Versprochene Freiheit: Der Freiheitsbegriff der theologischen Anthropologie in interdisziplinärem Kontext 3110307480, 9783110307481, 9783110307771

Die vorliegende Arbeit nimmt die aktuelle Diskussion der Willensfreiheit in Neurowissenschaften und Philosophie auf und

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Versprochene Freiheit: Der Freiheitsbegriff der theologischen Anthropologie in interdisziplinärem Kontext
 3110307480, 9783110307481, 9783110307771

Table of contents :
Vorwort
Abkürzungen
Einleitung
I Neurowissenschaftliche Perspektiven
1. Grundsatzfragen und Methodik
1.1. Der Anstoß: die Libet-Experimente und ihre Nachfolger
1.1.1 Die Entdeckung des Bereitschaftspotentials
1.1.2 Die Anlage der Fragestellung bei Libet
1.1.3 Der vorausgesetzte Freiheitsbegriff
1.1.4 Folgeexperimente und ihre Interpretation
1.2. Methoden der Hirnforschung und ihre Aussagekraft
1.2.1 Die naturwissenschaftlichen Methoden
1.2.2 Die Verbindung unterschiedlicher Perspektiven
1.2.2.1 Objektive und subjektive Beschreibung
1.2.2.2 Der epistemische Status der Korrelierung
1.2.2.3 Die Unterscheidung von notwendigen und hinreichenden Ursachen
1.3. Positionen zum Freiheitsproblem aus neurowissenschaftlicher und psychologischer Perspektive
1.3.1 Die Position von Wolf Singer
1.3.2 Konzepte der Handlungs- und Volitionspsychologie
1.3.2.1 Freiheit als Illusion
1.3.2.2 Freiheit als Selbstbestimmung
1.4. Vorläufige Systematisierung der Probleme
2. Der Ansatz von Gerhard Roth
2.1. Das abgelehnte Verständnis von (Willens-) Freiheit
2.1.1 Die Ablehnung eines starken Freiheitsbegriffs
2.1.2 Freiheit als Selbstverursachung?
2.1.3 Was ist »das Ich«?
2.2. Dimensionen der Unfreiheit
2.2.1 Materiale Aspekte der Steuerung durch das Gehirn
2.2.1.1 Die Bedeutung des Unbewussten
2.2.1.2 Die Macht der Emotionen
2.2.2 Strukturelle Aspekte der Steuerung durch das Gehirn
2.2.2.1 Irreversible Prozesse
2.2.2.2 Deterministische Abläufe
2.2.3 Welt und Ich als Konstruktion
2.2.3.1 Dezentrale Abläufe
2.2.3.2 Die Wirklichkeit als Konstruktion
2.3. Die Frage der Verantwortung: Person oder Gehirn?
3. Zusammenfassung und Überleitung
II Philosophische Perspektiven
1. Philosophische Anliegen
1.1. Rekontextualisierung eines Problems
1.2. Begriffliche und sprachliche Klärung
1.3. Erkenntnistheoretische Klärung
1.4. Anthropologische Klärung
2. Zur Unterscheidung von Handlungs- und Willensfreiheit
3. Kompatibilistische Lösungsansätze
3.1. Personales Handeln
3.2. Stufen des Wollens und Wünschens?
3.3. Rationale und moralische Freiheit
3.3.1 Rationalität als normatives Kriterium
3.3.2 Naturalistischer Kompatibilismus
3.3.3 Vereinbarkeit durch epistemischen Dualismus
3.3.3.1 Gründe vs. Ursachen und Handlung vs. Ereignis
3.3.3.2 Sein vs. Sollen
3.3.3.3 Epistemischer Indeterminismus
3.3.4 Zusammenfassende Notiz
3.4. Personale Freiheit: Michael Pauen
3.4.1 Grundlegende Abgrenzungen
3.4.2 Freiheit als Selbstbestimmung
3.4.3 Kriterien personaler Präferenzen
3.4.3.1 Die rationale Variante
3.4.3.2 Die liberale Variante
3.4.3.3 Die identifikatorische Variante
3.4.4 Kritik des Inkompatibilismus
3.4.4.1 Freiheit und alternative Möglichkeiten
3.4.4.2 Freiheit und Kontrolle – das Konsequenzargument
3.4.4.3 Das Verhältnis von Freiheit und Determinismus
3.4.5 Zusammenfassende Notiz
4. Inkompatibilistische Ansätze
4.1. »Harter« Determinismus – Ablehnung von Freiheit
4.2. Libertarische Positionen
4.3. Die Signifikanz des freien Willens – Robert Kane
4.3.1 Kritik des Kompatibilismus – oder die Suche nach einem anspruchsvollen Begriff von Freiheit
4.3.1.1 Das Prinzip alternativer Möglichkeiten und das Konsequenzargument
4.3.1.2 Letztverantwortung (Ultimate Responsibility)
4.3.2 Die Signifikanz von Letztverantwortung
4.3.3 Intellegibilität und Existenz der Willensfreiheit: Plurale Rationalität
4.3.4 Moralische Entscheidungen und Klugheitsentscheidungen
4.3.5 Praktische Entscheidungen
5. Evaluation der philosophischen Argumentationen
5.1. Pauen und der philosophische Kompatibilismus
5.2. Kane und der philosophische Libertarismus
6. Systematische Kernpunkte
6.1. Determinismus
6.2. Zeitlichkeit
6.3. Personalität
III Theologische Perspektiven
1. Der spezifische Ansatz theologischer Anthropologie
1.1. Coram Deo
1.2. Soteriologie und Anthropologie
1.3. Geschöpf und Sünder
2. Der Streit zwischen Luther und Erasmus
2.1. Die Bestimmung des Gegenstandes durch Erasmus
2.2. Dimensionen des freien Wahlvermögens nach Erasmus
2.2.1 Entscheidungsfreiheit auf Basis von Vernunft
2.2.2 Freier Wille und Gnade
2.2.3 Verantwortung des Menschen
2.2.4 Parallelen
2.3. Luthers Präzisierung des Streitgegenstandes
2.3.1 Luthers Widerstand gegen die Anlage der Fragestellung und die Ablehnung des liberum arbitrium
2.3.2 Heilsgewissheit als existentielles Motiv
2.4. Was ist das servum arbitrium?
2.4.1 Das SA als Aussage über das menschliche Handlungs- bzw. Willensvermögen
2.4.2 Das SA als Aussage über das menschliche Erkenntnisvermögen
2.4.3 Das SA als Prädikat des Sünders
2.4.4 Das SA als Prädikat des endlichen Geschöpfes?
2.4.4.1 Die Notwendigkeit allen Geschehens
2.4.4.2 Die Unveränderlichkeit des Willens
2.5. Die Beteiligung des Menschen
2.5.1 Personale Beteiligung
2.5.2 Verantwortung für die Sünde
2.5.3 Inferiora und superiora
3. Die Freiheit eines Christenmenschen
3.1. Die Konstitution der christlichen Freiheit im Inneren Menschen
3.2. Vollzüge christlicher Freiheit
3.3. Die Zuordnung von Leib und Seele
4. Epistemische und fundamentalanthropologische Kontextualisierung
4.1. Der Mensch als theologisches Erkenntnisproblem
4.2. Ansatz bei Personalität und Subjektbewusstsein des Menschen
4.2.1 Die Bedeutung der Binnenperspektive
4.2.2 Unmittelbares Selbstbewusstsein?
4.3. Transzendentale Anthropologie und »Gottoffenheit« des Menschen
4.3.1 Transzendentale Freiheit
4.3.2 Gottoffenheit
4.4. Freiheitstheoretische Relevanz
4.4.1 Gottesbeziehung als menschliche Möglichkeit?
4.4.2 Formale anthropologische Ontologie?
4.4.3 Der Andere als kommunikatives Ereignis
5. Systematisch-theologische Überlegungen zur Unfreiheit des Menschen
5.1. Ablehnung absoluter Freiheit
5.1.1 Bedingtheit als Geschöpflichkeit
5.1.2 Kein liberum arbitrium Gott gegenüber
5.1.2.1 Keine Indifferenzfreiheit
5.1.2.2 Abstand von der ethischen Frage
5.2. Zur schöpfungstheologischen und necessitaristischen Begründungsstrategie
5.2.1 Vereinbarkeit von menschlicher Freiheit und Gottes Allmacht?
5.2.1.1 Spezifizierung der Relate
5.2.1.2 Ein theologisches Konsequenzargument?
5.2.1.3 Schöpfungstheologische und soteriologische Relevanz
5.2.2 Die Annahme des servum arbitrium als »fundamentalanthropologische Theorie«?
5.2.2.1 Servum arbitrium als Bestimmtheit des Selbstgefühls?
5.2.2.2 Kritik
5.3. Zur hamartiologischen Begründung
5.3.1 Hermeneutische Vorüberlegungen
5.3.2 Freiheitstheoretische Relevanz
5.3.3 Phänomenale Aspekte der Sünde
5.3.3.1 Verblendung
5.3.3.2 Selbstisolierung und -konstituierung
5.3.3.3 Selbstwiderspruch und Entfremdung
5.4. Kann oder muss dennoch von Freiheit gesprochen werden?
6. Systematisch-theologische Überlegungen zur Freiheit des Menschen
6.1. Freiheit in Beziehung
6.1.1 Kommunikative Relationalität als Bedingung von Freiheit
6.1.2 Die Unterscheidung der Beziehungen und die Bedeutung des Selbstverhältnisses
6.1.3 Die Ambivalenz von Beziehungen
6.2. Geschöpfliche Freiheit
6.2.1 Intentionales Handeln
6.2.2 Graduelle Freiheit
6.2.3 Selbstkohärenz
6.2.4 Vernunft, Affekt, Leiblichkeit
6.3. Freiheit und Gnade bzw. Befreiung
6.4. Freiheit und Zeit
6.4.1 Unterschiedliche Freiheitsbegriffe
6.4.2 Freiheit von und zu sich selbst, und in Beziehung zu Anderen
6.4.3 Qualifizierte Freiheit
Literatur
Register

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Benedikt Bruder Versprochene Freiheit

Theologische Bibliothek Töpelmann Herausgegeben von Bruce McCormack, Friederike Nüssel und Christoph Schwöbel

Band 159

De Gruyter

Benedikt Bruder

Versprochene Freiheit Der Freiheitsbegriff der theologischen Anthropologie in interdisziplinärem Kontext

De Gruyter

Die vorliegende Untersuchung ist eine überarbeitete Fassung der Dissertation „Versprochene Freiheit. Der Freiheitsbegriff der theologischen Anthropologie in interdisziplinärem Kontext“, die 2010 vom Fachbereich Theologie der Philosophischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg (D29) angenommen wurde.

ISBN 978-3-11-030748-1 e-ISBN 978-3-11-030777-1 ISSN 0563-4288 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalogue record for this book is available from the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

” 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen 앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier 앪 Printed in Germany www.degruyter.com

Meinen Eltern und meiner Frau Stefanie

Vorwort Vorliegende Arbeit ist die überarbeitete und um einige Titel neuerer Literatur ergänzte Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2010/2011 vom Fachbereich Theologie der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommen wurde. Ich bin vielen Menschen dankbar, die zu ihrer Fertigstellung beigetragen haben. Ganz besonders herzlich danke ich meinem akademischen Lehrer und Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Walter Sparn. Durch seine Lehrtätigkeit hat er viel dazu beigetragen, dass in mir die Begeisterung für das Fach der Systematischen Theologie geweckt wurde. Er hat nicht nur das Thema der Dissertation vorgeschlagen, sondern auch ihren Fortgang mit großem persönlichem und fachlichem Engagement begleitet. Für die Übernahme des theologischen Zweitgutachtens danke ich ganz herzlich Herrn PD Dr. Ulrich Beuttler. In seinen Seminaren und Übungen hat auch er den Grundstein für diese Arbeit gelegt. Gleiches gilt für Herrn Prof. Dr. Harald Seubert, dem ich für die Übernahme eines philosophischen Korreferats danke. Viele Menschen haben durch fachlichen Rat oder engagierte Gespräche zum Fortgang des Projekts beigetragen. Hervorheben will ich diesbezüglich Herrn Pfarrer Benjamin Schimmel, mit dem ich immer wieder Zwischenergebnisse diskutieren konnte. Frau Dr. Cosima Rhein gab mir einige wertvolle Anregungen für den Bereich der neurowissenschaftlichen Diskussion. Frau Anja Zeltner hat die abschließende Korrektur des Manuskripts übernommen. Bei allen Genannten bedank ich mich sehr. Wertvoll war für mich, dass ich immer wieder die Gelegenheit hatte, meine Gedanken im Kreis anderer Doktoranden vorzustellen und zu diskutieren. Dies hat mir der Doktorandenkreis des Fachbereichs Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, das Graduiertenkolleg des Theologischen-Arbeitskreises-Pfullingen, sowie das Marsiliuskolleg der Rupprecht-Karls-Universität Heidelberg ermöglicht. Die Evang.-Luth. Kirche in Bayern hat die Arbeit an der Dissertation mit einem Stipendium und auch die Veröffentlichung mit einem

VIII

Vorwort

großzügigen Druckkostenzuschuss gefördert. Für Beides danke ich ganz herzlich. Herrn Dr. Albrecht Döhnert, Frau Dr. Sabine Krämer, Herrn Stefan Selbmann, Frau Kathrin Mittmann und Frau Sabina Dabrowski vom Verlag de Gruyter danke ich ganz herzlich für die unkomplizierte Abwicklung der Veröffentlichung. Frau Prof. Dr. Friederike Nüssel, Herrn Prof. Dr. Bruce McCormack und Herrn Prof. Dr. Christoph Schwöbel danke ich sehr für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe »Theologische Bibliothek Töpelmann«. Großer Dank gilt auch meinen Eltern, die mir den Weg des Theologiestudiums und der Promotion ermöglicht haben. Nicht zuletzt danke ich ganz besonders meiner Frau Stefanie, die mich während der Arbeit an der Dissertation in jeglicher Hinsicht unterstützt und mir allen notwendigen Freiraum gewährt hat. Ihr und meinen Eltern ist das Buch gewidmet. Fürth, im Oktober 2012 Benedikt Bruder

Inhaltsverzeichnis

Vorwort .......................................................................................................VII Abkürzungen............................................................................................ XVII Einleitung ........................................................................................................ 1 I

Neurowissenschaftliche Perspektiven........................................ 6

1.

Grundsatzfragen und Methodik ................................................. 6

1.1.

Der Anstoß: die Libet-Experimente und ihre Nachfolger ....... 6

1.1.1

Die Entdeckung des Bereitschaftspotentials.............................. 6

1.1.2

Die Anlage der Fragestellung bei Libet...................................... 8

1.1.3

Der vorausgesetzte Freiheitsbegriff .......................................... 11

1.1.4

Folgeexperimente und ihre Interpretation............................... 16

1.2.

Methoden der Hirnforschung und ihre Aussagekraft ........... 20

1.2.1

Die naturwissenschaftlichen Methoden................................... 22

1.2.2

Die Verbindung unterschiedlicher Perspektiven.................... 25

1.2.2.1

Objektive und subjektive Beschreibung................................... 25

1.2.2.2

Der epistemische Status der Korrelierung ............................... 34

1.2.2.3

Die Unterscheidung von notwendigen und hinreichenden Ursachen............................................................. 39

1.3.

Positionen zum Freiheitsproblem aus neurowissenschaftlicher und psychologischer Perspektive ........... 41

1.3.1

Die Position von Wolf Singer..................................................... 42

X

Inhaltsverzeichnis

1.3.2

Konzepte der Handlungs- und Volitionspsychologie............ 47

1.3.2.1

Freiheit als Illusion...................................................................... 48

1.3.2.2

Freiheit als Selbstbestimmung................................................... 55

1.4.

Vorläufige Systematisierung der Probleme............................. 63

2.

Der Ansatz von Gerhard Roth................................................... 65

2.1.

Das abgelehnte Verständnis von (Willens-) Freiheit .............. 66

2.1.1

Die Ablehnung eines starken Freiheitsbegriffs ....................... 67

2.1.2

Freiheit als Selbstverursachung?............................................... 72

2.1.3

Was ist »das Ich«?........................................................................ 77

2.2.

Dimensionen der Unfreiheit ...................................................... 83

2.2.1

Materiale Aspekte der Steuerung durch das Gehirn.............. 83

2.2.1.1

Die Bedeutung des Unbewussten ............................................. 83

2.2.1.2

Die Macht der Emotionen .......................................................... 89

2.2.2

Strukturelle Aspekte der Steuerung durch das Gehirn ......... 93

2.2.2.1

Irreversible Prozesse ................................................................... 93

2.2.2.2

Deterministische Abläufe........................................................... 98

2.2.3

Welt und Ich als Konstruktion ................................................ 102

2.2.3.1

Dezentrale Abläufe ................................................................... 102

2.2.3.2

Die Wirklichkeit als Konstruktion .......................................... 109

2.3.

Die Frage der Verantwortung: Person oder Gehirn? ........... 117

3.

Zusammenfassung und Überleitung...................................... 119

II

Philosophische Perspektiven ................................................... 125

1.

Philosophische Anliegen .......................................................... 125

1.1.

Rekontextualisierung eines Problems .................................... 125

1.2.

Begriffliche und sprachliche Klärung..................................... 126

Inhaltsverzeichnis

XI

1.3.

Erkenntnistheoretische Klärung.............................................. 128

1.4.

Anthropologische Klärung ...................................................... 130

2.

Zur Unterscheidung von Handlungsund Willensfreiheit ................................................................... 132

3.

Kompatibilistische Lösungsansätze........................................ 138

3.1.

Personales Handeln .................................................................. 141

3.2.

Stufen des Wollens und Wünschens?..................................... 145

3.3.

Rationale und moralische Freiheit .......................................... 149

3.3.1

Rationalität als normatives Kriterium .................................... 149

3.3.2

Naturalistischer Kompatibilismus .......................................... 151

3.3.3

Vereinbarkeit durch epistemischen Dualismus .................... 155

3.3.3.1

Gründe vs. Ursachen und Handlung vs. Ereignis................ 155

3.3.3.2

Sein vs. Sollen ............................................................................ 159

3.3.3.3

Epistemischer Indeterminismus.............................................. 160

3.3.4

Zusammenfassende Notiz........................................................ 161

3.4.

Personale Freiheit: Michael Pauen .......................................... 162

3.4.1

Grundlegende Abgrenzungen................................................. 164

3.4.2

Freiheit als Selbstbestimmung................................................. 167

3.4.3

Kriterien personaler Präferenzen ............................................ 171

3.4.3.1

Die rationale Variante............................................................... 171

3.4.3.2

Die liberale Variante ................................................................. 175

3.4.3.3

Die identifikatorische Variante................................................ 179

3.4.4

Kritik des Inkompatibilismus .................................................. 186

3.4.4.1

Freiheit und alternative Möglichkeiten.................................. 186

3.4.4.2

Freiheit und Kontrolle – das Konsequenzargument ............ 194

3.4.4.3

Das Verhältnis von Freiheit und Determinismus ................. 199

3.4.5

Zusammenfassende Notiz........................................................ 202

XII

Inhaltsverzeichnis

4.

Inkompatibilistische Ansätze .................................................. 204

4.1.

»Harter« Determinismus – Ablehnung von Freiheit............ 204

4.2.

Libertarische Positionen ........................................................... 211

4.3.

Die Signifikanz des freien Willens – Robert Kane ................ 217

4.3.1

Kritik des Kompatibilismus – oder die Suche nach einem anspruchsvollen Begriff von Freiheit ..................................... 217

4.3.1.1

Das Prinzip alternativer Möglichkeiten und das Konsequenzargument............................................................... 218

4.3.1.2

Letztverantwortung (Ultimate Responsibility) ..................... 222

4.3.2

Die Signifikanz von Letztverantwortung .............................. 229

4.3.3

Intellegibilität und Existenz der Willensfreiheit: Plurale Rationalität.................................................................... 237

4.3.4

Moralische Entscheidungen und Klugheitsentscheidungen......................................................... 240

4.3.5

Praktische Entscheidungen ...................................................... 248

5.

Evaluation der philosophischen Argumentationen ............. 251

5.1.

Pauen und der philosophische Kompatibilismus................. 251

5.2.

Kane und der philosophische Libertarismus ........................ 256

6.

Systematische Kernpunkte....................................................... 261

6.1.

Determinismus .......................................................................... 261

6.2.

Zeitlichkeit.................................................................................. 263

6.3.

Personalität................................................................................. 265

III

Theologische Perspektiven ...................................................... 268

1.

Der spezifische Ansatz theologischer Anthropologie.......... 268

1.1.

Coram Deo ................................................................................. 268

1.2.

Soteriologie und Anthropologie.............................................. 271

Inhaltsverzeichnis

XIII

1.3.

Geschöpf und Sünder ............................................................... 273

2.

Der Streit zwischen Luther und Erasmus .............................. 275

2.1.

Die Bestimmung des Gegenstandes durch Erasmus............ 275

2.2.

Dimensionen des freien Wahlvermögens nach Erasmus .... 278

2.2.1

Entscheidungsfreiheit auf Basis von Vernunft...................... 278

2.2.2

Freier Wille und Gnade ............................................................ 281

2.2.3

Verantwortung des Menschen ................................................ 284

2.2.4

Parallelen .................................................................................... 286

2.3.

Luthers Präzisierung des Streitgegenstandes........................ 287

2.3.1

Luthers Widerstand gegen die Anlage der Fragestellung und die Ablehnung des liberum arbitrium ........................... 287

2.3.2

Heilsgewissheit als existentielles Motiv................................. 291

2.4.

Was ist das servum arbitrium?................................................ 294

2.4.1

Das SA als Aussage über das menschliche Handlungs- bzw. Willensvermögen ................ 295

2.4.2

Das SA als Aussage über das menschliche Erkenntnisvermögen................................................................. 299

2.4.3

Das SA als Prädikat des Sünders ............................................ 304

2.4.4

Das SA als Prädikat des endlichen Geschöpfes?................... 309

2.4.4.1

Die Notwendigkeit allen Geschehens..................................... 309

2.4.4.2

Die Unveränderlichkeit des Willens....................................... 319

2.5.

Die Beteiligung des Menschen ................................................ 329

2.5.1

Personale Beteiligung ............................................................... 329

2.5.2

Verantwortung für die Sünde ................................................. 331

2.5.3

Inferiora und superiora ............................................................ 334

3.

Die Freiheit eines Christenmenschen ..................................... 336

3.1.

Die Konstitution der christlichen Freiheit im Inneren Menschen.................................................................................... 336

XIV

Inhaltsverzeichnis

3.2.

Vollzüge christlicher Freiheit................................................... 341

3.3.

Die Zuordnung von Leib und Seele........................................ 346

4.

Epistemische und fundamentalanthropologische Kontextualisierung.................................................................... 349

4.1.

Der Mensch als theologisches Erkenntnisproblem............... 349

4.2.

Ansatz bei Personalität und Subjektbewusstsein des Menschen.................................................................................... 352

4.2.1

Die Bedeutung der Binnenperspektive .................................. 352

4.2.2

Unmittelbares Selbstbewusstsein? .......................................... 354

4.3.

Transzendentale Anthropologie und »Gottoffenheit« des Menschen............................................................................. 358

4.3.1

Transzendentale Freiheit.......................................................... 358

4.3.2

Gottoffenheit .............................................................................. 361

4.4.

Freiheitstheoretische Relevanz ................................................ 363

4.4.1

Gottesbeziehung als menschliche Möglichkeit? ................... 363

4.4.2

Formale anthropologische Ontologie? ................................... 365

4.4.3

Der Andere als kommunikatives Ereignis ............................. 367

5.

Systematisch-theologische Überlegungen zur Unfreiheit des Menschen............................................................................. 373

5.1.

Ablehnung absoluter Freiheit.................................................. 373

5.1.1

Bedingtheit als Geschöpflichkeit............................................. 373

5.1.2

Kein liberum arbitrium Gott gegenüber ................................ 380

5.1.2.1

Keine Indifferenzfreiheit .......................................................... 380

5.1.2.2

Abstand von der ethischen Frage ........................................... 382

5.2.

Zur schöpfungstheologischen und necessitaristischen Begründungsstrategie............................................................... 385

5.2.1

Vereinbarkeit von menschlicher Freiheit und Gottes Allmacht?.................................................................................... 386

5.2.1.1

Spezifizierung der Relate ......................................................... 386

Inhaltsverzeichnis

XV

5.2.1.2

Ein theologisches Konsequenzargument? ............................. 394

5.2.1.3

Schöpfungstheologische und soteriologische Relevanz ...... 398

5.2.2

Die Annahme des servum arbitrium als »fundamentalanthropologische Theorie«? ............................ 401

5.2.2.1

Servum arbitrium als Bestimmtheit des Selbstgefühls?....... 401

5.2.2.2

Kritik ........................................................................................... 405

5.3.

Zur hamartiologischen Begründung ...................................... 409

5.3.1

Hermeneutische Vorüberlegungen......................................... 409

5.3.2

Freiheitstheoretische Relevanz ................................................ 413

5.3.3

Phänomenale Aspekte der Sünde ........................................... 416

5.3.3.1

Verblendung .............................................................................. 416

5.3.3.2

Selbstisolierung und -konstituierung ..................................... 418

5.3.3.3

Selbstwiderspruch und Entfremdung .................................... 421

5.4.

Kann oder muss dennoch von Freiheit gesprochen werden? ...................................................................................... 425

6.

Systematisch-theologische Überlegungen zur Freiheit des Menschen............................................................................. 428

6.1.

Freiheit in Beziehung ................................................................ 428

6.1.1

Kommunikative Relationalität als Bedingung von Freiheit ................................................................................ 428

6.1.2

Die Unterscheidung der Beziehungen und die Bedeutung des Selbstverhältnisses ......................................... 431

6.1.3

Die Ambivalenz von Beziehungen ......................................... 434

6.2.

Geschöpfliche Freiheit .............................................................. 437

6.2.1

Intentionales Handeln .............................................................. 437

6.2.2

Graduelle Freiheit...................................................................... 442

6.2.3

Selbstkohärenz........................................................................... 444

6.2.4

Vernunft, Affekt, Leiblichkeit.................................................. 447

6.3.

Freiheit und Gnade bzw. Befreiung........................................ 449

XVI

Inhaltsverzeichnis

6.4.

Freiheit und Zeit........................................................................ 457

6.4.1 6.4.2

Unterschiedliche Freiheitsbegriffe .......................................... 458 Freiheit von und zu sich selbst, und in Beziehung zu Anderen................................................................................. 460

6.4.3

Qualifizierte Freiheit................................................................. 462

Literatur ...................................................................................................... 466 Register ........................................................................................................ 498

Abkürzungen Abkürzungen richten sich nach: Schwertner, Siegfried M.: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete: IATG; Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben = International glossary of abbreviations for theology and related subjects / Siegfried M. Schwertner. 1PP 3PP BP BSLK Ddh DH Dla Dsa FN LBP LDStA PAP SFA SFW Tractatus UR WA

Erste-Person-Perspektive Dritte-Person-Perspektive Bereitschaftspotential Bekenntnisschriften der EvangelischLutherischen Kirche (siehe Lit.) Luther: Disputatio de homine (siehe Lit.) Denzinger-Hünermann: Enchiridion (siehe Lit.) Erasmus: De libero arbitrio (siehe Lit.) Luther: De servo arbitrio (siehe Lit.) Fußnote Lateralisiertes Bereitschaftspotential Martin Luther: Lateinisch-Deutsche Studienausgabe (siehe Lit.) principle of alternate possibilities self-forming action self-forming willing Luther: Tractatus de libertate (siehe Lit.) Ultimate responsibility (v.a. Kane) Weimarer Ausgabe der Werke Luthers (siehe Lit.)

Einleitung »Das Wort Freiheit klingt so schön, daß man es nicht entbehren könnte, und wenn es einen Irrthum bezeichnete.«1 Was Johann Wolfgang von Goethe hier zum Ausdruck bringt gilt für viele Zeiten menschlichen Nachdenkens über sich selbst: Freiheit fasziniert. Sie gerät immer dann neu in den Fokus, wenn sie in bestimmter Hinsicht bestritten oder für illusorisch erklärt wird. Bezeichnet Freiheit einen Irrtum? Sollten wir auf den Gebrauch des Wortes Freiheit besser verzichten? Einige Bücher und Beiträge in Feuilletons der letzten 15 Jahre legten diesen Schluss nahe. Doch das Wort Freiheit ist offenbar tatsächlich so schön, dass es aus unserem Sprachgebrauch nicht verschwunden ist; und das nicht nur, weil um die Existenz von Freiheit immer noch – wenn auch nicht mehr ganz so heftig wie noch vor einigen Jahren – gestritten wird. Menschen halten sich für frei und verantwortlich für das, was sie tun. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Was bedeutet es, frei (oder unfrei) zu sein? Auch in politischen Debatten der Gegenwart wird heftig um Freiheit gestritten. Zwar wird der Wert der Freiheit nicht angezweifelt, wohl aber ist unklar, worin sie besteht und wieviel Freiheit dem Einzelnen zukommt. Die aktuellen weltwirtschaftlichen Turbulenzen wurden gerade in Deutschland häufig als Folge von zu viel individueller Freiheit gedeutet. Freiheit wird missbraucht, wo sie keine Grenzen findet; Freiheit erscheint ambivalent, weil sie in Willkür umschlagen, und damit zum Instrument persönlicher Interessen mutieren kann. Zentrale Debatten drehen sich um das Verhältnis von individueller Freiheit und staatlichen Eingriffsmöglichkeiten, von persönlicher Freiheit und öffentlicher Sicherheit. Wie viel Freiheit kann dem Einzelnen gewährt werden, ohne dabei die Freiheit der Anderen zu gefährden? Dieser kurze Verweis auf aktuelle politische Zusammenhänge, die nicht das Thema dieser Arbeit darstellen, macht deutlich, dass der Begriff »Freiheit« als zentrale Deutungskategorie menschlichen Han-

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Goethe, Dichtung und Wahrheit, 69.

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delns nach wie vor eine große Rolle spielt. Er ist aber genauso selbst deutungsbedürftig. Der Gehalt von Freiheit bestimmt sich wesentlich durch die mit dem Freiheitskonzept verbundenen, aber auch durch die ihm entgegen gesetzten Ideen und Weltanschauungen. Er ist nicht aus sich selbst verständlich, sondern nur aus einer Verhältnisbestimmung zu anderen Überzeugungen, vor allem aber auch zu möglichen Perversionen seiner selbst: Wo beginnt Willkür, wo wird aus der notwendigen Eingrenzung von Freiheit Zwang oder Unterdrückung? Was Freiheit wirklich ist, hat dabei mit dem individuellen Selbstverständnis von Menschen zu tun. Dieses positiv zu beschreiben ist oft schwierig; leichter ist es und in der Regel deutlich zu spüren, wann eine These oder Erkenntnis dem menschlichen Selbstverständnis widerspricht. Es ist daher nur zu verständlich, dass die Leugnung von Freiheit durch bestimmte Strömungen der jüngeren Neurowissenschaft, zum Teil auch der Philosophie, hohe (publizistische) Wellen schlug. Die Thesen ließen das Thema Freiheit in seiner Zuspitzung auf das Problem der Willensfreiheit wieder en vogue werden. Hier konzentriert sich die Frage nach der Freiheit auf die Möglichkeit individueller, selbstbestimmter Lebensführung und der Übernahme von (moralischer) Verantwortung. Wo diese bestritten wird, stehen offenbar das menschliche Selbstverständnis, aber auch die damit verbundenen Einrichtungen wie das auf der Zuweisung von Schuld basierende Rechtssystem in Frage. Die pointierten Thesen zeitigten daher einen großen Verblüffungseffekt, verbunden mit wachsender Neugier, aber auch Empörung bei vielen Diskussionsteilnehmern. Auch in dieser neueren Debatte, die zwischen naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen, vor allem philosophischen Vertretern geführt wird, lassen sich die in Bezug auf politische Zusammenhänge angedeuteten Problemstellungen beobachten. Denn die Schwierigkeiten dieser Diskussion resultieren nur zum Teil aus der Tatsache, dass ein Teil die Existenz von Freiheit offensichtlich verneint, ein anderer sie positiv bejaht; das größere Problem liegt darin begründet, dass von verschiedenen Seiten Unterschiedliches unter Freiheit verstanden wird. Es lässt sich beobachten, wie der Freiheitsbegriff mit dem jeweiligen menschlichen Selbstverständnis, aber auch mit dem Selbstverständnis einer wissenschaftlichen Disziplin, der Naturwissenschaften, der Philosophie und auch der Theologie zusammenhängt. Je nach Perspektive werden verschiedene Basisannahmen unterstellt, die dem Freiheitsbegriff eine spezifische Färbung geben. Dies gilt auch für die in dieser Arbeit präsentierte theologische Perspektive auf das Thema.

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Wünschenswert ist dabei auch gar nicht, sich von diesen Vorannahmen zu distanzieren, wohl aber diese möglichst transparent in den Diskurs einzubringen. Denn der Sinn eines theologischen Beitrags ergibt sich wiederum aus dem Selbstverständnis der Theologie, die auf der Höhe der Zeit zu relevanten Fragen Stellung nehmen möchte. Dass dabei das Freiheitsproblem zu ihren genuinen Themen gehört, zeigt rasch ein Blick in die (von der philosphischen nicht immer klar zu trennende) theologische Tradition. Es geht daher für eine theologische Arbeit einerseits um die Klärung des eigenen Traditionsbestandes in seiner Bedeutung für ein aktuelles Problem, andererseits darum, zu einem brisanten anthropologischen Thema aus theologischer Perspektive Stellung zu beziehen und auf diesem Wege die Diskussion zu bereichern. Die Besinnung auf die Geschichte der theologischen Freiheitstheorien ist dabei in protestantischer Perspektive insofern besonders interessant, als sich zwei der wichtigsten Schriften Luthers in äußert pointierter, und zudem in sich scheinbar widersprechender Weise auf das Freiheitsthema beziehen: der »Tractatus de libertate christiana« von 1520 (bzw. die nicht völlig identische deutsche Fassung »Von der Freiheit eines Christenmenschen«) und die gegen Erasmus von Rotterdam gerichtete Streitschrift »De servo arbitrio« (Vom unfreien Willen). Schon dieser erste Blick zeigt also, dass gerade auch in theologischer Perspektive Differenzierungen notwendig sind, will man das reformatorische Pathos der Freiheit angemessen zur Geltung bringen. Da sich diese Arbeit mit dem Freiheitsproblem in einer interdiziplinär geführten Debatte befasst, muss sie die unterschiedlichen Perspektiven verschiedener Wissenschaften deutlich machen. Es ist unverzichtbar, die distinkten Herangehensweisen zunächst in ihren je eigenen Zuspitzungen darzustellen, und die darin implizierten Aspekte bezüglich des Freiheitsproblems freizulegen. Dies ist vor allem deshalb notwendig, weil die Geschichte der Auseinandersetzung mit der Freiheitsfrage in den Natur- und Geisteswissenschaften sehr unterschiedlich ist. Die Würdigung dieser Unterschiedlichkeit kommt in vorliegender Arbeit so zum Ausdruck, dass der neurowissenschaftlichen, der philosophischen und der theologischen Perspektive je ein eigenes Kapitel gewidmet wird. Die Verflechtung versuche ich so herzustellen, dass innerhalb der Argumentation Zusammenhänge und Unterschiede zu den bereits behandelten Perspektiven dargestellt werden. Dabei wird innerhalb des naturwissenschaftlichen und des philosophischen Kapi-

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tels jeweils zur Strukturierung der Debatte überblicksartig über ver schiedene Positionen informiert und eine Orientierung über die mit der Struktur gegebenen Grundprobleme gegeben, bevor eine (bzw. zwei) Positionen (Gerhard Roth, sowie Michael Pauen und Robert Kane) näher in den Blick genommen werden. Anhand der exemplarisch ausgewählten Vertreter erfolgt dann auch im Wesentlichen die inhaltliche Diskussion der relevanten Fragen. Abschließend werden die wesentlichen Punkte zusammengefasst und zum nächsten Schritt übergeleitet. Ich übe dabei im naturwissenschaftlichen und philosophischen Teil weitgehend eine aus arbeitspraktischen Gründen notwendige Konzentration auf die neuere Diskussion der letzten ca. 30 Jahre. Wo es notwendig oder hilfreich erscheint, wird insbesondere die philosophische Tradition zu Rate gezogen. Etwas anders gestaltet sich der theologische Teil der Arbeit. Hier bietet sich in der Kontroverse zwischen Luther und Erasmus ein historisches Setting als Ausgangsbasis an; einerseits, weil dabei die theologischen Problemstellungen sehr pointiert zu Tage treten, andererseits, weil sich auch viele gegenwärtige Theologen, die zum Freiheitsproblem Stellung nehmen, auf Luther und/oder auf Erasmus beziehen und ihre Position in Auslegung von deren Schriften vortragen. Es ist also sinnvoll, zunächst die Position der beiden Kontrahenten aus dem 16. Jahrhundert zu rekonstruieren. Insbesondere die Beschäftigung mit Luther ergibt sich für die protestantische Theologie schon aus Gründen der fortwährenden Klärung ihres Selbstverständnisses in der Tradition des Reformators. Dafür ist es notwendig, auch Luthers zentrale Schrift über die christliche Freiheit, den erwähnten Traktat, in den Blick zu nehmen. Diese Schriften Luthers sind wiederum auch interpretationsfähig und bedürftig, was sich an der Vielzahl der zum Teil sehr unterschiedlichen Auslegungen, insbesondere der kontroversen Schrift »De servo arbitrio« zeigen lässt. Weil sich in der Interpretation dieser Streitschrift wichtige Weichenstellungen ergeben, eignet sie sich auch in besonderer Weise als Ausgangspunkt für systematisch-theologische Überlegungen zum Thema Freiheit/Unfreiheit in Auseinandersetzung mit gegenwärtigen theologischen Beiträgen. Dabei soll die historische Differenz zu Luther nicht nivelliert, seine bleibende Bedeutung aber deutlich gemacht werden. Die systematischen Überlegungen zur Unfreiheit und Freiheit des Menschen wollen die Beziehung des theologischen Begriffs von (Un-)Freiheit zu den neurowissenschaftlichen und philosophischen Konzepten herausstellen.

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Die vorliegende Arbeit versteht sich angesichts des hier grob skizzierten Aufrisses als ein Beitrag zu einer interdisziplinär geführten Debatte, aber auch zur theologischen Anthropologie im engeren Sinne. Dabei ist intendiert, diejenigen Phänomene aufzuklären, die wir als Menschen im Blick haben, wenn wir von Freiheit oder Unfreiheit sprechen und den Sachgehalt bzw. die Wahrheitsfähigkeit entsprechender Thesen zu prüfen. Dass die genannten Phänomene divergent sind und aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich beschrieben werden können, zeigt sich sehr rasch. Diese Heterogenität ist durchaus kein Mangel, sondern steht zunächst für den Reichtum des Menschseins. Die Arbeit will daher anhand einer Klärung der Beziehung dieser unterschiedlichen Perspektiven das Phänomen Freiheit differenzieren und dabei die Konturen des theologischen Begriffs von (Un-)Freiheit im interdisziplinären Gespräch schärfen.

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Neurowissenschaftliche Perspektiven 1. Grundsatzfragen und Methodik

1.1 Der Anstoß: Die Libet-Experimente und ihre Nachfolger Die Ergebnisse der Experimente, die der amerikanische Neurophysiologe Benjamin Libet Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre veröffentlichte,2 können als Initialzündung für die neuere Diskussion um die Frage nach der Willensfreiheit gelten. Dabei kommt Libet vor allem deshalb eine Schlüsselrolle zu, weil Art und Weise seiner Untersuchung des Themas prägend geworden sind. Nahezu alle Hirnforscher, nicht zuletzt auch der hier ausführlich vorgestellte Neurobiologe Gerhard Roth, berufen sich an zentralen Stellen der Argumentation auf Libet und seine Ergebnisse, bzw. auf die ihm nachfolgenden Forscher. Eine Analyse der freilich schon vielfach besprochenen Experimente3 samt einer kritischen Reflexion der mit diesen Experimenten gegebenen Anlage der Fragestellung darf daher – gleichwohl in aller Kürze – auch in dieser Untersuchung nicht fehlen. 1.1.1 Die Entdeckung des Bereitschaftspotentials Libet greift für seine Untersuchungen auf Ergebnisse zurück, die von den deutschen Neurophysiologen Kornhuber und Deecke schon in den 60er Jahren publiziert wurden,4 vor allem auf deren Entdeckung des so

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Vgl. v. a. Libet u. a. , Time; ders., Unconscious initiative. Vgl. exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Helmrich, Wir können auch anders; Herrmann u. a. , Neue Interpretation; Keil, Willensfreiheit, 167-178; Pauen, Illusion Freiheit, 196-205; Rösler, Neuronale Korrelate; Sellmaier, Was beweisen Libets Experimente?; Walde, Willensfreiheit, 93-99; Walter, Neurophilosophie, 299308. Vgl. Kornhuber/Deecke, Hirnpotentialänderungen 1964, sowie dies., Hirnpotentialänderungen 1965.

Grundsatzfragen und Methodik

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genannten Bereitschaftspotentials5 (im Folgenden BP). Mit dem Begriff wird von Kornhuber/Deecke eine spezifische Gehirnaktivität bezeichnet, die »etwa eine Sekunde vor einer willentlichen Bewegung«6 auftritt. Die Erkenntnis dieser nur durch Mittelung aus einer größeren Anzahl von Versuchen zu gewinnenden Aktivität über dem supplementärmotorischen Areal (SMA) des Cortex war deshalb bedeutsam, weil sie nach einer Periode der vor allem von tiefenpsychologischen, oder aber im Gegensatz dazu von behavioristischen Paradigmen beherrschten psychologischen Forschung (also einer Phase, in der Wille nicht als angemessener Forschungsgegenstand galt) eine neue Perspektive für die Untersuchung der volitionalen Strukturen des Menschen gab.7 Mit dem BP war eine neurologische Aktivität gefunden, die offensichtlich mit willentlichen Handlungen zusammen hängt.8 Dabei waren Kornhuber/Deecke nicht darauf aus, den Willen als (nutzlose) Begleiterscheinung von Hirnprozessen zu entlarven, sondern sie waren auf der Suche nach »Zeichen von eigenaktivem Willen«9, also nach neuronalen Korrelaten volitionaler Vorgänge. Das BP könne dabei als ein solches Zeichen gewertet werden, da sich in späteren Untersuchungen die Aktivität der »Konvexivität des frontalen Cortex«10 im Ganzen bei willentlichen Aktivitäten gezeigt habe und von da an die Weiterleitung des Potentials auf andere Hirnareale, insbesondere die motorischen Areale, festzustellen sei. Von diesen werde über das Rückenmark die Handlung initiiert. Das für willentliche Aktivität zuständige Frontalhirn übe damit eine »Führungstätigkeit«11

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Der Begriff wurde prägend für die interdisziplinär geführte Debatte um die Bedeutung des bewussten Willens und die daran angrenzenden Fragestellungen. Die große Bedeutung des Bereitschaftspotentials und seiner Deutung lässt sich an der Tatsache ablesen, dass er auch in die englischsprachige Literatur eingegangen ist, vgl. etwa folgenden Titel: Jahanshahi/Hallet, The Bereitschaftspotential. Kornhuber/Deecke, Wille Gehirn, 28. Heute gilt das BP weithin als ein allgemeines Korrelat des Unterbewussten, womit angezeigt ist, dass die Entdeckung des BP nicht zwingend als Widerspruch zur tiefenpsychologischen Forschung zu deuten ist. Dabei betonen Kornhuber/Deecke, dass der präfrontale Cortex nicht nur bei motorischen Handlungen Aktivität zeigt, sondern auch bei anderen willentlichen Tätigkeiten erregt ist, etwa »im Denken, Lernen, aufmerksamen Wahrnehmen und willentlichen Vorstellen.« (a. a. o., 31). A. a. o., 28. A. a. o., 29. A. a. o., 33. Damit vertreten Kornhuber/Deecke eine andere Meinung als etwa Gerhard Roth, der keiner Hirnregion eine Führungsrolle zuschreiben will, da das Gehirn sei-

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Neurowissenschaftliche Perspektiven

aus. Mit dem Frontalhirn war gewissermaßen das Organ des Willens gefunden worden. Die Ergebnisse konnten von Kornhuber daher auch im Sinne einer Bestätigung der Annahme von Freiheit interpretiert werden,12 manifestierte sich seiner Meinung nach doch im Frontalhirn die Fähigkeit zu taktischem und strategischem Verhalten, einer Fähigkeit, die auch heute vielen Interpreten als Indikator der Freiheit gilt. Freie, willentliche Aktivität und neuronale Realisation in bestimmten Hirnarealen waren auf dieser Ebene der Untersuchung kein Widerspruch. Freilich wurde hier noch nicht explizit auf das für die heutige Debatte zentrale Problem des Verhältnisses von bewussten und unbewussten Abläufen und deren Bedeutung für die Freiheitsfrage reflektiert. 1.1.2 Die Anlage der Fragestellung bei Libet13 Dieser Aufgabe nahm sich in spezifischer Weise Benjamin Libet an. Ausgehend von der Annahme eines solchen Bereitschaftspotentials ging es ihm darum, die zeitliche Zuordnung14 von BP und dem Erlebnis des bewussten Willens zu untersuchen. Er ging damit über die Fragestellung von Kornhuber/Deecke hinaus, indem er nicht nur den Verlauf einer Hirnaktivität bei willentlichen Handlungen, sondern insbesondere das Verhältnis des Zeitpunkts des gemessenen BP zum Zeitpunkt des ersten Bewusstseins eines Willens untersuchte. Auf experimentellem Wege sollten so Einsichten in das Verhältnis von bewusstem Erleben und den diesem Erleben korrespondierenden Hirnvorgängen gewonnen werden. Geht unser Erleben der Aktivität des BP voraus und kann es damit die weitere Aktivität der Neuronen u. u. steuern, oder ist es ein sekundäres Resultat der gemessenen Hirnprozesse?15 Libet selbst ging davon aus, auf diesem Wege eine neuronale Bestätigung für die Freiheit des Willens zu erhalten. Es ist zu betonen, dass es hierbei zunächst um eine zeitliche Relation ging, also um die Frage, in welcher Reihenfolge Hirnaktivität, Bewusst-

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ner Meinung nach dezentral strukturiert ist. Vgl. unten Kap. 2.2.3.1, S. 102. Ähnlich auch Wolf Singer, Beobachter im Gehirn, 65-70. Kornhuber/Deecke, Wille Gehirn, 34. Vgl. zum Folgenden v. a. den Abschnitt »Handlungsabsicht: Haben wir einen freien Willen?«, in: Libet, Mind Time, 159-199. Auf Einzelnachweise bestimmter Gedanken und Argumente wurde bis auf wenige Ausnahmen verzichtet. Vgl. den Untertitel des englischen Originals des Libet’schen Buches Mind Time: The temporal factor in consciousness. (Hervorherbung B. B. ). Siehe Libet, Mind Time, 22-24.

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sein des Willens und Ausführung der Handlung zueinander stehen. Die kausale Verbindung der verschiedenen Komponenten ist davon methodisch strikt zu trennen, auch wenn sich diese Frage nicht von den zeitlichen Aspekten des Geschehens lösen lässt.16 Das Problem der kausalen Verbindungen gehört in den Bereich der Interpretation der Experimente, der ich mich im Anschluss zuwenden will.17 Unabhängig davon zeigt sich hier bereits die (im Folgenden noch zu präzisierende) Tatsache, dass das Willens- bzw. Freiheitsproblem überhaupt nur als zeitliches, und nicht als statisches zu fassen ist. Libet entwarf nun für das Problem eine vergleichsweise einfache Versuchsanordnung. Die Probanden wurden aufgefordert, zu einem beliebigen Zeitpunkt das Handgelenk zu bewegen und gleichzeitig gebeten, sich den Zeitpunkt des »erste[n] Bewusstsein[s] ihrer Bewegungsabsicht«18 auf einer schnell rotierenden Uhr in Form eines oszillierenden Lichtkegels zu merken. Gleichzeitig wurde mit Hilfe entsprechender Elektroden am Kopf das Bereitschaftspotential zeitlich präzise ermittelt, und zwar auf Grund der minimalen Ausprägung (wie auch schon bei Kornhuber/Deecke) als gemitteltes Potential über 40 Versuche. Ebenfalls gemessen wurde der exakte Zeitpunkt der motorischen Ausführung der Handlung über das am aktivierten Muskel abgenommene Elektromyogramm, sodass BP, Bewusstsein der Absicht und tatsächliche motorische Ausführung zeitlich korreliert werden konnten. Die Versuche ergaben folgende (auch für Libet überraschende) Reihenfolge. Ca. 550 ms vor der Ausführung der Bewegung konnte auf dem Scheitel bzw. auf der kontralateral zur ausführenden Hand gelegenen Hemisphäre ein BP gemessen werden. Das zentrale Ergebnis war nun, dass das erste Bewusstsein der Bewegungsabsicht im Mittel erst 200 ms vor der motorischen Aktivität auftrat, also ca. 350ms nach der Aktivität des BP, und somit vermutlich nach der unbewusst stattfindenden Einleitung der Bewegung.19 Eine wesentliche Erkenntnis war 16

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Kristian Köchy hat unter Berufung auf Hume darauf hingewiesen, dass eine zeitliche Korrelierung noch keine kausalitätstheoretische Aussage zulässt. Vielmehr sei die Annahme eines Kausalzusammenhangs stets eine post hoc aufgestellte Hypothese (ders., Was kann die Neurobiologie, 157 f). Vgl. unten 1.3.2.1 auch die psychologischen Konzepte, welche nun umgekehrt die Kausalität des Willens als illusionäre Interpretation kennzeichnen. Auf diesen Sachverhalt weisen auch Herrmann u. a. , Neue Interpretation, 124, hin. Libet, Mind Time, 163. Frank Rösler hat überzeugend dargestellt, dass es durch die notwendige Mittelung des BP zu einer »Verschmierung« (ders., Neuronale Korrelate, 174) der Kurve (also der Verlaufswerte) des BP kommt. Der Beginn der gemittelten Kurve des BP muss

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demnach, dass bei der von Libet untersuchten Kategorie von Handlungen der bewusste Wille nicht die Initialfunktion20 haben konnte, sondern erst auftrat, nachdem bestimmte Hirnaktivitäten die Bewegung schon vorbereitet hatten. Das Ergebnis lässt sich mit Libet in dem Satz zusammenfassen: »Der Willensprozeß wird [...] unbewusst eingeleitet.«21 Dennoch nimmt Libet eine Funktion für den bewussten Willen an, die darin besteht, die geplante und eingeleitete Bewegung bei Bedarf abzubrechen.22 Begründet ist diese Möglichkeit in der Zeitspanne von 150ms, die zwischen dem Bewusstwerden der Handlungsabsicht und der tatsächlichen Ausführung liegt. Es konnte experimentell gezeigt werden, dass der Proband trotz aufgebautem BP, das der Einleitung einer Handlung entspricht, die geplante Handlung 200-100ms vor dem intendierten Handlungszeitpunkt abzubrechen in der Lage war. Wie

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stets bei Beginn des frühesten BP liegen und nicht am gemittelten Durchschnitt der jeweiligen Anfangspunkte der einzelnen BP. Somit würde selbst dann, wenn das Bewusstsein der Entscheidung jeweils gleichzeitig mit dem BP auftrete, das gemittelte BP aufgrund des Charakters des langsamen Ansteigens vor dem durchschnittlichen Zeitpunkt des Bewusstseins der Handlungsabsicht liegen (ebda). Auch in Bezug auf die Zuverlässigkeit der subjektiven Zeitangabe hat Rösler Zweifel angemeldet, ließ sich doch in anderen Experimenten nachweisen, dass die Wiedergabe eines konkreten Zeitpunkts von diversen Faktoren abhängt, die das Ergebnis z. t.nicht unerheblich beeinflussen (a. a. o., 176-178). Auf ähnliche Probleme verweisen auch Hermann u. a. , Neue Interpretation, 125. Es sei an dieser Stelle allerdings keine (prinzipiell durchaus mögliche) Kritik der Ergebnisse des Experiments als solchem angebracht. Für unseren Zweck erscheint eine kritische Beleuchtung der Systematik der Fragestellung lohnender. Die problematischen Aspekte der Versuchsergebnisse an sich sollten aber hier dennoch nicht unerwähnt bleiben. Es sei darauf hingewiesen, dass sich hinter dieser schlichten Feststellung ein ernsthaftes theologisches wie philosophisches Problem verbirgt und dass hier bereits auf eine grundlegend wichtige Tatsache hingewiesen wird, die philosophisch wie theologisch noch bedacht werden muss. Denn es ist davon auszugehen, dass wir als Menschen einen reinen Anfang, also die schlechthinnige Voraussetzungslosigkeit, weder im radikalen Sinne zu denken in der Lage sind noch viel weniger dass wir aus einem reinen Anfang handeln könnten. Menschsein an sich, insbesondere menschliches Denken und Handeln unterliegt stets Bedingungen und Voraussetzungen, die sich der Mensch nicht selbst geschaffen hat. Eine reine Ursprünglichkeit wie ein absolut freier Wille kann theologisch gesprochen nur Gott alleine zukommen. Mit der Ablehnung der Initialfunktion für den bewussten Willen ist also schon auf einen zentralen anthropologischen wie auch theologischen Aspekt hingewiesen, der weiter verfolgt wird. Vgl. insgesamt das Kapitel über den philosophischen Kompatibilismus (II., 3.) und den Abschnitt über die Ablehnung absoluter Freiheit in theologischem Kontext (III., 5.1.). Libet, Freier Wille?, 268. Vgl. Libet, Mind Time, 177-189.

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Libet zugibt, konnte es sich bei diesem Veto aufgrund des experimentellen Charakters nicht um ein spontanes, sondern nur um ein geplantes Veto handeln. Damit ist deutlich geworden, dass ein aufgebautes BP noch nicht zwangsweise zu einer bestimmten Handlung führt. Wie Libet einleuchtend argumentiert, entspricht die Tatsache des Abbruchs einer zuvor intendierten Handlung durchaus unserer Alltagserfahrung, der zufolge wir oftmals ursprünglich geplante Handlungen aufgrund unterschiedlichster Einflüsse und Gründe kurzfristig suspendieren. Ein erster Blick zeigt also, dass mit dem Experiment das Freiheitsproblem zwar eröffnet, aufgrund der Interpretationsfähigkeit und -bedürftigkeit aber längst nicht geklärt ist.23 1.1.3 Der vorausgesetzte Freiheitsbegriff An dieser Stelle bleibt daher bewusst die Frage außen vor, ob mit den Experimenten Libets schon ein Beleg für die Freiheit oder Unfreiheit des Willens geliefert ist.24 Denn das Problem lässt sich nur angemessen bearbeiten, wenn zuvor reflektiert wird, was sinnvollerweise unter Freiheit bzw. Willensfreiheit verstanden werden kann. Welche Art von Handlung und Willensentschluss hat Libet eigentlich untersucht und welcher Begriff von Freiheit ist darin vorausgesetzt? Zentrale Bedeutung hat für Libet, um überhaupt das Experiment für die Frage nach der Willensfreiheit heranziehen zu können, dass der untersuchte Willensentschluss rein endogener Natur ist,25 die Entscheidung sich also nicht auf äußere, sondern nur auf in der Person selbst liegende Einflüsse zurückführen lässt. So sehr dieser Grundsatz im Prinzip zu begrüßen ist, so problematisch erscheinen die Folgerungen, die Libet aus dieser Annahme zog, waren doch die Probanden angewiesen, »nicht im

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Vgl. die Interpretation von Vierkant, Herausforderung, 76-78. Um einen ersten Überblick zu geben, sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Interpretationen des Experiments stark differieren. Libet selbst deutet seine Ergebnisse in der Weise, dass gesagt werden kann: »Willensfreiheit ist nicht ausgeschlossen.« (ders., Freier Wille?, 268). Auch Kornhuber hatte das BP ja als Beleg für die Freiheit angesehen. In der aktuellen Debatte reicht die Spannweite der Auslegungen von der kritischen Destruktion der Argumente Libets, die dann eine sachhaltige Interpretation überhaupt nicht mehr zulässt (etwa Rösler, vgl. FN 19, oder Pauen, Illusion Freiheit, 196-209) bis hin zur Absicherung der Determinismus-These durch Libet bei einigen Neurophysiologen wie Roth oder Singer. Siehe Libet, a. a. o., 269.

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Neurowissenschaftliche Perspektiven

Voraus zu planen, wann sie handeln würden.«26 Die Handlung sollte gewissermaßen spontan aus innerem Antrieb erfolgen und nicht auf rationale Überlegungen und Planungen zurückzuführen sein. Es dürfte deutlich sein, dass mit dieser Anweisung keine rational intendierte Handlung Gegenstand des Experiments sein konnte. Der Befund, dass die Handlung unbewusst eingeleitet wird, ist damit für eine Handlung behauptet, bei der von vornherein eine bewusste und überlegende Planung ausgeschlossen war.27 Es liegt nahe, diesem Ergebnis kein großes Überraschungsmoment beizulegen. Interessant und zugleich prägend für die weitere Debatte ist, dass die geschilderte Versuchsanordnung und die mit ihr gegebene Art der Entscheidung einen ganz bestimmten Begriff von Freiheit zu Grunde legt bzw. unterstellt. Denn Libet will ja gerade mit der Aufforderung, nicht zu planen, die freie Entscheidung garantieren.28 Es sei der »Prozess der Handlungsplanung von dem Prozess für einen freien, spontanen Willen«29 deutlich zu unterscheiden. Freier Wille hätte demnach nichts mit Planung und Überlegung zu tun, sondern nur mit intuitivspontanem Aufsteigen einer aktuellen Handlungsabsicht. Es mutet paradox an, dass Freiheit in diesem Sinne als Freiheit von Überlegung und Planung zu verstehen wäre,30 und dass Rationalität die Endogenität 26 27

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Libet, Mind Time, 162. Wilfried Härle hat mit Recht darauf hingewiesen, dass bei der gewählten Versuchsanordnung, die ja die bewusste Übereinstimmung mit dem Versuchsaufbau auch schon voraussetzt, »das vorliegende Ergebnis eigentlich nicht allzu sehr überraschen kann.« (ders., (Un-)freier Wille, 292). Man könnte noch schärfer formulieren: Eigentlich kann gar kein anderes Ergebnis herauskommen. Vgl. dazu auch Klein, Willensfreiheit, 347. Es sei erwähnt, dass Libet auch Messungen für das BP durchführte bei Probanden, die berichteten, sie hätten geplant, wann sie die Beugung des Handgelenks durchführten. Hier war sogar ein noch früheres Einsetzen des BP zu beobachten (Libet, Mind Time, 167 f). Dennoch ist auch hier nicht von Planung in einem relevanten Sinn die Rede, bezog sie sich doch lediglich auf den Zeitpunkt der Handlung, und keineswegs auf eine komplexe Handlungssituation. Libet, Mind Time, 163, Hervorhebung B. B. Auf diesen Sachverhalt weist etwa auch Klein, Willensfreiheit, 347, hin. Der Libet’schen Systematik entgegengesetzt wertet etwa Ansgar Beckermann explizit die Tatsache, dass »die Entscheidungen eines Handelnden durch moralische und Klugheitsüberlegungen beeinflusst werden können« (ders., biologische Determiniertheit, 24) als Beleg der Freiheit. Freiheit wäre hier also explizit als rationale bzw. moralische Freiheit zu verstehen, und gerade nicht als Freiheit von Rationalität. Ebenfalls sei an dieser Stelle die Argumentation von Peter Bieri genannt, der als ein wesentliches Moment freier Entscheidungen die Fähigkeit innerer Distanzierung und Überlegung anführt. Auf diese Weise könne einem der eigene Wille zum Thema und zum Ge-

Grundsatzfragen und Methodik

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des Willens gefährden könnte, weil sie offensichtlich als äußerer Einfluss zu verstehen ist. Warum Überlegung und Planung als äußerlich und damit als freiheitsstörend einzustufen sind, vermag Libet indes nicht zu begründen. Es kann also festgehalten werden, dass hier bereits eine bestimmte Sichtweise angelegt ist, die dem Menschen Freiheit dann zusprechen will, wenn eine Entscheidung nicht auf Überlegungen, und damit auch nicht auf einsehbare Gründe zurückzuführen ist. Damit aber rückt Freiheit tendenziell in die Sphäre des Unerklärbaren und könnte mit Zufälligkeit oder Willkür gleichgesetzt werden, was philosophisch mit guten Gründen abgelehnt wird.31 Anthropologisch setzt dieses Modell einen Dualismus derart voraus, dass ein selbstbewusster Geist, wie er etwa von John Eccles angenommen wurde,32 gewissermaßen extern ohne vorhergehende Hirnprozesse in das Geschehen eingreifen würde, und nur auf diese Weise Freiheit garantieren könnte.33 Damit aber wäre das Problem etabliert, diesen Geist wiederum als eine endogene und nicht als eine fremde Instanz zu charakterisieren, was bei Unabhängigkeit von sämtlichen neuronalen Abläufen unüberwindbare Schwierigkeiten bereitet. Mit der beschriebenen Anlage ist nun vorausgesetzt: Eine freie Entscheidung kann nach Libet keine komplexe, möglicherweise dem menschlichen Leben eine bestimmte Richtung gebende Entscheidung sein,34 bei der Überlegung und Planung ja zwingend notwendig sind, und die sich auch nicht spontan in einem Augenblick vollzieht. Diese Reduktion ist nun dem Experiment als solchem allerdings nicht anzulasten, müssen empirische Untersuchungen dieser Art doch immer mit

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genstand des Nachdenkens werden, was für die Zuschreibung von Freiheit wesentlich sei. (Vgl. ders., Handwerk der Freiheit, 382 und und passim). Die Fußnote mag als Beispiel für die bisweilen festzustellende Konfusion in Bezug auf die unterschiedlichen verwendeten Freiheitsbegriffe sein. Die Klärung eines sinnvollen Freiheitsbegriffs gehört daher zu den Hauptaufgaben dieser Arbeit. Vgl. nur die Überlegungen zu Pauen, II., 3.4.1, Vgl. Popper/Eccles, Das Ich und sein Gehirn, 428-452. Damit eröffnet Libet eine Alternative, nämlich Determinismus oder absolute Freiheit, die vor allem von kompatibilistisch argumentierenden Philosophen in Frage gestellt wird, vgl. etwa Köchy, Was kann die Neurobiologie, 158 f. Geert Keil identifiziert entsprechend die von Libet vorausgesetzte Struktur als Cartesianismus, wird doch nur ein Freiheitsbegriff widerlegt, der auf einen unverursachten ersten Beweger aus ist (Keil, Willensfreiheit, 160 f; ähnlich auch die Diagnose bei Vierkant, Herausforderung, 74 f sowie bei Klein, Willensfreiheit, 344 f). Eine solche Position ist philosophisch, aber auch theologisch – wie sich noch genauer erweisen wird – nicht zu verifizieren, wird aber etwa von Roderick Chisholm vertreten (siehe ders., Human Freedom). Vgl. Olivier, Wonach suchen?, 154 f.

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Neurowissenschaftliche Perspektiven

Vereinfachungen arbeiten. Die Spontaneität von Handlungen kann auch durchaus deren Freiheitscharakter wiedergeben.35 Die Gegenüberstellung von Spontaneität und Ratio lässt sich allerdings auf irreführende Kategorisierungen ein. Was von Libet untersucht wurde war der aktuelle Ausführungszeitpunkt einer Handlung, über deren Ausführung an sich schon lange vorher, spätestens zu dem Zeitpunkt des Einlassens auf das Experiment überhaupt, entschieden war. Dabei kamen sicher auch bewusste Überlegungen zum Tragen.36 Handlungspsychologisch könnte davon gesprochen werden, dass damit der »Rubikon« bereits überschritten ist, der Proband sich also bereits in der realisierungsorientierten Phase befindet, in der es nicht um das Treffen einer Entscheidung, sondern die Realisierung einer bereits getroffenen Entscheidung geht.37 Dass diese Versuchsanordnung eine Entscheidungsgrundlage für das Problem der Willensfreiheit liefern sollte, ist zumindest prima facie nicht einzusehen. Dem Freiheitsproblem ist aber mit der von Libet formulierten Fassung bereits ein sehr charakteristisches, und – wie sich noch zeigen wird – folgenreiches Gepräge verliehen. Selbst wenn man die Libet’schen Voraussetzungen akzeptiert und die von ihm untersuchte Entscheidung als Präzendensfall für das Freiheitsproblem heranzieht, so ist es dennoch schwierig, eindeutige Folgerungen zu ziehen. Was Libet zeigen konnte ist, dass dem Bewusstwerden einer Entscheidung unbewusste Prozesse vorangehen, die der Entscheidende selbst nicht in der Hand hat, weil sie bewusster Überlegung zunächst nicht zugänglich sind. Damit ist aber noch nichts über die Rolle des bewussten Willens und die Fähigkeit zu bestimmten Überlegungen gesagt, erst recht ist noch nicht über die menschliche Freiheit im umfassenden Sinne entschieden. Die unbewusste Einleitung einer Handlung ist gegenüber der Frage nach deren Freiheit unproblematisch, so lange nicht gezeigt werden kann, dass aus der unbewussten Einleitung mit Notwendigkeit eine bestimmte Entscheidungsoption folgt, was Libet selbst anhand der skizzierten Veto-Möglichkeit ja verneint.38 35 36 37 38

Dieser in der philosophischen Literatur vernachlässigte Aspekt wurde jüngst von Splett, Spontaneität, neu hervorgehoben. So auch Helmrich, Wir können auch anders, 94 f; Walter, Neurophilosophie, 307; Hermann u. a. , Neue Interpretation, 124 f. Vgl. zu dieser Metapher und zum Rubikonmodell insgesamt Heckhausen, Perspektiven, bes. 123-125. Es führt in die falsche Richtung, wenn etwa Jean-Pierre Wils konstatiert, nach Libet sei »die Entscheidungsfreiheit des Willens maximal determiniert, denn das Bewusst-

Grundsatzfragen und Methodik

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Dass wir als Menschen unbewusst ablaufenden Prozessen unterliegen, muss nicht als bedrohende Einsicht verstanden werden, denn diese Prozesse haben auch eine große Entlastungsfunktion.39 Wirklich freiheitsgefährdend werden sie nur dann, wenn sie als eine fremde, nicht zu kontrollierende Macht verstanden werden, die bewusstem Überlegen und Entscheiden gänzlich unzugänglich und aktiv-personale Entscheidungsprozesse zu manipulieren in der Lage sind.40 Hinsichtlich der Validität der Ergebnisse Libets lässt sich Folgendes festhalten: Die untersuchte Entscheidung entspricht nicht den komplexen Strukturen derjenigen Entscheidungen des Lebens, in denen das Freiheitsproblem in besonders pointierter Weise virulent wird.41 Der bewusste Ausschluss von Überlegung und Planung verhindert eine sachhaltige Aussage hinsichtlich dieser komplexen Form von Entscheidung.42 Aus der zeitlichen Reihenfolge von unbewusster Einleitung und Bewusstwerden der Entscheidung lässt sich noch kein eindeutiger Schluss hinsichtlich der kausalen Relevanz von unbewussten Abläufen

39 40

41

42

sein, etwas zu wollen, manifestiert sich zeitlich nach den zerebralen Faktoren, welche die Willensinitiative hervorrufen.« (ders., Bedrohte Handlungsfreiheit?, 80). Weder nach Libet noch generell kann aus einer vorangehenden, unbewussten neuronalen Aktivität eine prinzipielle, schon gar keine maximale Determination des Willens gefolgert werden. Die Bedeutung der unbewussten Vorgänge müsste vielmehr eigens aufgeklärt werden. So etwa Heckhausen, Intentionsgeleitetes Handeln, 152 f. Eine solche Konstellation liegt etwa bei den verschiedensten Formen von Suchtverhalten vor, wenn die rationale Einsicht, etwa keine Drogen mehr nehmen zu wollen, nicht handlungswirksam werden kann und vielmehr die unbewusst manifestierten Prägungen das Zepter übernehmen. Diesen Gedanken betont auch Pauen, Philosophie des Geistes, 294, der davon ausgeht, dass »Willensbildungsprozesse [...] zuweilen äußerst komplex und langwierig« sind. Dies muss betont werden, gerade da von Hirnforschern wie Gerhard Roth die strukturelle Gleichartigkeit einfacher und komplexer Entscheidungssituationen hervorgehoben wird. Demnach wäre das Argument bezüglich der Herrschaft des Unbewussten auch auf komplexe Entscheidungen anzuwenden. Ob unbewusste Vorgänge möglicherweise auch bei komplexen Entscheidungen, die unter rationaler Überlegung getroffen werden, eine wichtige, möglicherweise dominante Rolle spielen, kann an dieser Stelle weder bejaht noch verneint werden. Es muss aber gesagt werden, dass die Libet-Experimente eine solche starke Interpretation nicht hergeben. Aus der unbewussten Einleitung einer solchen Entscheidung, bei der auf bewusste Überlegung mit Absicht verzichtet wurde, kann keine Führungsrolle des Unbewussten für alle möglichen Entscheidungen abgeleitet werden. Eine solche Interpretation müsste gewichtige ergänzende Argumente haben.

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Neurowissenschaftliche Perspektiven

und bewusstem Abwägen ziehen.43 Gleichzeitig verweist der Ansatz Libets auf die in jeder freiheitstheoretischen Fragestellung zu bedenkenden anthropologischen Implikationen, nämlich auf die Grundsatzfrage, welche Einflussgrößen als Fremdsteuerung und damit als Freiheit limitierend einzustufen sind, und wo gerade auch in den Hirnprozessen personale Eigensteuerung anzutreffen ist. Kann diese Unterscheidung mit der Differenz von bewussten und unbewussten Hirnprozessen parallel gehen? 1.1.4 Folgeexperimente und ihre Interpretation Ein die Aussagekraft der Experimente Libets limitierender Faktor liegt in der Reduktion der Entscheidung auf die intuitive Wahl des Zeitpunkts. Diese Simplifizierung brachte es auch mit sich, dass die für eine komplexe Entscheidungssituation stets konstitutiven Handlungsalternativen nicht berücksichtigt werden konnten. Diesem Mangel versuchten Patrick Haggard und Martin Eimer in ihren Anschlussuntersuchungen44 zu begegnen, indem sie ihre Probanden vor die Wahl stellten, beim Drücken eines Knopfes entweder die rechte oder die linke Hand zu verwenden. Es stellte sich heraus, dass das von Libet gemessene symmetrische BP, also die in beiden Hirnhemisphären feststellbare elektrische Aktivität, noch keine Aussage über die von der Person getroffene Entscheidung für eine der Alternativen zulässt. Haggard und Eimer konnten zeigen, dass zwischen symmetrischem BP und dem Zeitpunkt des bewussten Willens keine zeitliche Kovarianz besteht, hier demnach auch keine kausale Verbindung anzunehmen ist. Das symmetrische BP wäre demnach treffender als »eine unspezifische Vorbereitung auf eine 43

44

Es sei hier schon angedeutet, dass die Überformung der Diskussion über die multiplen kausalen Einflüsse durch das Schlagwort Determinismus, mit dem alle Ereignisse einem schlichten Ursache-Wirkungs-Zusammenhang eingeordnet werden sollen, ebenfalls wenig hilfreich erscheint. Derartige Argumente finden sich etwa bei Gerhard Roth, der anmerkt, dass auch das Libet’sche Veto »nicht aus heiterem Himmel kommen könne« (ders., Gehirn Wirklichkeit, 309), sondern, so müsste man ergänzen, eben auch wieder auf hirnphysiologische Ursachen zurückzuführen ist. Der Aussage ist prinzipiell durchaus zuzustimmen; die Antwort auf die Frage, woher dieser Einfluss dann komme, kann aber sicher nicht lauten: aus dem Determinismus. Auch hier würde sich wieder die konkrete Frage nach Ursachen und Gründen der Entscheidung stellen. Vgl. hierzu ausführlicher das Kapitel 2.2.2.2. Siehe Haggard/Eimer, Brain potentials.

Grundsatzfragen und Methodik

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erwartete Bewegung«45 zu interpretieren. Daher integrierten Haggard/Eimer in ihr Experiment die Messung des lateralisierten BP, derjenigen Aktivität, die charakteristisch und spezifisch nur in der kontralateral gelegenen Hirn-Hemisphäre auftritt, die für die Bewegung der jeweiligen Hand zuständig ist.46 Es konnte nachgewiesen werden, dass dieses lateralisierte BP in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Bewusstsein des Willensentschlusses steht: »LRP [lateralisiertes BP, Anm. B. B. ] and W judgement [erstes Bewusstsein des Willensentschlusses, Anm. B. B. ] do covary«47. Nach Haggard/Eimer ist damit auch eine kausale Relation zum Bewusstsein der Bewegungsabsicht und somit auch letztlich zur Einleitung der Bewegung selbst anzunehmen.48 Dennoch ist auch die Interpretation dieses Experiments fraglich. Auch hier ist nicht deutlich, was eigentlich gemessen wurde: eine tatsächliche Entscheidung oder nur der Zeitpunkt zum Entschluss der aktualen Ausführung einer schon längst gefallenen Entscheidung? Und wieder geht es um die Frage: Aufgrund welcher Einflüsse ist die Entscheidung gefallen und können diese im Experiment sichtbar gemacht werden?49 Haggard/Eimer verbesserten das Experiment signifikant durch die Einführung zweier Alternativen, sodass der Test bei aller notwendiger Vereinfachung einer freiheitsrelevanten Situation ähnlicher war. Auch für diesen Fall konnte ein unbewusstes, hier sogar signifikant mit dem entsprechenden Bewusstsein verbundenes, zeitlich vorgeordnetes Hirnpotential nachgewiesen werden. Es gilt also demnach auch für die seitenspezifische Bewegung, dass sie unbewusst eingeleitet wird, auch 45 46

47 48

49

Pauen, Illusion Freiheit, 204. Das lateralisierte BP wird so gemessen, dass die Differenz der in beiden Hirnhemisphären zu messenden Aktivität gebildet wird. Die Differenz ist stets positiv, wenn der Wert des ipsilateral gemessenen Potentials vom kontralateral abgenommenen Wert abgezogen wird. Der so gewonnene, signifikant festzustellende Unterschied wird dann als lateralisiertes BP bezeichnet. Haggard/Eimer, Brain potentials, 131. Die kausale Relation kann nach Haggard/Eimer angesichts des auf J. S. Mill zurückgehenden Prinzips, dass sich kausale Abhängigkeit in zeitlicher Kovarianz angesichts zufälliger Veränderungen an der möglichen Ursache zeige, angenommen werden: vgl. Haggard/Eimer, a. a. o., 129. Zweifel an der Verwertbarkeit des Experiments hinsichtlich seiner Aufklärungskraft im Blick auf die kausale Rolle des LBP melden auch Hermann u. a., Neue Interpretation, 124 f, an, die auf einige Details und methodische Schwierigkeiten des Versuchs hinweisen.

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Neurowissenschaftliche Perspektiven

wenn das lateralisierte BP nicht als Startpunkt des gesamten psychomotorischen Prozesses gelten kann.50 Dass auch dieser Befund noch keine abschließende Auskunft über die Ursachen der Entscheidung gibt, zeigt ein Blick auf die Details der Versuchsanordnung. Haggard und Eimer instruierten die Probanden, durch den eigenen freien Willen während des jeweiligen Versuchs zu entscheiden, welche Hand sie für die Bewegung verwenden wollten.51 Auch hier war die Freiheit mit einer intuitiv-spontanen Entscheidung verbunden. Demnach gilt für das Experiment von Haggard/Eimer die gleiche Kritik bezüglich des vorausgesetzten Freiheitsbegriffs, wie ich sie für Libet angebracht habe. Auch die »Entscheidung«, die hier getroffen werden sollte, war nicht durch Gründe bestimmt; es stellt auch die Alternative zwischen linker und rechter Hand eine in willkürlicher Weise aufzulösende Situation dar. Andererseits wurde die zentrale Kategorie der Intuition dadurch relativiert, dass die Probanden angewiesen waren, in etwa über die Länge des Versuchs die Entscheidungen für die rechte oder linke Hand ausgeglichen zu gestalten.52 Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese Aufforderung auch die aktuelle, intuitiv vollzogene Entscheidung mittels der bewussten Annahme der Rahmenbedingungen des Experiments beeinflusste. Damit wurde die jeweils aktuelle Entscheidung in einen Rahmen eingepasst, der eine Form von Rationalität aufweist, die nicht eben für eine freie, eher schon für eine angepasste oder erzwungene Entscheidung charakteristisch ist. Letztendlich unterliegen auch die Experimente von Haggard/Eimer den gleichen Schwierigkeiten wie die Libet’schen: Es kann zwar gezeigt werden, dass der aktuellen, bewussten Entscheidung eine in gewisser Hinsicht spezifische Hirnaktivität vorangeht, welche (bewussten und unbewussten) Ursachen allerdings auf komplexe Weise auf die Entscheidung Einfluss nehmen, vermag auch dieses Experiment nicht aufzuklären. Haggard und Eimer selbst geben zu, dass der Proband unter Umständen nach der unbewusst eingeleiteten Bewegungsentscheidung bewussten, willentlichen Einfluss auf das weitere Vorgehen

50

51 52

Vgl. Haggard/Eimer, Brain potentials, 132. Sie gehen davon aus, dass dem LBP noch weitere Prozesse vorangehen, die in ihrem Experiment nicht sichtbar gemacht werden konnten. »subjects were instructed to decide of their own free will during each trial which hand to use for the impending movement.« (a. a. o., 129). Vgl. Haggard/Eimer, Brain potentials, 129.

Grundsatzfragen und Methodik

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nehmen kann.53 Die letztendlichen Ursachen für eine bestimmte Entscheidung können also auch auf diese Weise nicht geklärt werden. Auch die Interpretation dieser Experimente wird zudem durch Messungenauigkeiten erschwert, da die zeitliche Differenz zwischen lateralisiertem BP und dem Zeitpunkt des Willensbewusstseins sehr gering, und eine präzise Messung beider Komponenten nur schwer möglich ist.54 Die genannten Schwierigkeiten wurden in einem von Christoph Herrmann u. a. durchgeführten Experiment bestätigt. Mittels einer Reiz-Reaktions-Aufgabe konnten sie zeigen, dass das BP, wie es von den verschiedenen Experimentatoren gemessen wurde, nicht als determinierender Faktor, sondern als Ausdruck einer »unspezifischen Erwartung der Versuchsperson«55 zu interpretieren ist. Das BP konnte hier bereits vor der Darbietung eines für die Handlung relevanten Reizes gemessen werden. Der Annahme der Korrelation des BP mit der spezifischen Entscheidung, erst Recht der Zuschreibung einer determinierenden Rolle sollten damit gute Argumente entgegen gesetzt sein. Auch in den neuen, spektakulären Experimenten von John Dylan Haynes56 scheinen diese kategorialen Probleme noch nicht überwunden. Zwar können Haynes und seine Mitarbeiter über die erstaunliche lange Zeit von ca. 10s hinweg eine vorbereitende Aktivität im präfrontalen und parietalen Kortex bezüglich einer dem Haggard/EimerExperiment vergleichbaren Entscheidung sichtbar machen. Es zeigt sich, dass – jedenfalls in den Laborbedingungen, die noch nicht identisch sind mit den Bedingungen lebensweltlicher Entscheidungen – den Entscheidungen eine lange Phase der unbewussten Handlungsvorbereitung vorangeht. Aber die systematischen Probleme gelten auch für diese Versuchsreihe, auch wenn hier, wie die Autoren betonen, aufgrund verbesserter technischer Möglichkeiten eine höhere Spezifität der Beschreibbarkeit unbewusster Aktivität in konkreten Gehirnregionen in Relation zu bestimmten Entscheidungen ermöglicht wurde und eine Vorhersagbarkeit bei einer Entscheidung zwischen zwei Alternati53 54

55 56

A. a. o., 132. Siehe a. a. o., 132. Vgl. auch die Studie von Trevena und Miller, in der gezeigt wird, dass nicht in allen Fällen eine Datierung des lateralisierten BP vor der Entscheidung möglich ist. Dies liegt auch systematischen Problemen bei der Mittelung der EEGWellen zu Grunde, dem von Trevena und Miller so genannten »smearing artifact« (dies., Cortical Movement, 186 f). Vgl. dazu oben auch FN 19. Hermann u. a. , Neue Interpretation, 128. Soon u. a. , Unconscious determinants.

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Neurowissenschaftliche Perspektiven

ven von 60% erreicht werden konnte. Auch hier kann von Prädetermination durch unbewusste Aktivitäten schon aufgrund des statistischen Wertes nicht die Rede sein, insbesondere aber bleibt auch hier das Verhältnis von unbewusster Vorbereitung und aktualer bewusster Kontrolle noch im Dunkeln. Dass eine Entscheidung eine lange unbewusst verlaufene Vorgeschichte hat, kann – wie auch Haynes selbst interpretiert57 – noch nicht als Erweis von Unfreiheit interpretiert werden. Es lässt sich zusammenfassend feststellen, dass alle genannten Experimente bestimmten systematischen Schwierigkeiten der Interpretation unterliegen, die ihre Aussagekraft limitieren. Sie weisen allerdings darauf hin, dass für eine angemessene Behandlung des Freiheitsproblems eine Reflexion über die Charakteristika eines möglichen Präzedensfalles notwendig ist. An welcher Art von Entscheidung lässt sich menschliche Freiheit zeigen? Des Weiteren können die Experimente Anstoß sein, darüber nachzudenken, wie sich unbewusste und bewusst reflektierte Einflüsse bzw. rational nachzuvollziehende Gründe zueinander verhalten, bzw. verhalten müssen, um von einer freien Entscheidung ausgehen zu können. Deutlich wurde, dass menschliche Entscheidungen eine relativ lange Vorgeschichte (einige Sekunden sind messbar) unbewusster neuronaler Aktivität haben; sie sind in spezifischer Weise bedingt, allerdings (soweit es die Experimente beschreiben können) nicht determiniert. Es stellt sich angesichts der Experimente die Frage, ob sich das Problem menschlicher Freiheit nur an konkreten Einzelfallentscheidungen (in Laborbedingungen nachgestellt) zeigen lässt oder ob hier nicht doch umfassendere bzw. grundlegendere Zusammenhänge bedacht werden müssen.

1.2 Methoden der Hirnforschung und ihre Aussagekraft Die Experimente Libets und seiner Nachfolger zeigen, dass sich eine empirische Untersuchung zum Problem der Willensfreiheit im Kontext der Neurowissenschaft auf zwei Komponenten stützen muss: die Messung bestimmter Hirnvorgänge mittels diverser wissenschaftlicher Methoden und die zuverlässige Auskunft des Probanden über das Bewusstsein einer Willensentscheidung. Nur so ist das Programm einer

57

Vgl. Schnabel, Der unbewusste Wille.

Grundsatzfragen und Methodik

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kognitiven Neurowissenschaft, deren »Hauptanliegen [...] die Untersuchung der internen Repräsentation mentaler Ereignisse«58 ist, überhaupt erst möglich. Wenn die interne Repräsentation, also in diesem Zusammenhang die relevanten neuronalen Vorgänge59, untersucht werden sollen, so muss man zunächst einmal wissen, wann und wie mentale Ereignisse auftreten, um sie dann mit den Hirnströmen in Verbindung setzen zu können. Das in unserem Zusammenhang relevante mentale Ereignis ist das Bewusstsein des Willensaktes, dessen Freiheit zur Disposition steht. Eine empirische Untersuchung zum Thema Willensfreiheit kann sich nur auf einen feststellbaren, konkreten, bewussten Willensakt beziehen, nicht aber auf das komplexe Phänomen »Wille« im Ganzen.60 Um dem Problem auf die Spur zu kommen, ist es notwendig, insgesamt den Ansatz naturwissenschaftlicher Verfahren bei entsprechenden Untersuchungen des menschlichen Gehirns zu kennen und somit die auf diesem Wege gewonnen Erkenntnisse kritisch würdigen zu können. Nur wenn die Systematik der Analysen und der daraus gewonnenen »philosophischen Konsequenzen«61 durchschaut ist, kann auch über deren Validität entschieden werden.

58 59

60

61

Kandel u. a. , Neurowissenschaften, 328. Es kann als Indiz für die nach wie vor großen Verständnisschwierigkeiten insbesondere zwischen Natur- und Neurowissenschaftlern auf der einen Seite, sowie Geisteswissenschaftlern auf der anderen Seite gelten, wenn hier in Bezug auf die neuronalen Vorgänge von »interner Repräsentation« (FN 58) gesprochen wird, wird doch mit der Innenperspektive im philosophischen Diskurs normalerweise die Erlebnisform mentaler Ereignisse und der Bericht über diese Erlebnisse bezeichnet, aber gerade nicht die naturwissenschaftliche Beschreibung. Was in der Frage der Repräsentation mentaler Ereignisse innen und was außen ist, scheint interdisziplinär nicht eindeutig geklärt. Mindestens eine gemeinsame Sprachregelung wäre hier wünschenswert. Nach Ch. Horn, Art. Wille, 763, kann Wille (historisch betrachtet) drei Dimensionen umfassen, die sich sämtlich nicht auf einen spezifischen Akt reduzieren lassen: ein »rationales Streben«, ein »Dezisionsvermögen«, sowie ein »psychisches Antriebspotential«. Wille bzw. Willentlichkeit wäre demnach eine Kennzeichnung menschlicher Existenz insgesamt, die sich in der Fähigkeit planvollen und intentionalen Handelns manifestiert, die aber nicht an einem isolierten Akt zu erkennen ist. Roth, Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen.

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Neurowissenschaftliche Perspektiven

1.2.1 Die naturwissenschaftlichen Methoden Die Neurowissenschaft hat seit den Experimenten Libets große Fortschritte gemacht, die v. a. mit der Entwicklung bildgebender Verfahren zusammenhängen. Aber auch die von Libet angewandte Methode des EEG spielt nach wie vor eine wichtige Rolle. Dabei vereinen die verschiedenen Verfahren jeweils bestimmte Stärken und Schwächen, sodass man für sachhaltige Ergebnisse zumeist auf die Kombination von Methoden angewiesen ist.62 Die relevanten neurowissenschaftlichen Verfahren lassen sich anhand der jeweils entscheidenden Ergebnisse, die sie liefern, in zwei Gruppen unterteilen, solche nämlich, die vor allem der räumlichanatomischen Lokalisation von Gehirnprozessen dienen und solche, die in der Lage sind, bestimmte Prozesse in hoher zeitlicher Auflösung darzustellen. Für die räumlich hochauflösenden Verfahren sind vor allem die Positronenemissionstomographie (PET) und die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) zu nennen. Die fMRT arbeitet auf der Basis von Veränderungen im lokalen Blutfluss, insbesondere der jeweiligen Sauerstoffsättigung. Dabei macht sie sich die Tatsache zu Nutze, dass Hämoglobin je nach Grad der Sauerstoffhaltigkeit des Blutes unterschiedliche magnetische Eigenschaften aufweist. Mittels der Aufzeichnung der Veränderung dieser magnetischen Parameter kann somit die spezifische Differenz im lokalen Blutfluss angezeigt werden. Die Kernspintomographie zeichnet sich durch die Möglichkeit zur Erstellung äußerst hochauflösender anatomischer Bilder aus, denen dann die weniger gut auflösenden Aktivierungsbilder überlagert werden. Auch eine gute zeitliche Auflösung ist bei fMRT gewährleistet, hier findet sich allerdings ein limitierender Faktor in der Reaktionszeit von ca. 4 Sekunden, nach der sich erst eine Veränderung im Sauerstoffgehalt des Blutes aufgrund kognitiver Stimulation zeigt. Das gute »Signal-RauschVerhältnis«63, also die relativ deutliche Abhebung einer spezifischen Aktivität vor der allgemeinen Aktivität, lässt eine gewinnbringende Untersuchung von Einzelpatienten zu. Die PET hingegen ist zur Untersuchung von Probandengruppen geeignet, weil hier nur bei vergleichender Analyse mehrerer Personen spezifische Aktivitätsmuster aufgezeigt werden können. Man nimmt 62 63

Vgl. zum Folgenden v. a. Münte/Heinze, Neurowissenschaftliche Verfahren, 198-328. A. a. o., 300 f.

Grundsatzfragen und Methodik

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dabei die radioaktive Strahlung eines mit Hilfe bestimmter injizierter Substanzen markierten Trägers (vor allem Sauerstoffs) mittels mehrerer, um den Kopf eines Patienten angebrachter Strahlendetektoren, ab. Dabei ist die PET in der Lage, neben dem Blutfluss auch andere Funktionen zu messen. Der große Nachteil der PET besteht in der schwachen zeitlichen Auflösung. Es muss stets »ein Zeitraum von etwa einer Minute integriert werden«64, sodass also Veränderungen im Sekundenbereich hier nicht darstellbar sind. Die hohe lokale Auflösung geht demnach bei beiden Methoden auf Kosten der zeitlichen Präzision. Zu den zeitlich hochauflösenden Verfahren zählen die Elektroencephalographie (EEG) sowie die Magnetencephalographie (MEG). Mit Hilfe des EEG werden äußerst präzise zu erfassende, elektrische Potentiale, insbesondere des Cortex, abgenommen. Dabei lassen sich durch die computergestützte Analyse »aufgabensensitive und nicht sensitive trennen«65. Notwendig für die Ermittlung geringster Schwankungen ist dabei, wie schon in der Analyse des Libet-Experiments angedeutet, die Mittelung der Potentiale über eine längere Versuchsreihe hinweg, um zufällige Schwankungen von systematischen Veränderung unterscheiden zu können.66 Durch MEG lassen sich die mit den elektrischen Potentialen verbundenen magnetischen Felder erfassen. Das Problem der Methode liegt in den dafür notwendigen aufwändigen Apparaturen. Es lassen sich aber mit der MEG besser als im EEG Signale räumlich lokalisieren und darüber hinaus auch Signale aus tieferen Hirnschichten abnehmen. Für diese beiden zeitlich hochauflösenden Verfahren wurden in den letzten Jahren auch die Lokalisationsmethoden entscheidend verbessert. Um die Schwächen der einzelnen Verfahren auszumerzen und ein sowohl hinsichtlich der zeitlichen Auflösung wie der räumlichen Lokalisation befriedigendes Ergebnis zu erhalten, ist eine Kombination verschiedener Methoden notwendig. Dabei muss die Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleistet werden durch Standardisierung der Experimente bzw. der verwendeten Stimuli sowie durch Übertragung der Daten in ein gemeinsames Koordinatensystem. Trotz erheblicher Fortschritte bereitet die Kombination aufgrund der unterschiedlichen Anlagen verwendeter Verfahren nach wie vor große Schwierigkeiten.67

64 65 66 67

A. a. o., 301. Ebda. Für die hierbei auftretenden Schwierigkeiten vgl. FN 19. Für Details siehe a. a. o., 303-306.

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Neurowissenschaftliche Perspektiven

Ziel der kognitiven Neurobiologie ist nun nicht, allgemein Hirnprozesse zu eruieren, sondern jeweils spezifische Aktivitäten für ganz bestimmte Funktionen und kognitive Leistungen zu erfassen. Das wichtigste Verfahren zur Bestimmung solch ganz spezifischer Aktivitäten ist die Subtraktionsmethode. Dabei werden verschiedene Versuchsreihen nacheinander durchgeführt, und die Bedingungen jeweils nur in einem Faktor verändert. Durch Subtraktion der in den verschiedenen Versuchen gemessenen Werte lassen sich dann spezifische, für eine bestimmte mentale Aktivität charakteristische Hirnvorgänge isolieren. Es erscheint allerdings fraglich, ob kognitive Prozesse überhaupt einer derartigen Addition (in der Analyse dann Subtraktion) zugänglich sind, und ob sich nicht auch andere Prozesse, die durch die Subtraktion nicht sichtbar werden, bei verändertem Versuchsaufbauebenfalls modifizieren. Dieses Problem ist insbesondere deshalb zu beachten, weil Hirnforscher selbst deutlich machen, dass Hirnaktivitäten nie isoliert in nur einer Region verlaufen, sondern stets eingebettet sind in einen umfassenden Aktivitätszustand paralleler Verarbeitung.68 Die gleichen systematischen Schwierigkeiten ergeben sich auch bei einer weiteren wichtigen Erkenntnisquelle der Neurowissenschaften, nämlich der Untersuchung von Gehirnen bestimmter Personen, die einen charakteristischen Ausfall kognitiver oder emotionaler Leistungen zeigten. Wird hier die Schädigung einer bestimmten Hirnregion festgestellt, so kann auf die Rolle dieses Areals für die entsprechende Leistung geschlossen werden.69 Es zeigt sich dabei, dass ein gewisses Gebiet notwendig ist für eine spezifische Leistung, nicht aber wie die fraglichen Neuronenpopulationen mit anderen interagieren und wie sie in die Gesamtstruktur des arbeitenden Gehirns eingebunden sind. Auch ist hier nicht darzustellen, welche Funktionen der geschädigten Region evtl. schon von einem anderen Areal mit übernommen wurden.70 Auch der Interpretation solcher Fallstudien sind also Grenzen gesetzt. Zu beachten ist auch, dass die Aufklärung des »wo« bzw. »wann« bestimmter Hirnaktivitäten noch keine Aussage über die Arbeitsweise der Gehirnströme bzw. des Gehirns im Ganzen zulässt. Auch lässt sich 68 69

70

Vgl. unten den Abschnitt zu Roth 2.2.3, S. 102. Der berühmteste Fall ist wohl der von Phineas Gage, der trotz einer schweren Hirnverletzung noch zu kognitiven Leistungen fähig war, dessen emotionales Erleben aber gestört war. Die Spezifität bestimmter Areale konnte hier nachgewiesen werden. Vgl. genauer Damasio, Descartes’ Irrtum, 25-63. Darauf weist etwa Fuchs, Gehirn, 72, hin.

Grundsatzfragen und Methodik

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mittels der Subtraktionsmethode noch keine Aussage über die Bewusstheit eines Prozesses machen. Hierzu bedarf es der Korrelation spezifischer mentaler Aktivitäten mit den gemessenen Hirnprozessen. Immerhin geben führende Hirnforscher zu, sich bei der Frage, wie etwa aus den gemessenen Hirnströmen die Einheit des Erlebens und Denkens resultiert, wie überhaupt Selbstbewusstsein entsteht, »noch auf dem Stand von Jägern und Sammlern zu bewegen«71. Die Messung von Hirnströmen allein lässt demnach noch keine qualitative Aussage zu, die etwa das Verhältnis von bewussten und unbewussten Hirnaktivitäten im Blick auf eine Entscheidungssituation charakterisieren könnte. 1.2.2 Die Verbindung unterschiedlicher Perspektiven Entscheidend für die Aussagekraft der mit den dargestellten Methoden erzielten Ergebnisse ist die Korrelierung spezifischer Hirnaktivitäten mit kognitiven Operationen bzw. mentalen oder volitionalen Zuständen. Um hier einen Erkenntnisgewinn zu erzielen, müssen zwei Ebenen miteinander verbunden werden72. Auch die Neurowissenschaft ist also auf Daten angewiesen, die einer Perspektive entstammen, die nicht genuin die ihre ist. Für die Aussagekraft der herzustellenden Korrelation ist daher genauestens auf den Charakter der jeweiligen Beschreibung zu achten. 1.2.2.1 Objektive und subjektive Beschreibung 1. Wahrnehmung des Willens. Aus dieser Notwendigkeit ergibt sich, dass mit Recht auch eine Ebene, die nicht traditionell in das Gebiet der Naturwissenschaften fällt, zu deren legitimem Forschungsgegenstand wird, nämlich die Ebene der mentalen Zustände und Erlebnisse.73

71 72

73

Elger u. a. , Das Manifest, 18. Kai Vogeley hat auf die Notwendigkeit der Zusammenführung verschiedener Ebenen hingewiesen, und daraus abgeleitet, dass naturalistische Beschreibungen des Gehirns »keine totalitären Erklärungsansprüche geltend machen können« (ders., Neurale Grundlagen, 31). Dies betonen Kornhuber/Deecke zu Recht gegen Positionen, die im Bereich der mentalen Zustände eine Domäne der Psychologie oder der Philosophie sehen (dies., Wille Gehirn, 93). Allerdings ist auch das andere Extrem, die Alleinzuständigkeit der Naturwissenschaften, abzuwehren, da es ja, wie ich versuche deutlich zu machen, um die Verbindung von unterschiedlichen Beschreibungsebenen geht.

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Neurowissenschaftliche Perspektiven

Dieses Element, das sich auf Zustände und Aktivitäten der jeweiligen Testperson bezieht, ist nicht in gleicher Weise wie Hirnprozesse objektiv, ja es soll durch die entsprechenden Hirnprozesse erst objektiviert werden. Gehirnprozesse können mit Hilfe der genannten Methoden in Bildern und Diagrammen sichtbar gemacht werden, die entsprechend der Anlage der Methode eine ganz bestimmte, in Werten auszudrückende Information liefern. In diesem Sinn sind die neurophysiologischen Methoden als objektiv zu bezeichnen. Allerdings darf diese Objektivität nicht im Sinne der Beschreibung eines »Dinges an sich« missverstanden werden, weshalb es auch übertrieben ist, davon zu sprechen, dass man hier dem »Geist bei der Arbeit zuschauen«74 kann. Vielmehr gilt, dass auch die empirischen Experimente »im Medium der Sprache«75 stattfinden, und somit Teil der menschlichen Erkenntnisperspektive und des personalen Lebensvollzuges sind. Dazu kommt, dass die zu sehenden Bilder in hohem Maße konstruiert sind durch die Aktivität der jeweils eingesetzten Software, der auch wiederum ein ganz bestimmtes Theoriedesign zugrunde liegt. Auch die bildgebenden Verfahren messen ja nicht die Hirnaktivität an sich, sondern einen indirekten Parameter der jeweils als Index fungiert, und dessen Spezifität nur aufgrund von statistischen Berechnungen bestimmt werden kann.76 Die Rede von Objektivität hat allerdings insofern ihren Sinn – und darauf soll es hier zunächst ankommen – als in dieser Perspektive tatsächlich ein Gegenstand, das menschliche Gehirn,77 zum Objekt gemacht und in der Außenperspektive betrachtet wird. Denn demgegenüber haben wir es bei den Berichten eines Probanden über mentale Zustände mit einer anderen, subjektiven Perspektive zu tun, innerhalb derer eine Person Auskunft über die eigene Befindlichkeit 74 75 76 77

Oeser, Geschichte der Hirnforschung, 209. Janich, Kein neues Menschenbild, 88. Dies zeigte die Besprechung der Methoden der Hirnforschung. Vgl. hierzu auch Fuchs, Gehirn, 73. Eine solche Bestimmung des Gegenstandes der Hirnforschung ist allerdings auch ergänzungs- bzw. differenzierungsbedürftig, wie Peter Janich deutlich gemacht (vgl. insgesamt ders., Kein neues Menschenbild, Kap. 3, 40-89). Dies gilt insbesondere etwa für die Frage, ob das Gehirn als einzelnes Organ überhaupt zum Gegenstand werden kann, oder ob dabei stets schon ein Verständnis des Gesamtorganismus vorauszusetzen sei (a. a. o., 43 f). Vgl. dazu insgesamt auch den Ansatz von Thomas Fuchs, Gehirn, der das Gehirn als »Organ der Person« (a. a. o., 9) in einen »anthropologischen Zusammenhang« (ebda) zu stellen bestrebt ist und sich damit gegen die einseitige Isolierung des Gehirns im Rahmen neuerer neurobiologischer Forschungen wendet.

Grundsatzfragen und Methodik

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gibt. Die Anlage der Experimente setzt also schon ein Selbstverhältnis des Probanden voraus. Als einigermaßen problemlos erweist sich die Korrelierung mit dieser Perspektive noch bei kognitiven Operationen mit klar zu identifizierendem Inhalt, wenn es etwa um das Ergebnis einer bestimmten Operation im Rahmen eines Intelligenztests78 geht. In diesen Fällen dürfte es einer Testperson gelingen, den Inhalt ihres Bewusstsein deutlich und zuverlässig zu artikulieren. Etwa ein Schmerzgefühl an einer bestimmten Körperstelle oder das Ergebnis einer mathematischen Aufgabe sind im Normalfall relativ gut zu benennen. Damit ergibt sich auch die Möglichkeit, bestimmte Hirnvorgänge dieser Kategorie von Bewusstseinsinhalt zuzuordnen. Das Problem spitzt sich allerdings zu, wenn es darum geht, volitionale Zustände zu erfassen, wie bei Libet und seinen Nachfolgern geschehen. Derartige mentale Phänomene sind, wie alle anderen auch, nur über die sprachliche Artikulation des jeweiligen Probanden zugänglich und basieren auf dessen subjektiver Selbstwahrnehmung. Hier muss nun für die Validität eines Experiments in besonderer Weise auf die Zuverlässigkeit der Selbstwahrnehmung des Probanden sowie dessen Integrität vertraut werden. Aber was bedeutet in diesem Zusammenhang Zuverlässigkeit? Für einen Schmerzreiz etwa kann dies noch relativ problemlos angegeben werden. Zuverlässigkeit meint hier, dass der Proband nicht absichtlich einen deutlich zu identifizierenden Schmerz negiert, falsch lokalisiert oder eine ähnlich gelagerte bewusste Verzerrung vornimmt. Doch was ist diesbezüglich hinsichtlich der Wahrnehmung des eigenen Willens zu sagen, noch dazu wenn er – wie in allen Experimenten der Fall – als erinnerter Wille an einem bestimmten Zeitpunkt wiedergegeben werden muss? Auch für volitionale Zustände muss mindestens gelten, dass sie nicht bewusst verzeichnet oder falsch wiedergegeben werden. Was aber bedeutet das für diesen Fall? Und: Ist eine solche Abgrenzung im Sinne einer sachhaltigen Aussage zum Problem der Willensfreiheit ausreichend? Die Abgrenzung von einer bewusst falschen Widergabe war in den oben genannten Fällen deshalb suffizient, weil davon auszugehen ist, dass der Bewusstseinsinhalt gut zu identifizieren ist. Nur wenn das der Fall ist, kann auch ein Verhältnis dazu eingenommen werden und im gerade genannten Sinn auch von Zuverlässigkeit gesprochen werden. 78

Vgl. etwa die von Roth genannten Studien zur Intelligenzforschung (ders., Fühlen Denken Handeln, 182-189).

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Neurowissenschaftliche Perspektiven

Aber genau diese klare und distinkte Erfassung eines Bewusstseinsinhalts und seine Wiedergabe in propositionalen Sätzen ist für den Willen einer Person u. u. schwierig. Denn der Wille eines Menschen ist, soviel kann auch ohne eine phänomenologisch präzise Analyse gesagt werden, in den seltensten Fällen als ein feststehender, erratischer Block wahrzunehmen; vielmehr befindet er sich in den meisten im Fluss und wird variiert (dies gilt insbesondere in den freiheitstheoretisch interessanten Fällen); ein bestimmter »Teilwille« interagiert stets mit anderen Willensinhalten, die sich auf andere Sachverhalte beziehen, der Willensinhalt ist auch mit der »Qualität« einer bestimmten Empfindung verbunden (Qualia). Der Wille ist – intuitiv aber auch in psychologischen Analysen – mehr als Prozess, denn als Status wahrzunehmen.79 Dabei kann die Schwierigkeit in der Erfassung eines Willensinhalts, der Richtung des Willens liegen (dies dürfte insbesondere bei komplexen Entscheidungssituationen der Fall sein) oder aber, und das ist der für die experimentelle Erforschung ausschlaggebende Fall, in der Erfassung des Zeitpunktes des Willens, geht es doch bei Libet und seinen Nachfolgern um die zeitliche Korrelierung des Willens mit neuronalen Vorgängen. Dies ist insbesondere deshalb problematisch, weil hier vorausgesetzt wird, dass Wille als psychologisches Phänomen punktuell auftritt und damit temporal zu fixieren, und in der Erinnerung korrekt wiederzugeben ist. Dieser Sachverhalt aber kann – weder für den Willen, noch für das Phänomen des Bewusstsein insgesamt – einfach vorausgesetzt werden, ist doch diesbezüglich korrekter Weise zu sagen: »Es gibt kein Jetzt, sondern das Jetzt ist ein – neuronal gesehen – ausgedehnter Zeitraum.«80 Das prozesshafte Verständnis von Wille und Bewusstsein wirft ein kritisches Licht auf die Versuche von deren punktueller Identifizierung. Punktuell wäre höchstens das Ende eines Willensbildungsprozesses wahrzunehmen, was oftmals in unserem Bewusstsein schon mit der Handlung zusammen fallen kann.81 Insgesamt jedenfalls sind der 79

80

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Vgl. etwa psychologische Analysen wie das klassische Rubikonmodell der Phasen der Handlungsausführung (Heckhausen, Perspektiven). Aber auch in philosophischen Analysen ist die Rede von Willensbildung, nicht aber von einem punktuellen, feststehenden Willen (vgl. nur Keil, Willensfreiheit, 3 und passim). Galizia, Der Homunkulus, 72; Stadler spricht in Bezug auf das phänomenale Empfinden von »Jetzt« von einem Zeitraum von ca. 1-3 Sekunden (Stadler, Der freie Wille, 120); vgl. auch Beuttler, Gottesgewissheit, 344 f (im Anschluss an Karl Heim u. a. ). Das für ein Experiment vorauszusetzende Modell kann im Gegensatz dazu nur als »Anlassermodell des Willens« (Gethmann, Erfahrung, 216), verstanden als die Vor-

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Wahrnehmung des Willens und der Wiedergabe aus der Erinnrung an das Experiment Grenzen gesetzt, was für die Verwertbarkeit Schwierigkeiten bereitet. 2. Objektivität des Subjektiven? Dennoch ist das Ziel der neurowissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema Wille ja gerade die Objektivierung von Willenserfahrungen. Dafür ist es notwendig, Korrelationen der subjektiven mit der »objektiven« Beschreibungsebene vorzunehmen. Diese wiederum ist nur dann möglich, wenn auf beiden Seiten bereits hinreichend klar abgegrenzte und entsprechend zu beschreibende Entitäten vorhanden sind82, was sich, wie gesehen, im Falle des Willens als problematisch herausstellen kann. In dieser Hinsicht setzt also die Korrelierung schon eine gewisse Objektivität auch der subjektiven Perspektive voraus. Es dürfte deutlich sein, dass sich diese Objektivität nicht aus der Außenperspektive verifizieren lässt. Denn die Objektivierung mentaler

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stellung, »das menschliche Handeln bedürfe eines hinter ihm liegenden Impulses« (ebda), gedeutet werden. Nur in dieser Logik kann das Phänomen Wille als punktuelles, Handlungen ex ante initiierendes Ereignis verstanden werden. Dass dieses Modell phänomenologisch und philosophisch nicht zu verifizieren ist, hat Gethmann (a. a. o.) u. a. mit Bezug auf Gilbert Ryle (vgl. ders., Der Begriff des Geistes, Kap. 3, 78106) deutlich gezeigt. Gethmann bezieht sich auf eine Handlungstheorie, deren Pointe in der Integration des Willens in den Handlungsbegriff liegt, und demzufolge dann kein separater Wille oder Willensakt mehr anzunehmen sei. Vgl. zur Kritik an einem punktuellen Verständnis des Willens auch Keil, Willensfreiheit, 175 f, sowie Fuchs, Können Gehirne entscheiden?, 150. Die zeitliche Ausgedehntheit des Willens, also ein prozessuales Verständnis von Willen, hebt auch Alfried Längle hervor (ders., Existenzanalyse, 150-153); hier ließe sich nur der Entschluss als solcher, bzw. das Ende des Willensbildungsprozesses als punktuelles Ereignis isolieren. Vgl. auch Kupke/Vogeley, Zeitlichkeit der Freiheit, welche gegenüber dem punktuellen bzw. binären Zeitmodell der empirischen Wissenschaften, das hier auch in der Identifizierung eines punktuell auftretenden Willens vorausgesetzt ist, in Anlehnung an Husserl die (auch mit bestimmten Arbeitsregionen des Cortex in Verbindung zu bringende) zeitliche Struktur des subjektiven Erlebens als eine fortwährende Integration von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in den Vordergrund rücken (»Es gibt im eigentlichen Sinn keinen Zeitpunkt und auch keine Serie von Zeitpunkten, die man als absolutes Zeit-Jetzt behaupten könnte, […]«, a. a. o., 89). Dies ist insofern von Bedeutung, als ja gerade in den hier verhandelten Experimenten die subjektive zeitliche Erinnerung eine zentrale Rolle spielt. Die Autoren stellen m.E. korrekt ihren Zeitbegriff explizit auch dem bei Roth, Singer und Prinz unterstellten »phsyikalischen Zeitbegriff« (a. a. o., 92) gegenüber. Bennett/Hacker betonen zu Recht, dass insbesondere die Neurowissenschaft das differenzierte Vokabular der Psychologie wahr- und aufzunehmen hat, um sachhaltige Aussagen zum Thema machen zu können und nicht der Begriffskonfusion anheim zu fallen (vgl. dies., Philosophical Foundations, 114-117).

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Neurowissenschaftliche Perspektiven

Zustände ist ja gerade das Ziel der neurowissenschaftlichen Experimente, die intendieren, allgemein gültige Annahmen über die Aktivität gewisser Hirnregionen bei spezifischen mentalen Zuständen zu gewinnen. Dann allerdings kann diese Art von Objektivität hier nicht schon für das Experiment selbst vorausgesetzt werden83. Die experimentelle Anlage und empirische Untersuchung von Willensphänomenen nimmt an, dass die subjektive Perspektive des Probanden in ihrer Eigenart gerade auch für das Experiment wesentlich ist. Denn es geht ja um die sprachliche Artikulation eines subjektiven Zustandes, der in der Subjektivität je individuell ist und der erst in einem zweiten Schritt mit Hilfe (vermeintlich) objektiver Methoden beschrieben und analysiert werden soll. Freilich liegt in der sprachlichen Wiedergabe eines solchen Zustandes immer schon eine notwendige Objektivierung. Denn in der Versprachlichung lässt sich der Proband auf ein allgemein anerkanntes, intersubjektiv verwendbares Zeichensystem ein, das die objektive Adäquation von Zeichen und Sache für die Verwendbarkeit voraussetzen muss. Hier muss Zuverlässigkeit der Wiedergabe dann zunächst bedeuten, dass der Inhalt des eigenen mentalen Zustands so beschrieben wird, dass anzunehmen ist, dass andere, welche für ihre Artikulation die gleiche Ausdrucksform verwenden, also zum Beispiel ein gemeinsames Wort (etwa »Angst«), sich in einem mindestens ähnlichen Zustand befinden.84 Damit ist ein zentraler Punkt benannt. Die Annahme der Ähnlichkeit der Zustände ist über den Bedeutungsumfang eines Wortes (etwa 83

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Wolfgang Prinz hat den Ansätzen, die auf die Bedeutung der Binnen- bzw. ErstePerson-Perspektive (1PP) verweisen, vorgeworfen, hier würde ein naives Wahrnehmungsverhältnis angenommen (ders., Kritik des freien Willens, 201 f), demzufolge der Inhalt des Bewusstseins der psychischen Innenperspektive auch die Wirklichkeit wiedergebe. Dies entspreche aber nicht der Realität, vielmehr würden auch alle subjektiven Wahrnehmungen auf konstruktiven Prozessen beruhen und könnten damit nicht mit dem Schein der Objektivität belegt werden. Dem ist entgegenzuhalten, dass gerade auch die Experimente zur Willensfreiheit die subjektive Wahrnehmung in ihrer Eigenart als notwendig voraussetzen müssen. Ihr kommt also tatsächlich eine eigene Form von Wirklichkeit zu; wie diese sich für das Problem der Freiheit des Willens auswirkt, ist als ein Metaproblem der möglichen Inkongruenz unterschiedlicher Beschreibungen und Perspektiven zu diskutieren. Kristian Köchy hat darauf hingewiesen, dass die Verlässlichkeit der Angaben aus der 1PP mit der Versprachlichung auch immer von einer bestimmten Theorie abhängen, innerhalb derer die sprachliche Fixierung stattfindet. Ein gegenseitiges Verstehen setzt somit auch eine gemeinsame Theorie voraus, was nach Köchy dazu führt, dass auch Neurowissenschaftler die aus der 1PP plausible Annahme freier Entscheidungen voraussetzen müssen (ders., Was kann die Neurobiologie, 164).

Grundsatzfragen und Methodik

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»Angst« oder »Schmerz«) vermittelt, der intersubjektiv anerkannt ist, weil er sich aufgrund der Zuschreibung bei Vorliegen bestimmter beobachtbarer Kennzeichen bewährt hat. Über diese Annahme der maximalen Ähnlichkeit kann man hier allerdings nicht hinausgehen. Denn selbst wenn der eigene Zustand mit größter Präzision beschrieben werden könnte, und selbst wenn alle Merkmale dieses Zustandes erfasst wären, so so könnte man doch nie die Identität zweier Zustände auszusagen, sondern immer nur die Identität der sprachlichen Beschreibung des Inhalts der beiden Zustände.85 Es wäre immer noch zu sagen, dass der eine Zustand der Zustand der Person A, der für diese Person auch mit einer bestimmten Erlebnisqualität (»Qualia«86) verbunden ist, der andere der der Person B ist. Unmittelbar zugänglich und damit erlebbar ist der Zustand immer nur für die jeweilige Person selbst, das Subjekt dieses Zustandes, für das dieser Zustand dann auch existiert und für das er seine spezifische Bedeutung besitzt.87 Dies gehört wesentlich zur Charakteristik eines solchen Zustandes dazu88. Insbesondere gilt dies für 85

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Christof Koch hat diese Annahme neurophysiologisch erklärt, indem er deutlich macht, dass die Information zur sprachlichen Verarbeitung in andere Hirnareale überführt und zu diesem Zwecke »neu codiert« (ders., Bewusstsein, 265) werden müsse. Daher sei die kommunizierte Information zwar »verwandt, aber nicht identisch mit der expliziten Information« (ebda), wie sie ursprünglich im Gehirn abgespeichert war. Damit ist das so genannte Qualia-Problem angesprochen. Vgl. hierzu etwa Oeser, Neurophilosophie; Klassisch zu diesem Problem ist der Aufsatz von Thomas Nagel »Wie ist es eine Fledermaus zu sein?«. In der neueren Diskussion wurde die These der Irreduzibilität der Qualia etwa von David Chalmers, The conscious mind oder Joseph Levine, Materialismus und Qualia, vertreten. Gerhard Roth akzeptiert durchaus die Eigenart und insbesondere die eigentümliche Erlebnisqualität der subjektiven Perspektive (vgl. etwa ders., Willensfreiheit und Schuldfähigkeit, 20). Es ist aber zu betonen, dass sich diese Privatheit des Mentalen eben nicht, wie Roth und Schwegler (dies., Geist-Gehirn-Problem, 72) meinen, durch Korrelation mit Hirnvorgängen aushebeln lässt. Denn wie sie selbst zugeben, ist damit noch keine Identitätsaussage zu treffen und die Erlebnisdimension bleibt dem Mentalen unbenommen. Da das Erleben als die Form des Zugangs wesenhaft mit dem Inhalt verknüpft ist, kann sie nicht vollständig in eine andere Perspektive überführt werden. Angeben zu können, wann ein bestimmter Zustand auftritt, erfasst noch nicht diese Perspektive. Ähnlich differenziert Franz Seitelberger (ders., Bewusstsein) zwischen dem Inhalt und dem Phänomen des Bewusstsein (Erlebnis). Letzteres könne nicht einfach auf neuronale Vorgänge reduziert werden; Manfred Frank (ders., Lässt sich Subjektivität naturalisieren?) macht deutlich, dass auch das Selbstwissen die unmittelbare Selbstvertrautheit, das irreduzible Selbstbewusstsein voraussetzt. Deshalb sei Selbstwissen nicht auf Wissen de re oder de dicto zu reduzieren.

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volitionale Zustände, bei denen die sprachliche Objektivierung besonders schwer fallen kann. Dies wiederum liegt daran, dass der Wille eines Menschen in einem in vielerlei Hinsicht zunächst unthematischen und unreflektierten Selbstverhältnis verwurzelt ist und nicht ohne Weiteres in ein sprachliches Zeichensystem übersetzt werden kann. Volitionale Vorgänge sind also subjektiv.89 Die 1PP ist in dieser Hinsicht irreduzibel.90 Die grundlegende Differenz der genannten Perspektiven wird durchaus auch von vielen Neurowissenschaftlern anerkannt, wenn etwa von der »Eigenständigkeit der Innenperspektive«91 die Rede ist. So spricht auch Wolf Singer von »Selbsterfahrung und neurobiologische[r] Fremdbeschreibung«92. Der Unterscheidung ist so lange zuzustimmen, wie Singer tatsächlich von »zwei parallele[n] Beschreibungssysteme[n]«93 spricht, die sich aus dem Erfahrungs- bzw. Erlebnischarakter der einen und dem distanzierten Beobachtungscharakter der andern Perspektive ergibt. Weil die neurobiologische Betrachtung eben keine Selbsterfahrung darstellt, ist auch die Qualifizierung als »Fremdbeschreibung« nicht unsachgemäß. So lange es Hirnforschern darum geht, »Phänomene, die in unterschiedlichen Beschreibungssystemen erfasst und definiert wurden, miteinander zu verbinden«94, ist das Unterfangen methodisch bedenkenlos. Problematisch wird es allerdings, wenn aus der Verbindung unterschiedlicher Beschreibungssys89

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Vgl. dazu etwa Thomas Fuchs, Gehirn, 53-65, der deutlich macht, dass die Irreduzibilität der Binnenperspektive nicht nur aufgrund der Erlebnisqualität, sondern insbesondere aufgrund des Bedeutungscharakters für die jeweilige Person zu behaupten ist. Phänomenale oder intentionale Zustände und Abläufe haben ihre eigentümliche Qualität nur bzw. sind nur bedeutsam für jemanden (bes. 55.58). Vgl. dazu auch die von Fuchs angeführten semiotischen Analysen von Peirce, der zu zeigen vermochte, dass in einem Zeichensystem der Interpret des Zeichens stets und ursprünglich als irreduzibles Element vorhanden ist, und nicht erst sekundär zu einem an sich bestehenden Zeichen hinzu tritt (vgl. Peirce, Phänomen und Logik). Damit ist nicht gesagt – wie Michael Pauen gegen das Qualia-Argument ins Feld führt (ders., Ursachen und Gründe, 256) – dass nicht auch die Qualia eines mentalen Zustands neuronal »realisiert« sind. Vielmehr ist damit ausgedrückt, dass in der Außenperspektive die Erlebnisdimension nicht adäquat wiedergegeben werden kann, weil sie eine nicht propositional bzw. funktional beschreibbare Eigenschaft darstellt; vgl. etwa Nagel, Wie ist es?, 262; ähnlich. auch Frank, Lässt sich Subjektivität naturalisieren? Elger u. a. , Das Manifest, 20. Singer, Selbsterfahrung und neurobiologische Fremdbeschreibung. A. a. o., 139. Singer, Beobachter, 41.

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teme allzu schnell unterschiedliche Sphären und Welten werden, wobei dann »die geistige Dimension« als »von den Phänomenen der dinglichen Welt unabhängig und ontologisch verschieden«95 verstanden wird. Abgesehen davon, dass Sphären, Welten und Dimensionen semantisch nicht den gleichen Sachverhalt bezeichnen, ist doch deutlich, dass es Singer darum geht, dass wir in unserem Selbst- und Weltverständnis diese grundlegende ontologische Differenz annehmen. Es steht außer Frage, dass ein solcher ontologischer Dualismus in der Tradition seit Descartes lange Zeit im philosophischen Denken verankert war und vermutlich auch heute noch das wissenschaftliche wie das alltägliche Selbstbild prägt. In einer wissenschaftlichen Abhandlung zum Thema aber sollte doch deutlich zwischen dem Problem verschiedener Beschreibungsebenen oder -perspektiven und der ontologischen Fragestellung unterschieden werden. Wird die erste Fragestellung vorschnell in die zweite überführt, so wird aus zwei möglicherweise parallel existierenden Perspektiven ein Gegensatz, der dann in der Logik von Naturwissenschaftlern nur in eine Art physikalistischen Monismus aufgelöst werden kann. Die subjektive Perspektive wird objektiviert und kausal erklärt. Die Frage monistischer und dualistischer Lösungen des Leib-Seele-Problems müsste noch eigens besprochen werden. Hier soll v. a. deutlich darauf hingewiesen werden, dass der Übergang von der Beschreibungsfrage in ein ontologisches Paradigma einer starken Begründung bedürfte, die etwa von Singer nicht geliefert wird. Die Überlegungen haben gezeigt, dass wir es bei der Korrelierung mentaler, insbesondere volitionaler Zustände mit gemessenen Hirnvorgängen mit einem doppelten Objektivierungsschritt zu tun haben. Zum Einen muss die subjektive Erlebnisperspektive zum Zwecke sprachlicher Mitteilung und intersubjektiver Verständlichkeit in einem anerkannten Zeichensystem, der Sprache, artikuliert werden. Dieser Schritt birgt die bezüglich der Selbstwahrnehmung genannten Schwierigkeiten und macht auf die irreduzible Subjektivität der Binnenperspektive aufmerksam. Dabei wurde auch deutlich, dass die notwendige Verwendung eines gültigen Zeichensystems (Sprache) bereits eine intersubjektive Einbettung des jeweiligen Subjekts voraussetzt, weil nur so überhaupt neurophysiologische Untersuchungen zu Phänomenen möglich werden, über die man sich lebensweltlich bereits verständigt

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Singer, Selbsterfahrung, 139.

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hat.96 Zweitens muss dann diese sprachliche Beschreibung mit den gemessenen Hirnvorgängen in eine aussagekräftige Relation gebracht werden. 1.2.2.2 Der epistemische Status der Korrelierung Wir haben es bei den Experimenten Libets und allen anderen, die sich auf neuronale Korrelate mentaler Zustände beziehen, mit der Herausforderung zu tun, Daten einer objektiven Beobachterperspektive (Ergebnisse der wissenschaftlichen Methoden) mit einem subjektiven, die genannten Schwierigkeiten implizierenden Bericht eines Probanden zu verbinden. Die Irreduzibilität der subjektiven Perspektive ist aber noch nicht per se ein Argument für die Willensfreiheit oder für ein bestimmtes Modell zur Lösung des Leib-Seele-Problems. Vielmehr kommt es darauf an, die je für sich irreduziblen, in einer spezifischen Perspektivität wurzelnden Beschreibungen und Daten angemessen zu korrelieren. Diese Herausforderung beinhaltet ein komplexes, wissenschaftstheoretisches Problem, nämlich die Frage, welchen epistemischen und ontologischen Status die so gewonnenen Korrelierungen haben bzw. haben können. Je nach philosophischem bzw. erkenntnistheoretischem Standpunkt kann die Antwort auf diese Frage sehr unterschiedlich ausfallen. Daher kann es an dieser Stelle gar nicht darum gehen, diese komplexe Thematik, die in das große Feld des Leib-Seele-Problems führt, umfassend zu erörtern.97 Es soll darauf ankommen, auf die relevanten Probleme hinzuweisen, die sich aus der notwendigen Verbindung zweier Perspektiven ergeben, die sich aufgrund der jeweiligen Eigenart ihrer Konstitutionsbedingungen deutlich unterscheiden. Es geht in den besprochenen Experimenten darum, den Bericht eines Probanden zeitlich mit bestimmten Hirnvorgängen in Verbindung zu bringen, sodass gesagt werden kann, dass während oder bevor sich die Person in einem bestimmten Zustand wähnte, bestimmte Hirnvorgänge festgestellt werden. So können auf diese Weise zu einem be96

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Diesen Aspekt hat Thomas Fuchs, Gehirn, 87-92, explizit hervorgehoben. Er bringt den Sachverhalt pointiert auf den Punkt, indem er formuliert: »Wer nicht weiß was ‘Sehen’ ist und sich mit anderen Sehenden darüber verständigen kann, kann auch keine Neurophysiologie der optischen Wahrnehmung treiben« (a. a. o., 91). Dies ist in ausführlichen Lehrbüchern geschehen, vgl. exemplarisch: Brüntrup, LeibSeele-Problem; Pauen, Grundprobleme; Carrier/Mittelstraß, Geist-Gehirn-Verhalten; Beckermann, Analytische Einführung; Bieri, Analytische Philosophie des Geistes (Textsammlung).

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stimmten Zeitpunkt innerhalb einer Zeitspanne zwei Parameter miteinander verbunden werden, etwa der Bericht »Schmerz« oder der eines bewussten Willens mit den Hirnvorgängen in bestimmten Regionen. Der Anspruch der kognitiven Neurowissenschaft ist es, dass die Verbindung dieser Parameter prinzipiell eindeutig gelingen kann. Dabei lässt sich die Verbindung, und dies ist für die Interpretation von nicht zu unterschätzender Bedeutung, in zwei Richtungen denken. Zum einen: Immer dann, wenn der Proband etwa den Zustand »Schmerz« berichtet, sind Hirnvorgänge in (mindestens einigermaßen) präzise zu benennenden Hirnregionen festzustellen. Und immer dann, wenn die eruierten Hirnvorgänge an einem Patienten oder Probanden zu beobachten sind, kann darauf geschlossen werden, dass die Person eine Empfindung hat, die sie mit »Schmerz« beschreiben würde. Kann die Korrelierung in beide Richtungen eindeutig verlaufen? Oder anders gesagt: Gibt es mentale Zustände, die eine Person anders beschreiben würde, die aber mit Aktivitäten in denselben Hirnregionen verbunden sind und die von denen, die mit der Artikulation »Schmerz« in Verbindung gebracht wurden, nicht zu unterscheiden sind? Bzw.: Gibt es Hirnaktivitäten, die sich von den zunächst diagnostizierten unterscheiden lassen, und die dennoch zu der Auskunft »Schmerz« bei einem Probanden führen?98 Der Anspruch der kognitiven Neurowissenschaft ist tatsächlich die Gewinnung eineindeutiger, also in beide Richtungen eindeutig verlaufender Zuordnungen von wissenschaftlicher Beschreibung neuronaler Aktivität und subjektivem, mentalem Zustand.99 Auch wenn diese Art von

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Dieser zweite Fall ist der wissenschaftstheoretisch bedeutsamere. Er setzt voraus, dass die Aktivität von Hirnvorgängen insgesamt differenzierter ist bzw. differenzierter zu beschreiben ist als bestimmte mentale Vorgänge. Es wird in diesem Zusammenhang, der insbesondere für die philosophische Theorie der »Tokenidentität« (vgl. etwa Pauen, Grundprobleme, 118 f) relevant ist, von multipler Realisierung gesprochen. Vgl. etwa Koch, Bewusstsein, 19, der plausiblerweise davon ausgeht, dass nicht jede Änderung des neuronalen Zustands auch mental zu erleben ist. Führende Neurowissenschaftler halten die eineindeutige Zuordnung mittelfristig für ein realistisches Forschungsziel: »Die Hirnforschung wird in absehbarer Zeit, also in den nächsten 20 bis 30 Jahren [Erstveröffentlichung 2004, Anm. B. B. ], den Zusammenhang zwischen neuroelektrischen und neurochemischen Prozessen einerseits und perzeptiven, kognitiven, psychischen und motorischen Leistungen andererseits so weit erklären können, dass Voraussagen über diese Zusammenhänge in beiden Richtungen mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad möglich sind.« (Elger u. a. , Das Manifest, 20) Andererseits wird aber zugegeben, dass aufgrund der Individualität und Komplexität eines jeden Gehirns es »generell unmöglich [sei], durch

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Korrelierung noch längst nicht auf allen Gebieten zu leisten ist, so sei doch von der Möglichkeit dieser eindeutig verlaufenden Zuordnung auszugehen.100 Es ist nicht unsere Aufgabe, zu hinterfragen, ob dieses Forschungsprogramm tatsächlich realistisch ist, allerdings kann auf die dafür notwendigen Voraussetzungen bzw. die sich ergebenden Probleme hingewiesen werden.101 Die Differenz der Korrelate wurzelt in unterschiedlichen Perspektiven, die sich in je spezifischen Beschreibungsebenen und -sprachen äußern. Soll die Zuordnung eineindeutig funktionieren, so setzt das auf beiden Seiten der Beschreibung eine hinreichende Spezifikation voraus, also die Möglichkeit, den relevanten Zustand mit Hilfe des jeweils zur Verfügung stehenden Instrumentariums derart zu kennzeichnen, dass er der Spezifität der jeweils anderen Ebene gerecht wird. Nur so kann eine Beziehung zwischen zwei Zuständen hergestellt werden, die eine sachhaltige Aussage hervorbringt. Dabei ergibt sich eine Schwierigkeit aus der Tatsache, dass die Beschreibungssprache der Alltagspsychologie einerseits, sowie die der Neurobiologie andererseits basale Strukturdifferenzen aufweisen, die zwar nicht der Spezifikation als solcher, aber der angestrebten symmetrischen Spezifizierung der Aussagen im Wege stehen kann.102 Insbesondere in den begrenzten Möglichkeiten

Erfassung von Hirnaktivität auf die daraus resultierenden psychischen Vorgänge eines konkreten Individuums zu schließen« (ebda). 100 So etwa Gerhard Roth, der für das Gegenteil die Parallelität von Geist und Gehirn in Frage gestellt sieht. Roth gibt zu, dass die prinzipielle Eineindeutigkeit aufgrund begrenzter Methoden wahrscheinlich nie zu erweisen sein wird (siehe ders., Gehirn Wirklichkeit, 277). Für das Beispiel Schmerzempfinden allerdings gibt Roth an, dass ein Hirnforscher in der Lage sei, »diese Zustände so verlässlich mit Hirnzuständen in Verbindung zu setzen, dass exakte Vorraussagen über das subjektive Schmerzempfinden eines Patienten möglich sind.« (ders., Willensfreiheit und Schuldfähigkeit, 20). 101 Die Zuordnung vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen. Nach einer Grobeinteilung führender Neurowissenschaftler lassen sich drei Ebenen unterscheiden: größere Hirnareale, Zellverbände, und einzelne Zellen und Moleküle. (Elger u. a. , Das Manifest, 16). Dabei konstatieren sie, dass nur auf der oberen und der unteren Ebene bislang entscheidende Fortschritte erzielt wurden, für die mittlere Ebene der Zellverbände aber nach wie vor eine »große Erkenntnislücke« klaffe (a. a. o., 17). 102 Vgl. den Aufsatz von Oeser, Neurophilosophie und Hirnforschung, der aus den grundlegenden sprachlichen Differenzen die Folgerung zieht, man müsse eine »intermediäre Beschreibungssprache« (250) entwickeln, die sich an das Paradigma der Informationsverarbeitung anlehnt. Abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten, die einem solchen Programm vermutlich im Wege stehen, ist darauf hinzuweisen, dass unterschiedliche Betrachtungsweisen nicht prinzipiell als Defizit zu betrachten

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zur Spezifizierung von Aussagen aus der Binnenperspektive besteht daher eine praktische Grenze der Korrelierung. Diese Grenze ist aber nicht nur technischer Natur, sondern verweist wiederum zurück auf die kategoriale Verschiedenheit der Perspektiven. Dass die Spezifizierung also in dieser Hinsicht begrenzt ist, stellt aber zunächst noch kein grundsätzliches Problem dar. Es ergeben sich ja auch bereits aus Korrelierungen auf einer allgemeinen Ebene wichtige Einsichten bezüglich der Funktion von Gehirnarealen. Was aber kann die Auffindung etwa der »neuronalen Korrelate des Bewusstseins«103 freiheitstheoretisch bedeuten? Richtig ist, dass Freiheit als »theoretisches Konzept«104 bzw. als praktische Vorrausetzung menschlicher Interaktion durch das Auffinden empirischer Korrelate weder unmittelbar bewiesen noch widerlegt werden kann. Vielmehr setzt die freiheitstheoretische Auswertung schon eine entsprechende Interpretation der Korrelierung im Rahmen eines Gesamtverständnisses des Menschen voraus. An einen freiheitstheoretisch entscheidenden Punkt gerät man allerdings dann, wenn aus einer reinen Entsprechungsaussage eine Aussage über ein Kausalverhältnis wird105, wenn also Hirnvorgänge als Ursache bestimmter mentaler Vorgänge dargestellt werden, wie es weithin dem Programm der (philosophisch interessierten) Neurobiologie entspricht. Denn die Darstellung von Ursachen bedarf einer hohen Spezifität, da von Kausalität nur dann gesprochen werden kann, wenn die Ursache signifikant, und das heißt eben in spezifischer Weise wirksam ist für das Eintreten der Folge.106 An dieser Stelle zeigt sich also nochmals das wesentliche systematische Problem der besprochenen Experimente, die

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sind, sondern vielmehr durch die Pluralität distinkter Zugänge einen Reichtum an Perspektiven bieten können. Koch, Bewusstsein, 18 (abgek. NCC, aus dem Englischen: neural correlates of consciousness). Northoff, Freiheit und Einbettung, 329. So etwa bei Singer in der vielleicht schärfsten Form (siehe unten FN 130). Vgl. die Kritik von Geyer, Hirn, 86 f, wie von Keil, der auf die notwendige, aber häufig (wie etwa bei Singer) nicht vorgenommene Unterscheidung zwischen synchronem und diachronem Determinismus hinweist (ders., Willensfreiheit, 179 f). Als Beispiel eines (freilich auch noch problematischen) Versuches zur Spezifikation kann das oben besprochene lateralisierte BP und das folgende Bewusstsein eines Willens gelten, im Unterschied zum symmetrischen Bereitschaftspotential, das nach der Untersuchung von Haggard/Eimer keine zeitliche Kovarianz zum Entstehen des Bewusstseins zeigte. Vgl. zu den Kriterien der Zuschreibbarkeit von Kausalität auch Wegner (FN 150).

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ihrer Argumentationslogik nach ein eindeutiges Kausalverhältnis aufzeigen können müssten. Mit einer signifikanten, synchronen Korrelierung, also etwa auch mit dem möglichen Auffinden von Korrelaten des Bewusstseins107, ist aber noch kein Kausalverhältnis, erst recht kein deterministisches begründet. Für die Etablierung eines Ursache-Wirkungszusammenhanges muss auch die zeitliche Vorgängigkeit der Ursache eindeutig nachgewiesen werden. Der zeitliche Faktor, der insbesondere bei Anwendung von bildgebenden Verfahren einen problematischen Aspekt darstellt, ist hier von hoher Signifikanz. Sollte sich die zeitliche Reihenfolge mentaler Phänomene und bestimmter Hirnvorgänge als unklar herausstellen,108 wäre es schwierig, Hirnvorgänge als Ursache mentaler Zustände zu deklarieren. Auch ein umgekehrtes Verhältnis, also die mentale Verursachung hirnphysiologischer Vorgänge, oder aber eine Sichtweise nach dem Modell, dass beide Beschreibungen zwei Seiten einer Medaille beschreiben, könnte sich als sinnvoll herausstellen. M.aW.: Das Leib-Seele-Problem und insbesondere die mittelbar damit zusammenhängende Freiheitsfrage ist auch bei Auffinden hochspezifischer Korrelate noch lange nicht gelöst. Denn selbst bei Feststellung eines einseitigen Kausalverhältnisses kann die Eigenart der subjektiven Perspektive nicht erfasst werden. Erklären zu können, wann mentale Phänomene auftreten, heißt noch nicht, das Phänomen an sich und auch seine möglichen kausalen Rückwirkungen erklärt oder vollständig erfasst zu haben.109 Die Irreduzibilität der 1PP gilt auch dann noch, 107 Thomas Fuchs hat darauf hingewiesen, dass die Rede von den NCC aufgrund der Einbettung des Bewusstseins in bestimmte, konkrete Vorgänge und damit in den gesamten Organismus und seine Leiblichkeit grundsätzlich problematisch ist (Fuchs, Gehirn, 70 f). 108 Dies ist, worauf Hermann u. a. , Neue Interpretation, hinweisen, etwa bei den Experimenten von Haggard/Eimer z. t.der Fall. 109 Es sei an dieser Stelle etwa auf die Argumentation von Gerhard Roth und Helmut Schwegler in einer frühen Schrift hingewiesen. Sie sprechen in ihrer Analyse des Geist-Gehirn-Problems zunächst von einer »strengen Parallelität zwischen Mentalem und Neuronalem« (dies., Geist-Gehirn-Problem, 71). Relativ unvermittelt erfolgt dann der Umschwung in das Vokabular des Physikalismus, im Rahmen dessen zwar die Erlebnisdimension von Geist nicht dispensiert wird, aber das Auftreten vollständig aus physikalischen Gegebenheiten erklärbar wird und Geist damit als »physikalische[r] Zustand« (a. a. o., 75) bezeichnet werden kann. Aus der Parallelität wird damit unvermittelt eine einseitige kausale Verursachung. Beide Schritte, die Auflösung der Parallelität zu Gunsten des Physikalismus und die kausalitätstheoretische Annahme müssten eigens begründet werden, zumal hier nicht von einem einzelnen Forschungsergebnis eines bestimmten Experiments die Rede ist, sondern generell

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wenn auf der Ebene neuronaler Mechanismen Erklärungen gegeben werden können. 1.2.2.3 Die Unterscheidung von notwendigen und hinreichenden Ursachen Bezüglich der Interpretation möglicher Kausalverhältnisse besteht eine wichtige Unterscheidung zwischen notwendigen und hinreichenden Ursachen. Wenn eine robuste Verbindung zwischen bestimmten Hirnvorgängen A und einem nachfolgenden geistigen Zustand B gefunden werden kann, so ergeben sich hier stets vielfältige Interpretationsmöglichkeiten. Einerseits könnte A natürlich als notwendige Ursache für B gelten. Dann müsste gezeigt werden können, dass B immer nur dann auftritt, wenn A der Fall ist. Dazu müsste dann eine hinreichend hohe Zahl von Versuchen vorliegen, die den Verdacht, es handele sich um eine zufällige Relation als unbegründet erscheinen ließe. Dennoch kann auch hier stets das Auftreten eines negativen, also kontrafaktischen Falls zur Falsifikation der Annahme führen. Die Korrelierung von neuronalen Vorgängen mit mentalen Phänomenen hat daher stets den epistemischen bzw. wissenschaftstheoretischen Charakter einer – im Popper’schen Sinne – falsifizierbaren Hypothese.110 Eine wichtige Erkenntnisquelle für die Benennung notwendiger Hirnareale bzw. Hirnvorgänge ist auch die Untersuchung von Hirnverletzungen, die zum Ausfall bestimmter Regionen führen. Hier lässt sich relativ deutlich – und mindestens für den jeweiligen Einzelfall auch kontrafaktisch nicht widerlegbar – die Notwendigkeit der Funktionstüchtigkeit bestimmter Bereiche für verschiedenste Fähigkeiten und Funktionen aufzeigen.111 Allerdings weist das menschliche Gehirn eine hohe Plastizität auf, die es ermöglicht, dass bestimmte Hirnfunktionen auf das Gehirn-Geist-Thema Bezug genommen wird. (Vgl. auch die Kritik von Alisch, Säkularisierter Okkasionalismus?, 77). Dieses komplexe philosophische Problem kann hier nicht in extenso bearbeitet werden. Es soll im weiteren Verlauf anhand der konkreten freiheitstheoretischen Aspekte – soweit nötig und möglich – diskutiert werden. 110 Vgl. Popper, Logik der Forschung, Kap. I-IV, 3-59. 111 Gerhard Roth weist etwa darauf hin, dass bestimmte Strukturen der Retikulären Formation notwendig für das Entstehen von Bewusstsein sind (ders., Neurobiologische Grundlagen, 172). Für das Schmerzempfinden eines Menschen glaubt Roth die »notwendige und auch hinreichende Bedingung« (ders.,Willensfreiheit und Schuldfähigkeit, 22) angeben zu können.

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von anderen Arealen (etwa nach einem Infarkt), die sich auf ähnliche Vorgänge beziehen, mindestens teilweise mit übernommen werden können. Dennoch ist diese Plastizität auch begrenzt, sodass sie die Spezifizierung von Funktionen nur bedingt einschränkt. Es ist aber zu bezweifeln, ob auf den geschilderten Wegen, insbesondere dem Schluss ex negativo, auch hinreichende Ursachen gefunden werden.112 Denn es kommt als zentrales Problem hinzu, dass geistige Vorgänge nie nur durch Aktivität in einem bestimmten Hirnareal repräsentiert werden, sondern ihre Entsprechung in global verteilten Hirnströmen und parallel ablaufenden Arbeitsvorgängen besitzen.113 Die Theorie dieses so genannten »Holismus« ist trotz der zunehmend erkennbaren Modularisierung des Gehirns nicht ad absurdum geführt.114 Es ist daher anzunehmen, dass nicht nur ein bestimmter, isolierbarer Vorgang als Ursache für ein mentales Phänomen gelten kann, sondern dass hier eine Gesamtkonstellation neuronaler Aktivität Relevanz besitzt. Dementsprechend dürfte es sich in den meisten Fällen als schwer, wenn nicht als unmöglich darstellen, alle notwendigen Ursachen bzw. die notwendige Kombination bestimmter Ursachen eines Zustandes, die dann hinreichend sind, darzustellen. Die Hirnforschung selbst nimmt an, zwar mittels der geschilderten Methoden feststellen zu können, wann im Gehirn ein erhöhter Energieverbrauch vorliegt, damit aber noch keine Aussage über die Art und Weise der Arbeit desselbigen treffen zu können. Welche Aktivitäten das Gehirn wie verknüpft, ist auch für führende Hirnforscher nach wie vor ein Rätsel.115 Experimentell wäre die Frage nach einer hinreichenden Ursache nur dann zu klären, wenn eine bestimmte Hirnaktivität künstlich hervorge-

112 Siehe Fuchs, Gehirn, 72 f. 113 Vgl. unten 2.2.3.1. 114 Siehe Fuchs, Gehirn, 70. Dies ist gegen einseitige Formulierungen, wie die von Gerhard Roth, der assoziative Cortex sei der »‘Ort’ des Bewusstseins« (ders.,, Fühlen Denken Handeln, 221). 115 Gerade deshalb ist es angebracht, die Unterscheidung von notwendigen und hinreichenden neuronalen Ursachen aufrecht zu erhalten. Das Gegenargument von Markowitsch, die Differenzierung sei erlässlich, weil unser Gehirn sowohl notwendig als auch hinreichend für unser Handeln sei (ders., Warum wir keinen freien Willen haben, 164) läuft ins Leere, weil es sich bei der Freiheitsfrage (wie sich noch genauer erweisen wird) um eine sehr viel komplexeres und spezifischeres Problem handelt, als schlicht um die Alternative, ob unser Gehirn als Ganzes für unser Handeln notwendig ist. Vielmehr geht es um die Interpretation und Differenzierung dieser sicher nicht zu bestreitenden Tatsache.

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rufen werden kann, die in verschiedensten Rahmenbedingungen zu den entsprechenden Wirkungen führt.116 Ingesamt geht es an dieser Stelle darum, mögliche Schwierigkeiten bei der Verbindung unterschiedlicher Beschreibungsebenen zu benennen und auf die Komplexität des Unterfangens hinzuweisen. Dies ist in unserem Zusammenhang insbesondere deshalb wichtig, weil sich das Selbstverständnis des Menschen als ein (mindestens in gewisser Hinsicht) freies Wesen vor allem aus dem ergibt, was ich hier subjektive oder Erste-Person-Perspektive genannt habe. Dabei haben die geschilderten Überlegungen gezeigt, dass die Binnenperspektive der Subjektivität auch für die experimentelle Untersuchung des Phänomens »Wille« bereits vorauszusetzen ist. Sie wollen daher ein Hinweis darauf sein, die Begründungen dieser Hinterfragung kritisch in den Blick zu nehmen und vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten der Verbindung solch unterschiedlicher Perspektiven zu analysieren.

1.3 Positionen zum Freiheitsproblem aus neurowissenschaftlicher und psychologischer Perspektive »Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen.«117 Mit dieser apodiktischen Forderung überschreibt Wolf Singer einen Aufsatz zum Problem von Hirnforschung und Willensfreiheit. Auch wenn dieser Ruf nicht von allen empirisch arbeitenden Wissenschaftlern, die sich mit dem Freiheitsproblem befassen, in gleich radikaler Weise geteilt wird, so steht er doch für einen Hauptstrom der deutschen Debatte im Kontext der Neurowissenschaft. Ein Grundproblem ist dabei, dass nur wenige Hirnforscher überhaupt zum Freiheitsproblem Stellung nehmen, dies dann aber dafür äußerst pointiert tun. Die Konzentration auf Singer, Roth und einige andere ist daher, gemessen am gesamten Feld der neurowissenschaftlichen Forschung, das von einem Theologen kaum

116 Es gelingt etwa im Bereich der Epilepsieforschung mit Hilfe der Stimulation des unteren Schläfenlappens bestimmte Emotionen oder Erinnerungen künstlich hervorzurufen; vgl. Fuchs, Gehirn, 74-76, mit Bezug auf Penfield/Perot. Fuchs weist allerdings zu Recht darauf hin, dass auch damit nicht von der Lokalisation eines bestimmten Vorgangs in der entsprechenden Hirnregion, geschweige denn von der Identifikation des Phänomens mit der Hirnaktivität auszugehen sei. 117 Singer, Verschaltungen legen uns fest. Wir sollten aufhören von Freiheit zu sprechen.

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überblickt werden kann, sicherlich selektiv. Die Selektion ist allerdings (arbeitsmethodisch und aufgrund der Struktur der Debatte) notwendig. Die Grundaufgabe dieses Abschnitts ist es daher auch nicht, die Neurowissenschaft als solche zu kritisieren, sondern den von ihr verwendeten Freiheitsbegriff zu analysieren und die Interpretation und Begründung der freiheitsrelevanten Ergebnisse zu prüfen. Aufgrund der zumeist freiheitsskeptischen Einstellung der verhandelten Forscher geht es zunächst darum, Konturen des abgelehnten Freiheitsverständnisses zu zeichnen, aber auch – wo möglich – Ansätze eines positiven Freiheitsverständnisses aufzuzeigen.118 Dabei ist insbesondere darauf zu achten, welche Rolle die subjektive Binnenperspektive einer Person in den Argumentationen spielt, die ja auch für die experimentelle Erforschung des »Willens« als konstitutiv erachtet wurde. Es steht in Frage, wie Innen- und Außenperspektive zueinander ins Verhältnis gesetzt werden und welche Erkenntnisansprüche daraus abgeleitet werden. Dass dieses Verhältnis problematisch werden kann, zeigt sich exponiert bei Wolf Singer, dessen Position ich hier zur Einführung in die Problemstellung kurz kennzeichne. Es folgt eine überblicksartige Darstellung von Positionen aus dem Bereich der Psychologie, bevor dann die Einzelprobleme anhand der Darstellung Gerhard Roths diskutiert werden. 1.3.1 Die Position von Wolf Singer »Wir sprechen vom freien Willen und wissen was wir darunter zu verstehen haben.«119 Die Ablehnung von Freiheit, die schon im Titel des zitierten Aufsatzes deutlich gemacht ist, wird von Singer mit einem scheinbar geläufigen Freiheitsverständnis und einer alltagspsychologischen Anthropologie verbunden. Das Freiheitsproblem als solches ergibt sich für Singer aus der Tatsache, dass sich mit »Selbsterfahrung und neurobiologische[r] Fremdbeschreibung« zwei »konfliktträchtige Erkenntnisquellen«120 gegen118 Ein Problem besteht darin, dass sich zum Freiheitsproblem, wie es auch philosophisch verhandelt wird, nur wenige Hirnforscher (in relativ einseitiger Weise) äußern. Insofern ist die hier dargebotene Auswahl, in deren Zentrum die Konzeptionen von Roth und Singer stehen, durchaus selektiv in Bezug auf das gesamte Feld der Hirnforschung. 119 Singer, a. a. o., 33. 120 Singer, Selbsterfahrung und neurobiologische Fremdbeschreibung.

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überstehen. Aus diesen beiden Ursprüngen, von denen der eine charakteristischerweise als Erfahrung gekennzeichnet ist, leiten sich nach Singer unterschiedliche Inhalte über unser Verständnis des Menschen ab. Dabei ist unser Selbstverständnis als freie Wesen unserer Selbsterfahrung geschuldet, innerhalb der wir uns als freie Akteure erkennen und dementsprechend alltäglich handeln.121 Freiheit ist demnach nicht schlichtweg eine Illusion, wie es der einleitende Satz hätte vermuten lassen können, eher schon eine alltagspraktische Annahme, die allerdings nach Singer nicht mit Erkenntnissen der Hirnforschung vereinbar ist.122 Die Grundproblematik des Themas und der Debatte ist damit von Singer deutlich benannt. Mit dieser Erfahrung ist für Singer alltagspsychologisch die Annahme einer Ontologie verbunden, die man als dualistisch bezeichnen kann,123 stehen doch die »immateriellen Phänomene«, zu denen nach

121 »Wir erfahren uns als freie und folglich als verantwortende, autonome Agenten. Es scheint uns, als gingen unsere Entscheidungen unseren Handlungen voraus und wirkten auf Prozesse im Gehirn ein, deren Konsequenz dann die Handlung ist.« (Singer, a. a. o., 33). 122 Vgl. Singers Antwort auf die Frage, ob »der freie Wille [...] nichts als eine nette Illusion« sei: »Nicht ganz. Er wird von uns als Realität erlebt und wir handeln und urteilen so, als gäbe es ihn. Der freie Wille, oder besser, die Erfahrung, einen solchen zu haben, ist somit etwas Reales, extrem Folgenreiches. Insofern als sich die Mehrheit der gesunden Menschen zu dieser Erfahrung bekennt, ist sie also keine Illusion, wie etwa eine Halluzination. Aber aus Sicht der Naturwissenschaft ergibt sich die mit der Selbstwahrnehmung unvereinbare Schlussfolgerung, dass der Wille nicht frei sein kann.« (ders.,, Das falsche Rot der Rosse, 58 f). Mit dieser Annahme ist Singer nicht weit entfernt von Kants These der Freiheit als einem Postulat der praktischen Vernunft (vgl. Kant, KpV, A 238 f, Weischedel IV, 264). Dieses beruht auch nicht auf naturwissenschaftlichen Ergebnissen, stellt aber dennoch einen eigenen Typ von Realität dar, der sich aus der Voraussetzung menschlicher Interaktionspraxis speist. Dabei kann er aber – und dies im Unterschied zu Singer – nicht aus Sicht der Empirie hinterfragt werden, weil er einen anderen epistemischen, nämlich transzendentalen Status besitzt. 123 Vgl. die Analyse von Keil, Willensfreiheit 181-184, der in Aufnahme von Ergebnissen von Bennett/Hacker (Philosophical Foundations, 111) sicher zutreffend einen »Kryptocartesianismus« (183) identifiziert (ähnlich auch Mayer, Das Gehirn, 208, in Bezug auf Libet). Christian Geyer spricht in einer schönen Metapher vom Gehirn als einem »Paralleluniversum« (ders., Hirn, 89), wobei dieses Universum mit unserem Universum der ersten Person nicht mehr zu verbinden sei. Eine sehr pointierte Diagnose zu der bei Wolf Singer vorausgesetzten Metaphysik hat auch Jan-Phillipp Reemtsma vorgelegt. Er weist darauf hin, dass mit der Gegenüberstellung von Freiheit und Gehirn die Charakterisierung der Indexworte Ich oder Wir im Sinne von »Instanzen oder Substanzen« (ders., Scheinproblem, 198) impliziert ist. Er schließt folgerichtig, dass es

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Singer auch unser Freiheitserleben gehört, deutlich den »Erscheinungen der dinglichen Welt«124 gegenüber. Intuitiv sei die Annahme von Freiheit mit der Annahme einer solchen geistigen Welt verbunden, der zufolge wir meinen, »frei über uns befinden zu können, zu werten und zu entscheiden«125. Dabei sei charakteristisch, dass wir, indem wir uns zu der genannten geistigen Dimension rechnen, materielle Prozesse initiieren und kontrollieren könnten. Wir erfahren insbesondere unsere Willenshandlungen als unverursacht, also in dem Sinne als frei, dass es keine vorausgehenden Ursachen geben könnte, die unseren Willensakt determinieren würden. Zudem zeige sich, dass wir in der Lage sind, durch bewusste Entscheidungen Einfluss auf materielle Prozesse zu nehmen. Dementsprechend erfahren wir »unsere Gedanken und unseren Willen als frei, als jedweden neuronalen Prozessen vorgängig«126. Freiheit wäre demnach zu verstehen als Freiheit von neuronalen Ursachen und als Freiheit zur Einwirkung auf neuronale Prozesse. Die Annahme von Freiheit gilt unter der Voraussetzung einer von den materiellen Prozessen unabhängigen, aber zur Einwirkung fähigen, geistigen Sphäre. Mit Recht kritisiert Singer einen derart radikalen Dualismus aus verschiedenen Gründen.127 So könne weder geklärt werden, wie es in der Evolution zur Ausbildung dieses unabhängigen Geistes gekommen sei (man müsste gewissermaßen Sprünge annehmen), noch – und das dürfte als das gravierendste Problem zu identifizieren sein – könne eine befriedigende Erklärung für das Phänomen der mentalen Verursachung geliefert werden. Der Geist müsste gleichzeitig unabhängig von der Materie sein, und dennoch auf diese einwirken können. Die Interaktion zwischen ontologisch zu trennenden Sphären wäre weder evolutionstheoretisch noch neurobiologisch erklärbar. Vor diesem Hintergrund hat Singer keine Mühe, die Rede von Freiheit ad absurdum zu führen. Die Ablehnung einer solchen Freiheit ist auch philosophischer und theologischer Konsens. Den Erweis der Unfreiheit führt Singer dann allerdings im Sinne einer Befürwortung des exakten Gegenteils der angeführten alltagspsychologischen Intuitionen. Alles, was wir als bewusste Gedanken und Entscheidungen

124 125 126 127

erstaunlich sei, »wie wenig Hirnforscher sich mit ihrem Gehirn identifizieren können« (ebda); ähnlich auch Fuchs, Gehirn, 67. Singer, Selbsterfahrung, 137. A. a. o., 137. A. a. o., 139. Vgl. a. a. o., 140 f.

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erfahren, ist letztlich erklärbar als Produkt neuronaler, und das heißt deterministisch ablaufender und damit keinen Freiheitsspielraum gewährender Prozesse.128 Bewusste Entscheidungen sind damit keine Aktionen eines unabhängigen geistigen Akteurs, sondern eindeutig festgelegte Ergebnisse neurobiologischer Prozesse. Die Freiheitsfrage bewegt sich für Singer offenbar in der Alternative zwischen völliger Unabhängigkeit und neurobiologischer Determination. Es ist zu sagen, »dass Entscheidungen vom Gehirn getroffen werden, also auf neuronalen Prozessen beruhen«129. Singer eröffnet damit für die weitere Diskussion wichtige, aber problematische Alternativen. Lässt sich das Thema tatsächlich in der Gegenüberstellung von Geist (bzw. Ich, Selbst) und Gehirn, von Determination und Freiheit behandeln? Ich komme im Verlauf der Debatte noch darauf zurück. Mit diesen kategorialen Grundproblemen verbinden sich (nicht nur bei Singer) sprachliche und epistemische Schwierigkeiten. War zunächst noch von neurobiologischer Fremdbeschreibung die Rede, so spricht Singer alsbald von der Erklärung gewisser Zustände aus neurobiologischen Beschreibungen, die dann relativ unvermittelt zur einseitig kausalen Zurückführung auf neuronale Prozesse überwechselt.130 Problematisch ist daran nicht, dass sich aus unterschiedlichen Perspektiven unterschiedliche Erklärungen ergeben. Zu kritisieren ist aber, dass die anfänglich noch als komplementär erscheinenden Beschreibungsweisen der Ersten- und der Dritten-Person-Perspektive in eine Alternativsituation gebracht und dann zu Gunsten der neurobiologischen Erklärung aufgelöst werden.131 Dieser gravierende Schritt wird methodisch von Singer nicht gerechtfertigt.132 128 Dass neuronale Realisierung stets mit Determinismus verbunden wird, gehört zu den strukturellen Grundproblemen in der Argumentation von Neurowissenschaftlern. Keil hat eindringlich auf die Probleme dieser Argumentation hingewiesen (vgl. ders., Willensfreiheit, 179). 129 Singer, a. a. o., 151. 130 »Alle [...] Verhaltensmanifestationen lassen sich operationalisieren, aus der dritten Person-Perspektive heraus objektivieren und im Sinne kausaler Verursachung auf neuronale Prozesse zurückführen.« (a. a. o., 139). 131 Die gleiche Systematik der Abgrenzung von absurden Alternativen liegt der philosophischen Theorie von Thomas Metzinger zu Grunde, die sich in dem Satz zusammenfassen lässt: »The phenomenal self ist not a thing, but a process […]« (ders., Being No One, 1). 132 Singer rechtfertigt die alleinige Begründung mentaler Phänomene durch neurologische Kausalität mit der Tatsache, dass zur Erklärung des Mentalen »keine Zusatzan-

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Andererseits lässt die skizzierte, von Singer mit den unterschiedlichen Perspektiven verbundene Ontologie gar keinen anderen Schluss zu als die naturalistische Erklärung mentaler Phänomene. Indem dualistische Intuitionen, die mit der Annahme einer von der materiellen Dimension »verschiedenen Seinswelt«133 verbunden sind, derart antagonistisch der natürlichen Welt gegenübergestellt werden, kann eine Auflösung der Problemstellung jenseits der strikten Alternativen gar nicht in den Blick geraten. Dass das Pendel dann zu Gunsten der materialistischen Erklärung ausschlagen muss, ist aus Sicht eines Neurowissenschaftlers durchaus nachvollziehbar. Damit aber wird der Determinismus (gewissermaßen unter der Hand) zum Erklärungsmuster anthropologischer Phänomene. Auch diese gravierende Annahme müsste methodisch begründet werden, zumal ja die relevanten Experimente – wie gesehen – eine deterministische Kausalkette nicht rechtfertigen. Angesichts der geschilderten Naturalisierung des Freiheitsproblems wird es von Singer als »triviale[.] Erkenntnis« verkauft, »daß eine Person tat, was sie tat, weil sie im fraglichen Augenblick nicht anders konnte – denn sonst hätte sie anders gehandelt«134. Diese unreflektiert eingeführte Verwendung der Modalattribute wirklich und möglich135 beschreibt sehr deutlich das von Singer vorausgesetzte Weltbild. Es impliziert eine Reduktion des Möglichen auf das Faktische, das selbstverständlich nur in empirisch-naturalistischer Weise zugänglich ist. Die von Singer anfangs noch berücksichtigte Selbsterfahrung als freier Akteur hat hier keinen Platz mehr. Sie scheint von einer (allerdings nicht begründeten) höherstufigen Position aus als Illusion entlarvt zu sein. Es dürfte deutlich geworden sein, dass sich Wolf Singer in seiner Analyse des Freiheitsproblems strukturell in fragwürdige Alternativen begibt, innerhalb derer methodisch unaufgeklärt Fremdbeschreibung und Selbsterfahrung gegeneinander ausgespielt werden. Systematisch nahmen« (ders., Anmerkungen, 18) gemacht werden müssten. Dass Erklärungen in sich stimmig sein müssen und ohne Zusätze aus anderen Bereichen auskommen sollten, um überhaupt explikative Kraft zu besitzen, dürfte kaum anzuzweifeln sein. Dass mit einer Erklärung, die sich aus einer ganz bestimmten Sichtweise und Methodik ergibt, aber schon ein komplexer Phänomenbereich vollständig erfasst ist, kann nicht ohne weiteres behauptet werden. 133 Singer, a.a.O, 139. 134 Singer, Verschaltungen, 65. 135 Vgl. auch die Kritik von Keil, Willensfreiheit, 181.

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betrachtet verwendet Singer zwei (hier miteinander verbundene) Argumentationsstränge, die aber auch unabhängig auftreten können und dementsprechend auch validiert werden müssen. Das grundlegende Argument basiert auf der Abwehr eines künstlich eingeführten anthropologischen Dualismus, der sich in der Gegenüberstellung von Gehirn und Ich oder unbewusst und bewusst manifestiert. Indem die Alternative naturalistisch aufgelöst wird, importiert Singer ein zweites, eher formales Prinzip, den Determinismus. Beide Argumente werden uns im Verlauf der Diskussion noch weiter beschäftigen. So oder so aber entsteht eine Kluft zwischen der objektiven Beschreibung und dem subjektiven Selbstverständnis des Menschen. Singer scheint durchaus ein Gespür dafür zu haben, wenn er diagnostiziert, »daß wir uns zu wenig mit unserem Gehirn identifizieren«.136 Auch fügt er hinzu, dass die Ergebnisse der Hirnforschung die Kluft in der Hinsicht nicht überspringen könnten, dass sie auch unsere Praxis der Zuschreibung von Verantwortung nicht grundsätzlich ändern könnten.137 Die Frage nach der Bedeutung der subjektiven bzw. intersubjektiven Perspektive samt ihrer praktischen Konsequenzen taucht daher auch in Singers eigener Konzeption wieder auf. 1.3.2 Konzepte der Handlungs- und Volitionspsychologie Nicht nur Hirnforscher im engeren Sinne, die sich mit den neuronalen Vorgängen des Gehirns im Einzelnen auseinandersetzen, sondern auch Vertreter der experimentellen Psychologie (die Grenze ist bisweilen schwimmend), äußern sich zum hier verhandelten Thema der Willensfreiheit. Ihnen gemeinsam ist, dass sie sich »mit Argumenten der Empirie«138 an ein traditionell in philosophischem oder theologischem Kontext bearbeitetes Thema wagen, was sich vor allem darin audrückt, dass sie Ergebnisse von Experimenten zur Argumentation heranziehen.139 Psychologische Forschung konzentriert sich dabei im Allgemeinen nicht auf die Funktion einzelner Hirnareale oder bestimmter Neu136 Singer, Anmerkungen, 24. 137 Singer, Verschaltungen, 64. 138 Markowitsch, Warum wir keinen freien Willen haben, 164. Vgl. auch Goschke, Der bedingte Wille, 116. 139 Ergebnisse einzelner empirischer Studien werde ich hier im Einzelnen dennoch nicht anführen. Es geht vielmehr um die Struktur des Freiheitsbegriffs, der sich aus den Untersuchungen ableiten lässt.

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ronenpopulationen, sondern auf psychologische Funktionen, die sich in psychologischer Begrifflichkeit erfassen lassen. Der Gegenstand ist dabei nicht das Gehirn, sondern der gesamte Mensch. Es seien exemplarisch zwei Deutungsmuster bezüglich der Auffassung menschlicher (Un-)Freiheit referiert, die typische, im Folgenden wiederkehrende Argumente repräsentieren. 1.3.2.1 Freiheit als Illusion 1. Evolutionärer Determinismus. Ein breiter und besonders öffentlichkeitswirksamer Strang dieser psychologischen Argumentationen ist dabei durch die Annahme gekennzeichnet, dass Freiheit, insbesondere Willensfreiheit140, als Illusion141 zu bezeichnen und somit als ein Konzept zu verstehen sei, das nicht der empirisch ermittelten Realität entspricht. Demnach wäre zu sagen, d ass Willensfreiheit als eine subjektive, unter Umständen nützliche Vorstellung, oder auch als »Produkt kollektiver Konstruktion«142 anzusehen ist, aber aus objektiver, will sagen empirisch-psychologischer Perspektive nicht verifiziert werden kann. Unsere Selbstwahrnehmung als freie Akteure stimme hier nicht mit der Realität überein. Welche grundlegenden Argumente und Vorstellungen stecken hinter dieser Annahme?143 Ein zentraler Aspekt der Argumentationen besteht darin, deutlich zu machen, dass wir als Menschen in Entscheidungssituationen stets das Produkt einer bestimmten Entwicklung sind und sich demnach unser momentaner Zustand als Person auf unsere genetische Disposition und die im Laufe der Entwicklung gemachten Erfahrungen zurückführen lässt (»Gene und Meme«). Die Vorstellung, wir könnten frei und unbeeinflusst entscheiden, wäre zu verabschieden. Dagegen ist allerdings bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass ein Freiheitsbegriff, der die völlige Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen wie auch von der eigenen, prägenden Vergangenheit postuliert, nicht diskussionswürdig 140 Zu einer ersten begrifflichen Differenzierung zwischen Willens- und Handlungsfreiheit, sowie allgemein zu semantischen Aspekten des Freiheitsbegriffs siehe den Punkt 1.4 S. 63. 141 So pointiert Wegner, Illusion of conscious will. 142 Prinz, Kritik des freien Willens, 198. 143 Ich verzichte an dieser Stelle darauf, die einzelnen Argumente zu diskutieren, da die wichtigsten Begründungszusammenhänge auch bei Gerhard Roth begegnen und daher unten in der Auseinandersetzung mit diesem Autor kritisch beleuchtet werden sollen.

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ist. Die relevante Frage dürfte sein, welche Qualität die wirksamen Prägungen besitzen und ob bzw. wie eine Person sich aktiv zu den ihr vorgegebenen Prägungen verhalten kann. Ein solcher Freiheitsbegriff im Gegenüber zur Annahme der Determination wird allerdings häufig als Gegenkonzept und als (vermeintliche) Vorstellung der Alltagspsychologie formuliert.144 Allein die Prägung aus der Vergangenheit allerdings ist hier noch kein hinreichendes Argument für die Annahme von Unfreiheit. Hinzu kommt daher in den meisten Zusammenhängen die These von der deterministischen Verfasstheit dieser Prägungen.145 Damit ist gesagt, dass sich genetische Prägungen und Einflüsse aus der Umwelt eines Menschen derart auswirken, dass Handlungen und Entscheidungen einer Person jeweils alternativlos festgelegt sind. Von Freiheit könne daher nicht die Rede sein, denn dafür müssten wir ja von der Annahme offener, alternativer Möglichkeiten ausgehen. Freiheit und Determinismus werden in dieser Logik in einem sich ausschließenden Gegensatz verstanden.146

144 Sie klingt etwa an, wenn Hans Markowitsch gegen die Vorstellung argumentiert, »dass eine Person einen freien Willen […] im Sinne geistiger Unbedingtheit« (freier Wille, 167, Formatierung BB) besitzt. Auch bei Wolfgang Prinz lässt sich eine solche Annahme lokalisieren, wenn davon die Rede ist, dass die Idee der Willensfreiheit mit der Vorstellung von einem »autonom gedachten Subjekt […] – einem unbewegten Beweger« (ders., Kritik des freien Willens, 201) verbunden ist. Unbewegt müsste in dieser Logik völlig unbeeinflusst bedeuten. Sie dürfte weithin aus der radikalen Gegenüberstellung von Freiheit und Determinismus zu erklären sein. 145 Vgl. etwa Hans Markowitsch: »Mein gegenwärtiger Wille ist vollkommen bestimmt durch meine bisherigen Erfahrungen, einschließlich derer, die die Materie meines Körpers ausmachen.« (Warum wir keinen freien Willen haben, 164. Formatierung BB; vgl. auch den Abschnitt »Determiniertes Gehirn – determiniertes Verhalten«, a. a. o., 166 f). In ähnlicher Weise spricht Frank Rösler von unserem Gehirn als einem »System, das nach unserem momentanen Kenntnisstand deterministisch ist und den Gesetzen der klassischen Physik gehorcht.« (ders., Entscheidungsfindung in Nervensystemen, 29). Auch Wolfgang Prinz negiert die Idee der Willensfreiheit unter anderem deshalb, weil sie mit der Idee »der geschlossenen Kausalität und des durchgehenden Determinismus« (ders., Kritik des freien Willens, 200) kollidiert. Daniel Wegner kann die Beeinflussung durch vergangene Erfahrungen etc. ebenfalls nur deterministisch denken: »If we put in an module [in das menschliche Gehirn, Anm. BB] that creates actions out of any sort of past experience or memories […], we don’t get freedom – we get determinism.« (ders., Illusion of conscious will, 322). 146 Vgl. den gerne zitierten Satz von Wolfgang Prinz: »Für mich ist unverständlich, daß jemand, der empirische Wissenschaft betreibt, glauben kann, daß freies, also nichtderminiertes Handeln denkbar ist.« (ders., Der Mensch ist nicht frei, 22).

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Ohne die Argumente hier eingehend zu diskutieren, können an diese Annahme folgende Anfragen gestellt werden. Grundlegend wäre zu erörtern, ob es tatsächlich als erwiesen gelten kann, dass unser Gehirn auch im Austausch mit seiner Umwelt (!) deterministisch arbeitet. Die Determinismus-These als solche kann also hinterfragt werden. Zum Zweiten gilt es zu prüfen, ob es nicht Arten der Determination gibt, bei denen durchaus von Freiheit zu reden ist, die u. u. Freiheit nicht verhindern, sondern allererst ermöglichen. Diese Annahme ist eine Domäne des philosophischen Kompatibilismus und wird unten noch weiter verfolgt. Insgesamt fällt auf, dass zwar in fast allen Argumentationen eine umfassende Konzeption von Determinismus vorausgesetzt, diese aber kaum erläutert oder diskutiert, geschweige denn problematisiert wird. Darauf wird, vor allem im philosophischen Teil, noch ausführlicher einzugehen sein. 2. Konstruierte Kausalität. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die unter anderem von Daniel Wegner in besonders pointierter Weise geäußerte Annahme, die Wirksamkeit unseres bewussten Willens sei eine Illusion.147 An dieser Stelle steht nun nicht mehr primär die Freiheit des Willens, also die Möglichkeit, den Willen in verschiedene Richtungen zu orientieren, in Frage, sondern die kausale Wirksamkeit des Willens. Kann ein Willensakt, ein Gedanke oder ein Plan, den wir bewusst fassen, tatsächlich Ursache einer Handlung sein? Wegner zufolge sei dies nicht möglich, da Kausalität im Sinne David Humes148 stets als die Interpretation der Erfahrung einer konstanten Verbindung zwischen zwei Variablen sei, im Falle des Willens also der Verbindung zwischen dem Bewusstsein des Willens und einer ausgeführten Handlung.149 Lässt sich hier eine sinnvolle Verbindung150 herstellen, so interpretieren wir uns bzw. unseren Willensakt als Ursache der Handlung.151 Damit aber, so Wegner, hätten wir nicht die tatsächliche, also die wirksame Vgl. Wegner, The Illusion of conscious will. Vgl. Hume, Treatise, book 1, pt. 3, sect. 14, 105-116. Vgl. Wegner, a. a. o., 13 f. Die Kriterien für die Korrelation lauten nach Wegner: Priorität, Konsistenz, Exklusivität (vgl. a. a. o., 68-95). Wir schreiben Kausalität demnach dann zu, wenn die potentielle Ursache in einem begrenzten Zeitfenster vor der Wirkung liegt (Priorität), wenn Ursache und Wirkung sachlich zueinander passen bzw. der Willensakt als Ursache sich in die übrigen Gedanken einer Person einfügt (Konsistenz), und wenn die vermeintliche Ursache nicht in einem Meer möglicher anderer Ursachen untergeht, sondern eine entscheidende und wahrnehmbare Rolle zu spielen scheint (Exklusivität). 151 »The experience of conscious will feels like being a causal agent.« (a. a. o., 21). 147 148 149 150

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Kausalverbindung erfasst. Vielmehr interpretierten wir Abfolgen von Ereignissen in einem bestimmten, unserem Selbstverständnis angemessenen Sinne. Dabei unterstellten wir eine Form psychologischer oder mentaler Kausalität, die sich von der mechanisch ablaufenden Kausalität der physischen Dinge prinzipiell unterscheide. Diese Annahme ist einsichtig, da die Zuschreibung von UrsacheWirkungs-Verhältnissen bei einem zu Boden fallenden Gegenstand anders aussieht als bei einer denkenden und planenden Person, die offensichtlich aufgrund ihrer eigenen Überlegungen eine bestimmte Handlung ausführt. Diese Form der Kausalität beurteilt Wegner nun allerdings als illusionär, denn in Wahrheit liege unseren Entscheidungen und Handlungen ein viel komplexeres Geflecht von Ursachen zu Grunde.152 Dieses vielschichtige Konglomerat allerdings seien wir nicht in der Lage wahrzunehmen, und konstruierten daher den simplen Zusammenhang von Intention bzw. Wille und daraus folgender Handlung. Die bewusst wahrgenommene, willentliche Kausalität entspricht demnach jedenfalls in ihrer einfachen Form nicht den Fakten. 3. Epistemische und anthropologische Kritik. Es kann erwogen werden, ob Wegner mit seiner Unterscheidung von phänomenalem und empirischem Willen153, ähnlich der Gegenüberstellung von Ich und Gehirn bei Singer, nicht eine falsche Alternative eröffnet, nämlich die von bewussten Intentionen und unbewussten Kausalitäten, von Gründen und Ursachen. Wie Wegner selbst andeutet, kann ja auch der bewusste Wille als Teil eines Geflechts verstanden werden, in dem er sicher nicht die einzige, aber vielleicht doch eine wichtige, auch kausal verstehbare Rolle spielt.154 Die Bedeutung des Unbewussten, das ja seit Freud eine zentrale Rolle in der Psychologie spielt, wird hier einseitig gegenüber der Funktion des bewussten Ich stark gemacht. Eine »Ichwerdung« der unbewussten Vorgänge im Sinne Freuds, also eine Integration in den

152 »The real causal sequence underlaying human behavior involves a massive complicated set of mechanisms. […] Each of our actions is really the culmination of an intricate set of physical and mental processes, including psychological mechanisms that correspond to the traditional concept of will, in that they involve linkages between our thoughts and our actions. This is the empirical will.« (Wegner, Illusion, 27). 153 Vgl. a. a. o., 14 und passim. 154 Vgl. etwa folgende Aussage: »We gather evidence from multiple sources about the causation of the person’s act. The person’s experience of conscious will is only one of these sources, not the definite one.« (a. a. o., 336).

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personalen, bewussten Lebensvollzug und damit die Ermöglichung neuer Freiheitsgrade, scheint hier nicht im Blick zu sein.155 Auf eine zentrale Fragestellung, nicht nur für die kritische Beurteilung von Wegners Ansatz, sondern insgesamt für die gesamte Debatte, stoßen wir, wenn wir noch einmal nach dem vorausgesetzten Verständnis von Kausalität fragen. Nach Wegner ist Kausalität ein Attribut, das wir einer bestimmten Ereignisfolge zuschreiben. Nun unterscheidet er an zentraler Stelle zwischen der illusorischen Annahme einer Kausalität unseres bewussten Willens und der tatsächlichen Kausalität »physischer und mentaler Prozesse«156. Wie allerdings, so muss gefragt werden, kann epistemisch zwischen einer illusorischen Annahme von Kausalität und einer zwar unbekannten, aber tatsächlichen Kausalität unterschieden werden, wenn Wegner zufolge angenommen werden soll, dass jedes Kausalitätsverhältnis auf einer menschlichen Interpretationsleistung beruht?157 Die kritische Anfrage kann präzisiert und verdeutlicht werden, wenn wir einen Blick auf die mit der Unterscheidung von empirischem und phänomenalem bzw. illusionärem Willen gegebenen anthropologischen Konsequenzen werfen. Wegner führt Studien158 an, die durchaus belegen, dass wir uns unter gegebenen Umständen über unsere Handlungsurheberschaft täuschen können, wenn wir durch andere manipuliert werden; abgesehen davon, dass von der Manipulationsfähigkeit noch nicht auf den Regelfall geschlossen werden kann, ist dies aber noch nicht das relevante Problem. Denn die entscheidende Frage ist, ob neuronale Mechanismen bzw. unbewusste Prozesse in die Alter-

155 Vgl. insgesamt Vierkant, Herausforderung, bes. 81-85, zur Bedeutung des Unbewussten in der Handlungssteuerung; er betont (sicher zurecht) die immer deutlicher werdende große Rolle unbewusster Prozesse, die einer Illusion von der stets unmittelbar bewussten Steuerung menschlicher Handlungen entgegen steht. Allerdings misst der Autor dem Bewussten durchaus eine Funktion zu (hier als eine Art »Repräsentant« des ganzen Systems), die Verhältnisbestimmung zu den unbewussten Prozessen ist aber auch hier nicht letztlich geklärt. 156 Siehe FN 152. 157 Ähnlich argumentiert auch Thomas Goschke, Der bedingte Wille, 143 f, der den scheinbar zwingenden Schluss vom interpretativen Charakter der Kausalität und der Möglichkeit, das Gefühls der Eigenursächlichkeit auch experimentell hervorzurufen, auf das Attribut »illusionär« nicht nachvollziehen möchte. 158 Etwa die »I Spy Study« (Wegner, Illusion, 74-78), bei der eine Person der Illusion unterlag, selbst einen Cursor auf dem Computerbildschirm zu steuern, währenddessen faktisch eine andere Person die Bewegungen ausführte.

