Verskolometrie und hexametrische Verskunst römischer Bukoliker ISBN 3-525-25215-3

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Verskolometrie und hexametrische Verskunst römischer Bukoliker
 ISBN 3-525-25215-3

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HYPOMNEMATA

Georg Schwertlob Korzeniowski

Verskolometrie und hexametrische Verskunst römischer Bukoliker

VANDENHOECK&RUPRECHT GÖTHNGEN

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https://archive.org/details/verskolometrieunOOOOkorz

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HYPOMNEMATA 118

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HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE UND ZU IHREM NACHLEBEN

Herausgegeben von Albrecht Dihle/Siegmar Döpp/Hans-Joachim Gehrke/ Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig/Christoph Riedweg

HEFT 118

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

GEORG SCHWERTLOB KORZENIOWSKI

Verskolometrie und hexametrische Verskunst römischer Bukoliker

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

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Verantwortlicher Herausgeber: Siegmar Döpp

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Korzeniowski, Georg Schwertlob: Verskolometrie und hexametrische Verskunst römischer Bukoliker / Georg Schwertlob Korzeniowski. [Verantw. Hrsg.: Siegmar Döpp]. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1998 (Hypomnemata ; H. 118) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1996 ISBN 3-525-25215-3

© 1998, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Hubert & Co., Göttingen

Inhalt Seite Vorrede.yjj Abkürzungen und Zitierweise.IX Einführung.\ I

Grundbegriffe: Definitionen und Feststellungen.7 1. Wort, metrisches Wort, graphisches Wort, Synaloephe. Absoluter, graphischer und latenter Wortschluß. Silbengrenze, Auslautkürzung, Auslautsdehnung.7 Anhang 1: inter bei den römischen Bukolikern.23 2. Prosodische Wortgestalt. Worttyp: prosodische Wortgestalt im Versablauf.30 3. Iktus, Kongruenz, Inkongruenz.34 4. Enjambement: Auftakt und Überhang.39 5. Caesur und Diaerese.44 Anhang 2: Caesura latens und die sog. quasi-caesura.61 6. Die Verszahl der einzelnen Eklogen und die damit verbundenen textkritischen Fragen.72

II

Die bukolische Diaerese.73 1. 2. 3. 4. 5.

Vorbemerkung.73 Die bukolische Diaerese in Vergils Eklogen.74 Die bukolische Diaerese bei T. Calpumius Siculus.98 Die bukolische Diaerese in den Carmina Einsidlensia.114 Die bukolische Diaerese bei Nemesianus.118

III Die Caesur xarä

tqltov

rgoxaiov als Hauptcaesur.127

1. Die Caesur xarä rgirov TgoyaTcw in Vergils Eklogen.129 2. Zu imitatio, aemulatio und Originalität der römischen Literatur . . . 140 3. Die Caesur xarä rgirov rgoyalov bei T. Calpurnius Siculus .... 146 4. Die Caesur xarä rgirov Tgo/aiov in den Carmina Einsidlensia . . . 154 5. Die Caesur xarä rgirov rgoxaiov bei Nemesianus.156 6. Zum öfioioTEÄsvroi’ und dgoiömmov.160 7. Trochäischer Wortschluß im 4. Fuß des bukolischen Hexameters . . 165 Anhang 3: Zur bukolischen Diaerese und Caesur xarä tqltov rgoxaiov in Nemesians Cynegetica.169 8. Schlußwort.172

IV

Die semiseptenaria als Hauptcaesur.174 1. Die semiseptenaria bei Vergil.176 2. Die semiseptenaria als Hauptcaesur bei T. Calpumius Siculus . . .192

VI

Inhalt

3. Die semiseptenaria in den Carmina Einsidlensia.210 4. Die semiseptenaria als Hauptcaesur bei Nemesianus.214 Anhang 4: Worttypen vor der semiseptenaria und Wortschlüsse neben dem Wortschluß im 4. longum.228 5. Schlußwort.235

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Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes und verwandter rhythmischer Abfolgen am Versanfang im Hexameter römischer Bukoliker.237

VI Die Hexameterklausel et mihi Dämon im Vers römischer Bukoliker.296 1. Die Geschichte des Hexameterschlusses et mihi Dämon vor Vergil mit Berücksichtigung von Vergils und Ovids Epen.297 2. Die Klausel et mihi Dämon bei den römischen Bukolikern . . . .315

VII Verskolometrie und hexametrische Verskunst in den Carmina Einsidlensia: die Autorfrage.339 Rückblick.351 Literaturverzeichnis.355 Namenregister.373 Stellenregister.377 Sachregister.383

Vorrede Als Vorgeschichte meiner Untersuchungen zur Verskolometrie und hexametrischen Verskunst römischer Bukoliker möge die dankbare Erwähnung jener Lehrer genügen, die mein Denken und Handeln geprägt haben: J. Michalec (t) und I. Dec in Philosophie, T. Hergesei in Exegese, Literaturkritik und Philologie, H. Mysliwiec, von dem ich gelernt habe, was Wissenschaft ist, und J. Mantke in Philologie. So vorbereitet durfte ich mein Studium in Oxford bei R. G. M. Nisbet und dank Professor Ch. Gnilka in Münster weiterführen, wo ich außer von ihm von A. Weische, B. R. Voß und H.-D. Blume viel lernte. Professor Fernando Inciarte hat mich in die Tiefen nicht nur der antiken Philosophie eingeführt, Professor Ernst Vogt für die griechische Literatur erneut so begeistert, daß ich meine Kenntnisse auf dem Gebiet des Griechischen mit Nutzen und Freude erweitern konnte. Es wäre aber nichts zustande gekommen, wenn ich auf meinem Studienwege drei Philologen nicht begegnet wäre, von denen ich Metrik, Kolometrie, Prosarhythmus, Textkritik und noch viel mehr gelernt habe: Hans Drexler (t), Robin Nisbet und Alfons Weische. Bei Professor Wilfried Stroh habe ich erlebt, wie ergiebig und erfreulich Latinitas uiua und die Interpretation lateinischer Texte sein können. Auch H. D. Jocelyn fühle ich mich zu einem besonders herzlichen Dank für geistvolle Anregungen verpflichtet. Das vorliegende Buch ist die kaum geänderte Fassung meiner Dissertation, die im Oktober 1996 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angenommen wurde. Das Druckmanuskript wurde im Sommer 1997 abgeschlossen. Berücksichtigt wurden einige wenige Neuerscheinungen und einschlägige Aufsätze, die jedoch zu keiner Berichtigung meines Standpunktes Anlaß gegeben haben.1 Ansonsten müßte hier und da die Argumentations- und Aus¬ drucksweise an Klarheit gewonnen haben, größtenteils dank Herrn Professor Horst-Dieter Blume, dessen Sorgfalt bei der Lektüre des umfangreichen Manuskriptes mich zu vielen Verbesserungen veranlaßt hat. Dafür danke ich Herrn Blume besonders herzlich. Nicht minder herzlich danke ich Dr. S. J. Harrison (Corpus Christi College, Oxford), 1 Die dritte von J. Blänsdorf besorgte Ausgabe der Fragmenta Poetarum Latinorum, Lipsiae et Stuttgardiae 1995 habe ich zur Kenntnis genommen und die von mir un¬ tersuchten Fragmente mit der zweiten Ausgabe von Morel-Biichner verglichen. Da ich keine Änderungen festgestellt habe, bin ich beim Zitieren nach Morel-Büchner geblieben. Ebenso verhält es sich mit The Fragmentary Latin Poets, ed. with Commentary by E. Courtney, Oxford 1993; dazu siehe H. D. Jocelyn, Hennathena 154 (1995), S. 53-77.

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Vorrede

der mir schwer zugängliche oder in Deutschland nicht vorhandene Veröffentlichungen immer blitzschnell besorgte. Zu danken habe ich auch Dr. P. Flury und Dr. D. Krömer, die mir Zugang zu allen Schätzen der Bibliothek des Thesaurus linguae Latinae und ihrem Rechner gewährten, sowie Dr. M. Flieger und Drs. C. G. van Leijenhorst für ihre Großzügigkeit, mit der sie mir Zeit und Rat bei der Erstellung der Druckvorlage gewährten. In verschiedenen Stadien haben mir meine Freunde und Kollegen in Münster und München durch manche kritische Bemerkung zu einer Umformulierung sachlich schwieriger Abschnitte Anlaß gegeben. Hier danke ich ihnen allen, insonderheit Herrn Dr. Erwin Arnold für seine ,Beckmessereien4, mit denen er das Manuskript in der Endphase schmückte, und Dirk Adlung, einem feinsinnigen Kenner unserer Muttersprache, der mich beim Korrekturlesen der neu formatierten Druckvorlage unermüdlich unterstützte. Einen besonders herzlichen Dank will ich auch meinem lieben Freunde Karl Maria Harrer aussprechen, der mir das Licht im Dunkeln zeigte. Nicht zuletzt danke ich der Konrad-Adenauer-Stiftung dafür, daß sie mich durch ein großzügiges Promotionsstipendium bis zum Ende unter¬ stützte und durch einen Druckkostenzuschuß die Veröffentlichung meiner Studien ermöglichte, und in diesem Rahmen besonders Herrn Dr. Detlev Preuße für die verständnisvolle Betreuung. Ebenfalls gebührt Herrn Professor Siegmar Döpp und dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe „Hypomnemata“ mein herzlicher Dank. Vor allen anderen danke ich aber meinem Doktorvater, Herrn Professor Alfons Weische, der mich mit Aufgeschlossenheit, unermüdlicher Kritik und viel Humor betreute. Großzügig hat er mir erlaubt, meine Wege zu gehen und fern von der Alma Mater Monasteriensis zu leben, zu forschen und zu genießen, hier, im Land der Bayern, in der schönsten Stadt der Welt. München, den 31. Dezember 1997

Abkürzungen und Zitierweise 1. Antike Autoren Beim Zitieren antiker Autoren werden grundsätzlich die Sigla des ThLL verwendet. Nur die Einsiedler Gedichte kürze ich einfach Eins. anstelle von buc. Eins. Ebenfalls lasse ich bei Vergil und Nemesianus das ecl. weg. Sind die Eklogen gemeint, so werden sie als Verg. I 1 bzw. Nemes. I 1 usw. zitiert. Die Ausgaben, nach denen die Bukoliker zitiert werden, sind im Literaturverzeichnis genannt. Jede Abweichung von ihnen wird am entsprechenden Ort notiert. Siehe auch Kapitel I 6, S. 72.

2. Moderne Autoren Bücher und Aufsätze moderner Autoren werden in den Fußnoten beim ersten Mal voll zitiert. Wenn ein Werk häufig zitiert wird, werden Kurztitel oder bloße Autorennamen verwendet, so z. B. L. de Neubourg, La base metrique oder E. Tamerle, von dem nur eine Abhandlung in Frage kommt. In der Einführung und im ersten Kapitel werden aus historischen Gründen die ersten Ausgaben mancher Arbeiten zitiert, die dann nach den späteren erweiterten oder neu verfaßten Ausgaben aufgeführt werden, so Griechische Metrik von P. Maas und die 1926 erschienene Abhandlung von H. Fränkel. Das Literaturverzeichnis enthält die vollständigen Angaben. Zeitschriften werden vorwiegend nach dem System von L’Annee Philologique abgekürzt. Die Sigla jedoch, die nicht leicht verständlich sind, werden ersetzt oder auf eine verständliche Weise aufgelöst, so z. B. Anz. für Altertumswiss. statt AAHG und Bursians Jahresberichte statt JAW, die Sigla also, die unter die weitverbreitete und verdunkelnde Kategorie von TLA [= Three-Letter-Acronym] fallen.

3. Andere Hinsichtlich der Struktur des Hexameters ist die Beschreibung der Positionen von Wortschlüssen nach der Zahl der morae, wie es K. Thraede tut, zwar wissenschaftlich einwandfrei, nichtsdestoweniger aber unüblich. Man müßte umlernen, daß z. B. die Zahl 11 den Wortschluß

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Abkürzungen und Zitierweise

nach dem 3. Trochäus, d. h. nach der elften mora bezeichnet. Es ist viel bequemer, wie W. Ott die Versstellen nach sechs longa und bicipitia zu definieren, bzw. die Wortschlüsse mit einer Zahl und d, s, tr zu kennzeichnen. Im übrigen werden die folgenden Abkürzungen ver¬ wendet: a) für die Caesuren: 3 = semiternaria, 3tr = caesura xarä tqi'tov tqoXaTov, 5 = semiquinaria, 7 = semiseptenaria, 4tr = caesura xarä TEtagrov tqoxciIov, H mit einer vorangestellten Zahl bedeutet Hauptcaesur, z. B. 5 H; ein hochgestelltes H kennzeichnet einen Hiat; b) für die Diaeresen: 8b = diaeresis bucolica, 8s = diaeresis post quartum spondeum, 6 = diaeresis media; 8d = absoluter Wortschluß nach dem 4. Daktylus. Die Drexlersche Schreibung von ,Caesur‘ und ,Diaerese‘ wird, außer in Zitaten, beibehalten.

4. Zum Literaturverzeichnis Aufgelistet werden alle benutzten und relevanten Veröffentlichungen. Es kann allerdings Vorkommen, daß auf manche durchgearbeitete und in das Literaturverzeichnis aufgenommene Publikation im Text der vor¬ liegenden Abhandlung kein Bezug genommen wird oder daß der eine oder andere in den Fußnoten auftauchende Aufsatz dort fehlt. Auf die Erwähnung von Wörterbüchern, Lexika und Standardwerken, z. B. zur lateinischen Syntax, wird im Literaturverzeichnis verzichtet.

Einführung

Die richtige Methode zur Untersuchung der Form der hexametri¬ schen Poesie ist seit langem bekannt. Hans Drexler hat sie sowohl theo¬ retisch begründet als auch praktisch bei seiner Arbeit an ausgewählten Teilen des römischen Epos angewandt. Die seiner Methode zugrundelie¬ genden Prinzipien lehren uns, daß die syntaktische bzw. kolometrische Satzgliederung für die Untersuchung der Versform sowie für das Verständnis des Inhalts nicht belanglos, sondern wesentlich ist. Somit wird Hans Drexler in unserer Zeit zum Begründer der Ver skolometr ie. Für die Alten war sie dagegen eine Selbstverständlichkeit: sie dachten, redeten und interpungierten den Kola entsprechend. Sie hatten es nicht nötig, eine systematische Theorie zu entwickeln. Freilich finden wir in den Schriften der Redner, Grammatiker und Kommentatoren viele theoretische Ansätze und Grundsätze sowohl zu diesem Aspekt als auch zur Metrik und zu ihren Grundbegriffen schlechthin. Hier werden sie aber nicht behandelt, weil dies den Rahmen unseres Vorhabens weit überschritte.1 * * Nur hier und da wird auf bestimmte Aussagen verwiesen, jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Für unseren Zweck ist es hinreichend, einen Überblick über die Geschichte relevanter metrischer Begriffe in der Neuzeit zu geben. Daher beginnen wir mit Richard Bentley (1662-1742). Uns geht es nicht um die Anführung aller Vertreter einer Ansicht, sondern um Erfassung der Entwicklungstendenzen in der Metrik zwischen Bentley und Drexler mit einigen späteren Beiträgen. Somit wird im folgenden ein wichtiger Teil der Metrik unter dem historischen Gesichtspunkt wie im Spiegel zu sehen sein. Es wird daraus auch klar werden, wieviel Richtiges in unbeachteten Dissertationen steckte, was, zum gegebenen Zeitpunkt erkannt, die Wissenschaftlichkeit der Metrik um Jahrzehnte beschleunigt hätte. Daß aber die wissen¬ schaftliche Metrik und Rhythmik der alten Sprachen vom ausgehenden XIX. Jh. bis tief in das XX. Jh. an einen toten Punkt geriet, dafür sind bestimmte Autoritäten und ,Orakel4 verantwortlich. Der Wirklichkeits¬ sinn F. Nietzsches war zu schwach und vielleicht auch zu ,unwissen¬ schaftlich4, um angesichts der in jener Zeit herrschenden Musiktheorien

1 Zur Metriktheorie vgl. jetzt J. Leonhardt, Dimensio syllabarum. Studien zur latei¬ nischen Prosodie- und Verslehre von der Spätantike bis zur frühen Renaissance. Mit einem ausführlichen Quellenverzeichnis bis zum Jahr 1600, Göttingen 1989 (Hypomnemata 92).

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Einführung

gerecht beurteilt zu werden.1 Nietzsche wußte, daß der sog. ictus metricus (= Versakzent) eine uox nullius ist, und er verstand es, die Metrik von den Einflüssen der Musiktheorien seiner Zeit und der Kantschen Philo¬ sophie zu befreien.2 Leider fand er damit keine Zustimmung. Schon vor Nietzsche muß A. Böckh fundierte Einwände derselben Art und mit dem¬ selben Ergebnis erhoben haben, aber seine Encyklopädie, von E. Bra¬ tuscheck herausgegeben, erschien erst 1877, zehn Jahre nach seinem Tode.3 Doch Böckhs Abhandlung über Pindars Versmaße,4 in der sich 1 F. Nietzsche, Philologica Bd. 2: Unveröffentlichtes zur Litteraturgeschickte, Rhetorik und Rhythmik, hrsg. von O. Crusius, Leipzig 1912, S. 269-320, 333-340. Seine Vorlesungen fanden 1870 und 1871 statt, also vor der Herausgabe der Encyklopädie A. Böckhs. G. Zuntz, Drei Kapitel zur griechischen Metrik. I: Wie spricht man griechi¬ sche Verse?, Wien 1984 (SB Österr. Akad. der Wiss., Bd. 443), S. 24 weist jedoch darauf hin, daß R. Kühner in seiner Griechischen Grammatik bereits 1834, und ausführlicher 18692 das Richtige getroffen hat und dies Nietzsche bekannt gewesen sein muß. 2 F. Nietzsche, ebenda S. 336, schreibt noch 1884 in einem Brief an Carl Fuchs folgendes: „Damals [= 1870/71 G. K.] fühlte ich mich als den abseits gestelltesten Metriker unter allen Philologen; denn ich demonstrirte meinen Schülern die ganze Ent¬ wicklung der Metrik von Bentley bis Westphal als Geschichte eines Grundirrtums. Damals wehrte ich mich mit Händen und Füssen dagegen, dass z. B. ein deutscher Hexameter irgend etwas Verwandtes mit einem griechischen sei. Was ich behauptete war, um bei diesem Beispiele zu bleiben, dass ein Grieche beim Vortrage eines homerischen Verses gar keine andern Accente als die Wortaccente angewendet habe, - dass der rhythmische Reiz exakt in den Zeitquantitäten und deren Ver¬ hältnissen gelegen habe, und nicht, wie beim deutschen Hexameter im Hopsasa des Ictus: noch abgesehen davon, dass der deutsche Daktylus auch in der Zeitquantität grundverschieden vom griechischen und lateinischen ist.“ Dieses Ergebnis ist eine Folge des Studiums und des Denkens, denn von jenem Jahre 1871 berichtet Nietzsche Carl Fuchs im selben Brief: „welches Jahr ich in der erschrecklichen Lektüre der griechischen und lateinischen Metriker verbracht habe, mit einem sehr wunderlichen Resultate.“ Der ganze Brief, in dem „manches besser formuliert ist als in dem Aufsatz“ (O. Crusius, S. 335), befindet sich in: Briefe I3, S. 462 ff. Auf Kant hat vor allen G. Hermann gebaut. Siehe U. von Wilamowitz-Moellendorff, Geschichte der Philologie, Leipzig-Berlin 1921, S. 49 (In: Einleitung in die Altertumswissenschaft, hrsg. von A. Gercke, E. Nor¬ den, Bd. I Heft 1); A. Kabell, Metrische Studien II: Antiker Form sich nähernd, Uppsala 1960, S. 229-232. Ebenfalls ist die Fragestellung Quantität oder Wortakzent ein Schein¬ problem; dazu schon 1905 richtig F. Leo, Der saturnische Vers, Berlin 1905, S. 4: „Zwischen Rücksicht auf Wortbetonung im Verse und Wortbetonung als Princip der Versbildung ist nicht ein Unterschied des Grades, sondern des Wesens. Das Wesentliche ist, welches Mittels sich der Vers bedient, um den Rhythmus in die Erscheinung treten zu lassen. Dies Mittel ist die Quantität, nicht der Accent, für den plautinischen wie für den vergilischen Vers.“ 3 A. Boeckh, Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften, hrsg. von E. Bratuscheck, Leipzig 1877; 2. Aufl., nach der ich zitiere, besorgt von R. Klußmann, Leipzig 1886, S. 814-816. 4 A. Boeckh, De metris Pindari libri III... cum notis criticis in Pindari Carmina, Lipsiae 1814.

Einführung

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trotz unnötiger Distinktionen viele Ansätze zur richtigen Caesur- und Diaeresislehre finden, geht Nietzsche über ein halbes Jahrhundert voran. In noch schlimmerer Lage befanden sich Autoren wie P. Kleinecke, M. Jasinski oder H. Mirgel, deren Dissertationen in den Regalen der Bibliotheken in Vergessenheit gerieten. Damit wird nicht gesagt, daß alles, was sich in ihnen findet, richtig und lobenswert sei. Sie enthalten aber viel Richtiges, was früher hätte anerkannt und weiterentwickelt werden sollen. Endlich geschah dies doch unter Paul Maas’ Feder, welchem sich Hermann Fränkel sofort anschloß:1 Die meisten Grundbe¬ griffe der Metrik wurden neu definiert und am Untersuchungsmaterial erprobt; für Erscheinungen, die bislang entweder unbeachtet blieben,2 oder in lateinisch verfaßten Dissertationen korrekt beschrieben, um¬ schrieben oder benannt worden waren, wurden Termini festgelegt. Für besonders wichtig halte ich die Arbeit von E. Tamerle.3 Bedauerlicher¬ weise war Tamerle, dessen scharfsinnige Behandlung des römischen He¬ xameters den Weg in die Handbücher nicht gefunden hat und so dem Vergessen anheimgefallen ist, H. Drexler nicht bekannt. Bei P. Maas’ ,Handbüchlein* kann man aufgrund seiner Form und Bestimmung nur einige wenige Quellen erkennen. Der am Anfang als Ahnherr der Verskolometrie genannte Hans Drexler konnte also viele Vorarbeiten nutzen, er hat aber auch Neues ge1 P. Maas, Griechische Metrik, Leipzig-Berlin 1923. In: Einleitung in die Alter¬ tumswissenschaft, hrsg. von A. Gercke, E. Norden, Bd. I Heft 7; H. Fränkel, Der kallimachische und der homerische Hexameter, Nachr. der Gesellschaft der Wiss. zu Göttingen. Phil.-Hist. Klasse, 1926, S. 197-227 (= Separatum S. 1-33). Von manchen Termini, die Maas vorgeschlagen hat, wird hier abgewichen, z. B. wird ,Wortbild1 durch das verbreitete .metrische Wort1 ersetzt. Siehe S. 15 Anm. 2. 2 von den Anhängern des .Formalismus1. 3 E. Tamerle, Der lateinische Vers - ein akzentuierender Vers, Innsbruck 1936. Neben dem Hexameter werden auch der Pentameter und der jambische Trimeter behandelt. Inzwischen (1932-1933) hatte sich H. Drexler mit seinen Plautinischen Akzentstudien als Kenner der altrömischen Metrik erwiesen. Zu Tamerles Abhandlung siehe A. Klotz (Rez.), PhW 57 (1937), Sp. 1249-1255, E. Kalinka, Bursians Jahres¬ bericht Bd. 256 (1937), S. 99-119 und F. W. Shipley, Problems of the Latin Hexameter, TAPA 69 (1938), S. 135-136. Wichtig ist Shipleys und Kalinkas Erkenntnis, a. O. S. 99, daß Tamerle, der noch vom .Iktus1 bzw. .Versakzent1 spricht, in der Tat den metrischen Iktus als „eine Erfindung neuerer Metriker“ ablehnt. Die von A. Klotz und E. Kalinka formulierten Einwände sind zu jener Zeit verständlich. Es muß aber betont werden, daß sich bei den Römern immer wieder solche Hexameter finden lassen, die jedem Bauprinzip - außer den Quantitäten - widerstehen. Daraus sollte man nicht sofort schließen, daß die Beachtung des Wortakzentes oder der Positionen der Wortschlüsse - das sind eigentlich zwei Formulierungen für dieselbe Sache - nicht das Bauprinzip des Hexameters der Römer gewesen sei. In diesem Fall ist der Wissenschaftlichkeitsgrad von 100% unerreichbar, was keinesfalls bedeutet, daß die Feststellungen, von denen es Abweichungen gibt, unwissenschaftlich seien.

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schaffen. Insofern kann man sagen, daß er eine Epoche schließt und zugleich eine neue beginnt. Sein größtes Verdienst liegt darin, daß er die theoretische Reflexion in die Praxis umsetzte und an konkreten Bei¬ spielen zeigte, daß sich nicht alles im Bereich der poetischen Form in theoretische Formeln einschließen läßt, daß es Grenzfälle gibt, die jeder Statistik und jeder Regel entfliehen, daß man zu verstehen lernen muß. „Unsere Methode ist Interpretation“ - pflegte er lapidar zu sagen. Die Feststellung der Existenz des Undefinierbaren und die Notwendigkeit der Interpretation, die sich zwischen dem Geist eines antiken Dichters und dem eines modernen Rezipienten wie eine Brücke spannt, war für Drexler keinesfalls Anlaß zum Pessimismus, wie z. B. für P. Maas, sondern vielmehr eine Quelle des Optimismus. Wo sich das formal Einzigartige nicht in eine Regel fassen läßt - für Einzigartiges gibt es keine Kategorien -, kann es der menschliche Geist eben als solches er¬ kennen und bewundern. Der zweite Zweck dieser Einführung und des ersten Kapitels ist die Erläuterung jener Begriffe, die den vorliegenden Untersuchungen zu¬ grundeliegen, um jegliche Mehrdeutigkeit auszuschließen und den Inhalt der folgenden Kapitel leichter verständlich zu machen. Es handelt sich um Begriffe, die auch in der heutigen Philologie1 keinesfalls endgültig definiert sind und auch nicht eindeutig gebraucht werden. Zur Begründung des Vorhabens, die Verskolometrie und die hexa¬ metrische Verskunst römischer Bukoliker zu behandeln, bedarf es keiner langen Darlegung: Die römische Bukolik wurde in der genannten Hinsicht als Gattung bislang noch nicht untersucht. Auch die einzelnen Bukoliker wurden weder von H. Drexler berücksichtigt noch von irgend jemandem mit dessen Methode erforscht. Die vorliegende Studie wird zum ersten Mal einen Vergleich der Dichter hinsichtlich der behandelten metrischen und verskolometrischsyntaktischen Erscheinungen innerhalb der römischen Bukolik ermögli¬ chen und dadurch die formale Kunst jedes einzelnen Dichters deutlich machen. Da unsere Aufmerksamkeit gleichermaßen auf das ideale Versschema und die syntaktisch-kolometrische Gliederung zielt, darf das Gewicht der Schlüsse der Kola und der Pausen nicht überbetont werden; dies müßte notwendigerweise zur Abschaffung der Caesur führen, denn die Gliederung des Textes in Kola und Sätze steht häufig zu dem idealen Hexameterschema in einer gewissen Spannung, ja sogar im Widerspruch. Es wäre jedoch unrichtig, aufgrund jener Erscheinungen die Existenz des idealen Versschemas, in welches der Dichter die Sprachsubstanz wie in

1 Vgl. H. Drexler, Rhythmus und Metrum, Glotta 29 (1942), S. 1.

Einführung

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eine Form gießen muß, zu leugnen.1 Vielmehr handelt es sich bei der kolometrischen Variierung um die Überwindung einer sonst unausweich¬ lichen Monotonie. Infolgedessen ist unser Augenmerk auf die beiden sel¬ teneren Caesuren, die semiseptenaria und die Caesur xarä tqltov tQoxalov, sowie auf die bukolische Diaerese im Hinblick auf ihre Hervorhebung durch die syntaktisch-kolometrische Beschaffenheit der Verse gerichtet. Der semiquinaria wird dagegen kein eigenes Kapitel gewidmet, und zwar deshalb, weil sie als Hauptcaesur des Hexameters nie in Frage gestellt worden ist; ganz im Gegenteil pflegte man die anderen Caesuren zugunsten der semiquinaria zu verdrängen,2 wodurch dieser mehr Platz und Gewicht eingeräumt wurde, als ihr in Wirklichkeit zukommt. Des¬ halb sind die statistischen Daten zur semiquinaria fast immer übergroß, bzw. sie sind nicht auf die Häufigkeit der semiquinaria als Hauptcaesur, sondern auf die des (graphischen) Wortschlusses nach dem 3. longum zu beziehen. Dennoch bleibt die semiquinaria von meinen Untersuchungen nicht ausgeschlossen. Hinter der Behandlung sehr vieler Verse, die interpretiert werden, steht die Frage, ob nicht die semiquinaria die Hauptcaesur sei. Dies betrifft vor allem Hexameter, die kolometrisch so strukturiert sind, daß die Entscheidung zwischen der semiquinaria und der semiseptenaria nicht auf den ersten Blick möglich ist. Darüber hinaus kann man das Fehlen eines Kapitels Die semiquinaria als Hauptcaesur leicht kompensieren, indem man von der Gesamtzahl der Verse die Zahl der Hexameter mit 7 H und 3tr H abzieht, sei es für einen Bukoliker oder für jedes einzelne Gedicht. Dasselbe betrifft die Prozentzahlen. Mit Hilfe der Tabellen kann man sogar die einzelnen Verse jeder Ekloge mit der semiquinaria als Hauptcaesur leicht erschließen. Dabei wird zunächst ein minimaler Fehler entstehen, aber auch dieser ist leicht zu beheben: man muß caesurlose bzw. an Caesurlosigkeit grenzende Hexameter3 und Verse mit dem Gleichgewicht beider Caesuren zusätzlich abziehen. 1 Vgl. H. Drexler, Einführung in die römische Metrik, Darmstadt 1967, S. 21. 2 Die formalistische Auffassung der Caesur ging davon aus, daß zur Existenz einer Caesur ein Wortschluß an einer der Caesurstellen, auch ein graphischer, ausreichend sei. Dann wurde die Rangordnung der Häufigkeit der Wortschlußstellen statistisch erfaßt, woraus aber die falsche Folgerung gezogen wurde, daß bei zwei oder ausnahmsweise drei Wortschlüssen an den Caesurstellen die Hauptcaesur dort sei, wo der statistisch häufigere Wortschluß vorliegt. So müßte im Hexameter der Römer die semiquinaria immer gegen die semiseptenaria, die semiseptenaria immer gegen die Caesur xarä tqitov TQoxaTov als Hauptcaesur den Vorzug haben. Ein locus classicus dieser Auffassung findet sich bei W. Meyer, Zur Geschichte des griechischen und des lateinischen Hexa¬ meters, SKBAW 1884 Heft VI, München 1885, S. 1044. 3 Solche Hexameter, vorwiegend mit einem Kolonende nach dem 3. Daktylus, in Versmitte also, sind äußerst selten; sie sind alle besprochen, siehe S. 94-95, 183-184, 201, 212, 218-219, außerdem S. 48 und S. 58-59. Siehe auch Tabelle, S. 234.

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Einführung

Ebenfalls wird den sog. Nebencaesuren wenig Aufmerksamkeit ge¬ schenkt. Wir gehen davon aus, daß die Mehrzahl der Hexameter eine Hauptcaesur hat, mit der unter bestimmten kolometrischen Bedingungen eine Pause verbunden ist. Die sog. Nebencaesuren - es handelt sich um die semitemaria, selten um die Caesuren xarä devregov und xarä reraorov Tßoxaiov - beziehen sich, abgesehen von den Fällen eines Überhangs, eher auf die Wortstellung und die Gruppierung im Vers. Dort, wo eine solche Strukturierung als angestrebt erscheint, wird freilich auf die Nebencaesur hingewiesen. Ansonsten hängt diese Problematik mit der Untersuchung dreigegliederter Hexameter zusammen.1 Zu den für unsere Studie zentralen Begriffen gehören Caesur und Diaerese. Sie dürfen in einer ernst zu nehmenden Metrik nicht als bloßer Wortschluß ohne jegliche Rücksichtnahme auf die syntaktisch-kolometrischen Einschnitte aufgefaßt werden. Neben ihnen werden andere Grundbegriffe der Metrik erläutert, insonderheit diejenigen, die das Verständnis der Caesur, der Diaerese und anderer verkolometrischer Erscheinungen unmittelbar fördern. Auf die Anführung aller ein¬ schlägiger Veröffentlichungen wird verzichtet. Es werden auch neue oder bislang selten gebrauchte Termini eingeführt sowie bisher mehr¬ deutig gebrauchte Ausdrücke präzisiert. Vor einiger Zeit hat L. de Neubourg seine Abhandlung um der Klarheit willen ebenfalls mit Defi¬ nitionen und reichen Literaturhinweisen versehen.2 Es muß aber gesagt werden, daß L. de Neubourg seine Untersuchungen vom Standpunkt der sog. metrique verbale3 hinsichtlich der Stellung bestimmter prosodischer Wortgestalten im Hexameter (localisation) durchführt und manche Begriffe, vor allem mot metrique,4 in einer anderen Bedeutung benutzt, als es in der modernen Metrik und in der vorliegenden Studie üblich ist. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sollen einerseits die Geschlos¬ senheit und Kontinuität der Bukolik in Rom unter formalem Gesichts¬ punkt bestätigen, andererseits die Eigenart der römischen Bukoliker ver¬ deutlichen. Es wird außerdem versucht, zu der Autorfrage der Carmina Einsidlensia mit weiteren metrischen Argumenten, als dies bisher gesche¬ hen ist, beizutragen.

1 Siehe unten S. 160-165, S. 230-235. 2 L. de Neubourg, La base metrique de la localisation des mots dans l’hexametre latin, Brussel 1986. Rezensionen dazu siehe Literaturverzeichnis. 3 L. de Neubourg, S. 11-16, 20. Dem Satz: „La methode de la metrique verbale a surtout ete developpee par l’ecole fran?aise“ (S. 15) muß widersprochen werden, weil es nämlich sinnlos ist, heutzutage von irgendeiner ecole nationale zu sprechen. Auch die Studie von F. Marx (1922) ist der Methode der metrique verbale zuzuordnen. 4 L. de Neubourg, S. 20, 29-34.

I Grundbegriffe: Definitionen und Feststellungen

1. Wort, metrisches Wort, graphisches Wort, Synaloephe. Absoluter, graphischer und latenter Wortschluß. Silbengrenze, Auslautkürzung, Auslautsdehnung Die Begriffe ,Wort‘ und ,Wortschluß4 sind nicht leicht definierbar. Die moderne Sprachwissenschaft bietet verschiedene Vorschläge, die von einer langen und meist ergebnislosen Diskussion begleitet werden.1 Wenn ein bestimmter, einer Definition zugrundeliegender Aspekt überbetont wird, sind die Standpunkte vieler sog. Schulen kaum zu vereinbaren. Einer der Einwände gegen A. W. de Groot2 3 4 war, daß er den Begriff ,Wortgrenze‘J nirgends definiert hat. Es gibt aber Begriffe, die trotz ih¬ rer ,Undefiniertheit‘ oder ,Undefinierbarkeit‘ allgemein verständlich sind. Das Streben nach ihrer Definition ist eine Aufgabe der Wissen¬ schaftler und Wissenschaftstheoretiker. Dabei mögen sie jedoch immer an W. von Ockhams Prinzip denken: „non sunt multiplicanda entia sine necessitate.“ Selbstverständlich wird für die Zwecke der Laut-, Formen¬ oder Bedeutungslehre das vorhandene Sprachmaterial je in einer anderen ihnen eigenen Hinsicht untersucht, so auch für die der Metrik und Sprachrhythmik. Es ist daher sinnvoll, in einer metrischen Studie vom antiken Verständnis des Wortes auszugehen: ,Wort* ist hier, was die Antiken selbst für ,Wort‘ hielten. In Über¬ einstimmung mit antiker Praxis4 können wir auch sagen: ,Wort‘ ist eine

1 H. Bußmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart 19902, s. v. Wort. 2 P. Maas (Rez.), Gnomon 12 (1936), S. 95 zu A. W. de Groot, Wesen und Gesetze der Caesar. Ein Kapitel der allgemeinen Versbaulehre, Mnemosyne S. III, vol. II (1935), S. 81-154. 3 Wie H. Drexler und P. Maas spreche ich konsequent vom ,Wortschluß1. Zu anderen Begriffen siehe unten S. 30-34. 4 Vgl. z. B. Quint, inst. I 5, 27: «Nam cum dico .circum litora‘, tamquam unum enuntio dissimulata distinctione, itaque tamquam in una uoce una est acuta: quod idem accidit in illo ,Troiae qui primus ab oris‘.» (Sperrung G. K.). Vgl. H. Drex¬ ler, Rhythmus und Metrum, S. 6 Anm. 1, aber auch ders., Einführung, S. 40 Anm. 25 und S. 88 Anm. 5 (zu Prise. GL II 551 f.), wo Drexler sein Verständnis der Stelle QuintiHans gegen die Annahme eines metrischen Wortes, hier ,Ein-Wort-Theorie‘ genannt, darlegt.

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Grandbegriffe: Definitionen und Feststellungen

mit nur einem Akzentgipfel1 versehene, sich zwischen dem ,Wortanfang4 und dem ,Wortschluß4 erstreckende Sprecheinheit. Diese Definition ist unabhängig von jeglicher Schreibweise. Quintilians Beispiel circumlitora2 ist ein Beleg3 dafür, daß circumlitora mit nur einem Akzentgipfel versehen ist, d. h. ein Wort ist, nicht zwei, obgleich es sich andererseits um zwei selbständige lexikalische Einheiten handelt; aböris ist noch eindeutiger. Somit gelangen wir zu zwei Unterscheidungen: 1. zwischen dem ,metrischen Wort4 und dem graphischen Wort4, 2. zwischen dem ,absoluten Wortschluß4 und dem graphischen Wort¬ schluß4. Wenn wir von der oben genannten Definition des Wortes ausgehen, stellen wir fest, daß die beiden lexikalischen Einheiten ab und öris, wenn sie hintereinander stehen, mit nur einem Akzentgipfel4 versehen sind und somit nur ein Wort bilden.5 Dieses Wort nennen wir ,metrisches Wort4. 1 Das Problem des Nebenakzentes ist hier belanglos. 2 Man kann auch circum-lüora und ab-öris schreiben, wobei der Strich nur einen graphischen Wortschluß innerhalb einer metrischen Einheit kennzeichnet. 3 Mag dieser Beleg nicht der am glücklichsten gewählte sein, ist er doch für uns ein eindeutiges Zeugnis. Unser Einwand bezieht sich auf die mögliche Stellung des postponierten circum oder inter am Hexameterschluß, z. B. litora circum, wo betonte Wörter die Regel sind. Dies wird unten genauer behandelt. 4 Anstelle von ,Akzentgipfel‘ kann man vom ,Wortakzent1 sprechen. Vgl. A. W. Ahlberg, Studia de accentu Latino, Lundae 1905, S. 30-31, z. B. S. 30: „Facile in vivo hominum sermone audimus quasdam voces inter se tarn arte coniungi, ut quasi unam partem orationis efficiant eamque ob rem uno accentu pronuntientur, idque tarn clare, ut qui a vulgari more in acuendo abhorreat peccare vel barbare loqui nobis videatur. Sed hae vocum collocationes non omnes eadern vi vinciuntur.“ [Sperrungen von mir], und S. 31: „Contra ipsae praepositiones acuuntur, ubicumque voces atonae subsequuntur, in quibus sunt pronomina enclitica. Itaque hic accentus in me, in eo, in illo, circum me, inter se legitimus est.“ So auch Bentley: Miseräm me. Aber diese Beispiele zeigen zugleich, daß man Ahlberg mit Vorsicht lesen muß, weil er häufig Akzentuierung (accentus) mit Iktierung verwechselt, z. B. S. 31: „Cum medio in versu uxörem me'am, gndto tüo saepe occurrat, in fine versus üxore'm meam, gnatö tuö semper inveniantur ...“. Siehe passim bis S. 40. 5 Den festen Begriff , Wortbild' hat P. Maas eingeführt; siehe P. Maas, Griechische Metrik, Leipzig-Berlin 1923, § 90 (übersetzt von H. Lloyd-Jones mit ,word-group‘). H. Fränkel übernahm ihn sofort; siehe H. Fränkel, wie oben Anm. 1, S. 3 sowie die völlig geänderte und umgearbeitete Fassung Der homerische und der kallimachische Hexameter. In: Wege und Formen frühgriechischen Denkens, hrsg. von F. Tietze, München 1968 (zuerst 1955 erschienen), S. 100-156 und 370. Der Begriff ,metrisches Wort' ist aber passender und bereits in mehreren Sprachen geläufig (,parola metrica', ,mot metrique'), so daß auch der Gebrauch von ,metrical word' zu erhoffen ist. Auch H. Drexler, der Vandviks Verwendung der Termini ,Wortgruppe' und .Einzelwort' kritisiert, wies auf den Gebrauch der Termini .Wortbild' und .Wortgruppe' hin: Rhythmus und Metrum, Glotta 29 (1942), S. 4 Anm., S. 13 Anm. Das Grundlegende zu bestimmen strebte Drexler schon früher an: Plautinische Akzentstudien I, S. 12-25, siehe

Wort - metrisch, graphisch; Synaloephe usw.

