllbaren Erwartungen führten häufig an Frustrationsgrenzen. Kompetenzkonflikte - behördenintern und zwischen Behörden - täten ein übriges. Auch entstünden diffizile Führungsprobleme in Fällen status- und qualifikationsbedingter Überund Unterordnung von westlichen gegenüber östlichen Verwaltungsmitarbeitern; ebenso seien Akzeptanzprobleme im Verhältnis von Ostverwaltungsmitarbeitern gegenüber westdeutschen Richtern erkennbar. Kooperativer Führungsstil, TeamBildung, Gruppenarbeit, Koordination lauteten hier die Integrations-Maßgaben, um diesen spezifischen Verwaltungs anforderungen intern und nach außen gerecht werden zu können. Gerade für die Aufgaben der Massenverwaltung fehlten überdies "Verfahrenschecklisten"; auch liege die Öffentlichkeitsarbeit (im Sinne einer Aufklärungsarbeit unter Einbezug aller Medien) brach. König ergänzte, an die Stelle von Versorgungsmentalität und Versorgungserwartung sei nunmehr eine gewisse Unbeholfenheit getreten, gepaart mit allgemeinem Unmut über die neue Situation. Näher zu untersuchen sei die mögliche "Stellvertreterfunktion" der öffentlichen Verwaltung in einer Vergleichsperspektive. M erten fragte nach vergleichbaren Aussagen zu den von Pitschas vorgeführten empirischen Erkenntnissen aus den alten Bundesländern. Lange bestätigte das Vorliegen entsprechender Untersuchungen und verwies im übrigen auf das ehemalige Eingabewesen, das als Parteiweg wohl eine Entlastungs- und Kanalisierungsfunktion wahrgenommen und überdies intern auch als System akzeptanz-

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Indikator gedient habe, aber keinesfalls signifikante Ähnlichkeiten mit Verwaltungsverfahren im rechtsstaatlichen Sinne aufweisen könne.

Emil Dollenbacher, Direktor a. D. der Datenzentrale Baden-Württemberg, Stuttgart, machte auf die - angesichts des in den östlichen Bundesländern allzu frischen Eindrucks einer exzessiv Daten zu Repressionszwecken sammelnden Verwaltung - noch ungewohnte Begegnung des Bürgers mit einer modemen datengestützten Verwaltung westlichen Musters aufmerksam. Landrätin Andrea Fischer, Kamenz, betonte einmal mehr die defizitäre Informationslage der Bürger über die Verwaltung. Zu wenig werde allenthalben berücksichtigt, daß man zwar ein neues Verwaltungsverfahrensrecht erhalten habe, keineswegs aber auf allen Ebenen auch eine personell erneuerte Verwaltung. III. Resümierend lenkte Striening den Blick auf die Defizite im Aufbau eines für den funktionstüchtigen Sozialstaat unentbehrlichen Verbändewesens; bisher habe man sich noch auf die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Errichtungsbeauftragten der Verbände beschränken müssen. Typische Verbandsaufgaben seien etwa allgemeine Aufklärung über das materielle Recht, ein gewisses Maß an "Zuarbeit" (Unterstützung der Bürger bei der AntragsteIlung, Bereithalten von Formularen und Informationsunterlagen), Möglichkeiten des Engagements und der persönlichen Begegnung. Striening betonte die Bedeutung dieses Implementationsfaktors.

Pitschas ging in seinem Schlußwort zunächst ebenfalls aufImplementationsfragen ein. Entscheidend komme es darauf an, die verschiedenen Wahmehmungshorizonte zu erkennen, die man bisher nicht zu einer gemeinsamen Perspektive habe vereinen können; der sich hier andeutende Defekt bedürfe sorgfältiger, auf Rechtstatsachenforschung gegründeter Analyse. Verwaltungsintegration könne auch eine Wiederaufnahme der Reformdiskussion bedeuten, mit dem Ziel, das westliche Verwaltungsverfahrensrecht auf dem "Umweg" über die spezifischen Belange Ostdeutschlands zu vereinfachen. Eine neue Dimension gewinne dieser Fragenkreis auch im Hinblick auf die aller Voraussicht nach drohende Widerspruchswelle. Verwaltungsintegration entstehe in der Begegnung mit dem Bürger; hierzu gehöre auch eine gewisse Stellvertreter-Funktion der Verwaltungsmitarbeiter. In dieser Lage erwiesen sich Personalausbildung und Personalfortbildung als zentrale Elemente des Integrationsmanagements. Nicht zuletzt sei die Anwendung des Verwaltungsverfahrensrechts auch ein Problem der Personalführung.

DRITTER TEIL

Verwaltungspersonal als "Humanressource" im Integrationsprozeß

Verwaltungskultur in Ostdeutschland Empirische Befunde und personalpolitische Ansätze zur Akkulturation ostdeutscher Verwaltungsmitarbeiter Von Christoph Reichard und Eckhard Schröter

A. Einleitung I. Die kulturelle Dimension der Verwaltungstransformation Im Rahmen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umgestaltung im Osten Deutschlands sind die dortigen Landes- und Kommunalverwaltungen mit einem enormen Problemlösungsdruck und einem in quantitativer wie qualitativer Hinsicht immensen Steuerungsbedarf konfrontiert. Nur selten erhält man so eindrucksvolle Beweise für die Notwendigkeit einer effizienten und effektiven Wahrnehmung der ordnenden, leistenden und planerischen Verwaltungsfunktionen wie in der gegenwärtigen Situation. Eine Würdigung der gegenwärtigen Rolle der ostdeutschen Verwaltung sowie ihrer bisherigen Leistungen darf jedoch nicht den fundamentalen Umgestaltungsprozeß außer acht lassen, in dem sich die administrativen Systeme der neuen Bundesländer selbst befinden - ein Prozeß, der als "Transformationsprozeß der realsozialistischen in eine klassisch-europäische Verwaltung" charakterisiert werden kann I. ZU recht wird in der aktuellen Phase des Um- und Neubaus der Verwaltung dem "institution building" ein hoher Stellenwert in der Verwaltungspraxis wie auch in der wissenschaftlichen Reflexion eingeräumt. Darunter sind nicht allein Fragen der Verwaltungsorganisation, sondern, folgt man einem weiten Institutionenverständnis, auch Aspekte der Normierung des Verwaltungshande1ns zu 1 Siehe zu dieser Charakterisierung K. König, Verwaltung im Übergang Vom zentralen Verwaltungsstaat in die dezentrale Demokratie, in: Die öffentliche Verwaltung 1991, S. 177 - 184. Zu den Grundzügen dieses administrativen Transformationsprozesses vergleiche auch R. Pitschas, Verwaltungsentwicklung in den neuen Bundesländern, in: Deutsches Verwaltungsblatt 1991, S. 457-466, und ders. (Hrsg.), Rechtsvereinheitlichung und Verwaltungsreform in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1991 (Band 12 der Schriften des WIÖD). Zum Typus der "Kaderverwaltung" vergleiche in der Hauptsache B. Balla, Kaderverwaltung, Stuttgart 1972; W. Lipp, Bürokratische, partizipative und Kaderorganisation als Instrument sozialer Steuerung, in: Die Verwaltung 1978, S. 3-25, sowie K. König (Hrsg.), Verwaltungs strukturen der DDR, Baden-Baden 1991.

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Christoph Reichard und Eckhard Schröter

verstehen 2 • Das Schwergewicht institutioneller Fragestellungen in der gegenwärtigen verwaltungspolitischen Agenda ist unschwer zu erkennen: Nach dem Aufbau der ostdeutschen Länderverwaltungen und neben der Problematik der Finanzierung öffentlicher Haushalte gehört die Etablierung von Verwaltungsverfahren und von neuen Kommunalverfassungen sowie die bereits in Angriff genommene kommunale Gebietsreform zu den dominierenden Themen. Darüber hinaus fällt auf, daß auch die personellen Probleme der zu bewältigenden Verwaltungsintegration überwiegend aus der institutionellen, nämlich der dienst- und tarifrechtlichen Perspektive betrachtet werden. Das berechtigte Interesse an den strukturellen Aspekten des administrativen Systemwandels in den ostdeutschen Ländern darf jedoch nicht den Blick für die kulturelle Dimension des gegenwärtigen Transformationsprozesses verstellen, die sich vor allem in den sozialpsychologischen Besonderheiten und Problemen des ostdeutschen Verwaltungspersonals äußert. Bei Betrachtern der wirtschaftlichen Entwicklung Ostdeutschlands setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, daß die Bedeutung der psychologischen Unterschiede zwischen den ehemals deutschen Teilstaaten für den Aufbau einer marktwirtschaftlich orientierten Volkswirtschaft - vor allem in der Anfangsphase des Vereinigungsprozesses - sehr stark vernachlässigt worden ist 3• Die Mentalitätsunterschiede zwischen Ost und West sind viel ausgeprägter als wir bisher angenommen haben. Sie stellen in immer stärkerem Ausmaß ein wesentliches Hemmnis im Vereinigungsprozeß dar. Das eigentliche Problem der deutschen Vereinigung wird denn auch vielfach in den individuellen Akteuren gesehen, "die Erwartungen und Werte, Wünsche und Vorstellungen sowie Erfahrungen und Wissen in diesen Transformationsprozeß einbringen"4. Implizit wird damit der Grundannahme sozialpsychologischer Forschung Rechnung getragen, daß in den kognitiven und evaluativen Verhaltensdispositionen von Menschen ein wesentlicher Bezugsrahmen für das tatsächliche Verhalten zu sehen ist. Neben dem wahrnehmungs- und verhaltenssteuernden Potential dieser subjektiv-psychologischen 2 Vergleiche zur Rolle des Verwaltungsrechts im Transformationsprozeß insbesondere Pitschas (Rechtsvereinheitlichung, 1991). 3 Siehe I. Stratemann, Psychologische Bedingungen des wirtschaftlichen Aufschwungs in den neuen Bundesländern, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/92, S. 15-26, S. 15. 4 Siehe R. Münch, Innovation oder Anpassung Besonderheit der Unternehmensführung in Ostdeutschland, in: Deutschland-Archiv 1992, S. 820-828, S. 820. Eine ähnliche Perspektive nimmt Reineke ein, der in den kulturellen Differenzen zwischen West und Ost ein Haupthindernis bei der wirtschaftlichen Integration der neuen Bundesländer sieht (siehe R.-D. Reineke, Anpassung west- und ostdeutscher Unternehmenskulturen - eine konzeptionelle Analyse, in: G. Aßmann / K. Backhaus / J. Hilker (Hrsg.), Deutsch-Deutsche Unternehmen, Stuttgart 1991, S. 37 - 50, S. 40). Vereinzelt wird sogar "die vollkommene Umgestaltung der Mentalität der Menschen" zur wichtigen Transformationsaufgabe erklärt (siehe "Im Niemandsland zwischen Plan und Markt", in: Die Zeit v. 1. 11. 91, S.45).

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Denk- und Orientierungsmuster ist es gerade der zeitüberdauernde Charakter der Werte und Einstellungen, der sie in besonderer Weise geeignet erscheinen läßt, die Nachwirkungen der DDR-Sozialisation und damit die Kontinuität im Transformationsprozeß zu repräsentieren. 5 Dieser Problemsicht entspricht in der hier zur Diskussion stehenden Studie ein Untersuchungskonzept, das sich vorrangig den mentalen Orientierungsmustern der Handelnden widmet, d. h. ein kulturorientierter Forschungsansatz. Dabei ist zunächst der Suggestivkraft des schillernden Kulturbegriffs zu widerstehen und eine sinnvolle Operationalisierung des Begriffs vorzunehmen. In Anlehnung an die dominierende politologische Begriffsbestimmung 6 und an eine breite Strömung innerhalb der Organisationswissenschaft 7 sollen im folgenden unter "Kultur" einer Verwaltung die jeweils vorherrschenden, tätigkeits- und organisationsrelevanten Einstellungen und Werthaltungen der Verwaltungsmitglieder verstanden werden 8. Der Kulturansatz, der inzwischen in der betriebswirtschaftlichen Disziplin für ein ganzes "Forschungsprogramm" (Organisationskultur) steht, findet zunehmend auch Eingang in die verwaltungswissenschaftliche Diskussion. Dabei erscheint es in Anbetracht der gegenwärtigen Situation in Deutschland besonders wichtig, der Frage nachzugehen, "how nonmaterial value systems may fail to keep in step with the material realities of constant change in public organizations"9. Dem Aufspüren einer solchen Dissonanz zwischen Strukturen und handlungsleitenden Wertorientierungen wäre besondere Beachtung zu schenken, da es für die effiziente Funktionsweise und Stabilität eines Systems notwendig erscheint, eine den Funktionsbedingungen des Systems adäquate "Systernkultur" zu etablieren. Offensichtlich bot der abrupte und tiefgreifende gesamtgesellschaftliche Wandel in Ostdeutschland noch nicht die Möglichkeit, diese Voraussetzungen zu erfüllen. Es liegt daher die Vermutung nahe, unter dem einheitlichen 5 Grundsätzlich zu den Ergebnissen soziologischer und sozialpsychologischer Wertund Einstellungsforschung vergleiche H. Klages / P. Krnieciak (Hrsg.), Wertewandel und gesellschaftlicher Wandel, Frankfurt / M. 1979, und H. Klages / H.-I. Hippier (Hrsg.), Werte und Wandel, Frankfurt/M. 1992. 6 Siehe dazu vor allem die klassische Arbeit von G. Almond / S. Verba, The Civic Culture, Princeton 1965. Vergleiche auch M. Kaase, Sinn oder Unsinn des Konzepts "Politische Kultur" für die verglvichende Politikforschung, oder auch: Der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln, in: M. Kaase / H.-D. Klingemann (Hrsg.), Wahlen und politisches System, Opladen 1983, S. 144-171; F.-U. Pappi, Politische KulturForschungsparadigma, Fragestellung, Untersuchungsmöglichkeiten, in: M. Kaase (Hrsg.), Politische Wissenschaft und politische Ordnung, Opladen 1986, S.279-291, sowie die Beiträge im PVS-Forum "Politische Kultur" (1980). 7 Einen Überblick über diese Forschungsrichtung liefern insbesondere M. Ebers, Organisationskultur: Ein neues Forschungsprogramm, Wiesbaden 1985; H. Kasper, Organisationskultur: Über den Stand der Forschung, Wien 1987; E. Heinen, Unternehmenskultur, München 1987; E. Dülfer (Hrsg.), Organisationskultur, Stuttgart 1991. 8 Zu dieser und anderen Konzeptionen der "Verwaltungskultur" siehe W. Jann, Staatliche Programme und Verwaltungskultur, Opladen 1983. 9 Siehe J. E. Rouse, Perspectives on Organizational Culture: An Emerging Conscience for Public Administration, in: Public Administration Review 1990, S. 479-485, S. 480.

13 Speyer 110

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Christoph Reichard und Eckhard Schröter

rechtlichen und organisatorischen Dach der öffentlichen Verwaltungen in Deutschland noch zwei grundsätzlich verschiedene Verwaltungskulturen vorzufinden.

11. Zur Problematik des öffentlichen Dienstes in den neuen Bundesländern Zahlreiche politische Verlautbarungen, Klagen von Bürgern und Erfahrungen von Unternehmern machen seit langem darauf aufmerksam, daß die Steigerung der LeistungsHihigkeit der öffentlichen Verwaltung in den neuen Ländern als ein zentrales Problem der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation angesehen werden muß. Die Verwaltung wird - sicherlich nicht stets gerechtfertigt - für viele Schwierigkeiten und Hemmnisse im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbauprozeß verantwortlich gemacht. Beispiele, wie die Klärung von Grundstückseigentumsansprüchen oder die Erteilung von Baugenehmigungen, belegen diese Problematik nachdrücklich. Die Blockierfunktion der Verwaltung wird im wesentlichen auf zwei Kerndefekte zurückgeführt: -

auf das aus den alten Bundesländern weitgehend unverändert transferierte Rechts- und Verwaltungssystem mit seinen komplexen Programmen und Instrumenten, die nicht immer auf die spezifischen Aufbauprobleme des Ostens zugeschnitten und durch einen hohen Grad an Verrechtlichung gekennzeichnet sind;

-

auf die mangelnde Fähigkeit des östlichen Verwaltungspersonals, mit diesen transferierten Normen und Instrumenten unter westlichen Systembedingungen souverän und zügig umzugehen.

Das Verwaltungspersonal in den neuen Ländern ist also zu einem Schlüsselfaktor der administrativen Leistungsfähigkeit geworden 10. Inzwischen beginnt man zunehmend zu erkennen, daß man sich dem geschilderten Engpaß von zwei Seiten her nähern muß: zum einen durch eine forcierte Qualifizierungskampagne, zum anderen durch Anpassung des rechtlichen und administrativen Instrumentariums, d. h. in erster Linie durch Vereinfachung von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften (Bsp.: Planungsrecht) und durch Förderung der "Entscheidungsfreude" im Wege einer Milderung haftungsrechtlicher Vorschriften. Man muß sich vor Augen führen, daß sich das Verwaltungspersonal in Ostdeutschland in einer schwierigen Lage befindet, in der "schnelle Lösungen" kaum zu erwarten sind 11. Zwar ist im öffentlichen Dienst bislang - etwa im Vergleich 10 Vergleiche in diesem Sinne auch R. Pitschas, Verwaltungsreform und Reorganisation des öffentlichen Dienstes als Erfolgsbedingungen der Rechtsvereinheitlichung, in: ders. (Rechtsvereinheitlichung, 1991), S. 16-41. 11 Vergleiche zur Situation des öffentlichen Dienstes in den neuen Ländern z. B. H.U. Derlien, Integration der Staatsfunktionmäre der DDR in das Berufsbeamtentum:

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zur Wirtschaft - ein großer Teil des früheren DDR-Personals weiterbeschäftigt worden. Lediglich auf der Ebene der Führungskräfte hat es in mehreren Schüben - beginnend bereits in der Modrow- und De Maiziere-Ägide - einen kräftigen Personalaustausch gegeben 12. Dennoch gibt es bis heute starke Unsicherheiten im Hinblick auf die endgültige Übernahme in den öffentlichen Dienst und den künftigen Status. Auch die - aus Sicht der Mitarbeiter häufig zu niedrige laufbahnmäßige Einstufung sowie die (Nicht-)Anerkennung von Vordienstzeiten bzw. von Berufsabschlüssen sorgen vielfach für Verdruß. Die Mitarbeiter müssen sich sozusagen "über Nacht" auf das westliche Verwaltungssystem mit seinen neuen Regelungen und Strukturen umstellen. Die dazu gebotenen Qualifizierungsangebote reichen weder quantitativ noch qualitativ aus 13. Vor allem in ihrer sozialpsychologischen Befindlichkeit nehmen die Mitarbeiter jedoch Beeinträchtigungen und Frustrationen wahr: Sie sind durch Identitätsverluste und anhaltende politische Überprüfungsprozesse verunsichert, empfinden immer stärker den Zusammenbruch des alten, vertrauten Wertsystems und müssen sich in fremdartige (westliche) Kooperations- und Verhaltensmuster hineinfinden. Diese Probleme dürften in der kommenden Zeit nicht einmal wesentlich geringer werden. Mit dem Auslaufen von "Warte schleifen" -Regelungen und zahlreichen ABM-Verträgen sowie mit den demnächst anstehenden Auseinandersetzungen um Übernahme, Status und Eingruppierung stehen einige ernsthafte personalbezogene Konflikte ins Haus. Dies führt im Verein mit einem spürbar nachlassenden "UmbauElan" der Nachwendezeit und mit zunehmenden finanziellen Engpässen zu ernstzunehmenden personalpolitischen Herausforderungen in den kommenden Jahren.

Professionalisierung und Säuberung, in: W. Seibel u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrefonn und Verwaltungspolitik im Prozeß der deutschen Einigung, Baden-Baden 1993, S. 190 ff.; K. König, Verwaltung im Übergang. Vom zentralen Verwaltungsstaat in die dezentrale Demokratie, in: Die öffentliche Verwaltung 1991, S. 177 -184; H. LecheIer, Der öffentliche Dienst in den neuen Bundesländern - die Lösung neuer Aufgaben mit alten Strukturen?, in: Zeitschrift für Beamtenrecht 1991, S.48-51; G. Pütfner, Die Zukunft des öffentlichen Dienstes im vereinigten Deutschland, in: Deutsches Verwaltungsblatt 1992, S.204-207; C. Reichardl M. Röber, Was kommt nach der Einheit? Die öffentliche Verwaltung in der ehemaligen DDR zwischen Blaupause und Refonn, in: G.-J. Glaeßner / R. Reißig (Hrsg.), Von der staatlichen zur sozialen Einheit. Berlin 1993 (im Erscheinen); W. Seibel, Verwaltungsrefonn in den ostdeutschen Bundesländern, in: Die öffentliche Verwaltung 1991, S. 198-204; H.-D. Weiß , Wiedereinführung des Berufsbeamtenturns im beigetretenen Teil Deutschlands, in: Zeitschrift für Beamtenrecht 1991, S. 1-7; H. Wol/mann, Kommunalpolitik und -verwaltung in Ostdeutschland: Institutionen und Handlungsmuster im "paradigmatischen" Umbruch, in: B. Blanke (Hrsg.), Staat und Stadt (PVS-Sonderheft 22), Opladen 1992, S. 237-258. 12 Vergleiche dazu M. Benjamin, System Change, Transfonnation of Administrative and Personnel Management, Papier zum XXII. Internationalen Kongreß der Verwaltungswissenschaften des International Institute of Administrative Sciences, Wien 1992. 13 Vergleiche zur Bestandsaufnahme den Beitrag von Regine Ehrhardt in diesem Band. 13*

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IH. Eine empirische Analyse der ostdeutschen Verwaltungskultur Der seit der "Wende" laufende administrative Transfonnationsprozeß ist auch für die Verwaltungs wissenschaften eine säkulare Chance. Dementsprechend sind - zunächst nur zögernd, aber nunmehr auf breiterer Front - eine ganze Reihe an Forschungsbemühungen inganggesetzt worden, um den Transfonnationsprozeß und seine Ergebnisse kritisch zu untersuchen 14. Angesichts der Bedeutung, die der in Ostdeutschland vorhandenen resp. sich herausbildenden Verwaltungskultur zukommt, erscheint eine Untersuchung der prägenden Merkmale dieser Verwaltungskultur - und damit der Muster der unter administrativen Akteuren vorherrschenden Einstellungen und Rollenverständnisse - von besonderem Interesse. Dieser Fragestellung widmet sich ein Forschungsvorhaben, aus dem nachfolgend einige Befunde berichtet werden sollen 15. In diesem Projekt sind Werthaltungen und Einstellungen von Führungs14 Grundlegend zum deutschen Vereinigungsprozeß vergleiche G. Lehmbruch, Die improvisierte Vereinigung. Die dritte Republik, in: Leviathan 1990, S. 462-486; ders., Die Deutsche Vereinigung: Strukturen und Strategien, in: Politische Vierteljahresschrift 1991, S.585-604. Vergleiche auch die Beiträge in B. Giesen/C. Leggewie (Hrsg.), Experiment Vereinigung, Berlin 1991, sowie W. Seibel, Necessary Illusions: The Transformation of Governance Structure in the New Germany, in: The Tocqueville Review 1992, S. 177 -197. Vergleiche auch die im Rahmen des DFG-Schwerpunktes "Sozialer und politischer Wandel im Zuge der Integration der DDR-Gesellschaft" sowie die von der "Kommission für sozialen und politischen Wandel" geförderte sozialwissenschaftliche Forschung. 15 Das Forschungsprojekt "Verwaltungseliten in Ost und West" wurde von 1990 bis 1992 unter der Leitung von Prof. Dr. C. Reichard und Prof. Dr. M. Röber von Dipl.Pol. E. Schröter, MSc, im Rahmen der Berlin-Forschung der Freien Universität Berlin bearbeitet. Vorläufige Ergebnisse wurden bereits in M. Röber I E. Schröter, Verwaltungsführungskräfte aus Ost und West - ein Vergleich ihrer Rollenverständnisse und Werthaltungen, in: Th. Ellwein u. a. (Hrsg.), Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1991 (Bd. 5), Baden-Baden 1991, S. 209-226; C. Reichard I E. Schröter, Berliner Verwaltungseliten - Rollenverhalten und Einstellungen von Führungskräften in der (Ostund West-)Berliner Verwaltung, in: W. Seibel u. a. (Hrsg.), Verwaltungsreform und Verwaltungspolitik im Prozeß der deutschen Einigung, Baden-Baden 1993, S. 207 ff., und E. Schröter, Was trennt Bürokraten in einer vereinigten Bürokratie?, in: G.-J. Glaeßner / R. Reißig, Von der staatlichen zur sozialen Einheit, Berlin 1993 (im Druck), veröffentlicht. Zentraler Ausgangspunkt für unsere theoretische und empirische Konzeption waren dabei die in der Tradition von R. D. Putnam, Die politischen Einstellungen der Ministerialbeamten in Westeuropa, in: Politische Vierteljahresschrift 1976, S. 2361, und J. D. Aberbachl R. D. Putnaml B. A. Rockmann, Bureaucrats and Politicians in Western Democracies, Cambridge (Mass) 1981, stehenden Arbeiten zum beruflichen Selbstverständnis von Ministerialbeamten. Für die deutsche Bundesverwaltung siehe aktuell dazu R. Mayntz I H.-U. Derlien, Party Patronage und Politization of the West German Administrative Elite 1970-1987 - Toward Hybridization?, in: Governance 1989, S.384-404, und J. D. Aberbach I H.-U. Derlien I R. Mayntz I B. A. Rockman, American and German Federal Executives - Technocratic and Political Attitudes, in: International Social Science Journal 1990, S. 3 - 18. Darüber hinaus vergleiche die Arbeiten von C. Campbell, Government under Stress, London 1984; P. Grottian, Strukturpro-

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kräften der (Ost- und West-)Berliner Verwaltung untersucht worden. Insgesamt konnten im Rahmen dieser Untersuchung 100 Interviews 16 mit Abteilungs- und Referatsleitern aus beiden Teilen der Stadt in einem Zeitraum geführt werden, der sich von Herbst 1990 bis Mitte 1991 erstreckte, also noch vor der formalen Vereinigung der Verwaltungen in Berlin begann 17. Als empirisches Feld wurden sieben Verwaltungsressorts des Ost-Berliner Magistrats sowie des Senats von West-Berlin so ausgewählt, daß durch unsere Untersuchungseinheiten eine möglichst weite Spanne von Politikfeldern und Verwaltungsaufgaben abgedeckt wurde. Demnach umfaßte unsere Zielgruppe sowohl Mitarbeiter aus drei technisch-planerisch ausgerichteten Verwaltungszweigen als auch aus Senats- und Magistratsbehörden, denen die Vorbereitung und Durchführung von eher gesellschaftspolitisch orientierten Verwaltungsprogrammen oblag. Schließlich wurde mit der Senatskanzlei auch eine "zentrale Verwaltungseinheit" miterfaßt. Innerhalb dieser Verwaltungen konzentrierten wir uns - in Anbetracht ihrer bestimmenden Rolle bei der Gestaltung und Weitervermittlung einer Organisations- bzw. Verwaltungskultur - auf die mittleren und oberen Führungskräfte (Referats- und Abteilungsleiter). Gerade die Inhaber der hier untersuchten Ränge nehmen als vermittelndes "Scharnier" zwischen politischer und administrativer Ebene eine entscheidende Stellung in der Verwaltungshierarchie ein, in der ihnen zudem - in Anbetracht der Funktionen moderner Spitzenbürokratien - ein nicht zu unterschätzendes Gewicht im politisch-administrativen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß zukommtI 8 • Zugleich sind

bleme staatlicher Planung, Hamburg 1974, und B. Steinkemper, Klassische und politische Bürokraten in der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1974. 16 Dabei haben wir in der Hauptsache auf die von H.-U. Derlien I R. Mayntz, Einstellungen der politisch-administrativen Elite des Bundes 1987, Bamberg 1988, verwendeten Instrumente zurückgegriffen, die mit Blick auf unsere spezielle Fragestellung adaptiert wurden. 17 Die Verwaltungseinheit in Berlin brachte für fast alle unserer Ost-Berliner Gesprächspartner eine Herabstufung in der Verwaltungshierarchie mit sich. Um eine Verzerrung der Daten zu vermeiden, wurden daher die speziell auf die Aufgaben von Führungskräften gerichteten Fragen in allen Gesprächen auf den Herbst 1990 bezogen, als die West-Berliner Senats- und die Ost-Berliner Magistratsverwaltung noch parallel existierten. Weitere vergleichende Erkenntnisse zur Verwaltungskultur in Deutschland wurden durch Befragungen von leitenden Mitarbeitern des Bundesverkehrsministeriums und dessen ehemaligen DDR-Pendants, die analog zur Erhebung in der Berliner Verwaltung durchgeführt wurden, gewonnen. Diese Daten (vergleiche dazu auch E. Schröter, Verwaltungsführungskräfte aus Ost und West - Datenreport Bund, Heft 26 der Beiträge aus dem PB 1 der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege (Berlin 1992» bleiben jedoch bei der folgenden Präsentation, obgleich sie deren Grundaussagen uneingeschränkt unterstützen, weitgehend unberücksichtigt. 18 Zur Rolle der Ministerialverwaltung im Policy-Making-Prozeß vergleiche R. Mayntz , Problemverarbeitung durch das politisch-administrative System, in: J. J. Hesse (Hrsg.), Politikwissenschaft und Verwaltungswissenschaft, PVS-Sonderheft 13, Opladen 1982, S. 74-89; dies., Politisierung der Bürokratie, in: H.-H. Hartwich (Hrsg.), Gesell-

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sie für eine Mehrzahl von Mitarbeitern direkt verantwortlich und beeinflussen deren Sozialisation in den Verwaltungsapparat maßgeblich. Aufgrund ihrer Vorbildfunktion agieren die Führungskräfte nicht selten als "Sinnproduzenten", deren Verhaltensweisen und Situationsdeutungen die Handlungen der anderen Organisationsmitglieder steuern 19.