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native zur Handlungsurheberschaft der Person gebracht werden können? Wegner spricht in diesem Zusammenhang von »virtual agents«159, also von einem Handlungssubjekt, das als Konstrukt unseres Geistes existiert und mit Hilfe dessen wir uns eine Handlung zuschreiben. Dieses virtuell konstruierte Agens sei somit das gedankliche Mittel für die Einordnung einer Handlung als eine Handlung unserer selbst.160 Dem stehen die empirisch ermittelten, vermeintlich tatsächlichen Ursachen gegenüber, die sich als neuronale Prozesse im Gehirn erklären lassen. In ähnlicher Weise spricht Wolfgang Prinz vom menschlichen Selbst als einer sozial konstruierten Entität, welche die »Funktion des Autors von Handlungsentscheidungen«161 übernimmt, aber tatsächlich mit den Entscheidungen nichts zu tun hat. Diese fallen nämlich laut Prinz nicht auf Initiative des Selbst, sondern sind das Resultat von »subpersonalen Produktionsprozessen«162. In diesem Sinne kann Prinz dann auch konstatieren: »Entscheidungen kommen zu Stande, ohne dass da jemand wäre, der sie trifft.«163 Von einem Ich oder einem Selbst als faktischem Handlungsträger kann hier konsequenterweise nicht mehr gesprochen werden. Es muss in dieser Logik festgestellt werden, »dass unser Gehirn [...] alleiniges Agens unseres Handelns darstellt«164. Diese Art von Dualismus war in ähnlicher Weise auch bei Wolf Singer festzustellen.165 Es bleibt die Frage, ob diese anthropologische Ontologie für die Bearbeitung des Freiheitsproblems sachdienlich ist. 159 Vgl. Kap. 7 »Virtual Agency« (a. a. o., 221-270, insbesondere 269 f). 160 Diese Theorie entspricht dem Konzept Thomas Metzingers, dem zufolge das Selbst als konstruiertes Selbstmodell, nicht aber als echte Entität, und damit auch nicht als Handlungsträger zu verstehen ist (vgl. ders., Subjekt und Selbstmodell, sowie ders., Being no one); ähnlich auch Franz, Neurobiologische Grundlagen, 58: »So erscheint der freie Wille als eine selbstwertstabilisierende und sozial funktionierende Illusion des Individuums, als eine Post-hoc-Konstruktion, die nach einer bereits gefällten Entscheidung generiert wird, die aber nicht der wirkliche Urheber der vollzogenen Handlung ist.« 161 Prinz, Kritik, 203. 162 A. a. o., 202. 163 Ebda. 164 Markowitsch, Warum wir keinen freien Willen haben, 164. 165 Dass der Dualismus dabei spezifisch als Konkurrenz verstanden werden kann, zeigt sich etwa bei Prinz, der argumentiert, dass mit dem »Freiheitsjargon [...] eine Praxis des Erklärungsverzichts« (ders., Kritik, 199) etabliert sei. Entweder sei von Freiheit auszugehen, dann aber sei die Erklärung einer Handlung durch Ursachen oder Gründe an einer Stelle abzubrechen, oder aber Handlungen seien Personen nicht zuzuschreiben. Diese Logik mutet äußerst paradox an, wird doch normalerweise gera-

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4. Hat die Illusion einen Sinn? Es sei konzediert, dass die in dem eben referierten Gedankengang zitierten Autoren trotz der Charakterisierung des bewussten Willens als Illusion der Tatsache, dass wir über Selbstbewusstsein verfügen, in praktischer Hinsicht (!) einen gewissen Nutzen abgewinnen. Daniel Wegner vergleicht den bewussten Willen mit einem Kompass, der zwar das Schiff nicht unmittelbar steuert, der uns aber über die eigene Handlungsurheberschaft informiert und uns damit ein Selbstverständnis als handelnde Akteure erschließt:166 Es ergibt sich die Möglichkeit, das eigene Handeln besser einzuschätzen und künftiges Handeln vorherzusehen. Damit deutet er auch ein Verständnis von Freiheit an, das nicht auf den Gegensatz zum Determinismus fußt, sondern aus einer völlig distinkten Perspektive gewonnen wird: »free will is a feeling, whereas determinism is a process.«167 Bewusster Wille, der als frei erfahren wird, gehört in dieser Perspektive schlicht zum (gesunden) Menschsein dazu und hat somit den Charakter einer »positiven Illusion«168. Auch ermöglicht er die Zuschreibung von Verantwortung für Handlungen, was etwa bei einem unbewusst, aber ebenso deterministisch arbeitenden Roboter nicht der Fall wäre. So ist die Erfahrung des bewussten Willens im Sinne Wegners zwar als Illusion, aber im Sinne der Humanität als äußerst nützliche Annahme zu beschreiben. In ähnlicher Weise kann auch Wolfgang Prinz subjektiven Prozessen die Wirkung einer »Elaboration von Entscheidungsprozeduren«169 zumessen. Diese Verfeinerung habe grundlegende Bedeutung für das Funktionieren sozialer Systeme. Weil subjektiv wahrgenommene Phänomene in diesem Sinne ihre Funktion haben, kann auch davon gesprochen werden, dass der Mensch »praktisch [!] doch einen freien Willen«170 hat. Matthias Franz stellt angesichts solcher Diagnosen die paradox anmutende Frage: »Warum sollten wir ihm [dem Gehirn, Anm. B. B. ] nicht etwas Vertrauen schenken, auch wenn es uns zuweilen [hinsichtlich der Existenz des freien Willens, Anm. B. B. ] etwas

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de durch den Bezug auf Gründe intendiert, die Zuschreibung einer Hanlung plausibel zu machen. Der bewusste Wille wird verstanden als »a feeling that organizes and informs our understanding of our own agency.« (Wegner, a. a. o., 318). A. a. o., 322. A. a. o., 332. A. a. o., 205. Ebda.

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vorflunkert?«171 Die subjektive Illusion des freien Willens scheint in praktischer Hinsicht nicht bedeutungslos zu sein. Sie erfüllt für das Selbstverständnis des Menschseins eine ganz bestimmte Funktion. Es stellt sich die Frage, ob die Rede von einer Illusion angesichts dieser Tatsache noch sinnvoll ist. 1.3.2.2 Freiheit als Selbstbestimmung 1. Selbstdetermination. Dem gerade dargestellten Strang der Argumentation steht eine Gruppe von Psychologen gegenüber, die das Problem ebenfalls empirisch bearbeiten, dabei aber zu anderen Ergebnissen gelangen. Dabei kann entweder versucht werden, die mit dem Begriff der Willensfreiheit verbundenen Intuitionen »so weit abzuschwächen, dass sie vereinbar mit der Annahme der kausalen Determiniertheit des Verhaltens sind«172, oder den Determinismus in seiner universalen bzw. ontologischen Formulierung methodisch und sachlich zu hinterfragen. Anerkannt wird hierbei grundsätzlich auch, dass der Mensch, insbesondere sein Wille keine Größe im luftleeren Raum darstellen kann, sondern geprägt und beeinflusst ist durch eine Reihe von nicht zu hintergehenden Faktoren. Freiheit wird also nicht verstanden als die Freiheit eines unabhängigen Geistes oder eines unbewegten Bewegers, der jeglichen Bedingungen, die außerhalb seiner selbst liegen, enthoben wäre. Es wird versucht, einen Freiheitsbegriff zu entwickeln, der sich innerhalb eines natürlichen Verständnisses des Menschen explizieren lässt, d. h. also auf Basis genetischer Vorgaben und kultureller Prägungen, die sich durchaus auch im unter- oder vorbewussten Bereich menschlicher Existenz manifestieren.173 Einige der Psychologen, die sich positiv zum Thema Freiheit äußern, setzen dabei nichtsdestotrotz ein naturalistisches und determinis171 Franz, Neurobiologische Grundlagen, 62. Die Frage zeigt deutlich die Aporetik der Illusionsthesen. Einerseits wird die Freiheit des bewussten Willens geleugnet, andererseits die praktische Bedeutung der Freiheit fördernden Arbeit des Gehirns anerkannt. Wenn nun dem Gehirn Vertrauen geschenkt werden soll, so müsste man unweigerlich weiterfragen: Wer soll oder kann hier vertrauen? Auch der Psychiater bzw. Neurobiologe muss ein (freies) Subjekt bzw. die Bedeutung der Binnenperspektive (die Frage ist in der 1. Person Plural gestellt!) unterstellen, das sich wieder auf sich selbst bezieht. Über den epistemischen Status dieses Subjekts wird nun leider in naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen zumeist nicht aufgeklärt. 172 Goschke, Vom freien Willen, 194. 173 So spricht Goschke explizit vom »bedingte[n] Wille[n]« (Goschke 2006).

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tisches Weltbild voraus.174 Dies bedeutet insbesondere, dass von der kausalen Geschlossenheit der empirisch zu erforschenden Welt ausgegangen wird. Freiheit wird dann im kompatibilistischen Sinne als mit dem deterministischen Weltbild vereinbar verstanden. Dabei wird häufig an der These festgehalten, dass die Voraussetzung des Determinismus notwendig sei für jede empirische, auch psychologische Forschung. Es wird unterstellt, dass nur bei einem deterministischen Weltund Menschenbild die Suche nach Kausalursachen, und damit empirische Wissenschaft wie die Psychologie überhaupt sinnvoll sein kann.175 Unterstellt ist dabei allerdings eine noch kritisch zu prüfende Verbindung von Determinismus und Kausalitätsprinzip, die nicht selbstverständlich ist. Demnach müsste jede Bedingtheit als deterministische Prägung aufgefasst werden und das Gegenteil zu Bedingtheit dann in blanker Zufälligkeit gesehen werden.176 Jedenfalls geht es nun nicht mehr darum, an bestimmten Stellen Oasen der Indetermination zu finden, sondern die Art und Weise der Determination bzw. die Herkunft der determinierenden Faktoren zu untersuchen. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Kriterien zur Beurteilung der Qualität einer Determination. Für Thomas Goschke unterscheidet sich die Art und Weise, wie menschliches Handeln determiniert ist, elementar von physikalischer Determination, und insbesondere auch von einer Art Instinktdetermination, innerhalb derer auf bestimmte Reize unmittelbar eindeutig festgelegte Reaktionen

174 So etwa Goschke, Vom freien Willen, 195. Auch Kuhl setzt ein »materialistischdeterministische[s] Naturbild« (ders., Wille und Freiheitserleben, 744 f) voraus, konzediert aber, »daß es durchaus sein kann, daß unser deterministisches Weltbild einer gründlichen Revision bedarf« (a. a. o., 745). Man könnte diese Position, da die Geltung des Determinismus nicht definitiv beurteilt wird, als agnostischen Kompatibilismus (vgl. Keil, Willensfreiheit, 50) bezeichnen. Beide Forscher halten die Rede von Freiheit dennoch nicht für illusionär. 175 »Aus der Sicht der empirischen Psychologie ist allerdings der entscheidende Punkt, dass ein kompatibilistisch verstandener Begriff von Willensfreiheit der Einzige ist, der überhaupt Gegenstand der Forschung sein kann. Wären wir im libertarischen Sinn frei, wäre es völlig unsinnig, [...] nach den vermeintlichen Determinanten eines Verhaltens zu suchen.« (Goschke, Vom freien Willen, 188). 176 Dass die Gegenüberstellung in einem empirischen Forschungsprogramm als methodisches Prinzip zunächst sinnvoll ist, kann nicht bestritten werden (vgl. FN 175). Damit kann aber noch nicht ausgeschlossen werden, dass Freiheit nicht möglicherweise eine Größe darstellen könnte, die in der empirisch zu beobachtenden Welt gar nicht als Gegenstand festzustellen ist.

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folgten.177 Es sei bei menschlichem Handeln von »Selbstdetermination«178, nämlich von der Determination durch die eigenen »Wünsche, Ziele und Absichten«179 zu sprechen. Die Selbstdetermination sei dadurch ausgezeichnet, dass sie ein selbstreflexives Moment enthält. Denn ein Mensch sei nicht an unmittelbare Reizsituationen gebunden, sondern könne sich aufgrund von Lernerfahrungen flexibel zu einem bestimmten Reiz verhalten. Entscheidend sei dabei die menschliche Fähigkeit, Intentionen zu bilden und sowohl Effekte, als auch künftige Bedürfnisse zu antizipieren. Orientiere sich menschliches Handeln aufgrund von »Selbstreflexion« und »Selbstkontrolle«180 an diesen Antizipationen, so sei es zwar determiniert, aber eben selbstdeterminiert und es könne von einem »immensen Zuwachs an Flexibilität und Freiheitsgraden«181 ausgegangen werden. Dies bedeutet nach Goschke nicht, dass unsere bewussten Intentionen jede einzelne Handlung wie einen Billardball anstoßen müssten, vielmehr fungierten sie als modulierende »innere Randbedingungen«182. Die Argumentation macht deutlich, dass durchaus auch im Rahmen deterministischer Zusammenhänge unterschiedliche Phänomene von Freiheit erkennbar und in differenzierter Weise beschreibbar sind. In ähnlicher Weise hat auch Julius Kuhl einen psychologischen Freiheitsbegriff formuliert, der ebenfalls eng an ein mit psychologischen Methoden erforschbares, funktionstüchtiges volitionales System gebunden ist. Dabei wird die Fragestellung von Kuhl insofern pointiert, als er zwischen »subjektive[r] und objektive[r] Freiheit«183 unterscheidet. Von subjektiver Freiheit ist nach Kuhl dann die Rede, wenn wir unser Handeln als frei erleben, was sich normalerweise dann einstellt, 177 Dies wäre das Forschungsparadigma des Behaviorismus, der gewissermaßen an der Verhaltensoberfläche von Menschen die Mechanismen von Reiz und Reaktion untersucht, aber nicht auf die inneren Bedingungen rekurriert. 178 Goschke, Vom freien Willen zur Selbstdetermination. 179 A. a. o., 187. 180 A. a. o., 190. 181 Goschke, Der bedingte Wille, 116. Nach Goschke gehört es zu den (sicherlich zustimmungsfähigen) Konsequenzen eines psychologisch ermittelten, kompatibilistischen Freiheitsbegriffs, dass nicht absolut über Freiheit oder Unfreiheit entschieden werden kann, sondern Freiheit als ein graduell abzustufender Begriff zu verstehen ist. Ähnlich auch Brücher/Gonther, Psychotherapie zwischen Neurobiologie und Willensfreiheit, 172; Walter, Kompatibilismus und Verantwortlichkeit, 214 (hier allerdings nicht in Bezug auf Freiheit, sondern Verantwortlichkeit). 182 Goschke, Vom freien Willen, 192. 183 Kuhl, Wille und Freiheitserleben, 743.

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wenn sich eine »Kongruenz zwischen der Antizipation einer Handlung und der Rückmeldung über ihre Ausführung«184 ergibt. Entsprechend kann das Erleben von Freiheit auch gestört sein, wenn sich die erwartete Kongruenz nicht einstellt. Dem Erleben subjektiver Freiheit wird nun allerdings die objektive Freiheit, die Kuhl als Indeterminismus verstanden wissen will, gegenüber gestellt. Im Erleben subjektiver Freiheit komme es nach Kuhl häufig zu der Täuschung objektiv frei, also kausal nicht vollständig determiniert zu sein. Objektive Freiheit könnte demnach nur als inkompatibilistische Freiheit verstanden werden, die sich aus Lücken im strikten Determinismus ergibt. Da diese Freiheit nach Kuhls Meinung eine Täuschung darstellt, müssen wir nach dem Realitätsgehalt der subjektiven Freiheit fragen. Ist die Rede von erlebter Freiheit überhaupt sinnvoll, wenn wir objektiv gar nicht frei sind? Zugespitzt zeigt sich das Problem anhand der Frage, für welche Handlungen wir einem Menschen Verantwortung zuschreiben. Kuhl bindet die Verantwortlichkeit für Handlungen an die Funktionstüchtigkeit des volitionalen Systems, was verminderte Schuldfähigkeit nicht nur bei den im Gesetz vorgesehen besonders starken Beeinträchtigungen zur Folge hätte.185 In diesem Sinne wäre die von Kuhl gezeichnete subjektive Freiheit durchaus als real, und nicht wie etwa bei Wegner als illusorisch einzustufen. Effektive volitionale Selbststeuerung impliziert insofern Freiheit, als die Zuschreibung von Verantwortung an handelnde Subjekte weiterhin möglich ist und die Ablehnung von Freiheit an ein (zu) starkes Verständnis gebunden ist. Positiv zu bewerten ist, dass die referierten Positionen auf die oben als Problem identifizierte Alternative von Selbst186 und Gehirn verzichten. Hier könnte sich möglicherweise ein grundlegender Unterschied vieler psychologischer Positionen zu neurowissenschaftlichen Konzepten im engeren Sinn manifestieren.187 Freiheit lässt sich auf der Ebene der Beschreibung von Phänomenen menschlichen Verhaltens identifizieren. Problematisch erscheint allerdings auf den ersten Blick, dass der Determinismus nach wie vor wie ein drohendes Damoklesschwert über 184 A. a. o., 744. 185 A. a. o., 750 f. 186 Der Begriff »Selbst« ist auch wiederum präzisierungsbedürftig. In diesem Kontext gebrauche ich ihn zunächst als den Träger von Selbstbestimmung, im Gegenüber zur Determination durch das Gehirn. Die Begriffsklärung hat dann zu zeigen, inwiefern die Alternative überhaupt sinnvoll ist. 187 Siehe dazu etwa explizit auch Spitzer, Selbstbestimmen, 302.

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der Freiheitskonzeption schwebt. Zwar verdient es prima facie Zustimmung, bei Selbststeuerung auch dann, wenn das Selbst eines Menschen wiederum bedingt ist, von Freiheit zu sprechen. Auch ist es begrüßenswet, in den reflexiven und antizipativen Fähigkeiten eines Menschen einen Zuwachs an Freiheit zu erblicken. Ungeachtet dieser zwei Punkte ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten. Zum Einen ist es für diese Konzeptionen von entscheidender Bedeutung, eine klare Grenze zwischen Selbst- und Fremdbestimmung zu ziehen. Dies ist angesichts der komplexen Bedingungen, denen das Menschsein unterliegt, nicht einfach zu leisten und dürfte für die Argumentation daher eine nicht unerhebliche Schwierigkeit darstellen, die aber von einer sinnvollen Freiheitstheorie nicht umgangen werden kann. Das zweite Problem ergibt sich aus dem genannten Festhalten am Determinismus. Denn zu fragen ist durchaus, wie von Freiheit die Rede sein kann, wenn wir zwar selbstbestimmt handeln, dabei aber, weil unser Selbst aus deterministisch zu verstehenden kausalen Bedingungen resultiert, keineswegs im objektiven Sinne frei sind. Oder anders gefragt: Ist mit der Kennzeichnung von Freiheit als Selbstbestimmung nicht nur eine Problemverschiebung, nämlich von der Determination einzelner Handlungen auf die Determination des Selbst, erreicht? Oder besitzt die subjektive Freiheit einen solch unaufhebbaren Realitätsstatus, der auch aus der objektiven Perspektive nicht zu falsifizieren ist? Die Frage wäre zu bejahen, wenn das Freiheitserleben strukturanalog etwa zum Schmerzerleben zu beschreiben wäre, bei dem das Phänomen überhaupt nur aus der Binnenperspektive zugänglich ist. Mit dieser Frage beschäftigt sich ein weiterer psychologischer Ansatz, der hier kurz vorgestellt wird. 2. Irreduzibilität unterschiedlicher Perspektiven. Die Irreduzibilität der Binnenperspektive versucht Manfred Spitzer in einem spezifischen Argumentationsgang aufzuzeigen. Dabei ist intendiert, die Kompatibilität von Freiheit und Determinismus herauszustellen.188 Allerdings geht er dabei nicht den Weg, nur auf die subjektive Erfahrung der Freiheit zu rekurrieren, sondern versucht zu zeigen, dass die Struktur menschlicher Entscheidungen trotz deterministischer Erklärbarkeit stets

188 »Die Freiheit des Handelns für den handelnden Menschen und die Möglichkeit der Feststellung einer die Handlung vollständig determinierenden Kausalreihe widersprechen sich gerade nicht. Es handelt sich um unterschiedliche Betrachtungsweisen, deren Vermischung zu den falschen Fragen führt.« (Spitzer, Selbstbestimmen, 302).

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die Annahme von offenen Handlungsmöglichkeiten impliziert.189 In diesem Sinn vertritt Spitzer ein anspruchsvolleres Konzept von Freiheit als die bislang genannten Autoren. Dass Freiheit und Determinismus dabei kein Widerspruch sind, ergibt sich nach Spitzer aus den unterschiedlichen Perspektiven, die in Bezug auf das Problem eingenommen werden. Die Naturwissenschaft, die versucht, Phänomene kausal zu erklären, muss eine nach Gesetzen strukturierte Natur annehmen, um überhaupt forschen zu können. Insofern ist der Determinismus hier als heuristisch-methodisches Prinzip zu verstehen. Wenn wir Entscheidungen treffen, dann widerspricht es aber nach Spitzer der Eigenart von Entscheidungen, dass sie selbst bei umfassender Kenntnis (»Laplace’scher Dämon«) vorausgesagt werden können. Denn wäre dies der Fall, so könnten wir uns doch immer noch einmal zu dieser Voraussage verhalten und damit frei entscheiden. M.a.W.: Die Binnenperspektive von Handlungen lässt sich durch objektive Beschreibungen nicht hintergehen. Damit steht für Spitzer nicht im Widerspruch, dass wir die Entscheidung im Nachhinein möglicherweise auf eine deterministische Kausalkette zurückführen können.190 Freiheit wäre demnach nicht als subjektive Illusion zu bezeichnen, sondern sei genauso real wie etwa ein Schmerzempfinden, das ebenfalls nur subjektiv, aber gerade dadurch wirksam sein kann.191 Als Grundgedanke dieser Argumentation lässt sich festhalten, dass die Einsicht in die Bedingtheit des Menschen und seiner Handlungen, und sei sie deterministischer Natur, nicht die Rede von Freiheit ad absurdum führen kann. Es sei gerade der als frei zu bezeichnen, der

189 »Aus dem Begriff der Entscheidung folgt, dass es einen Widerspruch darstellt anzunehmen, jemand kenne seine Entscheidungen, bevor er sie trifft.« (Spitzer, Selbstbestimmen, 303); vgl. ganz ähnlich Fuchs, Was heißt sich entscheiden, 106 ff. 190 »Nehmen wir an, alle geistigen Leistungen schlagen sich in materiellen Veränderungen des Gehirns nieder, und nehmen wir an, die Funktionsweise des Gehirns sei vollkommen voraussagbar. Es gibt unter diesen Voraussetzungen in einer Entscheidungssituation zu keinem Zeitpunkt [...] eine Voraussage für die Handlung einer Person, die den Anspruch erheben kann, für diese Person unbedingt bindend zu sein. Es mag durchaus sein, dass eine Kausalkette im Nachhinein konstruiert werden kann, die die Entscheidung als vollständig bestimmt erweist. Die Konstruierbarkeit einer solchen Kausalkette belegt jedoch nicht, [...] dass es für ihn eine bindende Voraussage gab. Selbst dann, wenn man das zukünftige Verhalten einer Person nach Gesetzen aus der Hirnforschung ableiten könnte, müsste man dieser Person zugleich zugestehen, dass sie trotzdem, – aus ihrer Sicht – frei handelt.« (Spitzer, Selbstbestimmen, 300 f); ähnlich auch Kupke/Vogeley, Zeitlichkeit, 95. 191 Vgl. Spitzer, a. a. o., 302 f.

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nicht willkürlich, sondern in Übereinstimmung mit seinen Prägungen und Merkmalen handelt; in dieser Hinsicht stimmt Spitzer also mit den zuvor skizzierten Argumentationen überein. Die Pointe von Freiheit besteht nach Spitzer darüber hinaus gerade darin, seine Bedingtheit zu kennen und sich dazu verhalten zu können. Die Gehirnforschung kann damit nach Spitzers Einsicht nicht die Unfreiheit des Menschen beweisen, sondern fördert durch ihre Einsichten in die Bedingtheiten des Menschen dessen Freiheit.192 Neben der Struktur des Freiheitsbegriffs spielt hier vor allem auf das Verständnis von Determinismus eine große Rolle, das bei Spitzer an eine ganz bestimmte Auffassung von Zeit gebunden ist. Als determiniert können hier nur getroffene Entscheidungen bezeichnet werden, nicht aber solche, die noch zu treffen sind.193 Die Erklärungsmacht des Determinismus wird auf die Vergangenheit verlagert; die Struktur unserer Entscheidungen verändere sich entgegen anders lautender Argumentationen verschiedener Hirnforscher nicht durch die Voraussetzung eines deterministischen Weltbildes. Die angedeuteten Differenzierungen zwischen Erklärbarkeit und Offenheit der Entscheidung könnten möglicherweise einen philosophisch noch zu verifizierenden Ansatz eines kritischen Verständnisses von Determinismus darstellen. In ähnlicher Weise begründet auch die existentialistische Psychologie (v.a. Jaspers, Frankl) einen Begriff menschlicher Freiheit, indem sie diese auf einer anderen ontologischen Ebene als den natürlichen Kausalnexus verortet, dessen Geltung daher auch nicht in Frage gestellt werden muss. Freiheit könne in der Wissenschaft gar nicht vorkommen, weil sie ein existentielles Prädikat darstelle.194 Diese Form der Psychologie ist demnach nicht empiristisch zu nennen. Sie weist uns darauf hin – und mehr kann an dieser Stelle auch nicht erörtert werden – dass die Zentralstellung der Auseinandersetzung mit dem Determinismus möglicherweise nicht gerechtfertigt ist. Um Menschsein zu verstehen, müssten noch andere Dimensionen in den Blick genommen werden. Dabei kann von einigen Psychologen in Kritik der empiristischen Auffassung auch der Determinismus als solcher in Frage gestellt 192 A. a. o., 9 f; dieser Grundgedanke, dass menschliche Freiheit nur auf Basis von Bedingtheit und in Einsicht in diese Bedingtheit möglich ist, spielt auch theologisch eine zentrale Rolle (siehe unten III, 5.1). 193 Vgl. das naturphilosophische, an Karl Heim angelehnte Zeitverständnis bei Ulrich Beuttler, Gottesgewissheit, 344 ff; sowie ders., Die offenen Dimensionen. 194 Vgl. etwa Frankl, Logotherapie, 87; vgl. auch Bormuth, Mensch, 78 ff sowie Schüssler, Unfreiheit als Fiktion, 101 ff; Längle, Existenzanalyse, 145 ff.

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werden; sie gehen dann von einem quantenphysikalischen und somit probalistischen Paradigma aus, das Freiheit ermöglichen sollte.195 Nimmt man ein Verständnis von Freiheit als Selbstbestimmung an, so muss je nach Paradigma das darin implizierte Selbst entsprechend unterschiedlich bestimmt werden. In dem gerade skizzierten Zusammenhang kann es zumindest nicht rein empirisch als Konglomerat bestimmter Eigenschaften beschrieben werden, die dann wiederum eine Handlung determinieren, sondern eher als eine Art relationale, existentielle und in sich irreduzibel offene Struktur.196 Es kann zwar in seiner Faktizität als unhintergehbar, muss deshalb aber nicht gleichzeitig als determinierend gedacht sein.197 Insgesamt dürfte der kurze Durchgang durch verschiedene empirisch begründete Positionen zum Freiheitsproblem gezeigt haben, dass bei aller Tendenz, die Rede von Freiheit verabschieden oder mindestens als illusorisch erklären zu wollen, doch eine Reihe von bedenkenswerten Differenzierungen festzustellen ist. Die Frage nach der Freiheit des Menschen und seines Willens lässt sich offenbar nicht in der schlichten Alternative von Ja oder Nein beantworten.198 Bemerkenswert ist, dass verschiedene Forscher auf Grundlage empirischer Forschungen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Dieser Sachverhalt ist ein Hinweis darauf, dass sich die Stellung zum Freiheitsproblem in hohem Maße nicht nur aus empirischen Daten, sondern vor allem aus deren konstruktiver Interpretation im Rahmen einer jeweils spezifischen Theorie ergibt. Die Interpretation der Daten lebt immer schon von einer bestimmten Weltanschauung bzw. einem vorgängigen menschlichen Selbstverständnis. Die dargestellten Argumente sollten hier eine erste Orientierung bieten und auf noch eingehender zu behandelnde Probleme hinweisen.

195 Vgl. Reischies, Amplifikation stochastischer Effekte; sowie Görnitz/Görnitz, Protyposis. 196 Vgl. Kupke/Vogeley, Zeitlichkeit, 94-97. 197 Vgl. Schlimme, Das Wollen. 198 Einige Psychologen plädieren daher auch dafür Freiheit als ein graduelles Phänomen zu beschreiben, was ich für sehr sinnvoll erachte (vgl. FN 181, und unter III, 6.2.2, 442 ff).

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1.4 Vorläufige Systematisierung der Probleme Die bisherigen Überlegungen ergaben schon eine Reihe von Differenzierungen bzw. Problemstellungen. In den Experimenten zum Thema »Willensfreiheit« wurde ein einseitiger, philosophisch wie auch theologisch kaum zu verarbeitender Freiheitsbegriff unterstellt. In dieser Hinsicht sind sie, obgleich sie neu die Bedingtheit menschlichen Lebens durch unbewusste Prozesse herausstellen, wenig aussagekräftig. Dennoch verweisen sie auf zentrale Fragestellungen, die für die Anlage der Arbeit wichtig sind. Die Grundsatzfrage »Was ist Freiheit« spezifiziert sich hier insofern, als nach den entscheidenden Präzedenzfällen für das Thema gefragt wird. Kann von Freiheit oder Unfreiheit angesichts einer Laborsituation die Rede sein? Damit zusammen hängt die Fragestellung, wo bzw. wie der menschliche Wille in Entscheidungssituationen sichtbar wird. Dabei können zwei Begründungslinien benannt werden, die Freiheit möglicherweise untergraben bzw. ernsthafte Anfragen an einen herkömmlichen Freiheitsbegriff stellen: einerseits die Unterstellung eines geschlossenen, deterministisch arbeitenden Kausalzusammenhangs, der auch das menschliche Gehirn umgreift. Diese Annahme allerdings wurde bislang zwar aufgrund des empirischen Paradigmas angenommen, aber nicht selbst empirisch begründet und infolgedessen auch ihr epistemischer und ontologischer Status nicht geklärt. Andererseits ergab sich eine Grundkonstellation, die sich auf die Betonung des Unbewussten im Gegenüber zur bewussten, willentlichen Handlungssteuerung stützt. Dabei konnten die unbewussten Abläufe (zumeist, aber nicht zwingend im Rahmen eines deterministischen Weltbildes) so verstanden werden, dass sie die bewussten Prozesse als irrelevant oder mindestens nicht kausal wirksam entlarven. Dies führt auf die Grundfrage, in welcher Perspektive Freiheit bzw. Unfreiheit sich überhaupt begründen lassen. Ist die empirischnaturwissenschaftliche Herangehensweise hier zureichend, oder fallen die spezifisch subjektiven Merkmale menschlicher Freiheit gerade unter den Tisch? Welche freiheitstheoretische Bedeutung hat die Binnenperspektive des Handelnden? Lässt sie sich gewissermaßen »wegnaturalisieren«? Gegen den zuletzt genannten Gedanken hat sich auch innerhalb der empirischen Wissenschaften schon Widerstand geregt. Bereits bei den Experimenten war aufgefallen, dass sie die subjektive Binnenperspektive voraussetzen. Auch Wolf Singer maß ihr – trotz seiner letztlich naturalistischen Position – eine gewisse Bedeutung bei. Insbesondere in psychologischem Kontext, und d. h. in (gleichwohl empirischer) Wahr-

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nehmung des »ganzen Menschen« wird auf die Bedeutung der subjektiven Phänomene hingewiesen. Diese können innerhalb eines deterministischen Weltbildes expliziert werden, oder aber – wie bei Spitzer – den Determinismus in spezifischer Weise hinterfragen. Es zeigt sich bereits hier, dass der epistemische Status beider Perspektiven noch geklärt werden muss. Er ergibt sich nicht aus der empirischen Forschung als solcher, sondern ist das Ergebnis der Interpretation derselben. Mit der Frage der Perspektivik hängt auch zusammen, wie die Begriffe Freiheit, insbesondere aber auch die Termini »Gehirn« und »Selbst« (oder auch »Ich«) verwendet werden. In einigen Strängen der Argumentation wurden sie in eine unangemessene Alternativsituation gebracht, in anderen (kompatibilistischen) Varianten als vereinbar vorausgesetzt. Dabei blieb aber noch undeutlich, was präzise unter einem »Selbst« in freiheitstheoretisch relevanter Hinsicht verstanden werden kann. Dies ist ein im Verlauf der Arbeit immer wieder aufzugreifendes Zentralproblem der Debatte. Denn an der vorausgesetzten Bedeutung der Begriffe Gehirn und Ich bzw. Selbst und deren Beziehung hängt dann selbstverständlich auch der Bedeutungsgehalt des Begriffs »Freiheit«. Wie ich sie bislang verwendet habe, waren sie notwendig unpräzise, da sie noch nicht eigens aufgeklärt wurden. Da die Begriffe Ich und Selbst im Kontext der empirischen Fragestellung zumeist gleichsinnig verwendet werden, gebrauche ich sie in diesem Kontext auch ohne Differenzierung. Mit Hilfe der angedeuteten Fragen können aber schon – zur besseren Orientierung – die schon verschiedentlich angedeuteten, gängigen philosophischen Kategorien beschrieben werden, mit Hilfe derer das Freiheitsproblem bearbeitet wird. Dabei versteht man unter Kompatibilismus eine Freiheitstheorie, die Freiheit mit Formen von Determinismus für vereinbar hält. Die Kompatibilität kann entweder aufgrund einer spezifischen Freiheitsdefinition (bei Voraussetzung eines naturalistischen Weltbildes, so etwa Goschke etc.), oder aber aufgrund unterschiedlicher, aber kompatibler (epistemischer) Zugänge zum Freiheitsproblem hergestellt werden. Unter Inkompatibilismus ist dann das (etwa bei Libet vorausgesetzte) Gegenteil zu verstehen, nämlich die Annahme, dass Freiheit gerade nicht mit einem durchgängigen Determinismus zu verbinden sei. Entweder wird dabei dann für die Freiheit und gegen den Determinismus argumentiert (Libertarismus), oder aber Freiheit aufgrund der Annahme des Determinismus negiert. In der Diskussion des Ansatzes von Gerhard Roth geht es nun v. a. um die Frage der präzisen Verhältnisbestimmung der mit den Begriffen Gehirn, Selbst und Freiheit gemeinten Sachverhalte bzw. Entitäten.

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2. Der Ansatz von Gerhard Roth Roth äußert sich an verschiedenen Stellen seiner Veröffentlichungen implizit oder explizit zum Thema Willensfreiheit, zumeist in mehr oder weniger pauschaler Abgrenzung von der Möglichkeit eines sinnvollen Gebrauchs des Begriffs »Freiheit« in Bezug auf den Menschen.199 Dies macht eine präzise Bestimmung des von Roth verwendeten bzw. unterstellten Begriffs von Freiheit nicht gerade leicht, wird dieser doch in aller Regel als Negativfolie für neurobiologische Erkenntnisse oder infolge dessen auch für philosophische Thesen verwendet.200 Eine genaue Definition dessen, was unter dem abgelehnten Begriff von Freiheit verstanden wird, bietet Roth dabei nur selten. An einigen Stellen allerdings erfolgt eine ausdrückliche Abgrenzung von einem Begriff menschlicher Freiheit, der Roth dann als Gesprächspartner dient. Aus Gründen hermeneutischer Präzision soll die Rekonstruktion des Rothschen Freiheitsbegriffs (vielleicht ist eher von differierenden Freiheitsbegriffen im Plural zu sprechen) mit der Analyse dieser ausdrücklichen Explikation des abgelehnten Freiheitsbegriffs beginnen. Dabei wird einerseits zu prüfen sein, inwieweit Roth einen konsistenten Begriff von Freiheit voraussetzt, andererseits wird es darauf ankommen, diesen abgelehnten Freiheitsbegriff in seiner sachlichen und argumentativen Tragweite zu erfassen und kritisch zu reflektieren. In einem zweiten Schritt will ich versuchen, die Position Roths nicht nur von der negativen Seite her, also von dem abgelehnten Freiheitsbegriff, in den Blick zu nehmen, sondern auch den Ansatz als solchen kritisch zu würdigen, indem das in den Thesen Roths enthaltene Verständnis von (Un-)Freiheit in seinen verschiedenen Dimensionen

199 Eine Ausnahme bildet eine der jüngsten Veröffentlichungen, nämlich das gemeinsam mit Michael Pauen herausgegebene Buch »Freiheit Schuld Verantwortung«. Ich werde diese Publikation nur am Rande berücksichtigen, da die Lektüre zeigt, dass die hier vorkommenden Passagen zum Freiheitsproblem im Grunde identisch mit den sonstigen Ausführungen Michael Pauens sind. Ich werde mich daher aus methodischen Gründen hier zum größten Teil auf die von Roth alleine geschriebenen Bücher konzentrieren, deren Inhalt auch mit keiner Silbe zurückgenommen wird, und dann im philosophischen Teil die Frage nach der Kompatibilität mit einem entsprechenden (schwachen Begriff) von Freiheit herauszustellen suchen. 200 Vgl. explizit den Untertitel des Roth’schen Buches »Das Gehirn und seine Wirklichkeit«, der wie folgt lautet: »Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen« (Hervorhebung B. B. ).

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entfaltet wird.201 Insgesamt soll überprüft werden, inwieweit Roth dem eigenen Anspruch an »Plausibilität und interne Konsistenz«202 gerecht wird.

2.1 Das abgelehnte Verständnis von (Willens-) Freiheit An zentraler Stelle seines Buches »Das Gehirn und seine Wirklichkeit« bestimmt Gerhard Roth das Problem der Willensfreiheit folgendermaßen: »Bei der Willensfreiheit geht es nicht um die völlig willkürliche Entscheidung zwischen zwei gleichberechtigten Alternativen. Dies gilt auch für die meisten unserer Handlungen, bei denen gar kein ausdrücklicher Willensakt vorausging, die wir ‘so nebenbei’ tun. Wir müssen einen separaten Willensakt überhaupt nicht fordern, wie dies viele Philosophen tun, wenn wir von Willensfreiheit sprechen. Vielmehr geht es um das Gefühl, daß die Entscheidung letztlich aus mir selbst kommt und nicht von außen aufgezwungen wurde. Die Frage ist nun: Spiegelt dieses Gefühl eine tatsächliche Entscheidungsfreiheit wider, oder ist sie eine Illusion?«203

Indem Roth bei der Explikation des vorauszusetzenden Freiheitsbegriffs kollektiv von wir spricht, beruft er sich auf eine intuitive Füllung des Begriffs der Freiheit bzw. dessen Verständnis »nach herkömmlicher Meinung«204. Offenbar geht es ihm darum, den Begriff von Freiheit zu analysieren (und für ihn selbstverständlich nachher auch abzulehnen), den wir normalerweise gebrauchen, wenn wir den Terminus benutzen und unsere alltäglichen Erfahrungen beschreiben. Dafür spricht auch die Vokabel »Gefühl«, die auf eine intuitive, vertraute Kennzeichnung des Begriffs der Freiheit hindeutet. Es ist zu bedauern, dass Roth nicht 201 Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass sich Freiheit und Unfreiheit symmetrisch zueinander verhalten, dass man also Unfreiheit stets als das eindeutige Gegenteil von Freiheit beschreiben könnte, sodass Aspekte von Freiheit jeweils deutlich Aspekten von Unfreiheit gegenüber gestellt werden könnten. Nichtsdestotrotz erweckt die Konzeption Roths an manchen Stellen den Eindruck, Freiheit und Unfreiheit seien in einem solch symmetrischen Verhältnis beschreiben. Die hier gebotene Gegenüberstellung des von Roth verwendeten Begriffs von Freiheit mit den zum Ausdruck gebrachten Dimensionen von Unfreiheit versteht sich als Versuch, die Konzeption Roths in ihrem Bedeutungsumfang zu erfassen. Außerdem soll die begriffliche und sachliche Kohärenz der gesamten Konzeption befragt werden. 202 Roth, Gehirn Wirklichkeit, 363. 203 A. a. o., 304 (Hervorhebung B. B. ). 204 A. a. o., 303.

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erklärt, was er hier näherhin unter Gefühl versteht, legen sich doch in Verbindung mit diesem Stichwort verschiedene Assoziationen nahe. Gefühl kann auf eine spezifisch emotionale Füllung des erfassten Inhalts hindeuten, kann aber auch in anderem Sinn als »Bestimmtheit des [...] unmittelbaren Selbstbewusstseins«205 verstanden werden, will sagen als vorreflexiver und deutlich von aller Tätigkeit unterschiedener Status des Subjekts. Der Verweis auf einen von uns oftmals implizit vorausgesetzten Begriff von Freiheit deutet eher auf die zweite Option. Interessant wäre es allerdings doch, zu fragen, ob für Roth die Vokabel »Gefühl« auch emotionale Konnotationen enthält, da ja gerade die (nicht zu kontrollierenden) Emotionen nach Roth eine Dimension der Unfreiheit des Menschen darstellen. Was würde das für das Gefühl der Freiheit bedeuten? Ist gerade der Gefühlscharakter von Freiheit Teil seiner Illusion?206 2.1.1 Die Ablehnung eines starken Freiheitsbegriffs Geht man zur inhaltlichen Präzisierung des Freiheitsbegriffs über, so wird deutlich, dass Roth sich von einem Verständnis von Freiheit abgrenzt, das als Willkürfreiheit bezeichnet werden könnte. Damit gibt er einen Konsens der Debatte um Geist und Gehirn wieder.207 Das Hauptargument lautet in diesem Zusammenhang, dass ein solcher Maximalbegriff von Freiheit nicht mehr von blanker Zufälligkeit zu unterscheiden wäre. Völlig grundlos zu entscheiden – und nur das könnte hier willkürlich heißen208 – wäre gleichbedeutend damit, den Zufall Regie führen zu lassen. Nach Roth entspricht dabei auch ein 205 Schleiermacher, Glaubenslehre, §3 LS, 14. 206 Vgl. die oben kurz angerissenen psychologischen Konzepte, insbesondere den Ansatz von Wegner. In diesen Argumentationen zeigte sich, dass eine subjektive Perspektive, hier mit dem Stichwort »Gefühl« umrissen, erkenntnistheoretisch unterschiedlich eingestuft werden kann: als Illusion, die der Realität gegenübersteht oder aber auch als Realität in unhintergehbarer Weise (vgl. das Beispiel Schmerz). Ich habe mit der Einstufung der 1PP als irreduzibel einen ersten Ansatz zur Interpretation geliefert. 207 Man spricht auch von »absoluter Freiheit« bzw. von »Akteurskausalität«; zur näheren Erläuterung vgl. das philosophische Kapitel (siehe etwa die Grundannahmen bei Pauen, II, 3.4.1). 208 Grundsätzlich kann mit Willkür durchaus auch eine begründete Kür einer Alternative gemeint sein, in dem von Roth vorgestellten Kontext aber geht es ja um die Wahl zwischen zwei gleichberechtigten, also offensichtlich nicht aus bestimmten Gründen zu bevorzugenden Alternativen.

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Verständnis von Willkürfreiheit nicht unserer Erfahrung, könnten wir unsere Entscheidung in aller Regel eben doch gut begründen. Die Wirksamkeit von Gründen aber ist nicht mehr mit maximaler Freiheit, also mit völliger Ungebundenheit bzw. Willkürlichkeit zu vereinbaren. Konzeptionelle Ausnahmen bestätigen hier nur die Regel.209 Dieser erste Schritt ist als sinnvoll anzusehen; er gibt allerdings Anlass, zu überprüfen, wie dieses Maximalverständnis von Freiheit näherhin gefüllt wird, bzw. ob die Abgrenzung in stringenter Weise erfolgt. Dabei zeigt sich eine erste Schwierigkeit darin, zu verstehen, was Roth in der oben zitierten Textstelle mit einem »separaten Willensakt«210 meint. Nach dem Duktus des Textes dürfte dieser Ausdruck synonym gebraucht sein mit dem eben skizzierten, von Roth abgelehnten maximalen Verständnis von Freiheit, sagt er doch ausdrücklich, dass eben ein solcher Willensakt »nicht [zu] fordern« sei. Dabei wird die Separatheit des Willensaktes in Roths Terminologie derart zu verstehen sein, dass ein als mentales Ereignis verstandener »Willensakt [ergänze vermutlich: von außen] auf das Gehirn einwirkt«211. Es stelle sich das Gefühl ein, dass ich diesen separaten Willensakt gewollt hätte, dass also eine noch näher zu bestimmende Instanz namens Ich für die freie Ausrichtung und Aktivierung des Willens verantwortlich wäre. Nun argumentiert Roth, dass für dieses Gefühl, »daß die Entscheidung letztlich aus mir selbst kommt«212, ein solch vereinzelter, unabhängiger Willensakt und damit vermutlich auch eine unabhängige Instanz Ich nicht vonnöten sei. Die Intuition der Selbstverursachung des Willens ist – und hier ist Roth völlig zuzustimmen – nicht von einem solch starken

209 Vgl. etwa Roderick M. Chisholm, der dem Menschen eine Form von Freiheit zuschreibt, die nach christlicher Auffassung nur Gott zukommt, nämlich frei von sämtlichen äußeren Bedingungen und Einflüssen zu handeln. Der Mensch wird hier tatsächlich als ein »prime mover unmoved« (ders., Human freedom, 32) verstanden, also mit einem Prädikat belegt, dass auch nach der klassischen Metaphysik nur Gott allein zuzuschreiben ist (Aristoteles). Man könnte sich für ein solches Verständnis von Willkürfreiheit allerdings auch auf andere, gleichsam klassisch zu nennende Positionen der Philosophie berufen. So konstatiert etwa Descartes: »Daß unser Wille frei ist und wir nach Willkür [Hervorhebung B. B. ] vielem zustimmen oder nicht zustimmen können, ist so offenbar, daß es zu den ersten und gemeinsten der uns eingeborenen Begriffe [...] zu zählen ist.« (ders., Die Prinzipien der Philosophie, 13 [erster Teil, Nr. 39]). 210 Siehe FN 203. 211 Roth, Gehirn Wirklichkeit, 303. 212 A. a. o., 304.

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Willens-, Freiheits- und Ich-Verständnis abhängig.213 Folgt man der Argumentation Roths an dieser Stelle, so könnte Selbstverursachung und damit auch Freiheit ohne eine derart starke, dualistische Ontologie zu denken sein214. Denn dem Gehirn träte hier (als materieller Instanz) ein freier Akteur namens Ich (oder Wille etc.) gegenüber, der aber ohne materiellen Bezug auch nicht mit dem Gehirn interagieren kann.215 Der Willensakt sei, wie noch genauer zu zeigen ist, selbst ein Produkt des Gehirns: »Der Willensakt tritt auf, nachdem das Gehirn [!] bereits entschieden hat, welche Bewegung es ausführen wird.«216 Die Meinung, der Wille stehe außerhalb der Naturgesetze und könne auf die naturgesetzlich geordnete Materie frei einwirken, gilt nach Roth als »herkömmliche[.] Anschauung«217, da unser Freiheitsempfinden sich deutlich von der Beschreibung der nach streng kausalen Gesetzen ablaufenden Naturvorgänge unterscheidet. Hier ist dann auch die Rede von »dem Ich«218 als einer Art substantieller Entität. Roth unterstellt explizit dem »abendländische[n] Menschenbild«219 ein solches Verständnis von »Ich«.220 Wie Roth darlegt, ist die damit verbundene Empfindung eine Illusion, da auch wir Menschen in unserem Handeln den natürlichen Kausalgesetzen unterliegen, die sich in unserer Prägung durch bestimmte Motive, Wünsche usw. zeigen und letzt-

213 Hier deckt sich die Argumentation Roths durchaus mit unserer Kritik am Design der entsprechenden Experimente, die sich ja stets an einem punktuellen Verständnis des Willens orientieren. Damit aber ist noch nicht gesagt, was Roth positiv unter dem Gefühl der Selbstverursachung versteht. 214 Vgl. die Diagnose von Bauer, Zur aktuellen Infragestellung, 37 ff. 215 Als klassischer Vertreter einer solchen Auffassung, die an eine dualistische Ontologie gebunden ist, wäre Descartes zu nennen, mit dem Roth sich auch auseinandersetzt. Vgl. zur Kritik dieser Auffassung etwa: Roth, Fühlen Denken Handeln, 499. 216 A. a. o., 523 (kursiv im Original). 217 Roth, Aus Sicht des Gehirns, 167. Möglicherweise mag dieses Urteil für die herkömmliche Alltagspsychologie zutreffend sein, obwohl auch schon jedem Nichtphilosophen bei genauem Nachdenken deutlich sein sollte, dass menschliche Entscheidungen keineswegs völlig frei und willkürlich zu nennen sind. In jedem Fall ist aber zu verneinen, dass sich diese herkömmliche Meinung mit der gegenwärtigen philosophischen Mehrheitsmeinung (die es vermutlich gar nicht gibt) decken würde. 218 Vgl. etwa Roth, Aus Sicht des Gehirns 180 und passim. Zur Problematik dieser Sprechweise vgl. unten Kap. 2.1.3: »Was ist das Ich«? Vgl. als Kritik dieser Redeweise Janich, Menschenbild, 11 f. 128-134; ähnlich auch Tugendhat, Willensfreiheit und Determinismus, 68. 219 Roth, Fühlen Denken Handeln, 379. 220 A. a. o., 378 f.

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lich auf neuronaler Ebene in strikt naturgesetzlich geordneten Abläufen realisiert sind. Nun ist allerdings die Ablehnung eines solch starken Verständnisses von Freiheit systematisch von der von Roth ebenfalls abgelehnten Willkürfreiheit zu unterscheiden. Die Verursachung durch ein immateriell gedachtes und damit den Naturgesetzen enthobenes Ich muss nicht mit Willkürlichkeit einhergehen. Vielmehr dürften die meisten Vertreter einer solchen Auffassung davon ausgehen, dass dieses Ich wiederum rational strukturiert ist, sich damit aber in seinen Entscheidungen an nachvollziehbaren Vernunftgründen orientiert und eben gerade nicht den Zufall Regie führen lässt.221 Dass Zufälligkeit und nach Gründen handeln deutlich zu unterscheiden sind, hat Roth in der oben zitierten Textstelle selbst ausdrücklich betont. Freilich könnte sich auch ein rationales, aber ungebundenes Ich intuitiv selbst so verstehen, dass es vermeintlich willkürlich handeln könnte, da es durch nichts gebunden scheint bzw. zumindest nicht vollkommen unter die Naturgesetze geknechtet ist. Ob diese Selbsteinschätzung eines wirklich rational strukturierten Subjekts dann tatsächlich stimmig ist, darf durchaus bezweifelt werden. Für den Moment genügt es, festzuhalten, dass zu dem von Roth abgelehnten starken Verständnis von Freiheit auch ein solches Konzept gehört, das zwar nicht mehr von Willkür spricht, aber doch eine Kausalität annimmt, die sich zumindest partiell vom geschlossenen Nexus der Naturgesetze lösen kann. Problematisch ist allerdings, dass Roth gerade auch solche Positionen, wie etwa die von Eccles, die nur von einer Einschränkung der Naturkausalität etwa durch quantenmechanisch und damit probalistisch gesteuerte Abläufe

221 Wiederum kann man auf Descartes als klassischen Vertreter eines Dualismus zurückgreifen. Denn hier wird die ontologische Differenz zwischen Geist und Körper ja gerade mit der Gewissheit des Denkens begründet, weshalb der geistige Akteur nicht anders denn als rational verstanden werden kann. Das Ich existiert für Descartes nur im cogito, und damit gerade nicht im luftleeren Raum. Die Ablehnung des Dualismus, die sich auf Decartes gründet, darf daher nicht vorschnell mit einem Freiheitsverständnis im Sinne völliger Unabhängigkeit verbunden werden, auch wenn Descartes von Freiheit im Sinne von Willkür sprechen kann (vgl. FN 209); insbesondere in der 4. Meditation verbindet Descartes das Problem Freiheit und Wählen mit der Urteilsfähigkeit des Menschen (vgl. etwa die explizite Parallelisierung Meditationes IV, 15, von »actus voluntatis« und »iudicia«). Es ist allerdings zu konzedieren, dass die Urteile noch einmal (in durchaus nicht unproblematischer Weise) vom Verstand unterschieden, allerdings nicht völlig getrennt werden (vgl. etwa Steinvorth, Freiheitstheorien, 37 ff).

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ausgehen, mit dem Verdikt des »Zufall[s]« belegt222; und gerade auch Positionen, die mit der Rationalität des Willens argumentieren, werden des Dualismus bezichtigt.223 Die angesprochene Differenzierung wird von Roth leider nicht, jedenfalls nicht in einer zu wünschenden Deutlichkeit, geleistet, was ihm zwar die Ablehnung von Freiheit erleichtert, aber der Substanz seiner Argumentation nicht zuträglich ist.224 Auch in einer schwächeren Lesart allerdings wäre nach Roth ein separater Willensakt als Ursache einer Handlung abzulehnen. Es bestünde ja auch die Möglichkeit, den Willensakt als ein neuronal basiertes Geschehen zu begreifen und vor diesem Hintergrund den Willensakt als Ursache einer Handlung zu verstehen. Auch dieses Modell wird von Roth unter Verweis auf die Experimente Benjamin Libets abgelehnt. Der bewusste Willensakt folge in der Regel einer schon neuronal initiierten Handlung und könne daher selbstverständlich nicht als deren Ursache zu denken sein.225 Ein separater Willensakt kann nach Roth, materiell oder immateriell gedacht, niemals Ursache einer Handlung sein. Ob diese Sichtweise sachgemäß ist, wird sich im Laufe der Argumentation noch herausstellen müssen. An dieser Stelle bleibt zunächst festzuhalten, dass Roth einen starken Begriff von Freiheit in unterschiedlichen Schattierungen und Aspekten für nicht diskutabel erachtet.

222 Roth, Fühlen Denken Handeln, 511. 223 So explizit gegen Habermas, dem sicherlich zu Unrecht aufgrund der Betonung der Irreduzibilität von Gründen ein solches Weltbild unterstellt wird (Roth, Willensfreiheit und Schuldfähigkeit, 21). Es entsteht der Eindruck, als seien alle Positionen, welche die menschliche Binnenperspektive als freiheitstheoretisch relevant kennzeichnen, mit dem Verdikt des Dualismus zu versehen (so äußerte sich Roth mündlich bei einer Diskussion im Rahmen der Winterschule des Marsilius-Kollegs, deren Beiträge in Fuchs/Schwarzkopf, Verantwortlichkeit, versammelt sind, auch – sicherlich unzutreffend – in Bezug auf die Position von Peter Bieri). Eine zwingend notwendige Differenzierung zwischen Substanz- und Perspektivendualismus scheint in der Systematik Roths nicht möglich zu sein. 224 Dass Roth sich in fragwürdige Alternativen begibt, zeigt sich auch an anderer Stelle unter Verwendung anderen Vokabulars. Das abgelehnte Verständnis von Freiheit kennzeichnet er als »starken oder alternativistischen Begriff von Willensfreiheit« (ders., Willensfreiheit und Schuldfähigkeit, 10), der durch die Anwesenheit von »Kausallücken« (ebda) im Geschehen der Natur zu charakterisieren sei. Freiheit sei damit einem »a-kausalen Geschehen« (a. a. o., 11) zuzuordnen. In dieser Perspektive ergibt sich die stark zu hinterfragende Alternative von Erklärbarkeit oder Freiheit. 225 Vgl. etwa Roth, Fühlen Denken Handeln, 518-524.

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2.1.2 Freiheit als Selbstverursachung? Diskussionsfähig ist in den Augen Roths nur ein solcher Begriff von Freiheit, der sich deutlich von dem skizzierten (Maximal-)Konzept abgrenzen lässt. Als Basis dient Roth ein relativ allgemein formuliertes, damit aber auch anschlussfähiges Verständnis von Freiheit im Sinne der intuitiv vermittelten Gewissheit der Selbstverursachung. Es geht »um das Gefühl, daß die Entscheidung letztlich aus mir selbst kommt und nicht von außen aufgezwungen wurde«226. Von Selbstverursachung könne gesprochen werden, weil das Selbst bzw. das Ich227 als Ursache des Willens bzw. der Handlung gedacht wird. In einem schwachen Sinn könnte demnach von Autonomie die Rede sein, auch wenn man unter »Autonomie«, verstanden als Selbstgesetzgebung, weit mehr fassen kann als die Verursachung einzelner Handlungen. Indem Roth diese Form von Freiheit durch den Zusatz ergänzt, dass damit ein äußerer Zwang ausgeschlossen werden soll, kommen wir dem Sinngehalt näher. Es geht um die Erfahrung der spezifischen Differenz von Innen und Außen in Bezug auf die Verursachung von Handlungen. Dabei ist gemeint, dass Freiheit nur dann gedacht werden kann, wenn Entscheidungen aus dem Inneren, nämlich aus dem Selbst, und damit aus dem Personkern des Menschen kommen.228 Die unterstellte Leitdifferenz von Innen und Außen wird dabei nicht näher spezifiziert bzw. die Grenze nicht näher definiert. Dass damit eine Frage, die philosophisch wie theologisch von eminenter Bedeutung ist, nicht reflektiert wird, sei Roth hier zugestanden, da die Grunderfahrung menschlichen Handelns normalerweise eine klare Trennung zwischen Selbst- und Fremdverursachung zulässt. Wenn wir selbstbestimmt und nicht unter Zwang handeln, so fühlen wir uns frei. Es kommt daher wohl in den Augen Roths auch nicht darauf an, wodurch das Selbst nun wiederum bestimmt ist. Relevant ist allein das Gefühl, dass das Selbst Urheber der Handlung ist. Ob unser Selbst nun wiederum durch andere Motive, durch rationale Gründe, möglicherweise auch durch innere Zwänge getrieben wird, was die Differenzierung zwischen Innen und Außen erschweren würde, dürfte an dieser Stelle nicht von Bedeutung sein. Dies liegt durchaus in der Logik der 226 Roth, Gehirn Wirklichkeit, 304. 227 Roth parallelisiert beide Begriffe, vgl. exemplarisch ders., Fühlen Denken Handeln, 534. 228 So die Umschreibung eines Selbst nach Roth, a. a. o., 534.

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Argumentation, geht es Roth hier ja um die Präsentation eines diskutablen, und das heißt insbesondere klar von einem »starken« Verständnis abzugrenzenden Freiheitsbegriff, der sich gerade nicht durch die Vorstellung einer Unabhängigkeit des Selbst von verschiedensten Prägungen (insbesondere natürlich von den neuronal vermittelten Determinanten) auszeichnet. Das Gefühl der Selbstverursachung kann dabei nach Roth zwar manchmal vom Bewusstsein eines ausdrücklichen Willensaktes begleitet sein, dieser ist für die Annahme der Selbstverursachung aber nicht notwendig. Denn viele Handlungen werden von uns unbewusst ausgeführt, aber dennoch im unbewussten Gefühl der Selbstbestimmung vollzogen. Diese Basisannahme wird von Roth an anderer Stelle ergänzt und präzisiert. Zum Gefühl, eine bestimmte »Tätigkeit werde von uns bzw. unserem Willen erzeugt und gelenkt«229 treten zwei andere Grundüberzeugungen hinzu, die mit dieser ersten Annahme sachlich eng verbunden sind. Bei als frei erlebten Entscheidungen sind wir der Überzeugung, »wir könnten auch anders handeln oder hätten im Rückblick auch anders handeln können, wenn wir nur wollten bzw. gewollt hätten.«230 Diese Annahme wird gängigerweise als das Prinzip der alternativen Möglichkeiten bezeichnet.231 Es hängt mit der Grundbedingung der Selbstverursachung eng zusammen, denn die alternativen Möglichkeiten müssen sich (mindestens in der von Roth präsentierten Fassung) in Abhängigkeit von der Ausrichtung des Willens zwangsläufig ergeben. Denn wenn wir davon ausgehen, dass es unser Wille ist, der letztlich eine Handlung oder Entscheidung hervorruft, so implizieren wir damit, dass diese Entscheidung nicht unter Zwang geschieht, sie also nicht von vornherein durch eine äußere Konstellation232 festgelegt ist, sondern von unserer Wahlhandlung zwischen mehreren Möglichkeiten abhängt. Gute Gründe könnten dabei auch überzeugend sein, sie werden uns nach Roth aber nie einen letzten Spielraum an offenen Möglichkeiten rauben. Es ist nach Roth oftmals gerade die Abwesenheit von guten Gründen, die uns das Gefühl der Unfreiheit

229 230 231 232

A. a. o. 495. Ebda. Vgl. etwa Pauen, Illusion Freiheit, 106-136. Roth nennt im gerade verhandelten Kontext durchaus auch innere »neurotische Zwänge« (ders., Fühlen Denken Handeln, 497), beschränkt den Zwangscharakter also nicht nur auf Äußeres.

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vermittelt.233 In diesem Sinne seien uns verschiedene Möglichkeiten immer gegeben. Ob dabei unser Wille wiederum in einem starken Sinne frei ist und etwa unser Aktualwille durch Reflexion und tief sitzende Überzeugungen noch einmal willentlich bestimmt werden kann (Willensfreiheit)234, wird von Roth nicht diskutiert. Es geht in dieser Fassung des Freiheitsproblems schlicht darum, dass wir anders gehandelt hätten, wenn wir nur anders gewollt hätten, ohne zu bedenken, inwieweit uns ein anderes Wollen möglich ist. Denn selbst im Fall einer unabweislichen Prägung des Willens würden wir uns dennoch gängigerweise als frei, und nicht als gezwungen empfinden, da wir ja unseren eigenen Willen, und nicht einen irgendwie aufgezwungenen vollziehen. Nur ein starkes, von Roth abgelehntes Verständnis von Freiheit würde Alternativen in einem echten Sinne annehmen, d. h., in der Logik Roths, die Durchbrechung des geschlossenen, deterministisch ablaufenden Kausalnexus der Naturgesetze. Inwieweit dieses Verständnis sinnvoll ist, steht als Grundfrage hinter der gesamten philosophischen Diskussion. Für den Moment soll es genügen, hier von dem intuitiv gegebenen Gefühl der Wahl zwischen Alternativen auszugehen. Aus den ersten beiden Charakteristika des Freiheitsgefühls, Selbstverursachung und Annahme von Alternativen, ergibt sich der dritte Aspekt, der sich als das Gefühl der Verantwortlichkeit für unsere Taten beschreiben lässt. Weil wir es sind, die eine Tat in Gang bringen, und weil die Wahl einer Handlungsalternative dabei von unserem Willen abhängt, und nicht von anderen, als äußerlich empfundenen Instanzen, sind wir für Handlungen verantwortlich und damit auch für die Konsequenzen dieser Handlung zur Verantwortung zu ziehen. Die drei Aspekte geben den Bedeutungsumfang des intuitiven Gefühls von Freiheit wieder. Es lässt sich nach Roth in einem Wort als Selbstbestimmung, als Autonomie beschreiben. Damit ist nicht die völlig willkürliche Bestimmung unserer Handlungen gemeint. Davon hatte Roth sich ja distanziert. Es ist die intuitive Gewissheit angesprochen, dass wir selbst – bei aller Prägung durch Motive, äußere Einflüsse, auch objektive rationale Gründe – Verursacher unserer Handlungen sind.

233 A. a. o., 498. 234 Etwa im Sinne Harry Frankfurts als Durchsetzung von Volitionen höherer Ordnung (vgl. unten II., 3.2).

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Problematisch erscheint nun allerdings in der Argumentation Roths, dass er nicht immer deutlich unterscheidet zwischen einer eher »schwachen« Form von Selbstbestimmung, die durchaus die Prägung durch vorlaufende Motive etc. integrieren kann, und einer starken Form, die einen Willensakt als völlig unverursacht denken muss, unterscheidet. So fasst er etwa die traditionelle Meinung über das Problem der Willensfreiheit als ein starkes Verständnis zusammen235, dem er die drei soeben eben genannten Merkmale zuordnet. Dabei wird nun nicht letztlich deutlich, inwiefern für Roth das Prinzip der alternativen Möglichkeiten nur für einen starken, indeterministisch verstandenen Begriff von Willensfreiheit gilt, oder ob es auch eine Variation dieses Merkmals etwa im Sinne eines kompatibilistischen Freiheitsbegriffs gibt. An entscheidender Stelle in der Argumentation, bei der auf empirische Belege zurückgegriffen werden kann, nämlich in der Auseinandersetzung mit dem Libet-Experiment, geht es dann auch wiederum um eine starke Form von Freiheit, nämlich eine Willkürhandlung, bei der offenbar keine rationalen Argumente Eingang in den Entscheidungsprozess fanden.236 Andererseits hatte er sich ja von einem starken Freiheitsbegriff von Anfang an abgegrenzt, und nur eine klar davon zu unterscheidende Form von Freiheit als Selbstbestimmung als diskutabel erachtet. Gerade diese Form aber wird nun im Prinzip (an der gerade verhandelten Stelle) nicht diskutiert.237 Letztendlich kehrt Roth in dem soeben nachgezeichneten Argumentationsgang, trotz der immer wieder deutlich gemachten Behauptung, eine starke Form von Willensfreiheit mit der Annahme von faktischen Alternativen im Weltgeschehen und somit der Annahme indeterministischer Abläufe sei völlig abwegig, immer wieder zu dieser Form der Willensfreiheit zurück. Dass diese starke Form von Freiheit weit über die eingangs der Argumentation genannte Annahme hinaus geht, dass eine Handlung aus uns selbst komme, , sollte deutlich geworden sein. Die zu beobachtende Unschärfe in der Argumentation Roths weist darauf hin, dass auch das Schlagwort Autonomie bzw. Selbstbestimmung noch nicht hinreichend deutlich macht, welcher Grad an Freiheit ausgesagt werden soll. Er muss gerade im Gegenüber zu möglichen Einschränkungen noch expliziert werden. 235 Roth, Fühlen Denken Handeln, 505. 236 Siehe a. a. o., 523. 237 Dies ändert sich dann in Pauen/Roth, Freiheit Schuld Verantwortung.

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In der Argumentation Roths wiederum hat diese Unschärfe auch eine gewisse Stimmigkeit, da es in seinen Augen letztlich egal zu sein scheint, ob Willensfreiheit im starken oder im schwächeren Sinn als Autonomie gekennzeichnet wird. Letztlich kann auch die Autonomie, verstanden als die »Fähigkeit, innegeleitet [...] zu handeln«238 nichts zu einem sachhaltigen Verständnis von Freiheit beitragen, da unser Inneres neuronal determiniert ist und daher keinen Freiheitsspielraum lässt. Es müssten im Kausalgeschehen schon »Lücken von Freiheit«239 vorhanden sein, um davon sprechen zu können. Roth stellte die Frage, ob das Gefühl der Selbstverursachung des Willens eine »tatsächliche Entscheidungsfreiheit« spiegelt oder, ob das Gefühl als Illusion zu bezeichnen sei. Nach Roth ist sie im zweiten Sinn zu beantworten. Selbstbestimmung könne es hier240 nur im Gegenüber zu neuronaler Determination geben. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass unter Selbstbestimmung zwischen Philosophen und Neurowissenschaftler immer noch grundverschiedene Dinge verstanden werden. Dies wiederum dürfte mit dem Verständnis von »Selbst« oder »Ich« zusammenhängen, das Roth dabei voraussetzt. Es ist daher in einem weiteren Argumentationsgang darauf zu achten, was bzw. welche Instanz von Roth mit »Selbst« oder »Ich« bezeichnet wird. Nur wenn diese Frage präzise geklärt wird, kann auch eine sinnvolle Antwort auf die Frage nach einem entsprechenden Freiheitsverständnis erwartet werden. Damit dürften wir auf den Kern der anthropologischen Problematik des von Roth diskutierten Problems der Willensfreiheit stoßen. Zu erwarten wäre daher eigentlich, dass Roth sich mit einem Begriff von Selbst oder Ich auseinandersetzt, der sich signifikant von dem skizzierten und abgelehnten Maximalbegriff unterscheidet und damit eine sinnvolle Diskussionsbasis für das Problem menschlicher Freiheit stellt.

238 Roth, a. a. o., 533. 239 A. a. o., 534. 240 Ich beziehe mich auf den Zusammenhang des Buches »Fühlen Denken Handeln«; in der neuen, mit Pauen gemeinsam getätigten Veröffentlichung (Freiheit Schuld Verantwortung) nimmt sich dies schon anders aus; da hier allerdings das ursprünglich von Pauen entwickelte Bild des Selbst vorausgesetzt wird, diskutiere ich dieses Modell unter II.

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2.1.3 Was ist »das Ich«?241 Hier stößt man nun allerdings auf ein Problem der Rothschen Argumentation. Denn eine Definition oder Analyse dessen, was unter »Ich« oder »Selbst« verstanden werden kann, gibt Roth mindestens an der gerade verhandelten Textstelle nicht.242 Vermutlich setzt er, ähnlich wie für den Freiheitsbegriff, ein alltägliches Verständnis voraus. Dass ein solches Verständnis nicht unmittelbar auf der Hand liegt, zeigen psychologische Analysen.243 Der Verursachung durch ein bewusstes Ich wird die Verursachung durch das Gehirn entgegengestellt. Dies dürfte als typisch für den Denkansatz Roths gelten und zugleich das zentrale Problem wiedergeben. Das Ich wird nicht von seinen positiven Implikationen her, sondern aus der Abgrenzung verstanden. »Nicht das Ich, sondern das Gehirn hat entschieden«244 lautet die Position in ihrer Spitzenformulierung. Ist die Verwendung des Ausdrucks »Ich« konsistent zu dem gebraucht, was oben über die Selbstverursachung gesagt wurde? Vor allem: Lässt sich die Verwendung des Ich von einer »maximalen« Lesart abgrenzen? Die explizite Gegenüberstellung von Ich und Gehirn ergibt sich aus Roths Verständnis bewusster menschlicher Zustände. Das Ich-Gefühl in seinen verschiedenen Dimensionen wird eingeordnet in den Zusammenhang bewusster Zustände insgesamt,245 in denen wir uns als Menschen befinden246 und die letztlich vom Gehirn als dem Konstruk-

241 Ich verwende im Folgenden die Begriffe »Ich« und »Selbst« parallel, wie dies auch von Roth vorausgesetzt wird (siehe etwa Fühlen Denken Handeln, 534). Dass dieser Sprachgebrauch wie auch die Substantivierung Schwierigkeiten bieten, ist mir durchaus bewusst. Es geht an dieser Stelle allerdings darum, die Verwendungsweise in den Texten Roths aufzuklären und eine dementsprechende Problemanzeige zu geben. 242 Roth, Fühlen Denken Handeln, 531-535. 243 Vgl. nur Kuhl, Wille und Freiheitserleben, 681-684. 244 Roth, Hirnforscher reden, 77. 245 »Ich und Bewusstsein hängen phänomenal und funktional eng miteinander zusammen, sind aber nicht identisch.« (Roth, Fühlen Denken Handeln, 379). 246 Die an vielen Stellen unklare und wenig stringente Argumentation Roths zeigt sich auch daran, wie er das Wort »Zustand« verwendet. Einmal ist Geist ein »Zustand, [...] den ein Individuum haben kann« (Roth/Schwegler, Geist-Gehirn-Problem, 69), an anderer Stelle wird für den Erhalt der subjektiven Perspektive mit den Worten argumentiert: »[W]ir sind schließlich diese Zustände« (ders., Wir sind determiniert, 222). Die semantisch abenteuerlichen Sprechweisen mögen als Anzeige für ein tief sitzendes ontologisches Problem stehen.

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teur unserer phänomenalen Wirklichkeit hervorgebracht werden247. Bewusstsein und Ich-Gefühl werden also zunächst unter dem Blickwinkel des Verursachtwerdens, nicht aber des Verursachens und damit auch nicht der willentlichen Einflussnahme betrachtet. Ein wie auch immer geartetes Ich kann nach Roth nicht Verursacher eines Willensaktes sein. Es soll nun an dieser Stelle allerdings nicht im Detail darum gehen, wie sich Roth die Entstehung eines Ich-Gefühls als ein Konstrukt des Gehirns denkt,248 das ja nie Teil einer stichhaltigen Argumentation für die Annahme von Freiheit sein kann; es soll diejenige Ich-Instanz bzw. dasjenige Selbst betrachtet werden, das Roth voraussetzt, wenn er davon spricht, dass es bei Freiheit in einem diskutablen Sinne nur um Selbstverursachung gehen kann. Denn dieses Verständnis von Selbst müsste ja mit einem plausiblen, intuitiv zugänglichen Verständnis von Freiheit unmittelbar zusammenhängen. Das Ich oder Selbst lässt sich nun allerdings nach Roth beim besten Willen nicht anders denn in der Gegenüberstellung zum Gehirn bezeichnen. Wenn es ein Selbst geben sollte, dem man Freiheit zuschreiben könnte, dann müsste es dieses Selbst als einen Handlungsträger geben können. Dann müsste das Selbst die Funktion haben, »Handlungen zu entscheiden und zu steuern«249. Diese Funktion aber kann nach Roth dem Selbst nun gerade nicht zugeschrieben werden, weil es ja seiner Meinung nach das weithin unbewusst arbeitende Gehirn ist, das Entscheidungen fällt und Handlungen initiiert. Die Gegenüberstellung von Gehirn und Selbst liegt der empirischen Beweisführung zu Grunde, die vermeintlich erwiesen haben soll, dass das Gehirn, und nicht das Selbst Träger und Initiator von Handlungen ist. Dabei wurde auf verschiedene Weise das Gehirn entweder von außen so gereizt, dass eine bestimmte Handlungsschleife in Gang gesetzt wurde und der Proband z.B. den Arm hob, oder es wurde eine Entscheidung durch unterschwellig platzierte Reize beeinflusst, bei der der Proband im Nachhinein der Meinung war, er selbst hätte die Handlung initiiert.250 Die Verursachung durch ein Selbst wird also als nachträgliche Selbstzuschreibung entlarvt. 247 248 249 250

Vgl. unten 2.2.3. Vgl. dazu Roth, Fühlen Denken Handeln, 382 ff. A. a. o., 534. Roth, Zusammenwirken, 18. Grundsätzlich ist zu sagen, dass das Argument der nachträglichen Selbstzuschreibung nur dann trägt, wenn zuvor geklärt wurde, was unter einem Selbst verstanden werden kann. Nur wenn plausible Argumente für die

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Fraglich ist allerdings der Wert dieser Argumentation. Es lässt sich bezweifeln, ob die Möglichkeit einer Manipulation von außen den Schluss zulässt, dass wir uns bei der Zuschreibung der Urheberschaft von Handlungen immer täuschen. Das tiefer sitzende Problem ist aber bei allen Versuchen, die Selbstzuschreibung von Handlungen als eine Illusion darzustellen, die Unterscheidung zwischen Selbst und Gehirn. Nicht wir, also das irgendwie zu denkende Selbst oder Ich, sondern das Gehirn hat schon längst entschieden. Der Wert einer solchen Argumentation lässt sich eindeutig nur dann erweisen, wenn die exkludierende Unterscheidung bzw. Abgrenzung von Selbst und Gehirn als sinnvoll dargestellt werden kann. Es lassen sich allerdings schwerwiegende Bedenken gegen diese Art der Argumentation und insbesondere gegen eine derartige Verwendung des Ich-Begriffs bzw. des Selbst erheben. Wenn ich aus methodischen Gründen hier einmal zugebe, dass das Ich in gewisser Weise als ein Konstrukt des Gehirns zu verstehen ist, so ist damit noch nicht gesagt, dass das Ich in eine Konkurrenzsituation zum Gehirn in Bezug auf die Trägerschaft des Willens und der Handlungen tritt. Dieser Fall tritt nur dann ein, wenn das Ich in der starken Weise verwendet wird, wenn es nämlich, wie es die Verwendung eines bestimmten Artikels nahe legt, als eine Art extranaturale Substanz verstanden wird. So wird aus dem Ich-Gefühl oder der Ich-Perspektive bzw. dem sprachlichen Repräsentanten dieser Perspektive (dem Personalpronomen Ich) das substantiell und als stabile Instanz verastandene »Ich«. Dieser Sprung wird von Roth allerdings nicht reflektiert. Ist angesichts dessen die dargestellte Alternativsituation eine angemessene Argumentationsfigur? Gerade Roth ist ja zunächst darauf aus, das Ich-Gefühl des Menschen in enger Verbindung mit dem Gehirn zu sehen, es also primär einmal nicht von diesem zu trennen und schon gar nicht in eine Situation des gegenseitigen Ausschließens zu bringen. Diese Situation ergibt sich nur dann, wenn das Ich als ein Konstrukt des Gehirns vom Gehirn wiederum abgelöst wird und damit nicht mehr als sprachlicher Repräsentant der Person in der Binnenperspekscharfe Entgegensetzung von Gehirn und Selbst gefunden werden, ist es sinnvoll, eine nachträgliche Selbstzuschreibung als illusorischen Akt zu entlarven. Auch ist zu betonen, dass aus der möglichen Manipulierbarkeit bzw. Fehlbarkeit unserer Selbstwahrnehmung und -einschätzung, nicht zu folgern ist, dass wir darin immer fehlgehen (vgl. Goschke, bedingter Wille, 144). Es ist wiederum auf die grundlegende Problematik zu verweisen, welcher erkenntnistheoretische und ontologische Status unseren Erfahrungen, Gefühlen etc. aus der Perspektive der ersten Person zukommt.

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tive angesehen werden kann. Das Ich-Gefühl umfasst ja nach Roth auch die körperlichen Aspekte einer Person, muss also mit der Materie, auch mit dem Gehirn, in Verbindung stehen. Indem Roth nun das Ich dem Gehirn gegenüberstellt, begibt er sich in ein Fahrwasser, das er eigentlich längst hinter sich gelassen hatte, nämlich die Denkschemata einer dualistischen Ontologie.251 Nur ein rein geistig verstandenes Ich, das zu einer Substanz verfestigt wurde, kann zum »materiellen« Gehirn in eine Alternativsituation treten. Ein zweiter Einwand gegen den Gebrauch des Ich- bzw. Selbstbegriffs bei Roth in seiner abgelehnten Variante ergibt sich aus dessen sprachlicher Verwendung im engeren Sinn. Ich habe oben schon auf die von Roth vorgenommenen Substantivierungen hingewiesen. Es ist an entscheidender Stelle nicht mehr von einem Ich-Gefühl die Rede, sondern von »dem Ich« oder »dem Selbst«. Nur von einer solchen Substanz kann man dann wiederum von der Außenperspektive aus sagen, dass sie eine Handlung ausführt.252 Und nur zu einer solchermaßen substantialisierten Form des Ich können wir dann wieder in ein Besitzverhältnis treten, so dass von »meine[m] Ich«253 gesprochen werden kann. Dabei entsteht nun offensichtlich das Problem, dass für dieses Besitzverhältnis wiederum ein Ich als Besitzender vorgestellt werden müsste, das gewissermaßen als Subjekt hinter dem Posse251 Vgl. auch Goschke, der sich gegen die dargestellte Alternative wendet. Dass psychische Prozesse neuronal realisiert sind, sei nicht verwunderlich. Daraus zu schließen, dass wir nicht selbst entscheiden würden, sei verfehlt (ders., der bedingte Wille, 142144). Ähnlich auch Goschke/Walter, Autonomie, 138-142. 252 Vermutlich resultiert diese Sprechweise aus der Ansicht Roths über das, was er als herkömmliche, alltagssprachliche und philosophische Anthropologie unterstellt, gegen die er sich ja immer wieder wendet. Als Kronzeuge in Bezug auf die philosophische Tradition dient ihm dabei stets Descartes, dem er zurecht eine dualistische Ontologie zuschreibt. Problematisch erscheint mir allerdings, wie Roth die Rede vom cartesianischen »cogito« interpretiert. Er unterstellt, dass hier zwischen einem »Ich« als »Träger« des Denkens, und dem Vorgang des Denkens selbst unterschieden werden könnte (ders., Aus Sicht des Gehirns, 139). Abgesehen davon, dass dies in der lateinischen Grundform nicht geht, dürfte das den Kern der Intention Descartes gerade nicht treffen, da bei einer solchen Differenzierung das Denken nicht mehr als Grund der Gewissheit fungieren könnte. Diese Gewissheit besteht ja gerade darin, dass das Ich nicht vom Denken zu trennen ist, vielmehr darin gewiss ist, dass es ein »denkendes Ding« ist. Das Ich ist nie anders denn als denkend zu denken. Insofern ist es auch irreführend, das Ich als einen Träger des Denkens zu isolieren. Davon zu unterscheiden ist die sicher berechtigte Frage, ob es sinnvoll war, das Selbstverhältnis im Denken als Ganzes wieder in einer res cogitans zu substantialisieren. 253 Roth, Das Gehirn und seine Wirklichkeit, 330.

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sivpronomen »unser« steht. Warum aber sollte dieses Ich nicht auch wiederum zu einem anderen Ich in solch einem Besitzverhältnis stehen? Leicht gerät man hier in die Logik eines infiniten Regresses. Zugleich zeigt sich, dass Roth die Ich-Perspektive auch in dieser Argumentation stets voraussetzt. Roth handelt sich allerdings mit seiner sprachlichen Verwendung von Ich und Selbst nicht nur ein (sprach-)logisches Problem ein; diese Redeweise entspricht auch nicht mehr der alltagssprachlichen Verwendung und damit auch nicht mehr unserem alltäglichen Selbstverständnis. Wir sprechen in aller Regel nicht von »dem Ich« oder »dem Selbst«, schon gar nicht von »meinem Ich« oder »meinem Selbst«. Wir sagen normalerweise nur »Ich« und meinen damit uns als ganze Person, nicht als eine nochmals von uns selbst zu unterscheidende Instanz. Wie sollte das auch gehen? Indem wir »Ich« sagen beziehen wir uns auf uns selbst, aber nicht auf einen spezifisch abzugrenzenden Kern unserer selbst.254 Die Tatsache, dass wir »ich« oder »selbst« sagen, darf als unhintergehbarer Modus der Selbstreferentialität gelten. Wer »ich« sagt, setzt schon voraus, dass er sich als sich selbst erkannt hat, mithin in einem Selbstverhältnis steht. Die darin zum Ausdruck kommende Perspektive, die nur die Binnenperspektive des sich auf sich beziehenden Menschen sein kann, ist – soviel sollte schon auf den ersten Blick deutlich sein – sperrig gegenüber jeder Art von Substanzialisierung in der Außenperspektive.255 254 Dies stellt jedenfalls den Normalfall der alltäglichen Rede in der ersten Person Singular dar. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass es Situationen oder Strukturen (bis hin zu krankhafter Persönlichkeitsspaltung) gibt, in denen sich eine Person selbst fremd wird und dementsprechend auch bei bestimmten Handlungen die Identität der Urheberschaft in Frage stellt (»das war ich nicht«). 255 Roth scheint dies in gewisser Weise auch erkannt zu haben, gibt er doch zu, dass es auf die Frage, »Wer bin Ich?« keine andere Antwort geben kann als »Ich« (siehe ders., Aus Sicht des Gehirns, 138). Die Ich-Rede ist nun einmal untrennbar mit der Perspektive der ersten Person verbunden, insofern stellt jede Objektivierung in der Rede von »dem Ich« in der Perspektive der dritten Person eine Verzerrung und Verfälschung dar. Die Art und Weise der sprachlichen Verwendung ist hier nicht vom Inhalt zu trennen. An einer Stelle zeigt sich auch sprachlich deutlich die Paradoxie der Verwendung der Worte »Ich« und »Selbst« in der Diktion Roths, konstatiert er doch in der Auseinandersetzung mit kompatibilistischen Freiheitspositionen, die sich auf ein Verständnis von Freiheit als »Selbstbestimmung« berufen, in Bezug auf »das Selbst«: »Natürlich gibt es in uns ein Selbst – wir sind das ja.« (ders., Fühlen Denken Handeln, 534). Man möchte fragen: Was nun? Sind wir es oder gibt es das in uns, besitzen wir es vielleicht sogar? Über die sprachlich und philosophisch äußerst bedeut-

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Es ergeben sich damit einerseits große Schwierigkeiten in der Argumentation Roths hinsichtlich seiner alltagspsychologischen und philosophischen Plausibilität, andererseits gerät man auch an einen Punkt, an dem er sich selbst widerspricht. Auf der einen Seite lehnt er gerade jenes substanzhafte Verständnis des »Ich« ab und wendet sich in aller Deutlichkeit gegen alle damit verbundenen Annahmen, insbesondere gegen ein dualistisches Weltbild der Scheidung von Geist und Materie. Auf der anderen Seite führt er jenes Weltbild in seiner Argumentation gegen die menschliche Freiheit gerade wieder ein, indem er vom Ich oder Selbst als einem Träger des Willensaktes in expliziter Unterscheidung vom Gehirn spricht. Welche Aussagekraft kann nun eine Argumentation haben, die eine bereits abgelehnte Basisannahme zu nivellieren versucht? Müsste nicht, um neurobiologisch sinnvoll einen Begriff von Freiheit kritisieren bzw. würdigen zu können ein anderes, diskutableres Verständnis von Ich oder Selbst zu Grunde gelegt werden? Es scheint, dass die Denkalternativen Roths ein solches Verständnis nicht zulassen.

same Differenz beider Ausdrucksweisen gibt Roth leider keine Rechenschaft. Eine Überschrift scheint in der Lage zu sein, die nicht aufzulösenden Paradoxien anzuzeigen: »Wo existiert mein Gehirn? Wer bin/ist ich/Ich?« (ders., Das Gehirn uns eine Wirklichkeit, 328).

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2.2 Dimensionen der Unfreiheit In einem zweiten Schritt geht es darum, dem von Roth verwendeten Freiheitsbegriff von der anderen Seite auf die Spur zu kommen und zu analysieren, worin Dimensionen menschlicher Unfreiheit liegen könnten. Prinzipiell müsste sich auch von dieser (negativen) Seite her zeigen, was Roth unter Freiheit versteht, bzw. warum für ihn die Rede von menschlicher Freiheit nicht sinnvoll erscheint. Dies gilt auch dann, wenn anzunehmen ist, dass Freiheit und Unfreiheit nie exakt symmetrisch sind. Als Pointe des bisher eruierten Verständnisses von Freiheit ließ sich die anthropologische Gegenüberstellung von Selbst bzw. Ich und Gehirn feststellen. Im Folgenden ist diese Grundaussage in ihren unterschiedlichen Aspekten zu rekonstruieren, indem ich anhand der Roth’schen Ausführungen deutlich mache, »[w]ie das Gehirn unser Verhalten steuert.«256 Dabei kommt es weniger auf eine Kritik der empirischen Befunde an sich, als auf deren systematische und freiheitstheoretische Interpretation an. 2.2.1 Materiale Aspekte der Steuerung durch das Gehirn 2.2.1.1 Die Bedeutung des Unbewussten Der primäre Sachverhalt, anhand dessen Roth das Problem der Willensfreiheit betrachtet, ist eine Entscheidung in einer bestimmten Situation bzw. unter bestimmten Umständen. Willensfreiheit bzw. –unfreiheit artikuliert sich nach Roth vor allem in der Art und Weise, wie wir Entscheidungen treffen und konkrete Handlungen ausführen.257 Diese Annahme ist sinnvoll, da ja gerade in der Erlebnisperspektive Freiheit nur in konkreten Entscheidungen sichtbar wird, wenn auch das Thema Freiheit insgesamt nicht darauf reduziert werden darf. Dies allerdings kann Roth auch nicht pauschal vorgeworfen werden, da er ja durchaus die Ontogenese des ganzen Menschen, und hier auch das Verhältnis von Bewusstsein und unbewussten Abläufen in den Blick nimmt.

256 Untertitel zu Roth, Fühlen Denken Handeln. 257 Die Perspektive liegt auch deshalb nahe, weil die empirischen Experimente wie gesehen nur an konkreten Einzelfallentscheidungen durchgeführt werden können.

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Als Hirnforscher ist Roth vor allem an den Hirnvorgängen interessiert, die ablaufen, wenn wir bestimmte Entscheidungen treffen. Von zentraler Bedeutung ist nun, welche Art von Entscheidungen Roth in den Blick nimmt, wenn er derartige Abläufe untersucht. In einem Aufsatz, der sich explizit mit der »Steuerung von Willenshandlungen«258 befasst, ist von einer bestimmten Klasse von Handlungen die Rede, die man nach Roth bezeichnenderweise »Willenshandlungen oder Willkürhandlungen nennt«259. Leider definiert er nicht explizit, was darunter zu verstehen ist. Es liegt allerdings zunächst der Verdacht nahe, Wille und Willkür seien hier gleichzusetzen. Andererseits dürfte es ja, mindestens in einer ernsthaften Problematisierung des Themas Willensfreiheit, nicht um arbiträre Entscheidungen gehen. Diese Option schließt Roth ja, wie bereits behandelt, an anderer Stelle aus. Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass hier von Willkürhandlungen im Sinne Libets die Rede ist, zieht Roth doch zur Begründung seiner Aussagen die entsprechenden Experimente heran. Es stellt sich daher die Aufgabe, zu sehen, ob die hier von Roth dargebotenen Erkenntnisse auch für andere Formen der Entscheidung gültig sind bzw. ob die hier genannten Argumente überhaupt als aussagekräftig eingestuft werden können. Ausgehend von den Ergebnissen Libets kommt er zu einem komplexen Modell der Steuerung von Handlungen, dessen neurobiologische Details in unserem Kontext nicht von Bedeutung sein dürften.260 Wichtig sind allerdings einige Strukturmerkmale. Grundlegend muss nach Roth betont werden, dass es sich bei den vor einer motorischen Handlung ablaufenden, äußerst differenzierten Vorgängen von Erregung und Hemmung bestimmter Hirnzentren um ein Zusammenspiel bewusst und unbewusst arbeitender Regionen handelt, die weitgehend unabhängig voneinander agieren können. In der Diktion der Hirnforschung ist hier von »Parallelverarbeitung«261 die Rede. Dabei wirken zwei Schleifen, die so genannte ventrale und die dorsale Schleife zusammen, die jeweils wieder aus zahlreichen Einzelschritten und Schleifen bestehen. Die dorsale Schleife, die mindestens zu einem Teil bewusst arbeitet, hat dabei vor allem mit der Aktivierung motorischer Areale zu tun. Sie sei allerdings ohne die enge Verzahnung mit der weithin

258 259 260 261

Roth, Zusammenwirken. A. a. o., 17. Vgl. a. a. o., 25-35; sowie Pauen/Roth, Freiheit Schuld Verantwortung, 85-98. Roth, Zusammenwirken, 29.

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unbewusst arbeitenden ventralen Schleife nicht in der Lage, alleine einer Bewegung die »Freischaltung«262 zu erteilen. Die ventrale, limbische Schleife steht unter starker Beeinflussung unbewusst arbeitender Zentren, namentlich der Amygdala, des mesolimbischen Systems und des Hippocampus. Diese Zentren steuern die Handlung durch unbewusste emotionale Bewertung von Handlungen und den Rückgriff auf bereits gespeicherte und bewertete Handlungsschemata. Aber auch cortikale, also bewusstseinsfähige Zentren sind an dieser Schleife beteiligt, etwa wenn es um die moralische und rationale Bewertung einer Handlungsalternative geht. Insgesamt lassen sich nach Roth drei Phasen der Vorbereitung und Realisierung von Willkürhandlungen unterscheiden. In einer ersten Phase kommt es, teils unbewusst teils bewusst, zur Entstehung von Wünschen und Absichten. Diese sind entweder emotional, durch sensorisch bemerkbare Einflüsse von außen, oder auch durch rationale Einsichten induziert. Für einen Gutteil der Wünsche dürfte dabei gelten, dass sie unbewusst in uns aufsteigen, ohne dass wir sie aktiv kontrollieren. Dabei wird nun die ventrale, limbische Schleife so oft durchlaufen, bis einige der Wünsche gewissermaßen ins Auge gefasst werden und sich eine konkrete Handlungsabsicht ausbildet. In der zweiten Phase, die der unmittelbaren Handlungsvorbereitung dient, wird nun die konkrete, bewusste Handlungsabsicht durch Interaktion mit den unbewusst arbeitenden Basalganglien, deren dorsale Bereiche nach Roth eine Art »Handlungsgedächtnis«263 darstellen, abgeglichen. Für den Fall einer positiven Bewertung wird dann vom limbischen System die dorsale Schleife aktiviert, welche den konkreten motorischen Vollzug der Handlung einleitet. Zusammenfassend stellt Roth fest, »daß beim Entstehen von Wünschen und Absichten das unbewußt arbeitende emotionale Erfahrungsgedächtnis das erste und das letzte Wort hat: das erste Wort beim Entstehen unserer Wünsche und Absichten, das letzte bei der Entscheidung, ob das, was gewünscht wurde, jetzt und hier und so und nicht anders getan werden soll.«264 Es kann also Folgendes festgehalten werden: Bei der Steuerung von so genannten Willkürhandlungen spielen sowohl unbewusste als auch bewusste Hirnprozesse eine

262 A. a. o., 35. 263 A. a. o., 29 (kursiv im Original). 264 Roth, Zusammenwirken, 35.

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Rolle.265 Dies ist zunächst einmal nicht als spektakuläre Erkenntnis einzustufen, kann es doch auch alltagspsychologisch als vertraut gelten, dass wir viele Handlungen unbewusst, oder eben nur teilweise bewusst bzw. mit einem geringen Grad von Bewusstsein ausführen. Die Pointe der Roth’schen Ausführungen liegt nun wie gesehen darin, dass die völlig unbewusst arbeitenden Basalganglien offensichtlich Anfang und Ende der Handlungssteuerung in ihrer Hand haben. Die Meinung, wir würden unsere Handlungen in aller Regel bewusst steuern, wäre damit eine Illusion.266 Denn »Bewußtsein ist [...] nur ein Ratgeber, keine Entscheidungsinstanz.«267 Welchen Wert hat nun diese Argumentation für das Freiheitsproblem? Die Rolle des Bewusstseins müsste noch präzise bestimmt werden, denn dieses scheint zwar keine entscheidende, aber doch eine bestimmte Funktion innezuhaben. Wenn es als eine Beratungsinstanz fungiert, dann dürfte es immerhin nicht ganz wirkungslos sein, und es wäre angebracht, die spezifische Funktion gerade auch für die Freiheitsfrage zu erörtern. Durch das Abschneiden der Argumentation mit der Annahme, erstes und letztes Wort lägen in den Händen unbewusster Prozesse, wird dies unmöglich. An anderer Stelle erörtert Roth allerdings die Funktion des Bewusstseins explizit, das demnach immer dann auftritt, wenn im Zusammenhang von neuen oder besonders wichtigen Arbeitsvorgängen Neuverknüpfungen von Nervensträngen stattfinden;268 er weist in einer neuen Veröffentlichung (zusammen mit Michael Pauen) auch ausdrücklich auf die positiven systematischen Funktionen des Bewusstseins hin,269 was etwa Thomas Goschke schon getan hatte (Antizipation, 265 Wolf Singer argumentiert nicht unzutreffend, dass alltagspsychologisch die Unterscheidung von bewusst und unbewusst getroffenen Entscheidungen eine wesentliche Rolle für die Zuschreibung von Freiheit oder Unfreiheit spielt. Allerdings sei die Differenzierung aus neurowissenschaftlicher Sicht irrelevant, da davon auszugehen sei, dass allen Entscheidungen, bewusst oder unbewusst, deterministisch ablaufende, neuronale Prozesse zu Grunde liegen (ders., Selbsterfahrung und Fremdbeschreibung, 156-160). 266 In dieser Annahme sieht Tillmann Vierkant die größte Herausforderung der Kognitionswissenschaften an ein traditionelles Verständnis von Willensfreiheit (vgl. ders., Herausforderung, bes. 81-85). 267 Roth, a. a. o., 38; damit vertritt Roth eine ähnliche Position wie Daniel Wegner, der den bewussten Willen ja mit einem Kompass verglichen hatte, der das »Schiff Mensch« nicht steuert, ihm aber die rechte Richtung weist (vgl. S. 54 bzw. FN 166). 268 Vgl. Roth, Gehirn Wirklichkeit, 213-247. 269 Pauen/Roth, Freiheit Schuld Verantwortung, 82-85.

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Planung, Suspendierung von Reizen etc.);270 es wird allerdings erneut betont, dass Bewusstsein bei der Initiierung einzelner Handlungen nicht beteiligt ist. Es bleibt also in dieser Frage bei der initialen wie auch finalen Kontrollfunktion der unbewussten Prozesse.271 Was sagt diese These über den vorausgesetzten Freiheitsbegriff? Roth unterstellt implizit – möglicherweise auch aus rhetorischen Gründen (wiederum in Bezugnahme auf den alltagspsychologischen Freiheitsbegriff272) – dass Freiheit nur dann zu denken sei, wenn wir bewusst entscheiden und dabei unabhängig, auch unabhängig von den uns prägenden Erfahrungen, handeln könnten. Dass dies nur willkürliches Handeln sein kann, ist ihm dabei durchaus klar. Entscheidungen, die nun aufgrund unbewusster Prozesse, und damit aufgrund der gespeicherten Erfahrung einer Person fallen, können von Roth nicht mehr als frei bezeichnet werden. Es geht ihm in dieser Hinsicht um eine Revision des vermeintlich traditionellen Verständnisses von Willensfreiheit. Interessant ist allerdings, dass Roth es durchaus begrüßt, hier von Autonomie zu sprechen. Denn unser Handeln könne man »in dem Maße als autonom ansehen, indem es von der individuellen Erfahrung [...] gelenkt wird.«273 Dieser Aspekt wird in dem neuen, gemeinsam mit Pauen herausgegebenen Buch noch stärker betont, wenn darauf hingewiesen wird, »daß trotz aller Verkürzung und Automatisierung das Erleben der eigenen Autorschaft […] weiter vorhanden ist«274, was ja auch als berechtigt erscheint, da auch die unbewussten Prozesse auf die Erfahrungen der je individuellen Person verweisen. Diese Fassung von Autonomie kann durchaus als ein diskutables Verständnis angesehen werden. Es zeigt sich allerdings auch hier eine mangelnde Konsequenz, spricht Roth doch an anderer Stelle von der »externe[n] Bedingtheit 270 Vgl. Goschke, Vom freien Willen, 192. 271 Als Beispiel einer ebenfalls empirisch-naturwissenschaftlichen Position, die dem Bewusstsein explizit eine systematisch wichtige Rolle zutraut, sei die Argumentation von Christof Koch (in Übereinstimmung mit Francis Crick) genannt, innerhalb der von »Bewusstsein als Abstract« (Koch, Bewusstsein, 253) die Rede ist. Damit bezeichnen die Vertreter einen mutmaßlichen Mechanismus, mittels dessen durch bewusste Wahrnehmung und Repräsentation im Gehirn die wichtigsten, handlungsrelevanten Informationen dargeboten werden und auf diese Weise eine effiziente Entscheidungsfindung gewährleistet werden soll. Die Position ließe sich durchaus auf die Freiheitsfrage hin pointieren (vgl. insgesamt a. a. o., 251-269). 272 Roth, Zusammenwirken, 17. 273 A. a. o., 38. 274 Pauen/Roth, Freiheit Schuld Verantwortung, 98; ähnlich Roth, Zusammenwirken, 36.

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unseres Willens«275 und meint damit offensichtlich die eben geschilderte Abhängigkeit. Unter »extern« versteht man der Argumentation nach um das Gleiche, was andernorts mit »individueller Erfahrung« beschrieben wurde. Ist diese Erfahrung nun als externe Determination des Willens zu denken? Bei einer solchen Konstruktion dürften wir zu einem gespaltenen Bild einer Person kommen, wenn das, was gewissermaßen anatomisch innen, nämlich im Gehirn zu lokalisieren ist, für den Willensakt als äußerlich zu beschreiben wäre. Wir stehen damit wieder am bereits identifizierten Grundproblem der Anthropologie Roths, nämlich der nicht (ausreichend) reflektierten Trennung und Gegenüberstellung von Wille, Ich, Selbst auf der einen Seite, sowie Gehirn, den unbewussten Vorgängen im limbischen System, den Basalganglien etc. auf der anderen Seite. Sie ist bei Roth in dem hauptsächlich skizzierten Aufsatz276 und insbesondere in der mit Pauen gemeinsam getätigten Veröffentlichung insofern relativiert, als die Zuschreibung der Handlungsurheberschaft auch bei teilweise unbewusster Steuerung möglich erscheint. Die Ursache dafür sei aber nicht, dass der Willensakt bzw. die bewusste Intention die Ursache der Handlung darstelle, sondern dass sich die Person offensichtlich auch die unbewusst gespeicherte Erfahrung zurechnet. Die Frage ist nur: Tut sie das zu Recht? Es bleibt an dieser Stelle ein gewisses Unbehagen angesichts der Tatsache, dass der bewusste Wille für die tatsächliche Handlungsausführung kaum eine Rolle zu spielen scheint und offensichtlich doch zu einem Epiphänomen degradiert wird. Die These erscheint hier nicht überzeugend begründet, weil erstens die zugestandene Beratungsfunktion nicht näherhin spezifiziert wird, und zweitens als empirische Belege weiterhin die – wie gesehen – in ihrer Interpretation äußerst problematischen Libet-Experimente herangezogen werden. Als anthropologisches Zentralproblem ergibt sich die Frage, inwiefern die von Roth eingeführte Leitperspektive von Innen und Außen tragfähig ist.277 Heißt unbewusste Steuerung tatsächlich externe Be275 A. a. o., 18. 276 Roth, Zusammenwirken. 277 Ich erwähne – gewissermaßen als Ironie der Diskussion – dass der von Roth immer wieder angeführte Gewährsmann Libet auch unbewusste Aspekte durchaus zum Selbst, und damit zur Identität einer Person rechnet. Unbewusstes muss hier nicht als externer Einfluss verstanden werden, auch wenn Libet dennoch (seinen Experimenten entsprechend) darin eine Einschränkung der Freiheit sieht (ders., Mind Time, 257 f).

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dingtheit? Letztlich bleibt an der eben verhandelten Stelle die Frage offen, ob Roth sich angesichts der menschlichen Entscheidungen und Handlungen zu Grunde liegenden Prozesse in der Lage sieht, von Freiheit zu sprechen.278 Diese kann daher hier auch nicht letztlich beantwortet werden. Es zeigt sich aber, dass der Freiheits- bzw. auch der Autonomiebegriff einiges an Spielraum bietet. Ein zentrales Kriterium für die Frage, ob der Freiheitsbegriff hinreichend »stark« ist, besteht darin, ob er die Zuschreibung von Verantwortung zu rechtfertigen in der Lage ist. Dies wurde bei Roth im Kontext des hier verhandelten Aufsatzes nicht völlig deutlich.279

2.2.1.2 Die Macht der Emotionen Ein weiterer Aspekt menschlicher Unfreiheit (im Gegenüber zu einem herkömmlichen Verständnis von Freiheit) ergibt sich nach Roth aus dem Verhältnis von Kognition und Emotion, insbesondere aus der Einschränkung und Beeinflussung unserer (vermeintlich freien) kognitiven Fähigkeiten durch emotionale Faktoren. Dieser Aspekt ist vor allem deshalb wichtig, weil sich (wie Roth auch selbst deutlich macht) der Mensch lange Zeit als animal rationale verstanden hat, wobei die Rationalität in spezifischer Weise den Unterschied des Menschen zum Tier markierte und ihn als freies Lebewesen kennzeichnete. Und auch gegenwärtig wird Freiheit oft mit der Vernunft des Menschen begründet.280 Die spezifische Rolle der Emotionen (Gefühle)281 soll daher (in 278 Deutlich ist nur die Ablehnung in Bezug auf die »tatsächliche Willensfreiheit, d. h. die Möglichkeit, in einer bestimmten Situation auch ganz anders zu handeln« (Roth, Zusammenwirken, 39). In dem mit Pauen gemeinsam verantworteten Buch sieht die Argumentation anders aus; hier wird betont, dass nur ein abwegiger, nämlich zu starker Freiheitsbegriff abgelehnt werde, ein kompatibilistisches Freiheitskonzept hingegen durchaus mit den empirischen Erkenntnissen übereinstimmen könnte (Pauen/Roth, Freiheit Schuld Verantwortung, 109). Diese Schlussfolgerung ist m.E. der Adaption des Pauen’schen Freiheitsbegriffs geschuldet, den ich noch gesondert validieren werde (siehe II., 3.4.) In Roths eigenen Veröffentlichungen war dies bislang nicht zu finden. 279 Der eingangs dieses Aufsatzes anvisierte Punkt der Verantwortlichkeit (Roth, Zusammenwirken, 17) wird zum Ende leider nicht mehr aufgegriffen. 280 Siehe II., 3.3. 281 Ich verzichte hier auf die prinzipiell sicher sinnvolle Unterscheidung zwischen Emotion und Gefühl, wie sie etwa Antonio Damasio getroffen hat (vgl. ders., SpinozaEffekt, 37-39), nach der Emotionen der sichtbare Ausdruck, Gefühle der prinzipiell

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Pointierung dessen, was bereits zum Einfluss des Unbewussten gesagt ist) im Gegenüber zu den rationalen Fähigkeiten des Menschen gekennzeichnet werden. Grundlegend für das Verhältnis von Kognition und Emotion ist nach Roth deren neurologisch begründete »unauflösliche Einheit«282. Fundiert sei diese Einheit in den engen neuronalen Verbindungen zwischen assoziativem Cortex als Sitz der kognitiven Fähigkeiten des Menschen und limbischem System als dem Sitz der Emotionen. Emotionen sind somit nach Roth nicht von kognitiven Operationen zu trennen, sondern gerade auch für die Steuerung kognitiver Vorgänge von zentraler Bedeutung. Emotionen spielen nach Roth für die Verhaltenssteuerung des Menschen deshalb eine solch große Rolle, weil sie den »erlebnismäßigen Ausdruck des Prozesses der Selbstbewertung des Gehirns«283 darstellen. Das limbische System, das emotionale Inhalte verarbeitet, bewertet das, »was das Gehirn tut«284, nach den Grundkategorien von Lust und Unlust mit weiteren Differenzierungen. Dies gilt sowohl für durchgeführte Handlungen als auch für solche, die gewissermaßen in der Planungsphase sind. Bei bereits durchgeführten Handlungen wird die emotionale Bewertung im Gedächtnis abgelegt, sodass eine enge Verbindung von hervorgerufener Emotion und Gedächtnisinhalt entsteht. Handlungsoptionen, die zur Disposition stehen, können auf diese Weise anhand der Daten des emotionalen Erfahrungsgedächtnisses überprüft werden. Damit werden die Emotionen in den Augen Roths zum entscheidenden Handlungsfaktor. Die unbewussten Einflüsse, die oben als letzte Instanz bei der Handlungssteuerung beschrieben wurden, bestehen wesentlich in den emotionalen Qualifizierungen vergangener Abläufe, die im Gedächtnis gespeichert sind und über das limbische System unser Verhalten steuern. Wenn in dieser Weise von der »Macht der Emotionen« gesprochen wird, so muss dabei auch geklärt werden, was unter Emotionen zu verstehen ist. In einem weiten Sinn können zu den Emotionen auch verschiedene Formen von Affekten gezählt werden, die, wie etwa nicht sichtbare Teil des einen Prozesses bezeichnen. Für unsere Zwecke genügt es, das Gesamtphänomen im Gegenüber zu kognitiven Leistungen zu bezeichnen. 282 Roth, Gehirn Wirklichkeit, 178. 283 Ebda. Diese Annahme steht in einer gewissen Spannung zur These von Koch und Crick, die explizit dem Bewusstsein zutrauen, wichtige Entscheidungssituationen aufgrund von kompakter Informationsverarbeitung zu bewerten (s.o. FN 271). 284 A. a. o., 209.

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Hunger oder Müdigkeit, unser Verhalten durch bestimmte standardisierte Handlungsprogramme lenken, etwa durch das einsetzende Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme oder Schlaf. Emotionen im engeren Sinne steuern unser Verhalten anhand der so genannten »emotionalen Konditionierung«285, also der oben angedeuteten Beziehung von bereits gemachten und im Gedächtnis gespeicherten Erfahrungen samt deren emotionaler Bewertung und der Anwendung dieser Erfahrung auf neue Situationen. Hier kommen Emotionen im engeren Sinne wie Freude, Angst, Abneigung, Furcht etc. zum Tragen. Sie sind vermutlich jedem Menschen angeboren und qualifizieren unsere Erlebnisse, wodurch sie zum Kriterium künftiger Handlungen werden. Die Konditionierung kann dabei bewusst (unter Reflexion) oder aber unbewusst erfolgen, wie sie sich zeigt wenn wir beispielsweise intuitiv eine (für uns angenehme) Handlungsoption ergreifen. Spezifisch für diese Art von Emotionen ist, dass sie sich »mit allen erdenklichen Objekten und Situationen verbinden lassen«286, also letztlich alle Lebensbereiche bestimmen können. Emotionen können nun deshalb als ein Indikator der Unfreiheit gelten, weil wir sie nicht in der Hand haben. Sie sind nicht oder nur in ganz geringem Maße steuerbar. Sie überkommen uns schlichtweg, so dass wir auch unter ihnen leiden können, wenn wir etwa bemerken, dass ein bestimmtes, sehr starkes (negatives) Gefühl uns für einen Moment völlig in Beschlag genommen hat.287 Derart starke Gefühle sind allerdings nicht die Regel. Es war ja schon angeklungen, dass viele Emotionen sich eher in einer Art intuitiven Geneigtheit zu einer bestimmten Handlung zeigen. Eingeschränkt ist die Macht der Emotionen nun dadurch, dass sie zwar eine Vielzahl unserer alltäglichen Handlungen steuern, aber nicht fähig sind, »komplexe Sachverhalte [zu] verarbeiten«288. Nur der Verstand kann diese Zusammenhänge erfassen und ist auch in der Lage, längerfristige Konsequenzen abzuwägen.289 Roth betont nun allerdings, dass wir längst nicht in allen Entscheidungen auch entsprechend der Vernunft handeln. Vielmehr trifft, wie oben schon gezeigt, das limbische System und damit unbe-

285 286 287 288 289

Roth, Aus Sicht des Gehirns, 147. Ebda. Vgl. Roth, Fühlen Denken Handeln, 285. Roth, Aus Sicht des Gehirns, 160. Für Peter Bieri ist genau diese Fähigkeit des distanzierten, rationalen Abwägens ein Aspekt der Freiheit (vgl. ders., Handwerk der Freiheit, 65 ff).

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wusst arbeitendes Areal die letzte Entscheidung.290 Alles, was wir tun, müsse (ob uns dies bewusst ist oder nicht) »emotional akzeptabel«291 sein. Dieses Kriterium ist nach Roth ausschlaggebend dafür, ob eine Option zur Handlung wird oder nicht. Unsere rationalen Argumente und Abwägungen sind nach Roth stets emotional unterlegt. »[D]as limbische System entscheidet, in welchem Maße Verstand und Vernunft zum Einsatz kommen.«292 Anders gesagt gilt, »dass Gefühle den Verstand eher beherrschen als der Verstand die Gefühle«293. Die Vernunft scheint somit ein geeignetes (Hilfs-) Instrument zur Bewältigung komplexer, vor allem neuartiger Situationen sowie zur langfristigen Handlungsplanung zu sein, ist aber stets von den Emotionen abhängig. Dennoch bleibt auch die positive Rolle der Vernunft in Bezug auf ihre freiheitsrelevanten Aspekte unklar. In Bezug auf das Problem der Willensfreiheit konzentriert sich der Aspekt auf die Frage, ob bzw. inwiefern die Abhängigkeit von Emotionen als Unfreiheit zu gelten hat. Roth selbst kann diese durchaus auch positiv werten, gelten sie ihm doch als »konzentrierte Lebenserfahrung«294. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, kommt darin zum Ausdruck, dass unsere eigene Geschichte, und nicht primär eine fremde Macht unser Verhalten bestimmt. Dennoch ist diese Abhängigkeit in der Konzeption Roths als ein Mosaikstein der Unfreiheit zu werten, da wir nicht in der Lage sind, die emotionalen Abläufe und die damit zusammenhängenden Entscheidungen bewusst zu kontrollieren und zu verändern. Es kann durchaus von einer Herausforderung für ein traditionelles Freiheitskonzept gesprochen werden, da tatsächlich in weiten Teilen der philosophischen Tradition Freiheit mit Rationalität verbunden war. In systematischer Sicht stellt sich die Frage, welcher Grad an bewusster, rationaler Verhaltenssteuerung notwendig ist, um von Freiheit sprechen zu können bzw. ob die Macht der Emotionen Unfreiheit mit sich bringt; oder könnte und müsste diese Macht mögli-

290 Neuronal lässt sich diese Tatsache nach Roth derart erklären, dass nur das limbische System einen unmittelbaren Zugang zu den Basalganglien hat, die unsere Handlungen letztendlich freischalten. 291 Roth, Aus Sicht des Gehirns, 162. 292 A. a. o., 164. 293 Roth, Fühlen Denken Handeln, 375. Dem widersprechen explizit Kornhuber/Deecke, welche die Führungsrolle der die Emotionen steuernden Amygdala nicht akzeptieren (dies., Wille und Gehirn, 63-65). 294 Roth, Fühlen Denken Handeln, 375.

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cherweise in einen philosophisch und theologisch verantwortbaren Freiheitsbegriff integriert werden? Die Evaluierung der Position Roths hängt hier also auch in diesem Punkt von der übergeordneten Frage ab, wo die Grenze zwischen Selbst- und Fremdbestimmung verläuft; letztere kann ja offensichtlich nicht umstandslos mit der Steuerung durch das Gehirn identifiziert werden. Auch hinsichtlich der Macht der Emotionen müsste geprüft werden, inwiefern sie die Zuschreibung von Verantwortung erlauben oder verhindern. Darauf, wie auf die systematische Frage nach einem theoretisch geklärten Freiheitsbegriff, werde ich noch zurückkommen. Die »materialen« Aspekte der Handlungssteuerung durch das Gehirn jedenfalls scheinen menschliche Unfreiheit nicht begründen zu können: einerseits, weil die absolute Vorherrschaft von Unbewusstem und Emotion experimentell mit dem Bezug auf die Libet-Experimente auf dünnem Boden steht295 und die nach wie vor angenommene Rolle von Bewusstsein und Vernunft nicht systematisch aufgeklärt wird; andererseits weil in der Betonung von Unbewusstem und Emotionen noch keine theoretische Besinnung auf den Begriff der Freiheit erfolgt. 2.2.2 Strukturelle Aspekte der Steuerung durch das Gehirn 2.2.2.1 Irreversible Prozesse Eine weitere Dimension der Existenz des Menschen, die Roth Anlass gibt, die Zuschreibung von Freiheit zu verweigern oder einzuschränken, liegt darin begründet, dass der Mensch in seiner Entwicklung vielfältigen Einflüssen ausgesetzt ist, die er selbst nicht in der Hand hat. Dabei spielt nun insbesondere eine Rolle, dass wir nicht nur konkrete Einzelfallentscheidungen unter wesentlichem Einfluss unbewusster Vorgänge treffen, sondern dass die gesamte Entwicklung der Persönlichkeit Einflüssen unterliegt, die nicht bzw. nur zu einem geringen Teil bewusst gesteuert werden können. 296 Bedeutsam ist hier insbesondere die Entwicklung des menschlichen Selbstbewusstseins. Roth unterscheidet in Bezug auf die Entwicklung

295 Hans Helmut Kornhuber etwa widerspricht energisch der Hochschätzung des limbischen Systems, insbesondere der Amygdala durch Roth, wenn er sagt, »dieses alte System« spiele eine »untergeordnete Rolle« (ders., zur Freiheit, 106) für die Freiheit (oder Unfreiheit) des Menschen. 296 Vgl. zum folgenden Absatz: a. a. o., 382-386.

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des Ich-Gefühls fünf Phasen, in denen jeweils ein spezifischer Aspekt des Selbstbewusstseins zunehmend zum Tragen kommt. Dabei geht die Entwicklung von der körperbezogenen Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich, über das Entstehen eines Bewusstseins der Autorschaft von Handlungen sowie eines Selbst in der sozialen Kommunikation, bis hin zur expliziten Ausformung eines sprachlich-sozialen Ich und zur geistigen Entwicklung im engeren Sinne, also der Fähigkeit zu einfachen abstrakten Denkvorgängen unter Benutzung eines Arbeitsgedächtnisses. Die geschilderten Phasen bauen dabei allerdings nicht in der Weise aufeinander auf, dass jeweils auf eine abgeschlossene Phase die nächste folgen würde, vielmehr überlappen sich die einzelnen Entwicklungsstränge in durchaus komplexer Weise. Die sukzessive Entstehung des Bewusstseins, insbesondere des Selbstbewusstseins samt seiner sprachlichen Artikulation in der Rede der ersten Person, hat für die Konzeption Roths zentrale Bedeutung. Hier scheint sich zu zeigen, dass »das Ich nicht der große Steuermann ist, für den es sich selbst hält«297. Die Einsicht in die Entstehung des IchGefühls bzw. der verschiedenen Verwendungsweisen der Ich-Rede führt zu der zunächst einmal nicht zu bezweifelnden Einsicht, dass »das Ich«, sollte es eine solche substantielle Instanz tatsächlich geben, vielfältigen Einflüssen unterliegt und somit kein höchstes, unabhängiges Kontrollzentrum sein kann. Die Ausformung des Ichs ergibt sich aus unterschiedlichsten lebensgeschichtlichen Prägungen. Insbesondere unterliegt das »Ich-Gefühl« als bewusster Zustand zahlreichen unbewussten Antezedenzien. Dies kann sich nach Roth darin äußern, »dass unsere Wünsche, Gedanken, und Pläne in Richtungen gehen, die wir nicht beabsichtigen, dass wir Dinge tun, die wir nicht bzw. nicht so gewollt haben [...]«298. In der philosophischen Sprache des Diskurses könnte aus genannten Gründen daher weder von Willensfreiheit, also der Beeinflussung des Willens durch ganz bestimmte Wünsche bzw. einen höherstufigen Willen, noch von Handlungsfreiheit, also der Freiheit gemäß dem eigenen Willen bzw. den präferierten Wünschen zu handeln, die Rede sein. Das Ich kann nach Roth nicht als aktive Instanz verstanden werden, welche die Kontrolle über verschiedenste

297 A. a. o., 395 (Hervorhebung B. B. ). 298 Ebda.

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Abläufe in der Hand hat, sondern nur als »virtuelle Instanz«299, die in der vom Gehirn konstruierten Welt eine bestimmte Funktion ausübt. Die hier zum Ausdruck gebrachte Dimension der Unfreiheit lässt sich folgendermaßen auf den Punkt bringen. Wir Menschen sind nicht frei, jedenfalls nicht im traditionellen Sinne, weil wir in unserer Existenz lebensgeschichtlich gegebenen Bedingungen unterliegen, die wir nicht kontrollieren können. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass diese Prägungen unbewusst (hier vor allem: vorbewusst) geschehen, wir also nicht einmal bemerken, dass wir in bestimmter Weise geprägt sind. Das entwicklungsgeschichtlich erst relativ spät sich ausprägende (Selbst-)Bewusstsein kann die Antezedenzien daher weder durchschauen noch im Nachhinein verändern. Das Ich als pointierter Ausdruck des Selbstbewusstseins wäre eher als Gefangener der Entwicklungsgeschichte zu bezeichnen, denn als freier und bewusst agierender Kontrolleur der Persönlichkeit. Insgesamt legt sich damit ein Modell der Entwicklung der Persönlichkeit eines Menschen nahe, das von verschiedenen Determinanten ausgeht. Unter Persönlichkeit kann dabei nach Roth gängigerweise »eine Kombination von Merkmalen des Temperaments, des Gefühlslebens, des Intellekts und der Art, sich zu artikulieren, zu kommunizieren und sich zu bewegen, hinsichtlich derer sich eine Person von einer anderen unterscheidet«300 verstanden werden. Man könnte auch von der Individualität einer Person hinsichtlich der nicht unmittelbar körperlichen Eigenschaften sprechen. Zwar gehört auch die Körperlichkeit eines Menschen selbstverständlich (mindestens mittelbar) zu dessen Persönlichkeit. Roth beschränkt sich hier wohl aber bewusst auf die genannten Aspekte, die prima facie als nicht materiell determiniert verstanden werden. Umso eindrücklicher fällt nachher die Darstellung der materiellen Bedingtheit auch der vermeintlich geistigen Phänomene aus. Die in unserem Zusammenhang hinsichtlich des Freiheitsproblems relevante Frage ist die nach dem Verhältnis von angeborenen, will sagen nicht veränderbaren oder jedenfalls nicht bewusst zu steuernden Faktoren, und veränderlichen Merkmalen, die der Erziehung oder auch der bewussten Reflexion des Individuums unterliegen. Roth bean-

299 A. a. o., 396; vgl. die Rede Daniel Wegners vom bewussten Willen als eines »virtual agent« (siehe FN 159). 300 Roth, Fühlen Denken Handeln, 398.

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sprucht dabei, die Frage »aus heutiger biologischer Sicht«301 zu bearbeiten. Dabei ergeben sich für ihn drei grundlegende Faktoren, die gewichtigen Einfluss auf die Entwicklung einer Persönlichkeit haben: die Gene, diverse Umwelteinflüsse, sowie Erlebnisse eines Neugeborenen in den ersten Monaten nach der Geburt. Insgesamt spricht Roth davon, dass (bei allen Schwierigkeiten, die Anteile zahlenmäßig zu benennen302) eine Persönlichkeit zu ca. 40-50% durch ihre Gene festgelegt ist, zu ca. 30-40 % durch frühkindliche Ereignisse geprägt wird und sich nur der relativ kleine Rest von ca. 20% durch spätere Einflüsse und Prägungen ergibt. Dabei könne insgesamt eher von einer »Ausreifung« als von einer nachträglichen »Veränderung im Kern« die Rede sein.303 Dennoch zeigt Roth auf, dass etwa in Bezug auf die Intelligenz eines Menschen die Erziehung eine durchaus beträchtlichen Einfluss, in positiver wie in negativer Hinsicht, ausüben kann. Die Möglichkeit der Prägung eines Menschen wird allerdings insbesondere für die ersten drei Lebensjahre angenommen, die für die weitere Entwicklung eine nicht zu hintergehende Basis liefern. Zusammenfassend lasse sich sagen, dass der Kern einer Persönlichkeit bis zum dritten Lebensjahr weitgehend ausgereift ist.304 Damit sei einem jeden Menschen ein Gepräge mitgegeben, das er bei voller Ausformung seiner kognitiven Fähigkeiten nur noch in sehr geringem Maße verändern kann und das auch durch Umwelteinflüsse nur noch geringfügig beeinflusst wird. Es kommt noch hinzu, dass die Umwelteinflüsse, die einen Menschen prägen, auch mittelbar durch die genetische Veranlagung bestimmt sind. Denn nach Roth ist eher davon auszugehen, dass sich ein 301 A. a. o., 400. 302 Roth ist sich dieser Schwierigkeit durchaus bewusst. Allerdings geht er trotz der Probleme, die Bedeutung der Faktoren »quantitativ [...] abzuschätzen« davon aus, dass sie »qualitativ unbezweifelbar« (a. a. o., 401) ist. Die hier auftretenden Probleme, etwa in Untersuchungen die sich auf eineiige Zwillinge beziehen, sind für unseren Argumentationszusammenhang allerdings nur von untergeordneter Bedeutung, kommt es doch hier nicht auf eine exakte prozentuale Bestimmung, sondern vielmehr auf die kategorialen Aussagen und die damit verbundenen kritischen Fragen an. 303 A. a. o., 411. 304 Eine ähnliche Auffassung vertrat auch schon Sigmund Freud, der eine weitgehend fertige Ausbildung der Persönlichkeit eines Kindes mit fünf Jahren annahm: »Es ist längst Gemeingut geworden, daß die Erlebnisse der ersten fünf Jahre einen bestimmenden Einfluß auf das Leben nehmen, dem sich nichts Späteres widersetzen kann.« (ders., Der Mann Moses, 162). Wiederum Kritik an dieser Auffassung üben Kornhuber/Deecke, die von der lebenslangen Lernfähigkeit des Menschen ausgehen und vor allem die frühkindlichen Einflüsse längst nicht so stark bewerten wie Roth.

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Mensch die zu ihm, will sagen zu seiner genetischen Prägung, passende Umwelt sucht, als dass er durch eine seiner Persönlichkeit widerstreitende Umwelt geprägt oder angepasst wird. Insgesamt formuliert Roth daher, dass »sich die gesellschaftliche Natur des Menschen [...] aus seiner (neuro-)biologischen Natur«305 ergibt, nicht etwa anders herum. Die grundlegende Prägung eines Menschen liegt in begrenztem Umfang in der Hand der Personen des unmittelbaren Lebensumfeldes (insbesondere des Kleinkinds), und nur für einen ganz geringen Teil der Persönlichkeit dürfte, wenn überhaupt, gelten, dass ein Mensch sich selbst durch bewusste Aktion verändern kann. Auch wenn in dem besprochenen Themenfeld das Thema »Freiheit« von Roth nicht explizit angesprochen wird, so ist die sachliche Virulenz der Fragestellung doch evident. Insbesondere wenn Freiheit mit »Selbstbestimmung« wiedergegeben wird, ist die Frage aufgeworfen, wie groß bzw. von welcher Qualität der Anteil der Bestimmung durch sich selbst anzunehmen ist, und was an nicht zu ändernden, genetisch und neuronal realisierten Vorgaben akzeptiert werden kann. Kann noch von Selbstbestimmung und damit von Freiheit gesprochen werden, wenn der Mensch in seiner Persönlichkeit zu ca. 80% vorgeprägt ist? Kann diese Vorprägung noch in ein sinnvolles Bild von Selbst integriert werden oder widerspricht sie geradezu der »freien« Selbstbestimmung? Insgesamt ist nach Roth ein »Wechselspiel zwischen Anlage und Umwelt«306 für den Werdegang eines Menschen verantwortlich. Mit der Annahme der hohen Vorprägung eines Menschen ist nun aber nicht gesagt, wie sich die solchermaßen konstituierte Person zu sich selbst und ihrer Umwelt verhalten kann. Die von Roth als Paradebeispiel angeführten Statistiken über die Vorprägung von Straftätern307 lassen sich ja nur deskriptiv und ex post erstellen, und geben somit noch keine Aussage über mögliche andere Verläufe bei gleicher Vorprägung ab. Ein notwendiger Zusammenhang kann offensichtlich nicht konstruiert werden. Will man noch von Freiheit oder Selbstbestimmung sprechen können, so kommt es also sehr darauf an, wie das darin implizierte »Selbst« – insbesondere in Bezug auf die sich bietenden kleinen Spielräume – zu verstehen und ob hierin eine Grundlage für die Zuschreibung von Verantwortung gegeben ist. Ein wichtiger Aspekt zur Kon305 Roth, Fühlen Denken Handeln, 11. 306 Roth, Aus Sicht des Gehirns, 119 f. 307 Roth, Fühlen Denken Handeln, 347-351.

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textualisierung des Freiheitsproblemes ist mit der Benennung der Bedeutung von Interaktionsphänomenen (»Umwelt«) benannt. Es deutet sich an, dass das Freiheitsproblem nicht allein in der Konzentration auf das Individuum (und sein Gehirn) betrachtet werden kann. 2.2.2.2 Deterministische Abläufe Innerhalb der grundsätzlichen Erwägungen über die Disposition des Freiheitsproblems im Rahmen des Roth’schen Ansatzes wurde ein deterministisches Menschenbild unterstellt. Dies war der Tatsache geschuldet, dass Roth seine Ausführungen zum Freiheitsproblem wesentlich vor dem Hintergrund eines geschlossenen Kausalnexus pointierte, der keine »Lücken« biete.308 Was diese Positionierung für den abgelehnten Freiheitsbegriff bedeutet, habe ich oben bereits analysiert. An dieser Stelle sei nun der umgekehrte Weg beschritten und gefragt, was positiv aus dieser Hintergrundannahme für die Frage der menschlichen (Un-)Freiheit folgt. Dabei sei vorausgeschickt, dass Roth nicht als ausdrücklicher Vertreter eines deterministischen Weltbildes gelten kann.309 Es ist aber zu erforschen, welche Auffassung er der Arbeitsweise des Gehirns zu Grunde legt und welche freiheitstheoretische Relevanz darin zum Ausdruck kommt. Unter Determinismus versteht Roth die Auffassung, dass in unserer Welt alles »gesetzmäßig nach Ursache und Wirkung abläuft«310. Es müsse nach Roth für jedes Geschehen in unserer Welt eine (mindestens im Prinzip) exakt zu benennende Ursache geben, aus der eine bestimmte Wirkung folgt. Weil das Ursache-Wirkungsverhältnis eindeutig zu kennzeichnen ist, kann man ihm den Charakter der Gesetzmäßigkeit zuschreiben. Jede Ursache, die sich in bestimmter Weise charakterisieren lässt, hat eine bestimmte Wirkung zur Folge. Dieses Gesetz gilt für alle Abläufe unserer Welt, auch für das menschliche Gehirn.311 Dies 308 Siehe etwa Roth, Aus Sicht des Gehirns, 168. 309 Roth, Fühlen Denken Handeln, 504; Pauen/Roth, Freiheit Schuld Verantwortung, 110. 310 Roth, Aus Sicht des Gehirns, 167. An anderer Stelle beruft sich Roth auf das, was »[t]raditionell« (ders., Fühlen Denken Handeln, 504) darunter verstanden wird, nämlich dass »alles, was geschieht, eine Ursache haben muss, die eine bestimmte Wirkung festlegt. Das gesamte Weltgeschehen besteht dann aus lückenlosen UrsacheWirkungs-Ketten« (ebda). Vermutlich stimmt Roth mit dieser Auffassung überein. Allerdings sagt er es nicht explizit. 311 Jedenfalls konstatiert er: »Die molekularen und zellulären Grundlagen neuronaler Prozesse sind […] bis ins Detail hinein bekannt, und nirgendwo hat man etwas ent-

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dürfte als die Grundannahme des Roth’schen Determinismus-Begriffs gelten, den er leider nicht hinreichend präzisiert.312 Die Annahme eines weltumspannenden Determinismus ist im 20. Jahrhundert durch diverse Entdeckungen der Physik in Frage gestellt worden.313 Roth bemüht sich nun, diesen Anfragen zu widerstreiten, insbesondere indem er deutlich zu machen versucht, dass die Annahme eines durchgehenden Determinismus nicht mit Vorhersagbarkeit der entsprechenden Ereignisse einhergehen muss. Er geht davon aus, »dass aus der Nichtvorhersagbarkeit des Verhaltens eines Systems keineswegs dessen Indeterminiertheit folgt«314. Es gebe durchaus Ereignisse in unserer Welt, wie etwa das Wetter als chaotisches System oder auch quantenmechanische Prozesse, die (mindestens als Einzelereignisse) nicht vorhersagbar sind, die aber dennoch als deterministisch zu bezeichnen wären. Dies gilt nach Roth aufgrund der Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeiten, die hier auftreten, als Ganzes auch wieder Gesetzen unterliegen und sich somit die Schwankungen, die in Bezug auf Einzelereignisse auftreten, langfristig wieder ausmitteln. Die Nichtvorhersagbarkeit dieser Prozesse kann nach Roth schlicht als »die Folge komplexer interner Organisation des Systems«315 verstanden werden, wie dies insbesondere auch für das menschliche Gehirn gelte. Auch hier treten nach Roth verschiedene Prozesse auf, die nicht exakt vorhersagbar bzw. als chaotisch zu beschreiben sind.316 Hier wäre die Nichtvorhersagbarkeit der Ereignisse also darin begründet, dass wir Menschen nicht alle notwendigen Randbedingungen und (mindestens nicht hinreichend präzise) alle Gesetze der Arbeit eines solchen Sys-

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decken können, was den Naturgesetzen widerspricht.« (Roth, Fühlen Denken Handeln, 505). So geht Roth nicht auf die notwendige Unterscheidung von methodischem und ontologischem Determinismus ein (vgl. Schoberth, Neurobiologie, 94-96), die deutlich machen könnte, dass Determinismus notwendig zum Forschungsprogramm der Naturwissenschaften gehört, aber nicht notwendig eine Aussage über die Verfassung der Welt an sich sein muss. Im Rahmen Roth’schen Denkens müsste eigentlich darauf hingewiesen werden, dass auch der Determinismus nichts weiter als eine vom Gehirn konstruierte Annahme über den Zustand der Welt sein kann, der sich in gewisser Hinsicht aufdrängt, weil wir unter den Kategorien von Ursache und Wirkung denken müssen. Zu nennen sind die Entdeckung der Unschärferelation durch Heißenberg und die damit einhergehenden probalistischen Gesetze der Quantenmechanik sowie das Aufkommen der Chaos-Theorie (vgl. dazu Roth, Fühlen Denken Handeln, 505 f). A. a. o., 507. A. a. o., 506. Vgl. a. a. o.507-510.

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tems kennen. Bei genauer Kenntnis all dieser Determinanten wäre nach Roth eine Vorhersage möglich. Da Roth sich nicht sehr präzise zu dem äußert, was er unter Determinismus versteht, kann man versuchen, das Verständnis über den Gegenbegriff, also Indeterminismus, genauer zu erfassen. Dabei ist nun erstaunlicherweise festzustellen, dass Roth unter Indeterminismus ein Geschehen einordnet, das »nicht exakt, sondern nur mit Wahrscheinlichkeiten«317 vorauszusagen sei. Roth unterscheidet insbesondere im menschlichen Gehirn Prozesse, die unpräzise ablaufen, d. h. die in ihren genauen Parametern gewissen Schwankungen unterliegen und solchen, die, »wenn es darauf ankommt«318, völlig präzise ablaufen. Abgesehen von der Undeutlichkeit der eben zitierten Wendung ergibt sich hier ein grundlegendes Problem in der Argumentation Roths hinsichtlich seines Verständnisses von Determinismus. Einerseits konstatiert er, dass Nichtvorhersagbarkeit bzw. probalistisches Verhalten sich nicht im Widerspruch zu Determinismus befinde, andererseits setzt er gerade ein solches Systemverhalten mit Indeterminismus, also dem glatten Gegenteil, gleich. Auch begibt er sich mit der skizzierten Unterscheidung von unpräzise und präzise ablaufenden Prozessen auf eine Argumentationsebene, die darauf hinausläuft, zu zeigen, dass das Gehirn an entscheidender Stelle präzise, will sagen deterministisch arbeitet. Dies wäre ja nun gar nicht nötig, wenn man davon ausgeht, dass auch unpräzise Abläufe nach dem strengen Schema von Ursache und Wirkung vor sich gehen. Der Erweis des Determinismus müsste sich dann ja nicht auf exakt zu beschreibende und vorauszusagende Abläufe gründen. Die Argumentation Roths strahlt hier weder hinsichtlich der Verwendung der Begriffe noch bezüglich der logischen Stringenz eine große Klarheit aus. Es steht zu vermuten, dass dies mit den genannten Widersprüchlichkeiten und Inkonsistenzen in Bezug auf die Verwendung der Begriff Freiheit und Unfreiheit zusammen hängt. Angesichts dessen versuche ich, seine Auffassung vom Ende, d. h. von der Zusammenfassung zum behandelten Problem her zu erfassen.319 Die an manchen Stellen unpräzise Arbeitsweise des Gehirns und die damit einhergehende Unmöglichkeit der Vorhersage sei im Ganzen auf die Komplexität des Organs zurückzuführen, angesichts derer eher die vielfach zu beobachtende Präzision erstaunlich sei. Insgesamt sei 317 A. a. o., 507. 318 A. a. o., 510. 319 Vgl. zum Folgenden a. a. o., 511.

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die Frage nach dem Determinismus im Zusammenhang der Frage der Willensfreiheit ad acta zu legen, wenn nicht der Indeterminismus nachgewiesen werden könne. Woraus aber lässt sich ableiten, ob der Determinismus oder der Indeterminismus die Beweislast trägt, welche Annahme also bis zum Erweis des Gegenteils zu gelten hat? Die Frage wird von Roth nicht beantwortet. Nach Roth ist allerdings die deterministische Auffassung die Standardmeinung. Andererseits, und hier tritt das Problem wiederum zu Tage, bleibt letztlich unklar, was unter Indeterminismus zu verstehen ist. Welche Auffassung sollte hier bewiesen werden, wenn darunter nicht komplexes und unvorhersagbares Verhalten zu fassen ist?320 Offensichtlich kann mit Indeterminismus nur Zufälligkeit gemeint sein, wie anders wäre es sonst zu erklären, dass Roth parallel zur Indeterminiertheit den Zufall einer deterministischen Anschauung entgegensetzt. Dass Freiheit nun aber gerade nicht Zufälligkeit heißen kann, darf als Konsens gelten. Ob aber ein sinnvolles Verständnis von Indeterminiertheit mit Zufälligkeit gleichzusetzen ist, kann durchaus angefragt werden. Wenn Roth davon spricht, dass es ein doppelter Fehlschluss sei, von Nichtvoraussagbarkeit auf Indeterminiertheit, und von Indeterminiertheit auf Freiheit zu schließen, so muss er sich die Gegenfrage gefallen lassen, ob es nicht noch unsachgemäßer ist, diesen in Teilen sicherlich berechtigterweise kritisierten Schritt angesichts derart unpräziser und widersprüchlicher Begriffsverwendung zu beanstanden. Angesichts der dargestellten Unklarheit muss gefragt werden, was mit dem von Roth vertretenen »Quasi-Determinismus«321, nämlich der angesichts marginaler Zufälligkeiten auf zellulärer Ebene anzunehmenden deterministischen Arbeitsweise des menschlichen Gehirns, eigentlich ausgesagt ist. Kann Roth mit seinem Verständnis von Determinismus eine Auffassung vertreten, die über die schlichte Behauptung hinausgeht, dass jedes Geschehen, auch jede neuronale Aktivität, eine Ursache hat? An anderer Stelle hat Roth formuliert, es gehe ihm um die Annahme eines »Motiv-Determinismus […], der darin besteht, dass wir dasjenige tun bzw. lassen, was unser unbewusst-bewusstes, kognitivemotionales Erfahrungsgedächtnis uns vorschreibt [!]«. Die Quasidetermination wird also in Bezug auf die Inhalte der unbewusst gespei-

320 Was Roth zwar an anderer Stelle tut, hier aber nicht gemeint sein kann, denn auch unvorhersagbares Verhalten kann ja (nicht nur laut Roth) deterministisch sein. 321 So die Formulierung in dem neuen Buch: Pauen/Roth, Freiheit Schuld Verantwortung, 110.

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cherten Erfahrung zur Determination. Charakteristisch ist dabei, dass in dieser Systematik bereits die Separierung der Entitäten Gehirn bzw. Gedächtnis und Ich oder Selbst vorausgesetzt ist, die ich oben charakterisiert habe. Insgesamt dürfte die Hauptintention wohl darin liegen, ein auf Indeterminismus basierendes Freiheitsverständnis aufgrund der Identifikation mit Zufälligkeit in den Wind zu schlagen. Dabei wird deutlich, dass diese Annahme bereits einer Art von metaphysischem Determinismus voraussetzt, wie ihn Roth – wenn auch schwankend – vertritt. Metaphysisch ist diese Form von Determinismus deshalb zu nennen, weil sie sich nicht auf konkrete empirische Ergebnisse oder Experimente stützen kann, sondern eine These über das Menschsein insgesamt darstellt. Wie dieser Aspekt freiheitstheoretisch zu deuten ist, muss v. a. in philosophischem Kontext noch aufgeklärt werden. 2.2.3 Welt und Ich als Konstruktion 2.2.3.1 Dezentrale Abläufe Gerhard Roth grenzt sich in seiner Positionierung stets von einer dualistischen Ontologie ab, als deren Pointe er die Annahme eines geistigen, substantiell verstandenen Ichs voraussetzt. Neben der Verwerfung dieses anthropologischen Dualismus wendet er sich explizit gegen die Vorstellung, es gäbe im Menschen ein Ich oder wie auch immer genanntes höchstes Steuerzentrum, gewissermaßen eine Art Kommandozentrale, die alle anderen Abläufe kontrolliert und aufeinander abstimmt. Er geht im Gegensatz dazu von einer dezentralen Organisation des menschlichen Gehirns aus.322 Damit aber ist gesagt, dass sämtliche Entscheidungen, die wir Menschen treffen, und alle Handlungen, die wir vollziehen, nicht von einer im Gehirn lokalisierten Zentrale aus koordiniert werden; es führen komplexe, dezentral organisierte Prozesse zu unseren Entscheidungen. Was kann die hier grob skizzierte Annahme über die Organisationsstruktur und Arbeitsweise des Gehirns zum Freiheitsproblem beitragen? Können wir als unfrei bezeichnet werden, weil wir nicht 322 Hierin stimmt Roth mit Wolf Singer überein, der konstatiert, die (für Entscheidungen notwendigen) neuronalen Prozesse kämen »ohne übergeordneten Schiedsrichter« (ders., Selbsterfahrung, 154) aus; vgl. auch die Zusammenfassung bei Rager, Hirnforschung, 20-23.

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über ein derartiges Zentrum verfügen? Sind wir damit etwa blinden, willkürlich ablaufenden Hirnprozessen ausgeliefert? Zunächst sei die Annahme der dezentralen Organisation unseres Gehirns etwas näher spezifiziert. Nach Roth beruhen nicht nur unsere jeweils aktuellen Entscheidungen auf dezentral strukturierten Prozessen. Die Arbeitsweise des Gehirns zeige sich schon bei denjenigen Abläufen, die unseren Entscheidungen und Handlungen vorangehen. So macht Roth exemplarisch deutlich, dass etwa die Wahrnehmung von bestimmten Objekten (als Beispiel dienen hier niedere Wirbeltiere) nicht nach dem so genannten Detektorkonzept funktioniert, also nach einer Auffassung, der zufolge jeweils ein bestimmtes Neuron, das im Moment seiner Aktivität dann das zentrale Steuerzentrum wäre, für die Erkennung eines bestimmten Objektes und die Auslösung einer spezifischen, dem erkannten Objekt entsprechenden Verhaltensweise zuständig wäre.323 Es ist nach Roth davon auszugehen, dass entsprechend der Komplexität der wahrgenommenen Umgebung, in der so gut wie alle Objekte durch Kombination einer Vielzahl von Merkmalen gekennzeichnet sind, auch die Objektwahrnehmung und -erkennung durch die Arbeit ganzer »Ensembles« von Neuronen geleistet wird. Dabei kann nur die gleichzeitige Aktivierung ganz bestimmter Neuronentypen zur Erkennung eines Objekts führen. Die anschließende Verhaltensreaktion wird dann, wie man nach Roth an Versuchen mit bestimmten Tieren zeigen kann, nicht durch Zusammenführung in einem Kommandoneuron initiiert, sondern beruht auch wieder auf verschiedenen, zwar vernetzten, aber nicht zentral gesteuerten neuronalen Prozessen. In entsprechender Weise ist auch bei Säugetieren in Bezug auf das visuelle System von »Parallelverarbeitung«324 zu reden, wie sich auch an der Nichthaltbarkeit der Annahme von so genannten »Großmutterneuronen«325, also wiederum einzelnen Neuronen die für die Erkennung eines ganz spezifischen Gesichts zuständig wären, zeigt. Nach Roth indiziert die hier deutlich gewordenen Struktur exemplarisch: »Das Nervensystem besitzt grundsätzlich kein ‘oberstes’ Wahr323 Bei Tieren wären dem Detektorkonzept nach einzelne Neurone für das Erkennen eines bestimmten Typs von Beutetier zuständig und müssten dann gewissermaßen automatisch eine Jagd- bzw. Angriffsreaktion auslösen. Als Beispiel in Bezug auf den Menschen werden etwa die so genannten »Großmutterneurone« genannt, die nach einer bestimmten Auffassung für die Erkennung der Großmutter zuständig wären (siehe Roth, Gehirn Wirklichkeit, 171-174). 324 A. a. o., 156 und passim. 325 Vgl. a. a. o., 171-174.

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nehmungs- oder Verhaltenssteuerungszentrum«326. Es sei das Verhalten selbst, welches »die unterschiedlichen Teilinformationen integriert«327. Allerdings gibt Roth selbst zu, dass eine »dogmatische« Vertretung des Konzepts der Parallelverarbeitung ebenso falsch wäre, wie eine entsprechende hierarchische Konzeption. Die als parallel arbeitend erkannten Nervenbahnen seien derart zu beschreiben, dass von einer »Durchdringung paralleler und konvergent-hierarchischer Verarbeitung«328 zu reden ist. Wie oben schon dargestellt, könne auch unser menschliches Bewusstsein, insbesondere unser Selbstbewusstsein, also das wie auch immer geartete Gefühl eines von sich selbst wissenden »Ich« nicht als einheitlich betrachtet, sondern müsse als ein zusammengesetztes gedacht werden. Auch in unserem Bewusstsein könne kein zentraler Einheitspunkt angenommen werden. Die dezentrale und diversifizierte Struktur wäre demnach nicht nur grundlegend für die Arbeitsweise unseres Gehirns, sie könnte generell signifikant sein für das Verständnis von uns Menschen als Personen. Wäre die intuitiv vermittelte und philosophisch begründete Annahme der Einheit unseres personalen Seins daher eine Illusion, bzw. jedenfalls nicht mehr aufgrund eines »bewussten Ich« zu postulieren? 329 326 A. a. o., 151. 327 Ebda. Eine gewisse Unklarheit bleibt hier bestehen, ist doch kaum zu verstehen, wie das menschliche Verhalten als eine »Instanz« (ebda) beschrieben werden kann; die sprachliche Unklarheit mag Zeugnis von der Unsicherheit bezüglich der Lösung des »Bindungsproblems«, also der Integration der unterschiedlichen Teilaktivitäten zu einer als einheitlich erlebten Wirklichkeit geben. 328 Roth, Gehirn Wirklichkeit, 174. 329 Die Frage nach der Einheit der Person und der Begründung ihrer Identität wurde in der neuzeitlichen Philosophie in verschiedenen Kontexten und mit verschiedenen Begründungsstrategien diskutiert. Sie konnte – um nur exemplarische, dem Roth’schen Ansatz entgegenstehende Positionen zu nennen – in der Gewissheit des cogito (Descartes), im kontinuierlichen Strom des Bewusstseins (John Locke) oder in der Einheit der transzendentalen Apperzeption (»Das: Ich denke, muss alle meine Vorstellungen begleiten können«, Kant, KrV, B 132) begründet werden. Innerhalb der klassisch-modernen Positionen bildet hier v. a. David Hume eine Ausnahme, welcher aufgrund seiner empiristischen Ausrichtung und der damit einhergehenden Betonung der Vielzahl der Ich-Empfindungen dem hier verhandelten Konzept Roths nahe kommt (Roth selbst beruft sich auf Hume als eine Art Gewährsmann, vgl. ders., Fühlen Denken Handeln, 378 f; vgl. Hume, Treatise, book 1, pt. 4, sect. 6, 164 ff) . So betont Hume: »I never can catch myself at any time without a perception, and never can observe any thing but the perception.« (a. a. o., 165). Daher sei es auch gerechtfertigt, von den Menschen zu sagen, sie seien »nothing but a bundle or collection of different perceptions [...]« (ebda), worin kein stabiles Ich anzutreffen sei.

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Roth geht in diesem Kontext davon aus, dass sich »das Ich«330 als ein »Bündel unterschiedlicher Zustände«331 beschreiben lässt; als da wären: Körper-Ich, Verortungs-Ich, perspektivisches Ich, Ich als ErlebnisSubjekt, Autorschafts- oder Kontroll-Ich, autobiographisches Ich, selbst-reflexives Ich, ethisches Ich bzw. Gewissen. Auf die genaue Bedeutung der einzelnen Ich-Zustände, die sich zumindest umrissartig relativ leicht aus der jeweiligen Namensgebung ableiten lassen, braucht hier nicht eingegangen zu werden. Es genügt an dieser Stelle, darauf hinzuweisen, dass das Ich-Gefühl nach Roth keinen einheitlichen Zustand darstellt, sondern in diverse Einzelzustände zerlegt werden kann. Dabei ist nun entscheidend, dass sich die genannten IchZustände auch »unterschiedlichen, wenngleich überlappenden Netzwerken cortikaler und subcortikaler Zentren zuordnen«332 lassen. Auch und gerade für das Gefühl des Ich, also intuitiv demjenigen Zustand, in dem sich die Einheit einer Person zeigt bzw. mindestens zeigen müsste (»Ich« können wir nur im Singular sagen), gilt nach Roth, dass es auf neuronaler Ebene dezentral und somit multikausal hervorgebracht wird. Das Ich-Gefühl lässt sich nicht an einem neuronalen Punkt konzentrieren. Insgesamt gilt für Roth, dass alle geistigen Zustände, zu denen neben Ich-Gefühl auch die Wahrnehmung, Denken, Aufmerksamkeit, Gefühle und eine Reihe anderer bewusster Zustände gezählt werden, in strenger Parallelität zu bestimmten Hirnvorgängen zu betrachten sind. Das heißt, dass unterschiedliche mentale Phänomene, wie etwa die verschiedenen Zustände des Ich-Gefühls auch durch unterschiedliche neuronale Prozesse hervorgebracht werden, die, wie deutlich wurde, nicht wieder in einem höherstufigen Konvergenzzentrum münden. Insgesamt sei von geistigen Zuständen als von »globale[n] Aktivitätszustände[n]«333 zu reden. Jeder geistige Zustand beansprucht also immer mehr oder weniger das ganze Gehirn, mindestens aber große Teile davon. Es ist also weder von der spezifischen Funktion einzelner Neuronen (s.o. Detektorneurone) noch von einem höchsten Steuerzentrum auszugehen. Dennoch muss für das Bewusstsein, also den Zustand, dem etwa auch die Ich-Empfindungen zuzuordnen sind, Aktivität im assoziativen Cortex (AC), also einer abzugrenzenden 330 Dass die substantivische Redeweise von »dem Ich« schon eine Verfälschung darstellen muss, ist Roth, wie oben schon gezeigt, offensichtlich nicht bewusst. 331 Ebda. 332 Roth, Fühlen Denken Handeln, 380. 333 Roth, Gehirn Wirklichkeit, 289.

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Hirnregion, als notwendig vorausgesetzt werden.334 Die These, dass unsere Gehirnaktivitäten nicht in einem höchsten, bewusst arbeitenden Konvergenzzentrum münden, lässt sich also demnach mit der Benennung in spezifischer Weise notwendiger Hirnregionen vereinbaren, weil auch der AC alleine nicht in der Lage wäre, Bewusstsein hervorzubringen.335 Das Rätsel, vor dem die Hirnforschung angesichts des skizzierten Befundes steht, ist die Frage, wie nun trotz der Differenzierung verschiedener Hirnfunktionen und der Diversifizierung geistiger und bewusster Zustände noch von der intuitiv vermittelten Einheit unserer Wahrnehmungen, unseres Bewusstseins, insbesondere aber unseres Selbstbewusstsein geredet werden kann und wie sich etwa die Erfahrung des »einen Ich« auf neuronaler Ebene ergibt. In Bezug auf die Wahrnehmung von Objekten, die ja von unseren Sinnesorganen zunächst einmal in ihren einzelnen Merkmalen aufgenommen und entsprechend der Merkmale separat vom Gehirn verarbeitet werden, lässt sich sagen, dass die Konstitution von Bedeutung, also von Objekten als einheitlich und distinkt erfassten Gegenständen aufgrund der »Vorerfahrung des kognitiven Systems«336 zustande kommt. Dazu gehört nach Roth zunächst eine bestimmte »Grundorganisation des Gehirns«337, wie sie sich aus dessen Entwicklung in der Stammensgeschichte des Menschen überhaupt, sowie aus der frühen Ontogenese eines jeden individuellen Gehirns in Verarbeitung verschiedenster Erfahrungen ergibt. Diese Grundorganisation erlaubt nach Roth die geordnete Interaktion verschiedener, zunächst einmal funktional getrennter Hirnareale. Zur Organisation der Wahrnehmung gehören dann etwa bestimmte formale Gesetze, die uns die Erkennung von Objekten vor ihrem Hintergrund aufgrund bestimmter Charakteristika in der Bewegung erleichtern. Alle Wahrnehmungen, die noch nicht durch die angeborenen oder frühkindlich erworbenen Mecha334 Vgl. das Kapitel »Assoziativer Cortex als ‘Ort’ des Bewusstseins« (Roth, Neurobiologische Grundlagen, 198-201). 335 Vgl. das Fazit von Markowitsch/Daum: »Zusammengenommen muß postuliert werden, dass grundsätzlich das Gehirn als Ganzes an der Verarbeitung von Bewußtseinszuständen mitwirkt, dass aber – mit in Abhängigkeit von den Bewußtseinsteilfunktion – der eine oder andere Bereich stärker oder schwächer aktiviert wird, ähnlich, wie unterschiedliche Musikstücke von einzelnen Orchestermitgliedern jeweils unterschiedliches Engagement verlangen.« (dies., Neuropsychologische Erklärungsansätze, 219). 336 Roth, Gehirn Wirklichkeit, 256 (kursiv im Original). 337 Ebda.

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nismen zu einer bedeutungshaften Einheit synthetisiert werden, können im Normalfall durch den Abgleich mit der im Gedächtnis gespeicherten Erfahrung für uns zu sinnvollen Objekten werden. Das Gedächtnis, in dem sinnvolle Zusammenhänge als solche abgelegt werden, wird damit zum »Bindungssystem für die Einheit der Wahrnehmung« und gleichzeitig zum »wichtigsten Sinnesorgan«.338 Damit wird deutlich, dass sich die Einheit unserer Wahrnehmung nicht aus der Wahrnehmung der Wirklichkeit an sich, sondern aus einer spezifischen Konstruktionsleistung unseres Gehirns ergibt. Die vom Gehirn als bewährt erkannten Konstruktionen werden im Gedächtnis abgelegt und zur jeweils aktuellen Einstufung der Wahrnehmung herangezogen. Roth gibt allerdings zu, dass derzeit339 nicht zu sagen ist, wie diese Einheit auf der Ebene der neuronalen Vorgänge zu Stande kommt, wenn es im Gehirn kein höchstes Steuerzentrum gibt.340 Gesagt ist nur, dass wir auch die Einheit unserer Wahrnehmung als Konstruktionsleistung des gesamten Gehirns unter Aktivierung des Gedächtnisses zu verstehen haben. Die hier erörterte Erkenntnis über die Einheit gilt nun für Roth auch auf der Ebene, die das menschliche Selbstverständnis betrifft. Wir hatten gesehen, dass auch die Praxis des Ich-Sagens bzw. Denkens und Fühlens nach Roth in verschiedene, vom Gehirn auf unterschiedliche und komplexe Weise hervorgebrachte Aspekte zu differenzieren ist. Grundlegend für Roth ist nun auch hier die Annahme, dass die Erfahrung des einen Ich, das eigentlich ein Bündel verschiedener IchAspekte ist, wiederum eine Konstruktion des Gehirns darstellt.341 Die

338 A. a. o., 263. 339 Erscheinungsjahr des Buches war 1997. Vgl. aber den Vorschlag von Singer (FN 340). 340 Vgl. a. a. o., 263-266; auch Roth, Aus Sicht des Gehirns, 142: »Zusammengebunden werden die unterschiedlichen Zustände offenbar in unserem Arbeitsgedächtnis. Wie dies genau geschieht, ist nicht bekannt.« Das hier auftretende Problem bestätigt auch Wolf Singer: »Wie ganzheitliche Wahrnehmung und wohl koordinierte Bewegungen zustande kommen ist unklar. Es muss Metarepräsentationen für die Ergebnisse dieser Teilprozesse geben, doch diese können ebenfalls nur nicht-lokale Gebilde sein, also wiederum einem distributiven Prinzip folgen.« Singer vermutet die »zeitliche Synchronisation« (ders., Neues Menschenbild? 42 f) der Hirnaktivitäten als Prinzip des Zusammenbindens. Er stimmt mit Roth hier grundlegend in der Annahme des Fehlens eines »singulären Koordinationszentrums« (a. a. o., 42) überein. 341 »Das Ich ist ein Gebilde, das entsteht, während sich das Gehirn und seine Erfahrungswelt entwickeln, und wir haben Grund anzunehmen, daß der Konstruktion des Ich dieselben Mechanismen zugrunde liegen wie der Einheit der Wahrnehmung [...]« (Roth., Gehirn Wirklichkeit, 330).

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Einheit ist also eine vom Gehirn als Ganzem hervorgebrachte und somit keine, die von einem empirisch innerhalb des Gehirns zu identifizierenden höchsten Zentrum ausgeht. Was dieser erkenntnistheoretische Konstruktivismus für die Freiheitsfrage austrägt, soll unten noch erörtert werden. Vorerst bleibt festzuhalten, dass, wenn es ein Zentrum der Einheit unseres menschlichen Selbstverständnisses gibt, es nach Roth nicht eine wie auch immer geartete Instanz namens Ich sein kann, sondern dafür nur das Gehirn als Ganzes mit seinen vielen, zwar vernetzt aber grundlegend unabhängig und dezentral arbeitenden Teilprozessen in Frage kommt. Damit ergeben sich für unser anthropologisches Thema zwei grundlegende Fragen. Wie verhält sich einerseits die erlebnismäßig gegebene Einheit unserer Existenz zur diversifizierten Arbeitsweise unseres Gehirns, was kann also in diesem Zusammenhang unter »Konstruktion« verstanden werden und was bedeutet diese Konstruktion unserer Lebenswirklichkeit durch das Gehirn für das menschliche Selbstverständnis? Auf den Punkt gebracht: Kann unser Ich-Erleben und das damit verbundene Freiheitsbewusstsein nur eine Illusion sein? Auf den konstruktivistischen Aspekt gehe ich im Folgenden noch näher ein. Auch in diesem Aspekt spiegelt sich wiederum die anthropologische Grundfrage nach dem Verhältnis von Gehirn und menschlichem Selbst. Andererseits stellt sich die ebenfalls fundamentale Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Diversifikation unserer Existenz (zunächst einmal egal, ob auf der Ebene der neurobiologischen Beschreibung oder auf der Ebene der Selbsterfahrung) samt dessen Bedeutung für unser Selbstverständnis als freie oder unfreie Wesen. Anders gefragt: Kann nur bei der Annahme einer (lückenlosen bzw. substantiellen) Einheit unserer (auch biologischen) Existenz von Freiheit gesprochen werden oder ist gerade die Aspekthaftigkeit menschlichen Daseins in seiner Vielfältigkeit und Diversifikation samt den damit gegebenen Möglichkeiten Ausdruck von Freiheit? Worin muss für die Annahme von Freiheit die Einheit menschlicher Existenz begründet sein, welchen Charakter hat also das Selbstverständnis als »Ich«, wenn es nicht gerade eine substantielle res cogitans sein soll? Es zeigt sich, dass die Analyse der Roth’schen Position auch an dieser Stelle in grundlegende anthropologische Probleme hineinführt, die v. a. philosophisch noch bedacht sein wollen. Bislang konnte nur die Abwehr eines anatomisch zu lokalisierenden Konvergenzzentrums begründet werden, noch nicht aber der Illusionscharakter unserer einheitlichen Selbstwahrnehmung. Daher sei zur Präzisierung der Position Roths die Frage nach dem epistemischen Status des Ich-Er-

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lebens (bzw. überhaupt unserer Weltwahrnehmung) im Rahmen seiner neurobiologisch fundierten Konzeption gestellt. 2.2.3.2 Die Wirklichkeit als Konstruktion Gerhard Roth interpretiert sowohl das Erleben von Freiheit als auch die Annahme einer einheitlichen Erlebniswirklichkeit und damit verbunden einer zentralen Instanz namens »Ich« als Konstruktion des Gehirns, und – was in den Augen Roths dasselbe bedeutet – als (in praxi relativ gut funktionierende) Illusion.342 Das Ich kann nicht Urheber eines Willensaktes oder einer Handlung sein, von Freiheit ist daher zunächst nicht die Rede. Roth gesteht zwar den Erlebnischarakter der subjektiven Perspektive zu,343 wie eben etwa das Gefühl der (Willens-) Freiheit, verweigert ihm aber jegliche kausale Relevanz. Der eigentümliche Erlebnischarakter begründet noch keine Ursächlichkeit. Insofern ist die Rede von Freiheit und Ich als Illusion immanent durchaus schlüssig. Damit wird Roth seiner Grundvoraussetzung gerecht, die er als »erkenntnistheoretischen Konstruktivismus«344 bezeichnet. »Gehirne [...] müssen konstruktiv sein.«345 Unsere Wahrnehmungen und Erlebnisse spiegeln demnach keine vermeintlich objektive Realität wider, sondern »nur« diejenige Wirklichkeit, die von unserem Gehirn unter Verarbeitung verschiedenster Einflüsse konstruiert wurde. Dies sei die Welt, in der wir uns zurechtfinden müssen, in der wir Entscheidungen treffen und handeln. Dies scheint normalerweise gut zu funktionieren, da ja auch die Erlebniswelt der anderen Menschen wiederum als Konstrukt von deren Gehirnen zu verstehen ist und wir Menschen damit über eine gemeinsame Kommunikations- und Handlungsebene verfügen.346 342 Vgl. etwa Roth, Fühlen Denken Handeln, 396.; sowie ders., Erkenntnis und Realität, 253. 343 So konzediert er etwa, dass zur Beschreibung von Gefühlszuständen die subjektive Perspektive notwendig ist, insofern man etwa nicht sagen könne, dass ein limbisches System verliebt sei (siehe Roth, Hirnforscher reden, 80). Auch könne Geist, verstanden als Sammelbegriff für verschiedene bewusste Zustände, zwar als »physikalischer Zustand« angesehen werden, müsse aber »nicht auf neuronale Zustände reduzierbar sein« und könne »eigene Gesetzmäßigkeiten aufweisen« (Roth, Gehirn Wirklichkeit 331). 344 A. a. o., 23. 345 Ebda. 346 Wolf Singer vertritt die Ansicht, dass unser Selbstbild grundlegend auch als »soziales Konstrukt« (Singer, Selbsterfahrung, 148, Hervorhebung B. B. ) zu verstehen ist, da es sich aus den spezifischen Möglichkeiten und Konstruktionen des menschlichen Ge-

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Nun wäre diese Annahme allein weder besonders originell noch problematisch, meint man damit, dass es für uns die Wirklichkeit nicht im Sinne des »Dinges an sich« gibt, sondern nur als verarbeitete Wirklichkeit, die dann aufgrund der Arbeitsweise unserer Organe und der rezeptiven und produktiven Tätigkeit des Gehirns für uns eine ganz bestimmte Struktur besitzt. Die Welt ist immer schon unsere Welt. Bereits Kant hatte ja gezeigt, dass unsere Erkenntnis der Wirklichkeit bestimmten, nicht hintergehbaren, sich aus der Struktur des Menschseins bzw. den menschlichen Erkenntnismöglichkeiten ergebenden Bedingungen unterliegt. Die Gegenstände richteten sich nach den Bedingungen und Möglichkeiten unserer Erkenntnis und nicht umgekehrt.347 So auch bei Roth: Die Wirklichkeit, wie wir sie erleben, ist das Produkt unserer im Gehirn gegebenen Erkenntnismöglichkeiten.348 hirns sowie aus der Interaktion mit anderen Gehirnen ergibt. Damit ist eine (sicherlich zutreffende) Einsicht auch der sozial- bzw. entwicklungspsychologischen Forschung benannt, die Anfang des 20. Jahrhunderts herausgearbeitet wurde: das Ich bzw. das Ich-Empfinden entwickelt sich im Heranwachsen eines Kindes nur im Gegenüber zu anderen Personen, die ebenfalls »Ich« sagen (vgl. etwa Mead, Geist Identität Gesellschaft, Kap. III). Durch die Spiegelung im Anderen ergibt sich unter anderem die (nach Singer nun allerdings fälschliche Annahme), wir seien freie und selbstbestimmte Wesen (vgl. insgesamt Singer, a. a. o., 146-148). 347 Siehe Kant, KrV, Vorrede zur zweiten Auflage, B XVIf, Weischedel 25. 348 Die Kant’sche Philosophie für die Hirnforschung fruchtbar zu machen versucht Klaus-Jürgen Grün, der von einer »[h]irnphysiologischen Wende der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants« (Grün, Wende) spricht. Demnach könne die Erkenntnis über den konstruktiven Charakter des menschlichen Gehirns dazu beitragen, die grundsätzliche Erkenntnis Kants, dass sich die Gegenstände nach den Möglichkeiten unserer Erkenntnis richten und nicht umgekehrt, neu zu plausibilisieren (siehe a. a. o., 46). Freiheit könne demnach neu als philosophisches »Überbauphänomen« (40) entlarvt werden, das sich aber nicht aus sich selbst verstehen lässt, sondern als Produkt des Gehirns betrachtet werden müsse. Auf diese Weise könne die Hirnforschung die heutige analytische Philosophie des Geistes an Kant’sche Einsichten erinnern und von einem falschen Verständnis des Geistes befreien. Problematisch erscheint an dieser Argumentation, dass Grün (wie auch Roth etc.) sein eigenes erkenntnistheoretisches Programm nicht auf sich selbst anwendet und die entsprechenden Einsichten relativiert. Insbesondere ist aber diese Kantinterpretation als zweifelhaft einzustufen, kann man Kant doch wohl kaum einen erkenntnistheoretischen Konstruktivismus in diesem Sinne unterstellen. Als Parallele kann sicher herausgestellt werden, dass für Roth wie auch für Kant das »Ding an sich« epistemisch nicht erschwinglich ist, weil es den Bedingungen unserer Erkenntnis geschuldet ist, wie es je erscheint. Kants Verfahren muss nun aber im Unterschied zu Roth strikt als transzendental, und damit als auf die Bedingungen unserer Erkenntnis rekurrierend verstanden werden; dabei geht Kant nicht so weit, in der Weise zwischen Konstrukt und Realität zu unter-

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Ausgehend von dieser Grundannahme trifft Roth nun allerdings die ontologische Unterscheidung von Realität und Wirklichkeit. Unter Wirklichkeit versteht er das, was sich angesichts des Begriffs in der von uns bislang verwendeten Weise nahe legt, nämlich unsere phänomenale Erlebniswirklichkeit, die sich nach Roth in drei Bereiche untergliedern lässt: »die Welt der mentalen Zustände und des Ich, die Welt des Körpers und die Außenwelt«349, wie wir sie eben erleben. Diese Welt wird von unserem Gehirn als Konstrukteur hervorgebracht. Weil das konstruierende Gehirn nun nicht selber Teil der konstruierten Welt sein kann, hat Roth Grund zu der Annahme, es müsse eine zweite, so genannte »transphänomenale«350 oder auch »objektive«351 Welt geben (in einem Wort Realität genannt), zu der dann auch das reale Gehirn, also der Konstrukteur unserer Wirklichkeit gehören muss. Die reale Welt ist nach Roth unserem Erkenntnisvermögen verschlossen. Wir als Erlebnis- und Erkenntnissubjekte können als Teil der Konstruktion nicht erkennend auf den Konstrukteur zugreifen. Wir können zwar unsere Welt als konstruiert erkennen und daher schließen, dass es einen Konstrukteur geben muss, aber wir haben keinen noetischen Zugang zu diesem Konstrukteur.352 Problematisch ist nun, wie Roth mit dieser Grundunterscheidung umgeht. Wie er selbst konsequenterweise zugibt, kann das Gehirn, das uns zugänglich ist, nur das wirkliche sein, also nun gerade nicht der Konstrukteur der Wirklichkeit, sondern selbst ein Teil der Konstruktion.353

349 350 351 352

353

scheiden, wie es bei Roth der Fall ist, obgleich Kant das »Ding an sich« theoretisch, als eine Art »methodische[n] Rest« (Höffe, Kant, 133) benennen kann. Einen Standpunkt jenseits von Realität und Wirklichkeit, wie ihn Roth unterstellt, hat er nicht im Blick. Denn insbesondere in Bezug auf das Ich urteilt Kant ja nun gerade nicht konstruktivistisch, sondern transzendental: »Das: Ich denke, muss alle meine Vorstellungen begleiten können.« (Kant, KrV, B 132, Weischedel, 136). Diese transzendental gedachte Einheit ist nun bei Kant gerade kein Konstrukt im Sinne einer Illusion, sondern ein anderer Typ von Realität, der sich freilich nicht in empirischen Einzelergebnissen verifizieren lässt. Roth, Gehirn Wirklichkeit, 316. A. a. o., 324. Ebda. Roth gibt explizit zu, dass die Unterscheidung zwischen Realität und Wirklichkeit »eine plausible Annahme [sei], die wir allerdings innerhalb der Wirklichkeit treffen und die nicht als Aussage über die tatsächliche Beschaffenheit der Realität missverstanden werden darf« (ders., Gehirn Wirklichkeit, 325). Roth konstatiert, »daß alle erlebten Vorgänge zwischen mir und meinem Körper, zwischen mir und der Außenwelt, zwischen meinem Körper und der Außenwelt innerhalb der Wirklichkeit ablaufen« (a. a. o., 316). Zu diesen Vorgängen muss auch die

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Auch die Aussagen eines Hirnforschers bewegen sich im Rahmen der Wirklichkeit und greifen nicht auf die objektive Realität zu.354 Roth trifft nun allerdings ontologische Unterscheidungen, die fragen lassen, ob er den selbst erschlossenen Voraussetzungen gerecht wird und sich an die Begrenzung der eigenen Erkenntnismöglichkeiten hält. Die Roth’schen Differenzierungen könnten, dem erkenntnistheoretischen Rahmen entsprechend, nur als Unterscheidungen innerhalb der Wirklichkeit verstanden werden.355 »Nicht das Ich, sondern das Gehirn hat entschieden«356 lautet, wie wir sahen, eine solche Grundunterscheidung. Roth trifft also innerhalb der Wirklichkeit Aussagen über das, was kausal und damit auch ontologisch relevant ist. Das können für ihn als Hirnforscher nur die physikalisch beschreibbaren, neurophysiologischen Prozesse des Gehirns sein; dies gilt, obwohl er sich gegen einen ontologischen Reduktionismus wendet; denn die kausal relevanten Vorgänge können nach Roths Meinung ja nicht in der Bewusstseinssphäre, sondern nur in den physikalischen Vorgängen des Gehirns zu verorten sein. Indem er die Hirnprozesse derart qualifiziert, geht er nun allerdings mit dem Gehirn, wie es dem Forscher zugänglich ist, so um, als sei es der Konstrukteur selbst, gewissermaßen das »Gehirn[.] an sich«357. Denn wie sollte das wirkliche, also konstruierte Gehirn Entscheidungen treffen können? Wäre das Gehirn, von dem Roth spricht, nicht das reale Gehirn, so wäre es nicht möglich, unsere Erlebniswirklichkeit, die unter anderem das Erleben von Freiheit einschließt, als Konstrukt bestimmter, nach Roth relativ gut zu bestimmender Hirnaktivitäten zu deuten.358 Für die Begründung unseres Freiheitserlebens als Konstruktion bzw. Illusion muss Roth auf das reale Gehirn zugreifen, will er nicht das wirkliche Gehirn noch einmal zu einem Konstrukteur innerhalb der Wirklichkeit machen. Wirkliches und reales Gehirn müssten auf dieser Argumentationsebene identisch sein, sollen die Annahmen Roths über

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Untersuchung des menschlichen Gehirns zählen. »Dasjenige Gehirn, das mich hervorbringt, ist mir selbst unzugänglich [...]« (329); siehe auch ders., Erkenntnis und Realität, 238 f. »Erkenntnisse und Sätze der Naturwissenschaften unterliegen als Teile der Wirklichkeit deren Erkenntnisbedingungen« (Roth, Gehirn Wirklichkeit, 350). Siehe Herms, Hirnforschung, 181. Roth, Hirnforscher reden, 77. Fuchs, Leib Raum Person, 97. Roth gibt zu, dass in der subjektiven Erlebniswirklichkeit »die physiologischneuronalen Prozesse des Gehirns, die den mentalen Zuständen zugrunde liegen, nicht vorkommen.«

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die konstruierende Wirkungsweise der verschiedenen Hirnprozesse für sinnvoll erachtet werden.359 Dies aber würde wiederum entweder bedeuten, dass auch die Aussagen über das Gehirn zumindest potentiell illusorisch sein könnten, oder aber Roth würde seiner eigenen Maxime nicht gerecht, der zufolge die objektive Realität prinzipiell unerkennbar sei.360 Roth gibt durchaus zu, dass seine Aussagen über das Gehirn als Aussagen innerhalb der Wirklichkeit zu verstehen sind. Dies entspricht dem generellen Rahmenprogramm. Dann aber müsste innerhalb der Wirklichkeit wiederum eine Unterscheidung eingezogen werden zwischen einer realen Wirklichkeit, der vor allem die physikalischen Gegebenheiten entsprechen, und einer illusorischen Wirklichkeit, der etwa unser Freiheitserleben als bewusst Handelnde, »Ich« sagende Personen zuzurechnen wäre. Ansatzweise geschieht das bei Roth auch, indem er von »Wirklichkeitskriterien«361 oder auch »empirischen Evidenzen«362 spricht. Unklar bleibt allerdings, was damit gemeint sein 359 Roth setzt damit in Bezug auf das Gehirn faktisch einen erkenntnistheoretischen Realismus oder Empirismus, jedenfalls gerade nicht eine konstruktivistische Position voraus. Denn die empirisch erhobenen Erkenntnisse über das Gehirn als Konstrukteur werden von ihm als Teil der Realität und gerade nicht als Wirklichkeit verstanden. Vgl. auch die Argumentation von Eidam (ders., Kausalität aus Freiheit) der deutlich herausarbeitet, dass der Roth’sche Gedankengang in ein dialektisches Verhältnis von Realität und Wirklichkeit führt (erkenntnistheoretisch liegt die Wirklichkeit der Realität voraus, ontologisch ist es umgekehrt), das von Roth aber nicht problematisiert geschweige denn aufgeklärt wird. Eidam weist mit Nachdruck darauf hin, dass das von Hirnforschern untersuchte Gehirn nur das wirkliche, nicht aber das reale, und damit auch nicht das determinierende Gehirn sein kann (a. a. o., 282285). 360 Eilert Herms hat die angesprochene Schwierigkeit im Denken Roths sehr deutlich identifiziert und zugleich theologisch gedeutet. Er wirft Roth vor, in seinem Zugriff auf die »transphänomenale Welt« (Herms, Das Gehirn, 181 und passim) auf Gott, nämlich auf den Ursprung der phänomenalen Welt, Bezug zu nehmen und daher »Hirnforschung als Theologie« zu betreiben (Untertitel des zitierten Aufsatzes); Herms würdigt in m.E. durchaus angemessener Weise die Unterscheidung von Phänomensphäre und dem Grund dieser Phänomene, und kritisiert dann ebenso berechtigt die Zuweisung von Attributen aus der Phänomensphäre auf den Grund der Phänomene (also das reale Gehirn). Die Diagnose weist sehr schön auf die Widersprüchlichkeiten im Denken Roths hin, obwohl m.E. Vorsicht geboten ist – und hier zeigen sich Schwierigkeiten der Theologie Herms’ – umstandslos das »Aufgenötigtsein von Welt« (a. a. o., 178) mit dem Bezug auf den »Grund von Welt« (ebda), also auf Gott zu identifizieren. 361 Roth, Gehirn Wirklichkeit, 321. 362 A. a. o. 351.

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soll. Abgesehen davon, dass Roth in dem entsprechenden Abschnitt363 die Vokabeln wirklich und real scheinbar synonym, um nicht zu sagen konfus gebraucht, wird nicht deutlich, welcher ontologische Status der Differenzierung von real bzw. wirklich und Täuschung als dem Gegenbegriff auf dieser Ebene zukommt. Roth kennzeichnet die Differenzierung als »selbstreferentielle[n]« Prozess, den das Gehirn vollzieht, um sich in der Wirklichkeit zurechtzufinden und angemessene Handlungen zu vollziehen. Jedenfalls kann damit nicht die Unterscheidung von Realität und Wirklichkeit gemeint sein, denn sie muss sich ja innerhalb der Wirklichkeit selbst vollziehen. Dabei dienen bestimmte Alltagsplausibilitäten als Kriterien, die uns, besser gesagt, dem Gehirn, die Unterscheidung zwischen verlässlicher Wirklichkeit und Täuschung erleichtern.364 Wichtig ist, zu betonen, dass im Sinne der oben eingeführten Unterscheidung allerdings beides als Wirklichkeit, und nicht als Realität zu bezeichnen wäre. Auf dieser Ebene würde differenziert zwischen verlässlicher und illusorischer Wirklichkeit. Dies entspricht auch der nach Roth der Neurowissenschaft zukommenden Aufgabe, »die Phänomene der Wirklichkeit [zu] untersuchen und sie so [zu] deuten, daß sie in der Wirklichkeit Sinn machen.«365 Was nun diese Unterscheidung nach Roth rechtfertigt, sind die eben schon angesprochenen, so genannten »empirischen Evidenzen«366. Dabei geht es Roth nicht um objektive, reale Erkenntnis, sondern nur um ein »Maximum an Konsistenz«367 innerhalb der Wirklichkeit. Diese Konsistenz ergebe sich, indem die Gefahren, einer Täuschung zu unterliegen, durch überprüfbare Messungen und andere empirische Erkenntnisse minimiert werden. Das Kriterium für die Richtigkeit der empirischen Annahmen ist dabei schlichtweg die immanente Stimmigkeit der sich aus den empirischen Ergebnissen ergebenden Theorie. Indem nun aber der Erkenntnisanspruch in dieser Weise – man möchte sagen: im Nachhinein – reduziert wird, müssen auch die zuvor besprochenen Aussagen über das Gehirn und seine Mechanismen, insbesondere über das Verhältnis von Gehirn und Geist bzw. Freiheit in einem neuen Licht gesehen werden. Denn wird die empirische Plausibilität zum 363 A. a. o., v. a. 321-324. 364 Vgl. a. a. o., 323; Roth nennt verschiedene »semantische[.]« Kriterien, aber auch etwa das der »intersubjektiven Bestätigung.« 365 A. a. o., 333. 366 A. a. o., 351. 367 Ebda. Vgl. Die Methoden der Konsistenzprüfung die Roth, Erkenntnis und Realität, 242 f, nennt.