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Es ist offensichtlich, daß die Erscheinungen der Proklise und der Enklise von der Problematik metrischer Wörter nicht trennbar sind; sie gehören aufs engste zusammen.* 1 Natürlich ist ein graphisches Wort, z. B. meditäris, auch ein metrisches Wort. Es muß also Sache der Konvention bleiben, daß wir in der Metrik der Unterscheidung wegen nur aus meh¬ reren lexikalischen Einheiten bestehende Wörter als .metrische Wörter4 bezeichnen, nicht alle mit nur einem Akzentgipfel versehene Wörter schlechthin. Daraus folgt, daß im metrischen Wort ab-öris kein Wort¬ schluß nach ab vorliegt, noch in sub-tegmine nach sub. Da wir aber gemäß unserer Schreibweise ab öris und sub tegmine getrennt schreiben, wollen wir vom graphischen Wortschluß4 nach ab und nach sub spre¬ chen.2 3 Dieser .graphische Wortschluß4 sowie der .absolute Wortschluß4 kann am besten mit der .Silbengrenze4, z. B. in db-luo, verglichen wer¬ den, welcher er dem Rang nach gleich ist. Zwischen ihnen aber besteht ein Unterschied, auf den später eingegangen wird. Der eigentliche Wort¬ schluß liegt also z. B. in primus ab oris nach primus/ und nach aböris/\ er wird durch den Schrägstrich markiert, der sonst ein Kolonende kenn¬ zeichnet. Dieser wird hier .absoluter Wortschluß43 genannt. Obwohl of¬ fensichtlich, ist nicht von allen Philologen beachtet worden, daß eine der wesentlichen Bedingungen für die Caesur und Diaerese ein absolu¬ ter Wortschluß ist.4

auch III, S. 33-36. Außer den in unserem Verständnis metrischen Wörtern befaßte sich Drexler mit rhythmischen Wortverbindungen, d. h. Wort gruppen, die keine metrischen Wörter sind. Aus diesem Grunde ist die engliche Entsprechung für ,Wortbild4 - ,word-group‘ problematisch. Zum Gebrauch des Terminus .Wortbild4 bei E. Fraenkel siehe H. Drexler, Plautinische Akzent Studien, Bd. I, S. 18. P. Maas spricht auch einmal im § 135 vom .Gesamtbild4. 1 N.-O. Nilsson, Metrische Stildifferenzen in den Satiren des Horaz, Uppsala 1952 (Studia Latina Holmiensia I), S. 50-51; Rez. H. Drexler, Gnomon 25 (1953), S. 333335. Siehe auch x_“ll und -x, Hl,3 aber auch sie gehören nicht zu den gesuchten: erstens wegen des Wortschlusses nach dem 1. Fuß, vor allem wenn es sich um ein spondeisches Wort handelt, zweitens, was als Argument überwiegt, wegen der dadurch bedingten Einschränkungen für die Weiterführung in der zweiten Vershälfte. Dennoch ist die Caesur xaTä tqitov tqoxcciov im Hexameter der Römer nicht so selten, wie es Jahrhunderte lang, mit wenigen Ausnahmen,4 behauptet wurde, einschließlich der Ansicht, sie fehle dort gänzlich.5 Ferner ist sie nicht nur ein Ausdruck der mimeti¬ schen Absicht, einen bestimmten griechischen Hexameter in der lateini¬ schen Sprache genau wiederzugeben6 oder einen griechisch klingenden 1 Ich beziehe mich auf den Hexameter und das sog. elegische Distichon. 2 E. Tamerles Studie liefert den Beweis dafür. 3 Die Aufteilung -x,—,—|| ist wie sparsis hastis longis. 4 Vor allen Jakob Walser, Zur Caesura xarä tqitov tqoxcüov im Lateinischen, Zeitschr. für die österr. Gymnasien 33 (1882), S. 1-29. 5 Siehe oben S. 45, wo die meisten Veröffentlichungen genannt sind. Ergänzend gebe ich hier zwei Abhandlungen an, die trotz ihres formalistischen Standpunktes für die Verstechnik und den Gebrauch trochäischer Wortschlüsse einschlägig sind: W. Meyer, Über die weibliche Caesur des klassischen lateinischen Hexameters und über lateinische Caesuren überhaupt, SKBAW 1889, Bd. II, H. II, München 1889, S. 228-245; C. Cavallin, De caesuris quarti et quinti trochaeorum hexametri apud Latinos poetas coniunctis, (Diss.) Norrcopiae 1896 (hier ,caesura1 = ,Wortschluß‘). Vgl. unten S. 275 Anm. 1. 6 Zum Beispiel Verg. II 24; oder vgl. Verg. VIII 21 mit Theocr. I 64 oder Verg. X 11-12 mit Theocr. 167-68. Mehrere Parallelen in der Ausgabe von C. Hosius.

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Die Caesur xaxä tqitov rgo/atov als Hauptcaesur

Vers zu bauen, weil es neben den vielen sog. uersus graecanici, in denen griechische Eigennamen oder auch Appellativa ein unverkennbares Anzeichen dieser Absicht sind, auch rein lateinische Hexameter mit dieser Hauptcaesur gibt, welche als solche zugunsten des Wortschlusses nach dem 4. longum gewöhnlich nicht anerkannt wurde.1 Sowohl das eine als auch das andere zu beweisen ist das Ziel dieses Kapitels. Daraus wird zugleich folgen, daß der absolute Wortschluß nach dem 3. Trochäus bei der beabsichtigten semiseptenaria als Hauptcaesur von den Römern nicht gemieden wurde. Nicht nur das, sondern auch die Rolle der Caesur xarä tqitov tqox und öfioiöimoTov1 Im Hinblick auf die Konkurrenz der Wortschlüsse nach dem 3. Trochäus und nach dem 4. longum muß beobachtet werden, ob hier bestimmte Neigungen zum inneren öfxoioreAevrov bzw. ö/ioiörmorov zwi¬ schen der semiternaria und der semiseptenaria ins Ohr fallen, ob bereits so früh eine Tendenz beginnt, die die spätere Entstehung und Verbrei¬ tung der entsprechenden Rhythmisierung und der uersus leonini - von den kunstvollen uersus trini salientes2 ganz zu schweigen - motivieren konnte. Eine diachrone Beobachtung, die die Steigerung einer solchen Tendenz bestätigte, wäre von großem Wert. Die Erscheinung selbst wurde vielmals als ,Dreigliederung4 oder ,Rhythmisierung4 bezeichnet. Eine klare Antwort auf die gestellte Frage ist für die Caesurlehre wich¬ tig: Falls der Binnenreim zwischen diesen Versstellen gesucht wurde, muß die semiseptenaria den Vorrang als Hauptcaesur haben. Als Untersuchungs- und Beweismaterial nehme ich diejenigen Hexa¬ meter der Bukoliker, in denen die drei Wortschlüsse 3, 3tr und 7 er¬ scheinen. Man kann dieselbe Untersuchung an den Versen mit den Wort¬ schlüssen 3, 5 und 7 durchführen, die hier ebenfalls einbezogen sind, sie wird aber das Ergebnis nur bestätigen:3 Da hier Unsicherheit hinsichtlich der Hauptcaesur viel seltener auftritt als zwischen den Wortschlüssen 3tr und 7, würde dies nicht so sehr zur Caesurlehre und Verskolometrie, als vielmehr zum Thema des öiiotorsAsurov - öfioiönrwrov an sich beitragen. Ich beginne mit Vergib In Hexametern mit der Caesur xarä tqltov Tßoxaiov wird diese markiert. I 9: ille meas errare boues, ut cernis, et ipsum 35: non umquam grauis aere II domum mihi dextra redibat 43: bis senos cui nostra dies altaria fumant. II 29: atque humihs habitare casas et figere ceruos V 2: tu calamos inflare leujs, ego dicere uersus. Belege dieser Art kann man weiter zitieren; vom ö/xoioTsAevTov oder öiioiönrcoTov findet man keine Spur. Es sind noch mit 7 H: Verg. IV 40, 1 Im allgemeinen siehe dazu E. Norden, Aeneis VI2, S. 405 ff.; L. Häkanson, Homoeoteleuton in Latin Dactylic Poetry, HSCP 86 (1982), S. 87-115; D. R. Shackleton Bailey, Homoeoteleuton in Latin Dactylic Verse, Stuttgart und Leipzig 1994, S. 1-9, 15, 36, 100-106. Alle diese Autoren behandeln eine andere Art der Erscheinung, nämlich ihr Vorkommen in aufeinanderfolgenden Wörtern. Ich dagegen folge H. Lausberg, wie Anm. 1 auf S. 151. Zu ö/uoioreAevrov, ößoiöfTTWTOv, Reim und anderen Klangwirkungen viel Aufschlußreiches bei J. B. Hofmann, A. Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, München 1997 (Nachdruck der 1972 verbesserten Auflage), S. 704 ff. 2 Vgl. P. Klopsch, S. 77-78. 3 Einige Beobachtungen werden nebenbei im IV. Kapitel gemacht.

öpoiorsAwrov und dpoiönrorov

161

VI 26, 76, VIII 29, 101, X 56, mit 3tr H: Verg. III 40, IV 37, V 66, IX 64, X 47. Zwei Verse sind eigenartig, der erstere davon hat keinen Wortschluß 3: VIII 22: Maenalus argutumque nemus pinusque loquentis X 29: nee lacrimis crudelis Amor, nee gramina riuis. Nur zwei Hexameter Vergils1 zeigen das eigentliche opoiönrcoTov: VIII 32: o digno coniuncta uiro, dum despicis omnis bzw. 0/j.oioreÄevrov: II 7: nil nostn miserere? II mon me denique coges. Wir wenden uns jetzt Calpurnius Siculus zu. Es gibt bei ihm Hexa¬ meter der Art wie bei Vergil, in denen die Vokale verschieden sind: II 83: rnatuns nucibus uirides rumpentur echinni V 51: iam siluis committe greges, iam longius herbas V 119: plura quidem meminisse uelim. nam plura supersunt. Es gibt auch Verse, in denen von einem ,Teilreim‘2 gesprochen werden kann oder in denen das ö^oioteAeutov durch andere Kunstmittel gemil¬ dert wird:3 II 4: uoce sonans. hi cum terras grauis ureret aestas. III 35: exopto quam cum Mopso iurgetur anhelo IV 12: Quidquid id est, siluestre I! licet uideatur acutis V 111: ualle premes media: sitis est pensanda tuorum VII 63: barba iacet tremulisque II rigent palearia saetis, II 54: decemamque nemus dicamque:ll4tr ,sub arbore numen IV 15: carminis, at certe ualeat pietate probari. In dem letzten Hexameter endet das Kolon nach carminis, was eine Pause erfordert. Dann wird at certe zusammen artikuliert. Auf ein öpoiorsAeurov kann nur jemand kommen, der gegen jeden Sinn, auf die moderne Schulweise rhythmisierend, d. h. alle Silben „gleich lang“, liest und dabei die longa betont.

1 Vgl. Verg. VII 29: saetosi caput hoc apri II tibi. Delia, paruus, ohne Wortschluß 3tr. 2 J. B. Hofmann, A. Szantyr sprechen auf S. 704 von ,Mischreim1: „bei Quantitäts- bzw. Betonungsverschiedenheit (,Mischreim1) wie rätus - grätus\ die bloße Ge¬ meinsamkeit eines Konsonanten der Stammsilbe, z. B. equus - coquus genügt selten, um sinnfällige Reimwirkung hervorzubringen.“ 3 Es handelt sich dabei nicht um die Beachtung der Vokalquantitäten, sondern um den Eindruck beim rhythmisierenden Lesen, siehe unten S. 163-165. Calp. II 54 und IV 148 haben offensichtlich keinen Wortschluß 3 und 7.

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Die Caesur xarä

tqitov rgoxaiov

als Hauptcaesur

Wir finden bei Calpurnius auch Milderung des Reimes durch die Quantität,1 von den indischen Grammatikern als Vokalfarbe bezeichnet: III 87: obstiterit, laqueum miserl nectemus ab illo IV 51: et nostris aliena II magis tibi carmina rident. Bereits in diesen Hexametern, die insgesamt nicht zahlreich sind, sehen wir eine leichte Neigung des Dichters zum Gleichklang zwischen den Wortschlüssen 3 und 7. Wir finden bei ihm auch etliche Hexameter, in denen sie ganz deutlich wird: I 37: uos popuh gaudete mei: licet omne uagetur III 61: quem sequens? quem Phylli fugfs? formosior illo IV 32: colligerem uiridique II famem solarer hibisco IV 47: respiceret: non ipse II daret mihi forsitan aurem, IV 61: conciliat nostroque II sonat dulcissima Fauno IV 110: incaluit floremque dedit; cui silua uocato V 41: hanc umens portare tuis natosque patenti V 107: et sucos adhibere nouos: ut torrida nimbis VI 20: ipse tuos iudex calamos committere nostris? VI 28: ecce uenit Mnasyllus: II erh (nisi forte recusas). Aber auch derartige Verse sind nicht so zahlreich, um die Annahme der semiseptenaria überall zu erzwingen, und wir sehen schon jetzt, daß auch die Caesur xarä tqixov tqoxclTov eine mildernde Funktion ausübt. Jetzt können wir den Sachverhalt bei den Verfassern der Einsiedler Gedichte und bei Nemesianus2 beobachten. Eins. I 6: Sed nostram durare fidem duo pignora cogent I 15: Praeda mea est. quia Caesareas me dicere laudes I 40: iam tanti cecidisse fühl gaudete ruinae Eins. II 35: nunc tellus inculta II nouos parit ubere fetus.3 Alle diese Belege erinnern an Vergil und an die im ersten Teil zitierten Hexameter des Calpurnius: der Binnenreim ist völlig verpönt. Auch Nemesianus hat Verse dieser Art: Nemes. II 20: quae colitis siluas Dryades, quaeque antra, Napaeae, III 15: iamque ortus, Lenaee, tuos et semina uitis IV 29: et montes siluaeque,ll suos habet arbor amores 1 Dies wurde von Ch. Gnilka, Die Tiere im hölzernen Amphitheater Neros. Wortund Versinterpolation bei Calpurnius Siculus, WSt 87 (1974), S. 137 in Bezug auf den interpolierten Vers * VII 59: hic raram siluis et iam. quibus editur, alcen hervorgehoben. 2 Vgl. ,structures phoniques' bei R. Verdiere, Prolegomenes, S. 48-50. 3 Eine andere Erscheinung sind uersus leonini. Diesem Typ steht Eins. II 18 nahe: Maenalides teneras ducunt per sacra choreas: ein reiner leoninus ist Nemes. I 59: hortatus duras docuistißallere curas. Bei den römischen Dichtern ist diese letztere Art nie erstrebt worden, die erstere ebensowenig, auch wenn sie sich manchmal aus der Flexion natürlicherweise ergab. Siehe auch Nemes. cyn. 114, 121, 314.

oßoioreXtUTov und öfioiönrcurov

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IV 19: cantet, amat quod quisque:ll leuant et carmina curas. Außerdem begegnet man bei ihm Hexametern mit verschiedenen Quanti¬ täten an den relevanten Stellen: I 10: tu iuuenis carusque dels in carmina cogls? IV 14: inmitis Meroe rapidisque fugacior Eurls, oder solche, in denen man nur durch sinnloses ,Skandieren4 den Reim erzwingen könnte:1 I 3: incipe, si quod habes gracih sub harundine carmen I 8: dum ros et primi suadet clementia solis II 85: nos quoque te-propter, Donace, cantabimur urbi III 65: integit et lynci praebet cratera bibenti. I 67: de messi culmos omnique ex arbore fruges II 23: dicite, quo Donacen prato, qua forte sub umbra. Daß so etwas niemand in der Antike für den Binnenreim hielt, ist offen¬ kundig. Schließlich finden wir bei Nemesianus folgende drei Verse, in denen sich das innere ö^oiönruTOv zwischen den Wortschlüssen 3 und 7 ergibt: I 41: tu nostros aduerte modos, quos ipse benigno II 80: purpureas laudando genas et lactea colla IV 52: Nerinas potabit aquas taxique nocentis. Vergil hatte nur zwei solche Hexameter, Calpurnius zehn, Nemesianus hat drei oder vier, wenn wir II 23 hierzu rechnen. Nur bei Nemesian sind alle diese Verse durch semiternaria und semiseptenaria dreigeglie¬ dert; bei Vergil ist einer, bei Calpurnius vier von zehn durch die Caesur xarä tqitov rgoxaiov gegliedert; überdies wirkt bei Calpurnius der dakty¬ lische Anfangsrhythmus abschwächend. Es genügt, unmittelbar nach den oben angeführten Hexametern Nemesians - und Vergil VIII 32 - die fol¬ genden Verse des Calpurnius zu lesen, um sich davon ,ohrentönlich‘ zu überzeugen: Calp. I 37: uos popuh gaudete mej.: licet omne uagetur III 61: quem sequens? quem Phylli fugjs? formosior illo IV 110: incaluit floremque dedit; cui silua uocato V 41: hanc urnens portare tuis natosque patenti. Aus dieser Untersuchung ergibt sich unzweideutig, daß das innere ö^oioreAevrov oder öfxoiörrTurov in der bukolischen Gattung - wie in der ganzen hexametrischen Poesie der Römer - kein gesuchtes Klangmittel war. Somit ist bewiesen, daß es keine Gründe dafür gibt, im Konkur¬ renzfall der Wortschlüsse 3tr und 7 auf die kolometrisch unterstützte Caesur xarä tqitov rgoxaiov zu verzichten; ganz im Gegenteil, sie mildert

1 Zur Bedeutung von ,Skandieren* bei den Grammatikern siehe oben S. 37, S. 69.

164

Die Caesur xarä tqitov tqoxciTov als Hauptcaesur

die unerwünschte Erscheinung, die sich aus der Flexion ergibt, und sichert sich auch dadurch ihr Existenzrecht im Vers der Römer. Wie es über die nicht quantitierende Aussprache des Lateins, die sich in der Spätantike durchsetzte, zur ästhetischen Wertung des Reims im Mittelalter gekommen ist, habe ich bereits angedeutet: Infolge des dreigliedri¬ gen Rhythmisierens wurde im Hexameter der Fehler zu Tugend gemacht. Neben diesem Ergebnis allgemeiner Art lassen sich auch spezielle Beobachtungen für die einzelnen Bukoliker gewinnen. Daß sich der Reim in einer flektierenden und an Paradeigmata reichen Sprache von selbst anbietet,1 ist eine Binsenwahrheit. Daher mußte dessen Vermeidung zum Kunstprinzip werden. Erst als Folge die¬ ser Teiluntersuchung der Hexameter mit Wortschlüssen 3, 3tr und 7 bzw. 3, 5 und 7 wurde mir klar, welch ein Künstler, ein Künstler, der seinesgleichen nicht findet, Vergil war. Bis auf zwei Belege wiederholt er, und nur er, nie die gleiche Flexionsendung, nie denselben Vokal mit verschiedenen Quantitäten.2 Es verhält sich bei Calpurnius Siculus und bei Nemesianus anders. Denn neben Versen mit verschiedenen Vokalen haben sie gelegentlich Hexameter, in denen derselbe Vokal mit verschiedenen Quantitäten in den Schlußsilben in 3 und 7 steht. Aber auch sie suchen sowohl durch diesen Unterschied als auch durch ,Teil¬ reim4, Versrhythmus und Kolometrie das ö^oioreAeurov und ö/ioiönTorov auszuschließen, was ebenfalls zur Kunst der subtilen Vermeidung rhythmisierender Gliederung gehört. Allerdings kann man bei Nemesian die gleiche Vorliebe für den Wortschluß im 2. und 4. longum und für dieselben Rhythmen wie bei Vergil beobachten; dies unterscheidet ihn von Calpurnius Siculus, bei dem sich - wie der folgende Anhang und das IV. Kapitel bestätigen - die Dreigliederung des Hexameters keiner großen Beliebtheit erfreute.3 Demnach hat M. Haupt das Urteil gefällt, Nemesians Hexameter sei ein besserer als der des Calpurnius,4 was nur zum Teil und nur insofern stimmt, als es Nemesian gelingt, in manchem den des Vergil, der ja der beste ist, nachzuahmen. Denn man darf nicht übersehen, daß manches an Nemesianus centonenhaft wirkt, z. B. III 6163, IV 27-30, III 11-13, daß sein Versrhythmus und seine Kolometrie 1 Dieser Reimzwang ist in nicht quantitierenden Sprachen stärker. 2 Siehe Belege auf S. 160-161. Dieselbe Tendenz sehen wir zwar in Eins. I, welches jedoch keine Vergleichsbasis zu Vergil bietet. Außerdem hat Vergil verein¬ zelte dreigegliederte Verse wie VII 29 (zitiert in Anm. 1, S. 161). Die Zahl zwei betrifft die Hexameter mit den Wortschlüssen 3, 3tr, 7. 3 Siehe unten S. 167-168, 230 ff. und 274-279. 4 M. Haupt, S. 363: „sed haec tarnen quattuor carmina in alia re eaque satis memorabili maiore versuum elegantia praestant.“ Die Worte „in alia re“ beziehen sich auf das Rhythmisch-Metrische, nachdem Haupt die ,elisio‘ besprochen hat.

Trochäischer Wortschluß im 4. Fuß

165

abwechslungsarm sind, während Calpurnius und andere Bukoliker der neronischen Zeit eine viel größere formale Selbständigkeit und Eigenart erreichen.1 Selbstverständlich ist es eine Notwendigkeit, die Verskunst des Calpurnius und des Nemesianus in der Begrifflichkeit der imitatio und aemulatio zu beurteilen. Diesem war Vergil Vorbild, jenem Ovid.2

7. Trochäischer Wortschluß im 4. Fuß des bukolischen Hexameters Die folgende Untersuchung, deren Ergebnisse ich in eine knappe Form bringen möchte, knüpft einerseits an M. Haupts Beobachtung an,3 andererseits an meine Darlegungen zur Hexameterklause] bei daktyli¬ schem Wortschluß im 4. Fuß, mit denen ich Tamerles Spuren gefolgt bin,4 und an den vorausgehenden Teil dieses Kapitels. Bei Vergil endet ein Wort nach dem 4. Trochäus 35mal5 (4,3%), bei Calpurnius 73mal6 (9,66%), in Eins. I einmal (2,08%) und bei Nemesianus 8mal7 (2,58%). Schon diese Zahlen sind vielsagend. Ich will aber weitergehen und zwei Faktoren beobachten: 1) in wievielen dieser Hexameter zwei oder mehrere trochäische Wort¬ schlüsse aufeinanderfolgen, vor allem im 4. und 5. Fuß; 2) wieviele dieser Hexameter zugleich einen Wortschluß nach dem 2. longum haben.8

1 Dazu R. Mayer, Calpurnius Siculus: Technique and Date, JRS 70 (1980), S. 166-176 (aus sprachlich-metrischen Gründen gegen die Spätdatierung). Siehe auch J. Fugmann, Nero oder Severus Alexander? Zur Datierung der Eklogen des Calpurnius Siculus, Philologus 136 (1992), S. 202-207. 2 Dies beziehe ich auf die Form, denn sonst war auch Calpurnius Nemesians Vorbild. 3 M. Haupt, S. 363. 4 Siehe oben S. 101-103, S. 136. Ich habe bereits erwähnt, daß sich aus Cavallins Arbeit nur die Häufigkeit graphischer Wortschlüsse ablesen läßt; siehe oben S. 127 Anm. 5, S. 275. 5 Ich schließe Verg. II 48: bene-olentis aus, rechne aber IV 52 und - mit latentem Wortschluß - VII 41 und IX 24 hierher. Einige Belege sind auf S. 250 f. zitiert. 6 Ohne Calp. I 70, IV 11 und 143, mit DI 86. 7 Ohne Nemes. I 3. M. Haupt, S. 363 nennt 6 Belege (ohne II 45 und II 48). 8 Dazu siehe H. Drexler, Hexameterstudien I, S. 440. Die Kehrseite dieser Beobachtung ist, zu untersuchen, wieviele Hexameter mit dem Wortschluß nach dem 4. longum einen Einschnitt nach dem 2. Trochäus aufweisen; dazu siehe unten S. 230 ff., auch S. 274 ff.

166

Die Caesur xarä tqitov TßoyaJov als Hauptcaesur

Ad 1) a) Wortschluß nach dem 4. und 5. Trochäus1 Verg. I 55; III 28, 42, 58; V 35; VI 27, 32, 46; VII 20, 33; IX 24; X 10;2 insgesamt 12mal (abs. 1,48%, rel. 34,28%). Wegen drei trochäischer Wortschlüsse ist VII 33 rhythmisch bemerkenswert: sinum lactls / et haec te libä, Priape, quotannis. Der Vers ist, trotz des Wortschlusses nach haec, im üblichen Sinne caesurlos.3 Calp. I 44; II 3, 39, 96; III 12,13; IV 1, 43, 57, 95, 134; V 1, 3, 17, 18, 38, 83; VII 37, insgesamt 18mal (abs. 2,38%, rel. 24,66%). Charakte¬ ristisch sind Calp. V 17 mit drei aufeinanderfolgenden trochäischen Wortschlüssen und V 18:4 V 17-18: incipient nidoque reuersa lutabit hirundo protinus hibemo pecus omne mouebis ouili, welche in formaler Hinsicht an Verg. V 51-52 erinnern. Nemes. III 55 (abs. 0,32%, rel. 12,5%). b) Wortschluß nach dem 3. und 4. Trochäus Diese Folge ist äußerst selten,5 in den Eklogen nur einmal bei Verg. IV 16 (abs. 0,12%, rel. 1,37%): permixtos heroas II et ipse uidebitur illis, und einmal im oben zitierten Calp. V 17. c) Wortschluß nach dem 2. und 4. Trochäus6 Verg. I 37; IX 15, insgesamt 2mal (abs. 0,25%, rel. 5,71%); Calp. I 65; II 33, 54; III 67, 86, 89; IV 111,7 114; V 98; VI 14, 43, 70; VII 11, 15, 42, insgesamt 15mal (abs. 1,98%, rel. 20,55%); Eins. I 23 - der einzige Beleg in den Carmina Einsidlensia überhaupt (in Eins. I abs. 2,08%; in beiden Gedichten abs. 1,18%); 1 Unterstrichen sind Verse, die zusätzlich einen Wortschluß nach dem 2. Trochäus haben, welcher mit dem nach dem 4. Trochäus korrespondieren kann, wie bei Verg. VII 33, aber nicht muß, wie bei Calp. II 3, III 13 und IV 95. Das letztere ist der normale Fall; die semiquinaria ist die Hauptcaeasur. Zum Wortschluß 4tr vgl. Tabellen bei H. Drexler, Hexameterstudien IV, S. 102-103, zum Wortschluß 5tr ebendort S. 112-113 (unübersichtlich) und Hexameterstudien V, S. 47-49, außerdem K. Brandt, S. 3. 2 Dieser Vers: et potum pastas age, Tityre, et inter agendurn hat eine schwache se¬ miquinaria und ein Kolonende nach dem 4. Trochäus. Es liegt nahe, eine seltene Caesur xarä rsraprov rpoxaTov anzuerkennen. Zum Wortschluß nach inter siehe oben S. 28-29. 3 Die äußerst seltene Caesur xarä reragrov rgoxaTov ist hier kolometrisch wahrscheinlich. 4 Vgl. oben S. 136 mit Anm. 3. 5 Vgl. H. Drexler, Hexameterstudien I, S. 451, S. 516. 6 Hier ohne die unter la angegebenen Verse, die unterstrichen sind. 7 Der Vers hat zusätzlich einen Wortschluß nach dem 1. Trochäus: densat odore comas, was den Rhythmus arma uirumque cano ergibt.

Trochäischer Wortschluß im 4. Fuß

167

Nemes. II 45, 48, insgesamt 2mal (abs. 0,64%, rel. 25%). d) Wortschluß nur nach dem 4. Trochäus1 Verg. I 59; II 3, 47; III 8, 35, 63; IV 52; VI 8, 20, 28, 30; VII 12, 26, 41, 54; VIII 1, 5, 82; IX 9; X 59, insgesamt 20mal (abs. 2,46%, rel. 27,40%); Calp. I 27, 69, 83; 79, 90; VI 5,29%, rel.

16, 18, 40, 42, 67, 76; II 12, 17, 35, 63, 72, 74, 91, 93; III IV 28, 48, 80, 87, 138, 139, 141, 156; V 21, 35, 39, 60, 65, 7, 8,2 15, 60, 62, 85; VII 45, 70, insgesamt 40mal (abs. 54,79%);

Nemes. I 44; II 41, 61;3 IV 11, 14, insgesamt 5mal (abs. 1,61%, rel. 62,5%). Erwähnenswert sind zwei Hexameter, in denen die Caesur xarä reraßrgoxaTov als eine kolometrisch starke Caesur erscheint,4 obwohl die semiquinaria als Hauptcaesur nicht fehlt: Calp. II 54: decernamque nemus II dicamque:ll ,sub arbore numen hac erit;// ite procul (sacer est locus) ite profani.1 Calp. IV 156: inuida Paupertas II et dicit:ll ,ouilia cura!‘ Derartige Hexameter haben des öfteren einen absoluten Wortschluß nach dem 3. longum, ohne daß sie sich von Versen ohne ein Kolonende nach dem 4. Trochäus rhythmisch unterscheiden. Die Ergebnisse lassen sich so zusammenfassen: Calpurnius Siculus gebrauchte den trochäischen Wortschluß im 4. Fuß viel häufiger als andere Bukoliker und Daktyliker überhaupt, Nemesianus mied ihn sehr sorgfältig. Calpurnius hatte keine Scheu vor zwei trochäischen Wort¬ schlüssen im 4. und 5. Fuß hintereinander (abs. 2,38%); dasselbe kann von Vergil behauptet werden (abs. 1,48%), der - relativ gesehen - mit dem trochäischen Wortschluß des 4. Fußes den des 5. Fußes am häufig¬ sten verband (34,28%, Calp. 24,66%). Obschon die absoluten Prozent¬ zahlen hier niedrig sind, ist doch die Zahl 2,38% angesichts der Selten¬ heit dieses Rhythmus beträchtlich, die Zahl 1,48 bei Vergil immerhin hoch.5 Dies ist ein Zeugnis des rhythmischen Reichtums, wenn eine sonst gemiedene Variante gelegentlich zugelassen ist und selten, aber regel-

tov

1 Vgl. Tabellen bei H. Drexler, Hexameterstudien IV, S. 102-103. Zur Folge Wortschluß 2tr und 3tr siehe Hexameterstudien I, S. 443. 2 Vgl. Nemes. II 61. 3 Vgl. Calp. VI 8. 4 Vgl. oben S. 166 Anm. 1. 5 Nemesianus steht weit hinter seinen Vorgängern, die Einsiedler Gedichte entziehen sich einem Vergleich. Im übrigen sind auch Nemesians Frequenzen wegen der geringer Zahl der Belege schwer vergleichbar.

168

Die Caesur xarä

tqixov Tßoxaiov

als Hauptcaesur

mäßig wiederkehrt. Die ästhetische Beurteilung muß dagegen für jeden Einzelfall gefunden werden.1 Am auffälligsten ist der Unterschied im Vorkommen des Wort¬ schlusses nach dem 2. und 4. Trochäus in demselben Vers. Wir finden bei Vergil nur 3 Belege2 (abs. 0,37%, rel. 8,57%), bei Nemesianus 2 Belege (abs. 0,61%, rel. 25%), in den Einsiedler Gedichten einen Beleg (Eins. I 23), bei Calpurnius aber 18 Belege3 (abs. 2,38%, rel. 24,66%). Calpurnius trachtete also danach, die üblichen Wortschlüsse nach dem 2. und 4. longum um eine mora nach vorn zu schieben. Dies beweist, daß er eine Art Abwechslung in die hexametrische Verskunst einführte, damit auch ein Vermeiden der Dreigliederung zwischen dem 2. und dem 4. longum (semiternaria und semiseptenaria), auch wenn eine Dreigliederung durch die wachsenden Glieder durchaus angenehm wirkt. Ad 2) Aus Vergils 35 Hexametern mit Wortschluß nach dem 4. Trochäus haben 24 zugleich einen Wortschluß in der semiternaria:4 1 55, 59; II 3, 47; III (8), 35, 42, 63; IV 16; V 35; VI 8, 20, (28), 30, 46; VII 12, 20, 54; VIII 1, 5, (82); IX (9), 24; X 59. Dies macht 68,57% aus. Bei Calpurnius sind es nur 31 Hexameter aus 73 (42,46%), darunter viel mehr mit einem Monosyllabon im 2. longum: I 16, 18, 44, 67: II 63, 74, 96; III 12, (27), (69), (83); IV 1, 28, 48, (57), (80), 134, (139), (141); V 1, 3, 17, 21, (39), (65), 79, 83; VI 8, 15; VII 37, 45, bei Nemesianus sind es 5 aus 8 Versen (62,5%): I 44 (latens); II 41, 61; IV 11, 14.5 Auch daraus erkennen wir, daß Calpurnius Siculus dem Wortschluß nach dem 2. longum eine beträchtlich geringere Bedeutung beigemessen hat als Vergil und Nemesianus. Dies stimmt mit dem Ergebnis in Punkt 1 völlig überein: Calpurnius suchte den Wortschluß in der semiternaria und in der semiseptenaria durch andere Verteilung der Wortschlüsse zu er¬ setzen, was seinem Hexameter eine besondere Individualität verleiht.

1 Vgl. oben S. 136 mit Anm. 3 - S. 137. 2 Siehe unter lc und Verg. VII 33 unter la. 3 Siehe unter lc und Calp. II 3, III13, IV 95 unter la. 4 In Klammern stehen Verse, in denen dieser Wortschluß unmarkant ist, vor¬ wiegend durch et oder ein anderes Monosyllabon gebildet. Dazu vgl. H. Drexler, Hexameter Studien /, S. 441: „psallimus et luctamur, die häufigste Form mit Mono¬ syllabon in der zweiten Hebung, dem rhythmischen Charakter nach von moenia Romanosque nicht wesentlich unterschieden, scheint mit dem retardierenden palimbaccheischen Wort vor der Caesur für [solchen] Kolon- oder Gruppenschluß weit geeigneter.“ 5 Davon erinnern Nemes. II 45 und 48 an die alexandrinisch-neoterische Manier, aber das Vorbild war ausschließlich Vergil; vgl. Verg. EI 63, IV 43 und VI 53.

Anhang 3: Nemesians Cynegetica

169

Anhang 3: Zur bukolischen Diaerese und Caesur xarä tqitov rgoxaTov in Nemesians Cynegetica Es bietet sich an, Nemesians nicht umfangreiches und, im Gegensatz zu Vergils Epen,1 formal nicht so gründlich erforschtes Lehrgedicht wenigstens in die Behandlung der bukolischen Diaerese und der Caesur xarä tqitov Tgoyalov, welche in der römischen Bukolik eine größere Rolle spielen als in der übrigen hexametrischen Poesie, einzubeziehen. I Die bukolische Diaerese

1. Ein Wortschluß 8d: 43mal2 in 325 Hexametern - 13,23%, davon die bukolische Diaerese 6mal (abs. 1,85%, rel. 13,23%): cyn. 8, 26, 87, 249, 277, 288. Dabei schließen Vers 8 und Vers 87 mit der Klausel et mihi Dämon. Wenn wir diese Prozentzahlen mit denen in den Eklogen vergleichen (abs. 3,55%, rel. 23,91%), sehen wir, daß auch Nemesianus, obgleich bei ihm die bukolische Diaerese im Vergleich mit seinen Vor¬ gängern deutlich seltener ist, sie als ein Merkmal der bukolischen Gattung anerkannte. 2. Ein Wortschluß 8s: 97mal3 (29,85%). Ein leichtes Kolonende liegt nach dem 4. Spondeus nur einmal vor: cyn. 104: incipiat primo, cum Ianus, temporis auctor. Der spondeische Wortschluß ist hier seltener als in den Eklogen. Dem¬ nach erwarten wir einen größeren Spielraum für andere Möglichkeiten. Da ein Wort - absolut und latent - nach dem 4. Fuß insgesamt 143mal endet (44%), bleibt ein Spielraum von 66% übrig, während er in den Eklogen nur 45,81% beträgt.4 Daraus muß man schließen, daß der Wort¬ schluß nach dem 4. longum in den Cynegetica häufiger ist als in den Eklogen, was für die Tendenz zur Dreigliederung relevant ist. Die Worttypologie wird in den folgenden Tabellen erfaßt, die Verse werden in den Fußnoten angegeben.

1 Das heißt nicht, daß zu Vergils ganzer Epik die mit derselben Methode erreichten Ergebnisse als eine direkte Vergleichsbasis vorläge. Doch gibt es sowohl Drexlers Hexameterstudien als auch andere zahlreiche, auch rein statistische Gesamt¬ untersuchungen, die einen analogen Vergleich ermöglichen. 2 Außerdem ein latenter Wortschluß 8d - Vers 126. 3 Außerdem zweimal ein latenter Wortschluß 8s: Vers 71 und 95. 4 Vgl. oben S. 116-117.

170

Die Caesur xarä

tqltov tqoxcllov

als Hauptcaesur

absoluter Wortschluß 8d —— cyn.

ll1

Insgr“"

l2

— cyn.

497

213

64

25

8

Summe 26

43

absoluter Wortschluß 8s -+~ Summe

48

399

5

97

Da die Gesamtzahl der Verse der Eklogen (310) und der Cynegetica (325) ähnlich ist, kann man sie auch ohne Prozentzahlen gut verglei¬ chen.10 Eine Bereicherung beobachten wir unter den Worttypen, die im 4. Fuß daktylisch ausgehen, nämlich und sie fehlen in den Eklogen.11 Aber der Zahl nach hat dies für die rhythmische Variation keine große Bedeutung. II Die Caesur

xarä tqltov tqoxclTov

In diesem Teil wurde auf die Erfassung aller trochäischen Wort¬ schlüsse im 3. Hexameterfuß verzichtet. Das eigentliche Interesse gilt der Feststellung, ob die Caesur xarä tqltov TgoyaTov in den Cynegetica dieselbe Rolle spielt wie in Nemesians Eklogen. Es werden hier alle in Frage kommenden Hexameter zitiert.12 Hinter dem Vers wird, wenn zutreffend, in Klammern der Sperrungstypus angegeben.

1 Cyn. 54, 64, 172, 174, 207, 228 (mW), 255, 266, 286 (mW), 311, 312. 2 Cyn. 124. 3 Cyn. 3, 4, 26, 30, 50, 58, 77, 85, 87, 131, 135, 141, 146, 165, 206, 232, 234, 249, 278, 281,288. 4 Cyn. 14, 33, 89, 122, 256, 282. 5 Cyn. 5, 277. 6 Cyn. 8, 300. 2 Cyn. 2, 12, 19, 20, 21, 25, 31, 36, 38, 45, 46, 47, 51, 57, 59, 66, 69, 76, 90, 92, 102, 110, 116, 118 (mW), 119, 123, 132, 137, 140, 147, 157, 161, 164, 170, 171, 177 187, 198, 202, 204, 211, 243 (mW), 260, 270, 275, 276, 287, 316, 317. 8 Cyn. 15, 27, 72, 129. 9 Cyn. 10, 22, 28, 34, 75, 78, 80, 82, 98, 107, 108, 111, 114, 120, 121, 133, 136, 149, 151, 152, 167, 168, 182, 183, 184, 190, 192, 195, 209, 210, 230, 240, 242 258 264, 268, 307, 314, 324. 10 Siehe oben S. 118-122. 11 Vgl. oben S. 121-122 mit Anm. 1. 12 Cyn. 68 ist verderbt. Trotzdem kann man an die Caesur xarä tqltov TQoyßiov denken. Vers 70 hat m. E. die semiseptenaria, ebenso die Verse 80 (uideorque + mihi), 151, 251, 283, 284 und 304 (uolucresqne + metu).

Anhang 3: Nemesians Cynegetica

171

Nemes. cyn. 8: 18: 49: 58: 85: 110: 146: 176:

inplicitum ducitque I! per auia, I qua sola numquam quis magno recreata II tacet cunabula Baccho1 scrutamur totisque II citi discurrimus aruis (I) ferre domum; talique II placet dare I lintea curae2 (I) signa micant sinuatque II truces leuis aura dracones (II) costarum sub fine II decenter prona carinam nam postquam conclusa II uidet sua germina flammis conueniet fortemque II dari de frugibus escam (I)

nunc omnis adhuc narranda supellex 239: uenandi / cultusque II mihi dicendus equorum

(Ia)

omnis euntem 278: Nereidum mirata II suo stupet aequore turba ire uiarum 289: longa uolunt latumque II fuga consumere campum 300: atque plagas longoque II meantia retia tractu

(I) (I)

et uulpes acresque lupos ceu fulgura caeli 308: terrificant / linique II uetant transcendere saeptum. Hier scheint die trochäische Caesur zu überwiegen: Das Subjekt linique entspricht dem gewichtigen Subjekt (= V. 307) zu im Überhang stehen¬ dem terrificant, das Prädikat uetant transcendere dem terrificant. 318: namque illic sine fine II greges florentibus alis inuenies auium. Es wurden 14 Hexameter mit der Caesur xarä tqitov tqoxüTov ange¬ führt. Das sind 4,31%, und diese absolute Zahl ist höher als in Nemesians Eklogen (3,55%). Man kann erwarten, daß auch die relative Prozentzahl in den Cynegetica höher ist. Daraus folgt, daß die Caesur xarä tqitov TQOxaiov in Nemesians Lehrgedicht eine größere Rolle spielt als in seiner bukolischen Dichtung. Was den spondeischen Wortschluß im 4. Fuß betrifft, so erinnert der Gebrauch des molossischen Worttypus im 3-/4. Fuß an Catull. 64, es folgt aber, nicht nur auf diese Verse, sehr häufig ein Überhang, was gar nicht für Catull, sondern für Vergils Epen typisch ist. Der Überhang endet 1 Eine Verbindung der Untertypen von I und III. 2 Die trochäische Caesur überwiegt wegen der Sperrung und der engen Verbin¬ dung placet dare', siehe S. 157 Anm. 2.

172

Die Caesur xarä tqitov zgcr/aTov als Hauptcaesur

häufig nach dem 1. Daktylus oder in der semiternaria, gelegentlich auch nach dem 1. Trochäus. Dadurch ist der Hexameter der Cynegetica kolometrisch viel differenzierter als der Vers der Eklogen,1 was für die formale Weiterentwicklung des Dichters und auch für die spätere Entstehungszeit des Lehrgedichtes spricht. Es ist daher kein unüberlegtes Wagnis, zu vermuten, daß Nemesianus Vergils dichterische Laufbahn Bukolik, Lehr- und Heldengedicht - nachahmen wollte. Wenn es wirklich seine Absicht war, hat er zwei Teile des Planes durchgeführt. Nur von einem Heldengedicht ist uns keine Nachricht überliefert. Daher muß dies eine Hypothese bleiben.2 Doch nur auf Grund der Verse der cyn. 15-47, die freilich dem literarischen rönog zuzurechnen sind, diese Hypothese abzulehnen, wäre unüberlegt. Denn alle in dieser recusatio Passage erwähnten Themen, von denen manche auch den tragischen Stoff betreffen, eignen sich für Epyllien oder für ein Epos der Art von Ovids Metamorphosen. Es ist dagegen weder von Kriegsereignissen der Helden¬ zeit {Ilias, Aeneis) noch von der römischen Geschichte (Annales, Pharsalia, Punica) die Rede.