B. Befunde zur Verwaltungskultur in Ostdeutschland 20 I. Soziodemographischer Hintergrund der Führungskräfte aus Ost- und West-Berlin Bevor die charakteristischen Merkmale der Verwaltungskultur in den betrachteten Behörden erörtert werden sollen, erscheint es angebracht, ein kurzes soziostrukturelles Profil der Ost- und West-Berliner Befragungsteilnehmer zu skizzieren. Diese Angaben zum sozial-demographischen Hintergrund der Stichprobenmitglieder bringen uns bei Fragen über die typischen Selektionsprozesse in den jeweiligen Gesellschaftsformen einer Antwort näher und können auch bei Versuchen, die Entwicklung vorgefundener Einstellungsmuster zu erklären, hilfreich sein. Soziale Zusammensetzung der Stichproben: Die soziale Zusammensetzung der Führungsschicht in der West-Berliner Verwaltung bestätigt weitgehend die Erkenntnisse aus früheren verwaltungssoziologischen Untersuchungen 21. Dazu ist auch der Umstand zu rechnen, daß höhere Positionen beinahe ausnahmslos, d. h. in 93 % unserer Fälle, von Männern besetzt sind. Dagegen lag der Prozentanteil von leitenden Mitarbeiterinnen in der Magistratsstichprobe mit 28 % um ein Mehrfaches höher. Eine beachtliche Differenz zwischen den beiden Untersuchungsgruppen tritt auch zu Tage, wenn das Augenmerk auf die soziale Herkunft gerichtet wird. Legt man als Maßstab die Ausbildung und den beruflichen Status schaftliche Probleme als Anstoß und Folge von Politik, Opladen 1983, S. 475-486; G.

Schmidt / H. Treiber, Bürokratie und Politik, München 1975, und W. lann, Verwaltung

im politischen Prozeß, in: Verwaltungsrundschau 1984, S. 37-43. 19 Vergleiche dazu die Einschätzung dieser Führungskräfte als "culture carriers" bei l. labes / D. Zussmann, Organizational Culture in Public Bureaucracies, in: International Review of Administrative Sciences 1989, S. 95 -115, 98. 20 Wenngleich sich die folgenden empirischen Befunde häufig auf die besondere Konstellation des Umbaus der Berliner Senatsverwaltung beziehen und daher einzelne Aspekte (vor allem mit Blick auf die Integration des Verwaltungspersonals) in den Ministerial- oder Kommunalverwaltungen der neuen Länder davon abweichen mögen, wird hier - aufgrund des Abgleichs mit anderen empirischen Untersuchungen in den neuen Ländern - die Auffassung vertreten, daß die im folgenden dargestellten Grundzüge einer "ostdeutschen Verwaltungskultur" einen ausreichenden Allgemeinheitsgrad besitzen. 21 Vergleiche für die höheren Funktionsträger der Bundesverwaltung H. -U. Derlien, Wer macht in Bonn Karriere?, in: Die Öffentliche Verwaltung 1990, S. 311-319, S. 313.

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der Eltern zugrunde, so entstammt etwa die Hälfte der Führungskräfte aus dem Westteil der Stadt einem Haushalt der oberen Mittelschicht bzw. Oberschicht, während dies nur für jeden vierten Ost-Berliner Befragten zutrifft. Dieses Unterscheidungskriterium verliert jedoch bei der jüngeren Generation zunehmend an Relevanz. Daß diese Generation in den Reihen der befragten Magistratsmitarbei ter geringfügig stärker repräsentiert ist, kann überwiegend als Folge der Personalfluktuation nach dem Zusammenbruch des alten Regimes und der darauffolgenden Karrieresprünge einiger Mitarbeiter interpretiert werden. Ausbildung und berufliche Werdegänge: In den von uns untersuchten Hierarchiestufen einer westlichen Landesverwaltung bzw. einer ehemaligen DDR-Bezirksverwaltung konnte auf beiden Seiten des ehemals Eisernen Vorhangs ein hohes formales Bildungsniveau festgestellt werden 22 • In den überwiegend technisch-planerisch ausgerichteten Verwaltungsbereichen wurden die Führungskräfte darüber hinaus auch ganz überwiegend aus denselben Professionen, nämlich denen der Architekten und Ingenieure, rekrutiert 23 • Im nicht-technischen Verwaltungsdienst bestehen diese deutlichen Übereinstimmungen jedoch nicht; vielmehr treten einige spürbare Diskrepanzen in den jeweiligen Ausbildungsinhalten des Leitungspersonals hervor. Die in der West-Verwaltung dominierenden juristisch oder in Verwaltungskunde ausgebildeten Mitarbeiter fehlten in der Ost-Berliner Administration nahezu völlig. Vergleichsweise stark waren dagegen in unserem Magistrats-Sample Absolventen geistes- und sozial wissenschaftlicher Studiengänge repräsentiert, deren Fachausbildung (z. B. Wirtschafts-, Erziehungs- oder Kulturwissenschaften) im Regelfall einen engen inhaltlichen Bezug zum Gegenstand ihrer Verwaltungsaufgaben im DDR-System aufwies. Diese Ergebnisse offenbaren einerseits den ernsthaften Mangel an rechtswissenschaftlicher Kompetenz und fachlicher Verwaltungsausbildung 24 unter ostdeutschen Administratoren. Andererseits warnen sie jedoch davor, pauschal an der Qualifikation ehemaliger DDR-Verwaltungskader Kritik zu üben. Neben den vorherrschenden Ausbildungsrichtungen weicht auch der typische Ausbildungsweg der befragten Ost-Berliner Verwalter vom bekannten westdeutschen Muster ab. So sind Ausbildungsgänge, die vom Facharbeiterbrief über den Fachschulabschluß bis zum Universitätszeugnis oder der Promotionsurkunde reichen, nicht die Ausnahme. In vielen Fällen wurde diese aufsteigende Qualifikation durch nachträgliche Delegierung zum Studium oder durch Fernstudien ermöglicht, so daß ein interessanter Aspekt dieser Werdegänge in der Verknüpfung 22 Dabei lag der Anteil der Promovierten in der Magistratsverwaltung mit 33 % noch deutlich über dem in der West-Verwaltung (9 %). 23 Diese gleichartige fachliche Herkunft der Mitarbeiter war auch im Gesundheitswesen zu beobachten. 24 Abgeschwächt wird dieses Manko allerdings durch die langjährige Praxiserfahrung im Verwaltungswesen. Diese berufspraktische Aneignung von Verwaltungskompetenz ist als Beitrag zur administrativen Professionalisierung ostdeutscher Verwaltungskräfte nicht zu unterschätzen. y~rgleiche dazu auch Wollmann (1992).

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des Ausbildungsweges mit der Entwicklung der beruflichen Position zu sehen ist. Im Unterschied zu den tendenziell auf die Tätigkeit im öffentlichen Verwaltungsdienst fixierten West-Führungskräften blicken die interviewten Magistratsmitarbeiter häufiger auf eine längere Berufserfahrung außerhalb der staatlichen Verwaltung zurück: Nahezu zwei Drittel von ihnen - im Vergleich zu ca. 25 % der Senatsbeamten - waren länger als fünf Jahre außerhalb des Staatsdienstes beschäftigt. Diese Ergebnisse reflektieren zum Teil die häufig in der DDR geübte Praxis, gezielt qualifizierte Mitarbeiter für die Staatsverwaltung aus den Betrieben oder wissenschaftlichen Einrichtungen zu rekrutieren. Überdies wurden derartige Karrieren durch die grundsätzlich fließenden Grenzen zwischen staatlichem und nicht-staatlichem Sektor in der DDR begünstigt. Bemerkenswerterweise war jedoch die berufliche Mobilität der Ost-Führungskräfte innerhalb der Verwaltungsorganisation eher begrenzt. Eine spürbare Fraktion der" Verwaltungsgeneralisten ", die Erfahrungen in mehr als drei Arbeitsbereichen sammeln konnten, ist unter den ehemaligen Magistratsmitarbeitern - im Gegensatz zur Senats stichprobe - praktisch nicht auszumachen. In der Gesamtsicht lassen diese Ausbildungs- und Karrierewege bereits eine ausgeprägte Praxis- bzw. Fachorientierung und eine besondere innere Verbundenheit zu der fachlichen Profession - im Unterschied zum allgemeinen Verwaltungsdienst - vermuten: eine Vermutung, die bei der Analyse der Rollenverständnisse und beruflichen Einstellungen Bestätigung finden wird.

11. Politische und berufliche Einstellungen und Werthaltungen Die bei den ostdeutschen Verwaltungskräften vorzufindenden Orientierungsmuster sind als Produkt ihrer individuellen und kollektiven Sozialisation unter den Systembedingungen eines post-totalitären sozialistischen Staates zu verstehen. Diese Verwurzelung in langjährigen Prozessen der Prägung und Entwicklung persönlicher Einstellungen und Werthaltungen bedingt auch das Beharrungsvermögen dieser subjektiv-psychologischen Verfaßtheit gegenüber kurzfristigen Änderungseinflüssen 25. Es ist somit davon auszugehen, daß diese historisch gewachsenen Einstellungsmuster der Verwaltungsangehörigen auch mittelfristig stabil bleiben und ihre Wirkung auf das Verwaltungshandeln entfaltet werden. Bei der Entwicklung und Begründung der folgenden Thesen werden daher sowohl die spezifischen Systemunterschiede bezüglich der Funktionsbedingungen der öffentlichen Verwaltungen in den ehemaligen beiden deutschen Staaten als auch die allgemeinen Sozialisationseinflüsse des autoritären Regimes in Betracht gezogen. Darüber hinaus fließen empirische Befunde aus dem vorgestellten Forschungsprojekt in besonderer Weise in die Formulierungen ein. 25 Vergleiche zur Stabilität von Kulturmustem grundlegend E. Iones / H. B. Gerald, Foundations of Socitil Psychology, New York 1967, und zur Frage politischer Werte G. Maag, Zur Stabilität individueller Wertmuster, in: H. Klages / H.-J. Hippier / W. Herbert (Hrsg.), Werte und Wandel, Frankfurt/M 1992, S. 622-642.

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1. Die allgemeinen Werthaltungen ostdeutscher Verwaltungsmitarbeiter sind eher durch "alte", materialistische W erthaltungen als durch "neue" postmaterialistische Werthaltungen geprägt Die empirische Sozialforschung hat während der beiden vergangenen J ahrzehnte mit Blick auf die Bürger der westlichen Industriestaaten einen Wertewandel beschrieben, in dessen Verlauf Sicherheits- und materielle Versorgungs bedürfnisse sowie Pflicht- und Akzeptanzwerte an Gewicht verloren. Dagegen dienen zunehmend soziale Bedürfnisse und das Verlangen nach Selbstentfaltung als Leitlinien für die Lebensführung. In Anbetracht der über Jahrzehnte in der DDR herrschenden Sozialisationsbedingungen ist nicht anzunehmen, daß die "neuen" Werte wie Autonomie, Entscheidungsfreiheit, Toleranz und politisches Engagement im gleichen Umfang wie in der westdeutschen Gesellschaft die "alten" Werte wie Gehorsam, Pflichterfüllung und Ordnung verdrängt haben 26. Mit Blick auf die von uns erhobenen Daten wird diese Skepsis bestätigt. So räumen 70 % der Senatsführungskräfte, allerdings nur 40 % der Magistratsmitarbeiter, den als postmaterialistisch deklarierten Werhaltungen "Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung" und "Steigerung des Einflusses der Bürger auf Entscheidungen der Bürger" Vorrang vor dem tendenziell materialistischen Streben nach "Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung" und dem "Kampf gegen steigende Preise und Arbeitslosigkeit" ein. Neben dieser auf das politische Verhalten abzielenden Dimension der Wertpräferenzen sind die geäußerten Grundüberzeugungen der Mitarbeiter insbesondere für die adressatengerechte Entwicklung von Rekrutierungs- und Anreizsystemen für die öffentliche Verwaltung von Bedeutung.

2. Ostdeutsche Verwaltungskräfte neigen einem Politikverständnis zu, das auf eine möglichst stabile und durchsetzungsstarke Exekutive, die über dem Streit der Partikularinteressen steht, konzentriert ist Im Zusammenhang mit dem faktischen Entscheidungsmonopol der SED und dem im Realsozialismus gültigen Prinzip der Gewalteneinheit stehen die geringe horizontale Differenzierung der DDR-Gesellschaft und ihrer Institutionen sowie der enorme, in allen Lebensbereichen spürbar gewesene Drang zur Hierarchisierung und Zentralisierung. Die Erfahrungen mit diesen Strukturen werden ihren 26 Zum "westlichen" Wertewandel siehe vor allem R.lnglehart, The Silent Revolution, Princeton 1977, und ders., Kultureller Umbruch, Frankfurt/ M. 1990, sowie H. Klages, Wertorientierungen im Wandel, Frankfurt / M. 1984, und die Beiträge in Klages / Hippler / Herbert (1992). Mit Bezug zur Lage in Ostdeutschland siehe auch H. Klages, Wertewandel in Deutschland, in: Die politische Meinung, Februar 1992, S. 41-49, und E. Noelle-Neumann, Nach der deutschen Revolution, in: Die politische Meinung, November 1991, S. 63-70. Zur Diskussion von "modifizierten und zeitversetzten" Ansätzen des Wertewandels in der DDR vergleiche auch Th. Gensicke, Werte und Werte wandel im Osten Deutschlands, in: Klages / Hippier / Herbert (1992), S. 672-694, und R. Woderich, Mentalitäten zwischen Anpassung und Eigensinn, in: Deutschland-Archiv 1992, S.21-32.

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Stempel im Politikverständnis der Betroffenen hinterlassen haben. Wenn auch die vorliegenden Daten aus unserer Untersuchung auf eine grundsätzliche Übereinstimmung der beiden Vergleichsgruppen hinsichtlich der Beurteilung demokratischer Grundregeln oder elementarer Funktionsprinzipien der pluralistischen Gesellschaft hinweisen 27, sind die Konturen einer solchen Prägung nicht zu übersehen. So legen die Ost-Berliner Befragten größeren Wert auf die Feststellungen, daß die Regierung allein an der Effektivität ihrer Politik zu messen sei und daß die letztendliche Verantwortung für die Politik bei der Regierung liege. Im Einklang mit diesen Befunden messen diese Sample-Mitglieder auch der Stabilität und Kontinuität der Regierung ein größeres Gewicht bei als der Chance der Regierungsablösung durch die Opposition. Bei dieser Fragestellung treten die Einstellungsdifferenzen bemerkenswert klar zu Tage: nur etwa 30 % der WestFührungskräfte schließen sich dieser Haltung an, welche hingegen von über 75 % des befragten Leitungspersonals aus dem Magistrat vertreten wird 28.

3. Die Einstellungen und Rollenverständnisse ostdeutscher Führungskräfte lassen eine Vernachlässigung politikbezogener Funktionen in ihrem Verwaltungshandefn erkennen. Damit im engen Zusammenhang stehen die weit verbreitete Politikaversioll und eine spürbare Nähe zu technokratischen Orientierungen a) Distanz gegenüber Policy-Making-Funktionen Mit Blick auf die Funktionen im Rahmen der politischen Programmentwicklung wird aus der Sicht der politologisch orientierten Verwaltungsforschung für leitende Beamte in zunehmendem Maße die Notwendigkeit betont, flihig und bereit zu sein, sich im Zusammenhang mit der Problemauswahl, der Ausarbeitung und Selektion von alternativen Lösungsvorschlägen und der Formulierung der politischen Programme aktiv um Konfliktregeln und Konsensbeschaffung zu bemühen. Der Blickwinkel muß dabei über die Grenzen des Verwaltungszirkels hinausgehen und auch die politischen Akteure sowie die Klientel und sonstige Betroffene umfassen. Für die höheren Funktionsträger der Verwaltung kommt es insbesondere darauf an, die Reaktionen der jeweiligen Verhandlungsparteien zu antizipieren und durch koordinierende und interessenvermittelnde Maßnahmen die (politischen) Durchsetzungs- und die praktischen Umsetzungschancen der einzelnen Programmentwürfe zu erhöhen. Um dies leisten zu können, werden gut funktionierende Informationskanäle zu politischen Institutionen und organisierten Verbänden aus Wirtschaft und Gesellschaft benötigt. Vor allem aber sind bestimmte Wert- und Einstellungsmuster, in denen die Einsicht in dieses politisch27 Siehe dazu auch F. Berg / E. Harre / B. Möller, Forschungsbericht: Demokratieauffassungen von Amtsleitern (Unveröffentlichtes Arbeitspapier), Berlin 1992. 28 Das hohe Ansehen der Regierungsautorität unter ostdeutschen VerwaItungskräften kommt auch bei Berg / Harre / Möller (1992) zur Sprache.

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administrative Handeln verankert ist, als notwendige Voraussetzungen für eine effektive Ausübung dieser Funktionen anzusehen. Für den Typus des leitenden Verwaltungsmitarbeiters, der diesem Anforderungsprofil entspricht, wurde in der Literatur der Begriff des politischen bzw. engagierten Bürokraten geprägt, der sein Gegenstück in der Form des - überwiegend als unzeitgemäß betrachteten - klassischen oder technokratischen Bürokraten gefunden hat 29 • Im zentralistischen Herrschaftssystem der DDR waren in der Verwaltungsarbeit - aber auch darüber hinaus - Fähigkeiten des politischen Bargaining, der Interessenvermittlung, der eigenständigen Programmentwicklung und der notwendigen Konsensbeschaffung innerhalb und außerhalb des administrativen Systems von weitaus geringerer Bedeutung als im pluralistischen Kräftespiel des westlichen Systems 30. Entsprechende Fähigkeiten werden heute in einem gewandelten politisch-gesellschaftlichen Umfeld der Verwaltung in verstärktem Maße gefordert, wie es die veränderten Anforderungen der Vertretungskörperschaften, der Verbände, der Wirtschaft sowie der politischen Parteien und der Bürger an die Mitglieder der kommunalen und staatlichen Verwaltungen in Ostdeutschland deutlich machen. Unsere Befragungsergebnisse vermitteln in diesem Kontext den Eindruck, daß die administrativen Akteure aus den neuen Bundesländern diesem Aspekt der Verwaltungstätigkeit vergleichsweise wenig aufgeschlossen sind. Auf ihre Tätigkeit in dem durch Interessenvermittlung, Konsensbeschajfung und politisches Taktieren charakterisierten Arbeitsbereich angesprochen, äußerten 58 % der OstBerliner, allerdings nur 26 % der Referats- und Abteilungsleiter aus der WestVerwaltung, ihre teilweise bzw. völlige Abneigung gegenüber dieser Seite des Verwaltungsberufs. Mit dieser Sichtweise harmoniert der Befund, daß allgemeinund fachpolitisches Interesse sowie das Streben nach Einfluß im Verwaltungsapparat und nach gesellschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten auf westlicher Seite von größerer Bedeutung für den Eintritt und Verbleib im öffentlichen Verwaltungsdienst als bei den Ost-Berliner Befragten waren. Mit Fragen nach den wichtigsten Aufgaben der Verwaltungsführungskräfte und der Wahrnehmung ihrer administrativen Rolle versuchten wir uns den jeweiligen beruflichen Selbstverständnissen der Administratoren aus Ost und West weiter zu nähern. Dabei fällt mit Blick auf die wesentlichen Funktionen des Leitungspersonals die geringere Wertschätzung der Ost-Führungskräfte für interne Koordinationsaufgaben und für Außenkontakte auf. Vielmehr wird das angestrebte Tätigkeitsprofil aus der Perspektive der Magistratsmitarbeiter wesentlich stärker durch fachlich-konzep29 Vergleiche dazu Putnam (1976), Aberbach / Putnam / Rockman (1981), Mayntz / Derlien (1989) und den Übersichtsartikel von C. Campbell, The Political Roles of Senior Government Officials in Advances Democracies, in: British Journal of Political Science 1988, S. 243-272. 30 Zur Bedeutung informalen und mikropolitischen Handelns jedoch WolLmann (1992), der in dieser - nicht zuletzt durch die Starrheit und Ineffizienz des Systems provozierten - Fähigkeit auch eine besondere Kompetenz der Mitarbeiter sieht.

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tionelle Arbeit bestimmt, während die West-Berliner Leitungskräfte bei den als vorrangig eingestuften Betätigungsfeldern der Vermittlung von Arbeitsergebnissen und Verwaltungsstandpunkten nach außen, der Koordination und Kontaktpflege mit wichtigen Koordinationspartnern, der Transmission von Vorgaben aus dem politischen Bereich in die Fachabteilung bzw. von neuen Verwaltungsinitiativen in die politische Sphäre deutlich mehr Platz einräumen. Die aus diesem Antwortverhalten erkennbare Binnenorientierung der Mitarbeiter aus dem früheren DDR-Verwaltungsapparat und deren stärkere Orientierung auf die Rolle des " vollzugsorientierten Fachbeamten " kontrastiert mit den hervortretenden Umrissen der westlich-geprägten Führungskräfte, die eher dem Rollenbild eines" Verwaltungsmanagers" entsprechen, der nicht selten als Prozeßpromotor im politisch-administrativen Handlungsfeld agiert und daher nicht zuletzt in seinem Wissen um politische Zusammenhänge eine besondere Kompetenz erkennt. Dementsprechend nehmen die West-Beamten tendenziell auch stärker die Rolle eines "Vermittlers zwischen konfligierenden Interessen" für sich in Anspruch als ihre Ost-Kollegen. b) Technokratische Orientierung und Politik-Aversion In engem Zusammenhang mit den hier erörterten Rollenverständnissen steht die in unserer Untersuchung registrierte Neigung der Ost-Verwaltungskräfte, in ihren Dispositionen technokratischer als die Befragungsteilnehmer aus der WestVerwaltung ausgerichtet zu sein 31 • Diese Orientierung schlägt sich in den von der Ost-Berliner Mitarbeitergruppe häufiger geäußerten Meinungen nieder, zur rationalen Bewertung von Verwaltungshandeln politische Erwägungen ausschließen und bei der Einschätzung sozialer und wirtschaftlicher Angelegenheiten technischen Überlegungen Vorrang vor politischen Faktoren einräumen zu müssen. Vervollständigt wird dieses Segment einer spezifisch ostdeutschen Verwaltungskultur durch die vergleichsweise deutliche Politik-Aversion, die sich insbesondere in einer entfremdeten Haltung gegenüber politischen Parteien ausdrückt. Anhaltspunkte dafür sind nicht nur in der geringen Parteiidentifikation der OstBerliner Befragungsteilnehmer zu erkennen. Darüber hinaus ist für die interviewten ehemaligen DDR-Bürger eine Parteimitgliedschaft eher mit der Aufgabe der persönlichen Unabhängigkeit verbunden, wie sie auch die Konflikte zwischen den politischen Parteien in einem grundsätzlich kritischeren Licht als ihre WestKollegen sehen. Gerade in diesen Orientierungen wirken die Erfahrungen aus dem autoritären Regime der SED ausgesprochen deutlich nach, in dessen Folge 31 Zum Technokratie-Konzept und seiner Anwendung vergleiche R. D. Putnam, Elite Transformation in Advances Industrial Societies: An Empirical Assessment of the Theory of Technocracy, in: Comparative Political Studies 1977, S. 383 -412, sowie Aberbach /

Derlien / Mayntz / Rockman (1990).

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das Institut der politischen Partei in Ostdeutschland in besonderer Weise diskreditiert ist. Der Grundtenor der bisherigen Interpretation wird auch dadurch unterstützt, daß in jedem dritten Fall die vorrangige Loyalität der Senatsbeamten der politischen Spitze des Hauses gilt, während sich lediglich jeder zehnte Teilnehmer aus dem Magistrat für diese Option entschied. Dagegen fällt der Anteil der Verwaltungskräfte, die sich in Ausübung ihres Dienstes in erster Linie dem Gesetz verantwortlich fühlen, unter den leitenden Mitarbeitern der Ost-Verwaltung um mehr als 20 Prozentpunkte höher aus als bei den Führungskräften der West-Berliner Senatsverwaltung. c) Regelorientierung Dieser Befund leitet zu einem weiteren Aspekt der dominierenden Einstellungsmuster in der ostdeutschen Administration über. Das Antwortverhalten zu dieser Frage ist einer von mehreren Indikatoren für eine stärker ausgeprägte Regelorientierung als weiterem Kennzeichen der dominierenden Einstellungsmuster in der ostdeutschen Administration. In diese Richtung weist zusätzlich die von uns konstatierte Bereitschaft des Ost-Berliner Leitungspersonals, sich häufiger als ihre West-Pendants mit der Rolle des "Rechtsanwenders" zu identifizieren. Vor allem spiegelt sich diese Disposition jedoch in den Reaktionen auf die Aussage wider, daß leitende Beamte ihre Tätigkeit darauf beschränken sollten, die Gesetze präziser anzuwenden: nur 13 % der Senatsbeamten, doch 44 % der Magistratsmitarbeiter pflichteten dieser Aussage bei. Aus dieser Haltung spricht sowohl eine demonstrative Abkehr von der mangelhaften Rechtsbindung der DDR-Verwaltung als auch eine Überschätzung der Steuerungskapazität rechtlicher Normen, von denen man sich eindeutige Handlungsvorgaben erhofft.

4. Die auf organisationsinterne Verhaltensweisen gerichteten Komponenten der Verwaltungskultur sind in der ostdeutschen Administration relativ stark durch autoritäts- und vorgaben- wie auch durch kollektivund mitarbeiterorientierte Einstellungsmuster charakterisiert. Dies mündet nicht zuletzt in ein paternalistisches Führungsverständnis a) Stärkere "Verhaltenskontrolle" Für die interne Funktionsweise der Verwaltungsorganisation erscheint der Umstand von besonderer Relevanz zu sein, daß die DDR-Gesellschaft dem einzelnen nur wenig Chancen einräumte und kaum Anreize dafür bot, Eigeninitiative zu entwickeln und vor allem Eigenverantwortung zu übernehmen. In hohem Ansehen stand dagegen die Ausrichtung auf das Kollektiv, welches subjektiv häufig auch als Hort gegenüber Interventionen des Staates empfunden wurde. Zugleich spiegelten sich die autoritären Grundzüge des Partei- und Staatswesens auch in der beruflichen Sozialisation, der organisationsinternen Wirklickeit wider.

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Es kann daher unterstellt werden, daß die Meinungen und Überzeugungen zum Führungsverhalten und die grundlegenden Einstellungen zur Arbeit in der Tradition dieser Sozialisationsbedingungen stehen. Bestätigung für diese Annahme finden sich sowohl in den Ergebnissen unserer eigenen Projektarbeit als auch in den Erkenntnissen aus konzeptionell und methodisch ähnlich angelegten Untersuchungen aus dem Bereich der Unternehmensorganisation. Zunächst sei jedoch auf Berichte aus vergleichenden Bevölkerungsbefragungen verwiesen, die von einer stärkeren" Verhaltenskontrolle" der Ostdeutschen sprechen 32. Unter dieser Überschrift wurden verschiedene Persönlichkeitseigenschaften subsumiert, die auch in unserem Kontext Beachtung verdienen. Dazu gehört die Tendenz der Ostdeutschen, größeren Wert als die Befragten aus den alten Bundesländern auf Ordnung und auf das Befolgen von Prinzipien zu legen. Damit korrespondiert der Befund, daß "Ostdeutsche ... stärker nonnorientiert (sind), d. h. für sie haben Nonnen eine höhere Verbindlichkeit"33. Unverkennbar ist der Widerhall, den die weiter oben erörterten "alten" bzw. ,,konventionellen" Werthaltungen in diesen Einstellungen finden. Auf die konkrete Arbeitsebene übertragen, spiegeln sich diese Orientierungen in Verbindung mit den eher materialistischen Wertpräferenzen in einer größeren Vorliebe für vorgegebene Arbeitsabläufe, aber auch in einer hohen Arbeitsmoral wider, welche wiederum aus einer ausgeprägten Disposition für Leistung, Anerkennung und Einfügung gespeist wird 34. Unsere Befragungen von Führungskräften der ehemals getrennten Berliner Verwaltungen erhärten beide Dimensionen der vorgetragenen Einstellungsmuster: Einerseits wird die gleichhohe Arbeitsmoral von beiden Mitarbeitergruppen als eine der wirklich verbindenden Eigenschaften der über Jahrzehnte hinweg getrennten Personalkörper genannt. Andererseits stellen die West-Berliner Befragten an ihren Ost-Partnern häufig eine auffallige Vorgabenfixierung und Unselbständigkeit fest, die sich in Entschlußschwäche, Konfliktscheu und geringer Eigeninitiative äußere 35. Obwohl diese - aus westlicher Perspektive geäußerten - Sichtweisen nicht als verzerrungsfreie Wiedergabe der Realität mißverstanden werden dürfen, müssen sie jedoch als Indikatoren für tatsächlich vorhandene Defizite der in der DDR sozialisierten Verwaltungsmitarbeiter ernstgenommen werden. Überdies stehen dieser Darstellung einer spezifisch ostdeut32 Siehe dazu P. Becker, Ostdeutsche und Westdeutsche auf dem Prüfstand psychologischer Tests, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/92, S. 27 - 36, S. 33 f. 33 Ebd., S. 33. 34 Vergleiche dazu ebd., S. 35 und Stratemann (1992). 35 Siehe dazu auch die Untersuchung von Berg / Harre / Möller (1992), in der die Ost-Berliner Befragten die Fähigkeiten, selbständig zu denken und zu handeln und sich gegen Bevormundung zu wenden, als untypisch für ehemalige DDR-Bürger einschätzen. Vergleiche dazu die ähnlich gelagerten Probleme aus der Sicht westdeutscher Wirtschaftsmanager in M. Gaulhofer / J. Sydow, Kooperation von ost- und westdeutschen Unternehmungen, in: Zeitschrift Führung + Organisation 1991, S. 151-157, und die Gegenüberstellung von Eigenschaften ost- und westdeutscher Wirtschaftsführungskräfte in R.-C. Henkel, Zwistigkeit und Frust und Fremdheit, in: Manager-Magazin, 1/1991, S. 162 ff.