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Wahrheitskriterium einer Annahme, so darf zumindest bezweifelt werden, ob auf dieser Basis unsere vorwissenschaftlichen Intuitionen in Bezug auf das Selbstverständnis als freie Menschen widerlegt werden können. Zentral aber dürfte hier sein, dass angesichts der Argumentationsstruktur des Roth’schen Konstruktivismus die Annahme, unser menschliches Freiheitsempfinden sei ein Konstrukt des Gehirns, keinerlei sachliche Evidenz mehr für die Leugnung von Freiheit aufgrund neurobiologischer Befunde bietet. Der konstruktive Charakter gilt ja nach den Rahmenbedingungen, die Roth aufstellt, für alle unsere Erkenntnisse, also auch für neurobiologische Aussagen, die somit ebenso der Gefahr unterliegen, nur illusorisch zu sein. Anders gesagt: Nur ein erkennender Zugriff auf den Konstrukteur der Wirklichkeit könnte diese als Konstruktion und damit als Illusion entlarven. Nur das nach Roth unzugängliche reale Gehirn könnte in eine Alternativsituation zum »bewussten Ich« in Bezug auf die Autorschaft von Willenshandlungen und entsprechenden Taten treten. Das wirkliche Gehirn, das Roth ja nur untersuchen kann, unterliegt selber der konstruierenden Kraft des realen Gehirns und ist daher nicht in der Lage, unser Selbstverständnis als frei handelnde Akteure, jedenfalls nicht aufgrund des Charakters als Konstruktion, im Sinne einer Illusion zu entlarven. Der von Roth in dieser Form vorgebrachte Konstruktivismus lässt nur die Aussage zu, alle unsere Wirklichkeit sei konstruiert. Dann aber müssen innerhalb der konstruierten Wirklichkeit Wahrheits- oder Plausibilitätskriterien formuliert werden, wie Roth dies ja ansatzweise tut, um verlässliche Wirklichkeit von Täuschungen zu unterscheiden. Dies kann durchaus als sinnvoller Ansatz zur Klärung des Freiheitsproblems angesehen werden. Die Spitzenaussage aber, nicht das Ich sondern das Gehirn hätte entschieden, und damit überhaupt die Alternative von Selbst und Gehirn, ist in der Roth’schen Logik nur als Aussage über Konstrukt und Konstrukteur sinnvoll.368 Dies aber kann sie bei konsistenter Anwendung 368 So deutet Roth tatsächlich das Phänomen: »Unser Ich, das wir als das unmittelbarste und konkreteste, nämlich als uns selbst, empfinden, ist […] ein Fiktion, ein Traum eines Gehirns, von dem wir, die Fiktion, der Traum nichts wissen können.« (ders., Erkenntnis und Realität, 253). Daher kann Roth auch konstatieren: »Es ist durch nichts bewiesen, dass unsere bewußte Wahrnehmung überhaupt einen Einfluß auf unser Handeln hat, wie es auch völlig unbewiesen ist, daß es so etwas wie einen Willensakt gibt.« (a. a. o., 251).

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des konstruktivistischen Erkenntnisprinzips nicht sein, da die Begründung selbst nur im Rahmen der konstruierten Wirklichkeit vorgenommen wird.369 An dieser epistemischen Einordnung ist bezüglich der Validität der Roth’schen Position festzuhalten, auch wenn er den konstruktivistischen Rahmen seiner Theorien insgesamt in den späteren Büchern nicht ausdrücklich nochmals wiederholt hat. In Bezug auf entscheidende Einzelfragen, insbesondere das Ich-Erleben und die Frage des Bewusstseins insgesamt, betont er ja – wie gesehen – explizit den konstruierenden Charakter der Arbeitsweise des Gehirns, den er als Hirnforscher entlarven kann.370 Wir müssen daher entweder annehmen, dass die von Roth gemachte erkenntnistheoretische Voraussetzung falsch oder mindestens zu scharf formuliert ist, oder die sachlichen Aussagen über Gehirn und Freiheit bedürfen einer kritischen Revision. Für beides dürfte ich Anhaltspunkte geliefert haben. Gegen einen moderaten Konstruktivismus371, der mit Hilfe der empirischen Ergebnisse bezüglich der Arbeitsweise unseres Gehirns deutlich macht, dass und wie wir nicht die objektive, sondern eine verarbeitete Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen, wäre m. e. gar nichts einzuwenden, würde man im Rahmen einer solchen Theorie auf die hier eingeführte definitive Unterscheidung von Realität und Wirklichkeit verzichten. Damit wäre der reduktionistische Zug des Roth’schen Konstruktivismus, der an entscheidender Stelle eben doch nur die mit den Methoden der Hirnforschung feststellbaren Ergebnisse gelten lässt, vermieden. Auf dem Boden einer solchen Theorie, die sich dann an den Phänomenen der Wirklichkeit orientiert, ließen sich durchaus Erkenntnisse der Hirnforschung in eine sinnvolle Version der Beschreibung menschlicher (Un-)Freiheit integrieren. Versteht man die einzelnen Aspekte der Theorie Roths (etwa die Betonung des Unbewussten) als Beschreibung auf der Phänomenebene, kann ihnen durchaus Bedeu369 Damit ist die gängige Kritik gegen einen radikalen Konstruktivismus benannt, den Roth zwar nicht explizit vertritt, den er aber durchaus implizit einführt. Der so gefasste Konstruktivismus ist notwendig selbstwidersprüchlich, denn: »Wenn alles nur Konstruktion ist, dann gibt es keine Grundlage, dies zu behaupten.« (Walter, Neurophilosophie, 143). 370 Roth allerdings nimmt durchaus explizit Bezug auf die Theorie, die er 1996 entwickelt hat, siehe Roth, Fühlen Denken Handeln, 397. 371 Mir ist bewusst, dass die hier gegebene Skizze mehr als grob ist angesichts der Vielfalt konstruktivistischer Ansätze, nicht nur in der Philosophie. Eine präzise wissenschaftstheoretische Einordnung müsste diese berücksichtigen und eingehend diskutieren; dies ist aufgrund der Disposition der Arbeit hier nicht möglich. Ich hoffe, dass die Andeutung dennoch zur Klärung des Problemfeldes beiträgt.

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tung für eine angemessene Freiheitstheoreie zugemessen werden. Das »Ich«, das eben kein Gegenstand in der Welt ist und somit auch nicht letztlich von der Hirnforschung erfasst werden kann,372 sondern den sprachlichen Repräsentant der Perspektive darstellt, in der wir als Subjekte Welt erfahren, könnte dann integraler Teil einer solchen Theorie sein, und müsste nicht im Gegensatz zum Gehirn stehen. In dieser Richtung werden in den folgenden Kapiteln weitere Schritte unternommen.

2.3 Die Frage der Verantwortung: Person oder Gehirn? Die Auseinandersetzung mit der Position Gerhard Roths offenbarte eine Reihe von Problemen, welche die Struktur seiner Argumentation und den darin vorausgesetzten Begriff menschlicher (Un-)Freiheit betreffen. Dabei ist es vor allem deshalb schwierig, seine Position zu eruieren, weil er das Problem beständig im Kontext scheinbar plausibler Unterscheidungen behandelt: relevant ist nicht das Bewusstsein, sondern unbewusste Prozesse, nicht der Verstand, sondern die im Wesentlichen unbewusst gespeicherten Emotionen, nicht das frei sich disponierende Selbst, sondern das Ergebnis einer (quasideterministischen) Geschichte, nicht das Ich als virtuelle Instanz, sondern das reale Gehirn. Es sollte im Verlauf der Argumentation deutlich geworden sein, dass es sich hierbei um Scheinalternativen handelt, die nur gelten können, wenn man eine unkörperliche, vom Gehirn zu trennende Instanz voraussetzt, der man Freiheit zuschreibt. Nun hat Roth an vereinzelten Stellen angedeutet, dass er sich auch ein anderes Verständnis von Freiheit vorstellen kann, das die Alternative von Selbst und Gehirn überwindet. Insbesondere in der neuen, mit Michael Pauen gemeinsam getätigten Veröffentlichung »Freiheit Schuld Verantwortung«, in der er sich offensichtlich dem Pauen’schen Freiheitskonzept anschließt, scheinen sich diese Andeutungen zu 372 Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, dass nicht Korrelate der menschlichen Fähigkeit, ‘Ich’ zu sagen bzw. sich reflexiv auf sich selbst zu beziehen und dementsprechend zu handeln, in der Hirnforschung aufgeklärt werden könen. Die diesbezüglichen Ergebnisse Roths sind auch gar nicht zu kritisieren. Neuere Theorien wie die von Görnitz/Görnitz (dies., Protyposis, vgl. v. a. 150-152), welche in quantenphysikalischen Prozessen die Grundlage für die Entstehung eines reflexiven Selbst erblicken, können hier möglicherweise weitere Klärung verschaffen. Eine Reduktion auf die entsprechenden empirischen Ergebnisse aber ist zu vermeiden.

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bestätigen. Es zeigt sich hier deutlich, dass die Frage, wie man sich zum Freiheitsproblem zu stellen gedenkt, in hohem Maße mit der Definition des Freiheitsbegriffs zu tun hat, und nicht allein auf empirischer Ebene entschieden werden kann. Eine entsprechende Abklärung werde ich daher im philosophischen Abschnitt dieser Arbeit vornehmen. An dieser Stelle sei nun allerdings der Roth’sche Freiheitsbegriff, der nicht immer sehr trennscharf abgegrenzt werden kann, noch einmal pointiert in den Blick genommen, und zwar in Bezug auf die Frage nach dessen Leistungsfähigkeit. Denn ein (unumstrittenes) Merkmal eines sinnvollen Freiheitsbegriffs muss – egal wie er definiert wird – sein, dass er die Zuschreibung von Verantwortung rechtfertigt. Sollte dies nicht der Fall sein, so hätte auch die Rede von Freiheit, die eben ihren Sitz im Leben in der Interaktion von Personen und deren reziproker Zuschreibung von Verantwortung hat, keinen Sinn. Hier muss sich in Bezug auf Roths Konzeption zeigen, welchen Wert seine Ausführungen zum Freiheitsproblem haben. Denn eines ist deutlich: Einem Gehirn kann keine Verantwortung zugeschrieben werden, auch wenn es nach Roths Meinung die eigenständige Entscheidungsinstanz sein sollte; Verantwortung können nur Personen tragen, die als leibliche Wesen durch ihr Gehirn entscheiden. Noch 2003, in seinem Buch »Aus Sicht des Gehirns«, hat Gerhard Roth die These formuliert, subjektive Schuld und Verantwortung seien Konstrukte, die nicht zu vertreten sind, weil »niemand an etwas Schuld sein kann, das er gar nicht begangen hat und auch gar nicht begangen haben konnte.«373 Hier ist in kompakter Weise zusammen gefasst, was ich als die grundlegende Logik herausgestellt hatte, die Gegenüberstellung von bewusstem Ich und unbewusst arbeitendem Gehirn. Diese Frontstellung scheint in den späten Publikationen aufzuweichen, obwohl Roth nicht die empirischen Ergebnisse seiner Studien revidiert, sich aber einem kompatibilistisch abgeschwächten Freiheitsbegriff annähert.374 Hier kann etwa in Bezug auf die Selbstzuschreibung auch unbewusster Vorgänge durchaus gesagt werden, dass diese »keineswegs falsch sein«375 muss. Diese Deutung setzt nun aber bereits einen bestimmten philosophischen Freiheitsbegriff voraus, dessen Validität 373 Roth, Sicht Gehirn, 180. 374 Siehe insgesamt Pauen/Roth, Freiheit Schuld Verantwortung (das Kap. 1 dieses Buches scheint offensichtlich eine Kopie des Pauen’schen Freiheitskonzepts zu sein, was die Evaluation bezüglich der Position Roths nicht erleichtert); in eine ähnliche Richtung geht Roth, Persönlichkeit Entscheidung Verhalten, 314-329. 375 Pauen/Roth, Freiheit Schuld Verantwortung, 128.

Zusammenfassung und Überleitung

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ich eigens im philosophischen Teil der Arbeit prüfe. Insofern stellt die Auseinandersetzung mit Pauen auch eine Auseinandersetzung mit Roth in neuer Perspektive dar.

3. Zusammenfassung und Überleitung Aus der Analyse des Ansatzes neurowissenschaftlicher Verfahren ergab sich die Erkenntnis eines ganz bestimmten Gepräges des vorausgesetzten Freiheitsbegriffs. Zu unterscheiden ist dabei zwischen den einzelnen Experimenten (Libet und seine Nachfolger), die explizit die Freiheit des Willens untersuchen, und generell dem neurowissenschaftlichen Ansatz, der sich mit den neuronalen Korrelaten aller menschlicher Leistungen, insbesondere kognitiver und mentaler Fähigkeiten beschäftigt. Es zeigte sich, dass die viel diskutierten Libet-Experimente einen einseitigen, viel zu eng gefassten und damit weder philosophisch ernsthaft diskutablen noch alltagspsychologisch angemessenen Freiheitsbegriff voraussetzten. Denn Freiheit kann sich nicht in einem rein geistigen Akt verwirklichen. Allerdings war zu beobachten, dass dieser Freiheitsbegriff auch in der Argumentation Roths wieder weitgehend Gegenstand der Diskussion war. Nichtsdestotrotz besitzt der Ansatz der Neurowissenschaften, empirisch zu beschreibende Korrelate mentaler Phänomene zu finden, auch Abseits der Libet-Experimente Relevanz für das hier zu verhandelnde Freiheitsproblem. Dies gilt insbesondere deshalb, weil es der Anspruch der Neurowissenschaften ist, eineindeutige Korrelierungen und auch kausale Verbindungen herzustellen, also zu erklären, wie unser phänomenales Erleben aus neuronalen Prozessen hervorgeht. Ich habe angedeutet, dass für ein solch anspruchsvolles Programm viele gut abgesicherte Bedingungen erfüllt sein müssten, wovon sich die Neurowissenschaft zum Teil selbst eingesteht, noch weit entfernt zu sein. Trotz der unzweifelhaften und für experimentelle Zwecke auch notwendigen Simplifizierung zeigen sich dennoch wichtige Weichenstellungen. Entscheidungen zwischen Alternativen stellen tatsächlich eine virulente Situation für das Freiheitsproblem dar, wenn auch die Einbettung in den jeweiligen Lebenskontext für die Behandlung des Themas notwendig ist. Aber die Frage, wie und unter welchen Einflüssen wir Entscheidungen treffen, kann als zentraler Ansatzpunkt zum Freiheitsproblem gelten. Hierbei wurde auch schon sichtbar, dass Entscheidungen stets – wie das Libet-Experiment besonders deutlich zeigte – eine (auch am

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EEG darstellbare) Vorgeschichte und einen kommunikativen Kontext besitzen. Entscheidungen unterliegen stets Bedingungen, die sich aus der Vergangenheit ergeben. Was dies freiheitstheoretisch bedeutet, muss erst noch reflektiert werden. Wichtig ist aber, dass hier bereits die zeitliche Anlage der Fragestellung deutlich wird. Es kommt darauf an, wie die Bedeutung der prägenden Vergangenheit insbesondere in Bezug auf die Rolle der noch vor uns liegenden Zukunft freiheitstheoretisch zu bewerten ist. Nur im Kontext einer solchen Einordnung kann auch sinnvoll gesagt werden, was Handlungsalternativen sind. In der Situation der »reinen« Gegenwart lässt sich das Thema nicht verhandeln. Die neurowissenschaftlichen Versuche setzen dabei die jeweils individuelle menschliche Binnenperspektive bzw. Subjektivität mit ihrer Fähigkeit zu Selbstwahrnehmung und Erinnerung voraus. Ihre Bedeutung (bzw. mögliche Nivellierung) im Rahmen einer Freiheitstheorie kann sich daher nicht aus dem Experiment selbst ergeben, sondern muss auf die Systematik eines sinnvollen Freiheitskonzepts bezogen werden. Dieses muss in der Lage sein, die Übernahme von Verantwortung im Rahmen eines sozialen Kontextes zu rechtfertigen. Denn Freiheit ist – wie auch schon die Experimente zeigten – überhaupt nur als intersubjektiv eingebettetes Phänomen zu verstehen, insofern Freiheit Sprachund Handlungsfähigkeit im Rahmen eines (auch für andere Personen gültigen) Zeichensystems voraussetzt. Die Zuschreibung eines Vorgangs an eine Person ergibt nur vor dem Hintergrund der Möglichkeit zur Kommunikation dieser Zuschreibung vor anderen Personen Sinn. Der von den empirisch arbeitenden Wissenschaftlern vorausgesetzte Freiheitsbegriff kann dabei ein sehr unterschiedlicher sein. Die (zumeist vorgenommene) Ablehnung von Freiheit in einem vermeintlich alltagspsychologischen Sinn resultiert weithin aus dem Widerspruch mit dem vorausgesetzten, kausal geschlossenen, und damit deterministischen Weltbild. Freiheit ist vor diesem Hintergrund dann meist nur zu denken als eine Lücke in der deterministischen Welt, was in der Logik der Argumentation auch als Lücke im Kausalgeschehen zu verstehen ist. Dieses Verständnis von Freiheit zeigt sich schon bei Libet bzw. Haggard/Eimer, sowie bei einer Reihe von empirisch arbeitenden Psychologen, die das Freiheitsproblem in Kausalitätskategorien behandeln. Dabei sind nicht die einzelnen Studien problematisch, sondern die vorausgesetzte »Leitidee«376 von Freiheit, die einem naturalistischen 376 Hoppe, Hirnforschung, 34.

Zusammenfassung und Überleitung

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Weltbild inklusive des damit verbundenen universalen, auch das menschliche Gehirn erfassenden Determinismus entgegengesetzt wird. Wird Freiheit mit einer Lücke im Kausalnexus verbunden, so impliziert dies auf anthropologischer Ebene, dass sie mit der Annahme einer immateriellen, dem natürlichen Geschehen samt seiner UrsacheWirkungsstruktur enthobenen Instanz (meist Geist oder Seele, auch Ich oder Selbst genannt) verbunden wird. Diese Instanz müsste einerseits frei sein von jeglichen Einflüssen der materiellen Welt, mindestens dürfte sie nicht in deterministischer Weise geprägt sein, und müsste andererseits auf diese Welt im Sinne einer Verursachung aus eigener Kraft Einfluss zu nehmen in der Lage sein (so sehr deutlich bei Singer). Dies wirft schwerwiegende anthropologische (Verhältnis von Gehirn und Ich/Selbst) und auch begriffliche Schwierigkeiten (Was ist »das Ich«?) auf. Damit zusammen hängt die Frage, wo hier »der Wille« überhaupt fassbar wird und ob es ihn als eigenständige Entität geben kann. Ansatzweise kann eine Überwindung der Aporien da gesehen werden, wo die Binnenperspektive des Handelnden als eine sinnvolle bzw. praktisch notwendige Illusion angesehen wird (etwa Wegner) bzw. wo ihr eine distinkte Eigenlogik zuerkannt wird, aus der heraus ein Freiheitsbegriff unabhängig von einer deterministischen Weltanschauung entwickelt werden könnte (so bei Spitzer). Hier wurde v. a. deutlich, dass freiheitstheoretisch von entscheidender Bedeutung ist, wie sich Menschen zu den ihnen vorgegebenen Bedingtheiten verhalten und wie sie diese erkennen. Als interessantes Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass die Einsicht in die Bedingtheit auch schon Freiheitspotential birgt. Hier deutet sich die Möglichkeit der Würdigung unterschiedlicher Perspektiven in freiheitstheoretischer Hinsicht an. Die Tendenz bei den meisten der hier verhandelten Wissenschaftler (insbesondere bei Roth), gegen einen traditionellen Freiheitsbegriff zu argumentieren, kann sich auf verschiedene Argumentationsstränge stützen. Ein zentraler Faktor ist dabei die Annahme, dass wir unsere Entscheidungen nicht mittels bewusster Rationalität fällen, sondern unbewusst ablaufenden und weithin durch emotionale Erfahrungen geprägten, daher aber auch nicht zugänglichen und steuerbaren Prozessen unterliegen. Argumentative Kraft gewinnt diese Annahme aber erst, wenn sie von einem (wiederum dualistischen) anthropologischen Modell gerahmt wird, dem zufolge »das Ich« dem Gehirn und seinen unbewusst arbeitenden Prozessen gegenüber steht. Rein experimentell lässt sich zwar die diesbezügliche Manipulierbarkeit des Menschen belegen, auch die Tatsache, dass wir uns manchmal über unsere wah-

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ren Handlungsgründe täuschen, nicht aber die prinzipielle Täuschung bezüglich der Handlungsurheberschaft unserer selbst. Auch wenn die Distinktion zwischen Selbst und Gehirn, wie sie vielfach im Rahmen der besprochenen Konzeptionen vorgenommen wird, nicht sachgemäß ist und menschliche Unfreiheit nicht zu begründen vermag, so weist sie doch auf die Notwendigkeit der Formulierung von Kriterien zur Unterscheidung von Selbst- und Fremdbestimmung hin. Wenn die Demarkation nicht mit der Abgrenzung von Selbst- und Gehirn gelingt, muss auf die Art und Weise der Einflussnahme von Bedingungen reflektiert werden. Hierfür wiederum könnten neurowissenschaftliche Erkenntnisse durchaus hilfreich sein. Eher auf formalen Grundsätzen beruhen diejenigen Argumente, die sich auf die Unveränderlichkeit bestimmter Prozesse berufen und damit die Gegenüberstellung von bewusst-unbewusst bzw. emotionalrational verstärken. Sie beharren darauf, dass wir als Menschen Voraussetzungen unterliegen, die für uns unhintergehbar sind (Gene, erworbene Eigenschaften). Ein wichtiger Ertrag neurowissenschaftlicher Forschung kann in der Aufklärung dieser Bedingungen liegen, deren Ergebnis durchaus darin bestehen mag, zu zeigen, dass unser »Spielraum« wesentlich kleiner ist, als wir intuitiv zu denken geneigt sind. Die Präsumtion eines Notwendigkeit implizierenden Kausalnexus aber, der alle menschlichen Möglichkeiten für illusorisch erklären würde, konnte experimentell (etwa im Libet-Experiment) nicht gezeigt werden. Das häufig vorausgesetzte Gegenüber von Ich/Selbst und Gehirn wird nun pointiert in der Qualifizierung eines einheitlichen Ich als Konstruktion des Gehirns. Dabei gilt die Annahme eines fehlenden Steuerzentrums in den neuronalen Strukturen des Gehirns als Basis dieser These. Das solchermaßen verstandene, konstruierte Selbst kann dann selbstverständlich nicht Urheber von Handlungen sein. Dabei zeigte sich allerdings, dass die Argumentation Roths von einer in sich widersprüchlichen erkenntnistheoretischen Voraussetzung lebt. Eine konstruktivistische Erkenntnistheorie müsste, konsequent durchdacht, auch auf das eigene System angewandt werden. Diesen Schritt allerdings geht Gerhard Roth nicht, so dass Zweifel angebracht sind, ob sich die These der menschlichen Unfreiheit auf die konstruktivistische Annahme stützen kann. Das reale Gehirn müsste bei konsequenter Anwendung des Prinzips auf die eigene Argumentation eine Art »black box« bleiben, zu dem der Zugang verschlossen ist. Dies allerdings scheint in gewisser Hinsicht aus der Position Roths durchzuschimmern, wenn er das Gehirn (mindestens in den frühen Schriften) beinahe als eine Art Fremdkörper dem menschlichen Selbst gegenüber-

Zusammenfassung und Überleitung

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stellt. Verzichtet man auf diese Kontrastierung, so können die Erkenntnisse der Hirnforschung sicherlich einiges zur Auklärung derjenigen anthropologischen Phänomene, die sich mit dem Problem Freiheit verbinden, beitragen. Nichtsdestotrotz bleiben die neurowissenschaftlich begründeten Argumente Roths (und der anderen Hirnforscher) eine Herausforderung für das menschliche Selbstverständnis. Dies betrifft insbesondere das Verständnis menschlicher Personalität sowie die Bedeutung der subjektiven Innenperspektive. Dabei geht es im Kontext dieses Themas um die Verhältnisbestimmung dieser Binnenperspektive zu den Erkenntnissen der szientistischen Außenperspektive, also um die Relation von Ich bzw. Selbst und Gehirn (als Gegenstand empirischer Forschung). Die Frage gehört – wenn auch einseitig zugespitzt – in den weiteren Kontext des Leib-Seele-Problems, das hier in der Konzentration auf das Gehirn thematisch wird. Nicht identisch damit ist, obgleich damit zusammenhängend, die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Determinismus. Der Struktur der philosophischen Debatte entsprechend ergibt sich die Anlage dieser Arbeit aus der zuletzt genannten Problematik und ihren diversen Lösungsansätzen. Diesen zunächst im Wesentlichen philosophischen Herausforderungen seien einige – an dieser Stelle noch sehr rudimentäre – Gedanken hinsichtlich der Relevanz der neurowissenschaftlichen Argumente in theologischer Perspektive angefügt. Theologisch muss sich die Rede von Freiheit auf verschiedenen Ebenen nachweisen lassen. Dabei kann die neurobiologisch zu vertiefende Einsicht in die Bedingtheit menschlicher Existenz im Rahmen einer schöpfungstheologischen Argumentation durchaus aufgenommen werden. Ein christlicher Freiheitsbegriff kann sich nur als Freiheit des Geschöpfes, das aus nicht selbst geschaffenen Bedingungen lebt, artikulieren und sich in der Art und Weise des Umgangs mit diesen Bedingungen zeigen. Aus reformatorischer Perspektive, die ja pointiert von einem geknechteten Willen reden kann, ergibt sich ganz allgemein auch die Frage nach dem Verhältnis der Begründungen von Unfreiheit in neurobiologischem und theologischem Sinn. Auch für christliche Theologie ist die Bestimmung des Verhältnisses von Gehirn und Ich, von Leib und Seele ein zentrales Anliegen. Ohne schon etwas vorwegzunehmen kann gesagt werden, dass in einem Verständnis des Menschen als Geschöpf genuin auch seine Leiblichkeit zur Sprache kommen muss. Ein Dualismus, wie er in weiten Teilen neurobiologischer Argumentationen vorausgesetzt wird, wirft hier Probleme auf. Auch die Frage nach dem Personsein des

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Neurowissenschaftliche Perspektiven

Menschen und den damit gegebenen freiheitstheoretischen Implikationen wird in theologischer Perspektive noch einmal neu aufgenommen.

II Philosophische Perspektiven 1. Philosophische Anliegen 1.1 Rekontextualisierung eines Problems Mit dem Eintreten in die philosophische Perspektive wird das Problem der Willensfreiheit rekontextualisiert, das ich zunächst in naturwissenschaftlicher Hinsicht, d. h. im Wesentlichen aufgrund empirischer Forschung, diskutiert hatte. Bislang waren in den neurowissenschaftlichen Perspektiven verschiedene Freiheitsbegriffe vorausgesetzt, aber zumeist nicht explizit thematisiert. Mit unserem Thema verbindet sich nun eine lange Denktradition philosophischer wie theologischer Provenienz. Diese Vorgeschichte bildet ohne Zweifel den Rahmen, innerhalb dessen das Thema auch heute diskutiert werden muss, wenn auch die Tradition in unserer im wesentlichen systematisch angelegten Arbeit nicht als historisch zu benennende Positionen, sondern als Orientierungshilfen in einem komplexen Problemgeflecht nur punktuell auftreten. Diese Rekontextualisierung ist besonders deshalb notwendig, weil das Problem der Willensfreiheit mit der neurowissenschaftlichen Herangehensweise zwar in einen neuen Kontext exportiert wurde, die Behandlung der Fragestellung in dieser Perspektive sich aber als in hohem Maße abhängig von bestimmten Denktraditionen erweist. Dies gilt insbesondere für die Voraussetzung eines umfassenden Determinismus, als auch für das Gegenbild einer im Wesentlichen auf Grundannahmen cartesischer Metaphysik fußenden Freiheit. Aufgrund dieser einseitigen Einbettung des Problems ist es notwendig, sich der aktuellen philosophischen Debatte zuzuwenden, die sich im Wesentlichen anhand der Neuinterpretation traditioneller Argumente vollzieht. Wenn ich mich nun vor allem mit aktuellen philosophischen Positionen auseinandersetze, so schwingen hier jeweils bestimmte philosophische Traditionen mit, die, wenn sie erhellend erscheinen, auch explizit zur Sprache kommen sollen. Grundsätzlich kann – ohne einzelnen Argumenten vorzugreifen – festgestellt werden, dass in der gegenwärtigen philosophischen Diskussionslage (i. u.etwa zum 18. oder 19. Jahrhundert) Freiheit kaum,

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Philosophische Perspektiven

d. h. mit wenigen Ausnahmen, geleugnet, sondern in unterschiedlichen Formen bejaht wird. Ob es sich dabei um »Freiheitsbeweise« handelt, deren »Unzulänglichkeit«1 gezeigt werden oder deren Sinn nachvollzogen werden kann, müssen die einzelnen Argumente zeigen. Dabei ist der Hinweis von Ulrich Pothast zu bedenken, dass Freiheit als theoretisches Konstrukt nur im Blick auf seine konkreten Folgen von Bedeutung ist. D. h. die Freiheitsfrage muss in einem sehr konkreten Sinn rekontextualisiert werden, nämlich im Blick auf die Einbettung in die soziale Interaktionspraxis samt der ihr eigenen Logik der Zuschreibung und Inanspruchnahme von Verantwortung.2 Nur wenn ein theoretisches Freiheitskonzept sich hier tatsächlich als sinnvoll darstellen lässt, kann der Wert einer solchen Theorie auch angemessen taxiert werden.

1.2 Begriffliche und sprachliche Klärung Ein wesentliches Anliegen philosophischer Klärungsarbeit im Kontext des Freiheitsproblems ist in der terminologischen und sprachlichen Analyse zu sehen. Dahinter steht die Einsicht, dass unser Zugang zur Wirklichkeit nie unabhängig von sprachlichen Zusammenhängen ist, weil er immer im Rahmen von Sprachregeln und Bedeutungen formuliert werden muss. Es hatte sich in der Diskussion der neurowissenschaftlichen Ansätze gezeigt, dass schon die Experimente einen sprachlichen Zugang zur Wirklichkeit voraussetzen, dass aber dieser Zugang auch mit problematischen Verwendungsweisen, insbesondere des Begriffs Freiheit, aber auch der damit im Zusammenhang stehenden anthropologischen Termini steht. Aufgrund der starken Prägung der deutschsprachigen Diskussionslandschaft durch die sprachanalytische Philosophie nimmt dieser Aspekt eine zentrale Rolle ein. Dabei ist nun generell intendiert, durch die Analyse von Begriffsverwendungen falsche Intepretationen zu vermeiden und Verwirrungen aufzulösen. Sie hat damit eine kritische Funktion. Zuweilen wird die Überzeugung vertreten, die Auflösung von Sprachungenauigkeiten allein könne bereits das Freiheitsproblem lösen. Ein prominenter Ansatz in dieser Hinsicht ist die Analyse von Bennett und Hacker, die in 1 2

Vgl. Pothast, Die Unzulänglichkeit der Freiheitsbeweise; zu der genannten Diagnose, a. a. o., 9. Vgl. a. a. o., 20.

Philosophische Anliegen

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besonders pointierter Weise die Meinung vertreten, Philosophie habe vor allem mit begrifflichen und logischen Untersuchungen zu tun, auch in ihren anthropologischen Anliegen. Davon deutlich zu unterscheiden sei die neurobiologische Zugangsweise, die empirisch arbeite.3 Aus der Verwechslung beider Perspektiven, die als »logically different kinds of intellectual inquiry«4 gekennzeichnet werden, und insbesondere der jeweils unterschiedlichen sprachlichen Zugänge entstünden dann die Probleme, die ich im ersten Teil dieser Arbeit bereits diskutiert habe. Problematisch sei dabei vor allem die Fehlattribution psychologischer Eigenschaften an das Gehirn, die aus der schwierigen, und darum nur sehr präzise vorzunehmenden Zuordnung psychologischer Prädikate und neurophysiologischer Zustände resultiere.5 Damit würden Gehirn als Gegenstand empirischer Forschung und der Mensch als Ganzer, wie er Gegenstand der philosophischen Reflexion ist, verwechselt. Es liege ein »mereologischer Trugschluss«6 vor. Der kritischen Diagnose ist durchaus zuzustimmen. Allerdings ist auch die Kritik an der These von Bennett und Hacker, die bezüglich der Lösung des Freiheitsproblems eine einseitige Zuspitzung trägt, berechtigt. Gegen ihre Auffassung wurde etwa von Daniel Dennett eingewandt, dass die Trennung von apriorischer und empirischer Wissenschaft zu scharf sei, denn auch Begriffsanalyse sei schon empirische Analyse. Es sei außerdem nicht einzusehen, warum die Bedeutung von Worten und damit der Gebrauch der Sprache nicht auch ausdehnbar, ob also die äquivoke Verwendung intentionalen Vokabulars im Rahmen neurowissenschaftlicher Untersuchungen auch sachgemäß sei.7 In ähnlicher Absicht hat Peter Bieri darauf hingewiesen, dass begriffliche Analyse immer auch unsere Meinungen oder Theorien zu einem bestimmten Problem spiegelt, in diesem Sinn also nicht apriorisch sein kann.8

3 4 5 6

7 8

Bennett/Hacker, The Introduction, 4. A. a. o., 5. A. a. o., 6. A. a. o., 22. Siehe auch Fuchs, Gehirn, 65-68; zum Verhältnis von Gehirn und Organismus vgl. auch Janich, Menschenbild, 43 f.; siehe auch Rott, Freiheit oder Determinismus, 127 f. Vgl. Denett, Philosophy as Naive Anthropology, v. a. 81-86. Bieri, Generelle Einführung, 18; vgl. auch Janich, Menschenbild, 88, der darauf hinweist, dass Sprachprobleme zwar auch für die Hirnforschung zentral sind, deren Aufklärung aber nicht alleine das empirische Problem zu lösen in der Lage sei.

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Philosophische Perspektiven

Angesichts dessen ist die Auflösung bzw. Bearbeitung von begrifflichen Schwierigkeiten eine zentrale, wenn auch nicht die einzige Aufgabe philosophischer Reflexion. Dies gilt nicht nur für die interdisziplinäre Verständigung, sondern auch für das Gespräch innerhalb der Philosophie. Denn auch hier besteht ein wesentlicher Aspekt der Schwierigkeiten in der Zugrundelegung unterschiedlicher Freiheitsbegriffe.9 Diese Begriffe zu klären und sie auf ihre Konsistenz und ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen muss Aufgabe einer philosophischen Analyse des Problems sein. Die Herausforderung besteht insbesondere auch darin, eine gemeinsame Sprachebene zu skizzieren, die gegenseitige Verständigung ermöglicht.10 Die Betonung begrifflicher Probleme und deren Auflösung im Rahmen philosophischer Reflexion ist vor allem eine Domäne kompatibilistischer, zumeist analytisch orientierter Theorien zur Willensfreiheit, die damit zeigen wollen, dass kein eigentlicher Widerspruch zwischen den unterschiedlichen Zugängen zum Thema besteht. Bisweilen wird behauptet, dass bei entsprechender sprachlicher Sorgfalt das Freiheitsproblem gar nicht erst entstünde.11 Wie weit die sprachanalytische Klärungskompetenz reicht, wird der Durchgang durch die Einzelargumente zeigen.

1.3 Erkenntnistheoretische Klärung Mit der Verwendung einer bestimmten Sprache (etwa des empirischen Vokabulars) sind auch erkenntnistheoretische Implikationen gegeben. Die Unterscheidung von Bennett und Hacker zwischen empirischer und apriorischer Wissenschaft ist nicht nur eine terminologische Angelegenheit, sondern auch eine Anfrage an den epistemischen Status der jeweiligen Erkenntnisse. Eine entsprechende Klärung ist wiederum deshalb notwendig, weil die neuere Diskussion Thesen und Argumente vereinigt, die ganz unterschiedlichen Zusammenhängen entnommen

9 10

11

Vgl. Keil, Willensfreiheit, 1-14. Vgl. Sturma, Ausdruck von Freiheit, 204; Sturma setzt die Schaffung einer gemeinsamen Sprachebene für dringlicher als die ontologische Klärung des Leib-SeeleProblems an. So etwa Schlick, Wann ist der Mensch verantwortlich?, 129; ähnlich äußerte sich in Bezug auf das Leib-Seele-Problem Gilbert Ryle, Der Begriff des Geistes.

Philosophische Anliegen

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sind, empirischen Untersuchungen genauso wie theoretischen Konzepten und lebensweltlich erschlossenen Intuitionen. Die differenten Kontexte bieten dabei spezifische Erkenntnismittel, die z. t. Abstraktionen voraussetzen, die nach Dieter Sturma nicht unmittelbar in einheitliche ontologische Aussagen umgemünzt werden können.12 Es muss also nach dem Verhältnis der unterschiedlichen Zugänge zueinander gefragt werden. Dementsprechend muss sich die erkenntnistheoretische Reflexion auf verschiedene Ebenen beziehen. Sie ist sowohl für naturwissenschaftliche (wie in Abschnitt I geschehen), als auch für philosophische Konzepte und alltagspsychologische Intuitionen anzuwenden. Denn die Grenzen dessen, was wir wissen können, bestimmen auch den Rahmen der Freiheitskonzepte, die sinnvoll vertreten werden können.13 Insbesondere ist hier nicht nur nach der Verhältnisbestimmung von Erkenntnissen aus unterschiedlichen Disziplinen zu fragen, sondern auch grundsätzlicher nach der Relation von Beschreibungen aus der (empirischen) Perspektive der dritten Person im Verhältnis zu den aus der Perspektive der ersten Person gewonnenen alltagspsychologischen Einsichten und Freiheitstheorien.14 Denn gerade die subjektiven, alltagspsychologischen Intuitionen sind der Grund dafür, dass es überhaupt (scheinbar unabschließbare) Debatten um das Thema menschlicher (Un-)Freiheit gibt. Nur weil wir uns in der Regel als frei handelnde, manchmal auch in unserer Freiheit eingeschränkte Wesen verstehen, kann uns das Thema zum Problem werden. Die Relevanz dieser Perspektive ist also im Besonderen zu erörtern. Dies gilt vor allem deshalb, weil einige neurowissenschaftliche Thesen die Interpretation nahe legen, dass nur die Erkenntnisse der empirischen Perspektive als objektiv einzustufen wären, während 12 13

14

Vgl. Sturma, Ausdruck von Freiheit, 197 f. Georg Northoff etwa folgert explizit aus der relationalen und umweltabhängigen Struktur menschlicher Existenz, dass aus erkenntnistheoretischen Gründen die Formulierung eines absoluten Freiheitsbegriffs nicht möglich ist (ders., Freiheit und Einbettung, 332 f). Er spricht von »autoepistemische[r] Limitation« (a. a. o., 233) aufgrund der Tatsache, dass wir unsere neuronalen Zustände nicht unmittelbar erleben können. Vgl. etwa die Gegenüberstellung von lebenswelticher und wissenschaftlicher Beschreibung in Hartmann, Physis und Psyche, 120. Möglicherweise kann hier auch noch die – in diesem Kontext m.W. wenig bedachte – Perspektive der 2. Person in den Blick genommen werden. Ich komme darauf im Kontext der theologischen Argumentationen, insbesondere zu den kommunikativen Aspekten von Freiheit, zurück (siehe oben 4.4.3 sowie 6.1.1).

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Philosophische Perspektiven

unser Freiheitserleben als subjektive Illusion bzw. als Konstrukt des Gehirns zu kennzeichnen sei. Diese Deutung lässt sich nun allerdings nur dann vertreten, wenn der erkenntnistheoretische Anspruch, der hier vertreten wird, auch abgesichert ist (was etwa in Bezug auf den Roth’schen Konstruktivismus gerade nicht der Fall ist).15 Gerade angesichts der Tatsache, dass im Kontext des Freiheits- und des Leib-SeeleProblems immer wieder die Irreduzibilität der Binnenperspektive vertreten wird16, und diese wie gesehen auch in empirischer Forschung notwendig vorauszusetzen ist, ergibt sich hier eine Klärungsaufgabe. Es ist also zu erörtern, ob und wie angesichts der immer weiter fortschreitenden »Naturalisierung des Mentalen«17 in verschiedenen Wissenschaften von Freiheit zu reden ist.

1.4 Anthropologische Klärung Aus den beiden ersten Klärungsintentionen kann eine dritte, damit in Verbindung stehende abgeleitet werden, die im Verlauf der Auseinandersetzung mit den neurowissenschaftlichen Argumenten immer wieder als Problem zu Tage trat. Dass der ontologische Substanzdualismus, von dem sich im Grunde fast alle philosophischen Denker distanzieren, dabei keine veritable Option mehr darstellt, fordert diese Klärung in pointierter Weise heraus. Es steht also zur Disposition, welche anthropologischen Folgerungen aus der zu gewinnenden Verhältnisbestimmung unterschiedlicher Zugänge, Begrifflichkeiten und Theorien abzuleiten sind. Das Problem kann im Rahmen dieser Arbeit nur in soweit bearbeitet werden, als Grenzen markiert und eine grobe Orientierung im Rahmen des für den Freiheitsdiskurs Relevanten gegeben wird. Eine umfassende Diskussion des Leib-Seele-Problems müsste Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein. Die philosophische Perspektive nimmt (wie dann auch die theologische) im Unterschied zu den Neurowissenschaften den Menschen als

15

16 17

Dies bestreitet etwa Hartmann, der für diesen Fall von der »ontologischen Hypostasierung der theoretischen Konstrukte der Naturwissenschaften« (ders., Physis und Psyche, 106 f). Die Theoriegeladenheit der naturwissenschaftlichen Beschreibungen verhindert, dass sie im Sinne eines erkenntnistheoretischen Realismus die Wirklichkeit 1:1 wiedergeben können. Vgl. Nagel, Wie ist es eine Fledermauß zu sein? Bieri, Generelle Einführung, 17.

Philosophische Anliegen

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Ganzen (nicht nur das Gehirn) in den Blick. Die zu gewinnenden Einsichten dürfen dabei den recht verstandenen Erkenntnissen der empirischen Forschung freilich nicht widersprechen, sie können aber ihre distinkte Perspektive deutlich machen. Im Besonderen ist dabei von Bedeutung, wie Menschen als Personen verstanden werden können. Der Begriff »Person« umfasst dabei ein spezifisches Selbstbewusstsein und Selbstverhältnis, wie auch die Fähigkeit, in sozialen Kontexten interagieren zu können. Die genannte Herausforderung führt in die Aufgabe, Ansätze einer Anthropologie zu formulieren, welche die Leiblichkeit des Menschen (dazu zählt auch sein Gehirn) nicht grundsätzlich negativ bewertet, sondern positiv aufnimmt. Insbesondere steht dabei in Frage, wie der Begriff eines »leiblichen Selbst«18 gefasst und wie dann in Folge dessen von Selbstbestimmung gesprochen werden kann. Diese Aufgabe kann in dieser Arbeit freilich nicht explizit und ausführlich vollzogen werden. Es sei aber auf einen Ansatz verwiesen, der dies m. e. vorbildlich angeht: die phänomenologisch orientierten Ausführungen von Thomas Fuchs über das »Gehirn – ein Beziehungsorgan«19. Fuchs betont gegen die in der Hirnforschung oftmals geübte Isolierung des Gehirns die primäre Einbindung des Gehirns als Organ in den gesamten Organismus, und die Einbindung dieses Organismus in eine Lebenswelt und einen sozialen Kontext.20 Dabei kann, was in der neurowissenschaftlichen Forschung nicht geschieht, zwischen dem Leib als dem Medium des »Zur-Welt-Sein[s]«21, damit auch der sozialen Interaktion, und dem Körper, also dem in der »naturalistischen Einstellung«22 zum Gegenstand zu machenden Objekt unterschieden werden. Beide Perspektiven sind dabei im Sinne eines »Doppelaspekt[s]«23 zu verstehen, die in der Einheit des Lebewesens wurzeln (und daher auch nicht sekundär zusammenzufügen sind). Verheißungsvoll erscheint hier, dass Ergebnisse der Hirnforschung nicht sekundär mit mentalen Phänomenen verknüpft werden müssten, sondern als ein Aspekt der primären, subjektiven Leiblichkeit des menschlichen In-der-Welt-Seins gewürdigt werden könnten. Dies erfordert aber einen (gegenüber Roth etc.) deutlich korrigierten Theorie- und Verstehensrahmen, der insbesondere von 18 19 20 21 22 23

Vgl. Waldenfels, Das leibliche Selbst. Fuchs, Das Gehirn als Beziehungsorgan. Vgl. a. a. o., 132 ff. A. a. o., 96, in Aufnahme einer Formulierung von Merleau-Ponty. A. a. o., 100, in Aufnahme einer Formulierung von Husserl. A. a. o., 218 und passim.

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Philosophische Perspektiven

der Isolierung des Gehirns als Gegenstand und der damit verbundenen strikten konstruktivistischen Theorie Abstand nimmt. Dies kann hier nur angedeutet werden; wir kommen auf die Bedeutung der Leiblichkeit in den verschiedenen Freiheitstheorien, insbesondere auch im theologischen Abschnitt der Arbeit noch zu sprechen. Grundsätzlich ergibt sich auf dem Boden eines Verständnis des Menschen als leiblichem Wesen die Herausforderung, Kriterien für die Abgrenzung von Selbst- und Fremdbestimmung zu formulieren; dabei sollte prima facie weder das Gehirn prinzipiell als Fremdkörper identifiziert werden, noch alle leiblichen Prozesse (inkl. der Neuronenströme im Gehirn) per se als Medium der Selbstbestimmung verstanden und damit die Widersprüchlichkeit der Erfahrung der Körperlichkeit geleugnet werden.

2. Zur Unterscheidung von Handlungs- und Willensfreiheit Angesichts der Komplexität und Langwierigkeit der Diskussion des Themas Willensfreiheit, die im Prinzip in der gesamten abendländischen (allerdings nicht nur da) Denkgeschichte geführt wurde, mag es erstaunen, dass von manchen Diskussionsteilnehmern die Meinung vertreten wird, dass das Thema »Willensfreiheit« eigentlich kein Problem darstelle. Auf den ersten, und wohl auch auf den zweiten Blick legt sich da schon eher das Votum des Renaissance-Philosophen Lorenzo Valla nahe, der 1437 konstatierte, dass es wohl keine »Frage gibt, deren Antwort mit größerer Dringlichkeit gewußt werden müßte und zugleich weniger gewußt wird«24, als die Frage nach der Willensfreiheit. John R. Searle konstatiert gar, dass »das hartnäckige Fortbestehen des traditionellen Problems der Willensfreiheit in der Philosophie [...] in gewisser Weise ein Skandal«25 sei. Dennoch ergeben sich immer wieder philosophische Positionen, die das Problems insgesamt, oder aber in seiner spezifisch (post-)modernen Ausprägung für obsolet halten. Dabei kann entweder die Annahme leitend sein, das Problem sei aufgrund seiner logischen Struktur prinzipiell nicht zu lösen, Freiheit

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L. Valla, Über den freien Willen, 63. Searle, Freiheit und Neurobiologie, 11.

Zur Unterscheidung von Handlungs- und Willensfreiheit

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könne es also aus apriorischen Gründen nicht geben26, was wiederum eine sich immer wieder im Kreis drehende Argumentation erklären würde, oder aber es sei bei genauer Hinsicht einer schlichten Lösung zuzuführen und die Diskussionen, etwa um die Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus, seien angesichts dieser Lösung dann zu beenden. Solchermaßen skeptischen oder nivellierenden Positionen gegenüber gilt es, soweit die Argumente sich als tragfähig herausstellen, die Signifikanz des Problems und einer möglichen Lösung deutlich zu machen. Es soll daher kurz skizziert werden, aufgrund welcher Argumente solche Positionen zu Stande kommen. Dass Willensfreiheit in praktischer Hinsicht signifikant ist, Menschen ihr Leben also aus Freiheit, was immer damit im präzisen Sinne gemeint sein mag, zu führen haben, wird auch von Gegnern der Willensfreiheit nicht geleugnet.27 Uns geht es nun aber primär um Willensfreiheit als metaphysisches Problem, anders ausgedrückt um die »theoretische Signifikanz«28 der Fragestellung, die sich freilich, wie noch zu zeigen sein wird, von der praktischen Bedeutung des Themas nicht trennen lässt.29 Wie kann dieses in praktischer Hinsicht unbestreitbare Bewusstsein der Freiheit denkerisch eingeholt werden in ein Gesamtverständnis von Mensch und Welt, das sich auch aus anderen Quellen als aus unserer Erfahrungswirklichkeit speist? Vor allem Vertreter einer kompatibilistischen Theorie von Willensfreiheit haben eingewandt, menschliche Freiheit sei gar nicht bedroht, wenn wir sie nur richtig im Sinne der Handlungsfreiheit definieren würden. Handlungsfreiheit: Freiheit ist dann gegeben, wenn wir so handeln können, wie wir handeln wollen. Von Freiheit sei also dann zu reden, wenn ein Entsprechungsverhältnis zwischen Wille und Tat festzustellen bzw. unsere Freiheit zu

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28 29

So etwa Guckes, Ist Freiheit eine Illusion? Vgl. Seebaß, Wille/Willensfreiheit, 56 f. Der klassische Referenzautor für diesen Gedanken ist Immanuel Kant, für den die Idee der Freiheit eine praktische Notwendigkeit darstellt, allerdings eine solche, die faktische Auswirkungen hat: »Ein jedes Wesen, das nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum, in praktischer Rücksicht, wirklich frei, d. i. es gelten für dasselbe alle Gesetze, die mit der Freiheit unzertrennlich verbunden sind, eben so, als ob sein Wille auch an sich selbst, und in der theoretischen Philosophie gültig, für frei erklärt würde.« (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 83). Seebaß, Wille/Willensfreiheit, 57. Vgl. Kant, FN 27.

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Philosophische Perspektiven

handeln nicht durch äußere oder innere Zwänge eingeschränkt ist.30 Könnten wir ungehindert unseren Willen vollziehen, so gäbe es dieser Argumentation nach keinen Grund, die Zuschreibung des Attributs Freiheit zu verweigern. Die Thematisierung der Willensfreiheit könne daher auch als das Aufwärmen eines »Scheinproblem[s]«31 bezeichnet werden. Die relevante Freiheit sei gar nicht die des Willens, sondern des Handelns; darauf komme es aber gar nicht unbedingt an, sondern auf Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit.32 Willensfreiheit kann man dem zufolge analog definieren. Willensfreiheit: Freiheit ist dann gegeben, wenn wir so wollen können, wie wir wollen wollen. Vor dem Hintergrund neurobiologischer Herausforderungen, die ein starkes, inkompatibilistisches Verständnis von Freiheit voraussetzen (wie sich in Teil I dieser Arbeit gezeigt hat) betont Jan-Philipp Reemtsma im Anschluss an Schopenhauer die Einfachheit, um nicht zu sagen Trivialität des Sachverhalts Freiheit.33 Es ist ihm darin Recht zu 30

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33

Der klassische Vertreter dieser Auffassung ist David Hume, Untersuchung, VIII., 1., 113: »Also können wir unter Freiheit nur verstehen: eine Macht zu handeln oder nicht zu handeln, je nach den Entschließungen des Willens.« Ähnlich konstatiert aber auch Schopenhauer : »Dem empirischen Begriff der Freiheit zufolge heißt es: ‘Frei bin ich, wenn ich thun kann was ich will’: und durch das ‘was ich will’ ist da schon die Freiheit entschieden. [...]« (ders., Preisschrift, 6). Die Frage nach der Freiheit des Willens selbst (also das Wollen wollen) würde nach Schopenhauer in einen Regress führen, weshalb er für die schlichte Handlungsfreiheit plädiert: »Der ursprüngliche, empirische, vom Thun hergenommene Begriff der Freiheit weigert sich also, eine direkte Verbindung mit dem des Willens einzugehen.« (a. a. o., 7). So etwa Schlick, Wann ist der Mensch verantwortlich?, 157-159, aber auch Reemtsma, »Das Scheinproblem Willensfreiheit«. So exemplarisch Schlick, Wann ist der Mensch verantwortlich? Schlick konstatiert, er »würde sich schämen, ein ethisches Kapitel über ‘Freiheit’ zu schreiben.« Vielmehr sei im Titel des Aufsatzes »durch das Wort ‘verantwortlich’ angedeutet, worauf es in der Ethik allein ankommt, und der Punkt bezeichnet, wo das Mißverständnis einsetzte.« (a. a. o., 157). Vgl. insgesamt Reemtsma, Scheinproblem Willensfreiheit. Reemtsma ist der Meinung, »dass das genaue Betrachten dieses Redens [der Freiheit] und der mit ihm verbundenen Praxis der Weg ist, die Probleme zu lösen oder wenigstens debattierbar zu machen. Den klassischen Weg, aus diesen Problemen solche zu machen, die im philosophischen Seminar behandelt werden, möchte ich nicht gehen, weil es sich dabei eben um ganz andere Probleme handelt.« (a. a. o., 200). Er kritisiert insbesondere die Tatsache, dass das Wort Willensfreiheit »das Wollen in zwei getrennte Vermögen zu zerlegen scheint: gewissermaßen ein Vordergrund und ein Hintergrundwollen.« (a. a. o., 201). Darin stimmt er wiederum mit Schopenhauer überein, der in der Zerlegung des Wollens in verschiedene Formen die Gefahr eines Regresses sieht (vgl. FN

Zur Unterscheidung von Handlungs- und Willensfreiheit

135

geben, dass er sich von der Form, die eine mit philosophischem Anspruch auftretende Neurowissenschaft dem Problem gegeben hat, distanziert (ich habe in Abschnitt I das Gleiche getan). Allerdings erscheint die Lösung bzw. Reduzierung des Problems, das am Ende keines mehr ist, doch eine stark Vereinfachung darzustellen. Mit Blick auf unsere Alltagspraxis ließe sich Reemtsma zufolge zeigen: »Freiheit meint Autonomie. Freiheit heißt nicht handeln, als wäre ich nicht ich selbst, sondern anders handeln zu können, als jemand anderes.«34 Mit anderen Worten: Willensfreiheit als Problem existiert nicht. Es geht nicht um die Frage, ob und wie wir unseren Willen willentlich bilden, sondern darum, dass wir willentlich so handeln wie wir nun einmal wollen. Ein starker Begriff von Willensfreiheit sei demgegenüber nicht mehr zu denken, weil er menschliche Handlungen unerklärbar, geradezu zu einem Wunder mache.35 Das Fürwahrhalten dieser Position würde im Wesentlichen bedeuten, dass auch die Herausforderungen der neurowissenschaftlichen Forschung den für uns Menschen relevanten Begriff von Freiheit, wenn man ihn nur richtig definiert, gar nicht erfassen und somit auch nicht widerlegen könnten. Dabei ist durchaus festzustellen, dass längst nicht alle kompatibilistischen Ansätze dieser Reduktion des Problems folgen, sondern positiv den Sachgehalt von Willensfreiheit in bestimmten qualitativen Merkmalen des Willens- bzw. der Willensbildung sehen. Ob und wie sich hier die Argumente verbinden lassen, werde ich im Einzelnen analysieren. Werden die zahlreich vertretenen Kritikpunkte an einem inkompatibilistischen oder libertarischen Begriff von Willensfreiheit mit den Problemen, die sich an einer kompatibilistischen Auffassung namhaft machen lassen, kombiniert, so kommt es zu Positionen, die Freiheit aus

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30). Die Aufarbeitung der phänomenologisch wichtigen Differenzerfahrung (der Wille ist nicht immer einheitlich) innerhalb des Willens und deren Bedeutung für die Zuschreibung von Freiheit ist damit ausgeschlossen. Es sollte allerdings deutlich sein, dass dies ein philosophisch zu bearbeitendes Problem menschlicher Selbsterfahrung und menschlichen Selbstverständnisses ist. Reemtsma, Scheinproblem Willensfreiheit, 201. Vgl. wiederum Schopenhauer: »Unter Voraussetzung der Willensfreiheit wäre jede menschliche Handlung ein unerklärliches Wunder, - eine Wirkung ohne Ursache. Und wenn man den Versuch wagt, ein solches liberum arbitrium indifferentiae sich vorstellig zu machen; so wird man bald inne werden, daß dabei recht eigentlich der Verstand stille steht; er hat keine Form so etwas zu denken.« (ders., Preisschrift, 46). Vgl. weiterhin unten FN 40.

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Philosophische Perspektiven

logischen Gründen, gewissermaßen apriori für unmöglich halten.36 Das Freiheitsproblem verfängt sich dann in folgender Alternative: »Ist das Geschehen determiniert, so ist bereits lange vor unserer Geburt festgelegt, wie wir handeln. Wir scheinen mithin nicht anders handeln zu können als wir handeln und keinen bestimmenden Einfluß auf unsere Handlungen nehmen zu können. Ist das Geschehen hingegen indeterminiert, so besteht zwar die Möglichkeit, daß eine andere Handlung vollzogen wird, aber wir scheinen auch in diesem Falle keine Kontrolle darüber zu haben, ob wir die eine oder die andere der verschiedenen möglichen Handlungen vollziehen. Dies scheint vielmehr eine Sache des bloßen Zufalls zu sein.«37

Die starke Konsequenz, die aus einer derartigen Analyse des Problems gezogen wird, ist, auf die Verwendung des Begriffs Freiheit in Bezug auf den Menschen gänzlich zu verzichten. Dann ist allerdings zu fragen: Gehen mit diesem Verzicht nicht wesentliche Dimensionen des Menschseins verloren? Insbesondere: Kann es ohne die Rede von Freiheit überhaupt noch Verantwortung geben, oder müssen wir, wie es auch von vielen Hirnforschern nahe gelegt wird, auch mit deren Zuschreibung vorsichtig sein?38 Aus philosophischen Gründen vertritt eine solche Position die eben zitierte Barbara Guckes. Das Positive eines solchen Verzichts auf Freiheit wird dann meist darin gesehen, dass unsere Gesellschaft weniger verurteilend, weniger kritisch gegenüber Menschen, die Fehler oder gar Verbrechen begehen, und damit insgesamt humaner würde. Dass diese gut gemeinte Pointierung auch gravierende Probleme birgt, nicht nur hinsichtlich des Selbstverständnisses von uns Menschen, sondern auch in Bezug auf die entsprechende (Rechts-)Praxis, dürfte deutlich sein. Um nicht diese scharfen Konsequenzen teilen zu müssen ist auch von »moralische[r] Verantwortung ohne Willensfreiheit«39 die Rede, wobei dann die Kritik

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Für diese Position steht im deutschen Sprachraum Barbara Guckes, im angelsächsischen sind etwa Galen Strawson oder Peter van Inwagen zu nennen (vgl. unten FN 40). R. Double prägte für diese Position die Formulierung des »no-free-will-either-way« (ders., Metaphilosophy and Free Will, 102). Guckes, Freiheit Illusion?, 40. Vgl. etwa Roth, Aus Sicht des Gehirns, 180 f oder Singer, Selbsterfahrung und neurobiologische Fremdbestimmung, 158-160. Lohmar, Moralische Verantwortlichkeit ohne Willensfreiheit. Von Verantwortung ist nach Lohmar deshalb zu reden, weil diese nur im Rahmen moralischer Begründungszusammenhänge gerechtfertigt werden kann und auch praktisch bewährt ist. Diese Praxis moralischer Zuschreibungen könne »als ganze weder aus einer exter-

Zur Unterscheidung von Handlungs- und Willensfreiheit

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an den verschiedenen Konzeptionen von Willensfreiheit mit der weiterhin bestehenden Annahme von Verantwortung kombiniert wird. Diese sei nicht an die Annahme von Freiheit gebunden. Gibt es nun keinen Weg, zwischen der Skylla des Determinismus und der Charybdis des Zufalls hindurch zu fliehen? Sind wir entweder alternativlos festgelegt oder aber der Willkür überlassen, in keinem Fall aber frei (und verantwortlich)?40 Die Frage kann, da sie von vielen Variablen, insbesondere der Klärung der Begriffe Freiheit und Determinismus, abhängt, an dieser Stelle noch nicht beantwortet werden. Dabei können die gewonnenen Differenzierungen, die Unterscheidung zwischen Handlungs- und Willensfreiheit, sowie der Zusammenhang mit dem Problem der (moralischen) Verantwortung, als Leitperspektive mit in die Diskussion genommen werden. Die von Guckes genannte Minimalbedingung einer gewissen Kontrolle bzw. Einflussnahme des Subjekts auf seine Handlungen, die weder bei Zufälligkeit noch bei notwendigem Determinismus gegeben sei, kann dabei durchaus als

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nen Perspektive, noch aus internen Erwägungen heraus radikal in Frage gestellt werden« (a. a. o., 333). Ähnlich argumentiert Galen Strawson (vgl. ders., Art. »Free Will«), der aufzuzeigen versucht, dass wir, um frei und verantwortlich handeln zu können, und nicht das Produkt kontingenter, nicht zu beeinflussender Bedingungen zu sein, letztlich über eine Form der ultimativen Verantwortung verfügen müssten (ultimate responsibility). Diese letzte Verantwortung zu tragen hieße aber, das Gottesprädikat causa sui auf den Menschen anwenden zu müssen, was nicht nur aus logischen Gründen unplausibel erscheint. Sein Fazit lautet daher: »It seems that the only freedom we can have is compatibilist freedom. If – since – that is not enough for ultimate responsibility, we cannot have ultimate responsibility. The only alternative to this conclusion is to appeal to God and mystery – this in order to back up the claim that something that appears to be provably impossible is not only possible but actual.« (a. a. o., 751). Das gleiche Argument findet sich auch bei Peter van Inwagen: »[...] if free will is incompatible with determinism, we are faced with a mystery, for free will undeniably exists, and it also seems to be incompatible with indeterminism.« (ders., Free Will Remains a Mystery). Der evidente Widerspruch zwischen Innen- und Außenperspektive wird hier derart aufgelöst, dass die Existenz eines mysteriösen Faktums angenommen wird. Nicht unbedingt als mysteriös, aber ebenfalls aus Gründen der Selbstwidersprüchlichkeit des Konzepts der Willensfreiheit stuft Rafael Ferber selbiges als illusionär ein. Weil es aber in praktischer Hinsicht unverzichtbar sei, spricht er dennoch von der Illusion der »Willensfreiheit als Realität« (ders., Philosophische Grundbegriffe, 190; vgl. auch die entsprechenden Ansätze in Abschnitt I, 1.4.1.). Die genannten Ansätze verweisen angesichts dieser Problemstellung auf die Notwendigkeit einer erkenntnistheoretischen Klärung bezüglich des Realitätsstatus eines solchen Mysteriums bzw. einer solchen Illusion.

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Konsens festgehalten werden. Die Frage ist, ob es nicht doch tatsächlich Bedingungen gibt, unter denen dieser Sachverhalt erfüllt ist? In mindestens einem Sinne ist nun durchaus davon auszugehen, dass Willensfreiheit tatsächlich ein Problem darstellt, nämlich in der Hinsicht, dass, wäre das Thema tatsächlich unproblematisch, es kaum eine derart breite Diskussion über ein Scheinproblem geben würde. Es existieren offenbar verschiedene Vorstellungen darüber, was sinnvollerweise unter Freiheit verstanden oder eben nicht verstanden werden kann. In besonders pointierter Zuspitzung zeigen das in jüngster Zeit die Publikationen der in Teil I besprochenen empirisch arbeitenden Wissenschaftler. Indem darüber diskutiert wird und diskutiert werden muss, ist das Problem als Problem virulent. Gäbe es das Problem nicht, gäbe es auch keinen Grund, diese Arbeit zu schreiben. So bleibt die Herausforderung, sich in den verschiedenen Argumentationslinien anhand möglichst guter Kriterien zu orientieren und zu positionieren.

3. Kompatibilistische Lösungsansätze Angesichts deterministischer Herausforderungen wurden nicht erst in jüngster Zeit41, nun aber vermehrt, Konzeptionen von Freiheit entwickelt, die sich mit einem deterministischen Welt- und Menschenbild vertragen lassen. Abgrenzend geht es darum, zu zeigen, dass nicht der Determinismus an sich das Problem für unser Verständnis von Freiheit darstellt, sondern die Art und Weise der Determination.42 Dabei soll deutlich werden, dass Freiheit schon in der Abwesenheit von Hindernissen oder Zwängen besteht, die den Vollzug des Willens gefährden würden. In konstruktiver Hinsicht ist intendiert, einem natürlichen bzw. u. u. naturalistischen Weltbild gerecht zu werden, verbunden mit der 41

42

Vgl. den so genannten klassischen Kompatibilismus bei Hobbes, Hume und Locke und Mill, den ich hier nicht eigens diskutiere. Die Beschränkung auf die aktuelle Debatte (ca. letzte 30 Jahre) geschieht einerseits aus arbeitspraktischen Gründen, aber auch aus sachlicher Überlegung, da sich der vorausgesetzte Begriff von Determinismus in diesen klassischen Konzeptionen deutlich von dem unterscheidet, was heute normalerweise darunter verstanden wird. Dies bedeutet nicht, dass die Überlegungen dieser Denker nicht dennoch von Bedeutung sein können (vgl. dazu aber Keil, Willensfreiheit, 50-56). So etwa Vierkant, Worin besteht die Herausforderung?, 73. Bettina Walde benennt in ihrer kompatibilistischen Konzeption explizit die »Bedingung der geeigneten Determination« (dies., Willensfreiheit, 156-168).

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kritischen Absicht, auf diese Weise einen Freiheitsbegriff zu vermeiden, der wie ein Fremdkörper in einer durchgängig von Naturkausalität bestimmten Welt wirken müsste. Handlungen sollen auf diese Weise erklärbar, nämlich auf bestimmte Kausalursachen zurückführbar bleiben und nicht zu etwas Mysteriösem oder Zufälligem werden. Kompatibilistische Theorien definieren Freiheit demnach wesentlich durch die Abwesenheit zweier Störfaktoren: Zwang und Zufall. Ein zentrales Schlagwort ist daher für zahlreiche derartige Positionen die »bedingte Freiheit«43. Freiheit kann nicht in der völligen Loslösung von jeglicher Bedingtheit und äußeren Einflüssen bestehen, sondern in der rechten Verhältnisbestimmung oder der Art und Weise, wie sich Menschen zu diesen Bedingungen verhalten und sie sich zu eigen oder zu Nutze machen.44 Diese vor allem im deutschen Sprachraum mehrheitlich vertretene Grundposition geht je nach Ausformung von einer bestimmten Phänomenologie der Freiheit aus und versucht zu zeigen, dass die wesentlichen Elemente, die wir mit der Annahme von Freiheit verbinden, auch in einer deterministischen Welt anzunehmen möglich sind, bzw. dass sie sogar den Determinismus voraussetzen. Je nach Stellung zum Determinismus können die kompatibilistischen Positionen daher noch einmal differenziert werden in solche, die einen »agnostische[n]«45 oder auch »einfachen«46 Kompatibilismus vertreten, und diejenigen, die dem harten oder deterministischen Kompatibilismus47 zuzurechnen sind. 43

44

45

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Vgl. beispielsweise Nida-Rümelin, Freiheit als naturalistische Unterbestimmtheit, 153; Bieri, Handwerk der Freiheit, 27 ff und passim; Walde, Willensfreiheit und Hirnforschung, 75-78. Das Konzept mit ähnlichen Argumenten auch in theologischem Kontext wieder (siehe unten III., 5.1.1). Es sei bemerkt, dass auch inkompatibilistische Positionen nicht zwingend einen völlig unabhängigen Urheber annehmen müssen (gewissermaßen einen unbewegten Beweger), dass sie aber gegen die vollständige Determiniertheit wenden. Die Unterscheidung Kompatibilismus-Inkompatibilismus gelingt also nicht zwingend im Sinne eines schwarz/weiß-Kontrastes. Es muss sich noch zeigen, welche Bedeutung die Unterscheidung bzw. deren Möglichkeit oder Unmöglichkeit für die Konturierung eines sinnvollen Freiheitsbegriffs besitzt. Keil, Willensfreiheit, 50. Vgl. etwa auch Tugendhat, Willensfreiheit und Determinismus, 71, der explizit keine Entscheidung über die Annahme eines universalen Determinismus treffen will. So bei Guckes, Freiheit eine Illusion?, 24. Vgl. Hume, Treatise, book 2, part III, sect. I.II., 257-265. Hume kann sich nur unter der Bedingung konstanter und damit als notwendig interpretierter Verbindungen zwischen menschlichen Motiven und den entsprechenden Handlungen auch die Zuschreibbarkeit dieser Handlungen denken. In diesem Sinne ist die Annahme des

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Unter Ersterem versteht man die Position, die sich gegenüber der Existenz des Determinismus indifferent äußert, den Freiheitsbegriff also nicht auf eine Beschreibung der tatsächlichen Verfassung der Welt aufbaut, unter Zweitem die, welche den Determinismus notwendigerweise als mindestens für den Bereich menschlicher Handlungen auch faktisch existierend voraussetzt. Letztere Position ist normalerweise dadurch motiviert, dass das Gegenteil des Determinismus, nämlich der Zufall, explizit ausgeschlossen werden soll.48 Bislang wurde für die Gliederung stillschweigend vorausgesetzt, dass die Stellung zum Determinismus das entscheidende Klassifizierungsmerkmal sei. Dies entspricht dem derzeit gängigen, zur Strukturierung einer komplexen Diskussionslage auch durchaus sinnvollen Verfahren. Unterstellt ist dabei allerdings, dass von in ihren Ansichten äußerst verschiedenen Vertretern ein mehr oder weniger gleicher, mindestens strukturell ähnlicher Begriff von Determinismus verwendet wird. Andernfalls würde die Klassifizierung keinen Sinn ergeben. Es ist daher einerseits zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall ist, und – was weit wichtiger ist – ob das Konzept des Determinismus diese kritische und in systematischer Hinsicht zentrale Rolle zu spielen in der Lage ist. Grundsätzlich gilt jedoch, dass eine kompatibilistische Position den Sinn der Zuschreibung von Freiheit nicht von der Frage abhängig macht, ob eine Handlung determiniert ist; es geht um die Art und Weise der Determination und die Charakteristik der jeweils bestimmenden Faktoren. Determination ist dann annehmbar oder gar notwendig für die Zuschreibung von Freiheit, wenn die Einfluss nehmenden Variablen und die Form ihrer Wirkung akzeptabel sind. Ich gebe an dieser Stelle einen kurzen Überblick, und werde eine noch zu begründende Position exemplarisch diskutieren.49

48 49

Determinismus notwending. Vgl. auch etwa: R.E. Hobart, Free Will as Involving Determination and Inconceivable Without It, oder Philippa Foot, Free Will as Involving Determinism. Vgl. etwa die Abgrenzung von einer Indifferenzfreiheit bei Hume, Treatise, book 2, pt. 3, sect. 2, 262. Einen ausführlicheren Überblick über traditionelle und neuere Positionen bieten etwa Keil, Willensfreiheit, 50-80, oder Kane, Free Will Introduction, 12-22.

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3.1 Personales Handeln Ein zentraler Faktor, der im Rahmen unterschiedlicher Argumentationen immer wieder verwendet wird, ist das so genannte Prinzip alternativer Möglichkeiten (principle of alternate possibilities, PAP). Es bringt die Intuition auf den Punkt, dass wir als Menschen nur dann frei seien, wenn wir an bestimmten Punkten der Lebensgeschichte, d. h. unter ganz konkreten Umständen, die Möglichkeit haben, unter real existierenden Möglichkeiten zu wählen. In der Regel beziehen sich v. a. libertarisch argumentierende Denker auf dieses Prinzip zum Erweis der Signifikanz von Freiheit. Umgekehrt besteht ein zentrales kompatibilistisches Argument häufig in dem Versuch, aufzuzeigen, dass das Prinzip keine »Lücke« im Determinismus voraussetzt, um sinnvoll von Freiheit sprechen zu können. Konstruktiv wird diese Grundannahme dann häufig so aufgenommen, dass Freiheit v. a. mit der Möglichkeit der Zuschreibung von Handlungen an Personen (zur Übernahme von Verantwortung bzw. zur Möglichkeit moralischer Kritik etc.) verbunden wird. Nicht ein möglicherweise formalistisches Kriterium bezüglich alternativer Handlungen, sondern die Annahme eines Zusammenhangs zwischen Person und Tat steht im Zentrum.50 Man kann etwa die neueren »klassischkompatibilistischen« Konzeptionen von Moore, P.F. Strawson und Frankfurt unter dieser Leitperspektive betrachten. Sie rechnen allesamt mit einer Art intuitiver Plausibilität in Bezug auf das Verständnis von Handlungen. Das philosophische Grundanliegen, das sich in allen Positionen (mit bestimmten Variationen), durchhält, ist hier in besonders pointierter Weise formuliert: Handlungen sollen als Handlungen von Personen verstanden werden, die diese aufgrund von rationaler oder moralischer Überlegung bzw. aufgrund ihrer allgemeinen Fähigkeiten oder Einstellungen ausführten. Die entsprechende Person kann daher in jedem Fall für verantwortlich, und in diesem Sinne auch für frei gehalten werden. Diese Struktur sei auch bei Annahme eines deterministischen Welt- und Menschenbildes nicht zu falsifizieren. Die Moor’sche Analyse51 verweist dabei auf die Mehrdeutigkeit des Wortes »können«. Moores Intention ist, zu zeigen, dass mindestens 50

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Eine ausdrückliche und ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Prinzip erfolgt im Rahmen der Besprechung der Konzeptionen von Pauen und Kane (vgl. unten 3.4 sowie 4.3). Vgl. insgesamt das Kapitel Freier Wille in: Moore, Grundprobleme der Ethik, hier zitiert nach Pothast, Seminar, 142-156.

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ein Sinn des Wortes existiert, der ohne Schwierigkeiten verwendet und mit dem zum Ausdruck gebracht werden kann, dass eine Person, obwohl eine ununterbrochene, mit Notwendigkeit verlaufende Kausalkette unterstellt wird, etwas Anderes hätte tun können. Dieser Sinn von »können« bezieht sich auf Fähigkeiten und Qualitäten einer Person sowie auf die eine Handlung ermöglichenden Umstände. Handlungen kommen demnach so zu Stande, dass eine Person sich entscheidet, zu handeln, und nicht etwa nur aufgrund zwingender Umstände. Sie hätte nach Moore anders handeln können, wenn sie sich anders entschieden hätte.52 Dieser analytisch wahre Satz gelte auch unter Voraussetzung des Determinismus. Ein ähnliches Motiv vertritt Peter F. Strawson (auch wenn er nicht explizit mit dem PAP argumentiert), indem er auf die Bedeutung von Haltungen und Einstellungen verweist, die wir Menschen innerhalb von Beziehungen gegenüber Anderen notwendigerweise einnehmen und in Handlungen zum Ausdruck bringen.53 Dabei stellt er sich die Frage: »Welche Wirkung hätte die Annahme der Wahrheit einer allgemeinen These des Determinismus auf diese reaktiven Haltungen, oder welche sollte sie haben?«54 Strawson argumentiert, dass diese reaktiven Einstellungen zu tief in uns Menschen als Beziehungswesen verankert sind, als dass wir uns von ihnen aufgrund der Wahrheit der Determinismus-These distanzieren könnten. Dies würde seiner Ansicht nach bedeuten, Beziehungen überhaupt aufzugeben und in die gegenseitige Isolation zu gehen. Das Fürwahrhalten einer Theorie kann nach Strawson nicht das Einnehmen einer so genannten objektiven, also nicht52

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Es kommt nach Moore kein Sinn von Willensfreiheit in Frage, der über diese Bedingung hinausgeht. Er fasst seine Position zusammen, indem er konstatiert, es sei gewiss, »1. daß wir oft anders gehandelt haben würden, wenn wir uns dazu entschieden hätten; 2. daß wir uns in ähnlicher Weise oft anders entschieden haben würden, wenn wir uns entschieden hätten, uns zu entscheiden; und 3. daß uns fast immer eine andere Entscheidung möglich war, in dem Sinn, daß niemand von uns mit Sicherheit wissen konnte, ob er sich nicht so entscheiden würde.« (Freier Wille, 155). Ein anderes Verständnis des PAP könne nach Moore weder ein Kritiker noch Verteidiger der Willensfreiheit propagieren. Es sei grundlegend auch mit der durchgängigen kausalen Bedingtheit unserer Welt vereinbar. Zur Kritik einer solchen Auffassung vgl. unten II3.2 sowie II3.4.4. Erwähnt sei auch die Analyse von Tugendhat, in der er konstatiert, das von Moore angenommene Verständnis von Können und Anderskönnen wäre auch Tieren oder Betrunkenen zuzuschreiben, damit wären aber keine hinreichenden Kriterien für die Annahme verantwortlichen Handelns gegeben (Tugendhat, Begriff Willensfreiheit, 345). Vgl. insgesamt: Strawson, Freiheit und Übelnehmen, 201-233. A. a. o., 212.

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teilnehmenden Perspektive gegenüber anderen Individuen begründen.55 Wir würden andere Personen dennoch als im moralischen Sinne verantwortlich Handelnde ansehen. Die Zuschreibung von Verantwortung ist nach Strawson aufgrund der relationalen Struktur unserer Gesellschaft auf basaler Ebene sinnvoll und somit auch zu rechtfertigen.56 Dies gilt weil wir unsere Mitmenschen (mit wenigen Ausnahmen) stets als solche ansehen, die ihrer selbst mächtig sind, die bewusst handeln und einen Sinn für das besitzen, was moralisch zu verantworten ist. All diese Zuschreibungen würden durch die Wahrheit des Determinismus nicht obsolet. Sie liegen auf einer gänzlich anderen Ebene. Die Position Strawsons kann als Kritik an metaphysischen Konzeptionen verstanden werden, die versuchen, moralische Verantwortung und Freiheit theoretisch zu begründen oder aber zu verabschieden. Die Existenz von Verantwortung liege vielmehr im Einnehmen der Haltungen begründet, was wiederum als Ausdruck der menschlichen Natur zu deuten sei.57 Etwas anders pointiert ist der Gedankengang bei Harry Frankfurt. Er versucht zu zeigen, dass es für die Zuschreibung von Verantwortung nicht (primär) entscheidend ist, ob die äußeren Umstände alternative Möglichkeiten erlauben, sondern dass dies davon abhängt, inwiefern die Handlung auf einer Entscheidung (und der entsprechenden Überlegung) des Handelnden basiert. Zu diesem Zweck entwirft Frankfurt eine Reihe fiktiver Szenarien. Das Gedanken-Experiment in seiner pointiertesten Formulierung58 läuft darauf hinaus, dass eine Person durch einen perfiden Neurochirurgen überwacht wird, der 55 56

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Vgl. a. a. o., insbesondere 214-217. Eine ähnliche Position vertritt Achim Lohmar, der betont, die Zuschreibung moralischer Verantwortung sei so eng mit dem menschlichen Selbstverständnis verknüpft, dass sie nicht einfach aufgegeben werden kann. Dies gilt insbesondere, wie auch bei Strawson, aufgrund der relationalen bzw. sozialen Struktur menschlicher Existenz (ders., Moralische Verantwortlichkeit, 104-107). Allerdings vertritt Lohmar diese Position dezidiert ohne die Annahme von Willensfreiheit (vgl. den Buchtitel: Moralische Verantwortlichkeit ohne Willensfreiheit). Der Ansatz kann, wie kompatibilistische Positionen insgesamt, als Anfrage an die Art und Weise der Korrelierung von Willensfreiheit mit der Annahme bzw. Zuschreibung von Verantwortung verstanden werden. Vgl. die Zusammenfassung Strawson, Freiheit und Übelnehmen, 232 f. Eine Gegenposition, welche die Begründung von Verantwortung im Rahmen eines deterministischen Weltbilds nicht mehr für sinnvoll erachtet, vertritt Saul Smilansky. Seiner Argumentation zufolge müsste die Illusion der Verantwortung aber dennoch aufrecht erhalten bleiben (ders., Free Will, 498 f). Siehe Frankfurt, Alternate Possibilities, 6-8.

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deren Verhalten mittels eines technischen Tricks, den die Person aber nicht bemerkt, beeinflussen kann; er tut dies aber nicht, wenn die Person sich eh in seinem Sinne entscheidet. Die Person besitzt offensichtlich keine alternativen Handlungsmöglichkeiten. Ist der Hirnforscher nicht gezwungen einzugreifen, könne ohne Schwierigkeiten von einer verantwortlichen Entscheidung gesprochen werden, da die Person ja selbstbestimmt und ohne äußeren Einfluss gehandelt hat. Sollte nun allerdings die Person dazu tendieren, die andere, also die vom Hirnforscher nicht gewollte Option zu ergreifen, so manipuliert er das Gehirn der Person und führt sie zu der von ihm gewünschten Entscheidung. Ausgeschlossen wäre die Zuschreibung von Verantwortung nur dann, wenn ein äußerer Zwang explizit dafür verantwortlich wäre, dass und wie die Person handelte, wenn sie also gegen ihren ursprünglichen Willen agieren müsste.59 Wenn eine Person hingegen das tut, was sie wirklich und ursprünglich wollte, so trage sie dafür auch die moralische Verantwortung, egal ob die Umstände Anderes erlaubt hätten oder nicht.60 Die hier genannten Argumente machen (unabhängig von ihrer Veritabilität im Einzelnen) auf einen wichtigen Punkt in der Freiheitsdebatte aufmerksam. Sie verweisen auf den konstitutiven Zusammenhang einer Handlung mit der Person des Handelnden, der unbedingt gegeben sein muss (Zuschreibung), um überhaupt sinnvoll von freien Handlungen sprechen zu können. In dieser Hinsicht ist allen drei Vertretern zuzustimmen. Von freien Handlungen kann nur die Rede sein, wenn eine Handlung als freie Handlung einer konkreten Person erkennbar ist. Freiheit kann als Begriff nur sinnvoll verwendet werden aufgrund der Tatsache, dass Menschen nicht isoliert bzw. solipsistisch leben, sondern sich in einer Gemeinschaft orientieren müssen.61 In einer solchen Gemeinschaft ist die Zuschreibung von Freiheit und Verantwortung notwendig. Nun ist die Grundthese der drei genannten Ansätze, dass diese Zuschreibung berechtigt ist, weil sich eine Handlung aus der irreduziblen Qualität des personalen Vollzuges im Gegenüber zu bloßen, 59 60 61

Vgl. Frankfurt, Alternate Possibilities, 5. Vgl. die Zusammenfassung bei Frankfurt, Alternate Possibilities, 10. Für einen Einsiedler, der sich in keinerlei sozialem Kontext bewegt dürfte das Freiheitsproblem – wenn überhaupt – nur in sehr eingeschränkter Weise als Problem der Konstitution des Selbstverhältnisses thematisch werden. Damit aber wären wesentliche Aspekte von Freiheit als relationalem Problem verloren gegangen.

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kausal zu rekonstruierenden Ereignissen ergibt. Damit ist das elementare Setting des Freiheitsproblems sehr deutlich umrissen; insbesondere im Gegenüber zu naturwissenschaftlichen Kontexten wird hier der personale und soziale, also der relationale Kontext des Themas benannt. Trotz dieser zustimmungsfähigen Kontextualisierung muss Einzelnen sehr genau diskutiert werden, inwiefern bzw. wann dem personalen Vollzug Freiheit eignet. Denn insbesondere die inneren Entstehungsbedingungen des Willens bzw. der Handlung, die sich im Kontext der bislang noch sehr allgemein formulierten Kriterien doch deutlich unterscheiden können, sind hier noch nicht im Blick. Bleibt die Vereinbarkeitsthese hier eine »Wahrheit über handelnde Personen«62? Es deutet sich an, dass diesbezüglich verschiedene Grade und Formen von Freiheit bzw. Unfreiheit differenziert werden müssten63, insbesondere unter Heranziehung der personalen Teilnehmerperspektive.64

3.2 Stufen des Wollens und Wünschens? Wiederum Harry Frankfurt hat ein prominentes Modell entwickelt, das die enge Verbindung der Frage nach der Freiheit einer Person und ihrer Handlungen mit der Form des jeweiligen Selbstverhältnisses, mit dem was wir überhaupt unter einer Person verstehen können, Rechnung zu tragen versucht. Dabei geht er insbesondere auf das Problem ein, dass der Wille einer Person nicht immer schon feststeht bzw. ohne Widersprüche zu beschreiben ist, sondern je nach Situation in einem mehr oder weniger komplexen Prozess willentlich ausgebildet werden muss.65 Die Zuschreibung von Freiheit hängt nach Frankfurts plausibler

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Habermas, Verantwortliche Urheberschaft, 685. Vgl. Tugendhat, der das für die Zuschreibung von Freiheit zentrale Kriterium der Zurechnungsfähigkeit als »graduelles Phänomen« (ders., Begriff Willensfreiheit, 347) einstuft. Es ist ihm darin recht zu geben, dass das Freiheitsproblem nicht a priori auf die ausschließliche Alternative Ja/Nein festegelegt werden darf. Die Teilnehmerperspektive integriert hier gewissermaßen die Perspektive der 1. und der 2. Person, insofern sie (insbesondere bei Strawson) nicht nur den personalen Vollzug aus der Binnenperspektive, sondern zugleich dessen Einbettung in soziale Kontexte bedenkt. Damit verweist Frankfurt auf die von Augustin auf ein reflexives Niveau gehobene Unterscheidung der lateinischen Termini voluntas (das Wollen / Streben) und arbitrium (Wahlfähigkeit), und damit auf die Frage, ob sich das arbitrium auch auf die voluntas beziehen kann (vgl. Achtner, Willensfreiheit, 72 f).

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Meinung von der Art und Weise der Bildung bzw. Reflexion des letztlich handlungsrelevanten Willens ab. Frankfurt geht von einem Stufenmodell des Wollens bzw. Wünschens (desires) aus. Er führt zur Spezifikation seiner Position den Begriff der Volitionen ein. Volitionen unterscheiden sich von unmittelbar auf bestimmte Dinge gerichteten Wünschen dadurch, dass sie sich wiederum auf andere Wünsche beziehen. Mit dem Begriff der Volitionen sind demnach höherstufige Wünsche zu benennen, für deren Inhalt gilt, dass die Person will, dass ein charakteristischer Wunsch auf der ersten Ebene (der Handlungsebene) wirksam wird.66 Die Einführung dieses spezifischen Willensbegriffs ergibt sich aus einer luziden Analyse dessen, was mit Wollen (to want) gemeint sein kann. Zunächst existiert der Begriff des Wollens nach Frankfurt auf der basalen Ebene, innerhalb derer er sich auf den unmittelbaren Handlungswillen (will) bezieht, der aber durchaus in Konkurrenz zu anderen Wünschen (desires) stehen kann.67 Es existieren nicht nur diejenigen Wünsche, die wir unmittelbar ausführen wollen, sondern viele verschiedene, die nicht immer in einem Kongruenzverhältnis zueinander stehen. Dies macht den menschlichen Willen zu einem Problem, aber gleichzeitig auch zu einem Instrument der Freiheit.68 Denn einer Person ist es aufgegeben, sich aktiv zu diesen Wünschen zu verhalten. Sie ist normalerweise keine Marionette ihrer Wünsche (dann wäre sie streng genommen in den Augen Frankfurts keine Person mehr), sondern kann ihre Wünsche abwägen und auch verändern. Erst aus diesem Verständnis von Personen ergebe sich der Ansatz für die Rede von der Freiheit des Willens. Diese Freiheit unterscheidet sich nach Frankfurt charakteristisch vom Begriff der Handlungsfreiheit. Während diese in einem Adäquanzverhältnis von Wille und Tat besteht, geht es bei der Willensfreiheit darum, dass jemand frei ist zu wollen, was er wollen will.69 Ein höherstufiger Wunsch (desire, ausgedrückt mit to want) muss zum unmittelbar handlungswirksamen Willen (will) werden können. Die Freiheit

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»Someone has a desire of the second order either when he wants simply to have a certain desire or when he wants a certain desire to be his will. In situations of the latter kind, I shall call his second- order desires ‘second-order volitions’ or ‘volitions of the second order’.« (Frankfurt, Freedom, 16). Vgl. Frankfurt, Freedom of the will, 13 f. Vgl. a. a. o., 19. »[...] it means that he is free to will what he wants to will.« (a. a. o., 20).

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des Willens besteht dann eben in diesem Entsprechungsverhältnis,70 während Unfreiheit in einem möglichen Konflikt, der die Ausbildung eines solchen höherstufigen Wunsches verhindert, zu sehen wäre.71 Mit anderen Worten: Willensfreiheit besteht nach Frankfurt darin, handlungswirksame Intentionen auszubilden. Die Konzeption Frankfurts, die nicht in jeder Hinsicht unproblematisch ist, macht damit auf eine wichtige Dimension im Kontext des Freiheitsproblems aufmerksam, nämlich auf die Tatsache, dass es bei der Frage nach dem Frei- oder Unfreisein einer Person stets auch um deren Selbstverhältnis, und hier pointiert, um deren Identität geht. Mit welchen Wünschen identifiziere ich mich und mit welchen nicht? Es zeigt sich bei Frankfurt, dass Freiheit eminent damit zu tun hat, welches Bild wir als Menschen von uns selbst haben, mithin von welchen Wünschen wir sagen können, sie repräsentierten unseren eigenen Willen, und welche wir als fremd erfahren.72 Ein Selbstverhältnis, innerhalb dessen wir uns identisch wissen, wird eher die Signatur der Freiheit tragen, als eine Situation der inneren Zerrissenheit. Damit zusammenhängt, dass Willensfreiheit auch mit der aktiven Ausbildung des Willens zu tun haben muss. Willensfreiheit ist immer auch die Fähigkeit bzw. Möglichkeit zur Willensbildung.73 Eine Person, die sich ihren Wünschen passiv ausgeliefert fühlt, würden wir nicht, jedenfalls nicht in einem sachhaltigen Sinne als frei bezeichnen. Ebenso wenig gilt dies für jemanden, dessen Wünsche wie ein erratischer Block feststehen und in keinerlei Weise der Reflexion zugänglich sind.74 Wir geraten damit in eine gewisse, noch zu reflektie-

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»It is in securing the conformity of his will to his second-order volitions, then, that a person exercises free will.« (a. a. o., 20). Vgl. a. a. o., 21. Vgl. a. a. o., 22. Diesen Grundgedanken betont auch Peter Bieri, vgl. Handwerk der Freiheit, insbesondere 397-408. In ähnlicher Weise spricht Thomas Fuchs von einer spezifisch leiblich-affektiv konnotierten »Kongruenzerfahrung« (ders., Was heißt sich entscheiden?, 110) als Kennzeichen von Entscheidungen und der Erfahrung von Freiheit. Ähnlich auch die neurophilosophisch begründete Position von Walter, die besagt, dass mittels einer emotionalen Kompatibilitätsprüfung der Regress gestoppt werde, und somit ein Zustand der »Authentizität« (ders., Neurophilosophie, 361, siehe auch 316-354) zu erreichen sei. Rafael Ferber, Philosophische Grundbegriffe, 165 f (explizit im Anschluss an Frankfurt) und Geert Keil, Willensfreiheit, 130, betonen diesen Sachverhalt. Vgl. bei Frankfurt den Gegenbegriff des »wanton«, der pointiert dem der Person entgegengestellt wird. Damit wird ein Lebewesen gekennzeichnet, »that does not care about his will« (ders., Freedom,16).

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rende Spannung zu der von manchen Autoren angenommenen Motivdetermination.75 Das kompatibilistische Anliegen ist hier aber durchaus in nachvollziehbarer Weise durchgeführt, denn die skizzierte personale Struktur wird von einem deterministischen Menschenbild nicht per se tangiert.76 Auf den ersten Blick als problematisch kann demgegenüber die Anlage des Stufenmodells in zwei Ebenen eingeordnet werden, da sie sich auf einen schlichten Dualismus der Wünsche zurückzuziehen scheint. Die Logik Frankfurts müsste, so das auch in der Literatur häufig zu findende Argument, konsequent ausgeführt auf noch höherstufige Wünsche führen bis sie irgendwann zu einer Art Willens- oder Wunschzentrum der Person vordringt, das nicht mehr zu hintergehen ist.77 Fraglich ist, ob ein solches Zentrum überhaupt existieren kann und was darunter zu verstehen wäre. Robert Spaemann etwa hat mit Recht darauf hingewiesen, dass Menschen nicht beliebig hinter ihre jeweils faktische Verfassung, also ihre Wünsche einer bestimmten Stufe, zurücktreten können.78 Frankfurt ist sich der Komplexität der personalen Wunsch- bzw. Willensstruktur durchaus bewusst; auch ist zuzugeben, dass das ZweiStufen-Modell zwar eine Vereinfachung darstellt, die allerdings insofern sachgemäß ist, als jede Person, die handlungsfähig sein will, ihre komplexen Wünsche immer wieder zu einem Wunsch bündeln muss, den sie dann handlungswirksam sehen möchte. Richtig an dem Modell Frankfurts ist auch die als möglich anzunehmende Differenz zwischen aktuellen, handlungswirksamen Wünschen und Wünschen auf einer

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So schon David Hume, vgl. Treatise, book 2, pt. III, sect. 3. Explizit wird der Motivdeterminismus aber auch von Gerhard Roth vertreten, vgl. ders., Evolution des Gehirns –Evolution der Freiheit, 171-173. Frankfurt ist der Meinung, dass seine Analyse das, was unter Willensfreiheit verstanden werden kann, angemessen beschreibt und seinem Modell nichts hinzuzufügen ist, was den Begriff sachlich reichhaltiger machen könnte. Daher geht er auch, weshalb er hier unter den kompatibilistischen Positionen notiert ist, von der Vereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus aus. Es sei zwar möglich zu sagen, dass die Frage, ob jemand frei oder unfrei sei, aufgrund einer kontingenten Determination entschieden wird, dass aber die Tatsache der Freiheit durch den Determinismus an sich nicht in Frage gestellt wird (vgl. Frankfurt, Freedom, 25). Ob diese Einschätzung tragfähig ist, wird sich, auch unter Einbeziehung einer Reflexion über den Sachgehalt des Begriffs Determinismus, noch zeigen müssen. Vgl. exemplarisch Pauen, Illusion Freiheit, 55-58, oder Beckermann, Biologische Determiniertheit, 23. Spaemann, Personen, 22 f.

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anderen Ebene, die sich auf die Wirksamkeit dieser aktuellen Wünsche beziehen. Ob zur Beschreibung dieser Differenz ein hierarchisch strukturiertes Modell geeignet ist, oder ob hier eher horizontale Metaphern, etwa die des Netzes oder des Raumes, angebracht sind, kann hier noch offen bleiben. Die Verortung des Problems Willensfreiheit innerhalb des Selbstverhältnisses einer Person macht jedenfalls auf zwei zentrale Aspekte aufmerksam. Zum einen ist Willensfreiheit eine Sache der Erkenntnis und Ausbildung des eigenen Willens, die sich prozesshaft im Abwägen verschiedener Wünsche einstellt, zum anderen eine bestimmte Fähigkeit, diesen Willen dann auf der Handlungsebene auch in die Tat umzusetzen.79 Von Frankfurts Modell ausgehend stellt sich auch die Frage, an welchen Kriterien die Freiheit des Willens letztlich gebunden sein kann. Genügt es, wie im Falle Frankfurts, ein formales Kriterium (der Wille bezieht sich wiederum auf sich selbst) aufzustellen, bei dem der Wille einer Person letztlich irreduzibel ist (Freiheit besteht dann, wenn eine Person will wie sie eben will), oder müssen hier sachliche Maßstäbe, wie die Fähigkeit zu Rationalität oder Moralität ausgewiesen werden können? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die nächste Gruppe kompatibilistischer Ansätze.

3.3 Rationale und moralische Freiheit 3.3.1 Rationalität als normatives Kriterium Die Zuspitzung der Fragestellung auf das Verhältnis unterschiedlicher Wünsche in einem hierarchisch strukturierten Modell ist in mehrerlei Hinsicht einseitig und somit problematisch. Einerseits ergibt sich die

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Problematisch mag an dieser etwas idealtypisch durchgeführten Differenzierung erscheinen, dass sich die Erkenntnis und Ausbildung des Willens oft erstmals im Moment der Handlung vollzieht, wenn man etwa gezwungen ist, jetzt zu handeln und noch nicht klar ist, was eigentlich der Wille ist. In diesem Fall überlagern sich der Erkenntnis- und der Handlungsaspekt gewissermaßen gegenseitig. Die beiden Kriterien können anhand von Gegenbeispielen erläutert werden. Derjenige, der seinen Willen einfach vollzieht ohne sich diesen Willen selbst zum Problem zu machen, kann nicht vorbehaltlos frei genannt werden. Bei ihm liegt sozusagen ein Erkenntnisdefizit vor (vgl. das von Frankfurt so genannte »wanton«). Ebenso wenig gilt es Freiheit für denjenigen anzunehmen, der zwar einen Wunsch besitzt (etwa von Drogenkonsum frei zu werden), diesen aber nicht in die Tat umsetzen kann.

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angesprochene Schwierigkeit eines möglichen Regresses, und somit die Frage nach einem letzten Kriterium für die Zuschreibung von Freiheit. Das Kriterium der Identifikation allein ist hier zu eng, da diese auch in Folge einer Manipulation oder einer anderen Form von »Blindheit« für das, was neue Dimensionen der Freiheit eröffnen würde, entstehen kann.80 Daher erscheint es notwendig ein normatives Kriterium zu formulieren, zu dessen Ausbildung Personen normalerweise fähig sind; dieses Kriterium kann nun gewissermaßen quer zur Wunschhierarchie liegen. Wünsche sind im Vollzug menschlicher Personalität stets auch Teil eins normativ strukturierten Abwägungsprozesses81, und nicht nur Glied einer Hierarchie mehr oder weniger gewollter Dinge. Ein speziell für die deutschsprachige Diskussion zum Thema Willensfreiheit zentraler Ansatzpunkt besteht daher in der Bezugnahme auf die Rationalität des Menschen. Dieser Ansatz steht insofern in einer starken Tradition, als er sich etwa auf Aristoteles’ Unterscheidung von sinnlichem und rationalem Wollen82 bzw. Kants grundlegendes Votum für die Deutung von Freiheit als Fähigkeit zu rationaler Selbstgesetzgebung (Autonomie)83 berufen kann. In unterschiedlichen Zuspitzungen verbinden zahlreiche Autoren Freiheit mit der Fähigkeit des Menschen zu vernünftiger Überlegung und zum Handeln nach Gründen. Sie wird dort identifiziert, wo diese Fähigkeiten ausgeprägt sind und angewandt werden. Die gemeinsame Behandlung rationaler mit moralischen Fähigkeiten ist dabei dem Erbe Kants geschuldet, dessen wirkmächtige Konzeption der rationalen Interpretation von Moral nach wie vor wenigstens implizit präsent ist. Der Wille des Menschen soll in dieser Perspektive, um sinnvoll von Freiheit reden zu können, nicht die letzte Erklärungsinstanz sein: »eine Person wollte X, weil sie es eben so wollte bzw. weil sie so wollen wollte etc.« Es geht darum, dass der Wille inhaltlich von der Vernunft

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Vgl. die Bürger in Skinners »Walden Two«, die – mit sich selbst gewissermaßen identisch – das Gefühl haben, frei zu sein und ihren freien Willen zu vollziehen, dabei aber nicht bemerken, dass sie auf subtile Weise fremdgesteuert sind. So Nida-Rümelin, Über menschliche Freiheit, 87 f. Siehe Aristoteles, Über die Seele, III, 10. Vernunft und Streben müssen zusammenkommen, um einen wirksamen Willen zu erzielen. Dem entspricht die Betonung der überlegten Wahl (ders., Nikom. Ethik, III, 1-5, v. a. 51-53). So etwa in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: »Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Prinzipien, zu handeln, oder einen Willen.« (Kant, GMS, 41, Hervorhebungen B. B. ).

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bestimmt ist und dass eine Person eine bestimmte Option deshalb will und in die Tat umsetzt, weil es ihrer Meinung nach vernünftig ist, diese zu wollen. Freiheit wäre dieser noch sehr allgemeinen Charakterisierung zufolge immer dann zuzuschreiben, wenn ein solch vernünftiges Wollen und Handeln möglich ist. Im Unterschied zu Frankfurts Modell geht es hier also nicht um eine Hierarchie der Wünsche und die Übereinstimmung mit den eigentlichen Wünschen einer Person, sondern um die Übereinstimmung mit dem (eventuell objektiven84) Kriterium der Rationalität. Die Ansätze sind dabei meist kompatibilistisch formuliert, also so, dass sie die Rationalität des Menschen durch ein deterministisches Welt- und Menschenbild nicht beeinträchtigt sehen. Ich versuche im Folgenden eine keineswegs vollständige Skizze dieser, obgleich im Grundansatz übereinstimmenden, nicht zwingend gleichsinnig argumentierenden Positionen zu zeichnen. 3.3.2 Naturalistischer Kompatibilismus Die Argumentation kann einerseits so verlaufen, dass der Determinismus als Konzept der Welterklärung nicht näher problematisiert, jedenfalls in seiner Aussagekraft nicht hinterfragt, sondern zu zeigen versucht wird, dass unser Selbstverständnis als rationale, und somit freie Akteure gar nicht von einer deterministischen Verfasstheit der Welt berührt werden kann. Es könne von Freiheit immer dann die Rede sein, wenn wir in der Lage sind, rational zu überlegen und danach zu handeln. Dass unsere Rationalität, ihre Ausprägung und die von ihr ausgehenden Urteile und Entscheidungen wiederum determiniert sind oder sein können, tut der Ratio als solcher keinen Abbruch und kann daher auch unsere Freiheit nicht gefährden. Beide Beschreibungs- oder Erklärungsebenen sind hier vollständig kompatibel.85 Lässt sich eine Handlung auf neuronaler Ebene vollständig aus einem deterministischen Kausalnexus erklären, so ist deshalb nicht die Erklärung einer

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Dies wäre jedenfalls die Ansicht Kants, der deutlich die objektive Vernunfterkenntnis des Guten von den subjektiven Neigungen des Willens unterscheidet (ders., GMS, 41). Siehe zum Beispiel Ansgar Beckermann: »Selbst wenn wir vollständig biologisch determiniert wären, könnten wir uns als freie Wesen auffassen – zumindest gilt dies unter bestimmten Bedingungen, von denen ich annehme, dass sie de facto erfüllt sind.« (ders., Biologische Determiniertheit, 19). Ähnlich verläuft auch die Argumentation von Goschke/Walter, Autonomie und Selbstkontrolle.

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Handlung aus bestimmten Gründen, an denen sich die Person in ihrer Handlung orientierte, falsch.86 Weil die Ebene der ratio nicht durch die deterministische Erklärung falsifiziert wird, sei in diesem Sinne auch weiterhin von Freiheit zu reden.87 Peter Bieri hat diese Tatsache einleuchtend mit der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Perspektiven88 begründet. Freiheit werde demnach nur dann durch die Annahme des Determinismus oder Fatalismus bedroht, wenn die unhintergehbare Differenz zwischen Innen- und Außenperspektive89 nicht beachtet, insbesondere wenn angenommen wird, dass die von außen diagnostizierbare Bedingtheit des Willens die innere Freiheit des Willens, seine rationale Verstehbarkeit und die Möglichkeit zu persönlicher Aneignung beeinträchtigt oder gar unmöglich macht.90 Dass dies nicht der Fall ist, versucht Bieri mittels verschiedener phänomenologischer Analysen deutlich zu machen. Die Erfahrung der Bedingtheit des Willens steht nicht im Widerspruch zu der Tatsache, dass der Wille immer noch mein persönlicher Wille ist, anders ausgedrückt: »Ich bin dabei, wenn es darum geht, was mit mir geschieht [...] und zwar in dem Sinne, dass ich es bin, der bestimmt, was mit mir geschieht.«91 Wenn der Wille einer Person aus der Innenperspektive heraus artikuliert, rational verstanden und entsprechend ausgebildet, und somit als ganzer personal angeeignet werden kann, so 86

87

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So explizit Pauen, Ursachen und Gründe, 260: »Naturalistischen Vorstellungen zufolge müssen die Überlegungen neuronal realisiert sein; in Abwesenheit der Überlegungen würden daher auch die realisierenden neuronalen Prozesse entfallen, doch der Wegfall bestimmter kausal wirksamer physischer Aktivitäten hätte in einer deterministischen Welt selbstverständlich Auswirkungen. Das aber bedeutet nichts anderes, als dass die rationalen Überlegungen auch im Falle von naturgesetzlicher Determination wirksam wären.« In ähnlicher Weise bestreitet Dennett den freiheitsgefährdenden Charakter des Determinismus: »Determinism is no threat to our most important thinking about possibilities and causes in our lives« (ders., Freedom evolves, 62). Vielmehr setzt er sich von diesen »metaphysischen« Bedrohungen ab und betont, dass Freiheit vielmehr durch soziale und politische Beschwernisse gefährdet sei (a. a. o.,, 287). Bieri, Handwerk der Freiheit, 258. A. a. o., 295 f. Es geht Bieri zufolge nicht darum, die menschliche Freiheit gegenüber deterministischen Einflüssen zu verteidigen: »Man sucht die Freiheit am falschen Ort, wenn man sie in der Lockerung oder Abwesenheit von Bedingtheit und Bestimmtheit sucht.« (a. a. o., 244). Vielmehr sei es die zentrale Aufgabe, »zu verstehen, wie sich Freiheit und Unfreiheit im Rahmen universeller Bedingtheit unterscheiden.« (a. a. o., 245). Andernfalls begehe man einen »Kategorienfehler« (a. a. o., 254). Bieri, Handwerk der Freiheit, 310.

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ist dieser Wille ohne Abstriche als frei zu bezeichnen.92 Damit vertritt Bieri eine interessante Zwischenposition, die den für die Frankfurt’sche Konzeption zentralen Aspekt der Identifikation mit dem eigenen Willen mit der Notwendigkeit zur rationalen Ausbildung und Aneignung dieses Willens verbindet. Nur wenn der Wille auch verstanden wird, kann eine Person sich auch tatsächlich damit identifizieren. Insofern stellen die beiden Zuspitzungen Identifikation und Rationalität keine Alternativen dar. Das für die Konzeption von Bieri zentrale Moment des rationalen Selbstverhältnisses wird nun bisweilen so pointiert, dass es die menschliche Fähigkeit sei, unmittelbare Handlungsimpulse zu suspendieren, Intentionen auszubilden und ihnen zu folgen, und somit dem Leben insgesamt eine rationale Struktur zu geben, der die Zuschreibung von Freiheit geschuldet ist.93 Es zeichne den Menschen aus, dass er nicht den unmittelbaren Reiz-Reaktionsschemata verhaftet ist, sondern über eine gewisse Form der Selbstdistanz94 verfüge, aus der heraus er in der Lage ist, sein Leben nach rationalen Kriterien zu führen. Vernunft als Kriterium wird hier deutlich im Gegenüber zu instinkthaftem oder reflexartigem Verhalten pointiert. Und in der Tat ist in der Fähigkeit zu überlegen, über die Folgen einer Handlung nachzudenken und somit nicht blindlings zu handeln, ein wesentliches, grundsätzlich auch kaum bestrittenes Merkmal freier Handlungen benannt. Ob es bereits hinrei-

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Siehe a. a. o., 381-415. So schon John Locke; Essay, B. 2, K. 21, §48, 243: »To be determined by our own juddgement, is no restraint to liberty«; Siehe auch: Goschke/Walter, Autonomie und Selbstkontrolle. Für die menschliche Freiheit sei die Fähigkeit zur Antizipation und Ausbildung von Intentionen wesentlich. Durch diese Fähigkeit werde der Mensch unabhängig von der »unmittelbaren Reizsituation« (Goschke, Der bedingte Wille, 123; ähnlich äußert sich Walde, Willensfreiheit, 166). Intentionen könnten daher als »modullierende Randbedingungen« (a. a. o., 140) bzw. »strukturierende Ursachen« (im Unterschied zu »auslösenden Ursachen«, Goschke/Walter, Autonomie und Selbstkontrolle, 133; siehe dazu auch Vierkant, Herausforderung, 79-81) verstanden werden. Diese menschliche Fähigkeit stehe nicht im Widerspruch zur durchgängigen Determination des Weltgeschehens, setze diese als Garantie der für die Antizipation wesentlichen Regelhaftigkeit vielmehr voraus (Goschke/Walter, Autonomie und Selbstkontrolle, 119-124). Vielmehr könne explizit von Selbstdetermination (siehe: Goschke, Bedingter Wille, 146) die Rede sein. In eine ähnliche (aber nicht naturalistisch gefärbte) Richtung geht Nida-Rümelins Ansatz »struktureller Rationalität« (ders., Freiheit als naturalistische Unterbestimmtheit, 142; vgl. ausführlicher ders., Strukturelle Rationalität). So auch Nida-Rümelin, Freiheit als naturalistische Unterbestimmtheit, 146.

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chend ist, und ob es eine conditio sine qua non darstellt, wird sich noch zeigen müssen.95 Um den skizzierten Grundgedanken der Vereinbarkeit von Rationalität und Determinismus vertreten zu können, und auch um sich von den dualistischen Unterstellungen seitens etwa der Hirnforscher abzugrenzen, wird von einigen Autoren ein naturalistisches Welt- bzw. Menschenbild angenommen.96 Determinismus und Ratio, Ursachen und Gründe können in dieser Logik nur dann kompatibel sein, wenn sie im Prinzip dasselbe bezeichnen bzw. aufeinander reduzierbar sind. Der Bedeutungsumfang beider Beschreibungen bzw. »Sprachspiele«97, der Fremdbeschreibung des Willens mittels empirisch ermittelbarer Ursache-Wirkungs-Relationen und der subjektiven Beschreibung einer Handlung als durch Gründe beeinflusst, ist identisch.98 Es bleibt dieser 95

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Arnold Gehlen hat in der hier beschriebenen Fähigkeit, spezifisch verstanden als die Fähigkeit, das eigene Leben zu führen (ders., Der Mensch 1, 431), die differentia specifica des Menschen im Vergleich zu tierischen Lebewesen erblickt (a. a. o., 438 und passim). Er spricht von einem »Hiatus« (a. a. o., 393 und passim; vgl. insgesamt a. a. o., 393-400), der für den Menschen zwischen seinen Trieben und den Handlungen liege. Diese Form der Selbstdistanz ergibt sich aus verschiedenen, nicht nur rationalen Fähigkeiten des Menschen, sein Leben in die Hand zu nehmen und Triebe zu unterdrücken. So explizit etwa Goschke/Walter, Autonomie und Selbstkontrolle. Bausteine für eine naturalistische Konzeption von Willensfreiheit; Walter, Neurophilosophie, 189-192. Pauen, Was ist der Mensch?, 20-30; ders., Freiheit – eine natürliche Eigenschaft; In moralphilosophischer Perspektive: Voland, Natur der Moral. Ähnlich in evolutionstheoretischer Perspektive auch Dennett, Freedom evolves, 1-24, bes. 14-16. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Schlagworte »Naturalismus« bzw. »Physikalismus« keineswegs problemlos und nur univok zu gebrauchen sind. Ich verwende sie hier in der sehr allgemeinen Bedeutung, dass »alles, was es gibt, grundsätzlich in den Kategorien der Naturwissenschaften beschreib- und erklärbar ist« (Pauen, Gründe, Ursachen, Phänomenales Bewusstsein, 140). Betont werden muss insbesondere der »exklusive[.] Erklärungsanspruch« (Voland, Natur der Moral, 13), da es in diesem Zusammenhang nicht nur um die Beschreibbarkeit aus unterschiedlichen Perspektiven, vielmehr um die exakte Erfassung der Bedeutung eines Vorgangs geht. Zu den für unseren Kontext nicht zwingend notwendigen Differenzierungen im Blick auf Begriff und Konzept des Naturalismus vgl. etwa Wetz, Naturalismus, oder auch die Beiträge von Vogeley, Neuronale Grundlagen und Lüke, Der Mensch - Naturalistische Entzauberung, die beide auf die Notwendigkeit der Erfassung eines spezifischen Gegenbegriffs zu »Natur« (Kultur, Übernatur etc.) hinweisen, um den Bedeutungsgehalt des Terminus »Naturalismus« einzufangen. Vgl. etwa den Titel des Aufsatzes von Habermas: »Das Sprachspiel verantwortlicher Urheberschaft […]«. Damit ist noch keine explizite Identitätstheorie gemeint. Die naturalistischen Positionen ließen sich je nach Spezifizierung und Präzisierung des Verhältnisses

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Theorie zufolge kein, wie Jürgen Habermas es formulierte, »semantische[r] Rest«99. Eigentümlicherweise ist angesichts dieser Bedeutungsäquivalenz häufig von der Möglichkeit der Reduktion die Rede, und zwar spezifisch von der Reduktion der Sprache der Gründe auf die Erklärung durch Ursachen (und nicht umgekehrt). Zugespitzt formuliert lautet der Grundsatz: »Gründe müssen zu Ursachen werden, um Handlungen auszulösen und zu steuern.«100 Nur was auch neuronal »realisiert«101 ist, kann kausal wirksam werden. Vorausgesetzt ist in dieser Perspektive also der natürliche Kausalzusammenhang, der dafür sorgt, dass Gründe überhaupt wirksam werden können. Gefragt werden kann angesichts dieser restlosen Übersetzbarkeit bzw. Reduzierbarkeit nach dem eigentümlichen Erklärungswert, den die Sprache der Gründe dann überhaupt noch liefert. Kann auf sie nicht gänzlich verzichtet werden, wenn das, was eigentlich wirkt, die empirisch zu beschreibenden neuronalen und physikalischen Ursachen sind? 102 3.3.3 Vereinbarkeit durch epistemischen Dualismus103 3.3.3.1 Gründe vs. Ursachen und Handlung vs. Ereignis Nicht nur explizit inkompatibilistisch argumentierende Autoren haben an der naturalistischen Auffassung zu Recht Kritik geübt. Auch eine Reihe von Denkern, die man dem Kompatibilismus zuordnen kann,

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beider Beschreibungen (traditionell gesprochen von Leib und Seele bzw. in unserem Kontext von Geist und Gehirn) noch weiter untergliedern. Dies ist für unsere Fragestellung nicht notwendig. Vergleiche für eine umfassende Darstellung etwa Brüntrup, Leib-Seele-Problem; Pauen, Grundprobleme der Philosophie des Geistes. Habermas, Freiheit und Determinismus, 62. Roth, Evolution des Gehirns – Evolution der Freiheit, 150. So etwa die Formulierung von Pauen, Ursachen und Gründe, 249 und passim; Dieselbe Wendung findet sich auch bei Walde, Willensfreiheit und Hirnforschung, 52. Nur auf der Ebene der Ursachen, also im Rahmen einer physikalischen Sichtweise der Welt, könne von wirksamer Kausalität ausgegangen werden. Eine eigentümliche Zwischenposition vertritt in dieser Hinsicht John R. Searle, der eine naturalistische Weltsicht (ders., Freiheit und Neurobiologie, 14 f) mit der Annahme verbindet, unsere Binnenperspektive des Bewusstseins sei ontologisch nicht auf neuronale Vorgänge zu reduzieren. (a. a. o., 26 f). Eine ähnliche, gleichwohl nicht konsistente Position vertreten auch Roth/Schwegler in einem ihrer früheren Aufsätze (dies., Geist-Gehirn-Problem). Vgl. zu dieser Formulierung den Untertitel des Aufsatzes von Habermas, Verantwortliche Urheberschaft.

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betonen, in Aufnahme eines Grundgedankens von Tomas Nagel104, gegen die Absolutsetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse die Irreduzibilität der Binnenperspektive personaler Handlungen. Dies geschieht nun aber nicht unter Bezugnahme auf die nicht zu naturalisierende Erlebnisqualität, denn selbst mit der Annahme der »‘phänomenalen Eigenständigkeit’ gewönnen […] mentale Eigenschaften noch keine ‘kausale Wirksamkeit’«105. Vielmehr wird in diesem Zusammenhang auf die nicht zu unterlaufenden Erklärung von Handlungen unter Heranziehung von Gründen hingewiesen, die nun explizit nicht (!) bedeutungsgleich oder gar identisch mit Ursachen sind, mithin also nur eine Variante des Determinismus wären. Es soll dabei gezeigt werden, dass Logik und Geltungsanspruch von Gründen, mittels derer wir (zumindest manchmal) unser Handeln steuern und erklären, kategorial von der Logik und dem Geltungsanspruch naturwissenschaftlich zugänglicher Kausalzusammenhänge und deterministischer Weltanschauungen verschieden sind. Beide Perspektiven hätten ihr je spezifisches Recht, würden sich aber nur in partieller Weise auf die Wirklichkeit beziehen und diese unter einem spezifischen Blickwinkel betrachten. Sie seien aber nicht in der Lage, die Wirklichkeit als ganze zu erfassen.106 Dies gilt deshalb, weil sowohl die Rede von Ursachen als auch von Gründen, und im Zusammenhang damit die Zuschreibung von Freiheit bzw. Unfreiheit einem ganz spezifischen Sprach- und Theoriekontext entnommen ist. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass unser Selbstverständnis als handelnde Personen, die wir uns in der Regel Freiheit zuschreiben, weil wir in der Lage sind, vernünftig und unter Heranziehung von Gründen zu entscheiden, von deterministischen Konzepten gar nicht erfasst werden kann. Deren epistemischer Zugang zur Wirklichkeit und die damit verbundene eigentümliche Sprache liege auf einer ganz anderen Ebene. So sind in dieser Logik Ursachen und Gründe kompatibel, nicht weil sie eigentlich dasselbe bezeichnen, sondern 104 Vgl. den mittlerweile klassisch zu nennenden Aufsatz von Tomas Nagel: Wie ist es eine Fledermauß zu sein? Nagel pointiert seine Position nicht in Bezug auf rationale Handlungsbegründung oder –erklärung, sondern hebt vielmehr auf das phänomenale Bewusstsein als solches ab; die Unhintergehbarkeit der subjektiven Perspektive ist hier allerdings in scharfsinniger Weise begründet. 105 Habermas, Das Sprachspiel, 689. 106 So wendet sich explizit Lutz Wingert gegen einen naturwissenschaftlichen Realismus, der »die Grenzen der naturwissenschaftlichen Erkenntnismittel mit unseren Erkenntnisgrenzen« (ders., Gründe zählen, 204) überhaupt gleichsetzen würde.

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weil sie sich in ihrer jeweiligen Perspektivik nicht gegenseitig ins Gehege kommen können. Dieser Dual epistemischer Zugänge sei nicht zu unterlaufen und einer ontologischen Einheitstheorie zuzuführen.107 Es kann daher auch von »epistemische[m] Kompatibilismus«108 gesprochen werden. In diesem Sinn unterscheidet etwa Dieter Sturma einen »Raum der Gründe« von einem »Raum der Ursachen«109, weil ersterer keinen »Ort für den semantischen und phänomenalen Gehalt menschlichen Bewusstseins«110 biete. Damit wendet er sich gegen reduktionistische neurowissenschaftliche Deutungen, die den »Bereiche[n] personalen Lebens«111 keinen Platz einräumen würden. Erst in dieser personalen Perspektive aber werde verständlich, wie sich dem Menschen Handlungsmöglichkeiten böten, und erst hier könne der Freiheitsbegriff angemessen verwendet werden.112 Eine ähnliche Pointe bietet Julian Nida-Rümelin, der davon spricht, dass Freiheit als »naturalistische Unterbestimmtheit von Handlungsgründen«113 zu verstehen sei. Innerhalb des Vokabulars und der Theorie des Naturalismus sei das Phänomen, das wir mit dem Ausdruck Freiheit bezeichnen, nicht zu erfassen. Auf denselben Gedanken hebt Jürgen Habermas ab, wenn er auf die unhintergehbare »Differenz zwischen Handlungserklärungen aus rationalen Motiven oder aus Ursachen«114 hinweist. Der hier geschilder107 So Habermas, Freiheit und Determinismus, 172. Ähnlich auch Wingert: »Das Sprachspiel der Gründe. zu dem ein Freiheitsspielraum der Selbstbindung gehört, ist nicht ohne Funktionsverlust in ein neurobiologisches Vokabular zu übersetzen.« (ders., Gründe zählen, 172); auch Tugendhat, Willensfreiheit und Determinismus, 71 f. 108 Nida-Rümelin, Freiheit als naturalistische Unterbestimmtheit, 144. In ähnlicher Pointierung spricht Dieter Sturma von »epistemische[r] Asymmetrie« (ders., Ausdruck von Freiheit, 210). 109 A. a. o., 191 f. Den Ausdruck »Raum der Gründe« übernimmt er von Wilfried Sellars. 110 Ebda. 111 A. a. o., 192. 112 Vgl. a. a. o., 205 f: »‘Freiheit’ ist ein Begriff mit dem wir bestimmte Verhaltensweisen von Personen phänomengerecht beschreiben und erklären. Sein fundamentum in re ist kein Ort in den verborgenen Winkeln des menschlichen Gehirns, sondern personales Lebens als solches. [...] Von Willensfreiheit kann entsprechend in dem Sinne gesprochen werden, dass Personen nicht nur im Raum der Ursachen externen Zwängen unterworfen, sondern auch imstande sind, selbständig Einstellungen im Raum der Gründe einzunehmen.« Ähnlich formuliert Wingert. Seiner Analyse zufolge könne man Freiheit als »Fähigkeit zur Selbstbindung im Handeln durch Gründe« (ders., Gründe zählen, 198) verstehen. 113 Nida-Rümelin, Freiheit als naturalistische Unterbestimmtheit, 145 und passim. 114 Habermas, Freiheit und Determinismus, 163.

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te Ansatz beinhaltet gleichzeitig libertarische Aspekte, weil er keine vollständige Kompatibilität im Sinne der Austauschbarkeit von Beschreibungen bietet, sondern die gegenseitige Begrenzung betont (ontologischer Inkompatibilismus). In Entsprechung zu dem gerade verhandelten Argument kann daher – weitgehend analog zu den Überlegungen in den neueren klassisch-kompatibilistischen Konzeptionen115 – zwischen Handlungen als Ereignissen und als Erlebnisse von Personen116 unterschieden werden. Dabei geht es wiederum darum, Personen in ihrer ontologischen Struktur kategorial von solchen Entitäten abzugrenzen, die durch deterministische Kausalzusammenhänge beschrieben werden können. In dieser Hinsicht kann dann davon gesprochen werden, Personen seien als »Instanz eines Allgemeinen frei«117. Torsten Pietrek vertritt diese These, weil Personen nicht auf raumzeitlich punktuell fixierbare Einzeldinge zu reduzieren sind (dann würden sie tatsächlich dem Determinismus unterliegen), sondern als komplex strukturierte Wesen stets offene Möglichkeiten und damit auch Freiheit in sich tragen.118 In ähnlicher Weise versteht Thomas Fuchs die wesentliche Rolle von »Subjektivität in ihrer zeitlichen und emotionalen Dimension119« im Kontext von Entscheidungsprozessen. Entscheidungen seien als Teil eines existentiellen »Lebensvollzug[es]«120 nicht mit naturalistischen Mitteln zu erfassen.121 Insbesondere die Kategorie der Möglichkeit122 sei nur so darstellbar. Analog pointiert Thomas Splett die Struktur menschlichen Handelns im Gegenüber zu naturalistisch beschreibbarer Ursächlichkeit aber auch zur Monopolisierung des Erklärungswerts

115 Siehe oben 3.1. 116 Siehe Sturma, Ausdruck von Freiheit, 210; Held, Unterscheidung von Aktivität und Ereignis; ähnlich auch Buchheim, Libertarischer Kompatibilismus, 49. 117 Pietrek, Personen sind als Instanz eines Allgemeinen frei. 118 Vgl. zusammenfassend a. a. o., 46 f. 119 Fuchs, Was heißt sich entscheiden?, 101. 120 Ebda. 121 Ähnlich Rott, Freiheit oder Determinismus, 133 f: »Die Autorität über den rechten Gebrauch des Wortes ‘Freiheit’ liegt […] bei der Alltgassprache.«; sowie Tetens, Freiheit und Lebenspraxis, 249. 122 So ähnlich auch Buchheim, der die Potentialität von Personen, also deren Handlungsmöglichkeiten, im aristotelischen Sinne als »formbezogenes Können« (ders., Freiheit als qualitative Auszeichnung personaler Existenz, 30) qualifiziert. Diese Aspekte der Möglichkeit seien Personen wesentlich zuzuschreiben und der Grund dafür, warum ihnen »Freiheit als qualitative Auszeichnung« (siehe Titel des Aufsatzes) eignet.

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von Gründen unter dem Stichwort Spontaneität.123 Die genannten Ansätze wenden sich somit gegen die Absolutsetzung der szientistischen Perspektive; sie können aufgrund ihres unvermindert anspruchsvollen Freiheitskonzepts auch als »Libertarischer Kompatibilismus« bezeichnet werden.124 3.3.3.2 Sein vs. Sollen In ethischer Hinsicht wird der Grundgedanke gerne formuliert als die Unmöglichkeit der Naturalisierung von Moral. So spricht etwa Friedo Ricken in einer der eben skizzierten Logik vergleichbaren Weise davon, dass der Mensch zwei jeweils irreduzible Standpunkte einnehme, »den des Betrachters und zum anderen den des Teilnehmers«125. Dabei betont er, dass die aus der Perspektive des Teilnehmers zu vollziehende praktische Vernunft nicht zu reduzieren sei: »[D]ie theoretische Vernunft kann die praktische Vernunft nicht für überflüssig erklären.«126 Weil dieser »archimedische Punkt der Moral [...] ein unbestreitbares Datum«127 sei, könne er von naturalistischen Positionen nicht in Frage gestellt werden. Die Irreduzibilität des Personcharakters von Menschen besteht in der Irreduzibilität der Perspektive des Sollens auf die Perspektive des Seins.128 Diese Argumentationslinie weist nun auf eine wesentliche Quelle unseres Selbstverständnisses als freie Wesen hin. Weil wir an uns selbst erfahren, dass wir über normative Fragen reflektieren, ob eine bestimmte Handlung im moralischen Sinne gut oder schlecht zu nennen ist, und weil wir vor allem in Konsequenz dessen auch uns selbst und andere Menschen moralisch beurteilen, nehmen wir im Sinne der Zurechenbarkeit dieser moralischen Urteile an, dass die moralisch zu bewertenden Taten aus dem Boden der Freiheit entspringen. Das moralische Selbstverständnis ist, wie Kant es grundlegend herausgear123 Splett, Spontaneität schützt vor Verantwortung nicht; Einen ähnlichen Impetus setzt Northoff, wenn er in der Perspektive eines relationalen Verständnisses die »affektive und präreflexive Dimension« (Northoff, Freiheit und Einbettung, 322) betont. 124 Vgl. Buchheim, Libertarischer Kompatibilismus. 125 Ricken, Moral nicht naturalisiert, 250. 126 A. a. o., 253. 127 A. a. o., 256. 128 Vgl. Ferber, Philosophische Grundbegriffe, 195 (mit Wilfried Sellars). So auch Höffe, Der entlarvte Ruck, 182; Pieper, Freiheit ohne soziale Verantwortung?, 21; Mack, Vom Erwerb des Wissens, 123-125.

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beitet hat, die ratio cognoscendi der Freiheit, während aus diesem Erkenntnisvorgang folgt, dass reziprok die Freiheit als ratio essendi der Moral zu verstehen ist.129 Die erkenntnistheoretische und ontologische Verhältnisbestimmung von Moral und Freiheit, in anderer Perspektive von Rationalität und Freiheit, kann als Grundproblem der Debatte festgehalten werden. Dies gilt nicht nur, weil wir hiermit in der wirkmächtigen Tradition Kants stehen, sondern auch weil sich wesentliche Angriffe auf das traditionelle Verständnis von Willensfreiheit exakt gegen diese aus naturalistischer Perspektive problematische Korrelierung wenden.130 Die Problemstellung, wie diese zunächst einmal distinkten Perspektiven sachgemäß aufeinander zu beziehen sind, muss mit in die Sachdiskussion der einzelnen Positionen genommen werden. 3.3.3.3 Epistemischer Indeterminismus Als wichtige Vorraussetzung von Freiheit wird von einigen Philosophen,131 deren Position sich als »epistemischer Indeter-minismus« zusammenfassen lässt,132 die aus der Binnenperspektive zu formulierende Offenheit der Zukunft benannt. Damit ist insofern ein zentraler Punkt erkannt, als diese Offenheit eine notwendige Voraussetzung unseres alltäglichen Freiheitserlebens darstellt. Diese Offenheit lässt sich nicht von einer Außenperspektive her nivellieren. Auch ein überzeugter Determinist hat mit der Offenheit von Situationen zu tun, insofern er deren Verlauf in vielen Fällen nicht voraussehen kann. Selbst wenn er es könnte, wäre er allerdings noch nicht der Aufgabe enthoben, sich zu dieser Situation zu verhalten. Ja, die Einsicht in die Determination wäre wiederum eine Veränderung des eigenen Zustands, die ein Verhalten dazu erfordern würde.133 Die Offenheit der Zukunft macht in besonders eindrücklicher Weise auf die irreduzible Qualität der Binnenperspektive und die damit gegebene Einordnung des Freiheitsproblems in die je individuelle 129 Vgl. etwa Kant, KpV, A 5, Anmerkung (Weischedel, 108). 130 Vgl. exemplarisch: Voland, Natur der Moral. 131 Im deutschsprachigen Bereich wurde bzw. wird die Position etwa von Max Planck, Vom Wesen der Willensfreiheit, oder jüngst im Kontext der Hirnforschung von Bettina Walde, Hirnforschung und Willensfreiheit, bes. 169 ff, vertreten; eine zentrale Figur ist in diesem Zusammenhang auch Bergson, Zeit und Freiheit. 132 Vgl. hierzu insgesamt Pothast, Unzulänglichkeit, 177-201. 133 Vgl. oben die Überlegungen zum Konzept Spitzers (1.3.2.2, 55 ff), das man im Grunde unter diese philosophische Kategorie fassen könnte.

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zeitliche Existenz des Handelnden deutlich. Freilich ist damit noch keine abschließende freiheitstheoretische Einordnung gegeben. In besonders pointierter Weise wurde eine solche von Wittgenstein formuliert: »Willensfreiheit besteht darin, daß zukünftige Entscheidungen jetzt nicht gewußt werden.«134 Ohne Zweifel ist mit der Offenheit der Zukunft, die sich zunächst in der Innenperspektive des Handelnden zeigt, eine zentrale Vorraussetzung von Freiheit benannt. Ob damit allerdings schon die These von Wittgenstein verifiziert ist, muss hier noch offen bleiben. Denn es ist durchaus zu bedenken, ob die hier vorausgesetzte Binnenperspektive schon hinreichend ist. Kann sich die Offenheit auch als Illusion herausstellen, angesichts einer Einsicht aus der Außenperspektive? Inwiefern muss auch aus einer übergeordneten Position von einer Art ontologischen Offenheit gesprochen werden können, um die Einsicht der personalen Innenseite zu rechtfertigen? Auch die Art und Weise, wie mit der Offenheit umgegangen werden kann, ist freiheitstheoretisch relevant.135 3.3.4 Zusammenfassende Notiz Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die kompatibilistischen Ansätze zum Problem Willensfreiheit neben der kritischen Abgrenzung von inkompatibilistischen Positionen, die aber von einer entsprechenden Würdigung dieser Ansätze her noch zu prüfen ist, einige zentrale konstruktive Anliegen vertreten. Dabei ist die Möglichkeit der Zuschreibung von Handlungen an Personen im Blick, was zur Übernahme von Verantwortung essentiell notwendig erscheint. Um von Freiheit reden zu können, muss ein erkennbarer Zusammenhang zwischen Person und Handlung gegeben sein. Es wurde dann deutlich, dass diese Relation nur vorzunehmen ist, wenn dem personalen Vollzug eine bestimmte Qualität zukommt die sich insbesondere in einem spezifischen Selbstverhältnis der Person äußert; wie dieses Verhältnis genauer zu bestimmen ist, insbesondere ob es aus der Außenperspektive ohne Reibungsverluste zu beschreiben ist, muss noch diskutiert werden. Die mit Irreduzibilität unterschiedlicher Perspektiven argu134 Wittgenstein, Tractatus, Satz 5.1362. 135 So verweist etwa Bettina Walde auf die Bedingung der »geeigneten Determination« (Walde, Willensfreiheit und Hirnforschung, 156) im Kontext ihres Modells. Das heißt also nicht jede Situation der epistemischen Offenheit ist zugleich eine Situation der Freiheit; vgl. insgesamt unten unter III, 6.4 zur Zeitlichkeit des Freiheitsproblems.

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mentierenden Ansätze machen jedenfalls auf die Notwendigkeit aufmerksam, die jeweiligen epistemischen Rahmenbedingungen des Freiheitsproblems zu bedenken. Mit den beiden Kategorien von Vernunft und Moral wurden bereits zwei mögliche qualitative Kriterien angerissen, die eng mit unserem Selbstverständnis als personale und freie Wesen verbunden sind. Eine zentrale Herausforderung besteht also nun in der Formulierung eines personalen Freiheitsbegriffs, der die verschiedenen Grundanliegen kritisch aufzunehmen vermag. Von den gerade besprochenen Positionen her stellt sich vor allem die Aufgabe, Moral, Vernunft und Wille in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. Ich diskutiere diesbezüglich im Folgenden ausführlich den Ansatz von Michael Pauen. Zwar bietet Pauen aufgrund seiner Nähe zur Hirnforschung bzw. zu naturalistischen Ansätzen eine sehr spezielle Perspektive und ist insofern nicht unbedingt repräsentativ; andererseits ist es gerade diese Perspektive, die insbesondere in der deutschsprachigen, mehrheitlich analytisch geprägten Philosophie zunehmend an Bedeutung gewinnt. Der Ansatz ist auch deshalb diskutabel, weil er versucht, verschiedene Aspekte des Freiheitsthemas im Kontext einer Theorie der Person zu integrieren; die entsprechenden Stärken und Probleme können somit auf einer breiten Basis deutlich werden. Dies gilt insbesondere für den in unserem Zusammenhang interessanten Versuch der philosophischen Aufnahme von Ergebnissen der Hirnforschung. Mit der Darstellung der Position Pauens markiere ich gewissermaßen das »untere« Ende der Skala philosophischer Freiheitskonzepte, bemüht er sich doch explizit um einen schwachen Begriff von Freiheit, der sich ja insbesondere auch mit den neurowissenschaftlichen Erkenntnisssen Roths vertragen soll. Dem kann dann zur Abdeckung des Panoramas ein starker Freiheitsbegriff vom anderen Ende der Skala entgegen gestellt werden.

3.4 Personale Freiheit: Michael Pauen Michael Pauen setzt sich in seiner Konzeption von Freiheit explizit mit Ergebnissen der Neurowissenschaften auseinander und lässt sich auf die Frage nach »mögliche[n] bzw. unmögliche[n] Konsequenzen der Hirnforschung«136 ein. Mit Recht geht Pauen dabei davon aus, dass

136 Untertitel der Schrift: Illusion Freiheit.

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Freiheit als komplexes Phänomen einzustufen ist und dass, wie auch unsere Analysen zur naturwissenschaftlichen Perspektive deutlich zu machen versuchten, nicht von vornherein, gewissermaßen a priori, klare Kriterien für einen sinnvollen Gebrauch des Wortes Freiheit existieren.137 Angesichts diverser Unklarheiten in verschiedenen Kontexten des Freiheitsproblems und des Freiheitsbegriffs als solchem strebt Pauen eine »kohärente Konzeption« an, »die unsere zentralen vorwissenschaftlichen Intuitionen erfasst, sich gegen die wichtigsten philosophischen Einwände verteidigen lässt und gleichzeitig möglichst klare Kriterien für die Beurteilung von Handlungen im Alltag, für die Einschätzung von empirischen Befunden und schließlich auch für unsere Rechtspraxis liefert«138. Angesichts dieses umfassenden Programms ist es nicht verwunderlich, dass Pauen eine »Minimalkonzeption«139 von Freiheit in den Blick nimmt. Ein Freiheitsbegriff, der in der Lage sein soll, derart weit reichende Ansprüche zu erfüllen und in unterschiedlichsten Kontexten zu tragen, darf anscheinend selbst keine überzogenen inhaltlichen Anforderungen stellen. Ich gehe daher der Frage nach, ob Pauen dem eigenen Programm gerecht wird. Die Minimalstrategie Pauens ist nun allerdings nicht Ausdruck wissenschaftlicher Devotion, sondern methodisches Prinzip. Denn ein Freiheitsbegriff, der auf wenigen aber klar definierbaren Merkmalen aufbaut, dabei in sich stimmig und inhaltlich tragfähig ist, dürfte in der Argumentation weit größere Kraft besitzen, als ein Freiheitskonzept, das von vornherein an hohe Ansprüche gebunden ist. Pauen versucht auf diese Weise insbesondere einen Freiheitsbegriff zu entwickeln, der mit einem deterministischen Weltbild, wie es von naturwissenschaftlicher Seite vertreten wird, kompatibel ist. Er geht mit Recht davon aus, dass ein Konzept, das in der Lage ist, den Determinismus zu integrieren und dennoch sinnvollerweise von Freiheit sprechen kann, auf einen Naturwissenschaftler eher überzeugend wirken dürfte, als ein solches, welches den Determinismus, was auch immer im Einzelnen darunter verstanden werden soll, grundlegend in Frage stellt. Auf eine Kritik der deterministischen Auffassung verzichtet Pauen daher aus methodischen Gründen.140 Sollte diese Strategie zu einem tragfähigen Begriff mensch137 138 139 140

Siehe Pauen, Illusion Freiheit, 13. A. a. o. 14 (Hervorhebung B. B. ). Pauen, Freiheit: Eine Minimalkonzeption. Dies geschieht auch angesichts der Tatsache, dass nach der Meinung Pauens nicht zweifelsfrei geklärt werden könne, ob unsere Welt de facto determiniert sei oder

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licher Freiheit führen, würde man über gute Argumente im interdisziplinären Gespräch verfügen. Sollte sich der zu erreichende Freiheitsbegriff allerdings als zu schwach herausstellen, wäre deutlich, dass Freiheit in einem gehaltvollen Sinn mit der Annahme des Determinismus nicht vereinbar ist. Dieser Frage auf den Grund zu gehen, stellt ein wesentliches Ziel der Auseinandersetzung mit der Position Pauens dar. Ich weise schon an dieser Stelle darauf hin, dass sich mit dem durchaus nachvollziehbaren methodischen Verzicht auf die Kritik des Determinismus eine strikte Ablehnung des Indeterminismus verbindet, die daran zweifeln lässt, dass Pauen nur aus Gründen der Argumentationsstrategie den Determinismus voraussetzt. Wie noch genauer zu zeigen ist, scheint Pauen auch der Sache nach eine deterministische Position in charakteristischer Weise zu vertreten. 3.4.1 Grundlegende Abgrenzungen Angesichts der Schwierigkeiten, positiv zu sagen, was man unter Freiheit verstehen kann, liefern zwei Grundannahmen bezüglich der Abgrenzbarkeit eines sinnvollen Freiheitsverständnisses die Basis der Pauen’schen Argumentation. Demnach müsse sich die Zuschreibung von Freiheit deutlich sowohl von Zwang141 wie auch von Zufall abgrenzen lassen.142 Da Pauen Freiheit primär als Eigenschaft von Handlungen143 deutet, geht es also darum, dass freie Handlungen niemals erzwungene, aber auch niemals zufällige Ereignisse sein können. Die Rede von Ereignissen entspricht dabei der Sache, da Pauen für die Annahme des Zufalls nicht mehr von Handlungen sprechen will, weil der Zufall die für die Kategorie der Handlung konstitutive Eigenschaft der Urheberschaft nicht mehr erfüllt.144

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nicht, bzw. ob sich die These eines universalen Determinismus halten lasse (vgl. ders., Illusion Freiheit, 33). Vgl. als traditionelle Position dazu etwa Schleiermacher, Über die Freiheit, 334: »Jedem Begrif von Freiheit liegt immer die Abwesenheit einer Nöthigung zum Grunde […]«. Vgl. zu diesem Abschnitt v. a. : Pauen, Illusion Freiheit, v. a. 59-65. Auf die genauen Textstellen verweise ich nur in einzelnen, besonders wichtigen Stellen. Siehe a. a. o., 28-30. Siehe a. a. o., 59. Für die Kategorie der Handlung ist nach Pauen typisch, »dass sie sich durch Handlungsgründe erklären« (a. a. o., 29) lässt. Dies ist offensichtlich bei zufälligen Ereignissen nicht der Fall. Zu den zentralen Schwierigkeiten der Position

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Beide Annahmen besitzen eine hohe Anfangsplausibilität. Einer Handlung, die unter Zwang ausgeübt wird, wird intuitiv niemand den Charakter der Freiheit zuschreiben. Dies dürfte relativ unabhängig davon gelten, welche Kriterien man sonst an den Freiheitsbegriff anlegt. Der Grund dafür liegt nach Pauen in der damit einhergehenden Verletzung des »Autonomieprinzip[s]«145. Wenn eine Handlung unter Zwang erfolgt, so ist sie nicht mehr der Person selbst, sondern einem äußeren Einfluss zuzuschreiben. Die Person handelt unter diesen Bedingungen nicht mehr aus eigenem, inneren Antrieb. Dabei wäre sowohl denkbar, dass der Zwang gewissermaßen gewaltsam gegen den Willen der Person durchgesetzt wird, also ein eindeutiger Widerspruch zu identifizieren ist, als auch dass er sich subtil, etwa durch Hypnose, auswirkt, und damit nicht auf den ersten Blick zu erkennen wäre. Nach Pauen gilt für beide Fälle, dass nicht mehr von Autonomie zu sprechen ist, weil damit die Basisannahme verletzt wäre, dass »freie Handlungen nicht ausschließlich auf äußere Umstände zurückzuführen«146 sein dürfen. Ein bestimmter Grad bewusster Handlungssteuerung muss vorhanden sein. Damit ist für Pauen die an dieser Stelle zentrale anthropologische Problemstellung berührt, nämlich die anzunehmende und zu begründende Leitdifferenz zwischen Innen und Außen einer Person. Um von Freiheit sprechen zu können, muss offensichtlich mindestens ein Teil innegeleiteter Aktion festzustellen sein. Pauen macht durchaus deutlich, dass die anthropologische Unterscheidung von Innen und Außen nicht selbstverständlich ist und auch etwa nicht einfach mit der Körpergrenze zusammenfallen kann. Auch wenn es im Rahmen des Pauen’schen Denkens genügt, nachzuweisen, dass ein Teil der für eine Handlung relevanten Einflüsse auf das Personinnere zurückzuführen ist, so ist doch damit die Frage nach der Differenz von Innen und Außen nicht erledigt. Denn die negative Abgrenzung ist in einigen Fällen (etwa Zwang) leicht zu vollziehen, aber der Umkehrschluss, nämlich die Frage, was zum Inneren bzw. zum Selbst einer Person zu Pauens gehört nun die Frage, inwiefern bei determinierten Handlungen noch von Handlungen im engeren Sinne die Rede sein kann. 145 A. a. o. 60 und passim. 146 A. a. o., 61 f (Hervorhebung B. B. ). Es sei angemerkt, dass allerdings auch erzwungene Handlungen nicht nur auf äußere Einflüsse zurückzuführen sind. Auch Zwangshandlungen greifen auf Dispositionen oder Fähigkeiten einer Person zurück. Richtig ist das Prinzip selbstverständlich in der Weise, dass eine aktive, willentliche Teilhabe der Person bei erzwungenen Handlungen nicht vorliegt.

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rechnen ist, beruht keinesfalls auf trivialen oder unmittelbar einleuchtenden Kriterien.147 Ebenso wenig wie Freiheit und Zwang lassen sich nach Pauen Freiheit und Zufälligkeit auf einen Nenner bringen. Diese Basisannahme muss stärker begründet werden, existieren doch Positionen, die gerade in der Auflösung jeder Bindung und damit im Fehlen jeglicher Abhängigkeit und aller Kriterien, Freiheit realisiert sehen.148 Dass solche Positionen dem Zufall das Zepter in die Hand geben, ist dennoch deutlich und auch in der Diskussion insgesamt unstrittig. Diese Abgrenzung kann im Besonderen als Domäne kompatibilistischer Positionen angesehen werden.149 Allerdings sei schon hier vermerkt, dass nicht jede so genannte libertarische oder inkompatibilistische Position per se diesem Verdikt verfällt150, erst recht nicht nach ihrem eigenen Selbstverständnis. Freiheit ist nach Pauen nur dann anzunehmen, wenn die Handlung »eine Person zum Urheber hat«151. Es müsse eine »robuste Verbindung«152 zwischen einer Handlung und einer Person, die als Urheber der Tat gelten kann, auszumachen sein. Pauen nennt diese Annahme das »Urheberprinzip«153. Damit wird deutlich, warum wir bei einer freien Handlung der ausführenden Person die Verantwortung für eine be147 Angemerkt sei an dieser Stelle noch, dass Pauen den hier vorausgesetzten Begriff von Autonomie ausdrücklich im Sinne eines schwachen Verständnisses charakterisiert. Vor dem Hintergrund der Minimalkonzeption von Freiheit ist es stimmig, auch an die Forderung der Autonomie keine zu hohen Kriterien anzulegen. Von Autonomie ist demnach eben bereits dann zu reden, wenn eine Handlung mindestens zu einem Teil auf die Person selbst zurückzuführen ist, und nicht vollständig durch äußere Einflüsse determiniert ist. Es wäre demnach hier nicht der Etymologie entsprechend von einer Übersetzung mit »Selbstgesetzgebung« auszugehen; vgl. a. a. o., 62, Anmerkung 56. 148 Vgl. Chisholm, der sogar explizit das Gottesprädikat des unbewegten Bewegers auf eine frei handelnde Person anwendet: ‘If we are responsible, [...] then we have a prerogative which some would attribute only to God: each of us, when we act, is a prime mover unmoved. In doing what we do, we cause certain events to happen, and nothing – or no one – causes us to cause those events to happen.’ (ders., Human Freedom, 32). 149 Besonders pointiert hat Peter Bieri den Unsinn eines solchen, auf völliger Unbedingtheit basierenden Freiheitsbegriffs herausgestellt (vgl. kompakt ders., Regie des Gehirns). 150 Es grenzen sich auch libertarische Positionen von Zufälligkeit ab, vgl. etwa Kane, Neglected pathways, 409-411; zusammenfassend Keil, Willensfreiheit, 92-117. 151 Pauen, Illusion Freiheit, 62. 152 A. a. o., 63 153 A. a. o., 62 und passim (Hervorhebung B. B. ).

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stimmte Entscheidung zuschreiben. Denn der Urheber muss, und das macht die robuste Verbindung aus, für die konkrete Entscheidung eine »kritische Rolle«154 spielen. Es muss sich also durch den Bezug auf den Urheber einer Handlung erklären lassen, warum die fragliche Handlung so und nicht anders, bzw. warum sie überhaupt ausgeführt wurde. Dieses Grundprinzip war uns bei vielen der überblicksartig angesprochenen Positionen begegnet und kann als ein Grundanliegen nahezu aller Freiheitstheoretiker beschrieben werden. Was macht die Rolle aus, die der Urheber für die Handlung zu spielen hat? 3.4.2 Freiheit als Selbstbestimmung Pauen fasst die Abgrenzung freier Handlungen von den beiden Fehlformen derart zusammen, dass Freiheit als »Selbstbestimmung«155 zu charakterisieren ist. Selbstbestimmung scheint als zusammenfassende Pointierung geeignet, weil sowohl der Ausdruck »Selbst« die Abgrenzung von Fremdbestimmung auszudrücken vermag, als auch deutlich wird, dass es sich bei freien Handlungen stets um bestimmte, und zwar von einem Selbst bestimmte, und somit nicht um beliebige, will sagen zufällige Handlungen handelt.156 Nach Pauen muss der Begriff des Selbst derart gefüllt sein, dass er Typisches einer Person in der Lage ist, zum Ausdruck zu bringen und damit die Handlungsurheberschaft zu plausibilisieren. Dies sei der Fall, wenn sich eine Handlung auf bestimmte, charakteristische und damit konstitutive Eigenschaften und Fähigkeiten einer Person zurückführen

154 Ebda. 155 A. a. o., 63 und passim. 156 »Selbstbestimmung ist unverträglich mit Fremdbestimmung und daher auch mit Zwang und externer Determination – selbstbestimmte Handlungen erfüllen also das Autonomieprinzip. Gleichzeitig entsprechen selbstbestimmte Handlungen auch der Forderung nach Urheberschaft: Von Selbstbestimmung kann schließlich nur dann die Rede sein, wenn die handelnde Person selbst bestimmt was sie tut.« (ders., Illusion Freiheit, 64). In ähnlicher Weise wird etwa von Goschke der Begriff Selbstdetermination (ders., Der bedingte Wille, 146) verwendet, der in noch stärkerer Weise die Abhängigkeit, nämlich im Sinne eines determinierenden Verhältnisses, der Handlungen vom Selbst der Person zum Ausdruck bringt. Ähnlich argumentiert auch Vierkant, der die Herausforderung der Kognitionswissenschaften nicht in der Annahme der Determination, sondern in der Ablehnung der Selbstdetermination sieht (ders., Worin besteht die Herausforderung, 73).

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lässt.157 Nur für den Fall ließe sich eine sinnvolle Verbindung zwischen Urheber und Tat herstellen und die anvisierte kritische Rolle näherhin erfassen. Damit ist das grundlegende Prinzip des Kompatiblismus – die Verbindung von Person und Handlung – in spezifischer Weise formuliert. Pauen unterscheidet nun innerhalb der Merkmale zwischen personalen Fähigkeiten und personalen Präferenzen158. Unter den personalen Fähigkeiten versteht Pauen all die Fertigkeiten, die bei einer Person vorausgesetzt werden müssen, der man freie Handlungen zutraut. Sie bringen zunächst nichts für eine Person Typisches zum Ausdruck, sondern formulieren allgemeine Anforderungen an den Akteur. Pauen fasst darunter die Fähigkeiten »zum Erkennen von Handlungsfolgen und zur Abwägung konkurrierender Wünsche und Überzeugungen [...] aber auch die Ansprechbarkeit für Normen und die Fähigkeit, getroffene Entscheidungen, in die Tat umzusetzen.«159 Ingesamt müsse man davon ausgehen können, dass die fragliche Person über »ein Minimum an Rationalität« verfüge, was die Möglichkeit impliziere, »sich an ihren faktischen Interessen [...] zu orientieren.«160 Diese Fähigkeiten erinnern an die oben genannten Kriterien rationaler und moralischer Freiheit, die hier nun als einleuchtende Basis für die Annahme personaler Freiheit fungieren. Der zentrale Punkt der Argumentation besteht nun allerdings in der Charakterisierung des Selbst in den so genannten »personale[n] Präferenzen«161. Erst unter Zuhilfenahme der Präferenzen einer Person kann nach Pauen in einem konkreten Fall erklärt werden, warum eine Handlung gerade so und nicht anders ausgefallen ist.162 Geben die personalen Fähigkeiten die Voraussetzung dafür, überhaupt in sinnvoller Hinsicht von Handlungen sprechen zu können, so lassen sich nach Pauen mit Hilfe der Präferenzen Handlungen in ihrer inhaltlichen Qualität auf eine bestimmte Person zurückführen. Nur auf diese Weise lasse sich der für freie Handlungen konstitutive individuelle Charakter 157 »Gemeint sind hiermit [...] diejenigen Fähigkeiten und Eigenschaften, die konstitutiv für eine Person sind, die sich selbst bestimmt.« (Pauen, Illusion Freiheit, 66). 158 Vgl. zu dieser Differenzierung vor allem: a. a. o., 67-73. 159 A. a. o., 71. 160 A. a. o., 68. 161 A. a. o., 71 und passim. 162 »Soll die Handlung auf den Urheber zurückgeführt werden, dann benötigen wir Merkmale, die spezifisch für diese individuelle Person sind und damit eine ganz bestimmte Handlung in einer konkreten Situation zu erklären vermögen.« (a. a. o., 72).

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einer Handlung zum Ausdruck bringen. Diese Merkmale einer Person sind gleichzeitig die Basis dafür, »dass sich selbstbestimmungsfähige Individuen voneinander unterscheiden.«163 Freiheit wäre in diesem Sinn also auch zu verstehen als Ausdruck der je eigenen Individualität. Wichtig ist nun, dass diese personalen Präferenzen deutlich unterschieden werden müssen von anderen Eigenschaften einer Person, die ihr zwar ebenfalls zuzuschreiben sind, die aber nicht konstitutiv für sie als Person sind. Hier nun müssen klare Kriterien gefunden werden, die eine sinnvolle Abgrenzung des Selbst einer Person ermöglichen. Man befindet sich an einem neuralgischen Punkt, denn es ist nicht leicht, Merkmale einer Person auszumachen, die nicht konstitutiv sind, die also auch nicht im Sinne Pauens als Basis für die Zuschreibung einer freien Handlung dienen können, die sich aber dennoch eindeutig als Merkmale dieser Person identifizieren lassen. Wiederum steht die Frage nach dem Selbst, das eine Person als Person ausmacht, im Mittelpunkt. Gesetzt den Fall, es lasse sich mit Hilfe klarer Kriterien das Selbst einer Person abgrenzen, so ergibt sich die klare Schlussfolgerung, dass »Handlungen, die durch diese Merkmale bestimmt werden, notwendigerweise selbstbestimmte Handlungen sind«164. Die Freiheit von Handlungen hängt demnach an der Möglichkeit, das Selbst eines Menschen zu identifizieren und aufgrund dieser Identifikation die Handlung mit der Person in eine robuste Verbindung zu setzen. Angesichts der hier formulierten Kriterien für die Abgrenzung des Selbst einer Person anhand personaler Präferenzen zeigt sich bereits, dass die oben berührte Unterscheidung von Innen und Außen mit der Unterscheidung personaler und nicht-personaler Präferenzen konform geht. Alle Präferenzen, die als personal einzustufen sind (die Kriterien hierfür werden im Anschluss diskutiert), können zum Innenbereich einer Person gerechnet werden, und umgekehrt lassen sich alle anderen Präferenzen als äußerlich charakterisieren. Grundlegend ist Pauen zuzustimmen, dass die Unterscheidung von Innen und Außen nicht einfach an der Körpergrenze verlaufen kann und dass es Merkmale einer Person gibt, die sich in Bezug auf deren Identität als äußerlich, möglicherweise sogar als fremd beschreiben lassen. Dies ist für die Argumentation Pauens insofern wichtig, als die Unterscheidung von Innen und Außen auch in der Auseinandersetzung mit dem Prinzip 163 A. a. o., 72 f. 164 A. a. o., 74.

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der alternativen Möglichkeiten eine wichtige Rolle spielt und der in diesem Kontext vorgenommenen Differenzierung eine zentrale Rolle für die Gesamtkonzeption Pauens zukommt. Die Diskussion der entsprechenden Kriterien muss daher in angemessener Gründlichkeit geschehen. Es ergibt sich allerdings bereits hier ein prinzipielles Problem, das zunächst eine semantische Konnotation besitzt. Pauen spricht von den personalen »Merkmalen«, die das Selbst einer Person ausmachen, um diese Merkmale dann in »Fähigkeiten« und »Präferenzen« zu unterteilen. Es fällt auf, dass der allgemeine Terminus der »Merkmale« eine andere semantische Struktur besitzt als »Fähigkeiten« und »Präferenzen«. Während ein Merkmal einer Person durchaus passiv anhaften kann und in gewissen Fällen auch von außen zu erkennen ist, sind Fähigkeiten und Präferenzen auf die mögliche Aktivität einer Person bezogen. Insbesondere Präferenzen kennzeichnet, dass sie in der Binnenperspektive ausgebildet werden und nicht schlichtweg als von außen zu diagnostizierendes Merkmal zu bezeichnen sind. Der Terminus »Merkmal« ist eher einem statischen Bedeutungsrahmen entnommen, während Fähigkeiten und Präferenzen eine gewisse Dynamik assoziieren. Die Kategorisierung von Präferenzen unter das Stichwort Merkmale ist also durchaus problematisch. Dies wäre noch kein Hindernis, wenn damit nicht auch ein erkenntnistheoretisches Problem verbunden wäre. In der Argumentation Pauens wurde deutlich, dass personale Präferenzen mit dem der Innenseite einer Person, ihrem Selbst zu identifizieren sind. Wenn nun nach allgemeinen Kriterien für diesen personalen Innenraum gesucht wird, so geschieht dies notwendig aus der Außenperspektive. Kann hier eine »Vernachlässigung des Perspektivenwechsels«165 diagnostiziert werden, oder ist der oben eingeführte epistemische Dual – Teilnehmer und Beobachter – problemlos zu hintergehen? Die Frage muss besonders deshalb ernst genommen werden, weil von Selbstbestimmung in einem zweifachen Sinn die Rede sein kann. Es kann gemeint sein, dass etwas, in diesem Fall unsere Handlungen, von einem Selbst mit spezifischen Präferenzen und Merkmalen bestimmt wird. Dies mag unter Umständen von außen zu beobachten sein; die Verwendung des Begriffs durch Pauen spricht prima facie für diese Deutung, geht es ihm doch um die Erklärung von Handlungen.166 Aller165 Habermas, Sprachspiel, 685. 166 Vgl. FN 162.

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dings beinhaltet der Terminus Selbstbestimmung ja auch den Aspekt, dass ich bestimme, wer oder was ich sein will, was ich aber noch nicht bin.167 Während erstgenannter Aspekt ex post auch von außen zu beschreiben ist, dürfte dies für letztgenannten schwerfallen, hat er doch seinen Sitz im Leben zunächst in der Binnenperspektive des Handelnden und Wollenden.168 Es wird sich in der Auseinandersetzung mit den Einzelargumenten zeigen, inwieweit beide Aspekte zum Tragen kommen. 3.4.3 Kriterien personaler Präferenzen Die nunmehr ins Zentrum der Argumentation gerückte Frage ist die nach den Kriterien personaler Präferenzen im Unterschied zu den nicht personalen, atypischen Präferenzen. Als allgemeine Vorraussetzung für ein personales Merkmal gilt nach Pauen eine gewisse Beständigkeit, für die er als Faustregel die Dauer von einem Tag nennt.169 Diese grobe Richtlinie könne allerdings nicht mehr denn eine allgemeine, ungefähr abgeschätzte Voraussetzung sein. Relevant sind die sachlichen Kriterien für personale Merkmale, für die es nach Pauens Einschätzung drei mögliche Begründungszusammenhänge gibt; er nennt sie die rationale, die liberale und die identifikatorische Variante. 3.4.3.1 Die rationale Variante Die rationale Variante170 der Begründung geht davon aus, dass sich Handlungen, die als selbstbestimmtes Verhalten qualifiziert werden können, durch gute Gründe rechtfertigen lassen. Präferenzen wären 167 Diesen Aspekt betont implizit etwa Geert Keil, wenn er von Willensfreiheit als »Fähigkeit zur überlegten hindernisüberwindenden Willensbildung« (ders., Willensfreiheit, 133) spricht. Der Wille ist hier kein statisch festzustellendes Phänomen, vielmehr etwas, das sich entwickelt, und dessen Freiheit gerade in der ungehinderten Entwicklung besteht. Die Fähigkeit zur Willensbildung hat damit einen »dynamischen Aspekt« (a. a. o., 78). Vgl. auch Fuchs, Entscheiden, 107; Seebaß, Signifikanz, 212. 168 Bei erstem Aspekt wäre dann von Selbst im Sinne von idem, also der identischen, abzugrenzenden und auch von außen zu beschreibenden Person die Rede; der zweite Aspekt bringt hingegen zum Ausdruck, dass Identität in der Zeit auch gerade angesichts von Veränderungen des Selbst zu beschreiben sein muss (gewissermaßen der ipse-Aspekt); vgl. Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, bes. 144 ff. 169 A. a. o. 76 170 Vgl. Pauen, Illusion Freiheit, 76-80.

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demnach dann als personal einzustufen, wenn sie rational nachvollziehbar sind und zu entsprechenden, vernünftig begründeten Handlungen führen. Diese Variante läge damit in der Begründungslinie derjenigen Ansätze, die ich oben unter dem Stichwort »rationale Freiheit« kurz skizziert habe.171 Pauen konzediert durchaus, dass eine rationale Begründung von Handlungen als hinreichende Bedingung für die Rückführung auf personale Referenzen gelten kann, spricht sich aber dennoch gegen die Variante als notwendigen Begründungszusammenhang aus.172 Denn in zweierlei Hinsicht scheint die Argumentation inakzeptabel zu sein. Zum einen wäre mit der ausschließlichen Konzentration auf Rationalität ein großer Teil von Handlungen ausgenommen, der dann nicht als frei eingestuft werden dürfte, nämlich der Bereich der Moral- und Pflichtverletzungen. Nach Pauens Meinung sind gewisse Normen allgemein anerkannt und von jedermann rational nachzuvollziehen, sodass Verletzungen gegen diese Normen den Anschein der Irrationalität tragen müssten. Die Konsequenz aber, die durch die Bindung von Freiheit an Rationalität zu ziehen wäre, scheint inakzeptabel zu sein, nämlich dass derartige Pflicht- oder Normverletzungen nicht als freie, mithin auch nicht als verantwortliche Handlungen eingestuft werden könnten.173 Der zweite Einwand gegen die rationale Variante der Begründung ergibt sich nach Pauen aus einer grundlegenden Einsicht in das Menschsein, nämlich der Tatsache, dass »Personen zwar auch, aber eben nicht nur rationale Wesen sind«174. Dieses Argument ist vor allem

171 Siehe 3.3.1, S. 149. 172 »Ich möchte von vornherein zugeben, dass gute Gründe ein hinreichendes Merkmal für personale Präferenzen sind; [...] Ich glaube jedoch nicht, dass Rationalität ein notwendiges Merkmal personaler Präferenzen darstellt.« (a. a. o., 77). 173 Dies ist etwa gegen die Position von Ansgar Beckermann zu betonen, der bei aller Nähe zur Auffassung Pauens hier einen entscheidenden Unterschied macht: »Willensfreiheit scheint also entscheidend davon abzuhängen, ob die Entscheidungen eines Handelnden durch moralische und Klugheitsüberlegungen beeinflusst werden können.« (Beckermann, Biologische Determiniertheit, 24). Die Ergänzung des Rationalitätskriteriums durch das Moralitätskriterium stellt einen hohen objektiven Anspruch an freie Handlungen, mit dem die genannten Pflichtverletzungen eben nicht mehr als freie Handlungen eingestuft werden können. Ein solcher Versuch der Objektivierung der Freiheit ist anthropologisch nicht angemessen, wiewohl auch zugestanden werden muss, dass den Pflichtverletzungen, bei aller Verantwortung, die Menschen dafür tragen, ein Aspekt der Unfreiheit anhaftet. 174 Pauen, Illusion Freiheit, 79.

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deshalb besonders ernst zu nehmen, weil es wiederum auf elementare anthropologische Fragen führt, die über die spezifische Beurteilung einer Handlung hinausgehen. Ist bzw. in welcher Weise ist die traditionelle Rede vom Menschen als animal rationale aufrecht zu erhalten? Zuzustimmen ist Pauen an dieser Stelle grundlegend in der Hinsicht, dass es durchaus wichtige Merkmale einer Person geben kann, die nicht, jedenfalls nicht in einem letzten Sinn, rational nachzuvollziehen, und damit nicht einer einheitlichen Vernunft zugänglich sind. Es müssen auch Handlungen, die nicht nur auf Vernunftgründe, sondern etwa auch auf bestimmte emotionale Momente zurückzuführen sind, als frei erachtet werden können. Insofern ist hier auch ein sinnvolles Argument gegen die Bestreitung von Freiheit allein aufgrund der Bedeutung neuronal-emotionaler Bewertung gegeben. 175 Das Argument kann aber noch weiter geführt und auf ein möglicherweise tiefer sitzendes Problem hingewiesen werden. Denn selbst wenn wir annehmen, dass sich eine freie Handlung durch den Bezug auf gute Gründe rechtfertigen bzw. erklären lasse, so ist doch auch für diesen Fall nicht gesichert, dass daraus eine kohärente Beurteilung der Handlung erfolgt. Denn auch die Vernunft selbst und die Argumentation mit guten Gründen garantiert nicht die Einheitlichkeit einer Diagnose und die Tragweite eines Arguments.176 Was dem einem gute Gründe sein mögen, kann dem anderen völlig unzugänglich bleiben und überhaupt keinen Ansatzpunkt für die Begründung einer Handlung bieten. Auch das, was als vernünftig gilt, kann wiederum von personalen Präferenzen abhängig sein, und damit nicht die Basis für die Begründung der Präferenzen liefern. Letztlich ist hier kein fester Grund einer 175 Dies ist gegen die Position von Gerhard Roth zu betonen, der, wie im ersten Hauptteil skizziert, die Macht der Emotionen als einen Indikator der Unfreiheit darstellte. Dass starke Emotionen einen Menschen gewissermaßen gefangen nehmen und ihn damit in die Unfreiheit führen können, ist nicht zu bestreiten. Damit lässt sich aber nicht begründen, dass die Abhängigkeit von Emotionen immer unter dem Verdikt der Unfreiheit firmieren muss. 176 Der Gedanke ist bei Pauen mindestens angedeutet, wenn er schreibt, dass die »Unterschiede [zwischen Personen] [...] entfallen, wenn personale Präferenzen ausschließlich dem Universalismus guter Gründe gehorchen würden: Wenn es gute Gründe für eine bestimmte Verhaltensweise gibt, dann müssten sie von allen einsichtsfähigen Akteuren akzeptiert werden [...]« (ders., Illusion Freiheit, 79). Dass Personen nicht ausschließlich dem Universalismus guter Gründe gehorchen, liegt nun aber nicht nur daran, dass Menschen nicht nur rational, sondern etwa auch emotional strukturiert sind, sondern eben auch an der Vernunft selbst, die nicht zwingend einheitlich ist.

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tragenden Rationalität zu gewinnen, der nicht selbst wieder zu hinterfragen ist. Auch diese Argumentation bewegt sich gewissermaßen in einem hermeneutischen Zirkel zwischen Vernunftgründen und anderen Präferenzen. Dies heißt selbstverständlich nicht, dass es nicht Bereiche gibt, bei denen im Sinne des ersten Arguments Pauens eine einheitliche Nachvollziehbarkeit angenommen werden kann.177 Allerdings wird nicht jeder Mensch aufgrund seiner Vernunft die gleichen Handlungen als pflichtgemäß einstufen. Es ist Pauen also insofern zuzustimmen, als die Vernünftigkeit allein kein Kriterium für die Zuschreibung von Freiheit darstellt. Diese muss auch bei Handlungen, die nicht offensichtlich auf Vernunftgründe bzw. die auf strittige Vernunftgründe zurückzuführen sind, erfolgen. Das ist der Unterschiedlichkeit und Diversifikation des Menschen geschuldet, die insgesamt sperrig ist gegenüber einem Einheitsprogramm der Vernunft. Andererseits weist der gerade besprochene Punkt der Argumentation auch auf das grundlegende Problem der Verhältnisbestimmung von Freiheit und Verantwortung hin. Bei aller grundlegender Zustimmung zu der notwendigen Korrelation von Freiheit und Verantwortung, jedenfalls im Sinne der Abgrenzungen Pauens gegen Zufall und Zwang, lässt sich doch fragen, ob dieser Freiheitsbegriff allen notwendigen Anforderungen genügt. Sicher müssen aus dem Bereich freier Handlungen solche ausgeschlossen werden, die etwa aufgrund eines Suchtverhaltens, und damit im Kontext evidenter Unfreiheit, geschehen. Andererseits kann die strenge Bindung von Verantwortung an die Annahme von Freiheit, wie sie im Bemühen Pauens zum Ausdruck kommt, auch (irrationale) Normverletzungen als freie Handlungen zu kategorisieren, zumindest in ihrer Einseitigkeit hinterfragt werden. Denn unter Umständen muss auch bei Handlungen, die nach den bisherigen Kategorien als frei erscheinen würden, in gewisser Hinsicht von Unfreiheit die Rede sein, wenn beispielsweise eine Person aufgrund der ihr eigenen Rationalität (also in diesem Sinne durchaus frei) zwar beruflich erfolgreich handelt aber dadurch sämtliche Sozialkontakte abbricht. Es dürfte einleuchten, dass einem solchen Handeln mindestens in gewisser Hinsicht das Attribut der Unfreiheit, etwa der

177 Klassische Beispiele sind Fälle, die gängigerweise dem Naturrecht zugeschrieben wurden, wie sie auch in biblischem Zusammenhang gefunden werden können; dazu wurde (etwa von Luther) auch der Dekalog mit seinen als allgemein einsichtig verstandenen Geboten, etwa dem Tötungsverbot, gezählt.

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Gefangenschaft im (rational nachvollziehbaren) Zwang, Karriere zu machen, zuzuschreiben ist. Dennoch aber muss einer solchermaßen, d. h. in gewisser Weise unfrei handelnden Person die Verantwortung für ihr Tun zugeschrieben werden. Von Verantwortung muss also auch im Kontext unfreien Handelns die Rede sein können.178 Eine Differenzierung im Freiheitsbegriff ist von Nöten. 3.4.3.2 Die liberale Variante Nach Pauen geht es bei den Kriterien um die Frage geht, welche »Stellung die Person an einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklungsgeschichte zu ihren Präferenzen einnimmt bzw. einnehmen kann«179. Freiheit muss demnach bestimmt werden als eine spezifische Qualität des Selbstverhältnisses einer Person, das sich nicht auf seine rationalen Komponenten reduzieren lässt. Die Variante, der Pauen den Vorzug erteilt, ist die so genannte liberale Begründung. Dieser Logik zufolge sind Präferenzen genau dann zu den personalen Präferenzen zu rechnen, »wenn sie möglicher Gegenstand einer wirksamen, selbstbestimmten Entscheidung«180 sind. Dies impliziert die Möglichkeit, dass sich eine Person prinzipiell gegen eine Präferenz entscheiden könnte, wenn es den anderen Merkmalen entsprechen würde. Was ist damit im Einzelnen gemeint? Pauen geht es darum, dass Präferenzen einer Person, die sich ja in den meisten Fällen als Produkt einer längerfristigen und komplexen Entwicklung erklären lassen, nicht als unhintergehbares Schicksal zu verstehen sind. Präferenzen müssen sich, wenn nötig, in einem selbstreflexiven Akt unter die Lupe nehmen und verändern bzw. aufgeben lassen. Nicht alle Präferenzen müssen tatsächlich aus einer konkreten und selbstbestimmten Entscheidung erwachsen, aber sie müssen einer solchen Entscheidung prinzipiell zugänglich sein und ihr auch standhalten können, wenn die jeweilige 178 Theologisch muss dieser Sachverhalt im Kontext der Sündenlehre zur Sprache kommen, insofern Sünde verstanden als Tat immer selbst gewählte und in dieser Hinsicht freie Tat ist, der solchermaßen frei Handelnde aber in einen Kontext der Unfreiheit verstrickt ist, aus dem er nicht zu entrinnen vermag (siehe unten III, 5.3). Was hier insbesondere unter »Unfreiheit« zu verstehen ist, müssen wir noch erörtern. 179 A. a. o., 82. In dieser Hinsicht nimmt Pauen interessanterweise eine ähnliche Position ein wie Robert Kane. Der Unterschied besteht allerdings in der Art und Weise, wie die Einflussnahme der Person gedacht werden kann. 180 A. a. o., 82.

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Person Anlass hätte, sie zum Gegenstand einer solchen Überlegung zu machen. Oder negativ formuliert: Wenn die Person wollte, müsste sie sich auch gegen eine Präferenz entscheiden können, soll sie als für die Person konstitutiv gelten.181 An einen neuralgischen Punkt gerät man, wenn nach den Kriterien und Bedingungen für die Veränderbarkeit oder Aufgabe einer Präferenz gefragt wird. Denn: Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Rede von »können«? Wann kann sich eine Person gegen eine Präferenz entscheiden? Das Attribut prinzipiell deutet an, dass Pauen an dieser Stelle auf ein möglichst allgemeines Verständnis hinaus will. Abstrakt aber lässt sich ein »Können« nicht definieren; Können gründet immer auf gewissen Fähigkeiten und Einstellungen, wofür in Pauens Logik nur personale Fähigkeiten und personale Präferenzen in Frage kommen. Offensichtlich ist es leichter zu sagen, wann die Möglichkeit bzw. das fragliche Können nicht der Fall ist. Eindeutig ist die Lage bei allen Formen von Suchtverhalten oder inneren Zwängen, die eine Distanzierung und damit auch eine Entscheidung gegen eine bestimmte Präferenz verhindern. Wesentlich schwieriger stellt sich die Situation bei bestimmten Neigungen dar, die man zwar gerne loswerden wollte, es aber aus irgendeinem Grund doch nicht tut, ohne dass bereits von einem äußeren Zwang die Rede sein müsste.182 Es gibt in diesem Fall offensichtlich eine andere Präferenz, die dem entsprechenden Willen entgegen steht und ihn dominiert. Für diesen Fall wäre die fragliche Präferenz im Sinne Pauens also keine personale. Dennoch müsste man sagen, dass ein Verhalten, das etwa auf die nicht aufgebbare Neigung zur Ungeduld zurückzuführen ist,183 als frei und verantwortlich darzustellen wäre.

181 Im Einzelnen gliedert Pauen das Argument in 3 Schritte: Die fraglichen Präferenzen müssen »mögliche Gegenstände wirksamer selbstbestimmter Entscheidungen« (a. a. o., 83) sein. Dies kann aber nur gelten, »wenn eine Person die Möglichkeit hat, sich gegebenenfalls auch gegen diese Präferenz zu entscheiden und sich damit von dieser Präferenz zu lösen.« (ebda). Zudem müsse, und in diesem Merkmal konzentriert sich das Problem, auch die Entscheidung bezüglich eines personalen Merkmals eine selbstbestimmte Entscheidung sein, was bedeutet, dass auch diesbezüglich wieder »eine Rückführung auf die personalen Merkmale des Urhebers möglich« (a. a. o., 84) sein muss. 182 Pauen nennt die Beispiele der Neigungen zu Ungeduld und zu spätem Zurückgeben von Büchern. Erstere scheint ihm nicht aufzugeben zu sein, zweitere schon. 183 Vgl. das Beispiel Pauens, a. a. o., 82 f.