8. Schlußwort Die Darlegungen zur bukolischen Diaerese und zur Caesur xarä tqitov TQoxaiov haben sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede innerhalb der bukolischen Gattung aufgedeckt. Nebenbei wurden Beob¬ achtungen zum Gebrauch mancher Worttypen und zur rhythmischen und kolometrischen Vielfalt oder ihrem Fehlen gemacht. Das Heranziehen der Cynegetica hat sich als aufschlußreich erwiesen. Es ist über jeden Zweifel erhaben, daß die bukolische Diaerese den römischen Dichtern als eines der gesuchten Merkmale der bukolischen Gattung galt. Ebenfalls spielt bei Vergil und Calpurnius Siculus die Caesur xaTä tqitov tqoxüiov eine viel wichtigere Rolle, als bisher bekannt war. Die Untersuchungen zum inneren öpoioTeÄevrov bzw. öpoiörtTcoTov haben ergeben, daß unter anderem auch die trochäische Caesur, die durch kolometrische Gliederung zur Geltung kommt, den Dichtem dazu diente, den unerwünschten Binnenreim unkenntlich zu machen. Dadurch erweisen sich auch die Sperrungsarten beim Wortschluß nach dem 3. Trochäus als ein sicheres Kriterium der Feststellung der Hauptcaesur. Vor diesem Hintergrund zeigt sich Calpurnius Siculus als ein in formaler

1 Siehe oben S. 119. 2 Vgl. R. Verdiere, Prolegomenes, S. 19-46 und Volpilhacs Ausgabe.

Schlußwort

173

Hinsicht eigenständiger und erfinderischer Dichter. Er suchte die Drei¬ gliederung des Hexameters durch häufige Verschiebung des absoluten Wortschlusses nach dem 2. und 4. longum um eine mora zu vermeiden. Aber auch in Bezug auf die für Vergil und Nemesianus typischen Wortschlüsse sind die von ihm bevorzugten Rhythmen, Worttypen und die Verskolometrie von anderer Art.1 Soweit es der geringe Umfang der Carmina Einsidlensia beurteilen läßt, sind sie in formaler Hinsicht den für Calpurnius typischen Tendenzen ähnlich. Dadurch hebt sich die Bukolik der neronischen Zeit innerhalb der Gattung als Ganzes ab. Nach einer Rezitation eines Hirtengedichtes Vergils und eines des Calpurnius muß der formale Unterschied dem römischen Hörer zur Zeit Neros sofort aufgefallen sein; sofort hörte er das, was hier erst nach mühevol¬ len Beobachtungen in Worte gefaßt werden konnte. Eine so begriffene Verselbständigung der bukolischen Form im Sinne der aemulatio und imitatio verbleibt in voller Übereinstimmung mit der literarischen Tendenz der Epoche. Dies konnte die Bukoliker der frühen Kaiserzeit dazu veranlassen, sich von der vergilischen Form zu entfernen und sich eine neue charakteristische Form zu schaffen. Ein solches Streben ist charakteristisch für den literarischen Geist jener Zeit.

1 Diese Beobachtung, zu der mich M. Haupts Feststellung der Häufigkeit des trochäischen Wortschlusses im 4. Fuß bei Calpurnius angeregt hat, ist im Hinblick auf das Überwiegen von Daktylen über Spondeen, das außerdem nur Ovid und Pisos Panegyriker in solchem Maß erreichten, durch Statistiken von G. E. Duckworth bestätigt: Five Centuries of Latin Hexameter Poetry: Silver Age and the Late Empire, TAPA 98 (1967), S. 82-83.

IV Die semiseptenaria als Hauptcaesur Die Erwägungen verskolometrischer Natur, die ja für jede sinnvolle Untersuchung der Versform konstitutiv sind,1 gewinnen bei der Behand¬ lung der semiseptenaria als Hauptcaesur an Bedeutung. Denn die Wirkung der vom Dichter beabsichtigten Satzgliederung ist in den Hexa¬ metern, in denen ein absoluter Wortschluß mit dem 3. und 4. longum, also an den zwei markantesten Stellen, zusammenfällt, besonders auffäl¬ lig.2 Zwei Verse wie etwa Verg. II 1: Förmösüm I pästör Cörydön II7 ardebat Alexin und Verg. VI 56: DTctäeäe Nymphäe, II5 nemörüm iam claudite saltus, sind trotz der bis zum 4. longum reichenden gleichen Wortfolge3 formal einander nicht gleich. Im ersten ist die semiseptenaria Hauptcaesur, im zweiten die semiquinaria.4 Es würde jedoch zur Anerkennung der semi¬ septenaria als Hauptcaesur ausreichen, wenn sich nemorum auf Nymphae

1 P. Kleinecke, S. 1: „caesurarum vim non minus valere ad ipsos numeros versuum distinguendos, quam ad sententiam illustrandam vel exomandam.“ 2 Dieses Thema wird von H. Drexler in Hexameter studiert V ausführlich behandelt. Zu dem Ursprung der semiseptenaria im lateinischen Hexameter (Folgeerscheinung des Schlußrhythmus, die dem Hexameter das römische Gepräge verleiht) siehe E. Tamerle, S. 36 und 39. 3 Auf einen molossischen Worttypus folgt ein spondeischer und darauf ein anapästischer Dazu siehe oben S. 30, die Literatur in Anm. 3, S. 19, und unten das V. Kapitel. In einer anderen Hinsicht wäre selbstverständlich/omiosKm als ein palimbaccheisches Wort zu klassifizieren, formosis als ein molossisches. Dieser Aspekt ist hier ohne Belang. Zu beobachten ist, daß Vergil auf ein molossisches Anfangswort beträchtlich häufiger ein anapästisches als ein spondeisches folgen läßt, was häufig eine noch stärkere Neigung zur semiquinaria verrät als in unserem oben zitierten VI 56. Möge man folgende Beispiele betrachten: Verg. I 54: Hyblaeis apibus II florem depasta salicti wo die Gruppierung eindeutig die semiquinaria unterstützt, oder: a

b

C

B

A

Verg. III 39: diffusos hedera II uestit pallente corymbos (uersus argenteus). Dazu siehe H. Drexler, Hexameter studiert I, S. 520: „ ... so bevorzugen relativ die molossischen Formen des ersten Kolons anapaestischen Anfang, die choriambischen spondeischen Anfang des zweiten Kolons“, was trotz eines anderen Zusammenhangs hier einschlägig ist. Auch sonst untersucht H. Drexler genau die Worttypen vor den Caesurstellen, ihre rhythmische Wirkung und die Tendenzen in ihrer Plazierung. 4 Noch schwierigere Verse, die rhythmisch gleichwertig sind, führt Drexler z. B. in Hexameterstudien V, S. 6-8 an, wo auch Wichtiges zur Methode steht.

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

175

bezöge. An diesem Beispiel ist leicht zu erkennen, mit welcher Methode diese Untersuchungen durchgeführt werden.1 Einen ähnlichen Weg haben bereits M. Jasinski und P. Kleinecke eingeschlagen. Erwägenswert und aufschlußreich sind folgende Äußerungen beider Gelehrter: „Latinos versus, ut nostros, non ut canerentur sed ut recitarentur et legerentur compositos esse constat. Itaque caesura qua maxime indicatur numerus, haud difficile percipi debebat vel auribus vel oculis. Quid autem melius sensum interrumpi significat quam interpunctio? Ea igitur, ut alii, maxi¬ me utitur Noster in Eclogis. ... Attamen non omnes talem incisionem unice praebent, quod fastidium sane afferret. Scilicet, cum abest inter¬ punctio, nunc bina vocabula verbo quodam conjuncta sunt, quod in latino sermone, membro secundo semper tribuendum est: Sole sub ardenti II resonant arbusta cicadis (II, 13) nunc duae partes gratissime disponuntur, sive est anaphora: Nec lupus insidias pecori, II nec retia cervis (V, 60) nunc una indicatur incisio, vel versus structura: Nec spes libertatis erat II nec cura peculi (I, 32) vel sensu: Aut Alconis habes laudes II aut jurgia Codri (V, 11). Quae cum ita sint ... n u n q u a m fere incertum est utrum hephthemimeris an penthemimeris sit caesura, quae praecipua difficultas est cum scandendi sunt latini versus.“2 Dieser methodisch richtigen Aussage Jasinskis ist eine Bemerkung P. Kleineckes hinzuzufügen, in der durch Erinnerung an die Möglichkeit einer alterna¬ tiven Interpretation in der Antike Jasinskis „numquam fere incertum est“ vorweggenommen wird und eine vollkommene Erklärung erhält:3 „Haut enim equidem in dubium vocare velim, quin vel Augusti temporibus fuerint, qui singulorum versuum quae praevaleret caesura ignorarent. Cum tarnen animo meo cogitarem, Vergilium ipsum, quemque scriberet vel recitaret versum, eum certae cuiusdam esse caesurae voluisse, etiam normas caesurae cognoscendae certas inveniri posse arbitratus sum.“ Demzufolge stellte Kleinecke in seiner Abhandlung vierzehn ,leges‘ auf, welche, von der Interpunktionscaesur abgesehen, von der Beobachtung der Stellung syntaktisch eng verbundener Satzelemente ausgehen. Sie haben zwar keine absolute Geltung, können aber in den meisten Fällen

1 Dies ermöglicht, die in den Tabellen angeführten Angaben zu verstehen und die Gesamtzahl der Belege für jede Erscheinung zu beurteilen. 2 M. Jasinski, S. 16-17 (Hervorhebung von mir); zur hephthemimeres vgl. ebenda, S. 21-23. In diesem Sinne äußert sich W. Christ, S. 176 und 178. 3 P. Kleinecke, S. 1.

176

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

beim Bestimmen der Hauptcaesur wesentlich helfen.1 Dennoch ist Inter¬ pretation immer unerläßlich.

1. Die semiseptenaria bei Vergil Von den am Anfang dieses Kapitels angeführten Hexametern ausge¬ hend, können wir uns darin einig sein, daß sowohl pastor Corydon als auch Dictaeae Nymphae je ein Begriff ist. Wir können uns zunächst diese beiden Hexameter mit der Umstellung des spondeischen und anapästischen Worttypus vorstellen: *Formosum Cörydön I5 pästör I ardebat Alexin.2 *Dictaeae nemörüm I Nymphae, I iam claudite saltus. Im letzteren Fall, vom Stil derartiger Anrufe abgesehen, schwächt die Umstellung den feierlichen Ton der Anrede an die Nymphen und bringt nemorum in unbeabsichtigte Abhängigkeit von Nymphae. Hier spüren wir einen stärkeren rhythmischen ,Drang4 zur semiseptenaria als in der Originalversion: Dictaeae Nymphae, nemorum iam claudite saltus. Demnach liegt die Entscheidung nicht allein am Rhythmus. Bei einer derartigen Doppelsperrung in einem Vers, die sich hier nach der Umstellung ergibt (Dictaeae ... Nymphae und nemorum ... saltus), über¬ wiegt normalerweise im Hinblick auf die Hauptcaesur die zweite Sper¬ rung, und solche Hexameter haben die semiquinaria.3 Dieser Vers müßte trotzdem aus kolometrischen Gründen die semiseptenaria nach Nymphae haben, was jedoch nemorum von Nymphae automatisch abhängig macht. Jetzt sehen wir ein, welche Vorteile Vergils Fassung hat und was Interpretation den metrischen Studien zu bieten hat. Im ersteren Fall handelt es sich scheinbar nur um die Stellung der Apposition. Die Reihenfolge pastor Corydon mit der vorangestellten Berufsbezeichnung dürfte - wenn ich H. Menge richtig verstehe - der Hervorhebung dienen: „Zuweilen stehen sie (seil. Substantiva als Appositionen) voran, aber

1 Außer den flexibel formulierten Regeln XIII und XIV; siehe Kleinecke, S. 52 und 55. 2 Mit archaischem -ör. Dies und breuis in longo steht bei den Klassikern nicht ausschließlich, aber vorwiegend in der Caesurstelle; vgl. F. W. Shipley, TAPA 55 (1924), S. 142-145, R. G. Kent, A Problem of Latin Prosody. In: Melanges ... Marouzeau, Paris 1948, S. 303-308. 3 So nach P. Kleineckes lex XI., aber mit der einschränkenden annotatio, siehe S. 43.

bei Vergil

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nur aus rhetorischen Gründen.“1 2 Die übliche Stellung wäre also Corydon pastor} Weiter stellt jedoch H. Menge fest: „Bei Dichtern ist die Stellung der Apposition überaus frei“. In der Tat betonte Vergil durch diese Stellung der Apposition und durch die weitergetragene Schwere des Verses einmal das Wort pastor im Kontrast zu formosum, und ferner drückte er die rusticitas und Grobheit des Corydon im Gegensatz zu der Schönheit des subtilen Alexis besser aus, als wenn er Corydon pastor geschrieben hätte. Dadurch ist schon im ersten Vers die Welt des Corydon von der Welt des Alexis zusätzlich durch formale Kunstmittel abgegrenzt und die Unmöglichkeit der Erfüllung angedeutet. Mag die Wortfolge Molossus, Spondeus, Anapäst die Annahme der semiseptenaria bekräftigen, so kann sie doch allein nicht entscheidend sein. Sie muß in der Verskolometrie Bestätigung finden.3 Hier sieht man die kunstvolle (und von Corydon ersehnte) Umarmung des Subjekts durch das an den Versgrenzen gesperrt stehende Objekt.4 Ehe ich zu den Tabellen übergehe, möchte ich die übrigen drei Verse Vergils mit derselben Wortfolge bis zum 4. longum besprechen.5 Es sei dabei wiederum darauf verwiesen, daß die Verse fast immer ohne Kontext zitiert werden. Dieser Kontext liegt jedoch den verskolometrischen Entscheidungen zugrunde. Er wirkt über die Versgrenzen hinweg, manchmal beträchtlich weit zurück und voraus. Ich beginne mit einem Vers, der aus zwei Kola gebildet die semisepte¬ naria als Hauptcaesur aufweist: VII 62: formosae myrtus Veneri, II sua laurea Phoebo; fahre fort mit: I 17: de-caelo tactas II memini II praedicere quercus. in dem wegen des übergeordneten Verbs die beiden Caesuren im Gleich¬ gewicht zueinander stehen, und schließe mit einem, in dem die semiquinaria überwiegt: V 41: pastores (mandat II fieri sibi talia Daphnis). Auch in diesen drei Hexametern könnte man die Wörter umstellen: *formosae Veneri myrtus, II sua laurea Phoebo *de caelo I memini II tactas praedicere quercus

1 Vgl. H. Menge, Repetitorium der lateinischen Syntax und Stilistik, Wolfenbüttel 191410, S. 470-471; J. B. Hofmann, A. Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, S. 409. 2 Im Laufe der Sprachentwicklung wird die Stellung pastor Corydon umgangs¬ sprachlich (hörerfreundlich), Corydon pastor dagegen rhetorisch (emphatisch). 3 H. Drexler, Einführung, S. 86-87. 4 L. P. Wilkinson, Golden Latin Artistry, Cambridge 1970, S. 217, schlägt die Bezeichnung ,Bronze Line' vor (uersus aheneus). 5 Insgesamt sind es also fünf derartige Hexameter. Siehe auch unten S. 241.

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Die semiseptenaria als Hauptcaesur

*pastores I (fieri II mandat sibi I talia Daphnis),1 jedoch nicht ohne Folgen. In *VII 62 fällt die Schwäche dieser Operation ins Ohr. Im geänderten *1 17 wäre erstens die Stellung von memini für Vergil untypisch, zweitens das göttliche Handeln verdunkelt, indem der Ausgangspunkt de caelo von seinem Effekt tactas getrennt wäre, drittens wird die Erwartung des zu de caelo tactas gehörenden Bezugswortes (Subjekt des Acl) dadurch enttäuscht, daß man de caelo auch mit praedicere, mag es auch sinnlos sein, verbinden könnte. Bei Vergil wird dagegen tactas betont, indem das Partizip sowohl vor der semiquinaria steht (nach de-caelo) als auch den noch fehlenden Teil des Subjekts vor¬ bereitet. Es verbleibt, zur Stellung von memini bei Vergil etwas zu ver¬ merken. — memini — - II memini II ----- - x.

Das Verbum beginnt achtmal nach dem 3. longum: Verg. IX 45, 52, georg. IV 125, Aen. I 619, VII 205, XI 280, auch meminit ecl. VIII 88 diese Stellung ist für memini typisch - und nur zweimal nach dem 1. longum: ecl. VII 69, Aen. VIII 157. Jedesmal handelt es sich um eine schwachbetonte Hexameterstelle. Diese Stellung haben übrigens die Verba sentiendi häufig inne.2 Es ist freilich keine unbetonte Zweitstelle im Wackernagelschen Sinne.3 Diese Stellungen von memini sind gleich¬ sam parenthetisch und angesichts der semiquinaria als Hauptcaesur ist memini in beiden Stellungen unbetont, was als eine ,rhythmische Zweit¬ stelle1 bezeichnet werden kann. Demgegenüber bedeutete die Stellung nach dem 2. longum Hervorhebung von memini, was im Widerspruch zum vergilischen Gebrauch stünde. In *V 41 ergäbe sich ein Nachdruck auf fieri, während Vergil mandat betonen wollte. Für die semiquinaria spricht ebenfalls - was wichtig ist - das hier enklitisch gebrauchte sibi, welches die unbetonte

1 Hier spricht die Koiometrie (mandat Daphnis) und die Stellung von sibi für die semiquinaria. Zur Verbindung des Infinitivs mit dem regierenden Verbum siehe einer¬ seits oben S. 157 zu Nemes. I 38 und S. 134-135 zu Verg. I 5, andererseits H. Drexler, zitiert auf S. 157 in Anm. 2. 2 Dies müßte untersucht werden, um zu erfahren, ob es .häufig1, .fast immer1 oder .immer1 der Fall ist. 3 Von der unbetonten Zweitstelle und -Stellung spricht man im Bereich der indo¬ germanischen Syntax im Zusammenhang mit dem Wackernagelschen Gesetz. Vgl. J. Wackernagel, Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung, IF 1 (1892), S. 333-436 (= Kl. Sehr., Bd. I, S. 1-104), besonders S. 406-430. Siehe jetzt J. R Adams, Wackernagel's Law and the Placement of the Copula esse in Classical Latin Cambridge 1994.

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bei Vergil

Zweitsteile einnimmt.1 In diesem Hexameter ist übrigens ein vor der Parenthese in der semiternaria vorliegendes Kolonende der stärkste Ein¬ schnitt. Man ahnt, wie Vergil aus der Disharmonie zwischen dem Rhyth¬ misch-Metrischen und dem Syntaktischen einen harmonischen Vers zu bauen vermag.2 Man erkennt also den ästhetischen, allerdings ästhetisch - sachlichen ,Zwang4,3 dem Vergil auch zu unserer Begei¬ sterung huldigte. Diese fünf Verse mit Molossus + Spondeus + Anapäst sind kein Zufall. Jeder von ihnen erweist sich nach der Umstellung als schlechter oder als ganz schlecht. Es bedarf deshalb keiner ausführlichen Rechtfertigung, wenn ich nun den bereits erwähnten Verstypus der Betrachtung unterziehe,4 in dem auf ein molossisches Wort zuerst ein anapästisches und dann ein spondeisches folgt.5 Es gibt in Vergils Eklogen zehn derartige Hexameter gegenüber den fünf besprochenen. Beginnen wir mit Verg. I 2: a

b

A

C

B

I 2: siluestrem tenui II5 Musam I meditaris auena. In derartigen Hexametern ist die semiquinaria die Hauptcaesur, nicht die semiseptenaria, weil die Neigung zum Kadenzausklang b - B stärker ist als die zum Versanfang a - A.6 Die Sperrungscaesur hebt diese Tendenz hervor. Für die semiseptenaria wäre in diesem Fall ein syntaktischer Einschnitt nach Musam erforderlich. Genau dasselbe Schema zeigen I 54 und III 39,7 außerdem noch: III 41: descripsit radio II totum qui8 gentibus orbem IV 19: errantis hederas passim II cum baccare tellus9 V 44: formosi pecoris custos, II formosior ipse V 90: formosum paribus nodis II atque aere, Menalca. VI 14: Silenum pueri II somno uidere iacentem,

1 Zu diesem Aspekt pyrrhichischer Wörter siehe oben S. 76 und 78 mit Anm. 6; H. Drexler, Anz. für die Altertumswissenschaft 32 (1979), Sp. 191 schreibt: „Pyrrhichische Wörter haben überhaupt eine Neigung zur Enklise.“ Aber Drexler hat nur teilweise Recht, denn Verba wie ue'hat oder uenit können nie enklitisch sein. Dazu habe ich mich andernorts geäußert: siehe den in Anm. 4, S. 40 zitierten Aufsatz. 2 Es gibt weitaus schwierigere Fälle, z. B. Verg. VIII 49, IX 24. Siehe auch L. P. Wilkinson, Golden Latin Artistry, S. 200 f. (außerdem zu ähnlichen Problemen ebenda S. 194 3 4 5

f., 215 f.). Vgl. oben S. 54 f., besonders die S. 55 Anm. 1 angegebene Stelle bei B. Axelson. Vgl. oben S. 174 Anm. 3. Andere ihnen rhythmisch nahverwandte Verstypen sind Gegenstand des V. Ka¬

pitels. 6 7 8 9

Vgl. P. Kleinecke, lex XI., S. 43 und oben S. 175. Beide zitiert in Anm. 3 auf S. 174. Auf diese Art Metathese wurde schon mehrmals hingewiesen. Ich nehme passim mit errantis, daher die semiseptenaria.

180

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

VIII 16: incumbens tereti il Dämon sic coepit oliuae VIII 65: uerbenasque adole pinguis II et mascula tura. Unter diesen zehn Versen1 haben sechs die semiquinaria, vier die semi¬ septenaria (mit IV 19). Die syntaktische Gliederung läßt keine Zweifel bezüglich der Hauptcaesur zu. Auch hier ist die Umstellung des anapästischen Wortes in fünf Fällen möglich (I 2, III 41, V 44, VI 14, VIII 16), sie brächte nur eine Verschlechterung, außer vielleicht *V 44: formosi custos pecoris, II formosior ipse, wo die semiseptenaria verdeutlicht wäre, aber mit gleichzeitiger Akzent¬ verschiebung auf pecus formosum, während Vergil den custos formosior ipse hervorheben will. Nach dieser Darlegung möchte ich absolute und latente Wortschlüsse nach dem 4. longum in einer Tabelle zusammenfassen.

1 X 40: mecum inter salices lentci sub uite iaceret ist ähnlich, aber doch andersartig, weil man die Interferenz zwischen der Synaloephe mecum inter und dem metrischen Wort inter salices berücksichtigen muß. Eine ähnliche Interferenz z. B. Verg. V 4.

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bei Vergil

Verg. ecl.

absoluter Wortschluß nach dem 4. longum

I

1. 2, 5, 6, 7, 9, 10,11,12,13,14,15, 16, 17,18,19, 20, 21, 22,24, 25, 26, 27, 29, 30, 31, 32, 35, 36, 38, 39,40, 41,42, 43,44, 45,46, 47, 50, 52, 54, 57, 60, 62,65, 67, 69, 71, 72, 73,74, 75,76,77,78,79.83.

83 II

III

1, 2, 3, 29, 30, 49, 50, 73, 74, 95, 97,

110 IV 63

1, 2, 3, 4, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12,13,14, 15,17, 18,19, 21, 22, 23, 25, 26, 27, 31, 32, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 43, 48, 49, 51, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63.

V

VI

2, 6, 9, 13,14, 15, 16, 18, 22, 24, 26, 29, 31, 34, 37, 40, 41, 42, 43, 44, 47, 48, 49, 50, 52, 53, 55, 56, 57, 59, 62, 68, 69, 70, 72, 73, 74, 76, 77, 78, 79, 81, 82, 84, 85.

86

VII 70 VIII

X 77

58 (+1) 71,08%

(37, 70)

(33)

77(+2)

47(+1) 76,19%

(45, 64, 83)

2, 8, 9, 10, 11,13, 14, 15,16, 17, 19, 23, 28, 29, 31, 32, 37, (6, 38, 39, 40, 41, 43, 44, 46, 48, 49, 50, 55, 56, 57, 59, 62, 63, 25) 64,66,67,68,69, 70. 2, 6, 8, 9, 12, 13,14, 15, 16,17, 18, 19, 20, 21, 22, 24, 26, 27, 28, 29, 32, 34, 35, 37, 38, 39,40, 41,43,45,49, 52, 54, 55, 56, 58, 60, 64, 65, 66, 67, 69, 70, 73, 74, 75, 77, 78, 80, (23) 83, 85, 87, 88, 89, 92, 93, 95, 97, 98,99,101,103,105,106, 107,108. 1, 3, 4, 5, 6, 7, 8,10,11,13,14,17,19, 20, 21,22, 23, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 32, 34, 35, 36, 37, 38, 39,40,42, 43,44, 45, 50, 51, 52, 54, 55, 57, 59, 61, 62, 64, 65, 66. 1, 2, 3, 6, 7,9,11,13,14,16,17,19, 20, 21, 22, 24,26, 27, 28, 29, 30, 32, 35,37,38,39,40,41,43,44,46,47,48,49, 50, 51, 52, 53, 54, 56, 57, 58, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66,67, 68,69,70,73.74,75,76.

63 (+1) 71,11% 45(+3) 55,81% 39(+2) 58,57%

66 (+1) 71,28%

47(+0) 70,15%

57(+0) 74,02%

(12) 813

54 (+1) 75,34%

71,82%

1, 2, 3, 4, 5, 7, 8, 9, 10,11,13,14,17,18, 19, 21, 22, 23, 24, 28, 29, 30, 32, 33, 34, 37, 39, 41,42, 44, 45, 47, 48, 49, 50, (43) 51, 57, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 68, 69, 70, 71, 72, 74, 75, 76, 77, 78, 79,81,83,86,87,88,89,90.

90

IX 67

5, 6, 9,10, 12,13,14,16,18, 19, 21, 23,25, 26, 27, 31, 32, 33, 34, 36, 38, 39,40,41,43,1 44, 45,46, 48, 52, 53, 54, 55, 59, 60, 61, 62, 64, 65, 66,67, 71, 72, 75, 76, 78, 79, 81, 83, 84, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 98, 100. 101, 102, 103, 104.105, 108, 109, 111.

Insgesamt %

(53)

1, 2, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10. 11,12,13, 14,16,17, 20, 21, 22, 25, 26, 28, 29, 30, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 40, 44, 45, 46, 48, (23) 50, 51, 52, 53, 54, 55, 57, 58, 61,62, 63, 64, 65, 66, 68,69, 71,72,73.

73

94

latens

+ 552 = 564 69,37%

i III 43-III 47.

182

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

Daraus ergibt sich, daß Vergil in 813 Versen der Eklogen 552mal einen absoluten Wortschluß nach dem 4. longum zuläßt, außerdem 12mal einen mit Synaloephe, insgesamt also 564mal. Hier werden selbstver¬ ständlich die Verse nicht berücksichtigt, in denen im 4. longum der gra¬ phische Wortschluß innerhalb eines metrischen Wortes auftritt.1 In der obigen Tabelle befinden sich viele Verse, in denen die Haupt¬ caesur nicht sofort erkennbar wird. Bei vielen fällt die Entscheidung für die semiquinaria, bei manchen stehen die beiden Caesuren im Gleich¬ gewicht, einige wenige sind caesurlos.2 Es empfiehlt sich, auf diese Hexa¬ meter hinzuweisen. Dies ist zugleich eine Vorbereitung auf die Tabelle der Verse mit semiseptenaria. Zunächst werden die Verse genannt, in de¬ nen trotz möglicher Bedenken die semiquinaria anzuerkennen ist.3 Zu den einfachsten Fällen gehören Verse mit dem Sperrungstypus I: I 41: nee tarn praesentis II alibi cognoscere diuos. weil sich alibi auf cognoscere bezieht. Im folgenden Vers bezieht sich miserum auf carmen. III 27: stridenti miserum II stipula disperdere carmen? VI 84: ille canit, pulsae II5 referunt I ad sidera ualles. Auch hier spreche ich mich für die semiquinaria aus, obgleich man sagen könnte, die semiseptenaria würde die Echo-Beziehung zwischen canit und referunt sichern. VII 28: cingite, ne uati II noceat mala lingua futuro. VIII 18: coniugis indigno II Nysae deceptus amore VIII 95: has herbas I atque haec II Ponto mihi lecta uenena 1 Es sind zehn Belege: Verg. II 19: qui-sim, 41: etiam-nunc, IE 20: post-carecta, 95: etiam-nunc, V 53: tali-sit, VI 19: ipsis-ex, 33: his-ex, 60: ad-Gortynia, VII 34: custos-es, VIII 59: specula-de. In Verg. X 3 ist quis betont, daher ein absoluter Wort¬ schluß nach neget. Zu V 15 siehe oben S. 90 Anm. 1. Demgegenüber können folgende Verse nicht unbesehen in die Tabelle einbezogen werden: Verg. 1,25, 29, 38, 67; II 20 35, 53, 54; III 76, 84; IV 3, 62, 63; V 3; VII 70; VIII 2, 56; IX 36, 39, 51; X 52.’ Außerdem möchte ich auf diejenigen Verse hinweisen, in denen auf den Wortschluß nach dem 4. longum ein pyrrhichisches Wort folgt, das sich: a) eher an das vorhergehen¬ de Wort anlehnt: 114, 26; II 28, 37, 40, 44, 58, 68; III 2, 36,100, 103,104; V 8, 18, 41, 50, 68; VI 9, 49; VII 9, 37, 68; VIII 9, 12, 13, 20, 89, 92, 95, 108; IX 21, 27, 34,’ 43^ 55; X 46, 50, 73; b) eher dem folgenden anschließt: I 35, 46; II 6, 65; III 25, 61 62 90' IV 54; VII 41; IX 50. 2 Die Verse mit der Caesur xam tqi'tov rgoxaTov können ausgespart bleiben, weil sie bereits im III. Kapitel behandelt wurden. Es handelt sich um Verg. I 5- II 72‘ III 3IV 37; V 23, 47; VI 18; IX 8, 14, 29; X 21, 47, 53, 75. Zu Verg. I 43 und III 23 siehe oben S. 132, zu I 43 außerdem G. Wissowa, Monatliche Geburtstagsfeier, Hermes 37 (1902), S. 157-159, der die richtige Erklärung des Verses gefunden hat, aber erst von W. Clausen (1994!) berücksichtigt wurde. (Unrichtig auch Scholia Bernensia, ed. Hagen, S. 82 und 331). 3 Zu Verg. VE! 17 siehe oben S. 92.

bei Vergil

183

IX 22: cum fe-ad-delicias II ferres Amaryllida nostras? IX 36: digna, sed argutos II inter strepere anser olores. VIII 21 hat trotz desselben Sperrungstypus aufgrund des emphatischen Vokativs die semiseptenaria: VIII 21: incipe Maenalios II mecum,\I7 mea tibia, uersus. Die semiseptenaria ist auch in III 67 trotz des Sperrungstypus II Hauptcaesur: III 67: notior ut iam sit canibus II non Delia nostris. Die Wortstellung ist hier sehr frei. Aufgrund desselben Sperrungstypus hat aber I 65 die semiquinaria, obschon rapidum cretae zusammenge¬ hören: I 65: pars Scythiam et rapidum II cretae ueniemus Oaxen. Die semiquinaria ist auch in III 45 Hauptcaesur: III 45: et molli circum-esf II ansas amplexus acantho. Zu einer anderen Gruppe gehören Hexameter, in denen die Haupt¬ caesur durch eine ,caesurwidrige‘ Kolometrie nicht zur Geltung kommt. Deshalb erscheinen sie nicht in der folgenden Tabelle. Eine solche Art Caesurlosigkeit,1 bei der H. Drexler von einer verdunkelten semiquinaria oder semiseptenaria zu sprechen pflegte, beobachten wir in: I 62: aut Ararim Parthus bibet / aut Germania Tigrim III 33: est mihi namque domi pater, / est iniusta nouerca VI 59: aut herba captum uiridi / aut armenta secutum VIII 49: crudelis mater magis, / an puer improbus ille? VIII 97: his ego saepe lupum fieri / et se condere siluis O Lycida, uiui I5 peruenimus, II aduena nostri2 IX 3: (quod numquam ueriti sumus)// ut possessor agelli. IX 6: hos illi (quod nec uertat bene) mittimus haedos, wo eine starke semitemaria zu der ebenso starken bukolischen Diaerese im Gleichgewicht steht; X 39: et nigrae uiolae sunt / et uaccinia nigra. Demgegenüber kann man in I 78 und V 14 mit Sicherheit von einer schwachen semiquinaria sprechen: I 78: florentem cytisum / et II salices carpetis amaras V 14: carmina descripsi / et II modulans alterna notaui sowie in III 87 von einer schwachen semiseptenaria: pascite taurum III 87: iam comu petat / et II pedibus II qui. spargat harenam.3

1 Siehe oben S. 57-58. 2 Vgl. P. Kleinecke, zitiert auf S. 95. 3 Vgl. aber Verg. Aen. IX 629 und ecl. V 37, wo die semiquinaria offensichtlich ist.

184

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

Das sich auf taurum beziehende qui ist weit postponiert. Das Kolonende tritt nach petat ein. Die semiseptenaria verbindet pedibus mit cornu über das et, trennt aber zugleich petat von spargat. Die semiquinaria gäbe dagegen dem Vers Gleichgewicht (cornu petat und pedibus spargat) würde aber zugleich das ein Kolon einführende qui postponieren. Die Entscheidung muß hier dahingestellt bleiben. Auch in V 14 überwiegt die semiquinaria, wenn modulans mit notaui zusammengenommen wird.1 In VI 59 könnte man aus kolometrischen Gründen an die semiseptenaria nach aut denken, aber auch die semiquinaria mit einem - sagen wir ,innerem Überhang4 uiridi ist nicht unmöglich. Denselben Fall haben wir in VIII 97. Verg. III 25 hat dagegen eine semiseptenaria, weil auf umquam Nachdruck liegt: III 25: Cantando tu illum?/ aut umquam II tibi fistula cera iuncta fuit? Es gibt außerdem einzelne Hexameter, die ich jetzt behandeln möch¬ te, bevor ich wiederum auf sich wiederholende Erscheinungen eingehe. I 13: protinus aeger ago; hanc I etiam II uix, Tityre, duco. Der Vers ist schwierig. Mir scheint, daß es keinen Grund dafür gibt, auf hanc einen besonderen Nachdruck zu legen, denn es liegt hier eine Exemplification vor. Etiam bezieht sich also auf hanc, und der Vers hat die semiseptenaria, auf die ein Kolon uix ... duco folgt.2 * Pallas quas condidit arces II 62: ipsa colat; I nobis II placeant ante omnia siluae, weil nobis antithetisch zu Pallas hervorgehoben wird. Auch die semiternaria unterstützt die Hervorhebung von nobis, welches die Anfangstelle im Kolon einnimmt. II 66: aspice, aratra iugo II referent suspensa iuuenci scheint mit der semiquinaria besser gegliedert. Die semiquinaria ist ebenfalls in VII 57: Aret ager, uitio II moriens sitit aeris herba die Hauptcaesur, durch welche die Sperrung uitio ... aeris und die enge

1 Wäre modulans als ein locker eingefügtes Partizip zu verstehen, so hätte der Vers eine eindeutige semiseptenaria. 2 R. Coleman schreibt zu diesem Vers: „The succession of short words in the line produces a halting rhythm, unrelieved by any major pause, since the chief caesural point is blurred by the elision of ago hanc.“ Diese Bemerkung ist nicht recht klar; zwischen ago und hanc liegt kein ,caesural point1.

185

bei Vergil

Verbindung des Partizips moriens mit dem Verbum sitit hörbar werden.1 Eine besondere Gruppe bilden die Verse, in denen trotz der engen Zusammengehörigkeit bestimmter Wörter um einer gewissen Verssymmetrie willen die semiquinaria zu überwiegen scheint. Man beachte folgende Hexameter Vergils: I 50: nee mala uicini II pecoris contagia laedent III 9: et quo (sed faciles II Nvmphae risere) sacello. III 21: An mihi cantando II uictus non redderet ille VI 72: his tibi Grvnei II nemoris dicatur origo VII 11: huc ipsi potum II uenient per prata iuuenci VIII 6: deferar; extremum hoc II munus morientis habeto.2 IX 55: sed tarnen ista satis II referet tibi saepe Menalcas, auch wegen der Stellung von tibi muß man der semiquinaria Vorzug geben. X 24: uenit et agresti II capitis Siluanus honore. V 4: Tu maior; I tibi me-est aequum II parere, Menalca.3 Das deiktische, in Anapher zu Tu stehende tibi ist hier betont. Außerdem kommt es zu einer Art Interferenz zwischen dem metrischen Wort me-est und dem Prädikat est aequum. Dennoch bildet me-est aequum eine Gruppe, die tibi von parere sperrt. Daher scheint mir die semiseptenaria zusammen mit der kolometrisch starken semiternaria plausibel zu sein, obgleich sie nicht die übliche Stärke einer Hauptcaesur erreicht. Auch bei diesem Vers ist die Erwägung der Caesurlosigkeit nicht fehl am Platze, ab

AB

V 71: uina nouum fundam II calathis Ariusia nectar. Dieser besonders kunstvoll gebaute Vers kann mit der semiquinaria und mit Hilfe der Stimmführung verständlich gemacht werden: uina fundam Ariusia und nouum nectar müssen im Vortrag durch zwei Stimmhöhen hervorgehoben werden. Auf uina muß eine Emphase liegen, die den

1 Hier sind eigentlich das Partizip und das Verbum hinsichtlich ihrer gramma¬ tischen Form vertauscht, was an ein vöregov ngöregov erinnert. In der Tat herba sitiens moritur bzw. sitit et (quo) moritur. Zu voregov ngöregov (öpqgixwg) siehe S. J. Harrison, Vergil Aeneid 10, Oxford 1991, ad Aen. X 140; G. Maurach, Lateinische Dichterspra¬ che, § 196. 2 Hoc ist satzanaphorisch zu verstehen und bildet das Objekt. 3 Im Pentameter Ovids wird est häufig oder fast immer an das Wort vor der Versfuge angehängt, obwohl es möglich ist, es am Versende zu lokalisieren, z. B. Ov. am. I 7, 20: ipsa nihil: pauido est lingua retenta metu (nicht: pauido ... metu est), Pont. III 4, 64. Dazu anders I. Hilberg, Die Gesetze der Wortstellung im Pentameter des Ovid, Leipzig 1894, S. 249: „Doch ist das 'st... überhaupt zu beseitigen, wie wir unter dem Gesetze F sehen werden“; S. 407, 443. Hilberg wollte alle ’st beseitigen. Er formuliert sein Gesetz F folgendermaßen: „Das keine Silbe füllende est (’st) ist, wenn es überhaupt gesetzt wird, womöglich an das Ende des Pentameters zu setzen.“

186

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

Eindruck einer Abhebung von nouam gibt, und uina muß mit fundam als eine Einheit gesprochen werden. Dies kann bei der semiquinaria gelingen, bei der semiseptenaria dagegen nicht, weil sie in diesem Fall nicht bindend, sondern trennend wirkt. V 83: nec percussa iuuant II fluctu tarn litora, nec quae Auch wegen des Auftaktes nec quae ist die semiquinaria passender; bei der semiseptenaria könnte man verführt werden, iuuant mit fluctu zu¬ sammenzuziehen. X 9: quae nemora aut qui uos II saltus habuere puellae. und auch VI 50: concubitus, quamuis II collo timuisset aratrum. Ebenfalls überwiegt die semiquinaria in: VIII 99: atque satas alio II uidi traducere messis.1 X 38: sed quicumque furor II (quid tum, I si fuscus Amyntas?, und noch in III 13, 48 und 53, die semiseptenaria in IV 41: robustus quoque iam tauris II iuga soluet arator. Schließlich kommen wir zu den Hexametern, in denen die beiden Caesuren im Gleichgewicht zueinander stehen oder zumindest beim Lesen zuerst ein solcher Eindruck entsteht. Am deutlichsten wird dies in I 17 und IX 52. I 17: de caelo tactas II memini II praedicere quercus.2 Dieses Gleichgewicht folgt aber - um meine Meinung zu präzisieren aus der Natur der Stellung des gleichsam parenthetisch gesetzten überge¬ ordneten Verbums und ist in der Vortragsweise verwurzelt. Daher können wir auf Grund der Sperrung tactas ... quercus der semiquinaria den Vorrang einräumen. Ein scheinbar ähnlicher Fall ist IX 52: cantando puerum II memini II me condere soles. Hier ist aber das Gleichgewicht beider Caesuren völlig gewahrt, und ebenso in IX 37: id quidem ago et tacitus,ll Lycida,ll mecum ipse uoluto. VI 15: inflatum hesterno II uenasjl ut semper, Iaccho. Auch hier rechtfertigt die Sperrung die Annahme der semiquinaria, wo¬ durch aber der Accusatiuus respectus uenas isoliert stünde.3 Andererseits bessert die Annahme einer alleinherrschenden semiseptenaria die Lage auch nicht. Hier müssen zwei Caesuren angenommen werden, von denen die semiquinaria metrisch leicht überwiegt. Eine analoge Situation erkennen wir in 1 Die Stellung des den Acl regierenden uidi ist mit der von memini (S. 178) zu vergleichen. 2 Zu diesem Vers und zu memini siehe oben S. 177-178. 3 Vgl. eine Reminiszenz bei Nemes. III 62 (S. 218).

bei Vergil

187

VI 22: sanguineis frontem II moris II et tempora pingit, wo einerseits die semiquinaria das Kolon frontem et tempora pingit ver¬ deutlicht, andererseits die Sperrung sanguineis ... moris auf die semiseptenaria hinweist. quamquam nil testibus illis VIII 20: profeci, extrema II moriens II7 tarnen adloquor hora. Ohne Zweifel nimmt tarnen auch hier trotz seiner Stellung im Hexameter die erste Stelle im Kolon ein,1 extrema hora und moriens sind pleonastisch. Bei aller Neigung zum Gleichgewicht beider Caesuren muß man hier der semiseptenaria den Vorrang zuerkennen, weil der Kolonanfang tarnen adloquor nur bei dieser Hauptcaesur zur Geltung kommt. Der vor¬ letzte der schwierigen Verse ist IV 54: o mihi tum longae II maneat pars ultima uitae, IV 54: spiritus / et quantum II sat erit II tua dicere facta! Es scheint mir nicht möglich, einen Beweis für die eine oder die andere Caesur anführen zu können.2 Vielmehr kommt hier das Gleichgewicht zwischen 5 und 7 in Betracht. Ein gleiches gilt für II 71: quin tu aliquid saltem I potiusj quorum indiget usus, uiminibus / mollique II paras detexere iunco? Etwas anders gelagert ist der folgende Vers mit einer semiquinaria latens: III 74: Quid prodest quod me-ipse II51 animo non spernis, Amynta. Somit habe ich bis jetzt sieben Verse für die Tabelle mit der semiseptena¬ ria als Hauptcaesur gewonnen, nämlich Verg. I 13, III 25, 67, 87, IV 41, VIII 20 und 21. Nicht ohne Berechtigung erhebt sich gerade in diesem Kontext die Frage, mit wievielen der oben genannten 564 Wortschlüsse nach dem 4. longum sich die semiseptenaria als Hauptcaesur deckt. Hierauf möchte ich zunächst eingehen, ohne daß die sogenannten Nebencaesuren berück¬ sichtigt werden. Schon die Zusammenstellung aller Fälle ist aufschlu߬ reich.3 Auf eine detaillierte Auseinandersetzung mit C. Hosius und H. Holtorf hinsichtlich der Angaben, die sie zur semiseptenaria als Haupt¬ caesur in Vergils Eklogen bieten, möchte ich dieses Mal verzichten. Ihre 1 Vgl. oben S. 137 mit Anm. 3. 2 Vgl. P. Kleinecke, wie oben S. 175. Wenn wir annähmen, daß die ganze Plirase et quantum sat erit dem vorhergehenden pars ultima longae uitae und spiritus entspricht, wäre die semiseptenaria gerechtfertigt, dies ist aber nicht offenbar. 3 Zieht man die Hexameter mit 7 H und die mit der 3tr H ab, so bekommt man nahezu alle Hexameter mit der überwiegenden semiquinaria, die ich nicht besprechen werde, ausgenommen die, in denen zugleich an anderer Caesurstelle ein stärkeres Kolonende auftritt oder die syntaktische Gliederung „caesurwidrigen“ Charakter aufweist. Vgl. unten S. 234 mit Anm. 1.