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sehen Organisations- bzw. Verwaltungskultur Aussagen aus wirtschaftsorientierten Forschungsberichten zur Seite, in denen ebenfalls ein Manko der ostdeutschen Akteure hinsichtlich ihres "Führungswillens" , ihres "Muts zum Risiko", ihrer "Verantwortungsbereitschaft" und ihrer "Kontaktfreude" konstatiert wird 36. Insbesondere mit Blick auf die Konfliktfähigkeit (Ost = gering ausgeprägt) und die Neigung, sich an Anweisungen zu orientieren (Ost = stark ausgeprägt), klaffen die Werte für die ost- und westdeutschen Befragten deutlich auseinander 37 . b) Hierarchieorientierung Neben den bisher thematisierten Facetten der auf die interne Funktionsweise der Verwaltung bezogenen Komponente der Verwaltungskultur soll nun eine weitere tätigkeitsrelevante Einstellungsdimension, die in enger Beziehung zur "Verhaltenskontrolle" und konventionellen Wertorientierung steht, in die Diskussion einbezogen werden. Es handelt sich dabei um diejenigen Teilaspekte der Verwaltungskultur, die mit Hierarchien und Autoritätsbeziehungen innerhalb von Organisationen in Verbindung zu bringen sind. So ist anzunehmen, daß sich die Wertschätzung für "Ordnung" und vorstrukturierte Arbeitsabläufe sowie der begrenzte eigene Entfaltungsdrang ostdeutscher Organisationsmitglieder in einer vergleichsweise hohen Akzeptanz stabiler und ausgeprägter Autoritätsbeziehungen niederschlägt. Tatsächlich gaben Wirtschaftsführungskräfte aus den neuen Bundesländern in einer Befragung zu Protokoll, "daß für sie Unternehmungen ohne starke Hierarchien undenkbar sind. Sie sehen in Hierarchien Ordnungssysteme, die allen Beteiligten eine hohe Sicherheit bieten sollen" 38. In unserer Untersuchung in der Berliner Verwaltung wurde dieser Themenkomplex durch einen Fragenkatalog zum bevorzugten Führungsstil angesprochen. Die daraus gewonnenen Daten sprechen für ein weitverbreitetes autoritäres Führungsverhalten in der Ost-Verwaltung. So ist für die Ost-Berliner Befragten eine direktere Anleitung durch den Vorgesetzten, z. B. durch das Mittel der Fristensetzung, durchaus angebracht. Hinzu kommt die von Ost-Führungskräften häufiger vertretene Erwartungshaltung, daß die Arbeitsaufträge möglichst genauso wie angeordnet ausgeführt werden. Der hier vermittelte Eindruck findet Unterstützung durch Studien zum Führungsverhalten in ostdeutschen Wirtschaftsbetrieben. Eine Managerumfrage von Wunderer zeigt, daß die Interviewten "sowohl in der Rolle als Geführte wie auch als Vorgesetzte .. . ganz überwiegend einen maximal konsultativen Entscheidungsstil bevorzugen"39. Gemäß dieser Umfrage votierten 36 Siehe Henkel (1991) und Stratemann (1992). 37 Siehe Henkel (1991). 38 Siehe!. M. Weij3 / Wiest, Unternehmenskultur in den neuen Bundesländern Deutschlands, in: Zeitschrift Führung + Organisation 1991, S. 324-330, S. 328. 39 Siehe R. Wunderer, Kommentar zu "Mentales Mauer-Syndrom beseitigen", in: Personalwirtschaftliche Probleme in DDR-Betrieben, Sonderband 1990 der Zeitschrift für Personalforschung 1990, S. 151-157, S. 154.

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die ostdeutschen Teilnehmer wesentlich häufiger als ihre westdeutschen Kollegen für Varianten des Führungsverhaltens, bei denen die Willensbildung eindeutig beim Vorgesetzten liegt 4O • c) Kollektivorientierung Mit diesen Charakterisierungen sind die Einstellungen zum Führungsverhalten in ostdeutschen Organisationen jedoch noch unvollkommen beschrieben. Vielmehr gesellt sich zu diesen erörterten Aspekten - wie unsere Erfahrungen im Berliner Forschungsprojekt zeigen - eine weitere Besonderheit der Ost-Verwaltungskultur hinzu, die in der Tradition der Kollektivorientierung der DDR-Gesellschaft steht. Bei den Befragungen im Senat und Magistrat kristallisierten sich interessanterweise unterschiedliche Sichtweisen überraschend klar auch an denjenigen Punkten unseres Fragenkatalogs heraus, in denen ein kollegialer, ja fürsorgender Vorgesetztentyp porträtiert wird. Während die im westlichen Verwaltungssystem sozialisierten Führungskräfte eine spürbare Distanz gegenüber privaten Angelegenheiten der Mitarbeiter wahren wollen und auf eine Trennung von dienstlichen und privaten Kontakten mit den Beschäftigten Wert legen, ist für die ostdeutschen Befragten der ideale Vorgesetzte gerade durch Verhaltensweisen gekennzeichnet, die eine stärkere Verbindung von Arbeits- und Privatleben sowie eine besondere Verantwortung für das Kollektiv erkennen lassen. Mit Blick auf die bei Bevölkerungsumfragen festgestellten Differenzen in den Persönlichkeitseigenschaften der Ost- und Westdeutschen findet diese Erkenntnis ihre Entsprechung in der allgemeinen Feststellung, daß "Ostdeutsche sich stärker an ihren Mitmenschen interessiert (zeigen)"41. In der stärker auf die Identifikation von führungsrelevanten Einstellungen gemünzte Untersuchung von Stratemann ist bereits präziser von positiveren Ergebnissen der ostdeutschen Vergleichsgruppe im Bereich "Verantwortlichkeit für Mitarbeiter" die Rede 42 . Schließlich kann mit Weif3 und Wiest davon gesprochen werden, daß "das nicht nur auf arbeitsbezogene, sondern auch auf private Bereiche ausgerichtete Fürsorgeverhalten der Vorgesetzten (ein fester Kulturbestandteil ist)"43. Aus der Summe der referierten Forschungsergebnisse ist daher der Schluß zu ziehen, daß das bei DDR-Leitungskräften dominierende Führungsverhalten durch paternalistische Züge gekennzeichnet ist. 40 Ebd., S. 153. Zu einem in der Tendenz vergleichbaren Ergebnis kommen Münch (1992), und R. Arlt u. a., Soziokulturelle Aspekte des Leiterverhaltens. Ausgewählte Ergebnisse der Untersuchung SOKULT 90 (Unveröffentlichtes Arbeitspapier Nr. 01), Universität Leipzig (1991). Es muß jedoch hervorgehoben werden, daß im Vergleich zu privatwirtschaftlichen Organisationen autoritäre Führungsstile auch in der westdeutschen Verwaltung weitverbreitet sind (v gl. dazu H. Klages / G. Hippier, Führung und Arbeitsmotivation in Kommunalverwaltungen, Gütersloh 1989). 41 Siehe Becker (1992), S. 35. 42 Siehe Stratemann (1992), S. 21. 43 Siehe Weij3 / Wiest (1991), S. 329.

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III. Verwaltungskulturschock als Transformationsproblem Es ist zu vennuten, daß es beim ostdeutschen Verwaltungspersonal vor dem Hintergrund seiner individuellen und kollektiven Sozialisationserfahrungen durch die Konfrontation mit einem kurzfristig nach westlichem Muster etablierten politisch-administrativen System zu einem Verwaltungskulturschock kommen wird, d. h. zu Orientierungsproblemen, denen man mit dienstrechtlichen Regelungen und routinemäßigen personalwirtschaftlichen Maßnahmen nicht gerecht werden kann. Im Rahmen unserer Erhebung in der Berliner Verwaltung sind wir der Frage nachgegangen, welche Eindrücke die ostdeutschen Mitarbeiter vom Typus der West-Verwaltung gewonnen hatten. Hier kann zunächst festgestellt werden, daß der Tätigkeit unter den neuen Systembedingungen durchaus positive Seiten abgewonnen werden. Vor allem die spürbare Delegation von Handlungsverantwortung und der jetzt als größer eingeschätzte Spielraum bei der Erarbeitung fachlicher Vorlagen wird als eine Verbesserung gegenüber dem Verwaltungsstil der Vor-Wende-Zeit betrachtet. In direkter Verbindung dazu steht die als außerordentlich positiv empfundene Befreiung von politischer Bevonnundung in Fachfragen und die dadurch ennöglichte Vielfalt der Anschauungen. Zugleich erscheint die Absicherung des eigenen Handeins durch rechtliche Vorschriften als neuer positiver Aspekt. Des weiteren spielen - nach den Aussagen der OstBerliner Verwaltungsleute - die verbesserten materiellen Arbeitsbedingungen sowie die im Zuge der Vereinigungspolitik neu zu bewältigenden Aufgaben eine nicht zu unterschätzende motivierende Rolle. Nicht zu übersehen ist allerdings auch, daß selbst diese von den Betroffenen begrüßten Änderungen mit neuartigen Anforderungen einhergehen, die von den Verwaltungsmitarbeitern bedeutende Anpassungsleistungen verlangen. So meinen die von Berg u. a. befragten OstBerliner Amtsleiter, daß ihnen jetzt mehr Kreativität, Kritikbereitschaft gegenüber Anweisungen von oben sowie Zivilcourage abverlangt werde 44 • Ebenso wirdwie wir aus den Befragungen in der Berliner Magistratsverwaltung wissen aus der Ost-Perspektive der nun zu betreibende Aufwand für Konsensfindung und (interne wie externe) Koordination als deutlich höher empfunden und nicht selten negativ bewertet. Insgesamt führen nahezu 90 % der von uns interviewten Ost-Berliner Administratoren neue negative Aspekte der Verwaltungstätigkeit unter der Ägide westlicher Funktionsbedingungen an, wodurch die oben genannten Pluspunkte weiter relativiert werden. In den Augen vieler Magistratsmitarbeiter ist demnach die dogmatische Anleitung der ehemaligen Staatspartei lediglich durch das - ebenfalls negativ bewertete - Eigeninteresse der Verwaltungsklienten und der Verbände sowie durch politisches Taktieren ersetzt worden. Unzufriedenheit erwächst bei den ostdeutschen Befragungsteilnehmern auch aus dem aus ihrer Perspektive unangemessen rigorosen Überstülpen des West-Systems und dem 44

Siehe Berg I Harre I Möller (1992), S. 8.

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damit einhergehenden Verlust eigener Ansätze. Überdies wirkt die elaborierte Maschinerie der West-Verwaltung - wie auch die dadurch geprägten Mitarbeiter - mit ihrer strengen Formbindung, den exakten Verwaltungsverfahren, weitverzweigten Zuständigkeiten sowie den engen Spezialisierungen und Kompetenzabgrenzungen auf die Ost-Mitarbeiter hochgradig bürokratisiert und damit zunächst abstoßend 45. Bedauert wird von seiten der Ost-Berliner Interviewpartner auch, daß die Arbeitsatmosphäre in der West-Verwaltung kälter und unpersönlicher sei, wohingegen die Kollektivbindung innerhalb der Magistratsverwaltung einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag zur Arbeitszufriedenheit leistete. Schließlich kommt nach den im Rahmen der Systemtransformation vorgenommenen radikalen Eingriffen in die Personal- und Organisations struktur der ehemaligen DDRVerwaltungen auch Faktoren wie "Kompetenzverlust" (insbesondere bei früheren Führungskräften) und "unsichere Berufsperspektive" ein - zumindest vorübergehend - hoher Stellenwert für die gegenwärtigen Orientierungsprobleme in ostdeutschen Behörden zu.

IV. Ost- und West-Personal in seiner gegenseitigen Wahrnehmung Eine in Grundzügen einheitliche Verwaltungskultur ist für die Effizienz des Verwaltungshandelns eine wichtige Grundlage. Nach unseren Erfahrungen sind die ostdeutschen Verwaltungen jedoch gerade durch die Existenz verschiedener Teil- oder "Subkulturen" gekennzeichnet, wobei nicht allein an die Differenzen zwischen west- und ostdeutschem Personal, sondern auch an das Miteinander neuer ostdeutscher Verwaltungskräfte und "alter Kader" zu denken ist. Diese Konstellation stellt eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für die Personalpolitik dar. Neben den objektiv feststellbaren Unterschieden zwischen "östlichen" und "westlichen" Einstellungen und Rollenverständnissen sind für diesen Problemkreis auch die gegenseitigen subjektiven Wahrnehmungen von besonderem Interesse. Als dieses Thema in unserer Befragung angeschnitten wurde, konnten wir beobachten, daß in beiden Untersuchungsgruppen nur Minderheiten überwiegend ähnliche Eigenschaften bei West- und Ost-Führungskräften entdeckten 46 • Andererseits wußten 75 % bzw. 85 % der Befragten aus beiden Teilen Berlins von typischen Problemen bei der praktischen Zusammenarbeit des Ost-und WestPersonals zu berichten. Diese Einschätzungen wurden aufbeiden Seiten mehrheit45 Dieser Befund verbindet nahezu alle einschlägigen empirischen Untersuchungen, wie auch die Beiträge zum Konstanzer Verwaltungsseminar 1991 deutlich machten; siehe dazu Seibel (1993). 46 Dabei stellten in erster Linie die Senatsbeamten die trennenden Aspekte in den Vordergrund: Nur 17 % aus dieser Gruppe, doch immerhin 39 % der Magistratsstichprobe waren der Ansicht, daß die gemeinsamen Eigenschaften der Verwalter aus Ost und West überwiegen.

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lich mit Hinweisen auf unterschiedliche Verhaltensweisen und Einstellungen begründet, die im Grunde die oben vorgetragenen Kulturmuster reflektieren. So bemängelten die Senatsbeamten Hemmungen der Ost-Mitarbeiter, den eigenen Spielraum zu nutzen; sie vermissen deren Fähigkeit, flexibel zu agieren; sie kritisieren deren Neigung, in hierarchischen Kategorien zu denken und konstatieren Probleme der Magistratskollegen im Umgang mit dem "freien Spiel der Kräfte". Darüber hinaus werden aber auch gegenüber den vermuteten Bestimmungsgründen der beruflichen Karrieren der Ost-Führungskräfte unübersehbare Vorbehalte gehegt. In den Reihen der "Westler" wird nahezu einhellig die Meinung vertreten, Leitungskräfte der DDR-Verwaltungen hätten ihre Position vorrangig ihrem politischen Bekenntnis anstelle ihrer Qualifikation zu verdanken. Aus der Perspektive der Ost-Berliner Verwalter ist dagegen die geringe Kooperationsbereitschaft, die Arroganz und die "Mauer im Kopf' der West-Mitarbeiter sowie deren enge Spezialisierung und geringere Kollegialität kritisch zu vermerken. Besonders eindringlich wird die Kluft zwischen den im östlichen und westlichen System sozialisierten Mitarbeitern durch die Reaktion auf unsere Frage nach gegenseitiger Akzeptanz beschrieben: Nur jeder fünfte Mitarbeiter aus OstBerlin hatte den Eindruck gewonnen, daß seinesgleichen von den West-Kollegen als gleichberechtigter Partner akzeptiert wird. Im Vergleich dazu empfindet immerhin jeder zweite "Westler" die Behandlung der Ost-Mitarbeiter als gleichberechtigt. Obwohl bisher die "cleavages" zwischen den östlich und westlich geprägten Kulturmustern im Vordergrund standen, ist nicht zu verkennen, daß auch grundsätzlich kongruente Orientierungsmuster zwischen früheren Angehörigen des DDR-Staatsapparates und den neu rekrutierten, häufig durch ihr Engagement in oppositionellen Bürgerbewegungen in Führungspositionen der öffentlichen Verwaltung gelangten Mitarbeitern in gegenseitige Vorbehalte und in Friktionen in der Zusammenarbeit münden können, die die Leistungsfähigkeit der Verwaltungsorganisation beeinträchtigen. In diesem Kontext konnte in der Berliner Verwaltung die Beobachtung gemacht werden, daß die neuen Mitarbeiter den "alten Kadern" vorwerfen, den Umbau verzögert zu haben, und ihnen absprechen, für die Tätigkeit in einer demokratischen Verwaltung legitimiert zu sein. Umgekehrt halten die langjährigen Mitarbeiter der Ost-Verwaltungen ihren neuen Kollegen vor, nicht ausreichend fachlich qualifiziert zu sein, ihren Aufstieg allein ihrer politischen Aktivität nach der Wende zu verdanken und zudem von den neuen Verwaltungschefs und den West-Führungskräften jetzt bevorzugt behandelt zu werden. Abschließend sei jedoch vermerkt, daß diese Befunde möglicherweise in den Ministerialverwaltungen der neuen ostdeutschen Bundesländer nicht in vollem Maße bestätigt würden. Vielmehr gibt es gute Gründe für die Annahme, dort einen funktionierenden "Schmelztiegel" vorzufinden, der die personalpolitische Aufgabe der Kulturintegration wesentlich erleichtert. Anders als in Berlin und 14*

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im Fall der Bundesverwaltung, wo eine Minderheit ostdeutscher Mitarbeiter aus abgewickelten Dienststellen zu integrieren ist, und im Unterschied zur Lage in den Kommunalverwaltungen im Osten Deutschlands, wo einzelne West-Verwaltungshelfer als "Berater" oder "Entscheider" in einer etablierten Ost-Administration tätig sind, bestand beim Aufbau der ostdeutschen Länderministerien von Beginn an die Chance, eine neue und einheitliche Organisationskultur zu entwikkeIn. Ebenso wurden in dieser Aufbauzeit die zu besetzenden Stellen nicht selten durch Kooptation besetzt, so daß gerade "kulturell paßfähige" Mitarbeiter ausgewählt werden konnten.

c. Personalpolitische Ansätze zur verwaltungskulturellen Integration I. Notwendigkeit einer aktiven, längerfristigen Integrationsförderung Wie soll nun mit den geschilderten Befunden umgegangen werden? Kann man davon ausgehen, daß sich die meisten der festgestellten Probleme in relativ kurzer Zeit von selbst - durch "automatische" Anpassung - erledigen werden? Welche Konsequenzen ergeben sich für die öffentliche Personalpolitik? Einige kulturelle Unterschiede haben sich seit der "Wende" bereits abgebaut, andere werden sich im Laufe der Zeit durch Lernen, durch Gewinnen neuer Erfahrungen und Überzeugungen, durch Abbau von Unsicherheit, Fremdheit, durch Reduktion von Vorurteilen u. ä. von selbst erledigen. Manche von ostdeutschen Mitarbeitern vertretene Auffassungen werden sich - nicht zuletzt auch aus einem gewissen Opportunismus - eher oberflächlich und ,,kosmetisch" der neuen Lage anpassen. Tiefersitzende Überzeugungen dürften davon aber eher unberührt bleiben. Insgesamt ist jedenfalls - dies zeigen einschlägige Erfahrungen der soziokulturell orientierten Wert- und Einstellungsforschung - davon auszugehen, daß die Divergenzen in den grundlegenden Wertmustern und Einstellungen zwischen ost- und westdeutschen Verwaltungsmitarbeitern über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben werden. Die Erwartung, daß sich Mitarbeiter in der ostdeutschen Verwaltung unverzüglich im "westlichen Sinne" verhalten, nachdem das westliche Rechts- und Organisationssystem auf die neuen Länder übertragen worden ist, erscheint unrealistisch: Soll sich ein östlicher Mitarbeiter in extrem kurzer Zeit auf die für ihn fremden Regeln und Strukturen umstellen können, während westliche Mitarbeiter Jahrzehnte Zeit hatten, sich allmählich an geänderte Strukturen und kulturelle Muster anzupassen? Während Fachwissen - zumindest in seinen Grundlagen - noch relativ zügig an neue Anforderungen angepaßt werden kann, trifft dies für Werthaltungen und grundlegende Einstellungen nicht zu. Die oben beschriebenen Kulturmuster der ostdeutschen Verwaltungsmitarbeiter sind in langjährigen Sozialisationsprozessen erworben worden und erscheinen entspre-

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chend fest verwurzelt; eine kurzfristige Veränderung ist mithin kaum zu erwarten. Die Gestaltbarkeit von Verwaltungskultur ist insofern generell begrenzt. Durch sensible, aktive Förderung der Mitarbeiter in ihrem Akkulturationsprozeß kann es allerdings zu einem gewissen Wandel der gegenwärtig vorhandenen Einstellungen kommen. Dafür, daß die kulturelle Integration kein kurzfristiger "Selbstläufer" wird, spricht auch der gegenwärtig beobachtbare Umstand, daß - parallel zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in den neuen Ländern - die Mitarbeiter nach einer ersten, z. T. unkritisch erlebten Kontaktphase mit der westlichen Verwaltungskultur nunmehr deutlichere Abwehrpositionen beziehen und sich (wieder) mehr auf eigene Werte und Identitäten besinnen. Dies wird zum Beispiel in einer selbstbewußteren Auseinandersetzung mit der westdeutschen Verwaltungshilfe oder im Drängen auf Selbständigkeit deutlich. Ein solcher Verlauf, dessen Ausgang noch nicht abzusehen ist, entspricht auch Erfahrungen der Akkulturationsforschung: Auf einen ersten Kulturkontakt folgt häufig eine Phase der Krise bzw. Abwehr, an die sich schließlich die Herausbildung eines neuen Kulturrnusters (Adaptation) anschließt 47 •

11. Wichtiger Beitrag der öffentlichen Personalpolitik zur verwaltungskulturellen Integration Daß die personelle Komponente ein Schlüsselfaktor für den Erfolg einer Verwaltung ist, belegen immer wieder konkrete Erfahrungen mit dem Auf- und Umbau der ostdeutschen Verwaltung. Verwaltungen in Ostdeutschland, die den Umbauprozeß erfolgreich gemeistert haben, verfügen häufig über ein günstiges Personalpotential und haben darüber hinaus besondere Bemühungen zur Qualifikation und Motivation ihres Personals unternommen 48. Eine besondere Rolle scheint dabei auch den personalpolitischen Aktivitäten sowie dem Führungsverhalten der Verwaltungsspitze beizukommen. Die Praxis sieht häufig allerdings anders aus: Mitarbeiter werden neu eingestellt oder übernommen. Sie verfügen - zumindest im Bereich der nichttechnisehen Verwaltung - vielfach nicht über eine angemessene Ausbildung. Die dringendste Qualifizierung erfolgt vorwiegend "on-the-job", gelegentlich auch über Teilnahme an einem Lehrgang. Die Mitarbeiter müssen mit einem ihnen 47 Vergleiche dazu grundlegend J. W. Berry, Acculturation: A Comparative Analysis of Alternative Forms, in: R. J. Samuda / S. L. Woods (Hrsg.), Perspectives in Immigrant and Minority Education, Lanham u. a. 1983, S. 65-78, sowie R.-D. Reineke, Akkulturation von Auslandsakquisitionen, Wiesbaden 1989, und U. Krystek, Unternehmenskultur und Akquisition, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft 1992, S. 539 -565. 48 Dies lassen bspw. Befunde aus einem 1992 von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer durchgeführten "Qualitätswettbewerb" zur Identifizierung leistungsfähiger Verwaltungen erkennen.

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kaum geläufigen administrativen Instrumentarium (Recht, Organisation, Handlungsstile usw.) umgehen. Es fehlt teilweise an den nötigen Arbeitsmitteln (Rechtsvorschriften, Kommentare, Vordrucke usw.) Sie werden eingebunden in das tradierte System des (west)deutschen öffentlichen Dienstes, dessen Defizite von westlichen Verwaltungskennern immer vernehmlicher beklagt werden. Wenngleich dieses System den Mitarbeitern einen zuverlässigen Arbeitsplatz und soziale Absicherung verspricht, beginnen sie doch vermehrt zu spüren, daß sie einen Dienst ausüben, in dem sie ihre Leistungspotentiale nur begrenzt entfalten können und in dem sie -

häufig an bürokratisch gesetzte Grenzen stoßen,

-

nur begrenzt von ihren Vorgesetzten unterstützt und gefördert werden,

-

auch in der Öffentlichkeit (u. a. wegen fortbestehender Ressentiments gegenüber der früheren DDR-Verwaltung) nur schwache Anerkennung finden.

Die "objektiven" Tätigkeitsbedingungen (Bezahlung, Einstufung, Aufgabenüberlast, fehlende Ressourcen) führen im Verein mit den "subjektiven" Erfahrungen mit der neuen West-Verwaltung zu spürbaren Frustrationseffekten unter vielen ostdeutschen Verwaltungsmitarbeitern. Diese Effekte dürften auch in den kommenden Jahren zunächst anhalten, weil die Euphorie der Übergangsphase zunehmend durch die oben bereits angedeuteten Ernüchterungs- und Resignationsstimmungen abgelöst wird. Was kann aus Sicht einer auf Integration und Förderung angelegten Personalpolitik in dieser Situation objektiver Hemmnisse wie subjektiver Negativerlebnisse getan werden? Zunächst verdient festgehalten zu werden, daß eine aktive Unterstützung des Akkulturationsprozesses durch geeignete Instrumente zweckmäßiger erscheint als eine "Schwimm- oder Sink-Strategie" des Sich-Selbst-Überlassens 49 • Ferner ist anzumerken, daß es trotz zweifellos vorhandener Restriktionen durch öffentliches Dienstrecht, Haushaltsrecht und - vor allem! - durch existierende Mentalitäten auch im öffentlichen Dienst viel mehr Handlungsspielräume für eine aktive und umfassende Personalpolitik gibt, als man im üblichen Reformpessimismus zu hoffen meint. Vor allem im Hinblick auf "weiche" personalpolitische Instrumente, wie Umsetzungs-, Beförderungs- und Leistungsanreiz-"Politik", bietet die partiell flexible und zur Zeit noch "offene" Phase des VerWaltungsumbaus in den neuen Ländern im Prinzip günstigere Handlungschancen, die allerdings in einigen Jahren, wenn Strukturen und Praktiken wieder "eingefroren" sind, nicht mehr bestehen dürften 50. 49 Vergleiche A. Kieser u. a., Die Einführung neuer Mitarbeiter in das Unternehmen, Frankfurt 1985; ferner auch K. Watzka, Führungsstil und Führungsinstrumente bei der Einführung neuer Mitarbeiter ins Unternehmen (Teil I), in: Zeitschrift Führung + Organisation 1992, S. 90 -94, der die genannte Strategie wie auch eine "Entwurzelungsstrategie" bei der Einführung neuer Mitarbeiter als ungeeignet ablehnt. 50 Vergleiche auch C. Reichard, Auf dem Wege zu einer neuen Verwaltung in Ostdeutschland - Tagungsbericht, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1991, S. 396.

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Dreh- und Angelpunkt personalpolitischer Integrationsansätze ist zunächst die Festlegung und Formulierung eines personalpolitischen Leitbildes, das sich mit der künftigen Corporate Identity der öffentlichen Verwaltung im Einklang befindet. Dabei stellen sich u. a. folgende Fragen: Wie stellt man sich den zukünftigen Verwaltungsmitarbeiter auf Leitungs- wie auf Sachbearbeiterebene vor? Inwieweit wird das traditionelle "Beamtenbild" noch als tragfähig erachtet? Über welche generellen Charakteristika soll der Mitarbeiter verfügen? Welche Chancen bestehen, sich in Ostdeutschland - angesichts anders gelagerter Kulturmuster - einem neuen Leitbild zu nähern? Auf diese Fragen kann an dieser Stelle zweifellos keine erschöpfende Antwort gegeben werden 51 • Immerhin lassen sich aus der oben geschilderten Analyse einige Folgerungen ableiten. Das Bild des zukünftigen Verwaltungsmitarbeiters dürfte - vor allem auf der Leitungsebene - u. a. durch drei Merkmale geprägt sein:

-

Politikorientierung: deutliche Beteiligung am Politikformulierungs- und -umsetzungsprozeß,

-

Managementorientierung: Ausübung professioneller Managementfunktionen, die im Gefolge der künftig zu erwartenden Einführung neuer Managementkonzepte in der Verwaltung erforderlich werden,

-

Dienstleistungsorientierung: Ausrichtung auf die "Produktion" von Dienstleistungen und damit verbunden auf den "Markt" und auf die Bedürfnisse der Bürger.