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Was kann dann mit dem Irrealis »könnte« bezüglich der Aufgebbarkeit von Präferenzen gemeint sein? Voraussetzung für diese Form des Könnens ist grundlegend die Fähigkeit zur Selbstdistanzierung und zur Ausbildung eines Selbstverhältnisses. Dies aber trifft auf alle gerade diskutierten Fälle zu, in denen Zwang oder Sucht ausgeschlossen ist. Charakteristisch in dem pointierten Fall des Könnens aber Nicht-Tuns ist nun eine inhaltliche Bestimmtheit des Selbstverhältnisses, die offenbar eine Fixierung auf das fragliche Merkmal mit sich bringt. In welchem Sinn aber könnte man die Präferenz in diesem Fall aufgeben? Faktisch kann man sie aufgeben, wenn man andere Präferenzen hat, die eine Aufgabe zur Folge haben oder diese zumindest ermöglichen. Dies aber ist dem Beispiel nach ja gerade nicht der Fall. Für die Änderung müsste man die Änderung anderer Präferenzen voraussetzen. Wir sehen also, dass die Rede von »Können« nur wiederum in Bezug auf andere personale Präferenzen einen Sinn ergibt. Mit der Notwendigkeit, bei jedem »Können« wiederum auf andere personale Präferenzen Bezug zu nehmen, erkennt Pauen, dass hier die Gefahr droht, argumentativ in einen »Regress«184 zu geraten. Denn jede Entscheidung fordert den Bezug auf personale Präferenzen, die aber auch wieder Gegenstand einer selbstbestimmten, mithin auf personalen Präferenzen beruhenden Entscheidung sein müssten. Anders gesagt: Wir geraten in eine zirkuläre Argumentation, die personale Präferenzen begründen möchte, sie aber innerhalb dieser Begründung ständig voraussetzen muss. Wie entgeht Pauen dieser Zirkularität? Er versucht, deutlich zu machen, dass es nicht darum geht, alle möglichen Präferenzen, auf die sich eine Entscheidung beziehen könnte, zu kennen, sondern um die »dispositionale Fähigkeit, die fragliche Präferenz überhaupt willentlich zu korrigieren«185. Diese Fähigkeit lasse sich in theoretischer Hinsicht nachweisen, wenn etwa eine Person, die rational ansprechbar ist, ihre vernünftigen Überzeugungen angesichts plausibler Gründe für eine andere Einstellung aufgeben würde. Für dieses Argument gelten allerdings Kritikpunkte, die wir oben bezüglich der Einheitlichkeit der Vernunft dargelegt haben. Nicht in allen Fällen rationaler Überzeugungen dürfte also davon auszugehen sein, dass sie prinzipiell veränderbar seien. Der negative Fall sei nach Pauen relativ deutlich zu identifizieren, wenn eine Person nicht willentlich in der Lage ist, eine bestimmte 184 A. a. o., 84. 185 A. a. o., 85 (Hervorhebung B. B. ).

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Präferenz aufzugeben, wie es etwa bei diversen Formen des Suchtverhaltens der Fall ist. Dieser Annahme ist, wie oben bereits erwähnt, zuzustimmen. Empirische Erkenntnisse, wie etwa die der Neurowissenschaften und aber auch der empirischen Psychologie könnten ebenfalls Auskunft darüber geben, welche Präferenzen veränderbar seien und welche man aufgrund dessen zu den personalen Präferenzen zählen könne. Auch dieser Annahme wird man mindestens als Möglichkeit nicht widersprechen können. Die Argumentation läuft darauf hinaus, dass es nicht darum geht, ein abschließendes qualitatives Argument hinsichtlich der Veränderbarkeit von Präferenzen zu formulieren, sondern darum, dass eine Person überhaupt einen »Spielraum hinsichtlich der Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Merkmal«186 gewinnt. Frei wären demnach solche Handlungen, die auf Präferenzen beruhen, zu denen sich der jeweilige Akteur noch einmal, und zwar wirksam verhalten kann. Wir könnten demnach auch anders formulieren: Freiheit ist dann realisiert, wenn der in Frage stehende Aspekt Gegenstand des Selbstverhältnisses einer Person ist, und wenn der handelnden Person die Möglichkeit zu »selbstbestimmter Distanzierung«187 gegeben ist. Diese Annahme ist zustimmungsfähig. Sie ist allerdings nicht hinreichend, da sie – wie gezeigt – rein formal und sehr allgemein bleibt, so lange ihr nicht bestimmte Inhalte auf der Ebene der personalen Präferenzen entsprechen. Ob und wie sich eine Person von sich selbst bzw. einer Präferenz distanzieren kann, hängt wiederum von deren anderen Präferenzen ab. Dass die Vernünftigkeit als Kriterium diesen Leerraum nicht gänzlich füllen kann, haben die Überlegungen zur ersten Begründungsvariante gezeigt. Über eine prinzipielle Veränderbarkeit lässt sich abstrakt nicht allgemeingültig urteilen, da das Kriterium generalisieren, aber gleichzeitig auch die je individuellen Präferenzen mit einbeziehen können muss. Die genannten Beispiele haben gezeigt, dass Freiheit und Unfreiheit oft miteinander verwoben sind, und dass, wenn überhaupt, eine

186 A. a. o., 90 f. 187 A. a. o. 91. Die Fähigkeit zur Selbstdistanzierung ist als ein zentrales Merkmal von Freiheit von vielen verschiedenen Autoren festgehalten worden. Ich habe oben (S. 153) auf einige entsprechende Konzeptionen hingewiesen; von den libertarischen Denkern verweist etwa Geert Keil auf dieses Moment (Suspensionsvermögen) als integralen Bestandteil seiner Freiheitstheorie (ders., Willensfreiheit, 76.151).

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Beurteilung einer Handlung meist nur von der Gesamtkonstellation188 der personalen Präferenzen her möglich ist. Für ein basales Verständnis von Freiheit kann es durchaus vorerst genügen, sich auf die Möglichkeit zur Ausbildung eines Selbstverhältnisses zu verständigen. Darin müsste dann allerdings impliziert sein, dass die bestehenden Präferenzen selbst in ihrer Gesamtheit einen Spielraum eröffnen, weil sie eine Person eben gerade nicht fixieren, sondern variabel und wiederum gegen andere Präferenzen abzuwägen sind. Den Präferenzen selbst ist auch die Kategorie der Möglichkeit eingeschrieben. Sie sind nicht auf das rein Faktische zu reduzieren. Diese Form von Möglichkeit muss über die Behauptung hinausgehen, Präferenzen einer Person wären andere gewesen, wenn sie andere Präferenzen gehabt hätte; ein Argument, das Pauen analog auch bei G.E. Moore kritisiert189; hier kann mit Recht eine Reduktion des Möglichen auf das Faktische beanstandet werden. Denn das Anderskönnen hat ja seinen Sinn nicht in einem Irrealis der Vergangenheit, sondern in Möglichkeitsräumen der Gegenwart.190 Genau diese abzulehnende Logik findet sich aber in Pauens Argumentation. Denn sie läuft darauf hinaus, dass eine Person sich gegen eine Präferenz entscheiden könnte, wenn sie denn wollte; in einem sachhaltigen Sinne wollen kann sie aber nur bei Voraussetzung anderer entsprechender Präferenzen. Die drohende Regressproblematik kann auch nicht schlicht durch den Hinweis auf die Rationalität einer Präferenz abgewehrt werden.191 Ob eine Präferenz prinzipiell abgewählt werden kann, hängt, wenn das Attribut nicht zur leeren Formel werden soll, essentiell von der Gesamtkonstellation der Präferenzen ab. 3.4.3.3 Die identifikatorische Variante Pauen setzt sich noch mit einer dritten Möglichkeit zur Bestimmung von Kriterien für personale Merkmale auseinander; er nennt sie die

188 Vgl. Fuchs, Entscheiden, 109, der darauf hinweist, dass Präferenzen (in der Sprache Pauens) nicht isoliert betrachtet werden dürfen (mit Bezug auf Spaemann, Personen, 223 ff, sowie Bergson, Zeit und Freiheit, 134 ff). 189 Siehe unten den Abschnitt zum Prinzip alternativer Möglichkeiten, 3.4.4.1, S. 186 ff. 190 Vgl. Keil, Willensfreiheit, 118; ähnlich auch Fuchs, Entscheiden, 104-106, der die Kategorie der Möglichkeit im antizipativen Bezug auf die Zukunft (innerhalb der Gegenwart) verortet. 191 Pauen, Illusion Freiheit, 135.

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»identifikatorische Variante«192. Zentral für dieses Kriterium ist die Frage, »ob die Person bereit ist, sich gegebenenfalls mit der fraglichen Präferenz zu identifizieren«.193 Auch hier geht es nicht um die Forderung einer faktischen Identifikation mit einem Merkmal, sondern um die hypothetische Annahme, »dass die Person das fragliche Merkmal akzeptieren würde, wenn sie es zum Gegenstand einer selbstbestimmten Entscheidung machen würde.«194 Diese Begründungsstrategie stellt somit gewissermaßen die positive Rückseite des liberalen Kriteriums dar. Auch diese Identifikation aber kann sinnvollerweise nur als Übereinstimmung mit den anderen personalen Präferenzen einer Person gedacht werden. Pauen grenzt sich sicherlich zu Recht von einer Auffassung ab, nach der Identifikation eine vollständige Vorbehaltlosigkeit, nicht nur bezogen auf die personalen Präferenzen, sondern auf alle Merkmale einer Person, bedeuten würde. Dies würde die unplausible Annahme vollständig widerspruchsfreier Persönlichkeiten unterstellen und damit die generelle Unmöglichkeit implizieren, bei inneren Widersprüchlichkeiten noch von Freiheit zu sprechen.195 Die identifikatorische Variante unterscheidet sich nach Pauen von der liberalen dadurch, dass sie nicht nur die Möglichkeit einer selbstbestimmten Entscheidung zum Kriterium personaler Präferenzen macht, bei der nur prinzipiell die Möglichkeit der Veränderung anzunehmen wäre, sondern auch den Ausgang dieser Entscheidung als essentiell annimmt. Als personales Merkmal könnten demnach nur solche gelten, die in Übereinstimmung mit anderen personalen Merkmalen der Person stehen. Nach Pauen ist dieses Merkmal problematisch, weil für die Beurteilung nun alle personalen Präferenzen gekannt werden müssten, um dann zu entscheiden, ob das fragliche Merkmal sich damit in Übereinstimmung befindet und eine vorbehaltlose Identifikation somit möglich wäre. Dies würde in die bei der Begründung der liberalen Variante vermeintlich abgewehrte Logik des infiniten Regresses führen, vermutlich deshalb, weil dann auch die als Basis dienenden personalen Merkmale wieder durch ihre Identifikation mit den anderen 192 193 194 195

A. a. o., 91 und passim. A. a. o., 91. A. a. o., 92. Pauen nennt das Beispiel eines Mörders, dem nach dieser Logik eine Tat dann nicht mehr zugeschrieben werden könnte, wenn er sich nicht vollständig damit identifiziert. Zu verfolgen ist allerdings die Frage, wann einem inneren Widerspruch das Attribut der Unfreiheit zuzuschreiben ist (a. a. o., 92 f).

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Merkmalen gesichert werden müssten usw. Es würde der identifikatorischen Variante zufolge nicht mehr reichen, anzunehmen, dass ein bestimmtes Merkmal prinzipiell selbstreferentiell thematisch werden kann. Zusätzlich müsste auch die eindeutige Qualität des diesbezüglichen Selbstverhältnisses gekannt werden.196 Die Kritik Pauens an der identifikatorischen Variante ist allerdings als problematisch einzustufen. Denn das anvisierte Problem des infiniten Regresses stellt sich für die identifikatorische Variante nur dann, wenn auch innerhalb des Selbst Widerspruchsfreiheit angenommen werden kann, wenn also so etwas wie ein harter Kern einer Person vorauszusetzen ist. Dies aber entspricht gerade nicht dem Konzept Pauens, da er ja von der Veränderbarkeit personaler Merkmale ausgeht und nicht von einem in sich geschlossenen Zentrum einer Persönlichkeit. Für die Identifikation mit einem Merkmal müssen nun aber nicht alle anderen personalen Präferenzen gekannt werden; es würde ausreichen, zu zeigen, dass das fragliche Merkmal innerhalb des Raumes liegt, den die anderen Merkmale vorgeben. Das könnte bei bestimmten Merkmalen durchaus relativ einfach zu beweisen sein und würde auch keineswegs immer die Kenntnis aller anderen Präferenzen voraussetzen. Auch der Fall der Nicht-Identifikation bei bestimmten Merkmalen, für die ein klarer Widerspruch mit anderen Präferenzen vorliegt, könnte deutlich aufgezeigt werden, ohne alle anderen Merkmale zu kennen. Der mögliche Regress gleicht eher einem hermeneutischen Zirkel, der von einer Person in kritischen Entscheidungsprozessen immer an einer bestimmten Stelle abgebrochen werden muss; denn im Sinne der Handlungspragmatik ist oft eine Festlegung zu treffen, auch wenn nicht in allen Fällen eine hundertprozentige Sicherheit bezüglich der Richtigkeit der Entscheidung bzw. der Übereinstimmung mit dem Selbst gegeben ist. Identifikation ist nicht nur möglich aufgrund schon einer analytisch feststellbaren Kompatibilität mit bestehenden Merkmalen; sie lässt sich auch als synthetisches Urteil einer Person verstehen, die sich auf etwas Neues einlassen will. Hier geraten wir nun allerdings in Widerspruch mit der Konzeption Pauens, der nur Präferenzen als konstitutiv gelten 196 »Die Situation ist hier einfach deshalb schwieriger als bei der liberalen Variante, weil es nun nicht mehr reicht zu wissen, ob eine Entscheidung überhaupt möglich wäre; vielmehr kommt es auf das konkrete Ergebnis der Entscheidung, nämlich auf die vorbehaltlose Zustimmung an. Will man wissen, ob eine Person zu einer solchen Zustimmung bereit ist, dann muss man die anderen personalen Präferenzen der Person kennen, bei denen sich wieder dasselbe Problem stellt.« (a. a. o., 92).

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lassen will, die schon eine gewisse Stabilität besitzen. Entscheidungen, die eine neue Präferenz zum Ausdruck bringen, könnten demnach nicht als frei bezeichnet werden.197 Um nicht den Zufall Regie führen zu lassen, muss hier wiederum festgestellt werden, dass die neue Präferenz im Rahmen der alten möglich, wenn auch noch nicht wirklich gewesen sein muss. Die Einführung des Zufallsfaktors aber wäre auch nicht im Sinne Pauens. Nicht nur Pauens Argumente gegen den infiniten Regress legen die Deutung nahe, dass er die identifikatorische Variante möglicherweise aufgrund einer zu starken Interpretation negativ beurteilt bzw. deuten auf mögliche Probleme in seinem Verständnis personaler Präferenzen hin. Denn es geht ihm nicht nur um das erkenntnistheoretische Problem der Erkennbarkeit der Übereinstimmung, sondern auch um die faktische Widerspruchslosigkeit innerhalb des personalen Selbst, das die identifikatorische Variante vorauszusetzen scheint. Wie Pauen richtig anmerkt, können Konflikte auch innerhalb der personalen Präferenzen auftreten.198 Das Selbst einer Person muss also nicht als widerspruchsfrei gedacht werden.199 Diese möglichen Konflikte scheinen nun allerdings nach Pauens Meinung der geforderten Vorbehaltlosigkeit zu widersprechen und den Sinn der identifikatorischen Variante zu torpedieren. Allerdings weist schon die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit, sich gerade angesichts von Konflikten mit einer Präferenz zu identifizieren, 197 Peter Bieri hat zurecht darauf hingewiesen, dass Wünsche - wir können mit Pauen auch formulieren: Präferenzen - »die das Selbstbild erzeugen, und diejenigen, die an ihm gemessen werden, nicht sauber getrennt« (ders., Handwerk der Freiheit, 401 f) werden können. Anders formuliert: »Es gibt kein Selbstbild, an dem wir das Selbstbild messen können.« (a. a. o., 401) bzw: »Das Selbst ist etwas, das sich erst durch Aneignung herausbildet.« (a. a. o., 414). Insofern Handlungen Ausdruck dieser ein neues Selbstbild erzeugenden Wünsche sein können, kann von Identifikation auch unabhängig von der exakten Übereinstimmung mit einem vorher zu identifizierenden Selbstbild gesprochen werden. Diesen Aspekt unterstreicht auch Dieter Henrich, wenn er davon spricht, dass Identität eines Menschen in der Binnenperspektive nicht in der Übereinstimmung mit einem bestimmten fixierten Bild bestehen kann, vielmehr »in der besonderen Balance zwischen seinen vielfältigen Identitäten.« Diese müsse »in jeder Handlungssituation aufs Neue bestätigt oder verändert werden« (ders., Denken und Selbstsein, 101). 198 Pauen, Illusion Freiheit, 93. 199 Vgl. die Auseinandersetzung mit der Annahme eines unabhängig von den Präferenzen gedachten »eigentlichen Selbst« (a. a. o., 93-96). Hier zeigt Pauen deutlich, dass das Selbst durchaus Veränderungen unterworfen sein kann, was bei einem in sich geschlossenen, widerspruchsfreien Personkern kaum der Fall wäre.

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auf einen wichtigen Aspekt hin. Denn für den Fall, dass eine differenzund konfliktlose Einheit vorausgesetzt wäre, müsste nicht mehr von Identifikation gesprochen werden. Abgesehen davon, dass dies anthropologisch nicht zu halten wäre, wäre die Annahme der Identifikation für diesen Fall in logischer Hinsicht eine Tautologie. Nur zwei Faktoren, die nicht von vornherein für identisch erklärt werden, können miteinander identifiziert werden. Somit könnte sich die Frage nach der Möglichkeit der Identifikation gerade zur Unterscheidung von Konflikten, die freiheitsstörend, und solchen, die im Rahmen der Freiheit sinnvoll zu denken sind, als Kriterium eignen. Von Vorbehaltlosigkeit kann und muss ja gerade dann gesprochen werden, wenn sich eine Person in einem synthetischen Urteil für eine mögliche Präferenz entscheidet200, auch und gerade dann, wenn es konfligierende Merkmale gibt. Die identifikatorische Variante kann sinnvoll verstanden jedenfalls nicht deshalb abgelehnt werden, weil sie ein widerspruchsfreies Selbst voraussetzt. Andererseits kann das Identifikationsprinzip auch bei personalen Präferenzen Sinn ergeben, die einem gewissermaßen aufgegeben sind, und gegen die man sich offenbar auch nicht entscheiden kann bzw. dies nur in einem sehr schwachen Sinne theoretisch denkbar wäre. Es geht also um Merkmale, die von der liberalen Begründungsvariante nicht erfasst werden konnten. Hier fordert nun die identifikatorische Variante, dass auch diese Merkmale zu den personalen Präferenzen zu zählen sind, die man zwar nicht ablegen kann, mit denen man sich aber, wenn sie Gegenstand einer Betrachtung und Entscheidung werden sollten, »vorbehaltlos«201 identifizieren würde. Es ist dabei an Präferenzen zu denken, von denen man sich zwar innerlich hypothetisch distanzieren kann und sie sich auf diese Weise zum Gegenstand macht, die aber sachlich so eng mit der Identität einer Person verknüpft sind, dass eine Entscheidung gegen die Präferenz nicht im Bereich des Möglichen liegt. Zu denken ist hier an Formen von Leidenschaften oder Überzeugungen, bei denen eine Veränderung der personalen Präferenzen gar nicht in den Blick geraten kann, weil zwar eine Distanzierung vorstellbar ist, aber keine solche, welche die fragliche Präferenz zum

200 Thomas Fuchs hat m.E. richtigerweise darauf hingewiesen, dass sich die Erfahrung von Kongruenz gerade in Entscheidungen ergibt, die nicht schon ex ante logisch aus den Präferenzen ableitbar waren; sie stellt damit ein integrales Moment des Entscheidungsprozesses selbst dar (siehe ders., Entscheiden, 110 f). 201 A. a. o., 91.

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Gegenstand einer rationalen Entscheidung machen würde.202 Denn wie Pauen selbst sinnvoll argumentiert, sind Personen eben nicht als rein rationale Wesen zu verstehen. Demnach müssten aber auch Präferenzen, die einer rationalen Entscheidung nicht oder nicht vollständig zugänglich sind, als Präferenzen anerkannt werden. Angesichts der Existenz solcher Merkmale zeigt sich, dass die Forderung der möglichen Veränderbarkeit zu einer leeren Formel werden kann, wenn die Möglichkeit keinerlei Anhalt mehr hat an der Struktur einer Person insgesamt. Eine derart verstandene identifikatorische Begründungsvariante würde auch nicht in Widerspruch mit den Grundannahmen Pauens geraten. Denn den basalen Prinzipien entsprechend muss eine Begründung ja so gewählt werden, dass sie »Fälle von externer Determination«203 auszuschließen in der Lage ist. Die identifikatorische Variante orientiert sich nun nicht an einem formalistischen Kriterium zur möglichen Abkehr von bestimmten Präferenzen, sondern fordert ein gewisses Maß Kohärenz, das zur Identifikation ausreicht, bzw. das sich in einer Entscheidung als (Freiheits-)Erfahrung einstellt.204 Ausgeschlossen aus dem Raum der Freiheit sind demnach nicht unveränderbare Präfe202 Man kann an Leidenschaften verschiedenster Formen denken, die allerdings oftmals auch schnell in lebensbestimmende Unfreiheit umschlagen können. Möglicherweise ist auch der christliche Glaube eine solche Überzeugung, die zwar nicht als irrational zu bezeichnen wäre, der aber auch nicht im letzten Sinne Gegenstand einer distanzierten, rationalen Entscheidung sein kann und dennoch als Lebensform der Freiheit zu bezeichnen wäre. Solche Formen hat Harry Frankfurt unter dem Stichwort »wholehearted committments« beschrieben (ders., The Faintest Passion); vgl. auch Peter Bieris Gedanken zu »leidenschaftliche[r] Freiheit«, (ders., Handwerk der Freiheit, 424 f.) bzw. das gerne zitierte Beispiel Dennetts, die Rede Luthers vor dem Wormser Reichstag: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders« (ders., Ellbogenfreiheit, 170), das auch Pauen kritisch bespricht. Seine Gegenargumente können allerdings nicht überzeugen. Er ist der Meinung, dass es sich bei Luthers Ausspruch keineswegs um eine freie Handlung gehandelt haben könne, da Luther ja eh ein Verfechter der Unfreiheit des Willens gewesen sei und er außerdem durch Gründe der Schrift sowie den Widerstand von Kaiser und Papst zu dieser Aussage gezwungen worden sei (ders., Illusion Freiheit, 113-115). Pauen übersieht dabei, dass es sich in Luthers Situation der Alternativlosigkeit keineswegs um einen freiheitsgefährdenden Zwang handelte, vielmehr um eine Handlung mit innerer Notwendigkeit, die sicherlich frei genannt werden kann, weil sie unmittelbar mit dem Zentrum von Luthers theologischer Überzeugung verbunden war. Darüber hinaus kennt Luther ja durchaus eine Handlungsfreiheit in welthaften bzw. mitmenschlichen Bezügen, wozu der Auftritt in Worms wohl durchaus gerechnet werden darf (siehe unten III, 2.5). 203 Pauen, Illusion Freiheit, 81. 204 Siehe Fuchs, FN 200.

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renzen, sondern solche, bei denen es gewissermaßen zu einem nicht aufzulösenden inneren Widerspruch kommt, wie es am stärksten bei diversen Formen von Suchtverhalten oder psychischen Krankheiten auftreten kann. Damit aber ist auch angezeigt, dass es sich hier nur um eine abgrenzende, kritische Bedingung handeln kann, noch nicht um eine hinreichende; denn Fälle von manipulierter Identifikation sind hier, wie in der ähnlich strukturierten Volitionentheorie Frankfurts, nicht ausgeschlossen. Die bleibende Differenz zwischen beiden Begründungen wäre nun darin zu sehen, dass es bei der liberalen Variante um eine mögliche Entscheidung gegen eine Präferenz geht, während die identifikatorische eine Entscheidung für die Präferenz fordert. In beiden Fällen ist die jeweilige Entscheidung wiederum abhängig von den anderen personalen Präferenzen. In gewisser Hinsicht ist die liberale Begründung in der Lage, mehrere Präferenzen zu integrieren, weil die Identifikation nicht unmittelbar gefordert, sondern nur mittelbar über die nicht vorgenommene Ablehnung geleistet wird. Das heißt, für die liberale Variante können auch Merkmale als konstitutiv gelten, die man akzeptiert und nicht zwingend abschaffen, mit denen man sich aber auch nicht unbedingt identifizieren würde.205 Formen der Indifferenz wie von latenten oder schwachen inneren Konflikten im Selbstverhältnis können in den Raum der Freiheit integriert werden. Unveränderbare Präferenzen hingegen, die nicht schon Formen des Zwanges zuzurechnen sind, sondern als gewollte Identifikation aus dem Kern der Persönlichkeit zu verstehen sind, werden nur von der identifikatorischen Variante erfasst. Die beiden Begründungsvarianten für personale Merkmale sind deshalb so wichtig, weil sich hier zeigen muss, was tatsächlich unter dem Selbst eines Menschen zu verstehen ist. In jedem Fall wird eine Form von wirksamem Verhalten zu sich selbst angenommen, um von Freiheit sprechen zu können. Personalität hat dabei nicht mit einem geschlossenen Personkern zu tun, sondern mit einem Raum von durchaus divergenten Merkmalen und Präferenzen. Die Dimension des Möglichen ist in eine Gesamtkonstellation personaler Präferenzen zu integrieren.

205 Dies ist bezüglich des Bereichs der angesprochenen Norm- und Pflichtverletzungen wichtig, die von der identifikatorischen Variante kaum erfasst würden.

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3.4.4 Kritik des Inkompatibilismus 3.4.4.1 Freiheit und alternative Möglichkeiten 1. Pointiert zum Ausdruck kommt die Annahme, dass eine Person im Normalfall über einen gewissen Spielraum im Selbstverhältnis, damit aber auch in ihren Handlungen verfügt, in der Annahme von alternativen Handlungsmöglichkeiten, wie sie das oben bereits angesprochene PAP206 beschreibt.207 Hier scheint sich also das Prinzip der Urheberschaft, demzufolge nach Pauen der Akteur in der Erklärung einer Handlung eine »kritische Rolle« spielen muss, zu manifestieren. Ein näherer Blick zeigt allerdings, dass das Prinzip selbst interpretationsbedüftig ist. Was heißt es, an einem bestimmten Punkt anders handeln zu können? Pauen geht einem sinnvollen Verständnis des Prinzips auf die Spur, indem er sich, wie auch an anderen Stellen, von Fehldeutungen absetzt und deren Widersinn deutlich zu machen versucht. Grundlegend ergibt das Prinzip nur dann Sinn, wenn man davon ausgeht, dass alternative Möglichkeiten unter identischen Bedingungen208 gedacht werden. Niemand würde bestreiten, dass andere Bedingungen auch andere Möglichkeiten mit sich bringen. Dieses Verständnis dürfte als trivial zu bezeichnen sein. Es kann, wenn das Prinzip eine tragende Rolle für das Freiheitsproblem spielen soll, nur um die Existenz verschiedener Möglichkeiten unter gleichen Ausgangsbedingungen gehen. Es stellt sich die Frage, was mit diesen Bedingungen gemeint und welches Verständnis von »Können« darin impliziert ist. Wie erwähnt muss die Interpretation der Bedingungen dem Pauen’schen Verständnis von Urheberschaft genügen, demzufolge sich eine Handlung sinnvoll nur unter Bezug auf die Person, mithin auf deren personale Präferenzen, erklären lassen können muss. Wenn es nun darum gehen soll, eine Handlung als Handlung einer Person zu beschreiben, dann kann mit Identität der Bedingungen nur die Identität der äußeren Umstände, wozu in diesem Fall auch die nicht-personalen Präferenzen einer Person zu zählen sind, gemeint sein. Nur wenn diejenigen Umstände, die 206 Principle of alternative possibilities. Vgl. zu dem Prinzip allgemein den grundlegenden Aufsatz von Frankfurt, Alternate possibilities, sowie die Diskussion bei Lohmar, Verantwortlichkeit ohne Willensfreiheit, 109-155. 207 Vgl. zum Folgenden: Pauen, Illusion Freiheit, 106-136. Es wird nicht jeder Gedankengang nochmals einzeln belegt. 208 Vgl. a. a. o., 109.

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nicht zur Person zu zählen sind, identisch sind, lassen sich eine Handlung und damit auch die entsprechenden Alternativen unter Bezugnahme auf die Person selbst erklären.209 Zentral ist dabei nun die schon hin und wieder angeklungene Frage, was in diesem Zusammenhang unter »können« zu verstehen ist; in klassischer Weise ist diese Frage von G.E. Moore in seiner so genannten konditionalen Analyse des Könnens behandelt, der zufolge von anders können dann gesprochen werden kann, wenn eine Person die prinzipielle Fähigkeit zu der fraglichen Handlung besitzt.210 Sie hätte demnach anders handeln können, wenn sie nur anders gewollt hätte. Wie Pauen zu Recht argumentiert ist mit diesem basalen Verständnis von Können noch keine Annahme von Alternativen in einem sachlich sinnvollen Sinne bewiesen, was ich oben bei der Frage nach den personalen Präferenzen zu zeigen versuchten. Denn die Rückkopplung an den Willen eines Menschen impliziert ja, dass er auch so wollen können muss. Hier 209 Dieser Grundsatz führt Pauen auch dazu, die Gedanken-Experimente Harry Frankfurts (vgl. oben S. 143) zu verwerfen, wonach alternative Möglichkeiten für die Annahme von Freiheit nicht von Nöten wären (vgl. a. a. o., 115-118, mit Bezug auf Frankfurt, Alternate Possibilities). Pauen kritisiert das Szenario Frankfurts nun deshalb, weil im kontrafaktischen Szenario, also dem Handlungsgang, in dem der Neurochirurg eingreift, keine identischen Ausgangsbedingungen mehr herrschen. Ein Eingriff von außen muss notwendigerweise als Veränderung der externen Bedingungen verstanden werden. Fraglich ist allerdings, ob er damit den Kern des trickreich formulierten Szenarios schon erfasst hat. Denn das Prinzip, wie es Pauen darstellt, nämlich dass gewinnbringende Alternativen nur möglich sind bei identischen äußeren Bedingungen, versucht ja dessen positiven Sinn zu entfalten, also zu sagen, wann Alternativen einen Zugewinn an Freiheit bedeuten. Die Frankfurtschen Szenarien zäumen das Pferd nun aber gerade von hinten auf und wollen zeigen, dass auch bei fehlenden Alternativen von moralischer Verantwortlichkeit und damit implizit auch von Freiheit gesprochen werden kann. Es geht Frankfurt darum, gegen die Notwendigkeit von Alternativen zu argumentieren, indem er ein Gegenbeispiel anführt, während Pauen die hinreichenden Bedingungen für ein sinnvolles Reden von alternativen Möglichkeiten formulieren will. Dennoch ist das Beispiel Frankfurts nur bedingt tauglich, das Problem der alternativen Möglichkeiten zu lösen oder etwas zur Klärung der Fragestellung beizutragen. Denn es ist durchaus zu bestreiten, dass die Person in einem relevanten Sinn keine alternativen Möglichkeiten hatte. Zwar war es ihr faktisch nicht möglich, anders zu handeln als sie tatsächlich gehandelt hat, aber sie hätte immerhin Überlegungen in dieser Richtung anstellen können. Hätten es ihr ihre personalen Präferenzen erlaubt, in eine andere Richtung zu denken, so muss zumindest der Ansatz dieses Denkens möglich gewesen sein. Denn nur in diesem Fall hätte der Manipulator überhaupt ein Anzeichen für sein Eingreifen gehabt. Damit aber ist dem Szenario insgesamt der Sinn genommen. 210 Siehe insgesamt Moore, Freier Wille.

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droht die Logik eines infiniten Regresses.211 Der hier vorausgesetzte Begriff von Können ist zu schwach. Dies zeigt sich auch daran, dass von Können in diesem Sinne immer auch dann die Rede ist, wenn eine Umsetzung der Fähigkeit in die Tat durch diverse Umstände nicht ermöglicht wird. Um eine solche Form von Können geht es aber in der Debatte um Willensfreiheit gerade nicht. Näher liege schon eine andere Verwendungsweise des Wortes, die ebenso alltäglich ist und die sich nicht auf Fähigkeiten oder Eigenschaften, sondern auf Ereignisse bezieht. »Hier sprechen wir davon, dass ein Ereignis passieren kann, wenn bestimmte Umstände es zulassen, dass es passiert.«212 Dieser Verwendungsweise zufolge beziehen wir uns mit dem Wort »Können« auf bestimmte notwendige Bedingungen, die eine Möglichkeit beschreiben, weil sie das Eintreten eines Ereignisses zulassen. Da damit noch keine hinreichenden Bedingungen gemeint sind, kann es andere Umstände geben, die das Eintreten des Ereignisses verhindern. Die somit bezeichneten Konditionen stecken also einen Rahmen ab, innerhalb dessen das Eintreten eines Ereignisses möglich ist. Wenn etwas in diesem Sinn passieren kann, dann kann es genauso gut geschehen, dass es nicht passieren wird.213 Die Verwendungsweise

211 Ähnlich argumentiert auch Ansgar Beckermann (ders., Haben wir einen freien Willen?): »Wenn man nun erwidert [gegen die Kritiker der konditionalen Analyse], dass man auch die Fähigkeit, sich für eine Handlung zu entscheiden, konditional analysieren kann, dann stellt sich das Problem in derselben Form wieder; d. h., dann gerät man in einen infiniten Regress.« Moore argumentiert gegen den Vorwurf, dass sein Verständnis von Können zu schwach sei und nicht nur eine Form der Handlungs-, sondern auch der Entscheidungsfreiheit notwendig sei, folgendermaßen. Wenn wir annehmen, wir würden anders handeln, wenn wir uns anders entschieden hätten, so lässt sich das Prinzip des »Anders-Entscheiden-Könnens« auch auf das Entscheiden selbst anwenden: »Ich glaube, es trifft zweifellos oft zu, dass wir uns entschieden haben würden, etwas Bestimmtes zu tun, wenn wir uns entschieden hätten, diese Entscheidung zu treffen, und dass dies ein sehr wichtiger Sinn ist, in welchem es oft in unserer Macht steht, eine Entscheidung zu treffen.« (Moore, freier Wille, 154). Es ist Moore Recht zu geben, dass wir in dem von ihm skizzierten Sinne, nämlich im Rahmen unserer allgemeinen Fähigkeiten, immer auch anders könnten. Der hier vorausgesetzte Spielraum, der sich hinter dem Stichwort »anders« verbirgt, kann aber unter Umständen so klein sein bzw. im Falle von starkem Suchtverhalten im Prinzip völlig verschwinden, dass von Freiheit nicht mehr die Rede sein kann. Andererseits wurde auch schon darauf hingewiesen, dass die Größe eines Spielraums nicht zwingend auf den Grad der Freiheit schließen lässt. 212 Pauen, Illusion Freiheit, 120. 213 Geert Keil hat m.E. zu Recht darauf hingewiesen, dass auch diese Formulierung noch nicht die Pointe der Fragestellung erfasst, geht es doch bei PAP im libertarischen

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legt sich nicht auf einen Ausgang fest. In diesem Sinn sei es laut Pauen richtig, zu sagen, dass etwas anderes hätte passieren können, respektive dass jemand hätte anders handeln können. Die Frage ist, ob damit schon das spezifische Problem des menschlichen Anderskönnens erreicht ist. Pauen geht daher auch der »strengen« Fassung des Prinzips der alternativen Möglichkeiten nach, wie es inkompatibilistische Versionen voraussetzten. Hier wird mit dem Wort »können« assoziiert, dass »sämtliche Bedingungen«214 erfüllt sind, die für das Eintreten eines Ereignisses notwendig sind. Problematisch ist allerdings, dass hier der Unterschied zwischen »können« und »werden«, mindestens in einer deterministischen Welt, verschwindet. Sind alle Bedingungen erfüllt, dann tritt das Ereignis mit Notwendigkeit ein. Man müsse zu dem Schluss kommen, dass wir es in diesem Fall mit einer alltagssprachlich und logisch inadäquaten Identifizierung von »werden« und »können«, oder zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit zu tun hätten.215 Das zentrale Problem ist nun allerdings für Pauen nicht die gerade erörterte Schwierigkeit, sondern es sind die Konsequenzen, die hinsichtlich der Interpretation der Willensfreiheit aus einer starken Deutung des Prinzips der alternativen Möglichkeiten zu ziehen sind. Denn nach dieser Version müsste bei identischen Bedingungen, und zwar inneren wie äußeren, auch ein anderer Ausgang möglich sein. Diese Annahme birgt große Schwierigkeiten. Denn wenn eine Handlung als Handlung einer Person erklärbar bleiben soll, dann muss sie sich auf deren Merkmale – oder in der Diktion Pauens – auf die konstitutiven »personalen Präferenzen« zurückführen lassen. Diese Merkmale würden in der Logik des gerade vorgeführten Verständnisses ebenfalls zu den Umständen zählen. Hier gerät man nun allerdings in einen für Pauen unauflösbaren Konflikt: Entweder lässt sich eine Handlung mit Bezug auf die Person erklären, d. h. es muss ein Bezug auf die Präferenzen, und damit auf die Umstände, erkennbar sein, dann kann es zu ihr auch keine Alternativen geben. Oder es sind unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten anzunehmen, dann aber können diese nicht mehr Sinne darum, »dass es nichts gab, was eine andere Entscheidung unmöglich gemacht hätte« (ders., Willensfreiheit, 61). 214 Pauen, Illusion Freiheit, 124. 215 »Wenn man [...] von ‘können’ nur sprechen soll, sofern keine Hindernisse verblieben sind, dann muss man auch zufällig eintretende Hindernisse ausschließen. Damit könnte man aber auch in einer indeterminierten Welt nicht mehr behaupten, dass nicht geschehene Ereignisse hätten passieren können;« (a. a. o., 125).

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auf die Person zurückgeführt werden, weil gegenteilige Optionen nicht gleichzeitig den Präferenzen entsprechen können.216 An dieser Stelle zeigt sich nun das schon verschiedentlich angeschnittene Grundproblem der Argumentation Pauens. Man wird für manche Fälle zustimmen müssen, dass sich nicht gegenteilige Handlungen auf Präferenzen einer Person als freie Handlungen zurückführen lassen: in Pauens Beispiel das Stehlen von Ware oder das gewissenhafte Bezahlen (FN 216). Allerdings erscheint es auch hier denkbar, den Konflikt, und somit auch u. u. beide, gegensätzlichen Optionen der Person zuzurechnen.217 Man kann jedenfalls nicht ausschließen, dass die Präferenzen selbst verschiedene Optionen ermöglichen, die sich zwar unterscheiden, die sich aber nicht antagonistisch gegenüber stehen müssen. Es dürfte schwer zu bestreiten sein, dass die konstitutiven Merkmale einer Person in den meisten Fällen einen Rahmen abstecken, innerhalb dessen verschiedene Optionen denkbar sind. Dies gilt zumindest dann, wenn sie rational zugänglich sind. Selbiges hatte ich oben auch im Sinne der Veränderbarkeit von Präferenzen als Voraussetzung angenommen. Es ist vorauszusetzen, dass personale Präferenzen einen Spielraum ermöglichen und daher nicht zwingend gleich auf den Zufall rekurriert werden muss, wenn personale Präferenzen mehrere Möglichkeiten offen lassen.218 Es ist davon auszugehen, dass sich eine Entscheidung anhand interner Bewertungen und Intentionen vollzieht, die auf die Präferenzen zurückgehen und daher mitnichten als Zufall zu beschreiben wären. Nach Pauen selbst ist ja der Sinn von Präferenzen, die kritische Rolle einer Person in der Entscheidung für eine Handlung auszusagen. Diese kritische Rolle allerdings lässt sich nun sicher nicht nur im Zusammenhang deterministischer Kausalverhältnisse beschreiben, die einer Person immer nur eine Möglichkeit lassen. Die Feststellung Pauens, dass nicht-determinierte Ereignisse in der Frage nach Handlungsalter216 »Nur eine miserable Erklärung ist verträglich mit zwei gegensätzlichen Explananda. Wenn man also tatsächlich zeigen kann, dass es meinen Präferenzen entspricht, die Waren unter diesen Bedingungen zu bezahlen und nicht zu stehlen [Das Beispiel Pauens ist die Situation eines durch die Umstände leicht gemachten Diebstahls von Waren in einem Supermarkt], dann dürfte es schwer fallen, zu zeigen, dass es eben diesen Präferenzen auch entspricht, die Waren zu stehlen und nicht zu bezahlen. Ist dies aber möglich, dann lässt sich die Handlung bzw. die Entscheidung in dem Alternativszenario nicht auf mich als ihren Urheber zurückführen.« (a. a. o., 128). 217 Vgl. unten zu Kane, 4.3.4. 218 Vgl. Pauen, Illusion Freiheit, 129. Gegen die Alternative von Determinismus und Zufall argumentiert auch O’Connor, The Agent as Cause, 203.

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nativen nicht weiter helfen, »weil Ereignisse, die nicht determiniert sind, auch nicht durch den Handelnden determiniert sein können«219, ist demnach gegenstandslos. Es sind ja die Alternativen nur dann als echte Handlungsalternativen der Person zu bezeichnen, wenn sie sich nicht nur aufgrund der Umstände ergeben, sondern im offenen Selbstverhältnis der Person begründet sind. Würde man die Identität der Umstände, äußerer wie innerer, in einer sehr strikten Variante verstehen, und ein deterministisches Weltbild voraussetzen, so ist das Argument zwingend. Bei absoluter Identität aller Variablen, zu denen dann sämtliche Details des Zustands einer Person zu zählen wären, ist die Existenz alternativer Möglichkeiten in der Tat nicht mehr vorzustellen. Doch ein deterministisches Menschenbild müsste erst eigens begründet werden; aber wenn ich recht sehe, so ist dies gar nicht das relevante Problem in Bezug auf die Frage nach menschlicher Freiheit. Hier geht es ja, wie Pauen nicht müde wird zu betonen, um die Frage der Rückführbarkeit einer Handlung auf eine Person unter Bezugnahme auf deren personale Präferenzen. Nicht angestrebt ist die Korrelierung mit sämtlichen Details des Zustandes einer Person, auch im physiologischen oder neurologischen Sinne. Wie Pauen selbst argumentiert, sind personale Präferenzen nur sinnvoll zu verstehen als Merkmale mit der Qualität, Typisches einer Person zum Ausdruck zu bringen, aber nicht als Index determinierender Faktoren.220 Der Einwand würde, das muss konzediert werden, Pauen selbst wohl nicht überzeugen, geht er doch im Rahmen seines naturalistischen Welt- und Menschenbildes davon aus, dass alle personalen

219 Pauen, Illusion Freiheit, 130. 220 Thomas Buchheim hat den angesprochenen Grundgedanken in ähnlicher Weise vertreten, indem er die Kontinuierung einer Handlung mit dem Zustand einer Person in der Kategorie »dynamischer Brückenschläge« aufgrund eines bestimmten Vermögens kategorial unterscheidet von der »Kontiguität geometrischer Punktmengen« (ders., Freiheit als qualitative Auszeichnung, 21) bzw. der »Einwegigkeit natürlich-mechanischer Ursachen« (a. a. o., 22). Personales Handeln müsse sich daher nicht in den Kategorien der Notwendigkeit und Alternativlosigkeit beschreiben lassen (vgl. auch a. a. o., 24 f). Ähnlich verläuft auch die Argumentation von Pietrek, der sich dagegen ausspricht, Personen, die er als »Instanz eines Allgemeinen« (ders., Personen sind als Instanz eines Allgemeinen frei) versteht, auf einen raumzeitlichen Punkt bzw. auf ein Einzelding zu reduzieren (siehe die kurze Zusammenfassung, a. a. o., 47). Grundsätzliche, berechtigte Kritik an der Extrapolierbarkeit des Determinismus auf andere (kulturelle) Bereiche übt Gottfried Seebaß, Signifikanz, 244.

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Präferenzen neuronal »realisiert«221 sein müssen, und daher auch (quasi-) deterministischen Gesetzen unterliegen bzw. unterliegen müssen, um überhaupt der Person zuschreibbar zu sein.222 Alle Ursachen müssten sich nach Pauen in ein wissenschaftliches Weltbild einfügen lassen, und daher müssen auch für unsere Willensentscheidungen physikalische Ursachen anzugeben sein.223 Pauen pointiert diese Auffassung insbesondere im Gegenüber zur Existenz immaterieller Seelen oder Geister, die gewissermaßen aus heiterem Himmel auf physische Prozesse Einfluss nehmen können.224 Dies allerdings ist, was Pauen nicht deutlich zu machen versteht, nicht das hier zu verhandelnde Problem. Dass personale Eigenschaften auf neuronalen Prozessen basieren, dürfte niemand bestreiten.225 Die Frage ist aber, ob auch auf der viel komplexeren Ebene des Personseins deterministische Gesetze beschrieben werden können,226 bzw. wie sich eine mögliche Determination durch neuronale Vorgänge zur Bestimmtheit durch personale Präferenzen verhält.227 Indem die deterministischen Zusammenhänge auch auf der Ebene der personalen Präferenzen angenommen werden, wird eine wichtige Differenz unterschlagen. Denn der Begriff personaler Präferenzen, dessen Einführung zur Klärung der Problemlage als sinnvoll anzusehen ist, muss kategorial von determinierenden Kausalursachen unterschieden werden, weil er einen völlig anderen Phänomenbereich in den Blick nimmt. Für die Zuschreibbarkeit von Handlungen ist auf dieser Ebene die Unterstellung einer deterministischen Logik definitiv nicht

221 Pauen/Roth, Freiheit Schuld Verantwortung, 41 und passim. 222 Vgl. Pauen/Roth, Freiheit Schuld Verantwortung 37-40. Die Autoren treffen keine definitive Aussage darüber, ob das Gehirn tatsächlich deterministisch arbeitet. Es wird davon gesprochen, dass Gehirn als ein »quasideterministisches System verstanden werden kann« (a. a. o., 38), was soviel bedeutet dass zufällige, also indeterminierte, aber letztlich unwirksame Schwankungen innerhalb der neuronalen Aktivität auftreten können (vgl. a. a. o., 110 f). Es wird aber vorausgesetzt, dass, um von Freiheit reden zu können, Determinationsbeziehungen vorauszusetzen sind, weil nur in diesem Fall Handlungen zuschreibbar wären. 223 Vgl. Pauen, Freiheit – Natürliche Eigenschaft, 53. 224 Vgl. Pauen, Was ist der Mensch, 40 und passim; ders., Gründe, 140 f. 225 Ob diese wirklich deterministisch verlaufen, ist ja eine offene Frage, die experimentell nicht geklärt ist und die Pauen auch nicht beantworten will. 226 Gerhard Roth hat dies – wie gesehen – bejaht (FN 75). 227 Mit dieser Frage ist das komplexe Leib-Seele-Problem angesprochen, das hier nicht ausführlich diskutiert werden kann. Ich konzentriere mich hier auf die Frage nach der Adäquatheit der Phänomenbeschreibung durch Pauen.

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notwendig.228 Es leuchtet daher auch nicht ein, dass hier jeweils nur eine als frei zu bezeichnende Handlung zur Verfügung steht, die wir der Person zuschreiben können. Vielmehr ist auch bei identischen inneren Bedingungen, nämlich verstanden als die Identität personaler Präferenzen, von alternativen Möglichkeiten zu sprechen, weil die Präferenzen selbst einen Möglichkeitsspielraum bieten. Die dem Problem von Pauen verliehene defizitäre Logik ist vermutlich auch der Tatsache geschuldet, dass er die Frage nur als ein Problem der Vergangenheit behandelt, und analog auch die Lösung so formuliert. Demnach wäre davon auszugehen, dass eine Person dann hätte anders handeln können, wenn sie andere Präferenzen gehabt hätte. Diese Art von Beschreibung aber bewegt sich immer schon im Rückblick, und damit im Kontext kausaler Erklärungsmuster. Geert Keil hat pointiert darauf aufmerksam gemacht, dass nur im Kontext einer solchen Behandlung überhaupt auf die Identität der Umstände insistiert werden muss.229 Demgegenüber erscheint es selbstverständlich, dass verschiedene Möglichkeiten in der Gegenwart – und hier ist das Problem virulent – überhaupt immer nur unter bestimmten Umständen gegeben sind. Die Erklärungsperspektive setzt personale Präferenzen nun aber phänomeninadäquat als eine Art Zustand voraus, dem dann eine bestimmte Handlung zu entsprechen hat. Dies wird dem dynamischen Charakter von Personalität nicht gerecht. Andererseits: Das Urheberprinzip, um dessen Geltung es in der Argumentation Pauens geht, lässt sich problemlos auch dann halten, wenn personale Präferenzen eine Handlung nicht felsenfest determinieren. Besitzt eine Person das Vermögen, sich zu diesen Präferenzen zu verhalten, so ist es durchaus richtig, zu sagen: »Wer kann, der kann auch anders.«230 Die von Pauen vorgenommene Extrapolation deterministischer Erklärungsmuster jedenfalls ist nicht notwendig. Ob sie

228 Pauen selbst äußert sich ja gegenüber der Existenz des Determinismus indifferent; es geht daher an dieser Stelle auch nicht um die Existenz deterministischer Zusammenhänge, sondern um die notwendigen Voraussetzungen für eine konsistente Theorie. 229 Vgl. insgesamt die Kritik bei Keil, Willensfreiheit, 90. 230 Buchheim, Wer kann, der kann auch anders; ähnlich argumentiert auch Keil im Rahmen seines »fähigkeitsbasierten Libertarismus« (ders., Willensfreiheit, 118 und passim), wobei die Fähigkeit anders zu können dem Handlungsbegriff als solchem eingeschrieben wird: »Anderskönnen [heißt] nichts anderes als überhaupt handeln können.« (a. a. o., 89).

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theoretisch möglich ist, wäre ein eigenes wissenschaftstheoretisches Problem. Empirisch ließ sie sich jedenfalls nicht nachweisen.231 3.4.4.2 Freiheit und Kontrolle – das Konsequenzargument Das zentrale Argument gegen die Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus ist das so genannte Konsequenz-Argument, mit dem sich Pauen ausführlicher auseinandersetzt und von dem er zu zeigen versucht, dass es eine inkompatibilistische Position nicht zu begründen in der Lage ist. Das Argument besagt, dass, wenn der Determinismus wahr ist, unsere Handlungen das Ergebnis von naturgesetzlich ablaufenden Ereignissen in der Vergangenheit, auch vor unserer Geburt, sind. Da wir diese Ereignisse nicht kontrollieren konnten, können wir in unseren Handlungen nicht frei sein.232 Wie Pauen einleuchtend argumentiert, sitzt das entscheidende Problem am so genannten Transferprinzip (zuweilen auch β-Regel genannt) des Konsequenz-Argumentes. Dass sich die Vorgeschichte, die uns als Person prägt und damit auch unsere Handlungen mindestens beeinflusst, aktuell unserer Kontrolle entzieht, dürfte allgemein zustimmungsfähig sein. Dem Transferprinzip ist nun aber, wenn die Vorgeschichte vollkommen außerhalb der Kontrolle des Subjektes liegt, auch das Ergebnis dieser Geschichte, also die Handlung selbst, unverfügbar.233 Es liegt nahe, dass sich die Interpretation des Arguments daran entscheidet, was man in dem diskutierten Zusammenhang sinnvollerweise unter Kontrolle verstehen kann, insbesondere ob Kontrolle hier ein Gegenbegriff zur Annahme deterministischer Gesetze sein kann. Pauen argumentiert dafür, dass weder ein alltagssprachlicher, so genannter schwacher Begriff von Kontrolle, noch ein anspruchsvoller in der Lage wäre, das Konsequenz-Argument zu stützen. Dem alltags231 Vgl. die Ergebnisse der Experimente Libets und seiner »Nachfolger«, siehe oben 1.1. 232 In der ursprünglichen, von Pauen zitierten Fassung durch Peter van Inwagen lautet das Argument folgendermaßen: »Wenn der Determinismus zutrifft, dann sind unsere Handlungen die Konsequenzen von Naturgesetzen und Ereignissen in der fernen Vergangenheit. Aber es hängt nicht von uns ab, was vor unserer Geburt passierte, und es hängt ebenfalls nicht von uns ab, wie die Naturgesetze sind. Dies bedeutet, dass die Konsequenzen dieser Umstände (einschließlich unserer gegenwärtigen Handlungen) nicht von uns abhängen.« (Van Inwagen, An Essay on Free Will, 16,56). Vgl. auch ders., Free Will Remains a Mystery. 233 Pauen, Illusion Freiheit, 139.

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sprachlichen Begriff nach implizieren wir unter Kontrolle drei Aspekte: die Möglichkeit zur Einflussnahme auf einen Prozess, die Orientierung des Handelns an einer bestimmten Zielgröße, und die Überwachung des Prozesses in Bindung an die anvisierte Zielgröße. Dieser Begriff von Kontrolle bleibt nach Pauen auch dann in Geltung, wenn die zu kontrollierende Situation vorausgehenden Einflüssen unterliegt. Es ist ihm rechtzugeben, dass die aktuale und zielführende Kontrolle eines Prozesses entscheidend ist, nicht eine Kontrolle über die Vorgeschichte, die ja im Moment eh vergangen ist. Dennoch handelt Pauen die Frage nach der Zielvorgabe allzu schnell ab. Sicherlich kann von Kontrolle gesprochen werden, wenn ein Szenario derart gesteuert wird, dass eine bestimmte Zielvorgabe erreicht wird. Zu bezweifeln ist aber, ob dies in allen Fällen zutrifft, nämlich auch immer dann, wenn die Zielvorgabe nicht selbst gewählt wurde bzw. wenn sie mit Notwendigkeit aus der Vergangenheit hervorgeht. Die unfreiwillige Orientierung an einem vorgegebenen Ziel kann die Rede von Freiheit sicherlich in Frage stellen. Beispielsweise könnte die Orientierung am Unternehmensziel »Gewinnmaximierung« von einem Mitarbeiter durchaus als Einschränkung der Freiheit empfunden werden, wenn er dadurch zu Handlungen veranlasst wird, die seinen persönlichen Zielen bzw. Präferenzen nicht entsprechen, etwa zum inhumanen Ausnutzen von Mitarbeitern mit dem Ziel der Kostensenkung. Dennoch dürfte auch in einem solchen Fall nicht schlichtweg das Attribut der Freiheit abgesprochen werden, da die betreffenden Handlungen möglicherweise dafür einer anderen Präferenz entsprechen könnten, in unserem Beispiel etwa der Präferenz »Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes« in Kombination mit »Absicherung der Familie«. Das gegebene Beispiel mag das Problem, das mit der Akzeptanz und dem selbstbestimmten Stecken von Zielen verbunden ist, deutlich machen. Es zeigt sich vor allem aufgrund der uns Menschen aufgegebenen Problematik der Zielkonkurrenz, dass sich das Attribut Freiheit nicht in der aktualen Kontrolle eines vorgegebenen Zieles erschöpfen kann. Allerdings empfinden wir nicht jedes vorgegebene Ziel als freiheitsstörend, entweder weil wir uns vollständig damit identifizieren können oder weil wir uns guten Willens damit abgefunden haben, dass unsere Zielvorstellungen immer gewissen Rahmenbedingungen unterliegen, die wir wiederum nicht in der Hand haben. Problematisch wird uns die Abhängigkeit von Bedingungen dann, wenn wir uns als einer fremden Notwendigkeit unterworfen empfinden. Es deutet sich an, dass die Attribute Freiheit und Unfreiheit nicht in allen Fällen im schlichten

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Ja-Nein-Modus zuzuschreiben sind, sondern dass in gewisser Hinsicht oftmals von beidem die Rede sein muss. Eine weitere Präzisierung ergibt sich, wenn wir die Pauen’sche Analyse eines anspruchsvolleren Begriffes von Kontrolle betrachten. Ist für die Rede von Freiheit nicht ein solcher Begriff von Kontrolle nötig, der etwa auch Kontrolle über die leitenden Ziele beinhalten könnte? Pauen zufolge müsste eine stärkere Version entweder implizieren, die Naturgesetze kontrollieren zu können, was schon begrifflich unmöglich ist, oder man müsste die Kontrolle über die Vorgeschichte annehmen. Der kategorische Ausschluss der ersten Option ist sicherlich stimmig. Allerdings offenbart die Formulierung auch ein bestimmtes, hinterfragbares Verständnis von Determinismus und Naturgesetzlichkeit. Streng genommen dürfte an dieser Stelle nicht von Kontrolle über Naturgesetze die Rede sein, sondern von Kontrolle über naturgesetzlich ablaufende Prozesse. Denn was kontrolliert werden sollte, können ja nicht die Gesetze selbst sein, sondern nur die ihnen zu Grunde liegenden Abläufe.234 Dass Pauen aber zwischen beidem nicht differenziert, zeigt deutlich, dass er Determinismus hier nicht als heuristischmethodisches Prinzip im Kontext naturwissenschaftlicher Epistemologie versteht, sondern als ontologisches Programm, das gewissermaßen identisch erscheint mit dem Ablauf der Welt an sich. Dieses Verständnis wäre freilich noch eigens zu thematisieren. In den Augen Pauens kommt nun allerdings nur die zweite Alternative in Frage. Eine solche Form bezeichnet Pauen als »exklusive Kontrolle«235. Diesem Begriff gemäß müsste »sich auch die Vorgeschichte der Faktoren, die in dieser Erklärung eine kritische Rolle spielen, vollständig auf die Person zurückführen lassen«236. Folgt man dieser Interpretation müsste von der Möglichkeit der Initiation neuer Kausalketten ausgegangen werden. Für eine deterministische Welt aber sei eine solche Initiation nicht denkbar. Pauen argumentiert, dass ein sinnvolles Verständnis solcher Kontrolle auch in einer indeterminierten Welt nicht vorzustellen sei. Entweder sei eine Handlung auf eine Person zurückzuführen, dann wäre sie in gewisser Weise determiniert durch deren Überzeugungen, Wünsche etc. Oder eine Handlung ist indeterminiert,

234 Geert Keil hat richtigerweise formuliert: »Gesetze schreiben niemandem etwas vor, was zu geschehen hat, sondern sie beschreiben, was geschieht.« (ders., Willensfreiheit, 28). 235 Pauen, Illusion Freiheit, 146 und passim. 236 A. a. o., 147 (Hervorhebung B. B. ).

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dann ist sie aber auch nicht auf die Person, die sich nur durch ihre konstitutiven Merkmale auszeichnen kann, zurückzuführen. Auch wenn man Pauen zustimmen muss, dass die Bedingtheit menschlichen Handelns noch längst nicht den Ausschluss von Freiheit meinen kann, so ist doch die Disposition des Themas problematisch. Zu fragen ist, ob nicht jenseits der beiden Alternativen Determination und Zufall die Möglichkeit der Formulierung eines sinnvollen Begriffs von Kontrolle besteht,237 der die eigenständige Bezugnahme auf normative Sachverhalte und die Fähigkeit zu autonomer Zielsetzung und entsprechendem Handeln integrieren kann.238 Dieses Verständnis dürfte sich nicht darauf beschränken, gewissermaßen nur aus bestimmten Umständen das Beste zu machen, sondern müsste auch die Möglichkeit beinhalten, äußere Umstände und Vorgaben zu reflektieren und gegebenenfalls handelnd zu beeinflussen (und in diesem Sinn dann auch neue Kausalketten zu starten). Es ist zu betonen, dass auch nicht alle libertarischen Positionen, die, wie es etwa Robert Kane tut, von »Letztverantwortung« sprechen, damit die völlige Indeterminiertheit oder das Starten am Nullpunkt meinen.239 Sie können jedenfalls nicht schlichtweg mit dem Hinweis darauf, dass bei einer solchen Form von Handlung kein Bezug mehr zur Person vorliege, verabschiedet werden.240 Es zeigt sich, dass ein anspruchsvoller Begriff von Freiheit zu Differenzierungen nötigt, die Pauen im Rahmen seiner relativ starren Alternativen nicht integrieren kann. Eine Vertiefung des Pauen’schen Freiheitsverständnisses erschließt sich aus seiner Diskussion des Problems der Manipulierbarkeit eines Menschen. Kann von Freiheit auch dann noch gesprochen werden, 237 Den in die Enge führenden Charakter dieser falschen Alternative kritisiert auch Becker, Bewusstseinsfalle, 206. Ähnlich – wenn auch nicht unmittelbar auf Pauen bezogen, die Kritik von Reischies, Amplifikation stochastischer Effekte, 117. 238 Als klassisches Beispiel sei Immanuel Kant genannt, der als wesentliches Implikat ethischer Freiheit nennt, sich selbst Zwecke, also handlungsleitende Intentionen zu setzen (vgl. ders., GMS, A6 f sowie Slenczka, Virtutibus nemo male utitur, v. a. 186189). 239 Vgl. zusammenfassend Keil, Willensfreiheit, 92 ff. 240 Pauen wendet sich gegen die Vorstellung der Letztverantwortung mit dem Argument, dass der »Urheber der Handlung gleichzeitig der Urheber aller die Handlung determinierenden Antezedenzien« (ders., Freiheit – eine natürliche Eigenschaft, 60) sein müsste. Dies ist aber, wie sich noch zeigen wird, nicht das Argument Kanes. Vielmehr geht es darum an bestimmten Punkten einer Biographie Entscheidungen zu treffen (»self-forming-willings«), die nicht vollständig determiniert sind. Dies bedeutet aber nicht, dass die Person alle Bedingungen unter Kontrolle haben muss.

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wenn zwar Handlungen auf personale Merkmale zurückzuführen sind, diese Präferenzen aber einer Manipulation der Persönlichkeit geschuldet sind? Damit ist eines der zentralen Gegenargumente gegen den Kompatibilismus in den Ring geworfen. Pauen ist der Ansicht, dass das skizzierte Problem mit den bisherigen Kriterien gelöst werden kann. Denn entweder ist auch nach der Manipulation bei der Person eine Instanz erhalten, die er »normatives Bezugssystem«241 nennt, dann wäre nach Pauen der Person auch nach der Manipulation noch die Möglichkeit zu kritischer Distanznahme und entsprechend freiem Verhalten geblieben. Wäre andererseits das normative Bezugssystem nicht mehr vorhanden bzw. auch der Manipulation anheim gefallen, so wäre nach Pauen hier nicht mehr von derselben Person zu reden, vielmehr wäre die Identität der Person gewissermaßen ausgetauscht und das Problem hätte sich für die »alte« Person erledigt. Diese Bedingung würde nach Pauen genau dann erfüllt, wäre »das gesamte normative Bezugssystem in dem Sinne verändert, dass keine Diskrepanzen zu der veränderten Überzeugung auftreten«242. Die Veränderung müsste demnach so radikal vonstatten gehen, dass das Auftreten der neuen Präferenz, in Pauens Beispiel das exakte Gegenteil der Vorherigen, zu keinerlei inneren Konflikten oder Widersprüchlichkeit führt. Die Annahme dieses unversehrten normativen Bezugssystems allerdings ist als problematisch einzustufen. Es ist schwer vorstellbar, wie personale Präferenzen in ihr Gegenteil verkehrt werden sollten (etwa die Ablehnung von Diebstahl im Beispiel Pauens), ohne dass dabei die normativen Leitlinien einer Person tangiert würden. Es stellt ja die Veränderung der Präferenz Ablehnung von Diebstahl hin zu Duldung/Befürwortung selbst schon eine normative Veränderung dar. Darin dürfte ja gerade ihr manipulativer Charakter bestehen, ohne dass dabei gleich das gesamte Normensystem verändert worden sein müsste. Jede Veränderung einer personalen Präferenz im Sinne Pauens bringt auch eine Veränderung des Ganzen mit sich, wozu auch die normativen Leitlinien zu zählen sind. Die Stellung dieser neuen Präferenz zum Ganzen müsste aber erst wieder neu ermittelt werden. Anders gesagt: Die Kontinuität zur Person im vorangehenden Zustand kann nicht in der völligen Identität der handlungsleitenden

241 Pauen, Illusion Freiheit, 157 und passim. 242 A. a. o., 160.

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Normen liegen.243 Es steht durchaus auch in der Logik Pauens, sagt er doch an anderer Stelle, wie des Öfteren herausgestellt, dass die Annahme eines »eigentlichen Selbst«, das unabhängig von den personalen Präferenzen existiert, logisch inkohärent sei. Genau diese Annahme setzt er aber mit der Einführung des normativen Bezugssystems voraus. Entgegen seinen Prinzipien ist für Pauen die Annahme freier Handlungen damit doch an die Existenz eines irgendwie gearteten, stabilen Persönlichkeitskerns gebunden, der sich von den veränderbaren einzelnen Präferenzen noch einmal unterscheiden lässt. Zu erörtern ist im Folgenden, welche Konsequenzen diese Einsicht für die Tragweite seiner Argumentation zu Gunsten eines personalen Verständnisses von Freiheit hat. 3.4.4.3 Das Verhältnis von Freiheit und Determinismus Pauen sucht seine kompatibilistische Position zu erhärten, indem er – und dies ist ein charakteristischer Grundzug seiner Argumentation – deren Gegenteil, also die Auffassung, dass Freiheit nicht mit durchgängiger Determination zusammen zu denken sei bzw. dass die Aufhebung der Determination Freiheit erst ermögliche, zu entkräften sucht. Er intendiert zu zeigen, dass diese Logik keinen Zugewinn an Freiheit brächte. Dabei diskutiert er vier Optionen, will sagen vier verschiedene, mögliche Zeitpunkte der Indetermination, also der Unterbrechung der ansonsten als lückenlos gedachten Kausalkette eines menschlichen Lebens. Dabei ist es notwendig, die Kausalkette an einem kritischen Punkt abzuschneiden, also an einer für den Ausgang der zu untersuchenden Handlung entscheidenden Stelle, sodass das Ergebnis der Handlung aufgrund der Indetermination unvorhersehbar wird. Es erscheint zunächst einleuchtend, dass die Aufhebung der Determination zu einem Zeitpunkt vor der Geburt keinen Zugewinn an Freiheit brächte, da sie sich hier nicht auf personale Präferenzen einer Person beziehen kann. Der zweite von Pauen diskutierte Zeitpunkt liegt in der Kindheit einer Person (in Pauens Beispiel am zehnten Geburtstag), also an einer Stelle der Entwicklung, an der sich prinzipiell die Nutzung verschiedener Möglichkeiten durch die Person denken lässt. Ist hier durch die Aufhebung der Determination ein Zugewinn an Freiheit zu erzielen? Die Unterbrechung der Kausalkette 243 Der Aspekt ist auch theologisch bedeutsam; er verweist auf die Frage nach der Identität einer Person, siehe unten III., 6.2.3, 6.3 sowie 6.4.2.

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sollte durch das zufällige Eintreten eines Ereignisses, das die handelnde Person in charakteristischer Weise beeinflusst, vonstatten gehen. Dies sollte derart geschehen, dass er bei der betreffenden Person »einen Reflexionsprozess auslöst, dessen Ergebnis völlig offen ist.«244 Egal wie nun die Handlung ausgeht, aufgrund der sich durch das eintretende Ereignis ergebenden Möglichkeiten scheint auf den ersten Blick der Spielraum der Handlungsalternativen und damit auch das Maß der Freiheit erheblich erweitert worden zu sein. Pauen verneint allerdings diese Annahme. Wie schon an anderer Stelle sucht er die Selbstwidersprüchlichkeit der völligen Offenheit des Ausgangs des angestoßenen Reflexionsprozesses zu erweisen. Entweder sei der Ausgang auf die personalen Präferenzen der Person zurückzuführen, oder aber nicht; im letzten Fall sei er aber auch nicht offen.245 Hier wird nun die Problematik dessen deutlich, was Pauen unter der Offenheit einer Entscheidung versteht, die ja für den Gedankengang von zentraler Bedeutung ist. Denn Pauen bringt die benannte Offenheit und die Rückführbarkeit auf personale Präferenzen in ein Konkurrenzverhältnis. Diese Kategorisierung aber hat zur Folge, dass unter Offenheit nichts anderes denn Zufälligkeit verstanden werden kann. Darunter aber ist nun, nicht nur in der Logik Pauens, kein Zugewinn an Freiheit zu erblicken. Diese Systematisierung aber ist problematisch. In Entscheidungssituationen kann von Offenheit immer nur ex ante die Rede sein, das heißt also dann, wenn wir an einem bestimmten Zeitpunkt t1 den in der Zukunft liegenden Zustand unserer Situation zu einem Zeitpunkt t2 in den Blick nehmen,246 und dabei über den Ausgang nicht Bescheid wissen. Es kann in der hier relevanten Form nur um die Offenheit von Entscheidungen gehen, die auf den Entschluss freier Personen zurückführen sind. Offenheit im Sinne zufälliger äußerer Einflüsse etc. dürfte gerade nicht das Thema sein, sondern die Offenheit unterschiedlicher, sich bietender Handlungsmöglichkeiten. Dabei sind Handlungsoptionen 244 Pauen, Illusion Freiheit, 167. 245 »Wenn das Ergebnis jenes Reflexionsprozesses völlig offen ist, [...] dann ist es auch nicht möglich, dieses Ergebnis auf Sie selbst bzw. auf Ihre Wünsche und Überzeugungen zurückzuführen.« (a. a. o., 167). 246 Eine in der Vergangenheit liegende Ereignisfolge ist in dem Sinn nicht offen, dass sie schon geschehen ist und dabei bestimmte Ereignisse faktisch passiert sind. Das heißt noch nicht, dass nicht dennoch sinnvoll gesagt werden kann, es hätte etwas anderes passieren können. Dieses Problem wurde ja bereits im Rahmen der Diskussion des Prinzips alternativer Möglichkeiten diskutiert.

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exakt in dem auch von Pauen vertretenen Sinne zu verstehen, dass ich anders handeln würde, wenn ich mich zu etwas anderem entschließen würde, wenn also die Abwägung der personalen Präferenzen zu einem differierenden Ergebnis kommen würde. Offen sind Situationen deshalb, weil vor dem konkreten und endgültigen Entscheid in vielen Fällen nicht zu sagen ist, welche personale Präferenz letztlich dominiert und damit ausschlaggebend für die Entscheidung wird. Dies gilt insbesondere auch für den Handelnden selbst, weil die Handlungsoption in den relevanten Fällen ja erst im Laufe eines nicht zu unterlaufenden selbstreferentiellen Prozesses ergriffen wird.247 In vielen Fällen ist auf der Ebene personaler Präferenzen kein Punkt gegeben, an dem diese den Ausgang einer Entscheidung determinieren würden. Wenn also eine relevante Form von Offenheit einer Situation anzunehmen ist, dann muss sie sich aus den Präferenzen selbst ergeben, nicht aber aus einem zufälligen äußeren Ereignis, das die Situation völlig verändert. Die Offenheit der Umstände kann zwar unseren Freiheitsgebrauch beeinflussen, ist aber nicht signifikant für die Zuschreibung von Freiheit. Das auf dieser Form von Offenheit externer Faktoren basierende Freiheitsverständnis zu widerlegen, fällt Pauen verständlicherweise nicht schwer. Allerdings zeigt sich hier von Neuem, dass durch die alleinige Kontrastierung mit dieser Art eines libertarischen, mit Zufälligkeit gleichzusetzenden Freiheitsverständnisses, die Argumentation falsche Alternativen anbietet. In dieser Anlage können Pauens Ausführungen auch nicht als Widerlegung des Konsequenzarguments gelten. Zu vermuten ist, dass diese Struktur in Pauens Verständnis von Determinismus begründet ist, innerhalb dessen er auch von der Determination durch personale Präferenzen spricht. Hier kommen wir nochmals auf den Kern des Problems der Argumentation. Denn die Determination durch personale Präferenzen kann von Pauen offenbar nur im Sinne einer einlinigen und zwingenden Kausalkette gedacht werden, die innerhalb der Präferenzen selbst doch keine Spielräume mehr lässt. Nur wenn eine Handlung determiniert ist, lässt sie sich nach Pauen auch auf die Person zurückführen.

247 Dabei sind sicher Fälle denkbar, in denen auch für den Handelnden selbst eine bestimmte Option wahrscheinlich scheint (»ich werde vermutlich ...«), prinzipiell aber ist es dem Handelnden bis zur Ausführung in allen Fällen, bei denen kein Zwang bzw. keine äußere Situation vorherrscht, in der es de facto keine Alternativen gibt, immer noch möglich, eine Handlungsentscheidung zu ändern.

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Die faktische Voraussetzung des Determinismus führt bei Pauen zu einem unangemessenen Verständnis personaler Präferenzen, das letztlich eine Nivellierung des Entscheidungsbegriffs zur Folge hat. Denn Entscheidungen sind nun nicht mehr in einer offenen Situation zu treffen, sondern lediglich als Übereinstimmung von Präferenz und Handlung zu konstatieren.248 Die Unangemessenheit des kompatibilistischen Programms zeigt sich also schon auf dieser Ebene. Die Einbindung in eine zeitlich lang vorhergehende Kausalkette kann angesichts dessen durchaus treffend als »rhetorische Dramatisierung«249 beschrieben werden. Das Konsequenzargument fügt den im Laufe der Auseinandersetzung mit Pauen deutlich gewordenen kritischen Aspekten keine neuen hinzu. 3.4.5 Zusammenfassende Notiz Einerseits versucht Pauen also zu zeigen, dass ein stärkerer Freiheitsbegriff angesichts der eingangs genannten Kriterien nicht nötig ist. Die diesbezüglichen Kritikpunkte an der minimalistischen Konzeption wurden oben bereits genannt. Andererseits war es die Intention Pauens, zu verdeutlichen, dass ein stärkerer Begriff von Freiheit nicht möglich ist.250 Es zeigte sich, dass diese Annahme nur vor dem Hintergrund der Voraussetzung eines Freiheitsbegriffs im Sinne von Zufälligkeit gilt, andere, möglicherweise stärkere Begriffe von Freiheit, wie sie im Zusammenhang mit dem angedeuteten Verständnis von Offenheit ausgebildet werden könnten, werden von Pauen nicht diskutiert. Die Argumentation weist in dieser Hinsicht eine klare Schwäche auf, weil sie falsche Alternativen nahe legt. Die von Pauen in den Vordergrund 248 Diese Kritik hat Geert Keil benannt, der angesichts eines deterministischen Notwendigkeitszusammenhangs den Begriff der Entscheidung nivelliert sieht (ders., Willensfreiheit, 86). 249 A. a. o., 85. 250 Pauen schreibt etwa eingangs in Bezug auf seine Konzeption personaler Freiheit: »Es wird sich herausstellen, dass diese Konzeption nicht etwa ‘schwächer’ ist als die Freiheitskonzeptionen, die eine Aufhebung der Determination verlangen: Solche Konzeptionen, so wird zu zeigen sein, sind nämlich letztlich inakzeptabel, weil sie gegen eine der genannten Minimalbedingungen verstoßen. Personale Freiheit in dem hier skizzierten Sinne ist also alles, was man verlangen muss, aber auch alles, was man verlangen kann, wenn man unseren vorwissenschaftlichen Intuitionen und den relevanten philosophischen Argumenten in einer kohärenten Konzeption gerecht werden will.« (ders., Illusion Freiheit, 20).

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gerückte Kritik des Indeterminismus ist hier nicht suffizient. Insbesondere die Rechtfertigung eines Freiheitsbegriffs, wie er der Praxis der Zuschreibung von Verantwortung zu Grund liegt, ist damit, wie etwa Ulrich Pothast deutlich gemacht hat251, noch nicht geleistet. Das Defizit hängt an Pauens Verständnis von Determinismus, das er in seinen Ausführungen nicht problematisiert. Für das Minimalverständnis von Freiheit ist dieser Mangel nicht als bedeutsam einzustufen, da Pauen ja versucht, sein Freiheitsverständnis mit einem möglichst starken Bild von Determinismus zu vereinbaren. Indem er allerdings auch den Anspruch erhebt, zu zeigen, dass ein stärkerer Begriff von Freiheit nicht möglich ist, erweist sich diese Auslassung als gravierend. Denn in dem von Pauen verwendeten Bild der einlinigen Kausalkette lässt sich etwa die Unterscheidung der Betrachtung von Entscheidungen ex ante und ex post, wie ich sie oben angedeutet haben, nicht unterbringen. Auch die damit zusammenhängende Differenzierung bezüglich Determinismus als ontologischem oder epistemologischem Programm ist im Rahmen dieser Konzeption nicht durchzuführen.252 Sie führt zu einer Reduktion des Personbegriffs, und in Konsequenz dessen zu einer Minimalisierung des Verständnisses menschlichen Entscheidens und Handelns. Die Extrapolation deterministischer Zusammenhänge auf die Personebene führt – entgegen der Meinung Pauens – in die »Unfreiheit«. Es ist Aufgabe der Auseinandersetzung mit dem Programm des Inkompatibilismus, zu erörtern, inwieweit ein libertarischer Freiheitsbegriff möglich und sinnvoll zu formulieren ist, insbesondere ob das von Pauen zu Grunde gelegte Verständnis personaler Freiheit in dem angedeuteten Sinne weiter geführt werden kann. Kann seine Auffassung von Determinismus revidiert, und somit auch der von Pauen beständig vorgebrachte Zufallseinwand entkräftet werden?

251 Siehe Pothast, Letzte Verantwortlichkeit, 128. 252 Pauen versteht, wie sich in den Einzeluntersuchungen herausstellte, unter Determinismus eine »metaphysische These bzw. eine »objektive Eigenschaft von Systemen« (a. a. o., 32). Nach seinem Verständnis lautet die »These des Determinismus dann, dass der Gesamtzustand unserer Welt zu einem beliebigen Zeitpunkt t festlegt, in welchem Zustand sich diese Welt zu jedem beliebigen späteren Zeitpunkt t’ befindet.« (a. a. o., 32 f). Auch wenn Pauen zugibt, dass es keineswegs erwiesen sei, ob die zitierte These tatsächlich zu begründen sei, so sollten die Analysen zu seinen Argumentationen doch gezeigt haben, dass er faktisch einen solch metaphysischen Determinismus voraussetzt und der entworfene Freiheitsbegriff stark dadurch geprägt ist.

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4. Inkompatibilistische Ansätze Inkompatibilistische Positionen ergeben sich aus der starken Intuition, dass Freiheit nicht mit Determinismus bzw. naturgesetzlicher Notwendigkeit vereinbar ist. Aus dieser Grundannahme lassen sich zwei Alternativen, die einander diametral gegenüber stehen, ableiten. Zum einen kann behauptet werden, es gäbe Freiheit, was bedeutet, dass der umfassende Geltungsanspruch der deterministischen Weltsicht an einer bestimmten Stelle oder aber auch in grundsätzlicher Hinsicht hinterfragt wird. Oder aber es wird konstatiert, dass, weil der Determinismus in einem umfassenden Sinne wahr, also auch für den Menschen und seine Verhaltensweisen zu berücksichtigen ist, von Freiheit nicht die Rede sein kann. Es zeigt sich also, dass hinter dem Stichwort »Inkompatibilismus« durchaus grundverschiedene Meinungen stehen. Daher kann durchaus in Frage gestellt werden, ob es sinnvoll ist, eine Arbeit derart zu gliedern.253 Andererseits liegt beiden Positionen eine strukturelle Gemeinsamkeit, nämlich das antagonistische Gegenüber von Freiheit und Determinismus, zu Grunde. Die zentralen Argumente sind daher dieser Spannung entnommen. Der Unterschied ist dann in der Annahme über die tatsächliche Verfasstheit unserer Welt, nämlich im akzeptierten Geltungsbereich des Determinismus zu sehen. Ist dieser umfassend, auch und gerade für den Menschen und sein Gehirn von Bedeutung, oder lassen sich Lücken bzw. indeterministische Kausalzusammenhänge, oder auch prinzipielle Begrenzungen des Determinismus benennen?

4.1 »Harter« Determinismus – Ablehnung von Freiheit So genannte »harte Deterministen«254 votieren angesichts einer inkompatibilistischen Basisoption für die Existenz eines umfassend verstandenen Determinismus. Demnach wird jeglicher Freiheitsbegriff abgelehnt; ein kompatibilistischer, weil er grundsätzlich nicht den 253 Vgl. die Kritik von Schockenhoff, Theologie der Freiheit, 67-69. 254 Die Unterscheidung von hartem und weichem Determinismus (hard and soft determinism) stammt von William James, der damit die Differenz zwischen Kompatibilisten, die Freiheit und Determinismus für vereinbar halten, und denjenigen Deterministen, die ihre Position für nicht vereinbar mit der Annahme von Freiheit erachten, zum Ausdruck bringt.

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Anforderungen an einen sinnvollen Freiheitsbegriff genügt, und erst recht ein inkompatibilistischer, der sich als Gegenüber zum Determinismus versteht, weil dessen Existenz nicht möglich ist. Es lassen sich allerdings auch Positionen benennen, etwa von Barbara Guckes, bzw. im englischsprachigen Bereich von Peter van Inwagen oder Galen Strawson vertreten, die den Inkompatibilismus nahe am Determinismus vertreten, dabei aber die Frage nach der tatsächlichen Verfasstheit unserer Welt bzw. des Menschen letztlich offen lassen.255 Für die Position im engeren Sinne ist nun die Annahme eines umfassenden und zwingenden Determinismus charakteristisch. Weil die ganze Welt, auch der Mensch, einem notwendigen Kausalnexus unterliegt, der in nicht zu unterbrechenden Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen besteht, ist nur ein einziger möglicher Weltlauf anzunehmen. Nur innerhalb dieses Systems bleiben Ereignisse, als die in dieser Logik auch menschliche Handlungen gelten, erklärbar.256 Wäre die Welt nicht deterministisch verfasst, müssten Handlungen auf mysteriöse257 Verursachungen zurückgeführt werden. Es kann daher an keiner Stelle im Gang der Dinge reelle Alternativen geben. Darum ist auch nicht von Freiheit zu reden. Diese Logik hatten wir bereits bei der Diskussion der naturwissenschaftlichen Ansätze in bestimmten Variationen vorgefunden (vor allem Roth, Singer, Prinz) und sie muss nun auch als philosophische These aufgenommen und gewürdigt werden. Nun ist deterministisches Gedankengut gewiss keine neue Entwicklung des 20. bzw. 21. Jahrhunderts. Schon stoische Denker (etwa Chrysipp) wussten sich einer quasideterministischen, nämlich fatalistischen Weltsicht verpflichtet. Im Mittelalter wurde das Thema vor allem im Kontext theologischer Deutungen von Gottes Vorherwissen und Prädestination diskutiert (pointiert bei Augustinus, Boethius, Thomas von Aquin, William von Ockham), und in der frühen Neuzeit konnte es in seiner theologischen Version zum konfessionsspezifischen Merkmal in der Unterscheidung von Luthertum, reformierten Kirchen und römischem Katholizismus werden. In spezifischer Hinsicht modifizier255 Barbara Guckes etwa konstatiert, dass die Frage nach der Geltung des Determinismus aus philosophischer Perspektive nicht zu entscheiden sei (dies., Freiheit Illusion, 33). Ähnlich positionieren sich auch Honderich, Determinism; sowie Pereboom, Living. 256 Siehe etwa Ted Honderich, Determinism and the Real Problem, besonders 461 f. Honderich vertritt allerdings nicht mit letzter Konsequenz die These, dass unsere Welt auch tatsächlich so verfasst ist. 257 Vgl. den Titel des Aufsatzes von van Inwagen: Free Will Remains a Mystery; siehe auch Honderich, Determinism, 466.

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te sich allerdings die Problemkonstellation in der Neuzeit, wofür dann auch der terminus technicus »Determinismus« geprägt wurde. Es veränderte sich nun gewissermaßen die Kraftquelle des Determinismus, die nicht mehr in einem allgemeinen Natur- oder Schicksalskonzept (Stoa) bzw. in Gottes Vorherbestimmung, sondern in der wirksamen Kraft der Naturgesetzlichkeit gesehen wurde. Dabei geriet im Rahmen der generellen geistesgeschichtlichen Wendung ad hominem der Mensch auch in diesem Kontext deterministischer Weltanschauungen in besonderer Weise in den Blick und wurde zunehmend als unter der Wirkung der Naturgesetze stehend verstanden. So konnte etwa im französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts von der »menschlichen Maschine«258 die Rede sein. Naturgesetzlichkeit wurde unmittelbar auf den Menschen bezogen. Die »modale Kraft«259 des Determinismus muss auch und gerade innerhalb der gegenwärtigen Diskussion in der expliziten Bezugnahme auf die Wirkung von Naturgesetzen gesehen werden. Die deterministische Position in ihrer starken Form muss dabei als eine metaphysische These260 verstanden werden, da sie sich auf die reale Verfassung der Welt, und neuzeitlich auch auf die Verfassung des Menschen bezieht, dabei aber in dieser Dimension nicht empirisch verifizierbar ist.261 Dieser Sachverhalt ist zunächst zu unterscheiden von der epistemischen Frage, ob der tatsächliche Weltlauf oder aber menschliche Handlungen auch vorausgesagt werden können. Dies ist deterministischer Logik zufolge für den Ausschluss von Freiheit nicht notwendig, es kann also nicht behauptet werden, Freiheit bestehe in dem Sachverhalt, dass »zukünftige Handlungen jetzt nicht gewusst wer-

258 LaMettrie, L’Homme machine. 259 Keil, Willensfreiheit, 25 und passim. 260 So Keil, a. a. o., 38, Walter, Neurophilosophie, 35; Rott, Freiheit oder Determinismus, 126. 261 Eine der wenigen philosophischen Positionen im deutschsprachigen Bereich, die sich der freiheitsskeptischen und deterministischen Interpretation der naturwissenschaftlichen Befunde anschließt, ist die von Klaus-Jürgen Grün. Grün wendet sich, in unkritischer und wenig reflektierter Aufnahme der Positionen Schopenhauers, aber auch Roths und Singers gegen die Vorstellung einer im rational strukturierten Selbstbewusstsein der Person begründeten Willensfreiheit, denn im neuronal realisierten »Charakter des Menschen liegt [...] der eigentliche Grund seines Handelns fixiert« (ders., Sinnlosigkeit eines kompatibilistischen Freiheitsbegriffs, 104). Der bewusste Wille erscheint in der Logik Grüns das unveränderliche Endprodukt unbewusst ablaufender Kausalketten, und daher des Attributs Freiheit nicht würdig zu sein.

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den«262. Zu diskutieren ist allerdings das Verhältnis der epistemischen Voraussetzungen und der ontologischen Aussagen deterministischer Annahmen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Determinismus »eine ‘meta-physische’ Voraussetzung des modernen physikalischen Weltbildes«263 darstellt. Deterministische Zusammenhänge in Gestalt naturgesetzlicher Kausalität werden nicht nur als Aussagen über die Verfassung unserer Welt, sondern gleichzeitig auch als heuristisches Prinzip im Sinne einer Forschungsmaxime der Naturwissenschaften verstanden.264 Charakteristisch für jede Form des Determinismus in unserem Kontext ist eine Grundthese, die besagt, dass »von vornherein feststeht, was eine Person tun wird«265. Die Festlegung geschieht dabei aufgrund eines beliebigen Anfangszustands und der Gültigkeit der Naturgesetze.266 Die Bestimmung »von vornherein« ist nun deshalb besonders wichtig, weil der Determinismus eine Position jenseits der zeitlichen Struktur personaler Existenz, die aus dem Gegenüber von feststehender Vergangenheit und offener Zukunft lebt,267 annehmen muss; er begibt sich in die Beobachterperspektive. Dies bedeutet, dass ein so genannter LaPlace’scher Dämon, dem alle Informationen bezüglich unserer Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt t1 zur Verfügung stünden, und der in der Lage wäre, die Wechselwirkung der Kräfte innerhalb dieses Weltzustandes zu überblicken, den Zustand der Welt zu jedem beliebigen Zeitpunkt t2 berechnen könnte, egal ob er in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegt.268 Daraus erhellt, dass der Determinismus zeitsym262 Wittgenstein, Tractatus 5.1362; Vgl. auch Kreiner, der davon ausgeht, dass der Determinismus in seinem umfassenden Geltungsanspruch so lange nicht bewiesen ist, als Handlungen nicht prognostizierbar sind (ders., Gott im Leid, 243). 263 Köchy, Was kann die Neurobiologie wissen, 158. 264 Vgl. insgesamt Schoberth, Neurobiologie, Determinismus, Willensfreiheit, v. a. 99-103. 265 Pauen, Freiheit – eine natürliche Eigenschaft, 56. 266 Vgl. Keil, Willensfreiheit, 16. 267 Vgl. Beuttler, Offene Dimensionen, 205-209. 268 Vgl. die auch im gegenwärtigen Diskurs meist vorausgesetzte, klassische Formulierung von LaPlace: »Alle Ereignisse, selbst jene, welche wegen ihrer Geringfügigkeit scheinbar nichts mit den großen Naturgesetzen zu tun haben, folgen aus diesen mit derselben Notwendigkeit wie die Umläufe der Sonne. [...] Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Weltalls als die Wirkung seines früheren und als Ursache des folgenden Zustands betrachten. Eine Intelligenz, welche für einen gegebenen Augenblick alle in der Natur wirkenden Kräfte sowie die gegenseitige Lage der sie zusammensetzenden Elemente kennte und überdies umfassend genug wäre, um diese gegebenen Größen der Analysis zu unterwerfen, würde in derselben Formel die Bewegungen der größten Weltkörper wie des leichtesten Atoms umschließen;

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metrisch zu formulieren ist, d. h. nicht an eine einlinige, unumkehrbare Kausalität von Ursache und Wirkung gebunden sein kann; die determinierenden Beziehungen müssen in beide Richtungen zu denken sein. Ein sachlich aussagekräftiger Determinismus muss dabei über die Tautologie »Es wird sein, wie es eben sein wird« hinausgehen. Der angeführte Satz ist schlicht eine logische Wahrheit, die noch nicht in der Lage sein kann, Freiheit zu gefährden.269 Denn auch wenn wir uns frei für etwas entscheiden, und vor der Entscheidung verschiedene Möglichkeiten offen stehen, so wird die Zukunft dennoch nie anders sein, als sie eben sein wird. Es muss hinzugefügt werden, dass die Zukunft notwendig so sein wird, wie sie sein wird bzw. dass, wie gerade angesprochen, die Zukunft immer schon feststeht.270 Dies ist begründet in der Annahme, dass Kausalursachen im Rahmen eines wissenschaftlichen Weltbilds stets als zureichende Gründe verstanden werden, und daher Notwendigkeit implizieren.271 Nun wird im Kontext des Freiheitsthemas auch und insbesondere der Wille des Menschen als Teil dieses deterministischen Zusammenhangs verstanden. Der Wille kann somit nicht als sich selbst bestimmende Instanz interpretiert werden. Er ist auch externen Ursachen unterlegen. Insbesondere wenden sich Vertreter der deterministischen These gegen die Annahme der ursprünglichen Selbstverursachung272 des Willens, also eine unerklärbare Form von Kausalität, die selbst nicht

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nichts würde ihr ungewiss sein und Zukunft wie Vergangenheit würden ihr offen vor Augen liegen.« (ders., Philosophischer Versuch, 1 f). Entsprechend ist von »Logischem Determinismus« die Rede (so etwa Keil, Willensfreiheit 16; Guckes, Illusion Freiheit, 29-31). Vgl. Keil, Willensfreiheit, 19-25; Siehe auch Buchheim, Libertarischer Kompatibilismus, 38-42: Buchheim argumentiert, dass allein die Geltung von Kausalgesetzen nur eine logische Determination zu begründen vermag, die aber noch nicht die Notwendigkeit des Geschehens beinhaltet. Vielmehr würden nur die tatsächlich gültigen Kausalgesetze bestätigt. Echte Notwendigkeit setze dagegen die »Variabilität des Systems« (a. a. o., 42) voraus. Barbara Guckes macht im Anschluss an von Wright deutlich, dass logisch einwandfreie Aussagen in Bezug auf die Zukunft – und dies ist die für das Problem der Willensfreiheit entscheidende Zeitekstase – keinen Notwendigkeitscharakter beanspruchen können, da sie als »diachrone Modalität« (dies., Illusion Freiheit, 30) zu verstehen seien. Vgl. Schopenhauer, Preisschrift, 28. Der Kompatibilismus wird demgegenüber meist als eine Art fauler Kompromiss eingestuft; in diese Richtung gehen Grün, Sinnlosigkeit; Searle, Wie frei sind wir wirklich?; Vgl. auch Seebaß, Freiheit und Determinismus.

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wieder auf vorausgehende Ursachen zurückzuführen wäre.273 Es wird daher in dieser Logik die Rede von der Freiheit abgelehnt. Zwar ist im Rahmen eines solchen Weltbilds nicht explizit von Zwang die Rede, aber die Naturgesetze scheinen den Willen gewissermaßen subliminal zu bestimmen, sodass er nicht mehr der Freiheit, sondern einer notwendigen Folge unterliegt.274 Damit ist nun noch nicht ausgeschlossen, dass Menschen als handelnde Akteure innerhalb der deterministisch verlaufenden Handlungskette aktiv beteiligt sind.275 Alternative Möglichkeiten aber existieren nicht, da die Vorgeschichte einer Handlung diese vollständig bestimmt.276 Die Grundaussage lässt sich demnach auch so formulieren: »Kein Mensch kann anders, als er ist.«277 Was wir aber sind, unterliegt deterministischen Zusammenhängen, die sich neuerdings auch neurophysiologisch skizzieren lassen. Von Selbstbestimmung könnte nur in dem Sinne gesprochen werden, dass das Selbst bestimmt, was wir wollen; dass wir aber selbst bestimmen, wer oder was wir sein wollen oder können, kommt nicht in Frage. Wer oder was das Selbst ist, steht immer schon fest. Anders gesagt: Es regiert das Faktische. Die mit der Kategorie der Möglichkeit operierende Terminologie der Freiheit wird ausgeschlossen. Die radikale Position, welche die durchgängigen Determiniertheit allen Geschehens positiv vertritt, ist dabei in philosophischem Zusammenhang die Ausnahme,278 erfreut sich allerdings – wie im ersten Teil dieser Arbeit gesehen – im Kontext neurobiologischer Thesen bzw. naturwissenschaftlicher Weltbilder großer Beliebtheit. Denn sie muss sich ja nicht nur auf einzelne Naturgesetze beziehen, sondern auf den deterministischen Verlauf der Welt im Ganzen. Eine solche metaphysi273 Pointiert Edwards, Hard and Soft Determinism, 64 f. 274 Siehe etwa Pereboom, Living Without, 478, der Fälle von Manipulation mit der Bestimmung durch eine deterministische Geschichte gleichsetzt. 275 Dies bestreitet Guckes, Illusion Freiheit, 32. Von der Möglichkeit zur Einflussnahme ist durchaus auszugehen, nur muss ergänzt werden, dass in der deterministischen Logik auch derjenige, der Einfluss nimmt, naturgesetzlich bestimmt ist. 276 Vgl. etwa Pereboom, Living Without, 478. 277 Singer, Selbsterfahrung, 159. 278 Eine davon wäre Grün, Sinnlosigkeit; im englischsprachigen Kontext: Edwards, Hard and Soft Determinism; Smilansky, Free Will. Dies gilt in spezifischer Weise für die Diskussion des 20. Jahrhunderts; Ulrich Pothast hat in seinem Buch über die »Unzulänglichkeit der Freiheitsbeweise« die erstaunliche Wendung beschrieben, die sich diesbezüglich vom 19. (etwa Nietzsche, Schopenhauer ) zum 20. Jahrhundert ergeben hat, (a. a. o., 9).

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sche Allaussage aber ist gegenwärtig empirisch nicht zu begründen. Auch die Libet-Experimente konnten den deterministischen Rahmen von Gehirnprozessen nicht verifizieren. Auf die Spitze getrieben wird die Determinismus-These daher nur selten. Ist dies der Fall, wird davon ausgegangen, dass dem Menschen im Prinzip keine Verantwortung mehr zuzuschreiben ist.279 Denn Verantwortung würde ja implizieren, dass wir eine kritische Rolle in einem Entscheidungsprozess spielen, innerhalb dessen wir so oder auch anders entscheiden können und somit das, was geschieht, in irgendeiner Weise auf uns und unseren Willen zurückzuführen ist. Dies aber scheint angesichts der »Herrschaft« der Naturgesetze nicht der Fall zu sein. Wenn alle Abläufe durch naturgesetzlich vorgegebene Kausalverbindungen bestimmt werden, kann die Person und ihr Wille keine entscheidende Rolle mehr einnehmen, und daher auch keine Verantwortung für den Verlauf der Dinge tragen. So weit allerdings gehen die wenigsten Interpreten.280 Es scheint auch nicht die Hauptfrage zu sein, ob unsere Welt determiniert ist oder nicht, sondern, wie mit der möglichen Determination umzugehen ist. Ted Honderich bezeichnet diese Frage als »the real problem«281. Wo die Determinismus-These im Prinzip für richtig gehalten wird, gibt man dennoch ein Plädoyer dafür ab, die Illusion der Freiheit aufrecht zu erhalten.282 Die Intention dabei ist, zentrale ethische Kategorien und Normen zu stabilisieren, ohne die unsere Gesellschaft nicht funktionieren würde. Die Illusion besitze dabei qua ihrer Existenz schon eine eigene Form von Realität.283 Anders, und in mancher Hinsicht parallel zu jüngeren Statements von Hirnforschern, argumentiert Derk Pereboom, der zu zeigen versucht, dass die Aufgabe von moralischer Verantwortung keine allzu gravierenden negativen Konsequenzen für unser Zusammenleben haben würden. Wir müssten nicht alle unsere Hoffnungen, auch nicht alle Zuschreibungen von Leistungen aufgeben.

So bei Edwards, a. a. o.; Smilansky, a. a. o. So explizit Edwards, Hard and Soft Determinism, 64. Honderich, Determinism, 423. In der pointiertesten Version wird diese Position von dem israelischen Philosophen Saul Smilansky vertreten (vgl. ders., Free Will). Smilansky hält den Determinismus im Prinzip für richtig, formuliert aber keine harte deterministische Position. Er bezeichnet sein Konzept demgegenüber als dualistisch, was bedeutet, dass er sowohl die kompatibilistischen Argumente als auch die des harten Determinismus partiell für richtig hält. 283 A. a. o., 502.

279 280 281 282

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Solche Zuschreibungen nehmen wir auch dann vor, wenn wir wissen, dass sie nicht in letztem Sinn auf unserer eigenen Leistung beruhen. Wir könnten uns allerdings nicht mehr in einem starken Sinne Verdienste oder Schuld zurechnen, was, wie es auch gegenwärtige Hirnforscher vorschlagen, etwa unser Rechtssystem hin zu einem präventiven Verfahren verändern könnte.284 Die positivste Veränderung ergäbe sich daraus, dass wir keinen Ärger mehr über moralisch fragwürdiges Verhalten entwickeln müssten.285 Die Debatte über die möglichen Konsequenzen des Determinismus zeigt, dass auch in einer deterministischen Welt Menschen immer noch aktive Teilnehmer des Geschehens wären. Menschliches Handeln als solches wird also nicht qua Determinismus eliminiert. Allerdings stellt eine deterministische Weltsicht, wie schon in der Auseinandersetzung mit Pauen deutlich wurde, eine ernsthafte Anfrage an die Rolle dar, die Personen dann noch spielen könnten. Er weist darauf hin, dass der Vollzug von Handlungen allein noch keine Freiheit garantieren kann; denn wir könnten, um eine theologische Formulierung zu verwenden, in, mit und unter dem, was wir tun, determiniert oder manipuliert sein.286 Kann nun die Reduktion oder gar Aufhebung von Verantwortung tatsächlich zu einer »humanere[n] Betrachtungsweise«287 führen, oder würde dies die Unmöglichkeit von menschlichen Beziehungen bedeuten? Aufgabe der Auseinandersetzung mit libertarischen Positionen ist es, die Signifikanz einer Freiheit, die sich mit dem Determinismus nicht verträgt, herauszuarbeiten.

4.2 Libertarische Positionen Wie die gerade besprochenen deterministischen Positionen gehen auch Libertarier davon aus, dass Freiheit in einem signifikanten Sinn nur so verstanden werden kann, dass sie nicht mit einem deterministischen 284 Pereboom, a. a. o., 479-481. Vgl. auch den ähnlichen Vorschlag von Pauen/Roth, die das an der persönlichen Schuld des Einzelnen orientierte Rechtssystem kritisieren und ein Modell skizzieren, das nicht an Vergeltung, sondern am Schutz der Persönlichkeitsrechte aller Menschen aufgrund einer Vertragstheorie orientiert ist (Pauen/Roth, Freiheit Schuld Verantwortung, 134-164). 285 A. a. o., 487 f. 286 Eine Analogie - keine exakte Parallele - kann in der Bestimmung der Sünde als Blindheit gesehen werden (vgl. unten Kap III,5.3.3). 287 Singer, Selbsterfahrung, 158.

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Weltbild zu vereinbaren ist. Nur ein anspruchsvoller Begriff von Freiheit, der nicht, jedenfalls nicht vollständig, innerhalb deterministischer Logik zu denken ist, erfüllt unsere freiheitstheoretischen Intuitionen. Die Unvereinbarkeit von Freiheit und Determinismus führt in die Frage nach der Stelle, an der von Freiheit gesprochen werden kann, will man den Determinismus und damit in gewisser Weise auch die Regelhaftigkeit unserer Welt nicht gänzlich aufgeben. Kann der Determinismus an irgendeiner Stelle unterbrochen werden, oder müssen prinzipielle Grenzen deterministischer Zusammenhänge aufgezeigt werden? Wenn ja, so stellt sich das Problem, womit denn nun diese »Lücke« gefüllt wird.288 Nahe liegt die Vermutung, die uns in der Argumentation Pauens begegnet war und die auch im Prinzip von allen Kritikern libertarischer Positionen formuliert wird, dass nun der Zufall Regie führt.289 Dies aber kann nicht im Sinne libertarisch ausgerichteter Denker sein, die ein sinnvolles Verständnis von Freiheit explizieren wollen. Schließlich sollen freie Entscheidungen nach wie vor begründet und auch auf die Person und ihre Merkmale zurückzuführen sein.290 Wie kann diesem Dilemma entronnen werden? Eine lange Zeit verfolgte Strategie, die freilich heute von den meisten Philosophen – auch von Libertariern291 – zu Recht als nicht akzeptabel angesehen wird, ist die Annahme eines ontologischen Dualismus, der eine Instanz voraussetzt, die dem empirisch zu ermittelnden Kausalzusammenhang enthoben ist, aber dennoch, gewissermaßen von außen, kausal wirksam Einfluss nehmen kann. Diese Art der Argumentation geht in ihrer neuzeitlichen Version zurück auf Descartes, der mit seiner Unterscheidung von res extensa und res cogitans weichenstellende, aber letztlich nicht überzeugende Differenzierungen schuf.292 Robert Kane benennt diese und ähnliche Formen der anthropologischen Kategorisierung mit dem schönen Titel »Extra-Factor-Strategies«293. Mit dem Attribut »Extra-Faktor« werden die Konzepte deshalb belegt, weil sie 288 Damit sage ich nicht, dass libertarische Positionen zwingend im wörtlichen Sinn eine solche »Lücke« in der determinierten Welt annehmen müssen. Wie Geert Keil meines Erachtens überzeugend darlegt, setzt eine solche Position schon die umfassende Gültigkeit des Determinismus voraus, was nicht notwendig ist. Ich beziehe mich mit dieser Formulierung auf die hier intendierte Darstellung der Mainstream-Logik. 289 Vgl. die sehr differenzierte Darstellung bei Keil, Willensfreiheit, 103-117. 290 Vgl. etwa O’Connor, The Agent as Cause, 198. 291 Siehe etwa Nida-Rümelin, Ursachen und Gründe, 276: »Der Libertarier muss nicht zum Kartesianer mutieren.« 292 Vgl. Descartes, Meditationes; wesentlich sind die zweite und die fünfte Meditation. 293 Kane, Free Will, 38.

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zusätzlich zu natürlichen und naturwissenschaftlich beschreibbaren Formen der Kausalität andere und auf andere Art und Weise kausal wirksame Instanzen annehmen, die erklären können, warum bei identischen Umständen eine Entscheidung einmal so und einmal so ausfallen kann (immaterielle Seele, Geist, Homunkulus,...). Die Präsumtion einer solchen Entität ist jedoch, wie heute weithin angenommen wird, mit schwierigen Aporien verbunden. Woher sollte eine solche Instanz kommen? Wie kann sie Einfluss nehmen, ohne selbst Bedingungen zu unterliegen? Wo ist gewissermaßen die Anschlussstelle zur körperlichen Welt gegeben?294 Dieses Argument gilt auch für moderne dualistische Ansätze, wie die von Popper oder Eccles,295 welche die Existenz eines Geistes im Kontext hirnphysiologischer Erkenntnisse verorten wollten.296 Eccles Hypothese über »die Art und Weise, wie selbstbewußter Geist und Gehirn in Wechselwirkung stehen«297, setzt ersteren explizit als »unabhängige Einheit«298 voraus, was, wie Eccles durchaus selbst einsieht, die genannten Schwierigkeiten hervorruft. Damit bleibt der Nobelpreisträger für Medizin in einem cartesianischen Schema verhaftet, wie wir es auch bei einigen neueren Neurowissenschaftlern feststellen konnten. Diese Form der Argumentation, die Geist bzw. Ich und Gehirn als separate Entitäten einander gegenüber stellt, kann als inadäquat gelten und wird in dieser Form heute auch kaum mehr vertreten. Eine besondere Form von »Extra-Factor«-Strategie ist das Argument der so genannten Akteurskausalität299. Es geht dabei darum, freie 294 Auch Descartes sah diese Probleme und versuchte den Übergang von geistiger zu materieller Welt (bzw. umgekehrt) in der Zirbeldrüse, einem Organ das trotz des symmetrischen Aufbaus des Gehirns nur einmal vorkommt, zu lokalisieren. Aber auch diese Strategie war letztlich nicht überzeugend, da sie der Schwierigkeit nicht entkommt, auch das Vermittlungsorgan einer der beiden ontologischen Sphären zuzuordnen, was die Schwierigkeit des Übergangs erneut stellt. 295 Streng genommen muss der Ansatz Poppers als trialistisch angesehen werden, da er die Existenz dreier, separat bestimmbarer »Welten« voraussetzt; vgl. Popper/Eccles, Das Ich und sein Gehirn, 61-77. 296 Ich verorte die Position Eccles’ hier unter den philosophischen Statements, da sie, obwohl der Autor ein Naturwissenschaftler ist, wesentlich auf philosophischer Argumentation beruht, und zudem in Kombination mit einem in ähnlicher Weise argumentierenden Text des genuinen Philosophen Karl Popper veröffentlicht wurde. 297 Popper/Eccles, Das Ich und sein Gehirn, 428. 298 Ebda. 299 Die bekanntesten neueren Vertreter dieser Richtung dürften Roderick R. Chisholm und Timothy O’Connor sein. Ersteren stelle ich exemplarisch vor. In gewisser Hinsicht kann auch Immanuel Kant zu dieser Kategorie gerechnet werden, da er mit der

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Handlungen von solchen abzugrenzen, die in gängigen Kausalbeziehungen stehen. Freie Handlungen dürfen demnach nicht wieder durch andere Kausalursachen hervorgebracht werden, also auch nicht durch bestimmte Vorgänge in der Person oder ihrer Merkmale. Nach Chisholm, dem bekanntesten Vertreter, darf eine Handlung auch nicht durch die Sehnsüchte oder Überzeugungen einer Person verursacht sein, wenn er sie nicht aktuell kontrolliert.300 Es wird hier eine kategorial andere Form der Verursachung angenommen, nämlich die Verursachung durch den Akteur. Diese ist streng zu trennen von einer ereignishaften Kausalfolge.301 Denn ein Akteur kann nicht verstanden werden als Teil einer Kette, innerhalb derer er wiederum anderer Kausalität unterlegen wäre: »each of us, when we act, is a prime mover unmoved. In doing what we do, we cause certain events to happen, and nothing – or no one – causes us to cause those events to happen.«302 Mit der Annahme einer solchen Form von Verursachung soll dem Dilemma entkommen werden, zwischen den unheilvollen Alternativen des Determinismus und des puren Indeterminismus bzw. Zufalls wählen zu müssen.303 Der Argumentation Chisholms liegt die starke Intuition und die durchaus plausible Einsicht zu Grunde, dass menschliches Handeln etwas grundsätzlich Anderes ist als eine objektiv oder naturwissenschaftlich zu beschreibende Ereignisfolge. Problematisch allerdings ist, dass er beide Formen der Kausalität als Alternativen deklariert, die sich

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Annahme einer »Kausalität aus Freiheit« die dem homo nooumenon geschuldet ist, ebenfalls eine grundsätzlich andere Kategorie von Verursachung eingeführt hat. Allerdings ist zu bedenken (was hier nicht ausführlich geschehen kann), dass für Kant das Verhältnis beider Kausalitätsformen dialektischen bzw. aporetischen Charakter besitzt, und die Kausalität aus Freiheit nicht in theoretischer Hinsicht zu erweisen ist. Sie muss in Kants Perspektive vielmehr als Postulat der praktischen Vernunft verstanden werden. Daher ist Kants Position nicht gänzlich auf der Linie Chisholms, der eine den freien »Akteur« durchaus als theoretisch bestimmbare Instanz beschreibt. Siehe Chisholm, Human Freedom, 25. »We must not say that every event involved in the act is caused by some other event; and we must not say that the act is something that is not caused at all. The possibility that remains, therefore is this: We should say that at least one of the events that are involved in the act is caused, not by any other events, but by something else instead. And this something else can only be the agent – the man.« (a. a. o., 28). A. a. o., 32. Vgl. O’Connor, The Agent as Cause, 198 f. O’Connor spricht von einer »personal form of causality« (199), für die eine Form direkter Kontrolle, nicht vermittelt durch andere Kausalzusammenhänge, typisch sei.

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gegenseitig ausschließen. Diese Form der Argumentation führt in gravierende anthropologische Schwierigkeiten. Denn es wird hier zusätzlich zu dem, was eine Person ausmacht, ihre Intentionen, ihre leiblichen Vorgänge etc. ein nicht zu hinterfragender und unabhängiger Akteur konstruiert. Wer oder was aber soll dieser Akteur sein? Auch Michael Pauen, dem in dieser Hinsicht uneingeschränkt Recht zu geben ist, hat argumentiert, man könne keinen Akteur völlig jenseits seiner Präferenzen und Merkmale (und sonstigen Eigenschaften) annehmen.304 Diesen Akteur jenseits seiner Konstituentien als ontologisch und kausalitätstheoretisch zu verifizierende Entität gibt es nicht. Auch theologisch ist eine solche Figur nicht zu rechtfertigen, da sie ja (wie bei Chisholm explizit) mit Gottesprädikaten belegt werden muss. Die Strategie, einen solchen Extra-Faktor einzuführen, erreicht letztlich nur eine Problemverschiebung. Denn auch in Bezug auf diese neue Instanz müsste ja, wenn Freiheit kein Mysterium305 werden soll, gefragt werden: Wie und warum trifft diese Instanz Entscheidungen? An welchen Kriterien und Normen orientiert sie sich? Weil der Erklärungsgewinn, den ein solchermaßen konstruierter freier Akteur bringen sollte, auch manch libertarisch gesinntem Philosophen nicht deutlich ist, wird in diesem Kontext noch eine andere, gewissermaßen minimalistische Position vertreten. So hat etwa Carl Ginet als zentraler Vertreter einer Richtung, die »einfacher Indeterminismus«306 genannt werden kann, Kritik geübt am Konzept der Akteurskausalität; deren zentrale Instanz vermöge auch nicht zu zeigen, warum in bestimmten Situationen der Indeterminiertheit eine Entscheidung gerade zu diesem Zeitpunkt exakt so und nicht anders ausgefallen sei.307 Der Verweis auf den Akteur kann hier, und darin ist Ginet zuzustimmen, nichts weiter deutlich machen, als dass es eben der Akteur war, der so handelte; er kann aber gerade keine Antwort auf die Warum-Frage geben. Überhaupt sei es nicht notwendig bzw. möglich, für jede Entscheidung eine kausale Erklärung geben zu können, weshalb

304 Damit ist nicht gesagt, dass ein Akteur als Person mit seinen Präferenzen identisch ist. 305 Dies allerdings nimmt etwa Galen Strawson an, vgl.: ders., Free Will remains a Mystery. 306 So Kane, Free Will, 53; aber auch Ginet selbst, siehe ders., Freedom, 209. 307 Ginet, Freedom, Responsibility, Agency, 215. Ähnlich argumentiert Kane, dass mit der Einführung eines solchen Akteurs das Zufallsproblem noch nicht aus der Welt geschafft ist (ders., Free Will, 49).

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man die Position auch zu den »Akausalisten«308 rechnet. Prototyp solcher Entscheidungen sind spontane Handlungen. Wenn eine Handlung zu erklären ist, dann genüge es, bestimmte Motive oder Intentionen zu nennen, die aber nicht in kausaler Weise mit der letztendlichen Tat zusammen hängen müssen.309 Wenn diese Handlung nicht durch Antezedensbedingungen determiniert ist, so ist sie schlicht frei. Deshalb kann hier von »simple indeterminism«310 gesprochen werden. Der Konzeption Ginets liegt die sinnvolle Unterscheidung von Handlung und Ereignis zu Grunde, wie sie von mehreren Philosophen der aktuellen Debatte, im deutschen Sprachraum etwa Geert Keil und Gottfried Seebaß311, angenommen wird. Allerdings kann die Unmittelbarkeit des Handlungsvollzuges und die Annahme von Indeterminiertheit noch nicht als Freiheitskriterium genügen. Denn obwohl Handeln aus Gründen nicht auf die Beschreibung durch kausale Wirkungsketten zu reduzieren ist, kann Freiheit nicht schlicht in Akausalität gesehen werden. Die Beschreibung eines Vorgangs als Handlung und als Kausalkette sind kategorial verschieden und schließen sich nicht gegenseitig aus. Auch müsste zusätzlich zur Indetermination noch ein positives Kriterium formuliert werden, wann explizit von Freiheit zu sprechen ist. Der schlichte, willentliche Vollzug ist hier noch nicht suffizient. Daher ist eine Domäne libertarischer Positionen die Beschreibung von »Willensfreiheit als hinderungsfreie Willensbildung«312. Damit ist nun nicht eine bestimmte Lücke im Kausalsystem gemeint, die der freie Wille dann gewissermaßen ausfüllt, sondern die freie Orientierung des Menschen, die auf seiner Fähigkeit beruht, selbstreflexiv den Willen zu bedenken, zu suspendieren, zu revidieren und schließlich auch in die Tat umzusetzen. Dabei muss dieser Willensbildungsprozess prinzipiell als offen, und zwar ontologisch (nicht nur epistemisch) offen gedacht werden, um dem inkompatibilistischen Grundanliegen gerecht zu werden. Zu würdigen ist, dass Freiheit in den Entstehungsprozess des Willens eingeschrieben wird, und nicht erst an der Stelle der Umsetzung eines Willens in die Tat verortet ist.

308 309 310 311 312

Keil, Willensfreiheit, 97. Ginet, Freedom, 217. Siehe FN 306. Vgl. Keil, Willensfreiheit, 118 ff; Seebaß, Signifikanz, 212; ähnlich Keil, Willensfreiheit, 133, der im Unterschied zu Seebaß allerdings sehr präzise von einer »Fähigkeit« spricht.

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Die libertarischen Ansätze fragen kritisch nach dem Geltungsanspruch kausaler und deterministischer Erklärungsstrategien. Muss jede Handlung, insbesondere freie Handlungen bis ins Letzte durch determinierende Faktoren zu rekonstruieren sein, um nicht dem Zufall anheim zu fallen? Robert Kane soll hier exemplarisch als sich pointiert äußernder Vertreter einer libertarischen Position zu Wort kommen, der insbesondere dem Zufallseinwand energisch entgegentritt.

4.3 Die Signifikanz des freien Willens – Robert Kane 4.3.1 Kritik des Kompatibilismus – oder die Suche nach einem anspruchsvollen Begriff von Freiheit Ein signifikanter Begriff von Freiheit beinhaltet nach Kane Elemente, die sich nicht in eine deterministische Weltsicht integrieren lassen.313 Dabei betont Kane, dass die Auseinandersetzung mit dem Determinismus für ihn nur einen Teil des vielschichtigen Problems Willensfreiheit ausmacht, das nicht auf die Alternative oder Konkurrenz von Freiheit und Determinismus zu reduzieren sei.314 Kane zeigt partielle Zustimmung zu kompatibilistischen Ansätzen darin, dass er Grundannahmen, die etwa auch von Pauen geteilt werden, in sein Konzept integriert. So spricht auch er in der Grundlegung des Begriffs »Wille« davon, dass eine sinnvolle Rede von Willentlichkeit die Abwesenheit von Zwang wie auch von Zufall (bzw. die Anwesenheit von Gründen und Motiven) erfordert. Diese allgemein anerkannten Grundsätze dienen als Grundlage der Argumentation.315 Dabei betont Kane, dass mit diesen Basisannahmen noch keine Entscheidung

313 Kane, Significance, 32; Dieses Grundanliegen des Inkompatibilismus versucht in der gleichen Formulierung auch Gottfried Seebaß zu erweisen (vgl. insgesamt ders., Die Signifikanz der Willensfreiheit). 314 Vgl. Kane, Significance, 5. 315 Vgl. a. a. o., 30, insbesondere die beiden folgenden Thesen: »An agent wills to do something at time t just in case the agent has reason or motives at t for doing it that the agent wants to act on more than her or she wants to act on any other reason.« (Willentlichkeit) und »An agent acts voluntarily (or willingly) at t just in case, at t, the agent does what her or she wills to do [...] for the reasons her or she wills to do it, and the agent’s doing it and willing to do it are not the result of coercion or compulsion.« (Abwesenheit von Zwang).

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über das Verhältnis von Freiheit und Determinismus gefällt ist.316 Dies bedarf eingehender Analysen dessen, was wir unter Freiheit verstehen wollen und verstehen können. Zu Beginn der Argumentation im engeren Sinne steht dann auch die Auseinandersetzung mit der Kompatibilitätsfrage, und somit die Diskussion der nicht nur im deutschen Sprachraum vorherrschenden Position des philosophischen Mainstreams. Zwei Punkte, die in typischer Weise die Trennlinie zwischen Kompatibilismus und Inkompatibilismus markieren, sind das Prinzip alternativer Möglichkeiten (PAP), das wir schon bei Pauen kennen gelernt hatten, und die Annahme von Letztverantwortung (ultimate responsibility, UR), die Kane beide genauer in den Blick nimmt. 4.3.1.1 Das Prinzip alternativer Möglichkeiten und das Konsequenzargument 1. Kane relativiert das Prinzip zunächst in dem Sinn, wie wir es oben interpretiert haben. Nicht für alle freien Entscheidungen sei das Prinzip als Voraussetzung zu nennen.317 Es gibt Fälle von leidenschaftlicher Freiheit – wie etwa die Situation Luthers vor dem Reichstag –318 in denen das Prinzip keinen Sinn ergibt, aber dennoch von Freiheit und Verantwortung zu reden ist. Das heißt allerdings noch nicht, dass die kompatibilistische Interpretation des Prinzips siegreich wäre. Für die spezifische Auslegung kommt erneut dem ebenfalls oben schon kennen gelernten, von Peter van Inwagen in kanonisch zu nennender Weise319 formulierten Konsequenz-Argument eine zentrale Stellung zu.320 Eine Reihe von kompatiblitischen Einwänden gegen das Konsequenz-Argument, mit denen Kane sich auseinandersetzt, beruhen auf Interpretationen einzelner Elemente unter ganz spezifischen Voraussetzungen. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Gegenargumente versuchen, einen Sinn von Anderskönnen oder Andershandeln zu plausibilisieren, der die Logik des Konsequenzarguments ad absurdum führen würde. Zu diesen Versuchen gehören die oben schon diskutier-

316 317 318 319 320

Ebda. A. a. o., 33. Vgl. FN 202. Siehe Hermanni, Gott Freiheit Determinismus, 16. Vgl. FN 232.

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te konditionale Analyse des Könnens von Moore.321 Wie schon im Kontext Pauens herausgestellt wurde, kranken die Einwände, die sich auf das Verständnis von Können beziehen, an einer spezifischen Schwäche. Sie sind zwar in der Lage, das Konsequenz-Argument logisch auszuhebeln (»ich hätte anders gekonnt, wenn ich anders gewollt hätte«), sodass auch bei Annahme des Determinismus von AP zu reden ist, setzen dabei aber schon die Position des Kompatibilismus, und das heißt hier, ein schwaches Verständnis von Anderskönnen voraus.322 Anderskönnen wird hier auf eine reine wenn-dann-Struktur reduziert, die analytisch nicht anzugreifen ist, die aber aufgrund der wiederum unausweichlich erscheinenden Grund-Folge-Sequenz gerade keine neuen, »echten« Handlungsalternativen bietet.323 Es hatte sich bereits gezeigt, dass die Argumente angesichts dieser Voraussetzungen nicht in der Lage sind, ein signifikantes, erst recht kein libertarisches Verständnis von Freiheit zu begründen. Die Einwände laufen auf die oben von mir so genannte Reduktion auf das Faktische hinaus und gleichen in ihrer Systematik dem Spitzensatz von Wolf Singer: »Keiner kann anders als er ist.«324 Demgegenüber wollen Inkompatibilisten ja gerade innerhalb ganz spezifischer Bedingungen von alternativen Möglichkeiten sprechen. Es sei hier eine Sackgasse zu diagnostizieren, in der sich ein jeweils auf ihre intuitive Plausibilität berufendes kompatibilistisches und inkompatibilistisches Verständnis von Können bzw. Anderskönnen gegenüberstehen.325 Die oben angemahnte, notwendige Integration der Kategorie der »Möglichkeit« versteht sich offenbar nicht von selbst.326 2. Angesichts der auf dieser Argumentationsebene nicht aufzulösenden Spannung haben sich Versuche ergeben, ein Verständnis von AP in den Blick zu nehmen, das über die gerade angedeuteten Konzeptionen hinausgeht. Ein bedeutungsvolleres Verständnis von AP muss, integrieren, dass sich innerhalb des Handlungsvollzuges der Person unterschiedliche Möglichkeiten ergeben. Diese Einsicht war auch für die Versuche von Anscombe und Austin leitend, alternative Möglichkeiten 321 Vgl. dazu ingesamt: Kane, Significance, 46-52. 322 Vgl. a. a. o., 48.51. 323 Allgemein können die Versuche nach Kane so formuliert werden (sogenannte »would...if«-Konstruktion): »You would have done otherwise, if you had willed or chosen or wanted to do otherwise.« (a. a. o., 52). 324 Singer, Selbsterfahrung, 159. 325 Vgl. Kane, Significance, 48.50-52. 326 Vgl. a. a. o., 33.

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in einem etwas stärkeren Sinn anzunehmen. Austin versuchte zu zeigen, dass die Aussage ich hätte anders handeln können, stets dann als wahr zu bezeichnen ist, wenn zufällige, nicht zu kontrollierende Einflüsse den Erfolg einer Handlung verhindern, bzw. wenn eine Person aufgrund der Struktur der Handlung nicht garantieren kann, sie bei gefasster Intention auch in die Tat umzusetzen.327 Zwischen »können« im Sinne einer Fähigkeit und »werden« als dem faktischen Vollzug des Vorgangs ist zu differenzieren. Ähnlich argumentiert Anscombe, die zu zeigen versucht, dass von Zurechenbarkeit oder Verantwortung immer auch dann zu reden ist, wenn eine Person nicht eine bestimmte Handlung determiniert, sondern »nur« für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens der Handlung zur Rechenschaft zu ziehen ist, sie also im Sinne einer »probabilistic causation«328 verursacht.329 Die von Kane skizzierten Argumentationsgänge führen auf plausible Weise zu der Einsicht, dass die Annahme des harten Kompatibilismus330, Freiheit und Verantwortung würden den Determinismus erfordern, als falsch zurückgewiesen werden können. Auch bei indeterministischen Variablen kann von Verantwortung und Freiheit gesprochen werden. Allerdings ist Kane auch darin zuzustimmen, dass mit der Verneinung der Notwendigkeit des Determinismus noch lange nicht die Notwendigkeit des Indeterminismus gegeben ist, deuten doch die bisher genannten Formen der Indetermination eher auf Zufall denn auf Freiheit hin. Auch muss damit konzediert werden, dass hier die Form des Determinismus, wie sie Michael Pauen vertritt, nicht kritisiert 327 Das von ihm angeführte Beispiel ist das eines Golfers, der einen bestimmten Put schlägt, der ihm schon oft gelungen ist, aber eben auch von Zeit zu Zeit misslingt. Hier kann ohne Sinnloses zu sagen, die Aussage »ich hätte auch anders handeln können« bejaht werden (vgl. a. a. o., 54). 328 Ebda.. 329 Kane nennt die Beispiele eines Arbeiters in einer atomaren Anlage, der durch Platzierung nuklearen Materials gesundheitliche Schäden bei seinem Vorgesetzten auslösen möchte. Obwohl er nicht garantieren kann, dass die beabsichtigte Folge eintritt, ist er bei Schädigung der Person verantwortlich zu nennen. Ähnlich gelagert ist der Fall eines Schützen, der aus großer Entfernung eine Person treffen möchte, wobei allerdings der Erfolg der Handlung aufgrund der großen Unwägbarkeiten wiederum unsicher ist. Verantwortung ist hier immer auch dann zuzuschreiben, wenn Wahrscheinlichkeiten geschaffen werden, nicht nur wenn eine Handlung einen Erfolg garantiert (Vgl. a. a. o., 55). 330 Als Vertreter werden von Kane Hobart, Schlick und Ayer genannt. Für Schlick gilt immerhin, dass er »Kausalität [im Sinne von Naturgesetzlichkeit, Anm. B. B. ] als Voraussetzung der Verantwortlichkeit« (Schlick, Wann ist der Mensch verantwortlich?, 166) postuliert.

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werden kann, bezieht sich ja in seinem Gedankengang die notwendige deterministische Relation auf personale Präferenzen und die daraus resultierenden Handlungen, nicht aber auf die Beziehung von Handlung und Erfolg einer Handlung. Die Tatsache, dass für den zweiten Fall Unwägbarkeiten auftreten können, dürfte nicht im Widerspruch zu der Annahme stehen, dass die Handlung selbst notwendig aus den personalen Präferenzen einer Person zu folgen hat. 3. Es wurde zwar bislang deutlich, dass bestimmte Formen des Kompatibilismus mit argumentativen Schwachstellen behaftet sind, die es zu überwinden gilt, es konnte aber noch nicht gezeigt werden, wie die Aufhebung oder Überwindung des Determinismus zu einem signifikanten Verständnis von Freiheit führen kann. Ein Sinn von PAP, der sich nur auf zufällig oder auf in nicht näher beschriebener Weise sich ergebende Alternativen gründet, ist nicht freiheitsrelevant. Von alternativen Möglichkeiten im Sinne einer anspruchsvollen Freiheitstheorie könne nur dann die Rede sein, wenn sich die Alternativen, also das Anders-Wollen, auch wiederum auf die Person selbst zurückführen lassen, wenn also auch das Anders-Wollen auf einem Wollen basiert.331 Es geht also um das Problem der Willensfreiheit. Dabei steht die Einsicht im Hintergrund, dass die Tatsache, dass ein Mensch willentlich (anders) handeln kann, noch nicht mit Freiheit gleichzusetzen, sondern auch eine mögliche Manipulierbarkeit oder Gebundenheit des Willens zu bedenken ist.332 Dieser Einwand konnte von der kompatibilistischen Position Pauens nicht entkräftet werden. Hierzu ist es notwendig, auch den Willen selbst wiederum zum Gegenstand einer Entscheidung machen zu können. Es ist leicht zu sehen, dass, wie auch in der Analyse Pauens schon deutlich wurde, eine solche Logik leicht in einen infiniten Regress führen kann, wenn nämlich jede Form des Wollens wieder konditional analysiert und auf seine möglichen Bedingungen befragt wird. Kane macht deutlich, dass jede Festlegung des Willens stets noch weiterhin analysierbar ist bezüglich 331 Dieser Einsicht gehen etwa die von Kane referierten Ansätze von Chisholm und Lehrer nach (vgl. Kane, Significance, 56-58). Auf den Sachverhalt des Anders-WollenKönnens weißen auch Brücher/Gonther, Psychotherapie, v. a. 173, im Rahmen philosophisch-psychiatrischer Überlegungen hin. 332 Vgl. Skinners Roman Walden Two, in dem die Frage nach der Freiheit von Bürgern gestellt wird, sich frei fühlen und denen es an nichts mangelt, deren Lebenswelt aber komplett von oben auf manipulative Weise gesteuert wird (ein Ausschnitt, in dem die Figur des Mr Castle die Skepsis an einem solchermaßen konzipierten Freiheitsbegriff verkörpert, ist abgedruckt in Kane, Free Will, 2002).

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der Entstehungsgeschichte des Willens; auch freies Wollen ist kein mysteriöses Geschen im luftleeren Raum. Damit ergibt sich für Kane die Einsicht, dass die Analyse des Prinzips alternativer Möglichkeiten noch nicht auf einen sicheren Grund führt, auf dem die Frage der Willensfreiheit in einer signifikanten Form zu diskutieren ist. Es stellt sich pointiert die Frage, inwieweit wir für unsere Prägungen und Motive, also für die Faktoren, die unsere Entscheidungen beeinflussen, verantwortlich sind? Kane diagnostiziert, dass hier der entscheidende Unterschied zwischen kompatibilistischen und inkompatibilistischen Konzeptionen der Willensfreiheit sitzt: »What I want to suggest [...] is that the fundamental reason incompatibilists and compatibilists clash over the meaning of ‘can’ and ‘could have done otherwise’ [...] is that incompatibilists usually take seriously a condition of Ultimate Responsibility like UR for free will, in addition to AP, while compatibilists do not.«333 Mit dem Prinzip der Letztverantwortung (UR) ist also Kane zufolge die entscheidende Demarkationslinie zwischen kompatibilistischen und inkompatibilistischen Konzeptionen erreicht. Diese Annahme ist plausibel, da die Analyse des PAP zu Tage brachte, dass hier noch unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten bestehen, die jeweils auf spezifischen Verstehens- und Denkvoraussetzungen beruhen. Soll das Prinzip der Letztverantwortung kritisch sein, so dürften derartige Interpretationsspielräume hier nicht mehr bestehen. Es bedarf also einer genauen Analyse des Prinzips und seiner Bedeutung für eine inkompatibilistische Position. 4.3.1.2 Letztverantwortung (Ultimate Responsibility) 1. Es wurde im Verlauf der Argumentation deutlich, dass sich das Problem der Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus nicht auf die Frage nach den aktualen Handlungsalternativen reduzieren lässt. Es geht nach Kane, wie er in Bezug auf Aristoteles feststellt, um die »arche«, die Quelle einer Handlung. Es müssen also deren Umstände und Vorgeschichte bedacht werden. Diesem Ansatz ist als Fragehorizont zuzustimmen, muss doch für die Zuschreibung von Verantwortung grundlegend erörtert sein, welche Faktoren in welcher Weise auf eine Entscheidung Einfluss nehmen. Damit wird das typisch libertarische

333 Kane, Significance, 59.

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Anliegen verfolgt, den Fokus weg von einzelnen Entscheidungen, Handlungen und deren Umständen, hin zu der Person als ganzer und ihrer Geschichte zu lenken.334 Freiheit wird somit als Problem sichtbar, das eine Person in ihrer umfassenden Existenz betrifft, was in einem Diskussionskontext, der sich oftmals nur auf die Frage nach der Freiheit einzelner Akte bezieht335, eine positive Erweiterung des Problembewusstseins darstellt. Gerade gegenüber Pauen bedeutet die grundlegend andere Verwendung des Personbegriffs eine deutliche Vertiefung. Um die Notwendigkeit der Bedingung der Letztverantwortung zu erhärten, grenzt sich Kane von dem Modell der Hierarchie der Volitionen nach Harry Frankfurt ab.336 Kane nennt den oben schon erwähnten Einwand des drohenden Regresses.337 Zur Vermeidung des Regresses formulierte Frankfurt ein Kriterium, das in der Annahme besteht, von Freiheit sei dann zu reden, wenn eine Person »wholehearted commited« sei zu einem bestimmten Wunsch,338 sie also in einem der Pauen’schen »identifikatorischen« Variante vergleichbaren Sinn mit einem Wunsch übereinstimmt. Mit diesem Argument ist aber Kane zufolge nicht der notwendige Bedeutungsumfang des Freiheitsbegriffs gegeben. Die Konzeption ist, wie ich schon deutlich gemacht habe, anfechtbar, weil auch sie den Manipulationseinwand nicht zu entkräften in der Lage ist. Auch eine solche Identifikation könnte manipuliert, und damit nicht selbstbestimmt sein.339 Es geht hier um eine Freiheit »in a deeper sence«340, die den solchermaßen manipulierten Menschen abzusprechen ist, da sie, ohne es zu wissen, gerade nicht Quelle ihrer Wünsche und Überzeugungen sind, sondern von außen kontrolliert werden. Von Willensfreiheit könnte hier nicht die Rede sein. Ein Einwand gegen die Annahme, hier von Unfreiheit zu sprechen, kann darin bestehen, zu bestreiten, dass überhaupt eine Form der Freiheit über die oben beschriebene hinaus, nämlich der fröhlichen Einheit mit sich selbst, existieren kann. Was sollten wir mehr wollen, 334 Vgl. auch Keil, Willensfreiheit, 132. 335 So ja explizit bei Michael Pauen, Illusion Freiheit, 28-30, auch wenn es ihm explizit um personale Freiheit geht. Die Fixierung auf die Übereinstimmung von personalen Merkmalen/Präferenzen und Handlungen legt allerdings einen falschen Schwerpunkt. Eine ähnliche Konzentration findet sich ja in den neurowissenschaftlichen Experimenten. 336 Vgl. oben 3.2. 337 Siehe S. 148, Belege in FN 77. 338 Siehe FN 202. 339 Kane spricht von »covert non constraining (or CNC) controll« (a. a. o., 66). 340 A. a. o., 65

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als ohne Bedenken von einer bestimmten Sache überzeugt zu leben, wenn es uns dabei gut geht? Den Personen in Skinners Roman »Walden Two« mangelte es ja an nichts. Die gleiche Frage könnte sich auch in theologischer Perspektive stellen: Wird Freiheit eingeschränkt, wenn wir von Gott zu unserem Heil, zu unserem Besten341 ohne unser Wissen determiniert sind? Kann es etwas Besseres geben als diese Festlegung auf das Gute, bzw. darf Freiheit um der Möglichkeit des Schlechten willen erkauft werden? Damit ist ein weiter Themenkreis, insbesondere auch das Theodizee-Problem angesprochen, was hier nur angedeutet werden kann.342 Kanes Option in der Fragestellung ist indes eindeutig. Es gehört für ihn zu einem sachhaltigen Verständnis von Freiheit, dass ein Mensch in selbstbestimmender Weise Quelle der eigenen Motive und Intentionen und damit des eigenen Willens ist. Es geht hier um Fragen menschlicher Würde, die in Kanes Augen höher zu bewerten sind als die Determination zum Guten. Diese Position kann auch nicht erschüttert werden durch die Unterscheidung von Dennett, der zwischen naturgesetzlicher, anonymer und damit auch absichtsloser Determination und willentlicher, manipulativer Kontrolle differenziert. Zwar erscheine uns die zweite Form intuitiv unsympathischer und freiheitsgefährdender, für die Frage nach unseren Fähigkeiten und der Quelle unserer Überzeugungen aber spiele die Differenzierung keine Rolle, da wir jeweils nicht selbst letzte Ursache unserer Überzeugungen sein könnten.343 So könnte hier zwar ein Unterschied gemacht werden hinsichtlich der kontrollierenden Macht, nicht aber hinsichtlich der Möglichkeiten, die der Person zukommen. Dies aber ist für die libertarische Position Kanes das entscheidende Kriterium für die Annahme von 341 Kane spricht von »benign CNC control« (a. a. o. 69). 342 In religionsphilosophischem Kontext wurde diese Fragestellung ausführlich diskutiert, und von einigen Vertretern im Sinne der unbedingten Werthaftigkeit der Freiheit beantwortet (»Free-Will-Defense«), die auch die Ermöglichung von Übeln rechtfertige. Vertreten wird dieses Argument z.B. von Richard Swinburne oder Alvin Plantinga (vgl. die Zusammenstellung bei Kreiner, Gott im Leid, 212-239); auch Descartes hat eine Freiheitstheorie mit ähnlichem Impetus vertreten, der zufolge es auch zur Freiheit gehöre, gegen Vernunft und Moral, also das offensichtlich Gute, handeln zu können (vgl. Steinvorth, In welchem Sinn?, 14-16). Das theologische wie philosophische Problem, das sich hier zeigt, spitzt die Frage zu auf die Alternative, ob einer Freiheit zu (möglicherweise auch dem Bösen) oder einer Freiheit von (dem Bösen, der Sünde, etc.) der primäre Status einzuräumen ist. Ich komme darauf im theologischen Teil zurück (siehe insbesondere III, 6.4). 343 Vgl. Kane, Significance, 70 f.

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Freiheit, »to demand that the ultimate source of our wills lies in us and not in something outside us.«344 Die Argumentation ist hier, was das menschliche Selbstverständnis betrifft, als schlüssig anzusehen. Der Determinismus ist in der Lage, dieses in Frage stellen, weil hier ein Notwendigkeitszusammenhang etabliert ist, der die Urheberschaft von Handlungen nicht mehr letztlich in der Person selbst verorten lässt. Dies ist im Gegenüber zur Position Pauens zu betonen, der die Frage in dieser Tiefe nicht stellt und den Determinismus stets nur im Gegensatz zu Zufälligkeit thematisiert. Dennoch ergibt sich bezüglich der Letztheitsbedingung schon auf den ersten Blick der Einwand, dass niemand in dem Sinne Quelle seiner Selbst sein kann, dass er frei von jeglichen Voraussetzungen wäre oder sich selbst erschaffen hätte. Für jeden selbstreflexiven Akt ist, wie etwa Robert Spaemann deutlich gemacht hat, stets das jeweilige Sosein des Menschen als Voraussetzung zu denken.345 Kann dann noch von Letztverantwortung die Rede sein? 2. Ist eine Person letztverantwortlich für ein bestimmtes Ereignis E, so bedeutet das nach Kanes Verständnis Folgendes: Die Person ist verantwortlich in dem Sinne, dass ihre Handlung, die sie willentlich vollzog und für die ihr alternative Möglichkeiten zur Verfügung standen, entscheidend zum Auftreten des Ereignisses beitrug. Die Aktionen der Person brauchen das Eintreten des Ereignisses nicht zu determinieren, müssen aber eine kritische Rolle darin spielen. Ein solcher Sinn könnte allerdings auch von kompatibilistischer Seite getragen werden. Die Verantwortung ist aber nun in ultimativem oder letztem Sinn zu verstehen, da die Person auch für alle hinreichenden Ursachen, die zu der entsprechenden Handlung (bzw. Unterlassung) der Person geführt haben (also etwa deren Motive, Intentionen etc.) im gerade genannten Sinn verantwortlich zu sein hat. Wenn diese beiden Bedingungen erfüllt sind, so ist von Letztverantwortung (ultimate responsibility) zu reden.346 344 A. a. o., 71. 345 Vgl. Spaemann, Personen, 22 f.; aber auch G. Strawson, The Bounds of Freedom, pointiert in These 4.8, 448. 346 »UR: An agent is ultimately responsible for some (event or state) E’s occuring only if (R) the agent is personally responsible for E’s occuring in a sense which entails that something the agent voluntarily (or willingly) did or omitted, and for which the agent could have voluntarily done otherwise, either was, or causally contributed to, E’s occurrence, and made a difference to whether or not E occurred; and (U) for every X and Y (where X and Y represent occurences of events and/or states) if the

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Dabei ist die Verantwortlichkeitsbedingung als Basis des Arguments anzusehen, die aber noch nicht hinreichend ist, eine inkompatibilistische Sicht zu begründen. Es folgt allerdings aus der Verbindung beider Prinzipien, dass die Verantwortlichkeitsbedingung inklusive der Annahme von möglichen Alternativen für einige Entscheidungen zutreffen muss, die sich auf die Konstitution der Person auswirken und auf diesem Wege mittelbar, d. h. über die Formung personaler Merkmale bzw. Präferenzen wieder zur Grundlage anderer Entscheidungen werden. Für diese Entscheidungen muss PAP gelten. Welche Entscheidungen sind hier nun in den Blick zu nehmen? Der eben angeführten Definition zufolge geht es darum, dass der Akteur als »sufficient ground or cause or explanation«347 dieser Handlung verstanden werden kann. An einen kritischen Punkt gelangt man, wenn gefragt wird, was diese Suffizienz bedeuten kann. Nach Kane dürfen keine Bedingungen in eine Entscheidung einfließen, die nicht auch wiederum dem Verantwortungsbereich des Handelnden zuzurechnen sind, also eine Form der Fremdbestimmung einschließen würden. Die Sicherstellung der Verantwortung kann nun aber nicht so vonstatten gehen, dass die Person jeweils für alle Einzelelemente der Antezedenzien unmittelbar zuständig ist; dies würde in der Tat wiederum die Zuschreibung von Gottesprädikaten erfordern. Es geht nach Kane um einige zentrale Handlungen, so genannte »self-formingactions«348, für die das Verantwortlichkeitskriterium unmittelbar erfüllt sein muss, und die damit, um nicht anderweitige hinreichende Gründe (etwa Naturkausalität) annehmen zu müssen, nicht determiniert sein dürfen. Dies bedeutet, dass das PAP an diesen kritischen Stellen in starker, inkompatibilistischer Weise gilt. Der Indeterminismus wird also von Kane nicht prinzipiell gefordert, sondern muss für einige maßgebliche Entscheidungen angenommen werden können, die dann wiederum dafür sorgen, dass dem Verantwortlichkeitsprinzip im Ganzen genüge getan wird.349 Weil kompatibilistische Analysen von Können die Bedingung ultimativer Verantwortung, wie sie in den agent is personally responsible for X, and if Y is an arche (or sufficent ground or cause or explanation) for X, then the agent must also be personally responsible for Y.« (Kane, Significance, 72). 347 A. a. o., 72. 348 A. a. o., 74 und passim. 349 Eine falsche, jedenfalls nicht die Konzeption Kanes treffende Sicht von Letztverantwortung kritisiert Pothast, der davon ausgeht, dass Indeterminiertheit für alle Entscheidungen gelten muss (Pothast, Letzte Verantwortlichkeit, 126).

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selbstbildenden Handlungen zum Ausdruck kommt, nicht erfüllen, konstatiert Kane, dass das Konsequenz-Argument für diese Handlungen Gültigkeit erhält.350 Nach kompatibilistischem Verständnis sind Veränderungen die Folge von Naturgesetzen, Veränderungen können aber nicht durch selbstbestimmte Handlungen allererst hervorgerufen werden.351 Hier lässt sich der entscheidende Dissenz konstatieren. Die Annahme ultimativer Verantwortung unterscheidet kompatibilistische und inkompatibilistische Interpretationen. Zusammenfassend betont Kane, dass vor dem Hintergrund seiner Konzeption nicht nur die indeterminierten self-forming-actions mit dem Attribut der Letztverantwortung belegt werden sollen, sondern dass dies auch für solche Handlungen gilt, die mindestens im aktualen Moment der Ausführung determiniert erscheinen (vgl. Luthers »Ichkann-nicht-anders«). Die Verantwortung des Agenten für seine Entscheidungen ergibt sich mittelbar aus der Verantwortung für die Selbstbildung der eigenen Persönlichkeit, auch wenn der Wille der Person im Moment der Entscheidung keine Alternativen zulässt. Er ist dennoch als »own free will«352 zu bezeichnen. Entsprechend der Kane’schen Definition von Wille ist das Prinzip der Letztverantwortung damit so zu interpretieren, dass es um die freie Formung und Beibehaltung von handlungsleitenden Intentionen geht. Das Problem der Willensfreiheit ist damit von Kane in sinnvoller Weise auf die Personalität und Selbstbestimmung des Menschen als Ganzem gelenkt.353 3. Positiv zu würdigen ist die Betonung Kanes, dass Menschen, wenn ihnen Freiheit in einem gewichtigen Sinne eignen soll, nicht nur für Einzelfallentscheidungen Verantwortung tragen, sondern letztlich für das Ganze ihres Lebens, für sich selbst. Dabei geht es insbesondere auch darum, wer oder was eine Person sein will, wie sie ihren Charakter formt und welche Prioritäten sie setzt, und dann auch in Ausübung der Fähigkeit zur Antizipation darum, Verantwortung für die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu tragen.354 Wichtig ist auch, dass Vgl. Kane, Significance, These 11, 76. A. a. o., 76. A. a. o., 78, These 13. Vgl. These 12, a. a. o., 77: »[…] incompatibilists do not have to hold that all actions for which agents are ultimately responsible must be undetermined; ultimately responsible actions form a wider class of actions than undetermined SFAs.« 354 Das selbe Motiv betont Thorsten Pietrek, wenngleich in anderem freiheitstheoretischen Begründungszusammenhang: »Wir werden im Laufe unseres Lebens normalerweise zunächst immer freier; insbesondere liegt es auch irgendwann an uns, wel-

350 351 352 353

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Kane in der Frage nach der ultimativen Verantwortung die Frage nach der Entstehung des eigenen Willens stellt, die nicht einfach mit dem Hinweis auf die Determination durch Motive oder Präferenzen zu beantworten ist. Menschen können sich, sofern sie nicht einer Sucht oder einer anderen Zwangsstörung unterliegen, stets zu ihren Motiven verhalten, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Dass Kane die Frage nach der Verantwortung der Menschen für ihren Willen stellt, ergibt eine deutliche Vertiefung des Freiheitsproblems und ist ein durchaus gelungener Aufweis seiner Signifikanz. Menschliche Freiheit muss sich in der Gesamtschau eines personalen Lebens nicht immer wieder neu aktualisieren und in jeder Entscheidung unmittelbar sichtbar werden, sondern erwächst aus der grundlegenden Verantwortung von Menschen für sich selbst. Die relativ schematische Trennung von SFA’s und anderen Handlungen wird der Natur der Sache allerdings nicht unbedingt gerecht, da wir als Menschen in jeder Handlung – mehr oder weniger explizit und stark ausgeprägt – eine Antwort auf die Frage nach unserem Selbstbild geben und Kausalitäten in Gang bringen, die sich wieder auf uns auswirken.355 Der kritische Punkt ist die von Kane eingeführte Letztheitsbedingung. Welche Kriterien können formuliert werden, um dem ultimativen Charakter gerecht zu werden, ohne dabei auf eine Form von Extra-Faktor oder causa sui zu rekurrieren?356 Anhand der Kriterien für diese Form von Verantwortung wird sich die Leistungsfähigkeit der Konzeption zeigen müssen. Denn an der Letztheitsbedingung, die von einigen Philosophen generell bestritten wird, setzt normalerweise auch die Kritik an.357 Zunächst aber soll es um die mögliche Bedeutung und Werthaftigkeit einer solchen Form von Verantwortung gehen.

chen Charakter wir haben, sodass wir nicht nur verantwortlich sind für das, was wir im Rahmen unseres gegenwärtigen Charakters tun, sondern auch bis zu einem gewissen Grad für die Möglichkeiten, die uns offen stehen.« (ders., Personen, 46). 355 Ähnlich auch die Kritik von Keil, Willensfreiheit, 150 f. 356 Es ist gegen die theologischen Vorurteile (insbesondere aus protestantischer Perspektive, vgl. Klein, Willensfreiheit, 382) gegenüber libertarischen Konzeptionen zu betonen, dass Robert Kane es gerade vermeidet, Gottesprädikate für den Menschen in seiner Freiheit in Anspruch zu nehmen, und seine Theorie auch nicht in diesem Sinne zu verstehen ist. 357 Z.B. Galen Strawson, der die Annahme ultimativer Verantwortung für prinzipiell unmöglich hält, weil ein Mensch nie hinter die Bedingungen seiner Existenz zurückgehen kann (ders., Bounds of Freedom); Pothast, Letzte Verantwortlichkeit, 114-116.

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4.3.2 Die Signifikanz von Letztverantwortung 1. Die Pointe der bisherigen Argumentation kann identifiziert werden in der These, dass für die Zuschreibung von Verantwortung eine Form der Verursachung anzunehmen ist, innerhalb derer der Akteur eine Rolle einnimmt, die sich nicht durch andere Faktoren kausal vollständig erklären lässt – ein von Kane in pointierter Weise zugespitztes Anliegen, das im Grunde von allen libertarischen Positionen geteilt wird. Es geht nun um die Frage, warum und in welcher Hinsicht eine solche Form von Verantwortung und Freiheit es wert ist, gewollt zu werden. Von besonderer Bedeutung ist die Rolle, die der Akteur im Kontext von Handlungen spielt. Sie wird im Anschluss an Thomas Nagel bezeichnet als »sole authorship« oder »underived origination«358. Die Rolle der Person, im Besonderen ihres Willens ist als irreduzibel zu kennzeichnen, da nur die Intention des Akteurs die Handlung erklären kann. Es geht nun an dieser Stelle noch nicht darum, ob diese Form der Verursachung und das damit verbundene Verständnis von Freiheit logisch und rational konsistent sind, sondern um deren Signifikanz, also um die Frage, warum eine derartige Konzeption attraktiv ist und was sie für unser menschliches Selbstverständnis bedeutet. Kane expliziert diese Frage anhand verschiedener Aspekte. 2. Ein basaler Sachverhalt unseres Selbst- und Weltverständnisses ist die Annahme, dass es in unserer Welt Neues gibt, bzw. dass aufgrund von kreativen Leistungen neue Dinge in der Welt entstehen können. Für Kane steht hier eine Form von »genuine creativity«359 auf dem Spiel. Verlieren kreative Leistungen an Wert, wenn sie als Produkte bestimmter kausaler Abläufe erklärt werden können? In einem einfachen Sinne ist jede einzelne Entität neu, wenn sie ins Dasein tritt. Neu muss sich daher auf neue Typen von Ereignissen oder Erkenntnissen beziehen. Zu klären wäre hier die mögliche Beziehung zum Alten, um den Charakter der Neuheit exakt in den Blick nehmen zu können. Die Systemtheorie kennt etwa die Kategorie der Emergenz, die – grob gesprochen – besagt, dass neue Eigenschaften aus dem Zusammenwirken von Teilen eines Systems, also aus diesen erklärbar, auftreten, aber dennoch gegenüber den Eigenschaften der Bestandteile etwas Neues aussagen. Hier spitzt sich die Frage auf das Problem der Erklärbarkeit

358 A. a. o., 79. 359 A. a. o., 81.

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zu: Kann durchgängige bzw. sogar deterministische kausale Erklärbarkeit mit der Annahme von Neuem für kompatibel erklärt werden? Ein weiterer wichtiger Punkt, dem wir auch bereits in der Analyse Pauens begegnet sind, betrifft das menschliche Selbstverständnis im Sinne von Autonomie und der Möglichkeit zu eigenständiger, schöpferischer Tätigkeit.360 Menschen verstehen sich so, dass sie selbst Ursprung ihrer Handlungen sind, dass sie (durchaus im Kant’schen Sinne) in der Lage sind, neue Kausalketten anzustoßen.361 Sie grenzen sich damit von Formen der Fremdbestimmung ab (Heteronomie). Damit zusammen hängt die Annahme von Verdiensten für bestimmte Errungenschaften. Menschen schreiben sich Erfolge darum zu, weil sie der Meinung sind, dass sie Entscheidendes zum Zustandekommen einer bestimmten Sache beigetragen haben, und das Ereignis nicht vollständig durch äußere Umstände determiniert und verursacht war. Ähnliches ist zur Intuition der moralischen Verantwortung zu sagen, die einem Menschen Kane zufolge dann zuzuschreiben ist, wenn seine Handlung, sei sie ehrbar oder nicht, nicht vollständig auf ihre äußeren Umstände zurückzuführen ist, sondern die Person eine wesentliche Rolle für die Handlung gespielt hat. Ein zweiter Kreis von grundlegenden inkompatibilistischen Einsichten betrifft die von Peter F. Strawson so genannten reaktiven Einstellungen.362 Unter diesen Einstellungen werden Haltungen wie Dankbarkeit oder Bewunderung verstanden, die für unser Zusammenleben und die dafür nötigen gegenseitigen Zuschreibungen notwendig sind. Strawson geht davon aus, dass diese Einstellungen so tief im menschlichen Selbstverständnis implementiert sind, dass sie auch bei Annahme eines durchgängigen Determinismus weiterhin Bestand hätten. Dem stehen inkompatibilistische Ansichten gegenüber, die diese basalen Einstellungen durch den Determinismus unterminiert sehen. Wir könnten nicht mehr dankbar oder neidisch sein, wenn wir wüssten, dass alle Handlungen unausweichlich geschehen mussten.363 Kane zufolge sind diese unsere Einstellungen unmittelbar mit der Annahme letzter Verantwortung verbunden und damit letztlich an inkompatibilistische Intuitionen gebunden. 360 A. a. o., 81. 361 Vgl. Kant, Prolegomena, § 53 (Anmerkung), A 153 (Weischedel 217); KrV, A 446 (Weischedel 428). 362 Vgl. S. 142 sowie Strawson, Freedom and Resentment (deutsch in Pothast, Seminar). Vgl. hier Kane, Significance, 83-85. 363 Vgl. das Zitat von Nagel, a. a. o., 84.

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Eine dritte Klasse inkompatibilistischer Intuitionen betrifft das Themenfeld von Individualität, Würde und Hoffnung.364 Durch die Annahme des Determinismus können sich Menschen in ihrer Würde beeinträchtigt fühlen, da sie eingegliedert werden in einen bestimmten Kausalmechanismus und darin nicht mehr sind als eine Entität eines bestimmten Typs.365 Unsere Handlungen können dann auch nicht mehr in einzigartiger Weise auf uns selbst zurückgeführt werden, sondern sind Teil eines umfassenden und zwingenden Kausalnexus. Wir spielen keine entscheidende, aktive Rolle mehr, sondern werden in unwürdiger Weise gespielt. Das Selbstverständnis eines Menschen als Person und die damit einhergehende Würde steht hier radikal in Frage, weil der Mensch nicht mehr als »ultimate source«366 seiner Handlungen verstanden wird. Damit verbunden ist unsere Annahme, dass die Zukunft stets offen ist und wir uns aktiv dazu verhalten, und auch Hoffnungen bezüglich dieser Zukunft ausbilden können. Nur weil die Zukunft nicht als von vornherein determiniert verstanden wird, können wir diese Einstellungen einnehmen. Ähnliches gilt für unser Verständnis von Liebe und Freundschaft. Nur weil wir davon ausgehen, dass eine solche Form der Beziehung nicht vollständig durch einen 364 Siehe Kane, Significance, 85-89. 365 »[...] persons would thereby be treated as instances of types rather than unique individuals.« (a. a. o., 86). Vgl. hierzu die in eine ähnliche Richtung gehenden Gedanken von Robert Spaemann. Er argumentiert, mit dem Attribut Person werde keine Entität bezeichnet, die einer gewissen Sorte aufgrund identifizierbarer Eigenschaften zurechenbar sei (ders., Personen, 14-16) und die daher als »Instantiierung einer Wesenheit« (a. a. o., 39) bezeichnet werden könne. Mit dem Stichwort Person wird etwas Ursprüngliches gemeint, eine Instanz bei der es keinen Übergang zum oder vom Etwas gibt. »Person ist kein Artbegriff, sondern die Art und Weise, wie Individuen der Art ‘Mensch’ sind.« (a. a. o., 163). Person wird man nicht aufgrund bestimmter Qualitäten, sondern durch die spezifische Form, wie das Allgemeine verkörpert wird. An dieser spezifischen Bezugnahme auf das Allgemeine wird sogleich auch der Unterschied der Spaemann’schen Position zu Kanes Argumentation deutlich. Letzterer legt den Schwerpunkt auf die Individualität im Sinne der Unterscheidbarkeit und Möglichkeit zur Zuschreibung von Verantwortung, nicht so sehr auf die einem solchen Individuum aufgrund seiner ursprünglichen Zugehörigkeit zur Menschheit eignenden Würde und Anerkennung. Gegen die zu starke Konzentration auf das Individuum im Kontext inkompatibilistischer Positionen spricht sich auch Pietrek aus. Er betont, Personen seien gerade als »Instanzen eines Allgemeinen« (Titel des Aufsatzes) frei, was allerdings hier nicht Sinne einer Zugehörigkeit zu einer Klasse interpretiert werden darf, vielmehr als Enthobenheit aus dem Kausalzusammenhang, dem einzelne Entitäten eingeordnet sind. In diesem Sinne liegt die Position Pietreks also wieder auf der Linie Kanes. 366 A. a. o., 87.

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Kausalnexus determiniert ist, sondern einen unhintergehbaren Grund in der Person selbst besitzt, nehmen wir solche Lebensäußerungen ernst. Nur wenn wir sie als authentische Einstellungen begreifen, besitzen sie auch Relevanz für unsere Beziehungen.367 Die genannten Annahmen erfordern nach Kane ein Verständnis menschlicher Handlungen in dem Sinne, dass sie »Of One’s Own Free Will«368 geschehen. Die inkompatibilistischen Intuitionen haben also essentiell mit der relationalen Verfasstheit menschlicher Existenz zu tun. Sie entspringen sowohl unserem Selbstverständnis, und damit unserem Selbstverhältnis als Personen in der Welt, als auch unserem Verhältnis zu anderen Menschen. Diese Tatsache sei betont, da sie für die Anschlussfähigkeit der theologischen Diskussion eine große Rolle spielt und eine wichtige, korrigierende Kontextualisierung gegenüber neurowissenschaftlichen, aber z. t.auch gegenüber kompatibilistischen Argumenten bietet. 3. Können nun aber die genannten Aspekte nicht auch kompatibilistisch hinreichend expliziert werden? Exemplarisch stelle ich die Frage anhand des Kriteriums von Neuheit und Kreativität. Wäre nicht auch dann in einem sachhaltigen Sinn von Neuheiten zu sprechen, wenn das Entstehen der Neuheiten kausal determiniert war? Kann nicht, so Kanes Beispiel, Beethovens fünfte Symphonie auch dann noch als grandiose kreative, und damit neuartige Leistung gewürdigt werden, wenn wir konzedieren, dass sie aus deterministisch interagierenden Faktoren resultiert? Für Kompatibilisten ist diese Frage eindeutig mit ja zu beantworten. Die inkompatibilistische Meinung beruht dann dieser Logik zufolge auf besonders starken Interpretationen der Begriffe, etwa Kreativität oder Neuheit. Es geht um die Frage, was unter »genuine« oder »true«369 verstanden werden kann, und anhand welcher Kriterien wir eine Person für moralisch verantwortlich halten für eine bestimmte Tat oder Leistung. Kompatibilistische Meinungen erreichen dabei nach Kane nicht den tieferen Sinn der inkompatibilistischen Ansichten. Einmal mehr zeigt sich, dass sich hier zwei grundsätzliche Ansichten einander gegenüberstehen, die von differierenden Intuitionen und 367 Kane weist an dieser Stelle auf die theologische Relevanz des Themas hin. Hier geht es vor allem um die Frage, ob der Mensch derart geschaffen ist, dass er aus eigenem Willen Gott zu lieben in der Lage ist, oder ob diese Gottesliebe (oder auch Abneigung) als eine unvermeidliche Folge des Schöpfungsaktes bzw. des Sündenfalls zu verstehen ist. 368 A. a. o., 88. Vgl. ausführlicher a. a. o., 78. 369 A. a. o., 89.

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Basisannahmen getragen werden. Wie kann vermieden werden, dass die Argumentation hier in einer Sackgasse endet? Kane stellt fest, dass man es mit massiven metaphysischen Fragen zu tun bekommt, die nicht in schlichter Weise zu beantworten sind. Vor allem wendet er sich gegen die vielfach von Kompatibilisten geübte Reduktion des Problems auf praktische Fragen. »But debates about free will go beyond the practical concerns of the law courts and everyday conflicts. They are about the human condition broadley conceived, about our place and importance in the scheme of things.«370 So habe etwa die Fähigkeit, sich selbst zu bewegen, eminent mit der Fähigkeit zu tun, sich selbst von der Welt und anderen zu unterscheiden und damit sich selbst als eine »distinct source of motion or activity in the world«371 zu erfahren. Wäre das nicht der Fall, wäre ein Mensch nicht Teilnehmer am Weltgeschehen, sondern nur apersonaler Teil des Ganzen. Das, was wir unter Wille und Handlung zu verstehen haben, hat eminenten Einfluss auf unser (metaphysisches) Selbstverständnis. Dieser Diagnose kann, nach allem was ich bislang erörtert habe, nur zugestimmt werden. Die Frage konzentriert sich wiederum auf das Problem menschlichen Personseins. Damit im Zusammenhang steht die Unterscheidung von Selbstund Fremdbestimmung, und wiederum damit korreliert die Unterscheidung personalen Handelns in der Welt von naturgesetzlicher Kausalität. 4. Die Erfahrung unserer selbst als von der Welt zu unterscheidende Quelle separiert uns nun Kane zufolge nicht vollständig von unserer Lebenswelt. Wir lernen, uns selbst auch als Teil der Welt zu verstehen, in der es außer uns noch unzählige andere Quellen von Bewegung und Aktion gibt, die von uns nicht zu kontrollieren sind und auf uns einwirken.372 Daraus ergibt sich uns die Frage, ob der Eindruck, wir wären eigenständige Quellen von Bewegung und Handlung nicht doch täuscht, und das, was wir meinen eigenständig zu tun, nicht letztlich auf äußere Ursachen zurückzuführen ist? Es ist zu betonen, dass Kane einer möglichen Lösung dieser »dialectic of selfhood«373, nämlich der Postulierung eines ontologischen Dualismus Descarte’scher Prägung, entschieden entgegentritt. Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil die im ersten Teil behandelten Neurowissenschaftler in ihrer Abwehr 370 A. a. o., 92. 371 A. a. o., 93. 372 »We find out that we are in the world and are influenced by it in many different ways.« (a. a. o., 94). 373 A. a. o., 93 und passim.

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jeglicher libertarischer Positionen diesen beständig die Annahme eines solchen Dualismus unterstellen. Ähnlich ist auch die Argumentation bei kompatibilistisch orientierten Philosophen und Theologen strukturiert. Es verdient daher Lob, eine libertarische Position zu formulieren, die auf ein dialektisches Bild des Selbst zurückgreift, das geprägt ist von beiden Möglichkeiten: Einwirkung auf die Welt, aber genauso auch Beeinflussbarkeit und In-der-Welt-Sein. Das Verhältnis beider Relationen, so ein erster Schritt zum Kane’schen Lösungsansatz, könnte nun aber auch so verstanden werden, dass das Selbst zumindest partiell fähig ist, die Einflüsse der Welt zu kontrollieren oder zu kanalysieren, sodass es nicht vollständig und schutzlos fremden Einflüssen unterlegen ist. Es kann selektiv vorgehen.374 Dennoch ist das Problem auch auf dieser Stufe noch nicht abschließend zu lösen. Es droht auch hier wieder das Damoklesschwert des Determinismus: Wie können wir sicher sein, dass auch unser Selektionsverhalten und damit unser vermeintlich selbstbestimmtes Verhältnis zur Welt, das teilweise Passivität einschließt, nicht auch wieder determiniert ist? Die anonym zu denkende Macht des Determinismus könnte theoretisch auch diese Selbsteinschätzung wieder unterminieren. Dieser Gefahr kann nach Kane nur entgangen werden, indem auf die Konzeption letzter Verantwortung rekurriert wird. Es zeige sich, dass das Problem der Willensfreiheit als ein Folgeproblem der Metaphysik des Selbst zu verstehen ist: »[...] free will is a higher stage resond to the dialectic of selfhood.«375 Das Freiheitsproblem ist essentiell mit grundlegenden anthropologischen Fragen verknüpft. Es kann nicht sinnvoll diskutiert werden, ohne nicht wenigstens einige anthropologische Grundunterscheidungen zu treffen.376 Die Frage nach dem freien Willen ergibt sich im Gegenüber zu deterministischen Herausforderungen aus dem Selbstverständnis von Personen, eine als distinkt erfahrene Quelle von Handlungen zu sein.377 Indem wir uns freien Willen zuschreiben, wollen wir nach Kane eine solche Quelle sein. 374 A. a. o., 95. 375 A. a. o., 96. 376 Damit ist nicht gesagt, dass das Leib-Seele-Problem in einer schlüssigen Konzeption gelöst werden müsste, um eine Position zum Thema Willensfreiheit einnehmen zu können. Eine prinzipielle Orientierungsfähigkeit und grundlegende Abgrenzungen sind aber durchaus einzufordern. 377 »I am suggesting that free will is deeply implicated and intertwined with the idea of being such an independend self.« (a. a. o., 96).

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5. Zusammengefasst zeigt sich, dass Willensfreiheit in dem von Kane beschriebenen letzten Sinne für die Werthaftigkeit menschlicher Existenz Signifikanz besitzt. Zuschreibungen, wie wir sie als grundlegend für unser Selbstverständnis als freie Wesen erkannt haben, erachten wir nur dann als angemessen, wenn sie eine Art von »objective worth«378 repräsentieren, wenn sich also Wertung und bewertetes Objekt in Übereinstimmung befinden. Nur wenn wir Lob oder Tadel wirklich verdienen, können wir uns als frei handelnde und letztlich auch verantwortliche Wesen verstehen. Aus dem Bedürfnis, nachzudenken und sich selbst zu verstehen, erwächst erst dieses Bedürfnis nach objektiver Werthaftigkeit. Wäre dies nicht der Fall, könnte für uns auch das subjektive Glück des Einzelnen mit dem Risiko des Betrugs als höchstes Gut gelten. Dies zu akzeptieren oder auch nicht, ist allerdings nach Kane eine Frage der Einstellung. Das skizzierte Selbstverständnis ist im Rahmen der lebensweltlichen Vollzüge, und das heißt insbesondere in den diese Lebenswelt konstituierenden Relationen, so strukturiert, dass wir im Sinne der Zuschreibbarkeit von Handlungen, Leistungen, aber auch Emotionen uns selbst als »Quelle« dieser Lebensäußerungen ansehen. Nur wenn wir uns so verstehen, kann uns auch die dem entsprechende individuelle Würde und Werthaftigkeit zugeschrieben werde. Dabei ist der Gedankengang nicht so zu deuten, dass wir der Welt enthoben sein müssten, um diese ursprüngliche Form von Selbständigkeit zu repräsentieren; vielmehr geht es Kane um eine spezifische Form des Weltverhältnisses, innerhalb dessen wir und unsere Handlungen nicht vollständig aus den kausalen Umständen erklärbar sind. Worauf Kane abhebt ist, dass unterschiedliche Positionen zum Thema Willensfreiheit auf spezifischen Wertvorstellungen basieren. Dabei könne nun nicht jeder mit argumentativer Kraft überzeugt werden; es sei zu versuchen, inkompatibilistische Elemente auf grundlegende, möglichst nahe liegende und plausible menschliche Intuitionen zurückzuführen. Wem diese dann aufgrund bestimmter Wertvorstellungen nichts bedeuten, der wird auch kaum überzeugt werden. So würden etwa manche Buddhisten die Sehnsucht, ein autonomer Agent zu sein, nicht teilen können.379 Kane geht jedoch davon aus, dass seine inkompatibilistische Position sich so eng unserem Selbstverständnis als 378 A. a. o., 97. 379 Damit ist korrekterweise die von Walter Sparn so genannte »Kulturalität« des freien Willens benannt (ders., Der freie Wille, 3).

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Personen, mit unserem Bedürfnis ein jemand und nicht nur ein etwas zu sein,380 verbunden ist, sodass ein hohes Maß an Plausibilität erzielt werden kann. Die von Kane dargestellten Aspekte menschlicher Existenz leuchten im Kontext einer aufgeklärten westlichen Kultur ein. Die dargebotenen Argumente verstärken die Intuition, dass unser Selbstverständnis und die damit einhergehende Würde in Frage steht, wenn wir nur mehr ein Glied in unwiderstehlichen Kausalketten wären; in Auseinandersetzung mit dem Kompatibilismus waren ja die entsprechenden problematischen Konsequenzen schon angeklungen. Daher geht es nun um die Frage der Existenz eines solchen »Selbst«, das sich als (willens-) frei verstehen kann.

380 Siehe den Untertitel von Spaemanns Schrift »Personen«.

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4.3.3 Intellegibilität und Existenz der Willensfreiheit: Plurale Rationalität 1. Mit Recht wendet sich Kane grundsätzlich gegen den häufig geübten Vorwurf, libertarische Konzeptionen seien per se dem Zufall verpflichtet.381 Dies war ja von kompatibilistischer Seite gerade das Hauptargument gegen libertarische Konzeptionen der Willensfreiheit. Diesem Vorwurf sucht Kane nun zu entgehen, indem er einen Ansatz »pluraler Rationalität«382 entwirft. Kane erweitert somit seine Konzeption »dualer Rationalität«, die schon umfassend diskutiert wurde.383 Damit ergreift Kane »a deeper problem for indeterminist theories of freedom«384 als es die gängigen Vorwürfe der Zufälligkeit und Willkürlichkeit nahe legen.385 Das Problem stellt sich – wie auch bei Pauen deutlich wurde – angesichts von Entscheidungen mit einer bestimmten Vorgeschichte und unter bestimmten Umständen. Hier geht es nun um die Frage, ob angesichts identischer Vorgeschichte, identischer Prägungen und Abwägungsprozesse verschiedene Handlungsmöglichkeiten rational verstanden werden können386, oder ob diese Alternativen notwendig nur noch als zufällige oder willkürliche Schwankungen, aber dann gerade nicht mehr als Handlungen einer Person erklärt werden können. Es geht also sowohl darum, einlinige Formen der Rationalität zu überwinden,387 als auch Konzeptionen von Indifferenzfreiheit hinter sich zu lassen. Für Letztere gilt, dass Entscheidungen nicht mehr erklärbar

381 Auch Geert Keil verfolgt dieses Anliegen im deutschen Sprachraum sehr eindringlich (siehe ders., Willensfreiheit, 103-117. 382 A. a. o., 107. 383 Vgl. exemplarisch Double, Metaphilosophy, 69-76, sowie die bei Kane aufgeführten Belege (ders., Significance, 229, FN 3). 384 A.a.0., 107. 385 Neben den deutschsprachigen wie Pauen, vor allem Hobart, Schlick, Ayer. 386 »[...] compatibilists are not committed to the indeterminist condition, which requires that the alternative choice occur given the exactly the same prior circumstances.[…] What we seem to want in free choice is the power to go more than one way […] rationally and deliberately […]. We want the choice to be rational, whichever way it goes.« (a. a. o., 108). 387 Kane wendet sich an dieser Stelle auch gegen das bekannte Diktum Leibniz’, Gründe würden uns einer Entscheidung zuneigen aber nicht zwingen. Leibniz setze hier auch eine Form von einliniger Rationalität voraus, die jede Entscheidung gegen gute Gründe als zufällig oder willkürlich erscheinen lassen muss (vgl. a. a. o., 108).

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wären, sondern auf den Zufall zurückgeführt werden müssten. Kane widerspricht diesem Hauptargument gegen libertarische Konzeptionen energisch.388 2. Ein weiterer Aspekt der Pluralität von Entscheidungen ist nach Kane die plurale Willentlichkeit. Es muss festzustellen sein, dass verschiedene Alternativen als willentlich zu vollziehen gedacht werden können; es müsste also ohne Weiteres möglich sein, diese Handlungen zu tun, ohne dabei gezwungen zu werden.389 Ebenso wie Zwang muss auch hier der Zufall ausgeschlossen werden. Zufällige Schwankungen, die zum Misserfolg einer Handlung führen, können nicht als alternative Möglichkeit im Sinne pluraler Volitionalität verstanden werden. Daraus resultiert ein Verständnis pluraler willentlicher Kontrolle. Wenn Zwang und Zufall außen vor bleiben, so können nur solche Alternativen im Sinne des Kane’schen Begriffs von Pluralität gedacht werden, die jeweils als vom Akteur kontrolliert390 und durchgeführt anzusehen wären, würde er sich dazu entscheiden. Welche der Optionen gewählt wird, hängt dann nur von der aktualen Entscheidung des Handelnden ab. Warum ist diese Pluralität so wichtig? Würde nicht auch eine Form von »one-way-rationality«391 den Anforderungen an eine sinnvolle Konzeption der Willensfreiheit genügen? Wie bislang deutlich wurde, will Kane herausstellen, dass diese Argumentation den inkompatibilistischen Intuitionen nicht Genüge tun würde und damit nicht zu einer entsprechend anspruchsvollen Konzeption von Willensfreiheit beitragen könnte. Der Grund dafür liegt in der im vorigen Abschnitt erörterten Annahme ultimativer Verantwortung menschlicher Akteure. Wie hängen UR und plurale Rationalität zusammen? Entscheidend ist hier die Letztheitsbedingung (das »U«) des Prinzips. Es geht nicht nur darum, dass ein Mensch für seine Taten letztverantwortlich ist, sondern auch für den diese Taten hervorbringenden 388 Darauf zielt auch die Argumentation der Libertarier Ginet, Reasons Explanation, und Nozick, Choice and Indeterminism. Beide sehen freie Handlungen als indeterminierte, aber dennoch rational erklärbare und darum nicht zufällige Handlungen an (explizit Nozick, Choice, 105-107). 389 Den freien Willen als plurales Vermögen kennt schon Duns Scotus, der diese Konzeption in Auseinandersetzung mit Aristoteles entwickelt (Quaestiones super libros). Vgl. die Interpretation von Buchheim, Freiheit als qualitative Auszeichnung, 30 f. 390 Mangelnde Kontrolle, als Eigenschaft zufälliger Ereignisse, ist das Hauptargument gegen plurale Rationalität im Kane’schen Sinn (etwa Double, Metaphilosophy, 75). 391 A. a. o., 112 und passim.

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Willen.392 Diese Zuspitzung ist zentral für ein libertarisches Verständnis von Freiheit. Nur wenn auch der Wille selbst der Kontrolle des Handelnden unterliegt, kann von Willensfreiheit gesprochen werden. Wäre der Wille anderweitig verursacht, und die Person würde in Übereinstimmung mit diesem Willen handeln, so könnte nur von Handlungsfreiheit gesprochen werden.393 Hier befinden wir nun exakt an der Demarkationslinie zwischen kompatibilistischen und inkompatibilistischen Freiheitskonzepten. Libertarische Freiheit schließt ein, dass Personen auch für die aktual vielleicht nicht zu ändernde Ausrichtung des Willens in letztem Sinn verantwortlich sind. Das bedeutet nun wiederum, dass wir zur Klärung der Frage, warum plurale Rationalität eine so große Bedeutung besitzt, zu den kriteriologisch zentralen »selfforming-actions« zurückgehen müssen, die der Kane’schen Konzeption gemäß am Ende der kausalen Erklärungskette stehen. »To say that these self-forming acts could not be such that the agent’s predominant motives and will were set one way when they were performed is to say that SFAs must be more-than-one-way-rational or motivated. Moreover, we know that SFAs must also be plural voluntary [...] SFAs must be ‘will-setting’ and cannot presuppose a will already set.«394

Plurale Rationalität und Willentlichkeit muss also am neuralgischen Punkt des ganzen Systems ansetzen. Wenn die Bedingung der UR gelten soll, und wenn SFAs gewissermaßen die Garanten dieser Bedingung sind, dann muss das Pluralitätskonzept genau hier greifen. Nur wenn die Ausrichtung des Willens nicht wieder notwendig zurückführbar ist auf andere Antezedensbedingungen, und das heißt eben, wenn sich verschiedene Möglichkeiten ergeben in Rückführung auf die Person des Handelnden, kann dieser auch als letzter Grund der Handlung verstanden werden. 3. Damit eine solche Handlung nicht mysteriös oder unerklärbar wird, muss es Faktoren geben, »over and above the past circumstances and laws of nature to account for the agent’s choosing one way rather than the other rationally, voluntarily, and under the agent’s control«395. Für Kane kommen an dieser Stelle aber eben keine Faktoren in Frage, 392 A. a. o., 113. 393 »For it may be that [...] someone or something else produced in you a sufficient motive for acting as you did. You would then be able to control your act in accordance to your will, but would not have ultimate control over your will. You would have freedom of action, but not freedom of will.« (a. a. o., 113). 394 A. a. o., 114. 395 A. a. o., 115.

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die nur eine Art black box darstellen, aber nichts mehr erklären, wie etwa »transempirical power centers«396. Diese würden das Ansinnen der Intellegibilität geradezu konterkarieren. Kane will nur auf Erklärungsmodelle zurückgreifen, die auch von nicht-Libertariern benutzt werden könnten. Er lehnt daher bewusst solche Strategien ab, die dem gerade genannten Kriterium nicht genügen, wie etwa alle tendenziell dualistischen Lösungen oder auch die Konzeption der Akteurskausalität. Der einzige Unterschied zum Kompatibilismus dürfe in der Einbindung indeterministischer Prozesse bestehen.397 Damit unternimmt Kane den respektablen Versuch, eine auch im Rahmen kompatibilistischer Denkmuster erklärbare Konzeption zu formulieren, und den Inkompatibilismus von der Aura des Mysteriösen zu befreien. 4.3.4 Moralische Entscheidungen und Klugheitsentscheidungen 1. Kane geht nun einen Schritt weiter, indem er versucht, auf dem Wege bestimmter Gedankenexperimente die erörterte Signifikanz der Frage nach der Existenz des freien Willens zuzuführen. Wenn SFAs die Handlungen darstellen, die notwendig sind, um von freiem Willen zu sprechen und daher den Regress einer erklärenden Kausalkette zu stoppen, so kann von »self-forming actions« als »self-forming willings« gesprochen werden.398 »The freedom of the agent ist the freedom of the will.«399 Wenn SFAs »of one’s own free will« getan werden können, dann müssen diese Handlungen letztlich darin bestehen, den eigenen Willen zu formen, und zwar willentlich. Der Wille ist in dieser Hinsicht irreduzibel. Anhand sechs verschiedener Formen von Handlungen will Kane die Eigenschaften dieser Willenshandlungen aufzeigen. Grundlegend ist dabei, dass die Handlungen stets als mentale Akte zu begreifen sind, in denen die drei Basisformen des Willens enthalten sind: Wünsche, rationale Zwecke oder Intentionen, und Willensanstrengungen.400 Sie sind in die Ausbildung und Erhaltung von handlungsleitenden Intentionen involviert. Anhand moralischer Entschei-

396 Ebda. 397 Vgl. These 16, a. a. o., 116. 398 Siehe These 19, a. a. o. 124 f: »[...] the self-forming actions (SFAs) required bei UR are free ‘willings’ or ‘acts of will’ of one sort or another […].« 399 A. a. o., 124. 400 Vgl. auch a. a. o., 21-31.