188

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

Ansichten seien nur kurz zusammengefaßt und charakterisiert. C. Hosius kann entnommen werden, daß er die £(pdrjiuߣQrjg in Vergils Eklogen in 108 Versen für die Hauptcaesur hält, darunter in vier Versen mit Vorbe¬ halt; überdies sagt Hosius, daß die semiseptenaria als „caesura subsidiaria“ in „versibus fere 450“ vorliege, was freilich auf den Wortschluß zu beziehen ist.1 H. Holtorf beruft sich auf den Index metricus von C. Hosius, mit dem er in auffälliger Übereinstimmung steht.2 Dennoch steht Verg. I 30, der - vom formalistischen Standpunkt aus gesehen - die Wort¬ schlüsse 3, 3tr und 7 hat, bei Holtorf unter Punkt b) und dann wiederum unter c),3 diesmal von Hosius übernommen, was beweist, daß sich Holtorfs eigene Angaben innerhalb von vier Zeilen widersprechen oder unangenehm überschneiden. Auch sonst ist zu erkennen, daß Holtorf von Hosius mit der Absicht, ihn gelegentlich zu verbessern, abschrieb. Stattdessen hat er aber an einer Stelle zu Hosius’ Beobachtungen fünf Fehler eingeführt.4 Im übrigen äußerte Holtorf - wie auch viele andere korrekte Ansichten über die Rolle der Metrik bei der Interpretation der Dichtung,5 kam aber selbst nie über die Theorie zur Interpretation hinaus. Es sei schließlich auf E. Norden hingewiesen, der unter dem Einfluß K. Wittes6 ahnte, „daß wir mit viel häufigerer Anwendung der Hephthemimeres rechnen müssen, als wir es zu tun gewohnt sind.“7 Daß dies richtig ist, wird durch die vorliegende Untersuchung bewiesen. Weiter möchte ich einige kolometrisch interessante Hexameter mit der semiseptenaria als Hauptcaesur behandeln. Sie sind in der folgenden Tabelle zu finden.

1 Vgl. C. Hosius a. O. S. 61. 2 H. Holtorf a. O. S. 301. 3 Siehe ebendort. 4 Hosius, bei dem die Zahl von Beispielen ungefähr stimmt, ist wegen der Kategorisierung, die die damalige Kenntnis und seine Auffassung der Caesur widerspiegelt, unzuverlässig. Holtorf dagegen kann man Nachlässigkeit vorwerfen. 5 H. Holtorf, Wie kann die Metrik die Aussage römischer Dichter erschließen helfen?, Gymnasium 65 (1958), S. 166-185; ders. im Anhang an den Kommentar S. 286-290, 295-296, 298-302, wo Hermogenes, De ideis II 409 (Spengel) [= 393 Rabe] mit Recht angeführt wird (299), übrigens von Norden (S. 418) übernommen; ders., Grundzüge der römischen Metrik, Vorwort. 6 K. Witte, Der Hexameter des Ennius, RhM 69 (1914), S. 205-232. 7 E. Norden, Aeneis VI2, S. 425 Anm. 2. Hier äußert Norden auch den folgenden Satz, den ich ergänzend zu meiner früheren Stellungnahme zur Caesurlosigkeit in extenso zitiere: „immerhin werde ich, da Fälle dieser Art gewissermaßen in der Mitte zwischen Caesur und Caesurlosigkeit stehen (vgl. auch v. Wilamowitz zu Eurip. Her. 754 und speziell für Vergib P. Sandford, The quasi-caesura in Vergil, Hermathena 26 (1900), S. 110 ff.), solche Verse in den Anmerkungen gelegentlich berücksichtigen“.

bei Vergil

I III III IV

20: 55: 66: 21:

189

stultus ego huic nostrae similem, II quo saepe solemus dicite, quandoquidem in-molli II consedimus herba. At mihi sese offert ultro,ll meus ignis, Amyntas, ipsae lacte domum referent II distenta capellae ubera.//

V 42: et tumulum facite, et tumulo II superaddite carmen,1 wo die semiseptenaria durch eine mit dem Polyptoton verbundene Ana¬ pher2 gesichert ist. V 45: Tale tuum carmen nobis II diuine poeta, quäle sopor fessis II in gramine,II VI 6: nunc ego (namque super tibi erunt II qui dicere laudes,3 Vare, tuas cupiant et tristia condere bella) VI 37: iamque nouum I terrae stupeant II lucescere solem. wo die semiseptenaria eine kolometrische Klarheit gewährt. VI 81: infelix sua tecta super II uolitauerit alis?4 IX 35: nam neque adhuc Vario uideor II nee dicere Cinna digna, X 26: Pan deus Arcadiae uenit, II quem uidimus ipsi ibo et Chalcidico quae sunt mihi condita uersu X 51: carmina, pastoris Siculi II modulabor auena. M. Geymonat interpungiert sinnvoll nach carmina. Da pastoris Siculi (seil. Euphorionis) ein Begriff ist, muß semiseptenaria die Hauptcaesur sein.5 X 61: aut deus ille malis hominum II mitescere discat. 62: iam neque Hamadryades rursus II nee carmina nobis6 ipsa placent. Es bleibt jetzt noch übrig, die Tabelle der Hexameter mit der semi¬ septenaria als Hauptcaesur zusammenzustellen. Aus dem Begriff der Hauptcaesur folgt, daß Verse, in denen zwei Caesuren wirklich im Gleichgewicht stehen, so daß die semiseptenaria nur eine der beiden, nicht aber die vorherrschende ist, nicht in der Tabelle erscheinen sollen.

1 Vgl. auch oben S. 182-183. 2 Vgl. G. Maurach, Lateinische Dichtersprache, § 32-34. 3 Zu Tmesis siehe S. 92 Anm. 1. Vgl. außerdem dazu, zu Wackemagelschem Gesetz und dem Begriff ,Wort‘ C(alvert) Watkins, Preliminaries to the Reconstruction of Indo-European Sentence Structure. In: Proceedings of the Ninth International Congress of Linguistics, Cambridge, Mass., August 27-31 1962, The Hague 1964, S. 1035-1042 + Diskussion S. 1043-1045. 4 Super ist hier postponiert. 5 Vgl. dagegen zu Verg. I 50 u. a. S. 185-186. 6 Vgl. Verg. IX 35.

190

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

Solche Verse sind so selten, daß sie bei Vergil kaum die Zahl zehn erreichen. Bei einem Dutzend etwa hatte ich diese Möglichkeit erwogen, wobei sich aber ergab, daß sich in manchen Hexametern nach einer genaueren Analyse eine Hauptcaesur feststellen ließ. Demgegenüber werden Hexameter, die caesurlos sind oder deren Struktur an Caesurlosigkeit grenzt, in einer Tabelle am Ende dieses Kapitels erscheinen. Summe % abs. 7H I 9, 12, 13, 14, 15, 18, 19, 20, 22,* 1 II 30, 32, 40, 42, 45, 73. 15 1,84 II 1, 9, 22, 29, 33, 40, 45, 46, 57, 63. 10 1,23 III 10, 12, 25, 26, 29, 38, 43, 44, 46, 55, 60, 64, 66, 67, 71, 75, 83, 87, 91, 93, 101, 102, 105, 109, 111. 25 3,08 IV 2, 8, U, 15, 19, 21, 26, 32, 38, 40, 41, 43, 51, 55, 56. 15 1,84 V 1, 2, 4,11, 19, 21, 28, 32, 42, 44, 45, 48, 50, 51, 59, 60, 65, 70, 72, 77, 78, 90. 22 2,71 VI 6, 15, 22, 26, 37, 41, 42, 69, 70, 74, 76, 79, 81, 85. 14 1,72 VII 10,14, 17, 29, 49, 59, 62, 648 0,98 VIII 8, 20, 21, 22, 27, 29, 32, 34, 40, 45, 55, 65, 101. 103. 106. 15 1,84 IX 11,35, 45,61. 4 0,49 X 17, 22, 26, 27, 22, 30, 35, 37, 41, 47, 51.

Verg.

54, 56, 58, 61, 62, 65, 68.

813

18

2,21

146

17,96

% rel.

18,07 13,70

22,73 23,81 24,44 16,28 11,43 15,96 5,97 23,38

Die absolute Prozentzahl drückt den Anteil der semiseptenaria als Hauptcaesur im ganzen Eklogenbuch aus, die relative in der entsprechen¬ den Ekloge. Verg. IX hat einen auffällig niedrigen Anteil der semisepte¬ naria, was zunächst überraschend ist. Auch VII und II liegen deutlich, VIII und VI leicht unter 20%. Insgesamt ist aber semiseptenaria die Hauptcaesur in 17,96% Hexametern, in vier Gedichten in mehr als einem

1 Ein auffälliger Typus mit einer wiederholten Partikel (Anapher) oder einer Antithese, von jetzt an durch Unterstreichen gekennzeichnet, z. B.: I 22: sic canibus catulos similis, sic matribus haedos II 22: lac mihi non aestate nouum, nonfrigore defit. II 63: torua leaena lupum sequitur, lupus ipse capellam. VII 62: formosae myrtus Venen, sua laurea Phoebo. X 41: serta mihi Phyllis leger et, cantaret Amyntas.

bei Vergil

191

Fünftel der Verse. Die Vermutung Nordens, die auf der Grundlage von K. Wittes Untersuchung aufgestellt wurde,1 ist hier bestätigt. Man kann noch nach der Funktionalität des Wortschlusses nach dem 4. longum fra¬ gen, d. h. wieviele dieser Wortschlüsse in der Funktion der Hauptcaesur erscheinen. Die Prozentzahlen für die einzelnen Eklogen ergeben das folgende Bild: Verg. I -25,42%, II - 18,18%, III - 31,64%, IV31,25%, V - 34,37%. VI - 29,17%, VII - 19,51%, VIII - 22,39%, IX 8,51%, X - 31,58%, insgesamt in allen Eklogen 25,89%. Es ist ebenfalls aufschlußreich zu beobachten, daß wir unter diesen 146 Fällen der semiseptenaria als Hauptcaesur2 104mal eine Interpunktionscaesur finden. Dieser Anteil beträgt 71,23%.3 Es ist wichtig, diese Erscheinung bei Vergils Nachfolgern zu beobachten. Auf die Verse mit einer Anapher oder Antithese wurde in der Tabelle durch Unterstrei¬ chung hingewiesen. Ansonsten verzichte ich darauf, die Verse aufzuli¬ sten, weil die Interpunktionszeichen, die in Mynors’ Ausgabe erscheinen, nicht immer der Stärke eines Kolonendes entsprechen. Dies nachzuweisen ist eine leichte Aufgabe. Mit Sicherheit ist das Kolonende in VIII 29: Mopse, nouas incide faces: / tibi ducitur uxor oder VI 69: dixerit: ,hos tibi dant calamos / (en accipe) Musae nicht stärker als in V 11: aut Alconis habes laudes / aut iurgia Codri oder VI 42: Caucasiasque refert uolucris / furtumque Promethei oder VI 85: cogere donec ouis stabulis / numerumque referre iussit / Auch die von Mynors mit demselben Interpunktionszeichen markierten Kola sind hinsichtlich der Stärke der Pause nicht einander gleich. Daher wäre die bloße Nennung aller dieser Verse vielleicht für die Typogra¬ phie, nicht aber für die Verskolometrie maßgebend.

1 Siehe oben S. 188 mit Anm. 6 und 7. 2 Einige Verse aus oben gegebenen Gründen gehören nicht hierher; siehe S. 182187. 3 Nach Mynors’ Ausgabe sind es 49 Kola mit Komma interpungiert, 7 Kola mit Semikolon, 4 Kola mit Doppelpunkt, 5 Kola mit Punkt bzw. Ausrufezeichen (V 65), 3 Kola mit Klammer, darüber hinaus 36 Kola ohne ein Interpunktionszeichen, die jedoch in der Antike, weil dort eine Pause auftrat, auch graphisch interpungiert wurden.

192

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

2. Die semiseptenaria als Hauptcaesur bei T. Calpurnius Siculus Da auf manche Erscheinungen, die mit dem Wortschluß nach dem 4. longum am engsten verknüpft sind, bereits bei der Behandlung der Caesur xarä tqltov rgoxalov notwendigerweise hingewiesen wurde,1 gehe ich direkt zur Behandlung absoluter Wortschlüsse im 4. longum über, um vor diesem Hintergrund die semiseptenaria als Hauptcaesur und deren Häufigkeit in der nachvergilischen Bukolik zu untersuchen. Zunächst werden diejenigen Hexameter genannt, die nur einen graphischen Wort¬ schluß aufweisen, um sie von der Untersuchung vorab auszuschließen. Hierzu gehören folgende acht Verse2 des Calpurnius Siculus:3 I 16: prome igitur calamos et si-qua recondita seruas; I 22: aspicis ut uirides etiam-nunc littera rimas II 41: ignotas frondes et non-genitalia poma. III 70: quod si dura times etiam-nunc uerbera, Phylli,4 IV 22: dicentem, Corydon, te non-semel ista notaui. V 43: nec tu longinquas procul a-praesepibus herbas. V 47: blandius arrisit, modo cum-caligine nimbos intulit VII 65: contigit: aequoreos ego cum-certantibus ursis. Der letzte Vers ließe an ein selbständiges cum denken; trotzdem halte ich cum für ein Teil des metrischen Wortes. Aber Calp. II 55 und IV 121, die ebenfalls Zweifel zulassen, nehme ich in die Tabelle auf: II 55: hac erit; ite procul (sacer est locus) ite profani IV 121: iamque palam presso magis et magis instat aratro. Außerdem gibt es freilich Hexameter, in denen im 4. biceps ein pyrrhichisches Wort steht. Ich rechne sie in der Tabelle der Wortschlüsse im 4. longum mit.5 Noch deutlicher kommt dies in dem Klauseltypus et mihi Dämon zum Vorschein: Wenn das pyrrhichische Wort im 5. biceps betont ist, wird die Regel, die den Bau des zweiten Halbverses betrifft, verletzt, wie auch etwa im Fall vom Monosyllabon im Hexameterschluß. 1 Siehe oben S. 147-148. Das gleiche gilt für die Einsiedler Gedichte und Nemesianus, siehe S. 155 und 157 ff. 2 Zu Calp. IV 153 siehe unten S. 195 f. 3 Zu Vergil siehe oben S. 182 Anm. 1. 4 Zu etiam nunc siehe oben S. 82 Anm. 3; dagegen nunc etiam am Versanfang bei Calp. V 86. 5 Trotzdem kann man auf die folgenden Hexameter in dieser Hinsicht nicht ohne Vorsicht schauen, wenn das pyrrhichische Wort Enklitikon ist: Calp. II 81; III 59, 81, 97; V 82; VI 26, 47, 63; VII 44 (tarnen ist hier nachgestellt), 53, 58, 78. Zu Vergil vgl. oben S. 182 Anm. 1.

bei Calpumius Siculus

193

Wenn aber das pyrrhichische Wort ein Enklitikon ist, wird das ganze metrische Wort betont (et-mihi), wodurch die Klausel ganz regelmäßig ist. Aufgrund der Tatsache, daß nur die oben zitierten acht Hexameter auszuschließen sind, wird wohl klar, daß die Verstechnik des Calpurnius Siculus in dieser Hinsicht besonders rein ist, vor allem wenn man - von elf Fällen abgesehen - die Abwesenheit der Synaloephe in Rechnung stellt, was zuerst M. Haupt scharfsinnig beobachtet hat.1 Da alle drei in der Anmerkung zitierten Hexameter die semiquinaria als Hauptcaesur haben, ist die semiseptenaria latens bei Calpurnius völlig ausge¬ schlossen. Dies hat die Gelehrten sogar dazu veranlaßt, alle überlieferten Fälle von Synaloephe, abgesehen von denen im ersten Versfuß und mit einer Ausnahme in III 82, in Verdacht zu ziehen und sich in der Heilung dieser Verse zu versuchen. Sechs Hexameter wollen wir genauer betrach¬ ten: drei hat M. Haupt behandelt,2 drei andere kommen aufgrund späterer Emendationen hinzu (Calp. IV 153, V 81, VII 10). Erwägen wir zuerst Haupts Lösung: IV 40: litora uisuri, trucibusque obnoxia Mauris3 pascua Geryonis - so lesen Schenkl, Giarratano („quod defenderunt L. Mueller et Leo“), Keene, Korzeniewski, Amat. M. Haupt zieht die Lesart mancher Codices (N2 V) trucibus vor, „brevi syllaba in caesura producta, quod admisit Calpurnius 3, 100. 7, 43. 84.“4 M. Haupt hat jedoch übersehen, daß alle

1 M. Haupt, S. 361: „in tot igitur versibus certae elisiones inveniuntur octo“ (I 16, II 30, III 12, 55, 58, 77, V 60, wo jeweils ein kurzer Auslautvokal eines trochäischen Anfangswortes verschmolzen wird, und III 82: qui metere occidua ferales nocte lupinos). Später äußert sich jedoch Haupt vorsichtiger, nachdem er drei weitere Verse (IV 40, 134, VII 77) kritisch behandelt hat, S. 363: „utut est, illud constat, rarissimam esse in his carminibus elisionem, sive eam undeciens poeta admisit sive, ut puto, octiens.“ Es gibt tatsächlich noch drei Fälle der Synaloephe, und zwar im 4. longum: IV 40: ultima uisuri, trucibusque obnoxia Mauris IV 134: securus recubat placidoque in fonte lauatur VII 77: fors dedit et praesens uultumque habitumque notasti. R. Verdiere, S. 12, kann man sich ohne Verlust ersparen. 2 S. 362: „inveniuntur quidem in eius carminibus hodie tria exempla elisae in medio versu brevis vocalis. quae elisio cum in uno vocabulo que fiat, crederem in hoc uno vocabulo Calpumium diligentiam remisisse, nisi eadem plane ars non elidendarum nisi in primo versus pede vocalium in alio eiusdem, ut videbimus, aetatis carmine, de quo postea dicetur, inveniretur ipsaque illa tria exempla vocalis in alia versus parte elisae admodum incerta essent. nam unus trium illorum versiculorum aperte depravatus est, ex reliquis duobus elisio facili opera removeri potest.“ Es handelt sich um die in der vorigen Anmerkung zitierten Verse. 3 Textkritisch besprochen auf S. 110 Anm. 2. 4 Es handelt sich um Calp. ü 100, nicht KI 100.

194

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

drei Fälle einer breuis in longo ausschließlich im 3. longum, d. h. in der semiquinaria als Hauptcaesur stehen,1 nicht, wie im behandelten Fall, im 4. longum, wo keine Hauptcaesur vorliegt. Calpurnius geht konsequent vor, indem die Einschränkung im Vergleich zu Vergil, wie in anderer Hinsicht, auch hier ganz und gar seiner Art entspricht. Ob das darauf folgende polysyndetische et hier von Bedeutung ist, ist schwer zu entscheiden; sein Vorkommen ist jedoch bei Calpurnius eine Tatsache. Ferner ist zu beachten, daß alle drei Fälle ein auslautendes -s aufweisen, also eine consona duratiua, welche die Dauer der Silbe verlängern kann. Daß ein auslautendes -s nicht nur in der Hauptcaesur seine Dehnungskraft entfaltete, kann in der klassischen Epoche am Beispiel Vergils gut beobachtet werden, der z. B. folgende breues in longo zuließ:2 Aen. IV 64: pectoribüs inhians II spirantia consulit exta georg. II 5: muneribus,/ tibi pampineo II grauidus autumno floret ager. Dies könnte zugunsten Haupts trucibüs im 4. longum sprechen, ist aber keineswegs ein zwingendes Argument. Daher lese ich in IV 40 mit den neueren Herausgebern trucibusque mit der Synaloephe, was einen laten¬ ten Wortschluß im 4. longum ergibt. In IV 134 will M. Haupt placido quin lesen,3 aber die Herausgeber sind ihm nicht gefolgt: Pan recolit siluas et amoena Faunus in umbra IV 134: securus recubat placidoque in fonte lauatur Nais et humanum non calcatura cruorem per iuga siccato uelox pede currit Oreas. An derselben Versstelle befindet sich eine Synaloephe in VII 77. VII 76-78: nunc, tibi si propius uenerandum cernere numen fors dedit et praesens II uultumque habitumque notasti, die age, die Corydon, quae sit mihi forma deorum.4 Dazu bemerkt M. Haupt ebenda folgendes: „potuit tarnen dici habitum vultumque, ut Tacitus dixit ann. XVI 22; potuit dici plurativo numero vultus habitusque, ut in hoc Martialis versiculo (VIIII 65 3), Si tibi tune isti vultus habitusque fuissent.“ Diese Argumentation ist aber die Folge der Voraussetzung Haupts, Calpurnius habe die Synaloephe an dieser 1 II 100: et decor et cantüs II et amor sociauit et aetas VII 43: en ego iam tremulüs II et uertice canus et ista VH 84: et Martis uultüs II et Apollinis esse putatur. 2 Für Vergils Beispiele der breuis in longo siehe F. W. Shipley und R. G. Kent, wie oben S. 176 Anm. 2. 3 S. 363, akzeptiert von Ch. H. Keene. Ich hätte eher placido cum fonte versucht. 4 Von mir so interpungiert anstatt der Interpunktion des Herausgebers die age die, Corydon.

bei Calpurnius Siculus

195

Versstelle gänzlich gemieden, denn gegen uultumque habitumque ist nichts einzuwenden.1 Diese Lesart ist ferner das dritte Beispiel des nach dem 4. longum verschmolzenen -que, an sich eine herkömmlichere Er¬ scheinung als die ebenfalls dreimalige breuis in longo, und es verursacht einen Verstoß weder gegen den Sinn noch gegen den Sprachgebrauch, der zum Emendieren bloß aufgrund der Synaloephe Anlaß geben könnte. Dessen war sich M. Haupt sicherlich bewußt, denn er drückt sich in sei¬ ner Schlußfolgerung vorsichtiger aus.2 VII 77 ist noch in anderer Hin¬ sicht, die mit dem letzten bereits zitierten Vers derselben Ekloge im Zu¬ sammenhang steht, von Interesse. Es handelt sich nur um einen Gott, nämlich den Kaiser, den der Hirt Corydon in Rom gesehen hat und jetzt, von Lycotas aufgefordert, zu beschreiben versucht. Wenn, wie ich meine, in VII 84 die Lesart uultüs ... putatur richtig ist,3 muß erst recht in VII 77 uultumque im Sing, stehen, denn nur der Sing, ist in diesem Kon¬ text sinnvoll.4 Es verbleibt, auf die Verse IV 153, V 81 und VII 10 einzugehen. In den beiden letztgenannten ist die Synaloephe nicht überliefert. IV 153: nunc, Meliboee, sonant, si quandö in montibus istis. Dies wäre die einzige Synaloephe eines langen Vokals bei Calpurnius, der sonst „eo diligentiae progressus est ut vel breves vocales in hoc tantum pede (seil, in primo) elideret.“5 Haupt läßt sie merkwürdigerweise in der Behandlung der Synaloephe außer acht, obschon diese Lesart „meliores quidam libri“ bieten und bemerkt nur: „sed non nulli praepositionem omittunt; possumus autem ea carere et tarn facile erat addere eam quam omittere.“6 Der richtigen Entscheidung Haupts folgen nur H. Schenkl und

1 Zu -que ... -que siehe H. Christensen, Que - que bei den römischen Hexametrikern (bis etwa 500 n. Chr.), ALL 15 (1908), S. 165-211; D. Korzeniewski ad Calp. IV 90. 2 Vgl. oben S. 193 Anm. 1. 3 AHV lesen putaui, was uultus zum Plur. macht. 4 Falls jemand uultus im Kontrast zu in uno im Plural fassen und putaui lesen möchte, müßte er zuerst meinem Argument widersprechen und dann den - sonst nicht unüblichen - Wandel von conspeximus (V. 82) zu putaui (84) erklären. (Rascher Wechsel zwischen Sing, und Plur. modestiae ist auch in der Prosa üblich). Ähnlich hat allenfalls Ch. H. Keene ad locos argumentiert, der sich trotz objections für putaui entschieden hat. 5 M. Haupt, S. 361-362. Zu dieser Stelle äußert sich D. Korzeniewski, dessen Hinweis auf VII 10 keine Argumentationskraft besitzt, weil dort et nicht überliefert ist; siehe unten S. 196 mit Anm. 7. Sonst bespricht Korzeniewski die Synaloephe bei Calpurnius in seiner Anmerkung zu IV 153. 6 Haupt S. 359-360.

196

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

C. Giarratano.1 Überdies spricht nicht nur die Scheu des Calpurnius vor der - dazu noch harten - Synaloephe gegen die Annahme der Präposition in, sondern auch die Tatsache, daß ein lokativischer Ablativ in der Poesie einwandfrei ist.2 Ich komme zum nächsten Beispiel (V 81). Hier verursacht J. Amat durch ihre für Calpurnius metrisch unzulässige Konjektur eine unnötige Synaloephe im 2. longum:3 V 81: dura tibi; et liquido simul unguine terga memento Der Vers ist mit Korzeniewski so zu lesen: pix tibi: liquido picis unguine terga memento.4 Schließlich kommen wir zu VII 10: et solus Stimicon caneret pallente corymbo, VII 10: quem sine te maesti tenero donauimus haedo. et add. Castiglioni. Hier irrt m. E. Castiglioni, der den langen Vokal mit dem eingeschobenen et verschmelzen läßt. Ihm folgen Giarratano und Korzeniewski. Castiglionis Vorschlag war brilliant: er interpungiert nach caneret und setzt pallente corymbo dem tenero haedo parallel. Keene da¬ gegen, Schenkl und Amat interpungieren traditionsgemäß nach corymbo und lesen VII 10 ohne et. Die gewichtigste Argumentation gegen Castiglionis et hatte bereits M. Haupt geliefert.5 Gegen die Konjektur argumentierte auch R. Verdiere, dem L. di Salvo gefolgt ist.6 Auch ich schließe mich der Tradition an, obgleich nicht ohne Vorbehalt, den die Bedeutung von corymbo dotiare hervorruft.7 Daraus folgt im ganzen, daß

1 Calpurnii et Nemesiani Bucolica rec. H. Schenkl, Lipsiae-Pragae 1885; Calpurnii et Nemesiani Bucolica tertium edidit Einsidlensia quae dicuntur carmina iteratis curis adiecit Caesar Giarratano, Torino 1951. Richtiges schreibt auch Ch. H. Keene: „Haupt is doubtless right in omitting the preposition, which is unnecessary to the sense.“ Er behält trotzdem in im Text. 2 Vgl. S. Timpanaro, Lucrezio III1, Philologus 104 (1960), S. 147-149. 3 Der unumstrittene Exempel ist Calp. HI 82: qui metere occidua. 4 pix Bührens, tu add. Bührens. 5 S. 361-362. Es handelt sich um den Gebrauch der Synaloephe. 6 R. Verdiere, Etudes prosodique et metrique, S. 14-15; T. Calpurnio Siculo, Ecloga VII. Introduzione, edizione critica, traduzione e commento a cura di Lucia di Salvo, Bologna 1990, S. 54, 79-81. 7 Im übrigen hätte Castiglioni, obgleich ich auch dies bei Calpurnius nicht vermuten würde, eine weniger anstößige Ergänzung Vorschlägen können: quem sine te maesti tenero donauimus haedo. Falls jemand pallente corymbo auf donauimus bezieht und nach caneret ein Komma setzt, so muß er Vers 10 mit einer crux versehen oder das Asyndeton verteidigen. Ein Auftakt vor dem Relativsatz der Art, wie es Castiglioni vorschlug, ist nicht undenkbar, aber selten, bei Calpurnius vielleicht ohne Paralelle. Man kann auch fragen, ob sich nicht pallente corymbo als Abi. abs. auf die Jahreszeit (bzw. die Umgebung des Auftritts des Stimicon) beziehen läßt. Vgl. noch Verg. III 39: diffusos hedera uestit pallente

197

bei Calpumius Siculus

wir bei Calpumius Siculus 11 Beispiele für Synaloephe finden und nur drei latente Wortschlüsse im 4. longum: IV 40, 134 und VII 77. Erörtert habe ich diejenigen textkritischen Probleme, die in unmit¬ telbarer Berührung mit dem Bau des 4. Fußes stehen. Jetzt möchte ich alle Verse aufzählen, in denen zusammen mit dem 4. longum ein absolu¬ ter Wortschluß vorliegt. Latente Wortschlüsse sind mit (lat.) gekenn¬ zeichnet. Calp. ecl.

absoluter Wortschluß im 4. longum

Summe

%

6, 8, 9, 10,11, 15, 19, 23, 25, 27, 31, 33, 34, 36, 37, 38, 39, 41, 43, 45, 46, 47, 50, 51, 53, 56, 57, 61, 64, 66, 69, 70, 72, 73, 74, 75, 77, 79, 80, 82, 86, 88, 93, 94.

44

46,80

2, 4, 6, 31, 34, 67, 69, 94, 98,

7, 9, 10, 11, 13, 14, 19, 21, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 30, 36, 38, 44, 45, 47, 50, 51, 53, 55, 56, 57, 61, 64, 66, 70, 71, 73, 75, 79, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 100.

53

53,00

2, 4, 7, 8, 9, 15, 16, 17, 18, 19, 21, 22, 24, 25, 26, 28, 29, 31, 32, 33, 34, 35, 38, 41, 46, 49, 55, 59, 61, 62, 65, 68, 74, 75, 76, 78, 79, 81, 86, 87, 88, 90, 91, 92, 96, 97.

46

46,94

3, 5, 6, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 20, 25, 26, 27, 29, 31, 32, 34, 36, 37, 39, 40 (lat.), 41, 44, 46, 47, 50, 51, 54, 58, 59, 60, 61, 62, 65, 66, 68, 70, 76, 78, 82, 83, 86, 93, 96, 134 (lat.), 136, 98, 99, 100, 102, 105, 106, 107, 108, 110, 113, 117, 118, 121, 122, 123, 124, 128, 129, 130, 137, 143, 144, 145, 146, 150, 155, 160, 161, 163, 164, 165, 166, 169.

82

48,52

4, 5, 7, 9, 12,16, 25, 26, 27, 29,* 1 30, 31, 33, 34, 36, 40, 41, 46, 50, 51, 53, 55, 57, 58, 64, 69, 70, 71, 72, 74, 76, 80, 82, 85, 86, 88, 92, 96, 100,102, 104,105,106,107,108,109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116,117, 118, 119, 120.

57

47,50

VI 92

4, 9, 16, 18, 20, 21, 22, 25, 26, 28, 31, 32, 35, 37, 38, 44, 46, 47, 48, 49, 50, 53, 56, 58, 61, 63, 67, 68, 69, 71, 73, 74, 75, 76, 77, 79, 80, 81, 83, 84, 86, 87, 89, 90, 91, 92.

46

50,00

VII 83

1, 2, 5, 6, 7, 9, 10, 12, 13,17, 18, 20, 21, 23, 33, 35, 36, 38, 39, 41, 44, 46, 48, 49, 51, 53, 55, 57, 58, 60, 62, 63, 73, 74, 77 ('lat.'), 78, 82, 83.

37

44,58

365

48,28

I 94 II 100 III 98 IV

169 V 120

756

In 756 Hexametern des Calpumius Siculus erscheint im 4. longum ein absoluter Wortschluß nur 362mal, ein latenter nur 3mal. Das macht

corymbos, und dazu Culex 144, dann Culex 405: chrysanthusque hederaeque nitor pallente corvmbo und Calp. IV 56: et modo te Baccheis Musa corxmbis munerat. was wiederum Castiglionis corymbo donare naheliegt. 1 Gemeint ist V. 28a + 29b = imbuat: hac canipos ouibus, dumeta capellis.

198

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

weniger als 50% aus! Einer der Gründe dafür ist der häufige absolute Wortschluß nach dem 4. Trochäus ^mal),1 und diese an und für sich nicht allzu hohe Zahl 73 ist dennoch entscheidend. Denn anstelle des Wortschlusses im 4. longum könnte sonst der Wortschluß nach dem 4. biceps, sei es daktylisch oder spondeisch, viel häufiger erscheinen. Dies ist aber bei Calpurnius nicht der Fall.2 Offensichtlich baute er in Hexa¬ metern mit der semiquinaria als Hauptcaesur das zweite Hemistichion be¬ wußt anders als Vergil, indem er nach der Hauptcaesur häufiger ein längeres Wort als ein spondeisches oder anapästisches lokalisierte3 sowie durch den Wortschluß nach dem 4. Trochäus die Wortschlüsse 7 und 8 eliminierte. Es bleibt zu untersuchen, ob die semiseptenaria als Haupt¬ caesur auch relativ seltener ist als bei Vergil.4 5 Vorher werden aber einige Hexameter besprochen, zuerst die mit der semiquinaria. III 19: Tityre, quas dixitjl salices pete solus / et illinc III 86: quod si turpis amor II precibus. quod abominor, istis 87: obstiterit, laqueum II miseri nectemus ab illa ilice / In allen drei Versen ist das Vorherrschen der semiquinaria evident. Sowohl salices pete als auch miseri nectemus gehören eng zusammen; precibus ... istis mit dem eingeschobenen Relativsatz gehört zu dem Verb obstiterit. Dem Vers III 86, aber auch dem Vers IV 29, ist IV 36 ähnlich: IV 36: ecce nihil querulum II per te, Meliboee sonamus. Auch IV 17: haec eadem nobis II frater meditatur Amvntas ist besser so gegliedert. IV 29: Haec ego, confiteor,II dixi, Meliboee,/ sed olim: Die Pause nach dem parenthetischen confiteor ist viel stärker als die leichte Absetzung nach dixi, nach dem der Vokativ sofort aufgenommen wird. Confiteor5 unterbricht das ganze Kolon, in dem die zweitstärkste Pause nach Meliboee anzunehmen ist.

1 Vgl. oben S. 165. 2 Vgl. oben S. 116-117. 3 Beobachtung (wenigstens in Calp. VII): wenn 7 die Hauptcaesur ist, kommt es häufig zum Zeilensprung. 4 Die Hexameter mit der Caesur xarä tqi'tov rgoyaiov und dem Wortschluß 7 wurden im III. Kapitel behandelt und sind in der Tabelle auf S. 149 aufgelistet. Es sind folgende 26 Verse: Calp. 110, 56, 74, 93; II6, 26, 86; III 2, 16, 46; IV 6,12, 32, 47, 51, 54, 60, 61, 130, 146; V 7; VI 28, 48, 79; VII 7, 63. Zu Calp. VI 67, den ich auf S. 147 den Versen mit der semiseptenaria als Hauptcaesur zugewiesen habe und daher jetzt in die Tabelle aufnehme, möchte ich anmerken, daß dies kolometrisch nicht so eindeutig erscheint, um die Annahme der Caesur xarä tqltov rgoyaTov zu verhindern. 5 Es fällt auf, daß Calpurnius neben memini auch fateor und confiteor in eingescho¬ bener Stellung gebraucht.

bei Calpumius Siculus

199

IV 137: Di, precor, hunc iuuenem,11 quem uos I (neque fallor) ab ipso aethere misistis / Ich habe oben drei ähnliche Fälle aus Vergil erwähnt.1 Es handelt sich darum, daß, auch wenn die semiquinaria die Hauptcaesur ist, an der Stelle der semiseptenaria ein Kolon endet oder eine Pause im Vortrag auftreten muß. Vergils Verse sind: III 13: fregisti et calamos:ll quae tu,l peruerse Menalca, III 48: si ad uitulam spectasjl nihil est I quod pocula laudes. III 53: nee quemquam fugio:ll tantumj uicine Palaemon. Auch Calpumius bietet einige Verse der Art: VI 75: Tu modo nos illis II (iam nunc,l Mnasylle, precamur) VII 48: certatim radiant;ll nec non,l ubi finis harenae VII 55: dentibus aequatis;ll et erat I (mihi crede, Lycota, si qua fides). Nun kehren wir zum Thema zurück. IV 163: Tityre, rura priusjl sed post I cantabimus arma.‘ Hier dominiert die semiquinaria offensichtlich. Trotzdem sollen wir auf das selbständige temporale post aufmerksam werden.2 V 106: ne pigeat ramos II siccis miscere recentes et sucos adhibere nouos:ll7 Auch in VI 20 überwiegt die semiquinaria: Vis igitur, quoniam nec nobis, improbe, par es, VI 20: ipse tuos. iudex,\I calamos committere nostris?3 Es ist genau die in der Prosa übliche Zuordnung des Vokativs.4 VI 74: Astyle, tu PetalenJI LycidaJ tu Phyllida lauda. VII 9: et solus Stimicon II caneret I pallente corymbo hier 5 H angesichts des Gewichts des Subjekts solus Stimicon und auch aufgrund der Verssymmetrie,5 während VI 74 die Caesuren mehr zum Gleichgewicht neigen, auch wenn die semiquinaria dominiert. Außerdem ist die semiquinaria mit Sicherheit in Calp. I 51, 94, III 21 und VI 73 die Hauptcaesur. Im Hinblick auf die Verssymmetrie liegt es nahe, eine semiquinaria in etwa sechs derartigen Hexametern des Calpumius Siculus anzunehmen: IV 13: auribus et nostro II tantum memorabile pago. obwohl sich tantum auf nostro bezieht;

1 2 3 4 5

Vgl. oben S. 186. Vgl. oben S. 20-21. Iudex setzt R. Verdiere in seiner Ausgabe von 1954 zwischen Kommata. Vgl. oben S. 34. Zur Textkonstitution und Interpunktion des Verses siehe S. 196 mit Anm. 7.

200

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

IV 15: carminis, at certe II ualeat pietate probari.1 IV 76: hos potius, magis hos II calamos sectare,/ canales et preme,/ qui dignas cecinerunt consule siluas.2 Nicht nur wegen der emphatischen Anapher, sondern auch wegen der Pause nach sectare muß die semiquinaria diesen Vers gliedern. Die Vor¬ anstellung des Objekts canales im Auftakt verleiht ihm ein besonderes Gewicht, dessen Bedeutung der folgende Relativsatz erhellt. V 9: hos Obi do I senior II iuueni pater.II ipse tuendos accipe. Hier liegt wegen des emphatischen tibi eine leichte Pause in der semiternaria nach do und eine starke in der bukolischen Diaerese vor. Wegen der letzteren bildet die semiquinaria die Achse des Verses.3 VI 58: Et uacat et uestros II cantus audire iuuabit VI 87: efficerem, ne te II quisquam tibi I turpior esset. Eine andere Situation liegt in II 19 vor: neglectaque pascua tauri II 19: calcabant, illis II etiam I certantibus ausa est daedala nectareos II apis intermittere flores. Da etiam zu apis ausa est intermittere gehört, kann man hier eher an eine schwache semiquinaria denken, die aber mit dem Wortschluß nach etiam in einer gewissen Spannung steht. Das Gleichgewicht beider Caesuren ist bei Calpurnius seltener zu beobachten als bei Vergib Ein echter Fall ist III 28: haec ego cum uidi,ll fateorjl sic intimus arsi, wo die beiden Caesuren im Verhältnis gleichberechtigter Nebencaesuren zueinander stehen.4 In einem zweiten Fall verhält es sich anders: man kann entweder die eine oder die andere Caesur mit etwa gleicher Berech¬ tigung anerkennen: I 70: nee uacuos tacitus \\5 fasces I et inane tribunal accipiet consul: Es gibt eine Alternative: Man kann der Kolometrie des Satzes folgen und durch die semiseptenaria uacuos fasces hervorheben, man kann aber auch, was meiner Meinung entspricht, zugleich den tacitus consul und das gewichtige Objekt fasces ei inane tribunal hervorheben, dies aber nur durch die semiquinaria.5

1 2 preme 3 4 5

Vgl. auch oben S. 161. Zur Textkonstitution siehe die kritischen Ausgaben. Schenkls Konjektur hos ist erwägenswert. Mit der semiseptenaria hinge pater isoliert ,in der Luft1. Vgl. oben S. 186. Als ein dritter Fall wäre VI 74 zu erwägen (siehe oben S. 199).

bei Calpumius Siculus

201

Die letzte Gruppe bilden Hexameter, deren kolometrische Struktur an Caesurlosigkeit zu denken erlaubt:1 II 44: Me teneras salices iuuat / aut oleastra putare II 66: rorantesque fauos damus / et liquentia mella IV 65: ille fuit uates sacer / et qui posset auena praesonuisse chelyn. V 105: gnauaque sedulitas redit / et pastoria uirtus. V 109: incuruare uelit nemus / et constringere frondes, V 120: sed iam sera dies cadit / et iam sole fugato ... Der Anteil derartiger Hexameter ist bei Calpurnius ungefähr so hoch wie in Vergils Hirtendichtung,2 sie sind aber, im Unterschied zu Vergil, der verschiedene kolometrische Varianten zeigt, nach einem Schema gebaut. Trotz der Versuchung, hier oder da eine verdunkelte semiquinaria oder eine schwache semiseptenaria3 * anzunehmen, kann doch niemand be¬ haupten, daß in so gebauten Hexametern eine bestimmte Caesur die Hauptcaesur sei. Erörtert habe ich (paradoxerweise - könnte man sagen) Verse mit der semiquinaria oder ohne Hauptcaesur, obwohl es die semiseptenaria ist, die im Mittelpunkt des Kapitels steht. Aber es gibt wohl kaum jeman¬ den, der nicht sähe, daß dies geschehen mußte. Denn die für die eine oder für die andere Hauptcaesur relevanten Erscheinungen sind in den besprochenen Versen aufs engste miteinander verknüpft. Dieses Ver¬ fahren bringt noch den Vorteil mit sich, daß nahezu alle kolometrisch relevanten Hexameter behandelt werden. Aber jetzt sollen einige Verse mit der semiseptenaria als Hauptcaesur unsere Aufmerksamkeit finden. I 8: Hoc potius, frater Corydon,\I7 nemus.ll antra petamus ista patris Fauni. Durch das starke Kolonende in der bukolischen Diaerese tritt hier die semiseptenaria nur sehr schwach in Erscheinung. licet omne uagetur I 38: securo custode pecus II nocturnaque pastor ... Mit pecus endet ein Kolon. I 43: et redit ad terras tandem II squalore situque alma Themis posito / Tandem bezieht sich auf redit und steht an der Kolongrenze; der Ablativus absolutus squalore ... posito ist ein Kolon.