Die Hoffnung auf einen künftigen Leitbildwandel wird durch die in den neuen Ländern tätigen Verwaltungsmitarbeiter mit ihren spezifischen Einstellungen und Qualifikationen gestärkt. Generell wird für die jüngere Generation der ehemaligen DDR-Bürger ein dem Muster der westlichen Entwicklung entsprechender, wenn auch "modifizierter und zeitversetzter Wertewandel" ausgemacht 52. Vor dem speziellen Hintergrund unserer Fragestellung verdient Beachtung, daß in dieser Altersschicht Motivationsfaktoren wie "Gestaltungsfreiräume nutzen" und "Herausforderung durch neue Aufgaben" einen hohen Stellenwert besitzen, womit dem oben geschilderten Anforderungsprofil entsprochen wird. Von westlichen "Kulturmanagern" wird häufig ferner eine Hinwendung zu sogenannten "femininen Werten" in der Organisation angestrebt, zu denen u. a. Teamgeist und Mitarbeiterorientierung gerechnet werden 53. Dieser Tendenz kommt das ausgeprägte Sozialverhalten ostdeutscher Mitarbeiter entgegen, das zu den "Aktiva" der spezi51 Vergleiche allgemein z. B.P. Kroppenstedt, Der öffentliche Dienst der Zukunft, in: Zeitschrift für Beamtenrecht 1990, S. 197 - 199; H. Lange. Organisationswandel und Rekrutierungspolitik im öffentlichen Dienst, in: Die öffentliche Verwaltung 1988, S. 323332. 52 Vergleiche Woderich (1992), S. 21. 53 Siehe zu dieser Kategorisierung der Einstellungen grundsätzlich G. Hofstede, Culture's Consequences. International Differences in Work-related Values, Beverly Hills / London 1980.

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fisch ostdeutschen Verwaltungskultur zu rechnen ist. Als förderlich für die Zukunft sind weiterhin jene Persönlichkeitseigenschaften ostdeutscher Mitarbeiter einzustufen, die gerade im gegenwärtigen Prozeß der Neuorientierung ihren Teil dazu beigetragen haben, daß die administrativen Systeme in Ostdeutschland ihre bisherige Umbau- und Aufbauleistung überhaupt vollbringen konnten. Dabei ist insbesondere an die ausgeprägte Frustrationstoleranz und Konfliktstabilität zu denken, die durch die Erfahrungen im Umgang und Überwinden von Mißerfolgen im DDR-System mitgeprägt wurden 54. In Einklang damit steht die Fähigkeit, geduldig das Beste aus den Verhältnissen zu machen und sich in die Macht der Verhältnisse einpassen zu können - eine Eigenschaft, die von Ostdeutschen selbst als typisch für die Mentalität ehemaliger DDR-Bürger benannt wird 55 • Darüber hinaus konnten sich ostdeutsche Beschäftigte - gerade wegen der Widersinnigkeiten und Unzulänglichkeiten des realsozialistischen Wirtschaftsund Verwaltungsapparates - eine Kompetenz aneignen, die trefflich als "Chaosqualifikation" bezeichnet werden kann 56. Diese "Findigkeit und Flexibilität bei der Lösung von Tagesaufgaben im Rahmen gesetzter Grenzen" 57, die auch nach dem Absterben des alten Regimes bestehen bleibt, ist als positiver Effekt der mentalen Hinterlassenschaften des früheren Systems zu bewerten. Auch aus diesem Grunde erscheint es bedenklich, wenn etwa die Hälfte der von uns interviewten höheren Funktionsträger in den Senatsressorts die Ansicht vertreten, auf die Erfahrungen und Kenntnisse der leitenden Mitarbeiter der Ost-Verwaltungen bei der Bewältigung der Aufgaben im geeinten Deutschland verzichten zu können. Unsere Analyse läßt im übrigen erkennen, daß wir in den neuen Ländern vor allem unter den nach der Wende rekrutierten Mitarbeitern - ein Potential an unbürokratisch denkenden und kreativen Mitarbeitern vorfinden. Dieses Personal zeichnet sich durch verwaltungsuntypische Berufswege und Qualifikationen sowie durch Berufserfahrungen in anderen Sektoren aus, die möglicherweise geeignet sind, neue Sichtweisen in den Verwaltungsapparat einzubringen und damit dessen Flexibilität und Erneuerungsfahigkeit zu erhöhen. Zudem liegt die Vermutung nahe, daß viele dieser "neuen" Mitarbeiter durch ihr "Überwintern" in Nischen der DDR-Gesellschaft geprägt wurden, die relativen Schutz vor den Eingriffen der Staatsmacht - und der Korrumpierung durch sie - boten. Auch die von diesen Mitarbeitern früher geübte Opposition gegenüber den Funktions54 Vergleiche dazu auch Stratemann (1992), Münch (1992) und W. D. Hartmann, Mentales Mauersyndrom beseitigen. Sozial psychologische Herausforderungen und Probleme für Führungskräfte beim Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft, in: Personalwirtschaftliche Probleme in DDR-Betrieben, Sonderband 1990 der Zeitschrift für Personalforschung, S. 135 -141. 55 Siehe dazu Berg / Harre / Möller (1992), S. 9. 56 Siehe L. Marz, Dispositionskosten des Transformationsprozesses. Werden mentale Orientierungsnöte zum wirtschaftlichen Problem?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/92, S.3-14, S.9. 57 Siehe Hartmann (1990), S. 139.

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weisen des realsozialistischen Systems sowie deren positive Erfahrungen mit der demokratischen Umwälzung im Herbst 1989 dürften als Verhaltensmerkmale positiv zu bewerten sein. All dies läßt auf Impulse zu einer stärker innovationsorientierten Verwaltungskultur hoffen. Da dieser Mitarbeitertypus indes der Gefahr der Überrollung und Verdrängung durch den - im Westen dominantenbürokratisch sozialisierten "Beamtentyp" ausgesetzt ist und bereits jetzt in größerer Zahl die Verwaltungen wieder verläßt, muß durch personalpolitische Aktivitäten dafür gesorgt werden, die "neuen" und innovationsbereiten Mitarbeiter in der ostdeutschen Verwaltung in besonderem Maße zu fördern und sie zum Verbleiben zu motivieren. In diesem Zusammenhang kommt es darauf an, die Identifikation der ostdeutschen Mitarbeiter mit "ihrer" neuen Verwaltung zu fördern, der sie ja zunächst relativ fremd und abwartend (teilweise auch abweisend) gegenüberstehen. Während in der Übergangszeit oft existentielle Überlebensbedürfnisse - aber auch ein besonderes "Wende"-Engagement - das Mitarbeiterverhalten prägten, wird es in der kommenden Zeit besonders auf identifikationsstärkende Konzepte ankommen. Neben dem oben bereits geschilderten Leitbild können u. a. Maßnahmen zur Partizipation an Entscheidungen, zur Delegation von Verantwortung (soweit sie bereits "tragbar" ist), zur längerfristigen Förderung des "job involvement" durch entsprechende Maßnahmen der Personalentwicklung sowie vor allem ein motivierendes Führungsverhalten seitens der Vorgesetzten zur Identifikationsstärkung beitragen. Neben den bereits geschilderten Integrationskonzepten kommen vor allem die folgenden personalpolitischen "Hebel" zur Förderung der Akkulturation in Betracht 58: (1) Integrationsfördernder Personaleinsatz: In Bereichen, wo dies faktisch möglich ist, sollte eine weitgehende Durchmischung von west- und ostdeutschem Verwaltungspersonal stattfinden, um den Prozeß der "Umsozialisation" zu fördern. Dabei vermutlich auftretenden Konflikten ist durch eine aufmerksame Führungs- und Kommunikationspolitik zu begegnen. Beispielsweise können gezielte Kommunikationsübungen ("Begegnungen") zwischen kooperierendem West- und Ostpersonal die wechselseitige Akzeptanz beträchtlich fördern. Eine gezielte Personalrotation kann den Integrationsprozeß zusätzlich unterstützen.

(2) Leistungs- und mentalitätsbezogene Arbeitsgestaltung: Unsere Analyse hat Unterschiede auch im Arbeitsverhalten (z. B. stärkerer Weisungsbezug, Bedarf an klaren Regelungen) erkennen lassen. Darauf sollten Maßnahmen der Arbeitsgestaltung bezug nehmen, etwa wenn es um den Umfang zu übertragender Verantwortung, um einzuräumendes Ermessen u. ä. geht. Allerdings sollten den ostdeut58 Vergleiche auch C. Reichard / E. Schröter, Berliner Verwaltungseliten - Rollenverhalten und Einstellungen von Führungskräfte in der (Ost- und West-)Berliner Verwaltung, in: Seibel (1993).

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schen Mitarbeitern dabei auch diejenigen Freiräume gewährt werden, die beispielsweise zum Erproben eigenständiger Lösungen und zum Erwerb eigener Erfahrungen nötig sind. (3) Tätigkeits- und kulturbezogene Fortbildung 59: die Fort- und Weiterbildung ostdeutscher Verwaltungsmitarbeiter ist ohne Zweifel der wichtigste Hebel zur Integrationsförderung. Dabei sind in diesem Zusammenhang nicht so sehr Lehrveranstaltungen im kognitiven Bereich (z. B. Wissen über Recht oder Management) gemeint, sondern Lernprozesse im Einstellungs- und affektiven Bereich. Oberflächliche Lehrgänge können sogar kontraproduktiv sein und einseitig den Typus des ,,klassischen Bürokraten" in seiner Rechtsgläubigkeit fördern . Nicht immer erfüllen die Fortbildungsveranstaltungen, die z. T. recht formalistisch und undifferenziert als Verbeamtungsvoraussetzung verordnet werden, ihre Funktion. Gelegentlich "erschlägt" das Seminarangebot auch die Mitarbeiter oder es kommt zu einem gewissen "Seminartourismus"60. Besonderen Wert sollte man in der Fortbildung unter Akkulturationsaspekten auf folgende Ansätze legen:

-

Förderung des Politikverständnisses (z. B. Rolle der Parteien und Verbände im demokratischen Prozeß),

-

Vermittlung zeitgemäßer Rollenbilder (z. B. Mitwirkung am Politikformulierungsprozeß),

-

Beeinflussung des Führungs- und Kooperationsverhaltens (z. B. Delegationsbereitschaft, Kooperation mit Mitarbeitern, Einsatz von Führungsinstrumenten, Managementpraktiken im westlichen Verwaltungssystem, nichthierarchische Organisationsformen).

Diese Ansätze erfordern allerdings auch geeignete Lernformen. Passives "Lehrgangs"-Lernen, wie es heute die verbreitete Praxis ist, wird zum Integrationsziel wenig beitragen können. Gruppendiskussionen, Rollen- und Planspiele erscheinen hier wesentlich geeigneter. In besonderem Maße sind aktionsorientierte, arbeitsplatzbezogene Lemformen zu verwenden, die dem Konzept der Organisationsentwicklung entsprechen: Erörterung konkreter Kooperations-, Kommunikations- und Führungsprobleme und ihrer Lösung durch (ost- und westdeutsche) Mitarbeiter einzelner Organisationseinheiten. Hilfreich können im Akkulturationsprozeß ferner auch Integrationspartnerschaften sein, die - etwa auf der Leitungsebene - zwischen Ost- und Westpersonal gebildet werden. Beispielsweise kann das Modell des Mentors im Sinne eines Ansprechpartners und einer Vertrauensperson für eine noch unerfahrene (Ost-) Führungskraft ein interessanter Ansatz sein. Fazit: Gefragt ist im gegenwärtigen Umbau und Umorientierungsprozeß in der ostdeutschen Verwaltung nicht (allein) 59 Siehe dazu auch die Beiträge von [rene Chowdhuri und Regine Ehrhardt in diesem Band. 60 Vergleiche dazuR. Frank, Politik und Verwaltung im Umbruch, in: Die Demokratische Gemeinde 1992, S. 52.

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der "Lehrgangs-Dozent", sondern (auch) der "Therapeut", der an den Werten und Einstellungen der Mitarbeiter ansetzt und der die Mitarbeiter bei der Bewältigung ihrer Orientierungs- und Integrationsprobleme unterstützt. Ergänzend können Maßnahmen im Bereich der Rekrutierung und Ausbildung zur Verstärkung künftig erwünschter verwaltungskultureller Ausprägung beitragen: Durch eine auf das geschilderte Leitbild ausgerichtete, tradierte bürokratische Selektionspraktiken vermeidende Rekrutierungspolitik und durch entsprechende Akzente in der Ausbildung können Mitarbeiter herangebildet werden, die den oben genannten Leitbild-Merkmalen näherkommen. In den kommenden Jahren einer weiterhin angespannten Arbeitsmarktsituation ist dafür in Ostdeutschland durchaus ein günstiges Potential an Nachwuchskräften vorhanden, bevor die sich im Westen bereits abzeichnenden Rekrutierungsengpässe auch auf den Osten Deutschlands durchschlagen.

IH. Die Führungskraft als "Integrationshelfer" Die vorangegangenen Ausführungen dürften es bereits deutlich gemacht haben: Den Führungskräften kommt im Akkulturationsprozeß eine Schlüsselrolle zu. Durch ihr " Vor-Leben" eines angemessenen Rollenbildes, das sich auf "westlichdemokratische" Werte sowie auf die oben geschilderten Leitbild-Merkmale stützt, sowie durch Stärkung, Bestätigung und Förderung der erwünschten Verhaltensweisen üben sie maßgeblichen Einfluß aus. Der Vorgesetzte kann - speziell in "Ost/West-gemischten" Gruppen - auf verschiedene Weise den Akkulturationsprozeß beeinflussen: -

durch sein Kommunikationsverhalten (z. B. durch häufige Rückmeldungen an die Mitarbeiter über wahrgenommene Arbeitsergebnisse, durch Anerkennung und Kritik, durch Hinweise im Rahmen regelmäßiger Personalführungsgespräche),

-

durch seine Informationspolitik (z. B. im Rahmen der Einarbeitung, Unterweisung, Ausbildung; durch Weitergabe relevanter Informationen),

-

durch die schrittweise Anpassung des Schwierigkeitsgrades übertragener Aufgaben und damit zusammenhängender Kompetenzen / Verantwortlichkeiten (z. B. auch durch schrittweise Erweiterung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen oder durch Rücknahme von Zeichnungsvorbehalten parallel zur Mitarbeiter-Qualifizierung),

-

durch die betonte Einbeziehung der Mitarbeiter in die Zielformulierung und Entscheidungsfindung, insbesondere, soweit es um organisations- und personalrelevante Fragen geht,

-

durch Maßnahmen der Personalförderung und -entwicklung (z. B. Abklärung von beruflichen Entwicklungs- und Verwendungswünschen der Mitarbeiter,

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Christoph Reichard und Eckhard Schröter Aufzeigen von Stärken / Schwächen, Unterstützung bei Qualifizierungs- und Mobilitätsabsichten).

Im Grunde geht es um die Qualitäten, die ohnehin von einem "guten Vorgesetzten" erwartet werden. Im Hinblick auf die Integration ostdeutscher Mitarbeiter ist lediglich eine besondere Sensibilität und eine gewisse" interkulturelle Kompetenz" geboten 61 : Führungskräfte, vor allem, wenn sie aus dem "Westen" kommen, sollten offen und sensibel für das "Anderssein" ihrer Untergebenen sein, z. B. im Hinblick auf abweichende Formen des Kommunikations-, Kooperations-, Führungs- und Konfliktaustragungsverhaltens. Sie sollten diesen Mitarbeitern auch "Sicherheit" vermitteln, ihr (Selbst-)Vertrauen stärken und ihre Akzeptanz - z. B. bei westlichen Kollegen - fördern.

IV. Verwaltungshilfe als Kulturbegegnung Der Verwaltungsumbau in Ostdeutschland wird bekanntlich mit beträchtlicher Unterstützung durch Verwaltungen in den alten Bundesländern sowie durch von dort entsandte Mitarbeiter ("Leihbeamte" bzw. "Verwaltungs-Missionare") vollzogen 62. Diesen Vorgang nennt man - in Anlehnung an entsprechende Begriffsbildung in der Entwicklungszusammenarbeit 63 - bezeichnenderweise" Verwaltungshilfe". Im Rahmen dieser Hilfe haben sich - vor allem auf kommunaler Ebene - zahlreiche Partnerschaften herausgebildet. In diesen Partnerschaften sind schätzungsweise etwa 25000 westliche Verwaltungsexperten dauerhaft oder auf Zeit in den neuen Ländern tätig. Dabei kommt es zu einer "Kulturbegegnung" 64: Berater, Helfer, Leihpersonal, auf Dauer versetzte Mitarbeiter transferie61 Wenn sich auch die sozio-kulturellen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland im Vergleich zu den Kulturspezifika anderer Staaten (zumal in anderen Kulturkreisen) in Grenzen halten, kann man doch einiges von der kulturvergleichenden Managementforschung lernen; vergleiche in diesem Zusammenhang z. B. Hofstede (1980); E. von Keller, Ziele, Ergebnisse und methodische Probleme der kulturvergleichenden Managementforschung, Bern / Stuttgart 1982; T. Kempf, Sozio-kulturelle Aspekte beim Management von internationalen Gründungsprojekten, in: W. Dieterle / E. Winckler (Hrsg.), Unternehmensgründung. Handbuch des Gründungsmanagement. München 1990, S. 559567; C. Reichard / M . Röber, Socio-Cultural Influences on Management of Public Enterprises in Developing Countries. With Special Reference to Sri Lanka, in: FES- Vierteljahresberichte Nr. 98, 1984, S. 393 -405; W. Schmeisser, Personalführung in unterschiedlichen Kulturen, in: Zeitschrift Führung + Organisation 1991, S. 159-165. 62 Vergleiche zu letzterem H. Bosetzky, Verwaltungsmissionare - Über den Einsatz westlicher Verwaltungsmitarbeiter in Ostberlin (Projektbericht des FB 1 der FHSVR Berlin), Berlin 1992; vergleiche ferner zur Verwaltungshilfe z. B. T. Bauer, Aufbau der Verwaltung in den fünf neuen Ländern - Erfahrungen eines bayrischen Beamten im Thüringer Innenministerium, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1991, S.378388; o. Scheytt, Verwaltungshilfe für die Kommunen in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, in: Archiv für Kommunalwissenschaften 1991, S. 1-15. 63 Vergleiche dazu grundlegend K. König (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung und Entwicklungspolitik, Baden-Baden 1986.

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ren Regeln, Strukturen, Verhaltensweisen, Praktiken und damit zumindest indirekt auch Werthaltungen, Einstellungen und andere 'westliche Kulturmuster, treffen andererseits auf ihnen wiederum fremde Muster. Je nach Machtverhältnissen, wechselseitiger Akzeptanz und Offenheit kommt es sodann im weiteren Verlauf zu unterschiedlichen "Synthesen" zwischen importierter und originärer Verwaltungskultur. Welche Transferprozesse im einzelnen ablaufen und welche Mischungen sich dabei herausbilden können, ist dabei bisher noch kaum untersucht worden 65. Die Förderung der Werteintegration durch westliche "Verwaltungshelfer" hängt einerseits von der Rolle dieser Helfer, andererseits von ihren interkulturellen Fähigkeiten ab. Die Helfer können als Kurzzeitexperten tätig sein, als längerfristig abgestellte, Beratungsfunktionen ausübende "Leihbeamte" oder auch als endgültig in die ostdeutsche Verwaltung versetzte Mitarbeiter. Je nach diesem Status wird die Bereitschaft der Helfer, sich offen mit Einstellungen und Verhaltensweisen ihrer "Counterparts" auseinanderzusetzen und ggf. gemeinsam mit diesen nach situationsangepaßten Lösungen zu suchen, unterschiedlich ausgeprägt sein 66 • Es spricht einiges dafür, daß eine längerfristige Integration der westlichen Fachkräfte und eine klare Verantwortungsübemahme eher günstig für eine "Kulturbegegnung" sind als der Einsatz kurzzeitiger Beratungskräfte 67 • Die für einen Kultur-"Mix" nötige, oben bereits geschilderte interkulturelle Kompetenz, d. h. Fähigkeit, sich mit fremden Einstellungen und Verhaltensweisen auseinandersetzen zu können, scheint bei einem großen Teil der West-Berater nicht sonderlich ausgeprägt zu sein. Offenbar spielen bei der Auswahl dieser Kräfte bisher andere Kriterien eine wichtigere Rolle. Auch ist der Stärkung dieser Fähigkeiten in der Vorbereitungsphase bisher nicht immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden 68.

64 Vergleiche zum Begriff ursprünglich R. Preiswerk, Entwicklungshilfe als Kulturbegegnung, Freiburg (Schweiz) o. J. 65 Die Autoren führen hierzu in Zusammenarbeit mit G.-J. Glaeßner und M. Röber ein von der DFG gefördertes Forschungsprojekt mit dem Thema "Verwaltungskultur in Ostdeutschland" durch; vergleiche dazu ferner auch M. Osterland / R. Wahsner, Die Kommunalverwaltung in den neuen Bundesländern. Strukturelle und personelle Probleme ihrer Reorganisation nach der Wende (Ms-Nr. 66, Hans-Böckler-Stiftung), Düsseldorf 1992. 66 Vergleiche auch Reichard (1991), S. 396. 67 Ersteres führt allerdings seit einiger Zeit aufgrund von Wohnungsengpässen, Freizeitdefiziten und Familientrennungen zu einem "Ost-Koller" der westlichen Mitarbeiter, wie man der Tagespresse ("Der Tagesspiegel" vom 13. 8. 1992) entnehmen konnte. 68 Vergleiche hierzu das Plädoyer der KGSt für eine Sensibilisierung der "Verwaltungshelfer" für sozio-kulturelle Unterschiede: Partnerschaftliche Kommunalberatung in den neuen Bundesländern. KGSt-Bericht 12/1990.

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Christoph Reichard und Eckhard Schröter

D. Ausblick Die vorangegangenen Ausführungen sollten deutlich gemacht haben, daß wir in der ostdeutschen Verwaltung eine besondere, vom bundesdeutschen Muster abweichende Verwaltungskultur vorfinden und daß der in der Zukunft unvenneidliche Prozeß der Integration und Abstimmung dieser bei den unterschiedlichen Kulturen durch geeignete personalpolitische Ansätze gefördert werden kann. Angesichts der geschilderten empirischen Befunde ist einerseits die Gefahr nicht auszuschließen, mit den ostdeutschen Verwaltungskultur-Mustern hinter die (bescheidenen) Ansätze einer offenen, gesellschaftsorientierten Verwaltung zurückzufallen. Andererseits bieten sich im Zusammenhang mit dem Verwaltungsumbau in Ostdeutschland Chancen zur Entwicklung einer innovativen Verwaltungskultur, die sogar eine gewisse, wenn auch begrenzte Ausstrahlungskraft nach Westen haben könnte. Die zukünftigen Entwicklungen hängen u. a. vom Verlauf des Akkulturationsprozesses in Ostdeutschland ab. Dieser Prozeß kann entweder in Richtung Integration (d. h.: hohe Kulturbewahrung) oder in Richtung Assimilation (d. h. geringe Kulturbewahrung) verlaufen 69 • In Anbetracht des institutionellen und wirtschaftlichen Übergewichts des Westens sowie der ideologischen Diskreditierung des DDR-Systems ist derzeit wohl eher mit Assimilation zu rechnen. Insgesamt dürfte die Frage gegenwärtig unbeantwortbar sein, in welche Richtung sich die "gesamtdeutsche" Verwaltungskultur in Zukunft entwickeln wird. Es muß auf lange Sicht zunächst offen bleiben, inwieweit sich die Muster der alten Bundesländer durchsetzen werden oder inwieweit es zu fruchtbaren Synthesen beider Kulturen kommen wird. Trotz dieser Ungewißheiten ist es auf längere Sicht - auch unter Einbezug weiterer Faktoren wie etwa des Prozesses der europäischen Integration - eher plausibel, daß wir in der Zukunft zu einer anderen, einer "neuen" Verwaltungskultur in Deutschland kommen werden.

69 Dabei handelt es sich um Formen eines grundsätzlich erfolgreichen Akkulturationsverlaufs, denen die dysfunktionalen Typen der Dekulturation oder der Segregation gegenüberstehen. Vergleiche zur Typologie von Akkulturationsprozessen z. B. Reineke (1990), S. 92 und Krystek (1992), S. 550.

Der Beitrag von Fortbildung zur Verwaltungsentwicklung am Beispiel Ost-Berlins Von Irene Chowdhuri

I. Vorbemerkung Bald nach der Maueröffnung war in Berlin wie in den neuen Bundesländern Fortbildung das Gebot der Stunde: für die Mitarbeiter der damaligen Magistratsverwaltungen und der Stadtbezirke Ost-Berlins. Von den vorhandenen Bildungseinrichtungen in Berlin wurden gutgemeinte Angebote in bunter Vielfalt bereitgestellt, um ein Minimum an Wissen über die Bundesrepublik, ihre Wirtschaftsund Sozialordnung, ihre staatsrechtliche Verankerung zu vennitteln. Lern- und wißbegierige Abnehmer gab es in Hülle und Fülle. Erst als politisch die Weichen gestellt wurden, als sich für die jetzt größere Bundesrepublik Deutschland durch den Beitritt der DDR die Entwicklung klar abzeichnete, nahm auch das Fortbildungsangebot strukturiertere Fonnen an, weil es von einer eindeutigen Perspektive getragen wurde. Das, was unter dem Diktat der Eilbedürftigkeit und aus dem Wissens- und Erfahrungsvorsprung heraus zunächst für die Adressaten des Lernens einseitig vorfonnuliert wurde, konnte sich dann auch im Laufe der Zeit zunehmend zu einem gemeinsamen Lernen, einem wechselseitigen Austausch, einer Kooperation im Suchen von Lösungen und Wegen entfalten. Denn auch für die Fortbildungsplaner ist die Situation einmalig. Eine Verwaltung ist im Aufbau zu unterstützen, in der die Mitarbeiter einerseits noch Lernende sind, zeitgleich aber schon verantwortungsvoll und richtungsweisend handeln sollen. Sie müssen sich Schritt für Schritt aneignen, wie man ein neues Feld mit unbekannten Werkzeugen berarbeitet, es kultiviert, sollen zugleich dicke Früchte als Ernte einbringen, sogar schon mit neuen, unbekannten Züchtungen erfolgreich experimentieren - und das bei einem insgesamt noch instabilen Umfeld. In Anbetracht der schwierigen Ausgangsbedingungen kann ich keine fertigen Konzepte liefern. Ich werde aber aus Berliner Sicht einige der Fortbildungsansätze vorstellen, die das Ziel verfolgen, die Entwicklung der Verwaltung in Ost-Berlin schnell auf den Weg zu bringen, und ich will dabei den Blick auch perspektivisch in die Zukunft richten.

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Irene Chowdhuri

11. Grundlegende Aufgaben der Weiterentwicklung von Mitarbeitern durch Fortbildung In der sich in Ost-Berlin und den neuen Bundesländern vollziehenden Transformation in Form eines umfassenden Systemwandels, der die gesamte Ordnung von Gesellschaft, Wirtschaft und Staatlichkeit umfaßt, muß auch die Verwaltung sich gut positionieren. I Hierzu bedarf es eines lebendigen Prozesses: einer Übernahme bewährter Strukturen, Verfahren und Vollzüge, die von und für Menschen gestaltet werden; es muß aber auch schon der Schritt darüber hinaus getan werden, gegenüber den alten Bundesländern neue Antworten auf alte Fragen zu finden und neue Fragen zu formulieren. Dies erfordert zunächst eine lernende Aneignung. Verwaltungsmitarbeiter aller Ebenen, Führungskräfte ebenso wie Sachbearbeiter, mußten und müssen auch weiterhin Anleitung und eine gute Ausstattung an Wissen erhalten, um handlungsund entscheidungsfähig zu sein. Hilfsmittel sind die Vor-Ort-Unterstützung durch erfahrene Kollegen aus dem Westen, der Personalaustausch und insbesondere die systematische Fortbildung. Was ist, geleitet von Fortbildung, von den Verwaltungsmitarbeitern zu leisten? 1. Sie müssen sich in ein anderes Verständnis von Staat und Gesellschft hineinfinden, in neue Rechts- und Verwaltungsvorschriften, in neue Aufgaben, eine insgesamt andersartige Verwaltungsstruktur, mit anders aufgebautem Personalkörper, in neue Handlungs- und Organisationsbezüge und in eine Neudefinition der Beziehung zwischen Verwaltung und Bürger.