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dungen und Klugheitsentscheidungen kann das Thema erörtert werden. Kennzeichnend für diese Art von Entscheidungen ist, im Unterschied zu praktischen Entscheidungen, dass sie aus einer Konfliktsituation erwachsen, in der sich jeweils verschiedene Überzeugungen, Ansprüche, Interessen oder Ähnliches einander gegenüberstehen. Nur weil handelnde Personen überhaupt in solchen Konflikten stehen, sind sie gezwungen moralische oder rationale Entscheidungen zu treffen.401 Mit dieser Zuspitzung greift Kane ein Problem auf, das uns auch bereits in der Erörterung der kompatibilistischen Theorien begegnet war. Die Unterschiede in der kriteriologischen Beurteilung werden hier deutlich. Zentral für eine inkompatibilistische Konzeption von Willensfreiheit ist nun, dass die Entscheidung über die Auflösung des Konflikts nicht determiniert sein darf durch vorangehende Ereignisse bzw. die Motive einer Person. Es müssen sich also mehrere Optionen im Rahmen des Möglichen befinden, wobei keineswegs eine Unabhängigkeit von den Motiven und der Vorgeschichte intendiert ist. Es geht darum, auf welche Weise der Charakter und die Motive einer Person die notwendige Willensanstrengung erklären bzw. beeinflussen. Sinnvollerweise müssen sie zu beiden Seiten des Konflikts, also etwa zum eigensinnigen Interesse wie auch zur gewissenhaften, moralischen Option in Verbindung gebracht werden, sodass das Zustandekommen des Konflikts überhaupt und die Notwendigkeit einer Anstrengung erklärt werden kann. Wenn aber der Konflikt erklärt werden kann, dann dürfte nicht auch gleichzeitig der Ausgang des Konflikts erklärt werden.402 Der kritische Punkt lässt sich somit zwischen dem Widerstreit der Motive und dem letztendlichen Ergebnis lokalisieren. Wodurch wird bewirkt, dass die Entscheidung in einer bestimmten Weise ausfällt? Die Willensanstrengung, die den Abwägungsprozess abbricht, muss in jedem Fall als indeterminiert verstanden werden.403 401 Konfliktsituationen, die analog zu bewerten sind, bestehen auch in Fällen, in denen es darauf ankommt, einen Willen gegen Hindernisse durchzuhalten. Ich diskutiere diese in den Argumenten weitgehend parallel zu behandelnden Fälle hier aus Platzgründen nicht (vgl. a. a. o., 152-158). 402 »It is because their efforts are thus a response to inner conflicts embedded in the agents’ prior character and motives that their character and motives can explain the conflicts and why the efforts are being made, without also explaining the outcomes of the conflicts and the efforts.« (a. a. o., 127). 403 These 24, a. a. o., 128.

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Kane versucht nun, und das ist für unsere Untersuchung im neurowissenschaftlichen Kontext interessant, die indeterminierten Entscheidungsprozesse in Analogie zu chaotisch ablaufenden, naturwissenschaftlich zu beschreibenden Vorgängen zu setzen. Er geht davon aus, dass minimale, indeterministische Abläufe auf Quantenebene über Potenzierungseffekte auf der Makroebene zu großen Veränderungen führen können404. Indeterminierte Willensanstrengungen werden daher von Kane als komplexe chaotische Prozesse im Gehirn verstanden. Die Konflikte, in denen sich Personen befinden, brächten diese chaotischen Prozesse hervor.405 2. Gegen eine solche Annahme ergeben sich verschiedene Einwände, die Kane jeweils zurückzuweisen versucht. Der zentrale Einwand ist selbstverständlich die Frage, wie die hier getroffene Entscheidung noch von zufälligen Ereignissen unterschieden werden kann und der Person zuzurechnen ist. Kane argumentiert, dass jede Entscheidung, die sich aus dem Konflikt ergibt, auf den Willen des Handelnden zurückzuführen ist. Wie die Entscheidung auch ausfällt, sie lasse sich stets erklären als das Wirksamwerden einer Willensanstrengung oder aber als Folge einer Willensschwäche, die aber auch der Person zuzurechnen ist und nicht mit Zufall gleichgesetzt werden kann. Konflikte erwachsen aus den Überzeugungen einer Person, daher könne die Auflösung nicht auf zufällige Prozesse zurückzuführen sein, sondern nur darauf, dass eben aktual eine bestimmte Überzeugung überwogen hätte. Diese bezeichne in der fraglichen Situation dann den Willen der Person. Es gehöre gerade zum Wesen dieser Entscheidungen, dass sie nur durch eine Willensanstrengung aufgelöst werden können. Ein weiterer Strang von Einwänden bezieht sich auf das Verhältnis von Indeterminiertheit und Kontrolle. Ist mit der fehlenden Determination nicht auch die Kontrollmöglichkeit des Handelnden abhanden gekommen? Dagegen lasse sich sagen, dass aus der fehlenden Möglichkeit, eine Entscheidung vorherzusagen, nicht zu folgern ist, dass nicht aktual das Ergebnis der Entscheidung in der Kontrolle des Handelnden liegt. Die Einwirkung der Motive ist dabei deutlich von zwanghaftem Verhalten zu unterscheiden, da sich hier immer ein Konflikt innerhalb des Willens abspielt. Nach Motiven zu handeln, auch 404 Vgl. hierzu auch Reischies, Amplifikation, der aus psychiatrischer Perspektive auf die möglichen Auswirkungen quantenphysikalischer Effekte im menschlichen Verhalten hinweist und hierin einen »Spielraum für die Entstehung von Neuem« (a. a. o., 114) erblickt. Ähnlich Hameroff/Penrose, Conscious events. 405 Vgl. These 25 und 26, a. a. o., 130.

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wenn sie zwingend erscheinen, ist deutlich zu unterscheiden von gewaltsamer Einwirkung. Diese Logik lässt sich auch auf die Frage anwenden, wie Gründe in die Entscheidung eines Akteurs einfließen. Kane geht davon aus, dass, wie auch immer eine Entscheidung ausfällt, der Handelnde dafür Gründe gehabt haben wird. Der spezifische Ausgang einer Entscheidung sei dabei durch die Bewertung eines bestimmten Grundes als besonders handlungsrelevant bestimmt.406 Es geht also um die normative Orientierung einer Person in ihren Entscheidungen. Demnach ist es auch hier nicht so, dass Gründe eine Person zwingen würden, eine bestimmte Entscheidung zu fällen. Die Person entscheidet sich in einem freien Bewertungsakt, einen bestimmten Grund überwiegen und zum Kriterium der Handlung werden zu lassen. Es entscheiden also nicht die Gründe per se, sondern eine Person entscheidet anhand von Gründen. Es ist deutlich, dass hier eine gewisse Erklärungslücke offen bleibt, insofern nicht letztlich stringent rational begründet werden kann, warum eine Willensanstrengung erfolgreich war bzw. warum gewisse Gründe so und nicht anders bewertet wurden. Verschiedene Autoren haben daher eingewandt, dass hier keineswegs die Freiheit, sondern wiederum nur der Zufall zu finden sei.407 Dieser Einwand ist aber m. e. nur dann statthaft, wenn man mit Zufall alles das bezeichnet, was sich außerhalb einer absolut einheitlichen Vernunft, bzw. einer monokausal strukturierten Ereigniskette befindet. Im Rahmen unseres Problems aber geht es ja um die Rückführbarkeit der Handlung auf die Person, die nach wie vor problemlos möglich ist, da es ja ihre Anstrengung bzw. Schwäche war, bzw. ihre Bewertung, die zu Erfolg oder Misserfolg führte. Man müsste schon eine im Sinne glatter, technischer Vernunft konstruierte res cogitans zum Autor der Handlung erheben, um hier von Zufall sprechen zu können. Von Zufall in einem gehaltvollen Sinn könnte m. e. nur dann die Rede sein, wenn eine Entscheidung gar keinem Motiv der Person entsprechen würde. 3. Wie verhält sich diese rationale Entscheidung zu einer möglichen Kausalerklärung der Handlung? Müssen in einer solchen die Gründe dann nicht auch eine Rolle spielen? Nach Kane ist dies durchaus zu bejahen, solange die Gründe damit nicht zwingend in ein deterministi406 »What they [die Handelnden, Anm. B. B. ] do by choosing is to make one set of reasons prevail over the others then and there as motivators of action.« (a. a. o., 135); ähnlich auch Nozick, Choice and Indeterminism, 101-105. 407 Vgl. etwa Guckes, Freiheit Illusion, 189-204; ähnlich auch Pauen, Illusion Freiheit, 5054; Klein, Willensfreiheit, 195 f.

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sches Paradigma integriert werden. Problematisch an der Verbindung der Kausalerklärung (Ursachen) mit dem Handeln nach Gründen ist für Kane die Tatsache, dass innerhalb des Kausalzusammenhangs kein teleologisches Element vorhanden ist, das die Handlung mit Blick auf ein bestimmtes Ziel oder eine Intention erklären könnte. In diesem Sinn ist die Erklärung aus Ursachen nicht hinreichend um auch die Aspekte des rationalen Handelns auszudrücken. Die Gründe stehen dabei mit der Entscheidung derart in einer reziproken Beziehung, dass sie eine Rolle in der Entstehungsgeschichte der Entscheidung spielen, im Moment der Entscheidung aber erst mit der Intention fest verbunden werden, sodass dann Veränderungen die Gründe betreffend auch zu Veränderungen im Handeln führen.408 Diese Verbindung wird der Kane’schen Vorstellung zufolge auch auf neuronaler Ebene realisiert, was zu Reorganisation der motivationalen Struktur des Menschen insgesamt führt, so dass gesagt werden kann: »the agent’s reasons for choosing play a teleological as well as a causal role in behavior.«409 Die bislang erörterten Kategorien unterscheiden SFWs daher deutlich von allen Formen zufälligen Handelns oder zufälliger Ereignisse, obwohl stets indeterminierte Prozesse eine Rolle spielen. Nur wenn eine gesetzte Intention aufgrund solcher Schwankungen einmal nicht erreicht wird, kann von einem zufälligen Ereignis gesprochen werden, da dann die Bedingung der Willentlichkeit nicht erfüllt ist.410 Dabei ist nun die Intentionalität einer Entscheidung nicht zwingend so zu denken, dass die handlungsleitende Intention schon vor der Entscheidung festzustehen hat. Eine Intention kann auch in der allgemeinen Weise existieren, dass ihr Inhalt ist, überhaupt eine Entscheidung zu treffen, und dass sie dann erst im Moment der Entscheidung zu einer konkreten Intention wird. Dies hat insgesamt mit der motivationalen Struktur einer Person in ihrer Ganzheit zu tun, die sich in solchen Konfliktsituationen entscheidet, wer oder was sie sein möchte.411 Dieser Punkt ist be-

408 »When agents choose for reasons [...] there ist a reciprocal influence of reasons on choice and choice on reasons. The reasons play a role in the causal etiology of the choice […], while the choice itself, once made, connects the reasons to the intention formed so that the ‘reasons for chosing’ also become ‘reasons for acting’ […]« (a. a. o., 136, These 34). 409 A. a. o., 137, vgl. insgesamt These 35. 410 Vgl. These 36, a. a. o., 138. 411 »But, qua agent and practical reasoner, she has the general purpose of resolving the conflict in one way or the other and thereby deciding (for the present at least) what kind of person she wants to be […]« (a. a. o., 139).

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sonders wichtig angesichts von Konzepten der Willensfreiheit (vor allem im kompatibilistischen Bereich), welche die Freiheit von Entscheidungen an der Bindung an ein abzugrenzendes Selbst oder bestimmte, schon zuvor feststehende Werte festmachen. Freiheit vollzieht sich aber, so kann der Ansatz Kanes hier interpretiert werden, immer auch im Werden zu einer bestimmten Person, das gerade nicht immer schon ableitbar ist aus vorangehenden Kriterien, Werten oder Merkmalen. Sie ist also elementar Teil der zeitlichen Dimension menschlicher Existenz. Das angesprochene motivationale System einer Person, das stets Gründe für verschiedene Handlungsoptionen integriert, müsse nun auch auf neuronaler Ebene realisiert sein. Die verschiedenen Aspekte einer Person, die auf der Bewusstseinsebene verbunden sind, stehen auch in ihrer physiologischen Basis in Beziehung. Kane spricht in diesem Zusammenhang von einem »comprehensive network«412, das, auf welche Weise auch immer,413 die Einheit des menschlichen Bewusstseins und des Selbst konstituiert. Dieses Selbst müsse dann nicht die allein führende Struktur in den Entscheidungen sein, sie verbinde sich aber mit den Bemühungen, einen einzelnen Willensakt zu vollziehen. Auf diese Weise könne es plausibel gemacht werden, dass Entscheidungen tatsächlich die Entscheidungen des Selbst einer Person sind. Es müsse gezeigt werden können, dass Gründe, Handelnder und Tat in angemessener Weise kausal verbunden sind, sodass eine Handlung als Handlung einer Person sichtbar wird. Um dies sagen zu können und nicht von einem bloßen Ereignis sprechen zu müssen, ist Kane zufolge die Annahme eines Selbst(-Netzwerks) notwendig.414 Um hier indeterminierte Strukturen zu gewährleisten, müssten die Prozesse, welche das Selbst auf neuronaler Ebene konstituieren, chaotische Abläufe integrieren,415 sodass verschiedene Optionen der Handlungsentscheidung denkbar werden. Wenn eine Entscheidung also in diesem Sinne absichtsvoll getroffen wird, so steht sie mit dem Selbst einer 412 A. a. o., 139. 413 Die Frage wie die Einheit des Bewusstseins neuronal zu erklären ist, ist höchst umstritten. Hier kann kein einheitlicher Vorschlag gemacht werden; auch die Erklärungsvariante Kanes darf hier nur als Vorschlag gelesen werden. 414 »So, even when choice is determined […], the fact that the choice is the agent’s doing rather than a mere happening means that something playing the role of a selfnetwork is needed to link the reasons to the action and the agent in appropriate way.« (a. a. o., These 38, 141). 415 Vgl. These 39, a. a. o., 141.

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Person derart in Beziehung, dass sie von diesem kausal so beeinflusst wird, dass das Vorhaben ein Vorhaben des Selbst ist und die jeweilige Handlungsoption vom Selbst der Person freigegeben wird.416 4. Die bisherigen Argumente haben ausgeschlossen, dass eine Person in ihren Entscheidungen zufällig handelt. Nun geht es noch darum, zu zeigen, dass bzw. wie auch die Möglichkeit der Manipulation abgewehrt wird. Zentral ist daher die Auseinandersetzung mit dem Gedankenexperiment Frankfurts zur möglichen manipulativen Kontrolle. Kane zeigt auf, dass SFWs für diese Form der Kontrolle nicht anfällig sind.417 Denn wenn davon auszugehen ist, dass die hier stattfindenden Prozesse indeterministisch zu verstehen sind, so ergibt sich für einen möglichen Manipulator ein Problem. Denn um zu wissen, ob er eingreifen soll, muss er voraussehen können, wie die Person von sich aus entscheiden würde, denn es gehört ja zum Aufbau des Experiments, dass bei »richtigem« Verlauf ein Eingreifen nicht nötig ist. Dies aber ist bei den Kriterien für SFWs unmöglich, denn die Festlegung auf eine Option erfolgt erst im Moment der Entscheidung. Aus dieser Perspektive zeigt sich, dass für den Fall einer Kontrolle ein zuvorlaufender deterministischer Prozess notwendig ist, was den Charakter der SFWs zerstören würde. Ist dies nicht der Fall, so kann auch innerhalb des Frankfurt-Experiments von alternativen Möglichkeiten gesprochen werden, denn die Entscheidung der Person wird ja durch die Manipulation nicht beeinträchtigt, sie könnte nur im Vornherein oder im Nachhinein gewissermaßen gewaltsam manipuliert werden.418 Der Zusammenhang von UR und PAP kann also auf dieser Ebene nicht falsifiziert werden. Es zeigte sich nach der Argumentation Kanes, dass plurale willentliche Kontrolle durch die bisherigen Thesen angemessen beschrieben wird und erfüllt ist, wenn den skizzierten Bedingungen Genüge getan wird. Man könne demnach auch sagen, es sei »up to the agents«419, welche Handlungsoption verwirklicht wird. Vor allem aus der Interpretation des Frankfurt-Experiments ergibt sich, dass unter Kontrolle 416 These 40, a. a. o., 141: »To say that moral and prudential conflicts [...] are resolved on purpose either way is […] to say that (ii) the resolution either way is causally influenced by the self-network by way of super-posed oscillation […] (iii) fulfillment of one or another of the purposes of the self-network […] (iv) by one of the feasible options or means allowed by the self-network […].« 417 Zum Design der Gedankenexperimente siehe oben S. 143. 418 Vgl. insgesamt These 41, a. a. o., 142. 419 A. a. o., These 43, 143.

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nicht mehr nur eine zuvorlaufende, dann deterministisch zu denkende Kontrolle verstanden werden kann, sondern dass auch eine aktuale, indeterministische, weil sich jeweils erst im Moment der Entscheidung verwirklichende Form von Kontrolle angemessen ist. Damit in Einklang zu bringen ist durchaus die Tatsache, dass Entscheidungen immer in gewisser Weise durch das Umfeld der Situation, durch Motive und Charakter des Handelnden und andere Faktoren bedingt sind. Zwischen dieser Form von Bedingtheit und Determination ist mit Kane deutlich zu unterscheiden. Dies ist v. a. gegen die beide Aspekte meist identifizierenden kompatibilistischen Argumentationen zu betonen. Entsprechend der Frage nach mangelnder Kontrolle bei Indeterminiertheit ließe sich auch der Vorwurf der Willkürlichkeit erheben, der sich aus der Unableitbarkeit aus vorlaufenden Bedingungen ergibt. Dies aber ist Kane zufolge aus dem Charakter von Entscheidungen, die sich nie vollständig aus der Vergangenheit ableiten ließen, sondern stets auch einen Aspekt der Zukünftigkeit integrierten, abzuleiten. Sie sind, wie Kane sich ausdrückt, immer auch ein Stück weit ein WertExperiment420, das erst in der Zukunft validiert werden kann. Von einem Experiment ist deshalb zu reden, weil zum Zeitpunkt der Entscheidungen die Folgen, die ja die Person selbst betreffen, normalerweise nicht vollständig abgesehen werden können. Sie können nicht aus der Vergangenheit deduziert werden, weil sie zwar konsistent mit den Bedingungen sind, sich aber nicht notwendig aus diesen ergeben. Was nach Kane gegeben sein muss, ist die Tatsache, dass sich Entscheidungen insgesamt in eine bedeutungsvolle Abfolge von Ereignissen eingliedern lassen, die eine kohärente Geschichte ergeben.421 Ist diese Voraussetzung erfüllt, so kann nach Kane von teleologischer Intellegibilität gesprochen werden.422 Meines Erachtens ist damit ein gutes, nicht zu enges Kriterium zur Abgrenzung von Zufälligkeit gewonnen, das der Identität des Selbst als einer in sich durchaus differenten und ambivalenten Größe gerecht zu werden vermag. 420 A. a. o., 145. 421 »What is required of free choices, then, is not that they be completely explicable in terms of the past, but that they possess a ‘teleological intellegibility’ or ‘narrative continuity’, which is to say that the choices can be fit into ‘meaningful sequences’ […] or fit into a coherent narrative for which the agents themselves are at least partly responsible and in which they take responsibility for the novel pathways they initiate.« (a. a. o., 146). Das Konzept erinnert an Paul Ricœurs Verständnis einer »narrative[n] Identität« (ders., Das Selbst als ein Anderer, 143 ff). 422 Vgl. Kane, Significance, These 48, 146.

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Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus dem Verhältnis der neurowissenschaftlichen Beobachtungen zu den philosophischen Einsichten in die Struktur von Handlungen. Würde man die neurowissenschaftlichen Beschreibungen verabsolutieren, so käme tatsächlich nichts anderes denn zufällige neuronale Prozesse heraus. »Free will looks like chance«423. Entscheidend ist, das diese Perspektive nicht die einzige ist, sondern dass diese indeterminierten Prozesse parallel auch verstanden werden können als »the agent’s effort of will«424. Beide Perspektiven widersprechen sich in den Augen Kanes nicht, auch wenn er das genaue Verhältnis der unterschiedlichen Sichtweisen zueinander nicht klären kann und will. Dies würde eine Lösung des gesamten Leib-Seele-Problems erfordern, welche auch in dieser Arbeit nicht zu geben ist. Kane wendet sich lediglich dagegen, die radikale Lösung des eliminativen Materialismus425 anzunehmen. Dies würde tatsächlich eine einseitige Sicht auf die Dinge bedeuten, welche für den frei handelnden Akteur keinen Platz mehr böte.426 Kane gibt zu, dass die Frage nach der Entstehung des Bewusstseins und das Problem des Indeterminismus in der Welt durchaus ernsthafte kosmologische Fragen sind, durch die wir als denkende Menschen herausgefordert sind. Diese seien nun allerdings keine Spezialprobleme bezogen auf die Frage der Willensfreiheit, sondern insgesamt Herausforderungen für die Wissenschaft, mit denen sich eine Untersuchung zu unserem Spezialproblem nicht belasten müsse. 4.3.5 Praktische Entscheidungen Neben diesen Entscheidungen, die durch eine spezifische Form des Konflikts und die Notwendigkeit einer Willensanstrengung zur Überwindung dieses Konflikts gekennzeichnet sind, diskutiert Kane eine weitere Form, so genannte praktische Entscheidungen427. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass eine normative Orientierung nicht möglich und nötig ist, sondern schlicht entschieden werden soll, was eine Person gerade tun möchte, ohne dass hier in hohem Maße rationale oder moralische Kriterien angewendet werden könnten. Sie sind insofern 423 424 425 426 427

A. a. o., 147. Ebda. Vgl. etwa Churchland, Neurophilosophy. Siehe These 49, Kane, Significance, 147. »Practical Choice«, a. a. o., 158 und passim.

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wichtig, als sich trotz fehlender Kriterien oftmals weit reichende Konsequenzen ergeben, die für die handelnde Person von großer Bedeutung sind. Auch zeigt sich hier ein Grundproblem von Entscheidungen insgesamt, die Tatsache nämlich, dass Abwägungsprozesse zu einem bestimmten Zeitpunkt abgebrochen werden müssen, weil die Entscheidung zu treffen ist, ohne dass in allen Fällen die Alternativen hinreichend bedacht werden konnten. Dieser Aspekt scheint in kompatibilistischen Konzeptionen nicht zureichend, nämlich phänomengerecht gewürdigt, denn wie bei spontanem Abbruch einer Konfliktsituation noch von Determination durch personale Präferenzen die Rede sein soll, ist schwierig zu klären. Es zeigt sich, dass diese Eigenschaft von Entscheidungssituationen aber auch dazu führt, dass immer wieder neue Aspekte in unsere Entscheidungen integriert werden können. Indetermination, unbewusste Prozesse, Entscheidungen, die nicht vollständig rational abgesichert sind, können unsere Möglichkeiten auch vervielfältigen.428 Dies entspreche den Mutations- und Selektionsprozessen in der Evolution, in der sich ebenfalls aus zufälligen Veränderungen neue Möglichkeiten ergeben. Individuen lernen aus diesen Mutationen, die sie auch bewusst in den von Kane angesprochenen Wertexperimenten selbst vollziehen können.429 Auch die Bestätigung eines Grundes oder Motivs kann auf diese Weise zu Stande kommen. Die zufälligen Abwägungen und die sich daraus entwickelnden neuen Ideen müssen nach Kane Teil eines libertarischen Freiheitsbegriffs sein. Dies kann gegen die neurowissenschaftlichen Argumentationen, die Unbewusstheit wesentlich im Kontext von Unfreiheit behandeln, ins Feld geführt werden. Problematisch könnte sein, wenn der Akteur aufgrund der Vorgaben, die ihm gemacht werden, nicht mehr aktiv rational handelt, sondern nur noch reagiert und sich durch zufällig ins Bewusstsein tretende Motive gezwungen sieht, in einer bestimmten Weise zu entscheiden.430 Um hier

428 »It is odd [...] that in theories of scientific and artistic creation, the unconscious is given the role of multiplying and expanding the inventive activities of human beings, while in theories of freedom of choice the unconscious is usually viewed as limiting our options by way of compulsions or obsessions, determining them to one only. The alternative role of multiplying and expanding the agent’s creative capacities is, I think, the role free willists must focus on in accounts of practical reasoning.« (a. a. o., 160). 429 Vgl. a. a. o., 161 f, aber auch These 46, 145. 430 A. a. o., 164.

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den Bedingungen pluraler Rationalität zu genügen, müssten noch andere Kriterien in den Blick gefasst werden. Kane formuliert daher noch andere Formen von Anstrengungen, die mit der passiven Grundhaltung in Zusammenhang stehen, die dem Akteur aber dennoch eine aktive Rolle zubilligen. Obwohl zugegeben wird, dass gewisse kreative Überlegungen gewissermaßen in uns »aufsteigen«, versucht Kane zu zeigen, dass wir diesen Prozessen nicht hilflos ausgeliefert sind. Personen können sich bewusst in eine Haltung der Rezeptivität bringen, um empfänglich zu sein für derartige kreative Einflüsse. Menschen besitzen demnach die Fähigkeit, sich durch bewusste Willensanstrengung in eine Verfassung der Empfänglichkeit zu bringen, andere Einflüsse abzuschirmen und der Kreativität sozusagen freien Lauf zu lassen.431 Hier sei dann Raum für indeterminierte Prozesse, die auf dem Wege des reinen Vernunftgebrauchs nicht entstehen würden, deren Inhalte aber wiederum von der Vernunft verwendet werden können. Auf diesem Wege, aber auch über andere Bemühungen, Quellen zu erschließen und Abwägungsprozessen Raum zu geben432, kann die Informationsbasis für bestimmte Entscheidungen erheblich verbreitert werden. Diese, von Kane in Anlehnung an östliche Lebensformen so genannten »taoistischen Bemühungen« können als Willensanstrengungen zu den »efforts sustaining purposes«433 gerechnet werden. Kane ist bemüht zu zeigen, dass auf verschiedenem Wege indeterministische Komponenten in einen solchen (praktischen) Entscheidungsprozess einfließen können. Die Akkumulation von Gründen und Motiven im Verlauf des Prozesses kann dabei zur Determination der Entscheidung führen oder auch nicht. Insgesamt ist der Akteur aufgrund seiner verschiedenen Formen der Willensanstrengung für den Ausgang der Abwägungen verantwortlich.434 Dieser ist oftmals abhängig von einer evaluativen Entscheidung unter normativen Gesichtspunkten, die nach Kane zu den »libera arbitria voluntatis« zu zählen 431 »[...] they can willfully put themselves in a frame of mind that is receptive to new chance-selected considerations.« (a. a. o., 165). Vgl. auch These 70 zu den so genannten »Taoist Efforts« ebda. 432 Vgl. These 75, a. a. o., 167. 433 Siehe These 71, a. a. o., 166. 434 Dies gilt nach Kane auch für Spannungen, die sich aus Veränderung einer Intention während der Handlung ergeben. Auch hier ist der Akteur gefordert, die Situation durch eine indeterminierte Willensanstrengung zu überwinden (siehe These 79, a. a. o., 170).

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ist.435 Dies gilt insbesondere deshalb, weil es in verschiedenen Entscheidungskontexten dazu kommen kann, dass eine Entscheidung zwischen inkommensurablen Alternativen stattfinden muss. Hier zeige sich in besonderer Weise, dass Entscheidungen nicht immer objektiv nach Gründen zu treffen sind, sondern eminent davon abhängen, welches Bild der Akteur davon hat, wer oder was er in Zukunft sein möchte.

5. Evaluation der philosophischen Argumentationen Der Wechsel in die philosophische Perspektive lenkt den Blick zunächst weg von der Frage nach der Existenz von Freiheit und ihrer Beweisbarkeit oder Nivellierbarkeit durch empirische Ergebnisse, hin zur Auseinandersetzung mit dem Problem, was überhaupt unter Freiheit verstanden werden kann. Die Auseinandersetzung mit den Einzelargumenten des Kompatibilismus wie des Inkompatibilismus hat diesbezüglich eine bestimmte Positionierung erbracht. Ich skizziere im Folgenden nochmals im Zusammenhang die systematischen Ergebnisse in Abwägung der beiden Grundoptionen.

5.1 Pauen und der philosophische Kompatibilismus Der Kompatibilismus stellt im deutschen Sprachraum die mehrheitlich vertretene philosophische Position im Kontext des Freiheitsproblems dar. Darin spiegelt sich die zu unterstützende Intention, einen philosophischen Freiheitsbegriff zu formulieren, der mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu vereinbaren ist, da er auf die Annahme von Lücken in der naturwissenschaftlichen Beschreibung aber auch auf supranaturalistische Formen von Kausalität verzichtet. Er macht ernst mit der Tatsache, dass Freiheit nur als bedingte Freiheit verstanden werden kann, weil sie sich nur im Kontext von Bedingungen, die dann auch naturwissenschaftlich zu beschreiben sind, verifizieren lässt. Zumeist wird Freiheit hier auf einen beobachtbaren Zusammenhang zwischen Person und Handlung hin ausgelegt, und mit bestimmten selbstreflexiven, rationalen oder moralischen Fähigkeiten verbunden. Mit philosophischen Argumenten kann deutlich gemacht werden, 435 Siehe These 78, a. a. o., 169.

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dass nicht eine Unabhängigkeit gegenüber empirischen Einflüssen für die Zuschreibung von Freiheit das zentrale Kriterium darstellt, sondern die Art und Weise wie Menschen sich zu sich selbst (und zu Anderen) verhalten. Dabei zeigte Harry Frankfurt, dass menschliches Wollen ein sehr komplexes und vielschichtiges Phänomen ist, bei dem unterschiedliche Ebenen im Spiel sind. Das Verhältnis dieser Ebenen ist entscheidend für die Rede von Freiheit. Peter F. Strawson konnte darauf aufmerksam machen, dass Freiheit ein Phänomen darstellt, dass sich angesichts menschlicher Interaktionspraxis stellt und hier seine spezifische Bedeutung gewinnt. Da die Moore’sche Konditionalanalyse in ihrer rein formalen Struktur keine hinreichenden Ergebnisse lieferte, wurden wichtige Positionierungen bezüglich der Freiheitsfrage aufgrund inhaltlicher Prägungen menschlichen Handelns formuliert. Die kompatibilistischen Zuspitzungen, die sich dabei auf Moralität, Rationalität oder die Fähigkeit zur Ausbildung höherstufiger Volitionen berufen, sind allerdings zu einseitig. Freiheit spielt in unterschiedlichen Kontexten (etwa auch im Bereich der irrationalen Normverletzungen) eine Rolle, die dem Freiheitsbegriff ein vielschichtiges Gepräge verleihen und somit nicht einer einheitlichen Vernunft subsummiert werden können. Damit machten diese Ansätze auch deutlich, dass innerhalb der Zuschreibung von Freiheit möglicherweise Differenzierungen bezüglich verschiedener Freiheitsgrade angebracht sind, die dann – so wird sich zeigen – auch wieder theologisch von Bedeutung sein können. Eine interessante Zwischenposition (zwischen Kompatibilismus und Inkompatibilismus) stellen der libertarische Kompatibilismus bzw. diejenigen Positionen dar, die mit der Irreduzibilität der Binnenperspektive rechnen, und somit auch die naturalistische Perspektive kritisieren. Sie beschreiben – das wurde im Kontext der Auseinandersetzung mit Pauen dann im Nachhinein deutlich – eine epistemische Voraussetzung, aufgrund derer überhaupt sinnvoll von Freiheit gesprochen werden kann: Die Nichtreduzierbarkeit der subjektiven Binnenperspektive auf die szientistische Außenperspektive. Diese richtige Voraussetzung teilt Michael Pauen nicht. Dennoch ist seine Argumentation zu würdigen als ein Ansatz, der versucht, das Freiheitsproblem in einer Sicht des Menschen als Person zu verankern. Sein Konzept versucht dabei rationale und emotionale, moralische wie auch normverletzende Aspekte in den Raum der Freiheit zu integrieren. Damit vermeidet er die Einseitigkeiten der nur auf die moralischen oder rationalen Kompetenzen eines Menschen abhebenden (kompatibilistischen) Konzeptionen, die ein zu stark normativ zentriertes Bild eines freien Selbst entwerfen. Freiheit als Voraussetzung für die Über-

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nahme von Verantwortung muss eine breitere Basis besitzen. Zugleich versucht Pauen mit seinem Minimalbegriff von Freiheit eine Anschlussfähigkeit an naturwissenschaftliche Perspektiven herzustellen; in der mit Roth gemeinsam getätigten Veröffentlichung dokumentiert sich dann auch die Verquickung neurowissenschaftlicher Erkenntisse mit Pauens philosophischem Freiheitskonzept. Die Evaluation Pauens ist daher auch noch einmal eine Evaluation der Leistungsfähigkeit neurowissenschaftlicher Einsichten in Bezug auf das Freiheitsproblem. Unterstrichen werden kann die (das Programm des Kompatibilismus in spezifischer Weise zuspitzende) Grundthese, dass von freien Handlungen dann zu sprechen ist, wenn sie in charakteristischer Weise mit der Person verbunden sind und dabei die Kategorien von Zwang oder Zufälligkeit auszuschließen sind. Dies stellt die Voraussetzung für die Zuschreibung von Verantwortung dar. Auch ist positiv zu würdigen, dass Pauen, wie die meisten Philosophen (allerdings im Unterschied zu manchen Hirnforschern) Freiheit nicht an die Existenz einer immateriellen, auf mysteriöse Weise von außen einwirkenden Substanz bindet, sondern ein Selbst in den Blick nimmt, das sich in ein Verständnis vom Menschen als natürliches, und damit auch leibliches Wesen integrieren lässt. Es ist ihm auch darin zuzustimmen, dass nicht alle Merkmale einer Person zu diesem Selbst zu zählen sind, sondern dass hier zwischen Innen und Außen bzw. zwischen Selbst- und diversen Formen von Fremdbestimmung differenziert werden muss. Es stellt sich in freiheitstheoretischem Kontext die Frage nach der Identität der Person. Die Konsequenzen allerdings, die Pauen aus diesen respektablen Grundannahmen zieht, führen in Schwierigkeiten. Das im Verlauf der Argumentation immer wieder zu Tage tretende Problem war die Annahme einseitiger Alternativen, die Pauen zur Ablehnung aller Meinungen bzw. Positionen, die eine durchgängige Gültigkeit des Determinismus nicht akzeptieren, geführt hat. Der deterministischen Verfasstheit aller Abläufe inklusive derjenigen, die im Menschen bzw. im menschlichen Gehirn zu lokalisieren sind, konnten nur Zufälligkeiten gegenübergestellt werden. Letztere aber hatte Pauen schon in den grundlegenden Abgrenzungen sinnvollerweise ausgeschlossen, sodass innerhalb der gedanklichen Logik ein konsistenter Freiheitsbegriff auf Determination beruhen muss. Dies allerdings geht über seine Prämisse, den Determinismus nur aus methodischen Gründen für die Formulierung eines möglichst tragfähigen Freiheitsbegriffs anzunehmen, erheblich hinaus. Diese Grundform der Argumentation hat wesentliche Konsequenzen für Pauens zentrale Annahme personaler Präferenzen. Diese können nun auch wiederum nur im deterministischen Paradigma gedacht

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werden. Nur wenn eine Präferenz eine Entscheidung determiniert, ist sie auch wirksam. Ich habe an mehreren Stellen angemerkt, dass diese Sichtweise der Realität bzw. der Phänomenalität von Präferenzen nicht gerecht wird, weil sie nicht als Ursache von Handlungen in einem starren Kausalitätsschema beschrieben werden können, sollen sie als Indiz der Freiheit gelten. Die Kategorien der Offenheit bzw. der Möglichkeit müssen in den Präferenzen selbst sichtbar werden können. Anders ist auch nicht zu verstehen, wie und aufgrund welcher Kriterien sich Präferenzen ändern sollten. Die Forderung Pauens, dass auch Präferenzen wiederum »prinzipiell« einer Entscheidung zugänglich sein müssen, wird angesichts seines Denkrahmens zu einem leeren Postulat. In dieser Hinsicht kann bestenfalls noch von Handlungsfreiheit, verstanden als Hindernisfreiheit bezüglich der Umsetzung personaler Präferenzen, aber nicht mehr von Willensfreiheit als einem Phänomen des Selbstverhältnisses von Personen gesprochen werden. Auf diesen Aspekt hatte die Auseinandersetzung mit Frankfurts Volitionenmodell hingewiesen. Selbstbestimmung wäre nach Pauen nur noch Bestimmung durch ein vorgegebenes Selbst, aber nicht mehr reflexiv strukturierte Selbstbestimmung einer Person. In Konsequenz dessen kann das zentrale Prinzip alternativer Möglichkeiten von Pauen nicht mehr in einem sachhaltigen Sinne vertreten werden. Die Reduktion auf eine konditional formulierte Version lässt keine Offenheit, damit aber auch keine echte Entscheidung aus Freiheit mehr übrig. Das vorausgesetzte Programm des Determinismus zeitigt hier starke Konsequenzen, die – konsequent zu Ende gedacht – auch manchem zustimmungsfähigen Gedanken Pauens widersprechen. Die Annahme, dass bezüglich der personalen Präferenzen ein wirksames Selbstverhältnis besteht, kann durchaus als Voraussetzung für die Zuschreibung von Freiheit festgehalten werden. Dass Pauen die angesprochenen Kategorien der Offenheit und Möglichkeit nicht zu integrieren vermag, hängt nun auch damit zusammen, dass er im Rahmen seiner naturalistischen Konzeption nicht zwischen der Beschreibung des Menschen aus objektiver Perspektive, die er weitgehend einnimmt, und der Binnenperspektive einer Person differenziert. Präferenzen aber, die zentrale Kategorie in Pauens Argumentation, sind im Unterschied zu dem von Pauen oftmals bedeutungsgleich gebrauchten Wort »Merkmal« ursprünglich nur in dieser Perspektive zugänglich. Sie können daher auch nicht ohne Bedeutungsverlust objektivierend in ein System, das nur aus der Beobachterperspektive argumentiert, eingebaut werden. In der Binnenperspektive einer Person kann deutlich zwischen dem feststehenden Geschehen der

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Vergangenheit aus einer Perspektive ex post, und der Offenheit einer Situation ex ante, in der Präferenzen abgewägt und möglicherweise auch neu gebildet werden müssen, unterschieden werden. Weil diese zeitliche Perspektive für handelnde Personen irreduzibel ist, wird das statische Bild Pauens von personalen Präferenzen dem semantischen Gehalt des Begriffs nicht gerecht. Aus der grundlegenden Differenz der Perspektiven ist auch zu begründen, dass die Unterscheidung von personalen und nichtpersonalen Präferenzen noch nicht restlos die Differenz von Selbst- und Fremdbestimmung klären kann. Die Unterscheidung in der Logik Pauens setzt immer schon einen Kern personaler Präferenzen (bzw. ein identisches normatives Bezugssystem) voraus, auf den Handlungen bezogen sein müssen, wenn sie als selbstbestimmt gelten sollen. Wie die Formung neuer Präferenzen als personales Geschehen gedacht werden kann, muss hier offen bleiben. Es zeigt sich eine Reduktion des Personbegriffs auf bestimmte, offensichtlich von außen feststellbare Merkmale. Dies aber ist exakt die Perspektive auch der empirisch arbeitenden Neurowissenschaft. Es zeigt sich daher an der Position Pauens sehr deutlich, wieweit ein Freiheitsbegriff reduziert werden muss, will er mit einem naturalistischen Erklärungsanspruch kompatibel sein und sich innerhalb eines deterministischen Paradigmas artikulieren können. Dieser Freiheitsbegriff aber wird dem Phänomen nicht mehr gerecht. Die Extrapolation neurowissenschaftlicher Argumente, insbesondere der Annahme deterministischer Kausalbeziehugen, auf die Personebene führt zur Marginalisierung des Freiheitsbegriffs. Nimmt man etwa die Position Roths in ihrem totalen Erklärungsanspruch (etwa in Bezug auf den reduktionistischen Konstruktivismus) auf, so führt dies zu starken Konsequenzen bezüglich eines sinnvollen Freiheitskonzepts. Dennoch ergibt die Konzeption Pauens eine Klärung der Fragestellung und eine Spezifizierung der problematischen Kernpunkte. Es ist ihm – wie dem kompatibilistischen Paradigma insgesamt – zuzustimmen, dass freie Handlungen mit dem Selbst einer Person in konsistenter Verbindung stehen und nicht in der Luft hängen dürfen. Allerdings ist um einer adäquaten Kontextualisierung willen hinzuzufügen, dass – wie etwa bei Strawson deutlich wurde – sich dieser Zusammenhang elementar aus der menschlichen Interaktionspraxis ergibt, und somit das Freiheitsphänomen insgesamt eine relationale Struktur besitzt. Dieser Aspekt schien in der Argumentation Pauens kaum Berücksichtigung zu finden. Es ist angesichts der Gestalt, die Pauen dem Freiheitsproblem gibt, ein Defizit, dass die Kriterien für die Abgrenzung von

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Selbst- und Fremdbestimmung nicht präzise genug formuliert werden können.

5.2 Kane und der philosophische Libertarismus Die libertarische Perspektive auf das Problem menschlicher Freiheit kann als eine Vertiefung der Fragestellung im Vergleich zu den meisten kompatibilistischen Ansätzen gelten. Wurde im Rahmen letzterer vor allem auf die Freiheit von Handlungen, also die ungehinderte Ausübung des Willens, Wert gelegt, nehmen die inkompatibilistischen Ansätze explizit die Freiheit des Willens in den Blick, indem sie konkret und differenziert nach dessen Entstehungsbedingungen bzw. nach der Binnenstruktur des Willens fragen. Dies ist angesichts des starren Konzepts von Pauen, aber auch angesichts verschiedener anderer, nicht suffizienter kompatibilistischer Lösungen (Stufentheorie, rationale und moralische Freiheit) notwendig. Gerade in der Art und Weise, wie Menschen sich zu sich selbst verhalten, wird Freiheit (oder Unfreiheit) sichtbar. Die Frage nach der Person, die ja auch Michael Pauen stellt, ist hier als die Frage nach der Bildung und Entstehung des eigenen Willens im Blick. Freiheit der Person wird als Freiheit des Willens verstanden. Der Inkompatibilismus macht nun mit der Intuition ernst, dass ein umfassender Determinismus, verstanden als wirkmächtige, Notwendigkeit allen Geschehens bewirkende Struktur der Welt, nicht mit einem sachlich gehaltvollen Verständnis von Freiheit in Verbindung stehen kann. Ob deterministische Thesen tatsächlich so stark gedeutet werden können, bzw. ob eine solche Sichtweise der Verfassung unserer Welt entspricht, ist gegenwärtig kaum zu entscheiden. Empirisch ließ sich der Determinismus in seinem umfassenden Anspruch bislang jedenfalls nicht erhärten. Kompatibilistische Argumente aber, welche die Annahme der Unvereinbarkeit entkräften wollen, können nicht überzeugen. Sie können alternative Möglichkeiten jeweils nur im Irrealis für die Vergangenheit formulieren (Konditionalanalyse) und setzen für andere Handlungsmöglichkeiten eine andere Wirklichkeit voraus. Demgegenüber betonen libertarische Positionen zurecht, dass ein sachhaltiges Verständnis alternativer Möglichkeiten, das der Logik Kanes zufolge mindestens für einige kritische Entscheidungen angenommen werden muss, stets ex ante, also vor einer Entscheidung zu unterstellen ist; es ist nur in einer bestimmten Situation unter gegebenen Bedingungen überhaupt sinnvoll. Der epistemische, aber auch der ontologische Indeterminismus ist hier eine conditio sine qua non.

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Für dessen Spezifizierung ist nun die Einführung eines von Kane so genannten »Extra-Faktors« nicht hilfreich. Kane nimmt daher die Indetermination in Konfliktsituationen an, in denen die handelnde Person in besonderer Weise zur Willensbildung herausgefordert war. Entscheidungen beinhalten hier die Auflösung einer ontologisch offenen Lage durch das Ergreifen einer konkreten Handlungsalternative. Andernfalls wäre nicht mehr vom »Sich-Entscheiden« die Rede. Diesen Aspekt hatten schon die Konzeptionen des libertarischen Kompatibilismus in den Blick gerückt. Die Indetermination wird dabei auf neurophysiologischer Ebene in quantenmechanischen und chaotischen Abläufen erblickt. Diese Abläufe sollten die Indeterminiertheit und damit die Offenheit der Handlung garantieren. Personen spielen eine irreduzible, und das heißt in einem letzten Sinne nicht auf deterministische Kausalursachen zurückführbare Rolle in der Durchführung einer Handlung. Dabei geht es um unser Selbstverständnis als handelnde Personen in der Welt und um die Beziehung zu unseren Mitmenschen. Denn das Selbstverständnis von Personen äußert sich im Rahmen unserer Lebenswelt nach Kane so, dass wir uns als unableitbare Quellen unserer Handlungen verstehen. Dabei ist unsere Lebenswelt vor allem als das Zusammenleben mit andern Menschen verstanden, die uns als Quelle unserer Handlungen auch wahrnehmen und vor denen wir Verantwortung tragen. Nur im Rahmen dieser Relationen ist die Signifikanz von Letztverantwortung auch zu plausibilisieren. Sie besitzt Relevanz in Bezug auf Verdienste oder kreative Leistungen, insbesondere im Rahmen von Beziehungen, im Kontext derer wir uns und anderen bestimmte Regungen wie Liebe, Freundschaft oder Dankbarkeit zuschreiben. Diese Zuschreibungen funktionieren nur deshalb, weil wir davon ausgehen, dass eine Person dafür in unhintergehbarer Weise selbst verantwortlich ist (Letztverantwortung). Diese Verantwortung ergibt sich aus der grundlegenden Fähigkeit, sich selbst, und das heißt im Kontext des libertarischen Paradigmas explizit den eigenen Willen, zu bestimmen. Freiheit bedeutet in diesem Sinn nicht Unbedingtheit, aber die Möglichkeit zum freien Umgang mit der Bedingtheit in der Zeit. Für das Verständnis von Personen ist hierbei weiterführend, dass sie nicht aufgrund eines Konglomerats von Merkmalen suffizient beschrieben werden können. Es ist ihnen eigen, dass – um es in der Sprache Pauens zu sagen – innerhalb ihrer Präferenzen Konflikte auftreten. Gerade diese Existenz von Konflikten in Entscheidungssituationen kennzeichnet Personen, nicht aber die eindeutige Rückführbarkeit der Auflösung auf Kausalursachen. Der gängige Einwand, inde-

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terministische Handlungen seien zufällig und damit von niemandem mehr zu kontrollieren, lässt sich auf dieser Ebene nicht verifizieren. Denn hier gilt nach wie vor, dass bei allen indeterminierten Einflüssen, die den Verlauf der Abwägungen möglicherweise verändern, die Verbindung von Motiven bzw. Intentionen mit der daraus resultierenden Handlung ein entscheidendes Kriterium darstellt. In dieser Hinsicht entsprechen sich dann auch die Ansätze von Kane und Pauen. Indeterminationen auf der Quantenebene aber eröffnen nach Kane Spielräume, die dennoch nicht zu mangelnder Kontrolle auf der personalen Ebene führen. Die Zuschreibbarkeit von Handlungen hängt nicht an deterministischen Kausalbeziehungen zwischen Person und Handlung, sondern kann auch etwa bei probalistischer Kausalität angenommen werden. Die Tatsache, dass angesichts der Annahme echter Handlungsalternativen nicht von Zufall zu reden ist, kann aufgrund der Theorie pluraler Rationalität gewährleistet werden. Sie besagt, dass in Bezug auf die personalen Präferenzen einer Person (an bestimmten Punkten) mehrere Entscheidungsalternativen sinnvoll denkbar sind; sehr aufschlussreich ist hier die Rede Kanes von den Wertexperimenten, die Personen in ihrer Art und Weise der Selbstbestimmung immer eingehen, da sie eben ex ante einer Entscheidung nie voraussagen können, wie sich die Spannungen in Zukunft entwickeln und welche Person sie daher sein werden (oder wollen). Damit erscheint das Verständnis von menschlicher Personalität gegenüber Pauen deutlich vertieft, auch weil in Konsequenz der geschilderten Systematik personale Identität nicht nur als Identität von Merkmalen beschreiben werden kann, sondern als narrativ rekonstruierbare Größe in den Blick gerät, die auch Spannungen und Widersprüche integriert. Dies ist ein Gedanke, der auch theologisch eine wichtige Rolle spielt und später wieder aufgenommen wird.436 Dieser Ansatz ist zustimmungsfähig, weil er das Freiheitsproblem auf das Ganze eines personalen Lebens bezieht. Freiheit kann sich nicht in der freien Ausübung einzelner Taten erschöpfen, sondern muss, wenn sie sachhaltig sein soll, als Freiheit der Person verstanden werden. Dies impliziert, dass diese ihrem jeweiligen Zustand auch kritisch gegenübertreten und eine Selbstdistanz einnehmen kann. Dies hat die philosophische Anthropologie des 20. Jahrhunderts zu Recht betont (Scheler, Plessner, Gehlen, Spaemann). In dieser Form des Selbstbewusstseins ist der Mensch sich selbst nicht ausgeliefert, sondern kann 436 Vgl. unten im Kapitel III den Punkt 6.2.3, S. 444.

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und muss sich zu sich selbst verhalten. Aus dieser Charakteristik des Selbstverhältnisses ergibt sich, dass Menschen sich selbst, in bestimmten Grenzen freilich, auch verändern und dafür Verantwortung tragen können, was allerdings nur möglich erscheint, wenn der Determinismus in seiner starken Version als metaphysische These falsch ist. Hier muss allerdings auch Kritik an Kanes Argumentation ansetzen. Denn sosehr die Rede von Letztverantwortung Zustimmung verdient – wenn damit gemeint ist, dass wir unser Sosein nicht fraglos hinnehmen und entschuldigend sagen können: »So bin ich nun mal« – sosehr ist doch zu betonen, dass unserer Verantwortung und damit auch unserer Freiheit Grenzen gesetzt sind. Wir sind zwar als Menschen in der Lage, uns selbst zu transzendieren, können dabei aber nicht beliebig hinter uns selbst zurückgehen. In diesem Sinne kann die Rede von Letztverantwortung Missverständnisse evozieren. Die Verantwortung für das Ganze des Lebens kann sicher nicht bedeuten, dass Menschen für jeden einzelnen Charakterzug unmittelbar Verantwortung tragen. Viele Züge unserer Persönlichkeit sind für uns nicht oder nur sehr eingeschränkt änderbar; das haben die empirischen Untersuchungen zur Entwicklung des Menschen, speziell auch des Gehirns, deutlich gemacht. Vieles wird uns gar nicht bewusst und damit auch kein Gegenstand des Selbstverhältnisses. Verantwortlichkeit aber muss stets angenommen werden für die Art und Weise des Umgangs mit uns selbst. Spätestens dort, wo dieser Umgang nicht mehr willentlich zu steuern ist, muss die Grenze der Freiheit und der Verantwortung gezogen werden. Willentlich handelnden Menschen aber muss zugemutet werden, dass sie bestimmte Verhaltensweisen nicht entwickeln, solche nämlich, bei denen sie andere Menschen gefährden würden. In diesem Sinne kann Letztverantwortung sinnvollerweise als Grenzbegriff interpretiert werden. Innerhalb des freien Selbstverhältnisses des Menschen könnten und müssten nun allerdings weitere Differenzierungen im Sinne einer Graduierung von Freiheit vorgenommen werden. Denn die Rede von Letztverantwortung vermag keine inhaltliche Qualifizierung freier Handlungen zu leisten, wie sie mit den Stichworten Rationalität und Moralität angedeutet wurden. Sie setzt Freiheit überall da voraus, wo eine basale Form von Selbstdistanz und rationalem Verhalten zu sich selbst möglich ist. Dass Freiheit möglicherweise in unterschiedlichem Grad zuzuschreiben ist, je nach dem wie moralische Konflikte, Klugheitsentscheidungen oder auch praktische Entscheidungen ausfallen, gerät bei Robert Kane nicht in den Blick. Hier weitere Differenzierungen anzubringen, ist auch eine theologische Herausforderung.

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Die Kritik des Begriffs ultimativer Verantwortung macht auch im Denken Kanes auf eine gewisse Formalisierung aufmerksam. Zwar gewinnt er seinen Freiheitsbegriff aus dem subjektiven Eindruck, den wir als Personen von uns haben, dabei wird aber nun die Rolle, die wir darin spielen, zu fraglos in eine objektive Sicht aus der Beobachterperspektive übertragen. Dafür sind dann die indeterminierten Quantenvorgänge vonnöten. Aus erkenntnistheoretischer Perspektive ist zu kritisieren, dass Kane nicht auf den kategorialen Unterschied zwischen der Erlebnis- oder Teilnehmerperspektive und der Beobachterperspektive hinweist. Dies hätte manche Präzisierung ergeben können. Möglicherweise könnte man dann auch auf die sehr schematische Unterscheidung von SFAs und anderen Handlungen verzichten. Es ist zwar richtig, zwischen Entscheidungssituationen, die eindeutig erscheinen und somit vermeintlich determiniert sind, und solchen, die aufgrund einer bestimmten Konfliktlage unser Freiheitsvermögen in besonderer Weise herausfordern, zu unterscheiden. Dies ist dem Phänomen geschuldet. Man wird aber wohl eher einen graduellen Übergang denn eine starre Trennung annehmen dürfen. Dabei kann auch in Frage gestellt werden, ob indeterminierte Ereignisse auf der neurophysiologischen Quantenebene dann nur bei bestimmten Konfliktlagen auftreten. Die These wäre empirisch erst noch zu erhärten. Nicht auszuschließen ist jedenfalls, dass auch bei auf der Personebene eindeutigen Entscheidungen (»Ich kann nicht anders«) indeterminierte Quantenereignisse im Spiel sind, die sich aber so überlagern, dass sie auf anderer Systemebene einen Determinationseffekt erzeugen. So macht Kane zwar auf die Entsprechung von neuronalen Ereignissen mit unseren Entscheidungen aufmerksam, und weist auch auf den unterschiedlichen Charakter naturwissenschaftlicher und philosophischer Beschreibungen hin, versäumt es aber auf die kategoriale Differenz beider Ebenen einzugehen. Allzu schnell wird auf diese Weise das indeterminierte neuronale Chaos zum Garanten der Freiheit. Man hätte noch präziser fragen können, was genau mit Indeterminismus gemeint sein kann bzw. muss, wenn er in dieser Logik vorkommt. Denn die entscheidende Form, die für unser Freiheitsbewusstsein von Bedeutung ist, dürfte ja die sein, dass eben subjektiv vor einer Handlung noch nicht deutlich ist, wie diese ausfällt und wir uns daher, ob wir wollen oder nicht, zu den möglichen Alternativen ins Verhältnis setzen müssen. Vermutlich wird man sich in Bezug auf dieses Verständnis nicht auf einzelne indeterminierte Entscheidungen, die durch neuronales Chaos abgesichert werden, zurückziehen können. Über die faktische Verfasstheit unserer Welt, also darüber, ob sie gänzlich deterministisch strukturiert ist oder nicht, lässt sich auch aus

Systematische Kernpunkte

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philosophischer Perspektive nicht urteilen. Die angestellten Überlegungen wollen daher auch in keiner Weise ein Freiheitsbeweis sein. Sie verstehen sich als Aufklärung desjenigen Phänomens, das wir üblicherweise mit dem Schlagwort »Freiheit« benennen, und sind damit eine Explikation des Selbstverständnisses freier Personen. Im Folgenden sind die in systematischer Hinsicht problematischen Kernpunkte noch einmal benannt und weiterführende Ansätze angedeutet.

6. Systematische Kernpunkte 6.1 Determinismus Angesichts der zentralen kriteriologischen Bedeutung, die dem Konzept, in vielerlei Hinsicht eher dem Schlagwort Determinismus, für die Debatte um Willensfreiheit zukommt, verwundert es, wie wenig es eigens problematisiert, auf seine eigentliche Aussageabsicht hin befragt und in seiner Tragfähigkeit hinterfragt wird. Diese kritische Diagnose gilt vor allem deshalb, weil sich nach wie vor die Mehrzahl der philosophischen Ansätze zum Thema durch die Beziehung zum Determinismus positioniert. Einige Punkte, die im Verlauf der Diskussion aufkamen, sind im Folgenden noch einmal zusammenfassend benannt.437 In seiner starken Form statuiert der Determinismus die These von der Notwendigkeit allen Geschehens. Diese Notwendigkeit wird in neuzeitlichem Kontext aufgrund der Gültigkeit von Naturgesetzen behauptet. Es stellt sich daher die Frage, welchen Geltungsanspruch der Bezug auf Naturgesetzlichkeit zu begründen in der Lage ist. Denn Naturgesetze beschreiben zunächst das Weltgeschehen in einer bestimmten regelhaften Form, sie sind aber nicht dieses Geschehen selbst. Es wäre daher zu eruieren, ob diese Beschreibbarkeit mittels gesetzmäßiger Zusammenhänge die Wirklichkeit in ihrer Ganzheit wahrheitsgemäß erfasst. Anders gefragt: Sind Naturgesetze nominalistisch oder realistisch zu interpretieren? Bislang konnten bei Weitem nicht für alle

437 Vgl. insgesamt auch die gute Analyse von Keil, Willensfreiheit, 15-49.

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Philosophische Perspektiven

Geschehnisse, insbesondere nicht für menschliches Handeln (vgl. Libet und seine Nachfolger), gesetzesartige Beschreibungen konstruiert werden. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, dass die Suche nach Naturgesetzen eine Forschungsmaxime der Naturwissenschaften darstellt, die dazu führt, dass sie nicht-gesetzmäßige Zusammenhänge gar nicht oder nur eingeschränkt erfassen kann. Kausalität in diesem Sinne ist eine a priori zu denkende Kategorie, die Erkenntnis erst ermöglicht, aber noch nicht voraussetzt. Der umfassende Determinismus ist daher eine, freilich in naturwissenschaftlicher Forschung weitgehend bewährte Hypothese. In Anwendung auf menschliches Handeln ergeben sich spezifische Probleme. Es kann als Konsens gelten, dass auch menschliche Handlungen nicht unverursacht oder zufällig geschehen. Sie müssen also auch in Form von kausalen Erklärungen zu beschreiben sein. Dies allerdings rechtfertigt noch nicht die unproblematisierte Anwendung des Determinismus. Denn die Verquickung von Determinismus und Kausalprinzip kann wissenschafts- und erkenntnistheoretisch keineswegs als selbstverständlich gelten.438 Als möglich sind auch andere Formen der Verursachung, etwa probalistische oder teleologische Kausalität zu denken. In seiner umfassenden Formulierung setzt der Determinismus voraus, dass durch einen Weltzustand zu einer bestimmten Zeit alle möglichen Weltzustände, seien sie in der Vergangenheit oder in der Zukunft, festgesetzt sind. Mit dieser Voraussetzung einer zeitlichen Symmetrie verursacht die These ein spezifisches Problem. Denn in dieser Logik müsste im Kontext von Kausalverhältnissen dann auch gesagt werden können, dass die Wirkung die Ursache kausal beeinflusst. Streng deterministische Verhältnisse müssen sich in beide Richtungen denken lassen. Die daraus resultierenden Relationen sind nun aber gerade nicht diejenigen, welche von freiheitsskeptischen Deterministen vorausgesetzt werden. Hier werden zeitasymmetrische Verlaufsgesetze angenommen, insbesondere von neuronalen Ursachen zu mentalen Phänomenen (und nicht umgekehrt). Dem steht nun nicht nur das skizzierte logische Problem gegenüber, sondern auch die Tatsache, dass viele Naturgesetze keine solchen Verlaufsgesetze, sondern Koexistenzgesetze sind. Aus den Koexistenzen (etwa der von neuronaler Aktivität und mentalem Phänomen) lässt sich noch nicht menschliche Unfreiheit begründen. 438 Diese Kritik benennt einleuchtend Geert Keil, a. a. o., 27 ff.

Systematische Kernpunkte

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Der im Kontrast dazu von manchen Philosophen vorausgesetzte Indeterminismus stellt eine Unterbrechung der deterministischen Verbindungen dar, setzt aber den Determinismus gewissermaßen als Negativfolie weiterhin voraus. Problematisch daran ist, dass im freiheitsrelevanten Sinne zunächst nur eine spezifische Form des Indeterminismus von Interesse ist, nämlich die Offenheit einer Entscheidung ex ante bis zum endgültigen Zeitpunkt der Handlung.439 Damit sind wir als handelnde Subjekte konfrontiert. Sie könnte tatsächlich nur dann untergraben werden, wenn im Sinne des Konsequenzarguments notwendige kausale Zusammenhänge unser Handeln bestimmen. Damit aber wäre eine wichtige Voraussetzung für echtes Entscheiden, und damit auch für Freiheit in Abrede gestellt. Das Verständnis menschlicher Personen würde sich darauf reduzieren, ein (möglicherweise besonders wichtiges oder komplexes) Glied in der Kausalkette des Weltlaufs zu sein. Dies aber zu verifizieren, stellt einen sehr hohen Erklärungsanspruch dar, der meines Erachtens noch nicht eingelöst ist. Eine Erklärung unserer Entscheidungen ex post ist mit dieser Form des Indeterminismus verträglich, solange die These von deren Notwendigkeit nicht vertreten wird.

6.2 Zeitlichkeit Die angedeutete Form des Indeterminismus machte, wie auch manch andere Argumente, im Verlauf der Diskussion deutlich, dass das Problem der Willensfreiheit einen explizit zeitlichen Rahmen hat. Das Freiheitsproblem stellt sich nur aufgrund der Tatsache, dass wir uns als Menschen in der Zeit als Handelnde bewegen, und uns darin sowohl als Initiator von Handlungen als auch als bestimmten Kausaleinflüssen ausgesetzt erfahren. Diese Erfahrung ergibt sich aufgrund der Tatsache, dass Personen ein »Innen« besitzen. Sie führen ihr Leben aus ihrer Binnensicht auf sich selbst und die ihnen sich ergebenden Entscheidungssituationen einschließlich der zur Wahl stehenden Handlungsalternativen. Aus dieser Binnenperspektive ergibt sich die Notwendigkeit, mit den geprägten Gegebenheiten (den äußeren wie den inneren) umzugehen und sich zu ihnen zu verhalten.

439 Epistemischer Indeterminismus; vgl. Walde, Hirnforschung und Willensfreiheit.

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Philosophische Perspektiven

Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, Freiheit des Willens als Freiheit zur ungehinderten Willensbildung in der Zeit zu verstehen (vgl. Kane, Keil, Ferber, Seebaß).440 Damit ist der offenen Zeitdimension der Zukunft Rechnung getragen. Diese Dimension ist es, aus der das Freiheitsproblem erwächst und innerhalb derer sich sowohl Freiheit wie auch Unfreiheit zeigen müssen. Das Freiheitsproblem ist dem Menschen angesichts dieser zeitlichen Struktur in gewisser Weise aufgenötigt. Die Art und Weise des Umgangs mit dieser Freiheit zeigt dann, ob wir tatsächlich in einem sachhaltigen Sinne frei genannt werden können, oder aber ob die uns zugemutete Freiheit in ihr Gegenteil verkehrt wird. Diese offene Dimension der Zeit lässt sich jedenfalls nicht durch durch objektive Beschreibungen nivellieren. In dieser Perspektive ist die Rede von Möglichkeiten sinnvoll, sofern die handelnde Person nicht durch innere oder äußere Zwänge eingeschränkt ist. Die Annahme, in dieser Perspektive frei zu handeln, ließe sich nur durch die starke Unterstellung naturgesetzlicher Notwendigkeit untergraben, womit der Aussagemodus deterministischer und Freiheit nivellierender Thesen deutlich über die Annahme des logischen Determinismus (‘Es wird sein wie es sein wird’) hinausgehen müsste. Er wäre in diesem Sinn – wie schon mehrmals angesprochen – als eine starke metaphysische These zu begründen. Prinzipiell müsste man aufgrund der engen Verbindung der Themen Freiheit und Zeit eine eigene Theorie der Zeit in den Gedankengang integrieren. Dies würde allerdings den Umfang sprengen; ich orientiere mich daher an phänomenologischen Entwürfen, welche in m. e. sinnvoller Weise die unterschiedlichen Dimensionen der Zeit (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) in ihrer jeweiligen phänomenologischen Qualität in den Blick nehmen.441 Dies impliziert, dass Zeit nicht als Aneinanderreihung von Zeitpunkten zu verstehen ist, oder als ein Raum, der vorwärts und rückwärts zu durchschreiten wäre; ihre Struktur entsteht erst aufgrund der personalen Existenz in der Zeit, innerhalb derer zwischen offener Zukunft und definitiver Vergangenheit unterschieden werden kann. 440 Sachlich zutreffend hat m.E. ausgerechnet der Entdecker des Bereitschaftspotentials Hans Helmut Kornhuber dieses Verständnis beschrieben, wenn er sagt, der Mensch könne »in vieler Hinsicht lernen zu wollen, was er will« (ders., Zur Freiheit, 103). 441 Vgl. aus theologischer und naturphilosophischer Perspektive Beuttler, Offene Dimensionen, 205-209; eine interessante Verbindung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse mit phänomenologischem Zeitverständnis zeigen Kupke/Vogeley, Zeitlichkeit der Freiheit.

Systematische Kernpunkte

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6.3 Personalität Die offene Zeitdimension der Zukunft führt daher auf die besondere Bedeutung menschlicher Personalität als hermeneutischem Rahmen des Freiheitsproblems. Die Fragestellung verändert sich gegenüber der neurowissenschaftlichen Perspektive nun insofern, als Freiheit nicht untersucht werden kann mit Blick auf einen freien Willen, der dann im EEG sichtbar werden könnte (oder auch nicht), sondern als eine Eigenschaft von Personen in ihrem Verhalten in der Zeit thematisch wird. Dieses Verhalten setzt Beziehungen voraus: die Beziehung einer Person zu sich selbst und zu anderen Personen. Nur wenn beides als hermeneutischer Rahmen angesehen wird, kann die Rede von Freiheit überhaupt sinnvoll untersucht werden. Nur vor anderen Personen übernehmen Personen Verantwortung. Und nur weil sie sich zu sich selbst verhalten können, übernehmen sie für ihr Tun Verantwortung und es wird ihnen im Rahmen der sozialen Interaktionen das Attribut Freiheit zuerkannt. Hier lassen sich nun einige, im Verlauf der Argumentationen sichtbar gewordene Kriterien für die Zuschreibung von Freiheit namhaft machen. Es ist davon auszugehen, dass Personen ihr Leben stets aus dem Wissen um sich selbst zu führen haben.442 Freiheit zeigt sich in der Art und Weise, wie Menschen sich zu sich selbst verhalten. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist ein bestimmtes Maß an reflektierter Selbstdistanz, die das Selbstverhältnis in charakteristischer Weise bestimmt. Diese Distanz äußert sich in der von zahlreichen Denkern namhaft gemachten Fähigkeit unmittelbare Handlungsimpulse zu unterdrücken, über Alternativen nachzudenken und Folgen von Entscheidungen abzuschätzen. M.a.W.: Freie Personen zeichnet eine mindestens basale Form von Rationalität aus. Dabei ist das Verhalten freier Personen dadurch charakterisiert, dass sie sich an Normen, Wertvorstellungen und Zielen oder Präferenzen orientieren können, die ihnen im Rahmen des Selbstverhältnisses auch wieder thematisch werden. Dies ist insbesondere deshalb wichtig, weil Freiheit vor allem in Konfliktsituationen relevant wird, in denen gewissermaßen auf dem Spiel steht, was eine Person in Zukunft sein möchte. Die Konzentration auf diese freiheitsrelevanten Konfliktsituationen ist auch insofern von Bedeutung, als davon viele Alltagssituationen

442 Vgl. Henrich, Denken und Selbstsein, 30 f und passim.

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Philosophische Perspektiven

zu unterscheiden sind, in denen auch Entscheidungen getroffen werden, die der Person nicht problematisch werden bzw. die unbewusst oder automatisch fallen. Diesem Handeln ist Freiheit zuzuerkennen, insofern sich die Rahmenbedingungen aus freien, gewissermaßen strategischen Entscheidungen der Person speisen. Hier spielt das Element der Identifikation mit bestimmten Inhalten eine zentrale Rolle. Leidenschaftliches Engagement für eine Sache kann zwar zu Entscheidungen führen, in denen im Prinzip keine offenen Alternativen vorhanden sind; so lange aber diese Leidenschaftlichkeit nicht zwanghaft, sondern reflektiert und auf der Basis einer bewussten Lebensführung vollzogen wird, ist hier das Attribut Freiheit nicht abzusprechen. Doch nicht alle Maßstäbe, an denen sich menschliches Handeln orientieren kann, stehen für den gleichen Grad an Freiheit. Jeder Person, die den genannten Basiskriterien genügt, wird eine basale Form von Freiheit zuerkannt, aufgrund derer wir Verantwortung zuschreiben. Dennoch sind die Fragen nach Moral und Vernunft als Kriterien von Freiheit damit nicht erledigt. Man wird nicht umhinkommen, einem moralischen Verhalten gegenüber Normverletzungen oder Verbrechen einen höheren Grad an Freiheit zuzuschreiben. Zwar ist in beiden Fällen Verantwortung vorausgesetzt, dennoch scheint erstgenannter Fall ein höheres Maß an Freiheit zu repräsentieren. Für diese Bewertung allerdings existiert nun keine von außen feststellbare Skala; der Zugewinn an Freiheit ist hier nur im persönlichen Erleben zu verifizieren und kann von außen nur analog auch an anderen festgestellt werden. Hier aber ist durchaus die particula veri derjenigen Ansätze, die Freiheit v. a. in der Verwirklichung von vernünftigem und/oder moralischem Handeln eingelöst sehen. Die Bedeutung dieses relationalen Verständnisses von Personen verhält sich kritisch gegen die in neurobiologischem, aber auch teilweise in philosophischem Kontext implizierte statische Anthropologie, die sich in gegebenen Wünschen oder aber Präferenzen artikuliert und damit einen abgeschlossenen Kern namens Selbst unter der Hand oder explizit voraussetzt. Es zeigt sich hier, dass die Identität von Personen nicht in einer Identität der Merkmale bestehen kann. Es ist (gerade im Kontext des Freiheitsproblems) auch die Existenz von Widersprüchen und Spannungen für das Verständnis von Personen charakteristisch. Die Neurowissenschaft liefert aber durchaus einen bedeutenden Beitrag in der Erkenntnis der Bedingungen, auf denen die Fähigkeit zur Ausbildung eines Selbstverhältnisses beruht. Insbesondere die Bedeutung unbewusster, v. a. auch emotionaler Vorgänge wird hier neu zur Geltung gebracht. Auch wenn dies keine völlig neue Erkenntnis ist, so lassen sich doch auf Basis hirnphysiologischer Untersuchungen die

Systematische Kernpunkte

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Verflechtungen von bewusst und unbewusst arbeitenden Arealen deutlicher herausstellen. Die dabei im Einzelnen wirksamen Hirnfunktionen konnten im Rahmen dieser Arbeit nicht in extenso dargestellt werden. Wichtig ist aber, dass sich gezeigt hat, dass die Rolle der Vernunft keineswegs ad absurdum geführt werden kann, da ja auch unbewusste Motive den Menschen im Normalfall nicht determinieren. Er ist selbst durch bewusste Reflexion an der Entstehung dieser Motive immer beteiligt. Der Spielraum kann möglicherweise kleiner sein, als man intuitiv zu denken geneigt ist, er ist aber immer noch sehr bedeutend. Die Perspektive des Selbstverhältnisses kann dabei deutlich machen, dass eine Person weder auf das rein Faktische, also auf ihr gegebenes Sosein, zu reduzieren ist – sie kann sich ja stets dazu verhalten – noch dass sie sich in einem letzten Sinn selbst zu bestimmen in der Lage ist. Beide Extrema sind zu Gunsten eines ausgewogenen Gegenübers von Wirklichkeit und Möglichkeit aufzugeben. Hierin zeigt sich, dass die Freiheit eines Menschen tatsächlich die Freiheit des Willens sein muss, desjenigen Willens nämlich, der noch einmal Distanz zu sich selbst aufnehmen und seine Ausrichtung hinterfragen kann. Die Freiheit des Willens ist die Freiheit der handelnden Person.

III

Theologische Perspektiven

1. Der spezifische Ansatz theologischer Anthropologie 1.1 Coram Deo Wenn nun in eine theologische Perspektive gewechselt wird, so stellt sich unweigerlich die Frage, wie sich diese zu den bisher verhandelten verhält. Diese Frage lässt sich nun nicht anders beantworten als dadurch, dass sowohl Zusammenhänge als auch spezifische Differenzen der Perspektiven deutlich gemacht werden. Der Zusammenhang besteht zunächst darin, dass auch dasjenige Subjekt, das nach seiner Freiheit bzw. Unfreiheit in theologischer Perspektive fragt, ein Mensch ist, für den das bisher Erörterte, sofern es allgemein-anthropologische Strukturen beschreibt, gilt. Die differentia specifica der theologischen Untersuchung besteht darin, dass sie sich auf das Gottesverhältnis eines Menschen bezieht und die dabei implizierten Aspekte von Freiheit bzwlorenzo . Unfreiheit zu ergünden sucht. Dabei beschreibt die theologische Anthropologie dieses Gottesverhältnis – im Unterschied zur Religionsphilosophie – derart, wie es sich aus der Binnenperspektive des Christentums ergibt. Diese Binnenperspektive ist zunächst dadurch gekennzeichnet, dass sie diejenigen Phänomene von Freiheit oder Unfreiheit des Menschen in den Blick nimmt, die sich aus der Perspektive des Gottes-, genauer des Christusglaubens ergeben und diesen Glauben betreffen. Dabei ist zu beachten, dass nicht nur die Phänomene aus dem Blickwinkel des Glaubens artikuliert werden, sondern dass auch die Reflexion über die Phänomene dieser Perspektive entspringt. Daher ist die Pointierung des Spezifikums nicht so zu verstehen, dass nun den bisher beschriebenen Relationen des Menschseins eine weitere additiv hinzugefügt wird, sondern die Gottesbeziehung soll horizontierend und die bisherigen Beschreibungen integrierend ergänzt werden. Dabei ist zu erwarten, dass diese durch die Einbeziehung des theologischen Horizonts selbst eine Veränderung erfahren, deren Bedingungen zu akzeptieren nicht erzwungen werden kann, deren Nachvollziehbarkeit aber deutlich werden sollte.

Der spezifische Ansatz theologischer Anthropologie

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Die Abgrenzung des theologischen Themas von einem allgemeinanthropologischen Ansatz, wie sie auch für die lutherischen Bekenntnisschriften anzunehmen ist,1 wurde von Luther in seiner Disputatio de homine mittels der Unterscheidung verschiedener Erkenntnisweisen, Vernunft und Erfahrung auf der einen, Glaube und Wort Gottes auf der anderen Seite, zum Ausdruck gebracht. Mit der Würdigung der vernünftigen Erkenntnis des Menschen in der Philosophie gehe dabei die Begrenzung ihres Gegenstandsbezugs einher, die es nicht ihr, sondern nur der Theologie erlaube, den ganzen Menschen in den Blick zu nehmen. Ob eine Abgrenzung dieser Art in freiheitstheoretischer Hinsicht richtig oder möglich ist, sollen die folgenden Überlegungen zeigen. Mit der angedeuteten Perspektivik wird der Ansatz zugespitzt, den Menschen aus seinen Beziehungen zu verstehen. Ich verfolge damit ein Konzept, dem ein Konsens innerhalb der theologischen Reflexion entspricht.2 Und dennoch liegt gerade darin auch das basale Problem theologischer Anthropologie im interdisziplinären Dialog begründet. Denn die theologisch relevante Relation, also die Gottesbeziehung eines Menschen, kann nicht von vornherein als selbstverständlich bzw. jedermann einsichtig angesehen werden.3 Viele Menschen würden vermutlich bestreiten, überhaupt in einer Beziehung zu Gott zu stehen, viele würden sich mindestens schwer tun, zu beschreiben, was damit gemeint sein kann. Und auch in wissenschaftlichtheologischer Perspektive ist weithin nicht a priori deutlich, was gemeint ist, wenn vom Menschen in seinem Gottesverhältnis die Rede ist. Weder ist schlechthin klar, wer oder was mit dem Ausdruck Gott bezeichnet wird noch wie die Beziehung Gottes zum Menschen konstitu1 2

3

Siehe Sparn, Begründung und Verwirklichung, 130. Der relationale Ansatz wird – in unterschiedlichen Zuspitzungen – etwa verfolgt bei: Schwöbel, Menschsein als Sein-in-Beziehung; Herms, Freiheit des Willens; Härle, Menschsein in Beziehungen; Dirscherl, Grundriss, 17. Zusammengefasst wird der Befund bei Härle, Art. Mensch, 1068. Explizit ordnet Wolfgang Huber das Freiheitsproblem in die 3 fache Relation von Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis ein (ders., Verantwortete Freiheit, 332). Dies ist zu betonen, auch wenn eine Reihe von theologischen Entwürfen versuchen, den Gottesbezug oder das religiöse Element menschlichen Lebens a priori bzw. transzendental zu begründen (vgl. etwa Pannenberg, Was ist der Mensch?; ders., Anthropologie, 57-76; Rahner, Grundkurs, 29-90; Gräb-Schmidt, Aufgabe der Verantwortung, v. a. Abschnitt IV, 286-288). Auch diese Begründungsstrategien versuchen einen Sachverhalt zu plausibilisieren, der nicht immer schon präsent ist, vielmehr in vielerlei Hinsicht nur implizit gegeben ist.

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Theologische Perspektiven

iert wird und welchen Charakter sie aufweist, und schließlich auch nicht, welche anthropologischen Elemente dabei im Spiel sind. Auf letztere vor allem zielt unsere theologisch-anthropologische Untersuchung, wobei bereits auf den ersten Blick deutlich sein dürfte, dass sich diese nur aus der Bestimmung der anderen Relate, eben Gott und die Gestalt der Beziehung zu ihm, erarbeiten lassen. Ohne bereits einzelne Aspekte und Argumente vorwegzunehmen, kann gesagt werden, dass es sich bei der Gottesbeziehung um ein spezifisch asymmetrisches Verhältnis handelt, bei dem nicht von zwei isomorph zu denkenden Aktionspartnern auszugehen ist. Dementsprechend ist das Verhältnis als ein einseitiges, nämlich von Seiten Gottes konstituiertes zu denken. Die Beziehung des Menschen zu Gott wurzelt stets in der Beziehung Gottes zum Menschen.4 Diese freiheitstheoretisch zu explizierende, zu differenzierende und damit auch zu verifizierende Grundannahme erschwert nun allerdings die anthropologische Aufgabe, weil das Gottesverhältnis des Menschen gerade nicht in gleicher Weise wie Selbst- und Weltverhältnis entfaltet werden kann. Denn die Argumentation de homo et de deo findet ja – wie bereits angedeutet – auch coram deo statt.5 Dies gilt sowohl in epistemischer als auch in ontologischer Hinsicht. Auch die Reflexion bezüglich des Gottesverhältnisses ist mit dem Selbstverhältnis und Selbstverständnis des Menschen eng verbunden. Die Frage nach Freiheit oder Unfreiheit des Menschen birgt nun noch ein spezifisches Problem, versteht sich doch gerade der exemplarisch neuzeitliche Mensch als autonom, als frei und selbstbestimmt, dies aber zumeist ohne Gottesbezug.6 Freiheit scheint erst aus der Emanzipation von überkommenen religiösen Bindungen zu erwachsen und mit der anzunehmenden Gottesbeziehung gerade nicht vereinbar zu sein. Interessanterweise wird gerade der Protestantismus, der ja in besonderer Weise als »Religion der Freiheit«7 gilt, zuweilen als Initiator

4 5 6

7

So prägnant Schwöbel, Menschsein, 194 (These 2). Vgl. Ebeling, Dogmatik I, 346-355. Kant, der für den Autonomiegedanken zweifelsohne profilbildend wirkte, konzipierte den Begriff explizit als Selbstbindung der Vernunft an moralische Grundsätze, bei der die unmittelbare Bezugnahme auf Gott freiheitsgefährdend wirken würde, weil man damit Gefahr laufe, die Moral nicht mehr um ihrer selbst willen zu wollen, sondern sie im Sinne der Gottgefälligkeit zu instrumentalisieren (vgl. etwa Kant, Die Religion, 649). Dierken, Freiheit Leitkategorie, 119.

Der spezifische Ansatz theologischer Anthropologie

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oder Pate dieses neuzeitlichen Freiheitsgedankens verstanden.8 Nun scheinen die Untersuchungen im ersten und vor allem im zweiten Teil der Arbeit die Meinung bestätigen zu können, Freiheit könne vollständig auch ohne Gottesbezug verstanden werden. Ich hatte Freiheit ja als eine spezifische Form des Selbstverhältnisses im Sinne der Fähigkeit zur Willensbildung gekennzeichnet, welche uns aus einer offenen Zukunft zuwächst und in spezifisch menschlichen Fähigkeiten des Räsonierens, des Ausbildens von Intentionen etc. besteht. Wozu da noch die Rede von der »Freiheit eines Christenmenschen« oder vom »servum arbitrium«? Die Frage ist nur durch die Klärung der angesprochenen theologischen Topoi zu beantworten.

1.2 Soteriologie und Anthropologie Dabei zeigt sich nun zunächst, wenn ich die Fragestellung mit Luther und seinen Erörterungen – v. a. denjenigen aus »De servo arbitrio« und »De libertate christiana« – angehe, dass seine Fragestellung tatsächlich eine spezifisch christliche ist, in dem Sinne nämlich, dass sie durch den Glauben an Gott angestoßen ist. Dieser Glaube, im Sinne Luthers also ein lebensbestimmendes, existentielles Vertrauen auf Gott9 – nicht etwa ein historischer Glaube an die Existenz der Person Jesu von Nazareth – ist bei der Erörterung des Freiheitsthemas immer schon vorausgesetzt. Denn es geht Luther nicht um die allgemein anthropologische Frage

8

9

Vgl. z.B. Dierken, Freiheit Leitkategorie; Diskussion dieses Gedankens auch bei Slenczka, Freiheitsgehalt, 49 f (beide nehmen Bezug auf die Deutung Hegels); Kritisch dagegen Weinrich, der im Anschluss an Wolfgang Huber konstatiert, dass »zwischen der Reformation und der Aufklärung ein fundamentaler Perspektivenwechsel zu beachten« (ders., Zur Freiheit befreit, 97) ist und sich damit gegen die eindimensionale Einordnung des protestantischen Freiheitsbegriffs in ein neuzeitlichsubjektivitätstheoretisch gefasstes Autonomiekonzept wehrt; ähnlich kritisch nehmen sich auch die Ausführungen von Oswald Bayer aus (vgl. exemplarisch ders., Freiheit als Antwort, 6 f). Vgl. etwa die Erklärung zum ersten Gebot im Großen Katechismus: »Du sollst nicht andere Götter haben. Das ist, Du sollst mich alleine fur Deinen Gott halten. Was ist das gesagt und wie verstehet man’s? Was heißet einen Gott haben oder was ist Gott? Antwort: Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten. Also daß ein Gott haben nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und gläuben, wie ich oft gesagt habe, daß alleine das Trauen und Gläuben des Herzens mache beide Gott und Abgott.« (GK, nach BSLK, 560, 5-17).

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Theologische Perspektiven

nach der menschlichen Freiheit10 oder um eine theoretische Abklärung des Freiheitsthemas11, wiewohl er im Verlauf der Argumentation durchaus auch Argumente vorbringt, die nicht spezifisch christlich gefärbt sind, sondern sich etwa auch allgemein auf Erfahrung bzw. Vernunft beziehen.12 So ist es kein Wunder, dass sich die beiden Eingangsthesen der Freiheitsschrift explizit den Christenmenschen beschreiben.13 Dem Titel entsprechend geht es ja auch um die libertas christiana. Gleiches lässt sich auch anhand einer zentralen Passage aus »De servo arbitrio« zeigen, innerhalb derer Luther den Gegenstand der Diskussion mit Erasmus deutlich auf den Punkt bringt. »Also ist es für einen Christen nicht unfromm, vorwitzig oder überflüssig, im Gegenteil vor allem heilsam und notwendig zu wissen, ob der Wille etwas oder nichts vermag in den Dingen, die sich auf das Heil beziehen. Dass du es nur weißt: Genau hier liegt der Dreh- und Angelpunkt unserer Disputation, um genau diesen Punkt dreht sich die Angelegenheit. Es geht uns doch um die Frage, was denn nun das freie Willensvermögen [liberum arbitrium] kann, was es an sich geschehen lässt, wie es sich zur Gnade Gottes verhält.«14

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Der spezifisch soteriologische und christologische Ansatz Luthers hat Klaus Schwarzwäller dazu geführt, zu behaupten, in De servo arbitrio gehe es nicht um Anthropologie, vielmehr alleine um Gott (vgl. ders., Theologia Crucis, 145). Für Luthers These setze vielmehr die »Preisgabe des ethischen Subjekts voraus« (ders., Sibboleth, 107). Auch wenn Schwarzwäller darin Recht zu geben ist, dass ein wesentliches Anliegen Luthers die Wahrung der Ehre Gottes war, so wird sich doch zeigen, dass auch spezifisch-anthropologische Implikationen im Blick sind, auch wenn die Streitschrift gegen Erasmus nicht als systematisch-anthropologische Abhandlung konzipiert ist. So zutreffend Barth, Theologie Luthers, 303. Diese Zuordnung ist zu betonen etwa gegen die Interpretation von Herms, der die allgemein gehaltenen Aussagen Luthers über die Notwendigkeit des Geschehens als Ausgangspunkt der Interpretation nimmt und dementsprechend die »Notwendigkeitsgewißheit« (ders., Gewissheit, 28) als die basale Form von Gewissheit identifiziert und daraus dann spezifisch christliche Aspekte ableitet. Meines Erachtens muss eine hermeneutisch sorgfältige, nämlich Luther entsprechende Auslegung gerade den umgekehrten Weg gehen, die allgemein gehaltenen Aussagen im Lichte des Gottesglaubens zu lesen. »Der Christ [Christianus homo] ist ein ganz und gar freier Herr über alles und keinem untertan. Der Christ ist ein ganz und gar dienender Knecht aller und allen untertan.« (Luther, Tractatus, 121). De servo arbitrio, LDStA Bd. 1, 246 (Alle Zitate sind soweit nicht anders markiert dieser Ausgabe entnommen; ich zitiere stets die Seitenzahl des lateinischen Textes; Formatierung hier B. B. ).

Der spezifische Ansatz theologischer Anthropologie

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Die Fragestellung Luthers ist damit als eine im engeren Sinn christliche gekennzeichnet. Denn sie bezieht sich auf das Verhältnis des menschlichen Willensvermögens zur Gnade Gottes, und, was das Selbe sagt, auf die Möglichkeiten, die dem Menschen bezüglich des Heils offen stehen. Es geht also um um die soteriologisch relevanten Aspekte. Luther grenzt die Fragestellung deutlich ab von den welthaften, endlichen Bezügen des Menschseins, die auch dem Wirken Gottes unterstellt sind; er pointiert die res des Disputs aber im Hinblick auf diejenigen Aspekte, die für das Heil des Menschen im umfassenden Sinne relevant sind. Es geht damit – soviel kann ohne der Einzelanalyse etwas vorweg zu nehmen, gesagt werden – um die Konstitutionsbedingungen der Gottesbeziehung, die im Glauben vollzogen wird. Als Grundfrage, insbesondere in der Interpretation von »De servo arbitrio«, kann nun gelten, ob bzw. inwiefern sich über die spezifisch soteriologische Zuspitzung des Themas hinaus allgemein-anthropologische Einsichten gewinnen lassen, bzw. ob vielleicht gerade diese Zuspitzung anthropologisch besonders relevant oder grundlegend ist. Damit ist auch das systematische Problem berührt, inwieweit die seit Wilfried Joests Monographie in der Lutherforschung gängige Absicht, eine mit philosophischer Begrifflichkeit zu explizierende »Ontologie der Person«15 zu benennen, möglich ist. Die Frage schwingt in allen freiheitstheoretischen Überlegungen mit.

1.3 Geschöpf und Sünder Es lassen sich ausgehend von der eben skizzierten Problemlage zwei Aspekte oder Dimensionen theologischer Anthropologie benennen, deren Verhältnisbestimmung gerade für eine Untersuchung zum Freiheitsproblem notwendig ist: die Betrachtung des Menschen als (gutes) Geschöpf Gottes und als ein solches Wesen, wie es »durch den Gegensatz bestimmt«16 ist, nämlich die Antithetik von Sünde und Gnade. Wie sich beide Aspekte oder Perspektiven in Bezug auf das Freiheitsproblem zueinander verhalten, muss die Erörterung des Freiheitsbegriffs selbst zeigen.17 Damit ist nun überhaupt nicht gesagt, dass 15 16 17

Joest, Ontologie der Person bei Luther. Schleiermacher, Glaubenslehre, 339 und passim (Überschrift zweiter Teil). Explizit stellt Jürgen Boomgarden – wenngleich in sehr zugespitzter Weise – diese Frage in seinem Aufsatz: Person aus Glauben oder schon als Geschöpf?

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Theologische Perspektiven

beide Perspektiven, Geschöpflichkeit und Sünder vs. Gerechter, ein Gegensatzpaar bilden würden, derart, dass Freiheit oder Unfreiheit immer nur in einer Hinsicht behauptet oder bestritten werden könnte. Auch ist damit nicht gemeint, dass dem Sünden- bzw. Gnadenbewusstsein ein allgemeines Abhängigkeits- oder Gottesgefühl im Schleiermacher’schen Sinne vorausgehen müsste.18 Damit sind schlicht zwei theologische Blickwinkel markiert, aus denen der Mensch in spezifischer Weise betrachtet werden kann. Es nimmt der folgenden Analyse nichts, wenn ich bereits darauf hinweise, dass Luther das an zweiter Stelle genannte Gegensatzpaar für das theologisch grundsätzliche hielt, was sich etwa an seiner Definition des Gegenstandes der Theologie als »homo reus vel perditus et deus iustificans vel salvator«19 ablesen lässt. Dieses soteriologische Anliegen spitzt sich in Bezug auf den Menschen in der Frage nach der Willensfreiheit zu.20 Dabei lässt sich das zentrale Anliegen im Problem der Gewissheit beschreiben.21 Gewissheit ist dabei auch wiederum eine Kategorie des Selbstverhältnisses des Menschen. Wenn sich eine Person einer Sache gewiss ist, so betrifft sie dies selbst in fundamentaler Weise. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Gegenstand der Gewissheit derjenige ist, welcher als »einiger [T]rost i[m] Leben und i[m] [S]terben«22 gilt. Gottesgewissheit und Selbstgewissheit stehen hier in unmittelbarer Korrelation; wie sich beide zueinander verhalten, ist zentraler Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Mit diesen einleitenden Bemerkungen ist hoffentlich auch gesagt, dass die Bearbeitung des Themas im Anschluss an Luther (bzw. Erasmus), also einer Person bzw. einem theologischen Streit gerechtfertigt, der eine erheblich historische Differenz zu den aktuellen Fragestellungen aufweist. Denn in der Debatte zwischen Luther und Erasmus ist wie an kaum einer anderen Stelle das Freiheitsthema pointiert, zugleich aber auch relativ ausführlich und unter Heranziehung differenzierter theologischer Aspekte behandelt. Die Auseinandersetzung bietet sich daher trotz der historischen und sachlichen Differenzen für ein Ge18 19 20 21 22

Vgl. Schleiermacher, Glaubenslehre, §§ 3, 4, Redeker 14-30. WA 40 II, 328 1 f (Enarratio Psalmi LI. [1538]). Dies konzediert Luther auch Erasmus, indem er ihm bescheinigt, mit seiner Diatribe die »Sache selbst« (Dsa, 659) getroffen zu haben. Darin, wenn auch nicht in der Durchführung, stimme ich überein mit Herms, Gewissheit, bes. 23. Heidelberger Katechismus, Frage 1, in Müller, Bekenntnisschriften der reformierten Kirche, 682, 20.

Der Streit zwischen Luther und Erasmus

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spräch an, weil hier exemplarisch zentrale theologische Argumente zur Sprache kommen, die in der Lage sind, den »historischen Graben« zu überspringen. Andererseits ist die Konzentration auf den reformatorischen Freiheitsbegriff (im Gegenüber zum Humanismus) in besonderer Weise für das Selbstverständnis protestantischer Theologie von Bedeutung, arbeiten sich doch gerade Beiträge zur neueren Freiheitsdebatte meist an Luthers Verständnis von (Un-)Freiheit ab. Eine einheitliche Bearbeitung des theologischen Freiheitsproblems in dem nun vorherrschenden Gesprächskontext ist dabei noch nicht in Sicht, weshalb sich die vorliegende Arbeit auch als ein Beitrag zur (binnen-)theologischen Präzisierung und Klärung des Freiheitsbegriffs versteht.

2. Der Streit zwischen Luther und Erasmus 2.1 Die Bestimmung des Gegenstandes durch Erasmus Will man sich die Position Luthers in der Streitfrage vor Augen führen, so ist es auch um einer guten Kontextualisierung willen notwendig, zunächst einen Blick auf die von Erasmus gegebene Vorlage zu werfen, auf die Luther dann sehr ausführlich, manchmal auch in redundant erscheinender Weise eingeht. Luthers Schrift orientiert sich in ihrer Struktur an der des Erasmus orientiert und bezieht sich somit auch explizit auf dessen Argumente.23 Das Interesse an Erasmus ist aber, wie sich noch zeigen wird, auch der Tatsache geschuldet, dass in der Darlegung seiner Position einige typische Argumente begegnen, die so oder in ähnlicher Weise auch die in den ersten beiden Hauptteilen dargestellte aktuelle Debatte prägen. Diese Strukturparallelen sollen daher in Grundzügen herausgearbeitet werden, auch um daran anschließend dann die Bedeutung von Luthers Ansätzen für das gegenwärtige Gespräch besser verdeutlichen zu können. Um dieses Vorhaben realisieren zu können, ist es sinnvoll, den Streitgegenstand, der nicht nur aus historischen, sondern auch aus systematischen Gründen zunächst deutlich von der aktuellen Streitfrage differiert, näher zu spezifizieren. Die gegeneinander gerichteten Schriften von Erasmus und Luther führen jeweils das lateinische Wort arbitrium im Titel, das man mit 23

Eine gute, wenn auch sehr ausführliche Inhaltsübersicht und Strukturierung der Schrift bietet Schwarzwäller, Theologia Crucis, 17-37; kurz und prägnant dargestellt ist die Grobgliederung bei Reinhuber, Kämpfender Glaube, 11 f.

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Theologische Perspektiven

»Willensvermögen«24 oder »Wahl- bzw. Entscheidungsvermögen«25 wiedergeben kann, und qualifizieren dieses arbitrium mit den Attributen »liberum« bzw. »servum«. Es scheint also zunächst deutlich zu sein, worum sich der Streit dreht, nämlich um die Art und Weise, wie das menschliche Willensvermögen eingeschätzt werden muss, ob es als frei oder aber als unfrei bzw. geknechtet26 zu gelten hat. Diese Bestimmung aber kann nur auf den ersten Blick den Gegenstand deuten helfen, zeigt sich doch bei näherem Hinsehen, dass auch das Wort »arbitrium«27 noch einiges an Klärungsbedarf aufweist. Dies gilt hinsichtlich seiner anthropologischen Bedeutung – etwa was die Korrelation mit der ratio angeht – genauso wie in spezifisch theologischer Perspektive bezüglich der Verhältnisbestimmung zur Gnade bzw. zum Handeln Gottes. Erasmus liefert nun zum Ende seiner Vorrede eine mögliche Beschreibung des Gegenstandes, die noch nicht, wie Luther es auslegt, explizit seine eigene Meinung widerspiegeln muss,28 die aber die Struktur des Problems aufzeigt und daher formal hilfreich ist, die Fragestellung einzugrenzen. Er verstehe unter dem Schlagwort liberum arbitri24 25 26

27

28

So die Übersetzung von Athina Lexutt in LDStA. So Härle, Der (un-)freie Wille, 269. Bereits an dieser Übersetzungsfrage zeigt sich, dass eine Untersuchung zu Dsa sehr differenziert vorgehen muss, macht es doch einen deutlichen Unterschied, das Adjektiv »servus« als unfrei, was noch viel Interpretationsspielraum lässt, versklavt (impliziert den rechtlosen, in radikaler Weise unfreien Sklaven als metaphorischen Hintergrund) oder geknechtet (verweist auf den unfreien Knecht, der aber im Unterschied zum Skaven in einem Rechtsverhältnis zu seinem Herrn steht) wiedergibt. Auf diesen metaphorischen Hintergrund kann ich nicht näher eingehen, versuche aber den Sachgehalt von den inhaltlichen Zusammenhängen her deutlich zu machen. Die Notwendigkeit einer Klärung des Begriffs »arbitrium« zeigt sich schon von daher, dass sowohl arbitrium als auch voluntas im Deutschen mit »Wille« übersetzt werden können. Eine noch größere Begriffsvielfalt findet sich im Griechischen, was zu unterschiedlichen Pointierungen im Laufe der Geschichte geführt hat. Ch. Horn nennt drei typische Elemente: »rationales Streben«, »Dezisionsvermögen«, »psychisches Antriebspotential« (ders., Art. Wille, 763). Manfred Hofmann hat etwa auf diesen Sachverhalt hingewiesen; er charakterisiert die Definition als »Arbeitshypothese zum folgenden Vergleich der scheinbar widersprüchlichen Bibelstellen und theologischen Ansichten« (ders., Erasmus im Streit, 108). Auch Andreas Klein vertritt die Ansicht, dass die eigentliche Positionsbestimmung des Erasmus nicht aus der Definition, sondern aus dem Verhältnis von Gnade und Wille zu gewinnen sei (ders., Willensfreiheit, 362). Er stellt m.E. korrekt dar, dass sich Erasmus, wie Luther richtig diagnostiziert, bei seiner Positionierung in unauflösliche Widersprüche verwickelt (vgl. a. a. o., 365 f).

Der Streit zwischen Luther und Erasmus

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um eine »vis humanae voluntatis, qua se possit homo applicare ad ea, quae perducunt ad aeternam salutem, aut ab iis avertere«29. Die Freiheit des arbitrium bezieht sich wiederum auf einen anderen lateinischen Terminus, den wir im Deutschen gewöhnlich ebenfalls mit Willen übersetzen, nämlich die voluntas. Freiheit des arbitrium wird als eine Kraft der voluntas apostrophiert. Die Freiheit ist demnach in einer »vis«, also einer Kraft oder Fähigkeit des Menschen realisiert. Man mag diese Feststellung gerade angesichts der philosophischen Überlegungen, die ja explizit Fähigkeiten des Menschen in den Blick nahmen, für selbstverständlich halten; es ist aber für die weitere Debatte durchaus von Bedeutung, dass Freiheit des Willens nicht schlicht eine Eigenschaft des Menschen darstellt, sondern an eine ganz bestimmte Fähigkeit, die deren Ausübung als notwendig voraussetzt, gebunden ist. Diese Fähigkeit wird von Erasmus bekräftigt, von Luther entschieden abgelehnt. Denn Erasmus geht es in spezifischer Weise darum, den menschlichen Willen als aktiv30 darzustellen, als einen solchen, der entgegen der These Luthers tatsächlich tun soll, »was in seinen Kräften steht«31. Dabei werden die beiden Termini »arbitrium« und »voluntas« in sehr spezifischer Weise verwendet. Denn in Frage steht explizit, ob der Mensch ein freies Wahlvermögen (liberum arbitrium) in Bezug auf seinen Willen (voluntas) besitzt, ob er gewissermaßen seinen eigenen Willen noch einmal zum Gegenstand einer freien Wahl machen kann und sich dementsprechend ausrichten kann, was eine spezifische Form der Fähigkeit zur Selbstdistanznahme bereits voraussetzen müsste. Es geht also um die Art und Weise, wie sich der Mensch zu sich selbst, spezifisch zu seinem eigenen Willen, verhalten kann. Wir befinden uns also wiederum an dem Punkt, den wir auch philosophisch als den relevanten herausgestellt hatten. Wenn Luther gegen die Freiheit des Willens kämpft, so stellt er dabei nicht in Frage, dass der Mensch ein wollendes bzw. strebendes

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30

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Erasmus, De libero arbitrio, Ib 10, 36 (eine Kraft des menschlichen Willens, durch die er sich zu dem, was zum ewigen Heil führt, hinwenden oder abwenden kann); [im Folgenden nur »Dla« zitiert]. Vgl. etwa Dla, IIb 5, 86: »Quomodo iubemur abicere et exuere, si nihil agimus? [...] atqui hoc ipsum velle benefacere bonum est opus, alioqui nec velle malum erit in malis.« (Wieso befiehlt man uns, abzulegen und auszuziehen, wenn wir nichts tun? […] und doch ist gerade dieses Gutes-tun-wollen ein gutes Werk, sonst wird auch nicht das Böses-wollen zu den bösen Werken gehören.). Luther, Disputatio Heidelbergae Habita, 47 (quod in se est).

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Theologische Perspektiven

Wesen ist, dass er also eine voluntas besitzt.32 Dies kann schon aus Gründen allgemeiner Menschenkenntnis schlechterdings nicht bestritten werden. Es geht hier nun aber um das Problem, ob eine solche Kraft des Willens zur eigenen Selbstausrichtung existiert, worin sie bestehen könnte und was sie Gott gegenüber vermag, und schließlich ob bzw. in welcher Hinsicht der Mensch für seinen Willen verantwortlich ist. Ein formales Spezifikum der Argumentationsstrategie des Erasmus lässt sich hier bereits mit Händen greifen, geht es ihm doch stets darum, keine zu starken Behauptungen aufzustellen und möglichst moderat zu formulieren.33 So versucht er auch hier, die in Frage stehende Fähigkeit als eine solche zu qualifizieren, die nicht etwa direkt oder unmittelbar das Heil schaffen könnte, sondern sich auf diejenigen Dinge beziehe, die zum Heil führen würden. Dies verdeutlicht auch, dass die in Frage stehende menschliche Fähigkeit jeweils nur durch sehr präzise Verhältnisbestimmungen (insbesondere zur Gnade Gottes) zu spezifizieren ist. Aufgrund der Abneigung des Erasmus, deutliche Behauptungen, von Luther so genannte »assertiones«34, aufzustellen, erscheint es fraglich, ob und wie diese Präzisierungen zu formulieren sind.

2.2 Dimensionen des freien Wahlvermögens nach Erasmus 2.2.1 Entscheidungsfreiheit auf Basis von Vernunft Es lassen sich für Erasmus zwei leitende Motive benennen, welche seine Argumentation im Ganzen strukturieren. Zum Einen geht es ihm um die (moralische) Gerechtigkeit Gottes,35 der entsprechend dem 32 33

34 35

Auf diesen wichtigen Punkt weist auch Wilfried Härle hin (ders., Der (un-)freie Wille, 269). Vgl. etwa Dla, Ia 4, 7:: »Et adeo non delector assertionibus, ut facile in Scepticorum sententiam pedibus discessurus sim, [...]« (»Daher habe ich so wenig Freude an festen Behauptungen, daß ich leicht geneigt bin, mich auf die Seite der Skeptiker zu schlagen [...]«). Thomas Reinhuber hat den vermittelnd-abwägenden Charakter der collatio deutlich herausgestellt (ders., Kämpfender Glaube, 6-8). Vgl. Dsa, 226-232. Vgl. zusammenfassend etwa Dla, IV 16, 190: »Cur, inquies, datur aliquid libero arbitrio? Ut sit, quod merito imputetur impiis, qui gratiae dei volentes defuerint, ut excludatur a deo crudelitis et iniustitiae calumnia, ut excludatur a nobis desperatio, ut excludatur securitas, ut exstimulemur ad conandum.« (»Warum, wird man sagen, wird dem freien Willen etwas zugestanden? Damit es etwas gibt, was den Gottlosen

Der Streit zwischen Luther und Erasmus

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menschlichen Verhalten strafen oder auch belohnen kann, andererseits um die dementsprechende Verantwortlichkeit und Moralität bzw. Frömmigkeit des Menschen.36 Beide Annahmen setzen eine bestimmte Form von Freiheit voraus. Vor allem letztgenannter Aspekt soll angesichts der anthropologischen Ausrichtung dieser Arbeit im Mittelpunkt der Darstellung liegen. Entsprechend dem Titel der Schrift besteht die Intention des Erasmus darin, das Wahlvermögen anhand einer Entscheidungssituation, in welcher der Mensch tatsächlich die freie Wahl hat, zu verdeutlichen. In Interpretation einer Schriftstelle aus dem Buch Jesus Sirach37 expliziert Erasmus den Sachverhalt. »Das Gesetz zeigt, was Gott will: es stellt Strafe in Aussicht, wenn man nicht gehorcht, es stellt Belohnung in Aussicht, wenn man gehorcht. Im übrigen läßt Gott dem Willen jener Menschen, den er ihnen als frei und nach beiden Seiten beweglich geschaffen hat, die Fähigkeit zur Wahl.«38

Der Mensch hat verschiedene Entscheidungsalternativen vor sich, die seiner Wahl unterstehen. In dem hier zur Diskussion stehenden Fall sind dies der gute, von Gott gewollte sowie der böse, gottwidrige Weg. Diese Strukturierung ist typisch für die Art und Weise, wie Erasmus die Frage nach dem freien oder unfreien Willen im Gottesverhältnis behandelt: Dem Menschen bieten sich zwei Optionen an, die entweder die Bejahung oder die Verneinung des göttlichen Weges beinhalten. Hier kommt dem Menschen die libertas eligendi39 zu, verstanden als die »Macht [...], sich hierhin und dorthin zu wenden.«40 Diese Freiheit wird dem Menschen zugeschrieben, weil der menschliche Wille grundlegend als flexibel oder beweglich, und somit als frei vorgestellt wird. Es liegt an ihm, wie er sich entscheidet. Der

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39 40

mit Recht angerechnet wird, die sich freiwillig der Gnade Gottes versagt haben, damit der Vorwurf der Grausamkeit und Ungerechtigkeit von Gott abgewendet werde, damit von uns die Verzweiflung abgewendet werde, und die Sorglosigkeit abgewendet werde, damit wir zum Bemühen angespornt werden.«); vgl. Härle, Der (un)freie Wille, 260-262; Klein, Willensfreiheit, 358. Vgl. etwa Dla, Ia 8, 11: »si in via pietatis sumus, ut alacriter proficiamus ad meliora relictorum obliti.« (»Wenn wir uns auf dem Weg der Frömmigkeit befinden, sollen wir mutig nach dem Besseren streben, indem wir vergessen, was hinter uns liegt«). Sir 15,15 ff, vgl. Dla, IIa 7. Dla, IIa 7, 47: »Lex ostendit, quid velit deus: proponit paenam, ni pareas, proponit praemium, si pareas. Ceterum eligendi potestatem illorum relinquit voluntati, quam illis condidit liberam et utroque volubilem.« Siehe Dla, IIa 14, 60. Dla, IIa 14, 61 (potestas semet huc et illuc applicandi).

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Theologische Perspektiven

Wille ist nicht von vornherein auf eine Handlungsmöglichkeit festgelegt, weder auf das Böse, weil er Sünder ist, erst recht nicht auf den guten Weg. Vielmehr befindet er sich vor der Entscheidung noch in einer Situation des Unentschiedenseins, einer Lage also, in der ihm alternative Möglichkeiten zustehen. Diese Unentschiedenheit wird nun allerdings nicht als völlige Neutralität beschrieben. Der Mensch wird so charakterisiert, dass er in sich eine gewisse Neigung zum Bösen, zur Sünde vorfindet (»proclivitas peccandum«41). Diese aber »beseitigt nicht völlig die Freiheit des Willens«42; sie ist nicht so zu denken, dass sie den Menschen zwinge.43 Er sei in der Lage, aufgrund seiner Vernunft bzw. des Geistes, dem führenden Seelenteil44, abzuwägen und seinen Willen entsprechend dem Urteil zu bestimmen. Diese Fähigkeit verschafft dem Menschen offensichtlich eine gewisse Neutralität45 und Distanz gegenüber den ihn beeinflussenden Neigungen. Aufgrund dieser Distanz ist der Mensch in der Lage, rational und daher frei sich für eine der Alternativen zu entscheiden. Hiermit sind zentrale Aspekte des von Erasmus vorausgesetzten anthropologischen Modells benannt. Mit weiten Teilen der philosophischen Tradition, aber entgegen den Renaissance-Humanisten Valla und Pomponazzi bestimmt Erasmus den Menschen als rationales Wesen, was ihn in seinem Verhalten bzw. seinen Verhaltensmöglichkeiten in spezifischer Weise kennzeichnet.46 Die Vernunft erst macht den Menschen zu einem freien Wesen. Aufgrund der Vernunft kann der Mensch ein Selbstverhältnis eingehen und sich kritisch zu den im anthropologischen Modell tiefer angesiedelten Neigungen und Leidenschaften

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42 43 44 45

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Dla, IIa 3, 42. Vgl. die traditionelle katholische bzw. scholastische Rede vom »fomes peccati«, mit der Erasmus hier konform geht, da diese Neigung noch nicht, sondern erst nach der Verwirklichung als böse Tat bzw. Sünde eingestuft wird (vgl. das Dekret über die Ursünde, DH 1515, sowie die Verurteilung der entsprechenden Gegenthese Luthers in Exsurge Domine, DH 1453). Dla, IIb 2, 123 (»non adimit in totum libertatem arbitrii«). Vgl. etwa Dla, IIIb 4: »nemo cogitur ad malum, nisi consentiat« ([…] wird doch niemand zum Bösen gezwungen, wenn er nicht zustimmte). Dla, IIIb 4, 127. Diesen Sachverhalt betont Andreas Klein, der auf die »neutrale Mitte« (ders., Willensfreiheit, 361) zwischen Gut und Böse als zentrale Metapher für das Denken des Erasmus verweist; vgl. auch Hofmann, Erasmus im Streit. Zur Tradition dieses Begriffs und seiner kontrastierenden Verwendung bei Erasmus siehe Reinhuber, Kämpfender Glaube, 31-43 und seine Beschreibung von Luthers Position als »umkämpfte Mitte« (a. a. o., 43 ff). Siehe Sparn, Mensch, 512.

Der Streit zwischen Luther und Erasmus

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verhalten. Der Mensch wird als hierarchisch strukturiert und gerade in seinen höchsten Fähigkeiten als (mindestens potentiell) integer dargestellt. Es ist bedeutsam, dass Erasmus die Frage nach der Willensfreiheit als eine solche deutet, in der menschliches Handlungs- und Entscheidungsvermögen gefragt ist. Dies macht ihn zu einem guten Gesprächspartner für die aktuelle Debatte, widerstreitet aber schon auf den ersten Blick der Sicht Luthers vom Glauben als vita passiva.47 Auch gegenüber Gott als dem höchsten Gut wird der Mensch als ein Handelnder und Entscheidender vorgestellt. Dies ist bei der Wahl des Themas und angesichts der Verteidigung des Wahlvermögens durch Erasmus zunächst nicht weiter verwunderlich, gibt der Fragestellung aber sogleich ein spezifisches Gepräge. Stets geht es Erasmus um den sittlichen Weg des Menschen,48 auf dem der Mensch die richtigen Entscheidungen zu treffen hat. Es dominiert die pädagogische und ethische Perspektive,49 innerhalb derer die Bildung des miles christianus als Leitbild gilt. Weil für Erasmus das primäre Datum der Argumentation der biblisch bezeugte ethische Imperativ ist, wird das Freiheitsproblem notwendig in dieser Weise zugespitzt. 2.2.2 Freier Wille und Gnade Dies zeigt sich auch an der Art und Weise, wie Erasmus das Verhältnis von Willen des Menschen und göttlicher Gnade bestimmt. Auch hier geht es ihm um eine moderate, ausgleichende Beschreibung des Verhältnisses. Wichtiger noch aber als dieser methodische Ansatz ist die kategoriale Strukturierung, die Mensch und Gott jeweils als Handelnde, und zwar als in moralischer Hinsicht auf einer Ebene kooperierende Partner in den Blick nimmt. Erasmus unterscheidet zur genauen Verhältnisbestimmung von Gnade und menschlichem Willen verschiedene Arten von Gnade. Dabei gilt ihm Gnade als eine »unverdiente Wohltat«50 (benificium gratis), also eine Zuwendung von Seiten Gottes, zu der der Mensch nichts Eigenes beitragen kann. Der Mensch kann im Gnadengeschehen 47 48 49 50

Siehe dazu einführend etwa Bayer, Luthers Theologie, 38-40. Vgl. Dla, IIIb 3, 125. Vgl. Reinhuber, Kämpfender Glaube, 62-64; siehe auch Hofmann, Erasmus im Streit, 104. Dla, IIa 11, 53.

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nicht den Anfang machen.51 Zunächst nennt Erasmus eine natürliche, angeborene Form der Gnade, die darin besteht, dass der Mensch in den ganz basalen Dingen des Alltags frei entscheiden kann. Darunter fallen Erasmus zufolge durchaus auch religiöse Vollzüge, die allerdings noch keinen Bezug zum ewigen Heil aufweisen können. Die zweite von Erasmus genannte Gnade, welche die besondere (»gratia peculiaris«52) genannt wird, weist demgegenüber schon eine spezifisch moralische Konnotation auf. Sie besteht darin, »dass sie den Sünder ohne eigenes Verdienst zur Besserung anstachelt«53, was besagt, dass der Sünder sich als solcher erkennt und missfällt, und daraufhin zu sittlich guten Werken strebt. Die sündige Neigung ist dabei noch nicht zurückgelassen, was auch erklärt, dass diese Gnade vor Gott noch nicht angenehm macht; dennoch erwirbt der Mensch sich »einen gewissen Anspruch auf jene höchste Gnade«54. Auch diese Gnade sei noch als eine solche zu verstehen, die jedem Menschen zukomme, da es niemandem an Gelegenheiten fehle, sich sittlich zu bessern. Wichtig ist nun das Entscheidungsmoment, das hier ins Spiel kommt. Denn der Mensch kann, wie er seine Augen für das Licht öffnen und schließen kann, sich auch willentlich auf die Gnade einlassen oder aber diese verweigern. Letztlich ist der Mensch zwar darauf angewiesen, dass die Gnade seine Bemühungen unterstützt, ihn antreibt und dann auch zum Ziel führt, stets aber ist er dabei als ein freier, gegenüber der göttlichen Hilfe noch einmal unabhängig »Ja« bzw. »Nein« sagen könnender Akteur vorgestellt. Der Übergang von Sünde zu Gnade55 wird im Rahmen seines Verständnisses vom »praktischen Christentum«56 als ein Prozess des sittlichen Fortschritts dargestellt. Dies kann auch anhand der Rede von verschiedenen Arten des Gesetzes, die man parallel zu den unterschiedlichen Gnadenformen anzeigen kann, verdeutlicht werden. Erasmus unterscheidet »das 51 52 53 54 55

56

Vgl. auch Dla, IV 8, 171-173. Dla, IIa 11, 55. »[...] deus ex sua misericordia peccatorem nihil promeritum stimulat [...]« (ebda). »[...] illius gratiae velut candidatum quendam agit.« (ebda). Das Modell des Erasmus ist ähnlich dem tridentinischen Schema als »translatio« (Dekret über die Rechtfertigung, DH 1524) konzipiert, der den Übergang von einem Zustand in den anderen beschreibt. Hier wie dort ist der Standpunkt des Sprechers der des Pädagogen, der den Übergang des von ihm Adressierten begleitet und fördert. Es gehört zu den Grunddifferenzen zwischen Luther und Erasmus, dass die Erörterung des Menschen als »simul iustus et peccator« in diesem Modell nicht möglich ist. Iwand, Erläuterungen, 274.

Der Streit zwischen Luther und Erasmus

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Gesetz der Natur, das Gesetz der Werke, das Gesetz des Glaubens«57. Unter ersterem kann eine allgemeine Einsicht in das moralisch Gute, wie etwa die goldene Regel, aber auch eine damit einhergehende Form natürlicher Gotteserkenntnis verstanden werden. Das Gesetz der Werke geht darüber schon hinaus, indem es anspruchsvollere Vorschriften gibt, die der Mensch aus sich heraus nicht vollziehen kann. Die höchste Stufe stellt schließlich das Gesetz des Glaubens dar, das, wie gesehen, nur mit Hilfe der göttlichen Gnade erfüllt werden kann. Hier kann nun gelten: »Der Glaube heilt also die Vernunft«58. Der Satz ist so zu interpretieren, dass der Mensch im Glauben sich auf die Hilfe der Gnade einlässt und somit auch sittlich anspruchsvolle Werke in Leichtigkeit vollbringen kann. Die von der Sünde in ihrer Einsicht in das moralisch Gute geschwächte Vernunft wird im Glauben wieder vollkommen. Der ethischen Perspektive entsprechend ist also das Verhältnis von menschlichem Willen und göttlicher Gnade auf eine Kooperation59 hin angelegt. Diese wird von Erasmus zwar nicht als symmetrische Zusammenarbeit zweier gleichberechtigter Partner verstanden, aber dennoch so konzipiert, dass in quantifizierender Weise60 der Anteil der jeweiligen Werke aufaddiert bzw. aufgeteilt werden kann. Hierbei ist deutlich, dass der menschliche Wille ohne die Gnade nichts vermag.61 Hilfe kommt ihm durch die göttliche Gnade zu, die er aber durch sein eigenes Streben, das im Vergleich zum Werk Gottes nur als eine Winzigkeit erscheint (»perpussilum«62), unterstützen muss. Göttliches und menschliches Wirken verbinden sich im Prozess des sittlichen Fortschritts so, dass das Gesamtwerk nur in Kooperation zu Stande kommen kann, dabei aber die Anteile so ungleich verteilt sind, dass summarisch und hyperbolisch dennoch gesagt werden kann, Gott wirke das ganze Heil (»totam salutem«63). Dieses Heil besteht für Erasmus, wie gesehen, in der Heilung der moralischen Vernunft durch den

57 58 59 60 61

62 63

Dla IIa 5, 43 (»lex naturae, lex operum, lex fidei«). Dla IIa 6, 45 (»Fides igitur medetur rationi [...]«). »[…] ut possit consentire et cooperari gratiae divinae [...]« (Dla IIIc 4, 143; Formatierung B. B. ). Siehe Klein, Willensfreiheit, 363. Von der Barmherzigkeit Gottes gilt, dass ohne sie »weder der menschliche Wille noch seine Strebungen Erfolg haben.« (»[...] sine qua nec voluntas humana est efficax nec conatus«; Dla Ia 8, 13). Dla, IV 8, 172. Ebda.

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moralisch verstandenen Glauben. Damit bietet Erasmus einen Ansatz, der von dem Luthers – wie sich noch genauer zeigen wird – grundlegend verschieden ist64. 2.2.3 Verantwortung des Menschen In anthropologischer Hinsicht ist es vor diesem Hintergrund das zentrale Anliegen des Erasmus, den Menschen so zu beschreiben, dass er verantwortlich genannt werden kann für die Handlungen, die er Gott gegenüber ausführt. Diese Verantwortung zeigt sich nun eben vor allem im gerade dargestellten sittlich-moralischen Aufstiegsprozess. Es muss dem Menschen zuzuschreiben sein, dass er sich bessert, aber auch die Tatsache, dass er immer wieder in Sünde verfällt, sonst hätten weder Belohnung noch Bestrafung ihren Sinn. Dabei gilt es in der Logik des Erasmus wiederum die Extreme zu vermeiden. Die Verantwortung des Menschen darf nicht zu hoch angesetzt werden, um das Rühmen zu vermeiden bzw. eine Form von Werkgerechtigkeit auszuschließen, darf aber auch nicht zu gering taxiert oder gar völlig ausgeschlossen werden, um keine falsche Sorglosigkeit oder mangelnden sittlichen Eifer zu etablieren.65 Stets ist der Mensch so in den Blick genommen, dass er mit Gottes Hilfe auf dem Weg der sittlichen Besserung voranschreiten kann. Diese Annahme kann als eine humanistische, und damit als pädagogisch pointierte Grundanschauung gelten, ergibt sich aber auch aus einer spezifischen Interpretation der biblischen Schriften. Dabei scheint die Freiheit des Menschen notwendigerweise vorauszusetzen zu sein. Dies zeigt sich angesichts der Tatsache, dass Erasmus die Freiheit des Wahlvermögens in den biblischen Begründungen, die er anführt, zumeist auf imperativische (»Du sollst...«66) oder konjuktivische Aussagen (»wenn Du x tust, dann wirst Du...«67) stützt. Beide Typen setzen in 64

65 66

67

Vgl. Iwand, der den kategorialen Unterschied mit den Worten folgendermaßen pointiert: »Ihm, dem klassischen Humanisten, geht es um ein moralisches Ziel bei seinem Mitwirken an der Reform der Kirche, Luther aber geht es um ein dogmatisches.« (ders., Theologische Einführung, 254). Vgl. die zusammenfassende Feststellung Dla IV 16, 191. Dla, IIb 1, 74: »Sind nicht alle bekannten Gebote Christi sinnlos, wenn dem menschlichen Willen keine Wirksamkeit zugetraut wird?« (Nonne frigent omnia praeclara praecepta Christi, si nihil tribuitur humanae voluntati?). Zitiert wird etwa Mt 5,22: »Wenn ihr mich liebt, so haltet meine Gebote.« (siehe ebda).

Der Streit zwischen Luther und Erasmus

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der Argumentation des Erasmus voraus, dass der solchermaßen Angeredete dies auch zu tun vermag, dass also der Forderung bzw. der gestellten Bedingung auch ein Können entspricht. Dabei verzichtet Erasmus darauf, zu eruieren, ob dieses vorausgesetzte Können tatsächlich sachgemäß ist bzw. welche Bedingungen erfüllt sein müssten, um die Fähigkeit tatsächlich annehmen zu können. Auf die personalen Tiefenstrukturen, die der Freiheit zu Grunde liegen, reflektiert Erasmus – mit Ausnahme der Betonung der Vernunft – jedenfalls nicht. Sein Interesse ist ein pädagogisches, das den Leser im Rahmen einer ethischen Konzeption zur Besserung anleiten will. Der Standpunkt des Sprechers ist damit nicht in erster Linie der desjenigen, der über den eigenen Glauben nachsinnt, sondern der Pädagoge selbst, der in Richtung von Anderen, von ihm zu erziehenden, schreibt, tritt uns hier entgegen. Damit ist impliziert, dass seine freiheitstheoretischen Überlegungen gewissermaßen nach vorne, nämlich auf den in der Zukunft liegenden pädagogischen Fortschritt hin orientiert sind. Diese Einordnung ist deshalb von Bedeutung, weil bereits deutlich wurde, dass sowohl die relationalen Bezüge als auch der jeweilige zeitliche Index der Theorie essentiell den Gehalt eines Freiheitskonzepts ausmachen. Damit ist der Kontext der Argumentation dargestellt. Fasst man systematisch zusammen, so lässt sich zeigen, dass die von Erasmus verteidigte Freiheit des Willens in zweierlei Hinsicht zu konstatieren ist. Zum einen besteht sie in formaler Hinsicht in der oben bereits beschriebenen Fähigkeit, den Willen wandeln, sich also in verschiedene Richtungen wenden zu können und eben nicht von vornherein festgelegt zu sein. Zum anderen gesteht er dem Menschen die Fähigkeit zu, explizit willentlich zum Guten68 zu streben. Denn dies ist die eigentlich relevante Fähigkeit, die in Frage steht: Ist der Mensch fähig, sich Gott zuzuwenden? Hier bescheinigt Erasmus im beschriebenen Sinne, dass wir aufgrund unserer Neigung zu sündigen, zwar nicht aus uns, aber mit Hilfe der Gnade durchaus in der Lage sind, dem Guten nachzugehen. Die Fähigkeit, den Übergang vom Zustand der Sünde in den Zustand des Geistes willentlich-frei mitzugestalten, ist der zentrale Aspekt des liberum arbitrium nach Erasmus. Es erhebt sich damit die Frage, ob der eingangs von Erasmus dargestellte Bezug auf das »ewige

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Vgl. etwa Dla, IIb 6, 89: »Er [hier: der Autor des Petrusbriefes] will, daß unser Streben sich mit der göttlichen Gnade verbindet, damit wir über die Stufen der Tugend zur Vollendung gelangen.« (»Vult nostram sollicitudinem iungi gratiae divinae, ut per gradus virtutum perveniamus ad perfectionem«).

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Theologische Perspektiven

Heil« auf moralischer Ebene, und d. h. als Gegenstand einer moralischsittlichen Entscheidung überhaupt verhandelbar ist. Mit dieser Freiheit zum Guten formuliert Erasmus nun exakt den Punkt, der in der reformatorischen Theologie in der Folge pointiert abgelehnt und geradezu kontradiktorisch behauptet wurde. Nur eine Verantwortung implizierende Freiheit zum Bösen, zur Sünde, insbesondere zum Unglauben gestand man dem Menschen hier zu.69 2.2.4 Parallelen Es zeigt sich hier bereits eine Parallele zu philosophisch begründeten Freiheitsbegriffen der neueren Debatte. Denn auch hier war das Freiheitsproblem primär anhand der Struktur konkreter Entscheidungssituationen verhandelt worden, wenn auch die Beschäftigung mit Kane eine sinnvolle Ausweitung des Problems auf den Kontext von Personalität insgesamt ergab. Dabei wurde aber deutlich, dass die auch von Erasmus vorausgesetzte Neutralität bzw. Distanz gegenüber den Gegenständen der Wahl als essentieller Teil eines sinnvollen Konzepts von Freiheit behauptet werden muss. Und auch die von Erasmus hoch gehaltene Rolle der Vernunft als Instrument der sinnvollen Wahrnehmung des Verhältnisses zu den Gegenständen der Wahl war ja als Mindestbedingung für einen sachhaltigen Freiheitsbegriff herausgestellt geworden. Damit erweist sich Erasmus zunächst als ein guter Gesprächspartner für den aktuellen Kontext des Problems. Angesichts seiner Annahme der Neutralität und Flexibilität des Willens gegenüber den zur Wahl stehenden Optionen setzt Erasmus einen starken, über ein kompatibilistisches Modell deutlich hinausgehenden Begriff von Willensfreiheit voraus. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass die vorausgesetzte Distanz nicht nur eine gegenüber äußerlich gegebenen, gegenständlichen Optionen ist, sondern auch eine Selbstdistanz repräsentiert, die das »sich-wenden« allererst ermöglicht. Insofern hat Erasmus nicht nur den theologisch, sondern auch philosophisch relevanten Punkt erfasst. Die Problemstellung macht dabei in durchaus plausibler Weise deutlich, dass Selbst- und Gottesverhältnis unmittelbar vernetzt sind.

69

Vgl. exemplarisch die Formulierung im Rahmen des moderat gehaltenen Artikels von CA XVIII, 6.

Der Streit zwischen Luther und Erasmus

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Im Rahmen der philosophischen Argumentation hatte ich für einen vergleichsweise starken, libertarischen Freiheitsbegriff votiert, der sich auch auf das personale Sein als solches, auf die Ganzheit des Selbstseins bezieht. Nun war im Rahmen dieses Gedankengangs noch nicht von Gott explizit die Rede, allenfalls als Grenzbegriff gegenüber einer absolut verstandenen Freiheit. Indem Erasmus den Gottesbegriff in das Freiheitsproblem derart integriert, dass sein anthropologisches Modell auch eine sich auf das Absolute beziehende Selbstdistanz beinhaltet, stellt sich pointiert die Frage nach der Bedeutung des Gottesverhältnisses für das Selbstverhältnis des Menschen. Wo exakt muss die Grenze einer Letztverantwortung, für die ich mit philosophischen Argumenten plädiert hatte, verlaufen? Die symmetrische Korrelierung von Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis im Rahmen einer pädagogisch orientierten Theologie musste und muss jedenfalls Widerstand hervorrufen, wie sich exemplarisch an Luthers pointierter Argumentation zeigen lässt.

2.3 Luthers Präzisierung des Streitgegenstandes 2.3.1 Luthers Widerstand gegen die Anlage der Fragestellung und die Ablehnung des liberum arbitrium Luther hat deutlich die Intention des Erasmus erfasst, eine möglichst moderate, ausgewogene, und nur sehr vorsichtig die Freiheit des Willens in den Blick nehmende Position zu formulieren. Dabei wirft er ihm allerdings sogleich vor, er gebe sich »solche Mühe, uns in Unkenntnis darüber zu lassen, was das Erbarmen Gottes vermag, was unser Wille vermag«70. Nach Luthers Urteil ist die Schrift des Erasmus nicht dazu angetan, den Sachverhalt zu klären. Dies liegt nun aber nicht daran, dass nicht deutlich würde, welches Anliegen er vertritt (die minimale Beteiligung des Willens zur Aufrechterhaltung von Verantwortung und zur Motivation menschlichen Strebens), sondern es zeigen sich Luthers Urteil zufolge kategoriale Schwierigkeiten. Beide setzen die Fragestellung auf unterschiedlichen Ebenen an. Hat die Bestimmung der Willensfreiheit durch Erasmus eher den Charakter eines Implikats der vorauszusetzenden und im Sinne der 70

Dsa, 242 (»[...] data opera facturus ignaros, quid valeat misericordia Dei, quid valeat voluntas nostra, [...]«).

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Theologische Perspektiven

Pädagogik zu fordernden Sittlichkeit des Menschen, geht es Luther auf einer grundlegenderen Ebene darum, zu erforschen, welche Fähigkeiten und Konstitutionsmerkmale der Mensch mitbringt, um überhaupt als Handelnder in Erscheinung zu treten. »So bestimmst auch du für uns nur die Taten. Du verbietest aber, dass wir zuerst nachforschen und die Kräfte messen oder kennen lernen, was wir können und was nicht, als ob dies übereifrig und überflüssig und unfromm wäre.«71 Der Kern des Problems besteht für Luther darin, zu erörtern, welche Voraussetzung wir als Menschen, zumal als Sünder, mitbringen, und was wir darum überhaupt zu unserem Heil beizutragen in der Lage sind.72 Dies impliziert die Frage, wie sich unser Wollen zur Gnade Gottes verhält. Diese Zuspitzung hatte Luther eindeutig als das Zentrum der Auseinandersetzung benannt.73 Aus dieser Perspektive setzt sich Luther auch in aufschlussreicher Weise mit der Definition des Streitgegenstandes durch Erasmus und dessen Basisannahmen auseinander. Neben formalen Unklarheiten74 diagnostiziert Luther ein grundlegendes inhaltliches und kategoriales Problem. Dies besteht in der Tatsache, dass sich das menschliche Wahlvermögen überhaupt auf göttliche Dinge, also auf das ewige Heil, beziehen kann: »[D]as ist zu viel«75. Luther denkt anders als Erasmus konsequent von einer kategorialen Differenz76 des ewigen Heils bzw. Gottes Möglichkeiten und des menschlichen Willens aus; er qualifiziert

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Dsa, 244 («Sic tu quoque nobis facta decernis sola, vetas vero primum explorare et metiri aut nosse vires, quid possimus et non possimus, tanquam hoc sit curiosum et supervacaneum et irreligiosum, [...]«). Luther nennt verschiedene Beispiele anhand derer er den Sachverhalt verdeutlicht. Ein Dichter müsse über seine Begabung nachdenken, ein Bauer müsse die Voraussetzungen seines Bodens kennen ebenso wie ein Kriegsherr seine Infrastruktur (vgl. Dsa 242-244). Siehe FN 14; den rechtfertigungstheologischen Kontext benennt Schwanke, Freier oder unfreier Wille?, 41, sehr deutlich. Luther kritisiert die Unklarheit der Worte »hinwenden« (»applicare«; Dsa, 348), »zu dem was hinführt« (»Ad ea quae peducunt«, ebda), »abwenden« (avertere, ebda). Dsa, 346 (»nimium est«). Die Festellung Iwands, es gebe einen »qualitativen Unterschied« (ders., Theologische Einführung, 259) zwischen dem Willen Gottes und dem des Menschen erweckt m.E. einen falschen Eindruck, könnte man doch zu der Annahme verleitet sein, es ginge hier nur um »besser« oder »schlechter« als Eigenschaft einer identischen Substanz. Von Luther aber ist intendiert, zu zeigen, dass göttlicher und menschlicher Wille sich überhaupt nicht auf einer Ebene befinden (was Iwand vermutlich der Sache nach auch im Sinn hat).

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das ewige Heil als »eine für das menschliche Auffassungsvermögen unfassbare Angelegenheit«77. Damit verbindet sich Luther zufolge eine Selbstüberforderung des menschlichen Willens. Denn entweder ist der Wille frei, dann »kann er von sich aus Wort und Werk Gottes wollen und nicht wollen«78. Oder aber der Wille besitzt diese Fähigkeit nicht von sich aus, dann aber kann ihm nicht die Freiheit, jedenfalls nicht das liberum arbitrium zugesprochen werden. Ein Kooperationsverhältnis, das von einer minimalen Fähigkeit ausgeht, ist in den Augen Luthers nicht denkbar. Kommt dem Menschen eine auch noch so kleine Fähigkeit zu, sich auf das zu beziehen, was nur Gott wirken kann, so wäre damit schon eine viel zu groß einzuschätzende Freiheit gemeint und ganz gewiss kein perpussilum mehr: »Du denkst gar nicht daran, wie viel du ihm [dem freien Willensvermögen] mit diesem Fürwort ‚sich’ oder ‚sich selbst’ zubilligst, wenn du sagst, es könne sich hinwenden; du schließt nämlich den Heiligen Geist mit all seiner Kraft völlig aus, so als ob er überflüssig und nicht notwendig sei.«79 Indem Erasmus eine Wirklichkeit, die ewigen Bestand haben soll, zu einem Gegenstand des Selbstverhältnisses macht, begeht er einen Kategorienfehler. Nur Gott selbst bzw. der Heilige Geist kann hier als kausal wirksame Kraft betrachtet werden. Die Beziehung des Menschen auf sich selbst, der selbstreflexive Charakter des liberum arbitrium, muss aufgebrochen werden, wenn es um das ewige Heil geht. Jede menschliche Fähigkeit, sich dem Heil zuzuwenden (wenn auch ganz vorsichtig), ist in Luthers Augen zu viel.80 Mit der Annahme des liberum arbitrium besitze der Mensch schon quasi-göttliche Freiheit.81 77

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Dsa, 350 (»res est incomprehensibilis captui humano«). Angesichts der Grundsätzlichkeit, mit der Luther die eigenständige Bezugnahme des Menschen auf das ewige Heil in Frage stellt, spielt es für die Interpretation m.E. keine große Rolle, ob Luther möglicherweise die Definition des Gegenstandes durch Erasmus fälschlicherweise als dessen Meinung anerkannt hat (dies wirft O.H. Pesch Luther vor; ders., Art. Wille, 88). Dass Erasmus keinen völlig freien, sich ohne Gott bewegenden Willen gemeint haben kann, gesteht Luther ihm ja durchaus zu. Der Protest richtet sich allerdings, wie ich deutlich zu machen versuche, gerade gegen das »modiculum« (Dsa, 284), welches bereits nach Luthers Meinung eine Selbstverabsolutierung mit sich bringe. Ebda (»potest a seipsa velle et nolle verbum et opus dei«). Dsa, 354 (»Non enim cogitas, quam magnum tribuas illi hoc pronomine SE vel SEIPSAM, dum dicis, potest SE applicare, prorsus scilicet excludis spiritum sanctum com omni vitute sua, tanquam auperfluum et non neccessarium.«). Ernstpeter Maurer hat den selbstwidersprüchlichen Charakter einer quantifizierenden Aufteilung göttlichen und menschlichen Handelns schön herausgearbeitet, die

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Weil Luther das Problem derart in das Verhältnis von Gott und Mensch einzeichnet, widerspricht er der Annahme eines liberum arbitrium energisch. Damit ist aber von Luther noch nicht jede Form von Freiheit abgelehnt. Aber einen Willen, der in dem, was er »vermag und tut gegenüber Gott, nach Belieben, durch kein Gesetz, durch keinen Befehl behindert«82 ist, kann er nicht akzeptieren. Anders formuliert: Das Gottesverhältnis des Menschen darf nicht symmetrisch zum Selbstund Weltverhältnis des Menschen konzipiert werden; es ist davon kategorial zu unterschieden.83 Auch wenn Erasmus seine Position nicht in der von Luther zugespitzten, absoluten Weise formulierte, so ist die Kritik Luthers dennoch nicht als überzogen zu bezeichnen. Erasmus setzt, wie gesehen, zwei moralische Akteure – Gott und Mensch – voraus, die zwar kooperieren, denen aber als Voraussetzung der Kooperation eine je eigenständige, im Fall des Menschen selbstreflexiv sich verwirklichende Freiheit zukommt.84 Das Wirken Gottes gerät bei Erasmus nur in Addition zum menschlichen Handeln in den Blick, nicht jedoch so, dass es dieses selbst formen würde. Insofern ist die von Luther kritisierte Eigenständigkeit menschlichen Handelns und Wollens bei Erasmus durchaus vorausgesetzt. Die von Luther abgelehnte Annahme eines solchen liberum arbitrium entspricht dabei durchaus der philosophischen Einsicht, dass

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nur dann sinnvoll ist, wenn der verbleibende Rest tatsächlich neutral, und damit unabhängig (sündlos), m. a. w. Gott gegenüber autonom ist. Wäre dies nicht der Fall, müsste auch der Rest noch einmal bis auf einen anderen kleinen Rest wieder von der Gnade bewegt werden. Es drohe ein infiniter Regress (ders., Streit um den freien Willen, 135). Vgl. Dsa, 346. Aufgrund dieser kategorialen Unterscheidung ist die Kritik von OttoHermann Pesch an Luthers Auffassung eines servum arbitrium nicht angemessen. Pesch kritisiert, Luther nehme fälschlicherweise an, göttliches Handeln würde »in Verkennung seiner Transzendenz auf einer metaphysischen Ebene mit der Freiheit des Willens« (ders., Art. Wille, 88) angesiedelt. Vielmehr müsste gerade die metaphysische Unterscheidung von Luther her deutlich zu machen sein. Dsa, 346 (»[...] potest et facit erga Deum, quaecunque libuerit, nulla lege, nullo imperio cohibitum« Formatierung B. B. ). Daher läuft auch die Kritik, die Eberhard Schockenhoff geäußert hat, Luther trenne Glaube und Vernunft, bzw. Gnade und Freiheit (ders., Netz zerissen, Kap. V.1, 306310), ins Leere. Vielmehr ist Luther bestrebt die durch kategoriale Differenzen bestimmten Relationen in ihr rechtes Verhältnis zu rücken. Die von Schockenhoff vorausgesetzte Ebene der ethischen Kooperation von Mensch und Gott ist nicht als solche, sondern als falsche Anlage der Fragestellung gerade Gegenstand von Luthers Kritik. Diesen Sachverhalt betont auch Andreas Klein, Willensfreiheit, 366.

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eine absolute Willensfreiheit schlichtweg nicht mehr von Willkür und Zufälligkeit zu unterscheiden wären. Die Differenz ist nur dadurch gegeben, dass Luther die Bedingtheit menschlichen Handelns nicht immanent begründet, sondern durch das Handeln Gottes manifestiert sieht. Das Ergebnis aber ist an dieser Stelle dasselbe: Kein Mensch kann sich selbst so hinter sich lassen, dass er völlig frei entscheiden und handeln kann, geschweige denn, dass er als irdisches Geschöpf von sich aus in der Lage ist, sich auf eschatologisch bedeutsame Sachverhalte zu beziehen. Das würde bedeuten, dass er sich nicht nur bedingt, sondern kategorial überschreiten, dass er aus eigener Kraft »eine neue Kreatur« (2Kor 5,17) werden könnte. 2.3.2 Heilsgewissheit als existentielles Motiv Der existentielle Grund für diesen Widerstand liegt in Luthers Betonung der Heilsgewissheit.85 Eindrucksvoll zeigt sich dies an einem hermeneutischen Schlüsselstück,86 einem persönlich gehaltenen Bekenntnis am Ende des Textes: »Ich bekenne durchaus von mir: Wenn das geschehen könnte, ich würde nicht wollen, dass mir ein freies Willensvermögen gegeben wird oder irgendetwas in meiner Hand belassen würde, wodurch ich nach dem Heil streben könnte. [...] weil ich [...] gezwungen wäre, mich andauernd ins Ungewisse hinein anzustrengen und Lufthiebe zu machen. Denn mein Gewissen wäre [...] niemals gewiss und sicher, wie viel es tun muss, damit Gott Genüge getan wäre.[...] Aber weil jetzt Gott mein Heil meinem Willensvermögen entzogen und in seines aufgenommen und zugesagt hat, mich nicht durch mein Werk und Laufen, sondern durch seine Gnade und seine Barmherzigkeit zu retten, bin ich sicher und gewiss, dass er treu ist; er wird 87 mich nicht belügen.«

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Gerhard Sauter hat diese Frage m.E. zutreffend in Bezug auf Luther als die »Grundfrage des Menschen schlechthin« (ders., Wahrnehmung des Menschen, 494) beschrieben. Es ist Sauter Recht zu geben in der Einschätzung, dass Luther das Freiheitsproblem relational zur Frage der Heilsgewissheit behandelt, und Freiheit nicht als »Grundgegebenheit des Menschen« (ebda) in Anspruch nimmt; vgl. auch Petzoldt, Gehirn, 46. Vgl. zu dieser Einschätzung: Reinhuber, Kämpfender Glaube (prägnant S. 3, aber auch den Auslegungsansatz der ganzen Schrift). Dsa, 649-651 (»Ego sane de me confiteor, Si qua fieri posset, nollem mihi dari liberum arbitrium, ad ut quippiam in manu mea relinqui, quo ad salutem conari possem, non solum ideo, […] Sed, quod […] cogerer tamen perpetuo in incertum la-

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Das Heil zu erreichen liegt, so wurde es deutlich, nicht in der Hand des Menschen. Diese Basisannahme und die damit verbundene Unfreiheit des Willens wird von Luther in verschiedener Hinsicht begründet. Von der eben zitierten Stelle aus zeigt sich, dass das Anliegen ein existentielles ist, das demjenigen des Erasmus diametral entgegensteht. Bliebe das Heil in der Hand des Menschen, so wäre es dem menschlichen Willen ausgesetzt, von dem wir offensichtlich nie sicher sein könnten, was er denn eigentlich will bzw. ob er genug Willensvermögen aufbringt, um sich letztlich auf das Heil zu beziehen. Die Unsicherheit des menschlichen Willens aber spielt nunmehr keine Rolle, da das Heil in den Willen Gottes aufgenommen ist88, und das bedeutet in den heilvollen Willen des offenbaren Gottes, wie er sich in Christus zeigt. Diese Gewissheit des Gewissens begründen zu können, ist das seelsorgerliche (also durchaus auch praktische, aber eben nicht pädagogische) Motiv Luthers dafür, ganz der Gnade Gottes das Wort zu reden. Es geht Luther um eine Begründung des Heils, die mit der Anlage der Fragestellung, wie sie Erasmus gibt, nämlich der ständigen Betonung dessen, was zu tun ist, nicht zu gewinnen ist. Demgegenüber steht im Vordergrund, dass sich das gläubige Subjekt seiner eigenen Konstitution vergewissert.89 Daher ist anzunehmen, dass die von Lu-

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borare et aerem pugnis verberare, neque enim conscientia mea […] unquam certa et secura fieret, […]. At nunc cum Deus salutem meam, extra meum arbitrium tollens, in suum receperit, et non meo opere aut cursu, sed sua gratia et misericordia promiserit me servare, securus et certus sum, quod ille fidelis sit, et mihi non mentietur […]«). Damit ist noch nicht gesagt, in welchem Verhältnis menschlicher und göttlicher Wille stehen. So kann beispielsweise die von Heinrich Holze in diesem Zusammenhang gebrauchte Metapher, »das menschliche Leben« sei »von der Gnade umschlossen« (ders., Deus salutem, 53), Richtiges aussagen, muss aber eigens gerechtfertigt werden. Walter Sparn hat darauf hingewiesen, dass im Rahmen theologischer Anthropologie Aussagen, die sich auf die Begründung des (ethischen) Subjekts beziehen, systematisch von denjenigen zu unterscheiden sind, welche die Verwirklichung eben dieses Subjekts im Blick haben (vgl. insgesamt ders., Begründung und Verwirklichung). In Bezug auf Luthers Ausführungen macht Sparn deutlich, dass in Dsa die Problemstellung zugespitzt sei »auf die Frage nach der Begründung und der Gewißheit des Ich« (ders., Leiden, 217). Dass es sich bei der Schrift »De servo arbitrio« gewissermaßen um einen Selbstvollzug des glaubenden Subjekts handelt, wird auch durch das dreifache »credimus« in der Zusammenfassung (Dsa, 656) nahegelegt (siehe Schwarzwäller, Theologia Crucis, 57). Wolfgang Achtner hat treffend interpretiert, dass es Luther um die Schaffung von »innere[r] subjektiver] Bedeutsamkeit« (ders., Willensfreiheit, 169)

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ther in »De servo arbitrio« getroffenen Aussagen stets im Rahmen des eben benannten Motivs zu interpretieren sind.90 Eine zentrale Aufgabe der Interpretation der Lutherschrift ist es, zu prüfen, ob der hermeneutische Rahmen, den wir damit abgesteckt haben, tragfähig ist. Dies erscheint notwendig angesichts der Interpretationsprobleme, die sich bezüglich einiger starker Aussagen Luthers stellen – etwa über die allgemeine Notwendigkeit alles Geschehens,91 welche eine in jeder Hinsicht völlige Unfreiheit des Menschen oder aber einen metaphysisch-theologischen Determinismus nahelegen würden. Beides ist meines Erachtens, wie hoffentlich deutlich werden wird, nicht der Fall. Es gilt jedenfalls bei der Lektüre und Interpretation der Schrift Luthers den explizit theologischen bzw. soteriologischen Kontext im Auge zu haben, also die Konzentration auf die Frage nach dem ewigen Heil des Menschen.92 Insbesondere gilt es diese Rahmung zu beachten angesichts mancher jüngerer Interpretationen, die diese erkenntnistheore-

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geht; auch Johannes Schwanke macht die richtige Beobachtung, dass Luthers Ausführung »im Glauben des Einzelnen verankert« (ders., Freier oder unfreier Wille, 57) ist. Hierin stimme ich überein mit Eilert Herms, der die Gewissheitsproblematik als das Zentrum der Schrift Luthers und sogar als Zentrum der Theologie Luthers insgesamt benannt hat, weshalb wiederum die Schrift über den unfreien Willen die zentrale in Luthers Œuvre sei (ders., Gewissheit, 23). Allerdings sei darauf hingewiesen, dass Herms den Gewissheits- wie auch den Allmachtsbegriff meines Erachtens unzulässig ausweitet und univok auf verschiedene Aspekte menschlicher Existenz bzw. göttlichen Handelns anwendet (vgl. dazu auch Bayer, Allmacht). Demgegenüber sind wichtige hermeneutische Überlegungen und Differenzierungen anzubringen (s.u. v. a. 2.4.). »Est itaque et hoc imprimis necessarium et salutare Christiano, nosse, quod Deus nihil praescit contingenter, sed quod omnia incomutabili et aeterna, infallibilique voluntate et praevidet et proponit et facit.« (Dsa, 250; »Und auch dies also ist für einen Christen vor allem notwendig und heilsam zu wissen, dass Gott nichts zufällig vorherweiß, sondern dass er alles mit umwandelbaren [sic.: muss heißen: unwandelbarem], ewigem Willen vorhersieht, beschließt und ausführt«). Dies in der neueren Debatte besonders deutlich hervorgehoben zu haben, ist das Verdienst von Ulrich Körtner. Vgl. folgende markante Formulierung, auf die ich unten noch eingehen werde: »Theologie ist eine soteriologische Deutung der Wirklichkeit. Sie deutet die Wirklichkeit unter dem Gesichtspunkt ihrer Erlösungsbedürftigkeit im Lichte der biblisch bezeugten, an Person und Geschick Jesu von Nazareth festgemachten Erlösungswirklichkeit. Heilsgeschehen und Heilsgeschichte sind eine Geschichte der Freiheit, genauer gesagt, eine Geschichte der Befreiung.« (ders., Lasset uns Menschen machen, 68 f; Hervorhebungen B. B. ); auch Otto-Hermann Pesch hat – trotz mancher Probleme seiner Lutherdeutung – den Kontext sehr klar erfasst: »Luthers Unfreiheitsthese ist [...] eine theologische These, keine philosophische.« (ders., Freiheitsbegriff, 215).

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tisch notwendige Eingrenzung nicht oder nicht in genügender Sorgfalt vornehmen.93 Freilich soll eine solchermaßen zunächst spezifizierte Perspektive nicht dazu dienen, wiederum einen geschlossenen theologischen Binnendiskurs einzuführen. Es dürfte das Gespräch erleichtern, wenn zuvor geklärt wurde, wovon eigentlich genau die Rede ist. Außerdem kann diese Verpflichtung zu hermeneutischer Sorgfalt möglicherweise auch die Verbindungen deutlicher hervortreten lassen, die innerhalb der Schrift Luthers zwischen explizit theologischen und allgemein-anthropologischen Aussagen begegnen. Auch sollte aus dieser Warte eine möglichst gute Differenzierung zwischen verschiedenen Formen oder Aspekten von Freiheit bzw. Unfreiheit anschaulich werden können.

2.4 Was ist das »servum arbitrium?« Bislang habe ich vor allem den Widerstand Luthers gegen das von Erasmus angeführte freie Wahlvermögen, das liberum arbitrium in den Vordergrund gestellt. Betrachtet man Luthers Schrift im Ganzen, so stellt sich heraus, dass die Kritik gegenüber Erasmus den weitaus größten Teil einnimmt. Diese ist wiederum vornehmlich bestimmt von 93

In unterschiedlichen Zuspitzungen gilt dies für Melanie Beiner, welche »[d]ie Theorie von der Unfreiheit des Willens [...] als anthropologische These über das Wesen menschlicher Intentionalität« (dies., Intentionalität und Geschöpflichkeit, 58) interpretiert, für Eilert Herms, der das servum arbitrium als das »Zentrum von M. Luthers Ontologie des geschaffenen Personseins« (ders., Art. Servum arbitrium, 1233) ansieht, für Friedrich Hermanni, der zwar die soteriologischen Implikationen des Problems festhält, die Schrift Luthers aber dennoch als eine Theorie der Unfähigkeit des Menschen, »seinen sittlichen Charakter zu verändern« (ders., Gott Freiheit Determinismus, 33) deutet bzw. in der formalen Struktur der Notwendigkeit die Unfreiheit des Willens begründet sieht (ders., Luther oder Erasmus, 169). Ähnlich lautet auch die Interpretation von Wilfried Härle, innerhalb derer Luthers Lehre von den Affekten eine zentrale Stellung einnimmt, die in problematischer, mindestens aber undeutlicher Weise ausgeweitet zu werden scheint auf eine Theorie des Mensch-Seins insgesamt, wenn nämlich die Möglichkeit des Anderswollens grundsätzlich, nicht mehr nur im Blick auf das Heil, ausgeschlossen scheint (vgl. ders., Der (un-)freie Wille, v. a. 283-285.298 f). Auch Andreas Klein interpretiert Luthers Schrift (mit dem begrüßenswerten Interesse philosophischer Verwertbarkeit) in einer Weise, die Luther zu schnell unterstellt, dass seine Schrift allgemein »auf ein anthropologisches Verständnis abzielt, das der Soteriologie korrespondiert« (ders., Willensfreiheit, 381), welches dann von Klein wie auch bei den anderen hier genannten Vertretern in symmetrischer Korrespondenz entwickelt wird.

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der Ablehnung des liberum arbitrium, weshalb die Übersetzung des Titels durch Justus Jonas mit »Daß der freie Wille nichts sei«94 durchaus ihre Berechtigung besitzt. In systematischer Hinsicht davon zu unterscheiden ist aber die Frage, worin nun die ausdrücklich im Titel benannte Knechtschaft des Willens, das servum arbitrium, besteht.95 Sie ist – und dies ist angesichts der gegenwärtigen Tendenz zur Interpretation von »De servo arbitrio« nachdrücklich zu betonen – nicht schlichtweg mit der Ablehnung des liberum arbitrium gegeben.96 Um dieser Frage nachzugehen, müssen die Gründe für letztere ins Verhältnis gesetzt werden zu den »positiven« Aussagen über das geknechtete Wahlvermögen. Dabei entsteht das Problem, dass die Formulierung von einem »servum abitrium« explizit nur an wenigen Stellen begegnet, und wir also Dimensionen der Unfreiheit auch bzw. zunächst von der Ablehnung des liberum arbitrium her erschließen müssen. 2.4.1 Das SA als Aussage über das menschliche Handlungs- bzw. Willensvermögen Luthers Widerstand gegen das von Erasmus postulierte liberum arbitrium bzw. sein Kampf für den unfreien Willen lässt sich in verschiedener Hinsicht beschreiben. Grundlegend ist dabei Luthers Annahme, dass das Heil gänzlich außerhalb jedes menschlichen Handlungsvermögens liegt. Menschlicher Aktionsradius reicht schlechterdings nicht dahin, wohin er reichen müsste, um das Heil zu verdienen. »Ohne mich könnt ihr nichts tun« (Joh 15)97 lautet exemplarisch eine biblische Belegstelle für diese Annahme. Warum kann es bei der Frage nach der Freiheit des Willens um unser Handlungsvermögen gehen? Es wurde oben bereits deutlich, dass Luther in der kategorialen Unterscheidung von Gott und Mensch argumentiert. Wird die Unerreichbarkeit des Heils durch menschliches 94

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Wiedergegeben in Martin Luther, Ausgewählte Werke, hgg. von Borcherdt/Merz, Ergänzungsreihe, Band I: Das der freie wille nichts sey/ Antwort D. Martin Luthers an Erasmum Roterdam. Auf diesen in hermeneutischer Hinsicht nicht zu unterschätzenden Sachverhalt weist auch Wilfried Härle (ders., Der (un-)freie Wille, 268, Anm. 75) hin. Beispielsweise Johannes Schwanke beachtet dieses Faktum nicht, wenn er stets in scheinbar symmetrischer Korrespondenz Luther und Erasmus einander gegenüberstellt und das Problem auf die Frage reduziert: »Frei oder unfrei?« (ders., Freier oder unfreier Wille, 41). Vgl. zur Auslegung dieser Stelle: Dsa, 556-566.

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Vermögen postuliert, so sind prinzipiell zwei Optionen denkbar. Einerseits könnte es sein, dass wir unser Heil erwirken wollen, es aber aufgrund unterschiedlicher Faktoren, etwa unserer Handlungsmöglichkeiten, Fähigkeiten oder der zur Verfügung stehenden Mittel nicht schaffen. Dies wäre auch der Fall, wenn unser Wille eigentlich98 das Gute will, aber durch äußeren Zwang oder andere Umstände daran gehindert würde, das Ziel zu erreichen. Die zweite Alternative wäre, dass wir das Heil als Ziel unseres Handelns gar nicht anvisieren können, dass wir es also nicht erkennen bzw. nicht als das Gute erkennen und es in Folge dessen auch nicht wollen können.99 Die erstgenannte Möglichkeit trifft Luthers Position insofern, als er davon ausgeht, dass das ewige Heil bzw. die Rechtfertigung überhaupt keine Sache von Handlungen ist, wir als Menschen also, selbst wenn wir es ernstlich wollten, unser Heil nicht auf diesem Wege erreichen könnten.100 Wir können uns zwar bemühen, uns auf den Heilsweg zu begeben, aber es wird vor Gott keine Bedeutung besitzen. »Was nützt es ihm [dem freien Wahlvermögen, B. B. ], sich zu bemühen, wenn es nicht erreicht, was es erstrebt?«101 Menschliches Streben ist vor Gott nicht heilsrelevant. Fragt man nach dem, was der Mensch für sein Heil tun kann, so kann es, wenn überhaupt, nur eine Antwort geben: er kann glauben, d. h. er kann Gott in existentieller Weise vertrauen. Dies aber ist keine Handlung im strengen Sinne mehr.102 In dem hier gekenn-

Dieses eigentliche Wollen ist präsent in v. a. katholischen Konzeptionen, die an Thomas angelehnt dem Menschen ein transzendentales, ihm wesenhaft eingestiftetes Streben zum Guten hin bzw. eine Verwiesenheit auf Gott unterstellen (siehe etwa Schockenhoff, Netz zerissen, 308; Rahner, Grundkurs, 55; Greiner, Frei vor Gott). 99 Wolfhart Pannenberg hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass ein Mensch stets nur das Gute, nämlich das für ihn gut Erscheinende wählt. In dieser Annahme könne er sich zwar irren und daher auch das objektiv Böse wählen, niemals aber das Böse um des Bösen willen (ders., Anthropologie, 113). Auf die Tatsache, dass eine Wahl des Bösen um des Bösen willen nur noch diabolisch zu nennen wäre, hat m.E. korrekt schon Kant hingewiesen (vgl. ders., Die Religion, 683-686). 100 Damit ist auch die Grundaussage von CA IV benannt, die ausdrücklich darauf hinweist, der Mensch könne sich nicht eigenes »Verdienst, Werk und Genugtun« (propriis viribus, meritis aut operibus; CA IV, 1; BSLK 56, 3-5). 101 Dsa, 564 (»Quid profuerit illi conari, si non assequitur quod expetit?«). 102 Diese hier ohne weitere Erörterung eingeführte, fundamentale Aussage für das Freiheitsproblem wird unten ausführlicher in systematischer Hinsicht diskutiert, was vor allem die Abgrenzung des Handlungsbegriffs von anderen Formen und Akten menschlichen Lebens und Glaubens impliziert. An dieser Stelle geht es zunächst um die Erhebung des Quellenbefundes; vgl. dazu Härle, Der Glaube, der sich aus-

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zeichneten Sinne ist es also richtig, dass die Unfreiheit des Menschen schon ein Status seines Geschöpfseins ist, da es ihm grundsätzlich verwehrt ist, Gott mit ureigener Aktivität zu erreichen.103 Nicht zutreffend ist in Bezug auf Luther allerdings der Aspekt, dass unsere Handlungen in diesem Kontext als gezwungen oder als äußerlich gehindert vorgestellt werden könnten. Zwar gibt Luther im Rahmen des Bekenntnisses am Ende von »De servo arbitrio« zu, dass er auch für den Fall der Existenz eines liberum arbitrium (und der damit gegebenen Fähigkeit zur inneren Bezugnahme auf den Willen Gottes) noch mit allerlei äußeren Hindernissen zu kämpfen hätte; dies aber ist nicht der Normalfall, von dem Luther ausgeht, denn: »Der wäre kein Wille, würde er gezwungen«104. Die Sache lässt sich so beschreiben, dass wir als Menschen zwar tun, was wir wollen, dass wir also in diesem Sinne Handlungsfreiheit besitzen, auch vermeintlich etwas Gutes wollen, aber nicht das eigentlich Gute, sprich den Willen Gottes bzw. »Wort und Werk Gottes«105 wollen können. Wir können deshalb nichts tun, was uns zu Gott führen bzw. vor ihm rechtfertigen würde, weil unser Wille selbst in seinem Innersten verdorben, nämlich nicht vom Geist Gottes, sondern vom Teufel bestimmt ist, wie es das berühmte Bild vom Menschen als Reittier ausdrückt.106

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führlich mit dem Problem der Verhältnisbestimmung von Glaube und Werk auseinandersetzt. Insofern (!) ist also Interpretationen Recht zu geben, welche die Unfreiheit des Willens schon auf der geschöpflichen Ebene ansetzen (Iwand, Erläuterungen, 286; Beiner, Intentionalität, 95-97). Diese Einsicht hält das Wahrheitsmoment fest, dass die Unfreiheit des Menschen mit seiner Begrenztheit im Gegenüber zur Allmacht Gottes zu tun hat. Die spezifische Aussage Luthers bezüglich des servum arbitrium ist damit aber noch nicht erreicht. Dsa, 290 (»[...] si cogeretur, voluntas non esset, […]«). Diese Tatsache wird von vielen neueren Auslegungen zum Ausgangspunkt der Interpretation gemacht, vgl. exemplarisch Slenczka, Virtutibus nemo male utitur. Dsa, 350 (»verbum et opus Die«). Dsa, 290. Dass diese Differenz nicht nur eine formale, sondern eine kategoriale, und damit eine spezifische Asymmetrie zwischen beiden Herrschaftsformen implizierende ist (die freilich so auf der metaphorischen Ebene nicht zum Ausdruck kommt), wird sich im weiteren Argumentationsverlauf noch erweisen; gegenüber der diesen Sachverhalt ausblendenden Deutung von Notger Slenczka (Virtutibus nemo) hat Ulrich Körtner die freiheitstheoretisch fundamentale Tatsache hervorgehoben, dass die Bestimmtheit durch Gott »strukturell« (ders., Vom unfreien Willen, 213) anders zu deuten sei, als diverse Formen der Bestimmtheit durch das Böse (siehe dazu auch: Iwand, Luthers Theologie, 90; Barth, Theologie Luthers, 310-312).

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Die Aussage, der Mensch könne für sein Heil nichts tun, hängt für Luther nicht nur mit der prinzipiellen Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch, sondern mit der spezifischen Relation von Gott und Sünder, von deus iustificans und homo perditus zusammen. Der Mensch wird im Ganzen, und d. h. insbesondere auch in seinem Personkern und in seinen höchsten Fähigkeiten, nämlich Vernunft und Wille, als Sünder betrachtet: »[...] coram Deo vere sunt107 caro[...]«108. Er ist nicht nur geneigt zu sündigen, also gottwidrige Taten zu vollbringen, über die er mit dem freien Wahlvermögen noch entscheiden kann, wie dies Erasmus dargelegt hatte, sondern er ist in seinem Willenszentrum, und damit unhintergehbar, als Sünder zu qualifizieren: »Der Unglaube [ist] kein grober Affekt, sondern der höchste, der in der Burg des Willens und der Vernunft sitzt und regiert.«109 Damit ist eine schärfer nicht zu fassende Gegenthese zu Erasmus formuliert, der ja gerade die Freiheit in der Vernunft loziert hatte. Für Luther wird dieses Organ des Menschen zum Kern allen Übels, was allerdings bemerkenswerterweise nicht im Widerspruch steht zur hohen Leistungsfähigkeit dieses Instruments in weltlichen Zusammenhängen.110 Damit aber ist der Mensch auch im Ganzen als erlösungsbedürftig einzustufen. Nur in dieser Gegenüberstellung ist göttliches und menschliches Handeln nach Luther richtig erfasst. Der Mensch ist die zu erlösende Kreatur, Gott ist derjenige, welcher die Erlösung wirkt.111 Der Mensch besitzt in dieser Hinsicht nicht die Fähigkeit, sich von sich selbst, m.a.W. von der Sünde, zu distanzieren. Dies würde einen neutralen, von der Sünde ausgenommenen Teil der Person voraussetzen, der sich dann gewissermaßen gegen die Sünde und für Gott entscheiden könnte. Eine solch neutrale Geschöpflichkeit kennt Luther aber nicht; das Geschöpf ist in seinem Innersten als Sünder zu kennzeichnen. Von der Sünde versklavt zu sein, heißt somit auch, von sich selbst versklavt und in sich selbst verkrümmt zu sein.112 107 Der Plural bezieht sich im Kontext von Luthers Formulierung auf die höchsten Tugenden des Menschen. 108 Dsa, 546. 109 Dsa, 640 (»Deinde incredulitas non est crassus affectus, sed summus ille in voluntatis et rationis arce sedens et regnans […]«). 110 Vgl. Luther, Disputatio de homine, These 4-9, LDStA 664. 111 Vgl. Dsa, 528; 542 (»[...] totum hominem esse carnem [...]«), 640. An allen drei Stellen wird die gänzliche Verderbtheit des Menschen belegt. 112 Siehe WA 56, 356, 4-6 (Der Brief an die Römer): »Et hoc consonat Scripture, Que hominem describit incurvatum in se adeo, ut non tantum corporalia, Sed et spiritualia bona sibi inflectat et se in omnibus querat«.

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Erst diese Struktur bringt die Pointe Luthers voll zum Ausdruck, denn sie hat zur Folge, dass alle menschlichen Bemühungen der Selbsterlösung ins Leere laufen müssen. Sie vermitteln nach Luther nur einen falschen Schein.113 Das ewige Heil ist nicht Gegenstand einer Entscheidung, einer menschlichen Wahl, daher auch nicht menschlichen Handelns und Strebens. Es wird von Gott, d. h. aus menschlicher Perspektive von außen, gewirkt. Der Mensch ist hier nicht als Handelnder, sondern als erleidender, passiv Beteiligter in den Blick genommen (»mere passive«114). Weil Gott das Heil in Christus aus lauter Gnade für den Menschen bewirkt hat, zählt hier nur der Glaube, und nicht das Handeln und Wählen des Menschen. Es geht nicht um das, was der Mensch will und erstrebt, sondern darum, wem er sich anvertraut. 2.4.2 Das SA als Aussage über das menschliche Erkenntnisvermögen Mit der Aussage, wir können nichts tun, was dem ewigen Heil zuträglich wäre, ist ein zentraler Aspekt der Unfreiheit des Willens, und in Folge dessen auch des Handelns getroffen. Das anthropologische Modell des Sünders, das Luther vor Augen hat, impliziert allerdings eine noch stärkere Form der Unfreiheit, die in der Unhintergehbarkeit des sündigen Wollens und dem darin implizierten falschen Schein schon angeklungen ist. Denn könnte man schon demjenigen die Freiheit absprechen, dem in Bezug auf ein bestimmtes, von ihm erstrebtes Ziel die entsprechenden Handlungsmöglichkeiten bzw. die Fähigkeit zu willentlicher Selbstbestimmung fehlt,115 so gilt dies Luther zufolge erst recht für jemanden, der sich bezüglich einer Sache für frei, diese darum für aus eigenen Kräften erreichbar hält, dabei aber einer Verblendung unterliegt und sich in Wahrheit unter dem Einfluss ihn bestimmender Mächte befindet, die ihm seine Freiheit rauben. »Die Diatribe gaukelt uns ständig einen solchen Menschen vor, der entweder kann, was vorgeschrieben wird, oder wenigstens erkennt, dass er es nicht kann. Aber einen solchen Menschen gibt es nirgends. Und wenn es einen solchen gäbe, dann wahrlich würde entweder in lächerlicher Weise Unmögliches vorgeschrieben werden oder der Geist Christi wäre vergeb-

113 Vgl. Dsa, 390. 114 Dsa, 434. 115 Dies wäre freilich für das ewige Heil eine bloße Chimäre, denn ein intakter Wille, der nur durch begrenzte Handlungsmöglichkeiten limitiert ist, existiert Luther Meinung nach nicht.

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lich. Die Schrift aber stellt einen solchen Menschen vor Augen, der nicht nur gefesselt, elend, gefangen, krank, tot ist. Sondern, der durch das Wirken seines Fürsten Satan, all seinem Elend noch dieses Elend der Blindheit hinzufügt, dass er glaubt er sei frei, selig, erlöst, mächtig, gesund, lebendig. Denn Satan weiß: Wenn der Mensch um sein Elend wüsste, könnte er keinen in seinem Reich halten. Denn Gott könnte nicht anders sich dessen, der sein Elend erkennt und zu ihm schreit, sofort erbarmen und ihm zur Hilfe eilen.«116

Auf diese Weise charakterisiert Luther den Menschen unter der Sünde. Der unheilvolle Zustand des Menschen wird also dadurch potenziert, dass der Mensch sich einbildet, er sei frei, und könne Gott gegenüber tun und wirken wie er gerade will.117 Dieser ist nach Luther deshalb desaströs, weil der Mensch damit in der Heilsfrage auf sich selbst fixiert bleibt. Er vertraut letztlich auf sich und seine vermeintlichen Fähigkeiten. Damit aber kann er nicht offen sein für eine Wirklichkeit, welche die Selbstreflexion und das in sich selbst verkrümmte, selbst bestimmte Handeln übersteigt.118 Die Selbsterkenntnis der eigenen Unfähigkeit, 116 Dsa, 390 (Diatribe nobis perpetuo fingit hominem talem, qui vel possit, quod praecipitur, vel saltem cognoscat sese non posse, At talis homo nusquam est. Atque si quis talis esset, tum vere, aut ridicule, praeciperentur impossibilia, aut frustra esset spiritus Christi. Scriptura vero talem proponit, qui non modo sit ligatus, miser, captus, aeger, mortuus, Sed qui addit, operante Satana principe suo, hanc miseriam caecitatis, miseriis suis, ut se liberum, beatum, solutum, potentem, sanum, vivum, esse credat, Scit enim Satan, quod si homo suam misseriam nosset, nullum retinere in suo regno posset, quod agnitae miseriae et clamantis Deus non possit non statim misereri et auxiliari, […]). 117 Diesen Sachverhalt hat m.E. kein anderer Ausleger so pointiert wie Hans-Joachim Iwand auf den Punkt gebracht: »Er kann gar nicht anders, er muß sich für frei halten, dies Selbstbewußtsein in der Freiheit ist der Kerker, in dem er gefangen ist.« (ders., Grundlegende Bedeutung, 23). 118 Diese epistemische Struktur eignet dem Menschen nicht schlicht deshalb, weil er Geschöpf ist (gegen Beiner, Intentionalität, 133), sondern weil er Sünder ist. Die spezifische Abhängigkeit des Menschen, wie sie im Glauben an Gottes Allmacht erkannt werden kann, ist die Abhängigkeit des unter die Sünde versklavten Menschen, der sich selbst nicht aus der Sünde befreien kann (diesen Sachverhalt bringt Gerhard Ebeling in einem von Beiner abgewiesenen Zitat deutlich zum Ausdruck (ders., Art. Luther, Sp. 516). Richtig ist selbstverständlich, dass auch der befreite Mensch weiterhin von Gott abhängig bleibt (so wie es analog auch für den urständlich gerechten Adam zu behaupten ist, dessen Existenz allerdings theologisch nur im Sinne einer Grenzbestimmung zugänglich ist). Diese Form der Abhängigkeit impliziert nun allerdings eine konstitutiv andere Struktur in Bezug auf das abhängige Subjekt und die diese Abhängigkeit verursachende Macht. Nur deshalb kann Luther die Abhängigkeit von Gott auch subjektiv als Freiheit gelten. M. a. w.: Beiner beachtet nicht die konstitutive Asymmetrie, die das Verhältnis von Sünde und Glaube, Teufel

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m.a.W. die Zerknirschung und Demütigung des Menschen, ist grundlegende Voraussetzung seiner Befreiung. Luther bezeichnet sie als »heilsam« bzw. »nahe der Gnade«.119 Nur diese Form der Selbsterkenntnis ist »der erste Schritt zur Besserung«, weil der Mensch lernt, von sich weg und auf Christus zu blicken, und dem Evangelium zu glauben.120 Es ist von großer Bedeutung, dass die eben beschriebene Form der Blindheit impliziert, dass auch die notwendige Selbsterkenntnis vom Menschen nicht als autonomer, freier Akt vollzogen werden kann. Die Verkrümmung in sich selbst beinhaltet, dass nicht nur die Erlösung, sondern auch die in der Logik Luthers vorausgehende Selbsterkenntnis nicht aus eigenen Kräften möglich ist, sondern dem Menschen von außen zukommen muss. Dies geschieht nach Luther in der Predigt von Gesetz und Evangelium, also in einem kommunikativen Akt, durch den dem Menschen das Wort Gottes in Anspruch und Zuspruch zu Gehör kommt. Erst in dem im Gesetz begegnenden Anspruch Gottes, der den Menschen bei seinem Selbsterlösungsversuch behaftet und aufzeigt, was hier eigentlich nötig wäre, erkennt der Mensch, dass seine eigenen bisherigen Versuche vor Gott nichtig sind: »Das nämlich ist die Frucht, dies das Werk, dies das Amt des Gesetzes, dass es den Unkundigen und Blinden ein Licht ist, aber ein solches Licht, das Krankheit, Sünde, Böses, Tod, Hölle und Zorn Gottes zeigt.«121 Damit ist bereits angezeigt, dass für Luther die Existenz in der Sünde, die explizit als unfrei gekennzeichnet wird122, nicht nur eine Form des verfehlten Gottes-, sondern auch eine Form des verfehlten Selbstverhältnisses beinhaltet. Dieses Selbstverhältnis ist durch die Fixierung auf einen falschen, nämlich ich-bezogenen Weg zu charakterisieren und kann aufgrund der fehlenden Selbstdurchsichtigkeit auch nicht geändert werden. Einer strukturell ähnlichen Form der Verblen-

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und Gott beinhaltet (vgl. zu dieser Verhältnisbestimmung insgesamt: Sparn, Unbegreifliche Sünde). Nur Aufgrund dieser Missachtung kann von Beiner ein anthropologisches Modell jenseits von Sünde und Gnade, das bei Luther überhaupt nicht im Blick ist, formuliert werden (gleiches gilt für Andreas Klein, Willensfreiheit, 384 und passim). Dsa 486 (»salutaris [...] gratiae propinqua«). Vlg. auch Tractatus de libertate christiana, 128. Dsa, 604 (»Is enim est fructus, id opsu, id officium legis, quod ignaris et caecis lux est, sed talis lux, quae ostendat morbum, peccatum, malum, mortem, infernum, iram Dei«). Vgl. z.B. Dsa, 412: Das freie Wahlvermögen wird gezwungen »in servitutem peccati« (weitere Belege FN 131).