1 Für eine Ausnahme (Calp. III 33) siehe unten S. 202. Vgl. oben S. 183. 3 Vor allem wenn jemand erst nach der ,auftaktmäßig* artikulierten Konjunktion anheben möchte. 2

202

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

II 4: uoce sonans. hi, cum terras II grauis ureret aestas,1 conueniunt. Ein von mir nach hi gesetztes Komma erläutert die kolometrische Struktur des Abschnittes II 4-7. III 33: nunc penes Alcippen manet / ac,ll ne forte negetur 34: a! uereor; nec tarn nobis II ego Phyllida reddi exopto / quam cum Mopso iurgetur anhelo. Dieser an die caesurlos strukturierten Hexameter erinnernde Vers (33) hat doch die semiseptenaria, weil mit ne ein Kolon beginnt. Die Inter¬ punktion, die diese Tatsache verdeutlicht, stammt von mir. Auch der folgende Vers 34 hat die semiseptenaria, vor welcher das mit Emphase zu sprechende nobis parallel zu cum Mopso steht. VII 82: obfuerunt. utcumque tarnen II conspeximus ipsum Da man utcumque von tarnen nicht trennen kann, ist die semiseptenaria die Hauptcaesur.2 Ebenfalls hat Calp. III 76 dieselbe Hauptcaesur: III 76: his tarnen, his isdem manibus II tibi saepe palumbes, und nicht zuletzt das kunstvolle Trikolon VI 53: terga sedentjl3 * * * micat acre caput,II7 sine pondere ceruix. Somit sind weitere acht Verse des Calpurnius Siculus kolometrisch erklärt worden, diesmal diejenigen mit der semiseptenaria als Haupt¬ caesur. Nun können alle Belege für die semiseptenaria als Hauptcaesur in der Tabelle dargestellt werden.

1 Vgl. oben S. 161. Ein echter leoninus ist Calp. VII12: iussit et arguta iuuenes certare cicuta. 2 Das ist nicht eine ähnliche Situation wie z. B. in Ov. am. 14, 11: quae tibi sint facienda II tarnen cognosce, nec Euris t da mea nec tepidis uerba ferenda Notis oder Verg. ecl. I 27: Libertas, quae sera II tarnen respexit inertem. Auch in der Prosa steht tarnen in der Regel am Kolonanfang. Für den Grund der selten vorkommenden Nach¬ stellung siehe H. Menge, Repetitorium..., Wolfenbüttel 191410, § 524, 6 und § 446.

203

bei Calpurnius Siculus

Calp. ecl.

Verszahl

I

94

II III IV V

VI VII

100 98 169 120

92 83

756

7H

8, 11, 31, 33, 34, 37, 38, 43, 46, 47, 53, 61, 72, 75, 82. 4, 9,10, 13, 27, 34, 45, 82. 24, 29, 31, 33, 34, 35, 61, 65, 76, 79. 3. 8. 11. 34. 70. 107. 110. 143. 150. 7, 25, 26, 29,1 34, 41, 46, 50, 51, 57, 58, 69, 70, 71, 80, 86, 92, 100, 107, 108. 110. 112. 117. 119. 32, 35, 44, 53, 67, 83, 89. 1, 13, 36, 41, 62, 82.

Summe

% abs.

% rel.

15 8 10 9

1,98 1,06 1,32 1,19

15,96 8,00 10,20 5,32

24 7 6

3,17 0,92 0,79

20,00 7,61 7,23

79

10,45



Wenn wir die absoluten Prozentzahlen in einzelnen Eklogen Vergils und des Calpurnius vergleichen,2 stellen wir eine Ähnlichkeit fest, die aber täuschend ist, was die relativen Prozentzahlen beweisen: In keiner Ekloge des Calpurnius ist der Anteil der semiseptenaria höher als 20% (nur Calp. V erreicht diese Zahl), in vier Gedichten liegt er unter 10%.3 Insgesamt ist die semiseptenaria in 17,96% der Hexameter Vergils gemeint sind Hirtengedichte - und in 10,45% der Hexameter des Cal¬ purnius Siculus die Hauptcaesur. Wenn wir dazu noch den Anteil der semiseptenaria unter allen Wortschlüssen im 4. longum berücksichtigen, was ich als Funktionalität bezeichne,4 erhalten wir 21,64%. Auf die einzelnen Eklogen verteilt es sich folgendermaßen: Calp. I - 34,09%, II 15,09%, III - 21,74%, IV - 10,97%, V -42.10%. VI - 15,22%, VII 16,22%. Diese Zahl 21,64% ist nicht viel niedriger als bei Vergil (25,89%). Dementsprechend könnten wir dieselbe Tendenz bei den beiden Dichtern feststellen, dabei dürfen wir aber nicht vergessen, daß ein Wortschluß im 4. longum bei Vergil in 69,37% der Hexameter, bei Calpurnius nur in 48,28% vorliegt.5 Auffällig zeigt sich ein Unterschied in den einzelnen Gedichten, denn Vergil hat in keiner Ekloge 40% und nur in der ecl. V leicht über 34% erreicht, Nemesianus aber in ecl. I und II.6 Es gibt also zwei Hirtengedichte des Calpurnius, in denen die

1 Vgl. oben S. 196 Anm. 1. 2 Für Vergil vgl. die Tabelle auf S. 190 mit Anm. 1, und die Angaben auf S. 191, für Nemesianus S. 226 mit Anm. 3; er erreicht in jedem Gedicht über 20%. 3 Calp. III erreicht 10,2%. 4 Vgl. oben S. 154 Anm. 6. 5 Vgl. oben S. 181 und 197. 6 Vgl. unten S. 226 Anm. 3.

204

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

Gebundenheit des Wortschlusses nach dem 4. longum an die Caesur höher ist als bei Vergil. Dies bedeutet aber zugleich eine Einschränkung in der Verstechnik. Wir können auch jeweils eine Ekloge mit der höchsten Funktionalität des Wortschlusses 7 - in diesem Fall Verg. V und Calp. V - außer acht lassen und dann die Gesamtzahl nochmals berechnen. Dieser Vorgang ergibt für Vergil immerhin 25,57% (124mal 7 H aus 485 Wortschlüssen 7), für Calpurnius aber nur 17,86% (55mal 7 H aus 308 Wortschlüssen 7).1 Daraus erkennen wir, daß sich die ecl. V des Calpurnius in dieser Hinsicht vom Gesamtbild stark unterscheidet, und miteinbezogen dieses Bild stark verändert. Nun erhebt sich eine interessante Frage, nämlich wie oft die semisep¬ tenaria eine Interpunktionscaesur, wie oft sie eine Sperrungscaesur ist.2 Vor allem möchte ich die Fälle mit einem stärkeren Sinneinschnitt, der eventuell durch Interpunktion, jedenfalls im Vortrag durch Intonation und eine Pause markiert sein mußte, auflisten. Dabei muß auf die bereits erwähnte Unterscheidung zwischen dem colon sensus und dem colon rhythmi geachtet werden, denn es gibt auch Kola, nach denen im Anschluß an die seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts akzeptierte Kon¬ vention (syntaktische Regeln) heute kein Interpunktionszeichen gesetzt wird. Dennoch: nicht jede so abgegrenzte syntaktische Einheit enthält einen geschlossenen Gedanken (colon sensus), nicht jede endet mit einer Klausel (colon rhythmi).3 Vielmehr erreichte die antike Praxis einen sehr hohen Grad an Übereinstimmung zwischen Rhythmus und Sinn, indem eine Klausel dort angestrebt wurde, wo eine syntaktische Einheit endete. Mit dieser antiken Praxis steht unsere Interpunktionspraxis vielfach im Widerspruch. Nun geht es darum, wie oft Calpurnius in der semisep¬ tenaria einen Satz beendet, der nicht weitergeführt wird. Davon gibt es nur 7 Fälle, wobei es sich viermal um einen Fragesatz (III 61, 65; IV 3; VII 36) und dreimal um einen Aussagesatz (III 29; V 25, 80) handelt. Diese Versstelle scheint für das Ende eines Fragesatzes besonders geeignet zu sein. Dennoch kann auch ein seltener Fall der syntaktischen Grenze in der semiseptenaria unter bestimmten Bedingungen Vorkom¬ men, dann nämlich, wenn der folgende Satz zu dem vorangehenden Aus¬ sagesatz in einem engen Verhältnis, sei es als Begründung, Einschrän¬ kung, Angabe näherer Umstände, Antithesis u. ä. steht. Dessen war sich Calpurnius bewußt: III 29: ut nihil ulterius tulerim.il nam protinus ambas V 25: quam fuerit placata Pales.ll tum caespite uiuo 1 In allen Eklogen war es bei Vergil 25,89%, bei Calpurnius 21,64%. 2 Für Vergil vgl. die summarischen Angaben auf S. 191. 3 Siehe oben S. 33 mit Anm. 5.

205

bei Calpumius Siculus

V 80: uulneribus laturus opem.ll nec Brutia desit pix tibi / Weiter müssen diejenigen Kolonenden Berücksichtigung finden, die einer Pause bedürfen, wo der Satz aber weitergeführt wird. Am stärksten erscheint die Parenthese: III 24: Phyllide contentus sola II (tu testis Iolla) VI 89: si uicibus certare placet II - sed non ego uobis arbiter: hoc alius possit discemere iudex. Auch jedes durch ein Komma, ein Semikolon oder einen Doppelpunkt markierte Kolonende,1 welches mit einer adversativen Konjunktion weitergeführt wird, wird vom Hörer als stark empfunden. Bei einer Anapher steht häufig kein Interpunktionszeichen, obwohl dort interpungiert werden sollte: in den meisten Fällen schwach, manchmal aber stark: Eins. I 37: hjc Heliconis opes florent,/ hjc uester Apollo est! a)

b)

IV 70: Est, fateor, Meliboee, deus:ll sed nec mihi Phoebus V 57-58: ad fontem compelle greges;ll nec protinus herbas et campos permitte sequi,II sed protegat illos V 119: plura quidem meminisse uelim,ll nam plura supersunt V 46: ueris enim dubitanda fides:ll modo fronte serena III 79: contigerant primaeque rosae;ll uixdum bene florem VII 1: Lentus ab urbe uenis, Corydon;ll uicesima certe nox fuit,/ I 34: haec populis uentura cano:ll iuuat arbore sacra I 37: uos populi gaudete mei:ll licet omne uagetur ipse uidebis V 92: serpentum cecidisse minas:ll non stringere dentes V 107: et sucos adhibere nouos:ll ut torrida nimbis instet hiems / sitis est pensanda tuorum V 112: Canthe, gregum uiridante cibo:ll nihil aridus illis, VI 32: ne tarnen hoc impune feras:ll en aspicis illum. candida qui medius cubat inter lilia, ceruum?

1 Ich richte mich nach Korzeniewski und gebe zugleich meinen Vorbehalt zu bedenken, den ich auf S. 191 zum Ausdruck gebracht habe: Die von mir genau besprochenen Hexameter beweisen, daß der Text des Calpurnius streckenweise von Herausgebern schlecht interpungiert ist; die meisten haben von Schenk! abgeschrieben.

206

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

Ähnliche Wirkung im Bereich der Parataxe weisen asyndetische Antithesen und mit einem Relativpronomen oder einer Anapher beginnende Kola auf: nulla catenati feralis pompa senatus a) I 61: carnificum lassabit opus,ll nec carcere pleno infelix raros numerabit curia patres V 28a-29b: imbuat: hac campos ouibusjl dumeta capellis orto sole dabis II 27: nec mora: decemunt digitisjl prior incipit Idas arbuta, cuius iners audito nomine tellus IV 110: incaluit floremque dedit;ll cui silua uocato densat odore comas V 51: iam siluis committe gregesjl iam longius herbas quaere; V 86: nunc etiam, dum siccus ager,ll dum feruida tellus, dum rimosa palus et multo torrida limo aestuat / VI 53: terga sedent, micat acre caput,II sine pondere ceruix VI 83: me. puto, uicinus StimiconJ! me proximus Aegon. Dazu muß man aber anmerken, daß die Anapher der Art wie Calp. VI 83 oder V 86 bei Vergil noch häufiger auftritt.

b)

Übrig bleiben zehn Hexameter, in denen nach der semiseptenaria ein Nebensatz eingeführt wird: I 82: at quondam non talis erat,II cum Caesare rapto indixit / (seil, me iuuat) II 45: et gregibus portare nouisjl ut carpere frondes condiscant II 82: V 70: 71: V 100:

(seil, dabimus tibi) castaneasque nuces totidem.ll cum sole Decembri maturis nucibus uirides rumpentur echinni. consimiles include comas,II ne longa minutis, mollia ne duris coeantjl ne candida fuscis1 nunc hiemi seruare comasjl dum permanet umor, dum uiret ...

VI 44: extrema ceruice natant,ll ubi. pendulus apri VII 41: ,ad tantas miraris opes,‘ll guf nescius auri

1 Finalsatz mit Anapher.

bei Calpurnius Siculus

207

VII 62: iactantur per colla iubaejl quibus aspera mento barba iacet IV 150: tarn liquidum, tarn dulce canuntjl ut non ego malim. Infolge dieser Übersicht ist klar, daß von 79 Fällen der semiseptenaria als Haupcaesur die meisten kolometrisch (syntaktisch) motiviert sind. Die 43 Belege machen nur jene Kola aus, die mit einem Interpunk¬ tionszeichen markiert sind.1 In dieser Hinsicht heben sich die Eklogen III und V von den übrigen ab: in der ersten sind 6 Caesuren von 10, in der zweiten 16 von 24 durch den Einschnitt markiert. Hinsichtlich der restlichen 35 Hexameter mit der semiseptenaria als Hauptcaesur könnte man mit gutem Grund vermuten, daß es sich jeweils um eine Sperrungscaesur handle. Dies wollen wir überprüfen. In I 8 haben wir es im 4. longum mit der Grenze eines parataktisch zu fassenden Ausrufes zu tun, welcher in ein gewichtiges, in der bukolischen Diaerese endendes Objekt eingeschoben ist. I 8: Hoc potius,frater Corydon,\ nemus.ll antra petamus ista patris Fauni.2 Eine ähnliche Situation finden wir in II 34. II 34: accipe dixerunt Nymphae II puer, accipe fontes. Auch in I 11 und in III 76 wird ein Teil des Kolons bis zur Hauptcaesur durch ein gewichtiges Objekt gebildet: I 11: bullantes ubi fagus aquas II radice sub ipsa protegit / III 76: hjs tarnen, hjs isdem manibus II tibi saepe palumbes. Kann man aber die beiden Arten als Sperrungscaesur auffassen? Sie unterscheiden sich doch von der ursprünglichen Drexlerschen Fassung. H. Drexler nämlich bezeichnet mit dem Ausdruck ,Sperrungscaesur1 das Hyperbaton, dessen Teile vor der semiquinaria (bzw. vor der Caesur xarä tqitov tqoxcüov) und am Versende stehen. Es gibt keinen Grund, von dieser Bezeichnung abzuweichen.3 Ebenso kann man als ,Sperrungs¬ caesur4 eine Caesur bezeichnen, die durch das Hyperbaton, dessen Ele¬ mente am Versanfang und nach der Hauptcaesur erscheinen, zustan¬ dekommt, nicht aber eine Caesur, wenn das ganze Hyperbaton ent-

1 Vgl. aber oben S. 204 und die Weiterführung dieses Gedankes unten. 2 Ehe man im folgenden Vers nicht ista hört, ist man bereit, hoc and xoivov auch auf antra zu beziehen. Also angesichts dieses Chiasmus ist auch nach nemus eine deutlich hörbare Pause (8b) anzunehmen. Zu IV 146 siehe oben S. 148. 3 Im übrigen, nicht im Hinblick auf ,Sperrungscaesur1, findet sich bei Drexler eine differenzierte Terminologie zur Sperrung (Hyperbaton) z. B. in Hexameterstudien /, S. 459-460, Hexameterstudien II, S. 39.

208

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

weder nach der Hauptcaesur (z. B. der Sperrungstypus II) oder vor dieser,1 wie in den zwei oben angeführten Versen des Calpurnius, lokali¬ siert ist. Es gibt auch andere Formen der syntaktischen Gliederung in der semiseptenaria. In I 43 fällt in die semiseptenaria ein Sinneinschnitt, nach dem ein neues Kolon, in diesem Fall ein Abi. absolutus, beginnt: I 43: et redit ad terras tandem II squalore situque alma Themis positoW5. Andere Hexameter, in denen die kolometrische Strukturierung ähn¬ lich ist wie die in den Versen mit der semiseptenaria als Sperrungscaesur im eigentlichen Sinne, die aber in Wirklichkeit keine semiseptenaria haben, können hier ausgespart bleiben.2 Nur der fragliche Vers VI 67 läßt an eine Sperrungscaesur denken: dependet scopulisque cauum II sinuantibus arcum.3 Hierzu gehört auch der oben angeführte und im Kontext analysierte Vers V 7 mit der semiseptenaria.4 Die semiseptenaria als eine echte Sperrungs¬ caesur erscheint also bei Calpurnius nur an zwei Stellen. Sonstige Fälle weisen parataktische Gliederung auf; an sich haben wir es auch hier mit einem Kolonende zu tun, z. B.: I 31: mira refers;l sed rumpe moras II oculoque sequaci quam primum nobis diuinum perlege carmen. licet omne uagetur I 38: securo custode pecus II nocturnaque pastor claudere fraxinea nolit I 47: post tergum Bellona manus II spoliataque telis in sua uesanos torquebit uiscera morsus, und noch I 53 (ein Teil des gewichtigen Objekts), I 72, (vgl. auch I 75); II 10 (Antithese), 13; III 31; IV 8, 11 (ut vergleichend, das Komma ist überflüssig), 34, 107; V 26 (Trikolon), 34, 41 (Tetrakolon), 50 (Abi. abs. als Kolon), 69, 108, HO;5 VI 35; VII 13. Einmal finden wir eine Hypotaxe: In I 46 beginnt nach der semiseptenaria ein Hauptsatz:

1 An sich eine Inversion des Sperrungstypus II. 2 Z. B. Calp. I 74, II 9, III 35, IV 143, V 117, VII 82. Einige dieser Verse haben die beiden Wortschlüsse 3tr und 7 und die Caesur xarä tqitov rgoyaTov als Hauptcaesur, z. B. I 74: exsultet quacumque II No tum gens ima iacentem. Daher wurden sie im III. Kapitel behandelt; siehe S. 147-148. Für Nemes. vgl. unten S. 225 Anm. 2. 3 Vgl. oben S. 147. Das ist ein klasischer Fall der Doppelsperrung. Mehrere Belege und Erläuterungen bei H. Drexler, Hexameterstudien /, S. 450-452, S. 516-520 4 Siehe S. 147. 5 Ein Komma vor dem zweiten aut wünschenswert; auch vor et in VII 13.

bei Calpumius Siculus

209

I 46: dum populos deus ipse reget,II dabit impia uinctas1 post tergum Bellona manus II. Ungeachtet, ob wir jetzt die überprüften 35, oder alle 78 Hexameter in Erwägung ziehen, stellen wir fest, daß wir bei Calpurnius nur drei Verse finden, in denen in der semiseptenaria kein Kolon endet oder ein solches durch einen eine Pause verursachenden Einschub unterbrochen wird, nämlich I 11, III 76, und womöglich VI 67. Die übrigen Hexa¬ meter aus den genannten 35, vor allem die parataktischen Kola ohne ein Interpunktionszeichen, sind den anderen 43 Fällen gleichzusetzen: Alle erfordern eine Pause im Vortrag.2 Die Schlußfolgerung liegt angesichts dieser Tatsachen auf der Hand. Die semiseptenaria eignet sich - im Gegensatz zur semiquinaria - vorwiegend als Interpunktionscaesur. An dieser Versstelle enden und beginnen Kola: einerseits parenthetische Sätze und Antithesen im Bereich der Parataxe, andererseits Nebensätze. Als typische Sperrungscaesur ist dagegen die semiseptenaria nicht geeignet, und dies nicht so sehr, weil es nach ihr zu wenig Raum für ein Hyperbaton gibt, sondern aus rhythmischen Gründen: Bei einem Wort¬ schluß im 3. longum muß vor der semiseptenaria ein spondeischer oder ein anapästischer Worttyp stehen, bei einem Wortschluß nach dem 3. Trochäus ein jambischer. H. Drexler hat nachgewiesen, daß jambische Wörter vor der Caesur ein Kolon- oder Satzende kennzeichnen, während spondeische und anapästische Wörter vorwärtsweisend (konjunkt) sind;3 sie evozieren Erwartung auf Auflösung der Spannung oder - anders gesagt - auf das Thema. Es ist leicht an den zitierten Versen zu beob¬ achten, daß es bei Calpurnius am häufigsten jambische Wörter sind, die vor der semiseptenaria stehen.4 Möglich, aber selten, ist die Sperrung, bei der Attribut und Beziehungswort am Versanfang und nach der semiseptenaria erscheinen. Eine andere Möglichkeit bildet die Stellung am Versanfang und vor der Hauptcaesur, die üblicher und häufiger ist, weil sie vor der semiseptenaria einen Teil eines Kolons, vielfach ein gewichtiges Objekt oder Subjekt, zu stellen erlaubt.

1 Mit ,anteposition de riposte1; dazu siehe S. 124 mit Anm. 1. 2 Es ist bei Vergil grundsätzlich nicht anders; vgl. oben S. 191 mit Anm. 3. 3 Vgl. z. B. H. Drexler, Hexameterstudien II, S. 5, 18, 51; Hexameterstudien III, S. 67; Hexameterstudien IV insgesamt, wo Worttypen vor der semiquinaria mit allen Sperrungsvarianten untersucht werden; Hexameterstudien V, S. 8-9 zu Hexametern mit der semiseptenaria. 4 Es sind bei Calpurnius 54 jambische Wörter vor der semiseptenaria, 6 spondei¬ sche, 17 anapästische, bei Vergil 44 jambische, 39 spondeische, 44 anapästische, bei Nemesianus 33 jambische, 15 spondeische, 19 anapästische Wörter. Siehe auch Anhang 4, S. 228-230.

210

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

Es bietet sich noch an, auf mögliche Umstellungen bei einem molossischen Anfangswort hinzuweisen.1 Diese Möglichkeit besteht bei Calpurnius nur in V 113: *ingenti quamuis positus strue, prosit aceruus, und, wie es sich bei Vergil verhielte,2 wäre auch hier der Vers weniger schön.3

3. Die semiseptenaria in den Carmina Einsidlensia In Eins. I endet ein Wort zusammen mit dem 4. longum 27mal, in Eins. II ebenfalls 27mal. Außerdem findet sich in Eins. I an dieser Versstelle zweimal ein latenter Wortschluß, was in diesem Gedicht insgesamt 29 Wortschlüsse an dieser Stelle ergibt: I 22: Maxime diuorum II caeliqu(e) aeterna potestas I 30: quae genuit mundum II septemqu(e) intexuit orbis Diese Tatsache wird bei der Erörterung der Autorfrage aufzugreifen sein. Jedenfalls sind diese zwei Synaloephen in 47 Versen erheblich mehr als die drei in den 756 Hexametern des Calpurnius Siculus an derselben Versstelle. Eins.

Verszahl

I

47

II

38

absoluter Wortschluß im 4. longum4

2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 15, 18, 21, 22 (lat.), 25, 26, 27, 29, 30 (lat.), 34, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 44, 47, 48. 1, 3, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 12, 13, 14, 17, 18, 19, 21, 22, 23, 25, 26, 28, 29, 30, 33, 35, 36, 37, 38.

Summe

%

27(+2)

61,70

27

71,05

Gleichzeitig möchte ich auf andere Wortschlüsse im 1. Hemistichion in den oben angeführten Versen mit dem Wortschluß 7 hinweisen:

1 Vgl. oben S. 176, 177 f. und 180. 2 Vgl. oben S. 176-178. 3 Calpurnius schrieb ingenti positus II quamuis strue, prosit aceruus. Erstens finden wir hier den Sperrungstypus I bei der semiquinaria, zweitens einen Daktylus im 2. Fuß nach einem .langsamen1 Versanfang, drittens tritt quamuis an eine unbetonte Stelle. Bei der Umstellung verschwinden alle drei Vorzüge auf einmal. 4 Ich habe Eins II 6: uigiles I quoque und II 36: non I irascitur in die Tabelle auf¬ genommen. Die Verse mit der Caesur xarä tqi'tov rpoxaTov (Eins. II 10, 35 und 38) wurden auf S. 155 behandelt. Im übrigen gehört das pyrrhichische Wort zu dem vorangehenden in Eins. II 4, 14 und 29.

in den Carmina Einsidlensia

211

1) Wortschluß 3 ohne 5: a) Wortschluß 3 und 3tr: I 6, 26, 27, 40; II 10, 23, 30, 35, 38. b) Wortschluß 3 und 4 (= nach dem 2. biceps): I 8, 15. 2) Wortschluß 5 ohne 3: a) 2tr und 5: I 7, 18, 29, 37, 38, 41, 47; II 17, 19, 28, 37. b) ld und 5: I 9, 12, 13, 21, 44, 48; II 3, 4, 5, 29, 33. c) ls und 5: I 36; II 25. d) ltr und 5: I 39. Da es insgesamt in Eins. I einundzwanzig, in Eins. II nur fünfzehn derartige Verse gibt, erkennen wir die größere Regelmäßigkeit des Versbaus in Eins. II, wo bei Wortschluß 7 auch die beiden Wortschlüsse 3 und 5 häufiger auftreten. Darüber hinaus fehlt in Eins. II die Kombina¬ tion 3 + 4 + 7 und ltr + 5 + 7. Dies ist ein bedeutender Unterschied in der Verstechnik. Auch in der Frequenz der semiseptenaria als Hauptcaesur unterscheiden sich die beiden Einsiedler Hirtengedichte stark vonein¬ ander: im ersten haben wir die semiseptenaria als Hauptcaesur mit Sicherheit 8mal, im zweiten höchstens dreimal (mit Eins. II 30).1 Zunächst wollen wir einige Hexameter besprechen. Die Verssymmetrie läßt in Eins. I 3 semiquinaria erkennen: I 3: Haud moror: et casti II nemoris I secreta uoluptas inuitat calamos / Dasselbe tritt in Eins. I 21 auf, wodurch das prädikativ gebrauchte alternus hervorgehoben wird: incipe Lada I 21: tu prior, alternus II Thamvras imponet honorem. Auch in Eins. I 38 könnte man um der Symmetrie willen für eine semiquinaria eintreten: I 38: tu quoque, Troia, sacros II cineres II7 ad sidera tolle atque Agamemnoniis II opus hoc ostende Mycenis, wie es in ähnlichen Fällen ohne ein Kolonende im 4. longum üblich ist. Man kann aber auch die semiseptenaria als Hauptcaesur gutheißen: dann wäre das Objekt durch Troia ...ad sidera tolle eingerahmt. Die kolome¬ trische Struktur dieses Hexameters ist ähnlich der Struktur des Eins. I 3, aber nicht mit ihr identisch. Aus kolometrischen Gründen nehme ich Eins. I 38 in die Tabelle der Verse mit 7 H. Ebenfalls fällt die Entschei¬ dung zu Eins. II 7 schwer: II 7: Altius est, Glycerane,ll51 aliquid I quod non patet; erras. Wegen der Pause nach Glycerane und des sich darauf beziehenden erras überwiegt hier die semiquinaria latens; die semiseptenaria könnte zwar

1 Vgl. oben S. 155.

212

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

kolometrisch verteidigt werden, weil altius est und aliquid, ein Kolon, auf welches sich der Relativsatz auch rhythmisch anschließt, eng zusam¬ mengehören. Dies ist ein klassisches Beispiel eines unlösbaren Dilemmas: entscheidend kann nur die Vortragsweise sein.1 Ein echter Fall von Gleichwertigkeit beider Caesuren ist in den Carmina Einsidlensia nicht vorhanden. Zwei Hexameter mit der überwiegenden semiquinaria zeigen eine qezaßeoig:

Eins. I 7: uel caper ille, nota II frontem qui pingitur alba II 33: trinaque tempestasjl moriens cum Roma supremas sperauit . Als caesurlos ist Eins. I 25 einzustufen: I 25: carminibus uirgo furit / et canit ore coacto, aber Eins. II 36 hat eine eindeutige semiquinaria: II 36: nunc ratibus tutis II fera non irascitur unda. Demgegenüber hat Eins. I 34 eine klare semiseptenaria: I 34: caelestes ulli si sunt,II hac uoce locuntur! Das erste Kolon von I 34 ist eine ngöraoig; dies fordert eine semisepte¬ naria. Die Umstellung von si sunt verstärkt noch den in der ngöraoig so¬ wieso vorhandenen Zweifel.

Eins. I Eins. II

Verszahl

7H

Summe

%

47 38

6, 8, 15, 26, 27, 34, 37, 38, 40. 23, 26.

9 2

19,14 5,26

Es ergeben sich die folgenden Prozentzahlen für die Funktionalität des Wortschlusses 7: für Eins. I 31,03%, für Eins. II 7,41% (bzw. 11,11%).

absoluter Wortschluß 7 H absolut 7 H relativ

Eins. I 61,70% 17,02% 31,03%

Eins. II2 71,05% 5,26% 7,41%

1 Meiner Meinung nach sollte die Entscheidung zugunsten der semiquinaria latens ausfallen, in der mittels der Intonation „angehalten wird“. Man muß sich den Vers auf beide Weisen rezitieren um sich zu überzeugen, daß die semiseptenaria die beiden Verstehe voneinander trennen und den Relativsatz isolieren würde, während die semiqui¬ naria latens beide Verstehe miteinander verbindet. Man kann aber den Vers caesurlos vortragen. 2 Zu bemerken ist, daß mit dem nicht eindeutig einzuordnenden Fall von Eins. II 30 die absolute Prozentzahl für Eins. II 7,89%, die relative 11,11% betrüge.

in den Carmina Einsidlensia

213

Während die Häufigkeit des Wortschlusses im 4. longum in den beiden Einsiedler Gedichten etwa so hoch ist wie bis jetzt nur bei Vergil (69,37%)/ ergeben sich doch zwischen ihnen bedeutende Unterschiede in der Handhabung der semiseptenaria als Hauptcaesur: In Eins. I sind die beiden Zahlen annähernd so hoch wie bei Vergil,1 2 in Eins. II dagegen noch viel niedriger als bei Calpurnius Siculus.3 Dieser Unterschied in der Verstechnik ist für die Autorfrage gravierend. Auch hier möchte ich nicht an der Frage vorübergehen, wie häufig die semiseptenaria eine Interpunktionscaesur oder eine Sperrungscaesur sei. Deutlich haben wir mit einer Interpunktion sechsmal zu tun, denn auch eine Anapher und mancher parataktische Anschluß setzen eine Interpunktion voraus:4 I 40: iam tanti cecidisse fuitlll gaudete ruinae und condit securas tota spe messor aristas, II 26: languescit senio Bacchus,II pecus errat in herba, wo ein parataktisches abnehmendes Trikolon zwei Verse (25-26) füllt. Überdies erscheint dreimal eine Anapher, ausschließlich in Eins. I: I 26: fas mihi sit uidisse deos,ll fas prodere mundo. I 27: seu caeli mens illa fuit II seu solis imago, I 37: hjc Heliconis opes florentjl hjc uester Apollo est! oder eine parataktische Bindung II 23: Saturni rediere dies II Astraeaque uirgo. Nur einmal haben wir es mit der Hypotaxe zu tun: In Eins. I 34 beginnt nach dem 4. longum ein Hauptsatz (zitiert oben). Ansonsten füllt einmal das erste Kolon ein Acl als gewichtiges Objekt: I 6: Sed nostram durare fidem II duo pignora cogent. Trotz dieser Einzelphänomene unterscheiden sich die Einsiedler Gedichte von denen des Calpurnius Siculus vor allem durch einen Mangel an Fragesätzen und auch an Antithesen, die bei Vergil noch häufiger als bei Calpurnius sind. Ähnlich fällt dagegen das Verhältnis der Interpunktionszu der Sperrungscaesur aus: Von insgesamt 10 Caesuren in den beiden Gedichten sind 8 syntaktisch motiviert, darunter in Eins. II zwei sichere 1 Zu Nemesianus vgl. die Tabelle auf S. 215 und S. 226. 2 17,96% und - der relative Mittelwert für alle Eklogen - 25,89%; vgl. oben S. 190-191. 3 10,45% und - der relative Mittelwert für alle Eklogen - 21,64%; vgl. oben S. 203. 4 Auf diese Tatsache, deren ich mir bewußt war, die ich aber vielleicht nicht deu¬ tlich genug formulierte, macht mich H.-D. Blume aufmerksam. Dies ist der auffälligste Unterschied zwischen der antiken Interpunktionspraxis und der modernen Konvention des Zeichensetzens.

214

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

Fälle. Mit der Sperrungscaesur dagegen, wie sie bei Calpumius lediglich einmal und nicht ohne eine Einschränkung auftrat,1 haben wir in Eins. I - und zwar ausschließlich dort - zweimal zu tun: I 8: uel leuis haec et mobilibus 11 circumdata bullis I 15: praeda mea est, quia Caesareas II me dicere laudes. In den beiden Versen erscheint begleitend die semiternaria.

4. Die semiseptenaria als Hauptcaesur bei Nemesianus Es kann unmittelbar zur Aufzählung der absoluten und der latenten Wortschlüsse im 4. longum übergegangen werden. Wir fangen mit den latenten an, wofür Nemesianus 8 Beispiele liefert: I 67: de messi culmos omnique ex-arbore fruges; I 74: respondet siluae; te nostra armenta loquuntur; II 6: inuasere simul uenerisque imbutus uterque III 42: et portant calathis celerique elidere planta III 49: concauat ille manus palmasque in pocula uertit III 58: iamiamque elapsas hie crine, hie ueste retentat. IV 34: qui nunc pro niuea coiere in-comua uacca. IV 652: lustrauit cineresque II51 auersa effudit in amnem.3 Hierin spiegelt er somit ungefähr Vergils Praxis wider;4 dies gilt auch für manche anderen Aspekte des Versbaus. Die absoluten Wortschlüsse verteilen sich auf folgende Weise:5

1 Vgl. oben S. 208. 2 Bei Heather Williams eine merkwürdige Zahlenumstellung: Vers 65 = bei ihr 64, Vers 64 = 65. 3 Sonst hat noch Nemes. II 22 die semiquinaria latens: litora purpureosque II alitis per-gramina flores. 4 Bei Vergil 12mal in 813 Versen, bei Calp. 3mal in 756, in Eins. I 2mal in 47, in Eins. II kein Beleg. Rein statistisch gesehen wäre die Prozentzahl in Eins. I übermäßig hoch. Dennoch müssen wir auf die „Hilfe“ der Statistik verzichten, weil ihre Gesetze für kleine Stichproben sowie Einzelerscheinungen nicht gelten. Zur Metrik von Nemes. II (Idaslied und Alconlied) vgl. H. Walter, Studien zur Hirtendichtung Nemesians, Stuttgart 1988 (Palingenesia 26), S. 37 Anm. 3: „im Lied des Alcon fehlt jegliche Elision, während das Idaslied deren fünf aufzuweisen hat und sich damit nicht von Nemesians sonstigen Gepflogenheiten unterscheidet. Schenkl XXXII-XXXIII zieht daraus - überlegenswert - den Schluß, daß Nemesian auf diese Weise beide Lieder voneinander absetzen möchte.“ Zu Synaloephe bei Nemesianus siehe Schenkl, ebendort. 5 Wegen des metrischen Wortes entfallen Nemes. II 8: non-puerilia, IV 20: o crudelis (vgl. auch die Stellung von tandem am Kolonende, wie Calp. I 43, S. 201). Ein pyrrhichisches Wort lehnt sich an das vorangehende in I 5, 51; IV 54 an, es gehört zum folgenden in I 29, 84; II 36; HI 46; IV 16.

bei Nemesianus

Nemes. ecl.

I

87 II

90 III 69 IV 64

310

absoluter Wortschluß im 4. longum

215

Summe

%

3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 15, 17, 18, 20, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 31, 32, 33, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 46, 50, 51, 52, 53, 54, 56, 58, 60, 62, 64, 65, 66, 67 (lat.), 69, 70, 71, 72, 74 (lat.), 75, 76, 78, 80, 81, 82, 83, 84, 86, 87.

62

71,26

1, 2, 4, 19, 20, 51, 52, 69, 70, 83, 84,

5, 6 (lat.), 9,1 10, 11, 12, 13, 15, 16, 18, 22, 23, 26, 27, 28, 33, 35, 36, 40, 43, 49, 53, 56, 57, 58, 59, 60, 63, 64, 65, 66, 67, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 82, 85, 86, 87, 88, 89, 90.

60

66,67

1, 3, 6, 26, 27, 46, 47, 63, 64,

7, 8, 9, 11, 13, 14, 15, 17, 21, 22, 25, 29, 30, 32, 33, 38, 40, 42 (lat.), 43, 44, 48, 49 (lat.), 50, 52, 53, 56, 58 (lat.), 62, 65, 66, 67, 68.

41

59,42

1, 3, 4, 23, 24, 38, 39, 58, 60,

5, 6, 7, 8, 9, 10, 13, 16, 17, 18, 19, 21, 26, 27, 28, 29, 30, 32, 33, 34 (lat.), 35, 40, 41, 42, 44, 46, 51, 52, 54, 56, 57, 63, 65 (lat.), 66, 69, 70, 71, 72.

47

73,44

210 6744 =202 (+8)

Nemesians Technik erinnert in dieser Hinsicht genau an Vergil,2 von dem Calpurnius, der den Wortschluß nach dem 4. Trochäus demjenigen nach dem 4. longum vorzieht, weit abweicht.3 Auch die Einsiedler Gedichte sind hier vergleichbar.4 Um die Rolle der Verskolometrie und der antiken Pausierung nochmals anschaulich zu machen, bespreche

1 Dieser verderbte Vers (siehe den kritischen Apparat bei Williams) läßt mit größter Wahrscheinlichkeit eine semiseptenaria vermuten. 2 Vgl. oben S. 181. Bei Vergil sind es 69,37% (564 aus 813). In einzelnen Eklogen erreicht Vergil einen noch höheren Anteil als Nemesianus; Ausnahmen sind Verg. VI und VII. 3 Calp. erreicht nur 48,28%; vgl. oben S. 197. Siehe auch unten S. 276 mit Anm. 4. 4 Übrigens hat nur Nemesianus, Nachahmer der Verstechnik Vergils, nicht aber Calpurnius, so gebaute Verse wie: I 37: accipite hos cantus atque haec nostro Meliboeo II 45: pallentesque rosae nec dulce rubens hyacinthus III 17: haecfatus coepit calamis sic montiuagus Pan. In diesem letzten Vers ist die semiseptenaria durch sich eng anschließendes sic sehr abgeschwächt.

216

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

ich zunächst zwei Stellen aus Nemesians Eklogen.1 Bei der einen handelt es sich ausschließlich um die Hauptcaesurstelle, in der eine Pause auftritt, zu der anderen muß die schwierige Textüberlieferung einbezogen werden. Danach werden wie vorher einige Hexameter behandelt, um das Ergebnis der Tabelle zur semiseptenaria als Hauptcaesur im voraus zu sichern. Ich beginne mit einer sehr einfachen Stelle, in der das genauere Verständnis davon abhängt, wo ein Komma gesetzt wird: IV 30: tu tarnen una fugis, miserum tu prodis amantem. So hat in diesem Vers H. Schenkl interpungiert. Ihm ist H. Williams ge¬ folgt, die im Kommentar diese Wahl begründet.2 C. Giarratano hat dage¬ gen ein Komma erst nach miserum gesetzt: tu tarnen una fugis miserum, tu prodis amantem. An diesem Beispiel kann man gut zeigen, daß die Hauptcaesur dort sein muß, wo die Pause ist. Wer Schenkl folgt, muß die semiquinaria anneh¬ men, wer Giarratano, die semiseptenaria. Schenkl hat die Stelle m. E. richtig verstanden und dementsprechend interpungiert. Die zweite Stelle ist Nemes. III 53-54. Die in der Überlieferung ge¬ störte Reihenfolge der Verse und die Textvarianten sind von H. Williams ausführlich behandelt.3 H. Schenkl (1885) bietet den folgenden Text4 (mit potum statt potus): III 53-54: excipit; at potus (saliens liquor ore resultat) euomit / inque umeros et pectora defluit umor. H. Williams liest dagegen so: III 53-54: excipit; at potu saliens liquor ore resultat / spumeus inque umeros et pectora defluit umor.