2. Sie müssen einen Lernvorgang vollziehen, der außer dem Erwerb des Neuen auch das Umdefinieren, Überlagern oder Verdrängen des Vertrauten, in den Menschen Verwurzelten zur Folge hat, ohne daß hierbei in der Regel eine bewußte Aufarbeitung vorgenommen werden kan. Das scheitert schon daran, daß den meisten Lehrkräften, die aus einer anderen Tradition stammen, das Wissen fehlt, um Vergleiche überhaupt herstellen zu können. Dies wird vermutlich so mancher Fortbildungsteilnehmer insgeheim tun, vielleicht auch einmal in vertraulichen Pausengesprächen. Insgesamt ist davon auszugehen, daß die betroffenen Menschen mit dem Problem der Verarbeitung sehr alleine gelassen sind. Es ist hier nicht die Stelle, um über daraus resultierende Konsequenzen zu spekulieren. 3. Sie müssen sich nicht nur innerhalb kürzester Zeit Neues aneignen um es formal umzusetzen, sondern auch die ungeschriebenen Regeln des Verwaltungsrechts und des Verwaltungshandelns kennenlernen, sie anwenden, das daran ausgerichtete Rechtsbewußtsein und die zum Handeln passende EinstelI Vgl. Klaus König, Transfonnation einer Kaderverwaltung: Transfer und Integration von öffentlichen Bediensteten in Deutschland, in: Die Öffentliche Verwaltung, 1992,

S.551.

Der Beitrag von Fortbildung zur Verwaltungsentwicklung

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lung entwickeln. 2 Normen müssen zur Wirklichkeit in Bezug gesetzt und in innerer Wahrhaftigkeit verankert werden, damit Verwaltungsmitarbeiter überzeugt zu dem stehen können, was sie tun. Nicht eine gut adaptierte äußere Formgebung ist gefragt, sondern mit Leben erfüllte Verwaltungsgebilde sind notwendig. Der Preis, den man für eine nur formal erfolgte Anpassung zu zahlen hätte, würde irgend wann sehr hoch sein. Für die Einlösung des Lernauftrages an die Verwaltungsmitarbeiter muß ein passendes Fortbildungsprogramm entwickelt werden, über das in den weiteren Ausführungen konkreter berichtet werden soll. Vorangestellt werden Hinweise zu den Berliner Rahmenbedingungen, die sich in einigen Punkten von denen in den neuen Bundesländern unterscheiden.

III. Die Rahmenbedingungen der Berliner Verwaltung Die Probleme der Vereinigung sind in Berlin wie in einem Brennglas gebündelt. Dreieinhalb Millionen Menschen leben auf engem Raum beieinander, Ost- und West-Bürger in ständiger, alltäglicher Begegnung und Konfrontation. Im beruflichen Alltag, insbesondere auch dem des öffentlichen Dienstes, ist eine Zunahme der Durchmischung des Personals aus beiden Stadthälften zu verzeichnen. Das Aufeinandertreffen setzt vieles frei und macht offen austragbar, was an wechselseitigen Einschätzungen, Ressentiments, an Neid und Berufskonkurrenz vorhanden ist - es macht sich aber auch eine heilende Wirkung des Alltags bemerkbar. Von den Änderungen der Verwaltungsstrukturen sind im Ostteil,der Stadt insbesondere die Bezirksämter der 11 Bezirksverwaltungen betroffen, also der kommunale Bereich. Die Bezirke sind unterschiedlich groß. Die Spanne reicht von 53000 Einwohnern im kleinsten Bezirk Weißensee bis hin zu Lichtenberg mit 172 000 Bewohnern. Die 12 westlichen Bezirke leisten nicht nur tatkräftig Verwaltungshilfe, sondern sie sind auch das Gegenüber des Spiegelbildes, das in den östlichen Bezirken langsam Konturen annimmt. Handlungsweisen und Organisationsmuster werden weitgehend aus dem Westen übernommen. Im Bezirksamt Weißensee sollen modellhaft Verwaltungsreformansätze realisiert werden: beim Aufbau eines Bürgeramtes, der Bündelung der sozialen Dienste, der Herstellung einer leistungsfähigen Infrastruktur, dem Einsatz betriebswirtschaftlicher Steuerungsinstrumente.

2 Vgl. Rainer Pitschas, Verwaltungsrefonn und Reorganisation des öffentlichen Dienstes als Erfolgsbedingungen der Rechtsvereinheitlichung, in: ders. (Hrsg.), Rechtsvereinheitlichung und Verwaltungsrefonn in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, 1991, S. 21.

15 Speyer 110

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Zielsetzung ist, Richtungsweisendes für alle übrigen, damit auch für die WestBerliner Bezirksämter aufzubauen. Eingebettet ist das Vorhaben in Weißensee in ein Wiederaufleben der Verwaltungsreform- Diskussion, die durch die Vereinigung mit ihren Folgeentscheidungen für Berlin und durch knapper werdende Finanzmittel neuen Aufschwung erhalten hat. 3 Vom ersten Tage der Vereinigung an besaß Berlin aus dem Westteil der Stadt eine erfahrene Regierung und Verwaltung als Basis. Senatsverwaltungen sind in ihrem äußeren Aufbau durch den Einigungsprozeß im Prinzip unverändert geblieben, sehen sich aber mit einer Menge neuer Aufgaben, Fragestellungen und Schwierigkeiten konfrontiert. Die Belastung vieler Mitarbeiter der Berliner Verwaltung ist ebenso wie in den neuen Bundesländern enorm. Was ist für diejenigen zu tun, die die Hauptlast der Vereinigung tragen, die neu hinzugekommenen Verwaltungsmitarbeiter?

IV. Fortbildungsgestützte Verwaltungsentwicklung

1. Grundlegende Qualifizierung von Beamten während der Probezeit Als Herzstück der Qualifizierung, die für Mitarbeiter aus dem Beitrittsgebiet möglichst bald annähernd vergleichbare Leistungsstandards wie für die alten Bundesländer sicherstellen soll, kann die Fortbildung gelten, die für die ins Beamtenverhältnis zu übernehmenden Beschäftigten bestimmt ist. Die Anlage I des Einigungsvertrages gibt vor4, daß Beamten während der Probezeit Gelegenheit zu geben ist, sich durch entsprechende Aus- und Fortbildungsangebote für ihre Laufbahn fachlich weiterzuqualifizieren; durch Landesgesetze 5 und Ausführungsvorschriften, wie sie in Berlin und den neuen Bundesländern vorliegen oder in Vorbereitung sind 6 , erfolgt eine Präzisierung. Die Fortbildungsinhalte für den allgemeinen nichttechnischen Verwaltungsdienst in Berlin sollen zur Verdeutlichung erläutert werden. 7 Für alle Laufbahn3 Die Verwaltungsreform ist einer der Politikschwerpunkte des Berliner Senats. In zwei Vorlagen, die im März und November 1992 in Sitzungen des Berliner Senats eingebracht wurden, unterbreitete der Senator für Inneres konzeptionelle Vorstellungen zu einem Gesamtkonzept zur Reform der Berliner Verwaltung. Zum Modell-Bezirksamt vgl. den Bericht: Projekt Modell- Bezirksamt - Problemanalyse, erstellt von der Projektgruppe Modellbezirksamt der Senatsverwaltung für Inneres, Stand: 1. Juni 1992. 4 Anlage I, Kapitel XIX, Abschnitt II1, 3 b des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands, BGBl. II 1990, S. 1141. 5 Für Berlin: Drittes Gesetz über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 19. 12. 1991, GVBl. 1991, S. 294 ff. 6 Genaueres hierzu bei Joachim Vollmuth, Vom Staatsfunktionär zum Beamten einer rechtsstaatlichen Verwaltung, in: Die Öffentliche Verwaltung, 1992, S. 377.

Der Beitrag von Fortbildung zur Verwaltungsentwicklung

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gruppen - vom mittleren bis zum höheren Dienst - wird ein Maßnahmenpaket angeboten, das in der Regel während der Probezeit zu durchlaufen und in Teilen auch durch Bewährung bei Leistungsnachweisen erfolgreich abzuschließen ist. Es hat einen Umfang von mindestens 100 Doppelstunden für den mittleren, mindestens 150 Doppelstunden für den gehobenen und mindestens 200 Doppelstunden für den höheren Dienst. Es ist vom Grundsatz her ebenso für alle diejenigen bestimmt, die auch in Zukunft Arbeitnehmer bleiben werden. Zur Fortbildung gehört zunächst einjachübergreifender Teil, in dem für die Verwaltungstätigkeit grundlegende Kenntnisse vermittelt werden. Er umfaßt für den gehobenen Dienst die Inhalte -

Staats- und Verfassungsrecht sowie Bezirksverwaltungsrecht,

-

Aufbau und Aufgaben der Berliner Verwaltung,

-

Einführung in das Geschäftsverfahren,

-

Grundzüge des Haushaltsrechts,

-

Allgemeines Verwaltungsrecht einschl. Verwaltungsverfahrensrecht,

-

Grundzüge des Beamtenrechts.

Für den mittleren Dienst ist rein formal betrachtet die Themenvorgabe in etwa identisch. Beim höheren Dienst kommen neben den aufgeführten Inhalten noch weitere hinzu: Personal und Organisation, Personalführung sowie Informationsund Kommunikationstechniken. Neben dem allgemeinen Grundlagenwissen gibt es einejachbezogene Fortbildung, die auf das Tätigkeitsfeld des Beamten abstellt, und einejunktionsbezogene Fortbildung , die Kenntnisse und Fertigkeiten allgemeiner, im Prinzip übergreifender Art anbietet, die aber für ein bestimmtes Arbeitsgebiet einen besonderen Stellenwert haben, wie beispielsweise Umgang mit dem Bürger, PC- Kenntnisse, Ausbildung von Ausbildern. Bei den Veranstaltungen fach- und funktionsbezogener Art kann im allgemeinen die Entscheidung, was ein Mitarbeiter an Fortbildung zu absolvieren hat, nur auf der Basis des Arbeitsgebiets, des Vorwissens des Beschäftigten und im Einvernehmen mit der Dienstbehörde festgelegt werden. Darüber hinaus kann auch für klar bestimmbare Funktionsträger ein aufeinander abgestimmter Fortbildungskatalog bereitgestellt werden. Zur Verdeutlichung der fach- und funktionsbezogenen Fortbildung für eine gut eingrenzbare Zielgruppe soll beispielgebend die Qualifizierung von Büroleitern, zukünftigen Beamten der Endstufen des gehobenen Dienstes, vorgestellt werden. 8 7 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres, Ausführungsvorschriften über Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Beamte des allgemeinen nichttechnischen Verwaltungsdienstes aus dem Beitrittsgebiet während der Probezeit, Entwurf, Stand: September 1992.

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Aufgabe der Büroleiter ist, in den Fachabteilungen der Bezirksämter, z. B. Gesundheitswesen oder Volksbildung, den Abteilungsleiter bei den Verwaltungsaufgaben zu unterstützen, die zur Aufrechterhaltung und Fortschreibung des Dienstbetriebs in Organistions- und Personalangelegenheiten notwendig sind. Ihnen kommt damit im Veränderungsprozeß eine Schlüsselfunktion zu. Mit einem Programm mittlerer Komplexität soll die persönliche Handlungsfähigkeit der Büroleiter so gestärkt werden, daß sie sich bei Wahrnehmung ihrer Aufgabe auch neuen, unbekannten Situationen stellen können. Das Programm umfaßt die Veranstaltungen: Grundkurs 1. Stellung und Aufgaben des Büroleiters 2. Ausgewählte Themen aus dem Dienstrecht 3. Beschreibung und Bewertung von Arbeitsgebieten 4. Einsatz von Vordrucken als Steuerungsmittel in der Aufbau- und Ablauforganisation 5. Erarbeitung, Beschaffung und Einsatz von Organisationsmitteln Aufbaukurs 6. Training zur Gestaltung des Geschäftsverfahrens und der Zusammenarbeit 7. Übung: Personalwirtschaft, Personalbemessung und Arbeitsplatzbewertung 8. Arbeitsrecht Insgesamt dauert die Fortbildung 72 Doppelstunden. Weil gleiche Funktionsträger zusammenkommen, sich einem längeren Lern-, Übungs- und Austauschprozeß stellen, wird einerseits eine hohe Lerndichte erreicht und erwächst andererseits in einem Teilbereich ein über die Bezirksgrenzen hinausgehendes, gemeinsames Aufgabenverständnis, von dem zu erwarten ist, daß es über die aktuelle Fortbildung hinaus Früchte tragen wird. Es paßt ins Bild, daß aus eigenem Antrieb von Absolventen des Kurses ein Arbeitskreis der Büroleiter der östlichen Bezirksämter gegründet wurde.

2. VeränderungsJortbildung als Instrument zukunJtsgerichteter Verwaltungs entwicklung Fortbildung muß den Mitarbeitern mehr bieten als nur eine Grundlagenqualifizierung. Über die Einführungs- und Anpassungsfortbildung hinaus muß sie mit der Veränderungsfortbildung einen Schritt weitergehen: einen Beitrag zur Erneuerungsfahigkeit der Verwaltung in einer sich ändernden Gesellschaft leisten. Die 8 Vgl. hierzu Aus- und Fortbildungsprogramm der Verwaltungsakadernie Berlin, Wintersemester 1992/93, S. 265 ff.

Der Beitrag von Fortbildung zur Verwaltungsentwicklung

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Veränderungsfortbildung kann damit zu einem Mittel der systematischen Verwaltungsentwicklung werden und sich auch in Reformvorhaben einfügen. Sie kann den Weg bereiten, wo Veränderungswille vorhanden ist, und da Unterstützung geben, wo Reformvorhaben konkret Gestalt annehmen. Ihrem Anspruch nach richtet sich die Veränderungsfortbildung vorrangig an (zukünftige) Führungskräfte. Im Zusammenhang mit dem Verwaltungsaufbau wird die Frage diskutiert, ob eine effektive Verwaltung im Osten von Anfang an alles anders, insbesondere besser machen sollte, um auch für den Westen neue Standards zu setzen, oder ob man langjährig Erprobtes übernehmen und dann Ost und West gemeinsam reformieren sollte. 9 Die Antworten sind unterschiedlich, in Abhängigkeit von politischen Grundsatzentscheidungen, vom Stand der Entwicklungen in den Landesverwaltungen und Kommunen der neuen Bundesländer und auch vom Einfluß der mit ihnen in Partnerschaft verbundenen alten Bundesländer. Vom Grundsatz her ist die eigene Weiterentwicklung ständiger, oft aber nur schwer einzulösender Auftrag an die Verwaltung. Dieser Auftrag hat durch die vielen Probleme, die sich beim Verwaltungs aufbau in Ost-Berlin und den neuen Bundesländern auftun, eine deutliche Akzentuierung erfahren. Problemlösungen müssen nicht nur im politischen Feld gefunden werden; ein Gutteil der Verantwortung liegt auf den Schultern von Führungskräften der Verwaltung. Sie können wesentlich darauf Einfluß nehmen, wie allgemeine Strukturen, Personalstrukturen, Aufbau- und Ablauforganisation in Zukunft aussehen werden, wie insgesamt die Anpassung an die funktionalen Erfordernisse des jeweiligen Zuständigkeitsbereichs erfolgt. Dazu muß die Steuerungsfähigkeit leitender Mitarbeiter getärkt werden, auch durch Fortbildung.

3. Schulung von Führungskräften Führungskräfte aus dem Beitrittsgebiet, deren Lernprozeß sich in der Anfangsphase kaum von dem ihrer Mitarbeiter unterscheidet, 10 wenn es um die Grundlagen geht, müssen darüber hinausgeführt werden, um mit dem analytischen "Blick von oben" und in genauer Innenbetrachtung für ihren Zuständigkeitsbereich Gestaltungsverantwortung übernehmen zu können. Sie richtet sich auf die Aufgaben, die Organisation, die Art der inneren Führung, die zugleich das Maß an Verantwortung, Entscheidungsspielraum und aktiver Beteiligung der Mitarbeiter bestimmen.

9 Vgl. Hermann Hili, Effektive Verwaltung in den neuen Bundesländern, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, 1991, S. 1050. 10 Vgl. Eike Thombansen, Fortbildungs- und Beratungsmaßnahmen für die Kommunalverwaltung in Sachsen-Anhalt, ein Konzept und seine Umsetzung, in: Deutsche Verwaltungspraxis, 1991, S. 270.

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Modellhaft soll dargelegt werden, wie eine zukunftsorientierte Entwicklung von Führungskräften durch Fortbildung aussehen könnte, die als Zielgruppe vorrangig Leitungskräfte der oberen und mittleren Ebene im Blick hat. Sie wird im Regelfall nach der Grundlagenqualifizierung ansetzen und hat in Berlin immer auch dem Gesichtspunkt der Mitarbeiterintegration zu dienen. Zwei Bestandteile sollte die zukunftsorientierte Führungskräfteentwicklung haben: 1. ein politikbezogenes Seminarprogramm 2. ein managementbezogenes Seminarprogramm. Ziel ist eine zukunftsweisende, systematische Durchdringung des Handlungsfeides mit interner und externer Orientierung (Blick nach innen und außen), um mit den Mitarbeitern gemeinsam Ansätze zur Neuorientierung finden zu können. a) Politikfeldorientierte Fortbildung Zur Illustrierung der politikfeldbezogenen Fortbildung dient ein Leitfaden, in dem einige wichtige Eckdaten aufgelistet sind. Er ist bezogen auf Politikfelder, wie beispielsweise Bau- und Wohnungswesen, Sozialwesen, um diese mit Fortbildungsinhalten zu füllen und in eine stimmige Abfolge von Seminaren umzusetzen.

Leitfaden tür politikfeldbezogene Fortbildung 1. Standortbestimmung - politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Einflußfaktoren des Handlungsfeldes - aktuelle Entwicklungen und Tendenzen - Übergang und Abgrenzung zu anderen Bereichen 2. Definition des Verwaltungs auftrages - im Eigenverständnis - im Verständnis der Mitarbeiter / innen - Erwartungen von Bürgern / Unternehmen - Anspruch der externen Mitgestalter des Feldes (freie Träger etc.) 3. Ausformung des Auftrages - bei den Rechtsgrundlagen - im organisatorischen Bereich - in der Zusammenarbeit (innen und nach außen) 4. Alternativen - andere Ansätze und ihre Konkretisierung (über das eigene Bundesland hinausgehend) - Projektierung von Veränderungsvorhaben - Instrumente der Veränderung - Mitarbeiterbeteiligung

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Die Verwaltungsakadernie Berlin verfügt aus zurückliegender Zeit über langjährige, gute Erfahrungen in der politikfeldbezogenen Fortbildung im Sozialwesen. 11 Eine Wiederaufnahme, ein Zuschnitt auf die veränderte Situation und die Entwicklung von Programmen für andere Politikbereiche steht aus. b) Managementbezogene Fortbildung Die managementbezogene Fortbildung ist eng verzahnt mit der politikfeldbezogenen Betrachtung zu sehen; beides greift ineinander über. Für die praktische Seminarplanung erscheint es jedoch sinnvoll, beide Bereiche wegen der hohen Komplexität als getrerulte Einheiten anzusetzen. Von dieser Grundhaltung sollte nur bei Zielgruppen mit äußerst knappem Zeitbudget abgewichen werden. 12 Bei einer separaten führungsbezogenen Schulung sind unterschiedliche Varianten denkbar, von einzelnen Veranstaltungen über ein mehrstufiges Bausteinsystem bis hin zum Besuch eines Führungskollegs für einzelne Spitzenkräfte. Als ein Beispiel, das auch die Inhalte vor Augen führt, soll die Seminarreihe für Führungskräfte der Verwaltungsakadernie Berlin vorgestellt werden, die sich an Führungskräfte in herausgehobener Funktion wendet und Führungskräfte aus dem Ost- und dem Westteil der Stadt zusammenbringt. Diese Reihe ist Bestandteil einer Konzeption zur systematischen Fortbildung von Führungskräften 13, die, angeregt durch den Bericht der Berliner EnqueteKommission zur Verwaltungsreform aus dem Jahre 1984 entstand. 14 Sie fußt weiterhin auf den "Grundsätzen für die Führung und Zusammenarbeit in der Berliner Verwaltung" mit ihrem Leitgedanken einer kooperativen Führung. 15

11 Über einen Zeitraum von 10 Jahren erfolgte die politikfeldbezogene Fortbildung für Leitungskräfte aus den Bereichen Sozialwesen und Jugendverwaltung durch ein dreisemestriges "Schwerpunktprogramm Sozialwesen", in dem Grundzüge der Problemlösung in Gruppen, Gesichtspunkte der Reform der Sozialverwaltung durch Organisationsentwicklung, rechtliche und verhaltensbezogene Aspekte bürgernaher Verwaltung einer grundlegenden Betrachtung unterzogen wurden. Darüber hinaus sollten durch zielgerichtete Übungen die persönliche Handlungskompetenz und die Veränderungsbereitschaft gestärkt werden. Konkreteres zum "Schwerpunktprogramm Sozialwesen" ist nachzulesen bei Michael Jaeger und Rainer Pitschas, Funktionale Verwaltungsreform durch fortbildungsvermittelte Organisationsentwicklung, in: Burkhard Treude (Hrsg.), Organisationsentwicklung, Praxismodelle aus der Bundesrepublik Deutschland, 1981, S. 195 - 236. 12 In der Seminarreihe "Führung in der Bezirksverwaltung zwischen politischem Auftrag und Verwaltungsmanagement" , von der Verwaltungsakadernie für Bürgermeister und Stadträte der östlichen Bezirksämter entwickelt, wurden politische und auf das Management ausgerichtete Gesichtspunkte miteinander verknüpft. 13 Konzeption zur intensiven und systematischen Fortbildung von Führungskräften der Berliner Verwaltung, vorgelegt auf der 37. Sitzung des Akademievorstandes, 1990. 14 Vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin, 2. Bericht (Schlußbericht) der Enquete-Kommission zur Verwaltungsreform vom 30. Mai 1984, Drucksache 9/1829.

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Zur Reihe gehören 6 Seminare, deren wichtigste Inhalte in Stich worten wiedergegeben werden: 16 1. Grundlagen des Managements im Verwaltungsbetrieb - Zielerreichung politischen Handeins durch den öffentlichen Verwaltungsbetrieb Managementkonzeptionen des öffentlichen Verwaltungsbetriebs - Grundsätze für die Führung und Zusammenarbeit in der Berliner Verwaltung

2. Führungsverantwortung und -verhalten I - Aufgaben des Managements unter den Rahmenbedingungen dezentralisierter Gesamtverantwortung - Personalfunktionen der Führungskraft - Sachfunktionen des Leiters 3. Führungsverantwortung und -verhalten 11 - Führungsverhalten, Arbeitszufriedenheit, Leistung - Motivierung von Mitarbeitern - Konfliktregelung 4. Personalentwicklung als Führungsaufgabe - Anforderungsprofile in der öffentlichen Verwaltung - Instrumente der Personalförderung - Aktivierung des Leistungspotentials von Mitarbeitern

5. Wirtschaftlichkeit und Effektivität der Verwaltung - Grundzüge einer betriebswirtschaftlichen Orientierung der Verwaltung - Kostenrechnungsansätze in der Verwaltung - neue ManagementformeI). 6. Informations- und Kommunikationstechniken informationstechnisches Grundwissen - Projektmanagement von IT -Vorhaben - Rechtsfragen der Datenverarbeitung. Die Gesamtzeit des Kurses beträgt 66 Doppelstunden.

In der Seminarreihe wird über Theorien gesprochen, werden Fallbeispiele diskutiert, werden in gezielten praxisnahen Übungen und Rollenspielen Erfahrungen vertieft und neue Erkenntnisse gewonnen.

15 Vgl. Grundsätze für die Führung und Zusammenarbeit in der Berliner Verwaltung, in: Gemeinsame Geschäftsordnung für die Berliner Verwaltung, Allgemeiner Teil, vom 4. 12. 1984, Beilage zum Amtsblatt für Berlin, Teil I, Nr. 9, vom 7. 2. 1985. 16 Vgl. Aus- und Fortbildungsprogramm der Verwaltungsakadernie Berlin, Wintersemester 1992/93, S. 90 ff.

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4. Von der Eigenentwicklung von Führungskräften zur Personal- und Organisationsentwicklung Politikfeld- und managementbezogene Fortbildung sollen die Veränderungsbereitschaft stärken und das Tor für entsprechende Aktivitäten weit öffnen, damit an die Stelle einer bürokratischen Behördenorganisation Delegation, Übernahme von Verantwortung auf allen Ebenen, Austausch durch Kommunikation und Kooperation nach innen und außen treten können und die Bereitschaft der Mitarbeiter geweckt wird, sich im Interesse der Sache zu engagieren. Die Eigenentwicklung von Führungskräften ist der Hebel, der den Sprung zur Personal- und Organisationsentwicklung bewirken kann. Personalentwicklung kann man als das Zusammenwirken all derjenigen Maßnahmen betrachten, die geeignet sind, Mitarbeiter zu qualifizieren, beruflich zu fördern und zu motivieren. 17 Neben anderen Elementen -Mitarbeiterbeurteilung, Arbeitsplatzwechsel seien beispielhaft genannt - kommt der Fortbildung eine wichtige Funktion zu. Bei diesem Verständnis von Personalentwicklung sind vor allem die Personalverantwortlichen und die politisch Verantwortlichen gefordert. Wenn man es enger umschreibt, es als die Integration persönlicher Entwicklungsziele von Mitarbeitern in Aufgaben- und Organisationsziele faßt, wird die Verantwortung jeder einzelnen Führungskraft deutlich. 18 Einzelne Schritte der Personalentwicklung kann ein leitender Mitarbeiter auch aus eigener Kraft voranbringen. Das Vorhaben einer begrenzten Organisationsveränderung oder gar die langfristige Organisationsentwicklung, die von den Angehörigen der Organisation bewußt gelenkt und aktiv getragen wird 19 und auch eine zielgerichtete Personalentwicklung fordert, ist ohne Unterstützung von außen kaum machbar oder - mit vielleicht schädlichen Konsequenzen - zum Scheitern verurteilt. Institutionen der Fortbildung kommt bei der Stützung von Maßnahmen zur Organisationsentwicklung eine wesentliche Aufgabe zu. Sie müssen beraten, oft langfristig mit Seminaren begleiten, wo eine hohe Veränderungsbereitschaft in Taten münden soll. Sie müssen darüber hinaus "das Ohr an der Verwaltung haben", verwaltungs nah - durchaus auch im lokalen Sinne - sein, um entwicklungsfähige Felder aufzutun, dort behutsam hineinzugehen, Hilfen anzubieten und immer wieder auch Führungskräfte zu ermutigen. Wichtig ist dabei der Aufbau eines Netzes von Kontaktpartnern, die in Verwaltungen für Fortbildungsaufgaben verantwortlich zeichnen und für diese Funktion auch geschult sind.

17 Vgl. Helmut Klages, Personalentwicklung in der öffentlichen Verwaltung, in: Günther Schanz, Handbuch Anreizsysteme, 1991, S. 1150. 18 Vgl. Günther Leis, Elemente der Personalentwicklung, in: C. Böhret u. a. (Hrsg.), Herausforderungen an die lnnovationskraft der Verwaltung, 1987, S. 551. 19 Vgl. Friedrich Glasl (Hrsg.), Verwaltungsreform durch Organisationsentwicklung,

1983,ß· 26.

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5. Resümee An Führungskräfte wurden, wenn auch nur knapp skizziert, in den bisherigen Ausführungen viele Qualifizierungs- und Handlungsanforderungen gestellt. Sind sie damit nicht überfordert? In der momentanen Situation wohl fast alle; in Zukunft, das lehrt die Erfahrung, werden es einige immer bleiben. Etliche werden froh sein, wenn nach einer langen Phase des Umbruchs etwas mehr Ruhe in ihrem Arbeitsbereich einzieht. Es gibt aber auch diejenigen, die jetzt noch Lernende sind, sich aber in Zukunft als ebenbürtige Führungskräfte beweisen wollen. Denn wer soll Motor des Wandels sein, wenn nicht - idealtypisch gesprochen - eine von Mitarbeitern geforderte, Mitarbeiter fördernde und manchmal dann ja auch beförderte Führungskraft?

V. Verwaltungsintegration als Mitarbeiterintegration Der Auftrag an Fortbildungseinrichtungen geht über den einer fachlichen Schulung hinaus. Sie sollen auch dazu beitragen, Menschen, die aus den beiden Teilen Deutschlands stammen, zusammenzuführen und durch wechselseitige Erfahrungen gemeinsam voranzubringen. Die Berliner Realität der öffentlichen Verwaltung schafft dafür gute Voraussetzungen. In den neuen Bundesländern müssen Anlässe des Zusammenkommens oft erst geschaffen werden. Bei der Begegnung in der Fortbildung ist zwischen zwei Arten zu unterscheiden: 1. Allgemeine Fortbildung 2. Zusammentreffen, die explizit die Integration zum Thema haben. Die ständige Begegnung als selbstverständliche Erfahrung, ohne den "Hauch des Besonderen", ist ein wesentlicher Schritt zur Integration. Sie bewirkt, auch ohne direkte Steuerung, eine Vielzahl von Erfahrungen miteinander: -

Durch Fragen in Fachseminaren werden Denk- und Verarbeitungsweisen deutlich, gleiche und unterschiedliche.

-

In Trainingsseminaren werden Ansätze zur Problemmeisterung in vorgegebenen Situationen erprobt und diskutiert, gleiche und unterschiedliche.