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dung und in Folge dessen auch Unfreiheit waren wir im Kontext der philosophischen Analysen begegnet. Das Paradebeispiel waren hier die Bürger in Skinners Walden Two, denen es trotz bester Bedingungen aufgrund einer subtilen Manipulation offensichtlich an Freiheit fehlte. Diese mögliche Manipulierbarkeit hatte ich gegen eine kompatibilistische Argumentation ins Feld geführt. Ähnlich verhält es sich hier im Kontext der theologischen Betrachtung des Menschen im Rahmen der Wirksamkeit der Sünde, nur dass hier der entscheidende Unterschied zu beachten ist, dass die Sünde keine dem Menschen äußerlich bleibende Form der Manipulation ist, sondern ihr Unwesen gerade im Zentrum123 des Menschen lokalisiert ist. Das epistemische Defizit bezieht sich also nicht auf eine Erkennbarkeit freiheitsraubender äußerer Umstände, sondern auf die Person selbst. Der Mensch steht sich gewissermaßen selbst im Weg. Damit ist angezeigt, dass nicht nur die menschlichen Strebenskräfte unfähig sind, das Heil zu erwirken, sondern dass auch der dieses Streben leitende Wille derart verkehrt ist, dass er der Illusion erliegt, überhaupt auf dem Wege von Handlungen zum Heil vordringen zu können. Damit ist bereits angedeutet, dass Gottes- und Selbsterkenntnis nach Luther unmittelbar zusammenhängen.124 Dies lässt sich prima facie verifizieren, indem man bedenkt, dass sich nach Luther das rechte Gottesverhältnis nur im Vertrauen, also im Glauben, vollziehen lässt. Es kann aber nur demjenigen vertraut werden, der als (prinzipiell) gut und damit vertrauenswürdig erkannt ist.125 Indem Vertrauen nun ein existentieller Vollzug eines Subjekts ist, ist darin stets der Bezug auf das eigene Selbst und der Bezug auf Gott 123 Dieses Zentrum kann von Luther je nach Kontext und Betrachtungsweise mit verschiedenen Begriffen bezeichnet werden: voluntas, cor, conscientia. Vgl. dazu Joest, Ontologie, 212-215. Was in dieser Stelle mit der räumliche Assoziationen weckenden Metapher des »Zentrums« gemeint ist, ist die Tatsache der Unmöglichkeit der Distanzierung. Der Mensch ist immer schon dieses Zentrum. Wäre dem nicht so, könnte er also das Zentrum von einem anderen Standpunkt aus in den Blick nehmen, so wäre er nicht mehr das Zentrum. Den Sachverhalt hat eindrücklich Werner Elert in seiner Dogmatik als »Mittelpunktsdasein« (Elert, Der christliche Glaube, 69) herausgestellt. 124 Siehe explizit WA 56,229,20 (zitiert bei Iwand, Erläuterungen, 260). Die erstaunliche Einigkeit der reformatorischen Protagonisten in diesem Punkt hat Gerhard Ebeling deutlich herausgestellt (ders., Cognitio Dei et hominis). Ebeling weist hier auch deutlich darauf hin, dass die »cognitio hominis im strikten Sinne cognitio peccati und als solche cognitio coram Deo, also von Gott her eröffnete Erkenntnis ist« (a. a. o., 263). 125 Vgl. dazu den Hinweis von Claudia Welz, Vertrauen und Versuchung, 72 (im Kontext entwicklungspsychologischer Überlegungen): »Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit des anderen sind komplementär.«

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vereint. Gotteserkenntnis setzt Selbsterkenntnis derart voraus, dass das vertrauende Subjekt sich im Vertrauen auf einen anderen verlässt, sich also auch selbst verlässt. Dieses Sich-selbst-verlassen impliziert eine spezifische Kenntnis der eigenen Unfähigkeit, setzt aber vor allem auch eine Kenntnis der Vertrauenswürdigkeit des Anderen voraus. Es ist hier bereits angedeutet, dass die Einsicht in die eigene Bedürftigkeit erst aus dem Distanz gebenden Sich-Verlassen, also ihrer Überwindung, d. h. im Glauben, geschehen kann.126 Dieser theologisch-erkenntnistheoretische Aspekt ist zu betonen angesichts der Tatsache, dass Luther diesen kommunikativen und epistemischen Vorgang explizit als Vorgang der Befreiung begriffen hat, innerhalb dessen Christus als »Befreier«127 (liberator) auftritt. Die Einsicht, dass diese Befreiung konkret an den geschilderten Vorgang der Verkündigung von Gesetz und Evangelium gebunden ist, und dass der Unfreiheit des Menschen in dieser Perspektive genuin eine fehlende Selbstdurchsichtigkeit eignet, sollte größtmögliche hermeneutische und kommunikative Sorgfalt nach sich ziehen, was die Verallgemeinerungsfähigkeit und die kategoriale Einordnung dieser Erkenntnisse betrifft. Jedenfalls konnte schon angesichts der bislang dargestellten Überlegungen deutlich werden, dass die spezifische Form der Unfreiheit des Willens, wie Luther sie kennzeichnet, nicht nur in einer fehlenden Handlungsfähigkeit besteht, sondern auch in einer fehlenden Freiheit, den Willen selbst zum wahrhaft Guten zu bestimmen, was wiederum mit der fehlenden Erkenntnisfähigkeit der Person ihrem Willen gegenüber zusammenhängt. Ich komme im Folgenden auf diese Einsichten zurück, wenn ich versuche, die von Luther gekennzeichnete Unfreiheit in die Systematik von Sündhaftigkeit und Geschöpflichkeit des Menschen einzuzeichnen.

126 Siehe zu diesem Gesichtspunkt auch Holze, Deus salutem, 48; Ebeling, Ddh 3, 118 f; sehr pointiert wiederum Iwand, Grundlegende Bedeutung, 24: »Es scheint mir hier einer der tiefsinnigsten Punkte der lutherischen Lehre zu liegen, daß der gefangene, unfreie Mensch diese seine Gefangenschaft erst voll begreift, wenn die ersten Fesseln fallen.«; siehe auch Hermanni, Luther oder Erasmus, 168. Dieser epistemische Sachverhalt unterscheidet die Unfreiheit in der Sünde grundsätzlich von einem allgemeinen »Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit«, wie es etwa Schleiermacher auf Basis einer Gewissheit der Endlichkeit der Person formuliert hat. Eine Einsicht in diese Form der Abhängigkeit kann durchaus auch auf dem Boden allgemeiner Vernunft möglich sein, indem schlichtweg über die Bedingungen des menschlichen Daseins reflektiert wird. 127 Dsa, 604.

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2.4.3 Das SA als Prädikat des Sünders Der Mensch besitzt nach Luther kein liberum arbitrium, jedenfalls nicht in der Form eines Gott gegenüber unabhängigen Wählens und Wollens. Die darin zum Ausdruck kommende kategoriale Differenz zwischen Gott und Mensch lässt sich zusammenfassen in dem Ausdruck Luthers, das liberum arbitrium sei ein »plane divinum nomen«128. Der Mensch besitzt weder als Geschöpf betrachtet, erst recht nicht als Sünder, aber auch nicht als Befreiter, will sagen von Gott im Evangelium gerecht Gesprochener, einen freien Willen in diesem Sinne.129 Daher ist es gerechtfertigt, das liberum arbitrium als ein göttliches Attribut anzusehen und dem Menschen gänzlich abzusprechen.130 Dass der Mensch diese totale Freiheit nicht besitzt, bedeutet nun aber noch nicht, dass er in jeder Hinsicht und damit univok unfrei, bzw. gar »geknechtet« oder »versklavt« zu nennen wäre. Zwei miteinander zusammenhängende Dimensionen der Unfreiheit habe ich bereits benannt: das Gott gegenüber fehlende Handlungsund Wollensvermögen und die diesbezüglich fehlende Einsicht bzw. Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Nun wurde im Kontext dieser Begründungen noch nicht hinreichend deutlich, warum hinsichtlich der benannten Formen von Unfreiheit explizit von »Knechtschaft« die Rede sein müsste, betont Luther doch immer wieder, dass der Mensch durchaus freiwillig seinen eigenen Willen vollzieht. Nach Luther kann nur in einer ganz bestimmten Hinsicht davon zu sprechen sein, dass dem Willen des Menschen ein servum arbitrium eignet. Diese ist, wie nun schon an verschiedenen Stellen bereits angeklungen ist, in der Betrachtung des Menschen als Sünder zu sehen. Es zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass in »De servo arbitrio« fast ausschließlich im Kontext der Rede von der Sünde Wortverbindungen auftreten, die den Wortstamm »serv-« enthalten, und damit auch sprachlich präzise die Knechtschaft des menschlichen Willens benennen.131 Nur die Sünde – oder auch als inhaltlich parallel gesetzte 128 Dsa, 294. 129 Vgl. Dsa, 570-572. 130 Die Radikalität der Ablehnung eines liberum arbitrium bezogen auf alle Status der Heilsgeschichte bringt Iwand, Theologische Einführung, 254, auf den Punkt. 131 Besonders deutlich ist folgende Stelle, die sich zwar auf Augustin bezieht, in der die Knechtschaft aber explizit mit dem Sündersein begründet wird: »Das freie Willensvermögen vermag aus eigener Kraft nichts, außer zu fallen, und ist zu nichts im Stande, außer zu sündigen. Daher nennt Augustinus es im 2. Buch gegen Julianus

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Verderbensmächte der Teufel bzw. der Tod132 – versklavt den Menschen derart, dass er unter einer ihn bestimmenden, und zwar explizit negativ zu qualifizierenden, weil Gott entgegen stehenden Wirkmacht steht. Luther stellt sich zwei Reiche bzw. zwei Herrscher vor, unter denen der Mensch stehen kann. Beide werden so beschrieben, dass sie den Willen des Menschen bestimmen. Dennoch bestehen charakteristische Unterschiede: »In dem einen Reich regiert der Satan, [...] der all diejenigen nach seinem Willen gefangen hält, die nach dem Zeugnis desselben Paulus nicht durch den Geist Christi ihm entrissen sind. [...] In dem anderen regiert Christus, und das widersteht dem Reich Satans beständig und kämpft mit ihm. In dieses werden wir versetzt, nicht durch unsere Kraft, sondern durch die Gnade Gottes, mit der wir befreit werden von der gegenwärtigen, nichtigen Welt und der Macht der Finsternis entrissen werden. [...] Denn im Reich Satans werden wir zu dienen gezwungen, es sei denn, wir würden von der göttlichen Kraft herausgerissen.«133

Die Knechtschaft unter die Sünde bzw. unter Satan wird – im kontrastierenden Unterschied zur Herrschaft Gottes134 – explizit als eine (in der Folge auch den Willen versklavende) Zwangsherrschaft gekennzeichnet. lieber ein geknechtetes [servum] als ein freies Willensvermögen.« (Dsa, 354, Hervorhebung B. B. ). Das freie Willensvermögen wird verschiedentlich als »Gefangener und Knecht des Teufels« (294; »captiva et serva diaboli«), ähnlich S. 296 (hier wird, wie auch S. 290, ausnahmsweise auch die Möglichkeit erwähnt, der Mensch könne ein Knecht des Willens Gottes sein; an letztgenannter Stelle beeilt sich Luther allerdings, diese vermutlich metaphorische Redeweise zu korrigieren und gleich zu sagen, dies sei eigentlich eine »königliche Freiheit«), sowie S. 338. Die Verbindung von Satan und Sünde zeigt sich an einer Stelle, an der Luther explizit ausspricht: »wenn er [d. h. der Satan, B. B. ] herrscht, ist der menschliche Wille nicht mehr frei und nicht sein eigener Herr, sondern ein Knecht der Sünde und Satans, und er kann nur wollen, was dieser Fürst will (562; »[...] quo regnante, voluntas humana iam non libera nec sui iuris, sed serva peccati et Satanae [...]«). Das freie Willensvermögen wird nach Luther »gezwungen [...], der Sünde zu dienen« (362; cogitur servire peccatum), wird daher auch als »servum peccati« (360; siehe auch 626) bezeichnet. Er spricht unbefangen von der »Knechtschaft der Sünde« (412; »servitus peccati«). Alle Menschen seien »Knechte der Sünde« (588; »servi peccati«). 132 Vgl. Ebeling, Ddh 3, 113 f, der alle drei genannten Mächte als »versklavend« (a. a. o., 113) klassifiziert und zugleich deren Zusammenhang deutlich macht, indem er darauf hinweist, dass im Denken Luthers Sünde und Tod als »Machtinstrumente« (ebda) des Teufels zu verstehen sind. 133 Dsa, 648 (Hervorherbungen B. B. ). 134 Der Kontrast wird pointiert von Paulus formuliert (Röm 6,20): »Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit.«

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Der Mensch ist unter die Macht der Sünde gezwungen. Deshalb ist hier explizit von servum arbitrium zu reden. Im Unterschied zum Reich Gottes, dem vordergründig135 die gleiche heteronome Struktur zuzuschreiben wäre, weil nämlich ein den Willen offensichtlich bestimmender Herrscher existiert, zu dem der Mensch aber befreit136 wird, herrscht im Reich des Satans der Zwang vor.137 Worin besteht nun dieser Zwang? Es lässt sich sagen, dass der menschliche Wille auf das Böse, auf das, was Gott entgegensteht, ausgerichtet ist. Diesen Zustand ist der Mensch nicht zu ändern in der Lage, weshalb er von Luther auch als das Wirken einer fremden Macht, des Satans, beschrieben wird. Diese Macht ist nun allerdings – wie bereits gesehen – nicht so zu denken, dass sie einen äußeren Zwang ausüben würde – diesen würde der Sünder ja auch sofort als solchen erkennen. Die versklavende Macht ist im Personzentrum des Menschen selbst lokalisiert, sodass es bezüglich der Sünde für den Menschen keine Alternative gibt. Um es im Bild des Reittieres zu sagen: Der Mensch läuft willentlich in die Richtung, die der Teufel ihm vorgibt und die er im Zentrum seines Willens als seinen eigenen Willen angenommen hat. »Nach Verlust der Freiheit werden wir gezwungen, der Sünde zu dienen, das heißt: Wir wollen die Sünde und das Böse, wir reden Sündhaftes und Böses, wir tun Sünde und Böses.«138 135 Dieser vordergründige Eindruck liegt als Systematik der ganzen Argumentation von Melanie Beiner, Intentionalität, zu Grunde; ähnlich gilt dies für die Konzeption von Andreas Klein, der zwar in durchaus zustimmungsfähiger Weise den hamartiologischen Kontext der These Luthers beleuchtet (ders., Willensfreiheit, 408-416), der aber den kategorialen Unterschied zwischen Sünde und Glaube, und damit auch den Zwangs- und Selbstwiderspruchscharakter der Sünde nicht ausreichend zur Geltung bringt; dementsprechend kann er einen univoken, kompatibilistisch konzipierten Freiheitsbegriff unterstellen. 136 Die Perspektive der Befreiung hat in Bezug auf das Reittierbild sehr schön HansMartin Barth herausgestellt (ders., Theologie Luthers, 310-312). 137 Die hier bestehende Asymmetrie hat deutlich Ulrich Körtner als Anfrage gegen Deutungen hervorgebracht, die in der Heteronomität schon die Unfreiheit begründet sehen (ders., Vom unfreien Willen, 213 f). Auch Klaus Schwarzwäller hat bei aller Parallelität auf die konstitutiven Unterschiede hingewiesen; er spricht von der Figur eines »supplementären Paradox«, denn »Willensunfreiheit bedeutet offenkundig oben und hier [d. h. in Bezug auf die Herrschaft Gottes und des Satans, Anm. B. B. ] Verschiedenes.« (ders., Theologia Crucis, 53). 138 Dsa, 364 (»amissa libertate cogimur servire peccato, hoc est, nos volumus peccatum et malum, loquimur peccatum, facimus peccatum et malum;« Hervorhebung B. B.). Diese Aussage entspricht einem locus classicus der Sündenlehre, nämlich Joh 8,34: »Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht.«

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Diese Form der Internalisierung einer unterdrückenden Macht ergibt den spezifischen Charakter der Versklavung unter die Sünde. Sie ist machtvoll, weil sie den Inhalt des Willens in eine bestimmte Richtung lenkt, nämlich die gegen Gott gerichtete, und weil sie offensichtlich damit dem Menschen so nahe ist, dass sie keine Selbstdistanz aus einer objektiven, Erkenntnis gewährenden Perspektive ermöglicht, aus welcher die Unfreiheit als eine solche zu identifizieren wäre. Gezwungen ist der Mensch daher, weil die Situation der Sünde für ihn zunächst alternativlos ist. Gezwungen ist er aber auch, weil er in dieser Situation der Alternativlosigkeit (die als solche noch nicht unbedingt freiheitsraubend wäre139) Gott, und damit auch sich selbst und seiner eigenen Bestimmung widerspricht.140 Damit ist eine Charakteristik des Zwangscharakters benannt, die mit dem theologischen Terminus der Erbsünde wiedergegeben wird. Sie verbindet den Aspekt der faktischen Unvermeidlichkeit mit der Lokalisierung im Personzentrum. Luther hat im Rahmen seiner Ausführungen nur sporadisch auf Begriff oder Sache der Erbsünde ausdrücklich hingewiesen.141 Seine emphatischen Ausführungen zur Knechtschaft unter der Sünde und die dieser Argumentation eigene Systematik, sowie die allgemeine Tendenz Luthers, im Rahmen der Hamartiologie v. a. das peccatum originale zu betonen, geben Anlass zur Annahme, bei der Rede vom servum arbitrium handele es sich um eine in anthropologischen Termini formulierte Variante der Bestimmung der Erbsünde.142 Die Versklavung ist somit anthropologisch als eine distanzlose Bindung an das eigene, gegen Gott gerichtete Selbst zu interpretieren.143 Der 139 Dies hatten ich philosophisch mit Blick auf die Formen leidenschaftlicher Freiheit, bei denen, wie etwa in der – freilich stilisierten – Situation Luthers vor dem Wormser Reichstag, zu sagen ist: »Ich kann nicht anders«, deutlich gemacht. Dieses Nichtanders-Können aber ist nun gerade ein Entsprechen der eigenen Bestimmung, und somit Freiheit. 140 Vgl. Körtner, Vom unfreien Willen, 213: »Die Sünde ist ein innerer Widerspruch im Wollen selbst, nicht etwa ein undialektisch als frei empfundenes Wollen, das sich im Widerspruch zu Gott oder dem Mitmenschen befindet.« 141 Siehe Dsa 622, 12 f (hier ausdrücklich: originale peccatum), sowie die Erwähnung des Falls Adams 472 f, die allerdings eher zum Erweis der Allmacht Gottes, denn zu einer explizit hamartiologischen Argumentation dient. 142 Diese Annahme ist unten noch systematisch (nicht aber historisch in Bezug auf Luther) zu verifizieren. Zum Zusammenhang bei Luther vgl. etwa Ebeling, Ddh 3, 113-119). Die These widerspricht etwa der prominent von Eilert Herms vertretenen Annahme, beim servum arbitrium handele es sich allgemein um eine Kategorie der Ontologie der Person (vgl. Herms, Art. servum arbitrium). 143 Den Gedanken der Distanzlosigkeit formuliert auch Klein, Willensfreiheit, 417.

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Mensch in der Sünde hat nur sich selbst zum Gegenstand und Maßstab und ist infolge dessen nicht in der Lage, Gott zu erkennen und damit aus eigener Kraft dieses Faktum zu überwinden. Diese Bindung an sich selbst ist nun deutlich zu unterscheiden von einer Form von Selbstbestimmung, wie ich sie im philosophischen Teil der Arbeit in den Blick genommen habe. Denn diese müsste eine Form der Offenheit im Blick auf die Zukunft, spezifisch auch bezüglich der Veränderung personaler Präferenzen implizieren. Dies aber ist im Kontext des sündhaften Selbstverhältnisses im Blick auf ihren relationalen Zusammenhang, nämlich die Gottwidrigkeit des Selbst, nicht gegeben. Der Sünder ist nicht fähig sich in dieser Hinsicht von sich selbst zu unterscheiden. Dabei bleibt noch bewusst offen, was präzise unter dem Selbst des Sünders verstanden werden kann. Es genügt an dieser Stelle zu sagen, dass es als die Manifestation des in seiner Sündhaftigkeit nicht zu unterlaufenden, handlungsrelevanten Willens zu verstehen ist. Diese Struktur kann nach Luther auch als Zustand unter dem Gesetz, der durch das Wort des Gesetzes als ein solcher allerdings erst erkannt wird, charakterisiert werden. Aus der Perspektive der Befreiung bezeichnet Luther ihn als »Kriegsdienst des Gesetzes«144, der in der Befreiung durch Christus beendet sei. Die im Zustand der Sünde liegende Unfreiheit ist damit auch spezifisch als ein Zustand unter dem versklavenden Gesetz erkannt, das vom Menschen Leistung erfordert, das dieser aber nicht einhalten kann. Damit ist die Einsicht bestätigt, dass die Sünde wie auch die in ihr liegende Unfreiheit des Menschen erkenntnistheoretisch an die Botschaft von Gesetz und Evangelium gebunden ist und somit einen ganz spezifischen Charakter aufweist. Es ist ihr wesentlich, dass sie erst aus der Überwindung, und gerade nicht im Zustand der Sünde selbst, erkannt werden kann.145 Die Unfreiheit des Menschen in der Sünde beinhaltet geradezu essentiell, dass sie nicht aus sich selbst diagnostiziert werden kann. Inhaltlich zusammengefasst bemisst sich die Unfreiheit des Menschen in dieser Perspektive an zwei Merkmalen. Zum einen an der formal festzustellenden Komponente der Bindung an sich selbst und der damit fehlenden, auch erkenntnistheoretisch bedeutsamen Selbstdistanz. Zum anderen ist darin auch ein materiales Kriterium benannt,

144 Dsa, 532 (»militia legis«). 145 Vgl. Schwarzwäller, Theologia Crucis, 68: »Das Evangelium deckt durch sein Erretten aus Sünde und Gotteszorn die Sünde und ihre Macht auf«; den Charakter der Retrospektive hat Schwarzwäller deutlich benannt (a. a. o., 70).

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insofern der Mensch darin nicht auf das Gute, will sagen auf Gott ausgerichtet ist, sein Leben nicht aus dem Evangelium, sondern aus einer Krümmung in sich selbst versteht und damit lebensfeindlichen Mächten unterworfen ist. Damit aber ist auch impliziert, dass der Mensch in dieser Form des Selbstverhältnisses auch sich selbst und seiner eigenen Bestimmung widerspricht, die aus theologischer Perspektive in der Entsprechung Gottes als sein Ebenbild zu beschreiben ist. Die formale Struktur des Selbstverhältnisses, die ja immer noch ein äußerlich betrachtet ungezwungener Selbstvollzug ist, wird unter eine inhaltliche Signatur gestellt, die ihm die Freiheit in bestimmter Hinsicht wieder raubt. Daher ist in der Perspektive Luthers auch die erste, vermeintlich formale und somit allgemein feststellbare Komponente richtig nur als theologische Einsicht zu lesen, insofern nämlich die Bindung an sich selbst nur im Gegenüber zur Bindung an Gott richtig verstanden werden kann. Die Verkrümmung ist keineswegs so zu deuten, dass Menschen hier stets zwanghaft egoistisch handeln würden,146 sondern so, dass sie in ihrem Selbstvollzug letztlich nicht Gott, sondern sich selbst vertrauen. Es geht um das Herz, um das Personzentrum, dessen Vertrauensgrund er nicht von sich aus ändern kann, und das in dieser Struktur in Selbstwidersprüche führt.147 2.4.4 Das SA als Prädikat des endlichen Geschöpfes? 2.4.4.1 Die Notwendigkeit allen Geschehens Bislang hatte ich die Unfreiheit des menschlichen Willens, die servitudo arbitrii bzw. voluntatis, entsprechend Luthers Pointierung als die Unfreiheit des Sünders dargestellt. Damit ist der Mensch in einer spezifisch theologischen, und zugleich in einer spezifisch theologischen Hinsicht in den Blick genommen. Unfrei ist der Mensch zunächst nicht einfach deshalb, weil er Mensch ist, auch nicht weil er Geschöpf Gottes ist. Er ist geknechtet, weil er unter der Macht der Sünde steht, die sich ausgerechnet im Willenszentrum des Menschen manifestiert und damit 146 S.u. 2.4.4. 147 Vgl. GK (Auslegung zum ersten Gebot): »Worauf Du nu (sage ich) Dein Herz hängest und verlässest, das ist eigentlich Dein Gott.« (BSLK 560, 22-24), und KK (Erklärung zum dritten Artikel): »Ich gläube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum, meinen Herrn, gläuben oder zu ihm kommen kann, [...]« (BSLK 511,46 – 512, 1).

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als solche vom Menschen selbst nicht zu erkennen ist. Sünde aber ist, wie bislang nur kurz angedeutet wurde, vor allem als Unglaube, das bedeutet als mangelndes oder fehlendes Vertrauen Gott gegenüber, einzustufen. Diese spezifische Bestimmtheit des Personzentrums in seiner Relation zu dem letztgültigen Vertrauensgrund148 verleiht der Unfreiheit des Menschen ein charakteristisches Gepräge. Sie kann aber noch nicht die Unfreiheit des Menschen bzw. seines willentlichen Strebens im Allgemeinen bzw. seiner Handlunegn bergünden. Im Gegenteil: Luther hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass unsere Wahlhandlungen im Alltag durchaus in gewissem Rahmen frei zu nennen sind, wenn auch nicht in dem Sinne, dass ihnen dabei ein liberum arbitrium oder neutrales Wollen, ein absolutum velle, zukommt. Es gilt, dass Freiheit nur relational zu behaupten oder abzusprechen ist.149 Nun ist die hier herausgearbeitete anthropologische Perspektive nicht derart zu kennzeichnen, dass sie einen speziellen religiösen Bereich des Menschseins in den Blick nimmt, der zu allem anderen in keinerlei Beziehung stehen würde. Der Mensch ist als Einheit zu betrachten und nicht in unüberbrückbare Sphären aufzuteilen. Darauf haben mit Recht diejenigen Ausleger von »De servo arbitrio« hingewiesen, die der These Luthers einen allgemein-anthropologischen Sinn abzugewinnen suchen, und sich von einseitig theologischen bzw. soteriologischen Deutungen abgrenzen.150 Es ist ja gerade durch die Lokalisation der Unfreiheit im Zentrum der Person die Auswirkung auf alle anderen Bereiche oder Dimensionen des Menschseins festgehalten. Korrekterweise muss man sagen: Der Mensch hat nicht ein, sondern er ist das servum arbitrium. Angesichts dieser Einordnung ist nun zu fragen, wie sich die theologische Deutung des Menschen als Sünder zu den darin implizierten bzw. dazu in Beziehung zu setzenden allgemein-anthropologischen Strukturen verhält. Insbesondere steht zur Diskussion, was die Unfreiheit des Sünders über eine mögliche Freiheit des arbitrium sagt, also die Fähigkeit zur Willensbildung in welthaften Bezügen und die Freiheit der voluntas, verstanden als die Fähigkeit, überhaupt willentlich zu 148 Vgl. zu der These von Gott als dem Vertrauensgrund Welz, Vertrauen und Versuchung, 109-114. 149 Diesen schon mehrfach angedeuteten Aspekt bringt in Bezug auf Luther – und in deutlicher Unterscheidung von Freiheit als »ontologische[r] Qualität« – Arnulf von Scheliha zum Ausdruck (ders., Schicksal und Bedeutung, 119). 150 Siehe exemplarisch Klein, Willensfreiheit, 380; Beiner, Intentionalität, 39.

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handeln. Entsprechend dem gewählten anthropologischen Ansatz geht es also um die Relation der unterschiedlichen Relationen menschlichen Lebens. Damit ist ein kritischer Punkt in der Interpretation von »De servp arbitrio« erreicht, denn Luthers Ausführungen legen keineswegs immer den Schluss nahe, sie seien auf das spezifisch religiöse Verständnis des Menschen, und damit auf eine bestimmte Perspektive bzw. Relation zu begrenzen. Vielmehr finden sich in der Streitschrift gegen Erasmus zahlreiche Aussagen, die einen umfassenden theologischen bzw. metaphysischen Determinismus zu vertreten scheinen, und die offensichtlich grundsätzlich die Richtung des menschlichen Willens der allgemeinen Notwendigkeit des Geschehens unterordnen, jenem also (mindestens in bestimmter Hinsicht) jegliche Freiheit absprechen. Diese Verbindung verschiedener Argumentationsmuster macht denn auch das kritische Potential der Schrift Luthers und einen Teil ihrer Verstehensschwierigkeiten aus. So hat etwa Otto-Hermann Pesch – als exemplarisch-katholischer und auf die Freiheit des Willens als anthropologisches Merkmal insistierender Vertreter – Luther diesbezüglich vorgeworfen, er würde ein genuin theologisches Thema in unzulässiger Weise philosophisch ausweiten.151 Andererseits wird diese Ausweitung v. a. von evangelischen Interpreten zum Anlass genommen, dem Menschen prinzipiell (im Sinne der – ontologisch zu erfassenden – Geschöpflichkeit) und somit univok und undifferenziert ein servum arbitrium zuzuschreiben und menschliches Sein dann allgemein im Rahmen einer heteronomen oder passiven Struktur zu interpretieren.152 Prima facie ist deutlich, dass sich hier ein universal-anthropologischer, insofern die Gottesbeziehung sich auf das Menschsein insgesamt bezieht, und ein partikularer, nämlich in einer ganz bestimmten religiösen Perspektive ausgesagter Aspekt gegenüberstehen, bei deren Verhältnisbestimmung es auf die jeweilige Begründung ankommt. Dabei besitzt die Argumentation Luthers in Dsa bezüglich der Annahme einer in Gott begründeten Notwendigkeit des Weltgeschehens, insbesondere aber des menschlichen Willens, durchaus fundamentalen Charakter. Der These ist in hermeneutischer Hinsicht hohe Relevanz beizumessen, da sie von Luther zu Beginn des Buches sehr ausführlich

151 Siehe etwa Pescb, Freiheitsbegriff, 234; ders., Hinführung, 184 f; 152 Vgl. Beiner, Intentionalität, 91 f.133 ( und passim); Iwand, Erläuterungen, 286; Herms, Art. servum arbitrium, 1233; Klein, Willensfreiheit, 384.

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dargestellt und mit hohem Nachdruck vertreten wird.153 Sie ist aber nicht nur aufgrund dieser formalen Charakteristik bedeutsam, sondern als das unmittelbare Korrelat der anthropologischen Auffassung Luthers über die Unfreiheit des Willens zu verstehen. Luther hatte ja den Streitgegenstand als die Frage nach dem Verhältnis von göttlichem und menschlichem Handeln bestimmt.154 Innerhalb dieser Fragestellung kommt nun der Lehre von der Notwendigkeit des Geschehens die Funktion zu, die anthropologische Komponente der Unfreiheit zu verdeutlichen. Es gehört zu den Charakteristika der Lehre Luthers vom servum arbitrium, dass sie nur im Gegenüber zur Wahrnehmung von Gottes Handeln zu explizieren ist: »Der andere Teil all dessen, was das Christliche ausmacht, ist das Wissen, ob Gott etwas zufällig vorherweiß und ob wir alles mit Notwendigkeit tun.«155 Worin besteht die mit den Stichworten »Allmacht Gottes« und »Notwendigkeit« angedeutete Denkfigur Luthers? »Und auch dies also ist für einen Christen vor allem notwendig und heilsam zu wissen, dass Gott nichts zufällig vorher weiß, sondern dass er alles mit unwandelbarem, ewigem und unfehlbarem Willen vorhersieht, beschließt und ausführt. Durch diesen Blitzschlag wird der freie Wille vollständig zur Strecke gebracht und vernichtet.«156

Alles Geschehen, also durchaus nicht nur das Heilsgeschehen, sondern auch alles Unheil, sowie alles für die Heilsfrage möglicherweise indifferente Handeln oder andere Vorgänge, sind im unwandelbaren Willen Gottes begründet, was einen freien, und d. h. eben sich hier und dorthin wendenden Willen des Menschen ausschließt. Jegliches Geschehen stimmt mit dem Willen Gottes überein, der von Ewigkeit her festzustehen scheint. Diese Übereinstimmung mit dem Willen Gottes verleiht nach Luther allem Geschehen eine Notwendigkeit, die er scharf gegenüber der Kontingenz des Daseins abgrenzt: »Alles, was wir tun, alles, was geschieht, geschieht – auch dann, wenn es uns veränderlich und zufällig zu geschehen scheint – in Wirklichkeit notwendig und

153 Dsa, 248,11-259,19. 154 Vgl. Dsa 242. 246. 155 Dsa, 248 (»Altera pars summae Christianae est, Nosse, an Deus contingenter aliquid praesciat, et an omnia faciamus neccessitate, [...]«). 156 Dsa, 250 (»Est itaque et hoc imprimis neccessarium et salutare Christiano, nosse, quod Deus nihil praescit contingenter, sed quod omnia incomutabilii et aeterna, infallibilique voluntate et praevidet et propoint et facit. Hoc fulmine sternitur et conteritur penitus liberum arbitrium [...]«), Hervorhebung B. B.

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unveränderlich, wenn Du Gottes Willen betrachtest.«157 Ist damit ein umfassender, jegliche Form von Freiheit ausschließender Determinismus begründet? Wir kommen der Sache näher, wenn wir beachten, dass Luther auch hier darauf hinweist, dass es für einen Christen wichtig sei, zu wissen, was Gott tut, dass er nämlich »alles in allem«158 wirkt, und das dieses Wissen als heilsam zu bezeichnen ist. Denn die Einsicht in die Notwendigkeit alles Geschehens hat eine spezifische Funktion für die Gewissheit des Christen:159 »Wenn man dies nämlich nicht kennt, dann können weder der Glaube noch irgendeine Verheißung bestehen. Denn das hieße in der Tat Gott nicht kennen, und bei solcher Unkenntnis kann das Heil nicht bestehen, wie bekannt ist. Wenn du nämlich zweifelst oder ablehnst zu wissen, dass Gott alles nicht zufällig, sondern notwendigerweise und unveränderlich vorherweiß und will – wie kannst du dann seinen Zusagen glauben, gewiss darauf vertrauen und dich darauf stützen? Wenn er nämlich zusagt, musst du gewiss sein, dass er zu erfüllen weiß, vermag und will, was er zusagt. Sonst wirst du ihn nicht für wahrhaftig, nicht für vertrauenswürdig halten, und das ist Unglaube, höchste Gottlosigkeit und Leugnung des höchsten Gottes. [...] Daher wäre der christliche Glaube vollständig dahin, die Zusagen Gottes und das gesamte Evangelium brächen gänzlich zusammen, wenn wir gelehrt würden und glaubten, wir müssten nicht das notwendige Vorherwissen Gottes kennen und die Notwendigkeit dessen, was geschehen soll. Denn eben darin besteht der einzige und höchste Trost der Christen: in allen Widrigkeiten zu wissen, das Gott nicht lügt, sondern unveränderlich alles tut und seinem Willen weder widerstanden noch er verändert oder gehindert werden kann.«160

157 Dsa, 252 (»[…] omnia quae facimus, omnia quae fiunt, et si nobis videntur mutabiliter et contingenter fieri, revera tamen, fiunt neccessario et immutabiliter, si Dei voluntatem spectes«). 158 Dsa 247 (»omnia in omnibus«). 159 Auf diesen Aspekt weist etwa Oswald Bayer hin, Luthers Theologie, 179.185. 160 Dsa 256 (»[...] His enim ignoratis neque fides, neque ullus Deus cultus consistere potest, Nam hoc esset vere Deum ignorare, cum qua ignorantia salus stare nequit, ut notum est. Si enim dubitas, aut contemnis nosse, quod Deus omnia, non contigenter, sed neccessario et immutabiliter praesciat et velit, quomodo poteris eius promissionibus credere, certo fidere ac niti? Cum enim promittit, certum opportet te esse, quod sciat, possit et velit praestare, quod promittit, Alioqui eum non veracem, nec fidelem aestimabis, quae est incrudelitas et summa impietas et negatio Dei altissimi. […] Itaque fides Christiana prorsus extinguitur, promissiones Dei et universum Euangelion penitus corruit, si doceamur et credimus, non esse nobis sciendam praescientiam Dei necessariam, necessitatemque faciendorum. Christianorum enim haec

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Auch der Blick auf die allgemeine Notwendigkeit des Geschehens ist also der Blick des Christen, der sich im Vertrauen auf die tätige Allmacht Gottes, welche die Notwendigkeit des Geschehens bewirkt, seines Heils vergewissert. Damit ist der epistemische Standpunkt markiert, von dem aus Luther auch dieses Thema in den Blick nimmt. Es geht ihm nicht darum, aus einer objektiven Perspektive in metaphysischem Sinne die Welt zu erklären, sondern darum, die Grundlagen des Glaubens zu erkunden.161 Um im Glauben, und das heißt hier insbesondere im Glauben an die Zusagen des Evangeliums, gewiss sein zu können, braucht es das Vertrauen in die in Gottes Willen gegründete Notwendigkeit.162 Die Notwendigkeits- bzw. Allmachtsthese hat damit einen in spezifischer Weise gekennzeichneten perspektivischen Charakter.163 Gleiches gilt für die Annahme der Prädestination der Glaubenden und analog164 (!) der Ungläubigen durch Gott, was von Luther parallel zur Notwendigkeit allen Geschehens, bzw. besser gesagt als der Fall

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una et summa consolatio est in omnibus adversitatibus, nosse, quod Deus non mentitur, sed immutabiliter omnia facit, et voluntati eius neque resisti, neque eam mutari aut impediri posse«). In der Systematik der Disputatio de homine kann gesagt werden, dass die Einsicht in die Notwendigkeit des Geschehens eine theologische Erkenntnis darstellt (siehe auch FN 162), weil sie sich aus dem Glauben an die Rechtfertigung des Sünders (These 32), nicht aber aus der Vernunft bzw. der Erfahrung ergibt (These 10). Hier wird Gott nicht nur als Grund und Ziel des Menschseins (These 21 und 35 ff), sondern der Welt insgesamt angesehen (dies allerdings wiederum nicht als metaphysische Aussage, sondern als im lumen gloriae noch zu verifizierender Glaubensgegenstand); vgl. Schwarzwäller, Theologia Crucis, 122. Diesen Punkt hebt auch O.H. Pesch hervor, Freiheitsbegriff, 217. Er spricht allerdings in problematischer Weise von »Alleinwirksamkeit Gottes« (ebda). Richtig gesehen ist m.E., dass die Notwendigkeitsthese selbstverständlich auch einen explizit theologischen Grund hat, nämlich Gott als Gott, und damit als den creator ex nihilo zu beschreiben; den Zusammenhang von Notwendigkeit und Gewissheit betont auch Christoph Schwöbel, Offenbarung Glaube Gewissheit, 220; auch Reinhold Bernhardt spricht davon, dass die Allmachtsthese Luthers »eindeutig soteriologisch motiviert« (ders., Handeln Gottes, 65) sei. Auf den perspektivischen Charakter macht auch Christoph Schwöbel, a. a. o., 222, Fußnote 21, aufmerksam, indem er betont, dass die Bestimmung der Notwendigkeit nur durch den Hinweis bezüglich desjenigen, für den etwas notwendig ist, vollständig wird.; m. a. w.: Notwendigkeit ist eine relationale Größe. Mit diesem Terminus sei die konstitutive Asymmetrie zwischen Erwählung und Verwerfung, und damit die Unmöglichkeit beides gleichsinnig zu beschreiben zum Ausdruck gebracht.

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von Notwendigkeit schlechthin deutlich gemacht wird.165 Ergibt sich aus dem Rechtfertigungsglauben die Annahme der gültigen Verheißungen Gottes und damit die Abgrenzung gegenüber kontingentem, zeitlichen Geschehen, so ist das Faktum des Glaubens selbst auch als von Gott vorherbestimmt zu deuten.166 Vorherwissen und Vorherbestimmung sind gewissermaßen die Rückseite der von Luther skizzierten Notwendigkeitsmedaille; Luther kann in den Spitzenformulierungen daher von ewiger Liebe, aber auch von ewigem Hass Gottes sprechen.167 In der Argumentation wird dieses Argument ebenfalls zur Abwehr des liberum arbitrium verwendet.168 Die dargestellte Systematik setzt nun aber voraus, dass die Notwendigkeit, von der hier die Rede ist, primär (wenn auch nicht objektiv abgesichert) eine heilsdienliche Notwendigkeit ist.169 Es ist impliziert, dass in der Notwendigkeit des Weltgeschehens sich der offenbare Gott zeigt, derjenige, der nicht den Tod des Sünders will, sondern aufgrund seiner Barmherzigkeit Leben und Seligkeit schenkt.170 Dies ist exakt die Perspektive, aus der Luther argumentiert. Er begründet seine These aus der Sicht des Glaubenden, der sich an den im Wort, will sagen im Evangelium, offenbaren Gott hält, welcher den Sünder rechtfertigt. 165 Vgl. die Parallelisierung von Vorhersehung, Vorherbestimmung und Ausführung im Zitat FN 156. 166 Spezifisch zeigt sich dies Dsa 282,26-30. Demzufolge erhalten nur die Auserwählten den Heiligen Geist. 167 Dsa, 501, 31-37. 168 Siehe Dsa 656, 17-24. Dass hier die Vernunft erwähnt wird, widerlegt nicht die oben FN 161 gemachte Aussage bezüglich des theologischen Charakters der These. Sie wird hier als Bezeugungsinstanz eingeführt, welche die Aussage nachvollziehen, nicht aber ursprünglich begründen kann. Zur systematischen Deutung insgesamt s.u. 5.2, S. 385 ff. 169 Siehe zu dieser Deutung Schwarzwäller, der beständig (so auch in Bezug auf die Notwendigkeitsthese) darauf hinweist, dass Luther »innerhalb der christologischen Klammer redet« und somit den Heilswillen Gottes im Blick hat (ders., Theologia Cruscis, 122); nur deshalb könne die Allwirksamkeit Gottes von einem allgemeinen Schicksal unterschieden werden (siehe a. a. o., 126 f). »Die Lehre von der Prädestination ist mithin eine Funktion der Christologie […]« (a. a. o., 59); vgl. auch Brandt, Ermöglichte Freiheit, 42; zur Typisierung der Prädestinationslehre siehe a. a. o., 47 f: die hier dargebotene Position wäre vermutlich in die zweite Gruppe von Brandts Einteilung zu klassifizieren, der zufolge diese eine »Grenzperspektive des Heilshandelns« (a. a. o., 47) darstelle. M.E. ist allerdings der Ausdruck »Grenzperspektive« noch deutlich zu schwach, handelt es sich doch bei der Vorstellung von Gottes Allmacht um einen integralen Teil des Rechtfertigungsglaubens. 170 Vgl. Dsa 406; Dieser Stelle zufolge will Gott den Tod des Sünders nur nach seinem unerforschlichen Willen, d. h. also als deus absconditus (In Auslegung von Hes 33).

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Dies bedeutet nicht, dass Luther die Übel der Welt ignorieren oder aber aus dem Wirken Gottes ausschließen würde, denn Gott wirkt tatsächlich »Leben, Tod und alles in allem«171. Gott ist durchaus derjenige, von dem gesagt werden kann, dass er Jakob geliebt und Esau gehasst hat. Dass Gott aber auch den Tod, die Sünde und das Unheil bewirkt, diese Tatsache ist dem verborgenen Willen Gottes zuzurechnen. Hier gilt: »Quae supra nos, nihil ad nos.«172 Dieser umfassende Allmachtsbegriff, der auch Tod und Sünde dem Wirken Gottes unterstellt, kann nicht Basis von Luthers Argumentation sein. Er schließt zwar aus, dass es etwas geben könne, das nicht der Allmacht Gottes unterliegt bzw. dass diese Allmacht als eine eingeschränkte oder ruhende verstanden werden könnte: »Allmacht Gottes aber nenne ich nicht die Macht, mit der er vieles nicht tut, was er kann, sondern jene wirksame, mit der er machtvoll alles in allem tut.«173 Das Angesicht der Allmacht Gottes aber, das Luther erblickt, ist das des im Evangelium dem Menschen zugewandten, aus Sünde und Tod rettenden Gottes, also das Angesicht Christi.174 Näher betrachtet muss hier zwischen zwei Formen der Allmacht Gottes unterschieden werden, die nicht in einen univoken Terminus integriert werden können. Zum einen nämlich argumentiert Luther mit

171 Dsa, 404 (»vitam, mortem et omnia in omnibus«). 172 Dsa, 404 (»Was über uns ist, geht uns nichts an«). Das Diktum kann daher durchaus mit Recht als »Kurzformel der Lehre vom verborgenen Gott« (Untertitel des Aufsatzes von Jüngel, Quae supra nos) gelten. Die präzise Interpretation des Status der Lehre vom Deus absconditus stellt ein eigenes (hier nicht in extenso zu behandelndes) Problem dar; mit Jüngel stimme ich grundsätzlich insofern überein, als er darauf hinweist, dass die Rede vom verborgenen Gott nicht die individuelle Heilsgewissheit in Frage stellen darf, sie dennoch aber gegenüber einer unterschiedslosen Offenbarung Gottes in seinem allmächtigen Weltwirken als differenzierendes Korrektiv angebracht werden muss (siehe a. a. o., 247-249). 173 Dsa, 486 (»Omnipotentiam vero Dei voco, non illam potentiam, qua multa non facit quae potest, sed actualem illam, qua potenter facit omniam in omnibus, [...]«). 174 Vgl. Schwarzwäller, Theologia Crucis, 122: »In ihm [d. h. Christus, Anm. B. B. ] und durch ihn wissen und erkennen wir Gottes Macht und Souveränität, sein All- und Alleinwirken.« Diese Perspektive ist von Melanie Beiner durchaus zutreffend beschrieben (dies., Intentionalität, 149); in ihre epistemische Einschätzung der Allmachtsthese fließt diese Einordnung aber nicht ein; vielmehr wird umstandslos Gott zur »Ursache« (!) des Bösen erklärt (a. a. o., 148); ob die von ihr kritisierten Ansätze von Behnk (Contra liberum arbitrium) und Brandt (Ermöglichte Freiheit) hier weiterführend sind, müsste eine eigene Untersuchung zeigen; beide versuchen allerdings die existentielle Lage bzw. die Sprechsituation Luthers in ihrer Bedeutung für die Aussagekraft bestimmter Sätze zu würdigen; dies findet bei Beiner nicht statt.

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einem umfassenden Begriff göttlicher Allmacht, der Heil und Unheil, Gnade und Strafe, Leben und Tod, Sünde und Leben im Geist gleichermaßen umfasst. Luther kann diese Form der Allmachtsausübung Gottes, die sich auch auf den Bereich außerhalb des Reiches Christi bezieht, als »allgemeine Allmacht« (»omnipotentia generalis«)175 bezeichnen. Dieser Allmachtsbegriff ist gegen das liberum arbitrium gewandt, das von sich aus tun könnte, was ihm beliebt, ohne von Gottes tätiger Allmacht umschlossen und begrenzt zu sein. Auch das freie Willensvermögen, das nach dem Fall von sich aus nichts Anderes tun kann denn tödlich sündigen,176 ist der Allmacht Gottes unterworfen. Dieser Allmachtsbegriff hat demnach zunächst eine kritische Funktion. Die Rede Luthers von der Allmacht Gottes ergibt sich aber erst aus der Erfahrung des rettenden Handeln Gottes, der den Sünder nicht sich selbst bzw. der verderblichen Macht der Sünde überlässt, sondern ihn, wie er ihn ursprünglich geschaffen hat, nun in einem weiteren kreativen Akt erneuert.177 Dass hier noch ein Widerspruch zu stehen kommt, den wir logisch nicht aufzulösen in der Lage sind, liegt an der Perspektive, aus der die Rede über Gottes Allmacht gewonnen ist. Sie ist noch nicht dem »lumen gloriae«, wohl aber dem »lumen gratiae«178 zuzuordnen. In dem Blickwinkel des zuletzt genannnten ist es eben noch nicht verständlich, dass der Sünder sündigt und sich viele Menschen von Gott abwenden, obwohl auch sie ausdrücklich Gottes Allmacht unterstehen. Die Frage, warum Gott den bösen Willen einiger Menschen nicht korrigiert, gehört Luther zufolge zu den »secreta maiestatis«179. Die damit angedeutete geheimnisvolle Verborgenheit Gottes hat Luther mit einem in der Folge viel diskutierten und kritisierten Terminus den Deus absconditus genannt. Sie ist deutlich zu unterscheiden von der Verborgenheit Gottes im Kreuz, die sich dem Glaubenden gerade erschließt, zwar nicht als theoretisches Wissen, aber als Gestalt der existentielles Vertrauen weckenden Offenbarung. Diese Verborgenheit gilt nur in der Außenperspektive, in der Binnenperspektive des Glaubens ist sie vielmehr ins »rechte Licht gerückt«. Sie wird deutbar als die Verborgenheit des den Gottlosen rechtfertigenden Gottes. Demgegenüber stellt sich Gott im Blick des Glaubenden auf Andere, die potentiell die Verworfenen sind, tatsächlich als der Verborgene dar, weil diese 175 176 177 178 179

Dsa, 572. Disputatio Heidelbergae Habita, These XIII, LDStA 47. Vgl. Dsa, 572. Dsa, 654. Dsa, 470, 30.

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Perspektive nicht theoretisch mit der Binnensicht des Glaubens zu vermitteln ist. Dass der Gott, »der mich verlornen und verdammpten Menschen erlöset hat«180, andere Menschen verwerfen sollte, ist dem Glauben als Anfechtung präsent und nur im Modus der Klage auszusagen. Aufgrund dieses modalen Charakters der Rede vom Deus absconditus ist es sowohl unangemessen, diesen zu einer eigenen Entität zu hypostasieren und somit faktisch ein dualistisches Gottes- oder Weltbild zu vertreten,181 als auch die angedeutete Spannung im Rahmen einer theoretischen Vereinheitlichung des Gottesbegriffs zu disziplinieren.182 Beide Interpretationen missachten den Subjektcharakter des Glaubens, dem es wesentlich ist, dass seine Inhalte (die fides, quae) nicht umstandslos extrapoliert bzw. auf andere projiziert werden können,183 sowie den von Luther explizit benannten zeitlichen und sachlichen Kontext der Glaubensgewissheit, nämlich das lumen gratiae, das eben noch nicht das alle Widersprüche auflösende (bzw. versöhnende) lumen gloriae ist.184

180 Luther, Kleiner Katechismus, Auslegung zum zweiten Glaubensartikel, BSLK 511,27 f. 181 In diese Richtung gehen die Überlegungen Elerts in der Verbindung des Deus absconditus mit der Offenbarung des Gesetzes (vgl. nur ders., Der Christliche Glaube, 191). 182 So Eberhard Jüngel, nach dessen Verständnis es wesentlich ist, dass Gott sich nicht widerspricht (ders., Offenbarung der Verborgenheit, 180). 183 Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass der Glaube subjektivistisch zu verstehen ist; vielmehr ist er auch genuin als soziales Phänomen zu deuten; die Deutung von Gottes Handeln als erlösendes Handeln aber kann nicht univok im Modus der Selbsterfahrung und der Außenbeschreibung benannt werden. 184 Diese epistemische Einordnung und Relativierung ist m.E. auch einer der Gründe, warum eine Interpretation von Das, wie sie Friedrich Hermanni vorgelegt hat, nicht überzeugen kann. Hermanni geht davon aus, dass die Anstößigkeit der Tatsache der Unfreiheit in der Sünde, für die der Mensch dennoch verantwortlich genannt zu werden verdient, mit der Leibniz’schen Figur der besten aller möglichen Welten gelöst werden könnte, in der eben um der Güte der Welt willen beides zusammen gehöre. Der Meinung, Luther wäre Leibniz »dafür [...] sicher dankbar gewesen« (ders., Luther oder Erasmus, 187), kann nur widersprochen werden, gehört es doch nach Luther wesenhaft zum Glauben und zur Theologie, diese Anfechtung auch auszuhalten (vgl. Bayer, Theologie, 19 f). Ein Blick von oben auf die Welt als theoretisch beste aller möglichen ist Luthers an der Vollzugsform des Glaubens orientierter Theologie fremd.

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2.4.4.2 Die Unveränderlichkeit des Willens Die Notwendigkeit, welcher dementsprechend auch der menschliche Wille unterliegt, ist von Luther nun explizit nicht als eine zwingende gedacht, so dass der Mensch gegen seinen eigentlichen Willen zu einem Willensakt gedrängt würde, sondern so, dass dem Willen eine Unveränderlichkeit zu Eigen ist. Es geht um eine necessitas »immutabilitatis, non coactionis«185: »Das bedeutet, der Wille kann sich nicht ändern und anderswohin wenden.«186 Damit ist Folgendes ausgesagt: Der Wille des Menschen ist stets in eine bestimmte Richtung187 hin orientiert, die er nicht in der Lage ist, eigenständig zu verändern. Dieser Direktion aber folgt er nicht aufgrund eines äußeren Zwanges, vielmehr ist es sein eigenster Wunsch und Wille, sich auf dieses Ziel hin auszurichten. Es sei nach Luther schon der »Erfahrung«188 zu entnehmen, dass Menschen, die einem Ziel leidenschaftlich nachfolgen, von der Verfolgung dieses Ansinnens nicht abzubringen sind, vielmehr durch Widerstand noch zusätzlich gereizt würden und ihr Wille sich dadurch nur verstärkte. Damit ist nun bereits deutlich, dass es sich um einen willentlichen Vollzug handelt, den der Mensch hier vollführt. In diesem schwachen Sinne ist er daher auch frei zu nennen. Er besitzt zwar keine Willens-, aber Handlungsfreiheit. Wie allerdings ist die Unveränderlichkeit der Willensrichtung zu deuten? Ist der Mensch, wenn auch nicht gezwungen, nun doch der Sklave seines eigenen Willens, weil dieser wiederum auf ein nicht mehr 185 Dsa 288; vgl. auch a. a. o., 424.554. 186 Ebda. 187 Unterschiedliche Autoren haben diese Richtung verschieden bezeichnet. So etwa Friedrich Hermanni, der von einer »Grundrichtung« (ders., Luther oder Erasmus, 167) spricht und damit den letzten Zweck des menschlichen Wollens meint; in ähnlicher Weise spricht Paul Althaus vom »Grundwillen« (ders., Luthers Theologie), bei Andreas Klein ist von der »Primärorientierung« (ders., Willensfreiheit, 388) die Rede. Wilfried Joest benennt entsprechend ein »Grundgeschehen« (vgl. ders., Ontologie, 216 und passim; mit dieser Bezeichnung ist der dynamische Charakter des Selbst in den Blick genommen, der eine Unterscheidung von anthropologischem Ort des Zentrums und seiner Funktion nach Joest unmöglich mache; vgl. a. a. o. 215); bei Eilert Herms ist von einer »Grundintention« (ders., Luthers Auslegung, 68) des Menschen die Rede. Wolfgang Achtner spricht von einer »schöpfungsmäßigen Vororientierung« (ders., Willensfreiheit, 172). All diese Begriffe wollen eine unhintergehbare und die je einzelnen Willensakte qualifizierende Bestimmtheit des menschlichen Willens zum Ausdruck bringen, die im Folgenden noch präzisiert werden muss; dabei muss sich auch die Angemessenheit der Termini noch zeigen. 188 Dsa 288. 290 (»experentia«).

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frei wählbares Ziel hin ausgerichtet bzw. von einer externen Macht inhaltlich bestimmt ist? Die eigenständige Wahl von Zielen war ja philosophisch als wichtiges Moment von Freiheit deutlich geworden. Schließlich scheint der Mensch hier entweder vom Satan oder von Gott geritten zu werden, wobei es »nicht an seinem Willensvermögen [liegt], zu einem von beiden Reitern zu laufen oder ihn zu suchen.«189 Kann hier prinzipiell davon gesprochen werden, dass »sich die inhaltliche Bestimmung menschlichen Selbst- und Weltverständnisses [...] der Selbstmächtigkeit des Menschen [...] entzieht«190? Muss diese Bestimmung als ein »heteronomes Geschehen«191 verstanden werden? Anders gefragt: Kann der Mensch seinen Willen überhaupt nicht ändern bzw. worauf genau ist die Unveränderlichkeit bezogen und worin ist sie begründet? Die von Luther hier getätigten Aussagen scheinen aufgrund ihrer Allgemeinheit den angedeuteten Eindruck zu bestätigen, dass sie prinzipiellen Charakter besitzen und auf jeden Menschen sowie den Willen im Allgemeinen zutreffen, egal ob dieser nun unter der Sünde oder unter der Gnade steht, egal ob er sich auf das Selbst-, das Welt-, oder das Gottesverhältnis bezieht. Inwiefern ist der Mensch noch als selbst-, inwiefern als fremdbestimmt, und inwiefern dabei als unfrei oder als frei zu verstehen?192 Wichtig ist hierbei Luthers Verweis auf die Affektivität des Menschen. Deren Funktion für den menschlichen Willen ist auch insofern von Bedeutung, als hier einer der wichtigen Vergleichspunkte zwischen der theologischen Perspektive und der neueren philosophischen und neurowissenschaftlichen Diskussion liegt193, da ja – wie gesehen – die Unfreiheit des Willens aus neurobiologischer Perspektive u. a. mit der Macht der Emotion (im Gegenüber zur rationalen Selbststeuerung) begründet wird. Die Bedeutung der Affekte wurde in jüngster Zeit

Dsa 290 (»nec est in eius arbitrio, ad utrum sessorem currere aut eum quarere, [...]«). Beiner, Intentionalität und Geschöpflichkeit, 92. A. a. o., 93. Selbst- und Fremdbestimmung, Freiheit und Unfreiheit sind nicht zwingend symmetrisch zu beschreiben. Um die Komplexität hier nur anzudeuten sei darauf hingewiesen, dass insbesondere in theologischer Perspektive Formen von Selbstbestimmungen zu nennen sind, die in bestimmter Hinsicht als unfrei gelten können (Sünde), aber auch von Fremdbestimmung, die als Artikulation von Freiheit zu identifizieren sind (etwa das von Gott bestimmte Leben im Geist). 193 Darauf macht Wilfried Härle aufmerksam (ders., Der (Un-)freie Wille), 298 f; sowie ders., Der freie Wille, 171.

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auch aus theologischer Perspektive vielfach, allerdings m. e. zumeist einseitig und damit verzeichnend hervorgehoben.194 Luther erwähnt das Stichwort »affecti«195 in Dsa im Rahmen der Argumentation für die gerade geschilderte Unveränderlichkeit des Willens. Um einer Sache nachzugehen, sie also willentlich zu verfolgen, sei es notwendig, dass der Mensch davon affiziert, also in irgendeiner Form leidenschaftlich berührt werde. Dieses Affiziertwerden wird nun, wie es die grammatische Form zunächst nahelegt, von vielen gegenwärtigen Auslegern als ein passives Geschehen interpretiert, einen Vorgang also, den der Mensch erleidet.196 Dabei geht es nun nicht um den affektiven Akt197 als solchen, der durchaus Aktivität repräsentiert, weil er etwa ein Streben nach einem bestimmten Gut impliziert. Allerdings sei nun die Präsenz dieses Gutes, welches das Streben bzw. die affektive Berührung hervorbringt, und die Art und Weise, wie sich dieses Gut manifestiere, dem Menschen entzogen. Das, was sich dem Menschen als Gut präsentiert und wie es ihm dargeboten wird, habe er selbst nicht in der Hand. Es sei abhängig von dem Gut selbst und der Art und Weise seiner Präsenz198, aber auch von dem immer schon vorgängigen Selbst- bzw. Daseinsverständnis der Person.199 Die Bestimmtheit des Affekts erfolge daher unwillkürlich. Dies gelte insbesondere für das Gottesverhältnis, da sie hier nicht aufgrund von ratio 194 Siehe Beiner, Intentionalität, 82 ff; Härle, Der (Un-)freie Wille, 283.298 f; Stock, Tugendlehre, 31-57; Herms, Art. »Servum arbitrium«, 1234 (Herms spricht in besonders starker Weise davon, dass das »Affiziertsein […] unwiderstehlich« zu nennen sei; ebda); ders., Luthers Auslegung, 65-79. 195 Dsa 288,27. 290,1. 196 So explizit Stock, Tugendlehre, 32; Härle, Der freie Wille, 162; Herms bringt den Sachverhalt zum Ausdruck, indem er formuliert, dass die Bestimmtheit des Affekts sich »für den Willen, und nicht durch ihn« (ders., Luthers Auslegung, 70) vollziehe; ähnlich auch Beiner, Intentionalität, 82-85. 197 Deshalb ist auch besser von Affektivität, Affiziertsein oder auch vom Affekt im Singular zu reden, als von »den Affekten«, was etwa Wilfried Härle, aber auch Melanie Beiner (s.o., FN 194) nicht deutlich genug unterscheiden. So ist auch an den beiden zitierten Stellen in Dsa (FN 195) nicht von Affekten, sondern von affizierten Personen die Rede, deren Affiziertsein eine bestimmte Auswirkung hat. 198 Nach Eilert Herms ist mit dem Affekt »eine nicht selber willkürlich (durch einen Willensakt) gesetzte dispositio voluntatis, also ein unmittelbares Bestimmtsein der vis appetetiva durch einen ihr präsenten Sachverhalt« (ders., Luthers Auslegung, 67). 199 Herms spricht davon, dass die entsprechenden Sachverhalte »sich im Lichte der jeweils herrschenden positiven Intentionen der Person als bonum oder malum präsentieren.« (a. a. o., 68); entscheidend sei also das »Verhältnis« (a. a. o., 67) des entsprechenden Sachverhalts zu dem Selbstverständnis der Person.

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oder sensus geschehe, sondern durch den Inhalt der dem Menschen fundamental entzogenen »Selbstgewißheit«.200 In dieser Auslegungslinie gewinnen nun die Affekte bzw. die Affektivität eine zentrale Stellung bezüglich der Deutung des servum arbitrium, insofern sie nämlich aufgrund ihrer passiven Struktur die Geschöpflichkeit des Menschen, damit aber seine schlechthinnige Abhängigkeit zu artikulieren scheinen. Dementsprechend kann sie als zentrales Interpretament des servum arbitrium gelten. In ihr liege die Unfreiheit des Menschen derart begründet, dass sich hier die dem Menschen entzogenen Dimensionen seiner Existenz auf fundamentalanthropologischer Ebene manifestieren. In der Affektivität zeige sich das immer schon vorgängige, und darum das offensichtlich extern konstituierte, jedenfalls nur zu erleidende Daseinsverständnis des Menschen.201 Daran ist nun m. e. richtig, dass die Affektivität des Menschen nach Luther tatsächlich das Zentrum des Personseins benennt. Dies gilt sowohl für den Unglauben wie auch für den Glauben202, und analog auch für andere Affekte wie Freude oder Hoffnung, insofern sie als Ausdrucksformen des Glaubens gelten können.203 Dieses Zentrum muss nun nicht im Sinne einer substanzontologischen Charakterisierung fassbar sein, dennoch aber zeigt sich, dass der Mensch gegenüber den solchermaßen charakterisierten Affekten nicht noch einmal prinzipiell distanzierungsfähig ist, dass es also keinen neutralen, von Affekten unbeeinflussten anthropologischen Ort gibt. Meiner Ansicht nach ist dies aber so zu beschreiben, dass zum Ausdruck kommt, dass der Mensch selbst in dieser seiner Affektvität bzw. als affektiv strukturiertes Wesen existiert. Ohne zu sagen, dass der Mensch mit seiner Affektivität identisch ist, erscheint mir diese Beschreibung des Phänomens angemessener als die oben204 genannten, meist mit dem Präfix »Grund-« operierenden Metaphern, die allesamt suggerieren, es gäbe gewissermaßen eine Basis, auf die der Mensch dann eine zweite Sphäre aufbauen bzw. auf der er die einzelnen Willensakte vollziehen müsse, bzw. 200 Herms, a. a. o., 70 und passim. 201 Vgl. Herms, Freiheit des Willens, 56 (wenn auch hier nicht unter expliziter Bezugnahme auf die Affektivität) sowie Stock, Tugendlehre, 44 f, der sich hierfür auf die philosophische Theorie eines präreflexiven Selbstbewusstseins von Manfred Frank beruft. 202 Vgl. Dsa, 640,29-642,1. 203 Vgl. Zur Mühlen, Art. Affekt II, 607 f. 204 FN 187

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eine Disposition205, die einen erst noch zu verwirklichenden Möglichkeitsraum eröffnet. Die Affekte können weder in der Theologie Luthers noch im Sinne einer systematisch zu verantwortenden Affekttheorie einseitig als Indiz einer prinzipiell passiv initiierten Erkenntnis vereinnahmt werden; sie sind nicht in der Lage, gänzlich das passive Element eines anthropologischen Modells zu beschreiben. Glaubenserkenntnis kann nicht schlichtweg als »affektive Erfahrung« (Beiner)206 charakterisiert werden; vielmehr gilt, dass »in der Glaubenserkenntnis grundsätzlich eine Interaktion von Intellekt und Affekt«207 anzunehmen ist. Auch im Affekt selbst sind Aktivität und Passivität stets beieinander, da nämlich die Bestimmtheit des Affekts nicht allein aus einem nicht zu steuernden Gefühl kommt, sondern stets mit dem Intellekt verwoben ist. Der Glaube bringt mit sich eine Erneuerung von Affekt und Intellekt:208 »Nec enim aliter convertitur anima nisi affectu et intellectu, quod fit per fidem.«209 Daher ist auch die im Rechtfertigungsglauben implizierte passive anthropologische Struktur nicht einseitig den Affekten zuzuschreiben. Glaubenserkenntnis vollzieht sich nicht nur affektiv, wie man etwa an Luthers exegetischer Neuentdeckung der Gerechtigkeit Gottes sehen kann, die ja eine (freilich zu Herzen gehende und damit den Affekt betreffende) intellektuelle Erkenntnis war. Sie hat vielmehr gerade in der Perspektive Luthers stets einen Außenaspekt, der sprachlichkommunikativ verfasst ist, der darum auch nicht unmittelbar, will sagen präreflexiv (als Selbstgewissheit) präsent ist, sondern stets eines Vermittlungsvorgangs bedarf.210 Nun kann zwar angenommen werden, dass für eine hinreichende Erkenntnis eines äußerlich gegebenen Sachverhalts dessen innere, affektive Bestätigung und somit unmittelbare Präsenz notwendig ist. Dies kann für Luthers Denken nur bejaht werden, besteht er doch auf der engen Zuordnung von claritas interna und

So Herms, s.o. FN 198. Beiner, Intentionalität, 82. Zur Mühlen, Art. Affekt II, 607. Vgl. Johann A. Steiger, Zorn Gottes, 193-195, sowie Lothar Steiger, Meine Seele, 222 f; ähnlich auch Welz, Vertrauen und Versuchung, 251. 209 WA 4,107,33 (Dictata super Psalterium, 1513-16). 210 Den kommunikativ-relationalen Charakter der Luther’schen Anthropologie, wie ich ihn hier voraussetze, hat zuletzt Sybille Rolf in einem überzeugenden Aufsatz deutlich herausgestellt (dies., Kommunikativität, v. a. 129 ff).

205 206 207 208

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externa, iudicium internum und externum,211 die jeweils nicht dualistisch voneinander geschieden werden dürfen. Nur die Tatsache, dass der Heilige Geist auch im Innern des Menschen wirkt, schafft letztlich den Glauben. Das innere Wirken bleibt dabei aber stets an die Klarheit des äußeren Wortes gebunden. Der Vermittlungsvorgang als solcher ist irreduzibel.212 Daher ist auch das christliche Selbst nicht als ein abgeschlossenes Innen zu beschreiben. Die Gewissheit des Glaubens ist zwar eine solche, die im Innern des Affekts ankommt, und dort auch zu lozieren ist, die aber keine in sich stabile Innerlichkeit bzw. affektive Disposition213 darstellt. Das affektive Innen bleibt stets auf das Außen bezogen, gerade der Affekt des Glaubens ist dauerhaft an das Wort Gottes gebunden.214 Das extra-nosElement ist in Luthers Theologie kein an den Anfang zu drängendes Strukturmerkmal, das nur für die ursprüngliche Konstitution des Glaubens von Bedeutung ist.215 Daher kann auch der Aufweis der passiven Struktur des Menschseins, insbesondere des Glaubens, nicht allein über die Affektivität des Menschen laufen. Das Passivitätsmerkmal müsste am Vermittlungsvorgang selbst aufzuweisen sein. Es zeigt sich dementsprechend in Luthers Argumentation, dass die Affekte weniger auf das Passivitätsmoment abzielen, als vielmehr die Leidenschaftlichkeit und damit auch die Unveränderbarkeit einer Bewegung durch das lenkende Eingreifen aus der Position des neutralen Dritten verdeutlichen. Damit aber eignet ihnen wesenhaft auch ein aktives Moment, das nicht von der zweifelsohne zu benennenden passiven Struktur des Affiziertwerdens zu scheiden ist.216 Passivität und Aktivität sind in der Dynamik der Bewegung217 ineinander verwoben und nicht analytisch zu trennen.

211 Vgl. Dsa 238,19-30; 324,24-315,15. 212 Wilfried Joest hat den Zusammenhang der Affekt-Struktur des Glaubens mit der Wort-Relation deutlich herausgearbeitet (ders., Ontologie, 222-227); vgl. etwa folgende Feststellung: »Aus der Wortbegegnung heraus geschieht, in der Preisgabe an die Macht des Wortes, die Verwandlung des ‘Seins’ des Menschen in seiner affektiven Grundbewegung« (a. a. o., 225). 213 So mindestens missverständlich Eilert Herms, Luthers Auslegung, 69 f. 214 Siehe WA 4, 356,6 ff (Dicta super Psalterium. 1513-1516). 215 Vgl. die Skizzierung des exzentrischen Personseins nach Luther durch Joest, Ontologie, 233-274; ähnlich äußert sich auch Sparn, Autobiographische Kompetenz, 64. 216 Vgl. Joest, Ontologie, 227 f. 217 Insofern Joest die von Luther vorausgesetzte Dynamik mit seiner Rede vom »Grundgeschehen« (ders., Ontologie, 216 und passim) zum Ausdruck bringt, ist die von ihm

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Es kann ergänzt werden, dass bei Luther die Affekte nicht grundsätzlich als dem Intellekt überlegen dargestellt werden.218 Auch lässt sich nicht sagen, dass gewissermaßen in den Affekten die Gottesbeziehung, möglicherweise auch das Selbstverhältnis loziert ist, und die Vernunft nur die Umweltrelation zu gestalten habe.219 Damit wäre eine einseitige Frontstellung etabliert, die der Komplexität des Luther’schen Denkens nicht gerecht wird. Insofern ist auch die Frage schwierig zu beantworten, inwiefern sich Luthers Affektenlehre in die augustinische und mystische Tradition einreiht, welche die Abhängigkeit des Intellekts vom Affekt (bzw. deren Einheit) betont, oder eher in die thomistische, die Unabhängigkeit des Intellekts gegenüber den Affekten behauptende Auslegungslinie. In jedem Fall erfährt die Affektenlehre bei Luther insofern eine Aufwertung, als auch der Glaube von Luther als Affekt gewertet wird, also als ein Geschehen, das letztlich nicht das Ergebnis einer bewussten, intellegiblen Entscheidung sein kann. Mit dieser Einschätzung ist jedenfalls eine Distanzierung gegenüber der Annahme des Thomas, der Intellekt könne den Affekt unabhängig bestimmen,220 gegeben. Es ist der melanchthonische Satz für Luther durchaus auch zu behaupten: »Affectus affetcu vincitur.«221 Zentral ist dabei aber, dass die Kontrastierung von Selbst- und Fremdsteuerung, auch von Aktivität und Passivität222, nicht mit der Differenz von affectus und intellectus223, auch nicht mit der anthropologischen

218 219

220 221 222

223

verwendete Metapher geeigneter als die tendenziell statischen Beschreibungen der anderen hier angeführten Autoren. So etwa Beiner, Intentionalität, 86. Diesen Eindruck erweckt durchaus Eilert Herms, Luthers Auslegung, 70 f, wenn er die Gottesbeziehung in der Selbstgewissheit loziert sieht und deren grundlegende Bedeutung für sensus und ratio herausstellt. Die Abgrenzung, die Luther in der Disputatio de homine zwischen Theologie und Philosophie vornimmt, bezieht sich nicht derart auf die unterschiedlichen Relationen des Menschen, dass die ratio im Gottesverhältnis völlig ausgeschlossen wäre, sie nimmt allerdings eine Bewertung der Leistungsfähigkeit der (in Bezug auf das Gottesverhältnis begrenzten) Vernunft vor (vgl. Steiger, Meine Seele, 222). Siehe zur Mühlen, Art. Affekt II, 603. Melanchthon, Loci, 1,44, S. 37; vgl. dazu auch Steiger, Zorn Gottes, 194 f. Es sei angemerkt, dass die Alternative von Selbst- und Fremdsteuerung durchaus nicht unbedingt symmetrisch zu der von Aktivität und Passivität zu beschreiben ist. Erstere setzt immer schon eine Kenntnis dessen voraus, was als Selbst in den Blick zu nehmen ist, zweitere beschreibt eher eine formale Struktur an einem schon vorausgesetzten »Gegenstand«. Gegen Beiner, Intentionalität, 44, die menschlichem Leben prinzipiell eine heteronome Struktur zuschreibt.

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Unterscheidung von innerem und äußerem Menschen gleichgesetzt werden kann. Die Tatsache, dass der Mensch als Geschöpf – und auf dieser Ebene wird hier gängigerweise argumentiert – immer schon aus Bedingungen lebt, die er nicht selbst geschaffen hat, liegt jenseits der Alternative Selbst- oder Fremdbestimmung. Sowohl Intellekt als auch Affekt haben jeweils beides in sich, Aspekte von Aktivität als auch von Passivität. Freude, Angst etc. sind zwar oft von einem äußeren Gut aktiviert, dabei aber doch höchst vitale, aktive, und mindestens partiell auch bewusst zu steuernde Vorgänge, somit aber auch nicht einfach »unwiderstehlich«224. Andererseits kann auch die intellektuelle Tätigkeit den Charakter eines Widerfahrnisses gewinnen, wie sich am deutlichsten wohl bei Luthers so genanntem Turmerlebnis zeigen lässt. Es ist denjenigen Auslegern, die auf die Bedeutung der Affekte in besonderer Weise hinweisen, zugute zu halten, dass sie die Affekte nicht nur einseitig auf die Seite der Passivität225 schlagen, auch nicht in einem schlichten Sinne von Fremdsteuerung oder Heteronomie reden, sondern durchaus auch das aktive Moment der Selbstbestimmung in den Blick nehmen. Dennoch werden die Affekte zunehmend – wie gesehen – zur Erläuterung der These des servum arbitrium herangezogen, und damit deren Unverfügbarkeit betont, also auch die Unverfügbarkeit ihrer aktiven Struktur. Die Freiheitsfrage wird nun aber nach Luther nicht daran entschieden, ob ein Mensch äußeren Bedingungen unterliegt, durch bestimmte Güter affiziert wird o.Ä.; vielmehr geht es Luther um die Frage, welche Inhalte und Mächte den Menschen bestimmen, welche Affekte ihn regieren und wie das dementsprechende Selbstverhältnis zu qualifizieren ist. Die Affektivität des Menschen hat bei Luther insofern mit der Freiheitsfrage zu tun, als sie die Unhintergehbarkeit des Selbst eines Menschen zu symbolisieren in der Lage ist, und damit ein Argument gegen ein liberum arbitrium im Menschen liefert, noch nicht aber die hinreichende Begründung für das servum arbitrium geben kann. Die notwendige Differenzierung zwischen beiden Argumentationssträngen zeigt sich also auch auf dieser anthropologischen Ebene. Dies lässt sich anhand der Frage nach dem epistemischen Status vertiefen, bzw. anhand dem perspektivischen Charakter der Unverän-

224 Herms, Art. Servum arbitrium, 1234. 225 So allerdings die Tendenz bei Wilfried Härle, der die Ausbildung von Affekten unmittelbar mit einer passiven Struktur in Verbindung bringt [ders., Der (Un-)freie Wille, 283 f]; ebenso Stock, Tugendlehre, 44 f.

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derlichkeitsthese und deren anthropologischem Bezugspunkt im Affekt. Denn Luther verwendet die Affektabhängigkeit des menschlichen Willens präzise als Veranschaulichung des dynamischen Übergangs von Unglaube zu Glaube, von der Herrschaft des Satans zur Herrschaft des Geistes Gottes.226 Dieser Übergang steht nicht so in menschlicher Hand, dass er Gegenstand einer distanzierten Entscheidung oder aber im Sinne der aristotelischen Ethik eine zu erlernende Tugend wäre. Hier ist die Frage nach dem, woran der Mensch sein »Herz«227 hängt, im Spiel. Auf dieser existentiellen Ebene, die tiefer liegt als einzelne Affekte oder affektive Handlungen, ist die Unhintergehbarkeit des Selbst in besonderer Weise deutlich. In Bezug darauf aber benennt Luther präzise den Unterschied zwischen dem selbstbezüglichen affectus carnis und dem auf Gott vertrauenden affectus fidei. Dieser kategoriale Unterschied wird unten noch freiheitstheoretisch bedacht.228 Für den Moment ist festzuhalten: Das unhintergehbare Selbst hat sowohl affektive als auch intellegible Elemente und es besitzt eine dynamische Struktur der Bewegung sowie der Vermittlung von Innen und Außen. Dieses Selbst ist anhand der Affekte so zu beschreiben, dass sich im Affekt bereits das je aktuelle Personsein eines Menschen artikuliert. Es ist zwar richtig, dass die hier verhandelten Interpreten diese Form der Abhängigkeit nicht in einen Widerspruch zur Möglichkeit der Selbstbestimmung setzen, deren Kompatibilität darf aber nicht so gedeutet werden, dass die Bestimmtheit die jeweils gegebene Voraussetzung oder Disposition ist, auf der dann die Selbstbestimmung aufbaut. Dies würde eine künstliche Trennung innerhalb des Subjekts zwischen Bestimmtheit und Bestimmung oder aber eine transzendentalistische Abwertung der Affektivität bedeuten, die dann nur noch als immer mitlaufende und in Anspruch genommene Vorraussetzung von Freiheit, nicht mehr aber als deren materiales Implikat zu denken wäre. Demgegenüber steht die Identifikation des personalen Vollzuges, insbesondere von Glauben und Unglauben, mit dem Affekt für dessen Einheit. Dieser Vollzug als solcher ist unhintergehbar. Insofern ist das Urteil Karl-Heinz zur Mühlens über die augustinische Tradition der Affekttheorie auch für Luther gültig: »Hier ist der Affekt mit dem

226 Siehe Dsa 288,6-290,28. 227 Luther, GK, Auslegung zum ersten Gebot, BSLK 560,14. 228 Vgl. Zur Mühlen, Art. Affekt II, 608 f.

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Willen selbst (voluntas) identisch oder bezeichnet dessen aktuales Wollen und Gestimmtsein.«229 Die Verbindung zur aktuellen Debatte lässt sich bereits leicht ziehen. Ausgehend von den neurobiologischen Überlegungen war ja ein zentrales Argument gegen die Freiheit des Menschen in der Bestimmung des Menschen durch seine Emotionen im Gegenüber zur rationalen, geistigen Selbststeuerung identifiziert worden. Auch die Annahme unwiderstehlicher Prägungen, die sich im emotionalen Erfahrungsgedächtnis manifestieren, lässt sich hier nennen. Es zeigt sich demnach, dass die von Hirnforschern und Psychologen vorgebrachten Argumente in ihrer Struktur nicht neu sind. Dennoch ist in theologischer Perspektive die Logik tendenziell eine andere, gehen Luther und die ihn interpretierenden Ausleger nicht von einer cartesianischen Systematik aus, in deren Gefolge die leibliche Abhängigkeit als Fremdsteuerung und somit als Unfreiheit angesehen werden kann. Wird hier in theologischem Sinn von Unfreiheit (»servum arbitrium«) gesprochen, so nicht deshalb, weil der Mensch fremdgesteuert ist, sondern weil sein Selbst ihm selbst unhintergehbar ist. Es wird darauf insistiert, dass der Mensch in seinem Zentrum affektiv strukturiert ist. Das Selbst des Menschen wird nicht als res cogitans, sondern als leibliches Selbst verstanden.230 Andererseits ist die skizzierte Struktur der neueren Lutherauslegungen tendenziell durchaus gefährdet, einer cartesianischen Logik anheim zufallen; denn in den angeführten Interpretationen wird nicht nur die (in ihrer Bedeutung zurückgenommene) Unfreiheit mit der Affektivität verbunden, sondern darin auch eine Form von Selbstpräsenz bzw. Innerlichkeit vorausgesetzt, die Vermittlung, Distanz oder Differenz gerade auszuschließen scheint. Wenn auch ursprünglich anders verstanden, so erinnert eine solche Beschreibung des Selbst (gerade unter dem Stichwort »Gewissheit«231) durchaus an die ihrer selbst sich vergewissernde res cogitans. Die Bedeutung des unhintergehbaren,

229 Zur Mühlen, Art. Affekt II, 599. Vgl. auch a. a. o., 607, explizit zu Luther: »Intellekt und Affekt sind nicht in sich ruhende Seelenteile, sondern Funktionen aktualer, direkter Erkenntnis, in der der Mensch sich Gott zu- oder von Gott abwendet. Dies intellektiv-affektive Erkennen korrespondiert einem Erkanntwerden durch Gott, indem Gott die Erkenntnis durch den Glauben erleuchtet und den Affekt durch die mit dem Glauben gleichzeitige Liebe zu sich wendet.« 230 Dies betonen etwa Beiner, Intentionalität, 85, sowie Herms, Mensch, 392. 231 Am pointiertesten bei Herms, Mensch.

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leiblich-affektiv zu denkenden Selbst muss daher in seiner freiheitstheoretischen Bedeutung noch präziser beschrieben werden.

2.5 Die Beteiligung des Menschen 2.5.1 Personale Beteiligung Es wurde schon deutlich, dass der Mensch trotz der Tatsache, dass Luther ihm ein »liberum arbitrium« abspricht, im Heilsgeschehen, erst recht aber in seinen lebensweltlichen Bezügen nicht unbeteiligt ist. Auch wenn Luther dem Menschen eine starke Form der Willensfreiheit nicht attestiert, so wurde doch erkennbar, dass er stets als Wollender im Blick ist: »Wir müssen dabei sein.«232 Bislang wurde abgegrenzt, welche Fähigkeiten und Möglichkeiten dem Menschen nicht zukommen. Es geht nun darum, wie das aktive menschliche Wollen in den verschiedenen Relationen nach Luther zu bewerten ist. Luther geht es in soteriologischer Perspektive um den Menschen als Person, »[d]enn Gott hat, wie man sagt, den Himmel nicht für Gänse geschaffen«.233 Diesen Aspekt betont etwa auch die Konkordienformel im Rahmen der späteren Lehrstreitigkeiten, wenn sie deutlich macht, dass »kein Stein oder Block, sondern allein der Mensch«234 zur Erlösung geschaffen sei. Luther drückt diese personale Beteiligung mit der griffigen Formulierung der »aptitud[o] passiv[a]« (passive Geeignetheit)235 aus. Passiv ist der Mensch, weil er seinen Willen nicht eigenständig, will sagen noch einmal willentlich bestimmen kann. Geeignet ist er wiederum, weil er nicht wie eine Marionette von Gott bewegt wird, sondern in dem von Gott bestimmten Heilsgeschehen seinen ihm eigenen Willen vollzieht. Insofern sind die Metaphern, die Luther an einigen Stellen verwendet, der Mensch sei ein Werkzeug – eine »Säge oder Axt«236 – nicht unbedingt treffend, denn das Moment des eigenen, personalen Wollens geht hier gerade verloren. Die Intention ist aber an der zitierten Stelle auch nicht, diesen Aspekt zu eliminieren, sondern

232 233 234 235 236

Iwand, Grundlegende Bedeutung, 29. Dsa, 292. SD II, 20, 14 f (BSLK 880). Dsa, 292. Dsa, 438.

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die Übereinstimmung der Richtung des Werkzeugs mit dem Willen des Handwerkers herauszustreichen.237 An einigen Stellen spezifiziert Luther die Art und Weise der Beteiligung des Menschen. Es zeigte sich ja bereits in der Skizzierung der Unfreiheit des Menschen, dass diese im Personzentrum lokalisiert ist. Es ist daher deutlich, dass auch die Befreiung und Erneuerung des Menschen nicht an diesem Willenszentrum vorbei gehen kann, wenn der Mensch als »renovata creatura per fidem«238 gelten können soll. Eine kleine Präposition macht deutlich, wie Luther das Verhältnis von Gottes Handeln und menschlichem Beteiligtsein beschreibt. Denn er spricht von Gott als demjenigen, der »uns ohne uns erschafft und erhält, aber nicht in uns wirkt ohne uns, die er uns dazu geschaffen und errettet hat, dass er in uns wirke und wir mit ihm zusammenwirken.«239 Gottes Wirken ist also so zu verstehen, dass es im Menschen, nämlich in seinem innersten Zentrum ansetzt. Es bleibt ihm gerade nicht äußerlich. In dieser Perspektive also sind menschliches Wollen und göttliches Wirken keine Konkurrenz zueinander, sie greifen ineinander; Gott wirkt im menschlichen Wollen und Handeln.240 So gesehen kann Luthers Position als theologischer Kompatibilismus verstanden werden. Eine genaue Verhältnisbestimmung im Sinne der differenzierten philosophischen Kategorien ist damit aber noch nicht erreicht;241 die systematische Diskussion erfolgt daher später noch. Inkompatibel allerdings ist die Annahme des allmächtigen Wirkens Gottes mit einem liberum arbitrium. Dagegen anzukämpfen, ist Luthers Hauptmotiv in der Schrift gegen Erasmus.

237 Vgl. Joest, Ontologie, 315 f. 238 Dsa, 620 (»durch den Glauben erneuerte Kreatur«). 239 Dsa, 572 (»nos sine nobis creantis et conservantis, sed non operatur in nobis, sine nobis, ut quos ad hoc creavit et servavit, ut in nobis operaretur, et nos ei operaremur, […]«). 240 Reinhold Bernhardt, Handeln Gottes, 72 und passim und Wilfried Joest, Ontologie, 318, sprechen daher präzise von einem »Inwirken« Gottes am Menschen. Dieser Ausdruck erfasst den Sachverhalt besser als der Terminus der Kooperation, der die Assoziation zweier unabhängig voneinander existierender Handlungssubjekte wecken könnte. 241 Vgl. zu möglichen Typen der Verhältnisbestimmung insgesamt Bernhardt, Handeln Gottes (zusammengefasst 440-442); die Notwendigkeit einer differenzierten Zuordnung ist gegen eine Reihe von neueren Auslegungen zu De servo arbitrio zu betonen, die in der Ungezwungenheit sogleich einen ausreichenden Freiheitsbegriff erblicken (z.B. Slenczka, Nemo virtutibus; Hermanni, Gott Freiheit Determinismus).

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2.5.2 Verantwortung für die Sünde Relativ deutlich zu charakterisieren ist also die Position Luthers, wenn es um die Beteiligung des Menschen im Heilsgeschehen geht. Hier zeigt sich die radikale Passivität und zugleich die Willentlichkeit des Menschen. Schwieriger zu erörtern ist die Frage, inwiefern der Mensch an und in der Sünde aktiv und verantwortlich ist. Dass er auch hier ein wollendes und strebendes Wesen ist, kann schlechterdings nicht bestritten werden. »Denn auch Satan und der gottlose Mensch sind nicht nichts, Natur oder Wille sind ihnen nicht abzusprechen, wenn sie auch eine verderbte und abgewandte Natur haben.«242 Die Passivität des Menschen ist nun allerdings an dieser Stelle nicht derart radikal wie im Heilsgeschehen zu denken, da sonst im Gegenüber Gott als Schöpfer der Sünde gelten müsste. Dies ist theologisch – nicht nur für Luther – undenkbar.243 Es kommt gerade hier – und das gibt dem Aspekt für unser Thema eine besondere Bedeutung – der Mensch als verantwortliches Wesen in den Blick. Luther löst das Problem, zwischen der weiterhin anzunehmenden tätigen göttlichen Allmacht und der Verantwortung des Menschen zu vermitteln, folgendermaßen: »Da ja doch Gott alles in allem bewegt und wirkt, bewegt und wirkt er auch notwendigerweise im Satan und im Gottlosen. Er wirkt aber in ihnen so, wie sie sind und wie er sie vorfindet [invenit]. Das heißt: Weil jene ab-

242 Dsa, 462 (»Neque enim Satan et impius homo nihil est, aut nullam naturam aut voluntatem habent, licet corruptam et aversam naturam habeant«). 243 Das muss betont werden gegen die allzu plumpe Interpretation von Melanie Beiner (dies., Intentionalität, 131 ff), die im Bestreben, die von Luther zweifelsohne hoch gehaltene Allmacht Gottes hervorzuheben, zu stark übertriebenen Aussagen kommt, wie etwa, »daß nur der Wille Gottes selbst als Ursache für die Existenz des Bösen infrage kommt« (a. a. o., 135) oder die an die flacianische Häresie grenzende Feststellung, »daß der Mensch aufgrund seiner geschöpflichen [!] Verfassung nicht in der Lage ist, seine Sündhaftigkeit zu erkennen« (a. a. o., 149; Formatierung B. B. ). Vgl. demgegenüber etwa CA XIX, De causa peccati, (BSLK 75,1-11): »Von Ursach der Sunde wird bei uns gelehret, daß, wiewohl Gott der Allmächtig die ganze Natur geschaffen hat und erhält, so wirket doch der verkehrte Will die Sunde in allen Bösen und Verachtern Gottes, wie dann des Teufels Will ist und aller Gottlosen, welcher alsobald, so Gott die Hand abgetan, sich von Gott zum argen gewandt hat, wie Christus spricht Joh. 8.: ‘Der Teufel redet Lügen aus seinem Eigen.’« Vgl. auch die deutliche Abgrenzung der Konkordienformel gegen jede Identifizierung der Sündhaftigkeit des Menschen mit dessen Substanz, damit aber mit dem wesentlichen Kern des Geschöpfseins (Ep. I,1-10, BSLK 770-772).

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gewandt sind und böse und fortgerissen werden von jener Wirksamkeit der göttlichen Allmacht, tun sie nichts als Abgewandtes und Böses.«244

Die Tatsache also, dass der Sünder fortgehend sündigt, ist zum Einen der tätigen Allmacht Gottes zuzuschreiben, die ihn dazu antreibt, sein sündhaftes Wesen beständig in Taten zu aktuieren. Die Qualität aber der Taten, die aus dem Wesen des Sünders fließen, ist diesem allein zuzuschreiben. Gott findet den Sünder in dieser Hinsicht (und damit in nicht wortwörtlich, sondern metaphorisch zu verstehender Weise) vor, wie er ist. Die Abwendung des Sünders von Gott ist nicht Gottes ursprüngliche, eigene Tat, sondern dem Sünder selbst als dessen ureigene, und daher ihm selbst zuzuschreibende Verkehrung anzulasten. Der Mensch vor Gott ist willentlich der Sünde zugewandt; die Gottebenbildlichkeit ist ihm – ohne dass die Möglichkeit einer Differenzierung nach similitudo oder imago im Blick wäre – abhanden gekommen. Dies ist Luthers Ausgangsposition der Argumentation. Damit ist ein in gewisser Weise unbefriedigender, aber theologisch notwendiger Abbruch der Erklärung gegeben. Auf die Frage, warum der Sünder sündigt, kann keine andere Antwort gegeben werden, als die, dass die Sünde aus dem sündhaften, verdorbenen Wesen des Menschen kommt. Wir wissen gewissermaßen, dass hier ein Paradies verloren wurde, können aber logisch stringent nicht erklären, warum es ursprünglich dazu kam.245 Der Mensch muss bei seiner gegenwärtigen Verfassung behaftet, und gerade auch die Verkehrung des Willenszentrums seiner Verantwortung unterstellt werden. Die derart beschriebene, in ihrer Faktizität unhintergehbare Sündhaftigkeit des Menschen lässt sich demnach nur als Totalbestimmung artikulieren. Dennoch ist mit dieser Totalität gerade nicht die Aufhebung der Geschöpflichkeit, also auch der geschöpflichen Güte des Menschen, ausgesagt. Gerade die Sündhaftigkeit des Menschen lässt sich nur aus der Perspektive des Rechtfertigungsglaubens, und damit auch des Glaubens an den Schöpfer, der dem Geschöpf das Sein un-

244 Dsa, 464 (»Quando ergo Deus omnia in omnibus movet et agit, necessario movet etiam et agit in Satana et impio, Agit autem in illis taliter, quales illi sunt et quales invenit, hoc est, cum illi sint aversi et mali, et rapiantur motu illo divinae omnipotentiae, non nisi aversa et mala faciunt [...]«). 245 Auch die biblische Erzählung vom Sündenfall erklärt dies nicht. Der Übergang vom Paradies zum Abfall bleibt letztlich dem Willen Adams und Evas geschuldet, und kann nicht auf die Schlange abgewälzt werden. Warum diese aber willentlich sündigten, und nicht im Paradies blieben, erklärt die Erzählung nicht.

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verdient gewährt,246 identifizieren. Die hamartiologische Beschreibung des Menschen impliziert also – gerade auch freiheitstheoretisch – die Aufgabe zu präziser Unterscheidung und Zuordnung von Sündhaftigkeit und Geschöpflichkeit. Dabei ergibt sich ein merkwürdiger Widerspruch: Einerseits ist der Mensch als radikal unfrei, weil geknechtet unter der Sünde, zu bezeichnen, andererseits muss ihm gerade für diese Situation die Verantwortung zugeschrieben werden; er ist wie er ist, weil er es so will. Es zeigt sich demnach eine signifikante Asymmetrie in der Beurteilung des Menschen. Für den Zustand der Sünde, den der Mensch von sich aus nicht ändern kann, trägt er Verantwortung. In Bezug auf die Erneuerung im Glauben, innerhalb dessen er ebenfalls als personales und wollendes Wesen integriert ist, kann ihm allerdings kein Verdienst zugeschrieben werden. Die erstgenannte Verantwortung ist besonders deshalb als interessant einzustufen, weil es hier ja um den Personkern des Menschen geht: Kann man tatsächlich Verantwortung dafür übernehmen, wie man ist, sogar im Gegenüber zu Gott? Vertritt hier auch Luther eine Form der Letztverantwortung (ultimate responsibility)? Diese Vermutung ist jedenfalls in der Hinsicht durchaus zu bestätigen, dass keine andere Instanz als der Mensch selbst ins Spiel gebracht werden kann, der für den konkreten Vollzug des sündigen Daseins verantwortlich gemacht werden könnte. Eine Entschuldigung, die den Menschen von seiner Verantwortung befreien würde, ist hier nicht in Sicht. Damit aber mutet uns Luther zu, Unfreiheit verstanden im Sinne das servum arbitrium und Verantwortung zusammenzudenken. Dennoch ist auch in Luthers Denken der Mensch nicht »der Böse« schlechthin, und der Mensch damit auch nicht für das Faktum des Bösen und der Sünde insgesamt verantwortlich. Die hier zu diskutierende Form von Verantwortung kann also keine absolute sein. Luther unterscheidet zwischen dem Menschen und Satan, der als versklavende Macht erfahren wird und trägt damit der Tatsache Rechnung, dass sich Menschsein nie in der scharfen Trennung, sondern nur in der zuweilen paradoxalen Zuordnung von Täter- und Opferaspekt beschreiben lässt. Damit aber ergibt sich die Aufgabe, (relative) Verantwortung und Unfreiheit in Verbindung zu bringen.

246 Vgl. Bayer, Schöpfung als Anrede, 94 ff.

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2.5.3 Inferiora und superiora Ein Hinweis bezüglich der Zuordnung von Freiheit und Unfreiheit ergibt sich, wenn man bedenkt, dass Luther im Gegensatz zur Unfreiheit Gott gegenüber, die durch die Herrschaft der Sünde herbeigeführt wird, eine gewisse, begrenzte Freiheit in welthaften Beziehungen des Menschen kennt: »Wir wissen, dass der Mensch als Herr über das unter ihm Liegende gesetzt ist; Demgegenüber hat er ein Recht und freies Willensvermögen [liberum arbitrium], und es gehorcht folglich und tut, was er will und sich vorstellt.«247 Luther trifft hier nun eine zentrale Unterscheidung, die für die Einordnung der theologischen Anthropologie insgesamt von Bedeutung ist. Er differenziert zwischen verschiedenen Relaten, zu denen der Mensch in Beziehung steht: die superiora, also das, was (metaphorisch gesprochen) über ihm liegt, nämlich Gott (bzw. als Alternative muss wohl ergänzt werden: der Satan) und die inferiora, also die (ebenfalls in metaphorischer Perspektive) unter ihm und infolgedessen in seiner Macht liegenden Dinge. Es gehört sicherlich zu den zentralen theologischen Leistungen Luthers in »De servo arbitrio«, diese Grenze deutlich markiert und die spezifischen Asymmetrien hervorgehoben zu haben, die in den jeweiligen Beziehungen herrschen.248 Dabei war deutlich geworden, dass der Mensch nicht derart in der Mitte zwischen Oben und Unten steht, dass ihm – wie in Piccos Rede De dignitate hominis – alles offen stünde.249 Vielmehr ist von Anfang an offensichtlich, dass sich die menschliche Entscheidungsmacht nur auf bestimmte Relate beziehen kann.

247 Dsa, 644 (»Scimus, quod homo dominus est inferioribus se constitutus, in quae habet ius et liberum arbitrium, ut illa obediant et faciant quae ipse vult et cogitat«). 248 Die Kritik von Beiner, die Unterscheidung beziehe sich nicht auf die Freiheit, sondern nur auf die »Handlungsmacht« (dies., Intentionalität, 118) unterstellt einen sehr einseitigen Freiheitsbegriff, denn Handlungsmacht sollte doch wohl eine Form von Freiheit darstellen. Freilich ist richtig gesehen, dass auch diese Freiheit keine absolute Freiheit sein kann, da sie an die Gottesbeziehung rückgebunden bleibt. 249 Picco zufolge spricht Gott zum Menschen: »Ich habe dich in die Mitte der Welt gestellt, damit du dich von dort aus bequemer umsehen kannst, was es auf der Welt gibt. Weder haben wir dich himmlisch noch irdisch, weder sterblich noch unsterblich geschaffen, damit du wie dein eigener, in Ehre frei entscheidender, schöpferischer Bildhauer dich selbst zu der Gestalt ausformst, die du bevorzugst. Du kannst zum Niedrigeren, zum Tierischen entarten; du kannst aber auch zum Höheren, zum Göttlichen wiedergeboren werden, wenn deine Seele es beschließt.« (ders.,De hominis dignitate, 7).

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Hierbei ist nun erstaunlich, dass Luther dem Menschen durchaus ein liberum arbitrium zugesteht, obwohl er konstatiert, dass es »am sichersten und frömmsten wäre, dieses Wort ganz aufzugeben.«250 Die Annahme eines liberum arbitrium den inferiora gegenüber gilt allerdings auch nur unter der Beschränkung der weiterhin tätigen und leitenden Allmacht Gottes. Worin besteht dieses freie Wahlvermögen? Es bezieht sich auf Vermögen oder Besitz, bezüglich derer der Mensch das »Recht [habe, es] nach seinem freien Willensvermögen zu gebrauchen, zu tun, zu lassen.«251 Luther führt nun allerdings nicht weiter aus, was unter dem liberum arbitrium in dieser Hinsicht genauer zu verstehen ist. Es ist einstweilen nur festzuhalten, dass es ihm hier um ein Wahl- und Handhabungsvermögen gegenüber den dem Menschen zum Gebrauch anvertrauten Gütern geht. Diese Wahl ist in relativem Sinne als frei zu verstehen, weil sie stets die Wahl unter Alternativen ist. Damit aber ist die Aufgabe, die von Luther relativ schlicht, metaphorisch akzentuiert eingeführte Unterscheidung von oben und unten in Bezug auf deren freiheitstheoretisches Potential systematisch zu reflektieren, noch nicht erledigt. Dass die Metaphorik – wie gegenwärtige Ausleger betonen252 – nicht wörtlich im Sinne einer Trennung unterschiedlicher Seinsbereiche verstanden werden kann, ist sicherlich zutreffend. Dies würde dem Gottesglauben grundlegend widersprechen, könnte Gott dann ja gerade nicht mehr als allmächtiger Schöpfer und Erhalter der Welt und meiner selbst angenommen werden, wäre er von den menschlichen Umweltrelationen abgeschnitten. Die angesprochenen Differenzen belegen bereits, dass eine hinreichende theologische Freiheitstheorie sich nicht in der Konstatierung der Ungezwungenheit des Willensvollzuges erschöpfen kann. Die Zuschreibung von Freiheit und Verantwortung erfolgt je nach gerade in den Blick genommener Relation des Menschen. Damit zusammen hängt das Verständnis des menschlichen Selbst, das ja in Luthers Gedankengang relational strukturiert ist und somit in unterschiedlichen Verhältnissen zu differenzierende Bedeutungen erhält. Je nach Konstellation ist damit auch die Struktur dieses Selbst anders zu beschreiben und dementsprechend auch freiheitstheoretisch zu interpretieren.

250 Dsa, 296. 251 Dsa, 296 (»ius utendi, faciendi, omittendi pro libero arbitrio«). 252 Ebeling, Luther, 250 f; Beiner, Intentionalität, 117.

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3. Die Freiheit eines Christenmenschen 3.1 Die Konstitution der christlichen Freiheit im Inneren Menschen An der zuletzt skizzierten Form von Freiheit scheint Luther kein großes Interesse zu besitzen, wird doch von Luther im Rahmen von »De servo arbitrio« nichts Weiteres positiv ausgeführt über die Freiheit bezüglich der inferiora. Es scheint fast selbstverständlich, dass das Wahlvermögen des Menschen hier seine ihm gegebenen, mit Vernunft auszufüllenden Möglichkeiten nutzen kann. Vielmehr ist Luther, in Korrelation, wenngleich nicht in symmetrischer Beziehung zur Unfreiheit des Sünders, an der »Freiheit des Christenmenschen« interessiert. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, eine zweite, für diesen Zusammenhang zentrale Quelle zu interpretieren, Luthers »Tractatus de libertate christiana«253. Es sind also diejenigen Schriften in den Blick genommen, die nach dem Urteil Otto-Hermann Peschs als »Grundriß einer ‘Systematischen Theologie’«254 im Denken Luthers gelten könnten. Die von Luther ins Visier genommene Freiheit, der zufolge ein Christenmensch »ein ganz und gar freier Herr über alles und keinem untertan«255 ist, wird nun zunächst von einer Freiheit abgegrenzt, die sich auf den Äußeren Menschen beziehen würde, worunter Luther den leiblich-sozialen Aspekt des Menschseins versteht. Sie wird stattdessen als ein Attribut des Inneren Menschen, oder – wie Luther synonym sagen kann – der Seele verstanden256. Damit ist nun keineswegs ein 253 Hier zitiert nach LDStA, Band 2, 120-185. 254 Pesch, Hinführung zu Luther, 177. 255 Tractatus, 120 (»Christianus homo, omnium dominus est liberrimus, nulli subiectus [...]«). 256 »Dabei steht fest, dass nichts von den äußeren Dingen, mit welchem Namen sie auch bezeichnet werden mögen, dafür entscheidend ist, ob man zur Gerechtigkeit und Freiheit, oder aber zum Verlust der Gerechtigkeit und zur Knechtschaft eines Christenmenschen gelangt. [...] Was nämlich könnte es der Seele [anima] nützen, wenn es dem Leib gut geht, wenn er, ungebunden und lebendig, isst trink und lebt, wie es ihm beliebt, da doch auch die unchristlichen Knechte aller Sünden sich ebendieser Dinge erfreuen? Und umgekehrt: Was wohl könnte schlechte Gesundheit, Gefangenschaft, Hunger, Durst oder sonst irgendein äußerliche Beeinträchtigung letztlich der Seele anhaben, da doch sogar die Frömmsten und die wegen ihres reinen Gewissens Freiesten von solchen Misshelligkeiten gequält werden?« (Tractatus, 122); Vgl. Rieger, Von der Freiheit, 86-90; pointiert wird zusammengefasst: »Der […] Abschnitt zeigt, daß der im theologischen Sinn verstandene Innere Mensch, der geistlich frei oder unfrei sein kann, der gerecht oder Sünder sein kann, unabhängig ist vom Äußeren Menschen im weltlichen Sinn, […]« (a. a. o., 90).

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platonisches Modell etabliert; Luther will den »genuin theologischen Sinn«257 der Unterscheidung freilegen, und damit zeigen, dass, wie die Unfreiheit, auch die Freiheit des Christenmenschen der Gottesbeziehung des Menschen entspringt; der Ort dieser Gottesbeziehung wird von Luther eben als homo interior bzw. anima258 bezeichnet. Damit aber wird paradoxerweise ihr Ursprung zunächst als außerhalb der Person liegend beschrieben. Denn der Kern der inneren Freiheit kann zwar explizit nicht von äußeren Umständen berührt werden, besitzt aber sein unhintergehbares Fundament im »Evangelium Christi«259. Dieses äußere Wort260 Gottes wirkt, wo es gehört und ihm im Innersten des Menschen Glauben geschenkt wird »Gerechtigkeit und Freiheit«261. Diese Doppelung, die an vielen Stellen des Freiheitstraktats begegnet (im deutschen Text interessanterweise meist in der Zuordnung »Frommsein und Freiheit«262), besagt Zentrales über Luthers Verständnis von der Freiheit des Christenmenschen. Denn im Zuspruch der Gerechtigkeit ereignet sich elementar die christliche Freiheit als Freiheit von Sünde und Gesetz. »Und das ist die christliche Freiheit, unser Glaube, der bewirkt, dass wir nicht etwa müßig sind oder sündig leben, sondern dass keiner das Gesetz oder die Werke zur Gerechtigkeit und zum Heil braucht.«263 »So wird die Seele gläubig durch das Unterpfand ihres Glaubens an Christus, ihren Bräutigam, sie wird frei von allen Sünden, bleibt verschont vom Tod und

257 Jüngel, Zur Freiheit, 58; Jüngel betont insgesamt beständig, dass die Unterscheidung von außen und innen im Sprachgebrauch Luthers deutlich von demjenigen in platonisch-augustinischer Tradition zu unterscheiden sei; ähnlich auch Rieger, Von der Freiheit, 80; sowie Dahling-Sander, Zur Freiheit, 40. 258 Tractatus, 122, 7.11. Damit greift Luther biblischen, insbesondere paulinischen Sprachgebrauch auf; vgl. etwa 2Kor 4,16; Gal 5,17, die beide von Luther zitiert werden (a. a. o., 122). 259 Tractatus, 122. 260 Dass es sich bei diesem Wort um ein explizit von außen kommendes handelt, hat Eberhard Jüngel in seiner Analyse des Freiheitstraktats betont (ders., Zur Freiheit, 76). Der Mensch kann es sich – und nur darum ist es in der Lage, Gewissheit zu bewirken – nicht selbst sagen. Reinhold Rieger bezeichnet diesen Sachverhalt m.E. zutreffend als die »absolute externe Begründung des Inneren« (Rieger, Von der Freiheit, 96); das Wort Gottes darf in diesem Zusammenhang nicht als das »eigene Äußere« (a. a. o., 102), sondern kann nur als das »fremde Äußere« (ebda) verstanden werden. 261 Tractatus, 122 (»iustitiam aut libertatem«). 262 Vgl. etwa Von der Freiheit, 126 (Reclam-Ausgabe). 263 Tractatus, 130.

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sicher vor der Hölle, beschenkt mit der ewigen Gerechtigkeit, dem Leben und Heil ihres Bräutigams Christus.«264

Freiheit ist in diesem Sinn zunächst eine Freiheit von, also negativ bestimmt. Das wirksame Evangelium befreit den Menschen im »fröhliche[n] Wechsel und Streit«265 von den Verderbensmächten, die Luther auch als Verursacher des servum arbitrium benannt hatte: Gesetz, Sünde, Tod, Hölle (bzw. Teufel). Dieser Vorgang wird von Luther explizit als Befreiung gekennzeichnet. Vom Gesetz ist der Mensch befreit, weil er nicht mehr dem fordernden Anspruch unterliegt, der ihn in eine Leistungs- und Werkfrömmigkeit zwingt.266 Von der Sünde ist er damit befreit, weil ihm um Christi willen die Gerechtigkeit vor Gott zugesprochen wird.267 Beide Aspekte weisen somit einen relationalen Charakter auf, insofern sie unmittelbar die Beziehung zu Gott, damit aber auch die Beziehung zu sich selbst betreffen. Gesetz und Sünde stehen für verfehlte Formen der Gottesbeziehung, weil der Mensch hier auf seine eigenen Handlungen (Werke) bezogen ist268 und nicht, wie er es im Glauben tut, Gott durch sein Vertrauen die Ehre gibt.269 Die Freiheit von Gesetz und Sünde kann daher auch als eine Freiheit von den Werken270 interpretiert werden, insofern der Mensch davon befreit ist, überhaupt mit Werken Gott gerecht werden zu müssen, und dabei dennoch diesem Anspruch aufgrund der Verfangenheit in der Sünde nicht gerecht werden kann.271 Gute Werke, in der Absicht der Rechtfertigung getan, »entfalten sofort ihren Zwang [Notwendigkeit] und löschen die Freiheit zusammen mit dem Glauben aus.«272 264 Tractatus, 136. 265 Von der Freheit, 132. 266 Vgl. etwa Tractatus, 130: »Wenn er nun aber keine Werke braucht, so braucht er auch kein Gesetz; wenn er kein Gesetz braucht, ist er ja in jedem Fall frei vom Gesetz, [...]«; vgl. zur Bedeutung des Gesetzes Schwarz, Luthers Freiheitsbewusstsein, v. a. 43 ff. 267 Tractatus, 136: »Jetzt nämlich ist es unmöglich, dass ihre [d. h. der Seele, B. B. ] Sünden sie verderben, da sie auf Christus eingetragen und in ihm getilgt sind und da sie selbst nun in Christus, ihrem Bräutigam, jene Gerechtigkeit hat, die sie als ihre eigene beanspruchen darf und die sie gegen all ihre Sünden, gegen Tod und Hölle voller Vertrauen ins Feld führen kann [...]«. 268 Sehr klar hat Dietrich Korsch diesen Zusammenhang beschrieben (ders., Freiheit im Widerstreit, 152). 269 Vgl. Tractatus, 132,1 – 134,13. 270 So auch Sauter, Wahrnehmung des Menschen, 501. 271 Vgl. Tractatus 128, insbesondere die Charakterisierung der Gebote: »Sie alle sind für uns unerfüllbar.« 272 Tractatus, 156 (»iam necessitatem imponunt et libertatem cum fide extinguntur«).

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Wichtig ist, dass hier nicht Werke als solche von Luther kritisiert werden, sondern die Tatsache, dass sie, in die Konstitution des Gottesverhältnisses eingebracht, immer schon den Indikator der Sünde tragen, da sie für fehlendes Vertrauen Gott gegenüber, und daher primäre Bezogenheit auf sich selbst stehen.273 Luther stellt die Existenzweise des Glaubens, die für die christliche Freiheit steht, explizit einer Existenzweise der Werke gegenüber: »Doch dieser Glaube kann keineswegs in der Gemeinschaft mit Werken bestehen [...]«274. Die Beziehung zu Gott kann entweder auf die eigenen Werke, oder aber auf den Glauben, was bedeutet, auf die Verheißungen Christi – das Evangelium – gegründet sein. Dies gilt, weil Werke dem Menschen Luther zufolge äußerlich bleiben müssen, also nicht an das Zentrum menschlicher Existenz reichen bzw. seine Identität275 sicher stellen können, und somit auch nicht über Freiheit und Unfreiheit276 entscheiden. Nun herrscht zwar auch die Sünde, insbesondere der Unglaube, im Innersten des Menschen. Diese aber verschafft den Werken einen scheinbaren Stellenwert, der ihnen eigentlich nicht zukommen kann. Der Glaube nun verbindet den Menschen nicht mit sich selbst oder seinen Werken, sondern mit Christus. Insofern ist die Freiheit des Christen keine rein negativ zu bestimmende, sondern spezifisch in der Bindung an Christus konstituiert.277 Diese Bindung kommt zu Stande, weil es allein der Glaube ist, der den Verheißungen des Evangeliums278 vertrauen und damit Gott wahrhaft die Ehre geben kann.279 Die anschaulichste und anthropologisch interessanteste Auswirkung aber ist die Verbindung (unio) der glau-

273 Vgl. Schwarz, Luthers Freiheitsbewußtsein, 60. 274 Tractatus, 126. 275 Vgl. Rieger, Von der Freiheit, 80 f; pointiert kann formuliert werden: »Identität erreicht die interne Relation nur durch eine absolut externe Relation, nicht durch Wechselwirkung mit einer bloß relativ externen Relation.« (a. a. o., 80), sowie: »Erst das absolut fremdbegründete Innere ist wirklich Inneres, mit sich selbst identisch und frei.« (a. a. o., 81). 276 Es ist »offenkundig, dass der Innere Mensch keineswegs durch ein äußeres Werk oder eine äußere Tätigkeit befreit und gerettet werden kann und dass Werke welcher Art auch immer ihn nicht betreffen [...]« (Tractatus, 127). 277 Siehe Ebeling, Frei aus Glauben, 319. 278 Reinhard Schwarz hat den angesprochenen Gegensatz schön auf den Punkt gebracht: »In den Begriffspaaren von Gerechtigkeit und Freiheit einerseits und Ungerechtigkeit und Knechtschaft andererseits verbirgt sich die Differenz von Evangelium und Gesetz« (ders., Luthers Freiheitsbewußtsein, 50). 279 Vgl. Tractatus, 130,22 – 134,13.

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benden Seele mit Christus. Hier zeigt sich, dass Freiheit nicht im statischen Sinn als eine Eigenschaft des Menschen beschrieben werden kann, sondern einen dynamischen Vollzug darstellt. Dieser Vollzug wird von Luther in der deutschen Fassung des Freiheitstraktats – wie oben zitiert – als »fröhlicher Wechsel« gekennzeichnet. Innerhalb dieses Wechsels »wird es geschehen, dass die Sünden, der Tod und die Hölle Christus gehören, der Seele aber die Gnade, das Leben und das Heil«280. Hier findet der befreiende Austausch statt, innerhalb dessen Christus die Verderbensmächte auf sich nimmt, und den Menschen mit Gerechtigkeit und Freiheit beschenkt. Dieser Wechsel stellt eine heilsame Distanzierung von den im Zentrum der eigenen Existenz angesiedelten Verderbensmächten dar, vor allem von den eigenen Begierden als zentralem Index der Sünde; zugleich vollzieht sich eine Identifikation mit den Heilsgaben Christi. Somit ist hier in pointierter Weise auf den Punkt gebracht, dass und wie Freiheit zugleich mit dem Zentrum menschlicher Existenz bzw. dem Gottes- bzw. Christusverhältnis zu tun hat. Im fröhlichen Wechsel wird der Mensch zugleich von sich selbst befreit zur Gemeinschaft mit und in Christus, und damit auch – wie sich noch zeigen wird – zu einem exzentrisch281 fundierten Selbstverhältnis zu und mit sich selbst. Es vollzieht sich ein »Identitätsgewinn«282. Diese Freiheit kann der Mensch sich nicht selbst erarbeiten; sie wird ihm geschenkt. Hier sind wir nun an einem auch für die neuere Debatte neuralgischen Punkt angelangt. Neurobiologisch und philosophisch war Freiheit stets als eine Qualität des handelnden Menschen bzw. unmittelbar von Handlungen bestimmt worden. Bereits in der Untersuchung von »De servo arbitrio« war nun deutlich geworden, dass Freiheit oder Unfreiheit in christlicher Perspektive nicht, jedenfalls nicht primär, in den Kontext von Handlungen bzw. in die Perspektive der Ethik eingeordnet werden dürfen. Hier nun zeigt sich sachlich präzise, warum das Thema der Werke von der Konstitution der christlichen Freiheit abgegrenzt werden muss. Denn nur der Glaube ist Luther zufolge die rechte Form der Gottesbeziehung, in der Freiheit und Gerechtigkeit geschenkt werden. Diese Freiheit ist nun explizit eine Freiheit von Werken, was nicht bedeutet, dass der Christ nicht mehr zu handeln hätte und – in den Worten Luthers – »müßig« werden könnte. Die Annahme dieser 280 Tractatus, 134. 281 Vgl. Joest, Ontologie der Person, 233-274. 282 Korsch, Freiheit im Wiederstreit, 153.

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Freiheit setzt sich aber von der spezifischen Interpretation der Werke als notwendiger Bedingung der Rechtfertigung des Menschen ab,283 und verweist auf einen Ort der Freiheit, der jenseits der Handlungsebene des Menschen liegt. Diesen Ort, den wir mit den Begriffen Person, Zentrum, Herz, Seele bislang zumeist nur angedeutet haben, näher zu bestimmen, ist eine der zentralen Aufgaben im weiteren Verlauf der Arbeit.

3.2 Vollzüge christlicher Freiheit Ausgehend von den bislang negativ angezeigten Abgrenzungen formuliert Luther auch positive Aspekte der christlichen Freiheit, der zufolge der Christenmensch ein Herr aller Dinge sein soll. Denn die im Glauben geschenkte Freiheit ist zwar eine, die aus Sicht des Menschen passiv konstituiert ist, die aber nicht passiv bleibt, da sie den Menschen – wie Luther metaphorisch ausführt – in den Stand des Königtums bzw. Priestertums stellt.284 Freiheit wäre keine Freiheit, würde sie nicht zur Tat drängen; der Glaube ist immer auch »Lebensführung«285. Der neue Stand des Christen bedeutet nach Luther eine »geistliche Macht«286 (potestas spiritualis) der zufolge er »der Herr über alles ist, so dass ihm überhaupt nichts irgendeinen Schaden zufügen kann, [...]«287. Damit ist also keine Herrschaft im äußerlichen, weltlichen Sinne etabliert, sondern eine Stellung, innerhalb derer »keine Sache so gut und keine Sache so schlecht sein kann, dass sie für mich nicht hilfreich zum Guten wirkt«288. Äußerlichkeiten können den Christenmenschen nicht in die Knechtschaft zwingen, können ihm aber auch keine Freiheit verschaf-

283 Vgl. Tractatus 176: »Denn wir sind durch den Glauben an Christus nicht freigestellt von Werken, sondern von der falschen Bewertung der Werke, das heißt von der törichten Anmaßung einer Rechtfertigung, die man durch die Werke erwirbt.« (»Non enim liberi sumus per fidem Christi ab operibus, sed ab opinionibus operum, idest a stulta praesumptione iustificationis per opera quaesitae«). 284 Vgl. Tractatus 138,16 – 144,2. 285 Korsch, Luther, 88. 286 Tractatus, 140,29. 287 Tractatus, 140. 288 Tractatus, 142.

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fen; vielmehr kann er aufgrund seiner inneren Distanz289 die Dinge frei gebrauchen. Dem korrespondiert die Stellung des Christen als Priester, aufgrund derer der Mensch fähig ist, »vor Gott zu erscheinen, für andere zu beten und einander gegenseitig das zu lehren, was Gottes ist.«290 Der Freiheit gegenüber der Welt entspricht auch in dieser Logik wiederum eine Form der Gottunmittelbarkeit, aus der die Freiheit gegenüber den äußeren Bezügen – wie gesehen – ursprünglich hervorgeht. Für das Freiheitsverständnis Luthers ist nun allerdings von spezifischer Bedeutung, dass der Mensch aus sich scheinbar widersprechenden Perspektiven betrachtet wird. Gilt nämlich für den inneren, den glaubenden Menschen die beschriebene Freiheit, so muss doch andererseits konstatiert werden: »Ein Christ ist ein ganz und gar dienender Knecht aller und allen untertan.«291 Man könnte die Doppelthese auf den ersten Blick als eine Art paradoxen Widerspruch lesen, wenn dem gleichen Subjekt einerseits Freiheit zu, andererseits deutlich abgesprochen wird. Die Assoziation wird von Luther bewusst provoziert und aufgenommen, um den Spannungsbogen über die Argumentation innerhalb der Schrift zu halten. Denn die von ihm apostrophierten Theoreme der Freiheit und Unfreiheit sind keineswegs als widersprüchlich anzusehen, vielmehr sind sie im Rahmen einer differenzierten anthropologischen Theorie einander zuzuordnen.292 Dabei ist zunächst deutlich, dass der Aspekt der Unfreiheit der Tatsache geschuldet ist, dass der Mensch nicht nur ein innerer Mensch ist, dass er nicht nur aus der Gott im Glauben anhängenden Seele besteht, sondern vielmehr auch eine leiblich-soziale, und damit endliche Existenz darstellt, was Luther mit dem Schlagwort »äußerer Mensch« bezeichnet.293 Dementsprechend kann aus der inneren Freiheit

289 Jüngel spricht davon, dass der Innere Mensch (im Gegensatz zum Äußeren), dazu in der Lage ist, »sich selbst zu verlassen.« (ders., Zur Freiheit, 80). Damit ist sehr präzise der hier angesprochene Sachverhalt in den Blick genommen. 290 Tractatus, 142. 291 Tratatus, 120 (»Christianus homo, omnium servus est officiosissimus omnibus subiectus«). 292 Vgl. Ebeling, Frei aus Glauben, 319. 293 Tractatus, 148: »Obwohl der Mensch [...] innerlich gemäß dem Geist durch den Glauben überreich genug gerechtfertigt wird, da er hat, was er haben muss, [...] so bleibt er doch in diesem sterblichen Leben auf der Erde, wo es nötig ist, dass er das Regiment über seinen Leib führt und mit Menschen zusammenlebt.« (»Quamquam homo […] intus secundum spiritum per fidem abunde satis iustificetur, habens

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keine Haltung des Müßiggangs oder des Verzichts auf Anstrengung gefolgert werden. Dies wäre nur möglich, »wenn wir gänzlich und vollkommen innere und geistige Wesen wären, was erst am jüngsten Tag der Auferstehung der Toten der Fall sein wird. Solange wir aber im Fleische [caro] leben, beginnen und setzen wir erst in Gang, was im künftigen Leben vollendet werden soll, [...]«294. Auch die Freiheit des Christen ist keine absolute Freiheit, sie ist gebunden an die Bedingungen der endlichen, leiblichen Existenz. Es muss nun allerdings deutlich der Versuchung widerstanden werden, im Sinne eines platonischen Schemas die freie Seele vom unfreien Grab des Körpers abzugrenzen. Ein solch dualistischer Ansatz, der auch philosophisch – wie gesehen – nicht mehr veritabel wäre, entspräche der Komplexität des Luther’schen Ansatzes mitnichten.295 Zwar ist die Tatsache, dass hier überhaupt von Knechtschaft die Rede ist, dem Umstand der leiblichen Existenz geschuldet, diese aber ist nun gerade nicht als eine dem Leben in der Sünde vergleichbare Knechtschaft anzusehen. Die Knechtschaft, die sich relational auf den Nächsten bezieht, ist keine Knechtschaft der Seele, sie hat vielmehr gerade in ihrer Freiheit den sachlichen und motivierenden Grund.296 Denn als leibliche Existenz zeigt sich dem Menschen, dass er nicht nur aus der erneuerten Seele, dem »menschliche[n] Leben in seiner Beziehung zu Gott«297 existiert, sondern dass er ein »anderes Gesetz in [s]einen Gliedern«298 findet. Auch die im Glauben erneuerte Existenz ist nicht frei von Widersprüchen. Vielmehr zeigen sich gerade erst am inneren, neuen Menschen die Widersprüche des alten.299 Weil nun der Mensch mit sich im Streit liegt, müssen hier nach Luther die Werke beginnen. »Hier darf man sich nicht dem Müßiggang hingeben; hier muss man doch dafür sorgen, dass der Leib durch Fasten, Nachtwa-

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quicquid habere debet, […] tamen manet in hac vita mortali super terram in qua necesse est, ut corpus suum proprium regat et cum hominibus conversetur«). Tractatus, 148. Siehe oben FN 257. Vgl. zur Beziehung von innerer Freiheit und Knechtschaft für den Nächsten Rieger, Von der Freiheit, 58 (hier in Bezug auf Luthers Galater-Auslegung); sehr deutlich auch Schwarz, Luthers Freiheitsbewußtsein, 57 f. Jüngel, Zur Freiheit, 72. Röm 7,23 (Luther-Übersetzung). Eberhard Jüngel hat anhand der von Luther parallel zur Differenz innen/außen gebrauchten Unterscheidung alt und neu deutlich gemacht, dass die Differenz keine platonische, sondern eine explizit christologisch begründete ist (siehe ders., Zur Freiheit, 73-77).

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chen, Arbeiten und andere maßvolle Übungen diszipliniert und dem Geist unterworfen wird, damit er dem Inneren Menschen und dem Glauben gehorche [...]«300. Aufgrund der fehlenden Kongruenz der menschlichen Existenz im Ganzen besteht diese von Luther gekennzeichnete Notwendigkeit zur Selbstdisziplin mittels guter Werke. Mit Hilfe dieser Werke muss gewissermaßen das neue Leben des Geistes eingeübt werden. Es muss der »entgegengesetzte[.] Wille[.]«301 (voluntas contraria) im Zaum gehalten und die dem Leib entspringenden »bösen Begierden«302 (concupiscentiae malae) gebändigt werden, weshalb er »gezwungen ist, viele gute Werke zu vollbringen«303. Dieser Zwang beschreibt gewissermaßen die Notwendigkeit, die sich aus der Verfassung des Menschen und seiner kontextuellen Einbettung ergibt. Von Zwang kann aber nicht hinsichtlich der Art und Weise des Vollzugs bzw. des Ursprungs der guten Werke gesprochen werden. Hier gilt vielmehr, sie sollten »gratuito amore«304 bzw. »vere liberrima«305 geschehen. Was ist damit gemeint? Zunächst ist negativ abgrenzend deutlich, dass die Werke nicht in der Absicht der Erreichung eines bestimmten Zweckes getan werden dürften, nämlich mit der Intention der Rechtfertigung. Sie sollten vielmehr dem Zentrum der Existenz, also dem Glauben entspringen, und in diesem Sinne durchaus autonom sein.306 Luther konstatiert ein Entsprechungsverhältnis: Gute Werke entspringen dem Zentrum des Menschen, weil er es eben so will, weil es nämlich seine höchste Intention bzw. Innerstes ist, Gott zu gefallen und dem Nächsten zu dienen. Mit anderen Worten: Die Person ist stets den Werken vorgeordnet. Die Werke entsprechen dem Charakter bzw.

Tractatus, 148. Tractatus, 148. Tractatus, 150. Tractatus, 150 (»cogatur [...] multa bona operari«). Tractatus, 150. Der deutsche Text bietet die Variante: »in freier Liebe« (Von der Freiheit, 139). 305 Tratatus, 152. 306 Hier ist durchaus eine Übereinstimmung zwischen Luther und Kant festzustellen, insofern gute Werke bzw. Moralität nicht aufgrund eines äußeren Zweckes vollzogen werden sollen; Kants Ablehnung der religiösen Motivation durch Gott liegt durchaus in der Linie Luthers, insofern Kant hier einen belohnenden oder bestrafenden Gesetzgeber im Blick hat (vgl. Kant, Die Religion, 649 f; KpV, 261); grundlegend unterschieden aber sind beide, was Struktur und Konstitution des moralischen Subjekts, also den inneren Bestimmungsgrund angeht; von Autonomie im strengen Sinne des Wortes, also der Selbstauferlegung eines Gesetzes und Befolgung als (rational verstandene) Pflicht, kann bei Luther nicht die Rede sein.

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den Eigenschaften der Person.307 Und nur wenn sie der im Glauben erneuerten Person entspringen, sind sie nach Luther frei zu nennen, »da er durch den Glauben frei ist von jedem Gesetz und aus echter Freiheit alles, was er tut, unentgeltlich tut, [...]«308. Damit ist angezeigt, dass Freiheit der Werke im Sinne Luthers nicht schlichtweg ein Kongruenzverhältnis zwischen Wille und Tat bedeuten kann, also auch nicht der traditionellen kompatibilistischen Interpretation von Handlungsfreiheit entspricht. Luthers Analyse zufolge wäre dies auch gar nicht einfach festzustellen, da wir ja stets widersprüchliche Bestrebungen in uns tragen und somit auch Handlungen, die ein Christenmensch seiner erneuerten Existenz gemäß »eigentlich« nicht will, unter die Kategorie Freiheit fallen würden. Freiheit ist diesen Handlungen, die unter der Signatur der Sünde stehen, nur insofern zuzusprechen, als sie eben von der Person gewollt werden und sie damit auch dafür verantwortlich ist. Die von Luther anvisierte qualifizierte Form von Freiheit entspringt stets dem im Glauben erneuerten Zentrum (»Herzen«309) der Person. Damit ist echte Freiheit stets auch als innere Übereinstimmung der Person mit dem Willen Gottes zu verstehen, und damit wesentlich auch durch ihren Inhalt qualifiziert. Die sich aus der Leiblichkeit der Existenz ergebende Notwendigkeit der guten Werke ist keine echte Unfreiheit, sie ist vielmehr Knechtschaft aus Freiheit. Das christliche Selbst kann demnach nicht substantiell gefasst werden, sondern muss sowohl die Widersprüchlichkeit der Existenz als auch die Möglichkeit, im Vollzug immer wieder neu mit dem Willen Gottes überein zu stimmen, beinhalten können. Analog erfolgt die Argumentation hinsichtlich der sozialen Existenz des Christenmenschen, »[d]enn der Mensch lebt nicht für sich allein in diesem seinem sterblichen Leib, um in ihm zu wirken, sondern er lebt auch für alle Menschen auf der Erde, ja, er lebt nur für die anderen und nicht für sich.«310 Aber auch diese Werke sind wiederum keine erzwungenen, vielmehr geschehen sie freiwillig aus der Liebe zum Nächsten. »Dazu unterwirft er sich seinen Leib, dass er wahrhaftiger und freier

307 Vgl. das von Luther angeführte Gleichnis von Baum und guten bzw. schlechten Früchten, in dessen Kontext explizit das Stichwort »persona[.]« (Tractatus, 154) begegnet. 308 Tractatus, 168 (»cum per fidem liber sit ab omni lege, et ex mera libertate omnia gratuito faciat, quaecunque facit«). 309 Tractatus, 159,18. 310 Tractatus, 160.

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anderen dienen kann [...]«311. Auch hier bestätigt sich das angedeutete Paradox. Der Mensch geht aus der im Glauben gewonnenen inneren Freiheit eine Knechtschaft ein, die Luther interessanterweise mit dem gleichen Wortstamm servire ausdrücken kann, wie das servum arbitrium. Hier nun allerdings ist der Leib samt seiner Begierden geknechtet und steht im Dienst einer höheren Sache; er wird vom erneuerten Inneren Menschen in Dienst genommen, während andersherum der geknechtete Wille im Zentrum der Existenz beherrscht wird. Beide Aspekte können demnach nicht symmetrisch gedacht und die entsprechende servitudo nicht univok bestimmt werden.

3.3 Die Zuordnung von Leib und Seele Eine gewisse Spannung ergibt sich, wenn wir von hier aus noch einmal die Zuordnung von Freiheit und Unfreiheit sowie von Leib und Seele bzw. innerem und äußerem Menschen bedenken. Freiheit hat angesichts der gerade dargestellten Zusammenhänge mit der Herrschaft des Inneren über den Äußeren Menschen zu tun. Umgekehrt legte sich nahe, dass Unfreiheit in der Herrschaft des Äußeren über den Inneren Menschen besteht. Allerdings war deutlich geworden, dass über die christliche Freiheit nur im Inneren entschieden wird, da diese davon abhängt, welche Macht hier herrscht, die Gerechtigkeit Christi oder die Sünde. Diese innere Freiheit »überragt alle anderen äußeren Freiheiten um so viel, wie der Himmel die Erde überragt.«312 Die von Luther ausgeführte Knechtschaft, die sich aus der Leiblichkeit und Sozialität des Menschen ergibt, erscheint angesichts dieser hermeneutischen Einordnung als relativ. Die Signatur der Unfreiheit trägt die Leiblichkeit schlichtweg deshalb, weil ihr gewisse Bedürfnisse geschuldet sind, denen der Mensch nachkommen muss und die möglicherweise ein Eigenleben gegenüber dem Inneren Menschen führen können.313 Diese Knechtschaft ist aber keine, im Unterschied zur Knechtschaft unter der Sünde, die ihm die höchste, innere Freiheit rauben könnte, weil sie 311 Tractatus, 160 (»In hoc enim corpus suum subiectum facit, quo synericus et liberius queat aliis servire«). 312 Tractatus, 175. 313 »Dass wir also handeln, leben, mit Werken und kirchlichen Vorschriften befasst sind, dafür ist verantwortlich die Not dieses Lebens und die Sorge um den Leib, [...]« (Tractatus, 176).

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eben relational unter Wahrung von Selbstdistanz auf den Inneren Menschen bezogen ist. Demgegenüber könnten wir – prima facie – bei der Tatsache des servum arbitrium von absoluter Zentrierung sprechen. Diese Unterscheidung verschiedener Einflusssphären und Perspektiven auf das Menschsein deutlich gemacht zu haben, kann wohl als die Hauptintention von Luthers Schrift »De libertate christiana« angesehen werden. Es zeigt sich allerdings an einigen Stellen auch bei Luther die Tendenz, die von ihm selbst ausgegebene Leitdifferenz von innen und außen zu verwischen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Leiblichkeit des Menschen mit einem Willen identifiziert wird, der per se dem Glauben entgegen zu stehen und Träger von »bösen Begierden«314 zu sein scheint.315 Diese Tendenz manifestiert sich auch in der teilweise synonymen Verwendung der Termini Leib und Fleisch, wobei letzterer von seinem biblischen Sprachgebrauch her, den Luther auch aufgrund der von ihm verwendeten Schriftzitate voraussetzen dürfte, den Menschen als Sünder, will sagen gottwidrig wollendes und handelndes Wesen meint.316 Isolierte man diese Gedankenansätze, so würden sie weder der Leiblichkeit noch der Sündhaftigkeit des Menschen gerecht werden. Denn weder sind leibliche Bedürfnisse prinzipiell als Ausdruck von Sünde zu bewerten – was Luther aufs Ganze des Traktats gesehen auch nicht tut – noch kann Sünde, wie Luther insbesondere in »De servo arbitrio« deutlich macht, als ein dem Menschen äußerliches Phänomen beschrieben werden. Allerdings spricht Luther im Freiheitstraktat an einer Stelle davon, dass auch äußerliche Sünden, womit hier sündige Taten im Unterschied zur Person- oder Erbsünde gemeint sein dürften, den Menschen nicht versklaven können.317 Die leibliche und weltliche Existenz des Menschen, die mit dem Terminus »Äußerer Mensch« in den Blick gefasst wird, ist demnach ein Ort der Verwirklichung318 von Freiheit, die sich aus der Existenz des Inneren Menschen im Glauben an Christus ergibt. Diese Verwirklichung von Freiheit stößt nun aber aufgrund der Doppelnatur des Menschen offensichtlich auf Widerstand. Gerade der glaubende Mensch, dessen Seele mit Christus verbunden ist, scheint hier in einem 314 315 316 317 318

Tractatus, 150. Vgl. v. a. Tractatus, 149-151. Vgl. Tractatus, 176 mit den Zitaten aus 2Kor 10,3 und Gal 2,20. Tractatus, 126. Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, dass die innere Freiheit noch nicht wirklich bzw. nur möglich wäre.

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unhintergehbaren Spannungsfeld zwischen innerer Freiheit und Bindung durch weltliche Größen zu existieren. Es gehört zur Existenz des Menschen, dass der Innere, neue Mensch noch nicht identisch ist mit der leibhaft-sozialen Daseinsweise, dass er ihr aber auch nicht dualistisch gegenübersteht.319 Damit zeigt sich, dass der Äußere Mensch zwar nicht per se als sündig zu verstehen oder gar mit der Sünde zu identifizieren ist, dass er aber der Ort ist, an dem sich die Sünde manifestiert, insofern sie auch den Inneren Menschen an die äußerlichen Dinge binden möchte. Dabei wird nun auch deutlich, dass der Innere Mensch nicht schlichtweg mit einem neuen Willenszentrum identifiziert werden darf, denn der Wille als leiblich strukturiertes und bedingtes Phänomen muss demnach selbst auch ein Ort dieser skizzierten Spannung sein, will man ihn nicht als reine res cogitans verstehen, die allem Leiblichen entgegengesetzt ist. Auch der Wille muss als Teil derjenigen leiblichen Existenz gedacht werden, die vom Inneren Menschen her erneuert wird. Es ist daher Vorsicht geboten, die voluntas als ein absolutes Zentrum, das entweder der neuen Existenz des Glaubens, oder der alten der Sünde zugehört, zu deuten. Vielmehr wird sie selbst als relationales, damit aber auch als spannungsreiches und nur im Vollzug zu beschreibendes Phänomen sichtbar. Der Innere Mensch bzw. die Person bleibt davon noch einmal deutlich zu unterscheiden. Es ist in der Systematik Luthers davon auszugehen, dass sich der Innere Mensch zwar im Äußeren manifestiert, dass also entsprechende Phänomene auch sichtbar und beschreibbar werden, dass er aber nicht zu identifizieren ist. Die Frage nach dessen anthropologischem Ort, und damit nach dem Ort der Freiheit ist damit noch nicht erledigt; sie kann nur von den (Un-)Freiheitsphänomenen her in den Blick genommen werden. Interessanterweise vermitteln die Ausführungen Luthers ein differenziertes Bild. Denn es ist zwar richtig, dass die Seele die Existenz des Menschen im Blick auf sein Gottesverhältnis beschreibt, dies aber wird von Luther noch einmal differenziert wahrgenommen. Denn einerseits erscheint die Seele der Ort der Gottunmittelbarkeit zu sein (unio), der Ort des fröhlichen Wechsels. Hier ist gewissermaßen alles klar, denn es findet ein eindeutiger Austausch von Sünde und Gerechtigkeit statt. Davon deutlich unterschieden aber wird von Luther die Vollzugsform 319 Vgl. Jüngel, Zur Freiheit, 111 f; vgl. auch Rieger, Von der Freiheit, 70, der den Aspekt des inneren Kampfes betont, welcher eine Beziehung voraussetzt, damit aber sowohl absoluten Dualismus aber auch plane Idenität ausschließt.

Epistemische und fundamentalanthropologische Kontextualisierung

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des Glaubens im Fürbittgebet. Hier ist weniger die Vorstellung der Einheit mit, als vielmehr das Gegenüber zu Christus leitend. Die Praxis christlichen Glaubenslebens ist also offensichtlich nicht per se mit dem identisch, was Luther Innerer Mensch nennt.

4. Epistemische und fundamentalanthropologische Kontextualisierung 4.1 Der Mensch als theologisches Erkenntnisproblem Alle bisherigen Ausführungen, die sich an Luthers Schriften orientierten, setzen den christlichen Glauben als epistemischen Standpunkt voraus. Sowohl vom servum arbitrium wie auch von der Freiheit eines Christenmenschen kann in der skizzierten Form nur aus christlicher Perspektive gesprochen werden. Es handelt sich dabei nicht um objektiv identifizierbare Wesensmerkmale des Christentums, vielmehr um Phänomene, die sich aus der Binnenperspektive des Glaubens ergeben. Dies bedeutet nun keineswegs, dass die gewonnenen Einsichten nicht kommuniziert und nachvollziehbar dargestellt werden können, wohl aber muss diese Einordnung zu hermeneutischer Vorsicht mahnen. Dabei ist die epistemische Dimension nun sowohl für die Reflexion des Freiheitsproblems, als auch für Entstehung und Faktizität von Freiheit und Unfreiheit selbst zentral, weil Freiheit eminent mit Selbst- und Gotteserkenntnis zu tun hat. Es ist für Luther der Glaube an Christus als Form des Selbstverhältnisses und damit der Perspektivität freiheitstheoretischer Überlegungen deshalb vorausgesetzt, weil nur der Glaube als diejenige Existenzform in Frage kommt, in welcher die Befreiung des Menschen von der Sünde durch das Evangelium Wirklichkeit wird, und damit auch nur die Erkenntnis des Sünders als in sich Unfreier Gestalt gewinnen kann, oder wie es die Definition der Disputatio de homine ausdrückt: »homo iustuficari fide«320. Diese Perspektive kann prima facie so gekennzeichnet werden, dass das Menschsein mit einem am Menschen sich vollziehenden Geschehen beschrieben wird. Damit ist angezeigt, dass es sich um einen dynamischen Vorgang handelt, der sowohl Ein-

320 Ddh, These 21, 666.

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sichten in sein eigenes Gewordensein als auch in die jeweils offenstehenden Möglichkeiten der Zukunft impliziert. Mit dieser gnoseologischen Einordnung ist nun nicht gesagt, dass die theologische Anthropologie in ihrem Anspruch eine solche zu sein hätte, die nur einem gläubigen Christen zugänglich bzw. nur eine partikulare, etwa auf die Religion als eine »eigne Provinz im Gemüte«321 beschränkte Weise der Reflexion sein will. Dieser mögliche Verdacht kann von Luther her, der in seiner Disputatio de homine gerade die theologische Erkenntnis des Menschen als umfassendste, weil nämlich im Horizont des Schöpfers und Vollenders menschlicher Existenz sich vollziehende, gekennzeichnet hat, nicht bestätigt werden.322 Theologische Erkenntnis bezeichne »hominem totum et perfectum«323. Luther grenzt damit die theologische Erkenntnis des Menschen von der philosophischen Betrachtungsweise ab, welche ihn im Unterschied zu jener nur »a posteriore«, d. h. aus der vorfindlichen, empirisch und philosophisch zu beschreibenden Weltwirklichkeit, und eben nicht »a priore«324, aus dem Handeln Gottes325 an ihm, erkennen könne. Ob und inwiefern der Anspruch in Bezug auf das Freiheitsthema eingelöst werden kann, müssen die weiteren Reflexionsgänge zeigen. Ein weiteres Grundanliegen theologischer Anthropologie kann gegen den Partikularitätsverdacht zur Geltung gebracht werden, wird doch verschiedentlich formuliert, dass es der Theologie – im Gegenüber zu Erkenntnissen der empirisch arbeitenden Einzelwissenschaften – stets um den ganzen Menschen326 gehe. Gemeint ist damit nicht die Eruierung substantieller Wesensmerkmale oder die Ausführung einer umfassenden Beschreibung des Menschen, was beides seit dem »Ende der Anthropologie«327 als problematisches Unterfangen gelten dürfte, Schleiermacher, Über die Religion, Apologie (1. Rede), 20. Ddh, vgl. insbesondere These 20. Ddh, These 21, 666. Ddh, These 10, 664. Vgl. Ebeling, Ddh 3, 405, der auf die Merkwürdigkeit der Definition hinweist, dass sie einen passiven Aspekt des Menschseins zur Sprache bringt, nämlich ein Geschehen, das an ihm vollzogen wird. 326 Vgl. etwa Rahner, Grundkurs, 33-36 und passim; Jüngel, Der Gott entsprechende Mensch, 292 f; Herms, Freiheit des Willens, 59. Herms betont pointiert, dass in der Selbsterschlossenheit von Personen sichtbare und unsichtbare Wirklichkeit, also die gesamte uns »zu erkennen und zu gestalten gegebene Wirklichkeit des Menschseins [...]« (a. a. o., 58) eingeschlossen ist. 327 Schoberth, Einführung, 70; vgl. insgesamt das Kap 3, 70-90. Siehe auch Dalferth, Homo definiri nequit. 321 322 323 324 325

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wohl allerdings die Reflexion auf den Menschen in seinen existentiellen und grundlegenden, und damit aller Empirie voraus- oder zu Grunde liegenden Dimensionen.328 Als eine solche auch die religiöse bzw. transzendente Dimension des Menschseins aufzuzeigen, war ein wesentliches Ziel theologischer Anthropologie des 20. Jahrhunderts.329 In ihrem grundsätzlichen und durchaus umfassenden Anspruch ist die theologische von der philosophischen Anthropologie nun allerdings nicht – wie bei Luther unterstellt330 – unterschieden, vielmehr korrespondieren beide in ihrem Ansatz insofern, als sie mindestens Aspekte des Menschseins zur Sprache bringen wollen, die gegenüber den Einzelergebnissen empirischer Anthropologien auf einer basaleren, zuweilen als transzendental bestimmten Ebene angesiedelt sind. Wie verhält sich nun aber der spezifische Verstehenshorizont theologischer Aussagen, welche den Menschen im Angesicht Gottes, d. h. in der dynamischen Relation zu Gott in den Blick nehmen, zum grundsätzlichen Anspruch theologischer Anthropologie? Kann von dem zunächst einmal partikularen, nämlich religiösen Verständnis des Menschen her Grundsätzliches in den Blick geraten?331 Auch die theologische Rede von Freiheit oder Unfreiheit des Menschen hat es mit der Schwierigkeit zu tun, dass sich der Mensch darin selbst zum Gegenstand wird, und somit in formaler Hinsicht beides, nämlich Subjekt und Objekt von Erkenntnis gleichzeitig ist; damit aber ist »jede Bestimmung

328 Was damit genau gemeint ist, kann hier nicht ex ante benannt werden, sondern muss vielmehr aus der Einzelargumentation und Auseinandersetzung mit verschiedenen Ansätzen gewonnen werden. 329 Der prominenteste Versuch von evangelischer Seite ist sicherlich Wolfhart Pannenbergs Entwurf einer »fundamentaltheologische[n] Anthropologie« (ders., Anthropologie, 21); vgl. auch a. a. o., 63.69 und passim. Ähnlich gelagert ist der Ansatz Karl Rahners, Grundkurs, dessen Argumentation von einer »transzendentale[n] Erfahrung« (a. a. o., 26 und passim) ausgeht (vgl. zu beiden die Ausführungen unter 4.3). 330 Es ist allerdings zu beachten, dass Luther selbstverständlich noch nicht die sich erst im Verlauf der Neuzeit entwickelnde philosophische (Grundlagen-)Disziplin der Anthropologie im Auge hatte, als er theologische und philosophische Erkenntnis voneinander abgrenzte, wohl aber die gängige rationale, metaphysisch angelegte Psychologie des Aristoteles wie er sie in De anima entwickelt hatte; vgl. Schoberth, Einführung, 91, sowie ingesamt Ebeling, Ddh 1. 331 Edgar Thaidigsmann hat diesen Sachverhalt in Bezug auf Luther unterstrichen, zugleich aber auch auf die Ambivalenz einer theologischen Deutung des Menschen hingewiesen: »Im Besonderen des ‘Christenmenschen’ stellt sich die Gestalt endgültigen und ursprünglichen Menschseins dar und zugleich ist sie dort verborgen.« (ders., Macht über sich selbst, 50),

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des Menschen […] eine Selbstdeutung«332. Die Thematik erfährt nun dadurch eine Komplikation, dass die theologische Beschreibung des Menschen davon auszugehen hat, dass Gottes- und Selbsterkenntnis korrespondierend zusammengehören. Diese Annahme – klassisch formuliert von Calvin333 – darf als Konsens innerhalb der theologischen Anthropologie gelten.334 Sie ist Voraussetzung, wenn theologische Anthropologie überhaupt sinnvoll betrieben werden und dem anthropologischen Diskurs etwas Sachhaltiges beizutragen in der Lage sein soll. Allerdings ist die Art und Weise der epistemischen und ontologischen Relationalität von Gottes- und Selbstverhältnis erst noch präzise zu ermitteln. Dass dabei, wie bereits deutlich wurde, beide nicht symmetrisch335 einander zugeordnet werden, entscheidet noch nicht a priori über deren jeweilige erkenntnistheoretische Relevanz. Im spezifisch theologischen Zugang zum Menschen ist aber zugleich dessen grundlegender Anspruch begründet, da die Bezugsgröße Gott relational zum Menschen nie als partikulare Instanz beschrieben werden kann.

4.2 Ansatz bei Personalität und Subjektbewusstsein des Menschen 4.2.1 Die Bedeutung der Binnenperspektive Nun ist allerdings deutlich, dass auch die Theologie, zumal in ihrer neuzeitlichen Ausprägung, Gott nicht schlichtweg als Gegenstand der Erkenntnis voraussetzen kann, als Gegenstand nämlich, auf den das menschliche Erkenntnisvermögen unproblematischen Zugriff hätte und der dann auch objektiv zu beschreiben wäre. Für die Theologie ist spätestens seit Schleiermacher die Beschäftigung mit dem Menschen, v. a. 332 Figal, Art. Mensch, 1054. 333 Calvin, Inst. I 1,1; vgl. Ebeling, Cognitio Dei, 231 ff. 334 Vgl. etwa Jüngel, Der Gott entsprechende Mensch, 299: »Der Mensch kommt zu sich selber, wenn er zu einem anderen, als er selber ist, kommt.« Vgl. z.B. Lonning, Art. Gott, 670; vgl. Herms, Christusoffenbarung, 376; 335 Vgl. Herms, Systematik des Personbegriffs, für den die zentrale Unterscheidung die des schaffenden und des geschaffenen Personseins ist (a. a. o., 387-399); siehe auch ders., Art. Person, sowie ders., Freiheit des Willens, v. a. 51. Fraglich ist, ob es angemessen ist, den Personbegriff zwar differenziert, aber dennoch univok für menschliches und göttliches Sein anzuwenden, oder anders gesagt, ob in freiheitstheoretischer Hinsicht die Unterscheidung von Gott und Mensch als Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf schon hinreichend begründet ist; siehe auch Schwöbel, Menschliches Sein, v. a. These 2, 194-197.

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seinem Selbstbewusstsein und Selbstverhältnis als zentrale theologische Größe und erkenntnistheoretisch relevanter Sachverhalt üblich geworden.336 Aber auch der Mensch kann nicht schlichtweg als Gegenstand theologischer Bemühungen verstanden werden, sondern ist gerade in theologischer und in besonders spezifischer Weise in lutherischer Perspektive als Teilnehmer, als Glaubender, als Angefochtener, kurzum als existentiell Betroffener337 und eben auch als derjenige, von dem alle theologischen Bemühungen ausgehen, im Blick.338 Daher ist die Reflexion auf anthropologische Sachverhalte keine Beschäftigung mit einem Gegenstand wie mit jedem anderen, sondern auch die Reflexion auf die erkenntnistheoretischen Bedingungen jeder explizit theologischen Aussage. Dies heißt nun aber auch, dass die Reflexion über den Menschen, also des Menschen über sich selbst, die Reflexion über die Bedingungen der Möglichkeit dieses reflektorischen Aktes beinhaltet. Der Reflexionsakt befragt sich selbst auf seine eigenen Möglichkeiten, Chancen und Grenzen. Dieser Sachverhalt konzentriert sich im Freiheitsproblem insofern, als die Freiheit des Menschen, wie bei Luther einsichtig wurde, unmittelbar mit Selbst- und Gotteserkenntnis zu tun hat. Nachdem nun weder der Mensch sich selbst noch Gott ihm als ein Gegenstand zur Verfügung stehen, und damit eben auch nicht als eine Größe, über die wir vermeintlich frei verfügen könnten, muss eine Reflexion auf die spezifische Gestalt des Selbst- und Gottesverhältnis erfolgen, die der reflek336 Vgl. zur Entwicklung der Relation von Theologie und Anthropologie Pannenberg, Anthropologie, 11-23, dessen Verhältnisbestimmung im Sinne einer Fundamentalanthropologie allerdings auch Probleme enthält, die später noch diskutiert werden. 337 Dies gilt insbesondere für die reformatorische Anthropologie und die in ihrer Tradition stehenden Entwürfe; Gut pointiert hat diesen Sachverhalt Pesch, Freiheitsbegriff, 241-244, der die Perspektive Luthers als »existentiell« bezeichnet, im Gegenüber zur Theologie des Thomas, die mit dem Schlagwort »objektivierend« belegt wird (im Anschluss an Peters, Althaus, Joest). Er bringt damit die kategoriale Differenz zwischen einer grundlegend aus der Binnenperspektive argumentierenden Theologie, und einem (scholastischen) Ansatz zum Ausdruck, welcher sich nicht scheut, aufgrund der geoffenbarten Wahrheiten auch die Gottesperspektive einzunehmen. 338 Rudolf Bultmann hat diesen Sachverhalt klassisch formuliert: »will man von Gott reden, so muss man offenbar von sich selbst reden (ders., Welchen Sinn, 28); ähnlich hat Karl Rahner den Sachverhalt beschrieben, wenn er konstatiert, dass »dogmatische Theologie heute theologische Anthropologie sein muss« (ders., Theologie und Anthropologie, 43). Diese transzendentale Argumentation ist deutlich zu unterscheiden von der Feuerbach-These, dass alle Theologie zu Anthropologie werden müsse, deren Bedingung ja ist, dass alle theologischen Aussagen als Projektion entlarvt werden könnten.

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tierten theologischen Rede vom Menschen, und insbesondere seiner Freiheit zu Grunde liegen. Setzt man diesen Kontext voraus, so ergibt sich auch für die theologische Anthropologie die Frage nach der Bedeutung der ErstenPerson-Perspektive. Diese Binnenperspektive wird von einer Reihe von Theologen – vergleichbar philosophischen Argumentationen – als irreduzibel gegenüber naturwissenschaftlicher Reduktion, und in dieser Funktion auch als freiheitstheoretisch relevant gekennzeichnet.339 Diese Teilnehmerperspektive, gerne auch mit dem Stichwort Personalität340 verbunden, kann nun theologisch und anthropologisch in verschiedener Hinsicht beschrieben werden und damit verschiedene funktionale Rollen in der Argumentation übernehmen. 4.2.2 Unmittelbares Selbstbewusstsein?341 Da die explizite Reflexion auf Gott und den Menschen einer unhintergehbaren Basis bedarf, wird die Binnenperspektive einer Person bisweilen derart beschrieben werden, dass sich aus ihr ein unmittelbares oder präreflexives, im Gefühl loziertes Selbstbewusstsein, d. h. aber auch eine »[v]orwissenschaftliche Selbstauslegung«342 und »unmittelbare Erschlossenheit jeder Person für sich selbst«343 bzw. ihrer Lebenswirklichkeit im Kontext auch anderer Personen ergebe.344 Für den christlichen 339 Nur exemplarisch seien genannt: Herms, Freiheit des Willens; Gräb-Schmidt, Aufgabe der Verantwortlichkeit; Evers, Hirnforschung und Theologie, 1121 f; Rahner, Grundkurs, 31-36. 340 Mit dieser Verbindung von 1PP und Personalität ist nicht deren Identität ausgesagt; dies würde insbesondere dem vielschichtigen Begriff »Person« nicht gerecht. 341 Ich beziehe mich im Folgenden v. a. auf die fundamentaltheologischen und – anthropologischen Ansätze von Eilert Herms, Wilfried Härle und Christoph Schwöbel, die sich m.E. in den hier darzustellenden Strukturen sehr ähnlich sind, und auch immer wieder gegenseitig aufeinander Bezug nehmen. 342 Herms, Freiheit des Willens, 47. 343 A. a. o., 48. 344 Auch Wolfhart Pannenberg nimmt eine solche »implizite Selbstvertrautheit« (ders., Systematische Theologie II, 222) des Menschen an; im Unterscheid zu den hier primär verhandelten Autoren aber ist dieses Gefühl bei Pannenberg nicht nur Selbstpräsenz von Personen, sondern ein universales, die Welt umgreifendes Gefühl, auf dessen bleibendem Boden sich erst die Unterscheidung von Ich und Welt, damit aber auch erst ein explizites Selbstbewusstsein in der Unterscheidung von Ich und Selbst ausbilden kann; Selbsterschlossenheit entwickelt sich also erst im Laufe der Differenzierung dieses Grundgefühls aus (vgl. a. a. o., 222-226).

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Glauben als exemplarischen Fall solcher Selbstauslegung ergebe sich daraus die Annahme von Freiheit und Verantwortung menschlicher Personen als geschaffenem, im Unterschied zu Gottes schaffendem Personsein.345 Der Mensch sei dazu bestimmt – es ist ihm »aufgenötigt346 – sich aufgrund dieser Selbsterschlossenheit selbst zu bestimmen;347 oder andersherum: Aufgrund der ihm eigentümlichen Struktur personaler Selbsterschlossenheit ist der Mensch in der Lage, sich frei selbst zu bestimmen. Diese Struktur besitzt dabei den Charakter einer immer schon – auch in allen Freiheitsakten – implizierten transzendentalen Voraussetzung.348 Mit dieser Voraussetzung und der damit einhergehenden Identifikation von Selbsterschlossenheit und Willensfreiheit349 ist nun noch keine spezifisch theologische Argumentation erreicht. Es hat sich gezeigt, dass ein solcher Gedankengang auch innerphilosophisch Plausibilität besitzt.350 Explizit theologisch wird die Argumentation an der Stelle, an der das solchermaßen charakterisierte Selbstverhältnis auch als Ort der Präsenz des Gottesverhältnisses351 interpretiert wird, das dabei als »gleichursprüngliche«352 Relation gekennzeichnet werden kann. Es ist dabei für die hier dargestellten Ansätze charakteristisch, dass ihr auf diesem spezifischen Typus von Erfahrung353 (primär im Sinne unmittelbarer Selbsterfahrung verstanden) aufbauender fundamentaltheologischer Argumentationsgang schon in der unmittelbaren Selbstpräsenz eine Gottesrelation angelegt sieht. Zwar kann der Mensch diese Beziehung in der Verkehrung seiner intentionalen Ausrichtung, die in einer Verwechslung von Schöpfer und Geschöpf grün345 Siehe Herms, Systematik des Personbegriffs, 387-399; sowie ders., Freiheit des Willens, 53-58. 346 Herms, Systematik, 392. 347 Siehe Knuth, Von der Freiheit, 38; vgl. auch Schwöbel, Offenbarung Glaube Gewissheit, 222 (Fußnote); Härle, Autonomie , 230 ff. 348 So Schwöbel, Erfahrung und Offenbarung, 98 ohne allerdings den Terminus »transzendental« zu verwenden; Freiheit sei aber »in freier Tätigkeit als Bedingung ihrer Möglichkeit schon vorausgesetzt« (ebda). 349 So explizit Herms, Art. Verantwortung, 932. 350 Vgl. exemplarisch Henrich, Denken und Selbstsein, 18 ff; bei Henrich findet sich allerdings auch schon eine Art theologischer Argumentationsfigur, indem er aus der Selbstpräsenz von Personen im Denken auch schon deren Begrenztheit abzuleiten vermag (siehe u. a. a. a. o., 26). 351 Vgl. Knuth, Von der Freiheit, 43. 352 Knuth, a. a. o., 39. 353 Vgl. insgesamt zum Erfahrungsbegriff in diesem Kontext: Schwöbel, Offenbarung und Erfahrung; Herms, Art. Erfahrung; Stock, Art. Erfahrung.

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det, negieren, die Struktur aber des Sich-selbst-gegeben-Seins beinhaltet immer schon das passive Element, das auf den Schöpfer verweist.354 Denn Gott kommt zunächst als diejenige Instanz, die als Ursprung der Konstitution des Selbstverhältnisses geltend gemacht werden muss, ins Spiel. Der Mensch erkennt Gott da, wo dieser sich als die »Macht des Ursprungs«355 zu erkennen gibt und sich damit in einem unverfügbaren Akt selbst erschließt. Aufgrund der Selbstdurchsichtigkeit der Person für sich sei allerdings schon zuvor deutlich, dass diese sich nicht selbst gesetzt haben könne, sondern auf eine Ursprungsinstanz bezogen sein muss.356 Freiheitstheoretisch bedeutet dies, dass die relative Freiheit und Abhängigkeit menschlicher Weltbeziehungen gegründet ist in einer Beziehung schlechthinniger Abhängigkeit, der Beziehung zu Gott.357 Dabei muss allerdings mit dem Ursprung der externen Konstitution noch nicht zwingend eine spezifische Instanz gemeint sein; es ist aber gesagt, dass sich der Mensch in seinem Selbstverhältnis ursprünglich gegeben ist, sich also nicht hintergehen kann, und damit das Faktum des Selbstverhältnisses und der damit einhergehenden Selbstvertrautheit dem Menschen unvermeidlich aufgenötigt ist.358 Damit aber ist auch für das personale Selbstbewusstsein als solches eine spezifische Struktur angelegt, insofern es sich nämlich als geschaffenes, und eben nicht als selbst gesetztes versteht. Dies hat wiederum freiheitstheoretische Relevanz, weil Freiheit nun in jedem Fall als relativ und bedingt gedacht werden muss. Freiheit ist bereits in dieser Binnenlogik geschaffene und endliche Freiheit, sie basiert auf einer vorausgesetzten, ursprünglichen Gewissheit der eigenen Endlichkeit.359 Gott wird demgegenüber als Ermöglichungsgrund dieser endlichen Freiheit zur Geltung gebracht.360 Freiheit gibt es demnach innerhalb der geschaffenen Bedingungen und Grenzen, aber niemals gegenüber diesen Grenzen. Die Argumentationsstruktur unterscheidet sich zunächst nicht von

Vgl. Härle, Mensch wird gerechtfertigt, 173. Herms, Wahrheit und Freiheit, 225. Siehe Knuth, Von der Freiheit, 43. So Knuth, a. a. o., 44 mit Bezug auf Schleiermacher, Glaubenslehre, § 4. Vgl. auch Beiner, Intentionalität, 90. Diesen Gedanken betont auch Schwöbel, Offenbarung Glaube Gewissheit, 222, Fußnote 21; ähnlich auch Huxel, Ontologie, 350 f. Diese Form der Verhältnisbestimmung von Selbstbestimmung und Bestimmtwerden bei Gott und Mensch muss noch diskutiert werden; vgl. auch Klein, Willensfreiheit, 291 f und dessen Konzept von bestimmter Selbstbestimmung. 359 Siehe Herms, Gewissheit, 36-39. 360 Siehe Herms, Art. Willensfreiheit V., 1575. 354 355 356 357 358

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denjenigen philosophischen Ansätzen, die Freiheit, v. a. in kompatibilistischer Perspektive, als bedingte Freiheit verstehen. Anzufragen gegenüber einer solchen Konzeption personaler Freiheit auf dem Boden unmittelbarer Selbsterschlossenheit ist, ob sie der kategorialen Differenz zwischen Sünde und Glaube gerecht zu werden vermag, wie sie sich in den Existenzweisen Selbstüberhebung (das »Sein wollen wie Gott«, vgl. Gen 3) oder aber der expliziten Anerkennung der eigenen Geschöpflichkeit, der Verkrümmung in sich selbst oder der selbstdurchsichtigen Gründung in Gott, manifestiert. Denn Gott kommt zwar als Ursprung (und analog auch als Vollender) menschlicher, endlicher Freiheit ins Spiel, offenbar nicht aber als der, dessen Präsenz das immer schon vorauszusetzende personal-freie Selbstverhältnis kategorial bzw. in seiner Struktur verändert. Angesichts einer solchermaßen verfahrenden Argumentation steht die Bestimmtheit eines aus dem Evangelium gewonnenen Gottesbegriffs (der »offenbare Gott«), wie er nach Luther freiheitstheoretisch eminente Bedeutung besitzt, in Frage; welche Qualität kommt der Relation zur Ursprungsmacht, die als Implikat des Sich-nicht-selbst-gesetzt-habens verstanden wird, zu? Zudem: Kann das von Herms und anderen angenommene Verständnis von Selbsterschlossenheit Basis einer relationalen Ontologie der Person und damit einer umfassenden Freiheitstheorie sein? Muss der christliche Glaube nicht nur als ein exemplarischer, sondern auch als ein spezifischer Fall menschlicher Personalität verstanden werden, der selber das Relationengefüge und damit auch die implizierte Form von Freiheit strukturiert? Die notierten Fragen können nicht adhoc beantwortet werden. Die von Luther in seiner These des servum arbitrium stark gemachte Unfähigkeit des Menschen zu wahrer Selbsterkenntnis aus sich selbst sollte allerdings zu epistemischer Vorsicht hinsichtlich einer Freiheitstheorie auf dem Boden des sich selbst erschlossenen Bewusstseins mahnen. Es besteht jedenfalls auch die Möglichkeit, dass sich der Mensch gerade nicht aus der Durchsichtigkeit seines Bewusstseins versteht, sondern sich viel mehr von außerhalb seiner selbst her zum Thema wird (was ja etwa auch der entwicklungspsychologischen Sicht der Entwicklung des Ich-Bewusstseins entspricht).361

361 Vgl. Pannenberg, Anthropologie, 173-184; diesen Sachverhalt gesteht auch Eilert Herms zu, ohne daraus aber materiale Folgen für die Begründung von Verantwortlichkeit und Freiheit zu ziehen, die tatsächlich nur in der Selbstpräsenz von Personen wurzeln (siehe ders., Verantwortlichkeit Illusion, 258, Fußnote 8).

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Die Annahme der Unhintergehbarkeit von Personalität, und implizit auch eines bestimmten Grades an (präreflexiver) Selbsterschlossenheit, wie sie für jede Rede von Freiheit vorauszusetzen ist, kann dennoch als wichtiger Ausgangspunkt theologischer Argumentation gelten. Zu präzisieren ist dabei, welchen epistemischen Status diese Selbstgegebenheit besitzt, insbesondere wenn die wechselseitige Interferenz von Gottes- und Selbsterkenntnis bedacht wird. Denn indem der Erfahrungsbegriff auf die unmittelbare, und somit nicht gegenständliche Selbsterfahrung hin konzentriert wird, gewinnt er den Charakter einer transzendentalen Voraussetzung, deren nochmalige Überschreitung in Richtung ihrer passiven Konstitution aber explizit geprüft werden müsste.362 Die theologische Leistungsfähigkeit dieser Form personaler Selbstgegebenheit steht in Frage, wenn Selbsterschlossenheit coram Deo auch die unmittelbare Selbsterschlossenheit der Person noch einmal verändern kann.

4.3 Transzendentale Anthropologie und »Gottoffenheit« des Menschen 4.3.1 Transzendentale Freiheit Die Unhintergehbarkeit menschlicher Personalität und menschlichen Selbstbewusstseins kann auch explizit als transzendentaler Sachverhalt zur Geltung gebracht werden. Dabei geht es dann um die Reflexion der in jeder Erfahrung und Erkenntnis als deren Bedingung notwendig mitgegebene, aber selbst nicht Gegenstand von Erfahrung seiende Voraussetzung für menschliches Personsein.363 Menschliche Personalität ist dann auch und im Speziellen für die Gottesbeziehung des Menschen als Voraussetzung zu denken. Etwa bei Karl Rahner wird daher eine »ursprüngliche Selbstgegebenheit des Wissenden um sich und sein Wissen«364 als in jedem menschlichen Akt mitgegebenes Faktum angenommen. So kann dann »Personalität als Voraussetzung der christlichen Botschaft«365 in einem ganz bestimmten Sinne, nämlich unter transzendentaler Voraussetzung von Freiheit, beschrieben werden. Dabei wird

362 363 364 365

Vgl. die Kritik von Dierken, Selbstbewusstsein, 129. Vgl. auch Stock, Art. Person, 226. Rahner, Grundkurs, 24; vgl. Henrich, Denken und Selbstsein, v. a. 15-36. Rahner, Grundkurs, 30.

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Subjektivität und Personsein als unhintergehbar vorausgesetzt, da auch naturwissenschaftliche Erklärungsversuche dieses Faktum selbst nicht destruieren könnten, denn auch der Mensch, der seine Herkünftigkeit als Produkt bestimmter biochemischer Prozesse versteht, ist immer noch verstehendes Subjekt, dessen Selbstvollzug allen Erklärungen stets zu Grunde liegt und nicht selbst derart erklärt werden kann.366 »Personsein bedeutet so Selbstbesitz eines Subjekts als solchen in einem wissenden und freien Bezogensein auf das Ganze.«367 Nun wird bei Karl Rahner diese transzendentale Erfahrung nicht wie bei Herms als Ausgangspunkt für den Rückschluss auf die Konstitution des Selbstverhältnisses verwendet. Sie stehe als »apriorische Eröffnetheit des Subjekts auf das Sein überhaupt«368 hinter jeder gegenständlichen Erfahrung und Erkenntnis als deren Möglichkeitsbedingung. Sie wird somit nicht nach »hinten« zur Begründung eines transzendenten Ursprungs überschritten, sondern als immer mit zu denkende Basis für die Verwirklichung von Freiheit zur Geltung gebracht. Mit dieser Charakteristik von Personalität aber führt Rahner den Gottesgedanken in die anthropologische Beschreibung ein. Denn die Bezugnahme auf das Sein überhaupt sei ein Ausgriff auf das Unendliche, die Offenheit, das Ganze, mit anderen Worten: auf Gott. Nur in diesem Ausgriff auf das Ganze der Wirklichkeit sei der Mensch auch sich selbst gegeben. Darin aber sind auch Verantwortlichkeit und Freiheit des Menschen gegründet, welche »nicht als ein partikulares, empirisches Datum in der Wirklichkeit des Menschen neben anderen«369 genannt werden dürfen, sondern in der jeder Erfahrung vorausgehenden Subjekthaftigkeit begründet sind, die als »transzendental-apriorische Erfahrung 366 Ähnlich auch Schockenhoff, Theologie der Freiheit, der die subjektive Perspektive als »die transzendentale Voraussetzung des menschlichen Existenzvollzuges schlechthin« (ders., Theologie der Freiheit, 72) bezeichnet; eine groß angelegte, im Anschluss an Rahner und Hermann Krings transzendental begründete theologische Konzeption menschlicher Freiheit hat Thomas Pröpper vorgelegt (Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte, vgl. insbesondere 172-175 zur philosophischen Grundlegung); ihm folgt Michael Greiner, Frei vor Gott (siehe bes. 59). Vgl. insgesamt zur Auseinandersetzung mit der Freiheitskonzeption Pröppers die Festschrift Böhnke u. a. , Freiheit Gottes und der Menschen; auch wenn er den Begriff des Transzendentalen nicht verwendet, so ist wird man auch den Freiheitsbegriff Paul Tillichs hier einordnen dürfen, der endliche Freiheit als Voraussetzung für die in der Entfremdung von Existenz und Essenz eintretende Knechtschaft des Willens annimmt (vgl. ders., ST II, 88). 367 Rahner, a. a. o., 35. 368 A. a. o., 39. 369 A. a. o., 40.

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meiner Freiheit«370 verstanden werden kann. Daher sei davon zu sprechen, dass der Mensch »sich selber überantwortet ist [...] als Gegenstand seiner eigentlichen, ursprünglichen [...] Freiheitstat«371. Nur in diesem Kontext kann dann auch das endgültige Heil verstanden werden, nämlich als Ermöglichung der endgültigen, wahren und freien Selbsttat des Menschen »vor Gott durch die Annahme seines eigenen Selbst«372. Damit ist in besonders pointierter Weise der Konnex von Selbstund Gottesverhältnis markiert, dieser nun aber so gekennzeichnet, dass angesichts der a priori bestimmten Struktur menschlicher Personalität auch das Heil des Menschen zum Gegenstand seiner Wahlentscheidung wird. Menschliche Freiheit verwirklicht sich nicht nur angesichts dieses Ausgriffs auf das Ganze, sondern auch gegenüber dem unendlichen Horizont, dem der Mensch sich ausgesetzt sieht.373 Damit ist ein deutlicher Unterschied zu Herms und den ihm ähnlichen Konzeptionen etabliert, war doch bei jenen das Heil stets in einer rein passiv erfahrbaren Erschließung zugänglich. Die ursprüngliche Wahl des Ganzen gilt es nach Rahner allerdings festzuhalten trotz der Tatsache, dass unser Gottesverhältnis stets raumzeitlich vermittelt ist und unsere dementsprechende Erkenntnis daher nur a posteriori geschehen kann. Denn dieser Vermitteltheit selbst liege die apriorische Struktur des Subjekts stets noch zu Grunde, welche auch das Gottesverhältnis unmittelbar betrifft. Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass Freiheit nicht nur Gott gegenüber angenommen wird, sondern in dieser Logik (theologisch) überhaupt angemessen nur unter Integration des Gottesbezugs, d. h. als freie, suchende und fragende Bewegung zu Gott hin verstanden werden kann. Menschliche Personalität und Freiheit wäre nicht angemessen erfasst, würde sie nicht auf diesen Horizont hinstreben, oder anders ausgedrückt: »Die transzendentale Erfahrung ist die Erfahrung der Transzendenz.«374

370 371 372 373 374

A. a. o., 41. A. a. o., 44. Ebda. A.a.O, 99 f. Rahner, Grundkurs, 26.

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4.3.2 Gottoffenheit In einer dem Rahner’schen Konzept vergleichbaren Weise hat Wolfhart Pannenberg menschliches Selbstbewusstsein und Gotteserkenntnis miteinander verwoben. War von Rahner in der Struktur menschlicher Personalität stets ein »Ausgriff auf das Ganze« vorausgesetzt worden, so beschreibt Pannenberg das menschliche Sein als ein solches, das stets über den gerade gegebenen Horizont »immer noch hinausfragen kann«375. Pannenberg nimmt mit diesem Gedanken ein Konzept der philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts auf, das in dem Schlagwort der »Weltoffenheit« (Gehlen) bzw. der »exzentrischen Existenz« (Plessner) seinen Ausdruck gefunden hat376. Beide Stichworte verweisen darauf, dass menschliche Existenz sich im Unterschied zu tierischem Leben nicht im Kontext einer Umwelt vollzieht, die Reize bloß oder in großem Umfang nur zur instinktgesteuerten Wahrnehmung und Reaktion darbieten würde. Menschliche Personalität trägt das Charakteristikum, dass ihr die Welt gegenständlich werden und der Mensch damit in ein distanziertes, verstehendes aber auch intentional handelndes Verhältnis zu den Gegenständen eintreten kann. Um es mit Heidegger zu sagen: Die Gegenstände der menschlichen Lebenswelt sind nicht nur vorhanden, sondern dem Menschen zum spezifischen Gebrauch auch zuhanden.377 In der Möglichkeit der Vergegenständlichung von Welt für den Menschen liegt nach Pannenberg schon ein Moment der »Selbsttranszendenz«378. Vermittelt über die Wahrnehmung von Gegenständen kommt es auch zur Wahrnehmung des eigenen Selbst. Zwischen Welt und Selbst, aber auch zwischen Ich und Selbst kann eine Relation der Distanz eintreten. Der entscheidende Punkt nun aber ist, dass der Wahrnehmung einzelner Gegenstände und des eigenen Selbst als einzeln und endlich der »Ausgriff auf das Allgemeine«379 als unhintergehbare Voraussetzung immer schon zugrundeliegt. Dabei ist nun dieses Allgemeine als eine Instanz, welche die Einheitlichkeit des menschlichen Lebensvollzugs verbürgt, nicht als ein leerer Horizont zu denken, denn es sei darin auch »implizit die göttliche Wirklichkeit 375 Pannenberg, Was ist der Mensch, 9. 376 Auf diese »anthropologische Dimension der Freiheit« bezieht sich auch Elisabeth Gräb-Schmidt (dies., Aufgabe der Verantwortlichkeit, 283 ff; zit. 283). 377 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, bes. 66-72. 378 Pannenberg, Anthropologie, 59. 379 A. a. o., 65.

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bejaht«380. In diesem Sinne könne die Weltoffenheit tatsächlich als »Gottoffenheit«381 gedeutet werden. Als Korrelat der »unendliche[n] Angewiesenheit«382 kommt nur Gott in Frage.383 Der Ausgriff auf das Unendliche ist bei Pannenberg also deshalb der Weltbeziehung des Menschen inhärierend verstanden, weil nur im Kontext eines unendlichen Horizontes Endliches als Endliches gedacht werden kann. Pannenbergs Argumentation ist insofern auch transzendental zu nennen, als er davon ausgeht, dass für jedes einzelne, gegenständliche Wahrnehmen der Horizont des Ganzen schon als Bedingung von dessen Möglichkeit gegenwärtig, wenn auch nicht explizit reflektiert sein muss. Im exzentrischen Ausgriff auf die Gegenstände ist für Pannenberg eine umfassende, nämlich göttlich zu nennende Wirklichkeit impliziert. »Die menschliche Weltoffenheit [...] hat also eine implizit religiöse Tiefenschicht.«384. Weil nach Pannenberg die Welterfahrung im Kontext eines unendlichen Allgemeinen auch das primäre Medium seiner Selbsterfahrung und -bildung darstellt, kommt es zum Gleichklang der religiösen und der selbstreflexiven Bemühung: »Die Frage des Menschen nach sich selber und die Frage nach der göttlichen Wirklichkeit gehören zusammen.«385 Transzendental vorauszusetzen für jede Form von Erkenntnis, insbesondere von Selbsterkenntnis, ist demnach die göttliche Wirklichkeit, aber nun nicht eine – wie noch bei Rahner – gegenüber dieser Wirklichkeit unabhängige Freiheit. Menschliche Freiheit nimmt den Bezug auf das Ganze immer schon positiv in Anspruch.

A. a. o., 66. Ebda, mit Bezug auf die frühe Schrift »Was ist der Mensch«. Pannenberg, Was ist der Mensch, 13. Parallel verläuft der Gedankengang bei Gräb-Schmidt, allerdings unter ausdrücklicher Einbeziehung des Freiheitsthemas: »Die Erfassung von Weltoffenheit als Weltoffenheit ist nämlich Ausdruck der religiösen Dimension des Menschen, die gleichursprünglich Erfahrung seiner Freiheit ist. Beides ist ursprünglich und für den Menschen nicht begründbar.« (dies., Aufgabe der Verantwortung, 286). Damit ist (hier analog zu Rahner) eine transzendentale Argumentation etabliert, die den Transzendenzbezug beinhaltet. 384 Pannenberg, Anthropologie, 69. 385 Ebda.