1 Sie werden von R. Verdiere, Prolegomenes, nicht behandelt. 2 Der Sinn des ganzen Abschnitts (zitiert auf S. 222) ist: In der ganzen Natur vereinigen sich die Paare, nur du allein fliehst davor, Meroe, nur du läßt den in dich Verliebten und durch dieses dein Verhalten Unglücklichen im Stich. Diese Interpretation lehnt H. Walter, S. 78 Anm. 2, zugunsten der Interpunktion Giarratanos ab, welche von M. Schuster, Bursians Jahresbericht 212 (1927), S. 120 gebilligt wurde. Auch Korzeniewski und Volpilhac ließen sich von Giarratano dazu verleiten. Man muß Walter zuge¬ stehen, daß diese Art Anapher, die durch Giarratanos Vorschlag entsteht, nämlich: tu tarnen una fugis miserum, tu prodis amantem der Bukolik besonders eigen ist (vgl. oben S. 190 Anm. 1 sowie S. 205 und unten S. 224). Hier ist aber diese Gliederung weniger wahrscheinlich, weil fugis, wie ich meine, hier intransitiv gebraucht wird und miserum amantem also von prodis abhängt. Man müßte ferner zugeben, daß die Anapher auch bei dieser Interpunktion ihre volle Wirkung hat. 3 H. Williams ad locum, S. 147-149. 4 Ihm folgen Giarratano, Korzeniewski, Volpilhac und Walter. (Williams, und nach ihr Walter, S. 59 Anm. 1, machen Giarratano (1910) zum Urheber der Parenthese).

bei Nemesianus

217

Überliefert ist sowohl potus als auch potu, sowohl spumeus als auch euomit, wobei die Handschriften NGH in potus ... euomit übereinstimmen. Williams nimmt potu lokativisch-temporal (,beim Trinken1, ,während des Trinkens4) und versteht die Stelle so, daß sich der Trinkende und schon Trunkene während des Trinkens mit dem Trank benetzt. Schenkl und die ihm Folgenden, die potus (potum) als Objekt zu euomit verstehen, meinen das Erbrechen.1 Es ist offenbar, daß schon saliens liquor ore resultat auf den Gedanken vom Erbrechen führt. Dieses Bild wird eindeutig, wenn im Text potus saliens liquor ore resultat steht, potus freilich als Part, perf. im passivischen Sinne zu liquor (schon ausgetrunkener Trank).2 Dies hat sicherlich die Textverderbnis euomit verursacht, welche das schon einmal drastisch Gesagte noch vergröbert; diese Lesart habe den Charakter einer erklärenden Glosse.3 Gegen diesen zuerst von Schenkl akzeptierten Zweig der Überlieferung (NGH) spricht ebenfalls die dadurch notwendigerweise entstehende Parenthese,4 die ihrer Art nach für Ovid typisch wäre, keinesfalls aber für Nemesianus in den Eklogen. Der von Williams gewählte Zweig der Überlieferung ist also in jeder Hinsicht überlegen. Potus steht zwar außer in NGH auch in der Familie V, deren Handschriften in der Überlieferung von potus ... spumeus übereinstimmen, außer den Codices a und s, die potu lesen. Potu ist die lectio difficilior, sicherlich auch die des Archetypus, die allerdings nur an das wilde Trinken denken läßt, was zu dem ganzen Bild besser paßt als potus ... liquor spumeus und der uomitus-Vorgang. Dem schließt sich natürlicherweise das folgende Kolon an, welches durch das an der unbetonten Zweitstelle stehende und an in angehängte -que parataktisch fortgesetzt wird, durch spumeus ... umor eingerahmt, und nicht minder klangvoll ist als der ihm vorangehende Hexameter.5 Dies entspricht völlig Nemesians Stil und seiner ruhigen Verskolometrie. Zu den Versen mit der semiquinaria als Hauptcaesur6 gehören bei Nemesian folgende Hexameter: 1 Ein deutlicher Hinweis mit archäologischen Belegen bei Korzeniewski ad locum. 2 Offensichtlich irrt Williams, wenn sie behauptet, daß „the combination of the two participles potus and saliens (seil, liquor) is improbable“, weil sich saliens als Part, attributivum nicht auf liquor, sondern auf den ganzen Begriff potus liquor bezieht. Die Partizipien stehen also nicht auf derselben Stufe. 3 Dazu einleuchtend Williams. 4 Gelobt von H. Walter, S. 59 Anm. 1, als „eine sehr elegante Lösung“, was sie in der Tat ist. Aber ab „Williams liest“ bis zum Ende der Anmerkung kann ich ihm in keinem Punkt zustimmen. Siehe auch unten S. 223 mit Anm. 2. 5 Walter bietet eine treffliche sprachlich-kolometrische Analyse des ganzen Abschnitts und hebt seine Dynamik hervor. 6 Eindeutig in Nemes. I 37, 53, 60, 85, 87; II 26, 27, 64, 86. 87 (siehe oben S. 16 mit Anm. 4, S. 23, 25); IV 54.

218

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

I 12: dum secura hilares II aetas ludebat amores mit einer Doppelsperrung. I 25: Pan calamis. fidibus II Linus aut Oeagrius Orpheus concinerent / Hier wird die Neigung zur Caesurlosigkeit durch die chiastische Stellung aufgehoben. Linus aut Oeagrius Orpheus entspricht Pan. Aufgrund der Symmetrie hat II 11 die semiquinaria: II 11: quod non tarn tenui II füo de uoce sonaret. Aber in II 74: quin etiam fontis speculo II7 me mane notaui erkenne ich die semiseptenaria. In I 46 liegt eine Emphase auf nobis, in III 13 auf nulli: I 46: nee minus hinc nobis II gemitus lacrimaeque fuere1 III 13: ,ipse canam: nulli II fas est inflare cicutas. Auch die kolometrische Strukturierung verdeutlicht in I 46 die semiqui¬ naria. Nicht anders sieht es in einer Reihe von Hexametern aus: I 28: accipe quae super haec II cerasus, quam cernis ad amnem, continet,/ Super-haec ist von cerasus, an das sich der einschränkende Relativsatz unmittelbar anschließt, im Vortrag zu trennen. Ähnlich ist es in I 72: siluestris te nunc II platanus, Meliboee, susurrat, te pinus; wo auch die Symmetrie die semiquinaria fördert und fordert. II 59: quid merui? cur me II Donace formosa reliquit? II 77: quod uidi, nulla II tegimur lanugine malas. III 11: cum Pan excussus II sonitu stridentis auenae, vgl. aber III 3: cum Pan uenatu fessus II7 recubare sub ulmo coeperat,/ wo das Kolon recubare ... coeperat hinter der Hauptcaesur beginnt.2 iam tune post sidera caeli III 22: sola Iouem Semele II uidit Iouis ora professum. III 38: mirantur Satyri II frondes et poma Lyaei. III 62: hesternoque grauis II semper I ridetur Iaccho.3 Semper bezieht sich zweifelsohne auf ridetur. Es wird trotzdem darauf angespielt, daß der Silen semper, d. h. jeden Vormittag, vom jeweils gestrigen Wein einen schweren Kopf hat. III 67: sparsas donec oues campo II conducere in unum nox iubet. 1 Vgl. oben S. 184 zu Verg. II 62. 2 Zu Verg. VII 57 vgl. oben S. 184 f. 3 Vgl. Verg. VI 15 auf S. 186.

bei Nemesianus

219

Campo ist hier lokativischer Ablativ zu sparsas,1 daher hat der Vers eine

semiseptenaria. In einer Gruppe von Versen erkennen wir die zum Gleichgewicht beider Caesuren neigende Strukturierung. Dennoch ist immer eine Caesur vorherrschend: I 42: pectore fouistijl5 quo tuj Meliboee, probasti hat die semiquinaria. Ebenso II 43 aufgrund der Sperrung: II 43: horreo nec placido II memini I concedere somno. Dagegen überwiegt in II 85 die semiseptenaria: II 85: nos quoque te propterj DonaceJI7 cantabimur urbi. Es gibt dementsprechend bei Nemesianus keinen echten Fall der Gleich¬ wertigkeit beider Caesuren. Als letzte Gruppe seien die Hexameter ohne eine Hauptcaesur ge¬ nannt: III 50: pronus at ille lacu bibit / et crepitantibus haurit musta labris / III 64: et plantis uuas premit I et de uitibus hastas integit / IV 17: quid uultu mentem premis / ac spem fronte serenas? IV 68: haec eadem nobis-quoque / uersicoloria fila. Somit haben wir bis jetzt vier Verse mit der semiseptenaria, nämlich II 74, 85, III 3 und 67. Dieser Spur folgend wollen wir zur Behandlung einiger Verse mit der semiseptenaria übergehen. Nemes. 113 bereitet nur scheinbar Schwierigkeiten. I 13: nunc album caput et ueneres II tepuere sub annis Die semiseptenaria ist aufgrund der kolometrischen Gliederung die Hauptcaesur: das gewichtige Subjekt steht davor, das Prädikat danach. Die folgenden zwei Verse I 31 und 36 weisen eindeutig die semiseptena¬ ria als Hauptcaesur auf: sed nobis ne uento garrula pinus 131: obstrepat,/ has ulmos potius II fagosque petamus. omniparens aether / et rerum causa liquores,/2 I 36: corporis et genetrix tellusjl uitalis et aer //. In Vers I 31 weist das vor der Hauptcaesur stehende potius zunächst auf das erste Ziel des Strebens (has ulmos) hin, dann aber, zugleich auf das parataktisch angeschlossene fagosque. Schon der Anschluß mit -que 1 Anders Korzeniewski, der campo als Separativus zu conducere gehören läßt. Vgl. aber Ciris 98: sparsaque liminibus floret rosa und S. Timpanaro, wie S. 196 Anm. 2. 2 H.-D. Blume tilgt ein entbehrliches Komma nach causa.

220

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

macht die semiquinaria unmöglich. I 36 und der vorangehende Vers bilden ein Tetrakolon. Es ist offensichtlich, daß tellus von der Apposition untrennbar ist, und parallel zu den übrigen drei Gliedern am Kolonende steht: aether und tellus jeweils vor der Hauptcaesur, liquores und aer am Versende. Auch die zweimalige Nachstellung der Konjunktion ist kunst¬ voll: Sie läßt das Wichtige hervortreten. I 39 scheint auf den ersten Blick zu denjenigen Versen zu gehören, in denen um der Symmetrie willen die semiquinaria Hauptcaesur ist. Die kolometrische Strukturierung des ganzen Abschnitts führt jedoch auf die semiseptenaria, welche auch die zwei folgenden Hexameter aufweisen: I 39: nam si sublimes animae II7 caelestia templa sidereasque colunt sedes II7 mundoque fruuntur, tu nostros aduerte modos,ll7 quos ipse benigno pectore fouistijl5 quos tu, Meliboee, probasti. In I 39 gab es eine leichte Absetzung nach nam, welches im Verhältnis zu dem folgenden Bedingungssatz rhythmisch im Vortakt steht.1 Dann muß si mit dem Subjekt ungetrennt bis zur semiseptenaria geführt werden, weil caelestia templa sidereasque colunt sedes zwei eng zusammenge¬ hörende Kola bilden. Auch I 50 ist ein interessanter Fall: ,heu, Meliboee, iaces II letali frigore segnis I 50: lege hominum,II3 caelo dignus II7 canente senecta concilioque deum.ll5 In I 50 und 51 tritt die stärkste Pause in der semiternaria bzw. semiqui¬ naria ein. Dieser zweimalige Überhang ist äußerst ausdrucksvoll. Das, was lege hominum am wichtigsten zu sein scheint - daher die Hervorhe¬ bung - soll sich als nichtig erweisen. Obschon der zweite Überhang concilioque deum von dignus abhängt und keinesfalls eine syntakti¬ sche Parallele zu lege hominum bildet, sollte es doch den Eindruck einer Parallele per antithesin hervorrufen. In der Tat versteht man unab¬ sichtlich deum als Gegensatz zu hominum, welches dieselbe Reihenfolge der Kasus und das öpoiönTwrov nahelegen. Canente senecta steht im Kolon selbständig als Abi. temporis.2 Auch dies unterstützt die syntak¬ tisch nicht starke semiseptenaria. I 65 erinnert wiederum an I 39: tibi frondis odorae I 65: munera dat I lauros I carpens I ruralis Apollo.

1 E. Fraenkel nannte diese Erscheinung .Auftakt1. Ich ziehe den Begriff ,Vortakt‘ vor, um die Verwechslung mit dem Auftakt als einer Art des Enjambement auszu¬ schließen. Dazu siehe oben S. 39 ff. (Definition auf S. 42). 2 Vgl. Williams ad locum, die sich hier allzu unentschieden äußert.

bei Nemesianus

221

Hier ist aber die Wortstellung allerdings kolometrisch zweideutig, so daß man auf Grund der besonders kunstvollen Struktur eine eindeutige Ant¬ wort bezüglich der Hauptcaesur nicht geben kann. Daher bleibt dieser Hexameter außerhalb der Tabelle. Was tut der ruralis Apollo? Er dat munera frondis odorae, er dat lauros. Er muß sie pflücken, ist also carpens lauros und carpens munera frondis odorae. Die semiquinaria würde lauros a 1 s munera auf dat beziehen und carpens isolieren, die semiseptenaria carpens auf lauros beziehen und dadurch das Subjekt ruralis Apollo absetzen und den Spannungsbogen zu munera dat verstärken. Hier konnte nur die Stimmführung des antiken Rezitators helfen. Vielleicht wurde eine Intonationspause in der semiquinaria gemacht und dann wiederum eine leichtere in der semiseptenaria mit der entsprechenden Intonation auf carpens. I 84: namque hie in siluis II5 praesens tibi Fama benignum strauit iter,/ fordert ebenfalls einen kritischen Blick heraus. Bei der Gliederung hic in siluis einerseits, praesens Fama andererseits, ist die semiquinaria die Hauptcaesur. Wenn aber die Anwesenheit der Fama gerade in siluis betont werden sollte, müßte die semiseptenaria die Hauptcaesur sein: namque hic I in siluis praesens II tibi Fama benignum strauit iter./ Ich neige aber nicht zu dieser Möglichkeit und nehme daher den Vers nicht in die Tabelle auf. Die semiseptenaria haben auch: Formosam Donacen Idas puer et puer Alcon II 2: ardebant / rudibusque annis II incensus uterque in Donaces uenerem II furiosa mente ruebant. II 13: suffususque rubor crebro II uenaeque tumentes, III 6: hanc pueri, tamquam praedam II pro carmine possent sumere./ In II 2 ist jeder von den beiden Hirten rudibus annis und jeder incensus ... ruebat, in II 13 bezieht sich crebro auf suffusus und mit uenaeque beginnt ein neues Kolon, in III 6 spricht die Gliederung für sich. Nemes. III 17 nehme ich trotz der Einschränkung1 in die Tabelle auf. III 29: euocat aut risum digito II motuue quietem allicit aut tremulis quassat crepitacula palmis. Die Kolongrenze verläuft hier zwischen digito und motuue, die Hauptcae¬ sur bildet die Achse für den Chiasmus.

1 Siehe oben S. 215 Anm. 4.

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

222

III 25: hunc Nymphae I Faunique senes II Satyrique procaces ist ein klassisches Trikolon mit wachsenden Gliedern: 6, 8 und 10 morae. Wegen Nemes. IV 28 zitiere ich jetzt den ganzen Abschnitt, in dem sich der bereits behandelte Vers 30 befindet:1 IV 26-30: cerua marem sequitur,II5 taurum formosa iuuenca,/ et Venerem sensere lupaejl7 sensere leaenae / 28: et genus aerium uolucres II7 et squamea turba / et montes siluaeque,ll3tr suos habet arbor amores:// tu tarnen una fugisjl5 miserum tu prodis amantem.// Vers 28 besteht aus zwei Kola: uolucres ist epexegetisch zu genus aerium. Die ganze Passage ist rhythmisch und kolometrisch differenziert. Zum Vergleich kann das Vorbild herangezogen werden: Verg. II 63-65: torua leaena lupum sequitur.II7 lupus ipse capellam / florentem cytisum II5 sequitur lasciua capellaj te Corydon, o Alexi,ll3tr trahit sua quemque uoluptas.// Nun sind die Voraussetzungen dafür gegeben, die Hexameter mit der semiseptenaria als Hauptcaesur in einer Tabelle aufzuführen und das Ergebnis mit den Vorgängern des Nemesianus zu vergleichen.

Nemes. Versecl. zahl

I

II

III IV

87

90

69 64

310

7 H2 * *

6, 9, 10, 13, 18, 20, 23, 24, 26, 31, 36, 38, 39, 40, 41, 50, 52, 56, 58, 64, 66, 70, 81, 86. 2, 9, 13, 16, 19, 20, 23, 33, 35, 56, 57, 63, 65, 67, 70, 72, 73, 74, 80, 82, 83, 85. 3, 6, 15, 17, 25, 29, 43, 46, 56, 67. 5, 9, 23, 27, 28, 35, 38, 39, 51, 52, 63, 70.

Summe % abs.

% rel.

24

7,74

27,59

22

7,10 3,22

24,44 14,49

12

3,87

18,75

68

21,93

10



1 Siehe oben S. 216 mit Anm. 1. 2 Im Anschluß an das III. Kapitel möchte ich vermerken, daß ich in Nemes. 181 semiseptenaria annehme (dubitanter, siehe S. 157). Die Hexameter mit der Caesur xarä tqitov TQoxaTov sind die folgenden: Nemes. I 5, 7, 33, 43, 80; II 15, 71; III 63; IV 19 (Kehrvers), 29, 57. Vgl. die Tabelle auf S. 158.

bei Nemesianus

223

Das Eigentümliche an Nemesians Gebrauch der semiseptenaria ist das Fehlen der klassischen Sperrungscaesur; einmal nur erscheint vor der Caesur ein Genetivattribut: I 52: pectus erat, tu ruricolum II discernere lites adsueras. Es findet sich aber kein Beispiel für das gesperrte adjektivische Attribut. Auch die übrigen Fälle sehen im Vergleich zu Calpurnius Siculus anders aus. Für einen Fragesatz oder einen Ausruf gibt es bei Nemesianus nur je ein Beispiel:1 II 35: quid tibi, quae nosti, referam? II scis mille iuuencas esse mihi und I 64: felix o Meliboee, uale! II tibi frondis odorae ... Eine typische Parenthese fehlt bei Nemesianus gleichfalls, und dies nicht nur im Zusammenhang mit der Caesurstelle nach dem 4. longum.2 Am nächsten stehen I 9, I 66 und III 46, in denen wir es mit einem Vokativ, einem eingeschobenen Nebensatz oder einer Apposition zu tun haben: I 9: hos annos canamque comam,ll uicine Timeta,3 I 66: dant Fauni, quod quisque ualetjl de uite racemos, III 46: tum SatyriJ lasciua cohors,ll sibi pocula quisque obuia corripiunt. Beispiele für eine weitergeführte Periode mit einem interpungierten Ko¬ lonende sind schon zahlreicher: a) II 63: cum paruae patuere fores,ll ceu libera ferri b) I 70: manibus hie supremus honos:ll dant carmina Musae. II 82: nee sumus indocti calamis:ll cantamus auena III 43: concaua saxa super properantdl uindemia feruet collibus in summis, III 56: et uenerem iam uina mouent:ll raptantur amantes IV 38: huc, Meroe formosa, ueni:ll uocat aestus in umbram. Die Verse aus der Gruppe b) sind anders konstruiert als die entsprechen¬ den Hexameter des Calpurnius, der das nachfolgende Kolon mit adversa¬ tiven sed, nec, nam oder modo weitergeführt hat.4 Bis jetzt also fallen uns, trotz mancher Ähnlichkeiten, eher Unter¬ schiede im Vergleich zu Calpurnius auf, vor allem eine geringere Fre¬ quenz der für Calpurnius typischen Varianten. Überdies finden wir im

1 Zu Calpurnius vgl. oben S. 204-205. 2 Vgl. oben S. 217 mit Anm. 4. Darauf baue ich mein Hilfsargument gegen Schenkls Lesung. 3 Hier ein gewichtiges Objekt vor der semiseptenaria. 4 Vgl. oben S. 204 f.

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

224

Bereich der Parataxe viele Anaphern, asyndetisch oder polysyndetisch, und auch verschieden konstruierte Antithesen: a) Anapher: IV 27: IV 63: I 23: I 36: II 20: II 33: II 56: IV 23: IV 35: IV 39:

et Venerem sensere lupaejl sensere leaenae ter uittis, ter fronde sacrajl ter ture uaporo1 et parere decet iussis II et grata iubentur. corporis et genetrix tellusjl uitalis et aer. .quae colitis siluas, DryadesJI quaeque antra, Napaeae ipse ego nee iunco molli II nee uimine lento et nemorum Siluane potens,ll et nostra Dione, nee longum tenet uua comas II nee populus umbras: et tibi iam tumidae nares II et fortia colla iam pecudes subiere nemusjl iam nulla canoro gutture cantat auis. Jetzt wird verständlich, was Giarratano zu seiner Interpunktion von Nemes. IV 30 geführt hat.2 b) parataktische Kola mit -que (-ue) bzw. -que...-que: I 20: secreti pars orbis habet II mundusque piorum. I 31: obstrepat, has ulmos potius II fagosque petamus. II 67: praeterea tenerum leporem II geminasque palumbes III 29: euocat aut risum digito II motuue quietem IV 9: nunc fagos placitas fugiunt II promissaque fallunt IV 51: Sithonias feret ille niues II Libyaeque calorem IV 52: Nerinas potabit aquas II taxique nocentis non metuet sucos, I I II III Zu III 129

26: concinerent totque acta uiri II laudesque sonarent. 40: sidereasque colunt sedes II mundoque fruuntur 13: suffususque rubor crebro II uenaeque tumentes 25: hunc Nymphae I Faunique senes II Satvrique procaces. kommt noch einmal ein Chiasmus hinzu:

II 65: seit rursus remeare domum II tectumque subire. c) parataktische Kola mit et: I 56: I 58: II 9: II 19: II 73:

blanda tibi uultu grauitas II et mite serena tu calamos aptare labris II et iungere cera tquis anni ter quinque hiemes II etf cura iuuentae. alternant, Idas calamis II et uersibus Alcon. Pan doctus, Fauni uates II et pulcher Adonis.

1 Ein wachsendes Trikolon; vgl. S. 222 zu Nemes. III 25. 2 Vgl. oben S. 216 mit Anm. 4.

bei Nemesianus

225

d) Kola mit nec II 16: ambo aeuo cantuque pares II nec dispare forma / ambo genas leues, intonsi crinibus ambo.1 Einmal erscheint eine bis auf das letzte Glied asyndetische Kolonreihe: II 72: di pecorum pauere gregesjl formosus Apollo,/ Pan doctus,/ Fauni uates II et pulcher Adonis. Es fehlt nicht an Fällen, die im allgemeinen unter dem Begriff gewich¬ tiges Objekt‘ bzw. gewichtiges Subjekt1 gefaßt werden können: II 80: purpureas laudando genas II et lactea colla III 15: iamque ortus, Lenaee, tuos II et semina uitis ordine detexam:/ Sie erinnern an die parataktischen Kola mit et, unter denen sie eine besondere Kategorie darstellen. Oder: 113: nunc album caput et ueneres II tepuere sub annis I 18: audierat laudesque tuas II sublime ferebat.2 In III 3 gehört uenatu fessus zum Prädikat: III 3: cum Pan uenatu fessus II recubare sub ulmo coeperat / Die Sperrung, die eine Inversion des Sperrungstypus II ist,3 fehlt bei Nemesianus völlig. Jetzt können wir der Hypotaxe Aufmerksamkeit schenken. Bei Neme¬ sianus beginnt ein Nebensatz nach der semiseptenaria achtmal. Das ist nicht seltener als bei Calpurnius Siculus; nachdem man aber die Art der Nebensätze bei den beiden Dichtern verglichen hat, merkt man sofort den Unterschied.4 Es erscheint gleichzeitig mit einem Nebensatz eine Anapher in fünf Hexametern: I 6-7: Incipe, dum salices haedi,ll dum gramina uaccae detondent, uiridique II greges permittere campo II 23: dicite, quo Donacen prato.il qua forte sub umbra inueniam

1 In diesem Hexameter liegt ein Chiasmus vor, dessen Achse die semiquinaria ist. Die Wiederholung von ambo bildet eine Anapher, nicht eine redditio, bzw. nur eine metrische redditio, die durch die chiastische Stellung entsteht. Zu den Termini vgl. H. Lausberg a. a. O. § 625 (zu Verg. georg. IV 306: „nur metrische redditio, die syntak¬ tisch eine Anapher ist“) und weiter § 627 zum Verhältnis von Syntax und Metrik (Deckung und Abweichung). Vgl. auch Verg. VH 4. 2 Es gibt auch Verse ohne jegliches auffällige Merkmal, z. B. Nemes. I 10, 38, 43, 50, 86; II 2, 74; III 6, 17; IV 5. Sie ähneln den in der S. 208 Anm. 2 erwähnten Versen des Calpurnius. 3 Vgl. oben S. 207-208 Anm. 1. ^ Vgl. oben S. 206 f.

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

226

II 57: quae iuga celsa tenes ErycisJI cui cura iugales concubitus hominum II 83: qua diui cecinere prius,ll qua dulce locutus Tityrus e siluis dominam peruenit in urbem. IV 70: cantauit, quo luna timet,II quo rumpitur anguis,/ quo currunt scopuli, migrant sata, uellitur arbos. In drei anderen erscheint ein Relativsatz: I 24: namque fuit dignus senior,II quem carmine Phoebus, Pan calamis ... I 41: tu nostros aduerte modosjl quos ipse benigno pectore fouistij quos tu, Meliboee, probasti. II 70: forsitan indignum ducisjl quod rusticus Alcon te peream.1 Diese Analyse bestätigt das bereits im II. Kapitel gefällte Urteil, daß Nemesians Kolometrie sehr ruhig und gleichförmig ist. Schließlich möchte ich zur Zusammenstellung der Ergebnisse über¬ gehen.

Wortschluß 7 7 H - absolut 7 H - relativ

Nemes.

Verg.

Calp.

Eins. I

Eins. II2

67,14% 21,93% 32,38%3

69,37% 17,96% 25,89%

48,28% 10,45% 21,64%

61,70% 19,14% 31,03%

71,05% 5,26% 7,41%

In 310 Hexametern hat Nemesianus unter 210 Wortschlüssen im 4. longum 68mal die semiseptenaria als Hauptcaesur. Das ist nicht nur absolut, sondern vor allem auch relativ erheblich mehr als bei Vergil und im Carmen Einsidlense I. Denn Calpurnius Siculus und Eins. II, welches kaum Spuren der semiseptenaria aufweist, stehen weit dahinter. Demgegenüber überrascht uns im ganzen die hohe Zahl der Belege für die semiseptenaria im Carmen Einsidlense I, vor allem wenn wir an die Entstehung in neronischer Zeit denken. Eins. II ist leider ohne das Ende auf uns gekommen; überdies erscheint hier die semiseptenaria nur zweimal. Dies aber erschüttert die Folgerung nicht, denn der absolute Wortschluß an dieser Stelle wurde - wie wir gesehen haben - im Carmen Einsidlense II keinesfalls gemieden, ja - statistisch gesehen - am häufig¬ sten gebraucht. Trotzdem wurde in jenem Gedicht von der semiseptena¬ ria in der Funktion der Hauptcaesur kaum Gebrauch gemacht. Und 1 quod statt Acl. 2 Vgl. oben S. 210 mit Anm. 4 und S. 155. 3 In Nemesians einzelnen Gedichten sind es: I - 40,32%, II - 36,67%, III 21,95%, IV-25,53%.

bei Nemesianus

227

gerade diese Differenz möchte ich als ein gewichtiges Argument in der Autorfrage einstufen. Aus dieser Übersicht ergibt sich unzweideutig, daß die semiseptenaria am meisten von Nemesianus bevorzugt wurde: Bei einem niedri¬ geren Anteil des Wortschlusses nach dem 4. longum als bei Vergib und in Eins. II hat er auch hinsichtlich der Funktionalität deutlich höhere Werte erreicht. Auf der Gegenseite steht mit seinen überraschend niedri¬ gen Werten das Carmen Einsidlense II. Daraus folgt zugleich, daß Nemesians Hexameter viel regelmäßiger gebaut ist als der lebendige Vers Vergils, bei welchem neben dem Wortschluß im 4. longum andere Hauptcaesuren häufiger erscheinen, vor allem die Caesur xarä tqitov rgoxaTov. Es wäre dagegen ein großer Irrtum, daraus schließen zu wollen, daß der Hexameter des Eins. II rhythmisch am interessantesten sei, weil ein einziger Faktor nicht die Grundlage eines solchen Urteils sein kann. Neben der semiseptenaria gibt es noch zwei Möglichkeiten einer Hauptcaesur (nebst der der Caesurlosigkeit). Da in Eins. II weder die semi¬ septenaria noch die Caesur xarä tqitov rgoxaTov noch Caesurlosigkeit bevorzugt ist, ist der Hexameter dieses Gedichts vorwiegend mit der semiquinaria als Hauptcaesur gebaut. Was Calpurnius betrifft, schreiben wir ihm trotz des niedrigen Anteils des Wortschlusses im 4. longum eine wichtige Neuerung zu, und dies nicht nur aufgrund dieser Statistik, sondern weil wir sonst wissen, wie er mit dem Wortschluß nach dem 4. Trochäus umging. Daher beweist die relative Prozentzahl 21,64% angesichts der niedrigsten Zahl 48,28% des Wortschlusses 7 bei ihm eine beachtenswert hohe Gebundenheit des Wortschlusses im 4. longum an die semiseptenaria als Hauptcaesur. Hoffentlich ist zu diesen Untersuchungen im Hinblick auf die hier ge¬ troffenen Entscheidungen über die Hauptcaesur keine Palinodie erforder¬ lich, obschon es mir klar ist, daß in einer gewissen - und kleinen Gruppe von Hexametern die Entscheidung hätte anders ausfallen können. Ich habe manchmal Bedenken, die daher kommen, daß bislang nicht für jeden Fall objektive Kriterien gefunden worden sind. Unsere Methode ist Interpretation. Sie ist in einem gewissen Grade subjektiv gefärbt und muß es auch bleiben.

1 Auch der Autor des Eins. I hat bei geringerem Anteil des Wortschlusses 7 als bei Vergil etwa dieselben Werte erreicht.

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

228

Anhang 4: Worttypen vor der semiseptenaria und Wort¬ schlüsse neben dem Wortschluß im 4. longum 1) Worttypen vor der semiseptenaria Im Hinblick auf die frühere Erwähnung der Funktion bestimmter Worttypen direkt vor der Hauptcaesur1 möchte ich die Worttypen vor der semiseptenaria in der römischen Bukolik auflisten. 1. Jambisches Wort Verg. (44 aus 145): I 9, 12, 30, 32, 73; II 22, 29, 33, 45; III 64, 75; IV 2, 40, 51; V 2, 19, 28, 50, 51, 59, 65, 70, 77, 78; VI 6, 26, 70, 76, 79, 81; VII 10; VIII 22, 27, 29, 32, 101, 103, 106; IX 11; X 29, 30, 47, 56, 68. Calp. (54 aus 78): I 11, 31, 34, 37, 38, 46, 47, 61, 72, 82; II 9, 13, 45; III 31, 33, 61, 79; IV 3, 8, 11, 34, 70, 110, 150; V 25, 26, 34, 41, 46, 50, 51, 57, 58, 69, 70, 80, 86, 92, 100, 107, 108, 112, 117, 119; VI 32, 35, 44, 53, 67, 89; VII 36, 41, 62, 82. Eins. I (4 aus 8): I 6, 26, 27, 40. Eins. II (1 aus 2): II 23. Nemes. (33 aus 68): I 9, 10, 18, 20, 26, 38, 41, 58, 64, 66, 70, 81, 86; II 16, 56, 63, 65, 72, 80, 83; III 15, 25, 46, 56; IV 5, 23, 27, 38, 39, 51, 52, 63, 70. 2. Spondeisches Wort Verg. (39 aus 145): I 18 (mW), 19; II 57; III 12, 25, 60, 66, 71, 91, 102; IV 11, 19, 26, 38, 41, 55, 56; V 11, 21, 44, 45, 90; VI 15, 22, 41, 74; VII 29, 49, 59; VIII 21, 65; IX 61; X 22, 26, 27, 35, 37, 54, 62. Calp. (6 aus 78): I 43; II 4, 34; III 24, 34; IV 107. Eins. I (1 aus 8): I 37. Eins. II (1 aus 2): II 26. Nemes. (15 aus 68): I 8, 23, 36, 40, 50, 84; II 2, 13, 23, 33, 70, 73; III 3, 6; IV 35. 3. Anapästisches Wort Verg. (44 aus 145): I 13, 14, 20, 22, 42, 45; II 1, 46, 63; III 29, 38, 46, 67, 83, 87, 101, 105, 111; IV 8, 21, 32, 43; V 1, 32, 42, 60; VI 37, 42, 69, 85; VII 62, 64; VIII 8, 20, 45, 55; IX 35, 45; X 17, 41, 51, 58, 61, 65.

1 Siehe oben S. 209 mit Anm. 3.

Anhang 4: Worttypen und Wortschlüsse

229

Calp. (17 aus 78): I 8, 33, 53, 75; II 10, 27, 82; III 29, 65, 76; IV 143; V 29, 71, 110; VI 83; VII 1, 13. Nemes. (19 aus 68): I 13, 24, 31, 39, 56; II 9, 19, 20, 35, 57, 67, 74, 82, 85; III 17, 29, 43; IV 9, 28. 4. Molossisches Wort Verg. (10 aus 145): I 15 (mW); II 9, 40 (mW); III 10, 43, 55 (mW); V 72; VII 14, 17; VIII 40 (mW). Calp. (1 aus 78): III 35 (mW). 5. Choriambisches Wort Verg. (5 aus 145): I 40; III 26 (mW), 44; IV 15; V 48. Eins. I (2 aus 8): I 8, 15. Nemes. (1 aus 68): I 52. 6. Andere Verg. (3 aus 145): III 93, 109; VIII 34. Es ist viel überraschender, daß sich bei Vergil der jambische, spondeische und anapästische Worttyp vor der semiseptenaria gleichmäßig verteilen, als daß bei dem hochdaktylischen Calpurnius der spondeische Worttyp eine Ausnahme ist. Es ist ebenfalls interessant zu beobachten, daß Calpurnius dem jambischen Worttyp gegenüber dem anapästischen unverkennbar den Vorzug gab (69,23% : 21,79%). Das bedeutet, daß die semiseptenaria bei Calpurnius rhythmisch stark ist, weil sie meistens nach einem kolometrisch schwachen trochäischen Wortschluß eintritt, vor der semiseptenaria steht also ein jambisches Wort. In dieser Konstellation ist die semiquinaria unmöglich, die Caesur xaxä tqltov tqoxcüov ebenfalls ausgeschlossen, dadurch aber die semiseptenaria bei einem elfenleichten Rhythmus -w>w-ll7 um so stärker. Andererseits bedeutet dies im Vergleich zu Vergil eine Einschränkung, die mehr Eintönigkeit mit sich bringt; sie ist auf Ovids Gepflogenheiten zurückzuführen, unter dessen formalem Einfluß Calpurnius stand. Bei einem anapästischen oder spondeischen Worttyp vor der semiseptenaria ist es anders, weil der Hauptcaesur auch ein Wortschluß an der Stelle der semiquinaria vorangeht. Wir können also sagen, daß die semiseptenaria hier kolometrisch schwächer, der Rhythmus aber schwerer ist. Dabei ist wichtig zu beobachten, ob der erste Versteil daktylisch oder spondeisch gebaut ist. Bei einem schweren spondeischen Rhythmus wirkt die semiseptenaria nach einem spon¬ deischen oder anapästischen Wort sehr feierlich. Da die semiseptenaria vorwiegend eine Interpunktionscaesur ist, müssen wir darüber hinaus

230

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

feststellen, daß hier auch nach anapästischem oder spondeischem Wort Kola enden.1 Dies kann am besten bei Vergil beobachtet werden: Spondeischer Rhythmus des Versanfangs und Kolonende in der semi¬ septenaria nach einem spondeischen oder anapästischen Wort verleihen dem Vers eine majestätische Würde. Ebenfalls hat Vergil lOmal den molossischen Worttypus vor die semiseptenaria gestellt (6,94%).2 Diese Versstelle ist für molossische und choriambische Wörter untypisch, weil dabei im 2. Fuß Kongruenz entsteht.3 Wie in jeder bisher untersuchten Hinsicht, so ähnelt auch hier Nemesianus Vergil. Er hat im Vergleich zu Vergil den spondeischen Worttypus leicht reduziert (27,08% : 22,06%) und den jambischen viel häufiger gebraucht (48,53% : 30,55%), insgesamt weist er aber keinen grundsätzlichen Unterschied auf, wie er hingegen fast immer bei Calpurnius beobachtet wird. Auch wenn Nemesianus unter dem Einfluß des Calpurnius nicht genau Vergils Zahlenproportionen wiederholt, sondern eine Mittelstellung einnimmt,4 bleibt er doch im Banne Vergils und übernimmt nie diejenigen Eigen¬ tümlichkeiten der Verstechnik des Calpurnius, die im Verhältnis zu Vergil ausgesprochene Neuerungen sind. 2) Wortschlüsse neben dem Wortschluß im 4. longum Als Ergänzung der Tabellen des Wortschlusses im 4. longum und als Gegenstück zu den im Anhang 3 formulierten Beobachtungen weise ich auf diejenigen Hexameter hin, die zugleich mit dem Wortschluß im 4. longum entweder keinen Wortschluß im 2. longum oder aber einen Wortschluß nach dem 2. Trochäus aufweisen.5 Auf den letzteren wird deshalb nachdrücklich hingewiesen, weil es sich hier um eine Vermei¬ dung von Dreigliederung handelt. Die Einsiedler Gedichte werden wegen der Autorfrage in einem eigenen Abschnitt genauer untersucht.6 1 Dies wäre ein Unterschied im Vergleich zu Drexlers Ergebnis bei der semiquinaria als Hauptcaesur, siehe oben S. 209, er ist aber nicht so gravierend, weil auch hier der Gedankengang häufig nicht vollendet ist und die Pause viel leichter ist als nach einem jambischen Wort. 2 Nach ihm Calpurnius nur einmal, III 35: exopto quam cum-Mopso iurve.tur anhelo. Calpurnius hat auch kein choriambisches Wort vor der semiseptenaria. 3 Siehe oben S. 34 ff. 4 Natürlich unter dem Fehlen all dessen, was für Vergil eigentümlich ist und von keinem Dichter wiederholt wurde. Es handelt sich um Kanonisierung des Typischen. 5 Sie werden nicht weiter kolometrisch eingeteilt, denn es gibt Wortschlüsse im 2. longum nach et, nec, etc., d. h. wenn auf einen daktylischen Überhang im 1. Fuß ein schweres Monosyllabon folgt. Sie sind kolometrisch unbedeutend, metrisch aber liegt dort ein absoluter Wortschluß vor. 6 Siehe oben S. 210-211 und unten Kapitel VII.

Anhang 4: Worttypen und Wortschlüsse

231

Vergil 1. Bei Wortschluß 7 kein Wortschluß 3 und nicht 2tr: I 11, 32, 41, 44, 50, 57, 60; II 11, 13, 25, 34, 36, 37, 45, 50, 54, 57; III 1, 2, 12, 14, 18, 19, 21, 30, 37, 46, 49, 55, 60, 65, 78, 93, 101, 104, 108; IV 4, 7, 8, 12, 14, 25, 26, 36, 43, 48, 55, 57, 58, 59; V 5, 8, 13, 14, 29, 32, 43, 59, 60, 62, 65, 69, 86, 89; VI 2, 13, 15, 40, 45, 47, 48, 52, 55, 62, 64, 72, 78, 83; VII 9, 19, 41, 50, 59, 66, 68; VIII 2, 13, 15, 18, 20, 21, 22, 37, 39, 54, 56, 60, 74, 105; IX 7, 10, 17, 21, 22, 30, 34, 36, 39, 40, 43; X (3), 6. 7, 11, 17, 19, 20, 22, 24, 26, 35, 46, 50, 51, 52, 57, 58, 62, 65. 2. Bei Wortschluß 7 Wortschluß 2tr: I 6, 7, 13, 18, 25, 26, 31, 45, 46, 47, 77, 83; II 6, 16, 17, 30, 51, 53, 61, 63, 66, 68; III 5, 29, 33, 36, 52, 62, 71, 76, 88 (lat.), 97; IV 17, 18, 21, 32, 38, 60, 61, 62; V 1, 10, 11, 19, 22, 34, 49, 57, 68, 76, 83, 88; VI 6, 9, 31, 34, 42, 43, 57, 85; VII 2, 13, 16, 23; VIII 17, 26, 34, 35, 38, 78, 92, 97; IX 1, 25, 32, 50, 54, 55, 57, 66; X 37,

52, 13, 74, 12, 38,

44, 48, 61, 66, 69, 73, 74. Calpurnius 1. Bei Wortschluß 7 kein Wortschluß 3 und nicht 2tr: I 6, 15, 19, 23, 25, 36, 39, 43, 45, 57, 64, 66, 69, 73, 86, 88, 94; II 2, 21, 25, 27, 31, 34, 38, 51, 53, 56, 64, 69, 79, 81, 84, 88, 98; III 4, 7, 8, 17, 24, 26, 29, 33, 41, 49, 78, 90, 91, 97; IV 5, 6, 7, 11, 14, 29, 31, 37, 39, 40, 41, 68, 82, 83, 86, 96, 136, 99, 113, 117, 118, 123, 145, 155, 161, 166, 169; V 55, 85, 102, 104, 105, 118; VI 18, 31, 61, 63, 68, 76, 77, 83, 86; VII 12, 13, 17, (20), 23, 33, 38, 49, 51, 55, 74. (Insg. 101) 2. Bei Wortschluß 7 Wortschluß 2tr: I 27, 50, 53, 75, 80; II 7, 10, 11, 28, 36, 47, 50, 55, 66, 67, 82, 85, 94; III 9, 15, 38, 86; IV 25, 27, 50, 66, 93, 106, 107, 108, 128, 129, 144, 160, 163; V 4, 5, 16, 27, 30, 40, 53, 74, 82, 96, 109, 120; VI 4, 21, 25, 26, 46, 50, 91; VII 1, 21, 44, 53. (Insg. 58) Nemesianus 1. Bei Wortschluß 7 kein Wortschluß 3 und nicht 2tr: I 29, 39, 42, 64, 84; II 4, 18, 22, 26, 49, 64, 70, 75, 82, 84, 85, 86, (87), 89; III 3, 11, 14, 27, 40, 44, 47, 58, 66, 68; IV 8, 18, 34, 42, 46, 54, 60, 66, 69. (Insg. 37)

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

232

2. Bei Wortschluß 7 Wortschluß 2tr: I (3), 15, 23, 32, 40, 51, 54, 76, 78, 82; II 6, 12, 13, 40, 52, 57, 60; III 1, 33, (43?), 49, 50, 62, 67; IV 3, 16, 18, 21, 24, 30, 32, 40, 44, 72. (Insg. 34). Eine Tabelle ist instruktiv:1 Wortschluß 7

Verg. Calp. Nemes.

564 365 210

a) ohne Wortschl. b) mit Wortschl. 2tr 3 und 2tr

129 - 22,87% 101 - 27,67% 37 - 17,62%

93 - 16,49% 58 - 15,89% 34 - 16,19%

Insgesamt

222 - 39,96% 159 - 43,56% 71 - 33,81%

Wir haben an einem Teil des Materials festgestellt, daß die Dreigliede¬ rung des Hexameters durch die semiternaria und semiseptenaria von Calpurnius Siculus gemieden wurde. Bei einem starken Wortschluß 3 ließ er anstelle des Wortschlusses 7 den Wortschluß 4 tr häufig auftreten.2 Dem¬ entsprechend würden wir erwarten, daß Calpurnius beim Wortschluß 7 besonders häufig den Wortschluß 2 tr gebrauchte oder den Wortschluß 3 auf eine andere Weise ersetzte. Die erste Erwartung wird nicht erfüllt. Die Tabelle zeigt, daß alle drei Bukoliker den Wortschluß nach dem 2. Trochäus gleich häufig gewählt haben, im Durchschnitt in 16% der Verse mit Wortschluß 7.3 Das zweite Kriterium hat sich als ergiebiger erwiesen: Bei Wortschluß 7 hat Calpurnius die größte Zahl der Hexame¬ ter ohne Wortschluß 3, welcher anders ersetzt wurde als durch den Wortschluß 2 tr. Es handelt sich hier um den Wortschluß 1 d oder 1 s, nach dem dann in den meisten Hexametern auch der Wortschluß 5 er¬ scheint. Dies betrifft freilich nicht nur Calpurnius, sondern alle Bukoli¬ ker gleichermaßen. In der Tabelle sehen wir Unterschiede von 5%. Somit ist bewiesen, daß bei Calpurnius die Voraussetzung für die Drei¬ gliederung den geringsten Grad erreichte. Daraus kann man zunächst schließen, daß ihm die Dreigliederung des Hexameters unerwünscht war. Dies wird jetzt durch meine Untersuchung als Tatsache bestätigt. Zu¬ gleich gewinnen wir daraus eine Berichtigung der landläufigen Ansicht zu Vergils besonderer Vorliebe für die Dreigliederung. Einerseits kann 1 Manche Hexameter mit dem Wortschluß 2tr, die nämlich mit einem spondeischen 1. Fuß, werden im V. Kapitel zitiert; siehe unten S. 275 mit Anm. 2 und 3, S. 266 ff. und 270 ff. Es sind 36 solche Hexameter Vergils, 24 des Calpurnius, 16 des Nemesianus, 2 des Eins. I und 2 des Eins. II. 2 Vgl. oben S. 165-168. 3 U diesen Hexametern ist vorwiegend die semiquinaria die Hauptcaesur, bei Nemesianus fast immer.