-

Bei Auswertungen und in informellen Seminarbestandteilen gibt es Gelegenheit, über Gleiches und Unterschiedliches miteinander ins Gespräch einzutreten, sich auch auseinanderzusetzen.

Für eine zentrale Fortbildungseinrichtung wie die Berliner Verwaltungsakadernie ist Leitziel, so häufig wie nur möglich und wo es von der Sache her vertretbar erscheint, Mitarbeiter, die aus beiden Stadthälften stammen, auch in Veranstaltungen zusammenzubringen. Wo es um das Anwenden von Rechtsvorschriften geht, kann durch Vorschaltkurse für Teilnehmer aus dem Beitrittsgebiet der Einstieg

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erleichtert werden. Für Fragen des Umgangs mit dem Bürger ist es eine Bereicherung des wechselseitigen Lerneffekts, wenn diejenigen, die langjährige Erfahrungen im Kontakt mit Publikum haben, ihr Wissen einbringen können, es aber auch an den Fragen messen müssen, die erst kürzere Zeit in einer Verwaltung dieser Art tätige Mitarbeiter, mit vielleicht noch wacherem Blick, ihnen stellen. Neben dieser Integration durch Alltag wird die Betrachtungsweise präziser, wenn die Integration von Mitarbeitern das Thema der Fortbildung ist. Dann wird es jedoch auch schwieriger: einmal wegen der hohen Komplexität der Materie und des Fehlens von fertigen Lösungen, zum zweiten, weil vor allem diejenigen sich für die Behandlung eines solchen Themas entscheiden, die aus Bereichen kommen, in denen das Zusammenführen der Mitarbeiter Konflikte hervorgerufen hat. Veranstaltungen dieser Art konnten bisher nicht alle Erwartungen der Teilnehmer erfüllen. Sie sind über das Sammeln und Aufbereiten von Erfahrungen, das Abwägen, Diskutieren und Erörtern nicht weit hinausgekommen - und leisten doch schon eine große Menge. Es gilt, auch diese Form fortzuschreiben. VI. Ausblick Die derzeitige Situation in ihrer historischen Einmaligkeit hat der Qualifizierung von Verwaltungsmitarbeitern aus dem Beitrittsgebiet zu einer großen Bedeutung verholfen. Ihr Stellen- und ihr praktischer Nutzungswert kann sich in den Köpfen vieler Beschäftigter positiv festsetzen, wenn wir es mit der Fortbildung jetzt gut anfassen. Wenn es gelingt, tragfähiges Basiswissen zu vermitteln und interessante Lernprozesse zu bewirken, schafft das auch für die Zukunft gute Voraussetzungen, wenn Fortbildung wieder nur freiwillig geschieht. Für die Weichenstellung sind jedoch ebenfalls die Erfahrungen wichtig, die in Veranstaltungen mit Verwaltungsmitarbeitern gemacht werden, deren berufliche Sozialisation in der Verwaltung westlicher Prägung erfolgte. Wenn auch bei diesen zunehmend die Erkenntnis reift, daß Vereinigung nicht einseitige Anpassung, sondern wechselseitige Weiterentwicklung bedeutet und eine solche Einstellung durch ihr Handeln deutlich wird, ist das ein Schritt nach vorne. Denn nicht nur der Aufschwung Ost ist gefragt, sondern, das lehrt der Berliner Alltag überdeutlich, wir alle müssen uns gemeinsam aufschwingen. Im Interesse des sozialen Friedens und der gesellschaftlichen Weiterentwicklung hoffe ich, daß dies gelingen wird.

Fortbildung für den Verwaltungsaufbau Erfahrungen mit innovativer Fortbildung für die öffentliche Verwaltung in den neuen Bundesländern Von Regine Ehrhardt In den vergangenen Konferenztagen stand das Staats- und Verwaltungsrecht im Mittelpunkt des Gesprächs. Ich möchte diesen Teil als die Hardware der öffentlichen Verwaltung beschreiben. Es wurde erläutert, daß es wenig hilfreich sei, die Hardware im Verlauf des Aufbauprozesses der Verwaltung in den neuen Ländern zu verändern. Der Einwand gegen den Wunsch, die Hardware entsprechend Aufbaubedarfen umzubauen, gegen den Wunsch nach Änderung der Rechtslogiken, nach Änderung von Verwaltungsrechtsprinzipien und von Verfahrensschritten der Verwaltungsgerichtsbarkeit war, deren Produktions zyklen seien zu lang. Von der Veränderung des inneren Aufbaus des Rechtssystems über die Abstimmung von Teiländerungen miteinander, über geistige Probeläufe und die Berücksichtigung von Anwendereinwänden bis zur Installation der neuen Maschine vergingen viele Jahre - von diversen Übergangsregelungen, Inbetriebnahmezeiten, Pannen und von Herstellernachbesserung bei laufender Maschine ganz zu schweigen. Dem möchte ich nicht widersprechen. All dies gilt nur sehr eingeschränkt und nur zu Teilen für den Betrieb des Systems, für den Betrieb der öffentlichen Verwaltung. Es kann dennoch sinnvoll, ja notwendig sein, Teile der Software zu ändern: sie an die Aufbauaufgabe anzupassen, ja teilweise sogar neu zu konzipieren. Fortbildung ist - um im Bilde zu bleiben - Software. Sie sollte im eigenen Fachinteresse die vorgenannten Argumente für die Beibehaltung der Hardware nicht für sich gelten lassen. Ich möchte mich der Frage, was Fortbildungsinnovation zugunsten des Verwaltungsaufbaus ist, schrittweise nähern. Zunächst möchte ich mit einem Überblick über Träger und Angebote der Fortbildung für die öffentlichen Verwaltungen in den neuen Ländern beginnen.

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Regine Ehrhardt

I. Träger und Angebote der Fortbildung 1. Träger und Organisationsformen In der Fortbildungslandschaft erscheint die politische Dreistufigkeit der öffentlichen Verwaltung wieder. Alle drei Ebenen, Bund, Länder und Gemeinden, betreiben jeweils eigene Einrichtungen.

Gemeinden und Landkreise habe in einigen der neuen Bundesländer ,Kommunale Studieninstitute' aufgebaut. Dort, wo die Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Partner neuer Bundesländer sind, begannen bereits 1990 Studieninstitute ihre Arbeit. Diese Einrichtungen sind in den westlichen Bundesländern die jüngste Ergänzung der Aus- und Fortbildungslandschaft. Die Gründungen aus den siebziger Jahren arbeiten auf der Grundlage selbstverwalteter Zweckverbände von Gemeinden und Kreisen. In Mecklenburg-Vorpommem gibt es derzeit zwei Kommunale Studieninstitute, eines in Anklam und eines in Malchin. 21 von 31 Landkreisen des Landes sind Mitglied in den entsprechenden beiden Zweckverbänden. In Brandenburg gibt es drei Kommunale Studieninstitute, eines in Bemau bei Berlin, eines in der Stadt Brandenburg und eines in Lübben. Hier sind 34 von 38 Landkreisen Zweckverbandsmitglieder. In Sachsen-Anhalt gibt es ein Studieninstitut in Magdeburg, das für das ganze Land tätig ist, das ,Studien institut für kommunale Verwaltung Sachsen-Anhalt'. Im Land Sachsen arbeiten das ,Studieninstitut für kommunale Verwaltung Westsachsen' in Leipzig und das ,Studieninstitut für kommunale Verwaltung' in Chemnitz. (In Nordrhein-Westfalen, zum Vergleich, arbeiten derzeit 17 Studieninstitute.) Die Zweckverbände geben sich Satzungen, legen Verbandsumlagen für die Grundfinanzierung der Einrichtungen und die Grundlinien des Programms fest. Sie rechnen in der Regel mit ihren Mitgliedsgemeinden und -kreisen nach den Zahlen der entsandten Teilnehmerinnen und Teilnehmer ab. Die Studieninstitute der neuen Länder arbeiten mit kleinen hauptamtlichen Personalkörpern und nebenamtlichen Dozenten. Die Ebene der Länder unterhält Fachhochschulen für den gehobenen Dienst der öffentlichen Verwaltung. Die ,Fachhochschule für öffentliche Verwaltung' des Landes Mecklenburg -Vorpommern befindet sich in Güstrow und untersteht dem Ministerium des Innem. In Sachsen-Anhalt wird die ,Verwaltungsfachhochschule in Gründung' in Halberstadt aufgebaut. In Brandenburg arbeitet seit 1991 die ,Fachhochschule für öffentliche Verwaltung' in Bemau. Ebenfalls von Ländern werden Verwaltungsakademien unterhalten. Sie sind ganz der Fortbildung gewidmet. Eine solche dem Innenministerium nachgeordnete Verwaltungsakadernie gibt es bis jetzt lediglich in Neu-Fahrland bei Potsdam im Land Brandenburg.

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Eine Sonderstellung nehmen die Wirtschafts- und Verwaltungs akademien ein, die es zur Zeit bereits in Dresden, Leipzig, Halle, Erfurt und Gera gibt. Sie sind als Verbund mehrerer öffentlicher und privater Träger konstruiert und in der Regel als eingetragener Verein tätig. So wird die Sächsische Verwaltungs- und Wirtschafts akademie in Dresden gemeinsam getragen vom Freistaat Sachsen, dem Sächsischen Landkreistag, dem Sächsischen Städte- und Gemeindetag, der Industrie- und Handelskammer Chemnitz, der Industrie- und Handelskammer Stuttgart, dem kommunalen Arbeitgeberverband Sachsen, der Verwaltungs- und Wirtschafts akademie der Stadt und Landeshauptstadt Dresden und der Stadt Bautzen. Von Ländern werden weitere Verwaltungsschulen für den mittleren Dienst betrieben. So unterhält das Sächsische Staatsministerium seine, Verwaltungsschule' in Frankenberg und das Land Thüringen die ,Verwaltungsschule' in Weimar. Weitere Fachhochschulen und Verwaltungsschulen in anderen Ländern gibt es nach unserer Kenntnis bisher nicht. Die Bundesebene verfügt über die ,Bundesakadernie für öffentliche Verwaltung' in Bonn mit einer Außenstelle in Berlin. Ihr Arbeitsschwerpunkt in den neuen Ländern ist die berufsbegleitende dienstliche Fortbildung mit regionalen Schwerpunkten in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen. Ein Vorteil für die entsendenden Gemeinden ist, daß die Bundesakadernie für öffentliche Verwaltung - zumindest noch - unentgeltlich für die neuen Länder tätig ist. Neben den Institutionen sollte eine Ebene der Fortbildung für den Verwaltungsaufbau in den neuen Ländern nicht unerwähnt bleiben: die auf der Grundlage von Länder- und Städtepartnerschaften. Diese Fortbildung ist ein ganz und gar extraordinäres Experiment in der bisherigen Verwaltungsgeschichte der Bundesrepublik: Sie ist der Versuch, ,Leaming on the job' zu praktizieren. Gelernt wird von Experten aus den westlichen Gemeinden und Kreisen und Landesverwaltungen oder durch Hospitation bei Experten in den alten Bundesländern.

2. Zuständigkeiten, Aufgaben und Angebotsspektren Die zentrale Aufgabe der Kommunalen Studieninstitute ist die Ausbildung für den mittleren Dienst der öffentlichen Verwaltung. Je nach Engagement der Mitglieder haben die Studieninstitute aber auch weit darüber hinausgehende Aktivitäten. So geben einige Studieninstitute angebotsorientierte Fortbildungsprogramme mit starker eigener fachlicher Prägung heraus. In den neuen Ländern tritt die berufsqualifizierende Fortbildung in den Vordergrund. Dies sind berufsbegleitende Lehrgänge, die mit qualifizierenden Abschlüssen enden, wie der Angestelltenprüfung I oder der Angestelltenprüfung 11 gemäß Bundesangestelltentarifvertrag. Zur Zeit noch variierend nach Ländervorschriften umfassen die Lehrgänge jeweils zwischen 480 und 800 Unterrichtsstunden.

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Die Angestelltenlehrgänge, die mit der Prüfung II abschließen, nehmen derzeit noch geringere Kapazitäten ein. Die Planung geht in der Regel dahin, diejenigen Dienstkräfte, die die Angestelltenprüfung I abgelegt haben, darauf autbauend am Angestelltenlehrgang 11 teilnehmen zu lassen. Daneben wird, meist mit geringerem Umfang, arbeitsplatz- und funktionsbezogene Fortbildung in Form von Seminaren durchgeführt. Die beiden Fachhochschulen für die öffentliche Verwaltung arbeiten mit dem Schwerpunkt Ausbildung für den gehobenen Dienst. Auch sie bieten berufsqualifizierende Fortbildungen nach Landesregelungen an. An der Brandenburgischen Fachhochschule werden derartige Lehrgänge noch bis 1996 die Arbeit dominieren, denn eine Bewährungsanforderungsverordnung schreibt als Eingangsvoraussetzung für den gehobenen Dienst und für den höheren Dienst in Brandenburg 600 Fortbildungsstunden vor. Die Fachhochschulen haben daneben ein wachsendes Angebot an Seminaren der dienstlichen Fortbildung. Die Verwaltungsschulen sind die in den Ländern ohne Studieninstitute entsprechenden Ausbildungseinrichtungen für den mittleren Verwaltungsdienst. Die Verwaltungsakademien bieten ein Autbaustudium zum höheren Dienst sowie Programme der arbeits- und funktions bezogenen Fortbildung für das gesamte Spektrum der Dienstkräfte der öffentlichen Verwaltung an. Die Verwaltungs- und Wirtschafts akademien haben sich selbst eine doppelte Aufgabe gegeben: Sie bilden berufsbegleitend sogenannte ,Diplomverwaltungsbetriebswirte " ,Verwaltungswirte ' und ,Diplombetriebswirte ' aus. Daneben bieten sie berufsbegleitende Fortbildung an. Ihr Fortbildungsangebot versteht sich bewußt als praxisnah. Entsprechend fällt das Angebot der Sächsischen Verwaltungs- und Wirtschafts akademie durch eine große Palette arbeitsplatzbezogener Seminare in Form von Zwei- und Dreitagesveranstaltungen auf.

3. Quantitativer Überblick Noch existiert weder eine quantitative noch eine qualitative Bilanz der Fortbildungsaktivitäten im Verwaltungsautbau der neuen Länder. Das Projekt ,Hilfe zum Autbau der kommunalen Selbstverwaltung in den neuen Bundesländern' der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände hat errechnet, daß 1991 für jede Kommunalverwaltung in den neuen Ländern rechnerisch 3,4 Teilnehmerplätze zur Verfügung standen. Dabei sind die Angebote von Städten für ihre Partnerstädte nicht erfaßt. Die kommunalen Studieninstitute Nordrhein-Westfalens haben als einzige eine Statistik vorgelegt: 1991 fanden mit ihrer Unterstützung 467 Veranstaltungen mit insgesamt 11 776 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg statt.

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4. Veränderungen im Fortbildungsangebot Im beschriebenen Fortbildungsangebot, das nach der Öffnung der Grenzen wuchs, lassen sich von November 1989 bis heute Veränderungen nachzeichnen und Abschnitte markieren. Ich möchte drei Etappen unterscheiden: Zunächst war das Fortbildungsangebot gekennzeichnet von Globalthemen. Es wurden Tages- oder Zweitagesveranstaltungen, häufig mit weit mehr als 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt mit Themen, wie ,Verwaltung im Rechtsstaat', ,Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland', ,Kommunale Selbstverwaltung' und andere. Der zweite Abschnitt ist von Querschnittsthemen gekennzeichnet. Die Veranstaltungen hatten jetzt Titel, wie ,Sozialrecht' , ,Allgemeines Verwaltungsrecht' , ,Baurecht', ,Raumordnung in der Bundesrepublik' usw. Heute stehen berujsqualijizierende Fortbildungslehrgänge im Vordergrund aller Angebote. Nach allen verfügbaren Daten und eigenen Befragungen ist diese letzte Veränderung in den Angeboten und in den Aktivitäten und Entscheidungen der Dienststellen zu ungunsten der arbeitsplatzbezogenen und funktionsbezogenen Fortbildung ausgegangen. Will man aus diesem Überblick Schlußfolgerungen ziehen, so sind es aus unserer Sicht folgende: Die Struktur der Fortbildungslandschaft befindet sich in den neuen Ländern in einem zügigen Aufbau und kann ein Jahr nach dem Zusammenschluß ein großes Angebot vorweisen. Dabei gibt es starke regionale und Länderunterschiede. Die Unterschiede zwischen den einzelnen neuen Bundesländern sind nicht unabhängig vom Partnerland und dessen Unterstützung. Die genannten Einrichtungen und Partnerinstitutionen waren in der Lage, ihr Angebot etappenweise, den prägenden Wellen des Zusammenschlusses entsprechend zu verändern. -

Die Fortbildungs- und Weiterbildungswelle, an der wir alle seit November 1989 beteiligt sind, ist ebenso gigantisch wie historisch einmalig. Keine Fortbildungseinrichtung, keine Partnerstadt, kein Partnerland und keine Dienststelle hat bislang eine qualitative Bilanz oder auch nur einen Überblick vorgelegt. Keine Forschungseinrichtung hat eine begleitende Analyse gewagt.

Ihre Bedeutung für den Verwaltungsaufbau aber scheint es zu rechtfertigen, auch subjektive Eindrücke ohne Datenbasis zu bilanzieren. Hier bei meinem Bericht handelt es sich zudem noch - das will ich ausdrücklich erwähnen - um Eindrücke einer durch eigene Aktivität beteiligten Institution. Ich werde zunächst Lücken im Fortbildungsangebot beschreiben und dann Ursachenhintergründe, Strukturschwächen - ich nenne sie Bruchstellen - zu beschreiben versuchen. 16 Speyer 110

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11. Lücken in den Fortbildungsangeboten -

Es gibt zu wenige Einrichtungen, die die Detailfelder der Verwaltungspraxis in der für den Aufbau erforderlichen Quantität anbieten. Wir bezeichnen dies als Handlungswissenfür den Vollzug öffentlicher Aufgaben. Einige regionale Ausnahmen haben wir gefunden: die Verwaltungs- und Wirtschafts akademie in Dresden, die mit arbeitsplatzbezogenen Seminaren aus dem Überblick positiv hervorsticht. Sie bietet kurze, den Möglichkeiten und Bedingungen des Verwaltungsaufbaus angepaßte Seminare, beispielsweise mit den Themen ,Grundstücksbewertung' und ,Vorkaufsrecht der Kommune', ,Realsteuern', ,Abwicklung kommunaler Bauvorhaben' und ,Finanzierung kommunaler Projekte' (die Dozenten sind Experten aus dem jeweiligen Praxisgebiet, die ihr Praxiswissen weitergeben, und das ,Studieninstitut für kommunale Verwaltung Sachsen-Anhalt' mit einem breiten Programm von Themenseminaren).

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Es fehlt anfunktionsbezogener Fortbildung. Dies ist unter anderem die Fortbildung für Führungsfunktionen, hier Fortbildung mit dem Ziel, fachliche und persönliche FührungsqualifIkationen zu erwerben. Dies sind QualifIkationen im Verwaltungsmanagement. Es fehlt an Fortbildung für politische Wahlbeamte, wie Bürgermeister, Dezernenten und Landräte. Eine Ausnahme bilden hier wieder die Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Dresden und das Land Niedersachsen mit seinen Aktivitäten für Sachsen-Anhalt sowie die Verwaltungsakadernie Berlin für dessen neue Bezirke. Dennoch klafft für diesen Personenkreis eine Angebotslücke.

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Als dritte Lücke möchte ich die zeitlich und organisatorisch an den Verwaltungsaufbau angepaßte Fortbildung nennen. Ich denke dabei an hocheffektive Lernformen, wie Trainings, an Fortbildung in der Dienststelle, auch an Wochenend- und Abendveranstaltungen. Ich denke an paßgenau inhaltlich zugeschnittene Seminare und Workshops, an Follow-up-Veranstaltungen zum Vertiefen und Nachkorrigieren und an Selbstlernangebote mit speziellem Lernmaterial. Statt dessen werden beispielsweise Fortbildungsveranstaltungen wie die berufsbegleitende Fortbildung in den Angestelltenlehrgängen I und 11 wochenweise abgehalten. Auch Dezernenten sind gezwungen, diese Veranstaltungen zu besuchen, obwohl es ganz unmöglich sein sollte, politische Wahlbeamte für 800 Unterrichtsstunden wochenweise in ihrer Tätigkeit freizustellen. Ich möchte an dieser Stelle versuchen, einige - wieder subjektive - Schlußfolgerungen aus diesen Beobachtungen und aus unseren Erfahrungen in der Fortbildung beim Verwaltungsaufbau und den neuen Ländern zu ziehen. Sie sind scharf und überpointiert mit dem Ziel, Bruchstellen in der Fortbildung aufzufInden und zur Reparatur beizutragen.

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IH. Bruchstellen im Fortbildungsangebot Wir haben drei große Felder aufgefunden, in denen sich Bruchstellen häufen. Wir haben diesen Feldern prägnante Bezeichnungen gegeben, um sie deutlich voneinander abzuheben.

(A) Fehlender Paradigmenwechsel im Fortbildungsangebot In diesem Feld haben wir folgende Schwierigkeiten gefunden: 1. Fortbildung leidet an der Überschätzung ihrer eigenen Wirkung. Es wird aus unserer Sicht erschreckend wenig über Fortbildungsqualität, über die Erhöhung ihres Ertrages, beispielsweise über den Transfer des Gelernten in den Arbeitsalltag diskutiert. Viele Referenten, viele Anbieter, viele Organisationen scheinen von der Wirkung ihres Tuns überzeugt zu sein. Fragt man gezielt nach, hört man häufig Zweifel, die Transfer, Ertrag und Wirkung in Frage stellen.

Dennoch bleiben sie eigentümlich abgetrennt von der Lehrtätigkeit selbst. Die Zweifel tauchen meist als quartalsmäßiges Seufzen oder als Unterton neben einem positiven Resüme auf. Überspitzt könnte man sagen, daß aus der Überschätzung der eigenen Wirkung an einigen Stellen sogar Tonnenideologie entstanden ist. 2. Es gibt zu wenige bedarfsorientiert konstruierte Verbunddienstleistungen. Es gibt kaum Angebote der Fortbildungsinstitutionen, die Beratung und / oder operationelle Hilfe beim Verwaltungsaufbau mit Fortbildung kombinieren. Fortbildung wird immer noch als eine Summe von individuellen isolierten Ereignissen organisiert - dies auch in Zeiten, in denen Organisationsentwicklungsnotwendigkeiten ins Auge springen, wie in den Aufbausituationen der neuen Länder. Fortbildungsteilnehmer werden ausgewählt und entsandt, fernab der Verwaltung fortgebildet. Sie tragen den Lerntransfer, die Umsetzung für den eigenen Arbeitsplatz in der Regel komplett allein. 3. Die Fortbildungsangebote haben in der Regel wenig Nähe zum speziellen Auftraggeber. Es scheint der Gedanke vorzuherrschen, Verwaltung sei Verwaltung. So gibt es kaum Angebote, die ganze Teams, ganze Sachgebiete, ganze Ämter gemeinsam unterrichten und damit deren funktionalen und sozialen Organismus indirekt fördern könnten. Es gibt sogar kaum Angebote, die auch nur örtlich nah dem Auftraggeber, in den verwaltungseigenen Räumen, nah der Arbeitssituation stattfinden. Es gibt wenig auf den Auftraggeber präzise zugeschnittene Angebote, wie beispielsweise solche, die nicht nur die Rechtsgrundlagen, sondern auch die Verwaltungsabläufe der Dienststelle berücksichtigen. 4. Wir finden kaum Angebote, die den Lernenden das komplette Handwerkszeug anbieten. Entweder handelt es sich um Angebote im Bereich Recht oder um Angebote im Bereich Verwaltungsorganisaton oder um Angebote im Bereich 16'

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Zeitmanagement und Arbeitsorganisation (die letzteren beiden Felder schon recht selten). Der Weg, Aufbaubedarfen und individuellen Arbeitsschwierigkeiten zugleich zu entsprechen, indem man den Dienstkräften einen kompletten Handwerkskasten bietet, in dem sowohl Rechtsgrundlagen als auch Übungen zur Kooperation in der Verwaltung, als auch Handreichungen zur eigenen Arbeitsorganisation enthalten sind, scheint bisher an verschiedenen Hürden zu scheitern. 5. Es gibt erstaunlich wenig Aktivitäten, um aus neuen ostdeutschen Verwaltungspraktikern nebenamtliche Dozentinnen und Dozenten heranzubilden. Es fehlen Aufbaukurse mit den jeweils notwendigen ergänzenden Qualifikationen, seien es methodisch-didaktische oder fachrechtliche oder die Verwaltungspraxis vertiefende Lehreinheiten. Die Beschäftigung von mehr örtlichen Praktikern hätte nicht nur Wirkungen auf deren Qualifikation (lernen, indem man lehrt), sondern oft mit Sicherheit Wirkungen auf den Lerntransfer. Wir hätten keine zusätzliche Mühe mit West-Ost-Brüchen in den Lehrgängen. Allerdings wäre zu berücksichtigen, daß es gelegentlich auch Ost-Ost-Brüche in Fortbildungsveranstaltungen mit ostdeutschen Dozenten geben wird . 6. Fortbildung scheint selten Wirkung auf das Funktionieren der gesamten Dienststelle, des gesamten Betriebes zu wollen. So gibt es nicht nur nicht die oben bereits genannten Schritte auf Organisationsentwicklung hin, sondern auch keine Anbieter, die auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung unterrichten. Die Institutionen, die Fortbildung anbieten, sind nicht nur föderal gestuft, sondern teilen sich die Dienstkräfte hierarchisch nach Laufbahnen auf: die Studieninstitute für den mittleren Dienst, die Landeseinrichtungen den mittleren und den gehobenen getrennt und die Verwaltungsakademien den höheren Dienst. Führungskräftefortbildung findet überwiegend an besonderen Einrichtungen statt: in Kursen an der Bundesakadernie für öffentliche Verwaltung oder in Seminaren privat eingekaufter Dienstleister. Unsere Einrichtung, die von der Sachbearbeiterin bis zu den Dezernenten Fortbildungsangebote macht und damit auch versucht, verwaltungsinterne Ablaufprobleme zu erfassen und bescheidene Wirkungen auf die Organisationsentwicklung zu erzielen, hat, soweit uns bekannt ist, keine Konkurrenz. 7. Schließlich scheint uns die Fortbildungslandschaft selbst mit ihren kartellhaft aufgeteilten Marktsegmenten eine Bruchstelle zu sein. Sie kennt keine Bedrohung durch Konkurrenz mehr, sie erlebt keinen Zwang, durch Konkurrenz zur Innovation voranzugehen.

(B) Nicht-unternehmerischer Einsatz von Fortbildung in den Verwaltungen 1. Nach unseren Beobachtungen wird Fortbildung nicht als Teil des betrieblichen Gesamtgeschehens betrachtet und entsprechend eingesetzt.

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2. Fortbildung wird nicht zu Vollkosten in den Gestehungsaufwand des Verwaltungshandelns eingerechnet. Außerhalb der direkten Lehrgangs- und der Reisekosten werden die Nebenkosten häufig nicht gerechnet: Entsendungskosten je nach Funktion, Verluste durch Reisetage, Vertretungskosten, verlorengegangene Verwaltungseinnahmen oder andere Ertragsausfalle. 3. Fortbildung wird nicht als Element des innerbetrieblichen Personalumbaus gesehen. Statt dessen wird häufig Personalabbau auf der einen und Personalaufbau auf der anderen Seite nebeneinander betrieben. 4. Konzeptioneller Einsatz von Fortbildung ist rar: Es gibt wenige Stadtverwaltungen, die ihre Ressourcen mit einem Fortbildungskonzept steuern. Der Mitteleinsatz im Bereich Aus- und Fortbildung wird kameralistisch angesetzt, den Personaleinsatz eingenommen. Es ergeben sich in der Regel eher urwüchsige Schwerpunkte des Fortbildungsgeschehens, die nicht unbedingt dem Verwaltungsaufbau in der effektivsten Form dienen. Ein entstandener Schwerpunkt ist das Sicherheits- und Gründlichkeitsdenken: Zur Zeit beherrschen nachgeholte Berufsausbildungen mit 480 bis 1 280 Stunden viele Kommunalverwaltungen. Beschäftigte sind nur noch zeitweise am Arbeitsplatz, weil sie wochenweise in Angestelltenlehrgängen oder an berufsqualifizierende Fortbildungen anderer Art gebunden sind. Dies hat zur Folge, daß die arbeitsplatz- und funktionsbezogene Fortbildung nachrangige Bedeutung einnimmt, obwohl sie beim Verwaltungsaufbau die vorrangige Bedeutung haben müßte. Es gibt in der Regel für diejenigen, die den größten Fortbildungs- und Beratungsbedarf haben - wir würden sagen, die den größten Bedarf an Verbundangeboten haben, nämlich die politischen Wahlbeamten - kaum gemeinsame Angebote. Der Versuch, zur Mannschaft zusammenzuwachsen und dadurch Unternehrnens- oder Verwaltungssteuerung auszuüben, wird VOn der Kommunalverwaltung selten planvoll möglich gemacht. 5. Es gibt kein Fortbildungscontrolling, also keine Steuerung von Fortbildung durch Kennziele und Kennziffern, und keine Ertragsrechnung. 6. Fortbildung wird nach unseren Beobachtungen nicht zur Identifikation mit den Aufgaben und dem Profil der Dienststelle genutzt. Es gibt keinen identitätsbildenden Hintergrund VOn Fortbildung in Stadtverwaltungen und städtischen Betrieben mit der Antwort auf Fragen wie "Welches Gesicht hat unsere Stadt?", "Was unterscheidet sie regional, kulturell und industriell von anderen?" "Wie versteht sich unsere Stadtverwaltung?" Das hat nicht nur mit Marketing nach außen, sondern auch mit gemeinsamer Identität nach innen zu tun. Es ermöglicht, sich entsprechende Fortbildungspartner auszusuchen, die zur corporate identity passen. Ich möchte abschließend sagen: Kein aufstrebendes Unternehmen würde sich mit einem solchen Standard von Fortbildungs- und Beratungsdienstleistungen begnügen, wie die ostdeutschen und in der Regel auch die westdeutschen Kommunalverwaltungen, und damit annehmen, in einer turn around-Situation vorwärts zu kommen.