380 381 382 383

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4.4 Freiheitstheoretische Relevanz 4.4.1 Gottesbeziehung als menschliche Möglichkeit? Ausgangspunkt dieses Gedankengangs war die von Luther her deutlich gewordene Tatsache, dass das Problem der Selbsterkenntnis in hohem Maße als relevant für das Faktum und die Erkenntnis menschlicher (Un-)Freiheit anzusehen ist. Dabei ist in theologischer Perspektive zu betonen, dass wahre Selbst- und Gotteserkenntnis nicht voneinander zu trennen sind. Es stellte sich daher die Frage, welchen Weg eine sachgemäße Argumentation einschlagen kann, will sie sich selbst nicht auf voreilige Annahmen stellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Glaube an Gott bzw. Christus nicht in fideistischem Sinne als Voraussetzung der Argumentation gelten soll, wenn aber gleichzeitig die Einsicht in die aus dem Glauben sich ergebende, epistemische Perspektive auf das servum arbitrium wie die libertas christiana aufrecht erhalten werden soll. Es wurde anhand verschiedener Argumentationstypen aufgezeigt, wie versucht wird, den Gottesbezug des Menschen als allgemeinanthropologisches Phänomen zu plausibilisieren. Dabei gingen die Argumentationen davon aus, dass der Mensch sich insofern durchsichtig ist, dass er sich selbst als einen solchen erkennt, der sich nicht selbst geschaffen hat und dass er daher auch um seine Endlichkeit und Begrenztheit weiß und ausgehend davon nach seiner Welt und sich selbst im Horizont eines Ganzen fragt. Die skizzierten Argumentationen leben von dem Gegenüber von Endlichem und Unendlichem, von Bedingtheit und Unbedingtheit. Dabei ist als anthropologisches Universal (mindestens als Möglichkeit) stets vorausgesetzt, dass der Mensch sich als Endlichen immer schon im Gegenüber zu einem großen Ganzen vorfindet und versteht, und dass für ihn notwendigerweise dieses große Ganze keine Fiktion sein kann. Die transzendentale Begründung von Freiheit impliziert in dieser Logik eine Form von Selbsttranszendierung, die entweder primär in Richtung des unbedingten Ursprungs menschlicher Existenz gedacht werden kann, der sich dann selbst im Modus einer unverfügbaren Erfahrung vergegenwärtigt, oder aber als vorausgesetzter Horizont der jeweiligen Lebenspraxis. Wie schon an verschiedenen Stellen der bisherigen Argumentation so zeigt sich auch hier, dass die Rede von Freiheit stets einen kategorialen Rahmen voraussetzt, der entweder auf die Begründung der Konstitution oder aber der Verwirklichung von menschlicher Personalität abzielt. Dass die beiden Intentionen systematisch zu unterscheiden sind, konnte bereits deutlich werden, nicht jedoch deren systematische Zuordnung im

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Rahmen eines Modells, das die Einheit des Lebensvollzugs freiheitstheoretisch angemessen zu beschreiben in der Lage ist. Zu klären ist dabei auch noch, welcher Horizont des Ganzen dabei je vorausgesetzt ist, denn auch die Manifestation von Unendlichem geschieht im Endlichen. Ist der Horizont dabei immer der gleiche, bleibt das Unbedingte jeweils nur die Rückseite des Endlichen, oder verändert die Gegenwart des Unendlichen zugleich auch das jeweilige Verständnis von Endlichkeit? Die Fragen werden später weiter verfolgt. Konträr zu den gerade skizzierten Ansätzen steht die von Luther hamartiologisch identifizierte Blindheit des Menschen Gott und sich selbst gegenüber.386 Die damit einhergehende Verkrümmung in sich selbst wird als zentrales Merkmal der Sünde ausgemacht. Eine a priori gegebene oder transzendental vorauszusetzende, und damit auch schon für den Zeitpunkt vor der Entstehung des Glaubens bzw. vor der Begegnung mit dem Wort des Evangeliums zu denkende Offenheit für Gott war bei Luther nicht im Blick. Vielmehr hatte ja gerade die These des »servum arbitrium« auf die Unmöglichkeit verwiesen, aus der Perspektive des Glaubens eine schon im Unglauben bzw. überhaupt im Menschen angelegte Möglichkeit auf Gott hin zu benennen. Auf diachroner Ebene und damit in der Perspektive der je individuellen Heilsgeschichte ergibt sich somit eine gewisse Spannung (noch nicht zwingend ein Widerspruch) zwischen der Annahme Luthers, das Gottesverhältnis des Menschen (der Glaube) sei einzig und allein in Gottes Werk gegründet und somit von ihm geschaffen, und der transzendental, dann aber jenseits der Alternative von Sünde und Glaube begründeten Personalität und Offenheit des Menschen. Vereinbar wären beide Annahmen nur, würde auch diese Offenheit wiederum als Werk Gottes gelten können und dabei gerade als solches auch noch in der Sünde vorauszusetzen sein. Dann würde sich allerdings die Frage anschließen, von welchem Standpunkt aus diese Argumentation zu begründen wäre und welche Folgen die epistemische Kategorisierung für den Sachgehalt der solchermaßen beschriebenen (Un-)Freiheit hätte. In synchroner Perspektive stellte sich die Frage, ob die Selbstpräsenz von Personen bzw. deren welthaft-gegenständlich vermitteltes Selbstverhältnis als Ausgangspunkt und anthropologischer Ort der Bezugnahme auf Gott (transzendental) vorausgesetzt werden kann, oder ob 386 Vgl. etwa auch die These 17 von Luthers Ddh, die dem Menschen die Möglichkeit der Selbsterkenntnis mit Mitteln der Vernunft abspricht (siehe dazu auch Ebeling, Disputatio 2/2, 437 ff).

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dieses Selbstverhältnis in seiner Struktur den Glauben auch verhindern kann. Hier stehen wir vor der traditionellen Frage nach einem »Anknüpfungspunkt« des Handelns bzw. der Gnade Gottes am oder im Menschen, ohne dass die dabei bereits überwundenen Einseitigkeiten in unserem Kontext wieder dargebracht werden sollten. 4.4.2 Formale anthropologische Ontologie? Das Problem ließe sich lösen, wenn es eine »neutrale« Struktur menschlicher Existenz gäbe, in die dann Sünde oder Glaube als spezifische Aktualisierungen und Ausprägungen eingezeichnet werden könnten. Daher ergibt sich tatsächlich die Frage: Kann eine formale Struktur, eine »Ontologie«387 menschlicher Personalität als Ausgangspunkt genommen und deren epistemische Zuverlässigkeit im Blick auf Gottes- und Selbstverständnis vorausgesetzt werden? Mit dieser Frage hängt eine weitere Problemstellung zusammen: Lässt sich Freiheit als transzendentaler Sachverhalt bestimmen, der auch in der Reflexion des Gottesverhältnisses als darin stets schon vorausgesetzt angesehen werden muss? Der Vorteil liegt auf der Hand: Der christliche Glaube und die theologische Reflexion auf ein christliches Verständnis des Menschen müssen nicht als eine gesonderte Betrachtungsweise sekundär in ein anthropologisches Modell integriert, sondern können von vornherein im Rahmen einer gemeinsamen Ontologie beschrieben werden. Andererseits stellt sich die Frage, ob ein solches ontologisches Modell aus theologischer Perspektive epistemisch erschwinglich ist und inwiefern die spezifische Perspektivität des christlichen Glaubens darin zur Geltung kommen kann.388

387 Vgl. zur Frage der Ontologie in der theologischen Anthropologie allgemein: Joest, Ontologie der Person; Herms/Härle, Rechtfertigung, 78-100, bes. 79; in Bezug auf Luther siehe zusammenfassend (und kritisch) Bayer, Philosophische Denkformen, 143 f. 388 Eilert Herms etwa nimmt ausdrücklich auf die Perspektivität des Glaubens, die Luther in seiner »Anthropologie« voraussetzt, Bezug (ders., Mensch, 392), berücksichtigt diesen Sachverhalt m.E. aber nicht angemessen, indem er etwa nicht deutlich macht, dass auch Luthers Funktionsbestimmung der Vernunft sich erst als Glaubenseinsicht richtig lesen lässt, da sie diese ja erst in der Abgrenzung vom Glauben erhält. Ein zeitlich und sachlich lineares Modell, wie es Herms im Sinne der Vertiefung der Daseinsgewissheit voraussetzt, unterschlägt die Spannungen der Anfechtung, die Luthers anthropologisches Modell stets beinhaltet, und vermag das Neue des Glaubens nicht angemessen zum Ausdruck zu bringen.

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Freiheitstheoretisch relevant ist an den angedeuteten Überlegungen das Problem, inwiefern die Gottesbeziehung des Menschen als ursprünglich im Menschen angelegt verstanden werden muss, um sie als eine freie kennzeichnen zu können. Muss Freiheit auch in dieser Hinsicht mit den eigenen Möglichkeiten des Menschen zu tun haben? Wird diese Frage bejaht, so ist es in der Tat notwendig, die Gottesbeziehung bzw. deren Ort auch in einer allgemeinen Ontologie des Menschseins zu integrieren. Abgesehen von Möglichkeit und Notwendigkeit einer solchen anthropologischen Theorie ist in unserem Kontext spezifisch nach den Konsequenzen für den Freiheitsbegriff selbst zu fragen, der dann notwendigerweise ebenfalls in ontologischer, und d. h. auch in formaler Begrifflichkeit formuliert werden muss.389 Daraus ergibt sich aber wiederum die Aufgabe, zu klären, wie sich dieser formale Freiheitsbegriff zu den konkreten Bedingungen des Vollzugs von Freiheit und ihrer materialen Bestimmtheit verhält.390 Kann er auch angesichts möglicherweise einschränkender Voraussetzungen transzendental weiterhin begründet werden?391 Zu erinnern ist hier an Luthers Widerstand gegen einen neutralen Willen, ein absolutum velle. Es gehört zu den zentralen theologischen Aufgaben, zu erörtern, wie die beiden systematisch zu unterscheidenden Aspekte von Freiheit, der materiale und der formale, zueinander in Beziehung stehen392. Damit korrespondiert in theologischer Perspektive unmittelbar die Frage nach dem jeweils im Kontext der Rede von (Un-)Freiheit des Menschen vorausgesetzten Gottesbegriff. Denn der von einer »Gottoffenheit« des Menschen ausgehende Gedankengang kann Gott zunächst nur als formal zu identifizierendes Absolutes, noch nicht aber als den etwa für Luther in freiheitstheoretischer Hinsicht zentralen Deus pro nobis beschreiben. Der Sinn einer solchen Theorie müsste – will man Gottoffenheit nicht schon im problematischen Sinne als Werk verstehen – rein 389 Siehe etwa Herms/Härle, Rechtfertigung, 86 f; zur Unterscheidung von formaler und materialer Freiheit vgl. auch Pannenberg, Christlicher Glaube, 260 ff, sowie Pröpper, Erlösungsglaube, 183-185 (mit Bezug auf den transzendentalphilosophischen Ansatz von Hermann Krings). 390 Diese Frage ist insbesondere in Bezug auf das Verständnis von Sünde von Bedeutung; Vgl. dazu etwa Pannenberg, Anthropologie, 108 ff. 391 Vgl. hierzu den Aufsatz von Goertz, Konkrete Freiheit, der sich zwar in theologischem Kontext aber im Wesentlichen mit philosophischen, auf die je konkreten Bedingungen und Bedingtheiten Bezug nehmenden Argumenten gegen einen transzendental begründeten Freiheitsbegriff wendet. 392 Darauf weist auch Wilfried Härle, Der freie Wille in theologischer Sicht, 170, freilich ohne das Problem ausreichend zu bearbeiten.

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auf der Ebene der formal-strukturellen Beschreibung des endlichen Subjekts liegen. Von Luther ausgehend lässt sich das Problem präzisieren als die Frage danach, inwiefern aus einer Perspektive des Glaubens, der noch mit Gott ringt und daher deus revelatus und absconditus noch nicht theoretisch unterscheiden kann, ein formaler Freiheits- wie ein formaler Gottesbegriff zu formulieren möglich ist, oder ob diese Reflexion dann nicht von den materialen Bedingungen gewissermaßen aufgesogen wird. Auch auf der Ebene der Theologie im engeren Sinne, die in dieser Arbeit nicht eigens thematisiert wird, geht es um die Verhältnisbestimmung formaler und materialer Aspekte. 4.4.3 Der Andere als kommunikatives Ereignis Es wäre nun unredlich, die formulierten Fragen selbst wiederum a priori, d. h. vor der Auseinandersetzung mit den entsprechenden freiheitstheoretischen Konsequenzen zu beantworten. Es bleibt daher an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass den gerade skizzierten Ansätzen eine Tradition theologischen und philosophischen Denkens gegenübersteht, deren anthropologische Pointe darin zu sehen ist, dass der Mensch sich nur von Gott her neu, anders und umfassend verstehen lernen kann. Dieses Verständnis ist also gerade nicht aus dem herzuleiten, was im Selbstbewusstsein des Menschen bzw. in allgemein anthropologischen Binnenstrukturen angelegt ist. Diese Meinung spricht sich pointiert aus in der These, dass »der Mensch nur von außerhalb seiner zum ganzen Menschen wird«393 und »mehr als sich selbst und insofern erst sich selbst als ganzen Menschen erfahren kann«394. Das hier – metaphorisch benannte – über das Menschliche und die menschliche Selbsterfahrung Hinausgehende wäre nun eben nicht als die Selbsttranszendierung des Menschen beschreib- oder rekonstruierbar, sondern nur als die Erfahrung einer ihn (wiederum metaphorisch gesprochen: von anderswoher) treffenden Wirklichkeit. Die Betroffenheit durch Gott als den ganz Anderen, wie es von der dialektischen Theologie formuliert wurde, kann nur als Ereignis dieser Betroffenheit selbst artikuliert werden. Erkenntnistheoretisch würde dies bedeuten, dass der Mensch nicht dort, wo er Gott erkennt, zu wahrer Selbsterkenntnis gelangt, sondern da, wo er von Gott erkannt wird. Auch Freiheit könn-

393 Jüngel, Der Gott entsprechende Mensch, 292. 394 A. a. o., 293.

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te dann nur gegeben sein, wenn »sie uns von außerhalb unserer selbst zuwächst.«395 Philosophisch wird dieses Grundanliegen etwa von Martin Buber und der philosophischen Schule des Personalismus zur Geltung gebracht, die Personalität nicht auf dem Boden der ihr eigenen »Persongegenwart« oder des je eigenen »Selbstbewusstseins«, sondern gerade erst aus dem Ereignis der Begegnung mit dem anderen, einem »Du«, begründet.396 In dieser Logik wäre dann auch das »absolute Du« Gottes nicht als Implikat der Selbstgewissheit rekonstruierbar, sondern würde das Selbstverhältnis und -verständnis als Person epistemisch und ontologisch erst begründen. In besonders pointierter und aufschlussreicher Weise wurde dieser Ansatz von dem jüdischen Religionsphilosophen Emmanuel Lévinas ausgeführt, auf dessen Grundgedanken ich in einer kurzen Überlegung eingehen will. Lévinas verzichtet darauf, Menschsein ontologisch im Sinne der traditionellen Substanzmetaphysik, aber auch in der Logik einer relationalen Ontologie zu bestimmen und unternimmt es daher auch nicht, Verantwortung und Freiheit aus der Gewinnung allgemein menschlicher Merkmale zu begründen. Sein Interesse gilt dem Übergang »vom Sein zum Seienden«397. Der einzelne Seiende, dessen individuelle Existenz auch im Angesicht des von ihm stark gemachten Anderen keineswegs nivelliert oder ignoriert wird, steht im Fokus. Nun geschieht dies aber nicht so, dass die Existenzdimensionen, derer sich der Einzelne in seinem Selbstbewusstsein vergewissert, in den Blick geraten, sondern der für den Menschen uneinholbare, nicht festzustellende, erschütternde Anruf des Anderen tritt in den Mittelpunkt. Die Beziehung zum Anderen ist dabei nicht wiederum eine Selbstverständlichkeit, ein Sachverhalt, der einer stabilen Ontologie eingeschrieben werden könnte, vielmehr ein die individuelle Existenz zutiefst störendes und erschütterndes Moment. Nicht die einzelnen Relate der Relation, aber auch nicht der Dialog und seine Kreisbewegung in der Situation des Gegenübers (wie noch bei Buber), vielmehr die Betroffenheit durch den Anderen ist das unhintergehbare Phänomen in Lévinas’ Gedanken. Daher ist die Beziehung zum Anderen als asymmetrisch zu beschreiben, weil mich der Andere immer schon in Anspruch genommen hat. Das »Ich« kommt dementsprechend primär im Akkusa395 Evers, Hirnforschung und Theologie, 1116. 396 Siehe v. a. Buber, Ich und Du. 397 Levinas, Vom Sein zum Seienden.

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tiv, im Bestimmt- und In-Anspruch-genommen-Sein des Sich398 durch den Anderen, nicht im Ich des Selbstbewusstseins oder der transzendentalen Apperzeption399 zur Sprache: »Die Identität des Subjekts hat hier in der Tat ihren Grund in der Unmöglichkeit, sich der Verantwortung für den anderen zu entziehen.«400 Es gehört nun zu den spezifischen und für unseren Kontext wesentlichen Charakteristika dieser Philosophie, dass gerade dieses Getroffensein durch den Anderen, die »äußerste Ausgesetztheit«401, die Verantwortlichkeit des Menschen begründet. Sie ist eine »Passivität, die passiver ist als jede Passivität«402 und die daher jenseits der binären Logik von Passivität und Aktivität, wie sie alle Ontologie impliziert, situiert ist403. Verantwortlich bin ich immer schon, weil ich durch den Anderen bei meiner Verantwortlichkeit behaftet bin. »Die grenzenlose Verantwortung, in der ich mich vorfinde, kommt von diesseits meiner Freiheit, von einem ‘Früher-als-alle-Erinnerung’, einem ‘Später-als-alleVollendung’, vom Un-gegenwärtigen, dem schlechthin Nichtursprünglichen, An-archischen, von einem Diesseits- oder Jenseits-desSeins«404. Diese Verantwortlichkeit ist dementsprechend nicht das Ergebnis eigenen Engagements405 oder der im Subjekt liegenden Freiheit des Menschen, vielmehr Ausdruck der Tatsache, dass der Nächste mich betrifft.406 In besonderer Weise theologisch relevant ist nun, dass Lévinas gerade darin, im Verantwortung hervorrufenden Getroffenwerden durch das Antlitz des Anderen, Transzendenz artikuliert sehen kann. Ja er identifiziert beides miteinander, wenn er formuliert, dass »die Verantwortlichkeit für den Anderen Transzendenz ist«407. Charakteristischerweise aber erscheint Transzendenz nun nicht als Implikat der Subjektivität, als deren Anderes der Andere sichtbar wird, vielmehr als ein

398 Siehe Levinas, Jenseits des Seins, 42. 399 Von dieser Kant’schen Figur grenzt sich Levinas des Öfteren ab; vgl. a. a. o., 309 und passim. 400 Levinas, Jenseits des Seins, 48. 401 A. a. o., 318. 402 A. a. o., 50. 403 Vgl. a. a. o., 244. 404 A. a. o., 40. 405 Vgl. a. a. o., 300 ff. 406 Siehe a. a. o., 198. 407 Levinas, Ideologie und Idealismus, 41.

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Phänomen »Jenseits des Seins«408. Die Spur des Anderen und der Transzendenz ist in ihrer Essenz nicht fassbar, auch nicht rekonstruierbar auf Basis einer Theorie des Selbstbewusstseins.409 »Die außerordentliche Illeität ist in ihrer Diachronie, der die Gegenwart nicht gewachsen ist, keine Extra-polation aus dem Endlichen, sie ist nicht das durch Schätzung ermittelte Unsichtbare hinter dem Sichtbaren.«410 Transzendenz ist auch nicht erreichbar auf Basis einer Weltoffenheit des Menschen; sie ist vielmehr nur darin zu sehen, worin sie sich manifestiert, nämlich in der Verantwortung des Menschen angesichts des Anderen. Darin zeigt sie sich und macht sich zugleich auch wieder unsichtbar; »die Offenbarung geschieht durch denjenigen, der sie empfängt, durch das inspierierte Subjekt.«411 Denn Transzendenz lässt sich nach Lévinas nicht in das intentional strukurierte Weltverhältnis des Menschen einschreiben. Sie stellt vielmehr – wie es Eberhard Jüngel interpretiert hat – eine »elementare Unterbrechung«412 unseres Lebenszusammenhanges dar. Es zerreißt den Menschen in seinem Inneren. Es unterbricht sein Selbst-Sein. Der Andere kann meine vermeintliche Selbstgewissheit in Frage stellen. Er kann dies deshalb, weil ich mich selbst immer nur im Gegenüber zum Anderen als Selbst benennen kann, weil das Selbst nur im Akkusativ, in der Anklage durch den Anderen erscheint. Damit ist zunächst, durchaus in Analogie zu den skizzierten erfahrungstheologischen Positionen, die Unverfügbarkeit von Transzendenz für den Menschen betont. Diese wird aber nun insofern radikalisiert, als die Unverfügbarkeit tatsächlich das gänzlich Andere symbolisiert, dasjenige, das uns nicht in einer ontologisch zu fassenden Beziehung begegnet. Transzendenz kann dementsprechend konsequenterweise im eigentlichen Sinne des Wortes nicht erfahren werden, sie kann sich nur ereignen, kann verherrlicht werden in der Verantwortung für den Nächsten.413 Diese Form der Unverfügbarkeit lässt sich als kritischer Einwand gegen die Begründung der Gottesbeziehung und der Verant-

408 So der Titel des späten Hauptwerks: »Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht«, in Aufnahme eines Gedankens bzw. einer Formulierung von Platon: »epeikeia tes ousias«. 409 Siehe Levinas, Jenseits des Seins, 45. 410 A. a. o., 337. 411 A. a. o., 341. 412 Jüngel, Zur Bedeutung der Frage, 226. 413 Vgl. Levinas, Jenseits des Seins, 324.

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wortung in einer ursprünglichen Selbstgewissheit benennen.414 Ist in jenem Kontext die konstitutive Bedeutung des Anderen für das Verständnis meiner Selbst deutlich genug zum Ausdruck gebracht? Und in Verbindung damit: Ist die in der Rechtfertigungslehre vorausgesetzte Passivität und die damit einhergehende Rede von der »Neuen Kreatur« in ihrer Radikalität erfasst, oder kann der Lévinas’sche Gedankengang hier neue Einblicke geben? Zu problematisieren ist aus theologischen Gründen der Lévinas’sche Grundgedanke, ob in der Begegnung mit dem konkreten Du bzw. mit dem Anspruch des Anderen auch schon eine Gottesbegegnung oder sogar eine – wie Lévinas sagen kann – Begegnung mit dem »Wort Gottes«415 zu denken ist. Daran ist soviel richtig, dass aus theologischen Gründen nicht zu bestreiten ist, dass Gott dem Menschen stets innerweltlich vermittelt – lutherisch gesprochen in Wort und Sakrament – und damit immer auch im Rahmen menschlicher Beziehungen und Kommunikation begegnet. Problematisch ist allerdings wie Gott im Kontext von Lévinas’ Denken in der Gestalt des Anrufs des Nächsten gekennzeichnet wird. Denn dieser Anruf tritt stets in der Weise der Forderung, der Anklage oder des ethischen Imperativs auf. Transzendenz ereignet sich hier demnach nicht in Gestalt der unableitbaren Gabe, des Zuspruchs, m.a.W. in Gestalt des Evangeliums, sondern, wie Lévinas in der Betonung des wörtlich verstandenen Akkusativs deutlich macht, als Anklage und Forderung. Diese Dimension zu isolieren und im Prinzip als Gestalt jeglicher Begegnung mit dem Anderen zu beschreiben, entspricht nicht mehr einer evangelischen Theologie. Ungeachtet dessen ist die Situierung der Themen Verantwortung und Transzendenz in einer Forum-Situation, der sich der Einzelne ausgesetzt sieht, durchaus aufschlussreich. Denn hier wird sehr pointiert der relationale und kommunikative Rahmen, wie ihn auch Luthers Freiheitstheorie voraussetzt, deutlich gemacht. Verantwortung ist nur vor jemandem und für jemanden, der ich nicht selbst sein kann, zu begründen. Auch Luthers Argumentation lässt sich nur angesichts des Anrufs Gottes und der Vorraussetzung von Verantwortung für den und vor dem Nächsten oder vor Gott denken. Dabei ist hier wie dort vorausgesetzt, dass die Beziehung zu Gott und zum Nächsten, die Situation coram Deo und coram mundo nicht theoretisch voneinander zu trennen, sondern ineinander verwoben, bei Lévinas im Grunde 414 So etwa Herms, Mensch, 395. 415 Levinas, Vom Einen zum Anderen, 254.

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identisch sind. Dass die Gottesbeziehung nicht zu isolieren, aber auch nicht linear mit Selbstbewusstsein und Selbstverhältnis des Menschen zu verbinden ist, stellt ein wichtiges Ergebnis dieses Gedankengangs dar. Dennoch ist zu betonen, dass auch das Selbstverhältnis, bei Luther spezifisch das (allerdings kommunikativ strukturierte) Gewissen, einen zentralen Ort des Ausdrucks des Glaubens darstellt. Für unseren Kontext von besonderer Bedeutung ist noch, dass Lévinas die Beziehung zum Anderen auch explizit freiheitstheoretisch deutet. Ausgehend von einem Verständnis von Freiheit als »Anfangen« – nicht aber im Kant’schen Sinne der Setzung neuer Kausalketten, sondern spezifisch als Befreiung verstanden – unterscheidet Lévinas eine erste und eine zweite Freiheit. Die erste Freiheit geschieht durch die Identifizierung eines Etwas, der »Hypostase«416, in der Anonymität des Seins. Durch diese Identifizierung aber geschieht gleichzeitig eine Abkapselung und es entsteht Einsamkeit. Darin aber ist die Freiheit schon wieder eingeholt, denn das Ich muss hier immer wieder zu sich selbst zurückkehren, es »kann sich nicht von sich selbst lösen«417. Es ist an sich »gefesselt[..]«418. Aus dieser Form der Ichbezogenheit muss das Subjekt befreit werden, um zur »zweiten Freiheit« zu gelangen, die nun nicht mehr aus sich selbst lebt, sondern vom Anderen her. Der neue Anfang, der hier geschieht, lässt sich im Geschehen des Verzeihens veranschaulichen. Im Verzeihen bzw. Vergeben erfährt die unbarmherzige Unumkehrbarkeit der Zeit eine Korrektur, indem das Vergangene zwar nicht vergessen, aber dennoch ein Neuanfang geschenkt wird. Diese zweite Form von Freiheit ist in besonderer Weise erhellend, weil sie dem lutherischen Gedanken der soteriologisch orientierten Freiheitslehre nahe kommt. Denn auch bei Luther wird Freiheit ja vor allem als Freiheit von der Selbstabschließung, die auch in der Tradition des Personalismus als zentrale Form der Sünde gekennzeichnet wird419, zur Geltung gebracht. Positiv formuliert stellt Freiheit ein Kommunikationsphänomen dar und kann nur in Kommunikationssituationen auftreten. Daher besitzt sie keinen ontologischen, sondern Ereignischarakter. Damit sind einige markante Aspekte des Themas benannt, die den relationalen, kommunikativen und zeitlichen Charakter von Freiheit 416 Siehe Levinas, Die Zeit und der Andere, 26 ff, v. a. 29: »Es bedarf einer Einsamkeit, damit es die Freiheit des Anfangs gibt, […]«. 417 A. a. o., 30. 418 A. a. o., 31. 419 Vgl. exemplarisch zu Ferdinand Ebner: Mühling-Schlapkohl, Art. Ebner, Ferdinand, 1044.

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deutlich unterstreichen. Insbesondere die Bedeutung des Anderen und die Frage nach dem spezifischen Charakter der Begegnung mit ihm in bestimmten kommunikativen Situationen werden später noch vertieft. Es geht nun darum, die anhand der Luther-Schriften dargestellten Aspekte menschlicher (Un-)Freiheit in Aufnahme der fundamentalanthropologischen Überlegungen in eine konsistente systematischtheologische Freiheitstheorie zu integrieren, und diese zum philosophischen, aber auch neurobiologischen Kontext des Themas in Verbindung zu setzen.

5. Systematisch-theologische Überlegungen zur Unfreiheit des Menschen 5.1 Ablehnung absoluter Freiheit 5.1.1 Bedingtheit als Geschöpflichkeit In Luthers Argumentation gegen Erasmus steht nicht die Konzeption eines eigenen Freiheitskonzepts im Vordergrund, sondern die Ablehnung einer bestimmten, von Erasmus vorausgesetzten Definition von Freiheit. Ich orientiere mich an Luthers Gedanken, und skizziere in einem ersten Schritt die Abgrenzung von einem theologisch nicht tragbaren Freiheitsbegriff. Die Ablehnung absoluter Freiheit konnte schon als Grundkonstellation der neurowissenschaftlichen Argumentationen identifiziert werden. Die freiheitstheoretische Interpretation lebt hier zumeist von dem Gegenüber von Gehirn und freiem Selbst, bzw. von Kausalzusammenhängen und Freiheit. Die Verabschiedung eines solchen Konzepts kann mit naturwissenschaftlichen Argumenten gelingen, weisen sie doch eindrücklich auf die Bedingtheit des menschlichen Wollens hin. Denn etwa die Libet-Experimente zeigten, dass menschliches Wollen nicht am Nullpunkt beginnt und dass dem Bewusstsein eines Willens schon unbewusste Gehirnaktivitäten vorangehen. Und auch Gerhard Roth machte deutlich, dass bewusstes Wollen und unbewusste Gehirnprozesse sehr eng miteinander verzahnt sind; die Abhängigkeit des menschlichen Wollens von emotionalen Prägungen ist hier im Blick. Dass ein solcher absoluter Freiheitsbegriff, der sich im Gegenüber zur Bedingtheit menschlichen Wollens profiliert, nicht sinnvoll ist, konnte aber auch mit philosophischen Argumenten ohne Bezugnahme auf empirische Einzelergebnisse mit guten Gründen vertreten werden.

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Ein philosophisches Konzept absoluter Freiheit ist in der Regel verbunden mit einer dualistischen Anthropologie, die neben dem den Bedingtheiten unserer physischen Welt ausgesetzten Leib eine zweite, unabhängige Instanz (Geist, Seele) anzunehmen hat, oder mit einer besonderen, tendenziell mystischen Form von Kausalität rechnen muss. Ähnliches war ja als Gegenkonzept auch in den neurowissenschaftlichen Untersuchungen zumeist vorausgesetzt worden. Es lässt sich nicht plausibel erklären, wie diese geistige Sphäre mit der leiblichen wieder in Verbindung treten kann, ohne dabei selbst der Bedingtheit ausgesetzt zu sein. Oder anders formuliert: Ein reiner Anfang, wie er als Gegenkonzept von den Libet-Experimenten vorausgesetzt wird, ist schlichtweg undenkbar.420 In dieser Linie gehört zu den konsensuellen Annahmen auch der theologischen Anthropologie, dass ein Konzept absoluter Freiheit abgelehnt werden muss. Diese Ablehnung gilt insbesondere auch denjenigen Freiheitsbegriffen, die auf einer Form von (substanz-) dualistischer Anthropologie fußen. Dies ist vor allem deshalb zu betonen, weil gerade auch Religion im Allgemeinen oder der Theologie ein solches Menschenbild bzw. Konzept von Freiheit immer wieder unterstellt wird.421 Dabei kann diese Unterstellung durchaus Anhalt an der Historie finden, verband sich doch die theologische Reflexion teilweise entgegen der biblischen Verwendung des Geist- bzw. Seelenbegriffs422 mit (neu-) platonischer (Augustin), insbesondere dann aber in neuzeitlichem Kontext mit cartesianischer Philosophie oder idealistischem, sich selbst setzendem Ich-Denken423, was allerdings gegenwärtig von keiner sachlichen theologischen Position mehr vertreten wird. Theologisch-anthropologische Entwürfe orientieren sich in der Regel an der leibseelischen Einheit des Menschen, die seine Leibhaftigkeit, Sprachlichkeit und Sozialität zum Ausdruck bringen. 424 420 Siehe oben S. 10, FN 20. 421 Zu greifen ist die Vorstellung etwa, wenn Thomas Metzinger und Wolf Singer gegen den (christlichen) Glauben an ein Leben über den Tod hinaus argumentieren, es könne kein Weiterleben ohne eine physische Basis geben. Dieses wäre demnach an eine immaterielle Seele gebunden (vgl. Ein Frontalangriff, Interview mit Thomas Metzinger und Wolf Singer in GuG 1/2006, 68). 422 Vgl. dazu die nach wie vor maßgeblichen Monographien von H.W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, bes. 22-48.57-67 sowie Udo Schnelle, Neutestamentliche Anthropologie, insbesondere 66 ff sowie 120 ff. 423 Vgl. Seidl, Art. Seele V., 751-756. 424 Vgl. etwa die Skizze von Wolfgang Schoberth, Einführung, 129-138, der gegen die ontologische Verselbständigung der res cogitans in der Tradition Descartes die Leib-

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Daher kann auch für die theologische Anthropologie als Konsens gelten, dass nur ein Konzept von Freiheit diskussionsfähig ist, das sich im Gegenüber zu einer absoluten als bedingte Freiheit versteht.425 Damit bewegt sie sich zunächst auf der Linie der kompatibilistischen Positionen, deren Domäne die Darstellung der Vereinbarkeit von Bedingtheit und Freiheit ist. Dies wurde im Verlauf der Argumentation schon an verschiedenen Stellen deutlich. Das, was in diesem Kontext nun absolut zu nennen wäre, kann und muss in theologischer Perspektive, die dem philosophischen Mainstream in dieser Hinsicht ohne Abstriche zustimmt, allerdings noch präziser gefasst werden. Denn die mit dem Attribut »absolut« implizierte prinzipielle Unabhängigkeit gegenüber jeglichen Bedingungen müsste hier als Unabhängigkeit gegenüber Gott verstanden werden. Denn als »absolute« Größe ist in theologischer Perspektive nur Gott selbst zu denken. Gibt es also auch Gott gegenüber keine Freiheit, bzw. in welcher Hinsicht ist diese auszuschließen? Der Mensch als geschaffene Person lebt stets von den ihm durch Gott zugemuteten Bedingungen der geschöpflichen Welt, insbesondere seiner eigenen Geschöpflichkeit, damit aber seiner Leiblichkeit und Sozialität. Dabei ist diese Geschöpflichkeit nicht nur so zu denken, dass der Mensch sich nicht selbst ursprünglich geschaffen hat, sich also in seinem Dasein immer schon vorfindet, sondern auch so, dass darin die bleibende Abhängigkeit von Gottes erhaltendem Wirken zur Sprache gebracht wird. Diese Abhängigkeit findet ihren Ausdruck darin, dass jeder Mensch bleibend auf die weltlichen, d. h. die natürlichen, aber auch lichkeit, Sprachlichkeit und Sozialität menschlicher Existenz betont, oder die Ausführungen Wolfhart Pannenbergs, ST II, 209-232, der den Menschen als »personale Einheit von Leib und Seele« (a. a. o., 209) beschreibt. Gegenüber der von Descartes vorausgesetzten Substanzmetaphysik wird gegenwärtig zumeist eine relationale Ontologie bevorzugt, die keine eigenständige Seele (oder Geist) voraussetzt (siehe etwa Härle, Hominem iustificari fide; Schwöbel, Menschliches Sein; in Bezug auf das LeibSeele-Problem Dirscherl, Grundriss, 100-103). 425 Siehe etwa Klein, Willensfreiheit, 408 ff; Evers, Hirnforschung und Theologie, 1115, der sich (wie einige Theologen) auf die phänomenologische Analyse des Freiheitsproblems durch Peter Bieri, Das Handwerk der Freiheit, beruft; so auch Körtner, Lasset uns, 77 f sowie ders., Vom unfreien Willen, 208 ff; Herrms, Verantwortlichkeit Illusion, 30; Huber, Verantwortete Freiheit, 326 u.ö.; Ulrich Eibach, Gott im Gehirn, 131133, beschreibt die menschliche Freiheit als geschöpfliche Freiheit im Sinne einer »heilsame[n] Begrenzung« (a. a. o., 131). Die Bedingtheit menschlicher Existenz in ihren verschiedenen Dimensionen stellt deutlich Eilert Herms, Freiheit des Willens, 5358 heraus. Bei letzterem wird allerdings noch nicht deutlich, ob bzw. inwiefern sich aus der Bedingtheit der Existenz auch eine Bedingtheit und Relativierung der Freiheit ergibt.

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sozialen und kulturellen Bedingungen des Lebens angewiesen ist.426 Im Bekenntnis zum Schöpfergott bringt Luther dies folgendermaßen zur Sprache: »Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat sampt allen Kreaturn, mir Leib und Seel, Augen, Ohren und alle Gelieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält, dazu Kleider und Schuch, Essen und Trinken, Haus und Hofe, Weib und Kind, Acker und Viehe und ale Güter, mit aller Notdurft und Nahrung dies Leibs und Lebens reichlich und täglich versorget, [...]«427

Dem Menschen eine absolute Freiheit oder absolute Autonomie zuzuschreiben, hieße den Menschen nicht als Geschöpf, sondern als Schöpfer selbst zu beschreiben. Nur Gott kann durch sich selbst und aus den Bedingungen, die er selbst schafft, existieren. Dies bringen die traditionellen Gottesprädikate der causa sui oder aseitas zum Ausdruck, oder aber auch die Beschreibung der Schöpfung als creatio ex nihilo, wobei das darin implizierte »Nichts« nicht als Verfügungsmasse, sondern als schlechthinnige Voraussetzungslosigkeit gedeutet werden muss.428 Positiv gewendet sagt dies, dass zu den zentralen Merkmalen menschlicher Personalität deren passive Konstitution und darüber hinaus die stets bleibende Angewiesenheit auf nur passiv zu erleidende Bedingungen gehört.429 Der Mensch kann nur dann recht verstanden werden, wenn er als ein Wesen von relativer Freiheit und Abhängigkeit im Kontext der welthaften und sozialen Lebenszusammenhänge, aber in spezifischer Hinsicht auch als Wesen »schlechthinnige[r] Abhängigkeit«430 angesehen wird. Damit ist an dieser Stelle nur gesagt, dass die theologische Anthropologie, insofern sie den Menschen im Horizont des Gottesglaubens betrachtet, überhaupt auf die passiven, endlichen und bedingten Aspekte menschlicher Existenz als Geschöpf hinweist, insofern der Mensch Geschöpf ist, und niemals in einem ursprünglichen Sinne selbstschöpferisch tätig verstanden werden kann. Freiheit ver-

Vgl. dazu Herms, Freiheit des Willens, 50-58. Luther, KK, BSLK 510,33-511,1 (Auslegung zum ersten Glaubensartikel). Vgl. etwa Christoph Schwöbel, Art. Gott, 1122. Siehe zusammenfassend Schoberth, Einführung, 139-146 (Schoberth spricht besonders pointiert sogar von wesentliche[r] Passivität«, a. a. o., 146); vom Erleiden geschöpflicher Bedingungen spricht explizit auch Eilert Herms, Freiheit des Willens, 53; ähnlich auch Körtner, Lasset uns, 216; Stock, Tugendlehre, 17. Eine ausführliche Studie zum Thema liegt nun vor: Philipp Stoellger, Passivität aus Passion. 430 Schleiermacher, Glaubenslehre, §4, 28 und passim. 426 427 428 429

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wirklicht sich nicht in völliger Unabhängigkeit, sondern in der Art und Weise des Umgangs mit den Abhängigkeiten. Die Gegebenheit des eigenen Selbst (samt seiner Einbettung in eine natürliche und soziale Umwelt) stellt demnach auch aus theologischen Gründen die Bedingung der Möglichkeit von Freiheit dar, insofern hier der Zufall ausgeschlossen ist. Dass dies eine unabdingbare Voraussetzung für die Rede von Freiheit ist, haben die philosophischen Argumentationen gezeigt.431 In psychologischem Kontext konnte gezeigt werden, dass die Einsicht in die Bedingtheit geradezu Freiheit fördert.432 Freilich ist mit der Bedingtheit des Menschen zugleich auch eine Begrenzung gegeben, insofern die Voraussetzungen auch zugleich den Spielraum des Freiheitsgebrauchs einschränken. Die Leiblichkeit des Menschen spielt daher auch für die theologische Anthropologie eine zentrale Rolle. Hier zeigt sich die Geschöpflichkeit des Menschen in besonderer Weise. Es gehört zu den zentralen, im 20. Jahrhuundert vertieften Grundeinsichten (nicht nur der Philosophie und Theologie), dass der Mensch nicht nur einen Körper hat, den man auch aus der Außenperspektive (etwa medizinisch oder biologisch) beschreiben kann, sondern auch als Leib existiert. Gerade gegenüber der mit einem cartesianischen Paradigma und dementsprechend mit einem Freiheitsbegriff reiner Geistigkeit operierenden Hirnforschung muss dies neu gesagt werden. Subjektivität zeichnet sich auch durch den Umgang mit der eigenen Leiblichkeit aus und kann sich etwa (wie bei Luther) im Schöpferlob artikulieren. Dies steht nun nicht im Wiederspruch zur Beschreibbarkeit des Körpers aus der Außenperspektive. Denn worin genau nun die Bedingtheiten und Beschränktheiten unseres Freiheitsvollzuges liegen, kann u. a. mit Hilfe der neueren Hirnforschung, aber auch der Psychologie, Psychiatrie und zahlreicher anderer empirischer Wissenschaften immer besser herausgearbeitet werden. Sie bestehen dabei etwa in angeborenen Faktoren (»Gene«) sowie in im Lauf der Entwicklung erworbenen, und gewissermaßen im Leib gespeicherten Einflüssen (»Meme«). Sie äußern sich in der Bedeutung unbewusster Vorgänge in unseren täglichen Entscheidungen. Durch die Analyse dieser Bedingtheiten aber wird nicht verneint, dass der Mensch als leibliches Wesen auch in einem Selbstverhältnis zu seinem eigenen Leib lebt, insofern er diesen pflegen und trainieren kann, und ihn eben auch in Kongruenz 431 Siehe etwa die an dieser Stelle schlüssige Argumentation bei Pauen, siehe II, 3.4.1. 432 Siehe oben S. 60.

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zum Innenleben disziplinieren kann und muss. Der Leib ist der Ort der Verwirklichung, aber auch der Gefährdung von Freiheit. Der Mensch existiert zwar leiblich, er ist aber nicht mit seinem Leib bzw. seinem von außen beschreibbaren Körper (oder auch seinem Gehirn) identisch433. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung von Freiheit. Durch seine Leiblichkeit ist der Mensch in ein natürliches, aber auch ein soziales und kulturelles Umfeld gestellt, das auch schöpfungstheologisch zur Sprache gebracht wird. Die individuelle Freiheit findet daher in ihrer Verwirklichung stets eine Grenze in den Umständen, auf die sie sich bezieht, und in den zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei kann eine absolute Grenze im Spiel sein, wenn geeignete Mittel zur Erreichung eines Ziels nicht zur Verfügung stehen, oder aber relative Grenzen, die für mich insofern gelten, als ich sie selbst akzeptiere (etwa die Freiheit des je Anderen, dessen Würde und Unversehrtheit). Die Einwirkung der Umwelt, insbesondere auch von Anderen auf das eigene Selbstverständnis und Selbstverhältnis, bedingt und beeinflusst wiederum den Freiheitsgebrauch.434 Aber auch hier gilt: diese Form der Bedingtheit ist Voraussetzung von Freiheit, insofern nur vor anderen Personen sinnvoll von Freiheit gesprochen werden kann. Sie entscheidet aber noch nicht über den (freiheitsrelevanten) Umgang der Person mit diesen Bedingtheiten. Bei den benannten Konditionen ist stets die Relationalität der Person angesprochen, insofern dabei im Blick ist, dass sie sich zu den Bedingtheiten (und damit auch zu sich selbst) noch einmal verhalten kann.435 Kann darüber hinaus nun auch ein Aspekt der Bedingtheit benannt werden, der sich ausschließlich auf die Innenseite, auf die Unhintergehbarkeit des eigenen Selbst bezieht? Der Dual von Affekt und Intellekt (wie auch der von der Hirnforschung gern gebrauchte unbewusst-bewusst) ist hier nicht weiterführend, zumal in Konsequenz einer einseitigen Lozierung der Unverfügbarkeit des Selbst in den Affekten als Freiheitsbegriff nur eine cartesianische, sich im reinen 433 Vgl. zur Dualität beider Perspektiven etwa Waldenfels, Das leibliche Selbst, Kap. VI., 246-264. 434 Vgl. 6.1.3. 435 Es ist zwar gegen alle dualistischen Aufspaltungen des Menschseins zu betonen, dass Personen leiblich existieren, d. h. als Einheit von Leib und Seele. Es ist aber genauso festzuhalten, dass Personen nicht mit ihrem Leib identisch sind, bzw. dass ihnen der Leib auch gegenständlich, und damit. in gewisser Weise auch äußerlich werden kann (vgl. Plessner, Der Mensch als Lebewesen, zit. nach Schüssler, Philosophische Anthropologie, 77 ff).

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Denken selbstbestimmende res cogitans in Frage käme. Die Benennung eines solchen Phänomens dürfte sich also nicht in dieser binären Logik bewegen. Von Luther werden verschiedene Begriffe zur Identifizierung dieses unhintergehbaren Zentrums personaler Existenz gebraucht: Person, Herz, oder auch Seele und Gewissen. In der Behandlung des Freiheitstraktats war ich bereits darauf eingegangen. Charakteristisch ist dabei, dass alle diese Begriffe sich – bei durchaus zu benennenden Differenzen und unterschiedlichen Bedeutungsnuancen – auf das Gottesverhältnis des Menschen beziehen. Dabei geht es aber darum, worauf der Mensch sein letztes Vertrauen setzt. Luther bringt den Sachverhalt deutlich zum Ausdruck, indem er formuliert: »fides facit […] personam.«436 Die Person, und das heißt hier, das existentielle Vertrauen, kommt den Werken stets zuvor. Tatsächlich ist Vertrauen eine immer schon vorauszusetzende Konstitutionsbedingung jeden Handelns437, insofern der Handelnde darauf vertraut, dass seine Taten in irgendeiner Weise Bestand und Sinn haben. Wäre dies nicht mindestens in rudimentärem Sinne vorhanden, würde keine Person überhaupt aktiv werden. Sicher ist Vertrauen in bestimmtem Sinn auch lernbar; man kann Vertrauen durch das Gehen bestimmter Schritte einüben, man kann sich jemandem anvertrauen usw. Aber: Auch für all diese Dinge ist immer schon ein Mindestmaß an existentiellem Vertrauen vonnöten. Zeigt sich die Bedeutung des Vertrauens schon als Vorraussetzung für unser Alltagshandeln, so ist die existentielle Bedeutung erst Recht da deutlich, wo es um den Trost im Leben und im Sterben geht. Mit dem Vertrauen ist ein Vollzug als unhintergehbares Moment des Personseins benannt. Denn dieses existentielle Vertrauen kann eben nur vollzogen, es kann aber als solches nicht gegenständlich gemacht werden.438 Der Vollzug kann nur ex post wiederum thematisch und dabei als ein solcher identifiziert werden, der Freiheit ermöglicht, oder aber ausgeschlossen hat; Letzteres ist denkbar, insofern der Mensch auf Dinge vertrauen kann, die in die Unfreiheit führen bzw.

436 WA 39, I, 282, 16 (Die Zirkulardisputation de veste nuptiali, 1537). 437 Vgl. hierzu die These von Claudia Welz, die in ihrer phänomenologisch äußerst aufschlussreichen Studie »Vertrauen und Versuchung« Vertrauen m.E. zurecht als »Basis kommunikativer Handlungen« (a. a. o., 79) beschreibt. 438 Wenn die Frage nach dem Vertrauen gegenständlich wird, so ist, wie Claudia Welz deutlich gemacht hat, schon ein Stück Misstrauen eingezogen und der vertrauensvolle Lebensvollzug damit unterbrochen (dies., Vertrauen und Versuchung, 78).

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Unfreiheit sichtbar machen. Vertrauen als solches kann daher auch nicht per se für Freiheit oder Unfreiheit stehen. Die geschilderte theologische Konzeption von Bedingtheit steht nicht im Widerspruch zu der von Robert Kane geforderten »ultimate responsibility«, die ja keineswegs, wie zuweilen unterstellt, eine absolute, quasi göttliche Freiheit meint.439 Sie beschreibt die Fähigkeit des Menschen, seine Bedingtheit zu übernehmen, sie verantwortlich zu gestalten und auf die Art und Weise der Bedingtheiten, auch der eigenen Entwicklung Einfluss zu nehmen.440 Auch die existentielle Bestimmtheit im Vollzug des Vertrauens meint ja keine zeitlose Festlegung auf einen bestimmten Gegenstand des Wollens, der nun nicht mehr zu ändern wäre. Denn der Mensch verhält sich ja zu seiner eigenen Vergangenheit wie auch zu seiner Zukunft. Hier zeigt sich allerdings, dass die reine Gegenwart freiheitstheoretisch nicht zu fassen ist. 5.1.2 Kein »liberum arbitrium« Gott gegenüber 5.1.2.1 Keine Indifferenzfreiheit Was bedeutet die Bedingtheit menschlicher Existenz nun für das Wollen im engeren Sinne? Luther führte in seinem Widerstand gegen ein liberum arbitrium die grundlegende Differenz von Gott und Mensch als sachlich begründend ein, sei dieses doch in Bezug auf den Mensch als »res [...] de solo titulo«441 und daher als »plane divinum nomen«442 zu bezeichnen. Freiheit im Sinne des freien Wahlvermögens, das nur durch sich selbst konstituiert und begrenzt ist, ist eine symbolische Größe, die man nur als Prädikat Gottes verstehen kann. Nicht unzutref439 Zuletzt v. a. Klein, Willensfreiheit, 382 und passim; in einer ähnlichen Logik bewegt sich Ulrich Körtner, dessen Schüler Klein ist, wenn er die starken inkompatibilistischen Theorien der Willensfreiheit einer bedingten Form von Freiheit gegenüber stellt; ähnlich auch Pothast, Letzte Verantwortlichkeit, v. a. 114-117. Hier muss doch deutlich zwischen verschiedenen Formen libertarischer Freiheit unterschieden werden, die – wie in Teil II der Arbeit gezeigt – längst nicht alle mit Gottesattributen arbeiten. Positionen wie die von Chisholm können auch innerhalb des inkompatibilistisch-libertarischen Paradigmas bei Weitem nicht als repräsentativ gelten. 440 Ohne es so zu nennen, haben Wolfhart Pannenberg (Anthropologie, 113) sowie Karl Rahner (Grundkurs, 33-36) diesen Sachverhalt angesprochen, indem sie betonen, dass der Mensch sich als freie Person in seiner Ganzheit, und nicht nur in einzelnen Entscheidungsaspekten gegeben sei. 441 Luther, Disp. Heidelb. Hab., These XIII, LDStA 46,13. 442 Dsa, LDStA 294,4.

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fend hat Hans-Joachim Iwand daher die Meinung Luthers interpretiert, wenn er konstatiert, jener sehe »in der Doktrin vom liberum arbitrium die Apotheose des Menschen«443 verwirklicht. Es kann durchaus diskutiert werden, ob Luther Erasmus in seiner radikalen Ablehnung überinterpretiert, ob er Erasmus also einen zu starken Freiheitsbegriff unterstellt hat, den dieser möglicherweise nur aus rhetorischen Gründen an den Anfang gestellt hat.444 Unabhängig davon aber ist sachlich zu erörtern, was diese Ablehnung für das Verständnis des menschlichen Wollens bedeutet. Denn über die oben genannte Unterscheidung zwischen Gott und Mensch im Sinne von Abhängigkeit oder Unabhängigkeit hinaus geht es Luther um den Widerstand gegen ein »absolutum Velle«445, ein neutrales, nämlich jenseits von Gut und Böse stehendes Wollen. Dem Menschen kommt nach Luther nicht nur deshalb kein liberum arbitrium zu, weil er überhaupt immer weltlich bedingt ist, sondern weil er nicht eigenständig in der Lage ist, Gut oder Böse bzw. Gott oder den Teufel zu erkennen und zu wollen. Der menschliche Wille kann keine »reine Entscheidungspotentialität«446, und seine Freiheit nicht die einer »Indifferenzfreiheit«447 sein. »Gut und Böse sind keine dem Menschen noch offen stehenden Möglichkeiten.«448 Menschliches Wollen ist vielmehr immer bestimmtes Wollen449, und besitzt stets eine bestimmte Qualität. Es ist nach Luther eben gerade nicht in die Mitte450 gestellt zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel, sondern findet sich immer schon unter einem von ihnen vor. Im Denken Luthers ist diese Annahme evident aufgrund der Annahme der kosmischen Mächte Gott und Teufel, die um den Menschen kämpfen. Der Sachverhalt lässt sich aber auch subjektivitätstheoretisch reformulieren, denn menschliche Freiheit kann, wie etwa Wolfhart Pannenberg deutlich gemacht hat, auch deshalb keine Indifferenzfreiheit sein, weil wir in unseren Wahlakten – unabhängig von deren Iwand, Theologische Einführung, 258. Siehe zu dieser Deutung Hofmann, Erasmus im Streit, 108. Dsa 362,24. Wenz, Luthers Streit mit Erasmus, 139. Ebda. In Bezug auf die Frage der Indifferenz konstatiert Bernhard Lohse ein Missverständnis zwischen Luther und Erasmus (ders., Luthers Theologie, 181). 448 Iwand, Theologische Einführung, 257. 449 Vgl. Ebeling, Luther, 252 »Wille aber ist immer engagierter, von etwas bestimmter Wille«; vgl. auch Bernhardt, Handeln Gottes, 65; Løgstrup, Wille, 517; Klein, Willensfreiheit, 403; Achtner, Willensfreiheit, 149. 450 Vgl. FN 249. 443 444 445 446 447

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objektiver Beurteilung – stets dasjenige präferieren, was uns als das Gute erscheint.451 Kein Mensch würde das Schlechte um des Schlechten willen wählen, es muss für ihn in irgendeiner Hinsicht den Anschein des Guten besitzen. Insbesondere gelte dies dann auch für Gott, als den »Inbegriff des Guten«452. M.a.W.: Der Mensch ist davon abhängig, dass ihm sich etwas als ein Gut, bzw. Gott als Gott erschließt;453 er kann nicht aus der Position eines neutralen Dritten zwischen Gut und Böse wählen. In dieser Hinsicht ist daher auch den oben diskutierten Ansätzen von Erfahrungstheologie (Herms, Härle, Schwöbel, Beiner) zuzustimmen, wenn sie sich gegen die Annahme einer Freiheit jenseits von Gut und Böse wenden, und die Abhängigkeit des Menschen von Erschließungserfahrungen betonen. Die Alternative von Gut und Böse (wie auch der Dual von Gott und Teufel) beinhaltet stets eine konstitutive Asymmetrie. Denn die Wahl des (objektiv) Schlechten hat immer mit einem Erkenntnisdefizit bezüglich des wahrhaft Guten zu tun; das Böse um des Bösen willen ist für den Menschen keine Möglichkeit.454 Welche Struktur von Subjektivität (und damit auch von Freiheit) dabei vorausgesetzt ist und wie Erkenntnis und Wahl des Guten erfolgen, ist damit aber noch nicht gesagt. Der gegenwärtige Argumentationsstand erlaubt nur eine negative Abgrenzung gegenüber einer Form von Indifferenzfreiheit, sowie die grundlegende Annahme, dass Freiheit stets mit der Wahlfähigkeit des wahrhaft Guten zu tun haben muss. 5.1.2.2 Abstand von der ethischen Frage Dabei ist nun allerdings zu betonen, dass es Luther auch in diesem Kontext nicht um eine ethische Frage zu tun ist. In Bezug auf das relativ Gute oder Böse hatte er dem Menschen ja durchaus eine Wahlfreiheit zugebilligt. Es geht hier um die Alternative von Glaube oder Unglaube, 451 Siehe Pannenberg, Anthropologie, 113. 452 Ebda. 453 Diese Erschließung ist keineswegs eine rein rationale, sondern muss sich gewissermaßen leibhaft manifestieren. Andernfalls wären alle Fälle von Suchtverhalten, die ja eine gewisse rationale Einsicht in die Schädlichkeit der Sucht durchaus nicht ausschließen, nicht zu erklären. Luther bringt den Sachverhalt durch die Betonung von Lust und Liebe für menschliche Intentionalität zum Ausdruck (vgl. Beiner, Intentionalität, 54 f). 454 Darin besteht auch die Differenz, die typologisch mit den Figuren Adam und Satan zum Ausdruck gebracht werden kann. Adam ist zwar nach dem Fall dem Bösen ausgeliefert; Satan hingegen steht demgegenüber zumeist für den Bösen schlechthin.

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also um ein das menschliche Zentrum bestimmende Vertrauen oder auch Misstrauen. Damit aber ist gesagt, dass es in Bezug auf das, »[w]orauf Du nu [...]Dein Herz hängest«455, keinen neutralen Standpunkt geben kann, von dem aus das eigene Personzentrum noch einmal zum Gegenstand einer distanzierten Wahl gemacht werden könnte. Auch wenn die Bestimmtheit dieses Personzentrums sich dann wiederum ethisch auswirkt, so ist doch Vorsicht geboten, sie unmittelbar als den »sittlichen Charakter«456der Person zu bezeichnen. Demgegenüber ist die Ablehnung des liberum arbitrium überhaupt als Widerstand gegen die Ethisierung der Fragestellung zu deuten.457 »Denn Gott gegenüber kann der Mensch unmöglich als Handelnder in Aktion treten [...]«.458 Dennoch ist jede ethische Orientierung von Überzeugungen geleitet, die sich darauf beziehen, was wirklich gut ist. Dies wird von Luther nicht geleugnet. Im Kontext der Ethik geht es aber immer um die Wahl relativer Güter in einem bestimmten Horizont. Der Horizont selbst kann vom Menschen nicht gewählt werden. Daher ist die Annahme absoluter Freiheit auch in dieser Hinsicht nicht möglich. Wohl aber kann der Mensch sich in diesem Horizont frei verhalten, etwa in Form der Ausbildung von Intentionen. Diese Ebene aber ist in Luthers Argumentation gerade nicht im Blick. Ihm geht es um den Hinweis, dass der Glaube kein eigenständiges, sich aus einer solch neutralen Position heraus ergebendes Werk des Menschen sein kann. Die theologische und kirchliche Tradition – von protestantischer wie katholischer Seite – betont hier die Unfähigkeit des Menschen, sich ursprünglich, d. h. aus eigenen Möglichkeiten auf Gott zu beziehen. Wenn auch in unterschiedlicher Zuspitzung so wird doch stets die Bedeutung göttlicher Gnade, die mindestens den Anfang machen und den Menschen auf den »Weg« bringen muss, herausgestellt. Dies kann im Rahmen einer Lehre vom fomes peccati, also der selbst noch nicht als Sünde einzustufenden Neigung, sich gegen Gott zu wenden,459 oder aber im Kontext einer in augustinischer Tradition sich bewegenden, »radikalen« Erbsündenlehre, welche die völlige

455 Luther, GK, BSLK 560,23 f (Erklärung zum ersten Gebot). 456 Hermanni, Gott Freiheit Determinismus, 33. 457 Vgl. Wenz, Luthers Streit mit Erasmus, 141, der davon ausgeht, dass »gerade jener moralischen Funktionalisierung seine [d. h. Luthers] schärfste Kritik« gilt. 458 Ebeling, Luther, 251. 459 Vgl. exemplarisch das tridentinische Dekret über die Ursünde (1546), DH 1515.

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Verdorbenheit des Menschen annimmt,460 geschehen. Die Beziehung des Menschen zu Gott hat in der Beziehung Gottes zum Menschen ihr bleibendes, ontisches Fundament.461 Es zeigt sich, dass Vertrauen, wie es als Grundlage jedes Handelns herausgestellt wurde, immer einen Grund benötigt. Vertrauen kann ein Mensch nur dann, wenn er etwas oder jemanden als vertrauenswürdig erkennt. In Frage steht, ob der Mensch dies auch tut und wie er sich zu Gott als dem Grund des Vertrauens verhält bzw. verhalten kann. Kritisch wird daher der Zusammenhang in dem Moment, in dem das Resultat der konstituierenden Wirkung des Handelns Gottes ins Blickfeld rückt. Muss der Mensch auf dem von Gott geschaffenen Fundament eigenständig weiterbauen? Diese Frage ist sowohl für katholische Theologie relevant, die zumeist eine besondere Betonung auf das auch ontologisch feststellbare neue »Sein« legt,462 wie auch für protestantische Entwürfe, die zwar zumeist der These vom »servum arbitrium« in unterschiedlichen Interpretationen zustimmen, aber trotz dieser Unfreiheit die »libertas christiana« als Charakteristikum des Christenmenschen beibehlten wollen.463 Ist hier eine Form von Personalität zu berücksichtigen, die den Menschen befähigt, Gott gegenüber eigenständig und frei zu handeln oder zu glauben?464

460 Vgl. exemplarisch die Bestimmung der Konkordienformel, SD I, BSLK 843 ff (Hauptthese 846,34-847,13). 461 Siehe exemplarisch Schwöbel, Menschliches Sein, v. a. These 2, 194-197. 462 Vgl. exemplarisch Lubomir Žak, der das Anliegen katholischer Theologie und Lutherforschung benennt, die durch die Gnade geschehene Wirkung auch in »Begriffen eines ontologischen Realismus« (ders., Ontologie der menschlichen Person, 329) zu formulieren. 463 Die hier gebrauchte Formulierung darf nicht derart missverstanden werden, dass für protestantische Theologie eine lineare Entwicklung von Unfreiheit zu Freiheit vorzustellen wäre, vielmehr ist ja gerade für Lutherische Theologie der Gleichzeitigkeits-Charakter (»simul«) anthropologischer Aussagen zu betonen. 464 Dieser Gedanke ist etwa formuliert bei Härle, Hominem iustificari fide, 342: »Diese passive Konstitution des Selbstbewusstseins und aller [!] Seelenvermögen befähigt den Menschen dann zur aktiven cooperatio cum Deo [...]«. Vgl. auch Schwöbel (FN 358) in Bezug auf das Paradigma der Selbstbestimmung. Schockenhoff spricht in ähnlicher Weise vom »Vermögen zur Freiheit« (ders., Theologie der Freiheit, 283), das allerdings tatsächlich immer bedroht sei. Die Gnade kann hier dementsprechend verstanden werden als »Wiedereinsetzung der Freiheit in ihr ursprüngliches Vermögen« (a. a. o., 284); vgl. auch Bernhardt, Handeln Gottes, 75; vgl. aber auch die so genannte Free-will-defense (Hick, Swinburne u. a. ), zusammengefasst etwa bei Kreiner, Gott im Leid, v. a. 207-273, die allerdings auf eine menschliche Freiheit gegenüber Gott abhebt.

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Die einhellige Ablehnung einer absoluten Freiheit kann und muss demnach noch in differenzierter Weise auf das Gottesverhältnis selbst bezogen werden. Die Ablehnung einer Indifferenzfreiheit ist noch keineswegs mit Unfreiheit oder einem servum arbitrium zu identifizieren. Viele Vorwürfe gegen Luthers Freiheitskonzept haben mit der Verschmelzung beider Aspekte zu tun. Denn werden sie nicht systematisch unterschieden, so ergeben sich tatsächlich Konsequenzen, die »freiheitstheoretisch ruinös«465 sind. Aufgabe der kommenden beiden Abschnitte ist es daher, die systematischen Begründungen des servum arbitrium ausgehend von der Interpretation Luthers stringent zu skizzieren und ihre Validität zu prüfen. Daraus ergeben sich dann auch die Voraussetzungen für eine christliche Rede von Freiheit.

5.2 Zur schöpfungstheologischen und necessitaristischen Begründungsstrategie Die Tatsache, dass Luther, wie etwa Hans-Joachim Iwand in seiner Interpretation von »De servo arbitrio« betont hat,466 dem Menschen zu keinem Zeitpunkt ein »liberum arbitrium« zuschreiben kann, sowie die starken Äußerungen Luthers über die Notwendigkeit allen Geschehens haben zu spezifischen Begründungs- und Kategorisierungsstrategien für die These des servum arbitrium geführt. Sie lassen sich so zusammenfassen lassen, dass die These des servum arbitrium das »Zentrum von M. Luthers reformatorischer Ontologie des geschaffenen Personseins«467 sei. Die Unfreiheit bzw. Geknechtetheit des arbitrium hat dieser Logik zufolge fundamentale anthropologische Bedeutung. Sie bringt einen Sachverhalt zum Ausdruck, der den Menschen als Geschöpf charakterisiert.468 Dabei wird nun einerseits Luthers These durch Identifizierung mit bestimmten allgemein-anthropologischen Sachverhalten generalisiert, andererseits eben auf diesen je spezifischen Sach465 Dierken, Freiheit als religiöse Leitkategorie, 131. 466 Siehe Iwand, Erläuterungen, 254: »Er kennt weder vor noch nach dem Gnadenempfang einen freien Willen. Der freie Wille ist eine Vokabel, die in seiner Theologie nicht vorkommt, weder in seiner Lehre von der Rechtfertigung noch von der Heiligung.« 467 Herms, Art. Servum arbitrium, 1233. 468 Siehe etwa (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Lohse, Luthers Theologie, 185; Iwand, Erläuterungen, 260; Herms, Freiheit des Willens, 56; Beiner, Intentionalität, 58; Klein, Willensfreiheit, 384.

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verhalt, der im Folgenden noch ausführlicher dargestellt werden soll, zugespitzt. Der Ausgangspunkt soll allerdings bei der Frage nach der Bedeutung von Gottes tätiger Allmacht, wie sie von Luther in »De servo arbitrio« beschrieben wird, für die menschliche Freiheit genommen werden. In einem zweiten Schritt kann dann bedacht werden, ob bzw. inwiefern der hier in den Blick zu nehmenden Notwendigkeit des Weltgeschehens auch ein anthropologischer Sinn zuzuweisen ist. 5.2.1 Vereinbarkeit von menschlicher Freiheit und Gottes Allmacht? 5.2.1.1 Spezifizierung der Relate Nicht nur die Vereinbarkeit von menschlicher Freiheit und naturwissenschaftlichem Determinismus, sondern auch die Verhältnisbestimmung zu Gottes allmächtigem Wirken ist fest in der Tradition philosophischen und theologischen Nachdenkens verankert.469 Ausgehend von biblischen Texten, die Gottes Vorsehung und Weltregierung beschreiben – zumeist in »kerygmatischer Absicht«470 – entwickelte sich der dogmatische Topos der Vorsehungs- bzw. Prädestinationslehre471, der je nach Spezifizierung schöpfungstheologisch im Sinne der continuatio creationis oder aber soteriologisch pointiert werden konnte. Stets aber stand er mit dem anthropologischen Problem der menschlichen (Willens-)Freiheit in Verbindung. Dabei wurde zumeist nicht bezweifelt, dass beide Tatsachen, also Gottes Allmacht bzw. Vorsehung und menschliche Freiheit, zu bejahen sind, vielmehr ging es um die Art und Weise der Verhältnisbestimmung. Die Bejahung menschlicher Freiheit wird dabei insbesondere deshalb angestrebt, weil die mit ihr verbundene Verantwortung auch und gerade coram Deo zu gelten hat. Das Problem ist für die westliche, christliche Theologie insbesondere deshalb von Bedeutung, weil sich die konfessionelle Differenz im Rahmen der Ausbildung der drei großen Konfessionen in der Frühen Neuzeit primär in der Verhältnisbestimmung von menschlicher Freiheit und Gottes praescientia oder praedestinatio artikulierte. Sowohl 469 Vgl. etwa Evans, Art. Prädestination IV., zusammenfassend 110; siehe auch Hermanni, Gott Freiheit Determinismus, der verschiedene Typen der kompatibilistischen Verhältnisbestimmung nennt. 470 Hübner, Art. Prädestination III., 106 (hier in Bezug auf Röm 9-11, gg. eine Systematisierung im Sinn der gemina praedestinatio). 471 Zu den Typen der Interpretation der Prädestinationslehre Luthers vgl. Brandt, Ermöglichte Freiheit, 47 (in Aufnahme einer Systematik von O.H. Pesch).

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die lutherische Konfession in der Konkordienformel (1577), als auch die reformierte in der Dordrechter Synode (1618) und die altgläubige, katholische Glaubensrichtung im so genannten Gnadenstreit (geschlichtet 1607) thematisierten das Problem im Sinne einer innerkirchlichen Identitätsbildung und konfessionellen Abgrenzung.472 Über ca. zwei Jahrhunderte (17./18. Jhdt.) war die Prädestinationslehre (nicht etwa die Abendmahlslehre) die entscheidende konfessionelle Differenz zwischen Lutheranern und Reformierten, in gewissem Sinn auch zwischen Katholiken und Protestanten. Nimmt man nun die Fragestellung unter den gängigen Kategorisierungen der neueren Debatte in den Blick, so stellt sich auch hier die Frage nach der Alternative von Kompatibilismus oder Inkompatibilismus.473 Wie in Bezug auf den naturwissenschaftlichen Determinismus ist allerdings auch hier zu sagen, dass die Frage nicht a priori, will sagen vor Bestimmung dessen, was unter Gottes Allmacht bzw. Prädestination und menschlicher Freiheit in theologischem Sinne verstanden werden kann, zu entscheiden ist. Die Frage stellt sich dabei in synchroner Perspektive als kategoriale Verhältnisbestimmung von göttlichem allmächtigem und menschlichem Handeln, und sodann diachron im Blick auf Vorsehung, Vorherwissen bzw. Prädestination Gottes. Luther hat dabei, wie Martin Seils deutlich gemacht hat, nicht primär ontologische Kategorien zur Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch im Sinn, sondern ist v. a. an deren zeitlichen Aspekten interessiert.474 Ich nehme daher den Ausgangspunkt bei Luthers Charakterisierung Gottes im Sinne einer »Alles in Allem« wirkenden Instanz und will das Problem in systematischer Weiterführung von Luthers Gedanken behandeln. Dass Allmacht Gottes nicht als reine Potentialität ver472 Vgl. zusammenfassend Mahlmann, Art. Prädestination V., 123-136. 473 In dieser Kategorisierung behandeln auch Friedrich Hermanni, Gott Freiheit Determinismus, sowie Andreas Klein, Willensfreiheit, die Fragestellung. 474 Vgl. Seils, Zusammenwirken. Das Problem der Vereinbarkeit ist bei Luther »weder als vorwiegend kausal noch als vorwiegend ontisch, sondern als vorwiegend temporal bestimmt zu denken« (a. a. o., 105). Diesen Sachverhalt sucht Seils mit der Formulierung zum Ausdruck zu bringen, Gott gewähre dem Menschen »freie Zeitspannen« (a. a. o., 103) zur eigenständigen Verfügung. In dieser kategorialen Einordnung, wie auch in der Bindung des Endzieles an den Willen Gottes (ebda) ist Seils Recht zu geben. Ob die materiale Durchführung der Verhältnisbestimmung von menschlichem und göttlichem Handeln gelungen ist, kann mit Beiner (Intentionalität, 123 f) durchaus angefragt werden, etwa in Bezug auf die Verhältnisbestimmung von Zeit und Ewigkeit.

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standen werden kann, war und ist christlicher Theologie konsensuell präsent.475 Eine Allmacht, die nicht auch ausgeübt wird, verdient den Namen nicht, würde Gott in eine Zuschauerrolle abdrängen. Dennoch wurde das Konzept differenziert – am wirkmächtigsten vermutlich in der scholastischen Distinktion zwischen potentia ordinata und absoluta476 – um den unterschiedlichen Modi göttlichen Handelns sowie der Möglichkeit menschlicher Freiheit gerecht werden zu können. Es ist deutlich, dass auch bei einer starken Form der Beschreibung göttlicher Allmacht, die dann – wie bei Luther – alles in allem wirkt, menschliches Handeln als partikulares nicht ausgeschlossen werden kann. Dennoch bestreitet ja gerade Luther mit Argumenten der in Gottes tätiger Allmacht begründeten Notwendigkeit die Freiheit des Menschen im Sinne des liberum arbitrium. Welche Form der Allmacht Gottes und welche Art von Freiheit hat er bei dieser (!) inkompatibilistischen These im Blick? Unstrittig ist, dass ein additives Verhältnis, bei dem etwa davon gesprochen werden könnte, dass Gott dem Menschen neben sich Freiheit gewährt,477 für Luther nicht in Frage kommt478, ebenso wenig die Aufteilung der Anteile nach dem scholastischen Schema der causa prima und causa secunda.479 Die Verhältnisbestimmung von menschlichem und 475 Exemplarisch sei hier verwiesen auf Schwöbel, Art. Gott, 1124, der Allmacht Gottes von Gottes Handeln her, und damit nicht als schwebende Eigenschaft bestimmt. 476 Die Faktizität und Universalität von Gottes tätiger Allmacht ist im Kontext der Argumentation Luthers deutlich gegen die occamistische Unterscheidung von potentia absoluta und ordinata gerichtet, die zur Wahrung der Freiheit Gottes auf eine absolute, außerordentliche Allmacht rekurrierte; vgl. Bayer, Allmacht, 67. 477 So explizit Schockenhoff in Wiedergabe eines Konsenses katholischer Theologie (ders., Netz zerissen, Kap. V.2. S. 312). Den vielleicht prominentesten Ausdruck hat diese Denkfigur in der jüngeren Problemgeschichte wohl in Hans Jonas’ Aufnahme der kabbalistischen Tradition des Zimzum gefunden, der zufolge Gott sich aus der Welt zurückzieht und damit menschlichem, freiem Handeln Raum gewährt. Auf diese Weise wird durch Reduktion von Gottes Allmacht eine Kompatiblität mit Gottes Güte und der Freiheit des Menschen erreicht, und damit das epikureische Trilemma des Theodizeeproblems gelöst (siehe ders., Gottesbegriff nach Auschwitz). Interessanterweise argumentiert Jonas auch mit den intrinsischen Problemen des Begriffs Allmacht, die er analog zu den Schwierigkeiten des Begriffs der Freiheit beschreibt. »Absolute Freiheit wäre leere Freiheit, die sich selber aufhebt. So auch leere Macht, und das wäre die absolute Alleinmacht.« (a. a. o., 78). 478 Dies ist der Grund, warum Bernhardt in der Interpretation Luthers in Bezug auf das Verhältnis von menschlichem und göttlichem Handeln von »[m]onergistische[r] cooperatio« spricht (ders., Handeln Gottes, 70). 479 Vgl. dazu Klein, Willensfreiheit, 368-374. Das Schema soll sowohl den Primat von Gottes Ursächlichkeit, als auch die partielle Eigenständigkeit der Geschöpfe deutlich

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göttlichem Handeln kann nicht so vonstatten gehen, dass die Ermöglichung menschlichen Handelns bzw. menschlicher Freiheit durch eine Reduktion von Gottes Allmacht in dem Sinne geschieht, dass Gott bestimmte Felder dem Menschen bzw. den Menschen gänzlich sich selbst überlässt.480 Statt einem additiven Verhältnis ist besser von einem inklusiven481 auszugehen. Diese freilich auch noch präzisierungsbedürftige Formel legt sich schon durch den häufigen Gebrauch der Partikel »in« durch Luther nahe. In der Auslegung von »De servo arbitrio« wurde dementsprechend zuletzt deutlich herausgearbeitet, dass die von Luther betonte Allwirksamkeit Gottes keine Alleinwirksamkeit meint, sondern den Menschen in spezifischer Weise einschließt.482 Es zeigt sich, dass auch Luther ein Verständnis von cooperatio Gottes mit dem Menschen vertritt, welches allerdings, wie Reinhold Bernhardt herausgestellt hat, keinen Synergismus darstellen kann.483 Die Wirksamkeit Gottes jedenfalls kann nicht in uniformem Sinn auf alle Geschehnisse bezogen werden, sondern muss differenziert beschrieben werden. Damit ist bereits auch deutlich, dass das traditionelle Gottesprädikat der Allmacht keine Willkürallmacht bedeuten kann, die – gewissermaßen ohne Rücksicht auf Verluste – handelt wie sie will. Aber gerade weil dieser Satz – Gott handelt wie er will – für sich genommen durchaus richtig ist, kann christlicher Glaube nur so vom Willen Gottes reden, dass die Selbstbe-

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machen, birgt aber aufgrund des Verbleibs in Kausalschemata grundsätzliche Probleme für ein Gottes- und Menschenverständnis, das sich (wie bei Luther) primär in dynamischen und relationalen Kategorien artikuliert. Damit steht Luthers Beschreibung deutlich etwa der wirkmächtigen Auslegung des Allmachtsgedankens von Hans Jonas (Der Gottesbegriff nach Auschwitz) entgegen, der in der Tradition der jüdischen Kabbalah den Gedanken des Zimzum aufnehmend Gottes Allmacht als einen Akt der Selbstbeschränkung im Sinne eines Rückzugs zu Gunsten seiner Güte beschreibt (siehe oben FN 477). Vgl. Bernhardt, Handeln Gottes, 72, mit Bezug auf Joests Formulierung vom »Inwirken« Gottes in seinen Kreaturen (vgl. Joest, Ontologie, 318). So z.B. Härle, Einleitung, XXVII; Klein, Willensfreiheit, 392; Reinhuber, Kämpfender Glaube, 118. Das ist zu sagen etwa gegen Paul Althaus, Theologie Martin Luthers, 101. Allerdings ist auch zu betonen, dass Althaus zwar die Identität von All- und Alleinwirksamkeit bestätigt, dennoch aber menschlichem Handeln und Arbeiten sein relatives Recht einräumt. Die Rede von Alleinwirksamkeit Gottes findet sich pointiert auch bei Karl Holl, Was verstand Luther unter Religion, 45 f. Bernhardt, Handeln Gottes, 71, unter Bezugnahme auf R. Hermann. Bernhardt betont zu Recht, dass die Asymmetrie zwischen göttlichem und menschlichem Handeln nicht in der Soteriologie, sondern auch im Welthandeln Gottes bzw. in der Ethik aufrecht zu erhalten sei.

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schränkung Gottes durch das Schaffen eines Anderen und die Bindung an diese seine Geschöpfe in der Liebe484 zum Ausdruck gebracht wird. Allmacht Gottes ist also in dem Sinne zu beschreiben, dass es keine außerhalb Gottes liegende Macht geben kann, die ihn aus eigener Potenz einzuschränken in der Lage wäre. Es lässt sich festhalten, dass Luthers Rede von Gottes Allmacht und die damit verbundene Annahme der Notwendigkeit alles Geschehens in Gott menschliche Freiheit nicht grundsätzlich und in jeder Hinsicht ausschließt, und dass sie von Luther primär mit der Intention der Argumentation gegen ein liberum arbitrium, verstanden als ein neutrales, indifferentes Wollen, ins Spiel gebracht wird.485 Demzufolge stellt sich die Frage nach der möglichen Begründungslast für ein servum arbitrium, welche die Annahme der Allmacht Gottes zu tragen in der Lage ist. Dies gilt umso mehr, als sich in der Analyse von »De servo arbitrio« gezeigt hatte, dass die Annahme der Notwendigkeit des Geschehens in der Perspektive der Heilsgewissheit, und damit gerade im Dienste der Freiheit behauptet wird. Damit aber ist der Blickwinkel markiert, den Luther auf das Allmachtsthema einnimmt. Die Allmachtsthese ist eine Glaubensaussage und zunächst kein metaphysischer Satz zur Beschreibung der Welt und Gottes aus objektiver Perspektive.486 Dies bedeutet, dass die von Luther verfochtene Allmacht und Prädestination Gottes deutlich von jeglichem naturwissenschaftlich bzw. naturgesetzlich zu begründenden und damit an Kausalschemata orientierten Determinismus zu unterscheiden ist. In neueren Luther-Auslegungen wird dies immer wieder betont,487 allerdings selten mit dem spezifischen Begründungsansatz 484 Daher ist m.E. korrekterweise in Bezug auf die Allmacht Gottes von der Allmacht seiner Liebe die Rede (siehe etwa Schwöbel, Art. Gott, 1124; sowie Härle, Dogmatik, 258 f; Jüngel, Gott als Geheimnis, 26; Pannenberg, STh I, 456). 485 Darauf weist auch Andreas Klein, Willensfreiheit, 391, hin. 486 Siehe hierzu den wissenschaftstheoretischen Exkurs bei Bayer, Allmacht, 65 f. Dieser weist m.E. berechtigterweise darauf hin, dass für die Aussagekraft eines Terminus dessen Verwendungskontext, der »Sitz im Leben«, bedacht werden muss, der in Bezug auf den Allmachtsbegriff primär in Lob und Klage zu suchen sei. Auf die »innige Verflochtenheit von Denkform und Denkinhalt« weißt auch Iwand, Grundlegende Bedeutung, 19, hin (hier analog in Bezug auf das Problem des servum od. liberum arbitrium). Es handele sich dabei um eine »Glaubensüberzeugung und keine wissenschaftliche Hypothese« (ebda). 487 Die Ablehnung einer deterministischen Interpretation stellt mittlerweile die Mehrheit der Auslegungen dar. So etwa Reinhuber, Kämpfender Glaube, 122-124; Schwöbel, Offenbarung, Glaube, Gewissheit, 223 f; Lohse, Luthers Theologie, 186 (Schwöbel

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Luthers verbunden. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Formen des Determinismus bzw. Nezessitarismus besteht darin, dass die naturgesetzlich begründete Version inhaltlich gewissermaßen »blind« ist, sich nämlich auf strikt formale Zusammenhänge gründet und nur aus der Außenperspektive, also im objektivierenden Blick auf bestimmte kausalitätstheoretisch gedeutete Ereignisfolgen, und damit als metaphysische Aussage begründet werden kann. Blindheit meint hier, dass es den Naturgesetzen »egal« ist, wie ein bestimmter Kausalvorgang ausgeht. Entscheidend ist dass er bei bestimmten Bedingungen immer so ausgeht, wie er ausgeht. Demgegenüber ist der Nezessitarismus Luthers als ein Implikat der Glaubensgewissheit aus der Binnenperspektive des Handelnden und – was dem sachlich voran geht – Glaubenden begründet und bestimmt sich nicht als eine Aussage über

wie auch Lohse argumentieren allerdings mit der Abwesenheit von Zwang gegen eine deterministische Interpretation Luthers, was m.E. noch nicht den Kern der Sache trifft; denn die Abwesenheit von Zwang kann durchaus – wie die philosophische Behandlung des Themas deutlich gemacht haben sollte – mit Determinismus einhergehen; damit muss aber noch nicht Freiheit in einem sachhaltigen Sinne gemeint sein); Härle, Unvereinbarkeit des Determinismus, 9 f (Härle nennt in der Unterscheidung des Wirkens Gottes bezüglich des Guten und des Bösen einen wichtigen Grund, der aber meiner Meinung nach noch nicht das Zentrum der Begründung der Allmachtsthese trifft); Körtner, Vom unfreien Willen, 209; ich bin der Ansicht, dass Körtner korrekt die Unfreiheit des Willens nicht aus der Notwendigkeit eines Determinismus, sondern aus dem Freiheitsverlust in Folge der Sünde herleitet; wenn überhaupt, dann ist, wie Körtner richtig darstellt, nur von »soteriologischem Determinismus« (a. a. o., 220) zu sprechen; ähnlich auch Maurer, Streit um den freien Willen, 126; Für eine deterministische Interpretation sprechen sich etwa Rochus Leonhardt, Servum arbitrium, 148-150, sowie Friedrich Hermanni, Luther oder Erasmus, v. a. 174181, Matthias Petzoldt, Gehirn, 60, aus. Für zuerst genannten ist die deterministische Deutung in Luthers Rede von der Notwendigkeit aller Dinge begründet, der zufolge es richtig sei, zu sagen, dass der Wille Gottes der zureichende Grund für alles, was in der Welt geschieht, sei. Gewiss ist dieser Satz nicht völlig falsch; nichts in dieser Welt geschieht, ohne dass Gott es in gewisser Weise auch will und insofern sein Wille auch der zureichende Grund ist. Es geht aber beim Determinismusproblem m.E. um die Frage, wie Gott etwas will; hier sind die etwa von Härle (Unvereinbarkeit des Determinismus) gemachten Differenzierungen nicht zu unterlaufen; denn die Pointe des naturgesetzlich begründeten Determinismus ist ja gerade die Uniformität der Geltung von Naturgesetzen (siehe z.B. Keil, Willensfreiheit, 28). Entsprechende Differenzierungen lässt auch Wolfgang Achtner vermissen, der ohne zu zögern in Bezug auf Luther von »metaphysische[m] Determinismus« (ders., Willensfreiheit, 170) spricht.

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die notwendige Wirksamkeit Gottes in jeder einzelnen Ursache,488 die eine Identifikation des Wirkens Gottes etwa mit der Naturkausalität erlauben würde. Auch wenn Gottes allmächtiges Handeln auch als aktuales, beständig wirksames beschrieben werden muss, so ist es doch von Luther her v. a. als ein Implikat der Gewissheit über dessen telos489 für den Glaubenden zur Geltung zu bringen; dieses Ziel aber besteht für den Glauben in der eschatisch verwirklichten vollkommenen Gemeinschaft mit Gott. Dem Gedanken kommt vor allem deshalb Gewicht zu, weil in Luthers Argumentation der Aspekt der Notwendigkeit des Geschehens der Zweideutigkeit und Kontingenz der Wirklichkeitserfahrung entgegengehalten wird.490 Kein Geschehen kann zufällig erscheinen, »si Dei voluntatem spectes«491. Dies gilt insbesondere und primär für den Blick auf die Güte Gottes, die gerade dem Sünder gilt, der seine Freiheit missbraucht hat und der im Blick auf sich selbst der Zweideutigkeit, der sein eigenes Handeln immer unterworfen bleibt, auch nie entkommen kann. Die Behauptung der Allmacht Gottes entspringt damit der existentiellen Situation des (angefochtenen) Glaubens, aus der sich 488 Darin ist Rahner recht zu geben; die Anwesenheit bzw. das Wirken Gottes in der Welt ist nicht in einzelnen Wirkursachen identifizierbar; seine Gegenwart ist nur in der transzendentalen, aber geschichtlich vermittelten Erfahrung zu haben. Damit aber ist eine Auflösung des Gegensatzes von Transzendenz und Immanenz gegeben (siehe ders., Grundkurs, 87 f). 489 Vgl. WA 44,66,11. Vgl. Seils, Zusammenwirken, 103. Die Zielgerichtetheit von Gottes Vorherbestimmung ist auch Teil der Vorsehungslehre etwa bei Thomas von Aquin (vgl. etwa STh, q. 22 a.1). Hier ist die Lehre von der Providenz Gottes Element des scholastischen Systems als einer Gesamtschau auf Gottes Wirken mit allen Menschen, innerhalb derer Gott selbst als Grund und Ziel aller Dinge zur Geltung gebracht werden kann. Luther dreht allerdings die Systematik des Thomas insofern um, als er eine Hinordnung der Welt auf ein gutes Ziel nicht als Implikat einer theologischen Kosmologie benennt, dafür aber ein Telos des individuellen Glaubens aufgrund von Gottes Vorherbestimmung in den Blick nimmt. Letzteres lehnt nun allerdings Thomas ab, indem er konstatiert, dass »die tätige Kraft im Menschen nicht im Voraus auf ein einziges Ziel gelenkt« (STh, q. 22 a.2) wird. Richtig sieht auch Melanie Beiner die Bedeutung der Teleologie für den Allmachtsbegriff (dies., Intentionalität, 41), wendet dann aber die daraus folgende Perspektivität der Allmachtsthese in der Durchführung nicht an. 490 Siehe auch Bayer, Gottes Allmacht, für den die Pointe des Allmachtsbegriffs bei Luther »in der festen Gewissheit [...] [besteht], dass Gott sein Wort und Werk der Schöpfung gegen allen Widerstand, gegen Sünde, Tod und Teufel durchhält und zur Vollendung bringt [...]« (a. a. o., 58); ähnlich von Lüpke, Allmacht und Ohnmacht, 176 f. 491 Dsa, 252,3.

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auch ihr Sinn ergibt. Damit aber ist auch gesagt, dass die Aussagen bezüglich der Allmacht Gottes ex post, also aus einer erfahrenen Wirkung, nämlich dem je individuellen, sich an die Verheißung Gottes bzw. an den im Wort offenbaren Gott hängenden Glauben, nicht aber ex ante von der Ursache (Gott selbst) her begründet sind.492 Der Schluss auf die Wirkursache – nämlich auf Gottes prädestinierendes Handeln – erfolgt von hinten her, und kann daher angesichts der Zweitdeutigkeit der erfahrenen Wirklichkeit auch nicht theoretisch verallgemeinert werden, etwa zu einer systematisch entfalteten Lehre von der gemina praedestinatio. Der gerade beschriebene Zusammenhang macht daher auf eine bedeutende Differenz in der Struktur des Glaubens aufmerksam. Es ist hier eine Gewissheit artikuliert, die sich im Gegenüber zur Welterfahrung des Christen, die von »Widrigkeiten« (adversitates)493 geprägt sein mag, beschreiben lässt. Auch der Christ kann der Zweideutigkeit seines Existenzvollzuges noch nicht entkommen (weil er eben Sünder und Gerechter zugleich ist494), aber auch der Tatsache, dass noch nicht alle Menschen glauben, sondern sich offensichtlich von Gott abwenden und daher als Verlorene und Verworfene gelten müssen.495 Die Gerechtigkeit Gottes ist nur dem Glaubenden als Gerechtigkeit gewiss; offenbar und für jedermann sichtbar wird sie erst im Licht der Herrlichkeit sein. Diese Differenz auszuhalten kann als ein Strukturmoment des Glaubens festgehalten werden. Daraus folgt, dass Gottes Allwirksamkeit nicht uniform496 beschrieben werden kann bezüglich der Welt und der in ihr stattfindenden Geschehnissen, auch nicht bezüglich des Menschen. Es ist also eine Differenzierung notwendig, die sich mit den Schlagworten deus absconditus und deus revelatus497 ausspricht; diese hebt nun aber m. e. nicht die Einheit Gottes auf, nötigt diese aber als in sich differenzierte zu denken. Die Differenzierung der Allmacht Gottes lässt sich vom Menschen aus 492 Damit ist eine Kategorisierung benannt, die Melanchthon seit seinem Römerbriefkommentar von 1532 verwendet, die aber sachlich – aufgrund der vorausgesetzten existentiellen Situation – auch für Luther gilt. 493 Dsa, 256, 30. 494 WA 56, 272, 17 f: »peccator re vera, Sed iustus ex reputatione et promissione dei certa, […]« 495 Siehe Dsa, 656. 496 Vgl. Bernhardt, Handeln Gottes, 81. Den Gedanken benennt auch Oswald Bayer, Allmacht Gottes, der den Allmachtsbegriff mit einer glücklichen Formulierung als »mehrdeutiges Metaprädikat« (a. a. o., 64) bezeichnet. 497 Vgl. Bernhardt, Handeln Gottes, 81-83.

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so begründen, dass Gott nicht in gleicher Weise im Glauben wie in der Sünde, im Gottes- wie im Weltverhältnis wirksam sein kann. Demgegenüber muss ein naturgesetzlich begründeter Determinismus aufgrund der strengen Verbindung mit dem dann überall geltenden Kausalitätsgesetz stets uniform in Bezug auf alle Wirklichkeit behauptet werden. Der kategoriale Unterschied zwischen Gottes allmächtigem Handeln und naturgesetzlicher Kausalität wird auf diese Weise deutlich. Gleichzeitig wird auch der grundsätzliche Unterschied göttlichen und menschlichen Handelns ins Licht gerückt, welche sich deshalb nicht als miteinander konkurrierend, sondern integriert im Sinne einer »[m]onergistische[n] cooperatio«498 verstehen lassen. Dies setzt voraus, dass die beiden Instanzen Gott und Mensch nicht gleichsinnig als Handlungssubjekte zur Geltung zu bringen sind. Damit ist auch der Vorwurf zu entkräften, Gottes Wirken würde unzulässigerweise »in Verkennung seiner Transzendenz auf einer metaphysischen Ebene mit der Freiheit des Willens«499 betrachtet, wie dies Otto Hermann Pesch formuliert hat. 5.2.1.2 Ein theologisches Konsequenzargument? Die Frage nach der Kompatibilität von Gottes notwendigem Wirken und menschlicher Freiheit steht also unter grundlegend anderen Vorzeichen als die sich im philosophischen bzw. naturwissenschaftlichen Kontext bewegende Problemstellung.500 Die Notwendigkeit des von Gott begründeten Geschehens kann in dieser Perspektive nicht als manipulierende bzw. Freiheit durch Setzung einer zwingenden Ereignisfolge verhindernde Macht verstanden werden. Sie ist primär eine Freiheit und Vertrauen schaffende Notwendigkeit, die Glaubensgewissheit erst ermöglicht. Diese Annahme wird von den meisten theologischen, zumeist sich auf Luther beziehenden Interpretationen auch angenommen. Dabei wird aber eben zu häufig missachtet, dass Luthers Interpretation der Allmacht Gottes keine metaphysische oder ontologische These, sondern ein Glaubensgegenstand ist. Daher kann auch die 498 Bernhardt, Handeln Gottes, 70. 499 Pesch, Art. Wille/Willensfreiheit, 88. 500 Dies ist zu betonen gegenüber zahlreichen, durchaus veritablen und sinnvollen Versuchen, theologische und philosophische Aspekte ins Gespräch zu bringen, die dabei aber zu schnell – wie etwa exemplarisch Andreas Klein – beide Perspektiven parallelisieren (siehe ders., Willensfreiheit, 407).

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Ablehnung eines indeterministischen bzw. libertarischen Begriffs von Freiheit, wie sie gegenwärtig von den meisten theologischen Positionen vertreten wird, nicht umstandslos über die Annahme von Gottes Allmacht laufen. Oder anders gesagt: Der von Luther abgelehnte Begriff eines liberum arbitrium ist nicht identisch mit einem Begriff libertarischer Freiheit, der im Gegenüber zu einem metaphysischen Determinismus profiliert ist. Dennoch ist die Frage nach der Vereinbarkeit von Allmacht und menschlicher Freiheit und Verantwortung nicht gegenstandslos. Sie ergibt sich insbesondere dann, wenn man das Problem in diachronem Kontext behandelt und sich auf den Aspekt der alternativen Handlungsmöglichkeiten als zentrales Kriterium für die Annahme von Freiheit besinnt. Kann von Freiheit in einem sachhaltigen Sinn, kann insbesondere von einer offenen Zukunft tatsächlich noch die Rede sein, wenn, wie Luther es annahm, Gott alles vorher weiß und bestimmt? Könnte ein theologisches Konsequenzargument Gültigkeit beanspruchen, dann müsste Gottes Wirken an der Welt so verstanden werden, dass es offen stehende Handlungsmöglichkeiten des Menschen ausschließt, womit schon deutlich ist, dass sich der Gedankengang primär auf einen ethisch spezifizierten Freiheitsbegriff beziehen muss. Die genannte Bedingung wäre dann als erfüllt zu denken, wenn die Zeitlichkeit der Existenz inklusive der Offenheit der Zukunft in Bezug auf das Wirken Gottes gewissermaßen als Schein zu entlarven wäre und von Gott her der Verlauf der Welt immer schon feststehen würde. Nur dann könnte menschliches Überlegen, Entscheiden und Handeln zu einem Epiphänomen degradiert werden, dem keine Bedeutung zukommt. Dies aber würde einen Gottesbegriff voraussetzen, der zeitlos oder überzeitlich zu denken ist. Daran ist auch in christlicher Perspektive so viel richtig, dass Gott kein Element in der Zeit, und damit endlich ist, sondern als ewig, das heißt aber nicht als unendlich zeitlich, sondern als kategorial von irdischer Zeit verschieden gedacht werden muss. Zu einem christlichen Gottesbegriff in seinem Zentrum gehört nun aber, dass Gott nicht nur als ewig zu fassen ist, sondern als ein solcher, der sich – zentral in Jesus Christus – in die zeitliche Welt hineinbegibt und in ihr erhaltend, erneuernd und schöpferisch tätig ist. Dieses Tätigsein aber ist von Luther her konsequenterweise zu begreifen als ein zeitlichaktuales Handeln, das die zeitliche Struktur der Welt gerade nicht

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zerstört, sondern allererst hervorbringt und in ihr wirkt.501 Im Kontext der Argumentation Luthers steht dieses zeitlich aktuale Handeln Gottes und damit auch das menschliche, zeitliche Handeln in einer gewissen (nicht aufgelösten) Spannung zur ausdrücklich benannten Ewigkeit des Willens Gottes.502 Das Problem der Offenheit der Zukunft und ihre Bedeutung für menschliches Handeln ist von Luther in »De servo arbitrio« nicht ausdrücklich thematisiert. Nicht verneint wird allerdings die Annahme, dass die unmittelbare Zukunft, die der Mensch je zu gestalten hat, jedenfalls epistemisch offen ist. Dabei wird das Handeln Gottes als ein solches verstanden, das dieser Zukunft ihren bedrohlichen Charakter nimmt und damit Vertrauen in Gottes Treue weckt.503 Gottes Vorsehung und Prädestination kann in dieser Hinsicht sogar als Grundlage des Handelns gelten. Aus dem Gedanken der Notwendigkeit, wie er bei Luther formuliert ist und wie er theologisch sinnvoll gebraucht werden 501 Vgl. zu diesem Gedanken die Überlegungen von Ulrich Beuttler, Die offenen Dimensionen; sowie ders., Gottesgewissheit, Kap. IX; Beuttler macht darauf aufmerksam, dass die Zeit als Struktur der geschöpflichen Welt mit Gottes Wirken erst entsteht und Gott somit in der Zeit, d.h präzise im jeweiligen Jetzt von »innen« her wirkt; zentral ist die Annahme, dass Gottes Wirken die Zeit, die von ihrer phänomenologisch zugänglichen Struktur her immer auch den Aspekt der offenen Zukunft samt der darin gegebenen Möglichkeiten enthält, gerade nicht zerstört. 502 Dieses in der reformatorischen Theologie nicht endgültig gelöste Problem führte innerhalb der oben bereits angesprochenen Diskurse der Frühen Neuzeit zu verschiedenen Lösungsansätzen. Ein besonders pointierter ist dabei das von jesuitischen Theologen, insbesondere Luis de Molina formulierte Konzept der scientia media. Hier ist insofern ein wichtiger Aspekt auf den Punkt gebracht, als das Vorherwissen Gottes als ein solches gedacht wird, das sich explizit auf die kontingente Zeitlichkeit und die damit gegebenen Möglichkeiten des Menschen zu freien Entscheidungen bezieht. Es beinhaltet – noch vor seinen Willensakten – das Wissen über die jeweils unter bestimmten Bedingungen möglichen, freien Entscheidungen des Menschen, wobei vorausgesetzt ist, dass Gott selbst diese jeweiligen Bedingungen herstellen würde. Eine Abhängigkeit von der jeweiligen Freiheit der Menschen ist hier insofern gegeben, als es sich nur auf die potentiellen Verwirklichungen bezieht, aber dennoch aktiv in Form der Wirksamkeit in den Umständen dabei ist. Das Wirken Gottes ist von seinem Vorherwissen und der Freiheit der Menschen kategorial getrennt. Insofern vollzieht sich hier eine (für die Neuzeit typische) antivoluntaristische Revision des Allmachts-Topos, die auf eine Vereinbarkeit von Allmacht und menschlicher Freiheit hinausläuft. 503 Wolfgang Schoberth, Warum Ziele keine Zwecke sind, hat deutlich darauf hingewiesen, dass Handeln Gottes nicht mit dem Naturgeschehen identifiziert werden darf, sondern vielmehr von seiner Treue gerade angesichts der »Kontingenzen des Lebens« (a. a. o.. 92) zu reden ist. Diese sachgemäße Bestimmung entspricht m.E. genau der Systematik Luthers in Dsa.

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kann, ist also nicht prinzipiell die Verneinung eines (auch philosophisch verifizierbaren) Begriffs von Freiheit im Sinne freien Wahlhandelns zu gewinnen. Vertreter eines theologischen Konsequenzarguments, wie Nelson Pike504 oder jüngst Friedrich Hermanni505, für den das Argument zwar logische Gültigkeit besitzt, allerdings aufgrund seines an Pauen angelehnten, minimalen Freiheitsbegriffs keine sachliche Bedeutung hat, operieren mit einem unzulässig formalisierten und universalisierten Begriff göttlicher Allmacht. Sie wird in dieser Logik zu einer abstrakten, nicht mehr in ihrem existentiellen Kontext artikulierten506 und darum den Weltlauf aus einer überzeitlichen Position ein für allemal festlegenden Instanz.507 Gottes Vorsehung und Allmacht sind aber als Implikate des zeitlich sich vollziehenden Glaubens an Gott zur Geltung zu bringen und dürfen nicht in Richtung eines formalen Determinismus extrapoliert werden. Wie in philosophischem Kontext, so zeigt sich auch hier, dass die Perspektive einer Aussage entscheidend für deren sachlich-systematischen Gehalt verantwortlich ist.508 In theologischer Sicht ist die Binnenperspektive derart als irreduzibel zu kennzeichnen, dass theologische Aussagen nicht aus der Vogelbzw. Gottesperspektive argumentieren können.509 Dies gilt sowohl für die Explikation der Inhalte der Glaubensgewissheit, wie auch der anfechtenden Aspekte, die ihren Sitz im Leben in der Klage haben.510 504 Pike, Divine Omniscience. 505 Hermanni, Gott Freiheit Determinismus; den Bezug auf den Freiheitsbegriff Pauens macht Hermanni erstaunlicherweise nicht deutlich, obwohl die Parallelen frappierend sind. 506 Diesen Kontext betont explizit Bernhardt, Handeln Gottes, 62. 507 Es ist nicht zu bestreiten, dass sich in De servo arbitrio Aussagen finden, die eine solche Deutung möglicherweise nahe legen. Allerdings hoffe ich durch die Kontextualisierung des Themas die spezifische, sehr konkrete Perspektivität auch dieser starken Aussagen deutlich gemacht zu haben. 508 Darauf weist auch Hans-Joachim Iwand in Bezug auf die These des servum arbitrium hin; auch hier gelte, dass Denkform und Inhalt untrennbar miteinander verwoben seien (ders., Grundlegende Bed. 19). 509 Den Aspekt hat in Bezug auf Luthers Bekenntnis am Ende von De servo arbitrio Klaus Schwarzwäller herausgearbeitet; er betont das vierfache »credimus« und stellt damit den Bekenntnischarakter heraus (siehe ders.,, Theologia crucis, v. a. 51-58) 510 Darauf weist Oswald Bayer wünschenswert deutlich hin, vgl. ders., Gottes Allmacht, 64; dies zeigt sich in Bezug auf Luther auch daran, dass er die Erwählungslehre nie systematisch, und vor allem nicht, wie es dann Calvin tat, symmetrisch als praedestinatio gemina konzipiert hat. Diesen Gesichtspunkt betont dann – m.E. in der recht verstandenen Tradition Luthers – die Konkordienformel, wenn sie etwa davon spricht, dass »die ewige Wahl Gottes […] gehet nicht zumal über die Frommen und

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Aus der Binnenperspektive ist deutlich, dass der Wille nie gezwungen sein kann, sonst wäre er keine voluntas, sondern eine – um Luthers pointiertes Wortspiel zu verwenden – noluntas; ist diese Willentlichkeit aber gegeben, so könne der kompatibilistischen Interpretation zufolge auch von Freiheit gesprochen werden. Der Wille als solcher aber sei, weil er eben sich selbst vollziehe, durchaus frei. So verlaufen die Argumentationen von Notger Slenczka, Friedrich Hermanni oder Andreas Klein. Dabei wird vor allem der Widersinn eines stärkeren Freiheitsbegriffs, der mit alternativen Möglichkeiten operiert, zu erweisen versucht. Die Probleme solcher Argumente, die im Prinzip ähnlich den philosophisch-kompatibilistischen verlaufen, habe ich in Teil II dieser Arbeit bereits aufgezeigt. Wenn also das kompatibilistische Argument nicht zum Erfolg führt, könnte vermutet werden, dass die Unterstellung der Allmachtsthese doch menschliche Willensfreiheit ausschließen kann. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass ich im philosophischen Teil der Arbeit ein Konzept von »Letztverantwortung« vertreten habe, das die kompatibilistischen Theorien in spezifischer Weise überschreitet. Kann von Freiheit denn noch die Rede sein, wenn als letzte, dann evtl. auch verantwortlich zu nennende Instanz nicht mehr der Mensch, sondern Gott im Spiel ist? 5.2.1.3 Schöpfungstheologische und soteriologische Relevanz In den bisherigen Überlegungen war deutlich geworden, dass von Gottes Allmacht und einer sich daraus ergebenden Notwendigkeit nur dann angemessen geredet wird, wenn die Begriffe differenziert gebraucht werden. In zweierlei Hinsicht nun ist die von Luther beschriebene Allmacht Gottes dabei uneingeschränkt zu behaupten. Dies gilt für die ursprüngliche Schöpfung des Menschen, zu der er aus verständlichen Gründen nichts beizutragen in der Lage ist, wie für die soteriologisch zu beschreibende Neuschöpfung, also die »Neue Kreatur« (2Kor 5,17) bzw. den im Glauben gerechtfertigten Menschen. Hier kann jeweils in keinster Weise von einer cooperatio Gottes mit dem Menschen gesprochen werden, was noch nicht heißt, dass die beiden Aspekte nicht zu unterscheiden wären. Bösen, sondern allein über die Kinder Gottes.« (SD XI, 5; BSLK, 1065) bzw. explizit ablehnt, dass Gott bestimmte Menschen zum Unheil prädestiniere (Ep. XI, 19; BSLK, 821); vgl. auch Korsch, Glaubensgewissheit, 236.

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Die Allmacht Gottes ist hier nun deshalb uneingeschränkt zu konstatieren, weil es jeweils um die Konstitutionsbedingungen des Menschseins geht, einerseits im Hinblick auf die personale Existenz als solche, und andererseits im Blick auf das Selbstverständnis des glaubenden Menschen. Die hier zu beschreibende Allmacht Gottes, die in dieser Perspektive als Alleinwirksamkeit gefasst werden kann, ist das unmittelbare Korrelat der Einsicht in das eigene, unverdient »gewährte Sein«511. Damit aber hat die Allmachtsthese zunächst einen in die Vergangenheit gerichteten zeitlichen Index, da sie sich an dem orientiert, was Gott bereits getan hat: »Ich gläube, daß mich Gott geschaffen hat... [...]«, und »Ich gläube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christ, meinen Herrn, gläuben oder zu ihm kommen kann, sondern der heilige Geist hat mich durchs Evangelion berufen, [...]«512. Damit also sind zwei Perspektiven im Blick, welche jeweils auf die Bedingtheit des Menschen verweisen und Gott als denjenigen herausstellen, der als Ursache dieser Bedingtheit benannt werden kann. Dies ist für die schöpfungstheologische Perspektive unmittelbar evident. Gleichzeitig ist aber auch der Glaube als ein nicht aus der eigenen Freiheit hervorgehendes Geschehen beschrieben. Hier ist nun aber die Beteiligung des Menschen deutlich, bezieht sich doch die Konstitution auf einen personalen Vollzug.513 Von Unfreiheit kann daher nicht im eigentlichen Sinn die Rede sein. Dies gilt einerseits, weil jede Freiheit auch von Bedingungen lebt, andererseits, weil die hier genannten Bedingungen Personalität in je spezifischer Hinsicht nicht verhindern, sondern allererst ermöglichen. Es hat nun der Glaube an die Rechtfertigung allerdings nicht nur diesen auf seine eigene Konstitution bezogenen, sondern auch einen zukünftigen Aspekt. Angesichts der Tatsache der Umstrittenheit der Rechtfertigung und der Anfechtung des Glaubens, des »Kampfes«, wie es Thomas Reinhuber herausgestellt hat,514 ist der Glaube an die schöpferische Allmacht Gottes auch der Glaube an dessen eschatologische Vollendung, also an die bleibende Treue Gottes gerade angesichts der Widersprüchlichkeit gegenwärtiger Erfahrungen. Diese Annahme der 511 Bayer, Luthers Theologie, 152 (auch im Original kursiv). 512 Luther, KK, Erklärung zum ersten und dritten Artikel, BSLK 510,33 und 511,46-512,3 (Formatierung B. B. ). 513 Vgl. hierzu Seils, Zusammenwirken, 91, der darauf hinweist, dass die Art des jeweils vorausgesetzten »Nichts« schöpfungstheologisch und soteriologisch deutlich zu unterscheiden sei. Vgl. unten 6.2 und 6.3. 514 Vgl. Reinhuber, Kämpfender Glaube, 109 f und passim.

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Allmacht aber ist nur im Modus der Hoffnung auszusagen, allerdings der gewissen Hoffnung aus der Erfahrung des schon ergriffenen Heilshandelns. Der Aspekt ist nicht zu vernachlässigen, da hieraus die Bezogenheit des handelnden Menschen auf seine Zukunft in eine Perspektive gestellt wird, aus der freies Handeln ermöglicht wird. Denn im Bekenntnis zu Gottes Allmacht spricht sich die Gewissheit aus, dass Gott auch in Zukunft der Grund der eigenen Existenz und Lebenswelt sein wird, ganz unabhängig davon, was der Mensch durch seine Handlungen zu erreichen in der Lage sein wird. Das von Robert Kane so genannte »Wert-Experiment« bezüglich des Sinnes der eigenen Existenz in der Zukunft erhält einen Horizont der Gewissheit.515 Es ist in der Sicht des Glaubens nurmehr ein relatives Experiment, das von einem grundlegenden Vertrauen in den Beistand Gottes getragen wird. Die damit gegebene Entlastung eröffnet Freiräume, um zu handeln. Dieser Vertrauensgrund als Schöpfer, Erlöser und Vollender ist eben nun nicht im Handeln, sondern nur im Vertrauen selbst zugänglich, weshalb die Alleinwirksamkeit Gottes hier zu Recht behauptet wird. Diese Bezogenheit auf Gott bringt die Allmacht Gottes derart eindeutig zur Geltung, weil es hier in existentieller, dem Handeln stets vorgeordneter Perspektive um das Menschsein geht. Hier ist die Frage nach der Identität516 des Menschen (Wer bin ich coram Deo?), nicht die nach dem, was zu tun ist, im Spiel. Freilich wurde auch deutlich, dass in der zeitlichen Existenz des Menschen Glauben und Handeln, Evangelium und Gesetz, deus revelatus und deus absconditus noch nicht definitiv, jedenfalls nicht im abstrakten Sinne zu trennen sind. Der Lebensvollzug als solcher steht immer noch unter Anfechtung, vollzieht sich im Kampf, auch in der Klage. Wird auf die Allmacht Gottes Bezug genommen, so kann dies immer nur in einem diese Wirklichkeit schon transzendierenden Sinne geschehen.

515 Vgl. oben 247 ff. 516 Auf den Aspekt der Identität im Kontext des Freiheitsthemas weist zurecht HansMartin Barth hin (vgl. ders., Theologie Luthers, 304).

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5.2.2 Die Annahme des servum arbitrium als »fundamentalanthropologische Theorie«517? 5.2.2.1 Servum arbitrium als Bestimmtheit des Selbstgefühls? In Korrespondenz zur Annahme göttlicher Allmacht bzw. Alleinwirksamkeit gibt es nun gegenwärtig einen vergleichsweise breiten Strom an Auslegungen von »De servo arbitrio«, die versuchen, das Notwendigkeitselement anthropologisch zu identifizieren und als ein Wesensmerkmal des Menschen als Geschöpf bzw. als einen Teil einer anthropologischen Ontologie verstehbar zu machen. Die theologische Binnenperspektive, die ich bislang als konstitutiv erachtet habe, soll damit überschritten werden. Dies ist zunächst insofern plausibel, als ja die Rede von Gottes Allmacht einen schöpfungstheologischen und – eng verbunden damit – soteriologischen Sinn gewinnt, der nicht an den Anfang einer Lebens- oder Glaubensgeschichte zurückzuverlagern, sondern als bleibende Konstitutionsbedingung zur Geltung zu bringen ist. Angeknüpft wird dabei – wie gesehen518 – vor allem an die Stellen in »De servo arbitrio«, in denen von den Affekten des Menschen bzw. der menschlichen Affektivität die Rede ist. Dies sei der Bereich, an dem die Passivität des Menschen, und damit sein servum arbitrium identifiziert werden könne.519 Ich hatte diese einseitige Interpretation bereits oben in Bezug auf Luther einer Kritik unterzogen und darauf hingewiesen, dass zwar die Affektivität des Menschen (weniger die einzelnen Affekte) auf die Leibhaftigkeit menschlicher Existenz, damit aber auch auf deren Unhintergehbarkeit hinweist, dass aber die Interpretation dieses Sachverhalts im Sinne einer passiven anthropologischen Struktur weder der Affektivität noch menschlichem In-der-Welt-Sein insgesamt entspricht. Von Passivität ist nun – aus systematischen Gründen – insbesondere deshalb nicht zu reden, weil diese Kategorie ein eindeutiges, zwischen einer wirkenden Entität und einem Objekt dieser Wirkung situiertes Kausalverhältnis voraussetzen würde. Dies aber ist in Bezug auf die Affektivität des Menschen gerade nicht der Fall, insofern hier der Mensch immer schon als er selbst angesprochen

517 Beiner, Intentionalität, 52. 518 Vgl. insgesamt oben den Abschnitt 2.4.4.2, S. 319 ff. 519 Zu Einzelbelegen bezüglich der Interpretation hinsichtlich der Passiviät des Menschen insbesondere FN 225.

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ist und er sich selbst eben nicht in Richtung einer externen, ihn bzw. seine Affekte eindeutig verursachenden Entität überschreiten kann.520 Systematisch stellt sich die Frage, inwiefern die Unhintergehbarkeit des eigenen Selbst, die ja schon als Argument gegen einen Begriff absoluter Freiheit zur Geltung gebracht wurde, auch das servum arbitrium zu verdeutlichen in der Lage ist. Es hatte sich gezeigt, dass von der von Luther vorausgesetzten Form von Notwendigkeit nicht unmittelbar auf die Unfreiheit des Willens geschlossen werden kann. Dennoch ist es unerlässlich, die aus der Allmachts- bzw. Notwendigkeitsthese abzuleitende Bestimmtheit des Willens noch eigens zu besprechen. Ich hatte oben schon angedeutet, dass diejenigen Versuche, die hier für eine gestufte Bestimmung mit den Metaphern »Grund-« oder »Primär« argumentieren521, der Theorie Luthers nicht entsprechen, die den Willen als je aktuales, in seinem Vollzug immer schon gänzlich bestimmtes Wollen deutet. Was kann nun mit dem jeweils angesprochenen Grund des Wollens bzw. mit der das Wollen leitenden Selbst- oder Daseinsgewissheit gemeint sein, wenn dabei noch nicht der je aktuelle Wille selbst im Spiel ist? Pointiert wird das Problem an einer Stelle von Eilert Herms zur Sprache gebracht, der – in Schleiermacher’scher Tradition stehend – die passive Bedingtheit des Willens durch die Abhängigkeit von einer bestimmten affektiven Gestimmtheit als Ermöglichungsgrund der Selbsterschlossenheit, und damit der »Willensfreiheit«522 kennzeichnet. Von Herms wird betont, die korrekte Übersetzung von »De servo arbitrio« sei nicht »Vom unfreien Willen«, vielmehr werde hier die »Unfreiheit [...] des den freien Willen lenkenden Urteils«523 angesprochen. Damit sei der Wille selbst keineswegs völlig determiniert, aber es sei auf dem Boden der je individuellen Bildungsgeschichte ein »Raum« vorgegeben, der darstelle, was von der Person überhaupt gewollt werden kann.524 Damit sind zwei Aspekte zum Ausdruck gebracht, die ich oben bereits systematisch unterschieden hatte: die zeitlich rückwärts gewandte Beschreibung der Abhängigkeit menschlicher Personalität 520 Vgl. zu diesem Gedanken die Kritik von Dierken, Selbstbewusstsein, 128-132, insbesondere die Fußnoten 38 und 44. 521 Vgl. FN 187. 522 Herms, Art. Verantwortung, 932. 523 Herms, Freiheit des Willens, 56. 524 Herms, Art. Servum arbitrium, 1235; vgl. ders., Verantwortlichkeit Illusion?, 5. Hier ist von einem »Spielraum von möglichen eigenen Zielen und Wegen« die Rede, die jeweils in verantwortlicher Wahl ergriffen werden müssten.

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von einem bestimmten Geschehen, hier von der Prägung der Daseinsgewissheit und des Affekts, und die daraus resultierende Ausrichtung nach vorne, die Prägung der Intentionalität des Menschen. Mit der Deutung von Herms wäre ein bestimmtes kompatibilistisches, nämlich Freiheit von Zwang als hinreichende Bedingung für Willensfreiheit in Anspruch nehmendes Paradigma auch in theologischem Kontext etabliert.525 Die diesbezügliche Kritik habe ich schon in philosophischem Kontext vorgebracht. Auch die Entstehung des Willens im eigenen Urteil gehört zu seiner Freiheit.526 Dabei sind die angesprochenen Aspekte zunächst durchaus positiv zu würdigen: Die Annahme der Bestimmtheit des Willens, die aber noch keine Determination ist,527 und die damit verbundene Offenheit, die jenseits der Alternative Zwang oder Willkür einen Raum zur freien Entfaltung des Willens bietet. Dies hatte ich schon in der philosophischen Behandlung des Themas als eine notwendige Voraussetzung von Freiheit dargelegt. Dennoch ist auch hier die Frage, wie sich Offenheit und Bestimmtheit des Willens zueinander verhalten, bzw. wo und wie insbesondere die Bestimmtheit auszusagen ist. Das Phänomen muss sich im Rahmen der zeitlichen Struktur des menschlichen Willens, die ich im Verlauf der Arbeit als fundamental herausgestellt hatte, beschreiben lassen. Dabei wurde nun deutlich, dass die Offenheit der Zukunft gerade auch für den Prozess der Willensbildung vorauszusetzen ist, und dass der Mensch angesichts dieser zeitlichen Struktur stets zur Bildung seines Willens gerufen bzw. genötigt ist. Insofern ist es durchaus treffend, mit Jean-Paul Sartre zu sagen, der Mensch sei »verurteilt, frei zu sein«528. Inwiefern kann hier nun ein »Grundwollen« oder eine grundlegende »Daseinsgewissheit« o.ä. als 525 Siehe explizit Herms, Freiheit des Willens, 56, Fußnote 25. 526 In einer ähnlichen Logik bewegt sich Johannes von Lüpke, wenn er eine natürliche Handlungsfreiheit von Willensfreiheit abgrenzt (ders., Allmacht Ohnmacht, 167 f). Das theologische Argument kann sich m.E. nicht schlichtweg auf die Ablehnung von Willensfreiheit (im philosophischen Sinn) zurückziehen. 527 Von einer derartigen Interpretation grenzt sich Eilert Herms explizit ab (ders. Art. servum arbitrium I., 1235). Er spricht davon, dass hier ein »Ausdruck eines ignoranten Mißverständnisses ihres [d. h. der Lehre vom Servum arbitrium] onto.-theol. Sinnes« vorliege. 528 Sartre, Das Sein und das Nichts, 764. Ähnlich, und in dieser Hinsicht durchaus zutreffend lauten ja auch die Formulierungen von Herms, etwa im Art. Servum arbitrium, 1233 f, wenn davon die Rede ist, dass die Bedingungen menschlicher Existenz es für die Person »möglich und notwendig (unvermeidlich) machen, selbstbewußt-frei […] zu handeln.«

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dann ja auch durch die Zeit hinweg identisches bzw. zwar veränderbares, aber doch grundsätzlich stabiles Element identifiziert werden? Ein wichtiges Ergebnis der philosophischen Untersuchungen war ja, dass sich der konkrete Wille eines Menschen und damit auch die Art seiner Bestimmtheit nur in Entscheidungssituationen manifestiert. Damit aber ist auch deutlich, dass der tatsächliche Wille jeweils nur ex post zu identifizieren ist und somit auch ein vermeintlicher Grundwille nur als ein in der Rückschau zu rekonstruierender in Frage kommt. Ex ante einer Entscheidungssituation kann ein Grundwille zwar auch zur Geltung kommen, indem er von vornherein bestimmte Alternativen ausschließt und einen Rahmen, bzw. eine grobe Richtung vorgibt. Gerade aber bei existentiell wichtigen Entscheidungen (an denen sich ja das Problem der Willensfreiheit in pointierter Weise zeigt) von einem Grundwillen zu sprechen, dürfte der Sache kaum gerecht werden. Denn gerade in diesen Fällen zeigt sich ja vor einer Entscheidung oftmals die Widersprüchlichkeit der Motive und Intentionen, damit aber auch die innere Zerrissenheit des Willens. Angesichts solcher Situationen, wie sie gerade auch der sich als simul iustus et peccator verstehende Glaubende kennt, noch von einer ontologisch feststellbaren Sphäre des Willens zu reden, ist äußerst problematisch.529 Gewiss ist positiv zu benennen, dass Modelle, wie ich sie hier besprochen habe, den Vorzug besitzen, den Menschen sowohl als Sünder als auch als Glaubenden beschreiben zu können. Gerade die Erneuerung der Person im Glauben wird als Erneuerung des Willens in seinem Zentrum, nämlich des Herzens, beschrieben.530 Auf diese Weise kann und soll dann auch die Spontaneität der guten Werke erklärt werden, die aus einer affektiven Erfahrung fließen. Sie sind nicht durch einen bestimmten Zweck,531 sondern unmittelbar motiviert durch die 529 Von Ontologie reden explizit Joest, Ontologie der Person, und an ihn anschließend Herms, Art. Servum arbitrium, 1233, Härle, Hominem iustificari fide, 353 und passim, Huxel, Ontologie des seelischen Lebens. Aber auch etwa der Ansatz von Melanie Beiner, Intentionalität und Geschöpflichkeit, der das Paradigma einer Ontologie nicht explizit aufnimmt, entspricht faktisch einer solchen Form der Metaphysik; kritisch äußert sich Thaidigsmann, Macht und Mächte, 49, der davon ausgeht, dass das Sein des Menschen neutral überhaupt nicht, sondern nur im Widerstreit festzustellen ist. 530 So bei Herms, Luthers Auslegung, 73 ff; im Anschluss daran Beiner, Intentionalität, 77 ff. 531 D. h. nicht, dass die guten Werke nicht planvoll geschehen könnten oder sollten. Aber die Relation des Werkes zum Zweck ist hier eine andere, insofern diese einen Selbstzweck an sich haben, weil sie dem Nächsten zu Gute kommen, und diesen nicht wiederum als Zweck für ein höheres Ziel in den Dienst nehmen.

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Bestimmtheit der jeweiligen Person. Vorausgesetzt ist in jedem Fall die Präsenz eines unmittelbar gegebenen und erschlossenen Selbst, auf dessen Boden dann auch Einzelentscheidungen getroffen werden können. Damit ist auch ein anthropologischer Ort des Glaubens (symmetrisch aber auch der Sünde) benannt, der den Glauben sowohl als extern konstituiert begreifbar, als auch als einen genuin anthropologischen Vollzug beschreibbar werden lässt. Auch der Übergang von Sünde zu Glaube kann hier expliziert werden als die Veränderung des Inhalts des den Menschen bestimmenden Grundaffekts bzw. Selbstgefühls. 5.2.2.2 Kritik Angesichts der Charakteristik des in den gerade besprochenen Entwürfen vorausgesetzten menschlichen Selbst sind ergänzend einige theologische und anthropologische Schwierigkeiten zu benennen. Kritik kann ansetzen an der These, dass Glaube als Bestimmtheit des Gefühls zu deuten ist. Spricht nicht gerade das Gefühl auch im Glaubenden zuweilen ganz anders als es der Glaube tut? Es dürfte kaum zu bestreiten sein, dass die Affekte das menschliche Leben immer wieder mit Misstrauen, Selbstsucht, kurzum mit Sünde auch beim Glaubenden anreichern.532 Die affektive Bestimmtheit des Menschen, etwa durch Lust oder Unlust, Freude oder Traurigkeit, Hoffnung oder Verzweiflung ist als ein relativ labiles Charakteristikum anzusehen, das dem Gottvertrauen durchaus entgegenstehen kann. Ob daher das Moment der Dauer und Kontinuität, bzw. des Substantiellen des personalen Lebens gegenüber den (gewissermaßen akzidentiellen) Wandlungen gerade in der Affektivität verwirklicht ist, kann durchaus bezweifelt werden.533 Daher gehen die hier verhandelten Auslegungen auch zumeist weniger auf die Einzelaffekte, als vielmehr auf einen Affekt bzw. ein unmittelbares Daseinsgefühl hinaus; hier stellt sich aber die Frage, welchen anthropologischen Erklärungswert ein solches Gefühl noch hat, wenn es nicht mehr mit den konkreten Ausprägungen wie Liebe, Freude oder

532 Dies war in der Tradition seit Augustins Charakterisierung der Sünde vermutlich sogar der bestimmende Tenor; vgl. insgesamt Pannenberg, Anthropologie, 237-258, der die positiven wie negativen Eigenschaften der Affekte in Bezug auf die menschlichen Relationen deutlich herausstellt. 533 Claudia Welz hat in ihrer sehr präzisen Studie »Vertrauen und Versuchung« darauf hingewiesen, dass Gottvertrauen und stabile Gewissheit nicht miteinander identisch sind. Vielmehr sei die »temporale Struktur« (a. a. o., 241) des Vertrauens zu beachten.

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Hoffnung verbunden ist, sondern sich gewissermaßen transzendentalistisch als stets mitzudenkende Voraussetzung verflüchtigt? Darüber hinaus stellt ja auch der Glaube eine paradoxe Existenz dar, insofern aus lutherischer Perspektive nicht angezweifelt werden kann, dass auch für den Gerechtfertigten das Prädikat, Sünder zu sein, gilt.534 Es geht also gerade hier um eine Form der Widersprüchlichkeit der Existenz, die auch die Erfahrung von Differentem und Ambivalentem einschließt. Dieser Ambivalenz aber kann die scheinbare Eindeutigkeit der als Grundrichtung o.ä. qualifizierten Bestimmtheit des unmittelbar (!) gegebenen Selbstgefühls nicht mehr Rechnung tragen. Sie wird ja auch von Luther vorausgesetzt, wenn er für die glaubende Existenz die Kontingenz der Selbsterfahrungen und Selbstbemühungen535 beschreibt, denen er dann den Glauben an die Allmacht Gottes und das Vertrauen in seine Verheißungen gegenüberstellt. Es geht also in einem kritischen Blick auf die dargestellten Positionen auch um die Frage, ob bzw. inwiefern eine solche Beschreibung dem Phänomen des Glaubens, das Differenzerfahrungen gerade nicht aus-, sondern einschließt, gerecht wird. Wie können die Widersprüchlichkeit christlicher Existenz, deren spannungsvoller Charakter536 und damit auch die Hoffnungs- und insbesondere die Vertrauensdimension des Glaubens in anthropologischen Phänomenen ihren Niederschlag finden? Die einseitige Konzentration auf die Affektivität von Seiten vieler gegenwärtiger Ausleger ist defizitär. Wird das Gottvertrauen als ein solches verstanden, das im wörtlichen Sinne sich verlässt, nämlich sich gründet in einem Anderen, dann kann angedeutet werden, dass die unmittelbare Erfahrung des Selbstbewussteins und aller seiner Affekte darin schon transzendiert ist. Der Glaube ist angemessener als »Erfahrung mit der Erfahrung«537 zu beschreiben. Die kommunikative Struktur des Glaubens, innerhalb derer sich das Geschehen der fiducia als ein Hängen am Wort Gottes ereignet und die eine spezifische Diffe534 Dass bei der genaueren Kennzeichnung dessen, was mit der berühmten simulFormel gemeint sein kann, hermeneutische Vorsicht zu walten hat und gegenüber einer vorschnellen symmetrischen Konstruktion oder einer Ontologisierung der Sünde Zweifel angebracht sind, hat Walter Sparn jüngst deutlich gemacht (siehe Sparn, Unbegreifliche Sünde, hier bes. 133-138). 535 Vgl. etwa Achtner, Willensfreiheit, 151, der diesbezüglich sehr treffend von einem »inneren Dynamisierungsprozess« spricht. 536 Vgl. Thaidigsmann, Macht über sich selbst, 51, der zutreffend von einem Streit um den Menschen spricht; ähnlich Reinhuber, Kämpfender Glaube (vgl. Titel!), siehe insbes. 43 ff. 537 Jüngel, Gott als Geheimnis, 40.

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renzerfahrung beinhaltet, darf jedenfalls nicht zu Gunsten einer Logik der unmittelbaren Selbstidentität aufgegeben werden. Damit aber ist das fundamentalanthropologische Problem der Struktur des Selbst bzw. der Identität eines Menschen angesprochen. Die hier und oben (2.4 und 4.2) dargelegten Interpretationen des unfreien Willens bringen ohne Zweifel einen zentralen Sachverhalt zum Ausdruck, indem sie als Korrelat der Ablehnung eines liberum arbitrium darauf hinweisen, dass der Mensch sich selbst in allen seinen Willensakten und Handlungen immer schon mitbringt. Dass dies nicht schlichtweg im Sinne einer passiven Konstitution, erst recht nicht logisch ableitbar im Sinne eines passivum divinum zu lesen ist, hoffe ich deutlich gemacht zu haben. Nun birgt die Artikulation der Voraussetzung des Selbst (sei es christlich oder nicht zu denken) im Modus der unmittelbaren Selbstpräsenz und Selbstgewissheit das spezifische Problem, dass Identität hier gewissermaßen als in sich differenzloser Identitätspunkt verstanden werden muss: Ich bin mir selbst im Modus meiner eigenen Gegenwart gewiss.538 Es muss gar nicht bestritten werden, dass das eigene Selbst auch affektiv oder gefühlsmäßig gegeben ist, es muss aber negiert werden, dass dieses Gegebensein stets schon Gewissheit, auch Selbstgewissheit präsentiert. Zwar ist es, wie die Heidelberger philosophische Schule um Dieter Henrich und Manfred Frank m. e. zutreffend deutlich macht, richtig, davon auszugehen, dass jeder Mensch in allen Akten ein präreflexives Bewusstsein davon mitbringt, dass er selbst es ist, der den entsprechenden Akt vollzieht, und auch darin einen bestimmten Grad an Selbstkenntnis, ohne die er nicht zu handeln in der Lage wäre, mit sich führt;539 dennoch ist die darin sich artikulierende Form von Identität kein in sich stabiles, differenzloses Gebilde. Denn das je schon vorauszusetzende Selbst einer Person ist nicht nur einfach gegeben im Augenblick des Bewusstseins, sondern trägt in sich gewissermaßen die Lebensgeschichte als Ergebnis von Aneignungs- und 538 Strukturell ist diese Form der Gewissheit analog zur Gewissheit des cartesischen cogito, wenn jene auch nicht im Denken, sondern im vorbewussten Fühlen sich artikuliert. In beiden Fällen geht es um die Gewissheit der Selbstbezüglichkeit, die als Struktur (nicht bezüglich ihres Inhalts) unhintergehbar und daher gewiss ist. Dass diese Form der Gewissheit nur eine punktuelle Identität implizieren kann, hat Paul Ricœur herausgestellt (ders., Das Selbst als ein Anderer, 16). 539 Vgl. exemplarisch Henrich, Denken und Selbstsein, 30 ff; in eine ähnliche Richtung weist die ebenfalls präreflexiv gedeutete Rede Pannenbergs von der im Gefühl gegebenen, »unmittelbaren Selbstvertrautheit« (Pannenberg, Anthropologie, 237).

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Abgrenzungsprozessen in sich. Dabei handelt es sich um einen unabgeschlossenen Vermittlungsvorgang von Ich und Selbst, aber auch von Ich und Umwelt bzw. anderen Menschen und – nicht zuletzt – Ich und Gott. Die Notwendigkeit zur Aneignung ergibt sich dabei daraus, dass das Selbst sich nur im Gegenüber zu Anderem erschließt, mithin also die Außenrelation auch ein konstitutives Moment der Selbstbeziehung ist, und umgekehrt. In christlicher Perspektive ist davon auszugehen, dass sich Identitätsbildung auch in der Gottesbeziehung vollzieht, die allerdings nicht als zusätzliches Moment, sondern als Horizont, u. u. auch als Korrektiv von Selbst- und Weltbeziehung zur Geltung zu bringen ist. In dieser Perspektive ist personale Identität als relativ540 stabile Struktur eines unabschließbaren und unhintergehbaren Vermittlungs-, Aneignungs- und Abgrenzungsvorgangs zu beschreiben, der in jedem Moment fortzuführen ist, als eine Art »Fließgleichgewicht«541, als Ipse-, aber nicht als reine Idem-Identität.542 Gerade das unmittelbare sich-als-sich-selbst-Fühlen bzw. -Denken kann sich auch im Modus der Ambivalenz oder Verzweiflung artikulieren. Dies ist von Bedeutung, wenn man den Inhalt des Selbst- oder Daseinsgefühls als grundlegend für die Konstitution von freiheitsrelevanter Gewissheit annimmt. Andernfalls wäre zwar sicherlich auch ein Gewissheitsbegriff zu formulieren, dieser könnte dann aber nur in der Form des »Ich denke« bzw. »Ich fühle« beschrieben werden und damit nur die Selbstgewissheit des eigenen Denkens bzw. Fühlens aussagen. Diese Gewissheit wurde ja auch von Descartes gerade gegenüber allem möglichen Zweifel artikuliert. Dies aber ist noch keine freiheitstheoretisch relevante Form von Gewissheit, da dafür jeweils auch die Struktur und der Inhalt des vorausgesetzten Selbstverhältnisses benannt sein müssten. Dass dieses sich im Denken oder im Fühlen vollzieht, reicht noch nicht aus für die Zuschreibung von Willensfreiheit. Mit der Benennung des Selbst als Inhalt eines je neu auszumittelnden Relationengefüges aber ist – wie auch schon in der philosophischen 540 Das Wort »relativ« kann hier durchaus doppeldeutig verstanden werden. Einerseits im Sinne von »bedingt«, was zum Ausdruck bringt, dass das Selbst eben kein in sich selbst völlig stabiles Gebilde darstellt, sondern immer auch Kontingenzen und Varianzen untersteht. Andererseits ist damit benannt, dass die jeweilige (durchaus variable) Bestimmtheit des Selbst immer von den Beziehungen abhängt, in denen es existiert. Es ist also stabil nur innerhalb der jeweiligen Relationen, nicht unabhängig von diesen. 541 Sparn, Frömmigkeit als Wesen, 141. 542 Vgl. Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, 11 f. 141-171.

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Perspektive – zum Ausdruck gebracht, dass das Selbst stets auch ein Moment von Offenheit, Differenz und Diskontinuität beinhaltet. Es besteht nicht – wie etwa bei Pauen vorausgesetzt – in der Identität von Eigenschaften, Merkmalen oder Präferenzen; es geht ja um dieselbe Person, nicht um die gleiche.543 Dieses Moment der Differenz ist ein Prädikat von Affekt und Intellekt. Ist aber diese Offenheit nicht durch die jeweilige Vorraussetzung des Selbst als solches abgeschafft, so ist deutlich, dass einem so verstandenen Selbst Freiheit eignet, insofern es sich zu sich selbst verhalten und sich auch selbst (innerhalb bestimmter Grenzen) bilden und bestimmen kann.544 Der Sachverhalt wird nun von den meisten Argumentationen auch gar nicht geleugnet, insofern ja des Öfteren von »bestimmter Selbstbestimmung«545 und ähnlichen Formulierungen die Rede ist. Dabei aber wird noch nicht deutlich, warum es notwendig sein sollte, von einem servum arbitrium, also einem geknechteten oder versklavten Willensvermögen zu reden, das mehr ist als nur die Bestimmtheit von Selbstbestimmung. Die meist formalen Beschreibungen dessen, was Bestimmtheit bedeutet, können deren freiheitstheoretische Relevanz noch nicht aufklären. Insgesamt drängt sich der Verdacht auf, dass die gerade gekennzeichneten Begründungen des servum arbitrium in ihrer Struktur nicht differenziert genug und damit in ihrer theologischen und anthropologischen Aussagekraft begrenzt sind. Ich gehe der Frage nach, indem ich die aus der unmittelbaren Textexegese sich ergebende hamartiologische Einbettung als systematischen Interpretationsansatz wähle.

5.3 Zur hamartiologischen Begründung 5.3.1 Hermeneutische Vorüberlegungen Erstaunlicherweise tritt trotz des relativ eindeutig zu erhebenden »exegetischen Befundes«, dass nämlich die Unfreiheit des Willens im Sinne der servitudo arbitrii bei Luther hamartiologisch begründet ist, der systematische Kontext in den deutschsprachigen Auslegungen in den 543 Vgl. Rungaldier, Fortdauer des Ich, v. a. 194-199. 544 Insofern ist es falsch, wenn etwa Wolfang Achtner in m.E. unzureichend reflektiertem Anschluss an Beiner konstatiert, die Intentionalität »sei dem Menschen unveränderlich vorgegeben« (ders., Willensfreiheit, 170) und dann diese auch dem verborgenen deus absconditus zuweist (a. a. o., 178).. 545 So beständig Klein, Willensfreiheit, 413 und passim.

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Hintergrund.546 Die spezifische Bindung des Menschen, wie sie in der Herrschaft der Sünde, nämlich im unhintergehbaren Sündersein zum Ausdruck kommt, tritt in den bislang genannten Argumentationsstrategien zumeist als Element einer allgemeinen, passiv konstituierten anthropologischen Struktur auf. Dem steht die Einsicht gegenüber, dass Luther das servum arbitrium im Kontext der Heilsgewissheit als ein »notwendiges Korrelat der Rechtfertigungslehre«547 betrachtet. Dies war auch der bestimmende Argumentationsrahmen, in dem das Problem menschlicher Freiheit in den auf Luther folgenden Lehrstreitigkeiten beheimatet war. Und auch in gegenwärtigen Diskussionen, insbesondere in ökumenischem Kontext, steht das Verhältnis von Freiheit und Sünde, nicht sosehr Freiheit als allgemein menschliches Phänomen, in Frage.548 Zu erörtern ist daher, was in dieser Perspektive das servum arbitrium an anthropologischer Relevanz besitzt. Denn die schlichte Korrelierung von servum arbitrium und Sünde würde diesbezüglich noch keine Klärung bringen, ist ja bereits das Konzept »Sünde« als solches (gerade in neuzeitlichem Kontext) äußerst erklärungsbedürftig.549 Dabei muss bedacht werden, dass sich die Annahme des servum arbitrium aus der Perspektive des Rechtfertigungsglaubens ergibt.550 Der hamartiologische Kontext der Argumentation bringt das servum arbitrium als Aussage über die Konstitutionsbedingungen des Glaubens zur Geltung. Es ist aber analog (im systematischen Zusammenhang der Rede von simul 546 Als Ausnahmen können die Interpretationen von Körtner, Vom unfreien Willen, 202; Klein, Willensfreiheit, 385-389.408-416 gelten; m.E. korrekt ist auch die Systematik bei Oswald Bayer, der das Problem des unfreien Willens in seiner Theologie Luthers im Kontext der Sündenlehre behandelt (ders., Luthers Theologie, Kap. VIII, 160-176); auch Ebeling, Luther, 248 charakterisiert den unfreien Willen als Aussage über den sündigen Menschen; ähnlich auch Eibach, Gott im Gehirn, 133-140. 547 Iwand, Grundlegende Bedeutung, 22. 548 Vgl. die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GE), §19-21. Ulrich Körtner hat diesbezüglich m.E. durchaus treffend formuliert: »Die Debatte ob der Mensch frei oder unfrei ist, greift nach christlichem Verständnis zu kurz.« (ders., Vom unfreien Willen, 202). 549 Zwei neuere dogmatische Bände spiegeln das Problem: Härle/Preul, Sünde; Hoping, Unheilvolles Erbe. 550 Dieser Grundsatz, nämlich dass Sündenerkenntnis nur als Glaubenserkenntnis möglich ist, stellt einen – allerdings erklärungs- bzw. präzisierungsbedürftigen Konsens protestantischer Hamartiologie dar (vgl. Sparn, Unbegreifliche Sünde, v. a. 115121). Als Belege hierfür können die in ihrem Ansatz deutlich unterschiedenen, hier aber konvergierenden Artikel von Wolf Krötke (Sünde VII., v. a. 1888) und Christine Axt-Piscalar (Sünde VII.) gelten; siehe auch Jüngel, Rechtfertigung, 79-81.

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iustus et peccator) auch als Aussage über die bleibende Faktizität der Sünde zu verstehen, welche zwar im Leben des Glaubenden nicht mehr die bestimmende Rolle spielt, die aber kein Mensch je mit theoretischer Sicherheit hinter sich lassen kann (peccatum regnatum). Biblischer Ausgangspunkt der Rede von Sünde als versklavende Macht ist Joh 8,34: »Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht.«551 Dieses Wort, vermutlich in Verbindung mit Röm 7 und einem Beleg bei Augustin552, dürfte bei Luther im Hintergrund gestanden haben, als auch er die Themen Sünde und Knechtschaft (des Willens) eng miteinander verzahnte. Sünde kann zunächst deshalb versklaven, weil sie als (kosmische) Macht verstanden wird, die eine unterdrückende Herrschaft ausübt. Mit diesem Verständnis von Sünde als Macht553 entspricht Luther auch, wie die exegetische Forschung gezeigt hat554, der biblischen, insbesondere der paulinischen Systematik. Will man Sünde als eine versklavende Größe zur Geltung bringen, so besitzt die Kategorisierung als Macht zunächst eine hohe Plausibilität, der Luther etwa durch die Synonymisierung mit der personalen Größe des Teufels Ausdruck verliehen hat. Damit aber legt sich die Vermutung nahe, die versklavende Macht sei eine äußere Größe, die den Menschen von außerhalb seiner selbst gefangen hält. Vermutlich lässt sich diese Einordnung für den biblischen Kontext (wenn auch sicher nicht in Reinform) auch belegen, aber bereits hier wird der Machtcharakter mit genuin personalen Vollzügen in Verbindung gebracht: »Wer die Sünde tut....« Und auch bei Luther war ja der Machtcharakter, wie gesehen, an eine bestimmte Form des Selbstverhältnisses, nämlich der distanzlosen Bindung an das eigene, sündige Selbst verbunden. Nimmt man auch und insbesondere hier ernst, aus welcher Perspektive über Sünde gesprochen wird, so zeigt sich noch deutlicher deren personaler Charakter. Denn die Rede vom servum arbitrium im Sinne der Sünde ist nur als Implikat der Glaubensgewissheit und der

551 Evtl. auch 1Petr 2,19; auf diese Stelle spielt Augustin im Kontext seiner Argumentation für das servum arbitrium an (vgl. McSorley, Luthers Lehre, 91). 552 Augustin, Contra Julianum II,8,23 (nach McSorley, Luthers Lehre, 91-93). Bei Augustin ist der hamartiologische Kontext im Rahmen der antipleagianischen Zuspitzung seiner Theologie evident. 553 Vgl. dazu Gräb-Schmidt, Sündenerkenntnis, 81-88. In der Betonung des Machtcharakters ist der Autorin Recht zu geben. Inwiefern sie diesen angemessen beschrieben hat, ist im Folgenden noch zu klären. 554 Vgl. exemplarisch Stuhlmacher, Biblische Theologie I, 274; grundlegend hierfür Käsemann, Paulinische Perspektiven, 9-60.

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Glaubenserkenntnis zu verstehen. Bei der Erkenntnis der Sünde kann es sich daher nur um eine Selbsterkenntnis handeln, bei der die Zuschreibung von Sünde an die Person des Erkennenden, bzw. besser dessen Sündenbekenntnis explizit wird: »Ich habe gesündigt«555. Sünde muss demnach, wenn sie als Macht verstanden wird, als eine personale Größe gedeutet werden.556 Wenn hier also von Unfreiheit die Rede ist, dann kann in neuzeitlichem Kontext nicht von einer äußeren Gewalt gesprochen werden, sondern es muss, wie dies seit Kierkegaard gängig geworden ist, die Verkehrung der je individuellen Freiheit benannt werden.557 Dabei ist allerdings zu betonen, dass die Erkenntnis der Sünde auch zugleich die (partielle) Überwindung ihrer Macht bedeutet. Indem sie als solche erkannt ist, kann sie als versklavende Macht benannt werden. Dies aber geschieht stets ex post, also aus der Identifizierung und Vergebung der Sünde, und damit bereits aus einer Situation, in der ihr wenigstens ein Stück ihres Machtcharakters genommen ist.558 Mit Hans-Joachim Iwand kann formuliert werden, »daß der gefangene, unfreie Mensch diese seine Gefangenschaft erst voll begreift, wenn die ersten Fesseln fallen.«559 Diese Benennung der Sünde ist also nur in der Binnenperspektive des Glaubenden möglich.

555 Siehe Ps 51, 7. Auf die Bedeutung des Sündenbekenntnisses weist Bayer, Luthers Theologie, 35, hin (vgl. auch ders., Gott als Autor, 78 ff). Hier (!), nicht in der Begründung des Gottesverhältnisses, hat die Individualität bzw. das Ich der Person ihren zentralen systematischen Ort. 556 Vgl. Ebeling, Ddh 3, 111, der zum Ausdruck bringt, dass Gefangensein unter einer fremden Macht im Wesentlichen Gefangenschaft in der eigenen Blindheit ist. Siehe auch Jüngel, Evangelium 97-99. 557 Vgl. exemplarisch Gräb-Schmidt, Sündenerkenntnis, 92 ff; Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, 141-173. 558 Insofern ist es völlig falsch, wenn Wolfgang Achtner formuliert, dass erst »vor diesem dunklen anthropologischen Hintergrund […] Luther das Licht der Erlösung und Rechtfertigung durch Christus leuchten lassen« (ders., Willensfreiheit, 174) kann. Die Logik ist genau umgekehrt: im Licht des Evangeliums können auch die Schattenseiten und Dunkelheiten, also auch das servum arbitrium erkannt werden. Richtig hat demgegenüber Matthias Petzoldt formuliert: »Die Erfahrung der menschlichen Unfreiheit gegenüber dem Heilswillen Gottes ist nur die Kehrseite der Erfahrung, dass Gott den Menschen zur Freiheit befreit.« (ders., Gehirn, 47). 559 Iwand, Grundlegende Bedeutung, 25.

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5.3.2 Freiheitstheoretische Relevanz Worin besteht nun der freiheitsraubende Macht-Charakter der Sünde? Diese Frage führt in das Zentrum des theologischen Freiheitsproblems und auch der Streitigkeiten und Widersprüchlichkeiten, die sich um diese Frage ranken. Denn der Unfreiheitscharakter der Sünde muss zugleich mit dem Schuldcharakter von Sünde, mit deren Zuschreibbarkeit existieren, damit aber mit einem Element, das Freiheit voraussetzt bzw. als ein Kennzeichen von Freiheit gilt.560 Und in der Tat wurde in der theologischen Tradition nicht grundsätzlich verneint, dass Sünde auch Freiheit voraussetzt, sondern deren »geschichtlich vermittelte Verkehrung […] in ihr Gegenteil«561 zum Ausdruck bringt. Auch die gegenwärtigen Auslegungen des servum arbitrium, die ich früher (2.4.4 und 5.2) verhandelt habe, bemühen sich ja, nicht prinzipiell Freiheit abzulehnen. Dennoch erscheint es prima facie treffend, Sünde als eine »Krise der Freiheit«562 zu beschreiben. Wie kann darin die scharfe These Luthers von der Geknechtetheit des Willens noch stark gemacht werden? Ein zentraler Aspekt des Machtcharakters besteht darin, dass die Sünde aus der Vergebung und Überwindung heraus als ein solches Phänomen identifiziert wird, das nicht aus den dem Menschen als Person eigenen Möglichkeiten heraus überwunden werden kann. In Bezug auf die Überwindung der Sünde stehen dem Menschen keine – für die Zuschreibung von Freiheit konstitutiven – Möglichkeiten, die er handelnd ergreifen könnte, offen. Sie ist kein Vorgang des distanzierten Abwägens, Überlegens und dann des intentionalen Verwirklichens. In dieser Hinsicht ist der Mensch unfrei. Er ist angewiesen auf das von außen ihm zukommende Wort des Evangeliums. Damit ist deutlich, dass die Einsicht in die eigene Unfreiheit einer ganz spezifischen Kommunikationssituation bedarf, innerhalb derer die eigene Unfähigkeit und Unfreiheit eingesehen werden kann und Vertrauen auf die frei machende Kraft des Evangeliums entsteht. Indem die Erkenntnis nur im Hören des Evangeliums geschehen kann, ist dem servum arbitrium zunächst der Index der Vergangenheit eigen563, denn 560 Siehe etwa Axt-Piscalar, Krise der Freiheit, 149 (mit Bezug auf Kierkegaard). 561 Ringleben, Art. Freiheit VII. Siehe auch Schwöbel, Sünde, 290: »Sünde wird als verfehlter Freiheitsgebrauch wahrgenommen.« 562 Axt-Piscalar, Krise der Freiheit. 563 So auch Schleiermacher, Glaubenslehre, §63,2, S. 346; es kann daher durchaus sachgemäß davon gesprochen werden, dass »Sündenerkenntnis immer schon zu spät

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sobald das Evangelium tatsächlich als Evangelium gehört wird und Glaube entsteht, ist das arbitrium eben nicht mehr im radikalen Sinne geknechtet. Im Ereignis der Verheißung, dem Versprechen des Evangeliums geschieht schon Freiheit. Es deutet sich hier an, was mit dem Titel der Arbeit gemeint ist. Der Glaube bedenkt also mit dem Titel »servum arbitrium« seine eigenen Konstitutionsbedingungen und schreibt sich selbst die Unmöglichkeit der Selbstbegründung aus eigenen Möglichkeiten zu.564 Indem dieses negative Faktum benannt ist, muss gleichzeitig die bleibende Angewiesenheit des Sünders auf Gottes erhaltendes Wirken ausgesagt werden. Denn der Glaube ist – wie Luther deutlich macht – dauerhaft auf das Hören des Wortes angewiesen und stellt daher keine in sich stabile Existenz dar. Er vollzieht sich nur relational als vertrauende Bezugnahme auf das verbum externum. Auch der Glaubende bleibt weiterhin Sünder und die These des servum arbitrium besitzt Relevanz für die gegenwärtige Verfasstheit des glaubenden Sünders als bedürftiges, schwaches, versuchbares, Gott widerstrebendes Wesen. Die Sünde als Problem ist für den Glaubenden keineswegs erledigt, und auch keineswegs – darauf hat protestantische Hamartiologie insbesondere hinzuweisen – nur als potentielle Gefahr noch aktuell.565 Dennoch muss der hier verwendete Begriff der Sünde im Sinne des peccatum regnatum deutlich unterschieden werden von der versklavenden Macht, die nur in ihrer Überwindung erkannt werden kann. Damit aber ist noch nicht das Problem erledigt, dass auch der Rückblick auf die vergebene Sünde diese als einen, mindestens in basalem Sinne freien Vollzug zu kennzeichnen hat. Denn die Identifikation als Sünder kann nur dann sinnvoll geschehen, wenn dasjenige Selbst, mit dem die Person sich hier identifiziert, in einer erkennbaren, die Differenz der Sünde tragenden Kontinuität zu dem jetzigen Selbst steht. Dies aber könnte kaum der Fall sein, wäre der vergangene Vollkommt.« (Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, 203); sie ist nur »retrospektiv« (dies., Sünde, 430), eben als »Rückblick« (Krötke, Sünde, 1888) zu gewinnen. 564 Klassisch formuliert ist dieser Sachverhalt bei Kierkegaard, Krankheit zum Tode, 10 bzw. hier 83: »Glaube ist: daß das Selbst, indem es es selbst ist und es selbst sein will, durchsichtig […] gründet in Gott.« 565 Dieser Grundgedanke protestantischer Hamartiologie ist gegenüber der katholischen Lehre vom fomes peccati zur Geltung zu bringen (klassisch formuliert CA II, 1.2.; AC II, 35-37). Er drückt aus, dass der Sünder gegenüber der Sünde nicht noch einmal aus eigenen Mitteln distanzierungsfähig ist, sondern für sich selbst unhintergehbar ist; es gehört zu den zentralen protestantischen Merkmalen, dass dies gerade auch für den glaubenden Menschen zu behaupten ist.

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zug der Sünde ein gezwungener oder in irgendeiner Weise Freiheit völlig unterdrückender gewesen, sodass die Zuschreibung an die Person nicht mehr gelingen würde. Freiheit muss insofern vorausgesetzt werden, als das eigene Selbst hier als der Sünder erkannt wird, und nicht ein Anderer, der den Sünder in die Sünde gezwungen hätte. Dennoch bleibt hier eine Differenz namhaft zu machen, nämlich die Tatsache, dass gerade auch aus der Perspektive des Glaubens die Sünde das Unverstehbare und in sich Widersprüchliche darstellt. Der eigene, aber vergangene Vollzug der Freiheit wird gerade in seiner Freiheit als unverständlich, und insofern auch als gefangen in einer Macht erkannt. Der letztgenannte Aspekt lässt sich begründen, nimmt man tatsächlich die lebensgeschichtliche Situation der Sündenvergebung als Ausgangspunkt der Interpretation an. Denn der hier vollzogene Akt der Identifikation mit dem Alten und die gleichzeitige Erneuerung machen keineswegs das eigene Dasein völlig durchsichtig. Vielmehr ereignet sich hier eine Identifikation und Aneignung des eigenen Seins566 (»Ich habe gesündigt«), gleichzeitig aber im Zuspruch auch eine heilsame Distanzierung (»Dir sind deine Sünden vergeben«). Dieser Integrationsprozess muss nun keineswegs völlige Selbstdurchsichtigkeit beinhalten, sondern kann bedeuten, dass gerade das Unverstehbare angenommen wird. Das Alte wird angesichts des Neuen tatsächlich alt.567 Daher ist auch Vorsicht geboten, vorschnell »Sündenerkenntnis als Erschlossenheit des Daseins«568 zu beschreiben. Die möglicherweise bleibende Unverständlichkeit des eigenen Daseins aufgrund der Sünde ist ein Hinweis darauf, dass in der Unfähigkeit zur Überwindung dieses Zustands noch nicht das ganze Phänomen der Unfreiheit beschrieben ist. Denn es war ja deutlich geworden, dass auch der »Stand« der Gnade, also die Situation unter dem »Reittier« Gott, keiner ist, in dem man aus eigener Kraft und somit aus eigenen, freien Möglichkeiten, bleiben kann. Daraus ist aber zu schließen, dass nicht allein die Unabänderlichkeit, die allein – wenn sie etwa ein bleibendes Gutes repräsentieren würde – noch nicht freiheitsrau566 Dietrich Korsch hat treffend formuliert, dass sich im Glauben eine »verdankte[.] Kontinuität und Integration unterschiedlicher Lebensanteile« (ders., Luther, 98) ereignet. 567 Vgl. Jüngel, Mensch, 290 f. 568 Gräb-Schmidt, Sündenerkenntnis. Fast identisch die Formulierung bei Axt-Piscalar, die konstatiert, dass »der Sündenlehre eine die Existenz des natürlichen [!] Menschen erschließende Funktion« (dies., Art. Sünde VII., 430) zukomme.

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bend sein müsste, sondern auch die Phänomenalität der Sünde den Knechtschaftscharakter ausmacht. Auf diesen Aspekt hatte ich ja oben schon hingewiesen bezüglich derjenigen Auslegungen, die im servum arbitrium lediglich die externe Konstitution eines bestimmten anthropologischen Faktums gesehen hatten. Der Charakter des Faktums selbst, nicht nur seine Unhintergehbarkeit, ist entscheidend für die Zuschreibung von Freiheit, daher auch für die Charakteristik des servum arbitrium. 5.3.3 Phänomenale Aspekte der Sünde 5.3.3.1 Verblendung Man kann ausgehen von der Feststellung, dass Sünde als Widerspruch oder gar Feindschaft gegen Gott (Röm 5,10.8,7), als Unglaube und damit als fehlendes Vertrauen gegenüber Gott zu beschreiben ist.569 Diese Art des Existenzvollzuges ist nun aber (in den meisten Fällen) nicht so zu artikulieren, dass hier ein ausdrücklicher Widerstand gegen Gott zu diagnostizieren wäre, vielmehr ist sie von der Unkenntnis des gnädigen Gottes gespeist.570 Dass die menschliche Unfreiheit in der Sünde epistemischen Aspekt Charakter besitzt, konnte ja auch aus der Analyse von »De servo arbitrio« herausgearbeitet werden. Denn umgekehrt wäre volle Kenntnis der Güte Gottes bei gleichzeitigem Misstrauen Gott gegenüber nur noch als diabolische Existenz zu bezeichnen. Mit der fehlenden Gotteserkenntnis ist korrelativ auch die fehlende Selbsterkenntnis im Blick auf die eigenen Möglichkeiten Gott gegenüber zu konstatieren; eine fehlende Selbstdurchsichtigkeit und daraus folgende Orientierungslosigkeit571 im Gottes-, und entsprechend auch im Selbstverhältnis. Damit aber sind wir auf der Spur desjenigen phänomenalen Charakters der Sünde, der den Machtcharakter darzustellen in der Lage ist: der verblendende Aspekt. Die Sünde bewirkt demnach eine Verdunk569 Grundlegend CA II, 1; Axt-Piscalar, Art. Sünde, 429; siehe auch Jüngel, Evangelium, 114-125; Pesch, Frei Sein aus Gnade, 166-170. 570 Grundlegend AC II, 30. Axt-Piscalar, Art. Sünde, 429; es kann daher auch von einer »latente[n] Sünde« gesprochen werden (ebda, mit Pannenberg, ST II, 275); ähnlich Jüngel, der von der »Anonymität« (ders., Evangelium, 82) der Sünde spricht. 571 Christoph Schwöbel hat diesen Aspekt m.E. treffend als »Dislokation« (ders., Sünde, 298) beschrieben. Damit ist ausgesagt, dass der in der Sünde orientierungslos gewordene Mensch sich selbst an die Stelle Gottes setzen möchte (vgl. Gen 3,5).

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lung des Blicks in Beziehung auf diejenige Instanz, der existentielles Vertrauen entgegengebracht werden kann. Nicht nur ist davon auszugehen, dass gewissermaßen der Kompass falsch eingestellt ist, es kommt potenzierend hinzu, dass der dieses Orientierungssystem gebrauchende Mensch der Meinung ist, er würde die korrekte Richtung einschlagen. Die Sünde macht sich gewissermaßen selbst unsichtbar.572 Dieser Aspekt der Sünde wurde unter dem Schlagwort der Lüge besprochen.573 Die Sünde täuscht sich selbst bzw. den als Sünder existierenden Menschen über ihr eigenes Wesen.574 Damit aber ist bereits ein zentraler Aspekt von Unfreiheit benannt, denn Freiheit setzt – auch und gerade in philosophischem bzw. ethischem Kontext – Kenntnis und damit Orientierungsfähigkeit sowohl über die zur Wahl stehenden Alternativen, als auch über die eigene Handlungsfähigkeit und die zur Verfügung stehenden Mittel voraus. Dabei ist beides unmittelbar miteinander korreliert. Im Kontext der Sünde ist nun gerade das Gegenteil zu behaupten. Der Mensch meint einerseits, dass sich das Gottesverhältnis durch Handlungen, will sagen durch Ergreifen von Handlungsoptionen verwirklichen lässt, und damit zusammenhängend schreibt er sich selbst die Fähigkeit zu, diese Handlungsoptionen auch angemessen in die Tat umzusetzen. Damit aber bleibt er im Werkzusammenhang gefangen. Er unterliegt dem selbst auferlegten Zwang, sich und sein Gottesverhältnis beständig durch Werke zu verwirklichen und zu rechtfertigen. Die hier auftretende Macht ist also keine dem Menschen äußere, sondern eine sich aus dem irregeleiteten Selbstverständnis ergebende; sie ist im Menschen selbst loziert. Insofern als sich der Sünder im Vollzug für frei hält, ist Sünde durchaus als freiheitlicher Vollzug zu kennzeichnen. Das Bewusstsein der eigenen Freiheit ist, insofern es eine Form des wirksamen Selbstverhältnisses repräsentiert, durchaus eine Form von Freiheit. Im Blick auf das Gottesverhältnis ist aber gerade diese Einschätzung fatal, und macht die Paradoxalität menschlicher Existenz aus, wie es treffend Hans-Joachim Iwand formuliert hat: »Er [der Mensch, Anm. B. B.] kann gar nicht anders, er muß sich für frei halten, dies Selbstbewusstsein in 572 Elisabeth Gräb-Schmidt drückt dies aus, indem sie davon spricht, dass sich die Sünde gerade im »Verstecken« (dies., Sündenerkenntnis, 86) ausforme. Die Sünde leugne ihren Schuldcharakter und setze sich gerade dadurch das eigene Verhängnis; ähnlich Pannenberg, Anthropologie, 115. 573 Vgl. Jüngel, Evangelium, 93-97.108 f. 574 Eberhard Jüngel spricht in einer schönen Metapher von der »Pseudonymität« (ders., Evangelium, 82) der Sünde.

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der Freiheit ist der Kerker, in dem er gefangen ist.«575 Die Selbsteinschätzung, die im Blick auf die Gegenstände des Gebrauchs und die Weltbeziehung des Menschen insgesamt treffend ist, verkehrt sich in ihr Gegenteil, wenn sie auf den Horizont und den Grund menschlicher Existenz bezogen wird. Ihr wird damit eine Begründungslast auferlegt, die die Freiheit letztlich überfordert. 5.3.3.2 Selbstisolierung und -konstituierung Weil dieses Selbstmissverständnis den Menschen derart ins Werk treibt, dass es ihm dabei letztlich darum geht, sich auf sich selbst zu beziehen, kann die Sünde auch als Beziehungs- und Kommunikationsabbruch, als Selbstisolierung beschrieben werden. Das Phänomen der Sünde ist auch dadurch gekennzeichnet, dass die Konstituierung des eigenen Selbst nicht mehr in einem offenen Prozess von Kommunikation, Abgrenzung und Aneignung stattfindet, sondern im beständigen zirkulären Rückgang auf sich selbst versucht wird.576 In dieser Hinsicht lassen sich die Begründungen von Selbstgewissheit aus dem unmittelbaren Selbstbewusstsein als Ausdruck der Sünde lesen, insofern sie missachten, dass Gewissheit und Identitätskonstitution sich nur im Vollzug als kommunikative und relationale Einsicht ergeben, nie aber schon aus der bloßen Selbstpräsenz abzuleiten sind. Dieser Hinweis ist nun allerdings insofern zu präzisieren, als der Beziehungsabbruch nicht immer empirisch zu verifizieren sein muss. Er ist in seiner Struktur so zu verstehen, dass Beziehungen zu anderen tendenziell instrumentalisiert werden zur Bestätigung des eigenen Selbst.577 Luther hatte diese Struktur in seiner Freiheitsschrift auch als Herrschaft des Gesetzes beschrieben. Damit ist die Tatsache benannt, dass (wie es Lévinas charakterisiert hat) mir der Andere, der Mitmensch, aber auch Gott im Modus der Forderung, des Akkusativs begegnet und mich damit auf mich selbst weist: Ich muss dieser Forderung genügen. Damit aber eignet der Beziehung eine Struktur, die letztlich wiederum der eigenen Selbstverwirklichung dient. Der Voll575 Iwand, Grundlegende Bedeutung, 23. 576 Eberhard Jüngel hat den Sachverhalt treffend formuliert: »Die Sünde ist insofern genauer zu bestimmen als Ausbruch aus dem Beziehungsreichtum des Seins: aus dem Beziehungsreichtum des Seins im Frieden. Sie ist ein Drang in die Beziehungslosigkeit […]« (ders., Evangelium, 95). 577 Siehe Korsch, Glaubensgewißheit, 225 f; Tietz, Freiheit, 129 (mit Bezug auf Tillich).

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zug der Beziehungen (einschließlich des Selbstverhältnisses), der innerhalb seines eigenen Horizontes durchaus frei sein kann, indem Optionen, Mittel und relative Ziele abgewogen und verwirklicht werden, arbeitet der theologisch verstandenen Freiheit entgegen, weil Vertrauen in unabhängig von der eigenen Leistung tragende Beziehungen untergraben wird. Somit ist gerade kein Raum eröffnet, der freie Entfaltung ermöglicht, sondern die Handlungen sind stets schon auf ein Ziel gelenkt, das die Bestätigung des eigenen Ich ist. Es ist daher durchaus richtig, wenn in der »Selbstkonstituierung«578 das zentrale Merkmal der Sünde gesehen wird. Es ist allerdings Vorsicht geboten, die Struktur endlicher Freiheit allgemeingültig als Sünde bzw. Unfreiheit zu beschreiben. Denn geläufig geworden ist die Rede davon, dass der Mensch »immer schon«579 (!) die Freiheit verwirkt habe, bzw. dass die Sünde in das »Wesen« endlicher Freiheit integriert werden könnte.580 Was kann mit diesen starken Formulierungen gemeint sein angesichts der Tatsache, dass sich die Einsicht in die Unfreiheit nur als kontingente Erkenntnis581 über das je eigene, geschichtliche Dasein ergeben kann? Kritisch daran ist, dass eine Theorie, die ex ante (»immer schon«) die Sünde im Wesen der Freiheit verwirklicht sehen will, auch erklären können muss, was hier mit dem Prädikat »endlich« gemeint sein kann. Freiheit setzt einen Horizont, innerhalb dessen sie artikuliert werden kann, voraus. Die Qualifizierung eines Vollzugs als unfrei aufgrund des einengenden Horizonts, der in der Perspektive der incurvatio der Sünder letztlich selbst ist, kann nun aber nur aus der Perspektive eines schon gewandelten Horizonts sich ergeben. Was für wen »endlich« heißt, ist nicht »immer schon« geklärt und kann daher auch nicht in allgemeinen ontologischen Kategorien zur Darstellung kommen.582 578 Klein, Willensfreiheit, 415; siehe auch Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, 141; sowie dies., Krise der Freiheit, 154; vgl. auch dies., Art. Sünde. VII., 429 (hier ist die Rede von »Selbstmächtigkeit«); ähnlich Korsch, Luther, 96. 579 So etwa Klein, Willensfreiheit 415; Gräb-Schmidt, Sündenerkenntnis, 94. 580 Axt-Piscalar, Sünde, »Wesen und Ausmaß« (430); Elisabeth Gräb-Schmidt spricht von der »Grundsituation menschlicher Freiheit« (dies., Sündenerkenntnis, 87); säkularisiert begegnet die Struktur bei Heidegger in seiner Bestimmung der »Sorge als Sein des Daseins« (ders., Sein und Zeit, 180). 581 Den Begriff der Kontingenz bringt diesbezüglich treffend Dietrich Korsch, Luther, 94, ein. 582 Insofern ist auch die von Paul Tillich behauptete Koinzidenz von Schöpfung und Fall (ders., ST II, 51 f) zu kritisieren, die eine angemessene, nämlich nicht-flacianische Unterscheidung von Geschöpflichkeit und Sündhaftigkeit nicht mehr ermöglicht. Dies

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Es ist daher nicht angemessen, dem Vollzug (endlicher) Freiheit als solchem schon die Sündhaftigkeit, und damit die Verkehrung der Freiheit einzuschreiben.583 Richtig ist, dass Freiheit – wie die Analyse der Theorie Robert Kanes gezeigt hat – insofern sie signifikant ist, tatsächlich sich in gewisser Weise immer wieder selbst konstituiert, da ihre frei hervorgebrachten Wirkungen stets auch wieder Voraussetzung neuen Handelns sind. Damit ist aber nicht gesagt, ob dieses Selbstverhältnis die vertrauende Beziehung zu einem Dritten einbezieht oder nicht, ob es ihr in ihrem Vollzug intentional nur um sich selbst geht oder ob ein Anderer als konstitutives Element des Selbstverhältnisses integrierbar bleibt. Ersteres hat tatsächlich einen »Schwindel der Freiheit«, und damit einen Unfreiheit bewirkenden Orientierungsverlust zur Folge. Dieser ist aber nicht das Wesen der Freiheit, sondern Folge von deren unerklärlicher Verkehrung. Andernfalls könnte nicht mehr angemessen zwischen Geschöpflichkeit und Sündhaftigkeit unterschieden werden,584 und die positive Entfaltung von Freiheit ist phänomenologisch kaum mehr einzuholen. Weil nun Sünde in dieser Perspektive nicht primär an einzelnen Tatsünden zu messen ist, sondern als Personsünde (oder wie man traditionell sagt: Erbsünde) beschrieben wird, ist auch deutlich, dass sie – mit Luther gesprochen – im lumen gratiae nicht völlig verschwunden ist. Sie bleibt – obgleich doch das Unerklärbare – immer noch wirksam. Der Mensch hat sich auch dann, wenn er getauft ist und seine Sünde bekannt hat, zwar als Sünder anerkannt, aber sicher noch nicht gänzlich als Sünder erkannt und damit auch die Sünde noch nicht gänzlich hinter sich gelassen. Das sündige Selbst, das hier anerkannt ist, ist nicht unmittelbar in der Erfahrung gegeben, auch nicht ontologisch zu fassen. Es wird identifiziert in einem Kommunikationsprozess, der als konstitutives, diesem eine spezifische Asymmetrie verleihendes Element die Anerkennung der Person durch Gott beinhaltet. Aus dieser Erkenntnis ex post folgt nun aber auch, dass zwar die Sünde vergeben und der Mensch darin erneuert ist, dass aber das unerklärliche Misstrauen gegen Gott und die diesem entspringenden Selbstrechtfertigungsversuche, gerade weil es als unerklärlich erkannt ist, nicht als ein für alle mal abgeschafft gelten können. ermöglicht weder den Glauben an die gute Schöpfung Gottes, noch an die endgültige Erlösung dieser gefallenen Schöpfung von allem Übel. 583 Siehe auch die m.E. korrekte Kritik von Gestrich, Erbsünde, 166 f. 584 Den zitierten Positionen muss daher im Prinzip eine flacianische, Geschöpflichkeit mit Sündhaftigkeit identifizierende Position unterstellt werden.

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5.3.3.3 Selbstwiderspruch und Entfremdung Ich hatte den Zustand der Unfreiheit in der Sünde von Luther her als distanzlose Bindung an das eigene, sündhafte Selbst charakterisiert. Nun ist es allgemein einsichtig, dass kein Mensch sich je so verlassen kann, dass er – unabhängig davon wie man personale Identität beschreiben will – plötzlich ein gänzlich anderer (und dennoch er selbst) wäre. Der Widersinn eines solchen Modells wird vor allem in kompatibilistischen Argumentationen, etwa von Friedrich Hermanni,585 immer wieder hervorgehoben. Alle Selbstdistanzierung, alle Selbstreflexion, die ich als freiheitstheoretisch notwendig erachte, ist immer noch Selbstreflexion, bzw. es ist immer noch »das Selbst […], das sich zu sich selbst verhält.«586 Kein Mensch kann sich vollständig von sich distanzieren. Es ist daher notwendig und aufschlussreich, das Phänomen dieser distanzlosen Bindung genauer zu charakterisieren bzw. von einer relativen Distanzfähigkeit abzugrenzen. Nach der Konkordienformel, die in dieser Hinsicht eine Einsicht Luthers systematisch zur Sprache bringt, ist die Sünde als die vollkommene Verderbnis der menschlichen Natur zu beschreiben.587 Dieser Sachverhalt kann anthropologisch so gedeutet werden, dass zwar die Ausbildung eines (bedingt freien) Selbstverhältnisses keineswegs ausgeschlossen ist, dass auch ein distanziertes Räsonieren und Abwägen bezüglich bestimmter Handlungsalternativen möglich ist, dass aber in allen diesen Vollzügen der Sünder ein Sünder bleibt und somit alles Überlegen und Entscheiden die Signatur der Sünde trägt. Der Sünder kann sich nicht außerhalb der Sünde stellen, sie von einem neutralen Standpunkt aus betrachten und sich dann möglicherweise gegen die Sünde entscheiden. Die Sünde ist als derart zu charakterisierendes, nämlich mit dem Zentrum der Existenz verbundenes Phänomen unhintergehbar. Willenstheoretisch kann dies so gefasst werden, dass zwar – in der Diktion Harry Frankfurts formuliert – Volitionen existieren, die nicht sündigen wollen (möglicherweise sind dies auch höherstufige Volitionen)588, dass sich aber auf der Handlungsebene stets sündige Volitionen

585 586 587 588

Hermanni, Luther oder Erasmus, 185. Kierkegaard, Krankheit zum Tode, 9. FC I (Ep.), 8-10. Darin manifestiert sich die Tatsache, dass der Sünder nicht Satan ist, für den gelten muss, dass seine höchste Volition tatsächlich das Böse ist.

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aktuieren.589 Dies ist nun aber nicht nur so zu beschreiben, dass die Tatsünden gewissermaßen zwanghaft entgegen dem eigentlichen guten Kern des Menschen vollzogen werden, sondern es sind gerade auch diese als ein »Wollen Wollen« zu kennzeichnen.590 Wo der Mensch sich als Sünder erkennt und seine Sünde bekennt, ist impliziert, dass das eigene Selbst nicht nur als Täter, der etwas ausführte, was eigentlich gar nicht dem Willen entsprach, im Blick ist, sondern als tatsächlich sündig Wollender.591 Dieses Wollen ist nun allerdings aus der Perspektive der Vergebung als ein Wollen entgegen der dem Menschen eigenen Bestimmung, nämlich aus dem Vertrauen auf Gott zu leben, zu kennzeichnen. Es ist insofern selbstwidersprüchlich als sich in der Erfahrung der Vergebung eine Veränderung des Selbst manifestiert, die das alte Selbst als diesem neuen widersprechend markiert.592 Dass ein personales Selbst durch widerstreitende Intentionen oder – in der Sprache Pauens – personale Präferenzen gekennzeichnet sein kann, war ja ein zentrales Ergebnis der philosophischen Analysen, die sich hier etwa auf Harry Frankfurt berufen konnten. Diese Charakteristik ist die Voraussetzung für die nun theologisch namhaft zu machende Form von Selbstwiderspruch. Diese Widersprüchlichkeit ist nun aber im Unterschied zur Möglichkeit des Konfliktes von Präferenzen in einer Entscheidungssituation nur ex post zu identifizieren, weil sie die Erkenntnis über den Widerspruch zur neuen Gestalt des Selbst schon voraussetzt. Freiheit und Unfreiheit sind hier in ihrer Verquickung mit bestimmten Erkenntnisprozessen nur als zeitliches Phänomen angemessen zu erfassen. Weil sich nun der Mensch in seinem Zentrum als Sünder erkennt, ist die Lage hinsichtlich seiner Unfreiheit deutlich. Er ist aus eigener 589 Damit ist nicht gesagt, dass alle menschlichen Taten in einem objektiven Sinn »böse« sein müssten, vielmehr dass sie als Taten des Sünders dessen Misstrauen gegen Gott zum Ausdruck bringen. 590 Siehe Beuttler, Freier Wille, 73. Dies ist zu betonen gegen Ansätze, wie etwa den von Wilfried Härle, die einseitig davon sprechen, der Mensch könne keine wirksamen Volitionen II. Ordnung ausbilden (Härle, Der freie Wille, 161); das Argument unterstellen implizit diejenigen Auslegungen, die Luther im Sinne eines kompatibilistischen Modells von Freiheit deuten (insbesondere auch Hermanni, Slenczka), welche die Freiheit des Wollens allein schon aufgrund des ungehinderten Vollzugs verwirklicht sehen, dabei aber nicht die Bildung des Willens als freiheitsrelevant erachten. 591 Das Wollen ist ja gerade bei Luther im innersten, unhintergehbaren Zentrum angesiedelt. Es ist insofern tatsächliches Wollen (vgl. Joest, Ontologie, 213). 592 Vgl. Körtner, Vom unfreien Willen, 213; Schwöbel, Sünde, v. a. 298-302; Klein, Willensfreiheit, 413.

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Kraft nicht fähig, die Bindung an den sündhaften Willen zu hintergehen, weil er selber der Sünder ist. Und er will als der Sünder dieses Sündersein beständig aktuieren und manifestieren. Die Erneuerung muss Selbsterkenntnis und eine darin gegebene Distanz zum eigenen Sündersein implizieren. Dies aber ist eben nicht durch Selbstbespiegelung möglich, sondern nur durch ein von Außen kommendes Wort, das ihn von sich selbst wegreißt593 und somit eine Differenzerfahrung ermöglicht. Es zeigt sich die kommunikative Struktur des zeitlichen Phänomens (Un-) Freiheit. Die skizzierte Form der Differenzerfahrung beinhaltet dabei auch ein normatives Element. Denn wäre gegen ein identitätskonformes, leidenschaftliches »Wollen Wollen« im Sinne der Freiheit – etwa das spontane Tun der guten Werken oder Luthers »ich kann nicht anders« vor dem Wormser Reichstag – nichts einzuwenden, ergibt sich der spezifische Unfreiheitscharakter der Sünde auch aus deren Widerspruch gegen die dem Menschen eigene Bestimmung, gegen das was oder wie er sein soll. Diese Charakterisierung wird in mittlerweile traditioneller Weise mit dem Stichwort Entfremdung wiedergegeben.594 Dem Selbstwiderspruch in der Sünde ist eine subtile Form der Unfreiheit zu attestieren, da sich gerade in dieser Form des Freiheitsvollzuges eine grundlegende Orientierungslosigkeit in Bezug auf das wahrhaft Gute manifestiert. Dem Menschen ist Gott, und damit auch er sich selbst fremd geworden. Die Art und Weise des Erlebens von Unfreiheit kann sogar gesteigert sein, wenn der Mensch sich zwar auf das Gute ausrichten möchte, dies aber aufgrund entgegenstrebender Willenskräfte offensichtlich nicht kann. Hier kann der Selbstwiderspruch gewissermaßen evident, und auch erlebbar werden. Von Paulus wurde er klassisch formuliert: »[…] das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.«595

593 Vgl. die Verwendung von »passio« und »rapi« bei Luther; dazu Joest, Ontologie, 219222. 594 Paul Tillich hat in prägender Weise den Entfremdungsbegriff, der seinen philosophischen Gehalt insbesondere in der idealistischen Philosophie und dann bei Marx erhielt (vgl. Ritz, Entfremdung), auf die menschliche Existenz insgesamt bezogen und mit dem theologischen Begriff der Sünde verbunden, wenn auch nicht beides identifiziert (siehe Tillich, ST II, 52-68). Ungeachtet der hier zur Geltung zu bringenden phänomenalen Aufklärungskraft des Begriffs gilt diesbezüglich die gleiche Kritik an Tillich, die ich oben schon benannt hatte: Die Identifikation von Existenz und Entfremdung (a. a. o., 52) ist nicht angemessen. 595 Röm 7,19.