Anhang 4: Worttypen und Wortschlüsse

233

zwar niemand bestreiten, daß Vergil - nach dem Vorbild des Ennius den bereichernden Wert derartiger Hexameter neben den Versen mit der semiquinaria als erster römischer Dichter erkannte, andererseits zeigt meine Untersuchung, wie sorgfältig er nach anderen Rhythmen suchte, damit die Trikola nicht eine Überzahl erreichten. Meine Untersuchungen bestätigen dies zunächst hinsichtlich des Gebrauchs der bukolischen Diaerese und der Caesur xarä tqitov TQoxaiov. Und es liegt nahe, zu behaupten, daß dasselbe auch in Bezug auf die dreigegliederten Verse richtig ist, daß nämlich ihre Zahl in den Eklogen geringer ist als in Vergils Epen, vor allem als in der Aeneis, zu der wir aufgrund Drexlers Untersuchungen zum römischen Epos und zur Satire von Ennius bis Lucan folgende Feststellung haben:1 „Das Maximum überwiegender semiseptenaria liegt bei Vergil, das Maximum dreigeteilter Verse ent¬ weder mit semitemaria und semiseptenaria oder mit Wortschluss an allen drei Caesurstellen wiederum bei Vergib“ Doch hat bereits K. Büchner um zum hier relevanten Punkt zurückzukehren - den Hexameter der Eklogen im Vergleich zu dem der Epen gewürdigt, indem er seine besondere Klangfülle und Sanglichkeit hervorhob, und auch R. G. M. Nisbet zollt Vergil kein geringes Lob, wenn er sagt: „Virgil’s Eclogues had suddenly made earlier poetry look a little heavy.“2 Als größter Anhänger der Dreigliederung bleibt also Nemesianus auf dem Felde. Er blieb zwar beim Wortschluß 2tr auf dem Niveau seiner Vorgänger, im übrigen gebrauchte er aber den Wortschluß 3 neben dem Wortschluß 7 am häufigsten. Mag sein Hexameter, wie M. Haupt urteilte, elegant sein, so ist er zugleich eintönig und in formaler Hinsicht wenig originell. Diese Ergebnisse wurden auf der Grundlage aller Hexameter mit Wortschluß im 4. longum gewonnen. Da aber die meisten dieser Verse die semiquinaria als Hauptcaesur haben, könnte mich der berechtigte Vorwurf treffen, dieses Ergebnis sei auf die Dreigliederung gar nicht zu beziehen, allenfalls auf die Möglichkeit der Dreigliederung. Daher korri¬ giere ich mich in dieser Hinsicht und stelle eine zweite Tabelle zusam¬ men, für welche nur die Hexameter mit der semiseptenaria die Grund¬ lage bilden.3 1 H. Drexler, Hexameterstudien /, S. 438. Die Georgica wurden nicht untersucht. 2 R. G. M. Nisbet, The Survivors: Old-Style Literary Men in the Triumvirat Period, Collected Papers, S. 400. 3 Es sind folgende Verse: unter a) Verg. I 32; II 45, 57; III12, 46, 55, 60, 93, 101; IV 8, 26, 43, 55; V 32, 59, 60, 65; VI 15; VII 59; VIII 20, 21, 22; X 17, 22, 26, 35, 51, 58, 62, 65; Calp. I 43; II 27, 34; III 24, 29, 33; IV 11; VI 83; VII 13; Nemes. I 39, 64, 84; n 70, 82, 85; ÜI 3; unter b) Verg. 113, 18, 45; II 63; III 29, 71; IV 21, 32, 38; V 1, 11, 19; VI 6, 42, 85; VIII 34; X 37, 61; Calp. I 53, 75; II 10, 82; IV 107; VII 1; Nemes. 123,40; n 13, 57; ffl 43.

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

234

7 H

145 78 68

Verg. Calp. Nemes.

a) ohne Wortschl. b) mit Wortschi. 2tr 3 und 2tr

18 - 12,41% 6 - 7,69% 5 - 7,35%

30 - 20,69% 9 - 11,54% 7 - 10,29%

Insgesamt

48 - 33,10% 15 - 19,23% 12 - 17,65%

Jetzt sehen wir deutlich, daß es bei der semiseptenaria als Hauptcaesur Vergil war, der in seinen E k 1 o g e n die Dreigliederung des Hexa¬ meters am meisten mied, während Calpurnius und Nemesianus weit hinter ihm auf gleicher Stufe zu stehen scheinen. Dies relativiert sich aber dadurch, daß bei Calpurnius die semiseptenaria in nur 10,32% aller Verse, bei Nemesianus aber in 21,93% vorliegt. Daraus folgt, daß die Erscheinung bei Calpurnius im Endeffekt zweimal seltener ist als bei Vergil, was mit dem vorherigen Ergebnis im Einklang steht. Es erscheint durchaus sinnvoll, auch jenen Hexametern, die keine Hauptcaesur haben oder an Caesurlosigkeit grenzen, eine Tabelle zu widmen, zumal die Materie sehr zerstreut ist.1 Verse mit einem Kolonende nach dem 3. Daktylus (Versmitte) werden in der Tabelle unterstrichen. Hexameter der lukoliker an Caesurlosig¬ caesurlose keit grenzende

I 62, 70; III 33; VI 59, 80; VII 33;2 VIII 49, 97, 102; IX 3, 6, 24, 33; X 31, 39.

I 13; II 71; III 23, 99; IV 54; V 4; IX 29, 60.

Calp.

II 44, 66; IV 65; V 105, 109. 120: VI 3.

IV 47.3

Eins. I

25.

Verg.

Eins. II Nemes.

Insg.

II 21, III 50, 64; IV 17.

Summe

15 + 8 = 23 2,83% 7 + 1 = 1,06%

8

1 + 0 =

1

7.

0+ 1 =

1

1 33, 65; IV 68.

4+ 3 = 2,26%

7

27 +13 = 40

Das hier erreichte Ergebnis ist kaum überraschend. Es bestätigt die sonst beobachtete Mittelstellung Nemesians und die Eigenständigkeit des Calpurnius im Vergleich mit Vergils Mannigfaltigkeit. Während Vergil 1 Die entsprechenden Seiten im Text sind: 57-58,94-95, 96,110,123,129 Anm. 5, 130-131,134-135,151,157,166,183-185, 201, 211-212, 220-221. 2 Wenn man von 4tr H absieht. 3 Der Vers hat zwar 3tr H, aber auch eine Neigung zur Caesurlosigkeit.

Schlußwort

235

nur in sieben von fünfzehn caesurlosen Hexametern ein Kolon in der Versmitte enden läßt, wählt Calpurnius, mit einer Ausnahme, nämlich VI 3, ausschließlich diesen kolometrischen Typus, er meidet aber, im Gegensatz zu Nemesian, eine kolometrische Ambivalenz, deren Ergebnis an Caesurlosigkeit grenzende Hexameter sind. Nemesian folgt Vergil mit einer Ausnahme: In der Gruppe der caesurlosen Hexameter erscheinen nur Verse mit dem Kolonende nach dem 3. Fuß.

5. Schlußwort An dieser Stelle kehre ich an den Ausgangspunkt dieses Kapitels zu¬ rück, um die Erwägungen verskolometrischer Natur fortzuführen. Wie dort zu erkennen war, sind die zwei zitierten Beispielverse Verg. II 1 und VI 56 unter formalem Aspekt einander nicht gleich. Im ersten ist die semiseptenaria Haupcaesur, im zweiten die semiquinaria. Manchmal aber, wennn sowohl 5 als auch 7 in Frage kommt, läßt sich um die Hauptcaesur streiten. Denn eine Gleichwertigkeit zweier Caesuren ist ja äußerst selten, eigentlich nur bei kurzen viermorigen Einschüben parenthetischer Art, die sich an beiden Grenzen gleich locker dem Satz anfügen. Daß dies wirklich, wenn auch selten, berechtigt ist, meine ich in genügendem Maße gezeigt zu haben. Den in diesem und in den vorausgehenden Kapiteln gewonnenen Be¬ obachtungen und Ergebnissen kommt sowohl im Bereich der Metrik als auch in dem der Verskolometrie eine nicht geringe Bedeutung zu. Sie besagen viel, nicht nur zur Stelle der Hauptcaesur und zu ihrer Frequenz, sondern auch über die Verskolometrie eines jeden Bukolikers: wo ein jeder gewöhnlich Kola enden läßt, an welchen Versstellen er Sperrungen bevorzugt, wo er Grenzen zwischen syntaktischen Gruppen zu setzen pflegt. Dies sind individuelle Gewohnheiten eines jeden Dichters, die innerhalb des idealen Schemas des Hexameters faßbar sind. Sie sind nicht im voraus determiniert - sonst wäre jeder Einzelfall vorhersehbar -, sondern sie sind Konkretisierungen der Möglichkeiten, die im Versschema implizit vorhanden sind und vom Dichter in einer freien Entscheidung gewählt werden. Kein Wortschluß und keine Hexameter¬ stelle sind von ihrer Natur her dazu bestimmt, die Funktion der Haupt¬ caesur oder der Diaerese auszuüben, d. h. als Grenzen oder Bindepunkte zwischen Kola oder syntaktischen und rhythmischen Gruppen zu fungie¬ ren. Jeder Dichter hat die Wahl, und er kann sich dafür entscheiden, bei einem sogar häufigen Wortschluß an einer Caesurstelle gerade diese Hauptcaesur sorgfältig zu meiden (siehe Eins. II), ja eine Caesur für sich

236

Die semiseptenaria als Hauptcaesur

völlig auszuschließen, wie es nach H. Drexlers Untersuchung von ein¬ tausend Versen Lucans für die Caesur xaxä tqi'tov rgoxaiov zutrifft. Das widerspricht nicht der grundlegenden Feststellung, daß es im Flexameter Stellen gibt, die für die Funktion der Hauptcaesur bestimmt sind, und andere, die es nicht sind, daß aus der Natur der Sprache folgende Zwänge und von Menschen geschaffene ästhetische Prinzipien existieren, die zusammen eine determinierende Wirkung haben. Trotz¬ dem gab es Möglichkeiten, die jedem Dichter offen standen;1 ihre Konkretisierung beruhte auf seiner Wahl. Nicht jeder Dichter wählte auf dieselbe Weise. Auch bei dem gleichen Anteil einer bestimmten Haupt¬ caesur kann die kolometrische Strukturierung bei zwei Dichtern ver¬ schieden sein.2 Ohne Studien zur Verskolometrie und Verskunst (Me¬ trik) kann heute, vor allem wegen der zeitlichen und kulturellen Ferne, niemand zur Kenntnis dieser Gewohnheiten und Tendenzen gelangen. Ohne diese Kenntnis bleibt unser Wissen von der antiken Dichtkunst unvollständig.

1 Mit Sicherheit wäre ein römischer Dichter imstande gewesen, 100 Hexameter mit 60 Wortschlüssen im 3. longum und ohne eine einzige semiquinaria zu dichten, wenn ihn jemand vor eine solche Aufgabe gestellt hätte, und dies deshalb, weil die semiquinaria, auch beim Wortschluß 5, nicht die einzige Möglichkeit der Hauptcaesur ist. 2 Vgl. H. Drexler, Hexameter Studien /, S. 540: „Jeder Dichter hat, wie man sieht, seine rhythmischen Besonderheiten und spezifischen Neigungen.“

V Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes und verwandter rhythmischer Abfolgen am Versanfang im Hexameter römischer Bukoliker

Der Ausgangspunkt dieser Untersuchung geht auf das vorige Kapitel zurück, wo ich mit der metrischen Argumentationsweise zur Begrün¬ dung einer Erscheinung gelangt bin, die ich ästhetischen Zwang‘ nenne.1 Eben aus diesem .ästhetischen Zwang1 sind viele Regeln für die Wort¬ stellung im Hexameter der Römer entstanden, denen man eine bestimmte Zeit lang aus historisch verständlichen Gründen den Status von Gesetzen zu gewähren pflegte. Als Beispiel sei eine derartige Formulierung ge¬ nannt, die J. Heyken als „Das erste hauptprinzip“ bezeichnet: „Steht im verse nur ein hauptwort und ein epitheton, so werden sie getrennt.“2 Darauf folgt bei Heyken eine beschreibende Begründung, auf welche ich meine These vom .ästhetischen Zwang1 stützen kann. Deshalb führe ich den Wortlaut genau an: „Diese technik ist schon der ältesten römischen poesie nicht unbekannt, findet sich dort aber selten. Der ältesten römischen prosa scheint sie fremd zu sein. Sie beginnt, soweit wir sehen, bei dem Redner L. Crassus, der der .asianischen rhetorik1 besonders nahe stand, und dem historiker Sisenna. Zweck der trennung ist hier die erzielung rhythmischen satzschlusses, um dessentwillen der korrupte Stil auch vor starken gewaltsamkeiten nicht zurückscheut.“3 Kennzeichnend für jene Epoche ist ebenfalls der Titel wertvoller Untersuchungen Isidor Hilbergs: Die Gesetze der Wortstellung im Pentameter des Ovid, Leipzig 1894 (meine Hervorhebung). Daraus wird ohne weiteres klar, warum Vergil I 2 siluestrem tenui Musam und nicht siluestrem Musam tenui geschrieben hat, wenngleich in diesem Vers nicht ein, sondern zwei

1 Vgl. oben S. 178-179, auch 180, 235-236 und S. 55 mit Anm. 1. 2 J. Heyken, Über die Stellung der Epitheta bei den römischen Elegikern, (Diss.) Kiel 1916, S. 8 (nicht Epikern, wie L. de Neubourg in Glotta 56 (1978), S. 119, Anm. 39 den Titel versehentlich zitiert). Dazu muß man beachten, wie Heyken Epitheton definiert, ebenda S. 7. 3 In diesen vier Sätzen beruft sich Heyken dreimal auf E. Nordens Die antike Kunstprosa, S. 170 ff., 180 und 292, die zuverlässigste Quelle zur Orientierung auf diesem Gebiet.

238

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

Paare von Hauptwort und Epitheton Vorkommen. Andererseits müssen wir unter Umständen bereit sein, dem ästhetischen Moment mehr Wirkungskraft einzuräumen, als es einem alles klassifizierenden Wissen¬ schaftler bequem sein könnte. Ich denke dabei an Einzelfälle, die aner¬ kannte Grundregeln und Prinzipien zu durchbrechen scheinen, für die aber Kunstlosigkeit oder Talentlosigkeit des Dichters als Erklärung nicht in Frage kommt. Bei solchen Gegebenheiten bleiben ästhetische Gründe eine, obschon nicht die einzige, Möglichkeit. Wie dargelegt, gaben jene Beobachtungen Veranlassung, den Ge¬ brauch des molossischen Anfangswortes in der römischen Bukolik zu untersuchen, allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt des ästhetischen Zwanges4, sondern der rhythmisch-metrischen Varietät und Variabilität. Die Wahl des molossischen Worttypus am Versanfang ist, neben den bereits angegebenen Gründen,1 mit bestimmter Absicht getroffen, denn dieser Worttyp kann im römischen Hexameter nur an drei Stellen begin¬ nen: am Versanfang, am Anfang des 2. Fußes und nach dem 3. longum der Stelle der semiquinaria.2 Nur diese drei Stellungen ermöglichen einen korrekt gebauten Hexameter mit semiquinaria oder semiseptenaria als Hauptcaesur, nur die Anfangsstellung zusätzlich einen Vers mit der Caesur xarä tqitov rgoxaTov. Daher war das molossische Wort bereits Gegenstand einer genauen Untersuchung;3 sein Gebrauch ist nicht nur im Hexameter, sondern auch im altlateinischen Sprechvers und in den Cantica durch verschiedene Bedingungen eingeschränkt. Die folgende Betrachtung soll jedoch tiefer in die Einzelheiten eindringen und damit über die Ergebnisse von Friedrich Marx hinausgehen. Denn hier wird nicht nur das molossische Wort, sondern gleichermaßen der Anfangsmolossus untersucht, sei es als Spondeus + Monosyllabon (-->->) oder umgekehrt (-»—*) oder als drei Monosyllaba (-»->->), sowie die weiteren verwandten rhythmischen Abfolgen, die mit drei Längen beginnen, auch ohne Wortschluß nach dem 2. longum, also z. B. —oder Diese Erweiterung des Untersuchungsfeldes und die Verfolgung der Varianten bis ins kleinste scheint mir vielversprechend und fruchtbar zu sein. Dabei ist von selbst ein anderes Problem der Verstechnik, nämlich der Gebrauch des spondeischen Worttyps am Versanfang, aufgetaucht, 1 Vgl. oben S. 174-180. 2 Die Stellung nach der semiquinaria erfreute sich besonderer Beliebtheit bei Catul¬ lus (und wahrscheinlich anderen Neoterikem), der die semiquinaria als Hauptcaesur deutlich bevorzugt und gleichzeitig den spondeischen Wortschluß nach dem 4. Fuß anstrebt, den daktylischen vierten Fuß aber meidet. Unter diesen Voraussetzungen war ein molossisches Wort an dieser Stelle eine ideale Lösung. 3 Durchgeführt von F. Marx, gründlich besprochen von H. Drexler; siehe oben S. 19 Anm. 3 und Drexler, Einführung, S. 25-26.

am Versanfang

239

welches hier samt dem Molossus untersucht wird. Der weitere Vorteil ist die sich bietende Möglichkeit, das molossische und das spondeische im Überhang stehende Anfangswort zu erforschen.1 Die Ergebnisse werden erst am Ende der Untersuchung sichtbar und teilweise interpretiert. Das Ziel des Ganzen ist die Erfassung der Entwicklungstendenzen und -linien des bukolischen Hexameters. Ihr wurden hier zwei rhythmische Grund¬ typen I und II und zwei weitere von ihnen abgeleitete Typen I 1 und II 1 zugrunde gelegt. Die übrigen acht Typen sind von diesen vier abgeleitet. Diese 12 Typen in ihrer Gesamtheit beziehen sich nur auf die Hexameter mit absolutem Wortschluß im 4. longum.

Erklärung des Notierungsystems Grundtypus I: ——» I 1:

Grundtypus II

I A: I B: I Aa: (--) I Bb: (-)

II 1 II A II B II Aa II Bb

—)

(—-)

(-) (-)

Die beiden Grundtypen und die Typen I 1 und II 1 sind hinsichtlich der Wortschlüsse festgelegt. Auch die Typen I A, I B, II A und II B beginnen mit einem molossischen Wort, die weiteren Wortschlüsse aber können in verschiedenen Kombinationen erscheinen. Darauf hinzuweisen ist der Sinn der Klammern. Insofern haben wir also mit acht Varianten zu tun, in denen am Versanfang ein molossisches Wort steht. Sie sind mit einer römischen Ziffer und - außer den Grundtypen - mit einem diffe¬ renzierenden Merkmal 1, A oder B gekennzeichnet. Daran sind sie auch leicht zu erkennen; zusätzlich wird in den Schemata das Symbol — fett gedruckt. Die übrigen vier Typen I Aa, I Bb, II Aa und II Bb sind mit den obigen acht durch die Abfolge von Längen und Kürzen rhythmisch am engsten verwandt. Sie zeigen aber kein molossisches Wort am Vers¬ anfang, worauf wieder die Klammern hinweisen; die Zahl der Kombina¬ tionen von verschiedenen Wortschlüssen steigt hier beträchtlich. Die Untertypen, Varianten und Variationen von I A bis I Bb und von II A bis II Bb werden wieder mit arabischen Ziffern gekennzeichnet. Die Beschreibung von Einzelheiten wird jeweils der entsprechenden Partie vorausgeschickt.

1 Zu Überhang und Auftakt siehe Kapitel I 4.

240

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

Vor allem muß nochmals deutlich gesagt werden, daß diese zwölf Ausprägungen umfassende Typologie nur die Hexameter mit dem absolu¬ ten Wortschluß im 4. longum, also an der Stelle der semiseptenaria, betrifft. Somit wäre die vorliegende Untersuchung unvollständig, denn es gibt sowohl Hexameter mit molossischem Anfangswort als auch solche mit dem Anfangsmolossus, die absoluten Wortschluß erst nach dem 4. Trochäus, Spondeus, Daktylus oder noch weiter gegen das Versende zeigen. Um diesen Mangel zu beheben, werden auch diese Verse in An¬ lehnung an unsere Typologie klassifiziert, dabei mit Genauigkeit nur die Entsprechungen zu I bis I B und II bis II B sowie diejenigen Untertypen von I Aa, I Bb, II Aa und II Bb, die mit einem spondeischen Wort beginnen. In dieser Hinsicht also, sofern molossische und spondeische Wörter in Betracht kommen, erhebt die vorliegende Untersuchung den Anspruch auf Vollständigkeit. Demgemäß werden hier alle in Frage kommenden Hexameter zitiert. Das Fehlen eines Autors unter einem bestimmten Typus oder Untertypus bedeutet, daß diese Variante bei ihm nicht belegt ist. Demnach werden wir manchmal mit ausschließlich Vergilischen, Calpurnianischen oder Nemesianischen Varianten zu tun haben. Bei jedem Dichter steht jeweils links auf der Höhe des letztzitierten Verses in Klammern die Zahl der bei ihm gefundenen Belege, die kursiv gedruckt ist, und direkt darunter die fett gedruckte Gesamtzahl der Belege für den ganzen Typus. In den mit A, B, Aa und Bb gekennzeichneten Typen, welche mehrere Varianten haben, ist die Gesamtzahl für einzelne Varianten fett gedruckt; die Gesamtzahl für den ganzen Typus erscheint dann als dritte Zahl fett und kursiv. Ist eine Variante nur bei einem Bukoliker belegt, so steht links nur eine fett gedruckte Zahl, die zugleich die Gesamtzahl für diese Variante ist. In allen zitierten Hexametern wird die Hauptcaesur mit II markiert, wenn sie nicht verdunkelt oder aus anderen Gründen nicht mit Sicherheit festgestellt ist. Metrische Wörter werden durch den Binde¬ strich verdeutlicht; auf die Synaloephe wird ein (S) hinweisen. In der Regel wird die Kennzeichnung der Synaloephe in den metrischen Sche¬ mata weggelassen. Nur in Einzelfällen, insonderheit dort, wo nur ein oder zwei Hexameter eine Variante belegen, wird die Synaloephe im Schema gekennzeichnet. Manchmal wird der graphische Wortschluß durch einen kurzen senkrechten Strich i innerhalb des metrischen Wortes im Schema deutlich gemacht.

am Versanfang

Grundtypus I:

9

9

9

Verg. II 1: I 17: V 41: VI 56: VII 62: (5) Calp.

Formosum pastor Corydon I! ardebat Alexin de-caelo tactas II memini I praedicere quercus. pastores (mandat II fieri sibi talia Daphnis),. Dictaeae Nymphae II nemorum iam claudite saltus, formosae myrtus VeneriJI sua laurea Phoebo;

(1)

II 19: calcabant, illis II etiam certantibus ausa est. Nemes.

(1)

II 19: alternant, Idas calamis II et uersibus Alcon.

(7)

Grundtypus II:

9

9

9

Verg.

I 2: siluestrem tenui II Musam meditaris auena I 54: III 39: III 41: IV 19: V 44: V 90: VI 14: VII 25: VIII 16: (11) VIII 65: Calp. (1) V 113: Eins. (1) 1126: Nemes. II 1: II 2: III 38: IV 6: (5) IV 64:

(18)

Hyblaeis apibus II florem depasta salicti diffusos hedera II uestit pallente corymbos. descripsit radio II totum qui gentibus orbem errantis hederas passim II cum baccare tellus formosi pecoris custos,ll formosior ipse formosum paribus nodis II atque aere, Menalca. Silenum pueri II somno uidere iacentem, Pastores, hedera II crescentem omate poetam, (latens) incumbens tereti II Dämon sic coepit oliuae uerbenasque adole pinguis II et mascula tura. (S) ingenti positus II quamuis strue, prosit aceruus, languescit senio Bacchus,II pecus errat in herba. Formosam Donacen II Idas puer et puer Alcon ardebant rudibusque annis II incensus uterque (S) mirantur Satyri II frondes et poma Lyaei. cogebat trepidos II totis discurrere siluis. lustrauit cineresque auersa effudit in amnem (SS)

241

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

242

Typus 11:

(3)

Verg. IV 39: mutabit merces;ll omnis feret omnia tellus V 7: siluestris raris II sparsit labrusca racemis. V 63: intonsi montes;ll ipsae iam carmina rupes, Calp.

(1) (1) (5)

151: deflebit, nullos II ducet captiua triumphos; Nemes. I 67: de-messi culmos II omnique ex arbore fruges;

Typus II1:

,

Verg:

I 21: pastores ouium II teneros depellere fetus.

(5)

(3)

(2)

II 64: III 27: VII 70: IX 52: Calp. II 83: II 89: IV 134: Nemes. I 53: IV 58:

florentem cytisum II sequitur lasciua capella stridenti miserum II stipula disperdere carmen? ex-illo Corydon II Corydon est tempore nobis cantando puerum II memini I me condere soles. maturis nucibus II uirides rumpentur echinni. admiror totiens.il etenim sic flore iuuentae securus recubat II placidoque in fonte lauatur (S) adsueras, uarias II patiens mulcendo querellas. prudentesque animos II teneris non speret in annis. (S)

(10) Es ist selbstverständlich, daß der Typus —>— hier nicht erscheint. Auch die folgenden Typen I A, II A, I B und II B beginnen mit molossischem Wort. Weiter aber gibt es mehrere Möglichkeiten der Aufteilung bis zum 4. longum.

I A: —>(-) I A 1: Verg. (1)

VIII 49: crudelis mater magis, an puer improbus ille?

am Versanfang

I A 2; » » Nemes. (1)

243

»

I 72: siluestris te nunc II platanus, Meliboee, susurrat,

I A 3: Verg. I III IV IV V VII (7) IX Calp. I I I III IV

76: dumosa pendere II procul de rupe uidebo; 59: alternis dicetis;ll amant alterna Camenae, 35: delectos heroas;ll erunt etiam altera bella 51: terrasque tractusque maris II caelumque profundum; 51: dicemus, Daphninque tuum II tollemus ad astra; 15: depulsos a-lacte II domi quae clauderet agnos, 29: cantantes sublime II ferent ad sidera cycni.

38: securo custode pecus II nocturnaque pastor 47: post-tergum Bellona manus II spoliataque telis 74: exsultet quaecumque II Notum gens ima iacentem 31: Alcippen irata petit II dixitque: ,relicto, 60: donauit dixitque II ,truces haec fistula tauros V 57: ad-fontem compelle greges;ll nee protinus herbas VI 44: extrema ceruice natantjl ubi pendulus apri VI 48: Terreri, Mnasylle,ll suo me munere credit: VII 36: per-partes spectare suas? II sic undique fulgor VII 41: ,ad-tantas miraris opes,ll qui nescius auri (11) VII 62: iactantur per-colla iubaejl quibus aspera mento Nemes. (1) IV 52: Nerinas potabit aquas II taxique nocentis

(19) I A 4:

’ » w9v'

Verg. I 27: I 36: I 43: III 3: VI 18:

9

Libertas, quae sera II tarnen respexit inertem, Mirabar quid maesta II deos, Amarylli, uocares, bis-senos cui nostra I dies altaria fumant Infelix o semper, oues, pecus! ipse Neaeram adgressi (nam saepe II senex spe carminis ambo ,1

.2

1 Das Komma stammt von mir. 2 Man könnte im Anschluß an G. Maurach, § 56 auch sagen, daß hier zwei dichterische Freiheiten kombiniert sind und die Wörter daher eigenständig gehört werden sollen, so daß kein metrisches Wort vorläge. Dann gehörte der Vers in den Typus I Aa 6. Vgl. auch Nemes. IV 36: iam tibi bis-denis numeratur messibus anni.

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

244

(9)

(2)

(2)

VI 44: VI 70: VIII 27: X 47: Calp. II 26: VII 7: Nemes. I 20: IV 70:

clamassent, ut litus II ,Hyla, Hyla‘ omne sonaret; Ascraeo quos ante seni,ll quibus ille solebat iungentur iam grypes equisjl aeuoque sequenti Alpinas, a! dura II niues et frigora Rheni possitis, ter quisque II manus iactate micantes.1 Mirabar, quae tanta II foret tibi causa morandi, secreti pars orbis habet II mundusque piorum. cantauit, quo luna timet,II quo rumpitur anguis,

(13)

(34) II A: —4—

—)

II A 1: Verg. (1) I 72: produxit miseros:ll his nos I conseuimus agros!

(1) (2)

Calp. VII 48: certatim radiant; nee non, ubi finis harenae

II A 2: — Verg. I 29: I 78: IV 41: (4) VII 29:

respexit tarnen et II longo post1 tempore uenit florentem cytisum et salices carpetis amaras robustus quoque iam tauris II iuga soluet arator Saetosi caput hoc apri II tibi, Delia, paruus

II A3: Verg. (1)

V 72: cantabunt mihi Damoetas II et Lyctius Aegon;

(7) IB:

I B 1: Verg.

(1)

V 75: reddemus NymphisJI et cum lustrabimus agros.

1 Zu post siehe oben S. 19 ff. Et steht hier im Vortakt.

am Versanfang

245

Calp.

(1)

1141: ignotas frondes II et non genitalia poma. Eins.

(1)

I 34: caelestes ulli si suntjl hac uoce locuntur! Nemes. I 74: respondet siluae;ll te nostra armenta loquuntur (S) III 8: inuadunt furto;ll sed nec resonare canorem

(2) (5) I B 2:

~’

>

Verg. (2)

III 31: depono; tu die II mecum quo pignore certes. III 25: Cantando tu-illum? aut umquam II tibi fistula cera1

I B 3: —.-.-rCalp. (1) III 35: exopto quam cum-Mopso II iurgetur anhelo.

(8) II B: —,(-) II B 1:

,

Verg. (1) V 37: infelix lolium et II steriles nascuntur auenae;2 (S) II B 2: Verg.

(2)

(4) (1) (1)

I 5: formosam resonare II doces Amaryllida siluas. VII 37: Nerine GalateaJI thymo mihi dulcior Hyblae. Calp. 193: dicamus teretique II sonum modulemur auena: IV 3: insueta statione sedes? II iuuat umida forsan V 92: serpentum cecidisse minas:ll non stringere dentes VI67: dependet scopulisque cauum sinuantibus arcum Eins. 1123: Saturni rediere dies II Astraeaque uirgo, Nemes. 17: detondent, uiridique II greges permittere campo

(8) 1 Zu tu-illum als metrisches Wort vgl. oben S. 11-12 und C. Questa, Introduzione, S. 126 (zu Plaut. Merc. 385). 2 Vgl. oben S. 244 Anm. 1.

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

246

II B 3: Verg. IX 64: cantantes licet usque II (minus uia laedet) eamus; X 75: surgamus: solet esse II grauis cantantibus umbra,

(3)

VI 81: infelix sua tecta super II uolitauerit alis? Calp.

(1)

I 11: bullantes ubi fagus aquas II radice sub ipsa

(4) II B 4: Verg. (1) 1X65: cantantes ut eamus,II ego hoc te fasce leuabo.

7w Damit wird die Klassifizierung derjenigen Hexameter mit dem abso¬ luten Wortschluß im 4. longum, in denen am Versanfang ein molossisches Wort steht, beendet. Natürlich gibt es zu mehreren dieser Typen und Varianten rhythmische Entsprechungen, die nicht im 4. longum, sondern nach dem 4tr, 4d, 4s oder selten noch weiter im Vers absoluten Wortschluß aufweisen. Sie werden hiernach behandelt. Bei den Carmina Einsidlensia ist diese Untersuchung wegen der Autorfrage von besonde¬ rer Bedeutung. Zuerst aber möchte ich das bisherige Ergebnis in Zahlen kurz zusammenfassen. In den zwölf untersuchten Typen kam ein molossisches Wort am Versanfang insgesamt 103mal vor. Wie es sich auf einzelne Dichter verteilt, kann am besten in einer Tabelle dargestellt werden.

Verg. Calp. Eins. I Eins. II Nemes. Summe

Verszahl

G I

G II

813 756 47 38 310

5 (1)

11 1 0 1

1 0 0 1 7 (1)

5 18

molossisches Wort1 I 1 II 1 I A II A 3

1 0 0 (1)

5 (1) 17 (1) 3 13 (4)

0 0 2

0 0 4

5(1) 10(1) 34(5)

6 1 0 0 0 7

I B 3

2 1 0 2 8

II B 7 5

0 1 1 14

Summe

57 (3) 27 (4)

1 2 16 (1) 103 (8)

Die Carmina Einsidlensia nehmen hier eine Sonderstellung ein; sie sind mit anderen Bukolika statistisch nicht vergleichbar. Daher werden

1 In Klammern steht die Zahl metrischer Wörter: 13 (4) unter I A bedeutet 4 metrische Wörter unter 13 Belegen für den Typus I A bei Calpumius.

am Versanfang

247

sie im letzten Kapitel für sich behandelt. Jetzt möchte ich nur Vergil, Calpurnius und Nemesianus untereinander vergleichen. Unter diesen dreien, insofern wir zuerst auf die Häufigkeit der Erscheinung unsere Aufmerksamkeit richten, ragen Vergil und Nemesianus hervor, die den molossischen Worttypus beinahe doppelt so häufig an den Versanfang gestellt haben wie Calpurnius Siculus.1 * Aufschlußreich ist für das Ver¬ ständnis bestimmter Tendenzen der Vergleich zwischen Vergil und Nemesian. Wenn wir uns diesen Vergleich in der Form einer mal stei¬ genden, mal sinkenden Linie zwischen G I und II B vorstellen, steigt und sinkt sie bei den beiden Dichtern bis zum Typus II A genau an denselben Stellen; nur am Ende gibt es kleine Unterschiede zwischen den Zah¬ lenreihen bei Vergil (6-3-7) und Nemesian (0-2-1). Vergil und Nemesian offenbaren also im Versbau dieselben Grundtendenzen. Dasselbe kann aber keineswegs von Calpurnius behauptet werden. Schon innerhalb der beiden Grundtypen zeigt er keine Präferenz. Nur im Bereich zwischen II 1 und II A beobachten wir bei ihm dieselbe Tendenz, und diese im Vergleich zu Vergil (5-17-6) und Nemesian (2-4-0) sogar mit Ver¬ stärkung (3-13-1), sonst noch am Ende zwischen I B und II B, wo auch Calpurnius II B deutlich bevorzugt. Gemeinsam für alle drei Dichter ist die Vorliebe zum lebendigen Typus I A. Daraus ergibt sich einerseits, daß der Vers des Calpurnius in dieser Hinsicht viel gleichförmiger gebaut ist als der Hexameter Vergils und Nemesians, andererseits, daß er außer an bestimmten Punkten (I A und II B) sowohl seinem Vorgänger fern blieb als auch Nemesianus nicht beeinflußte. Diese .Gleichförmig¬ keit4 besteht bei Calpurnius in der Leichtigkeit seines Versanfangs: er mied den Spondeus im 1. Fuß, daher auch den molossischen Worttypus. Nemesianus unterscheidet sich seinerseits von Vergil dadurch, daß er den bei ihm beliebtesten Typus I A mit größerer Zurückhaltung verwendet, den dritthäufigsten II B nahezu gemieden hat. Eine allzu weit gehende Beurteilung dieser Tatsache möchte ich nicht wagen; es scheint mir aber sehr wahrscheinlich, weil auch sonst durchaus bestätigt, daß Nemesian, der auch Calpurnius sehr gut kannte, sich doch von seiner Verstechnik eher fernhalten und die des Vergil nachahmen wollte. Bei der - natürlich lauten - Lektüre des Calpurnius kamen ihm die unter I A und II B er¬ faßten Erscheinungen, insonderheit angesichts des Zurücktretens anderer Typen, irgendwie so typisch Calpurnianisch vor, daß er sie, sei es be¬ wußt oder unbewußt, ein wenig in den Hintergrund gerückt hat, um nicht .Calpurnianisch4 zu erscheinen. Dies wird noch deutlicher zum Vorschein kommen, wenn wir die Typen I A und II B nicht in ihrer Gesamtheit, 1 Verg. 7,01%, Calp. 3,57%, Nemes. 5,16%. Rein statistisch gesehen nimmt Nemesianus auch hier ungefähr die Mittelstellung ein.

248

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

sondern in ihren einzelnen Varianten betrachten werden. Aus insgesamt 34 Belegen für den Typus I A zeigen nur zwei Hexameter nicht den Wortschluß nach dem 3. Trochäus.1 Die übrigen 32 Verse zeigen dagegen diesen Einschnitt: unter I A 3 haben wir bei Vergil 7 Hexa¬ meter, bei Calpurnius sogar 11, unter I A 4 jeweils 9 und 2, insgesamt also bei Vergil 16, bei Calpurnius alle 13 Belege. Daß Calpurnius für den trochäischen Einschnitt an anderen Versstellen ebenfalls eine größere Vorliebe als andere Dichter zeigt, wurde bereits bewiesen.2 Es folgt die Analyse von Typus II B. Wir finden unter II B 1 nur einen Hexameter Vergils ohne Wortschluß nach dem 3. Trochäus gegen¬ über den auf drei Varianten verteilten 13 Hexametern mit diesem Wortschluß. Die Zahlen für Vergil und Calpurnius sind entsprechend unter II B 2 2 und 4, unter II B 3 3 und 1, wiederum stehen also in der Ausgangsvariante mehr Beispiele auf der Seite des Calpurnius. Was auch immer man dazu sagen mag, so konnte dies einem gut geschulten, für den Rhythmus des Verses empfindlichen und dazu noch imitierenden Dichter nicht völlig unbemerkt unterlaufen. Letztlich ergibt sich eine nicht unwichtige Bemerkung zu den Ein¬ siedler Gedichten. Bezüglich des molossischen Anfangswortes steht das Eins. II in der Tradition Vergils, indem es je ein Beispiel der zwei von Vergil häufig verwendeten Formen zeigt. Eins. I scheint dagegen der Verstechnik des Calpurnius näher zu stehen. Soweit müssen wir uns mit dieser Beobachtung zufriedengeben. Jetzt möchte ich zu der ausstehenden, den Gebrauch des molossischen Worttypus am Versanfang betreffenden Ergänzung übergehen, um diesen Teil zu vervollständigen. Da im römischen Hexameter Wortschlüsse im 4. longum und nach dem 4. biceps einander nahezu ausschließen, werden die folgenden Verse mit den acht in Betracht kommenden Typen dem rhythmischen Ablauf nach zusammengestellt, unter Berücksichtigung der Wortschlüsse bis zum 3. longum oder biceps. Da es bequemer ist, als Kriterium der Ein¬ teilung die Stelle des Wortschlusses statt der 8 Typen anzunehmen, wird jetzt die Klassifizierung anhand des Wortschlusses nach dem 4. Daktylus (8d), nach dem 4. Spondeus (8s), nach dem 4. Trochäus (4tr) oder an anderer Versstelle durchgeführt. Der entsprechende Typus wird in Klammern angegeben.

1 Vgl. oben S. 242-243 unter I A 1 (Verg. VIII 49) und I A 2 (Nemes. I 72) 2 Vgl. oben S. 165-168.

am Versanfang

249

1. Wortschluß 8d: Verg. III 107: V 26: V 73: VI 71: VII 18: X 25: (6) Calp. I 83: II 1: II 16: II 46: II 70: III 30: III 40: IV IV V VI VII (13) VII Eins.

22: 35: 77: 51: 61: 80:

nascantur flores,ll et Phyllida solus habeto. (I B 1) libauit quadripes II nec graminis attigit herbam.(II A 1) saltantis Satyros II imitabitur Alphesiboeus. (II 1) cantando rigidas II deducere montibus ornos. (II) alternis igitur II contendere uersibus ambo (II) florentis ferulas II et grandia lilia quassans. (II A 1) indixit miseris II fatalia ciuibus arma. (II) Intactam Crocalen II puer Astacus et puer Idas, (II 1) desistunt tremulis II incurrere frondibus Euri (II) condiscant primoque II recidere gramina morsu,(I A 3) per-totum niueus II premitur-mihi caseus annum1 (II 1) diduxi tunicas II et pectora nuda cecidi. (II A 1) Iam-dudum meditorjl quo Phyllida carmine placem. (II Al) dicentem, CorydonJI te non-semel ista notaui (II A 1) hiberna prohibes II ieiunia soluere fago. (II) arrodet sanies II et putria contrahet ossa. (II A 1) uelocem PetasonJI qui gramina matre relicta (II A 1) deformis scapulis II torus eminet I aut quibus hirtae (II 1) uidissem propius II mea numinaül sed mihi sordes (II 1)

I 4: inuitat calamos:ll imponite lusibus artem. (II) Eins. II 34: sperauit ■> statt 5 Zitiert auf S. 270 und 271 f. 6 Vgl. oben S. 232 mit Anm. 1. Die Tabelle bietet einen Überblick, die Anmerkung die Zahl dieser Verse mit Spondeus im 1. Fuß.