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(C) Rahmenbedingungen und Fundamente aus den vergangenen 40 und den vergangenen zwei Jahren Erst an dritter Stelle scheint uns nach unseren Beobachtungen die Sorge um Schwierigkeiten zu stehen, die aus 40 Jahren Diktatur und zwei Jahren schneller Vereinigung herrühren. Aus dieser Wurzel erwachsen unverkennbar drei große Probleme: Das Mengenproblem: 500000 Beschäftigte und 7 752 Kommunalverwaltungen in den neuen Ländern zu bilden, ist eine gigantische und auch ganz schlicht nicht zu bewältigende Aufgabe. Das Zeitproblem: Fortbildung müßte sofort einsetzen; alles soll sofort gelernt werden, um rechtssicher handeln zu können, und Verwaltungsaufbau im Galopp scheint für Fortbildung keine Zeit zu lassen. Das Unsicherheitsproblem: Die berufliche Weiterverwendung oder gar die berufliche Perspektive überhaupt ist für viele ungeklärt; dies ist kein Boden für Lernen und Entfaltung. Daneben bewegen verschiedene Konjunkturen das Ost-West-Vorbehaltsproblem auf und ab. Eigenbilder und Fremdbilder ("Wie sehe ich den, der von der anderen Seite der Mauer kam?") setzen auch der Wirksamkeit von Fortbildung Grenzen. Offenheit aber ist eine Grundbedingung für Lernerfolg. Vielleicht hat die Fortbildung hier mit den letzten 20 Jahren der deutschen Trennung mehr Probleme als mit den ersten 20 Jahren: Die Jahre des Wertewandels, des Umdenkens auch in der öffentlichen Verwaltung, der zunehmend selbstverständlicher praktizierten Demokratie und der Herausbildung von komplizierten individuellen Mustern in der westlichen Bundesrepublik stoßen mit einem gegenläufigen Prozeß im Osten zusammen. Der Einmarsch der Sowjetunion in die CSSR 1968 markiert die gewaltsame Weichenstellung in die genau umgekehrte Richtung. Die krasse Auseinanderentwicklung macht das Miteinander im gleichen Lehrgang nicht einfach.

IV. Eigene Konsequenzen Ich möchte abschließend einige Schlüsse nennen, die wir als Einrichtung aus den beschriebenen Beobachtungen gezogen haben. 1. Wir begleiten Dienststellen und Betriebe in längerer Kooperation. Wir regen an, Fortbildungsaktivitäten Ziele zu setzen, möglichst sogar ein Globalkonzept zu entwerfen. Unsere Aufgabe dabei ist die Konzeptentwicklung selbst oder

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aber das maßgeschneiderte Spezialprogramm. Es baut auf einer Organisationsbetrachtung, dem gegebenen Qualifikationsprofil, dem vorhandenen Finanzrahmen, den Führungsgrundsätzen und den angestrebten organisatorischen und Arbeitsabläufen auf. 2. Wir bieten hocheffektive Trainings, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Wir versuchen, in hierarchisch homogenen Gruppen funktionsbezogenes Wissen nach dem Prinzip des kompletten Handwerkszeuges zu vermitteln. Wir arbeiten mit Selbstlernformen, die materialgestützt aufgebaut sind und die Eigeninitiative zur Voraussetzung des Lernens machen. Wir unterrichten dabei Grundlagenwissen, Handlungswissen und Verhalten im Verbund. 3. Wir führen zeit- und personalsparende berufsqualifizierende Lehrgänge durch, Kombinationen von Fernlernen und Trainingsphasen. Die Präsenzphasen machen etwa ein Drittel der gesamten vorgeschriebenen Unterrichtszeit aus und verkürzen so die dienstliche Abwesenheit erheblich. 4. Wir arbeiten auf allen hierarchischen Ebenen und in allen Laufbahnen der öffentlichen Verwaltung und Betriebe mit dem Ziel, Verwaltungsabläufe zu kennen und Organisationsentwicklung zu fördern. 5. Wir bieten weiter beratende und operationelle Dienstleistungen (im Bereich Controlling, Personalwirtschaft, Personalumbau, Organisation) und Fortbildung als Verbunddienstleistung aus einem Guß an. 6. Wir helfen, Beschäftigung zu fördern, indem wir Weiterbildung mit gesicherter Perspektive auch für diejenigen anbieten, die ihren Arbeitsplatz verlassen müssen. Wir arbeiten prozeßorientiert und nach dem Prinzip der Implementation von selbsttragenden Prozessen. Nachhaltige Entwicklung ist das Ziel. Unsere Überzeugung ist, daß am Ende nur die in selbsttragenden Prozessen geweckten Eigenkräfte zählen. Es werden nach wenigen Jahren die im Vorteil sein, die den Anfangsimpuls aufgebracht haben, ihre Eigenkräfte zu stärken.

Diskussion zu den Referaten von Christoph Reichard I Eckhard Schröter, Irene Chowdhuri und Regine Ehrhardt Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Jürgen Wedler Der abschließende Tagungsteil war den personalentwicklungs- und fortbildungspolitischen Problemen hinsichtlich der in den neuen Ländern tätigen Verwaltungsmitarbeiter gewidmet. Denn zentrale Ressource einer Strategie der Verwaltungsintegration ist das Personal und eine auf Personalintegration ausgerichtete Fortbildung.

Dollenbacher eröffnete die Diskussion mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, die bestehende Verwaltungskultur, sei sie auch noch so verblaßt, ins Bewußtsein der Verwaltungsmitarbeiter zurückzurufen. Nach seiner Erfahrung glaubten insbesondere viele "westliche" Führungskräfte, Verwaltungskultur gebe es in den ostdeutschen Verwaltungen noch nicht, sie müsse erst geschaffen werden. So wären denn auch die von Reichard und Schröter genannten "Verwaltungsmissionare" aus dem Westen grundsätzlich darauf aus, den Verwaltungsmitarbeitern in den neuen Ländern die westliche Rechtsanwendungspraxis einzuprägen. Vielmehr müsse jedoch, in Kenntnis und Anerkenung der Verwaltungskultur, den Mitarbeitern an erster Stelle nahegebracht werden, das im Egebnis Richtige zu tun, und nur an zweiter Stelle, daß sie es verfahrensmäßig richtig machten. Da das Leitbild des Verwaltungsmitarbeiters in den neuen Ländern allerdings die gleichen Anforderungen wie an die westlichen Mitarbeiter stelle und im Hinblick auf die Angleichung der Lebensverhältnisse auch stellen müsse, handle es sich, so Neumer, doch insgesamt um einen einseitig verlaufenden Anpassungsprozeß. Dem organisatorischen Einbau der westlichen Verwaltungshe1fer widerspreche zudem oftmals die geltende beamtenrechtliche Verantwortungs- und Besoldungsstruktur (z. B. zu tiefe besoldungsrechtliche Eingruppierung im Vergleich zu den östlichen Verwaltungsmitarbeitern). Kritisch bewertete er ebenso die von Reichard und Schröter dargelegte Forderung, den an Mentalitäts- und Leistungsfähigkeit des Verwaltungsmitarbeiters angepaßten Schwierigkeitsgrad der übertragenen Tätigkeiten in Einklang zur formellen Stellenbewertung zu bringen.

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Schuppert sah die Gefahr einer drohenden Verwaltungsmonokultur. Statt dessen müsse man innerhalb der öffentlichen Verwaltung im weitesten Sinne differenzieren, denn von einem generell geltenden Selbstverständnis der öffentlichen Verwaltungen und des Personals könne auch im Westen angesichts der hochspezialisierten und pluralisierten Verwaltung nicht ausgegangen werden. Eher sei nach dem je spezifischen Selbstverständnis der einzelnen Organisationen zu fragen, wie z. B. bei Behörden der Ordnungsverwaltung oder der kommunalen "Serviceverwaltung". Insbesondere aber kritisierte er das gezeichnete Bild des Verwaltungsmitarbeiters gerade im Hinblick auf seine geforderte Politikorientierung, gemessen an dem Bild des Beamten, das von der Verfassung vorausgesetzt werde. Dathe wertete insgesamt die Forderung eines modemen Verwaltungspersonalmanagements - soweit einseitig an die östlichen Verwaltungen gerichtet - als übertrieben, da ein solches auch in den westlichen Verwaltungen kaum ausgeprägt sei. Modeme Modelle eines Personalmanagements, die sich auch an den Interessen der Bürger orientierten, ließen sich wohl eher in den Verwaltungen der neuen Länder umsetzen, da hier mit geringeren Widerständen als im Westen zu rechnen sei. Die dort gesammelten Erfahrungen könnten dann auch in die Diskussion um den Reformbedarf des westlichen Verwaltungsrechts eingebracht werden. Schröter begegnete dem Einwand notwendiger Differenzierung vorfindlicher Verwaltungskulturen und Selbstverständnisse mit dem Hinweis zur Untersuchungsmethode. Die Auswahl der vorgestellten Thesen sei durch das Ziel geleitet worden, sie auf alle der untersuchten Bereiche anwenden zu können, seien es SozialverwaItungen, technische Verwaltungen oder Querschnittsverwaltungen. Klarstellend fügte er hinzu, die geforderte Politikorientierung des Beamten bedeute keine parteipolitische Orientierung, sondern wolle dem Bewußtsein für das politische Umfeld und dem erforderlichen politikbezogenen Wirkungsbereich administrativen HandeIns Ausdruck verleihen. Reichard bestätigte das Problem, den an den jeweiligen Mitarbeitern angepaßten Schwierigkeitsgrad der übertragenen Aufgaben mit der formellen Stellenbeschreibung in Einklang zu bringen. Zum einen biete aber der BAT hier Spielräume an und zum anderen gehe es dabei wohl nur um einen kurzfristigen Anpassungsprozeß. Auch er unterstrich die von Schuppert eingeforderte differenzierende Sichtweise im Hinblick auf die Verwaltungskultur jeweiliger Verwaltungseinheiten. Dennoch könne sich auch anhand weiterer Untersuchungsergebnisse anderer Institutionen zeigen lassen, daß die dargestellten Problemlagen durchaus einen gewissen Grad an Verallgemeinerungsfahigkeit aufwiesen. Letztlich plädierte er dafür, die Kulturorientierung in die Fortbildung einzubeziehen. Gerade unter diesem Gesichtspunkt erweise es sich als vorteilhaft, so Petra Füssgen. Bundesakadernie für öffentliche Verwaltung, Bonn-Bad Godesberg, die Lerninhalte vornehmlich im Diskurs mit den Fortbildungsteilnehmern zu vermitteln, da bei den ehemaligen DDR-Bürgern eine Ermüdung in bezug auf Fernunter-

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richt festzustellen sei. Fortbildungsinhalte sollten auch nicht l}ßein handlungs bezogen sein, sondern zunächst die Grundlagen des Grundgeseties vennitteln. Denn aus dem Verständnis für die Funktionen des Rechts im Rechtsstaat folge auch die notwendige Akzeptanz der Mitarbeiter. Dies wirke sich dann auch auf das Verhältnis zu den Bürgern aus. Fortbildung müsse zudem darauf ausgerichtet sein, karrierebezogen die Konkurrenzfähigkeit der Teilnehmer zu stärken. Hierfür biete sich z. B. die Anerkennung und Erstellung von Leistungsnachweisen über die absolvierten Fortbildungsmaßnahmen an. Schließlich sei die Gründung von Fortbildungsverbünden - wie in Sachsen - notwendig, um die Strategien der verschiedenen Fortbildungsträger inhaltlich und "am Markt" zu koordinieren. Walz äußerte sich skeptisch zu den eingeschlagenen Fortbildungsstrategien der jeweiligen Institutionen; sie seien nämlich weniger auf Integration als auf Verwaltungsassimilation gerichtet. Um jedoch die Fortbildungsinhalte nachhaltig an den Interessen und Wünschen der Teilnehmer ausrichten zu können sowie den persönlichen Erfahrungsaustausch zwischen Teilnehmern und Dozenten zu ennöglichen, böten sich nicht Tages- oder Wochenendseminare, sondern mehrwöchige Fortbildungsveranstaltungen an. Dollenbacher unterstrich die Forderung nach einer klaren Gesamtkonzeption der Fortbildungsmaßnahmen. Damit könnten eher unnötige Lerninhalte vennieden bzw. diese auf die Herkunft der Fortbildungsteilnehmer angepaßt werden. Aufgabe sei es auch, herauszufinden, ob und wie die ostdeutschen Verwaltungsmitarbeiter ihre bisherigen beruflichen Erfahrungen in die neue Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung einbringen könnten. Zudem müsse auch den Fortzubildenden soziale Kompetenz, wie z. B. Führungsverhalten, Gesprächs- und Streitkultur etc. vennittelt werden. Perspektivisch stellte Dollenbacher darüber hinaus zwei wesentliche Fortbildungspunkte heraus: Grundwissen in der Verwaltungsorganisation und in der Infonnations- und Kommunikationstechnik (IuK-Technik). Als lahngjähriger Datenverarbeiter gehe er davon aus, daß künftig die Verwaltungsmitarbeiter immer mehr in der Lage sein müßten, am eigenen Arbeitsplatz Verfahrensabläufe zu gestalten und aufgabenbezogen zu programmieren. Dies setze nicht nur Kenntnisse über die IuK -Technik, sondern ebenso über die administrative Aufbau- und Ablauforganisation voraus.

Sachverzeichnis Abordnung 20 f. Adaption - neuer Kulturmuster 213 - von Verwaltungsstandards 14 Altenhilfe 150 f. Altlasten 141 Altschulden - Bewältigung durch die Kommunen 142 - Übernahme 126 Ambulante soziale Dienste und DDR-Altenhilfe 150 f. Amtshilfe 76 f. Anpassungsleistungen der Verwaltungsmitarbeiter 209 Antragskonferenzen zur Verfahrensbeschleunigung 60 Anwendungsdefizite des Rechts, empirische 166 Anwendungsgeeignetheit als Handlungsmaßstab 60 Anwendungsprobleme des Verwaltungs(verfahrens )rechts 165 f. Arbeitsatmosphäre in West-Verwaltungen 210

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Sozialbereich 151 Arbeitsgestaltung, Mentalitätsbezug 217 Arbeitslosigkeit - als Hauptunsicherheitsfaktor 132 - in den Gemeinden 17 Arbeitsmarktgestaltung durch kommunale Wirtschaftsförderung 134 Arbeitsvermittlung und Strukturwandel 157 Assimilation oder Integration 222 Atomgesetz (AtG) - § 7, 7a 60 Aufbau- und Ablauforganisation in der Aufgabenpolitik 161 Aufbaubank in Thüringen 131

Aufgabenbestände des realen Sozialismus, Umwidmung 36 Aufgabenlast der Vereinigung 37 Aufgabenpolitik 159 ff. - in der Kommunalverwaltung 182 Aufgabenübertragung 219 Aufgabenverständnis, gemeinsames 228 Aufschwung Ost 14,58 Aufsichtsbehörde 66 Aufwandsentschädigungen 77, 83 Aus- und Fortbildung - Institutionen 80 - Maßnahmen in Thüringen 20 Aus1egungs- und Anwendungsmethoden des Verwaltungsrechts 166 Außensicht des Bürgers 168 Autokratische Sozialleistungsverwaltung 175 Bauartenzulassung zur Verfahrensbesch1eunigung 60 Baugesetzbuch (BauGB) - § 246a 46 Bauleitplanung - Defizite 179 f. - Verkennung der Planauslegungsphase 180 Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) - § 123a 77 Bedarfslenkung 173 Beförderung von Beamten 23 Behindertenversorgung 157 f. Beitrittsbeamter als Personaltypus 41, 162 Beratungsangebote im Sozialhilfebereich 150, 152 Berlin - Bezirke 225 - Bezirksamt Weißensee 225 - Rahmenbedingungen für die Fortbildung 225 f. Berufsbegleitendes Qualifizierungskonzept 88

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Sachverzeichnis

Beschleunigung behördlicher Verwaltungsverfahren 57, 60 Beteiligungschancen im Verwaltungsverfahren 174 Betreuungsgesellschaft, Verlust 187 Betreuungsverwaltungen 171 Beurteilungsspielräume 54 f. Bevölkerungsbefragung zur Verwaltungsintegration 169 f. Bevölkerungsrückgang, Begrenzungsstrategien 133 Bevormundung durch die Sozialhilfeverwaltung 175 Bewährungsanforderungs-Verordnung (Branden burg) 240 Bezirks-Ebene, Funktion in der UdSSR 92 passim Bezirksverwaltungen Berlins 225 Bodenordnungsverfahren in Thüringen 24 Brand- und Katastrophenschutz, Aufbau in Thüringen 21 Breiten- und Freizeitsport, Neustrukturierung in Thüringen 21 Bürokratisches Anforderungsprofil 203 Bundesakademie für öffentliche Verwaltung 239 Bundesanstalt für Arbeit (BA) 157 Bundesbaugesetz (BBauG) - § 1 Abs. 649 Bundeshaushaltsordnung (BHO) 141 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) § 8 60 - § 9 60 - § 3360 Bundesliegenschaften, Veräußerung 128 Bundesministerium der Finanzen, Erlaß v. 24.7.1992 123 Bundesrecht und Kommunalbehörden 175 f. Bundessozialhilfegesetz (BSHG) 149 Bundestreue 77 Bundesvereinigung "Hilfe zum Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung in den neuen Ländern" 84 Bürgerorientierung der Verwaltung 86 Büro- und Kommunikationstechnik 166 Bürokratische Entfremdung im Transformationsprozeß 38

Büroleiter - Qualifizierung 227 - Schlüsselfunktion 228 Chaosqualifikation 216 Civic Culture-Administration 46 Civil Society 90 Computertechnologie und Sozialverträglichkeit 166 Corporate Identity 215, 245 Daseinsvorsorge 174 Dateien zur Verwaltungsförderung (Berater, Referenten) 84 Datenverarbeitung 188 Datenverarbeitungszentren, Kommunalisierung 127 Deutsche Demokratische Republik (DDR) - administrative Substanz 34 - Altenhilfe 147 - Aufgabenbestände 36 - Behindertenversorgung 157 f. - Betreuungsgesellschaft 187 - Definition der Verwaltungsaufgaben 35 - Defizit gesellschaftlicher und monetärer Anreize 145 - Defizit sozialer Differenzierung 145 - Defizite der sozialen Integration 144 - Eingabenpraxis 178, 187 - Energieversorgungskombinate 125 - Engagement und Leistungsbereitschaft 145 - erwerbszentrierte Gesellschaft 145 - Finanzplanung 39 - fürsorgerische Fremdversorgung 143 - Gesundheits- und Sozial wesen, BürgerKommissionen 175 - Gewalteneinheit 37, 201 - Grundversorgung im Sozialbereich 145 - horizontale Differenzierung 201 - ideologische Steuerung, Mißlingen 36 - institutionelle Förderung im Sozialbereich 158 - Jugendhilfe 146 - Jugendsozialarbeit 146 - Kaderverwaltung 39 f. - Konfessionelle Organisationen in der Sozialpolitik 147 f.

Sachverzeichnis - Kooperationsverträge zur sozialen Versorgung 147 - Leitungsakt 65 - lokale soziale Versorgungssysteme 145 - - Aufgabenbereiche 146 f. - - institutionelle Strukturen 145 f. - - organisierte Akteure 147 ff. - Nachhalleffekte 180 - ,,Nationale Front", Funktion in der Sozialpolitik 148 - Nomenklatura 36 - öffentliche Verwaltung: "vollziehendverfügende Tätigkeit" 37 - Organisationsmuster, informale 37 - Psychiatrische Versorgung 157 f. - soziale Integration 144 - soziale Versorgung - - Aufgabe der örtlichen Betriebe und Staatsorgane 147 - - Beteiligung der Massenorganisationen 148 - Sozialfürsorge 147 - Sozialleistungsversprechen, sozialpsychologische Funktion 145 - Sozialpolitik in staatlichem Politik- und Organisationsmonopol 146 - Staa~saufbau, vertikale und horizontale Gewalteneinheit 37 - Staatssicherheit 90 - Staatszentriertes Wohlfahrtsverständnis 143 - Tauschbeziehungen 148 - Unterforderung der Bürger, politischmoralisch 143 - VEB-Kraftverkehrsgesellschaften 126 - Verstaatlichung von Gesellschaft 143 - Verwaltung - - Grundkonzept der Transmission 37 - - konsultativer Autoritarismus 38 - - Personalausstattung 40 f. - - sozialwissenschaftliche Rekonstruktion 112 - - vollziehend-verfügende Tätigkeit 37 - - Weisungsstränge 37 - Verwaltungsmitarbeiter, Integration 169 - Verwaltungsvergleich 112 Delegation von Handlungsverantwortung 209,217

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Deponien, Kommunalisierung 127 Deregulierung 36 - durch Artikelgesetz 57 - substanziell 50 Deutsche Einheit als europäisches Problem 159 Dezentralisierung 36 Dienstleistungsorientierung 215 Dringlichkeit von Verwaltungsentscheidungen in Mangellagen 57 Durchmischung des Verwaltungspersonals 217 Effektiver Rechtsschutz 52 Effizienz der Verwaltungshilfe 21 Ehrenamtliches Engagement in Ostdeutschland 152 f., 158 Eigentümervereine, kommunale 125 Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse 86 - und sozialer Bundesstaat 17 Einheitsbildung durch Verwaltungsintegration 160 Einigungsvertrag (EV) - Art. 848 - Art. 1576 - Art. 19 186 - Art. 21 120 - Art. 21 Abs. 1 Satz 1 119 - Art. 21 Abs. 2 119 - Art. 21 Abs. 3 122 - Art. 22 124 - Art. 22 Abs. 4 126 - Art. 25 Abs. I 117 - Art. 32 149 - Anlage I 150,226 Emanzipation der ostdeutschen Verwaltungen 86 Energieversorgungskombinate, Umwandlung (Kommunalisierung) 125 f. Entbürokratisierung 16 Enthospitalisierungsprogramme 158 Entschädigungsanspruch für Kommunen 122 Entschädigungsgesetz 123 Entscheidungsfreude - Förderung 195 - in Umbruchsituationen 63 Entsendung, beamtenrechtliche Fragen 83 Entwicklungsverwaltung 83

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Sachverzeichnis

Ennessens- und Beurteilungsspielräume 164 Ennessensausübung, Defizite 181 Erwartungsdruck und Verwaltungsumbau 71 Europäische Integration 222 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) - Art. 6 Abs. 1 52 Evaluationsdefizite im Gesundheitsbereich 157 Existenzgründungen 135 Extremismus, politischer 69 Fachbezogene Fortbildung 88 Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung 238 Fachhochschulstudium 164 Fachseminare 234 Familienpolitik, Rollenverteilung 133 Fehleinschätzungen zum Einigungsprozeß 72 passim Finanzausstattung der Kommunen 73 Finanztransfers 19, 39 Finanzvennögen der Kommunen, Übertragung 124 ff. Flächennutzungsplan 138 Flächenstaat, Verwaltungsorganisatorische Anforderungen 185 Flankierende Maßnahmen, "Ausstieg" aus der Sozialhilfe 150 Flexibilisierung des Verwaltungsrechts 52, 57 Föderalismus 82 Folgenabschätzung in der Verwaltungshilfe 111 Fonnal-Iegalistische Revolution und System-Transfonnation 34 Fonnenbindung des Verwaltungsverfahrens 177 Fonnenvielfalt in der öffentlichen Verwaltung 45 Fortbildung - Abkömmlichkeit vom Dienst 245 - Anpassung an den Verwaltungs aufbau 242 - in Berlin, Rahmenbedingungen 225 f. - Dozenten-Nachwuchs aus Ostdeutschland 244

-

"föderale" Stufung 238 f., 244 Gesamt- bzw. "Global"-Konzepte 246 Identitätsbildung 245 Integrationsförderung 218 konzeptionsgeleiteter Einsatz 245 Lernprozesse im affektiven Bereich 218 Nachhaltigkeit als Ziel 247 und Organisationsentwicklung 233, 244, 247 - und Personalentwicklung 18 - selbsttragende Prozesse 247 - und Weiterverwendung 246 Fortbildungsangebot 223 passim, 237 ff. - Entwicklungsetappen 241 - fachbezogen 227 - funktionsbezogen 227, 242 - Handlungswissen für den Aufgabenvollzug 242 - Lücken 242 - Nähe zum speziellen Auftraggeber 243 - Paradigmenwechsel 243 f. - durch Private 79 - im Verbund (aufgabenbezogen) 243, 245, 247 - für Wahlbeamte 242 Fortbildungscontrolling 245 Fortbildungsentscheidung 227 Fortbildungsinhalte 226 Fortbildungsinstitut der Polizei 23 Fortbildungsinstitutionen 233 Fortbildungskatalog 227 Fortbildungslandschaft, Struktur 241 Fortbildungsmaßnahmen als Netzwerk 41 Fortbildungsträger 237 ff. Fortbildungsverantwortung 233 Fortbildungsvergleich 224 Fortbildungsverbünde 251 Fortbildungswelle 241 Frühwarnsysteme 111, 114 Frustrationstoleranz 216 Führungskraft (Ost- / West-) - Akteure der Rechts- und Zweckkonkretisierung 168 f. - Eigenentwicklung 233 - als Integrationshelfer 219 f. - interne Koordinierungsaufgaben 203 - und Policy making-Funktionen 202 ff. - Problemlösungskapazitäten 169 - als Rechtsanwender 205

Sachverzeichnis - Schulung 229 ff. - Weiterentwicklungsauftrag 229 Führungsprobleme, west-östliche 187 Führungsverhalten, paternalistisches 208 Funktionalreform der Kommunalverwaltungen 14, 161 Funktionsbezogene Fortbildung 227, 242, 245 Gaststättenstruktur (als Standortbedingung) 137 Gebietsreform in Thüringen 132 Geburtenrückgang 132 f. Gegeneliten - in Mittel- und Osteuropa 90 - mit Verwaltungsqualiflkation? 42 Gemeindeordnungen in Westdeutschland 50 Gemeinsame Personalbörse 83 f. Gemeinschaftsaufgabe: Förderung wirtschaftsnaher Infrastruktur 135 Generalklausein 56 Gesetzesvereinfachung 142 Gestaltungsverantwortung 229 Gewerbeflächen - Ausweisung 134 - Bedarfsanalyse 134 - Überangebot 138 Gewerbeordnung (GewO) - § 70 54 Gewerbepark Friedberg (Suhl/ Thüringen) 135 Gewerkschaftsbewegung in Polen 90 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) - Art. 1253 - Art. 19 Abs. 4 52, 56 - Art. 33 Abs. 5 20 - Art. 35 76 Grundsatzverständigung (Febr. 1992) zur Bildung von Stadtwerken 125 Grundversorgung 174 Handlungsformen 164 Handlungsspielräume der Treuhandanstalt 141 Handwerksbetriebe 134 Heizwerke, Kommunalisierung 127 Hilfe zum Lebensunterhalt 150 17 Speyer 1\0

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Hospitalisierung 158 Hospitation 239 Humanressource im Integrationsprozeß 189 passim Identiflkationsstärkende Konzepte der Personalförderung 217, 245 Identitätsverlust bei Ostdeutschen 69, 112 Immobilienbestand der Treuhandanstalt 127 f. Imperativ des Wandels 31 Implementation 188 - und sozio-kulturelle Verankerung 144 - des Verwaltungs(verfahrens)rechts 14, 171 Informations-, Beratungs- und Fortbildungsdienst - Jugendhilfe (IBFJ) 87 - für die Kulturverwaltungen (lBFK) 87 Informationsdeflzite - über den Rechtswandel 176 - und Verfahrensverständnis 188 Informationspolitik 219 Informationsverarbeitung 166 Infrastrukturentwicklung - und Sicherung der Standortfaktoren 138 - staatliche Steuerung, institutionell 173 Infrastrukturpolitik 173 Innere Einheit Deutschlands 159 Innere Vereinigung, funktionale Voraussetzungen 16 Innovation und Reorganisation 164 Innovationsorientierte Verwaltungskultur 217,222 Institution Building 191 Institutionelle - Aspekte kommunaler Sozialpolitik 149 f. - Förderung im Sozialbereich der DDR 158 - Lücken 39 Institutionelles Lernen 186 Institutionenentwicklung 16 Institutionensystem, sozial-kultureller Unterbau 144 Institutionentransfer 143 ff. - und sozial-kulturelles Fundament 145 Institutionen, wirksame Übertragung 144 Integrationsbegriff, seine Erweiterung 160

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Sachverzeichnis

Integrationsförderung 212 f. - durch Fortbildung 235 - durch Personaleinsatz, Durchmischung 217 Integrationskonzepte 186 Integrationskraft westlichen Verwaltungsrechts 167 Integrationsmanagement 182 f., 186, 188 Integrationspartnerschaften 218 Integrationsprozeß 14 Integrationsstrategie 85 Integrationsverantwortung der Kommunalverwaltung 162 Interkulturelle Kompetenz 220 Interkulturelles Personalmanagement 17 f. Investitionsbescheid 75 Investitionsvorrangbescheid 75 Investitionsvorranggesetz v. 14.7.1992 - § 2 Abs. 1 75 - §§ 93 ff. 75 - Anwendungsdefizite 139 Job Involvement 217 Jugendarbeit 138 Jugendclubs der DDR / FDJ, Überführung in kommunale Trägerschaft 152 Jugendhilfe 87 - sozial-kulturelle Grenzen des Subsidiaritätsprinzips 152 Jugend- und Sozialhilfe 174 Jugend- und Sozial verwaltung - der Kommunen 174 - Leistungsfähigkeit 160 - partizipatorische Gestaltung 175 Jugendverbände der Altbundesländer, Akzeptanz "im Osten" 152 Kapazitätsgrenzen 53 Kapazitätsverlagerungen 139 Katasterverwaltung, Aufbau in Thüringen 19 Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) 149 Kommunalbehörden und Bundesrecht 175 f. Kommunale - Ansprüche in der Gesamtvollstreckung 123 - Bauleitplanung 179 f.