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Insofern verweist das Schlagwort Entfremdung auf eine Differenzerfahrung596, die in actu bewusst ist, oder aber unbewusst vollzogen wird, und dann im Nachhinein als eine solche identifiziert werden kann. Es spezifiziert die Differenz nun aber insofern, als diese Metaphorik im Kontrast zur Fremde auch eine »Heimat« voraussetzt. Ist mit der Annahme von Differenz in der Struktur des personalen Selbst, wie sie etwa von Harry Frankfurt in seiner Volitionentheorie dargelegt wurde597, ausdrücklich eine Voraussetzung von Freiheit benannt (und damit keineswegs ein Gegensatz zu »Identität«), so bezeugt die Erfahrung der Entfremdung das Umschlagen dieser Offenheit und Differenz in die Unfreiheit. Im Moment der Fremdheit ist die Differenzerfahrung nicht mehr integriert. Das Widersprüchliche scheint bestehen zu bleiben. Der Verlust der Orientierungsfähigkeit lässt sich auf der existentiellen Ebene als Bindung des Herzens (Vertrauen) an Güter beschreiben, die den Menschen nicht mehr zu sich selbst kommen lassen. Diese Bindung manifestiert sich auf der Handlungsebene in Taten, die der menschlichen Bestimmung widersprechen. Dieser Selbstwiderspruch kann als Unfreiheit gedeutet werden, weil er die Handlungsfähigkeit blockieren, lähmen, oder in die – an einer bestimmten Norm, dem Guten gemessen – falsche Richtung führen kann. Die existentielle und ethische Orientierung setzt stets ein bestimmtes Gut bzw. eine Norm als richtungsweisenden Maßstab voraus; wo die Orientierung an diesem Maßstab nicht mehr gelingt, kann von Entfremdung und Unfreiheit gesprochen werden. Es ist nun nicht so, dass der christliche Glaube bzw. die ihm entsprechenden ethischen Normen (etwa das Liebesgebot) allgemeinverbindlich als Überwindung von Entfremdung andemonstriert werden könnten. Es gilt auch hier, dass sich die Einsicht in Entfremdung immer erst aus der (in vielen Fällen sicherlich partiellen) Erfahrung von »Heimat« bzw. aus ihrer Überwindung ex post ergibt. Sie ist also an einen spezifischen existentiellen Ort gebunden. Der christliche Glaube kann aber als eine (hoffentlich nachvollziehbare) Form solcher Erfahrung von Heimat und Überwindung von Entfremdung beschrieben werden, die eine spezifische Einsicht bezüglich der Bestimmung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott beinhaltet und damit auch die Sünde als 596 Dietrich Korsch hat das hier benannte Phänomen der Sünde treffend beschrieben als »Nichtintegrierbarkeit der menschlichen Existenzanteile« (ders., Luther, 94). 597 Vgl. II., 3.2., 148 ff.

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Entfremdung zur Geltung bringen kann. Dass Andere auch diese Erfahrung machen, kann dabei gehofft, aber nicht theoretisch deduziert werden; die jeweilige individuelle Perspektive ist hier wiederum irreduzibel.

5.4 Kann oder muss dennoch von Freiheit gesprochen werden? Angesichts der starken Betonung der Unfreiheit des Sünders bei Luther konnte (v. a. von Seiten liberaler Theologie) bisweilen das Urteil ausgesprochen werden, Luthers Anthropologie sei »freiheitstheoretisch ruinös«598. Dieser Einwand ist in seiner Totalität nicht berechtigt. Die particula veri dieser Diagnose liegt aber darin, dass die Sünde hier derart beschrieben wird, dass sie offensichtlich als unvermeidliches und somit Freiheit verhinderndes Schicksal zu kennzeichnen ist. Wenn die Sünde gerade im Kontext des servum arbitrium expliziert wird, so scheint sie keine Freiheit mehr vorauszusetzen. Luthers Thematisierung der Sünde und des servum arbitrium kann dabei allerdings nicht – wie es gerade von Seiten liberaler Ansätze als zentraler Kritikpunkt vorgebracht wird – als Demotivierung oder Verhinderung eines moralischen Lebens verstanden werden.599 Es ist darauf zu achten, dass in der These des servum arbitrium bereits derjenige spricht, der auf die auch in ethischer Hinsicht orientierende Kraft des Evangeliums vertraut.600 Die These ist dabei primär als Warnhinweis vor einem falschen Einsatz der moralischen Kraft im Sinne der Selbstrechtfertigung601 und damit vor deren eigener Verabschiedung aufgerichtet. 598 Dierken, Freiheit als Leitkategorie, 131. Paradigmatisch für die tendenziell aus der Richtung liberaler Theologie kommende Beurteilung der Schrift Luthers kann auch das Votum von Albrecht Ritschl gelten, der in seinem Hauptwerk De servo arbitrio als »ein unglückliches Machwerk« (ders., Rechtfertigung und Versöhnung I, 121) darstellt; bei Ritschl ist dieses Urteil v. a. mit einer Kritik an Luthers Lehre vom offenbaren und verborgenen Gott begründet. 599 Darin ist Eilert Herms Recht zu geben, der dies gegen alle Interpretationen betont, die Luthers Lehre vom servum arbitrium als »freiheitsverleugnend« (Herms, Art. Servum arbitrium, 1235) ansehen (vgl. insgesamt auch den Art. Servum arbitrium II. zur ethischen Relevanz des Themas). 600 Dieser Sachverhalt wiederum wird in der Auslegung von Eilert Herms (FN 599) nicht deutlich. 601 Vgl. Gestrich, Erbsünde, der den dogmatischen Topos der Erbsünde nicht unzutreffend auf das Schlagwort »Selbstrechtfertigung« hin auslegt.

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Theologische Perspektiven

Damit aber ist ein Freiheitsbegriff, wie er Voraussetzung für die Übernahme von Verantwortung ist, noch nicht verabschiedet. Es zeigt sich hier deutlich, dass der Bedeutungsgehalt eines Freiheitsbegriffs nur von seinen eigenen Relationen, damit aber auch seinem kommunikativen Kontext und im Rahmen seiner zeitlichen Struktur zu verstehen ist. Sosehr mit Luther ein Freiheitsbegriff abzulehnen ist, der die Fähigkeit zu eigener Rechtfertigung vor Gott implizieren würde, sosehr ist doch ein Freiheitsbegriff zu bejahen, der sich auf die Übernahme von Verantwortung coram mundo, damit aber auch wiederum coram Deo bezieht. Gerade im Kontext der Sündenlehre betonte Luther ja die Tatsache, dass der Sünder aus eigenem Verschulden so ist, wie er ist. Gott kann nicht für die Sünde bzw. das Sündersein des Menschen verantwortlich gemacht werden. Der Mensch muss hier verantwortlich genannt werden, auch und gerade für das Sündersein. Hier ist nun der systematisch-theologische Ort, an dem die philosophische Theorie der Letztverantwortung mit dem theologischen Problem der Sünde ins Gespräch gebracht werden kann und muss. Letztverantwortung kommt dem Menschen für sein Sündersein insofern zu, als er niemand anderen für diesen Sachverhalt verantwortlich machen kann. In seinen Taten aktuiert der Mensch eigenverantwortlich das Sündersein und er kann nicht entschuldigend anfügen, dass er nun mal so sei. Gerade dieses Sosein des Sünders ist auch seine eigene Verantwortung. Verantwortung im Sinne von ultimate responsibility gerät nun allerdings im Kontext endlicher, d. h. zeitlicher und damit bedingter Beziehungen in den Blick. Es geht bei dieser Form von Letztverantwortung vor allem um die Verantwortung für das personale Sein des Menschen, insofern es sich im Kontext der welthaften personalen Beziehungen des Menschen auswirkt. Für diese Relationen ist charakteristisch, dass nie die Gesamtheit personaler Präferenzen, sondern nur ein spezifischer Ausschnitt thematisch wird. Personen werden in diesen Beziehungen nie für ihr gesamtes Personsein zur Verantwortung gezogen. Auch der Begriff Letztverantwortung ist daher nur relativ – nämlich relational – zu verstehen. Im Unterschied dazu gerät der Mensch in der Gottesbeziehung als der Beziehung zum Absoluten mit allem was er ist bzw. mit seinem Personzentrum in den Blick. Gerade auch in Bezug auf die Sünde geht es daher der reformatorischen Theologie nicht in erster Linie um die

Systematisch-theologische Überlegungen zur Unfreiheit des Menschen

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Tatsünden, sondern um die Personsünde.602 In dieser Bezogenheit auf das Ganze, und in der damit im Kontext der Sünde verbundenen Unmöglichkeit der Selbstrechtfertigung vor Gott, ist daher von der Unfreiheit des Menschen zu reden. Sie widerspricht aber nicht der Freiheit und Verantwortung vor der Welt, die als solche auch wiederum Verantwortung vor Gott ist. Im Gegenteil: Weil von Sünde überhaupt nur deshalb zu reden ist, weil Menschen zu sich selbst in Distanz treten können und in einem Selbstverhältnis leben, setzt Sünde die Freiheit in der Beziehung zur Welt und zu sich selbst voraus. Nur aufgrund dieser Voraussetzung kann auch die Verkehrung der Freiheit in ihr Gegenteil durch die Sünde identifiziert werden. Was ich oben angesichts der Frage nach den Kriterien personaler Präferenzen im Kontext der Analyse Pauens deutlich gemacht habe, kann in theologischem Kontext bestätigt werden: Von Freiheit muss auch im Kontext evidenter Unfreiheit die Rede sein können.603 Luther ist bestrebt, die unhintergehbare Faktizität der Sünde zu benennen, nicht aber eine theoretische Rekonstruierbarkeit aus einer ursprünglichen Freiheitstat, etwa einer self-forming-action im Sinne Kanes. Angesichts dieser nur im Glauben erkennbaren, allgemeinen Faktizität ist mit dem Sündersein des Menschen ein kulturell und sozial, möglicherweise auch evolutionär604 vermittelter Zusammenhang etabliert, dessen Teil der Einzelne immer schon ist. Als Teil dieses Zusammenhangs vollzieht der Einzelne sein Personsein in einer Form von Selbstverhältnis, für das er (im Normalfall) frei und verantwortlich 602 Ich gebrauche hier diesen (auch von Luther gern verwendeten) Begriff, weil er die Dimension der personalen Ganzheit, die hier im Blick ist, schön zum Ausdruck bringt. Damit ist nicht das relative Recht anderer Begriffe wie Erb-, Ur- bzw. Ursprungs-, oder Wurzelsünde bestritten, die je auf ihre Weise einen spezifischen Aspekt in den Blick nehmen. In Bezug auf den Begriff »Personsünde« und seine problematischen Konnotationen ist allerdings zu sagen, dass damit nicht die Sündhaftigkeit der Person als solche zum Ausdruck gebracht werden soll, was der flacianischen, Sünde mit der Substanz des Menschen identifizierenden Häresie gleich käme. Vielmehr ist hier die ex post identifizierbare, nämlich totale, und darum vom Menschen nicht von integren Bestandteilen theoretisch zu scheidende Verderbtheit der Person ausgesagt. 603 Siehe oben S. 174 f. 604 Vgl. den veritablen Beitrag von Wandlinger, Theologie der Erbsünde, der diesbezüglich erörtert, inwiefern evolutionstheoretische Erkenntnisse den (katholisch verstandenen) Begriff der Erbsünde klären helfen können. Er erreicht allerdings, aufgrund eines Verständnisses von Erbsünde als Disposition nicht die Problemstellung, die sich aus einem protestantischen Begriff von Erbsünde im Sinne wirklicher Sündhaftigkeit ergibt.

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Theologische Perspektiven

zu nennen ist. Es besteht nun die Aufgabe, im Rahmen der theologischen Überlegungen zur Freiheit des Menschen, diese in Beziehung zu den beschriebenen Phänomenen von Unfreiheit zu setzen. Es hat sich schon angedeutet, dass eine strikte Trennung von Freiheit und Unfreiheit menschlicher Existenz nicht entspricht, sondern dass in gewisser Hinsicht immer von beidem zu reden ist.

6. Systematisch-theologische Überlegungen zur Freiheit des Menschen 6.1 Freiheit in Beziehung 6.1.1 Kommunikative Relationalität als Bedingung von Freiheit Die Exegese und Interpretation der maßgeblichen Luthertexte hat gezeigt, dass Luther an einem explizit theologischen, und zugleich an einem explizit christlichen Begriff von Freiheit interessiert ist. Sein Freiheitsbegriff wird aus der theologisch reflektierten Perspektive des Glaubens gewonnen. Diese Tatsache, und auch das Faktum, dass Luthers Begriff des servum arbitrium genuin hamartiologisch kontextualisiert ist, führt zu der Notwendigkeit, den explizit theologischen Freiheitsbegriff in ein Gespräch mit philosophischen und naturwissenschaftlichen Aspekten zu bringen. »Der freie Wille« ist dabei kein in der Welt anzutreffendes, und daher gegenständlich oder mit den Mitteln einer Substanzmetaphysik zu beschreibendes Ding, sondern eine Eigenschaft von Personen605; und zwar von Personen nicht in ihrem schlichten für-sich-Sein, sondern in ihren Umweltbeziehungen, an denen sie rezeptiv und produktiv beteiligt sind (vgl. etwa Strawson). Die theologisch-anthropologische Perspektive besinnt sich dabei zunächst auf die Konstitution von Personalität. Dies gilt insbesondere aus der Perspektive des glaubenden Subjekts, das in der These des servum arbitrium die Unfähigkeit zur Selbstkonstitution bekennt. Andererseits nimmt die Rede von der Freiheit eines Christenmenschen die solchermaßen konstituierte Person als eine befreite in den Blick, sie deutet also die Konstitution der glaubenden Personalität als Befreiungsgeschehen und benennt gleichzeitig die daraus fol-

605 Hierin stimme ich der Einschätzung von Achtner, Willensfreiheit, 251, zu.

Systematisch-theologische Überlegungen zur Freiheit des Menschen

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genden Handlungsmöglichkeiten. Sie nimmt die je aktuelle Verwirklichung des Personseins in der Zeit in den Blick. Beide Dimensionen sollen nun noch einmal systematisch zur Geltung gebracht werden. In der freiheitstheoretischen Diskussion geht in theologischer Perspektive insofern eine intensive Wahrnehmung des Menschen vonstatten, da die Differenzierung von Freiheit und Unfreiheit, die sich mit der Unterscheidung von Sünde und Gnade verbindet, eine Differenzierung auch im Selbst des Menschen bedingt bzw. ermöglicht. Dieses Selbst, das in theologischer Perspektive als Schnittpunkt von Relationen zu verstehen ist, kann nicht schlichtweg als Träger von Freiheit oder von Unfreiheit gedeutet werden. Beide Phänomene sind in differenzierter Weise im zeitlichen Vollzug des Personseins zu verorten, und wiederum zu dem philosophisch ermittelten Begriff von Freiheit in Beziehung zu setzen. Freiheit wird also in besonderer Weise als relationales, insbesondere als kommunikatives Phänomen sichtbar, das durch die Art und Weise der Außenverhältnisse, aber auch des Selbstverhältnisses bestimmt ist. Schon anhand der Libet-Experimente konnte ja deutlich werden, dass Freiheit auch als empirischer Untersuchungsgegenstand eine soziale und sprachliche Einbettung benötigt. Kam in der philosophischen Diskussion Freiheit vor allem als Entscheidungsfreiheit in bestimmten Situationen mit entsprechenden Alternativen in den Blick, und somit als eine Größe, welche die Grundlage für die Zuschreibung von Verantwortung darstellt, so zeigte sich in theologischem Kontext noch deutlicher, dass und wie Freiheit nicht nur für Beziehungen relevant ist, sondern auch aus und in diesen Beziehungen lebt, insbesondere insofern, als sie eben in spezifische Kommunikationskontexte eingebunden ist;606 letztgenannter Aspekt lässt sich theologisch pointiert in der Angewiesenheit des Menschen auf das Wort Gottes verdeutlichen, wie es sich in der Forderung des Gesetzes und im Zuspruch des Evangeliums ereignet und dem Menschen begegnet. Das Phänomen Freiheit kann relational verstanden werden, weil die Beziehungen des Menschen (einschließlich des Selbstverhältnisses) das sich in der Zeit vollziehende Personsein prägen und eminent auch auf die Entscheidungsmöglichkeiten und die entsprechende Entscheidungsfreiheit einwirken. Dabei ist die relationale Struktur selbst noch 606 Ulrich Körtner hat m.E. richtiger Weise darauf hingewiesen, dass die Einbettung unserer Handlungen in kommunikatives Handeln etwa in der Freiheitstheorie Gerhard Roths gänzlich unberücksichtigt bleibt (ders., Vom unfreien Willen, 207 f).

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kein Kriterium für Freiheit, können sich doch alle Beziehungen sowohl freiheitsfördernd als auch -behindernd gestalten; sie können neue Möglichkeiten und Freiräume erschließen, oder aber Druck erzeugen, einengen, blockieren, also Unfreiheit produzieren. Es ist aber zu betonen, dass die relationale Struktur menschlicher Existenz eine Voraussetzung für die Zuschreibung und Verwirklichung von Freiheit, und damit auch für die Verantwortlichkeit des Menschen darstellt. Denn einerseits stellt die Möglichkeit des Menschen, ein Selbstverhältnis auszubilden und über das eigene Personsein, die Fähigkeiten, Möglichkeiten und Grenzen nachzudenken, eine Grundbedingung von Freiheit dar. Dies konnte schon in der philosophischen Perspektive deutlich werden. Ohne diese Struktur könnte nur von blindem Naturgeschehen, von Reiz und Reaktion o.Ä. die Rede sein. Dem ist hinzuzufügen, dass die Beziehungen zu anderen Personen und anderer Personen zu einem selbst wiederum auch das Selbstverhältnis prägen. Was etwa andere Menschen über mich denken, beeinflusst auch mein Selbstbild. Die unterschiedlichen Beziehungen sind also ineinander verwoben und spiegeln sich im Selbstverhältnis. Andererseits bildet die relationale Struktur den Raum, und zwar den zeitlich strukturierten Raum der Verwirklichung von Freiheit (also eine Art »Zeit-Raum«). Denn Freiheit wäre keine Freiheit, wenn sie sich nicht in Beziehungen, d. h. gegenüber Anderen, gegenüber mir selbst, aber auch etwa gegenüber Gegenständen, die mir zur Wahl und zum Gebrauch zur Verfügung stehen, in der Zeit verwirklichen würde. Freiheit, die keinen Raum hätte, sich zu artikulieren, verdiente nicht Freiheit genannt zu werden. Dieser Raum aber ist für den Menschen wesentlich konstituiert durch die Beziehungen, in denen er lebt.607 Eine Welt, zu der er keine Beziehungen unterhielte, wäre nicht seine Welt.608 Nur in einer solchen Struktur aber ist auch die Rede von Verantwortlichkeit, damit aber auch von Freiheit sinnvoll. Sie ergibt sich daraus, dass Menschen nicht gewissermaßen als isolierter Punkt existieren,

607 Siehe Fuchs, Leib Raum Person, 296-301 in Bezug auf die interpersonale Konstitution eines (phänomenologisch erschlossenen) Raumes; Fuchs formuliert treffend mit Bezug auf Buber: »Der interpersonale Raum wird also durch zwei sprechende Menschen konstituiert, die sich ihrer Perspektiven bewußt sind und sie miteinander verknüpfen.« (a. a. o., 298). 608 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 113 ff, für den die Frage nach dem »Wer?« des Daseins als in der Welt sein auf »Strukturen des Daseins [führt], die mit dem In-der-Weltsein gleichursprünglich sind: das Mitsein und Mitdasein«.

Systematisch-theologische Überlegungen zur Freiheit des Menschen

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sondern sich stets in spezifischen Forum-Situationen609 vorfinden, die ein Verhalten zu sich selbst und zu anderen erfordern. Dabei ist es durchaus als möglich anzusehen, diese Konstellationen bewusst oder unbewusst zu negieren; soweit allerdings die Fähigkeit, diese Relationen wahrzunehmen und sich zu sich und anderen überhaupt zu verhalten, nicht grundlegend beeinträchtigt ist, wird man jedem Menschen eine Form von Freiheit und Verantwortung, wie ich sie in Teil II dieser Arbeit skizziert habe, zuschreiben. Hierbei ist vorausgesetzt, dass Freiheit nur gegenüber Anderen, und sei es »das Selbst als ein Anderer« (Ricœur) zu verwirklichen ist So kann die Einsicht in die Bedingtheit menschlicher Freiheit vertieft werden, weil jede Rede von Freiheit nur als relative, d. h. als Freiheit in Beziehung und damit auch als relativierte Freiheit zu verstehen ist. In dieser Perspektive ist daher zu sagen, dass eine absolute Freiheit nicht mehr als Freiheit gelten kann, nicht nur weil sie von Zufall oder Willkür nicht mehr zu unterscheiden wäre, sondern weil sie v. a. als völlige Beziehungslosigkeit jegliche Bedingung ihrer selbst und jeglichen Raum zur Verwirklichung verloren hätte.610 6.1.2 Die Unterscheidung der Beziehungen und die Bedeutung des Selbstverhältnisses Die Relationalität menschlicher Existenz wird in theologisch-anthropologischen Äußerungen gängigerweise vorausgesetzt oder explizit benannt.611 Dabei steht normalerweise nicht in Frage, dass hier drei konstitutive Beziehungen zu bedenken sind: Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis. Zu fragen ist allerdings, wie wiederum das Verhältnis dieser drei Beziehungen zueinander zu beschreiben ist, insbesondere welche Rolle das Gottesverhältnis in der Trias spielt.

609 Vgl. die theologische Rede von den coram-Dimensionen, wie ich sie schon im ersten Kapitel dieses Abschnitts benannt habe (vgl. 1., S. 268). 610 In dieser Hinsicht ist es durchaus sachgemäß von einem »Apriori freier Kommunikation« (Riedel, Freiheit und Verantwortung, 213) auszugehen, sofern damit die im Normalfall unterstellte Bedingung der Möglichkeit zur Übernahme von Verantwortung in Freiheit gemeint ist. Im theologisch-qualifizierten Sinne aber ist Freiheit – wie in Kap. 6 noch expliziert wird – gerade kein Apriori, sondern ein kommunikatives Ereignis der Befreiung. 611 Vgl. exemplarisch Härle, Art. Mensch, 1068 f; explizit in freiheitstheoretischer Argumentation Knuth, Freiheit, 39-41.

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Zumeist wird hierbei Gott als Ursprung oder Grund von Selbstund Weltverhältnis zur Sprache gebracht; das Gottesverhältnis kann daher auch als »Ursprungsrelation«612 bezeichnet werden. Symmetrisch dazu kann ausgesagt werden, dass Gott auch der Vollender aller endlichen Beziehungen ist. Dies impliziert, dass die Gottesbeziehung nicht in gleicher Weise einen »Gegenstand« von Freiheit darstellt, in dem Sinn, dass hier Handlungsalternativen zur Disposition stehen, die wählend ergriffen werden könnten. Wenn Gott in dieser Weise zunächst als »transzendente«, nämlich jenseits unserer endlichen Beziehungen angesiedelte Größe verstanden wird, ist nach ihrer freiheitstheoretischen Relevanz in den konkreten, endlichen Vollzügen zu fragen. Inwiefern wirkt sich die Gottesbeziehung in Handlungen aus? Nun war ein wichtiger Ertrag der bisherigen theologischen Erörterungen, dass die Bedingtheit menschlicher Existenz, die in Konsens mit nahezu allen philosophischen Positionen auch aus theologischen Gründen zu bejahen ist, nicht als Freiheit gefährdend angesehen werden kann. Sie kann gewissermaßen als Rückseite der Gottesbeziehung gedeutet werden, wenn etwa die Anerkennung des Grundes, also Gottes, und die Einsicht in die Bedingtheit menschlicher Existenz Hand in Hand gehen;613 oder wenn ausgehend von der Annahme der eigenen Endlichkeit die notwendige Annahme eines Unendlichen erklärt wird.614 Ich habe deutlich gemacht, dass sich aber aus der Einsicht in die Bedingtheit nicht notwendig oder a priori eine Gottesbeziehung konstruieren lässt. Der Mensch fragt zwar in gewisser Weise immer über sich und seine Bedingtheit hinaus. Dass dabei aber ein expliziter Gottesbezug«615 entsteht, ist aus lutherischer Perspektive ein kontingentes Faktum, das nicht aus menschlichem Transzendieren, und auch nicht aus der Einsicht in die eigene Bedingtheit, der dann die Annahme eines Transzendenten, Unbedingten gegenüber stehen müsste, entspringt.616 Denn für eine Gottesbeziehung, wie sie lutherisch im fiduzial verstan612 Härle, a. a. o., 1069. 613 So etwa Gräb-Schmidt, Sündenerkenntnis, 98, mit Bezug auf Kierkegaard. 614 So Pannenberg, vgl. etwa STh II, 159, zur Kontrastierung von Göttlichem und Endlichem. 615 So Tietz, Freiheit zu sich selbst, 168, zu Recht kritisch gegenüber Kierkegaard und seiner »Verschränkung von Gottes- und Selbstbezug« (a. a. o., 167). 616 Diese Gedanke ist gegen das Person- und Freiheitskonzept von Wolfgang Achtner einzuwenden, der die freiheitstheoretische Ambivalenz von Selbsttranszendenz nicht berücksichtigt (vgl. ders., Willensfreiheit und Person, 153).

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denen Glauben besteht, ist vorausgesetzt, dass sie das endliche, menschliche Dasein in ein ganz bestimmtes Licht setzt, das sich nicht allein aus deren Bedingtheit bzw. der Kontrastierung mit einem Unbedingten ergibt. Die Gottesbeziehung prägt also auch Selbst- und Weltverhältnis, weshalb der Vollzug des Gottesverhältnisses mehr als nur ein Anerkennen des Gegründetseins beinhaltet. Denn die theoretische Einsicht in die Bedingtheit und Endlichkeit menschlichen Lebens bedeutet noch nicht, dass diese Einsicht von handelnden Personen in ihrem Freiheitsvollzug auch immer schon vorausgesetzt wird, und es ist noch nicht impliziert, wie sich die Einsicht in die Endlichkeit auswirkt. Denn die Gottesbeziehung wird ja in der Endlichkeit verwirklicht, und hat daher auch Einfluss auf das, was wir als endlich ansehen. Dies hat zur Folge, dass der konkrete Vollzug der Gottesbeziehung, und d. h. auch die jeweils neue Ausmittelung von Gottes-, Welt- und Selbstverhältnis nicht theoretisch aufgezeigt werden kann. Der existentielle Ort lässt sich nur aus der auch in theologischer Perspektive – nämlich um des Glaubens willen – irreduziblen Binnenperspektive bestimmen. Das Selbstverhältnis hat insofern eine Zentralstellung, als dieses auch die Innenseite aller Beziehungen repräsentiert. Hier konvergieren die unterschiedlichen Perspektiven und werden zueinander in Beziehung gesetzt.617 Dabei ist das Gottesverhältnis nicht nur als Grund, sondern – sei es in Sünde oder Glaube – je aktueller Bestimmungsfaktor endlicher Relationen mit präsent. Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis sind in der konkreten Lebenspraxis so miteinander verwoben, dass sie zwar in bestimmten Situationen und Vollzügen explizit thematisch werden (z.B. Selbstreflexion, Gespräch, Gebet…), dass sie aber nicht theoretisch zu trennen sind. In Luthers soteriologisch pointierter Perspektive wurde nun deutlich, dass Freiheit in christlichem Sinn nicht einfach da ist (etwa wenn Menschen überhaupt über ein Selbstverhältnis verfügen), sondern als kontingentes und daher nur ereignishaft in der Zeit zu erlebendes und zu beschreibendes Geschenk Gottes, bzw. als Werk des Geistes zu verstehen ist. Dabei wird Freiheit kein endgültiger Besitz, kein Zustand des Menschseins618, sondern ist eher als »kategorische Gabe«619 zu 617 Siehe Knuth, Freiheit, 42 f. 618 Hans-Martin Barth hat m.E. korrekt formuliert: »In gewisser Weise ist Freiheit kein Zustand, sondern sie lebt von dem ständigen Erleben des Befreit-Werdens.« (ders., Theologie Luthers, 304). 619 Bayer, Art. Freiheit VIII., 320.

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deuten. Hauptaufgabe dieses Abschnitts kann es daher nur sein, aufzuzeigen, wie das Ereignis der Gottesbeziehung Freiheit ermöglicht, und welche allgemein nachvollziehbaren Phänomene hier eine Rolle spielen. 6.1.3 Die Ambivalenz von Beziehungen Es hatte sich gezeigt, dass die menschliche Freiheit, die in der Offenheit des Selbstverhältnisses auf Anderes und Andere hin wurzelt, in dieser Eigenschaft auch ambivalent ist. Denn die Transzendierung des eigenen Selbst kann (muss aber nicht!) in einen »Schwindel der Freiheit« (Kierkegaard)620 führen, der Orientierungslosigkeit zur Folge hat. Umgekehrt kann die Anerkennung der eigenen Endlichkeit und Bedingtheit menschliche Freiheit vor Überforderung schützen, und einen Raum vorgeben, innerhalb dessen eine Freiheit gewährende Orientierung möglich ist. Insofern ist das Freiheitsmodell, das jüngst Wolfgang Achtner in Zusammenschau naturwissenschaftlicher und theologischer bzw. theologiegeschichtlicher Aspekte entwickelt hat, nicht komplex genug621; es unterstellt einen Freiheitsbegriff des linearen Aufstiegs wobei die offensichtlich höchste Form in der »Entgrenzungsfreiheit«622 zu sehen ist. Es ist aber zu berücksichtigen, dass nicht nur Entgrenzung, sondern auch Begrenzung einen Zugewinn an Freiheit bedeuten kann. Die Anerkennung der eigenen Endlichkeit und der endlichen Freiheit wird dementsprechend von vielen theologischen Auslegungen als Bedingung der Freiheit genannt. Freiheit wird dann als geschenkte oder verdankte Freiheit verstanden,623 weil sie sich nicht selbst konstituieren muss. Dem ist insofern zuzustimmen, als die Anerkennung dieses Faktums tatsächlich den eigenen Freiheitsvollzug entlasten, und somit erst wirklich frei machen kann. Allerdings ist, wie oben schon angedeutet, Vorsicht geboten, die Anerkennung der Endlichkeit schon als Vollzug von Freiheit, erst recht im christlichen Sinne, oder als Grün620 Vgl. die Formulierung von Sparn, Der freie Wille, Abschnitt 4.1., der von einem »Taumel[.] der Freiheit« spricht. 621 Vgl. insgesamt Achtner, Willensfreiheit in Theologie und Neurowissenschaften. 622 Achtner, Willensfreiheit und Person, 153. 623 Vgl. exemplarisch etwa Huber, Verantwortete Freiheit, 328 f; Abraham, Evangelium, 374 f; Schockenhoff, Netz zerissen, 305 ff Knuth, Von der Freiheit, 31 f; Sauter, Wahrnehmung, 495.

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dung in der »Macht des Ursprungs«624 zu verstehen. Denn ein solches sich Gründen setzt nicht nur die Anerkennung der eigenen Bedingtheit, sondern auch ein positives Verhältnis zu diesem Ursprung bzw. zum Faktum der eigenen Bedingtheit voraus, innerhalb dessen dieses Faktum tatsächlich auch als Geschenk, und nicht als drohende Aufgabe oder als kränkende Beschränkung wahrgenommen werden kann. Die Anerkennung der Endlichkeit unterliegt selbst noch der Ambivalenz. Die Frage Nietzsches »[W]ie hielte ich es aus kein Gott zu sein«625 wäre ebenso eine mögliche Reaktion auf die Einsicht in die Endlichkeit der Existenz. Auch könnte die Bedingtheit der Freiheit in der Perspektive der Verurteilung zur Freiheit, wie es der selbe Autor interpretiert hat, gesehen werden.626 Es zeigt sich also, dass Freiheit und Unfreiheit eminent mit der Qualität der Selbstbeziehung wie mit der Ursprungsbeziehung, aber auch den Umweltbeziehungen zu tun haben.627 Die Art und Weise, wie mir mein Gegenüber, wie mir Gott, wie ich mir selbst begegne, hat starken Einfluss auf die Art und Weise meines Freiheitsvollzugs. Dies lässt sich auch an menschlichen Beziehungen ablesen. Denn die Existenz des Anderen und seine konstitutive Bedeutung für die eigene Person, wie sie bei Lévinas eindrücklich herausgearbeitet wurde, trägt wie auch die Selbstgegebenheit des Subjekts eine ambivalente Signatur.628 Sie kann als Situation der Unfreiheit wie der Freiheit empfunden werden. Ich hatte im philosophischen Teil der Arbeit das Selbstverhältnis des Menschen als ein freies, bzw. als ein solches, das frei sein muss, um überhaupt von Freiheit sprechen zu können, beschrieben. Nun zeigt sich, dass die darin implizierte Offenheit der Existenz zwar die Basis von Freiheit ist, dass diese aber auch Züge von Unfreiheit tragen kann.629 Normalerweise werden wir Freiheit, die als 624 Knuth, Von der Freiheit, 41 (kursiv im Original); Herms, Wahrheit und Freiheit, 225. 625 Nietzsche, Zarathustra II (Von den glückseligen Inseln), 87. 626 Sartre, siehe FN 528. Auf diese Form der Nötigung zur Freiheit beziehen sich auch die Autoren in Knuth, Von der Freiheit, 20, allerdings ohne deren Ambivalenz zu beschreiben. 627 Bernhard Waldenfels hat (im Anschluss an Merleau-Ponty) den Sachverhalt so formuliert, dass Freiheit »als die Art und Weise, wie wir uns leiblich in der Welt bewegen, wie wir die Welt gestalten und sie strukturieren« verstanden wird (Waldenfels, Leibliches Selbst, 193). 628 Dietrich Korsch hat diese Ambivalenzen deutlich beschrieben (ders., Freiheit im Widerstreit, 154). 629 Die Offenheit der menschlichen Existenz betont im Anschluss an Kierkegaard auch Gräb-Schmidt, Sündenerkenntnis, 100; dass das Aushalten dieser Offenheit und Fra-

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Basis von Verantwortung zugeschrieben wird, jedem Menschen zuerkennen, der nicht einer Zwangsstörung, einer Sucht, o.ä. unterliegt. Es ist aber zu erkennen, dass Freiheit durchaus ein graduelles Phänomen630 ist, und dass Beziehungen immer auch den Stempel der Unfreiheit tragen können. Dies lässt sich daran illustrieren, wie der oder das Andere auf das individuelle Selbstverhältnis einwirkt. Diese Begegnung kann auch unter der Signatur der unbedingten Forderung, der Anklage oder des Zwanges stehen, die dann eben eine ganz bestimmte Handlung intendieren, die nicht mehr dem individuellen, frei vollzogenen Selbstverhältnis entspringt. Die Offenheit der Zukunft erhält dadurch einen bedrohlichen Charakter. Dabei ist es durchaus schwer zu sagen, wo hier der Zwang beginnt, insofern Ansprüche anderer Personen in den meisten menschlichen Handlungen berücksichtigt sind und von Menschen auch internalisiert werden. Wo nun die äußeren Umstände oder andere Personen als Unfreiheit verursachend auftreten, ist nicht immer adhoc, sondern oft nur im Nachhinein zu bestimmen. Dass Forderungen (von Personen, aber auch Institutionen etc.) die Freiheit durch Fixierung auf ganz bestimmte, von außen auferlegte Handlungen einschränken bzw. einen Zwang entfalten können, der sich auch innerlich manifestiert, indem Personen diesen als Druck empfinden, unter dem sie leiden und auch zusammenbrechen können, dürfte kaum zu negieren sein. Theologisch gesprochen ist dies die Situation, die sich aus dem Ereignis631 des Gesetzes ergibt und die Luther in seiner Freiheitsschrift explizit als Aspekt der Unfreiheit zur Geltung gebracht hat.632

gilität schon Freiheit bedeuten sollte, kann ich nicht erkennen; die Bestimmung ist nur dann richtig, wenn hinzugefügt wird, dass im Vertrauen auf Gott eine Gewissheit gegeben ist, welche es ermöglicht, der Kontingenz der Welt, wie sie sich in der Erfahrung präsentiert, gelassen gegenüberzutreten; die entscheidende Dimension wäre hier aber nicht das Aushalten oder Annehmen, sondern vielmehr die aktive Gestaltung und Mitarbeit an der Welt im Vertrauen auf Gottes Providenz. 630 Vgl. dazu Waldenfels, Leibliches Selbst, 202 ff. 631 Dass das Gesetz – wie auch das Evangelium – bei Luther primär ein kommunikatives Ereignis darstellt, hat Walter Sparn jüngst in einer Analyse von Luthers Antinomerdisputationen herausgearbeitet (ders., Lex iam adest, 241). 632 Ich gebrauche den Terminus »Gesetz« hier zur Bezeichnung einer Forderung, wie sie – theologisch verstanden – den Menschen aufgrund von dessen Unerfüllbarkeit seiner Sündhaftigkeit überführt. Die darin implizierte Unfreiheit erfolgt aus der kommunikativen oder situativen Isolierung des Gesetzes vom Evangelium, nicht aus dem Gesetz als solchem, das auch im Sinne der Freiheit als Orientierungshilfe verstanden werden kann (vgl. nur Ps 1 oder Ps 119).

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Demgegenüber kann von Freiheit in Beziehungen da die Rede sein, wo die Existenz anderer Personen als fördernd, Vertrauen erweckend bzw. Entwicklung und somit auch freie Handlungen ermöglichend erfahren wird. Die leitende Kategorie wäre hier dann nicht die Forderung, sondern der Zuspruch, theologisch formuliert das Evangelium. Auf Basis eines solchen Zuspruchs ist dann auch Handlungsfähigkeit, die auf innerer Spontaneität und ungezwungener Orientierung beruht, denkbar. Die konstitutive freiheitstheoretische Bedeutung von Beziehungen in ihrer kommunikativen und zeitlichen Struktur wird also deutlich. 6.2 Geschöpfliche Freiheit 6.2.1 Intentionales Handeln Mit der Relationalität ist ein wesentlicher Aspekt menschlicher Bedingtheit benannt. Dem Menschen ist in Bezug auf seine Beziehungen Freiheit und Verantwortlichkeit zuzuschreiben, insofern davon ausgegangen werden kann, dass ein (erwachsener) Mensch Grundregeln des Zusammenlebens durchschaut und sich danach richten kann. Damit ist zwar noch kein explizit christlicher bzw. theologischer Freiheitsbegriff benannt, wohl aber sind Strukturen markiert, die einem christlichen Freiheitsverständnis zu Grunde liegen. Das (vermeintliche) Zentralproblem philosophischer Freiheitsbegriffe wurde ja in der Verhältnisbestimmung zu einem weltanschaulichen Determinismus identifiziert. Es ist daher analog noch einmal die Frage nach der Kompatibilität oder Inkompatibilität personaler Freiheit mit einer solch starken Form von Bedingtheit zu eruieren, wie sie sich unter theologischen Vorzeichen darstellt. Dabei war von Luther her deutlich geworden, dass ein theologischer Determinismus, also die Annahme der Bestimmtheit allen Geschehens durch Gottes Willen, nicht in der Lage ist, menschliche, geschöpfliche Freiheit zu unterminieren. Weil Gott und Mensch nicht als Konkurrenten in Beziehung auf die Autorschaft von Handlungen auftreten, ist aus dieser Logik auch kein Ausschluss von Freiheit zu folgern. Vielmehr ist zu erörtern, inwiefern sich aus dieser Einsicht ein theologisch begründeter Freiheitsbegriff formulieren lässt. Die Pointe des theologischen Determinismus bzw. Necessitarismus, wie ihn Luther vertrat, war darin zu identifizieren, dass das Handeln Gottes (primär entdeckt in den Verheißungen, denen eine Verwirklichung entspricht) als Vertrauen und Gewissheit erweckend,

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nämlich zielführend verstanden werden kann. Es kann als Ausdruck der Gewissheit der je eigenen Bestimmung verstanden633 und als Basis von Freiheit zur Geltung gebracht werden werden.634 Dabei kann an gängige Handlungstheorien angeknüpft werden, die stets die Intentionalität, also die Gerichtetheit von Handlungen auf einen bestimmten Gegenstand bzw. ein Ziel als wesentliches Strukturmerkmal zur Bestimmung von (freien) Handlungen voraussetzen.635 Diese intentionale Orientierung von Handlungen ist selbstverständlich auch ohne die Voraussetzung Gottes zu formulieren. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass sie auch die realistische Möglichkeit zur Verwirklichung der Ziele im Rahmen eines sinnhaften Ganzen impliziert.636 Handlungen können nur dann zielgerichtet und frei sein, wenn die Wahl der Handlungsoption einschließlich der geeigneten Handlungsmittel eine Rationalität bzw. ein Vertrauen in den Sinn bzw. das Funktionieren der Handlung einschließt. Diese Bezogenheit auf einen Sinnzusammenhang kann dabei gradueller Variation unterliegen; sie kann als Annahme des Funktionierens eines bestimmten Subsystems, sozialer oder auch technischer Natur, einen sehr partiellen Charakter tragen und dabei den Bezug auf einen universalen Zusammenhang ausblenden, aber auch als Vertrauen in das Ganze der Wirklichkeit verstanden werden. Nimmt man an, dass die Behauptung von Gottes Allmacht primär zu deuten ist als Ausdruck des Vertrauens, so zeigt sich in dieser 633 Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass die Gewissheit des Glaubens zunächst eine individuelle Gewissheit ist. Diese ist freilich nicht solipsistisch zu verstehen, sondern als eine Gewissheit, die sie mit allen Glaubenden teilt, und die sich – allerdings im Modus der Hoffnung – auch auf Andere und die Welt bezieht. 634 Mir scheint die These von Hans Schwarz diesen Sachverhalt gut zu explizieren, wenn er konstatiert, »dass eine wachsende Theonomie in einer wachsenden Autonomie resultiert.« (ders., Luthers Verständnis der Person, 107); Menschen, die Gott vertrauen, können »sich frei und ungehindert in konstruktiver Weise den Notwendigkeiten des täglichen Lebens zuwenden.« (a. a. o., 108). 635 In theologischem Kontext (aber zunächst ohne spezifisch theologische Begründung) findet sich Intentionalität als Struktur einer Handlungstheorie etwa bei Schwöbel, Freiheit, 230-237; Herms, Art. Willensfreiheit IV., 1573; neurowissenschaftlich bzw. philosophisch wird das Anliegen von Goschke, Der bedingte Wille, 117 ff, vertreten; für die Philosophie ist exemplarisch der von uns ausführlich behandelte Robert Kane, Significance, 26, zu nennen. 636 In diesem Sinn kann man durchaus bejahen, dass jeder Mensch in gewisser Weise religiös ist; darin ist Pannenberg Recht zu geben (ders., Anthropologie, 69-71), insbesondere auch in der Betonung des darin sich zeigenden »Grundvertrauen[s]« (a. a. o., 69).

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Perspektive deutlich, dass sie keinen Ausschluss, sondern einen Ermöglichungsgrund von Freiheit darstellt. Dem für alles Handeln notwendigen Vertrauen ist hier eine Zusage gegenübergestellt, die dieses Vertrauen rechtfertigt.637 Insofern ist Freiheit im christlichen Sinn tatsächlich »versprochene Freiheit«; nicht im Sinne einer Vertröstung auf die in der Zukunft erwartete Einlösung des Versprechens, sondern als performatives, nämlich Vertrauen weckendes Sprachereignis in der Gegenwart. Gerade weil sich von Luther her der Glaube in Konfliktsituationen als Vertrauen auf die Treue Gottes bewährt, kann hier die christliche Sicht philosophisch konturierte Form von Freiheit bestätigen. Diese ergab sich ja ebenfalls – wie vor allem bei Robert Kane deutlich wurde – aus der Analyse von Konfliktsituationen. Hier wird die Fähigkeit zur Entscheidung als wesentliches Merkmal der Freiheit angesehen. Aus der Perspektive des christlichen Glaubens kann nun ergänzt werden, dass diese Fähigkeit von dem Vertrauen in den Fortgang der Ereignisse lebt, unabhängig von der eigenen Wahl. Weil die Bestimmung des Menschen durch Gott nicht von der vermeintlich richtigen Wahl einer Alternative abhängig ist, eröffnet diese Zusage einen Raum, den Konflikt überhaupt im Sinne einer Entscheidung aufzulösen. Damit lässt sich die notwendige Bedingung der »offenen Zukunft«, die ich im philosophischen Teil benannt habe, spezifizieren. Denn bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass – wie oben schon kurz angedeutet – Offenheit auch einen bedrohlichen Charakter besitzen kann, lässt sich doch nie vorhersagen, welche Handlungsoptionen tatsächlich zu verwirklichen sind bzw. welche Wahl die richtige ist. Diese Unsicherheit kann daher leicht mit einer Hemmung zu handeln einhergehen, oder aber auch mit der Verweigerung, sich einer komplexen Problemlage auszusetzen.638 Das Vertrauen639 in Gottes schöpferische Allmacht, die in 637 Diesen Grundgedanken, der hier in Bezug auf die Allmacht Gottes formuliert ist, hat Oswald Bayer in verschiedenen Veröffentlichungen ausgeführt; vgl. etwas ders., Freiheit als Antwort, grundlegend 1 f. 638 Diese Ambivalenz der offenen Zukunft ist gegenüber Eilert Herms (Art. Wille IV.; sowie Art. Willensfreiheit IV./V.) zu betonen, der – damit ein Grundanliegen der Existenzphilosophie aufnehmend – in der Selbstgegebenheit des Subjekts, seiner »Entscheidungsgegenwart« (ders., Art. Wille IV., 1563) angesichts der offenen Zukunft, gewissermaßen in der Nötigung zur Freiheit, und der damit einhergehenden Fähigkeit zur Wahl schon Freiheit verwirklicht sieht. Dass dies ein wesentlicher Aspekt menschlicher Freiheit ist, kann nicht bestritten werden, dass er aber als Basis eines theologischen Begriffs von Freiheit dienen kann, muss hinterfragt werden. M. a. w.: Die Reduktion der Frage der Willensfreiheit auf das Problem der verant-

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allem menschlichen Handeln dabei ist und dem Handelnden die drohende Zufälligkeit der Zukunft nimmt, kann als motivationale, zur Handlung drängende Kraft zum Ausdruck kommen.640 Die Kooperation Gottes mit dem Menschen ist daher als eine solche zu verstehen, die diesem Freiheit des Wählens und Handelns ermöglicht. Freiheit entstammt auch in theologischer Perspektive und damit unter Bezugnahme auf das Handeln Gottes nicht dem luftleeren Raum. Diese Bestimmtheit menschlichen Handelns ist nun keine immer schon gegebenen Notwendigkeit im Sinne einer inhaltlichen Bestimmtheit des Willens. Die Aussagen Luthers über die Notwendigkeit der Unveränderlichkeit sollten nicht als metaphysische, quasi überzeitliche Ausdeutung des Freiheitsproblems interpretiert werden. Sie sind primär zu verstehen als Widerstand gegen eine von Erasmus vertretene Indifferenzfreiheit, und damit auch als Widerstand gegen die Zufälligkeit des Weltgeschehens, was einem Begriff von Gottes tätiger Allmacht, wie Luther ihn interpretiert, widersprechen würde. Notwendigkeit ist theologisch als Gegenbegriff zu Kontingenz und als Ausdruck für die Bedingtheit des Willens zu lesen. Der Wille ist im Vollzug tatsächlich immer schon ein bestimmter Wille, sonst wäre er kein Wille, sondern nur ein Wunsch o.Ä.;641 damit ist aber noch nicht gesagt, dass die Art der Bestimmtheit immer schon (von einer überzeitlich zu denkenden Instanz) festgelegt wäre. Damit aber ist ein streng kompatibilistisches Modell menschlicher Freiheit zurückzuweisen, das den auf Kausalitätsschemata basierenden Determinismus gewissermaßen als ontologische These voraussetzt, wie es philosophisch aber auch theologisch gerne vertreten wird.642 Ein

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wortlichen Wahl erreicht nicht die Problemtiefe des reformatorischen Freiheitsdiskurses. Claudia Welz hat den hier genannten Aspekt sehr präzise und differenziert beschrieben, indem sie deutlich macht, dass Vertrauen als »Zukunftsoffenheit« (dies., Vertrauen und Versuchung, 85), als »unbegründbare Quelle der Motivation und praktischen (Re-)Orientierung« (a. a. o., 86), sowie als »Antwort auf ontologische und epistemologische Ungesichertheit« (a. a. o., 87) verstanden werden kann. Sie ist insofern eine Bedingung der Spontaneität des Glaubens, die sich in den guten Werken ausdrückt. Siehe Løgstrup, Wille, 517: »Wollen ist nicht Wählen, sondern gewählt haben. […] denn Wollen heißt immer, etwas Bestimmtes wollen.«; ähnlich in Bezug auf Luther: Iwand, Studien, 56 f. Zwar setzen nicht alle theologischen (wie auch nicht alle philosophischen) Kompatibilisten den Determinismus explizit voraus, sie unterstellen ihn aber implizit (wie bei Pauen gezeigt), da dem Indeterminismus stets das Verdikt der Zufälligkeit ange-

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theologischer Determinismus, der sich ebenfalls gegen die Freiheit gerade ausschließende Zufälligkeit des Geschehens wendet, kann dabei durchaus ein Verständnis menschlicher Freiheit im Sinne von Willensfreiheit integrieren. Denn er artikuliert sich nicht auf Basis von Naturgesetzen, sondern als Aussage über die Treue Gottes643 und muss sich daher nicht auf ein Minimalverständnis (etwa Pauen’scher Prägung) zurückziehen.644 Bestimmt ist der Mensch stets durch die geschöpflichen Bedingungen, will sagen durch die natürlichen, durch Erziehung erworbenen und sozialen Konditionen. Diese Bestimmtheit äußert sich primär in der Ausbildung konkreter personaler Merkmale und Präferenzen, wie sie etwa von Michael Pauen beschrieben wurden. Als eine existentielle Dimension, welche die Merkmale und Präferenzen eines Menschen strukturiert, kann auch der Glaube, also das Vertrauen in die Güte Gottes benannt werden. Dies heißt nun aber gleichzeitig, dass der Glaube nicht unmittelbar den Willen bestimmt, und dass Freiheit somit auch nicht einfach in der Übereinstimmung zwischen Werk und Präferenz zu suchen wäre. Vielmehr ist durch das Versprechen des Evangeliums und das Entstehen von Vertrauen ein Horizont eröffnet, der freies Wählen und Handeln, auch eine freie Willensbildung ermöglicht. Damit aber ist deutlich, dass Freiheit in diesem Sinne nicht als Fähigkeit oder Ergebnis von Arbeit, wie dies in philosophischer Perspektive weithin geschieht,645 sondern als existentielle Bestimmtheit zu verstehen ist. Denn im Glauben vollzieht sich die spezifische Gewissheit, dass alle Handlungen der Person bei Gott aufgehoben sind, gleichzeitig aber nicht das Gottesverhältnis begründen müssen. Damit sind menschliche Handlungen davon entlastet, eine identitätsstiftende Funktion zu übernehmen. Dies lässt sich nun freiheitstheoretisch so beschreiben, dass zwei wesentliche Aspekte von Freiheit, Selbstdistanz und Selbstidenheftet wird (siehe etwa Klein, Willensfreiheit, 290, der aber an anderer Stelle explizit einen kosmologischen Notwendigkeitsbegriff theologisch voraussetzt, a. a. o., 392); in dieser Logik argumentieren auch Hermanni, Gott Freiheit Determinismus; Achtner, Willensfreiheit, 180; ähnlich Petzoldt, Gehirn, 61. 643 So auch Reinhuber, Kämpfender Glaube, 123. 644 Das ist etwa gegen Wolfgang Achtner, Willensfreiheit,180, einzuwenden, der aufgrund seiner quasi-ontologischen Interpretation des servum arbitrium den Gegensatz zwischen neuzeitlicher Freiheit und dem unfreien Willen Luthers (trotz vieler richtiger Beobachtungen etwa zur »Zielorientiertheit des Willens«) zu einseitig pointiert. 645 Vgl. exemplarisch Keil, Willensfreiheit, 118 ff; Bieri, Handwerk der Freiheit, 383.

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tifikation, gerade im Medium solchen existentiellen Vertrauens ermöglicht werden. Dieser Aspekt ist unten noch weiter zu verfolgen. 6.2.2 Graduelle Freiheit Angesichts von Luthers Insistieren auf den konkreten Bedingungen von Freiheit wie Unfreiheit ist eine deutliche Abgrenzung von transzendentalen Personalitäts- und Freiheitsbegriffen als Basis eines christlichen Verständnisses von Freiheit vorzunehmen. Denn gerade in theologischer Perspektive konnte gezeigt werden, dass Freiheit stets nur relational zu konzipieren ist. Sie kann nur unter Heranziehung einer Bezugsgröße bestimmt werden. Die Unmöglichkeit, Gott gegenüber – d. h. anthropologisch betrachtet auf der existentiellen Ebene – eine distanzierte Wahl zu treffen, stellt im Unterschied dazu die relativen, praktischen Wahlmöglichkeiten bezüglich der endlichen, und wiederum bedingten Gegenstände des Handelns erst neu heraus. Als eine solche Theorie über die endlichen Wahlmöglichkeiten ist auch die Freiheitstheorie des Erasmus zu würdigen. Sie ist, wird sie kontextuell richtig eingeordnet im Zusammenhang menschlichen, v. a. moralischen Handelns im Rahmen endlicher Beziehungen, nicht einfach als falsch zurückzuweisen. Das Insistieren auf einen Freiheitsbegriff im Rahmen des Wählens und Handelns ist völlig berechtigt. Sie kann aber nicht als Theorie der Freiheit gegenüber Gott gelten; denn im Kontext der Gottesbeziehung ist menschliches Wahlhandeln zunächst nicht gefragt. Freiheit ist deshalb aus theologischem Blickwinkel nicht transzendental zu bestimmen. Sie zeigt sich stets im endlichen Vollzug, der aber unter bestimmten Bedingungen steht. Insbesondere die jeweilige existentielle Betroffenheit im Kontext der unterschiedlichen Beziehungen prägt die Art und Weise des Freiheitsvollzuges. Daher ist deutlich, dass dieser graduell variiert.646 Freiheit darf daher gerade nicht univok, und

646 Dies sagt erfreulich klar etwa auch der Entdecker des Bereitschaftspotentials (BP) Hans Helmut Kornhuber, der sich in einem späten Aufsatz zum Thema Freiheit geäußert hat (ders., Zur Freiheit, 101), und damit auch der freiheitsskeptischen Deutung des BP bzw. der Libet-Experimente widerspricht; auch Wolfgang Achtner benennt in seinem dynamischen Modell von Willensfreiheit den graduellen Aspekt (ders., Willensfreiheit, 219). Erstaunlicherweise behauptet jüngst auch Michael Pauen die graduelle Struktur von Freiheit, die in seiner Theorie allerdings keine Rolle spielt (ders., in: Zur Debatte, 43); ähnlich äußert sich hier Sven Walter (a. a. o., 45).

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somit auch nicht transzendental647, im Blick auf verschiedene Relate des Menschseins, insbesondere nicht in Bezug auf den »absoluten Horizont« behauptet werden648. Wohl kann mit einem bestimmten Strang neuerer Subjektivitätsphilosophie, wie sie von der Heidelberger Schule um Manfred Frank und Dieter Henrich vertreten wird, behauptet werden, dass dem Menschen eine präreflexive Selbstvertrautheit als Basis des Handelns stets zuzuschreiben ist.649 Dieser Selbstbezug allerdings kann nun gerade nicht als Basis der Freiheit und der Gottesbeziehung in Anschlag gebracht werden. Ihn ex post als Implikat des Gottesglaubens zu benennen, ist durchaus möglich. Auch diese Form der Selbstvertrautheit kann wiederum graduell variieren. Dies schließt nun aber gerade nicht aus, den Selbstbezug als Grundlage für die Zuschreibung von Verantwortung in endlichen Beziehungen und insofern als Indikator der Freiheit anzusehen. Eine basale Form von Selbstbezug, der theologisch als Gabe des Schöpfers bezeichnet werden kann und der die Quelle von Selbstreflexion darstellt, ist Voraussetzung jeder Form von Freiheit. Dieses nun allerdings auch wieder Bedingtheiten und damit der Veränderbarkeit unterliegende Phänomen wird von außen in Handlungszusammenhängen auch ex ante unterstellt. Diese Unterstellung bezieht sich aber auf ein bestimmtes Mindestmaß an Freiheit und ist insofern nicht auf die graduelle Variation von Freiheit bezogen (obwohl sie durchaus damit rechnen kann). Diese Veränderung ließe sich ja auch wiederum erst ex post verifizieren.650

647 Transzendentalität bezeichnet ja (seit Kant) einen epistemischen Status, der die Bedingungen der Möglichkeit eines anderen Sachverhalts benennt. Insofern Freiheit transzendentalphilosophisch immer schon als Bedingung von Handlungen und somit gewissermaßen als Implikat von Personalität vorausgesetzt wird, hat sie einen in sich stabilen Charakter, der in dieser Funktion nicht variiert. 648 Freiheit ist zwar durchaus die Voraussetzung, von der her humane Vollzüge verständlich werden, sie kann aber eben nicht als »unbedingte Bedingtheit« oder als »grenzenloses Sichöffnen« (Pröpper, Art. Freiheit, 103) im Kontext eines transzendentalen Konzepts verstanden werden. 649 Vgl. Henrich, Denken und Selbstsein; Frank, Unhintergehbarkeit. 650 Dass es ein schwieriges Unterfangen ist, das normalerweise einem erwachsenen Menschen unterstellte Mindestmaß an Freiheit (und somit Verantwortlichkeit) ex post im Problemfall zu überprüfen, zeigen die Fälle von oftmals sehr umstrittenen psychologischen Gutachten in Gerichtsprozessen, etwa bei Triebtätern oder auch bei Verbrechen unter Alkoholeinfluss.

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6.2.3 Selbstkohärenz In theologischer Perspektive gewinnt der Aspekt der Selbstkohärenz eine neue Bedeutung. Die kompatibilistische Grundüberzeugung der Kohärenz von Person und Handlung, bei Pauen spezifiziert in der Übereinstimmung von Handlung und personalen Präferenzen, die ich als Basisbedingung für richtig halte, ergibt sich angesichts der Begründung von Unfreiheit im Selbstwiderspruch der Sünde auch als theologisches Argument. Freiheit kann auch theologisch als Selbstkohärenz verstanden werden, und zwar als Übereinstimmung mit sich selbst bzw. mit dem eigenen Selbst, wie es nicht unbedingt der gegenwärtigen Verfassung entspricht, sondern mit dem, wie es der eigenen Bestimmung zukommt.651 Es geht hier also nicht um das glaubende, sondern um das geglaubte Selbst. Alle Selbstbestimmung bleibt dabei, wie es von Kane formuliert wurde, ein Wert-Experiment. Diese Form von Kohärenz besitzt demnach einen in die Zukunft gerichteten Aspekt; auch sie lässt sich nur ex post, d. h. nach einer Handlung auf Basis der gegenwärtigen Selbsterkenntnis verifizieren;652 dabei ist aber nicht nur die vergangene Existenz und die Übereinstimmung von Handlungen mit den damaligen personalen Präferenzen im Blick, sondern auch die Übereinstimmung dieser Handlungen mit einem in der Gegenwart erkannten Sinn bzw. mit der dementsprechend intendierten Gestalt der Existenz. Dabei kann die Differenz zu dieser Bestimmung u. u. auch schmerzlich deutlich werden; theologisch formuliert: es kann zur Erkenntnis der Sünde und somit zur Erkenntnis der Selbstwidersprüchlichkeit kommen. Es kann demnach präzisiert werden, dass Freiheit zwar immer in der Gegenwart, will sagen in bzw. vor Entscheidungssituationen gefordert (und im Normalfall auch vorauszusetzen) ist, dass sie aber insbesondere in dem eben skizzierten sachhaltigeren Sinne nur ex post, nämlich aufgrund eines in und mit der Zeit kommenden Erkenntnisgewinns bezüglich des Sinnes des eigenen Daseins identifiziert werden kann. Sie ist daher nichts, was der Mensch in einem letzten Sinne machen

651 So schon Pannenberg, Was ist der Mensch, 62; ders., Anthropologie, 113; den Gedanken artikulierte etwa auch Julius Müller in seiner Sündenlehre (vgl. Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, 77 ff). 652 Freilich artikuliert sich diese Erkenntnis in der jeweiligen Gegenwart (etwa im Gefühl, einer Gewissheit); diese Gegenwart ist dann aber immer bezogen auf schon Gewesenes und konstituiert sich im (ausdrücklichen oder unausdrücklichen) Rückblick einer Person auf ihr eigenes Gewordensein.

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kann. Die Unmöglichkeit, Freiheit immer653 in der momentanen Übereinstimmung von Person und Präferenz zu denken verweist auf die implizite intentionale Struktur personaler Präferenzen, die sich eben immer schon auch auf noch nicht verwirklichte Sachverhalte des eigenen Personseins beziehen. Daher lässt sich der theologisch identifizierte Aspekt durchaus als in der Struktur eines menschlichen Selbst liegend erklären. Denn schon bei Robert Kane konnte gezeigt werden, dass sich menschliche Entscheidungen und Handlungen nur intentional so verstehen lassen, dass sie (zumindestens eine bestimmte Klasse davon) sich immer auch darauf beziehen, wer oder was ein Mensch sein will. Die Offenheit der Person, die mit philosophischen Argumenten als Basis von Freiheit herausgearbeitet wurde,654 konkretisiert sich auf eine ganz bestimmte Gestalt hin, die wiederum das Selbst des Menschen prägt. Ein Mensch wählt sich in seinen Handlungen immer auch selber.655 Aus theologischer Perspektive konnte (anhand der Themen Sünde und Befreiung von Sünde) nun erhellt werden, dass sich dies – was der Mensch sein will – nur im Vollzug erkennen lässt.656 Es ist Resultat bestimmter Erschließungserfahrungen bzw. von Prozessen der Selbsterkenntnis. Menschliches Sein ist sich in gewisser Weise stets auch verschlossen, so dass Selbstkohärenz, nicht nur im Sinne momen-

653 Es ist notwendig, hier von »immer« zu reden, da in Alltagssituationen die Kohärenz durchaus oftmals relativ leicht zuzugeben ist, insofern Handlungen den eigenen Präferenzen zumindest nicht grundsätzlich widersprechen. In den Entscheidungssituationen aber, in denen es in gesteigertem Sinne auch darum geht, wer ich sein will, die also den intentionalen Aspekt personaler Präferenzen in besonderer Weise repräsentieren, wird die Kohärenzfrage zum Problem. 654 Vgl. oben S. 191. 655 Vgl. Gräb-Schmidt, Sündenerkenntnis, 96; in eine ähnliche Richtung weist die Rede von »Wesensfreiheit« (so Schockenhoff, Theologie der Freiheit, 128; Pesch, Freiheitsbegriff, 218, in Bezug auf Luther); es ist durchaus zu begrüßen, damit den Aspekt zum Ausdruck zu bringen, dass sich die Zuschreibung von Freiheit nicht nur anhand einzelner Entscheidungen entscheiden lässt, sondern stets einen Blick auf das Ganze des Lebens beinhalten muss; Freiheit ist durchaus als Übereinstimmung mit dem eigenen »Wesen« zu deuten; allerdings darf dieses Wesen nun nicht wiederum als ontologische Aussage aus einer Außenperspektive ermittelt und dann ebenfalls von außen als Kriterium von Freiheit angewandt werden; die Übereinstimmung mit dem je eigenen Wesen kann auch nicht als »transzendentale[.] Selbstwahl« (Schockenhoff, a. a. o., 129) bestimmt werden, sondern sich nur als kontingente, zeitliche und dann ex post zu verifizierende Erfahrung ereignen. 656 Vgl. die oben geäußerte Kritik an Pauens statischem Modell, das den zeitlichen Aspekt von Personalität nicht integrieren kann (S. 193).

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taner Authentizität657, sondern im Sinne der Übereinstimmung mit der eigenen Bestimmung nicht immer schon vorauszusetzen ist. Sie ergibt sich in actu und kann, je nach Stabilität des Selbst und des Selbstbildes, durchaus schwanken. Denn die Übereinstimmung mit diesem geglaubten Sinn des eigenen Daseins ist eben keine Identität von Merkmalen, sondern eine vertrauende Bezugnahme auf das Handeln Gottes. Weil dies so ist, kann diese Erkenntnis des eigenen Daseins im Blick auf seine Bestimmung auch beinhalten, dass vorhandene Differnzen im eigenen Selbst anerkannt und ausgehalten werden. Dies geht über die Erkenntnis unterschiedlicher Präferenzen in einer Entscheidungssituation (Pauen)658 oder einem Willenskonflikt (Kane)659 hinaus, die ja immer eindeutig im Sinne einer Handlungsoption aufgelöst werden. Der Wert der eigenen Existenz lässt sich dabei nicht anhand gegnwärtiger Präferenzen deskriptiv ablesen, sondern hat einen diese transzendierenden Aspekt. Diese Art von Kohärenz bedeutet daher keine reine Stringenz personaler Merkmale und Präferenzen, sondern die Versöhntheit der Widersprüchlichkeiten einer personalen Existenz. Freilich ist diese Erfahrung der Versöhntheit nicht unbedingt ein beständiger Zustand, sondern kann durch die Erfahrung innerer Widersprüche auch in Frage gestellt werden660. Diese Einsicht bestätigt damit die Kritik an den modellen theologischer Ontologie, die mit einer grundsätzlich stabilen Form von Gewissheit oder Affektivität rechnen.661 Theologisch gesprochen ist der Mensch eben stets simul iustus et peccator, was besagt, dass beide Attribute in der Binnenperspektive nicht immer theoretisch zu trennen sind. Der hierbei vorausgesetzte Sinn der eigenen Existenz muss dabei kein christlicher sein, um die Struktur zu erkennen, die diesem Sachverhalt zu Grunde liegt. Denn der intentionale Bezug auf eine (als sinnhaft erwartete) Form der eigenen, zukünftigen Existenz kann 657 Den Aspekt der Authentizität betont in seiner kompatibilistischen Theorie der Willensfreiheit Henrik Walter (vgl. Neurophilosophie, 316 ff, zusammengefasst 361), der diese wesentlich als emotionale Konsistenz versteht. Es spricht nichts dagegen, diese Form der Authentizität als ein zentrales Merkmal von Freiheit zu artikulieren, allerdings muss aus theologischer Perspektive der hier dargestellte normative Aspekt (Bestimmung des Menschen) im Sinne eines qualifizierten Freiheitsbegriffs als integraler Teil ergänzt werden. 658 Vgl. z.B. S. 176. 659 Vgl. z.B. S. 242. 660 Vgl. zu Pauen S. 185 661 Vgl. die Kapitel 2.4.4. und 4.4.2.

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(mindestens implizit) jedem Menschen unterstellt werden. Dass sich der Sinn bzw. die Entsprechung zur eigenen Bestimmung stets nur ex post, also nach einer Handlung auf dem Stand der jeweiligen, veränderbaren Erkenntnis verifizieren lässt, ist deutlich, da ja Entscheidungen – wie ich mehrfach betont habe – immer auch den Aspekt der Selbstwahl implizieren. Nimmt man nun Erfahrungen an, welche die Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz bestätigen und damit Freiheitsgrade ermöglichen, so zeigt sich auch anhand dieser phänomenologischen Analyse der Doppelaspekt der Rede von Freiheit: Freiheit als Basis von Handlungen und der Zuschreibung reziproker Verantwortung, und qualifizierte Freiheit der Ausrichtung auf die je eigene, individuell erkannte Bestimmung. Wie sich beide Aspekte zueinander verhalten, ist noch weiter zu präzisieren. 6.2.4 Vernunft, Affekt, Leiblichkeit In dieser Logik ist auch die Verhältnisbestimmung von Freiheit und Vernunft, bzw. von Freiheit und Affekten neu vorzunehmen. Vernunft, verstanden im Sinne der Fähigkeit, nicht instinktiv, sondern aus Überlegung und einer basalen Form von Selbstdistanz heraus zu handeln, war ja schon im philosophischen Teil der Arbeit als eine Grundvoraussetzung von Freiheit benannt worden; dies allerdings nicht in dem Sinne, dass die genannten Kriterien in jeder einzelnen Entscheidung zur Anwendung kommen, sondern dass sie als Basismerkmale der Existenz zur Geltung zu bringen sind, die sich mittelbar auch in Einzelentscheidungen auswirken. Damit ist noch nicht gesagt, dass Menschen nicht auch aus Affektivität heraus frei handeln können, also aus einer Form von Bestimmtheit, die sich nicht primär rational vollzieht. Soweit diese Bestimmtheit nicht schlechthin widervernünftig ist oder blindlings durchlaufen oder auch als eine Form von Selbstwiderspruch erlebt wird, kann sie durchaus als frei gelten. Formen leidenschaftlichen Engagements für eine bestimmte Sache können hierunter fallen. Diese Form von Freiheit bringt zum Ausdruck, dass im menschlichen Leben immer zeitliche und sachliche Punkte existieren, an denen man nicht mehr distanzierungsfähig ist und dann in der Aktivität gerade man selbst ist. Diese

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Tatsache ist nicht als freiheitsmindernd zu werten, sondern als Basis einer freien Lebensführung zur Geltung zu bringen.662 Damit ist ein Grundaspekt geschöpflicher Freiheit benannt. Wir hatten schon in der philosophischen Perspektive darauf hingewiesen, dass die Konzentration, teilweise die Reduktion des Freiheitsproblems auf einzelne Entscheidungen spezifische Probleme mit sich bringt, und da das Thema auf das menschliche Leben insgesamt bezogen werden muss. In der nun dargestellten Perspektive ist Willensfreiheit verstanden als die Fähigkeit, sich in der eigenen Lebenswelt zu orientieren (vernünftig und emotional), und das Leben in den jeweils gegebenen Beziehungen dieser Orientierung entsprechend zu führen. Dazu gehört die Fähigkeit, sich auch zu diesem Leben in Distanz zu setzen, über Ziele und Intentionen zu reflektieren, und das Leben immer wieder daran auszurichten. Eine solche Orientierung verleiht dann auch implizit den Einzelentscheidungen bereits einen gewissen Freiheitsgrad, obwohl (gerade auch aus christlicher Perspektive) anzunehmen ist, dass einzelne Entscheidungen dieser Orientierung auch widersprechen können, und insofern einen Grad von Unfreiheit repräsentieren. Dabei ist immer mitzubedenken, dass auch alle Orientierung und Distanzierung auf der Basis der jeweils gegebenen Bedingungen funktionieren, und dass, wo diese Bedingungen geleugnet werden, es nicht zu einem Mehr an Freiheit, sondern eher zu einem Schwindel kommt, der Orientierung und damit Freiheit nicht ermöglicht, sondern verhindert. Von Luther her wird jedenfalls deutlich, dass die Bedingtheit menschlicher Existenz sich nicht nur in Gefühl oder Affekt vollzieht, sondern auch rationale Aspekte umfasst. Nicht nur wird die Vernunft durch den Affekt in gewisser Weise bedingt und eingeschränkt, sie ist selbst auch ein leibgebundenes Phänomen. Insofern ist gerade die Vernunft als Ausdruck der Bedingtheit und Aufnahmefähigkeit für kontingente, äußere Widerfahrnisse, die sich etwa in einem plötzlichen Verstehen oder Neuverstehen eines Sachverhalts äußern können, zu interpretieren. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die kommunikative Einbettung eines theologisch verstandenen Freiheitsbegriffs. Die Leiblichkeit des Menschen insgesamt, und damit die Leibgebundenheit, Abhängigkeit und Rezeptivität aller menschlichen Vollzüge, auch der geistigen, steht für die Bedingtheit menschlicher Existenz. Diese ist als solche gerade kein Ausschluss, sondern Ermöglichung von 662 Die Bestimmung guter Werke als »spontan« geschehende bringt diesen Sachverhalt zum Ausdruck.

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Freiheit. Dieses Grundanliegen der Neurowissenschaft, die Leib- bzw. hier v. a. die Gehirngebundenheit aller Lebensvollzüge darzustellen, kann uneingeschränkt auch aus theologischer Perspektive bejaht werden. Genauso entschieden muss aber gegen eine voreilige Interpretation im Sinne der Unfreiheit des Menschen vorgegangen werden. Dies würde umgekehrt dann nur noch zulassen, Freiheit als eine Art geistige Entität, eine res cogitans zu verstehen. Eine solche Denkweise aber widerspricht der im Schöpfungsglauben fundierten Einsicht in die leibseelische Einheit des Menschen, die theologisch-anthropologisch als Konsens gelten kann.663

6.3 Freiheit und Gnade bzw. Befreiung Es wurde im Verlauf der Argumentation deutlich, dass sich Freiheit im christlichen Sinn aus spezifischen Freiheits-, und das bedeutet aus Befreiungserfahrungen664 speist.665 Die hier vertretene Sicht unterscheidet sich damit deutlich von der Perspektive der Neurowissenschaften, die gewissermaßen von außen die (Un-)Freiheit des Menschen ergründen möchten, aber auch von der des Erasmus, welche Freiheit stets dem Anderen, der als Objekt der Pädagogik gelten kann, unterstellt. Aus der Binnenperspektive der Erfahrung lassen sich zwei systematische Kernfragen pointieren, die den Gehalt eines christlichen Freiheitsbegriffs in seinem Kern betreffen: Wie ist der Übergang von Unfreiheit zu Freiheit, theologisch gesprochen von Sünde zu Glaube zu denken? Und: Welchen Charakter hat die im »Status« der Gnade sich manifestierende Form der christlichen Freiheit? Wie ist es, wenn sie »da« ist? Es ist evident, dass sich an diesen Grundfragen in besonderer Weise auch die ökumenischen Differenzen im Freiheitsproblem aufzeigen lassen. Ein (faktisch auch in der Geschichte kaum hinterfragter) Konsens, der analog zur Ablehnung absoluter Freiheit auch in philosophischem Kontext bestimmt werden kann, besteht in der Annahme absolu-

663 Siehe exemplarisch Härle, Art. Mensch, 1069 f; Pannenberg, STh II, 209-232. 664 Dies beinhaltet gewissermaßen einen, wie Matthias Petzoldt deutlich gemacht hat, metaphysikkritischen Aspekt. Das Freiheitsthema wird nicht objektiv unter der Frage nach dem freien Willen, sondern aus der Binnenperspektive der Erfahrung von (Un-)Freiheit behandelt (vgl. ders., Gehirn, 54). 665 Vgl. exemplarisch Körtner, Vom unfreien Willen, 202; Gräb-Schmidt, Aufgabe der Verantwortung, 289.

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ter Vorgängigkeit der Wirksamkeit Gottes zur Erlösung des Menschen. Oder umgekehrt: Der Mensch birgt in sich keine Selbsterlösungskräfte, jedenfalls keine solchen, die er aus eigener Kraft aktivieren könnte.666 Die kritischen Punkte ergeben sich bei der Verhältnisbestimmung zwischen Gnade und der dem Menschen eigenen Willenskraft bzw. -freiheit.667 Es gehört zu den grundlegenden Einsichten, die sich aus der Analyse der Schriften Luthers ergaben, dass christliche Freiheit als Freiheit von Sünde und Gesetz zu beschreiben ist. Freiheit lässt sich hier nur als Ereignis, nicht aber im Rahmen einer Ontologie fassen, weil christliche Freiheit nur im Erleben als Überwindung einer Unfreiheit bestimmt werden kann. Es gehört zu den Spezifika des christlichen Freiheitsbegriffs, dass Unfreiheit die fehlende Einsicht in diese Unfreiheit beinhaltet, und demnach auch unter dem Deckmantel der Freiheit auftreten kann. Entsprechend ist Freiheit in dieser Hinsicht nur als Differenzerfahrung möglich, die im Nachhinein einen Zustand oder ein Verhalten als »unfrei« kennzeichnet. Dabei ist für diesen Freiheitsbegriff charakteristisch, dass die in der Befreiung erfahrene Differenz kein Ergebnis der eigenen Anstrengung oder Leistung, mithin nicht aus einem vorgängigen Freiheitsverständnis abzuleiten ist. Dies würde dem Evangelium, aber implizit auch dem Status der Unfreiheit, der nun überwunden ist, seine spezifische Pointe nehmen. Dieser Aspekt unterscheidet den theologischen Freiheitsbegriff deutlich von philosophischen Konzepten. Christliche Freiheit ist die Freiheit des Glaubens und somit (wie auch die Benennung des servum arbitrium) nur in der (religiösen) Binnenperspektive sinnvoll. Das Ereignis der Befreiung kann dabei als ein kommunikatives Ereignis beschrieben werden, das sich nur im Rahmen von Beziehungen präzisieren lässt. Dies ist der Grund, warum hier keine eigene Leistung o.ä. in Anschlag gebracht werden kann. Denn es geht um ein Ereignis der Begegnung mit einem Anderen, die das eigene Sein so verändert, dass es frei genannt zu werden verdient. Damit ist benannt, was ich oben schon einmal angedeutet habe, nämlich dass eine solche Erfahrung von Befreiung die Differenz zum Vorhergehenden benennen 666 Der Konsens ist etwa formuliert in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, Art. 19; der Mensch sei »völlig auf die rettende Gnade Gottes angewiesen«. 667 Ich werde dieses sehr differenzierte und in unterschiedlichster Weise bearbeitete Problem der Ökumene in dieser Arbeit nicht ausführlich behandeln, geschweige denn lösen können. Es sei aber anhand der erarbeiteten Struktur eines christlichen Freiheitsbegriffs auf kategoriale Aspekte hingewiesen, die zur Klärung und zum gegenseitigen Verständnis etwas beitragen könnten.

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können muss. Sie musss dabei aber als eine Veränderung desselben Subjekts gelten und insofern auch ein Identitätsmoment in der Zeit beinhalten. Letzteres ist dabei eben nicht so zu verstehen, dass schon ex ante aus der Verfassung des Subjekts dessen Veränderung bzw. Befreiung abzuleiten wäre. Der Vorschlag, den ich bereits oben angedeutet habe, ist, dass es sich hierbei um eine Veränderung des Lebenshorizonts handelt, der zugleich eine Veränderung im Selbst der Person bedeutet. Von Horizont kann deshalb die Rede sein, weil sich die Veränderung als kommunikatives Ereignis innerhalb der Beziehungen, in denen ein Individuum existiert, einstellt, und somit auch den Zeit-Raum, also die Gestalt der jeweils wartenden Zukunft im Rahmen dieser Beziehungen strukturiert. Nun ist es evident, dass der Lebenshorizont, der nicht mit einem physischen Raum identifiziert werden kann, sondern internalisiert ist als Raum der eigenen Lebens- bzw. Handlungsmöglichkeiten, selbst schon den Rahmen des Freiheitsgebrauchs darstellt, und daher nicht einfach das Ergebnis von Handlungen sein kann.668 Deutlich ist daher, dass der theologische Freiheitsbegriff einer ist, der Dimensionen in den Blick nimmt, die jenseits der ethischen Perspektive angesiedelt sind. Denn aufgrund der Kontingenz der Befreiungserfahrungen, die eben nicht logisch ableitbar sind, ist die hier verwirklichte Freiheit keine, wie sie in der alltäglichen Interaktionspraxis als Basis von ethischer Verantwortung unterstellt werden kann. Diesbezüglich ist ein »schwächerer« Begriff von Freiheit anzuwenden, der sich auf die Ebene der Handlungen und des Verhaltens in Beziehungen bezieht und hier ein Mindestmaß an verantwortlichem Handeln ermöglicht.669 Geht man nun davon aus, dass menschliches Personsein grundlegend aus den Beziehungen lebt, in denen der Mensch existiert, so stellt 668 Damit ist nicht in Abrede gestellt, dass selbstverständlich menschliche Handlungen Auswirkungen auf den eigenen Lebenshorizont haben; es ist aber zu betonen, dass es nicht nur die eigenen Handlungen sind, die dem Lebenshorizont seine Struktur geben. 669 Dieser kategoriale Unterschied der beiden skizzierten Freiheitsbegriffe, der sich aus dem differenten »Sitz im Leben« ergibt, wird etwa bei Eilert Herms durchaus vorausgesetzt (vgl. etwa ders., Art. Servum arbitrium); in der Zurücknahme der Unfreiheit (servum arbitrium) auf eine transzendentale Struktur, die Bedingungen der Möglichkeit menschlichen freien Handelns benennt, kann allerdings nicht mehr artikuliert werden, wie eine Befreiungserfahrung die Struktur dieses Wählens und Handelns selbst verändert. Was man sich unter der zu eindeutig behaupteten »heilsamen Geradheit des Strebens nach dem wahren höchsten Gut« (a. a. o., 1234) vorstellen soll, wird phänomenologisch nicht aufgeklärt.

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die Veränderung, die sich in der unverfügbaren Freiheitserfahrung ergibt, nichts prinzipiell Unmögliches oder Supranaturalistisches dar. Denn in Beziehung leben bedeutet auch, sich von einem Anderen bestimmen zu lassen.670 Wenn der Andere nun in einer Weise begegnet, dass er existentielle Dimensionen des Personseins verändert, so ist hier der Widerfahrnischarakter stärker ausgeprägt als in »normalen« Kommunikationskontexten. Der Unterschied lässt sich mit Schleiermacher durchaus treffend als die Differenz zwischen relativem Frei- bzw. Abhängigsein und der Dimension schlechthinniger Abhängigkeit zur Geltung bringen.671 Insofern ist das Ereignis672, in dem sich ein Mensch als schlechthin abhängig erfährt, keine Form von Offenbarung, die im menschlichen Lebenszusammenhang nicht mehr verstehbar wäre;673 es ist hier auch nicht an ein Ereignis zu denken, das eine solche Passivität voraussetzen würde, die sich analog zu einer mechanischen Wirkung auf einen Gegenstand verstehen ließe. In der Erfahrung der Abhängigkeit ist das Subjekt immer schon beteiligt. Und auch die Gottesbeziehung ist kommunikativ vermittelt, also in welthafte Zusammenhänge eingebunden; daher ist die Trennung von Aktivität und Passivität im Moment des Ereignisses nur sehr schwer zu ermitteln.674 Dies ist insbesondere deshalb der Fall, weil der Glaube, der die entsprechende Antwort auf das Wort des Evangeliums darstellt, als ein lebendiger 670 Mit einer glücklichen Formulierung von Wilfried Härle kann gesagt werden, dass menschliche Relationalität immer auch als ein »Bezogensein« (ders., Art. Mensch, 1068) zu verstehen ist. 671 Vgl. Schleiermacher, Glaubenslehre, § 4 (Redeker, 23-30). 672 Hier liegt dann allerdings doch ein grundlegender Unterschied zu Schleiermacher, insofern die schlechthinnige Abhängigkeit bei ihm ein Element in der Struktur des Selbstbewusstseins ist. In der hier vorgestellten Systematik ist das mit schlechthinniger Abhängigkeit Gemeinte nicht aus dem Selbstbewusstsein ableitbar, sondern ergibt sich nur als Einsicht in ganz bestimmten Ereignissen. 673 Insofern ist zu sagen, in Gott begegne der »ganz Andere« (Karl Barth) zumindest missverständlich, denn die Alterität ist ja eine solche, die sich in meinem Horizont verstehbar macht, bzw. meinen Horizont als meinen verändert. Ganz anders ist das hier Begegnende in dem Sinne, dass es nicht vorher schon aus der Struktur meines Lebenshorizontes ableitbar wäre. Die Frage nach einem »Anknüpfungspunkt« geht dabei insofern ins Leere, als immer das Selbst als Ganzes in den Prozess der Veränderung und Befreiung eingebunden ist und dabei nicht ein schon vorher auszumachender stabiler Punkt als Brücke dienen kann. 674 Daher erscheint auch die Skizzierung eines »ontologischen Verständnisses von A[ktivität] und P[assivität]« (Herms, Art. Aktivität/Passivität, 260) schwierig, setzt sie doch einen überpersonalen Standpunkt voraus, der die hermetische Trennung der Elemente erlauben würde.

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Vollzug zu verstehen ist, und die Anrede nur da als eine schlechthinnige Abhängigkeit bewirkende verstanden werden kann, wo ihr schon vertraut wird, das Subjekt also schon einbezogen ist. Der Widerfahrnischarakter lässt sich daher wiederum nur ex post in einem Blick auf das Ganze bzw. das eigene Gewordensein benennen. Die Identifikation des Handelns Gottes kann hier nur ein »Wiedererkennen«675 sein. Der Sitz im Leben dieser Einsicht in die radikale Passivität und Abhängigkeit ist daher der Dank. Die Rede von einem Horizont ist geeignet, weil damit ein Möglichkeitsraum beschrieben werden kann, der tatsächlich den Sachgehalt von Freiheit verdeutlicht. Denn es geht ja hier nicht nur um den schwer zu bestimmenden »Grundwillen«676, der die Vorgabe einer bestimmten Richtung andeutet, sondern darum, dass sich im Inneren der Person ein Raum auftut, der spontan zu verwirklichen ist. Damit ist nicht primär der Wille als solcher angesprochen, sondern ein diesem Willen zur Verwirklichung gegebenes Potential. Der Gabe- bzw. Verheißungscharakter dieses Raumes ist dabei in protestantischer Perspektive zentral; denn er soll ja Möglichkeiten eröffnen, und nicht deren Verwirklichung fordern. Die gedanklich, aber auch gefühlsmäßig gegebene Existenz dieser Möglichkeiten als Wirklichkeit, und zugleich deren Einordnung in einen sinnvollen Orientierungskontext soll mit dem Wort »Horizont« beschrieben werden.677 Die Veränderung dieses Horizonts kann nun nicht vollständig im Kontext offener Handlungsmöglichkeiten gedacht werden, sondern 675 Schoberth, Warum Ziele keine Zwecke sind, 80 (im Original kursiv); im ursprünglichen Zusammenhang bezieht sich die Formulierung auf Gottes Wirken in der Natur; m.E. gilt der systematische Zusammenhang aber analog auch in Bezug auf das Handeln und Werden von Menschen. 676 Vgl. zu den oben FN 187 genannten auch den phänomenologisch-psychologisch orientierten Beitrag von Schlimme, Das Wollen, 184 ff, der mit dem Begriff »Grundwollen« die Eröffnung eines Raumes auf dem Boden des Selbst bezeichnet; das Phänomen der Freiheit ist hier nach meiner Meinung treffend skizziert, allerdings weckt der Begriff auch hier wiederum falsche Assoziationen, insofern Wollen immer ein bestimmtes, und kein erst sekundär auf einem Grund aufbauend esnoch zu verwirklichendes Wollen sein kann. Die Raum-Metapher scheint mir hier (im Gegenüber zu der eine Addition andeutenden Rede von Grund und einem möglichen folgenden Aufbau) geeigneter. 677 Dies kann veranschaulicht werden mit der alltagssprachlichen Rede davon, dass jemand einen »weiten Horizont« besitzt, womit zum Ausdruck kommt, dass die entsprechende Person ein breites Wissen oder eine hohe geistige oder emotionale Flexibilität besitzt, innerhalb derer sie sich orientieren und dann entsprechend handeln kann.

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stellt selber schon eine eigene Wirklichkeit dar. Sie bezieht sich vor allem auf die Identität der Person. Die erneuerten Handlungsmöglichkeiten ergeben sich ja gerade deshalb, weil sich die Person im Glauben von Gott angenommen weiß. Diese Gewissheit, die aus dem Zuspruch des Anderen resultiert, bewirkt eine Befreiung aus der in sich gekehrten Struktur des Selbstverhältnisses. Dabei verändert sich der Horizont insofern, als der Andere nicht mehr als Instrument der Selbstbestätigung dienen, sondern im Kontext der spontan verwirklichten Nächstenliebe in den Blick kommen kann. Die hier vollzogene Selbstbestimmung hat ihren Grund in einem veränderten Selbst. Dieses Selbst aber ist nur zu verstehen als verinnerlichtes Resultat eines Vermittlungsvorgangs, das auf diesen beständig angewiesen bleibt.678 Insofern ergibt sich hier aus theologischer Perspektive eine Präzisierung bezüglich der Unterscheidung von Selbst- und Fremdbestimmung, von Innen und Außen einer Person. Es ist schon in der Auseinandersetzung mit Pauen deutlich geworden, dass Selbst/Fremd keine Unterscheidungen sind, die gewissermaßen an der Körpergrenze verlaufen und mit Innen/Außen zu identifizieren sind. Stattdessen sind sie auch innerhalb des leiblichen Selbst zu verorten, insofern dort auch diesseits der ausgeschlossenen Alternative eines äußeren Zwangs das Gefühl von Fremdbestimmung vorhanden sein kann. Dies lässt sich nun noch in theologischer Perspektive vertiefen. Eine solche Empfindung hängt damit zusammen, dass die Identität einer Person nicht nur als fortwährender Selbstbezug, sondern auch als Übereinstimmung mit etwas bzw. jemandem679 beschrieben werden kann. Das gilt insofern, als die Außenbeziehungen konstitutiv auch für das eigene Selbst sind und die Identifikation mit einem Anderen auch zum Teil der eigenen Identität wird. Nun kann sich dabei die Identifikation mit einer bestimmten Sache im Nachhinein als nicht identitätsgemäß herausstellen – in dieser Hinsicht also als eine Form von Fremdbestimmung. In einer solchen Rückschau ist zu sagen, dass zwar das frühere Selbst durchaus das 678 Vgl. zu diesem Verständnis die aufschlussreichen Erläuterungen von Thomas Fuchs zur Entwicklung der Intersubjektivität (ders., Gehirn Beziehungsorgan, 183-214). 679 Die soziale Genese von Identität wurde vor allem von G.H. Mead herausgearbeitet (vgl. Pannenberg, Anthropologie, 179-184), der das Selbst als in der Beziehung zum Anderen konstituiert sieht (»der (das) verallgemeinerte Andere«, Mead, Geist, Identität, Gesellschaft, 196), ähnlich aber auch schon Freud in der Beobachtung der Internalisierung von Ansprüchen anderer, v. a. in den frühen Lebensjahren (vgl. Pannenberg, Anthropologie, 187).

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eigene war und dass man selbst (ipse) es war (also in diesem Sinne auch Identität zu unterstellen ist), dass aber hier keine Entsprechung zu der aus jetziger Sicht gegebenen Identität (idem) vorhanden ist. Freiheit ist insbesondere im Sinne der Gewinnung von Identität ein graduelles Phänomen, das Erweiterungen (aber auch Einschränkungen) erfahren kann.680 Die Verbindung des theologischen Freiheitsbegriffs mit der Identitätsthematik kann deutlich machen, inwiefern von Seiten evangelischer Theologie die schlechthinnige Abhängigkeit des Menschen vom Handeln Gottes behauptet wird. Denn die Gewinnung von Identität ist zwar in Einzelaspekten auch als Ergebnis eigener Anstrengungen (insofern man sich etwa auch mit dem Ergebnis einer Arbeit identifizieren kann) zu deuten, aber die Frage »Wer bin ich?«, deren Beantwortung in solchen Anstrengungen, die nur die Frage »Was bin ich?« berühren können, immer schon vorausgesetzt ist, ist dem Menschen schlechthin unverfügbar. Sie ist nur in der Rückschau auf das eigene Leben zu rekonstruieren; diese Antwort kann dem Menschen nur gesagt werden, und lässt sich dabei nicht mit Einzelaspekten oder besonderen Eigenschaften der Person abdecken. Für die Unverfügbarkeit dieser Identität steht die Namensgebung. Nun lässt sich anhand dieses Sachverhalts plausibilisieren, dass diese Form von Freiheit nicht wiederum aus eigener Freiheit abzuleiten, und auch nicht zu unterstützen ist. Prägnant formuliert kann gesagt werden: Diese höchste Form von Freiheit und Identität ist da erreicht, wo ein Anderer sich mit mir identifiziert. Hier ist Wert der eigenen Existenz nicht Teil eines Experiments, wie in der Logik Kanes, sondern Element von zugesagter Gewissheit. Davon zu unterscheiden ist eben eine Form von Freiheit, wie sie als Vorraussetzung für jede Form von Handlungen in Anschlag zu bringen ist. Der Widerstand Luthers gegen Erasmus resultierte daraus, dass jener beide Aspekte nicht systematisch auseinander hielt, sondern den Glauben selbst zu einer Art von Handlung machte. Hier ist zwar anzuführen, dass sich die christlich verstandene Befreiung auf die Art von Handlungen selbstverständlich auswirkt, dass aber diese nicht Voraussetzung ist, um überhaupt zu handeln. Insofern zeigt sich hier, dass die Betrachtung des eigenen Selbst, die immer nur ex post möglich ist, und der 680 Den prozessualen Charakter von Identitätsgewinnung hat Erik H. Erikson in sozialpsychologischer Hinsicht herausgearbeitet; vgl. etwa ders., Identität und Lebenszyklus, 142 ff.

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Blick in die Zukunft, der die Aufgabe von Handlungen mit sich bringt, zwei irreduzible Perspektiven darstellen. Weil sich Identität im Sinne der ipse-Identität – wenn auch auf Außenaspekte und Beziehungen bezogen – stets nur aus der Binnenperspektive erfahren und beschreiben lässt, ist hier nochmals deren irreduzible Rolle für die Freiheitsthematik markiert. Freiheit, die von Befreiungserfahrungen lebt, die auf die eigene Identität bezogen sind, lässt sich nicht naturalisieren oder ontologisieren. Das bedeutet nicht, dass sie in ihrer geschilderten Charakteristik als relationales, kommunikatives und graduelles Phänomen nicht auch von außen nachvollzogen werden kann.681 Die Struktur des Freiheitsbegriffs, wie sie sich aus evangelischen Grundüberzeugungen, insbesondere der Annahme von Befreiung aufgrund eines kommunikativ gewährten Versprechens ergibt, ist vermutlich auch das strukturelle Problem des ökumenischen Freiheitsdisputs. Denn die katholische Annahme, dass der Mensch zum Heil durch die Annahme der Gnade mitwirke, ist wesentlich (wie auch der Freiheitsbegriff des Erasmus) ein Erfordernis der Pädagogik, die also aus der Perspektive der 3. Person einem Anderen Freiheit im Sinne der (moralischen) Besserung unterstellt. Dieser Freiheitsbegriff aber ist strukturell verschieden von der nur aus der Binnenperspektive zugänglichen Erfahrung der Befreiung. Beide bezeugen unterschiedliche, sich nicht zwingend widersprechende Perspektiven.

681 Dass sich dieser Nachvollzug philosophisch mit der Kategorie der »Emergenz« beschreiben lässt, wie dies in jüngster Zeit immer wieder versucht wurde, wage ich nicht zu behaupten. Vgl. exemplarisch Brüntrup, Selbstbestimmung und Gehirn, bes. 42 ff; Clayton, Quest of Freedom; Becker, In der Bewusstseinsfalle, der sich stark auf Clayton bezieht; unabhängig von der Einschätzung der Emergenztheorie ist zu sagen, dass der von Clayton vorausgesetzte Freiheitsbegriff kein protestantischer, sondern eher ein erasmischer bzw. pelagianischer ist; er bezieht sich u. a. auch auf das Rahner’sche Modell der Selbsttranszendenz (a. a. o., 145-149), und nimmt daher (wie auch Erasmus) Handlungssubjekte in den Blick, »agents capable of this free response to the ground of their being.« (a. a. o. 147); Clayton vertritt einen libertarischen Freiheitsbegriff (ähnlich dem Kanes), gegen den zunächst nichts einzuwenden wäre, der aber die Grenze der – in den Worten Kanes – Letztverantwortung in Bezug auf das Ganze des Daseins, in Bezug auf Gott, nicht beachtet und somit eine nach protestantischen Kriterien unzulässige Mischung eines handlungsbezogenen Freiheitsbegriffs mit dem spezifisch theologischen Begriff von befreiter Freiheit vornimmt.

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6.4 Freiheit und Zeit Mit letztgenanntem Gedanken ist nun eine Grundstruktur des Freiheitsproblems im Blick. Es kann nicht abstrakt, gewissermaßen jenseits von Zeit und Raum, behandelt oder auf die Voraussetzung eines transzendentalen Subjekts reduziert werden. Freiheit ist jeweils nur zu bestimmen als Merkmal einer ganz bestimmten zeitlichen Dimension. Schon das Setting des Libet-Experiments, aber auch die philosophischen Diskussionen (um Determinismus und insbesondere das Konsequenzargument) machten deutlich, dass Freiheit nur als zeitliches Problem zu erfassen ist. Befreiungserfahrungen lassen sich in Bezug auf die Vergangenheit mit Wirkung auf Gegenwart und Zukunft zur Sprache bringen; sie drücken aus, dass Veränderung und Erneuerung der eigenen Freiheit nicht wiederum selbst das Produkt dieser Freiheit ist. Diesem Rückblick auf die Konstitution von Freiheit, auf die eigene, unfreie Vergangenheit, steht die Bewährung von Freiheit in der Zukunft gegenüber. Die reine Gegenwart, der ausdehnungslose Punkt des Präsens lässt sich freiheitstheoretisch nicht bestimmen.682 Ich hatte die Offenheit der Zukunft als wesentliche Voraussetzung für die Rede und die Annahme von Freiheit benannt. Sie ist zugleich ihre Bedingung und Herausforderung.683 Hier hat auch die existentialistische Interpretation ihr legitimes Recht: Der Mensch kann der Selbstreflexivität im Horizont der offenen Zukunft nicht entkommen, und ist insofern – soweit er sich dieser Tatsache als denkfähiges Wesen bewusst ist – immer schon bei seiner Freiheit und Verantwortlichkeit behaftet.684 Ein zeitlich strukturierter Möglichkeitsraum tut sich jedem Menschen auf. Die Binnenperspektive, die ich schon philosophisch als irreduzibel gekennzeichnet hatte, bewirkt hier in ihrer zeitlichen Struktur einen eigenen Typ von Realität, nämlich der Realität von Freiheit. Diese Freiheit wird von Menschen gegenseitig als Bedingung verantwortlicher Praxis unterstellt.

682 Dies ist zu betonen gegen Herms, der Freiheit allein schon aufgrund der »Entscheidungsgegenwart« (ders., Art. Willensfreiheit IV., 1573) von Personen in ihrem Bezogensein auf verschiedene Handlungsmöglichkeiten definiert. Mit der Abgrenzung ist nicht gemeint, dass die Gegenwart keine freiheitstheoretische Bedeutung hätte, es kommt aber darauf an, wie die Gegenwart angesichts von Vergangenheit und Zukunft bestimmt ist 683 Vgl. Beiner, Intentionalität, 124. 684 Vgl. das Sartre-Zitat FN 528.

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Dennoch macht gerade die Tatsache, dass uns Menschen diese Freiheit aufgegeben ist deutlich, dass damit noch kein freier Vollzug der Freiheit gesichert ist. Denn theologisch gesprochen kann die Offenheit der Zukunft und die Aufgabe des Selbstverhältnisses im Horizont des Anderen den Charakter des Gesetzes annehmen und damit zur Bedrohung werden, die freies Handeln in einem gehaltvollen Sinne gerade unterbindet. Wie die Beziehungen des Menschen, so kann auch die Zukunft als bedrohlicher und damit Freiheit unterdrückender Horizont erscheinen. Auch menschliches Selbsttranszendieren, die Offenheit des In-der-Welt-Seins (Heidegger), ist zwar Voraussetzung, aber noch keine Garantie von Freiheit, da die Ambivalenz dieser Offenheit stets mitschwingt.685 Die Zukunft kann aber auch als Versprechen auftreten, wenn ihr der Charme der Möglichkeiten zu Eigen ist und die Zukunft als eine Art verheißenes Land entgegenkommt. In dieser Perspektive ereignet sich Freiheit, weil die Möglichkeiten tatsächlich auch als Handlungsmöglichkeiten, die ergriffen werden können, erfahren werden. Sie stehen hier für das Potential einer freien Lebensführung. In der Lebenserfahrung werden in der Regel beide Aspekte gemeinsam auftreten, unterschieden nach Zeit und Ort der je aktuellen Situation, und von Person zu Person differenziert. Es gibt Zeiten und Orte, an denen die Zukunft düster und bedrohlich erscheint, und solche, an denen sie als erfreuliche Perspektive menschliche Gegenwart bestimmt. Es gibt Menschen, die tendenziell das Gute und die neuen Möglichkeiten geneigt sind zu sehen, und solche, welche die Möglichkeiten der Zukunft als Last und Bedrohung empfinden. Für die allermeisten Menschen aber gilt wohl, dass keine der beiden Alternativen in Reinform auftritt. 6.4.1 Unterschiedliche Freiheitsbegriffe Anhand dieses Aspekts lässt sich systematisch darstellen, was bislang implizit in den Argumentationen mitschwang: die Ambivalenz menschlicher Freiheit und der äquivoke Gebrauch des Wortes Freiheit, der gleichzeitig auch dessen Reichtum ausmacht. Denn Freiheit wird in 685 Auf die Ambivalenz von Freiheit weist von Lüpke, Allmacht und Ohnmacht, 163 f, mit Bezug auf Lessing sehr deutlich hin; ein Aspekt, der m.E. im Freiheitsbegriff, wie ihn Wolfgang Achtner im Anschluss an mystische Konzeptionen vorschlägt, zu kurz kommt (ders., Willensfreiheit, 255).

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Handlungs- und Interaktionszusammenhängen als Basis der Zuschreibung von Verantwortung jedem zu Recht unterstellt, der mit der Offenheit der Zukunft im Blick auf sich selbst und andere unter Heranziehung der Vernunft umgehen kann.686 Hier hat das philosophische Konzept der Willensfreiheit, das ich gegen die Reduktion auf den kompatibilistischen Begriff der Handlungsfreiheit verteidigt habe, seinen Ort. Freiheit ist hier auch die Freiheit zur verantwortlichen Willensbildung in der Zeit. Selbstverständlich ist auch dem Christen in Bezug auf sein Verhalten, auch und gerade in Bezug auf sein »religiöses« Handeln (Gebet, Nächstenliebe etc.), Freiheit als Voraussetzung zuzuschreiben. In dieser Hinsicht ist dem Erasmus auch zuzustimmen. Dies aber ist noch nicht die von Luther in den Blick genommene existentielle Dimension von Freiheit. Denn die Vollzüge der Freiheit und die diese Vollzüge bemessenden Kriterien haben graduelle Struktur. Sonst wäre die angedeutete Frage nach der Freiheit des Freiheitsvollzuges und die Rede von Befreiungserfahrungen, die ja offensichtlich auch Freiheit ex ante schon voraussetzen, kaum sinnvoll. Nun lässt sich die Rede von Graden dieser Freiheit nicht an der Handlungsfähigkeit als solcher ablesen, denn diese wird ja jedem zunächst gleichsinnig unterstellt. Allerdings kann die Art und Weise des Handelns durchaus noch einmal in differenzierter Weise Indikator von Freiheit oder Unfreiheit sein. Die diesbezügliche Deutung allerdings kann nun nicht definitiv aus einer Beobachterperspektive vorgenommen werden; andernfalls wäre die Rede von Befreiungserfahrungen nicht mehr in ihrer Irreduzibilität aufrecht zu erhalten. Dabei lässt sich aus der Perspektive des christlichen Glaubens eine Art Grundphänomen von Freiheit benennen: Vertrauen. Geht man davon aus, dass Freiheit zwar nicht in Handlungen begründet ist, sich aber an Handlungen ablesen lässt, so kann angenommen werden, dass jeder handelnde Mensch mindestens eine Art Grundvertrauen besitzt, mittels dessen er annimmt – um es möglichst allgemein zu sagen – dass es auch in Zukunft eine Welt bzw. einen Raum gibt, innerhalb dessen seiner freien Handlung ein Mindestmaß an erkennbarem Sinn zukommt.687 Dieses Vertrauen betrifft 686 In dieser Hinsicht hat Elisabeth Gräb-Schmidt durchaus zutreffend formuliert: »Sie [d. h. die Freiheit, Anm. B. B. ] begegnet uns […] in unserer Aufgabe der Verantwortung, und mit dieser sind wir immer schon konfrontiert.« (dies., Aufgabe der Verantwortung, 287 f). 687 Dass dieses Grundvertrauen für heranwachsende Kinder notwendig ist, hat die Psychologie und Psychoanalyse ja längst gezeigt (vgl. etwa Erikson, Identität und

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auch die eigenen Fähigkeiten und die zur Verfügung stehenden Mittel, die geeignet sein müssen, um den gewünschten Handlungserfolg (wenigstens zu einem bestimmten Grad) zu gewährleisten und in der auch die eigene Existenz einen gesicherten Ort hat. Wäre dieses Vertrauen nicht vorhanden, würde kein Mensch je handeln und Freiheit erfahren. Dieses Vertrauen aber bietet keine Sicherheit im unmittelbaren Sinne (dies wäre die falsch, nämlich verdienstlich verstandene securitas), aber ein Vertrauen, dass die Offenheit der Zukunft in ihrer Zweideutigkeit zu transzendieren und in anderem Licht zu sehen in der Lage ist. Im christlichen Glauben besitzt dieses Vertrauen essentiell eine eschatologische Komponente, welche die Transzendierung der Welt im Sinne einer endzeitlichen Gemeinschaft mit Gott erwartet. Weil die unmittelbare Erfahrung diesem oftmals entgegen steht, ist es durchaus angemessen, das hier vorauszusetzende Vertrauen – im Anschluss an existentialistische Interpretationen – als immer wieder zu wagenden Sprung zu charakterisieren.688 6.4.2 Freiheit von und zu sich selbst, und in Beziehung zu Anderen Das christlich verstandene Gottvertrauen lässt sich durchaus noch einmal davon unterscheiden und spezifizieren; es ist allerdings in seiner Struktur durchaus analog zu dem Vertrauen zu bestimmen, das jeder Mensch zum Leben und Handeln benötigt. Denn auch der christliche Glaube kann – wie vor allem aus der Analyse von Luthers Freiheitsschrift deutlich wurde – als motivationale Basis von Handlungen verstanden werden. Christliche Freiheit konnten wir nun einerseits in dem Sinne als Freiheit von sich selbst interpretieren, dass eine heilsame Distanz zum krampfenden, stets auf sich selbst bezogenen Vollzug der eigenen Subjektivität möglich ist. Das Gottvertrauen eröffnet also offensichtlich

Lebenszyklus, 62 ff). Dass dieses ein Grundmoment auch des erwachsenen, frei handelnden Menschen darstellt, ist ein wesentlicher Vergleichspunkt eines christlichen und eines säkularen Freiheitsbegriffs (vgl. Pannenberg, Anthropologie, 69; GräbSchmidt, Aufgabe der Verantwortung, 289 f). 688 Vgl. Gräb-Schmidt, Sündenerkenntnis, 98; Die Einschätzung der Autorin, Freiheit sei im Aushalten der Ambivalenzen des Daseins verwirklicht, kann ich nicht teilen, da der christliche Glaube eben doch auf eine Form von Eindeutigkeit vertraut, nämlich die Zusage Gottes.

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eine solche Freiheit, die den Blick tatsächlich frei gibt, weil er nicht mehr gefangen ist von der existentiellen Sorge um sich selbst.689 In und mit diesem Vertrauen verändert und weitet sich der Horizont. Die Befreiung von dieser Sorge ist eben nur durch das Vertrauen auf eine tragende Macht690 möglich, welche die Fortdauer der eigenen Existenz auch in Zukunft (bzw. sogar in Ewigkeit) gewährleistet691. Andererseits bringt dieses Vertrauen auch eine Freiheit zu sich selbst692 mit sich, nämlich die Freiheit, sich selbst anzusehen und anzunehmen. Ist die Verkrümmtheit in sich selbst zwar durch einen eminenten Selbstbezug gekennzeichnet, so eignet ihr dennoch die Unfähigkeit, sich selbst unverstellt in den Blick zu nehmen, weil sie alles leugnet, was der vordergründigen Erbauung des eigenen Selbst widersteht. Dies hatte ich als den verblendenden Aspekt von Sünde zur Geltung gebracht, der in einer grundlegenden Distanzlosigkeit wurzelt.693 Es erfordert also Vertrauen in eine Macht, die den eigenen Fortbestand auch gerade angesichts einer möglicherweise deutlich werdenden Fragmenthaftigkeit und Widersprüchlichkeit verbürgt; nur so kann das eigene Selbst auch unverstellt anvisiert694 und angenommen werden. Andernfalls dominiert die Angst, die eine solche Integrität des Selbstvollzuges gerade verhindern würde.695 Die auch philosophisch identifi-

689 Insofern ist die Charakterisierung Heideggers, der die »Sorge als Sein des Daseins« (ders., Sein und Zeit, 180) in ontologischem Sinn bestimmte, zu kritisieren, wenn auch die von ihm herausgearbeiteten Phänomene als solche durchaus aufschlussreich sind. 690 Daher ist es völlig richtig, wenn Claudia Welz konstatiert, dass verschiedene Fornen von Vertrauen in ihrer Phänomenalität zwar vergleichbar sind, sie sich aber durch den »Gegenstand« des Vertrauens deutlich unterscheiden können. Glaubendes Gottvertrauen ist in dieser Hinsicht klar vom Vertrauen auf geschöpfliche Dinge unterschieden (vgl. Welz, Vertrauen und Versuchung, 109), er ist ein Phänomen »sui generis« (ebda). 691 Insofern ist die Grundstruktur des Daseins nicht zwingend die Sorge, und Freiheit muss auch nicht im Aushalten der Endlichkeit bestehen, sondern kann in der befreiten Bezugnahme auf einen die Endlichkeit transzendierenden Horizont ihren Ort haben. 692 Vgl. zu diesem Grundgedanken insgesamt die sehr gelungene Studie von Tietz, Freiheit zu sich selbst. 693 Vgl. auch Ringleben, Art. Freiheit, 317, der korrekt in Bezug auf die Sünde (!) von der »distanzlose[n] Gebundenheit des Willens an sich selbst« spricht. 694 So explizit auch Tietz, Freiheit, 174. 695 Das Gegenüber von Vertrauen und Angst in der freiheitsrelevanten Bedeutung hat sehr deutlich Elisabeth Gräb-Schmidt herausgearbeitet; siehe dies., Aufgabe der Verantwortung, v. a. 289 f; vgl. auch Welz, Vertrauen und Versuchung, 93-97.

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zierte Form der Freiheit als Selbstbestimmung in der Zeit wird hier bejaht und in einen neuen Horizont gestellt. Es wäre allerdings noch kein genuin christlicher Freiheitsbegriff formuliert, würde er sich nur auf den Vollzug des individuellen Selbst beziehen; diese Dimension zu isolieren, käme eher einer narzistischen Existenz gleich, die sich an der eigenen Freiheit berauscht. Gleichursprünglich zu den Freiheitsdimensionen, die sich auf die Binnenstruktur des Subjekts beziehen, ist die Freiheit, die sich dem Nächsten zuwendet. Auch sie lässt sich als Ausdruck von Vertrauen benennen, ist doch die Hinwendung zum Nächsten in der Liebe (eine Knechtschaft dem Nächsten zu Gute) nur dann möglich, wenn er sich selbst aufgehoben weiß.696 Indem sich ein Mensch auf Gott verlässt bzw. überhaupt im Modus eines die Existenz bestimmenden Vertrauens lebt, ist er tatsächlich in der Lage, sich zu verlassen und sich Anderen zuzuwenden. Damit ist die soziale Dimension christlicher Freiheit benannt. Die hier skizzierte Freiheit ist allerdings keine Restitution eines liberum arbitrium im Sinne einer gegenüber Gut und Böse indifferenten Form von Wahl- bzw. Entscheidungsfreiheit. Wohl aber ist durchaus in berechtigter Weise von »erneuerter Urteilskraft«697 zu sprechen, wenn damit eine intuitive, im Vertrauen auf Gott gegründete Ausrichtung zum Wohl des Nächsten gemeint ist. Wenn wir von Befreiung als Horizontveränderung sprechen, dann ist damit auch ein Erkenntnisfortschritt in Bezug auf das anvisierte Gute impliziert. Dieses Gute aber ist damit schon Teil des eigenen Horizonts, und nicht noch einmal von jenseits dieses Horizonts erst noch zu ergreifen oder zu wählen. Es ist daher nicht falsch, zu sagen, auch das arbitrium werde befreit, freilich nicht von der Sklaverei der Sünde zur Freiheit der Indifferenz, sondern zur Freiheit des erneuerten, als gut erlebten Horizonts. 6.4.3 Qualifizierte Freiheit Die drei Dimensionen (Freiheit von und zu sich selbst, Freiheit zur Hinwendung an Andere) gehen nun deutlich über das hinaus, was an Freiheit für verantwortliches Handeln gefordert werden kann. Auch für einen Verbrecher, der gerade nicht im Sinne der Nächstenliebe und damit im Sinne einer qualifizierten Freiheit handelt, gilt, dass ihm sein

696 Vgl. Welz, Vertrauen und Versuchung, 110 f. 697 Bayer, Art. Freiheit VIII., 320.

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Handeln zuzurechnen und dass er somit in einem grundlegenden Sinne frei ist, sofern keine krankhaften Störungen diagnostiziert werden. Die gerade skizzierten Aspekte bringen daher einen gehaltvolleren Begriff von Freiheit zum Ausdruck, dessen fiduziale Struktur aber zu der eines schwachen Begriffs durchaus analog ist. Für beide Freiheitsbegriffe gilt, dass sie sich in Handlungen äußern. Insofern lässt sich hier auch die Rede von Freiheit in Bezug auf das dogmatische Problem der Sünde einordnen. Auch für die Sünde des Menschen, präziser für den Menschen als Sünder, ist anzunehmen, dass er frei und verantwortlich handeln kann, und in dieser Freiheit auch Verantwortung für sein jeweiliges Sosein trägt (vgl. die Theorie der Letztverantwortung bei Kane). Dennoch ist hier – gemessen am Rechtfertigungsgeschehen – noch kein qualifizierter Begriff von Freiheit zur Anwendung gekommen. Das hier, nämlich auf der Handlungsebene in den Blick zu nehmende Sosein des Menschen, ist der Täter mit seinen Eigenschaften und Möglichkeiten; hier haben auch die neurowissenschatlich erforschbaren Aspekte, etwa die Relation von Bewusstem und Unbewusstem ihren Ort; die Identitätsebene von Personen, für die der Mensch nicht die Letztverantwortung trägt, bezüglich derer er sich nur im Glauben Gott anvertrauen kann, ist hier noch nicht angesprochen.698 Daher ist auch die Rede von einem auf dieser existentiellen Ebene situtierten servum arbitrium hiermit noch nicht ausgeschlossen. Es existiert also ein kategorialer Unterschied beider Begriffe, der die Differenz zwischen der theologischen und der philosophischen Perspektive zum Ausdruck zu bringen vermag. Ein philosophischer Freiheitsbegriff, der auf die Wahrung von Verantwortung zielt, ist in Handlungen von Personen vorauszusetzen, aber gleichzeitig auch schon als Resultat der eigenen Freiheit zu betrachten. Beides bedingt sich gegenseitig. Dies hatte ich v. a. in der Auseinandersetzung mit Kane darzustellen versucht. Willens- und Handlungsfreiheit betrifft immer auch das eigene Personsein, und gestaltet es verantwortlich in Prozessen der Willensbildung mit (obwohl natürlich auch diese Freiheit nie der eigenen Bedingtheit entkommt). Die Art und Weise des gegenwärtigen Freiheitsvollzuges ist immer auch als Resultat des vergangenen zu deuten. Nur deshalb ist tatsächlich Personen Freiheit zuzuschreiben, weil die jeweils gegenwärtige Handlungsfreiheit nicht einem blinden 698 Hans-Martin Barth hat (in Auslegung Luthers) pointiert und zu Recht darauf hingewiesen, dass es hier um eine andere »Wirklichkeits-Ebene« (ders., Theologie Luthers, 315), als die der empirischen Beschreibung, gehe.

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Schicksal entstammt, sondern dem eigenen, in seinen Grenzen und Bedingtheiten freien personalen Vollzug. Dies gilt insofern, als sie diejenigen Aspekte betrifft, die für verantwortliches Handeln unterstellt werden können und jedem Menschen einsichtig sein sollten. Nun unterscheidet sich der gehaltvolle theologische Begriff von Freiheit dadurch, dass er Freiheit zwar auch vor der spezifischen Befreiungserfahrung voraussetzt, sich aber nicht als Resultat freien Handelns verstehen lässt. Dies ist auch das zentrale anthropologische Problem in evangelisch-theologischer Perspektive; denn die Wirkung der Gnade scheint den Menschen gewissermaßen zu überfallen, und vorbei an seiner geschöpflichen Freiheit die Freiheit des Glaubens zu wirken. In der Tat bleibt hier eine gewisse Lücke bestehen, in der Weise, dass die Veränderung des eigenen Personseins im Sinne der Befreiung der Freiheit nicht mehr letztgültig, jedenfalls nicht in Kausalkategorien im Sinne von Ursache und Wirkung zu erklären ist. Sie ist zwar nicht supranaturalistisch, entgegen oder vorbei an der geschöpflichen Freiheit, aber als eine kontingente Veränderung dieser Freiheit zu deuten. Dies bedeutet also, dass Freiheit und Befreiung nicht im Sinne eines Additionsmodells von Natur und Gnade zur Geltung gebracht werden können. Die Gnade ergänzt nicht die geschöpfliche Freiheit, sie stellt sie aber in einen neuen Horizont.699 Beide Aspekte von Freiheit, die nur in bestimmten zeitlichen Dimensionen überhaupt zu differenzieren sind, sind im Lebensvollzug stets ineinander verwoben. Es kann daher umgekehrt auch nicht davon gesprochen werden, die Gnade Gottes entlasse den Menschen in die Autonomie700 oder wir hätten als Menschen zu handeln »etsi Deus non daretur«.701 Befreiung ist tatsächlich Veränderung der Freiheit zur Freiheit, die als solche nicht auf sich

699 Ähnlich interpretiert Claudia Welz das Phänomenvertrauens so, dass es andere, menschliche Vertrauensrelationen »in ein neues Licht« (dies., Vertrauen und Versuchung, 111) rückt. 700 So Pröpper, Art. Freiheit, LThK, 105. 701 So interpretiert Rochus Leonhardt (Servum arbitrium, 151-154) die (von Luther vorgenommene und grundsätzlich natürlich freiheitsrelevante) Differenzierung von Gottes- und Weltverhältnis in Aufnahme eines Gedankens von Ebeling (ders., Luther, 251 f); Christliches Welthandeln sei in Absehung der Perspektive Gottes, die nämlich einen »theologischen Universaldeterminismus« (Leonhardt, a. a. o., 152) begründe und damit Freiheit vernichte, zu führen; demgegenüber wurde hoffentlich deutlich, dass gerade die Annahme von Gottes Allmacht im Denken Luthers eine recht verstandene, nämlich fiduziale Freiheit fördert.

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gestellt bleibt, sondern Teil einer Beziehungswirklichkeit ist.702 Sie ist aber nicht notwendig, um im Zusammenhang menschlicher Interaktionspraxis Freiheit überhaupt zuzuschreiben. Ist diese Analogizität und partielle Inkommensurabilität ein Defizit? Sie lässt sich zugespitzt in der unterschiedlichen zeitlichen Struktur beider Freiheitsbegriffe beschreiben. Der aus Befreiungserfahrungen gespeiste christliche Freiheitsbegriff ergibt sich zunächst im Rückblick auf die eigene Lebenserfahrung als Aussage über die gegenwärtige Verfassung, die dann Voraussetzung für das Handeln in der Zukunft ist. Der retrospektive Aspekt, aus dem sich erst die zentrale Ebene der Person (Wer bin ich?703) beschreiben lässt, ist hier der grundlegende. Anders ist der philosophische, Verantwortung begründende Freiheitsbegriff strukturiert, der auch in den neurowissenschaftlichen Thesen kritisiert wird. Er ergibt sich aus dem Ausblick in die offene Zukunft, worin die Notwendigkeit menschlichen, freien – nämlich im Selbstverhältnis begründeten – Handelns wurzelt. Die Prospektion und die Konzentration auf Fähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten des Menschen ist hier das konstitutive Moment. Erst von daher lassen sich auch vergangene Handlungen als – damals ebenfalls der offenen Zukunft gegenüberstehend – verantwortliche und freie erklären. Weil sich die unterschiedlichen Dimensionen der Zeit nicht aus der Perspektive eines objektiven Dritten zu einem linearen, monokausal strukturierten Verlauf vereinen lassen, sind auch die darin implizierten Arten von Freiheit irreduzibel. Sie wurzeln in der zeitlichen, sich im Erinnern, Vergegenwärtigen und Ausblicken verwirklichenden Existenz des Menschen. Der theologische, in gewissem Sinn stärkere oder gehaltvollere Begriff von Freiheit nivelliert dabei keineswegs den philosophischen. Er steht auch nicht in Widerspruch zu neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, welche – so sie auf eine metaphysische Ausdeutung ihrer Ergebnisse verzichten – die Bedingtheit menschlichen Entscheidens und Handelns verdeutlichen. Er ist aber, so hoffe ich gezeigt zu haben, in der Lage, das Problemfeld zu erweitern und zu differenzieren. 702 Den relationalen Aspekt dieser christlichen Freiheit hat sehr schön Johannes von Lüpke, Allmacht und Ohnmacht, 178 ff, bes. 180, dargestellt. 703 Vgl. zur Unterscheidung von Identitätsaspekten, die eine Antwort auf die Wer- bzw. Was-Frage liefern: Ricœur, Das Selbst, 147 ff; im Kontext dieses Problems führt er die mehrfach angeschnittene Unterscheidung von ipse- (Selbstheit) und idem-Identität (Selbigkeit) ein.

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–, Wahrheit und Freiheit. (samt einer Bemerkung über die Bedeutung dieses Verhältnisses für die Einheit der Christen), in: Hermanni, Koslowski 2004 – Der freie und der unfreie Wille, 205–228. –, Zur Systematik des Personbegriffes in reformatorischer Tradition, in: NZSTh 50 (2007), 377–413 –, Zusammenleben im Widerstreit der Weltanschauungen. Beiträge zur Sozialethik, Tübingen 2007. Herms, Eilert; Žak, Lubomir (Hg.): Grund und Gegenstand des Glaubens nach römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Lehre. Theologische Studien, Città del Vaticano 2008. Herrmann, Christoph S.; Pauen, Michael, u. a. (Hg.): Bewusstsein. Philosophie, Neurowissenschaften, Ethik, München 2005 (UTB Philosophie, 2686). Herrmann, Christoph S.; Pauen, Michael; Min, Byoung Kyong; Busch, Niko A.; Rieger, Jochem W.: Eine neue Interpretation von Libets Experimenten aus der Analyse einer Wahlreaktionsaufgabe, in: Herrmann u. a. 2005 – Bewusstsein, 120–134. Hobart, R. E.: Free Will as Involving Determinism and Inconceivable Without It, in: Berofsky 1966 – Free will and determinism, 63–95. Höffe, Otfried: Der entlarvte Ruck. Was sagt Kant den Gehirnforschern? In: Geyer 2004 – Hirnforschung und Willensfreiheit, 177– 182. –, Immanuel Kant, 6., überarb. Aufl., München 2004. Hofmann, Manfred: Erasmus im Streit mit Luther, in: Pesch 1985 – Humanismus, 91–118. Holl, Karl: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, 6. Aufl., Tübingen 1932 (I). –, Was verstand Luther unter Religion, in: Holl 1932 – Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, 1–110. Holze, Heinrich: »Deus salutem meam extra meum arbitrium tollens in suum receperit«. Die Auseinandersetzung Martin Luthers mit Erasmus von Rotterdam über den Menschen, in: Holze, Niemann 2007 – Kirchenleitung in theologischer Verantwortung, 29–56. Holze, Heinrich; Niemann, Herrmann Michael (Hg.): Kirchenleitung in theologischer Verantwortung. Dankesgabe an Landesbischof Hermann Beste, 2., unveränd. Aufl., Leipzig 2007. Honderich, Ted: Determinism as True, Compatibilism and Incompatibilism as False, and the Real Problem, in: Kane 2002 – The Oxford handbook, 461–476. Hoping, Helmut (Hg.): Unheilvolles Erbe? Zur Theologie der Erbsünde, Freiburg im Breisgau u.a 2009 (Quaestiones disputatae, 231).

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Literatur

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–, Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme, in: Jonas (Hg.) 1984 – Reflexionen finsterer Zeit, 61–86. Jüngel, Eberhard: Wertlose Wahrheit. Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens, Theologische Erörterungen III, München 1990 (Beiträge zur evangelischen Theologie, 107). –, Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens. Eine theologische Studie in ökumenischer Absicht, 4., verb. Aufl., Tübingen 2004. –, Der Gott entsprechende Mensch, in: Jüngel 1980 – Entsprechungen, 290–317. –, Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes. Ein Beitrag zum evangelischen Verständnis der Verborgenheit des göttlichen Wirkens, in: Jüngel 1990 – Wertlose Wahrheit, 163–182. –, Entsprechungen: Gott – Wahrheit – Mensch. Theologische Erörterungen, München 1980. –, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, 7. Aufl. um ein Vorwort ergänzt, Tübingen 2001. –, Quae supra nos, nihil ad nos. Eine Kurzformel der Lehre vom verborgenen Gott – im Anschluss an Luther interpretiert, in: Jüngel 1980 – Entsprechungen, 202–251. –, Zur Freiheit eines Christenmenschen. Eine Erinnerung an Luthers Schrift, 3., durchges. Aufl., München 1991. Kaiser, Gerhard: Warum noch debattieren? Determinismus als Diskurskiller, in: Geyer 2004 – Hirnforschung und Willensfreiheit, 261–267. Kandel, Eric R. u. a. (Hg.): Neurowissenschaften. Eine Einführung, Dt. Aufl., Heidelberg u. a. 1996. Kane, Robert (Hg.): Free will, Malden Mass. 2002 (Blackwell readings in philosophy, 3). –, (Hg.): The Oxford handbook of free will, Oxford 2002. –, A contemporary introduction to free will, New York 2005. –, Some Neglected Pathways in the Free Will Labyrinth, in: Kane 2002 – The Oxford handbook, 406–437. –, The significance of free will, New York u. a. 1998. Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in: Kant 2005 – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, 645–886. –, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Kant 2005 – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, 7–102. –, Kritik der praktischen Vernunft, in: Kant 2005 – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, 103–302.

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Literatur

–, Kritik der reinen Vernunft, 6., unveränd. Aufl. (unveränd. Nachdr. der Ausg. Darmstadt 1956), hg. von Weischedel, Wilhelm, Darmstadt 2005 (Immanuel Kant – Werke in sechs Bänden, II). –, Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, 6., unveränd. Aufl. (unveränd. Nachdr. der Ausg. Darmstadt 1956), hg. von Weischedel, Wilhelm, Darmstadt 2005 (Immanuel Kant – Werke in sechs Bänden, IV). –, Schriften zur Metaphysik und Logik, 6., unveränd. Auflage (unveränderter Nachdruck der Augsabe Darmstadt 1958), hg. Weischedel, Wilhelm, Darmstadt 2005 (Immanuel Kant – Werke in sechs Bänden, III). –, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, in: Kant 2005 – Schriften zur Metaphysik, 111– 264. Käsemann, Ernst: Paulinische Perspektiven, Tübingen 1969. Keil, Geert: Willensfreiheit, Berlin 2007 (Grundthemen Philosophie). Kierkegaard, Søren: Die Krankheit zum Tode, Hamburg 1995 (Philosophische Bibliothek, 470). Klein, Andreas: Willensfreiheit auf dem Prüfstand. Ein anthropologischer Grundbegriff in Philosophie, Neurobiologie und Theologie, Neukirchen-Vluyn 2009. Klimesch, Wolfgang: Verantwortung und Persönlichkeit aus psychobiologischer Sicht, in: Schmidinger, Sedmak 2005 – Der Mensch, 125–134. Knuth, Hans Christian (Hg.): Von der Freiheit. Besinnung auf einen Grundbegriff des Christentums, Hannover 2001. Koch, Christof: Bewusstsein – ein neurobiologisches Rätsel, Heidelberg, München 2005. Köchy, Kristian: Was kann die Neurobiologie nicht wissen? Bemerkungen zum Rahmen eines Forschungsprogramms, in: Köchy, Stederoth 2006 – Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 145–164. Köchy, Kristian; Stederoth, Dirk (Hg.): Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, Freiburg im Breisgau 2006 (Lebenswissenschaften im Dialog, Bd. 1). Kornhuber, Hans Helmut: Zur Freiheit des Menschen, in: Glaube und Denken 21 (2008), 99–109. Kornhuber, Hans Helmut; Deecke, Lüder: Hirnpotentialänderungen beim Menschen vor und nach WIllkürbewegungen und passiven Bewegungen des Menschen, dargestellt mit Magnetbandspeicherung und Rückwärtsanalyse, in: Pflügers Archiv der gesamten Physiologie 281 (1964), 52.

Literatur

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Kornhuber, Hans Helmut; Deecke, Lüder: Hirnpotentialänderungen bei Willkürbewegungen und passiven Bewegungen des Menschen: Bereitschaftspotential und reafferente Potentiale, in: Pflügers Archiv der gesamten Physiologie 284 (1965), 1–17. Kornhuber, Hans Helmut; Deecke, Lüder: Wille und Gehirn, Bielefeld u. a. 2007. Korsch, Dietrich: Freiheit im Widerstreit, in: Zager 2010 – Luther, 149– 162. –, Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein. Vier systematische Variationen über Gesetz und Evangelium, Tübingen 1989 (Beiträge zur historischen Theologie, 76). –, Martin Luther. Eine Einführung, 2., überarb. Aufl., Tübingen 2007 (UTB, 2956). Korsch, Dietrich; Leppin, Volker (Hg.): Martin Luther: Biographie und Theologie, Tübingen 2010. Korsch, Dietrich; Richter, Cornelia (Hg.): Das Wesen des Christentums, Marburg 2002 (Marburger theologische Studien, 62). Körtner, Ulrich H. J.: »Lasset uns Menschen machen«. Christliche Anthropologie im biotechnologischen Zeitalter, München 2005. –, Vom Unfreien Willen, in: Hermanni, Buchheim 2006 – Das LeibSeele-Problem, 199–221. Kreiner, Armin: Gott im Leid. Zur Stichhaltigkeit der TheodizeeArgumente, Freiburg 2005. Krötke, Wolf: Art. Sünde VII. Dogmatisch, in: RGG4 7, 1887–1891. Kuhl, Julius: Wille und Freiheitserleben: Formen der Selbststeuerung, in: Kuhl, Heckhausen 1996 – Motivation, 665–765. Kuhl, Julius; Heckhausen, Heinz (Hg.): Motivation, Volition und Handlung, Göttingen, Seattle 1996 (Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich C, Theorie und Forschung. Serie IV, Motivation und Emotion, Bd. 4). Kupke, Christian; Vogeley, Kai: Die Zeitlichkeit der Freiheit. Einige neuere neurowissenschaftliche und phänomenologische Befunde, in: Heinze, Fuchs, Reischies 2006 – Willensfreiheit, 77–102. LaMettrie, Julien Offray de; Becker, Claudia: L' homme machine = Die Maschine Mensch: französisch-deutsch, vollst. Neuausg., Hamburg 1990 (Philosophische Bibliothek, 407). Längle, Alfried: Existenzanalyse der Freiheit. Zur lebenspraktischen und psychotherapeutischen Fundierung personaler Freiheit, in: Bauer 2007 – Freiheit, 139–171. Lanz, J.: Art. Affekt, in: HWPh 1, 89–100.

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Literatur

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Lohse, Bernhard: Erasmus von Rotterdam – eine Alternative zur Reformation? In: Pesch 1985 – Humanismus, 51–69. –, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995. Lonning, Inge: Art. Gott VIII, in: TRE 13, 668–708. Lüke, Ulrich: Der Mensch – nichts als Natur? Über die naturalistische Entzauberung des Menschen, in: Lüke u. a. 2007 – Der Mensch, 126–145. Lüke, Ulrich; Meisinger, Hubert, u. a. (Hg.): Der Mensch – nichts als Natur? Interdisziplinäre Annäherungen, Darmstadt 2007. Lüpke, Johannes von (Hg.): Gott – Natur – Freiheit. Theologische und naturwissenschaftliche Perspektiven, Neukirchen-Vluyn 2008 (Veröffentlichungen der Kirchlichen Hochschule Wuppertal: Neue Folge, 10). –, Zwischen Allmacht und Ohnmacht. Der Streit um die Freiheit in der Perspektive reformatorischer Theologie, in: Lüpke 2008 – Gott, 163–181. Luther, Martin: Ausgewählte Werke, hg. von Hans Heinrich Borcherdt und Georg Merz, Ergänzungsreihe Band 1, München 1934. –, Christusglaube und Rechtfertigung, hg. von Schilling, Johannes; Härle, Wilfried, Leipzig 2006 (Martin Luther – Lateinisch-deutsche Studienausgabe [zit. LDStA], Bd. 2). –, Das der freie wille nichts sey/ Antwort D. Martini Luther an Erasmum Roterdam, hg. von Jonas, Justus, Wittemberg 1526. –, De servo arbitrio/Vom unfreien Willensvermögen (1525), in: Luther 2006 – Der Mensch vor Gott, 219–661. –, Der Mensch vor Gott, hg. von Härle, Wilfried; Beyer, Michael, Leipzig 2006 (Martin Luther – Lateinisch-deutsche Studienausgabe [zit. LDStA], Bd. 1). –, Disputatio D. Martini Lutheri de homine/Disputation D. Martin Luthers über den Menschen, in: Luther 2006 – Der Mensch vor Gott, 663–669. –, Disputatio Heidelbergae habita/Heidelberger Disputation (1518), in: Luther 2006 – Der Mensch vor Gott, 35–69. –, Tractatus de libertate christiana/Abhandlung über die christliche Freiheit (1520), in: Luther 2006 – Christusglaube und Rechtfertigung, 120–185. –, Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Weimar 1883 ff (zit. WA). Mack, Wolfgang: Vom Erwerb des Wissens um sich und über den Anderen zur Fähigkeit der Selbstbindung an das moralisch Gute, in: Lüke u. a. 2007 – Der Mensch, 106–125.

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Müller, E. F. Karl: Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche. In authentischen Texten mit geschichtlicher Einleitung und Register, Nachdr. d. Ausg., Leipzig, Deichert, 1903, Zürich 1987. Münte, Thomas F.; Heinze, Jochen: Beitrag moderner neurowissenschaftlicher Verfahren zur Bewusstseinsforschung, in: Pauen, Roth 2001 – Neurowissenschaften und Philosophie, 298–328. Nagel, Thomas: Der Blick von nirgendwo, Frankfurt am Main 1992. –, Wie ist es, eine Fledermauß zu sein? In: Bieri 2007 – Analytische Philosophie, 261–275. Nida-Rümelin, Julian: Freiheit als naturalistische Unterbestimmtheit, in: Buchheim, Pietrek 2007 – Freiheit auf Basis von Natur. –, Strukturelle Rationalität. Ein philosophischer Essay über praktische Vernunft, Stuttgart 2001 (Universal-Bibliothek, 18150). –, Über menschliche Freiheit, Stuttgart 2005 (Re-clams UniversalBibliothek, 18365). Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, Stuttgart 2008 (Reclam-Taschenbuch, 21706). Northoff, Georg: Freiheit und Einbettung in die Umwelt – ein relationales neurophilosophisches Modell, in: Heilinger 2007 – Naturgeschichte der Freiheit, 307–334. Norwig, Martin: Formale Überlegungen zu einer interdisziplinären Theorie der Willensfreiheit, in: Köchy, Stederoth 2006 – Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 191–218. Nozick, Robert: Choice and Indeterminism, in: O'Connor 1995 – Agents, causes and events, 101–114. O'Connor, Timothy (Hg.): Agents, causes and events. Essays on indeterminism and free will, Oxford 1995. –, The Agent as Cause, in: Kane 2002 – Free will, 196–205. Oeser, Erhard: Geschichte der Hirnforschung. Von der Antike bis zur Gegenwart, Darmstadt 2002. –, Neurophilosophie und experimentelle Hirnforschung, in: Köchy, Stederoth 2006 – Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 237–255. Olivier, Reinhard: Wonach sollen wir suchen? Hirnforscher fragen nach ihrer Frage, in: Geyer 2004 – Hirnforschung und Willensfreiheit, 153–157. Pannenberg, Wolfhart: Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983. –, Christlicher Glaube und menschliche Freiheit, in: Kerygma und Dogma 4 (1958), 251–280. –, Systematische Theologie. Band 1, Göttingen 1988. –, Systematische Theologie. Band 2, Göttingen 1991.

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Literatur

–, Was ist der Mensch? Die Anthropologie der Gegenwart im Lichte der Theologie, 8. Aufl., Göttingen 1995 (Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1139). Pauen, Michael (Hg.): Phänomenales Bewußtsein – Rückkehr zur Identitätstheorie?, Paderborn 2002. –, Begriff, Erklärung, Bewusstsein. Neue Beiträge zum Qualia-Problem, Paderborn 2007. –, Das Rätsel des Bewußtseins. Eine Erklärungsstrategie, 2., unveränderte Aufl., Paderborn 2001. –, Freiheit. Eine natürliche Eigenschaft, in: Buchheim, Pietrek 2007 – Freiheit auf Basis von Natur, 49–67. –, Freiheit: Eine Minimalkonzeption, in: Hermanni, Koslowski 2004 – Der freie und der unfreie Wille, 79–112. –, Gründe, Ursachen und das Phänomenale Bewusstsein. Unlösbare Probleme für den Physikalismus, in: Hermanni, Buchheim (Hg.) 2006 – Das Leib-Seele-Problem, 139–161. –, Grundprobleme der Philosophie des Geistes. Eine Einführung, 4. Aufl., Frankfurt am Main 2005 (Fischer-Taschenbücher Forum Wissenschaft Philosophie, 14568). –, Illusion Freiheit? Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung, Frankfurt am Main 2004. –, Ursachen und Gründe. Zwei zentrale Begriffe in der Debatte um Naturalismus und Willensfreiheit, in: Heilinger 2007 – Naturgeschichte der Freiheit, 247–272. –, Was ist der Mensch? Die Entdeckung der Natur des Geistes, 1. Aufl., München 2007. Pauen, Michael; Roth, Gerhard (Hg.): Neurowissenschaften und Philosophie. Eine Einführung, München 2001 (UTB für Wissenschaft, 2208). Pauen, Michael; Roth, Gerhard: Freiheit, Schuld und Verantwortung. Grundzüge einer naturalistischen Theorie der Willensfreiheit, Frankfurt a. M. 2008. Pauer-Studer, Herlinde: Autonomie: Ein Begriff und seine Bedeutungen, in: Schmidinger, Sedmak 2005 – Der Mensch, 183–207. Peirce, Charles S.: Phänomen und Logik der Zeichen, hg. von Pape, H., Frankfurt am Main 1983 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 425). Pereboom, Derk: Living without Free Will: The Case for Hard Incompatibilism, in: Kane 2002 – The Oxford handbook, 477–488. Pesch, Otto Hermann (Hg.): Humanismus und Reformation. Martin Luther und Erasmus von Rotterdam in den Konflikten ihrer Zeit, Freiburg 1985.

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–, Art. Wille/Willensfreiheit III. Dogmen- und theologiegeschichtlich, in: TRE 36, 76–97. –, Frei sein aus Gnade. Theologische Anthropologie, Freiburg im Breisgau 1983. –, Freiheitsbegriff und Freiheitslehre bei Thomas von Aquin und Martin Luther, in: Catholica 17 (1963), 197–244. –, Hinführung zu Luther, 3., aktualis. u. erw. Neuaufl., Mainz 2004. –, Humanismus und Reformation – ein herausforderndes Erbe, in: Pesch 1985 – Humanismus, 135–169. Petzoldt, Matthias: Geist – Gehirn – Heiliger Geist. Muss der Glaube die Willensfreiheit verteidigen?, Hamburg 2008 (Denkperlen, 07). Picco Della Mirandola, Giovanni: De hominis dignitate. Lateinischdeutsch = Über die Würde des Menschen, Übersetzt von Norbert Baumgarten, hg. von Buck, August, Hamburg 1990 (Philosophische Bibliothek, 427). Pieper, Annemarie: Freiheit ohne soziale Verantwortung? »Freigeisterei« (Kant) versus »Freigeist« (Nietzsche), in: Schmidinger, Sedmak 2005 – Der Mensch, 21–32. Pietrek, Torsten: Personen sind als Instanz eines Allgemeinen frei – Zur Metaphysik des libertarischen Kompatibilismus, in: Buchheim, Pietrek 2007 – Freiheit auf Basis von Natur, 33–47. Pike, Nelson: Divine Omniscience and Voluntary Action, in: The Philosophical Review 74 (1965), 27–46. Planck, Max: Vom Wesen der Willensfreiheit, in: Pothast 1978 – Seminar: Freies Handeln und Determinismus, 272–293. Plessner, Helmut: Der Mensch als Lebewesen, in: Schüssler 2000 – Philosophische Anthropologie, 71–83. Popper, Karl R.: Logik der Forschung, 7., verb. und durch 6 Anh. verm. Aufl., Tübingen 1982 (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften, 4). Popper, Karl R.; Eccles, John C.: Das Ich und sein Gehirn, 11. Aufl., München 1994 (Serie Piper, 1096). Pothast, Ulrich (Hg.): Seminar: Freies Handeln und Determinismus, Frankfurt am Main 1978. –, Die Unzulänglichkeit der Freiheitsbeweise. Zu einigen Lehrstücken aus der neueren Geschichte von Philosophie und Recht, Frankfurt am Main 1980. –, Letzte Verantwortlichkeit und Verantwortlichkeit unter Menschen. Über einen vernachlässigten Aspekt des Streits um die Willensfriheit, in: Hermanni, Koslowski 2004 – Der freie und der unfreie Wille, 113–130.

488

Literatur

Prinz, Wolfgang: Der Mensch ist nicht frei. Ein Gespräch, in: Geyer 2004 – Hirnforschung und Willensfreiheit, 20–26. –, Kritik des freien Willens. Bemerkungen über eine soziale Institution, in: Psychologische Rundschau 55 (2004), 4, 198–206. Prisching, Manfred: Freiheit der sozialwissenschaftlichen Zeitdiagnosen, in: Schmidinger, Sedmak 2005 – Der Mensch, 209–247. Pröpper, Thomas: Art. Freiheit. III. Historisch-theologisch/IV. Systematisch-theologisch, in: LThK 4, 100–105. –, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte. Eine Skizze zur Soteriologie, 3. Aufl., München 1991. Quitterer, Josef: (Erb)sünde aus der Sichtweise von Hirnforschung und Neurophilosophie, in: Hoping – Unheilvolles Erbe?, 100–119. –, Lebensprinzip des Organismus. Ergebnisse der Hirnforschung im Licht von Philosophie und Theologie, in: Herder-Korrespondenz 54 (2000), 404–407. Rager, Günter: Hirnforschung und die Frage nach dem Ich, in: Rager, Hell 2000 – Ich und mein Gehirn, 13–51. Rager, Günter; Hell, Daniel (Hg.): Ich und mein Gehirn. Persönliches Erleben, verantwortliches Handeln und objektive Wissenschaft, Freiburg im Breisgau 2000 (Grenzfragen, 26). Rahner, Karl: Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums, 12. Aufl. der Sonderausg., Neuausg., Freiburg im Breisgau, Basel, Wien 2008. –, Schriften zur Theologie, Einsiedeln 1967. –, Theologie und Anthropologie, in: Rahner 1967 – Schriften zur Theologie, 43–65. Reemtsma, Jan-Phillipp: Das Scheinproblem Willensfreiheit, in: Merkur 60 (2006), 193–206. Reinhuber, Thomas: Kämpfender Glaube. Studien zu Luthers Bekenntnis am Ende von De servo arbitrio, Berlin 2000. Reischies, Friedel M.: Die Amplifikation stochastischer Effekte und Handlungsbeeinflussung – limitierter Indeterminismus und Spielräume für Neues, in: Heinze, Fuchs, Reischies 2006 – Willensfreiheit, 103–120. Reuter, Hans-Richard; Bedford-Strohm, Heinrich, u. a. (Hg.): Freiheit verantworten. Festschrift für Wolfgang Huber zum 60. Geburtstag, Gütersloh 2002. Ricken, Friedo: Warum Moral nicht naturalisiert werden kann, in: Schmidinger, Sedmak 2005 – Der Mensch, 249–258. Ricœur, Paul: Das Selbst als ein Anderer, 2. Aufl., München 2005 (Übergänge, 26).

Literatur

489

Riedel, Manfred: Freiheit und Verantwortung. Zwei Grundbegriffe der kommunikativen Ethik, in: Baumgartner (Hg.) 1979 – Prinzip Freiheit, 201–228. Rieger, Reinhold: Von der Freiheit eines Christenmenschen, Tübingen 2007. Ringleben, Joachim: Art. Freiheit VII. Dogmatisch, in: RGG4, 317–319. Ritschl, Albrecht: Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, 2. Aufl., Bonn 1882. Ritz, E.: Art. Entfremdung, in: HWPh 2, 509–525. Rolf, Sibylle: Die Kommunikativität des Menschen. Überlegungen zum Verhältnis von Leib und Seele im Anschluss an Martin Luther, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 53/2 (2011), 119–136. Rösler, Frank: Einige Gedanken zum Problem der »Entscheidungsfindung« in Nervensystemen, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 2006 – Zur Freiheit des Willens, 23–34. –, Neuronale Korrelate der Handlungsausführung. Zur Validität der Experimente von Libet (1983), in: Köchy, Stederoth 2006 – Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 165–190. Roth, Gerhard: Aus Sicht des Gehirns, Frankfurt am Main 2003. –, Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen, Frankfurt am Main 1997 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1275). –, Das Zusammenwirken bewusst und unbewusst arbeitender Hirngebiete bei der Steuerung von Willenshandlungen, in: Köchy, Stederoth 2006 – Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 17–38. –, Erkenntnis und Realität, in: Schmidt 2003 – Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus, 229–255. –, Evolution des Gehirns – Evolution der Freiheit, in: Heilinger 2007 – Naturgeschichte der Freiheit, 149–175. –, Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert, Frankfurt am Main 2003. –, Neurobiologische Grundlagen des Bewusstseins, in: Pauen, Roth 2001 – Neurowissenschaften und Philosophie, 155–209. –, Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Warum es so schwierig ist sich und andere zu ändern, 5. Aufl., Stuttgart 2009. –, Willensfreiheit und Schuldfähigkeit, in: Roth, Grün 2006 – Das Gehirn und seine Freiheit, 9–27. –, Worüber dürfen Hirnforscher reden – und in welcher Weise? In: Geyer 2004 – Hirnforschung und Willensfreiheit, 67–85.

490

Literatur

Roth, Gerhard; Grün, Klaus-Jürgen (Hg.): Das Gehirn und seine Freiheit. Beiträge zur neurowissenschaftlichen Grundlegung der Philosophie, Göttingen 2006. Roth, Gerhard; Schwegler, Helmut: Das Geist-Gehirn-Problem aus Sicht der Hirnforschung und eines nicht-reduktionistischen Physikalismus, in: Ethik und Sozialwissenschaften 6 (1995), 69–77. Rott, Hans: Freiheit oder Determinismus. Die Freiheit in Zeiten neurowissenschaftlichen Fortschritts, in: Mühling 2009 – Gezwungene Freiheit, 117–134. Rungaldier, Edmund: Die Fortdauer (Identität) des Ich durch die Zeit, in: Rager, Hell 2000 – Ich und mein Gehirn, 161–200. Ryle, Gilbert: Der Begriff des Geistes, Stuttgart 2002 (UniversalBibliothek, 8331). Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, in neuer Übersetzung, 15. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2009 (Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Philosophische Schriften Bd. 3). Sauter, Gerhard: Die Wahrnehmung des Menschen bei Martin Luther, in: Evangelische Theologie 43 (1983), 489–503. Scheler, Max: Die Stellung des Menschen im Kosmos, Darmstadt 1928. Scheliha, Arnulf von: Zu Schicksal und Bedeutung der »Christlichen Freiheit« in der modernen Welt, in: Kerygma und Dogma 48 (2002), 118–132. Schleiermacher, Friedrich: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1830–31), Nachdr. der 7. Aufl. 1960, hg. von Redeker, Martin, Berlin 1999 (De-Gruyter-Studienbuch). –, Über die Freiheit, in: Schleiermacher KGA I, 1, 217–356. –, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Mit einer Einl. hg. von Andreas Arndt Hamburg 2004 (Philosophische Bibliothek, 563). Schleim, Stephan: Von der Neuroethik zum Neurorecht?, mit 2 Tabellen, Göttingen 2009. Schlick, Moritz: Wann ist der Mensch verantwortlich? In: Pothast 1978 – Seminar: Freies Handeln und Determinismus, 157–168. Schlimme, Jann E.: Das Wollen in der psychiatrischen Therapie, in: Heinze, Fuchs, Reischies 2006 – Willensfreiheit, 183–194. Schmidinger, Heinrich; Sedmak, Clemens (Hg.): Der Mensch – ein freies Wesen? Autonomie – Personalität – Verantwortung, Darmstadt 2005 (Topologien des Menschlichen, 2).

Literatur

491

Schmidt, Siegfried J. (Hg.): Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus, Frankfurt am Main 2003 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 636). Schnabel, Ulrich: Der unbewusste Wille, in: DIE ZEIT 2008, 17. April. Schnelle, Udo: Neutestamentliche Anthropologie. Jesus, Paulus, Johannes, Neukirchen-Vluyn 1991 (Biblisch-theologische Studien, 18). Schoberth, Wolfgang: Einführung in die theologische Anthropologie, Darmstadt 2006 (Einführung Theologie). –, Neurobiologie, Determinismus und Willensfreiheit, in: Evangelium und Wissenschaft 28 (2007), 87–106. –, Warum Ziele keine Zwecke und Zufälle nicht sinnlos sind, in: Lüpke 2008 – Gott, 72–93. Schockenhoff, Eberhard: Das Netz ist zerrissen. Der Beitrag des Glaubens zum Verständnis der Freiheit, in: Fuchs, Schwarzkopf 2010 – Verantwortlichkeit, 295–317. –, Theologie der Freiheit, Freiburg im Breisgau 2007. –, Wir Phantomwesen. Über zerebrale Kategorienfehler, in: Geyer 2004 – Hirnforschung und Willensfreiheit, 166–170. Schopenhauer, Artur: Preisschrift über die Freiheit des Willens, in: Schopenhauer – Sämtliche Werke, Bd. 4 1873, 3–102. –, Sämtliche Werke, hg. von Frauenstädt, Julius, Leipzig 1873f. Schüssler, Werner (Hg.): Philosophische Anthropologie, Freiburg im Breisgau, München 2000 (Alber-Texte Philosophie). –, Unfreiheit als Fiktion. Zum Menschenbild Viktor E. Frankls und seiner Bedeutung für die gegenwärtige Diskussion um die Hirnforschung, in: Bauer 2007 – Freiheit, 89–106. Schwanke, Johannes: Freier oder unfreier Wille? Die Kontroverse zwischen Martin Luther und Erasmus von Rotterdam, in: Zager 2010 – Luther, 41–58. Schwarz, Hans: Luthers Verständnis der Person. Martin Luthers Verständnis der Person zwischen Autonomie und Theonomie, in: Mühling 2009 – Gezwungene Freiheit, 101–108. Schwarz, Reinhard: Luthers Freiheitsbewußtsein und die Freiheit eines Christenmenschen, in: Korsch, Leppin 2010 – Martin Luther, 31– 68. Schwarzwäller, Klaus: Sibboleth. Die Interpretation von Luthers Schrift De servo Arbitrio seit Theodosius Harnack. Ein systematischkritischer Überblick, München 1969. –, Theologia crucis. Luthers Lehre von Prädestination nach De servo arbitrio 1525, München 1970. Schwöbel, Christoph: Imago Libertatis: Freiheit des Menschen und Freiheit Gottes, in: Schwöbel 2002 – Gott in Beziehung, 227-256.

492

Literatur

–, Offenbarung und Erfahrung – Glaube und Lebenserfahrung. Systematisch-theologische Überlegungen zu ihrer Verhältnisbestimmung, in: Schwöbel 2002 – Gott in Beziehung, 53–129. –, Art. Gott. V. Dogmatisch, 1. Problemgeschichte; 2. SystematischTheologisch, in: RGG4 3, 1113–1126. –, Gott in Beziehung. Studien zur Dogmatik, Tübingen 2002. –, Mensch Sein als Sein in Beziehung. Zwölf Thesen für eine christliche Anthropologie, in: Schwöbel 2002 – Gott in Beziehung, 192–226. –, Offenbarung Glaube und Gewißheit in der reformatorischen Theologie, in: Herms, Žak 2008 – Grund und Gegenstand des Glaubens, 214–234. –, Sünde – Selbstwiderspruch im Widerspruch gegen Gott. Annäherungen an das Verständnis eines christlichen Zentralbegriffs, in: Linde, Deuser 2006 – Theologie, 285–307. Searle, John R.: Freiheit und Neurobiologie, Frankfurt am Main 2004. –, Wie frei sind wir wirklich? Interview, in: FAZ, Ausgabe http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/ Doc~EE9B99337FC2B4260A00CCDA0854D43C5~ATpl~Ecommon~ Scontent.html, 23.03.2008. Seebaß, Gottfried: Art. Wille/Willensfreiheit I. Philosophisch, in: TRE 36, 55–73. Seebaß, Gottfried: Die Signifikanz der Willensfreiheit, in: Seebaß 2006 – Handlung und Freiheit, 191–246. –, Freiheit und Determinismus, in: Seebaß 2006 – Handlung und Freiheit, 131–168. –, Handlung und Freiheit. Philosophische Aufsätze, Tübingen 2006. Seidl, Horst: Art. Seele V. Kirchen- und philosophiegeschichtlich, in: RGG4 7, 748–759. Seils, Martin: Der Gedanke vom Zusammenwirken Gottes und des Menschen in Luthers Theologie, Berlin 1962. Seitelberger, Franz: Bewußtsein und Bewußtes – Geist und Geistiges, in: Ethik und Sozialwissenschaften 65 (1995), 130–133. Sellmaier, Stephan: Was beweißen Benjamin Libets Experimente zur Willensfreiheit? In: Philosophisches Jahrbuch 114 (2007), 378–394. Singer, Wolf: Das falsche Rot der Rosse. Was geschieht im Kopf, wenn die Augen etwas sehen? Wie entsteht Bewusstsein, wie die Vorstellung vom »Ich«? In: Singer 2003 – Ein neues Menschenbild, 54–66. –, Der Beobachter im Gehirn. Essays zur Hirnforschung, Frankfurt am Main 2002. –, Ein neues Menschenbild? Gespräche über Hirnforschung, Frankfurt am Main 2003.

Literatur

493

–, Selbsterfahrung und neurobiologische Fremdbeschreibung, in: Schmidinger/Sedmak, Der Mensch, 135–160. –, Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen, in: Geyer 2004 – Hirnforschung und Willensfreiheit, 30– 65. Skinner, B. F.: Walden Two: Freedom and the Behavioral Sciences, in: Kane 2002 – Free will, 29–38. Slenczka, Notger: Der Freiheitsgehalt des Glaubensbegriffs als Zentrum protestantischer Dogmatik, in: Dierken, Scheliha 2005 – Freiheit und Menschenwürde, 49–64. –, Neuzeitliche Freiheit oder ursprüngliche Bindung? Zu einem Paradigmenwechsel in der Reformations- und Lutherdeutung, in: Slenczka, Sparn 2005 – Luthers Erben, 205–244. –, 'Virtutibus nemo male utitur' (Augustin). Die aristotelische Tradition der Tugendethik und die protestantische Ethik. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis der Unfreiheit des Willens, in: Deuser, Korsch 2004 – Systematische Theologie heute, 170–192. Slenczka, Notger; Sparn, Walter (Hg.): Luthers Erben. Studien zur Rezeptionsgeschichte der reformatorischen Theologie Luthers, Festschrift für Jörg Baur zum 75. Geburtstag, Tübingen 2005. Smilansky, Saul: Free Will, Fundamental Dualism, and the Centrality of Illusion, in: Kane 2002 – The Oxford handbook, 489–505. Soon Chun Siong; Brass, Marcel; Heinze, Hans-Jochen; Haynes, JohnDylan: Unconscious determinants of free decisions in the human brain, in: Nature Neuroscience 11 (2008), 543–546. Spaemann, Robert: Personen. Versuche über den Unterschied zwischen »etwas« und »jemand«, 3. Aufl., Stuttgart 2006. Sparn, Walter: Art. Mensch VII., in: TRE 22, 510–529. –, Autobiographische Kompetenz. Welchen christlichen Sinn hat lebensgeschichtliches Erzählen heute? In: Härle, Preul 1990 – Lebenserfahrung, 54–67. –, Der freie Wille. Ein klassisches Thema der Theologie. Online verfügbar unter www.ev-akademie-tutzing.de/doku/programm/get_it.php?ID=1176. –, Frömmigkeit als »Wesen des Christentums«, in: Korsch, Richter 2002 – Das Wesen des Christentums, 125–141. –, Leiden – Erfahrung und Denken. Materialien zum Theodizeeproblem, München 1980 (Theologische Bücherei Studienbücher, 67). –, Lex iam adest. Luthers Rede vom Gesetz in den Antinomerdisputationen, in: Korsch, Leppin 2010 – Martin Luther, 211-249 .

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Literatur

–, Unbegreifliche Sünde. Wie, wem und was kann der dogmatische Begriff der Sünde zu verstehen geben? In: Härle, Preul 2008 – Sünde, 107–143. –, Zur anthropologischen Thematik der lutherischen Bekenntnisse, in: Brecht 1980 – Bekenntnis und Einheit der Kirche, 129–153. Spitzer, Manfred: Geist im Netz. Modelle für Lernen, Denken und Handeln, Heidelberg 2000. –, Selbstbestimmen. Gehirnforschung und die Frage Was sollen wir tun?, Heidelberg 2004. Splett, Thomas: Spontaneität schützt vor Verantwortung nicht. Willensfreiheit zwischen den Fronten, in: Buchheim, Pietrek 2007 – Freiheit auf Basis von Natur, 119–140. Stadler, Michael A.: Der freie Wille, die Zeit und die Verantwortlichkeit, in: Heilinger 2007 – Naturgeschichte der Freiheit, 117–132. Steiger, Johann A. (Hg.): Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit, Bd. 1, Wiesbaden 2005 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, 43). –, Zorn Gottes, Leiden Christi und die Affekte der Passionsbetrachtung bei Luther und im Luthertum des 17. Jahrhunderts, in: Steiger 2005 – Passion, Affekt und Leidenschaft, 179–201. Steiger, Lothar: »Meine Seele ist betrübt bis an den Tod«. Gethsemane als geometrischer Ort der Gewißheit bei Martin Luther und seinen Nachfolgern in der Frühen Neuzeit, in: Steiger 2005 – Passion, Affekt und Leidenschaft, 217–249. Steinvorth, Ulrich: Freiheitstheorien in der Philosophie der Neuzeit, 2., durchges. um e. Nachw. erw. Aufl., Darmstadt 1994. Stephan, Ekkehard; Willmann, Matthias: Grenzen der Willensfreiheit aus psychologischer Sicht. Nichtbewußte Einflüsse auf alltägliche Kognitionsakte, in: Köchy, Stederoth 2006 – Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 51–76. Stock, Konrad: Grundlegung der protestantischen Tugendlehre, Gütersloh 1995. –, Art. Erfahrung V. Dogmatisch/VI. Ethisch, in: RGG4 2, 1403-1405. –, Art. Person II. Theologisch, in: TRE 26, 225-231. Stoellger, Philipp: Passivität aus Passion. Zur Problemgeschichte einer 'categoria non grata', Tübingen 2010 (HUTh 56). Strawson, Galen: Art. Free Will, in: Routledge Encyclopedia of Philosophy 3, 743–753. –, The Bounds of Freedom, in: Kane 2002 – The Oxford handbook, 441– 460. Strawson, Peter Frederick: Freiheit und Übelnehmen, in: Pothast 1978 – Seminar: Freies Handeln und Determinismus, 201–233.

Literatur

495

Streubel, Thorsten: Gehirn und Ich. Plädoyer für einen Paradigmenwechsel, Frankfurt am Main 2008. Stuhlmacher, Peter: Biblische Theologie des Neuen Testaments, 3., neubearb. u. erg. Aufl., Göttingen 2005. Sturma, Dieter (Hg.): Philosophie und Neurowissenschaften, Frankfurt am Main 2006 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1770). –, Ausdruck von Freiheit. Über Neurowissenschaften und die menschliche Lebensform, in: Sturma 2006 – Philosophie und Neurowissenschaften, 187–214. Tetens, Holm: Freiheitsbegriff und Lebenspraxis – Ändert sich für uns etwas, wenn wir nicht frei sind? In: Fink, Rosenzweig 2006 – Freier Wille, 239–255. Thaidigsmann, Edgar: Macht über sich selbst? Der Mensch und die »Mächte« bei Luther. Aspekte theologischer Anthropologie, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 49 (2007), 42–70. Thomas von Aquin: Summa theologica, hg. v. Kath. Akademieverband, 3. Aufl., Salzburg/Leipzig 1934ff. Tietz, Christiane: Freiheit zu sich selbst. Entfaltung eines christlichen Begriffs von Selbstannahme, Göttingen 2005 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 111). Tillich, Paul: Systematische Theologie, 8. Aufl., 3 Bände, Berlin/New York 1987. Tress, Wolfgang; Heinz, Rudolf (Hg.): Willensfreiheit zwischen Philosophie, Psychoanalyse und Neurobiologie, Göttingen 2007. Trevena, Judy Arnel; Miller, Jess: Cortical Movement Preparation before and after a Conscious Decision to Move, in: Consciousness and Cognition 11 (2002), 162–190. Tröger, Jochen (Hg.): Wie frei ist unser Wille?, Heidelberg 2007 (Studium Generale der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg). Tugendhat, Ernst: Anthropologie statt Metaphysik, München 2007. –, Der Begriff der Willensfreiheit, in: Tugendhat 1999 – Philosophische Aufsätze, 334–351. –, Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 1999 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft, 1017). –, Willensfreiheit und Determinismus, in: Tugendhat 2007 – Anthropologie statt Metaphysik, 57–84. Valla, Lorenzo: Über den freien Willen. Lateinisch-deutsche Ausgabe = De libero arbitrio, hg. von Keßler, Eckhard, München 1987. Van Inwagen, Peter: An essay on free will, Oxford 1983. –, Free Will remains a Mystery, in: Kane 2002 – The Oxford handbook, 158–177.

496

Literatur

Vierkant, Tillmann: Worin besteht die Herausforderung der Kognitionswissenschaft an die Willensfreiheit wirklich? In: Buchheim, Pietrek 2007 – Freiheit auf Basis von Natur, 69–87. Vinke, Rainer (Hg.): Lutherforschung im 20. Jahrhundert. Rückblick – Bilanz – Ausblick, Mainz 2004 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Mainz: Beiheft, 62). Vogeley, Kai: Die neuralen Grundlagen des menschlichen Selbstbewusstseins, in: Lüke u. a. 2007 – Der Mensch, 27–46. Voland, Eckart: Natur der Moral – Genese und Geltung in der Ethik, in: Lüke u. a. 2007 – Der Mensch, 12–26. Walde, Bettina: Willensfreiheit und Hirnforschung. Das Freiheitsmodell des epistemischen Libertarismus, Paderborn 2006. Waldenfels, Bernhard: Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes, Frankfurt am Main 2006 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft). Walter, Henrik: Kompatibilismus und Verantwortlichkeit. Ist die Neurowissenschaft eine Herausforderung? In: Heinze, Fuchs, Reischies 2006 – Willensfreiheit, 207–221. –, Neurophilosophie der Willensfreiheit. Von libertarischen Illusionen zum Konzept natürlicher Autonomie, 2., unveränd. Aufl, Paderborn 1999. Walter, Henrik; Goschke, Thomas: Autonomie und Selbstkontrolle. Bausteine für eine naturalistische Konzeption von Willensfreiheit, in: Köchy, Stederoth 2006 – Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 103–142. Wandlinger, Nikolaus: Theologie der Erbsünde im Zeitalter von Evolutionstheorie und Genetik. Chancen und Grenzen des Dialogs, in: Hoping 2009 – Unheilvolles Erbe, 120–140. Watson, Gary (Hg.): Free will, Oxford 1982 (Oxford readings in philosophy). Wegner, Daniel M.: The illusion of conscious will, Cambridge Mass. 2002 (A Bradford Book). Weinrich, Michael: Zur Freiheit befreit. Vorüberlegungen zum systematisch-theologischen Orientierungshorizont eines christlichen Freiheitsverständnisses, in: Reuter, Bedford-Strohm u.a. 2002 – Freiheit verantworten, 90–101. Welz, Claudia: Vertrauen und Versuchung, Tübingen 2010. Wenz, Gunther: Luthers Streit mit Erasmus als Anfrage an protestantische Identität, in: Graf, Tanner 1992 – Protestantische Identität heute, 135–160. Wetz, Franz-Joseph: Naturalismus, in: Lüke u. a. 2007 – Der Mensch, 47–71.

Literatur

497

Wils, Jean Pierre: Wie bedroht ist die Handlungsfreiheit wirklich? In: Lüke u. a. 2007 – Der Mensch, 72–88. Wingert, Lutz: Gründe zählen. Über einige Schwierigkeiten des Bionaturalismus, in: Geyer 2004 – Hirnforschung und Willensfreiheit, 194–204. Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung, 2007. Wolff, Hans Walter: Anthropologie des Alten Testaments, 5. Aufl., München 1990 (Kaiser-Taschenbücher, 91). Zager, Werner (Hg.): Martin Luther und die Freiheit, Darmstadt 2010. Žak, Lubomir: Die Ontologie der menschlichen Person im Denken Martin Luthers, in: Herms, Žak 2008 – Grund und Gegenstand des Glaubens, 307–337. Zur Debatte um Willensfreiheit: ein Fazit. Stellungnahmen von Michael Pauen, Gottfried Seebaß, Sven Walter und Marcus Willaschek, in: Information Philosophie 3/2011, 42–49.

Register Achtner, Wolfgang 292, 319, 391, 406, 409, 412, 432, 434, 441, 442 Althaus, Paul 389 Anscombe, Elizabeth 219f. Aristoteles 150 Augustin 304, 405, 411 Austin, J. L. 219f. Axt-Piscalar, Christine 410, 413, 414, 415 Barth, Hans-Martin 306, 433, 463 Bayer, Oswald 390, 392, 393, 410, 439 Beckermann, Ansgar 12, 151, 172, 188 Beiner, Melanie 294, 300, 301, 306, 316, 325, 331, 334, 387, 392, 404 Bennett, Maxwell R. 29, 126f. Bernhardt, Reinhold 314, 330, 388, 389 Beuttler, Ulrich 396 Bieri, Peter 12, 13, 91, 127, 147, 152f., 166, 182 Boomgarden, Jürgen 273 Brandt, Reinhard 315 Brücher, Klaus 221 Buber, Martin 368 Buchheim, Thomas 158, 191, 193, 208 Bultmann, Rudolf 353 Chisholm, Roderick M. 166, 213, 214f., 380

68,

Clayton, Philip 456 Crick, Francis 90 Damasio, Antonio R. 89 Daum, Irene 106 Deecke, Lüder 6–8, 25, 92, 96 Dennett, Daniel C. 127, 152, 224 Descartes, René 68, 69, 70, 212, 213, 224, 408 Ebeling, Gerhard 300, 302, 305, 350, 381, 410, 412 Eccles, John C. 213 Eibach, Ulrich 375 Eidam, Heinz 113 Eimer, Martin 16–19, 37, 120 Elert, Werner 302, 318 Elger, Christian E. 25, 35, 36 Erasmus 4, 274, 275–286, 287f., 289, 292, 294f., 298, 381, 442, 449 Erikson, Erik H. 455 Evers, Dirk 368, 375 Ferber, Rafael 137, 147 Frank, Manfred 31, 407, 443 Frankfurt, Harry G. 141, 143f., 145–147, 148f., 187, 223, 252, 421, 424 Franz, Matthias 53, 54f. Freud, Sigmund 96, 454 Fuchs, Thomas 32, 34, 38, 41, 131, 147, 158, 179, 183, 430 Gage, Phineas 24 Galizia, C. Giovanni 28 Gehlen, Arnold 154

Register

499

Gestrich, Christof 425 Gethmann, Carl Friedrich 28, 29 Geyer, Christian 37, 43 Ginet, Carl 215f., 238 Goethe, Johann Wolfgang von 1 Gonther, Uwe 221 Görnitz Brigitte 117 Görnitz, Thomas 117 Goschke, Thomas 52, 55, 56f., 80, 86f., 153, 167 Gräb-Schmidt, Elisabeth 361, 362, 411, 417, 419, 435, 459, 460, 461 Grün, Klaus-Jürgen 110, 206 Guckes, Barbara 136, 205, 208

Holze, Heinrich 292 Honderich, Ted 205, 210 Horn, Ch. 21, 276 Huber, Wolfgang 269 Hume, David 104, 134, 139

James, William 204 Janich, Peter 26, 127 Joest, Wilfried 319, 324, 330 Jonas, Hans 388, 389 Jüngel, Eberhard 316, 318, 337, 342, 343, 352, 367, 370, 417, 418

Habermas, Jürgen 71, 155, 156, 157 Hacker, Peter M. 29, 126f. Haggard, Patrick 16–19, 37, 120 Härle, Wilfried 12, 294, 295, 326, 366, 384, 391, 422, 452 Hartmann, Dirk 129, 130 Haynes, John Dylan 19f. Heidegger, Martin 361, 419, 430, 461 Henrich, Dieter 182, 355, 407, 443 Hermanni, Friedrich 294, 318, 319, 386, 397, 398 Herms, Eilert 113, 272, 293, 294, 307, 319, 321, 325, 350, 352, 357, 360, 365, 375, 402f., 425, 439, 451, 452, 457 Herrmann, Christoph S. 17, 19, 38 Höffe, Otfried 111 Hofmann, Manfred 276

Kandel, Eric R. 21 Kane, Robert 175, 212, 215, 217– 251, 256–260, 380, 400, 439, 445 Kant, Immanuel 43, 110, 111, 133, 150, 151, 159f., 197, 213, 270, 344 Keil, Geert 13, 37, 43, 147, 171, 178, 188, 189, 193, 196, 202, 212, 216, 237 Kierkegaard, Søren 414 Klein, Andreas 12, 276, 280, 294, 306, 319, 398, 441 Koch, Christof 31, 35, 87, 90 Köchy, Kristian 9, 30 Kornhuber, Hans Helmut 6–8, 25, 92, 93, 96, 264, 442 Korsch, Dietrich 415, 424 Körtner, Ulrich H. J. 293, 297, 306, 307, 380, 391, 410, 429 Kreiner, Armin 207, 224, 384 Krötke, Wolf 410 Kuhl, Julius 56, 57f. Kupke, Christian 264

Iwand, Hans Joachim 284, 288, 300, 303, 304, 381, 385, 390, 397, 417f.

500 Längle, Alfried 29 Laplace, Pierre Simon de 207, 208 Leibniz, Gottfried Wilhelm 237, 318 Leonhardt, Rochus 391, 464 Lévinas, Emmanuel 368–372, 435 Libet, Benjamin 6, 8–12, 13, 14, 15f., 88, 119, 120, 373 Locke, John 153 Løgstrup, Knud Eiler 440 Lohmar, Achim 136, 137, 143 Lohse, Bernhard 381, 391 Lüpke, Johannes von 403, 458, 465 Luther, Martin 3, 4, 184, 269, 271–273, 274–276, 277, 287–301, 302–332, 333–350, 351, 353, 357, 364, 365, 366f., 371, 372, 373, 376, 379, 380f., 382f., 385f., 387– 393, 394–396, 397, 398, 399, 401f., 406, 409f., 411, 412, 413, 414, 421, 422, 423, 425, 426, 427, 428, 433, 436, 437, 440, 442, 448, 464 Markowitsch, Hans J. 49, 53, 106 Maurer, Ernstpeter 289, 290 Mead, George H. 454 Melanchthon, Philipp 393 Metzinger, Thomas 45, 53, 374 Mill, J. S. 17 Miller, Jess 19 Molina, Luis de 396 Moore, George Edward 141f., 187, 188 Mühlen, Karl-Heinz zur 327f. Nagel, Thomas 156, 229

Register

Nida-Rümelin, Julian 153, 157 Nietzsche, Friedrich 435 Northoff, Georg 129, 159 Nozick, Robert 238 O’Connor, Timothy 213, 214 Oeser, Erhard 36 Pannenberg, Wolfhart 296, 351, 353, 354, 361f., 375, 380, 381f., 405, 407, 438 Pauen, Michael 15, 32, 35, 65, 76, 89, 117, 118, 152, 154, 162–203, 211, 215, 221, 223, 252–256, 441, 442 Paulus 305, 423 Peirce, Charles S. 32 Pereboom, Derk 209, 210f. Pesch, Otto Hermann 290, 293, 311, 314, 336, 353, 394 Petzoldt, Matthias 412, 449 Picco Della Mirandola, Giovanni 334 Pietrek, Torsten 158, 191, 227, 228, 231 Popper, Karl R. 213 Pothast, Ulrich 125, 209, 226 Prinz, Wolfgang 30, 49, 53, 54 Pröpper, Thomas 359, 443 Rahner, Karl 351, 353, 358, 359– 361, 380, 392 Reemtsma, Jan-Phillipp 43, 44, 134f. Reinhuber, Thomas 278 Reischies, Friedel M. 242 Ricken, Friedo 159 Ricœur, Paul 407, 465 Riedel, Manfred 431 Rieger, Reinhold 337, 339, 348 Ringleben, Joachim 461 Ritschl, Albrecht 425

501

Register

Rolf, Sibylle 323 Rösler, Frank 9, 10, 49 Roth, Gerhard 7, 15, 31, 36, 38, 39, 40, 65–119, 121, 122, 148, 155, 173, 192, 211, 255, 373 Rott, Hans 158 Sartre, Jean-Paul 403 Sauter, Gerhard 291 Scheliha, Arnulf von 310 Schleiermacher, Friedrich 164, 273, 303, 452 Schlick, Moritz 134, 220 Schlimme, Jann E. 453 Schoberth, Wolfgang 99, 374, 375, 396 Schockenhoff, Eberhard 290, 359, 384 Schopenhauer, Artur 134, 135 Schwanke, Johannes 293, 295 Schwarz, Hans 438 Schwarz, Reinhard 339 Schwarzwäller, Klaus 272, 306, 308, 315, 316, 397 Schwegler, Helmut 31, 38 Schwöbel, Christoph 314, 355, 388, 390, 391, 413, 416 Searle, John R. 132, 155 Seebaß, Gottfried 216, 217 Seils, Martin 387, 399 Seitelberger, Franz 31 Singer, Wolf 32f., 37, 41, 42– 47, 53, 63, 86, 102, 107, 109, 110, 121, 219, 374 Skinner, B. F. 150, 221, 302 Slenczka, Notger 398 Smilansky, Saul 143, 210 Spaemann, Robert 148, 231

Sparn, Walter 235, 292, 406 Spitzer, Manfred 59–61, 121 Splett, Thomas 158f. Stadler, Michael A. 28 Steinvorth, Ulrich 224 Stock, Konrad 322 Strawson, Galen 137, 228 Strawson, Peter Frederick 141, 142f., 230, 252 Sturma, Dieter 128, 129, 157 Thaidigsmann, Edgar 351, 404, 406 Thomas von Aquin 325, 353, 392 Tietz, Christiane 432 Tillich, Paul 359, 419, 423 Trevena, Judy Arnel 19 Tugendhat, Ernst 139, 142, 145 Valla, Lorenzo 132 Van Inwagen, Peter 137, 194, 218 Vierkant, Tillmann 52, 86, 167 Vogeley, Kai 25, 264 Walde, Bettina 138, 161 Waldenfels, Bernhard 435 Walter, Henrik 116, 147, 153, 446 Wandlinger, Nikolaus 427 Wegner, Daniel M. 49, 50f., 52, 53, 54, 86, 95, 121 Weinrich, Michael 271 Welz, Claudia 302, 379, 405, 440, 461, 464 Wenz, Gunther 383 Wils, Jean Pierre 14, 15 Wingert, Lutz 156, 157 Wittgenstein, Ludwig 161, 206f. Žak, Lubomir

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