276

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

dem 3. Trochäus hat er aber eingeschränkt.1 Auch hierfür denke ich den Grund nennen zu können. Dieser bleibt mit dem Bau der Hexameter, welche die semiseptenaria als Hauptcaesur haben, aufs engste verbunden. Calpurnius haben, wie aus dem vorangehenden Kapitel hervorgeht, die dreigegliederten Hexameter nicht gefallen. In Versen mit dem absoluten Wortschluß im 4. longum hat er in einem noch höheren Grade als Vergil den gleichzeitigen absoluten Wortschluß im 2. longum vermieden oder kolometrisch verdeckt.2 Dies konnte er durch Verschiebung des absolu¬ ten Wortschlusses um eine Kürze, d. h. bis zum 2. Trochäus, oder durch die Stellung eines Monosyllabon im 2. longum erreichen. Während er das erstere Verfahren mit Vergil und Nemesianus gemeinsam hat, überwiegt bei ihm das letztere deutlich.3 Damit ergeben sich für uns neue Ein¬ sichten in die Verstechnik des Calpurnius Siculus, der auch den sonst seltenen Wortschluß nach dem 4. Trochäus viel häufiger als Vergil und andere Daktyliker zugelassen hat.4 Nach dem 4. Trochäus sind diejenigen Hexameter eingeschnitten, die zugleich einen klaren absoluten Wort¬ schluß in der semiternaria haben. Dennoch ist gerade bei Calpurnius dieser Wortschluß auch hier durch das im 2. longum stehende Monosyl¬ labon besonders häufig abgeschwächt.5 Es steht also fest, daß Calpurnius in der Absicht, die dreigegliederten Hexameter beträchtlich einzuschrän¬ ken, den Anteil der trochäischen Wortschlüsse in geraden Füßen erhöht hat.6 Demzufolge muß er den Anteil von Wortschlüssen nach dem 3. Tro¬ chäus zu dem Zweck reduziert haben, seine Verse nicht allzu ,trochäisch‘ erscheinen zu lassen. Dabei handelt es sich um den zu vermeidenden zwei- oder mehrmaligen trochäischen Einschnitt, aber nicht ausschlie߬ lich darum, denn selbstverständlich müssen nicht dieselben Hexameter betroffen sein. Dies ist an Vergils Praxis offensichtlich: Der trochäische 1 Siehe oben S. 154 mit Anm. 3. 2 Vgl. oben S. 232-234 und dort die Spalte .Insgesamt4 in den Tabellen. Die Wichtigkeit dieser nur Wortschlüsse betreffenden Erkenntnis wird nicht durch die auf S. 233 f. eingeführte Berichtigung, die sich auf die Verse mit der semiseptenaria als Hauptcaesur bezieht, aufgehoben. 3 Vgl. oben S. 168. 4 Diese scharfsinnige Beobachtung verdanken wir M. Haupt, S. 363. In Vergils Eklogen finden wir den absoluten Wortschluß nach dem 4. Trochäus 35mal (4 35%V I 37, 55, 59; II 3, 47; III 8, 28, 35, 42, 58, 63; IV 16, 52; V 35; VI 8, 20, 27, 28, 30, 32, 46; VII 12, 20, 26, 33, 41, 54; VIII 1, 5, 82; IX 9, 15, 24; X 10, 59. Bei Nemesianus sind es nur 8 Verse (2,58%): I 44; II 41, 45, 48, 61; III 55; IV 11, 14, bei Calpurnius Siculus 73 Verse (9,66%): I 16, 18, 40, 42, 44, 65, 67, 76; II 3, 12, 17, 33, 35, 39, 54, 63, 72, 74, 91, 93, 96; III 12, 13, 27, 67, 69, 83, 86, 89; IV 1, 28, 43, 48, 57, 80, 87 95 111, 114, 134, 138, 139, 141, 156; V 1, 3, 17, 18, 21, 35, 38, 39, 60, 65, 79, 83, 90, 98; VI 7, 8, 14, 15, 43, 60, 62, 70, 85; VII 11, 15, 37, 42, 45, 70. Siehe auch oben S. 166 ff. und C. Cavallin passim. 5 Vgl. oben S. 168. 6 Siehe oben S. 166-167.

am Versanfang

277

Wortschluß kann in demselben Vers im 2. und im 4. Fuß ziemlich häufig erscheinen, und trotzdem kann der Anteil des Wortschlusses 3tr und der Caesur xarä tqltov rgoxatov beträchtlich hoch sein. Hexameter mit dem Wortschluß 4tr wurden jedoch in diesem Kapitel noch nicht zitiert, weil die bisherige Untersuchung nur die Verse mit dem absoluten Wortschluß im 4. longum betraf. Sind also die trochäischen Wortschlüsse in geraden Füßen das Charakteristikum ausschließlich des Calpurnius Siculus? Im 4. Fuß ohne Zweifel! Sonst wäre eine Folgerung in dieser Form eine zu pauschale Verallgemeinerung, denn bislang sind noch nicht alle absoluten Wortschlüsse nach dem 2. Trochäus in andersartiger rhythmischer Um¬ gebung bei allen Bukolikern in Betracht gezogen worden.1 Es fehlt eine Untersuchung der Hexameter, die mit dem Daktylus beginnen, oder anders gesagt, die am Versanfang anstelle des Molossus den choriambi¬ schen Rhythmus zeigen. Es bietet sich also nun die Gelegenheit, diese Lücke zu schließen. Es werden alle trochäischen Wortschlüsse im 2. Fuß erfaßt.2

1 Im Anhang 4 werden nur Hexameter mit Wortschluß 2tr beim Wortschluß 7 be¬ handelt. Unter .rhythmischer Umgebung1 verstehe ich sowohl die metrische Gestalt des Versanfangs als auch ihre Verwirklichung durch Verteilung verschiedener Wortschlüsse auf bestimmte Versstellen. In unserem Fall würde es sich um die Verse mit dem dakty¬ lischen zweiten Fuß und mit der semiquinaria oder semiseptenaria als Hauptcaesur handeln. 2 Ohne Verg. III 102, VII 14, VIII 108, IX 65, Calp. II 99, VI 64; mit Nemes. III 43.

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

278

absoluter Wortschluß 2 tr

6, 7, 13, 18, 25, 26, 31, 33, 37, 45, 46, 47, 48, 49, 51, 77, 82, 83. II 6, 15, 16, 17, 18, 30, 51, 52, 53, 61, 63, 66, 68, 70. III 5, 7, 20, 29, 33, 36, 52, 56, 62, 71, 76, 86, 88, 97. IV 10, 13, 17, 18, 21, 29, 32, 28, 46, 60, 61, 62. V 1, 10, 11, 19, 22, 25, 34, 36, 49, 52, 54, 57, 67, 68, 74, 76, 83, 88. VI 5, 6, 9, 10, 11, 31, 34, 35, 38, 42, 43, 57, 58, 63, 85. VII 2, 5, 7, 13, 16, 21, 23, 24, 30, 33, 34, 36. VIII 4, 12, 26, 30, 34, 35, 38, 43, 48, 50, 68, 78, 92, 97, 109. IX 1, 15, 25, 32, 50, 53, 54, 55, 57, 66. X 5, 18, 31, 37, 38, 44, 48, 61, 66, 69, 73, 74.

Summe

%

Verg. I

1, 7, 18, 23, 28, 29, 32, 37, 38, 41, 47, 49. Eins. II 16, 17, 19, 28, 37. Calp. I 1, 4, 13, 26, 27, 29, 30, 50, 53, 55, 65, 68, 75, 80, 84. II 3, 7, 10, 11, 15, 28, 32, 33, 36, 37, 40, 47, 50, 54, 55, 60, 66, 67, 72, 76, 82, 85, 92, 93, 94. III 3, 9, 13, 15, 37, 38, 42, 44, 45, 60, 66, 67, 70, 71, 80, 86, 89, 91. IV 4, 18, 25, 27, 33, 50, 52, 55, 66, 67, 75, 79, 85, 89, 93, 95, 106, 107, 108, 109, 111, 114, 128, 129, 144, 148, 151, 153, 154, 157, 158, 160, 162, 163, 168. V 4, 5, 14, 16, 23, 24, 27, 30, 32, 40, 49, 53, 61, 62, 66, 68, 73, 74, 82, 84, 87, 91, 96, 98, 109, 120. VI 2, 4, 5, 14, 21, 25, 26, 43, 46, 50, 54, 60, 65, 70, 82, 91. VII 1, 11, 15, 21, 22, 25, 28, 31, 42, 44, 53, 67, 71, 75. Eins. I

21,69

14 14 12

19,18 12,73 19,05

18

20,00

15 12

17,44 17,14

15 10 12

15,96 14,92 15,58

140 12 5

17,22 25,53 13,16

15

15,96

25

25,00

18

18,37

35

20,71

26

21,67

16

17,39

14

16,87

149

19,71

15 13 9 12

17,24 14,44 13,04 18,75

49

15,81

I

1, 3, 15, 21, 23, 32, 34, 40, 49, 51, 54, 68, 76, 78, 82. II 6, 12, 13, 40, 42, 45, 48, 50, 52, 54, 55, 57, 60. III 1, 19, 33, 43, 49, 50, 55, 62, 67. IV 3, 16, 18, 21, 22, 24, 30, 32, 40, 44, 47, 72.

Nemes.

18

am Versanfang

279

Daraus folgt, daß der Wortschluß nach dem 2. Trochäus bei allen Bukolikern ein willkommener Einschnitt war. Obschon Calpurnius insge¬ samt den höchsten Anteil erreicht, kann man daraus - im Gegensatz zum Wortschluß nach dem 4. Trochäus - nicht schließen, daß der Wortschluß 2tr für ihn kennzeichnend sei. Denn auch Vergil zeigt für diesen Wort¬ schluß eine große Vorliebe, und auch Nemesianus erreicht in keiner Ekloge weniger als Vergil in ecl. III (12,73%). Ebenso erreicht Eins. II nicht weniger als Verg. III, Eins. I dagegen noch mehr als Calp. II.

2tr:

Eins. I 25,53%

Calp. 19,71%

Verg. 17,22%

Nemes. 15,81%

Eins. II 13,16%

Nicht ohne Bedeutung ist, daß die Einsiedler Gedichte die Extreme der Tabelle bilden. Wenn wir zum Abschluß die überragende Häufigkeit des Wortschlusses nach dem 4. Trochäus und das leichte Überwiegen des Wortschlusses nach dem 2. Trochäus feststellen, können wir behaupten, daß im ganzen der trochäische Wortschluß in geraden Füßen für Cal¬ purnius besonders charakteristisch ist.1 Dazu kann ebenfalls angemerkt werden, daß Calpurnius durch diese trochäischen Wortschlüsse größere Kongruenz im ersten Halbvers erreicht hat.2 Auch darin ist er originell, daß er sich durch ein rhythmisch-metrisches Mittel vor dem inneren öpLOioreXsurov sowie dem Rhythmisieren zwischen semiternaria und semiseptenaria hütete. Vergil aber, der in dieser Hinsicht Calpurnius ähnlich ist, zeigte außerdem eine unübertroffene Meisterschaft in der Wahl verschiedener Vokale.3 An dieser Stelle kehren wir zu den Varianten von II Aa und II Bb zurück. Die Carmina Einsidlensia werde ich im letzten Kapitel behan¬ deln. Allen drei Bukolikern sind die Varianten II Aa 2, 9, 11, 13, 14 und 15, II Bb 1, 9, 11 und 21 gemeinsam. Vergil, Calpurnius, Nemesianus und Eins. I haben die Varianten II Aa 9 und 11 und II Bb 21, Vergil, Cal¬ purnius und Eins. II den Untertyp II Bb 15, Vergil und Nemesianus II Aa 1, 5, 16, 17 und 18 und II Bb 4, 17, 22 und 23. Vergil und Calpur-

1 Die Proportion des Calpurnius erreicht nur noch Horaz. Die Daten habe ich C. Cavallin entnommen. Bei Horaz sollte jedoch der Hexameter zum Ausdruck eines lebendigen, spontanen, alltäglichen Gesprächs dienen; daher gestaltet ihn Horaz bewußt so „unordentlich“. Dazu vgl. z. B. N.-O. Nilsson, S. 148-149. Im Falle des Calpurnius kommt eine Erklärung dieser Art überhaupt nicht in Frage. 2 Man könnte sagen, durch diesen erhöhten Grad der Kongruenz im ersten Hemistichion deute Calpurnius im römischen Hexameter denselben Prozeß an, dessen Vollen¬ dung im griechischen Hexameter Nonnos von Panopolis erreicht hat. 3 Vgl. oben S. 164.

280

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

nius haben II Aa 4, 12 und II Bb 15, nur Vergil die Varianten II Aa lx, 3, 6, 8, 10 und II Bb 2, 5, 13, 20 und 24-29. Nur Calpurnius hat II Bb 7 und 16. Im Falle der nur Vergilischen Varianten handelt es sich zweimal um einen vereinzelten Rhythmus, nämlich II Bb 20 und 26. Diese Erklärungen zu den Typen I Aa, I Bb, II Aa und II Bb möchte ich mit einer tabellarischen Übersicht abschließen. Dadurch wird sogleich erkennbar, welche Varianten am meisten verbreitet waren und welche nur einem oder zwei Dichtern gehören.1

Tyr)US

Aa ("

Variante

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

Insg.

Verg. Calp. Nemes. Eins. I Eins. II

6

2

1

1

0

1

5

0

2

0

0 0 0 0 1

0

2

1

1

6

2

1 0 5

3 0 0 0 0 0 10 1

1 0 0 4

30 11 19

1 1 18

0 0 0 0 1

1 0 0 0 0 1

0

0

3 0 0 0 0 3

1

1 3 0 1 11

7 3

Summe

Variante Verg. Calp. Nemes. Eins. I Eins. II Summe

2

1

0 0 4

0 0 2

1

2

7

0

0

2

3

0

0 0 10

0 0 2

3 2 0 0 0 0 2

Variante

1

Verg. Calp. Nemes. Eins. I Eins. II

5

lx 1 0 0 0 0 1

2 2 1 1 0 0 4

Summe

0

4 0 0 9

4

2 0 0 0 0 2

3 1 0 0 0 0 1

2

1 0 0 2

1

0 0 0 1

TyptIS I 3b: ( —) 7 9 9x 10 11 12 12x 14 14x 2 2 2 3 3 4 1 0 1 0 0 1 0 0 0 0 1 0 1 0 0 4 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 3 2 3 7 3 5 2 1 1 Typ US I 4 5 1 3 1 0 0 1 0 0 0 0 2 4

' Aa :(6 7 1 3 0 0 0 0 0 0 0 1 1 4

8

1 0 0 0 0 1

9 3 2 3 1 0 9

10 1 0 0 0 0 1

11 7 5 1 1 0 14

12 1 1 0 0 0 2

13 3 2 3 0 0 8

2 2

64

Insg. 29 4 9 0 1 43

Summe

33 12 13 2 1 61

1 Die nur für Vergil und Nemesianus gemeinsamen Varianten werden fett gedruckt, die nur für Vergil und Calpurnius gemeinsamen unterstrichen.

am Versanfang

Variante

II Aa

281

14

15

16

17

17a

18

19

4 1 4 0 0

1 0 1 0 0

4 0 2 0 0

1 0 0 0 0

1 0 1 0 0

1 0 0 0 0

47 15 22 2 1

9

2

6

1

2

1

87

Summe

Insgesamt

Verg. Calp. Nemes. Eins. I Eins. II

33 12 13 1

2 2 1 0 0

Insg.

61

5

2

Ty pus II I1b: Variante

1

2

4

5

7

9

10

11

13

15

16

17 20 21

22

Summe

Verg. Calp. Nemes. Eins. I Eins. II

1

1

1

1

0

0

3

2

4

0

5

1

3

2

0 0 0 0

0

0

1

4 3

2

2

1

0

0

2

0

1

2

0 0

0 0

0

1

2

0

0

2

1

1

0 0 6

0 0 0 0

1

0 0 9

0 0

0

0 0

0 0 0

0 0 0 0

2

1

30 16 13

2

8

1

8

1

26

27

Summe

3 0 0 6

Variante

II Bb

23

2

24

25

28

4 3 3

0

1

0 0 0 11 4 1

2 2

63

29

Summe

Insgesamt

Verg. Calp. Nemes. Eins.I Eins. II

30 16 13 2 2

2 0 1 0 0

1 0 0 0 0

1 0 0 0 0

1 0 0 0 0

1 0 0 0 0

1 0 0 0 0

1 0 0 0 0

38 16 14 2 2

Summe

63

3

1

1

1

1

1

1

72

In diesen vier Tabellen bemerken wir 13 positive Übereinstimmun¬ gen zwischen Vergib Calpurnius und Nemesianus, 16 Übereinstimmun¬ gen zwischen Vergil und Nemesianus, aber nur 4 Übereinstimmungen zwischen Vergil und Calpurnius Siculus.1 Bei den letzteren handelt es sich teilweise um die Variationen mit zwei Monosyllaba vor dem 4. longum anstelle eines spondeischen Wortes - an sich also weniger bedeu¬ tend teilweise um andere geringfügig differenzierte Varianten. Daraus kann man die Eigenständigkeit des Calpurnius Siculus am besten ersehen. Auch die Gesamtzahlen in der rechten Spalte sind aufschlußreich, was mit dem vorher Gesagten zusammenhängt. Denn wenn wir die Hexa-

1 Die Carmina Einsidlensia lasse ich in diesem Vergleich außer acht.

282

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

meterzahl eines jeden der drei Dichter berücksichtigen, finden wir Calpurnius immer weit hinter Vergil und Nemesianus, die hingegen einan¬ der ähnlich sind. Wenn man dabei an die unterschiedlichen Verszahlen des Vergil und des Nemesianus denkt, kann man Nemesianus den Eifer eines Nachahmers mit Recht zusprechen. Das ist eine geläufige Erschei¬ nung: viele Nachahmer bieten eine Verengung des Vorbilds. Andererseits geben alle drei Dichter die allgemeine Tendenz des römischen Hexa¬ meters wieder, indem sie die ,leichteren4 Typen II Aa und II Bb den schwereren4 I Aa und I Bb vorziehen. Im einzelnen ist aber nur im Bereich der untersuchten rhythmischen Abfolgen Vergils Vers schwerer als der Nemesians, was aus der Zahl 29 unter I Bb ersichtlich ist. Neme¬ sianus steht mit der Zahl 9 nicht weit hinter Vergil, im Typus II Bb übertrifft er sogar leicht Vergil mit 14 Belegen gegenüber Vergils 38. Doch das Gesamtbild veränderte sich, wenn alle Erscheinungen im Versbau, vor allem Daten über den Daktylus im 1. Fuß, berücksichtigt würden. Da dies hier nicht geschehen ist, dürfen wir in Bezug auf das Untersuchte nur mit Vorsicht urteilen.1 Jetzt sehen wir, daß hinsichtlich des Baus des ersten Fußes Vergil leichter ist als Nemesianus sowie daß die beiden Dichter denselben Weg vom Daktylus zum Spondeus im 1. Fuß gegangen sind. Zögen wir Duckworth weiter zu Rate, so kämen wir mit Sicherheit zu dem Schluß, daß unter den römischen Bukolikern die meisten Spondeen Nemesianus hat. Calpurnius ist dagegen der Bukoliker mit dem leichtesten Vers, womit Ovid nahesteht. Diesen beiden Dichtern gefielen andere Arten des Hexameteranfangs als Vergil und Nemesianus, andererseits bedeutet dies aber mehr rhythmische Monotonie, was Tamerle und Duckworth gesehen haben. Es gibt aber neben der Leichtigkeit andere uirtutes in der Verstechnik. Unter dem Gesichtspunkt der rhythmischen Mannigfaltigkeit im Bereich der Hexameterkunst ragt Vergil aus allen Bukolikern hervor.2 1 Vergils 1. Fuß ist häufiger spondeisch als der der späteren Daktyliker. Ich habe im übrigen am Hexameter des Calpurnius eine Vorliebe zum daktylischen Wort im 1. Fuß beobachtet. Dies steht mit dem Zeilensprung im Zusammenhang. Dennoch ist selbst die vergleichende Beobachtung der Häufigkeit dieser Erscheinung informativ. Das Ergebnis kann das oben Gesagte verifizieren. Die folgenden Angaben entnehme ich G. E. Duckworth, TAPA 95 (1964), S. 58-59; TAPA 97 (1966), S. 82, 103-104, 110 und 113; TAPA 98 (1967), S. 146. Ich berücksichtige die von ihm angegebenen Gesamtzahlen der Verse ohne Korrekturen. Der erste Fuß ist daktylisch: Verg. ecl. 540mal in 829 Versen = 65,14%; georg. 1421mal in 2188 Versen = 64,94%; Aen. 6103mal in 9900 Versen = 61,65%; Ov. met. 9740mal in 11995 Versen = 81.20%: Eins, (zusammen behandelt) 59mal in 85 Versen = 69,41%; Calp. 570mal in 758 Versen = 75,20%; Nemes. ecl. 202mal in 319 Versen = 63,22%; cyn. 189mal in 325 Versen = 58,15%. 2 Und aus allen Dichtern außer vielleicht dem eigenartigen Horaz, wozu unter vielen anderen bei den beiden Dichtem auch der hohe Anteil der Synaloephe beiträgt.

am Versanfang

283

Dies sieht man deutlich an der Zahl der Varianten, die nur bei ihm belegt sind. Außer den 26 in den obigen vier Tabellen aufgeführten Varianten sind es noch 6,1 insgesamt also 32 Varianten. Demgegenüber hat Calpurnius Siculus, der seinerseits die größte Unabhängigkeit, ja Originalität im Hexameterbau bewiesen hat, nur 8 eigene Untertypen, von deren Eigen¬ schaften bereits gesprochen wurde, eingeführt;2 Nemesianus, der sowohl von Vergil abhängt als auch vieles von Calpurnius übernimmt, zeigt lediglich eine eigene völlig unbedeutende Variante, nämlich I A 2.3 Wie bei der Betrachtung des molossischen Anfangswortes ergänzend alle Hexameter mit Wortschluß, der ab dem 4. biceps an auftritt, mit¬ berücksichtigt wurden, so werden auch jetzt diejenigen Verse behandelt, die den Typen I Aa, I Bb, II Aa und II Bb rhythmisch entsprechen. Sie werden auf folgende Weise in vier Gruppen klassifiziert: die Verse mit der Eröffnung 1. 2. 3. und 4. andere, d. h. Hexameter ohne Wortschluß im 2. longum. Innerhalb dieser vier Gruppen wird gleichzeitig die Aufteilung je nach der Position des Wortschlusses durch¬ geführt. Somit kann die Zahl des in der Tabelle auf S. 254 unvollständig erfaßten Materials vervollständigt werden. Da die Hexameter in der Gruppe 4 sehr zahlreich sind, werden nur diejenigen von ihnen auf¬ geführt, die mit einem spondeischen Wort beginnen.4 Ad 1.-.--. a) Wortschluß 8d Verg. III 99: ut nuper, frustra II pressabimus ubera palmis. (I Bb) V 6: siue antro potius succedimus. aspice, ut antrum (II Aa) S VI 80: quo cursu deserta petiuerit et quibus ante (I Aa) (4) VIII 62: Haec Dämon; uos, quae responderit Alphesiboeus, (I Bb) Calp. I 3: et spument rauco II feruentia musta susurro. (I Bb) II 52: O si-quis Crocalen II deus afferat! II hunc ego terris, (II Bb) III 58: atque inter calamos II errantia labra petisti. (II Aa) VII 64: nee solum nobis II siluestria cernere monstra (I Bb) VII 84: et Martis uultus II et Apollinis esse putatur. (I Aa) (5) 1 I A 1, II A 2, II A 3,1 B 2, II B 1, II B4. 2 Außer denen in den Tabellen noch I B 3. 3 Siehe S. 243. Anstelle eines spondeischen Wortes im 2. biceps und 3. longum stehen dort te nunc. 4 Da das Gesamtbild genügend differenziert ist, kann diese Einschränkung zu keiner wesentlichen Änderung führen. Es würde vielmehr zur Feststellung von Einzel¬ varianten führen, die wiederum hauptsächlich auf der Seite Vergils lägen.

284

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

Nemes. II 39: atque inter calamos II errantia labra petisti. (II Aa) (1)

10 b) Wortschluß 8s Verg. IV 30 et durae quercus II sudabunt roscida mella. (I Bb) V 53 An quicquam nobis II tali-sit munere maius? (I Bb) VII 51 hic tantum Boreae II curamus frigora quantum (II Aa) VIII 81 uno eodemque igni,ll sic nostro Daphnis amore. (I Bb) (SS) (5) X 36 aut custos gregis aut maturae uinitor uuae! (II Aa) Calp. 120: sed quaenam sacra II descripta est pagina fago, (I Bb) I 28: Non pastor, non haec II triuiali more uiator, (I Bb) IV 104: et nuper tonsis II exundent uellera fetis? (I Bb) V 97: et portat laetas II securus circitor uuas, (I Bb) VI 11: aut cantu magis est II quam uultu proximus illi. (II Aa) (6) VI52: nunc primum teneris II libauit dentibus: illi (II Aa) Nemes. I 73: te pinus; reboat te quicquid carminis, Echo (II Aa) II 7: tum primum dulci II carpebant gaudia furto. (I Bb) III 34: et simas tenero II collidit pollice nares. (II Aa) III 37: tum primum laetas II ostendit pampinus uuas: (I Bb) III 59: tum primum roseo II Silenus cymbia musto (II Aa) (6) IV 62: quid prodest, quod me II pagani mater Amyntae (I Bb)

17 c) Wortschluß 4tr Verg. VI 30: nee tantum Rhodope II miratur et Ismarus Orphea. (II Aa) IX 24: et potum pastas age, Tityre,ll4tr et inter agendum (2) (I Aa, latens) Calp. V 21: tune florent siluae II uiridisque renascitur annus, (I Aa) V 79: et scillae caput et uirosa bitumina portes, (II Aa) VI 15: et ridens oculis II crinemque simillimus auro, (II Aa) (3) Nemes. (1) IV 11: cum tandem fessijl quos durus adederat ignis, (I Bb)

6

am Versanfang

285

d) anderer Wortschluß Verg. (1) III 57: nunc frondent siluaejl nunc formosissimus annus. (I Bb) Calp. (1) V 11: iam pro-me gnauam II potes exercere iuuentam. (I Aa) Nemes. (1) IV 15: cur nostros calamosjl cur pastoralia uitas (II Aa)

3_ 36 Ad 2. a) Wortschluß 8d Verg. V 85: Hac te nos fragili II donabimus ante cicuta; (II Aa) IX 63: aut si nox pluuiam II ne colligat ante, ueremur (II Aa) (2) Calp. II 80: At nos, quos etiam II praetorrida munerat aestas, (II Aa) III 53: at si tu uenias,ll et candida lilia fient (II Bb) (2) Nemes. II 47: at si tu uenias II et candida lilia fient (II Bb)1 (1)

5 b) Wortschluß 8s Verg. I 64: At nos hinc alii II sitientis ibimus Afros, (II Bb) II 54: et uos, oilauri,ll carpam et te,l proxima myrte, (I Bb)2 (3) III 15: et si non aliqua nocuisses, mortuus esses. (II Bb)

3 c) Wortschluß 4tr Verg. (1) III 35: uerum, id quod multo I tute ipse fatebere maius (I Bb)3 J_

9

1 Absichtlich lasse ich die Interpunktion der Herausgeber stehen. 2 Da ich in diesem Kapitel o vor dem Vokativ als nur graphisches Wort behandle, lasse ich den Vers hier stehen. Ebenfalls steht dieser Vers in der Tabelle absoluter Wort¬ schlüsse im 4. longum bei Vergil, aber wegen der Pause nach te ordne ich ihn hier ein. 3 Id quod könnte vielleicht unter einem Akzent gehört werden.

286

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

Ad 3. a) Wortschluß 8d Verg. (1) I 23: noram, sic paruis II componere magna solebam. (I Bb) Calp. (1) VI 34: quamuis hunc Petale mea diligatjl accipe uictor (II Bb)

2 b) Wortschluß 8s Verg. IX 48: Calp. (1) IV 152: Eins. (1) II 11: Nemes. II 46: (2) 1168: (1)

astrum quo segetes II gauderent frugibus et quo (II Aa) Olim quam tereti II decurrent carmina uersu (II Aa) Ergo si causas I curarum scire laboras (I Bb) nullos nec myrtus II nec laurus spirat odores. (I Bb) nuper, quae potuijl siluarum praemia misi. (II Aa)

5 c) Wortschluß 4tr Verg. (1) VI 20: addit se sociam II timidisque superuenit Aegle, (II Bb)

1 d) anderer Wortschluß Calp. (1) IV 149: uerum, quae paribus II modo concinuistis auenis, (II Bb) 5tr J_

54 Insgesamt sind es unter Punkt 1 bis 3 54 Belege.

Ad 4. Andere Varianten ohne Wortschluß im 2. longum mit dem spondeischen Anfangswort Zitiert werden nur die Verse oder Versanfänge mit dem spondeischen Wort. Die übrigen Hexameter mit anderen Wortschlüssen werden in den

am Versanfang

Fußnoten aufgelistet. Insgesamt sind es bei Vergil 40 purnius 54, in Eins. I 5 Verse, in Eins. II 2 Verse, bei Verse. Mit dem spondeischen Anfangswort dagegen sind bei Vergil 9, bei Calpurnius 11, in Eins. I 1, in Eins. II bei Nemesianus 4 Hexameter.

287 Verse, bei CalNemesianus 15 es entsprechend ebenfalls 1 und

Verg.1 I 33: II 39: IV 28: VI 21: VII 4: VII 21: VII 33: VII 58:

quamuis multa meis II exiret uictima saeptis, dixit Damoetasji inuidit stultus Amyntas. molli paulatim II flauescet campus arista Aegle Naiadum I pulcherrimajl iamque uidenti ambo florentes I aetatibusjl Arcades ambo, Nymphae noster amor II Libethrides, aut mihi carmen, Sinum lactis et haec te liba, Priape, quotannis Liber pampineas II inuidit collibus umbras: (9) VIII 59: praeceps aerii II specula de montis in undas Calp.2 I 1: Nondum Solis equos II declinis mitigat aestas, I 55: qualis saepe fuitjl quae libera Marte professo, I 68: inter sacra tubasjl non inter bella, sonare. II 59: inter pampineas II ponetur faginus ulmos. II 76: Quamuis siccus ager II languentes excoquat herbas, III 37: uictas tende manus;ll decet indulgere puellae, IV 91: laurus fructificat II uicinaque nascitur arbos. V 62: rursus pasce greges II et opacos desere lucos. VII 15: uerum tota ferat II quae lustrat ouilia Thyrsis: VII 27: inter femineas II spectabat turba cathedras. (11) VII 32: inter continuos II curuatur concaua montes. (1) Eins. I 32: talis Phoebus erat,II cum laetus caede draconis (1) Eins. II 8: Atquin turbari II sine-uentis non solet aequor.

1 Außer den zu zitierenden 9 Versen mit dem spondeischen Anfangswort sind es bei Vergil folgende 31 Hexameter ohne spondeisches Anfangswort und ohne Wort¬ schluß im 2. longum, die hierher gehören: I 37, 48, 49, 51, 63, 82; II 3, 31, 43, 67; III 28, 56; IV 29; VI 27, 35, 51, 58; VII 5, 24, 27, 30, 34, 35, 36, 53; VIII 4, 7, 91; IX 53; X 18, 45. Wegen des latenten Wortschlusses im 2. longum schließe ich Verg. II 43 aus. 2 Wie in der vorigen Anmerkung für Vergil, sind es folgende 43 Hexameter des Calpurnius: I 13, 30; II 3, 33, 54, 60; III 3, 44, 48, 60, 67, 80; IV 18, 67, 89, 148, 151, 157 (mW), 162, 168; V 14, 23, 24, 32, 43, 49, 66, 68, 73, 84, 87; VI 2, 5, 12, 54, 82; VE 11, 22, 25, 28, 67, 71, 75, folgende 11 Verse des Nemesianus: 1 1, 19, 47, 68; II 14, 21, 45, 50, 55; III 10, 41, darüber hinaus 4 Hexameter des Eins. I: 1, 17, 20, 45 und Eins. II 20.

288

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

Nemes. I 63 laetus Phoebea II dixisti carmen auena. II 42 omnes ecce cibos II et nostri pocula Bacchi II 54 uersu, Phoebe, refer:ll sunt curae carmina Phoebo. (4)1 IV 22 perdit spina rosas II nec semper lilia candent.

26 Da bei diesem letzten Typ 4 das spondeische Wort am Hexameter¬ anfang steht, ist es sinnvoll, eine vollständige Behandlung dieser Erschei¬ nung anzuschließen. Es empfiehlt sich aber, vor diesem Schritt das Behandelte in eine Tabelle zu bringen.

Molossus Wortschluß im 2. longum + später als 4. longum 8d

8s

4tr

Verg. Calp. Nemes. Eins. I Eins. II

11 8 2 0 0

9 7 8 0 1

4 3 1 0 0

1 2 1 0 0

Insg.

21

25

8

4

Wortschi, später als 4. longum2

Andere3 Insg.

25 20 12 0 1 58

Summe

40 54 15 5 2

116

65 74 27 5 3 174

Wenn wir nun die Erfassung des Molossus, sei es mit Wortschluß im 2. longum, sei es ohne diesen Wortschluß, in der Tabelle auf Seite 326 ergänzen, erhalten wir das folgende Bild.4

1 Bei Nemesianus kommt das spondeische Anfangswort noch 9mal vor: I 64, 78; II 46, 68, 75; HI 58 (latens), 67; IV 18, 24. Insgesamt sind es 13 Belege. 2 D. h. am Versanfang tritt der molossische Rhythmus ein, aber kein Wortschluß im 2. longum, z. B. oder — u. a. 3 D. h. Hexameter, in denen ein Wortschluß im 4. longum fehlt und erst später im 5. Fuß oder danach erscheint. 4 Der hier relevante Teil jener Tabelle auf S. 254 wird an dieser Stelle wiederholt.

am Versanfang

289

Molossus Wortschluß im 4. longum ecl.

Verg.

Calp.

Nemes.

I II III IV V VI

16 16 25 8 17

6 7 3 13 8 7

18

VII VIII IX X

9 13 13 16

2

Insg.

144

46

11

Wortsc iluß später als 4. longum

Eins.

Verg.

6 6

20

9 6 6 3 3 8 13 6 4 3

13 13

64

Calp.

12

Nemes.

Eins.

6

5 3

8 8 9 12

12

5 4

16 9 12

61

74

27

8

Molossus insgesamt: Verg. Calp. Nemes. Eins. I Eins. II ■ ecl. I II III IV V VI VII VIII IX X Insg.

+ + + + + +

9 13 13 16

+ + + +

9 6 6 3 3 8 13 6 4 3

= = = = = = = = = =

+ + + + +

61 74 27 5 3

= 205 = 120 = 91 = 11 = 9

Molossus in einzelnen Eklog;en1 2 Calp.

Verg. 16 16 25 8 17 11

144 46 64 6 6

25 22 31 11 20 19 22 19 17 19

6 7 3 13 8 7 2

+ + + + + + +

8 8 9 12 16 9 12

= 14 = 15 = 12 = 25 = 24 = 16 = 14

144 + 61 = 205 46 + 74 = 120

Nemes. 18 20 13 13

+ 6 = 24 H" 12 = 32 + 5 = 18 + 4 = 17

64 + 27 = 91

Eins. 6 + 5 = 6 + 3 =

11 9

12 + 8 = 20

1 Die Zahl links bezieht sich auf die Verse mit absolutem Wortschluß im 4. longum (Tabelle S. 254), die Zahl rechts auf die übrigen Typen, ohne daß zwischen den Einzeltypen des Molossus oder zwischen den Versen mit Wortschluß im 2. longum oder ohne diesen Wortschluß unterschieden wird (Tabelle oben, der Teil rechts).

290

Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

Die rechte Hälfte der Tabelle auf S. 289 und dementsprechend die Zahl rechts vom Pluszeichen in den beiden übrigen Tabellen enthält nicht nur Hexameter mit einem spondeischen Anfangswort, sondern alle Verse, die in Punkt 4 gehören.1 Demgegenüber habe ich von der Betrachtung des spondeischen Anfangswortes verschiedene metrische Wörter und die Gruppen, die aus zwei schweren Monosyllaba bestehen, vorübergehend ausgeschlossen, weil der Wortakzent nicht unbedingt mit dem 1. longum zusammenfällt bzw. in Bezug auf die Akzentstelle Unsicherheit besteht. Diese Unterscheidung ist von Belang, weil es sich bei einem spondeischen Anfangswort um die Kongruenz im 1. Fuß handelt. Wenn aber im 1. Fuß z. B. per-te steht, wird bei einem unemphatischen te das ganze metrische Wort per-te betont, bei einem emphatischen aber per-te. In diesem Fall sprechen wir von Inkongruenz, z. B.: Verg. VIII 11: a-te principium,ll tibi desinam: accipe iussis,2 aber nicht in Verg. IX 1: Quö-te, Moeri, pedes? II an quo uia ducit, in urbem? oder Calp. II 67: nec-sunt grata minus,II quam si caper imbuat aras, wo sunt rhythmisch zu nec gehört. Überlegenswert sind auch Fälle wie z. B.: Calp. III 70: quod si dura times etiam nunc uerbera, Phylli. Das Auftreten eines spondeischen Wortes am Anfang des römischen Hexameters hat E. Tamerle am aufschlußreichsten behandelt.3 Freilich weisen viele Kommentatoren auf diese Erscheinung hin; fast alle messen ihr die Funktion der Isolierung bei und stellen Listen mit Beispielen aus dem kommentierten Buch zusammen. Es fehlt jedoch dabei in der Regel irgendeine rhythmisch-metrische oder kolometrische Differenzierung. Die vorliegende Untersuchung knüpft an die Abhandlung Tamerles an. Ihr weiteres Ziel ist es, das spondeische Anfangswort in den Kontext des Überhangs zu bringen,4 d. h. zu fragen, ob nach dem ersten, durch ein Wort gefüllten Spondeus das Kolon, wenn auch mit einer leichteren Pause, endet.5 Da alle betreffenden Verse bereits zitiert worden sind, 1 Vgl. oben S. 287 mit Anm. 1 und 2. 2 Über Nemes. I 54: sub-te iuris amor, sub-te reuerentia iusti läßt sich nicht ein¬ deutig entscheiden. 3 E. Tamerle, S. 15-26. Siehe auch E. Norden, Aeneis VI2, S. 435-436. In diesem Anhang nennt Norden auch 10 Hexameter aus Vergils Eklogen. Er ist auch der Meinung, daß bei einer zweisilbigen Präposition wie inter, intra, contra, circum, instar die Proklisis den Wortschluß (Norden sagt „die Diaerese“) aufhebe. 4 Vgl. oben S. 239. 5 Die im römischen Hexameter übliche und - neben anderen Funktionen - auch rhythmisch wirksame Art des Überhangs ist der Überhang mit Kolonende nach dem ersten mit einem daktylischen Wort gefüllten Fuß.

am Versanfang

291

genügt es, auf die entsprechenden Stellen zurückzuverweisen. Den Aus¬ gangspunkt bilden die vier Typen I Aa, I Bb, II Aa, II Bb. Es handelt sich um die folgenden Typen: I Aa 9, I Aa 12, I Bb 9, I Bb 9x, I Bb 12, I Bb 12x, II Aa 7, II Aa 8, II Aa 15, II Aa 16, II Aa 18, II Bb 15, II Bb 16, II Bb 24, II Bb 25, II Bb 28 und II Bb 29,1 insgesamt 53 Hexameter: Verg. 29, Calp. 9, Nemes. 10, Eins. I 0, Eins. II 5. Hierzu kommen 26 Hexameter, die auf S. 287-288 unter dem Punkt 4 zitiert sind: Verg. 9 Verse, Calp. 11, Nemes. 4, Eins. I 1, Eins. II 1. Insgesamt eröffnet also ein spondeisches Wort den Hexameter bei Vergil 38mal (4.67%). bei Calpurnius 20mal (2,64%), in Eins. I lmal (2,13%), in Eins. II 6mal (15,79%) und bei Nemesianus 15mal (4.84%).2 Wenn wir diese beiden Gruppen getrennt voneinander betrachten, sehen wir Differenzen in der Häufigkeit des spondeischen Anfangswortes in Versen mit dem absoluten Wortschluß im 4. longum und jenen, die erst später einen Wortschluß aufweisen. In der ersten Gruppe hebt sich Calpurnius von Vergil stark ab (9 : 29), während er in der zweiten Gruppe Vergil gleicht (11 : 9). Nemesianus weist dagegen innerhalb der beiden Gruppen dasselbe Verhältnis wie Vergil auf, nämlich 10 : 29 in der ersten und 4 : 9 in der zweiten Gruppe. Am besten können dies die Prozentzahlen veranschau¬ lichen. In der Tabelle bedeuten die Bezeichnungen ,Gruppe I‘ und ,Gruppe IT entsprechend die Verse mit dem absoluten Wortschluß im 4. longum und die mit dem Wortschluß später als 4. longum. Verg.

Calp.

Nemes.

Eins. I

Eins. II

Gruppe I Gruppe II

29-3,57% 9-1,19% 10-3,22% 9-1,11% 11-1,45% 4-1,29%

1-2,13%

5-13,16% 1- 2,63%

Insgesamt

38-4,67% 20-2,64% 14-4,52%

1-2,13%

6-15,79%

Eines muß Berücksichtigung finden, nämlich daß die vorher in der Typologie genanten Zahlen3 jetzt bei der Behandlung des spondeischen Anfangswortes einer Korrektur bedürfen, welche bereits eingeführt worden ist. Der Grund dafür liegt darin, daß in die Typologie und

1 Zitiert zwischen S. 255 und 273 und auf S. 271 und 286. 2 Allesamt Verg. I 19, 23, 25, 30, 33, 39; E 16, 23, 39, 53; III 64; IV 21, 28, 57, 61; V 21, 62; VI 20, 21, 57 (si-qua)\ VII 4, 21, 33, 58; VIII 13, 26, 55, 56, 59, 83, 98; IX 34, 48; X 21, 37, 52, 73, 74. Dazu vgl. Th. Birt, Ad historiam, S. 39, der 37 exempla gezählt hat, sicherlich ohne VI 57 si qua. Calp. 11, 50, 55, 68; ü 59, 76; III 37; IV 37 (mW), 91, 149, 152; V 27, 30, 62; VI 4, 22, 34; VII15, 22, 32. Eins. I 32 (Eins. I 45: ergo ut kann man hierzu rechnen); Eins. II 8, 11, 17, 21, 25, 37; Nemes. I 63, 64, 78; II 26 (mW), 42, 46, 54, 68, 75; EI 58, 67; IV 18, 22, 24. Unterstrichen sind Verse aus der Gruppe E. Nemes. IE 58: iämiamque elapsas rechne ich hierher. 3 Siehe oben auf dieser Seite.

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Der Gebrauch des molossischen und des spondeischen Wortes

dementsprechend in die Tabellen außer den oben genanten 53 und 26 Versen1 - insgesamt sind es 79 Hexameter - auch jene hineingezogen wurden, in denen die Versstelle zwischen dem 1. biceps und dem 2. longum mit einer Synaloephe erscheint, z. B.: Verg. VII 19: coepere, alternos Musae meminisse uolebant. VIII 20: profeci, extrema moriens tarnen adloquor hora. Einerseits müssen derartige Verse unter dem Aspekt des Überhangs untersucht werden, andererseits sollen sie von unserer Betrachtung im Moment fembleiben, weil das Anfangswort, mag es wegen der Synaloe¬ phe in den spondeischen Worttypus gehören, offenkundig kein spondeisches Wort ist: Es wird ja auf der zweiten Silbe -pe bzw. -/