- Daseinsvorsorge, Nutzung privater Sachkompetenz 61 f. - Eigentümervereine 125 - Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) 78 - Partnerschaften 77 - Selbstverantwortung 165 - Selbstverwaltung - - Aufbauhilfen 84 - - Bedeutung im politischen System 162 - - Verstärkung der Bürgerbeiteiligung 178 - Sozialpolitik 145 ff. - - Akteure 152 ff. - - Aufgaben 150 ff. - - ehrenamtliches Engagement 153 - - institutionelle Aspekte 149 f. - - Personalrekrutierung 153 - - Steuerung durch Dezernenten / Amtsleiter 153 f. - - im Vereinigungsprozeß 149 ff. - - Wohlfahrtsverbände als Leistungsträger 154 - Sozialverwaltung im Urteil der Bürger 174f. - Spitzenverbände 77, 125 - Studieninstitute, als Zweckverbände 238 f. - Wirtschaftsförderung 59 - Wirtschaftsverwaltung 172 f. Kommunaler Sektor, Neudefinition 173 Kommunaler Zweckverband 125 Kommunales Satzungsrecht, Förmlichkeit und Publizität 179 Kommunalfreundliches Verhalten der Treuhandanstalt 141 f. Kommunalisierung - Anträge 119, 123 - Einzelübertragung 122 - im Energiesektor 125 f. - Entscheidung 122 - Ermessen der Treuhandanstalt 121 - des Finanzvermögens zur Wohnungsversorgung 126 f. - Grenzen der Kommunalisierung 122 f. - und Privatisierung 121 - Verfahrensdauer 122 Kommunalisierungspflicht 118 Kommunalisierungstempo 123

Sachverzeichnis Kommunalverfassung v. 17.5. 1990 - Vollzugs- und Anwendungsdefizite 75 - Vorbilder 22 Kommunalvermögensgesetz v. 6.7.1990 (KVG) - § 1 118 - § 4 Abs. 2 124 Kommunalverwaltungen - Aufgabenvollzug 165 - Integrationsverantwortung 162 - Neubau 72 - in Thüringen, Strukturveränderungen 131 f. Kommunen - Eigentum, Übertragungsanspruch 120 - Finanzausstattung 73 ~ Finanzvermögen, Übertragung 124 ff. - Nachholinvestitionen 162 - Verschuldung 139 - Verwaltungsvermögen, Übertragung 118 ff. Kommunikationsverhalten 219 Kompetenzkonflikte 187 Komplexität - der Aufgabe "Verwaltungsumbau" 71 f. - Bewältigung und "Innenansicht" der Verwaltung 171 - des legislatorischen und administrativen Regelwerks 182 Konfessionelle Träger in der Altenhilfe (DDR) 147 f. Konfliktregelung und Konsensbeschaffung 202 Konfliktstabilität der Verwaltungsmitarbeiter 216 Konkurrenz der Städte und Gemeinden in der Standort-Kapazität 138 f. Konsultativer Autoritarismus (DDR-Verwaltung) 38 Kontinuität der sozialen Versorgung 155 Kontrolldichte seitens der Verwaltungsgerichte 54, 62 Kontrollumfang und -dichte bei besonderen Mangellagen 58 Konversion 33 Konvoiplanung, zur Verfahrensbeschleunigung 60 Kooperation mit Privatunternehmen 61 - und Aufsicht 66 17*

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Kooperations- und Verhaltensmuster 195 Kooperative Wirtschafts-Förderungspolitik 173 Koordination der Verwaltungshilfe 21 f. Kulturbegegnung durch Verwaltungspartnerschaften 220 Kulturelle Differenz 44 Kulturelle Dimension der Verwaltungstransformation 191 ff. Kulturverwaltung 87 Länder- und Städtepartnerschaften als Fortbildungsgrundlage 239 Länderprogramme zur kommunalen Verwaltungshilfe 81 f. Landesentwicklungsgesellschaft in Thüringen 131 Landesentwicklungsprogramm für Thüringen 131 f. Landesverwaltungsamt in Thüringen 131 Leaming on the job 239 Lebensqualität, Verteilungsmaßstäbe 160 Lebensverhältnisse - Angleichung 249 - einheitliche 86 Leistungsfähigkeit der Verwaltung 160 Leistungsnachweise 227 Leitbilder für den Verwaltungsaufbau 85 Leitbildwandel 215 Managementbezogene Fortbildung 231 f. Managementorientierung 215 Mangellage und Kontrollreduktion 62 Marktmodell in Mittel- und Osteuropa 89 Marxismus-Leninismus 32, 37 Massenverwaltung, Anforderungen 187 Maßnahmengesetz - zum Baugesetzbuch v. 17.5.199048 - als projektbezogene Normierung 57 Materielle Privatisierung von Verwaltungsaufgaben 57 Mentalitätsunterschiede 192 Mitarbeiterintegration 169, 230 Mittelstand 134 Mittel- und Osteuropa 32, 89 ff., 113 - Entwicklungsprozesse im Vergleich 16 - historische Konnotation des Veränderungskonzepts 32 - Modemisierungsrückstand? 32

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Sachverzeichnis

- Programmsteuerung 39 Modernisierung - "von oben", in der UdSSR 90 - durch den Staat 31 - Theorie 31 Modernisierungsdruck 45 Monostruktur der Industrie 134 Moskau, Verwaltungsumbau unter lelzin 99 f. Nachhalleffekte des DDR-Regelverständnisses 180 Nachhaltigkeit der Entwicklung als Leitbild 85 f. Nachholinvestitionen der Kommunen 162 Nachqualifizierung kommunaler Bediensteter 79 Nachwirkungen - der DDR-Sozialisation 192 - der DDR-Wohlfahrtskultur für die Sozialpolitik 148 Negotiated transition, in Mittel- und Osteuropa 90 Neuansiedlung von Produktionsstätten 135 Neuzuschnitt des öffentlichen Sektors, Empiriedefizit 67 Normenflut 182 Öffentlicher - Dienst 194 f. - Personennahverkehr (ÖPNV) 126 Öffentliches Interesse 127 Öffentlichkeitsarbeit 187 Öffentlich-rechtlicher Vertrag 164 Operatives Privatisierungsgeschäft der Treuhandanstalt, Abschluß 128 Organisations- und Personalentwicklung 15 Organisationskultur 193 - Vereinheitlichung 212 Organisierte sozialpolitische Akteure 152 f. Paradigmenwechsel in der ostdeutschen Kommunalpolitik Partizipation 217 Partnerschaften in den Verwaltungsbereichen 23, 220

Personal - Aus- und Fortbildung 188 - Austausch 187 - Auswahl 114 - Geeignetheit 161 - Perpetuierung 161 f. Personalbewirtschaftungsprogramm und Verwaltungshilfe 22 Personaleinsatz, integrationsfördernd 217 Personalentwicklung 219 f. - durch Fortbildung 18 - integrierter Ansatz 183, 187 - Nachwuchskräfte 80 - als Veränderungsstrategie 183 Personalführung 188 Personalhilfe - durch Berater und Entscheider 73 - im lustizbereich 23 - im Kommunalbereich, Einsatzdauer 73 - in der Steuerverwaltung 23 - für Thüringen 20 ff. Personalintegration 162, 249 Personalmanagement - interkulturelles 17 f. - modernes 250 Personalpolitische Herausforderungen 195 Personalpolitisches Leitbild 215 Personalrotation 187, 217 Personaltransfer 40, 42, 45 - und Verwaltungselite 43 Personalüberhang 74 Planungsbeteiligung 174 Planungsrecht, rigide Änderungen 60 Planungsregionen in Thüringen 131 Polikliniken 157 Politikfeldorientierte Fortbildung 230 f. Politikintegration 14 Politikorientierung 250 - als Leitbild der Personalentwicklung 215 Politische Kultur 114 Polizei - Akzeptanz 22 - Aufbau in Thüringen 21 Pragmatismus in der Rechtsanwendung 182 Privateigentum und Infrastrukturentwicklung 139 Privatinitiative 172

Sachverzeichnis Privatinvestitionen 58 Privatisierung - Auftrag der Treuhandanstalt 117 f. - Öffentliche Unternehmen 61 - von Verwaltungsaufgaben 57, 67 Probezeit 226 Projekthilfen für Thüringen 20 f. Projektmanagement 78, 85 Psychiatrische Versorgung 157 f. Public Private Partnership 57, 65 Qualifikationskriterien, Personalauswahl zur Verwaltungshilfe 113 Qualifizierung des Verwaltungspersonals 79 f. - und Verfügbarkeit am Arbeitsplatz 79 - Vermittlung von Handlungskompetenz 79 Qualifizierungskampagne 194 Rationalisierung von Verwaltungsentscheidungen 39 Raumplanung 65 Rechtsanwendung - Folgeprobleme 181 - sozial psychologischer Bedingungsrahmen 172 Rechts- und Verwaltungsentwicklung 15 Rechts- und Verwaltungshilfe 69 ff. Rechts- und Verwaltungstatsachenforschung 183 Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelbelehrungen 181 Rechtsbewußtsein - Defizite 181 - Unterschiede und Implementation des Verwaltungsrechts 164 - und Verfahrensverständnis 164, 177 Rechtskultur, Anforderungen im Transformationsprozeß 38 Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, "fleet in being"? 181 Rechtsquellenvielfalt im Kommunalbereich 179 Rechtsschutz, individuell 65 Rechtsstaat - im Bewußtsein seiner Bürger 51 - und Gerechtigkeit 167 - und Privatisierung 65

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Rechtsstaatliche Probleme des realen Verwaltungsverfahrens 166 Rechtsstaatsprinzip 55 Rechtstatsachen zur Verwaltungsintegration 167 ff. Rechtstatsachenforschung 163, 183 Rechtsvereinfachung 50 - und Verwaltungsintegration 163, 182 ff. Rechtsvereinheitlichung - Erfolgsbedingungen 161 - im individuellen Erleben 168 Regimewechsel 34 Regionale Wirtschaftsstrukturpolitik 173 Regionen-Ebene, in der UdSSR-Staatsverwaltung 92 ff. Restitution 118, 122 Restitutionsauftrag der Treuhandanstalt 118 passim Retransformation 88, 111 Rettungsdienst, Aufbau in Thüringen 21 Revolution, formal-Iegalistisch 34 Rückübertragung, Ausschluß wegen Betriebsnotwendigkeit 123 Russische Föderation (RF) - Dynamik des Transformationsprozesses 104 - Entwicklung lokaler Selbstverwaltung - - Stagnation 105 - - Strategiewechsel leizins 108 - föderative Subjekte 105 - Föderativvertrag v. 31.3.1992104,108 - Gesetz über die Grundlage des Steuersystems v. 27.12.1991 106 - Gesetz über die Grundsätze von Budgetstruktur und -prozeß v. 10.10.1991 106 - Rahmengesetzgebung auf Bundesebene 104 - Rehierarchisierung und Rezentralisierung 102 - Sonderverordnung über die Organisation ... v. 1.11.1991 103 - Verteilung des Steueraufkommens 106 Russische Sowjet-, Föderative und Sozialistische Republik (RSFSR) 96 ff. - Dezentralisierung und Demokratisierung der lokalen Ebene 96 ff., 108 - föderative Einheiten 99 - Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung v. 6.7.1991 97, 108

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Sachverzeichnis

- Gesetz über die Regionen und Gebiete v. 5.3. 1992 99 - Konzeption der örtlichen Selbstverwaltung 98 - Schlüsselstädte der Refonnpolitik 99 ff. - Verwaltungschefs auf lokaler Ebene 97 f. Sachkompetenz, private 57, 61 Schlüsselfunktionen, in der Verwaltung Thüringens 21 Schwangerschaftsberatungsstellen 152 Seilschaften 178 Selbstbefreiungsprozesse 112 Selbstfinanzierung von Wirtschaftsbetrieben 36 Selbsthilfe 144 Seminartourismus im Fortbildungsbereich 218 Sondergebiete, Ausweisung 137 Sozialämter, Struktur 174 f. Soziale - Akzeptanz gegenüber übertragenen Institutionen 144 - Aufgaben in den neuen Bundesländern 150 ff. - Grundversorgung als Aufgabe der kommunalen Sozialpolitik 174 - Integration, Aufgabe der Wohlfahrtsverbände 152 - Leistungsansprüche, Typisierung 176 - Selbstorganisation im Sozialbereich, Defizite 154 f. - Teilsysteme, Interdependenz 31 Sozialer - Bundesstaat 17 - Wohnungsbau 128 Soziales Engagement 144 Sozialgesetzbuch X (SGB X) - §44ff. 186 - § 48 Abs. 3 186 Sozialhilfe 150 Sozialisationsprozesse 212 Sozialleistungsrecht, Handlungsfonnen 186 Sozialpolitische - Handlungsspielräume 155 - - Begrenzungen durch Akteursmangel 152 ff.

- Kooperation und Konkurrenz 155 Sozialpsychiatrische Dienste 160 Sozialpsychologische Aspekte des Transfonnationsprozesses 192 Sozialpsychologischer Bedingungsrahmen der Rechtsanwendung 172 Sozialstationen 158 Sozialverträglichkeit der Technik 174 Sozialverwaltung 174 f. Sport- und Freizeiteinrichtungen 138 St. Petersburg (Leningrad), Verwaltungsumbau unter Jelzin 100 ff. Staatszentriertheit der Transfonnation 35 Stabilität und Kontinuität 202 Stadtentwicklungskonzept 132 Stadtwerke 125 Städtepartnerschaften 20, 77 Standort - -Entscheidung und Gebietsrefonn 132 - -Konkurrenz der Kommunen 138 - -Konzeption 134 - -Werbung 136 - "weiche" Faktoren 137 Stellenbewertung 249 Steuerungsbedarf 191 Steuerungsfunktionen des Rechts 163 Steuerungskapazität des Rechts, Überschätzung 205 Steuerungszusammenhang, Komplexität 171 Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) - §§ 19 ff. 60 Stromvertrag 125 Strukturpolitische Instrumente der Wirtschaftsförderung 131 Strukturwandel, sozio-ökonomisch 161 Subsidiaritätsprinzip - in der Altenhilfe 150 f. - und soziale Selbsthilfe 149 Subsumtionsdefizite 181 Suhl / Thüringen 132ff. System brüche in Mittel- und Osteuropa 89 Systemkultur 193 Systemwandel - und Ähnlichkeitsbeziehungen 34 - und Transfonnation 33, 224 - als Übergangsperiode 44

Sachverzeichnis Tatbestandsaufbereitung, Defizite 181 Technische Infrastruktur - Auf- und Ausbau 173 f. - Bürgerbeteiligung 174 Technologie- und Gründerzentrum 136 Territoriale Verwaltungsreform 46, 161 Tertiärer Sektor, Entwicklung 136 Thüringen-Hilfe 19 passim Trainingsseminare 234 Transformation - durch aktive Politik 34 - Begriff 15, 33 passim - als formal-Iegalistische Revolution 34 - und Gewaltenteilung 37 - in Mittel- und Osteuropa 89 - Modell "Westdeutschland"? 67 - Neugestaltung der Verwaltungsorganisation 35 - Neuordnung des öffentlichen Dienstes 35 - Neustrukturierung staatlicher Entscheidungsprozesse 35 - Neuzuschnitt öffentlicher Aufgaben 35 f. - verfassungsrechtlicher Rahmen 36 Transformationsprozeß 191 - arbeitsteilig-fachliche Programmsteuerung 39 - kulturelle Dimension 191 ff. - ,,Netzwerk" 39 Transition, in Mittel- und Osteuropa 189 Transmission in der real-sozialistischen Verwaltung 37 Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft (TLG) 128 Treuhandanstalt 59 - Altschuldenübernahme 126 - und kommunaler Sektor 173 - Privatisierungsauftrag 117 f. - Restitutionsauftrag 118 - Verpflichtung zu strukturpolitischen Maßnahmen 117 Treuhandgesetz v. 17.6.1990 (THG) - § 1 Abs. 1 Satz 1 117 - § 1 Abs. 1 Satz 2 u. 3 118 - § 11 Abs. 2 119 f. Typengenehmigung 60 Typisierte Leistungsansprüche 176

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Typologie politischer Regimes in MitteIund Osteuropa 90 Überbeschäftigung im ostdeutschen Verwaltungsdienst 42 Überbrückungsmaßnahmen des Staats 59 Übergangsfristen für den Gesetzgeber 56 Übernahme von Verwaltungs(verfahrens)recht 164 Überprüfungsprozesse 195 Übertragung kommunalen Finanzvermögens 124 ff. Übertragung kommunalen Verwaltungsvermögens 118 ff. Ungarn, wirtschaftliche Gegeneliten 90 Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) - Doppelherrschaft von Exekutivkomitees und gewählten Organen 95 - Entwicklung zur "open society" 91 - Exekutivkomitee 92 f., 96 - Perestrojka 90, 93 ff. - Republik-, Bezirks- und Kommunalwahlen v. 4.3.199094 - Staats- und Verwaltungsaufbau - - demokratischer Zentralismus 93 - - doppelte Unterstellung 93 - - örtliche, Regions- und Unions-Ebene 92 - - Sowjets 94 - Stalinistische Staatsorganisation 91 - Wiederbelebung der dezentralen Ebenen 94 Unternehmensberatung 66 Veränderungsbegriffe und Verwaltungswissenschaft 29 Veränderungsbereitschaft 233 Veränderungsfortbildung 228 f. Veränderungskonzept 9 Verbändewesen 188 Vereinfachung öffentlicher Planungsverfahren 57, 59 Vereinsmodell der Kommunen zur Übernahme von Wasser- und Abwasserunternehmen 124 Verfahren - Beschleunigung 142

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Sachverzeichnis

- Checklisten 187 - Dauer 51 - Fehler 164,177,181 - - und Fehlerkontrolle 177 f. - als Verzögerungschance 52 Verfassungsgrundsätze 166 Verfassungsschutz, Aufbau in Thüringen 21 Verfassungsstaat und öffentliche Verwaltung 47 Vergesellschaftungslücke 144 Vergleichskompetenz als Fortbildungsziel 224 Verkehrswege-Modernisierungsschub 174 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz v. 16.12.1991 57 Verkehrswert 141 - Gutachten 128 - und Planungsrecht 128 Verlagerung von Betriebsstätten 135 Vermessungs- und Katasterverwaltung, Aufbau in Thüringen 21, 24 Vermittlung wirtschafts- und sozialpolitischer Entwicklungen nach Mittel- und Osteuropa 159 Vermögenszuordnungsgesetz (VZOG) 119 -§ 1 Abs. 6 126 - § 7a ("Kommunale Vorhaben") 120 ff. Verrechtlichung - von Aufgabenbereichen 182 - des Aufgabenvollzugs 182 - Blockierfunktion unveränderten Transfers 194 Versetzungen 23 Verschuldung der Kommunen 139 Verteilungsgerechtigkeit 53 Vertrauen in das Recht 51 Vertrauen in die Verwaltung 178 Verwaltung des Mangels 15, 47 passim, 165 Verwaltung und Verfahren im Prozeß staatlicher Einheitsbildung 160 Verwaltung, dienende Funktion 58 Verwaltungsakademien 238, 240 Verwaltungs akt 164 Verwaltungsdienst, mittlerer und gehobener 164 Verwaltungselite (Staatskanzleien) 44

Verwaltungsentscheidungen, Rechtrnäßigkeit 181 Verwaltungsentwicklung 161 - fortbildungs ge stützt 226 ff. - und technische Infrastruktur 173 Verwaltungsgeneralist 200 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - § 40 49 Verwaltungshelfer - interkulturelle Fähigkeiten 221 - Qualifikationskriterien 113 Verwaltungshilfe 70 passim - im Aus- und Fortbildungsbereich 79 passim - Begriff 70 - Beratung 78 f. - Berücksichtigung für Beförderungen 23 - Bund-Länder-Clearingstelle 43, 82 - als Dialog 114 - Effizienz 21, 24 - flächendeckender Einsatz 72 - Fonds zur Vergabe von Personal-, Ausbildungs- und Fortbildungskostenzuschüssen 82 f. - und Geltungsstreben 70 - Gemeinsame Personalbörse 83 f. - Handlungskonzepte 77 - Hilfe zur Selbsthilfe 25 - Idealtyp 70f., 87,113 - Institutionen 70 - kommunale Kooperation 80 f. - kommunale Markterschließung und Marktsicherung 70 - Konkurrenz - - von Bundes- und Länderprogrammen 83 - - der Programme und Institutionen 85 - "Kontrakt"-Basis 78 - Koordination 21 f., 81 f. - als Kulturbegegnung 220 - Länderprogramme 81 f. - für und in Mittel- und Osteuropa 113 f. - Nachhaltigkeit als Leitbild 85 f. - als Nothilfe 70 - Organisation 77 ff. - Partnerschaften 114 - Programme und Institutionen 80 ff. - als Projektmanagement 78, 85 - als qualifizierte Einzelinitiative 70, 78

Sachverzeichnis - Rahmenbedingungen, organisatorisch und rechtlich 73 ff. - Rechtsgrundlagen 76 ff. - Städtepartnerschaften 80 f. - für Thüringen 20 - - Aufbau eines Fortbildungsinstituts der Polizei 23 - - Phasen 21 f. - - Versetzung von Beamten 23 - Unsicherheitsfaktoren 73 - durch Unternehmensberatung 66 - Verbundsystem 87 - durch westdeutsche Berater und "Entscheider" 73 - Zeitrahmen 76, 78, 113 f. - Ziele 78 Verwaltungsinfrastruktur, Ausbauerfordernisse 166 Verwaltungsintegration 9 passim - Außensicht der Bürger 168, 169 - Begriff und Reichweite 161 f. - Einheitsbildung 160 - lnnensicht der Verwaltung 170 ff., 179 ff. - als Mitarbeiterintegration 234 f. - Personelle Probleme 192 - Strukturprobleme 163 - im Urteil der Verwaltungsmitarbeiter 182 Verwaltungsinterne Fehlerkontrolle 177 Verwaltungskader - fachliches Potential 40 - Fortbildung 41 - politisch-ideologische Eignung 40 Verwaltungskontrolle durch Rechtsbehelfe 181 f. Verwaltungskultur 249 - Begriff 193 - empirische Befunde 166, 196 ff. - Vereinheitlichung und Effizienz 210 Verwaltungskulturelle Integration als personalpolitische Aufgabe 211, 212 ff. Verwaltungskulturen, Zusammenführung 185 Verwaltungskulturschock, als Transformationsproblem 209 f. Verwaltungsleistungen, Einschätzung durch die Bevölkerung 169 Verwaltungsmanagement 166

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Verwaltungsmanager als Rollenbild 204 Verwaltungsmitarbeiter (Ost- / West-) - Akzeptanz (wechselseitig) 211 - Anpassungsleistungen 209 - Arbeitsmoral 206 - Ausbildungsweg 199 - "Befindlichkeiten" 195 - Berufserfahrung 200 - Bildungsniveau 199 - Binnenorientierung 204 - Fachbezogenheit der Ausbildung 199 - Fernstudium 199 - Fortbildung 223 ff. - Hierarchieorientierung 207 f. - Identitätsverluste 195 - Kollektivorientierung 205, 208 - Kooperationsmuster 195 - Leitbild 215, 249 - Loyalität 205 - Politikaversion 202 ff. - Regelorientierung 205 - soziale Herkunft 198 - Sozialisationsbedingungen 206 - technokratische Orientierung 204 - Verantwortung 208 - Verhaltenskontrolle 205 ff. - Vollzugsorientierung 204 - Vorgabenfixierung und Unselbständigkeit 206 - Wertpräferenzen 168, 201 Verwaltungsmonokultur als Gefahr 250 Verwaltungsorganisation 185 Verwaltungspersonal - Management 250 - als Schlüsselfaktor administrativer Leistungsfähigkeit 194 Verwaltungsrecht - Anwendungsprobleme 165 - Dichte und Detailgenauigkeit 48 - Entwicklung neuer Standards 86 - als Steuerungsmedium 179 f. - Wertcharakter 176 Verwaltungsrechtsprechung, Vorwirkungen 178 Verwaltungsreform 74, 161 - und Verwaltungswissenschaft 30 - -Diskussion, Wiederaufleben 226 Verwaltungsschulen für den mittleren Dienst 239 passim

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Sachverzeichnis

Verwaltungsstandort 136 Verwaltungstatsachenforschung 183 Verwaltungstransformation - siehe bei "Transformation", "Transformationsprozeß" Verwaltungsverfahren - Ausbau 164 - autonomer Beitrag zur Einheitsbildung 160 - Formenbindung 177 - und Informationsdefizite 177 - in den Kommunalbehörden 171, 176 ff. - personelle Voraussetzungen 165 - rechtstatsächliche Probleme 166 - Stufung 60 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG) - §§ 4 ff. 77 - § 5 Abs. 1 78 - § 778 - § 2850 - § 36 50 - Erstreckung auf Landesrecht 48 Verwaltungsverfahrensrecht 180 f. - Anwendungsprobleme 165 - Opulenz 52 - Wiederbelebung der Reformdiskussion 188 Verwaltungsvermögen der Kommunen, Übertragung 118 ff. Verwaltungsvollzug durch Berater 25 Verwaltungsvorschriften 59, 176 Verwaltungswirklichkeit 10 Verwaltungswissenschaft - Institutionalisierungen 29 - und Transformationsbegriff 29 passim Verwertung der Treuhand-Liegenschaften 127 f. Volkseigene Betriebe - Übertragung von Geschäftsanteilen an Kommunen 124 - Vermögensgegenstände 120 Vollzug des Rechts als Bedingung der Verwaltungsintegration 163 f. Vorrangprinzip des KJHG 149 Vorschaltkurse 234 f. Vorverfahren 57 Vorwirkungen der Verwaltungsrechtsprechung 178

Wandel der Befindlichkeiten 86 Wanderungsgewinne und -verluste 133 Wartestand für ehemalige Verwaltungskader 41 f. Wasser- und Abwasserkombinate (WAB) 124 f. Wasserhaushaltsgesetz (WHG) - § 1960 Wechselbezug von Verfahrensrecht und materiellem Recht 163 f. Wechselseitige Erfahrungen und Lemeffekte 234 Weiche Standortfaktoren 137 Weiterbeschäftigungsgrundsatz für Verwaltungskader 41 Weiterbildungsmaßnahmen 187 Wertewandel 133,201,246 Wertorientierungen 192, 200 ff. Widerspruchsverfahren - Defizite in der Behandlung von Rechtsbehelfen 181 - vs. DDR-Eingabenpraxis 178 Widerspruchs welle, erste Ausprägungen 181 Wiedervereinigungsgebot 77 Wiedervereinigungsprozeß 14 Wirkungszusammenhang der Rechtsordnung 55 Wirtschafts- und Verwaltungs akademien 239 passim Wirtschafts- und Verwaltungsentwicklung in gegenseitiger Beeinflussung 173 Wirtschaftsförderungsgesellschaft in Thüringen 131 Wirtschaftslenkungsmaßnahmen 53 Wirtschaftsstruktur der Bundesrepublik 139 Wirtschaftsverfassung, Offenheit 58 Wohlfahrtsverbände - als Altenhilfe-Träger 151 - und flächendeckende Leistungserbringung 151 - als quasi-staatliche Organisationen? 158 - soziale Verankerung 152 Wohlstandsauswüchse westdeutschen Verwaltungsrechts 66 Wohnbedingungen 138 Wohnungsversorgung 126 f.

Sachverzeichnis Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger 149 Zusammenbruch sozialer Versorgungssystems der DDR 158

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Zuteilungskriterien bei knappen Ressourcen 53 Zwangszuordnung im öffentlichen Interesse 127 Zweitbescheid 181